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Crash-Kurs Arbeitsrecht

1101
2007
978-3-8385-2960-8
UTB 
Ulrich Büdenbender
Christina Will

Dieses Lehrbuch führt in die wesentlichen Themenbereiche des Individualarbeitsrechts ein und vermittelt ausgewählte Grundzüge des kollektiven Arbeitsrechts. Auch das im August 2006 erlassene AGG (»Antidiskriminierungsgesetz«), das im Bereich des Arbeitsrechts weit reichende Auswirkung hat, wird behandelt. Der für Nichtjuristen verständlich vermittelte Inhalt wird durch praxisnahe Beispielsfälle verdeutlicht, juristische Fachtermini und Arbeitstechnik werden dabei nicht vorausgesetzt.

<?page no="1"?> UTB 2960 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Beltz Verlag Weinheim · Basel Böhlau Verlag Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich Opladen · Farmington Hills facultas.wuv Wien Wilhelm Fink München A. Francke Verlag Tübingen und Basel Haupt Verlag Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft Stuttgart Mohr Siebeck Tübingen C. F. Müller Verlag Heidelberg Orell Füssli Verlag Zürich Verlag Recht und Wirtschaft Frankfurt am Main Ernst Reinhardt Verlag München · Basel Ferdinand Schöningh Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Ulrich Büdenbender Christina Will Crash-Kurs Arbeitsrecht UVK Verlagsgesellschaft mbH <?page no="3"?> Zu den Autoren: Prof. Dr. Ulrich Büdenbender lehrt Bürgerliches Recht, Energiewirtschaftsrecht und Arbeitsrecht an der Technischen Universität Dresden. Christina Will ist an seinem Lehrstuhl Wissenschaftliche Assistentin. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8252-2960-3 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2008 Lektorat: Andrea Vogel, Zürich Satz und Layout: PTP-Berlin Protago-T E X-Production GmbH, Berlin Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck: Ebner & Spiegel, Ulm UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-21 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="4"?> Inhalt Vorwort 15 1 Arbeitsrecht und Personalmanagement 17 2 System des Arbeitsrechts 19 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2 Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3 System des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.3.1 Individualarbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.3.2 Kollektives Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.3.3 Zusammenspiel von Individual- und Kollektivarbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.4 Arbeitsrecht und Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.4.1 Systematik der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . 23 2.4.2 Grundsatz der Privatautonomie . . . . . . . . . . . 23 2.4.3 Privatautonomie im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . 24 2.5 Interessenausgleich im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . 26 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts 29 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1 Europäisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3.1.1 Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3.1.2 Europäische Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . 31 3.1.3 Europäisches Parlament (Art. 189 ff. EG . . . . . . . 32 3.1.4 Rat der Europäischen Union (Art. 202 ff. EG) und Europäischer Rat (Art. 4 EUV) . . . . . . . . . . . 32 3.1.5 Kommission (Art. 211 ff. EG) . . . . . . . . . . . . 32 3.1.6 Europäischer Gerichtshof (Art. 220 ff. EG) . . . . . . 33 3.1.7 Rechnungshof (Art. 246 ff. EG) . . . . . . . . . . . 33 5 <?page no="5"?> Inhalt 3.1.8 Arbeitsrechtliche Regelungen im primären Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.1.9 Arbeitsrechtliche Regelungen im sekundären Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.1.10 Arbeitsrechtliche Rechtquellen in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.2 Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.2.1 Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.2.2 Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.3 Gesetzliche Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.3.1 Bundes- und Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . 46 3.3.2 Geltungsbereich des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . 46 3.3.3 Zwingendes und dispositives Gesetzesrecht . . . . . . 47 3.4 Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.5 Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.6 Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.6.1 Betriebliche Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.6.2 Weisungsrecht des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . 51 3.7 Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.8 Rangverhältnis der Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.8.1 Rangprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.8.2 Günstigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.8.3 Ordnungs- und Spezialitätsprinzip . . . . . . . . . . 53 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4 Die Beteiligten 57 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.1 Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.1.1 Privatrechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.1.2 Arbeitnehmer als Verbraucher . . . . . . . . . . . . 61 4.2 Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4.3 Arbeitgeberwechsel durch Betriebsübergang . . . . . . . . . . 62 4.3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4.3.2 Voraussetzungen eines Betriebsüberganges . . . . . . 63 4.4 Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges . . . . . . . . . . . . . 67 4.4.1 Übergang des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . 67 4.4.2 Unterrichtungspflicht und Widerspruchsrecht . . . . 69 6 <?page no="6"?> Inhalt 4.4.3 Fortgeltung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4.4.4 Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.5 Betrieb und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4.6 Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.7 Gesamtbetriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.8 Konzernbetriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.9 Personalrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.10 Sprecherausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.11 Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4.12 Exkurs: Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.12.1 Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4.12.2 Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite: Die Aussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4.12.3 Fernwirkungen eines Arbeitskampfes . . . . . . . . . 82 4.13 Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4.13.1 Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.13.2 Gewerbeaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4.13.3 Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4.13.4 Arbeitsvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5 Betriebliche Mitbestimmung 89 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5.2 Voraussetzung der Betriebsratsarbeit . . . . . . . . . . . . . . 90 5.2.1 Anspruch auf Freistellung . . . . . . . . . . . . . . 90 5.2.2 Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.2.3 Finanzielle Unterstützung der Betriebsratsarbeit . . . 92 5.2.4 Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 5.2.5 Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 5.3 Beteiligungsrechte des Betriebsrates . . . . . . . . . . . . . . 93 5.3.1 Überblick und Systematik . . . . . . . . . . . . . . 93 5.3.2 Allgemeine Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.3.3 Beteiligungsrechte bei der Arbeitsplatz- und Arbeitsablaufgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 95 7 <?page no="7"?> Inhalt 5.3.4 Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten . 95 5.3.5 Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten . 96 5.3.6 Beteiligungsrechte in personellen Angelegenheiten . . 98 5.4 Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 5.4.1 Arten der Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . 105 5.4.2 Abschluss, Inhalt und Geltungsbereich . . . . . . . . 106 5.4.3 Beendigung und Nachwirkung . . . . . . . . . . . . 106 5.5 Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 108 5.5.1 Mitbestimmungsgesetz 1976 . . . . . . . . . . . . . 108 5.5.2 Montanmitbestimmungsgesetz . . . . . . . . . . . . 109 5.5.3 Drittelbeteiligungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 109 5.5.4 Bedeutung unterschiedlicher Mitarbeiterzahlen im kollektiven Arbeitsrecht (Übersicht) . . . . . . . . 109 5.5.5 Beteiligungsrechte in den Aufgabenfeldern des Personalmanagements (Übersicht) . . . . . . . . . . 110 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 6 Wechselwirkung zwischen Kollektiv- und Individualarbeitsrecht 115 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 6.1 Günstigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 6.2 Öffnungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6.3 Allgemeinverbindlicherklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6.4 Geltung tarifvertraglicher Regelungen für nicht Tarifgebundene 118 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages 121 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 7.1 Stellenausschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 7.2 Bewerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 7.2.1 Bewerbungsunterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 124 7.2.2 Vorstellungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7.3 Vorstellungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7.3.1 Aufklärungspflicht des Bewerbers . . . . . . . . . . . 125 7.3.2 Fragerecht des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . 126 7.3.3 Aufklärungspflicht des Arbeitgebers . . . . . . . . . 128 8 <?page no="8"?> Inhalt 7.3.4 Personalfragebögen, Assessment Center und Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 7.4 Abschluss des Arbeitsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 7.4.1 Einigung der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . 130 7.4.2 Wirksamkeit der Einigung . . . . . . . . . . . . . . 131 7.5 Allgemeine Geschäftsbedingungen und Arbeitsverträge . . . . 137 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 8 Fehlerhafter Arbeitsvertrag 141 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 8.1 Nichtigkeit des Arbeitsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . 141 8.2 Anfechtung des Arbeitsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . 142 8.2.1 Anfechtung aufgrund Irrtums . . . . . . . . . . . . 142 8.2.2 Anfechtung aufgrund Täuschung oder Drohung . . . 145 8.2.3 Rechtsfolgen der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . 147 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber 151 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 9.1 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitnehmers . . . . . . . . 151 9.1.1 Pflicht zur Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . 151 9.1.2 Nichterfüllung der Arbeitspflicht . . . . . . . . . . . 157 9.1.3 Sonstige Pflichten des Arbeitnehmers . . . . . . . . . 159 9.2 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitgebers . . . . . . . . . 161 9.2.1 Pflicht zur Lohn- und Gehaltszahlung . . . . . . . . 161 9.2.2 Sonstige Pflichten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . 163 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 10 Vergütung und Arbeitszeit als Elemente moderner Personalpolitik 169 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 10.1 Arbeitszeitrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 10.1.1 Öffentliches Arbeitszeitrecht - Arbeitszeitgesetz . . . 169 10.1.2 Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 9 <?page no="9"?> Inhalt 10.1.3 Ruhepausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 10.1.4 Ruhezeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 10.1.5 Abweichende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . 172 10.2 Arbeitszeitmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 10.2.1 Voll- und Teilzeitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 174 10.2.2 Schichtarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 10.2.3 Kurzfristige Flexibilisierung . . . . . . . . . . . . . . 175 10.2.4 Langfristige Flexibilisierung . . . . . . . . . . . . . 178 10.3 Rechtsgrundlagen der Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . 180 10.3.1 Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 10.3.2 Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 10.3.3 Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 10.3.4 Betriebliche Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 10.3.5 § 612 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 10.4 Erscheinungsformen und Bestandteile der Vergütung . . . . . 184 10.5 Zielvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 10.5.1 Rahmenvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 10.5.2 Zielbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 10.5.3 Zielerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 10.5.4 Rechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 10.5.5 Änderungen der Zielvereinbarung . . . . . . . . . . 186 10.6 Betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 10.6.1 Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 10.6.2 Altersvorsorgemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . 188 10.6.3 Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates . . . . . . . 189 10.7 Exkurs: Aus- und Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . 190 10.7.1 Kandidatenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 10.7.2 Rückzahlung von Aus- und Weiterbildungskosten . . 191 10.8 Sozialeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses 197 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 11.1 Befristete Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 11.1.1 Arten der Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 11.1.2 Befristung mit Sachgrund . . . . . . . . . . . . . . 198 11.1.3 Befristung ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 2 TzBfG . 199 10 <?page no="10"?> Inhalt 11.1.4 Schriftform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 11.1.5 Rechtsfolgen wirksamer und unwirksamer Befristungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 11.1.6 Auflösend bedingter Vertrag . . . . . . . . . . . . . 203 11.2 Teilzeitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 11.3 Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit) . . . . . . . . . . . . . 206 11.4 Ausbildung und Praktikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 11.4.1 Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 11.4.2 Praktikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 12 Lohn ohne Arbeit 213 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 12.1 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall . . . . . . . . . . . . . 213 12.1.1 Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 213 12.1.2 Anspruchsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 12.1.3 Nachweispflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 12.2 Bezahlter Erholungsurlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 12.3 Annahmeverzug des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . 222 12.3.1 Voraussetzungen des Annahmeverzuges . . . . . . . . 222 12.3.2 Betriebs- und Wirtschaftsrisiko . . . . . . . . . . . . 223 12.4 Persönliche Hinderungsgründe auf Seiten des Arbeitnehmers . 224 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 13 Haftung im Arbeitsverhältnis 229 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 13.1 Haftung des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 13.1.1 Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 13.1.2 Haftung des Arbeitnehmers gegenüber Arbeitskollegen 233 13.1.3 Haftung des Arbeitnehmers gegenüber Dritten . . . . 237 13.2 Haftung des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 13.2.1 Haftung des Arbeitgebers gegenüber seinen Beschäftigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 13.2.2 Haftung des Arbeitgebers gegenüber Dritten . . . . . 239 11 <?page no="11"?> Inhalt Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses 243 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 14.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 14.2 Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 14.2.1 Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . 244 14.2.2 Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 14.2.3 Schriftform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 14.2.4 Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 14.2.5 Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 14.2.6 Zugang der Kündigungserklärung . . . . . . . . . . 246 14.2.7 Beteiligung des Betriebsrates . . . . . . . . . . . . . 247 14.2.8 Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch . . . . . . 250 14.3 Ordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 14.3.1 Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 14.3.2 Ausschluss der ordentlichen Kündigung . . . . . . . 252 14.3.3 Besonderer Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . 253 14.3.4 Vereinbarter Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . 253 14.3.5 Verstoß gegen BGB-Vorschriften . . . . . . . . . . . 254 14.3.6 Anhörung des Betriebsrates . . . . . . . . . . . . . . 254 14.3.7 Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz 255 14.4 Außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 14.4.1 Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 14.4.2 Betriebsratsanhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 14.4.3 Besonderer Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . 262 14.4.4 Kündigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 14.5 Verdachtskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 14.6 Druckkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 14.7 Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 14.8 Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 14.9 Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . 268 14.9.1 Arbeitszeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 14.9.2 Nachvertragliches Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . 270 14.9.3 Nachvertragliche Treuepflichten . . . . . . . . . . . 270 14.10 Beschäftigungsgesellschaft/ Sozialplan/ Interessenausgleich . . . 271 14.10.1 Beschäftigungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . 271 12 <?page no="12"?> Inhalt 14.10.2 Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 14.10.3 Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 14.11 Überblick über rechtliche Schwierigkeiten bei der Personalfreisetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Kontrollfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 15 Klausurtechnik und Gutachtenstil 277 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 15.1 Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 15.2 Die Besonderheiten des Gutachtenstils . . . . . . . . . . . . 278 15.3 Die Klausurlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 15.3.1 Sachverhalt und Fallfrage . . . . . . . . . . . . . . . 279 15.3.2 Die rechtliche Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Übungsklausur 289 Antworten 290 Lösung zur Übungsklausur 298 Glossar 301 Abbildungen 307 Abkürzungen 308 Literatur 311 Index 314 13 <?page no="14"?> Vorwort „A verkauft B eine Kuh. Wer ist schuld? “ Das, so gestand ein ehemaliger Student der Wirtschaftswissenschaften, sei das Einzige, woran er sich aus seinen Rechtsvorlesungen noch erinnere. An solchen Ergebnissen ist die Art und Weise der Vermittlung juristischen Lehrstoffes oft nicht unschuldig. Es wird von den Studenten anderer Fachrichtungen verlangt, sich in kürzester Zeit mit der äußerst komplexen Materie des Arbeitsrechts vertraut zu machen, obwohl sie in der Regel keinerlei juristische Kenntnisse haben. Eine zum Teil unverständliche Juristensprache und abstrakte Problemstellungen tragen ein Übriges dazu bei, das Arbeitsrecht undurchschaubar und trocken erscheinen zu lassen. Dieses Lehrbuch verfolgt einen anderen Ansatz: Die Grundlagen des Arbeitsrechts sollen in einer auch für Leser ohne juristische Vorkenntnisse verständlichen Weise dargestellt werden. Auf juristische Meinungsstreitigkeiten und theoretische Problemstellung wird verzichtet; maßgebend ist in erster Linie die für die Praxis relevante Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Dieses Lehrbuch erscheint in der Reihe BWL Crash Kurs, daher wird besonderes Augenmerk auf die Bereiche des Arbeitsrechts gelegt, die im Rahmen des Personalmanagements von Interesse sind. Das Arbeitsrecht beruht in weiten Teilen auf Regelungen des Bürgerlichen Rechts, darum werden immer wieder kurze Erläuterungen aus dem Bürgerlichen Recht eingeschoben. Bei den in den Fußnoten zitierten Urteilen handelt es sich überwiegend um Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, deren Anzahl auf ein Mindestmaß reduziert wurde. Zusammenfassende Übersichten und Kontrollfragen sollen die Wiederholung des Stoffes erleichtern; die Lösungen finden Sie am Ende des Buches. Allerdings wird die eigenständige Erarbeitung der Antworten statt der sofortigen Lektüre der Lösungen dringend empfohlen. Ein Kapitel erläutert das Vorgehen bei der Lösung eines juristischen Falls und bietet mit der Musterklausur eine gute Möglichkeit, für den „Ernstfall Klausur“ zu proben. Gesetzgebung und Rechtsprechung sind auf dem Stand Juli 2007. Dresden, im Juli 2007 Ulrich Büdenbender Christina Will 15 <?page no="16"?> 1 Arbeitsrecht und Personalmanagement Arbeitsrecht und Personalmanagement sind eng miteinander verwoben, denn das Arbeitsrecht bildet den staatlich gesetzten Rahmen des Personalmanagements. In kaum einem anderen Land der Welt sind Beschäftigung und Einsatz von Mitarbeitern und die Arbeitsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer so stark reglementiert wie in Deutschland. Lässt man dies bei der Entwicklung von Personalmaßnahmen außer Betracht, muss man sich im Klaren darüber sein, dass die erarbeiteten Lösungen möglicherweise praktisch nicht umsetzbar oder mit erheblichen rechtlichen Nachteilen für den Arbeitgeber verbunden sind. So ist das innovativste Arbeitszeitmodell nutzlos, wenn es gegen geltendes Arbeitszeitrecht verstößt, das gleiche gilt für ein dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zuwider laufendes Entgeltmodell. Noch schwerer wiegen rechtliche Fehler beim Personalabbau, da sie nicht selten zu hohen Kosten und langwierigen Gerichtsprozessen führen. Ein solides arbeitsrechtliches Wissen ist daher für jeden Personalverantwortlichen unverzichtbar. Doch das Arbeitsrecht darf nicht ausschließlich als Einschränkung gesehen werden, anderenfalls würde Personalpolitik zur reinen Gesetzesausführung verkümmern. Auch das Arbeitsrecht bietet Spielraum für die Entwicklung und Durchsetzung innovativer Personalmaßnahmen; man muss ihn lediglich erkennen und zu nutzen wissen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kommen aber in den meisten der betroffenen Unternehmen nach wie vor die klassischen Instrumente zur Anwendung: Einstellungsstopp, Kurzarbeit, Frühpensionierung und Kündigung. Um den Anforderungen der globalisierten Wirtschaft zu genügen, ist jedoch eine moderne Personalpolitik notwendig, die vor allem durch ein ganzheitliches, vorausschauendes und vernetztes Denken gekennzeichnet ist, und die Personalarbeit als wichtige Gestaltungsaufgabe mit großer Bedeutung für den Unternehmenserfolg erkennt. Dazu gehört natürlich auch die Beachtung des geltenden Rechtsrahmens. Geltendes Recht muss man grundsätzlich so nehmen, wie es ist. Ob rechtliche Regelungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht unvorteilhaft sind, spielt dabei keine Rolle. Solange ein Gesetz nicht geändert, aufgehoben oder vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, muss es beachtet werden. Auch etablierte Rechtsprechungsgrundsätze dürfen in der Praxis keinesfalls außer Acht gelassen werden. Allerdings ist Richterrecht immer auch Einzelfallrecht und die Gerichte haben - in einem gewissen Rahmen - die Möglichkeit auf Veränderungen der Lebenswirklichkeit zu reagieren. 17 <?page no="17"?> 1 Arbeitsrecht und Personalmanagement In der arbeitsrechtlichen Literatur werden betriebswirtschaftliche Aspekte in der Regel ausgeblendet. Juristen interessieren sich dafür, ob eine Personalmaßnahme rechtlich umsetzbar ist. Sind in der betriebswirtschaftlichen Literatur Darstellungen des Arbeitsrechts enthalten, so konzentrieren sich diese oftmals nur auf das Mitbestimmungsrecht. Dies spielt unzweifelhaft eine große Rolle im Rahmen des Personalmanagements, weil es dem Betriebsrat weit reichende Mitwirkungsrechte zugesteht. Auch die praktische Bedeutung ist hoch, da in Deutschland in ca. 105.000 Unternehmen ein Betriebsrat besteht. Das heißt, 47 % der Arbeitnehmer in den alten und 38 % der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern arbeiten in einem Unternehmen mit einem Betriebsrat 1 . Andererseits dürfen aber auch die anderen Bereiche des Arbeitsrechts nicht vernachlässigt werden. Gerade die (zwingenden) Regelungen des Individualarbeitsrechts greifen unabhängig vom Bestehen eines Betriebsrates für jedes Arbeitsverhältnis und müssen bei Personalmaßnahmen stets beachtet werden. Dieses Buch will daher den Zusammenspiel zwischen Arbeitsrecht und Personalmanagement herausstreichen und dem (nicht juristisch vorgebildeten) Leser einen leichteren Zugang zu dieser Materie ermöglichen. 1 Quelle: Hans Böckler Stiftung, abrufbar unter (Abruf 15.09.2007): http: / / www.boeckler.de/ cps/ rde/ xchg/ hbs/ hs.xsl/ 32014 36343.html. 18 <?page no="18"?> 2 System des Arbeitsrechts Übersicht • Begriff der Arbeit -› vgl. Abschnitt 2.2, S. 19 • Systematik des Arbeitsrechts -› vgl. Abschnitt 2.3, S. 20 • Arbeitsrecht und Privatautonomie -› vgl. Abschnitt 2.4, S. 23 • Interessen des Arbeitgebers -› vgl. Abschnitt 2.5, S. 26 2.1 Einführung Arbeitsrecht ist mittlerweile auch über das rechtwissenschaftliche Studium hinaus fester Bestandteil vieler Studiengänge und Ausbildungen geworden. Zudem handelt es sich um ein Rechtsgebiet, mit dem früher oder später fast jeder in Berührung kommt, sei es als Arbeitnehmer, sei es als Arbeitgeber. Von den rund 82,3 Millionen Einwohnern Deutschlands waren im 2. Quartal 2007 durchschnittlich 39,5 Millionen erwerbstätig, davon 4,4 Millionen Selbstständige 1 . 2.2 Arbeit In der Ökonomie ist die körperliche oder geistige Arbeit, die ein Mensch in Ausübung seines Berufes bzw. seiner Erwerbstätigkeit verrichtet, ein Produktionsfaktor. Im Arbeitsrecht beschreibt der Begriff der Arbeit -› Glossar dagegen „das Erbringen von Dienstleistungen auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages in abhängiger Stellung.“ Unter Arbeit wird also nur die so genannte abhängige, weisungsgebundene Arbeit verstanden. Den Gegensatz dazu bildet die Arbeit Selbstständiger, die vom Arbeitsrecht nicht erfasst wird. 1 Quelle Statistisches Bundesamt (Abruf 15.09.2007): http: / / www.destatis.de/ jetspeed/ portal/ cms/ sites/ destatis/ Internet/ DE/ Navigation/ Statistiken/ Arbeitsmarkt/ Erwerbstaetige/ Erwerbstaetige.psml. 19 <?page no="19"?> 2 System des Arbeitsrechts 2.3 System des Arbeitsrechts Das Arbeitsrecht kann in zwei große Bereiche eingeteilt werden - das Individualarbeitsrecht und das kollektive Arbeitsrecht. Arbeitsrecht Individualarbeitsrecht vgl. Abschnitt 2.3.1 Kollektives Arbeitsrecht vgl. Abschnitt 2.3.2, S. 21 Arbeitsvertragsrecht Arbeitsschutzrecht Abbildung 2.1: System des Arbeitsrechts 2.3.1 Individualarbeitsrecht Das Individualarbeitsrecht teilt sich seinerseits in das Arbeitsvertrags- und das Arbeitsschutzrecht. Das Arbeitsvertragsrecht regelt die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber -› Glossar und dem einzelnen Arbeitnehmer -› Glossar . Dazu gehören die Vorschriften über • den Abschluss des Arbeitsvertrages, • die Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, • die Rechte am Arbeitsergebnis und • die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsschutzrecht erfasst alle Rechtsvorschriften, die dem Arbeitgeber (und oft auch dem Arbeitnehmer) die Pflicht auferlegen, den Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit bei der Arbeit und durch die Arbeit zu schützen. Es handelt sich nicht um ein einheitliches Gesetzeswerk, sondern um eine buntscheckige Ansammlung von staatlichen Gesetzen, Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften, über deren Einhaltung die Gewerbeaufsichtsämter und die Berufsgenossenschaften -› Glossar wachen. 20 <?page no="20"?> 2.3 System des Arbeitsrechts Herkömmlich wird zwischen sozialem und technischem Arbeitsschutz unterschieden. Zum sozialen Arbeitsschutz zählen das Arbeitszeitrecht und der Schutz besonderer Personengruppen (z. B. Jugendarbeitsschutz). Beispiel Gemäß § 8 Abs. 1 JArbSchG dürfen Jugendliche nicht mehr als acht Stunden täglich und nicht mehr als 40 Stunden wöchentlich beschäftigt werden. Der technische Arbeitsschutz betrifft dagegen die Sicherheit am Arbeitsplatz. Der Arbeitnehmer soll vor Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt werden, die von technischen Arbeitsmitteln, dem Arbeitsplatz oder dem Produktionsbzw. Arbeitsverfahren ausgehen. Beispiel § 5 Bildschirmarbeitsverordnung „Der Arbeitgeber hat die Tätigkeit der Beschäftigten so zu organisieren, dass die tägliche Arbeit an Bildschirmgeräten regelmäßig durch andere Tätigkeiten oder durch Pausen unterbrochen wird, die jeweils die Belastung durch die Arbeit am Bildschirmgerät verringern.“ Arbeitsschutzrecht Sozialer Arbeitsschutz • Arbeitszeitrecht • Schwerbehindertenrecht • Mutterschutzrecht • Jugendarbeitsschutzrecht Technischer Arbeitsschutz • z.B. Arbeitssicherheitsgesetz • Bildschirmarbeitsverordnung • Strahlenschutzverordnung Abbildung 2.2: Arbeitsschutzrecht 2.3.2 Kollektives Arbeitsrecht Das kollektive Arbeitsrecht regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft bzw. Arbeitgeber und Betriebsrat sowie die Mitbestimmung. Es rich- 21 <?page no="21"?> 2 System des Arbeitsrechts tet sich also an die Gesamtheit bzw. an wesentliche Teile der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft. Kollektives Arbeitsrecht Überbetriebliche Ebene • Tarifvertragsrecht • Koalitionsrecht • Arbeitskampfrecht Betriebliche Ebene • Betriebsverfassungsrecht • Personalvertretungsrecht • Sprecherausschussrecht Abbildung 2.3: Kollektives Arbeitsrecht An der Schnittstelle von Gesellschafts- und Arbeitsrecht findet sich die Mitbestimmung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten der Unternehmen. Mitbestimmung im Aufsichtsrat Mitbestimmungsgesetz 1976 Montanmitbestimmungsgesetz Drittelbeteiligungsgesetz Mitbestimmung in Europäischen Gesellschaften Abbildung 2.4: Mitbestimmung im Aufsichtsrat 2.3.3 Zusammenspiel von Individual- und Kollektivarbeitsrecht Auch das kollektive Arbeitsrecht hat unmittelbaren Einfluss auf das einzelne Arbeitsverhältnis. Individual- und Kollektivarbeitsrecht stehen nicht zusammen- 22 <?page no="22"?> 2.4 Arbeitsrecht und Privatautonomie hangslos nebeneinander, sondern bestimmen in der Regel gemeinsam die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien. Beispiel Nach dem Bundesurlaubsgesetz stehen einem Arbeitnehmer bei einer 6-Tage-Arbeitswoche mindestens 24 Urlaubstage jährlich zu -› vgl. § 3 Abs. 1 BUrlG . In den meisten Tarifverträgen werden jedoch mehr als 24 Urlaubstage vereinbart. Zur Lösung arbeitsrechtlicher Fragestellungen muss daher oft sowohl auf Vorschriften des Individualals auch des Kollektivarbeitsrechts zurückgegriffen werden. 2.4 Arbeitsrecht und Privatautonomie 2.4.1 Systematik der Rechtsordnung Die gesamte Rechtsordnung lässt sich in zwei große Bereiche einteilen: das öffentliche Recht und das Privatrecht. Während Gegenstand des Privatrechts die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander sind, regelt das öffentliche Recht den Aufbau und die Tätigkeit der staatlichen Organe sowie das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Das Arbeitsrechtvertragsrecht, das sich aus dem Bürgerlichen Recht -› Glossar entwickelt hat, gehört in weiten Teilen zum Privatrecht, während das Arbeitsschutzrecht dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Allerdings wird auch das Arbeitsvertragsrecht durch öffentlich-rechtliche Normen beeinflusst, z. B. durch verfassungsrechtliche Vorschriften. 2.4.2 Grundsatz der Privatautonomie Im Bürgerlichen Recht gilt der Grundsatz der Privatautonomie. Sie ist Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit und wird in der Verfassung -› Glossar durch Art. 2 Abs. 1 GG (Persönliche Freiheitsrechte) - und speziell für das Arbeitsverhältnis auch nach Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) - geschützt. Die wichtigste Erscheinungsform der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit. Danach steht es jedem Einzelnen grundsätzlich frei, zu entscheiden, ob und mit wem er einen Vertrag abschließt und welchen Inhalt dieser Vertrag haben soll. 23 <?page no="23"?> 2 System des Arbeitsrechts Beispiel Sie möchten in der Bäckerei um die Ecke die Brötchen für das Frühstück kaufen. Sie betreten den Laden, äußern Ihren Wunsch und bekommen vom Bäcker die Antwort: „Ich habe zwar frischen Brötchen, die werde ich Ihnen aber nicht verkaufen. Sie können ein Vollkornbrot bekommen, das noch von vorgestern übrig ist.“ Auch wenn dies in der Praxis kaum vorkommen dürfte, verdeutlicht es, was Vertragsfreiheit bedeutet: Ob Ihnen der Bäcker tatsächlich frische Brötchen verkauft und zu welchem Preis, unterliegt allein seiner Entscheidung. Sie haben keinen Anspruch darauf, dass er einen entsprechenden Kaufvertrag mit Ihnen abschließt. Ebenso ist es grundsätzlich allein Sache der Vertragsparteien, in welcher Form (z. B. schriftlich, mündlich oder mit notarieller Beurkundung) sie einen Vertrag abschließen möchten. Neben der Vertragsfreiheit bezieht sich die Privatautonomie auch auf einseitige Rechtsgeschäfte. Im Arbeitsrecht ist dies insbesondere für Kündigungen relevant. Wiederholung BGB Man unterscheidet Rechtsgeschäfte danach, wie viele Willenserklärungen für ihr Zustandekommen benötigt werden. Einseitige Rechtsgeschäfte benötigen nur eine Willenserklärung. Beispiel Eine Kündigung wird nur von einem der Vertragspartner ausgesprochen, es gibt nur eine Kündigungserklärung -› vgl. §§ 145 ff. BGB . Das zweiseitige Rechtsgeschäft - der Vertrag - bedarf dagegen zweier Willenserklärungen. Beispiel Der Kaufvertrag kommt nur bei Vorliegen zweier Willenserklärungen, dem Angebot und der Annahme, zustande. 2.4.3 Privatautonomie im Arbeitsrecht Im Arbeitsvertragsrecht gilt der Grundsatz der Privatautonomie allerdings nicht uneingeschränkt. Für den Arbeitnehmer ist der Arbeitsplatz in der Regel die Grundlage seiner Existenz und seines Lebensstandards, begründet seinen sozialen Status und 24 <?page no="24"?> 2.4 Arbeitsrecht und Privatautonomie bildet oft auch die Grundlage sozialer Kontakte. Der Arbeitsvertrag ist daher für den Arbeitnehmer ein äußerst wichtiges Rechtsgeschäft, bei dem jedoch - gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit - oftmals der Arbeitgeber als ökonomisch stärkere Partei in der besseren Verhandlungsposition ist. Die uneingeschränkte Geltung der Privatautonomie könnte unter diesen Bedingungen für den Arbeitnehmer unangenehme Konsequenzen haben. Beispiel Eine Friseurin, die in einem durch hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichneten Gebiet einen Arbeitsplatz sucht, bekommt eine Stelle zu folgenden Konditionen angeboten: Eine Arbeitszeit von 8 Stunden an 6 Tagen in der Woche, bis zu 2 unbezahlte Überstunden und einen Stundenlohn von 3,50 € brutto 2 . Wenn der Bäcker Ihnen im oben aufgeführten Beispiel keine Brötchen verkaufen will, würden Sie einfach zu einem anderen gehen. Ein Arbeitnehmer hat jedoch oft nicht die Möglichkeit seinen Arbeitgeber zu wechseln oder mit dem notwendigen Nachdruck auf besseren Vertragsbedingungen zu bestehen, wenn er auf die angebotene Stelle angewiesen ist. Die Privatautonomie muss daher in einem gewissen Maße eingeschränkt werden, was Aufgabe und Funktion des Arbeitsrechts ist, das in weitem Umfang dem Schutz der Arbeitnehmer verpflichtet ist. Dies soll an drei Beispielen verdeutlicht werden. Beispiel 1 Der Arbeitgeber möchte Folgendes im Arbeitsvertrag vereinbaren: „Die tägliche Arbeitszeit beträgt 12 Stunden, gearbeitet wird von Montag bis einschließlich Samstag.“ Grundsätzlich steht es jedem frei, welche Regelungen er in einem Vertrag trifft. Aber nach dem Arbeitszeitgesetz ist eine Arbeitszeit von täglich 12 Stunden nicht zulässig -› vgl. § 3 ArbZG . Beispiel 2 Soll ein Vertrag gekündigt werden, dann steht es dem Kündigungsberechtigten grundsätzlich frei, ob er dies schriftlich oder mündlich tut -› vgl. § 314 BGB . Handelt es sich jedoch um einen Arbeitsvertrag, muss die Kündigung immer schriftlich erfolgen -› vgl. § 623 BGB . Anderenfalls ist sie unwirksam. 2 Dieses Beispiel hat einen durchaus realen Hintergrund. So lag z. B. in Sachsen 2006 der auf Stundenbasis umgerechnete Tariflohn für ausgebildete Friseure im ersten Berufsjahr bei 3,82 € [Quelle: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 2.3.2007, abrufbar auf der Homepage des Statistischen Bundesamtes http: / / www.destatis.de/ . 25 <?page no="25"?> 2 System des Arbeitsrechts Beispiel 3 Grundsätzlich können längerfristig laufende Verträge unter Beachtung der vereinbarten Kündigungsfristen gekündigt werden. Für das Arbeitsrecht enthält das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) hingegen das Erfordernis eines Kündigungsgrundes, anderenfalls ist die Kündigung unwirksam. Konflikte treten nicht nur im jeweiligen individuellen Arbeitsverhältnis zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf, sondern auch beim kollektiven Aushandeln von Arbeitsbedingungen. Hier hält sich der Staat mit gesetzlichen Regelungen allerdings weitgehend zurück und überlässt das Feld den Beteiligten. Man spricht daher von Tarifautonomie; sie ist verfassungsrechtlich geschützt und legt den Abschluss von Tarifverträgen in die Hände der Arbeitgeberverbände, Unternehmen und Gewerkschaften. Das Tarifvertragsgesetz enthält Einzelregelungen für das Zustandekommen und die Wirkung von Tarifverträgen; das Arbeitskampfrecht ist so gut wie nicht geregelt. Daher wurden von der Rechtsprechung im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung Grundregeln entwickelt -› vgl. nähere Erläuterungen in Abschnitt 4.12, S. 79 . 2.5 Interessenausgleich im Arbeitsrecht Arbeitsrecht ist das Sonderrecht der Arbeitnehmer und entstand ursprünglich als Arbeitnehmerschutzrecht in der Zeit der Industrialisierung als Reaktion auf die zum Teil katastrophalen sozialen Verhältnisse. Heute soll das Arbeitsrecht in erster Linie einen Ausgleich zwischen den Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber schaffen. Das ist allerdings nicht immer gelungen. Im Bemühen um den Schutz der Arbeitnehmer ist das Arbeitsrecht zum Teil über das Ziel hinausgeschossen und hat für die Arbeitgeber, oftmals aber auch für die Arbeitnehmer im gleichen Zuge neue Probleme geschaffen. Beispiel Der Arbeitgeber darf den Bewerber um einen Arbeitsplatz nicht aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligen. Anderenfalls hat der Bewerber u. U. einen Anspruch auf Schadenersatz oder Entschädigung -› vgl. § 15 AGG . Diesen Anspruch muss er innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend machen. Die Frist beginnt zu laufen, wenn dem Bewerber die Ablehnung zugeht. Der Arbeitgeber muss also im eigenen Interesse nachweisen können, wann die Ablehnung zugegangen ist, damit er berechnen kann, wann die Frist abgelaufen ist und er nicht mehr mit Ansprüchen seitens des Arbeitnehmers rechnen muss. Und auch die Bewerbungsunterlagen kann er erst nach Ablauf der Frist zurückschicken, da er bis zu diesem 26 <?page no="26"?> 2.5 Interessenausgleich im Arbeitsrecht Zeitpunkt nicht weiß, ob Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden. All das führt zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand für den Arbeitgeber. Das Arbeitsrecht differenziert auch nicht danach, ob sich ein Arbeitnehmer infolge seiner Kenntnisse, Berufserfahrung und Spezialisierung in einer starken oder eher schwachen Position befinden. Selbstverständlich existieren für besondere Arbeitnehmergruppen z. B. Jugendliche oder werdende Mütter auch besondere Schutzvorschriften, im Übrigen behandelt das Arbeitsrecht alle Arbeitnehmer grundsätzlich gleich. Fußballtrainer in der Bundesliga mit siebenstelligem Jahreseinkommen, Investmentbanker mit höheren Bezügen als der Vorstand der eigenen Bank, oder auf dem Arbeitsmarkt nur schwer zu findende Spezialisten werden arbeitsrechtlich ebenso als abhängig Beschäftigte und damit schutzwürdig angesehen wie die Arbeitnehmer, deren Einkommen trotz einer Vollzeitbeschäftigung unter dem Existenzminimum liegen und die deshalb ergänzend Arbeitslosengeld beziehen. Schließlich gibt es eine Reihe von Bereichen, deren rechtliche Regelung sowohl bei Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern für erhebliche Unsicherheit sorgt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kündigungsschutz. Dabei handelt es sich überwiegend um Richterrecht, d. h. die Regelungen wurden anhand von Einzelfällen durch die Rechtsprechung erarbeitet. Dies und die Novellierungshektik des Gesetzgebers führt bereits unter Juristen zu einer weit verbreiteten Rechtsunsicherheit, für juristisch nicht vorgebildete Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist es praktisch unmöglich, entsprechende Probleme ohne (kostenpflichtige) Rechtsberatung zu lösen. Außerdem hat die bestehende Rechtsunsicherheit vor allem auf kleine und mittelständische Arbeitgeber, die 70 % aller Arbeitsplätze stellen 3 , einen gewissen Abschreckungseffekt. Das führt dazu, dass zum Teil auf Neueinstellungen verzichtet wird, um später möglicherweise auftretende Probleme des Kündigungsschutzes zu vermeiden. Auch die sachgerechte Reichweite von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates wird immer wieder kontrovers diskutiert. Dasselbe gilt für die Ausgestaltung des vorwiegend durch die Gerichte entwickelten Arbeitskampfrechts. 3 Quelle: Bundesministerium f. Wirtschaft und Technologie, (Abruf: 15.09.2007) http: / / www.bmwi.de/ BMWi/ Navigation/ mittelstand,did=468.html. 27 <?page no="27"?> 2 System des Arbeitsrechts Zusammenfassung Arbeit. Arbeit im Sinne des Arbeitsrechts ist das Erbringen von Dienstleistungen auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages in abhängiger Stellung. Arbeitsrecht. Arbeitsrecht wird in Individual- und Kollektivarbeitsrecht unterteilt. Das Arbeitsrecht gehört zum Teil dem öffentlichen Recht, zum überwiegenden Teil jedoch dem Privatrecht an. Privatautonomie. Die Privatautonomie ist im Arbeitsrecht aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes eingeschränkt. Kontrollfragen 1. Welche Merkmale kennzeichnen den Begriff der Arbeit im Arbeitsrecht? -› vgl. Abschnitt 2.2, S. 19 2. In welche beiden Bereiche kann das Individualarbeitsrecht unterteilt werden? -› vgl. Abschnitt 2.3.1, S. 20 3. Was besagt der Grundsatz der Vertragsfreiheit? Welche Rolle spielt er im Arbeitsrecht? -› vgl. Abschnitt 2.4.2, S. 23 4. Was ist Aufgabe des Arbeitsrechts? -› vgl. Abschnitte 2.4.3 S. 24, und 2.5 S. 26 Literatur Junkers , A . [2007]: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Aufl., München Wollenschläger , M . [2003]: Arbeitsrecht, 2. Aufl., Köln/ Berlin/ München 28 <?page no="28"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts Übersicht • Arbeitsrechtliche Regelungen im Europäischen Recht -› vgl. Abschnitt 3.1, S. 30 • Arbeitsrechtliche Regelungen im Grundgesetz -› vgl. Abschnitt 3.2, S. 37 • Gesetzesrecht -› vgl. Abschnitt 3.3, S. 46 • Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung -› vgl. Abschnitte 3.4, S. 49, und 3.5, S. 49 • Arbeitsvertrag -› vgl. Abschnitt 3.6, S. 50 • Rechtsprechung -› vgl. Abschnitt 3.7, S. 51 • Verhältnis der Rechtsquellen zueinander -› vgl. Abschnitt 3.8, S. 52 Während das Bürgerliche Recht einheitlich im BGB geregelt ist, besteht das Arbeitsrecht aus einer Vielzahl von gesetzlichen und gesetzesähnlichen Regelungen, die aus unterschiedlichen Epochen stammen. Ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch existiert trotz Vorarbeiten in der Rechtswissenschaft dagegen nicht. Eine wichtige Basis bildet zudem die Rechtsprechung, insbesondere jene des Bundesarbeitsgerichts (BAG) -› Glossar . Durch unzählige Gesetzesänderungen hat sich das Arbeitsrecht mittlerweile zu einer für Studenten und Praktiker schwierigen und unberechenbaren Materie mit ständigen, tagespolitisch motivierten Veränderungen entwickelt. Beispiel Das Kündigungsschutzgesetz 1 wurde z. B. seit dem Jahr 2000 insgesamt neun Mal geändert, das Altersteilzeitgesetz 2 sogar elf Mal. Um dem Leser das Verständnis zu erleichtern, soll im Folgenden ein kurzer Überblick über die grundlegenden Rechtsquellen des Arbeitsrechts gegeben werden. 1 In der Fassung der Bekanntmachung vom 25.8.1969 [BGBl. I S. 1317], zuletzt geändert durch Art. 218 Neunte ZuständigkeitsanpassungsVO vom 31.10.2006 [BGBl. I S. 2407] [BGBl. I S. 1317]. 2 AltersteilzeitG vom 23.7.1996 zuletzt geändert durch Art. 234 Neunte ZuständigkeitsanpassungsVO vom 31.10.2006 [BGBl. I S. 2407] [BGBl. I S. 1078]. 29 <?page no="29"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts 3.1 Europäisches Recht Europäisches Recht wirkt heute in fast alle Lebensbereiche hinein. Das reicht von einschneidenden Änderungen durch die Europäische Dienstleistungsrichtlinie, mit deren Hilfe die bürokratischen Hürden für den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen 3 abgebaut werden sollen, über die neuen Sicherheitsvorschriften an Flughäfen zum Schutz vor Anschlägen, bis hin zu eher skurril anmutenden Regelungen wie der viel verspotteten Gurken-Verordnung 4 . Arbeitsrechtliche Regelungen im Europarecht waren bisher wesentlich weniger ausgeprägt, da das Arbeitsrecht einen Bereich darstellt, in dem Regelungen auf europäischer Ebene nur dann in Betracht kommen, wenn die Ziele auf der Ebene der Mitgliedsstaaten nicht in ausreichendem Maße erreicht werden können. Auch die Europäisierung des Arbeitsrechts hat in den letzten Jahren in erheblichem Umfang zugenommen, Tendenz steigend. Ein Großteil der in Deutschland erlassenen Rechtsvorschriften hat mittlerweile einen europarechtlichen Hintergrund. Was jedoch ist gemeint, wenn von „Europa“ die Rede ist? Für viele Bürger erscheint Europa als ein undurchdringliches Dickicht von Institutionen, Behörden und Beamten. Das Nebeneinander der verschiedenen europäischen Organisationen und Institutionen mit ähnlich lautenden Bezeichnungen und ein oftmals unpräziser Sprachgebrauch in den Medien tragen zusätzlich zur Verwirrung bei. Unter „Europa“ werden in der Regel die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union verstanden. Beide müssen sauber voneinander getrennt werden. 3.1.1 Europäische Union Die Europäische Union wurde 1992 mit dem Vertrag von Maastricht gegründet. Sie ist ein Zusammenschluss europäischer Länder, aber kein eigener Staat. Sie bildet vielmehr das „Dach“ für die drei wichtigsten Säulen Europas: die Europäischen Gemeinschaften, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Mitglied der Europäischen Union zu werden, bedeutet den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften unter gleichzeitiger Beteiligung an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Zusammenarbeit in Strafsachen. Ein Bei- 3 Richtlinie 2006/ 123/ EG vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, Abl. EG 27.12.2006 Nr. L 376/ 36. 4 Verordnung Nr. 1677/ 88 der Kommission vom 15.6.1988 zur Festsetzung von Qualitätsnormen von Gurken. 30 <?page no="30"?> 3.1 Europäisches Recht Die Europäische Union Europäische Gemeinschaften Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen Abbildung 3.1: Europäische Union tritt zu einzelnen Säulen kommt dagegen nicht in Betracht. Im Moment (Stand Mai 2007) hat die EU 27 Mitgliedsstaaten und ca. 490 Millionen Einwohner 5 . 3.1.2 Europäische Gemeinschaften Die Europäischen Gemeinschaften bilden eine der drei Säulen der Europäischen Union. Heute gibt es zwei Europäische Gemeinschaften: die Europäische Atom- Gemeinschaft (EAG oder Euratom) und die Europäische Gemeinschaft (früher Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, heute EG). Bis 2002 existierte noch die mittlerweile beendete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). In den Gründungsverträgen haben die einzelnen Mitgliedsstaaten den Gemeinschaften Hoheitsrechte eingeräumt, so dass diese auch in den Mitgliedsstaaten unmittelbar gesetzgebend, verwaltend und rechtsprechend tätig werden können. Wenn eine Europäische Gemeinschaft zuständig ist, tritt die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten zurück. Denn insoweit haben die Mitgliedsstaaten einen Teil ihrer staatlichen Souveränitätsrechte an Europa „abgetreten“. 5 Weitere Hinweise finden Sie im Portal der Europäischen Union: http: / / europa.eu/ index de.htm. 31 <?page no="31"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts 3.1.3 Europäisches Parlament (Art. 189 ff. EG 6 ) Das Europäische Parlament ist die direkt gewählte Vertretung der Bürger der EU, mit derzeit 785 Abgeordneten und Sitz in Straßburg. Hauptaufgaben des Parlaments sind die Gesetzgebung sowie die Verabschiedung des Haushalts. Beide Aufgaben teilt sich das Parlament mit dem Rat der Europäischen Union. Im Vergleich mit den nationalen Parlamenten bleiben die Kompetenzen des Europäischen Parlaments - trotz einiger Erweiterungen in den letzten Jahren - immer noch zurück. Die wesentlichen Entscheidungskompetenzen liegen beim Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Rat. Daraus folgt zugleich, dass das Prinzip der Gewaltenteilung auf europäischer Ebene weniger strikt gilt, als auf nationaler Ebene. 3.1.4 Rat der Europäischen Union (Art. 202 ff. EG) und Europäischer Rat (Art. 4 EUV) Dem Rat der Europäischen Union gehören die jeweiligen Fachminister jedes Mitgliedsstaates an, so gibt es z. B. einen Rat der Außenminister, einen Rat der Finanzminister usw. Der Rat der Europäischen Union hat neben dem Europäischen Parlament die Funktion des Gesetzgebers der EU und behandelt wichtige aktuelle politische Fragen. Vom Rat der Europäischen Union muss der Europäische Rat unterschieden werden. Er besteht aus den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten. Er hat sich in der Praxis entwickelt und ist mittlerweile eine der wichtigsten politischen Institutionen. Er tagt zweimal im Jahr und legt die politischen Ziele der Union fest. 3.1.5 Kommission (Art. 211 ff. EG) Die Kommission ist das ausführende Organ der Gemeinschaften. Sie achtet darauf, dass die Mitgliedsstaaten ihre vertraglichen Pflichten einhalten, erarbeitet Vorschläge für neue europäische Rechtsvorschriften, die dem Europäischen Parlament und dem Rat vorlegt werden, stellt den Haushalt auf und verwaltet die Haushaltsgelder. Bei Rechtsverstößen kann sie den Europäischen Gerichtshof anrufen. Ihre Amtszeit beträgt fünf Jahre. Die Kommission hat 27 Mitglieder, ein Mitglied pro Staat. Diese vertreten allerdings nicht ihre Heimatländer, sondern sind für einen ganz bestimmten Politikbereich zuständig. 6 „EG“ ist mittlerweile die offizielle Abkürzung für den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. In den meisten Gesetzessammlungen wird er aber nach wie vor mit „EGV“ abgekürzt. 32 <?page no="32"?> 3.1 Europäisches Recht 3.1.6 Europäischer Gerichtshof (Art. 220 ff. EG) Der EuGH ist der gemeinsame Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und soll die einheitliche Anwendung, Auslegung und Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts gewährleisten. Seiner Rechtsprechung kommt gerade im Arbeitsrecht besondere Bedeutung zu. 3.1.7 Rechnungshof (Art. 246 ff. EG) Der Rechnungshof kontrolliert die Recht- und Ordnungsmäßigkeit aller Einnahmen und Ausgaben der Organe. 3.1.8 Arbeitsrechtliche Regelungen im primären Gemeinschaftsrecht Das europäische Gemeinschaftsrecht besteht aus dem Primär- und dem Sekundärrecht. Das Primärrecht sind die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften einschließlich der dazugehörigen Anhänge, Protokolle sowie den späteren Vertragsänderungen. Die für das Arbeitsrecht wichtigsten Regelungen aus dem Bereich des primären Gemeinschaftsrechts - Art. 39 und 141 EG - finden sich im EG-Vertrag, dem wichtigsten Dokument des europäischen Gemeinschaftsrechts. 3.1.8.1 Art. 39 EG - Freizügigkeit der Arbeitnehmer Art. 39 EG gibt dem einzelnen Arbeitnehmer das Recht, sich seine Existenzgrundlage dort zu suchen, wo ihm die Voraussetzungen am günstigsten erscheinen. Für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gelten allerdings Einschränkungen, die Bestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit sind auf sie nämlich nicht anwendbar, Art. 39 Abs. 4 EG. Eine unselbständige Erwerbstätigkeit kann auch in einem anderen Mitgliedsstaat aufgenommen und ausgeübt werden. Um die praktische Umsetzung dieses Rechts zu gewährleisten, verbietet Art. 39 EG die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit bei Beschäftigung, Entlohnung oder sonstigen Arbeitsbedingungen. Außerdem sind alle Maßnahmen untersagt, die die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung in einem anderen Mitgliedsstaat behindern oder weniger attraktiv machen. Die nähere Ausgestaltung dieser Rechte erfolgt durch Richtlinien und Verordnungen. 33 <?page no="33"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts 3.1.8.2 Art. 141 EG - Lohngleichheit Art. 141 EG enthält den Grundsatz, dass Männer und Frauen für die gleiche Arbeit auch das gleiche Entgelt erhalten müssen. Die Mitgliedsstaaten müssen diesen Grundsatz durchsetzen. Infolge einer sehr weit reichenden Rechtsprechung des EuGH hat dieser Grundsatz in erheblichem Umfange auf nationales Arbeitsrecht eingewirkt. Um Art. 141 EG zur Anwendung kommen zu lassen, muss es sich nicht um einen Fall mit Grenzüberschreitung handeln, ein reiner Inlandsfall genügt. Der EuGH hat dem Grundsatz der Lohngleichheit zudem unmittelbare Wirkung zugesprochen, d. h. der einzelne Arbeitnehmer kann sich auch direkt gegenüber seinem (privaten) Arbeitgeber darauf berufen. 3.1.9 Arbeitsrechtliche Regelungen im sekundären Gemeinschaftsrecht Zum sekundären Recht, das von den Organen der Gemeinschaften erlassen wird, zählen: • Richtlinien, • Verordnungen, • Entscheidungen, • Empfehlungen, • Stellungnahmen und • alle sonstigen Rechtshandlungen der Gemeinschaftsorgane. Entscheidend für die Europäisierung des Arbeitsrechts sind die Richtlinien und Verordnungen, während Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen eine geringere Bedeutung zukommt. Richtlinien. Richtlinien binden nicht den einzelnen Bürger sondern richten sich an die Mitgliedsstaaten. Sie müssen die Richtlinien in das jeweilige nationale Recht umsetzen. Erst dann ist es für den einzelnen Bürger verbindlich. Eine Richtlinie ist nur hinsichtlich ihres Ziels bindend, die Wahl von Mittel und Form zu dessen Erreichung bleibt dagegen den Mitgliedsstaaten im Rahmen der Umsetzung überlassen. Damit respektiert das Europarecht die unterschiedlichen Systeme, Begriffe und Traditionen des jeweiligen nationalen Rechts. Die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht ermöglicht es, Verwerfungen, Systembrüche und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Verordnungen. Verordnungen ähneln innerstaatlichen Gesetzen: sie gelten unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat und haben direkte Wirkung für den einzelnen Bürger. Dadurch wird innerhalb der EU einheitliches Recht geschaffen, denn die 34 <?page no="34"?> 3.1 Europäisches Recht Umsetzung durch die einzelnen Mitgliedsstaaten und die daraus resultierenden Unterschiede entfallen. Die Zahl der Verordnungen bleibt hinter derjenigen der Richtlinien jedoch gerade aus diesen Gründen deutlich zurück. Wichtige Richtlinien und ihre Umsetzung in deutsches Recht sind z. B.: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): • Richtlinie 2000/ 43/ EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft [ABl. EG Nr. L 180 S. 22] • Richtlinie 2000/ 78/ EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf [ABl. EG Nr. L 303 S. 16],Richtlinie 2002/ 73/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie 76/ 207/ EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen [ABl. EG Nr. L 269 S. 15] • Richtlinie 2004/ 113/ EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen [ABl EU Nr. L 373 S. 37] Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG): • Richtlinie 97/ 81/ EG des Rates vom 15.12.1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit [ABl. EG 1998 Nr. L 14 S. 9] • Richtlinie 1990/ 70/ EG des Rates vom 28.6.1999 zu der EGB-UNICE-CEEP- Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge [ABl. EG 1999 Nr. L 175 S. 43] Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG): • Richtlinie 89/ 391/ EWG des Rates vom 12.6.1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit [ABl. EG Nr. L 183 S. 1] • Richtlinie 91/ 383/ EWG v. 25. 6. 1991 [ABl. Nr. L 206 S. 19] des Rates vom 25.6.1991 zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis [ABl. EG Nr. L 206 S. 19] 35 <?page no="35"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts Europäisches Gemeinschaftsrecht Primärrecht • Gründungsverträge • Anhänge • Protokolle • Vertragsänderungen Sekundärrecht • Richtlinien • Verordnungen • Entscheidungen • Stellungnahmen • Empfehlungen • Sonstige Rechtshandlungen der Gemeinschaftsorgane Abbildung 3.2: Europäisches Gemeinschaftsrecht 3.1.10 Arbeitsrechtliche Rechtquellen in der Rechtsprechung des EuGH Im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts entscheidet der EuGH insbesondere in den Fällen, die Freizügigkeit, soziale Sicherheit und Gleichbehandlung der Arbeitnehmer betreffen. Zahlreiche Grundsatzentscheidungen des EuGH wirken auf das deutsche Arbeitsrecht und die Rechtsprechung der deutschen Gerichte ein. Beispiel Ein aktuelles Beispiel für den Einfluss der EuGH-Rechtsprechung auf das deutsche Recht ist die Auseinandersetzung um den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Bis Ende 2003 wurde der Bereitschaftsdienst in Deutschland nicht als Arbeitssondern als Ruhezeit angesehen. Ein Assistenzarzt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 28,8 Stunden, leistete im Monat regelmäßig 6 Bereitschaftsdienste. Der Bereitschaftsdienst betrug je Dienst wochentags 16 Stunden, Samstag 25 Stunden und Sonntag 22 Stunden und 45 Minuten. Der Arzt musste sich während dieser Zeiten in der Klinik aufhalten und bekam in der Zeit, in der er nicht herangezogen wurde, eine Schlaf- 36 <?page no="36"?> 3.2 Grundgesetz möglichkeit zur Verfügung gestellt. Der Arzt erhob Klage, um feststellen zu lassen, dass auch der Bereitschaftsdienst zur Arbeitszeit zu rechnen ist. Das mit dem Fall befasste Landesarbeitsgericht legte die Frage nach Art. 234 EG dem EuGH vor 7 . Dieser entschied, dass der Bereitschaftsdienst ebenfalls zur Arbeitszeit zu rechnen sei 8 . Der deutsche Gesetzgeber musste daraufhin das Arbeitszeitgesetz entsprechend ändern, seit dem 1.1.2004 zählt auch der Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit -› vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 a ArbZG . 3.2 Grundgesetz Die Verfassung nimmt in der Rangordnung der deutschen Gesetze die höchste Position ein und hat Vorrang vor allen anderen Rechtsnormen des Bundes und der Länder. Alle Gesetze, Rechtsnormen und sonstigen Rechtsakte müssen den Anforderungen der Verfassung entsprechen. Darüber wacht das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) -› Glossar . Das Grundgesetz enthält keinen eigenen Abschnitt zum Arbeitsrecht. Die für das Arbeitsrecht relevanten Regelungen finden sich vielmehr im Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG sowie den Grundrechten. Nicht nur der Bund sondern auch die einzelnen Bundesländer haben Staatscharakter und besitzen eigene Verfassungen. Anders als das Grundgesetz enthalten die Verfassungen der einzelnen Bundesländer oft einen eigenen Abschnitt zum Thema Arbeit. Beispiel Art. 24 [Arbeit, Lohn, Urlaub] in der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen 9 : „(1) Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. (2) Der Lohn muß der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familie decken. Für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung besteht Anspruch auf gleichen Lohn. Das gilt auch für Frauen und Jugendliche. (3) Das Recht auf einen ausreichenden, bezahlten Urlaub ist gesetzlich festzulegen.“ 7 LAG Schleswig-Holstein, Vorlagebeschluss v. 12.3.2002, 3 Sa 611/ 01 abgedr. NZA. 2002, S. 621. 8 EuGH Urt. v. 9.9.2003 Rs. C-151/ 02 abgedr. NZA 2003, S. 1019. 9 Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18.6.1950. Zuletzt geändert durch Art. I G zur Änd. der Verfassung für das Land NRW und zur Regelung eines Kostenfolgeabschätzungs- und eines Beteiligungsverfahrens gemäß Art. 78 Abs. 3 der Verfassung für das Land NRW vom 22.6.2004 [GV. NRW. S. 360] [GS. NW. S. 127]. 37 <?page no="37"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts Ein „Recht auf Arbeit“ - durch Schaffung oder Erhalt eines Arbeitsplatzes oder den Abschluss eines Arbeitsvertrages - wird weder im Grundgesetz noch in den Landesverfassungen garantiert. Zwar existieren in einigen Landesverfassungen Vorschriften, die auf den ersten Blick ein verfassungsmäßig garantiertes Recht auf Arbeit zu geben scheinen, so auch das oben aufgeführte Beispiel. Hierbei handelt es sich aber nicht um Rechtsansprüche, sondern lediglich um Programmsätze. Das sind Ziele, welche die Verfassung setzt, deren Verwirklichung jedoch nicht erzwungen werden kann. Ein Recht auf Arbeit mit dem Anspruch auf tatsächliche Durchsetzung kann eine Verfassung nicht gewähren, weil es am Schuldner (Arbeitgeber) fehlt. Der einzelne Arbeitgeber kann nicht per Verfassung dazu verpflichtet werden, Arbeitssuchende unabhängig vom Bedarf und Qualifikation einzustellen bzw. weiterzubeschäftigen. Bei Insolvenzen von Großunternehmen oder Fällen massiven Arbeitsplatzabbaus gibt es daher keinen Anspruch gegen den Staat auf Rettung der Arbeitsplätze, auch wenn dies oftmals medienwirksam so dargestellt wird. Ein Aufsehen erregendes Beispiel vergeblicher Rettungsbemühung durch den Staat war der Fall der Philipp Holzmann AG. Beispiel Im Oktober 1999 feierte das Unternehmen sein 150-jähriges Bestehen. Noch im gleichen Jahr wurden schwere wirtschaftliche Schwierigkeiten bekannt. Einen Tag, nachdem im November 1999 der Insolvenzantrag gestellt wurde, stimmten die wichtigsten Gläubigerbanken dem Sanierungsplan zu, nachdem der damalige Bundeskanzler Schröder ein (nachrangiges) Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 150 Millionen und eine zusätzliche Ausfallbürgschaft des Bundes von 100 Millionen zugesagt hatte. Nachdem die Verluste im Jahr 2001 bei ca. 240 Millionen lagen und damit fast doppelt so hoch wie das Eigenkapital meldete die Philipp Holzmann AG am 21.3.2002 endgültig Insolvenz an. Das 1999 bereitgestellte Geld ist nie angerührt worden 10 . Zugleich ist stets daran zu denken, dass staatliche Hilfen für von der Insolvenz bedrohte Unternehmen sich auch zulasten deren Wettbewerber und der dort tätigen Arbeitnehmer auswirken. 3.2.1 Sozialstaatsprinzip In Art. 20 GG sind die Grundprinzipien des Aufbaus und der Tätigkeit des Staates festgelegt - die Entscheidung für die Staatsform der Republik, die Demokratie, den Sozialstaat und den Bundesstaat. Das Sozialstaatsprinzip dient der Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit. Das bedeutet jedoch nicht, dass soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang ge- 10 Quelle: FAZ vom 26.11.1999, Nr. 276, S. 1, und FAZ vom 22.03.2002, Nr. 69, S. 13. 38 <?page no="38"?> 3.2 Grundgesetz währt werden müssen, d. h. der Einzelne kann aus dem Sozialstaatsprinzip keinen ziffernmäßigen Anspruch auf eine bestimmte Unterstützungsleistung ableiten. Der Staat ist vielmehr nur verpflichtet, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schaffen. Dazu zählt insbesondere der Schutz des Einzelnen in Krisen und Notsituationen aufgrund • Alter, Krankheit, Invalidität • Arbeitslosigkeit • Hilfsbedürftigkeit (Sozialhilfe bzw. Grundsicherung) Um den Verpflichtungen aus dem Sozialstaatsprinzip nachkommen zu können, hat der Staat hat das Recht und die Pflicht, im sozialen und wirtschaftlichen Bereich regelnd einzugreifen. Das ist vor allem dann notwendig, wenn es zu Fehlentwicklungen kommt, Selbstregulierungsmechanismen versagen und schwächere Gruppen Gefahr laufen, unter die Räder zu geraten. Auch der Markt darf in Deutschland nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen bleiben, dies wäre mit dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar. Aus dem Sozialstaatsprinzip ergeben sich die Grenzen der Marktwirtschaft und der Privatautonomie. Sie zeigen sich besonders deutlich in allen Mitbestimmungsregeln sowie dem Kündigungsschutzrecht. 3.2.2 Grundrechte Grundrechte sind die einer Person nach der Verfassung zustehenden individuellen Rechte. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden sie Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Der Einzelne kann sich gegenüber dem Staat auf diese Rechte berufen und verlangen, dass dieser sie beachtet und schützt. 3.2.2.1 Direkte Anwendung der Grundrechte zwischen Privatpersonen? Was geschieht, wenn ein Grundrecht nicht durch einen staatlichen Eingriff, sondern durch einen anderen Privaten gestört wird? Gelten die Grundrechte auch im Verhältnis von Privatpersonen untereinander? In Art. 1 Abs. 3 GG sind Privatpersonen nicht als grundrechtsgebundene Parteien aufgezählt. Beispiel Arbeitnehmer A ist in einem Atomkraftwerk beschäftigt. Seit einiger Zeit trägt er bei der Arbeit einen „Atomkraft, nein danke! “-Anstecker, den er noch aus den 80er Jahren übrig hatte. Sein Arbeitgeber untersagt ihm das. A ist der Ansicht, dadurch würde sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt. Im Privatbereich stehen sich nicht Staat und Bürger sondern zwei Grundrechtsträger gegenüber. Es handelt sich damit um eine grundlegend andere Situation, denn jede 39 <?page no="39"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts Seite könnte sich auf die Grundrechte berufen und müsste sich gleichzeitig daran halten. Im Arbeitsrecht könnte man allerdings auf den Gedanken kommen, dass die Beziehung Arbeitgeber - Arbeitnehmer jener zwischen Bürger und Staat ähnelt, da auch hier eine Partei in der Regel mächtiger ist, als die andere. Aber der gravierende Unterschied besteht darin, dass der Staat einseitig in die Rechte des Bürgers eingreifen kann, während der Einzelne im Privatbereich die Verpflichtungen freiwillig eingeht. An dieser Tatsache ändert auch die (wirtschaftliche) Übermacht eines der beiden Vertragspartner nichts. Die Grundrechte wirken daher - von der Ausnahme Art. 9 Abs. 3 GG abgesehen, auf die später noch eingegangen wird - nicht zwischen Privaten (keine Drittwirkung der Grundrechte - so der juristische Fachausdruck). 3.2.2.2 Einwirkungen der Grundrechte im Privatrechtsbereich Auch wenn die Grundrechte nicht direkt zwischen Privaten wirken, darf man daraus nicht den falschen Schluss ziehen, dass sie zwischen Privaten vollkommen ohne Bedeutung sind. Grundrechte sind elementare Grundsätze, die in der gesamten Rechtsordnung Beachtung finden müssen. Sie bilden eine verbindliche Werteordnung für das Zusammenleben im Staat. Denn auch wenn es nicht um die Abwehr staatlicher Maßnahmen geht, müssen jene grundlegenden Werte geschützt werden, die sie zum Ausdruck bringen. Die Grundrechte wirken daher in den Privatrechtsbereich hinein, sie sind insbesondere bei der Auslegung und Konkretisierung der so genannten Generalklauseln zu berücksichtigen. Generalklauseln sind Vorschriften im Privatrecht, die allgemeine Rechtsgrundsätze enthalten und so formuliert sind, dass möglichst viele Fallgruppen erfasst werden. Die wichtigsten sind § 242, § 138 Abs. 1, § 315 Abs. 1 BGB, die alle auch im Arbeitsrecht Anwendung finden. Beispiel § 138 Abs. 1 BGB: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.“ Bei näherer Betrachtung wirft diese Vorschrift einige Schwierigkeiten auf. Unter welchen Voraussetzungen verstößt ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten? Und was sind eigentlich die „guten Sitten“? Ruft man sich in Erinnerung, dass die Grundrechte elementare Werte enthalten, die stets beachtet und geschützt werden müssen, dann ist es nicht schwer nachzuvollziehen, dass die Verletzung eines Grundrechts nicht den guten Sitten entsprechen kann. Ein Rechtsgeschäft ist daher sittenwidrig, wenn es den Wertvorstellungen des Grundgesetzes zuwider läuft. Bei der Einbeziehung der Grundrechte über eine Generalklausel müssen allerdings gleichzeitig stets die ebenfalls grund- 40 <?page no="40"?> 3.2 Grundgesetz rechtlich geschützten Interessen des Vertragspartners beachtet und in die Entscheidung einbezogen werden. Überwiegen also die Interessen des Arbeitgebers, muss der Arbeitnehmer die Beeinträchtigung seiner Grundrechte hinnehmen. Die für das Arbeitsrecht bedeutsamen Grundrechte sollen im Folgenden kurz erläutert werden. 3.2.2.3 Art. 1 GG - Schutz der Menschenwürde Gemäß Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Der Begriff der Menschenwürde lässt sich am besten mithilfe von Fallgruppen erklären und beschreiben: • Der Mensch darf nicht bloßes Objekt staatlichen Handelns sein, kein „Etwas“, über das einfach verfügt werden kann. • Jeder Mensch hat ein Recht auf Privatsphäre, d. h. es gibt eine enge persönliche Lebenssphäre, die gegen die Öffentlichkeit geschützt ist. • Die persönliche Ehre und der gute Ruf sind geschützt, soziale Erniedrigung, Demütigung und Diffamierung sind verboten. • Schließlich ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG auch die Verpflichtung des Staates, Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen. Pflichten, die die Menschenwürde verletzten, können daher in einem Arbeitsvertrag nicht vereinbart werden. Beispiel Die Vereinbarung eines Lohns von 2 € pro Tag, bei einer Arbeitszeit von 12 Stunden an 7 Tagen in der Woche wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde. 3.2.2.4 Art. 3 GG - Gleichheit vor dem Gesetz Nach Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dieser Grundsatz hat im Arbeitsrecht eine wichtige Funktion. Er verbietet dem Arbeitgeber nämlich, Arbeitnehmer ohne einen sachlichen - vernünftigen und nachvollziehbaren - Grund von Begünstigungen auszunehmen oder ihnen Belastungen aufzulegen, die vergleichbare Arbeitnehmer nicht tragen müssen. Art. 3 Abs. 2 GG regelt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die mittlerweile auch in einer ganzen Reihe einfachgesetzlicher Regelungen verankert wurde. So insbesondere im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). 41 <?page no="41"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts Beispiel Gemäß § 7 Abs. 1 AGG i. V. m. § 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden. Nach Art. 3 Abs. 3 GG darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Gleichzeitig darf auch niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Diese Grundsätze sind inzwischen fester Bestandteil der deutschen Arbeitsrechtsordnung. Gerade der Schutz der Menschenwürde und der Grundsatz der Gleichbehandlung haben neben ihrer rechtlichen Dimension einen wichtigen Platz im Rahmen moderner Mitarbeiterführung, da sie den Rahmen für die berufliche Tätigkeit mitbestimmen, der Raum für Motivation, Leistungsanreize und Kreativität gibt. 3.2.2.5 Art. 4 GG - Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit Niemand darf wegen seines religiösen Bekenntnisses benachteiligt oder bevorzugt werden. So darf ein Arbeitnehmer nicht wegen seines Glaubens entlassen oder nicht eingestellt werden. Ausnahmen gelten nur für so genannte Tendenzbetriebe. Dabei handelt es sich um Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend konfessionellen, politischen, gewerkschaftlichen, karitativen und erzieherischen Zwecken dienen, z. B. gewerkschaftlich, politisch oder konfessionell gebundene Unternehmen. Beispiel Der Träger eines katholischen Kindergartens kann verlangen, dass die angestellten Erzieher katholischen Glaubens sind. Soweit es für den Arbeitgeber zumutbar ist, muss er auf die religiösen Überzeugungen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen. In diesem Zusammenhang sind in jüngster Zeit besonders das Tragen religiös vorgeschriebener Kleidung und das daraus resultierende Spannungsverhältnis zum Arbeitsrecht in den Vordergrund gerückt. Beispiel Einem Arbeitnehmer, der der Religion der Sikh angehört, ist das Tragen eines Turbans aus religiösen Gründen vorgeschrieben. Daher weigert er sich, den arbeitschutzrechtlich vorgeschriebenen Schutzhelm zu tragen. 42 <?page no="42"?> 3.2 Grundgesetz Der Beispielfall lässt sich relativ einfach lösen, da durch die religiös bedingte Weigerung, den Schutzhelm zu tragen, Arbeitsschutzvorschriften verletzt werden. Der Arbeitnehmer hat unter diesen Bedingungen keinen Anspruch darauf, seine Arbeit trotzdem - unter Gefahr für Leib und Leben - auszuführen. Kann ihm keine andere Tätigkeit zugewiesen werden, kann er letztlich gekündigt werden. Werden keine Schutzvorschriften verletzt, ist die Situation wesentlich komplizierter. Aktuell diskutiert wird das Tragen religiöser Kleidung am Beispiel des islamischen Kopftuches. Beispiel Eine in der Türkei geborene Arbeitnehmerin war als Verkäuferin in der Parfümerieabteilung eines Kaufhauses tätig. Nachdem sie bereits seit einigen Jahren im Kaufhaus beschäftigt war, teilte sie ihrem Arbeitgeber mit, ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt und sie würde in Zukunft nur noch mit Kopftuch arbeiten. Ihr moslemischer Glaube verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Daraufhin kündigte ihr der Arbeitgeber mit der Begründung, sie sei nicht mehr in der Lage, ihren Arbeitsplatz als Verkäuferin in der Parfümerieabteilung einzunehmen und ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag zu erfüllen. Das Kaufhaus wollte seinen Kunden einen noblen und exklusiven Eindruck vermitteln, das Verkaufspersonal war daher dazu angehalten, sich gepflegt und unauffällig zu kleiden. Da sich die Arbeitnehmerin nicht an diese Kleiderordnung hielt und auch keine andere Beschäftigungsmöglichkeit bestand, kam nach Ansicht des Arbeitgebers nur eine Kündigung in Betracht. Die Arbeitnehmerin setzte sich gerichtlich gegen die Kündigung zur Wehr und bekam in letzter Instanz Recht. Das BAG erklärte die Kündigung für unwirksam und begründete die Entscheidung im Wesentlichen wie folgt: Grundsätzlich kann der Arbeitgeber verlangen, dass seine Arbeitnehmer mit Kundenkontakt sich dem Charakter des Unternehmens und dem Kundenstamm entsprechend kleiden. Dieses Weisungsrecht darf aber nach § 315 Abs. 1 BGB - Generalklausel! - nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden. Die Billigkeit wird durch die Grundrechte des Arbeitnehmers, hier vor allem durch Art. 4 GG bestimmt. Zwar spielt auch das grundrechtlich geschützte Interesse des Arbeitgebers - seine unternehmerische Freiheit - eine Rolle, doch solange der Arbeitgeber nicht darlegen kann, dass das Tragen des Kopftuches zu konkreten betrieblichen Störungen oder wirtschaftlichen Einbußen führt, ist das Grundrecht der Arbeitnehmerin auf Religionsfreiheit höher zu bewerten 11 . Art. 4 GG schützt nicht nur die Glaubens-, sondern auch die Gewissensfreiheit. In Fällen schwerer Gewissenskonflikte kann der Arbeitnehmer daher durchaus das Recht haben, eine Arbeitsleistung zu verweigern. Das Recht der Verweigerung kann ihm allerdings dann verwehrt sein, wenn der Gewissenskonflikt bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages absehbar war. 11 BAGE 103, S. 111 = NZA 2003, S. 483. 43 <?page no="43"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts Beispiel Wenn dem Arbeitnehmer bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages bekannt war, dass das im Pharmaziesektor tätige Unternehmen mit Tierversuchen arbeitet, kann er sich später nicht darauf berufen, dass ihn eine damit im Zusammenhang stehende Tätigkeit in einen schweren Gewissenskonflikt stürzt. 3.2.2.6 Art. 5 GG - Recht der freien Meinungsäußerung Das Recht der freien Meinungsäußerung findet seine Grenzen in den geltenden Gesetzen. Äußert sich der Arbeitnehmer im Betrieb zu politischen Themen, über den Arbeitgeber oder gibt Informationen aus dem Unternehmen weiter, so muss er stets auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht nehmen. Das bedeutet auch, dass er sich so zu verhalten hat, dass der Betriebsfrieden nicht ernsthaft gefährdet wird und die Zusammenarbeit mit den übrigen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber weiterhin möglich ist. Andererseits ist auch der Arbeitgeber gehalten, auf das Recht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung Rücksicht zu nehmen, solange der Betriebsfrieden nicht gestört bzw. das Ansehen des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit nicht beschädigt wird. Die Frage, ob Äußerungen des Arbeitnehmers noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sind oder nicht, stellt sich in der Praxis vor allem, wenn der Arbeitnehmer wegen einer bestimmten Äußerung gekündigt wurde. Beispiel A war als Bankkaufmann bei einer Privatbank angestellt. Im Landtagswahlkampf verteilte A, der Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (DKP) war, in seiner Freizeit eine Parteizeitung. In den Artikeln wurden Banken allgemein und besonders die Arbeitgeberin des A massiv angegriffen. A wurde daraufhin gekündigt. Er klagte, da er der Ansicht war, das Verteilen der Parteizeitung sei durch sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Die Klage blieb erfolglos. Das BAG stellte fest, dass sich A nicht auf die Meinungsfreiheit berufen konnte, da er seine Arbeitgeberin in der Öffentlichkeit herabgesetzt und dadurch die im Arbeitsverhältnis bestehenden Grenzen loyalen Verhaltens überschritten hatte 12 . 3.2.2.7 Art. 9 Abs. 3 GG - Koalitionsfreiheit Art. 9 Abs. 3 gewährleistet eines der wichtigsten Grundrechte im Arbeitsrecht. Er gibt jedem und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen (sog. Koalitionen) zu bilden. 12 BAGE 24, S. 438 = NZA 1973, S. 77. 44 <?page no="44"?> 3.2 Grundgesetz In der Praxis sind dies in erster Linie Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen. Doch nicht nur deren Gründung ist geschützt, sondern auch der Beitritt, der Austritt, das Fernbleiben, das Recht der Vereinigung ihren Zweck zu verfolgen (Arbeitskampfrecht, Abschluss von Tarifverträgen, Mitgliederwerbung, eigene Organisation) und schließlich die Vereinigung als solche. 3.2.2.8 Art. 12 GG - Berufsfreiheit Art. 12 GG gewährt jedem Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Für den öffentlichen Dienst können allerdings Sonderregelungen getroffen werden, Art. 33 GG. Die Berufsfreiheit der Bewerber wird dahingehend reduziert, dass sie lediglich ein Recht auf gleichen Zugang zum Beruf haben, der auch nur dann gewählt werden kann, wenn der Staat Stellen bereitstellt. Jede erlaubte Tätigkeit kann als Beruf gewählt werden. Die Freiheit der Berufswahl umfasst dabei nicht nur die Entscheidung für einen Beruf, sondern auch den Abschluss des Arbeitsvertrages und die Festlegung dessen Inhalts. Gleichzeitig wird die Wahlfreiheit des Arbeitgebers gewährleistet. Er entscheidet, ob und mit wem er einen Arbeitsvertrag abschließt. Auch die Entscheidung über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wird geschützt. Damit ist der Schutz gegen staatliche Maßnahmen gemeint, die den Einzelnen zur Beibehaltung oder Aufgabe eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingen sollen. Dagegen gibt es keine Garantie, den einmal gewählten Arbeitsplatz nicht aufgrund einer Entscheidung des Arbeitgebers wieder zu verlieren. Vollkommen schutzlos ist der Arbeitnehmer jedoch nicht, dies liefe dem Sozialstaatsprinzip und der daraus entspringenden Schutzpflicht des Staates zuwider. Mit dem Erlass der gesetzlichen Regelungen zum Kündigungsschutz ist der Staat seiner Verantwortung allerdings in ausreichendem Maße nachgekommen. 3.2.2.9 Art. 14 GG - Eigentum, Erbrecht und Enteignung Art. 14 GG ist grundlegend für die Arbeitgeberposition im Arbeitsrecht, denn er gewährleistet die private Nutzung des Eigentums. Unter Eigentum ist nicht nur das Eigentum an beweglichen Sachen und Immobilien zu verstehen, sondern das Bundesverfassungsgericht hat im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Rechten dem Eigentumsbegriff unterstellt. Dazu gehören z. B. Urheberrechte, Patentrechte, Bergbaurechte, Kaufpreisansprüche und Aktien. Nicht darunter fallen dagegen bloße Gewinnaussichten oder Erfolgschancen. Das Eigentum soll allerdings neben seiner privaten Nutzung zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen - Sozialbindung des Eigentums, Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG. Ein Nutzungsrecht am Arbeitgebereigentum steht dem Arbeitnehmer jedoch nicht zu und lässt sich auch über den Grundsatz der Sozialbindung des Eigentums nicht erzielen. 45 <?page no="45"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts Eine ganze Reihe der in den Grundrechten geregelten Rechte wurde bereits in einfaches Gesetzesrecht übertragen, wodurch der Rückgriff auf die Grundrechte mithilfe der Generalklauseln in der Regel entbehrlich ist, da bereits das einfache Gesetzesrecht zur Anwendung kommt und hinreichenden Schutz gewährt. 3.3 Gesetzliche Bestimmungen Auf der Ebene unterhalb des Europa- und Verfassungerechtes steht das einfache Gesetzesrecht. Gesetze lassen sich nach verschiedenen Kriterien unterteilen: • Bundes- oder Landesrecht • Geltungsbereich des Gesetzes • zwingendes oder dispositives Recht. 3.3.1 Bundes- und Landesrecht Es kann danach unterschieden werden, ob es sich um Bundes- oder Landesrecht handelt, d. h. ob das jeweilige Gesetz bundesweit oder nur im betreffenden Bundesland gilt. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gehört das Arbeitsrecht einschließlich des Betriebsverfassungsrechtes, des Arbeitsschutzes, der Arbeitsvermittlung und der Sozial- und Arbeitslosenversicherung zur so genannten konkurrierenden Gesetzgebung. Das bedeutet, die einzelnen Bundesländer können nur dann eine gesetzliche Regelung erlassen, wenn der Bund die entsprechende Materie nicht bereits geregelt hat. Es können auch keine Regelungen getroffen werden, die von jenen abweichen, die von Seiten des Bund erlassen wurden. Im Arbeitsrecht sind die meisten Gesetze Bundesgesetze, d. h. sie gelten in der gesamten Bundesrepublik. Landesgesetze gibt es nur relativ wenige. Beispiel In den meisten Bundesländern existieren Gesetze zur Regelung von Bildungsurlaub für die Arbeitnehmerweiterbildung, so in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt. 3.3.2 Geltungsbereich des Gesetzes Man kann Gesetze weiter danach unterteilen, ob sie für alle Arbeitnehmer oder nur für bestimmte Arbeitnehmergruppen gelten. 46 <?page no="46"?> 3.3 Gesetzliche Bestimmungen Beispiel Das Entgeltfortzahlungsgesetz gilt für alle Arbeitnehmer, während das Jugendarbeitsschutzgesetz nur auf Beschäftigte Anwendung findet, die noch nicht 18 Jahre alt sind -› vgl. § 1 Abs. 1 JArbSchG . 3.3.3 Zwingendes und dispositives Gesetzesrecht Schließlich kann man zwischen zwingenden oder dispositiven (abdingbaren) Gesetzen unterscheiden. 3.3.3.1 Zwingendes Recht Zwingendes Recht ist verbindlich. Besteht für Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Möglichkeit von der betreffenden Regelung abzuweichen, handelt es sich um beiderseitig zwingendes Recht. Beispiel § 623 BGB „Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; . . . “ Eine Kündigung kann also nur schriftlich erfolgen. Diese Vorschrift ist beiderseitig zwingend. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können keine Vereinbarung treffen, die von dieser Vorschrift abweicht. Das ist auch dann nicht möglich, wenn der Arbeitnehmer den Wunsch äußert, mündlich zu kündigen. Daneben gibt es das einseitig zwingende Recht, von dem nur zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden darf. Es handelt sich also um Mindeststandards, die nicht unterschritten werden dürfen. Beispiel § 3 BUrlG „Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 24 Werktage. Als Werktage gelten alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind.“ Gemäß § 3 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer einen Anspruch auf 24 Werktage Urlaub im Jahr. (Anmerkung: Dies gilt nur bei einer 6-Tage-Arbeitswoche, bei einer 5-Tage-Woche besteht nur ein gesetzliche Anspruch auf 20 Tage Urlaub). Von dieser Regelung kann nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, was in § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG auch nochmals ausdrücklich hervorgehoben wird. Umgekehrt ist eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung möglich, ein höherer als der gesetzliche Urlaubsanspruch kann vereinbart werden. 47 <?page no="47"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts 3.3.3.2 Dispositives Recht Dispositives Recht kann abgedungen werden. Handelt es sich um tarifdispositives Recht, können abweichende Vereinbarungen - zugunsten oder zulasten des Arbeitnehmers - nur im Rahmen eines Tarifvertrages und nicht durch Individualarbeitsvertrag getroffen werden. Von uneingeschränkt dispositivem Recht können die Parteien des Arbeitsvertrages dagegen ohne weitere Voraussetzungen abweichen. Beispiel § 614 BGB: „Die Vergütung ist nach der Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, so ist sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten.“ Die auf den ersten Blick kompliziert wirkende Regelung besagt nichts anderes, als: Erst die Arbeit, dann das Entgelt. („Die Vergütung ist nach der Leistung der Dienste zu entrichten . . . “). Die Vorschrift ist uneingeschränkt dispositiv, d. h. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können eine andere Regelung treffen. In der Praxis wird daher oftmals vereinbart, dass der Arbeitslohn nicht erst am Monatsende, sondern bereits zum 15. des jeweiligen Monats ausgezahlt wird. Da das Arbeitsrecht in weiten Teilen dem Schutz des Arbeitnehmers dient soll - Stichwort Einschränkung der Privatautonomie -, ist die Mehrzahl der Vorschriften zwingender Natur. Gesetzliche Bestimmungen Zwingendes Gesetzesrecht Dispositives Gesetzesrecht Beidseitig zwingendes Recht z.B. § 623 BGB; § 6 Abs. 1 MuSchG Einseitig zwingendes Recht z.B. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG Tarifdispositives Recht z.B. § 622 Abs. 4 BGB; Uneingeschränkt dispositives Recht §§ 613, 614 BGB Abbildung 3.3: Zwingendes und dispositives Recht 48 <?page no="48"?> 3.4 Tarifvertrag 3.4 Tarifvertrag Der Tarifvertrag ist ein schriftlicher Vertrag, der zwischen einer Gewerkschaft und einem Arbeitgeberverband (Verbandstarifvertrag) oder einer Gewerkschaft und einem einzelnen Arbeitgeber (Haustarifvertrag) abgeschlossen wird -› vgl. §§ 1 und 2 TVG . Der Betriebsrat ist dagegen nicht zum Abschluss eines Tarifvertrages, auch keines Haustarifvertrages befugt! Dort wo Haustarifverträge bestehen, z. B. bei der Volkswagen AG, werden diese zwischen der zuständigen Gewerkschaft und dem Unternehmen vereinbart. Der Tarifvertrag enthält Rechtsnormen, die Abschluss, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie sonstige Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien regeln. Beispiel In einem Tarifvertrag werden folgende Regelungen getroffen: • „Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt durchschnittlich 35 Stunden pro Woche.“ • „Alle Beschäftigten erhalten ein einheitliches Grundgehalt. Das monatliche Grundentgelt beträgt € 2.500 brutto.“ Ein Tarifvertrag gilt für die beiderseits Tarifgebundenen -› vgl. § 4 Abs. 1 TVG , d. h. nur für den Arbeitgeber, der dem tarifschließenden Arbeitgeberverband angehört und den Arbeitnehmer, der Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist. 3.5 Betriebsvereinbarung Im Gegensatz zum Tarifvertrag werden Betriebsvereinbarungen zwischen der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat abgeschlossen. Es handelt sich um eine Art Tarifvertrag im Kleinformat. Im Vergleich zum Tarifvertrag ist die Betriebsvereinbarung rangschwächer, doch auch sie gilt unmittelbar und zwingend -› vgl. § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG . Durch eine Betriebsvereinbarung kann nur das geregelt werden, was in den Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich des Betriebsrates fällt. Beispiel Betriebsvereinbarung über die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung -› vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG „1. Alle Mitarbeiter erhalten einen elektronisch lesbaren Ausweis. Er ist nicht übertragbar. 49 <?page no="49"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts 2. Die Mitarbeiter sind verpflichtet, ihre Ankunfts- und Verlassenszeiten persönlich am Arbeitszeiterfassungsterminal zu registrieren.“ Arbeitsbedingungen und Arbeitsentgelt, die bereits in einem Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise in einem Tarifvertrag geregelt werden, können nicht mehr in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden -› vgl. § 77 Abs. 3 BetrVG , es sei denn, der Tarifvertrag gestattet dies ausdrücklich -› vgl. § 77 Abs. 3 BetrVG . 3.6 Arbeitsvertrag Der Arbeitsvertrag regelt die beruflichen Aufgaben und die wesentlichen Arbeitsbedingungen zwischen dem Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer. Das Arbeitsverhältnis beruht auf dem Arbeitsvertrag, denn durch ihn verpflichtet sich der Arbeitnehmer zur Leistung der Arbeit -› vgl. § 611 Abs. 1 BGB . Zivilrechtlich ist der Arbeitsvertrag als Dienstvertrag nach § 611 BGB zu qualifizieren, daher schuldet der Arbeitnehmer auch nicht den Erfolg einer Tätigkeit, z. B. das Gewinnen einer Mindestzahl neuer Kunden, sondern nur das Bemühen darum. Auf schlechte berufliche Leistungen kann der Arbeitgeber nicht mit der Kündigung fester Gehaltsbestandteile, wohl aber von erfolgsabhängigen, variablen Vergütungsbestandteilen reagieren. Dies jedoch immer unter Beachtung des Kündigungsschutzrechtes. Gilt ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung, so sind viele Fragen, die das Arbeitsverhältnis betreffen zumeist bereits geregelt. Besteht dagegen kein Tarifvertrag, ist der Arbeitsvertrag als Rechtsquelle von großer Bedeutung, da mehr Spielraum für individuelle Vereinbarungen besteht. Im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag gibt es noch zwei weitere Rechtsquellen, die näherer Betrachtung bedürfen - die betriebliche Übung und das Weisungsrecht des Arbeitgebers. 3.6.1 Betriebliche Übung Eine betriebliche Übung ist die regelmäßige Wiederholung eines bestimmten Verhaltens des Arbeitgebers, wodurch er beim Arbeitnehmer den berechtigten Eindruck erweckt, dass eine bestimmte Vergünstigung auf Dauer gewährt wird. Beispiel Der Arbeitgeber zahlt jedem seiner Arbeitnehmer vier Jahre hintereinander vorbehaltlos ein Weihnachtsgeld von 300 € . 50 <?page no="50"?> 3.7 Richterrecht Durch dieses Verhalten entsteht eine betriebliche Übung, die Arbeitnehmer haben auch weiterhin einen Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe von 300 € . Zivilrechtlich bedeutet eine betriebliche Übung vielfach nichts anderes, als eine durch schlüssiges Verhalten vorgenommene Änderung des Arbeitsvertrages. 3.6.2 Weisungsrecht des Arbeitgebers Wenn die Arbeitspflichten im Arbeitsvertrag nicht abschließend und vollständig geregelt sind - was in der Praxis meistens der Fall ist, da der Arbeitsvertrag anderenfalls viel zu umfangreich wäre - muss der Arbeitgeber die Lücken mithilfe seines Weisungsrechtes füllen. Je weniger im Arbeitsvertrag vereinbart wurde, umso weiter reicht das Weisungsrecht. Beispiel Im Arbeitsvertrag ist in der Regel nur die tägliche, wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit geregelt z. B.: „Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden.“ Dagegen ist oft nicht festgelegt, um welche Uhrzeit der Arbeitnehmer seine Arbeit beginnt bzw. beendet. Dies regelt der Arbeitgeber durch sein Weisungsrecht. Der Arbeitgeber hat also das Recht, Zeit, Ort und Art der Arbeit sowie das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb einseitig zu bestimmen. Seine Grenzen findet das Weisungsrecht in den Gesetzen, dem Tarifvertrages bzw. der Betriebsvereinbarung und dem Arbeitsvertrages. So kann der Arbeitgeber - wie im folgenden Beispiel dargelegt - dem Arbeitnehmer Arbeitsaufgaben zuweisen, die dieser zu erledigen hat, soweit der Arbeitsvertrag dadurch nicht verletzt wird. Beispiel A wurde gemäß seinem Arbeitsvertrag als Ingenieur eingestellt. Sein Arbeitgeber kann ihn daher nicht mithilfe des Weisungsrechts zum Hofkehren verpflichten. 3.7 Richterrecht Viele Bereiche des Arbeitsrechts sind gesetzlich nicht oder nur unzureichend geregelt, in einigen Fällen wurden die bestehenden gesetzlichen Regelungen von der 51 <?page no="51"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts Lebenswirklichkeit überholt. Die Rechtsprechung spielt daher eine wichtige gestaltende und modernisierende Rolle. Das ist bereits aus der großen Anzahl arbeitsgerichtlicher Verfahren ersichtlich, die jährlich angestrengt werden. So wurden z. B. im Jahr 2006 insgesamt 467.807 Klagen an deutschen Arbeitsgerichten eingereicht 13 . Vor allem die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts haben in der Praxis große Bedeutung. Denn in der Regel folgen die unteren Gerichte dieser Rechtsprechung und in der Folge orientiert sich auch die arbeitsrechtliche Praxis daran. 3.8 Rangverhältnis der Rechtsquellen Wie dargelegt wurde, ist das Arbeitsrecht durch eine Vielzahl von Rechtsquellen gekennzeichnet. Daher besteht die Möglichkeit, dass sich die Antwort auf eine Rechtsfrage aus mehreren Rechtsquellen ergibt. Auf welche der Rechtsquellen zurückzugreifen ist, ergibt sich aus dem Verhältnis der einzelnen Rechtsquellen zueinander. 3.8.1 Rangprinzip Nach dem Rangprinzip geht höherrangiges Recht dem niederrangigen vor. Die Rangstufen der Rechtsquellen stellen sich vereinfacht wie in Abb. 3.4 dar. 3.8.2 Günstigkeitsprinzip Das Günstigkeitsprinzip stellt die Ausnahme zum Rangprinzip dar. Auch eine rangniedere Regelung kann einer ranghöheren vorgehen, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist. Für Tarifverträge ist dies ausdrücklich in § 4 Abs. 3 TVG geregelt. Bei Konkurrenzen auf der gleichen Rangstufe ist für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips allerdings kein Raum. 13 Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, abrufbar unter: http: / / www.bmas.de/ coremedia/ generator/ 18120/ ergebnisse der statistik der arbeitsgerichtsbarkeit 2006.html (Abruf 15.09.2007). 52 <?page no="52"?> Zusammenfassung EU Grundgesetz Gesetz (zwingende Regelungen) Tarifvertrag (zwingende Regelungen) Betriebsvereinbarung (zwingende Regelungen) Arbeitsvertrag Dispositive Regelungen im Gesetz, Tarifvertrag und der Betriebsvereinbarung Weisungsrecht des Arbeitgebers Abbildung 3.4: Rangverhältnis der Rechtsquellen 3.8.3 Ordnungs- und Spezialitätsprinzip Stehen beide infrage kommenden Regelungen auf der gleichen Rangstufe, findet das Ordnungsbzw. das Spezialitätsprinzip Anwendung. Das Ordnungsprinzip besagt, dass die jüngere Rechtsnorm den Vorrang vor der älteren hat. Wenn also z. B. zwei Betriebsvereinbarungen mit sich deckenden Regelungen aufeinander folgen, löst die neuere die ältere ab. Das gilt auch dann, wenn die neue Betriebsvereinbarung für den Arbeitnehmer nachteilig ist. Das Spezialitätsprinzip legt den Vorrang der spezielleren Regelung vor der allgemeineren fest. Zusammenfassung Das Arbeitsrecht besteht aus einer Vielzahl von Rechtsquellen, ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch existiert nicht. Die wichtigsten Rechtsquellen sind: Europäisches Recht. Art. 39 EG (Arbeitnehmerfreizügigkeit) und Art. 141 EG (Lohngleichheit) im Primärrecht. Im sekundären Gemeinschaftsrecht sind vor allem Richtlinien und Verordnungen von Bedeutung. 53 <?page no="53"?> 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts Die Rechtsprechung des EuGH beeinflusst sowohl die nationale Rechtsprechung als auch Gesetzgebung. Grundgesetz. Das Sozialstaatsprinzip, Art. 20 GG, verpflichtet den Staat, die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins zu schaffen. Grundrechte sind nicht direkt zwischen Privaten anwendbar (Ausnahme: Art. 9 Abs. 3 GG) wirken aber über Generalklauseln in das Privatrecht ein. Einfaches Gesetzesrecht. Das einfache Gesetzesrecht regelt grundlegende Rechte und Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Bezüglich seines Geltungsanspruchs im Hinblick auf abändernde Vereinbarungen muss unterschieden werden, ob es sich um dispositives oder zwingendes Gesetzesrecht handelt. Kollektivverträge. Tarifverträge werden zwischen Arbeitgeber/ Arbeitgeberverband und Gewerkschaft (nicht dem Betriebsrat! ) abgeschlossen. Betriebsvereinbarungen erfolgen zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat. Arbeitsvertrag. Arbeitsverträge regeln das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und einzelnem Arbeitnehmer. Richterrecht. Das Richterrecht hat in der Praxis großen Einfluss. Rangverhältnis. Das Rangverhältnis der Rechtsquellen wird durch das Rangprinzip, das Günstigkeitsprinzip, das Ordnungsprinzip und Spezialitätsprinzip bestimmt. Kontrollfragen 1. Was versteht man unter primärem Gemeinschaftsrecht? -› vgl. Abschnitt 3.1.8, S. 33 2. Was ist der maßgebliche Unterschied zwischen einer europäischen Richtlinie und einer Verordnung? -› vgl. Abschnitt 3.1.9, S. 34 3. In der Verfassung des Bundeslandes B steht: „Jeder hat ein Recht auf Arbeit.“ Der arbeitslose A ist der Ansicht, als Einwohner des Bundeslandes B hätte er einen Anspruch darauf, bei B oder durch Vermittlung bei einem privaten Arbeitgeber einen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt zu bekommen. Hat A Recht? Begründen Sie Ihre Antwort. -› vgl. Abschnitt 3.2, S. 37 4. Was spricht gegen eine direkte Anwendung der Grundrechte zwischen zwei Privatpersonen? -› vgl. Abschnitt 3.2.2.1, S. 39 54 <?page no="54"?> Literatur 5. Was versteht man unter einseitig und was unter beiderseits zwingendem Recht? -› vgl. Abschnitt 3.3.3.1, S. 47 6. Arbeitsbedingungen, die bereits im Tarifvertrag geregelt sind, dürfen immer auch in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden. Stimmt diese Aussage? Begründen Sie Ihre Antwort. -› vgl. Abschnitt 3.5, S. 49 7. Was bedeutet das Günstigkeitsprinzip? Für welche Konkurrenzen kann es keine Anwendung finden? -› vgl. Abschnitt 3.8.2, S. 52 Literatur Europarecht Herdegen , M . [2006]: Europarecht, 8. Aufl., München Fastenrath ,U./ Müller-Gerbes , M. [2004]: Europarecht, 2. Aufl., Stuttgart Junker , A . [1999]: Systembildung und Systemlücken im harmonisierten Arbeitsvertragsrecht, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 2 ff. Staatsrecht Maurer , H . [2005]: Staatsrecht, 4. Aufl., München Degenhardt , C . [2006]: Staatsrecht II Grundrechte, 9. Aufl., Heidelberg/ München/ Landsberg/ Berlin Arbeitsrecht Junker , A . [2007]: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Aufl., München Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München 55 <?page no="56"?> 4 Die Beteiligten Übersicht • Arbeitnehmer und die Abgrenzung zu anderen Beschäftigungsverhältnissen -› vgl. Abschnitt 4.1 • Arbeitgeber -› vgl. Abschnitt 4.2, S. 62 • Wechsel des Arbeitgebers durch Betriebsübergang -› vgl. Abschnitt 4.3, S. 62 • Betriebsrat -› vgl. Abschnitte 4.6 - 4.8, S. 75 f. • Personalrat und Sprecherausschuss -› vgl. Abschnitte 4.9, S. 76, und 4.10, S. 77 • Tarifvertragsparteien -› vgl. Abschnitt 4.11, S. 78 • Exkurs: Arbeitskampf -› vgl. Abschnitt 4.12, S. 79 • Staat -› vgl. Abschnitt 4.13, S. 83 4.1 Arbeitnehmer Obwohl der Begriff des Arbeitnehmers einer der wichtigsten Begriffe des Arbeitsrechts ist, der sowohl im BGB als auch in den übrigen arbeitsrechtlichen Vorschriften immer wieder Verwendung findet, wird er im Gesetz nicht definiert. Das blieb Rechtsprechung und Rechtslehre überlassen. Merksatz Arbeitnehmer ist, wer sich durch einen privatrechtlichen Vertrag verpflichtet, für einen anderen Dienste zu leisten, die in unselbstständiger (weisungsabhängiger) Arbeit zu erbringen sind. Ein Arbeitnehmer kann immer nur eine natürliche Person sein. 57 <?page no="57"?> 4 Die Beteiligten Wiederholung BGB Das Recht unterscheidet zwischen natürlichen und juristischen Personen. Eine natürliche Person ist jeder Mensch. Jeder Mensch ist mit Vollendung seiner Geburt rechtsfähig -› vgl. § 1 BGB , d. h. er kann Träger von Rechten und Pflichten sein. Eine juristische Person ist eine Personenvereinigung (z. B. GmbH), eine Vermögensmasse (Stiftung), eine öffentlich-rechtliche Körperschaft (z. B. Gemeinde) oder eine öffentlich-rechtliche Anstalt (z. B. öffentliche Rundfunkanstalt), der von der Rechtsordnung die Rechtsfähigkeit verliehen wurde. Auch sie kann daher Träger von Rechten und Pflichten sein. 4.1.1 Privatrechtlicher Vertrag Das Arbeitsverhältnis muss auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen. Daher sind folgende Personengruppen keine Arbeitnehmer, obwohl sie ebenfalls unselbstständige Arbeit leisten: • Beamte, Richter und Soldaten. Das Anstellungsverhältnis zwischen ihnen und ihrem Dienstherren ist nicht privater sondern öffentlich-rechtlicher Natur. (Demgegenüber sind die Anstellungsverhältnisse von Arbeitern und Angestellten und einem öffentlichen Arbeitgeber privatrechtlicher Natur.) • Strafgefangene und Sicherheitsverwahrte (Nicht Freigänger, die außerhalb des Gefängnisses einem „normalen“ Arbeitsverhältnis nachgehen! ), wenn sie arbeiten, dann aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Verhältnisses und nicht aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages. • Ehegatten oder Kinder, die aufgrund familienrechtlicher Verpflichtungen Dienstleistungen erbringen. Z. B. sind Kinder, solange sie dem elterlichen Hausstand angehören und von den Eltern erzogen und unterhalten werden, verpflichtet, den Eltern in Haus und Geschäft Dienste zu leisten -› vgl. § 1619 BGB . Der Arbeitsvertrag ist ein Spezialfall des Dienstvertrages -› vgl. §§ 611 ff. BGB . Durch einen Dienstvertrag verpflichtet sich der Dienstnehmer (Arbeitnehmer), eine Dienstleistung für einen anderen (Arbeitgeber) gegen ein Entgelt zu erbringen. Die maßgeblichen Kriterien des Dienstvertrages und damit auch des Arbeitsvertrages sind: • das Erbringen einer Dienstleistung • für einen anderen • gegen Entgelt. 58 <?page no="58"?> 4.1 Arbeitnehmer Die Unselbständigkeit kennzeichnet nicht den Dienstvertrag allgemein, sondern nur den Arbeitsvertrag. Der Begriff des Dienstvertrages ist folglich weiter, er erfasst auch selbständige Tätigkeiten, wie z. B. eine ärztliche Heilbehandlung durch einen niedergelassenen Arzt. 4.1.1.1 Erbringen einer Dienstleistung Der Arbeitnehmer muss eine Dienstbzw. Arbeitsleistung erbringen. Er schuldet also eine Tätigkeit an sich und nicht das Herbeiführen eines bestimmten Arbeitserfolges. Beispiel Die angestellte Klavierlehrerin einer Musikschule ist durch ihren Arbeitsvertrag verpflichtet zu unterrichten. Sie schuldet eine Tätigkeit. Dass die Schüler das Klavier spielen danach tatsächlich beherrschen, wäre dagegen ein konkreter Erfolg. 4.1.1.2 Unselbstständigkeit Die Arbeit muss im Dienst eines anderen erbracht werden. Dadurch werden Arbeitnehmer von Selbstständigen abgegrenzt. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn die arbeitsrechtlichen (Schutz-)Vorschriften und das Weisungsrecht gelten nur für Arbeitnehmer. Als Selbstständiger gilt, wer seine Tätigkeit und Arbeitszeit im Wesentlichen frei gestalten kann -› vgl. § 84 Abs. 1 S. 2 HGB . Arbeitnehmer ist daher, wer seine Tätigkeit und Arbeitszeit gerade nicht im Wesentlichen frei gestalten und bestimmen kann, sich also in persönlicher Abhängigkeit befindet. Persönlich abhängig ist der Arbeitnehmer, wenn er in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und dem Weisungsrecht seines Vertragspartners unterliegt 1 . Dieses Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Dauer, Ort und Art der Tätigkeit betreffen. Beispiel Das Transportunternehmen T ist im Güterverkehr tätig, führt aber nur Aufträge im Bereich Umzugs- und Möbeltransporte mit eigenen Fahrzeugen und Angestellten aus. Die übrigen Aufträge werden an selbstständige Frachtführer untervergeben. K, der ein Fuhrgewerbe als Gewerbe angemeldet hat, ist an Aufträgen interessiert und schließt daher mit T einen Vertrag, der folgende Regelungen enthält: K führt die erteilten Aufträge in eigener Regie und Verantwortung aus; die Rechnungslegung an die Kunden erfolgt ausschließlich im Namen und durch T, das einen bestimmten Prozentsatz der Rechnungssumme einbehält und den Rest an K auszahlt. T garantiert keinen bestimmten Auftragsumfang und K hat auch keinen Anspruch darauf, bestimmte 1 BAGE 93, S. 218 = NZA 2000, S. 1102; BAG NZA 2004, S. 39 = NJW 2004, S. 461. 59 <?page no="59"?> 4 Die Beteiligten Aufträge erteilt zu bekommen. Der Vertrag kann von beiden Seiten ohne Angabe von Gründen gekündigt werden, die Kündigungsfrist beträgt vier Wochen zum Monatsende. Nach fünf Jahren kündigt T den Vertrag unter Einhaltung der vorgeschriebenen Frist. Gegen diese Kündigung wehrte sich K mit folgender Begründung: Die Kündigung sei nach dem Kündigungsschutzgesetz unwirksam, weil es sich tatsächlich um ein Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Er sei in die Organisation des Transportunternehmens T eingegliedert gewesen und habe keinerlei unternehmerische Freiheiten gehabt. So musste bei Durchführung eines Auftrags immer das Funkgerät angeschaltet bleiben. Hätte er einen Auftrag abgelehnt, hätte er mit Sanktionen rechnen müssen (z. B. Nichterteilung von weiteren Aufträgen in der nächsten Zeit). Auch sei es ihm verboten gewesen, auf eigene Rechnung Kunden mit dem Fahrzeug zu bedienen, das die Plane mit dem Schriftzug von T getragen habe. Das Transportunternehmen T war dagegen der Ansicht, K sei selbstständiger Fuhrunternehmer gewesen und nicht Arbeitnehmer. Das BAG entschied, dass K kein Arbeitnehmer gewesen sei und das Kündigungsschutzgesetz daher keine Rolle gespielt habe. Entscheidend gegen ein Arbeitsverhältnis sprachen folgende Punkte: Dem K waren weder Beginn noch Ende seiner täglichen Arbeitszeit vorgeschrieben; er war nicht verpflichtet, die Aufträge anzunehmen oder eine bestimmte Auftragsmenge zu erledigen. Er konnte Urlaub nehmen, zu welcher Zeit er wollte, durfte eigene Kunden bedienen - dass er diese Möglichkeit nicht wahrgenommen hat, spielt keine Rolle - und konnte andere Personen als Fahrer einsetzen. Außerdem bestimmte er die Fahrtroute selbst. Daher war K nicht in dem Maße persönlich abhängig, wie dies für ein Arbeitsverhältnis notwendig gewesen wäre 2 . Es kommt nicht darauf an, wie die Parteien den Vertrag bezeichnen. Ob jemand Arbeitnehmer oder Selbstständiger ist, richtet sich nicht nach den Vorstellungen und Wünschen der Vertragspartner, sondern danach, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Inhalt objektiv einzuordnen ist 3 . Anderenfalls wäre es ein Leichtes, die Arbeitnehmerschutzrechte auszuhebeln. Beispiel Architekt A schließt mit B, dem Inhaber eines Architekturbüros einen „Vertrag über freie Mitarbeit“. Darin heißt es ausdrücklich: „Herr A ist als freier Mitarbeiter beschäftigt. Das Architekturbüro zahlt für Herrn A keine Sozialversicherungsbeiträge, für die ordnungsgemäße Versteuerung seines Honorars ist ausschließlich Herr A verantwortlich.“ Wenn sich A gegenüber B in der Position der persönlichen Abhängigkeit befindet, weil er seine Arbeit im Büro des B, wie dessen Angestellte verrichten muss, ist er unabhängig der vertraglichen Vereinbarung Arbeitnehmer des B. Die Frage nach der Arbeitnehmereigenschaft ist nicht nur im Arbeitsrecht sondern vor allem auch im Sozialversicherungsrecht -› Glossar von großer Bedeutung. Denn nichtselbstständig Beschäftigte unterliegen der öffentlich-rechtlichen 2 BAGE 90, S. 36 = NZA 1999, S. 374. 3 BAG NZA 1994, S. 169 = DB 1994, S. 787. 60 <?page no="60"?> 4.1 Arbeitnehmer Renten- und Krankenversicherungspflicht -› vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV , sowie der Lohnsteuerpflicht -› vgl. Abschnitt 4.13, S. 83 . 4.1.1.3 Entgeltlichkeit Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung zu gewähren -› vgl. § 611 Abs. 1 BGB . Herkömmlich wird das Entgelt bei Arbeitern als Lohn, bei Angestellten als Gehalt bezeichnet. Rechtliche Konsequenzen folgen aus dieser Begriffsverschiedenheit nicht. In einem Arbeitsvertrag wird die Frage der Vergütung meist ausdrücklich geregelt. Wurde keine Regelung getroffen, ob bzw. in welcher Höhe die Arbeitsleistung zu vergüten ist, greift § 612 BGB: Wenn die erbrachte Dienstleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist, so wird vermutet, dass auch eine Vergütung vereinbart wurde -› vgl. § 612 BGB . Die Vergütungsregelung wird also einfach unterstellt. Gilt ein Tarifvertrag, richten sich die Einzelheiten der Vergütung in der Regel danach. 4.1.2 Arbeitnehmer als Verbraucher Schließt ein Verbraucher einen Vertrag mit einem Unternehmer -› Glossar ab, dann gewährt das BGB dem Verbraucher z. T. besondere Schutzrechte. Ein Verbraucher ist jede natürliche Person die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann -› vgl. § 13 BGB . Ob jemand bei einem Rechtsgeschäft Verbraucher ist, hängt also immer davon ab, zu welchem Zweck er das betreffende Rechtsgeschäft abgeschlossen hat. Beispiel Kauft sich ein selbständiger Unternehmensberater ein Notebook für seinen privaten Gebrauch, also nicht für seine berufliche Tätigkeit, ist er bei diesem Rechtsgeschäft Verbraucher und nicht Unternehmer und er kann die für ihn günstigeren Schutzvorschriften des Verbrauchsgüterkaufs -› vgl. §§ 475 ff. BGB in Anspruch nehmen. Die Frage, ob ein Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrages Verbraucher ist, war lange sehr umstritten. Schließlich entschied das BAG, dass auch der Arbeitnehmer beim Abschluss des Arbeitsvertrages Verbraucher ist 4 . Denn der Abschluss eines Arbeitsvertrages hat weder etwas mit einer gewerblichen noch mit einer selbständigen beruflichen Tätigkeit zu tun. Das hat zur Folge, dass die Zulässigkeit arbeitsvertraglichen Regelungen auch am Maßstab der Verbraucherschutzvorschriften 4 BAGE 115, S. 19 = NZA 2005, S. 1111. 61 <?page no="61"?> 4 Die Beteiligten -› Glossar -› vgl. § 310 Abs. 3 BGB überprüft wird. (Allerdings kann der Arbeitnehmer als Verbraucher bei einer Geldschuld aus dem Arbeitsverhältnis, z. B. wenn der Arbeitgeber den Lohn nicht rechtzeitig auszahlt, nur Verzugszinsen nur in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangen -› vgl. § 288 Abs. 1 BGB .) 4.2 Arbeitgeber Der Arbeitgeberbegriff hat im Arbeitsrecht relativ geringe Bedeutung. Merksatz Als Arbeitgeber gilt, wer aufgrund eines Arbeitsvertrages von mindestens einem Arbeitnehmer das Erbringen einer Arbeitsleistung verlangen kann. Anders als der Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber nicht nur eine natürliche sondern auch eine juristische Person oder ein nicht rechtsfähiger Personenverband -› Glossar , z. B. eine KG oder OHG sein. Beispiel Die X-GmbH ist Arbeitgeberin der bei ihr angestellten Arbeitnehmer. Diese haben ihren Arbeitsvertrag mit der X-GmbH (und nicht mit deren Gesellschaftern! ) abgeschlossen. Wichtig ist, die Begriffe Arbeitgeber und Selbstständiger nicht gleichzusetzen! Denn ein Selbstständiger muss nicht gleichzeitig ein Arbeitgeber und ein Arbeitgeber umgekehrt kein Selbstständiger sein. 4.3 Arbeitgeberwechsel durch Betriebsübergang 4.3.1 Einführung Heute hat ein Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft nur selten vom Beginn bis zum Ende seines Berufslebens ein und denselben Arbeitgeber. Geht der Betrieb, in welchem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, auf einen neuen Inhaber über, kann dies auch zu einem Wechsel des Arbeitgebers führen. Merksatz Beim Übergang eines Betriebes oder Betriebsteils, gehen auch die bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber des Betriebes über -› vgl. § 613a BGB . 62 <?page no="62"?> 4.3 Arbeitgeberwechsel durch Betriebsübergang Mit dieser Regelung werden drei Ziele verfolgt: • Der Arbeitnehmer soll nicht gleichzeitig mit seinem bisherigen Arbeitgeber auch seinen Arbeitsplatz verlieren. • Ein existierender Betriebsrat soll erhalten bleiben und kollektivrechtliche Regelungen sollen fort gelten. • Die Haftungsrisiken sollen angemessen zwischen dem alten und dem neuen Betriebsinhaber verteilt werden. 4.3.2 Voraussetzungen eines Betriebsüberganges Zum Übergang eines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber kommt es nur, wenn tatsächlich ein Betriebsübergang im Sinne § 613a BGB vorliegt. Die Voraussetzungen dafür sind: • Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils • Übergang auf einen anderen Inhaber • Übergang durch ein Rechtsgeschäft. 4.3.2.1 Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils Zu dieser Voraussetzung hatte des BAG in der Vergangenheit eine umfangreiche Rechtsprechung entwickelt. Nachdem zum Betriebsübergang jedoch europarechtliche Regelungen ergingen 5 , ist nunmehr das europarechtliche Begriffsverständnis maßgebend. Vom Übergang eines Betriebes oder Betriebsteils ist dann auszugehen, wenn eine ihre Identität bewahrende wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit auf den Erwerber übergeht 6 . Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss im jeweiligen Fall anhand einer Gesamtbetrachtung festgestellt werden, bei der insbesondere folgende Kriterien beachtet werden müssen: • Um welche Art Betrieb handelt es sich? • Sind materielle Betriebsmittel (z. B. Maschinen, Fahrzeuge, Rohstoffe) übergegangen? • Welchen Wert haben übergegangene immaterielle Aktiva (z. B. Marken, Patente)? 5 Im Europäischen Recht ist die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben o. Betriebsteilen [77/ 187/ EWG] v. 14.2.1977 [ABl. EG Nr. L 61 v. 5.3.1977, S. 26, m. spät. Änd.] ergangen. Die RL ist neu gefasst worden durch die Richtlinie 2001/ 23/ EG v. 12.3.2001 [ABl. EG Nr. L 82 v. 22.3.2001, S. 16]. 6 EuGH Slg. I 1997, S. 1259 = NZA 1997, S. 433. 63 <?page no="63"?> 4 Die Beteiligten • Wurden Arbeitnehmer übernommen? • Wurde die Kundschaft übernommen? • Wird die gleiche oder eine gleichartige Geschäftstätigkeit fortgeführt? • Wird die Geschäftstätigkeit tatsächlich fortgeführt? Diese Kriterien sind wichtige Indizien für einen Betriebsübergang, sie müssen aber nicht stets alle erfüllt sein. Art des Betriebes. Ausgangspunkt ist stets die Art des Betriebs, denn die Schwerpunktsetzung in den übrigen Kriterien kann je nach Art des Betriebs variieren. Handelt es sich also um: • produzierendes Gewerbe, • Handel oder • Dienstleistung? Materielle Betriebsmittel. Sie sind vor allem im produzierenden Gewerbe von entscheidender Bedeutung, da sie die Grundlage betrieblicher Tätigkeit bilden. Werden sie übernommen, ist das ein wesentliches Indiz für einen Betriebsübergang. Immaterielle Aktiva. Immaterielle Aktiva wie z. B. Marken, Know-how oder der Goodwill sind dagegen in erster Linie im Handels- und im Dienstleistungsbereich von Bedeutung, ihr Übergang ist entsprechend wichtig für einen Betriebsübergang. Übernahme oder Nichtübernahme der Arbeitnehmer. Kommt es entscheidend auf die menschliche Arbeitskraft an und führt der Betriebserwerber nicht nur die bisherige Tätigkeit weiter, sondern beschäftigt auch einen wesentlichen Teil des Personals weiter, spricht dies für einen Betriebsübergang. Beispiel Eine deutschlandweit im Wassermarkt tätige GmbH übernimmt ein kleines Ingenieurbüro. Unter dem alten Arbeitgeber waren fünf Ingenieure und zwei Sekretärinnen angestellt. Die Ingenieure verfügen über Spezialwissen in den Bereichen Grundwasser und Untergrundwasserbehandlung. Die GmbH schließt mit ihnen daher bereits im Vorfeld der Übernahme lukrative Arbeitsverträge, um sie zu „halten“. Werden umgekehrt Arbeitnehmer nicht übernommen, obwohl es sich um einen Sektor handelt, in dem es in besonderem Maße auf die Fachkunde des Personals ankommt, spricht dies gegen einen Betriebsübergang 7 . Allerdings ist eine freiwillige Übernahme von Personal kein zwingendes Kriterium, da der Personalübergang gesetzliche Rechtsfolge des Betriebsüberganges ist, nicht aber dessen Voraussetzung. 7 BAGE 86, S. 271 = NZA 1998, S. 31; BAG NZA 1999, S. 869. 64 <?page no="64"?> 4.3 Arbeitgeberwechsel durch Betriebsübergang Ist Fachwissen nicht entscheidend, kann es sich auch dann um einen Betriebsübergang handeln, wenn gar kein Personal übernommen wird 8 . Übernahme oder Nichtübernahme der Kundschaft. In einer Marktwirtschaft kann man Kundschaft nur in den seltensten Fällen einfach „übernehmen“. Man muss sie halten oder neu gewinnen. Von einer Übernahme der Kundschaft kann man daher nur in den Fällen sprechen, in denen z. B. Kundenkarteien, laufende Mandantschaften oder Vetriebsberechtigungen übernommen werden. Gleiche oder gleichartige Geschäftstätigkeit. Ob der Erwerber dieselbe oder eine gleichartige Geschäftstätigkeit weiterführt, kann bei Produktionsbetrieben meist relativ leicht festgestellt werden: Werden die vorhandenen Produktionsmittel verwendet um dieselben oder gleichartige Produkte herzustellen? Ausnahmen gibt es natürlich auch hier. Beispiel A kauft einen Bauernhof. Statt der früher betriebenen konventionellen Landwirtschaft betreibt er nun einen „Bio-Bauernhof“ mit Freilandhaltung. Im Dienstleistungssektor und im Einzelhandel kommt es dagegen nicht nur darauf an, ob die Tätigkeit weitergeführt wird. Entscheidend ist vielmehr auch, ob ein vergleichbares Konzept zugrunde liegt und ein ähnlicher Kundenkreis angesprochen wird 9 . Beispiel S arbeitete als Serviererin in einer Gaststätte mit gutbürgerlich-deutscher Küche. Der Betreiber musste im Mai 1994 Konkurs anmelden, die Gaststätte wurde geschlossen und S gekündigt. Zum 1.8.1994 mietete B die Räume und eröffnete zum 20.10. des gleichen Jahres die Gaststätte wieder. Allerdings wurde nun „Essen wie aus Tausend und einer Nacht mit den besten Gerichten der arabischen Küche in einer exotischen Atmosphäre“ serviert. Es wurden arabische Musik und Bauchtanzvorstellungen geboten; arabische Mitarbeiter bedienten die ebenfalls überwiegend arabischen Gäste. Als Koch arbeitete nun der Bruder des B. Und auch der Name des Restaurants wurde geändert. S war der Ansicht, die Gaststätte sei nach § 613a BGB auf B übergegangen. Damit sei sie Arbeitnehmerin des B geworden und habe einen Anspruch auf Beschäftigung und Bezahlung. Das BAG 10 entschied, dass es sich bei der Übernahme der Gaststätte durch B nicht um einen Betriebsübergang gehandelt hatte, da nicht von einer Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ausgegangen werden konnte. 8 BAG NZA 1999, S. 869 = NJW 1999, S. 2459. 9 BAG NZA 1998, S. 1233. 10 BAGE 86, S. 271 = NZA 1998, S. 31. 65 <?page no="65"?> 4 Die Beteiligten Das neu eröffnete Restaurant unterschied sich zu stark von der früher in den Räumlichkeiten betriebenen Gaststätte. Es wurden vollkommen andere Speisen, in einer gänzlich anderen Atmosphäre angeboten. Der Gästekreis war ein völlig anderer. Auch die Unterbrechungsdauer von ca. fünf Monaten war zu lange. Weil die Gäste problemlos auf andere Lokale ausweichen konnten, konnte auch kein Kundenstamm übernommen werden. Und schließlich hat B auch keinerlei Personal übernommen. Dabei kommt es in einem Restaurant entscheidend auf den Koch an, der das Angebot prägt und von dessen Fähigkeiten das längerfristige Überleben des Betriebes abhängt 11 . Tatsächliche Fortführung des Betriebes. Schließlich ist entscheidend, dass der Erwerber den Betrieb auch tatsächlich fortführt. Was geschieht, wenn der Geschäftsbetrieb nach dem Erwerb zunächst unterbrochen und erst später weitergeführt wird? Im Grundsatz gilt: Eine nur vorübergehende Unterbrechung (z. B. zur Renovierung der Geschäftsräume) schließt einen Betriebsübergang noch nicht aus. Das ist erst dann der Fall, wenn durch die Unterbrechung der Geschäftstätigkeit eine bestehende wirtschaftliche Einheit zerschlagen wird. Auch hier ist auf den jeweiligen Geschäftsbereich abzustellen 12 . 4.3.2.2 Übergang auf einen anderen Inhaber Der rechtliche Betriebsinhaber muss wechseln. An die Stelle des bisherigen Betriebsinhabers muss ein anderer treten, der den Betrieb im eigenen Namen fortführt. Inhaber eines Betriebes kann eine natürliche oder juristische Person sowie eine Personengesellschaft sein. Beispiel 1 Die X-GmbH ist Inhaberin eines Baubetriebes. Die Gesellschafter A, B und C übertragen ihre Anteile an der X-GmbH an den E. Darin liegt nur ein Gesellschafteraber kein Inhaberwechsel. Denn Inhaber des Baubetriebs ist nach wie vor die X-GmbH. Beispiel 2 Eine Aktiengesellschaft (AG) hat zwei Tochter-GmbHs, X und Y. Die X-GmbH ist Inhaberin eines Baubetriebes, dieser wird an die Y-GmbH verkauft. Hier liegt ein Inhaberwechsel vor, da sich die Rechtspersönlichkeit des Betriebsinhabers geändert hat. Dass sich der Vorgang innerhalb eines Konzerns abgespielt hat, ist unerheblich. 11 BAGE 86, S. 271 = NZA 1998, S. 31; s. a. BAG NZA 1998, S. 1233: Umwandlung eines ehemaligen (DDR) FDGB-Ferienbetriebs in ein Hotel-Restaurant. 12 BAGE 86, S. 20 = NZA 1997, S. 1051: Im Bekleidungseinzelhandel ist eine Unterbrechung von 9 Monaten als zu lang angesehen worden, da sich modebewusste Kunden in der Zwischenzeit andere Bezugsquellen suchen. 66 <?page no="66"?> 4.4 Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges 4.3.2.3 Übergang durch Rechtsgeschäft Der Betrieb oder Betriebsteil muss durch ein Rechtsgeschäft, z. B. aufgrund eines Kaufvertrags, auf den neuen Inhaber übergehen. Der Übergang muss also immer auf eine Willensäußerung des bisherigen Betriebsinhabers zurückzuführen sein. Eine Übertragung durch einen Hoheitsakt oder kraft Gesetzes genügt dagegen nicht 13 . Beispiel 1 V ist Inhaber eines Betriebes. Bei seinem Tod, ist sein Sohn S sein einziger Erbe. Das gesamte Vermögen des V (einschließlich aller Schulden), geht daher gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auf S über. Das gilt auch für den Betrieb und alle bestehenden Arbeitsverhältnisse. Es handelt sich daher nicht um einen Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft nach § 613a BGB! Beispiel 2 Im Dezember beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus das Gesetz über die „Stiftung Oper in Berlin“. Damit wurde die „Stiftung Oper in Berlin“ aus den fünf Landesbetrieben Deutsche Oper Berlin, Komische Oper Berlin, Staatsoper Unter den Linden, Staatsballett Berlin und dem Bühnenservice gegründet. Die Stiftung wurde Eigentümerin der Gebäude, der Spielstätten, Magazine, Verwaltungen, Werkstätten. Außerdem wurde festgelegt, dass mit dem Inkrafttreten des Gesetzes die Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse der Beschäftigten mit allen Rechten und Pflichten auf die Stiftung übergehen. Das BAG entschied in den folgenden Gerichtsprozessen, dass es sich beim beschriebenen Vorgang nicht um einen Betriebsübergang nach § 613a BGB handelte, da der Übergang nicht auf einem Rechtsgeschäft, sondern auf einem Gesetz beruhte. Die Vorschriften zum Betriebsübergang konnten daher weder direkt noch entsprechend angewendet werden 14 . 4.4 Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges 4.4.1 Übergang des Arbeitsverhältnisses Der Betriebserwerber tritt mit Betriebsübergang in die Arbeitgeberstellung mit allen Rechten und Pflichten ein, während das Arbeitsverhältnis zum alten Arbeitgeber erlischt. Die Zustimmung der Arbeitnehmer ist dafür nicht erforderlich 15 , sie haben allerdings ein Widerspruchsrecht -› vgl. Abschnitt 4.4.2, S. 69 . Vom Übergang werden alle Arbeitnehmer erfasst, unabhängig davon, ob sie Arbeiter, Angestellte 13 BAG NZA 2006, S. 848 = DB 2006, S. 1680; BAGE 93, S. 190 = NZA 2000, S. 1170. 14 BAG NZA 2006, S. 848 = DB 2006, S. 1680. 15 BAGE 53, S. 251 = NZA 1987, S. 524. 67 <?page no="67"?> 4 Die Beteiligten oder Auszubildende sind oder der Rechtsqualität übernommen, in der sie bestehen (z. B. Vollzeit oder Teilzeit, befristet oder unbefristet, während der Probezeit). Geht nur ein Betriebsteil über, so sind vom Übergang auch nur die Arbeitsverhältnisse jener Arbeitnehmer betroffen, die in den Betriebsteil eingegliedert waren 16 . Der neue Betriebsinhaber muss die gleichen Löhne und Gehälter zahlen wie der alte. Ansprüche, die aufgrund einer betrieblichen Übung beim alten Arbeitgeber bestanden, bleiben den Arbeitnehmern erhalten. Der Erwerber kann nicht ohne weiteres eine Anpassung an die Verhältnisse in seinem bereits bestehenden Betrieb anordnen. Beispiel A hat einen Betrieb übernommen, in welchem die Arbeitnehmer bisher aufgrund einer betrieblichen Übung Weihnachtsgeld von je einem halben Monatsgehalt erhielten. A muss den übergegangenen Arbeitnehmern diese Sonderzahlungen auch dann leisten, wenn es in seinem (bestehenden) Betrieb kein Weihnachtsgeld gibt. Eine Anpassung lässt sich nur durch eine Vereinbarung mit den betroffenen Arbeitnehmern oder eine Änderungskündigung erreichen. Umgekehrt haben die neuen Arbeitnehmer aber auch keinen Anspruch darauf, dass ihre Löhne an die angeglichen werden, die der neue Betriebsinhaber seinen bisherigen Arbeitnehmern zahlt 17 . Beispiel Im übernommenen Betrieb wurde kein Weihnachtsgeld gezahlt, aber die Arbeitnehmer des bestehenden Betriebs des Betriebserwerbers, erhielten Weihnachtsgeld. Die übernommenen Arbeitnehmer haben keinen Anspruch darauf, nun ebenfalls Weihnachtsgeld zu erhalten. Personalpolitisch wird sich der neue Arbeitgeber zur Wahrung des Betriebsfriedens aber bemühen (müssen), die Arbeitsbedingungen mit angemessenen Übergangsfristen zu vereinheitlichen. Doch nicht nur Löhne und Gehälter sind bei einem Betriebsübergang von Bedeutung sondern auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Denn in einigen Fällen knüpft das Gesetz das Geltendmachen von Rechten durch Arbeitnehmer an die Dauer der Betriebszugehörigkeit. 16 BAG NZA 2002, S. 1207 = BB 2003, S. 258. 17 BAGE 115, S. 367 = NZA 2006, S. 265. 68 <?page no="68"?> 4.4 Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges Beispiel Wenn das Arbeitsverhältnis zwei Jahre bestanden hat, beträgt die gesetzliche Mindestkündigungsfrist bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber einen Monat zum Ende eines Kalendermonats -› vgl. § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB . Um die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer nicht schlechter zu stellen als vor dem Betriebsübergang, muss der Erwerber die Zeit der Zugehörigkeit zum Betrieb des Veräußerers gegen sich gelten lassen. Die Arbeitnehmer nehmen die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit zum neuen Arbeitgeber mit. § 613a BGB gilt zwingend. Die soeben beschriebenen Rechtsfolgen können daher weder durch Vereinbarung zwischen Betriebsveräußerer und Erwerber bzw. zwischen Betriebsveräußerer und dem vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer zulasten der Arbeitnehmer verändert werden. 4.4.2 Unterrichtungspflicht und Widerspruchsrecht 4.4.2.1 Unterrichtung Die Arbeitnehmer des übergehenden Betriebs/ Betriebsteils müssen über den Betriebsübergang informiert werden -› vgl. § 613a Abs. 5 BGB . Diese Information muss in Textform -› vgl. § 126b BGB erfolgen, z. B. per Rundschreiben. Wiederholung BGB Textform -› vgl. § 126b BGB . Textform verlangt eine Erklärung in einer Urkunde oder in anderen zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise, auch elektronische Speichermedien z. B. CD-ROM sind zulässig. Außerdem muss die Person des Erklärenden genannt sein und es muss erkennbar sein, wo die Erklärung endet. Von der Textform ist die Schriftform -› vgl. § 126 BGB zu unterscheiden, die strengere Voraussetzungen hat. Hier genügt es nicht, wenn die Person des Erklärenden nur genannt wird, dieser muss die Erklärung auch eigenhändig unterzeichnen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass jeder vom Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer Kenntnis erlangt. Es genügt deshalb nicht, nur den Betriebsrat zu informieren. 69 <?page no="69"?> 4 Die Beteiligten Die Verpflichtung, die Arbeitnehmer zu unterrichten, trifft sowohl den Betriebsveräußerer als auch den Erwerber. In der Praxis ist es aber meist der Veräußerer, der die Arbeitnehmer informiert. Die Information muss folgenden Mindestinhalt aufweisen -› vgl. § 613a Abs. 5 BGB : • Geplanter Zeitpunkt des Übergangs. • Übergangsgrund. Die Arbeitnehmer sollen in verständlicher Weise über den Rechtsgrund des Betriebsübergangs informiert werden, die weitergehenden unternehmerischen Motive müssen nicht mitgeteilt werden. • Rechtliche/ wirtschaftliche/ soziale Folgen für die Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer müssen in verständlicher Form über die Auswirkungen des Betriebsübergangs informiert werden. Von einer umfassenden Rechtsberatung sollte aber bereits aus haftungsrechtlichen Gründen abgesehen werden. • Welche Maßnahmen sind hinsichtlich der Arbeitnehmer geplant? Das betrifft z. B. Weiterbildungen oder andere Maßnahmen, welche die berufliche Entwicklung der Arbeitnehmer betreffen. Ist die Information fehlerhaft oder unterbleibt sie ganz, hat das auf den Betriebsübergang und die oben beschriebenen Rechtsfolgen keinen Einfluss. Die fehlerhafte oder fehlende Information hat jedoch Bedeutung für das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer. Denn die Frist zum Widerspruch beginnt erst nach vollständiger Information des Arbeitnehmers zu laufen, daher stellt auch das BAG in seiner Rechtsprechung strenge Voraussetzungen an die Vollständigkeit der Unterrichtung 18 . 4.4.2.2 Widerspruchsrecht Ein Arbeitnehmer muss sich keinen Arbeitgeber aufdrängen lassen, den er sich nicht selbst ausgesucht hat. Im Fall eines Betriebsüberganges ist er daher auch nicht verpflichtet, das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber fortzusetzen. Dem Arbeitnehmer steht vielmehr ein Widerspruchsrecht zu -› vgl. § 613a Abs. 6 BGB . Macht er davon Gebrauch, geht sein Arbeitsverhältnis nicht auf den Betriebserwerber über, sondern er bleibt weiterhin Arbeitnehmer des Betriebsveräußerers. Damit setzt er sich allerdings dem Risiko einer Kündigung aus: Hat der alte Arbeitgeber nach dem Betriebsübergang keine Möglichkeit mehr ihn zu beschäftigen, ist eine betriebsbedingte Kündigung möglich 19 . 18 BAG NZA 2006, S. 1268 = DB 2006, S. 2406; BAG NZA 2006, S. 1273 = DB 2006, S. 2409. 19 BAG NZA 2000, S. 764 = DB 2000, S. 1420. 70 <?page no="70"?> 4.4 Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges Der Widerspruch muss schriftlich innerhalb einer Frist von einem Monat erfolgen. Die Frist beginnt zu laufen, wenn der Arbeitnehmer ordnungsgemäß über den Betriebsübergang informiert wurde. Die Unterrichtung sollte etwa einen Monat vor dem Betriebsübergang erfolgen, um rechtzeitig Klarheit darüber zu haben, welche Arbeitnehmer widersprechen und nach dem Übergang nicht mehr zur Verfügung stehen. Wird zu zeitig unterrichtet, kann es dagegen vorkommen, dass Veränderungen der Verkaufsmodalitäten die bereits erfolgte Information fehlerhaft machen. Der Widerspruch kann sowohl gegenüber dem Betriebsveräußerer als auch dem Erwerber erklärt werden. Eine Begründung ist nicht notwendig. Ist der Widerspruch einmal erfolgt, kann ihn der Arbeitnehmer wegen der einseitig gestaltenden Wirkung (Verhinderung des Übergangs des Arbeitsverhältnisses) nicht mehr zurücknehmen (widerrufen). Beseitigt werden kann der Widerspruch dann nur noch durch eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer, dem Betriebsveräußerer und dem Betriebserwerber. Beispiel Eine GmbH & Co. KG veräußerte ihren Geschäftsbereich Verkehrstechnik an B. Der betroffene Arbeitnehmer A widersprach dem Betriebsübergang mit einem Schreiben an die GmbH & Co. KG. Einige Tage später widerrief er seinen Widerspruch und die GmbH& Co. KG stimmte diesem Widerruf zu und teilte A mit, dass sein Arbeitsverhältnis auf B übergehen würde. B weigerte sich jedoch, A als Mitarbeiter zu übernehmen. Das BAG entschied zugunsten des B. Das Arbeitsverhältnis des A war nicht übergegangen, da er widersprochen hatte. Nachdem der Widerspruch die GmbH & Co. KG erreicht hatte, konnte er nicht mehr widerrufen werden. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die GmbH dem Widerruf zustimmte. Wirksam wäre eine solche Vereinbarung nur bei Beteiligung von A, der GmbH & Co. KG und des B gewesen 20 . Auf das Widerspruchsrecht kann nicht pauschal im Voraus verzichtet werden. Ein Verzicht ist erst aus Anlass eines ganz konkreten Betriebsüberganges möglich. 4.4.3 Fortgeltung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen Was geschieht im Fall eines Betriebsüberganges mit Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen, die beim Veräußerer galten, an die der Erwerber aber nicht gebunden ist? Kann sich der Arbeitnehmer auch nach dem Betriebsübergang darauf berufen? 20 BAGE 108, S. 199 = NZA 2004, S. 481. 71 <?page no="71"?> 4 Die Beteiligten Beispiel Der Veräußerer ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes. Er ist an einen Tarifvertrag gebunden, der den Arbeitnehmern einen Jahresurlaub von 30 Tagen (bei einer 5-Tage-Arbeitswoche) gewährt. Der Betriebserwerber ist kein Mitglied des Arbeitgeberverbands, an den Tarifvertrag ist er folglich nicht gebunden. Er gewährt seinen Arbeitnehmern nur den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 20 Tagen. Können sich die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse übergegangen sind, auf den Tarifvertrag berufen oder müssen sie nun mit 20 Tagen vorlieb nehmen? Die Folgen eines Betriebsübergangs für Kollektivvereinbarungen sind in § 613a Abs. 1 S. 2-4 BGB geregelt. Die Arbeitnehmer nehmen die Rechte und Pflichten aus diesen Betriebsvereinbarungen bzw. Tarifverträgen zu ihrem neuen Arbeitgeber „mit“. Die Rechtsnormen des Tarifvertrages bzw. der Betriebsvereinbarung werden Bestandteil des Arbeitsvertrages jedes einzelnen vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmers. Sie gelten also individualrechtlich als Teil des jeweiligen Arbeitsvertrages und nicht mehr kollektivrechtlich als Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag weiter. Da keine kollektivrechtliche Regelung mehr existiert, greift auch das Verschlechterungsverbot des § 4 Abs. 3 TVG nicht ein. Jedoch gilt nach § 613a Abs. 1 S. 4 BGB eine einjährige Veränderungssperre. Während dieser Zeit dürfen die Regelungen nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Beispiel Im oben genannten Beispiel haben die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse übergegangen sind, daher weiterhin Anspruch auf einen Jahresurlaub von 30 Tagen. Die entsprechende Regelung ist Bestandteil ihrer Arbeitsverträge geworden. Erst nach Ablauf eines Jahres (Veränderungssperre) kann der Arbeitgeber versuchen, mit den übernommenen Arbeitnehmern eine Anpassung der Urlaubsregelung zu vereinbaren. Von der Umwandlung der kollektivvertraglichen Normen in arbeitsvertragliche Regelungen und der damit einhergehenden einjährigen Veränderungssperre gibt es jedoch eine Ausnahme: Wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber ebenfalls durch einen Tarifvertrag oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden -› vgl. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB , verdrängen diese sofort die abweichenden Vereinbarungen aus den Kollektivverträgen beim alten Arbeitgeber. Das gilt auch dann, wenn der „alte“ Kollektivvertrag für die übernommenen Arbeitnehmer eigentlich günstiger ist. Der Grund dafür ist, dass bei ein und demselben Arbeitgeber möglichst auch einheitliche Kollektivverträge gelten sollen. Und diesem Grundsatz wird ein höherer Stellenwert zuerkannt, als dem Interesse der Arbeitnehmer, ihren „alten“ günstigen Tarifvertrag bzw. Betriebsvereinbarung zu behalten. 72 <?page no="72"?> 4.4 Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges 4.4.4 Haftung Der Betriebserwerber übernimmt das Arbeitsverhältnis so, wie es zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs besteht und haftet grundsätzlich für alle bestehenden Verbindlichkeiten des Betriebsveräußerers. Allerdings muss sorgfältig danach unterschieden werden, wann die Verbindlichkeiten entstanden sind und fällig wurden. Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, ab welchem der Gläubiger eine Verbindlichkeit verlangen kann. Beispiel Arbeitnehmer A und Betriebsinhaber B schließen einen Arbeitsvertrag, Vertragsbeginn ist der 1.4. Bereits mit Vertragsschluss entsteht der Anspruch des A auf das Arbeitsentgelt. Verlangen kann es A aber erst, wenn der Anspruch auch fällig ist. Ist im Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart ist, z. B. Gehaltszahlungen zum 15. eines Monats, greift § 614 S. 2 BGB ein. Danach ist das monatliche Arbeitsentgelt erst nach Ablauf des jeweiligen Monats auszuzahlen. Die Vergütung für April wäre daher erst nach Ablauf des Monats April fällig. Verbindlichkeiten, die bereits beendete Arbeitsverhältnisse betreffen, gehen nicht auf den Betriebserwerber über. Es haftet weiter der Veräußerer. Beispiel Ruhegelder bereits im Ruhestand befindlicher Arbeitnehmer. Für Verpflichtungen, die vor dem Betriebsübergang entstanden sind und fällig waren oder vor Ablauf eines Jahres nach Betriebsübergang fällig werden, haften Betriebsveräußerer und Erwerber als Gesamtschuldner. Wiederholung BGB Gesamtschuldnerschaft -› vgl. § 421 BGB bedeutet, dass ein Gläubiger mehrere Schuldner hat und wählen kann, ob er von einem dieser Schuldner die ganze Schuld verlangt oder von mehreren teilweise. Erbringt einer der Schuldner die Leistung, erlischt das Schuldverhältnis zu allen Gesamtschuldnern -› vgl. § 422 BGB . 73 <?page no="73"?> 4 Die Beteiligten Beispiel Die Arbeitnehmer des Betriebes B haben einen arbeitsvertraglich Anspruch auf Weihnachtsgeld, das mit dem Dezembergehalt am 15.12. ausgezahlt werden muss. Als der Betrieb zum 1.1. des Folgejahres nach § 613a Abs. 1 BGB auf einen neuen Inhaber übergeht, war das Weihnachtsgeld noch nicht ausgezahlt worden. Der alte und der neue Betriebsinhaber haften als Gesamtschuldner, die Arbeitnehmer könnten die ausstehenden Zahlungen von beiden verlangen. Zahlt der alte Betriebsinhaber, dann erlischt sowohl der Anspruch gegen ihn als auch der Anspruch gegen den neuen Inhaber bzw. umgekehrt. Für Verpflichtungen, die nach dem Betriebsübergang entstehen und fällig werden, haftet allein der Betriebserwerber. 4.5 Betrieb und Unternehmen Ein Betrieb ist eine organisatorische Einheit, die mit Mitarbeitern und sachlichen Betriebsmitteln ausgestattet ist und bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt. Beispiel Eine Kaufhausfiliale, eine Kfz-Werkstatt oder eine Buchhandlung. Der Begriff des Betriebs ist der Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von arbeitsrechtlichen Regelungen, z. B.: • Bildung des Betriebsrates -› vgl. § 1 BetrVG • Regelungen des Betriebsüberganges -› vgl. § 613a BGB • Anwendungen des Kündigungsschutzgesetzes -› vgl. § 1 KSchG Die nächst höhere organisatorische Einheit ist das Unternehmen, es kann aus einem oder mehreren Betrieben bestehen. Der Konzern ist ein Verbund von einem herrschenden mit einem oder mehreren weiteren Unternehmen unter einheitlicher Leistung. Er hat im Arbeitsrecht eine eher geringe Bedeutung, zumal das Arbeitsrecht selbst keinen eigenen Konzernbegriff kennt, sondern auf das Konzernrecht des Aktiengesetzes verweist -› vgl. §§ 15-21 AktG . Arbeitgeber kann immer nur der einzelne Betrieb bzw. das Unternehmen sein, nicht aber der Konzern. 74 <?page no="74"?> 4.6 Betriebsrat 4.6 Betriebsrat Der Betriebsrat ist die wichtigste Arbeitnehmervertretung: Er repräsentiert die Belegschaft des Betriebes und der Arbeitgeber muss ihn an zahlreichen Entscheidungen beteiligen. Die Interessenvertretung durch den Betriebsrat steht neben der Vertretung durch die Gewerkschaft; Gewerkschaften und Betriebsräte nehmen unterschiedliche Aufgaben wahr. Während die Gewerkschaften die Interessen der Arbeitnehmer der gesamten Branche vertreten, sind Betriebsräte mit innerbetrieblichen Angelegenheiten betraut, welche die Arbeitnehmer unmittelbar betreffen, z. B. Kündigungen, Einstellungen und Arbeitszeitregelungen. Der Betriebsrat ist daher auch gezwungen, sich mit den ganz konkreten Problemen des Betriebes auseinander zusetzen -› vgl. im Einzelnen Kapitel 5, S. 89 . Die Mitglieder des Betriebsrates werden durch die Belegschaft gewählt; sie können, müssen aber nicht Mitglieder der für das Unternehmen zuständigen Gewerkschaft sein. Sind Betriebsratsmitglieder zugleich Mitglieder einer Gewerkschaft muss jeweils deutlich unterschieden werden, in welcher Funktion sie tätig werden -› vgl. zur Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder Abschnitt 5.2, S. 90 . Die Wahl des Betriebsrates ist durch umfangreiche und z. T. sehr komplizierte rechtliche Vorschriften in den §§ 7 ff. BetrVG sowie in der Wahlordnung zum BetrVG geregelt. Gemäß § 1 BetrVG kann nur in einem Betrieb mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, ein Betriebsrat gewählt werden. Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer die das 18. Lebensjahr vollendet haben und am Tag der Wahl dem Betrieb angehören. Wählbar sind nur diejenigen, die wahlberechtigt sind und dem Betrieb seit mindestens sechs Monaten angehören. Eine Ausnahme bilden die leitenden Angestellten, die weder aktiv noch passiv wahlberechtigt sind. Sie werden daher auch nicht vom Betriebsrat vertreten. Leitende Angestellte nehmen unter den Arbeitnehmern eines Betriebes eine Sonderstellung ein. So üben sie in der Regel Aufgaben aus, die eigentlich dem Arbeitgeber vorbehalten sind, z. B. wenn sie befugt sind, Arbeitnehmer einzustellen oder zu entlassen, oder sie erbringen eine besonders qualifizierte Arbeitsleistung. Leitende Angestellte haben die Möglichkeit, einen Sprecherausschuss als eigene Interessenvertretung zu wählen -› vgl. Abschnitt 4.10, S. 77 . § 5 Abs. 3 und 4 BetrVG enthalten verschieden Kriterien zur Abgrenzung von leitenden Angestellten und „normalen“ Arbeitnehmern. 75 <?page no="75"?> 4 Die Beteiligten 4.7 Gesamtbetriebsrat Bestehen in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte, so ist zwingend ein Gesamtbetriebsrat zu errichten -› vgl. § 47 Abs. 1 BetrVG . Seine Mitglieder werden von den einzelnen Betriebsräten entsandt, die Belegschaft wählt also nicht noch einmal einen gesonderten Gesamtbetriebsrat. Die Aufgaben des Gesamtbetriebsrates sind grundsätzlich die Gleichen wie die eines Betriebsrates im Einzelbetrieb. Der Gesamtbetriebsrat ist für die Angelegenheiten zuständig, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und die nicht durch den einzelnen Betriebsrat innerhalb der Betriebe geregelt werden können -› vgl. § 50 BetrVG 21 . 4.8 Konzernbetriebsrat In Konzernen können Gesamtbetriebsräte, die mehr als 50 % der Arbeitnehmer repräsentieren, einen Konzernbetriebsrat bilden -› vgl. § 54 Abs. 1 BetrVG . Anders als beim Gesamtbetriebsrat ist die Bildung des Konzernbetriebsrats fakultativ. Der Konzernbetriebsrat ist für Angelegenheiten zuständig, die den gesamten Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und die nicht in den einzelnen Gesamtbetriebsräten geregelt werden können, ferner solche Angelegenheiten, mit deren Behandlung er von den Gesamtbetriebsräten betraut wurde -› vgl. § 58 BetrVG . 4.9 Personalrat Für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes -› Glossar gilt das Betriebsverfassungsgesetz nicht -› vgl. § 130 BetrVG . Stattdessen findet das Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder Anwendung. Das Bundespersonalvertretungsgesetz wird in der Verwaltung des Bundes, den bundesunmittelbaren Körperschaften -› Glossar , Anstalten -› Glossar und Stiftungen -› Glossar , den Gerichten des Bundes und mit Modifikationen auch auf das Personal der Bundesbank und der Bundesagentur für Arbeit angewendet. Für Landes- und Gemeindebedienstete gilt neben dem Bundespersonalvertretungsgesetz das Personalvertretungsgesetz des jeweiligen Landes. Im öffentlichen Dienst existiert kein Betriebssondern ein Personalrat, der Beamte ebenso wie Angestellte und Arbeiter vertritt. Die Mitbestimmungsrechte des Personalrates sind denen des Betriebsrates prinzipiell vergleichbar. Sie bleiben je- 21 BAGE 60, S. 244 = NZA 1989, S. 479. 76 <?page no="76"?> 4.10 Sprecherausschuss doch aus verfassungsrechtlichen Gründen insgesamt hinter denjenigen aus dem Betriebsverfassungsrecht zurück. 4.10 Sprecherausschuss Die leitenden Angestellten eines Betriebes werden nicht durch den Betriebsrat vertreten -› vgl. § 5 Abs. 3 BetrVG . Um ihnen dennoch eine eigenständige Interessenvertretung zu gewährleisten, wurde der Sprecherausschuss geschaffen -› vgl. § 25 Abs. 1 SprAuG . Allerdings sind die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Sprecherausschusses wesentlich geringer als die des Betriebsrates. Der Grund dafür liegt in der besonderen Stellung der leitenden Angestellten im Unternehmen, insbesondere in ihrer Nähe zur Unternehmensleitung, der kein Gegner im eigenen Lager entstehen soll. Sprecherausschüsse können in Betrieben mit in der Regel mindestens zehn leitenden Angestellten gewählt werden -› vgl. § 1 SprAuG , wenn sie sich in einer Grundsatzabstimmung mit Mehrheit dafür entscheiden -› vgl. § 7 Abs. 2 S. 3 SprAuG . Wahlberechtigt sind alle leitenden Angestellten des Betriebes -› vgl. § 3 Abs. 1 SprAuG ; wählbar sind alle leitenden Angestellten, die sechs Monate dem Betrieb angehören. Auch die Mitglieder des Sprecherausschusses haben - ebenso wie die Betriebsratsmitglieder - Anspruch auf Befreiung von der beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgeltes, wenn es zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist -› vgl. § 14 SprAuG . Die völlige Freistellung von der Arbeit oder der Besuch von Schulungsveranstaltungen auf Kosten des Arbeitgebers sind dagegen gesetzlich nicht vorgesehen. Und auch einen besonderen Kündigungsschutz - wie für die Mitglieder des Betriebsrates -› vgl. Abschnitt 5.2.4, S. 92 - gibt es für die Mitglieder des Sprecherausschusses nicht. Im Gegensatz zum Betriebsrat hat der Sprecherausschuss keine echten Mitbestimmungs-, sondern nur Unterrichtungs- und Beratungsrechte. Der Arbeitgeber muss den Sprecherausschuss rechtzeitig über die Änderungen der Gehaltsgestaltung, sonstiger allgemeiner Arbeitsbedingungen sowie in personellen Angelegenheiten unterrichten und die vorgesehenen Maßnahmen mit dem Sprecherausschuss beraten. Bestehen in einem Unternehmen mehrere Sprecherausschüsse, dann ist ein Gesamtsprecherausschuss zu errichten -› vgl. § 16 SprAuG . Die Errichtung eines Konzernsprecherausschusses ist dagegen fakultativ -› vgl. § 21 SprAuG . 77 <?page no="77"?> 4 Die Beteiligten 4.11 Tarifvertragsparteien Das Grundgesetz garantiert in Art. 9 Abs. 3 die Koalitionsfreiheit und die Tarifautonomie -› vgl. Abschnitt 3.2.2.7, S. 44 . Doch wer ist zum Abschluss eines Tarifvertrages befugt? Auf Arbeitnehmerseite steht das Recht zum Abschluss eines Tarifvertrages ausschließlich den Gewerkschaften zu -› vgl. § 2 Abs. 1 TVG . Auch die Spitzenorganisationen der Gewerkschaften kommen als Vertragspartner in Betracht. Das allerdings nur, wenn der Abschluss von Tarifverträgen gemäß ihrer Satzung zu ihren Aufgaben gehört -› vgl. § 2 Abs. 3 TVG . Betriebsräte bzw. Betriebsratsgremien sind nicht zum Abschluss von Tarifverträgen befugt! Das gilt auch dann, wenn auf Arbeitgeberseite nicht ein Verband, sondern ein einzelnes Unternehmen auftritt. Auch hier ist auf Arbeitnehmerseite immer nur die zuständige Gewerkschaft Tarifvertragspartei. Eine Gewerkschaft ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Arbeitnehmern, mit dem Ziel, die Vergütung sowie sonstige Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu verbessern. Die meisten Gewerkschaften sind nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert, wonach für bestimmte Wirtschaftszweige ausschließlich eine Gewerkschaft zuständig ist. Nicht mit einer Gewerkschaft verwechselt werden darf der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Der DGB ist eine Spitzenorganisation, bestehend aus acht Einzelgewerkschaften, von denen die IG Metall 22 mit ca. 2,3 Millionen Mitgliedern 23 , gefolgt von ver.di, die größten sind. Der DGB selbst schließt keine Tarifverträge, diese Aufgabe liegt bei den einzelnen Mitgliedsgewerkschaften. Er koordiniert und vertritt die Interessen der einzelnen Mitgliedsgewerkschaften, ist Gesprächspartner für Regierung und Sozialpartner und äußert sich zu allgemein-politischen Fragen. Auf Arbeitgeberseite sind nicht nur die Arbeitgeberverbände, sondern auch der einzelnen Arbeitgeber bzw. Spitzenorganisationen tariffähig -› vgl. § 2 Abs. 1 TVG . Der zwischen einer Gewerkschaft und einem einzelnen Arbeitgeber geschlossene Tarifvertrag wird als Haus- oder Firmentarifvertrag bezeichnet 24 . Die meisten Tarifverträge werden jedoch mit Arbeitgeberverbänden abgeschlossen (Verbandstarifvertrag). Die Spitzenorganisation der Wirtschaft ist die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) 25 . Ihre ca. 60 Mitglieder sind Arbeitgeberver- 22 http: / / www.dgb.de/ dgb/ mitgliederzahlen/ mitglieder.htm (Abruf: 15.09.2007). 23 Quelle: Homepage der IG Metall unter: http: / / www.igmetall.de/ cps/ rde/ xchg/ SID-0A342C90-CE05C2F1/ internet/ style.xsl/ view igm.htm (Abruf: 18.04.2007). 24 Ein bekanntes Beispiel für einen Haustarifvertrag ist der Haustarifvertrag von Volkswagen. 25 Für weitere Informationen s. Homepage der BDA unter http: / / www.bda-online.de/ www/ bdaonline.nsf/ ID/ home. 78 <?page no="78"?> 4.12 Exkurs: Arbeitskampf bände bzw. Landesvereinigungen von Arbeitgeberverbänden. Ebenso wie der DGB ist auch die BDA keine Tarifvertragspartei. Sie nimmt vielmehr branchen- und länderübergreifende Interessen der Arbeitgeber auf deutscher und internationaler Ebene wahr. 4.12 Exkurs: Arbeitskampf Zwar gelingt der Abschluss eines Tarifvertrages meistens bereits durch Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien. Manchmal genügt das jedoch nicht, um die angestrebten Ziele zu erreichen und eine Tarifvertragspartei - in der Regel die Arbeitnehmerseite - ist darauf angewiesen, im Rahmen eines Arbeitskampfes Druck auf die Gegenseite auszuüben. Während Vertragsschlüsse sonst im Wirtschaftleben ohne freiwillige Einigung scheitern und die Ausübung unangemessenen Druckes auf eine Vertragspartei unzulässig ist, liegen die Verhältnisse im Arbeitsleben anders. Eine Tarifvertragspartei die Änderungen erreichen möchte, wäre nämlich auf „kollektives Betteln“ angewiesen oder einer Blockadehaltung des Tarifvertragspartners ausgesetzt, wenn ihr keine Druckmittel zur Verfügung stünden. Das Arbeitskampfrecht regelt, welche Kampfmittel wann zulässig sind. Der Begriff des Arbeitskampfes ist im Gesetz nicht definiert, in der juristischen Literatur hat sich folgende Definition durchgesetzt: Merksatz Ein Arbeitskampf ist die von Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite bewirkte kollektive Druckausübung zur Störung der Arbeitsbeziehung. Mittel des Arbeitskampfes sind: • Streik • Aussperrung • Boykott Der Streik ist das zentrale Arbeitskampfmittel der Arbeitnehmerseite. Unter einem Streik versteht man die gemeinschaftliche Verweigerung der geschuldeten Arbeitsleistung durch mehrere Arbeitnehmer, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Die Aussperrung ist eine Verteidigungsmaßnahme der Arbeitgeberseite gegen einen Streik, u. U. auch ein Angriffsmittel zur Durchsetzung eigener Forderungen. Mehrere Arbeitnehmer werden von der Arbeit und dem Bezug des Arbeitsentgelts durch einen oder mehrere Arbeitgeber ausgeschlossen. Der Boykott ist als Arbeitskampfmittel wesentlich seltener. Mit einem Boykott wird ein bestimmter Personenkreis dazu aufgefordert, einen Dritten zu meiden bzw. 79 <?page no="79"?> 4 Die Beteiligten die Rechtsbeziehungen zu ihm abzubrechen. In der deutschen Rechtspraxis spielt er keine Rolle. Ein rechtmäßiger Arbeitskampf führt dazu, dass die Hauptleistungspflichten des Arbeitsvertrages suspendiert werden. Die Hauptleistungspflichten des Arbeitnehmers (Arbeitspflicht) und des Arbeitgebers (Lohnzahlungspflicht) ruhen für die Dauer des Arbeitskampfes. 4.12.1 Streik Ist der Arbeitskampf rechtswidrig, kann dies zu Schadenersatz und Unterlassungsansprüchen führen. Ein Arbeitnehmer, der sich an einem rechtswidrigen Arbeitskampf beteiligt, setzt sich zudem der Gefahr der Kündigung aus. Damit ein Streik rechtmäßig ist, müssen folgende Anforderungen erfüllt sein: Tariflich regelbares Streikziel. Es muss für ein tariflich regelbares Ziel gestreikt werden. Wenn also die Arbeit mit dem Ziel niedergelegt wird, einen politischen Hoheitsträger z. B. die Bundesregierung unter Druck zu setzten und zu einem bestimmten politischen Handeln zu zwingen, ist das rechtswidrig. Beispiel Die Arbeitnehmer streiken, um sich gegen eine Heraufsetzung des gesetzlichen Renteneintrittsalters zu wehren (Streiks gegen die „Rente mit 67“). Der Streik darf auch kein Ziel verfolgen, das gerichtlich durchgesetzt werden kann. Halten Mitgliedsunternehmen eines Arbeitgeberverbands ihre Pflichten aus einem Tarifvertrag nicht ein, darf dies folglich nicht mit einem Streik erzwungen werden. Gewerkschaftliche Führung. Ein Streik muss von einer Gewerkschaft organisiert und geführt werden. Nicht gewerkschaftlich getragene Streiks (sog. wilde Streiks) sind unzulässig. Beachtung der Friedenspflicht. Ein Streik darf nicht gegen die Friedenspflicht verstoßen. Solange ein gültiger Tarifvertrag existiert, darf nicht gestreikt werden, um die Änderung einer tarifvertraglichen Regelung durchzusetzen. Der Tarifvertrag muss zuvor abgelaufen oder ordnungsgemäß gekündigt worden sein. Beachtung der geltenden Rechtsordnung. Ein Streik darf nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen, sondern muss sich im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung halten. Verhältnismäßigkeit. Der Streik muss verhältnismäßig sein, muss die wirtschaftlichen Gegebenheiten berücksichtigen und darf das Gemeinwohl nicht offensicht- 80 <?page no="80"?> 4.12 Exkurs: Arbeitskampf lich verletzten. So müssen z. B. trotz eines Streiks notwendige Erhaltungsarbeiten durchgeführt werden können und Leben und Gesundheit Dritter dürfen nicht gefährdet werden. Ultima-ratio. Schließlich ist ein Streik immer das letzte mögliche Mittel, alle anderen Maßnahmen müssen zuvor ausgeschöpft worden sein (ultima-ratio-Prinzip). Auch ein Warnstreik darf erst begonnen werden, wenn die Verhandlungen gescheitert sind. Allerdings geht das BAG davon aus, dass das Scheitern nicht ausdrücklich erklärt werden muss, sondern in der Durchführung gleichzeitig die Erklärung des Scheiterns liegt 26 . 4.12.2 Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite: Die Aussperrung Das wichtigste Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite ist die Aussperrung. Sie ist das Abwehrmittel der Arbeitgeberseite gegen einen Streik. Eine Angriffsaussperrung zur Durchsetzung arbeitgeberseitiger Tarifforderungen, die nicht in Reaktion auf einen Streik erfolgt, ist zwar zulässig, kommt in der Praxis aber praktisch nicht vor. Merksatz Aussperrung ist die von einem oder mehreren Arbeitgebern vorgenommene Arbeitsausschließung mehrerer Arbeitnehmer unter Verweigerung der Lohnfortzahlung. Das Ziel ist es, die wirtschaftliche Belastung der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften zu erhöhen und dadurch den Streik abzukürzen. Bei kurzfristigen Streiks von wenigen Stunden oder Tagen ist der Wegfall des Arbeitsentgelts für den Arbeitnehmer in der Regel zu verkraften. Schwieriger ist die Situation bei einem länger andauernden Streik. Gewerkschaftsmitglieder erhalten durch ihre Gewerkschaft Streikunterstützung, die zwischen 2/ 3 und 90 % des Nettolohnes liegt. Nicht-Gewerkschaftsmitglieder erhalten dagegen keine Unterstützung und haben auch keinen Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Denn der Staat muss im Arbeitskampf neutral bleiben und darf daher nicht durch Zahlungen eine Seite unterstützen -› vgl. § 146 Abs. 3 SGB III . Diese Neutralitätspflicht verbietet es dem Staat, durch die Gewährung von Lohnersatzleistungen -› Glossar in den Arbeitskampf einzugreifen. Obwohl Gewerkschaften immer wieder ein Aussperrungsverbot fordern, haben das BAG und das BVerfG die Aussperrung als zulässig anerkannt, allerdings gleichzeitig Grenzen gezogen. So ist es verboten, nur die gewerkschaftlich organisierten 26 BAGE 58, S. 364 = NZA 1988, S. 846. 81 <?page no="81"?> 4 Die Beteiligten Arbeitnehmer auszusperren (Selektivaussperrung), denn das wäre ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. Arbeitnehmer dürfen nicht wegen ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit benachteiligt werden. Die Aussperrung muss außerdem in einem angemessenen Verhältnis zur Streikmaßnahme stehen, es dürfen daher nicht mehr Arbeitnehmer ausgesperrt werden als zur Bekämpfung des Streiks notwendig 27 . Und schließlich müssen auch zeitliche Grenzen beachtet werden. So ist eine zweitägige Aussperrung als Reaktion auf einen halbstündigen Streik unverhältnismäßig. Zwar darf die Aussperrung den Streik zeitlich überschreiten, die Grenze soll jedoch bei ca. einem halben Tag zu ziehen sein 28 . Gegen einen wilden Streik darf der Arbeitgeber die Aussperrung schließlich gar nicht anwenden. Die Aussperrung führt nicht dazu, dass das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird. Es wird vielmehr suspendiert, d. h. die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis werden während der Aussperrung ebenso wie während eines Streikes vorübergehend außer Kraft gesetzt. 4.12.3 Fernwirkungen eines Arbeitskampfes Kommt es zu einem Arbeitskampf, dann ist heute in einer arbeitsorganisatorisch vernetzten Wirtschaft vielfach nicht mehr allein der bestreikte Betrieb betroffen, sondern oft kann auch in anderen Betrieben nicht weitergearbeitet werden. Beispiel Die Mitarbeiter eines großen Telekommunikations- und Internetanbieters streiken. Infolge dessen werden mehrere vom bestreikten Unternehmen betriebene Server nicht mehr ausreichend gewartet und brechen zusammen. A, der einen Online-Versandhandel betreibt, kann daher weder die Bestellungen abrufen noch auf seine eigene Homepage zugreifen. Sein gesamter Geschäftsbetrieb kommt vollständig zum Erliegen. 27 BAGE 48, S. 195 = NZA 1985, S. 537; BVerfGE 84, S. 212 = NZA 1991, S. 809. 28 BAGE 71, S. 92 = NZA 1993, S. 39. 82 <?page no="82"?> 4.13 Staat Muss der mittelbar betroffene Betriebsinhaber in einer solchen Situation seinen Arbeitnehmern das Entgelt weiterzahlen, obwohl im Betrieb nicht gearbeitet werden kann? Oder müssen auch nicht streikende Arbeitnehmer auf ihr Gehalt verzichten, weil sie aufgrund eines Streiks in einem anderen Unternehmen nicht arbeiten können? Da es sich hierbei um sehr schwierige, gesetzlich nicht konkret geregelte Fragestellungen handelt, sollen nur die Grundzüge dargestellt werden: • Grundsätzlich muss der Arbeitgeber den Lohn weiterzahlen, auch wenn in seinem Betrieb nicht gearbeitet werden kann, da er das so genannte Wirtschaftsrisiko trägt. • Gehört das Unternehmen zum gleichen Arbeitgeberverband wie das tatsächlich bestreikte Unternehmen, fällt der Lohnanspruch im mittelbar betroffenen Betrieb weg. • Wer im umkämpften Tarifgebiet beschäftigt ist, hat keinen Anspruch auf Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld -› vgl. § 146 Abs. 3 SGB III . • Gehört das Unternehmen zu einer anderen Branche, wird dagegen grundsätzlich Arbeitslosengeld gezahlt. • Problematisch wird es, wenn es sich um Arbeitnehmer derselben Branche, aber eines anderen Tarifgebietes handelt. Nach § 146 Abs. 3 Nr. 2 SGB III soll der Anspruch auf Arbeitslosengeld schon dann entfallen, wenn in dem mittelbar betroffenen Gebiet auch nur eine der Forderungen erhoben wurde, die einer der Hauptforderung des Arbeitskampfes nach Art und Umfang gleich ist, ohne mit ihr übereinstimmen zu müssen. Praktisch läuft die Neuregelung darauf hinaus, dass an mittelbar vom Streik betroffene Arbeitnehmer der gleichen Branche kein Arbeitslosengeld mehr bezahlt wird. Damit werden „Stellvertreter- Arbeitskämpfe“ erfasst, die beschränkt auf ein bestimmtes Tarifgebiet geführt werden, aber der Durchsetzungen einer Forderung für die gesamte Branche dienen (z. B. in den 80er Jahren die Forderung nach Verkürzung der Wochenarbeitszeit in der Metallindustrie auf 35 Stunden). 4.13 Staat Im Arbeitsrecht ist der Staat in erster Linie rechtsetzend tätig, indem er durch die arbeitsrechtlichen Vorschriften den Rahmen der Arbeitsverhältnisse vorgibt. Außerdem fungiert er natürlich im öffentlichen Dienst selbst als Arbeitgeber. Der Staat wirkt ferner über eine ganze Reihe anderer Rechtsgebiete auf die Arbeitswelt ein. 83 <?page no="83"?> 4 Die Beteiligten 4.13.1 Sozialversicherung Auch die staatliche Sozialordnung mit dem Sozialrecht und den auf dieser Grundlage geschaffenen Sozialeinrichtungen stellen Rahmenbedingungen der Personalarbeit dar. Die Sozialversicherung dient der sozialen Absicherung der Arbeitnehmer und besteht aus fünf Säulen: Sozialversicherung Rentenversicherung Unfallversicherung Arbeitslosenversicherung Krankenversicherung Pflegeversicherung Abbildung 4.1: Die fünf Säulen der Sozialversicherung Finanziert wird das Sozialversicherungssystem durch die Sozialversicherungsbeiträge. Zuschüsse aus dem Staatshaushalt spielen vor allem in der Rentenversicherung eine Rolle, um beitragsfreie aber rentenrechtlich anrechnungsfähige Zeiten auszugleichen, z. B. Wehrdienst, Studium und Kindererziehungszeiten. Auch an den Kosten der Arbeitsverwaltung (Bundesagentur für Arbeit) beteiligt sich der Bund -› vgl. §§ 363, 364 SGB III . Die Versicherungsbeiträge zur Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung werden grundsätzlich je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht. Diese Beiträge bilden den Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Eine Ausnahme bildet die Unfallversicherung, die durch den Arbeitgeber allein finanziert wird -› vgl. § 150 SGB VII . Zum Ausgleich für die alleinige Beitragslast haftet der Arbeitgeber grundsätzlich nicht für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten seiner Arbeitnehmer -› vgl. § 104 SGB VII . Der Arbeitgeber ist für die Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages verantwortlich -› vgl. §§ 28d, 28e SGB IV . Er muss feststellen, ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt und den Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungsbeitrag berechnen. Führt der Arbeitgeber die fälligen Arbeitnehmeranteile nicht an die Einzugsstel- 84 <?page no="84"?> 4.13 Staat le ab, macht er sich nach § 266a StGB strafbar. Dies kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden. 4.13.2 Gewerbeaufsicht Alle Gewerbebetriebe unterliegen der staatlichen Aufsicht, die in der Regel von den Gewerbeaufsichtsämtern ausgeübt wird. Die Gewerbeaufsicht der einzelnen Bundesländer überwacht insbesondere die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften, aber auch des Umweltschutzes. Diese Ämter werden je nach Bundesland als Gewerbeaufsichtsamt, Amt für Arbeitsschutz oder auch Amt für Umweltschutz bezeichnet. 4.13.3 Lohnsteuer Die Lohnsteuer ist eine besondere Form der Einkommensteuer. Der Arbeitgeber zieht den Lohnsteuerbetrag vom Bruttogehalt des Arbeitnehmers ab, führt ihn an das Finanzamt ab und tilgt damit die Steuerschuld des Arbeitnehmers. Auch hier muss sorgfältig getrennt werden: Steuerschuldner ist der Arbeitnehmer, aber gegenüber dem Finanzamt haftet der Arbeitgeber für das Abführen der Steuer -› vgl. § 38 Abs. 3 EStG . Bei Nachforderungen kann sich das Finanzamt auch an den Arbeitgeber halten. 4.13.4 Arbeitsvermittlung Arbeitsvermittlung ist die Tätigkeit, durch welche Ausbildungs- oder Arbeitssuchende zur Begründung eines Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitgeber zusammengeführt werden sollen -› vgl. § 35 Abs. 1 SGB III . Die Arbeitsvermittlung erfolgt traditionell durch die Bundesagentur für Arbeit -› vgl. §§ 35 ff. SGB III . Die private Arbeitsvermittlung hat in Deutschland dagegen noch keine allzu lange Tradition, denn in der Vergangenheit war die Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit vorbehalten. Privaten war lediglich die Personalberatung erlaubt. Personalberatung lag vor, wenn ein Berater von einem Arbeitgeber beauftragt wurde, bei der Suche und Auswahl von Führungskräften behilflich zu sein. Im Übrigen konnten Private an der Arbeitsvermittlung nur mitwirken, wenn sie von der Bundesagentur beauftragt wurden. 1993 wurde die Arbeitsvermittlung durch Private zulässig; allerdings benötigte man dafür eine Erlaubnis der Bundesagentur. Seit 2002 ist die 85 <?page no="85"?> 4 Die Beteiligten private Arbeitsvermittlung schließlich auch ohne die Erlaubnis der Bundesagentur möglich -› vgl. §§ 292 ff. SGB III . Auch die Agentur soll in die Vermittlungsbemühungen verstärkt Dritte, das sind in erster Linie private Arbeitsvermittler, einbeziehen -› vgl. § 37 Abs. 1 SGB III . Die Möglichkeit der Arbeitssuchenden, private Arbeitsvermittler heranzuziehen, wurde erweitert. Ein Arbeitsloser, der sechs Monate nach Eintritt der Arbeitslosigkeit noch immer arbeitslos ist, kann von der Agentur die Beauftragung eines Dritten mit der Vermittlung verlangen -› vgl. § 37 Abs. 4 SGB III . Die geringen Vermittlungsquoten und das Ziel einer zügigen Wiedereingliederung Arbeitsloser haben außerdem dazu geführt, dass Vermittlungsgutscheine eingeführt wurden -› vgl. § 421g SGB III . Arbeitslose haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf einen Vermittlungsgutschein und können dann auf Kosten der Bundesagentur selbst einen privaten Vermittler ihrer Wahl einschalten. Zusammenfassung Arbeitnehmer. Arbeitnehmer ist, wer sich durch einen privatrechtlichen Vertrag dazu verpflichtet hat, für einen anderen Dienste zu leisten, die in unselbständiger Arbeit zu erbringen sind. Arbeitgeber. Arbeitgeber ist, wer aufgrund eines Arbeitsvertrages von mindestens einem Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung verlangen kann. Betriebsübergang. Sind die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 BGB erfüllt, dann gehen die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer mit allen Rechten und Pflichten vom Betriebsveräußerer auf den Erwerber über. Macht ein Arbeitnehmer von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch, geht sein Arbeitsverhältnis nicht über. Betriebsrat. Der Betriebsrat ist die wichtigste Vertretung der Arbeitnehmer. Die Wahl eines Betriebsrates ist in einem Betrieb mit mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern möglich, von denen drei wählbar sein müssen -› vgl. § 1 BetrVG . Daneben gibt es Gesamt- und Konzernbetriebsräte. Sprecherausschuss. Der Sprecherausschuss ist die Interessenvertretung der leitenden Angestellten eines Betriebes, darüber hinaus als Unternehmens- oder Gesamtsprecherausschuss auf Unternehmensebene und als Konzernsprecherausschuss auf Konzernebene. Personalrat. Die Arbeitnehmervertretung im öffentlichen Dienst ist der Personalrat. 86 <?page no="86"?> Kontrollfragen Tarifvertragsparteien. Zum Abschluss eines Tarifvertrages sind die Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, einzelne Arbeitgeber bzw. Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und Arbeitgeber berechtigt -› vgl. § 2 TVG . Arbeitskampf. Ein Arbeitskampf ist die kollektive Druckausübung zur Störung des Arbeitsverhältnisses. Arbeitskampfmittel der Arbeitnehmerseite ist der Streik, auf Arbeitgeberseite die Aussperrung. Folge eines rechtmäßigen Streiks bzw. einer Aussperrung ist die Suspendierung der arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten. Kontrollfragen 1. Was kennzeichnet die persönliche Abhängigkeit eines Arbeitnehmers? -› vgl. Abschnitt 4.1.1.2, S. 59 2. Welche Voraussetzungen müssen für einen Betriebsübergang erfüllt sein? -› vgl. Abschnitt 4.3.2, S. 63 3. A erbt einen Betrieb in dem fünfzehn Arbeitnehmer beschäftigt sind. Warum handelt es sich nicht um einen Betriebsübergang nach § 613a BGB? -› vgl. Abschnitt 4.3.2.3 S. 67 4. Welche Folge hat es, wenn die von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß unterrichtet werden? -› vgl. Abschnitt 4.4.2.1 S. 69 5. Worin unterscheiden sich die Aufgaben eines Betriebsrates und einer Gewerkschaft? -› vgl. Abschnitt 4.6, S. 75 6. Welche Arbeitnehmer werden nicht vom Betriebsrat vertreten? -› vgl. Abschnitte 4.6, S. 75 und 4.10, S. 77 7. Welche Zwecke werden mit einer Aussperrung verfolgt? -› vgl. Abschnitt 4.12.2, S. 81 Literatur Junker , A . [2007]: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Aufl., München Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München Däubler , W . [2006]: Arbeitsrecht, 6. Aufl., Frankfurt a. M. 87 <?page no="88"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung Übersicht • Voraussetzungen der Betriebsratsarbeit -› vgl. Abschnitt 5.2, S. 90 • Beteiligungsrechte des Betriebsrates -› vgl. Abschnitt 5.3, S. 93 • Betriebsvereinbarung -› vgl. Abschnitt 5.4, S. 105 • Mitbestimmung auf Unternehmensebene -› vgl. Abschnitt 5.5, S. 108 5.1 Einführung Unternehmerische Betätigung zeichnet sich durch die Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit aus. Der Einsatz der Mitarbeiter ist maßgeblich für den Unternehmenserfolg. Deshalb darf die Belegschaft nicht nur als ein Kostenfaktor, sondern muss als wesentlicher Erfolgsfaktor verstanden werden. Ausdruck dieses Denkens sind leistungsorientierte Vergütungssysteme, moderne Sozialleistungen, ein die Belange von Unternehmen und Mitarbeitern berücksichtigendes Arbeitszeitsystem sowie die kooperative Mitarbeiterführung. Sie zeichnet sich durch eine offene und umfassende Information über das Unternehmensgeschehen, durch Übertragung von Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung, durch ein innovatives Klima mit Gelegenheit zu eigenen Vorschlägen und damit insgesamt durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit aus. In einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit muss es den Arbeitnehmern auch möglich sein, ihre eigenen Interessen zu vertreten. In einem gewissen Umfang hat auch der einzelne Arbeitnehmer die Möglichkeit der Mitwirkung -› vgl. §§ 81 ff. BetrVG , um seine individuellen Interessen wahrnehmen zu können. Je größer ein Unternehmen oder Betrieb ist, desto weniger ist der Einzelne jedoch dazu in der Lage und desto mehr bedarf es einer gemeinschaftlichen Interessenwahrnehmung. Die eigentliche Mitbestimmung erfolgt daher durch Arbeitnehmervertretungen wie z. B. den Betriebsrat. Merksatz Mitbestimmung ist die Mitentscheidung und sonstige Beteiligung der Arbeitnehmer bzw. ihrer Vertreter an Entscheidungen auf Betriebs- und Unternehmensebene. 89 <?page no="89"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung Die Mitbestimmung findet auf folgenden Ebenen statt: • betriebliche Ebene durch den Betriebsrat • Unternehmensebene durch den Gesamtbetriebsrat bzw. Konzernebene durch den Konzernbetriebsrat • Parallelregelungen für leitende Angestellte über den Sprecherausschuss • überbetriebliche, i. d. R. branchenbezogene Ebene durch die Tarifvertragspartner Die Grundlage der betrieblichen Mitbestimmung ist das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), das die Möglichkeit der Betriebsratswahl gibt und umfangreiche innerbetriebliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats festlegt. 5.2 Voraussetzung der Betriebsratsarbeit Die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben erfordert: • Zeit • Sachkunde • angemessene finanzielle Ausstattung • Informationen • Unabhängigkeit 5.2.1 Anspruch auf Freistellung Wird ein Arbeitnehmer in den Betriebsrat gewählt, ändert das nichts an seinen Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag. Er ist nach wie vor verpflichtet, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Allerdings muss der Arbeitgeber bei der Zuteilung des Arbeitspensums auf die Inanspruchnahme durch die Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit angemessen Rücksicht nehmen. Wenn es zur Ausübung ihres Amtes erforderlich ist, sind Betriebsratsmitglieder von ihrer Arbeitspflicht zu befreien -› vgl. § 37 Abs. 2 BetrVG 1 . In größeren Betrieben ist sogar die völlige Freistellung einzelner Betriebsratsmitglieder von der beruflichen Tätigkeit vorgesehen -› vgl. § 38 BetrVG , damit sie sich vollständig auf die Betriebsratsarbeit konzentrieren können. Es gilt: Je größer der Betrieb ist, desto mehr Betriebsräte sind vollständig freizustellen. 1 S. dazu auch BAG Urteil v. 21.6.2006 Az.: 7 AZR 418/ 05. 90 <?page no="90"?> 5.2 Voraussetzung der Betriebsratsarbeit Beispiel In einem Betrieb mit 200 bis 500 Arbeitnehmern ist ein Betriebsratsmitglied freizustellen, bei 9.001 bis 10.000 Arbeitnehmern gilt dies bereits für zwölf Betriebsratsmitglieder -› vgl. § 38 Abs. 1 BetrVG . 5.2.2 Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen Um ihre Arbeit ordnungsgemäß ausführen zu können, benötigen die Betriebsräte die erforderlichen Sachkenntnisse, über welche die Arbeitnehmer im Zweifel nicht ohne weiteres verfügen. Beispiel Der als Werkzeugmacher beschäftigte A wird in den Betriebsrat gewählt. Er hat jedoch weder Erfahrungen in der Betriebsratsarbeit allgemein, noch ist er mit den rechtlichen Vorschriften vertraut, die die Grundlage der Betriebsratsarbeit bilden. Außerdem kennt er sich weder mit Vergütungsregelungen noch den Aspekten des Arbeitszeitmanagements aus. Um den Erwerb der erforderlichen Kenntnisse zu unterstützen, haben die Betriebsratsmitglieder Anspruch auf bezahlte Freistellung zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen -› vgl. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG . Welche Ansprüche dem Betriebsratsmitglied im Einzelnen zustehen, richtet sich danach, um welche Art Schulungs- oder Bildungsveranstaltung es sich handelt. § 37 Abs. 6 BetrVG. Werden in der Schulungs- oder Bildungsveranstaltung Kenntnisse vermittelt, die für die Betriebsratstätigkeit erforderlich sind, zahlt der Arbeitgeber nicht nur Lohn und Gehalt weiter, sondern trägt zudem die Reisekosten, die Kursgebühren und die Aufenthaltskosten. Erforderlich sind die Kenntnisse, wenn sie im konkreten Fall benötigt werden, damit die Betriebsratsmitglieder ihre derzeitigen oder demnächst anfallenden gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen können 2 . § 37 Abs. 7 BetrVG. Werden auf der Schulungs- oder Bildungsveranstaltung dagegen Kenntnisse vermittelt, die für die Betriebsratsarbeit nicht erforderlich, sondern nur geeignet oder nützlich sind, dann muss der Arbeitgeber lediglich Lohn bzw. Gehalt weiterzahlen. Reisekosten, Kursgebühr und Aufenthaltskosten gehen zu Lasten des Betriebsratsmitglieds. 2 BAGE 53, S. 186 = NZA 1987, S. 643; BAGE 52, S. 73 = BAG NZA 1986, 803; BAG NZA 1996, S. 895 =DB 1996, 1139. 91 <?page no="91"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung 5.2.3 Finanzielle Unterstützung der Betriebsratsarbeit Um seine Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen zu können, benötigt der Betriebsrat ausreichend sachliche und finanzielle Mittel. Der Arbeitgeber ist deshalb verpflichtet, in ausreichendem Umfang Räume, sachliche Mittel, Büropersonal, Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung zu stellen 3 . Außerdem muss er die finanziellen Aufwendungen ersetzten, die der Betriebsrat unter Anlegung eines vernünftigen Maßstabes für erforderlich halten durfte -› vgl. § 40 BetrVG . Diese Regelung ist zwingend und kann weder durch einen Tarifvertrag noch durch eine Betriebsvereinbarung abgedungen werden. Der Arbeitgeber ist auch nicht berechtigt, die Kosten der Betriebsratsarbeit auf die Arbeitnehmer umzulegen -› vgl. § 41 BetrVG . 5.2.4 Unabhängigkeit Eine effektive Ausübung des Betriebsratsamtes ist nur möglich, wenn das einzelne Betriebsratsmitglied die notwendige Unabhängigkeit besitzt, insbesondere also nicht fürchten muss, durch die Tätigkeit als Betriebsrat finanzielle oder sonstige berufliche Nachteile zu erleiden -› vgl. § 78 S. 2 BetrVG . Betriebsräte dürfen im Verhältnis zu vergleichbaren Arbeitnehmern nicht aufgrund ihrer Betriebsratstätigkeit schlechter gestellt werden. Betriebsratsmitglieder genießen zudem einen besonderen Kündigungsschutz. Die ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist während seiner Amtszeit bzw. bis ein Jahr nach Beendigung seiner Amtszeit nicht möglich -› vgl. § 15 KSchG . Soll ein Betriebsratsmitglied außerordentlich, d. h. fristlos gekündigt werden, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht -› vgl. Abschnitt 5.3.6.9, S. 104 . 5.2.5 Informationsrechte Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über alles unterrichten, was für die Erfüllung der Betriebsratsaufgaben notwendig ist -› vgl. § 80 Abs. 2 BetrVG . Neben diesem allgemeinen Informationsrecht stehen dem Betriebsrat einige besonderer Unterrichtungsrechte zu: • Mitteilung über Arbeitsschutz und die Unfallverhütung betreffenden Auflagen und Anordnungen -› vgl. § 89 Abs. 2 S. 2 BetrVG 3 BAG NZA 1995, S. 591 = DB 1995, S. 1339; BAG NZA 1990, S. 448 = DB 1990, 448. 92 <?page no="92"?> 5.3 Beteiligungsrechte des Betriebsrates • Planung bei Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung -› vgl. § 90 BetrVG • Personalplanung -› vgl. § 92 Abs. 1 S. 1 BetrVG • beabsichtige Einstellung oder personelle Veränderung leitender Angestellter nach § 105 BetrVG • zur Ausübung der Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen -› vgl. § 99 Abs. 1, § 100 Abs. 2 BetrVG • Anhörung vor Kündigungen -› vgl. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG • geplante Betriebsänderungen -› vgl. § 111 BetrVG Dem Betriebsrat sind auf sein Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen -› vgl. § 80 Abs. 2 Hs. 1 BetrVG . Das betrifft nicht nur Schriftstücke, sondern auch Daten, die auf einem Datenträger aufbewahrt werden. 5.3 Beteiligungsrechte des Betriebsrates 5.3.1 Überblick und Systematik Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates können grob in Mitbestimmungsrechte, Mitwirkungsrechte, Erörterungssowie Informations- und Anhörungsrechte unterteilt werden. 5.3.1.1 Mitbestimmungsrechte (im engeren Sinn) Mitbestimmungsrechte (im engeren Sinn) räumen dem Betriebsrat die größten Befugnisse ein. Sie bestehen daher nur in den ausdrücklich im Gesetz aufgeführten Fällen. Handelt es sich um eine der Mitbestimmung (im engeren Sinn) unterliegende Angelegenheit, müssen Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam handeln. Handelt der Arbeitgeber allein, ist seine Entscheidung unwirksam. 5.3.1.2 Mitwirkungsrechte Bei Mitwirkungsrechten kann das Votum des Betriebsrates die konkrete Entscheidung zwar nicht verhindern, aber hinauszögern oder die Folgen beeinflussen. Dem Betriebsrat ist daher vor der Durchführung einer solchen Maßnahme Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und er hat in einigen Fällen auch ein Widerspruchsrecht. 93 <?page no="93"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung 5.3.1.3 Informations-, Anhörungs- und Erörterungsrecht Handelt es sich um Informations- oder Anhörungsrechte, muss der Betriebsrat von der geplanten Maßnahme unterrichtet werden und ist gegebenenfalls anzuhören. Verfügt der Betriebsrat über ein Erörterungsrecht, hat der Arbeitgeber ihn nicht nur zu unterrichten, sondern den Vorgang auch mit ihm zu diskutieren, die Argumente des Betriebsrates vor der Entscheidung anzuhören und abzuwägen. Weiter reichen die Verpflichtungen im Fall eines Erörterungsrechts allerdings nicht. Insbesondere muss der Arbeitgeber seine Entscheidung nicht in Übereinstimmung mit dem Betriebsrat treffen. 5.3.1.4 Einigungsstelle Wenn sich Betriebsrat und Arbeitgeber in einer Angelegenheit, für die der Betriebsrat über ein volles Mitbestimmungsrecht verfügt, z. B. bei Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung -› vgl. § 98 Abs. 5 BetrVG , nicht einigen, wird die Einigungsstelle eingeschaltet. Sie hat die Funktion einer innerbetrieblichen Schlichtungsstelle -› vgl. § 76 BetrVG . Die Einigungsstelle ist mit der gleichen Anzahl von Vertretern des Betriebsrates und der Arbeitgeberseite besetzt. Dazu kommt noch ein unparteiischer Vorsitzender, dessen Stimme den Ausschlag gibt. Beteiligungsrechte des Betriebsrates bestehen in folgenden Angelegenheiten: Beteiligungsrechte Allgemeine Aufgaben § 80 BetrVG Soziale Angelegenheiten §§ 87 - 89 BetrVG Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf, Arbeitsumgebung §§ 90, 91 Personelle Angelegenheiten §§ 92 - 105 BetrVG Wirtschaftliche Angelegenheiten §§ 106 - 113 BetrvG Abbildung 5.1: Beteiligungsrechte des Betriebsrates 94 <?page no="94"?> 5.3 Beteiligungsrechte des Betriebsrates 5.3.2 Allgemeine Aufgaben Die allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates nach § 80 BetrVG (z. B. die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit -› vgl. § 80 Abs. 1 Nr. 2b BetrVG oder die Förderung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Umweltschutzes -› vgl. § 80 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG ) sind unabhängig von den übrigen Beteiligungsrechten, bilden allerdings oft deren Grundlage. 5.3.3 Beteiligungsrechte bei der Arbeitsplatz- und Arbeitsablaufgestaltung Die Beteiligungsrechte bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes, des Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung sollen sicherstellen, dass bei unternehmerischen Entscheidungen die Belange der Arbeitnehmer hinsichtlich der Auswirkungen auf die Art der Arbeit und die Anforderungen hinreichend berücksichtigt werden. 5.3.4 Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten Bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten ist zwischen der erzwingbaren Mitbestimmung -› vgl. § 87 BetrVG und der freiwilligen Mitbestimmung -› vgl. § 88 BetrVG zu unterscheiden. Handelt es sich um einen Fall der zwingenden Mitbestimmung, so muss die Regelung von Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam getroffen werden. Beide Seiten haben ein Initiativrecht, d. h. die Befugnis, die Vereinbarung einer solchen Abrede anzustoßen und Verhandlungen darüber zu verlangen. Kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle -› vgl. § 87 Abs. 2 BetrVG . Von den in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgeführten Fallgruppen sind für den Bereich des Personalmanagements insbesondere (Arbeitszeit- und Entlohnungsmodelle) folgende von Bedeutung: • Nr. 2: Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Diese Regelung dient vor allem dem Arbeitnehmerschutz (Sicherung ausreichender Freizeit). Beispiel Der Betriebsrat hat mitzubestimmen, wenn gleitende Arbeitszeit eingeführt werden soll. 95 <?page no="95"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung • Nr. 3: vorübergehende Verkürzung (Kurzarbeit) oder Verlängerung (Überstunden, Sonderschichten) der betriebsüblichen Arbeitszeit. Die Regelung begrenzt die unternehmerische Entscheidungsfreiheit im Personalbereich. Beispiel Mitbestimmung bei der Anordnung von Überstunden. • Nr. 4: Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte. 4 Beispiel Mitbestimmung bei der Frage, nach welchen Zeitabschnitten das Arbeitsentgelt ausgezahlt werden soll - wöchentlich oder monatlich? • Nr. 6: Überwachung der Arbeitnehmer durch technische Einrichtungen (z. B. Fahrtenschreiber, Videokameras oder Telefondatenerfassung). Die Regelung dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer. Beispiel Einrichtung von biometrische Zugangskontrollen oder von Kameras, die in regelmäßigen Abständen Aufnahmen der Arbeitsplätze machen. • Nr. 10: Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Beispiel Einführung eines Provisionssystems wonach die Arbeitnehmer an den von ihnen persönlich abgeschlossenen Geschäften beteiligt werden. • Nr. 11: Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte. 5.3.5 Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten Bei den Beteiligungsrechten in wirtschaftlichen Angelegenheiten -› vgl. §§ 106-113 BetrVG handelt es sich in erster Linie um Unterrichtungs- und Beratungsrechte. 4 BAGE 52, S. 160 = NZA 1986, S. 840. 96 <?page no="96"?> 5.3 Beteiligungsrechte des Betriebsrates Dem Betriebsrat weitergehende Rechte zuzubilligen wäre rechtspolitisch problematisch. Zum einen gilt nach wie vor der Grundsatz der freien unternehmerischen Entscheidung, zum anderen handelt es sich um den für ein Unternehmen sensibelsten Bereich. (Im Übrigen ist zu beachten, dass die Arbeitnehmer über von ihnen gewählte Repräsentanten im Aufsichtsrat bei größeren Unternehmen ihre Mitbestimmungsrechte ausüben -› vgl. vgl. Kapitel 6, S. 115 ). Es liegt jedoch auch im Interesse der Arbeitnehmer und des Betriebsrates, über die wirtschaftliche Situation des Betriebs Bescheid zu wissen. § 106 BetrVG schreibt daher vor, dass in einem Betrieb mit mehr als 100 Arbeitnehmern ein Wirtschaftsausschuss zu bilden ist. Die Wahl der Mitglieder erfolgt durch den Betriebsrat -› vgl. § 107 BetrVG . Der Wirtschaftsausschuss hat Anspruch auf rechtzeitige und umfassende Unterrichtung über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens, auch anhand von Unterlagen, soweit dadurch nicht die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet werden. Aufgabe des Wirtschaftsausschusses ist es zum einen, den Arbeitgeber zu beraten; zum anderen soll er den Betriebsrat über die wirtschaftliche Situation unterrichten. Eigene Mitbestimmungsrechte hat der Wirtschaftsausschuss dagegen nicht. Auch im Falle einer Betriebsänderung muss der Arbeitgeber Beteiligungsrechte des Betriebsrats beachten. Betriebsänderungen sind gemäß § 111 S. 2 Nr. 1-5 BetrVG: • Einschränkung oder • Stilllegung oder • Verlegung von ganzen Betrieben oder wesentlichen Betriebsteilen; • Zusammenschluss von Betrieben, • grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder Betriebsanlagen, • Einführung neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren. Nach der in § 112a BetrVG gesetzlich anerkannten Rechtsprechung des BAG zählen auch Massenentlassungen -› vgl. § 17 KSchG zu den Betriebsänderungen. Hat der Betrieb in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer, muss der Betriebsrat über die Betriebsänderung einschließlich der Folgen rechtzeitig und umfassend unterrichtet werden und die geplanten Änderungen sind mit ihm zu beraten. Es ist ein Interessenausgleich zu versuchen, der das Ob, Wie und Wann der Maßnahme betrifft -› vgl. § 112 Abs. 2 BetrVG . Anders als der Sozialplan -› Glossar kann ein Interessenausgleich -› Glossar nicht über die Einigungsstelle erzwungen werden. Die Folgen für die betroffenen Mitarbeiter sind über einen (erzwingbaren) Sozialplan zu regeln -› vgl. §§ 112 Abs. 4, 5; 76 BetrVG . 97 <?page no="97"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung Beispiel Typische Regelungen eines Sozialplanes sind Auswahlkriterien für die zu kündigenden Arbeitnehmer, Abfindungsansprüche, Frühpensionierungsregelungen, Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen. 5.3.6 Beteiligungsrechte in personellen Angelegenheiten Eine wichtige Schnittstelle des Personalmanagements ergibt sich mit den Beteiligungsrechten in personellen Angelegenheiten, die im Folgenden kurz erläutert werden. Beteiligungsrechte in personellen Angelegenheiten Beteiligungsrechte in allgemeinen personellen Angelegenheiten §§ 92 - 95 BetrVG Beteiligungsrechte bei betrieblicher Berufsbildung §§ 96 - 98 BetrVG Beteiligungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen §§ 99 - 105 BetrVG Abbildung 5.2: Beteiligungsrechte in personellen Angelegenheiten 5.3.6.1 § 92 BetrVG - Beteiligung an der Personalplanung Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat an der Personalplanung zu beteiligen, das betrifft die Personalbedarfs-, Personaldeckungs-, Personalentwicklungs- und Personaleinsatzplanung 5 . Ob auch die Personalkostenplanung erfasst wird, ist bislang vom BAG noch nicht entschieden worden. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend informieren und mit ihm die erforderlichen Maßnahmen beraten. Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Unterrichtungspflicht, kann dies ein Bußgeld von bis zu 10.000 € nach sich ziehen -› vgl. § 121 BetrVG . Auf 5 BAGE 66, S. 186 = NZA 1991, S. 358. 98 <?page no="98"?> 5.3 Beteiligungsrechte des Betriebsrates die Wirksamkeit der Planung hat ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht allerdings keinen Einfluss. 5.3.6.2 § 92a BetrVG - Beschäftigungssicherung Der Betriebsrat hat ein umfassendes Vorschlagsrecht zur Förderung und Sicherung der Beschäftigung im Betrieb. Beschäftigungsrelevante Betriebsratsinitiativen können z. B. die Flexibilisierung der Arbeitszeit oder die Einführung neuer Arbeitsformen sein. 5.3.6.3 § 93 BetrVG - Ausschreibung von Arbeitsplätzen Der Betriebsrat kann die innerbetriebliche Ausschreibung entweder allgemein, d. h. für alle Arbeitsplätze oder für bestimmte Arten von Arbeitsplätzen verlangen. Damit soll erreicht werden, dass die bereits im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer eine faire Chance zur beruflichen Weiterentwicklung oder Veränderung erhalten. Beispiel Der Betriebsrat verlangt die innerbetriebliche Ausschreibung aller Sekretariatsarbeitsplätze oder aller Mitarbeiterstellen in der Produktion. Er kann allerdings nicht verlangen, dass nur ganz bestimmte (einzelne) Arbeitsplätze innerbetrieblich ausgeschrieben werden. Durch eine innerbetriebliche Ausschreibung ist der Arbeitgeber weder gehindert, auch eine externe Stellenausschreibung vorzunehmen, noch ist er verpflichtet, dem Bewerber aus dem Betrieb den Vorzug zu geben. Er ist allerdings verpflichtet, in inner- und außerbetrieblichen Stellenausschreibungen die gleichen Anforderungen zu stellen 6 . Schreibt der Arbeitgeber trotz eines entsprechenden Verlangens des Betriebsrates nicht innerbetrieblich aus und handelt es sich um einen Betrieb, in dem in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden, kann der Betriebsrat seine Zustimmung zur Einstellung des ausgewählten Bewerbers verweigern -› vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG . Der Arbeitgeber muss dann den gesamten Einstellungsvorgang einschließlich Ausschreibung und Betriebsratsbeteiligung noch einmal durchführen. Verweigert der Arbeitgeber dies und schließt stattdessen den Arbeitsvertrag mit dem von ihm ausgewählten Bewerber, ist dieser Arbeitsvertrag wirksam. Der Betriebsrat kann aber verlangen, dass der Arbeitnehmer im Betrieb nicht beschäftigt wird -› vgl. § 101 BetrvG ! Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die innerbetriebliche Ausschreibung freiwillig, also ohne Aufforderung des Betriebsrates vorgenommen hat. 6 BAG NZA 1988, S. 551 = DB 1988, S. 1452. 99 <?page no="99"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung Beispiel Der Betreiber eines Spielcasinos hatte die Stelle einer Saalaufsicht zu besetzten. Obwohl der Betriebsrat nie eine interne Ausschreibung von Arbeitsplätzen verlangt hat, schrieb der Arbeitgeber bisher alle Stellen innerbetrieblich aus. So auch in diesem Fall. Allerdings waren die Mitarbeiter, die sich auf diese Ausschreibung hin bewarben, nicht geeignet. Um die Zeit zu überbrücken, wurde für eine befristete Zeit eine Aushilfe eingestellt. Auf eine erneute externe Ausschreibung bewarb sich die B, die ausreichend qualifiziert war und deshalb als Saalaufsicht eingestellt werden sollte. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung zur Einstellung, mit der Begründung, die Stelle sei nicht intern ausgeschrieben gewesen, denn die ursprüngliche interne Ausschreibung sei bereits verbraucht. Das BAG entschied zugunsten des Arbeitgebers. Der Betriebsrat konnte seine Zustimmung nicht mit einer fehlenden innerbetrieblichen Ausschreibung begründen, weil er eine solche nie ausdrücklich verlangt hatte. Dass der Arbeitgeber bisher freiwillig intern ausschrieb, konnte dieses ausdrückliche Verlangen nicht ersetzen. 5.3.6.4 § 94 BetrVG - Personalfragebögen und Beurteilungsgrundsätze Der Inhalt von Personalfragebögen bedarf der Zustimmung des Betriebsrates -› vgl. § 94 Abs. 1 S. 1 BetrVG . Personalfragebögen (und Beurteilungsgrundsätze) sind wichtige Instrumente der Personalplanung, denn durch sie will der Arbeitgeber möglichst viele Daten über die Person des Bewerbers erhalten. Dabei besteht die Gefahr, dass Fragen gestellt werden, die in die verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitssphäre des Bewerbers eingreifen. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrates soll diese Gefahr vermindern 7 . Fehlt die Zustimmung und wird sie auch nicht durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt, ist die Datenerhebung mit den Personalfragebögen unzulässig. Auch Beurteilungsgrundsätze bedürfen der Zustimmung. Beurteilungsgrundsätze sind Grundsätze und Regelungen, mit deren Hilfe die Bewertung des Verhaltens oder der Leistung der Arbeitnehmer objektiviert und nach einheitlichen Kriterien ausgerichtet werden soll, damit Beurteilungsergebnisse im Sinne der Chancengleichheit miteinander verglichen werden können 8 . Beispiel Psychologische Tests, standardisierte Auswertungen der Leistungen von Assessment-Center- Teilnehmern. 7 BAG NZA 1994, S. 375 = DB 1994, S. 480. 8 BAGE 47, S. 96 = NZA 85, S. 224. 100 <?page no="100"?> 5.3 Beteiligungsrechte des Betriebsrates Zustimmungspflichtig sind die generelle Festlegung der Kriterien und die Modalitäten des Beurteilungsverfahrens. Auch hier gilt: Fehlt die Zustimmung und wurde sie nicht durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt, dürfen diese Beurteilungsgrundsätze der Arbeitnehmerbeurteilung nicht zugrunde gelegt werden. 5.3.6.5 § 95 BetrVG - Auswahlrichtlinien Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellung, Versetzung, Umgruppierungen und Kündigungen bedürfen der Zustimmung des Betriebsrates. Die Zustimmung bezieht sich auf die Einführung und Änderung von Richtlinien. Der Betriebsrat kann zwar die Aufstellung der Richtlinie letztlich nicht verhindern, kann ihr aber widersprechen. In Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern kann der Betriebsrat auch selbst die Aufstellung von Auswahlrichtlinien verlangen. 5.3.6.6 §§ 96-98 BetrVG - Betriebliche Berufsbildung Diese Vorschriften sollen die Berücksichtigung der Belegschaftsinteressen im Rahmen der Berufsbildung sicherstellen. Gemäß § 96 BetrVG sind Arbeitgeber und Betriebsrat verpflichtet, die Berufsbildung der Arbeitnehmer zu fördern und ihnen die Teilnahme an betrieblichen und außerbetrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Nach § 97 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat ein besonderes Beratungsrecht hinsichtlich der Errichtung und Ausstattung betrieblicher Einrichtungen zur beruflichen Bildung, der Einführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen und der Teilnahme an außerbetrieblichen Bildungsmaßnahmen. § 97 Abs. 2 BetrVG gewährt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht. Er soll tätig werden können, wenn der Arbeitgeber Maßnahmen plant oder durchführt, aufgrund derer bei Arbeitnehmern Qualifikationsverluste (und damit letztlich die Kündigung) drohen. So kann er verlangen, dass die betroffenen Beschäftigten die Möglichkeit zu Weiterbildungsmaßnahmen erhalten. Entscheidet sich der Arbeitgeber dafür, eine betriebliche Bildungsmaßnahme durchzuführen, gewährt § 98 BetrVG dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen der Durchführung. Außerdem hat der Betriebsrat das Recht, der Bestellung einzelner Ausbilder zu widersprechen und Vorschläge für die Teilnahme von Arbeitnehmern an der Bildungsveranstaltung zu machen. 5.3.6.7 § 99 BetrVG - Personelle Einzelmaßnahmen In Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Betriebsrat ein Unterrichtungs- und Zustimmungsrecht bei der Einstellung, der Eingruppierung, der Umgruppierung und der Versetzung von Arbeitnehmern. Der 101 <?page no="101"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung Arbeitgeber muss den Betriebsrat vor der betreffenden Maßnahme unterrichten, ihm die erforderlichen Unterlagen vorlegen, ihm Auskunft über die Beteiligten geben und die Auswirkungen der geplanten Maßnahme verdeutlichen -› vgl. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG . Der Betriebsrat hat das Recht, die Zustimmung zur geplanten Maßnahme aus den in § 99 Abs. 2 BetrVG abschließend aufgeführten Gründen zu verweigern: • Die Maßnahme als solche verstößt gegen eine Rechtsvorschrift -› vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG . Beispiel Eine Frau wird unter Verstoß gegen die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes -› vgl. § 6 Abs. 1 MuSchG bereits eine Woche nach der Entbindung wieder beschäftigt. • Es liegt ein Verstoß gegen Auswahlrichtlinien vor -› vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG . • Es ist eine nicht aus persönlichen oder betrieblichen Gründen zu rechtfertigende Benachteiligung anderer Arbeitnehmer zu befürchten, weil entweder eine Kündigung oder ein sonstiger erheblicher Nachteil droht -› vgl. vgl. 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG 9 . Beispiel Durch die Versetzung eines Arbeitskollegen ist ein Abteilungsleiter im Supermarkt neben der Getränkeauch für die Obst- und Gemüseabteilung zuständig, was zu einer erheblich höheren Arbeitsbelastung durch Verdoppelung des Verantwortungsbereiches führt. • Es ist eine nicht aus persönlichen oder betrieblichen Gründen zu rechtfertigende Benachteiligung des betroffenen Arbeitnehmers zu befürchten, z. B. durch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen -› vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG . • Die vom Betriebsrat verlangte innerbetriebliche Ausschreibung ist unterblieben -› vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG . 9 BAGE 56, 108 = NZA 1988, 101. 102 <?page no="102"?> 5.3 Beteiligungsrechte des Betriebsrates Beispiel Der Arbeitgeber schreibt eine Stelle innerbetrieblich aus. In der gleichzeitig erfolgenden externen Ausschreibung stellt er geringere Qualifikationsanforderungen. Der Betriebsrat kann seine Zustimmung zur Einstellung gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG verweigern, weil die konkrete Stelle nicht intern ausgeschrieben wurde 10 . • Es besteht die Besorgnis, dass der Bewerber oder Arbeitnehmer den Betriebsfrieden durch gesetzwidriges Verhalten stört. Diese Prognose muss sich auf konkrete Ereignisse in der Vergangenheit stützen -› vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG 11 . Beispiel Der Betriebsrat befürchtet, dass der Arbeitnehmer gegenüber seinen Kollegen handgreiflich wird, was in der Vergangenheit bereits mehrfach der Fall war. Ist der Betriebsrat vom Arbeitgeber über die geplante Maßnahme unterrichtet worden, hat er eine Woche Zeit, zu entscheiden, ob er der Maßnahme zustimmt -› vgl. § 99 Abs. 3 BetrVG . Innerhalb dieser Frist kann der Betriebsrat: • ausdrücklich zustimmen • die Zustimmung ausdrücklich verweigern • die Frist verstreichen lassen, ohne sich zu äußern. Ist die Frist verstrichen, ohne dass sich der Betriebsrat geäußert hat, gilt die Zustimmung als erteilt. Dies gilt allerdings nur, wenn die Unterrichtung des Betriebsrates ordnungsgemäß war. Diese Zustimmungsfiktion macht deutlich, dass es sich bei dem Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG nicht um ein volles Mitbestimmungsrecht wie in § 87 BetrVG handelt. In der Sache handelt es sich vielmehr um ein fristgebundenes Vetorecht. Will der Betriebsrat die Zustimmung verweigern, muss das schriftlich, fristgerecht und unter Angabe von Gründen geschehen. Der Arbeitgeber kann die geplante Personalmaßnahme dann zunächst nicht ausführen (Ausnahme: Eilmaßnahmen nach § 100 BetrVG). Er kann aber beim Arbeitsgericht beantragen, die fehlende Zustimmung ersetzen zu lassen -› vgl. § 99 Abs. 4 BetrVG . Will der Betriebsrat ausdrücklich zustimmen, ist dafür keine besondere Form erforderlich, aus Beweisgründen sollte jedoch immer die Schriftform gewählt werden. 10 BAG NZA 1988, S. 551 = DB 1988, S. 1452. 11 BAGE 112, S. 329 = BAG NZA 2005, S. 775. 103 <?page no="103"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung 5.3.6.8 § 102 BetrVG - Mitbestimmung bei Kündigungen Vor jeder Kündigung ist der Betriebsrat anzuhören. Er kann den Ausspruch einer Kündigung zwar nicht verhindern, ihm steht jedoch ein zwingendes Anhörungsrecht zu. Wurde der Betriebsrat vor einer Kündigung nicht angehört oder war die Anhörung unvollständig oder sonst fehlerhaft, ist die Kündigung schon deshalb unwirksam -› vgl. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG , unabhängig davon, ob die Kündigung vielleicht auch gegen Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes verstößt. Für die Anhörung ist grundsätzlich keine besondere Form vorgeschrieben, auch hier sollte aber aus Beweisgründen die Schriftform gewählt werden. Der Betriebsrat kann ordentlichen Kündigungen widersprechen. Ein Widerspruch hat zwar auf die Wirksamkeit der Kündigung keine Auswirkung. Erhebt der Arbeitnehmer aber Kündigungsschutzklage -› Glossar , hat er einen Weiterbeschäftigungsanspruch, bis das Gericht über die Klage entschieden hat -› vgl. § 102 Abs. 5 BetrVG -› vgl. zur Kündigung Kapitel 14, S. 243 . 5.3.6.9 § 103 BetrVG - Kündigung von Betriebsratsmitgliedern Will der Arbeitgeber ein Betriebsratsmitglied gemäß § 103 BetrVG außerordentlich kündigen, benötigt er die vorherige Zustimmung des Betriebsrates. Das zu kündigende Mitglied des Betriebsrates ist von dieser Entscheidung wegen Befangenheit ausgeschlossen. 5.3.6.10 § 104 BetrVG - Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber die Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer verlangen. Der Arbeitnehmer muss den Betriebsfrieden durch gesetzwidriges Verhalten - dazu zählt insbesondere auch ein Verstoß gegen § 75 BetrVG, der rassistisches und fremdenfeindliches Verhalten verbietet - wiederholt so erheblich gestört haben, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber und den übrigen Arbeitnehmern nicht mehr gewährleistet ist. Allerdings muss die Entfernung des Arbeitnehmers erst das letzte mögliche Mittel sein. 5.3.6.11 Personelle Veränderung leitender Angestellter Die beabsichtigte Einstellung oder personelle Veränderung, die einen leitenden Angestellten betreffen, sind dem Betriebsrat rechtzeitig mitzuteilen -› vgl. § 105 BetrVG . Dieses Informationsrecht hat den Sinn, den Betriebsrat über die Verteilung der Führungsaufgaben zu unterrichten und ihm Gelegenheit zu geben, Bedenken geltend zu machen. 104 <?page no="104"?> 5.4 Betriebsvereinbarungen 5.4 Betriebsvereinbarungen Schließen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Vereinbarung über betriebliche Angelegenheiten, können sie das in Form einer Betriebsvereinbarung tun -› vgl. § 77 BetrVG . 5.4.1 Arten der Betriebsvereinbarung Man kann zwischen drei verschiedenen Arten der Betriebsvereinbarung unterscheiden: Betriebsvereinbarung Mitbestimmte Betriebsvereinbarung Teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung Freiwillige Betriebsvereinbarung Abbildung 5.3: Betriebsvereinbarungen Mitbestimmte Betriebsvereinbarungen können im Streitfall von einer Einigungsstelle erzwungen werden. Die wichtigsten Fallgruppen mitbestimmter Betriebsvereinbarungen sind in § 87 und § 112 Abs. 4 BetrVG aufgeführt. In diesen Fällen ersetzt der Spruch der Einigungsstelle die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat -› vgl. §§ 87 Abs. 2 S. 2, 112 Abs. 4 S. 2 BetrVG . Unterliegt nur ein Teil des Inhalts einer Betriebsvereinbarung der Mitbestimmung, handelt es sich um eine teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung. Der Inhalt freiwilliger Betriebsvereinbarungen unterliegt nicht der Mitbestimmung, kann daher von der Einigungsstelle nur erzwungen werden, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat dies beantragen oder mit dem Tätigwerden der Einigungsstelle einverstanden sind -› vgl. § 76 Abs. 6 BetrVG . Handelt es sich um einen Fall des § 88 BetrVG, kann der Spruch der Einigungsstelle die fehlende Einigung nur dann ersetzen, wenn die Betriebsparteien dies besonders akzeptieren -› vgl. § 76 Abs. 6 S. 2 BetrVG . 105 <?page no="105"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung 5.4.2 Abschluss, Inhalt und Geltungsbereich Eine Betriebsvereinbarung wird zwischen dem Betriebsrat und dem Betriebsinhaber geschlossen. Die Betriebsvereinbarung muss in Schriftform erfolgen -› vgl. § 77 Abs. 2 BetrVG -› vgl. auch Abschnitt 4.4.2.1, S. 69 . Gegenstand einer Betriebsvereinbarung kann nur sein, was auch zum Aufgabenbereich des Betriebsrates gehört. Beispiel Eine Betriebsvereinbarung in welcher den Arbeitnehmern des Betriebes vorgeschrieben wird, mindestens einmal pro Woche Sport zu treiben, ist unzulässig, denn es ist nicht Aufgabe des Betriebsrats, die außerbetriebliche Lebensgestaltung der Arbeitnehmer zu regeln. § 88 BetrVG enthält eine Aufzählung der wichtigsten durch eine Betriebsvereinbarung regelbaren Angelegenheiten. Der Inhalt einer Betriebsvereinbarung darf selbstverständlich auch nicht gegen höherrangiges Recht bzw. die Tarifautonomie verstoßen -› vgl. Kapitel 6, S. 115 . Die Betriebsvereinbarung gilt in dem Betrieb, dessen Betriebsrat sie abgeschlossen hat unmittelbar und zwingend -› vgl. § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG . In personeller Hinsicht sind alle Arbeitnehmer des Betriebes - mit Ausnahme der in § 5 Abs. 2 BetrVG aufgezählten Personen sowie der leitenden Angestellten - erfasst. Ob die Arbeitnehmer gewerkschaftlich gebunden sind, spielt keine Rolle. 5.4.3 Beendigung und Nachwirkung Eine Betriebsvereinbarung kann durch verschiedene Möglichkeiten enden. Ablösung. Wird eine neue Betriebsvereinbarung geschlossen, greift das Ordnungsprinzip: Die jüngere Vereinbarung verdrängt die ältere. Zeitablauf. Wenn die Betriebsvereinbarung nur für einen bestimmten Zeitraum abgeschlossen wurde, endete sie nach dessen Ablauf. Zweckerreichung. Wurde mit der Betriebsvereinbarung ein bestimmter Zweck verfolgt, kann sich daraus ergeben, dass die Betriebsvereinbarung endet, wenn der Zweck erreicht wurde 12 . Aufhebungsvertrag. Die Vertragsparteien können die Betriebsvereinbarung durch einen Aufhebungsvertrag beenden. 12 BAGE 12, S. 143 = DB 1962, S. 375. 106 <?page no="106"?> 5.4 Betriebsvereinbarungen Kündigung. Gemäß § 77 Abs. 5 BetrVG kann eine Betriebsvereinbarung mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden; abweichende Regelungen sind zulässig. Ein besonderer Grund ist für die Kündigung nicht erforderlich. Ist es einer Partei nicht zumutbar, die Betriebsvereinbarung bis zum vereinbarten Ende oder wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen, kann die Betriebsvereinbarung auch fristlos gekündigt werden. Endet die Betriebsvereinbarung, verliert sie grundsätzlich ihre Wirkung. Unter Umständen ist es jedoch geboten, die Betriebsvereinbarung trotz ihrer Beendigung noch weiter gelten zu lassen (Nachwirkung). Beispiel Eine Betriebsvereinbarung endet zum vorgesehenen Termin durch Zeitablauf. Betriebsrat und Arbeitgeber konnten sich jedoch bisher nicht auf eine neue Betriebsvereinbarung einigen und befinden sich noch im Verhandlungsstadium. Solange keine neue Betriebsvereinbarung geschlossen ist, könnte in wichtigen Angelegenheiten ein Regelungsvakuum entstehen. Für die Reichweite der Nachwirkung muss nach der Art der Betriebsvereinbarung unterschieden werden: • Regelungen aus dem Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung gelten fort, bis sie durch eine andere Abmachung, in der Regel eine neue Betriebsvereinbarung, ersetzt werden -› vgl. § 77 Abs. 6 BetrVG . Arbeitgeber und Betriebsrat können allerdings vereinbaren, dass die Weitergeltung ausgeschlossen sein soll. • Für freiwillige Betriebsvereinbarungen ist im Gesetz keine Weitergeltung vorgesehen, sie kann aber von den Parteien vereinbart werden. • Bei teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen, die freiwillige Arbeitgeberleistungen zum Gegenstand haben, d. h. Leistungen, die weder durch das Gesetz noch durch einen Tarifvertrag vorgeschrieben werden, ist zu differenzieren: Will der Arbeitgeber die Leistung nach Beendigung der Betriebsvereinbarung vollständig einstellen, dann kommt eine Nachwirkung nicht in Betracht 13 . Will der Arbeitgeber die Leistung grundsätzlich weiter gewähren, wenn auch in einem geringeren Umfang, greift die Nachwirkung ein 14 , bis es zu einer neuen Einigung über den Verteilungsmaßstab kommt. Beispiel Durch eine Betriebsvereinbarung von 2004 war die Zahlung eines Weihnachtsgeldes von 75 % des Bruttomonatslohns an die Arbeitnehmer vereinbart. Da sich der Betrieb mittlerweile in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, möchte der Arbeitgeber in Zukunft gar kein Weihnachtsgeld mehr auszahlen. Er kündigt die Betriebsvereinbarung daher fristgerecht. Wenn die 13 BAGE 108, S. 299 = NZA 2004, S. 803. 14 BAGE 75, S. 16 = NZA 1994, S. 572. 107 <?page no="107"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung Kündigungsfrist abgelaufen ist, hat die Betriebsvereinbarung ihre Geltung verloren und wirkt auch nicht nach. Denn über die Frage, ob freiwillige Leistungen an die Arbeitnehmer erbracht werden, entscheidet allein der Arbeitgeber. Er kann daher auch völlig mitbestimmungsfrei über die Einstellung dieser freiwilligen Sonderzahlungen entscheiden. -› vgl. zum Verhältnis Betriebsvereinbarung/ Tarifvertrag bzw. Betriebsvereinbarung/ Arbeitsvertrag Kapitel 6, S. 115 5.5 Unternehmensmitbestimmung Neben der im BetrVG geregelten innerbetrieblichen Mitbestimmung gibt es auch auf Unternehmensebene eine Mitwirkung der Arbeitnehmer. Während die betriebliche Mitbestimmung in erster Linie dem Schutz des einzelnen Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz und im Betrieb Rechnung tragen soll, sich also auf den Arbeitsalltag bezieht, geht es bei der Unternehmensmitbestimmung darum, die soziale Komponente auch bei der Erarbeitung und Realisierung der Unternehmenspolitik abzusichern. Die Unternehmensmitbestimmung ist auf Kapitalgesellschaften -› Glossar beschränkt (AG, GmbH, KG auf Aktien -› Glossar und Genossenschaft -› Glossar ) und richtet sich je nach Größe und Tätigkeitsfeld des Unternehmens nach dem • Montanmitbestimmungsgesetz einschließlich des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes, • Mitbestimmungsgesetz 1976 oder • Drittelbeteiligungsgesetz. 5.5.1 Mitbestimmungsgesetz 1976 Das Mitbestimmungsgesetz 1976 findet auf Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Arbeitnehmern Anwendung. Der Aufsichtsrat -› Glossar besteht jeweils zur Hälfte aus Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern. Die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder hängt von der Größe der Belegschaft ab (12, 16 oder 20 Vertreter). Zu den Arbeitnehmervertretern gehört auch ein Repräsentant der leitenden Angestellten. Endet eine Abstimmung im Unentschieden, hat im folgenden Wahlgang der Aufsichtsratsvorsitzende zwei Stimmen -› vgl. § 29 Abs. 2 MitBestG . Da er grundsätzlich Vertreter der Anteilseignerseite ist, hat diese in Pattsituationen den Stichentscheid. 108 <?page no="108"?> 5.5 Unternehmensmitbestimmung 5.5.2 Montanmitbestimmungsgesetz Dieses Gesetz findet nur in der sog. Montanindustrie Anwendung - im Bergbau und in der Eisen und Stahl erzeugenden (nicht verarbeitenden) Industrie. Der Aufsichtsrat besteht grundsätzlich aus fünf Vertretern der Arbeitnehmer und fünf Vertretern der Anteilseigner. Diese müssen einen elften Vertreter hinzuwählen, der möglichst unparteiisch sein soll. Können sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter nicht auf einen Neutralen einigen, entscheiden letztlich die Anteilseigner. Bei größeren Gesellschaften, abhängig vom Nennkapital, besteht der Aufsichtsrat aus 15 oder 21 Mitgliedern. 5.5.3 Drittelbeteiligungsgesetz Die Drittel-Beteiligung hat zum 1.7.2004 das Betriebsverfassungsgesetz 1952 abgelöst und betrifft grundsätzlich Kapitalgesellschaften, die regelmäßig mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen. Aktiengesellschaften mit weniger als 501 Arbeitnehmern werden auch dann vom Drittelbeteiligungsgesetz erfasst, wenn sie vor dem 10.8.1994 eingetragen wurden und keine Familiengesellschaften -› Glossar sind. Auf diese Weise hat der Gesetzgeber einen mitbestimmungsrechtlichen Besitzstand ohne jede zeitliche Grenze eingeführt. Die Arbeitnehmer müssen ein Drittel der Aufsichtsratssitze erhalten. Die Arbeitnehmervertreter werden von allen wahlberechtigten Arbeitnehmern in den Betrieben des Unternehmens gewählt, mindestens zwei von ihnen müssen Arbeitnehmer des Unternehmens sein. 5.5.4 Bedeutung unterschiedlicher Mitarbeiterzahlen im kollektiven Arbeitsrecht (Übersicht) Die von der Belegschaftsgröße abhängige Mitbestimmung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Arbeitnehmer Kollektivrechtliche Regelung ab 5 • Wahl eines Betriebsrates -› vgl. § 1 BetrVG ab 10 • Wahl eines Sprecherausschusses -› vgl. § 1 SprAuG mehr als 20 • Betriebsratszustimmung bei personellen Einzelmaßnahmen -› vgl. § 99 BetrVG • Betriebsratsbeteiligung bei Sozialplan, Interessenausgleich und Betriebsänderung -› vgl. §§ 111 ff. BetrVG 109 <?page no="109"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung Arbeitnehmer Kollektivrechtliche Regelung bis 50 • Vereinfachtes Verfahren der Betriebsratswahl -› vgl. § 14a BetrVG mehr als 100 • Bildung eines Wirtschaftsausschusses -› vgl. § 106 BetrVG • Ablehnung von Betriebsratsvorschlägen zur Beschäftigungssicherung sind schriftlich zu begründen -› vgl. § 92a BetrVG ab 200 • Freistellung eines Betriebsratsmitglieds -› vgl. § 38 Abs. 1 BetrVG mehr als 500 • Betriebsrat kann Richtlinien zur Personalauswahl verlangen -› vgl. § 95 Abs. 2 BetrVG • Drittelbeteiligungsgesetz in Kapitalgesellschaften mehr als 1.000 • Montanmitbestimmungsgesetz in Unternehmen der Montanindustrie mehr als 2.000 • Mitbestimmungsgesetz 1976 in Kapitalgesellschaften 5.5.5 Beteiligungsrechte in den Aufgabenfeldern des Personalmanagements (Übersicht) Die verschiedenen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates im Bereich des Personalmanagements lassen sich für einen Überblick wie folgt zusammenfassen: Bereich des Personalmanagements Beteiligungsrecht des Betriebsrats Personalplanung • Informations- und Beratungsrecht -› vgl. § 92 BetrVG Personalbeschaffung • Recht, innerbetriebliche Ausschreibung zu verlangen -› vgl. § 93 BetrVG • Zustimmungsrecht zu Personalfragebögen -› vgl. § 94 BetrVG • Zustimmung zu Auswahlrichtlinien -› vgl. § 95 BetrVG • Zustimmung zur Einstellung -› vgl. § 99 BetrVG 110 <?page no="110"?> 5.5 Unternehmensmitbestimmung Bereich des Personalmanagements Beteiligungsrecht des Betriebsrats Personalfreisetzung • Zustimmung zu Auswahlrichtlinien -› vgl. § 95 BetrVG • Anhörung bei jeder Kündigung Widerspruchsmöglichkeit bei einer ordentlichen Kündigung -› vgl. § 102 BetrVG • Unterrichtungs- und Beratungsrecht bei Betriebsänderung -› vgl. § 111 BetrVG Personalauswahl und -zuweisung • Zustimmung zu Auswahlrichtlinien -› vgl. § 95 BetrVG • Unterrichtungs- und Zustimmungsrecht bei personellen Einzelmaßnahmen -› vgl. § 99 BetrVG Personalbeurteilung • Zustimmung zu Beurteilungsgrundsätzen -› vgl. § 94 BetrVG Personalausbildung und -entwicklung • Förderung der Berufsbildung -› vgl. § 96 BetrVG • Beratungs- und Mitbestimmungsrecht -› vgl. § 97 BetrVG • Mitbestimmungsrecht bei Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen -› vgl. § 98 BetrVG Anreizsysteme und Entlohnung • Mitbestimmungsrecht bei Arbeitszeitregelungen -› vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG • Mitbestimmungsrecht bei Entlohnungsregelungen -› vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 • Ein- und Umgruppierung -› vgl. § 99 BetrVG Auswahlrichtlinien -› vgl. § 95 BetrVG 111 <?page no="111"?> 5 Betriebliche Mitbestimmung Zusammenfassung Die Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene bzw. auf Unternehmens- und Konzernebene, wird durch den Betriebsrat (sowie den Unternehmens- und Konzernbetriebsrat) gewährleistet. Voraussetzungen der Betriebsratsarbeit. Dem Betriebsrat steht gegen den Betriebsinhaber eine Reihe von Ansprüchen zu: • Anspruch auf Freistellung -› vgl. § 37 Abs. 2 BetrVG • Freistellung bzw. u. U. finanzielle Unterstützung der Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltung -› vgl. § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG • Finanzielle Unterstützung der Betriebsratsarbeit -› vgl. § 40 BetrVG • Informationsrechte • Unabhängigkeit des einzelnen Betriebsratsmitglieds durch Schutz vor finanziellen und beruflichen Nachteilen -› vgl. § 78 BetrVG sowie einen besonderen Kündigungsschutz -› vgl. § 15 KSchG, § 103 BetrVG Beteiligungsrechte. Dem Betriebsrat stehen Beteiligungsrechte hinsichtlich allgemeiner Aufgaben -› vgl. § 80 BetrVG , in sozialen -› vgl. §§ 87-89 BetrVG , personellen -› vgl. §§ 92-105 BetrVG und wirtschaftlichen Angelegenheiten -› vgl. §§ 106-113 BetrVG sowie bei der Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung -› vgl. §§ 90, 91 BetrVG zu. Betriebsvereinbarung. Betriebsrat und Arbeitgeber können Abreden in Form einer Betriebsvereinbarung schließen -› vgl. § 77 BetrVG . Unternehmensmitbestimmung. Die Mitbestimmung auf Unternehmensbzw. Konzernebene richtet sich je nach Art und Größe des Unternehmens nach dem Montanmitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsgesetz 1976 oder dem Drittelbeteiligungsgesetz. Kontrollfragen 1. „Wird ein Arbeitnehmer zum Betriebsrat gewählt, ist er nicht mehr verpflichtet, seine Arbeitsleistung zu erbringen.“ Ist diese Aussage korrekt? Begründen Sie Ihre Antwort! -› vgl. Abschnitt 5.2.1, S. 90 2. Was ist die Aufgabe eines Wirtschaftsausschusses? -› vgl. Abschnitt 5.3.5, S. 96 3. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat ordnungsgemäß über eine geplante Personalmaßnahme informiert. Wann kann der Arbeitgeber diese Maßnahme durchführen? -› vgl. Abschnitt 5.3.6.7, S. 101 112 <?page no="112"?> Literatur 4. Kann der Betriebsrat den Ausspruch einer Kündigung verhindern? -› vgl. Abschnitt 5.3.6.8, S. 104 5. Im Betrieb B hat der Betriebsrat bisher die interne Ausschreibung von Arbeitsplätzen nicht verlangt. Als einer der insgesamt acht Sekretariatsarbeitsplätze neu besetzt werden soll, verlangt der Betriebsrat die interne Ausschreibung dieses Arbeitsplatzes. Zu Recht? Begründen Sie Ihre Antwort! -› vgl. Abschnitt 5.3.6.3, S. 99 6. Was kennzeichnet Mitbestimmungsrechte im engeren Sinn? -› vgl. Abschnitt 5.3.1.1, S. 93 7. Welche Möglichkeiten gibt es, eine Betriebsvereinbarung zu beenden? -› vgl. Abschnitt 5.4.3, S. 106 8. Der Arbeitgeber ist der Ansicht, wenn seine Arbeitnehmer einen Betriebsrat haben möchten, sollen sie auch selbst für die Kosten aufkommen. Er möchte daher die Betriebsratskosten auf die Arbeitnehmer umlegen und in Zukunft monatlich vom Arbeitslohn abziehen. Zulässig? Begründen Sie Ihre Antwort kurz! -› vgl. Abschnitt 5.2.3, S. 92 9. Was kann in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden? -› vgl. Abschnitt 5.4.2, S. 106 10. Was ist die Einigungsstelle und welche Funktion hat sie? -› vgl. Abschnitt 5.3.1.4, S. 94 Literatur Däubler , W . [2006]: Arbeitsrecht, 6. Aufl., Frankfurt a. M. Hanau , P./ Adomeit , K. [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München v. Hoyningen-Huene , G . [2007]: Betriebsverfassungsrecht, 6. Aufl., München Richardi , R. [2007]: Kommentar zum BetrVG, 10. Aufl., München 113 <?page no="114"?> 6 Wechselwirkung zwischen Kollektiv- und Individualarbeitsrecht Übersicht • Günstigkeitsprinzip -› vgl. Abschnitt 6.1 • Öffnungsklausel -› vgl. Abschnitt 6.2, S. 116 • Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen -› vgl. Abschnitt 6.3, S. 117 • Geltung tarifvertraglicher Regelungen für Nicht-Tarifgebundene -› vgl. Abschnitt 6.4, S. 118 Ein Tarifvertrag wirkt unmittelbar und zwingend, wenn der Arbeitgeber selbst Tarifvertragspartei ist oder dem tarifschließenden Arbeitgeberverband angehört und der Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist -› vgl. § 3 Abs. 1 TVG . Sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer tarifgebunden, spielt es keine Rolle, ob sie der Geltung zugestimmt haben oder den Inhalt des Tarifvertrages kennen. Gleichzeitig ist es den Parteien untersagt, von den Regelungen des Tarifvertrages abzuweichen (sog. Tarifvorbehalt). Beispiel Im Tarifvertrag sind 30 Werktage Urlaub vorgesehen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können nicht wirksam vereinbaren, den Urlaubsanspruch auf 20 Tage zu reduzieren. Von diesem Grundsatz gibt es allerdings zwei Ausnahmen: • Günstigkeitsprinzip • Öffnungsklausel 6.1 Günstigkeitsprinzip Gemäß § 4 Abs. 3 TVG können Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einem Arbeitsvertrag (nicht in einer Betriebsvereinbarung -› vgl. Abschnitt 6.2, S. 116 ) Regelungen treffen, die vom Tarifvertrag abweichen. Voraussetzung ist, dass die Vereinbarung für den Arbeitnehmer günstiger ist, als die Regelung im Tarifvertrag. Personalpolitisch ist diese Möglichkeit wichtig, da sich der Arbeitgeber durch arbeitsvertragliche Vereinbarungen im Wettbewerb um qualifizierte Fach- und Füh- 115 <?page no="115"?> 6 Wechselwirkung zwischen Kollektiv- und Individualarbeitsrecht rungskräfte vorteilhaft positionieren kann. Gleichzeitig können mit solchen Vereinbarungen auch Leistungsanreize für die Arbeitnehmer gesetzt werden. 6.2 Öffnungsklausel Abweichende Regelungen sind auch zulässig, wenn dies durch den Tarifvertrag gestattet ist (sog. Öffnungsklausel) -› vgl. § 4 Abs. 3 TVG . In einem Verbandstarifvertrag können für die Vielzahl der betroffenen Betriebe keine individuell zugeschnittenen Lösungen erarbeitet werden, sondern die Regelungen eines solchen Tarifvertrages müssen entsprechend grober gefasst sein. Um jedoch auch den speziellen Problemen Rechnung tragen zu können und konkrete Lösungen auf betrieblicher Ebene erarbeiten zu können, wurde die Öffnungsklausel geschaffen. Es muss danach unterschieden werden, in welchem Rahmen die abweichende Vereinbarung getroffen werden soll, in einem Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung. Bei einer abweichenden Vereinbarung in einem Arbeitsvertrag, die für den Arbeitnehmer günstiger ist, muss nicht auf die Öffnungsklausel zurückgegriffen werden, da insoweit bereits das Günstigkeitsprinzip -› vgl. Abschnitt 6.1, S. 115 eingreift. Öffnungsklauseln sind daher nur relevant, wenn eine für den Arbeitnehmer ungünstiger Regelung getroffen werden soll. Sollen abweichende Regelungen in einer Betriebsvereinbarung geschlossen werden, ist immer eine Öffnungsklausel nötig! Der Grund dafür liegt im so genannten Tarifvorbehalt -› vgl. § 77 Abs. 3 BetrVG . Gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG dürfen Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch einen Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Eine Ausnahme ist nur dann möglich, wenn der Tarifvertrag den Abschluss einer ergänzenden Betriebsvereinbarung ausdrücklich zulässt (Öffnungsklausel). Das gilt für alle Betriebe im räumlichen, fachlichen und personellen Geltungsbereich des Tarifvertrages, auf die dieser Vertrag anzuwenden wäre, wenn der Arbeitgeber Mitglied im tarifschließenden Verband wäre. Es ist also nicht notwendig, dass der Arbeitgeber tatsächlich tarifgebunden ist. Gilt der Tarifvertrag für einen bestimmten Wirtschaftszweig, ist es ausreichend, dass der Betrieb der entsprechenden Branche angehört 1 . 1 BAGE 114, S. 162 = NZA 2006, S. 383. 116 <?page no="116"?> 6.3 Allgemeinverbindlicherklärung Beispiel Für die Metallindustrie im Bundesland X wurde zwischen dem zuständigen Arbeitgeberverband und der Gewerkschaft ein Tarifvertrag abgeschlossen, in dem die reguläre Arbeitsvergütung geregelt wird: Es wird festgelegt, welche Gehaltsgruppen es gibt, die Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Gehaltsgruppen und welche Zuschläge für Schicht- und Nachtarbeit gezahlt werden. Arbeitgeber M führt einen metallverarbeitenden Betrieb mit Sitz im Bundesland X. M ist nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes und daher nicht tarifgebunden. Dennoch kann er mit seinem Betriebsrat keine Betriebsvereinbarung abschließen, welche die reguläre Arbeitsvergütung zum Gegenstand hat. Das verhindert der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG. Eine Betriebsvereinbarung die gegen § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG verstößt, ist unwirksam. § 77 Abs. 3 BetrVG dient dem Schutz der Tarifautonomie. Wäre es nämlich möglich, in den einzelnen Betrieben per Betriebsvereinbarung beliebig vom Tarifvertrag abzuweichen, würde sowohl die Macht der Gewerkschaften als auch der Verbandstarifvertrag praktisch ausgehöhlt. 6.3 Allgemeinverbindlicherklärung Wird ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt, wird er auch für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindlich, die eigentlich nicht tarifgebunden sind, da sie nicht dem Arbeitgeberverband bzw. der Gewerkschaft angehören, die den Tarifvertrag geschlossen haben. Gemäß § 5 TVG kann ein Tarifvertrag durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss auf Antrag einer Tarifvertragspartei für allgemeinverbindlich erklärt werden. Voraussetzung ist, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 % der in den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Außerdem kann eine Allgemeinverbindlicherklärung auch dann erfolgen, wenn das zur Behebung eines sozialen Notstandes erforderlich erscheint. Von den rund 64.300 als gültig in das Tarifregister eingetragenen Tarifverträgen sind zur Zeit 460 allgemeinverbindlich. Ein Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge ist auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales abrufbar 2 . 2 http: / / www.bmas.bund.de/ porta/ 16702/ startseite.html. 117 <?page no="117"?> 6 Wechselwirkung zwischen Kollektiv- und Individualarbeitsrecht 6.4 Geltung tarifvertraglicher Regelungen für nicht Tarifgebundene Oft behandeln Arbeitgeber auch Nichtgewerkschaftsmitglieder nach Tarifvertrag. Dies hat handfeste personalpolitische Gründe. Beschäftigt ein Arbeitgeber ein Nicht-Gewerkschaftsmitglied zu schlechteren Bedingungen als es der Tarifvertrag für ein Gewerkschaftsmitglied vorsieht, besteht ein Anreiz für den Arbeitnehmer, in die Gewerkschaft einzutreten, um auch in den Genuss der tariflichen Leistungen zu kommen. Dieser Anreiz wird gemindert, wenn der Arbeitgeber ihn ebenso behandelt wie ein Gewerkschaftsmitglied. Im Übrigen hat der Arbeitgeber vielfach keine Kenntnis von der Mitgliedschaft seiner Mitarbeiter in einer Gewerkschaft. Eine diesbezügliche Informationspflicht besteht nicht -› vgl. Abschnitt 7.3.2, S. 126 . Schließlich empfinden große Teile der Belegschaft eine unterschiedliche Bezahlung von Gewerkschafts- und Nichtgewerkschaftsmitgliedern als ungerecht, weil sie mit dem Wert der Arbeitsleistung nichts zu tun hat. Vereinzelten Versuchen der Gewerkschaften, eine bevorzugte Behandlung ihrer Mitglieder durchzusetzen, hat das BAG einen Riegel vorgeschoben. Daher ist die Gleichbehandlung gefestigte personalpolitische Praxis in den Unternehmen, die an Tarifverträge gebunden sind. Voraussetzung für die Anwendung eines Tarifvertrages auf Nicht-Gewerkschaftsmitglieder ist, dass der Tarifvertrag wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogen wird. Das kann • durch den einzelnen Arbeitsvertrag • durch eine Betriebsvereinbarung • mit gewissen Einschränkungen durch eine betriebliche Übung geschehen. Auch Unternehmen, die keinem Arbeitgeberverband angehören, legen oftmals den in der Branche gültigen Tarifvertrag zugrunde, um zu vermeiden, dass sie mit der Gewerkschaft alleine über einen Tarifvertrag verhandeln und möglicherweise einen Streik riskieren müssen. Zusammenfassung Bindungswirkung des Tarifvertrages. Der Tarifvertrag wirkt für tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer unmittelbar und zwingend. Tarifvorbehalt. Das Abweichen von den Regelungen des Tarifvertrages ist grundsätzlich untersagt. Ausnahmen: • Günstigkeitsprinzip -› vgl. § 4 Abs. 3 TVG • Öffnungsklausel -› vgl. § 4 Abs. 3 TVG 118 <?page no="118"?> Kontrollfragen Um die Geltung eines Tarifvertrages auch auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer zu erstrecken, gibt es zwei Möglichkeiten: Allgemeinverbindlicherklärung. Ein Tarifvertrag kann vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter bestimmten Voraussetzungen für allgemeinverbindlich erklärt werden -› vgl. § 5 TVG . Damit gilt er auch für eigentlich nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Einbeziehung des Tarifvertrages. Ein Tarifvertrag kann durch den Arbeitsvertrag, die Betriebsvereinbarung oder eine betriebliche Übung in das einzelne Arbeitsverhältnis einbezogen werden und dadurch Geltung für nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer erlangen. Kontrollfragen 1. Welchen Zweck hat der Tarifvorbehalt? -› vgl. Abschnitt 6.2, S. 116 2. In welchem Fall kommt das Günstigkeitsprinzip zur Anwendung? -› vgl. Abschnitt 6.1, S. 115 Literatur Däubler , W . [2006]: Arbeitsrecht, 6. Aufl., Frankfurt a. M. Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München Richardi , R. [2006]: Kommentar zum BetrVG, 10. Aufl., München 119 <?page no="120"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages Übersicht • Stellenausschreibung -› vgl. Abschnitt 7.1 • Bewerbung -› vgl. Abschnitt 7.2, S. 124 • Vorstellungsgespräch -› vgl. Abschnitt 7.3, S. 125 • Abschluss des Arbeitsvertrages -› vgl. Abschnitt 7.4, S. 130 • Arbeitsverträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen -› vgl. Abschnitt 7.5, S. 137 Bereits vor Abschluss eines Arbeitsvertrags müssen Arbeitgeber und Bewerber eine ganze Reihe rechtlicher Vorgaben beachten. Das betrifft insbesondere die Formulierung der Stellenausschreibung und das Fragerecht des Arbeitgebers während des Vorstellungsgesprächs. 7.1 Stellenausschreibung Eine Stellenausschreibung ist die Aufforderung an alle Arbeitnehmer oder eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern, sich um eine bestimmte Stelle zu bewerben. Man unterscheidet interne, sich an die Belegschaft richtende Ausschreibungen und externe Ausschreibungen, die sich an den allgemeinen Arbeitsmarkt richten. In der Privatwirtschaft ist es grundsätzlich Sache des Arbeitgebers, ob und wie er eine freie Stelle ausschreibt, z. B. per Zeitungsanzeige, Internet-Jobbörsen, über die Agentur für Arbeit o. ä. Und es ist der Arbeitgeber, der die Anforderungen festlegt, die ein Bewerber erfüllen muss. Allerdings ist der Arbeitgeber bei Stellenausschreibungen nicht völlig frei, sondern muss verschiedene gesetzliche Einschränkungen beachten: • Gibt es einen Betriebsrat, kann dieser die innerbetriebliche Ausschreibung verlangen -› vgl. § 93 BetrVG . • Eignet sich die Stelle auch als Teilzeitstelle, dann soll sie nicht nur als Vollzeitsondern sie auch als Teilzeitstelle ausgeschrieben werden -› vgl. § 7 TzBfG . 121 <?page no="121"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages Beispiel „Die Stelle kann bei Bedarf geteilt werden.“ Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift hat allerdings keine rechtlichen Konsequenzen. • Es darf nicht gegen Diskriminierungsverbote verstoßen werden. Seit dem 18.8.2006 ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, das in der öffentlichen Diskussion auch als Antidiskriminierungsgesetz bezeichnet wird. Zwar galt auch zuvor bereits der Grundsatz der geschlechtsneutralen Stellenausschreibung -› vgl. § 611b BGB a._F. , durch das AGG sind noch eine ganze Reihe weiterer Diskriminierungsverbote hinzugekommen. Beschäftigte, und darunter werden auch Bewerber verstanden -› vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG , dürfen nicht aus Gründen ihrer: • Rasse, • ethnischer Herkunft, • des Geschlechts, • der Religion oder Weltanschauung, • des Alters oder • der sexuellen Identität benachteiligt werden. Bereits die Stellenausschreibung darf nicht gegen diese Diskriminierungsverbote verstoßen -› vgl. § 11 AGG . Allein die falsch formulierte Stellenausschreibung führt zwar noch nicht zu einem Schadenersatzanspruch. Wird jedoch ein Bewerber abgelehnt und geschah diese Ablehnung unter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, hat er Anspruch auf Schadenersatz bzw. eine Entschädigung -› vgl. § 15 Abs. 2 AGG . Er muss dafür nicht beweisen, dass er tatsächlich diskriminiert wurde. Er muss lediglich Indizien beweisen, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Dann trägt der Arbeitgeber die volle Beweislast -› Glossar für das Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen Benachteiligungsverbote -› vgl. § 22 AGG . Die fehlerhafte Stellenausschreibung ist ein solches Indiz. Um das Ganze etwas plastischer werden zu lassen, folgendes Beispiel: Beispiel Arbeitgeber A lässt folgende Anzeige in die regionale Tageszeitung setzen: „Bürokauffrau/ Sekretärin gesucht. Gute, anwendungsbereite Kenntnisse im Umgang mit moderner Büro- und Kommunikationstechnik, einwandfreies Beherrschen der deutschen Orthographie und Grammatik sowie der DIN 5008; regelmäßige Schreibgeschwindigkeit von mindestens 240 Anschlägen/ min mit geringster Fehlerquote.“ Es bewirbt sich auch der Bürokaufmann B, der alle geforderten Voraussetzungen erfüllt und mit guten Zeugnissen aufwarten kann. Dennoch wird er abgelehnt. Er ist der Ansicht, der Arbeitgeber hätte ihn deshalb nicht eingestellt, weil er ein 122 <?page no="122"?> 7.1 Stellenausschreibung Mann ist. Daher verlangt er gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung. Zahlt der Arbeitgeber nicht freiwillig und kommt es zu einem Gerichtsverfahren, dann muss B nicht beweisen, dass er diskriminiert wurde, sondern nur Indizien vorbringen, die auf eine solche Diskriminierung schließen lassen -› vgl. § 22 AGG . Die Stellenanzeige ist ein solches Indiz. Sie verstößt gegen § 11 i. V. m. § 1 AGG, da sie sich nur an weibliche Bewerber richtet und lässt darauf schließen, dass männliche Bewerber von vornherein nicht in Betracht gezogen werden. Legt B im Prozess die Stellenanzeige vor, muss A beweisen, dass die Ablehnung des B keine Diskriminierung war. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot kann auch bei einer weniger offensichtlichen Formulierung vorliegen: Beispiel Eine Werbeagentur schaltet folgende Anzeige: „Verstärkung für unser junges und dynamisches Team gesucht. . . “ Diese Anzeige liefert einen Hinweis auf die Diskriminierung älterer Bewerber. Unter bestimmten Voraussetzungen darf eine Stelle aber auch nur für männliche oder weibliche Bewerber ausgeschrieben werden. Das ist der Fall, wenn ein bestimmtes Geschlecht wegen der Art der Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende Anforderung ist -› vgl. § 8 Abs. 1 AGG . Diese Ausnahmeregelung findet hauptsächlich in den Bereichen Kunst, Mode und Profisport Anwendung. Beispiel 1 Die Rolle des Holländers in Richard Wagners Oper „Der Fliegende Holländer“, ist für einen Bariton geschrieben. Da der Bariton die mittlere männliche Gesangsstimme ist, kann sich eine entsprechende Ausschreibung auch nur an Sänger und nicht Sängerinnen richten. Beispiel 2 Als Model für Damen-Bademode kommen nur Frauen in Betracht. Trotz der umfangreichen Diskriminierungsverbote ist es weiterhin möglich, den Bewerber einzustellen, den man beim ersten Durchsehen der Bewerbungsunterlagen oder beim Vorstellungsgespräch sofort für geeignet hält, z. B. weil die „Chemie stimmt“, der Bewerber über besondere Kenntnisse verfügt oder einfach gut ins Team passt. Beschäftigt sich der Arbeitgeber deshalb gar nicht mehr mit den Unterlagen der übrigen Bewerber bzw. lädt sie nicht zum Vorstellungsgespräch ein, liegt hierin keine Diskriminierung. 123 <?page no="123"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages Ebenso wenig kann die Ablehnung wegen mangelnder Qualifikation zur Diskriminierung stilisiert werden. Wird z. B. ein Bewerber mit Migrationshintergrund abgelehnt, weil er die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht, liegt darin keine Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft. Im praktischen Ergebnis folgt aus den Vorgaben des AGG, dass der Arbeitgeber im eigenen Interesse eine umfassende Dokumentation aller Bewerber mit den Gründen für ihre Ablehnung vornehmen muss, um im Falle späterer Auseinandersetzungen ihrer Beweislast genügen zu können. 7.2 Bewerbung Durch eine Bewerbung bringt der Bewerber zum Ausdruck, dass er Interesse am Abschluss eines Arbeitsvertrages hat. Eine Bewerbung kann aufgrund einer konkreten Stellenausschreibung, nach vorheriger Anfrage des Bewerbers, auf Empfehlung Dritter, oder auf Vorgabe der Agentur für Arbeit u. ä., sowie als (unaufgeforderte) Initiativbewerbung erfolgen. 7.2.1 Bewerbungsunterlagen Zu den Bewerbungsunterlagen gehören neben dem Anschreiben, der Lebenslauf, i. d. R. mit Lichtbild, Zeugnisse, Referenzen usw. War die Bewerbung erfolgreich, werden die Bewerbungsunterlagen meist Bestandteil der Personalakte. War die Bewerbung dagegen erfolglos, kann der Bewerber die Rückgabe seiner Bewerbungsunterlagen verlangen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Unterlagen während des laufenden Verfahrens sorgfältig aufzubewahren. Er ist nicht berechtigt, die Unterlagen zu behalten oder ohne Zustimmung des Bewerbers an Dritte weiterzugeben. Auch ein im Rahmen des Bewerbungsverfahrens ausgefüllter Personalfragebogen muss vernichtet werden, wenn kein Arbeitsvertrag zustande kommt. Auf Bewerbungsunterlagen, die unverlangt eingesandt wurden (sog. Initiativbewerbungen) muss ein Arbeitgeber nicht reagieren; zur Rücksendung ist er nur verpflichtet, wenn ein Freiumschlag beigelegt ist. Dem Betriebsrat steht im Rahmen seines Mitbestimmungsrechts nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG das Recht zu, in alle Bewerbungsunterlagen Einsicht zu nehmen. 124 <?page no="124"?> 7.3 Vorstellungsgespräch 7.2.2 Vorstellungskosten Hat der Arbeitgeber den Bewerber ausdrücklich dazu aufgefordert, sich persönlich vorzustellen, kann der Bewerber seine Vorstellungskosten ersetzt verlangen, auch wenn dies vorher nicht explizit vereinbart wurde 1 . Die Rechtsgrundlage hierfür sind §§ 662, 670 BGB. Möchte der Arbeitgeber dies vermeiden, muss er die Kostenübernahme im Vorfeld ausdrücklich ausschließen. Der Anspruch auf Kostenersatz besteht auch nicht in unbegrenztem Umfang, der Bewerber kann nur die üblichen und erforderlichen Kosten ersetzt verlangen. Beispiel Wenn es dem Bewerber zumutbar ist, am gleichen Tag an- und abzureisen, ist eine Übernachtung nicht notwendig. Der Bewerber hat dann keinen Anspruch auf den Ersatz der Übernachtungskosten. 7.3 Vorstellungsgespräch Bevor er einen Bewerber einstellt, ist der Arbeitgeber erfahrungsgemäß daran interessiert, möglichst viel über den Bewerber zu erfahren. Das nachvollziehbare Interesse des Arbeitgebers an möglichst umfassenden Informationen kollidiert aber oft mit dem Interesse des Bewerbers seine Privatsphäre und sein Persönlichkeitsrecht zu schützen. Die Rechtsprechung hat im Laufe der Jahre eine Reihe von Grundsätzen entwickelt, um diesen Interessenkonflikt zu lösen und dabei beiden Seiten gerecht zu werden. 7.3.1 Aufklärungspflicht des Bewerbers Merksatz Der Bewerber muss von sich aus auf solche Umstände hinweisen, die ihm die Erfüllung des Arbeitsvertrages unmöglich machen würden oder die sonst für den Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind 2 , z. B. Krankheiten, Haftstrafen oder Wettbewerbsverbote. 1 BAG NZA 1989, S. 468 = DB 1989, S. 1089. 2 BAG NZA 1991, S. 1934 = DB 1991, S. 1934. 125 <?page no="125"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages Beispiel 1 Muss der Bewerber eine längere Haftstrafe antreten, so dass es ihm gar nicht möglich wäre, die Arbeit tatsächlich anzutreten, muss er den Arbeitgeber darauf hinweisen -› vgl. zu Vorstrafen Abschnitt 7.3.2, S. 126 . Beispiel 2 B bewirbt sich als Verkäuferin in einer Bäckerei. Leidet sie an einer Allergie gegen Getreide und Getreideprodukte, die zu lebensbedrohlicher Atemnot führt, muss sie dies dem Arbeitgeber ungefragt mitteilen. 7.3.2 Fragerecht des Arbeitgebers Der Arbeitgeber hat ein Fragerecht, wenn er ein billigenswertes, berechtigtes und schützwürdiges Interesse an der Beantwortung der Frage hat 3 . Das Interesse des Arbeitgebers an einer wahrheitsgemäßen Antwort muss das Interesse des Bewerbers an der Geheimhaltung überwiegen 4 . Merksatz Je enger die Frage im Zusammenhang mit der beruflichen Sphäre des Bewerbers steht, desto eher ist sie zulässig, je stärker sie sich auf das Privatleben des Bewerbers bezieht desto eher ist sie unzulässig. Die wichtigsten Fallgruppen sind: Qualifikation/ beruflicher Werdegang. Zulässig sind Fragen nach der beruflichen und fachlichen Qualifikation und Werdegang, Inhalt der Zeugnisse u. ä. Vorstrafen. Nach Vorstrafen darf der Arbeitgeber nur fragen, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat. Dafür muss ein Zusammenhang zur ausgeschriebenen Stelle bestehen 5 . Beispiel Bewerber/ innen um eine Stelle als Kindergärtner/ in dürfen nach Vorstrafen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern befragt werden. 3 BAGE 75, S. 77 = NZA 1994, S. 407. 4 BAGE 101, S. 341 = NZA 2003, S. 265. 5 BAGE 91, S. 349 = NZA 1999, S. 975. 126 <?page no="126"?> 7.3 Vorstellungsgespräch Die Vorlage des polizeilichen Führungszeugnisses -› Glossar kann der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verlangen, da er nur nach einschlägigen Vorstrafen fragen darf, das Führungszeugnis jedoch nicht nur die einschlägigen Vorstrafen ausweist. Ausnahmen gelten dann, wenn gesetzliche Vorschriften die Vorlage des Führungszeugnisses verlangen oder der Arbeitnehmer in einem besonders sicherheitssensiblen Bereich tätig werden soll. Beispiel Als Fahrer eines Geld- und Werttransportes, der zudem eine Schusswaffe bei sich trägt. Schwangerschaft. Fragen nach (geplanter) Schwangerschaft sind grundsätzlich unzulässig 6 . Religion/ Partei/ Gewerkschaftszugehörigkeit. Ebenso unzulässig sind Fragen nach der Religion, der Partei- oder Gewerkschaftszugehörigkeit. Eine Ausnahme gilt für Tendenzbetriebe -› vgl. Abschnitt 3.2.2.5, S. 42 . Beispiel Ein katholischer Kindergarten sucht eine neue Kindergärtner/ in. Die Bewerber/ innen dürfen im Bewerbungsgespräch nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt werden. Schwerbehinderung. Die Frage nach einer Schwerbehinderung -› Glossar -› vgl. § 2 SGB IX ist nach Ansicht des BAG zulässig 7 . Dafür spricht auch, dass es im Interesse des Arbeitgebers liegt, zu wissen, ob sein zukünftiger Arbeitnehmer schwerbehindert ist, da insoweit eine Reihe von Sonderregelungen gelten, z. B.: • Hat der Arbeitgeber mindestens 20 Arbeitsplätze, hat er auf wenigstens 5 % Schwerbehinderte zu beschäftigen -› vgl. § 71 SGB IX oder muss eine entsprechende Ausgleichsabgabe zahlen -› vgl. § 77 SGB IX . • Will der Arbeitgeber einen Schwerbehinderten kündigen, bedarf das der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes -› Glossar -› vgl. § 85 SGB IX . • Schwerbehinderte sind z. B. bei innerbetrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen bevorzugt zu berücksichtigen -› vgl. § 81 Abs. 4 Nr. 2 SGB IX . • Schwerbehinderte haben Anspruch auf behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumgebung -› vgl. § 81 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX . In der rechtswissenschaftlichen Literatur mehren sich allerdings die Stimmen, die diese Frage für unzulässig halten. Sie sind der Ansicht, dass es sich um einen der Frage nach der Schwangerschaft vergleichbaren Fall handelt, bzw. stützen ihre Ansicht 6 BAGE 104, S. 304 = NZA 2003, S. 848. 7 BAGE 90, S. 251 = NZA 1999, S. 584; BAGE 81, S. 120 = NZA 1996, S. 371. 127 <?page no="127"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages auf das Verbot der Benachteiligung Behinderter gemäß § 81 SGB IX bzw. nach den Regelungen des AGG. Die Entscheidungen, in welchen das BAG zur Zulässigkeit der Frage nach einer Schwerbehinderung Stellung genommen hat, stammen alle aus der Zeit vor Inkrafttreten des AGG! Eine aktuelle Entscheidung des BAG oder des EuGH zu dieser Problematik existiert (noch) nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, das der EuGH oder das BAG diese Frage in Zukunft auch für unzulässig erklären. Stellt der Arbeitgeber eine zulässige Frage, muss der Bewerber wahrheitsgemäß antworten. Gibt er eine unrichtige Antwort und wird eingestellt, kann der Arbeitgeber grundsätzlich • wegen arglistiger Täuschung anfechten -› vgl. §§ 123, 124 BGB und den Arbeitsvertrag so vernichten -› vgl. Kapitel 8, S. 141 , • den Arbeitsvertrag u. U. kündigen -› vgl. Kapitel 14, S. 243 , • wenn ihm ein Schaden entstanden ist, Schadenersatz verlangen. Handelt es sich dagegen um eine unzulässige Frage, hat der Bewerber das Recht zur Lüge. Der Arbeitgeber kann, wenn er später die Wahrheit erfährt, deshalb weder anfechten noch kündigen oder Schadenersatz beanspruchen. Unrichtige Antwort Richtige Antwort Zulässige Frage • Anfechtungsrecht -› vgl. § 123 BGB • u. U. Möglichkeit der Kündigung • Schadenersatz Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer können rechtliche Konsequenzen daraus herleiten. Arbeitgeber kann natürlich rein tatsächlich Folgerungen für Einstellung ziehen, z. B. keine Einstellung bei Vorstrafe. Unzulässige Frage Arbeitnehmer hat das Recht zur Lüge! Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer können rechtliche Konsequenzen daraus herleiten. 7.3.3 Aufklärungspflicht des Arbeitgebers Auch der Arbeitgeber hat gegenüber dem Bewerber Auskunftspflichten. Zum einen muss er den Bewerber darüber informieren, wenn überdurchschnittliche Leistungsanforderungen gestellt werden oder die Tätigkeit Besonderheiten verlangt, die für 128 <?page no="128"?> 7.3 Vorstellungsgespräch den Bewerber nicht ohne weiteres erkennbar sind. Eine Aufklärungspflicht besteht außerdem dann, wenn die Interessen des potentiellen Arbeitnehmers gefährdet sind, der Bewerber davon aber keine Kenntnis hat. Beispiel Weiß der Arbeitgeber, dass es zweifelhaft ist, ob er in absehbarer Zeit die fälligen Löhne und Gehälter noch auszahlen kann, muss er den Bewerber, der von den Zahlungsschwierigkeiten nichts weiß, vor Vertragsschluss darüber informieren 8 . Eine Auskunftspflicht besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber bereits im Grundsatz dazu entschlossen ist, bestimmte Stellen zu streichen und der Bewerber davon betroffen wäre 9 , er seine Stelle also wieder verlieren würde. Der geplante Stellenabbau muss aber in den Einzelheiten bereits absehbar sein; seine bloße Möglichkeit reicht für eine Aufklärungspflicht nicht aus. 7.3.4 Personalfragebögen, Assessment Center und Testverfahren Neben dem Vorstellungsgespräch stehen dem Arbeitgeber noch eine ganze Reihe weitere Möglichkeiten der Bewerberauswahl zur Verfügung. Personalfragebogen. Auch ein Personalfragebogen darf nur zulässige Fragen -› vgl. Abschnitt 7.3.2, S. 126 enthalten. Zudem unterliegt die Erstellung des Fragebogens der Mitbestimmung des Betriebsrates -› vgl. Abschnitt 5.3.6.4, S. 100 . Graphologisches Gutachten. Ein graphologisches Gutachten darf nur mit Einwilligung des Bewerbers angefertigt werden. Psychologische Tests. Testverfahren sind nur zulässig, wenn sie dem Arbeitgeber ermöglichen sollen, die Eignung des Bewerbers für den Arbeitsplatz zu ermitteln. Psychologische Tests dürfen nur von Personen durchgeführt werden, die über eine entsprechende Ausbildung verfügen (Diplompsychologe), und sie dürfen sie nur mit Einwilligung des Bewerbers erfolgen. Heimliche Tests sind unzulässig; der Arbeitgeber setzt sich dadurch außerdem der Gefahr aus, sich wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Bewerbers schadenersatzpflichtig zu machen. Assessment Center. Arbeitsproben oder sonstige fachliche Leistungstests werfen grundsätzlich keine rechtlichen Probleme auf; für psychologische Testverfahren im Rahmen eines Assessment-Centers gilt das oben Dargelegte. 8 BAG NJW 1975, S. 708 = DB 1975, S. 225. 9 BAG NZA 2005, S. 1298 = DB 2005, S. 2756. 129 <?page no="129"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages 7.4 Abschluss des Arbeitsvertrages Ein Arbeitsvertrag kommt ebenso wie jeder andere Vertrag durch eine Einigung der beiden beteiligten Parteien zustande. 7.4.1 Einigung der Parteien Der Vertrag kommt durch die Einigung von Arbeitgeber und Bewerber zustande. Sie müssen zwei aufeinander bezogene Willenserklärungen - ein Angebot -› vgl. § 145 BGB und die Annahme -› vgl. § 151 S. 1 BGB - abgeben. Weder die Stellenanzeige noch die eingeschickte Bewerbung stellen bereits verbindliche Angebote dar. Vielmehr erfolgt das Angebot zum Vertragsschluss regelmäßig erst später nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens. Arbeitgeber und Bewerber müssen sich für einen Vertragsschluss mindestens über folgende Punkte einigen: • Wer soll Vertragspartei (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) sein? Arbeitgeberseitig ist eine entsprechende Klarstellung von Bedeutung, wenn eine Muttergesellschaft die Einstellungen für ihre Tochtergesellschaften bearbeitet, wo der Arbeitnehmer tätig werden soll. • Welche Arbeitsleistung soll der Arbeitnehmer erbringen? Das muss allerdings nicht in allen Einzelheiten festgelegt werden, sondern kann später über das Direktionsrecht erfolgen. • Vertragsbeginn. Eine ausdrückliche Einigung über die Vergütung ist dagegen nicht notwendig, denn insoweit greift § 612 BGB -› vgl. Abschnitt 4.1.1.3, S. 61 . Gleichwohl wird die Vergütung in der Praxis i. d. R. konkret festgelegt, vielfach durch Bezugnahme auf einen konkreten Tarifvertrag. Sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer tarifgebunden, gilt der Tarifvertrag auch ohne Bezugnahme -› vgl. §§ 2, 3 Abs. 1 TVG -› vgl. Abschnitt 10.3, S. 180 . Weder Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer müssen den Vertrag persönlich abschließen; sie können sich beim Abschluss des Arbeitsvertrages vertreten lassen. In der Regel ist es allerdings der Arbeitgeber, der sich beim Vertragsschluss vertreten lässt, da es gerade bei großen Betrieben oder Unternehmen oft praktisch anders gar nicht möglich ist. Beispiel Für eine Aktiengesellschaft müsste eigentlich der Vorstand handeln. Bei einer AG mit mehreren tausend Angestellten schließt der Vorstand jedoch nicht jeden Arbeitsvertrag selbst ab, sondern lässt sich durch den Leiter der zuständigen Personalabteilung vertreten. 130 <?page no="130"?> 7.4 Abschluss des Arbeitsvertrages Wiederholung BGB Stellvertretung: Um einen anderen wirksam vertreten zu können, benötigt der Vertreter Vertretungsmacht -› vgl. § 164 Abs. 1 BGB . In einigen Fällen ist bereits im Gesetz festgelegt, dass bestimmte Personen zur Vertretung berechtigt sind (= gesetzliche Vertretung) z. B.: • Eltern sind die gesetzlichen Vertreter ihrer Kinder -› vgl. § 1629 BGB . • Geschäftsführer ist der gesetzliche Vertreter einer GmbH -› vgl. § 35 GmbHG . • Der Vorstand ist der gesetzliche Vertreter einer Aktiengesellschaft -› vgl. § 78 AktG . In den Fällen der gesetzlichen Vertretung müssen die Vertreter den Vertrag abschließen, denn der Vertreter, z. B. die GmbH selbst, ist dazu nicht in der Lage. Das Gegenstück zur gesetzlichen bildet die gewillkürte Vertretung. Der Vertretene könnte den Vertrag zwar selbst abschließen, möchte sich aber vertreten lassen. Daher bevollmächtigt er einen Dritten, macht ihn zu seinem Vertreter. In der Unternehmenspraxis wichtige Fälle der gewillkürten Vertretungsmacht sind die Prokura -› vgl. §§ 48 ff. HGB und die Handlungsvollmacht -› vgl. § 54 HGB . 7.4.2 Wirksamkeit der Einigung 7.4.2.1 Geschäftsfähigkeit Beide Parteien müssen beim Vertragsschluss geschäftsfähig sein. Merksatz Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte selbständig wirksam vorzunehmen, z. B. wirksam einen Vertrag abschließen zu können. Wiederholung BGB Geschäftsunfähig ist, wer das 7. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder aufgrund einer krankhaften und nicht nur vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen -› vgl. § 104 BGB . 131 <?page no="131"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages Beispiel Schwer geistig Behinderte. Ein Geschäftsunfähiger kann selbst keine wirksamen Verträge abschließen, seine Willenserklärungen sind nichtig -› vgl. § 105 Abs. 1 BGB . Beschränkt geschäftsfähig sind Minderjährige, die das 7. und noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben -› vgl. § 106 BGB . Sie benötigen für den wirksamen Abschluss eines Rechtsgeschäfts grundsätzlich die Einwilligung/ Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters -› vgl. § 107 BGB (i. d. R. die Eltern -› vgl. § 1629 BGB ). Ein Vertrag ohne diese Einwilligung, ist schwebend unwirksam, kann aber von den gesetzlichen Vertretern noch genehmigt werden. Geschieht das nicht, wird er endgültig unwirksam -› vgl. § 108 BGB . Im Bereich des Arbeitsrechts existiert zudem eine Sonderregel: § 113 BGB. Der gesetzliche Vertreter kann eine Generaleinwilligung erteilen, wonach der Minderjährige in Dienst oder Arbeit treten darf und für diesen Bereich unbeschränkte Geschäftsfähigkeit erlangt. Er kann alle Rechtsgeschäfte wirksam abschließen, die Eingehung, Aufhebung und Erfüllung Arbeitsverhältnissen betreffen. Wichtig: § 113 BGB gilt nicht für Ausbildungsverhältnisse, da hier die Ausbildung und nicht die Arbeitsleistung im Vordergrund steht 10 . 7.4.2.2 Formerfordernisse Für den Abschluss (oder die Änderung) eines Arbeitsvertrages ist vom Gesetz keine besondere Form vorgeschrieben. Im Gegensatz dazu bedarf die Kündigung eines Arbeitsvertrages stets der Schriftform -› vgl. § 623 BGB -› vgl. Kapitel 15, S. 277 . Der Arbeitsvertrag kann daher grundsätzlich auch formfrei geschlossen werden. Allerdings können Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren, dass eine bestimmte Form eingehalten werden muss, damit der Arbeitsvertrag wirksam ist. Solche Vereinbarungen können auch in einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag enthalten sein. Wird die vereinbarte Form nicht eingehalten, hat das die Nichtigkeit des Arbeitsvertrages zur Folge -› vgl. § 125 BGB . Es sei denn, es wäre mit Treu und Glauben -› vgl. § 242 BGB , nicht zu vereinbaren, den Vertrag aufgrund des Formmangels für nichtig zu erklären. 10 LAG Bremen BB 1958, S. 738. 132 <?page no="132"?> 7.4 Abschluss des Arbeitsvertrages Beispiel Der Arbeitnehmer A schließt Anfang 2005 einen mündlichen Arbeitsvertrag mit B. Keiner der beiden weiß, dass der für sie geltende Tarifvertrag die Schriftform für die Wirksamkeit eines Arbeitsvertrags vorschreibt. Anfang 2006 erfährt B durch Zufall von dieser Formvorschrift. Als er sich im Herbst 2007 wieder einmal über einen Fehler des A ärgert, erklärt er ihm kurzerhand, er bräuchte morgen nicht mehr wiederkommen, einen Arbeitsvertrag gebe es wegen des Formmangels ohnehin nicht. Da B trotz Kenntnis des Formmangels über eineinhalb Jahre am Arbeitsvertrag festhielt, wäre es ein Verstoß gegen Treu und Glauben, den Vertrag für nichtig zu erklären. Es existieren einige gesetzliche Formvorschriften, die nicht den gesamten Arbeitsvertrag, sondern lediglich einzelne Regelungen betreffen: • Soll der Arbeitsvertrag befristet geschlossen werden, muss die Befristungsregelung schriftlich erfolgen, damit sie wirksam ist -› vgl. § 14 Abs. 4 TzBfG -› vgl. Abschnitt 11.1.4, S. 202 . Beispiel „Der Arbeitsvertrag ist vom 1.1.2007 bis einschließlich 30.6.2008 befristet.“ • Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, das einem Arbeitnehmer untersagt, auch nach Beendigung des Arbeitsvertrages eine bestimmte Tätigkeit in einem bestimmten Gebiet aufzunehmen, muss ebenfalls schriftlich vereinbart werden -› vgl. § 74 HGB . Wird die vorgeschriebene Form nicht eingehalten, ist nicht der gesamte Arbeitsvertrag, sondern nur die einzelne Bestimmung unwirksam. Schließlich gibt es in einigen speziellen Fällen auch gesetzliche Formvorschriften, deren Nichteinhaltung keine Auswirkung auf die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages hat. Der Sinn dieser Formvorschriften ist es vielmehr, für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Arbeitsverhältnis zu sorgen. Es soll sichergestellt werden, dass der Arbeitnehmer noch einmal ausdrücklich über die Bedingungen seines Arbeitsvertrages informiert wird und sie auch in schriftlicher Form zur Verfügung stehen. • Gemäß § 2 NachweisG muss ein Arbeitgeber spätestens einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederlegen, unterzeichnen und dem Arbeitnehmer aushändigen. § 2 NachweisG schreibt nicht vor, dass Arbeitsverträge schriftlich zu schließen sind! • Handelt es sich um einen Fall der Arbeitnehmerüberlassung -› vgl. Abschnitt 11.3, S. 206 , müssen die wesentlichen Vertragsbedingungen, Firma und Anschrift des Verleihers, die Erlaubnisbehörde sowie Ort und Datum der Erlaubnis und Art 133 <?page no="133"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages und Höhe der Leistungen (Entgelt) für Zeiten, in denen der Leiharbeitnehmer nicht verliehen ist, schriftlich festgehalten werden -› vgl. § 11 AÜG . Der Leiharbeitsvertrag selbst kann dagegen auch mündlich geschlossen werden. 7.4.2.3 Gesetz- oder Sittenwidrigkeit Gesetzwidrigkeit. Verstößt ein Arbeitsvertrag gegen ein gesetzliches Verbot, dann ist der Vertrag nichtig, wenn sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt -› vgl. § 134 BGB . § 134 BGB regelt zwar die Rechtsfolge eines Verbotsverstoßes, gibt aber leider keine Auskunft darüber, welche Vorschriften ein solches Verbot enthalten. Verbotsvorschriften i. S. § 134 BGB finden sich praktisch in der gesamten Rechtsordnung. Für einen umfassenden Überblick muss daher auf einen Kommentar zum BGB zurückgegriffen werden; in der Kommentierung zu § 134 BGB werden die einzelnen Verbotsvorschriften aufgelistet. Merksatz Als Faustregel gilt: Wenn die gesetzliche Vorschrift das Zustandekommen des Arbeitsvertrages an sich verhindern will, dann handelt es sich im Zweifel um eine Verbotsvorschrift. Beispiel Die Beschäftigung von Kindern (unter 15-jährige) ist von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. Schulpraktikum, Ferienjob) verboten -› vgl. § 5 JArbSchG . Ein Arbeitsvertrag, der entgegen diesem Verbot abgeschlossen wird, ist unwirksam. Verstoßen nur einzelne Arbeitsbedingungen und nicht der Vertrag gegen ein gesetzliches Verbot, ist nur die entsprechende Regelung und nicht der Vertrag unwirksam -› vgl. § 139 BGB . Beispiel Unter Verstoß gegen § 3 ArbZG wird eine 60-Stunden-Arbeitswoche als Regelarbeitszeit vereinbart. Sittenwidrigkeit. Der Arbeitsvertrag oder einzelne Bedingungen können gegen die guten Sitten verstoßen und nichtig sein -› vgl. § 138 Abs. 1 BGB . Merksatz Sittenwidrigkeit ist der Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. 134 <?page no="134"?> 7.4 Abschluss des Arbeitsvertrages Maßgebend sind weder die Ansichten und Wertvorstellungen besonders sensibler Personen bzw. besonders strenge Wertvorstellungen. Andererseits sind abgestumpftes Empfinden und Unsitten, selbst wenn sie weit verbreitet sind, ebenfalls kein Maßstab. Sittenwidrig ist der Arbeitsvertrag oder die Arbeitsbedingung, wenn sie gegen die durchschnittlichen Wertvorstellungen der Gesellschaft bzw. die öffentliche Ordnung verstoßen. Im Arbeitsrecht haben sich folgende Fallruppen herausgebildet: • Der Arbeitsvertrag/ Arbeitsbedingung(en) sind mit dem Anstand vollkommen unvereinbar 11 . Beispiel Verpflichtung der Arbeitnehmerin zur Vorführung des Geschlechtsverkehrs auf der Bühne. • Das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko, das eigentlich den Arbeitgeber trifft, wird auf den Arbeitnehmer abgewälzt 12 . Beispiel Der Arbeitsvertrag der Verkäuferin V enthält folgende Regelung: „Die Arbeitnehmerin muss den Verkaufswert aller durch Ladendiebstahl entwendeten Waren ersetzten, auch wenn sie an den Verlusten kein Verschulden trifft.“ • Der Arbeitnehmer wird in übermäßiger Weise vertraglich verpflichtet. Beispiel Im Arbeitsvertrag werden selbst für geringe Vertragsverstöße hohe Vertragsstrafen festgelegt. Verstoßen nur einzelne Arbeitsbedingungen gegen die guten Sitten, ist nur die betreffende Klausel nichtig, nicht der gesamte Arbeitsvertrag -› vgl. § 139 BGB . Entsteht dadurch eine Lücke im Vertrag, wird auf die gesetzlichen Bestimmungen zurückgegriffen, die dieses konkrete Problem regeln. Wucher. Wucher -› vgl. § 138 Abs. 2 BGB ist ein spezieller Fall der Sittenwidrigkeit. Um Wucher handelt es sich, wenn bei einem Rechtsgeschäft • ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und 11 BAGE 28, S. 83 = DB 1976, S. 1680. 12 BAG DB 1974, S. 878 = BB 1974, S. 463; BAG DB 1991, S. 659 = NJW 1991, S. 860. 135 <?page no="135"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages • das Rechtsgeschäft durch das Ausnutzen einer Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwäche zustande gekommen ist. Im Arbeitsrecht handelt es sich meist um Fälle des Lohnwuchers 13 . Von Lohnwucher spricht man, wenn ein zu niedriger - und deshalb sittenwidriger - Arbeitslohn gezahlt wird. Das ist der Fall, wenn das Arbeitsentgelt so niedrig ist, dass ein auffälliges Missverhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung besteht. Beispiel Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber zahlt seinen Arbeitnehmern 1,20 € pro Stunde. Der Tariflohn in der Branche liegt bei 8,40 € pro Stunde. Nach der Rechtsprechung liegt bei einer Unterschreitung der niedrigsten Tariflohngruppe um 1/ 3 ein sittenwidrig niedriger Lohn vor. Ein Mindestlohn kann sich - abgesehen von den Fällen des § 138 BGB - aus der Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages ergeben. In einigen wenigen Bereichen wurden geltende Tarifverträge vom Bundeswirtschaftsministerium für allgemeinverbindlich, d. h. für alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber verbindlich erklärt. Das betrifft vor allem jene Branchen, die besonders unter Dumpinglöhnen zu leiden haben. Von den rund 64.300 als gültig in das Tarifregister eingetragenen Tarifverträgen sind zurzeit 460 allgemeinverbindlich 14 . In der Politik wird seit längerer Zeit immer wieder über einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn diskutiert, zu einer entsprechenden Regelung kam es bislang (Stand Juni 2007) jedoch nicht. 7.4.2.4 Abschluss- und Beschäftigungsverbote Grundsätzlich können Arbeitgeber und Arbeitnehmer frei entscheiden, ob und mit wem ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird. Die Vertragsfreiheit wird jedoch in einigen Fällen durch Abschluss- oder Beschäftigungsverbote eingeschränkt. Beschäftigungsverbote verbieten bestimmten Personen bestimmte Tätigkeiten zu verrichten. Meist sollen diese Vorschriften dem Schutz des Arbeitnehmers, z. T. auch dem Schutz Dritter bzw. der Allgemeinheit dienen. Wichtige Beschäftigungsverbote sind: • § 5 Abs. 1 JArbSchG. Die Beschäftigung von Kindern (unter 15 Jahren) ist - von wenigen Ausnahmen abgesehen - verboten. • §§ 22 ff. JArbSchG enthalten eine Reihe von Beschäftigungsverboten für Jugendliche, z. B. das Verbot der Beschäftigung unter Tage. 13 BAG NZA 2006, S. 1354 = DB 2006, S. 2467; BAGE 110, S. 79 = NZA 2004, S. 971; BGH BB 1997, S. 2166 = NJW 1997, S. 2689. 14 Übersicht der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge auf der Homepage des BMAS: http: / / www.bmas.bund.de/ portal/ 16702/ startseite.html (Abruf: 15.09.2007). 136 <?page no="136"?> 7.5 Allgemeine Geschäftsbedingungen und Arbeitsverträge • §§ 3, 4, 6, 8 MuSchG. Beschäftigungsverbote für eine gewisse Schutzfrist vor/ nach der Entbindung und während der Stillzeit. • Das Arbeitszeitgesetz stellt ebenfalls eine Reihe von Beschäftigungsverboten auf, z. B. § 9 ArbZG Sonn- und Feiertagsruhe. • § 42 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSchG) stellt Beschäftigungsverbote für Personen auf, die an den dort aufgezählten Krankheiten, z. B. Cholera, leiden. Abschlussverbote untersagen bereits den Abschluss eines Arbeitsvertrages. Sie können sich aus dem Gesetz ergeben oder in einem Tarifvertrag vereinbart werden. 7.5 Allgemeine Geschäftsbedingungen und Arbeitsverträge Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sind aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Gleichgültig, ob es um die Eröffnung eines Kontos, eine Bestellung bei einem Online-Händler, die Bestellung eines Autos oder Möbeln und um den Abschluss eines Vertrages mit einem Telekommunikationsanbieter geht - überall wird man mit vorformulierten (und oft sehr klein gedruckten) Klauseln konfrontiert, die Teil des Vertrages werden sollen. AGB sind vor allem für Massengeschäfte bedeutsam. Denn jemand, der am Tag hunderte gleichartiger Verträge abschließt, kann nicht jeden Vertrag bis in alle Einzelheiten aushandeln. Wer AGB aufstellt, ist in der Regel einseitig auf seinen Vorteil bedacht und wird die AGB entsprechend formulieren. Der Vertragspartner ist dagegen oft bereits damit überfordert alle Rechtsfolgen zu erkennen. Daher sind in den §§ 305 ff. BGB Schutzvorschriften enthalten, welche die Wirksamkeit von AGB kontrollieren und einschränken. Auch in Unternehmen wird nicht mit jedem neu einzustellenden Arbeitnehmer ein individueller Vertrag ausgehandelt. Man benutzt stattdessen meist vorgefertigte Arbeitsverträge (sog. Formulararbeitsverträge), die bereits für vergleichbare Arbeitnehmer verwendet wurden. Gemäß § 310 Abs. 4 BGB greift die für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) vorgesehene Kontrolle auch auf Formulararbeitsverträge. Allerdings müssen dabei die Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt werden. Zu den Besonderheiten des Arbeitsrechts gehören die rechtlichen Vorschriften, die im Arbeitsrecht angewendet werden. Ob auch tatsächliche Besonderheiten des Arbeitsrechts beachtet werden müssen, ist dagegen noch nicht entschieden. Auf Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen sind die Vorschriften über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht anwendbar. 137 <?page no="137"?> 7 Zustandekommen des Arbeitsvertrages Zusammenfassung Stellenausschreibungen. Art und Inhalt bestimmt grundsätzlich der Arbeitgeber, dabei müssen aber eine Reihe von Einschränkungen beachtet werden: • innerbetriebliche Ausschreibung -› vgl. § 93 BetrVG • Ausschreibung als Teilzeitstelle -› vgl. § 7 TzBfG • Diskriminierungsverbote -› vgl. § 11 AGG Vorstellungskosten. Übliche und erforderliche Kosten trägt der Arbeitgeber -› vgl. §§ 662, 670 BGB , wenn dies nicht zuvor ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Offenbarungspflicht. Der Bewerber muss ungefragt auf alle Umstände hinweisen, die die Arbeitsleistung unmöglich machen oder für das Arbeitsverhältnis von ausschlaggebender Bedeutung sind. Keine Offenbarungspflicht hinsichtlich solcher Umstände, nach denen der Arbeitgeber auch nicht fragen dürfte! Fragerecht. Der Arbeitgeber darf Fragen stellen, an deren Beantwortung er ein zu billigendes und schützenswertes Interesse hat. Einzelfälle: • Frage nach bisheriger Tätigkeit/ Erfahrungen/ beruflicher Qualifikation sind zulässig • Frage nach Vorstrafen nur bei Zusammenhang mit Arbeitsplatz • Frage nach Religion/ Partei/ Gewerkschaft nur bei Tendenzbetrieb • Frage nach Schwangerschaft grundsätzlich verboten Bei einer unzulässigen Frage hat der Bewerber das Recht zur Lüge. Vertragsschluss. Parteien müssen sich über die wesentlichen Vertragspunkte einigen. Außerdem sind bei Vertragsschluss folgende Punkte zu beachten: • Geschäftsfähigkeit der Vertragspartner bzw. Einverständnis der gesetzlichen Vertreter • möglicherweise bestehende Formvorschriften • kein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot -› vgl. § 134 BGB • keine Sittenwidrigkeit bzw. kein Wucher -› vgl. § 138 BGB • Abschluss- und Beschäftigungsverbote 138 <?page no="138"?> Kontrollfragen Kontrollfragen 1. Ist eine Stellenanzeige bereits ein Angebot im Sinne § 145 auf Abschluss eines Arbeitsvertrages? Begründen Sie Ihre Antwort kurz! -› vgl. Abschnitt 7.1, S. 121 und Abschnitt 7.4.1, S. 130 2. Welche Ansprüche hat ein abgelehnter Bewerber, wenn die Ablehnung in diskriminierender Weise geschah? -› vgl. Abschnitt 7.1, S. 121 3. B bewirbt sich als Sekretärin an einer staatlichen Schule. Welche Fragen dürfen im Vorstellungsgespräch gestellt werden? -› vgl. Abschnitt 7.3.2, S. 126 • Wie gut sind Ihre Kenntnisse im Umgang mit Büro-Standardsoftware? • Möchten Sie noch Kinder haben? • Glauben Sie an Gott? • Sind Sie schwerbehindert? 4. „Ein Arbeitsvertrag muss immer schriftlich geschlossen werden.“ Ist diese Aussage korrekt? Begründen Sie Ihre Antwort kurz! -› vgl. Abschnitt 7.4.2.2, S. 132 5. In welchen Fällen ist ein Arbeitsvertrag (oder eine Arbeitsbedingung) typischerweise sittenwidrig? -› vgl. Abschnitt 7.4.2.3, S. 134 6. Erklären Sie den Unterschied zwischen einem Beschäftigungs- und einem Abschlussverbot! Nennen Sie je ein Beispiel! -› vgl. Abschnitt 7.4.2.4, S. 136 Literatur Arbeitsrecht Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München (Achtung: Das AGG ist in dieser Auflage noch nicht enthalten! ) Junker , A . [2007]: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Aufl., München Adomeit , K./ Mohr , J . [2007]: Benachteiligung von Bewerbern (Beschäftigten) nach dem AGG als Anspruchsgrundlage für Entschädigung und Schadenersatz, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 179-184 Bürgerliches Recht: Erläuterungen zum Vertragsschluss allgemein und zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen Brox , H./ Walker , W.-D. [2006]: BGB Allgemeiner Teil, 30. Aufl., München Köhler , H . [2005]: BGB Allgemeiner Teil, 29. Aufl., München 139 <?page no="140"?> 8 Fehlerhafter Arbeitsvertrag Übersicht • Nichtigkeit -› vgl. Abschnitt 8.1 • Anfechtung wegen Irrtums und Täuschung -› vgl. Abschnitt 8.2, S. 142 Ein Arbeitsvertrag kann wie jeder andere Vertrag an Mängeln und Fehlern leiden. Einige Fehler werden als so gravierend angesehen, dass sie ohne weiteres zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages führen. Andere Fehler berechtigen die Vertragsparteien dagegen nur zur Vernichtung des Arbeitsvertrages durch Anfechtung. Die Nichtigkeit tritt in diesen Fällen daher nicht automatisch ein. 8.1 Nichtigkeit des Arbeitsvertrages Fehler, welche die Nichtigkeit eines Arbeitsvertrages zur Folge haben, wurden bereits im vorhergehenden Kapitel -› vgl. Abschnitt 7.4.2, S. 131 erläutert. Die Nichtigkeit resultiert aus: • Abschluss des Arbeitsvertrages durch einen Geschäftsunfähigen -› vgl. § 105 Abs. 1 BGB . • Abschluss des Arbeitsvertrages durch einen beschränkt Geschäftsfähigen ohne die erforderliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Beispiel Ein 15-jähriger schließt ohne Einwilligung seiner Eltern einen Arbeitsvertrag ab; als die Eltern davon erfahren, verweigern sie ihre Zustimmung. • Missachtung einer Formvorschrift, die die Wirksamkeit des Vertrages von der Einhaltung einer bestimmten Form abhängig macht -› vgl. § 125 BGB . • Verletzung eines Verbotsgesetzes -› vgl. § 134 BGB . • Sittenwidrigkeit des gesamten Arbeitsvertrages -› vgl. § 138 BGB . 141 <?page no="141"?> 8 Fehlerhafter Arbeitsvertrag 8.2 Anfechtung des Arbeitsvertrages In einigen Fällen ist der Arbeitsvertrag aufgrund des Mangels nicht automatisch unwirksam. Unwirksam wird der Vertrag vielmehr erst, wenn er von einer der Vertragsparteien wegen dieses Mangels angefochten und damit vernichtet wird. Eine Anfechtung kann allerdings nicht beliebig, sondern nur aus ganz bestimmten Gründen erfolgen: • Irrtum • arglistige Täuschung • widerrechtliche Drohung Die widerrechtliche Drohung spielt im Arbeitsverhältnis praktisch keine Rolle, Anfechtungen wegen eines Irrtums und vor allem wegen einer arglistigen Täuschung sind dagegen wesentlich häufiger. 8.2.1 Anfechtung aufgrund Irrtums Wer sich beim Abschluss eines Vertrages in einem Irrtum befunden hat, kann bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen anfechten: 8.2.1.1 Vorliegen eines Anfechtungsgrundes Nicht jeder Irrtum, dem einer der beiden Vertragspartner unterliegt, berechtigt auch zur Anfechtung. Anfechtungsgründe stellen nur die in §§ 119 und 120 BGB aufgeführten Irrtümer dar. Inhaltsirrtum. § 119 Abs. 1 1. Fall „Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war. . . “ Derjenige, der die Willenserklärung abgibt, weiß zwar, was er sagt oder schreibt, irrt sich aber über dessen Bedeutung. Beispiel A hat sich selbständig gemacht und seinen ersten Arbeitnehmer eingestellt. Um ihn zu motivieren, will er nicht nur ein Festgehalt zahlen, sondern zusätzlich noch einen gewinnabhängigen Bonus. Da er in den Existenzgründerkursen jedoch nicht richtig aufgepasst hat, glaubt er, Umsatz sein gleichbedeutend mit Gewinn und formuliert daher im Arbeitsvertrag folgende Klausel: „Der Arbeitnehmer erhält am Ende des Jahres einen Bonus von 1,5 % des Umsatzes im jeweiligen Kalenderjahr.“ A schreibt also genau das, was er schreiben wollte, irrt aber über die Bedeutung des Begriffes „Umsatz“ und damit gleichzeitig über den Inhalt der gesamten Klausel. 142 <?page no="142"?> 8.2 Anfechtung des Arbeitsvertrages Erklärungsirrtum. § 119 Abs. 1 2. Fall „ . . . oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte,. . . “ Ein Erklärungsirrtum liegt vor allem in Fällen des Versprechens oder Verschreibens vor. Beispiel A möchte seinem Arbeitnehmer 26 Urlaubstage gewähren, doch er vertippt sich und schreibt: „Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf 62 Urlaubstage.“ Eigenschaftsirrtum. Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft -› vgl. § 119 Abs. 2 BGB einer Person oder Sache. Die Eigenschaft einer Sache ist alles, was für ihre Brauchbarkeit oder ihren Wert von Einfluss ist 1 . Beispiel Die Produktionsleistung einer Maschine oder der Goldgehalt eines Schmuckstücks sind verkehrswesentliche Eigenschaften. Eigenschaften einer Person, sind Merkmale, die ihr für eine gewisse Dauer anhaften oder sie charakterisieren 2 . Beispiele Gesundheitszustand, Vorstrafen oder besondere Ausbildungsabschlüsse. Die Eigenschaft der Person oder Sache muss außerdem verkehrswesentlich sein. Das heißt, sie muss nach der Verkehrsanschauung für den konkreten Vertrag wesentlich, d. h. mit ausschlaggebend für den Vertragsschluss gewesen sein. Beispiel Ein Betriebsinhaber schließt mit dem Bewerber B einen Arbeitsvertrag, weil er glaubt, B verfüge über eine ganz bestimmte berufliche Qualifikation. Übermittlungsirrtum. Eine Willenserklärung kann auch dann angefochten werden, wenn sie „durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Anstalt unrichtig übermittelt worden ist“ -› vgl. § 120 BGB . 1 BGH NJW 2001, S. 226 = DB 2000, S. 2586. 2 BGHZ 117, S. 280 = NJW 1992, S. 1222. 143 <?page no="143"?> 8 Fehlerhafter Arbeitsvertrag Beispiel Ein Übersetzer übersetzt einen Arbeitsvertrag für einen ausländischen Arbeitnehmer fehlerhaft. 8.2.1.2 Abgabe einer Anfechtungserklärung Derjenige Vertragspartner, der einem Irrtum erlegen ist (sog. Anfechtungsberechtigter), ficht an, indem er eine Anfechtungserklärung gegenüber dem anderen Vertragspartner (sog. Anfechtungsgegner) abgibt -› vgl. § 143 BGB . Für die Erklärung ist weder eine bestimmte Form noch ein bestimmter Inhalt vorgeschrieben. Auch der Begriff „Anfechtung“ muss nicht verwendet werden. Es genügt, wenn deutlich zum Ausdruck kommt, dass das der Vertrag wegen eines Irrtums rückwirkend beseitigt werden soll. Obwohl eine Anfechtung formfrei möglich ist, sollte im Arbeitsrecht aus Gründen der Beweissicherung dennoch immer die Schriftform gewählt werden. 8.2.1.3 Einhaltung der Anfechtungsfrist Die Anfechtungserklärung muss innerhalb einer bestimmten Frist abgegeben werden. Ist die Frist verstrichen, erlischt das Anfechtungsrecht! Merksatz Bei einer Anfechtung aufgrund eines Irrtums muss die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte vom Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat -› vgl. § 121 Abs. 1 BGB . Das heißt, sobald der Anfechtungsberechtigte seinen Irrtum bemerkt hat oder es ernsthaft für möglich hält, dass er sich geirrt hat, muss er so schnell wie möglich anfechten. Feste Zeitvorgaben gibt es dafür jedoch nicht. Der Anfechtungsberechtigte muss nicht sofort nach Entdeckung des Irrtums anfechten, sondern kann das Für und Wider abwägen bzw. rechtlichen Rat einholen. Dies alles muss aber ohne Verzögerung geschehen. Wenn allerdings sowohl eine Anfechtung nach § 119 BGB wegen Irrtums als auch eine außerordentliche Kündigung -› vgl. Kapitel 15, S. 277 in Betracht kommt, ist es nach der Rechtsprechung des BAG notwendig, dass auch eine Anfechtung innerhalb einer Frist von zwei Wochen (wie bei der außerordentlichen Kündigung -› vgl. § 626 BGB ) erfolgt 3 . 3 BAG NZA 1991, S. 719 = NJW 1991, S. 2723. 144 <?page no="144"?> 8.2 Anfechtung des Arbeitsvertrages 8.2.1.4 Kein Ausschluss der Anfechtung Eine Anfechtung ist trotz Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nicht mehr möglich, wenn der Anfechtungsberechtigte das anfechtbare Rechtsgeschäft bestätigt hat -› vgl. § 144 Abs. 1 BGB . Er muss zum Ausdruck gebracht haben, dass er an dem Rechtsgeschäft festhalten möchte, obwohl er die Anfechtbarkeit kennt oder für möglich hält. Das kann entweder durch eine ausdrückliche Erklärung oder durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Allerdings darf das Verhalten dann keine andere Deutung zulassen. 8.2.2 Anfechtung aufgrund Täuschung oder Drohung Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch eine arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch eine Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten -› vgl. § 123 Abs. 1 BGB . Im Arbeitsrecht handelt es sich bei der ganz überwiegenden Zahl der Anfechtungen um solche wegen arglistiger Täuschung, weshalb im Folgenden auch der Schwerpunkt der Darstellung auf dieser Anfechtungsmöglichkeit liegen soll. 8.2.2.1 Vorliegen eines Anfechtungsgrundes Täuschung. Es muss eine Täuschung begangen, d. h. einen Irrtum über eine Tatsache erregt, verstärkt oder aufrechterhalten worden sein. Beispiel Eine Tatsache, über die getäuscht werden kann, ist die berufliche Qualifikation des Bewerbers. Über eine Tatsache, die für den anderen offensichtlich ist, kann allerdings nicht getäuscht werden. Beispiel Der 1,5 m große Bewerber B leidet an einer Funktionseinschränkung der Gliedmaßen und angeborenem Minderwuchs und ist zu 100 % schwerbehindert. Bei seiner Bewerbung auf eine Stelle im Betrieb des A füllte B einen Personalfragebogen aus, in dem er die Frage nach einer Schwerbehinderung mit „nein“ beantwortete. B wurde eingestellt. Als A von seiner Schwerbehinderung erfuhr, focht er den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an. Das BAG 4 entschied, dass der B zwar auf eine zulässige Frage nach seiner Schwerbehinderung unrichtig geantwortet habe, in diesem konkreten Fall aber dennoch keine Täuschung vorliege. Die Schwerbehinderung des B 4 BAGE 96, S. 123 = NZA 2001, S. 315. 145 <?page no="145"?> 8 Fehlerhafter Arbeitsvertrag sei nämlich bereits aufgrund seines Erscheinungsbildes offenkundig, eine Täuschung daher gar nicht möglich gewesen. Die Täuschung kann durch ein positives Tun (Erklärung) oder durch ein Unterlassen (Verschweigen) geschehen. Das bloße Verschweigen einer Tatsache ist jedoch nur dann als Täuschung zu werten, wenn eine Pflicht bestand, den fraglichen Umstand mitzuteilen -› vgl. Abschnitt 7.3.1, S. 125 . Beispiel Die mittelständische Bäckerei B, die ihre Produkte an Supermärkte in der Region liefert, sucht dringend und kurzfristig eine/ n neuen Berufskraftfahrer für die Auslieferung. Bereits in der Stellenausschreibung ist angegeben, dass die Fahrerlaubnis Klasse C1 für LKW bis 7,5 t Voraussetzung ist. Unter den Bewerbern ist auch der Kraftfahrer K. Im Vorstellungsgespräch fragt der Leiter der Personalabteilung: „Sie dürfen LKW bis 7,5 t fahren? “ K bejaht. Was er allerdings verschweigt ist, dass ein 3-monatiges Fahrverbot gegen ihn verhängt wurde, welches gerade zu Arbeitsbeginn wirksam werden wird. Da er befürchtet, die Stelle sonst nicht zu bekommen, teilt er dies B nicht mit. Da K alle Voraussetzungen erfüllt, schließt der Leiter der Personalabteilung den Arbeitsvertrag mit ihm ab. K erscheint pünktlich zur Arbeit und beginnt trotz des Fahrverbotes mit den Auslieferungsfahrten. Durch einen Zufall erfährt B nach zwei Wochen vom Fahrverbot. K hat durch ein Unterlassen getäuscht, da er das Fahrverbot nicht erwähnte, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre. Denn das Fahrverbot macht es ihm unmöglich, seine Arbeitspflicht zu erfüllen. B kann folglich den Arbeitsvertrag anfechten. Rechtswidrigkeit. Die Täuschung muss rechtswidrig sein. Das ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Grundsätzlich ist eine Täuschung rechtswidrig, in Ausnahmefällen kann eine Täuschung jedoch auch berechtigt gewesen sein. Im Arbeitsrecht gilt dies, wenn der Bewerber auf eine unzulässige Frage eine unrichtige Antwort gibt, also von seinem Recht zur Lüge Gebrauch macht. Oder wenn er Umstände verschweigt, nach denen der Arbeitgeber nicht fragen dürfte. Beispiel Die Bewerberin verschweigt ihre Schwangerschaft. Ist die Täuschung nicht rechtswidrig, kommt eine Anfechtung nicht in Betracht. Kausalität. Die Täuschung muss für den Abschluss des Arbeitsvertrages ursächlich gewesen sein. Sie muss allerdings nicht allein ausschlaggebend gewesen sein, es genügt, wenn sie eine Mitursache für den Vertragsschluss war. Arglist. Schließlich muss die Täuschung arglistig erfolgt sein. Der Bewerber musste wissen oder musste wenigstens erkennen, dass die von ihm vorgespiegelte oder 146 <?page no="146"?> 8.2 Anfechtung des Arbeitsvertrages verschwiegene Tatsache für die Entscheidung der anderen Seite wesentlich war. Für arglistiges Handeln ist es nicht notwendig, dass der Täuschende die andere Seite schädigen wollte! 8.2.2.2 Abgabe einer Anfechtungserklärung Bezüglich der Abgabe der Anfechtungserklärung gilt das Gleiche wie oben -› vgl. Abschnitt 8.2.1.2, S. 144 dargelegt. 8.2.2.3 Einhaltung der Anfechtungsfrist Wird wegen einer arglistigen Täuschung oder widerrechtlichen Drohung angefochten, dann beträgt die Frist - anders als bei der Irrtumsanfechtung - ein Jahr -› vgl. § 124 Abs. 1 BGB . Diese Frist beginnt zu laufen, wenn die Täuschung entdeckt wird. 8.2.2.4 Kein Ausschluss der Anfechtung Es gilt das Gleiche, wie bereits oben -› vgl. Abschnitt 8.2.1.4, S. 145 dargelegt. 8.2.2.5 Verhältnis zwischen Anfechtung und Kündigung In einigen Fällen kann ein Mangel nicht nur eine Anfechtung, sondern gleichzeitig auch eine Kündigung rechtfertigen. Diese beiden Möglichkeiten bestehen nebeneinander, die Kündigung schließt eine Anfechtung nicht aus und umgekehrt. Allerdings kann eine Anfechtung für den Arbeitgeber einfacher zu handhaben sein. Während nämlich bei einer Kündigung zuvor der Betriebsrat angehört werden muss -› vgl. § 102 BetrVG -› vgl. Abschnitt 5.3.6.8, S. 104 , und das Kündigungsschutzgesetz eingreifen kann -› vgl. Abschnitt 14.3.7, S. 255 , gilt das bei einer Anfechtung nicht! Hier bestehen für den Betriebsrat keine Mitbestimmungsrechte und zugunsten des Arbeitnehmers greift auch der Kündigungsschutz nicht. 8.2.3 Rechtsfolgen der Anfechtung 8.2.3.1 Grundsätze Merksatz Wird ein Arbeitsvertrag erfolgreich angefochten, ist er als von Anfang an nichtig anzusehen -› vgl. § 142 Abs. 1 BGB . Der Vertrag wird rückwirkend vernichtet; nach einer erfolgreichen Anfechtung hat es also niemals einen wirksamen Arbeitsvertrag gegeben. Auch alle Rechtsfolgen 147 <?page no="147"?> 8 Fehlerhafter Arbeitsvertrag des Vertrages werden rückwirkend beseitigt. Diese Rückwirkung unterscheidet die Anfechtung von der Kündigung, die nur für die Zukunft wirkt. Selbst eine außerordentliche, fristlose (sofortige) Kündigung kann einen Arbeitsvertrag immer nur für die Zukunft, aber nie für die Vergangenheit vernichten. 8.2.3.2 Faktischer Arbeitsvertrag Die rückwirkende Beseitigung des Arbeitsvertrages wirft kein Problem auf, solange der Arbeitnehmer noch nicht tatsächlich zu arbeiten begonnen hat. Selbst wenn der Arbeitgeber bereits Leistungen gewährt, z. B. einen Gehaltsvorschuss gezahlt hat, führt die rückwirkende Beseitigung des Vertrages nicht zu Schwierigkeiten. Denn der Arbeitgeber kann diesen Vorschuss nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts zurückfordern -› vgl. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Fall BGB . Wiederholung BGB Das Bereicherungsrecht -› vgl. §§ 812-822 BGB gehört zu den schwierigsten Gebieten des Bürgerlichen Rechts und kann an dieser Stelle nur in sehr knapper Form erläutert werden. Dem Bereicherungsrecht liegt der Gedanke zugrunde, dass jemand, der Vermögenswerte erlangt hat, ohne dass es dafür einen rechtlichen Grund gibt, diese unter bestimmten Umständen wieder herausgeben muss. Beispiel Der 16-jährige S kauft ohne das Wissen seiner Eltern ein Handy und bekommt es auch gleich ausgehändigt. Als seine Eltern die Rechnung erhalten, weigern sie sich zu zahlen. Der Verkäufer V verlangt das Handy zurück. S hat einen Vermögenswert erlangt, nämlich das Telefon. Einen Rechtsgrund für diese Vermögensverschiebung von V auf S gibt es jedoch nicht, denn der zunächst schwebend unwirksame Kaufvertrag wird durch die Verweigerung der Genehmigung durch die Eltern endgültig nichtig -› vgl. §§ 107, 108 BGB ! Das Bereicherungsrecht bietet die Möglichkeit, solche Vermögensverschiebungen rückgängig zu machen. Kann die die Sache, das „Etwas“, das nicht mehr in Natur herausgegeben werden, ist stattdessen grundsätzlich der Wert (in Geld) zu ersetzen. Im Arbeitsrecht bereitet die rückwirkende Vernichtung eines Arbeitsvertrages immer dann Probleme, wenn der Arbeitnehmer bereits begonnen hatte zu arbeiten. Denn die bereits geleistete Arbeit „an sich“ kann nicht einfach nach § 812 Abs. 1 S. 1 1. Fall wieder herausgegeben werden. Natürlich könnte man versuchen, stattdessen den Wert der Arbeit herauszugeben, was den Grundregeln des Bereicherungsrechts 148 <?page no="148"?> Zusammenfassung entsprechen würde. Dann stellt sich jedoch die Frage, was der Wert der Arbeit ist. Ist die Arbeit soviel wert, wie Arbeitsentgelt vereinbart wurde? Oder war die Arbeit tatsächlich weniger oder mehr wert? Um Streitigkeiten dieser Art zu vermeiden, wurde die Lehre vom faktischen (oder fehlerhaften) Arbeitsvertrag entwickelt. Nach der Lehre vom faktischen Arbeitsvertrag wird ein angefochtener Arbeitsvertrag so behandelt, als sei er wirksam zustande gekommen. Das gilt allerdings nur für den Zeitraum bis zur Anfechtung. Die Anfechtung wirkt in diesem Fall wegen der Besonderheit des Arbeitslebens - entgegen § 142 BGB - ausnahmsweise nur für die Zukunft. Beispiel Für die zwei Wochen bis zur Anfechtung, die K bereits für B tätig gewesen ist, wird der Arbeitsvertrag als wirksam behandelt. K kann also für diese zwei Wochen seinen Lohnanspruch aus dem Arbeitsvertrag verlangen. Zusammenfassung Es muss zwischen Mängeln unterschieden werden, die sofort zur Nichtigkeit führen, und Mängeln, die lediglich zur Anfechtung berechtigen. Nichtigkeit. Der Arbeitsvertrag ist in folgenden Fällen nichtig: • Vertragsschluss durch Geschäftsunfähigen -› vgl. § 105 Abs. 1 BGB • Vertragsschluss durch beschränkt Geschäftsfähigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters -› vgl. §§ 107, 108 BGB • Missachtung einer konstitutiven Formvorschrift -› vgl. § 125 BGB • Verletzung eines Verbotsgesetzes -› vgl. § 134 BGB • Sittenwidrigkeit des gesamten Arbeitsvertrages -› vgl. § 138 BGB Anfechtung. Die Anfechtung ist wegen Irrtums -› vgl. §§ 119,120 BGB , wegen rechtswidriger Drohung und aufgrund arglistiger Täuschung -› vgl. § 123 BGB möglich. Voraussetzungen einer erfolgreichen Anfechtung sind das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes und die Abgabe einer Anfechtungserklärung unter Einhaltung der Anfechtungsfrist. Außerdem darf die Anfechtung nicht durch Bestätigung des Rechtsgeschäfts ausgeschlossen sein. 149 <?page no="149"?> 8 Fehlerhafter Arbeitsvertrag Rechtsfolgen. Die Anfechtung vernichtet das angefochtene Rechtsgeschäft rückwirkend -› vgl. § 142 Abs. 1 BGB . Ausnahme: Handelte es sich um einen bereits in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrag, greift die Lehre vom faktischen Arbeitsvertrag, der Vertrag wird nur für die Zukunft vernichtet. Kontrollfragen 1. Welche Arten von Irrtümern berechtigen zur Anfechtung? Nennen sie jeweils ein Beispiel für jede Irrtumsart! -› vgl. Abschnitt 8.2.1.1, S. 142 2. Was versteht man unter „arglistiger Täuschung“? Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit man von einer arglistigen Täuschung sprechen kann? -› vgl. Abschnitt 8.2.2.1, S. 145 3. Der B bewirbt sich um eine Stelle als Dachdecker. Im Bewerbungsgespräch verschweigt er, dass er wegen Fischwilderei -› vgl. § 293 StGB vorbestraft ist, weil er unter Verletzung eines fremden Fischereirechts gefischt hat. Hat er eine arglistige Täuschung begangen? Begründen Sie die Antwort kurz! -› vgl. Abschnitt 8.2.2.1, S. 145 4. Welche Rechtsfolgen hat eine erfolgreiche Anfechtung grundsätzlich? In welchem speziellen arbeitsrechtlichen Fall führt dies zu Problemen? Warum? Und wie werden sie gelöst? -› vgl. Abschnitt 8.2.3.2, S. 148 Literatur Arbeitsrecht Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München Strick , K . [2000]: Die Anfechtung von Arbeitsverträgen durch den Arbeitgeber, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 659 Bürgerliches Recht: Erläuterungen zur Anfechtung Brox , H./ Walker , W.-D. [2006]: BGB Allgemeiner Teil, 30. Aufl., München Köhler , H . [2005]: BGB Allgemeiner Teil, 29. Aufl., München 150 <?page no="150"?> 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Übersicht • Pflicht zur Arbeitsleistung -› vgl. Abschnitte 9.1.1 und 9.1.2, S. 157 • Treuepflicht des Arbeitnehmers -› vgl. Abschnitt 9.1.3, S. 159 • Pflicht zur Lohn- und Gehaltszahlung -› vgl. Abschnitt 9.2.1, S. 161 • Fürsorgepflicht des Arbeitgebers -› vgl. Abschnitt 9.2.2, S. 163 Jede Partei eines Arbeitsvertrages hat bestimmte Rechte und Pflichten, die herkömmlich in Haupt- und Nebenpflichten unterteilt werden. Hauptpflichten sind die für den jeweiligen Vertragstyp charakteristischen Pflichten. Beispiel Hauptpflichten des Arbeitsvertrages sind das Erbringen der Arbeitsleistung und das Zahlen des Arbeitsentgelts. Nebenpflichten dienen der Durchführung und Sicherung der Hauptpflichten bzw. dem Schutz der anderen Vertragspartei. 9.1 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitnehmers 9.1.1 Pflicht zur Arbeitsleistung Merksatz Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers ist es, seine Arbeitsleistung zu erbringen -› vgl. § 611 Abs. 1 BGB . Der Arbeitnehmer verpflichtet sich nur dazu -› vgl. Abschnitt 4.1.1.1, S. 59 , seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, nicht einen konkreten Arbeitserfolg zu erzielen. Der Arbeitnehmer hat allerdings nicht nur die Pflicht zur Arbeitsleistung sondern seinerseits auch einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung gegen den Arbeitgeber 1 . Er kann den Arbeitnehmer nicht ohne dessen Einverständnis längerfristig (unter Fortzahlung der Arbeitsentgelts) von seiner Arbeit freistellen. Der 1 BAGE 2, S. 221 = NJW 1956, S. 359. 151 <?page no="151"?> 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Anspruch auf Beschäftigung kann auch gerichtlich geltend gemacht werden. Der Grund dafür liegt in der Bedeutung tatsächlicher Beschäftigung zur Erhaltung bzw. Weiterentwicklung von Kenntnissen und Erfahrungen, auch für die zukünftigen beruflichen Chancen im Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitspflicht kann allerdings durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder gesetzliche Vorschriften eingeschränkt sein. Zu den gesetzlichen Vorschriften, die die Arbeitspflicht einschränken gehören in erster Linie die Beschäftigungsverbote -› vgl. auch Abschnitt 7.4.2.4, S. 136 . Sie untersagen bestimmten Arbeitnehmern die Ausübung bestimmter Tätigkeit, z. B.: • §§ 3 ff. MuSchG So dürfen z. B. Schwangere in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung -› vgl. § 3 Abs. 2 MuSchG bzw. für einen bestimmten Zeitraum nach der Entbindung nicht beschäftigt werden -› vgl. § 6 Abs. 1 MuSchG . • §§ 5, 22 ff. JArbSchG So dürfen z. B. Jugendliche grundsätzlich nicht von Personen, die wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren rechtskräftig verurteilt wurden, beschäftigt werden -› vgl. § 25 Abs. 1 Nr. 1 JArbSchG . • §§ 21 Abs. 1, 4 GaststättenG Dem Gastwirt kann die Beschäftigung einer Person untersagt werden, die nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, z. B. weil sie alkoholabhängig ist oder die Vorschriften des Lebensmittelrechts missachtet. • § 4 Abs. 3 S. 1 AufenthG Nicht-EU-Ausländer dürfen nicht beschäftigt werden, wenn sie nicht über einen Aufenthaltstitel verfügen, der die Beschäftigung zulässt. • § 42 IfSG Personen mit bestimmten Infektionskrankheiten, z. B. Virushepatitis A, dürfen nicht in Küchen oder Gaststätten oder mit Tätigkeiten beschäftigt werden, bei denen sie mit Lebensmitteln in Berührung kommen. 9.1.1.1 Arbeitsleistung Im Arbeitsvertrag ist meist nur sehr allgemein geregelt, welche Art Arbeitsleistung der Arbeitnehmer schuldet. Beispiel „Der A wird als Ingenieur eingestellt.“ Wie, wo und wann die Arbeitsleistung erbracht werden muss, wird im Arbeitsvertrag dagegen oft nicht oder nur unzureichend geregelt. Die genaue Zuweisung bestimmter Arbeiten nimmt der Arbeitgeber daher mithilfe des Weisungsrechts 152 <?page no="152"?> 9.1 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitnehmers -› vgl. Abschnitt 3.6.2, S. 51 vor. Er kann sowohl Arbeitspflichten näher festlegen, d. h. welche Tätigkeiten in welcher Reihenfolge und unter welchen Begleitumständen ausgeübt werden, als auch Arbeitszeit und Arbeitsort genauer bestimmen. Wird die geschuldete Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag nur sehr allgemein beschrieben, kann dem Arbeitnehmer jede Tätigkeit zugewiesen werden, die dem Berufsbild entspricht. Beispiel S ist bei seinem Arbeitgeber als Orchestermusiker beschäftigt. Gemäß dem Arbeitsvertrag ist er als Schlagzeuger (Schlagzeug und Pauke) tätig. In einigen Proben und vier Konzerten bediente S außerdem einen „Regenmacher“. Das ist ein ca. 1,5-2 m langes Bambusrohr, in dem Steinchen oder ähnliches Material über Metallstifte rieseln und dadurch ein regenähnliches Geräusch erzeugen. S ist der Ansicht, dass er als Schlagzeuger arbeitsvertraglich nicht verpflichtet ist, einen Regenmacher zu bedienen und verlangt daher eine zusätzliche Vergütung von 200 € pro Konzert. Das BAG 2 entschied, dass S keine zusätzliche Vergütung zusteht. Er ist laut Arbeitsvertrag zum Spielen des Schlagzeugs und der Pauke verpflichtet. Das Gericht musste daher ermitteln, welche Tätigkeiten dem Berufsbild eines Schlagzeugers entsprechen, m. a. W. welche Instrumente ein Schlagzeuger spielt. Welche Einzelinstrumente unter den Begriff des Schlagzeugs fallen, ist, da eine genauere Regelung im Arbeitsvertrag fehlt, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und vor allem danach zu entscheiden, wie der Begriff in den beteiligten Verkehrskreisen - unter Orchestermusikern - verstanden wird. Unter „Schlagzeug“ werden unter Orchestermusikern all jene Instrumente verstanden, die ein Schlagzeuger üblicherweise bedient. Und dazu gehört auch der Regenmacher. Der Arbeitgeber konnte S daher anweisen, dieses Instrument zu bedienen, ohne eine gesonderte Vergütung zahlen zu müssen. Es ist jedoch nicht möglich, die Art der geschuldeten Arbeitsleistung vollständig per Weisungsrecht zu ändern. Dazu bedarf es einer Versetzungsklausel -› vgl. Abschnitt 9.1.1.5, S. 156 und grundlegende Änderungen können nur über eine einvernehmliche Änderung oder eine Änderungskündigung seitens des Arbeitgebers -› vgl. Abschnitt 14.7, S. 264 erfolgen. 9.1.1.2 Ort der Arbeitsleistung Der Arbeitsort ist der geographische Ort, also ein bestimmter Betrieb des Arbeitgebers. Der Arbeitsort wird in der Regel im Arbeitsvertrag festgelegt und kann vom Arbeitgeber nicht einseitig geändert werden, wenn eine solche Änderung nicht ebenfalls im Arbeitsvertrag durch eine Versetzungsklausel -› vgl. Abschnitt 9.1.1.5, S. 156 vorgesehen ist. 2 BAGE 99, S. 160 = NZA 2002, S. 565. 153 <?page no="153"?> 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Beispiel „Der Arbeitgeber ist berechtigt, den Arbeitnehmer in einen anderen Betrieb des Unternehmens zu versetzen.“ Den konkreten Ort im Betrieb, an dem der Arbeitnehmer seine Leistung erbringt, kann der Arbeitgeber dagegen grundsätzlich per Weisungsrecht regeln 3 . Beispiel Der Arbeitnehmer A hat sein Büro im ersten Stock des Firmengebäudes, ein großzügiges Zimmer mit Blick auf die Elbe. Auf Anweisung des Arbeitgebers muss er in ein kleines Büro im 5. Stock, mit Blick in den Hinterhof wechseln. 9.1.1.3 Zeit der Arbeitsleistung Die Arbeitszeit ergibt sich normalerweise aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag. Merksatz Arbeitszeit ist die Zeit vom Beginn der Arbeit, bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen -› vgl. § 2 Abs. 1 ArbZG . Die zulässige Höchstdauer ergibt sich aus dem Arbeitszeitgesetz -› vgl. Abschnitt 10.1, S. 169 . Mit dem Weisungsrecht werden meist der konkrete Arbeitsbeginn bzw. das Arbeitsende und die Pausenzeiten festgelegt 4 . Dabei muss sich der Arbeitgeber natürlich an die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes halten -› vgl. Abschnitt 10.1, S. 169 . 9.1.1.4 Grenzen des Weisungsrechts Merksatz Macht der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht Gebrauch, muss er dabei stets die höherrangigen Rechtsquellen - den Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder das Gesetz beachten, denn das Weisungsrecht ist rangmäßig am schwächsten. 3 BAGE 109, S. 207 = NZA 2005, S. 61; BAG NZA 1996, S. 718 = DB 1996, S. 834. 4 BAGE 112, S. 80 = NZA 2005, S. 359. 154 <?page no="154"?> 9.1 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitnehmers Je detaillierter die Regelungen in den ranghöheren Rechtsquellen, vor allem im Arbeitsvertrag sind, desto weniger kann noch mithilfe des Weisungsrechts geregelt werden -› vgl. Abschnitt 3.8.1, S. 52 . Der Arbeitgeber darf sein Weisungsrecht außerdem immer nur im Rahmen des so genannten billigen Ermessens ausüben -› vgl. § 315 BGB . Das heißt, er muss die wesentlichen Umstände des konkreten Falls und die Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen und darf nicht allein seine Interessen durchzusetzen 5 . Beispiel A ist als Pfleger im Krankenhaus angestellt. Da seine Frau ebenfalls in der Krankenpflege (Tagschicht) tätig ist, hat er bisher immer den Nachtdienst übernommen, damit er und seine Frau abwechselnd ihre beiden kleinen Kinder beaufsichtigen konnten. Möchte der Arbeitgeber des A dessen Arbeitszeiten per Weisungsrecht ändern, müsste er auf das schutzwürdige Interesse des A - Nachtarbeitszeit, damit es ihm möglich ist, die Kinderbetreuung zu organisieren - Rücksicht nehmen. Würde der Arbeitgeber sich über dieses Interesse des A hinwegsetzen oder es ganz unberücksichtigt lassen, hätte er sein Weisungsrecht nicht mehr nach billigem Ermessen ausgeübt. Schließlich muss der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Weisungsrechts stets die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates beachten, insbesondere aus § 87 und § 99 BetrVG -› vgl. Abschnitte 5.3.4, S. 95, und 5.3.6.7, S. 101 . Beispiel A ist als Autoverkäufer angestellt und ausschließlich als Gebrauchtwagenverkäufer in den Verkaufsräumen der Niederlassung tätig. Als eine neue Aufteilung der Arbeitsbereiche nötig wurde, schlossen A und sein Arbeitgeber die Vereinbarung, dass A in Zukunft als Neuwagenverkäufer im Außendienst eingesetzt würde, aber auch noch als Gebrauchtwagenverkäufer in der Niederlassung tätig sein würde. A wurde daraufhin jeweils an 11 Tagen des Monats halbtags als Gebrauchtwagenverkäufer eingesetzt, während er in der übrigen Zeit im Außendienst tätig war. A wurde aber in der Folgezeit immer seltener für den Gebrauchtwagenverkauf eingeteilt, bis er schließlich, von einigen sporadischen Einsätzen an Samstagen, nur noch im Außendienst tätig war. Der Betriebsrat wurde nicht beteiligt. A wehrte sich schließlich gerichtlich gegen die Änderung seiner Arbeitsaufgaben. Nach Ansicht des BAG 6 handelte es sich um eine Versetzung im Sinn § 95 Abs. 3 BetrVG. Darunter versteht man die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches, so dass sich der Gegenstand der geforderten Arbeitsleistung und das Gesamtbild der Tätigkeit ändern. Die Außendiensttätigkeit unterscheidet sich wesentlich von der Tätigkeit eines Gebrauchtwagenverkäufers in der Niederlassung. Während der Hauptaufgabe des Außendienstmitarbeiters das Ausfindigmachen potentieller Kunden ist, hat es der Ladenverkäufer mit Kunden zu tun, bei denen bereits Kaufinteresse vorhanden ist. Hier geht es in erster Linie um Beratung. Beabsichtigt der Arbeitgeber 5 BAGE 112, S. 80 = NZA 2005, S. 359; BAG NZA 1992, S. 978. 6 BAG NZA 1997, S. 112 = DB 1996, S. 1880. 155 <?page no="155"?> 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Versetzung, so muss er zuvor die Zustimmung des Betriebsrates einholen -› vgl. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG . Da der Arbeitgeber diese Zustimmung nicht eingeholt hatte, entschied das BAG, dass die Versetzung nicht durchgeführt werden durfte. A war daher wie zuvor an 11 Tagen im Monat im Ladenverkauf einzusetzen. 9.1.1.5 Versetzungsklausel Durch eine Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag wird näher bestimmt, welche Änderungen der Arbeitsbedingungen der Arbeitgeber mithilfe des Weisungsrechts vornehmen kann. Wie bereits erwähnt, können einige Arbeitsbedingungen auch geändert werden, wenn sich dies aus der Arbeitstätigkeit selbst ergibt. Beispiel M ist als Wartungsmechaniker für ein Unternehmen tätig, das bundesweit Dialysegeräte wartet; seine Einsatzorte wechseln bereits aus diesem Grund ständig. Es bedürfte daher keiner Versetzungsklausel in seinem Arbeitsvertrag, um ihm unterschiedliche Arbeitsorte zuzuweisen. Im Übrigen ist eine Versetzungsklausel notwendig. Aber auch sie erlaubt keine schrankenlose Veränderung der Arbeitsbedingungen 7 . Beispiel P wurde laut ihrem Arbeitsvertrag als Personalsachbearbeiterin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt außerdem folgende, vom Arbeitgeber vorformulierte Klausel: „Falls erforderlich kann der Arbeitgeber nach Abstimmung der beiderseitigen Interessen Art und Ort der Tätigkeit des/ der Angestellten ändern.“ Nachdem die Personalabteilung eine neue Leiterin erhalten hatte, wurde das Arbeitsklima immer schlechter. Schließlich beantragte die Leiterin die Versetzung der P in eine andere Abteilung. Der Betriebsrat stimmte zu und P wurde in die Produktionsabteilung versetzt, wo sie in Zukunft als Lageristin für die rechtzeitige Materialverfügbarkeit zuständig sein sollte. P wehrte sich gerichtlich gegen die Versetzung: Sie sei als Personalsachbearbeiterin eingestellt worden und ihr fehlten die für die Lageristentätigkeit erforderlichen Kenntnisse. Der Arbeitgeber verwies dagegen auf die Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag, die es erlaube, P auch andere Tätigkeiten zuzuweisen. Das BAG entschied zugunsten von P, erklärte die Versetzungsklausel für unwirksam und begründete seine Entscheidung folgendermaßen: Macht der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht Gebrauch, dann darf damit nur die vertraglich geschuldete Tätigkeit konkretisiert werden. Vertraglich geschuldet war ausschließlich die Tätigkeit einer Personalsachbearbeiterin. Die Versetzung der P in die Produktionsabteilung war keine Konkretisierung der Tätigkeit einer Personalsachbearbeiterin, sondern vielmehr die Zuweisung einer vollkommene anderen Tätigkeit. Die im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel konnte 7 BAG NZA 2007, S. 145. 156 <?page no="156"?> 9.1 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitnehmers die vorgenommene Maßnahme nicht rechtfertigen, denn die Klausel war unwirksam. Es handelt sich um vorformulierte Vertragsbedingungen -› vgl. Kapitel 7, S. 121 , die der Überprüfung nach §§ 305 ff. BGB unterliegen. Die Klausel ist nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, da sie P unangemessen benachteiligt. Eine vorformulierte Vertragsbestimmung ist unangemessen, wenn der Verwender (Arbeitgeber) versucht, seine eigenen Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen, ohne ihre Belange hinreichend berücksichtigen zu müssen. Nach der Klausel soll der Arbeitgeber berechtigt sein, die Arbeitstätigkeit der P ohne deren Einverständnis vollkommen zu ändern. Die im Vertrag vorgesehene „Abstimmung der beiderseitigen Interessen“ bedeutet nämlich nur, dass man dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gibt, seine Interessen darzulegen. Ist er mit der geplanten Maßnahme nicht einverstanden, wird die Unvereinbarkeit der Interessen festgestellt und damit ist die Abstimmung beendet. Diese Versetzungsklausel gewährt dem Arbeitgeber zu viele Freiheiten und ist deshalb nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Die Versetzung von P in den Produktionsbereich war nicht zulässig. 9.1.1.6 Höchstpersönlichkeit der Arbeitsleistung Der Arbeitnehmer muss die Arbeit selbst - in Person - leisten, wenn nichts anderes vereinbart ist -› vgl. § 613 S. 1 BGB . Beispiel Auch wenn Arbeitnehmer A am Montagmorgen keine Lust hat, aufzustehen und auf Arbeit zu gehen, kann er nicht seinen Bruder bitten, für ihn zur Arbeit zu gehen. Zieht der Arbeitnehmer dennoch einen anderen zur Arbeit heran, begeht er eine Vertragsverletzung. Entsteht dem Arbeitgeber dadurch ein Schaden, ist der Arbeitnehmer schadenersatzpflichtig -› vgl. §§ 280, 249 BGB . Zudem kann ein solches Verhalten Grund für eine Kündigung sein. Andererseits muss der Arbeitnehmer, wenn er - z. B. wegen Krankheit - nicht imstande ist, die Arbeitsleistung zu erbringen, nicht für eine Ersatzarbeitskraft sorgen. Der Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf Erbringung der Arbeitsleistung steht nur dem Arbeitgeber zu. Er kann diesen Anspruch nicht ohne eine entsprechende Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer an einen Dritten abtreten -› vgl. § 399 BGB . 9.1.2 Nichterfüllung der Arbeitspflicht Erfüllt der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht - aus welchen Gründen auch immer - nicht, kann er die versäumte Arbeitsleistung in der Regel nicht mehr nachholen. Schuldet der Arbeitnehmer, wie meist der Fall, eine nach Zeitabschnitten eingeteilte Arbeitsleistung, z. B. Vollzeit 40 Stunden pro Woche, dann schuldet er bei 157 <?page no="157"?> 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber einer 5-Tage-Arbeitswoche täglich 8 Stunden. Die Pflicht zur Erbringung einer Arbeitsleistung ist eine so genannte absolute Fixschuld. Von einer absoluten Fixschuld spricht man, wenn der Zeitpunkt, zu dem der Schuldner die Leistung erbringen muss, von so überragender Bedeutung ist, dass mit einer späteren Leistung keine ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrages mehr möglich ist. Beispiel Das Brautpaar bestellt eine Hochzeitstorte für die Hochzeitsfeier am 10.10. Wenn der Konditor die Torte erst am 12.10. liefert, hat das für die Besteller keinerlei Sinn mehr. Der Konditor kann mit dieser verspäteten Leistung seine Vertragspflicht nicht mehr erfüllen. Erbringt der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht, wird sie unmöglich -› vgl. § 275 Abs. 1 BGB . Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer die Unmöglichkeit fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt hat. Wiederholung BGB Kann der Schuldner eine Leistung nicht mehr erbringen, weil sie unmöglich geworden ist, dann erlischt auch seine Verpflichtung, diese Leistung zu erbringen -› vgl. § 275 Abs. 1 BGB . Denn niemand kann zu etwas verpflichtet werden, dass unmöglich ist. Eine Leistung kann objektiv, d. h. für jeden oder subjektiv, d. h. nur für den Schuldner unmöglich sein. Beispiel 1 A verkauft B einen Gebrauchtwagen; bevor A dem B das Auto auch übergeben kann, brennt es ab. Es handelt sich um einen Fall der objektiven Unmöglichkeit, denn niemand kann den Kaufvertrag mehr erfüllen. Beispiel 2 Das Auto brennt nicht ab, sondern wird gestohlen. Es handelt sich um einen Fall der subjektiven Unmöglichkeit. Zwar kann A den Vertrag nicht mehr erfüllen, der Dieb könnte B das Auto dagegen übergeben. Die Arbeitsleistung wird unmöglich und kann auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden, denn dann schuldet der Arbeitnehmer bereits wieder eine neue Arbeitsleistung. 158 <?page no="158"?> 9.1 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitnehmers Beispiel Wenn A am Montag keine Lust hat, zur Arbeit zu gehen, kann er die versäumte Arbeitszeit nicht am Dienstag nachholen, denn an diesem Tag schuldet er bereits wieder eine neue Arbeitsleistung. Dasselbe gilt bei Annahmeverzug des Arbeitgebers, wenn also der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer angebotene Arbeitsleistung nicht annehmen will -› vgl. Abschnitt 12.3, S. 222 . Der Arbeitgeber kann die unmöglich gewordene Arbeitsleistung nicht mehr einfordern. Stattdessen kann er: • Die Zahlung des Arbeitslohns verweigern. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Arbeitnehmer es zu vertreten hat, dass er die Arbeitsleistung nicht erbringen konnte -› vgl. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB . • Auf Vertragserfüllung klagen. Diese Klage betrifft allerdings nicht die versäumte, sondern die zukünftige Arbeitsleistung. • Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Hat es der Arbeitnehmer zu vertreten, dass er seiner Arbeitspflicht nicht nachgekommen ist und ist dem Arbeitgeber deshalb ein Schaden entstanden, kann er diesen vom Arbeitnehmer ersetzt verlangen -› vgl. §§ 280, 283 BGB . Beispiel Der Arbeitgeber musste eine teure Aushilfe einstellen. -› vgl. zu Lohn ohne Arbeit Kapitel 12, S. 213 9.1.3 Sonstige Pflichten des Arbeitnehmers Neben der Hauptpflicht - der Arbeitsleistung - ergeben sich aus dem Arbeitsvertrag auch Nebenpflichten. Zu den wichtigsten Nebenpflichten des Arbeitnehmers gehört die Treuepflicht. Merksatz Treuepflicht. Der Arbeitnehmer muss seine Pflichten so erfüllen und seine Rechte so wahrnehmen, wie es nach Treu und Glauben von ihm verlangt werden kann. Weniger abstrakt ausgedrückt: Der Arbeitnehmer hat alles zu unterlassen, was seinen Arbeitgeber schädigt -› vgl. § 241 Abs. 2 BGB . Bestandteile der Treuepflicht sind insbesondere: 159 <?page no="159"?> 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Verschwiegenheitspflicht. Jeden Arbeitnehmer trifft eine allgemeine und umfassende Verschwiegenheitspflicht, die für die Dauer des Arbeitsverhältnisses gilt und vor allem Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse erfasst. Geheimnisse sind Tatsachen, die im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen, nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind, nach dem Willen des Arbeitgebers geheim bleiben sollen und an deren Geheimhaltung er ein berechtigtes Interesse hat 8 . Nach der Rechtsprechung des BAG ist der Arbeitnehmer auch nach Ende des Arbeitsverhältnisses zur Verschwiegenheit über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse verpflichtet 9 . Zusätzlich können natürlich Geheimhaltungsvereinbarungen abgeschlossen werden. Anzeigepflicht. Der Arbeitnehmer muss mit den zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln sorgfältig umgehen und dem Arbeitgeber Störungen und bereits eingetretene oder drohende Schäden anzeigen. Wettbewerbsverbot. Eine gesetzliche Vorschrift zum Wettbewerbsverbot findet sich in § 60 HGB, sie gilt allerdings dem Wortlaut nach nur für Handlungsgehilfen -› Glossar -› vgl. § 59 HGB . Aber da im Arbeitsleben allgemein und unabhängig von der konkreten beruflichen Stellung des Arbeitnehmers der Grundsatz gilt, dass er seinem eigenen Arbeitgeber keine Konkurrenz machen darf, ist das Wettbewerbsverbot auf alle Arbeitnehmer anwendbar. Ausnahme: Ist der Arbeitgeber einverstanden, ist dem Arbeitnehmer die Konkurrenztätigkeit erlaubt. Verstößt der Arbeitnehmer gegen das Wettbewerbsverbot, kann das den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigen. Der Arbeitgeber kann natürlich auch auf eine Kündigung verzichten und stattdessen vom Arbeitnehmer verlangen, dass er den verbotenen Wettbewerb in Zukunft unterlässt. Entsteht dem Arbeitgeber ein Schaden, kann er diesen vom Arbeitnehmer ersetzt verlangen -› vgl. § 61 HGB, § 249 ff. BGB . Endet das Arbeitsverhältnis, endet damit gleichzeitig auch das Wettbewerbsverbot. Möchte sich der Arbeitgeber auch weiterhin vor Konkurrenz durch seinen früheren Arbeitnehmer schützen, muss er ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit dem Arbeitnehmer vereinbaren. Die Höchstgrenze für die Laufzeit eines solchen Verbots liegt bei zwei Jahren -› vgl. § 74a Abs. 1 S. 3 HGB . Außerdem ist grundsätzlich ein finanzieller Ausgleich notwendig -› vgl. Abschnitt 14.9.2, S. 270 . Schmiergeldverbot. Der Arbeitnehmer darf weder Schmiergeld annehmen, noch seinerseits an einen Dritten zahlen! Die Annahme von Schmiergeld rechtfertigt grundsätzlich eine Kündigung; ob der Arbeitgeber geschädigt wurde, spielt dabei keine Rolle. Es genügt, wenn die Gefahr besteht, dass der Arbeitnehmer nicht mehr 8 BAGE 41, S. 21 = DB 1982, S. 2247. 9 BAGE 73, S. 229 = NZA 1994, S. 502. 160 <?page no="160"?> 9.2 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitgebers allein im Interesse des Arbeitgebers handelt. Und durch die Annahme von Schmiergeld gibt der Arbeitnehmer zu erkennen, dass er versucht, eigene Vorteile bei der Wahrnehmung von Aufgaben zu erreichen, die er eigentlich allein im Interesse des Arbeitgebers ausführen soll. Dadurch zerstört er das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit 10 . Nimmt der Arbeitnehmer Schmiergeld an, muss er es an den Arbeitgeber herausgeben. Zahlt der Arbeitnehmer selbst Schmiergeld, kann das den Arbeitgeber ebenfalls zur Kündigung berechtigen. Auch hier kommt es nicht darauf an, ob dem Arbeitgeber ein finanzieller Schaden entstanden ist. Vielmehr ist entscheidend, ob die Schmiergeldzahlung den Ruf des Arbeitgebers gefährdet. Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Schmiergeldzahlung allerdings zusammengearbeitet, kommt eine Kündigung in der Regel nicht in Betracht. Sowohl die Schmiergeldannahme als auch die Bestechung sind außerdem strafbar und können mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden -› vgl. § 299 StGB . 9.2 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitgebers 9.2.1 Pflicht zur Lohn- und Gehaltszahlung Merksatz Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den vereinbarten Arbeitslohn zu zahlen -› vgl. § 611 Abs. 1 BGB . Die Höhe ergibt sich meist aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag. Sind die Parteien tarifgebunden -› vgl. § 3 Abs. 1 TVG , darf die im Tarifvertrag vereinbarte Vergütung nicht unterschritten werden -› vgl. § 4 Abs. 3 TVG . Oft setzt sich die Vergütung auch aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die auf unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen beruhen -› vgl. Abschnitt 10.3, S. 180 . Beispiel Im Arbeitsvertrag wird ein Arbeitslohn von 3.000 € brutto vereinbart, im geltenden Tarifvertrag wird außerdem vereinbart, dass die Arbeitnehmer Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) von einem halben Brutto-Monatsgehalt haben. 10 BAG NZA 1996, S. 419 = DB 1996, S. 836. 161 <?page no="161"?> 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Existiert keine Vereinbarung über die Vergütung, wird auf § 612 BGB zurückgegriffen. Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die erbrachte Dienstleistung den Umständen nach nur gegen Vergütung zu erwarten ist. Ob das der Fall ist, muss nach der objektiven Gesamtlage beurteilt werden. Dabei sind vor allem folgende Punkte wichtig: • Um welche Art Dienstleistung handelt es sich? • In welchem Umfang und für welche Dauer wird sie erbracht? • In welcher Beziehung stehen die Beteiligten zueinander? • Wie wurde die Dienstleistung in der Vergangenheit behandelt? Beispiel 1 Bittet die hochbetagte T ihren Neffen N, für sie ab und an die Einkäufe zu erledigen, handelt es sich um ein Gefälligkeitsverhältnis. T und N haben gar nicht den Willen sich in irgendeiner Weise rechtlich zu binden. Weder will N rechtlich verpflichtet sein, in Zukunft für seine Tante einkaufen zu gehen und noch hat T die Absicht, N oder sich selbst rechtlich zu binden. Es handelt sich eben um eine reine Gefälligkeit. Beispiel 2 Da N schon seit einiger Zeit arbeitslos ist, bietet ihm sein Onkel O an, halbtags in seinem Unternehmen zu arbeiten, da er dringend Ersatz für einen längerfristig erkrankten Arbeitnehmer braucht. Eine Vereinbarung über eine Vergütung wird nicht getroffen. Nachdem N bereits drei Monate für O tätig gewesen ist, und wissen möchte, wann er denn sein erstes Gehalt bekommt, ist O vollkommen verblüfft. Es sei doch wohl klar gewesen, dass es für die Arbeit kein Geld gebe, das sei mehr als eine Art Praktikum gedacht gewesen und außerdem sei man doch eine Familie. Da N eine Dienstleistung erbracht hat, die O anderenfalls nur gegen eine Vergütung erhalten hätte - nämlich die Arbeitsleistung - und auch kein Fall der familienrechtlichen Mitarbeit vorliegt (zwischen Eltern und Kindern bzw. zwischen Ehegatten -› vgl. §§ 1356, 1619 BGB ), wird gemäß § 612 BGB eine Vergütungsvereinbarung zwischen N und O als stillschweigend abgeschlossen angesehen. Kommt es zur gerichtlichen Auseinandersetzung, muss derjenige, der das Entgelt verlangt (Arbeitnehmer), die Umstände darlegen, aus denen sich ergibt, dass die Dienstleistung nur gegen ein Entgelt zu erwarten war. Der andere (Arbeitgeber) muss dann im Gegenzug beweisen, dass Unentgeltlichkeit vereinbart war. Ist nach § 612 Abs. 1 BGB davon auszugehen, dass eine Vergütung stillschweigend vereinbart wurde, stellt sich als nächstes die Frage, wie hoch diese Vergütung ist. Gemäß § 612 Abs. 2 BGB bestimmt sich die Höhe entweder nach der einschlägigen Taxe, in Ermangelung einer solchen nach der üblichen Vergütung. Taxen sind behördlich oder gesetzlich festgelegte Vergütungssätze, z. B. die Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte. Für Arbeitsverhältnisse existieren keine 162 <?page no="162"?> 9.2 Haupt- und Nebenpflichten des Arbeitgebers Taxen. Daher muss die übliche Vergütung gezahlt werden. Existiert ein Tarifvertrag, so ist die tariflich festgelegte Vergütung die übliche Vergütung 11 . Gibt es keinen Tarifvertrag oder regelt er die Vergütung nicht, dann kommt es darauf an, was im gleichen oder ähnlichen Gewerbe oder Beruf am gleichen Ort für eine vergleichbare Tätigkeit gezahlt wird. Fällig wird der Arbeitslohn, wenn nichts anderes vereinbart ist, nach Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte. Der Arbeitnehmer muss erst die Arbeitsleistung erbringen und erhält dann den Arbeitslohn -› vgl. § 614 BGB . Der Arbeitgeber darf die Vergütung nicht einfach reduzieren oder kürzen. Auch wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung schlecht erbringt, hat der Arbeitgeber kein Recht zu einer einseitigen Kürzung des Arbeitslohns. Möchte der Arbeitgeber das Entgelt reduzieren, gibt es dafür grundsätzlich zwei Möglichkeiten: eine vorformulierte Vereinbarung wonach der Arbeitgeber die Arbeitszeit und damit die Vergütung reduzieren darf -› vgl. Abschnitt 10.2.3.2, S. 176 oder eine Änderungskündigung. Änderungskündigung bedeutet, der Arbeitgeber kündigt das Arbeitsverhältnis, bietet dem Arbeitnehmer gleichzeitig an, einen neuen Arbeitsvertrag zu geänderten Bedingungen abzuschließen -› vgl. Kapitel 14, S. 243 . 9.2.2 Sonstige Pflichten des Arbeitgebers Auch den Arbeitgeber treffen neben der Hauptpflicht - Zahlung der Arbeitsvergütung - verschiedene Nebenpflichten. Das Gegenstück zur Treuepflicht des Arbeitnehmers ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers -› vgl. § 241 Abs. 2 BGB . Er ist verpflichtet, seine Rechte aus dem Arbeitsverhältnis so auszuüben und die Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie das unter Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der Interessen der gesamten Belegschaft nach Treu und Glauben billigerweise möglich ist. Der Umfang der Fürsorgepflicht ist nicht generell festgelegt, sondern von Arbeitsverhältnis zu Arbeitsverhältnis verschieden. Merksatz Als Faustregel gilt: Je stärker der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber abhängig ist, je stärker der Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer mithilfe des Direktionsrechts einwirken kann, desto umfassender ist auch die Fürsorgepflicht. Wichtig sind insbesondere: Schutz des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber hat die unabdingbare Pflicht Leben und Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen -› vgl. § 618 BGB . Das ist vor allem 11 BAG NZA 1993, S. 1049 = DB 1993, S. 2288. 163 <?page no="163"?> 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch sichere Arbeitsbedingungen und Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften zu gewährleisten. Daneben ist der Arbeitgeber auch zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers verpflichtet. In diesem Zusammenhang ist in den vergangenen Jahren vor allem der Schutz vor Mobbing wichtig geworden. Mobbing beschreibt das systematische Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Arbeitnehmern 12 durch Kollegen oder Vorgesetzte. Die Erscheinungsformen von Mobbing sind vielfältig, sie reichen von der Verweigerung der Kommunikation und Nichtbeachtung, dem Verbreiten unzutreffender Behauptungen über den Arbeitnehmer bis hin zum Verfälschen oder Verschlechtern von Arbeitsergebnissen. Die Konsequenzen gehen oft weit über bloße Ärgernisse hinaus. Denn Mobbing führt zu steigender Arbeitsunzufriedenheit, Leistungsmängeln bis hin zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der betroffenen Arbeitnehmer und den damit verbundenen Fehlzeiten. Ein Arbeitnehmer hat verschiedene Möglichkeiten, sich gegen Mobbing zur Wehr zu setzten. Er kann: • Beschwerde beim Betriebsrat einlegen -› vgl. § 84 BetrVG . • sich direkt an den Arbeitgeber wenden. • die mobbenden Kollegen persönlich auf Unterlassung in Anspruch nehmen. • Ansprüche auf Schadenersatz sowohl gegen den Mobbenden als auch gegen den Arbeitgeber, der Mobbing duldet, geltend machen -› vgl. §§ 280; 823 Abs. 1 BGB . Voraussetzung dafür ist, dass dem Arbeitnehmer durch das Mobbing ein Schaden entstand ist § 249 BGB, z. B. weil er aufgrund des Mobbings (gerechtfertigt) kündigen musste. • Schmerzensgeld verlangen, wenn er aufgrund des Mobbings erkrankt ist -› vgl. § 253 Abs. 2 BGB . Der Arbeitgeber, der aufgrund der Fürsorgepflicht gehalten ist, seinen Arbeitnehmer vor Mobbing zu bewahren, hat gegen die mobbenden Mitarbeiter die Möglichkeiten der: • Rüge oder Ermahnung • Abmahnung -› vgl. Abschnitt 14.3.7.4, S. 258 • Versetzung • Verhaltensbedingten Kündigung -› vgl. Abschnitt 14.3.7.4, S. 258 . Personalpolitisch ist bedeutsam, die Ursachen des Mobbings zu ermitteln. Denn bereits das Abstellen der Anlässe kann helfen, die Probleme zu lösen. Führungskräfte müssen Mobbing deutlich und mit Nachdruck unterbinden. Anderenfalls setzen sie sich selbst und auch den Arbeitgeber der Gefahr einer Schadenersatz- oder Schmerzensgeldforderung seitens des gemobbten Arbeitnehmers aus. 12 BAGE 85, S. 56 = NZA 1997, S. 781. 164 <?page no="164"?> Zusammenfassung Erreicht das Mobbing die Qualität einer Diskriminierung, wird der Arbeitnehmer also von den anderen Arbeitnehmern im Zusammenhang mit seiner Rasse, ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt -› vgl. § 3 Abs. 3 AGG , ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, Schutzmaßnahmen zu ergreifen -› vgl. § 12 Abs. 1, 3 AGG . Beispiel A ist gehbehindert und auf einen Rollstuhl angewiesen. Sein Arbeitskollege B macht sich einen Spaß daraus, ihn zu schikanieren: Er parkt auf dem einzigen Behindertenparkplatz, blockiert den Fahrstuhl, um zu verhindern, dass A rechtzeitig an seinen Arbeitsplatz kommt und legt wichtige Unterlagen ganz oben in das Regal, so dass A sie ohne Hilfe nicht erreichen kann. In diesem Fall ist der Arbeitgeber verpflichtet, zugunsten des A Schutzmaßnahmen zu ergreifen und die Belästigungen durch B zu unterbinden. Schutz der Sachen des Arbeitnehmers. Teil der Fürsorgepflicht ist es auch, Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der in den Betrieb mitgebrachten Sachen des Arbeitnehmers zu treffen. Diese Schutzpflicht greift dann ein, wenn der Arbeitnehmer nicht selbst für den Schutz seiner Sachen Sorge tragen kann. Allerdings werden nur persönlich unentbehrliche Sachen uneingeschränkt geschützt, z. B. Alltagskleidung sowie unmittelbar arbeitsdienliche Sachen, z. B. Arbeitskleidung. Beispiel Müssen sich die Arbeitnehmer umziehen, muss der Arbeitgeber ihnen eine Möglichkeit zur Verfügung stellen, damit sie ihre Alltagskleidung sicher aufbewahren können, z. B. abschließbare Spinde. Zusammenfassung Hauptpflichten des Arbeitnehmers. Vertragliche Hauptpflicht des Arbeitnehmers ist das Erbringen der Arbeitsleistung -› vgl. § 611 Abs. 1 BGB . Da die Einzelheiten der Arbeitsleistung in der Regel nicht im Arbeitsvertrag geregelt sind, bestimmt der Arbeitnehmer dies mithilfe seines Weisungsrechts. Nebenpflichten des Arbeitnehmers. Die wichtigste Nebenpflicht des Arbeitnehmers ist die Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Er muss grundsätzlich alles unterlassen, was den Arbeitgeber schädigen kann -› vgl. § 241 Abs. 2 BGB . 165 <?page no="165"?> 9 Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Die Treuepflicht umfasst insbesondere: • Verschwiegenheitspflicht • Anzeigepflicht • Wettbewerbsverbot • Schmiergeldverbot. Hauptpflicht des Arbeitgebers. Vertragliche Hauptpflicht des Arbeitgebers ist die Zahlung des Arbeitsentgelts -› vgl. § 611 Abs. 1 BGB . Fehlt eine ausdrückliche Vergütungsvereinbarung, greift § 612 Abs. 1 BGB (stillschweigende Vergütungsvereinbarung). Nebenpflichten des Arbeitgebers. Die wichtigste Nebenpflicht des Arbeitgebers ist die Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Das umfasst insbesondere den Schutz des Arbeitnehmers vor Mobbing und diskriminierender Benachteiligung durch andere Arbeitnehmer. Kontrollfragen 1. Welche Grenzen muss der Arbeitgeber beachten, wenn er von seinem Weisungsrecht Gebrauch macht? -› vgl. Abschnitt 9.1.1.4, S. 154 2. Der Arbeitnehmer möchte in den Urlaub fahren, der Arbeitgeber fordert ihn auf, zuvor eine Ersatzkraft zu beschaffen. Zu Recht? -› vgl. Abschnitt 9.1.1.6, S. 157 3. F ist als Fußbodenleger im Betrieb des B angestellt. Nebenher meldet F ein eigenes Gewerbe als Fußbodenleger an und wird im gleichen Einzugsgebiet wie sein Arbeitgeber tätig. B fordert ihn auf, das zu unterlassen. F möchte wissen, ob sein Arbeitgeber dazu berechtigt ist, schließlich enthielte sein Arbeitsvertrag keinerlei Wettbewerbsverbot. -› vgl. Abschnitt 9.1.3, S. 159 4. Unter welchen Voraussetzungen gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart? -› vgl. Abschnitt 9.2.1, S. 161 5. Der Betriebsinhaber B möchte den Arbeitnehmer A loswerden. Da A Kündigungsschutz genießt und kein Kündigungsgrund besteht, versucht B ihn zu bewegen, das Arbeitsverhältnis freiwillig zu beenden. Um dem etwas Nachdruck zu verleihen, zahlt er A zwar weiterhin sein Gehalt, weist ihm jedoch keine Aufgaben mehr zu. A kommt Tag für Tag ins Büro und sitzt untätig an seinem Schreibtisch. Auf Nachfrage antwortet B, es gäbe nichts für ihn zu tun. Was kann A unternehmen? -› vgl. Abschnitt 9.1.1, S. 151 166 <?page no="166"?> Literatur Literatur Benecke , M . [2003]: „Mobbing“ im Arbeitsrecht, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA-RR), S. 225 Hanau , P./ Adomeit , K. [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München 167 <?page no="168"?> 10 Vergütung und Arbeitszeit als Elemente moderner Personalpolitik Übersicht • Arbeitszeitrecht und Arbeitszeitmodelle -› vgl. Abschnitte 10.1, S. 169, und 10.2, S. 173 • Rechtsgrundlagen und Erscheinungsformen der Vergütung -› vgl. Abschnitte 10.3, S. 180, und 10.4, S. 184 • Zielvereinbarungen -› vgl. Abschnitt 10.5, S. 184 • Betriebliche Altersversorgung -› vgl. Abschnitt 10.6, S. 187 • Aus- und Weiterbildung und die Kostenproblematik -› vgl. Abschnitt 10.7, S. 190 • Betriebliche Sozialeinrichtungen -› vgl. Abschnitt 10.8, S. 193 10.1 Arbeitszeitrecht Spricht man von Arbeitszeitrecht, können damit zwei verschiedene Rechtsbereiche gemeint sein: Zum einen das öffentliche Arbeitszeitrecht, das dem Arbeitsschutz dient, zum anderen das private Arbeitszeitrecht, das Dauer und zeitliche Lage der Arbeitszeit bestimmt und schließlich sind auch betriebsverfassungsrechtliche Aspekte der Arbeitszeit zu beachten -› vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG . 10.1.1 Öffentliches Arbeitszeitrecht - Arbeitszeitgesetz Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) stellt Höchstgrenzen für die Arbeitszeit auf und verpflichtet den Arbeitgeber, Pausen und Ruhezeiten einzuhalten. Das ArbZG gilt für alle Arbeitnehmer. Das sind gemäß § 2 Abs. 2 ArbZG: • Angestellte • Arbeiter • zur Berufsausbildung Beschäftigte. Nicht zu den Arbeitnehmern gehören dagegen leitende Angestellte -› vgl. Abschnitt 4.6, S. 75 , Leiter öffentlicher Dienststellen, Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft mit ihnen anvertrauten Personen sowie Jugendliche unter 18 Jahren 169 <?page no="169"?> Vergütung und Arbeitszeit Arbeitszeitrecht Öffentliches Arbeitszeitrecht, insb. ArbZG Privates Arbeitszeitrecht, geregelt im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung Abbildung 10.1: Arbeitszeitrecht -› vgl. § 18 ArbZG . Für Jugendliche unter 18 Jahren gilt stattdessen das Jugendarbeitsschutzgesetz. 10.1.2 Arbeitszeit Arbeitszeit ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit, ohne Ruhepausen -› vgl. § 2 Abs. 1 ArbZG . Diese Arbeitszeit darf die Dauer von acht Stunden am Tag grundsätzlich nicht überschreiten -› vgl. § 3 S. 1 ArbZG . Da Werktage Montag bis Samstag sind, gilt die 48-Stunden-Woche, die in der Praxis jedoch meist durch die 40-Stunden-Woche an fünf Werktagen abgelöst wurde. Die Beschränkung auf eine Arbeitszeit von acht Stunden pro Tag ist natürlich nicht unabänderlich. So ist es möglich, die Arbeitszeit auf zehn Stunden pro Werktag zu verlängern, ohne dass dafür besonderer Voraussetzungen vorliegen müssen. Allerdings darf innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen der Durchschnitt von acht Stunden pro Werktag nicht überschritten werden. Beispiel Bei einer 40-Stunden-Woche (5 Arbeitstage à 8 Stunden) ist es möglich, drei Wochen lang 50 Stunden (5 mal 10) zu arbeiten, wenn im Laufe des nächsten halben Jahres für drei Wochen nur 30 ((8 − 2) × 5) Stunden lang gearbeitet wird. Dadurch wird eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit möglich. Die Obergrenze von zehn Stunden pro Werktag darf allerdings grundsätzlich nicht überschritten 170 <?page no="170"?> 10.1 Arbeitszeitrecht werden. Nur in äußergewöhnlichen Fällen sind nach § 14 ArbZG Ausnahmen zulässig -› vgl. Abschnitt 10.1.5, S. 172 . Der Arbeitgeber kann nicht allein unter Berufung auf sein Weisungsrecht Überstunden anordnen; daher wird in der Regel im Arbeitsvertrag, der Betriebsvereinbarung oder dem Tarifvertrag die Befugnis zur Anordnung von Überstunden -› Glossar festgelegt. Handelt es sich allerdings um einen Notfall -› vgl. Abschnitt 10.1.5, S. 172 , dann ist der Arbeitnehmer - unabhängig von einer etwaigen Befugnis des Arbeitgebers zur Anordnung von Überstunden - bereits aufgrund seiner Treuepflicht zur Leistung der Überstunden verpflichtet. Ist ein Arbeitnehmer bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt, müssen die Arbeitszeiten zusammengerechnet werden -› vgl. § 2 Abs. 1 ArbZG . Daher muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auch darauf aufmerksam machen, wenn bereits ein anderes Arbeitsverhältnis besteht und eine Überschreitung der zeitlichen Grenze droht. 10.1.3 Ruhepausen Ruhepausen sind im Voraus festliegende Unterbrechungen der Arbeitszeit, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten braucht. Er kann frei darüber verfügen, wie und wo er die Pausen verbringen möchte 1 . Die Mindestdauer der Ruhepausen richtet sich nach der Dauer der Arbeitszeit -› vgl. § 4 S. 1 ArbZG . Die Länge der Pausen beträgt insgesamt mindestens 30 Minuten täglich, bei einer Arbeitszeit von sechs bis acht Stunden und mindestens 45 Minuten, bei einer Arbeitszeit von mehr als acht Stunden. Die Pausen können in einzelne Abschnitte von mindestens 15 Minuten geteilt werden. Das ArbZG regelt zwar nicht, wann die Pause stattfinden muss, aus dem Wortlaut von § 4 S. 1 folgt aber, dass die Arbeit nicht mit einer Pause beginnen oder enden darf („unterbrechen“). 10.1.4 Ruhezeiten Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden gewähren -› vgl. § 5 Abs. 1 ArbZG . Ruhezeit ist die Zeit zwischen dem Ende der Arbeitszeit eines Arbeitstages und dem Neubeginn der Arbeitszeit am nächsten Arbeitstag. Die Ruhezeit muss am Stück und ununterbrochen gewährt werden. Es ist also weder zulässig, die Ruhezeit in einzelne Zeitabschnitte einzuteilen, noch darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der Ruhezeit beschäftigen! 1 BAG NZA 1993, S. 752 = DB 1993, S. 1194. 171 <?page no="171"?> Vergütung und Arbeitszeit In einigen Bereichen ist es gestattet, die Ruhezeit auf bis zu zehn Stunden zu verkürzen, wenn jede Verkürzung innerhalb eines Monats oder innerhalb von vier Wochen wieder ausgeglichen wird, indem eine Ruhezeit auf zwölf Stunden verlängert wird -› vgl. § 5 Abs. 2 ArbZG . Dies gilt allerdings nur für: • Krankenhäuser • Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen, z. B. Altenheime • Gaststätten • Einrichtungen zur Bewirtung und Beherbergung, z. B. Speisewagen • Verkehrsbetriebe • Rundfunk • Landwirtschaft und Tierhaltung. In Krankenhäusern und Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung kann die Ruhezeit sogar auf bis zu fünf Stunden verkürzt werden -› vgl. § 5 Abs. 3 ArbZG . 10.1.5 Abweichende Regelungen Nicht nur der Grundsatz des Acht-Stunden-Tages, sondern auch die Pausen- und Ruhezeitenreglung können abgeändert werden. §§ 7 Abs. 1, 2 und 2a ArbZG gestatten unter bestimmten Voraussetzungen Abweichungen im Rahmen eines Tarifvertrages oder, wenn von den Tarifvertragsparteien zugelassen, auch in einer Betriebsvereinbarung. So kann die Arbeitszeit auf über zehn Stunden pro Werktag verlängert werden, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft -› Glossar oder Bereitschaftsdienst -› Glossar fällt. Die Tarifvertragsparteien können auch den Ausgleichszeitraum von § 3 ArbZG auf bis zu zwölf Monate verlängern. In Schichtbetrieben und Verkehrsbetrieben können abweichend von § 4 ArbZG auch Kurzpausen von weniger als 15 Minuten zugelassen werden -› vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG . Und schließlich können die Ruhezeiten von elf auf neun Stunden gekürzt werden, wenn dies die Art der Arbeit erfordert, weil sie sonst nicht oder nur unzureichend erledigt werden kann. Voraussetzung ist aber, dass die Kürzungen ausgeglichen werden. Außerdem darf in Ausnahmefällen und Notfällen von den Regelungen in §§ 3-5 ArbZG abgewichen werden -› vgl. § 14 Abs. 1 ArbZG . Ausnahmefälle und Notfälle sind solche Ereignisse oder Situationen, die unabhängig vom Willen des Betroffenen eintreten. 172 <?page no="172"?> 10.2 Arbeitszeitmodelle Beispiele Überschwemmungen, Brände, plötzlicher Frost. Von einem Notfall oder Ausnahmefall kann man daher nicht sprechen, wenn es Folge einer fehlerhaften Arbeitgeberentscheidung ist! Beispiel Rechtsanwalt R hat vergessen, dass die Frist zur Erhebung der Klage am 1.10. um 24.00 Uhr abläuft. Am 1.10. um 17.00 Uhr findet er die Akte und beginnt die Klageschrift zu diktieren. Seine Sekretärin S hat um 17.00 Uhr Feierabend. R verlangt, dass sie bleibt, und die Klageschrift schreibt und per Fax an das Gericht schickt, da anderenfalls Verjährung eintritt, eine Klage nicht mehr möglich wäre und für den Mandanten ein großer Schaden eintreten würde. S wäre mindestens bis 23.30 Uhr beschäftigt. 10.2 Arbeitszeitmodelle Der Arbeitgeber trägt das Risiko, die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitszeit wirtschaftlich sinnvoll verwerten zu können bzw. das Risiko fehlender Auslastung der Mitarbeiter. Schwierigkeiten bereitet das vor allem dann, wenn der Bedarf an Arbeitsleistung nicht kontinuierlich, sondern schwankend ist, z. B. in der Nebensaison, bei Auftragseinbrüchen oder kurzfristig erhöhtem Arbeitsbedarf. Ein wirtschaftlicher Ausgleich dieser Schwankungen ist im Rahmen eines starren Arbeitszeitsystems kaum zu gewährleisten. Starre Arbeitszeitsysteme, z. B. Montag bis Freitag, Arbeitszeit von 7.30 bis 16.00 Uhr, ermöglichen es dem Arbeitgeber nicht, in ausreichendem Maße und kurzfristig auf Bedarfsschwankungen zu reagieren. Während erhöhter Bedarf z. T. noch über die Erhöhung der Arbeitszeit nach § 3 ArbZG oder Überstunden abgedeckt werden kann, ist das in Bereichen, die häufigen Schwankungen unterliegen keine Lösung. Hierfür sind flexiblere Arbeitszeitmodelle notwendig. Ein weiterer mit der Arbeitszeitflexibilisierung oft einhergehender und nicht zu unterschätzender Aspekt ist der Einfluss flexibler Arbeitszeitmodelle auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Um einen positiven Einfluss zu erzielen, ist es natürlich notwendig, dass die Arbeitszeit so gestaltet wird, dass sie nicht nur den Anforderungen des Unternehmens sondern auch den Interessen der Mitarbeiter entspricht. Um ein flexibles Arbeitszeitmodell zu schaffen, kann sowohl der Unfang der Arbeitszeit (chronometrischer Faktor) als auch die Verteilung der Arbeitszeit (chro- 173 <?page no="173"?> Vergütung und Arbeitszeit nologischer Faktor) verändert werden. Im Folgenden sollen die gängigsten Arbeitszeitmodelle kurz dargelegt werden. 10.2.1 Voll- und Teilzeitarbeit Von Vollzeitarbeit spricht man, wenn der Arbeitnehmer in vollem Umfang - die meist im Arbeits- oder Tarifvertrag festgelegte - regelmäßige Arbeitszeit erbringt. Üblicherweise werden Wochenarbeitszeiten vereinbart, wobei allerdings der Trend zu Jahresarbeitszeitkonten -› vgl. Abschnitt 10.2.4.1, S. 178 zunimmt. Teilzeitbeschäftigt ist ein Arbeitnehmer, dessen regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kürzer ist als die eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers -› vgl. Abschnitt 11.2, S. 203 . Verbreitet sind Halbtagsbeschäftigungen (50 % der regelmäßigen Arbeitszeit). Aber auch andere Arbeitszeiten sind frei vereinbar. Mit einer Teilzeitbeschäftigung geht grundsätzlich auch eine geringere Vergütung einher. 10.2.2 Schichtarbeit Von Schichtarbeit spricht man, wenn sich mindestens zwei Arbeitnehmer im Laufe eines Tages (24 Stunden) bei einer Arbeitsaufgabe ablösen. Während der Zwei- Schicht-Betrieb relativ wenige Probleme aufwirft, Beispiel Frühschicht 6.00 Uhr bis 14.30 Uhr und Spätschicht von 14.30 bis 23.00 Uhr jeweils mit einer Pause von 30 Minuten, ist der Mehrschichtbetrieb (z. B. vollkontinuierliche Wechselschicht in Kraftwerken) oft sowohl organisatorisch schwieriger als auch kostenintensiver, da in der Regel wenigstens eine Schicht Nachtarbeit umfasst. Nacht ist nach dem Arbeitszeitgesetz die Zeit von 23.00 bis 6.00 Uhr. Da Schicht- und vor allem Nachtarbeit zu erheblichen gesundheitlichen Störungen führen können, sind im Arbeitszeitgesetz verschiedene Schutzmechanismen vorgesehen, die bereits bei der Einführung der Nachtarbeit in die Planung einbezogen werden müssen: Menschengerechte Gestaltung. Nacht- und Schichtarbeit muss menschengerecht, d. h. unter Vermeidung von physischen und psychischen Belastungen, die das Wohlbefinden beeinträchtigen und zu Gesundheitsgefährdungen führen können, gestaltet werden -› vgl. § 6 Abs. 1 ArbZG . Höchstarbeitszeit und Ausgleichszeitraum. Auch für Nachtarbeit kann die Arbeitszeit von acht Stunden auf bis zu zehn Stunden verlängert werden -› vgl. § 6 174 <?page no="174"?> 10.2 Arbeitszeitmodelle Abs. 2 S. 2 ArbZG . Aber der Ausgleich muss bereits im nächsten Kalendermonat bzw. den nächsten vier Wochen erfolgen! Ein längerer Ausgleichszeitraum kann nur durch einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung vereinbart werden. Arbeitsmedizinische Untersuchung. Der Arbeitnehmer hat vor Aufnahme der Nachtarbeit die Möglichkeit, sich arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Jeweils nach drei Jahren kann diese Untersuchung wiederholt werden, ab dem 50. Lebensjahr sogar jährlich. Die Kosten hierfür trägt der Arbeitgeber -› vgl. § 6 Abs. 3 S. 3 ArbZG . Umsetzung. Der Arbeitnehmer kann unter bestimmten, in § 6 Abs. IV ArbZG genannten Voraussetzungen verlangen, auf einen geeigneten, vorhandenen und freien Tag-Arbeitsplatz umgesetzt zu werden. Der Arbeitgeber kann die Umsetzung allerdings ablehnen, wenn dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen. Ausgleichspflicht. Wenn nicht bereits durch einen Tarifvertrag ein Ausgleich für die Nachtarbeit gewährt wird, dann greift § 6 Abs. 5 ArbZG ein, der dem Nachtarbeitnehmer einen Ausgleich zuspricht. Der Ausgleich kann entweder in Form eines Zuschlags auf das Arbeitsentgelt oder in Form von bezahlten freien Tagen gewährt werden. Mitbestimmung. Schließlich ist bei Schicht- und Nachtarbeit stets das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu beachten. Der Mitbestimmung unterliegen insbesondere: • Die Entscheidung, ob in mehreren Schichten gearbeitet werden soll. • Änderungen der Schichten. • Festlegung von Beginn und Ende der einzelnen Schichten. • Wahl und Änderung des Ausgleichszeitraums. • Allgemeine Grundsätze über die Aufstellung des Schichtenplans. 10.2.3 Kurzfristige Flexibilisierung Bei Arbeitszeitmodellen, die der kurzfristigen Flexibilisierung der Arbeitszeit dienen, können zwei große Linien unterschieden werden: Zum einen jene Modelle, bei denen die Arbeitnehmer die Arbeitszeit (mit)bestimmen, dies ist insbesondere die Gleitarbeitszeit und zum anderen Modelle, bei welchen die Arbeitgeberseite die Arbeitszeit bestimmt (kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit). 10.2.3.1 Gleitarbeitszeit Es kann zwischen einfachen und qualifizierten Gleitzeitmodellen differenziert werden. Einfache Gleitzeitmodelle sind dadurch charakterisiert, dass der Arbeitnehmer 175 <?page no="175"?> Vergütung und Arbeitszeit während einer bestimmten Kernarbeitszeit anwesend sein muss und im Übrigen den Beginn und das Ende seiner Arbeitszeit selbst bestimmen kann. Beispiel Gleitzeit 7.30 bis 8.30 Uhr und von 15.30 bis 16.30 Uhr. Kernarbeitszeit ist damit von 8.30 bis 15.30 Uhr. Die Arbeitnehmer können entscheiden, wann sie zwischen 7.30 und 8.30 Uhr mit der Arbeit beginnen und zwischen 15.30 und 16.30 Uhr die Arbeit beenden. Die Kernarbeitszeit darf nicht mit der vom Arbeitnehmer zu leistenden Arbeitszeit verwechselt werden! Die Kernarbeitszeit bezeichnet lediglich den Zeitraum, in welchem alle Arbeitnehmer anwesend sein müssen. Bei qualifizierten Gleitarbeitszeitmodellen ist die tägliche Arbeitszeit nicht festgelegt, sofern nur während der Kernarbeitszeit gearbeitet wird. Der Arbeitnehmer kann nicht nur über die Lage seiner Arbeitszeit, sondern auch über die Dauer in gewissem Maße selbst bestimmen. Daher spricht man auch von Vertrauensarbeitszeit. Diese Arbeitszeitmodelle verlangen jedoch einen sehr hohen Koordinationsaufwand und eigenen sich auch nur für solche Bereiche, in denen es in erster Linie auf das Ergebnis der Arbeit ankommt, eine Zusammenarbeit im Team nicht notwendig ist und keine Kundenerreichbarkeit gegeben sein muss. Allgemein sind Gleitzeitmodelle mitarbeiterorientiert, denn es sind die Mitarbeiter, denen die Möglichkeiten der individuellen Gestaltung ihrer Arbeitszeit in die Hand gegeben sind. Natürlich müssen sie bei der Festlegung ihrer Arbeitszeit sowohl die betrieblichen Belange, als auch die ihrer Arbeitskollegen beachten. Obwohl Gleitzeitmodelle in der Regel darauf abzielen, die Motivation der Mitarbeiter zu erhöhen, kann es für den Arbeitgeber zu negativen Auswirkungen wie verminderte Ansprechbarkeit für Kunden oder verschlechterte innerbetriebliche Kommunikation kommen. Diese Nachteile vermeiden Modelle der Arbeitszeitflexiblisierung, die stärker auf Unternehmensbelange Rücksicht nehmen und entsprechende Vorgaben machen, z. B. jahreszeitlich schwankende Wochenarbeitszeiten in Abhängigkeit vom saisonalen Bedarf oder Ausgleich von auftragsbedingter Mehrarbeit durch Arbeitszeitreduzierung in Zeiten geringer Nachfrage -› vgl. im Einzelnen Abschnitt 10.2.4, S. 178 . 10.2.3.2 Arbeit auf Abruf (KAPOVAZ) Die Abrufarbeit, auch Kapovaz (Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit), stellt eine besondere Form der Teilzeitarbeit dar. Das Besondere ist, dass die zeitliche Lage und bis zu einem gewissen Punkt auch die Dauer nicht von vornherein feststehen, sondern vom Arbeitgeber bestimmt werden. Der Arbeitnehmer erbringt 176 <?page no="176"?> 10.2 Arbeitszeitmodelle seine Arbeitsleistung also entsprechend dem Arbeitsanfall -› vgl. § 12 Abs. 1 S. 1 TzBfG . Beispiel V ist Verkäuferin. Ihre wöchentliche Arbeitszeit ist im Arbeitsvertrag mit 30 Stunden festgelegt. Eingesetzt werden kann sie zwischen 7.30 und 22.00 Uhr. Mit der Abrufarbeit soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit gegeben werden, kurzfristig und flexibel auf wechselnden Personalbedarf zu reagieren. Soll Arbeit auf Abruf eingeführt werden sind die in § 12 TzBfG aufgestellten Voraussetzungen zu beachten: Mindestarbeitszeit. Im Arbeitsvertrag muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen oder täglichen Arbeitszeit festgelegt werden. Fehlt eine solche Vereinbarung, greift § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG ein, danach gilt eine Mindestarbeitszeit von zehn Stunden pro Woche als vereinbart. Tägliche Arbeitszeit. Auch die tägliche Arbeitszeit muss festgesetzt werden. Anderenfalls gilt eine Mindestarbeitszeit von drei Stunden am Stück -› vgl. § 12 Abs. 1 S. 4 TzBfG . Damit soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unangemessen belastet, indem er ihn mehrfach am Tag für kurze Zeiten abruft. So soll eine Arbeitszeitpolitik nach „Gutsherrenart“ und zulasten der betroffenen Arbeitnehmer vermieden werden. Mindestankündigungsfrist. Gemäß § 12 Abs. 2 TzBfG muss der Arbeitgeber den Abruf der Arbeitszeit vier Tage im Voraus ankündigen. Damit soll dem Arbeitnehmer die Planung seines Arbeitseinsatzes erleichtert werden. Diese Frist wird nach den allgemeinen Regeln in §§ 186 ff. BGB berechnet. Beispiel Soll der Arbeitnehmer am Dienstag arbeiten, muss er die Mitteilung am vorhergehenden Donnerstag erhalten. Kündigt der Arbeitgeber den Abruf zu spät an, hat der Arbeitnehmer das Recht, die Arbeitsleistung zu verweigern, was in der Praxis jedoch nur selten vorkommen dürfte. Bis vor nicht allzu langer Zeit wurde ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber zwar berechtigt sei, die Lage der Arbeitszeit, nicht aber auch die Dauer flexibel zu gestalten. 177 <?page no="177"?> Vergütung und Arbeitszeit Beispiel Im Arbeitsvertrag der Verkäuferin V ist eine Mindestarbeitszeit von 30 Stunden vereinbart. Bei erhöhtem Arbeitsanfall sollte es dem Arbeitgeber nicht möglich sein, mehr als diese 30 Stunden abzurufen bzw. bei geringerem Bedarf die Arbeitszeit zu reduzieren. Mit seinem Grundsatzurteil vom 7.12.2005 entschied das BAG 2 jedoch, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch vereinbaren können, dass dem Arbeitgeber das Recht zustehen soll, bei Bedarf mehr als die vereinbarte Mindestarbeitszeit abzurufen. Die Grenze soll bei einer Erhöhung um 25 % liegen. Beispiel Beträgt die wöchentliche Mindestarbeitszeit 30 Stunden, kann vereinbart werden, dass der Arbeitgeber bis zu 37,5 Stunden (25 % von 30 Stunden) abrufen kann. Es kann umgekehrt auch vereinbart werden, dass der Arbeitgeber berechtigt sein soll, weniger als die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit abzurufen. Die Grenze wird hier allerdings bereits bei 20 % gezogen. 10.2.4 Langfristige Flexibilisierung 10.2.4.1 Jahresarbeitszeitkonten Bei diesem Arbeitszeitmodell wird das jährliche Gesamtvolumen der Arbeitszeit festgeschrieben und entsprechend dem vorhersehbaren Bedarf eingeteilt. Die Arbeitszeit muss also nicht gleichmäßig auf das ganze Jahr verteilt werden, sondern die Verteilung kann schwerpunktmäßig erfolgen. Beispiel H betreibt ein Sport- und Wellnesshotel im Bayerischen Wald. Während der Sommerbzw. Wintersaison, sowie über Ostern und Pfingsten ist das Hotel erfahrungsgemäß ausgebucht, während in den Herbstmonaten sowie im März nur sehr wenige Urlauber im Hotel absteigen. Die Arbeitszeit der Hotelangestellten wird daher schwerpunktmäßig in die Saison gelegt, während sie in den Herbstmonaten reduziert wird. Spezielle gesetzliche Regelungen zur Ausgestaltung eines Jahresarbeitszeitmodells gibt es nicht, vielmehr sind auch hier die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes zu beachten. Insbesondere muss die zulässige Jahresarbeitszeit gemäß den Vorschriften 2 BAG NZA 2006, S. 423 = DB 2006, S. 897. 178 <?page no="178"?> 10.2 Arbeitszeitmodelle des Arbeitszeitgesetzes berechnet werden. Weitere Einzelheiten und Grenzen der Modelle ergeben sich oft aus dem einschlägigen Tarifvertrag. 10.2.4.2 Lebensarbeitszeitkonten Durch die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre wird es für Arbeitnehmer ab Jahrgang 1964 die Altersrente ohne Abzüge in der Regel erst mit 67 Jahren geben. Wer früher in Rente geht und damit länger Rente bekommt, muss lebenslange Abzüge von der monatlichen Rente in Kauf nehmen. Für jeden Monat vor dem regulären Rentenalter werden 0,3 % abgezogen. Beispiel Wer nach 35 Versicherungsjahren mit 63 statt mit 67 in Rente gehen will, muss Abzüge von 14,4 % (48 Monate x 0,3 %) hinnehmen. Durch die gleichzeitige Verkürzung der Bezugsdauer für Arbeitslosengeld I -› Glossar auf maximal 18 Monate wird es daher in Zukunft auch nicht mehr möglich sein, einen Arbeitnehmer mit 60 Jahren in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, damit dieser Arbeitslosengeld beziehen und anschließend direkt in den vorgezogenen Ruhestand gehen konnte. Durch das Modell des Lebensarbeitszeitkontos wird in erster Linie älteren Mitarbeitern auch in Zukunft die Möglichkeit gegeben, schon vor dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters in den Ruhestand zu gehen ohne finanzielle Einbußen zu erleiden. Längerfristige Arbeitszeitkonten können unterschieden werden nach: • Langzeitarbeitszeitkonten, hier spart der Arbeitnehmer über eine längere Periode ein Zeitguthaben an, das er für eine Freistellung während seines Arbeitslebens, z. B. Sabbatical -› Glossar , verwendet. • Lebensarbeitszeitkonten, hier spart der Arbeitnehmer ein Guthaben an, das er dann für die Freistellung unmittelbar vor Beginn seiner gesetzlichen Altersrente verwenden kann. Ein besonderes in der Praxis weit verbreitetes Modell ist die Altersteilzeit im Blockmodell. Der Arbeitnehmer arbeitet z. B. in den letzten fünf Arbeitsjahren in Teilzeit zu 50 %. Dabei wird jedoch nicht die gesamte Arbeitszeit halbiert, vielmehr arbeitet der Arbeitnehmer die ersten 2 1 = 2 Jahre voll und sodann fast gar nicht mehr. Dabei hat er die gesamten fünf Jahre den Status eines Arbeitnehmers mit Teilzeitvergütung. Diese wird von 50 % auf 75 % aufgestockt, um diese Arbeitszeitmodelle attraktiver zu machen. Der Eintritt in den Ruhestand erfolgt erst nach den fünf Jahren, obwohl der Arbeitnehmer schon zuvor 2 1 = 2 Jahre von der Arbeit freigestellt war. 179 <?page no="179"?> Vergütung und Arbeitszeit Die Einführung eines Lebensarbeitszeitkontos wird in der Regel im Arbeitsvertrag oder der Betriebsvereinbarung verabredet. Besondere gesetzliche Regelungen bestehen dafür nicht. Daher bleibt es auch den Parteien überlassen - wenn nicht in einem Tarifvertrag etwas anderes geregelt ist - ob das Konto in Zeit oder Geld geführt wird. Die meisten Konten werden in der Praxis in Geld geführt, da dies die größeren Ertragschancen bietet. Es ist grundsätzlich auch Sache der Parteien, zu vereinbaren, was auf das Konto „eingezahlt“ werden kann. Beispiele Nicht genommene Urlaubstage, Überstunden oder Urlaubsgeld. Ein Problem stellt allerdings die Insolvenzsicherung des Guthabens dar. Beispiel Ein Arbeitnehmer zahlt zehn Jahre auf ein Lebensarbeitszeitkonto ein, kurz bevor er in den vorgezogenen Ruhestand gehen möchte, meldet der Arbeitgeber Insolvenz an. Auch das Guthaben auf dem Lebensarbeitszeitkonto ist verloren. In § 7d SGB IV wird dem Arbeitgeber zwar eine Insolvenzsicherung vorgeschrieben, das Gesetz lässt allerdings offen, welche Vorkehrungen dafür zu treffen sind. Zudem sind im SGB IV keinerlei Sanktionen daran geknüpft, wenn der Arbeitgeber dem nicht nachkommt. 10.3 Rechtsgrundlagen der Vergütung Das Zahlen des Arbeitsentgelts ist die vertragliche Hauptpflicht des Arbeitgebers. Wie bereits kurz angesprochen wurde, kommen neben dem Arbeitsvertrag noch eine Reihe weiterer Rechtsgrundlagen in Betracht, vor allem dann, wenn sich die Vergütung aus verschiedenen Bestandteilen zusammensetzt. 10.3.1 Tarifvertrag Wichtigste Anspruchsgrundlage für die Entgeltzahlung ist in der Praxis der Tarifvertrag. Voraussetzung dafür ist natürlich die Tarifgebundenheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer -› vgl. § 4 TVG . Fehlt es an der Tarifbindung, hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Tariflohn. Auch wenn keine Tarifbindung besteht, wird der für die Branche und Region gültige Tarifvertrag oder wenigstens die tarifvertragliche Entgeltregelung oftmals 180 <?page no="180"?> 10.3 Rechtsgrundlagen der Vergütung in das Arbeitsverhältnis einbezogen -› vgl. Abschnitt 6.4, S. 118 , um tarifgebundene und nicht tarifgebundene Arbeitnehmer gleichzustellen. Denn zum einen ist es personalpolitisch unklug, Arbeitnehmer für vergleichbare Arbeiten unterschiedlich zu bezahlen, weil der eine Gewerkschaftsmitglied ist und der andere nicht; zum anderen reduziert man damit gleichzeitig den Anreiz für die Arbeitnehmer in eine Gewerkschaft einzutreten. Im Übrigen ist der Arbeitgeber über die Gewerkschaftsmitgliedschaft der Arbeitnehmer oft nicht informiert. Die Gleichbehandlung der gesamten Belegschaft nach dem Tarifvertrag vermeidet problematische Nachfragen -› vgl. Abschnitt 7.3.2, S. 126 . Verpflichtet ist der Arbeitgeber zur Einbeziehung der tarifvertraglichen Regelungen allerdings nicht. Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zwingt nicht zur Gleichbehandlung tarifgebundener und nichttarifgebundener Arbeitnehmer! 10.3.2 Betriebsvereinbarung Der Anspruch auf Arbeitsentgelt kann auch auf einer Betriebsvereinbarung beruhen. Allerdings besteht hier nur ein begrenzter Spielraum, da § 77 Abs. 3 BetrVG vorschreibt, dass Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch einen Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein dürfen. Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Tarifvertrag den Abschluss einer ergänzenden Betriebsvereinbarung über Arbeitsentgelte in Konkretisierung der tarifvertraglichen Regelungen ausdrücklich zulässt -› vgl. Abschnitt 6.2, S. 116 . 10.3.3 Arbeitsvertrag Lässt sich der Vergütungsanspruch weder aus einem Tarifvertrag noch einer Betriebsvereinbarung herleiten, so ist in der Regel der Arbeitsvertrag -› vgl. § 611 BGB einschlägige Rechtsgrundlage. 10.3.4 Betriebliche Übung Bei der betrieblichen Übung -› vgl. auch Abschnitt 3.6.1, S. 50 handelt es sich zwar ebenfalls um eine vertragliche Anspruchsgrundlage, sie soll jedoch an dieser Stelle gesondert und etwas ausführlicher behandelt werden. 181 <?page no="181"?> Vergütung und Arbeitszeit Merksatz Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung einer bestimmten Verhaltensweise des Arbeitgebers, woraus die Arbeitnehmer schließen können, dass ihnen die aufgrund dieser Verhaltensweise gewährte Leistung oder Vergünstigung auch künftig gewährt wird 3 . Eine betriebliche Übung entsteht allein durch ein bestimmtes tatsächliches Verhalten des Arbeitgebers, es ist nicht notwendig, dass er sich rechtlich zu etwas verpflichten wollte. Es kommt nur darauf an, wie die Arbeitnehmer sein Verhalten nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der konkreten Begleitumstände verstehen durften 4 . Beispiel Der Arbeitgeber zahlt ohne weitere Erklärungen vier Jahre hintereinander im Dezember jeweils 500 € Weihnachtsgeld an jeden seiner Arbeitnehmer. Aus diesem Verhalten dürfen die Arbeitnehmer schließen, dass sie auch in Zukunft jeweils 500 € Weihnachtsgeld erhalten werden. Hauptanwendungsfälle für betriebliche Übungen sind Weihnachts- oder Urlaubsgeld, sonstige Gratifikationen oder Beihilfen, z. B. ein Zuschuss zum Kantinenessen, ein kostenloser Werksbus oder die Freistellung von der Arbeit am Rosenmontag. Hat der Arbeitgeber ein gleichförmiges Verhalten über einen bestimmten Zeitraum wiederholt, entsteht für den Arbeitnehmer ein einklagbarer Anspruch. Handelt es sich um Weihnachts- oder Urlaubsgeld, so ist es ausreichend, wenn der Arbeitgeber dies drei Jahre vorbehaltlos hintereinander zahlt. Ist eine betriebliche Übung entstanden, haben die Arbeitnehmer auch für die Zukunft einen Anspruch auf die gewährte Leistung. Die betriebliche Übung wirkt, als hätten Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Vertragsänderung vorgenommen. Selbst wenn der Betrieb in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gerät, kann der Arbeitgeber die betriebliche Übung nicht einfach einstellen oder verändern. Beispiel Im Betrieb des B ist die betriebliche Übung entstanden, jedes Jahr im Dezember ein 13. Monatsgehalt zu zahlen. Als der Betrieb durch den Wegfall mehrerer Großaufträge in eine angespannte Finanzlage gerät, erklärt B, er könne das 13. Monatsgehalt nicht mehr zahlen. Arbeitnehmer A will sich damit nicht abfinden, klagt vor dem Arbeitsgericht auf Zahlung eines 13. Monatsgehalts und erhält Recht, da eine bindende betriebliche Übung entstanden ist, die der Arbeitgeber nicht einfach einseitig beenden kann. 3 BAG NZA 2006, S. 1174; NZA 2002, S. 632. 4 BAG NZA 2004, S. 1152 = NJW 2004, S. 3652; NZA 2003, S. 1387. 182 <?page no="182"?> 10.3 Rechtsgrundlagen der Vergütung Möchte der Arbeitgeber eine Bindung bereits von Anfang an ausschließen, muss er die jeweilige Leistung unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit erbringen. Er muss also immer wieder deutlich machen, dass, obwohl eine bestimmte Leistung wiederholt gewährt wird, daraus für die Arbeitnehmer kein Rechtsanspruch für die Zukunft entstehen soll! Beispiel Die Arbeitnehmer erhalten jedes Jahr zu Weihnachten eine Weihnachtskarte mit folgendem Text: „Da unsere wirtschaftliche Lage auch in diesem Jahr wieder sehr zufrieden stellend war, freuen wir uns, Ihnen erneut ein Weihnachtsgeld von 500 € zusätzlich zu Ihrem Dezember-Gehalt überweisen zu können. Daraus folgt jedoch kein Rechtsanspruch für die Zukunft.“ Zahlt der Arbeitgeber jedes Jahr ein Weihnachtsgeld in unterschiedlicher Höhe, z. B. in Abhängigkeit vom Unternehmensergebnis, fehlt es bereits an einem gleichförmigen Verhalten, es kommt in diesem Fall gar nicht zum Entstehen einer betrieblichen Übung. Die Arbeitnehmer haben dann keinen Anspruch auf zukünftige Leistungen. Ist eine bindende betriebliche Übung entstanden, kann sie nur durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern oder durch die Kündigung bzw. Änderungskündigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse wieder beseitigt werden. Schließlich kann eine betriebliche Übung auch durch eine andere (auch für die Arbeitnehmer ungünstigere) betriebliche Übung ersetzt werden. Beispiel Nachdem der Arbeitgeber drei Jahre hintereinander vorbehaltlos Weihnachtsgeld von einem halben Monatsgehalt gezahlt hat, bekommt im vierten Jahr jeder Arbeitnehmer den schriftlichen Hinweis, dass die Auszahlung keinen Anspruch für die Zukunft entstehen lässt. Wiederholt der Arbeitgeber dieses Verhalten für mindestens drei Jahre und widersprechen die Arbeitnehmer nicht, ist eine neue betriebliche Übung entstanden - die freiwillige Auszahlung des Weihnachtsgeldes. Der Anspruch der Arbeitnehmer auf Weihnachtsgeld ist damit entfallen. 10.3.5 § 612 BGB Ergibt sich ein Anspruch auf Arbeitsentgelt aus keiner der vorher genannten Rechtsgrundlagen, greift § 612 BGB ein -› vgl. Abschnitt 9.2.1, S. 161 . 183 <?page no="183"?> Vergütung und Arbeitszeit 10.4 Erscheinungsformen und Bestandteile der Vergütung Arbeitsentgelt kann im Wesentlichen in zwei große Erscheinungsarten eingeteilt werden - Zeitvergütungsformen und Leistungsvergütungsformen. Während die Zeitvergütung dadurch gekennzeichnet ist, dass sie leistungsunabhängig für einen bestimmten Zeitabschnitt ausgezahlt wird, wird die Leistungsvergütung in Abhängigkeit einer bestimmten erbrachten Leistung bemessen. Bei einer Leistungsvergütung ist es dem einzelnen Arbeitnehmer also möglich, die Höhe seines Arbeitsentgelts bis zu einem gewissen Maß selbst zu bestimmen. Die wichtigste Erscheinungsform der leistungsbezogenen Vergütung ist der Akkordlohn -› Glossar . Heute steht jedoch meist eine andere, ebenfalls leistungsbezogene Vergütungsform im Vordergrund - der Prämienlohn -› Glossar . Beispiel B ist Betreiber einer Mensa. Er zahlt eine monatliche Prämie von 5 % des regulären Arbeitslohnes, wenn es den Mensa-Beschäftigten gelingt, den Speiseplan so zu gestalten, dass jeden Monat alle Lebensmittel durch Erst- oder Zweitverwertung aufgebraucht werden. Auch im Falle einer leistungsbezogenen Vergütung wird grundsätzlich ein feststehendes Mindestgehalt vereinbart, dass durch die leistungsbezogenen Zuschläge aufgestockt wird. Eine vor allem unter Führungskräften sehr verbreitete Form der variablen Vergütung bestehend aus einem Grundgehalt und einem variablen Teil, der von bestimmten Unternehmenszahlen abhängt (Umsatz, Bilanzgewinn oder Dividende). Hierzu zählen auch Aktienoptionspläne -› Glossar . 10.5 Zielvereinbarungen Zielvereinbarungen sind Absprachen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Erreichung bestimmter Ziele innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, in der Regel innerhalb eines (Geschäfts-)Jahres. Während die nicht-entgeltbezogene Zielvereinbarung dem Einzelnen seinen Beitrag zur unternehmerischen Gesamtleistung deutlich machen und eine Beurteilungsgrundlage für den Arbeitgeber schaffen soll, wird bei der wesentlich häufiger auftretenden entgeltbezogenen Zielvereinbarung bei Erreichung des Ziels ein (Jahres-)Bonus für den Arbeitnehmer vereinbart. Mithilfe entgeltbezogener Zielvereinbarungen sollen die individuellen Arbeitnehmerinteressen mit den Unternehmenszielen in Einklang gebracht werden und dadurch eine höhere Effizienz erreicht werden. Gleichzeitig soll das eigenverantwortliche 184 <?page no="184"?> 10.5 Zielvereinbarungen Handeln gestärkt, überflüssige Rückdelegationen vermieden und das Engagement und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter gesteigert werden. 10.5.1 Rahmenvereinbarung Der Abschluss einer Zielvereinbarung wirft grundsätzlich keine besonderen Fragen auf. Üblich ist in der Regel ein zweigeteiltes Vorgehen: Zunächst wird in einem Vertrag, dabei kann es sich um einen Individual- oder Kollektivvertrag handeln, eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen. Danach wird die konkrete Abrede in einer zusätzlichen Vereinbarung getroffen. In der Rahmenvereinbarung werden in der Regel nur das „Ob“ eines zielabhängigen Bonus sowie grundsätzliche Regelungen festgelegt, nicht dagegen das konkrete Ziel. Es ist allerdings ratsam, bereits in der Rahmenvereinbarung folgende Punkte zu klären: • Zielbestimmung • Feststellung der Zielerreichung • Konfliktlösungsmechanismen. 10.5.2 Zielbestimmung Als Ziel kann fast alles vereinbart werden. Herkömmlich unterscheidet man zwischen so genannten harten Zielen, z. B. Umsatz und Gewinn und weichen Zielen, z. B. die Erhöhung der Kundenzufriedenheit oder der Qualität der Mitarbeiterführung und -entwicklung. Die Ziele sollten nicht zu unbestimmt formuliert werden, da es anderenfalls bereits an der für einen wirksamen Vertrag notwendigen Bestimmtheit fehlt. Die Zielbestimmung erfolgt meist jährlich, um die notwendige Flexibilität des Unternehmens zu wahren. Bereits in der Rahmenvereinbarung sollten zwei grundlegende Fragen geregelt werden: Zum einen, wie die Zielbestimmung erfolgen soll. Sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Ziel durch eine Vereinbarung festlegen oder wird dem Arbeitgeber die Befugnis eingeräumt, das Ziel allein festzulegen? Zum anderen, wie zu verfahren ist, wenn kein Ziel bestimmt wird. Fehlt eine solche Regelung und wird kein Ziel festgelegt, steht aber der Bonusrahmen bereits fest, kann dies zu unterschiedlichen Konsequenzen führen: • Hätte der Arbeitgeber das Ziel festlegen müssen und hat das unterlassen, kann das Gericht das Ziel bestimmen -› vgl. § 315 Abs. 3, S. 2 BGB . • Hätten Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Zielbestimmung gemeinsam treffen müssen, soll der Arbeitnehmer unmittelbar auf Zahlung des Bonus klagen kön- 185 <?page no="185"?> Vergütung und Arbeitszeit nen. Die bisher zu dieser Problematik ergangenen Entscheidungen 5 sind sehr unterschiedlich begründet worden. Zum Teil wurde dem Arbeitnehmer bei unterbliebener Zielvereinbarung ohne weiteres ein Anspruch auf den vollen Bonus zuerkannt, z. T. wurde einfach eine (fiktive) Zielerreichung von 100 % unterstellt. 10.5.3 Zielerreichung Wer stellt fest, ob und in welchem Umfang das Ziel tatsächlich erreicht wird? Auch das kann unterschiedlich geregelt werden: Entweder stellen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einverständlich fest, ob und in welchem Umfang das vorgegebene Ziel erreicht wurde, oder der Arbeitgeber behält sich vor, die Zielerreichung alleine festzustellen. Es sollte auch eine Regelung für den Fall getroffen werden, dass es zum Streit kommt, so kann z. B. eine Schiedsstelle vereinbart werden, die entscheidet, ob das Ziel erreicht wurde oder nicht. Außerdem sollte geregelt werden, welche Folgen es hat, wenn der Arbeitnehmer das vereinbarte Ziel infolge arbeitgeberseitiger Entscheidungen, z. B. Strategiewechsel, nicht mehr erreichen kann. 10.5.4 Rechtliche Grenzen Zielvereinbarungen dürfen nicht dazu führen, tariflich festgelegte Mindestvergütungen zu unterschreiten, wenn das nicht durch eine diesbezügliche Öffnungsklausel im Tarifvertrag gestattet ist -› vgl. § 4 Abs. 1, 3 TVG . Hat der Arbeitgeber die Zielvereinbarung vorformuliert, was in der Praxis meist der Fall ist, und ist sie nicht in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung enthalten, unterliegt sie außerdem der Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB -› vgl. Abschnitt 7.5, S. 137 . 10.5.5 Änderungen der Zielvereinbarung Um Zielvereinbarung bei Bedarf ändern zu können und so ihrem Sinn als flexible Vergütungsinstrumente gerecht zu werden und zudem die unternehmerische Entscheidungsfreiheit zu erhalten, kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht: Widerrufsvorbehalt und Befristung. 5 LAG Köln, NZA-RR 2003, S. 305 = DB 2003, S. 451; LAG Düsseldorf DB 2006, S. 2635; s. a. BSG NZA-RR 2007, S. 101. 186 <?page no="186"?> 10.6 Betriebliche Altersversorgung 10.5.5.1 Widerrufsvorbehalt Wird in der Zielvereinbarung ein Widerrufsvorbehalt vereinbart, kann der Arbeitgeber den Anspruch auf den Zielbonus für die Zukunft beseitigen. Es muss aber eindeutig festgelegt werden, in welchen Fällen der Arbeitgeber von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen darf. Und die Ausübung des Widerrufsrechts muss dem billigen Ermessen entsprechen -› vgl. § 315 Abs. 3 BGB , d. h. der Arbeitgeber muss auch die Interessen des Arbeitnehmers in seine Entscheidung einbeziehen und beachten. Ein rückwirkender Widerruf ist dagegen nicht möglich, denn dem Arbeitnehmer würde dadurch die Vergütung für eine Leistung entzogen, die er bereits erbracht hat. 10.5.5.2 Freiwilligkeitsvorbehalt Ein Freiwilligkeitsvorbehalt, der es dem Arbeitgeber freistellt, ob er im Falle der Zielerreichung den Bonus zahlt oder nicht, wird dagegen überwiegend für unzulässig gehalten. Bei einem Zielerreichungsbonus handelt es sich nämlich nicht wie bei einer „normalen“ Gratifikation, z. B. dem Weihnachts- oder Urlaubsgeld, um eine tatsächlich freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Dem Bonus im Rahmen einer Zielvereinbarung steht eine Arbeitsleistung gegenüber. Wird das Ziel erreicht, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf den Bonus; es steht nicht im Ermessen des Arbeitgebers, ob er zahlt oder nicht. 10.5.5.3 Befristung Die Bonusregelung kann befristet werden, wenn ein sachlicher Grund dafür vorliegt. Beispiel Ein neues Bonussystem wird befristet eingeführt, da es zunächst erprobt werden oder für die erfolgreiche Erschließung eines neuen Marktes gewährt werden soll. 10.6 Betriebliche Altersversorgung Betriebliche Altersversorgung ist nicht nur Bestandteil der Vergütung für die Arbeitsleistung, sondern auch ein wichtiges Instrument zur Motivation der Arbeitnehmer, da sie vor allem die Bindung an den Betrieb verstärkt. Sie bildet die wichtigste betriebliche Sozialleistung. Die Alterssicherung besteht allgemein aus drei Säulen: Aus der gesetzlichen (Zwangs-)Rentenversicherung, der betrieblichen 187 <?page no="187"?> Vergütung und Arbeitszeit Altersversorgung und der privaten Altersvorsorge. In Anbetracht sinkender Renten wegen einer zunehmenden Alterung der Bevölkerung und niedriger Geburtenraten, ferner wegen des steigenden Renteneintrittsalters werden die letzten beiden Säulen in Zukunft immer wichtiger. Die betriebliche Altersversorgung stellt daher für einen Großteil der Arbeitnehmer bereits heute einen wichtigen Bestandteil ihrer Altersversorgung dar. Die Leistungen sind unterschiedlich - sie reichen von einer geringfügigen Aufstockung der gesetzlichen Rente bis zu einer erheblichen, den Lebensabend weitgehend sichernden Zusatzversorgung. Die gesetzliche Regelung der betrieblichen Altersversorgung findet sich im Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG), das allerdings nur eine Reihe von Mindestanforderungen aufstellt. 10.6.1 Rechtsgrundlagen Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine betriebliche Altersversorgung anzubieten, eine Ausnahme besteht nur für den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltumwandlung -› Glossar -› vgl. auch § 40b EStG . Möchte der Arbeitgeber eine betriebliche Altersversorgung etablieren, kann dies durch: • Arbeitsvertrag als individuelle Zusage an den einzelnen Arbeitnehmer • Gesamtzusage, d. h. durch eine Erklärung des Arbeitgebers gegenüber der gesamten Belegschaft oder einer Gruppe von Arbeitnehmern • Betriebliche Übung • Vertragliche Einheitsregelung, d. h. durch Abschluss weitestgehend einheitlicher Verträge mit einer größeren Zahl von Arbeitnehmern • Betriebsvereinbarung -› vgl. §§ 77, 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG • Tarifvertrag erfolgen. Zusätzlich wird auch der Gleichbehandlungsgrundsatz durch § 1b Abs. 1 S. 4 BetrAVG als Rechtsgrundlage angesehen. 10.6.2 Altersvorsorgemodelle Das BetrAVG stellt dem Arbeitgeber fünf verschiedene Modelle der Altersversorgung zur Verfügung -› vgl. § 1b BetrAVG : Direktzusage. Bei einer Direktzusage erwirbt der Arbeitnehmer einen unmittelbaren Anspruch gegen den Arbeitgeber selbst auf Versorgung im Alter. Das heißt der Arbeitgeber ist für die gesamte Finanzierung verantwortlich; dies erfolgt meist durch Pensionsrückstellungen. 188 <?page no="188"?> 10.6 Betriebliche Altersversorgung Direktversicherung. Bei einer Direktversicherung schließt der Arbeitgeber eine Einzel- oder Gruppenlebensversicherung auf das Leben seiner Arbeitnehmer ab. Der Arbeitgeber zahlt die Versicherungsbeiträge und der Arbeitnehmer bzw. seine Angehörigen sind bezugsberechtigt. Weit verbreitet ist die so genannte gehaltsumwandelnde Lebensversicherung, bei der ein Teil der Arbeitsvergütung für die Beitragszahlung eingesetzt wird. Pensionskasse. Die Pensionskasse ist ein rechtlich selbstständiger Träger der Altersversorgung und wird von einem oder mehreren Arbeitgebern gegründet. Finanziert wird sie entweder durch den oder die Arbeitgeber allein oder durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam zu gleichen oder unterschiedlichen Anteilen. (Wird dieses Modell gewählt, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch gegen die Pensionskasse auf Altersversorgung.) Unterstützungskasse. Ebenso wie die Pensionskasse ist die Unterstützungskasse eine rechtlich selbstständige Versorgungseinrichtung. Auf die Leistung der Unterstützungskasse hat der Arbeitnehmer aber keinen Anspruch. Aber da der Arbeitgeber ohnehin für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistung einstehen muss, spielt das für den Arbeitnehmer nur eine untergeordnete Rolle. Pensionsfonds. Ein Pensionsfonds ist eine rechtlich selbstständige Einrichtung, die rechtlich weitgehend wie ein Versicherungsunternehmen behandelt wird und auch der versicherungsrechtlichen Aufsicht durch das Bundesamt für Versicherungswesen unterliegt. 10.6.3 Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates Auch die betriebliche Altersversorgung unterliegt in gewissem Umfang der Mitbestimmung -› vgl. § 87 Nr. 10 BetrVG . Der Arbeitgeber kann frei von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates entscheiden: • Ob er Mittel für die betriebliche Altersversorgung zur Verfügung stellt. • In welchem Umfang er Mittel für die betriebliche Altersversorgung zur Verfügung stellt (Dotierungsrahmen). • In welcher Form, z. B. Direktversicherung, die betriebliche Altersversorgung erfolgen soll. • Welcher Arbeitnehmerkreis durch die betriebliche Altersversorgung begünstigt werden soll. Dabei hat der Arbeitgeber die bestehenden Diskriminierungsverbote bzw. den arbeitsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz zu beachten. 189 <?page no="189"?> Vergütung und Arbeitszeit Beispiel Der Arbeitgeber kann nicht pauschal alle Arbeitnehmerinnen von der betrieblichen Altersversorgung ausschließen. Mitzubestimmen hat der Betriebsrat - wenn der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen festgelegt hat - über den Leistungsplan, durch welchen die Verteilung der Leistungen an die einzelnen Arbeitnehmer geregelt wird. Ändert der Arbeitgeber (mitbestimmungsfrei) den Dotierungsrahmen und kommt es dadurch zu einer Änderung des Leistungsplans, so ist dies wiederum mitbestimmungspflichtig. Entscheidet sich der Arbeitgeber, die Altersversorgung durch eine Pensionskasse, einen Pensionsfond oder eine Unterstützungskasse durchzuführen, so entscheidet der Betriebsrat zudem über Form, Ausgestaltung und Verwaltung mit -› vgl. § 87 Nr. 8 BetrVG . 10.7 Exkurs: Aus- und Weiterbildung Die Aus- und Weiterbildung von Arbeitnehmern spielt im Rahmen der Personalentwicklung eine wichtige Rolle. Auch in diesem Bereich gibt es einige rechtliche Besonderheiten zu beachten. 10.7.1 Kandidatenauswahl Bei der Kandidatenauswahl muss der Arbeitgeber zum einen dafür Sorge tragen, dass auch Teilzeitbeschäftigte an Bildungsmaßnahmen teilnehmen können -› vgl. § 10 TzBfG . Das bedeutet nicht, dass einem Teilzeitbeschäftigten ein Anspruch auf Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung zusteht; er darf aber auch nicht lediglich aufgrund seiner Teilzeitbeschäftigung davon ausgeschlossen werden. Zum anderen hat der Betriebsrat bei der Auswahl der Teilnehmer für eine Aus- oder Weiterbildung ein Mitbestimmungsrecht -› vgl. § 98 Abs. 3, 4 BetrVG . Das betrifft sowohl Bildungsmaßnahmen, die vom Arbeitgeber selbst durchgeführt werden als auch außerbetriebliche Maßnahmen, wenn der Arbeitnehmer dafür freigestellt wird oder der Arbeitgeber die Kosten wenigstens teilweise trägt. Können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht über die Teilnahme der vom Betriebsrat vorgeschlagenen Arbeitnehmer einigen, entscheidet die Einigungsstelle. 190 <?page no="190"?> 10.7 Exkurs: Aus- und Weiterbildung 10.7.2 Rückzahlung von Aus- und Weiterbildungskosten Zu den Kosten einer Personalentwicklungsmaßnahme gehören nicht nur die Kosten der Maßnahme selbst, z. B. Kursgebühren, sondern auch die während der Maßnahme auftretenden Produktivitätsverluste bzw. das an den Arbeitnehmer trotz (teilweiser) Freistellung weitergezahlte Arbeitsentgelt. Übernimmt der Arbeitgeber die Kosten einer Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme, hat er natürlich ein Interesse daran, die vom Arbeitnehmer erworbene Qualifikation möglichst lange für seinen Betrieb zu nutzen. Erwirbt der Arbeitnehmer jedoch eine Qualifikation, die nicht spezifisch auf das Unternehmen ausgerichtet ist, sondern auch für andere Unternehmen interessant ist, besteht die Gefahr, dass er seinen Arbeitsplatz wechselt. Daher wird es z. T. nicht als sinnvoll erachtet, wenn der Arbeitgeber die Kosten einer solchen Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme übernimmt. Dabei wird allerdings übersehen, dass sich der Arbeitgeber - in gewissem Umfang - mit einer entsprechenden Rückzahlungsvereinbarung schützen kann. Merksatz In einer Rückzahlungsvereinbarung vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass die Kosten der Bildungsmaßnahme vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen sind, wenn er das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet. Konkrete gesetzliche Vorschriften fehlen in diesem Bereich, allerdings hat die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren ausgehend vom Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) eine Reihe von Grundsätzen entwickelt, die beim Abschluss einer Rückzahlungsvereinbarung beachtet werden müssen. Es ist stets eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer notwendig; sie kann z. B. im Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung, einem Tarifvertrag oder einer gesonderten Vereinbarung enthalten sein. Wichtig ist außerdem, dass der Arbeitnehmer bei Beginn der Aus- oder Weiterbildung auf die Konsequenzen hingewiesen wird. Grundsätzlich verboten sind Rückzahlungsvereinbarungen, wenn es sich um eine Berufsausbildung handelt oder Kosten betroffen sind, die der Arbeitgeber tragen muss: • Fortbildungen für den angestellten Betriebsarzt -› vgl. § 2 Abs. 3 S. 3 ASiG • Betriebsratsschulungen -› vgl. § 37 Abs. 6 und 7 BetrvG • Kosten der Einweisung des Arbeitnehmers an seinen Arbeitsplatz -› vgl. § 81 BetrVG • Weiterbildungen zur Vermeidung einer Kündigung -› vgl. § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG . 191 <?page no="191"?> Vergütung und Arbeitszeit Ob eine Rückzahlungsvereinbarung wirksam ist, wird von der Rechtsprechung in zwei Stufen geprüft: 1. Hat der Arbeitnehmer durch die Bildungsmaßnahme einen geldwerten Vorteil erlangt? 2. Ist die vereinbarte Bindungsfrist zulässig? 10.7.2.1 Erlangen eines geldwerten Vorteils Ob dem Arbeitnehmer eine Kostenbeteiligung überhaupt zuzumuten ist, hängt davon ab, ob er durch die Aus- oder Weiterbildung einen geldwerten Vorteil erlangt hat. Dies wird vor allem dann angenommen, wenn er • innerbetrieblich Aufgaben wahrnehmen kann, die ihm vorher verschlossen waren und mit einer höheren Vergütung oder der Möglichkeit des beruflichen Aufstiegs verbunden sind. • seine Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbessert werden. Dient die Maßnahme dagegen nur dazu, bereits vorhandene Kenntnisse aufzufrischen oder zu vertiefen, ohne dass der Arbeitnehmer dadurch neue berufliche Chancen und Vorteile erlangt, ist der Abschluss einer Rückzahlungsvereinbarung nicht zulässig. 10.7.2.2 Bindungsdauer Ob die vereinbarte Bindungsdauer zulässig ist, hängt von der Dauer der Bildungsmaßnahme und deren Wert für den Arbeitnehmer ab. Außerdem spielt es eine Rolle, ob der Arbeitnehmer für die Dauer der Bildungsmaßnahme unter Fortzahlung seines Arbeitsentgelts (teilweise) von seiner Arbeitspflicht freigestellt wurde und welche Kosten mit der Maßnahme für den Arbeitgeber verbunden waren. Dauer der Bildungsmaßnahme Zulässige Bindungsdauer bis zu einem Monat bis zu sechs Monaten bis zu zwei Monaten bis zu einem Jahr bis zu einem Jahr bis zu drei Jahren Wird der Arbeitnehmer nicht oder nur zum Teil freigestellt, verliert die Dauer der Fortbildung an Bedeutung 6 . Die zulässige Obergrenze für eine Rückzahlungsverpflichtung liegt schließlich bei fünf Jahren -› vgl. § 624 BGB . In welcher Höhe der Arbeitnehmer die Kosten der Weiterbildungsmaßnahme zurückzahlen muss, wenn er das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsfrist 6 BAG NZA 2006, S. 542 = DB 2006, S. 220 (nur red. Leitsatz 1-2); BAGE 104, S. 125 = NZA 2003, S. 559. 192 <?page no="192"?> 10.8 Sozialeinrichtungen beendet, können die Parteien frei vereinbaren. Allerdings kann der Arbeitgeber maximal die tatsächlich angefallenen Kosten zurückverlangen 7 . 10.8 Sozialeinrichtungen Unter Sozialeinrichtungen des Arbeitgebers versteht man betriebliche Institutionen, die z. T. in das Betriebsgeschehen eingebunden sind, aber auch rechtlich und organisatorisch selbstständig sein können und die den Arbeitnehmern und/ oder ihren Familienangehörigen bestimmte Leistungen gewähren. Beispiele Kantinen, Betriebskindergärten, Beschäftigungsgesellschaften, betriebseigene Fitnessstudios, Ferienheime. Voraussetzung ist immer, dass sie vom Arbeitgeber eingerichtet wurden oder der Arbeitgeber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Träger bzw. Stifter anzusehen ist. Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bei den Fragen: • Welche Rechtsform soll die Sozialeinrichtung haben? • Wie soll sie organisiert sein? Zum Beispiel welche Benutzungsregelungen aufgestellt werden sollen. Eigenständig geregelt und gleichfalls uneingeschränkt mitbestimmungspflichtig ist die Vergabe von Werkswohnungen -› vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG . Ob überhaupt eine Sozialeinrichtung eingerichtet wird, welchen Zweck sie haben soll, z. B. Kantine oder Betriebskindergarten, und welche Mittel investiert werden, ist dagegen allein Entscheidung des Arbeitgebers. Personalpolitisch ist die Bedeutung der einzelnen betrieblichen Sozialeinrichtungen unterschiedlich. Während z. B. Kantinen zur Mitarbeiterverpflegung auch wichtige soziale Funktionen erfüllen oder Betriebskindergärten dabei helfen, qualifizierte Mitarbeiter im Betrieb zu halten und ihnen eine schnellere Rückkehr in das Arbeitsleben zu ermöglichen, ist der Sinn anderer Sozialeinrichtungen mittlerweile fragwürdig geworden, z. B. Werksbibliotheken. 7 BAGE 76, S. 155= NZA 1994, S. 937. 193 <?page no="193"?> Vergütung und Arbeitszeit Zusammenfassung Arbeitszeitrecht. Das Arbeitszeitrecht (ArbZG) kann in öffentliches und privates Arbeitszeitrecht unterteilt werden. Grundsätzlich darf die Arbeitszeit acht Stunden pro Tag nicht überschreiten -› vgl. § 3 ArbZG ; eine Erhöhung auf zehn Stunden ist bei entsprechendem Ausgleich möglich. Dem Arbeitnehmer muss eine ununterbrochene, elfstündige Ruhezeit gewährt werden, die in einigen Bereichen, z. B. Krankenhäusern oder Gaststätten verkürzt werden kann, wenn ein entsprechender Ausgleich erfolgt -› vgl. § 5 ArbZG . Für Notfälle bestehen Sonderregeln -› vgl. § 14 ArbZG . Arbeitszeitmodelle. Arbeitszeitmodelle sollen dem Arbeitgeber die bessere wirtschaftliche Verwertung der Arbeitsleistung ermöglichen, dienen der Flexibilisierung und der Mitarbeitermotivation. Die häufigsten Arbeitszeitmodelle sind: • Voll- und Teilzeitarbeit • Schichtarbeit einschließlich Nachtarbeit • Gleitzeitarbeit • Arbeit auf Abruf -› vgl. § 12 TzBfG • Jahresarbeitszeitkonten • Lebensarbeitszeitkonten • Altersteilzeitmodelle Vergütung. Die Arbeitsvergütung setzt sich in der Regel aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die oftmals auf verschiedenen Rechtsgrundlagen beruhen. Als Rechtsgrundlagen der Arbeitsvergütung kommen in Betracht: • Tarifvertrag • Betriebsvereinbarung • Arbeitsvertrag • Betriebliche Übung • § 612 BGB Betriebliche Übung. Eine betriebliche Übung entsteht durch die regelmäßige und gleichförmige Wiederholung einer bestimmten Verhaltensweise durch den Arbeitgeber, woraus der Arbeitnehmer schließen darf, dass ihm die Leistung auch in Zukunft gewährt wird. Zielvereinbarung. Eine Zielvereinbarung ist die Absprache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Erreichung bestimmter Ziele innerhalb eines bestimmten Zeitraums, in der Regel in Verbindung mit einem Zielerreichungsbonus. 194 <?page no="194"?> Kontrollfragen Aus- und Weiterbildung. Führt der Arbeitgeber Aus- und Weiterbildungen durch oder ermöglicht er seinen Arbeitnehmern die Teilnahme durch Freistellung bzw. Kostenübernahme, muss er bei der Kandidatenauswahl das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates beachten -› vgl. § 98 BetrVG . Arbeitgeber und Arbeitnehmer können eine Rückzahlungsvereinbarung schließen, wonach der Arbeitnehmer die Kosten der Bildungsmaßnahme zurückzahlen muss, wenn er vor Ablauf einer bestimmten Frist sein Arbeitsverhältnis beendet. Kontrollfragen 1. Was muss der Arbeitgeber beachten, wenn er Mehrschichtarbeit mit einer Schicht Nachtarbeit einführen möchte? -› vgl. Abschnitt 10.2.2, S. 174 2. Rechtsanwalt R hat vergessen, dass um 24.00 Uhr die Frist für einen wichtigen Schriftsatz abläuft. Wird der nicht geschrieben und bis 24.00 Uhr zum Gericht gebracht, drohen für den Mandanten große finanzielle Verluste. Um 16.00 Uhr findet er die Akte auf seinem Schreibtisch und beginnt sofort hektisch zu diktieren. Als er um 20.30 Uhr damit fertig ist, ist seine Sekretärin S, die täglich von 8.00 - 16.30 Uhr arbeitet, bereits nach Hause gegangen. Er ruft sie an und bestellt sie wieder ins Büro. S ist bis 23.25 Uhr beschäftigt. Als sie schließlich nach Hause geht, erinnert R sie daran, dass sie am nächsten Tag bereits um 7.45 Uhr im Büro sein muss, da um 8.00 Uhr ein Mandantentermin angesetzt ist. Sind die Weisungen des R rechtlich zulässig? -› vgl. Abschnitte 10.1.4, S. 171 und 10.1.5, S. 172 3. Was muss der Arbeitgeber beachten, wenn Arbeit auf Abruf vereinbart werden soll? -› vgl. Abschnitt 10.2.3.2, S. 176 4. Der Arbeitgeber zahlt jeweils vorbehaltlos im ersten Jahr 500 € Weihnachtsgeld, im zweiten Jahr 600 € und im dritten Jahr 550 € . Haben die Arbeitnehmer auch im vierten Jahr einen Anspruch auf Weihnachtsgeld? -› vgl. Abschnitt 10.3.4, S. 181 5. Der Arbeitgeber stellt die als Buchhalterin beschäftigte B frei und schickt sie auf einen dreiwöchigen Lehrgang über ein neues, firmeninternes Abrechnungssystem. Die Kosten betragen insgesamt 2.900 € . Wäre eine Rückzahlungsvereinbarung zulässig? -› vgl. Abschnitt 10.7.2.1, S. 192 Literatur Annuss , G . [2007]: Arbeitsrechtliche Aspekte von Zielvereinbarungen in der Praxis, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 290 ff. 195 <?page no="195"?> Vergütung und Arbeitszeit Hanau , P. [2006]: Möglichkeiten und Grenzen der Vereinbarungen zur Dauer der Arbeitszeit, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Beil. Heft 1, S. 34 ff. Hohenstatt , K./ Schramm , N. [2007]: Neue Gestaltungsmöglichkeiten der Flexibilisierung der Arbeitszeit, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 238 ff. Riesenhuber , K./ Steinau - Steinbrück , R . [2005]: Zielvereinbarungen, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 785 ff. Schmidt , I. [2004]: Die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Kosten der beruflichen Bildung - Umfang und Grenzen der Vertragsgestaltung, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S.1002 Singer , R. [2006]: Flexible Gestaltung von Arbeitsverträgen, Recht der Arbeit (RdA), S. 362 196 <?page no="196"?> 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses Übersicht • Befristete Arbeitsverhältnisse/ Befristung mit und ohne Sachgrund -› vgl. Abschnitt 11.1 • Teilzeitarbeit -› vgl. Abschnitt 11.2, S. 203 • Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit) -› vgl. Abschnitt 11.3, S. 206 • Ausbildung und Praktikum -› vgl. Abschnitt 11.4, S. 208 Der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse, also unbefristeter, sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigungen geht immer weiter zurück. Bereits ein Drittel aller Arbeitnehmer ist stattdessen in atypischen Arbeitsverhältnissen beschäftigt - Teilzeit, befristet, geringfügig oder Zeitarbeit 1 . 11.1 Befristete Arbeitsverhältnisse Arbeitsverträge können befristet abgeschlossen werden, allerdings mit gewissen Einschränkungen. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) stellt eine Reihe von Anforderungen auf, die bei Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages zu beachten sind. Das TzBfG gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmer; für einige existieren jedoch auch Sonderregelungen in speziellen Gesetzen, z. B. im Hochschulrahmengesetz (HRG), im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) oder im Ärztearbeitsverträgebefristungsgesetz (ÄrzteBefrG). 11.1.1 Arten der Befristung Man kann zwischen Zeit- und Zweckbefristungen unterscheiden -› vgl. § 3 TzBfG . Es wird also entweder eine Befristung mithilfe fester Daten vorgenommen, oder Beispiel Der Arbeitsvertrag ist befristet vom 1.6.2007 bis zum 31.5.2008. 1 Klammer/ Leiber [2006]: Atypische Beschäftigung und soziale Sicherung, in: WSI-Mitteilungen 5/ 2006 Download unter www.boecklerimpuls.de. 197 <?page no="197"?> 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses es muss wenigstens möglich sein, das Ende des Vertrages allein mithilfe eines Kalenders zu ermitteln. Hängt das Ende des Arbeitsvertrages nicht von einem bestimmten Datum, sondern vom Eintritt eines ganz bestimmten Ereignisses ab, handelt es sich um eine Zweckbefristung. Dass dieses Ereignis eintreten wird, ist für die Vertragsparteien sicher; allerdings wissen sie nicht, wann das der Fall sein wird. Oft handelt es sich um Krankheitsvertretungen bzw. Vertretungen während der Mutterschutzfristen -› Glossar -› vgl. § 21 BEEG oder der Elternzeit -› Glossar . Beispiel „Herr H wird als Vertretung für den erkrankten Arbeitnehmer X beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endet, wenn X wieder arbeitsfähig ist und seine Arbeit wieder antritt.“ Bei einer Zweckbefristung kann das entscheidende Ereignis oft sehr plötzlich eintreten. Der Arbeitnehmer könnte seinen Arbeitsplatz dadurch von einem Tag auf den anderen verlieren. Um das zu vermeiden schreibt § 15 Abs. 2 TzBfG vor, dass ein Arbeitsvertrag frühestens zwei Wochen nach Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber über den Zeitpunkt der Zweckerreichung endet. Das heißt auch wenn das Ereignis eingetreten ist, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darüber schriftlich informieren und der Vertrag endet frühestens zwei Wochen nachdem diese Information dem Arbeitnehmer zugegangen ist. 11.1.2 Befristung mit Sachgrund Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist möglich, wenn bei Abschluss des Vertrages ein sachlicher Grund für die Befristung besteht -› vgl. § 14 Abs. 1 TzBfG . Die einzelnen in Frage kommenden Sachgründe sind in § 14 Abs. 1 TzBfG aufgezählt: • Vorübergehender Arbeitskräftebedarf -› vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG Beispiel Für ein bestimmtes Projekt besteht zeitlich begrenzt ein erhöhter Arbeitskräftebedarf 2 . • Erstanstellung -› vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG , d. h. im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern. • Vertretung -› vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG 2 BAGE 111, S. 377 = NZA 2005, S. 357. 198 <?page no="198"?> 11.1 Befristete Arbeitsverhältnisse Beispiel A wird als Vertretung für den erkrankten B eingestellt. Für Vertretungen während der Elternzeit oder dem Mutterschutz enthält § 21 BEEG Sonderregelungen! • Eigenart der Arbeitsleistung -› vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG Beispiel Arbeitsverträge mit Künstlern oder Sportlern. • Erprobung des Arbeitnehmers -› vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG • Gründe in der Person des Arbeitnehmers -› vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG Beispiel Der Arbeitnehmer möchte nur eine befristete Stelle annehmen. • Zweckbindung von Haushaltsmitteln -› vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG , wenn die Stelle aus einem ganz bestimmten, befristeten Haushaltstitel bezahlt wird. • Gerichtlicher Vergleich -› Glossar -› vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG , wenn die Befristung im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs festgelegt wurde. Durch das Wort „insbesondere“ kommt zum Ausdruck, dass es sich nicht um eine abschließende Aufzählung handelt. Es kommen auch andere Sachgründe in Betracht, die allerdings ein ähnliches Gewicht haben müssen wie die ausdrücklich Genannten. Auch die mehrfache Vereinbarung befristeter Arbeitsverhältnisse mit einem Arbeitnehmer (Kettenbefristungen) ist möglich, allerdings steigen mit zunehmender Dauer der Beschäftigung auch die Anforderungen an den Befristungsgrund. 11.1.3 Befristung ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 2 TzBfG Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund ist bis zur Dauer von maximal zwei Jahren zulässig. Diese Höchstgrenze von zwei Jahren muss nicht ausgeschöpft werden, kürzere Vertragslaufzeiten sind möglich. 199 <?page no="199"?> 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses Bei einer Befristung ohne Sachgrund kommt nur eine kalendermäßige Befristung (Zeitbefristung) in Betracht, keine Zweckbefristung und auch keine Bedingung -› vgl. Abschnitt 11.1.6, S. 203 . 11.1.3.1 Vorangegangene Arbeitsverhältnisse Eine Befristung ohne einen Sachgrund ist allerdings nur dann wirksam möglich, wenn zum gleichen Arbeitgeber nicht bereits vorher ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Das Problem dieser Regelung liegt darin, dass der Gesetzgeber keine zeitliche Grenze gezogen hat: Auch wenn das frühere Arbeitsverhältnis bereits sehr weit zurückliegt, verhindert es die Befristung des neuen Arbeitsvertrages ohne Sachgrund 3 . Das gilt auch dann, wenn es sich um eine vollkommen andere Beschäftigungsart gehandelt hat. Diese Regelung ist wenig sachgerecht, aber gleichwohl verbindlich. Beispiel Hat A vor zehn Jahren - während seines Studiums - in den Semesterferien bei der A-AG gearbeitet, ist heute keine wirksame sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrages zwischen A und der AG möglich. Es ist also nicht der Abschluss des Arbeitsvertrages an sich, der durch diese Regelung verhindert wird, sondern die wirksame Befristung des Vertrages. Stattdessen kommt gemäß § 16 S. 1 TzBfG ein unbefristeter Arbeitsvertrag zustande. Das ist regelmäßig nicht im Interesse des Arbeitgebers, der nur einen befristeten Arbeitsvertrag schließen wollte. Daher sollte der Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch ausdrücklich danach fragen, ob bereits in der Vergangenheit ein solches Beschäftigungsverhältnis bestand bzw. diese Frage in den Personalfragebogen aufnehmen oder sich schriftlich bestätigen lassen. Beispiel „Der Arbeitnehmer versichert, dass er bisher noch nie in einem Arbeitsverhältnis zur X-GmbH gestanden hat.“ Gibt der Bewerber eine falsche Antwort, kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen Täuschung anfechten -› vgl. Abschnitt 8.2.2, S. 145 . Oft wird daher bereits in der Stellenausschreibung darauf hingewiesen. 3 BAGE 108, S. 269 = NZA 2005, S. 218. 200 <?page no="200"?> 11.1 Befristete Arbeitsverhältnisse Beispiel „Da die Einstellung im Rahmen des § 14 Abs. 2 TzBfG erfolgen soll, können nur solche Bewerber berücksichtigt werden, die bisher weder in einem befristeten noch einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur X-GmbH standen.“ 11.1.3.2 Verlängerung Der befristete Arbeitsvertrag kann innerhalb der zwei Jahre bis zu dreimal verlängert werden. Beispiel A wird vom 1.1.2007 bis zum 30.6.2007 befristet eingestellt. Dieser Vertrag wird vom 1.7.2007 bis zum 31.10. 2007 verlängert und dann nochmals vom 1.11.2007 bis zum 31.12.2008. Vorgaben, wie lang die einzelnen Abschnitte sein dürfen, gibt es nicht. Wichtig ist allerdings, dass die Verlängerung unmittelbar an den befristeten Vertrag anschließt! Eine Verlängerung muss außerdem noch vor Ablauf der Vertragslaufzeit vereinbart werden 4 . Beispiel Endet der ursprüngliche befristete Vertrag am 30.6., muss die Verlängerung unmittelbar am 1.7. daran anschließen. Auch der Inhalt des Arbeitsvertrages darf im Rahmen der Verlängerung nicht geändert werden. Sollen Vertragsbedingungen geändert werden, muss dies vor oder nach der Verlängerung geschehen. Etwas anderes gilt nur bei einer Anpassung des Vertrages an zwischenzeitlich in Kraft getretene Gesetzesänderungen; dies ist zulässig. Schließt die Verlängerung nicht unmittelbar an den ursprünglichen Vertrag an oder werden im Rahmen der Verlängerung Vertragsbedingungen geändert, handelt es sich nicht mehr um eine Vertragsverlängerung, sondern um den Abschluss eines vollkommen neuen befristeten Vertrages 5 . Und da der Abschluss eines neuen befristeten Vertrages gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG nicht möglich ist, wenn mit dem Arbeitgeber bereits ein früheres Arbeitsverhältnis bestand -› vgl. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG , ist die Befristung unwirksam. Der befristete Vertrag wird also nicht verlängert, sondern es wird, unabhängig vom Willen der Parteien, ein neuer - unbefristeter (! ) - Vertrag geschlossen -› vgl. § 16 S. 1 TzBfG . 4 BAG NZA 2006, S. 605 = DB 2006, S. 1221. 5 BAG NZA 2006, S. 605 = DB 2006, S. 1221. 201 <?page no="201"?> 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses Befristungen von Arbeitsverträgen, ohne dass dafür ein spezieller Grund vorliegen muss, sind auch noch in einigen weiteren Fällen möglich: • § 14 Abs. 2a TzBfG: Befristungen in neu gegründeten Unternehmen • Befristung im Anschluss an einen Ausbildungsvertrag • § 14 Abs. 3 TzBfG: Befristung bei älteren Arbeitnehmern bis zu fünf Jahre, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des Beschäftigungsverhältnisses das 52. Lebensjahr vollendet hat und unmittelbar vor Beginn des Arbeitsverhältnisses mindestens vier Monate beschäftigungslos war. 11.1.4 Schriftform Seit dem 1.1.2001 müssen alle Befristungen schriftlich erfolgen -› vgl. § 14 Abs. 4 TzBfG . Das Schriftformerfordernis gilt nicht für den Arbeitsvertrag an sich, sondern nur für die Befristungsvereinbarung. Wichtig ist, dass die schriftliche Befristungsvereinbarung vor Vertragsbeginn erfolgt! Oft werden in der Praxis der Arbeitsvertrag und die Befristungsabrede zunächst nur mündlich vereinbart, der Arbeitnehmer beginnt bereits zu arbeiten und der „Papierkram“ wird auf später verschoben. Auf die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages hat das in der Regel keinen Einfluss -› vgl. Abschnitt 7.4.2.2, S. 132 , die Befristungsabrede ist dagegen unwirksam. Selbst wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer später den Arbeitsvertrag mit der Befristungsabrede schriftlich festhalten, führt das grundsätzlich nicht dazu, dass die Befristung wirksam wird! Es ist kein befristeter, sondern ein unbefristeter Vertrag zustande gekommen 6 -› vgl. § 16 TzBfG . Auch die Verlängerung eines befristeten Vertrages muss schriftlich erfolgen. 11.1.5 Rechtsfolgen wirksamer und unwirksamer Befristungen Ist die Befristung wirksam, endet das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Frist automatisch, ohne dass eine Kündigung notwendig ist -› vgl. § 15 Abs. 1, 2 TzBfG . Während der Vertragslaufzeit ist eine ordentliche Kündigung -› vgl. Abschnitt 14.3, S. 251 grundsätzlich ausgeschlossen. Die fest vereinbarte Vertragslaufzeit bedeutet folglich gleichzeitig einen Verzicht auf die ordentliche Kündigung. Soll die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung erhalten bleiben, muss sie ausdrücklich vertraglich vereinbart werden. Ist die Befristung dagegen unwirksam, z. B. weil kein wirksamer Sachgrund vorliegt, die Voraussetzungen der sachrundlosen Befristung oder die Schriftform nicht eingehalten wurden, besteht das Arbeitsverhältnis unbefristet fort -› vgl. § 16 TzBfG . 6 BAGE 113, S. 75 = NZA 2005, S. 575. 202 <?page no="202"?> 11.2 Teilzeitarbeit Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis zwar ordentlich kündigen, muss sich aber an die Voraussetzungen halten, die vom Gesetz für eine ordentliche Kündigung aufgestellt werden -› vgl. Abschnitt 14.3, S. 251 . 11.1.6 Auflösend bedingter Vertrag Vom zweckbefristeten Arbeitsvertrag ist der auflösend bedingte Vertrag zu unterscheiden. Soll der Vertrag ebenfalls mit dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses enden, ist aber - im Gegensatz zum befristeten Vertrag - nicht nur unklar, wann das Ereignis eintritt, sondern auch, ob es überhaupt eintritt, handelt es sich um einen auflösend bedingten Vertrag. § 21 TzBfG stellt diese Vertragsart den befristeten Arbeitsverhältnissen weitgehend gleich. § 14 Abs. 1 TzBfG ist auch auf bedingte Verträge, wegen ihrer der Befristung ähnlichen Wirkung, anzuwenden. Daher ist die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung nur möglich, wenn ein sachlicher Grund dafür vorliegt. 11.2 Teilzeitarbeit In Deutschland arbeiteten im Jahr 2004 ca. 10.9 Mio. Erwerbstätige in Teilzeit 7 , davon der ganz überwiegende Teil (ca. 7.7 Mio.) Frauen. Für den Arbeitgeber bietet Teilzeitarbeit die Möglichkeit, den betrieblichen Arbeitsbedarf besser zu koordinieren. Beispiel Die R-GmbH betreibt einen Supermarkt. Besonderer Bedarf an Arbeitskräften besteht vor allem am Donnerstag, Freitag und am Samstag zwischen 10.00 und 16.00 Uhr. Um diese Zeiten abzudecken, werden Teilzeitkräfte eingesetzt. Als Arbeitnehmer muss man sich bewusst sein, dass der erworbene Rentenanspruch in der Regel gering ausfällt, da bei Teilzeitarbeit wegen der Abhängigkeit der Sozialversicherungsbeiträge vom Bruttoverdienst niedrigere Beträge in die Rentenkasse eingezahlt werden. 7 Klammer/ Leiber [2006]: Atypische Beschäftigung und soziale Sicherung, in: WSI-Mitteilungen 5/ 2006 Download unter www.boecklerimpuls.de. 203 <?page no="203"?> 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses Merksatz Teilzeitbeschäftigt ist ein Arbeitnehmer, dessen regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kürzer ist als die eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers -› vgl. § 2 S.1 TzBfG . Teilzeitarbeit soll gefördert werden -› vgl. § 6 TzBfG . Daher soll ein Arbeitsplatz - wenn er sich dafür eignet - auch immer als Teilzeitarbeitsplatz ausgeschrieben werden -› vgl. § 7 Abs. 1 TzBfG . Ein Verstoß gegen diese Vorschrift hat für den Arbeitgeber allerdings keine Konsequenzen. Gemäß § 8 TzBfG hat grundsätzlich jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Verringerung seiner Arbeitszeit. Dafür müssen lediglich folgende Voraussetzungen erfüllt sein: • Arbeitsverhältnis muss länger als sechs Monate bestehen • Arbeitgeber muss mindestens 15 Arbeitnehmer beschäftigen Auch Arbeitnehmer, die bereits in Teilzeit arbeiten, sind von diesem Anspruch nicht ausgeschlossen. Wer sich jedoch in Berufsbildung befindet - Ausbildung, Fortbildung, Umschulung, Praktikum, Volontariat - hat keinen Anspruch auf Teilzeit, da sich eine Verringerung der Arbeitszeit nicht mit dem Sinn der Ausbildung vereinbaren lässt. Er muss den Anspruch auf Teilzeit spätestens drei Monate vor dem geplanten Beginn der Teilzeitarbeit geltend machen -› vgl. § 8 Abs. 2 TzBfG . Der Arbeitnehmer muss dabei nicht nur angeben, um wie viel die Arbeitszeit verringert werden soll, sondern auch wie die verringerte Arbeitszeit verteilt werden soll. Beispiel Die Arbeitszeit soll von 39 auf 19,5 Stunden reduziert werden und die Arbeitszeit soll auf drei Tage (je 6,5 Stunden) in der Woche verteilt werden. Äußert sich der Arbeitnehmer nicht zur Verteilung der Arbeitszeit, bleibt es dem Arbeitgeber überlassen, sie festzulegen. Der Arbeitgeber hat der Verringerung der Arbeitszeit und der Verteilung den Wünschen des Arbeitnehmers zuzustimmen, wenn nicht dringende betriebliche Gründe entgegenstehen -› vgl. § 8 Abs. 4 TzBfG . Dies ist der Fall wenn die Verringerung der Arbeitszeit zu • einer wesentlichen Beeinträchtigung der betrieblichen Organisation; • einer wesentlichen Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs; 204 <?page no="204"?> 11.2 Teilzeitarbeit • einer wesentlichen Beeinträchtigung der Sicherheit im Betrieb; • unverhältnismäßigen Kosten führt. Beispiel A arbeitete Vollzeit (40 Stunden pro Woche) als Kindergärtnerin in einem Kindergarten, der eine durchgehende Betreuung der Kinder von Montag bis Freitag für jeweils acht Stunden gewährleistet. Sie möchte ihre Arbeitszeit auf 16 Stunden reduzieren und nur noch an zwei Tagen in der Woche arbeiten. Ist eine kontinuierliche Betreuung der Kinder nicht mehr möglich, weil nicht genügend Kindergärtnerinnen zur Verfügung stehen, dürfte der Arbeitgeber den Wunsch nach Arbeitszeitreduzierung ablehnen, denn er wäre mit dem Unternehmenskonzept unvereinbar. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer spätestens einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Verringerung schriftlich mitteilen, ob er sich für oder gegen die Verringerung der Arbeitszeit entschieden hat -› vgl. § 8 Abs. 5 TzBfG . Will der Arbeitgeber ablehnen, versäumt er aber, dies dem Arbeitnehmer rechtzeitig und schriftlich mitzuteilen, verringert sich die Arbeitszeit entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers per Gesetz -› vgl. § 8 Abs. 5 S. 2, 3 TzBfG . Beispiel A teilt seinem Arbeitgeber am 31.3. mit, dass er ab dem 1.7. seine Arbeitszeit von 40 auf 30 Stunden reduzieren möchte. Alle sonstigen Voraussetzungen für Gewährung von Teilzeit liegen vor. Am 15.6. teilt der Arbeitgeber dem A mündlich mit, dass eine Reduzierung nicht in Frage käme. Die ablehnende Entscheidung wurde A jedoch weder formgerecht, also schriftlich, noch innerhalb der vorgeschriebenen Frist - einen Monat vor dem 1.7. - mitgeteilt. Daher wird ab dem 1.7. die Arbeitszeit per Gesetz auf 30 Stunden reduziert. Wurde die Arbeitszeit reduziert, kann der Arbeitgeber sie einseitig nicht wieder erhöhen. Er darf den Arbeitnehmer auch nicht kündigen, weil dieser sich weigert, seine Arbeitszeit wieder zu erhöhen -› vgl. § 11 TzBfG . Beispiel In der Arztpraxis des A ist die Sprechstundenhilfe S beschäftigt. Sie arbeitet Teilzeit mit 18 Stunden in der Woche. Durch die Einführung des Hausarztmodells fällt wesentlich mehr Arbeit an und A bitte S, ihre Arbeitszeit auf wenigstens 25 Stunden zu erhöhen. Wenn S sich weigert, kann A nichts dagegen tun. Weder kann er die Arbeitszeit einseitig erhöhen, noch kann er sie aufgrund ihrer Weigerung kündigen. Eine Erhöhung ist daher nur durch eine Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer möglich. 205 <?page no="205"?> 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses Möchte der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit wieder erhöhen, muss er dies dem Arbeitgeber anzeigen. Der Arbeitgeber hat ihn dann bei der Besetzung eines passenden freien Arbeitsplatzes bei gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen, wenn dem nicht dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen -› vgl. § 9 TzBfG . Voraussetzung ist, dass es eine freien Arbeitsplatz gibt, der besetzt werden soll. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber extra für ihn einen neuen Arbeitsplatz schafft. Außerdem muss der Arbeitnehmer für den Arbeitsplatz geeignet sein, d. h. er muss die entsprechende Ausbildung und Qualifikation besitzen und dem Anforderungsprofil entsprechen 8 . Wird die Arbeitszeit wieder verlängert, erhöht sich damit auch das Arbeitsentgelt wieder. Hat der Arbeitgeber der Verringerung der Arbeitszeit zugestimmt oder sie berechtigt abgelehnt, kann der Arbeitnehmer eine erneute Verringerung frühestens nach zwei Jahren verlangen -› vgl. § 8 Abs. 6 TzBfG . Wer teilzeitbeschäftigt ist, darf nicht schlechter behandelt werden, als ein vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter -› vgl. § 4 Abs. 1 TzBfG . Daher sind einem Teilzeitbeschäftigten das Arbeitsentgelt oder auch andere geldwerte Leistungen mindestens in dem Umfang zu gewähren, die seinem Arbeitszeitanteil entsprechen. Beispiel T arbeitet Teilzeit (20 Stunden pro Woche) das ist die Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit vergleichbarer Arbeitsnehmer (40 Stunden pro Woche). Zahlt der Arbeitgeber ein 13. Monatsgehalt, kann er T davon nicht unter Verweis auf ihre Teilzeitarbeit ausschließen, sondern muss ihr mindestens 50 % auszahlen, denn das entspricht ihrem Arbeitszeitanteil. 11.3 Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit) Merksatz Unter Arbeitnehmerüberlassung versteht man die gewerbsmäßige und zeitlich befristete Überlassung eines bei einem Arbeitnehmerüberlassungs- oder Zeitarbeitsunternehmen (Verleiher) beschäftigten Arbeitnehmers (Leiharbeitnehmer) an ein anderes Unternehmen (Entleiher). 8 BAG NZA 2007, S. 255 = BB 2007, S. 781. 206 <?page no="206"?> 11.3 Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit) Für das entleihende Unternehmen ist die Zeitarbeit vor allem ein personalwirtschaftliches Instrument zur flexiblen Reaktion auf vorübergehende Personalengpässe, z. B. bei saisonal bedingten Auftragsspitzen oder unerwartet hohen Fehlzeiten des Stammpersonals. Außerdem eignet sich Zeitarbeit auch zur Überbrückung bis zur endgültigen Wiederbesetzung durch Fluktuation entstehender Vakanzen. Seit 2003 dürfen Leiharbeitnehmer ohne zeitliche Grenze ausgeliehen werden; das kann dazu führen, dass sie im Betrieb, in welchem sie eingesetzt werden, praktisch die Funktion von Stammpersonal übernehmen. Die Übernahme in konzerneigene Zeitarbeitsunternehmen kann auch in begrenztem Maße eine Alternative zur Entlassung der Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit darstellen. Die gesetzliche Grundlage für die gewerbsmäßige Leiharbeit ist das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Wer Arbeitnehmer gewerbsmäßig verleihen möchte, braucht dafür gemäß § 1 AÜG grundsätzlich eine Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit -› vgl. § 17 AÜG . An der Arbeitnehmerüberlassung sind in der Regel drei Personen beteiligt: • Leiharbeitnehmer • Verleiher z. B. die Zeitarbeitsfirma oder Personaldienstleitungsunternehmen • Entleiher Der Arbeitsvertrag besteht zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher, nicht zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher! Zwischen Verleiher und Entleiher wird ebenfalls ein Vertrag geschlossen, in dem die Überlassung des Arbeitnehmers geregelt wird. Ist dieser Vertrag unwirksam, weil der Verleiher die gemäß § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis der Bundesagentur nicht hat, wird per Gesetz ein Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Entleiher fingiert -› vgl. § 10 AÜG ! Dass der Entleiher im Normalfall gerade keinen Arbeitsvertrag - mit all dessen rechtlichen Konsequenzen wie z. B. Kündigungsschutz - mit dem Arbeitnehmer abschließen, sondern ihn nur ausleihen wollte, spielt dabei keine Rolle. Da der Entleiher nicht Arbeitgeber ist, steht ihm auch das Weisungsrecht -› vgl. Abschnitte 3.6.2, S. 51, und 9.1.1.4, S. 154 grundsätzlich nicht zu. Daher räumt ihm der Verleiher die Befugnis ein, dem Arbeitnehmer Weisungen zu erteilen, wie ein Arbeitgeber. Im Gegenzug treffen den Entleiher auch Fürsorge- und Schutzpflichten -› vgl. Abschnitt 9.2.2, S. 163 wie einen Arbeitgeber. Um Lohndumping und die Entstehung einer Zwei-Klassen-Arbeitnehmerschaft zu vermeiden, ordnet § 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 AÜG an, dass der Leiharbeitnehmer für die Dauer seiner Überlassung einen Anspruch auf die wesentlichen Arbeitsbedingungen hat, die einem vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers gewährt werden (equal pay und equal treatment). Dazu gehören z. B.: 207 <?page no="207"?> 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses • Dauer der Arbeitszeit • Urlaubsanspruch • Arbeitsentgelt. Beispiel Ingenieur I ist beim Personaldienstleister P angestellt und wird für sechs Monate an die A-AG verliehen. Ein vergleichbarer Arbeitnehmer verdient bei A 6.000 € brutto im Monat und hat Anspruch auf 30 Tage Urlaub. I kann für diese sechs Monate die gleichen Arbeitsbedingungen verlangen. Dieser Anspruch richtet sich allerdings nicht gegen den Entleiher, sondern den Verleiher. Von diesem Gleichbehandlungsgebot kann allerdings in einem Tarifvertrag abgewichen werden -› vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 AÜG . Das hat zu einer Vielzahl von Tarifverträgen zwischen Zeitarbeitsfirmen bzw. Personaldienstleistern (nicht den Entleihern! ) und Gewerkschaften geführt, in denen vom Prinzip des equal pay and treatment - meist zu ungunsten der Leiharbeitnehmer - abgewichen wird. Beispiel Die Tarifvertragsparteien vereinbaren, dass die Arbeitnehmer nur Anspruch auf 85 % der Bezahlung vergleichbarer Arbeitnehmer beim Entleiher haben. 11.4 Ausbildung und Praktikum 11.4.1 Ausbildung Der Auszubildende wird innerhalb einer festgesetzten Zeit in einem bestimmten, anerkannten Lehrberuf ausgebildet. Die gesetzlichen Grundlagen der Ausbildung sind im Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelt. Der Auszubildende ist zwar typischerweise Arbeitnehmer, es handelt sich jedoch nicht um ein gewöhnliches Arbeitsverhältnis, da nicht die Arbeitsleistung, sondern der Bildungsaspekt im Vordergrund steht. Ist der Auszubildende noch Jugendlicher, findet zudem das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) Anwendung. 208 <?page no="208"?> Zusammenfassung 11.4.2 Praktikum Es können verschiedene Arten von Praktika unterschieden werden: • Schulpraktikum/ Berufspraktikum der Schüler Absolvieren Schüler ein Praktikum im Rahmen ihrer Schulausbildung, handelt es sich dabei in der Regel nicht um ein Arbeitsverhältnis. Das Praktikum soll vielmehr die spätere Berufswahl erleichtern und erste Einblicke in die Arbeitswelt geben. • Fach- und Hochschulpraktikum Absolvieren Studenten ein Praktikum im Rahmen des Studiums, finden die Vorschriften des BBiG (§§ 10-26) darauf grundsätzlich keine Anwendung. Sie haben daher - anders als Auszubildende - keinen gesetzlichen Anspruch auf Urlaub oder Arbeitsentgelt! • Praktikum zur beruflichen Fortbildung Ein Praktikum zur beruflichen Fortbildung dient dazu, bereits vorhandene Kenntnisse zu erhalten oder auszubauen etc. Ob es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, ist im Einzelfall zu entscheiden. Es ist daher zu empfehlen, bereits von Anfang an klare Vereinbarungen zu treffen. Das Praktikum - vor allem das Fach- oder Hochschulpraktikum - ist mittlerweile ein wichtiges Instrument des Personalmarketings geworden. Gestattet es doch dem Arbeitgeber, die zukünftig gesuchten Arbeitnehmer gezielt anzusprechen, kennen zu lernen und auszuwählen. Daher wurden in den meisten größeren Unternehmen spezielle Praktikumsprogramme entwickelt. In der öffentlichen Diskussion wird aktuell auch der Missbrauch des Praktikums stark thematisiert (Stichwort: Generation Praktikum). Zusammenfassung Befristete Arbeitsverhältnisse. Die Befristung kann entweder mithilfe fester oder kalendermäßig bestimmbarer Daten (Zeitbefristung) oder bestimmter Ereignisse vorgenommen werden (Zweckbefristung). Befristungen sind mit oder ohne Sachgrund möglich. Sachgründe, die eine Befristung rechtfertigen sind (nicht abschließend) in § 14 Abs. 1 TzBfG aufgeführt. Kettenarbeitsverträge sind möglich. 209 <?page no="209"?> 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ohne Sachgrund ist für maximal zwei Jahre möglich, innerhalb dieser Höchstgrenze kann der Vertrag dreimal verlängert werden -› vgl. § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG . Eine Befristung ohne Sachgrund ist nicht möglich, wenn zwischen den Parteien bereits früher ein Arbeitsverhältnis bestand -› vgl. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG . Weitere spezielle Befristungsmöglichkeiten bestehen: • in neu gegründeten Unternehmen -› vgl. § 14 Abs. 2a TzBfG • mit älteren Arbeitnehmern -› vgl. § 14 Abs. 3 TzBfG • im Anschluss an einen Ausbildungsvertrag. Befristungen müssen immer schriftlich vereinbart werden -› vgl. § 14 Abs. 4 TzBfG . Ist die Befristung wirksam, endet das Arbeitsverhältnis nach Fristablauf automatisch -› vgl. § 15 Abs. 1 TzBfG . Ist die Befristung unwirksam, besteht das Arbeitsverhältnis unbefristet fort -› vgl. § 16 TzBfG . Teilzeitarbeit. Arbeitnehmer haben Anspruch auf Teilzeitarbeit, wenn ihr Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht und der Arbeitgeber mindestens 15 Arbeitnehmer beschäftigt -› vgl. § 8 TzBfG . Der Arbeitgeber kann den Wunsch nach Verringerung der Arbeitszeit ablehnen, wenn dringende betriebliche Gründe entgegenstehen: • wesentliche Beeinträchtigung der Organisation • wesentliche Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs • wesentliche Beeinträchtigungen der Sicherheit • unverhältnismäßige Kosten. Teilzeitbeschäftigte dürfen gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht diskriminiert werden -› vgl. § 4 Abs. 1 TzBfG . Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit). Arbeitnehmerüberlassung ist die gewerbsmäßige und zeitlich befristete Überlassung eines beim Verleiher (Zeitarbeitsunternehmen) beschäftigten Leiharbeitnehmers an ein anderes Unternehmen (Entleiher). Der Arbeitvertrag besteht zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher, dem Entleiher werden Weisungsrechte gegenüber dem Leiharbeitnehmer eingeräumt. Der Leiharbeitnehmer hat Anspruch auf die gleichen wesentlichen Arbeitsbedingungen eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Entleihers (equal pay and treatment) -› vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 AÜG . Davon wird in der Praxis zulässigerweise durch Tarifverträge abgewichen. 210 <?page no="210"?> Kontrollfragen Ausbildung und Praktikum. Auszubildende sind Arbeitnehmer, doch die Ausbildung ist kein typisches Arbeitsverhältnis, da nicht der Arbeitssondern der Bildungsaspekt im Vordergrund steht. Bei einem Praktikum richten sich die Rechtsfolgen danach, um welche Art Praktikum • Schulpraktikum • Fach- und Hochschulpraktikum • Praktikum zur beruflichen Fortbildung es sich handelt. Kontrollfragen 1. Arbeitnehmer A (35 Jahre) soll befristet bei der B-AG eingestellt werden. Ein vorhergehendes Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber bestand nicht. Sind folgende Befristungsregelungen wirksam? a) „Der Arbeitsvertrag ist vom 1.1.2007 bis zum 31.1.2010 befristet.“ b) „Herr A wird als Projektmitarbeiter ausschließlich für das Projekt XYZ eingestellt.“ -› vgl. Abschnitte 11.1.2, S. 198 und 11.1.3, S. 199 2. Arbeitnehmer A wird (sachgrundlos) befristet vom 1.5.2007 bis zum 30.9.2007 eingestellt. Am 28.9.2007 möchte der Arbeitgeber wissen, ob A Interesse an einer Verlängerung des Vertrages hätte. A ist einverstanden und arbeitet daher auch über den 30.9.2007 hinaus weiter im Betrieb. Am 5.10.2007 kommt der Arbeitgeber endlich dazu, einen schriftlichen Verlängerungsvertrag aufzusetzen und zu unterschreiben und diesen dem A zur Unterschrift vorzulegen. Der neue Vertrag enthält folgende Befristungsregelung: „Der Vertrag ist vom 1.10.2007 bis zum 30.4.2008 befristet.“ Ist die Befristung wirksam? Begründen Sie Ihre Antwort kurz! -› vgl. Abschnitt 11.1.3.2, S. 201 3. Arbeitnehmerin A ist seit drei Jahren im Betrieb B (25 Arbeitnehmer) beschäftigt. Als sie ihren Arbeitgeber fristgerecht bitte, ihre Arbeitszeit von 40 Stunden auf 30 Stunden wöchentlich zu reduzieren, lehnt dieser mit der Begründung ab, er beschäftige prinzipiell keine Teilzeitkräfte. Zulässig? -› vgl. Abschnitt 11.2, S. 203 4. Die X-AG (5.000 Angestellte) hat eine auf zwei Jahre befristete Stelle zu besetzen. Da es sich um eine sachgrundlos befristete Stelle handelt, wird jeder Bewerber gefragt, ob er bereits früher in einem befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis mit der X-AG gestanden hat. A, der vor acht Jahren bereits einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der X-AG hatte, den er später kündigte, antwortet wahrheitswidrig, er habe noch nie für die X-AG gearbeitet. Daraufhin bekommt er die Stelle. 211 <?page no="211"?> 11 Besondere Formen des Arbeitsverhältnisses Erläutern Sie bitte kurz, welche Konsequenzen das für den neu abgeschlossenen Vertrag hat und was der Arbeitgeber tun kann? -› vgl. Abschnitt 11.1.3.1, S. 200 Literatur Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München (Achtung: Das AGG ist in dieser Auflage noch nicht enthalten! ) Junker , A . [2007]: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Aufl., München 212 <?page no="212"?> 12 Lohn ohne Arbeit Übersicht • Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall -› vgl. Abschnitt 12.1 • Bezahlter Erholungsurlaub -› vgl. Abschnitt 12.2, S. 218 • Annahmeverzug des Arbeitgebers -› vgl. Abschnitt 12.3, S. 222 / Betriebs- und Wirtschaftsrisiko -› vgl. Abschnitt 12.3.2, S. 223 • Verhinderung des Arbeitnehmers aus persönlichen Gründen -› vgl. Abschnitt 12.4, S. 224 Die Regel „Ohne Arbeit kein Lohn“ gilt nicht absolut, sondern wird in einer Reihe von Fällen durchbrochen. Auch wenn der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringt, ist der Arbeitgeber in einer Reihe von Fällen gleichwohl verpflichtet, ihm das Arbeitsentgelt zu zahlen. 12.1 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Ist der Arbeitnehmer erkrankt und darum nicht arbeitsfähig, würde sein Anspruch auf Zahlung des Arbeitslohns eigentlich entfallen -› vgl. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB . Für die Dauer seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit müsste der Arbeitgeber keinen Lohn zahlen. Da die meisten Arbeitnehmer auf ihren Arbeitsverdienst angewiesen sind, würde ihnen damit ihre (finanzielle) Lebensgrundlage entzogen. Das ist sozialpolitisch weder gewollt noch vertretbar. Im Fall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit hat der Arbeitnehmer daher unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Fortzahlung von 100 % seines Arbeitsentgelts für die Dauer von sechs Wochen. Geregelt ist die Entgeltfortzahlung im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). 12.1.1 Anspruchsvoraussetzungen 12.1.1.1 Anspruchberechtigter Personenkreis Der Arbeitnehmer muss zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören. Das sind nach § 1 Abs. 2 EFZG Arbeiter, Angestellte und Auszubildende bzw. gemäß § 10 EFZG auch Heimarbeiter -› vgl. § 1 HAG . 213 <?page no="213"?> 12 Lohn ohne Arbeit 12.1.1.2 Ablauf der Wartezeit Das Arbeitsverhältnis muss seit mindestens vier Wochen ununterbrochen bestanden haben -› vgl. § 3 Abs. 3 EFZG . Dafür genügt der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses. Dass der Arbeitnehmer während der Wartefrist tatsächlich beschäftigt wird, ist nicht notwendig. Beispiel Der Arbeitnehmer erkrankt gleich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses, was sich auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses und den Ablauf der Wartefrist nicht auswirkt. Allerdings erhält der Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung erst ab dem ersten Tag der fünften Woche, da erst dann die Wartefrist abgelaufen ist! 12.1.1.3 Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit Der Arbeitnehmer muss infolge einer Krankheit arbeitsunfähig sein -› vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG . Eine Krankheit ist jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand, der einer Heilbehandlung bedarf. Durch die Krankheit muss der Arbeitnehmer außerstande sein, seine Arbeit zu verrichten bzw. es muss die Gefahr bestehen, dass sich sein Zustand in absehbarer Zeit verschlimmert, wenn er seine Arbeit fortsetzt. Außerdem muss die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache des Arbeitsausfalls sein. 12.1.1.4 Kein Verschulden Den Arbeitnehmer darf an seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kein Verschulden treffen. Verschulden erfasst eigentlich sowohl vorsätzliches auch fahrlässiges Handeln -› vgl. § 276 BGB . Die Konsequenz wäre, dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung verlieren würde, auch wenn er seine Erkrankung nur leicht fahrlässig verschuldet hätte. Beispiel A besucht seinen Bekannten B, der gerade an einer Erkältung leidet und steckt sich an. Da der Besuch beim erkrankten B bereits leicht fahrlässig wäre, hätte A keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung! Dieses Ergebnis ist nicht gewollt. Geht es um Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, versteht man deshalb unter Verschulden nur Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. Der 214 <?page no="214"?> 12.1 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Arbeitnehmer verliert seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur dann, wenn er seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorsätzlich Beispiel 1 A ist als Orchestermusiker (Bratscher) angestellt. Er schneidet sich mit einer Kreissäge absichtlich vier Finger der rechten Hand ab. oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Von grober Fahrlässigkeit spricht man, wenn der Arbeitnehmer grob gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoßen hat. Beispiel 2 Arbeitnehmer A fährt am Abend von einer Familienfeier mit dem eigenen Auto nach Hause, obwohl er nach fünf Bier und vier Obstlern dazu nicht mehr in der Lage ist. Er verursacht einen Verkehrsunfall und ist in der Folge für mehrere Wochen im Krankenhaus. Oft diskutiert wird die Frage, ob Sportunfälle in den Bereich der groben Fahrlässigkeit fallen, wenigstens dann, wenn es sich um besonders gefährliche Sportarten handelt. Immerhin verletzen sich pro Jahr ca. 1.25 Mio. Bundesbürger beim Sport so schwer, dass sie ärztlich versorgt werden müssen 1 . Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen gefährlichen und nicht gefährlichen Sportarten. Gefährlich ist eine Sportart dann, wenn das Verletzungsrisiko so hoch ist, dass auch ein guter Sportler bei sorgfältiger Beachtung aller Regeln dieses Risiko nicht vermeiden kann. Das BAG hat allerdings bisher noch keine Sportart - auch nicht Boxen, Motorradrennen oder Drachenfliegen - tatsächlich als gefährlich eingestuft. Zudem treten die meisten Sportunfälle nicht bei diesen verhältnismäßig seltenen Sportarten, sondern vielmehr bei den Breitensportarten auf. Bei den Männern liegt bei der Unfallhäufigkeit das Fußballspiel unangefochten an der Spitze, bei den Frauen das Handballspiel 2 . 12.1.2 Anspruchsdauer Der erkrankte Arbeitnehmer hat den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts für maximal sechs Wochen -› vgl. §§ 3 Abs. 1 S. 1, 4 Abs. 1 EFZG . Nach Ablauf dieser 1 Quelle: Auswertung der ARAG und der Ruhr Universität Bochum, Lehrstuhl für Sportmedizin, unter: http: / / www.arag-sport.de/ imperia/ md/ content/ pdf/ infobroschueren/ sportunfaelle.pdf. (Abruf: 15.09.2007). 2 Quelle: s. Fußnote 1. 215 <?page no="215"?> 12 Lohn ohne Arbeit sechs Wochen hat der Arbeitnehmer nur noch Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse. Krankengeld wird in Höhe von 70 % des entgangen Arbeitsentgelts, soweit es der Beitragspflicht unterliegt (d. h. in der Regel 70 % des Bruttoentgelts) gezahlt -› vgl. § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V . Andererseits darf das Krankengeld 90 % des Nettoentgelts nicht übersteigen -› vgl. § 47 Abs. 1 S. 2 SGB V . Es wird grundsätzlich für einen unbegrenzten Zeitraum gewährt -› vgl. § 48 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB V . Ist der Versicherte aber wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig, erhält er das Krankengeld längstens für 78 Wochen innerhalb von drei Jahren -› vgl. § 48 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB V . Wird der Arbeitnehmer erneut krank, muss danach unterschieden werden, ob es sich um dieselbe oder eine andere Krankheit handelt: Fortsetzungserkrankung. Erkrankt der Arbeitnehmer erneut an derselben Krankheit, handelt es sich um eine Fortsetzungserkrankung. Von einer Fortsetzungserkrankung spricht man, wenn die Krankheit, auf der die frühere Arbeitsunfähigkeit beruhte, nicht vollständig ausgeheilt war, sondern als Grundleiden latent weiter bestanden hat, so dass die neue Erkrankung nur eine Fortsetzung der früheren Erkrankung ist. Die Krankheitssymptome müssen nicht identisch sein, denn die verschiedenen Folgen einer Krankheit können auch unterschiedliche Erscheinungsbilder haben. Alle durch diese Krankheit hervorgerufenen Fehlzeiten werden zusammengerechnet. Der Arbeitnehmer kann nur für insgesamt maximal sechs Wochen Entgeltfortzahlung verlangen -› vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG . Beispiel Arbeitnehmer A erleidet im März einen Bandscheibenvorfall und ist infolgedessen für zwei Wochen arbeitsunfähig. Im Juni und im Oktober des gleichen Jahres erleidet A weitere Bandscheibenvorfälle im selben Wirbelbereich und ist für je drei Wochen arbeitsunfähig krank. Diese Fehlzeiten werden, da es sich um Fortsetzungserkrankungen handelt, zusammengezählt. Obwohl A insgesamt für acht Wochen arbeitsunfähig krank ist, kann er die Entgeltfortzahlung nur für sechs Wochen verlangen. Auch hier bestehen wieder Ausnahmeregelungen: • wenn der Arbeitnehmer wegen derselben Krankheit erst nach Ablauf von sechs Monaten (Berechnung nach §§ 187 ff. BGB) erneut arbeitsunfähig erkrankt -› vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ; • wenn seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist -› vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EFZG . Andere Krankheit. Handelt es sich um eine andere Krankheit, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf erneute Entgeltfortzahlung für volle sechs Wochen. 216 <?page no="216"?> 12.1 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Beispiel Arbeitnehmer A erleidet im März einen Bandscheibenvorfall und ist infolgedessen für zwei Wochen arbeitsunfähig. Im Juni erkrankt er an einer Lungenentzündung und ist für drei Wochen arbeitsunfähig, im Oktober bricht er sich beide Arme und ist nochmals für vier Wochen arbeitsunfähig krank. Insgesamt ist A damit für neun Wochen arbeitsunfähig. Da es sich aber um unterschiedliche Krankheiten handelt, hat er für die gesamte Zeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Zwei selbständige Verhinderungsfälle und damit zwei von einander unabhängige Ansprüche sind dann gegeben, wenn ein Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich arbeitet oder wenn er - wenn auch nur für kurze Zeit und außerhalb der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit (z. B. Sonntag) - arbeitsfähig war 3 . Beispiel A ist aufgrund seines Bandscheibenvorfalls für vier Wochen bis einschließlich Samstag krank geschrieben. Am Montagmorgen stürzt er auf der Treppe, bricht sich den Fuß und ist für weitere vier Wochen arbeitsunfähig. Für beide Krankheitszeiträume steht A ein jeweils unabhängiger Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu. Voraussetzung ist also, dass die Erkrankung nacheinander auftreten. Mit jeder neuen Erkrankung beginnt ein neuer Entgeltfortzahlungszeitraum. Tritt aber die zweite Erkrankung ein, während der Arbeitnehmer noch aufgrund der ersten Erkrankung arbeitsunfähig ist, beschränkt sich der Entgeltfortzahlungszeitraum auf einmalig sechs Wochen. Mehrere sich überlappende Erkrankungen, lösen also, auch wenn sie nicht auf demselben Grundleiden beruhen, den Entgeltfortzahlungsanspruch nur einmal aus. Beispiel A erleidet einen Bandscheibenvorfall und muss für eine Woche ins Krankenhaus. Während des Krankenhausaufenthaltes steckt er sich mit Lungenentzündung an. Beide Erkrankungen lösen nur einen einheitlichen, maximal sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch aus. 12.1.3 Nachweispflichten Der erkrankte Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen, dass und wie lange er voraussichtlich arbeitsunfähig sein wird -› vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG . 3 BAGE 37, S. 172 = DB 1982, S. 601; BAG NZA 1989, S. 927 = DB 1990, S. 178. 217 <?page no="217"?> 12 Lohn ohne Arbeit Unverzüglich bedeutet, der Arbeitnehmer muss seinen Arbeitgeber so schnell informieren, wie dies nach den Umständen des Einzelfalles möglich ist. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauf folgenden Arbeitstag vorzulegen -› vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG . Legt der Arbeitnehmer diese Bescheinigung nicht vor, darf der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern -› vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG . Der Arbeitgeber hat allerdings keinen Anspruch darauf, über die Art der Erkrankung informiert zu werden. Berichtet der Arbeitnehmer darüber, geschieht das freiwillig. Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nennt den Krankheitsgrund aus Gründen des Datenschutzes und der ärztliche Schweigepflicht nicht. 12.2 Bezahlter Erholungsurlaub Neben der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist der bezahlte Erholungsurlaub der wichtigste Fall der Entgeltzahlung bei gleichzeitiger Freistellung von der Arbeitsleistung. Merksatz Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub -› vgl. § 1 BUrlG . Der Erholungsurlaub soll der Erholung dienen, daher darf der Arbeitnehmer während seines Urlaubs auch keine Erwerbstätigkeit ausüben -› vgl. § 8 BUrlG . Unter Erwerbstätigkeit wird jede Tätigkeit verstanden, die auf Gelderwerb gerichtet ist. Verstößt der Arbeitnehmer gegen dieses Verbot, kann der Arbeitgeber von ihm verlangen, die Erwerbstätigkeit zu unterlassen. In einem Tarifvertrag kann von dieser die Regelung allerdings abgewichen werden. Jeder Arbeitnehmer hat gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG einen Anspruch auf einen gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen. Dieser Anspruch ist zwingend und kann weder durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung noch Tarifvertrag abgedungen werden. Die 24 Werktage sind allerdings der Mindesturlaubsanspruch bei einer Sechs-Tage-Woche. Das ergibt sich aus § 3 Abs. 2 BUrlG, der als Werktage Montag bis Samstag definiert. Für die mittlerweile gebräuchliche Fünf-Tage-Woche muss der Mindesturlaub daher entsprechend gekürzt werden: 24/ 6 = x/ 5. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch bei einer Fünf-Tage-Woche beträgt daher 20 Werktage, bei einer Vier-Tage-Woche 16 Werktage usw. Halbe Urlaubstage sind auf volle Ur- 218 <?page no="218"?> 12.2 Bezahlter Erholungsurlaub laubstage aufzurunden -› vgl. § 5 Abs. 2 BUrlG . Schwerbehinderte haben Anspruch auf einen Zusatzurlaub von 5 Tagen -› vgl. § 125 SGB IX . Voraussetzungen des Mindesturlaubsanspruchs sind: • Bestehendes Arbeitsverhältnis. Anspruchsberechtigt sind Angestellte, Arbeiter und zur Berufsausbildung Beschäftigte, arbeitnehmerähnliche Personen und Heimarbeiter -› vgl. § 2 BUrlG . • Ablauf der Wartezeit. Der volle Urlaubsanspruch wird erstmalig nach dem sechsmonatigen ununterbrochenen Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben -› vgl. § 4 BUrlG . Das Arbeitsverhältnis muss also sechs Monate ununterbrochen bestanden haben, bevor der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf vollen Jahresurlaub geltend machen kann. Diese Wartezeit kann natürlich in einem Arbeits- oder Tarifvertrag zugunsten des Arbeitnehmers verkürzt werden. In einem Tarifvertrag (nicht in einem Arbeitsvertrag! ) kann sie auch verlängert werden -› vgl. § 13 BUrlG . Beginnt das Arbeitsverhältnis erst in der zweiten Jahreshälfte (ab dem 1.7. eines Jahres), ist es dem Arbeitnehmer allerdings gar nicht mehr möglich, denn vollen Urlaubsanspruch zu erwerben, denn die Wartezeit läuft bis zum Ende des Kalenderjahres (1.7. bis einschließlich 31.12.). Hat er dann während dieser Zeit gar keinen Anspruch auf Urlaub? Ein ähnliches Problem besteht, wenn der Arbeitnehmer vor Ablauf der Wartefrist aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, Beispiel Der Arbeitsvertrag beginnt am 1.1., bereits zum 31.3. wird der Arbeitnehmer wieder entlassen, oder das Arbeitsverhältnis direkt nach Ablauf der Wartefrist endet. Beispiel Das Arbeitsverhältnis des A beginnt am 1.1. und endet durch Kündigung seitens des Arbeitgebers zum 30.6. In diesen Fällen steht dem Arbeitnehmer 1/ 12 des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat zu, den das Arbeitsverhältnis besteht. Angefangene Monate bleiben außer Betracht 4 . Obwohl der Urlaub der Erholung dienen soll, dem Ausgleich für geleistete oder noch zu leistende Arbeit, hat der Arbeitnehmer auch dann Anspruch auf Urlaub, wenn er krankheitsbedingt kaum oder gar nicht gearbeitet hat. 4 BAGE 61, S. 52 = NZA 1989, S. 756. 219 <?page no="219"?> 12 Lohn ohne Arbeit Beispiel Arbeitnehmerin A ist acht Monate lang krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Dennoch hat sie Anspruch auf den vollen Jahresurlaub. Der Arbeitnehmer muss den Urlaub rechtzeitig verlangen. Äußert er bestimmte Terminwünsche - was in der Regel der Fall ist - muss der Arbeitgeber diese grundsätzlich zu beachten. Er darf nur unter bestimmten Voraussetzungen davon abweichen: • Dringende betriebliche Belange, die den gesicherten Fortgang des Betriebsablaufes betreffen, z. B. plötzlich erhöhter Auftragseingang oder erhöhter Personalbedarf während der Saison. Diese Belange müssen das Interesse des Arbeitnehmers an einem bestimmten Urlaubstermin überwiegen. • Vorrangige Urlaubsansprüche anderer Arbeitnehmer. Das betrifft insbesondere Arbeitnehmer mit schulpflichtigen Kindern, die darauf angewiesen sind, ihren Urlaub in den Schulferien zu nehmen und deshalb in dieser Zeit Vorrang haben. Ist der Urlaub einmal bewilligt, ist der Arbeitgeber daran gebunden und kann ihn nur im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer wieder abändern. Der Urlaubsanspruch ist an das Kalenderjahr gebunden, kann aber in das folgende Kalenderjahr übertragen werden, wenn im alten Jahr der Urlaub aus dringenden betrieblichen oder Gründen in der Person des Arbeitnehmers nicht genommen werden konnte. Beispiel Der Arbeitnehmer wurde krank und konnte den Urlaub im alten Kalenderjahr nicht mehr nehmen. Wird der Arbeitnehmer während des Urlaubs krank, werden die durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Urlaub angerechnet -› vgl. § 9 BUrlG . Der Urlaub muss im jeweiligen Kalenderjahr genommen werden -› vgl. § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG . Eine Abgeltung (Auszahlung) nicht genommener Urlaubstage ist grundsätzlich nur möglich, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann -› vgl. § 7 Abs. 4 BUrlG . Andere Vereinbarungen sind im Rahmen eines Tarifvertrages zulässig -› vgl. § 13 BUrlG . Das Gesetz sieht eine Übertragung nur bis zum 31.3. des Folgejahres vor, d. h. bis zu diesem Termin muss der übertragene Urlaub aufgebraucht werden. Im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag kann aber ein längerer Übertragungszeitraum vereinbart werden. Wird der Urlaub in dieser Zeit nicht gewährt bzw. genommen, erlischt er. 220 <?page no="220"?> 12.2 Bezahlter Erholungsurlaub Der Arbeitnehmer hat in jedem Urlaubsjahr nur einen Urlaubsanspruch. Das bedeutet nicht, dass ein Arbeitnehmer nur einmal Urlaub nehmen kann, sondern der Anspruch auf Jahresurlaub, z. B. in Höhe von 20 Werktagen, entsteht nur einmal im Jahr. Ist ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt, kommt es darauf an, ob er seinen Urlaubsanspruch bereits bei seinem alten Arbeitgeber genommen hat bzw. ihm am Ende des Arbeitsverhältnisses für nicht genommenen Urlaub eine Abgeltung gezahlt wurde -› vgl. § 7 Abs. 4 BUrlG . Ist das der Fall, entsteht im neuen Arbeitsverhältnis kein neuer Urlaubsanspruch mehr, denn der Arbeitnehmer hat seinen Anspruch bereits „verbraucht“. Beispiel A ist bis zum 30.6. bei B angestellt. Ab dem 1.7. ist er bei C angestellt. Seinen Jahresurlaub von 20 Tagen hatte er fast vollständig im Februar genommen. Für die verbleibenden Urlaubstage erhielt er bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine entsprechende finanzielle Abgeltung von B. Im neuen Arbeitsverhältnis entsteht daher kein Urlaubsanspruch mehr. Hat der Arbeitnehmer bei seinem alten Arbeitgeber dagegen seinen Urlaub nicht genommen und auch keine Abgeltung erhalten, entsteht der Urlaubsanspruch im neuen Arbeitsverhältnis erneut. Während der Freistellung hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsentgelt (nicht zu verwechseln mit Urlaubsgeld! ). Das Urlaubsentgelt ist die fortzuzahlende Vergütung, deren Höhe sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen bemisst. Sie ist, wenn nichts anderes in einem Tarifvertrag vereinbart ist, vor dem Urlaubsantritt auszuzahlen ist -› vgl. § 11 BUrlG . Urlaubsgeld ist dagegen das zusätzliche, vom Arbeitgeber gezahlte Entgelt. Rechtsgrundlage kann eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, ein Tarifvertrag oder eine betriebliche Übung sein. Exkurs: Feiertage Die Feiertage sind in den Feiertagsgesetzen der Länder festgelegt. Bundeseinheitlicher Feiertag ist nur der 3.10. An den gesetzlichen Feiertag ist der Arbeitnehmer grundsätzlich von der Arbeit freizustellen. Ihm ist dabei gleichzeitig das Entgelt weiterzuzahlen, das er ohne den Ausfall erhalten hätte -› vgl. § 2 EFZG . 221 <?page no="221"?> 12 Lohn ohne Arbeit 12.3 Annahmeverzug des Arbeitgebers Merksatz Von Annahmeverzug spricht man, wenn der Arbeitnehmer arbeiten will, der Arbeitgeber ihn jedoch nicht beschäftigen kann oder möchte. Der Arbeitnehmer hat dann trotzdem Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts, ist aber gleichzeitig nicht verpflichtet, die Arbeit nachzuholen -› vgl. § 615 BGB . Zu einem Fall des Annahmeverzuges kommt es vor allem dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer kündigt, ihn während der Kündigungsfrist nicht mehr beschäftigt und sich die Kündigung später als unwirksam erweist. Die Regeln des Annahmeverzuges gelten auch in den Fällen des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos entsprechend -› vgl. Abschnitt 12.3.2, S. 223 . 12.3.1 Voraussetzungen des Annahmeverzuges Für einen Fall des § 615 S. 1 BGB müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Bestehendes Arbeitsverhältnis. Es muss ein Arbeitsverhältnis bestehen. (Im Fall der Kündigung muss sich diese daher als unwirksam erweisen.) Angebot der Arbeitsleistung. Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß anzubieten -› vgl. § 294 BGB . Er muss seinen Arbeitsplatz aufsuchen und für die Arbeit zur Verfügung stehen. Von diesem Grundsatz gibt es einige Ausnahmen: • Hat der Arbeitgeber bereits erklärt, dass er die Arbeitsleistung nicht annimmt oder ist die Mitwirkung des Arbeitgebers erforderlich, damit der Arbeitnehmer seine Arbeit erbringen kann, dann genügt auch ein wörtliches Angebot -› vgl. § 295 BGB . Der Arbeitnehmer muss sich dafür nicht an seinen Arbeitsplatz begeben. • Hat der Arbeitgeber unrechtmäßig gekündigt, dann soll ein Angebot seitens des Arbeitnehmers nach BAG-Rechtsprechung 5 sogar ganz entbehrlich sein -› vgl. § 296 BGB . Leistungsfähigkeit. Der Arbeitnehmer muss objektiv in der Lage und gewillt sein, die Arbeitsleistung zu erbringen. Ist er krank und daher arbeitsunfähig, fehlt es 5 BAGE 90, S. 392 = NZA 1999, S. 925; BAG NZA 1985, S. 778 = NJW 1985, S. 2662. 222 <?page no="222"?> 12.3 Annahmeverzug des Arbeitgebers an der Leistungsfähigkeit und es handelt sich nicht um einen Fall des Annahmeverzuges. Ob sich der Arbeitnehmer arbeitsfähig fühlt, ist nicht entscheidend; ausschlaggebend ist vielmehr, ob er es tatsächlich ist. Nichtannahme der Arbeitsleistung. Der Arbeitgeber darf die Arbeitsleistung nicht annehmen. Es spielt keine Rolle, ob ihn daran ein Verschulden trifft. Beispiel Der Arbeitgeber kündigt einen Arbeitnehmer fristlos und weigert sich, ihn weiter zu beschäftigen. Die Kündigung stellt sich als unwirksam heraus. Selbst wenn der Arbeitgeber davon überzeugt war, die Kündigung sei ordnungsgemäß, gerät er dennoch in Annahmeverzug. Liegen die Voraussetzungen des Annahmeverzuges vor, hat der Arbeitnehmer Anspruch darauf, dass ihm für die Dauer des Annahmeverzugs die Vergütung weiter gezahlt wird, die er erhalten hätte, wenn er tatsächlich gearbeitet hätte. Ist der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit einer anderen Arbeit nachgegangen, muss er sich diesen Verdienst allerdings anrechnen lassen. Ebenso muss er sich anspruchsmindernd anrechnen lassen, was er böswillig zu verdienen unterlassen hat, d. h. wenn er eine zumutbare andere Arbeitsmöglichkeit vorsätzlich nicht angenommen hat -› vgl. § 615 S. 2 BGB . Der Annahmeverzug mit seinen Rechtswirkungen endet erst, wenn sich der Arbeitgeber bereit erklärt, die Arbeitsleistung wieder anzunehmen, wenn er also den Arbeitnehmer wieder zur Arbeit auffordert 6 ! 12.3.2 Betriebs- und Wirtschaftsrisiko Ist es dem Arbeitgeber ohne eigenes Verschulden aus betriebstechnischen Gründen nicht möglich, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (Betriebsrisiko), muss er dem Arbeitnehmer für diese Zeit dennoch die Vergütung zahlen -› vgl. § 615 S. 3 i. V. m. S. 1 und 2 BGB . Beispiel Durch ein durch Blitzeinschlag ausgelöstes Feuer brennt die gesamte Produktionshalle ab und der Arbeitgeber hat keine Beschäftigungsmöglichkeit für die Arbeitnehmer mehr. Der Arbeitgeber trägt auch das Risiko, das Arbeitsentgelt zahlen zu müssen, wenn die Arbeitsleistung zwar möglich, aber wirtschaftlich sinnlos ist (Wirtschaftsrisiko). 6 BAGE 90, S. 329 = NZA 1999, S. 925. 223 <?page no="223"?> 12 Lohn ohne Arbeit Beispiel Der Arbeitgeber hat keine Aufträge und kann auch nicht auf Halde produzieren, die Arbeitsleistung seiner Arbeitnehmer ist für ihn momentan wirtschaftlich sinnlos. Auch wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung aus betrieblichen Gründen nicht annehmen kann oder die Annahme für ihn wirtschaftlich sinnlos ist, muss er dennoch die Vergütung zahlen. Zu beachten ist aber, dass § 615 BGB keine selbständige Anspruchsnorm ist, sondern vielmehr den Anspruch aus dem Arbeitsvertrag -› vgl. § 611 BGB aufrechterhält. -› vgl. zur Entgeltzahlung im Fall des Streiks „Arbeitskampfrisiko“ Abschnitte 4.12.2 - 4.12.3, S. 81 f. 12.4 Persönliche Hinderungsgründe auf Seiten des Arbeitnehmers Merksatz Ist der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund und ohne sein Verschulden am Erbringen der Arbeitsleistung gehindert, behält er dennoch seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt -› vgl. § 616 BGB . Da in vielen Fällen bereits Sonderregelungen über die Entgeltfortzahlung bestehen, z. B. Entgeltfortzahlung bei Krankheit, hat § 616 BGB nur noch einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich. Zudem kann § 616 BGB in einem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag abgedungen werden. Die Voraussetzungen des § 616 BGB sind: Verhinderung aus persönlichen Gründen. Es muss dem Arbeitnehmer aus Gründen, die in seinen persönlichen Verhältnissen liegen, unmöglich oder unzumutbar sein, die Arbeitsleistung zu erbringen. Bei objektiven Hindernissen, die zur selben Zeit für mehrere Arbeitnehmer gleichzeitig bestehen, kommt § 616 nicht zur Anwendung. Schneeverwehungen 7 , Glatteis 8 oder Stau, wodurch es dem Arbeitnehmer unmöglich ist, seinen Arbeitsplatz (rechtzeitig) zu erreichen, sind keine persönlichen 7 BAGE 40, S. 139 = DB 1983, S. 397. 8 BAGE 41, S. 123 = DB 1983, S. 395. 224 <?page no="224"?> 12.4 Persönliche Hinderungsgründe auf Seiten des Arbeitnehmers Hinderungsgründe. Der Arbeitnehmer hat in diesem Fall auch keinen Anspruch auf Entgeltzahlung ohne Arbeitsleistung, denn er trägt das Wegerisiko -› Glossar . Es obliegt ihm, seinen Wohnort so zu wählen, dass er seinen Arbeitsplatz problemlos erreichen kann. In der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe sind allein subjektive, persönliche Leistungshindernisse, in erster Linie wichtige Familienereignisse (eigene Hochzeit, Todesfall von Eltern, Ehegatten, Kindern, Geburt des eigenen Kindes). Nicht erheblicher Zeitraum. Der Arbeitnehmer darf nur für einen verhältnismäßig unerheblichen Zeitraum verhindert sein. Es ist auf das Verhältnis zwischen Verhinderungsdauer und Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses - unter Berücksichtigung der bereits verstrichenen und noch zu erwartenden Dauer - abzustellen. Handelt es sich um ein langjähriges Arbeitsverhältnis, können auch größere Zeiträume noch unerheblich sein. Wird die Erheblichkeitsschwelle überschritten, entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Ganzen. Ohne Verschulden. Es gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Bei Vorsatz oder einem groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten scheidet § 616 BGB aus. Denn es ist nicht einzusehen, die Folgen eines solchen eigenschädigenden Arbeitnehmer-Verhaltens auf den Arbeitgeber abzuwälzen. § 616 BGB kann im Arbeits- oder einem Tarifvertrag abgedungen werden -› vgl. § 619 BGB . Der Vergütungsfortzahlungsanspruch kann gänzlich aufgehoben, beschränkt, erweitert oder anderweitig geregelt werden. So wird im Tarifvertrag oft festgelegt, welche Ereignisse den Entgeltfortzahlungsanspruch auslösen. Beispiel Wird im Tarifvertrag festgelegt, dass „ausschließlich die Geburt des eigenen Kindes oder ein Todesfall von Eltern, Kindern oder Ehepartner einen persönlichen Verhinderungsgrund nach § 616 BGB darstellt“, dann besteht auch nur in diesen Fällen ein Anspruch auf Vergütungsfortzahlung. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, so hat der Arbeitnehmer Anspruch auf die Vergütung, die er erhalten hätte, wäre er nicht an seiner Dienstleistung verhindert gewesen. Es wirkt sich also für den Arbeitnehmer nicht nachteilig aus, dass er aus persönlichen Gründen seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen konnte. 225 <?page no="225"?> 12 Lohn ohne Arbeit Zusammenfassung Die Grundregel „Ohne Arbeit kein Lohn“ wird in einer Reihe von Fällen durchbrochen: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Fortzahlung von 100 % seines Arbeitsentgelts für maximal sechs Wochen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: • Wartefrist abgelaufen -› vgl. § 3 Abs. 3 EFZG • Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit -› vgl. § 3 Abs. 1 EFZG • kein Verschulden der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Jede neue Erkrankung löst einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch aus. Ausnahmen: • überlappende Erkrankungen • Fortsetzungserkrankungen -› vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG . Erholungsurlaub. Jeder Arbeitnehmer -› vgl. § 2 BUrlG hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub -› vgl. § 1 BUrlG . Der Anspruch auf vollen Jahresurlaub wird nach sechsmonatigem, ununterbrochenem Bestand des Arbeitsverhältnisses erworben -› vgl. § 4 BUrlG . Vorher besteht nur Anspruch auf Teilurlaub i. H. v. 1/ 12 des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat, den das Arbeitsverhältnis besteht -› vgl. § 5 Abs. 1 BUrlG . Annahmeverzug des Arbeitgebers. Kann oder will der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annehmen, bleibt er dennoch zur Zahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet -› vgl. § 615 BGB . Voraussetzungen: • bestehendes Arbeitsverhältnis • Angebot der Arbeitsleistung durch Arbeitnehmer bzw. Entbehrlichkeit des Angebots • Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers • Nichtannahme der Arbeitsleistung durch Arbeitgeber. Betriebs- und Wirtschaftsrisiko. Kann der Arbeitgeber ohne eigenes Verschulden den Arbeitnehmer aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen oder hat die Beschäftigung des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber wirtschaftlich keinen Sinn, bleibt er dennoch zur Zahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet -› vgl. § 615 S. 3 i. V. m. S. 1, 2 BGB . 226 <?page no="226"?> Kontrollfragen Persönliche Hinderungsgründe des Arbeitnehmers. Ist der Arbeitnehmer • ohne Verschulden • aus persönlichen Gründen • für einen vergleichsweise unerheblichen Zeitraum an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert, verliert er dadurch nicht seinen Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts -› vgl. § 616 BGB . Kontrollfragen 1. Arbeitnehmer A ist seit dem 1.1. bei B angestellt. Am 3.1. erkrankt er und wird arbeitsunfähig. Hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung? -› vgl. Abschnitt 12.1.1.2, S. 214 2. A ist seit dem 1.1.2007 bei B angestellt. Am 1.8.2007 erkrankt A an einer Lungenentzündung und ist für 6 Wochen arbeitsunfähig. Nachdem er gerade eine Woche wieder auf Arbeit ist, zieht er sich eine schwere Lebensmittelvergiftung zu und ist erneut für zwei Wochen arbeitsunfähig krank. Am letzten Tag seiner Krankschreibung stürzt A und bricht sich ein Bein und wird er für fünf Wochen krankgeschrieben. Für welche Zeiträume kann A die Weiterzahlung des Arbeitsentgeltes verlangen? -› vgl. Abschnitt 12.1.2, S. 215 3. Arbeitnehmerin A hat eine Teilzeitstelle, sie arbeitet 20 Stunden in der Woche an insgesamt drei Tagen. Wie hoch ist ihr gesetzlicher Urlaubsanspruch? -› vgl. Abschnitt 12.2, S. 218 4. Der Vater der Arbeitnehmerin A ist gestorben. Die Beerdigung findet an einem Arbeitstag statt. Muss A an diesem Tag Urlaub nehmen, wenn sie ihren Entgeltanspruch nicht verlieren will und eine tarif- oder arbeitsvertragliche Regelung nicht besteht? -› vgl. Abschnitt 12.4, S. 224 5. Wann ist das Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer entbehrlich? -› vgl. Abschnitt 12.3.1, S. 222 Literatur Bengelsdorf , P . [2001, 2002]: Alkoholkonsum und verhaltensbedingte Kündigung, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 993, sowie Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA-RR), S. 57 Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München (Achtung: Das AGG ist in dieser Auflage noch nicht enthalten! ) Junker , A . [2007]: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Aufl., München 227 <?page no="227"?> 12 Lohn ohne Arbeit Müller-Glöge , R. [2006]: Aktuelle Rechtsprechung zum Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Recht der Arbeit (RdA), S. 105 228 <?page no="228"?> 13 Haftung im Arbeitsverhältnis Übersicht • Haftung des Arbeitnehmers gegenüber Arbeitskollegen, Arbeitgeber und Dritten -› vgl. Abschnitt 13.1 • Haftung des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern und Dritten -› vgl. Abschnitt 13.2, S. 238 Überall wo Menschen in Arbeits- und Produktionsprozesse eingebunden sind und die Möglichkeit haben, aufeinander einzuwirken, kommt es zu Fehlern, die wiederum Schäden hervorrufen können. Ein Arbeitnehmer kann nicht nur seinem Arbeitgeber einen Schaden zu fügen, sondern auch einem anderen Arbeitskollegen oder Dritten wie beispielsweise Kunden seines Arbeitgebers. Umgekehrt kann natürlich auch der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer schädigen. Würde man die zivilrechtlichen Haftungsregeln heranziehen, hätte das sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber oftmals nicht nur finanziell verheerende Auswirkungen, sondern es würde auch das Betriebsklima belastet. Daher wurden für das Arbeitsverhältnis Sonderregelungen entwickelt - z. T. per Gesetz, z. T. aber auch nur durch die Rechtsprechung. 13.1 Haftung des Arbeitnehmers Der Arbeitnehmer kann für von ihm verursachte Schäden nach zivilrechtlichen Grundsätzen gegenüber drei Personen haften - gegenüber dem Arbeitgeber, einem anderen Betriebsangehörigen oder einem außenstehenden Dritten. 13.1.1 Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber Schädigt der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber, dann kommen als Rechtsgrundlage der Haftung in Betracht: • §§ 280 Abs. 1, 611 BGB (Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht -› vgl. Abschnitt 9.1.1, S. 151 ) • §§ 823 BGB (Vornahme einer unerlaubten Handlung) 229 <?page no="229"?> 13 Haftung im Arbeitsverhältnis • §§ 241 Abs. 2, 280 BGB (Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag -› vgl. Abschnitt 9.1.3, S. 159 ). Für alle drei Haftungsgrundlagen genügt es, wenn der Arbeitnehmer den Schaden leicht fahrlässig verursacht hat -› vgl. § 276 BGB und alle drei Haftungsgrundlagen sehen den Ersatz des gesamten Schadens vor. Das ist bei einer Schadensverursachung im Arbeitsverhältnis zu streng. Denn auch bei sorgfältiger Arbeit besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass dem Arbeitnehmer irgendwann Fehler unterlaufen. Aus diesem Grund wird die Haftung des Arbeitnehmers nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs -› Glossar beschränkt. Die Voraussetzungen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs sind: • Bestehen eines Arbeitsverhältnisses • Schadenseintritt bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit. Die Tätigkeit muss dem Arbeitnehmer vom Betrieb oder für den Betrieb übertragen sein bzw. er führt sie für den Betrieb aus. Es ist nicht (mehr) Voraussetzung 1 , dass die Arbeit gefahrgeneigt ist, d. h. dass es eine Eigenart der Tätigkeit ist, dass mit großer Wahrscheinlichkeit auch einem sorgfältigen Arbeitnehmer ein Fehler unterläuft. Die Rechtsprechung hat dieses Erfordernis mittlerweile aufgegeben. Nun genügt jede betrieblich veranlasste Tätigkeit. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die Haftung des Arbeitnehmers beschränkt werden. In welchem Umfang eine Einschränkung in Betracht kommt, hängt allerdings davon ab, mit welchem Verschulden der Arbeitnehmer den Schadens verursacht hat. Die Rechtsprechung hat hierzu ein dreistufiges Haftungsmodell entwickelt. Leichteste Fahrlässigkeit. Sie liegt vor, wenn es sich um geringfügige und leicht entschuldbare Pflichtverletzungen handelt, die jedem Arbeitnehmer trotz grundsätzlich sorgfältigen Verhaltens passieren könnten. Dann haftet der Arbeitnehmer gar nicht. Beispiel Vergreifen, Versprechen. Mittlere/ normale Fahrlässigkeit. Normal fahrlässig handelt ein Arbeitnehmer, der die erforderliche Sorgfalt nicht beachtet, ohne dass ihm ein besonderer Vorwurf gemacht werden kann. Der Arbeitnehmer haftet nicht für den vollen Schaden, 1 BAG NZA 1993, S. 547 = NJW 1993, S. 1732; BGH NZA 1994, S. 270 = NJW 1994, S. 856. 230 <?page no="230"?> 13.1 Haftung des Arbeitnehmers sondern nur anteilig. Aber: Anteilige Haftung bedeutet nicht, dass der Schaden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geteilt wird. Die Haftungsquote muss vielmehr in jedem Einzelfall gesondert ermittelt werden. Dazu müssen alle Umstände des jeweiligen Falles herangezogen werden, z. B.: • Versicherbarkeit des Schadens durch den Arbeitgeber? • Gefährlichkeit der Arbeit • Höhe des Schadens • Höhe des Arbeitsentgelts. Der Ausgang eines Schadenersatzprozesses wird dadurch mehr oder weniger unvorhersehbar. Grobe Fahrlässigkeit. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die jedem einleuchten muss. Es handelt sich also um besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen. Dem Arbeitnehmer muss ein schwerer persönlicher Schuldvorwurf gemacht werden können. Beispiel Autofahren in alkoholisiertem Zustand oder das Überfahren einer roten Ampel; Motorschaden wegen unterlassener Ölstandskontrolle 2 . Handelt der Arbeitnehmer grob fahrlässig, muss er den Schaden grundsätzlich auch allein tragen. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung allerdings dann, wenn zwischen dem Verdienst des Arbeitnehmers und der Schadenshöhe ein deutliches Missverhältnis besteht, der Arbeitnehmer in seiner Existenz bedroht wäre, falls er den vollen Schaden zahlen müsste und er den Schaden nicht durch ein in hohem Maße grob fahrlässiges Verhalten verursacht hat. Dazu folgender Fall 3 : Beispiel A arbeitet auf einem Flughafen. Obwohl der Genuss von Alkohol während des Dienstes und eine angemessene Zeit vor Dienstantritt untersagt war, hat er, als er morgens zur Arbeit erscheint, noch 1,4 Promille Alkohol im Blut. Seine Aufgabe ist es, mit dem Enteiserfahrzeug auf dem Flughafengelände zu fahren. Dabei schläft er ein, kommt von der Fahrbahn ab, streift einen Lichtmast und durchbricht den Begrenzungszaun des Flughafens. Am Fahrzeug entsteht ein Sachschaden von ca. 76.000 € . Der Nettoverdienst des A beläuft sich auf 1.280 € . A muss nach §§ 280 Abs. 1, 611 BGB haften, da er eine Pflicht aus seinem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Daneben haftet A auch gemäß § 823 Abs. 1 BGB, da er Eigentum seines Arbeitgebers rechtswidrig und schuldhaft (grob fahrlässig) beschädigt hat. 2 BAG NZV 1995, S. 396. 3 BAG NZA 1998, S. 140. 231 <?page no="231"?> 13 Haftung im Arbeitsverhältnis • Missverhältnis zwischen Schadenshöhe und Verdienst. Ist der Schaden so hoch, dass der Arbeitnehmer nie in der Lage sein wird, ihn vollständig zu ersetzten, wird die Haftung auf eine noch tragbare Summe begrenzt. Beispiel Der Nettoverdienst des A beläuft sich auf 1.280 € , der grob fahrlässig verursachte Schaden beträgt 76.000 € , das ist das mehr als 59-fache. Es liegt ein grobes Missverhältnis vor. • Finanzieller Ruin des Arbeitnehmers bei vollem Schadenersatz. Beispiel Müsste der Arbeitnehmer die 76.000 € ersetzen, wäre dies sein finanzieller Ruin. Zur Schadenstilgung könnte der A 290 € monatlich beitragen (Pfändungsfreigrenze: 989,99 € ). Er würde 21 Jahre brauchen, um nur die Schadenssumme abzuzahlen, Zinsen noch gar nicht eingerechnet. • Keine Schadensverursachung durch „gröbste Fahrlässigkeit“. Hat der Arbeitnehmer den Schaden mit „gröbster Fahrlässigkeit“ verursacht - eine vom BAG in diesem Zusammenhang neu eingeführte Kategorie der Fahrlässigkeit - kommt eine Beschränkung der Schadenersatzpflicht nicht in Frage. Was genau unter gröbster Fahrlässigkeit zu verstehen ist, hat das BAG allerdings nicht festgelegt. Gröbste Fahrlässigkeit ist mehr als grobe Fahrlässigkeit und weniger als Vorsatz. In einem Fall, in dem Patienten aufgrund vertauschter Blutkonserven verstorben waren 4 , entschied das BAG, dass das Missachten gleich mehrere Sicherheitsmaßnahmen, die eine Verwechslung von Blutgruppen ausschließen sollten, gröbste Fahrlässigkeit war. Beispiel Für ein Handeln des A mit gröbster Fahrlässigkeit gibt es im obigen Beispiel keine Anhaltspunkte. Beispiel (Fortsetzung) Im Ergebnis musste A daher zwar auf Schadenersatz haften, allerdings nicht in vollem Umfang, sondern trotz grober Fahrlässigkeit nur in Höhe von 10.000 € . Dass A (bei seinem jetzigen Ver- 4 BAG NZA 1998, S. 310 = DB 1998, S. 476. 232 <?page no="232"?> 13.1 Haftung des Arbeitnehmers dienst) mindestens zwei Jahre und neun Monate brauchte, um diese Schadenssumme abzuzahlen ist nicht zu beanstanden. Vorsatz. Hat der Arbeitnehmer den Schaden vorsätzlich verursacht, haftet er voll. Notwendig ist aber, dass er sowohl die Pflichtverletzung vorsätzlich begangen hat, als auch Vorsatz hinsichtlich des Schadens hatte. Vorsatz ist nur dann zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer den Schaden in seiner konkreten Höhe zumindest als möglich voraussieht und ihn für den Fall des Eintritts billigend in Kauf nimmt, er muss mit dem Schaden für den Fall seines Eintritts einverstanden gewesen sein 5 . Mitverschulden. Hat der Arbeitgeber an der Schadensentstehung mitgewirkt, kann der Umfang der Arbeitnehmerhaftung dadurch ebenfalls begrenzt werden -› vgl. § 254 BGB . Das gilt auch bei grober Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers 6 . Es ist Sache des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer eine schuldhafte Pflichtverletzung nachzuweisen 7 . Ist der Arbeitgeber gegen die eingetretenen Schäden versichert, muss er natürlich in erster Linie soweit möglich, auf die Versicherungen zurückgreifen, bevor der Arbeitnehmer in Anspruch genommen wird. 13.1.2 Haftung des Arbeitnehmers gegenüber Arbeitskollegen Schädigt der Arbeitnehmer nicht den Arbeitgeber sondern einen anderen Betriebsangehörigen, kommt es darauf an, ob es sich um einen Sach- oder einen Personenschaden handelt. 13.1.2.1 Sachschaden Bei einem Sachschaden, haftet der Arbeitnehmer nach normalen zivilrechtlichen Grundsätzen, in der Regel nach § 823 BGB. Wiederholung BGB Wer einen anderen an Leben, Gesundheit, Körper, Freiheit, Eigentum oder einem sonstigen Recht verletzt, haftet für den dadurch eintretenden Schaden -› vgl. § 823 Abs. 1 BGB . Voraussetzung ist, dass er rechtswidrig, d. h. die Verletzung eines der genannten Rechte darf nicht ausnahmsweise erlaubt gewesen sein (z. B. durch Notwehr) und schuldhaft, d. h. vorsätzlich oder fahrlässig (es genügt jede Art der Fahrlässigkeit), gehandelt hat. 5 BAGE 101, S. 107 = NZA 2003, S. 37. 6 BAGE 88, S. 101 = NZA 1998, S. 1051. 7 BAG NZA 1997, S. 1279 = DB 1998, S. 135. 233 <?page no="233"?> 13 Haftung im Arbeitsverhältnis Auf die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs kann sich der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitskollegen nicht berufen. D.h. er haftet - abgesehen von der normalen zivilrechtlichen Haftungsmilderung bei Mitverschulden des Geschädigten -› vgl. § 254 BGB - auf den vollen Schaden. 13.1.2.2 Personenschaden Personenschäden sind Schäden, die aus der Verletzung oder Tötung eines anderen resultieren. Handelt es sich um einen Personenschaden, ist das zivilrechtliche Haftungsrecht weitgehend ausgeschlossen. Denn wenn es sich um einem Arbeitsunfall handelt, erhält der Geschädigte Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung -› vgl. Abschnitt 4.13.1, S. 84 , in der die Beschäftigten pflichtversichert sind -› vgl. §§ 105, 104 SGB VII (unbedingt nachlesen! ). Die Versicherungsbeiträge trägt der Arbeitgeber - anders als bei den anderen Zweigen der Sozialversicherung - alleine. Gerade Personenschäden erreichen oft eine Dimension, die ein Arbeitnehmer nicht ersetzen könnte, ohne seine eigene Existenz zu gefährden. Und auch dem Geschädigten wäre nicht damit geholfen, wenn er einen Schuldner bekäme, der nicht oder nur sehr eingeschränkt zahlungsfähig ist. Die Privathaftpflichtversicherung, über die die meisten Bundesbürger verfügen, deckt gerade keine Schäden, die im beruflichen Bereich entstehen. Und Berufshaftpflichtversicherungen bestehen nur für bestimmte Berufsgruppen, z. B. Rechtsanwälte oder Ärzte und sichern meist auch nur Schäden von Dritten (Mandanten, Patienten). Die Krankenversicherung würde zwar grundsätzlich haften, könnte den Schädiger jedoch in Regress nehmen, so dass er im Ergebnis letztendlich wie im Falle der Eigenhaftung dastünde. Es haftet allein die gesetzliche Unfallversicherung, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Versicherter Personenkreis. Der Geschädigte muss zum versicherten Personenkreis gehören -› vgl. §§ 2-6 SGB VII . Das sind in erster Linie im Betrieb Beschäftigte -› vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII . Schadensverursacher. Der Schädiger muss eine im Betrieb tätige Person sein (Arbeitskollege). Versicherungsfall. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten -› vgl. § 7 Abs. 1 SGB VII . Was ein Arbeitsunfall ist, wird in § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII definiert. Merksatz Arbeitsunfall. Ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, welches zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führt. 234 <?page no="234"?> 13.1 Haftung des Arbeitnehmers Es sind grundsätzlich betriebsbezogene Tätigkeiten vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst, Handlungen die darauf gerichtet sind, dem Unternehmen wesentlich zu dienen. Dies bedeutet umgekehrt, dass solche Tätigkeiten nicht unfallversichert sind, die persönlichen Zwecken dienen - auch wenn sie am Arbeitsplatz verrichtet werden. Beispiel 1 Arbeitnehmer A leidet seit einigen Tagen an einer Magenverstimmung. Anstatt daher mit seinen Kollegen zu Mittag zu essen, geht er lieber etwas frische Luft schnappen. Als er das Betriebsgebäude wieder betreten will, rutscht er auf einer vereisten Stelle aus, stürzt und verletzt sich erheblich. Es handelte sich nicht um einen Arbeitsunfall, denn der Spaziergang stand in keinem betrieblichen Zusammenhang 8 . Beispiel 2 B arbeitet als Büroangestellte. Mit ihrer Kollegin K kommt sie überhaupt nicht aus. Ständig gibt es Streitereien. Als B eine abfällige Bemerkung über die neue Frisur der K macht, kommt es zunächst zu einem hitzigen Wortwechsel, dann eskaliert die Situation und B schlägt K die Computertastatur auf den Kopf. K erleidet eine Platzwunde, die genäht werden muss. Es handelt sich nicht um einen Arbeitsunfall, sondern um einen privaten Streit, dem jeder Zusammenhang zum Betrieb fehlt. Versicherungsfall. Der Versicherungsfall (Arbeitsunfall) darf nicht vorsätzlich herbeigeführt worden sein -› vgl. § 105 Abs. 1 SGB VII . Personenschaden. §§ 105, 104 SGB VII greifen nur bei Personenschäden. Kein Wegeunfall. Der Versicherungsfall darf auch nicht auf einem versicherten Weg i. S. § 8 Abs. 2 Nr. 1-4 SGB VII passiert sein (Wegeunfall). In der Regel muss jeder Arbeitnehmer einen gewissen Weg zurücklegen, um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen bzw. damit er seiner Arbeitstätigkeit nachgehen kann (Arbeitsweg). Da es auch auf einem solchen Weg zu Unfällen kommen kann, werden sie unter bestimmten Voraussetzungen in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen. Beispiel Der tägliche Arbeitsweg ist versicherter Weg i. S. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Für den Arbeitnehmer, der einen solchen Unfall verursacht, gibt es keine Haftungseinschränkung nach § 105 SGB VII. 8 BSG NZS 2002, S. 323 = NJW 2002, S. 238. 235 <?page no="235"?> 13 Haftung im Arbeitsverhältnis Beispiel Arbeitnehmer A und B sind nicht nur Kollegen im gleichen Betrieb, sondern wohnen auch in der gleichen Straße. Gelegentlich nimmt daher A den B in seinem Auto mit zur Arbeit. Verursacht A fahrlässig einen Verkehrsunfall bei welchem B verletzt wird, haftet nicht nur die gesetzliche Unfallversicherung, sondern auch A. Denn es handelt sich um einen Wegeunfall -› vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 2b SGB VII . Die Haftung des A kann nicht nach § 105 SGB VII ausgeschlossen werden. Vom Arbeitsweg ist der so genannte Betriebsweg zu unterscheiden. Ein Betriebsweg wird im Rahmen der Arbeitstätigkeit zurückgelegt, bzw. ist Teil der versicherten Tätigkeit, z. B. Dienstreisen, Botengänge für den Arbeitgeber, Geschäftsreisen, Fahrten im Auftrag des Arbeitgebers. Betriebswege fallen - anders als Arbeitswege - unter § 8 Abs. 1 SGB VII. Kommt es auf einem Betriebsweg zu einem Unfall, handelt es sich nicht um einen Wegesondern einen Arbeitsunfall und die Haftungsbeschränkung des § 105 SGB VII greift. Beispiel Bauarbeiter B fährt gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen Material zur Baustelle und verursacht dabei leicht fahrlässig einen Unfall, bei dem sein Kollege verletzt wird. Es handelt es sich nicht um einen Wegeunfall i. S. § 8 Abs. 2 SGB VII. Die Haftung des B ist daher nach §§ 105, 104 SGB VII ausgeschlossen. Für den Personenschaden kommt ausschließlich die Unfallversicherung auf. Kein Vorsatz. Der Versicherungsfall darf vom Arbeitnehmer nicht vorsätzlich herbeigeführt worden sein. Wurde der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt (oder handelt es sich um einen Wegeunfall), haften die gesetzliche Unfallversicherung und der Arbeitnehmer. Die Versicherung kann den Schädiger bei Vorsatz zudem in Regress nehmen. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, haftet allein die gesetzliche Unfallversicherung. Alle Ansprüche gegen den Schädiger sind dagegen ausgeschlossen. Im Fall eines Personenschadens hätte der Verletzte nicht nur Anspruch auf Ersatz des dadurch entstehenden Schadens, z. B. Behandlungskosten oder Verdienstausfall, sondern in der Regel auch Anspruch auf Schmerzensgeld. Die Unfallversicherung zahlt allerdings kein Schmerzensgeld. Und da gemäß § 105 alle Ansprüche gegen den Schädiger ausgeschlossen sind, kann auch gegen ihn kein Anspruch auf Schmerzensgeld durchgesetzt werden 9 . Kommt es also durch einen Arbeitsunfall zu einer Körperverletzung, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Schmerzensgeld. Dieser 9 BVerfGE 31, S. 212 = NJW 1971, S. 1937; BVerfGE 85, S. 176 = NJW 1992, S. 1091; BVerfG NJW 1995, S. 1607. 236 <?page no="236"?> 13.1 Haftung des Arbeitnehmers Verlust des Schmerzensgeldanspruchs wird dadurch gerechtfertigt, dass der Geschädigte im Gegenzug einen Schuldner bekommt, der in jedem Fall zahlungsfähig ist - die gesetzliche Unfallversicherung. Beispiel 1 Radfahrer R fährt im Dunkeln ohne Licht auf dem Radweg in die verkehrte Richtung und verursacht dadurch einen Unfall, bei dem Fußgänger F verletzt wird. F hat gegen R nicht nur Anspruch auf Schadenersatz, sondern auch auf Schmerzensgeld, da es kein Arbeitsunfall sondern ein „normaler“ Verkehrsunfall war. Allerdings trägt F auch das Risiko, dass R nicht zahlen kann. Beispiel 2 Arbeitnehmer A verursacht fahrlässig einen Arbeitsunfall, bei dem sich sein Kollege K den Arm bricht. Gemäß § 105 SGB VII muss A nicht haften, stattdessen tritt die Unfallversicherung für die entstanden Schäden ein. K hat keinen Anspruch auf Schmerzensgeld, dafür allerdings die Sicherheit, seine Schäden tatsächlich ersetzt zu bekommen, denn die gesetzliche Unfallversicherung ist zahlungsfähig. 13.1.3 Haftung des Arbeitnehmers gegenüber Dritten Schädigt der Arbeitnehmer nicht seinen Arbeitgeber oder Kollegen, sondern einen außenstehenden Dritten, z. B. einen Kunden, kann er sich diesem gegenüber nicht auf eine Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung berufen. Er haftet nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen, in erster Linie nach §§ 823 ff. BGB. Er kann allerdings seinerseits gegen den Arbeitgeber Rückgriff nehmen. Entscheidend dafür ist, in welcher Höhe der Arbeitnehmer haften müsste, wenn die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs anwendbar wären. Den Rest kann er vom Arbeitgeber ersetzt verlangen bzw. beanspruchen, dass der Arbeitgeber ihn in dieser Höhe gegen die Forderungen des Dritten freistellt -› vgl. §§ 670, 254 BGB . Beispiel A arbeitet als Verkäufer im Baumarkt. Die Kundin K verlangt nach einer Putte für ihren Vorgarten. Als A ihr ein besonders hässliches Exemplar aus dem Regal reicht, fasst er leicht versehentlich nicht richtig zu, die Figur rutscht ihm aus den Händen und erschlägt den Yorkshire-Terrier (Wert: 500 € ) der Kundin. Die Grundsätze der Haftungsbeschränkung (innerbetrieblicher Schadensausgleich) gelten nur zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. A kann sich gegenüber K nicht auf diese Grundsätze berufen. Er haftet im Außenverhältnis nach den allgemeinen Vorschriften. Gemäß § 823 Abs. 1 BGB haftet er, da er das Eigentum der K zerstört hat. K kann die 500 € von ihm ersetzt verlangen. 237 <?page no="237"?> 13 Haftung im Arbeitsverhältnis A hat aber gegen den Arbeitgeber einen Rückgriffsbzw. Freistellungsanspruch in Höhe der Quote, die nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs auf den Arbeitgeber entfällt. Da A den Schaden leicht fahrlässig verursacht hat, würde er nach den Prinzipien des innerbetrieblichen Schadensausgleichs gar nicht haften. Der Arbeitgeber müsste den Schaden allein tragen. Also kann A in Höhe der gesamten 500 € gegen seinen Arbeitgeber Rückgriff nehmen. 13.2 Haftung des Arbeitgebers 13.2.1 Haftung des Arbeitgebers gegenüber seinen Beschäftigten Auch bei der Haftung des Arbeitgebers muss zwischen Personen- und Sachschäden unterschieden werden. 13.2.1.1 Sachschäden Für die Haftung für Sachschäden sind die zivilrechtlichen Bestimmungen, insbesondere das Deliktsrecht §§ 823 ff. BGB maßgebend: § 823 Abs. 1 BGB. Danach haftet der Arbeitgeber, wenn er das Eigentum des Arbeitnehmers rechtswidrig und schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) verletzt hat. § 670 BGB. Der Arbeitgeber haftet verschuldensunabhängig auch für solche Sach- oder Vermögensschäden, die der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer betrieblich veranlassten Tätigkeit erlitten hat, wenn derartige Schäden nicht bereits durch das Arbeitsentgelt mit abgegolten sind. Beispiel A arbeitet in einer Fleischerei und muss jeden Tag einen frisch gewaschenen Arbeitskittel tragen, die dafür anfallenden Kosten (Waschmittel, Strom, Wasser) werden durch eine extra „Schmutzzulage“ abgedeckt. § 831 BGB. Der Arbeitgeber haftet auch für Sachschäden, die seine Verrichtungsgehilfen anderen zufügen -› vgl. Abschnitt 13.2.2, S. 239 . 13.2.1.2 Personenschäden Der Arbeitgeber haftet nicht für Personenschäden seiner Beschäftigten aufgrund eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) -› vgl. § 104 SGB VII . 238 <?page no="238"?> 13.2 Haftung des Arbeitgebers Da der Arbeitgeber die Beiträge für die Unfallversicherung alleine aufbringt, wird er im Gegenzug von der Haftung für Personenschäden freigestellt. Stattdessen hat der Arbeitnehmer einen Anspruch gegen die gesetzliche Unfallversicherung. Das hat für den verletzten Arbeitnehmer folgende Vorteile: • Unfallversicherung ist ein zahlungsfähiger Schuldner. • Unfallversicherung tritt auch bei Eigenverschulden des Arbeitnehmers ein. • Arbeitnehmer muss nicht seinen eigenen Arbeitgeber verklagen (Betriebsklima! ). Die Voraussetzungen für eine Haftungsbefreiung des Arbeitgebers nach § 104 SGB VII sind: • Geschädigter muss zum versicherten Personenkreis gehören -› vgl. §§ 2-6 SGB VII . Das sind in erster Linie im Betrieb Beschäftigte -› vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII . • Versicherungsfall. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten -› vgl. § 7 Abs. 1 SGB VII -› vgl. Abschnitt 13.1.2.2, S. 234 . • Der Versicherungsfall (Arbeitsunfall) darf nicht vorsätzlich herbeigeführt worden sein -› vgl. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII . • Personenschaden. § 104 SGB VII greift nur bei Personenschäden, nicht bei Sach- und Vermögensschäden. • Kein Wegeunfall auf dem Arbeitsweg -› vgl. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII -› vgl. Abschnitt 13.1.2.2, S. 234 . Sind die Voraussetzungen erfüllt, ist die Haftung des Arbeitgebers für diese Personenschäden ausgeschlossen. Das betrifft nicht nur die Haftung für Schäden, die der Arbeitgeber selbst verursacht hat, sondern insbesondere auch seine Haftung für Schäden, für die er nach § 831 BGB einstehen müsste -› vgl. Abschnitt 13.2.2, S. 239 ! Der Arbeitnehmer erhält ebenfalls nur seine Schäden ersetzt, jedoch kein Schmerzensgeld -› vgl. Abschnitt 13.1.2.2, S. 234 . 13.2.2 Haftung des Arbeitgebers gegenüber Dritten Gegenüber Dritten haftet der Arbeitgeber nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, insbesondere gemäß § 831 BGB. Gemäß § 831 BGB haftet derArbeitgeber auch für Sachschäden, die seine Verrichtungsgehilfen anderen zufügen. Verrichtungsgehilfe ist jemand, dem vom Arbeitgeber eine Tätigkeit übertragen wurde und der von ihm weisungsabhängig ist - also typischerweise ein anderer Arbeitnehmer. Begeht der Verrichtungsgehilfe eine unerlaubte Handlung -› vgl. §§ 823 ff. BGB , dann haftet dafür auch der Arbeitgeber. Allerdings muss der Verrichtungsgehilfe die unerlaubte Handlung in Ausführung der Verrichtung begangen haben d. h., es muss ein Zusammenhang mit seiner be- 239 <?page no="239"?> 13 Haftung im Arbeitsverhältnis trieblichen Tätigkeit bestehen. Begeht der Arbeitnehmer eine vorsätzliche Straftat, fehlt dieser Zusammenhang grundsätzlich. Beispiel 1 M ist Kfz-Mechaniker im Betrieb des B angestellt. B beauftragt ihn, in einem Kundenauto den Zahnriemen zu wechseln. Fahrlässig zieht M den Zahnriemen versetzt auf, was den Motor so stark beschädigt, dass er komplett ausgetauscht werden muss. Die fahrlässige Eigentumsverletzung hat M in Ausführung der Verrichtung begangen. Beispiel 2 M zieht zwar den Zahnriemen ordnungsgemäß auf, dafür stielt er jedoch aus dem Handschuhfach des Wagens eine CD. Diese Straftat hat er nicht in Ausführung, sondern nur bei Gelegenheit der Verrichtung begangen. Diese Unterscheidung ist notwendig, denn Arbeitgeber sollen nicht dafür haften, dass ihre Arbeitnehmer ihre Arbeitstätigkeit für Straftaten nutzen. Der Arbeitgeber kann sich von dieser Haftung jedoch befreien, wenn er nachweist, dass er den Verrichtungsgehilfen ordnungsgemäß ausgewählt und überwacht hat, z. B. durch routinemäßige Kontrollen. Zusammenfassung Haftung des Arbeitnehmers. Gegenüber dem Arbeitgeber. Haftet der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber greifen die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs, wenn der Schaden bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit eingetreten ist. Der Umfang der Haftung richtet sich danach, ob der Arbeitnehmer den Schaden • leicht fahrlässig • normal fahrlässig • grob fahrlässig • vorsätzlich verursacht hat. Auf die Schadensanfälligkeit der Arbeit kommt es nicht an. Gegenüber Arbeitskollegen. Haftet der Arbeitnehmer gegenüber Arbeitskollegen, muss zwischen Personen- und Sachschäden unterschieden werden. Für Sachschäden haftet der Arbeitnehmer nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, insbesondere nach § 823 BGB. 240 <?page no="240"?> Kontrollfragen Für Personenschäden durch einen Arbeitsunfall haftet die gesetzliche Unfallversicherung -› vgl. §§ 105, 104 SGB VII . Nur bei vorsätzlicher Verursachung oder einem Wegeunfall haftet neben der Unfallversicherung auch der Arbeitnehmer. Gegenüber Dritten. Gegenüber Dritten haftet der Arbeitnehmer nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Er kann allerdings gegen seinen Arbeitgeber nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs Rückgriff nehmen bzw. Freistellung geltend machen. Haftung des Arbeitgebers. Gegenüber den Beschäftigten. Haftet der Arbeitgeber gegenüber seinen Beschäftigten, muss zwischen Personen- und Sachschäden unterschieden werden. Für Sachschäden haftet der Arbeitgeber nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, insbesondere §§ 280, 823, 831 BGB. Für Personenschäden durch einen Arbeitsunfall haftet die gesetzliche Unfallversicherung -› vgl. § 104 SGB VII . Nur bei vorsätzlicher Verursachung oder einem Wegeunfall haftet neben der Unfallversicherung auch der Arbeitgeber. Gegenüber Dritten. Gegenüber Dritten haftet der Arbeitgeber nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, insbesondere gemäß § 831 BGB. Kontrollfragen 1. F ist als Fahrer beim Spediteur S angestellt. F ist nicht verheiratet, hat keine Kinder und verdient 1.400 € netto im Monat. Davon verbleiben ihm nach Abzug seiner Lebenshaltungskosten ca. 500 € zur freien Verfügung. Im Januar hat F eine Fahrt ins Erzgebirge. F stammt aus einer Gegend, in der es im Winter nur regnet. So ist er auch vollkommen überrascht, als er bei der Abfahrt von der Autobahn A17 Schneemassen vorfindet, die er sonst nur aus dem Fernsehen kennt. An der Autobahnabfahrt steht ein Schild, auf dem darauf hingewiesen wird, dass die Straße für LKW nur mit Schneeketten befahrbar ist. F hat aber keine Lust, die Schneeketten aufzuziehen und fährt so weiter. In einer Kurve verliert er aufgrund der Straßenglätte die Kontrolle über den LKW, streift die örtliche Friedhofsmauer und landet im nächsten Straßengraben. Die Ladung wird beschädigt. Die Schaden beläuft sich auf 12.000 € . S verlangt von F die Zahlung dieser Summe. Muss F für den entstandenen Schaden haften? -› vgl. Abschnitt 13.1.1, S. 229 2. A arbeitet als Verkäufer im Baumarkt B, Bruttogehalt 2.000 € . Eine Kunde möchte eine bestimmte Sorte Fliesen haben, von der im Verkaufsraum nicht 241 <?page no="241"?> 13 Haftung im Arbeitsverhältnis mehr genügend Kartons vorhanden sind. Daher geht A ins Lager um mit einem elektrischen Hubwagen die Palette mit den Fliesen aus dem Regal zu heben. Weil A es eilig hat, passt er nicht richtig auf und setzt den Hubwagen zu schnell zurück. Die Palette beginnt zu wackeln, zwei Fliesenkartons stürzen herunter und auf den Arbeitskollegen B. Dieser erleidet eine schwere Gehirnerschütterung. Die Behandlungskosten des B belaufen sich auf insgesamt 2.000 € . Muss A für den entstandenen Schaden haften? Begründen Sie Ihre Antwort! -› vgl. Abschnitt 13.1.2.2, S. 234 Literatur Fuchs , M. / Preis , U . [2005]: Sozialversicherungsrecht, Köln Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München (Achtung: Das AGG ist in dieser Auflage noch nicht enthalten! ) Junker , A . [2007]: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Aufl., München Schwab , B . [2006]: Die Schadenshaftung im Arbeitsverhältnis, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA-RR), S. 449 ff. sowie S. 505 ff. 242 <?page no="242"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Übersicht • Allgemeine Voraussetzungen der Kündigung -› vgl. Abschnitt 14.2, S. 244 • Ordentliche Kündigung und allgemeiner Kündigungsschutz -› vgl. Abschnitt 14.3, S. 251 • Außerordentliche Kündigung -› vgl. Abschnitt 14.4, S. 261 • Verdachtskündigung -› vgl. Abschnitt 14.5, S. 264 • Druckkündigung -› vgl. Abschnitt 14.6, S. 264 • Änderungskündigung -› vgl. Abschnitt 14.7, S. 264 • Aufhebungsvertrag -› vgl. Abschnitt 14.8, S. 267 • Zeugnis -› vgl. Abschnitt 14.9.1, S. 268 / nachvertragliches Wettbewerbsverbot -› vgl. Abschnitt 14.9.2, S. 270 / Treuepflichten -› vgl. Abschnitt 14.9.3, S. 270 • Beschäftigungsgesellschaften/ Sozialplan/ Interessenausgleich -› vgl. Abschnitt 14.10, S. 271 • Überblick: Rechtliche Probleme der Personalfreisetzung -› vgl. Abschnitt 14.11, S. 273 14.1 Überblick Ein Arbeitsverhältnis kann aus verschiedenen Gründen enden: • Kündigung • Anfechtung • Lossagung von einem nichtigen Arbeitsvertrag • Aufhebungsvertrag • Befristung oder Bedingung des Arbeitsvertrages • Auflösung durch das Gericht -› Glossar • Vereinbarung über das Erreichen einer Altersgrenze • Tod des Arbeitnehmers Nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen dagegen: • Abmahnung • Suspendierung • Tod des Arbeitgebers • Betriebsübergang 243 <?page no="243"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses • Insolvenz des Arbeitgebers • Dauernde Arbeitsunfähigkeit • Erreichen der Altersgrenze 14.2 Kündigung Die wichtigste Beendigungsmöglichkeit ist nach wie vor die Kündigung. Merksatz Eine Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige, rechtsgestaltende Willenserklärung, die das Arbeitsverhältnis für die Zukunft auflösen soll. Man unterscheidet zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung. Die ordentliche Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis erst nach Ablauf einer Kündigungsfrist, während durch eine außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis sofort beendet wird. In der Regel nicht zur Beendigung sondern zur wesentlichen inhaltlichen Umgestaltung des Arbeitsverhältnisses führt die Änderungskündigung -› vgl. Abschnitt 14.7, S. 264 . 14.2.1 Allgemeine Voraussetzungen Eine Reihe von Voraussetzungen müssen bei jeder Art der Kündigung erfüllt werden. Hierzu zählen formelle (z. B. Form und Frist) und materielle (z. B. Kündigungsgrund) Aspekte. Als Parteien des Arbeitsvertrages können Arbeitgeber und Arbeitnehmer kündigen. Während der Arbeitnehmer keinen besonderen Kündigungsgrund benötigt, darf der Arbeitgeber vielfach aus Gründen des Kündigungsschutzes nur bei Vorliegen eines besonderen Kündigungsgrundes kündigen -› vgl. Abschnitte 14.3.7, S. 255, und 14.4.4, S. 262 . 14.2.2 Kündigungserklärung Wer kündigen möchte, muss eine entsprechende Erklärung abgeben. Der Begriff der „Kündigung“ muss darin zwar nicht verwendet werden, aber der Kündigungswille muss deutlich zum Ausdruck kommen. Es muss eindeutig zu erkennen sein, dass und zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis enden soll bzw. dieser Zeit- 244 <?page no="244"?> 14.2 Kündigung punkt muss sich problemlos ermitteln lassen. In einem Kündigungsschreiben muss kein Kündigungsgrund angeben werden. Ausnahmen bestehen bei: • Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses nach der Probezeit -› vgl. § 15 Abs. 3 BBiG • Kündigung einer Schwangeren -› vgl. § 9 Abs. 3 S. 2 MuSchG • Entsprechender Vereinbarung im Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag • Außerordentlichen Kündigung -› vgl. § 626 Abs. 2 BGB -› vgl. Abschnitt 14.4, S. 261 . Ist allerdings das Kündigungsschutzgesetz anwendbar -› vgl. Abschnitt 14.3.7, S. 255 , muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen hin den Kündigungsgrund schriftlich mitteilen. Auf die Wirksamkeit der Kündigung an sich hat dies jedoch keinen Einfluss. Die Kündigung ist auch dann wirksam, wenn der Arbeitgeber der Aufforderung nicht nachkommt. Eine Kündigung kann grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt ausgesprochen werden. Es ist nicht untersagt, eine Kündigung an einem Feiertag (z. B. Weihnachten) oder im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer schwierigen Lebenssituation des Gekündigten (z. B. Tod des Ehegatten) auszusprechen 1 . 14.2.3 Schriftform Eine Kündigung muss immer schriftlich erfolgen -› vgl. § 623 BGB , anderenfalls ist sie nichtig -› vgl. § 125 BGB . Für die Kündigung Auszubildender -› vgl. § 22 Abs. 3 BBiG und von Frauen im Mutterschutz -› vgl. § 9 Abs. 3 S. 2 MuSchG ist die Schriftform nochmals explizit vorgeschrieben. Grund für die Schriftform ist zum einen das Bedürfnis nach Rechtssicherheit - wird eine Kündigung niedergeschrieben, kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass es tatsächlich eine Kündigung gibt - und zum anderen der Übereilungsschutz. Dem Kündigenden sollen nochmals die Konsequenzen seines Handelns vor Augen geführt werden. Da Schriftform immer die eigenhändige Unterschrift verlangt, ist eine Kündigung per Email oder Telefax nicht wirksam. 14.2.4 Kündigungsfrist Bei der ordentlichen Kündigung eines Arbeitsvertrages ist eine Kündigungsfrist einzuhalten, erst nach deren Ablauf, endet das Arbeitsverhältnis. Die Länge der 1 BAG NZA 1991, S. 63 = NJW 1991, S. 247; BAGE 94, S. 294 = NZA 2001, S. 890; BAG NZA 1986, S. 97 = DB 85, S. 2003. 245 <?page no="245"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Frist richtet sich in erster Linie nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses -› vgl. Abschnitt 14.3.7.6, S. 260 . Bei einer außerordentlichen Kündigung gibt es dagegen keine Kündigungsfrist - daher auch fristlose Kündigung -› vgl. Abschnitt 14.4, S. 261 . 14.2.5 Stellvertretung Sowohl der Kündigende -› vgl. § 164 Abs. 1 BGB als auch der Gekündigte -› vgl. § 164 Abs. 3 BGB können sich eines Stellvertreters bedienen. In der Praxis ist allerdings hauptsächlich die Erklärung der Kündigung durch einen Stellvertreter relevant. Beispiel Betriebsinhaber B kündigt nicht selber, sondern bevollmächtigt den Personalleiter P. Allerdings sind dabei einige Besonderheiten zu beachten: • Kündigt ein Vertreter ohne Vertretungsmacht, ist die Kündigung unwirksam -› vgl. § 180 S. 1 BGB . • Hat der Stellvertreter zwar die erforderliche Vertretungsmacht, kann aber keine Vollmachtsurkunde vorlegen und weist der Arbeitnehmer die Kündigung aus diesem Grund unverzüglich zurück, ist die Kündigung ebenfalls unwirksam -› vgl. § 174 S. 1 BGB . Hatte der Vertretene den Gekündigten aber über die Vollmacht informiert oder erfolgt die Kündigung durch einen Prokuristen, dessen Prokura ins Handelregister eingetragen ist, kann die Kündigung nicht zurückgewiesen werden -› vgl. § 174 S. 2 BGB . 14.2.6 Zugang der Kündigungserklärung Die Kündigungserklärung muss dem Empfänger zugehen, damit sie wirksam wird -› vgl. §§ 130 ff. BGB . Schriftliche Erklärungen gehen zu, wenn sie in den „Machtbereich“ des Empfängers gelangen und dieser daher unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, von ihnen Kenntnis zu nehmen. Es kommt also nur auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme an, nicht darauf, dass der Empfänger tatsächlich von der Kündigung Kenntnis nimmt. Liegt das Kündigungsschreiben im Briefkasten des Empfängers und öffnet er den Brief nicht, ist die Erklärung trotzdem zugegangen. Der Zeitpunkt, zu dem die Kündigungserklärung zugegangen ist, hat Bedeutung für die Kündigungsschutzklage. Möchte der Arbeitnehmer sich gegen 246 <?page no="246"?> 14.2 Kündigung die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage zur Wehr setzten, muss er diese innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung bei Gericht erheben. Unter Anwesenden. Sind beide Parteien anwesend, geht die schriftliche Kündigungserklärung mit der Übergabe zu. Wann der Empfänger die Erklärung liest, ist unerheblich. Es empfiehlt sich für den Arbeitgeber, sich vom Arbeitnehmer den Erhalt der Kündigungserklärung quittieren zu lassen. Übersendung der Kündigungserklärung per Brief(-Post). Die Erklärung geht zu, wenn sie in den Briefkasten des Empfängers eingeworfen wird. Einschreiben. Ein Einschreiben geht erst zu, wenn es abgeholt wird, nicht schon mit Einwurf des Benachrichtigungsscheins in den Briefkasten. Postzustellungsurkunde -› Glossar . Bei Zustellung der Kündigung nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung geht die Kündigung bereits mit der Benachrichtigung über den Zustellungsversuch zu -› vgl. § 132 BGB , und nicht erst, wenn das Kündigungsschreiben auf der Post abgeholt wird. Da es nur auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt, geht ein Kündigungsschreiben auch dann zu, wenn es während der Abwesenheit des Arbeitnehmers an seine Heimatanschrift zugestellt wird -› vgl. Abschnitt 14.3.1, S. 251 Beispiel Der Arbeitgeber schickt die Kündigung an die Wohnadresse des Arbeitnehmers, als dieser sich in einem dreiwöchigen Tibet-Urlaub befindet. Mit Einwurf in den Briefkasten ist die Kündigung zugegangen. Die Frist für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage beginnt zu laufen. 14.2.7 Beteiligung des Betriebsrates Besteht ein Betriebsrat, muss er vor jeder Kündigung angehört werden -› vgl. § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG . Merksatz Eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung ist unwirksam -› vgl. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG . Die Anhörung kann auch nicht mehr nachgeholt werden. Stattdessen muss der Arbeitgeber - nach erfolgter Anhörung - erneut kündigen. Ohne Anhörung des Betriebsrates ist die Kündigung erfolgt, wenn: 247 <?page no="247"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses • die Anhörung unterlassen wurde • die Anhörung fehlerhaft war (es sei denn der Fehler liegt ausschließlich in der Verantwortung des Betriebsrates selbst) • der Arbeitgeber die Kündigung ausgesprochen hat, bevor die Stellungnahmefrist des Betriebsrates abgelaufen war und dieser sich noch nicht geäußert hat. Nach der Rechtsprechung des BAG steht eine unzureichende, insbesondere eine unvollständige Unterrichtung des Betriebsrates ebenso wie eine unzureichende Anhörung einer unterlassenen Anhörung gleich. Auch in diesen Fällen ist die Kündigung unwirksam. Der Betriebsrat muss sich innerhalb einer bestimmten Frist zur geplanten Kündigung äußern. Handelt es sich um eine ordentliche Kündigung, beträgt die Frist eine Woche; bei einer außerordentlichen Kündigung drei Tage. Die Frist wird gemäß §§ 187, 188, 193 BGB berechnet. Das heißt, sie beginnt am Tage nach dem Zugang der Mitteilung an den Betriebsrat zu laufen und endet an dem Wochentag der folgenden Woche, der dem Tag entspricht, an dem beim Betriebsrat die Mitteilung des Arbeitgebers einging. Beispiel Die Mitteilung des Arbeitgebers, dass er den Arbeitnehmer A ordentlich kündigen möchte, geht am Montag beim Betriebsrat ein. Die Frist beginnt am Dienstag zu laufen und endet am darauf folgenden Montag. Dem Betriebsrat stehen verschiedene Möglichkeiten offen: • ausdrückliche Zustimmung innerhalb der Frist • keine Äußerung • Bedenken innerhalb der Frist • Widerspruch innerhalb der Frist -› vgl. § 102 Abs. 3 BetrVG . Äußert sich der Betriebsrat bei einer ordentlichen Kündigung nicht innerhalb der Frist, gilt die Zustimmung als erteilt -› vgl. § 102 Abs. 2 S. 2 BetrVG . Dabei ist unerheblich, ob der Betriebsrat die Frist durch Organisationsmängel bei seiner Arbeit versäumt oder ob er sie bewusst verstreichen lässt (z. B. weil er mit der Kündigung an sich zwar einverstanden ist, das aber nicht offiziell zulasten des Arbeitnehmers aussprechen möchte). Für die außerordentliche Kündigung ist eine solche Zustimmungsfiktion nicht vorgesehen. Auch hier muss der Arbeitgeber aber die Frist von drei Tagen abwarten, wenn sich der Betriebsrat nicht äußert. Eine Kündigung kann damit erfolgen, wenn • der Betriebsrat fristgemäß ausdrücklich zugestimmt hat • der Betriebsrat fristgemäß Bedenken geäußert hat 248 <?page no="248"?> 14.2 Kündigung • der Betriebsrat fristgemäß ausdrücklich widersprochen hat • die Frist abgelaufen ist. Eine bestimmte Form ist für die Unterrichtung nicht vorgeschrieben, aus Beweisgründen sollte sie aber schriftlich erfolgen. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat mitteilen, um welche Art der Kündigung es sich handeln soll. Das hat auch rechtliche Konsequenzen: Erfolgt die Anhörung z. B. nur zu einer außerordentlichen Kündigung, kommen dem Arbeitgeber später jedoch Bedenken, ob eine außerordentliche Kündigung überhaupt zulässig ist und möchte er daher eine ordentliche Kündigung aussprechen, ist das nicht möglich, denn der Betriebsrat wurde nur zu einer außerordentlichen Kündigung angehört. Der Arbeitgeber muss den gesamten Anhörungsvorgang erneut durchführen, will er die Unwirksamkeit der Kündigung vermeiden -› vgl. § 102 Abs. 1, 2 BetrVG ! Es müssen die Personalien des betreffenden Arbeitnehmers und die Kündigungsgründe mitgeteilt werden. Die Kündigungsgründe müssen so genau geschildert werden, dass es dem Betriebsrat möglich ist, ohne weitere Nachforschungen zu beurteilen, ob er Bedenken oder Widerspruch gegen die Kündigung erheben will. Das Anhörungsverfahren hat auch Einfluss für den nachfolgenden Kündigungsschutzprozess. Kündigungsgründe, die dem Betriebsrat in der Anhörung nicht mitgeteilt wurden, können im Kündigungsschutzprozess nicht mehr „nachgeschoben werden“. Beispiel Der Arbeitgeber will den Arbeitnehmer außerordentlich kündigen, weil dieser angeblich eine Unterschlagung begangen hat. Außerdem hat er einen seiner Arbeitskollegen tätlich angegriffen. Der Arbeitgeber teilt dem Betriebsrat aber nur den Kündigungsgrund Unterschlagung mit. Wehrt sich der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage, kann der Arbeitgeber die Kündigung im Prozess nicht auch auf den tätlichen Angriff auf den Arbeitskollegen stützen, denn der Betriebsrat wurde dazu nicht angehört. Eine Ausnahme von dieser strengen Ausschlussregel gilt nur für die Fälle, in denen dem Arbeitgeber die zusätzlichen Kündigungsgründe selber noch nicht bekannt waren. Auf solche Gründe darf er sich auch im Prozess berufen, allerdings muss er den Betriebsrat zu diesen Gründen vorher erneut anhören. Äußert der Betriebsrat nur Bedenken ohne zu widersprechen, hindert das weder den Ausspruch der Kündigung noch hat es Einfluss auf einen nachfolgenden Kündigungsschutzprozess. Bedenken des Betriebsrates gegen die Kündigung stärken die Position des Arbeitnehmers nur „ideell“. Auch der Widerspruch des Betriebsrates hindert den Arbeitgeber nicht am Ausspruch der Kündigung und hat auch auf die Wirksamkeit der Kündigung keinerlei 249 <?page no="249"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Einfluss. Der Widerspruch ist aber für den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers von Bedeutung. Wenn der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung ausgesprochen hat und • der Arbeitnehmer fristgerecht Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erhoben hat, • der Betriebsrat der Kündigung fristgerecht und ordnungsgemäß widersprochen hat, • der Arbeitnehmer Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses verlangt, muss der Arbeitgeber ihn auch nach Ende der Kündigungsfrist zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen, bis der Kündigungsschutzprozess rechtskräftig abgeschlossen ist -› vgl. § 103 Abs. 5 S. 1 BetrVG . Das Arbeitsverhältnis ist durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage auflösend bedingt. Erklärt das Gericht die Kündigung für wirksam und wird das Urteil rechtskräftig, endet das Arbeitsverhältnis. Möchte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des Prozesses nicht weiterbeschäftigen, muss er eine einstweilige Verfügung -› Glossar beantragen um von der Weiterbeschäftigung entbunden zu werden -› vgl. § 102 Abs. 5 S. 2 BetrVG . Voraussetzung dafür ist, dass • die Klage mit erheblicher Wahrscheinlichkeit abgewiesen wird, • die Weiterbeschäftigung eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung wäre, die die Existenz des Arbeitgebers gefährdet, • der Widerspruch des Betriebsrates offensichtlich unbegründet war. 14.2.8 Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch Gibt es keinen Betriebsrat oder hat dieser der Kündigung nicht (ordnungs- und fristgerecht) widersprochen, kann dem Arbeitnehmer dennoch ein Weiterbeschäftigungsanspruch zustehen - der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch. Die Rechtsprechung leitet ihn aus §§ 611, 613, 242 BGB i. V. m. Art. 1, 2 GG ab. Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch darauf, im Arbeitsverhältnis nicht untätig sein zu müssen, sondern tatsächlich beschäftigt zu werden. Nach der Rechtsprechung muss im jeweiligen Einzelfall bewertet werden, ob der Arbeitgeber ein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung hat oder ob das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung höher zu bewerten ist. Bis zum erstinstanzlichen Urteil hat der Arbeitgeber grundsätzlich aufgrund der Ungewissheit des Prozessausganges ein Interesse an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers. Das gilt allerdings nicht, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam ist oder wenn der Arbeitnehmer aus- 250 <?page no="250"?> 14.3 Ordentliche Kündigung nahmsweise ein besonders hohes Interesse an der Weiterbeschäftigung hat, z. B. weil er sonst eine berufliche Qualifikation, auf die er hinarbeitet, nicht erhalten würde. Hat der Arbeitnehmer in der ersten Instanz obsiegt und geht der Arbeitgeber gegen dieses Urteil vor, ändert sich die Situation. Jetzt hat der Arbeitnehmer ein überwiegendes Interesse an der Beschäftigung, da er bereits einmal obsiegt hat. Nur wenn der Arbeitgeber zusätzliche Gründe geltend machen kann, die für eine Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers sprechen, hat dieser keinen Weiterbeschäftigungsanspruch. Zu diesen Gründen zählt alles, was den Arbeitgeber zu eine fristlosen Kündigung berechtigen würde, z. B. Straftat des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, z. B. Diebstahl. 14.3 Ordentliche Kündigung Die ordentliche Kündigung ist der wichtigste Beendigungstatbestand im Arbeitsrecht. Mit ihr wird das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist aufgelöst. Will der Arbeitnehmer ordentlich kündigen, ist er frei von jeglichen Beschränkungen; er braucht insbesondere keinen Kündigungsgrund. Allein das Einhalten der Kündigungsfrist ist erforderlich. Anders stellt sich die Situation für den Arbeitgeber dar. Seine Möglichkeiten ein Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche Kündigung zu beenden, sind aus sozialen Gründen im Sinne des Arbeitnehmerschutzes in vielfacher Weise eingeschränkt. Diese Einschränkungen können sich aus dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG), Sonderschutzrechten für einzelne Arbeitnehmer und aus Arbeits- oder Tarifverträgen ergeben. 14.3.1 Klagefrist Will sich ein Arbeitnehmer gegen die ordentliche Kündigung wehren, muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage beim Arbeitsgericht erheben. Dabei handelt es sich um eine so genannte Feststellungsklage. Der Arbeitnehmer möchte, dass das Gericht feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde. Die Frist für die Klageerhebung beginnt mit Zugang der Kündigung -› vgl. § 4 S. 1 KSchG . Der Beweis für den Zugang ist vom Arbeitgeber zu erbringen. (Daher sollte das Kündigungsschreiben am besten persönlich übergeben und der Empfang quittiert werden). Versäumt der Arbeitnehmer die Klagefrist, dann gilt die Kündigung als wirksam, eine Klage gegen die Kündigung würde abgewiesen. Die Klagefrist wird nach § 187 Abs. 1 BGB berechnet. Der Tag, an dem die Kündigung zugegangen ist, wird nicht 251 <?page no="251"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitgezählt, die Frist beginnt am darauf folgenden Tag zu laufen. Sie endet drei Wochen später an dem Tag, der dem Zugangstag entspricht. Beispiel Die Kündigung geht an einem Dienstag zu, die Frist beginnt am Mittwoch zu laufen und endet drei Wochen später am Dienstag. Die Klagefrist ist mit drei Wochen sehr kurz bemessen. Der Grund dafür ist, dass möglichst schnell Klarheit geschaffen werden soll, ob der Arbeitnehmer gegen die Kündigung vorgehen will oder nicht. Die kurze Frist kann für den Arbeitnehmer jedoch auch unangenehme Folgen haben. Man denke nur an folgendes Beispiel: Beispiel Arbeitnehmer A nimmt seinen vierwöchigen Jahresurlaub und reist in den Tibet. Zwei Tage nach seiner Abreise wird das Kündigungsschreiben in seinen Hausbriefkasten eingeworfen. Vorkehrungen zur Information über erhaltene Post, z. B. Bitte an Nachbarn, den Briefkasten zu leeren o. ä., hat er nicht getroffen. Als er aus seinem Urlaub zurückkehrt, ist die Frist zur Klageerhebung bereits abgelaufen. Für solche Fälle hält das Kündigungsschutzgesetz die Möglichkeit eines Antrags auf nachträgliche Zulassung der Klage bereit -› vgl. § 5 KSchG . Der Arbeitnehmer muss diesen Antrag ebenfalls beim Arbeitsgericht stellen und im Einzelnen darlegen, weshalb er an der rechtzeitigen Klageerhebung gehindert war, obwohl es ihm zumutbar gewesen wäre, Vorkehrungen zur Information über erhaltene Post zu treffen. 14.3.2 Ausschluss der ordentlichen Kündigung In einigen Fällen ist eine ordentliche Kündigung per se ausgeschlossen, so dass sie bereits deshalb unwirksam wäre: • bei befristeten Arbeitsverhältnissen ist eine ordentliche Kündigung nicht möglich, es sei denn, dies wurde ausdrücklich vertraglich vereinbart -› vgl. § 15 Abs. 3 TzBfG . • Auszubildende können nach Beendigung der Probezeit nur ordentlich gekündigt werden, wenn sie selbst die Ausbildung aufgeben oder sich in einem anderen Beruf ausbilden lassen wollen -› vgl. § 22 Abs. 2 BBiG . • Mitglieder des Betriebsrates -› vgl. § 15 KSchG . • Wenn die ordentliche Kündigung im Arbeitsvertrag oder in der Betriebsvereinbarung bzw. im Tarifvertrag ausgeschlossen wurde (i. d. R. bei Erreichen eines 252 <?page no="252"?> 14.3 Ordentliche Kündigung bestimmten Lebens- oder Dienstalters). Betriebsvereinbarungen, die eine ordentliche Kündigung (für einen bestimmten Zeitraum) ausschließen, werden oft als so genannte betriebliche Bündnisse für Arbeit geschlossen. • Wehrdienstleistende -› vgl. § 2 ArbPlSchG . 14.3.3 Besonderer Kündigungsschutz Auch wenn die ordentliche Kündigung nicht völlig ausgeschlossen ist, genießen eine Reihe von Arbeitnehmern einen besonderen Kündigungsschutz, der eine ordentliche Kündigung stark erschwert. Die wichtigsten Fälle des besonderen Kündigungsschutzes betreffen: • Arbeitnehmer in Elternzeit. Die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers in Elternzeit ist grundsätzlich verboten, allerdings kann in besonderen Fällen ausnahmsweise eine Kündigung durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle für zulässig erklärt werden -› vgl. § 18 BEEG . • Schwerbehinderte. Die ordentliche Kündigung Schwerbehinderter ist zustimmungsbedürftig. Die Zustimmung wird durch das Integrationsamt erteilt -› vgl. § 85 SGB IX . • Schwangere/ Mütter. Die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird -› vgl. § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG . Auch hier kann die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle in besonderen Fällen die Kündigung für zulässig erklären -› vgl. § 9 Abs. 3 MuSchG . 14.3.4 Vereinbarter Kündigungsschutz Der Kündigungsschutz kann kraft Vereinbarung in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen verstärkt werden. Neben dem vollständigen Ausschluss der ordentlichen Kündigung -› vgl. Abschnitt 14.3.2, S. 252 können die Voraussetzungen der Kündigung auch auf andere Weise erschwert werden. So wird vor allem in den betrieblichen Bündnissen für Arbeit oft vereinbart, dass gegen entsprechende Zugeständnisse der Arbeitnehmer - z. B. Erhöhung der Arbeitszeit bei gleich bleibendem Arbeitsentgelt - für eine bestimmte Zeit vom Arbeitgeber auf 253 <?page no="253"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses betriebsbedingte Kündigungen verzichtet wird. Es wird also nur eine ganz bestimmte Art der Kündigung ausgeschlossen. 14.3.5 Verstoß gegen BGB-Vorschriften Die Unwirksamkeit der Kündigung kann sich aus Vorschriften des BGB ergeben. § 138 BGB. Eine Kündigung kann nach § 138 BGB sittenwidrig sein, wenn sie auf Motiven beruht, die dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zuwider läuft. Beispiel Arbeitnehmer A wird gekündigt, weil er homosexuell ist. Durch das Inkrafttreten des AGG ist der Anwendungsbereich des § 138 BGB allerdings stark geschrumpft, denn die meisten Fälle werden jetzt über die speziellen Diskriminierungsverbote des AGG abgedeckt. § 242 BGB. Das Kündigungsschutzgesetz ist nicht auf alle Arbeitnehmer anwendbar; es wird eine bestimmte Betriebsgröße verlangt -› vgl. § 23 KSchG , und der Arbeitnehmer muss bereits seit mindestens sechs Monaten im Betrieb beschäftigt sein. Um auch anderen Arbeitnehmern einen gewissen Schutz zukommen zu lassen, verlangt die Rechtsprechung, dass der Arbeitgeber ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme einhält. Das wird aus Art. 12 GG der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers und Art. 20 GG dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet; es wirkt über § 242 BGB auch auf die Kündigung -› vgl. Abschnitt 3.2.2.2, S. 40 . Die Arbeitnehmer werden so vor einer sitten- oder treuwidrigen Kündigung geschützt. Beispiel Im Betrieb des B arbeiten vier Arbeitnehmer, das Kündigungsschutzgesetz ist nicht anwendbar. B muss aufgrund der schlechten Auftragslage einen Arbeitnehmer entlassen und kündigt den F. F gehört dem Betrieb am längsten an, erbringt gute berufliche Leistungen, ist verheiratet, seine Frau ist berufsunfähig und sie haben fünf minderjährige Kinder. Die drei anderen Beschäftigten sind alle unverheiratet und keinen Unterhaltspflichten ausgesetzt. Die Kündigung des F ist sittenwidrig, da er evident schutzwürdiger ist als seine Kollegen. 14.3.6 Anhörung des Betriebsrates Der Betriebsrat muss vor Ausspruch der Kündigung angehört werden -› vgl. Abschnitt 14.2.7, S. 247 . 254 <?page no="254"?> 14.3 Ordentliche Kündigung 14.3.7 Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz Der Allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz ist einseitig zwingendes Recht, d. h. der Arbeitgeber kann nicht zulasten des Arbeitnehmers von diesen Vorschriften abweichen. Der Arbeitnehmer kann auch nicht im Vorfeld auf diesen Kündigungsschutz verzichten. Ein Verzicht ist erst nach Zugang der Kündigung möglich und erfolgt durch das Verstreichenlassen der Klagefrist. Ist das Kündigungsschutzgesetz anwendbar, muss die Kündigung um wirksam zu sein, sozial gerechtfertigt sein. Es muss ein anerkannter Kündigungsgrund vorliegen. Das Kündigungsschutzgesetz reduziert für den Arbeitgeber die Zahl der anerkannten Kündigungsgründe auf drei: • Kündigung aus personenbedingten Gründen • Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen • Kündigung aus betriebsbedingten Gründen. 14.3.7.1 Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes Sachlicher Anwendungsbereich. Das Kündigungsschutzgesetz erfasst nur Kündigungen seitens des Arbeitgebers. Auf andere Beendigungstatbestände wie z. B. die Anfechtung oder den Aufhebungsvertrag ist es nicht anwendbar. Persönlicher Anwendungsbereich. Das Kündigungsschutzgesetz gilt nur für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis seit mehr als sechs Monaten bestanden hat -› vgl. § 1 Abs. 1 KSchG . Betrieblicher Anwendungsbereich. Bis zum 31.12.2003 galt das Kündigungsschutzgesetz nur für Betriebe mit mehr als fünf Arbeitnehmern (mindestens 5,25 Arbeitnehmer). Seit dem 1.1.2004 liegt die Grenze bei mehr als zehn Arbeitnehmern -› vgl. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG . Arbeitnehmer, die früher in einem Betrieb mit mehr als fünf Arbeitnehmern beschäftigt waren, bleiben jedoch kündigungsgeschützt. Beispiel 1 Im Betrieb des B waren zum 31.12.2003 sechs Arbeitnehmer beschäftigt. Auch unter der neuen Regelung des § 23 KSchG behalten sie den Kündigungsschutz. Wird zum 1.1.2004 ein neuer Arbeitnehmer eingestellt, genießt dieser keinen Kündigungsschutz, da er nicht unter die Altregelung fällt. Für ihn würde das Kündigungsschutzgesetz erst gelten, wenn mehr als zehn Arbeitnehmer im Unternehmen beschäftigt werden. 255 <?page no="255"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Beispiel 2 In der X-GmbH waren zum 31.12.2003 nur drei Arbeitnehmer beschäftigt. Heute sind acht Arbeitnehmer beschäftigt. Das Kündigungsschutzgesetz findet keine Anwendung, denn dafür müssten mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Scheiden allerdings Arbeitnehmer, die unter die alte Regelung fallen, aus dem Betrieb aus und sinkt die Anzahl der Beschäftigten unter die erforderliche Anzahl von 5,25 ab, entfällt der Kündigungsschutz für alle. Er lebt auch nicht wieder auf, wenn ein zusätzlicher Arbeitnehmer eingestellt wird. Beispiel 3 Von den sechs Arbeitnehmern aus Beispiel 1 kündigt einer. Dadurch entfällt für alle anderen ebenfalls der Kündigungsschutz. Auch wenn ein weiterer Arbeitnehmer eingestellt wird, lebt der Kündigungsschutz nicht wieder auf. Das Kündigungsschutzgesetz greift erst wieder, wenn die (neue) Grenze von mehr als zehn Arbeitnehmern überschritten wird. 14.3.7.2 Soziale Rechtfertigung Die ordentliche Kündigung ist sozial gerechtfertigt, wenn sie aus personenbedingten, verhaltensbedingten oder betriebsbedingten Gründen erfolgt ist. Der Arbeitgeber muss also • dringende betriebliche Erfordernisse • Gründe in der Person des Arbeitnehmers • Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers darlegen und beweisen. 14.3.7.3 Betriebsbedingte Kündigung Eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen setzt voraus, dass dringende betriebliche Gründe einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen -› vgl. § 1 Abs. 2 KSchG . Zur betriebsbedingten Kündigung hat sich eine äußerst differenzierte Rechtsprechung entwickelt, die kaum noch zu überblicken ist. Unternehmerische Entscheidung. Der Arbeitgeber muss eine unternehmerische Entscheidung getroffen haben, die zum rechnerischen Wegfall eines Arbeitsplatzes führt. Diese Entscheidung wird vom Gericht nicht danach überprüft, ob sie notwendig oder zweckmäßig war. Denn der Abbau von Arbeitsplätzen fällt in die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers. Gründe können z. B. Auftragsmangel, 256 <?page no="256"?> 14.3 Ordentliche Kündigung eine geänderte Unternehmensstrategie, unbefriedigende wirtschaftliche Ergebnisse einzelner Tätigkeitsbereiche oder auch nur der Wunsch sein, das Unternehmen zu verkleinern. Beispiel Entscheidet der Arbeitgeber eine Produktlinie einzustellen, kann das Arbeitsgericht diese Entscheidung nicht auf ihre Zweckmäßigkeit oder Wirtschaftlichkeit überprüfen. Das Arbeitsgericht prüft nur, ob die Entscheidung offensichtlich willkürlich war (Missbrauchskontrolle), ob sie insbesondere getroffen wurde, um das Kündigungsschutzgesetz zu umgehen. Ursachen der Unternehmerischen Entscheidung. Die Ursachen, die zur unternehmerischen Entscheidung geführt haben, müssen tatsächlich vorliegen. Beispiel Wurde der Betrieb tatsächlich umorganisiert? Ist der Umsatz tatsächlich zurückgegangen? Wegfall des Arbeitsplatzes. Der Arbeitsplatz muss weggefallen sein. Es muss nicht der konkrete Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers weggefallen sein, sondern es genügt, wenn rein rechnerisch ein Überhang an Arbeitskräften besteht. Welcher Arbeitnehmer gekündigt wird, ist erst eine Frage der Sozialauswahl. Ultima ratio. Es darf keine andere Möglichkeit als die Kündigung zur Verfügung stehen. Insbesondere darf es für den Arbeitnehmer keine andere Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen geben. Als andere Beschäftigungsmöglichkeit kommen nur freie Arbeitsplätze in Betracht bzw. Arbeitsplätze, die bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei werden. Sozialauswahl. Schließlich muss der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigende Arbeitnehmers die sozialen Gesichtspunkte ausreichend beachten. Die Sozialauswahl erfolgt in drei Schritten: • Wer ist in die Sozialauswahl einzubeziehen? Die Sozialauswahl erstreckt sich nur auf Arbeitnehmer, die demselben Betrieb angehören und untereinander austauschbar sind. Arbeitnehmer sind immer dann austauschbar, wenn sie ohne Änderungen ihres Arbeitsvertrages auf dem Arbeitsplatz des jeweils anderen einsetzbar sind und sich auf der gleichen Ebene der Betriebshierarchie befinden. 257 <?page no="257"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Beispiel Facharbeiter A und B sind austauschbar, nicht aber Facharbeiter A und Putzfrau P, auch wenn A mit dem Wischmopp umgehen kann. • Sind bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl auszunehmen? Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse, Leitungen und Fähigkeiten oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten Interesse des Betriebes liegt, dürfen aus der Sozialauswahl herausgenommen werden -› vgl. § 1 Abs. 3 KSchG . • Auswahlentscheidung. Anhand der sozialen Grunddaten - Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung - ist zu entscheiden, welcher Arbeitnehmer gekündigt wird. Unter den Kriterien kommt keinem eine herausragende Bedeutung zu; der Arbeitgeber hat einen Wertungsspielraum, wie er die Kriterien gewichtet. Will sich der Arbeitnehmer gegen eine betriebsbedingte Kündigung zur Wehr setzten, muss er die Tatsachen beweisen, die die Sozialauswahl als fehlerhaft erscheinen lassen. Der Arbeitgeber muss seinerseits die Gründe darlegen, die zu seiner Entscheidung geführt haben. 14.3.7.4 Verhaltensbedingte Kündigung Die verhaltensbedingte Kündigung stützt sich in der Regel auf eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Arbeitnehmer. Außerdienstliches Verhalten kann eine Kündigung dagegen nur rechtfertigen, wenn es konkrete Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat. Pflichtverletzung. Der Arbeitnehmer muss seine arbeitsvertragliche Hauptpflicht (z. B. durch beharrliche Arbeitsverweigerung) oder eine Nebenpflicht (z. B. durch Schmiergeldannahme) verletzt haben. Andere Beispiele für Pflichtverletzungen sind: Unentschuldigtes Fehlen, Störungen der betrieblichen Ordnung, Straftaten gegen Arbeitskollegen, Mobbing. Verschulden. Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt Verschulden des Arbeitnehmers voraus, er muss also entweder fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben. Abmahnung. Aus dem Grundsatz, dass eine Kündigung immer erst das letzte Mittel sein darf, folgt, dass einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich eine Abmahnung vorauszugehen hat. Die Abmahnung muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen: • Das beanstandete Verhalten muss konkret dargelegt werden. • Die Pflichtverletzung muss gerügt werden. 258 <?page no="258"?> 14.3 Ordentliche Kündigung • Der Arbeitnehmer muss eindringlich dazu aufgefordert werden, sich in Zukunft vertragsgemäß zu verhalten. • Für den Wiederholungsfall müssen eindeutig arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht werden. Schon aus beweisrechtlichen Gründen sollte eine Abmahnung immer schriftlich erfolgen und der Arbeitgeber sollte sich den Empfang quittieren lassen. Der Betriebsrat muss vor der Abmahnung weder angehört noch unterrichtet werden. In einigen Fällen kann eine Abmahnung auch entbehrlich sein: • Der Verstoß ist so schwer, dass das Vertrauensverhältnis zerstört und eine Wiederherstellung nicht zu erwarten ist. Das ist in der Regel bei Straftaten gegen den Arbeitgeber der Fall. • Wenn die Abmahnung keinerlei Erfolg verspricht, da der Arbeitnehmer z. B. von vornherein zu erkennen gibt, dass er sein Verhalten nicht ändern wird. Negative Prognose. Für die Zukunft müssen weitere Vertragsverletzungen, wie in der Abmahnung gerügt, zu erwarten sein. Es muss also Wiederholungsgefahr bestehen. Sinn einer verhaltensbedingten Kündigung ist es nämlich nicht, vergangenes Verhalten zu bestrafen, sondern das Risiko auszuschließen, dass es in der Zukunft wieder zu Vertragsverletzungen kommt. Ultima ratio. Auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung ist zu prüfen, ob nicht eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer besteht. Interessenabwägung. Schließlich muss das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses schwerer wiegen als das Interesse des Arbeitnehmers, seine Beschäftigung zu behalten. Dabei spielen z. B. der Grad des Verschuldens - hat der Arbeitnehmer nur fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt? -, ferner die Beeinträchtigung der betrieblichen Belange und die Dauer der (störungsfreien) Betriebszugehörigkeit eine Rolle. 14.3.7.5 Personenbedingte Kündigung Die personenbedingte Kündigung erfolgt aus Gründen, die auf den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Arbeitnehmers beruhen. Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis auflösen, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr die geforderten Eigenschaften und Fähigkeiten besitzt, um die geschuldete Arbeitsleistung ordnungsgemäß zu erbringen. Auf ein Verschulden des Arbeitnehmers an seinem Zustand kommt es nicht an. Der Hauptfall ist die krankheitsbedingte Kündigung. Die Prüfungsschritte der personenbedingten Kündigung sind: 259 <?page no="259"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Grund in der Person des Arbeitnehmers. Dass der Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage ist, seine Arbeitspflicht ordnungsgemäß zu erfüllen, muss aus einem in seiner Person liegenden Grund resultieren. Beispiele Krankheiten (Die Rechtsprechung behandelt auch die Alkoholabhängigkeit als Krankheit! ), Verlust der zur Berufsausübung erforderlichen Lizenz oder Erlaubnis. Negative Prognose. Ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft in erheblichem Umfang ausfallen wird? (Im Fall des Alkoholismus ist die Bereitschaft des Arbeitnehmers zu einer Entziehungskur von Bedeutung.) Betriebliche Ablaufstörungen. Führen die bereits entstanden oder prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen? Ultima ratio. Die Kündigung muss das letzte mögliche Mittel darstellen, der Arbeitgeber muss also zuvor prüfen, ob nicht die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen, gegebenenfalls auch nach Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen. Interessenabwägung. Wäre es dem Arbeitgeber zumutbar, das Arbeitsverhältnis dennoch bestehen zu lassen? Hierbei sind insbesondere zu berücksichtigen: • Soziale Daten des Arbeitnehmers. • Hat die Krankheit betriebliche Ursachen? Wenn ja, ist dies zugunsten des Arbeitnehmers zu werten. • Hatte der Arbeitgeber bereits bei Einstellung Kenntnis von der Krankheit? Auch dies wäre zugunsten des Arbeitnehmers zu werten. 14.3.7.6 Kündigungsschutzfrist Bei der ordentlichen Kündigung muss eine Kündigungsfrist eingehalten werden. Kündigungsfrist ist die Zeitspanne zwischen dem Zugang der Kündigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Geregelt sind die Kündigungsfristen in § 622 BGB, meist aber auch in Tarif- oder Arbeitsverträgen. Für bestimmte Arbeitnehmergruppen bestehen Sonderregelungen -› vgl. §§ 20, 22 BbiG, § 19 BEEG, § 86 SGB IX . Die Grundkündigungsfrist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer beträgt vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Im Übrigen sind die Kündigungsfristen nach der Beschäftigungsdauer abgestuft. Längere Kündigungsfristen können in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen vereinbart werden. Allerdings darf für die Kündigung durch den Arbeitnehmer keine längere Frist vereinbart werden als für eine Kündigung durch den Arbeitgeber. 260 <?page no="260"?> 14.4 Außerordentliche Kündigung Beispiel Ist für den Arbeitgeber eine Kündigungsfrist von drei Monaten vereinbart, wenn das Arbeitsverhältnis fünf Jahre bestand, dann darf für die Kündigung seitens des Arbeitnehmers keine Kündigungsfrist von vier Monaten vereinbart werden. 14.4 Außerordentliche Kündigung In manchen Fällen ist es für den Arbeitgeber (oder Arbeitnehmer) unzumutbar, ordentlich zu kündigen und den Ablauf der Kündigungsfrist abzuwarten. Vielmehr kann das Bedürfnis bestehen, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Dann kommt unter bestimmten Voraussetzungen eine außerordentliche Kündigung (fristlose Kündigung) in Betracht. Ein- und dasselbe Ereignis kann sowohl einen Grund für eine außerordentliche als auch für eine ordentliche Kündigung darstellen. Beispiel Bestiehlt der Arbeitnehmer den Arbeitgeber, kann dies sowohl Grund für eine außerordentliche als auch für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung sein. Dann hat der Arbeitgeber ein Wahlrecht zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung. Ist er sich nicht sicher, ob die Gründe für eine außerordentliche Kündigung schwerwiegend genug sind, kann er vorsorglich (hilfsweise) neben der außerordentlichen noch eine zusätzliche ordentliche Kündigung aussprechen. Erweist sich die außerordentliche Kündigung als unwirksam, wird das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung beendet. Anders als bei der ordentlichen Kündigung kann das Recht zur außerordentlichen Kündigung nicht ausgeschlossen werden. 14.4.1 Kündigungserklärung Auch die außerordentliche Kündigung muss durch schriftliche Erklärung erfolgen -› vgl. Abschnitt 14.1, S. 243 . 14.4.2 Betriebsratsanhörung Besteht ein Betriebsrat, muss dieser vor Ausspruch der Kündigung angehört werden. Allerdings beträgt die Frist für die Stellungnahme nur drei Tage und nicht eine ganze Woche wie bei der ordentlichen Kündigung. Und der Betriebsrat hat bei der 261 <?page no="261"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses außerordentlichen Kündigung auch kein Recht zum Widerspruch; entsprechend gibt es auch keinen Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG. 14.4.3 Besonderer Kündigungsschutz Der besondere Kündigungsschutz ist bei der außerordentlichen Kündigung weniger ausgeprägt: • Schwerbehinderte. Auch Schwerbehinderte können außerordentlich gekündigt werden; allerdings ist auch hier die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich -› vgl. § 91 SGB IX . • Schwangere/ Mütter. Die außerordentliche Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird -› vgl. § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG . Auch hier kann die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle in besonderen Fällen die Kündigung für zulässig erklären -› vgl. § 9 Abs. 3 MuSchG . Beispiel Eine schwangere Arbeitnehmerin geht mit einem Beil auf einen Auszubildenden los. • Betriebsratsmitglieder. Soll ein Betriebsratsmitglied außerordentlich gekündigt werden, ist die Zustimmung des Betriebsrates notwendig -› vgl. § 103 Abs. 1 BetrVG . Die Zustimmung kann auf Antrag durch das Arbeitsgericht ersetzt werden -› vgl. § 103 Abs. 2 BetrVG . 14.4.4 Kündigungsgrund Eine außerordentliche Kündigung ist nur möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der es dem Kündigenden unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. 14.4.4.1 Wichtiger Grund Der Sachverhalt an sich muss geeignet sein, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu liefern. Die wichtigsten Kündigungsgründe greifen bei der außerordentlichen Kündigung in unterschiedlichem Maße: 262 <?page no="262"?> 14.4 Außerordentliche Kündigung Personenbedingte Gründe. Personenbedingte Gründe, z. B. Krankheit oder Entzug der Arbeitserlaubnis sind zwar denkbar, aber nur selten erfolgreich, da es dem Arbeitgeber meist zumutbar ist, ordentlich zu kündigen. Betriebsbedingte Gründe. Ebenso selten können betriebsbedingte Gründe eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, zumal es sich um Gründe handelt, die in die Risikosphäre des Arbeitgebers fallen. Daher ist es ihm in der Regel auch zumutbar, die Kündigungsfrist abzuwarten. Verhaltensbedingte Gründe. Der weit überwiegende Teil außerordentlicher Kündigungen erfolgt aus verhaltensbedingten Gründen. Folgende Fallgruppen kommen bei einer verhaltenbedingten außerordentlichen Kündigung häufig zum Tragen: • Beleidigungen von Arbeitgeber oder Arbeitskollegen • Nicht erlaubte Konkurrenztätigkeit • Annahme von Schmiergeld • Diebstahl (und Vermögensdelikte) • Extensive und nicht erlaubte private Internetnutzung • Eigenmächtiger Urlaubsantritt. 14.4.4.2 Interessenabwägung Es darf dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zumutbar sein, das Arbeitsverhältnis wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Bei dieser Entscheidung sind folgende Punkte zu beachten: • Negativprognose. Das Arbeitsverhältnis muss auch für die Zukunft erheblich belastet sein. • Ultima ratio. Die außerordentliche Kündigung muss das letzte mögliche Mittel sein, d. h. es darf keine andere Möglichkeit geben. • Übermaßverbot. Ist eine außerordentliche Kündigung angemessen oder stellt sie eine Überreaktion dar? 14.4.4.3 Kündigungserklärungsfrist Die außerordentliche Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes erklärt werden -› vgl. § 626 Abs. 2 BGB . Die Frist beginnt zu laufen, wenn der Kündigungsberechtigte von den Tatsachen Kenntnis erhält, die für den Kündigungsgrund maßgeblich sind. Die Kündigung muss innerhalb der zwei Wochen auch dem Empfänger zugehen. Nach Ablauf dieser Frist ist das Recht zur außerordentlichen Kündigung verwirkt. 263 <?page no="263"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses 14.5 Verdachtskündigung Auch bereits der Verdacht einer Pflichtverletzung - meist einer Straftat -kann eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung rechtfertigen, in der Regel wird es sich um eine außerordentliche Kündigung handeln. Allerdings sind die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung sehr streng, da stets die Gefahr besteht, dass ein Unschuldiger seinen Arbeitsplatz verliert. Tatsachen. Dem Verdacht müssen Tatsachen zugrunde liegen. Dringender Tatverdacht. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer die Tat begangen hat. Schwerwiegende Vertragsverletzung. Wenn die Tat tatsächlich begangen worden wäre, müsste sie eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Sachverhaltsaufklärung. Der Arbeitgeber muss alles ihm Zumutbare getan haben, um den Sachverhalt aufzuklären. Vor allem ist dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Er muss zu den Tatvorwürfen angehört werden. Gibt der Arbeitgeber ihm schuldhaft keine Gelegenheit zur Anhörung, ist die Verdachtskündigung unwirksam. Ultima ratio, Interessenabwägung und Betriebsratsanhörung. Wie bei allen anderen Kündigungen auch, darf die Verdachtskündigung nur das letzte mögliche Mittel darstellen und es muss eine Interessenabwägung sowie eine Betriebsratsanhörung erfolgen. 14.6 Druckkündigung Von einer Druckkündigung spricht man, wenn Dritte, z. B. Kunden oder andere Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber Nachteile, z. B. Auftragsentzug oder Abbruch der Geschäftsbeziehungen androhen, wenn er nicht einen bestimmten Arbeitnehmer kündigt. Der Arbeitgeber darf nur unter sehr strengen Voraussetzungen kündigen. Zunächst muss er sich schützend vor seinen Arbeitnehmer stellen und alles Zumutbare unternehmen, um die Situation zu entschärfen und eine Kündigung zu vermeiden. 14.7 Änderungskündigung Um eine Änderungskündigung -› vgl. § 2 S. 1 KSchG handelt es sich, wenn der Arbeitgeber kündigt und dem Arbeitnehmer gleichzeitig anbietet, das Arbeitsver- 264 <?page no="264"?> 14.7 Änderungskündigung hältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. Die Änderungskündigung dient der Anpassung des Arbeitsvertrages an veränderte Rahmenbedingungen und hat vor allem dann Bedeutung, wenn der Arbeitnehmer eine einvernehmliche Vertragsanpassung nicht akzeptiert. Der Arbeitgeber kann: • den Arbeitsvertrag kündigen und den Abschluss eines völlig neuen Arbeitsvertrag anbieten. • nur unter der (aufschiebenden) Bedingung kündigen, dass der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ablehnt. Der Arbeitnehmer hat drei verschiedene Möglichkeiten auf eine Änderungskündigung zu reagieren: Annahme. Damit verzichtet er auf eine Überprüfung, ob die Änderungskündigung berechtigt ist. Im Ergebnis wirkt dieses Verhalten wie eine einvernehmliche Vertragsanpassung. Ablehnung. Der Arbeitnehmer kann die Änderungskündigung ablehnen. Dann riskiert er den Verlust seines Arbeitsplatzes, wenn er den Kündigungsschutzprozess verliert. Annahme unter Vorbehalt. Und schließlich kann er die Änderungskündigung unter Vorbehalt annehmen -› vgl. § 2 S. 1 KSchG . Das ist die für ihn sicherste Variante. Änderungskündigung Kündigung des alten Vertrages + Angebot eines neuen Vertrags Bedingte Kündigung für den Fall der Nichtannahme des Änderungsangebotes Annahme Annahme Neuer Arbeitsvertrag Alter Arbeitsvertrag besteht fort, aber mit geänderten Bedingungen Abbildung 14.1: Änderungskündigung Annahme 265 <?page no="265"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Änderungskündigung Ablehnung Erhebt Kündigungsschutzklage Erhebt keine Kündigungsschutzklage Klage ist erfolglos Kündigung wirksam, Arbeitsvertrag ist beendet Klage hat Erfolg Alter Arbeitsvertrag besteht unverändert weiter Kündigung ist wirksam, Arbeitsvertrag ist beendet Abbildung 14.2: Ablehnung des Änderungsangebotes Änderungskündigung Ist die Klage erfolgreich, besteht der Arbeitsvertrag zu den alten Bedingungen weiter Ist die Klage erfolglos, besteht der Arbeitsvertrag zu den geänderten Bedingungen weiter. Annahme unter Vorbehalt und Erhebung der Kündigungsschutzklage Abbildung 14.3: Annahme unter Vorbehalt 266 <?page no="266"?> 14.8 Aufhebungsvertrag Bei einer Annahme unter Vorbehalt behält der Arbeitnehmer zum einen den Arbeitsplatz zu geänderten Bedingungen, hält sich aber andererseits die Möglichkeit offen, die Änderungskündigung gerichtlich überprüfen zu lassen. Erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage, prüft das Gericht, ob die Änderungen der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt sind. Zum einen muss es für die Vertragsänderungen einen betrieblichen, verhaltensbedingten oder personenbedingten Grund geben. Zum anderen müssen die Änderungen erforderlich gewesen sein, um den Vertrag an die geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Änderungen die darüber hinausgehen muss der Arbeitnehmer nicht akzeptieren. 14.8 Aufhebungsvertrag Der Aufhebungsvertrag wird in der Praxis dazu genutzt, einen Arbeitsvertrag kurzfristig und aus Sicht des Arbeitgebers weitgehend problemlos zu beenden. Die Vorteile für den Arbeitgeber liegen auf der Hand: Er muss sich nicht an Kündigungsfristen halten; allgemeiner und besonderer Kündigungsschutz greifen nicht und der Betriebsrat muss nicht beteiligt werden. Auch für den Arbeitnehmer kann ein Aufhebungsvertrag Vorteile bieten: Zum einen, wenn er sofort aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden will. Zum anderen, wenn eine außerordentliche Kündigung droht, dann ist die Beendigung durch einen Aufhebungsvertrag die unverfänglichere und für die berufliche Zukunft ratsamere Alternative. Ein Aufhebungsvertrag muss immer schriftlich geschlossen -› vgl. § 623 BGB und von beiden Parteien unterschrieben werden. Möchte der Arbeitnehmer den Aufhebungsvertrag nachträglich wieder beseitigen, kann er ihn nicht mit einer Kündigungsschutzklage angreifen. In erster Linie kommt eine Beseitigung des Vertrages durch Anfechtung -› vgl. §§ 119 ff. BGB in Betracht. Es existieren noch einige weitere Punkte, die im Zusammenhang mit einem Aufhebungsvertrag stets beachtet werden müssen: Aufklärung. Es ist umstritten, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über die rechtlichen Konsequenzen eines Aufhebungsvertrages aufklären muss. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass es in der Verantwortung des Arbeitnehmers liegt, sich selbst über die Folgen des Vertrages zu erkundigen. Berät der Arbeitgeber dennoch, muss alles, was er dem Arbeitnehmer mitteilt, auch tatsächlich korrekt sein. Anderenfalls kann er sich schadenersatzpflichtig machen. Schon aus diesem Grund sollte der Arbeitgeber auf die Belehrung verzichten. 267 <?page no="267"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Sozialversicherung. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages kann für den Arbeitnehmer unangenehme sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen haben. Ist er nämlich im Anschluss arbeitslos, denn kann ihm das Arbeitslosengeld für eine Frist von 12 Wochen gesperrt werden -› vgl. § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III . Eine Ausnahme gilt, wenn der Arbeitnehmer für den Abschluss des Aufhebungsvertrages einen wichtigen Grund hatte. Dazu zählt nach der Rechtsprechung auch, wenn ihm eine objektiv rechtmäßige, betriebsbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber droht und ihm das Abwarten der Kündigung nicht zumutbar ist 2 . Steuer. Erhält der Arbeitnehmer eine Abfindung, ist zu beachten, dass es seit dem 1.1.2006 keine Steuerbefreiung mehr gibt. Waren früher bis zu 7.200 € steuerfrei, ist die Abfindung heute vollständig als Einkommen zu versteueren. Aufhebungsverträge „lohnen“ sich daher im Prinzip nur für Arbeitnehmer, die entweder bereits ein neues Beschäftigungsverhältnis an der Hand haben oder die ohnehin kurz vor dem Eintritt in die Altersrente stehen. 14.9 Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses 14.9.1 Arbeitszeugnis Jeder Arbeitnehmer hat bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Arbeitszeugnis -› vgl. § 109 GewO (Auszubildende § 16 BBiG) . Der Arbeitnehmer hat dabei die Wahl zwischen dem einfachen und einem qualifizierten Zeugnis. Ein einfaches Zeugnis enthält Art und Dauer der Beschäftigung. Das qualifizierte Zeugnis gibt neben Art und Dauer der Beschäftigung außerdem Auskunft über Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers. Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf ein Zeugnis, dabei ist unerheblich welcher Art und Umfang seine Arbeitsleistung war. Das einfache Zeugnis ist vom Arbeitgeber ohne besondere Aufforderung auszustellen. Möchte der Arbeitnehmer ein qualifiziertes Zeugnis, muss er dies verlangen. Er muss sich nicht auf das tatsächliche Ende des Arbeitsverhältnisses vertrösten lassen, sondern hat bereits dann Anspruch auf ein Zeugnis, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses absehbar ist, z. B. weil der Arbeitgeber die Kündigung ausgesprochen hat. 2 BSGE 92, S. 74 = NZA 2004, S. 661. 268 <?page no="268"?> 14.9 Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Merksatz Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein und muss vom Wohlwollen getragen sein, denn es soll das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers unterstützen. Gleichzeitig muss es der Wahrheit entsprechen. Die Unwahrheit darf also in keinem Fall geschrieben werden. Anderenfalls setzt sich der Arbeitgeber der Gefahr aus, gegenüber Arbeitnehmer oder späteren Arbeitgebern haften zu müssen. In der Praxis behilft man sich, indem man zwar auf negative Aussagen verzichtet, stattdessen aber durch das Weglassen bestimmter Aussagen, Beispiel „Sein Verhalten zu den anderen Mitarbeitern war immer einwandfrei.“ Sein Verhalten zu den Vorgesetzten aber offenbar nicht, denn sie sind nicht erwähnt. oder durch die Betonung von Selbstverständlichkeiten Beispiel „Frau X war pünktlich und fleißig.“ oder durch die Reihenfolge (Unwichtiges vor Wichtigem) ungünstige Bewertungen zum Ausdruck bringen. Auf diese Weise hat sich in der Praxis eine spezielle „Fachsprache“ für Arbeitszeugnisse entwickelt, die Personalprofis sofort, Laien allerdings oft nicht ohne weiteres verstehen. Handelt es sich um ein qualifiziertes Zeugnis, muss sich die Beurteilung der Leistung an der Arbeitsaufgabe und deren Anforderungen orientieren. Zur Leistungsbeurteilung gehören Aussagen über das körperliche und geistige Leistungsvermögen, Arbeitsbereitschaft, Qualität der Arbeit, Fachkenntnisses etc. Unter Verhalten ist das Sozialverhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen oder Dritten zu verstehen. Privatangelegenheiten gehören grundsätzlich nicht in ein Zeugnis. Eine Ausnahme kann geboten sein, wenn das private Verhalten des Arbeitnehmers Auswirkungen auf den beruflichen Bereich hat. Jedes Zeugnis enthält eine so genannte Schlussnote, in der eine zusammenfassende Beurteilung über Arbeitsleistung und Verhalten getroffen wird. Dabei hat sich eine Skala eingebürgert, die von: „Er hat die ihm übertragenen Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt“, was durchweg sehr gute Leistungen bescheinigt, bis hin zu: „Sie hat sich bemüht, die ihr übertragenen Aufgaben zu unserer Zufriedenheit zu erledigen“, was vollkommen ungenügende Leistungen 269 <?page no="269"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses bescheinigt. Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist nur auf den Wunsch des Arbeitsnehmers aufzunehmen. Für ein schuldhaftes verspätetes bzw. fehlendes oder unrichtiges Zeugnis haftet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für den dadurch entstehenden Schaden. Gegenüber dem neuen Arbeitgeber kommt eine Haftung gemäß § 826 BGB in Betracht (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung), wenn im Zeugnis wissentlich die Unwahrheit geschrieben wurde; das falsche Zeugnis den neuen Arbeitgeber dazu veranlasst hat, den Arbeitnehmer einzustellen und ihm dadurch ein Schaden entstanden ist. Beispiel Der Arbeitgeber verschweigt im Zeugnis, dass der Mitarbeiter einen Diebstahl begangen hat. Der neue Arbeitgeber stellt den Bewerber aufgrund der positiven Bewertung im Zeugnis ein und der Arbeitnehmer begeht erneut einen Diebstahl. 14.9.2 Nachvertragliches Wettbewerbsverbot Möchte sich der Arbeitgeber auch nach Ende des Arbeitsverhältnisses vor Wettbewerb durch seinen früheren Arbeitnehmer schützen, muss er ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbaren. Dabei sind die Vorschriften in §§ 74 ff. HGB zu beachten, die nicht nur im Bereich des Handelsrechts, sondern auch auf alle anderen Arbeitnehmer anwendbar sind. Das Wettbewerbsverbot • muss schriftlich vereinbart werden • darf das Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unbillig erschweren • darf für maximal zwei Jahre vereinbart werden • muss eine Entschädigung (so genannte Karenzentschädigung) für den Arbeitnehmer vorsehen. 14.9.3 Nachvertragliche Treuepflichten Grundsätzlich enden mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch alle wechselseitigen Rechte und Pflichten. Ausnahmsweise gibt es jedoch auch zeitlich nachwirkende Pflichten. Hierzu zählt auf Arbeitgeberseite die Ausstellung des Zeugnisses, wenn das nicht bereits beim Ausscheiden des Arbeitnehmers geschehen ist. Auf Arbeitnehmerseite besteht die Pflicht zur Verschwiegenheit im Hinblick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse weiter. 270 <?page no="270"?> 14.10 Beschäftigungsgesellschaft/ Sozialplan/ Interessenausgleich 14.10 Beschäftigungsgesellschaft/ Sozialplan/ Interessenausgleich Der Verlust des Arbeitsplatzes stellt für den ganz überwiegenden Teil der Arbeitnehmer eine schwere Belastung dar. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um langjährig Beschäftigte handelt, die oftmals eine Familie zu versorgen haben, örtlich gebunden sind, sich einen gewissen Lebensstandard erarbeitet haben und deren Lebensplanung durch den Verlust des Arbeitsplatzes oft vollkommen auf den Kopf gestellt wird. Zur Abmilderung der mit dem Arbeitsplatzverlust einhergehenden Härten dienen Beschäftigungsgesellschaften, der Sozialplan und der Interessenausgleich. 14.10.1 Beschäftigungsgesellschaften Durch Beschäftigungsgesellschaften soll bei betriebsbedingten Entlassungen eine Alternative zur Arbeitslosigkeit geschaffen werden. Die von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer erhalten die Möglichkeit, für einen befristeten Zeitraum in einer Beschäftigungsgesellschaft tätig zu sein um diese Zeit zur Bewerbung bzw. Qualifizierung zu nutzen. Finanziert wird eine Beschäftigungsgesellschaft durch den früheren Arbeitgeber und die Bundesagentur für Arbeit. Der Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmer und altem Arbeitgeber muss nach den allgemeinen Regeln gekündigt werden. Zwischen Arbeitnehmer und Beschäftigungsgesellschaft wird ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen, der gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG auf maximal zwei Jahre befristet ist. 14.10.2 Interessenausgleich Bei Betriebsänderungen, z. B. bei Stilllegung oder Verlegung von Betriebsteilen nach § 111 BetrVG -› vgl. im Einzelnen Abschnitt 5.3.5, S. 96 mit möglicherweise nachteiligen Folgen für die Belegschaft bzw. erhebliche Teile der Belegschaft, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht nur umfassend über die geplanten Änderungen unterrichten, sondern auch einen Interessenausgleich versuchen -› vgl. § 112 Abs. 1, 2 BetrVG . Der Interessenausgleich betrifft das Ob, Wann und Wie der geplanten Maßnahmen. Der Arbeitgeber soll eine Verständigung mit dem Betriebsrat darüber anstreben, ob eine bestimmte Maßnahme überhaupt durchgeführt wird, in welcher Art und Weise und zu welchem Zeitpunkt. Gelingt dieser Interessenausgleich, ist er schriftlich niederzulegen -› vgl. § 112 Abs. 1 BetrVG . Scheitert der Interessenausgleich, kann zwar die Einigungsstelle angerufen werden, diese ist 271 <?page no="271"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses aber - anders als im Hinblick auf den Sozialplan - nicht in der Lage, die Einigung zu ersetzten. Im Ergebnis kann der Arbeitgeber also nicht daran gehindert werden, die geplante Maßnahme auszuführen. Er muss jedoch versuchen, einen Interessenausgleich herbeizuführen bzw. einen vereinbarten Interessenausgleich auch beachten. Anderenfalls ist der Arbeitgeber zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs an die Arbeitnehmer (Abfindungen) nach § 113 BetrVG verpflichtet. 14.10.3 Sozialplan Plant der Arbeitgeber eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung, ist nicht nur (der Versuch eines) Interessenausgleichs notwendig, sondern es muss mit dem Betriebsrat einen Sozialplan vereinbart werden, um die wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen, welche die Arbeitnehmer durch die Betriebsänderung erleiden. Der Sozialplan regelt nicht mehr das Ob, Wann oder Wie einer Betriebsänderung, sondern soll die Folgen der Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer sozialverträglich gestalten. Sozialpläne sind nicht nur beim Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch beim Erhalt mit nachteiligen Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer zu vereinbaren, z. B. Verlagerung des Betriebs von Köln nach Berlin. Sozialpläne begründen unmittelbare Rechtsansprüche; die einzelnen Arbeitnehmer können ihre, sich aus dem Sozialplan ergebenden Ansprüche einklagen. Typische Regelungsinhalte eines Sozialplans sind: • Auswahlkriterien zur Ermittlung der betriebsbedingt zu kündigenden Mitarbeiter • Abfindungsregelungen • Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen • Frühpensionierungsregelungen • Übernahme von Umzugskosten. Der Sozialplan kann - anders als der Interessenausgleich - vom Betriebsrat grundsätzlich auch erzwungen werden; er hat insoweit ein Initiativrecht. Kommt eine Einigung mit dem Arbeitgeber nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle. Ihr Spruch ersetzt die fehlende Einigung -› vgl. §§ 112 Abs. 4, 76 BetrVG . Eine Ausnahme gilt dann, wenn die Betriebsänderung nur im Personalabbau besteht. Dann kann der Sozialplan nur erzwungen werden, wenn der Betrieb eine bestimmte Größe hat und eine bestimmte Anzahl der Arbeitnehmer entlassen wird - im Einzelnen geregelt in § 112a Abs. 1 BetrVG. Weitere Ausnahmen bestehen für neu gegründete Unternehmen in den ersten vier Jahren nach der Gründung -› vgl. § 112a Abs. 2 BetrVG , um solche Investitionen für den Fall des Scheiterns nicht mit höheren 272 <?page no="272"?> 14.11 Überblick über rechtliche Schwierigkeiten bei der Personalfreisetzung Folgekosten zu belasten. Wird eine Betriebsänderung geplant müssen die Kosten des Sozialplans stets mit einkalkuliert werden! 14.11 Überblick über rechtliche Schwierigkeiten bei der Personalfreisetzung Für den Arbeitgeber ist es aus rechtlicher Sicht am sichersten, wenn er die Notwendigkeit der Personalfreisetzung frühzeitig erkennen und daher längerfristig planen und durchführen kann (antizipative Freisetzung). In diesem Fall hat er nämlich in der Regel die Möglichkeit, auf andere Mittel als die Kündigung zurückzugreifen. Denkbar sind: • Nichtverlängerung befristeter Verträge • Nutzung der natürlichen Fluktuation in Kombination mit einem Einstellungsstopp • Frühpensionierungslösungen • Aufhebungsverträge. Aufhebungsverträge bieten den Vorteil, dass eine gezielte Freisetzung bestimmter Arbeitnehmer möglich ist und nicht die Gefahr eines Kündigungsschutzprozesses besteht. Natürlich sind Aufhebungsverträge andererseits auch mit hohen Kosten verbunden, da dem Arbeitnehmer meist eine entsprechende attraktive Abfindung gezahlt wird. Muss der Arbeitgeber relativ kurzfristig auf einen Personalüberhang reagieren, bleibt - neben dem Aufhebungsvertrag - oft nur die Kündigung. In erster Linie wird es sich um betriebsbedingte Kündigungen handeln, deren Voraussetzungen bereits dargelegt wurden. Bei der Planung betriebsbedingter Kündigungen ist stets zu beachten, dass • die Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer nicht willkürlich erfolgen kann, sondern die Sozialauswahl eingehalten werden muss; • die Kosten für die Abfindungsansprüche einzukalkulieren sind, (1/ 2 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses), wenn die gekündigten Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erheben -› vgl. § 1a KSchG ; • die gesetzlichen -› vgl. § 622 BGB oder vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen eine schnelle Personalfreisetzung oftmals verhindern. Vor einer betriebsbedingten Kündigung sind zudem alle anderen möglichen Mittel auszuschöpfen, hier ist vor allem an eine Änderungskündigung zu denken. 273 <?page no="273"?> 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Zusammenfassung Kündigung. Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige, rechtsgestaltende Willenserklärung, mit der das Arbeitsverhältnis für die Zukunft aufgelöst wird. Man unterscheidet die ordentliche (fristgerechte) und außerordentliche (fristlose) Kündigung. Weitere Kündigungsarten sind die Verdachtskündigung, Druckkündigung und die Änderungskündigung. Allgemeiner Kündigungsschutz. Ist das Kündigungsschutzgesetz anwendbar, ist eine ordentliche Kündigung nur wirksam, wenn sie sozial gerechtfertigt ist. Sie ist nur • aus betriebsbedingten Gründen (Sozialauswahl) • personenbedingten Gründen • verhaltensbedingten Gründen möglich. Besonderer Kündigungsschutz. Neben dem allgemeinen Kündigungsschutz bestehen für bestimmte Arbeitnehmergruppen besondere Kündigungsschutzvorschriften, z. B. für Schwerbehinderte. Außerordentliche Kündigung. Ist es einer der Parteien aus einem wichtigen Grund nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, kommt eine fristlose Kündigung in Betracht -› vgl. § 626 BGB . Betriebsratsanhörung. Besteht ein Betriebsrat, muss dieser vor Ausspruch der Kündigung angehört werden -› vgl. § 102 Abs. 1 BetrVG , sonst ist die Kündigung unwirksam. Kündigungsschutzklage. Der Arbeitnehmer kann sich gegen eine Kündigung mit der Kündigungsschutzklage zur Wehr setzen -› vgl. §§ 4, 7 KSchG . Aufhebungsvertrag. Der Aufhebungsvertrag ist die einverständliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, oft gegen Zahlung einer entsprechenden Abfindung. Arbeitszeugnis. Jeder Arbeitnehmer hat bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf ein Arbeitszeugnis. Das Zeugnis muss wohlwollend sein, aber gleichzeitig der Wahrheit entsprechen. 274 <?page no="274"?> Kontrollfragen Sozialplan und Interessenausgleich. Im Fall einer Betriebsänderung soll ein Interessenausgleich erfolgen. Kommt dieser nicht zustande, kann die geplante Maßnahme dennoch durchgeführt werden. Der Sozialplan soll die Nachteile der Betriebsänderung ausgleichen und kann vom Betriebsrat auch erzwungen werden. Im Fall fehlender Einigung durch die Betriebsparteien ersetzt der Spruch der Einigungsstelle die Einigung. Kontrollfragen -› vgl. zum Thema dieses Kapitels Übungsklausur, S. 289. Literatur Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München (Achtung: Das AGG ist in dieser Auflage noch nicht enthalten! ) Junker , A . [2007]: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Aufl., München Hümmerich , K . [2004]: Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag in einem sich wandelnden Arbeitsrecht, Neue Juristische Wochenschrift (NJW), S. 2921 Göttling , W./ Neumann , M . [2007]: Leicht verständlicher Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA-RR), S. 281 Schiefer , B . [2005]: Betriebsbedingte Kündigung - Kündigungsursache und Unternehmerentscheidung, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA-RR), S. 1 275 <?page no="276"?> 15 Klausurtechnik und Gutachtenstil Übersicht • Allgemeine Klausurhinweise -› vgl. Abschnitt 15.1 • Besonderheiten des Gutachtenstils -› vgl. Abschnitt 15.2, S. 278 • Klausurlösung: Erfassen des Sachverhaltes -› vgl. Abschnitt 15.3.1, S. 279 und Rechtsprüfung -› vgl. Abschnitt 15.3.2, S. 281 In der Vorlesung steht die Vermittlung fachlichen Wissens im Vordergrund. Die grundlegenden Arbeitstechniken, die zur Lösung einer Rechtsklausur notwendig sind, werden dagegen oft nur unzureichend oder gar nicht behandelt. Da in der Klausur die Beherrschung dieser Fähigkeiten jedoch oftmals auch vom „Nichtjuristen“ verlangt wird, werden in diesem Kapitel kurz die Grundzüge der juristischen Gutachtentechnik erläutert. Es kann sich dabei natürlich nur um Hinweise, nicht um Patentrezepte handeln, doch sollten sie Ihnen helfen, mit einer juristischen Klausur besser zu Recht zu kommen. Die typische Rechtsklausur folgt weder dem Frage-Antwort-Schema noch handelt es sich um Multiple-Choice-Tests. Die bloße Wiedergabe von erlerntem Wissen genügt deshalb in der Regel nicht. Sie bekommen vielmehr einen Fall vorgelegt, den Sie lösen müssen. Dabei können Sie zwar auf erlerntem Wissen aufbauen, oft müssen Sie aber auch zu unbekannten Rechtsfragen Stellung nehmen. Mit dem bloßen Auswendiglernen des Stoffes ist es daher nicht getan, wichtiger ist, dass Sie ihn auch verstehen. Denn nur dann sind Sie in der Lage, mithilfe ihres Wissens und dem Gesetz tragfähige Lösungen zu entwickeln. 15.1 Allgemeine Hinweise Lösungsaufbau. Bauen Sie Ihre Lösung logisch und klar strukturiert auf. Dann ist sie nicht nur für den Korrektor leichter nachzuvollziehen, sondern Sie vermeiden es auch, sich in Ihrer eigenen Klausurlösung zu „verheddern“. Lösungsskizze. Bevor Sie mit der Niederschrift der Klausurlösung beginnen, sollten Sie eine Lösungsskizze anfertigen. Dadurch fällt es leichter den Überblick über die zu behandelnden Rechtsprobleme zu behalten und mögliche Fehler rechtzeitig zu entdecken. 277 <?page no="277"?> 15 Klausurtechnik und Gutachtenstil Schwerpunktsetzung. Setzen Sie Schwerpunkte. Unproblematisches und Selbstverständlichkeiten dürfen nicht mit der gleichen Ausführlichkeit behandelt werden wie die zentralen Probleme der Klausur. Argumentieren Sie nachvollziehbar. Die Argumentationskette darf keine Lücken aufweisen. Nur so können Sie den Leser von Ihrem Ergebnis überzeugen. Sprache. Bemühen sie sich um gutes Deutsch, korrekte Grammatik und vermeiden Sie gekünstelte Begriffe ebenso wie lange, komplizierte Schachtelsätze. Juristische Fachbegriffe. Achten Sie auf die korrekte Verwendung juristischer Fachausdrücke. Die Sprache ist das Handwerkzeug der Juristen, daher ist die genaue Bedeutung eines Wortes oft entscheidend. Beispiel Umgangssprachlich mögen „Besitz“ und „Eigentum“ gleichbedeutend sein, rechtlich handelt es sich jedoch um zwei völlig unterschiedliche Begriffe. Gesetzliche Vorschriften. Zitieren Sie die verwendeten Vorschriften möglichst genau (§, Abs., S., Nr./ Ziff.). Gliederung. Juristen - und der Korrektor Ihrer Klausur wird in der Regel Jurist sein - legen großen Wert auf eine gute Gliederung der Arbeit. Schreiben Sie daher nicht ausschließlich Fließtext, sondern verwenden Sie Überschriften, Absätze und nummerieren Sie die einzelnen Gliederungspunkte. 15.2 Die Besonderheiten des Gutachtenstils Bei der Bearbeitung der Klausur genügt es meistens nicht, wenn die Lösung einfach niedergeschrieben wird, es muss in einer ganz bestimmten Art und Weise geschehen - im so genannten Gutachtenstil. Der Gutachtenstil dient dazu, juristische Ausarbeitungen auch für den Laien verständlich zu machen. Eine Klausurlösung ist dann gut, wenn auch ein Leser ohne juristische Kenntnisse nachvollziehen kann, warum Sie zu einem bestimmten Ergebnis gekommen sind. Damit der Leser den Lösungsweg Schritt für Schritt verfolgen kann, beginnt man daher die nicht mit dem Ergebnis sondern mit der Frage (Obersatz) und gelangt über Zwischenergebnisse zur Antwort (Schlussfolgerung). Schließlich weist der Gutachtenstil auch eine grammatikalische Besonderheit auf - man formuliert nämlich die problematischen Teile einer Klausurlösung im Konjunktiv. 278 <?page no="278"?> 15.3 Die Klausurlösung Beispiel „A könnte einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG für die Zeit seiner Krankheit haben. Voraussetzung dafür ist, dass. . . “ Im Gegensatz zum Gutachtenstil steht der in der Praxis von den Gerichten verwendete Urteilsstil. Hier steht das Ergebnis am Anfang und wird anschließend begründet. Beispiel „A hat einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG für die Zeit seiner Krankheit, denn. . . “ 15.3 Die Klausurlösung 15.3.1 Sachverhalt und Fallfrage Die Aufgabe eines Juristen - gleichgültig, ob Richter, Rechtsanwalt, Unternehmensjurist, o. ä. - ist es, einen Lebenssachverhalt rechtlich zu beurteilen. In der Praxis muss dieser Sachverhalt zunächst ermittelt werden, denn um eine rechtliche Beurteilung abgeben zu können, muss man erst einmal wissen, worum es eigentlich geht. Beispiel A sucht Rechtsanwalt R auf und erzählt ihm Folgendes: „Ich war im letzen Monat drei Wochen krank, eine richtig schlimme Lungenentzündung, wissen Sie. Ich hatte hohes Fieber, Atemnot und der Arzt hat mir strenge Bettruhe und Antibiotikum verordnet. Da konnte ich natürlich nicht arbeiten. Und dann schaue ich auf meinen Kontoauszug - keine Lohnzahlung! Ich habe natürlich sofort meinen Chef angerufen und der meinte, wenn ich nicht arbeite, gibt es auch kein Geld. Ich bitte Sie, das kann ja wohl nicht wahr sein! Ich bin jetzt seit über zehn Jahren dort angestellt und jetzt so etwas! “ Nachdem A seinem ersten Ärger Luft gemacht hat, wird Rechtsanwalt R ihm verschiedene Fragen stellen, um den Sachverhalt weiter aufzuklären, z. B.: In welchem Unternehmen arbeiten Sie und seit wann arbeiten Sie dort? Wie lange waren Sie krank geschrieben? Im Studium bekommen Sie dagegen einen Sachverhalt (Fall) vorgegeben und müssen aus diesem die relevanten Fakten herausfiltern. 279 <?page no="279"?> 15 Klausurtechnik und Gutachtenstil Lesen des Sachverhalts. Das richtige Lösen einer Klausur beginnt daher - so banal dieser Hinweis auch erscheinen mag - immer mit dem genauen Lesen des Sachverhalts. Denn eine Lösung kann nicht richtig sein, wenn bereits der Sachverhalt nicht verstanden wurde. Aufgabenstellung. Dann sollten Sie die Aufgabenstellung gründlich lesen um herauszufinden, welches Problem bearbeitet werden soll und worauf Sie beim erneuten Durchlesen des Sachverhaltes achten müssen. Denken Sie sich in den Fall und die Interessenlage der handelnden Personen hinein. Der Sachverhalt ist verbindlich. Auf keinen Fall dürfen Sie ihn nach eigenem Gutdünken abändern. Weder darf etwas hinzuinterpretiert werden, was im Sachverhalt nicht angesprochen wird, noch dürfen Angaben ignoriert werden, denn die meisten im Sachverhalt enthaltenen Informationen haben eine Bedeutung für den konkreten Fall und müssen in der Lösung verarbeitet werden. Auch wenn Ihnen der Sachverhalt daher noch so lebensfremd erscheinen mag, dürfen Sie ihn grundsätzlich nicht in Frage stellen (Ausnahme: offensichtliche Schreibfehler). Beispiel „Am Arbeitsplatz des A ist die Klimaanlage ausgefallen. Sein Arbeitgeber lässt sie aus Kostengründen nicht reparieren. Als die Temperatur im Sommer auf 40 ◦ C ansteigt, ziehen sich die Stahlträger in der Zimmerdecke zusammen und schließlich stürzt die ganze Decke ein, wobei A schwer verletzt wird. Hat A einen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen seinen Arbeitgeber? “ Dieser Sachverhalt deutet zwar auf mangelnde naturwissenschaftliche Kenntnisse des Klausurstellers hin, berechtigt Sie aber nicht, die Angaben eigenmächtig zu ändern. Nur Selbstverständlichkeiten dürfen vom Bearbeiter auch ohne Sachverhaltsangeben ergänzt werden. Beispiele Nachts ist es dunkel; Regen ist nass; der Einsatz eines Presslufthammers verursacht Lärm. Aussagen zur Rechtslage. Sind bereits im Sachverhalt Aussagen zur Rechtslage enthalten, müssen Sie sorgfältig unterscheiden: Stellt der Prüfer einen rechtlichen Fakt als gegeben hin, sollten Sie diesen Punkt nicht in Zweifel ziehen. Beispiel „A und B haben am 1.5.2007 einen wirksamen Arbeitsvertrag geschlossen.“ 280 <?page no="280"?> 15.3 Die Klausurlösung Äußern dagegen die handelnden Personen rechtliche Ansichten, dürfen Sie nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass diese tatsächlich korrekt sind. Oft gibt Ihnen der Klausursteller damit vielmehr den Hinweis, dass der angesprochenen Punkt in die Bearbeitung einzubeziehen ist. Beispiel „A behauptet, am 1.5.2007 sei ein wirksamer Arbeitsvertrag geschlossen worden.“ Skizze/ Zeittabelle. Kommen in einem Sachverhalt mehrere Personen oder verschiedene Zeitangaben vor, bietet sich eine Skizze bzw. Zeittabelle an, um sich die komplexen Vorgänge besser zu verdeutlichen. Außerdem hat dieses Vorgehen den Vorteil, dass Sie keine Person bzw. kein Ereignis übersehen. 15.3.2 Die rechtliche Prüfung Auch wenn Sie glauben, das wesentliche Problem der Klausur bereits nach dem Lesen des Sachverhalts erkannt zu haben und der Ansicht sind, Sie könnten die Lösung sofort aus dem Kopf niederschreiben, sollten Sie immer eine sorgfältige rechtliche Prüfung vornehmen. Gewiss wird ein Klausurfall einige bekannte Probleme aufweisen, doch dürfte er nur in den seltensten Fällen vollkommen mit einem bekannten Sachverhalt übereinstimmen. Und schon geringe Abweichungen können zu einer anderen Lösung führen. Verfallen Sie daher nie dem Irrglauben, die passgenaue Lösung bereits nach dem ersten Durchlesen des Sachverhaltes zu kennen! Aufbau einer Falllösung im Gutachtenstil • Obersatz (Konkrete Fragestellung) • Untersatz • Tatbestandsmerkmal/ Definition/ Subsumtion • Schlussfolgerung 15.3.2.1 Der Obersatz Der erste Schritt besteht immer darin, den sog. Obersatz zu formulieren, d. h. die Frage, die den Ausgangspunkt Ihres Gutachtens bildet. In den meisten Fällen handelt es sich um die Prüfung eines Anspruchs. Diese Art der Prüfung wird oft mit „Wer will was, von wem, woraus? “ umschrieben. Beispiel Der Klausurfall lautet: „Arbeitnehmer A konnte aufgrund einer schweren Lungenentzündung vier Wochen lang nicht arbeiten. Sein Arbeitgeber B zahlt ihm für diese Zeit keinen Arbeitslohn, 281 <?page no="281"?> 15 Klausurtechnik und Gutachtenstil da er die Auffassung vertritt, wer nicht arbeitet, bekommt auch kein Geld. Hat A einen Anspruch auf Zahlung des Arbeitslohnes für diese Zeit? “ Wer (A) will was (Lohnfortzahlung) von wem (B) woraus (Anspruchsgrundlage)? Als nächstes müssen Sie die für die Lösung relevante(n) Rechtsnorm(en) finden. Handelt es sich um die Prüfung eines Anspruches, müssen Sie also eine Vorschrift finden, die den gewünschten Anspruch gewährt (Anspruchsgrundlage). Beispiel A möchte Lohnfortzahlung trotz Krankheit. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG gibt einen solchen Anspruch, könnte also die passende Vorschrift sein. An dieser Stelle soll mit einem Irrtum aufgeräumt werden: Juristen lernen keine Gesetze auswendig! Dies wäre bereits in Anbetracht der schieren Menge an Gesetzen - sie variiert je nach Fachgebiet zwischen viel und kaum überschaubar - nicht möglich. Wenn ein Jurist wissen möchte, was im Gesetz steht, dann liest er nach. Auch juristische „Profis“ wie Richter oder Rechtsanwälte schauen immer wieder ins Gesetz, selbst dann wenn ihnen die Texte aus langjähriger Arbeit vertraut sind. Das sollte auch für Sie gelten. Wichtig ist vielmehr, dass Sie wissen, an welcher Stelle im Gesetz Sie die jeweilige Vorschrift finden können. Um zu vermeiden, in der Klausur unnötige Zeit beim Suchen zu verschwenden, sollten Sie sich daher bereits zuvor mit dem Aufbau des Gesetzestextes vertraut machen. Die meisten Prüfer gestatten auch Markierungen in den Gesetzestexten (z. B. mit Klebezetteln). Haben Sie eine Norm gefunden, die Ihrer Ansicht nach einschlägig sein könnte, nehmen Sie sich die Zeit, sie sorgfältig durchzulesen! Anderenfalls kann es Ihnen nämlich passieren, dass Sie z. B. einzelne Voraussetzungen oder Ausnahmeregelungen übersehen. Schließlich bilden Sie den Obersatz, den Sie Ihrer Prüfung voranstellen wollen. Dieser wird grundsätzlich im Konjunktiv formuliert. Beispiel „A könnte einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG haben.“ Geht es dagegen nicht um die Prüfung eines Anspruches, müssen Sie den Obersatz entsprechend anders formulieren. Im Arbeitsrecht betrifft dies vor allem die Kündigungsschutzklage. Erhebt ein Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage, ist sein Ziel nicht ein Anspruch, sondern das Gericht soll prüfen und feststellen, ob die Kündigung tatsächlich wirksam ist oder ob das Arbeitsverhältnis nach wie vor besteht. 282 <?page no="282"?> 15.3 Die Klausurlösung Beispiel „Dem Arbeitnehmer A wurde gekündigt und er hat Kündigungsschutzklage erhoben. Prüfen Sie, ob die Klage Aussicht auf Erfolg hat! “ Der Obersatz muss in diesem Fall lauten: „Die Klage hätte Aussicht auf Erfolg, wenn die Kündigung unwirksam wäre.“ 15.3.2.2 Der Untersatz Der so genannte Untersatz umfasst drei Arbeitsschritte - das Aufsuchen der von der Vorschrift aufgestellten Voraussetzungen, deren Definition und schließlich die Subsumtion. Herausarbeiten der Tatbestandsmerkmale. Zunächst müssen Sie die Voraussetzungen (sog. Tatbestandsmerkmale) herausarbeiten, die von der Norm aufgestellt werden. Sie müssen sich also die Frage stellen: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Rechtsfolge eintritt? Die meisten Tatbestandsmerkmale ergeben sich direkt aus der Norm selbst. Beispiel § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG „Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber. . . “ „Krankheit“ ist ein Tatbestandsmerkmal, das man direkt aus § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG entnehmen kann. Indirekte Anspruchsvoraussetzungen müssen aus der Norm abgeleitet werden. Beispiel Der Begriff „Arbeitnehmer“ in § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG bedingt das Bestehen eines Arbeitsvertrages mit dem Arbeitgeber, gegen den sich der Anspruch richtet. Schwieriger wird es bei den sog. ungeschriebenen Tatbestandsmerkmalen. Diese stehen nicht im Gesetz - entweder, weil der Gesetzgeber sie für so selbstverständlich ansah, dass er es überflüssig fand, sie extra aufzuschreiben, oder weil Rechtsprechung und Rechtswissenschaft im Laufe der Zeit Tatbestandsmerkmale entwickelten, die nicht im Gesetzestext zu finden waren. Da Ihnen in der Klausur jedoch in der Regel nur das Gesetz zur Verfügung steht, müssen Sie diese Tatbestandsmerkmale lernen. Beispiel § 123 Abs. 1 BGB: „Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.“ 283 <?page no="283"?> 15 Klausurtechnik und Gutachtenstil Die Täuschung muss stets auch rechtwidrig sein, dieses Tatbestandsmerkmal ist ungeschrieben, steht also nicht im Gesetzestext. Definition. Haben Sie die einzelnen Tatbestandsmerkmale ermittelt, müssen Sie sie definieren. Dieser Schritt ist zwingend notwendig, denn wenn Sie nicht wissen, welche Bedeutung ein Tatbestandsmerkmal hat, können Sie auch nicht entscheiden, ob es im Sachverhalt vorliegt. Natürlich gibt es Tatbestandsmerkmale, über deren Sinngehalt keine Zweifel bestehen, so dass langwierige Ausführungen vollkommen überflüssig wären. Viele Tatbestandsmerkmale sind jedoch nicht so einfach zu verstehen und bedürfen der Erklärung. Woher aber nehmen Sie die korrekte Definition? Zum Teil findet finden Sie sie ebenfalls im Gesetz (sog. Legaldefinition). Beispiel In § 2 Abs. 3 ArbZG wird der Begriff der Nachtzeit definiert: „Nachtzeit im Sinne dieses Gesetzes ist die Zeit von 23 bis 6 Uhr, in Bäckereien und Konditoreien die Zeit von 22 bis 5 Uhr.“ Die weitaus meisten Tatbestandsmerkmale - oft gerade jene, die besonders schwierig anmuten - werden im Gesetz nicht oder nur unzureichend definiert. Natürlich existieren auch für sie Definitionen, die von Rechtsprechung oder Rechtswissenschaft erarbeitet wurden und die in der einschlägigen juristischen Literatur nachzulesen sind. Diese Möglichkeit haben Sie jedoch in der Klausur nicht. Daher bleiben Ihnen nur zwei Möglichkeiten - entweder Sie lernen die Definitionen auswendig - was aufgrund der Menge nur für die Wichtigsten möglich ist - oder Sie üben, selbst brauchbare Definitionen aufzustellen. Dabei orientieren Sie sich nicht nur an der sprachlichen Bedeutung des zu definierenden Begriffes, sondern vor allem am Sinn und Zweck der Vorschrift: Was wollte der Gesetzgeber regeln und warum? Beispiel Wie würden Sie das Tatbestandsmerkmal „Krankheit“ -› vgl. § 3 EFZG definieren? Als ersten Anhaltspunkt können Sie die Bedeutung von „Krankheit“ im allgemeinen Sprachgebrauch heranziehen. Danach ist eine Krankheit eine Störung, etwas, das vom Normalzustand - der Gesundheit - abweicht. Hat „Krankheit“ in § 3 EFZG die gleiche Bedeutung? Um das herauszufinden, müssen Sie verstehen, was der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift bezweckte. Warum soll ein Arbeitnehmer, der aufgrund einer Krankheit nicht arbeiten kann, dennoch Lohn bekommen? Die Antwort ist bei verständiger und lebensnaher Betrachtung recht schnell gefunden: Der kranke Arbeitnehmer soll nicht plötzlich seine finanzielle Lebensgrundlage verlieren. Wenigstens für einen gewissen 284 <?page no="284"?> 15.3 Die Klausurlösung Zeitraum soll der (in der Regel finanzstärkere) Arbeitgeber aufgrund seiner sozialen Verantwortung für den Arbeitnehmer den Arbeitslohn weiterzahlen müssen und damit gleichzeitig auch die Krankenkasse entlasten. Legt man diesen Gedanken zugrunde, dann kann der Begriff Krankheit auch im Sinne von § 3 EFZG nur etwas Regelwidriges, d. h. eine Störung des körperlichen oder geistigen Zustandes sein, die den Arbeitnehmer an der Arbeit hindert. Denn nur dann ist es gerechtfertigt, dem Arbeitgeber eine Zahlungspflicht aufzuerlegen. Das altersbedingte Nachlassen der Kräfte oder eine (normal verlaufende) Schwangerschaft sind also keine Krankheiten, denn sie sind nicht regelwidrig. Subsumtion. Haben Sie die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals geklärt, können Sie zur Subsumtion übergehen, d. h. Sie untersuchen, ob das Tatbestandsmerkmal auch im vorliegenden Sachverhalt erfüllt ist oder nicht. Wichtig ist, dass Sie Ihr Ergebnis mit Hilfe der Angaben im Sachverhalt begründen. Auf diese Art und Weise prüfen Sie alle erforderlich Tatbestandsmerkmale. Beispiel „A könnte einen Anspruch auf Entgeltsfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG haben (Obersatz). Voraussetzung dafür ist, dass er aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig war. Eine Krankheit ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der behandelt werden muss (Definition). Wie sich dem Sachverhalt entnehmen lässt, hatte A eine Lungenentzündung. Diese stellt eine Störung der körperlichen Gesundheit dar. A litt daher an einer Krankheit (Subsumtion).“ 15.3.2.3 Schlussfolgerung Im letzten Schritt treffen Sie die Feststellung, ob alle erforderlichen Tatbestandsmerkmale auch im Sachverhalt vorliegen, denn nur dann kann die vorgesehene Rechtsfolge eintreten. Beachten Sie aber, dass selbst bei Erfüllung aller Voraussetzungen der Eintritt der Rechtsfolge scheitern kann, wenn Einwendungen oder Einreden bestehen. Rechtsverhindernde Einwendungen. Rechtsvernichtende Einwendungen verhindern von vornherein, dass die Rechtsfolge eintritt. Beispiel Ein Vertrag ist sittenwidrig und daher von Anfang an nichtig. Rechtsvernichtende Einwendungen. Rechtsvernichtende Einwendungen vernichten einen bereits entstandenen Anspruch. 285 <?page no="285"?> 15 Klausurtechnik und Gutachtenstil Beispiel Der bereits geschlossene Vertrag wurde angefochten und dadurch vernichtet. Rechtshemmende Einreden. Rechtshemmende Einreden sorgen dafür, dass ein bestehender Anspruch nicht durchgesetzt werden kann. Beispiel Der Anspruch besteht zwar, ist aber verjährt und kann daher nicht mehr durchgesetzt werden, wenn der Schuldner die Verjährungseinrede erhebt -› vgl. § 214 Abs. 1 BGB . Schließlich geben Sie mit dem Schlusssatz die Antwort auf die von Ihnen als Obersatz aufgeworfene Frage, und beenden damit die rechtliche Prüfung. Beispiel Um die einzelnen Arbeitsschritte nochmals zu verdeutlichen, wird im Folgenden zu dem unter 15.3.1 aufgeführten Beispielsfall -› vgl. S. 279 eine kurze Lösungsskizze erstellt: A könnte einen Anspruch auf Entgeltsfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG haben. Die Voraussetzungen dafür wären, dass der A zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehört und die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erfüllt sind. 1. Arbeitnehmer A müsste zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören. Anspruchsberechtigt sind Arbeiter, Angestellte oder zur Berufsbildung Beschäftigter -› vgl. § 1 Abs. 2 EFZG . A ist laut Sachverhalt Arbeitnehmer des B und gehört damit zum anspruchsberechtigten Personenkreis. 2. Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit Weitere Voraussetzung ist, dass A aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig war. a) Krankheit? Eine Krankheit ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der behandelt werden muss. A litt an einer Lungenentzündung - einer Infektionskrankheit - einhergehend mit Fieber und Atemnot, also einem regelwidrigen körperlichen Zustand. Er musste auch ärztlich behandelt werden. A litt daher an einer Krankheit. b) Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit? A müsste aufgrund dieser Krankheit arbeitsunfähig gewesen sein. Arbeitsunfähigkeit infolge der Krankheit ist der Arbeitnehmer, wenn die Krankheit ihn außerstande setzt, die Arbeit zu verrichten oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, dass sich sein Zustand verschlimmert. A hatte zum einen Bettruhe verordnet bekommen und war schon aus diesem Grund arbeitsunfähig. c) Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Ursache der Arbeitsverhinderung Schließlich muss die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die Ursache dafür sein, dass der Arbeitnehmer nicht arbeiten kann. Das heißt, es darf keine anderen Gründe - z. B. Feiertag - geben. 286 <?page no="286"?> Literatur Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit war die Ursache dafür, dass A seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen konnte, Hinweise auf andere Ursachen finden sich im Sachverhalt nicht. 3. Unverschuldete Arbeitsunfähigkeit Schließlich dürfte den Arbeitnehmer an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kein Verschulden treffen. Verschulden bedeutet in diesem Zusammenhang ein Verschulden des Arbeitnehmers gegen sich selbst. Der Arbeitnehmer müsste also in gröblicher Weise gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoßen haben. Da sich aus dem Sachverhalt keinerlei Hinweise ergeben, dass A seine Erkrankung selbst verschuldet haben könnte, ist auch diese Voraussetzung erfüllt. 4. Wartezeit Der Anspruch entsteht erst, wenn das Arbeitsverhältnis seit vier Wochen ununterbrochen bestanden hat -› vgl. § 3 Abs. 3 EFZG . Da A bereits seit über zehn Jahren bei B angestellt ist, ist die Wartezeit abgelaufen. Da alle von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG vorgeschriebenen Tatbestandsmerkmale auch im Sachverhalt erfüllt sind, würde Ihr Schlusssatz lauten: A hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Literatur Möllers , T. [2005]: Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliches Arbeiten, 3. Aufl., München, S. 35-44 Tettinger , P. J. [2003]: Einführung in die juristische Arbeitstechnik, 3. Aufl., München, S. 86-175 287 <?page no="288"?> Übungsklausur 1 A ist seit fünf Jahren als Zugbegleiter bei der B-AG angestellt. Seine Aufgabe ist es, im Speisewagen Bestellungen entgegenzunehmen, Speisen und Getränke zu servieren und zu kassieren. Bei einer Routinekontrolle am 1.10.2007 wurde auch die Tasche des A überprüft, nachdem er nach Dienstende aus dem Zug gestiegen war. Dabei wurden folgende Dinge gefunden: drei Kaffeebecher aus Porzellan (à 1,50 € ), zwei Packungen Schinken (à 1,98 € ) und eine 1l-Flasche Sonnenblumenöl (à 2,50 € ). Die Tassen und der Schinken stammen aus dem Küchenbestand der B- AG und A gibt sofort zu, sie gestohlen zu haben. Woher die Flasche Öl stammt, lässt sich nicht klären, A behauptet, sie sei ein Geschenk für seine Frau. Am 4.10.2007 wird der Betriebsrat zu der vom Arbeitgeber geplanten außerordentlichen Kündigung angehört und widerspricht der Kündigung. Am 25.10.2007 kündigt die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis schriftlich wegen des Diebstahls fristlos. A ist der Ansicht, die Kündigung müsse unwirksam sein: Zum einen stelle eine fristlose Kündigung eine vollkommen überzogene Reaktion auf solch ein geringfügiges Vergehen dar, zum anderen habe der Betriebsrat der Kündigung widersprochen. Er möchte daher eine Kündigungsschutzklage erheben und möchte wissen, ob die Klage Aussicht auf Erfolg hätte. 1 Angelehnt an BAGE 92, S. 184 = NZA 2000, S. 421. 289 <?page no="289"?> Antworten Kapitel 2 1. Das Erbringen einer Dienstleistung für einen anderen auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages in abhängiger Stellung. -› vgl. Abschnitt 2.2, S. 19 2. Arbeitsvertragsrecht und Arbeitsschutzrecht. -› vgl. Abschnitt 2.3.1, S. 20 3. Dem Einzelnen steht es grundsätzlich frei, ob und mit wem er einen Vertrag abschließt und welchen Inhalt der Vertrag hat. Auch im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit, allerdings wird er durch arbeitsrechtliche Regelungen eingeschränkt. -› vgl. Abschnitt 2.4.3, S. 23, 24 4. Aufgabe des Arbeitsrechts ist zum einen die Einschränkung der Privatautonomie, speziell der Vertragsfreiheit, zum anderen die Schaffung eines Interessenausgleichs zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. -› vgl. Abschnitte 2.4.3, S. 24, und 2.5, S. 26 Kapitel 3 1. Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften einschließlich der Anhänge, Protokolle und Vertragsänderungen -› vgl. Abschnitt 3.1.8, S. 33 2. Die Richtlinie bindet die Mitgliedsstaaten, die sie in nationales Recht umsetzten müssen; eine Verordnung gilt demgegenüber direkt und hat auch Wirkung für den einzelnen. -› vgl. Abschnitt 3.1.9, S. 34 3. A hat Unrecht. Ein Recht auf Arbeit ergibt sich weder aus dem GG noch aus den Verfassungen der einzelnen Bundesländer. Die entsprechenden Passagen in den Verfassungen stellen lediglich Programmsätze dar. -› vgl. Abschnitt 3.2, S. 37 4. Es stehen sich zwei Grundrechtsträger gegenüber, die sich beide auf ihre Grundrechte berufen können, so dass es zu einer „Kollision“ käme. Zudem ist die Ausgangssituation eine andere: Während der Staat aufgrund seiner hoheitlichen Befugnisse einseitig in die rechtlichen Verhältnisse eines Privaten eingreifen kann, gehen Privatpersonen untereinander rechtliche Beziehungen auf freiwilliger Basis ein. -› vgl. Abschnitt 3.2.2.1, S. 39 5. Einseitig zwingende Regelungen können nur zugunsten des Arbeitnehmers Änderungen erfahren; handelt es sich um beidseitig zwingendes Recht ist eine abweichende Regelung überhaupt nicht möglich. -› vgl. Abschnitt 3.3.3.1, S. 47 290 <?page no="290"?> Kapitel 4 6. Arbeitsbedingungen, die bereits in einem Tarifvertrag geregelt sind dürfen grundsätzlich nicht in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden -› vgl. § 77 Abs. 3 BetrVG (Tarifvorbehalt) . Eine Ausnahme ist allerdings möglich, wenn der Tarifvertrag dies gestattet. -› vgl. Abschnitt 3.5, S. 49 7. Die rangniedere Regelung geht einer ranghöheren vor, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist. Für Konkurrenzen auf der gleichen Rangstufe ist das Günstigkeitsprinzip nicht anwendbar. -› vgl. Abschnitt 3.8.2, S. 52 Kapitel 4 1. Der Arbeitnehmer kann seine Tätigkeit und Arbeitszeit nicht frei bestimmen und ist in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert. -› vgl. Abschnitt 4.1.1.2, S. 59 2. Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils, Übergang auf einen anderen Inhaber und Übergang durch ein Rechtsgeschäft. -› vgl. Abschnitt 4.3.2, S. 63 3. Ein Betriebsübergang muss durch ein Rechtsgeschäft erfolgen, vorliegend hat A den Betrieb jedoch geerbt! -› vgl. Abschnitt 4.3.2.3, S. 67 4. Die nicht ordnungsgemäße Unterrichtung hat keine Auswirkungen auf den Betriebsübergang selbst, allerdings beginnt das Widerspruchsrecht der betroffenen Arbeitnehmer nicht zu laufen. -› vgl. Abschnitte 4.4.2.1, S. 69, und 4.4.2.2, S. 70 5. Während sich die Gewerkschaft um die Belange der gesamten Branche kümmert, ist es Aufgabe des Betriebsrates die Interessen der Arbeitnehmer des einzelnen Betriebes zu schützen. -› vgl. Abschnitt 4.6, S. 75 6. Leitende Angestellte. Sie werden vom Sprecherausschuss vertreten. -› vgl. Abschnitte 4.6, S. 75, und 4.10, S. 77 7. Die Arbeitnehmer (und Gewerkschaften) sollen wirtschaftlich belastet werden um auf diese Weise den Streik abzukürzen. -› vgl. Abschnitt 4.12.2, S. 81 Kapitel 5 1. Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer auch nach seiner Wahl zum Betriebsrat zur Erbringung seiner Arbeitsleistung verpflichtet. Der Arbeitgeber muss allerdings auf die Betriebsratstätigkeit Rücksicht nehmen, mit steigender Beschäftigtenzahl ist eine bestimmte Anzahl Betriebräte völlige freizustellen. -› vgl. Abschnitt 5.2.1, S. 90 291 <?page no="291"?> Antworten 2. Der Wirtschaftsausschuss berät den Arbeitgeber und unterrichtet den Betriebsrat über die wirtschaftliche Situation. -› vgl. Abschnitt 5.3.5, S. 96 3. Nachdem der Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet wurde, hat er eine Woche Zeit, sich zu äußern -› vgl. § 99 Abs. 3 BetrVG . Gibt er bis zum Ablauf dieser Frist keine Stellungnahme ab, gilt die Zustimmung als erteilt, der Arbeitgeber kann die Maßnahme durchführen. Gleiches gilt, wenn der Betriebsrat ausdrücklich zustimmt. -› vgl. Abschnitt 5.3.6.7, S. 101 4. Der Betriebsrat kann den Ausspruch einer Kündigung nicht verhindern. Sein Widerspruch hat nur für den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers Bedeutung. -› vgl. Abschnitt 5.3.6.8, S. 104 5. Der Betriebsrat kann nicht die Ausschreibung eines einzelnen Arbeitsplatzes verlangen. Entweder werden alle Arbeitsplätze oder eine bestimmte Art Arbeitsplätze ausgeschrieben. -› vgl. Abschnitt 5.3.6.3, S. 99 6. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen gemeinsam handeln, anderenfalls ist die Entscheidung des Arbeitgebers unwirksam. -› vgl. Abschnitt 5.3.1.1, S. 93 7. Ablösung, Zeitablauf, Zweckerreichung, Aufhebungsvertrag, Kündigung. -› vgl. Abschnitt 5.4.3, S. 106 8. Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, die Kosten der Betriebsratsarbeit zu tragen -› vgl. § 40 BetrVG , und es ist ihm nicht gestattet, die Kosten der Betriebsratsarbeit auf die Arbeitnehmer abzuwälzen -› vgl. § 41 BetrVG . -› vgl. Abschnitt 5.2.3, S. 92 9. In einer Betriebsvereinbarung kann alles geregelt werden, was zum Aufgabengebiet des Betriebsrates gehört, die wichtigsten Gegenstände sind in § 88 BetrVG aufgezählt. -› vgl. Abschnitt 5.4.2, S. 106 10. Die Einigungsstelle ist jeweils mit der gleichen Anzahl Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter sowie einem unparteiischen Vorsitzenden besetzt und hat die Funktion einer innerbetrieblichen Schlichtungsstelle. -› vgl. Abschnitt 5.3.1.4, S. 94 Kapitel 6 1. Der Tarifvorbehalt dient dem Schutz der Tarifautonomie, anderenfalls würden der Einfluss der Gewerkschaften und der Verbandstarifvertrag praktisch ausgehebelt. -› vgl. Abschnitt 6.2, S. 116 2. Wurde im Arbeitsvertrag eine Regelung getroffen, die für den Arbeitnehmer günstiger ist, als die entsprechende Regelung im Tarifvertrag, kommt das Günstigkeitsprinzip zur Anwendung. -› vgl. Abschnitt 6.1, S. 115 292 <?page no="292"?> Kapitel 7 Kapitel 7 1. Nein, die Stellenanzeige ist noch kein Angebot, sondern lediglich die Aufforderung zur Bewerbung. Zum einen fehlt es in der Regel an der Bestimmtheit, zum anderen will der Arbeitgeber mit einer bloßen Stellenanzeige kein verbindliches Angebot abgeben, an welches er dann gebunden wäre. -› vgl. Abschnitte 7.1, S. 121, und 7.4.1, S. 130 2. Der Bewerber kann Schadenersatz bzw. eine Entschädigung verlangen -› vgl. § 15 Abs. 1, 2 AGG . Wäre er auch bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden, ist die Entschädigungssumme allerdings auf max. drei Monatsgehälter begrenzt. -› vgl. Abschnitt 7.1, S. 121 3. Die Frage nach den Software-Kenntnissen ist zulässig, die Frage nach dem Glauben und der Familienplanung dagegen nicht. Die Frage nach der Schwerbehinderung ist nach der Rechtsprechung des BAG (noch) zulässig. -› vgl. Abschnitt 7.3.2, S. 126 4. Ein Arbeitsvertrag muss nicht schriftlich geschlossen werden; es existiert keine gesetzliche Vorschrift, die den schriftlichen Abschluss eines Arbeitsvertrages vorschreibt. Allerdings können entsprechende Regelungen im Einzelfall z. B. in einem Tarifvertrag enthalten sein. -› vgl. Abschnitt 7.4.2.2, S. 132 5. Wenn der Arbeitsvertrag (oder die Arbeitsbedingung) mit dem Anstand unvereinbar ist; das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer abgewälzt wird; der Arbeitnehmer übermäßig vertraglich gebunden wird oder bei Wucher. -› vgl. Abschnitt 7.4.2.3, S. 134 6. Das Abschlussverbot verbietet bereits den Abschluss des Arbeitsvertrages, während ein Beschäftigungsverbot lediglich untersagt, den Arbeitnehmer eine bestimmte Tätigkeit verrichten zu lassen. -› vgl. Abschnitt 7.4.2.4, S. 136 Kapitel 8 1. Inhaltsirrtum, Erklärungsirrtum, Eigenschaftsirrtum und Übermittlungsirrtum. -› Beispiele vgl. Abschnitt 8.2.1.1, S. 142 2. Eine arglistige Täuschung liegt vor, wenn durch den Täuschenden rechtswidrig ein Irrtum über eine Tatsache erregt, verstärkt oder aufrechterhalten wird, der Täuschende arglistig handelt, d. h. wusste oder erkennen konnte, dass die Tatsache, über welche getäuscht wurde, für die andere Seite wesentlich war und wenn die Täuschung für den Abschluss des Vertrages wenigstens mitursächlich war. -› vgl. Abschnitt 8.2.2.1, S. 145 293 <?page no="293"?> Antworten 3. Nein. Vorstrafen muss der Bewerber nur mitteilen, wenn sie in einem Zusammenhang zur ausgeschriebenen Stelle stehen. Es handelte sich daher nicht um eine rechtswidrige Täuschung. -› vgl. Abschnitt 8.2.2.1, S. 145 4. Der Vertrag wird rückwirkend vernichtet. Probleme treten auf, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Anfechtung seine Arbeit bereits aufgenommen hatte, denn es ist nicht möglich, die Arbeitsleistung an sich wieder an den Arbeitnehmer herauszugeben -› vgl. § 812 Abs. 1 S. 1 BGB und über den Wert der erbrachten Arbeit wird es oft zum Streit kommen. Daher wurde die Lehre vom faktischen Arbeitsvertrag entwickelt. Der angefochtene Arbeitsvertrag wird für die Zeit bis zur Anfechtung so behandelt, als sei er wirksam gewesen, so dass für diesen Zeitabschnitt die Arbeitsleistung nicht wieder an den Arbeitnehmer herausgegeben werden muss. -› vgl. Abschnitt 8.2.3.2, S. 148 Kapitel 9 1. Der Arbeitgeber muss zum einen höherrangige Rechtsquellen, vor allem den Arbeitsvertrag bzw. Tarifvertrag beachten, zum anderen darf er das Weisungsrecht nur im Rahmen des billigen Ermessens ausüben -› vgl. § 315 BGB . -› vgl. Abschnitt 9.1.1.4, S. 154 2. Nein. Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich nicht verpflichtet, für einen Ersatz zu sorgen. Dies ist Sache des Arbeitgebers. -› vgl. Abschnitt 9.1.1.6, S. 157 3. Der Arbeitgeber des F ist dazu berechtigt. Auch wenn im Arbeitsvertrag kein ausdrückliches Wettbewerbsverbot enthalten ist, unterliegt der Arbeitnehmer während des bestehenden Arbeitsvertrages dem Wettbewerbsverbot nach § 60 HGB, das insoweit auf alle Arbeitnehmer anwendbar ist. -› vgl. Abschnitt 9.1.3, S. 159 4. Wenn eine Vergütung nicht vereinbart wurde, die erbrachte Dienstleistung den Umständen nach aber nur gegen eine Vergütung erwartet werden kann -› vgl. Abschnitt 9.2.1, S. 161 5. A hat einen Anspruch auf Beschäftigung, den er auch gerichtlich (Klage) geltend machen kann. -› vgl. Abschnitt 9.1.1, S. 151 Kapitel 10 1. Der Arbeitgeber muss folgende Punkte beachten: menschengerechte Gestaltung der Schichtarbeit; Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und Ausgleich im dafür vorgesehenen Zeitraum; Anspruch des Arbeitnehmers auf arbeitsme- 294 <?page no="294"?> Kapitel 11 dizinische Untersuchung; Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates -› vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ; Gewährung eines Ausgleichs (z. B. Zuschläge zum Arbeitsentgelt oder bezahlte Freitage) -› vgl. § 6 Abs. 5 ArbZG . -› vgl. Abschnitt 10.2.2, S. 174 2. Die Weisungen sind rechtlich nicht zulässig, denn es wird gegen das ArbZG verstoßen. Gemäß § 5 Abs. 1 ArbZG muss den Arbeitnehmern eine zusammenhängende Ruhezeit von täglich elf Stunden gewährt werden. Da S bis 23.25 Uhr beschäftigt ist und am nächsten Morgen bereits wieder um 7.45 Uhr im Büro sein soll, ist die Ruhezeit unterschritten. Die Ruhezeit darf zwar in bestimmten Branchen verkürzt werden, die Sekretariatsbereich einer Rechtsanwaltskanzlei gehört allerdings nicht dazu. -› vgl. Abschnitte 10.1.4, S. 171, und 10.1.5, S. 172 3. Es muss eine tägliche und eine wöchentliche Mindestarbeitszeit vereinbart werden, anderenfalls greifen die gesetzlichen Regelungen, wonach eine wöchentliche Mindestarbeitszeit von zehn und eine tägliche Mindestarbeitszeit von drei Stunden gilt -› vgl. § 12 Abs. 1 S. 3 und 4 TzBfG . Außerdem muss der Arbeitgeber die Mindestankündigungsfrist von vier Tagen einhalten. -› vgl. Abschnitt 10.2.3.2, S. 176 4. Die Arbeitnehmer haben im vierten Jahr keinen Anspruch auf Weihnachtsgeld, denn es ist keine bindende betriebliche Übung entstanden. Der Arbeitgeber zahlte zwar vorbehaltlos, jedoch immer unterschiedliche Summen, so dass es bereits an einer gleichförmigen Verhaltensweise fehlt. -› vgl. Abschnitt 10.3.4, S. 181 5. Eine Rückzahlungsvereinbarung wäre nicht zulässig. Die B erlangt durch die Bildungsmaßnahme keinen geldwerten Vorteil. Sie hat durch die Teilnahme am Lehrgang weder die Möglichkeit eine höheren Vergütung noch einen beruflichen Aufstiegs im Betrieb zu erreichen und auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind die erworbenen Kenntnisse nicht von Nutzen, da es sich um ein unternehmensinternes Abrechnungssystem handelt. -› vgl. Abschnitt 10.7.2.1, S. 192 Kapitel 11 1. Die Befristungsregelung a) ist unwirksam, da sachgrundlose Befristungen nach § 14 Abs. 2 TzBfG nur für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren zulässig sind. Befristungsregelung b) ist dagegen nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG (vorübergehender Arbeitskräftebedarf ) wirksam. -› vgl. Abschnitte 11.1.2, S. 198, und 11.1.3, S. 199 295 <?page no="295"?> Antworten 2. Die Befristung ist unwirksam. Verlängerungen sachgrundlos befristeter Verträge nach 14 Abs. 2 TzBfG müssen direkt an den ursprünglichen Vertrag anschließen. Hier wurde die Befristungsvereinbarung erst am 5.10.2007 geschlossen, obwohl der Arbeitnehmer über den 30.9.2007 hinaus gearbeitet hat. Es handelt sich damit nicht mehr um eine Verlängerung, sondern um einen neuen Arbeitsvertrag. Die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrages ist aber nicht möglich, wenn zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bereits früher ein Arbeitsverhältnis bestand. Die Befristung ist daher unwirksam. -› vgl. Abschnitte 11.1.3.2, S. 201, und 11.1.3.1, S. 200 3. Nein. Der Arbeitgeber kann den Wunsch der Arbeitnehmerin nur ablehnen, wenn einerTeilzeitbeschäftigung dringende betriebliche Gründe entgegenstünden -› vgl. § 8 Abs. 4 TzBfG . Die pauschale Ablehnung der Teilzeitarbeit an sich ist nicht möglich. -› vgl. Abschnitt 11.2, S. 203 4. Die Befristung des Arbeitsvertrages ist unwirksam, da eine sachgrundlose Befristung nicht möglich ist, wenn zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bereits in der Vergangenheit ein Arbeitsvertrag bestanden hat. Der Arbeitgeber kann wegen arglistiger Täuschung anfechten -› vgl. § 123 BGB und auf diese Weise den Arbeitsvertrag vernichten. -› vgl. Abschnitt 11.1.3.1, S. 200 Kapitel 12 1. Die Wartefrist von vier Wochen ist noch nicht abgelaufen, daher hat der Arbeitnehmer noch keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Diesen hat er erst ab dem ersten Tag der fünften Woche. -› vgl. Abschnitt 12.1.1.2, S. 214 2. Für die Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Lungenetzündung erhält der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt für die vollen sechs Wochen fortgezahlt. Die Zeiträume der Lebensmittelvergiftung und des gebrochenen Beins werden dagegen zusammengerechnet und der Arbeitnehmer erhält nur für insgesamt sechs Wochen Entgeltfortzahlung. Zwar handelt es sich um zwei verschiedene Krankheiten, diese überlappen sich jedoch. -› vgl. Abschnitt 12.1.2, S. 215 3. Der gesetzliche Urlaubsanspruch beträgt 12 Tage (24/ 6 = x/ 3). -› vgl. Abschnitt 12.2, S. 218 4. A muss keinen Urlaub nehmen, da sie aus einem persönlichen Grund an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert ist und daher gemäß § 616 BGB Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat. -› vgl. Abschnitt 12.4, S. 224 5. Das Angebot der Arbeitsleistung ist im Fall einer unrechtmäßigen Kündigung entbehrlich. -› vgl. Abschnitt 12.3.1, S. 222 296 <?page no="296"?> Kapitel 13 Kapitel 13 1. F muss für den Schaden haften. Anspruchsgrundlage ist § 280 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 611 BGB. Er hat fahrlässig gehandelt - ein sorgfältiger Fahrer hätte die Schneeketten aufgezogen - und dadurch eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis - seine Arbeit ordnungsgemäß auszuführen ohne dabei das Eigentum des Arbeitgebers zu beschädigen - verletzt. F muss auch im vollen Umfang haften. Die Voraussetzungen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs sind zwar erfüllt, doch F handelte mit grober Fahrlässigkeit, da er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße missachtet hat, als er trotz Warnhinweis ohne Schneeketten weiterfuhr. Verursacht der Arbeitnehmer den Schaden grob fahrlässig, haftet er alleine. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn ein Missverhältnis zwischen Schadenshöhe und Einkommen besteht und keine gröbste Fahrlässigkeit vorliegt. Von einem Missverhältnis zwischen Schadenshöhe und Einkommen ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer voraussichtlich nie in der Lage sein wird, den Schaden von seinem Lohn vollständig zu ersetzten. Der Schaden beläuft sich auf 12.000 € ; da F ca. 500 € im Monat zur Tilgung des Schadens beitragen kann, würde er bei Abzahlung in Raten zwei Jahre brauchen, um den Schaden zu tilgen. Dies ist zumutbar und angemessen, daher besteht keine Veranlassung für eine Haftungsmilderung. -› vgl. Abschnitt 13.1.1, S. 229 2. A muss nicht für den entstandenen Schaden haften, denn die gesetzliche Unfallversicherung kommt für den Schaden auf. Zwar hat A seinen Arbeitskollegen fahrlässig und rechtswidrig an Körper und Gesundheit verletzt und damit eine unerlaubte Handlung begangen, die eigentlich eine Schadenersatzpflicht nach sich zieht -› vgl. § 823 Abs. 1 BGB , es handelte sich jedoch um einen Arbeitsunfall -› vgl. § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII . Gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII ist seine Haftung daher ausgeschlossen. -› vgl. Abschnitt 13.1.2.2, S. 234 297 <?page no="297"?> Lösung zur Übungsklausur Die Kündigungsschutzklage hätte Aussicht auf Erfolg, wenn die außerordentliche Kündigung unwirksam wäre. 1 Vorliegen eines wichtigen Grundes? Voraussetzung für eine wirksame außerordentliche Kündigung -› vgl. § 626 BGB ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Ein wichtiger Grund besteht, wenn es dem Kündigenden unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen -› vgl. § 626 Abs. 1 BGB . 1.1 Der wichtige Grund muss an sich - also unabhängig vom konkreten Sachverhalt - dazu geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Als wichtiger Grund kommt die Verletzung einer vertraglichen Pflicht durch den Gekündigten in Betracht. Im vorliegenden Fall hat A einen Diebstahl begangen und dadurch eine vertragliche Nebenpflicht verletzt. Denn ein Arbeitnehmer hat alles zu unterlassen, was seinen Arbeitgeber schädigen könnte. Eigentums- oder Vermögensdelikte gegen den Arbeitgeber sind anerkanntermaßen geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Fraglich ist allerdings, ob auch der Diebstahl einer sehr geringwertigen Sache bereits ausreicht, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. So ist eine in erster Linie in der juristischen Literatur vertretene Meinung ist der Ansicht, dass der Diebstahl oder die Unterschlagung geringwertiger Sachen keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen könne. Nach Ansicht des BAG kommt es dagegen nicht darauf an, ob die gestohlene oder unterschlagene Sache einen hohen oder geringen Wert hatte, denn entscheidend ist der Verlust des für ein Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens. Ausschlaggebend für den Vertrauensverlust ist nicht der Wert der gestohlenen Sache, sondern der Diebstahl an sich. Auch der Diebstahl der geringwertigen Sache genügt daher als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. (Anmerkung: Auch wenn Ihnen die Rechtsprechung des BAG nicht bekannt ist, müssen Sie doch erkennen, dass die Tatsache, dass nur geringwertige Sachen entwendet wurden, ein Problem darstellt, für das Sie eine nachvollziehbare Lösung finden müssen! ) 298 <?page no="298"?> Lösung zur Übungsklausur 1.2 In einem zweiten Schritt ist zu untersuchen, ob es dem Arbeitgeber im konkreten Fall unzumutbar ist, den Arbeitnehmer wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Es dürfte der B-AG außerdem nicht zumutbar sein, den A bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist zu beschäftigen. Mangels anderweitiger Angaben im Sachverhalt ist von den gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB auszugehen. A ist seit fünf Jahren bei der B-AG angestellt, die Kündigungsfrist beträgt daher zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats -› vgl. § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB . Wäre es der B-AG zumutbar gewesen, A für diesen Zeitraum weiterhin zu beschäftigen? Auf der einen Seite ist hier natürlich das Interesse des A zu sehen, der seinen Arbeitsplatz nicht sofort verlieren, sondern wenigstens in den Genuss der Kündigungsfrist kommen möchte. Andererseits sind dem A jedoch nicht nur Lebensmittel und das bewegliche Zubehör des Speisewagens anvertraut, sondern, da er auch zur Abrechnung befugt war, auch finanzielle Mittel. Er hat also eine Position inne, die ganz besonderes Vertrauen erfordert. Nachdem dieses Vertrauen durch den Diebstahl zerstört wurde, ist es für die B-AG nicht zumutbar, den A bis zum Ende der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung liegt damit vor. 2 Anhörung des Betriebsrates Gemäß § 102 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören. Die Anhörung fand statt und der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Fraglich ist, ob dieser Widerspruch Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung hat. Gemäß § 102 Abs. 2 BetrVG hat der Betriebsrat im Falle einer ordentlichen Kündigung das Recht zum Widerspruch. Handelt es sich jedoch um eine außerordentliche Kündigung, besteht dieses Recht nicht. Der Betriebsrat konnte daher nicht wirksamen widersprechen; die Wirksamkeit der Kündigung wird durch den Widerspruch nicht beeinflusst. (Selbst im Fall der ordentlichen Kündigung kann ein Widerspruch des Betriebsrats den Ausspruch der Kündigung nicht verhindern.) 3 Schriftform der Kündigung Die gemäß § 623 BGB für eine Kündigung erforderliche Schriftform wurde beachtet. 299 <?page no="299"?> Lösung zur Übungsklausur 4 Kündigungserklärungsfrist Fraglich ist, ob die Kündigung innerhalb der von § 626 Abs. 2 BGB vorgeschrieben Frist erklärt wurde. Die Frist für die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung beträgt zwei Wochen und sie beginnt zu laufen, wenn der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Wird diese Frist versäumt, führt das zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Am Montag, dem 1.10.2007 hat die Arbeitgeberin erfahren, dass A einen Diebstahl begangen hat und hat damit von den der Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Frist beginnt gemäß § 187 Abs. 1 BGB am Dienstag dem 2.10.2007 und endet gemäß § 188 Abs. 2 BGB am Montag dem 15.10.2007. Die Kündigung wurde jedoch erst am 25.10. und damit weit nach Ablauf der Frist ausgesprochen. Die außerordentliche Kündigung ist daher unwirksam. 5 Ergebnis Eine Kündigungsschutzklage hätte Aussicht auf Erfolg. 300 <?page no="300"?> Glossar Akkordlohn Akkordlohn ist eine leistungsbezogene Lohnform. Bezugspunkt ist die vom -› Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsmenge, die z. B. nach Stückzahl bemessen wird. Aktienoption Durch eine Aktienoption werden -› Arbeitnehmern , insbesondere Führungskräften mittelbar oder unmittelbar Bezugsrechte für unternehmenseigene Aktien eingeräumt. Anstalt Eine Anstalt ist ein Bestand an sächlichen und persönlichen Mitteln, die in der Hand des Trägers (z. B. Staat, Gemeinden oder Bundesländer) einem bestimmten öffentlichen Zweck dienen. Arbeit Im Arbeitsrecht spricht man von Arbeit, wenn aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages in abhängiger Stellung eine Dienstleistung erbracht wird. Arbeitsbereitschaft Arbeitsbereitschaft ist nach der Definition des BAG die Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung. Die Übergänge zum -› Bereitschaftsdienst sind fließend. Arbeitgeber Arbeitgeber ist, wer die Arbeitsleistung des -› Arbeitnehmers kraft Arbeitsvertrages fordern kann und das Arbeitsentgelt schuldet, also alle natürlichen oder juristischen Personen, die jemanden in einem Arbeitsverhältnis abhängig beschäftigen. Arbeitnehmer Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter -› Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Arbeitslosengeld I Das Arbeitslosengeld ist eine Leistung der -› Sozialversicherung . Die Dauer des Anspruchs beläuft sich z.Z. bei älteren -› Arbeitnehmern (ab 55 Jahre) auf max. 18, bei allen anderen auf 12 Monate; die Höhe richtet danach, ob ein Kind vorhanden ist (67 %) oder nicht (60 % des pauschalen Nettoentgelts) -› vgl. § 129 SGB III . 301 <?page no="301"?> Glossar Auflösung durch das Gericht Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde, können sowohl -› Arbeitnehmer als auch -› Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses stellen -› vgl. § 9 KSchG . Aufsichtsrat Der Aufsichtsrat ist neben dem Vorstand und der Hauptversammlung das dritte notwendige Organ einer AG. Aufgabe des Aufsichtsrates ist die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstandes. Bereitschaftsdienst Ein -› Arbeitnehmer leistet Bereitschaftsdienst, wenn er sich außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom -› Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhält, um auf Abruf unverzüglich seine -› Arbeit aufzunehmen. Berufsgenossenschaft Berufsgenossenschaften sind die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung -› vgl. § 114 SGB VII . Man unterscheidet gewerbliche und landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften. Beweislast Grundsätzlich muss (in einem Rechtsstreit) diejenige Partei die Tatsachen beweisen, die ihre Sachverhaltsschilderung tragen. Bundesarbeitsgericht Das Bundesarbeitsgericht ist die oberste Instanz der Arbeitsgerichtsbarkeit mit Sitz in Erfurt (Thüringen). Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht ist der Gerichtshof des Bundes und gleichzeitig ein oberstes Verfassungsorgan. Es entscheidet letztverbindlich in Fällen, in denen es um bestrittene oder verletzte Verfassungsrechte geht. Sitz ist Karlsruhe. Bürgerliches Recht Bürgerliches Recht ist ein vor allem im BGB geregelter Teil des Privatrechts (Zivilrechts), der für jeden gilt. Einstweilige Verfügung Eine e. V. ist die einstweilige Anordnung eines Gerichts, mit welcher entweder ein Anspruch oder der Rechtsfrieden gesichert werden soll. Elternzeit Elternzeit (früher Erziehungsurlaub) soll erwerbstätigen Eltern die Betreuung und 302 <?page no="302"?> Glossar Erziehung ihres Kindes erleichtern. Neben der Möglichkeit zum Bezug von staatlichem Erziehungsgeld/ Elterngeld haben sie einen Anspruch gegen den -› Arbeitgeber auf unbezahlte Freistellung von der -› Arbeit . Entgeltumwandlung Entgeltumwandlung ist eine Form der Altersversorgung, bei der künftige Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen umgewandelt werden. § 1a BetrAVG gewährt dem -› Arbeitnehmer einen Anspruch gegen den -› Arbeitgeber auf Entgeltumwandlung, wodurch der Arbeitgeber in gewissem Umfang zur Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung verpflichtet ist. Familiengesellschaft Eine Familiengesellschaft ist eine Aktiengesellschaft, deren Aktionär eine einzelne natürliche Person ist oder deren Aktionäre untereinander verwandt oder verschwägert sind -› vgl. § 15 Abs. 1, 2 AO . Führungszeugnis (polizeiliches) Mit einem Führungszeugnis wird Auskunft über rechtskräftige strafrechtliche Verurteilungen gegeben, die im Zentralregister eingetragen sind. Allerdings werden in ein Führungszeugnis nicht alle Verurteilungen aufgenommen, die im Zentralregister enthalten sind. Genossenschaft Eine Genossenschaft ist eine Gesellschaft mit nicht geschlossener (also freier und wechselnder) Mitgliederzahl. Die Genossenschaft ist eine juristische Person; für Verbindlichkeiten der Genossenschaft haftet grundsätzlich nur das Genossenschaftsvermögen. Gerichtlicher Vergleich (Prozessvergleich) Ein Vergleich ist ein Vertrag, durch den ein Streit beigelegt oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, indem beide Parteien nachgeben. Ein Prozessvergleich ist ein Vergleich, der vor einem Gericht abgeschlossen wird, um einen Rechtsstreit beizulegen. Handlungsgehilfe Handlungsgehilfe ist, wer in einem Handelsgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste gegen ein Entgelt angestellt ist. Innerbetrieblicher Schadensausgleich Die Regeln des innerbetrieblichen Schadensausgleichs sind Grundsätze, die von der Rechtsprechung entwickelt wurden und die Haftung des -› Arbeitnehmers beschränken. 303 <?page no="303"?> Glossar Integrationsamt Das Integrationsamt ist als Behörde für Aufgaben nach dem Schwerbehindertenrecht (SGB IX) zuständig. Die Integrationsämter sind in den einzelnen Bundesländern kommunal oder staatlich. Interessenausgleich Ein Interessenausgleich ist ein Vertrag zwischen -› Arbeitgeber und Betriebsrat über eine vom Arbeitgeber geplante Betriebsänderung. Kapitalgesellschaft Bei einer Kapitalgesellschaft (AG, GmbH und -› KGaA ) steht für die Gesellschafter nicht die persönliche Mitarbeit sondern die Kapitalbeteiligung im Vordergrund. Die Gesellschafter können ihre Anteile grundsätzlich frei veräußern und haften nicht persönlich. Außerdem sind Kapitalgesellschaften als juristische Personen rechtsfähig. KG auf Aktien (KGaA) Eine Kommanditgesellschaft auf Aktien ist eine besondere Form der Aktiengesellschaft. Es gibt mindestens einen Gesellschafter, der den Gläubigern der KGaA unbeschränkt, d. h. auch mit seinem Privatvermögen haftet und außerdem Gesellschafter, die wie AG-Aktionäre nur am Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich zu haften. Körperschaft Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ein mitgliedschaftlich organisierter, rechtsfähiger Verband, der hoheitliche Aufgaben unter staatlicher Aufsicht eigenverantwortlich wahrnimmt. Körperschaften sind z. B. Gemeinden, Handwerks- oder Rechtsanwaltskammern. Kündigungsschutzklage Will ein -› Arbeitnehmer geltend machen, dass eine ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt war oder eine außerordentliche Kündigung rechtsunwirksam, muss er Kündigungsschutzklage am Arbeitsgericht erheben -› vgl. § 4 KSchG . Es handelt sich um eine Feststellungsklage; das Gericht stellt fest, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung aufgelöst wurde oder nicht. Lohnersatzleistungen Lohnersatzleistungen bezeichnen Geldleistungen, die den Ausfall des Arbeitsverdienstes in bestimmten Situationen ganz oder teilweise kompensieren sollen. Dazu gehören z. B. die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, das Krankengeld, das Mutterschaftsgeld, das Elterngeld, das -› Arbeitslosengeld . Mutterschutz(frist) Jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Das 304 <?page no="304"?> Glossar Mutterschutzgesetz gewährt während der Schwangerschaft und für einige Zeit nach der Entbindung umfassenden Schutz. Öffentlicher Dienst Öffentlicher Dienst ist jede Tätigkeit im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst unterscheidet man Arbeiter, Angestellte, Beamte, Soldaten und Richter. Personenverband, rechtsfähiger Ein Personenverband ist die Verbindung mehrerer Personen zu einer Einheit, die zwar keine juristische Person darstellt, dieser aber nahe steht. Postzustellungsurkunde (PZU) Die Zustellung eines Schreibens mit PZU bietet den sichersten Nachweis, dass der Empfänger das Schriftstück tatsächlich erhalten hat und wird daher grundsätzlich von Gerichten angewendet. Die PZU weist die Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger zu einem bestimmten Zeitpunkt nach. Prämienlohn Der Prämienlohn ist eine leistungsbezogene Lohnform. Die Leistung des -› Arbeitnehmers oder einzelne Aspekte hiervon werden gemessen und zu einer Bezugsleistung (Normalleistung) ins Verhältnis gesetzt. Sabbatical Sabbatical ist ein Arbeitszeitmodell, das dem -› Arbeitnehmer die Möglichkeit gibt, für längere Zeit aus dem Berufsleben auszusteigen (bezahlter Langzeiturlaub), obwohl das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Schwerbehinderung Behindert ist, wessen körperliche Funktion, geistigen Fähigkeit oder seelischen Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das jeweilige Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt -› vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX . Erreicht die Behinderung einen Grad von 50 % handelt es sich um Schwerbehinderung -› vgl. § 2 Abs. 2 SGB IX . Sozialplan Ein Sozialplan ist die Einigung zwischen -› Arbeitgeber und Betriebsrat über den Ausgleich oder die Milderung von (wirtschaftlichen) Nachteilen für die -› Arbeitnehmer infolge einer Betriebsänderung. Sozialversicherung(srecht) Die Sozialversicherung umfasst die gesetzliche Kranken-, Pflege-, Renten-, Unfall- 305 <?page no="305"?> Glossar und Arbeitslosenversicherung. Bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen besteht eine Versicherungspflicht. Stiftung Eine Stiftung ist eine einem bestimmten öffentlichen Zweck gewidmete Vermögensmasse. Überstunden Überstunden (Überarbeit, Überschicht) leistet ein -› Arbeitnehmer , der über die für sein Beschäftigungsverhältnis geltende Arbeitszeit hinaus arbeitet. Vergleichsmaßstab ist die regelmäßige Arbeitszeit, die im Tarifvertrag, der Betriebsvereinbarung oder dem Arbeitsvertrag festgelegt ist. Unternehmer Gemäß § 14 BGB ist jede natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt, Unternehmer. Verbraucherschutzvorschriften Ein Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung zu Zwecken vornimmt, die weder einer gewerblichen noch einer selbständigen beruflichen Tätigkeit dienen -› vgl. § 13 BGB . Schließen ein Verbraucher und ein -› Unternehmer einen Vertrag, dann ist im Zweifel der Verbraucher die schwächere Partei. Daher wird er durch eine ganze Reihe von Vorschriften besonders geschützt. Dazu zählt insbesondere das Widerrufsrecht -› vgl. § 355 BGB , durch das er sich unter bestimmten Voraussetzungen von einem geschlossenen Vertrag wieder lösen kann. Verfassung Die Verfassung sind alle geschriebenen und ungeschriebenen Rechtsregeln, welche die Grundlage eines staatlichen Gemeinwesens bilden. In der Bundesrepublik ist die Verfassung das Grundgesetz (GG). Wegerisiko Das rechtzeitige Erscheinen am Arbeitsplatz fällt als Wegerisiko in die Sphäre des -› Arbeitnehmers . 306 <?page no="306"?> Abbildungen Abb. 2.1 System des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Abb. 2.2 Arbeitsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Abb. 2.3 Kollektives Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Abb. 2.4 Mitbestimmung im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . 22 Abb. 3.1 Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Abb. 3.2 Europäisches Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . 36 Abb. 3.3 Zwingendes und dispositives Recht . . . . . . . . . . . . . 48 Abb. 3.4 Rangverhältnis der Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . 53 Abb. 4.1 Die fünf Säulen der Sozialversicherung . . . . . . . . . . . 84 Abb. 5.1 Beteiligungsrechte des Betriebsrates . . . . . . . . . . . . . 94 Abb. 5.2 Beteiligungsrechte in personellen Angelegenheiten . . . . . . 98 Abb. 5.3 Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Abb. 10.1 Arbeitszeitrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Abb. 14.1 Änderungskündigung Annahme . . . . . . . . . . . . . . . 265 Abb. 14.2 Ablehnung des Änderungsangebotes . . . . . . . . . . . . . 266 Abb. 14.3 Annahme unter Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 307 <?page no="307"?> Abkürzungen Abs. Absatz AG Aktiengesellschaft AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AktG Aktiengesetz Alt. Alternative AO Abgabenordnung AP Arbeitsrechtliche Praxis ArbSchG Arbeitsschutzgesetz Art. Artikel ASiG Arbeitssicherheitsgesetz AÜG Arbeitnehmerüberlassungsgesetz BAG Bundesarbeitsgericht BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts BB Betriebsberater (Zeitschrift) BBiG Berufsbildungsgesetz BEGG Bundeselterngeldgesetz BErzGG Bundeserziehungsgeldgesetz BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BetrAVG Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts BUrlG Bundesurlaubsgesetz BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts DB Der Betrieb (Zeitschrift) DrittelbG Drittelbeteiligungsgesetz 308 <?page no="308"?> Abkürzungen EFZG Entgeltfortzahlungsgesetz EG Europäische Gemeinschaft EGV EG-Vertrag EStG Einkommensteuergesetz EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof ff. folgende GewO Gewerbeordnung GG Grundgesetz GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung HGB Handelsgesetzbuch i. d. R. in der Regel JArbSchG Jugendarbeitsschutzgesetz KG Kommanditgesellschaft KGaA Kommanditgesellschaft auf Aktien KSchG Kündigungsschutzgesetz LAG Landesarbeitsgericht MitbestG Mitbestimmungsgesetz MontMitbestG Montanmitbestimmungsgesetz MuSchG Mutterschutzgesetz NachwG Nachweisgesetz NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nr. Nummer NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) NZA-RR NZA-Rechtsprechungsreport (Zeitschrift) OHG Offene Handelsgesellschaft RdA Recht der Arbeit (Zeitschrift) S. Satz, Seite SGB Sozialgesetzbuch SGB III Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung SGB IV Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung 309 <?page no="309"?> Abkürzungen SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung SGB VI Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung SGB VII Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung SGB IX Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen SprAuG Sprecherausschussgesetz StGB Strafgesetzbuch TVG Tarifvertragsgesetz TzBfG Teilzeit- und Befristungsgesetz VO Verordnung 310 <?page no="310"?> Literatur Arbeitsrecht Adomeit , K./ Mohr , J . [2007a]: Kommentar zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Adomeit , K./ Mohr , J . [2007b]: Benachteiligung von Bewerbern (Beschäftigten) nach dem AGG als Anspruchsgrundlage für Entschädigung und Schadenersatz, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 179-184 Annuss , G . [2007]: Arbeitsrechtliche Aspekte von Zielvereinbarungen in der Praxis, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 290 ff. Baeck , U./ Deutsch , M . [2007]: Arbeitszeitgesetz, Kommentar, 2. Aufl., München Benecke , M. [2003]: „Mobbing“ im Arbeitsrecht, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA-RR), S. 225 Bengelsdorf , P . [2001, 2002]: „Alkoholkonsum und verhaltensbedingte Kündigung“, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 993, sowie Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA-RR), S. 57 Däubler , W . [2006]: Arbeitsrecht, 6. Aufl., Frankfurt a. M. Däubler , W./ Bertzbach , M . [2007]: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Handkommentar, Baden-Baden Dietrich , T. u. a. (Hrsg.) [2007]: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 7. Aufl., München Fuchs , M. / Preis , U . [2005]: Sozialversicherungsrecht, Köln Göttling , W./ Neumann , M . [2007]: Leicht verständlicher Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA-RR), S. 281 Hanau , P./ Adomeit , K . [2005]: Arbeitsrecht, 13. Aufl., München Hanau , P. [2006]: Möglichkeiten und Grenzen der Vereinbarungen zur Dauer der Arbeitszeit, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Beil. Heft 1, S. 34 ff. Hohenstatt , K./ Schramm , N . [2007]: Neue Gestaltungsmöglichkeiten der Flexibilisierung der Arbeitszeit, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 238 ff. 311 <?page no="311"?> Literatur v. Hoyningen-Huene , G . [2007]: Betriebsverfassungsrecht, 6. Aufl., München Hümmerich , K . [2004]: Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag in einem sich wandelnden Arbeitsrecht, Neue Juristische Wochenschrift (NJW), S. 2921 Hümmerich , K. / Welslau , D . [2005]: Beschäftigungssicherung trotz Personalabbau, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 610 Junkers , A . [2007]: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Aufl., München Junkers , A . [1999]: Systembildung und Systemlücken im harmonisierten Arbeitsvertragsrecht, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 2 ff. Müller-Glöge , R . [2006]: Aktuelle Rechtsprechung zum Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Recht der Arbeit (RdA), S. 105 Richardi , R. [2006]: Kommentar zum BetrVG, 10. Aufl., München Riesenhuber , K./ Steinau-Steinbrück , R . [2005]: Zielvereinbarungen, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 785 ff. Rieble , V. [2005]: Kollektivwiderspruch nach § 613a VI BGB, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 1 Rieble , V./ Klebeck , U. [2006]: Strafrechtliche Risiken der Betriebsratsarbeit, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 758 Rolfs , C./ Clemens , F . [2004]: Entwicklungen und Fehlentwicklungen im Arbeitskampfrecht, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 410 Schiefer , B . [2005]: Betriebsbedingte Kündigung - Kündigungsursache und Unternehmerentscheidung, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA-RR), S. 1 Schmidt , I. [2004]: Die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Kosten der beruflichen Bildung - Umfang und Grenzen der Vertragsgestaltung, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S.1002 Singer , R . [2006]: Flexible Gestaltung von Arbeitsverträgen, Recht der Arbeit (RdA), S. 362 Schwab , B . [2006]: Die Schadenshaftung im Arbeitsverhältnis, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungsreport (NZA RR), S. 449 ff sowie S. 505 ff. Strick , K . [2000]: Die Anfechtung von Arbeitsverträgen durch den Arbeitgeber, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), S. 659 Ulmer , P./ Habersack , M./ Hensseler , M . [2006]: Mitbestimmungsrecht, Beckscher Kurz-Kommentar, 2. Aufl., München Wollenschläger , M . [2003]: Arbeitsrecht, 2. Aufl. Köln/ Berlin/ München 312 <?page no="312"?> Literatur Öffentliches Recht/ Europarecht Herdegen , M. [2006]: Europarecht, 8. Aufl., München Fastenrath , U./ Müller-Gerbes , M. [2004]: Europarecht, 2. Aufl., Stuttgart Maurer , H . [2005]: Staatsrecht, 4. Aufl., München Degenhardt , C . [2006]: Staatsrecht II Grundrechte, 9. Aufl., Heidelberg/ München/ Landsberg/ Berlin Bürgerliches Recht Brox , H. / Walker , W.-D. [2006]: BGB Allgemeiner Teil, 30. Aufl., München Kaiser , G . [2007]: Bürgerliches Recht, 11. Aufl., Heidelberg Köhler , H . [2005]: BGB Allgemeiner Teil, 29. Aufl., München Juristische Arbeitsweise Möllers , T . [2005]: Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliches Arbeiten, 3. Aufl., München, S. 35-44 Tettinger , P. J . [2003]: Einführung in die juristische Arbeitstechnik, 3. Aufl., München, S. 86-175 313 <?page no="313"?> Index Abfindung 268, 272, 273 Abmahnung 258 Abschluss des Arbeitsvertrages 130 Abschlussverbot 137 Akkordlohn 184 Allgemeine Geschäftsbedingungen 137 Alter - Diskriminierungsverbot 122 Änderungskündigung - Ablehnung 265 - Änderung der Arbeitsleistung 153 - Annahme 265 - Annahme unter Vorbehalt 265 - Begriff 264 - Betriebliche Übung 183 - Entgeltreduzierung 163 Anfechtung 142 - Aufhebungsvertrag 267 - Irrtum 142 - Rechtsfolgen 147 - Täuschung 145 - Verhältnis zur Kündigung 147 Annahmeverzug 159 - Begriff 222 - Voraussetzungen 222 Arbeit - Begriff 19 - Recht auf Arbeit 38 Arbeitgeber - Begriff 62 - Weisungsrecht 51 - Wechsel bei Betriebsübergang 62 Arbeitgeberverband 78 Arbeitnehmer - Abgrenzung 58 - Begriff 57 - Unselbständigkeit 59 - Verbrauchereigenschaft 61 Arbeitnehmerüberlassung 206 Arbeitskampf 79 - Aussperrung 81 - Fernwirkungen 82 - Streik 80 Arbeitslosenversicherung 84 Arbeitspflicht 151 - Einschränkungen 152 Arbeitsrecht - Individualarbeitsrecht 20 - Kollektives Arbeitsrecht 21 - Privatautonomie 23 - Rechtsquellen 29 - Systematik 19 - und Personalmanagement 17 Arbeitsschutzrecht 20 Arbeitsunfähigkeit 214 Arbeitsvermittlung 85 Arbeitsvertrag 50, 58 - Anfechtung 142 - Arbeitsvertragsrecht 20 - faktischer Arbeitsvertrag 148 - Formerfordernisse 132 - Nichtigkeit 141 - Zustandekommen 121 Arbeitszeit 154 - Arbeitszeitmodelle 173 - Arbeitszeitrecht 169 - Begriff 170 - Kurzfristige Flexibilisierung 175 - Langfristige Flexibilisierung 178 Arbeitszeugnis 268 - Wahrheitsgrundsatz 269 Aufhebungsvertrag 267, 273 - Beendigung der Betriebsvereinbarung 106 - Rechtsfolgen des Aufhebungsvertrags 267 314 <?page no="314"?> Index Aufklärungspflicht - des Arbeitgebers 128 - des Bewerbers 125 Aufsichtsrat - Drittelbeteiligung 109 - Mitbestimmungsgesetz 1976 108 - Montanmitbestimmungsgesetz 109 Ausbildung 208 Aussperrung 81 Beamte - Abgrenzung zu Arbeitnehmern 58 Beendigung - Arbeitsverhältnis 243 - Betriebsvereinbarung 106 Befristetes Arbeitsverhältnis 197 - Befristung mit Sachgrund 198 - Befristung ohne Sachgrund 199 - Kettenarbeitsverträge 209 - Verlängerung 201 - Zeitbefristung 197 - Zweckbefristung 198 Befristung - Zielvereinbarung 187 Benachteiligung - Beweislast 122 Bereitschaftsdienst 172 Berufsausbildung - Formerfordernis bei Kündigung 245 - Kosten 191 Berufsfreiheit 45, 191 Beschäftigung - Anspruch auf Beschäftigung im bestehenden Arbeitsverhältnis 151 Beschäftigungsanspruch - Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch 250 - Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG 250 Beschäftigungsgesellschaften 271 Beschäftigungsverbote 136, 152 Betrieb 74 - Betriebsteil 62 Betriebliche Altersversorgung 187 - Mitbestimmung 189 - Modelle 188 Betriebliche Übung 50, 181 Betriebsrat 75 - allgemeine Aufgaben 95 - Anhörung vor Kündigung 104 - Beteiligungsrechte 93 - Einigungsstelle 94 - Gesamtbetriebsrat 76 - Konzernbetriebsrat 76 - Voraussetzungen der Betriebsratsarbeit 90 - Wirtschaftsausschuss 97 Betriebsrisiko 223 Betriebsvereinbarung 49, 105 - Fortgeltung bei Betriebsübergang 71 Betriebsübergang 62 - Haftung des Erwerbers 73 - Inhaberwechsel 66 - Rechtsfolgen 67 - Unterrichtungspflicht 69 - Voraussetzungen 63 - Widerspruchsrecht 70 Bewerbung 124 - Vorstellungsgespräch 125 - Vorstellungskosten 125 Bewerbungsunterlagen 124 Bundesarbeitsgericht 29 Dienstvertrag 58 Direktionsrecht 130 Diskriminierung - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (Antidiskriminierungsgesetz) 122 - Mobbing 165 Diskriminierungsverbot - Schadenersatz 122 - Stellenausschreibung 122 Drittelbeteiligung 109 Drittwirkung der Grundrechte 40 Druckkündigung 264 Einigungsstelle 94 Einstellung - Abschluss des Arbeitsvertrages 130 315 <?page no="315"?> Index - Zustimmung des Betriebsrates 99 Elternzeit 198 Entgeltfortzahlung - Fortsetzungserkrankung 216 - im Krankheitsfall 213 Erholungsurlaub 218 - gesetzlicher Mindesturlaub 218 - Urlaubsentgelt 221 - Urlaubsgeld 221 - Übertragung des Urlaubs 220 ethnische Herkunft - Diskriminierungsverbot 122 Europäische Gemeinschaften 31 Europäische Kommission 32 Europäische Richtlinie 34 Europäische Union 30 Europäische Verordnung 34 Europäischer Gerichtshof 33 Europäisches Arbeitsrecht 33, 34 Europäisches Parlament 32 Europäisches Recht 30 Faktischer Arbeitsvertrag 148 Feiertagslohn 221 Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung 158 Fortsetzungserkrankung 216 Fragerecht des Arbeitgebers 126 Freistellung - Arbeitszeitmodelle 179 - eines Betriebsratsmitglieds 90 Freiwilligkeitsvorbehalt - Betriebliche Übung 183 - Zielvereinbarung 187 Freizügigkeit der Arbeitnehmer 33 Friedenspflicht 80 Fürsorgepflicht des Arbeitgebers 163 Gesamtbetriebsrat 76 Gesamtsozialversicherungsbeitrag 84 Gesamtzusage 188 Geschlecht - Diskriminierungsverbot 122 Gewerbeaufsicht 85 Gewerkschaft 75, 78 Gewerkschaftszugehörigkeit - Fragerecht des Arbeitgebers 127 Glaubensfreiheit 42 Gleichbehandlung - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 122 - von Gewerkschafts- und Nichtgewerkschaftsmitgliedern 118 Gratifikation 182, 187 Grundgesetz 37 Grundrechte 39 - Berufsfreiheit 45 - Eigentumsfreiheit 45 - Einwirkung über Generalklauseln 40 - Glaubensfreiheit 42 - Gleichheit 41 - Koalitionsfreiheit 44 - Meinungsfreiheit 44 - Menschenwürde 41 Günstigkeitsprinzip 52, 115 Haftung - bei Betriebsübergang 73 Haftung des Arbeitgebers - gegenüber Dritten 239 - gegenüber seinen Beschäftigten 238 Haftung des Arbeitnehmers 229 - gegenüber Arbeitskollegen 233 - gegenüber dem Arbeitgeber 229 - gegenüber Dritten 237 - innerbetrieblicher Schadensausgleich 230 Heimarbeit 213, 219 Individualarbeitsrecht 20 innerbetrieblicher Schadensausgleich 230 Integrationsamt 127, 253, 262 Interessenausgleich 271 Jugendarbeitsschutz 21, 170, 208 Koalitionsfreiheit 44, 78 Kollektives Arbeitsrecht 21, 22, 115 Konkurrenzverbot für Arbeitnehmer 160 Konzernbetriebsrat 76 316 <?page no="316"?> Index Krankengeld 216 Krankenversicherung 84 Krankheit 214 - andere Krankheit 216 - Entgeltfortzahlung 213 - Fortsetzungserkrankung 216 - krankheitsbedingte Kündigung 259 - Sportunfälle 215 Kündigung 264 - Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch 250 - Anhörung des Betriebsrates 104, 247 - außerordentliche 261 - betriebsbedingte 256 - Druckkündigung 264 - Formerfordernisse 245 - Kündigungserklärung 244 - Kündigungsfrist 245 - ordentliche 251 - Personenbedingte 259 - Sozialauswahl 257 - Verdachtskündigung 264 - Verhaltensbedingte 258 - Verhältnis zur Anfechtung 147 - von Betriebsratsmitgliedern 104 - Weiterbeschäftigungsanspruch 250 - Zugang der Kündigungserklärung 246 Kündigungsschutz - allgemeiner 255 - besonderer 253 - vereinbarter 253 Kündigungsschutzklage 104, 247, 250, 267, 273 Leben und Gesundheit 20, 21, 81, 163 Leiharbeit 134, 207 leitende Angestellte 75, 90, 169 Lohn 61, 62 - Lohnfortzahlung 213 - Tariflohn 180 Lohngleichheit 34 Lohnsteuer 85, 268 Lohnwucher 136 Massenentlassungen 97 Meinungsfreiheit 44 Mindestlohn 136 Mitbestimmung 89 - bei Kündigung 104 - in personellen Angelegenheiten 98 - in sozialen Angelegenheiten 95 - in wirtschaftlichen Angelegenheiten 96 - Mitbestimmungsrechte im engeren Sinn 93 - Unternehmensmitbestimmung 108 Mobbing 164 Mutterschutz 198, 199, 245 Nachtarbeit 174 Nachweisgesetz 133 Nachwirkung - der Betriebsvereinbarung 106 Nebenpflichten 151 - des Arbeitgebers 163 - des Arbeitnehmers 159 Negative Prognose 259 Neutralitätspflicht 81 Öffnungsklausel 116 Ordentliche Kündigung 251 Parteizugehörigkeit, Frage nach 127 Pause 171 Pensionsfond 189, 190 Pensionskasse 189, 190 Personalfragebogen 124, 129 Personalfreisetzung 273 Personalplanung 98 persönliche Hinderungsgründe 224 Persönlichkeitsrecht 96, 125, 129 Pflichtverletzungen 230, 231, 258 Probezeit 199 Prämienlohn 184 Psychologische Tests 129 Rahmenvereinbarung - Zielvereinbarung 185 Rangprinzip 52 317 <?page no="317"?> Index Rasse - Diskriminierungsverbot 122 Rat der Europäischen Union 32 Recht zur Lüge 128 Religion - Diskriminierungsverbot 122 Rentenversicherung 84, 187 Ruhepausen 171 Ruhezeiten 171 Rückzahlungsklausel - Aus- und Weiterbildungskosten 191 - Bindungsdauer 192 Schadenersatz - wegen Diskriminierung 122 - wegen Mobbings 164 - wegen Nichterfüllung der Arbeitspflicht 159 - wegen rechtswidrigem Streik 80 Schichtarbeit 174 Schmerzensgeld 164, 236, 239 Schmiergeldverbot 160 Schriftform 69 - Arbeitsvertrag 132 - der Befristung 202 - der Betriebsvereinbarung 106 - der Kündigung 245 Schwangerschaft 127, 253, 262 Schwerbehinderung 127, 219, 253, 262 Sittenwidrigkeit - der Kündigung 254 - des Arbeitsvertrags 134 Sozialauswahl 257 Sozialeinrichtungen 193 Sozialplan 272 Sozialstaatsprinzip 38 Sozialversicherung 84 Spitzenorganisation 78, 117 Sportunfälle 215 Stellenausschreibung 99, 121 Streik 80 Tarifautonomie 26, 117 Tarifbindung 180 Tarifvertrag 49, 78, 79 Teilurlaub 226 Teilzeitarbeit 174, 203 - Arbeit auf Abruf 176 Tendenzbetrieb 42, 127 Treuepflichten, nachvertragliche 270 Treupflicht des Arbeitnehmers 159 Überstunden 171 Unfallversicherung 84, 234, 235 Unselbständigkeit 59 Unternehmensmitbestimmung 108 Urlaub 218 Verbraucher 61 Verdachtskündigung 264 Versetzungsklausel 153, 156 Vertragsfreiheit 23, 136 Vorstellungskosten 125 Vorstrafen, Frage nach 126 Wahl des Betriebsrates 75 Wartezeit 214, 219 Weihnachtsgeld 183 Weisungsrecht 51, 59, 154, 171, 207 Weiterbildung 190 - Rückzahlung Weiterbildungskosten 191 Wettbewerbsverbot - nachvertragliches 270 - während des bestehenden Arbeitsverhältnisses 160 Widerrufsvorbehalt 187 Widerspruch - des Betriebsrates bei Kündigung 249 Widerspruchsrecht 70 Wirtschaftsausschuss 97 Wirtschaftsrisiko 135, 223 Zeitarbeit 206 Zeugnis 268 - polizeiliches Führungszeugnis 127 Zielvereinbarung 184 - Zielbestimmung 185 318 <?page no="318"?> Constanze Abig, Udo Pfeifer Crash-Kurs Wirtschaftsprivatrecht 2008, 336 Seiten, broschiert ISBN 978-3-8252-2959-7 Heinz Grossekettler, Andreas Hadamitzky, Christian Lorenz Volkswirtschaftslehre 2005, 336 Seiten mit zahlr. Abb. u. Tab., broschiert ISBN 978-3-8252-2710-4 Ulrich Kathöfer, Ulrich Müller-Funk BWL-Crash-Kurs Operations Research 2005, 252 Seiten mit 98 Abb., broschiert ISBN 978-3-8252-2712-8 Ekkehard von Knorring, Albrecht Bossert BWL-Crash-Kurs Makroökonomik 2006, 240 Seiten mit zahlr. Abb., broschiert ISBN 978-3-8252-2779-1 Jürgen Pesch BWL-Crash-Kurs Marketing 2005, 304 Seiten mit 37 Abb., broschiert ISBN 978-3-8252-2720-3 Wilhelm Schneider BWL-Crash-Kurs Finanzbuchführung 2., aktualisierte Auflage 2008, 352 Seiten mit zahlr. Abb., broschiert ISBN 978-3-8252-2713-5 Wilhelm Schneider BWL-Crash-Kurs Kosten- und Leistungsrechnung 2006, 364 Seiten, mit zahlr. Abb., broschiert ISBN 978-3-8252-2781-4 Ingolf Terveer BWL-Crash-Kurs Mathematik 2005, 350 Seiten mit 76 Abb., broschiert ISBN 978-3-8252-2715-9 Hans-Peter Wolf, Peter Naeve, Veith Tiemann BWL-Crash-Kurs Statistik aktiv mit R 2006, 382 Seiten mit zahlr. Abb., broschiert ISBN 978-3-8252-2780-7 Weiterlesen bei UTB Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de