Die Sozialstruktur Europas
0101
2009
978-3-8385-3145-8
UTB
Die Autoren stellen Europa in seiner Gesamtheit dar und zeigen die Europäisierung seiner Sozialstruktur auf.
Verwiebe und Mau erläutern, wie die Grenzen Europas konstituiert wurden und verdeutlichen den Zusammenhang zwischen der territorialen Ausdehnung und der europäischen Bevölkerung. Im zweiten Teil des Bandes fragen sie nach den Unterscheidungen (Arbeitsmarktregulierung, Bildungsinstitutionen, sozioökonomische Ungleichheiten etc.) innerhalb und zwischen den europäischen Ländern. Der dritte Teil bezieht sich auf neuere soziale Ungleichheiten im Prozess der europäischen Integration.
<?page no="1"?> UTB 3145 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich · Opladen · Farmington Hills facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft · Stuttgart Mohr Siebeck · Tübingen Orell Füssli Verlag · Zürich Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Steffen Mau, Roland Verwiebe Die Sozialstruktur Europas UVK Verlagsgesellschaft mbH <?page no="3"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ¨ uber http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8252-3145-3 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich gesch ¨ utzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzul ¨ assig und strafbar. Das gilt insbesondere f ¨ ur Vervielf ¨ altigungen, ¨ Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2009 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz und Layout: PTP-Berlin Protago-TEX-Production GmbH, Berlin (www.ptp-berlin.eu) Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm UVK Verlagsgesellschaft mbH Sch ¨ utzenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="4"?> Inhalt 1 Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . 7 Teil I: Das europäische Gesellschaftsmodell aus historischer Perspektive . 13 2 Gemeinsamkeiten und innereuropäischer Austausch . . . . . . . . . . 15 2.1 Territorialität, Grenzen und interne Strukturierung . . . . . . 15 2.2 Europa als Raum von gemeinsamen Werten . . . . . . . . . . . 22 2.3 Europa als Erfahrungs- und Lebensraum . . . . . . . . . . . . . 25 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1 Das europäische industriegesellschaftliche Modell . . . . . . . 30 3.2 Klassen und sozialstrukturelle Differenzierungen . . . . . . . . 38 3.3 Das europäische Sozialmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Teil II: Europäische Gesellschaften im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements . . . . . . . . . . . 53 4.1 Wohlfahrtsstaatsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4.2 Bildungsinstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.3 System der Arbeitsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5 Bevölkerung und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 5.1 Bevölkerungs- und Altersstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.2 Geburten- und Mortalitätsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . 93 5.3 Familienstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 6 Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 6.1 Wanderungsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 6.2 Bevölkerung mit Migrationshintergrund . . . . . . . . . . . . . 115 6.3 Migrationssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 7.1 Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und materieller Wohlstand 130 7.2 Erwerbsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 7.3 Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 7.4 Sektoraler und berufsstruktureller Wandel . . . . . . . . . . . . 141 7.5 Soziale Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 8 Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 8.1 Bildungsausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 8.2 Verteilung von Bildungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 8.3 Bildungsungleichheit innerhalb der EU-Mitgliedsländer . . . . 169 <?page no="5"?> 6 Inhalt 9 Soziale Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 9.1 Einkommensungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 9.2 Vermögensungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 9.3 Armut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 10 Lebensqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 10.1 Wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 10.2 Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 10.3 Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 10.4 Zeitverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Teil III: Europäische Vergesellschaftung und europäische Integration . . . . 233 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung . . . . . . . 235 11.1 Geschichte der europäischen Integration . . . . . . . . . . . . . 235 11.2 Institutioneller Integrationsmodus und Demokratiefähigkeit der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 11.3 Soziale Integrationsleistungen der EU . . . . . . . . . . . . . . . 246 12 Europäische Ungleichheitsdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 12.1 Neue Gruppen: Gewinner und Verlierer . . . . . . . . . . . . . . 255 12.2 Das innereuropäische Wohlfahrtsgefälle und die Rolle der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 13 Horizontale Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 13.1 Die Infrastruktur der horizontalen Europäisierung . . . . . . . 271 13.2 Transnationale Erfahrungen und Begegnungen . . . . . . . . . 275 13.3 Innereuropäische Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 14 Subjektive Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 14.1 Unterstützung für die Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . 296 14.2 Nationale und europäische Identität . . . . . . . . . . . . . . . . 302 14.3 Das Verhältnis der Europäer zueinander . . . . . . . . . . . . . 307 15 Fazit: Aufstieg einer europäischen Gesellschaft? . . . . . . . . . . . . . 313 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Verzeichnis der Schaubilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 <?page no="6"?> 1 Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen Definition Die Sozialstruktur ist die relativ dauerhafte Gliederung und Ordnung einer Gesellschaft nach soziologisch relevanten Merkmalen, d. h. nach vertikalen Statusabstufungen, wie sie in Begriffen wie Klasse, Schicht und Stand ausgedrückt werden, nach demografischen Merkmalen wie Geschlecht, Alter oder ethnische Zugehörigkeit und nach Dimensionen der Ungleichverteilung von Gütern und Positionen. In der Regel beschäftigt sich die Sozialstrukturanalyse mit sozialstrukturellen Dif- Sozialstruktur, Ungleichheitssoziologie und Nationalstaat ferenzierungen und Ungleichheiten innerhalb von Nationalstaaten. Zentrale Konzepte der Sozialstrukturforschung wie Klassen, Berufsgruppen, Einkommensverteilungen, Mobilität und Bildung sind innerhalb des nationalstaatlichen Rahmens entwickelt und auf ihn angewandt worden. Dabei arbeitet die Sozialstrukturforschung mit den Prämissen, dass es sich bei einer Nationalgesellschaft um ein integriertes Ganzes handelt, dass eine Gesellschaft Mitglieder hat, und dass es zwischen den gesellschaftlichen Gruppen geregelte soziale Beziehungen gibt. Ebenso beruhen die Maßstäbe und Vergleichsgesichtspunkte des Mehr oder Weniger, auf die die Ungleichheitsanalyse angewiesen ist, letztlich auf Vorstellungen einer nationalen Sozialstruktur. Historisch lässt sich sogar zeigen, dass die Entstehung moderner Konzepte der Ungleichheit eng mit dem Entstehen der Nationalstaaten verbunden war (Eder 1990). Allgemein kann gesagt werden, dass die Thematisierung sozialer Ungleichheit an die Unterstellung eines gemeinsamen Lebenszusammenhangs oder zumindest eines gemeinsamen Bezugsrahmens geknüpft ist (Hondrich 1984). »Anders ausgedrückt, nur wenn eine besondere gesellschaftliche Zusammengehörigkeit zwischen armen und reichen, gebildeten und ungebildeten, mächtigen und ohnmächtigen Individuen, Gruppen oder auch Regionen vorausgesetzt werden kann, kann die Ungleichheit zwischen ihnen (und eventuell auch: deren Überwindung) zu einem sinnvollen Thema werden. Ist dies nicht der Fall, so ist schwer einzusehen, was ein Arbeiter in Hamburg mit einem Arbeiter in Dresden, mit einer Hausfrau in Oberammergau oder mit einem Unternehmer in Berlin zu tun hat und warum sie alle in einer Ungleichheitsordnung einen Platz die Welt der Nationalstaaten und der »methodologische Nationalismus« einnehmen sollten.« (Kreckel 2004: 24) Die Welt der europäischen Nationalstaaten ist jedoch durch Prozesse der europäischen Integration, Globalisierung und Internationalisierung in Bewegung geraten. Mit der bisherigen Fokussierung auf die Nationalgesellschaft ist die Sozialstrukturforschung nicht in der Lage, diesen Prozessen gerecht zu werden. Wenn Wohlstandsgefälle Migrationsbewegungen auslösen oder Investoren wie Nokia aufgrund der Unterschiede im Entlohnungsniveau ein Werk von Bochum nach <?page no="7"?> 8 1 Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen Rumänien verlegen, dann geraten Zusammenhänge in den Blick, die über die nationalgesellschaftlichen Grenzen hinausweisen. Der Soziologie insgesamt wie auch der Ungleichheits- und Sozialstrukturforschung im Speziellen ist daher auch ein »methodologischer Nationalismus« vorgehalten worden (Bayer et al. 2008; Beck 1991; Giddens 1995; Wallerstein 1983), da sie oft unhinterfragt von einer Kongruenz von territorialen, politischen, kulturellen, ökonomischen und gesellschaftlichen Grenzen ausging und damit die Ausdehnung der Gesellschaft weitgehend mit dem staatlichen Territorium gleichsetzte (Beck 1997). Dieses Modell des territorial wie sozial abgeschlossenen Nationalstaates ist auch als »Container-Modell« bezeichnet worden (Agnew/ Corbridge 1995). Wir werden in diesem Studienbuch argumentieren, dass die Europäische Gemeinschaft eine wichtige neue Bezugsebene für die soziale Strukturierung ist. Durch die europäische Integration, also durch »Verflechtung, gegenseitige […] Abhängigkeit, Gemeinschaftsbildung und Solidarität« (Immerfall 2000: 487), wird ein neuer Raum sozialer Vergesellschaftung geschaffen, der bisher nationalstaatlich besetzte Handlungsbereiche neu definiert. Die EU ist nicht nur ein intergouvernementales Arrangement zur Harmonisierung von Marktordnungen, sondern ein »Herrschaftsverband eigener Prägung« (Lepsius 2000b: 201) mit starken sozialen Folgewirkungen für die Lebens- und Wohlfahrtschancen der Menschen in den Mitgliedsländern. Deshalb ist auch von der »Europäisierung nationaler Gesellschaften« (Bach 2000b) oder, spezieller für den hier thematisierten Bereich von der »Europäisierung der Sozialstrukturen« (Schäfers 1999) gesprochen worden. Eine umfassende soziologische Beschreibung der gesamtgesellschaftlichen Wirkungszusammenhänge, d. h. wie der wirtschaftliche, politische und soziale Einigungsprozess hinsichtlich einer europäischen Gesellschaftsbildung und Sozialstruktur wirkt, ist allerdings immer noch ein »Desiderat der Forschung« (Bach 2000a: 14). Die Europäisierung der Sozialstrukturen ist etwas grundlegend anderes als die Europäisierung versus Globalisierung Globalisierung der Sozialstruktur: Europa, oder spezieller die Europäische Union, tritt als neue Aggregationsebene in Erscheinung, die zwar die Nationalstaaten nicht ablöst, aber neue Formen der vertikalen und horizontalen Verflechtung hervorbringt. Einstmals tendenziell voneinander isolierte Bevölkerungen treten miteinander in Kontakt, Grenzen werden deinstitutionalisiert, Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen können frei zirkulieren, Arbeitsmärkte »europäisieren« sich, Bildungsinstitutionen werden vereinheitlicht, und die Europäische Union entwickelt regulative und redistributive Interventionsformen. Während die Globalisierungsperspektive davon ausgeht, dass sich die Möglichkeiten, durch Regierungshandeln auf die Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen Einfluss zu nehmen, drastisch verkleinern, fokussiert die Europäisierungsforschung auf eine neue Gestaltungsebene zwischen Nationalstaat und Weltgesellschaft (Bach et al. 2006; Beck/ Grande 2004; Outhwaite 2008; Rumford 2008). Jeder Sozialstrukturforscher, der sich des Themas Europa annimmt, muss sich der Frage stellen, welches die geeigneten Konzepte, Bezugsgrößen und Indikatoren einer Vermessung der europäischen Sozialstruktur sind. Dabei stellen sich <?page no="8"?> 1 Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen 9 zwei Alternativen: Entweder bezieht man sich auf die einzelnen Mitgliedsstaaten als die zentralen Zurechnungsebenen für soziale Ungleichheit und nimmt eine vergleichende Perspektive ein, oder man bezieht sich auf Europa als Ganzes. Innerhalb der auf Europa hin orientierten Sozialstrukturanalyse haben sich seit komparative Ansätze Mitte der 1990er-Jahre vor allem die komparativen Ansätze etabliert (siehe Boje et al. 1999; Crouch 1999; Glatzer 1993; Hradil/ Immerfall 1997; Immerfall 1995; Therborn 1995). Geeint sind sie durch den Versuch, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den europäischen Ländern herauszuarbeiten. Die komparative Forschung und auch das Berichtswesen der Europäischen Union haben in den letzten Jahrzehnten einen umfangreichen Bestand an Vergleichsdaten aufgebaut, der es ermöglicht, ganz verschiedene Aspekte der europäischen Gesellschaften vergleichend abzubilden. Durch die empirische Forschung ist beispielsweise mit dem Eurobarometer (EB), dem European Community Household Panel (ECHP) oder dem European Quality of Life Survey (EQLS) eine Vereinheitlichung von Instrumentarien und damit auch eine bessere Vergleichbarkeit vorangetrieben worden. Neben diesen komparativen Zugängen wird es zukünftig jedoch auch immer wichtig werden, auf die sich herausbildenden Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen den EU-Mitgliedsländern und ihren nationalen Gesellschaften Bezug zu nehmen (Kaelble 1987; 2005). Dies ist die Perspektive der soziologischen Europäisierungsforschung. Sie beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit durch Entgrenzung und Verflechtung und horizontale Europäisierung supranationale Vergemeinschaftung auch ein neuer Raum sozialer Interaktion herausgebildet wird, so dass nationale Sozialstrukturen nicht mehr als isolierte und unabhängige Einheiten betrachtet werden können. Die europäische Integration lässt sich demnach auch als ein Prozess der Relationierung nationaler Sozialstrukturen beschreiben (Abb. 1). In Wirtschaft und Politik wirken europäische Verflechtungsprozesse zunehmend unmittelbar in die nationalen Binnenverhältnisse ein, so dass von einer nationalen Handlungsautonomie nicht mehr ausgegangen werden kann. Weiterhin kommt es zu einem größeren Austausch und engeren sozialen Beziehungen zwischen den nationalen Gesellschaften. Zudem ist die Europäische Union selbst zum verteilungspolitischen Akteur geworden, der durch regulative wie auch distributive Maßnahmen ein innereuropäisches Management sozialer Ungleichheit vornimmt. Schließlich Wahrnehmung und Zurechnung sozialer Ungleichheit verschieben sich auch Horizonte der Bewertung und Bewältigung ungleicher sozialer Positionen und Verteilungen. Das Beziehungsgefüge, in welchem sich Menschen und Gruppen verorten, vergrößert sich. Beck und Grande (2004: 268) unterstreichen, dass mit dem Abbau der Grenzen das »explosive Potential europäischer Grenzen nicht etwa entschärft wird, sondern hervorzubrechen droht, weil die Wahrnehmungsbarrieren nationaler Unvergleichbarkeit abgebaut, also gleiche Ungleichheiten gleich bewertet und entsprechende Angleichungen eingeklagt werden«. Vor diesem Hintergrund muss die Sozialstrukturforschung die Europäisierung der Gesellschaften Europas mit erfassen. Dies bezieht sich auf die Verflechtungen und Wechselwirkungen zwischen den nationalen Gesellschaften und die Frage nach neuen Konflikt- und Spannungslinien, die spezifisch europäische <?page no="9"?> 10 1 Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen Abb. 1 | Die Relationierung nationaler Ungleichheits- und Sozialstrukturen Nationalstaat Europa Nationaler Container Supranationale Gemeinschaftsbildung Grenzen als Interdependenzunterbrecher Horizontale Verflechtung Invisibilisierung externer Ungleichheiten Wahrnehmung und Problematisierung europäischer Ungleichheit Nationale Umverteilung Europäisches Management sozialer Ungleichheit sind und durch einen ausschließlich nationalstaatlichen Bezug zur Zurechnungseinheit Nationalstaat nicht mehr verstanden werden können (Bach 2000c; Delhey 2005; Haller 1988; Immerfall 2006; Klausen/ Tilly 1997; Outhwaite 2008; Rumford 2008). Dieses Studienbuch stellt einen ersten Versuch dar, die Sozialstruktur Europas sowohl vergleichend darzustellen, als auch der Tatsache der zunehmenden Verflechtung zwischen den europäischen Gesellschaften Rechnung zu tragen - natürlich ohne dabei eine vollständige Darstellung eines abgeschlossenen Gegenstandbereiches bieten zu können. Mit jetzt 27 Mitgliedsländern und fast 500 Millionen Menschen ist die Mehrzahl der Länder und Einwohner Europas in die Europäische Union als Form der supranationalen Gemeinschaftsbildung einbezogen. Daher erscheint es uns gerechtfertigt, unseren Gegenstand, die europäische Sozialstruktur, in erster Linie über die gegenwärtige territoriale und mitgliedschaftliche Ausdehnung der Europäischen Union zu bestimmen. Die systematische Einbeziehung aller Mitgliedsländer der EU bietet die Möglichkeit, stärker auf Unterschiede im Ost-West-Vergleich einzugehen, als dies in vielen auf Westeuropa fokussierten Publikationen getan wird. Den Lesern wird auffallen, dass die Datenlage für die einzelnen Teilbereiche von unterschiedlicher Qualität ist. Amtliche und sozialwissenschaftliche Datenerhebungen weichen selten vom Nationalstaat als der zentralen Zurechnungseinheit ab, und die Versuche einer europäischen Sozialstrukturanalyse stecken noch in den Kinderschuhen. Dieses Studienbuch ist in drei größere Bereiche unterteilt. Zunächst beginnen wir mit einem historisch orientierten ersten Teil, welcher sich mit Fragen der territorialen und sozialen Ordnung Europas beschäftigt. Dabei wird dargestellt, auf welche Weise die Grenzen Europas konstituiert wurden und welche wechselnde Geografie damit verbunden ist. Zugleich wird der Zusammenhang zwischen territorialer Ausdehnung und der europäischen Bevölkerung deutlich gemacht. Im historischen Prozess stellt sich Europa keineswegs als einheitliche und in sich homogene Makroordnung dar, sondern als horizontal segmentiert. Maßgeblich dafür ist vor allem das nationalstaatliche Modell der Vergesellschaftung. Dennoch gilt für Europa, dass es eine ganze Reihe von europäischen Gemeinsamkeiten und <?page no="10"?> 1 Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen 11 Formen des Austausches gibt. So lässt sich ein europäisches industriegesellschaftliches Modell mit eigenen Sozial- und Erwerbsstrukturen, typischen institutionellen Ausformungen des Verhältnisses von Staat, Markt und Familie, spezifischen Formen sozialer Klassen und Klassenkompromissen identifizieren. Sowohl horizontale Verflechtungen wie auch die Herausbildung ähnlicher sozialer Strukturen stellen die Basis dafür dar, in Europa mehr als eine zufällige Anordnung geografisch benachbarter Länder zu sehen. Im zweiten Teil des Buches wird die komparative Perspektive eingenommen. Zunächst wenden wir uns der Charakterisierung unterschiedlicher institutioneller Arrangements und Ordnungsmodelle innerhalb Europas zu, so hinsichtlich wohlfahrtsstaatlicher Organisation, der Bildungsinstitutionen und der Systeme der Arbeitsbeziehungen. Im Anschluss werden die EU-Länder hinsichtlich ihrer demografischen Struktur, d. h. Bevölkerungs- und Altersstruktur, Geburten- und Mortalitätsentwicklung und Familienstrukturen, verglichen. Ein weiteres Kapitel widmet sich der Veränderung der Sozialstrukturen durch Wanderung und stellt das Wanderungsgeschehen und die Migrationssysteme dar. Im Kapitel zum Arbeitsmarkt werden die wirtschaftliche Wertschöpfung, die Erwerbsbeteiligung, die Entwicklung der Arbeitslosigkeit, der sektorale und berufsstrukturelle Wandel und die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt in den EU-Ländern dargestellt. Auf dieses Kapitel folgen Überlegungen zur Bildungsungleichheit in Europa. Anschließend geht es um klassische Parameter sozialer Ungleichheit wie Einkommen, geschlechtsspezifische Ungleichheiten, Vermögen und Armut. In einem letzten Kapitel des zweiten Teils werden ausgewählte Bereiche der Lebensqualität in den europäischen Ländern vergleichend dargestellt. Der dritte Teil bezieht sich auf neuere sozialstrukturelle Entwicklungen im Zusammenhang mit der europäischen Integration. Zwar ist die europäische Integration ein politisch initiiertes Großprojekt, aber sie zeitigt Folgen für die Lebensbedingungen und Lebenschancen von Individuen und verkoppelt nationale Ungleichheitsregime miteinander. Eingangs werden die institutionellen und politischen Rahmenbedingungen der Europäisierung vorgestellt. Im dem daran anschließenden Kapitel wird die Frage aufgeworfen, welches die neuen Ungleichheits- und Konfliktstrukturen sind, die im Zuge des Europäisierungsprozesses an Gewicht gewinnen. Im Kapitel 13 wird nach den Formen und der Dichte der horizontalen Europäisierung gefragt, also danach, wie sich ein europäischer Erfahrungs- und Sozialraum konstituiert. Schließlich geht es um die »subjektive Europäisierung«, also welche Rolle die Europäische Union bzw. Europa in den Köpfen der Bürger spielt. Unser Dank gilt allen, die das Entstehen dieses Buches unterstützt haben. Martin Groß und Holger Lengfeld danken wir für die Durchsicht des gesamten Buchs. Ihre Anregungen waren sehr wertvoll. Einzelne Kapitel wurden kritisch von Sonja Drobniˇc, Johannes Giesecke, Katja Marjanen und Patrick Sachweh kommentiert. Niels Winkler, Djubin Pejouhandeh und vor allem Patrick Präg danken wir für die große Unterstützung bei der Sammlung statistischer Daten, der Erstellung von <?page no="11"?> 12 1 Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen Grafiken und der Literaturrecherche. Mit Patrick Präg haben wir gemeinsam das Kapitel 10 verfasst. Er hat ebenfalls das gesamte Studienbuch kritisch durchgesehen. Teile der Abschnitte 13.1 und 13.2 gehen auf gemeinsame Publikationen von Steffen Mau und Sebastian Büttner zurück. Das Korrektorat des Textes haben Susanna Kowalik und vor allem Jana Fröbel besorgt. Schließlich möchten wir uns bei Sonja Rothländer von der UVK Verlagsgesellschaft Konstanz bedanken. Ohne ihr Interesse und ihre fachliche Beratung wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Berlin, September 2008 Steffen Mau Roland Verwiebe <?page no="12"?> Teil I: Das europäische Gesellschaftsmodell aus historischer Perspektive <?page no="14"?> 2 Gemeinsamkeiten und innereuropäischer Austausch Aus der gemeinsamen Geschichte, der geografischen Lage, den gemeinsamen zivilisatorischen Errungenschaften, den Ähnlichkeiten in Gesellschaft, Kultur und Politik, den dichten Formen von Verbundenheit und Austausch und den geteilten Werten bezieht die europäische Integration ihre Kraft und Legitimation. Die oft beschworene »Einheit in der Vielfalt« bezieht sich genau auf dieses Fundament an Gemeinsamkeiten, welches die Grundlage des Integrationsprozesses darstellt. In den nächsten Abschnitten sollen diese Bestände an Gemeinsamkeit dargestellt werden. Wir beginnen dabei mit der Territorialität und den Grenzen Europas, welche bis heute zu den schwierigsten Themen im europäischen Integrationsprozess gehören, weil sie auch die Fragen der Erweiterung der EU und möglicher neuer Beitrittsländer berühren. Zugleich wird gezeigt, welche internen und dauerhaften Differenzierungen sich im sozialen und ökonomischen Raum Europas herausgebildet haben. Daran anschließend wird die gemeinsame Wertebasis Europas charakterisiert, welche auch die Grundlage für Ideen der Integration und des Zusammenschlusses bildet. Im dritten Abschnitt geht es aus historischer Perspektive um Fragen der Vernetzung und Verflechtung innerhalb Europas. Dabei wird argumentiert, dass Europa trotz aller Verwerfungen auch immer ein Raum der sozialen Kommunikation und des Austausches war. 2.1 Territorialität, Grenzen und interne Strukturierung Definition Ein Territorium bezeichnet eine geografische Gebietseinheit, welche aufgrund topologischer, politischer oder sozialer Merkmale abgrenzbar ist. Im Völkerrecht bezeichnet Territorium das Hoheitsgebiet eines Staates. Historische Grenzziehungen Die Bestimmung der Grenzen des Kontinents Europas ist kein einfaches Unter- Europa als Konstrukt fangen. Aus historischer Sicht kann man die geografisch-topologische Bestimmung von der historisch-kulturellen Dimension unterscheiden (Haller 1988). Topologisch geht es zunächst um die Bestimmung einer territorialen Einheit, welche durch »Grenzen« von benachbarten Territorien abgegrenzt ist. Der aus dem Lateinischen kommende Begriff Kontinent bedeutet »zusammenhängendes Land«. Im heutigen Sprachgebrauch verwenden wir ihn vornehmlich für die <?page no="15"?> 16 2 Gemeinsamkeiten und innereuropäischer Austausch Bezeichnung eines Festlandes oder der Erdteile. Die territoriale Ausdehnung Europas wird im Westen vom Atlantischen Ozean, im Norden von der Nordsee und im Süden durch das Mittelmeer begrenzt. Nur im Osten gibt es keine klare morphologische Abgrenzung. Europa und Asien bilden eine zusammenhängende Landmasse und können auch als Großkontinent angesehen werden, der vornehmlich durch politische, kulturell-religiöse und ideologische Grenzziehungen aufgeteilt wurde. Die Landgrenze zwischen Europa und Asien ist historisch keineswegs stabil gewesen: Uneinheitliche und wechselnde Festlegungen gab es zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer. Die Griechen sahen den Bosporus und den Kaukasus als Grenzen Europas an. Im Mittelalter waren es dann der Bosporus und der Fluss Don. Über diese Grenzen entstanden politische und auch wissenschaftliche Auseinandersetzungen, die bis in die Neuzeit andauerten. Insbesondere die Zuordnung von Russland war unter den Geografen umstritten (Münkler 2005). Seit 1725 begannen sie verstärkt, die Landmasse am Ural in einen asiatischen und einen europäischen Teil zu untergliedern, obwohl das Gebirge nicht einmal als russische Provinzgrenze diente (Demel 2000: 16). Auf den mittelalterlichen Seekarten wurden die Umrisse des europäischen Kontinents schließlich für die Allgemeinheit sichtbar gemacht. Diese Abgrenzung von Asien spiegelte sich auch in einem Eurozentrismus der früheren europäischen Geschichtsschreibung wider, der den Einfluss Asiens auf die europäische Entwicklung als eher schwach ansah (Kühn 1976). Es schälte sich damit eine Vorstellung über die räumliche Ordnung der Welt heraus, in welcher Europa einen eigenständigen Platz innehatte. Heute markieren der Ural und das Uralgebirge, das Schwarze Meer, der Bosporus und das Marmarameer die Grenze zwischen Europa und Asien. Für die europäische Kultur- und Sozialgeschichte gilt, dass kein fester Begriff das Zusammenspiel religiöser und geografischer Grenzen von Europa existierte, welcher für verschiedene Epochen gleichermaßen Definitionsmacht beanspruchen konnte: Europa ist daher ein Konstrukt mit sehr unterschiedlichen historischen Bedeutungen (Landwehr/ Stockhorst 2004). In der Antike galt Europa vornehmlich als kartografischer Begriff, welcher zudem noch uneinheitlich bestimmt wurde. Im Mittelalter spielte der Begriff Europa keine große Rolle, man sprach eher von christianitas (Hiestand 1991). Viel wichtiger als die territorial-geografische Bestimmung von Gemeinsamkeit waren die Zugehörigkeit zur Kirche des Papstes und damit die kirchlich-religiöse Einheit und die Abgrenzung vom Orient. Dies gilt auch vor dem Hintergrund eines religiös gespaltenen Kontinents mit einem katholischen Westen und einem byzantinischen Osten. Die territoriale Strukturierung Europas Die Herausbildung des neuzeitlichen Europas vollzog sich in einer längeren historischen Phase und war durch zahlreiche Konflikte geprägt. Diese entstanden einerseits durch religiöse und weltanschauliche Differenzen, aber auch durch ungleiche Entwicklungsdynamiken in den einzelnen Regionen. So gab es dünn besiedelte Randzonen in Europa, die lange von zentralen Entwicklungen abgekoppelt <?page no="16"?> 2.1 Territorialität, Grenzen und interne Strukturierung 17 waren, und bevölkerungsreiche Kernzonen. Der Handel und die Kommerzialisierung wirtschaftlicher Beziehungen im 16. Jahrhundert sorgten zwar dafür, dass immer mehr Gebiete in ein Netz ökonomischer Verflechtung eingebunden wurden, aber auch schon zu dieser Zeit war Europa kein einheitliches und homo- Kerneuropa genes Gebilde. Das Deutsche Reich, die Schweiz, die Britischen Inseln, Frankreich und die Niederlande können in gewisser Hinsicht als »Kernraum« Europas angesehen werden, weil sie in kultureller, ökonomischer und politischer Hinsicht auf den Rest des Kontinents ausstrahlten (Demel 2000). Auch die italienischen Stadtstaaten zählen durch die Entwicklungen in Wirtschaft, Kunst und Kultur vom 13. bis zum 16. Jahrhundert zu den wichtigen Zentren. Dadurch kam es zu einer wechselseitigen Beeinflussung unterschiedlicher Regionen und die Unterschiede in den Lebensverhältnissen oder der wirtschaftlichen und sozialen Dynamik gaben Anlass zu verschiedenen Formen sozialer Mobilisierung. So erklären Historiker den Ausbruch der Französischen Revolution unter anderem mit der vergleichsweisen Rückständigkeit Frankreichs gegenüber dem Mutterland der Industrialisierung England. Das neue Bürgertum und das Proletariat der Städte schöpften ihre Unzufriedenheit und ihre politischen Forderungen auch aus dem Vergleich mit dem wirtschaftlich entwickelteren England (Hernstedt 1965). Es gibt zahlreiche Versuche, Europa in Makroregionen zu unterteilen, so durch Modell zentraler Orte die Erfassung von sozial, wirtschaftlich und kulturell verdichteten Räumen. Walter Christaller (1950), der Mitbegründer der modernen Regionalökonomie, hat in seinem Konzept die Funktionen und vielfältigen Vernetzungen zentraler Orte in den Mittelpunkt gestellt. Er entwickelte ein Modell der räumlichen Gliederung Europas, welches neun Subregionen mit bestimmten Siedlungs-, Produktions- und Kommunikationsstrukturen umfasst. Diese Unterteilung ist anhand der Nord- Süd- und West-Ost-Achse geordnet und identifiziert Deutschland und die Beneluxländer als geografische Hauptzentren, umgeben von einer Reihe von Subzentren wie Frankreich, Italien, der ehemaligen Habsburgermonarchie (Österreich, Ungarn, Böhmen) und Skandinavien. Als Peripherieregionen werden die Iberische Halbinsel, der Nordwesten Großbritanniens, Irland, der Balkan, Polen und das Baltikum angesehen. Die makroterritoriale Ausdifferenzierung Europas ist auch auf die einsetzende internationale Arbeitsteilung zurückzuführen (Haller/ Höllinger 1995). So argumentiert Wallerstein (1983), dass es Kern- und Zentrumsländer gibt, die in der Lage sind, die umliegenden Peripherien auszubeuten und in Abhängigkeit zu halten. Im Zeitalter der Industrialisierung kam es zu einer Stärkung der ökonomischen die blaue Banane Zentren in Nordwesteuropa. Grundlage des früh einsetzenden Industrialisierungsprozesses waren die hier vorhandenen Steinkohlevorkommen. Sie waren die Basis für die Ansiedlung der Grundstoffindustrien und weiterer energieabhängiger Branchen. Infolge der Intensivierung von Produktion, Kommerz und Handel kam es zu großen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Insbesondere in England veränderte sich die Sozialstruktur mit einer raschen Abnahme der Agrarbevölkerung, der Urbanisierung und der Entstehung industrieller Klassen. Diese Entwick- <?page no="17"?> 18 2 Gemeinsamkeiten und innereuropäischer Austausch lung nahm Einfluss auf Länder wie Holland und Belgien, auf entstehende industrielle Kerne in Deutschland, aber auch auf Nordeuropa. Zwischen diesen Regionen kam es zu dichten wirtschaftlichen Austauschbeziehungen. Ein Modell, welches diese Entwicklung abbildet, ist das der »blauen Banane«, entwickelt von dem Franzosen Roger Brunet (1989). Es bezeichnet einen langen Korridor von Industrie- und Dienstleistungsregionen. Dieser verbindet die Regionen Mittelenglands (Manchester, Birmingham) mit dem Großraum London, durchzieht die Benelux-Länder, Deutschland und die Schweiz und endet in den industriellen Zentren um Genua, Mailand und Turin. Alle Regionen der »blauen Banane« sind durch eine hohe Bevölkerungsdichte, ein engmaschiges Netz an Infrastruktur, hohe Produktivität und wirtschaftliche Verflechtung gekennzeichnet. Wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Regionen sind die enge Zusammenarbeit voneinander abhängiger Wirtschaftszweige und die Anbindung an europäische wie internationale Verkehrswege. Brunet sieht die »blaue Banane« als unmittelbare Folge historischer Entwicklungen, so durch bedeutende Handelswege und Prozesse der Akkumulation des industriellen Kapitals. 1 Eine Erweiterung erfährt das Modell durch die »goldene Banane« (europäischer sunbelt), die sich an der Mittelmeerküste über Nizza, Marseille, Montpellier und Barcelona bis nach Valencia zieht (Schaubild 1). Während diese Modelle räumlicher Strukturierung geeignet sind, wirtschaftli- Zentrum- Peripherie- Model che Gefälle innerhalb Europas zu beschreiben, bleiben sie wenig aussagekräftig im Hinblick auf kulturelle und politische Faktoren (Haller/ Höllinger 1995). Der norwegische Politikwissenschaftler Stein Rokkan (2000) hat ein Modell zur räumlichen Strukturierung Europas entwickelt und unterscheidet Zentren und Peripherien. Nach Rokkan war der sich seit dem 13. Jahrhundert entwickelnde westeuropäische Städtegürtel für spätere Entwicklungen prägend: Es gab dort einen dynamischen Handelskapitalismus, eine gut entwickelte Agrarwirtschaft, ein Netzwerk hochgradig autonomer Städte, eine gemeinsame Religion und einen auf das römische Recht zurückgehenden Korpus tradierter Normen. Alle Versuche neuer Zentrumsbildungen scheiterten in dieser Region bis zum 19. Jahrhundert. Die Variationen der späteren Staaten- und Nationenbildung erklärt Rokkan anhand der West-Ost-Achse mit einer hoch monetarisierten Ökonomie im Westen und der Dominanz der Landwirtschaft im Osten (Flora 2000). Zugleich gab es grundlegende Unterschiede in den politischen Strukturen. In Westeuropa entstanden durch das Netzwerk und die Stärke autonomer Städte eher föderative Strukturen, während Mittel- und Osteuropa von Imperien bestimmt war, was stärker zentralistische Strukturen zur Folge hatte. Die Nord-Süd-Achse steht für unterschiedliche Formen der kulturellen Integration, so der fortdauernde supraterritoriale Einfluss der 1 Für die Herkunft des Namens »blaue Banane« gibt es unterschiedliche Angaben: Unstrittig ist, dass die Form dieses Industrie- und Dienstleistungsgürtels die Form einer Banane hat. Die Farbe Blau geht entweder auf die Fahne der Europäischen Union zurück oder auf die Farbe der Arbeitskleidung einfacher Arbeiter (»blue collar«). <?page no="18"?> 2.1 Territorialität, Grenzen und interne Strukturierung 19 | Schaubild 1 Modell regionaler Strukturierung Quelle: Schätzl (1993: 28). katholischen Kirche im Süden und der auf frühe Grenzschließung setzende Norden. Als wichtig erweisen sich auch die konfessionellen Grenzen, welche Konflikte und nachhaltige Spaltungen hervorgebracht haben. Seit 1054 gab es keine einheitliche europäische Religion mehr, sondern eine Spaltung in drei Hauptreligionen, den Katholizismus, die orthodoxe Kirche und die lutherische Kirche (Remond 1999). Man könnte noch die jüdische Religion hinzufügen, aber sie war geografisch weit weniger konzentriert. Die Religionen stellten nicht nur einen bestimmten Glaubensbestand zu Verfügung, sie prägten auch spezifische Formationen gesellschaftlicher Organisation, ökonomischer Aktivitäten und das Verhältnis von <?page no="19"?> 20 2 Gemeinsamkeiten und innereuropäischer Austausch Staat und Kirche. Mit der Abspaltung der orthodoxen Kirche von Rom dominierte im Osten eine Konfession, die auf die enge Verbindung weltlicher und geistlicher Macht setzte. Die katholische Kirche behielt zwar ihren zentralistischen und hierarchischen Charakter, aber sie arrangierte sich mit einer Trennung von Staat und Kirche. Im Norden und Nordwesten Europas setzte sich der Protestantismus durch und mit ihm eine stärker rationalistische Weltsicht und säkulare Orientierung, die die Etablierung demokratischer Formen rationaler Machtausübung erlaubte. Diese Entwicklungen wurden von Max Weber (1934) in der »Protestantischen Ethik« untersucht, in der er die These vertrat, dass die moderne Wirtschaftskultur Europas auf einen spezifisch gearteten Rationalismus der okzidentalen Kultur zurückgeht. Sein Hauptargument lautet, dass die Verknüpfung der rationalen Ethik des aufstrebenden Protestantismus mit einer spezifischen Form des Wirtschaftens erklären kann, warum sich der moderne Kapitalismus nicht auf anderen Kontinenten gleichermaßen verbreitete, sondern in Europa seinen Ausgang nahm. Schaut man auf die historischen Kulturgrenzen, die ökonomischen Spaltungen, historische Grenzen und Formen der Strukturierung die Grenzen ehemaliger Reiche und religiöse Grenzen, die sich als prägend für die Raumstruktur Europas erweisen, dann lassen sich nach Stefan Immerfall (1994: 38; 2006: 16ff.) folgende wichtige Grenzziehungen unterscheiden (Schaubild 2): • die Grenzen des römischen Imperiums als Vermittler der griechisch-römischen Kultur (Untergang des Römischen Reiches 476), • die römisch-byzantinische Reichsteilung von 395 und die Spaltung der Christenheit in die lateinische und die orthodoxe Kirche (abendländisches Schisma 1054), • der mitteleuropäische Städtegürtel von den Alpen, den Rhein entlang bis zu den nordischen Städten mit großer Autonomie, • die unterschiedlichen Entwicklungen auf dem Land ab 1500 mit der Gutsherrenschaft und Großgrundbesitz im Osten (»zweiter Feudalismus«) und weniger autoritären und unterdrückenden Formen (Schicht der freien Bauern) im Westen, • ab 1517 die durch die Reformation hervorgebrachte Spaltung der Kirche in die katholische (vor allem im Süden) und die evangelische Kirche (vor allem in Nordeuropa) und • der Beginn einer langen Phase der Industrialisierung und der gesellschaftlichen Modernisierung in Nordwesteuropa im 16. Jahrhundert. Zu dieser Karte könnte man auch noch die neuere und historisch kurzlebige Grenze zwischen sozialistischem und kapitalistischem Europa hinzufügen. Beginnend mit der russischen Oktoberrevolution 1917, der Gründung der Sowjetunion und der Formierung eines kommunistischen Länderblocks in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg entstand eine tiefe Spaltung in der Mitte des Kontinents. Auch nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus sind die Strukturunterschiede zwischen Ost- und Westeuropa nicht einfach verschwunden, so dass die Ost-West- <?page no="20"?> 2.1 Territorialität, Grenzen und interne Strukturierung 21 | Schaubild 2 Historische Grenzziehungen Quelle: Immerfall (1994); historische Strukturgrenzen Europas: 1. 476: Einfluss mediterraner Antike, 2. 1054: Abendländisches Schisma, 3. Mitteleuropäischer Städtegürtel, 4. 1500: Grenze der Agrarverfassung, 5. 1517: Glaubensspaltung, 6. Atlantischer Kapitalismus. Achse eine der wichtigsten Strukturierungen innerhalb des europäischen Raums darstellt (vgl. Teil 2). Allerdings gilt insbesondere für die osteuropäischen Länder, die der EU beigetreten sind, dass sich in vielen Bereichen Angleichungen beobachten lassen (Delhey 2003). Gleichzeitig entstehen neue Unterschiede zwischen den osteuropäischen Ländern, die die frühere Einheitlichkeit aufheben. <?page no="21"?> 22 2 Gemeinsamkeiten und innereuropäischer Austausch 2.2 Europa als Raum von gemeinsamen Werten Definition Werte sind in einer Gesellschaft die überindividuellen Vorstellungen von etwas Wünschenswertem. Aus Werten leiten sich Normen (wie Gesetze, moralische Normen, informelle Gebote und Verbote) ab, die das Alltagshandeln bestimmen. In der Regel sind Werte auf bestimmte soziokulturelle Einheiten bezogen. Von europäischen Werten kann man sprechen, wenn diese auf die spezifischen kulturellen, religiösen und sozialen Traditionen Europas zurückgehen und innerhalb der europäischen Gesellschaften weit verbreitet sind. Im Zentrum dieses Buches stehen die 27 Mitgliedsstaaten der EU. Sie markieren religiöse und ideengeschichtliche Wurzeln den Raum der europäischen Integration und Gemeinschaftsbildung, innerhalb dessen sich zentrale sozialstrukturelle Perspektiven von Konvergenz und Verflechtung erarbeiten lassen. Wie schon im vorhergehenden Abschnitt deutlich wurde, sind historische Grenzziehungen Europas nicht mit dem geografischen Raum der EU identisch. Dies zeigt sich auch bei der Bestimmung Europas als Raum von gemeinsamen Werten und als Kulturraum. Die EU ist nicht exklusiver Träger europäischer Werte, aber die Mitgliedsländer der EU und die EU insgesamt sind in besonderer Weise durch spezifische Werte bestimmt (Lattes 2005). Mehr noch, die gemeinsamen Werte werden oft als Grundlage der Einigungsschritte angesehen (siehe Kapitel 11). Wenn wir heute von Europa sprechen, dann meinen wir in der Regel mehr als eine geografische Gestalt, sondern auch eine soziale, ideelle und politische Geschichte, die Europa von Asien trennt und Europa im Inneren verbindet. Der Tradition der griechischen Antike verdankt Europa den Aufbruch von Philosophie und Wissenschaft und die Hinwendung zu den Künsten. Die klassische Kultur der Griechen mit Homer, Platon und Aristoteles begründete auch institutionelle Vorformen von Demokratie und entdeckte den Bürger als Subjekt einer politischen Verantwortungsgemeinschaft. Der römischen Tradition verdanken wir die Rechtsordnung und die Gestaltung einer einheitlichen politischen Ordnung. Die christliche Herkunft europäischer Werte geht auf die hebräische Bibel und das dort vorherrschende Bild des Verhältnisses von Gott und Mensch zurück. Werte wie Nächstenliebe und Menschenwürde gehören zum Grundkanon dieser Tradition. Auch wenn die kulturelle Gestalt Europas zu großen Teilen aus diesen Wurzeln erklärt werden kann, ist Europa kein »christlicher Klub« im Sinne einer abgeschlossenen Glaubensgemeinschaft. Europa ist nicht nur mit der jüdischen Tradition so eng verzahnt, dass man von gemeinsamen christlich-jüdischen Traditionen sprechen kann, vom Islam gingen ebenfalls wesentliche Impulse für die europäische Entwicklung aus. Weiterhin trat Europa seit dem 16. Jahrhundert verstärkt in seiner weltanschaulichen Dimension hervor, nämlich als Ort der Freiheit und der Aufklärung. Essenzielle Grundprinzipien wie die Gleichheit der Menschen, die Oberhand der Rationalität, die Herrschaftsbegründung, die Anerkennung individueller Rechte und <?page no="22"?> 2.2 Europa als Raum von gemeinsamen Werten 23 die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit bekamen ihren Platz im europäischen Wertekanon (Outhwaite 2008). Auch eine ganze Reihe von neuzeitlichen Werten ist eng mit der europäischen Entwicklung verknüpft, so zum Beispiel der Menschenrechtsgedanke. Obwohl universalistisch im Anspruch, markiert er den Aufstieg eines europäischen Konzepts der Gegenseitigkeit, Toleranz und der Anerkennung des Anderen. Während bis zum Beginn der europäischen Neuzeit noch soziale und ständische Hierarchien das Weltbild prägten, breiteten sich danach individualistische und egalitaristische Vorstellungen aus. Damit ging eine neue ethische Konstellation einher, nach der der Mensch ein freies Wesen sei und immer nur als Zweck, nie als Mittel benutzt werden dürfe (Sturma 2005). In seinen wesentlichen Zügen beinhaltet der Menschenrechtsgedanke zudem die Unveräußerlichkeit und Bedingungslosigkeit dieser Rechte, die Idee der individuellen Würde eines jeden Menschen, des Schutzes vor Verletzungen und Übergriffen gegen die Würde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Europäische Denker wie John Locke, Immanuel Kant oder Jean-Jacques Rousseau haben wesentliche Bestimmungen des Menschenrechtsgedankens entwickelt und seine weltweite Verbreitung befördert. Die Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft in Europa brachte ein neues der Wert der Gleichheit Gesellschaftsmodell auf die Tagesordnung, welches bis heute eine Leitfunktion besitzt. Statt ständischer Sozialstrukturen mit geringer sozialer Durchlässigkeit und askriptiven Statusrechten versprach der bürgerliche Gesellschaftsentwurf eine größere Gleichheit. Hier trat Europa in einen Dialog mit der »Neuen Welt«, den Vereinigten Staaten, die als einzige Zivilisation auf Augenhöhe betrachtet, teils sogar bewundert wurde - anders als Afrika, Asien oder Südamerika, welche als rückständig angesehen wurden. In den USA war von Beginn an der Begriff der Freiheit dem der Gleichheit ebenbürtig, so dass es eine große Akzeptanz ökonomischer Ungleichheiten und starke Vorbehalte gegen einen zu starken und umverteilenden Staat gab (Tocqueville 1959 [1835]). Im Gegensatz dazu verband sich das Streben nach Gleichheit in Europa immer mit einer stärkeren Fixierung auf den Staat, der als der zentrale Adressat für Ausgleichsforderungen angesehen wurde. Die schnellen Industrialisierungsfortschritte, wie die Massenproduktion in den Vereinigten Staaten, wurden von Europa mit einiger Faszination beobachtet; aber es mangelte auch nicht an Kritik, so an bestimmten Auswüchsen der »Konsumorientierung« oder der »Kulturlosigkeit« der Amerikaner. Alexis de Tocquevilles zwei Bände »Über die Demokratie in Amerika« (1959 [1835]) bieten einen reichen Fundus an Beobachtungen zu Kultur und Gesellschaft in den USA und Europa. Es ist eine umfassende Analyse demokratischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen in den USA, welchen Tocqueville auch Modellcharakter für die europäischen Gesellschaften und insbesondere Frankreich zuschrieb. In der Demokratie Amerikas sah er den Wert der Gleichheit trotz ungleicher Vermögen und Einkommen verwirklicht, da durch die Abwesenheit ständischer Strukturen die Teilhabe an öffentlichen Angelegenheiten und die konfliktfreie Einigung der Interessen ermöglicht worden seien. Dagegen sei die Demokratie in Europa immer noch durch die Monarchie und alte Hierarchien »gefesselt«: Gleichzeitig war Tocqueville nicht unkritisch und warf die Frage auf, ob die amerikanische Demokratie in der Lage sein würde, auch den farbigen Bevölkerungsgruppen die Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen zu gewähren. <?page no="23"?> 24 2 Gemeinsamkeiten und innereuropäischer Austausch Wie man am Beispiel der USA sehen kann, ging es in den europäischen Selbstdas überlegene Europa beschreibungen oft um den Vergleich mit anderen Kontinenten und Regionen. Zum Teil wurde die europäische Zivilisation zum Modellfall des weltweiten Wandels erklärt (Kaelble 2001; Lattes 2005). Die Übernahme universeller Werte, Rationalisierung, Demokratisierung und wirtschaftliche Modernisierung wurden hier als allgemeine Entwicklungsziele postuliert, die auch für andere Weltregionen Leitfunktion einnehmen. Allerdings ist die Abgrenzung dieser Pionierfunktion von allgemeinen Modellen der Modernisierung, die sich auf »evolutionäre Universalien« (Parsons 1979) bezieht, wie Marktwirtschaft, Geld, Bürokratie, Recht, meritokratisches Verteilungs- und Schichtungssystem, universell gültige Normen und demokratische Assoziation, nie ganz eindeutig gewesen. Auch hier wird ein generelles Entwicklungsmodell, welches auch für andere Länder seine Wirkung entfalten wird, angenommen, aber es handelt sich um kein europäisches Modell im engeren Sinne mehr, sondern um ein westliches Modernisierungsmodell (Zapf 1994). Der Bezug zu Europa wird vor allem über das kulturelle Vermächtnis des Abendlandes hergestellt, welches auch in den Vereinigten Staaten seine Spuren hinterlassen hat. In dieser Lesart sind die Vereinigten Staaten ein Ableger oder sogar eine Steigerung der europäischen Modernität. Die neuere Diskussion zu multiple modernities zeigt hingegen auf, dass es sehr unterschiedliche kulturelle und soziale Ordnungsmodelle waren, die gesellschaftliche Innovationen hervorbrachten und erfolgreich verbreiteten (Eisenstadt 2002). Daher greift die These zu kurz, die Moderne sei einzig europäisch zu verstehen oder vollständig aus dem Potenzial der europäischen Kultur hervorgegangen. In einem in der FAZ abgedruckten Essay definierten Jürgen Habermas und europäische Werte Jacques Derrida (2003) spezifisch europäische Werte im Kontrast zur politischen Theologie des Islamismus und des christlichen Fundamentalismus, wie er in den USA Gewicht hat. Sie sehen die aus leidvollen Erfahrungen erwachsene Säkularisierung, die Domestizierung staatlicher Gewaltausübung, die Rolle von Recht und Demokratie und die Verpflichtung auf soziale Gerechtigkeit gegenüber einem individualistischen Ethos der Leistungsgerechtigkeit als zentrale Bestandteile des europäischen Wertehaushaltes an. Als typisch europäische Werte können auch individuelle Freiheit, Toleranz, Innerlichkeit und Selbstverwirklichung angesehen werden (Joas/ Wiegand 2005). Untersuchungen zu Werteinstellungen zeigen, dass die Europäer im internationalen Vergleich sehr tolerant, aufgeklärt und problembewusst sind, so im Hinblick auf Geschlechterrollen, Toleranz gegenüber Homosexuellen und die Einstellung zum Umweltschutz (Inglehart 1998). Die Frage nach den europäischen Werten lässt sich trotz dieser Verweise nur Vielfalt und Wandel schwer auf einen festen Kern zurückführen. Europa war immer »Einheit in der Vielfalt«, mit einer Vielzahl von internen Variationen und Selbstverständnissen und einer Vielzahl von Einflüssen. Diese Vielfalt allein wird häufig als eines der europäischen Charakteristika angeführt. Weiterhin ist Europa ein Ort des tiefgreifenden sozialen Wandels, so dass Veränderung und Dynamik als Teile des europäischen »Sonderweges« angesehen werden können: »Die wissenschaftliche Revo- <?page no="24"?> 2.3 Europa als Erfahrungs- und Lebensraum 25 lution im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, die marktliche und industrielle Revolution im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, die demokratischen Revolutionen vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts an haben Europa zu einem Pol der Veränderung in der Welt gemacht. Nichts blieb hier gleich und beständig.« (Wagner 2005: 496) Gleichzeitig war Europa der Ort schmerzvoller Erfahrungen von Krieg, Gewalt, Vertreibung und Totalitarismus. In der jüngeren Geschichte reicht die Erfahrung tiefer und gewaltreicher Konflikte vom Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) zwischen den weltlichen und religiösen Mächten über die Napoleonischen Kriege (1800 bis 1814/ 15) und die zwei Weltkriege des letzten Jahrhunderts bis zu den Auseinandersetzungen infolge des Zerfalls des früheren Jugoslawiens nach 1990. Dieses Erbe ist auch der Hintergrund für alle Anstrengungen zur Schaffung einer europäischen Friedensordnung und die Aussöhnung zwischen den Völkern. Der politische Begriff Europas, wie wir ihn heute kennen, hat sich erst reladas politische Europa tiv spät entwickelt, und zwar im Zusammenhang mit politischen Einigungsbestrebungen. Er war auch immer ein Gegenbegriff zum übersteigerten Nationalismus, der Feindschaft und Rivalität der europäischen Völker zur Folge hatte. In der europäischen Geschichte hat es eine Reihe von paneuropäischen Entwürfen und Bewegungen gegeben: Unter der Prämisse, Frieden und Einheit unter ansonsten verfeindeten und im Konflikt liegenden regionalen Mächten zu erreichen, gab es immer wieder Intellektuelle und Staatslenker, die sich für die Idee eines geeinten Europas begeistern konnten, allerdings mit sehr unterschiedlichen Handschriften und machtpolitischen Interessen. Solche Entwürfe lassen sich schon sehr früh finden. Sie gehen zum Beispiel auf den »großen Plan« des Herzogs von Sully (1560 bis 1641) zurück, die Macht der Habsburger zu beschneiden und einen Europarat zu gründen, der sich mit den Problemen zwischen den europäischen Staaten befassen sollte, wie es ein nationales Parlament tun würde. Auch der Sozialutopist Saint-Simon (1760 bis 1825) kann als moderner Vordenker der Vereinigten Staaten von Europa gelten. Ihm ging es um eine Vereinigung der Völker Europas innerhalb des Rahmens einer gemeinsamen europäischen Verfassung, aber unter Beibehaltung ihrer nationalen Unabhängigkeit. Ähnlich Ideen lassen sich bei Victor Hugo finden, der auf dem 2. Internationalen Pazifistenkongress in Paris am 22. August 1849 eine Vereinigung europäischer Staaten forderte (Niess 2001). 2.3 Europa als Erfahrungs- und Lebensraum Wir haben in den vorangegangenen Abschnitten betont, dass sich der historische Sozialraum Europa auf eine Reihe von Gemeinsamkeiten berufen kann. Europa ist keine zufällige Anordnung benachbarter Staaten, sondern durch eine spezifische territoriale Ordnung und ein Reservoir an kulturellen und ideengeschicht- <?page no="25"?> 26 2 Gemeinsamkeiten und innereuropäischer Austausch lichen Gemeinsamkeiten geprägt. Hinzu kommt, dass es, trotz aller Konflikte und Abschottungstendenzen, umfangreiche Formen der Verflechtung und Kommunikation gab und gibt. Obwohl die Möglichkeiten des wechselseitigen Austausches in vergangenen Epochen deutlich beschränkter waren als heute, wenn man zum Beispiel an Kommunikationstechnologien und das Transportwesen denkt, so gab es in Europa dennoch einen transnationalen sozialen Raum mit verdichteten Sozialbeziehungen und sich überlappenden sozialen Kreisen. Mit der Schaffung neuer Transportwege, beispielsweise durch die Verbreitung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert, aber auch den Ausbau der Wasserwege, war es zunehmend leichter, sich innerhalb Europas zu bewegen (Hansen 2001: 124ff.). Zwar gab es auch Kontakte europäischer Kommunikationszusammenhang über die Grenzen Europas hinaus, so durch den Handel mit China oder die Auswanderung in die Neue Welt, aber der Grad der Institutionalisierung und Verdichtung blieb weit hinter dem innereuropäischen Niveau zurück. Vor der Ausbildung von Nationalstaaten und nationalen Kulturen war Europa ein »rechtlich pazifizierter, religiös organisierter und sozial breit verankerter Kommunikationszusammenhang« (Eder 2007: 188). Dazu trugen die Verbreitung des Römischen Rechts, die interethnische und internationale Organisation der katholischen Kirche, die Struktur der Königtümer, die Netzwerke unabhängiger Städte und das Aufblühen des Handels bei. Insbesondere die Organisation der katholischen Kirche mit ihrer zugleich zentralistischen wie dezentralen Struktur sorgte dafür, dass auf dem europäischen Territorium (und später auch darüber hinaus) ein Netz von Verbindungen entstand. Die Zugehörigkeit zur Kirche und die Durchdringung des lokalen Alltags fanden über die territorialen Grenzen der Fürstentümer hinweg statt. Die Glaubensgemeinschaften waren geografisch weit verstreut und mussten organisiert werden. Mönche reisten im Auftrag ihrer Orden, und Tausende Menschen nahmen an Wallfahrten teil. Die mannigfaltige Teilung Europas in unterschiedliche Macht- und Einflusssphären führte daher nicht zum Abbruch von Kontakten, sondern es entstand eine spezifische Dynamik von Differenz und Zusammenhang. Bemerkenswert sind auch die engen Verbindungen der europäischen Adelsdie europäische Adelskultur häuser, die über die gezielte Partnerwahl ein gesamteuropäisches Netz transnationaler Familien schufen. In den adligen Kreisen waren Multilingualität und die grenzüberschreitende soziale Erfahrung der Normalfall. Man traf sich zu festlichen Gelegenheiten, man heiratete untereinander, man besuchte sich und schuf politische Allianzen. Selbst der niedere und geografisch periphere Adel suchte Anschluss an die europäische Adelskultur, um den eigenen sozialen Status zu sichern und die durch die strengen Heiratsregeln auferlegten Restriktionen bei der Partnerwahl zu erweitern (Conze/ Wienfort 2004). Seit Peter dem Großen orientierte sich auch der russische Adel kulturell nach (West-)Europa und war dadurch in die europäischen Adelskreise eingebunden. Auch nach der Abschaffung der Monarchie oder ihrer Rückstufung mit der Übernahme von politischer Macht durch gewählte Regierungen und Parlamente in vielen großen europäischen Ländern, blieben die europäischen Königs- und Adelshäuser miteinander verwoben. <?page no="26"?> 2.3 Europa als Erfahrungs- und Lebensraum 27 Europa als Erfahrungs- und Lebensraum Sozialer Austausch Mobilität, Migration, familiäre Netzwerke vor allem des Adels Ökonomischer Austausch Handelsrouten, Bündnisse zwischen Städten und Regionen (zum Beispiel Hanse), Spezialisierung und Arbeitsteilung, Städte als Anziehungspunkte für Handel und Gewebe Kultureller Austausch Studentenmobilität, Gelehrten- und Wissenschaftlernetzwerke, Verbreitung von Publikationen, innerhalb von Glaubensgemeinschaften Eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Schlüsselgruppen unterhielt enge Verfrühe Mobilitätsformen bindungen über größere geografische Distanzen. Gereist wurde aus beruflichen, bildungsbezogenen, religiösen oder politischen Gründen. Bis zum Ersten Weltkrieg waren Wanderung und Mobilität weit weniger reguliert als heute, da es noch keine Pass- und Kontrollsysteme gab. Mobilität von Studierenden und Lehrenden zwischen verschiedenen Bildungseinrichtungen und über Ländergrenzen hinweg gehörte lange Zeit zur Kultur der europäischen Universität (Stichweh 2000). Bereits die ersten europäischen Universitäten agierten in einem gemeinsamen Hochschulraum (Wolter 2006). Mit dem studium generale gab es ein curriculares Kernelement der universitären Ausbildung, welches mobilitätsfördernd wirkte. Da die Ausbildungsbreite der Universitäten nicht sehr groß war und sich Wissen an bestimmten Orten konzentrierte, ging eine große Zahl von Studierenden auf Wanderschaft. Es gibt eine Tradition des Austausches zwischen Gelehrten und Wissenschaftlern, und die Bildungsbiografien des späten Mittelalters und der Renaissance muten aus heutiger Sicht sehr kosmopolitisch an. Ein Mann wie der Humanist Erasmus von Rotterdam, dem das größte europäische Mobilitätsprogramm, das Erasmus-Programm, seinen Namen verdankt, lebte und arbeitete in Italien, Frankreich, den Niederlanden und England und verstarb schließlich in Basel. Wanderarbeiter, Fahrensleute und Händler wanderten europaweit, um ihre Dienste anzubieten. Nicht immer waren diese Personen willkommen, vor allem das »fahrende Volk« wurde oft mit Argwohn und Vorbehalten belegt. Zwar gab es aus politischen oder ökonomischen Gründen auch Wanderverbote oder Reglementierungen, was den Zugang zu Märkten anging, aber diese waren nicht flächendeckend entwickelt (Demel 2000: 68). Im Leben eines Gesellen gab es die ritualisierte Phase der Wanderschaft, oft mit standardisierten Wanderrouten über Grenzen hinweg. Bestimmte Gewerke und Gewerbe wurden vor allem in einzelnen Nationen betrieben, und ihre Vertreter wurden dann in den verschiedenen Regionen Europas ansässig. Typisch war dies beispielsweise bei den Schneidern, Kunsthandwerkern und Goldschmieden. Neben diesen kleineren Wanderungen gab es die Wanderungen großer Grup- Massenwanderungen pen, oft ausgelöst durch materielle Not oder gesellschaftliche Konflikte, wie bei den Glaubensflüchtlingen der Frühen Neuzeit, etwa den Niederländern im 16. Jahrhundert oder den Böhmen und protestantischen Salzburgern im 17. Jahrhundert. Zwischen 1685 und 1705 verließen mehr als 150.000 Reformierte Frankreich, um der Konversion zum Katholizismus zu entgehen. Sie waren auf fremdem Territorium oft willkommen und wurden zum Teil von konfessionell ver- <?page no="27"?> 28 2 Gemeinsamkeiten und innereuropäischer Austausch bundenen Landesherren angeworben. Anwerbung war auch für viele Formen der Arbeitsmigration gang und gäbe. Im 17. Jahrhundert holte Friedrich Wilhelm I. gezielt Fremde (zum Beispiel Franzosen und Niederländer) in das vom Dreißigjährigen Krieg verwüstete Land. Seine Peuplierungspolitik, also die Steigerung der Bevölkerungszahl durch die Ansiedlung größerer Personengruppen, sah Menschen zuallererst als Ressource, die die Macht des Staates vergrößerte. Ende des 19. Jahrhunderts wanderten dann Tausende Polen in das Ruhrgebiet ein und deckten den Arbeitskräftebedarf im Steinkohlebergbau. Ähnliche Beispiele lassen sich aus anderen Ländern berichten, so aus England, Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Aus historischer Perspektive sind diese Wanderungen in eine Reihe mit der Arbeitsmigration aus Europas Peripherien in die industriellen Zentren Europas in den 1950er- und 1960er-Jahren zu stellen (Bade et al. 2008). Durch Mobilität kam es vielerorts zu einer ethnischen, kulturellen und sozialen das Zusammenleben in den Städten Durchmischung der Bevölkerung. Viele große Städte sowie Hafen- und Handelsplätze waren im heutigen Sinne multikulturell (Therborn 1995), wobei Zuwanderer aber meistens nicht gleichberechtigt in die soziale Ordnung eingegliedert, sondern nur über eingeschränkte Statusrechte verfügten (Knittler 2000). Es gab jedoch auch Gruppen, die sich gesellschaftlichen Status über ökonomische Erfolge erkämpfen konnten. Nicht zuletzt gab es schon immer ethnische Segregation innerhalb der städtischen Siedlungsformen. Diese reichten von Quartiersbildungen bis hin zu Gettoisierungen, was bedeutete, dass »fremde« Gruppen nur an einem bestimmten Ort sesshaft werden durften und der Kontakt mit anderen Gruppen starker sozialer Kontrolle unterlag. Freier war das Klima in zahlreichen Bade- und Kurstädten des 18. und 19. Jahrhunderts. Davos, Karlsbad und Nizza hatten ein internationales Flair und waren Treffpunkte der europäischen Oberschicht. Es ist davon auszugehen, dass die unmittelbare soziale Erfahrung eines euro- Verflechtung und Segmentierung päischen Mobilitäts- und Kommunikationsraums nur bestimmte soziale Gruppen einschloss, aber dennoch verbreitete sich über schriftliche Berichte, Erzählungen und Kontakt mit Fremden ein Bild über andere Orte und Kulturen des Kontinents. Es berührte auch die immobilen Gruppen und jene, die mangels Lese- und Schreibkompetenz nur unzureichende Möglichkeiten der Kommunikation durch Briefe hatten. Diese früheren Verflechtungen legten den Grundstein für spätere Formen der paneuropäischen Transnationalisierung, auch wenn durch die Bildung der Nationalstaaten mit ihrer Betonung von Territorialität und territorialer Kontrolle, die kriegerischen Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts und die Ost-West-Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg ein Teil der Austauschbeziehungen wieder zurückgedrängt wurden. <?page no="28"?> 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas In dem vorangegangenen Kapitel ist ein Einblick in die räumliche Struktur Europas, die gemeinsame Wertebasis und Formen der Verflechtung und Verbundenheit gegeben worden. Damit sollte gezeigt werden, dass bestimmte Gemeinsamkeiten und soziale Grundkonstellationen vorhanden sind, die dem gegenwärtigen Integrationsprozess zugrunde liegen. Allerdings ist Europa auch durch eine große Diversität geprägt, die auf die Prozesse der Nationalstaatsbildung zurückzuführen ist. Der Staatenbildungsprozess im 18. und 19. Jahrhundert nahm seinen Ausgang in der Errichtung von Territorialstaaten, die dann über die Bildung von nationalen Institutionen in der Lage waren, sich als Nationalstaaten zu etablieren. Der Prozess beinhaltete die politisch-administrative, rechtliche und kulturelle Durchdringung Staatenbildung als horizontale Segmentation und Vereinheitlichung gesellschaftlicher Bereiche (Münch 2001: 183). Mit diesem Gesellschaftsmodell verwirklichte sich eine spezifische Form der sozialen Organisation, die durch Abgrenzung nach außen und Binnenintegration gekennzeichnet ist (Rokkan 2000). Giddens (1995: 24f.) macht dies zum Markenzeichen moderner staatlicher Formationen: »Moderne Gesellschaften (oder Nationalstaaten) weisen zumindest in mancher Hinsicht eine deutlich bestimmte Abgegrenztheit auf. […] Es hat praktisch keine vormodernen Gesellschaften gegeben, die ebenso deutlich abgegrenzt waren wie die Nationalstaaten der Moderne.« Ein Staat ist eine politische Einheit von Menschen (Staatsvolk) innerhalb eines abgegrenzten geografischen Raumes (Staatsgebiet) mit einer souveränen Herrschaftsgewalt (Staatsgewalt) über sein Gebiet und die auf ihm befindlichen Personen und eigenen Staatsbürger. Das Staatsvolk umfasst alle Personen mit derselben Staatsangehörigkeit. Die Staatsangehörigkeit wird entweder durch Geburt oder durch Einbürgerung erworben. Bei dem Erwerb durch Geburt kann man zwei Prinzipien unterscheiden: das Abstammungsprinzip (ius sanguinis), bei welchem die Staatsangehörigkeit der Eltern ausschlaggebend ist, und das Territorialprinzip (ius soli), bei dem entscheidend ist, auf welchem Staatsgebiet das Kind geboren wurde. Abweichend vom Begriff des Staatsvolkes bezeichnet Nation eine Gruppe, die durch Gemeinsamkeiten wie Sprache, Kultur, Geschichte oder Abstammung charakterisiert ist, wobei man grundsätzlich zwischen ethnischen Konzeptionen der Nation und stärker auf kulturelle Leistungen (Kulturnation) abhebenden Konzeptionen unterscheiden kann. Man kann sagen, dass nationalstaatliche Schließung und die Durchsetzung einer Modernisierung, Industrialisierung und Europa territorialisierten Form der Integration einer Gesellschaft wichtige Charakteristika der europäischen Form der Vergesellschaftung sind. Das bedeutet aber nicht, dass mit der Herstellung des nationalstaatlichen Ordnungsmodells die bestehenden Gemeinsamkeiten zwischen den europäischen Gesellschaften aufgehoben wurden. So kann trotz großer sozialer und institutioneller Vielfalt und trotz vorhandener Unterschiede in Tempo und zeitlichem Verlauf für die europäischen Gesellschaften ein gemeinsamer Kern der Entwicklung identifiziert werden. Oft wird dieser als Modernisierungsprozess bezeichnet (vgl. Hradil/ Immerfall 1997). In der Soziologie beschreibt der Begriff der Modernisierung den Übergang von traditionalen Gesellschaften zu modernen Gesellschaften, in der Regel verbunden mit einer tiefgreifenden Veränderung gesellschaftlicher Organisation und <?page no="29"?> 30 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas Orientierung. Entscheidend dafür waren Prozesse der Industrialisierung, durch welche sich neue Formen der gesellschaftlichen Organisation, der materiellen Grundlagen der Gesellschaft und der Wertschöpfung durchsetzten, die auch einen Umbau der Sozialstruktur nach sich zogen. Diese umfassten die zunehmende Arbeitsteilung und gesellschaftliche Differenzierung, die Durchsetzung eines auf die Berufshierarchie ausgerichteten Schichtungssystems, die Standardisierung des Lebensverlaufs, die räumliche Trennung von Familie und Erwerb und die Formalisierung von Erwerbsverhältnissen. Europa ist der Ort, an welchem sich dieses industriegesellschaftliche Modell besonders stark durchsetzte und noch heute die Konturen der Sozialstruktur bestimmt. Mit der Industrialisierung entwickelte sich auch eine kapitalistische Klassengesellschaft, die sich im Laufe der Zeit zunehmend ausdifferenzierte. Schließlich ist Europa auch der Ort des institutionalisierten Klassenkompromisses und der Herausbildung recht umfassender sozialpolitischer Interventionsformen. In den folgenden Abschnitten sollen diese Aspekte nacheinander beleuchtet werden, um genauer zu bestimmen, in welcher Weise sich von einem europäischen Gesellschaftsmodell sprechen lässt. 3.1 Das europäische industriegesellschaftliche Modell Definitionen Industrialisierung bezeichnet die Erhöhung des Anteils industrieller Produktion an der Wertschöpfung eines Landes und die Veränderung der Produktionsformen: weg von individuell-handwerklichen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten hin zu standardisierten und automatisierten Verfahren. Mit der Industrialisierung gehen umfassende Umwälzungsprozesse wie Urbanisierung, Bevölkerungswachstum, Entstehung der Industriearbeiterschaft und ein Wandel der Lebens- und Familienformen einher. Als Urbanisierung versteht man die Wanderung der Landbevölkerung in den städtischen Raum und die Entstehung von Zentren der Agglomeration. Diese Wanderung wird vor allem durch ein Überangebot an Arbeitskräften im ländlichen Raum ausgelöst, welches zum Beispiel durch Bevölkerungswachstum hervorgerufen werden kann. Im Zeitalter der Industrialisierung wurden diese freiwerdenden Arbeitskräfte von den neu entstehenden Produktionsstätten in den Städten absorbiert. Neue, urbane Siedlungsformen entstanden. Die industrielle Revolution Bis zum 19. Jahrhundert war Europa agrarisch und ländlich geprägt, erst dann Strukturwandel in Erwerb und Produktion begann eine rapide Phase der Industrialisierung. Industrialisierung heißt, dass größere Mengen produziert, effizientere Produktionsketten entwickelt, die bekannten Energieträger besser genutzt werden und eine weitreichende Umgestaltung des Arbeitsprozesses vorgenommen wird (Cipolla 1972-76; Hansen 2001; Landes 1969). Die industrielle Revolution bewirkte, dass die Menschen aufgrund maschineller und technologischer Innovationen in der Lage waren, die Arbeitsproduk- <?page no="30"?> 3.1 Das europäische industriegesellschaftliche Modell 31 tivität deutlich zu steigern. Jean Fourastié (1954) hat diesen Übergangsprozess von agrarischer Produktion zu industrieller Produktion in ein historisches Phasenmodell integriert (Drei-Sektoren-Modell). Nach seiner Vorstellung stellt das Zeitalter der Industrialisierung mit hauptsächlicher Beschäftigung im sekundären Sektor (Industrie) die Übergangsperiode zwischen der Phase der traditionellen Zivilisation mit einem Schwergewicht der Beschäftigung im Landwirtschaftssektor und der Phase der tertiären Zivilisation, der Dienstleistungsgesellschaft, mit einem geringeren Bedarf an Arbeitskräften im Landwirtschafts- und Produktionssektor dar. Obwohl einige der Prognosen sich als unhaltbar erwiesen (vgl. Staroske 1995), so die Annahme der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, bildet dieses Modell den langfristigen Strukturwandel vieler Länder relativ gut ab. Mit der industriellen Revolution wurden große Teile Europas von Wachstumsdie industrielle Revolution prozessen erfasst. In vielen Ländern entstanden industrielle Strukturen mit einer neuartigen Organisation von Arbeit und Produktion, Massenfabrikation und festen Vertriebs- und Absatzwegen. Die industrielle Revolution setzte in England schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein und erfasste dann im 19. Jahrhundert die Mehrzahl der europäischen Länder und Regionen. Allerdings ist darauf zu verweisen, dass es eine ungleichzeitige Entwicklung in Europa gab: Zwar existierten überall industrielle Kerne, aber einige Länder blieben auch bis Mitte des letzten Jahrhunderts agrarisch geprägt. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war in Ländern wie Albanien, Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Griechenland, Finnland und den baltischen Staaten noch die Mehrzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. In den 1990er-Jahren war dann mit Ausnahme von Albanien kein Land mehr agrarisch dominiert (Therborn 1995: 65ff., siehe auch Abschnitt 7.4). Der von der Industrialisierung ausgelöste sozialstrukturelle Wandel umfasste die sozialräumliche Ordnung von Gesellschaften, die familiären Strukturen, die Trennung von Produktions- und Reproduktionsstätte, die erhöhte räumliche und soziale Mobilität sowie das Aufkommen neuer Konzepte individueller Autonomie und Selbststeuerung. Im Zusammenhang mit der Industrialisierung kam es zur Urbanisierung, also der Veränderung der Siedlungsformen und des Wohnens durch Verstädterung und räumliche Verdichtung (Reulecke 1997; Teuteberg 1986; Zimmermann 2000). Schon zuvor waren die europäischen Städte aufs Engste mit wirtschaftlicher, sozialer und politischer Entwicklung verknüpft. Die europäische Tradition der Stadtstaaten verband Autonomie, Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit mit der Einbindung in Verkehr, Produktion und Handel. Die freien Städte erlangten dadurch eine große Bedeutung sowohl für das geistige Leben wie auch für Fortschritte in Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Mit der Industrialisierung übernahmen Städte zentrale Funktionen im Prozess der Produktion - Fabriken wurden oft in der Nähe von Städten angesiedelt oder hatten, aufgrund der Nachfrage nach Arbeitskräften, die Herausbildung neuer urbaner Siedlungsformen zur Folge. In England, dem Pionierland der industriellen Revolution, war um 1850 schon die Hälfte der Bevölkerung urbanisiert. Deutschland war die zweite Nation, die diese <?page no="31"?> 32 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas Marke überschritt, dann folgten die Länder in Europas Nordwesten, von denen viele um 1930 diesen Grad der Verstädterung erreichten. Heute lebt der größte Teil der europäischen Bevölkerung in Städten mit 10.000 und mehr Einwohnern, und in einigen Ländern steigt dieser Anteil bis auf 80 % (Jordan-Bychkov/ Bychkova Jordan 2003). Mit der Erhöhung der Produktivität gingen auch Schübe des Bevölkerungs- Bevölkerungswachstum wachstums einher. Noch im Jahr 1000 lebten in Europa circa 40 Millionen Menschen. Dann kam es zu einem rasanten Wachstum auf 135 Millionen Menschen Mitte des 18. Jahrhunderts, 267 Millionen Mitte des 19. Jahrhunderts und fast 600 Millionen Menschen bis Mitte des 20. Jahrhunderts (Schaubild 3). Anders als in anderen Weltregionen gab es einen positiven Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Bevölkerungswachstum. In der Industrialisierungsphase wuchs die Wirtschaft durchschnittlich 2 % jährlich. Das Produktivitätswachstum lag damit anhaltend über dem Bevölkerungswachstum, so dass die Europäer pro Kopf der Bevölkerung gerechnet im Jahr 1913 doppelt so reich waren wie im Jahr 1850 (Fisch 2002). In anderen Weltregionen kam es zumeist dazu, dass sich das ökonomische Wachstum durch den Verschleiß sozialer und natürlicher Umwelten oder zu stark wachsendem Versorgungsbedarf erschöpfte (Fisch 2002: 236ff.). Auch wenn die Entstehung industrieller Zentren und der massive Zuzug der Landbevölkerung in die Städte zunächst Armuts- und Verelendungsprozesse auslösten, so kam es im Zusammenhang mit dem ökonomischen Wachstum zu nachhaltigen Verbesserungen der Lebensbedingungen. Damit verbunden waren auch demografische Veränderungen, wie ein Absinken der Kindersterblichkeit und die steigende Lebenserwartung. Eine der Folgen war ein Absinken der Schaubild 3 | Wirtschaftsentwicklung und Bevölkerungswachstum, 1500 bis 1998 0 0 0 5 2 0 0 0 5 0 0 5 7 0 0 0 0 1 0 0 8 0 0 7 0 0 6 0 0 5 0 0 4 0 0 3 0 0 2 0 0 1 0 Bevölkerung in Mio. BIP in Mrd. Dollar Quelle: Maddison (Cipriani et al.; 2001: 241); eigene Berechnungen. Die Darstellung bezieht sich auf Gesamteuropa (nicht EU-27), Angabe des Bruttoinlandsprodukts in Milliarden US-Dollar von 1990 (konstante Preise). <?page no="32"?> 3.1 Das europäische industriegesellschaftliche Modell 33 Fertilitätsrate, da mit der geringe ren Sterblichkeit keine große Kinderzahl vonnöten war, um den Fortbestand der Familie zu sichern (Chesnais 1992). Allerdings wurde auch ein beträchtlicher Teil der wachsenden Bevölkerung »ex- Auswanderung aus Europa portiert«, so nach Amerika, Australien, Kanada und Südamerika. Von Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1915 wanderten fast 42 Millionen Menschen aus, über die Hälfte davon in die Vereinigten Staaten (Fischer 1985). Ursachen waren ökonomische Krisen, Hungersnöte und kriegerische Auseinandersetzungen. Diese Wanderungen entschärften soziale Konflikte innerhalb Europas und öffneten für große Personengruppen Zugänge zu neuen Territorien und Ressourcen, die in den Heimatländern nicht in dem Maße verfügbar waren. Die Auswanderung fungierte daher auch als soziales Ventil eines immensen Wachstums der Bevölkerung. Interessant daran ist, dass diese demografische Welle auch Europas gesellschaftliche und geostrategische Vormachtstellung begründete, da dadurch die eigene Kultur und Lebensweise an anderen Orten der Welt nachhaltig verankert werden konnte. Besonders sichtbar ist dies in den Fällen der kolonialen Inbesitznahme neuer Territorien. Die Auswanderer aus Europa verteilten sich nicht gleichmäßig über das gesamte Gebiet. So kamen die Auswanderer zunächst vor allem aus den Ländern im Nordwesten Europas, und erst später erfolgten verstärkt Wanderungen aus dem Süden und auch dem Osten. In der irischen Geschichte zeigt sich auf besondere Weise der Zusammenhang zwischen politischer Unterdrückung, ökonomischer Notlage und Wanderung. Von 1800 bis 1840 hatte sich die Bevölkerung Irlands annähernd verdoppelt und Irland war damit zum am dichtesten besiedelten Land Europas geworden. Die Volkszählung von 1841 kam auf über acht Millionen Menschen, die auf der grünen Insel lebten. England betrieb währenddessen eine verheerende Politik gegenüber Irland und beutete es wirtschaftlich aus. Im Jahr 1845 breitete sich die Kartoffelfäule aus und zerstörte die Lebensgrundlagen der Menschen. Während der great famine, der großen Hungersnot (1846 bis 1851), starben 1,5 Millionen Menschen und 1,3 Millionen wanderten aus. Das Land verarmte und blieb daher auch in den Jahrzehnten danach ein Auswanderungsland, mit weiteren fünf Millionen Auswanderern bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Die sozialstrukturelle Prägekraft der Industrialisierung Typisch für die europäische Entwicklung war die Durchsetzung des industrie- Industriegesellschaft und Erwerbsarbeit gesellschaftlichen Erwerbs, womit einerseits die Tätigkeit im industriellen Sektor, andererseits die Einordnung der Arbeit in ein hierarchisiertes und formalisiertes System kollektiver Leistungseinheiten gemeint sind (Kocka/ Offe 2000). Im 19. und 20. Jahrhundert war die Mehrzahl der Beschäftigten in Industrie und Gewerbe tätig, und der Großteil der gesellschaftlichen Wertschöpfung fand dort statt. Zwar geht man in der Modernisierungstheorie davon aus, dass alle Gesellschaften ähnliche Entwicklungsstufen durchlaufen (von der agrarischen Gesellschaft über die Industriegesellschaft bis hin zur Dienstleistungsgesellschaft), aber tatsächlich hat es nur in Europa eine so ausgeprägte industriegesellschaftliche Ära gegeben (Kaelble 1989; 1997: 31ff.). In Europa, und hier ist insbesondere Westeuropa im Fokus, kam es innerhalb eines halben Jahrhunderts zu einer massiven Reorganisation von (Erwerbs-)Arbeit (Crouch 1999). Die zahlenmäßige Beschäftigung im landwirtschaftlichen Sektor schrumpfte rapide und die Zahl der Industriearbei- <?page no="33"?> 34 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas ter stieg. Gleichzeitig war in Europa die Beschäftigung im Dienstleistungssektor noch wenig verbreitet. Für das historisch erst recht späte Wachstum des Dienstleistungssektors lassen sich verschiedene Gründe anführen, so die Auswanderung großer Teile der Armutsbevölkerung, welche in anderen Weltregionen oft schlecht bezahlte Dienstleistungsberufe ausübten, aber auch die frühzeitige Exportorientierung der europäischen Wirtschaft, welche die Güterproduktion ankurbelte. Mit der Durchsetzung des kapitalistischen industriegesellschaftlichen Systems die Klasse der Lohnarbeiter veränderte sich auch die Stellung der Arbeitnehmer. Waren Lohndienstarbeitsverhältnisse zuvor auf den Bereich des Haushalts beschränkt und wurden Ausbeutungsverhältnisse stark als Einzelschicksale wahrgenommen, so trat mit dem Anwachsen des Fabrikwesens das kollektive Schicksal dieser Existenzform stärker hervor. Ihre soziale Brisanz erhielt diese Entwicklung, weil deutlich wurde, dass Armut und Verelendung im Zusammenhang mit dem sich entwickelnden Arbeitssystem standen. Gleichzeitig wuchs das Bewusstsein für eine gemeinsame Lage, die sich einerseits durch materielle Deprivation auszeichnete, andererseits auch durch eine soziale und rechtliche Schwäche in der Beziehung zum Arbeitgeber (van der Ven 1972: 69f.). Dies führte zu einer gesellschaftlichen Spaltung zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie, die Friedrich Engels in seinem Buch »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« (1972 [1845]: 351) wie folgt charakterisierte: »Die Bourgeoisie hat mit allen andren Nationen der Erde mehr gemein als mit den Arbeitern, die dicht neben ihr wohnen. Die Arbeiter sprechen andre Dialekte, haben andre Ideen und Vorstellungen, andre Sitten und Sittenprinzipien, andre Religion und Politik als die Bourgeoisie.« Gleichzeitig bildet sich ein weiterer Typus im System der Arbeitsbeziehungen die neue Angestelltenkultur heraus, der des Angestellten. Dieser ist zwar auch Lohnempfänger und Arbeitnehmer. Aber er unterscheidet sich von der Arbeiterschaft durch einen geringeren Anteil manueller Tätigkeiten, die Lokalisierung in einem Büro und nicht in einer Fabrikhalle und durch eine formal höhere Bildung. Auch habituell unterscheidet er sich von den Arbeitern, indem er versucht, sich vom Arbeitsmilieu zu distanzieren und sich an den höheren Schichten zu orientieren (Kocka 1981; Lauterbach 1995). Siegfried Kracauer (2004 [1930]) hat in seiner Studie zu den Angestellten darauf hingewiesen, dass diese zwar einerseits wenig Berührung mit den Handarbeitern haben und an deren sozialen Existenzkämpfen nicht teilhaben, aber andererseits auch in ein rationalisiertes System der Unter- und Überordnung eingebunden sind. Die Schicht der Angestellten stand immer neben der sozialstrukturellen Hauptachse von Kapital und Arbeit. Erst mit dem Wachstum der tertiären Beschäftigung wurde die Angestelltenschicht zahlenmäßig bedeutsamer. Dabei kam es allerdings auch zu einer Ausweitung einfacher und zum Teil unqualifizierter Angestelltentätigkeiten, die zu einer Schwächung der traditionellen Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten führte. Von der Industrialisierung ging zudem ein Schub für die Formierung des Bürdie Mittelklasse gertums aus. Bürgertum bezeichnet eine vielfältig strukturierte, im Einzelnen nur schwer abgrenzbare Gesellschaftsschicht zwischen Oberschicht sowie Bauern und <?page no="34"?> 3.1 Das europäische industriegesellschaftliche Modell 35 Arbeiterschaft (Kocka/ Frevert 1988; Pilbeam 1990). Einige Gruppen waren stärker durch eine bestimmte wirtschaftliche Stärke geprägt - dann spricht man häufig vom Wirtschaftsbürgertum (Fabrikanten, Bankiers, Großhändler, Kapitalbesitzer) -, andere durch hohes Bildungskapital, das Bildungsbürgertum (Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Lehrer, Beamte). Für die Stärkung des Bürgertums waren die ökonomische Entwicklung, die Schaffung neuer Berufe im Bereich von Management und Verwaltung sowie die Aufwertung von Bildungskapital entscheidend (Siegrist 1988). Die einfachen Angestellten und die kleinen Händler werden häufig zum Kleinbürgertum gezählt (Kocka 1990; Kocka/ Frevert 1988). Das Kleinbürgertum lebt in der sozialen und räumlichen Nachbarschaft der Arbeiterklasse und teilt viele ihrer Nöte (Crossick/ Haupt 1995). Was kulturelle Werte und Lebensstile betrifft, sind die Rolle von Bildung, familiären Werten, eine bestimmte Art der emotionalen Kontrolle, Urbanität, Selbstbestimmung und die Bedeutung individueller Leistung zentral. Über die einzelnen europäischen Länder hinweg variiert aber die Bedeutung des Begriffs des Bürgertums bzw. der Mittelschicht: Was in England als middle class bezeichnet wird, ist nicht identisch mit der französischen bourgeoisie oder dem italienischen borghesia (Kocka 2004). Bevölkerung, Familie, Lebensverlauf Mit der Industrialisierung setzte auch eine Veränderung des Familienmodells die Familie im industriellen Zeitalter ein. Die Konzentration der Produktion und die Entstehung urbaner und industrialisierter Zentren bewirkten die räumliche Verdichtung des Zusammenlebens (Gestrich et al. 2003). Immer mehr Familien lebten auf relativ engem Raum zusammen, und es verstärkte sich die Tendenz, die Wohnung als abgeschlossenen Raum der Familie zu betrachten. Entsprechend organisierte sich das Leben zwischen den Polen des Rückzugs in den Familienwohnungen und der Beschäftigung in den Fabriken. Obwohl auch in der agrarischen Gesellschaft Geschlechterungleichheit vorherrschte, ist mit der kapitalistischen Industrieproduktion diese Differenz noch verstärkt worden, dies vor allem durch die räumliche Trennung von Produktion und Reproduktion. Der typische Industriearbeiter war männlich, und Frauen wurden zunehmend auf die häusliche Rolle verwiesen. Im klassischen Ernährermodell waren Frauen hauptsächlich für die häuslichen Reproduktionstätigkeiten (Waschen, Betreuen, Zubereiten von Mahlzeiten) zuständig, während Männer das Einkommen am Markt erzielten (Julémont 1993). Mit der Trennung von häuslicher und industrieller Arbeit gingen auch eine Abwertung der familienzentrierten und eine Aufwertung der außerhäuslichen Tätigkeiten einher. Besonders ausgeprägt war dieses Familienmodell nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa, als die Frauenerwerbsbeteiligung sehr niedrig und das Ernährermodell recht verbreitet war (Blossfeld/ Hakim 1997). Die osteuropäischen und zum Teil die skandinavischen Länder förderten die Beschäftigung von Frauen nachhaltig, so dass sich dort deutlich höhere Erwerbsbeteiligungsquoten finden. Sozialhistoriker haben zwei Modelle der Familienbildung unterschieden: das Modell sehr früher Verheiratung, wie es in den Ländern Asiens und Afrikas und <?page no="35"?> 36 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas zu Teilen in Südamerika verbreitet war, und das europäische Modell, für das späte Verheiratung und hohe Ledigenziffern typisch sind (Hajnal 1965; Laslett 1988; Wall/ Robin 1983). Diese unterschiedlichen Modelle waren bis weit in das 20. Jahrhundert charakteristisch. Erst spät setzte in (West-)Europa ein Trend zu höheren Verheiratungszahlen und einem jüngerem Eheschließungsalter ein (Höpflinger 1987: 49). Dieser Trend erreichte in den 1950er- und 1960er-Jahren seinen Höhepunkt, danach setzte ein erneuter Trend zu einer geringeren Heiratshäufigkeit und einem späteren Erstheiratsalter ein. Typisch für die europäische Familie ist auch, dass diese sich von sozialen Einflüssen wie der Gemeinde oder den Nachbarschaften abschirmte. In anderen Kulturen hingegen ist die Familie in weitere soziale Netzwerke, seien sie verwandtschaftlicher oder nichtverwandtschaftlicher Art, eingebettet, so dass auch Aufgaben der Erziehung und Betreuung von Kindern von einem größeren Personenkreis übernommen werden (Mitterauer 1986). In Europa stand und steht die Eltern-Kind-Beziehung im Mittelpunkt; auch die Bedeutung des Mehrgenerationenhaushalts schwächte sich ab. Was die Wahl des Partners angeht, so verbreitete sich in Europa schon frühzeitig die Idee der Liebesheirat, die die Verantwortung für die Partnerwahl von der Familie auf den Einzelnen überträgt (siehe Abschnitt 5.3). Gleichzeitig nahm die Bedeutung der Familie für den Einzelnen ab, da sich die Trennung von Erwerbssphäre und Familie ökonomischen Möglichkeiten, unabhängig von der Familie zu leben, erweiterten. Dies hat unmittelbar mit der Herausbildung der Erwerbsarbeit zu tun: Beschäftigung verschob sich aus dem Haus oder der unmittelbaren lokalen Umgebung in die Fabriken und wurde einer standardisierten Organisationsform (Arbeitsabläufe, Arbeitszeiten, formalisierte Qualifikations- und Aufstiegswege) unterworfen. Das Fabriksystem bezog nicht mehr wie zuvor den »ganzen Menschen« ein, sondern nur noch die Arbeitskraft auf der Grundlage eines Tausches zwischen Arbeitsleistung und Einkommen. Wesentliche Bedingung für dieses System vertraglich zugesicherter Einkommen war die Kontraktualisierung von Arbeit durch Arbeitsverträge. Mit diesen Schritten vollzog sich allmählich eine Trennung zwischen der Sphäre der Familie und der Arbeit, die dann in die für die bürgerliche Gesellschaft zentrale Unterscheidung zwischen privat und öffentlich einmündete (Mitterauer/ Sieder 1977). Eine weitere Entwicklung war die weitreichende Strukturierung und Standar- Institutionalisierung des Lebensverlaufes disierung von individuellen Biografien, welche vielfach als »Institutionalisierung des Lebensverlaufs« (Kohli 1985) beschrieben wird. Von vorindustriellen Lebensläufen wissen wir, dass das individuelle Leben an ein Familienschicksal gebunden war: »Der Schulbesuch reduzierte sich auf wenige Jahre und wenige Stunden in den Jahreszeiten, in denen die Kinder nicht zur Mitarbeit gebraucht wurden […] Formale Eheschließungen waren auf Grund der strengen Eheregelungen erst möglich, wenn die Aussteuer angesammelt, ein Hausstand erworben, Land ererbt oder gepachtet und damit eine ausreichende materielle Lebensgrundlage geschaffen war. Das Leben war weniger ein planbarer Lebensweg als ein unvorhersagbares Schicksal, das durch Krankheiten, Tod, Missernten und ökonomische Schuldner- <?page no="36"?> 3.1 Das europäische industriegesellschaftliche Modell 37 schaft bzw. Abhängigkeit gekennzeichnet war.« (Mayer 2001: 446) Beginnend mit der Industrialisierung und bis in die 50er- und 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts hinein bildete sich eine vierteilige Struktur der Normalbiografie heraus, mit der Phase der Kindheit, der Jugendphase, der Erwachsenenphase und dem Alter. Mit diesen Abschnitten waren feste institutionelle Regelungen verknüpft, die den Status und die Übergänge festlegten und dafür sorgten, dass der individuellen Lebensführung ein festes Gerüst vorgegeben wurde. Strukturierende Wirkung hatten moderne Lebenslaufinstitutionen wie das Schul-, Ausbildungs-, Erwerbs- und Sicherungssystem, die biografische Passagen regelten und standardisierten (siehe Abschnitt 4.2). Mit der Industrialisierung setzte sich die allgemeine Schulpflicht durch, die Beteiligung an weiterführenden Schulen wuchs, und der Anteil der Personen mit einer beruflichen Ausbildung stieg. Zwar sind die Bestrebungen zur Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht historisch älter und religiös motiviert, aber mit der wachsenden Funktion von Bildung für die Produktion kam es immer mehr darauf an, Qualifikationen zu vermitteln. Auch wurde der Lebensverlauf so arrangiert, dass die Chancen der Einkommenserzielung nicht mehr unmittelbar von der physischen Entwicklung und der Gesundheit abhängig waren, sondern auch andere Gratifikationskriterien wie Qualifikation und Senorität an Bedeutung gewannen. Weiterhin gab es mit einem definierten Rentenalter einen formalen und gesicherten Status jenseits des Arbeitsmarktes, der nicht mehr unmittelbar an den körperlichen Verfall gekoppelt war (Kohli 1987). Das industriegesellschaftliche Modell ist natürlich nicht der Endpunkt der gesell- Dienstleistungsgesellschaft schaftlichen Entwicklung. Fourastiés Entwicklungsmodell beschrieb weiter den Übergang zur postindustriellen Gesellschaft mit einem wachsenden Anteil an Beschäftigung im Dienstleistungssektor (Baethge/ Wilkens 2001; Bell 1985; Häußermann/ Siebel 1998). Seit den 1970er-Jahren können wir diesen Wandel in den westlichen Industriestaaten beobachten. Durch Automatisierung und Produktivitätssteige rung wurde die Industrieproduktion immer kostengünstiger und mit geringerem Einsatz von Arbeitskräften organisiert. Zugleich wuchsen der Bereich der öffentlichen und privaten Dienstleistungen und die Zahl der Tätigkeiten in Verkehr, Kommunikation, Pflege, Bildung und Freizeit (siehe Abschnitt 7.4). Damit sind ein quantitatives Abschmelzen der mit dem industriegesellschaftlichen Modell verbundenen Arbeiterklasse und das Entstehen neuer Schichten verbunden. Dazu gehören neue Berufe mit hoher Qualifikation und einer ganzen Dienstleistungsklasse vor allem im öffentlichen Beschäftigungssektor, aber auch wachsende Gruppen in gering qualifizierten Beschäftigungsbereichen. Neben den veränderten materiellen Grundlagen wird mit der Dienstleistungsgesellschaft auch eine Veränderung gesellschaftlicher Werte und Normen verbunden, so durch die Herausbildung postmaterieller Werte und Prozesse der Individualisierung (Inglehart 1998). <?page no="37"?> 38 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas 3.2 Klassen und sozialstrukturelle Differenzierungen Definition Der Begriff der sozialen Klasse beschreibt eine gesellschaftliche Großgruppe, die durch eine strukturell gleiche Stellung im Wirtschaftsprozess und/ oder gemeinsame sozioökonomische Merkmale gekennzeichnet ist. In der Marxschen Theorie wird eine Klasse durch die Stellung zu den Produktionsmitteln charakterisiert. Oft schließt der Begriff der Klasse auch gemeinsame Interessen, ein spezifischesZusammengehörigkeitsgefühl oder ein Klassenbewusstsein ein. Während in den angelsächsischen Ländern der Begriff der Klasse allgemein gebräuchlich ist, sind in der deutschen Sozialstrukturforschung die Konzepte von Klassen, Milieus, Schichten und Lebenslagen zunehmend in Konkurrenz getreten. Im vorangegangenen Abschnitt haben wir darauf hingewiesen, dass die Entwick- Lohnarbeiter und Kapitalistenklasse lung des europäischen industriegesellschaftlichen Modells mit der Entstehung neuer Klassen und Klassenverhältnisse (d. h. Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse) verbunden war. Gesellschaften, die hauptsächlich durch Klassen strukturiert und dominiert sind, werden Klassengesellschaften genannt (Hradil 2006a). Karl Marx, der wichtigste Protagonist der Klassentheorie, analysierte in seinen frühen Arbeiten (1960 [1850]; 1960 [1852]) sehr konkrete Klassen und definierte sie auf der Basis gemeinsamer Existenzbedingungen, etwa ihrer Lebensweise und Bildung. Erst später entwickelte er in seinem wichtigsten Werk, »Das Kapital« (Marx 1962 [1867]), einen abstrakten Klassenbegriff, der an der Stellung im Produktionsprozess und am Eigentum bzw. Nichteigentum an Produktionsmitteln seinen Ausgang nahm. Auf dieser Grundlage unterschied er zwischen zwei Hauptklassen: die der Lohnarbeiter (Arbeiterklasse) und die Klasse der Kapitalisten (Kapital). Marx bezog sich in seinen empirischen Beschreibungen auf die europäischen Gesellschaften, so auf England und Frankreich, und leitete aus diesen Beobachtungen ein allgemeines Modell des sozialen Wandels ab. Für ihn waren Klassenkonflikte der Motor des gesellschaftlichen Wandels. Max Weber (1980 [1922]) hat seinen Klassenbegriff stärker an den tatsächlichen Klassen und Lebenslagen Lebensbedingungen und Lebenschancen sozialer Gruppen orientiert. Nach ihm lässt sich von der Existenz von Klassen ausgehen, wenn unter den Bedingungen des Marktes für eine Mehrzahl von Menschen ökonomische Güterbesitz- und Erwerbsinteressen die ursächliche Komponente ihrer Lebenschancen darstellen. Von Klassen wird gesprochen, wenn der Markt diejenige Instanz ist, welche letztendlich für die soziale Lage und damit verbundene Lebenschancen verantwortlich ist. Weber unterscheidet zwischen Erwerbs- und Besitzklassen, wobei Erstere durch Unterschiede in der Möglichkeit der Chancenverwertung auf dem Markt und Letztere durch die Verfügung über Besitz gekennzeichnet ist. Klassenlage ist für ihn die typische Chance der Güterversorgung, der äußeren Lebensstellung und des inneren Lebensschicksals, und ergibt sich aus der spezifischen Marktlage. Mit sozialer Klasse bezeichnet er die Gesamtheit derjenigen Klassenlagen zwischen <?page no="38"?> 3.2 Klassen und sozialstrukturelle Differenzierungen 39 denen ein Wechsel im eigenen Lebensverlauf oder innerhalb der Generationenfolge leicht möglich ist. Mit dieser Herangehensweise kann Weber eine weitaus differenziertere Darstellung der sozialen Schichtung leisten (Müller 2007a). Weber konnte beobachten, dass die von Marx vorhergesagte Radikalisierung der Arbeiterklasse nicht vollständig eintrat und sich Teile der Arbeiterschaft nicht mehr mit dem Begriff des Proletariats fassen ließen. Die Entstehung von Klassen Die Marxsche Interpretation des Prozesses der industriellen Revolution ging davon Klassen als soziale Bewegungen aus, dass sich mit der Herausbildung einer kapitalistischen Industriegesellschaft die Unterschiede in Qualifikation und Lohn so weit verwischen würden, dass einheitliche Klassen entstehen. Die massiven Veränderungen in Produktion und Reproduktion trugen tatsächlich zur Formierung neuer gesellschaftlicher Großgruppen mit einem gemeinsamen Lebenszusammenhang und bestimmten Interessen bei. Klassenbeziehungen wurden zur dominierenden Konfliktachse des industriegesellschaftlichen kapitalistischen Modells, allerdings mit großen Varianzen zwischen den Ländern (Katznelson/ Zolberg 1986). In England, Deutschland und Frankreich kam es nach 1850 zu einem großen Anwachsen der Arbeiterschaft und gleichzeitig zu verschiedenen Formen des Protests und Widerstandes. Zwischen 1900 und 1914 gab es in Frankreich kaum ein Jahr mit weniger als 500 industriellen Auseinandersetzungen; mehr als eine Million deutsche Arbeiter nahmen 1912 an Arbeitskämpfen teil. Auch in Großbritannien existierten zahlreiche Konfliktherde in den industriellen Zentren wie Manchester oder Liverpool. Eine Formierung der Arbeiterklasse als politische Bewegung konnte in vielen westlichen Ländern beobachtet werden. Dazu gehörten die Gründung eigenständiger Parteien der Arbeiterklasse, die gewerkschaftliche Organisation und die Bildung von Vereinen und Organisationen, die im Arbeitermilieu beheimatet waren (Geary 2004). Obwohl die Mobilisierung der Arbeiterschaft, so in Gewerkschaften und durch neue Protestformen wie Streiks, zu einem neuen Strukturmerkmal der kapitalistischen Gesellschaft wurde, kann allerdings von einer flächendeckenden Organisation nicht gesprochen werden. Der Anteil der Arbeiter in der produzierenden Industrie, die Anfang des letzten Jahrhunderts in gewerkschaftlichen Organisationen eingebunden waren, variierte zwischen 30 und 40 % in Großbritannien, 25 und 30 % in Deutschland und lag in Frankreich bei 15 % (Kriegel/ Becker 1964). In einigen Ländern, so Italien und England, blieb die Arbeiterklasse zudem fragmentiert und gespalten. Ein Grund für diese Unterschiede ist im Grad der religiösen und linguistischen Heterogenität, aber auch den Sozialstrukturen der einzelnen Länder zu sehen (Bartolini 2000; Lane/ Ersson 1987). In Osteuropa war die Arbeiterklasse zwar in eine Reihe von tiefgreifenden Konflikten involviert, konnte aber nie die Stellung erreichen, die sie in Westeuropa hatte. Viele Länder Osteuropas wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der in Westeuropa einsetzenden kapitalistischen Entwicklung beeinflusst. Die Übertragung moderner Wirtschaftsformen auf noch überwiegend agrarische Län- <?page no="39"?> 40 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas der barg eine Fülle sozialer und politischer Probleme in sich. Sie wurden durch das Fehlen oder die schwache Entwicklung verfassungsmäßiger Einrichtungen verschärft, die einen Ausgleich der Gegensätze ermöglicht hätten. In Russland lebten zum Zeitpunkt der Oktoberrevolution 1917 noch 80 % der Menschen in agrarischen Verhältnissen, so dass eine umfassende Arbeiterbewegung dort nicht entstehen konnte. Deshalb war es ein relativ kleiner Zirkel von Arbeiter- und Soldatenräten in den großen Städten, welcher die Machtübernahme der Bolschewisten letztlich durchsetzte. Obwohl die Formierung einer Arbeiterklasse unübersehbar war, ist es zu weit die Differenzierung der Arbeiterschaft gegriffen, diese im Sinne einer geeinten Großgruppe zu verstehen. So wurde die Unterscheidung zwischen der qualifizierten Arbeiterschaft und einfachen und ungelernten Arbeitern schon früh sichtbar und erstreckte sich über den engeren Bereich der Arbeit bis hinein in die Populärkultur und Formen der Lebensführung. Das Lumpenproletariat und die Arbeiteraristokratie trennten Welten (Ritter/ Tenfelde 1992). Es zeigte sich zudem, dass aus den abstrakten Klassenverhältnissen weder automatisch einheitliche Klassenlagen noch politische Bewusstseinsformen und Bewegungen abzuleiten sind. Die Arbeiterklasse und das politische System Große Länderunterschiede gab es im Hinblick auf die Einbindung der Arbeiterdie politische Organisation der Arbeiterklasse klasse in das politische System. Nicht in allen Ländern entstanden bedeutsame sozialistische oder sozialdemokratische Parteien, die die Arbeiterklasse an sich binden konnten. Die deutsche Sozialdemokratie zeichnete sich durch eine besondere Stärke aus. Mit dem Zusammenschluss 1875 des von Ferdinand Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins sowie der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) unter der Führung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) verfügte Deutschland über eine einheitliche sozialistische Partei. Trotz des Sozialistengesetzes, welches die Aktivitäten von sozialistischen und sozialdemokratischen Organisationen beschränkte, gelang es ihr, ihre Massenbasis zu verbreitern, und schon 1890 erhielt sie bei den Reichstagswahlen knapp 20 % der abgegebenen Stimmen. 1912 war der Stimmenanteil dann schon auf fast 35 % angestiegen. Im Vergleich dazu blieb die Labour Party in Großbritannien noch lange eine randständige Partei ohne nennenswerte Wahlerfolge, und dies obwohl die Insel das Mutterland des modernen Kapitalismus war. Trotz dieser großen innereuropäischen Unterschiede gilt die Verbindung zwidie USA im Kontrast schen Arbeiterschaft und Sozialdemokratie als durchaus europäisches Phänomen. Werner Sombarts berühmter Essay »Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus? « (1906) nahm sich der Frage an, warum die sozialistischen Bewegungen in den Vereinigten Staaten nicht so Fuß fassen konnten wie in Europa. Er beobachtete, dass sich die politische Kultur der Vereinigten Staaten erheblich von der europäischen unterschied. So fand sich in den USA keine Aufteilung der politischen Parteien nach sozialen Klassen wie dies in Europa üblich war. <?page no="40"?> 3.2 Klassen und sozialstrukturelle Differenzierungen 41 Auch machte er die amerikanische soziale Mobilität, also die Durchlässigkeit der Klassengrenzen, dafür verantwortlich, dass sich eine Arbeiterbewegung nicht formieren konnte. Statt im Klassenkollektiv für mehr Rechte und verbesserte Lebensbedingungen zu streiten, verfolgten die Amerikaner individuelle Aufstiegsziele. Dieser Gegensatz zwischen Europa und Amerika fand in der Folge ein großes Echo in der sozialwissenschaftlichen Forschung, zum Teil mit dem Befund, dass sich die Mobilitätsunterschiede im Zuge der Industrialisierung einebneten, zum Teil aber auch mit Hinweisen auf Differenzen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert (Erikson/ Goldthorpe 1992; Kaelble 1983; Lipset/ Bendix 1959). Neben tatsächlichen Mobilitätschancen wurden insbesondere unterschiedliche Werte für die Erklärung der Unterschiede angeführt: Die USA stellen sich demnach als besonders liberales und individualistisches Land dar, während in Europa hierarchische Verhältnisse der Über- und Unterordnung vorherrschen (Lipset 1996). Gleichzeitig verbindet sich dieser Liberalismus mit einem Egalitarismus, der zur damaligen Zeit den europäischen Gesellschaften noch fremd war (Tocqueville 1959 [1835]). Ein für die Europäisierungsdiskussion sehr wichtiger Aspekt ist die recht frühe, internationale Arbeitersolidarität? aber unvollständige Internationalisierung der Arbeiterbewegung. Karl Marx selbst hatte sich im Rahmen seiner Bemühungen um die Erste Internationale 1864 für ein internationales Bündnis der Arbeiterklasse eingesetzt. Mit dem internationalen Charakter des Kapitalismus, so sein Argument, sei auch eine internationale Arbeiterbewegung geboten, die nationale Schranken überwindet. Schon bald wurde klar, dass es nicht genug Zusammenhalt gab, um eine internationale Arbeiterpartei zu gründen. Auch die Bereitschaft, internationale Solidarität zu üben, blieb eingeschränkt und erst recht spät rückten so wichtige Fragen wie der Umgang mit den Kolonien auf die Tagesordnung (Stjernø 2004). Die mit der Arbeiterbewegung verbundenen Konzepte blieben trotz verschiedener Versuche des internationalen (beziehungsweise europäischen) Zusammenschlusses letztlich national. Ausdifferenzierung der Sozialstruktur In der Sozialstrukturforschung ist in den letzten Jahren diskutiert worden, inwie- Klassengesellschaft im Schmelztiegel weit Klassenkonzepte geeignet sind, um die maßgeblichen sozialen Differenzierungen abzubilden. Denn in fortgeschrittenen Industriegesellschaften ist es weniger der Besitz an Produktionsmitteln, welcher die Position in der Sozialstruktur bestimmt, als vielmehr die Stellung in der Berufshierarchie, die entscheidend auf das Einkommen, das soziale Prestige, die Ausstattung mit Macht und Einfluss und die Verfügbarkeit über vorteilhafte Sozialbeziehungen Einfluss nimmt (Hradil 2006a). Schichtmodelle verweisen auf die Rolle neuer Gruppen, wie die der wachsenden Mittelschicht und die Ausdifferenzierung der Arbeitnehmer in Arbeiter und Angestellte. Zugleich verändert der technische Fortschritt die Arbeitsprozesse und -bedingungen, so dass größere Unterschiede in Qualifikation und Entlohnung hervortreten (Geißler 2006). Schließlich geraten auch andere Dimensionen sozia- <?page no="41"?> 42 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas ler Ungleichheit in den Blick, so regionale Ungleichheiten oder die konfessionelle Zugehörigkeit. Schon in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts hat Theodor Geiger soziale Schichtung (1972 [1932]) in seinen Arbeiten zur sozialen Schichtung der deutschen Gesellschaft dargelegt, dass sich die Gesellschaft in sehr unterschiedliche Gruppen einteilen lässt und verschiedene Aspekte wie Beruf, Bildung, Herkunft und Konfession dabei eine Rolle spielen. Zugleich stehen objektive Lage und subjektives Bewusstsein nicht in einem festen und deterministischen Verhältnis zueinander. Nach Geiger (1949) wird die soziale Schichtung immer vielfältiger, und es entstehen neue Gruppen (zum Beispiel die Angestellten und Beamten). Bekannte Schichtmodelle für die Bundesrepublik sind das »Zwiebel-Modell« von Karl Martin Bolte (1970), welches sich an den Kriterien Bildung, Einkommen und Beruf orientiert, und das »Haus-Modell« von Ralf Dahrendorf (1965), welches Positionen im Wirtschaftssystem mit soziokulturellen Mentalitäten verbindet. Der Schichtbegriff ist auch von Helmut Schelsky (1965) mit seiner These von der »nivellierten Mittelstandsgesellschaft« aufgegriffen worden. Er behauptet für die Bundesrepublik, aber auch für vergleichbare westliche Wohlfahrtsstaaten, dass die Verbreitung von Wohlstand, der Ausbau von Sozialpolitik, Chancengleichheit, Mobilität und die größere Rolle von Konsum und Freizeit die Bedeutung der Klassenzugehörigkeit abschwächen. Statt zur Klassenpolarisierung komme es zu einer Stärkung der gesellschaftlichen Mitte und zu einer tendenziellen Entschichtung der Gesellschaft. So zeigen Daten in allen westeuropäischen Gesellschaften, dass die Mittelschicht deutlich angewachsen ist und circa 50 % der Bevölkerung dazugerechnet werden können, mit Abweichungen nach oben und nach unten (Allum 1995; Sylos-Labini 1975). Noch weiter gehen die Thesen zur Auflösung von Klassen und Schichten und zur Entstrukturierung der Sozialstruktur (Beck 1983). Gegen Schelsky und andere ist eingewandt worden, dass ihre Diagnosen den Fortbestand wichtiger vertikaler Ungleichheitsverteilungen im Hinblick auf Besitz, Einkommen und Mentalitäten unterschätzen. Neuere Ansätze der Klassentheorie gehen weiterhin von einer zentralen Bedeutung des Arbeitsprozesses für soziale Strukturierung aus, nehmen aber auch verstärkt Bezug auf die Macht- und Entscheidungshierarchien im Wirtschaftsprozess, das Qualifikations- und Anforderungsprofil und die Einkommensquellen (Wright 1985). Kreckel (2004) spricht in seiner Analyse kapitalistischer Sozialstrukturen von der meritokratischen Triade von Bildung, Beruf und Einkommen. In »offenen« westlichen Gesellschaften gilt eine leistungsgesellschaftliche Statuszuteilung dann als legitim, wenn sich ungleiche Qualifikationen in ungleiche berufliche Statuspositionen und Gratifikationen (Einkommen) übersetzen. Die Klassentheorie von Goldthorpe (Erikson/ Goldthorpe 1992; 1987) geht davon aus, dass in modernen westlichen Gesellschaften mit bürokratischer Arbeitsorganisation die Dienstklasse eine dominante Stellung einnimmt. So werden höhere Professionen, d. h. Ingenieure, leitende Verwaltungsberufe, Manager und Großunternehmer in der oberen und mittleren Dienstklasse zusammengefasst. Bourdieu erweitert das Klassenkonzept, <?page no="42"?> 3.3 Das europäische Sozialmodell 43 indem er soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital unterscheidet und mit der Lebensstilanalyse verknüpft (Bourdieu 1984; Müller 1992). Für Osteuropa ergab sich nach dem Zweiten Weltkrieg und bis 1989 ein andedie sozialistische Ständegesellschaft res Bild: In der Selbstbeschreibung der politischen Systeme handelte es sich um Arbeiter- und Bauernstaaten, die diesen Gruppen politische und soziale Vorherrschaft zuschrieben. Die Sozialstrukturen konnten als weitgehend nivelliert angesehen werden. Allerdings gab es politisch motivierte Privilegierungen bestimmter Gruppen, so dass auch von einer Herrschaft der Nomenklatur oder einer »sozialistischen Ständegesellschaft« (Meier 1990) gesprochen wurde. Die Parteibürokratie und die technokratische Intelligenz hatten eine Schlüsselrolle bei der Ausübung gesellschaftlicher Macht und der Kontrolle von Wirtschaft und Öffentlichkeit (Konrad/ Szelényi 1974). Die Versprechen der Gleichheit wurden daher nur unvollständig eingelöst. Nach der Etablierung der staatssozialistischen Ordnung kam es, wie man am Beispiel der DDR zeigen kann, zu einer Abnahme struktureller Mobilität. Im intergenerationellen Vergleich gab es eine Zunahme des Abstiegsrisikos in die Arbeiterklasse bei gleichzeitiger Verringerung der Aufstiegschancen in die sozialistische Dienstklasse (Solga 1995). Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus wurde diese politische Einflussnahme auf die Sozialstruktur aufgehoben, und die Länder Osteuropas knüpften einerseits stärker an westliche marktvermittelte Formen der sozialstrukturellen Differenzierung, andererseits an eigene Traditionsbestände an. In relativ kurzer Zeit verschärften sich die Ungleichheiten und neue (technokratische) Eliten konnten an Einfluss gewinnen (Eyal et al. 1998). 3.3 Das europäische Sozialmodell Definitionen Der Wohlfahrtsstaat umfasst alle Formen der staatlichen Interventionen, deren Zweck die Vorsorge für Lebensrisiken und die Kompensation durch den Markt erzeugter Ungleichheiten ist. Dies sind Institutionen zur Absicherung gegen Lebensrisiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter und Armut sowie staatliche Programme in Bereichen wie Wohnungswesen, Bildung, Sozialwesen und Fürsorge. Soziale Rechte bilden gemeinsam mit den bürgerlichen und politischen Rechten den Grundbestand subjektiver Rechte. Sie sind die Grundlage eines jeden Wohlfahrtsstaates und geben die Leitlinien für das Verfahren zum Erwerb von Ansprüchen zur sozialen Absicherung vor. Sie haben eine gesellschaftliche Dimension, insoweit ihre Umsetzung zur Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit beitragen soll. Die europäischen Gesellschaften gelten nicht nur als die Orte des Klassenkonflikdie Kollektivierung von Risiken tes, sondern auch als die des institutionalisierten Klassenkompromisses. Anders als von Marx vorhergesagt, kam es im Zuge der kapitalistischen Entwicklung nicht zur Verelendung des Proletariats, sondern zu einer Ausweitung staatlicher <?page no="43"?> 44 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas Intervention zugunsten erweiterter sozialer Teilhabe und Risikoabsicherung. Mit dem Wohlfahrtsstaat entstand ein neues gesellschaftliches Arrangement, dessen Zweck die Vorsorge für Lebensrisiken und die Kompensation vom Markt erzeugter Ungleichheiten ist (Kaufmann 2003). Wichtig für den Ausgleich der Interessen sind auch Formen der Mitbestimmung der Arbeiterschaft, der sozialpartnerschaftlichen Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden, Fragen der Lohngestaltung, der Regulierung von Beschäftigung und des Kündigungsschutzes (vgl. Abschnitte 4.1 und 4.3). Bürgerrechte und soziale Klassen Mit der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates in Europa verbanden sich weitreibürgerliche, politische und soziale Rechte chende Veränderungen der Organisation gesellschaftlicher Ungleichheit. In seiner berühmten Vorlesung »Citizenship and Social Class« hat Thomas H. Marshall (1992 [1949]) die westliche Entwicklung als einen dreistufigen Prozess der Etablierung von Bürgerrechten, politischen und sozialen Rechten beschrieben. Diese unterschiedlichen Rechte ordnet Marshall anhand ihrer historischen Abfolge und nimmt dabei die englische Entwicklung als verallgemeinerungsfähiges Modell (vgl. Abb. 2): Zunächst entstanden im 18. Jahrhundert bürgerliche Rechte, die an die Herausbildung von unabhängigen Gerichtsbarkeiten geknüpft waren und gleiche Freiheits- und Persönlichkeitsrechte garantierten. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich politische Teilhaberechte durch die Ausweitung des allgemeinen Wahlrechts, die Schaffung neuer Repräsentationsformen und die Parlamentarisierung und Demokratisierung politischer Willensbildung. Diese neuen Zugangsmöglichkeiten zu politischer Macht, die der Arbeiterklasse ein großes politisches Gewicht verliehen, hebelten die Klassenverhältnisse aber nicht aus. Die Arbeiter nutzten die neu gewonnenen Rechte nicht, um das System grundlegend umzustürzen, sondern kanalisierten ihre Forderungen innerhalb des bestehenden ökonomischen und politischen Systems. Das dritte Element, die Etablierung sozialer Rechte, die ein Mindestmaß an ökonomischer Wohlfahrt und sozialer Sicherheit sowie materielle Teilhabechancen zusichern, ist unmittelbar mit den politischen Rechten verbunden. Erst durch die politische Mobilisierung und die Ausweitung Abb. 2 | Dimensionen des Staatsbürgerschaftsstatus Historische Phase Rechtsform Rechtsinhalt Institution 18. Jahrhundert Bürgerliche Rechte Redefreiheit, Gedanken- und Glaubensfreiheit, Freiheit des Eigentums, Vertragsfreiheit, Recht auf ein Gerichtsverfahren Gerichte 19. Jahrhundert Politische Rechte Politische Partizipation; Wahlrecht, Wählbarkeit Parlamente 20. Jahrhundert Soziale Rechte Bildung, Gesundheit, materielle Absicherung Institutionen des Wohlfahrtsstaates Quelle: Zusammenstellung nach Mackert (2006). <?page no="44"?> 3.3 Das europäische Sozialmodell 45 des allgemeinen Wahlrechts konnten soziale Bedürfnisse effektiv artikuliert werden (Flora/ Alber 1981). Eine Folge davon waren die Herausbildung des Wohlfahrtsstaates und die Übernahme von staatlicher Verantwortung für zentrale Lebensrisiken. Charakteristisch ist, dass mit der Ausweitung und Aufwertung dieser Rechte Staatsbürgerschaft als Statusgleichheit der Status von Individuen innerhalb eines Staatswesens grundlegend verändert wird. Im Zuge der Institutionalisierung von Staatsbürgerschaftsrechten entsteht ein neues Verhältnis der Individuen zu Staat und Recht und untereinander: »Die Gleichstellung geschieht nicht zwischen den Klassen als vielmehr zwischen den Individuen, die jetzt für diesen Zweck so behandelt werden als seien sie eine Klasse« (Marshall 1992 [1949]: 73). In der feudalen Gesellschaft galt, dass Rechte eng mit dem sozioökonomischen und politischen Status verknüpft waren. Diese Verbindung wird in modernen Gesellschaften aufgehoben. Wohl sieht Marshall deutlich, dass der Übergang von einer ständisch geordneten Gesellschaft zu einer rein marktförmig organisierten Gesellschaft, dem Kapitalismus, große Ungleichheiten und Verwerfungen hervorbringt, aber durch die Verbindung von Staatsbürgerschaft und Kapitalismus entwickelt sich ein neues Statussystem, welches alle Bürger, egal welcher Klassenzugehörigkeit, zu formal Gleichen macht. In Marshalls Verständnis geht es nicht um die Abschaffung von Ungleichheit ganz allgemein, sondern um die Abschaffung von Ungleichheit hinsichtlich Status und der Ausstattung mit Rechten. Damit können durch staatsbürgerliche Gleichheit, die ihre Grenzen im Bereich des wirtschaftlich Notwendigen findet, Marktungleichheiten legitimiert werden. Marshall entwickelt damit eine Gegenperspektive zur Marxschen Vorstellung des radikalen Systemumbaus und zeigt, wie das Verhältnis zwischen politischer Demokratie und kapitalistischer Marktwirtschaft reguliert werden kann (Mackert 2006). Die Entstehung von Sozialstaatlichkeit Zentraler Ausgangspunkt bei der Ausweitung der staatlichen Verantwortung und Einführung der Sozialversicherungen Regulierung war aber nicht das Streben nach Gerechtigkeit, sondern die Suche nach einer Antwort auf die »soziale Frage« des Industrialisierungsprozesses, also die neu entstandenen Risikolagen und der damit verbundene soziale Sprengstoff. Bismarcks Sozialreformen im ausgehenden 19. Jahrhundert lassen sich beispielsweise als »defensive Modernisierung« begreifen, bei der es darum ging, die soziale Frage zu entschärfen und die Bindungen der Arbeiterschaft an den Staat zu vergrößern (Zapf 1986). Zunächst ging es weniger um einen »Wohlfahrtsstaat für alle«, sondern um soziale Sicherung für Arbeitnehmer in den produktiven Kernsektoren. Die Gruppe der Industriearbeiter war in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Existenz der neuzeitlichen industriellen Entwicklung besonders schutzlos ausgeliefert. Zugleich zeigte sich, dass viele Risiken im Umgang mit Maschinen nicht auf individuelles Versagen zurückzuführen waren, sondern dass es sich um kollektive Risiken handelte, deren Bearbeitung letztlich auch nur kollektiv gelingen konnte (Ewald 1986). So überrascht es nicht, dass in vielen Ländern die Unfallversicherung <?page no="45"?> 46 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas als Erstes eingeführt wurde, da es darum ging, den Gefährdungen von Leben und Gesundheit, die durch die maschinelle Produktion entstanden, wirksam zu begegnen. Dies geschah parallel zu anderen regulativen Maßnahmen des Staates wie Arbeitsschutz und Gewerbeaufsicht. Erst später kamen weitere Sozialversicherungszweige hinzu, so Kranken-, Invaliditäts- und Rentenversicherung. Waren die ersten beiden noch unmittelbar mit den Risiken des Produktionsprozesses verbunden, ging die Rentenversicherung darüber hinaus und half den Arbeitnehmern Vorsorge zu treffen. Erst relativ spät wurde die Arbeitslosenversicherung eingeführt. Damit wurde bezweckt, die Risiken wirtschaftlicher Wechsellagen wie Konjunkturschwankungen, welche für den Arbeitnehmer die Gefahr des Verlustes der Arbeitsstelle und damit die Arbeitslosigkeit bedeuteten, durch eine Sozialversicherung aufzufangen. Diese Abfolge der Einführung der Sozialversicherungen ist in fast allen (west-)europäischen Ländern zu finden, allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten (Flora 1986-87). Waren zunächst nur bestimmte Berufe und Arbeitnehmergruppen in die Sozialversicherungen eingeschlossen, kam es später zu einer sukzessiven Erweiterung und Einbeziehung weiterer, zum Teil sogar aller Teile der Bevölkerung. In einigen Systemen, so dem deutschen, blieb die Trennung zwischen Arbeiterpolitik und Armenpolitik allerdings über lange Zeit konstitutiv (Leibfried/ Tennstadt 1985). Andere Systeme mit einer starken Tradition der Armenfürsorge hingegen zogen keine so starke Trennungslinie zwischen der Sozialversicherung und der staatlichen Sicherung eines Existenzminimums. Was die Entwicklung des europäischen Sozialstaates angeht, so steht diese in Staat - Nation - Solidarität einem engen Zusammenhang mit der Herausbildung der Nationalstaaten (Rokkan 1974). Über Klassen- und Gruppendifferenzen hinweg etablierte sich ein nationaler Solidaritätsvertrag, der eine neuartige Vorstellung von wechselseitiger Verantwortung und zu gewährenden Hilfeleistungen zwischen den Bürgern enthielt (Ewald 1986). Ausgehend von der Idee eines nationalen Kollektivs schuf der Staat Institutionen, die der kollektiven Daseinsvorsorge dienten und damit das Verhältnis zwischen den Individuen und dem Kollektiv neu regulierten. In diesem Sinne ist es die staatlich befestigte Vorstellung einer über Geschichte, Sprache und Identität zusammengehaltenen Nation, die es ermöglicht, dass den Mitgliedern eines Staatswesens Umverteilungsopfer zugunsten anderer Mitglieder zugemutet werden können (Offe 1998). Der nationale Souveränitätsraum bietet seinen »Insassen« Schutz und Sicherheit, fordert im Gegenzug aber auch eine Akzeptanz sozialer Verpflichtungen, wie sie beispielsweise dem Steuerbürger auferlegt werden. Die geeinte Nation, so Richard Münch, »ist die kollektive Ressource, aus der die Nationalstaaten ihre Handlungsfähigkeit und ihre Kraft der Gestaltung und Integration mittels Gesetzgebung, Steuererhebung und Umverteilung schöpfen« (Münch 2001: 183). Die Bereitschaft, innerhalb von staatlich organisierten Arrangements Beiträge für das allgemeine (sprich nationale) Wohl zu erbringen, kann nur vor dem Hintergrund von Vorstellungen von Zugehörigkeit verstanden werden. Diese legen eine spezifische Art von Verbundenheit mit den Mitbürgern nahe, <?page no="46"?> 3.3 Das europäische Sozialmodell 47 die gegenüber Nicht-Mitbürgern weder vorausgesetzt noch erwartet werden kann (Streeck 2001). Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates wird oft als Teilaspekt eines umfassen- Antriebskräfte des Wohlfahrtsstaates den Modernisierungsprozesses angesehen: Der Funktionalismus begreift den Wohlfahrtsstaat als Antwort auf den wachsenden sozioökonomischen Druck, dem sich alle modernisierenden Gesellschaften aufgrund von Urbanisierung, Bevölkerungswachstum und sozioökonomischer Entwicklung ausgesetzt sahen (Wilensky 1975). Die politisierte Variante dieser These hebt hervor, dass Modernisierung ein multidimensionaler gesellschaftlicher Prozess ist, mit einer Gleichzeitigkeit von ökonomischem Wachstum, sozialer und politischer Mobilisierung, Demokratisierung und staatlicher Bürokratisierung. Folge dieser Transformation sozialer Ordnung ist auch die zunehmende sozialpolitische Intervention und Regulierung (Flora/ Heidenheimer 1981). Vertreter des Machtressourcen-Ansatzes üben an den genannten Theorien Kritik und unterstreichen die Rolle von Konflikt und Klassenauseinandersetzungen als Motor für die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates (Korpi 1983). Sie sehen den wachsenden politischen Einfluss von linken Parteien und Gewerkschaften als treibende Kraft der Expansion von Wohlfahrtsstaaten. Die beträchtlichen Unterschiede hinsichtlich des Umfangs wohlfahrtsstaatlicher Leistungen werden mit der unterschiedlichen Stärke der Organisationen der Arbeiterklasse (sozialdemokratische Parteien, Gewerkschaften) begründet. Interessant, dass es zwar eine »Wahlverwandtschaft« zwischen Massendemokratien und Wohlfahrtsstaatlichkeit gab, aber auch autoritäre und faschistische Systeme auf sozialpolitische Maßnahmen zurückgriffen. Auch die staatssozialistischen Länder nutzten Sozialpolitik, um ihre Bevölkerung zu binden. Hier übernimmt der Staat in paternalistischer Absicht umfassende sozialpolitische Aufgaben weit über den Bereich der sozialen Absicherung hinaus, so in der Familienpolitik oder im Wohnungsbau. Historische Arbeiten belegen, dass Westeuropa als Vorreiter bei der Entwick- Entwicklungsphasen lung des Wohlfahrtsstaates gelten kann (Alber 1982; Flora/ Alber 1981). In zeitlicher Nähe zueinander haben die großen, aber auch zahlreiche kleinere Länder als Pioniere der sozialpolitischen Entwicklung agiert. Diese hatte einen langen historischen Vorlauf mit der Armenpolitik der Kommunen, Kirchen und philanthropischen Organisationen. Die ersten staatlichen Sicherungssysteme für Krankheit und Rente wurden in Deutschland und auf den britischen Inseln im späten 19. Jahrhundert eingeführt. Später kamen viele kontinentaleuropäische Länder hinzu, dann Skandinavien. Im Zuge der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates entstanden große staatliche Sozialbürokratien, die eigens für die Administration und Steuerung dieser Maßnahmen aufgebaut wurden. Zugleich schuf der Wohlfahrtsstaat neue Professionen von Helfern, sozialen Dienstleistern und Gruppen von Transferempfängern, deren soziale Lage und Einkommen wesentlich durch staatliche Zahlungen bestimmt waren (de Swaan 1988). Immerfall (1995: 89ff.) unterscheidet vier historische Entwicklungsphasen des europäischen Wohlfahrtsstaates: die Aufbauphase zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg, die Ausbau- <?page no="47"?> 48 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas phase in der Zwischenkriegszeit, die Expansionsphase seit den 1950er-Jahren und die Stagnationsphase seit Mitte der 1970er-Jahre. In diesen Phasen lassen sich sozialpolitische Vorreiter identifizieren. »Der große Innovator in der ersten Phase war Deutschland, in der zweiten Großbritannien und in der dritten Schweden« (Immerfall 1995: 91). Für die osteuropäischen Länder gilt, dass sie dem westeuropäischen Modell insbesondere in der Zwischenkriegszeit nahekamen und bis spätestens Anfang der 1950er-Jahre die wichtigsten Sozialversicherungen etabliert hatten (Tomka 2004). Typisch für die sozialistische Phase waren staatliche Einheitsversicherungen, existenzsichernde Leistungen, betriebsbasierte Versorgung mit sozialen Dienstleistungen (unter anderem Kindertagesstätten) und sozialpolitische Intervention durch Preissubvention für Grundnahrungsmittel, Mieten und den öffentlichen Verkehr. Arbeitslosenversicherungen gab es nicht, da allgemein die Pflicht zur Arbeit bestand und über Beschäftigung in den staatseigenen Betrieben durchgesetzt wurde. Wenn wir heute von einem europäischen Sozialmodell sprechen, dann ist nicht Merkmale des europäischen Sozialmodells nur gemeint, dass der Sozialstaat eine europäische Erfindung ist, sondern auch, dass er in Europa eine spezifische Form angenommen hat (vgl. Abb. 3). Trotz grö- Abb. 3 | Merkmale des europäischen Sozialmodells Verantwortung des Staates Bereitstellung öffentlicher Güter, umfassende Risikovorsorge Umverteilung steuerpolitische und wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen zur Verringerung von Einkommensungleichheiten Korrektur von Marktergebnissen Abgesicherte Risiken wichtigste Bereiche der Risikoabsicherung: Alter, Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit, deutlich später in einigen Ländern Pflege, Pflichtversicherungen Arbeitsbeziehungen umfangreicher Bestand an kodifiziertem Arbeitsrecht, starke Interessenverbände geregelte Verhandlungsprozesse zur Beilegung sozialer Konflikte Reichweite/ Inklusion Einbeziehung aller Bürger, breites Konzept der Mindestversorgung für jeden Bürger mit einklagbarem Anspruch auf staatliche Leistungen Finanzierung kollektive Finanzierung durch Steuermittel oder Beiträge zu den Sozialversicherungen Rolle verschiedener Wohlfahrtsproduzenten staatliche Institutionen zentral, nichtstaatliche Formen der sozialen Sicherung (Nachbarschaft, Region, Familie, religiöse Gemeinschaften) nachgeordnet oder ergänzend Wertebasis/ normativer Maßstab ausgleichende Gerechtigkeit gesellschaftliche Teilhabe Solidarität <?page no="48"?> 3.3 Das europäische Sozialmodell 49 ßerer Unterschiede in der öffentlichen Sicherung (vgl. Abschnitt 4.1) gibt es grundsätzliche Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen europäischen Sozialstaaten. Die spezifische Form zeichnet sich durch die umfassende Daseinsvorsorge, die Institution der Pflichtversicherung für eine Reihe von zentralen Lebensrisiken, die Einbeziehung aller Bürger, die kollektive Finanzierung, die Institutionalisierung der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern und Ideen ausgleichender Gerechtigkeit und Solidarität aus (Kaelble/ Schmid 2004; Kaufmann 2003; Outhwaite 2008). Diese Eigenheiten zeigen sich im Unterschied beispielsweise zu den USA und vielen Ländern der außereuropäischen Welt, in denen bis heute keine allgemeine staatliche Krankenversicherung besteht und die Mittelschichten weit weniger in die wohlfahrtsstaatlichen Leistungssysteme einbezogen sind. Auch liegen die Sozialausgaben in den europäischen Ländern auf vergleichsweise hohem Niveau, sieht man einmal von einigen kleineren und ärmeren europäischen Ländern ab. Im Gegensatz zu philanthropischen oder willkürlichen Formen sozialer Fürsorge etabliert der europäische Wohlfahrtsstaat schließlich Rechtsansprüche des Bürgers auf soziale Versorgung gegenüber dem Staat, welche weitgehend in den nationalen Rechtsprechungen verankert sind. Auch dies ist in vielen Regionen der Welt nicht selbstverständlich (Kaelble 2004). Allerdings greift die Vorstellung eines einheitlichen Modells, durch das alle europäischen Gesellschaften gekennzeichnet sind, zu weit (siehe Kapitel 4). Zugleich kann auch auf die Schattenseiten des europäischen Sozialmodells hingewiesen werden, so Probleme struktureller Arbeitslosigkeit (Alber 2006; Gallie/ Paugam 2000). Wohlfahrtsstaaten mit relativ großzügiger Absicherung und geringen Einkommensungleichheiten stehen in der Gefahr, dass sie weniger Beschäftigung und wirtschaftliche Dynamik hervorbringen (Iversen 2005; Iversen/ Wren 1998). Insbesondere im niedrig entlohnten Dienstleistungsbereich gibt es ein geringeres Beschäftigungsniveau als beispielsweise in den USA. Allerdings haben die skandinavischen Länder hohes Wachstum mit einer erfolgreichen Sozialpolitik kombiniert und konnten vor allem über den Ausbau des öffentlichen Dienstes die Probleme anhaltend hoher Arbeitslosigkeit verringern. Insgesamt erweist sich der europäische Wohlfahrtsstaat als eine der wichtigsten gesellschaftlichen Innovationen des letzten Jahrhunderts. Im weiteren Sinne trug er zu einer Transformation der Sozialordnung bei, indem er das reine Marktmodell verwarf und ein sekundäres Verteilungssystem entwickelte, welches in der Lage ist, umfassende Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Damit wirkte er nicht nur als Sicherungsinstitution, sondern strukturierte Lebensverläufe und Lebenslagen im umfassenden Sinne (Esping-Andersen 1990). Insbesondere sein enormes Wachstum nach dem Zweiten Weltkrieg, verbunden mit längeren Phasen der Vollbeschäftigung und einem ökonomischen Boom, führte auch zu einer Steigerung der Erwartungen an den Staat. Diese wurden von einem breiten sozialpolitischen Konsens getragen und bewirkten, dass sich gesellschaftliche Problemlagen und Konflikte verstärkt in Ansprüche gegenüber dem Staat übersetzten. Spätestens seit den 1970er-Jahren ist aber deutlich geworden, dass dieses Erfolgsmodell nicht <?page no="49"?> 50 3 Sozialstrukturelle Charakteristika Europas auf Dauer gestellt werden kann. Europäische Wohlfahrtsstaaten stehen heute vor Herausforderungen wie Arbeitsmarktkrise, Erschöpfung fiskalischer Ressourcen, Alterung der Gesellschaft oder auch Prozessen der Internationalisierung und Globalisierung (Andersen et al. 2002; Bermeo 2001; Esping-Andersen et al. 2002; Scharpf/ Schmidt 2000). <?page no="50"?> Teil II: Europäische Gesellschaften im Vergleich <?page no="52"?> 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Die Herauskristallisierung eines europäischen Sozialmodells, wie es in den vornationale Ordnungsmodelle angegangenen Abschnitten beschrieben wurde, geht auf die Entstehung spezifischer nationaler Ordnungsmodelle in den einzelnen Nationalstaaten zurück. Diese beruhen trotz relativ stabiler Unterschiede in den konkreten institutionellen Arrangements auf übereinstimmenden Grundprinzipien wie der Institutionalisierung der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern, der Korrektur von Marktergebnissen, der kollektiven Finanzierung sozialer Sicherungssysteme oder auf Ideen ausgleichender Gerechtigkeit und Solidarität. Zentrale Bestandteile dieser Ordnungsmodelle sind die europäischen Wohlfahrtssysteme, die Bildungssysteme und das System der Arbeitsbeziehungen in Europa. Aus modernisierungstheoretischer Sicht kann man erwarten, dass sich bei der Entwicklung und Ausgestaltung von gesellschaftlichen Ordnungsmodellen in Europa konvergente Entwicklungen vollziehen (Ostner 2001; Parsons 1979; Wilensky 1975), so die Institutionalisierung von Bildungsprogrammen auf dem primären, sekundären und tertiären Niveau oder die Einführung von Sozialversicherungssystemen zur Absicherung zentraler Lebensrisiken (Alter, Krankheit oder Arbeitslosigkeit). Allerdings wird seit längerem darauf aufmerksam gemacht, dass europäische Staaten zwar gleichartige Basisinstitutionen besitzen, aber auf der Ebene institutioneller Arrangements auch Unterschiede fortbestehen. Diese gehen nicht in erster Linie auf unterschiedliche Modernisierungsgrade und somit auf Unterschiede zwischen Vorreitern und Nachzüglern zurück, sondern auf unterschiedliche institutionelle Profile. Das heißt, dass es in Europa erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Konstruktion gesellschaftlicher Ordnungsmodelle gibt, die auf spezifische soziale und politische Kompromisse, bestimmte kulturelle Traditionen und unterschiedlich verankerte Werte zurückzuführen sind. In diesem Zusammenhang spricht man von Pfadabhängigkeit, womit gemeint ist, dass einmal eingeführte institutionelle Formen eine starke Beharrlichkeit aufweisen und sich nur schwer verändern lassen (Beyer 2005; North 1990). <?page no="53"?> 54 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements 4.1 Wohlfahrtsstaatsregime Methodische Hinweise Sozialausgaben werden in diesem Abschnitt auf der Grundlage von Eurostat-Daten in Prozent des jeweiligen Bruttosozialprodukts 2 angegeben. Sie umfassen die Sozialleistungen, die aus Geld- oder Sachübertragungen an private Haushalte oder Einzelpersonen bestehen, sowie die Kosten, die den Sozialschutzsystemen durch die Verwaltung und Betriebsführung entstehen. Standardabweichung (SD) ist ein Streuungsmaß, welches über die Heterogenität von Werten in einer Datenmenge informiert. Die SD misst die Streuung der Daten um ihr arithmetisches Mittel und hat die gleiche Maßeinheit wie die Messwerte. Mathematisch gesehen ist die Standardabweichung die Wurzel aus der mittleren quadratischen Abweichung vom Mittelwert eines Datenbündels: s = √ 1 n n ∑ i=1 (x i - ¯ x) 2 Eine der einflussreichsten Unterscheidungen wohlfahrtsstaatlicher Politiken hat Wohfahrtsstaatsmodelle Richard M. Titmuss (1958; 1974) mit seinen models of social policy vorgeschlagen. Er unterscheidet residuale, institutionell-redistributive und industriell-leistungsorientierte Wohlfahrtsstaaten. Alle drei Modelle weisen unterschiedliche Reichweiten von sozialer Sicherung auf. Das residuale Wohlfahrtsmodell hat den Markt und die Familien als Kerninstitutionen, die soziale und materielle Bedürfnisse abdecken. Das industriell-leistungsorientierte Modell konzipiert wohlfahrtsstaatliche Leistungen in einem engen Zusammenhang mit der Position im Erwerbssystem. Das institutionelle Umverteilungsmodell schließlich vergibt universelle Leistungen nach sozialen Bedürfnissen und egalitären Prinzipien. Diese drei Modelle werden bei Titmuss auch als historische Entwicklungsmodelle interpretiert. Eine empirische Zuordnung von Nationen zu den drei Idealtypen kann sich also im Zeitverlauf ändern. Die Unterscheidung zwischen Beveridge- und Bismarck-Modellen der sozialen Sicherung stellt eine Alternative zu dem Konzept von Titmuss dar (Bonoli 1997; Ferrera 1993). Die Bismarck-Beveridge-Unterscheidung hebt auf den Vergleich historisch dominanter Leitideen im Zuge der Institutionalisierung des Wohlfahrtsstaates ab (siehe hierzu auch Abschnitt 3.3). In Deutschland stellte Otto von Bismarck mit seinem Ansatz der »staatsautoritären Sozialpolitik« (Lampert 1980: 130) Sozialversicherungsmodell Sozialversicherungen in das Zentrum von Sozialpolitik, die soziale Sicherheit vor allem für Arbeitnehmer vorsah und sich zentral um Erwerbsarbeit gruppierte. Der 2 Das Bruttosozialprodukt (BSP) entspricht dem Gesamtwert aller innerhalb eines Jahres in einer Volkswirtschaft hergestellten Waren und Dienstleistungen. Unterschieden wird zwischen nominalem BSP in Preisen des Herstellungsjahres und realem BSP in Preisen eines bestimmten Basisjahres (Inflationsrate ist herausgerechnet). <?page no="54"?> 4.1 Wohlfahrtsstaatsregime 55 Brite Sir William Beveridge propagiertte hingegen ein Fürsorgemodell, das auf Fürsorgemodell die gesamte Bevölkerung zielte, in erster Linie durch Steuern finanziert wurde und Bedürftigkeit zur Anspruchsvoraussetzung machte (Schmid 2002). Damit haben beide Systeme unterschiedliche Wirkungen der Stratifizierung: Während das Bismarck-Modell denjenigen, die schon auf dem Markt einen hohen Status haben, auch staatlicherseits ein hohes Maß an sozialer Sicherung verspricht, sieht das Beveridge-Modell nicht vor, dass die staatliche Fürsorge über ein Minimum hinausgeht. Die Menschen sind damit von vornherein auf ergänzende Leistungen der privaten Vorsorge angewiesen, wollen sie ihren einmal erreichten Sozialstatus langfristig absichern. Anknüpfend an Titmuss stellen die Arbeiten von Esping-Andersen (1990; 1999) Wohlfahrtsstaatsregime den wohl ambitioniertesten Versuch dar, westliche Wohlfahrtsstaaten zu typologisieren. Esping-Andersen geht davon aus, dass diese Gesellschaften zwar alle durch Marktwirtschaft, Demokratie und staatliche Intervention charakterisiert sind, es aber unterschiedliche institutionelle Arrangements gibt, die unterschiedliche Wohlfahrtsziele und Ausmaße öffentlicher Unterstützungsleistungen beinhalten. Diese werden von ihm als Wohlfahrtsstaatsregime (welfare state regime) bezeichnet (Esping-Andersen 1990: 29ff.). Dabei ist die Herauskristallisierung eines wohlfahrtsstaatlichen Systems durch die politischen Akteurskonstellationen und die von ihnen umgesetzten gesellschaftspolitischen Konzeptionen beeinflusst (Kohl 1999). Esping-Andersens Studie vor allem westeuropäischer Wohlfahrtsstaaten beruht auf der Annahme, dass es eine enge Verkoppelung zwischen institutionellem Arrangement, sozialer Organisation und Sozialstruktur gibt. Er hebt einerseits darauf ab, dass Wohlfahrtsstaatsregime auf sehr unterschiedlichen sozialen und politischen Strukturen fußen und Klassen- und Akteurskonstellationen eine wichtige Rolle bei der Ausbildung und programmatischen Gestaltung konkreter wohlfahrtsstaatlicher Politiken zukommt. Andererseits betont er, dass die Organisationsform des Wohlfahrtsstaates auch formative Wirkung für die soziale Stratifizierung hat (Esping-Andersen 1990: 23ff.). Damit ergibt sich eine weitrei- Wechselwirkung zwischen institutionellen und sozialen Strukturen chende Komplementarität und wechselseitige Beeinflussung zwischen institutionellen und sozialen Strukturen. Methodisch geht Esping-Andersen dabei über die traditionelle Wohlfahrtsstaatsforschung hinaus, die das Niveau der Sozialausgaben als zentrale Dimension für die Beschreibung von Wohlfahrtsstaaten verwendet. Er versteht sich als ein komparativer Wohlfahrtsregimeforscher, der sich für die Organisationsform sozialer Sicherung im Zusammenspiel von Staat und Markt interessiert. Esping-Andersen thematisiert Wohlfahrtsstaatspolitik als eine Aufteilung der Verantwortlichkeit zwischen Staat, kollektiver nichtstaatlicher Sicherung (zum Beispiel durch Betriebe) und privater Vorsorge. Dadurch gelingt es ihm, eine Brücke zur klassischen politischen Ökonomie zu schlagen, in der das Verhältnis von Wirtschaft und Politik, von Markt und Staat, von Kapitalismus und Demokratie thematisiert wird. Esping-Andersen fragt letztlich danach, wie sich innerhalb bestimmter institutionalisierter Ordnungs- und Wertvorstellungen konkrete Formen der Sozialpolitik finden lassen. Er kann zeigen, dass die institutionelle Gestaltung sozialer Sicherungssysteme Gegenstand gesellschaftlicher Verteilungskonflikte ist, in denen unterschiedliche (Klassen-) Interessen zum Ausdruck kommen. Demzufolge sind die Fähigkeit zur Mobilisierung von Machtressourcen <?page no="55"?> 56 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements und die jeweilige Machtbalance zwischen politischen Gruppierungen entscheidend für die Organisation des Wohlfahrtsstaates. Das heißt auch, dass mit dem Wandel politischer Machtverhältnisse staatliche Sozialpolitik variiert und existierende Sicherungssysteme Ergebnis früherer gesellschaftspolitischer Prioritäten sind (Esping- Andersen 1990: 16ff., 29ff.). Esping-Andersen unterscheidet drei Welten der Wohlfahrtsstaatlichkeit: den liberalen, den sozialdemokratischen und den korporatistischen Typ. Diese Einteilung erfolgt entlang von drei Dimensionen, nämlich 1. der Dekommodifizierung durch Sozialpolitik, d. h. inwieweit die Systeme der sozialen Sicherheit zu einer Verringerung der Marktabhängigkeit der Individuen beitragen, 2. der Konsequenzen von Sozialpolitik für soziale Stratifizierung sowie 3. dem Verhältnis von Staat, Markt und Familie (Esping-Andersen 1990: 21ff.). Das zentrale Konzept der Dekommodifi- Dekommodifizierung zierung erfasst, inwieweit durch staatliche Leistungen der Lebensunterhalt unabhängig vom (Arbeits-)Markt gesichert werden kann, und wird über die Regeln des Zugangs zu Leistungen, die Höhe des Einkommensersatzes und die Reichweite von sozialen Rechten operationalisiert (Esping-Andersen 1990: 47). Bei der Stratifizierung geht es um die Strukturierung von Ungleichheit durch die unterschiedliche Ausgestaltung von Wohlfahrtsstaaten, gemessen zum Beispiel über die Ungleichheit der Einkommensverteilung oder redistributive Wirkungen staat- Stratifizierung durch Sozialpolitik licher Transfers. Politisch-ideologische Traditionen thematisiert Esping-Andersen vor allem über eine Untersuchung des Verhältnisses von Staat, Markt und Familie beziehungsweise die diesen Institutionen zugeschriebene Verantwortung für die Wohlfahrt der Bürger. “Regimes can be compared with respect to which essential human needs are relegated to private versus public responsibility. The division of social protection between private and public provides the structural context Verhältnis von Staat, Markt, Familie of de-commodification … and the stratificational nexus of welfare-state regimes.” (Esping-Andersen 1990: 80) Beispiele für den liberalen Typ sind die USA, Kanada, Großbritannien und Australien. In diesem Wohlfahrtsstaatsregime ist die Verantwortlichkeit des Staates nur gering ausgebaut. Die sozialen Sicherungssysteme beruhen vornehmlich auf Liberales Wohlfahrtsstaatsregime einer Kombination aus marktbasiertem Versicherungsprinzip und Steuerfinanzierung (zum Beispiel für soziale Mindestsicherung). Ein relativ großer Teil der Unterstützungsleistungen wird nach vorheriger Bedürftigkeitsermittlung (means test) vergeben. Der Zugang zu solchen Unterstützungsleistungen ist oft stigmatisierend und ihre Höhe ist eher gering, denn es wird angenommen, dass ein hohes wohlfahrtsstaatliches Leistungsniveau Arbeitsanreize vermindert und Menschen in Abhängigkeit bringt. Die Bevorzugung eines minimalistischen Engagements steht in der Tradition des Liberalismus, weil angenommen wird, dass der Markt die beste Lösung für die innergesellschaftliche Güterverteilung darstellt. Im liberalen Wohlfahrtsstaat sind die Barrieren für Entlassungen geringer, die Kosten für Neueinstellungen niedriger und der Arbeitsmarkt vonseiten des Staates wenig reguliert. Der Warencharakter der Arbeit tritt deutlich zutage (hire and fire), die Dekommodifizierung ist niedrig. Für unsere Betrachtung der europäischen Varianten <?page no="56"?> 4.1 Wohlfahrtsstaatsregime 57 | Abb. 4 Klassifizierung von Wohlfahrtsstaatsregimes l a i z o S l a r e b i L l l e d o M demokratisch Konservativ Postsozialistisch Sicherungstyp Residualität, Eigenvorsorge universalistische Bürgerversorgung Status- und Beitragsorientierung Status- und Beitragsorientierung Primäre Form des Anrechtserwerbs Bedürftigkeit Bürgerstatus Erwerbstätigkeit Erwerbstätigkeit und Bedürftigkeit Zielrichtung Armutsbekämpfung Gleichheitspolitik Statuserhalt rudimentäre Absicherung Dekommodifizierung schwach stark mittel schwach Zentral für Wohlfahrt Markt Staat Familie Familie Soziale Strukturierung hoch niedrig mittel sehr hoch Umverteilungskapazität schwach stark schwach schwach Anteil privater Ausgaben für Gesundheit und Alter hoch niedrig niedrig mittel Rolle des Staates im Strukturwandel Marktaktivierer Arbeitgeber Kompensierer Reformer, Marktaktivierer Beispielnationen Großbritannien Schweden Deutschland Tschechien Quellen: Esping-Andersen (1990; 1999), Kohl (1993), Lessenich/ Ostner (1998), Offe/ Fuchs (2007); Umverteilungskapazität: Steuerprogression, Gleichheit der Sozialleistungen. des Wohlfahrtskapitalismus steht Großbritannien 3 für den liberalen Fall (Esping- Andersen 1990, 1999). Im sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat, welcher sich geografisch vornehmsozialdemokratisches Wohlfahrtsstaatsregime lich in Nordeuropa (Paradebeispiel ist Schweden) verorten lässt, stehen Maximen wie Gleichheit, Gemeinwohl und Solidarität im Vordergrund. Sozialpolitik fungiert als ökonomische und soziale Investition, die nicht zwangsläufig mit der Marktlogik kollidieren muss. Das System der sozialen Sicherung ist durch eine Verbindung aus Staatsbürgerversorgung und umfassenden Sozialversicherungen gekennzeichnet und besitzt einen universalistischen Charakter. Insgesamt ist das Versorgungsniveau sehr hoch. In Kombination mit dem Steuersystem hat der Wohlfahrtsstaat stark egalisierende Effekte. Weitere herausragende Merkmale sind der hohe Stellenwert der aktiven Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sowie die große Bedeutung des Staates als Arbeitgeber (vor allem für Frauen). In sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten wird daher die Partizipation am Arbeitsmarkt nicht nur über die individuelle Realisierung von Erwerbskarrieren nach dem Motto »Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied« hergestellt, sondern auch mit egalitärer Bildungspolitik, wohlfahrtsstaatlichen Programmen zur Beschäftigungssicherung und einer allgemeinen, politisch gewollten Chancengleichheit 3 Im Fall von Großbritannien ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Wohlfahrtsstaat, im Gegensatz zu den USA, auch dekommodifizierende Elemente enthält. Dafür ist das öffentliche Gesundheitssystem verantwortlich, welches trotz vieler Mängel (schlechte Versorgung, lange Wartezeiten teilweise selbst bei lebenserhaltenden Operationen) eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle Bürger bereithält. <?page no="57"?> 58 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements gefördert (Allmendinger/ Hinz 1997: 275; OECD 2002: 91f.). Die Dekommodifizierung ist hoch. Dem konservativen Typ gehören Länder wie die Bundesrepublik, Frankreich, konservatives Wohlfahrtsstaatsregime Österreich, Belgien oder Italien an. Das konservativ-korporatistische Wohlfahrtsmodell interveniert stärker als das liberale Modell in die Marktverteilungen. Allerdings werden Marktungleichheiten im System der sozialen Sicherheit weitgehend reproduziert. Dies geschieht vor allem mit Hilfe der Sozialversicherungen, welche über das Prinzip von Anwartschaften und der Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistungsanspruch eine enge Verknüpfung zwischen einmal erreichtem Marktstatus und dem Sicherungsstatus vornehmen. In seiner Umverteilungswirkung bleibt dieses System begrenzt, da es stark auf Umverteilungen innerhalb des Lebensverlaufes ausgerichtet ist und weniger auf eine Redistribution zwischen unterschiedlichen Gruppen. Ausdruck der korporatistischen Organisation sind die Vielzahl von unterschiedlichen Versicherungsträgern nach Berufsgruppen und die gesetzlich geregelte Selbstverwaltung dieser Organisationen unter der Teilnahme verschiedener kollektiver Akteure wie den Gewerkschaften und den Arbeitgebern. In den konservativen Wohlfahrtsstaaten sind bei mittlerer Dekommodifizierung relativ stabile und durch wenige Stellenwechsel gekennzeichnete Erwerbsverläufe typisch. Bewegungen innerhalb einer Klasse überwiegen die Auf- und Abwärtsmobilität, welche eher im Generationswechsel eintritt (Allmendinger/ Hinz 1997: 277; DiPrete et al. 2002: 279f.). Gemeinsam sind den Ländern mit einem konservativen Wohlfahrtsstaat die Zentralität der Familie für Wohlfahrt und eine geschlechtsspezifische Teilung von Erwerbs- und Hausarbeit (Familialismus). Am stärksten ausgeprägt ist der »Familialismus« in Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland (Allmendinger/ Hinz 1997; Esping-Andersen 1999). Er beruht einerseits auf dem männlichen Ernährermodell, d. h. der erwerbszentrierten Abhängigkeit sozialer Leistungen, und andererseits auf der Verantwortlichkeit der Familie als Wohlfahrtsproduzent. Als Konsequenz sind die Berufschancen von Frauen beeinträchtigt und Alleinerziehende häufig marginalisiert (Esping-Andersen 1999: 83). Kritik am Konzept der Wohlfahrtsstaatsregime mediterranes Wohlfahrtsstaatsregime Kritik an der Theorie von Esping-Andersen. In der Auseinandersetzung mit Esping-Andersen ist vor allem auf Inkonsistenzen zwischen den drei Idealtypen und der empirischen Realität hingewiesen worden (vgl. Allmendinger/ Ludwig-Mayerhofer 2000; Leibfried/ Mau 2008; Lewis 1992; Offe 1993; Schmid 2002). So ist beispielsweise argumentiert worden, dass die mediterranen Wohlfahrtsstaaten (Beispiele sind Spanien, Italien, Griechenland, Portugal) als Sonderform des konservativen Typus durch Esping-Andersen ungenügend abgebildet wurden (Ferrera 1996). Zwar gibt es hier auch Sozialversicherungen nach dem kontinentaleuropäischen Modell, aber diese weisen erhebliche Sicherungslücken auf. Die im Risikofall geleistete staatliche Hilfe reicht oft nicht aus, um den Bedürfnissen gerecht zu werden, so dass zusätzlich familiäre Unterstützungsnetzwerke in Anspruch genommen werden müssen (Gil-Escoin/ Vázquez 2008; Natali 2008; Papatheodorou 2008; Pereirinha et al. 2008). Die Konsequenz ist eine charakteristische geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: Frauen übernehmen die häuslichen Aufgaben der Pflege und Betreuung, da diese weder staatlich bereitgestellt noch auf dem Markt erhältlich sind. Der Familialismus ist sehr stark ausgeprägt. Bestandteil dieses subsidiären familialistischen Modells sind auch verschiedene formelle und informelle Arrangements jenseits des Staates, so durch Wohlfahrtsverbände oder die Kirche. Ferner ist eine weitere Kritik, dass eine Gleichsetzung der Idealtypen von Esping-Andersen mit Realtypen von Wohlfahrtsstaatlichkeit schwierig ist, da es Mischtypen wie Finnland (hohe Dekommodifizierung, mittlere Stratifizierung), aber auch eine Reihe von Ländern gibt, wo die Klassifizierungs- <?page no="58"?> 4.1 Wohlfahrtsstaatsregime 59 merkmale nicht besonders stark ausgeprägt sind (Irland, Schweiz, Japan). Zusätzlich wurden in den letzten Jahren verstärkt ergänzende Dimensionen (Familien- oder Geschlechterstrukturen) zur Charakterisierung von Wohlfahrtsregimes vorgeschlagen (Lewis 1992; Offe 1993; Schmid 2002). Eine letzte Gruppe von Kritikern argumentiert, dass Esping-Andersen berechtigt davon ausgeht, dass die soziale Sicherung von Individuen und Familien jenseits des Marktes eine zentrale Zielstellung des Wohlfahrtsstaates darstellt. Dennoch sind wohlfahrtsstaatliche Interventionen nicht zwingend gegen den Markt gerichtet. In der Literatur zu den varieties of capitalism wird davon ausgegangen, dass der Markt und der Wohlfahrtsstaat auch als komplementäre Institutionen verstanden werden können (Crouch/ Streeck 1997; Ebbinghaus/ Manow 2001; Soskice 1999). Esping-Andersens Klassifizierung der drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus Wohlfahrtsstaatsregime in Osteuropa kann bis in die 1990er-Jahre eine recht hohe Gültigkeit für sich beanspruchen (Schmid 2005: 52). Die sich im Zuge der Transformation herausbildenden Strukturen der staatlichen Sozialpolitik in den postsozialistischen Gesellschaften Osteuropas lassen sich allerdings mit dem Ansatz von Esping-Andersens nur schwer fassen. Gleichwohl wurde in der Literatur vielfach eine Zuordnung der »neuen« osteuropäischen Wohlfahrtsstaaten zum liberalen Typus versucht, wie Offe und Fuchs (2007: 6) beobachten. Aus unserer Sicht ist es eher gerechtfertigt, für die osteuropäischen EU-Beitrittsnationen von einem neuartigen »gemischten« Typus eines Wohlfahrtsstaatsregimes zu sprechen (Aidukaite 2006; Cerami 2006; Fiala/ Mare 2008; Manning 2004; Rajevska 2008; Trumm/ Ainsaar 2008), welcher in den meisten Fällen Elemente des konservativen und liberalen und nur noch Reste eines paternalistischen Wohlfahrtsstaates 4 enthält. “What we are witnessing in Central and Eastern Europe is […] a rather complex mechanism of institutional creation, in which an on-going process of structuring, de-structuring and restructuring of existing welfare institutions is resulting in the emergence of a new […] Eastern European welfare regime.” (Cerami 2006: 225f.) Das konservative Element hat sich in der Mitte der 1990er-Jahre mit der Einführung eines an dem deutschen Modell der Sozialversicherung orientierten Systems der Absicherung gegen Risiken der Erwerbsarbeit etabliert (Cerami 2006), welches in der Regel durch Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert wird; in Lettland und Polen beruht ein Teil dieses Systems auf Steuereinnahmen (Offe/ Fuchs 2007: 17). Zusätzlich ist der »Familialismus« sehr stark ausgeprägt, d. h., dass für die individuelle Wohlfahrt die Familie und primäre soziale Netzwerke sehr wichtig sind. Das liberale Element zeigt sich vor allem in der niedrigen Dekommodifizierung, dem geringen Niveau sozialer Wohlfahrtsleistungen (means tests sind üblich) sowie der daraus resultierenden verbreiteten Armut und starken sozialen Stratifizierung. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist niedriger als im Durchschnitt der EU-15-Nationen (vgl. Abschnitt 7.2). Ähnlich wie im liberalen Wohlfahrtsstaatstypus sind in den osteuropäischen Beitrittsnationen die Barrieren für Entlassungen und die Kosten für Neueinstellungen gering. Daraus resultieren instabile, durch viele Stellenwechsel gekennzeichnete berufliche Erwerbs- 4 Ein Beispiel hierfür wären das Rentensystem in Slowenien oder das Gesundheitssystem in Bulgarien, welche noch immer universal und redistributiv organisiert sind (Cerami 2006: 108; Offe/ Fuchs 2007: 23). <?page no="59"?> 60 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements verläufe. Zugleich sind noch immer mit circa 30 % der Arbeitnehmer doppelt so viele Personen wie in Westeuropa auf eine Tätigkeit in den Bereichen der informellen Ökonomie angewiesen (Schneider/ Burger 2005; Woolfson 2007). Niveau und Struktur der Sozialausgaben Ein nach wie vor zentraler Indikator für die Wohlfahrtsstaatlichkeit eines Landes sind die Sozialausgaben. Für die Bewertung sozialpolitischer Ausgaben kommt es darauf an, welche gesellschaftlichen Gruppierungen nach welchen Kriterien faktisch begünstigt werden. Das Niveau der Sozialausgaben eines Landes wird wesentlich von ökonomischen und demografischen Faktoren bestimmt (Wohlstandsniveau eines Landes, Alterung der Gesellschaft); die Struktur der Sozialausgaben ist weitgehend durch politische Entscheidungen und Kräfteverhältnisse gesteuert (Esping-Andersen 1990: 137). Empirisch zeigt sich, dass das Niveau der Sozialleistungen im Durchschnitt der Europäischen Union sehr hoch ist. Im Jahr 2005 wurden innerhalb der EU-15 knapp 28 % des erwirtschafteten Bruttosozialprodukts (BSP) auf soziale Transfers verwandt. Das ist etwa doppelt so viel wie in den USA, wo die Sozialleistungsquote 2003 bei circa 16 % lag (OECD 2006i: 77). Der Anteil der Sozialausgaben am BSP ist auch deutlich höher als in anderen entwickelten kapitalistischen Staaten wie Neuseeland, Australien, Japan oder Kanada, wo im Jahr 2003 etwa 18 % des Bruttosozialprodukts auf Sozialleistungen verwandt wurden (OECD 2006i: 77). Die Sozialausgaben variieren innerhalb Europas sehr stark. Die höchsten Sozial- Niveau Sozialleistungen variiert stark ausgaben hatten im Jahr 2005 Länder, die dem sozialdemokratischen oder konservativen Typus zugeordnet werden können. Beispiele sind Schweden, Frankreich, Dänemark und Belgien, die zwischen 30 und 32 % ihres BSP auf die Finanzierung ihrer sozialen Sicherungssysteme verwendeten. Die geringsten Sozialausgaben finden wir in einigen der postsozialistischen Wohlfahrtsstaaten (Rumänien, Bulgarien, Baltikum). Zwischen diesen beiden Ländergruppen liegen die konservativen mediterranen Wohlfahrtsstaaten (Spanien, Griechenland, Portugal), Staaten wie Tschechien, Ungarn, Slowenien sowie das liberale Irland, wo 2005 zwischen 18 und 24 % des Bruttosozialprodukts auf Sozialleistungen verwandt wurden. Eine fast identische Ländergruppierung ergibt sich, wenn man die Sozialausgaben pro Einwohner betrachtet. Schweden, Frankreich, Dänemark, die Niederlande, Östergeringe Sozialausgaben in postsozialistischen Wohlfahrts staaten reich und Belgien verwendeten im Jahr 2005 pro Kopf mehr als 8.000 Euro (in KKS) für Sozialleistungen. Luxemburg ist wie bei vielen anderen sozialstrukturellen Parametern im europäischen Kontext ein Sonderfall (12.946 Euro in KKS). Nur auf einen Bruchteil dieser Summe können Rumänen, Bulgaren, Letten, Litauer oder Esten hoffen, die Sozialleistungen benötigen. Hier erhielten die Bürger, unter Berücksichtigung von Kaufkraftunterschieden, im Durchschnitt zwischen 1.100 und 1.750 Euro an sozialer Unterstützung. Ein einfaches Rechenbeispiel veranschaulicht den Grad der Polarisierung der Sozialstaatlichkeit innerhalb Europas: Schweden wendet fast 800 % mehr an Sozialleistungen pro Einwohner auf als dies in Rumänien der Fall ist. <?page no="60"?> 4.1 Wohlfahrtsstaatsregime 61 | Tab. 1 Sozialausgaben Angaben in % vom BSP Euro pro Kopf (KKS) 1995 2000 2005 2005 EU-15 27,7 27,0 27,8 7.005 Belgien 27,4 26,5 29,7 8.249 Dänemark 31,9 28,9 30,1 8.498 Deutschland 28,2 29,3 29,4 7.529 Irland 14,8 14,1 18,2 5.857 Griechenland 19,9 23,5 24,2 5.139 Spanien 21,6 20,3 20,8 4.776 Frankreich 30,3 29,5 31,5 8.044 Italien 24,2 24,7 26,4 6.226 Luxemburg 20,7 19,6 21,9 12.946 Niederlande 30,6 26,4 28,2 8.305 Österreich 28,8 28,1 28,8 8.268 Portugal 21,0 21,7 24,7# 3.998 Finnland 31,5 25,1 26,7 6.833 Schweden 34,3 30,7 32,0 8.529 Großbritannien 28,0 26,9 26,8 7.176 Bulgarien - - 16,1 1.260 Tschechien 17,5 19,5 19,1 3.292 Estland - 14,0 12,5 1.761 Zypern - 14,8 18,2 3.807 Lettland 15,3+ 15,3 12,4 1.390 Litauen 13,4* 15,8 13,2 1.593 Ungarn - 19,3 21,9 3.165 Malta 15,7 16,5 18,3 3.104 Polen - 19,7 19,6 2.236 Rumänien - 13,2 14,2 1.088 Slowenien 24,1* 24,6 23,4 4.539 Slowakei 18,4 19,3 16,9 2.258 EU-27 - 26,4 27,2 6.087 Quelle: Eurostat (2008); #2004, +1997, ∗ 1996. Die Entwicklung der Sozialausgaben zwischen 1995 und 2005 weist auf ein im konstant hohes Niveau der Sozialleistungen in Europa Durchschnitt der EU weitgehend konstantes, hohes Niveau hin. Dieser Umstand ist bemerkenswert, da seit den 1970er-Jahren die Krise europäischer Wohlfahrtsstaaten und ein notwendiger Abbau von Sozialleistungen diskutiert werden (siehe für eine Zusammenfassung dieser Diskussion u. a. Kaelble 2007). Die OECD macht für diesen Trend bei den Sozialausgaben, der im Prinzip seit den 1980er-Jahren beobachtet werden kann, den steigenden Wohlstand in Europa und die Alterung der europäischen Gesellschaften (resultierend in stärkerer Nachfrage nach Alterssicherung und gesundheitlicher Versorgung) verantwortlich (OECD 2006i: 40). Man kann diese Entwicklung aber auch mit der Pfadabhängigkeit einmal eingeführter institutioneller Formen (Beyer 2005; North 1990) und der ungebrochen hohen Akzeptanz von Solidarität und Gerechtigkeit als gesellschaftlicher Grundlage des europäischen Sozialmodells begründen (vgl. Kapitel 3 sowie Mau 2003; Mau/ Veghte 2007). Im Detail zeigen sich ein Rückgang der Sozialausgaben in den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten Dänemark, Schweden und den Niederlanden sowie <?page no="61"?> 62 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements ein noch deutlicheres Absinken von Sozialleistungen in den baltischen Staaten, die ohnehin über ein im europäischen Maßstab sehr niedriges Wohlfahrtsniveau verfügen. Für Dänemark, Schweden und die Niederlande ist eine Erklärung dieser Entwicklung in einer vergleichsweise günstigen demografischen Entwicklung (geringe Alterung), einem starken Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit sowie einer Reduktion des sehr umfassend ausgebauten Wohlfahrtsstaates (u. a. durch Privatisierung, Kürzungen von Transfers, Einstellen von Wohlfahrtsprogrammen) in den letzten Jahren zu suchen (Green-Pedersen/ Klitgaard 2008; Hort 2008; van Oorschot 2008; Vis et al. 2008). In Estland, Lettland und Litauen ist der Rückgang der Sozialausgaben in erster Linie durch Privatisierungen in unterschiedlichen Bereichen der Sozialpolitik zu begründen. In diesen Ländern zieht sich der Staat zunehmend aus der Gesundheitsversorgung, der Alterssicherung, aber auch aus der Finanzierung von Bildungsprogrammen zurück (Aidukaite 2006, 2008; Rajevska 2008; Trumm/ Ainsaar 2008), was dem liberalen Verständnis der politischen Eliten und dem direkten Einfluss internationaler Organisationen zu verdanken ist (Bazant/ Schubert 2008). Der Rückgang der Sozialausgaben wird zusätzlich durch eine ungünstige demografische Entwicklung verschärft: Im Baltikum beobachten wir in den letzten Jahren eine überdurchschnittlich starke Alterung der Gesellschaft (vgl. Abschnitt 5.1), was den Kreis der Personen erweitert, die durch das Renten- und Gesundheitssystem Schutz vor sozialen Risiken erhalten müssten. Das Resultat dieser Entwicklung im Bereich der Sozialpolitik ist in letzter Konsequenz ein Anstieg der Armut, wie dies die Analysen des Abschnitts 8.3 zeigen. Einen Zuwachs der Sozialausgaben verzeichneten zuletzt einige der mediterranen und postsozialistischen Wohlfahrtsstaaten (zum Beispiel Tschechien, Ungarn, Portugal und Griechenland). In Portugal und Griechenland sind hierfür zum Beispiel Erhöhungen der Sozial- und Mindestrenten, eine Ausweitung der Anzahl der Rentenbezieher, aber auch leicht verbesserte Unterstützungsleistungen im Fall von Arbeitslosigkeit verantwortlich (Papatheodorou 2008; Pereirha et al. 2008). Auch in der Bundesrepublik und in Italien beobachten wir in den letzten Jahren einen Anstieg der Sozialausgaben. Der Grund hierfür ist nicht in einem institutionellen Ausbau des Wohlfahrtsstaates, sondern in der starken Alterung der Gesellschaft und der im europäischen Maßstab überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit zu sehen (vgl. Abschnitte 5.1, 7.3). Dadurch hat sich Kreis der Bezieher von Leistungen der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung vergrößert (Natali 2008; Ullrich 2005). Für die Diskussion des Niveaus der Sozialausgaben in Europa ist schließlich aktuell keine Konvergenz des Niveaus der Sozialausgaben die Frage relevant, ob sich im Zuge der skizzierten Entwicklung in den letzten Jahren eine Konvergenz oder gegebenenfalls eine weiter bestehende Divergenz sozialstaatlicher Aktivitäten beobachten lässt. Die dazu vorgenommenen Berechnungen der Standardabweichungen für die EU-27 zeigen, dass es zwischen 1995 und 2005 keine nennenswerten Veränderungen der Streuung des Niveaus der Sozialausgaben gab (SD 1995: 6,12; 2005: 6,10). Erweitert man den zeitlichen Referenzrahmen, wie dies Kaelble (2007: 352) tut, so kann man zumindest für die Zeit zwischen <?page no="62"?> 4.1 Wohlfahrtsstaatsregime 63 Anfang der 1970er und Anfang der 1990er-Jahre von Angleichungstendenzen bei den Sozialausgaben innerhalb Europas ausgehen. Die Struktur der Sozialausgaben (Tab. 2) lässt eine Reihe wichtiger Gemeinsam- Alterssicherung wichtigster Bereich der Sozialpolitik in Europa keiten europäischer Sozialpolitik erkennen: Fast überall ist die Alterssicherung der wichtigste wohlfahrtsstaatliche Bereich. Im Durchschnitt der bisherigen Kernunion wurden hier 2005 über 40 % aller Sozialausgaben getätigt. In Italien und Polen wurde sogar mehr als jeder zweite Euro der Sozialausgaben für die Alterssicherung verwendet. Am geringsten fielen die Aufwendungen für Renten und Pensionen in Irland und Luxemburg aus, wo zwischen 22 und 26 % der Sozialausgaben in diesem Bereich anfielen. Der zweitwichtigste Bereich ist die Gesundheitsversorgung. Den höchsten Anteil der Gesundheitsausgaben finden wir in Rumä- Gesundheitsversorgung nien, Tschechien und Irland. Dort wurden 35 bis 41 % aller Sozialausgaben im Gesundheitssektor getätigt. Im Übrigen spielt Irland hier eine Sonderrolle, da es das einzige europäische Land ist, in dem die Gesundheitsausgaben die Ausgaben für die Alterssicherung im Jahr 2005 übertrafen. Danach folgen mit etwa gleich hoher Bedeutung die Familienpolitik (EU-15 2005: 8,0 %) sowie Maßnahmen zur sozialen Abfederung von Behinderung (EU-15 2005: 7,9 %) und zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit (EU-15 2005: 6,2 %). Im Bereich der Familienpolitik sind größere innereuropäische Unterschiede festzustellen als bei der Behindertenpolitik und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Länder wie Dänemark, Finnland, Irland, Ungarn und Luxemburg verwenden einen mehrfach höheren Anteil der Sozialausgaben (zwischen 12 % und 17 %) als Polen, Malta oder die Niederlande (zwischen vier und fünf Prozent) in diesem Politikbereich. Der Bereich der Wohnungspolitik hat in allen EU-Staaten den geringsten Anteil an den Sozialausgaben. Mit Abstand am wichtigsten ist dieser sozialpolitische Bereich in Großbritannien, gefolgt von Irland und Frankreich. Gründe für die Unterschiede in der Struktur der Sozialausgaben innerhalb Gründe der Verteilung der Sozialausgaben Europas sind zum einen in politischen Machtverhältnissen und Prioritätensetzungen zu sehen. Zum anderen gibt es in vielen Ländern die »offensichtliche Notwendigkeit, sich in bestimmten Bereichen zu engagieren. So war das Thema Wohnen in Großbritannien und Irland, und vor allem der Bau von Eigenheimen, schon immer ein sozialpolitisches Anliegen, weil darin eine Anlage- und Sparform gesehen wird.« (Bazant/ Schubert 2008: 633) Italien, Griechenland und Polen sind Staaten, die aufgrund des demografischen Wandels sehr viel Geld für die Alterssicherung aufbringen. Staaten mit einer hohen Arbeitslosigkeit verwenden in der Regel auch einen überdurchschnittlichen Anteil ihrer Sozialausgaben in diesem Bereich; Beispiele sind Deutschland, Griechenland, Finnland oder Spanien. Es gibt allerdings auch Länder, wo die faktischen Notwendigkeiten mit den tatsächlichen Prioritätensetzungen nicht übereinstimmen. Polen und die Slowakei haben zwar die höchste Arbeitslosenquote in Europa (siehe Abschnitt 7.3), investieren aber nur einen unterdurchschnittlichen Anteil ihrer Sozialausgaben in dieses Politikfeld. Diese Befunde legen insgesamt nahe, dass die sozioökonomischen Bedingungen <?page no="63"?> 64 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Tab. 2 | Verteilung der Sozialausgaben nach Politikbereichen 1995 2000 2005 t i e h d n u s e G g n u r e d n i h e B e t n e R n e i l i m a F t i e k g i s o l s t i e b r A n e n h o W t i e h d n u s e G g n u r e d n i h e B e t n e R n e i l i m a F t i e k g i s o l s t i e b r A n e n h o W t i e h d n u s e G g n u r e d n i h e B e t n e R n e i l i m a F t i e k g i s o l s t i e b r A n e n h o W EU-15 27,2 8,1 40,1 7,8 8,4 2,1 27,2 8,2 41,9 8,2 6,4 2,1 28,6 7,9 41,2 8,0 6,2 2,3 Belgien 23,6 8,8 32,1 8,8 13,0 - 24,2 9,3 33,6 8,8 11,8 0,1 27,1 7,0 34,7 7,2 12,2 0,2 Dänemark 17,8 10,6 37,6 12,4 14,8 2,4 20,2 12,0 38,0 13,1 10,5 2,4 20,7 14,4 37,5 12,9 8,6 2,4 Deutschland 31,1 6,8 40,9 7,5 8,9 0,6 28,3 7,8 40,8 10,7 8,5 0,7 27,3 7,7 42,2 11,2 7,3 2,2 Irland 36,2 4,8 20,3 12,0 15,3 3,3 41,0 5,2 19,3 13,6 9,5 3,4 40,9 5,3 21,7 14,6 7,5 3,0 Griechenland 26,0 4,8 49,6 8,8 4,5 2,6 26,5 4,8 46,4 7,4 6,2 3,1 27,8 4,9 47,8 6,4 5,1 2,2 Spanien 28,6 7,4 39,6 2,0 16,5 1,1 29,4 7,9 41,6 4,9 11,6 0,8 31,6 7,3 38,7 5,6 12,4 0,8 Frankreich 28,3 5,9 37,3 10,0 7,9 3,2 28,8 5,9 38,4 9,1 7,2 3,2 29,8 5,9 37,4 8,5 7,5 2,7 Italien 23,2 7,0 52,6 3,2 3,0 0,0 25,1 6,0 52,5 3,8 1,7 0,0 26,7 5,9 50,8 4,4 2,0 0,1 Luxemburg 24,9 12,7 41,2 13,1 3,1 0,1 25,4 13,4 36,8 16,6 3,2 0,6 25,7 13,1 26,3 16,9 5,0 0,7 Niederlande 28,5 12,6 32,4 4,6 9,9 1,4 29,3 11,8 37,0 4,6 5,1 1,5 30,9 9,9 36,8 4,9 5,9 1,3 Österreich 25,6 9,0 45,2 11,3 5,8 0,3 25,6 9,1 47,1 10,7 4,9 0,3 25,5 8,0 47,3 10,7 5,8 0,4 Portugal 36,2 11,8 34,3 5,2 5,3 0,0 32,0 12,7 37,6 5,4 3,7 0,0 30,4# 10,4# 40,2# 5,3# 5,7# 0,0# Finnland 20,9 15,0 28,9 13,4 14,4 1,5 23,8 13,9 31,8 12,5 10,5 1,5 25,9 12,9 33,7 11,6 9,3 1,1 Schweden 22,0 12,2 35,1 11,4 10,8 3,3 27,0 12,8 37,2 9,3 7,1 2,1 24,3 15,4 38,3 9,8 6,2 1,8 Großbritannien 24,0 10,9 39,3 8,9 5,6 6,9 25,5 9,4 44,4 6,9 3,0 5,7 30,9 9,0 41,7 6,3 2,6 5,6 Bulgarien - - - - - - - - - - - - 29,0 8,4 47,6 6,8 1,9 0,0 Tschechien 37,1 7,6 38,7 11,9 2,3 0,0 33,6 7,8 42,2 8,4 3,4 0,7 35,3 7,8 41,7 7,5 3,6 0,5 Estland - - - - - - 32,1 6,6 43,4 11,9 1,3 0,7 31,9 9,4 43,1 12,2 1,3 0,2 Zypern - - - - - - 27,2 3,4 46,7 6,3 7,2 3,1 25,3 3,7 44,8 11,8 5,8 2,3 Lettland - - - - - 1,0+ 16,7 10,7 54,1 10,2 3,8 0,7 26,0 9,1 46,1 11,0 3,9 0,6 Litauen 30,3* 9,2* 45,1* 7,0* 2,0* - 29,8 8,4 45,9 8,8 1,8 0,0 30,3 10,4 44,6 9,3 1,8 0,0 Ungarn - - - - - - 27,9 9,6 39,9 13,2 4,0 2,9 29,9 9,9 41,2 11,8 2,9 2,4 Malta 24,5 4,8 49,2 11,8 5,0 2,1 25,7 6,0 49,8 7,9 6,2 1,1 26,3 6,7 50,6 4,7 7,4 0,9 Polen - - - - - - 19,6 14,0 50,6 5,0 4,6 0,9 19,9 10,5 54,5 4,4 2,9 0,7 Rumänien - - - - - - 25,6 7,9 47,5 10,0 7,7 - 36,2 7,0 40,8 10,2 3,2 0,0~ Slowenien 30,8* 8,5* 44,1* 8,5* 4,3* 0,0* 30,7 9,0 43,2 9,2 4,3 - 32,3 8,5 42,4 8,6 3,3 0,1 Slowakei 33,0 6,8 36,9 14,0 3,5 0,0 34,9 7,6 36,3 9,0 4,8 0,3 29,5 9,2 41,1 11,3 4,3 0,1# EU-27 - - - - - - - - - - - - 28,6 7,9 41,4 8,0 6,1 2,2 Quelle: Eurostat (2008); #2004, ∼ 2003, +1997, ∗ 1996; Angaben in % aller Sozialausgaben. wichtig für die Ausgabenverteilung sind. Vor allem »scheinen aber auch die politisch gesetzten Schwerpunkte das jeweils konkret vorfindbare Profil der Sozialausgaben zu prägen« (Bazant/ Schubert 2008: 635). Die Veränderungen in der Ausgabenpolitik der einzelnen Länder können auf- Anstieg der Ausgaben für Alterssicherung und Gesundheit grund des begrenzten Umfangs dieses Studienbuchs im Detail nicht nachgezeichnet werden. Für die Europäische Union als Ganzes ist jedoch festzuhalten, dass die Ausgaben für die Alterssicherung und Gesundheit zwischen 1995 und 2005 wuchsen, während die zur Bekämpfung der Folgen der Arbeitslosigkeit sanken. Dies kann man als eine Folge abnehmender Arbeitslosigkeit und steigender Alterung der Gesellschaft interpretieren. In den anderen Bereichen der Sozialpolitik gibt es kaum Veränderungen. Relevant sind auch die Angleichungsprozesse zwischen den einzelnen EU-Staaten. Die Berechnungen der Standardabweichungen zeigen für alle betrachteten Felder der Sozialpolitik eine Abnahme der Streuung: Die Struktur der Sozialausgaben gleicht sich innerhalb der EU also an. <?page no="64"?> 4.2 Bildungsinstitutionen 65 4.2 Bildungsinstitutionen Definition Bildungssysteme lassen sich nach dem Ausmaß ihrer Stratifizierung und Standardisierung unterscheiden. Die Stratifizierung eines Bildungssystems lässt sich daran messen, auf welcher Ebene Selektionen von Schülerpopulationen beim Übergang auf eine höhere Bildungsstufe stattfinden beziehungsweise wie viele Personen eines Jahrgangs den höchsten formalen Bildungsabschluss erreichen. Die Standardisierung eines Bildungssystems kann man über die verrechtlichte Einheitlichkeit der Ausbildungselemente und Curricula messen. Die Stratifizierung und Standardisierung von Bildungssystemen haben einen direkten Einfluss auf individuelle Arbeitsmarktchancen und Erwerbsverläufe (Allmendinger 1989). In Europa lassen sich auf der Primar-, Sekundar- und Tertiärstufe durchaus verinstitutionelle Vielfalt gleichbare Bildungsinstitutionen finden. Zugleich existiert eine große institutionelle Vielfalt von Bildungseinrichtungen, die in den letzten 50 Jahren nur geringen Angleichungstendenzen unterlagen (Green et al. 1999; Müller 1998; Müller et al. 1997). 5 Erst in den letzten Jahren lässt sich vor allem im tertiären Bildungsbereich ein Abbau dieser institutionellen Vielfalt beobachten. Einen entscheidenden Einfluss übt in diesem Zusammenhang der Bologna-Prozess zur Synchronisierung der europäischen Hochschulsysteme bis zum Jahre 2010 aus (Reinalda/ Kulesza 2005; Walter 2006). Das führt dazu, dass viele europäische Länder im Hochschulbereich BA/ MA-Studienprogramme implementieren, deren Abschlüsse auf einem sich europäisierenden Arbeitsmarkt besser verwertbar sein sollen. Betrachtet man Systemmerkmale, so sind zunächst schulische Primär- und schulische, berufliche und tertiäre Bildungseinrichtungen Sekundärstufe und berufliche Ausbildung voneinander zu unterscheiden. Die skandinavischen, südeuropäischen und osteuropäischen Länder haben ein Gesamtschulsystem (Döbert et al. 2002; Gries et al. 2005). In den deutschsprachigen Ländern, den Benelux-Ländern und Großbritannien variieren schulische Bildungssysteme regional, und Privatschulen haben zum Teil eine große Bedeutung. Das berufliche Bildungssystem unterscheidet sich besonders stark zwischen den europäischen Ländern. Das Spektrum reicht vom dualen System der Bundesrepublik bis hin zu rein betrieblichen Berufsbildungssystemen, wie sie in Großbritannien vorherrschen. Auf der Tertiärstufe existiert ein System aus Fachhochschulen und Universitäten, die entweder parallel (deutschsprachiger Raum) oder sequentiell 5 Auf der Grundlage der wachsenden Bildungsbeteiligung und des damit einhergehenden Ausbaus des tertiären Bildungssektors in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sowie der unterschiedlichen bildungspolitischen Antworten europäischer Regierungen auf die Arbeitsmarktkrise in den 1980er Jahren kommt Müller sogar zu dem Schluss, dass »die Bildungs- und Ausbildungssysteme in Europa heute in ihren Strukturen differenzierter […] sind als in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg« (Müller et al. 1997: 197). <?page no="65"?> 66 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements (Frankreich) organisiert sind (Müller 1998, 2002; Müller et al. 1997). Zu den wichtigsten Unterscheidungskriterien europäischer Bildungsinstitutionen zählen (Allmendinger/ Hinz 1997; Döbert et al. 2002; Gries et al. 2005; Müller et al. 1997): 1. der Grad der Zentralisierung in der staatlichen Kontrolle von Bildungssystemen, 2. die Aufteilung zwischen öffentlicher und privater Trägerschaft und Finanzierung von Bildungseinrichtungen, 3. der Grad der Stratifizierung der schulischen Bildung und 4. der Grad der Standardisierung der beruflichen Bildung. Schulische Bildungsinstitutionen In Ländern wie der Bundesrepublik, Österreich, Luxemburg, Malta und Belgien mehrgliedriges Schulsystem, selektiv ist das Schulsystem mehrgliedrig organisiert. Hier wurden insbesondere im schulischen Sekundarbereich zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterschiedliche Schultypen institutionalisiert (Haupt-, Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien, Fachgymnasien). Die Übergänge zwischen den einzelnen Stufen des Schulsystems sind selektiv. Ein im europäischen Maßstab vergleichsweise geringer Anteil der Schüler erreicht in Österreich und Deutschland über den Besuch eines Gymnasiums einen direkten Hochschulzugang. Diese Selektivität des Bildungssystems im deutschsprachigen Raum wird in der Forschung vielfach diskutiert (u. a. Müller/ Pollack 2007: 315ff.), denn an ihr lässt sich das Ausmaß von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem bemessen (Becker 2007). Allerdings erlangt im deutschsprachigen Raum noch ein weiterer Teil der Schüler über den Besuch von Fachgymnasien und berufsbildenden höheren Schulen das Abitur (OECD 2007a). Damit beenden hier insgesamt über 40 % der Schüler die Schule mit dem höchsten Abschluss (Schaubild 4). Private Bildungseinrichtungen spielen im schulischen Bildungsbereich vor allem in Belgien und Österreich eine Rolle (Gries et al. 2005). Die Kontrolle der Bildungspolitik liegt bei den nationalen Bildungsministerien. Nur in Deutschland ist Bildung Ländersache. In den skandinavischen und osteuropäischen Ländern sowie in Spanien, Por- Gesamtschulsystem tugal, den Niederlanden und Zypern existiert ein gesamtschulartiges Bildungssystem, in dem alle Schüler einer Alterskohorte acht beziehungsweise neun Jahre gemeinsam in einer Einrichtung verbringen (Döbert et al. 2002; Gries et al. 2005). In diesen Gesamtschulsystemen entspricht die schulische Sekundarstufe I in der Regel den letzten drei Klassen der integrierten Grundschule (Müller et al. 1997: 189). Private Bildungseinrichtungen haben in Skandinavien und in den osteuropäischen Beitrittsnationen im schulischen Bildungsbereich keine oder nur eine randständige Bedeutung. In Ländern wie Belgien, Österreich, Italien, Griechenland, Spanien, Zypern oder den Niederlanden haben nichtstaatliche Schulen einen größeren Stellenwert. Bildungspolitik wird in den Ländern mit einem Gesamtschulsystem auf nationaler Ebene koordiniert. Teilweise haben Bildungseinrichtungen auf der Grundlage nationaler Curricula das Recht, eigene Unterrichtspläne aufzustellen. Der Anteil der Schüler, die in den skandinavischen, osteuropäischen und südeuropäischen Ländern einen Hochschulzugang erwerben, ist sehr hoch. So erreichen in Finnland 95 % der Schüler das Abitur. Auch in Estland, Schweden <?page no="66"?> 4.2 Bildungsinstitutionen 67 | Schaubild 4 Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung i n e w o l S en h c i e r r e t s Ö b m e x u L u g r n e i n a p S c s t u e D h d n a l n ä m u R i n e b ß o r G r n e i n n a t i h c i e r k n a r F a g u t r o P l l r e d e i N a e d n d n a l t t e L m e n ä D a k r n e i g l e B 5 1 - U E h c e i r G e d n a l n n r a g n U e i r a g l u B n n r e p y Z k a w o l S ei n e i l a t I d n a l t s E d e w h c S en n e i h c e h c s T n e u a t i L n e l o P d n a l r I d n a l n n i F 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Quelle: OECD (2007a), UNESCO (2006a); Angaben in %, so aktuell wie möglich (2002-2005); für Deutschland und Österreich sind auch Abiturienten von Fachgymnasien und berufsbildenden höheren Schulen berücksichtigt. und Polen erwerben teilweise deutlich über drei Viertel aller Schüler eine Hochschulzugangsberechtigung. Schlusslichter in dieser Gruppe sind Slowenien und Spanien, wo im Jahre 2005 nur 36 beziehungsweise 44 % der Schüler das Abitur abgelegt haben. Dazwischen gruppieren sich die anderen Nationen mit Gesamtschulsystemen, in denen circa sechs von zehn Schülern das Abitur erreichen. Ein integriertes, mehrgliedriges Schulsystem, in dem die institutionell getrennintegriertes, mehrgliedriges Schulsystem te Sekundarstufe I allen Schülern offen steht (nur in Italien gibt es eine Prüfung am Ende der Grundschule, s. Gries et al. 2005: 42), findet sich in Großbritannien, Frankreich, Italien, Griechenland und Irland. Die Grundschule umfasst in diesen Ländern fünf bis sechs Jahre. Daran schließt für die Mehrzahl der Schüler eine Schullaufbahn in integrierten Einrichtungen der schulischen Sekundarstufe an, wie den Gymnasien in Griechenland, den Colléges in Frankreich oder den comprehensive schools in Großbritannien und Irland (Müller et al. 1997: 197). Nichtstaatliche Bildungseinrichtungen spielen vor allem in Großbritannien und in Irland eine Rolle. Wesensmerkmal der Bildungssysteme der Länder mit einem integrierten, mehrgliedrigen Schulsystem ist ferner ein hohes Ausmaß der Koordinierung nationaler Bildungspolitik. So gibt es in Großbritannien und Frankreich einen verbindlichen landesweiten Lehrplan, in Griechenland überwacht die nationale Schulbehörde das Handeln der lokalen Akteure (Green et al. 1999: 79ff.; Gries et al. 2005: 27ff.). In den Ländern mit einem solchen Schulsystem erreichen mindestens 50 % der Schüler den höchsten Schulabschluss (Frankreich, Großbritannien). Der <?page no="67"?> 68 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Spitzenreiter in dieser Gruppe ist Irland. Hier erwerben fast 90 % der Schüler eines Jahrgangs eine Hochschulzugangsberechtigung. Berufliche Bildungsinstitutionen Die Institutionen der beruflichen Ausbildung differieren innerhalb Europas stärker als das schulische Bildungswesen (Green et al. 1999: 24; Müller et al. 1997: 192). Eine Darstellung kann daher nicht auf alle Aspekte des Berufsbildungssystems in den europäischen Ländern eingehen. Gemeinsam ist den beruflichen Ausbildungsinstitutionen ein Bezug einerseits zum allgemeinen Schulwesen und andererseits zum Beschäftigungssystem. Zur Systematisierung dieser Institutionen wird in der Literatur üblicherweise zwischen dualen Ausbildungssystemen, schulisch organisierten Ausbildungen und rein betrieblichen Ausbildungen unterschieden (Müller et al. 1997: 192). In Deutschland und Dänemark baut auf ein mehrgliedriges Schulsystem ein duales Ausbildungssystem standardisiertes berufliches Ausbildungssystem (duales Ausbildungssystem) auf. In Frankreich, Tschechien, Österreich, den Niederlanden und Portugal finden wir auf der Ebene beruflicher Bildungsinstitutionen ebenfalls Einrichtungen, die mit dem dualen System in Deutschland und Dänemark vergleichbar sind. Allerdings existieren in diesen Ländern auch andere Organisationsformen, nämlich berufliche Vollzeitschulen oder rein betrieblich organisierte Ausbildungen (Gries et al. 2005: 11). Die Verbindung zwischen dualem beruflichen Ausbildungssystem und Arbeitsmarkt ist eng. Berufsausbildungen des dualen Systems binden Auszubildende allerdings nicht an einen bestimmten Betrieb, sondern eher an ein bestimmtes Berufsfeld. Zwischenbetriebliche Mobilität wird dadurch erleichtert, jedoch der Zugang zu Tätigkeiten auf einem höheren Qualifikationsniveau erschwert. 6 In Schweden, Finnland und Frankreich, aber auch in den süd- und osteuropäischulisch organisierte Ausbildungen schen Staaten finden berufliche Ausbildungen vorwiegend innerhalb von schulisch organisierten Programmen statt. Zur Qualität dieser Ausbildungen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Allmendinger und Hinz (1997: 255) erwarten in einem solchen System allenfalls die Vermittlung von Grundkenntnissen und kritisieren die geringe Standardisierung der Ausbildungsinhalte. Andere Autoren (Green et al. 1999: 196f.; Gries et al. 2005: 12) weisen auf die Zertifizierung von beruflichen Ausbildungsabschlüssen hin. Sie sehen aber auch einen Nachteil dieser Ausbildungen gegenüber dem dualen System, da es keine Verbindung zwischen praxisbezogenen Ausbildungen in Betrieben und breiter gefächerter Wissensvermittlung in Berufsschulen gibt. Vor diesem Hintergrund ist die Verkopplung des sekundären Berufsbildungssystems mit dem Arbeitsmarkt nicht so stark 6 Interessant sind in diesem Kontext die Veränderungen in Osteuropa seit 1990: Bis zu diesem Zeitpunkt dominierten in diesen Ländern mit dem dualen Ausbildungssystem vergleichbare Berufsschulen. In den letzten Jahren hat jedoch ein stark privatisierter Bildungsmarkt eine Vielfalt von Bildungseinrichtungen neu entstehen lassen, was eine abnehmende Transparenz von osteuropäischen Berufsabschlüssen zur Folge hat. <?page no="68"?> 4.2 Bildungsinstitutionen 69 ausgeprägt. Dies führt zu relativ vielen beruflichen Wechseln, besonders zu Beginn von Erwerbsverläufen, da der Gebrauchswert dieser Abschlüsse zum Teil unklar ist. Firmen praktizieren daher häufig umfangreichere Einstellungstests oder vergeben Anstellungen nur nach längeren Praktika. Großbritannien und Irland stellen Beispiele für ein System von training-on-thetrainingon-the-job job dar. Berufliche Ausbildungen sind hier nicht überbetrieblich, sondern weitgehend betriebsspezifisch organisiert. Ein Teil der Personen, die Abschlüsse auf der beruflichen Sekundarstufe anstreben, realisieren solche Ausbildungen in schulisch organisierten Programmen (zum Beispiel Vocational Schools in Irland) oder in Youth-Training-Programmen (Großbritannien). Diese Systemmerkmale führen zu Berufsverläufen ohne Sicherheit - wegen geringer Beruflichkeit und fehlender Standardisierung der Ausbildung. Zusätzlich sorgt diese Form der Organisation von beruflichen Ausbildungen für eine hohe Betriebsbindung beziehungsweise für hohe Anpassungskosten bei Betriebswechseln - gleichermaßen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Allmendinger/ Hinz 1997; Breen 2004; Hillmert 2001; Strengmann-Kuhn 2001). Klassifikation schulischer und beruflicher Bildungsinstitutionen in Europa Bei Allmendinger (Allmendinger 1989; Allmendinger/ Hinz 1997) ist ein Vorschlag zu finden, wie man schulische und berufliche Bildungssysteme systematisch unterscheiden kann. Sie verwendet dazu zwei analytische Dimensionen: den Grad der Stratifizierung und den Grad der Standardisierung von Bildungssystemen. Für Stratifizierung Standardisierung die Verteilung individueller Lebenschancen sind bei der schulischen Bildung insbesondere die Stratifizierung und im Berufsausbildungssystem die Standardisierung von Bedeutung. Ist die der beruflichen Ausbildung vorgelagerte Schulbildung bereits sehr selektiv, dann stehen den Personen eines Geburtsjahrgangs nicht die gleichen Ausbildungschancen und daraus folgenden berufliche Möglichkeiten offen. Die berufliche Bildung ist danach zu beurteilen, inwiefern durch sie allgemeine, firmenunspezifische Qualifikationen vermittelt werden (Abbildung 5). In einem Land mit einem stark stratifizierten Bildungssystem haben die in der Schule und in der Berufsausbildung erworbenen Bildungszertifikate auf dem Arbeitsmarkt eine große Bedeutung. Arbeitgeber tendieren dazu, sich auf die im | Abb. 5 Klassifizierung von Bildungssystemen Standardisiertes berufliches Ausbildungssystem Unstandardisiertes berufliches Ausbildungssystem Hoch stratifiziertes Schulsystem z. B. Deutschland, Österreich, osteuropäische Länder bis ca. 1990 z. B. Großbritannien Niedrig stratifiziertes Schulsystem z. B. Dänemark, Portugal, Tschechien, Niederlande z. B. Schweden, Finnland, Spanien, Italien; Polen, Ungarn, Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, Slowenien heute Quelle: zusammengestellt nach Verwiebe (2004: 89). <?page no="69"?> 70 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Bildungssystem getroffene Selektion zu verlassen. Die Verbindung zwischen (Aus-) Bildung und Erwerbsarbeit ist eng. Berufswechsel finden relativ selten statt, und es ist nur wenig (intragenerationale) Mobilität auszumachen, weil die frühe Einstufung auf einer bestimmten Hierarchieebene nur wenig Mobilität im Lebensverlauf zulässt (Allmendinger/ Hinz 1997: 253). Bestes Beispiel für eine enge Verbindung zwischen einem hierarchisch organisierten Arbeitsmarkt und einem stark stratifizierten Bildungssystem sind Deutschland und Österreich. In Ländern mit unstratifizierten Bildungssystemen und hierarchisch organisiertem Arbeitsmarkt - beispielsweise in den skandinavischen und postsozialistischen Wohlfahrtsstaaten oder in Portugal und Spanien - wird die Arbeitsmarktposition der Individuen weniger durch den Bildungserfolg in der Schule und die Berufsausbildung als durch die Beschäftigungs- und Einstellungspolitik der Arbeitgeber bestimmt. Die Verbindung zwischen Bildung und Beschäftigung ist eher locker, es kommt zu häufigen Jobwechseln (zu Beginn) der Erwerbsbiografie. Mobilität über Klassengrenzen ist in diesen Ländern nicht untypisch. Auch die Standardisierung schulischer und beruflicher Bildung hat Folgen für den individuellen Erwerbsverlauf. In standardisierten Systemen haben berufliche Bildungszertifikate ein hohes Gewicht; die Passung zwischen offenen Stellen und Erwerbspersonen und die schnelle Anwendbarkeit des erworbenen (firmenunspezifischen) Bildungskapitals sind relativ hoch. In Ländern mit unstandardisierten beruflichen Bildungssystemen - zum Beispiel in Großbritannien, Italien oder Polen - müssen die Arbeitgeber zum Teil längere Anlernzeiten in Kauf nehmen. Bildungszertifikate haben eine geringere Bedeutung bei der Besetzung freier Stellen. Tertiäre Bildungsinstitutionen Die modernen tertiären Bildungseinrichtungen in Europa teilen die von Wilhelm Humboldt’sche Bildungsideale von Humboldt Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelten Bildungsideale, die unter anderem eine Lehr- und Lernfreiheit, die Einheit von Forschung und Lehre und ein Primat der Wissenschaftlichkeit beinhalten (Nyborn 2007). Auf dieser Grundlage hat sich in den meisten (west-)europäischen Ländern eine Zweiteilung des tertiären Bildungssektors herausgebildet: Auf der einen Seite stehen Universitäten und Hochschulen mit einer stärker wissenschaftlichen Orientierung und längeren Studienzeiten, auf der anderen Seite Fachhochschulen und andere vergleichbare Einrichtungen, welche einen stärkeren Praxisbezug und üblicherweise kürzere Studienzeiten aufweisen (Müller et al. 1997: 195). Diese Zweiteilung des tertiären Bildungsbereichs findet sich traditionell in Ländern wie Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Deutschland, Österreich, Spanien oder Italien sowie auch in den meisten osteuropäischen Beitrittsnationen. Eine Ausnahme stellen die Zweiteilung des tertiären Bildungssektors skandinavischen Ländern dar. Sie setzen im Bereich der tertiären Bildung stärker auf ein Gesamthochschulsystem mit geringeren Zugangsbarrieren. In den anderen Ländern dominieren klassische europäische Volluniversitäten mit einem breiten Fächerangebot in den Natur- und Geisteswissenschaften. Die Bildungssysteme <?page no="70"?> 4.2 Bildungsinstitutionen 71 in Frankreich und Großbritannien weisen im Rahmen der europäischen Hochschullandschaft eine Besonderheit auf: In Frankreich ist die universitäre Bildung zentralistisch organisiert und stark stratifizierend aufgebaut. An der Spitze des Hochschulbereichs stehen die staatlichen Elitehochschulen wie die Ecole Normale Supérieure in Paris. Auch in Großbritannien ist der Hochschulbereich stark stratifiziert. Die Eliteuniversitäten sind im Unterschied zu Frankreich privat. Bekannteste Beispiele für solche Einrichtungen sind die Universitäten in Oxford und Cambridge. Der Bologna-Prozess und die Lissabon-Strategie haben in Europa einen hohen Stellenwert für die Angleichung der Universitäten und Fachhochschulen gemäß europäischer Bildungsstandards (Gornitzka 2007; Keeling 2006; Neave/ Maassen 2007). Die Teilnahme am Bologna-Prozess ist freiwillig und steht allen Signierstaaten des europäischen Kulturabkommens offen. Die Europäische Union hat daran anknüpfend die sog. Lissabon-Strategie begründet, ein genuines Projekt Bolognabzw. Lissabon- Prozess der EU-Mitgliedsstaaten (Walter 2006: 16). Ziel der institutionellen Veränderungen im tertiären europäischen Bildungssektor sind unter anderem die Schaffung eines Systems vergleichbarer Abschlüsse, die Einführung eines Leistungspunktesystems nach dem Modell des European Credit Transfer System (ECTS) sowie die Institutionalisierung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen (graduate/ undergraduate) im Universitätsbereich (Walter 2006: 14). Die Architekten dieses Reformprozesses verbinden damit die Vorstellung, innerhalb Europas eine European Knowledge Area (Walter 2006: 14) zu schaffen. Europas Konkurrenzfähigkeit soll dadurch auf dem globalisierten Bildungsmarkt bewahrt werden (Lefrere Konvergenz des tertiären Bildungssektors 2007: 202f.; Reinalda/ Kulesza 2005: 99); eine Zielvorstellung, wie sie von Field (1998) bereits einige Jahre vor Beginn der diskutierten Reformen formuliert wurde. Aller Voraussicht nach werden diese Veränderungen innerhalb der Europäischen Union zu Konvergenzen im System tertiärer Bildung führen. Mittelfristig wird der durch die Beschlüsse des Europäischen Rates in Lissabon im März 2000 für die Europäische Union verbindlich gewordene Prozess zu einer »Neuordnung der europäischen Hochschulstrukturen« sowie zu einer »höheren Kompatibilität der Hochschulsysteme« (Walter 2006: 194) führen. Die von Müller et al. (1997) noch Mitte der 1990er-Jahre beschriebene institutionelle Vielfalt im Bildungssystem wird sich in der Folge zumindest im tertiären Bereich deutlich verringern. Die geschilderten Merkmale der europäischen Bildungssysteme führen in Kombination mit den in den einzelnen Ländern vorherrschenden Wohlfahrtsstaatstraditionen zu spezifischen Formen der Finanzierung von universitären Ausbildungen (Schaubild 5). Diese strukturieren die Zugangsmöglichkeiten zu tertiärer Bildung in Abhängigkeit von den Ressourcen der Herkunftsfamilie. Zwei Dimen- Finanzierung, Zugangsmöglichkeiten zu tertiärer Bildung sionen sind hier wichtig: Die erste Dimension bildet den Umfang und den Verteilungsmodus staatlicher Unterstützung ab. Man kann in Europa zwischen universaler Förderung aller Studierenden und gezielter Unterstützung einer in der Regel kleineren Gruppe von Studierenden aus unteren sozialen Schichten differenzieren. Die zweite Dimension bildet den Grad der finanziellen und juristischen <?page no="71"?> 72 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Eigenständigkeit der Studierenden von ihrer Herkunftsfamilie ab. Auf der einen Seite stehen hier Länder, wo Studierende völlig eigenständig sind. Auf der anderen Seite finden sich Länder, in denen eine finanzielle und juristische Abhängigkeit der Studierenden von ihren Eltern gegeben ist und diese vollständig verantwortlich sind für die Finanzierung eines Hochschulstudiums. Sie erhalten in der Regel finanzielle Zuwendungen vom Staat (Kindergeld in Deutschland für Studierende zum Beispiel) oder steuerliche Erleichterungen. Auf der empirischen Ebene finden wir Muster der Finanzierung und einer damit einhergehenden gesellschaftlichen Regulierung des Besuchs tertiärer Bildungseinrichtungen, die mit den im Abschnitt 4.1 beschriebenen Wohlfahrtsstaatsregimes korrespondieren. In den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten Skandinavien: universale staatliche Unterstützung, geringe Zugangsbarrieren sind Studierende finanziell und juristisch unabhängig von den Ressourcen der Herkunftsfamilie. Gleichzeitig wird in diesen Ländern jeder Studierende finanziell unterstützt, außer er/ sie verfügt über ein so hohes eigenes Einkommen, dass diese Unterstützung nicht nötig ist. Außerdem gibt es bislang keine Studiengebühren (European Commission 2007a: 17). Grundprinzip ist der barrierefreie Zugang zu tertiärer Bildung. Es ist davon auszugehen, dass eine solche Bildungs- und Wohlfahrtsstaatspolitik die Bildungschancen von Jugendlichen aus bildungsfernen, unteren sozialen Schichten verbessert. Schaubild 5 | Finanzierung des Hochschulstudiums MT, NL, RO, UK DK, FI, SE BG, IE, ES, HU EE, EL BE, DE, FR, IT, CZ, CY, LV, PL, SI , LT, LU, AT, SK Finanzielle und juristische Eigenständigkeit von Studierenden Finanzielle und juristische Abhängigkeit der Studierenden von ihren Herkunftsfamilien Universale staatliche Unterstützung aller Studierenden Gezielte staatliche Förderung einzelner Studierender Quelle: European Commission (2007: 17); Fett gedruckte Länder: keine Studiengebühren. In den meisten konservativen und postsozialistischen Wohlfahrtsstaaten (Beispiele sind Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien, die Slowakei, Polen, Tschechien, Slowenien) ist eine starke Abhängigkeit von den finanziellen Ressourcen der Herkunftsfamilie typisch, gepaart mit gezielten Programmen zur Förderung von Studierenden, deren Eltern über geringe Einkünfte verfügen (European Commission 2007a: 16). Entsprechend der Systemlogik konservativer und postsozialistischer Wohlfahrtsstaaten werden die Eltern von Studierenden durch direkte finanzielle Zuwendungen oder steuerliche Entlastungen vom Staat unterstützt, so sie nicht selbst Ressourcen aufwenden können (vgl. Abbildung 4). In diesen Län- <?page no="72"?> 4.3 System der Arbeitsbeziehungen 73 dern sind Studiengebühren in unterschiedlicher Höhe üblich. In der Regel existieren auch Stipendien- und Darlehensprogramme, die über staatliche Behörden (wie das BAföG in Deutschland) oder Banken abgewickelt werden. Diese Formen Zugangsbarrieren für Studierende aus niedrigen sozialen Schichten der Studienfinanzierung und der Regulierung des Zugangs zu tertiären Bildungseinrichtungen haben Folgen für die soziale Zusammensetzung der Studierenden. Kinder aus unteren sozialen Schichten haben höhere Zugangsbarrieren zu überwinden (vgl. auch Kapitel 8). Zusätzlich zeigt sich, dass Studierende aus solchen Schichten geringere Chancen haben, ihr Studium erfolgreich zu beenden, als dies in Skandinavien der Fall ist (OECD 2007a: 87). Zwischen diesen beiden Ländergruppen positionieren sich Staaten wie Großbritannien, Malta oder die Niederlande. Hier gibt es universale Systeme von Studienkrediten, auf die Studierende, weitgehend unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern, einen Anspruch haben (European Commission 2007a: 16). Studiengebühren werden in diesen Ländern ebenfalls erhoben (European Commission 2007a: 16). In Großbritannien ist dies schon lange der Fall. In den Niederlanden sind Studiengebühren erst vor wenigen Jahren eingeführt worden. 4.3 System der Arbeitsbeziehungen Definitionen Die (industriellen) Arbeitsbeziehungen umfassen die Gesamtheit der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit auf den Ebenen Betrieb, sektoraler Arbeitsmarkt und Gesamtwirtschaft. Auf den verschiedenen Regelungsebenen agieren jeweils spezifische Akteure. Sie handeln dort in einem System von Institutionen Übereinkünfte und Verträge zwischen Kapital und Arbeit aus. Der Staat als Vermittlungs- und Regulierungsinstanz ist der dritte zentrale Akteur im System der Arbeitsbeziehungen. Das wichtigste Instrument zur Gestaltung der Arbeitsbeziehungen ist der Kollektiv- Tarifvertrag. Mit ihm werden Entlohnung, Arbeitsbedingungen, Arbeitzeit und die Konfliktregulierung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bestimmt. Der Kollektivvertrag umfasst auch Regelungen zwischen den Vertragspartnern, die über die Gestaltung des Tariflohns hinausgehen, wie zum Beispiel die Friedenspflicht von Gewerkschaften während der Laufzeit von Tarifverträgen, Ausbildungs- und Arbeitsplatzgarantien und Vorruhestands- und Krankenregelungen. Kollektivverträge werden innerhalb Europas in der Regel in freiwilligen Verhandlungen zwischen den Interessenvertretern von Kapital und Arbeit auf betrieblicher Ebene oder Branchenebene ausgehandelt (Dell’Aringa/ Pagani 2007; Traxler 2003a, b). <?page no="73"?> 74 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Methodische Hinweise In diesem Abschnitt werden verschiedene Indikatoren zur Charakterisierung der Arbeitsbeziehungen in Europa verwendet. Der Geltungsbereich von Tarifverträgen ist ein Parameter, mit dem sich der Anteil der Beschäftigten darstellen lässt, deren Bezahlung tariflichen Regelungen unterliegt. Die Streikhäufigkeit wird in Streiktagen pro Tausend Beschäftigte angegeben. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad misst die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder anteilig an allen Beschäftigten. Grundlage hierfür sind Eurostat-Daten sowie Publikationen von Carley et al. (2007), Visser (2006) und Ebbinghaus/ Visser (1997). Das System der Arbeitsbeziehungen in Europa beruht auf den institutionalisierinstitutionalisierte Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit ten und verrechtlichten Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit (Mikl-Horke 2007). Diese institutionalisierten Beziehungen können auch als Konfliktbeziehungen gesellschaftlicher Akteure verstanden werden, die von politischen Auseinandersetzungen um Macht und Herrschaft gekennzeichnet sind (Kittel 2003). Sie können sich auf der betrieblichen Ebene in Partizipationsmöglichkeiten von Arbeitnehmervertretern niederschlagen und sind damit Ausdruck der Institutionalisierung und Befriedung von Klassenkonflikten (vgl. Abschnitte 3.3. und 3.4). Wichtige Faktoren für die Arbeitsbeziehungen sind der Organisationsgrad von Gewerkschaften und Kapital, die Rolle des Staates, die Intensität der Austragung von Arbeitskonflikten sowie die Formen der Regulierung von Konflikten zwischen den Akteuren im System der Arbeitsbeziehungen. Vier Ebenen der Arbeitsbeziehungen Auf der betrieblichen Ebene spiegeln sich die unterschiedlichen Interessen der betriebliche Ebene Akteure vor allem in Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, Überstunden, Einstellungen und Entlassungen. Dafür gibt es in Deutschland, Österreich und den Niederlanden ein System der betrieblichen Interessenvertretung, welches der Belegschaft über die Betriebsräte weitgehende Mitspracherechte bei der Gestaltung betrieblicher Abläufe einräumt. In Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien, Irland, Finnland und Dänemark existieren ebenfalls Betriebsräte oder shop stewards, die allerdings in der Regel »nur« Informations- und Konsultationsrechte und keine so weitgehenden betrieblichen Mitbestimmungsrechte (»Managementrechte«) besitzen. In einigen dieser Länder (Großbritannien, Irland, Frankreich, Spanien) finden auf der betrieblichen Ebene auch Aushandlungen um Entlohnung statt (Altmeyer 2005; Ebbinghaus/ Visser 1997). In Teilen orientiert am deutsch-österreichischen Modell wurden ab Anfang der 1990er-Jahre auch in einigen osteuropäischen Beitrittsnationen (Ungarn, Slowenien, Tschechien, Slowakei, Litauen, Lettland) betriebliche Interessenvertretungen institutionalisiert (Altmeyer 2006; Kohl/ Platzer 2004). In der Regel besitzen diese Arbeitnehmervertreter Informations- und Konsultationsrechte. In Slowenien und Ungarn verfügen sie auch über Mitbestimmungsrechte, beispielsweise in Fragen des Arbeitsschut- <?page no="74"?> 4.3 System der Arbeitsbeziehungen 75 zes, der Arbeitszeiten oder der Verwaltung von Sozialeinrichtungen, die allerdings schwächer ausgeprägt sind als in Deutschland (Altmeyer 2006: 18). Bei überbetrieblichen Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist der Gegenstand die sektorale Aushandlung von Entlohnung, Arbeitszeiten und Beschäftigungsbedingungen. Das hierfür zentrale Instrument ist der Flächentarifvertrag oder Kollektivvertrag (Dell’Aringa/ Pagani 2007). Auf der gesamtgesellsektorale und nationale Ebene schaftlichen, nationalen Ebene artikulieren sich die gegensätzlichen Interessen von Kapital und Arbeit in politischen Auseinandersetzungen um Macht und Herrschaft. Dieses Phänomen zeigt sich beispielsweise in offenen Bündnissen zwischen politischen Parteien und Gewerkschaften oder Wahlempfehlungen durch Gewerkschaften, wie sie in Frankreich, Italien oder Spanien aufgrund der traditionell engen Verbindung zwischen Teilen der Gewerkschaftsbewegung und den politischen Parteien üblich sind (van der Meer 2000; Visser 2000a, b). In Ländern wie Großbritannien oder Deutschland sind solche Bündnisse nicht Teil der politischen Kultur (Hyman 2001). Auch die Medien werden von Vertretern beider Lager genutzt, um eigene Interessen (Steuererleichterungen, Senkung der Lohnnebenkosten vs. Lohnsteigerungen, Verkürzung der Arbeitszeit) durchzusetzen. Eine neue, vierte Ebene der Regulierung von Aushandlungsprozessen zwischen Kapital und Arbeit ist durch den Europäisierungsprozess entstanden. Durch die europäische Betriebsratsrichtlinie von 1994 ist erstmals innerhalb der Europäischen Union eine grenzüberschreitende Möglichkeit der Arbeitnehmervertretung in europaweit tätigen Unternehmen geschaffen worden (Arrowsmith/ Marginson 2006; EBRG 1996). Der Anwendungsbereich des Gesetzes erstreckt sich auf Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten und mehr, von denen jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer in zwei unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten beschäfeuropäische Ebene, Konvergenz tigt sein müssen (EBRG 1996: §3). Aus jedem Mitgliedsstaat, in dem das Unternehmen Beschäftigte hat, wird mindestens ein Arbeitnehmervertreter entsandt (EBRG 1996: §10). Die Pflichten der Unternehmen gegenüber diesen europäischen Betriebsräten beinhalten primär Anhörung und Information (EBRG 1996: §1), jedoch nicht Mitbestimmung im engeren Sinne. Idealtypen europäischer Arbeitsbeziehungen Innerhalb Westeuropas lassen sich nach einer Einteilung von Crouch (1993) mehrere Idealtypen der Arbeitsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern finden. Diese sind das Ergebnis historischer Konfigurationen und besitzen ein »starkes Beharrungsvermögen, da sie gesellschaftliche Spaltungsstrukturen widerspiegeln« (Ebbinghaus/ Visser 1997: 338). Zwischen diesen Typen gibt es eine große Bandbreite an konkreter Gestaltung der Aushandlungsprozesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Klassifikation von Crouch haben wir im Folgenden noch um einen Typ erweitert, der in einigen osteuropäischen Ländern zu finden ist. Im korporatistischen/ sozialpartnerschaftlichen Idealtypus - bei Crouch (1993) sind das zwei verschiedene Typen, die für die folgende Darstellung zusammenge- <?page no="75"?> 76 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements fasst wurden - werden die Kollektivverhandlungen von gut organisierten Arbeitkorporatistischsozialpartnerschaftlicher Typ geberverbänden und Gewerkschaften getragen. Dieser Typus findet sich in Schweden, Finnland, Dänemark, Österreich, Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg (Ebbinghaus 2000a, b, c; Ebbinghaus/ Visser 1997; Kjellberg 2000). Von den osteuropäischen Reformstaaten können Slowenien und mit Einschränkungen die Slowakei und Ungarn diesem Typus zugeordnet werden. Die Verhandlungen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zeichnen sich durch eine Konsensorientierung aus und werden im Rahmen von sozialpartnerschaftlichen Institutionen geführt. Dadurch werden tarifliche Forderungen, betriebliche oder sektorale Interessen mit gesamtwirtschaftlichen Erwägungen verknüpft. Der Staat unterstützt diesen Ansatz auch durch eine weitgehende Verrechtlichung und durch die Institutionalisierung der Sozialpartnerschaft 7 auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene. Die Beschäftigungssicherheit liegt nach den Ergebnissen der Employment-Protection-Studie der OECD (2004b: 71ff.) in den Ländern dieses Typus auf einem mittleren Niveau (Niederlande, Österreich, Finnland, Slowakei) bis hohen Niveau (Deutschland, Schweden). Streiks finden mit der Ausnahme Finnlands sehr selten statt (siehe Tab. 3). Kollektivverträge gelten für einen sehr hohen Anteil der Beschäftigten (Carley et al. 2007). Im korporatistischen/ sozialpartnerschaftlichen Typus ist die Branche die wichtigste Verhandlungsarena. Es gibt allerdings in den letzten Jahren eine unübersehbare Tendenz zur Aufweichung 8 kollektiver Tarifverträge, verbunden mit der zunehmenden Verbreitung betriebsspezifischer Aushandlungen. Dennoch ist für diesen Typus insgesamt eine starke Koordination der drei Ebenen Betrieb, sektoraler Arbeitsmarkt und Gesamtwirtschaft zu verzeichnen. Im konfliktorientierten Idealtypus ist das Verhältnis von Arbeit und Kapital konfliktorientierter Typ polarisiert und auf der betrieblichen Ebene weitgehend ungeregelt. Deshalb wird der Arbeitskampf auch für politische Machtproben genutzt, und bei Konflikten ist teilweise die Intervention des Staates erforderlich. Dieses Muster ist vor allem in Frankreich, Italien, Portugal, Griechenland und Spanien vorherrschend (Ebbinghaus/ Visser 1997; Naumann/ Stoleroff 2000; van der Meer 2000; Visser 2000a, b). Die für die romanischen Nationen typischen kulturellen und politischen Differenzierungen spiegeln sich in einer Spaltung der Arbeiterbewegung in unterschiedliche Gewerkschaften wider. Im konfliktorientierten Grundtypus lässt sich eine stärkere Fokussierung auf betriebliche Vereinbarungen beobachten. Teilweise 7 Ausdruck dieser Verrechtlichung sind zum Beispiel in Deutschland die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zur betrieblichen Mitbestimmung oder die Friedenspflicht (kein Streik) während laufender Tarifverträge. 8 In der Bundesrepublik gibt es seit Jahren starke Bestrebungen vonseiten der Arbeitgeber, Flächentarifvereinbarungen zurückzudrängen, was bisher allerdings nur in den neuen Bundesländern gelungen ist (Ellguth/ Kohaut 2007). In Schweden - dem Paradebeispiel solidarischer und konsensualer Lohnpolitik - verabschiedeten sich die Arbeitgeber 1991 aus den Tarifverhandlungen und forderten ihre Mitglieder zu Betriebsvereinbarungen auf. <?page no="76"?> 4.3 System der Arbeitsbeziehungen 77 | Abb. 6 Klassifizierung des Systems der Arbeitsbeziehungen Modell Korporatistisch, partnerschaftlich Konfliktorientiert pluralistisch postsozialistisch (liberal) Dominierende Regulierungsebene Branchen v. a. Betrieb, auch Branchen Betrieb v. a. Betrieb, auch Branchen Stellenwert von Kollektivverträgen hoch bis sehr hoch, überbetrieblich hoch mittel gering bis sehr gering Rolle des Staates groß groß gering relativ groß Beschäftigungssicherheit mittel bis hoch hoch gering sehr gering Gewerkschaftlicher Organisationsgrad mittel bis hoch gering mittel sehr gering Streikhäufigkeit gering hoch mittel sehr gering Beispielnationen Schweden, Dänemark, deutschsprachiger Raum, Benelux-Länder, Slowenien, Ungarn, Slowakei Frankreich, Italien, Portugal, Griechenland, Spanien Großbritannien, Irland Polen, Estland, Litauen, Lettland gibt es auch betriebsübergreifende, sektorale Verhandlungen zwischen Kapital und Arbeit. Obwohl der gewerkschaftliche Organisationsgrad in diesem Typus vergleichsweise gering ist, treten Streiks als Mittel des Arbeitskampfes häufiger auf als in den anderen Staaten Europas. Dies weist auf eine hohe Mobilisierbarkeit und Kampfkraft der Gewerkschaften hin. Damit korrespondiert, dass trotz eines vergleichsweise geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrads (siehe Tab. 3) die Beschäftigungssicherheit im europäischen Maßstab am höchsten ist (OECD 2004a). Die Reichweite von Tarifverträgen (siehe Schaubild 6) ist ebenfalls sehr hoch (Carley et al. 2007). Beispiele für den pluralistischen Typus sind Großbritannien und Irland (Crouch pluralistischer Typ 1993; Roche 2000). Hier sind die gegensätzlichen Interessen von Kapital und Arbeit nur teilweise institutionalisiert und geregelt. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind fragmentiert. Daher gehen die unterschiedlichen Interessengruppen vor allem der Durchsetzung ihrer Partikularinteressen nach. Der Staat hält sich im pluralistischen Grundtyp in der Regel aus den Verhandlungsprozessen heraus und verlässt sich auf die freiwilligen Übereinkünfte zwischen Kapital und Arbeit. Hier lässt sich eine traditionell starke Ausprägung von betrieblichen Vereinbarungen beobachten (Ebbinghaus/ Visser 1997). Insgesamt weisen die Arbeitsbeziehungen in diesem Typus einen geringeren Grad der Verrechtlichung auf. Streiks finden häufiger statt als in den meisten Ländern des korporatistischen/ sozialpartnerschaftlichen Typus, sind aber seltener als im konfliktorientierten Typus der Arbeitsbeziehungen. Die Beschäftigungssicherheit ist in den Ländern mit pluralistischen Arbeitsbeziehungen gering (OECD 2004a). Die institutionalisierten Arbeitsbeziehungen in osteuropäischen Ländern las- Arbeitsbeziehungen in Osteuropa sen sich nur teilweise den Idealtypen von Crouch (1993) zuordnen. Daher ist es aus unserer Sicht angemessen, diese Länder einem eigenständigen, postsozialistischen Typus der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit zuzuordnen. Idealtypische Vertreter dieses Typus sind Polen und Estland; in etwas abgeschwächter <?page no="77"?> 78 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Form finden sich die charakteristischen Muster dieses Typus auch in Ländern wie Lettland, Litauen und Tschechien (Altmeyer 2006; Kohl/ Platzer 2004). Der wichtige Unterschied zu den westeuropäischen Gesellschaften besteht darin, dass der Einfluss von Gewerkschaften sowohl auf der betrieblichen, der sektoralen sowie der gesamtgesellschaftlichen Ebene sehr gering ist. Damit korrespondiert ein im europäischen Maßstab geringer gewerkschaftlicher Organisationsgrad. Dieser liegt in Polen und den baltischen Staaten bei circa 15 % und erreicht nur im Fall von Tschechien ein höheres Niveau (Carley et al. 2007; Visser 2006). Da auch Arbeitgeberverbände wenig Bedeutung haben (Mailand/ Due 2004), gelten nur für zwei bis drei von zehn Arbeitnehmern Kollektivverträge (Carley et al. 2007). Der Staat wiederum spielt eine vergleichsweise wichtige interventionistische Rolle (Kohl/ Platzer 2007: 617). Weitere Merkmale des postsozialistischen Typus der Arbeitsbeziehungen sind das Fehlen von Streiks (siehe Tab. 3) und eine sehr geringe Beschäftigungssicherheit (Kohl/ Platzer 2007: 633; OECD 2004a). Der Kollektiv-Tarifvertrag Das wichtigste Instrument zur Gestaltung der Arbeitsbeziehungen ist der Kollektiv- Kollektiv- Tarifvertrag Tarifvertrag (Dell’Aringa/ Pagani 2007; Traxler 2003a, b). Kollektivverträge bestimmen direkt oder indirekt die formalen und materiellen Beschäftigungsbedingungen von zwei Dritteln aller westeuropäischen Arbeitnehmer (Ebbinghaus/ Visser 1997; Traxler 2003a, b; Visser 2006). In den osteuropäischen Beitrittsnationen ist der Anteil der Arbeitnehmer, deren Arbeitsbedingungen und Entlohnung auf der Grundlage von Tarifverträgen geregelt sind, deutlich niedriger (Ausnahmen sind Slowenien und die Slowakei) (Altmeyer 2006; Carley et al. 2007; Kohl/ Platzer 2004; Schroeder 2003). Kollektivverträge können betriebsübergreifend für ganze Branchen gelten. Sie können aber auch »nur« auf ein Unternehmen bezogen sein, wie das in der Regel in den Staaten der Fall ist, die nicht dem korporatistischen/ sozialpartnerschaftlichen Typus der Arbeitsbeziehungen zuzuordnen sind. Kollektivverträge sind in der Regel für die Betriebe verbindlich, die einem Arbeitgeberverband angehören. Besonders viele Arbeitnehmer (über 80 %) fallen in Österreich, Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Portugal, Spanien, Slowenien sowie in Skandinavien unter den Geltungsbereich solcher Verträge (Schaubild 6). In Großbritannien oder Irland werden hingegen Entlohnung, Arbeitsbedingungen, Arbeitzeit nur für 35 % beziehungsweise 45 % der Arbeitnehmer derart geregelt. In Deutschland werden in erster Linie in den alten Bundesländern Arbeitsbedingungen und Entlohnung der Beschäftigten von Kollektivverträgen bestimmt. Tarifbindung besteht für rund 70 % der Beschäftigten. In den neuen Bundesländern ist die Bedeutung kollektiver Tarifverträge allerdings niedriger, da nur ein geringer Teil der Unternehmen in Arbeitgeberverbänden organisiert ist (Ellguth/ Kohaut 2007; Gerlach/ Hübler 1998). Daher sind hier betriebsspezifische Aushandlungen besonders wichtig, bei denen betriebliche Arbeitnehmervertreter teilweise auch andere Interessen als die gewerkschaftlichen Dachverbände vertreten. <?page no="78"?> 4.3 System der Arbeitsbeziehungen 79 Der Inhalt von Kollektivverträgen wird in der Regel in freiwilligen Verhand- Aufweichung überbetrieblicher Kollektivverträge lungen zwischen den Interessenvertretern von Kapital und Arbeit ausgehandelt. Hier prallen zum Teil große Interessengegensätze und Machtdifferenzen aufeinander. Empirisch lässt sich seit Mitte der 1980er-Jahre europaweit eine Tendenz zur Aufweichung der Kollektivverträge beobachten (Ebbinghaus/ Visser 1997: 369). Von Arbeitgeberseite wird die Notwendigkeit der Flexibilisierung dieser Verträge durch zu hohe Arbeitskosten und damit verbundene Wettbewerbsnachteile europäischer Firmen im globalen Wettbewerb begründet (Traxler 2003b: 207). Arbeitsbedingungen sollen auf möglichst niedriger Ebene reguliert werden. Längere Maschinenlaufzeiten und flexiblere Arbeitszeiten stehen auf der Tagesordnung. Es werden auf der Betriebsebene zunehmend Ausstiegs- und Öffnungsklauseln vereinbart, um Umstrukturierungen und wirtschaftliche Probleme in den Griff zu bekommen. Diese Tendenz zur Verbetrieblichung der Aushandlungen Verbetrieblichung zwischen Kapital und Arbeit (Traxler 2003a, b; Visser 2005) weist letztlich auf eine Problemkonstellation hin, der sich die Gewerkschaften schwer verweigern können. Kollektivbeziehungsweise Flächentarifverträge setzen eine quasi gleich hohe Prosperität und Rentabilität aller Betriebe in einzelnen Branchen voraus. Das ist jedoch mit der Hinwendung zum System der flexiblen Akkumulation weniger gegeben als noch in den 1960er- und 1970er-Jahren (vgl. Lutz 1989). | Schaubild 6 Geltungsbereich von Tarifverträgen n e u a t i L d n a l t t e L d n a l t s E b ß o r G r n e i n n a t i n e i h c e h c s T n e l o P n r a g n U d n a l r I k a w o l S ei a t l a M b m e x u L u g r c s t u e D h d n a l h c e i r G e d n a l n 5 2 - U E n r e p y Z n e i l a t I n e i n a p S l r e d e i N a e d n d n a l n n i F m e n ä D a k r a g u t r o P l h c i e r k n a r F d e w h c S en n e i g l e B h c i e r r e t s Ö i n e w o l S en 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Quelle: Carley et al. (2007); Angaben in %, nur für EU-25 verfügbar, so aktuell wie möglich (2000 bis 2004). Kollektive Akteure des Systems der Arbeitsbeziehungen Im System der institutionalisierten Arbeitsbeziehungen lassen sich in Europa drei kollektive Akteure ausmachen: Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer, <?page no="79"?> 80 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Arbeitgeberverbände und der Staat. Letzterer nimmt auf unterschiedliche Weise Einfluss auf die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen zwischen Kapital und Arbeit. Er ist über die Arbeitsgesetzgebung Garant der Tarifautonomie der Konfliktpartner, indem er den Tarifparteien rechtliche Rahmenbedingungen setzt. Die staatliche Einflussnahme auf die Arbeitsbeziehungen zwischen Kapital und Staat Arbeit ist allerdings in Europa unterschiedlich stark ausgeprägt. Großbritannien fällt diesbezüglich aus dem Rahmen. Hier hält sich der Staat weitgehend aus den Arbeitsbeziehungen heraus, die Kollektivverträge tragen oft keinen rechtsverbindlichen Charakter. In allen anderen Ländern interveniert der Staat stärker in Hinblick auf Tarifverträge und bei der Geltung rechtlicher Rahmenbedingungen. In den skandinavischen Ländern ist der Staat als wichtiger Arbeitgeber zusätzlich relevant bei der Ausgestaltung der institutionalisierten Arbeitsbeziehungen. Der Staat ist in Deutschland, Österreich, den Niederlanden oder Slowenien auch der Garant für die Interessenvertretung der Arbeitnehmer auf der betrieblichen Ebene. Hier ist in Betriebsrats- oder Betriebsverfassungsgesetzen die betriebliche Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter geregelt. Diese kann weitreichende Formen annehmen und Fragen der Kurzarbeit, Überstunden, Rationalisierungs- und Investitionsentscheidungen betreffen. Zusätzlich tritt der Staat bei Tarifkonflikten als letztinstanzlicher Schlichter auf. Im Hinblick auf die Organisation der Arbeitgeberverbände besteht in Europa Arbeitgeber eine große institutionelle Vielfalt. Im korporatistischen beziehungsweise sozialpartnerschaftlichen Typus der Arbeitsbeziehungen finden sich Spitzenverbände der Arbeitgeberseite, die in Fragen der Tarifpolitik zuständig sind, Lobbyverbände, die für Wirtschaftspolitik Verantwortung tragen, und regionale Wirtschaftskammern, die für ihre zu vertretende Region zuständig sind. Ebbinghaus und Visser (1997: 369) sprechen hier von einer funktionalen Differenzierung und Arbeitsteilung. In den Ländern des konfliktorientierten, des pluralistischen und des postsozialistischen Typus agieren Arbeitgeberverbände sowohl auf den Feldern der Tarifpolitik als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene im Hinblick auf wirtschaftspolitische Fragen (Kohl/ Platzer 2004, 2007; Mailand/ Due 2004). In den südeuropäischen Ländern kann man Konfliktlinien zwischen Großunternehmen auf der einen Seite und kleinen und mittelgroßen Unternehmen auf der anderen Seite beobachten, die sich auch in spezifischen Organisationsformen der Arbeitgeberverbände widerspiegeln. Zusätzlich ist hier die regionale Verankerung der Verbände besonders ausgeprägt (Ebbinghaus/ Visser 1997: 369). In Ländern wie Belgien und den Niederlanden haben konfessionelle Zugehörigkeiten, zum Teil bis ins 21. Jahrhundert hinein, für eine Strukturierung der institutionellen Vertretung der Arbeitgeberseite gesorgt. Die Funktion der Arbeitgeberverbände im System der Arbeitsbeziehungen bemisst sich nicht nur anhand ihres Durchsetzungspotenzials gegenüber den Gewerkschaften. Arbeitgeberverbände sind auch im Kollektivvertragswesen von Organisationsgrad Arbeitgeber hoher Bedeutung. »Viele Arbeitnehmer profitieren vom Schutz durch Kollektivverträge nicht, weil sie Mitglied einer Gewerkschaft sind, sondern weil ihr Unter- <?page no="80"?> 4.3 System der Arbeitsbeziehungen 81 nehmen als Mitglied des Arbeitgeberverbandes zur Einhaltung des Tarifvertrags verpflichtet ist.« (Ebbinghaus/ Visser 1997: 350) Dieses Muster finden wir in Ländern wie Deutschland, Österreich, Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Spanien, wo ein relativ hoher Organisationsgrad der Arbeitgeberseite einem mittleren bis schwachen Organisationsgrad der Arbeitnehmerseite gegenübersteht. In Skandinavien sind sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer in etwa gleich gut organisiert. Der Organisationsgrad der Arbeitgeberseite ist in den Nationen des pluralistischen Typus der Arbeitsbeziehungen, in den postsozialistischen Ländern wie Estland, Lettland, Litauen (Mailand/ Due 2004: 182) sowie in einigen Ländern, die dem konfliktorientierten Typus angehören (Portugal, Italien), eher schwach. Dies liegt zum einen daran, dass die existierenden Großunternehmen häufig nicht Mitglied von Verbänden sind, um so den externen Einfluss auf betriebliche Lohn- und Sozialpolitik gering zu halten. Zum anderen gibt es hier viele Kleinbetriebe und Betriebe mittlerer Größe, die aufgrund ihrer paternalistischen Eigentums- und Organisationsstrukturen seltener in Arbeitgeberverbänden zu finden sind (Ebbinghaus/ Visser 1997: 369). Die Gewerkschaften als Interessenvertreter der Arbeitnehmerseite sind der Gewerkschaften dritte zentrale Akteur im institutionalisierten System der Arbeitsbeziehungen. Besonders einflussreich sind Gewerkschaften traditionell im produzierenden Gewerbe und im öffentlichen Dienst (vgl. Einzelbeiträge in Ebbinghaus/ Visser 2000). Im privaten Dienstleistungssektor verfügen sie über geringere Einflussmöglichkeiten. Im korporatistischen beziehungsweise sozialpartnerschaftlichen Modell sind gewerkschaftliche Dachverbände besonders wichtig. Im konfliktorientierten Modell - zum Beispiel in Frankreich, Spanien oder Griechenland - sind die Gewerkschaften traditionell entlang von konfessionellen und politischen Linien fragmentiert (Ebbinghaus/ Visser 1997: 369; van der Meer 2000; Visser 2000a). Ein wichtiger Parameter für den Einfluss und die Stärke von Gewerkschaften ist der Organisationsgrad beziehungsweise die Anzahl der Mitglieder. Europaweit ist in den letzten drei Jahrzehnten ein Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades zu beobachten (Tab. 3). Im Jahre 2003 waren im europäischen Durchschnitt etwas über ein Viertel der Arbeitnehmer in Gewerkschaften organisiert, gegenüber einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad von knapp 40 % in den 1970er- und 1980er-Jahren. In Ländern aber wie Schweden, Dänemark und Finnland ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad (70 %) im europäischen Vergleich sehr hoch und lag im Jahre 2003 sogar noch über dem Niveau der 1970er- und 1980er-Jahre. Allerdings ist auch hier in den 1990er-Jahren der gewerkschaftliche Organisationsgrad leicht zurückgegangen. Danach folgen Länder, in denen etwa die Hälfte der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert ist (z. B. Belgien, Slowenien). Einen mittleren gewerkschaftlichen Organisationsgrad kann man in Irland, Großbritannien, der Bundesrepublik, Österreich, den Niederlanden, Italien, Tschechien und der Slowakei verzeichnen. Dieser ist allerdings seit den 1970er-Jahren konti- <?page no="81"?> 82 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Tab. 3 | Organisationsgrad von Gewerkschaften und Streikhäufigkeit Gewerkschaftsmitglieder Jährliche Streiktage in % der Beschäftigten pro 1.000 Beschäftigte 1970 1980 1995 2003 1974 1980 1995 2000 2005 EU-15 38 40 30 26+ - - 90 54 31 Belgien 42 54 55 55+ 187 34 32 8 - Dänemark 60 77 77 70 68 142 81 48 20 Deutschland 32 35 29 23 41 22 7 0 1 Irland 53 57 46 35 585 248 128 70 16 Griechenland - - - 20 - - 32 - - Spanien - 13 16 16 809 371 121 233 50 Frankreich 22 18 9 8 160 50 291 102 77 Italien 37 50 38 34 998 1564 57 52 50 Luxemburg - - - 46 - - 60 5 0 Niederlande 37 35 26 22 19 12 122 1 6 Österreich 63 57 41 35+ 1 2 0 1 0 Portugal - - - 17 - - 19 19 11 Finnland 51 69 80 74 334 326 547 110 280 Schweden 68 78 83 78 24 164 162 0,5 Großbritannien 45 51 33 29 470 268 18 20 6 Bulgarien - - - - - - - - - Tschechien - - 46 27 ∼ - - - - - Estland - - - 14 - - 0 - 0 Zypern - - - 70 - - - 5 37 Lettland - - - 16 - - - - 0 Litauen - - - 14 - - - 10 1 Ungarn - - 63 20 ∼ - - 94 55 0,5 Malta - - - 63 - - 38 32 9 Polen - - 33 15 ∼ - - 6 8 0 Rumänien - - - - - - 34 122 5 Slowenien - - - 44 - - - - - Slowakei - - 57 36 ∼ - - 0 0 0 EU-25 - - - - - - - 50 28 Quelle Streikhäufigkeit: Ebbinghaus/ Visser (1997; 2007b) für 1974 und 1980, Eurostat (2007d) für 1995 bis 2005; +2002, ∼ 2001; Quelle Organisationsgrad: Visser (2006), Carley et al. (2007) für Griechenland, Luxemburg, Portugal, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Malta, Slowenien 2003 (= 2000-04); Angaben für EU-27 nicht verfügbar. nuierlich gesunken. Besonders deutlich fällt der Rückgang in Deutschland, Österreich und den Niederlanden aus, wo die Gewerkschaften etwa ein Drittel ihrer Mitglieder verloren haben. Die geringste Anzahl von Gewerkschaftsmitgliedern innerhalb der Arbeitnehmerschaft findet sich in den postsozialistischen Gesellschaften (Litauen, Lettland, Estland, Polen, Ungarn) und in Ländern wie Frankreich, Portugal und Spanien, wo jeder zwölfte beziehungsweise jeder sechste Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert ist. Ein besonders starker Mitgliederschwund ist dabei in den osteuropäischen Nationen zu verzeichnen. Bis 1989 waren hier eine sehr große Mehrheit der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Als Ursachen des Mitgliederschwunds sind fünf Faktoren zu nennen: 1. Die Mitgliederschwund Schrumpfung von Wirtschaftssektoren wie der Industrie, die traditionell zu den gewerkschaftlichen Hochburgen gehört haben, hat den Mitgliedsstand der Gewerkschaften vor allem in Westeuropa stark verringert. Diese Entwicklung ist vor allem in den großen Volkswirtschaften wie der Bundesrepublik, Frankreich <?page no="82"?> 4.3 System der Arbeitsbeziehungen 83 und Großbritannien zu beobachten (Ebbinghaus/ Visser 1997: 369). 2. In den osteuropäischen Staaten haben Gewerkschaften im Zusammenhang mit der postsozialistischen Transformation an Einfluss verloren. Als unabhängige Vertreter von Arbeitnehmerinteressen haben sie bis 1989 faktisch nicht bestanden. 3. Der demografische Wandel (Verjüngung) der Belegschaften hat ebenfalls einen negativen Effekt auf den Organisationsgrad der Gewerkschaften, da unter jüngeren Arbeitnehmern Gewerkschaftsmitgliedschaften selten sind. 4. Der lebensweltliche Wandel und die Etablierung neuer Lebensstile haben die über Jahrzehnte relativ stabilen gesellschaftlichen Spaltungsstrukturen zwischen Kapital und Arbeit aufgeweicht. Eine Interessenvertretung durch Gewerkschaften scheint für viele Beschäftigte zunehmend an Relevanz zu verlieren. 5. Eine wachsende Diskrepanz zwischen Interessen der Beschäftigten auf der shop-floor-Ebene und Interessen gewerkschaftlicher Dachverbände hat ebenfalls zu einer Abwendung der Belegschaften von den Gewerkschaften geführt. Der Mitgliederrückgang der Gewerkschaften hat allerdings geringere Folgen für das System der Arbeitsbeziehungen als man annehmen könnte. Die Vermutung, dass der Geltungsbereich von Kollektivverträgen mit dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad direkt zusammenhängt, lässt sich nämlich für das System der Arbeitsbeziehungen in Europa nur teilweise bestätigen. In Skandinavien, Großbritannien, Irland und den postsozialistischen Ländern lässt sich diesbezüglich ein Zusammenhang konstatieren. In den kontinentaleuropäischen Ländern ist der Geltungsbereich von Kollektivverträgen jedoch um ein Mehrfaches größer als der Gewerkschaftsgrad (zum Beispiel Faktor 11 in Frankreich, Faktor 5 in Portugal und Spanien, Faktor 3 in Deutschland). Der zweite wichtige Indikator zur Bemessung der Stärke von Gewerkschaften Streik ist die Mobilisierbarkeit der Arbeitnehmerschaft für Streiks. Arbeitsniederlegungen stellen das wirksamste Mittel zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen dar. Die Streikhäufigkeit hat sich in Europa über die Zeit wie folgt entwickelt: Zwischen Ende der 1960er- und Mitte der 1970er-Jahre waren Streiks in Westeuropa sehr stark verbreitet (siehe Tab. 3, Spalte 6-10). Diese Streiks traten vor allem in Ländern mit konfliktorientierten beziehungsweise pluralistischen Arbeitsbeziehungen auf (Spanien, Italien, Großbritannien, Irland). Danach setzte zu Beginn der 1980er-Jahre ein Wandlungsprozess hin zu weniger Streiks ein. Eine Ausnahme in dieser Zeit ist die Streikfreudigkeit der Italiener im Jahre 1980 mit 1.564 Streiktagen pro Tausend Beschäftigte. In den 1990er-Jahren nahmen Streiks im europäischen Durchschnitt weiter kontinuierlich ab, so dass sich im Jahre 2005 in der EU-15 nur noch 31 Streiktage pro 1.000 Beschäftigte beobachten ließen. Langfristig zeigt sich anhand dieses Indikators eine klare Tendenz hin zur Befriedung der Konflikte zwischen Kapital und Arbeit. Streiks finden in Europa vor allem in der Befriedung der Konflikte zwischen Kapital und Arbeit Industrie statt. Es lässt sich in den letzten Jahren aber auch eine Zunahme von Streiks im öffentlichen Dienst beobachten. In Ländern wie Irland, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Italien, Portugal, Ungarn und Finnland lagen die Höhepunkte der Streiks im öffentlichen Dienst in den Jahren 1999 bis 2001 (Eurostat 2007d). <?page no="83"?> 84 4 Ordnungsmodelle und institutionelle Arrangements Im Hinblick auf die vier Idealtypen der Arbeitsbeziehungen zwischen Kapital und Arbeit lässt sich in den letzten Jahrzehnten - mit Ausnahme des Phänomens Finnland - ein charakteristisches Nord-Süd-Gefälle ausmachen: Eine zwar abnehmende, aber immer noch vergleichsweise hohe Streikhäufigkeit in den romanischen Ländern des konfliktorientierten Typus steht einer mittleren beziehungsweise geringeren Streikhäufigkeit in den Ländern der anderen drei Idealtypen gegenüber. In Ländern wie der Slowakei, Polen, Ungarn, Litauen, Lettland, Estland, Schweden, Österreich, Luxemburg oder Deutschland sind im Jahre 2005 in keinem nennenswerten Umfang Arbeitstage durch Streiks ausgefallen. Irland oder Verringerung Streikhäufigkeit, Konvergenz Dänemark positionieren sich mit einer mittleren Streikhäufigkeit zwischen diesen beiden Polen. Im Zuge dieser Veränderungen hat sich die Streuung der Streikhäufigkeit innerhalb Europas drastisch verringert (SD 1974: 337, 2005: 61), was aus unserer Sicht als ein Indiz für die Konvergenz der Arbeitsbeziehungen innerhalb der Europäischen Union gewertet werden kann. <?page no="84"?> 5 Bevölkerung und Familie Die Beschreibung der Bevölkerung anhand von demografischen Kennziffern gehört mit zu den wichtigen Bereichen der Sozialstrukturforschung. Zu diesen Kennziffern zählen die Bevölkerungsentwicklung, die Altersstruktur, Fertilitätszahlen, die Lebenserwartung (Mortalität), die ethnische Struktur der Bevölkerung sowie die Familienformen (Klein 2005: 40). Sozialwissenschaftliche Untersuchungen von Bevölkerungsstrukturen sind Bestandteil der demografischen Forschung, bevölkerungs- und familiensoziologischer Analysen sowie alterssoziologischer Studien. Solche Untersuchungen besitzen eine erhebliche gesellschaftliche Relevanz, da sie Fragestellungen wie die (Über-)Alterung, den Anstieg der Lebenserwartung, das Absinken der Geburtenrate, den Wandel der familiären Lebensformen oder die mit Zuwanderung einhergehenden Herausforderungen thematisieren. Die demografischen Strukturen moderner Gesellschaften sind, wie politische oder soziale Strukturen, auch das Ergebnis der Handlungen von Menschen. Huinink (2000: 339) vertritt hierzu die These, dass ein Zusammenhang zwischen sozialen Handlungsprozessen (Lebensformen, Präferenzen, Lebensstilen), gesellschaftlichem Wandel (Wachstum, Industrialisierung, Beschleunigung vs. Krieg, Krise, Regression) und demografischen Prozessen (Heirats-, Fortpflanzungs- und Sterbeverhalten) besteht. Diesen Zusammenhang thematisieren die meisten Theorien der Bevölkerungsentwicklung. Der Ursprung dieser Theorien kann in den Schriften der klassischen britischen Nationalökonomie gesehen werden. Hier wurde seinerzeit argumentiert, dass Bevölkerungsentwicklung eine Funktion von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt sei. Anknüpfend an solche ökonomischen Überlegungen veröffentlichte Thomas R. Malthus Anfang des 19. Jahrhundert seine über einen langen Zeitraum sehr einflussreichen bevölkerungstheoretischen Schriften, nach denen das ungebremste Wachstum der Bevölkerung Teil der Entstehung und Entwicklung moderner Industriegesellschaften ist. Bevölkerungstheorie von Malthus: Die ungebremste Fortpflanzung der Menschen führe zu einer Überbevölkerung, mit der die Entwicklung der Landwirtschaft und der Industrie nicht mithalten könne. Die Folge davon seien Hungersnöte, Krisen, Kriege, Seuchen. Solche »Korrekturen« des ungebremsten Bevölkerungswachstums sind nach Malthus unausweichlich, was er naturgesetzlich beziehungsweise sozialdarwinistisch begründet. Sozialpolitische oder bildungspolitische Interventionen zur Korrektur solcher Krisen seien falsch, da die Implementierung eines Wohlfahrtsstaates die Tendenz zur Überbevölkerung weiter antreibe (Malthus 1999 [1798]). Empirisch hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt, dass wichtige Eckpunkte der Konzeption von Malthus nicht tragbar sind: Sozialpolitik hat entgegengesetzte Auswirkungen auf Bevölkerungsentwicklung als er annahm; Frauenerwerbsarbeit oder stärkere Rechte der Frauen führen nicht zu mehr Geburten, sondern im Gegenteil zu geringeren Geburtenraten; höhere Bildung führt zu weniger Geburten, da die Menschen vorausschauender planen. Der aktuell einflussreichste Erklärungsansatz zur Bevölkerungsentwicklung ist demografische Erklärungsansätze die Theorie des demografischen Übergangs. Diese hat ein mehrstufiges Phasenmodell der Geburten- und Sterblichkeitsentwicklung zum Kern, mit welchem vor dem <?page no="85"?> 86 5 Bevölkerung und Familie Hintergrund der Etablierung der Industriegesellschaft ein Absinken von Sterbe- und Geburtenraten postuliert wird. Das Bevölkerungswachstum pendelt sich im Zuge dieser Entwicklung auf einem niedrigen Niveau ein, da die Geburtenüber der Sterberate liegt. Nach der Auffassung von Höhn (1997: 73) weisen die europäischen Gesellschaften bezüglich dieser Phase des demografischen Übergangs bemerkenswerte Übereinstimmungen auf. Beim Übergang von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft ändern sich die Geburten- und Sterberaten. Faktoren wie der wachsende Wohlstand, bessere medizinische Versorgung und geringere Lebensarbeitszeiten führen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer deutlichen Erhöhung der Lebenserwartung in westlichen Gesellschaften. Zudem sorgen die Verlängerung der Ausbildungszeiten, ein verändertes Partnerschaftsverhalten und die vielfältigen Individualisierungsprozesse für einen Rückgang der Geburtenzahlen. Schließlich Absinken der Geburtenunter die Sterberaten kommt es zu einem Absinken der Geburtenunter die Sterberaten (Schaubild 7, Phase V), was als zweiter demografischer Übergang bezeichnet wird (van de Kaa 1987), und damit zu einem Schrumpfen der Bevölkerung. Dieses Erklärungsmodell ist die Grundlage für zeitgenössische Theorien demografischen Strukturwandels, die diesen Wandel durch ökonomischen/ technologischen Fortschritt, Rationalisierung, Urbanisierung/ Suburbanisierung, Wohlstands- und Bildungsexpansion zu erklären suchen. Schaubild 7 | Modell des demografischen Übergangs Quelle: Huinink (2000: 351). Stärker soziologische Erklärungsansätze orientieren ihre Annahmen an den Übersoziologische Erklärungsansätze legungen der Bevölkerungssoziologie von Gerhard Mackenroth (1953). Danach hängt das generative Verhalten (Partnerschaftsverhalten, Realisierung von Kinderwünschen) von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, also zum Beispiel von Normvorstellungen über die ideale Anzahl von Kindern in Partnerschaften, der gesellschaftlich legitimierten Planbarkeit von Kinderwünschen und der Abwesenheit von gesellschaftlichen Krisen (Arbeitslosigkeit, Revolutionen, Umwälzungen, Kriege), aber auch von persönlichen Lebenseinstellungen und Präferenzstrukturen, der Zugehörigkeit zu sozialen Milieus und der materiellen Situation der <?page no="86"?> 5.1 Bevölkerungs- und Altersstruktur 87 Menschen ab. In ökonomischen Bevölkerungstheorien (Braun 2000 ist für einen ökonomische Erklärungsansätze Überblick gut geeignet) wird hingegen das Heirats- und Fortpflanzungsverhalten der Individuen aus der Perspektive der Theorie rationaler Wahl konzeptionalisiert: Entscheidungen pro oder kontra Partnerschaft/ Heirat wie auch Entscheidungen für oder gegen ein Kind werden als rationale Abwägung nutzenmaximierender Akteure verstanden. Übersteigen die Kosten einer Geburt (entgangenes Einkommen der Mutter, Freizeitverlust, finanzielle Aufwendungen, Schlafentzug und sonstige Mühen) deren Nutzen (persönliches Glücksempfinden, Kinder als Alterssicherung oder Arbeitskraft), so wird ein potenzieller Kinderwunsch vertagt oder verworfen (Becker 1981). Alternative Erklärungsansätze der Bevölkerungsentwicklung (vgl. Huinink 2000: 352ff.): Eine Alternative zur Theorie des demografischen Übergangs ist die systemtheoretische Konzeption der Bevölkerungsentwicklung, die diese als ein Teilsystem von Gesellschaft sieht, welches mit anderen Systemen (Ökonomie, Kultur, Soziales) in charakteristischen Austauschbeziehungen steht. Ferner lassen sich auch mit Ansätzen der Lebensverlaufsforschung Phänomene des demografischen Wandels theoretisch fassen. Danach ist der Lebensverlauf eines Menschen in bestimmte Phasen unterteilt, und der Mensch ist immer zeitgleich in unterschiedliche Handlungsfelder integriert (Arbeit, Familie, Freizeit, gemeinnützige Aktivitäten). Demografisches Handeln steht dabei vor der Herausforderung, mit den Erfordernissen anderer Handlungsfelder koordiniert realisiert werden zu müssen. Schließlich lassen sich noch eine Reihe von sozialpsychologischen Theorien ausmachen, die auf unterschiedliche Weise die Wechselbeziehung zwischen persönlichem Wollen (zum Beispiel emotional bedingtem Kinderwunsch), individuellem Können, sozialem Dürfen, situativen Möglichkeiten und demografisch relevantem Verhalten der Individuen thematisieren. Zur metatheoretischen Ordnung dieser unterschiedlichen Zugänge regt Huinink eine Unterteilung in Erklärungsansätze an, die auf der Makroebene, auf der Mikroebene oder auf der psychosozialen Ebene ansetzen. 5.1 Bevölkerungs- und Altersstruktur Methodische Hinweise Die in diesem Abschnitt diskutierten Bevölkerungsvorausschätzungen (Angaben in Mio. Personen) beruhen auf Daten von Eurostat zu Alterung, Sterblichkeit, Fruchtbarkeit und Wanderungsbewegungen (für einen Überblick zu unterschiedlichen Methoden der Bevölkerungsvorausberechnung siehe Bretz 2000). Zur Abbildung der Alterung der Bevölkerung wird eine Ratio aus der Gesamtzahl der Personen im Alter von über 65 Jahren und der Zahl der Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren, die im Allgemeinen ökonomisch aktiv sind, verwendet. Grundlage sind Eurostat- Daten. Am 1. Januar 2008 lebten innerhalb der Europäischen Union 497 Millionen Men- 2008 leben fast 500 Mio. Menschen in der EU schen, davon 394 Millionen innerhalb der EU-15-Nationen und 103 Millionen in den Beitrittsstaaten von 2004/ 07. Mit fast einer halben Milliarde Einwohner hat die Europäische Union als ökonomischer, politischer und sozialer Raum eine um zwei Drittel größere Bevölkerung als die USA (300 Millionen). Das bevölkerungsreichste Land der Union ist Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern. Danach <?page no="87"?> 88 5 Bevölkerung und Familie folgen Frankreich, Großbritannien und Italien, in denen jeweils etwa 60 Millionen Menschen leben. Malta, Luxemburg, Zypern, Estland und Slowenien besitzen die kleinsten Bevölkerungen mit 0,4 bis zwei Millionen Einwohnern. Die durchschnittliche Bevölkerungsgröße eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union liegt bei 18,4 Millionen Einwohnern. In den Jahren zwischen 1995 und 2008 hat die Bevölkerung in den EU-Ländern deutlich zugenommen. Nicht alle Länder haben gleichermaßen zu dieser Bevölkerungsentwicklung beigetragen. Sie geht in erster Linie auf das Bevölkerungswachstum innerhalb der EU-15 zurück (plus zwölf Millionen Einwohner). In den Beitrittsnationen stagniert die Bevölkerung, zum Teil schrumpft sie deutlich. Besonders deutlich fällt der Bevölkerungsanstieg in Irland, Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Portugal aus. Zurückzuführen ist diese Entwicklung in erster Linie auf einen Anstieg der Geburtenziffern in diesen Ländern (vgl. Abschnitt 5.2) sowie auf eine wachsende Zuwanderung (siehe Abschnitt 6.1). Diese hat vor allem in Irland, Spanien und Portugal in den letzten zehn Jahren für einen deutlichen Anstieg der Bevölkerung gesorgt (Barrett et al. 2006; Eurostat 2008b; OECD 2007f; Peixoto 2002). Ein Rückgang der Bevölkerung findet sich aktu- Tab. 4 | Bevölkerungsentwicklung und -vorausschätzung 1995 2000 2008 2020 2030 2040 2050 EU-15 371,9 377,2 394,2 397,5 398,7 394,6 384,4 Belgien 10,1 10,2 10,7 10,8 11,0 11,0 10,9 Dänemark 5,2 5,3 5,5 5,5 5,6 5,5 5,4 Deutschland 81,5 82,2 82,2 82,7 81,1 78,4 74,6 Irland 3,6 3,8 4,4 4,8 5,1 5,3 5,5 Griechenland 10,6 10,9 11,2 11,4 11,3 11,1 10,6 Spanien 39,3 40,0 45,3 45,6 45,4 44,6 42,8 Frankreich 59,3 60,5 63,8 63,6 65,1 66,0 65,7 Italien 56,8 56,9 59,6 58,3 57,1 55,3 52,7 Luxemburg 0,4 0,4 0,5 0,5 0,6 0,6 0,6 Niederlande 15,4 15,9 16,4 17,2 17,6 17,6 17,4 Österreich 7,9 8,0 8,3 8,4 8,5 8,4 8,2 Portugal 10,0 10,2 10,6 10,8 10,7 10,4 10,0 Finnland 5,1 5,2 5,3 5,4 5,4 5,4 5,2 Schweden 8,8 8,9 9,2 9,6 9,9 10,1 10,2 Großbritannien 57,9 58,8 61,3 62,9 64,4 64,7 64,3 Bulgarien 8,4 8,2 7,6 6,8 6,2 5,6 5,1 Tschechien 10,3 10,3 10,3 9,9 9,7 9,3 8,9 Estland 1,4 1,4 1,3 1,2 1,2 1,2 1,1 Zypern 0,6 0,7 0,8 0,9 0,9 1,0 1,0 Lettland 2,5 2,4 2,3 2,1 2,0 1,9 1,9 Litauen 3,6 3,5 3,4 3,2 3,1 3,0 2,9 Ungarn 10,3 10,2 10,0 9,7 9,5 9,2 8,9 Malta 0,4 0,4 0,4 0,5 0,5 0,5 0,5 Polen 38,6 38,7 38,0 37,1 36,5 35,4 33,7 Rumänien 22,7 22,5 21,4 20,3 19,2 18,3 17,1 Slowenien 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 1,9 Slowakei 5,4 5,4 5,4 5,3 5,2 5,0 4,7 EU-27 478,1 482,8 497,2 496,5 494,8 486,8 471,8 Quelle: Eurostat (2008); Angaben in Mio. Einwohner. <?page no="88"?> 5.1 Bevölkerungs- und Altersstruktur 89 ell in keinem der bisherigen Kernländer der EU. Selbst in der Bundesrepublik, einem Land mit ungünstiger Altersstruktur und niedrigen Geburtenraten, stieg die Bevölkerung um 1,2 Millionen Menschen. Vor allem im Baltikum, in Rumänien und in Bulgarien gibt es hingegen einen Bevölkerungsrückgang in Osteuropa deutlichen Bevölkerungsrückgang. Diese Länder verloren zwischen 1995 und 2008 zwischen sechs und zehn Prozent ihrer Einwohner. Drei Faktoren bedingen diese Entwicklung (Billari 2005a; Bradatan/ Firebaugh 2007; Cockerham 1999; Cornia/ Paniccia 2000; Kruger/ Nesse 2007; Meslé 2004): Erstens sind die Geburtenraten in diesen Länder sehr niedrig. Zweitens gibt es kaum Zuwanderung und vergleichsweise starke Abwanderungsbewegungen nach Westeuropa. Drittens hat sich die Sterblichkeit vor allem bei Männern in diesen Ländern in den 1990er- Jahren erhöht, was ebenfalls negative Effekte für die Bevölkerungsentwicklung mit sich brachte. Ausgehend von diesen Befunden ist ein Blick auf die zukünftige europäische Bevölkerungsentwicklung interessant. In Tabelle 4 ist dazu eine Bevölkerungsprognose für den Zeitraum von 1995 bis 2050 dargestellt (Eurostat 2008). Diese verweist auf ein Schrumpfen der Bevölkerung in einigen Staaten und ein Wachsen der Bevölkerung in anderen Staaten. In der Summe geht die Bevölkerung bis zum Ende des Prognosezeitraums um etwa sechs Millionen Menschen zurück (EU-27). Dieser Bevölkerungsrückgang wird in erster Linie in den osteuropäischen Beitrittsnationen stattfinden. Am stärksten wird der Bevölkerungsrückgang in Bulgarien und Rumänien ausfallen, die voraussichtlich 2050 nur noch 60 beziehungsweise 75 % der Einwohner des Jahres 2005 haben werden. Auch in den übrigen osteuropäischen Beitrittsgesellschaften wird die Bevölkerung weiter schrumpfen. Insgesamt werden diese Staaten durch negative Geburtenentwicklung, hohe Sterblichkeit und Abwanderung wohl etwa 25 Millionen Einwohner verlieren, so viele Menschen wie derzeit insgesamt in Tschechien, der Slowakei und Ungarn leben. Unter den westeuropäischen Gesellschaften werden nach den derzeitigen Prognosen der Europäischen Union bis 2050 nur Italien (-4 Mio. Einwohner) und die Bundesrepublik (-7 Mio. Einwohner) Bevölkerung verlieren. 9 Abgesehen von den Ländern, in denen die Bevölkerung abnimmt, wird es in allen anderen europäibis 2050 Bevölkerungswachstum schen Ländern bis 2050 einen Bevölkerungszuwachs geben. Dieser wird voraussichtlich bei etwa 30 Millionen Personen liegen, was der addierten Einwohner- 9 Dieser Bevölkerungsrückgang wird dort die Probleme der sozialen Sicherungssysteme weiter verschärfen. Mit sinkender Bevölkerungszahl und damit einhergehendem Rückgang der Beschäftigtenzahlen sowie der starken Alterung der Bevölkerung entsteht eine doppelte Problemkonstellation: Die Anzahl der Beitragszahler sinkt, während die der Leistungsbezieher steigt. Diese negative Entwicklung ließe sich durch eine Erhöhung der Geburtenraten - auf der Basis einer verbesserten Familienpolitik (z. B. ausreichende Anzahl von Kinderbetreuungsplätzen, Beseitigung der beruflichen Nachteile für Frauen mit Kindern, Schaffung bezahlbaren Wohnraums für Familien mit Kindern) -, durch eine stärkere Zuwanderung oder eine Verringerung des Leistungsumfangs bei Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung beeinflussen. Die derzeit favorisierten Lösungen der Politik sind primär auf Kürzungen der Sozialversicherungsleistungen ausgerichtet. <?page no="89"?> 90 5 Bevölkerung und Familie zahl von Dänemark, Belgien und den Niederlanden entspricht. Besonders deutlich fällt dabei das Bevölkerungswachstum in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Schweden, Irland und Zypern aus. Bei diesen Ländern verzeichnen die Statistiken in den letzten Jahren eine überdurchschnittliche Geburtenrate (vgl. Abschnitt 5.2), eine teilweise stark wachsende Zuwanderung (Irland, Großbritannien, Spanien, Zypern) (vgl. Abschnitt 6.1) sowie eine Altersstruktur der Bevölkerung mit einem hohen Anteil von jungen Menschen und einem niedrigen Anteil von Menschen mittleren Alters (European Commission 2007b: 50ff.). Alterung der Gesellschaft Eine wachsende Anzahl von Autoren innerhalb der Soziologie (Bonoli/ Shinkawa Alterung der Gesellschaft 2005; Künemund/ Schroeter 2008; Lenz et al. 1999; Naegele/ Tews 1993; Pohlmann 2001; Schimany 2003) beschäftigt sich mit der Alterung moderner Gesellschaften. Demnach ist die Alterung der Bevölkerung unter anderem durch Entberuflichung, Singularisierung, wachsende soziale Ungleichheit im Alter, und eine Veränderung generativer Beziehungen gekennzeichnet (siehe unten). Als Ursachen der Alterung in Europa können drei zentrale Gründe benannt werden (Birg 2003; Höpflinger 1997a; Schimany 2003; Walker/ Maltby 1997): 1. Die Lebenserwartung hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts signifikant zugenommen. 2. Die Geburtenraten sind in den Jahrzehnten seit dem Babyboom der 1950er- und 1960er- Jahren deutlich zurückgegangen. 3. Die geburtenstarken Jahrgänge der sogenannten Babyboomer-Generation befinden sich in den letzten Jahren ihres Berufslebens und werden demnächst aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Strukturwandel des Alters. Tews (1993: 23ff.) hat in einem programmatischen Text die wichtigsten Elemente der Alterung moderner Gesellschaften zusammengefasst: 1. Verjüngung des Alters. Dies ist vor allem ein Resultat der Verkürzung der Lebensarbeitszeit, was gepaart ist mit steigenden Aktivitäten von ( jungen) Alten aufgrund der derzeit noch im Durchschnitt deutlich verbesserten materiellen Lage von älteren Menschen. 2. Entberuflichung. Die übergroße Mehrheit älterer Menschen verbringt ihre Alterszeit ohne Berufstätigkeit - ein historisch gesehen neues Phänomen entwickelter Gesellschaften. 3. Singularisierung. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt der Anteil Alleinstehender zu, was soziale Probleme (Isolation und Armut) mit sich bringt. Höpflinger (1997a: 143ff.) schlägt hierzu ergänzend vor, von einer Individualisierung des Alters auszugehen. Danach ist der Wunsch nach sozialer Unabhängigkeit bei älteren Menschen sehr stark ausgeprägt. 4. Feminisierung des Alters. Frauen leben in der Regel gesünder als Männer und haben daher eine höhere Lebenserwartung. Frauen heiraten zudem oft Männer, die älter sind. Deshalb unterscheiden sich die Lebensformen von Männern und Frauen im Alter voneinander. Die Mehrheit der hochaltrigen Männer (80 Jahre und mehr) lebt in einer Partnerschaft, was bei der Mehrheit der hochaltrigen Frauen nicht der Fall ist. 5. Trend zur Hochaltrigkeit. Die Ende des 19. Jahrhunderts Geborenen konnten nur zu einem Drittel ihren 70. Geburtstag feiern. Das hat sich geändert: 50 % der 1930 Geborenen werden in Europa 70 Jahre und älter, die Hälfte der 1940 Geborenen wird 80 Jahre und älter. Gesundheitsprobleme und soziale Isolation sind trotz dieses Trends Realität für viele Hochaltrige (Baltes 2003). Auswirkungen der Alterung der Bevölkerung für die Institutionen der Gesellschaft Auswirkungen der Alterung sind in vielen Bereichen zu erwarten, zum Beispiel im Gesundheitssystem (steigende Zahl von Kranken und Pflegebedürftigen), im Rentensystem (verändertes Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern), auf dem Arbeitsmarkt (Fachkräftemangel) oder auf dem Wohnungsmarkt (veränderte Nachfrage nach <?page no="90"?> 5.1 Bevölkerungs- und Altersstruktur 91 Wohnungsgröße und -ausstattung, Schrumpfen von Städten) (Grohmann 2003: 447ff.). Auch das System gesellschaftlicher Interessenvertretung und die politischen Steuerungskapazitäten moderner Gesellschaft werden sich ändern. In 20 Jahren wird eine Politik »gegen« die Alten kaum noch möglich sein (Wolf/ Kohli 1998: 150ff.), was vielfältige Gerechtigkeitsprobleme aufwirft (Dallinger/ Liebig 2004). Zudem stehen »alternde« Gesellschaften vor der Aufgabe, zahlreiche Komponenten der Infrastruktur (Straßen, Gehwege, öffentlicher Nahverkehr) anzupassen. Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen werden neue Aufgaben und Leistungen erbringen müssen (Grohmann 2003: 460ff.). Schließlich wird das veränderte Konsumverhalten der Menschen Folgen haben für das, was Firmen produzieren und absetzen können (Szmigin/ Carrigan 2001: 24ff.). Auf der sozialstrukturellen Ebene wird die Alterung mit einer wachsenden sozialen Ungleichheit der Lebenslagen von älteren Menschen einhergehen. Zwar ist in den meisten (west-)europäischen Staaten die wirtschaftliche Lage von Rentnern und Pensionären zu Beginn des 21. Jahrhunderts viel besser als noch in den 1960er- oder 1970er-Jahren. Die Formel »alt = arm« stimmt daher nicht mehr. Dennoch hat auch der Anteil von einkommensschwachen Haushalten alter Menschen zugenommen. Zur empirischen Erfassung der Alterung in der Gesellschaft werden in der Literatur unterschiedliche sogenannte Altenquotienten verwendet, die das Verhältnis von Menschen im Rentenalter zu den Menschen im erwerbsfähigen Alter abbilden. 10 Die Europäische Union benutzt zur Messung der Bevölkerungsalterung das Messung der Alterung Verhältnis der Gesamtzahl älterer Personen, die im Allgemeinen ökonomisch inaktiv sind (über 65 Jahre), und der Zahl der Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren (Schaubild 8). Im Jahr 2007 lag dieser Altenquotient innerhalb der bisherigen Kernunion bei knapp 26 und leicht darunter in der erweiterten Union. Den höchsten Bevölkerungsanteil von älteren Menschen verzeichneten Italien und Deutschland, wo knapp ein Drittel der Bevölkerung dieser Altersgruppe zuzurechnen ist. Der niedrigste Anteil alter Menschen findet sich in Irland, Rumänien, Luxemburg, der Slowakei und Zypern. Dazwischen gruppieren sich alle anderen west- und osteuropäischen Nationen. Nicht nur das Ausmaß der Alterung unterscheidet sich zwischen den europäischen Nationen, auch das Tempo der Alterung weist erhebliche Differenzen auf. Betrachtet man die Entwicklung innerhalb eines Zeitraums von elf Jahren (1996 10 Grohmann (2003) nutzt zum Beispiel einen Altenquotienten, der die Zahl der über 60- Jährigen (das entspricht dem jahrelangen tatsächlichen Renteneintrittsalter in Deutschland) ins Verhältnis zu der Zahl der 20bis 60-Jährigen setzt. Dieser Altenquotient lag 1957 in Deutschland bei 28 und im Jahr 2000 bei 42. Bis 2030 wird er weiter steigen. 75 Personen im Rentenalter stehen dann 100 Personen im Erwerbsalter gegenüber. Verwendet man einen »weicheren« Altenquotienten (Ratio +65-Jährige und 20bis 64- Jährige), wie dies zum Beispiel Hradil (2006a: 76) tut, so werden in Deutschland bis 2030 auf 47 Rentenbezieher100 Personen im erwerbsfähigen Alter kommen. Beide Parameter verweisen auf große demografische Herausforderungen, vor denen die Bundesrepublik steht (Birg 2003: 194ff.; Grohmann 2003: 445; Kaufmann 2005: 31f.). <?page no="91"?> 92 5 Bevölkerung und Familie Schaubild 8 | Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre 0 5 0 1 5 1 0 2 5 2 0 3 5 3 0 4 5 4 0 5 6 9 9 1 7 0 0 2 0 3 0 2 Irland Rumänien Luxemburg Slowakei Zypern Litauen Lettland Estland Ungarn Polen Malta Niederlande Tschechien Dänemark Großbritannien Schweden Spanien Portugal Griechenland Slowenien Bulgarien Frankreich Österreich EU-15 Belgien Finland Italien Deutschland Quelle: Eurostat (2008b); Angaben in %. bis 2007), so stieg der Altenquotient im Durchschnitt des bisherigen Kerneurohohes Tempo der Alterung in Deutschland, Slowenien, Italien, Griechenland, Estland, Litauen pas um 13 % (entspricht 3,1 Skalenpunkten). Der deutlichste Anstieg des Anteils der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung lässt sich in diesem Zeitraum in Deutschland, Slowenien, Italien, Griechenland, Estland und Litauen beobachten, wo der Altenquotient um 20 bis 31 % gewachsen ist. Am Beispiel der Bundesrepublik kann man veranschaulichen, welche quantitativen Dimensionen sich hinter diesen Veränderungen innerhalb eines demografisch gesehen sehr kurzen Zeitraums verbergen. Ein Altenquotient von 22,8 für das Jahr 1996 entspricht einem Bevölkerungsanteil von 12,7 Millionen Menschen, die über 65 Jahre alt sind. Im Jahr 2007 lebten dann bereits 16,3 Millionen über 65-Jährige in Deutschland (Altenquotient von 29,9). Diese Steigerung des Bevölkerungsanteils älterer Menschen in absoluten Zahlen (3,6 Mio. Menschen) übersteigt die Einwohnerzahl von Berlin um 200.000 Einwohner. Anders stellt sich die Situation in Irland, Schweden, Großbritannien, Luxemburg, der Slowakei, Zypern, Dänemark und Tschechien dar. Das sind Nationen, in denen sich im Verhältnis zu den erwerbsfähigen Personen zwischen 15 und 64 Jahren deutlich weniger Menschen finden lassen, die über 65 Jahre alt sind. Interessanterweise ist in diesen Staaten in dem hier gewählten Beobachtungszeitraum ein geringer Anstieg oder sogar ein Rückgang des Altenquotienten zu beobachten. Zwischen diesen beiden Ländergruppen finden sich Nationen wie Frankreich, die Niederlande, Österreich oder Ungarn, wo der Bevölkerungsanteil der über 65- Jährigen im Verhältnis zu den Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 1996 <?page no="92"?> 5.2 Geburten- und Mortalitätsentwicklung 93 und 2007 um etwa zehn Prozent, im Fall von zum Beispiel Finnland um circa 15 % gestiegen ist. Betrachtet man die prognostizierte Alterung der europäischen Gesellschaften starke Alterung in allen europäischen Ländern bis 2030 bis zum Jahr 2030 (Schaubild 8), so ist zunächst ein starker Anstieg des Altenquotienten für alle EU-Nationen offenkundig (EU-15 von 25,9 auf 41,2). Europa wird dann eine ungünstigere Altersstruktur aufweisen als die USA, Kanada, Japan oder China (European Commission 2007b: 169). Die Spitzenpositionen innerhalb der EU werden 2030 von denselben Nationen eingenommen wie im Jahr 2007: Deutschland und Italien werden den höchsten (Altenquotient über 45) und Irland den niedrigsten Anteil von ökonomisch inaktiven älteren Menschen im Verhältnis zu den Erwerbsfähigen verzeichnen. 11 Zwischen diesen Ländern, die ihre Position behalten, wird es Aufsteiger und Absteiger geben: Finnland, Österreich, Frankreich oder Slowenien werden beispielsweise im Jahr 2030 einen größeren Anteil von ökonomisch inaktiven Einwohnern haben als noch 2007. Ein im europäischen Vergleich geringer Altenanteil wird neben Irland für Rumänien, die Slowakei, Zypern, Estland und Lettland prognostiziert (Altenquote unter 33). Alles in allem werden die westeuropäischen Länder 2030 eine ungünstigere Altersstruktur Westeuropa: ungünstigere Altersstruktur in 2030 als Osteuropa aufweisen als die Staaten Osteuropas. Entsprechend dieser Entwicklung werden die sozialen Sicherungssysteme vor allem in Deutschland, Italien, Finnland oder Österreich zu diesem Zeitpunkt vor größeren Finanzierungsproblemen stehen, als dies bereits heute der Fall ist (Birg 2003; Bonoli/ Shinkawa 2005; Kaufmann 2005; Walker/ Maltby 1997). Zusätzlich wird die starke Alterung der europäischen Gesellschaften wahrscheinlich negative Effekte auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben (European Commission 2007b: 66f.). Eine stagnierende oder sogar negative Entwicklung des Bruttosozialprodukts ist für einige der EU-27-Staaten aufgrund der starken Alterung der Bevölkerung kein unrealistisches Zukunftsszenario. 5.2 Geburten- und Mortalitätsentwicklung Methodische Hinweise Die Fertilität (Geburtenrate) wird in diesem Abschnitt auf der Basis von Eurostat-Daten als durchschnittliche Zahl der lebend geborenen Kinder je Frau angegeben. Dabei kann man davon ausgehen, dass der Erhalt der Bevölkerung bei einer Rate von 2,1 Kindern gesichert ist. Um jährliche Geburtenraten zu ermitteln, werden die altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern von Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren im jeweiligen Kalenderjahr berücksichtigt. 11 Allerdings wird sich der relative Abstand zwischen diesen Ländern verringern. 2007 war der Altenquotient in Italien und Deutschland noch knapp doppelt so hoch wie in Irland. <?page no="93"?> 94 5 Bevölkerung und Familie Die Lebenserwartung bei Geburt wird als durchschnittliche Zahl der Jahre angegeben, die ein Neugeborenes voraussichtlich lebt, wenn die zu diesem Zeitpunkt herrschenden Sterbebedingungen während seines ganzen Lebens bestehen bleiben. Die Lebenserwartung mit 60 Jahren wird ausgewiesen als Anzahl der Jahre, die eine Person im Alter von 60 Jahren im Durchschnitt noch leben wird, wenn die zu diesem Zeitpunkt herrschenden Sterbebedingungen bestehen bleiben. Beide Indikatoren beruhen auf Eurostat-Daten. Die Fertilität ist in den Mitgliedsnationen der Europäischen Union sehr niedrig Fertilität in Europa niedrig (siehe Tab. 5). Sie liegt seit etwa drei Jahrzehnten unter der Reproduktionsrate von 2,1 Geburten pro Frau und belief sich im Jahr 2006 auf circa 1,50 lebend geborene Kinder pro Frau (Eurostat 2008b). Im Vergleich lagen die Geburtenraten in den USA 2007 bei 2,12, in Indien bei 2,81, in China und Australien bei 1,75 und in Kanada bei 1,61 (CIA 2008). Tritt mittelfristig nicht eine deutliche Erhöhung der Geburtenrate ein, ist die Bevölkerung Europas nur durch Zuwanderung stabilisierbar. Die Geburtenraten sind in Westeuropa deutlich höher als in Osteuropa. Die meisten Geburten wurden im Jahr 2006 in Frankreich, Irland, Großbritannien, Dänemark, Finnland und Schweden registriert, wo die Rate zwischen 1,83 und 2,0 lag. In Skandinavien und in Frankreich sind die vergleichsweise hohen Geburten- | Tab. 5 Fertilität 1960 1980 1995 2000 2006 EU-15 2,67 1,72 1,50 - 1,55* Belgien 2,54 1,68 1,55 1,61 1,72 Dänemark 2,57 1,44 1,80 1,77 1,83 Deutschland 2,37 1,56 1,25 1,38 1,32 Irland 3,91 3,24 1,84 1,90 1,93 Griechenland 2,22 2,23 1,32 1,27 1,39 Spanien 2,86 2,20 1,18 1,27 1,38 Frankreich 2,83 1,88 1,71 1,89 2,00 Italien 2,50 1,64 1,18 1,26 1,34* Luxemburg 2,33 1,49 1,69 1,78 1,65 Niederlande 3,17 1,60 1,53 1,72 1,70 Österreich 2,78 1,65 1,42 1,36 1,40 Portugal 3,16 2,25 1,41 1,55 1,35 Finnland 2,76 1,63 1,81 1,73 1,84 Schweden 2,25 1,68 1,73 1,55 1,85 Großbritannien 2,86 1,90 1,71 1,64 1,84 Bulgarien 2,31 2,05 1,24 1,27 1,37 Tschechien 2,11 2,10 1,28 1,14 1,33 Estland 2,25 2,02 1,32 1,39 1,55 Zypern 3,47 2,46 2,13 1,64 1,47 Lettland 1,94 2,01 1,26 1,24 1,35 Litauen 2,57 1,99 1,55 1,39 1,31 Ungarn 2,02 1,91 1,58 1,33 1,34 Malta 3,16 1,98 1,83 1,67 1,41 Polen 2,76 2,33 1,61 1,37 1,27 Rumänien 2,10 2,44 1,34 1,31 1,31 Slowenien 2,25 1,91 1,29 1,26 1,31 Slowakei 2,93 2,31 1,52 1,30 1,24 EU-25 2,23 1,79 1,56 - 1,50* Quelle: Eurostat (2008a), European Commission (2007b); ∗ Wert für 2005; Angaben für EU-27 nicht verfügbar. <?page no="94"?> 5.2 Geburten- und Mortalitätsentwicklung 95 zahlen unter anderem Ergebnis wohlfahrtsstaatlicher Politiken (vor allem Bereitstellung ausreichender Kinderbetreuungsplätze), die auf eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie abzielen (Bahle 2008; Esping-Andersen 1999). In den liberalen Wohlfahrtsregimes sind auch gesellschaftliche Normvorstellungen über eine große Anzahl von Kindern in Partnerschaften mit für eine hohe Geburtenrate verantwortlich (Bahle 2008; Esping-Andersen 1999). Am niedrigsten waren die Geburtenraten in der Slowakei, Polen, Litauen, sehr niedrige Geburtenraten in Osteuropa Rumänien und Slowenien, wo die durchschnittliche Zahl der lebend geborenen Kinder pro Frau zwischen 1,24 und 1,31 lag. Damit haben sich die Geburtenraten in diesen osteuropäischen Ländern auf 60 % des Niveaus von 1990 reduziert (Eurostat 2008b). Ein solcher Geburtenrückgang ist in diesem Zeitraum in keiner anderen Region Europas zu finden, und es gibt für ihn historisch und im Gesellschaftsvergleich kaum Beispiele (Billari 2005a, b; Bloom et al. 2003). Hradil macht hierfür »Umbruchsprobleme, Erscheinungen von Anomie und die oftmals pessimistischen Zukunftsaussichten der Bevölkerung« (Hradil 2006a: 53) verantwortlich. Auch in Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, Österreich und der Bundesrepublik - Länder, die dem konservativen Wohlfahrtsstaatstypus zugerechnet werden können - lagen die Geburtenraten 2006 weit unter dem europäischen Durchschnitt. Hier weisen die Statistiken zwischen 1,32 und 1,40 lebend geborene Kinder je Frau aus. Gründe für die niedrigen Geburtenraten in diesen Ländern sind in drei miteinander verbundenen Bereichen zu suchen. Erstens hat die Frauenerwerbstätigkeit - speziell in den südeuropäischen Staaten - in den letzten Jahren stark zugenommen (vgl. Abschnitt 7.2). Zweitens fehlen ausreichende und allgemein bezahlbare Möglichkeiten der Kinderbetreuung (Bahle 2008: 114; Billari 2005b: 81ff.). Drittens sind die jungen Arbeitsmarktkohorten besonders starken Arbeitsmarktrisiken ausgesetzt (kurze Beschäftigungszeiten, hoher Anteil von befristeten Verträgen, schlechte Bezahlung), was ebenfalls negative Effekte auf das Partnerschaftsverhalten und die Familiengründung hat (Bernardi/ Nazio 2005: 376f.; Kurz et al. 2005: 64ff.; Mills et al. 2005: 443ff.; Noguera et al. 2005: 401ff.). Letztlich stößt Grenzen des konservativen Wohlfahrtsstaats hier der konservative Wohlfahrtsstaat an systemimmanente Grenzen: Das Prinzip des Familialismus (zentral für Wohlfahrt und auch für Kinderbetreuung ist die Familie) auf der einen Seite und die Erfordernisse moderner Dienstleistungsgesellschaften (Nachfrage nach qualifizierten weiblichen und männlichen Arbeitskräften) sowie die beruflichen Karrierewünsche von Frauen auf der anderen Seite passen nicht zusammen. Der steigende Verzicht auf Kinder bei deutschen Frauen deutet hier möglicherweise sogar auf einen tiefgreifenden kulturellen Wandel hin (Billari 2005b: 77; Birg 2003: 73ff.; Kaufmann 2005: 116ff.; Konietzka/ Kreyenfeld 2007: 20ff.). Die Veränderungen der Geburtenraten in den letzten fünf Jahrzehnten sind Ausdruck eines prägnanten demografischen Wandels innerhalb Europas (Council of Europe 2006; Höpflinger 1997a; Höpflinger/ Fux 2007; Lutz et al. 2006). Noch in den 1960er-Jahren lag die Fertilitätsrate um etwa 75 % (EU-15) über der aktuellen Rate. In einigen Ländern - zum Beispiel Österreich, Irland, Spanien, Polen, Malta, <?page no="95"?> 96 5 Bevölkerung und Familie Portugal, Zypern und die Slowakei - war die Geburtenrate 1960 sogar mehr als Konvergenz der Geburtenraten vor 1990 doppelt so hoch wie im Jahr 2006. Aktuellere Trends aus dem Zeitraum zwischen 1995 und 2006 verweisen für die meisten westeuropäischen, aber auch für einige osteuropäische Staaten auf einen leichten Anstieg der Geburten. Dabei hat es in den letzten Jahren keine Angleichung der Fertilitätsraten gegeben, die Standardabweichung der Geburtenraten ist in den Jahren 1995, 2000 und 2006 gleich hoch. Erweitert man das Beobachtungsfenster, so lässt sich allerdings eine Konvergenz der Geburtenraten (sprich ein Rückgang der Geburten) beobachten. Diese hat vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in dem Zeitraum zwischen 1960 und 1990 stattgefunden. Alles in allem bestätigen die hier skizzierten Entwicklungen in Europa so die Modellannahmen der Theorien des demografischen Übergangs sehr gut (Höhn 1997; Huinink 2000; van de Kaa 1987). Alter von Frauen bei Geburt ihrer Kinder In Europa ist das mittlere Alter von Frauen bei Geburt ihrer Kinder deutlich höher Alter der Frauen bei Geburt sehr hoch als beispielsweise in den USA, Russland oder den meisten asiatischen Staaten (Billari 2005a: 73; Casterline 2001: 21ff.; Kohler et al. 2002: 645). Dabei weisen Frauen kein einheitliches generatives Verhalten auf. Im Gegenteil: Je nach Schichtzugehörigkeit, Bildungskapital, Lebensstil, Erwerbstätigkeitsstatus, Religionszugehörigkeit, Wohnort oder der Relevanz einer verlängerten Jugend variiert der Zeitpunkt im Lebenslauf, an dem sich Frauen für die Familiengründung beziehungsweise die Geburt eines Kindes entscheiden (Höpflinger 1997a: 56ff.; Höpflinger/ Fux 2007: 63f.; Kaufmann 2005: 130ff.). Empirisch lassen sich auch bei dieser Bevölkerungskennziffer zwischen den Ost-West- Differenzen westeuropäischen Nationen auf der einen Seite und den osteuropäischen Nationen auf der anderen Seite große Unterschiede ausmachen. Vergleichsweise niedrig war das Alter von Frauen bei der Geburt ihrer Kinder im Jahr 2006 in Bulgarien, Rumänien, Litauen und Lettland (zwischen 25 und 28 Jahren). Sehr hoch ist es in Dänemark, Schweden, den Niederlanden und Irland, wo Frauen bei Geburt ihrer Kinder 30 bis 31 Jahre alt sind. Zwischen diesen Ländern gruppieren sich Länder wie Tschechien, Portugal, Österreich oder Großbritannien. Zwischen 1995 und 2006 ist überall in Europa das Alter von Frauen bei Alter von Frauen bei Geburt ihrer Kinder steigt der Geburt ihrer Kinder gestiegen, im Durchschnitt um etwa 1,5 Jahre. Hier zeigt sich das Phänomen der Verschiebung von Geburten auf spätere Lebensphasen, wie es nach den Annahmen des zweiten demografischen Übergangs für entwickelte Gesellschaften typisch ist (Höpflinger 1997a; Reher 2007; Sánchez- Barricarte/ Fernández-Carro 2007). Besonders deutlich fällt dieser Anstieg in einigen osteuropäischen Nationen aus. Zum Teil sind das Länder (Ungarn, Litauen), in denen ein überdurchschnittlich starker Rückgang der Geburtenrate mit einem besonders deutlichen Anstieg des Alters von Frauen bei der Geburt ihrer Kinder zusammenkommen. Nur schwache Anstiege verzeichnen Irland, die Niederlande und Finnland. Im Zuge diese Entwicklung kommt es diesbezüglich zu einer An- <?page no="96"?> 5.2 Geburten- und Mortalitätsentwicklung 97 | Schaubild 9 Alter von Frauen bei Geburt ihrer Kinder 15 20 25 30 35 Bulgarien Lettland Rumänien Estland Litauen Tschechien Slowakei Ungarn Polen Slowenien Österreich Portugal Zypern Griechenland Großbritannien Deutschland Belgien Frankreich Lusemburg EU-12 Dänemark Schweden Finnland Italien Spanien Niederlande Irland 5 9 9 1 6 0 0 2 Quelle: Eurostat (2008b); Altersangabe in Jahren. gleichung innerhalb der Europäischen Union, wie dies die Berechnung der Standardabweichung dieses Indikators zeigt. Lebenserwartung Bei den theoretischen Modellen zur Lebenserwartung beziehungsweise Mortalität in modernen Gesellschaften kann man zwischen biologischen, sozioökonomischen und soziokulturellen Erklärungsansätzen differenzieren (Höpflinger 1997a: 144). Dominierten in den Anfangsjahren der Bevölkerungswissenschaften noch die biologischen Erklärungsansätze, so haben sich inzwischen sozialwissenschaftliche Modelle durchgesetzt (Coleman 2005; Gärtner et al. 2005; Lampert et al. 2008). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass zu einer umfassenden Erklärung der Erklärungsmodelle Lebenserwartungen biologisch-medizinische, ökonomische und kulturelle Faktoren wie auch die Wirkung von Umwelteinflüssen hinzugezogen werden müssen. Das Hauptanliegen von Mortalitätstheorien ist, Aussagen über die unterschiedlichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen zu treffen, was in erster Linie über ökonomische, kulturelle und soziale Argumente geschieht (Luy 2003). Es sind demnach zum Beispiel die kürzeren Arbeitszeiten, das gesundheitsbewusstere Verhalten (weniger Alkohol, weniger Zigaretten, häufigere Arztbesuche) und die stärkere soziale Integration von Frauen, die ihnen zu einer höheren Lebenserwartung verhelfen (Höpflinger 1997a: 148ff.). Empirisch zeigt sich, dass die Lebenserwartung in Europa im Vergleich zu ande- Lebenserwartung in Europa sehr hoch ren Kontinenten sehr hoch ist. Im Durchschnitt der EU-15 lag sie bei Geburt im Jahr 2006 bei 82,2 Jahren für Frauen und bei 76,6 Jahren für Männer. In den USA <?page no="97"?> 98 5 Bevölkerung und Familie lag die Lebenserwartung im Jahre 2006 auf einem etwas niedrigeren Niveau bei 81,0 Jahren für Frauen und 75,1 Jahren für Männer. 12 In China und Indien, den zwei bevölkerungsreichsten Nationen dieser Erde, haben die Menschen eine deutlich geringere Lebenserwartung bei Geburt - China: Männer 70,9, Frauen 74,5 Jahre; Indien: Männer 66,3, Frauen 71,2 Jahre (CIA 2008). Besonders groß ist der Abstand in der Lebenserwartung zum afrikanischen Kontinent, wo die Menschen eine um 30 Jahre geringere Lebenserwartung besitzen als die Europäer (European Commission 2007b: 54). Männer haben bei Geburt im Durchschnitt der EU-15 eine um 5,6 Jahre, in der Lebenserwartung der Frauen höher als Männern EU-27 eine um 6,6 Jahre niedrigere Lebenserwartung als Frauen. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Lebenserwartungen sind in Osteuropa stärker ausgeprägt als in Westeuropa. Besonders deutlich sind sie im Baltikum, in Polen, Ungarn und der Slowakei, wo Frauen eine bis zu 12 Jahre höhere Lebenserwartung haben. Mitte der 1990er-Jahre waren diese Differenzen sogar noch stärker ausgeprägt als im Jahr 2006. Gründe für die vergleichsweise niedrige Lebenserwartung von Männern in Osteuropa sind die starke Ausprägung von gesundheitsschädigendem Verhalten (Alkoholmissbrauch, Rauchen, vgl. Abschnitt 10.3), eine steigende Selbstmordrate, eine Zunahme von Arbeits- und Verkehrsunfällen sowie ein Anstieg von Stress und Belastungen durch die Erwerbsarbeit (Cornia/ Paniccia 2000; Höpflinger 1997a; Kruger/ Nesse 2007; Meslé 2004). Aus Tabelle 6 wird ebenfalls deutlich, dass die Lebenserwartung von europäischen Männern und Frauen in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen ist. Noch zu Beginn der 1960er-Jahre lag sie bei Männern und Frauen im bisherigen Kerneuropa bei Geburt um fast zehn Jahre unter der aktuellen Lebenserwartung. Zwischen 1960 und 2006 fiel der Anstieg der Lebenserwartung innerhalb der EU-15 deutlicher aus als in den osteuropäischen Beitrittsnationen, was ein Ausdruck des insgesamt höheren Wohl fahrtsniveaus in Westeuropa ist. Zwischen 1995 und 2006 hat der Anstieg der Lebenserwartung dabei an Dynamik gewonnen, wobei die Lebenserwartung der Männer schneller stieg als die der Frauen. Die Lebenserwartung in Osteuropa passt sich in diesem Prozess langsam der Lebenserwartung in Westeuropa an, worauf die etwas kleiner werdenden Standardabweichungen hinweisen (Frauen 1995: 2,6; 2006: 2,5; Männer 1995: 4,5; 2006: 4,2). Allerdings zeigt seit Mitte 1990er-Jahre Anpassung bei Lebenserwartung sich auch, dass in den 1960er- und 1980er-Jahren die Lebenserwartung der Männer innerhalb Europas weniger stark variierte, als dies in den 1990er-Jahren der Fall war. Ursache dafür ist der transformationsbedingte Rückgang der Lebenserwartung von Männern Anfang der 1990er-Jahre in einigen osteuropäischen Staaten. Durch die Wohlstandsentwicklung und Modernisierung europäischer Gesellschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die Lebenserwartung älterer 12 Die Lebenserwartung der Bevölkerung ist in Westeuropa deutlich höher als in Osteuropa. Die größten Erwartungen auf ein langes Leben können Italiener, Franzosen, Schweden und Spanier haben. Die niedrigste Lebenserwartung haben derzeit die Menschen im Baltikum, Rumänien, Bulgarien und Ungarn. <?page no="98"?> 5.2 Geburten- und Mortalitätsentwicklung 99 | Tab. 6 Lebenserwartung Frauen Männer 1960 1980 1995 2000 2006 1960 1980 1995 2000 2006 EU-15 73,2 77,7 80,6 81,4 82,2 67,6 71,0 74,2 75,4 76,6 Belgien 73,5 76,5 80,2 80,8 82,3 67,7 69,9 73,4 74,6 76,6 Dänemark 74,4 77,2 77,8 79,0 80,7 70,4 71,2 72,7 74,3 76,1 Deutschland 72,4 76,1 79,7 81,0 82,4 66,9 69,6 73,3 75,0 77,2 Irland 71,9 75,6 78,4 79,1 82,1 68,1 70,1 72,9 73,9 77,3 Griechenland 72,4 76,6 80,3 80,5 81,9 67,3 72,2 75,0 75,4 77,2 Spanien 72,2 78,2 81,5 82,5 84,4 67,4 72,2 74,3 75,6 77,7 Frankreich 73,6 78,3 79,8 82,8 84,4 66,9 70,2 73,9 75,2 77,3 Italien 72,3 77,2 81,3 82,5 83,8+ 67,2 70,6 74,9 76,6 77,9+ Luxemburg 72,2 75,4 80,2 81,1 81,9 66,5 70,3 73,0 74,8 76,8 Niederlande 75,3 79,1 80,4 80,5 82,0 71,5 72,5 74,6 75,5 77,7 Österreich 72,7 76,0 79,9 81,1 82,8 66,2 69,0 73,3 75,1 77,2 Portugal 66,8 74,9 78,7 80,0 82,3 61,2 68,0 71,6 73,2 75,5 Finnland 72,5 77,8 80,2 81,0 83,1 65,5 69,3 72,8 74,1 75,9 Schweden 75,4 78,8 81,4 82,0 83,1 71,5 72,8 76,2 77,4 78,8 Großbritannien 73,7 76,9 79,2 80,2 81,1* 67,9 70,8 74,0 75,4 77,1* Bulgarien 72,2 73,8 74,6 75,3 76,3 68,5 68,4 67,1 68,2 69,2 Tschechien 73,4 73,9 76,6 78,4 79,9 67,5 66,8 69,7 71,6 73,5 Estland 71,6 74,1 74,5 76,0 78,6 64,3 64,1 61,9 65,1 67,4 Zypern - 77,0 79,8 81,0 82,4 - 72,3 75,3 76,1 78,8 Lettland 73,1 73,9 73,1 76,2 76,3 66,1 63,6 60,3 64,9 65,4 Litauen 77,1 75,4 75,0 77,4 77,0 66,6 65,4 63,3 66,8 65,3 Ungarn 70,8 72,7 74,5 75,6 77,8 66,4 65,5 65,3 67,1 69,2 Malta 70,7 72,7 79,5 80,2 81,9 67,1 68,5 74,9 74,3 77,0 Polen 71,0 74,4 76,4 78,0 79,7 65,1 66,0 67,6 69,7 70,9 Rumänien 69,1 71,8 73,1 74,6 76,2 65,1 66,6 65,3 67,7 69,2 Slowenien 72,0 75,2 77,8 79,1 82,0 65,6 67,3 70,3 71,9 74,5 Slowakei 73,0 74,3 76,3 77,4 78,4 68,4 66,8 68,4 69,1 70,4 EU-27 73,0 77,2 79,7 80,8 80,9 67,3 70,3 72,8 74,4 74,3 Quelle: Eurostat (2008b), Council of Europe (2006: 110, 112), European Commission (2007b: 38f.); ∗ 2005, +2004; Angaben in Jahren. Menschen beträchtlich erhöht. Hier schlägt, stärker als bei mittleren oder jungen Alterskohorten, auch der medizintechnologische Fortschritt bei der Bekämpfung von Herzkreislauferkrankungen und Krebserkrankungen zu Buche (Höpflinger 1997a: 156). Daten von 2006 zeigen zunächst für 60-jährige Frauen eine höhere verbleibende Lebenszeit als für Männer (Schaubild 10). Die niedrigste Lebenserwartung hatten statistisch gesehen Frauen in Bulgarien, Rumänien, Lettland, der Slowakei und Litauen (zwischen 20,3 und 21,5 Jahren). Die höchste Lebenserwartung hatten sie in Schweden, Finnland, Italien, Spanien und Frankreich (25 bis 27 Jahre). Für 60-jährige Männer stellte sich die Situation am schlechtesten im Baltikum dar, mit durchschnittlich circa 15 verbleibenden Lebensjahren. In Spanien, Schweden, Zypern und Frankreich besitzen 60-jährige Männer eine Lebenserwartung von 60-Jährigen am niedrigsten im Baltikum verbleibende Lebenserwartung von 22 Jahren. Zwischen diesen beiden Ländergruppen positionieren sich zum Beispiel Deutschland, die Niederlande und Großbritannien. Die größten geschlechtsspezifischen Unterschiede finden sich bei diesem Indikator in Polen, Ungarn, Lettland, Slowenien, Litauen und Estland, wo Frauen mit 60 Jahren eine um fünf bis sechs Jahre höhere Lebenserwartung haben <?page no="99"?> 100 5 Bevölkerung und Familie Schaubild 10 | Lebenserwartung mit 60 Jahren 10,0 15,0 20.0 25,0 30,0 Bulgarien Rumänienn Lettland Slowakei Litauen Ungarn Estland Tschechien Polen Dänemark Großbritannien Malta Griechenland Zypern Slowenien Lusemburg Irland Niederlande Portugal Deutschland Belgien Österreich EU-12 Schweden Finnland Italien Spanien Frankreich r e n n ä M n e u a r F Quelle: Eurostat (2008b); Angaben von 2006 in Jahren, Großbritannien/ Italien von 2005/ 2004. als Männer. In Schweden, Dänemark, Großbritannien und Griechenland sind die Differenzen in der Lebenserwartung von 60-jährigen Frauen und Männern am geringsten (zwei bis drei Jahre). Inwiefern sich die Lebenserwartung in Europa vor dem Hintergrund der in diesem Abschnitt skizzierten Befunde in Zukunft weiter erhöhen wird, ist mit dem heutigen Wissen nicht eindeutig zu beantworten. Steigende Umweltbelastungen, wachsender Stress in vielen Lebensbereichen, die Erhöhung der Arbeitsintensität und Flexibilität am Arbeitsplatz sprechen eher gegen eine weiter wachsende Lebenserwartung. Verbesserte medizinische Versorgung und das gesundheitsbewusstere Verhalten beispielsweise in den europäischen Mittelschichten (Stichwort: gesunde Ernährung) sprechen hingegen für eine steigende Lebenserwartung. Zudem wurde der Anstieg der Lebenserwartung in der Vergangenheit eher unterschätzt als überschätzt. Ein Beispiel sind Höpflingers (1997a: 155) Prognosen der Lebenserwartung für das Jahr 2020, die von den EU-15-Nationen bereits im Jahr 2006 für Männer und Frauen übertroffen wurden. <?page no="100"?> 5.3 Familienstrukturen 101 5.3 Familienstrukturen Methodische Hinweise Die Heiratsrate wird in diesem Abschnitt auf zweifache Weise verwendet. Zum einen wird sie auf der Grundlage von Daten des Europarats als Index der Erstheiratshäufigkeit lediger Frauen bis zum Alter von 50 Jahren pro 100 Frauen angegeben. Der Index wird gebildet aus der Summe der alterstypischen Heiratsraten pro Kalenderjahr. Ein Wert von mehr als 100 weist auf eine Vorverschiebung von Erstheiraten (es heiraten überdurchschnittlich viele sehr junge Menschen) beziehungsweise auf die Konzentration von Eheschließungen in einem spezifischen Jahr hin. Sehr niedrige Werte weisen auf Verzögerungen der Erstheiraten hin. Zum anderen wird die Heiratsrate auf Basis von Eurostat-Daten als sog. crude marriage rate, d. h. als Ratio der Anzahl von Heiraten zur durchschnittlichen Bevölkerungszahl (per 1.000 Personen) in einem Kalenderjahr verwendet. Das Alter bei Eheschließungen wird operationalisiert über das Durchschnittsalter von Frauen bei der ersten Eheschließung. Scheidungsraten innerhalb der EU werden als zusammengefasste Scheidungsziffern verwendet (sog. total divorce rate), d. h. als Anteil geschiedener Ehen an 100 geschlossenen Ehen (Council of Europe 2006). Das Ausmaß nichtehelicher Geburten wird über den prozentualen Anteil dieser Geburten an jeweils 100 Lebendgeburten angegeben. Die Anzahl von Singlehaushalten wird gemessen als Anteil von Personen an der Gesamtbevölkerung, die in Singlehaushalten leben. Grundlage für diese Indikatoren sind Daten des Europarates beziehungsweiseDaten von Eurostat. Familien sind der Ort der biologischen und sozialen Reproduktion unserer Gesell- Familien als Ort der Reproduktion schaft. Sie sind ein integraler Bestandteil der sozialen Struktur und prägen das Leben der Individuen auf vielfältige Weise. Gegenstand familiensoziologischer Forschung sind die »individuellen, wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Faktoren, welche beeinflussen, ob und wann im Leben Individuen eine Familie gründen, wie sie ihr Familienleben gestalten und welche Auswirkungen auf […] ihren Lebenslauf insgesamt damit verbunden sind« (Huinink/ Konietzka 2007: 12). Diese Prozesse, die sich letztendlich um unterschiedlichste Formen der Herstellung, Pflege und Auflösung von Eltern-Kind-Beziehungen drehen (Huinink/ Konietzka 2007: 14), haben vielfältige sozialstrukturelle Folgen (Szydlik 2007: 80): Die Art und Weise wie Kinder emotional, sozial, kulturell und materiell in familiäre Strukturen eingebettet sind, prägt sie ein Leben lang. Der Zugang zu Bildungs- und Arbeitsmarktchancen wird familiär vorstrukturiert. Auch werden in europäischen Familien zunehmend Ressourcen durch Vererbung weitergegeben, was mit einer stärkeren Akzentuierung von Ungleichheiten einhergeht. Schließfamiliäre Prozesse haben Konsequenzen für Sozialstruktur lich hat die Anzahl von Kindern, die in einem Haushalt leben, beträchtliche Folgen für den finanziellen und materiellen Wohlstand ihrer Eltern. In Deutschland muss man heutzutage für ein Kind circa »150.000 Euro […] bis zur Volljährigkeit aufbringen. Hinzu kommen noch Ausbildungskosten bis hin zum Studium sowie geringere Arbeitseinkommen, insbesondere von Müttern, auf Grund verminder- <?page no="101"?> 102 5 Bevölkerung und Familie ter Erwerbstätigkeiten durch die Betreuungssituation. Familiengründung erhöht das Armutsrisiko.« (Szydlik 2007: 78) Durch Geburt und Erziehung von Kindern verschlechtern sich die Arbeitsmarktchancen von Frauen. Diese Tatsache wird in der Forschung aus ungleichheitssoziologischer Perspektive (Kreyenfeld et al. 2007; Trappe/ Rosenfeld 2001), aber auch aus ökonomischer, humankapitaltheoretischer Perspektive diskutiert (Becker 1981). Wirtschaftliche und soziale Entwicklungen haben im Zusammenspiel mit dem Wertewandel die Familienstrukturen in den letzten drei Jahrzehnten stark verändert (zur historischen Einordnung dieser Veränderungen siehe Abschnitt 3.2). Zu nennen wären hier unter anderem die Ausweitung von Ausbildungsphasen, eine verstärkte Berufsorientierung bei Frauen, eine Intensivierung der Erfordernisse der Arbeitswelt oder auch Urbanisierungs- und Suburbanisierungsprozesse. Im Ergebnis tritt neben das traditionelle christlich-bürgerliche Familienmodell, »welches eine klare Verknüpfung von Sexualität, Zusammenleben, Kindern […] innerhalb einer definierten Lebensform - der Ehe - vorsah« (Höpflinger/ Fux 2007), Transformation von Familienstrukturen eine ganze Reihe neuer familiärer Lebensformen. Das Spektrum reicht hier von einer wachsenden Anzahl Alleinerziehender, nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern, gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften (mit und ohne Trauschein) bis hin zu Patchwork-Familien und sogenannten DINKs 13 (Bertram 2007). Von einer Krise oder einem Zerfall der Familie, wie in pessimistischen Vorhersagen seit Jahrzehnten prognostiziert wird, kann daher nicht die Rede sein. Es ist plausibler, so Nave-Herz (1998: 296ff.), von einer Transformation und Anpassung von Familienstrukturen an sich modernisierende Gesellschaften zu sprechen. Es ist erstaunlich, wie leistungsfähig die familialen Netzwerke angesichts des gestiegenen ökonomischen Drucks geblieben sind (Höpflinger 1997b: 98). Zwischen den europäischen Staaten existieren hinsichtlich der Transformation von Familienformen eine Reihe von Gemeinsamkeiten, aber auch weiter bestehende Unterschiede - zum Beispiel in Abhängigkeit vom Modernisierungsgrad, dem Ausmaß gesellschaftlicher Transformationsprozesse oder der Persistenz kultureller und religiöser Normen. Als empirische Indikatoren zur Bestimmung dieser Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden in der Literatur der (wachsende) Anteil von Singlehaushalten, Alleinerziehenden und Patchwork-Familien, die (schrumpfende) Größe von Familien, die Ausdehnung der Jugendphase in großstädtischen Milieus, Verzögerungen bei Eheschließungen und Geburten, die (stei- 13 Sogenannte DINKs (double income no kids) sind kinderlose Doppelverdienerhaushalte mit oftmals guten Berufspositionen und hohen Einkommen, welche häufig das Einkommen von Familien mit Kindern um ein Mehrfaches übersteigen. Das Lebensmodell der DINKs entspricht dem Idealbild eines Marktakteurs, der beruflich völlig flexibel und stark belastbar ist und als Konsument hohe Ausgaben tätigt. Patchwork-Familien entstehen, wenn in eine neue Partnerschaft Kinder aus vorherigen Partnerschaften eingebracht werden. Kinder sind in diesen Konstellationen oftmals mit neuen (Stief-) Geschwistern konfrontiert und gleichzeitig in den jeweils »neuen« Patchwork-Familien ihrer biologischen, jetzt getrennten Eltern integriert. Soziologisch gesehen handelt es sich bei dieser Form des Zusammenlebens um eine multi-nukleare Familie. <?page no="102"?> 5.3 Familienstrukturen 103 gende) Anzahl von Ehescheidungen, der (wachsende) Anteil von nichtehelichen Geburten, die Wiederkehr von Mehrgenerationenhaushalten oder die »neuere« Ablehnung von vorehelichen Partnerschaften unter Jugendlichen genutzt. Einen Teil der skizzierten Veränderungen der Familienstrukturen werden wir im Folgenden mit den verfügbaren Daten abbilden. Dazu werden Eheschließungen, nichtehelichen Geburten, Scheidungsraten sowie der Anteil der Singlehaushalte, nichtehelichen Partnerschaften und Familien mit drei und mehr Kindern an der Gesamtbevölkerung thematisiert. Eheschließungen und Anteil nichtehelicher Geburten Die Anzahl von Eheschließungen liegt in Bezug auf die Gesamtbevölkerung in zusammengefasste Eheschließungsrate der EU-27 derzeit bei 4,9 (EU-15 4,6) Eheschließungen pro 1.000 Einwohner (Tab. 7, mittlere Spalte). Besonders häufig heiraten die Menschen in Rumänien, Zypern, Dänemark, Lettland, Litauen, Malta und Polen, wo im Jahr 2006 zwischen sechs und sieben Eheschließungen pro 1.000 Einwohner verzeichnet wurden. Vergleichsweise wenige Ehen (Heiratsrate zwischen 3,2 und 4,1) wurden in Slowenien, Belgien und Italien geschlossen. Geht man über diesen relativ groben Indikator hinaus, so lassen sich mit der Erstheiratsrate die divergierenden Heiratsraten unterschiedlicher Altersgruppen und die Altersstruktur einer Gesellschaft 14 mit berücksichtigen (Tab. 7, Spalten 2 bis 5). Hier kann man zunächst sehen, dass die sogenannte Erstheiratswahrscheinlichkeit von Frauen in den letzten Jahrzehnten in Europa gesunken ist. Noch 1960 waren im Prinzip 100 % der Frauen vor dem 50. Lebensjahr verheiratet. Im Jahr 2004 ist dies noch für etwa 60 % der Frauen zutreffend. In osteuropäischen Ländern wie Slowenien, Ungarn, Estland oder Lettland ist die Erstheiratsrate niedrig (zwischen 41 % und 46 %). Sie ist geringer als in Schweden (56 %), dem Vorreiter außerehelicher Lebensformen in Europa. Höpflinger und Fux (2007: 60) führen die niedrigen Erstheiratsraten in Osteuropa nicht in erster Linie auf eine zunehmende Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften zurück, sondern auf eine mit den sozialen und ökonomischen Umbrüchen einhergehende Verschiebung des Erstheiratsalters. Im Fall von Lettland, Estland oder Tschechien unterstützen die vergleichsweise hohen Erstheiratsraten diese Erklärung. Für den Fall Sloweniens ist diese Erklärung weniger plausibel, da hier eine sehr niedrige Erstheiratsrate als auch eine sehr niedrige allgemeine Heiratsrate zu finden sind; möglicherweise ein Hinweis auf eine Entinstitutionalisierung der Ehe (Ule 2004). Hohe Erstheiratsraten von 60 und mehr Prozent finden sich in den Staaten, die katholisch beziehungsweise orthodox geprägt sind, sowie in Dänemark und Finnland. In Rumänien, Litauen, Zypern, 15 Malta, Griechenland, Dänemark und Finn- 14 Lettland ist zum Beispiel ein Land mit einem hohen Anteil von jungen Frauen und Männern und einer dementsprechend sehr hohen Eheschließungsrate pro 1.000 Einwohner. 15 Die Erstheiratsrate in Zypern weist auf eine Vorverschiebung von Eheschließungen hin. Die Rate war in den 1980er- und 1990er-Jahren deutlich niedriger (Council of Europe <?page no="103"?> 104 5 Bevölkerung und Familie Tab. 7 | Heiratsraten und Erstheiratsalter von Frauen Erstheiratsrate pro 100 ledige Frauen in % Rate pro 1.000 Einwohner Erstheiratsalter 1960 1980 1995 2004 2006 1960 1980 1995 2004 EU-15 - 72 59 58 4,6# 24,2 23,6 26,7 28,4 Belgien 105 77 57 46 ∼ 4,1# 22,8 22,2 25,4 27,1 ∼ Dänemark 101 53 65 75 6,7 22,8 24,6 29,0 30,4 Deutschland 106 69 56 55 4,5 23,5 22,9 26,4 28,4 Irland 98 83 59 - 5,1# 26,9 24,6 27,9 - Griechenland 79 87 75 68 ∼ 5,2 24,6 23,3 25,7 27,5 ∼ Spanien 100 76 60 58 4,8 26,0 23,4 26,8 28,6 ∼ Frankreich 103 71 50 53 4,3 23,0 23,0 26,9 28,5 ∼ Italien 98 78 63 60 4,1 24,8 23,8 26,6 28,0* Luxemburg - 66 56 50 4,1 - 23,0 26,6 28,1 Niederlande 105 68 53 51 4,4 24,2 23,2 27,1 28,7 Österreich 103 68 57 59 4,5 24,0 23,2 26,1 27,9 Portugal 94 89 78 57 4,5 24,8 23,2 24,7 26,3 Finnland 96 67 57 68 5,4 23,8 24,3 27,0 29,0 Schweden 95 53 44 56 5,0 24,0 26,0 28,7 30,7 Großbritannien 104 76 54 55 ∼ 5,2# 23,3 23,0 26,2 28,1* Bulgarien 105 97 55 68 ∼ 4,3 21,3 21,3 22,6 25,6 ∼ Tschechien 104 90 50 48 5,2 22,0 21,5 22,7 26,0 Estland 96 67 45 44 5,2 - 22,6 23,5 25,7 ∼ Zypern - 78 121 158 6,8 - 23,3 25,2 27,5 ∼ Lettland - 97 47 46 6,4 - 22,8 22,9 25,1 Litauen - 94 70 62 6,3 - 23,0 22,3 24,7 Ungarn 99 89 56 45 4,4 22,0 21,2 22,9 26,2 Malta - - 89 76 ∼ 6,2 - 24,7 25,4+ 26,5 ∼ Polen - 90 67 57 5,9 - 22,7 23,1 24,9 Rumänien 115 102 73 74 6,8 22,1 21,5 22,7 24,1 Slowenien - 79 51 41 3,2 - 22,5 25,1 27,8 Slowakei 103 87 58 56 4,8 22,1 21,9 22,6 25,0 ∼ EU-27 - 79 62 61 4,9# - 23,1 25,6 27,2 Quelle: Council of Europe (2006: 64, 68), Eurostat (2008b); #2005, ∼ 2003, ∗ 2002, +2000; EU-15-, EU-27-Werte ungewichtet außer bei Heiratsrate pro 1.000 Einwohner. land korrespondiert die hohe Erstheiratswahrscheinlichkeit mit einer im europäihohe Erstheiratsraten in Südeuropa, Finnland, Dänemark, Rumänien schen Maßstab ebenfalls sehr hohen allgemeinen Heiratsrate (pro 1.000 Einwohner). In diesen Ländern ist die klassische Ehe noch immer sehr populär und andere Lebensformen jenseits des traditionellen Familienmodells (Partnerschaften ohne Trauschein) sind weniger verbreitet (vgl. Schaubild 12). Der Fall von Dänemark und Finnland liegt etwas anders. Schon in den 1970er- und 1980er-Jahren waren hier, wie in Schweden, nichteheliche Partnerschaften populärer als in anderen Ländern Europas (Höpflinger/ Fux 2007: 58). Eine Erklärung für die aktuell hohen Heiratsraten könnten die große Scheidungshäufigkeit (siehe Tab. 8) und das hohe Niveau von Zweitheiraten liefern, denn nichteheliche Lebensformen und Singlehaushalte sind auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts allgemein stark verbreitet. 2006). Außerdem heiraten immer mehr Ausländer in Zypern, daher handelt es sich um einen Ausreißerwert (Sardon 2004: 276). <?page no="104"?> 5.3 Familienstrukturen 105 Die Entwicklung seit Anfang der 1980er-Jahre macht deutlich, dass die Anzahl Eheschließungen gehen zurück von Erstheiraten rückläufig ist. Nur in Dänemark, Schweden und Finnland stieg die Anzahl von Erstheiraten unter ledigen Frauen. In allen anderen Ländern sank die Erstheiratsrate; im Fall der baltischen Staaten, Tschechiens und der Slowakei sogar um etwa 50 %. Dieser starke Rückgang der Erstheiratsquote vor allem in Osteuropa lässt die Annahmen einer transformations- und umbruchsbedingten Verschiebung von Eheschließungen plausibel erscheinen. Weiterhin zeigt sich, wenn man den Sonderfall Zypern außen vor lässt, eine Angleichung der Erstheiratsraten innerhalb der EU-27 (SD 1980: 13,3; 1990: 10,6; 2004: 10,0). Ein Blick auf das Erstheiratsalter von Frauen (Tab. 7, rechte Seite) zeigt deut- Durchschnittsalter Eheschließungen in Westeuropa hoch liche Ost-West-Unterschiede. Frauen heiraten in Osteuropa wesentlich früher als in Westeuropa. Im Jahr 2004 lag das Erstheiratsalter von Frauen in Rumänien, Litauen und Polen zum Beispiel zwischen 24 und 25 Jahren. In Schweden und Dänemark heirateten Frauen erst jenseits der 30. In allen europäischen Staaten beobachten wir zudem in den letzten Jahrzehnten einen Anstieg des Erstheiratsalters, wodurch die These vom Strukturwandel der Familienbeziehungen in Europa zusätzlich gestützt wird. Huinink und Konietzka sprechen in diesem Zusammenhang von einem »quasi universalen Trend in Europa« (2007: 77). Einen besonders deutlichen Anstieg des Heiratsalters finden wir in einigen der osteuropäischen Beitrittsnationen. Den geringsten Anstieg des Erstheiratsalters von Frauen beobachten wir in Irland, Deutschland und Italien. Die Berechnung der Standardabweichung des Heiratsalters weist ferner darauf hin, dass die innereuropäischen Unterschiede in den letzten Jahren größer geworden sind, bei leicht rückläufiger Tendenz in den 1990er-Jahren (SD 1980: 1,12; 1995: 2,02; 2004: 1,75). Korrespondierend mit den bisherigen Befunden steigt auch der Anteil von nichtehelich geborenen Kindern (Schaubild 11). Die stärksten Anstiege finden wir Anstieg nicht-ehelicher Geburten in Osteuropa in ost- und südeuropäischen Staaten, in denen der Anteil nichtehelicher Geburten von den 1960er-bis in die 1980er-Jahre noch sehr niedrig war (1980; 7 % in Ungarn, 3,9 % in Spanien). Beispiele sind neben Ungarn und Spanien Bulgarien, Litauen, Zypern und Rumänien: Hier hat sich der Anteil der nichtehelichen Geburten an allen Lebendgeburten um den Faktor vier bis zehn erhöht. Unterdurchschnittliche Zuwächse lassen sich in Ländern wie Schweden und Dänemark finden, in denen der Anteil der nichtehelichen Geburten ohnehin sehr hoch ist. In Schweden wurden zum Beispiel im Jahr 2004 55 % der Kinder als nichteheliche Geburten registriert. Anfang der 1980er-Jahre lag diese Quote bereits bei etwa 40 %. Im Zuge der angesprochenen Veränderungen finden wir allerdings keine konvergenten Tendenzen (SD nichteheliche Geburten 1980: 9,03; 1995: 13,42; 2004: 14,07). Im Gegenteil: Die seit mehreren Jahrzehnten existierenden Differenzen zwischen Nord-Süd/ West-Ost- Differenz bleibt bestehen nord- und mitteleuropäischen Staaten auf der einen Seite - mit einem sehr hohen Anteil von nichtehelichen Geburten (zwischen 42 % in Großbritannien und 55 % in Schweden) - und südeuropäischen und katholisch geprägten osteuropäischen Staaten auf der anderen Seite bleibt bestehen. Zypern, Griechenland, Italien oder <?page no="105"?> 106 5 Bevölkerung und Familie Schaubild 11 | Anteil außerehelicher Geburten an allen Lebendgeborenen 0 10 20 30 40 50 60 0 6 9 1 0 8 9 1 5 9 9 1 4 0 0 2 Zypern Griechenland Italien Polen Malta Belgien Österreich Spanien Slowakei Luexmburg Deutschland Litauen Portugal Rumänien Tschechien Irland Niderlande Ungarn Finnland Großbritannien Slowenien Lettland Dänemark Frankreich Bulgarien Schweden Estland Quelle: Council of Europe (2006: 84); Angaben in %; Werte für Spanien/ Estland von 2003. Polen sind typisch für die zweite Ländergruppe, in der nur wenige Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften zur Welt kommen. 16 Ehescheidungen Auch das Niveau der Ehescheidungen in Europa ist hoch und kann als weiteres Indiz des Strukturwandels der Familienbeziehungen gesehen werden: Rechnerisch wurden von 100 Ehen in der EU-15 im Jahr 2004 39 Ehen geschieden (Tab. 8). Weiterhin gilt, dass die Häufigkeit von Ehescheidungen innerhalb Europas beträchtlich variiert, wie Wagner und Weiß (2006) mit zusammenfassenden Analysen einer ganzen Reihe von Studien bereits zeigten. Eine klare Trennung zwischen dem bisherigen Kerneuropa auf der einen Seite und den osteuropäischen Beitrittsnationen auf der anderen Seite lässt sich jedoch nicht ausmachen. Man hohes Niveau der Ehescheidungen findet eher eine Differenz zwischen katholisch beziehungsweise orthodox geprägten südeuropäischen und osteuropäischen Nationen auf der einen Seite (Italien, Griechenland, Spanien, Rumänien und Polen) - mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Ehescheidungen im Verhältnis zu 100 geschlossenen Ehen (10 bis 23 % in 2004) und einer weiter bestehenden Zentralität der Ehe als Lebensform (Huinink/ Konietzka 2007: 80). Auf der anderen Seite stehen nord- und mitteleuropäische Staaten (unter anderem Belgien, Schweden, Dänemark, Finnland, Estland, Tschechien, Österreich, Frankreich, Deutschland). Hier werden ca. die Hälfte 16 Estland, Lettland und Slowenien besaßen schon 1990 einen überdurchschnittlichen Anteil nichtehelicher Geburten, Polen und die Slowakei einen unterdurchschnittlichen Anteil. Diese Muster haben Bestand, trotz der Transformationsphase in Osteuropa, was man als Hinweis auf Pfadabhängigkeit verstehen kann. <?page no="106"?> 5.3 Familienstrukturen 107 | Tab. 8 Scheidungsraten Scheidungen pro 100 Ehen in% 1960 1980 1995 2004 EU-15 11 23 34 39 Belgien - 21 55 56# Dänemark 19 40 41 47# Deutschland 12 25 33 46 Irland - - - - Griechenland - 10 17 18+ Spanien - - 15 10* Frankreich 10 22 38 42# Italien - 3 8 13* Luxemburg - 26 33 49 Niederlande 7 25 36 35 Österreich 14 26 38 46 Portugal 1 7 16 33 Finnland 11 28 48 50 Schweden 16 42 52 52 Großbritannien - 36 43 47# Bulgarien 10 18 18 31 Tschechien 16 31 38 48 Estland - 50 66 47# Zypern - 4 15 24 Lettland 30 ∼ 54 35 36 Litauen 7 38 32 45 Ungarn 15 25 34 42 Malta - - - - Polen 7 14 14 23 Rumänien 21 19 20 21# Slowenien 10 ∼ 15 14 25 Slowakei 7 20 24 33 EU-27 13 24 31 37 Quelle: Council of Europe (2006: 75), Eurostat (2008b); #2003, ∗ 2002, +2000, ∼ 1965; in Malta sind Scheidungen nicht legal, in Italien und Spanien sind sie seit 1970 bzw. 1981, in Irland seit 1997 legal; EU-15- und EU-27-Wert ungewichtet. aller Ehen geschieden. Das sind überwiegend Länder, in denen auf eine Ehescheidung häufig eine Zweitheirat folgt (Höpflinger/ Fux 2007: 70). In Schweden und Österreich ist zudem die sozialstaatliche Absicherung von Alleinstehenden (mit Kindern) gegen Armutsrisiken stark ausgebaut, was Scheidungen ebenfalls vereinfacht. Schließlich sind kulturelle Faktoren wichtig: In den Ländern, in denen viele Ehen geschieden werden, wird dies auch viel stärker gesellschaftlich akzeptiert als in den katholisch/ orthodox geprägten süd- und osteuropäischen Staaten (Höpflinger/ Fux 2007: 70; Huinink/ Konietzka 2007: 82). Zusätzlich sieht man, dass im Zeitverlauf die Scheidungshäufigkeit stark zunimmt. Huinink und Konietzka (2007: 81ff.) vermuten zwar, dass sich mit diesem Trend nicht unmittelbar auf einen Bedeutungsverlust der Institution Ehe schließen lässt, da auf viele Scheidungen eine erneute Heirat folgt und die subjektive Bedeutung von Ehe und Scheidungen mit diesen Daten nicht erfasst werden kann. Doch trotz dieser Einwände gilt aus unserer Sicht, dass die vorliegenden Befunde insgesamt für eine Entinstitutionalisierung der Ehe als lebenslange Verbindung und dominierende familiäre Lebensform sprechen: Wenn statt zehn <?page no="107"?> 108 5 Bevölkerung und Familie Prozent der Ehen 1960 im Jahr 2004 42 % der Ehen geschieden werden, wie im Fall von Frankreich, zeigt sich unseres Erachtens ein tiefgreifender kultureller und gesellschaftlicher Wandel. Dieser Wandel des Familien- und Ehemodells in Europa spricht allerdings nicht generell gegen Paarbeziehungen. »Anstelle eines institutionell geprägten Ehe- und Familienmodells trat ein partnerschaftliches Ehe- und Familienmodell. […] Insofern gegenseitige Liebe und Verständnis als die Basis der modernen Zweierbeziehung betrachtet werden kann, impliziert das Verschwinden der emotional-affektiven Basis die grundsätzliche Möglichkeit einer Trennung dieser Beziehung.« (Höpflinger/ Fux 2007: 69) Betrachtet man die Veränderungen zwischen der ersten durchgehenden Mess- Anstieg der Ehescheidungen in katholisch geprägten Ländern reihe von 1980 und dem Jahr 2004, so fällt der Anstieg von Ehescheidungen im Zeitverlauf besonders deutlich in katholisch geprägten Ländern Mittel- und Südeuropas aus. Beispielländer sind Frankreich, Belgien, Italien, Portugal und Zypern. Gegen den allgemeinen Trend gibt es auch europäische Staaten, in denen das Niveau von Ehescheidungen in den letzten Jahrzehnten nur geringfügig gestiegen ist oder sogar abgenommen hat. Die baltischen Staaten sind hier zu nennen, in denen interessanterweise für alle betrachteten Zeitpunkte ein hohes Scheidungsniveau typisch war (siehe hierzu u. a. Eglite 2004). Abschließend ist festzuhalten, dass die Berechnung der Streuung der Scheidungsraten zeigt, dass im Hinblick auf diesen Indikator leichte Angleichungstendenzen innerhalb Europas zu beobachten sind (SD 1980: 13,61; 1995: 14,10; 2004: 12,44). Familienformen Aus der Abnahme von Eheschließungen und der Zunahme von Ehescheidungen folgt eine hohe Zahl von Personen, die in Singlehaushalten leben: Im europäischen Durchschnitt ist dies jeder achte Einwohner. Deutliche Unterschiede bestehen hier zwischen den nord- und mitteleuropäischen Ländern auf der einen Seite und den osteuropäischen Beitrittsnationen sowie Ländern wie Spanien und Portugal auf der anderen Seite (Schaubild 12). Ein besonders hoher Anteil der Gesamtbevölnichteheliche Partnerschaften und Singlehaushalte kerung wohnt in Deutschland, Finnland, Dänemark, Schweden oder Österreich allein. Demgegenüber lebt in südeuropäischen Ländern wie Portugal oder Spanien sowie in den Beitrittsnationen Zypern, Malta, Slowakei nur etwa jede 20. Person in einem Singlehaushalt. Ein mittlerer Anteil von allein lebenden Personen gibt es in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder Belgien. Auch bei der Verbreitung nichtehelicher Partnerschaften unterscheiden sich die europäischen Länder voneinander. Der Bevölkerungsanteil der Personen, die in nichtehelichen Partnerschaften leben, ist sehr hoch in Skandinavien, Estland, den Niederlanden und Frankreich. Sehr niedrig ist er in Ost- und Südeuropa. Beispiele hierfür sind katholisch beziehungsweise orthodox geprägte Staaten wie Malta, Zypern, Polen, die Slowakei, Griechenland und Italien, wo ein bis drei von 100 Personen eine solche Lebensform gewählt haben. Dazwischen gruppieren sich Staaten wie Slowenien, Irland und Deutschland mit einem Bevölkerungsanteil von fünf Prozent in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. <?page no="108"?> 5.3 Familienstrukturen 109 | Schaubild 12 Personen in Singlehaushalten, nichteheliche Partnerschaften, Haushalte mit drei und mehr Kindern 0 5 1 10 20 25 30 35 n r e d n i K r h e m d n u i e r d t i m n e i l i m a F n e t f a h c s r e n t r a P e h c i l e h e t h c i N n i S s e l g Malta Zypern Slowakei Spanien Portugal Rumänien Lettland Bulgarien Litauen Polen Slowenien Irland Griechenland Tschechien Estland Ungarn Italien EU 15 Belgien Luxemburg Frankreich Großbritannien Niederlande Österreich Deutschland Dänemark Finnland Schweden Quelle: Eurostat (2007c: 18), Eurofound (2008), Eurostat (2008a), Eurobarometer 56.2 (2001), eigene Berechnungen; Angaben für nichteheliche Partnerschaften und kinderreiche Familien von 2001, für Singlehaushalte von 2002-2005. Die Verbreitung von Singlehaushalten und nichtehelichen Partnerschaften ist in Europa negativ korreliert mit der Verbreitung kinderreicher Familien. Malta, Zypern, die Slowakei, Polen und Spanien sind Länder, in denen eine vergleichsweise geringe Anzahl von Personen als Singles oder in nichtehelichen Partnerschaften lebt und zugleich viele Familien mit drei und mehr Kindern existieren. Auf der anderen Seite stehen die skandinavischen Staaten, Frankreich, die Niederlande oder Großbritannien, wo ein hoher Anteil von Singlehaushalten mit einer starken Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften und einer mittleren Anzahl kinderreicher Familien zusammenkommen. Dazwischen lässt sich eine Ländergruppe mit einer geringen Verbreitung nichtehelicher Partnerschaften, einer mittleren Anzahl von kinderreichen Familien und einem mittleren Bevölkerungsanteil von Singles finden (Estland, Tschechien, Italien). Unter Berücksichtigung aller Befunde des Abschnitts 5.3 lässt sich festhalten, dass sich der Strukturwandel der Familie in Europa in einem Rückgang der Erstheiratsraten, einer erhöhten Scheidungsrate, einem ungebrochenen Anstieg außer-ehelicher Geburten sowie einer hohen Attraktivität des Singlelebens und von nichtehelichen Lebensgemeinschaften widerspiegelt. Der innereuropäische Vergleich zeigt auch, dass trotz einiger Angleichungstendenzen die traditionellen Nord-Süd-Unterschiede bis heute sichtbar geblieben sind (Höpflinger/ Fux 2007: 60). Diese werden überlagert durch eine Differenz zwischen katholisch geprägten <?page no="109"?> 110 5 Bevölkerung und Familie osteuropäischen Ländern wie Polen und Rumänien und den baltischen Staaten in Osteuropa, die im Hinblick auf die Familienstrukturen inzwischen Ähnlichkeiten mit dem skandinavischen Typ der Familie besitzen. <?page no="110"?> 6 Migration Es gibt in den Sozialwissenschaften unterschiedliche theoretische Konzepte, die Ursachen, Verlauf und Folgen von Migration erklären. Unterschieden werden kann zwischen makro- und mikrotheoretischen Ansätzen, Konzepten, die die Integration von Migranten thematisieren, sowie transnationalen Migrationstheorien (einen Überblick zu Migrationskonzepten und -geschichte geben Bade 1987; Bade et al. 2008; Bös 1997; Fassmann/ Münz 1994; Seifert 2000; Treibel 2003). Eine besondere Bedeutung innerhalb der Migrationsforschung hat das Push- Pull-Modell. In diesem Konzept werden aus makrotheoretischer Perspektive die Ursachen von Migration durch das Verhältnis von Abstoßung (vom Herkunftsland) und Anziehung (durch das Aufnahmeland) erklärt und Einkommensunterschiede in das Zentrum des Erklärungsmodells gestellt (Lee 1966). In der klassischen Migrationsforschung wird davon ausgegangen, dass Migranten nach dem Prinzip eines ökonomischen Rationalismus handeln, also bestrebt sind, ihre Lebens- und Arbeitssituation durch Wanderung zu verbessern (Castles 1986; Feithen 1985; Hoffmann-Nowotny 1973; Lee 1966; Rist 1978; Stark 1984). Ursachen von Migration sind demnach vor allem ökonomische und demografische Faktoren (Arbeitsmarkt, Lohnniveau, Bevölkerungsentwicklung) in der Herkunftsregion und in der Zielregion. Zentraler Pushwie Pull-Faktor ist aber die Situation auf dem Arbeits- Push-Pull- Konzept markt. Für dieses Makromodell der Migration sind Lohndifferenzen der entscheidende Punkt - ein Argument, das ursprünglich aus wirtschaftswissenschaftlichen Konzepten zur Erklärung von Arbeitsmarktmobilität stammt (Stark 1984, 1993; Stark/ Bloom 1985). Seit den 1980er-Jahren wird in der Migrationssoziologie argumentiert, dass das Push-Pull-Konzept für die Erklärung von Migrationsursachen und Migrationsentscheidungen nicht mehr ausreicht. Es sind nicht nur ökonomische Gründe, die zu Wanderungen führen, sondern Komplexe von Motiven, die Grundlage einer Wanderung sind. Diese Kritik gegen das bis dahin vorherrschende Push-Pull-Paradigma ging einher mit der Etablierung von mikrotheoretischen Erklärungsansätzen. Migration wird seitdem als ein sozialer Vorgang verstanden, in dem Aspekte der Mikroebene, das Handeln der Menschen, und Aspekte der Makroebene gesellschaftlicher Strukturen ineinandergreifen (Esser 1980; Portes/ Rumbaut 1990). Für das Zustandekommen einer individuellen Wanderungsentscheidung wird ein ganzes Motivbündel herangezogen (z. B. Fourage/ Ester 2007; Lundholm 2007; Scott 2006; Verwiebe 2005): persönliche Disposition, Familienkonstellation, Einkommenssituation, Netzwerkeinbettung, kulturelle Interessen und sprachliche Fähigkeiten, Verwertbarkeit von Qualifikationen, Verfügung über ausreichende Ressourcen für die erste Zeit ohne Arbeit, Aufnahmeregelungen im Zielland, politische Bedingungen im Herkunftswie im Aufnahmeland. <?page no="111"?> 112 6 Migration Eine zweite bedeutsame Forschungslinie innerhalb der Migrationssoziologie Integration, Assimilation beschäftigt sich mit der Integration von Migranten (Esser 2004; Granato 2003; Kalter/ Granato 2002; Özcan/ Seifert 2000; Werner 1994). Das Assimilationskonzept war für diese Forschung bis in die 1950er- und 1960er-Jahre zentral, zunächst vor allem in den USA (Eisenstadt 1953; Gordon 1964; Taft 1953). Nach diesem Konzept löst sich die räumliche, soziale, sprachliche, kulturelle Segregation von Migranten im Zeitverlauf auf. Spätestens in der dritten Generation seien Migranten vollständig in die Aufnahmegesellschaft assimiliert. Im Anschluss an dieses Konzept begann man in der Migrationsforschung, die Integration von Migranten nicht mehr nur mit dem normativen Konzept der Anpassung an die Aufnahmegesellschaft, sondern auch unter Gesichtspunkten der Diskriminierung und Chancenungleichheit zu betrachten (u. a. Diekmann et al. 1993; Kristen 2006; Weiß 2001). Also rückte die Frage stärker in den Mittelpunkt des Interesses, wie die Aufnahmegesellschaft auf die Migranten reagiert und welche Konzepte und Programme sie bereithält, um Integration zu ermöglichen. In der aktuellen Migrationsforschung argumentiert man mit dem Konzept der partiellen Assimilation, nach dem sich Migranten nie vollständig, sondern nur teilweise an die sozialen, kulturellen und politischen Strukturen der Aufnahmegesellschaft angleichen werden (Esser 2004: 41; Treibel 2003: 109ff.). transnationale Migration In jüngster Zeit beschäftigt sich eine wachsende Zahl von Autoren mit der transnationalen Migration von Menschen (u. a. Faist 1997; Goldring 1997; Kreutzer/ Roth 2006; Levitt et al. 2003; Peixoto 2001; Portes 2003; Pries 1998, 2001, 2004). Ausgangspunkt für diese Arbeiten ist, dass die alte Unterscheidung von temporärer und dauerhafter Wanderung auf viele Migranten heute nicht mehr zutrifft, da diese zwischen ihrer alten und neuen Heimat hin- und herpendeln. Die Lebenspraxis dieser Transmigranten spannt sich zwischen verschiedenen Wohnorten und verschiedenen sozialen und geografischen Räumen auf. Das zentrale Argument lautet, dass nationalstaatliche Grenzen überschreitende Mobilität im Gesamtzusammenhang eines tiefgreifenden Prozesses wirtschaftlicher, kultureller, politischer und sozialer Globalisierung steht (Pries 2001). Die global agierenden Unternehmen, die neuen Kommunikationstechnologien, das Internet, der weltumspannende Konsum massenmedialer Kulturprodukte spinnen demnach ein Geflecht der globalisierten Transaktion von Informationen, Gütern und Menschen, die zu neuen Handlungsverdichtungen jenseits der gewohnten Gesellschaften und Sozialsysteme führen und Migration initiieren. Ein Teil der hier aufgeworfenen Forschungsfragen soll in den folgenden drei Abschnitten aufgegriffen werden. Bei der Darstellung des Wanderungsgeschehens in Europa, der Entwicklung des Anteils der Bevölkerung mit Migrationshintergrund sowie der sich herauskristallisierenden Migrationssysteme innerhalb der EU werden unter anderem die Ursachen und Gründe von Wanderungen aber auch Integrationsfragen diskutiert. <?page no="112"?> 6.1 Wanderungsgeschehen 113 6.1 Wanderungsgeschehen Methodische Hinweise Saldo Zuwanderung/ Abwanderung: Differenz zwischen Zuwanderung und Abwanderung in einem Gebiet im Verlauf eines Jahres. Da in den meisten Ländern keine exakten Daten zur Zu- und Abwanderung vorliegen, werden hier Berechnungen von Eurostat genutzt, bei denen das Wanderungssaldo auf der Grundlage der Differenz zwischen Bevölkerungswachstum und natürlichem Wachstum (beruhend auf Geburten- und Mortalitätsentwicklung) geschätzt wird. Grafisch dargestellt wird das kumulierte Wanderungssaldo zwischen 1996 und 2007 anteilig an der durchschnittlichen Bevölkerungsgröße in diesen Jahren. Neben den natürlichen Bevölkerungsbewegungen durch Veränderungen der Geburten- und Sterberaten (vgl. Abschnitt 5.1, 5.2) ist das Wanderungsgeschehen, d. h. das Verhältnis von Zuwanderungen und Abwanderungen, der zweite entscheidende Faktor, der die Zusammensetzung der Bevölkerung in den europäischen Ländern bestimmt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und mit der Zuwanderung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lang anhaltenden ökonomischen Boomphase sind viele westeuropäische Länder zu Einwanderungsländern geworden. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren dies Wanderungen infolge von Umsiedlung und im Zusammenhang mit der veränderten politischen Landkarte Europas. Bis in die 1950er-Jahre hinein war dabei der europäische Kontinent auch ein wichtiger Ursprung für Auswanderungen nach Nordamerika oder Australien. Ab Mitte/ Ende der 1950er-Jahre gewannen dann Zuwanderungen in Form von Arbeitsmigration und postkoloniale Wanderungen zunehmend an Gewicht. In dieser Zeit begann auch die innereuropäische Arbeitsmigration aus den südeuropäischen Staaten in die industriellen Zentren Frankreichs, Belgiens, Deutschlands und der Niederlande (Fassmann/ Münz 1994; Feithen 1985). 17 Später wurden politische Wanderungsgründe (Flüchtlinge und Asylsuchende) und Wanderungen im Rahmen von Familiennachzug bedeutsam. Die Anzahl offiziell Asylsuchender hat sich allerdings ab Ende der 1990er-Jahre stark rückläufig entwickelt (Eurostat 2008b), was auf die restriktivere Asylpolitik der EU-Mitgliedsstaaten zurückzuführen ist. Zu Hauptherkunftsregionen wurden in den 1990er-Jahren die Staaten der Balkanregion, die Länder der früheren Sowjetunion und Nordafrika (OECD 2007b). Für die Migration innerhalb der EU (hierzu ausführlicher Abschnitt 13.3) ist ab Mitte der 1990er-Jahre auch die politisch initiierte Förderung von Wanderungen bedeutsam: Die Maastricht-Beschlüsse zur Anerkennung von Berufsabschlüssen, Erasmus/ Sokrates-Programme sowie der Aufbau eines Netzwerkes europäischer Arbeitsämter sind hier wichtige Faktoren 17 Von den 1950erbis in die 1970er-Jahre haben viele Staaten durch gezieltes Anwerben Migrationsströme induziert. In den 1980er-Jahren hat man dann versucht, durch veränderte politische und rechtliche Rahmenbedingungen diese Migrationsströme wieder zu drosseln (Castles 2004; Entzinger 2000; Faist/ Ette 2007). <?page no="113"?> 114 6 Migration (Bracht et al. 2006; Findlay et al. 2006; Gordon 2001; King/ Ruiz-Gelices 2003; Mau et al. 2007). Für den Zeitraum seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind zuverlässige Daten für die von uns betrachteten EU-Staaten nur begrenzt verfügbar. Daher wird im Folgenden auf das aktuelle Wanderungsgeschehen zwischen 1996 und 2007 fokussiert. Schaubild 13 zeigt das kumulierte Wanderungssaldo für diesen Zeitraum, welches sich aus dem Verhältnis von Zu- und Abwanderungen zur Gesamtbevölke- Bevölkerungsgewinn durch Zuwanderung in EU-15 rungsstärke ergibt. Aus den dargestellten prozentualen Zahlen kann man ableiten, dass die Bevölkerung innerhalb der EU-27 durch Zuwanderung zwischen 1996 und 2007 um 14,5 Millionen Menschen gestiegen ist. Da die osteuropäischen Beitrittsnationen in diesem Zeitraum durch Auswanderungen circa 1,5 Millionen Menschen verloren haben, konzentriert sich der Bevölkerungsgewinn durch Zuwanderung primär auf die bisherige Kernunion und die Mittelmeernationen Malta und Zypern. In relativen Zahlen haben die Staaten der Kernunion ein Bevölkerungswachstum von circa vier Prozent realisiert. Schaubild 13 | Kumuliertes Wanderungssaldo 5 - 5 , 2 - 0 5 , 2 5 5 , 7 0 1 5 , 2 1 5 1 i L u a t n e Ru n ä m e i n l u B e i r a g n t s E n a l d e L a l t t d n l o P n e o l S w k a i e i F l n n d n a Ni e d e n a l r e d s T h c c e i h n e Un n r a g De s t u h c a l d n n a r F i e r k ch o l S w i n e n e Dä m e n k r a G i r b ß o r n a t e i n n h c S w d e n e l e B e i g n U E 5 1 - Ös i e r r e t h c G e i r h c l n e d n a g u t r o P l a a t I i l n e M t l a a u L e x b m g r u l r I d n a n a p S n e i y Z n r e p Quelle: Eurostat (2008b); Darstellung des kumulierten Wanderungssaldos zwischen 1996 und 2007 anteilig an durchschnittlicher Bevölkerungsgröße, eigene Berechnungen. Besonders groß ist die Zuwanderung in den letzten Jahren in Griechenland, Portugal, Italien, Malta, Luxemburg, Irland, Spanien und Zypern. Der Bevölkerungszuwachs liegt zwischen 4,9 und 14,0 %, was in der Summe einem Zuwanderungsgewinn von knapp einer Million Menschen entspricht. Im Kontext der europäischen Migrationsgeschichte ist dies bemerkenswert, da Griechenland, Portugal, Italien, Irland und Spanien bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den <?page no="114"?> 6.2 Bevölkerung mit Migrationshintergrund 115 wichtigsten europäischen Auswanderungsländern zählten (Fassmann/ Münz 1994; Feithen 1985). In Irland sind Arbeitsmigranten aus Ost- und Westeuropa und Zuwanderer aus englischsprachigen Staaten der Grund für den Anstieg der Zuwanderung (Burnham 2003; OECD 2006g). Bei den Staaten der Mittelmeerregion spielt neben der Aufnahme von Arbeitssuchenden und Flüchtlingen aus Osteuropa, Lateinamerika und Afrika auch die innereuropäische Ruhestandsmigration eine Rolle (Bertagna/ Maccari-Clayton 2008; Braun/ Recchi 2008; Cavounidis 2006; Fernández/ Ortega 2006; OECD 2007b; Williams et al. 1997). Starke Abwanderungsbewegungen haben in dem betrachteten Zeitraum das Bevölkerungsrückgang durch Abwanderung in Osteuropa Baltikum, Rumänien, Bulgarien und Polen erlebt. Dabei handelt es sich um Auswanderungen nach Westeuropa und in die USA. Die Öffnung beispielsweise des britischen, irischen und schwedischen Arbeitsmarktes für Bürger der neuen Mitgliedsstaaten Anfang 2004 sowie die Öffnung der Arbeitsmärkte in den meisten anderen EU-15-Staaten Anfang 2006 haben in den letzten Jahren für einen starken Anstieg der Wanderungen aus den osteuropäischen EU-Mitgliedsländern gesorgt (Borzeda 2002; Nowak-Lewandowska 2006; OECD 2007c). Im Fall von Estland und Lettland gibt es außerdem signifikante Migrationsbewegungen nach Russland, Weißrussland und in die Ukraine (Eurostat 2008a). Der Wanderungsverlust liegt in diesen Ländern bei knapp zwei Millionen Personen, was einem Bevölkerungsanteil von zwei bis vier Prozent entspricht. Einen mittleren Bevölkerungszuwachs durch Zuwanderung verzeichnen Staaten wie Großbritannien, Schweden, Belgien und Österreich. Die Hauptzuwanderungsgruppen kommen aus den neuen EU-Ländern, Ex-Jugoslawien, Deutschland, aus den französischsprachigen Staaten Afrikas (Belgien), aus Kriegsgebieten in Afrika und Asien (Schweden) sowie im Fall von Großbritannien auch aus den Commonwealth-Staaten Indien, Pakistan, Australien oder Südafrika (Eurostat 2008a). 6.2 Bevölkerung mit Migrationshintergrund Methodische Hinweise Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Europa wird über zwei Indikatoren abgebildet: 1. der Bevölkerungsanteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit; 2. der Bevölkerungsanteil im Ausland geborener Personen. Grundlage sind Eurostat- und OECD-Daten. Innerhalb der Europäischen Union existieren unterschiedliche gesellschaftliche Vorstellungen, wie die einheimische Bevölkerung gegen die nichteinheimische Bevölkerung abzugrenzen ist, wann eine Person ein Migrant, ein Ausländer, ein Zuwanderer oder ein Bürger mit Migrationshintergrund beziehungsweise ein Einheimischer ist. Zwischen den EU-Ländern variieren die Zuwanderungsgesetze und Zuzugspolitiken, das Asyl- und Bleiberecht und die Gewährung von Staatsbürger- <?page no="115"?> 116 6 Migration schaft. Zusätzlich weisen die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU unterschiedliche Migrationstraditionen auf. Bestimmte ethnische Gruppen, die beispielsweise in Frankreich historisch bedingt zentral sind (Nordafrika), spielen in anderen Nationen nur eine untergeordnete Rolle. Die folgende Darstellung der Bevölkerungsanteile mit ausländischer Staatsangehörigkeit und von im Ausland geborenen Personen kann daher als eine mögliche Variante einer komparativen Darstellung zu diesem Thema verstanden werden. In den meisten europäischen Ländern wird grundsätzlich zwischen Ausländern und Einheimischen (Staatsbürgern) unterschieden, aber auch diese Unterscheidung verbirgt, dass ein Teil der Migranten die Staatsbürgerschaft ihres Aufenthaltslandes annimmt. So gibt es für bestimmte Migranten privilegierten Zugang zur Staatsbürgerschaft. Dazu gehören zum Beispiel die sogenannten Spätaussiedler im deutschen Fall, im Falle Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande Bürger aus ehemaligen Kolonien (Nordafrika, Commonwealth-Länder, Surinam, Indonesien). Die europäischen Nationalstaaten weisen auch unterschiedliche Handhabungen der staatsbürgerlichen Einbeziehung der Kinder von Ausländern auf. Wenn diese im Inland geboren wurden, erfolgt in einigen Ländern automatisch die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft (ius solis), in anderen ist die Staatsbürgerschaft der Eltern entscheidend (ius sanguis). Für Personen ohne die Staatsbürgerschaft des Staates, in dem sie leben, gelten Sonderregelungen für Aufenthaltsstatus und damit verbundene Rechte. Die Zahl der Ausländer zeigt nicht, wie viele Migranten in ein Land gekommen sind. Dies ist zum Teil der Einbürgerung von Migranten geschuldet, zum Teil aber auch Prozessen der Rück- und Weiterwanderung. Nur ein Teil der gesamten Migrationsbewegung nach Europa geht in den »Bevölkerungsbestand« über. Empirisch sehen wir nur für die westlichen Länder Europas (EU-15) eine deutliche Zunahme der ausländischen Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Lebten in diesen Ländern 1950 insgesamt nur etwa vier Millionen Ausländer, so waren es Anfang der 1970er-Jahre elf Millionen, 1982 15 Millionen und 2000 19,5 Millionen. Im Jahr 2007 betrug die Zahl der Ausländer dann schon 26 Millionen Menschen (Eurostat 2008b; Fassmann/ Münz 1994). Betrachtet man auf der Grundlage aktueller EU- und OECD-Daten den Anteil Bevölkerung mit ausländischer Staatsbürgerschaft der Personen an der Wohnbevölkerung, die eine ausländische Staatsbürgerschaft haben, so zeigen sich innerhalb der EU große Unterschiede. Auf der einen Seite stehen osteuropäische Länder wie Rumänien, Bulgarien, die Slowakei oder Litauen, die einen ausländischen Bevölkerungsanteil von einem Prozent oder weniger aufweisen. Auf der anderen Seite stehen mitteleuropäische Industrienationen wie Österreich, Belgien und Deutschland, die seit den späten 1950er-Jahren ein bevorzugtes Ziel von Arbeitsmigranten und Flüchtlingen waren (Krane 1979; Castles 1986; Fassmann/ Münz 1994; Bade 1987). Im Jahr 2007 lag hier der Anteil der Personen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft zwischen acht und zehn Prozent. Übertroffen wird dieser Ausländeranteil nur noch in Spanien, Zypern, Estland, Lettland und Luxemburg. Spanien und Zypern sind als Länder der Mittelmeerregion in den letzten Jahren ein verstärktes Ziel von Migranten gewesen, wobei in diesen Ländern in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Zahl der Auswanderungen die der Einwanderungen überwogen hat. Bei denjenigen, die sich in den letzten zehn Jahren dort niedergelassen haben, handelt es sich vor allem um Arbeitsmigranten aus asiatischen Ländern (zum Beispiel von den Philippinen, aus Sri Lanka, Indien, China), Lateinamerika (unter anderem Bolivien, Argentinien, Peru, Brasilien), Nordafrika (Marokko) und Osteuropa (Rumänien, Bulgarien, Russland, <?page no="116"?> 6.2 Bevölkerung mit Migrationshintergrund 117 | Schaubild 14 Ausländische und im Ausland geborene Bevölkerung 0 5 10 15 20 25 30 0 0 0 2 t i e k g i r ö h e g n a s t a a t S r e h c s i d n ä l s u a t i m l i e t n a s g n u r e k l ö v e B 7 0 0 2 t i e k g i r ö h e g n a s t a a t S r e h c s i d n ä l s u a t i m l i e t n a s g n u r e k l ö v e B 5 0 0 2 n e r o b e g d n a l s u A m i l i e t n a s g n u r e k l ö v e B Bulgarien Slowakei Rumänien Litauen Ungarn Finnland Polen Portugal Slowenien Italien Tschechien Malta Spanien Irland Niederlande Großbritannien Dänemark EU-15 Frankreich Schweden Griechenland Belgien Zypern Deutschland Österreich Estland Lettland Quelle: Eurostat (2008b) und OECD (2006b), eigene Berechnungen; Zahlen für 2000 (2000-2002). Ukraine) sowie um westeuropäische Ruhestandsmigranten (OECD 2007b, f; Statistical Service of Cyprus 2007; Williams et al. 1997). Auch Lettland und Estland nehmen eine Sonderrolle ein. Knapp ein Fünftel der Bevölkerung hat eine ausländische Staatsbürgerschaft. Dabei handelt es sich überwiegend um den großen russischstämmigen Bevölkerungsanteil in diesen Ländern, der allerdings durch Abwanderungen und Einbürgerungen zwischen 2000 und 2007 gesunken ist. Schließlich ist Luxemburg, das nach Bevölkerungszahl zweitkleinste Mitgliedsland der EU, als Ausreißer zu erwähnen. Hier besitzen knapp 42 % der Bevölkerung eine ausländische Staatsbürgerschaft (im Schaubild 14 nicht komplett dargestellt). Dies liegt daran, dass Luxemburg zentrale europäische Behörden und Institutionen beherbergt. Länder wie Großbritannien, die Niederlande, Dänemark, Frankreich, Italien und Schweden weisen in dieser Statistik mittlere Positionen auf. Hier liegt der Anteil der ausländischen Bevölkerung bei vier bis sechs Prozent. Die stärksten Zuwächse des Bevölkerungsanteils mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft kann man zwischen 2000 und 2007 in Großbritannien, Portugal, Malta, Zypern, 18 Italien, Irland und Spanien beobachten (+33 % bis +35 %). Die 18 Zypern hat noch vor dem EU-Beitritt eine Niederlassungsfreiheit für Bürger aus Russland, Bulgarien und Rumänien realisiert, was zu einem starken Anstieg von vielfach hoch qualifizierten und teilweise sehr wohlhabenden Menschen aus diesen Ländern geführt hat. Zusätzlich spielt die Arbeitsmigration von Zyprioten aus dem türkischen <?page no="117"?> 118 6 Migration besondere Situation von Staaten in der Mittelmeerregion wurde bereits erwähnt. Im Fall von Großbritannien und Irland sind innereuropäische Arbeitsmigranten und Einwanderer aus anderen englischsprachigen Staaten (USA und Commonwealth) die Ursachen für den Anstieg des ausländischen Bevölkerungsanteils in den letzten Jahren (Lunn 2008: 82; OECD 2007c: 153; Smyth 2008: 93f.). Es wurde schon angesprochen, dass diese Zahlen nur unvollständig über die Einbürgerungen tatsächlichen Wanderungsbewegungen Auskunft geben, da ein Teil der Zugewanderten die Staatsbürgerschaft des Gastlandes annimmt. Einbürgerungen werden in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. In Ländern, in denen es für zugewanderte Gruppen schwer ist, die Staatsbürgerschaft anzunehmen, gibt es oft eine höhere Zahl an offiziell registrierten Ausländern als in Ländern, in denen dieser Zugang einfach ist. Beispiele hierfür sind Estland und Lettland. In Lettland wurden zwischen 2002 und 2006 insgesamt circa 75.000 Einbürgerungen vorgenommen, in Estland 25.000 (Eurostat 2008a). Das entspricht einer Einbürgerungsquote von etwa zehn Prozent der im Jahr 2000 in diesen Ländern lebenden Ausländer. In Frankreich und Großbritannien dagegen deutet der mittlere Ausländeranteil darauf hin, dass Migranten (vor allem die der sogenannten zweiten Generation) einfacher eingebürgert werden. Zwischen 2002 und 2006 erhielten hier jährlich circa 150.000 Menschen eine einheimische Staatsbürgerschaft (Eurostat 2008a). Hochgerechnet hat in diesen Ländern damit circa ein Drittel der im Jahr 2000 lebenden Ausländer eine britische oder französische Staatsbürgerschaft erhalten. Diese bisher diskutierten Kennziffern lassen sich sinnvoll durch die von der OECD bereitgestellten Daten zum Anteil der im Ausland geborenen Personen im Ausland geborene Personen ergänzen (weißer Balken im Schaubild 14). Hier erhöhen sich die Zahlen zum Teil deutlich. In Ländern wie Schweden, Frankreich, den Niederlanden, Tschechien, Portugal und Großbritannien sind diese Populationen mindestens doppelt so groß wie die Ausländeranteile. Slowenien und Litauen sind gesondert zu erwähnen, da hier einem Bevölkerungsanteil von Personen ohne einheimische Staatsbürgerschaft ein mehrfach größerer Anteil von im Ausland geborenen Einwohnern gegenübersteht. Das sind überwiegend Bürger der ehemaligen UdSSR (im Fall von Litauen) beziehungsweise Bürger Ex-Jugoslawiens (im Fall von Slowenien). In Großbritannien finden sich unter denen, die einen britischen Pass besitzen, viele Angehörige ethnischer Minderheiten, die in das Land eingewandert sind und dann die Staatsbürgerschaft erworben haben. In Griechenland, Italien oder Finnland gibt es nur geringe Unterschiede zwischen dem Ausländeranteil und dem Anteil der im Ausland Geborenen, was zumindest indirekt auf geringe Einbürgerungsquoten schließen lässt. Nachteilig an dem Indikator der im Ausland geborenen Personen ist, dass er nur Migrationsbewegungen »innerhalb einer Generation« erfasst. Ausländer, die innerhalb des Landes geboren werden und nicht die Staatsbürgerschaft erlangt haben, wie dies für viele der in Deutschland geborenen Norden eine wachsende Rolle, die wegen der höheren Löhne im Süden arbeiten (Mehmet et al. 2007; Statistical Service of Cyprus 2007). <?page no="118"?> 6.3 Migrationssysteme 119 Türken und Kurden gilt, werden dabei nicht gezählt. Zugleich berichtet weder dieser Indikator noch der Indikator zum Anteil der Ausländer, wie groß der Kreis der Personen mit Migrationshintergrund insgesamt ist. Geht man von einer erweiterten Definition des Migrationshintergrunds von Personen aus und erfasst alle Bürger mit Migrationshintergrund auf dem Territorium lebenden Personen, die nicht die Staatsbürgerschaft haben, sowie Eingebürgerte mit oder ohne Migrationserfahrung und Staatsbürger ohne Migrationserfahrung, bei denen mindestens ein Elternteil eingebürgert oder Ausländer ist, so erhöht sich der Anteil erheblich und liegt sowohl über dem Ausländeranteil als auch über dem Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung. Allerdings gibt es für diese Art der Messung keine verlässlichen Vergleichsdaten. Für Deutschland kann man dafür auf Informationen des Mikrozensus 2006 zurückgreifen. Danach haben 18,5 % der Wohnbevölkerung einen Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt 2008), also deutlich mehr als bei der Angabe des Ausländeranteils (knapp neun Prozent) oder der im Ausland geborenen Bevölkerung (12,5 %). 6.3 Migrationssysteme Definition Migrationssysteme sind Ergebnis institutionalisierter und relativ stabiler Wechselwirkungen zwischen Herkunfts- und Zielregionen von Wanderungen. Sie lassen sich durch verschiedene Faktoren charakterisieren wie die rechtliche Regulierung von Zuwanderung, den Umfang und die Herkunft von Migrationsströmen, die Integration von Migranten auf dem Arbeitsmarkt, die ethnische Zugehörigkeit von Migrantengruppen oder die Einbürgerungspolitik gegenüber Migranten. In den europäischen Staaten lassen sich verschiedene Migrationssysteme identifizieren. Diese über viele Jahre relativ stabilen Migrationssysteme unterliegen durch die gesellschaftlichen Transformationsprozesse in Osteuropa starken Veränderungen, da in deren Folge umfangreiche Wanderungsbewegungen von Ost nach West zu beobachten sind. Im Ergebnis lässt sich einerseits eine Ausdifferenzierung von Ausdifferenzierung Migrationssysteme Migrationssystemen in Europa gegenüber den 1980er- und 1990er-Jahren beobachten. Andererseits wird in der Literatur auf »eine zunehmende Konvergenz der Eingliederungsprozesse der Zuwanderer in den verschiedenen Zielländern hingewiesen« (Hillmann 2007: 63), wodurch die verschiedenen Migrationssysteme einander ähnlicher werden. Eine wichtige Grundlage dafür sind die Koordinierung von Migrationspolitiken auf der europäischen Ebene und die Freizügigkeiten bei innereuropäischen Wanderungen. Das skandinavische Migrationssystem (Abb. 7, zweite Spalte von links) wird durch Schweden und Dänemark gebildet. Hier finden sich ein mittlerer Bevölkerungsanteil mit ausländischer Staatsbürgerschaft (circa fünf Prozent) und ein etwas höherer Anteil im Ausland geborener Menschen. In den 1990er-Jahren und <?page no="119"?> 120 6 Migration Abb. 7 | Subsysteme im europäischen Migrationsraum Skandinavien Nordwest- Zentrum Zentrum Mittelmeerregion Ost-Zentrum Ost-Südost Baltikum Dynamik, Umfang der Zuwanderung stabil, mittleres Niveau stabil, mittleres bis hohes Niveau stabil, hohes Niveau zunehmend, auf aktuell hohem Niveau stabil, niedriges Niveau sehr gering gering Wanderungssaldo Positiv positiv positiv stark positiv leicht positiv (außer Polen) negativ negativ Ausländische Staatsbürgerschaft 5% 4-7% 9-10% 8-13% 2-3% 1% und weniger Lettland, Estland circa 20% Im Ausland Geborene 8-14% 9-12% 12-14% 9-11% 3-10% unter 1% bis 2,5% siehe Anmerkung Anteil im Ausland Geborener an Erwerbstätigen 6-13% ca. 15% 10-12% 9-13% 2%, k.A für Slowenien unter 1% k.A. Größte Migrantengruppen Zuwanderer, zweite Generation aus Türkei, Balkanregion, Libanon, Skandinavien, Iran Zuwanderer, zweite Generation aus ehemaligen Kolonialstaaten sowie Türkei Zuwanderer, zweite Generation aus Türkei, Balkanregion, Südeuropa Zuwanderer, zweite Generation vor allem aus Afrika, Balkanregion, Südamerika Zuwanderer aus Rumänien, Ukraine, Weißrussland, Balkanregion Migrantengruppen sehr klein; starke ethnische Minderheiten (Ungarn, Türken, Sinti/ Roma) Migrantengruppen sehr klein, starke russischstämmige Bevölkerung Neu: Zuwanderer aus Asien (China, Thailand), Osteuropa Neu: starke Zuwanderung aus Osteuropa, Zuwanderung aus Westeuropa (v. a. aus Deutschland) Neu: starke Zuwanderung aus Osteuropa, Migration von Deutschen nach Österreich Neu: innereuropäische Ruhestandsmigration, starke Zuwanderung aus Osteuropa Neu: starke Abwanderung nach Westeuropa Neu: Abwanderung nach Westeuropa, USA, GUS- Staaten Beispielländer Schweden, Dänemark Großbritannien, Irland, Frankreich, Niederlande, Belgien Deutschland, Österreich Spanien, Griechenland, Zypern Ungarn, Tschechien, Slowenien, Polen Rumänien, Bulgarien, Slowakei Lettland, Estland, (Litauen) Quelle: EU-Kommission (2006: Kapitel 5), OECD (2007c: Kapitel 8), OECD (2007b: Kapitel I); Anmerkung: Eine große Zahl der Nichteinheimischen wurde im Baltikum vor Staatsgründung in der ehemaligen UdSSR geboren, in der Regel auf dem Gebiet des heutigen Lettlands, Estlands, Litauens, oder lebte dort bereits vor den Staatsgründungen 1991. zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist im skandinavischen Migrationssystem ein positives Wanderungssaldo zu verzeichnen. Dabei spielt die Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisen- und Kriegsgebieten (zum Beispiel aus Somalia, Äthiopien, Irak, Iran, Sri Lanka, Bosnien) traditionell eine bedeutendere Rolle als in vielen anderen europäischen Staaten (Hillmann 2007: 41). Zudem ist die innerskandinavische Migration ein wesentlicher Bestandteil des Migrationssystems; zu denken ist unter anderem an die große finnische Population in Schweden. Die Integration von Migranten ist auf Assimilation ausgerichtet. Dazu werden Neuankömmlinge über das ganze Land verteilt, um die Bildung ethnischer Enklaven zu verhindern. Seit vielen Jahrzehnten gibt es ein aktives Kommunalwahlrecht für Ausländer, und die Integration in das Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt werden aktiv gefördert (Kjeldstadli 2008: 65). Allerdings zeigen sich auch im skandinavischen Migrationssystem Probleme bei der sozialen Integration und der Integration in den Arbeitsmarkt (Blume et al. 2007; Rosholm et al. 2006). Zudem hat sich ab den 1990er- <?page no="120"?> 6.3 Migrationssysteme 121 Jahren die skandinavische Zuwanderungspolitik verändert: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts beinhaltet zum Beispiel »die dänische Migrationspolitik Elemente einer skandinavisches Migrationssystem strikten Abschottung gegenüber weiterer Zuwanderung und einer Ausgrenzung von Ausländern« (Kjeldstadli 2008: 66). Gründe für diese nicht nur auf Skandinavien eingrenzbare Entwicklung können in der Politisierung des Immigrationsthemas, dem Aufstieg explizit ausländerfeindlicher Parteien, Ängsten vor einem Verlust des beruflichen und sozialen Status oder in den kulturellen und religiösen Diskrepanzen zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Zuwanderern gesehen werden (Kaelble 2007: 253f.). Zukünftig wird der Migrationsfluss nach Skandinavien dennoch voraussichtlich nicht geringer werden, sondern weiter steigen (Kjeldstadli 2008: 66). Familiennachzug, Bleiberechtsregelungen für Flüchtlinge wie auch der Arbeitskräftebedarf der skandinavischen Ökonomien sind hierfür als Gründe zu benennen. Ein zweites europäisches Migrationssystem findet sich in Großbritannien, Migrationssystem: Nordwest- Zentrum Irland, Frankreich, den Niederlanden und Belgien. Der Anteil der Bevölkerung mit ausländischer Staatsbürgerschaft liegt hier zwischen vier und sieben Prozent. Ein großer Bevölkerungsanteil ist im Ausland geboren (zwischen neun und zwölf Prozent). Der Vergleich beider Zahlen verweist auf einen hohen Anteil von Migranten mit inländischer Staatsbürgerschaft. Circa 15 % der Arbeitsmarktteilnehmer in diesen Ländern sind im Ausland geboren (Abb. 7, Zeile 5); ein Spitzenwert im europäischen Maßstab (für einen diesbezüglich sehr aufschlussreichen Vergleich von Großbritannien und Deutschland siehe Kogan 2004a). In Großbritannien, Frankreich und den Benelux-Staaten haben postkoloniale Wanderungen eine besondere Bedeutung. Bei vielen Migranten herrscht schon vor ihrer eigentliche Zuwanderung eine kulturelle und soziale Orientierung auf die ehemaligen Kolonialmächte vor. Durch Migrantennetzwerke werden die Wanderungen von Nachkommenden erleichtert. Zugleich gibt es eine bevorzugte Behandlung bei der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für Migranten aus ehemaligen Kolonien, so dass Menschen aus Irland, Pakistan, Bangladesch, Indien oder Südafrika vergleichsweise leicht nach Großbritannien einwandern können (Lunn 2008: 80f.). Für Zuwanderer aus den Maghreb-Staaten (Marokko, Algerien, Tunesien) nach Frankreich (Moch 2008: 135) oder aus Surinam und den Antillen in die Niederlande gelten ähnliche Bedingungen (Lucassen/ Lucassen 2008: 15). Trotz guter Sprachkenntnisse des Aufenthaltslandes und teilweise gleicher staatsbürgerlicher Rechte ist die Integration der großen Migrantengruppen in diesem Migrationssystem allerdings nicht vollständig gelungen, was sich an vielfältigen politischen und sozialen Konflikten in den letzten Jahren zeigt (Lucassen/ Lucassen 2008: 107; Lunn 2008: 83; Moch 2008: 139f.). 19 Innerhalb von Metropolen wie London, Amsterdam und Paris 19 Zuwanderungen haben Großbritannien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hin zu einer multikulturellen Gesellschaft verändert. »Gleichzeitig wirken die aus der langen Zuwanderungsgeschichte erwachsenen gesellschaftlichen Spannungen auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach und verstärken die Probleme von Migration und <?page no="121"?> 122 6 Migration haben sich große ethnische Enklaven gebildet - oft angesiedelt in sozialen Problemquartieren -, die das Erscheinungsbild ganzer Stadtviertel völlig verändert haben. Weniger problematisch ist die Situation für spezifische Migrantengruppen, so die der Iren in Großbritannien und die der Portugiesen in Frankreich 20 (Moch 2008: 137), immerhin etwa ein Fünftel der Ausländer. Neue Wanderungen gibt es vor allem in Großbritannien und Irland, welche ihre Arbeitsmärkte frühzeitig für Arbeitnehmer aus den neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU geöffnet haben (Lunn 2008: 82; OECD 2007c: 153; Smyth 2008: 93f.). Auch die Zuwanderung von Deutschen spielt in jüngster Zeit in den Niederlanden, Großbritannien und Irland eine wachsende Rolle (OECD 2007b: 40f.). Ein weiteres Subsystem der europäischen Zuwanderung stellen die deutsch- Migrationssystem im deutschsprachigen Raum sprachigen Länder Europas dar (Hillmann 2007: 72). Der Anteil der Ausländer und der im Ausland geborenen Einwohner an der Gesamtbevölkerung ist im europäischen Maßstab hoch. Das Zuwanderungsniveau ist auf hohem Niveau stabil. Österreich hat in den letzten zehn Jahren eine stärkere Zuwanderung (bezogen auf die Bevölkerungsgröße) erlebt als Deutschland (Eurostat 2008b). Betrachtet man absolute Zahlen, so ist die Bundesrepublik bei über 15 Millionen Einwohnern mit Migrationshintergrund das »mit Abstand wichtigste Einwanderungsland in Europa« (Hillmann 2007: 72). Die Hauptursachen für Zuwanderung im deutschsprachigen Raum sind die Arbeitskräftewanderungen der 1960er- und 1970er-Jahre, die zahlreiche Einwanderer aus der Türkei, Jugoslawien, Spanien, Portugal, Griechenland und Italien nach Deutschland und Österreich brachten. Zwar waren diese Wanderungen ursprünglich auf die Rotation von Arbeitskräften ausgerichtet, aber viele Migranten blieben und ließen sich auch durch Anreize nicht zur Rückwanderung in ihre Herkunftsländer bewegen. Die Wanderungsströme hielten auch über den Anwerbestopp hinaus an, da es einen erheblichen Familiennachzug gab (Bade/ Oltmer 2008: 160; Hahn 2008: 184f.). Erst in den 1990er-Jahren setzte eine Rückkehrmigration von beispielsweise Pensionären in die Türkei ein (Jankowitsch et al. 2000; Krumme 2004; Razum et al. 2005). In Deutschland und Österreich haben sich infolge der spezifischen Zuwanderungsgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ethnische Minderheiten ausgebildet. Nicht selten sind diese Gruppen nur unvollständig in die Gesellschaft integriert und mit vielfältigen Benachteiligungen konfrontiert. Auch noch in der zweiten und dritten Generation gibt es Formen der ethnischen Segmentierung und der Verfestigung struktureller Ungleichheiten zwischen einheimischen und zugewanderten Gruppen in den Bereichen Arbeitsmarkt und Bildungssystem (Becker 2007; Bender/ Seifert 1998; Diekmann et al. 1993; Hahn 2008; Kogan 2004b; Kogan/ Kalter 2006; Kristen 2002, Integration in der zum Teil durch Abwehrhaltung und soziale Zersplitterung gekennzeichneten britischen Gesellschaft der Gegenwart.« (Lunn 2008: 83) 20 Indikatoren für die erfolgreiche Integration der etwa eine Million Portugiesen in Frankreich sind der Bildungserfolg von Jugendlichen, eine hohe aktive Wahlbeteiligung sowie das Heiratsverhalten - mehr als 50 % der zweiten Generation heiraten Französinnen beziehungsweise Franzosen (Moch 2008: 137). <?page no="122"?> 6.3 Migrationssysteme 123 2006; OECD 2007b). Eine weitere zahlenmäßig große Gruppe der Migranten - vor allem in der Bundesrepublik - stellen sogenannte Spätaussiedler aus ehemaligen deutschsprachigen Regionen Osteuropas dar, von denen die meisten aus den GUS- Staaten und Polen und eine kleinere Zahl aus Rumänien kommen (Bade/ Oltmer 2008: 166ff.). Diese Gruppen sind gegenüber der großen Mehrheit der Migranten aus Südeuropa und der Türkei bei der Vergabe von Staatsbürgerschaftsrechten privilegiert. EU-Mittelmeerländer wie Spanien, Griechenland und Zypern (mit Einschränsüdeuropäisches Migrationssystem kungen Italien und Portugal 21 ) sind erst in jüngster Zeit zu Einwanderungsländern geworden. Diese Länder stellen ein eigenes südeuropäisches Migrationssystem dar. Der Bevölkerungsanteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit liegt zwischen acht und dreizehn Prozent, etwa jeder zehnte Einwohner dieser Länder ist im Ausland geboren. Das Zuwanderungsniveau ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, vielfach stärker als im restlichen Europa. Die Integration von Migranten am Arbeitsmarkt verläuft aufgrund der aktuell starken Nachfrage nach Arbeitskräften erfolgreicher als in vielen anderen europäischen Staaten. Allerdings findet Beschäftigung vor allem in niedrig entlohnten Sektoren statt. Die Arbeitslosigkeit ist zum Beispiel in Griechenland unter den Migranten geringer als unter den Einheimischen. In Spanien oder Portugal liegt sie nur leicht über der Arbeitslosigkeit von Spaniern und Portugiesen (OECD 2007b: 86ff.). Das südeuropäische Migrationssystem ist im europäischen Kontext auch deshalb interessant, weil die Mittelmeerstaaten für den größten Teil des 20. Jahrhunderts selbst Auswanderungsländer waren und einen wichtigen Teil der Arbeitsmigranten nach Nordeuropa gestellt haben (Bertagna/ Maccari-Clayton 2008; Fassmann/ Münz 1994; Feithen 1985; Pietschmann 2008). Mit ihrer EU-Mitgliedschaft und dem Wachstum des Wohlstandes wurden auch sie in den letzten Jahren verstärkt zu Zielländern von Migrationsbewegungen vor allem aus Osteuropa, Nordafrika sowie aus Mittel- und Südamerika (Cavounidis 2006; OECD 2005c, 2007f). Teilweise sind die südeuropäischen Länder in einem stärkeren Maße als andere europäische Länder mit illegaler Migration (Bertagna/ Maccari-Clayton 2008: 217; Hillmann 2007: 75; Pietschmann 2008: 240) und den dazugehörigen Problemen von informeller Arbeit, Menschenhandel und Kriminalität konfrontiert. Als Schengen- Vertragspartner 22 kommt ihnen die Aufgabe zu, die Mittelmeer-Außengrenze der EU zu schützen, und sie sehen sich einem erhöhten Migrationsdruck ausgesetzt. Verschiedene Legalisierungswellen haben in den letzten Jahren verdeutlicht, dass eine Notwendigkeit besteht, die wachsende Zahl der Menschen, die ohne rechtlichen Status in diesen Ländern leben und arbeiten, anzuerkennen und ihnen 21 Italien und Portugal werden zum Beispiel von Hillmann zu dieser Gruppe gezählt (2007: 73ff.). Allerdings sprechen die geringere Zuwanderung in den 1990er-Jahren und der niedrigere Bevölkerungsanteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit beziehungsweise im Ausland geborener Einwohner gegen eine solche Zuordnung. 22 zum Schengen-Abkommen siehe Abschnitt 11.1 <?page no="123"?> 124 6 Migration einen gesicherten Status zu geben (European Commission 2006: 211; Hillmann 2007: 74). Mittel- und langfristig wird sich der Anteil von Zuwanderern an der Gesamtbevölkerung in die Mittelmeeranrainerstaaten auf hohem Niveau stabilisieren oder sogar weiter steigern (Bertagna/ Maccari-Clayton 2008: 218; Pietschmann 2008: 240), was eine aktivere Integrationspolitik und ein positiveres gesellschaftliches Klima für die Integration von Migranten notwendig erscheinen lässt, als es bisher erkennbar ist. Die osteuropäischen Länder sind in den letzten Jahrzehnten vor allem als Ursprungsländer von Migration in Erscheinung getreten, weniger als Zielländer größerer Migrationsströme. Der in den letzten Jahren beobachtbare leichte Anstieg des Ausländeranteils (Beispiele sind Tschechien, Ungarn, Slowenien), aber auch die sehr großen Bevölkerungsanteile mit ausländischer Staatsangehörigkeit (Baltikum) und die damit einhergehenden spezifischen Integrationsmuster und Einbürgerungspolitiken gegenüber Migranten machen eine differenzierte Betrachtung dieser Länder notwendig. Zudem bilden sie die östlichen und südöstlichen Außengrenzen der Union und sind daher mittelfristig mit anderen Zuwanderungsströmen konfrontiert, als dies in den letzten 15 Jahren der Fall war. Es ist vor diesem Hintergrund sinnvoll, innerhalb der osteuropäischen Beitrittsnationen drei verschiedene Migrationssysteme zu unterscheiden. Das erste osteuropäische Migrationssystem besteht aus den mittelosteuropäi- Migrationssystem in Mittelosteuropa schen Staaten Tschechien, Ungarn, Slowenien und, mit Einschränkungen, Polen. In diesen Ländern finden wir einen im europäischen Maßstab sehr niedrigen, mit Finnland vergleichbaren Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung (zwischen zwei und drei Prozent). Dieser Anteil ist in den letzten Jahren leicht gestiegen. Der aktuelle Zuwanderungssaldo ist, außer in Polen, leicht positiv. Bei den Zuwanderern handelt es sich mehrheitlich um Menschen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, China, Indien und Vietnam (vor allem Familiennachzug von vietnamesischen Vertragsarbeitern). Teilweise handelt es sich um illegale Migration. Wesentlich ist auch eine (zeitlich befristete) Arbeitskräftewanderung aus Weißrussland, Russland und der Ukraine. Diese soll zum Beispiel im Fall von Polen die einheimische Nachfrage nach Arbeitskräften decken, da durch die anhaltende Abwanderung von jungen und gut qualifizierten Arbeitnehmern nach Westeuropa in einigen Sektoren, so dem Bau- oder dem Gesundheitssektor, ein erheblicher Arbeitskräftemangel herrscht (Nowak-Lewandowska 2006; Praszalowicz 2008). Zudem trägt auch die Rückkehr von politischen Flüchtlingen und Arbeitsmigranten aus der Zeit vor 1989 zu einem positiven Wanderungssaldo im mittelosteuropäischen Migrationssystem bei (Praszalowicz 2008: 269; Zeitlhofer 2008: 284). Der Anteil der im Ausland geborenen Menschen ist in allen Ländern dieses Migrationssystems deutlich höher als der Ausländeranteil, vor allem in Slowenien und Tschechien. Ein geringerer Teil dieses Personenkreises kann einer internationalen Elitemigration von Hochqualifizierten zugerechnet werden, die nach Osteuropa kommen und die Ausdehnung multinationaler Konzerne begleiten (Hillmann/ Rudolph 1997; Inzelt 2007; Zeitlhofer 2008). <?page no="124"?> 6.3 Migrationssysteme 125 Bei dem größeren Teil der im Ausland Geborenen handelt es sich im Fall von Slowenien und Tschechien um Personen aus den Vorgängerstaaten Jugoslawien und ˇ CSSR (Eurostat 2008a), die aufgrund von Regelungen nach der Teilung dieser Staaten einen Sonderstatus besitzen (zum Beispiel Kroaten, Bosnier oder Slowaken). Schließlich ist für diese Gruppe von Ländern typisch, dass Aufenthaltsgenehmigungen und die Vergabe von Staatsbürgerschaftsrechten für Zuwanderer erst nach einigen Jahren Wartezeit erteilt werden. Diese beträgt zum Beispiel in Tschechien neuerdings zehn statt bislang 15 Jahre (OECD 2007b: 240; Zeitlhofer 2008: 286). Rumänien, Bulgarien und die Slowakei bilden ein weiteres Migrationssystem, Migrationssystem in Südosteuropa welches geografisch im Südosten der Europäischen Union verortet werden kann. In diesen Ländern finden sich kaum Personen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft (Bevölkerungsanteil unter einem Prozent). Die größten Gruppen waren zum Beispiel im Jahr 2006 im Fall von Rumänien Moldawier, Türken und Chinesen und im Fall der Slowakei Tschechen, Ukrainer und Polen (Eurostat 2008a). Der Anteil im Ausland geborener Einwohner ist etwas höher. Er erreicht im Fall der Slowakei 2,5 % der Gesamtbevölkerung. Ein weiteres Merkmal dieses Migrationssystems ist der starke Bevölkerungsverlust durch Abwanderungen nach Süd- und Westeuropa. Dieser belief sich im Zeitraum von 1996 bis 2007 auf 735.000 Personen in Rumänien und 250.000 Personen in Bulgarien, was jeweils einem Bevölkerungsverlust von etwa drei Prozent entspricht (Eurostat 2008a). Die Politik gegenüber Migranten (Asyl, Aufenthalt, Einbürgerung) ist restriktiv. So wurde in der Slowakei im Jahr 2004 von 11.500 Asylsuchenden nur 15 Personen ein dauerhafter Aufenthaltsstatus gewährt. 2005 waren es bei knapp 4.000 Asylanträgen immerhin 25 Aufenthaltsgenehmigungen (Statistical Office of the Slovak Republic 2008). Ferner sind in Südosteuropa ethnische Minderheiten relativ bedeutend für die Bevölkerungs- und Migrationsstrukturen. In der Slowakei sind zehn Prozent der Bevölkerung der ungarischen Minderheit und zwei Prozent den Sinti und Roma zuzurechnen. In Rumänien zählen circa sieben Prozent zu der ungarischen Bevölkerungsgruppe und etwa drei Prozent zu den Sinti und Roma. In Bulgarien gehören zehn Prozent der Bevölkerung zur türkischen Minderheit und fünf Prozent zur Gruppe der Sinti und Roma. Dabei ist die ökonomische und soziale Diskriminierung der Sinti und Roma (Arbeitsmarkt, Gesundheit, Wohnen, politische Interessenvertretung) besonders gravierend (Friedrich-Ebert-Stiftung 2002). In der Slowakei umfasst diese ethnische Gruppe deutlich über 100.000 Menschen, die überwiegend in ökonomisch unterentwickelten ländlichen Gebieten leben. In Rumänien und Bulgarien kann man nach den letzten Volkszählungen von jeweils circa einer halben Million Sinti und Roma ausgehen (National Statistical Institute of Bulgaria 2008; Romanian National Institute of Statistics 2008; Statistical Office of the Slovak Republic 2008). Vermutet wird vielfach, dass diese Gruppen tatsächlich wesentlich größer sind, da die offiziellen Statistiken die tatsächliche Zahl der Sinti und Roma systematisch unterschätzen. Aktuelle Schätzungen gehen für die Slowakei von mehreren Hunderttausend Sinti und Roma (Zeitlhofer 2008: 285), für Bulgarien von 600.000 und für Rumänien von 1,5 Millionen Sinti und Roma aus (Friedrich-Ebert- Stiftung 2002: 9). Sinti und Roma sind zwar heutzutage vielfach lokal gebunden, ihr auch länderübergreifendes Mobilitätsverhalten ist allerdings immer noch relativ stark ausgeprägt. Im Baltikum findet sich ein letztes europäisches Migrationssystem. Estland und baltisches Migrationssystem Lettland sind die typischen Vertreter. Mit Einschränkungen kann auch Litauen zu dieser Gruppe gezählt werden. In Estland und Lettland finden wir eine Ausländer- <?page no="125"?> 126 6 Migration quote, die weit über dem EU-Durchschnitt liegt. Circa ein Fünftel der Bevölkerung besitzt keine einheimische Staatsbürgerschaft (Eurostat 2008a). Es handelt sich bei dieser Bevölkerungsgruppe überwiegend um russischstämmige Personen, die in der zweiten, dritten oder vierten Generation im Baltikum leben. Diejenigen, die nicht im Baltikum geboren wurden, haben sich, meist arbeitsbedingt, zur Zeit der Sowjetunion dort vor 1990 niedergelassen. Zur Einordnung kann man sich vor Augen führen, dass im Jahr 1989 der Anteil der Russen an der Gesamtbevölkerung bei zehn Prozent in Litauen, 34 % in Lettland und 30 % in Estland lag (Garleff 2008: 253ff.). Minderheitenrechte, Staatsbürgerschafts- und Einbürgerungsrechte sowie Sprachfragen sind in diesen Ländern Konfliktfelder von nicht geringer Sprengkraft, wobei Litauen diese Probleme besser in den Griff bekommen hat als Lettland und Estland. Dies geschah durch die Gewährung kultureller Autonomie für die russischen, polnischen und weißrussischen Minderheiten und ein vergleichsweise liberales Einbürgerungsrecht (Garleff 2008: 255). Estland und Lettland sind zwar faktisch viel stärker als Litauen multikulturelle Staaten, was aber von der Mehrheitsgesellschaft nicht anerkannt wird und sich in einem restriktiven Umgang mit ethnischen Minderheiten äußert. Einbürgerungen verlaufen schleppend und basieren auf Staatsbürgerkunde- und Sprachtests. Im Ergebnis lebten 2005 in Lettland noch 400.000 und in Estland 130.000 Staatenlose, weil die alten sowjetischen Pässe keine Gültigkeit mehr besitzen und diese Personen keine neuen Pässe erhielten. Ferner ist für die baltischen Länder eine starke Abwanderung nach Nord- und Westeuropa (Großbritannien, Irland, Deutschland), in die USA sowie in die GUS- Staaten typisch (Eurostat 2008a). Der Bevölkerungsverlust durch Abwanderungen belief sich im Zeitraum von 1996 bis 2007 auf 150.000 Personen in Litauen, 50.000 Menschen in Lettland und 30.000 Personen in Estland, was einem Rückgang der Bevölkerung um zwei bis vier Prozent entspricht (Eurostat 2008a). Inwieweit die skizzierten Entwicklungen im europäischen Migrationsraum Konvergenz im europäischen Migrationsraum? anhalten, bleibt abzuwarten. Migrationssysteme sind nicht notwendigerweise stabil, und die Wesensmerkmale von Migrationssystemen können sich im Lauf der Zeit verändern, wie der starke Anstieg der Zuwanderung in den Mittelmeerraum in den 1990er-Jahren zeigt. Ob sich dabei zukünftig die Migrationssysteme innerhalb Europas angleichen, wie dies Kaelble (2007: 261ff.) prognostiziert, ist offen. Für eine Konvergenz spricht nach seiner Auffassung die Angleichung der Zuwanderungsströme innerhalb des bisherigen Kerneuropas, vor allem bedingt durch starke Zuwanderung im Mittelmeerraum und nach Irland. Auch die Angleichung der Integrations- und Asylpolitik sorgt für größere Übereinstimmungen bei den Zuwanderungsmustern. Ferner ist die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Zuwanderungsgruppen ähnlicher geworden. Nach Europa und innerhalb des Kontinents wandern Männer und Frauen gleichermaßen. Darunter finden sich sehr viel mehr qualifizierte und hoch qualifizierte Personen, als dies noch in den 1970er-Jahren der Fall war (vgl. Abschnitt 13.3). Die Formen der Migration haben sich ebenfalls in vielen Ländern ausdifferenziert. Neben Arbeitsmigranten, die dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt verlagern, finden wir Ruhestandsmigranten, <?page no="126"?> 6.3 Migrationssysteme 127 die einen Teil ihres Lebens im Ausland verbringen, (temporäre) Migranten mit Bildungsinteressen (Studierende/ Schüler) oder transnationale Migranten (zum Beispiel Pendler in Grenzräumen), die nicht dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt verlagern. Ein letzter Punkt, der für Konvergenz spricht, ist die vorsichtige Öffnung Osteuropas für Zuwanderer. Obwohl das Niveau der Zuwanderung nach Osteuropa derzeit noch sehr niedrig ist, zeigt das Beispiel der mittelosteuropäischen Staaten, dass nicht mehr nur west-, nord- und südeuropäische Länder für Migranten attraktiv sind. <?page no="127"?> 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit Der Arbeitsmarkt stellt aufgrund seiner materiellen und sozialen Funktionen für alle Wirtschaftssubjekte den zentralen Markt dar. Er wird auch als die Institution der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft verstanden, in der das doppelte Allokationsproblem gelöst wird, wie notwendige Arbeitsleistungen und Einkommen verteilt werden können (Mikl-Horke 2007: 75). Sozialstrukturell gesehen sind die Verteilungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt von großer Bedeutung für die individuelle Wohlfahrt aber auch für die Generierung von sozialen Kontakten und Netzwerken. Die wichtigsten Akteure auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt sind die lebendige Arbeit, das Kapital und der Staat. Arbeitsmarkttheorien Die Grundlage ökonomischer Arbeitsmarkttheorien sind neo-klassische Modellannahmen. Nach diesen ist der Ausgangspunkt jeglicher wirtschaftlicher Aktivität ein frei wählender, tauschender und rational handelnder Homo Oeconomicus. In der neo-klassischen Theorie ist der Arbeitsmarkt ein Markt wie jeder andere, neo-klassische Theorie für den Faktor Arbeit gelten die gleichen Gesetzmäßigkeiten wie für jede andere Ware. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht vollkommene Konkurrenz, d. h. es existieren weder Zutrittsbarrieren bei der Beteiligung am Erwerbsleben noch Wettbewerbsbeschränkungen und alle Arbeitsanbieter sind in gleichem Maße produktiv und substituierbar. Eine Diskriminierung von Arbeitsanbietern existiert nicht. Die Betrachtung des Arbeitsmarktes wird in der neo-klassischen Theorie vom Standardmodell des Gütertausches bestimmt: Der Lohn wird als Preis des Produktionsfaktors Arbeit interpretiert und durch Angebot und Nachfrage festgelegt. Ein Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt in Form von Arbeitslosigkeit oder Arbeitskräftemangel löst einen Anpassungsmechanismus aus. Das heißt, dass Arbeitsanbieter bei veränderten Arbeitsmarktbedingungen zu räumlicher Mobilität bereit sind und auch eine Angleichung der Löhne an Marktgegebenheiten hinnehmen. Theoretisch laufen solche Anpassungsmechanismen so lange, bis ein vollbeschäftigungskonformes Gleichgewicht erreicht ist (für weiterführende Darstellungen siehe Franz 2007; Samuelson/ Nordhaus 1987). Die wichtigste Weiterentwicklung des ökonomischen Standardmodells erfolgte Humankapitaltheorie ab den 1960er-Jahren in der Humankapitaltheorie durch Autoren wie Gary S. Becker (1964) oder Jacob Mincer (1974). Hier wird die im neo-klassischen Modell angenommene Homogenität des Faktors Arbeit in eine eindimensional gefasste Inhomogenität (Menge des Humankapitals) aufgelöst. Der Bestand an Humankapital lässt Rückschlüsse auf die produktiven Fähigkeiten eines Individuums zu und korrespondiert mit der Höhe des Einkommens (Becker 1964: 29ff., 59ff.). Im Sinne der Humankapitaltheorie wird die Arbeitskraft zum Investitionsgut, in das zur Verbesserung der Produktivität investiert werden kann. Diese Investitionen <?page no="128"?> 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit 129 ergeben sich aus der Summe der Ausbildungskosten und der Opportunitätskosten in Form entgangenen Lohns während der Ausbildungsphase und verminderter Freizeit (Mincer 1974). Mit der Endogenisierung von Ausbildungsvorgängen in das ökonomische Optimierungskalkül muss jetzt die Höhe des Lohns mit dem Wert aus Arbeitsertrag und Ausbildungskosten übereinstimmen. Individuelle Arbeitslosigkeitsrisiken korrespondieren mit der Höhe des Humankapitals (Sesselmeier/ Blauermel 1998: 68). 23 Hauptkritikpunkt sozialwissenschaftlicher Arbeitsmarkttheorien an den ökonomischen Theorien ist die Diskrepanz zwischen den aus ökonomischer Sichtweise gleichgewichtskonformen Arbeitsmärkten und der empirisch beobachtbaren Realität von Arbeitsmärkten: Der Arbeitsmarkt ist kein Markt wie andere organisierte Warenmärkte (z. B. Weizen- oder Aktienmärkte), da Mengen- und sozialwissenschaftliche Arbeitsmarkttheorie Preisanpassungen aus strukturellen Gründen erfolgen (staatliche Regelungen, Einfluss von Gewerkschaften und Großunternehmen, Transaktionskosten der Unternehmen). Eine unbeschränkte Flexibilität der Preise ist daher nicht gegeben. Ferner lässt die mikroökonomische Betrachtung des Arbeitsmarktes die makroökonomische Interdependenz der Güter-, Waren- und Arbeitsmärkte außer Acht. Durch Lohnsenkungen geht zum Beispiel die Güternachfrage zurück, was negative Lohneffekte zur Folge haben kann (Samuelson/ Nordhaus 1987: 131ff.). Vor dem Hintergrund dieser Kritik erlangten innerhalb der sozialwissenschaftlichen Arbeitsmarktforschung insbesondere die Segmentationstheorien eine große Bedeutung. Gemeinsam ist allen Segmentationsansätzen die Vorstellung, dass soziale, rechtliche Normen der Arbeitsmarkt in Teilmärkte gegliedert ist, in denen Qualifikationsstrukturen, Gratifikations- und Mobilitätsmuster sowie Beschäftigungsdynamiken institutionalisierten Regelungen unterliegen. Während die ökonomische Theorie deduktiv argumentiert, also vom allgemeinen Gleichgewichtstheorem auf spezielle Arbeitsmarktprobleme schließt, gehen die Segmentationsansätze induktiv vor und stellen eine Analyse der Nachfrageseite (der Unternehmen und ihrer Strukturen) der der Angebotsseite gleichberechtigt gegenüber (Blossfeld/ Mayer 1990; Doeringer/ Piore 1971; Lutz 1987; Lutz/ Sengenberger 1974; Sengenberger 1978). Zwar leugnet die neuere ökonomische Theorie nicht die Existenz von Teilarbeitsmärkten. Entscheidend ist jedoch die Annahme, dass Submärkte dort nach identischen Prinzipien funktionieren, nicht durch dauerhafte Barrieren voneinander getrennt sind und Mobilität zwischen Teilarbeitsmärkten durch Lohndifferenzen hervorgerufen wird. Arbeitskräfte sind jedoch aus Sicht sozialwissenschaftlicher Arbeitsmarkttheorien nicht als homogene Masse zu betrachten, in der jeder jeden substituieren kann und jeder gegen jeden konkurriert, sondern sind nach bestimmten 23 Obwohl die Humankapitaltheorie Defizite der neo-klassischen Ökonomie beseitigt, ist sie in einigen Punkten zu relativieren. Die Diskriminierungstheorie weist darauf hin, dass bei gleich hohen Bildungsinvestitionen und den daraus zu erwartenden gleich hohen Produktivitätsgewinnen Geschlecht, Alter und Ethnie Lohndifferenzen determinieren, was humankapitaltheoretisch nicht erklärbar ist (Sesselmeier/ Blauermel 1998: 70). <?page no="129"?> 130 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit Merkmalen unterscheidbare Teilmengen, zwischen denen nur in eingeschränktem Maße Mobilität stattfindet. Schließlich argumentieren die Segmentationstheorien, dass der Lohnmechanismus nicht die einzige Allokationsregel ist. Die institutionalisierte Verfassung des Arbeitsmarktes und die existierenden sozialen und rechtlichen Normen verhindern demnach eine volle Flexibilität der Löhne (Doeringer/ Piore 1971; Lutz 1987; Lutz/ Sengenberger 1974; Sengenberger 1978). Trotz der Unterschiede zwischen ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Arbeitsmarkttheorien gibt es auch Gemeinsamkeiten zwischen beiden Denkschulen: In beiden Ansätzen wird der Arbeitsmarkt, die zentrale Institution moderner Gesellschaften, als ein Ort permanenter Veränderungsprozesse gesehen. Diese Prozesse betreffen unter anderem die zeitlich und örtlich variierende Arbeitsnachfrage, messbar über Erwerbsbeteiligung und Arbeitslosigkeit (Abschnitte 7.2, 7.3), die sektorale und berufsstrukturelle Gliederung der Arbeitnehmerschaft (Abschnitt 7.4) oder die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt (Abschnitt 7.5). Diesen Indikatoren zur Charakterisierung von europäischen Arbeitsmärkten wird eingangs ein Abschnitt zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit europäischer Ökonomien vorangestellt. 7.1 Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und materieller Wohlstand Methodische Hinweise Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein allgemeiner Indikator für die wirtschaftliche Lage und den materiellen Wohlstand eines Landes. Es entspricht dem Gesamtwert der produzierten Waren und Dienstleistungen in einem Kalenderjahr abzüglich des Wertes der Waren und Dienstleistungen, die bei ihrer Produktion als Vorleistungen verwendet wurden. Der Indikator ist auf der Basis von Eurostat-Daten in Kaufkraftstandards (KKS) abgebildet, so dass Unterschiede der Preisniveaus zwischen den Ländern kontrollierbar werden. Berechnungen auf Pro-Kopf-Basis ermöglichen den Vergleich von Volkswirtschaften unterschiedlicher Größe. Die Wachstumsrate des BIP beruht auf Eurostat-Angaben des Bruttosozialprodukts pro Einwohner in konstanten Preisen (Basisjahr 1995). Die Angaben sind inflationsbereinigt. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und der erreichte Wohlstand prägen wesentlich die Sozialstruktur einer Gesellschaft. »Denn Wohlstand ist Grundlage nicht nur des individuellen Lebensstandards der Menschen, sondern auch der Möglichkeiten, öffentliche Güter wie Bildung, Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, Krankenversorgung etc. bereitzustellen.« (Hradil 2006a: 188) Auch Lebensstile und Mentalitäten werden durch die Leistungsfähigkeit und den erwirtschafteten Wohlstand einer Gesellschaft beeinflusst. Die Wertunterschiede der von den Arbeitnehmern produzierten Waren und Dienstleistungen sind zwischen Ost- und Westeuropa sehr groß. Das mit Abstand <?page no="130"?> 7.1 Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und materieller Wohlstand 131 höchste Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner in Kaufkraftparitäten weist wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und materieller Wohlstand Luxemburg auf (70.400 Euro). Im Vergleich zum EU-15-Durchschnitt hat das Land ein 255 % höheres BIP (Tab. 9, zweite Spalte von rechts). Auch Irland, die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden haben mit Beträgen zwischen 36.000 Euro und 31.000 Euro ein sehr hohes BIP. Zur Einordnung kann man zum Beispiel das Bruttosozialprodukt der Schweiz betrachten, welches zuletzt bei 35.000 Euro (KKS) pro Einwohner lag (Eurostat 2008b). Deutschlands und Frankreichs Bruttosozialprodukt liegt in etwa auf dem Niveau des EU-15-Durchschnitts. In den Beitrittsstaaten ist der Gesamtwert der pro Einwohner produzierten in Beitrittsnationen liegt das BIP bei 55 % der EU-15 Waren und Dienstleistungen und damit das gesellschaftliche Wohlstandsniveau deutlich geringer als in der EU-15. Es beträgt im Durchschnitt etwa 55 % des Niveaus in der bisherigen Kernunion, was ein Ausdruck des weiter bestehenden ökonomischen Nachholbedarfs dieser Länder ist (OECD 2006c, e, 2007d, e). Allerdings lag Anfang der 1990er-Jahre das Bruttosozialprodukt in Ländern wie Estland, Polen, der Slowakei, Litauen oder Bulgarien bei unter 30 % des EU-15-Niveaus. Ein Aufholprozess findet also statt. Es ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass als Referenz hier einige der weltweit leistungsstärksten Volkswirtschaften dienen. Das geringste Bruttoinlandsprodukt war 2007 in Rumänien (10.000 Euro) und Bulgarien (9.500 Euro) zu finden. Die Einwohner dort verfügen nur über 35 % des materiellen Wohlstands des Durchschnitts der EU-15-Länder. Das höchste BIP pro Einwohner der osteuropäischen Beitrittsnationen haben Slowenien (22.700 Euro) und Tschechien (20.100 Euro), die inzwischen Portugal und Malta überholt und Griechenland fast erreicht haben. Die Gründe für diesen ökonomischen Erfolg in Tschechien und Slowenien liegen in einer erfolgreichen Industrieansiedlungspolitik, einem vergleichsweise hohen Volumen ausländischer Direktinvestitionen, einer starken Exportwirtschaft, einer niedrigen bis mittleren Inflation und einem großen Arbeitskräfteangebot an gut qualifizierten und nach westlichen Standards preiswerten Arbeitskräften (Bank of Slovenia 2007: 11ff.; Eurostat 2008b; OECD 2006f: 15ff., 124). Für Tschechien spielen zusätzlich hohe Wachstumsraten im Tourismus eine Rolle. Im Zeitverlauf haben sich die europäischen Volkswirtschaften unterschied- Beitrittsnationen: überdurchschnittliches Wachstum lich entwickelt (Tab. 9, rechte Spalte). Ein überdurchschnittliches ökonomisches Wachstum in relativen Zahlen weisen die Beitrittsnationen auf (Ausnahme Malta). Die baltischen Staaten haben beispielsweise ihr Bruttoinlandsprodukt zwischen 1997 und 2007 etwa verdoppeln können (inflationsbereinigt: Basis konstante Preise von 1995). Auch in der Slowakei und in Bulgarien hat sich das BIP zuletzt stark erhöht. Selbst in Tschechien, dem Land mit den geringsten Zuwachsraten in Osteuropa, erhöhte sich das Bruttoinlandsprodukt in dem betrachteten Zeitraum um mehr als 40 %. Diese Zahlen verweisen auf den bereits angesprochenen ökonomischen Aufholprozess Osteuropas. Die Wohlstandslücke zwischen West- und Osteuropa ist kleiner geworden. Im bisherigen Kerneuropa weisen Irland (+60 %), Luxemburg (+47 %), Griechenland (+44 %), Finnland (+38 %), Schweden (+33 %) und Spanien (+29 %) die höchsten Steigerungsraten auf. Damit hat Luxemburg seine <?page no="131"?> 132 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit Tab. 9 | Bruttoinlandsprodukt 1997 (KKS) 2000 (KKS) 2007 (KKS) 2007 EU-15 = 100 Wachstum in%, deflationiert EU-15 18.900 21.900 27.600 100,0 20,5 Belgien 20.200 24.000 29.700 107,6 19,8 Dänemark 21.400 25.100 30.900 112,0 18,3 Deutschland 20.000 22.600 28.300 102,5 16,1 Irland 19.300 24.900 36.200 131,2 60,2 Griechenland 12.200 16.000 24.400 88,4 44,1 Spanien 15.000 18.500 25.900 93,8 29,4 Frankreich 19.600 22.000 27.200 98,6 17,9 Italien 19.700 22.300 25.100 90,9 11,1 Luxemburg 33.000 46.400 70.400 255,1 46,9 Niederlande 20.900 25.600 32.600 118,1 21,8 Österreich 21.300 25.400 31.800 115,2 21,8 Portugal 13.100 14.900 18.300 66,3 16,0 Finnland 18.800 22.300 29.400 106,5 38,4 Schweden 19.800 24.100 30.700 111,2 33,3 Großbritannien 19.200 22.300 29.300 106,2 26,8 Bulgarien 4.400 5.300 9.500 34,4 77,7 Tschechien 11.900 13.000 20.100 72,8 41,3 Estland 6.600 8.500 17.900 64,9 113,8 Zypern 13.600 16.900 22.700 82,2 26,0 Lettland 5.700 7.000 14.200 51,4 126,7 Litauen 6.400 7.500 14.900 54,0 99,4 Ungarn 8.500 10.700 15.800 57,2 52,9 Malta 13.700* 15.900 19.100 69,2 - Polen 7.600 9.200 13.500 48,9 52,7 Rumänien 4.600* 4.900 10.000 36,2 - Slowenien 12.200 15.000 22.700 82,2 50,5 Slowakei 8.100 9.500 16.700 60,5 58,6 EU-27 16.900 19.000 24.700 89,5 23,3 Quelle: Eurostat (2008b), eigene Berechnungen; ∗ 1998; Angaben in Euro pro Einwohner. Spitzenposition in Europa mit einem absoluten BIP-Zuwachs von 37.000 Euro pro Einwohner weiter ausgebaut. Auch die ökonomische Entwicklung in Irland, Griechenland und Spanien ist bemerkenswert (siehe unten), wenn man bedenkt, dass diese Staaten, im Unterschied zu Finnland und Schweden (Ökonomien mit traditionell guten bis sehr guten Wachstumsraten), noch in den 1970er- und 1980er- Jahren zu den am wenigsten entwickelten europäischen Staaten gehört haben. Irland hat zwischen 1997 und 2007 einen deutlichen Zuwachs in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfahren (+15.000 Euro BIP pro Kopf). Inzwischen verfügt das Land über das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraftstandards pro Einwohner in Europa. Der Aufschwung Irlands ist bemerkenswert. Eine liberale Wirtschaftspolitik (Steuerreduzierung für ausländische Investoren, drastischer Defizitabbau der öffentlichen Haushalte, erfolgreiche Privatisierung im Telekommunikationsbereich) und substanzielle Finanzhilfen durch EU-Strukturfonds Anfang der 1990er-Jahre, eine lang anhaltende moderate Lohnentwicklung verbunden mit einer hohen Lohnflexibilität, wachsende Immigration und damit verbunden ausreichende Arbeitskräfte für niedrig entlohnte Tätigkeiten sowie eine zuletzt stark wachsende Exportindustrie sind Faktoren, die diese Entwicklung erklären helfen. Ferner haben ausländische Direktinvestitionen, vor allem amerikanischer Firmen, in einem hohen Maße den irischen Aufschwung begünstigt, und Irland hat als englischsprachiges Land besonders von der Einrichtung eines gemeinsamen europäischen Marktes profitiert (Burnham 2003: 544ff.; OECD 2006g: <?page no="132"?> 7.1 Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und materieller Wohlstand 133 23ff.). Die Entwicklung in Spanien lässt sich durch fiskalische Disziplin der öffentlichen Haushalte, moderate Lohnentwicklung, erfolgreiche Infrastrukturpolitik, Investitionen in Forschung und Entwicklung, die positiven Arbeitsmarkteffekte des hohen Einwanderungsniveaus (preiswerte Arbeitskräfte für den Dienstleistungssektor), eine starke Binnennachfrage, eine positive Entwicklung im Tourismus- und Bausektor sowie durch ein starkes Wachstum der Exportwirtschaft erklären (OECD 2007f: 21ff., 60ff.). Der jüngste ökonomische Erfolg in Griechenland ist auf eine Reihe von Faktoren zurückführbar. Zu nennen sind das Absenken von Zins- und Steuersätzen und eine verbesserte fiskalische Politik im Rahmen des Beitritts zum Euro-Gebiet, ein Investitionsboom vor allem im Bausektor, ein starker Anstieg des Konsums privater Haushalte sowie die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur vor den Olympischen Spielen von 2004 (OECD 2005c: 21ff.). Ein weiterer wichtiger Faktor ist eine Zunahme der Einwanderung nach Griechenland in den letzten Jahren (Cavounidis 2006), wodurch preiswerte Arbeitskräfte für die Landwirtschaft, die Baubranche und die personenbezogenen Dienstleistungen verfügbar wurden. Das Land ist kein Auswanderungsland mehr - wie dies noch in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war -, sondern ein Einwanderungsland (vgl. Kapitel 6). Ein unterdurchschnittliches ökonomisches Wachstum verzeichneten zwischen Italien, Portugal, Deutschland, Frankreich verzeichnen geringe BIP-Zuwächse 1997 und 2007 Italien, Portugal, Deutschland und Frankreich (+11 % bis +16 %). Für den deutschen Fall sind die spezifischen Probleme aufgrund der deutschen Wiedervereinigung, hohe Lohn- und Lohnnebenkosten und eine schwache Binnennachfrage als Gründe für diese Entwicklung zu nennen (OECD 2006d: 21ff.). Außerdem sind in einer Volkswirtschaft der Größe Deutschlands hohe Zuwachsraten ohnehin seltener. Vergleichsweise besonders ungünstig verlief die wirtschaftliche Entwicklung in Italien: 1997 war das Land noch auf Platz acht innerhalb der EU, was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und den materiellen Wohlstand seiner Einwohner betrifft. Im Jahre 2007 lag Italien nur noch auf dem 14. Rang. Das Ausbleiben von Strukturreformen, hohe Staatsverschuldung, Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung, hohe Inflation und geringe Konkurrenzfähigkeit der Industrieunternehmen sind Gründe für diese Entwicklung (OECD 2005d: 19ff., 32ff., 42ff.). Auch im Fall von Frankreich werden ähnliche Gründe für ein unterdurchschnittliches wirtschaftliches Wachstum benannt, wie zum Beispiel das Ausbleiökonomische Angleichung und weiter bestehende Unterschiede ben von Reformen im Bereich der öffentlichen Beschäftigung, die große Staatsverschuldung oder hohe Lohn- und Lohnnebenkosten (OECD 2005b: 21ff., 95ff.). Dazu kommt eine Gruppe von Staaten (Österreich, Belgien, Dänemark), die mit Zuwächsen von etwa 20 % im Bereich des Durchschnittswachstums der EU-15 liegen. Alles in allem hat es in den letzten Jahren eine positive wirtschaftliche Entwicklung in den EU-Mitgliedsstaaten gegeben. Dabei haben vor allem die osteuropäischen Länder den Abstand zu den westeuropäischen Ländern verringern können. Trotz dieses Aufholprozesses haben die Gesamtunterschiede im Hinblick auf wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und materiellen Wohlstand innerhalb der erweiterten Europäischen Union insgesamt nicht abgenommen, da gleichzeitig andere Länder relativ gesehen Einbußen verzeichnen mussten: Die Streuung des Bruttoinlandsproduktes, welche im Prinzip die durchschnittliche Abweichung vom Mittelwert eines Datenbündels angibt, ist zwischen 1997 und 2007 leicht angestiegen. <?page no="133"?> 134 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit 7.2 Erwerbsbeteiligung Methodische Hinweise Die Erwerbsbeteiligung wird als Quotient aus der Anzahl der Erwerbstätigen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren und der Gesamtbevölkerung derselben Altersklasse gebildet. Der verwendete Eurostat-Indikator deckt die in privaten Haushalten lebende Bevölkerung ab, schließt jedoch kollektive Haushalte wie Pensionen, Studentenwohnheime, Haftanstalten oder Krankenhäuser aus. In der Arbeitsmarktforschung wird zur allgemeinen Charakterisierung der Inte- Arbeit als Vergesellschaftungs institution gration in das Erwerbssystem die »Erwerbsbeteiligung« verwendet. Diese ist auch für sozialstrukturelle Prozesse zentral, da von der Integration in den Arbeitsmarkt das Einkommen, die Sozialkontakte, die Handlungsmöglichkeiten und das Selbstverständnis der Individuen abhängen (Klein 2005: 283). Die Beteiligung an Erwerbsarbeit hat somit die Bedeutung doppelter Vergesellschaftung, nämlich »unter der Perspektive der Sicherung des Lebensunterhalts als auch unter Gesichtspunkten sozialer Integration« (Bonß 2006: 53). Schon für sozialwissenschaftliche Klassiker wie Marx, Weber oder Durkheim galt die Erwerbsarbeit als eine zentrale Vergesellschaftungsinstitution (siehe unten, vgl. Abschnitt 3.1), da die große Mehrheit der Bevölkerung zu ihrer Zeit an Produktionsprozessen beteiligt war. Zwar ist in den 1980er-Jahren in einer lebhaften Debatte das Ende der Arbeitsgesellschaft diskutiert worden, nach der die Erwerbsarbeit ihre strukturbildende Kraft für die Gesamtgesellschaft eingebüßt habe (zu den Konturen der Debatte siehe Dahrendorf 1982; Offe 1982). Allerdings erwiesen sich solche Thesen als verfrüht, und die Zentralität der Erwerbsarbeit wird auch im 21. Jahrhundert bestehen bleiben. Mit einer stärker ökonomischen Sichtweise würde man Erwerbsbeteiligung als Indikator für Arbeitsmarktnachfrage die Erwerbsbeteiligung als zentralen Indikator für die Nachfrage nach lebendiger Arbeit auf dem Arbeitsmarkt sehen. Bei einer solchen Betrachtungsweise ist es üblich, die Erwerbsbeteiligung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Frauen, Männer, Junge, Alte) vergleichend zu analysieren (Hradil 2006a: 167). Historisch ist die Zentralität der Erwerbsarbeit auf den Industrialisierungsprozess im 19. Jahrhundert zurückzuführen (vgl. Kapitel 3). Damit einhergehend gilt für die Klassiker der Soziologie die Arbeitssphäre als »die« Vergesellschaftungsinstitution: Für Marx ist die Analyse der Erwerbsarbeit zentral, da dadurch Produktions- und Herrschaftsverhältnisse, aber auch Konflikte zwischen sozialen Gruppen in den Blick genommen werden können. Bei Durkheim ist Arbeit und die Teilung von Arbeitsprozessen eine Quelle von Solidarität und sozialer Integration. Für Weber hingegen sind die Formen der industriegesellschaftlichen Arbeitsorganisation (Stichworte sind Rationalisierung, Bürokratie, Arbeitsethik) von großer Relevanz, da sie den Status gesamtgesellschaftlicher Wirkprinzipien besitzen. In den 1980er-Jahren wurde vielfach die These vom Ende der Arbeitsgesellschaft vertreten (vgl. Dahrendorf 1982; Offe 1982). Demnach habe die strukturbildende Kraft der Arbeitswelt durch sinkende Lebensarbeitszeit und Zunahme außerbetrieblicher (Freizeit-)Aktivitäten abgenommen. In der aktuellen Forschung werden eher eine Veränderung des Bedeutungsgehalts und eine Transformation der Erwerbsarbeit diskutiert (Berger/ Konietzka 2001; Blossfeld/ Hofmeister 2006a; Blossfeld et al. 2006; Häußermann/ Siebel 1998; Kronauer/ Linne 2005; Voß/ Pongratz 2004): Themen sind der Wandel von der Industriezur Dienstleistungsgesellschaft, das Ende des männlichen Ernährermodells, die wachsende Erwerbsbeteiligung <?page no="134"?> 7.2 Erwerbsbeteiligung 135 von Frauen, die Individualisierung der Arbeit (Arbeitskraftunternehmerthese), die Angleichung der Arbeitsvollzüge zwischen den Branchen durch PC, Internet, Multimedia, die Rationalisierung und Arbeitsanreicherung in Hochlohngebieten, die Auslagerung der Arbeit in Niedriglohngebiete, die Flexibilisierung der Arbeit durch das Aufbrechen starrer Arbeitszeitstrukturen, vermehrte Befristung und Teilzeitarbeit. | Tab. 10 Erwerbsbeteiligung Frauen Männer Gesamt 1995 2000 2006 1995 2000 2006 1995 2000 2006 EU-15 49,7 54,1 58,7 70,5 72,8 73,6 60,1 63,4 66,2 Belgien 45,0 51,5 54,0 66,9 69,5 67,9 56,1 60,5 61,0 Dänemark 66,7 71,6 73,4 79,9 80,8 81,2 73,4 76,3 77,4 Deutschland 55,3 58,1 62,2 73,7 72,9 72,8 64,6 65,6 67,5 Irland 41,6 53,9 59,3 67,1 76,3 77,7 54,4 65,2 68,6 Griechenland 38,1 41,7 47,4 72,5 71,5 74,6 54,7 56,5 61,0 Spanien 31,7 41,3 53,2 62,5 71,2 76,1 46,9 56,3 64,8 Frankreich 52,1 55,2 58,8 67,2 69,2 69,0 59,5 62,1 63,8 Italien 35,4 39,6 46,3 66,9 68,0 70,5 51,0 53,7 58,4 Luxemburg 42,6 50,1 54,6 74,4 75,0 72,6 58,7 62,7 63,6 Niederlande 53,8 63,5 67,7 75,3 82,1 80,9 64,7 72,9 74,3 Österreich 59,0 59,6 63,5 78,5 77,3 76,9 68,8 68,5 70,2 Portugal 54,4 60,5 62,0 73,5 76,5 73,9 63,7 68,4 67,9 Finnland 59,0 64,2 67,3 64,2 70,1 71,4 61,6 67,2 69,3 Schweden 68,8 70,9 70,7 73,1 75,1 75,5 70,9 73,0 73,1 Großbritannien 61,7 64,7 65,8 75,1 77,8 77,3 68,5 71,2 71,5 Bulgarien - 46,3 54,6 - 54,7 62,8 - 50,4 58,6 Tschechien - 56,9 56,8 - 73,2 73,7 - 65,0 65,3 Estland - 56,9 65,3 - 64,3 71,0 - 60,4 68,1 Zypern - 53,5 60,3 - 78,7 79,4 - 65,7 69,6 Lettland - 53,8 62,4 - 61,5 70,4 - 57,5 66,3 Litauen - 57,7 61,0 - 60,5 66,3 - 59,1 63,6 Ungarn 45,4* 49,7 51,1 59,7* 63,1 63,8 52,4* 56,3 57,3 Malta - 33,1 34,9 - 75,0 74,5 - 54,2 54,8 Polen 51,3* 48,9 48,2 66,8* 61,2 60,9 58,9* 55,0 54,5 Rumänien 59,1* 57,5 53,0 71,9* 68,6 64,6 65,4* 63,0 58,8 Slowenien 58,0* 58,4 61,8 67,0* 67,2 71,1 62,6* 62,8 66,6 Slowakei - 51,5 51,9 - 62,2 67,0 - 56,8 59,4 EU-27 - 53,7 57,3 - 70,8 71,6 - 62,2 64,5 Quelle: Eurostat (2008b); ∗ 1997; Erwerbsquote in %. Die Erwerbsbeteiligung innerhalb Europas variiert sehr stark. Sie ist innerhalb der EU-15 deutlich höher als in den Beitrittsnationen. In Schweden, Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden waren im Jahr 2006 zwischen 72 und 77 % der Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter auf dem Arbeitsmarkt aktiv. Obwohl hohe Erwerbsbeteiligung in Skandinavien, Großbritannien, den Niederlanden dies Länder mit hohen Lohn- und Lohnnebenkosten sind, ist dort die Arbeitsnachfrage der Unternehmen sehr groß. Relativ niedrig ist die Erwerbsbeteiligung in Beitrittsnationen wie Polen, Malta, Bulgarien, Ungarn und Rumänien sowie in Italien, wo 2006 zwischen 54 und 59 % der Bevölkerung am Erwerbsleben beteiligt waren. Die Bundesrepublik weist eine leicht überdurchschnittliche Erwerbsbeteiligung auf: Knapp 68 % der Personen im erwerbsfähigen Alter waren im Jahre 2006 in den Arbeitsmarkt integriert. <?page no="135"?> 136 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit Auf dem europäischen Arbeitsmarkt sind mehr Männer als Frauen aktiv. Besonders hoch ist die Erwerbsbeteiligung von Männern in Dänemark, den Niederlanden, Zypern, Irland und Österreich (zwischen 77 und 81 %). Besonders niedrig war die Erwerbsbeteiligung von Männern in Polen, Malta, Ungarn und Italien. Im Hinblick auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen sind die sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten (Dänemark, Schweden, Finnland, Niederlande) und die liberalen Ökonomien Großbritannien und Estland führend (Erwerbsquoten zwischen 65 und 73 %). Die Gründe für diese hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen variieren (Mandel/ Semyonov 2006; Pettit/ Hook 2005; Sainsbury 1999; van der Lippe/ van Dijk 2002): In den skandinavischen Staaten und in den Niederlanden kommen sie über eine erhebliche, auch staatlich geförderte Teilzeitquote zustande. Der Ausbau des Wohlfahrtsstaates ist ebenfalls wichtig, da durch ihn eine Vielzahl von Arbeitsplät- Erwerbsbeteiligung bei Männern höher als bei Frauen zen in der öffentlichen Verwaltung sowie im Gesundheits- und Erziehungswesen für Frauen entstanden sind. In den liberalen Ökonomien sind der allgemein hohe Marktdruck (niedrige Dekommodifizierung), eine im Durchschnitt hohe Humankapitalausstattung von Frauen und das starke Nachfrageverhalten der Unternehmen für eine hohe weibliche Erwerbsbeteiligung verantwortlich. Eher niedrig ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen in einigen südeuropäischen Ländern (Malta, Italien, Griechenland) und in Polen, wo aktuell zwischen 35 und 48 % der Frauen in Lohn und Brot sind. Damit ist die Variation der Erwerbsbeteiligung innerhalb der Gruppe der Frauen größer als bei den Männern. Zwischen Dänemark auf der einen Seite und Malta auf der anderen Seite liegen fast 40 Prozentpunkte Differenz. Zwischen 1995 und 2006 ist die Arbeitsnachfrage der Unternehmen in Europa Erwerbsbeteiligung steigt gestiegen (Tab. 10, rechte Spalte). Im Jahre 2006 waren innerhalb der EU-15 66,2 % der 15bis 64-Jährigen am Erwerbsleben beteiligt gegenüber 60,1 % im Jahr 1995. Besonders stark wuchs dabei die Arbeitsmarktbeteiligung in Spanien, Irland, den Niederlanden und Finnland (+15 % bis +38 %). Österreich und Schweden verzeichnen von den Ländern, die zum bisherigen Kerneuropa zählen, den geringsten Anstieg der Erwerbsbeteiligung. In den Beitrittsstaaten findet sich mit einigen Ausnahmen ein ähnliches Muster wie in Westeuropa. Allerdings können hier häufig nur Veränderungen zwischen 2000 und 2006 beobachtet werden. In diesem vergleichsweise kurzen Zeitraum stieg die Erwerbsbeteiligung vor allem in Ungarn, Estland und Lettland. Die Erwerbsorientierung in Europa hat sich damit insgesamt erhöht. Rumänien und Polen sind Sonderfälle innerhalb Europas. Hier nimmt die Erwerbsbeteiligung ab (vgl. Glass/ Kawachi 2005; OECD 2006e; Vlad 2004). In der Folge dieser Gesamtentwicklung hat sich die Variation der Erwerbsbeteiligung in Europa im Zeitverlauf verringert (SD 1995: 7,1; 2006: 6,0). Für Frauen und Männer verläuft diese Entwicklung nicht einheitlich, denn Erwerbsbeteiligung von Frauen steigt in Westeuropa innerhalb der Europäischen Union hat in den letzten Jahren vor allem die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt zugenommen. Damit schrumpfen im Zeitverlauf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Im Durchschnitt des bisherigen Kerneuropas stieg die Erwerbsbeteiligung von Frauen zwischen 1995 und 2006 von 49,7 auf 58,7 %, während die der Männer im selben Zeitraum um drei <?page no="136"?> 7.3 Arbeitslosigkeit 137 Prozentpunkte auf 73,6 % zunahm. Bei den Männern ist der Anstieg der Erwerbsquoten besonders deutlich in Spanien und Irland. Vor allem in Rumänien und Polen, aber auch in Österreich und Deutschland sinkt die Erwerbsbeteiligung von Männern. Die größten Zuwächse bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen lassen sich in den EU-Kernländern Spanien, Irland, Italien, den Niederlanden und Griechenland beobachten (vgl. Jaumotte 2003; Kaiser 2006). In den Beitrittsnationen liegt ein etwas anderes Muster vor. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern nimmt zwar in den meisten Ländern die Erwerbsbeteiligung zu. Dass sie bei den Frauen stärker als bei den Männern steigt, ist jedoch nicht durchgehend beobachtbar. Am ehesten an die Muster der EU-15 angelehnt, verläuft die Entwicklung in Zypern, Malta, Ungarn, Estland und Bulgarien, da hier Frauen höhere Zuwachsraten bei der Erwerbsbeteiligung haben. Im Ergebnis dieser Entwicklung haben sich Konvergenz der Erwerbsbeteiligung die Muster der Arbeitsmarktintegration von Männern und Frauen, und die damit verbundenen Einkommens- und Wohlstandschancen, vor allem in der bisherigen Kernunion stärker aneinander angepasst. 7.3 Arbeitslosigkeit Methodische Hinweise Datengrundlage des Abschnitts sind Eurostat-Angaben. Die Arbeitslosenquote ist der Anteil der Arbeitslosen an der Erwerbsbevölkerung. Die Erwerbsbevölkerung ist die Summe der Erwerbstätigen und der Arbeitslosen. Nach der Eurostat-Definition zählen zu den Arbeitslosen alle Personen von 15 bis 74 Jahren, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung ohne Arbeit waren. Arbeitslosigkeit geht in den meisten europäischen Staaten mit hohen Armutsrisi- Arbeitslosigkeitsrisiken sozial strukturiert ken, geringen Konsummöglichkeiten und direkter Abhängigkeit von staatlichen und privaten Unterstützungsleistungen einher. Arbeitslose sind daher von den mit der Integration in den Arbeitsmarkt zusammenhängenden Vergesellschaftungsprozessen weitgehend ausgeschlossen. Die Risiken, seine Arbeit zu verlieren, sind in modernen Gesellschaften nicht gleich verteilt, sondern sozial strukturiert. Hohe Risiken tragen Arbeitsmarkteinsteiger, ältere Arbeitnehmer, Migranten und Frauen. Über viele Jahrzehnte lag der Arbeitslosigkeitsdiskussion die Annahme zugrunde, dass von Erwerbslosigkeit primär jene betroffen sind, die sozioökonomisch schwächeren Gesellschaftsgruppen angehören, und dass Arbeitslosigkeit zur dauerhaften sozialen Ausgrenzung führt. Mit dem Einzug von biografischen Folgen von Arbeitslosigkeit und Längsschnittmethoden in die Arbeitslosigkeitsforschung wurde jedoch Arbeitslosigkeit zunehmend als ein Übergangsphänomen beziehungsweise als ein quasi normaler Bestandteil von Erwerbsverläufen verstanden, von dem auch Mittelschichten zunehmend betroffen sind (Kronauer et al. 1993; Mutz et al. 1995). <?page no="137"?> 138 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit In das Zentrum des Forschungsinteresses rückten neue Fragen: Nicht mehr nur das Herausfallen aus der Lohnarbeit, sondern vielmehr der (Wieder-)Eintritt, d. h. die Frage, in welcher Weise verschiedene Personengruppen aus Erwerbslosigkeit wieder einen Zugang zum Beschäftigungssystem finden, wurde stärker untersucht (Bernardi et al. 2000; Konietzka 2003; McArdle et al. 2007; Promberger et al. 2008). Damit verbreitete sich auch die Vorstellung, dass Arbeitslosigkeit nicht mehr zwangsläufig zu Verarmung, sozialer Deprivation, Apathie und Resignation führt, wie dies in der klassischen Arbeitslosigkeitsforschung beschrieben wurde (Jahoda et al. 2006 [1933]). Zumindest ein Teil der Erwerbslosen, so zeigten Studien bereits Mitte der 1990er-Jahre (Kronauer et al. 1993; Mutz et al. 1995), können auch Handlungs- und Gestaltungsoptionen in der Phase der Nichtbeschäftigung nutzen und entwickeln. Im Jahre 2007 war bei einer Arbeitslosigkeit von sieben Prozent jeder 14. Arbeit- Vollbeschäftigung nehmer der EU ohne Beschäftigung (Tab. 11). Am niedrigsten ist die Arbeitslosigkeit in den Niederlanden, Dänemark, Zypern, Litauen, Österreich, Irland, Luxemburg, Slowenien und Estland. Bei Quoten zwischen 3,2 und 4,9 % kann man für diese Länder von einer annähernden Vollbeschäftigung ausgehen. In der Bundesrepublik zeigen sich bei einer Arbeitslosenquote von 8,4 % trotz der Reformbemühungen der letzten Jahre große Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt (OECD 2008: 69ff.). Die hohe Arbeitslosigkeit (dritthöchste Quote in der EU-27) ist primär auf die Arbeitsmarktprobleme in Ostdeutschland zurückführbar, wo, ähnlich wie in Polen oder der Slowakei, die Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit den transformationsbedingten Restrukturierungen in den 1990er-Jahren stark angestiegen ist (Münich/ Svejnar 2007). Die Arbeitslosigkeit von Männern ist in Europa im Durchschnitt niedriger Arbeitslosigkeit von Männern in Europa niedriger als von Frauen als die von Frauen. Besonders häufig sind Frauen in südeuropäischen Staaten wie Griechenland, Spanien, Italien und Portugal ohne Job. Hier ist die Frauenarbeitslosigkeit teilweise doppelt so hoch wie die der Männer. Ein Grund ist die überwiegende Beschäftigung von Frauen in der Dienstleistungsbranche und in kleineren Betrieben. Daneben ist der öffentliche Sektor, in dem Frauen traditionell gute Beschäftigungsmöglichkeiten besitzen, weniger stark ausgebaut als in Skandinavien oder Deutschland (vgl. Abschnitt 7.4). Frauen arbeiten dadurch, trotz einer geringeren Quote von Schulabbrechern und einem höheren Anteil von Hochschulabsolventinnen, häufiger in unsicheren Jobs und sind Marktrisiken viel direkter ausgesetzt als Männer (Blossfeld/ Hofmeister 2006b; Cousins 1999; Flaquer 2000; Noguera 2006; Pisati/ Schizzerotto 2006; Zambarloukou 2007). Ferner ist unter den aktuellen Zuwanderern ein hoher Anteil weiblicher Migran- Arbeitslosigkeit von Frauen ten zu finden, was die Konkurrenz in eher »weiblichen« Arbeitsmarktsegmenten des tertiären Sektors (personenbezogene Dienstleistungen, Pflege, Tourismus) verstärkt hat (Ayres/ Barber 2006: 29). 24 Auch in einigen der osteuropäischen Bei- 24 Ergänzend führen Ferrera (1996) und Cousins (1999) politische und kulturelle Gründe für eine hohe Arbeitslosigkeit von Frauen in Südeuropa an. Auch Blossfeld/ Hofmeister <?page no="138"?> 7.3 Arbeitslosigkeit 139 | Tab. 11 Arbeitslosigkeit Frauen Männer Gesamt 1995 2000 2007 1995 2000 2007 1995 2000 2007 EU-15 11,9 9,2 7,7 8,6 6,4 6,4 10,0 7,6 7,0 Belgien 12,7 8,5 8,5 7,6 5,6 6,7 9,7 6,9 7,5 Dänemark 8,1 4,8 4,1 5,6 3,9 3,4 6,7 4,3 3,7 Deutschland 10,9 7,5 8,3 6,9 7,5 8,4 8,0 7,2 8,4 Irland 12,5 4,2 4,1 12,2 4,3 4,7 12,3 4,2 4,5 Griechenland 14,1 17,1 12,8 6,2 7,4 5,2 9,2 11,2 8,3 Spanien 24,6 16,0 10,9 14,8 7,9 6,4 18,4 11,1 8,3 Frankreich 13,1 10,9 8,8 9,4 7,6 7,9 11,1 9,1 8,3 Italien 15,4 13,6 7,9 8,6 7,8 4,9 11,2 10,1 6,1 Luxemburg 4,3 3,1 5,7 2,0 1,8 4,0 2,9 2,3 4,7 Niederlande 8,1 3,6 3,6 5,5 2,2 2,8 6,6 2,8 3,2 Österreich 5,0 4,3 5,0 3,1 3,1 3,9 3,9 3,6 4,4 Portugal 8,2 4,9 9,6 6,5 3,2 6,6 7,3 4,0 8,0 Finnland 15,1 10,6 7,2 15,7 9,1 6,5 15,4 9,8 6,9 Schweden 7,8 5,3 6,4 9,7 5,9 5,8 8,8 5,6 6,1 Großbritannien 6,8 4,8 4,9 9,9 5,8 5,5 8,5 5,3 5,2 Bulgarien - 9,8 7,3 - 16,7 6,5 - 16,4 6,9 Tschechien - 9,8 6,7 - 7,3 4,3 - 8,7 5,3 Estland 8,9+ 7,1 4,0 10,3+ 13,8 5,8 9,6+ 12,8 4,9 Zypern - 6,5 4,6 - 3,2 3,3 - 4,9 3,9 Lettland - 8,7 5,4 - 14,4 6,4 - 13,7 5,9 Litauen - 8,3 4,4 - 18,6 4,1 - 16,4 4,3 Ungarn 8,1+ 7,4 7,6 9,7+ 7,0 7,0 9,0+ 6,4 7,2 Malta - 9,0 7,6 - 6,4 5,7 - 6,7 6,3 Polen 13,0+ 19,1 10,4 9,1+ 14,4 9,0 10,9+ 16,1 9,6 Rumänien - 6,4 5,4 - 7,8 7,2 - 7,2 6,4 Slowenien 7,1+ 7,0 5,8 6,8+ 6,5 3,8 6,9+ 6,7 4,7 Slowakei - 17,2 12,8 - 18,9 10,0 - 18,8 11,3 EU-27 - 9,8 7,8 - 7,8 6,6 - 8,6 7,1 Quelle: Eurostat (2008b); +Wert: 1997. trittsnationen sind die Arbeitslosigkeitsrisiken von Frauen deutlich größer als die der Männer (Tschechien, Slowenien, Slowakei), was in der Literatur als negativer Effekt der Transformations- und Modernisierungsprozesse angesehen wird (Cazes/ Nesporova 2007; Lauerová/ Terrell 2002). Für die mittelfristige Entwicklung dieser Länder wird sich die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt vermutlich abschwächen, da auch hier inzwischen Frauen besser ausgebildet sind als Männer (Eurostat 2008b). In Estland, Rumänien, Lettland, Irland und Großbritannien haben Frauen hingegen ein geringeres Arbeitslosigkeitsrisiko als Männer, was sich vor allem auf eine bessere Humankapitalausstattung von weiblichen Arbeitnehmern (weniger gering qualifizierte Frauen, weniger Schulabbrecherinnen, mehr weibliche Hochschulabsolventen) zurückführen lässt (Azmat et al. 2004; Eamets/ Ukrainski 2000; European Commission 2007a; Eurostat 2008b; Evans 1998; Feldmann 2005). 25 (2006b: 439) argumentieren ähnlich: “A traditional male-oriented workplace culture denies women promotion opportunities […], while the rise in education for women makes women better qualified, adding to the frustration of the situation.” 25 Für Lettland und Estland wird dieser Sachverhalt mit einem Rückzug einer großen Gruppe von Frauen aus dem Erwerbsleben begründet. Feldmann (2005: 72) und <?page no="139"?> 140 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit Zwischen Mitte der 1990er-Jahre und dem Jahr 2007 lässt sich in Europa ein Arbeitslosigkeitsrückgang Rückgang der Arbeitslosigkeit um circa ein Drittel feststellen. Die steigende Integrationskraft des Arbeitsmarktes kann als Ausdruck der wirtschaftlichen Prosperität, der wachsenden Verflechtung europäischer Ökonomien und der steigenden Konkurrenzfähigkeit Europas auf den Weltmärkten interpretiert werden. Zusätzlich haben strukturelle Reformen der Arbeitsmärkte (Förderung Teilzeitarbeit, Senkung der Langzeitarbeitslosigkeit, steuerliche Anreize für die Schaffung von Arbeitsplätzen), verstärkte Übergänge in Rente, der Zuwachs an hoch qualifizierten Arbeitskräften, aber auch der Anstieg der Zuwanderung in einzelnen Mitgliedsländern die Arbeitsmarktsituation positiv verändert (Biagi/ Lucifora 2008; Arbeitslosigkeit von Frauen sinkt Blanchard 2006; OECD 2007g). Eine besonders deutliche Reduzierung der Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren im Baltikum, Irland, Bulgarien, Finnland, Spanien und den Niederlanden zu beobachten. In Irland und Litauen sank die Arbeitslosenquote 2007 sogar auf ein Drittel beziehungsweise ein Viertel des Niveaus von 1995 (bzw. 2000); ein weiterer Beleg für die ökonomischen Fortschritte dieser Länder in den letzten Jahren. Deutschland ist, neben zum Beispiel Portugal, eines der wenigen Länder, wo die Arbeitsmarktprobleme gegen den allgemeinen Trend zwischen 1995 und 2007 größer geworden sind. Diese Entwicklung wird vor allem durch die steigende Arbeitslosigkeit von Männern getragen, während die der Frauen zurückgegangen ist. Der Befund für die Bundesrepublik gilt tendenziell auch für die anderen europäischen Staaten: Die Arbeitslosigkeit von Frauen sinkt deutlicher als die der Männer. Damit diskriminiert der Arbeitsmarkt zwischen Männern und Frauen in einem geringeren Maße als je zuvor. Die strukturbildende Kraft dieser Arbeitsmarktdynamik für gesamtgesellschaftliche Prozesse ist nicht zu unterschätzen (z. B. Geburtenrückgang, Absinken des Erstheiratsalters, vgl. Kapitel 5). Im Zuge dieser Veränderungen, das zeigen die Berechnungen der Standardabweichungen der Arbeitslosigkeit, werden die Unterschiede innerhalb der Gruppe der europäischen Frauen geringer, während sie bei den Männern größer werden. Insgesamt kann man vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse von Transformation Erwerbsarbeit einer Transformation und Feminisierung der Erwerbsarbeit in Europa sprechen. Eamets/ Ukrainski (2000: 469) argumentieren, dass dies teilweise freiwillig geschieht, da Frauen sich stärker um Familie und Kinder kümmern wollen. Zum Teil erfolgt der Rückzug aus dem Erwerbsleben unfreiwillig, da schlichtweg Arbeitsplätze fehlen und der Ausstieg aus dem Arbeitsleben institutionell gefördert wird. Bei diesen Frauen handelt es sich häufig um Personen mit niedrigen Qualifikationen. Im Ergebnis hat sich die Qualifikationsstruktur der weiblichen gegenüber den männlichen Arbeitskräften verbessert. Vor allem in Großbritannien, aber auch in Irland lässt sich schon länger eine geringere Arbeitslosigkeit von Frauen als von Männern beobachten (Evans 1998; OECD 2006g). Erklären lässt sich dies mit einer günstigeren Humankapitalausstattung weiblicher Arbeitnehmer (Azmat et al. 2004; European Commission 2007a; Eurostat 2008b). Noch wichtiger ist nach Auffassung von Evans (1998) die verbesserte Unterstützung und rechtliche Absicherung für junge Frauen, die nach familien- oder kinderbedingten Erwerbsunterbrechungen in das Arbeitsleben zurückkehren. Diese sozialpolitischen Maßnahmen haben in Großbritannien die Arbeitslosigkeit von Frauen stark reduziert. <?page no="140"?> 7.4 Sektoraler und berufsstruktureller Wandel 141 7.4 Sektoraler und berufsstruktureller Wandel Methodische Hinweise Die Veränderung der sektoralen Struktur des Arbeitsmarktes wird über den prozentualen Anteil der Beschäftigten im primären (Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Fischerei), sekundären (Industrie und Bau) und tertiären Sektor (private und öffentliche Dienstleistungen) betrachtet. Grundlage ist die Eurostat-Arbeitskräfteerhebung. Der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Sektor wurde ebenfalls auf der Grundlage der Arbeitskräfteerhebung von Eurostat berechnet. Hierfür wurden unter Verwendung der NACE-Wirtschaftszweigklassifikation 26 der Europäischen Union die Bereiche zusammengefasst, in denen öffentliche Beschäftigung dominiert: NACE-Gruppen L (öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung), M (Erziehung, Unterricht) und N (Gesundheits- und Sozialwesen). Um den berufsstrukturellen Wandel in Europa abzubilden, wird der Anteil verschiedener Berufsgruppen an der Gesamtbeschäftigung auf der Grundlage der Arbeitskräfteerhebung von Eurostat dargestellt. Dabei handelt es sich um hoch qualifizierte Dienstleistungstätigkeiten, qualifizierte und einfache Dienstleistungstätigkeiten, qualifizierte Tätigkeiten in der Landwirtschaft, Industrie und auf dem Bau sowie unqualifizierte Tätigkeiten. Wir haben in den vorangegangenen Abschnitten bereits einige wesentliche Eigen- Wandel des Beschäftigungssystems, Wissen als axiales Prinzip schaften der europäischen Arbeitsmärkte diskutiert. Ein weiteres, zentrales Merkmal ist die sektorale und berufsstrukturelle Gliederung des Arbeitsmarktes und deren Veränderungen. Der sektorale und berufsstrukturelle Wandel wird in der Literatur mit Verweisen auf die Theorien der Dienstleistungsgesellschaft diskutiert. Folgt man den »klassischen« Dienstleistungstheorien von Fourastié (1954), Bell (1985) und Castells (1996), dann vollzieht sich in kapitalistischen Gesellschaften langfristig ein Wandel von der Industriezur Dienstleistungsgesellschaft (siehe auch Abschnitt 3.3). Demnach kommt es in zentralen gesellschaftlichen Bereichen durch Ausweitung der Management- und Planungsfunktion in den Unternehmen, durch eine Ausbreitung der Informationstechnologien sowie durch die Expansion von konsumorientierten Dienstleistungen, Marketing oder Werbung Dienstleistungstheorien zu massiven Umstrukturierungen. Die Industriegesellschaft ist nach Fourastié lediglich eine Übergangsgesellschaft. In der tertiären Gesellschaft wären 80 % der Beschäftigten im Dienstleistungsbereich und insgesamt nur etwa 20 % der Menschen in der Industrie und Landwirtschaft beschäftigt. Die Tertiarisierung der modernen Gesellschaft bringt darüber hinaus einen Wandel des Beschäftigungssystems in Richtung auf höher qualifizierte und physisch weniger belastende (Dienstleistungs-)Arbeit mit sich. Als Konsequenz wird das Beschäftigungssystem 26 Die »Nomenclature générale des activités économiques dans les Communautés Européennes (NACE)« ist ein System zur Klassifizierung von Wirtschaftszweigen, das von der Europäischen Union auf der Grundlage »International Standard Industrial Classification of all Economic Activities« der UN 2001 entwickelt wurde. <?page no="141"?> 142 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit von einer Klasse professioneller und technisch qualifizierter Berufe dominiert. Das Wissen, nach Bell das »axiale Prinzip« der post-industriellen Gesellschaft, wird Grundlage von technischen, politischen und sozialen Innovationen. Technologische Entwicklungsmöglichkeiten nehmen einen breiteren Raum ein. Damit tritt die Informationstechnologie als neue Technologie neben die Maschinentechnologie (Bell 1985: 257ff.). Wissen als axiales Prinzip post-industrieller Dienstleistungsgesellschaften: Bell (1985: 29ff., 52ff., 119ff.) argumentiert, dass von den drei zentralen Machtquellen »Eigentum/ Verfügung über Kapital«, »Wissen« und »Macht« das Wissen allmählich das Übergewicht erhält. In der post-industriellen Gesellschaft dominiert die Klasse der Wissenschaftler, Techniker und politischen Technokraten. Die wissenschaftliche Analyse wird in dieser Lesart zur dominierenden Weltinterpretation, und technische Problemlösungen werden zum Paradigma gesellschaftlicher Steuerung. Damit verschieben sich Wertorientierungen, Konfliktlinien und Herrschaftsstrukturen in der post-industriellen Gesellschaft, und das Privateigentum stellt nicht mehr das axiale Prinzip dieser neuen Gesellschaftsformation dar. Die sogenannte Drei-Sektoren-Theorie markiert den Anfang der Diskussion um Drei-Sektoren- Theorie die Dienstleistungsgesellschaft. Im primären Sektor sind nach Fourastié (1954: 29ff.) mittlere Produktivitätssteigerungen möglich, im Sekundärsektor sind dauerhaft relativ hohe Steigerungsraten denkbar. Im Tertiärsektor finden sich die niedrigsten Rationalisierungs- und Produktivitätspotenziale, denn der Anwendbarkeit moderner Technologien sind hier Grenzen gesetzt. 27 Die Kombination aus der Freisetzung von industriellen Arbeitskräften, den geringen Rationalisierungspotenzialen im Dienstleistungssektor und dem veränderten Nachfrageverhalten der Menschen sorgt dann dafür, dass der »unproduktivere« Tertiärsektor sehr viele Arbeitskräfte absorbieren kann. Damit wird in der Theorie von Fourastié (1954: 29ff., 66ff., 241ff.) die Entstehung der Dienstleistungsgesellschaft doppelt begründet: mit divergierenden Entwicklungspotenzialen von Technologie und Produktivität in einzelnen volkswirtschaftlichen Sektoren und mit einer Verschiebung der Struktur der Nachfrage von der physischen Existenzsicherung hin zur Befriedigung von Freizeit- und Konsumbedürfnissen. Nach einem Vorschlag von Scharpf (1986) ist zur Abschätzung der Arbeitsmarkteffekte der Tertiarisierung eine Unterscheidung zwischen produktionsnahen und konsumorientierten Diensten hilfreich. 28 Beide Bereiche unterschei- 27 Man kann das an den Produktivitätsunterschiedenbei Beschäftigten im Gesundheitssektor und in der Automobilindustrie verdeutlichen. Letztere Gruppe hat in Deutschland ihre Produktivität in den letzten 30 Jahren um etwa den Faktor acht gesteigert. Auch Beschäftigte im Gesundheitssektor sind heute produktiver denn je, aber weit davon entfernt, Produktivitätszuwächse zu realisieren, wie sie in der Industrie üblich sind. 28 Produktionsorientierte Dienstleistungen entstehen im Zuge der Rationalisierung der industriellen Produktion. Forschung, Entwicklung, Marktforschung, Werbung, Finanzierung, Transport, Management, Organisation oder Rechnungswesen werden immer wichtiger gegenüber der eigentlichen Herstellung von Produkten. Zu den personen- und konsumbezogenen Dienstleistungen zählen Dienste in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Bildung, Unterhaltung, Freizeitgestaltung, Ernährung, Fremdenverkehr, aber auch sachbezogene Instandsetzungs- und Bewachungsleistungen (Heidenreich 1997; Scharpf 1986). <?page no="142"?> 7.4 Sektoraler und berufsstruktureller Wandel 143 den sich im Hinblick auf die Beschäftigungsmöglichkeiten, was Scharpf mit diverproduktionsnahe und konsumorientierte Dienstleistungen gierenden Rationalisierungspotenzialen und zusätzlich über die institutionelle Ordnung moderner Gesellschaften begründet. 29 Vor allem bei den konsumorientierten Dienstleistungen sind größere Beschäftigungspotenziale zu vermuten. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass sich die geringere Arbeitsproduktivität in diesem Bereich auch in einer entsprechenden Lohnentwicklung widerspiegelt, sonst drohen die von Baumol (1967) beschriebene Kostenkrankheit und das Verschwinden des Dienstleistungsangebots vom Markt. 30 Uno-actu- Prinzip Dass die Arbeitsproduktivität in den konsumorientierten und personenbezogenen Dienstleistungen niedrig ist und sich nur begrenzt steigern lässt, wird auf den Uno-actu-Zusammenhang von Dienstleistungsproduktion und Konsum zurückgeführt: Bei vielen konsumbezogenen Dienstleistungen setzt die Erbringung der Dienstleistung die Anwesenheit oder die aktive Mitwirkung der Klienten voraus. Daraus und aus der zeitlich schwankenden Inanspruchnahme dieser Dienste folgt, dass Überkapazitäten auf der Anbieterseite erforderlich sind, die einer Durchrationalisierung der Dienstleistungsproduktion entgegenstehen (Scharpf 1986: 15). Wegen der niedrigen Wertschöpfung in den konsumorientierten Dienstleistungen ist die Arbeitsnachfrage in diesem Bereich weitgehend auf Niedriglohnberufe beschränkt. Im öffentlichen Sektor kann der Staat durch Subventionen (zum Beispiel in der Kinderbetreuung) das Angebot aufrechterhalten. Die Beschäftigungspotenziale im produktionsbezogenen Dienstleistungsbereich sind geringer einzuschätzen. Das liegt vor allem daran, dass das Uno-actu-Prinzip nicht zum Tragen kommt. Im Gegenteil, allenfalls bei der Auftragserteilung und gegebenenfalls bei der Übergabe des erledigten Auftrags kommt es zu einem zeitlich und örtlich synchronisierten Zusammentreffen von Auftraggeber und Auftragnehmer. In der heutigen Zeit ist selbst das angesichts der Möglichkeiten moderner Kommunikationstechnologien keine Selbstverständlichkeit mehr. Gleichzeitig sind in den produktionsbezogenen Dienstleistungen moderne Informations- und Kommunikationstechnologien unabdingbare Voraussetzungen der Dienstleistungsproduktion. Damit ergeben sich in diesem Bereich insgesamt größere Rationalisierungspotenziale als in den konsumbezogenen Dienstleistungen. Deshalb wird es in produktionsnahen Diensten aller Wahrscheinlichkeit nach auch zukünftig keine über die Nachfrageausweitung hinausgehende Beschäftigungsentwicklung geben (Dølvik 2001; Gottschall 2000). Empirisch lässt sich bestätigen, dass sich die sektorale Struktur der Arbeitsmärkte Dienstleistungsindustrie als dominierender ökonomischer Bereich in Europa in den letzten Jahren stark verändert hat. Zwar arbeitet noch immer ein signifikanter Teil der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe. Der Dienstleistungsbereich ist jedoch inzwischen zum wichtigsten ökonomischen Sektor geworden (Tab. 12). Noch in den 1970er-Jahren war der Anteil der in der Landwirtschaft 29 Positive Arbeitsmarkteffekte sind durch Tertiarisierung nicht per se zu erwarten. Die Beschäftigungsentwicklung in der Dienstleistungsgesellschaft hängt nach Scharpf (1986) von der Einkommensverteilung (1), der Höhe steuerlicher Abgaben und der Sozialversicherungsabgaben, die direkten Einfluss auf den Preis von Dienstleistungen haben (2), und darüber hinaus vom Umfang der öffentlich finanzierten Dienstleistungen (3) ab. Bei hoher Einkommensungleichheit und niedriger Abgabenquote können sich private Dienste wie in den USA, trotz niedriger Produktivität, am Markt halten. Umgekehrt können bei niedriger Einkommensungleichheit und hoher Abgabenquote die wenig produktiven Dienste expandieren, wenn sie wie in den skandinavischen Wohlfahrtsregimes staatlich finanziert werden (Dølvik 2001; Gottschall 2000). 30 In der Theorie der Kostenkrankheit wird darauf hingewiesen, dass der Dienstleistungssektor dann nicht expandieren wird, wenn die dortige Lohnentwicklung nicht an die Produktivität gekoppelt ist. Wenn der Dienstleistungssektor dasselbe Lohnniveau und vergleichbare Lohnsteigerungsraten aufweist wie im produzierenden Sektor, dann wird das Dienstleistungsangebot vom Markt verschwinden oder es muss künstlich durch staatliche Intervention am Markt gehalten werden. <?page no="143"?> 144 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit Beschäftigten um ein Mehrfaches höher als zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Der Beschäftigungsanteil des produzierenden Gewerbes und der Dienstleistungsökonomie war in einigen Ländern (zum Beispiel Deutschland, Italien, Griechenland) etwa gleich bedeutsam. In den meisten anderen (west-)europäischen Staaten dominierte schon zu Beginn der 1970er-Jahre der tertiäre Arbeitsmarktbereich. Tab. 12 | Sektorale Umschichtung der Erwerbsbevölkerung Primärer Sektor Sekundärer Sektor Tertiärer Sektor 1970 1991 1998 2006 1970 1991 1998 2006 1970 1991 1998 2006 EU-15 16,2 7,6 5,0 4,0 37,4 28,6 29,3 26,1 54,0 73,0 65,7 69,9 Belgien 5,0 2,0 2,5 2,2 42,0 25,0 27,0 24,5 53,0 73,0 70,5 73,3 Dänemark 11,0 5,6 3,9 3,3 36,0 28,0 26,3 23,1 53,0 66,0 69,8 73,6 Deutschland 8,0 3,4 3,3 2,7 48,0 35,0 33,9 29,4 44,0 62,0 62,8 67,9 Irland 25,0 13,0 9,4 6,2 31,0 24,0 28,3 26,8 56,0 73,0 62,2 67,0 Griechenland 41,0 22,0 18,4 12,4 27,0 27,0 22,8 21,7 32,0 51,0 58,9 65,9 Spanien 25,0 10,0 8,1 5,3 37,0 31,0 30,1 29,0 38,0 59,0 61,8 65,7 Frankreich 15,0 5,7 4,6 4,3 37,0 26,0 26,1 23,4 48,0 69,0 69,3 72,3 Italien 16,0 8,9 6,1 4,5 42,0 29,0 32,4 29,9 42,0 63,0 61,5 65,6 Luxemburg 9,4 3,1 3,1 1,9 44,3 29,7 21,4 16,6 46,3 67,1 75,5 81,5 Niederlande 6,0 4,0 3,7 3,2 36,0 24,0 22,6 20,2 58,0 72,0 73,8 76,6 Österreich 14,0 7,0 6,8 5,8 42,0 37,0 29,3 27,9 56,0 56,0 64,0 66,3 Portugal 30,0 11,0 14,1 12,0 30,0 33,0 34,8 30,2 40,0 56,0 51,1 57,7 Finnland 20,0 8,0 7,3 5,0 34,0 29,0 28,0 25,5 46,0 63,0 64,6 69,5 Schweden 8,0 4,0 3,3 2,4 39,0 28,0 25,7 21,7 53,0 68,0 71,1 75,9 Großbritannien 3,0 2,1 2,1 1,7 42,0 25,0 26,3 21,6 55,0 73,0 71,6 76,7 Bulgarien - - - 9,3 - - - 33,2 - - - 57,4 Tschechien 13,5# 10,0 7,4 4,9 49,4# 45,9 39,7 38,8 37,0# 44,0 52,9 56,3 Estland - - 10,4 5,8 - - 31,9 32,8 - - 57,7 61,5 Zypern - - 4,8* 4,5 - - 24,2* 22,5 - - 71,0* 73,1 Lettland - - 19,1 11,5 - - 27,0 26,5 - - 53,9 62,0 Litauen - - 19,7 12,7 - - 28,9 29,4 - - 51,4 57,9 Ungarn - 11,4+ 8,1 5,2 - 35,6+ 34,0 31,9 - 53,0+ 57,9 62,9 Malta - - - 2,2 - - - 27,7 - - - 70,1 Polen - 25,0 19,2 17,4 - 31,5 32,1 28,4 - 43,5 48,8 54,2 Rumänien - - 43,8 31,9 - - 26,9 29,4 - - 29,3 38,7 Slowenien - - 13,0 10,2 - - 38,6 34,9 - - 48,4 54,9 Slowakei - 10,2~ 9,7 5,1 - 39,7~ 37,8 38,1 - 50,1~ 52,4 56,8 EU-27 - - 7,9 6,4 - - 29,7 27,1 - - 62,4 66,5 Quelle: Eurostat Arbeitskräfteerhebung 2007 für 1998, 2006 eigene Berechnungen; Haller (1997) für 1970, 1991; #1975, +1992, ∼ 1994, ∗ 1999; Angaben in %. In den 1990er-Jahren hat der tertiäre Strukturwandel in allen betrachteten Ländern an Dynamik gewonnen. Zwischen 1998 und 2006 verzeichneten die europäischen Länder im produzierenden Gewerbe einen Verlust von etwa einer Million Arbeitsplätzen. Auch in der Landwirtschaft setzte sich in den 1990er-Jahren der Beschäftigungsrückgang fort. Hier verloren etwa zwei Millionen Personen ihren Arbeitsplatz. Dabei fiel der Beschäftigungsabbau in der Landwirtschaft von Beitrittsländern wie der Slowakei, Ungarn oder den baltischen Staaten sowie in Spanien, Irland und Griechenland besonders deutlich aus. Gleichzeitig wurden in diesem Zeitraum circa 19 Millionen Arbeitsplätze in der Dienstleistungsindustrie neu geschaffen (Eurostat Arbeitskräfteerhebung 2007, eigene Berechnungen). Diese beobachtbare Verschiebung innerhalb der sektoralen Struktur des europäischen <?page no="144"?> 7.4 Sektoraler und berufsstruktureller Wandel 145 Arbeitsmarktes befindet sich weitgehend in Übereinstimmung mit der Theorie der post-industriellen Gesellschaft (Bell 1985; Fourastié 1954; Scharpf 1986). Im Jahr 2006 arbeiten innerhalb der bisherigen Kernunion zwischen zwei Drithohe Tertiarisierung in Dänemark, Schweden, den Niederlanden, Großbritannien und Luxemburg tel und drei Viertel aller Beschäftigten in der Dienstleistungsökonomie; das entspricht einer Steigerung um 30 % gegenüber den 1970er-Jahren. Nur noch jeder vierte westeuropäische Arbeitnehmer ist in der Industrie zu finden. Besonders stark ist die Tertiarisierung in Dänemark, Schweden, den Niederlanden, Großbritannien und Luxemburg vorangeschritten, wo zwischen 74 und 82 % der Beschäftigten im Dienstleistungssektor beschäftigt sind. Zum Vergleich: Die USA hatten 2002 einen Beschäftigungsanteil von 76 % im tertiären Sektor (UNDATA 2008). In Osteuropa ist die Tertiarisierung deutlich geringer ausgeprägt als in den westeuropäischen Staaten oder den USA. Der geringste Anteil von Beschäftigten im Dienstleistungsbereich findet sich in Rumänien, Polen und Slowenien. Einen mittleren Anteil von Beschäftigten im Dienstleistungsbereich weisen die mittel- und südeuropäischen Staaten auf (circa zwei Drittel der Arbeitnehmer). Mit dem Ost-Westbeziehungsweise Nord-Süd-Gefälle der Tertiarisierung korrespondiert ein vergleichsweise stark ausgebauter landwirtschaftlicher Sektor in ost- und südeuropäischen Staaten (Slowenien, Lettland, Portugal, Griechenland, Litauen). Polen und vor allem Rumänien sind gesondert zu erwähnen, da hier im Jahr 2006 ein in Relation zum EU-15-Durchschnitt dreifacher beziehungsweise sechsfacher Anteil von Beschäftigten in der Landwirtschaft zu finden war. In Ungarn, Estland, Bulgarien, Slowenien, der Slowakei und Tschechien sorgen die Unternehmen des produzierenden Gewerbes auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts für eine vergleichsweise starke Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Hier sind immer noch zwischen 32 und 39 % der Beschäftigten in der Industrie oder auf dem Bau tätig, obwohl zwischen Anfang und Mitte der 1990er-Jahre ein Abbau der Industriebeschäftigten stattfand. Die seit Anfang der 1990er-Jahre den Weltmärkten ausgesetzten (ehemals staatlichen) Industrieunternehmen bauten damals zur Sicherung ihrer Überlebensfähigkeit massiv Personal ab (Stark/ Bruszt 1998). Inzwischen hat sich die Industriebeschäftigung in Osteuropa konsolidiert, und es zeigen sich auch die Effekte der Auslagerung von Industrieproduktion aus Hochlohnländern wie der Bundesrepublik oder Schweden (Hunya 2004). Ein Blick auf den Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst offenbart, dass sich die Etablierung der Dienstleistungsgesellschaft in Europa auf unterschiedliche Weise vollzogen hat. Dazu wird im Schaubild 15 der Anteil der Beschäftigten in den Wirtschaftszweigen zusammengefasst, in denen öffentliche Beschäftigung dominiert (öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung, Erziehung, Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen). 31 31 Durch dieses Verfahren wird der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in den Ländern leicht überschätzt, in denen z. B. im vorschulischen Erziehungsbereich auch nichtstaatliche Institutionen eine Rolle spielen (Großbritannien, Irland, Niederlande, Belgien). Alternativ könnte man nur die Bereiche öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung thematisieren. Dadurch würde jedoch der Anteil der Beschäf- <?page no="145"?> 146 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit Schaubild 15 | Beschäftigte im öffentlichen Sektor 5 10 15 20 25 30 35 40 4 7 9 1 5 9 9 1 6 0 0 2 Rumänien Spanien Bulgarien Tschechien Estland Slowenien Zypern Lettland Österreich Slowakei Litauen Portugal Irland Ungarn Italien Polen Deutschland EU 15 Malta Finnland Frankreich Luxemburg Griechenland Großbritannien Niederlande Dänemark Belgien Schweden Quelle: Eurostat Arbeitskräfteerhebung 2007, eigene Berechnung; Haller (1997) 1974. In Spanien, Irland und mit gewissen Einschränkungen in Italien ist der Wandel von einer agrarisch geprägten Gesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft mit einem moderaten Ausbau öffentlicher Dienstleistungen verbunden, wie auch der Vergleich mit dem sektoralen Wandel in Tabelle 12 zeigt. In diesen Ländern hat sich in den letzten drei Jahrzehnten vor allem der Anteil der Beschäftigten im privaten Dienstleistungssektor stark erhöht (personen- und konsumbezogenen Dienstleistungen, Handel, Tourismus). In Skandinavien, Belgien und Frankreich ist die Tertiarisierung in den letzten drei Jahrzehnten eng mit einem Wachstum der Beschäftigung in den Bereichen öffentliche Verwaltung, Bildung, Gesundheits- und Sozialwesen und einem gleichzeitigen Rückgang der Industriebeschäftigung verbunden. Aktuell liegt der Anteil der Gesamtbeschäftigten im öffentlichen Dienst in diesen Ländern bei 31 bis 36 %. Damit arbeiten vier bis fünf von zehn Dienstleistungsbeschäftigten im öffentlichen Sektor. Für die osteuropäischen Beitrittsländer sind andere Muster zu beobachten: Der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft und der Industrie ist in den meisten dieser Staaten noch tigten im öffentlichen Dienst stark unterschätzt werden, da in vielen europäischen Staaten der überwiegende Teil der Beschäftigten in den Bereichen Erziehung, Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen in öffentlichen Betrieben arbeitet. Zudem ähneln Arbeitsbedingungen, Entlohnung, Betriebsgröße oder Beschäftigungssicherheit in beispielsweise nichtstaatlichen Einrichtungen des Bildungs- oder Gesundheitssektors sehr viel stärker denen in staatlichen Einrichtungen dieser Bereiche als beispielsweise in der Industrie- und Baubranche oder im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen. <?page no="146"?> 7.4 Sektoraler und berufsstruktureller Wandel 147 immer deutlich höher als in allen anderen betrachteten europäischen Ländern. Auch der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist deutlich niedriger als in den westeuropäischen Staaten, was auch auf den Abbau der Beschäftigung im öffentlichen Dienst und die Privatisierung von im staatlichen Besitz befindlichen Unternehmen in den 1990er-Jahren zurückzuführen ist (Åslund 2002: 255ff.; Gabrisch/ Hölscher 2007: 60ff.). Estland, Lettland, Tschechien und Bulgarien sind Beispiele für einen mittleren bis niedrigen Anteil von Arbeitnehmern im tertiären Sektor (vgl. Tab. 12), der allerdings primär auf dem Wachstum des privaten Dienstleistungsbereichs und einer relativ geringen öffentlichen Beschäftigung basiert. 32 Trotz weiter bestehender nationaler Unterschiede kann man vor dem Hinter- Angleichung der Arbeitsmarktstrukturen grund dieser Ergebnisse für Europa als Wirtschafts- und Sozialraum davon ausgehen, dass im Zuge der Ablösung der Industriedurch die Dienstleistungsgesellschaft eine Angleichung der sektoralen Strukturen des Arbeitsmarktes vonstatten geht. Statistisch lässt sich diese Beobachtung absichern: Die Streuung der Beschäftigungsquoten hat im primären, sekundären und tertiären Arbeitsmarktbereich in den letzten Jahren abgenommen. Berufsstruktureller Wandel des Arbeitsmarkts Der tertiäre Strukturwandel hat Konsequenzen für die Beschäftigungsverhältnisse und die Berufsstrukturen. In der Forschung wurde in den letzten Jahren vielfach beschrieben, dass Tertiarisierungsprozesse eine Restrukturierung und Polarisierung der Beschäftigungsverhältnisse, der Entlohnung und der Arbeitsbedin- Restrukturierung des Beschäftigungssystems gungen mit sich bringen. Speziell in den konsumorientierten Diensten gehören schlecht bezahlte und prekäre Jobs zum Standard. In den produktionsnahen Dienstleistungen dominieren hingegen Berufe für Menschen mit hohen Qualifikationen, die sicherer sind und besser entlohnt werden. Getragen wird diese Entwicklung in den westlichen Gesellschaften vor allem durch eine starke Ausweitung der Arbeitsmarktnachfrage nach hoch qualifizierten Dienstleistungstätigkeiten und einer geringer werdenden Nachfrage nach qualifizierten und unqualifizierten Arbeitnehmern für Tätigkeiten im produzierenden Gewerbe (Acemoglu 2002; Card/ DiNardo 2002; Katz/ Autor 1999). Für den tertiarisierten Arbeitsmarkt wird angenommen, dass ein breiter Zugriff auf das Leistungsvermögen der Arbeitnehmer mit erhöhten Anforderungen an Flexibilität und soziale und prozessbezogene Qualifikationen einhergeht. Diese Entwicklung korrespondiert mit einer Ablösung oder Aufweichung von sogenannten Normalarbeitsverhältnissen, die zugunsten atypischer Beschäftigungsverhältnisse zurückgedrängt werden (Breen 1997; Kalleberg 2000; Keller/ Seifert 1995; Offe 1982; Walwei 1996). Die Folge ist eine Entstandardisierung der Arbeitsabläufe, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen sowie eine Verschiebung in den betrieblichen und 32 Zahlenreihen für die Beschäftigung im öffentlichen Dienst seit Anfang der 1970er-Jahre liegen leider nicht komplett vor. Eine Aussage für die betrachteten Länder ist daher schwierig. Tendenziell zeigt sich jedoch, dass es in Europa trotz Privatisierung und Liberalisierung keinen Rückgang der Beschäftigung im öffentlichen Sektor geben hat. Einzig in Italien und Spanien ist seit Mitte der 1990er-Jahre ein gewisser Abbau von Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung, dem Bildungsbereich und dem Gesundheits- und Sozialwesen feststellbar. <?page no="147"?> 148 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit überbetrieblichen Entlohnungsstrukturen. Ein wesentlicher Teil der Arbeitsplätze wird in den konsumorientierten Dienstleistungen aufgrund der niedrigen Wertschöpfungsraten schlecht bezahlt. Auch die Befristung von Arbeitsverträgen und die Zunahme projektbezogener Anstellungen - wie sie inzwischen in vielen Bereichen der Dienstleistungsindustrie üblich sind (Internet, Werbung, Medien, Film, Marketing) - hat negative Folgen für Entlohnung und sonstige Gratifikationen. Ausgenommen davon sind hoch qualifizierte Beschäftigte, wie Giesecke und Groß (2003) zeigen können. Gleichzeitig ist in den produktionsorientierten Dienstleistungen die Zahl sehr gut bezahlter Arbeitsplätze gewachsen. DiPrete et al. (2002) weisen darauf hin, dass Wertschöpfung viel stärker über arbeitsorganisatorische und auch zwischenbetriebliche Grenzen hinweg stattfindet. Die Gruppe der Analysten, Strategen, Problemlöser und Manager wird so für die Unternehmen immer wertvoller. Im Zuge dieser Entwicklung verringern sich die Gratifikationen nach Betriebszugehörigkeiten, und die Beschäftigten werden stärker nach Qualifikation und Berufserfahrung bezahlt. Hoch qualifizierte Arbeitnehmer (zum Beispiel Analysten) profitieren von diesem Strukturwandel, während gering qualifizierte Dienstleister und manuelle Arbeiter Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Anfang der 1960er-Jahre lag der Anteil der hoch qualifizierten Dienstleistungsbe- 1960er- und 1970er-Jahre: qualifizierte Arbeitnehmer stark nachgefragt rufe an der Gesamtbeschäftigung in den westeuropäischen Industrienationen zwischen zehn und 15 % (Haller 1997: 398). Zu diesem Zeitpunkt dominierte die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitnehmern für Industrie, Bau und Landwirtschaft, wie dies für das fordistische Akkumulationsregime typisch war (siehe hierzu Bell 1985: 116ff.; Lutz 1989: 219ff.). Der Beschäftigungsanteil dieser Gruppe lag in Europa zwischen 35 und 43 %. Der Anteil von unqualifizierten Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt war hingegen gering in Europa. Qualifizierte und einfache Dienstleistungstätigkeiten wurden bereits relativ stark nachgefragt, was sich in einem Beschäftigungsanteil von 28 bis 38 % niederschlug (Haller 1997: 398). Anfang des 21. Jahrhunderts finden wir gegenüber den 1960er- und 1970er-Jahren eine andere Zusammensetzung der Berufsstruktur Europas (Tab. 13). Der Anteil der hoch qualifizierten Dienstleistungsberufe in Europa nahm zu, während der der qualifizierten starker Anstieg der Nachfrage nach Hochqualifizierten Tätigkeiten im primären und sekundären Sektor sank. Aktuell ist in Großbritannien, Belgien, Irland und den Niederlanden der größte Anteil hoch qualifizierter Dienstleistungstätigkeiten in Europa zu beobachten. Hier nimmt fast jeder dritte Arbeitnehmer eine solche Position ein. Einen mittleren Umfang hoch qualifizierter Dienstleistungsjobs weisen unter anderem Schweden, Dänemark, Frankreich und Slowenien auf. Den geringsten Arbeitsmarktanteil solcher Jobs findet sich in Rumänien, Portugal, Slowakei, Österreich, Tschechien und Zypern (zwischen 13 und 18 %). Auch im Bereich der qualifizierten und einfachen Dienstleistungen haben sich in den letzten Jahrzehnten deutliche Veränderungen ergeben. Im Durchschnitt liegt der Anteil dieser Berufe an der Gesamtbeschäftigung in der bisherigen Kernunion inzwischen bei 42,5 % gegenüber einem Beschäftigungsanteil von etwas über 30 % zu Anfang der 1960er-Jahre (Haller 1997: 398). In Ländern wie Dänemark, Schweden, der Bundesrepublik, Großbritannien, Österreich oder Italien sind in diesem Segment der Berufsstruktur zwischen 1970 und 2006 zweistellige Zuwachsraten zu beobachten. Für südeuropäische Länder wie Spanien, Portugal und Griechenland, aber auch für die Mehrheit der osteuropäischen Beitrittsnationen ist ein niedrigerer Anteil von qualifizierten und einfachen Dienstleistungsberufen festzustellen. Das Arbeitsmarktsegment der qualifizierten Jobs in der Land- <?page no="148"?> 7.4 Sektoraler und berufsstruktureller Wandel 149 | Tab. 13 Berufsstruktureller Wandel Hoch qualifizierte Dienstleistungen Qualifizierte, einfache Dienstleistungen Qualifizierte Tätigkeiten (Landwirtschaft, Industrie, Bau) Unqualifizierte Tätigkeiten 1998 2006 1998 2006 1998 2006 1998 2006 EU-15 22,0 23,3 41,0 42,5 28,3 24,3 8,7 9,9 Belgien 31,1 33,4 36,6 37,7 23,6 19,5 8,6 9,3 Dänemark 19,5 23,5 45,9 46,4 21,9 19,5 12,7 10,6 Deutschland 19,6 20,6 44,6 47,0 28,2 24,4 7,6 8,0 Irland 33,8 32,3 32,8 35,9 23,8 22,6 9,6 9,2 Griechenland 24,3 25,9 28,5 33,6 41,4 34,0 5,9 6,6 Spanien 20,6 20,3 32,3 36,3 33,0 28,6 14,1 14,7 Frankreich 19,6 22,2 43,7 41,9 28,8 26,0 7,8 9,8 Italien 14,2 19,3 43,8 43,7 33,0 27,6 8,9 9,4 Luxemburg 21,8 28,5 44,6 45,2 22,8 15,7 10,8 10,5 Niederlande 30,2 30,2 42,9 43,8 19,6 16,6 7,3 9,4 Österreich 17,9 17,3 41,4 46,3 31,7 25,8 8,9 10,6 Portugal 14,1 17,0 29,8 32,7 43,3 38,4 12,7 11,8 Finnland 26,1 27,3 37,6 39,6 28,6 25,0 7,7 8,1 Schweden 20,5 24,7 48,7 47,6 25,6 21,8 5,2 6,0 Großbritannien 30,9 29,6 39,7 43,0 21,4 16,9 8,1 10,6 Bulgarien 20,6+ 19,6 33,3+ 32,8 36,2+ 35,3 10,0+ 12,3 Tschechien 16,5 17,6 38,7 41,1 36,2 35,7 8,6 5,6 Estland 25,5 28,2 28,9 29,9 34,5 31,9 11,2 10,0 Zypern 15,4* 17,9 44,1* 42,6 26,5 23,0 13,9* 16,5 Lettland 19,6 21,6 28,7 32,6 38,2 33,8 13,5 12,0 Litauen 23,8 25,7 21,8 25,2 43,1 38,4 11,4 10,7 Ungarn 18,6 21,3 35,5 37,5 37,3 33,3 8,6 7,9 Malta 18,7+ 21,0 41,5+ 43,8 24,0+ 23,2 15,8+ 12,0 Polen 16,7 22,1 29,3 29,6 45,8 40,6 8,1 7,6 Rumänien 8,5 13,1 18,9 23,4 66,0 52,3 6,6 11,2 Slowenien 15,3 22,0 36,5 36,9 43,5 34,1 4,8 7,0 Slowakei 15,4 17,2 37,2 39,0 36,8 34,9 10,5 8,9 EU-27 20,5 22,5 38,3 40,2 32,6 27,6 8,6 9,7 Quelle: Eurostat Arbeitskräfteerhebung 2007, eigene Berechnungen; ∗ 1999, +2002; Angabe der prozentualen Verteilung der Berufsgruppen. wirtschaft, der Industrie und dem Bau ist hier größer als in anderen europäischen Staaten. Rumänien bildet das Schlusslicht mit dem geringsten Anteil von Beschäftigten in qualifizierten und einfachen Dienstleistungsberufen - ein Ausdruck des großen Nachholbedarfs im tertiären Sektor. Bei qualifizierten landwirtschaftlichen Tätigkeiten und qualifizierten Indus- Zuwachs niedrig qualifizierter Tätigkeiten trieberufen lässt sich in den letzten Jahrzehnten ein starker Arbeitsplatzabbau feststellen. Der Anteil dieser Arbeitsplätze an der Gesamtbeschäftigung hat sich zwischen Anfang der 1960er-Jahre und 2006 in etwa halbiert. Im Durchschnitt des bisherigen Kerneuropas geht noch jeder vierte Arbeitnehmer solchen Tätigkeiten nach. Auch in diesem Arbeitsmarktsegment gibt es Unterschiede innerhalb Europas: In den osteuropäischen Beitrittsnationen ist der Anteil dieser Tätigkeiten an der Gesamtbeschäftigung (zwischen 32 und 52 %) deutlicher höher als in Westeuropa. In Großbritannien, den Niederlanden und in Luxemburg ist nur noch jeder sechste Arbeitnehmer derart beschäftigt. Ein gegenläufiger Trend lässt sich für die <?page no="149"?> 150 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit unqualifizierten Berufe feststellen. Während Anfang der 1960er-Jahre innerhalb der EU-15 zwischen einem und fünf Prozent der Erwerbstätigen unqualifizierten Berufen nachgingen (Haller 1997: 398), sind es am Anfang des 21. Jahrhunderts fast zehn Prozent der Beschäftigten. Besonders stark fiel dieser Trend in Schweden, Finnland und Österreich aus, wo Anfang der 1960er-Jahre nur etwa ein Prozent der Beschäftigten in unqualifizierten Berufen tätig war (Haller 1997: 398). Der Abschnitt hat gezeigt, dass Europa einen tertiären Wandlungsprozess erlebt, der zum einen die sektorale Zusammensetzung der Volkswirtschaften und zum anderen die Berufsstrukturen reorganisiert. Die Expansion des Dienstleistungssektors ist vor allem in den konsum- und personenbezogenen Diensten mit einem Beschäftigungswachstum verbunden, da die zeitliche Verknüpfung von Herstellung und Konsum dieser Dienstleistungen einer Durchrationalisierung entgegensteht und so ein hoher Personalaufwand erforderlich ist (Scharpf 1986). Die verfügbaren Daten lassen eine Unterteilung in personen-/ konsumbezogene und produktionsbezogene Dienstleistungen zwar nicht zu, die verwendeten amtlichen Statistiken machen jedoch deutlich, dass der Tertiarisierungsprozess in Europa sehr viele neue Jobs im Dienstleistungssektor geschaffen hat. In diesem Kontext lässt sich ein berufsstruktureller Wandel beobachten: Einerseits nimmt die hoch qualifizierte und qualifizierte Beschäftigung im Dienstleistungssektor zu, andererseits nehmen qualifizierte Tätigkeiten im produzierenden Gewerbe und in der Landwirtschaft ab, gleichzeitig steigt der Anteil unqualifizierter Arbeitnehmer. Diese Entwicklung hat für die Sozialstrukturen der europäischen Staaten Konsequenzen. Die individuellen Teilhabechancen am Arbeitsmarkt als der zentralen Vergesellschaftungsinstitution sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts ungleicher verteilt als noch in den 1970er-, 1980er- oder 1990er-Jahren. 7.5 Soziale Mobilität Definitionen Als Aufstiege können Wechsel einer Person von einer sozialstrukturellen Position in eine andere Position (meist gemessen über die Berufsposition) verstanden werden, bei denen die Person ein höheres Einkommen, mehr Einfluss oder ein höheres Prestige erlangt. Abstiege sind entsprechend als Positionswechsel zu verstehen, die mit einem niedrigeren Einkommen, weniger Einfluss oder geringerem Prestige einhergehen. Beide Formen der vertikalen sozialen Mobilität gelten als Maßstab für die Durchlässigkeit moderner Gesellschaften. Intergenerationale Mobilität bezeichnet den Wechsel der sozialen Position in der Generationenfolge, traditionell gemessen über einen Vergleich der Berufspositionen von Vätern und Söhnen. Bei intragenerationalen Mobilitätsanalysen werden die Aufstiegs- und Abstiegschancen innerhalb einer Generation (Geburtskohorten oder Altersgruppen) miteinander verglichen. <?page no="150"?> 7.5 Soziale Mobilität 151 Die sozialstrukturelle Forschung zum Thema soziale Mobilität geht auf Pitrim horizontale und vertikale Mobilität Sorokin zurück, der Mitte der 1920er-Jahre die Grundlagen der modernen Mobilitätsforschung gelegt hat. Von ihm stammt ein Großteil des begrifflichen Instrumentariums der Mobilitätsforschung. Sorokin definiert soziale Mobilität als jede vertikale oder horizontale Bewegung eines Individuums von einer sozialen Position in eine andere soziale Position der Sozialstruktur. Horizontale soziale Mobilität nennt er den Übergang von einer sozialen Gruppe zu einer anderen sozialen Gruppe auf demselben Niveau. Vertikale soziale Mobilität umfasst den Übergang eines Individuums von einer sozialen Schicht in eine andere. Dabei lassen sich Aufstiegs- und Abstiegsbewegungen in der ökonomischen, beruflichen und politischen Sphäre differenzieren (Sorokin 1927: 133). Konzeptionell unterscheidet intra- und intergenerationale Mobilität Sorokin dabei zwischen intragenerationaler und intergenerationaler Mobilität (Sorokin 1927: 394ff., 463ff.). Die aktuell wichtigsten Mobilitätskonzepte sind die vacancy-competition-Theorie und die Lebensverlaufsforschung. Die vacancycompetition-Theorie von Sørensen (1983; 2000) argumentiert stärker arbeitsmarktbezogen als die Lebensverlaufstheorie oder die klassischen Mobilitätstheorien. Sørensen definiert auf der Grundlage von Max Webers (1980 [1922]) Theorem offener und geschlossener Beziehungen Arbeitsmärkte beziehungsweise Teilarbeitsmärkte als Arenen, in denen abhängig Beschäftigte ihre Arbeitskraft gegen Lohn und Status tauschen, die aber gleichzeitig durch verschiedene strukvacancycompetition- Theorie, Lebensverlaufsforschung turelle Bedingungen gerahmt sind (z. B. Qualifikation der Arbeitskräfte, firmeninterner Arbeitsmarkt, gewerkschaftliches Mitspracherecht). Auf dieser Grundlage wird in der vacancy-competition-Theorie zwischen zwei Idealtypen des Arbeitsmarktes, dem geschlossenen und dem offenen Arbeitsmarkt, 33 unterschieden. In der Lebensverlaufsforschung werden auf der Grundlage von Längsschnittdaten Mobilitätsverläufe in ihrer zeitlichen Struktur untersucht. Im Vergleich zur übrigen soziologischen Mobilitätsforschung fokussiert die Lebensverlaufsforschung stärker auf intragenerationale Mobilität und bezieht andere Lebensbereiche wie die Familiensituation, die Wohnsituation oder die soziale Herkunft in die Untersuchung sozialer Mobilität mit ein (Blossfeld/ Huinink 2001; Mayer 1990a, 2001). 34 33 In geschlossenen Arbeitsmarkt-Systemen ist die Kontrolle des Managements über den Zugang zu Positionen und die Verteilung von Gratifikationen durch institutionelle Faktoren eingeschränkt. Die Verteilung von Gratifikationen ist stärker an Positionen und weniger stark an die Produktivität der Individuen in solchen Positionen gebunden. Mobilität entsteht durch die Schaffung neuer Stellen und die Fluktuation von Positionsinhabern. In einem offenen Arbeitsmarkt-System liegt die Kontrolle über Positionen und Gratifikationen fast vollständig in den Händen des Managements. Der Wettbewerb um Positionen ist schwächer als der um Gratifikationen. Die Mobilität in offenen Arbeitsmärkten ist vor allem deswegen höher als in geschlossenen Arbeitsmärkten, weil das Personal jederzeit entsprechend den Marktgegebenheiten ausgetauscht werden kann. 34 Der Lebensverlauf wird als ein selbstreferenzieller Prozess verstanden (Mayer 1990a: 10ff.; 2001: 448ff.): Individuen handeln auf der Grundlage kumulierter Erfahrungen und Ressourcen. Spätere Ereignisse sind zu erklären aus Bedingungen, Entscheidungen und Erfahrungen vorausgegangener Lebensabschnitte. Die Lebenszeit der Individuen wird als ein constraint für Handlungen gesehen. Es gibt sensible Phasen im Lebensverlauf wie <?page no="151"?> 152 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit In der Sozialstrukturforschung haben Analysen zur Mobilität auf dem Arbeitsmarkt beziehungsweise Analysen der relativen Durchlässigkeit moderner Gesellschaften einen großen Stellenwert (für einen exzellenten Überblick über die Forschungsergebnisse der letzten drei Jahrzehnte siehe Hout/ DiPrete 2006). Trotz der Bedeutung des Themas 35 fehlen in der Bevölkerungsstatistik Daten zur Mobilikeine Daten der Bevölkerungsstatistik tät auf dem Arbeitsmarkt. Europäisch vergleichende Analysen, die auch die osteuropäischen Staaten der Union mit einbeziehen, liegen ebenfalls nicht vor. Daher beruht dieser Abschnitt auf der Zusammenfassung von vorliegenden Publikationen (Breen 2004; Saar et al. 2008), mit denen das Ausmaß inter- und intragenerationaler Mobilität für eine Reihe wichtiger europäischer Staaten dargestellt werden kann. Intergenerationale Mobilität Betrachtet man zunächst das Ausmaß intergenerationaler Mobilität in Europa, so lassen sich mit Hilfe der Analysen von Breen und Luijx (2004) für die Aufstiegschancen von Männern und Frauen im Generationenvergleich eine Reihe von interessanten Befunden vorstellen (siehe Tab. 14). Die Autoren nutzen für die Berechnung von Aufstiegen, Abstiegen und lateralen Wechseln (horizontale Mobilität ohne Statuswechsel) Daten aus elf entwickelten Industrienationen, die mit Ausnahme von Israel und Norwegen der Europäischen Union angehören. Grundlage Vergleich beruflicher Klassenpositionen von Männern und Frauen mit ihren Vätern der Analysen sind die Positionen innerhalb eines siebenstufigen Klassenschemas, welches auf der viel zitierten Mobilitätsstudie von Erikson und Goldthorpe (1992) beruht. Intergenerationale Mobilität wird durch einen Vergleich der beruflichen Klassenpositionen von Männern und Frauen gegenüber der beruflichen Klassenposition ihrer Väter operationalisiert (Zeitpunkt: erste Berufstätigkeit der Befragten). Damit wird hier auf Mobilitätsprozesse fokussiert, die über den Arbeitsmarkt vermittelt werden. Betrachtet man zunächst die Befunde für Männer, so zeigt sich, dass der Prozentsatz intergenerational mobiler Männer im Zeitverlauf relativ stabil ist (Tab. 14, obere Hälfte). Circa zwei Drittel der Männer nehmen im Durchschnitt dieser Länder eine Klassenposition ein, die nicht mit der Klassenposition ihrer sozialen Herkunft übereinstimmt. Dabei handelt es sich sowohl um vertikale als auch um horizontale Mobilitätsprozesse. Vertikale Mobilität (Auf- und Abstiege) tritt häufiger auf als Wechsel ohne Statusveränderungen. 36 Besonders hohe intergenerazum Beispiel der Übergang zwischen Ausbildung und Berufstätigkeit. Strukturen von Lebensverläufen entstehen an der Schnittstelle zwischen den Vorgaben gesellschaftlicher Großinstitutionen und dem individuellen Handeln. Sie werden teilweise durch wohlfahrtsstaatliche Interventionen überlagert. 35 Eine unvollständige Reihung maßgeblicher Publikationen würde unter anderem einschließen: Blau/ Duncan (1967), Featherman/ Hauser (1978), Mayer (1990b), Erikson/ Goldthorpe (1992), Breen (2004), Blossfeld et al. (2006), Blossfeld/ Hofmeister (2006a). 36 Als Auf- oder Abstieg werten Breen und Luijx (2004: 47) einen Wechsel zwischen drei verschiedenen Positionskategorien: obere und niedrige Dienstklasse (1), un- und angelernte manuelle Arbeiter und Landarbeiter (3); dazwischen werden nichtmanuelle Routine- <?page no="152"?> 7.5 Soziale Mobilität 153 | Tab. 14 Intergenerationale Mobilität Männer Gesamtmobilität Vertikale Mobilität Aufstiege Abstiege 1970er 1980er 1990er 1970er 1980er 1990er 1970er 1980er 1990er 1970er 1980er 1990er Deutschland 61,6 62,1 60,3 44,1 45,8 46,3 31,7 33,6 33,3 12,4 12,2 13,0 Frankreich 66,6 67,5 67,0 43,8 45,9 46,3 25,9 29,1 29,9 17,9 16,8 16,4 Italien - 69,5 72,1 - 40,8 46,3 - 29,0 35,9 - 11,8 10,4 Irland 56,7 61,3 66,1 39,9 42,6 45,5 21,6 27,9 31,4 18,4 14,7 14,1 Großbritannien 63,0 61,8 60,8 50,7 50,8 50,7 32,8 33,1 31,7 17,9 17,7 19,0 Schweden 70,8 71,4 71,0 54,0 54,7 55,2 35,1 35,3 36,6 19,0 19,4 18,6 Polen 59,4 61,0 67,4 40,9 42,9 45,9 22,1 24,8 26,3 18,8 18,0 19,6 Ungarn 77,5 74,9 71,6 53,0 55,8 53,7 26,9 34,7 35,9 26,2 21,1 17,8 Niederlande 66,3 67,7 65,7 50,6 54,1 54,0 36,1 38,9 37,7 14,5 15,2 16,3 Mean 65,2 66,4 66,9 47,1 48,2 49,3 29,0 31,8 33,2 18,1 16,3 16,1 SD 6,6 5,1 4,3 5,6 5,8 4,0 5,7 4,4 3,7 4,0 3,1 3,1 Frauen Deutschland 74,0 75,6 72,6 48,6 48,8 47,3 25,8 29,6 32,3 22,8 19,2 15,2 Frankreich 71,4 77,6 77,2 41,7 45,7 46,0 27,8 32,9 33,2 13,9 12,8 12,8 Italien - 74,3 75,0 - 51,0 47,9 - 38,5 36,7 - 12,5 11,3 Irland - - - - - - - - - - - - Großbritannien 78,8 76,3 73,9 52,1 52,6 53,2 27,5 29,0 30,6 24,6 23,7 22,5 Schweden 73,1 73,6 73,2 55,4 56,4 57,9 23,9 27,5 33,5 31,5 28,9 24,4 Polen 50,8 66,3 76,2 34,0 48,5 50,3 19,5 31,7 34,1 14,4 16,8 16,2 Ungarn 81,0 79,5 76,5 54,1 58,2 55,7 23,3 38,8 42,0 30,8 19,4 13,7 Niederlande 74,0 73,9 72,3 51,4 51,4 53,6 30,9 33,6 34,8 20,5 17,8 18,8 Mean 71,9 74,6 74,6 48,2 51,6 51,5 25,5 32,7 34,7 22,6 18,9 16, 9 SD 9,9 3,9 1,9 7,7 4,1 4,3 3,7 4,2 3,5 7,0 5,4 4,7 Quelle: Zusammengestellt nach Breen und Luijx (2004: 48, 66); Angaben in %; ungewichtete Mittelwerte. tionale Mobilitätsraten sind für die 1970erbis 1990er-Jahren in Italien, Schweden und Ungarn zu beobachten. Am niedrigsten sind die Mobilitätsraten in Deutschland und Großbritannien. Im Zeitverlauf lässt sich zudem ein leichter Anstieg der Gesamtmobilität in Europa beobachten, am stärksten in Irland und Polen. Im Fall mehr vertikale als horizontale Mobilität Irland können der Ausbau des Dienstleistungssektors und die Bildungsexpansion als Erklärung ins Feld geführt werden (Layte/ Whelan 2004). Für Polen erklärt Mach (2004) die starke Zunahme der absoluten Mobilitätsraten in den 1990er-Jahren gegenüber der vorigen Periode in erster Linie mit den wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der polnischen Gesellschaften nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Einen Rückgang der absoluten Mobilität in der Generationenfolge kann man vor allem in Ungarn bei den Männern zwischen den 1970er- und 1990er- Jahren beobachten. 37 tätigkeiten, Routinetätigkeiten in Service und Verkauf und manuelle Facharbeiter (2) zu einer Kategorie zusammengefasst. 37 Robert und Bukodi (2004) machen hierfür ebenfalls die gesellschaftlichen Veränderungen nach 1989 verantwortlich. Die Autoren betonen, dass das Absinken der absoluten Mobilitätsraten primär einen Rückgang horizontaler Mobilität abbildet, die in den 1970er-Jahren auf einem sehr hohen Ausgangsniveau lag. Der schrumpfende Industriesektor führte zu einer wachsenden Arbeitslosigkeit, aber auch zu einem Festhalten einmal eingenommener Arbeitsplätze. Mobilität ohne spürbaren Aufstieg wurde zu risikoreich (Bukodi/ Robert 2006). Die Aufstiegsmöglichkeiten nahmen in dieser Periode dennoch zu, was trotz Rückgangs absoluter Mobilitätsraten für eine Öffnung der ungari- <?page no="153"?> 154 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit Knapp die Hälfte aller Männer hat in den betrachteten Ländern in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren eine Form vertikaler Mobilität erlebt. Die restliche intergenerationale Mobilität bezieht sich auf Wechsel zwischen Berufsklassen, die auf demselben Statusniveau angeordnet sind. Eine solche Form der Mobilität liegt zum Beispiel vor, wenn ein Befragter als un- oder angelernter manueller Arbeiter in der Industrie tätig ist und sein Vater Landarbeiter war. Auch intergenerationale Wechsel zwischen Tätigkeiten als ausgebildeter manueller Facharbeiter und Routinetätigkeiten im Dienstleistungsbereich (zum Beispiel als Kellner oder LKW- Fahrer) werden von Breen und Luijx (2004: 47) als Formen horizontaler Mobilität gewertet. Aufstiegsmobilität ist bei Männern in Europa sehr viel stärker ausgeprägt als intergenerationale Aufstiege Abstiegsmobilität. Besonders viele Aufstiege lassen sich in den letzten Jahrzehnten in Schweden und den Niederlanden beobachten, was ebenfalls mit der Bildungsexpansion, dem Ausbau des Tertiärsektors und im Fall von Schweden mit wohlfahrtsstaatlicher Politik zur Förderung von Kindern aus niedrigen sozialen Schichten erklärt wird (Jonsson 2004; Luijkx et al. 2006). In Polen und Frankreich finden wir demgegenüber ein weitaus geringeres Niveau intergenerationaler Aufstiegsmobilität. Den polnischen Fall erklärt Mach (2004) mit einer Erstarrung der Gesellschaft in den 1970er- und 1980er-Jahren. Zwar lässt sich für Männer in den 1950er- und 1960er-Jahren ein hohes Ausmaß intergenerationaler Mobilität finden, welches durch den Modernisierungs- und Industrialisierungsschub nach dem zweiten Weltkrieg hervorgerufen wurde. In den 1970er- und 1980er-Jahren setzen sich diese Aufstiege bei Männern jedoch nicht fort (siehe Tab. 14). Es dominieren “very strong inheritance effects in the case of the service class and owners outside agriculture” (Mach 2004: 270) - ein Muster der Reproduktion von Statuspositionen, welches sich nach Analysen von Solga (1995) auf ähnliche Weise für die späte DDR-Gesellschaft ausmachen lässt. Für Frankreich liegt die Vermutung nahe, dass die relativ starren Klassengrenzen für ein vergleichsweise niedriges Niveau intergenerationaler Aufstiege verantwortlich sind (Vallet 2004). Abstiege im Generationenwechsel finden etwa halb so häufig statt wie Aufintergenerationale Abstiege stiege (1990er: 16,1 %). In den 1990er-Jahren beobachten wir viele Abstiege von Männern in Großbritannien und Polen, was für Großbritannien auf eine steigende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und eine sich verschlechternde Marktposition von Männern gegenüber Frauen (steigende Erwerbsbeteiligung, geringere Arbeitslosigkeit und höheres Qualifikationsniveau von Frauen) zurückführbar ist (Golsch 2006). Ein Blick auf die 1970er- und 1980er-Jahre zeigt ein hohes Niveau intergenerationaler Abstiege von ungarischen Männern, was mit der ökonomischen Stagnation in diesem Zeitraum erklärt werden kann (Robert/ Bukodi 2004). Sehr wenige Abstiege vonMännern gegenüber der Berufsposition ihrer Väter finschen Gesellschaft spricht. Von diesen Aufstiegschancen profitieren allerdings Männer in geringeren Maße als Frauen (Robert/ Bukodi 2004). <?page no="154"?> 7.5 Soziale Mobilität 155 den wir in Deutschland und Italien. Die Erklärung dieser Beobachtungen ist für beide Länder ähnlich gelagert. Bei Italien sprechen Pisati und Schizzerotto (2004: 154) von einem “massive upgrading of the occupational structure […], testifying to the constant movements of sons of farmers, agricultural workers, and bluecollar workers into the ever growing white-collar positions.” In Ergänzung zu dieser auch für Deutschland zutreffenden Erklärung kann man mit Kurz (2006: 107) argumentieren, dass die typischen männlichen Berufskarrieren in Deutschland institutionell noch immer sehr stark geschützt sind. Die Zahlen in Tabelle 14 zeigen ferner, dass in den betrachteten europäischen Ländern Aufstiege im Zeitverlauf zunehmen, während Abstiege seltener werden. Das ist ein klares Indiz, dass die Durchlässigkeit europäischer Gesellschaften zugenommen hat. In Irland und Ungarn finden sich die stärksten Zunahmen von Aufstiegsmobilität im Zeitverlauf (jeweils circa +10 Prozentpunkte). Eine Abnahme intergenerationaler Auf- Konvergenz der Muster intergenerationaler Mobilität stiege zwischen den 1970er- und den 1990er-Jahren lässt sich für Männer in Großbritannien beobachten. Ein wichtiger Befund der Analysen von Breen und Luijx (2004) ist die zunehmende Übereinstimmung der Mobilitätsraten in den 1990er- Jahren. Sowohl bei der Gesamtrate als auch bei den Aufstiegen und Abstiegen zeigen die von uns berechneten Standardabweichungen eine eindeutige Konvergenz der Muster intergenerationaler Mobilitätsprozesse in Europa. Die Ergebnisse für die Frauen ähneln weitgehend den Mustern der Männer. Allerdings unterliegt ein Vergleich der Mobilitätsmuster zwischen den Geschlechtern gewissen Einschränkungen, da das Erwerbsverhalten der Frauen, vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren, von dem der Männer deutlich abweicht (geringere Erwerbsquote, weniger Arbeitsstunden, häufigere Wechsel zwischen Beschäftigung und Nichtbeschäftigung). Empirisch zeigt sich, dass Frauen ein höheres Ausmaß intergenerationaler Mobilität aufweisen als Männer. Zwischen 71,9 (1970er) und 74,6 % (1990er) aller Frauen nehmen eine andere Klassenposition als ihre Väter ein. In den 1990er- Jahren gibt es überdurchschnittlich viel Mobilität bei Frauen in Ungarn, Polen und Frankreich. In den zwei Jahrzehnten davor sind es Frauen in Großbritannien, Ungarn oder Deutschland, die sehr häufig ihre berufliche Klassenposition gegen- Aufstiege und Abstiege in 1970ern noch gleich stark bei Frauen in Europa über der ihrer Väter verändern. Wie bei den Männern ist vertikale Mobilität typischer als horizontale intergenerationale Mobiltiät. Im Unterschied zu den Männern sind die Differenzen zwischen Auf- und Abstiegen nicht so stark ausgeprägt. Zwar erleben mehr Frauen einen intergenerationalen Aufstieg als einen Abstieg. Diese Unterschiede treten allerdings erst in den 1990ern voll zutage. Im Durchschnitt der hier betrachteten europäischen Staaten kann man für diesen Zeitraum von etwa doppelt so vielen Aufstiegen (34,7 %) wie Abstiegen (16,9 %) ausgehen. In den 1970er-Jahren finden sich überdurchschnittlich viele Aufstiege von Frauen in Frankreich und den Niederlanden; in den 1990er-Jahren vor allem in Ungarn und Italien. Abstiege von Frauen sind in den 1970er-Jahren vor allem in Schweden und Ungarn verbreitet. In den 1990er-Jahren treten sie vergleichsweise häufig in Großbritannien und Schweden auf. <?page no="155"?> 156 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit Im Zuge dieser Veränderungen nähern sich die Mobilitätsmuster der Frauen in den meisten Ländern denen der Männer deutlich an (Jonsson 2004; Layte/ Whelan 2004; Mach 2004; Pisati/ Schizzerotto 2004; Robert/ Bukodi 2004; Vallet 2004). Aber auch innerhalb der Gruppe der Frauen verringern sich die Unterschiede in den Mobilitätsmustern. So war in den 1970er-Jahren die Streuung der Mobilitätsraten bei den europäischen Frauen deutlich höher als bei den Männern. Breen und Luijx (2004: 49) führen diese Konvergenz von Mobilitätsmustern auf Anpassungsprozesse der hier betrachteten Ökonomien zurück. Besonders wichtig sind nach ihrer Ansicht das Wachstum der Dienstleistungsbranchen in allen betrachteten Staaten und das Schrumpfen des landwirtschaftlichen Sektors in Ländern wie Polen, Ungarn oder Frankreich. Zusätzlich ist es aus unserer Sicht plausibel, dass die steigende Erwerbsbeteiligung und sinkende Arbeitslosigkeit sowie die Abnahme der Streuung bei Erwerbsbeteiligung und Arbeitslosigkeit der Frauen (vgl. Abschnitte 7.3 und 7.4) für eine Angleichung der intergenerationalen Mobilität erklärend hinzugezogen werden können. Intragenerationale Mobilität Auch für die Darstellung von intragenerationalen Mobilitätsverläufen liegen keine homogenisierten nationalen Statisiken vor, wie sie die EU-Kommission für viele in diesem Studienbuch diskutierten sozialstrukturellen Bereiche anbietet. Es gibt auch nur wenige Publikationen, mit denen man systematisch möglichst viele west- und osteuropäische Staaten miteinander vergleichen kann (Beispiele sind Blossfeld/ Hofmeister 2006a; Blossfeld et al. 2005; Blossfeld et al. 2006; Saar et al. 2008). Da Saar, Unt und Kogan (2008) deutlich mehr Länder (22 der EU-27-Staaten) untersuchen, verwenden wir ihre Studie als Grundlage des letzten Abschnitts dieses Kapitels. Bei Saar et al. (2008) lassen sich zur Charakterisierung von Mobilitätsprozessen in Ost- und Westeuropa zu Beginn des 21. Jahrhunderts folgende Informationen nutzen (siehe Tab. 15): 1. Eine allgemeine aggregierte Mobilitätsrate (Übergangsrate) von Arbeitsmarkteinsteigern im Alter von 15 bis 35 Jahren innerhalb des ersten Beschäftigungsjahrs. Dabei kann es sich um Übergänge in einen anderen Job oder in Arbeitslosigkeit handeln. Mit diesem Mobilitätsmaß wird eine kritische Phase im Lebensverlauf betrachtet (vgl. Mayer 2001), nämlich die Übergangsphase von der Schule/ Ausbildung in das Berufsleben. Es ist davon auszugehen, dass diese Lebensverlaufsphase durch die Wirkungsweise des Wohlfahrtsstaates und die Funktionsweise von Arbeitsmarktinstitutionen (zum Beispiel Befristungsregeln, Kündigungsschutz) beeinflusst wird. 2. Relative Abstiegsrisiken von Arbeitsmarkteinsteigern: Verglichen werden hier die Berufsprestigemittelwerte in der Gruppe der Arbeitsmarkteinsteiger und der übrigen Arbeitsmarktteilnehmer. Ist der Wert hoch, so ist das Abstiegsrisiko für Arbeitsmarkteinsteiger gegenüber den Arbeitsmarktteilnehmern mit Berufserfahrung desselben Qualifikationsniveaus niedrig (Saar et al. 2008: 55), da keine Unterschiede in der Platzierung auf dem Arbeitsmarkt bestehen. <?page no="156"?> 7.5 Soziale Mobilität 157 | Tab. 15 Intragenerationale Mobilität und Abstiegsrisiken Mobilitätsrate in % Abstiegsrisiken EU-22 42,3 0,85 Belgien 42,0 0,82 Dänemark 51,2 0,90 Deutschland 37,1 0,92 Irland - 0,84 Griechenland 37,6 0,79 Spanien 53,1 0,81 Frankreich - 0,77 Italien 40,4 0,73 Niederlande - 0,88 Österreich 40,4 0,91 Portugal 39,1 0,79 Finnland 47,2 0,89 Schweden 44,9 0,83 Großbritannien 50,6 0,94 Tschechien 41,2 0,80 Estland 40,2 0,87 Lettland 43,4 0,90 Litauen 38,1 0,86 Ungarn 37,9 0,85 Polen 33,3 0,85 Slowenien 48,6 0,80 Slowakei 37,1 0,83 Quelle: Saar et al. (2008: 46, 54); Angaben für 2004; EU-22 ungewichteter Mittelwert. Die vorliegenden Zahlen zeigen deutliche innereuropäische Unterschiede bei den aggregierte Mobilitätsrate Mobilitätsraten und den relativen Abstiegsrisiken von Arbeitsmarkteinsteigern (Tab. 15). Die höchsten allgemeinen Mobilitätsraten weisen Arbeitsmarkteinsteiger in Spanien, Dänemark, Großbritannien, Slowenien, Finnland und Schweden auf. Hier wechseln innerhalb eines Jahres (2003/ 04) zwischen 45 und 53 % der Arbeitnehmer ihren Job. Für einen liberalen Arbeitsmarkt, wie den britischen, ist das keine Überraschung. Es ist auch bekannt, dass in skandinavischen Ländern Berufsanfänger in stark flexibilisierten Segmenten des Arbeitsmarktes agieren (Bygren et al. 2005; Saar et al. 2008). Die Befunde für Slowenien sind interessant: Denn trotz größerer institutioneller Übereinstimmungen mit dem deutschen Arbeitsmarkt ist der Arbeitsmarkt für Berufsanfänger stark flexibilisiert Abstiegsrisiken (Saar et al. 2008: 49). Am anderen Ende der »Mobilitätsskala« finden sich die Arbeitsmarkteinsteiger in Polen, der Slowakei, Deutschland und Griechenland, die zwischen 2003 und 2004 in etwas mehr als einem Drittel der Fälle ihren Arbeitsplatz beziehungsweise aus Beschäftigung in Arbeitslosigkeit wechselten. Für die Bundesrepublik war dieser Befund zu erwarten, da hier der Arbeitsmarkt als vergleichsweise wenig flexibilisiert gilt (Groß 2008; Kurz et al. 2006; Müller/ Pollack 2004). Im Fall der osteuropäischen Beitrittsnationen sind die Befunde von Saar et al. (2008) oberflächlich betrachtet erstaunlich, da Ergebnisse aus der jüngsten Vergangenheit einen wachsenden Arbeitsmarktdruck durch Flexibilisierungsten- <?page no="157"?> 158 7 Arbeitsmarkt und Erwerbsarbeit denzen für jüngere Arbeitsmarktkohorten in Osteuropa nahelegen (Mills et al. 2005). Saar et al. (2008: 49) interpretieren dieses Ergebnis als ein Zeichen für die Entstehung eines Insider-Outsider-Arbeitsmarktes, in dem Arbeitsmarkteinsteiger Benachteiligungen erfahren, da in diesen Ländern gleichzeitig mittlere Abstiegsrisiken (wenn ein Job eingenommen wird), hohe Arbeitslosigkeitsrisiken sowie lange Dauern von Arbeitslosigkeit typisch sind. Dieses Muster ähnelt relativ stark der Situation von Arbeitsmarkteinsteigern in Griechenland (Saar et al. 2008: 49). Zwischen den Gruppen mit hoher und niedriger Mobilität von Arbeitsmarkteinsteigern positionieren sich Länder wie Portugal, Italien, Österreich, Tschechien, Lettland und Belgien, in denen Berufseinsteiger mittlere allgemeine Mobilitätsraten aufweisen. Betrachtet man den zweiten Indikator, so zeigt sich, dass Arbeitsmarkteinsteiger in Großbritannien, Deutschland, Österreich und Dänemark die niedrigsten relativen Abstiegsrisiken haben. Zu berücksichtigen ist die Operationalisierung dieses Indikators: Es handelt sich um die »Berufsprestigedistanz« zwischen unterschiedlichen Arbeitsmarktgruppen desselben Qualifikationsniveaus und nicht um tatsächliche Abstiege. Die niedrigen Abstiegsrisiken für Deutschland und Österreich bestätigen bisherige Analysen. Bislang wurde zum Beispiel für die Bundesrepublik angenommen, dass in einem stark hierarchisierten Arbeitsmarkt Bildungstitel einen hohen Stellenwert besitzen und Abstiege im Vergleich zu anderen Gesellschaften eher selten auftreten (Allmendinger/ Hinz 1997). Überraschend ist das niedrige Abstiegsrisiko für Großbritannien, da in der Vergangenheit gezeigt wurde, dass Mobilität vielfach über Klassen- und Bildungsgrenzen hinweg auftritt und Bildungstiteln bei der beruflichen Platzierung eine geringere Rolle zukommt als in Deutschland (Allmendinger/ Hinz 1997: 271ff.). Im dänischen Fall sind hohe Mobilitätsraten und niedrige Abstiegsrisiken ein Ergebnis der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Im Unterschied zu Großbritannien gibt es allerdings eine aktive Arbeitsmarktpolitik und eine engere Verzahnung des Bildungssystems mit dem Arbeitsmarkt. Dadurch werden mobilitätsbereite Arbeitnehmer einerseits bei der Arbeitsplatzsuche unterstützt (Gangl et al. 2003; Saar et al. 2008). Andererseits können sie nach den vorliegenden Befunden von einer Beschäftigung entsprechend ihres Qualifikationsniveaus ausgehen. Italien, Griechenland und Portugal bilden nach den vorliegenden Zahlen einen eigenen südeuropäischen Typus der Mobilität auf dem Arbeitsmarkt (Gangl et al. 2003; Saar et al. 2008): Mittlere bis unterdurchschnittliche allgemeine Mobilitätsraten kommen hier mit hohen Abstiegsrisiken und relativ hoher Arbeitslosigkeit zusammen. Dazwischen positionieren sich Schweden und der Großteil der osteuropäischen Beitrittsnationen, in denen mittlere Abstiegsrisiken mit mittleren allgemeinen Mobilitätsraten zusammenkommen. <?page no="158"?> 8 Bildung Die Elemente und die Veränderungen »in der Sozialstruktur sind auf vielfältige Weise mit Entwicklungen im Bildungssystem verknüpft« (Geißler 2006: 273). Daher ist es nicht überraschend, dass die ungleiche Verteilung von Bildung in modernen Gesellschaften eines der zentralen Themen in der Ungleichheits- und Sozialstrukturforschung ist. Dabei stehen Begriffe wie Bildungsbeteiligung, Zugänge zu höherer Bildung, Bildungschancen, Bildungskapital oder Bildungsexpansion im Zentrum der Debatten. Diese Begriffe verweisen darauf, dass das Verfügen über Bildung die Lebenschancen der Individuen bestimmt und auf der gesellschaftlichen Ebene eine der zentralen Determinanten von Ungleichheitsprozessen ist. Die aktuelle bildungssoziologische Diskussion kann man vereinfachend in zwei funktionalistische Perspektive Forschungsrichtungen und -traditionen einteilen. In einer ersten, der funktionalistisch inspirierten Forschungsrichtung stehen die Funktionen im Vordergrund, die das Bildungssystem für moderne Gesellschaften ausübt. Idealtypisch kann man sich solche Funktionen vorstellen als: a) Ausbildung von Grundlagenwissen nach verbindlichen Standards im primären Bildungsbereich, b) Spezialisierung entsprechend der Arbeitsteilung moderner Volkswirtschaften im beruflichen Sekundarbereich sowie c) Selektion von Talenten und Ausbildung dieser Talente im Universitätsbereich. Diese Konzeptionalisierung des Zusammenhangs von Bildungssystem und Sozialstruktur geht auf die amerikanischen Soziologen Kingsley Davis und Wilbert E. Moore zurück, die in den 1940er- und 1950er-Jahren mit ihrer funktionalistischen Schichtungstheorie einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Sozialstruktur- und Ungleichheitsforschung geleistet haben (Davis/ Moore 1945). 38 38 Moderne Gesellschaften müssen nach Davies und Moore ihre Mitglieder auf soziale Positionen verteilen und sie veranlassen, die damit verbundenen Pflichten zu erfüllen. Eignung für eine Position ergibt sich durch angeborene Begabung und/ oder durch Ausbildung. Unter den Voraussetzungen, dass erstens Talent knapp ist, dass zweitens niemand ohne Aussicht auf besondere Belohnung nach schwierigen Aufgaben strebt und dass drittens soziale Positionen im freien Wettbewerb errungen werden, müssen wichtige Positionen höher belohnt werden, wenn die entsprechenden Aufgaben erfüllt werden sollen. Eine Ausbildung erfordert demnach Opfer (Zeitinvestition, entgangener Lohn), die durch erhöhte Gratifikationen entschädigt werden müssen - ein Argument von Davis und Moore, das für die Humankapitaltheorie später wesentlich wurde. Die Ausstattung von Positionen mit unterschiedlichen Gratifikationen ist folgenreich für soziale Schichtung. Sie ist im Sinne von Davis und Moore von funktionalem Charakter für moderne Gesellschaften. Die daraus resultierende soziale Ungleichheit ist »ein unbewußt entwickeltes Werkzeug, mit dessen Hilfe die Gesellschaft sicherstellt, daß die wichtigsten Positionen von den fähigsten Personen gewissenhaft ausgefüllt werden.« (Davis/ Moore 1945: 243) <?page no="159"?> 160 8 Bildung Die wahrscheinlich wichtigsten Funktionen des Bildungssystems in der funk- Selektionsfunktion des Bildungssystems tionalistischen Logik sind die Selektion von geeigneten Individuen für die Ausbildung im tertiären Bildungsbereich und die anschließende Zuweisung dieser Personen auf für moderne Gesellschaften wichtige Positionen, die dann mit besonderen Gratifikationen ausgestattet sind. »Bildung und die durch sie erworbenen und ausgewiesenen Fähigkeiten gelten in unserer Gesellschaft als Innovationspotenzial und zentrale Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftlichen Wohlstand. Eng verknüpft damit ist die Idee der Leistungsgesellschaft: Individuelle Bildungsinvestitionen und -anstrengungen sind als Beitrag zum Gemeinwohl zu belohnen.« (Solga/ Powell 2006: 175) Bei Stefan Hradil findet sich ein ähnliches Argument zur funktionalen Bedeutung von Bildung: »In modernen, ›postindustriellen Gesellschaften‹ werden technische, gesellschaftliche und politische Zusammenhänge immer komplexer. Sie erfordern immer mehr Wissen von den Einzelnen. […] Nicht länger die maschinellen Ausrüstungen, sondern die Kenntnisse der Menschen stellen den Motor wirtschaftlichen Lebens dar. […] [Daher] werden diese Gesellschaften auch ›Wissensgesellschaften‹ oder ›Informationsgesellschaften‹ genannt.« (Hradil 2001: 149) In einer zweiten, eher ungleichheitskritischen Perspektive werden die Chanungleichheitskritische Perspektive cengleichheiten beim Zugang zu attraktiven Bildungseinrichtungen oder beim Erwerb von höheren Bildungstiteln thematisiert (Ballantine 1997; Baumert et al. 2001a; Baumert et al. 2006; Cortina et al. 2008; Geißler 2004; Krais 1996; Rodax 1995). Andere Studien untersuchen das Problem der Bildungsarmut (Allmendinger 1999; Allmendinger/ Leibfried 2003) und den Zusammenhang von ungleicher Bildung und Arbeitsmarktchancen (Breen/ Jonsson 2005; Heinrich/ Hildebrand 2005; Müller 2005, 2002; Shavit/ Müller 1997; Solga 2005). Des Weiteren werden die gesellschaftlich strukturierte, ungleiche Verfügung über Bildungskapital und der Stellenwert des Bildungssystems bei der Reproduktion von Ungleichheiten in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt (Bourdieu 1984; Bourdieu/ Passeron 1971; Lengfeld 2007; Rössel/ Beckert-Zieglschmid 2002). All diese Studien kommen, trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, zu dem übereinstimmenden Befund, dass Chancengleichheit im Bildungssystem moderner Gesellschaften nicht besteht. Vergleichsweise geringe Bildungschancen hatten in den 1950er- und 1960er- Jahren Kinder aus Arbeiterhaushalten, Mädchen sowie Kinder in ländlichen Regionen mit schlechter Bildungsinfrastruktur. So galt in der Bundesrepublik »das katholische Arbeitermädchen vom Lande […] [als] die idealtypische Figur des unterprivilegierten Kindes« (Feldmann 2006: 254). Dieses Bild hat sich gewandelt. Die Bildungsnachteile von jungen Frauen gehören in modernen Gesellschaften weitgehend der Vergangenheit an. Auch Benachteiligungen nach Religion oder Stadt- Land-Unterschiede haben an Bedeutung verloren. Diese Veränderungen können als Ergebnis der Bildungsexpansion der 1960er- und 1970er-Jahre gesehen werden, mit der das politische Reformziel der Öffnung der Sekundär- und Tertiärstufe für breitere Schichten der Bevölkerung verbunden war (Müller et al. 1997). Dennoch <?page no="160"?> 161 ist die Relevanz der sozialen Herkunft für die Zuweisung von Bildungschancen an Individuen ungebrochen. So haben sich zum Beispiel in Deutschland die Chancen von Kindern aus Arbeiterhaushalten das Abitur oder sogar einen Universitätsabschluss zu erreichen nur wenig verändert. Von der Bildungsexpansion haben vor allem die Kinder aus Angestellten-, Beamten- und Selbstständigenhaushalten profitiert (Geißler 2006: 283ff.). Sie hat »die Bildungschancen aller Schichten verbessert, ohne gleichzeitig gravierende schichttypische Ungleichheiten zu beseitigen. […] Die Hauptverlierer sind die Arbeiterkinder; trotz besserer Chancen hat sich ihr Abstand zu Kinder mit Migrationshintergrund haben schlechte Bildungschancen allen anderen Schichten erheblich vergrößert« (Geißler 2006: 286). In Deutschland, wie auch in den meisten anderen (west-)europäischen Staaten, sind die Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund besonders schlecht (u. a. Marks 2005; Ours/ Veenman 2003; Valverde/ Vila 2003). Die Kinder der Arbeitsmigranten der 1960er- und 1970er-Jahre können also als die eigentlichen Verlierer der Bildungsexpansion in den europäischen Gesellschaften gesehen werden. Die Veränderungen dieser Benachteiligungsstrukturen bringt Geißler auf die griffige Formel der Metamorphose von der Arbeitertochter zum Migrantensohn (Geißler 2005: 71ff.). Bildungsexpansion Die Bildungsexpansion ist Ergebnis der Öffnung der Sekundär- und Tertiärstufe für breitere Bevölkerungsschichten nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Höhere Bildung verlor ihre Exklusivität und es entstanden Massenuniversitäten (Müller et al. 1997). Bei den Erklärungsansätzen für die Bildungsexpansion in Europa lassen sich sowohl ökonomische als auch soziologische Theorien hinzuziehen (für die folgende Darstellung vgl. Hradil 2006a: 134ff.; Müller et al. 1997: 180ff.). Für ökonomische Ansätze ist die Humankapitaltheorie zentral, wonach die Nachfrage nach (höherer) Bildung durch die zu erreichende Rendite (Einkommensvorteile) gesteuert wird. Der Ausbau des Bildungssektors in Europa wäre demnach ein Resultat der gestiegenen Nachfrage individueller Akteure nach auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Bildungstiteln. Alternativ könnte man Bildung als Konsum-, Lebensstil- und Statusgut konzeptionalisieren, welches auf dem Markt erworben wird und für intrinsische Befriedigung sorgt. Bleiben Bildungskosten konstant, kommt es in modernen Gesellschaften langfristig zur Bildungsexpansion. Mit der strukturalistischen Arbeitsmarkttheorie (Thurow 1975) ließe sich ergänzend formulieren, dass Bildungsinstitutionen Auslese- und Einstufungsfunktionen ausüben, die auf dem Arbeitsmarkt Rückkopplungen erzeugen. Steigert ein Teil der Arbeitsmarktakteure seine Bildungsinvestitionen, so müssen die anderen Akteure mitsteigern, um nicht Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen zu müssen. Dadurch entsteht ein Wettbewerb um Bildung und eine Bildungsexpansion ist die Folge. Die wichtigste soziologische Erklärung der Bildungsexpansion ist die Modernisierungstheorie. Hier wird argumentiert, dass die Bildungsexpansion als Teil umfassender Modernisierungsprozesse eine Begleiterscheinung der Industrialisierung, Urbanisierung und Bürokratisierung europäischer Gesellschaften ist. Formale und vergleichbare Bildungsabschlüsse sind Voraussetzung und Teil dieser Modernisierungsprozesse; sie sind wesentliche Elemente der normativen und politischen Integration der Gesellschaft, eine entscheidende Sozialisationsinstanz. Mit konflikttheoretischen Ansätzen würde man die Bildungsexpansion als Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen sozialen Klassen und Schichten um Macht, Prestige, Einkommen und Wohlstand begreifen. Da Bildungsabschlüsse Schlüsselfunktionen für den Zugang zu vorteilhaften Status- und Berufsgruppen haben, kann der Ausbau des Bildungssektors in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch als ein Ausdruck politischer Auseinandersetzungen gesehen werden. <?page no="161"?> 162 8 Bildung 8.1 Bildungsausgaben Als ersten empirischen Indikator betrachten wir in diesem Kapitel die öffentlichen Gesamtbildungsausgaben der Mitgliedsländer der Europäischen Union zwischen 1995 und 2005. Diese Informationen sind eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Leistungsfähigkeiten und Selektivität nationaler Bildungssysteme in Europa, wie sie in den danach folgenden Abschnitten thematisiert werden. Die Bildungsausgaben der öffentlichen Haushalte sind innerhalb der EU unteröffentliche Bildungsausgaben in Skandinavien hoch schiedlich hoch (siehe Tab. 16). Die Länder mit den höchsten Bildungsausgaben verwenden anteilig etwa doppelt so viele Mittel für Bildung wie das Schlusslicht Rumänien. Besonders hoch waren die Bildungsausgaben im Jahr 2005 in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten, wo zwischen 6,3 und 8,3 % des Bruttoinlandsprodukts für Bildungsausgaben verwendeten wurden. Es entspricht dem Selbstverständnis dieser Länder, dass Bildung ein gesellschaftliches Gut ist (z. B. Telhaug et al. 2004), was mit einer hohen Ausstattung des weitgehend öffentlich finanzierten Bildungssektors einhergeht. Die Bildungsausgaben lagen 2005 Tab. 16 | Öffentliche Bildungsausgaben 1995 2000 2005 EU-15 - 4,9 4,9 Belgien - 6,0+ 6,0 Dänemark 7,7 8,3 8,3 Deutschland 4,6 4,5 4,5 Irland 5,0 4,3 4,8 Griechenland 2,9 3,7 4,0 Spanien 4,7 4,3 4,2 Frankreich 6,0 5,8 5,7 Italien 4,9 4,5 4,4 Luxemburg 4,3 3,7+ 3,8 Niederlande 5,1 4,9 5,2 Österreich 6,0 5,7 5,4 Portugal 5,4 5,4 5,4 Finnland 6,9 6,1 6,3 Schweden 7,2 7,3 7,0 Großbritannien 5,0 4,6 5,5 Bulgarien 3,4 4,2 4,5 Tschechien 4,7* 4,0 4,3 Estland 5,9 5,6 4,9 Zypern 4,6 5,4 6,9 Lettland 6,2 5,6 5,1 Litauen 5,1 5,6 5,0 Ungarn 5,4 4,5 5,5 Malta - 4,5 4,9 Polen 5,1 4,9 5,5 Rumänien - 2,9 3,5 Slowenien - 6,6+ 5,8 Slowakei 5,0 4,2 3,9 EU-27 - 4,7 5,0 Quelle: Eurostat (2008b); ∗ 1996; +2001; Angaben in % vom BIP <?page no="162"?> 8.2 Verteilung von Bildungschancen 163 auch im Fall von Belgien, Frankreich und Slowenien über dem EU-15-Durchschnitt. Hier wurden circa sechs Prozent des Bruttosozialprodukts von den öffentlichen Haushalten in Bildung investiert. Demgegenüber wenden Spanien, Griechenland, Italien und einige der Beitrittsnationen wie die Slowakei, Tschechien, Bulgarien oder Rumänien einen unterdurchschnittlichen Anteil ihres Bruttosozialprodukts für Bildungsausgaben auf. Im Fall der südeuropäischen Länder ist eine Erklärung dafür unter anderem in der starken Verbreitung nichtstaatlicher Schulen zu sehen (vgl. Abschnitt 4.2), wodurch sich die öffentlichen Bildungsausgaben reduzieren. Auch in Deutschland wurde in den letzten Jahren weniger als in anderen Staaten in Bildung investiert (z. B. 4,5 % des BIP in 2005), wodurch sich auch das in der Vergangenheit schlechte Abschneiden bei internationalen Bildungsvergleichen erklärt (Baumert et al. 2001a). Die geringen Bildungsausgaben sind insofern bemerkenswert, da in Deutschland ein privater Bildungssektor kaum relevant ist. Betrachtet man die Entwicklung für den Zeitraum von 1995 bis 2005, dann zei- Zunahme der Bildungsausgaben im europäischen Durchschnitt gen sich folgende Veränderungen der öffentlichen Bildungsausgaben: Ein deutlicher Anstieg der Bildungsausgaben in Relation zum Bruttosozialprodukt ist in Großbritannien, Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Zypern feststellbar. Einen prozentualen Rückgang der Bildungsausgaben verzeichnen die Slowakei, Lettland, Estland, Slowenien, Luxemburg und Österreich. Besonders drastisch fällt dieser in den genannten osteuropäischen Ländern aus, was zumindest partiell durch die Krisen der öffentlichen Haushalte sowie durch die Privatisierung öffentlicher Bildungseinrichtungen in den letzten Jahren erklärt werden kann (Aidukaite 2008; Rajevska 2008; Trumm/ Ainsaar 2008). 8.2 Verteilung von Bildungschancen Methodische Hinweise Mit dem ersten Indikator dieses Abschnitts wird mit Hilfe von Eurostat-Daten der Anteil früher Schulabgänger (Schulabbrecher) dargestellt. Das ist der Prozentsatz der 18bis 24- Jährigen, die an keiner Aus- oder Weiterbildung teilnehmen und die höchstens einen Bildungsabschluss des Sekundarbereichs I aufweisen. Als zweiter Indikator werden Lese- und Mathematikkompetenzen von Schülern anhand von Daten der PISA-Studie vorgestellt. Der dritte Indikator weist den Anteil der in tertiäre Bildungseinrichtungen integrierten Studierenden an der Altersgruppe der 20bis 39-Jährigen aus. Die ungleiche Ausstattung der öffentlichen Bildungshaushalte wie divergierende politische und wohlfahrtsstaatliche Traditionen finden ihren Ausdruck in einer unterschiedlichen Leistungsfähigkeit nationaler Bildungssysteme und in der Verteilung von Bildungschancen. Für die Erklärung der Verteilung von Bildungschancen kann man auf ökonomisch orientierte und (ungleichheits-)soziologisch orien- <?page no="163"?> 164 8 Bildung tierte Ansätze zurückgreifen. Für Erstere ist die Humankapitaltheorie als Erkläökonomische und soziologische Erklärungsansätze rungsansatz zentral (Becker 1964). Das Verfügen über Bildung wird hier als Folge individueller Investitionsentscheidungen modelliert. Die Kosten einer Bildungsinvestition werden in der Humankapitaltheorie gegen Kosten des entgangenen Lohns, der Gebühren für den Schul- oder Universitätsbesuch sowie der entgangenen Freizeit kalkuliert. Bei Kindern aus niedrigen sozialen Schichten mit einem geringen Familieneinkommen wird häufig auf den Erwerb höherer Bildung verzichtet oder frühzeitig die Schule abgebrochen, da der Ausfall eines Beitrags zum Familieneinkommen (durch längere Ausbildungszeiten) wie auch die Gebühren für höhere Bildung zu schwer wiegen. Soziologische Theorien stellen demgegenüber die gesellschaftlich ungleiche Ressourcenverteilung und die Funktionsweise von Institutionen in den Mittelpunkt ihrer Erklärungen. Die Kapitaltheorien von Bourdieu (Bourdieu 1984; Bourdieu/ Passeron 1971) und Coleman (1995) oder die Hinweise von Boudon (1974) und Esser (2000) auf unterschiedliche Sozialisationsbedingungen und daraus resultierenden Bildungschancen (z. B. beim Hochschulzugang) sind hier exemplarisch zu nennen (siehe unten). Bei Bourdieu sind die Überlegungen zur Bildungsungleichheit in eine soziokulturelle Klassen- und Ungleichheitstheorie eingebettet, die den Zusammenhang zwischen Klassenlage, Bildungspartizipation und Lebensstilen thematisiert. Das Verfügen über Kapital, auch über kulturelles Kapital in Form von Bildungstiteln oder verinnerlichten Einstellungen, Handlungsweisen, Sprachkenntnissen und intellektuellen Kompetenzen, dient der Reproduktion von Klassenstrukturen. Bourdieu hat darüber hinaus umfassend die Bedeutung von Bildungsinstitutionen für die Reproduktion von gesellschaftlichen (Bildungs-)Ungleichheiten untersucht. James Coleman vertritt eine Kapitaltheorie mit anderer Akzentsetzung; hier steht das Verfügen über soziales Kapital für den Bildungserfolg im Mittelpunkt. Danach sind vor allem soziale Netzwerke und die Unterstützungsleistungen, die von Familienangehörigen, Freunden und Bekannten vollbracht werden, für den individuellen Bildungserfolg entscheidend (McDill/ Coleman 1965). Eine vermittelnde Position nehmen Autoren wie Boudon (1974) oder Esser (2000) ein. Sie orientieren sich einerseits an den Modellannahmen der Theorie rationaler Wahl, nach der Bildungsungleichheiten in modernen Gesellschaften Ergebnis der Entscheidung individueller Akteure unter Berücksichtigung von Kosten-Nutzen-Kalkülen sind. Andererseits weist zum Beispiel Boudon darauf hin, dass die Sozialisationsbedingungen (Schichtzugehörigkeit und kulturelle Ressourcen der Eltern) einen erheblichen Einfluss auf den individuellen Bildungserfolg haben. Esser hingegen betont die Selektivität des Zugangs zu höherer Bildung und die divergierenden Erfolgsaussichten im Bereich der primären und sekundären Bildung sowie die daraus resultierenden sozialen Folgen: »Die größeren objektiven Restriktionen, die geringer eingeschätzte Notwendigkeit der Bildung, die kaum vorhandenen ›Modelle‹ des Erfolgs, die höher veranschlagten subjektiven Risiken« (Esser 2000: 223) wirken in den unteren Schichten alle gleichzeitig. Und wenn auch die Bildungsexpansion für die einheimische Bevölkerung in Deutschland viele positive Ergebnisse gebracht hat, zumindest »die Einwanderer haben mit den gleichen Dingen zu tun, wie die einheimischen Unterschichten vor etwa 30 Jahren« zu Beginn der Bildungsexpansion (Esser 2000: 223). Die Ungleichheiten im Bildungssystem und die ihnen zugrunde liegenden bildungspolitischen Konzepte zeigen sich nicht nur beim Zugang zu tertiärer Bildung, sondern auch bei der Verteilung von Chancen und Risiken im primären Bildungsbereich, wie am Beispiel des Problems der frühen Schulabgänger unter den 18bis 24-Jährigen deutlich wird (Schaubild 16). In Skandinavien und Österreich - Länder mit hohen öffentlichen Bildungsausgaben - findet sich ein geringer Anteil von Personen, die höchstens einen Bildungsabschluss des Sekundar- <?page no="164"?> 8.2 Verteilung von Bildungschancen 165 | Schaubild 16 Frühe Schulabgänger 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 5 9 9 1 0 0 0 2 5 0 0 2 Slowenien Tschechien Polen Slowakei Dänemark Österreich Finnland Litauen Schweden Irland Ungarn Frankreich Belgien Estland Griechenland Luxemburg Niederlande Deutschland Großbritannien Zypern EU-15 Bulgarien Lettland Rumänien Italien Spanien Portugal Malta Quelle: Eurostat (2007d); Angabe früher Schulabgänger in % aller 18bis 24-Jährigen. bereichs I aufweisen. Auch in einigen osteuropäischen Beitrittsnationen, wie in Tschechien, Polen, der Slowakei oder Slowenien, ist der Anteil der Schulabbrecher niedrig. Er liegt bei Quoten von knapp über fünf Prozent. Zumindest im Fall wenig Schulabbrecher in Skandinavien, Österreich, Osteuropa von Slowenien korrespondiert diese niedrige Quote der frühen Schulabgänger mit überdurchschnittlichen Bildungsausgaben. Ergänzende Erklärungen würden den traditionell hohen Stellenwert von Bildung (Daun/ Sapatoru 2001) und die schwach stratifizierten Bildungssysteme in postsozialistischen Gesellschaften mit einbeziehen (vgl. Abschnitt 4.2). Beide Überlegungen können möglicherweise durch den Umstand erhärtet werden, dass nur sehr wenige osteuropäische Beitrittsländer (Lettland, Bulgarien, Rumänien) im Jahr 2005 eine Quote früher Schulabgänger aufwiesen, die über dem EU-15-Durchschnitt lag. In den konservativen Wohlfahrtsstaaten Südeuropas (Portugal, Spanien, Itaviele Schulabbrecher in Südeuropa lien) sowie in Malta ist der Anteil von frühen Schulabgängern unter den 18bis 24-Jährigen sehr hoch. Im Jahr 2005 besaßen hier 22 bis 42 % dieser Altersgruppe nur einen Schulabschluss des Sekundarbereichs I. Dieser hohe Anteil früher Schulabgänger hat in Südeuropa Tradition, da viele Tätigkeiten in der Landwirtschaft und im verarbeitenden Gewerbe keine besonderen Qualifikationen erfordern und dadurch ein Arbeitsmarktzugang für niedrig qualifizierte Personen relativ einfach ist (Mills et al. 2005: 426; OECD 2006h: 67f.). Allerdings zeigen die vorliegenden Zahlen, dass in diesen Ländern der Anteil der Schulabbrecher zwischen 1995 und 2005 zum Teil deutlich zurückgegangen ist - möglicherweise ein Hinweis auf <?page no="165"?> 166 8 Bildung wachsende Unsicherheiten für niedrig Qualifizierte auf dem Arbeitsmarkt (Mills et al. 2005). Die Bundesrepublik weist mit einer Quote von 13,8 % einen unterdurchschnittlichen Wert im europäischen Maßstab auf. Allerdings hat sich in Deutschland zwischen 1995 und 2005 der Anteil der frühen Schulabgänger leicht erhöht. Nur noch Dänemark und Schweden weisen eine vergleichbare Entwicklung auf. In allen anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union hat sich der Anteil von jungen Erwachsenen mit niedriger Bildung 2005 verringert. Mit den Befunden der PISA-Studie zu den Schulleistungen von 15-jährigen Schü- PISA-Studie lern lassen sich die Ergebnisse zur Ungleichheit der Bildungschancen weiter vervollständigen. Die PISA-Studien sind Schulleistungsuntersuchungen, die in den Jahren 2000, 2003 und 2006 im Rahmen einer OECD-Vergleichsuntersuchung durchgeführt wurden. Ziel der Studie ist es, alltags- und berufsrelevante Kenntnisse 15-jähriger Schüler in drei Bereichen zu messen: Lesekompetenzen, mathematisches Grundwissen und naturwissenschaftliche Grundbildung, 39 von denen aus Platzgründen nur die ersten beiden Teile in diesem Abschnitt dargestellt werden. Das Hauptaugenmerk der Untersuchungen »liegt auf der Beherrschung von Prozessen, dem Verständnis von Konzepten sowie auf der Fähigkeit, innerhalb eines Bereichs mit unterschiedlichen Situationen umzugehen« (Baumert et al. 2001b: 17). Die Ergebnisse der bisherigen PISA-Studien lösten in der Bundesrepublik eine politische Debatte um strukturelle Defizite des deutschen Bildungssektors aus (Lehrermangel, Unterfinanzierung, Bildungsprobleme bei Migrantenkindern), da sie sowohl Defizite im internationalen Vergleich als auch beträchtliche innerdeutsche Leistungsunterschiede aufgezeigt haben. Finnland lag in Europa im Jahr 2006 mit der durchschnittlich höchsten Lese- Finnland erzielte beste, Rumänien schlechteste PISA- Ergebnisse kompetenz seiner Schüler ganz vorn (Tab. 17). Die Niederlande, Belgien, Dänemark und Tschechien positionieren sich im oberen Viertel des Untersuchungsfelds. Im Mittelfeld liegen Frankreich, Irland, Schweden, Deutschland und Österreich. Auch bei den mathematischen Fähigkeiten produziert das finnische Gesamtschulsystem die besten Ergebnisse, gefolgt von Großbritannien, Belgien, Frankreich und Österreich. Besonders gering war das Wissen der Jugendlichen bei der PISA-Studie 2006 in Rumänien, Bulgarien sowie in Griechenland und Italien. Dies sind Länder in Europa, die einen unterdurchschnittlichen Anteil des erwirtschafteten Bruttosozialprodukts auf öffentliche Bildungsausgaben verwenden (vgl. Tab. 16). Die angesprochenen Befunde für die Bundesrepublik bei den Lese- und Mathematik- 39 Für die Messung der Lesekompetenzen von 15-jährigen Schülern wurde eine fünfstufige Skala verwendet, die auf der untersten Stufe basale Fähigkeiten der Informationserkennung erfordert und auf der obersten Stufe ein vollständiges Verstehen und eine kritische Bewertung eines Textes nötig macht (einen Überblick über das Messkonzept bieten Artelt et al. 2001b: 86ff.). Auch für die Erfassung der mathematischen Kenntnisse von Schülern wurde eine fünfstufige Skala verwendet, deren Grundlagen in dem Beitrag von Klieme et al. (2001: 158ff.) beschrieben sind. Auf Stufe 1 dieser Skala verfügen Schüler über mathematisches Wissen auf Grundschulniveau, auf Stufe 5 sind komplexere Modellierungen und innermathematisches Argumentieren nötig. <?page no="166"?> 8.2 Verteilung von Bildungschancen 167 | Tab. 17 Lese- und Mathematikkompetenzen von Schülern Lesekompetenzen Mathematische Kompetenzen 2000 2006 2000 2006 EU-15 492 498 498 494 Belgien 501 520 507 520 Dänemark 494 513 497 514 Deutschland 495 504 484 490 Irland 517 501 527 503 Griechenland 460 459 474 447 Spanien 461 480 493 476 Frankreich 488 496 505 517 Italien 469 462 487 457 Luxemburg 479 490 441 446 Niederlande 507 531 - - Österreich 490 505 507 515 Portugal 472 466 470 454 Finnland 547 548 546 536 Schweden 507 502 516 510 Großbritannien 495 495 523 529 Bulgarien 402 413 - - Tschechien 483 510 492 498 Estland - - - - Zypern - - - - Lettland 479 486 458 463 Litauen 470 486 - - Ungarn 482 491 480 488 Malta - - - - Polen 508 495 479 470 Rumänien 396 318 - - Slowenien 494 504 - - Slowakei 466 492 - - EU-27 - - - - Quelle: Prenzel et al.(2007: 408ff.); Angaben von 2006 und 2000; EU-15-Mittelwert ungewichtet, EU-27 nicht verfügbar. kompetenzen stellen gegenüber den Ergebnissen aus dem ersten PISA-Test von 2000 eine positive Veränderung dar. Seinerzeit erzielten deutsche Schüler stark unterdurchschnittliche schulische Leistungen. Das Durchschnittsniveau der Schüler in den Spitzenländern wie Finnland oder Belgien wurde damals in Deutschland von nur 35 % der Schüler erreicht 40 (Klieme et al. 2001: 175). 40 Portugal, Deutschland, Lettland und Luxemburg waren bei der PISA-Studie 2000 die Länder, in denen bei den Lesekompetenzen ein überdurchschnittlicher Anteil von Schülern (über zehn Prozent) den Anforderungen der Kompetenzstufe 1 nicht gewachsen war. Auch auf den Kompetenzstufen 1 und 2 waren deutsche Schüler überdurchschnittlich häufig vertreten. Bei den Mathematikkenntnissen war der Anteil der Schüler - Klieme et al. (2001: 158ff.) reden von Risikogruppen -, deren Fähigkeiten über das Rechnen auf Grundschulniveau nicht hinausgehen, in Deutschland im Jahr 2000 so hoch wie in kaum einem anderen Land. <?page no="167"?> 168 8 Bildung Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Bildungssystemen ist auch die Gruppenunterschiede Betrachtung von Gruppen mit sehr guten beziehungsweise sehr geringen schulischen Kompetenzen aufschlussreich (Allmendinger/ Leibfried 2003: 70; Artelt et al. 2001b: 101) (nicht in Tab. 17 dargestellt). In Griechenland, Spanien, Italien, der Slowakei und Tschechien war in der PISA-Studie von 2006 bei den Lesekompetenzen ein überdurchschnittlicher Anteil von Schülern (circa zehn Prozent) den Anforderungen der Kompetenzstufe 1 nicht gewachsen. Auch auf der Kompetenzstufe 1 (basale Fähigkeiten der Informationserkennung) waren Schüler aus diesen Ländern überdurchschnittlich häufig vertreten (Drechsel/ Artelt 2007). Bei den Mathematikkenntnissen war der Anteil der Schüler, deren Fähigkeiten über das Rechnen auf Grundschulniveau nicht hinausgehen, ebenfalls sehr hoch. Überdurchschnittlich viele Schüler mit sehr guten Mathematik- und Lesekompetenzen fanden sich in Finnland und Belgien (Drechsel/ Artelt 2007; Frey et al. 2007). Die Streuung der Lese- und Mathematikkompetenzen ist innerhalb Europas unterschiedlich stark ausgeprägt. In Finnland war die Streuung um die Mittelwerte beim Lese- und Mathematiktest im Jahr 2006 am geringsten, in Deutschland, Bulgarien, Tschechien und Belgien war sie am stärksten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass innerhalb dieser Bildungssysteme größere Chancenungleichheiten beim Erwerb von Bildungsinhalten bestehen als in den meisten anderen europäischen Gesellschaften. Die vorliegenden Befunde der PISA-Studie legen nahe, dass dabei die Ungleichheiten bei den Bildungschancen auf die soziale Herkunft, die ethnische Zugehörigkeit, die besuchte Schulform sowie auf den Wohnort (Bundesland) zurückgehen (Allmendinger/ Leibfried 2003: 71ff.; Artelt et al. 2001a: 62ff.; Artelt et al. 2001b: 117ff.; Ehmke/ Baumert 2007: 315ff.; Walter/ Taskinen 2007: 353ff.). Die bisherige Diskussion zeigt, dass junge Menschen innerhalb Europas unterschiedlich gute Bedingungen für den Erwerb von Bildung im schulischen Bereich besitzen. Ergänzend dazu weist auch der folgende Indikator (Anteil von Studierenden an der Bevölkerungsgruppe der 18bis 39-Jährigen) auf innereuropäische Differenzen bei den Bildungschancen im tertiären Bildungsbereich hin (Schaubild 17). Die dazu verwendeten Zahlen belegen, dass die Selektivität der Bildungssysteme in den EU-Staaten auf der Ebene der schulischen Bildung beträchtliche Unterschiede bei Anteil an Studierenden in Europa Konsequenzen für die Zugangschancen zu tertiärer Bildung hat. In Malta, Österreich, der Slowakei, Zypern und Deutschland studierten 2003/ 04 die wenigsten jungen Menschen im europäischen Maßstab (zwischen sechs und neun Prozent). Österreich und Deutschland sind in dieser Gruppe die Beispiele für selektive Übergänge zwischen den einzelnen Stufen des Bildungssystems. Ohnehin erwirbt hier ein vergleichsweise geringer Anteil der Schüler einen Hochschulzugang am Ende der Schullaufbahn (OECD 2007a). Niedrigere Barrieren beim Zugang zu tertiärer Bildung gibt es in Schweden, Polen, Slowenien, dem Baltikum, Griechenland und Finnland. Zwischen 14 und über 18 % der 18bis 39-Jährigen waren hier 2003/ 04 in tertiäre Bildungssysteme <?page no="168"?> 8.3 Bildungsungleichheit innerhalb der EU-Mitgliedsländer 169 | Schaubild 17 Anteil der Studenten an der Bevölkerungsgruppe der 18bis 39-Jährigen 0 2 4 6 8 0 1 2 1 4 1 6 1 8 1 0 2 a t l a M h c i e r r e t s Ö k a w o l S ei n r e p y Z c s t u e D h d n a l n e i h c e h c s T e i r a g l u B n n ä m u R i n e l r e d e i N a e d n b ß o r G r n e i n n a t i n e i l a t I a g u t r o P l 7 2 - U E h c i e r k n a r F n e i n a p S n e i g l e B d n a l r I m e n ä D a k r n r a g n U d e w h c S en n e l o P i n e w o l S en d n a l t s E d n a l t t e L n e u a t i L h c e i r G e d n a l n d n a l n n i F Quelle: OECD (2007: 41); kein Wert für Luxemburg verfügbar, Angaben für 2003/ 04. integriert. Das sind Staaten mit einem gesamtschulartigen Bildungssystem, in dem alle Schüler einer Alterskohorte acht beziehungsweise neun Jahre gemeinsam in einer Einrichtung verbringen (Döbert et al. 2002; Gries et al. 2005). Der Anteil der Schüler, die hier einen Hochschulzugang erwerben, ist in der Regel hoch. Mindestens drei Viertel aller Schüler legen das Abitur ab. Der Fall von Slowenien ist interessant, da hier eine ähnlich niedrige Abiturientenquote wie in Deutschland oder Österreich besteht. Dennoch sind die Zugangschancen zu tertiären Bildungseinrichtungen offensichtlich viel besser. Zwischen diesen beiden Ländergruppen positionieren sich beispielsweise Frankreich, Portugal und Spanien, die einen mittleren Anteil von Studierenden in der Altersgruppe der 18bis 39-Jährigen aufweisen. 8.3 Bildungsungleichheit innerhalb der EU-Mitgliedsländer Methodische Hinweise In diesem Abschnitt werden Ergebnisse der PISA-Studie nach sozialer und ethnischer Herkunft vorgestellt. Danach werden auf Grundlage von OECD-Daten und Daten der Europäischen Kommission der Anteil der weiblichen Absolventen tertiärer Bildungseinrichtungen sowie Studierende nach ihrer sozialen Herkunft differenziert abgebildet. <?page no="169"?> 170 8 Bildung Bildungsungleichheit innerhalb der EU-Mitgliedsländer im Schulbereich In den letzten drei Jahrzehnten der bildungssoziologischen Diskussion richteten sich die Forschungsinteressen vor allem auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten sowie auf die Bildungschancen von Arbeiterkindern und Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Konietzka 2007: 273). Geschlechtsspezifischen Ungleichheiten wurde dabei anfangs ein besonderer Stellenwert beigemessen, da sie gesellschaftspolitisch durch die den 1968er-Ereignissen folgenden Bildungsreformen im Zentrum der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussionen standen. In der Forschung herrscht inzwischen der Konsens, dass diese Bildungsbenachteiligungen von Frauen in den europäischen Gesellschaften zunehmend der Vergangenheit angehören. Die Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen aus niedrigen sozialen Schichten, zum Beispiel aus Arbeiterhaushalten, ist hingegen in vielen europäischen Gesellschaften noch immer ein Problem. Zusätzlich ist in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich geworden, dass die ethnische Herkunft bei der Zuweisung von Bildungschancen eine große Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Abschnitt die unterschiedliche Leis- Lesekompetenzen tungsfähigkeit europäischer Bildungssysteme und die Selektivität bei der Verteilung von Bildungschancen, differenziert nach sozialer Herkunft und ethnischer Herkunft, dargestellt (exemplarisch zunächst mit einem Fokus auf das Abschneiden von Schülern im PISA-Test in Bezug auf Lesekompetenzen). Schaubild 18 | Lesekompetenzen nach sozialer Herkunft 140 120 100 80 60 40 20 0 0 0 0 2 6 0 0 2 Bulgarien Ungarn Frankreich Belgien Deutschland Tschechien Luxemburg Slowakei Litauen Slowenien Griechenland Portugal Österreich Rumänien Niederlande Großbrittanien Polen Spanien Irland Schweden Dänemark Lettland Italien Finnland Quelle: Prenzel et al. (2007: 408ff.); abgebildet sind Interquartilsabstände zwischen der durchschnittlichen Lesekompetenz von Schülern des oberen und des unteren Viertels der Sozialstruktur. <?page no="170"?> 8.3 Bildungsungleichheit innerhalb der EU-Mitgliedsländer 171 In allen untersuchten Ländern treten soziale Disparitäten beim Erwerb von Lese- Deutschland, Ungarn, Belgien: starke Leistungsunterschiede nach sozialer Herkunft kompetenzen auf. Diese Disparitäten sind in Bulgarien, Ungarn, Frankreich, Belgien und Deutschland am größten. Hier hebt sich das verfügbare Wissen von Jugendlichen aus oberen sozialen Schichten am deutlichsten von dem Wissen der Jugendlichen unterer sozialer Schichten ab. »Selbst die Vereinigten Staaten, die immer wieder als Beispiel für große soziale Disparitäten in den Bildungschancen angeführt werden, weisen […] niedrigere sozial bedingte Leistungsunterschiede auf.« (Baumert/ Schümer 2001: 383) Auch die Teilstudie zu den mathematischen Fähigkeiten (nicht im Schaubild dargestellt) bestätigt im Übrigen das schlechte Abschneiden von Schülern aus bildungsfernen Schichten in Deutschland, Ungarn und Belgien. Sie sind deutlich schlechter gestellt als Schüler aus niedrigen sozialen Schichten anderer Teilnehmerstaaten der PISA-Studie. Finnland und mit einigem Abstand Italien, Lettland, Dänemark und Schweden sind die Länder in Europa, bei denen die soziale Herkunft für den Bildungserfolg beim Erwerb von Lesekompetenzen am wenigsten wichtig ist. Das Beispiel Finnland ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen ist es das Land mit den besten Testergebnissen im europäischen Vergleich. Zum anderen sind die Unterschiede in den sozialen Lagen der Familien nur wenig schwächer ausgeprägt als in Deutschland. Es lässt sich kaum deutlicher eine allgemein hohe Leistungsfähigkeit und gleichzeitig große Gleichheit von Bildungschancen für Jugendliche unterschiedlicher sozialer Lagen demonstrieren, als dies mit dem finnischen Beispiel möglich ist. »Die Entkoppelung von sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb muss offensichtlich nicht mit einem Niveauverlust erkauft werden.« (Baumert/ Schümer 2001: 389) Im zeitlichen Verlauf gab es eine Reihe interessanter Entwicklungen: Finnland Unterschiede nach sozialer Herkunft gestiegen weist auch im Jahr 2006 die geringsten Unterschiede in den schulischen Kompetenzen in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft auf. Ferner zeigen die Befunde in Schaubild 18, dass die Differenzen in den Schulleistungen zwischen Schülern des oberen und des unteren Viertels der Sozialstruktur seit dem Jahr 2001 in den meisten EU-Staaten zugenommen haben. Österreich und Frankreich sind Beispiele für sich deutlich verschlechternde Leistungen von Schülern aus bildungsfernen Schichten. Schweden und Großbritannien sind die einzigen Länder, in denen die auf sozialer Herkunft basierenden Differenzen in den schulischen Kompetenzen kleiner geworden sind. Anknüpfend an diese Befunde werden im Folgenden die schulischen Leistunstarke Leistungsunterschiede nach ethnischer Herkunft gen von Schülern mit und ohne Migrationshintergrund dargestellt (Schaubild 19). Dazu werden die Länder betrachtet, in denen mindestens 2,5 % der Familien einen Migrationshintergrund besitzen. In Belgien können wir für das Jahr 2006 zwischen Schülern aus einheimischen Haushalten, bei denen zu Hause die Landessprache gesprochen wird, und Schülern, bei denen mindestens ein Elternteil aus dem Ausland zugewandert ist, die größten Unterschiede in den Lesekompetenzen beobachten (102 Skalenpunkte = circa 1,5 Kompetenzstufen). Danach folgen Dänemark, Deutschland, Portugal, Italien, Schweden und die Niederlande, wo sich <?page no="171"?> 172 8 Bildung Schaubild 19 | Lesekompetenzen nach ethnischer Herkunft 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Differenz in Leistungspunkten 0 0 0 2 6 0 0 2 Irland Griechenland Großbritannien OECD-Durchschnitt Frankreich Osterreich Spanien Niederlande Schweden Italien Portugal Luxemburg Deutschland Dänemark Belgien Lettland Quelle: Prenzel et al. (2007: 408ff.); dargestellt sind Differenzen in den Lesekompetenzen zwischen inländischen Schülern und Schülern mit im Ausland geborenen Eltern. ebenfalls beträchtliche Unterschiede zwischen einheimischen Schülern und Schülern mit Migrationshintergrund finden lassen (66 bis 78 Skalenpunkte = 1 Kompetenzstufe). Eine Begründung für dieses Ergebnis liefern Baumert und Schümer (2001: 394): Am größten sind die Unterschiede nach ethnischer Zugehörigkeit in den Staaten, die als »Zielländer der jüngeren europäischen Arbeitsmigration und als Aufnahmeländer für politische und Bürgerkriegsflüchtlinge« gelten können. Selbst wenn beide Elternteile nicht im Ausland geboren wurden und dennoch einen Migrantenstatus haben (zu Hause nicht die einheimische Sprache, sondern die Muttersprache gesprochen wird), beträgt der Abstand zu den Einheimischen in Ländern wie Belgien, Dänemark oder Deutschland circa eine Kompetenzstufe. Auch bei den mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen (nicht im Schaubild dargestellt) zeigt sich, dass in Deutschland und Belgien die schulischen Fähigkeiten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sehr viel stärker von den Einheimischen abweichen als in anderen untersuchten Staaten (Walter/ Taskinen 2007: 359). Im innereuropäischen Vergleich sind die Unterschiede zwischen Migrantenkindern und einheimischen Kindern am geringsten in Irland, Griechenland und Großbritannien. In Irland und Großbritannien beherrschen viele Zuwanderer Englisch ohnehin als Zweitsprache, so dass Nachteile aufgrund fehlender Sprachkenntnisse weniger ins Gewicht fallen und vor allem weniger an deren Nachkommen weitergegeben werden (Baumert/ Schümer 2001: 396). Die genannten Länder sind Beispiele für eine gelungenere Integrationspolitik im Bildungsbereich, trotz des ver- <?page no="172"?> 8.3 Bildungsungleichheit innerhalb der EU-Mitgliedsländer 173 stärkten Zuzugs von innereuropäischen Migranten und Migranten aus anderen Regionen in den 1990er-Jahren (vgl. Kapitel 6). Zwischen der ersten und der dritten PISA-Studie haben sich die Unterschiede in den schulischen Kompetenzen zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund in einigen Ländern verringert. In anderen Ländern sind diese Unterschiede deutlich größer geworden. Zur erstgenannten Gruppe zählen Dänemark, Österreich, Deutschland und die Niederlande. Großbritannien, Schweden, Italien und vor allem auch Portugal sind Beispiele für eine Vergrößerung ethnisch bedingter Leistungsunterschiede im Bildungssystem. Bildungsungleichheitinnerhalb der EU-Mitgliedsländerim Hochschulbereich Für die Diskussion von Bildungsungleichheit innerhalb von entwickelten westli- Benachteiligung von Frauen beim Zugang zu tertiärer Bildung ist Vergangenheit chen Gesellschaften sind geschlechtsspezifische Bildungschancen aufgrund der Benachteiligung von Frauen im 19. und 20 Jahrhundert ein wichtiges Thema. Anhand von aktuellen Daten zeigt sich, dass die Bildungsbenachteiligungen von Frauen in den europäischen Gesellschaften weitgehend der Vergangenheit angehören. Im Gegenteil, Frauen studieren inzwischen in allen EU-Mitgliedsländern häufiger als Männer (Schaubild 20), sie sind deutlich seltener unter den Schulabbrechern zu finden (Eurostat 2008a) und in Teilen der PISA-Studien erzielen sie bessere Ergebnisse als Männer (Drechsel/ Artelt 2007). Besonders hoch ist der Anteil von Frauen, die ein Hochschulstudium absolvieren, im Baltikum, in Portugal, Polen, Zypern, Ungarn, Schweden und Finnland. Hier kommen auf 100 Männer, die ein Studium beenden, 150 bis 225 Frauen. | Schaubild 20 Anzahl weiblicher Hochschulabsolventen 100 125 150 175 200 225 Österreich Deutschland Malta Slowakei Niederlande Frankreich Großbrittanien Tschechien Dänemark Belgien Spanien Irland Italien Rumänien Bulgarien EU-25 Slowenien Schweden Ungarn Finnland Zypern Lietauen Polen Portugal Estland Lettland Quelle: Europäische Kommission (2005: 317), keine Zahlen für Griechenland, EU-15, EU-27 verfügbar; Angaben für 2002 (Dänemark 2001) bezogen auf 100 männliche Hochschulabsolventen. <?page no="173"?> 174 8 Bildung Dabei konzentrieren sich weibliche Studierende nicht mehr nur auf »klassische« Studiengänge von Frauen (Erziehungswissenschaften, Pädagogik, Sozialwissenschaften), sondern sind zunehmend auch in naturwissenschaftlichen Studiengängen zu finden (European Commission 2007a; OECD 2007a; TNS Opinion & Social 2005). Besonders geringe geschlechtsspezifische Unterschiede im Bildungserfolg beobachten wir in Österreich und Deutschland. Dazwischen gruppieren sich Länder wie Italien, Irland, Spanien, Dänemark oder Bulgarien, wo statistisch gesehen Frauen zwischen 30 und 35 % häufiger einen Hochschulabschluss erwerben als Männer. Die insgesamt besseren Bildungschancen von europäischen Frauen (Durchschnitt EU-25: 36 % mehr weibliche Absolventen) in tertiären Bildungseinrichtungen stellen insofern keine Überraschung dar, als in allen europäischen Staaten (Ausnahme Malta) mehr Frauen als Männer einen Hochschulzugang erwerben. Laut Angaben von Eurostat (2008a) ist der Anteil weiblicher Abiturienten innerhalb der erweiterten Union um etwa 25 % höher als der der männlichen Abiturienten. Frauen haben offensichtlich höhere Bildungsaspirationen als Männer. Dass sich dies in einigen Ländern (Beispiele sind Irland und Großbritannien) auch in besseren Arbeitsmarktchancen manifestiert (geringere Arbeitslosigkeit), wurde bereits in Kapitel 7 diskutiert. Schaubild 21 zeigt, wie ungleich innerhalb einzelner Mitgliedsländer der EU Deutschland, Österreich, Frankreich, Portugal: Benachteiligung von Arbeiterkindern der Zugang zu tertiärer Bildung nach der sozialen Herkunft verteilt ist. Deutschland, Österreich, Frankreich und Portugal sind Beispiele für hohe Barrieren beim Zugang zu tertiärer Bildung für Kinder aus Arbeiterhaushalten. Zwischen 16 und 29 % der Studierenden stammen aus solchen Haushalten. Der Bevölkerungsanteil von Arbeitern in der Bevölkerungsgruppe der Väter ist in diesen Ländern in etwa doppelt so hoch. Im europäischen Vergleich finden sich in den Niederlanden sehr wenige junge Menschen aus Arbeiterhaushalten in tertiären Bildungseinrichtungen (circa fünf Prozent der Studierenden). Allerdings lag diese Quote nicht wesentlich unter dem Anteil von Arbeitern in der Bevölkerungsgruppe der Väter zwischen 40 und 60 Jahren. Im Gegensatz zur erstgenannten Ländergruppe ist in Spanien und vor allem Irland die Benachteiligung von Kindern aus Arbeiterhaushalten beim Zugang zu tertiärer Bildung weniger ausgeprägt. Sehr viel günstigere Chancen auf ein Universitätsstudium haben in den hier betrachteten Mitgliedsländern Jugendliche, wenn sie aus einem Haushalt stammen, in dem der Vater über einen Hochschulabschluss verfügt (Schaubild 21, rechte Hälfte). Den höchsten Anteil von Studierenden aus solchen Haushalten finden wir in Großbritannien. Eine ebenfalls in etwa doppelt so gute Chance auf ein Hochschulstudium besitzen Jugendliche aus Elternhäusern mit hohem Bildungs- Irland: keine Selektion nach sozialer Herkunft bei Hochschulzugang kapital, wenn sie in Deutschland, Frankreich oder Österreich leben. Noch besser sind im Vergleich die Bildungschancen von portugiesischen Jugendlichen, die in 29 von 100 Fällen aus Haushalten stammen, in denen der Vater einen Hochschulabschluss besitzt (zur Selektivität des portugiesischen Bildungssystems siehe u. a. Cabrito 2001). Der Anteil dieser Gruppe an der Bevölkerungsgruppe der 40bis 60-jährigen Männer lag 2005 nur bei neun Prozent. Vor allem Irland und mit Ein- <?page no="174"?> 8.3 Bildungsungleichheit innerhalb der EU-Mitgliedsländer 175 | Schaubild 21 Studierende nach sozialer Herkunft 0 10 20 30 40 50 60 e d n e r e i d u t S ) . J 0 6 - 0 4 ( r e t ä V r e d e p p u r g s r e t l A n i l i e t n a s g n u r e k l ö v e B NL, Vater: Arbeiter IR, Vater: Arbeiter FR, Vater: Arbeiter D, Vater: Arbeiter FI, Vater: Arbeiter Ö, Vater: Arbeiter SP, Vater: Arbeiter PO, Vater: Arbeiter PO, Vater: Akademiker Ö, Vater: Akademiker D, Vater: Akademiker SP, Vater: Akademiker FR, Vater: Akademiker IR, Vater: Akademiker NL, Vater: Akademiker UK, Vater: Akademiker Fl, Vater: Akademiker Quelle: OECD (2007a: 116, 119); Angaben von 2005; Werte Großbritannien: nur England und Wales. schränkungen Spanien und die Niederlande sind Beispiele für Gesellschaften, in denen beim Zugang zu höherer Bildung Jugendliche aus Akademikerhaushalten in einem geringeren Maße bevorzugt werden. Unter Berücksichtigung aller Ergebnisse des Kapitels 8 kann man konstatieren, dass das Bildungsniveau (Anteil der Schulabbrecher, Abiturienten, Hochschulabsolventen) innerhalb Europas in Skandinavien und einigen osteuropäischen Beitrittsnationen am höchsten und in den südeuropäischen Staaten deutlich niedriger ist. Dazwischen positionieren sich Länder wie Großbritannien, Frankreich, die Benelux-Staaten und Deutschland. Bildungschancen sind am Beginn des 21. Jahrhunderts weniger ungleich verteilt als noch in den 1950er-Jahren, wenn man die Veränderungen bei den Zugangsmöglichkeiten zu universitärer Bildung von Frauen oder den Rückgang der Schulabbrecherquoten berücksichtigt. Dennoch gilt: Die großen Unterschiede, die wir beim Zugang zu tertiärer Bildung und bei den PISA-Befunden zwischen und innerhalb der Nationalstaaten (ethnische und soziale Herkunft) feststellen konnten, werden »Bildungsungleichheiten als soziale Frage des 21. Jahrhunderts« (Becker/ Lauterbach 2007: 9) weiter im Mittelpunkt öffentlicher und wissenschaftlicher Diskussionen stehen lassen. Dabei sind die Ungleichheiten der Bildungschancen nach sozialer und ethnischer Herkunft im europäischen Vergleich besonders deutlich in Frankreich, Belgien, Deutschland, Portugal, Ungarn und Bulgarien ausgeprägt. Finnland und Irland sind Länder, in denen solche Formen sozialer Ungleichheit wenig beobachtet werden können. <?page no="175"?> 9 Soziale Ungleichheit Definition Als soziale Ungleichheit bezeichnet man wertvolle und nicht absolut gleich verteilte, vorteilhafte und nachteilige Lebensbedingungen von Menschen, die ihnen aufgrund ihrer Position in gesellschaftlichen Beziehungsgefügen zukommen (Hradil 2001: 27ff.). Wer von sozialer Ungleichheit spricht, spricht deshalb von gesellschaftlich verankerten Formen der Begünstigung einiger und der Benachteiligung anderer (Kreckel 2004: 15f.). In modernen Gesellschaften ist soziale Ungleichheit in unterschiedlichster Form ausgeprägt und führt in unterschiedlichem Maße zu ihrer Institutionalisierung als Klassen, Schichten oder Milieus (Schäfers/ Kopp 2006: 329). Die wissenschaftliche Diskussion um die Ursachen und Dauerhaftigkeit sozialer Ungleichheit geht auf Schriften von Karl Marx (1960 [1852]; Marx/ Engels 1959 [1848]) und Max Weber (Weber 1980 [1922]) zurück (vgl. auch Abschnitt 3.2). 41 Beide Autoren führen die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Lebenschancen auf Strukturen und Prozesse in der Ökonomie zurück. Noch deutlicher als Weber vertritt Marx dabei eine vertikale Ungleichheitskonzeption, mit der sich Individuen aufgrund ihrer spezifischen ökonomischen Situation zu unterschiedlichen sozialen Großgruppen - sozialen Klassen - zuordnen lassen. Beide Autovertikale soziale Ungleichheit ren haben für die Soziologie eine Tradition der Analyse vertikaler Ungleichheiten begründet, die sich in Klassentheorien (Dahrendorf 1957; Erikson/ Goldthorpe 1992; Featherman/ Hauser 1978; Giddens 1979, 1983), in Schichttheorien der 1950erbis 1970er-Jahre (Bolte 1961; Dahrendorf 1965; Davis/ Moore 1945; Geiger 1972 [1932]; Geißler 1987) oder in aktuellen Theorien zu sozialen Milieus (Bourdieu 1984; Vester et al. 2001) wiederfinden lassen. In diesen Theorien zentrale Ungleichheiten sind zum Beispiel Macht, Prestige, Bildung, Einkommen und Vermögen. In den 1980er-Jahren verlagerten sich die Schwerpunkte der Ungleichheitsforschung auf die Analyse von nichtvertikalen, horizontalen Disparitäten horizontale soziale Ungleichheit (Hradil 1992: 15ff.). Jetzt wurden alters- und geschlechtsspezifische Ungleichheiten, aber auch Ungleichheiten zwischen Regionen, nach Haushalts- und Familienform oder nach ethnischer Zugehörigkeit immer wichtiger in der Debatte. Gleichzeitig wurden verstärkt nicht ausschließlich arbeitsmarktbezogene Bereiche sozialer Ungleichheit wie Armut und Diskriminierung thematisiert. Diese Entwicklung schlug sich auch in einer Ausdifferenzierung von theoretischen Konzepten nieder, wodurch beispielsweise Theorien zu Lebensstilen (Hartmann 1993; Konietzka 41 Theoriegeschichtlich kann die Diskussion um soziale Ungleichheit noch früher datiert werden. Ausgangspunkt ist die Streitschrift des französischen Philosophen Jean-Jaques Rousseaus über den »Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen« von 1754. In dieser unterscheidet Rousseau zwischen Ungleichheiten, die in der menschlichen Natur gründen, und Ungleichheiten, die gesellschaftlich erzeugt werden. <?page no="176"?> 9 Soziale Ungleichheit 177 1995; Müller 1992) und sozialen Lagen (Hradil 1987; Zapf et al. 1996) an Bedeutung gewannen. Die aktuelle Debatte um die Besonderheiten der Ungleichheitsentwicklung im Nivellierung sozialer Ungleichheit modernen Kapitalismus wird vor diesem Hintergrund von zwei Lagern bestimmt. Im »optimistischen« Lager - welches unter anderem durch die Schriften von Schelsky (1965), Bell (1985), Beck (1986), Hradil (1987) und Schulze (1992) geprägt wird - verlieren gesellschaftliche Ungleichheiten zunehmend an Bedeutung. Qualifikationsanreicherung, Teamwork und Abbau von Hierarchien in der Produktion, die Bildungsexpansion, die Funktionsweise wohlfahrtsstaatlicher Institutionen, die Verbreitung von Individualisierungsprozessen, die Zunahme der horizontalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft sowie die Vervielfältigung von Lebensformen und Lebensstilen oder die Entstandardisierung von Lebensverläufen lassen in dieser Lesart eine Nivellierung vertikaler Ungleichheit erwarten. Demnach wäre das sogenannte Homogenitätsparadigma, welches an der Vorstellung eines durch Berufspositionen dominierten vertikalen Gefüges von Klassen und Schichten sowie eines engen Zusammenhangs von objektiven Ungleichheiten und individuellen Handlungsorientierungen festhält, in dieser Form nicht mehr zu halten und müsste durch ein Differenzierungsparadigma ergänzt werden (Berger/ Vester 1998: 11f.). Solchen Positionen widersprechen eine Reihe von Autoren (Baumol 1967; Bra- Polarisierung sozialer Ungleichheit verman 1977; Dangschat 1998; Esping-Andersen 1993; Geißler 1998; Kreckel 2004), die auf Massenarbeitslosigkeit und wachsende Armut als herausragende Merkmale der post-industriellen Sozialstruktur, auf die Proletarisierung und Feminisierung der Dienstleistungsarbeit und ungebrochen hohe Bildungsungleichheit hinweisen. Korrespondierend damit werden ein Abbau des Wohlfahrtsstaats, die Zunahme sozialer und ethnischer Segregation in den Großstädten und eine Verschärfung von vertikalen Ungleichheitsverhältnissen beobachtet. Als Folge dieser Entwicklungen ist die Polarisierung der Sozialstruktur eines der zentralen Strukturmerkmale moderner Gesellschaft. In dieser Lesart teilt sich, zugespitzt gesehen, die post-industrielle Sozialstruktur in eine Gruppe hoch qualifizierter Angestellter auf der einen Seite und ein unterprivilegiertes Dienstleistungs- und Industrieproletariat auf der anderen Seite (Braverman 1977; Erikson/ Goldthorpe 1992; Gorz 1989; Scharpf 1986). Durch die empirische Forschung ist allerdings weder der eindeutige Nachweis der Nivellierung noch der der Polarisierung der Sozialstruktur erbracht worden. Gegen die Nivellierungsthese spricht, dass sich kaum Belege für einen Abbau sozialer Ungleichheiten ausmachen lassen. Andererseits ist auch der Nachweis der Polarisierung bisher nicht ohne weiteres zu erbringen. Die Vertreter beider Strömungen innerhalb der Sozialstrukturforschung stimmen dennoch in drei entscheidenden Punkten überein (Eder 1993; Geißler 1998, 2006; Hradil 2001, 2005; Kreckel 1998; Vester et al. 2001): 1. Eine »neue« horizontale Differenzierung von Ungleichheitsstrukturen modifiziert das Ungleichheitsgefüge in der postindustriellen Gesellschaft. 2. Zugleich bleibt die vertikale Strukturierung der Gesellschaft <?page no="177"?> 178 9 Soziale Ungleichheit folgenreich für die Verteilung von Lebenschancen, was sich in erster Linie durch die Zentralität des Arbeitsmarktes und dort generierter ungleicher Einkommen begründet. 3. Die nationalen Institutionensysteme (Wohlfahrtsstaat, Bildungssystem) beeinflussen auf spezifische Weise die Ausprägung von Ungleichheitsstrukturen. Zudem gibt es große Unterschiede zwischen den europäischen Ländern, wodurch eine pauschale Beantwortung der Frage nach dem Strukturwandel der Ungleichheit schwer ist (Atkinson 2000; DiPrete 2007; Esping-Andersen 1999; Hradil 2005, 2006a; Katz/ Autor 1999; Offe/ Fuchs 2007; Schulten 2006). In Ländern mit einem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat ist die soziale Ungleichheit gering, in liberalen und postsozialistischen Gesellschaften ist die Verteilung von Ressourcen hingegen sehr ungleich. Dazwischen lassen sich Gesellschaften mit konservativen Wohlfahrtsstaaten einordnen, in denen Ungleichheit zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen mittelstark ausgeprägt ist. Vergleicht man Europa als Ganzes mit den USA oder mit Staaten wie Indien oder Russland, dann wird traditionell für den »alten Kontinent« von einer vergleichsweise geringen Ausprägung sozialer Ungleichheiten ausgegangen (Berger 2005; Firebaugh 2003; Lee et al. 2007). Die meisten empirischen Annäherungen an das Problem der sozialen Ungleichheit beziehen sich auf die Verteilung von Gütern, die in einer Gesellschaft als wertvoll gelten und die Lebens- und Handlungsbedingungen des Einzelnen maßgeblich beeinflussen (Hradil 2001). Die Verfügung über Einkommen und Vermögen stellt einen wichtigen Teilbereich der gesamtgesellschaftlichen Güterverteilung dar, weil monetäre Ressourcen leicht zu konvertieren sind und in der Regel mit bestimmten Möglichkeiten zur Verwirklichung von Lebenszielen einhergehen. An ihrer innergesellschaftlichen Verteilung lässt sich ablesen, ob wir es mit deutlich ungleich verteilten Lebenschancen zu tun haben, und ob die vertikale Ressourcenverteilung über die Zeit gleicher oder ungleicher wird. Diesem für die Sozialstrukturforschung zentralen Thema widmen sich die folgenden Abschnitte in denen die Ungleichheit der Einkommen (Markteinkommen, Mindestlöhne, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede und Haushaltseinkommen, 9.1) und die Ungleichheit der Vermögen (9.2) diskutiert werden. Danach werden die zwischen und innerhalb der Mitgliedsländer der Europäischen Union variierenden Armutsrisiken (9.3) vorgestellt. 9.1 Einkommensungleichheit Methodische Hinweise Für eine Darstellung von Arbeitseinkommen (Markteinkommen) werden Eurostat- Angaben zu Bruttojahreseinkommen von Vollzeitbeschäftigten in der Industrie und im Dienstleistungssektor herangezogen, die in Unternehmen mit mindestens zehn Beschäftigten tätig sind. Die Angaben berücksichtigen die Kaufkraftunterschiede (KKS) in der EU. <?page no="178"?> 9.1 Einkommensungleichheit 179 Für die Ungleichheit der Arbeitseinkommen zwischen den EU-Mitgliedsländern wird die D9/ D1-Ratio genutzt. Das ist ein gebräuchliches Maß zur Charakterisierung der Gesamtungleichheit in einer Verteilung und bildet die Relation zwischen dem obersten Lohn im neunten Dezil und dem obersten Lohn im ersten Dezil einer Lohnverteilung ab. Mindestlöhne sind gesetzlich festgelegte Mindestbruttoeinkommen (auf Stunden- oder Monatsbasis) für in einem Arbeitsrechtsverhältnis stehende Arbeitnehmer. In diesem Abschnitt werden Mindestlöhne mit Hilfe von Eurostat-Daten empirisch dargestellt: a) als Anteil der Mindestlohnempfänger an den Vollzeitbeschäftigten in den jeweiligen Mitgliedsländern der EU; b) als monatliche Bruttolöhne, d. h. Löhne vor Abzug der Einkommenssteuer und der Sozialbeiträge, ausgedrückt in Euro (KKS). Für eine Betrachtung der Einkommensungleichheit auf Haushaltsebene wurde auf der Basis von Eurostat-Daten ein Indikator gewählt (Quintilverhältnis Q5/ Q1), mit dem das Einkommen des Bevölkerungsanteils (20 %) mit dem höchsten Einkommen (oberstes Quintil) in ein Verhältnis zum Einkommen des Bevölkerungsanteils (20 %) mit dem niedrigsten Einkommen (unterstes Quintil) gesetzt wird. Grundlage ist das verfügbare Haushaltsäquivalenzeinkommen - nach Abzug von Einkommens-, Vermögenssteuern und Sozialabgaben sowie unter Berücksichtigung von Transfers zwischen Haushalten. Zusätzlich werden die Gini-Indizes für die Haushaltseinkommen angegeben. Der Gini-Index ist ein sehr gebräuchliches Maß für die Darstellung von Einkommensungleichheit. Er kann Werte zwischen 0 und 1 einnehmen und damit zwischen vollkommener Gleichverteilung und maximaler Ungleichverteilung variieren. Einen lesenswerten Überblick zum Gini-Index liefert Diekmann (2007). Geschlechtsspezifische Lohnunterschiede werden als Differenzen zwischen den durchschnittlichen Brutto-Stundenverdiensten von Männern und Frauen abgebildet. Berücksichtigt werden nur Erwerbstätige zwischen 16 und 64 Jahren, die mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten. Grundlage sind Daten von Eurostat. Die Ungleichheit von Einkommen ist eines der zentralen Themen der Sozial- Einkommensungleichheit strukturforschung. Einkommensungleichheit wird vor allem dann Gegenstand der soziologischen Aufmerksamkeit, wenn bestimmte Gruppen wesentlich höhere oder niedrigere Einkommen erzielen als andere Gruppen (Hradil 2001: 254f.). Wenn sich diese Ungleichheiten mit anderen sozialen Unterschieden wie etwa zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen oder zwischen Männern und Frauen verbinden, ergeben sich zusätzliche Benachteiligungen, die auch politischen Konfliktstoff in sich bergen. Einkommensverteilungen sind in erster Linie strukturell bedingt, d. h. sie werden primär durch das Produktivitätsniveau, das gesellschaftliche Institutionengefüge (Bildungsinstitutionen, Wohlfahrtsstaat) und die manifesten Strukturen des Arbeitsmarktes (zum Beispiel Qualifikationsniveau der Beschäftigten, Anteil der Großbetriebe, Beschäftigungsquote, Anteil der Frauenerwerbsarbeit) bestimmt. In der Forschung zur Einkommensungleichheit lassen sich Betrachtungen individueller Arbeitseinkommen (z. B. DiPrete/ McManus 1996; Giesecke/ Verwiebe 2008a, b; Gottschalk/ Smeeding 1997; Hinz/ Gartner 2005) von Analysen unterscheiden, bei denen die Ungleichheit der Haushaltseinkommen untersucht wird (z. B. Brenke 2005; Frick/ Grabka 2005; Krause/ Habich 2000; Schupp et al. 2003). Erstere Diskussion beschränkt sich auf die im Arbeitsmarkt generierte Ungleichheit. Man <?page no="179"?> 180 9 Soziale Ungleichheit spricht hier auch von Markteinkommen und der darauf beruhenden primären Einkommensungleichheit (Klein 2005: 338), welches allerdings das Ungleichheitsgefüge auf Haushaltsebene ausblendet. Dieses wird in der Regel zusätzlich zu den Arbeitseinkommen durch wohlfahrtsstaatliche Transferleistungen und die Anzahl der im Haushalt lebenden Personen beeinflusst. Ausschlaggebend für die individuelle Wohlfahrt sind, so Klein (2005: 338), letztlich die Partizipationsmöglichkeiten eines Menschen an allen Einkommensressourcen eines Haushaltes. Einkommensungleichheit zwischen den Mitgliedsländern der EU Betrachtet man anknüpfend an diese Unterscheidung zunächst individuelle starke Ungleichheit der Markteinkommen Arbeitseinkommen (Markteinkommen), so zeigt sich am Anfang des 21. Jahrhunderts eine starke Ungleichheit zwischen den Mitgliedsländern der Union (Schaubild 22). Die Kernstaaten der EU stehen auf der einen Seite und die osteuropäischen Beitrittsnationen auf der anderen Seite der Einkommensverteilung: In Dänemark lagen 2006 die durchschnittlichen Bruttojahresverdienste im Industrie- und Dienstleistungssektor bei circa 48.000 Euro (2001: 41.700 Euro). Kontrolliert man wie hier geschehen für Kaufkraftunterschiede, dann liegen die Löhne der Schaubild 22 | Bruttoeinkommen in der Industrie und im Dienstleistungssektor 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 5000 1 0 0 2 6 0 0 2 Bulgarien Litauen Rumänien Lettland Polen Slowakei Ungarn Tschechien Malta Portugal Griechenland Spanien Zypern Finnland Schweden EU-15 Österreich Belgien Niederlande Irland Deutschland Luxemburg Großbritannien Dänemark Frankreich D9/ D1-Ratio Einkommen D5/ D1-Ratio Einkommen D9/ D5-Ratio Einkommen 2001 15,82 7,01 2,25 2006 14,46 7,02 2,06 Quelle: Eurostat (2008b), Europäische Kommission (2007c); Angaben von Jahreseinkommen für Vollzeitbeschäftigte in Euro (KKS); Angaben von 2006 (Griechenland 2003; Irland und Polen 2004); Angaben von 2001 (Österreich, Rumänien, Lettland 2003; Litauen 2002); eigene Berechnungen. <?page no="180"?> 9.1 Einkommensungleichheit 181 dänischen Beschäftigten sogar über denen in der Schweiz und Norwegen - die traditionell an der Spitze der europäischen Einkommenspyramide stehen (Eurostat 2008b). Auch in der Bundesrepublik, in Großbritannien oder Luxemburg werden ähnlich hohe Einkommen erzielt, die 42.000 bis 44.000 Euro betrugen (2001: 38.000 bis 39.000 Euro). Portugal oder Griechenland lagen mit Jahreseinkommen von etwas über 15.000 Euro deutlich unter dem Durchschnitt der EU-15-Staaten und in relativer Nähe zu Ländern wie Tschechien und Ungarn. Die mit Abstand geringsten Bruttojahresverdienste im Industrie- und Dienstleistungssektor erzielten im Jahr 2006 die Beschäftigten in Bulgarien, Rumänien und Lettland (2.000 bis 5.000 Euro). Betrachtet man die vorliegenden Zahlen in Relation zum Durchschnittsver- Einkommen in Bulgarien liegen bei 4,5 % des dänischen Niveaus dienst der erweiterten Europäischen Union (EU-27, 2006: 28.992 Euro), so treten die Konturen innereuropäischer Ungleichheit deutlich zutage. In Bulgarien erzielen die Beschäftigten ein Einkommen, welches bei knapp acht Prozent des EU-27-Durchschnitts liegt. Im Vergleich zu den dänischen Arbeitnehmern haben die bulgarischen Arbeitnehmer ein Einkommen, welches sogar um den Faktor 22 kleiner ist; ein Ausdruck der großen Differenzen in der Wertschöpfung und Arbeitsproduktivität dieser beiden Ländern (OECD 2007c: 29, 138). Selbst die Arbeitnehmer in Tschechien, dem osteuropäischen Beitrittsland mit den höchsten Markteinkommen, verfügen nur über ein Einkommen, welches bei 28,5 % des EU- 27-Durchschnitts liegt. Die Beschäftigten in der Bundesrepublik erzielen im europäischen Maßstab vergleichsweise hohe Einkommen. Diese lagen im Jahr 2006 bei 146 % des EU-27-Durchschnitts. Insgesamt kann man von einer sozialen Spalsoziale Spaltung Europas tung Europas sprechen. Das sehr starke Ausmaß innereuropäischer Ungleichheit ist insofern bemerkenswert, da, wie bei internationalen Vergleichen üblich, die unterschiedlichen Preisniveaus und Lebenshaltungskosten in der Europäischen Union berücksichtigt wurden. Wären diese Kaufkraftunterschiede nicht in Rechnung gestellt, so hätte man eine noch stärkere Ungleichheit der Marktlöhne innerhalb der Union festgestellt. Zur Beschreibung der Veränderung der Ungleichheit der Marktlöhne im Zeitverlauf eignen sich gut die im unteren Teil von Schaubild 22 aufgeführten Dezil- Ratios. Das D9/ D1-Ratio, welches hier ein Maß zur Charakterisierung der Gesamtungleichheit innerhalb der EU-27 darstellt, weist auf ein leichtes Absinken der Lohnungleichheit zwischen 2001 und 2006 im Vergleich der Länder mit den niedrigsten und den höchsten Einkommen hin. Diese Veränderungen im innereuropäischen Ungleichheitsgefüge speisen sich allerdings in erster Linie aus einem Schrumpfen der Ungleichheit zwischen Ländern mit mittleren und oberen Einkeine Konvergenz der Löhne kommen (D9/ D5 von 2,25 auf 2,06), was vermutlich ein Ausdruck des wirtschaftlichen Aufholprozesses in Ländern wie Spanien, Portugal oder Zypern ist. 42 Die 42 Die stärksten prozentualen Lohnzuwächse im Zeitverlauf verzeichneten die Slowakei, Ungarn und Rumänien ( ≥ 50 %), negative Lohnveränderungen mussten die Beschäftigten in Malta und Polen hinnehmen. <?page no="181"?> 182 9 Soziale Ungleichheit Ungleichheit zwischen Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen (D5/ D1) bleibt unverändert hoch. Trotz dieser leichten Abnahme der Ungleichheit der Löhne zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union nimmt die Streuung der Löhne um ihr arithmetisches Mittel für Europa als Ganzes zu (SD 2001: 14.154 Euro; 2006: 16.021 Euro). Eine Konvergenz der Marktlöhne innerhalb der EU ist vor dem Hintergrund beider Befunde unplausibel. Differenzen in den Mindestlöhnen zwischen den Mitgliedsländern der EU In 20 Staaten der Europäischen Union gehören gesetzliche Mindestlöhne zu den grundlegenden Instrumenten der Arbeitmarktregulierung. Nur in Deutschland, Österreich, Italien, Zypern sowie in den skandinavischen Ländern gibt es bisher keine flächendeckenden, gesetzlich verbindlichen Mindestlöhne, was durch Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern allerdings vielfach abgefedert wird. So sorgt die hohe Tarifbindung in Skandinavien dafür (Carley et al. 2007; Ebbinghaus 2000a, b; Kjellberg 2000), dass mindestens vier Fünftel der Arbeitnehmer durch tarifliche Vereinbarungen gegen Niedriglöhne geschützt sind (Schulten/ Watt 2007: 3). In Österreich wird es ab Anfang 2009 einen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden vereinbarten Mindestlohn geben. In der Bundesrepublik gelten beispielsweise in der Baubranche, in der Postbranche und bei Gebäudereinigern Mindestlöhne für die Beschäftigten. Über die Arbeitsmarkteffekte der Einführung von Mindestlöhnen besteht kein Konsens in der Forschung. In den Wirtschaftswissenschaften dominiert traditionell die Ansicht, dass Mindestlöhne negative Beschäftigungseffekte (vor allem für jüngere Arbeitnehmer) haben und einen Lohndruck nach oben erzeugen (u. a. Brown et al. 1982; Freeman 1996). Inzwischen scheint sich allerdings auf der Grundlage einer Reihe von Studien die Erkenntnis durchzusetzen, dass negative oder sogar positive Arbeitsmarkt- und Entlohnungseffekte der Einführung von Arbeitsmarkteffekte von Mindestlöhnen sind umstritten Mindestlöhnen von einer Reihe spezifischer Faktoren (allgemeine wirtschaftliche Prosperität, Höhe der Mindestlöhne, Anteil der potenziellen Bezieher von Mindestlöhnen) abhängen (Brenke 2006; Card/ Krüger 1995; Dolado et al. 1996; Metcalf 2007; OECD 1998; Ragacs 2002; Schulten et al. 2006). Die Sicht der Ökonomie auf das Phänomen Mindestlöhne besitzt also keinen Allgemeingültigkeitsanspruch. Unseres Erachtens ist es sinnvoll, von dieser Debatte ein Stück weit Abstand zu gewinnen und eher die ungleichheitssoziologischen Implikationen der konkreten Ausgestaltung von Mindestlöhnen für die Diskussion der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union zu betrachten (Schaubild 23). Die Daten zu den Mindestlöhnen (angegeben sind der prozentuale Anteil der Spaltung Europas bei Mindestlöhnen Mindestlohnempfänger an allen Beschäftigten sowie die Höhe des Lohns in KKS (Euro)) zeigen eine soziale Spaltung Europas in wohlhabende, westeuropäische Staaten auf der einen Seite und weniger wohlhabende, ost- und südeuropäische Staaten auf der anderen Seite. In den etablierten westeuropäischen Ökonomien (Niederlande, Großbritannien, Irland) findet man für das Jahr 2006 einen gerin- <?page no="182"?> 9.1 Einkommensungleichheit 183 | Schaubild 23 Mindestlöhne ) S K K ( o r u E n i e n h ö l t s e d n i M r e d e h ö H Litauen Lettland Rumänien Tschechien Polen Slowakei Großbritannien Niederlande Ungarn Estland Spanien Malta Slowenien Portugal Bulgarien Irland Luxemburg Frankreich 0 2 4 6 8 10 12 14 16 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 Anteil an allen Beschäftigten Quelle: Eurostat (2008b); Angaben für 2006. gen Verbreitungsgrad von Niedriglohnempfängern, zwischen zwei und vier Prozent der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, gepaart mit vergleichsweise hohen monatlichen Bezügen. In Ländern wie Rumänien, Lettland, Litauen, der Slowakei, Estland, Polen, Ungarn, Tschechien oder Portugal lässt sich eine geringe bis mittlere Verbreitung von Mindestlöhnen ausmachen, die in der Regel mit niedrigen bis sehr niedrigen Einkommen gepaart ist (90 bis 450 Euro in KKS). Interessanterweise würden sich die USA mit einem Mindestlohn von circa 700 Euro und einer niedrigen Verbreitung zwischen diesen beiden Gruppen positionieren (Eurostat 2008b). Diese Zweiteilung der europäischen Staaten bei der Ausgestaltung von Mindestlöhnen wird durch zwei Sonderfälle ergänzt: Frankreich und Bulgarien besitzen zwar einen ähnlich hohen Anteil von Beschäftigten in gering bezahlten Tätigkeiten (circa ein Sechstel aller Vollzeitbeschäftigten), unterscheiden sich aber im Hinblick auf die sozialökonomische Absicherung dieser Arbeitnehmer sehr stark. In Bulgarien beträgt der gesetzliche Mindestlohn in Kaufkraftparitäten 80 Euro, in Frankreich liegt er bei 1.220 Euro. Alles in allem legen die Befunde nahe, dass es in Europa einen U-förmigen Zusammenhang zwischen Höhe und Verbreitung des Mindestlohns gibt. Niedrige und sehr niedrige sowie sehr hohe Mindestlöhne (Lettland, Bulgarien, Luxemburg, Frankreich) korrelieren mit einer hohen Quote von Mindestlohnempfängern. Mittlere Mindestlöhne führen zu einer mittleren bis niedrigen Verbreitungsquote (Portugal, Spanien, Slowenien). <?page no="183"?> 184 9 Soziale Ungleichheit Geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede innerhalb der Mitgliedsländer der EU In der Forschung wurde für die längste Zeit des 20. Jahrhunderts davon ausgegangen, dass das industriegesellschaftliche Ungleichheitsgefüge in erster Linie durch beruflich vermittelte Lebenschancen bestimmt wurde. Im Fokus sozialwissenschaftlicher Analysen standen das Arbeitseinkommen und/ oder die Berufsposition von Männern mit Normalarbeitsverhältnissen (Blau/ Duncan 1967; Featherman/ Hauser 1978; Goldthorpe 1987). In post-industriellen Dienstleistungsgesellschaften verlieren nun beruflich vermittelte Lebenschancen an Bedeutung, so die Argumentation von Hradil (1997: 479). Es tritt eine Diversifizierung sozialer Lagen auf, einhergehend mit einer größeren Bedeutung von Geschlecht für die soziale Positionierung der Individuen. Auch bei Geißler (2006) lassen sich eine Reihe von Überlegungen für die Rele- Relevanz geschlechtsspezifischer Ungleichheiten vanz von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten finden. Für ihn gehören solche Ungleichheiten zu den wesentlichen Charakteristika der Sozialstruktur moderner Gesellschaften. »Zwischen Frauen und Männern existieren typische Unterschiede in den Soziallagen und gesellschaftlichen Rollenanforderungen, die sich über geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse auch auf die Persönlichkeit, auf Einstellungen, Motivationen und Verhaltensweisen niederschlagen. Für die Ungleichheitsanalyse sind insbesondere diejenigen geschlechtstypischen Differenzen von Interesse, die sich hierarchisch deuten lassen, d. h. als Muster, die Frauen strukturell benachteiligen.« (Geißler 2006: 301) In der Bundesrepublik, wie in vielen anderen entwickelten kapitalistischen Gesellschaften, haben sich allerdings solche geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verringert (siehe hierzu auch Abschnitt 8.3). Gleichzeitig breitet sich das Bewusstsein aus, dass die weiter bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nicht legitim sind. Geißler spricht hier von einer Spielart des Tocqueville-Paradoxons, nachdem sich mit dem »Abbau sozialer Ungleichheiten gleichzeitig die Sensibilität gegenüber den verbliebenen Ungleichheiten erhöht« hat (Geißler 2006: 301). 43 Tabelle 18 zeigt die Daten für die geschlechtsspezifische Ungleichheit der Einkommen in Europa. Demnach erzielen Frauen innerhalb der Europäischen Union im Jahre 2006 zwischen drei und 25 % geringere Löhne als Männer. Diese geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede sind in Süd- und Osteuropa etwas 43 Die Diskussion zum theoretischen Stellenwert geschlechtsspezifischer Ungleichheiten ist innerhalb der Sozialstrukturforschung noch nicht abgeschlossen (für einen Überblick siehe z. B. Gottschall 2000). Gleichwohl entstand in den letzten zwei Jahrzehnten eine Vielzahl von Studien zu unterschiedlichsten Aspekten geschlechtsspezifischer Ungleichheiten. Thematisch geht es vor allem um Bildungsungleichheit, Armutsrisiken, die Relevanz wohlfahrtsstaatlicher Absicherung für Frauen mit Kindern, Biografien von MigrantInnen, Zugänge zu attraktiven Berufspositionen oder um Einkommensungleichheit (Becker-Schmidt/ Knapp 1995; Donato et al. 2006; Duncan 1995; Fodor et al. 2002; Heintz 2001; Lewis 1992). <?page no="184"?> 9.1 Einkommensungleichheit 185 schwächer ausgeprägt als in den entwickelten Ländern Mittel- und Nordeuropas. Bei diesem sozialstrukturellen Indikator ist zu beachten, dass nur Personen mit einer Arbeitszeit von mehr als 15 Stunden Berücksichtigung fanden. Diejenigen Arbeitnehmer mit marginaler Teilzeitbeschäftigung, und eben hierzu zählen vor allem Frauen, sind mit den Daten nicht erfasst. Mit teilweise deutlich über 20 % geringeren Einkommen sind Frauen in hohe geschlechtsspezifische Lohnunterschiede Deutschland, der Slowakei, Estland und Zypern am stärksten auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. In der Literatur werden solche Einkommensdifferenzen zwischen Männern und Frauen unter anderem auf die geringe Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen und in Arbeitsmarktsegmenten mit besseren Lohnchancen, auf die Zuschreibungen von soft skills für Frauen und hard skills für Männer sowie auf die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt zurückgeführt (Allmendinger/ Podsiadlowski 2001; Bernhardt et al. 1995; Diekmann et al. 1993; Liebeskind 2004; Tomaskovic-Devey/ Skaggs 2002; Trappe/ Rosenfeld 2001). Vergleichsweise geringe Unterschiede in der Entlohnung von Frauen und Männern | Tab. 18 Geschlechtsspezifische Lohnunterschiede 1995 2000 2006 EU-15 17 16 15 Belgien 12 13 7 Dänemark 15 15 17 Deutschland 21 21 22 Irland 20 19 9~ Griechenland 17 15 10 Spanien 13 15 13 Frankreich 13 13 11 Italien 8 6 9 Luxemburg 19 15 14 Niederlande 23 21 18~ Österreich 22 20 20 Portugal 5 8 8 Finnland 17* 17 20 Schweden 15 18 16 Großbritannien 26 21 21 Bulgarien - 22+ 14 Tschechien 21* 22 18 Estland 27 25 25~ Zypern 29 26 24 Lettland - 20 16 Litauen 27 16 16 Ungarn 22 21 11 Malta - 11 3 Polen - 12+ 12 Rumänien 21 17 10 Slowenien 14 12 8 Slowakei - 22 22 EU-27 - 17 15 Quelle: Eurostat (2008b); ∗ 1996, + 2001, ∼ 2005; Angabe von Lohndifferenzen in %. <?page no="185"?> 186 9 Soziale Ungleichheit sind in Malta, Belgien, Slowenien, Portugal und Irland zu beobachten (3,0 % bis 9,0 %). Ein mittleres gender-gap in den Einkommen finden wir beispielsweise in Schweden und Dänemark. Zwischen 1995 und 2006 sind die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede schrumpfende geschlechtsspezifische Lohnunterschiede im Durchschnitt der bisherigen Kernunion nur leicht gesunken. Frauen verdienen im Jahr 2006 im Durchschnitt 15 % weniger als Männer gegenüber 17 % im Jahr 1995. Besonders auffällig ist der Rückgang in Irland, Belgien, Griechenland, den Niederlanden und Großbritannien. Zurückführen lässt sich dies auf die steigende Berufserfahrung und das wachsende Bildungskapital von Frauen (vgl. Abschnitt 8.3) sowie eine geringer werdende geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes (OECD 2004a: 142ff.). In Irland können die schrumpfenden geschlechtsspezifischen Lohndifferenzen zusätzlich als Ausdruck des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten Jahre interpretiert werden, von dem Frauen durch wachsende Erwerbsbeteiligung und sinkende Arbeitslosigkeit stärker als Männer profitiert haben. Auch in den Beitrittsländern (Ausnahme Slowakei) hat sich die geschlechtsspezifische Ungleichheit der Löhne deutlich verringert (zur Einordnung dieser Tendenzen siehe z. B. Plantenga/ Remery 2006). In der Bundesrepublik und Schweden sind die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten der Löhne gegen den allgemeinen Trend zwischen 1995 und 2006 leicht gestiegen. Nur noch in Dänemark, Finnland und Portugal lassen sich diesbezüglich höhere Anstiege feststellen. Für Portugal scheint diese Entwicklung eine der negativen Seiten der Modernisierung des Landes zu sein (Budria 2007). Für Dänemark erklären Gupta et al. (2005) den Anstieg geschlechtsspezifischer Lohnunterschiede mit dem steigenden Angebot an weiblichen Arbeitskräften und dem institutionellen Wandel des Arbeitsmarktes (sinkende Bildungsrenditen für Hochqualifizierte). Gleichzeitig hat die familienfreundliche Politik zwar die Zugangschancen von Frauen zum Arbeitsmarkt erhöht (durch bezahlten Mutterschutz, flexible Arbeitszeiten, Angleichung des Musters Gender- Ungleichheit Familienbetreuungstage, Teilzeitstellen), aber auch negative Lohneffekte mit sich gebracht. Im Zuge der skizzierten Veränderungen findet innerhalb Europas eine Angleichung der Entlohnung von Männern und Frauen statt. Die Streuung dieses Parameters nimmt ab (SD 1995: 6,25; 2005: 5,75). Ungleichheit der Haushaltseinkommen innerhalb der Mitgliedsländer der EU Im Folgenden nehmen wir einen Perspektivwechsel vor und konzentrieren uns nicht auf Markteinkommen und deren Verteilung, sondern auf Ungleichheiten auf der Hauhaltsebene. Dazu wird ein Indikator gewählt, der auf dem verfügbaren Haushaltsäquivalenzeinkommen beruht. Dies ist ein guter Indikator, um den ungleichen Lebensstandard von Familien in Europa beurteilen zu können, da er berücksichtigt, ob die Mitglieder eines Haushalts von einem Einkommen oder von mehreren Einkommen leben (Geißler 2006: 79). Eurostat verwendet zur Berechnung dieses Äquivalenzeinkommens die weit verbreitete OECD-Äquivalenzskala. Bei dieser ist das erste Haushaltsmitglied über 14 Jahre mit dem Faktor 1,0 gewichtet. Jedes weitere Haushaltsmitglied im Alter von über 14 Jahren erhält ein <?page no="186"?> 9.1 Einkommensungleichheit 187 | Tab. 19 Ungleichheit der Haushaltseinkommen 1995 (Q5/ Q1) 2000 (Q5/ Q1) 2006 (Q5/ Q1) 2006 Gini EU-15 5,1 4,5 4,7 - Belgien 4,5 4,3 4,6 0,28 Dänemark 2,9 3,0 3,5 0,24 Deutschland 4,6 3,5 4,1 0,27 Irland 5,1 4,7 4,9 0,32 Griechenland 6,5 5,8 6,1 0,34 Spanien 5,9 5,4 5,3 0,32 Frankreich 4,5 4,2 4,0 0,28 Italien 5,9 4,8 5,5 0,33 Luxemburg 4,3 3,7 4,2 0,28 Niederlande 4,2 4,1 3,8 0,26 Österreich 4,0 3,4 3,7 0,25 Portugal 7,4 6,4 6,8 0,38 Finnland 3,0* 3,3 3,6 0,26 Schweden 3,0+ 3,4~ 3,5 0,24 Großbritannien 5,2 5,2 5,4 0,32 Bulgarien - 3,7 3,5 0,24 Estland - 6,3 5,5 0,33 Lettland - 5,5 7,9 0,39 Litauen - 5,0 6,3 0,35 Malta - 4,6 4,2 0,28 Polen - 4,7 5,6 0,33 Rumänien - 4,5 5,3 0,33 Slowakei - - 4,0 0,28 Slowenien - 3,2 3,4 0,24 Tschechien - 3,4~ 3,5 0,25 Ungarn - 3,3 5,5 0,33 Zypern - - 4,3 0,29 EU-25 - 4,5 4,8 0,30 Quellen: Eurostat (2008b); ∗ 1996, +1997, ∼ 2001; Angaben für EU-27 nicht verfügbar. Gewicht von 0,5 und Haushaltsmitglieder unter 14 Jahren erhalten ein Gewicht von 0,3. 44 Die verfügbaren Daten zur Ungleichheit der Haushaltseinkommen (Tab. 19) unterstreichen die bisherigen Befunde zu den Spaltungstendenzen innerhalb Europas: Postsozialistische und südeuropäische Länder weisen ein vergleichsweise hohes Maß und Skandinavien ein geringes Maß sozialer Ungleichheit auf. Konkret zeigt sich anhand der Zahlen in Tabelle 19, dass im Jahre 2006 im Durchschnitt der Union die obersten 20 % der Bevölkerung über das knapp fünffa- 44 Äquivalenzeinkommen werden verwendet um das Einkommen von Personen vergleichbar zu machen, die in Haushalten unterschiedlicher Größe leben. Solche Gewichtungen sind sinnvoll, da in größeren Haushalten Einspareffekte auftreten (z. B. durch das gemeinsame Nutzen von Wohnräumen, Autos oder Haushaltsgeräten). Errechnet werden Äquivalenzeinkommen durch die Aufsummierung der Einkommen aller Haushaltsmitglieder und die anschließende Teilung dieses Gesamteinkommens durch das Haushaltsgewicht. Damit bekommt jedes Haushaltsmitglied dasselbe Äquivalenzeinkommen zugewiesen. <?page no="187"?> 188 9 Soziale Ungleichheit che Einkommen der Haushalte verfügten, die die untersten 20 % der Einkommen hohe Ungleichheit der Haushaltseinkommen in Ost- und Südeuropa bezogen. Dabei lag das Q5/ Q1-Ratio 2006 im Durchschnitt der EU-25 etwas über dem Durchschnitt der EU-15-Länder; d. h. die Ungleichheit der Haushaltseinkommen ist in Osteuropa stärker ausgeprägt als in Westeuropa. Sie ist am geringsten innerhalb der skandinavischen Länder, in denen das Gesamteinkommen des Bevölkerungsanteils mit dem höchsten Einkommen im Jahr 2006 etwas mehr als dreimal so hoch war wie das Einkommen des Bevölkerungsanteils mit dem niedrigsten Einkommen. Diese vergleichsweise geringe Ungleichheit der Haushaltseinkommen kann als ein Beleg für die Wirksamkeit sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaatspolitik verstanden werden (Esping-Andersen 1990, 1999). Die Bundesrepublik weist mit einem Quintilverhältnis der Einkommen von 4,1 für das Jahr 2006 einen unterdurchschnittlichen Wert für die Europäische Union auf. Eine stark polarisierte Verteilung der Haushaltseinkommen findet sich in Griechenland, Italien und Portugal (Portugal hat auch im globalen Vergleich eine sehr starke Ungleichheit der Haushaltseinkommen, vgl. Budria 2007), aber auch in den Beitrittsnationen Litauen, Lettland, Polen. In diesen Ländern war das Einkommen des Bevölkerungsanteils mit den höchsten Einkommen 2006 sechsbis achtmal so hoch wie die Einkommen auf dem untersten Quintil. Der Befund für die südeuropäischen Länder ist bemerkenswert, da diese in der Literatur häufig dem konservativen Wohlfahrtsstaatstyp zugeordnet werden, für den ein mittleres Niveau sozialer Ungleichheit typisch ist. Letztlich wäre die starke Ausprägung sozialer Ungleichheit in diesen Staaten eher ein Beleg dafür, dass es sich hier um einen eigenständigen Wohlfahrtsstaatstyp handelt (Ferrera 1996). Veränderungen über die Zeit verlaufen in Ost- und Westeuropa unterschiedlich: Innerhalb der meisten westeuropäischen Staaten sinkt die Ungleichheit der Haushaltseinkommen, während sie innerhalb der meisten osteuropäischen Staaten steigt (sehr deutlich in Lettland, Litauen, Rumänien, Ungarn). Eine Änderung Zunahme der Ungleichheit in Osteuropa der Q5/ Q1-Relation für die EU-15 von 5,1 auf 4,7 kann dabei wie folgt gelesen werden: Das oberste Einkommen im vierten Quintil war 1995 um 410 % und 2006 »nur« noch um 370 % höher als das oberste Einkommen im ersten Quintil. Dabei sinkt die Einkommensungleichheit vor allem in Frankreich, Deutschland, Spanien und den Niederlanden. Unter den westeuropäischen Staaten sind Dänemark, Finnland und Schweden die einzigen Länder, in denen die Verteilung der Haushaltseinkommen in den letzten Jahren ungleicher geworden ist. Möglicherweise sind das die Resultate des Abbaus des Sozialstaates in diesen Ländern, wie er sich am Rückgang der Sozialausgaben zwischen 1995 und 2006 beobachten lässt (vgl. Abschnitt 4.1). Ferner könnten die vergleichsweise hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen (vgl. Abschnitt 7.2) und der dadurch wachsende Anteil von Doppelverdienerhaushalten mit hohen Einkommen für diese Entwicklung mit verantwortlich sein. Die Abnahme der Ungleichheit der Haushaltseinkommen in weiten Teilen Westeuropas ist insofern bemerkenswert, da in den meisten europäischen Ländern, aber auch den USA, zwischen Anfang der 1980er-Jahre und Anfang des <?page no="188"?> 9.2 Vermögensungleichheit 189 21. Jahrhunderts ein zum Teil deutlicher Anstieg der ungleichen Verteilung von Löhnen (Markteinkommen) beobachtet werden konnte (Atkinson 2000: 8; European Commission 2005b: 165; Katz/ Autor 1999: 1503). Erklären ließe sich diese gegensätzliche Entwicklung der Ungleichheit der Markteinkommen und Haushaltseinkommen, zum Beispiel in Italien, Deutschland, Frankreich oder Griechenland, mit in den letzten Jahren gestiegenen Sozialausgaben und der Alterung in diesen Ländern (vgl. Abschnitte 4.1, 5.1). Wächst der Anteil der Rentner und Pensionäre, so kann die Einkommensungleichheit auf der Haushaltsebene sinken, da diese Gruppe über mittlere Einkommen verfügt und innerhalb dieser Gruppe die Einkommensunterschiede schwächer ausgeprägt sind als innerhalb der Gruppe der Erwerbstätigen. Alles in allem bestätigt sich mit der hier beobachteten Abnahme der Ungleichheit der Haushaltseinkommen ein Trendergebnis von Härpfer und Schwarze (2006) für die EU-15-Länder in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre auch für die Europäische Union nach der Osterweiterung. Ob damit auch ein Beleg für die Konvergenz der Mitgliedsländer der EU gefunden wurde, wie dies Härpfer und Schwarze (2006: 151) postulieren, muss mit zukünftigen Analysen weiter geprüft Konvergenz der Ungleichheit der Haushaltseinkommen werden. Unsere Daten legen diesbezüglich nahe, dass man für die letzte Dekade in der Tat von einer Konvergenz der Verteilung von Haushaltseinkommen innerhalb der EU-27 ausgehen kann (SD 1995: 1,30; 2006: 1,15). Diese Entwicklung ist vor allem auf eine ungleichere Verteilung der Haushaltseinkommen in Skandinavien und eine weniger ungleiche Verteilung der Haushaltseinkommen in Südeuropa zurückzuführen. 9.2 Vermögensungleichheit Methodische Hinweise Vermögensstatistiken weisen größere Verzerrungen auf als Einkommensstatistiken, da zum Teil die sehr Vermögenden nicht erfasst werden beziehungsweise unter den Vermögenden viele an einer Transparenz ihrer Vermögensverhältnisse nicht interessiert sind. Inhaltlich kann zwischen Betriebsvermögen, Immobilienvermögen und Geldvermögen unterschieden werden (Geißler 2006: 88). Eine soziologische Forschung zur Ungleichheit von Vermögen existiert in einem geringeren Umfang als Forschungen zur Ungleichheit von Erwerbs- und Haushaltseinkommen. Das ist insofern bemerkenswert, als die Ungleichheit der Vermögen wesentlich stärker ausgeprägt ist und diese daher für die Ausprägung der Sozialstruktur moderner Gesellschaften von eminenter Bedeutung ist. Es lassen sich zwei Gründe anführen, warum Analysen zu Vermögensungleichheit bisher in einem vergleichsweise geringen Umfang vorliegen. Der erste Grund ist in der Theoriegeschichte der Soziologie zu suchen. Die Soziologie als Gan- <?page no="189"?> 190 9 Soziale Ungleichheit zes, wie auch viele ihrer Teildisziplinen, beschäftigt sich vor allem mit Phänomenen, die ihren Ursprung in der Arbeitswelt haben (vgl. Kapitel 3). Dies trifft besonders auf die Ungleichheits- und Sozialstrukturforschung zu, in der tradi- Datenlage zu Vermögensungleichheit tionell die soziale Strukturierung der Gesellschaft durch Theorien erklärt wird, die auf der Ungleichheit der Arbeitseinkommen, auf Positionsunterschieden in der Erwerbshierarchie oder auf der Verteilung von Berufsprestige aufbauen. Der zweite Grund ist in der vergleichsweise schlechten Datenlage (Sierminska et al. 2006: 3) und den großen methodologischen Herausforderungen bei der adäquaten Erhebung von Vermögen zu sehen (Grabka/ Frick 2007: 666) 45 : Untersuchungen zu Vermögensungleichheit sind in vielen modernen Gesellschaften deswegen schwierig zu realisieren, da hier eine starke Vermögenskonzentration vorherrscht. Dadurch werden Untersuchungen zu speziellen Populationen nötig, die im Regelfall geringe Ausschöpfungsquoten und eine hohe Antwortverweigerung aufweisen (Diekmann 2007: 423; Schnell 1991: 108). Trotz dieser methodischen Probleme bei der Untersuchung von Vermögensungleichheit gibt es eine wachsende Anzahl von Studien, die sich diesem Thema widmen. Die zentralen Befunden aus diesen Studien können folgendermaßen zusamzentrale Befunde mengefasst werden (Atkinson/ Harrison 1978; Brandolini et al. 2004; Davies et al. 2008; Grabka/ Frick 2007; Huster 1997; Klevmarken 2006; Schupp/ Szydlik 2004; Sierminska et al. 2006; Wolff 1996, 2006): 1. In den europäischen Staaten, aber auch in den USA, Kanada, Australien, Neuseeland oder Japan, ist die Ungleichheit der Vermögen deutlich stärker ausgeprägt als die Ungleichheit der Einkommen. 2. Die Vermögensungleichheit ist in Staaten wie den USA, Argentinien, Mexiko, Brasilien oder Russland stärker ausgeprägt als in (west-)europäischen Gesellschaften. 3. Der größte Anteil aller Vermögenswerte besteht aus Immobilienvermögen. Die Bedeutung von Geldvermögen nimmt in den letzten Jahren zu. 4. Die Entwicklung der Vermögensungleichheit korreliert mit der Dynamik der internationalen Kapital- und Aktienmärkte. 5. Innerhalb moderner Gesellschaften ist die Reichtumsverteilung sozial strukturiert: Frauen verfügen über geringere Vermögen als Männer. Die Vermögen von Personen mit Migrationshintergrund sind wesentlich geringer als die von Personen ohne Migrationshintergrund. Auch die Vermögensunterschiede zwischen verschiedenen Qualifikations- und Berufsgruppen sind sehr groß. Haushalte, in denen die Erwerbspersonen über geringe oder keine formalen beruflichen Qualifikationen verfügen, haben ein erhöhtes Risiko, ein negatives Vermögen (d. h. Schulden) zu besitzen. Auch der Familienstand beeinflusst die Vermögensbildung. Positive Folgen haben beispielsweise Eheschließungen, negative 45 Insbesondere international vergleichende Analysen zur Ungleichheit von Vermögen sind mit solchen Problemen konfrontiert. <?page no="190"?> 9.2 Vermögensungleichheit 191 Folgen haben Ehescheidungen. Ferner bestehen teilweise große Vermögensunterschiede zwischen den Regionen eines Landes (zur regionalen Ungleichheit in Europa siehe auch Abschnitt 12.2), zum Beispiel zwischen Süd- und Norditalien, Zentral- und Südportugal oder Ost- und Westdeutschland. 6. Schließlich werden Vermögensübertragungen durch Erbschaften zukünftig in vielen europäischen Gesellschaften die Vermögensungleichheit weiter verstärken. Für den besonderen Fall der Vermögensungleichheit innerhalb der Mitgliedslän- Ungleichheit der Geldvermögen doppelt so hoch wie die Ungleichheit der Haushaltseinkommen der der Europäischen Union müssen wir uns auf der Grundlage der verfügbaren Daten auf eine Darstellung der Ungleichheit der Geldvermögen konzentrieren. Eine zusätzliche Einschränkung ergibt sich, da insgesamt nur für 15 der 27 EU- Mitglieder Angaben zur Ungleichheit der Geldvermögen verfügbar sind (Schaubild 24). Empirisch zeigt sich, dass die Ungleichheit der Vermögen innerhalb der EU größer ist als die Ungleichheit der Einkommen. Während wir bei Haushaltseinkommen im Durchschnitt der EU-25 einen Gini-Wert von 0,30 feststellen können (siehe Tab. 19), zeigen sich wesentlich höhere Gini-Werte für die Ungleichheit der Geldvermögen. Im Durchschnitt der hier betrachteten EU-Staaten ist die Ungleichheit der Geldvermögen etwa doppelt so hoch wie die Ungleichheit der Haushaltseinkommen. Am stärksten ist die Ungleichheit der Geldvermögen in Italien und Bulgarien, am geringsten ist sie in Griechenland. Kaufkraftunterschiede zwischen den Ländern sind hierbei berücksichtigt. haubild 24 | Ungleichheit von Geldvermögen 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 Griechenland Frankreich Portugal Großbritannien Schweden Dänemark Luxemburg Spanien Deutschland Mean Österreich Niederlande Irland Finnland Bulgarien Italien Quelle: Sierminska et al. (2006), Klevmarken (2006), Davies (2008); Angegeben sind Gini-Werte in Kaufkraftparitäten für die Jahre 2000 bis 2003. <?page no="191"?> 192 9 Soziale Ungleichheit Zudem unterscheiden sich mit Blick auf die Gini-Werte für die Vermögensungleichheit in Schaubild 24 und die Werte für die Ungleichheit der Haushaltseinkommen (Tab. 19) die Rangfolgen der betrachteten Staaten: Länder mit einer vergleichsweise niedrigen Ungleichheit der Haushaltseinkommen, wie die Niederlande oder Finnland, verzeichnen eine vergleichsweise hohe Ungleichheit der Vermögen (Sierminska et al. 2006). Umgekehrt weisen Länder wie Griechenland oder Portugal, in denen die Haushaltseinkommen sehr ungleich sind, eine moderate Ungleichheit der Vermögen auf, wie dies auch schon Cardoso und Cunha (2005) diskutiert haben. Im Kontext der hier betrachteten europäischen Gesellschaften ist für die Bundesrepublik eine mittlere Ungleichheit der Geldvermögen festzustellen. Laut dem zweiten Armuts- und Reichtumsbericht (2005: 32ff.) sind in der Bundesrepublik die Vermögen sehr ungleich verteilt. Im Durchschnitt verfügen die Haushalte über ein sehr hohes Vermögen (133.000 Euro). Von 1998 bis 2003 stieg das Nettovermögen nominal um rund 17 %. 46 Die Vermögenshöhe und -verteilung wird durch das Immobilienvermögen dominiert (circa 75 % des Gesamtvermögens). Die Vermögensverteilung variiert stark zwischen Haushaltstypen und Regionen. Das durchschnittliche Vermögen der ostdeutschen Haushalte umfasste 2003 mit knapp 60.000 Euro nur 40 % des Betrages der westdeutschen Haushalte (etwa 150.000 Euro). Die höchsten Vermögen in Deutschland besitzen Selbstständige (310.000 Euro) und Pensionäre (250.000 Euro) in den alten Bundesländern, die niedrigsten Vermögen haben Rentner (50.000 Euro) und Arbeitslose (30.000 Euro) in den neuen Bundesländern. Betrachtet man die Vermögensverteilung aufgeschlüsselt nach Dezentilen, so sieht man, dass die zehn Prozent der wohlhabendsten Haushalte ihr Vermögen von 475.000 Euro im Jahr 1993 auf 625.000 Euro im Jahr 2003 steigern konnten, während die untersten zehn Prozent der Haushalte im Durchschnitt kein Vermögen besitzen. Hier stiegen zwischen 1993 und 2003 die Schulden von 2.100 auf 7.900 Euro. 9.3 Armut Methodische Hinweise Armut wird in diesem Abschnitt auf der Grundlage von drei Eurostat-Indikatoren dargestellt: 1. Armutsgefährdungsquote vor sozialstaatlichen Transfers: Anteil von Personen mit einem verfügbaren Äquivalenzeinkommen unter 60 % des nationalen verfügbaren Median-Äquivalenzeinkommens. 47 Pensionen und Renten werden als Einkommen vor Sozialtransfers verwendet. 2. Armutsgefährdungsquote nach sozialstaatlichen Transfers: Anteil von Personen mit einem verfügbaren Äquivalenzeinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle, die auf 60 % des nationalen verfügbaren Median- Äquivalenzeinkommens festgelegt ist. 3. Armutsgefährdungsquote nach sozialstaatlichen Transfers differenziert nach Haushaltstyp, Geschlecht, Alter, Erwerbsstatus und Bildung. 46 Eine Aktualisierung dieser Zahlen ist mit dem seit Mitte 2008 vorliegenden dritten Armuts- und Reichtumsbericht nicht möglich, da dieser keine aktuellen Zahlen zur Reichtumsentwicklung enthält. 47 Der Median ist ein Lagemaß. Er halbiert eine nach der Größe geordnete Reihe von Messwerten und reflektiert damit die mittlere Position in einer Datenmenge. Eine Anwen- <?page no="192"?> 9.3 Armut 193 In der Armutsforschung wird vielfach die Position vertreten, dass die Vermeidung Vermeidung von Armut als zivilisatorisches Minimum von Elend und Armut ein zivilisatorisches Minimum ist, welches für entwickelte Gesellschaften verbindlich sein sollte. Zugleich ist Armut ein Seismograf für den sozialen Zustand einer Gesellschaft. Was sich hier an »sozialen Gebrechen« zeigt, weist auf Verwerfungen in der weiteren Gesellschaft hin (Leibfried et al. 1995: 8). »Armut inmitten einer Wohlstandsgesellschaft, die sich als Sozialstaat begreift, stellt das Wirtschafts- und Sozialsystem in Frage und gefährdet die politische und soziale Legitimation eines Sozialstaats«, schrieben jüngst nicht weniger prononciert Gerhard Bäcker et al. (2008a: 356). In der europäischen Ungleichheitsforschung steht traditionell die erwerbstätige Kernbevölkerung im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Man könnte mit Leibfried et al. formulieren (1995: 14), dass es aus der Vogelperspektive der Ungleichheitsforschung, die große Sozialgruppen wie Arbeiter, Angestellte, Selbstständige, Manager beleuchtet, wenig Anlass gab, die Beweglichkeit von Lebenslagen am unteren Rand der Bevölkerung nachzuzeichnen. Die Erforschung von Armut war daher lange - besonders auch im Fall der Bundesrepublik - nur ein Thema der Randgruppenforschung. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten ist Armut auch zu einem Kernthema der Sozialstruktur- und Ungleichheitsforschung geworden, was eine Fülle nationaler und internationaler Publikationen belegt (u. a. Andreß/ Seeck 2005; Bieback/ Milz 1995; Fahey 2007; Fodor 2002; Frick/ Grabka 2005; Hauser/ Becker 2003; Kangas/ Ritakallio 2007; Nolan/ Whelan 1996; Whelan/ Maitre 2008). Ein hohes Armutsrisiko tragen in modernen Gesellschaften Arbeitslose, Men- Risikogruppen schen mit Migrationshintergrund, Individuen aus bildungsfernen Schichten, alte Menschen, Obdachlose sowie alleinerziehende Frauen und kinderreiche Familien. Dass Kinder stark von Armut betroffen sind, ist besonders in einem wohlhabenden Land wie Deutschland erwähnenswert. Butterwege oder auch Hauser sprechen hier von einer Infantilisierung von Armut und einem schwerwiegenden gesellschaftlichen Versäumnis (Butterwegge 2007; Hauser 1997b). Aus dem aktuellen Armutsbericht der Bundesregierung wurden die quantitativen Dimensionen dieses Problems erneut deutlich. In der Bundesrepublik sind etwa jeder siebte Haushalt mit Kindern und damit etwa 1,5 Million Kinder im Alter bis zu 15 Jahren von Armut betroffen (BMAS 2008: 86ff.). Was als Armut gilt, wird in der Forschung nicht einheitlich gehandhabt. Es existiert eine Vielzahl von Armutsbegriffen und Verwendungskontexten (extreme Armut, absolute Armut, relative Armut, traditionelle versus neue Armut, working poor, d. h. Armut bei Berufstätigen). Die wichtigste definitorische Unterscheidung ist die zwischen absoluter Armut und relativer Armut: dung ist sinnvoll ab mindestens Ordinalskalenniveau. Gegenüber dem Durchschnittswert hat er den Vorteil weniger empfindlich auf Ausreißer (extreme Werte) zu reagieren (für Erläuterungen zum Äquivalenzeinkommen siehe Fußnote 44). <?page no="193"?> 194 9 Soziale Ungleichheit 1. Von absoluter Armut redet man, wenn Menschen nicht über die zur physischen Existenzsicherung notwendigen Güter wie Nahrung, Kleidung und Wohnung verfügen. Diese Form der Armut dominiert nach wie vor in vielen Entwicklungsländern, ist aber in Deutschland und den anderen westlichen Industriestaaten weitestgehend überwunden (Bäcker et al. 2008a: 357). 2. Relative Armut bemisst sich am allgemeinen Lebensstandard einer konkreten Referenzgesellschaft. Das durchschnittliche Einkommensniveau dient hier in der Regel als Vergleichsmaßstab. Das relative Armutskonzept geht jedoch über rein monetäre Gesichtspunkte bei der Bemessung von Armut hinaus. »Armut liegt nach diesem Verständnis dann vor, wenn Menschen das sozialkulturelle Existenzminimum einer Gesellschaft unterschreiten« (Bäcker et al. 2008a: 357). Auch die Europäische Union verwendet seit Anfang der 1980er-Jahre einen relarelative Armut (soziokulturelles Existenzminimum) tiven Armutsbegriff: “The poor shall be taken to mean persons, families and groups of persons whose resources (material, cultural and social) are so limited as to exclude them from the minimum acceptable way of life in the member state in which they live.” (European Commission 1984) Dieser Armutsbegriff der EU ist im Übrigen auch leitend für die Armutsberichterstattung der Bundesregierung - beispielsweise im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht (BMAS 2008: 1ff.). Innerhalb der Literatur, die mit relativen Armutsdefinitionen arbeitet, lassen sich dabei zwei verschiedene Ansätze unterscheiden. Beim Ressourcenansatz steht die Ausstattung von Personen oder Haushalten Ressourcenansatz mit Einkommen im Mittelpunkt. Verwendet werden unterschiedliche Grenzwerte zur Bestimmung von Armutspopulationen. In Armut leben diejenigen, deren Einkommen nicht ausreicht, um die Güter und Dienstleistungen zu erwerben, die zur Abdeckung eines sozialkulturellen Existenzminimums erforderlich sind. Es ist dabei üblich, einen Grenzwert von 50 % des durchschnittlichen nationalen Einkommens oder des Median-Einkommens (häufig gewichtet nach Haushaltsgröße) zu verwenden. Bei einem Schwellenwert von 40 % redet man von einer strengen Armutsgrenze. Einen Schwellenwert von 60 oder 70 % nutzt man, wenn Armutsgefährdung dargestellt werden soll. Die Anwendung des Ressourcenansatzes ist allerdings nach Ansicht von Bäcker et al. (2008a: 357) nicht unproblematisch, »da der Handlungsspielraum eines Haushalts nicht nur durch die Ressource Einkommen, sondern auch durch weitere Ressourcen wie Vermögen (zum Beispiel Wohneigentum), schulische und berufliche Qualifikation (Humankapital), soziale Einbindung (Sozialkapital) und Verfügung über Zeit bestimmt wird«. In Deutschland ist vor allem durch die Arbeiten des Bremer Sonderforschungs- Lebenslagenansatz bereichs 186 ab Mitte der 1990er-Jahre der multiple Lebenslagenansatz in der Armutsforschung wichtig geworden (u. a. Buhr et al. 1997; Leibfried et al. 1995; Leisering/ Buhr 1995; Leisering/ Mädje 1996). In diesem Ansatz wird Armut nicht nur mit einer Analyse des verfügbaren Einkommens erfasst, sondern zusätzlich im Hinblick auf die Ausstattung von Individuen oder Haushalten mit Gesundheit, <?page no="194"?> 9.3 Armut 195 Bekleidung, Nahrung, Wohnraum und Einkommen diskutiert. 48 Auch bei einem solchen Ansatz - der maßgeblich war für die Etablierung der sogenannten neuen Armutsforschung - besteht die Aufgabe, Grenzwerte zur Festlegung von Armut zu bestimmen, was aufgrund der vielen Dimensionen noch komplizierter ist als beim Ressourcenansatz. Allen Abgrenzungsvorschlägen in der Armutsforschung ist gemeinsam, dass sie von Werturteilen abhängig sind: »Jede Armutsdefinition ist damit letztlich politisch-normativer Natur.« (Boeckh et al. 2006: 265) Dieser Umstand hat zur Folge, dass die wissenschaftliche und politische Diskussion um die Existenz und das Ausmaß von Armut in modernen Gesellschaften immer kontrovers verlaufen wird. »Je nach der Definition von Armut und der Bestimmung der Armutsgrenzen kann dabei der Kreis der Armutsbevölkerung enger oder weiter gesteckt werden. Eine bewusste Eingrenzung des Kreises relativiert die Armutsproblematik und kann dazu dienen, die tatsächlichen sozialen Verhältnisse zu verdecken, während eine bewusst weite Fassung des Kreises den Blick auf die eigentlich Betroffenen verstellen kann.« (Bäcker et al. 2008a: 359) Die Weiterentwicklung der Armutsforschung von der Randgruppenforschung methodische Weiterentwicklung hin zu einem Kernbereich der Sozialstruktur- und Ungleichheitsforschung ging auch mit methodischen Fortschritten einher. Die Armutsforschung der 1970er- und 1980er-Jahre beschrieb Armut mit Querschnittsanalysen in der Regel als dauerhaften Zustand (Hauser et al. 1986; Klanberg 1987; Strang 1970; Wedderburn 1974). Empirisch zeigten sich, beispielsweise in Deutschland, relativ stabile Armutsquoten (Hauser 1997a, b). In der neueren Armutsforschung herrscht auf der Grundlage von Längsschnittstudien hingegen Konsens, dass Armut häufig eine Episode im Lebenslauf ist und von einem größeren Teil der Betroffenen aktiv bewältigt werden kann. Zugleich reicht Armut als (vorübergehende) Lebenslage und latentes Risiko bis in mittlere soziale Schichten hinein und ist nicht mehr ausschließlich auf traditionelle Randgruppen begrenzt (Pfaff 1995). Damit ist Armut verzeitlicht, individualisiert und in erheblichem Maße sozial entgrenzt. Armutserfahrungen haben einen Anfang, eine Dauer, einen bestimmten Verlauf und in den meisten Fällen auch ein Ende (1995: 14). Das ist keine Entwarnung, so Leibfried (1995, 14), die sozialpolitische Aufgabe Armutsbekämpfung hat nichts an Aktualität verloren. Dadurch, dass Armut temporalisiert ist und auch mittlere soziale Schichten betrifft, sind mehr Menschen von Armut betroffen, als man dies mit den Studien der 1980er-Jahre gezeigt hat. 48 Der Lebenslagenansatz fragt danach, »ob bei der Versorgung der Menschen mit Nahrung, Bekleidung, Wohnraum, Wohnungseinrichtung, Leistungen des Gesundheits- und Sozialwesens Mindeststandards erreicht werden. Ein solcher Lebenslagenansatz […] muss darüber hinaus berücksichtigen, ob die Menschen ausreichend am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilhaben können. Dies betrifft so zentrale Bereiche wie Arbeit, Bildung, Freizeitgestaltung, soziale Beziehungen und Information.« (Bäcker et al. 2008a: 357) <?page no="195"?> 196 9 Soziale Ungleichheit Armutsdifferenzen zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union Vor dem Hintergrund dieser konzeptionellen Erörterungen sollen im Folgenden die Armutsrisiken in den Mitgliedsländern der Europäischen Union verglichen werden. Dabei wird auf Indikatoren zurückgegriffen, die sich am Ressourcenansatz der Armutsforschung orientieren. Daten, die entsprechend dem Lebenslagenansatz erhoben wurden, liegen als nationale Statistiken nicht vor. Zunächst werden Armutsgefährdungsquoten (Schwellenwert 60 % des Median- Äquivalenzeinkommens) vor und nach sozialstaatlichen Transfers thematisiert. Im Durchschnitt der bisherigen Kernunion ist die Armutsgefährdungsquote hoch (Tab. 20): Circa ein Viertel der Bevölkerung verfügt über ein Einkommen (vor sozialstaatlichen Transfers), welches weniger als 60 % des Medians des Äquivalenzeinkommens beträgt. In Irland, Ungarn und Großbritannien war 2006 die Armutsgefährdungsquote am höchsten. In Bulgarien, der Slowakei und den Niederlanden war sie am niedrigsten. Die Einkommen von Personen, die über weni- Armutsrisiken in Europa polarisiert ger als 60 % des Median-Äquivalenzeinkommens verfügen, variieren allerdings zwischen diesen Ländern beträchtlich. Während eine alleinstehende Person in den Niederlanden, Irland oder Großbritannien über 10.500 bis 11.000 Euro Jah- Tab. 20 | Armutsgefährdungsquote vor und nach sozialstaatlichen Transfers Vor Transfers Nach Transfers Reduktion in % 1995 2000 2006 1995 2000 2006 1995 2000 2006 EU-15 26 23 26 17 15 16 35 35 39 Belgien 27 23 27 16 13 15 41 44 44 Dänemark - 29+ 28 10 10+ 12 - 66 57 Deutschland 22 20 26 15 10 13 32 50 50 Irland 34 31 33 19 20 18 44 36 46 Griechenland 23 22 23 22 20 21 4 9 9 Spanien 27 22 24 19 18 20 30 18 17 Frankreich 26 24 25 15 16 13 42 33 48 Italien 23 21 24 20 18 20 13 14 17 Luxemburg 25 23 24 12 12 14 52 48 42 Niederlande 24 22 21 11 11 10 54 50 52 Österreich 24 22 25 13 12 13 46 46 48 Portugal 27 27 25 23 21 18 15 22 28 Finnland 23* 19 29 8* 11 13 65 42 55 Schweden - 17+ 29 - 9+ 12 - 47 59 Großbritannien 32 29 30 20 19 19 38 35 37 Bulgarien - 18 17 - 14 14 - 22 18 Tschechien - 18+ 22 - 8+ 10 - 56 55 Estland - 26 25 - 18 18 - 31 28 Zypern - - 22 - - 16 - - 27 Lettland - 22 28 - 16 23 - 27 18 Litauen - 23 27 - 17 20 - 26 26 Ungarn - 17 30 - 11 16 - 35 47 Malta - 19 22 - 15 14 - 21 36 Polen - 30 29 - 16 19 - 47 35 Rumänien - 21 24 - 17 19 - 19 21 Slowenien - 18 24 - 11 12 - 39 50 Slowakei - - 20 - - 12 - - 40 EU-25 - 23 26 - 16 16 - 30 39 Quelle: Eurostat (2008b); Angabe von Armutsquoten in %; ∗ 1996, +2001; Angaben für EU-27 nicht verfügbar. <?page no="196"?> 9.3 Armut 197 reseinkommen in Kaufkraftparitäten verfügen kann, liegt dieses Einkommen in Bulgarien bei weniger als 1.000 Euro und in der Slowakei bei 2.000 Euro (Eurostat 2008a). Eine mittlere Armutsgefährdungsquote vor sozialstaatlichen Transfers weisen Länder wie Deutschland, Belgien, Österreich, Portugal oder Estland auf. Zwischen 1995 und 2006 wurde in den meisten westeuropäischen Ländern der durch Armut gefährdete Bevölkerungsanteil kleiner. In vielen osteuropäischen Staaten, aber auch in Deutschland, Finnland und Schweden steigt das Armutsrisiko zum Teil deutlich an. Für Osteuropa kann dies als die Kehrseite der gesellschaftlichen Transformations- und Modernisierungsprozesse verstanden werden (Heyns 2005; Pickles 2008; Whelan/ Maitre 2008). Im Fall von Deutschland bestätigt sich ein langfristiger Trend des Wachstums der Bevölkerungsgruppen, die von Armut bedroht sind. Die Zeitreihen, die Geißler (2006: 203ff.) verwendet, legen einen kontinuierlichen Anstieg von Armutsrisiken seit Mitte der 1970er- Jahre nahe. In den 1990ern hat sich dieser Anstieg noch einmal verstärkt (BMAS 2005, 2008). Für Schweden kann das Wachstum des Bevölkerungsanteils, der durch Armut gefährdet ist, auf den makroökonomischen Schock von Anfang der 1990er-Jahre zurückgeführt werden. Im Resultat sind vor allem Migranten, jüngere Arbeitsmarktkohorten, Alleinerziehende mit Kindern und Arbeitslose von steigender Armut betroffen (Blume et al. 2007: 381ff.; European Commission 2007c: 391f.). Im Hinblick auf die Armutsrisiken nach sozialstaatlichen Transfers findet sich auf der einen Seite eine Gruppe von Ländern, einem geringen Bevölkerungsanteil, der nach sozialstaatlichen Transfers ein verfügbares Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle aufweist (Deutschland, die Niederlande, Tschechien, Slowenien, skandinavische Länder). Das sind Länder, in denen durch Sozialpolitik Armutsrisiken deutlich reduziert werden (BMAS 2008: 21f.; European Commission starke Armutsreduktion durch skandinavischen Wohlfahrtsstaat 2007c: 25f.). Die prozentuale Reduktion der Armutsgefährungsquote liegt hier bei über 50 % (Tab. 20, rechte Spalte). Den stärksten Effekt finden wir in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten. Auf der anderen Seite stehen Länder, bei denen nach sozialstaatlichen Transfers etwa ein Fünftel der Bevölkerung von Armut bedroht ist. Zu dieser Gruppe gehören Staaten mit einem liberalen, postsozialistischen oder mediterranen Wohlfahrtssystem (Großbritannien, Polen, Rumänien, Baltikum, Spanien, Italien und Griechenland). Durch sozialpolitische Interventionen verringerte sich hier die Armutsgefährdungsquote im Durchschnitt um 22 %. Den geringsten Einfluss auf Armutsrisiken durch Sozialpolitik beobachten wir in den mediterranen Wohlfahrtsstaaten. Die Zeitreihen in Tabelle 20 zeigen, dass sich die Armutsrisiken nach sozialstaatlichen Transfers in den EU-Mitgliedsländern unterschiedlich entwickelt haben. In den meisten Ländern der bisherigen Kernunion haben sich die Armutsrisiken zwischen 1995 und 2006 leicht verringert. In Dänemark, Schweden und Finnland ist dies nicht der Fall. Hier stieg der Bevölkerungsanteil, der nach sozialstaatlichen Transfers ein verfügbares Einkommen unterhalb der Armuts- <?page no="197"?> 198 9 Soziale Ungleichheit gefährdungsschwelle aufweist, was möglicherweise mit dem Rückgang der Sozialausgaben (vgl. Abschnitt 4.1) und dem Abbau des Wohlfahrtsstaates in diesen Län- Armutsgefährdung steigt in Osteuropa dern in Zusammenhang steht (Green-Pedersen/ Klitgaard 2008; Hort 2008; van Oorschot 2008; Vis et al. 2008). Auch in den meisten Beitrittsstaaten ist in den letzten Jahren der Anteil derjenigen gestiegen, die nach sozialstaatlichen Transfers ein verfügbares Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle haben. In Ungarn und Lettland ist der Anstieg der Armutsquote nach Sozialtransfers besonders deutlich. Im Fall von Lettland ist dafür unter anderem die starke Kürzung sozialpolitischer Programme verantwortlich (Rajevska 2008). In beiden Ländern spiegelt sich diese Zunahme der Armut auch in einer wachsenden Ungleichheit der Haushaltseinkommen wider (vgl. Abschnitt 9.1). Schließlich stellt sich die Frage, ob im Zuge dieser Entwicklung eine Anglei- Konvergenz der Armutsquoten nach Sozialtransfers chung der Armutsgefährdungsquoten innerhalb Europas zu beobachten ist. Betrachtet man die Armutsquoten ohne sozialstaatliche Interventionen, so bleibt die Streuung innerhalb der EU-27 unverändert (SD 1995: 3,6; 2006: 3,6). Es lassen sich jedoch Angleichungstendenzen beobachten, wenn man die Armutsquoten nach sozialstaatlichen Transfers betrachtet. Die Streuung dieser Quoten nimmt im Zeitverlauf deutlich ab (SD 1995: 4,7; 2005: 3,6). Wir sehen dies als einen Beleg für den Stellenwert sozialpolitischer Programme bei der Bekämpfung von Armut. Armutsdifferenzen innerhalb der Mitgliedsländer der EU Mit den Daten in Tabelle 21 lassen sich die Armutsrisiken nach Sozialtransfers für unterschiedliche soziale Gruppen darstellen. Dabei handelt es sich um Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Arbeitslose und alte Menschen (+65 Jahre). Des Weiteren werden Armutsrisiken in Abhängigkeit vom Bildungsabschluss diskutiert. Das Armutsrisiko von Migranten, eine der wichtigsten Risikogruppen, ist mit den verfügbaren Eurostat-Daten leider nicht abzubilden. Auch lassen sich Armutsrisiken zwischen unterschiedlichen Regionen innerhalb der hier betrachteten Staaten mit den Daten nicht zeigen. Insofern werden bestehende Unterschiede zwischen zum Beispiel Süd- und Norditalien, Zentral- und Südportugal oder Ost- und Westdeutschland (Hauser/ Becker 2003) nicht berücksichtigt. Wendet man sich zunächst den Alleinerziehenden mit mindestens einem Kind zu, so lässt sich in der EU-15 ein doppelt so hohes Armutsrisiko wie für den sehr hohes Armutsrisiko für Alleinerziehende Durchschnitt der Bevölkerung feststellen (Tab. 20). Besonders stark sind Alleinerziehende im Baltikum, in Portugal, Tschechien, Luxemburg sowie in den liberalen Wohlfahrtsstaaten Irland und Großbritannien von Armut bedroht (Armutsgefährdungsquoten zwischen 40 % und 50 %). Das sind insofern hohe Werte, als sozialstaatliche Transfers bei den Angaben bereits berücksichtigt wurden. Teilweise ist die Armutsgefährdung für Alleinerziehende in diesen Ländern sogar mehr als dreimal so hoch wie für den Bevölkerungsdurchschnitt. Wesentlich günstiger ist die Situation von Alleinstehenden mit Kindern in Finnland, Dänemark, Slowenien und Deutschland. Hier waren 2006 »nur« zwischen 18 und 24 % einem <?page no="198"?> 9.3 Armut 199 | Tab. 21 Hauptsächlich von Armut betroffene Gruppen nach Sozialtransfers Alleinerziehende mit Kindern Familien mit drei o. mehr Kindern über 65-Jährige Arbeitslose Armutsquoten nach Bildung in 2006 1995 2000 2006 1995 2000 2006 1995 2000 2006 1995 2000 2006 ISCED 0-2 ISCED 3-4 ISCED 5-6 EU-15 41 40 32 28 26 22 21 17 20 40 39+ 39 22 12 7 Belgien 34 27 33 17 9 14 25 24 23 34 35 31 22 12 6 Dänemark - 18~ 19 - 13+ 12 - 24+ 17 - 23+ 25 15 11 8 Deutschland 55 44 24 23 17 13 15 10 13 39 37 43 19 11 7 Irland 54 35 47 30 28 22 19 42 27 37 48 50 27 13 6 Griechenland 32 23 30 17 26 38 35 31 26 35 33 33 27 16 6 Spanien 37 57 38 31 35 42 16 19 31 37 39 38 24 12 7 Frankreich 30 31 29 22 28 19 19 19 16 35 31 31 14 10 7 Italien 23 28 32 40 36 41 18 13 22 48 49 44 24 13 6 Luxemburg 25 35 49 31 27 24 12 9 8 - 39 48 20 9 3 Niederlande 30 36 32 16 22 16 8 6 6 18 40 27 9 9 7 Österreich 39 24 29 25 17 19 20 23 16 32 30 43 23 9 6 Portugal 34 37 41 45 36 38 38 33 26 31 24 31 18 10 3 Finnland 8* 22 18 4* 5 12 - 19 22 19* 31 42 21 13 4 Schweden - 13+ 32 - 8+ 13 - 16+ 12 - 19+ 24 11 10 10 Großbritannien 60 57 41 36 32 25 32 24 28 52 53 57 29 16 9 Bulgarien - 31 31 - 51 29 - 15 18 - 31 36 - - - Tschechien - 26+ 41 - 18+ 30 - 6+ 6 - 30+ 44 18 7 2 Estland - 37 41 - 23 24 - 16 25 - 50 59 29 17 10 Zypern - 22~ 34 - 15~ 12 - - 52 - - 31 33 10 4 Lettland - 31 40 - 26 52 - 6 30 - 41 64 39 21 8 Litauen - 20 44 - 25 42 - 14 22 - 36 61 30 20 4 Ungarn - 28 39 - 27 34 - 8 9 - 32 53 25 11 3 Malta - 59 37 - 31 32 - 20 21 - 52 40 15 6 4 Polen - 26 32 - 30 38 - 8 8 - 38 46 25 18 3 Rumänien - 26 27 - 34 45 - 17 19 - 30 30- - - - Slowenien - 21 22 - 10 15 - 21 20 - 42 33 23 8 3 Slowakei - - 29 - - 24 - - 8 - - 41 18 10 4 EU-25 - 30+ 32 - 27+ 24 - 17 19 - 41+ 41 22 13 7 Quelle: Eurostat (2008a); Angabe von Armutsquoten in %; ∗ 1996, %1999, +2001, -2003; Angaben für EU-27 nicht verfügbar. hohen Armutsrisiko ausgesetzt. Ferner zeigen die Eurostat-Daten für den Zeitraum zwischen 1995 und 2006, dass im europäischen Durchschnitt die Armutsrisiken für Alleinerziehende gesunken sind. Eine klare Ost-West- oder Nord-Süd- Struktur finden wir bei diesen Veränderungen nicht. Den deutlichsten Rückgang des Armutsrisikos in dieser Gruppe beobachten wir in Österreich, Großbritannien, Malta und vor allem auch in Deutschland. Diese Befunde widersprechen im Übrigen denen von Hauser und Becker (2003), die für die erste Hälfte der 1990er-Jahre in Deutschland einen Anstieg in der Armutsquote bei Alleinerziehenden ausgemacht haben. Die stärksten Anstiege der Armutsrisiken für Alleinerziehende beobachten wir in Luxemburg, Litauen, Finnland und Schweden, wo sich die Quoten mindestens verdoppelt haben. Familien mit drei oder mehr Kindern sind ebenfalls erhöhten Armutsrisiken kinderreiche Familien erhöhtes Armutsrisiko ausgesetzt. Im EU-15-Durchschnitt weist diese Bevölkerungsgruppe im Jahr 2006 eine Armutsgefährdungsquote nach Sozialtransfers von 22 % auf. In der EU-25 liegt die Quote bei 24 %. Besonders problematisch ist die Situation von kinderreichen Familien in Ländern mit einem konservativen/ mediterranen und postsozialistischen Wohlfahrtsstaat: In Griechenland, Polen, Portugal, Italien, Spanien, Litauen, Rumänien und Lettland sind vier bis fünf von zehn kinderreichen Familien von Armut bedroht. Vergleichsweise günstig ist die Situation in den skandi- <?page no="199"?> 200 9 Soziale Ungleichheit navischen Wohlfahrtsstaaten und Deutschland, wo zwischen 12 und 13 % der kinderreichen Familien ein erhöhtes Armutsrisiko tragen. Dies entspricht im Prinzip dem Armutsrisiko des Bevölkerungsdurchschnitts in diesen Ländern (siehe Tab. 20). Zwischen 1995 und 2006 nehmen die Armutsrisiken kinderreicher Familien im europäischen Durchschnitt ab. Die Entwicklung innerhalb der Länder verläuft dabei sehr unterschiedlich. In Deutschland, Großbritannien, Irland und Österreich beobachten wir in diesem Zeitraum eine überdurchschnittliche Verringerung des Armutsrisikos von kinderreichen Familien. Sehr deutliche Anstiege der Armutsrisiken dieser Bevölkerungsgruppe beobachten wir in den letzten Jahren in Litauen, Lettland, Griechenland und Finnland. Fasst man die beiden zuletzt diskutierten Armutsindikatoren zusammen, dann Infantilisierung der Armut in Europa kann eine sogenannte Infantilisierung der Armut in Europa festgestellt werden. Kinder und Jugendliche sind besonders von Armut betroffen. Sehr stark tritt dieses Problem in Spanien, Italien, Großbritannien, im Baltikum, Polen, Ungarn und Rumänien auf, wo etwa ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Armut leben (Eurostat 2008a). Die niedrigsten Armutsgefährdungsquoten für Kinder und Jugendliche ließen sich im Jahr 2006 laut Eurostat (2008a) in Dänemark, Finnland, Zypern, Slowenien und Deutschland beobachten, wo nur zehn bis zwölf Prozent dieser Altersgruppe mit hohen Armutsrisiken konfrontiert sind. Die über 65-Jährigen sind ebenfalls verstärkt mit Armutsrisiken konfrontiert. Im Jahr 2006 lebte jeder fünfte Einwohner dieser Bevölkerungsgruppe von einem Äquivalenzeinkommen, welches weniger als 60 % des nationalen Median- Einkommens betrug. Besonders problematisch ist die soziale Lage der Senioren in Irland, Großbritannien, Lettland und Spanien (Armutsgefährdungsquote zwischen 27 % und 31 %). In Zypern sind sogar über die Hälfte der alten Menschen von problematische soziale Lage alter Menschen Armut bedroht. Sehr viel günstiger stellt sich die Situation älterer Menschen in den Niederlanden, Tschechien, Luxemburg und Polen dar (Armutsgefährdungsquote zwischen sechs und acht Prozent). In diesen Staaten haben die über 65-Jährigen ein teilweise deutlich geringeres Armutsrisiko als der Bevölkerungsdurchschnitt. Im Fall der Niederlande kann man dies mit einer höheren Erwerbsbeteiligung von älteren Menschen und mit einer starken Verbreitung von Betriebsrenten begründen (Lefèbvre 2007: 4). Zwischen 1995 und 2006 haben sich die Armutsrisiken in den meisten westeuropäischen Staaten verringert (Ausnahmen: Spanien, Italien, Finnland). Ein Grund hierfür könnte die Einführung von Mindesteinkommen beziehungsweise die Erhöhung von Renten und Mindesteinkommen in einigen der westeuropäischen Staaten sein (European Commission 2007c: 21). In vielen osteuropäischen Staaten ist hingegen die Altersarmut drastisch gestiegen (Offe/ Fuchs 2007; Zaidi et al. 2006). Vor allem die baltischen Staaten sind hier zu erwähnen. In Lettland hat sich zum Beispiel die Gruppe der Senioren, die von Arbeitslose haben das höchste Armutsrisiko in Europa Armut bedroht sind, innerhalb von sechs Jahren verfünffacht. Arbeitslose haben das höchste Armutsrisiko aller betrachteten sozialen Gruppen. Im Durchschnitt der bisherigen Kernunion verfügen etwa vier von zehn Arbeitslosen über ein Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle. <?page no="200"?> 9.3 Armut 201 Besonders hoch ist das Armutsrisiko für Arbeitslose in den liberalen Wohlfahrtsstaaten Irland und Großbritannien sowie in den postsozialistischen Wohlfahrtsstaaten Ungarn, Lettland, Litauen und Estland (Armutsgefährdungsquote zwischen 50 % und 64 %). Die Armutsrisiken sind hier für Arbeitslose dreimal so hoch wie für den Durchschnitt der Bevölkerung. In den genannten Ländern sind die sozialstaatlichen Unterstützungen im Fall von Arbeitslosigkeit sehr niedrig, da die liberal dominierten politischen Eliten die Vorstellung vertreten (Bazant/ Schubert 2008; Esping-Andersen 1990, 1999), dass ein zu hohes wohlfahrtsstaatliches Leistungsniveau Arbeitsanreize vermindert und Menschen in Abhängigkeit bringt (vgl. Abschnitt 4.1). In den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten sind die Armutsrisiken sehr viel schwächer ausgeprägt: In Schweden, Dänemark und den Niederlanden lag die Armutsgefährdungsquote 2006 bei etwa 25 %. Lettland, Litauen und Ungarn sind, neben Finnland, die europäischen Staaten, in denen wir in den letzten Jahren den stärksten Anstieg der Armutsrisiken von Arbeitslosen beobachten. Im Hinblick auf die Armutsrisiken unterschiedlicher Qualifikationsgruppen hohe Armutsrisiken für Geringqualifizierte bestätigen sich anhand der Zahlen in Tabelle 21 Befunde aus der Sozialstrukturforschung, nach denen es einen engen Zusammenhang zwischen Bildungskapital und sozialer Lage gibt (Allmendinger 1999; Geißler 2006; Solga/ Powell 2006). Europäer mit tertiären Bildungsabschlüssen (ISCED 5-6) haben sehr geringe Armutsrisiken. Sie lagen im Jahr 2006 im Durchschnitt der EU-15 bei sieben Prozent. Personen mit mittleren Bildungsabschlüssen (ISCED 3-4) weisen demgegenüber in den meisten Ländern höhere Armutsrisiken auf. Sie liegen jedoch unter den jeweiligen nationalen Armutsrisikoquoten. Im innereuropäischen Vergleich sind die Armutsrisiken für Personen mit mittleren Qualifikationen besonders hoch in Griechenland, Großbritannien, Polen sowie in den baltischen Staaten. Die These, dass die »neue Armut« verstärkt auch in mittlere soziale Schichten hineinragt (Pfaff 1995), ließe sich möglicherweise für diese Ländergruppe plausibilisieren. Überdurchschnittlich hohe Armutsquoten sind für Personen mit geringen Qualifikationen beziehungsweise für Personen ohne formale Bildungsabschlüsse (ISCED 0-2) zu beobachten; was sich vor allem in den liberalen Wohlfahrtsstaaten und im Baltikum deutlich zeigt. In den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten ist die Armutsgefährdung von Menschen mit geringer Bildung sehr viel schwächer ausgeprägt: In den Niederlanden oder Schweden besitzt diese Bevölkerungsgruppe Armutsrisiken, die so hoch sind wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Schließlich zeigt sich, dass die Streuung der Armutsgefährdungsquoten nach Sozialtransfers für einzelne Risikogruppen viel stärker ist als die Streuung der durchschnittlichen Armutsgefährdungsquoten. Besonders deutlich variiert das Armutsrisiko innerhalb Europas für kinderreiche Familien, Arbeitslose und die Altersgruppe der über 65-Jährigen. Zudem ist die Streuung bei diesen Indikatoren nur bei den Alleinerziehenden mit Kindern in den letzten Jahren gesunken. Bei den anderen Indikatoren ist sie konstant geblieben oder gestiegen. Offensichtlich <?page no="201"?> 202 9 Soziale Ungleichheit gibt es von Land zu Land variierende, relativ stabile sozialstaatliche Prioritäten. Diese begünstigen beziehungsweise benachteiligen jeweils spezifische Armutsrisikogruppen. <?page no="202"?> 10 Lebensqualität gemeinsam mit Patrick Präg Definition In den Gesellschaftswissenschaften ist Lebensqualität ein Konzept, das über den bloßen materiellen Lebensstandard hinausgeht und diesen als einen Indikator neben anderen immateriellen Indikatoren (wie Gesundheit, Wohnbedingungen, Zustand der Umwelt, Freizeit) betrachtet. Empirisch wird Lebensqualität nicht nur anhand objektiver Zustände, sondern auch mittels subjektiver Einschätzungen erfasst. Lebensqualität ist nicht nur in der Soziologie ein viel diskutiertes Konzept, sondern auch in Disziplinen wie Philosophie, Gesundheitswissenschaften, Psychologie und Marketing (Sirgy et al. 2006). Insbesondere in Bezug auf Europa ist Lebensqualität ein populäres Forschungsthema (z. B. Alber et al. 2008b; Christoph/ Noll 2003; Delhey et al. 2002; Grasso/ Canova 2008; Hudler/ Richter 2002; Noll 2002). Dies liegt unter anderem daran, dass die Europäische Kommission diese Forschung speziell fördert (Noll 2004). Sie strebt damit eine Erhöhung der Lebensqualität in Europa an, um attraktiver auf ihre Bürger zu wirken und die eigene Legitimität zu stärken (Alber et al. 2008a). Ihren Ursprung hat die Untersuchung der Lebensqualität in der Sozialindikatorenforschung der 1960er- und 1970er-Jahre (Noll 2004). In den wirtschaftlich prosperierenden westlichen Gesellschaften dieser Zeit war eine Hebung des Lebensstandards für weite Teile der Bevölkerung erreicht worden. Vor dem Hintergrund Sozialindikatorenforschung von sozialstrukturellem Wandel (postindustrielle Gesellschaft) und Wertewandel (Postmaterialismus) kamen Zweifel auf, ob »mehr« in jedem Fall immer »besser« bedeute. Das ökonomische Wachstum als alleiniger Indikator gesellschaftlichen Fortschritts wurde in Frage gestellt. Neben dem wissenschaftlichen Anspruch hatte das Konzept Lebensqualität immer auch schon eine politische Dimension. Die Politik hatte zur Entstehungszeit der Lebensqualitätsforschung stärker als heute den Anspruch, gesellschaftliche Prozesse aktiv zu steuern (Noll 2004; Rapley 2003). Seit den 1960er-Jahren wurden viele Definitionen und Operationalisierungen entwickelt, um Lebensqualität begrifflich fassbar und empirisch messbar zu machen. Aus der Tradition der schwedischen Wohlfahrtsforschung stammt der sogenannte »level of living«-Ansatz (Erikson 1974, 1993). Nach diesem Ansatz entlevel-of-living- Ansatz spricht Lebensqualität der Verfügung über individuelle Ressourcen, die neben Einkommen und Eigentum auch nicht-ökonomische Ressourcen wie Bildung, mentale und körperliche Energie, soziale Beziehungen oder Sicherheit umfassen (Allardt 1993: 72f.). Zusätzlich werden Determinanten von Lebensqualität in <?page no="203"?> 204 10 Lebensqualität Betracht gezogen. Das sind Lebensbedingungen, die nicht individuell gesteuert werden können, etwa Arbeitsbedingungen, der Wohnungsmarkt oder Umweltbedingungen. Die Ressourcen werden als Voraussetzungen dafür verstanden, dass Individuen aktiv ihre Lebensbedingungen steuern und für sich selbst Lebensqualität verwirklichen können. Zur Messung werden in diesem Konzept ausschließlich objektive Zustandsbeschreibungen verwendet. Individuelle Bewertungen der Zustände sind nicht von Interesse, da diese lediglich den Grad der Anpassung eines Menschen an seine Lebensumstände ausdrücken würden (Erikson 1993: 77). Ein aus den USA stammendes Konzept ist der sogenannte »quality of life«quality of life- und subjective well-being- Ansatz beziehungsweise »subjective well-being«-Ansatz (Campbell et al. 1976; Diener et al. 1999). Für diesen Ansatz sind individuelle Ressourcen irrelevant. Zentral sind hier eher die Bedürfnisse des Individuums. Wohlfahrt und Lebensbedingungen werden subjektiv wahrgenommen und erlebt. Lebensqualität besteht folglich in einer individuellen positiven Bewertung der eigenen Lebensumstände, unabhängig davon, wie Dritte diese bewerten würden. Zur Messung der Lebensqualität werden Skalen zur Messung von Zufriedenheit, Glück und Wohlbefinden verwendet, die sich auf das Leben ganz generell und auf einzelne Lebensbereiche (Familie, Arbeit, Einkommen) beziehen. Der »subjective well-being«-Ansatz genießt im Bereich der (Sozial-) Psychologie eine größere Popularität als in der Soziologie. Eine Synthese dieser beiden Positionen strebt Allardts »Having, loving, being«having, loving, being Ansatz (Allardt 1974; 1993) an. Er erweitert das als zu eng kritisierte Ressourcenkonzept der skandinavischen Wohlfahrtsforschung und stellt die USamerikanische Zufriedenheitsforschung auf ein intersubjektives, gesellschaftliches Fundament. Statt auf Ressourcen konzentriert sich Allardt auf ein Modell menschlicher Grundbedürfnisse, die er in drei Gruppen einteilt: • Having umfasst die materiellen Lebensbedingungen, die für das Überleben vonnöten sind, etwa Einkommen und Vermögen, Wohnbedingungen, Erwerbstätigkeit, Gesundheit, Bildung, aber auch den Zustand der natürlichen Umwelt. • Loving steht für die Bedürfnisse nach Sozialkontakten und Zugehörigkeit, etwa Freundschaften, Nachbarschaftskontakte, Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen, Mitgliedschaften und Kontakte mit Arbeitskollegen. • Being bezeichnet das Bedürfnis nach persönlichem Wachstum, namentlich Möglichkeiten, Partizipation und Selbstverwirklichung, etwa Kontrolle über das eigene Leben, gesellschaftliche Teilhabe durch Beteiligung an politischen Entscheidungen, sinnvolle Arbeit oder ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit. Allardt (1993: 91) bezeichnet die Nichterfüllung dieser Grundbedürfnisse als Entfremdung. Essenziell für Allardts Ansatz ist weiter, dass alle drei Kategorien sowohl über objektive als auch subjektive Indikatoren erfasst werden, also nicht nur die Lebensbedingungen dokumentiert werden, sondern auch, wie diese von den Menschen erfahren werden. <?page no="204"?> 10.1 Wohnen 205 Ein Beispiel für ein nicht nur auf westliche Gesellschaften ausgerichtetes Verständnis von Lebensqualität ist der capability-Ansatz (Verwirklichungschancen) des indischen Nobelpreisträgers Amartya Sen (1993). Verwirklichungschancen bestimmen nach Sen den Handlungsspielraum eines Menschen in seiner Lebensführung. Sie stellen die Fähigkeit eines Menschen dar, etwas zu sein (z. B. satt, gesund, sozial integriert sein) oder zu tun (zum Beispiel lesen können, in die Kirche gehen). Verwirklichungschancen sind die Freiheit, bestimmte Funktionen (functionings) erreichen zu können. Lebensqualität bemisst sich in dem Vermögen, Funktionen entsprechend der eigenen Präferenzen zu erreichen. Je größer die Menge der Verwirklichungschancen, desto größer die Lebensqualität. Im Folgenden werden einige wichtige Bereiche von Lebensqualität diskutiert. Wir beschränken unsere Darstellung auf die Wohnbedingungen, den Zustand der Umwelt, Gesundheit und Zeitverwendung. Indikatoren wie Bruttoinlandsprodukt, Erwerbstätigkeit, Lebenserwartung, Armut und Bildung wurden schon in den Kapiteln 5 bis 9 abgehandelt und werden hier nicht erneut diskutiert. In der Darstellung der ausgewählten Bereiche der Lebensqualität werden wir uns nicht darauf beschränken, mittels Aggregatmaßen Unterschiede zwischen den EU-Staaten aufzuzeigen. Wie Allardt (1993: 89) schon festgestellt hat, reichen bloße Aggregat- und Durchschnittswerte für die Beurteilung der Lebensqualität nicht aus: Wenn die Lebenssituation für einen großen Teil der Bevölkerung unbefriedigend sei, könne die Lebensqualität nicht als ausreichend bezeichnet werden, auch wenn sie im Durchschnitt vergleichsweise hoch ist. Dementsprechend werden wir in unserer Darstellung einen Schwerpunkt auf die Ungleichheit der Lebensqualität legen. 10.1 Wohnen Methodische Hinweise Für die Darstellungen dieses Abschnitts werden Eurostat-Daten und Daten des European Quality of Life Survey (EQLS) aus dem Jahr 2003 verwendet. Grundlage der empirischen Darstellung sind vier Parameter. Beengtheit des Wohnens: die durchschnittlich zur Verfügung stehende Wohnfläche (m 2 ) pro Einwohner. Wohnausstattung mit Internet: Anteil der Haushalte mit Internetzugang an allen Haushalten. Wohneigentum: Anteil der Haushalte, die ihre Wohnstätte nicht gemietet haben, sondern selbst besitzen. Wohnmängel: Anteil der Befragten, die in der EQLS-Befragung über Fäulnis an Fenstern, Türen oder Böden und/ oder über Feuchtigkeit, undichte Stellen und Stockflecken klagten. Das Wohnen ist nach Häußermann und Siebel (2000) ein komplexes soziologisches Phänomen, welches von den ökonomischen, kulturellen, sozialen und politischen Bedingungen und Wandlungsprozessen in modernen Gesellschaften abhängt. Wohnen und die Versorgung mit Wohnraum sind menschliche Grundbedürfnisse, die entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität von Individuen haben (Grzeskowiak et al. 2006). Wohnen als Dimension von Lebensqualität ist stark von der wirtschaftlichen Lage der Individuen und Haushalte abhängig. Nach <?page no="205"?> 206 10 Lebensqualität Ansicht von Häußermann und Siebel ist Wohnen auch ein wichtiges Thema sozia- Ungleichheit des Wohnens ler Ungleichheit (2000: 285). Das Wohnen als sozial strukturiertes Phänomen beziehungsweise Wohnen als soziale Frage kann als ein Wesensmerkmal der Herausbildung industriell geprägter europäischer Gesellschaften (vgl. Abschnitt 3.1) verstanden werden. Die Industrialisierung Europas hat hier spezifische Formen des Wohnens für unterschiedliche soziale Klassen (Arbeiter, Angestellte/ Beamte, Manager) entstehen lassen, die - je nach Stellung in den ökonomischen Verwertungszusammenhängen - in eigenen Wohnquartieren lebten. Diese Quartiere unterschieden sich nach Wohnungsgrößen, Eigentumsformen oder Umweltbelastungen (Häußermann/ Siebel 2000: 81ff.). Die Segregation der Bewohner von Stadträumen ist daher auch als ein Phänomen mit einer spezifisch europäischen Historie zu sehen. Segregation beschreibt die sozialräumliche Gliederung der Stadt, d. h. die Projektion sozialer Strukturen auf den Raum. Sie ist Ergebnis sozialer Ungleichheit, d. h. ungleicher Chancen einzelner Bevölkerungsgruppen, auf dem Wohnungsmarkt entsprechend ihrer Präferenzen Wohnraum zu finden. Segregation drückt sich aus in der Konzentration von Bevölkerungsgruppen in städtischen Teilgebieten. Bei der Beschreibung von Segregation ist zu differenzieren zwischen freiwilliger und erzwungener Segregation, nach Art und Zustandekommen der jeweiligen Segregation, welche Gruppen segregiert sind sowie zwischen sozioökonomisch bedingter und ethnisch-kultureller Segregation (Friedrichs 1995: 79ff.). Wohnen und konkrete Wohnbedingungen sind aber nicht nur entscheidend für das Wohlbefinden der Bewohner, sondern sie sind Ressourcen, die für Lebenschancen bestimmend sein können: »Die Konfliktträchtigkeit von Familienbeziehungen, die Möglichkeit persönlichkeitsorientierter Kindererziehung, die Chancen zur Erholung von Arbeitsbelastungen […] sind von der Wohnung abhängig.« (Hradil 2001: 311) Die Ungleichheit des Wohnens wird in der Literatur vor allem im nationalen oder regionalen Kontext thematisiert (Dangschat 2000; Geißler 2006; Harth et al. 2000; Hradil 2001; Kurz 2004; Oppolzer 1994; Spiegel 2000). Untersucht werden in erster Linie Unterschiede in der Ausstattung der Haushalte mit technischen Geräten (Auto, Spülmaschine, TV-Gerät, Handy/ Telefon, Computer/ Laptop, Internet-Anschluss), Fragen der Wohnqualität (Heizung, Bad, Klimaanlage), die Wohnfläche, die Eigentumsform, Umwelt- und Lärmbelastungen. International vergleichende Studien zur Ungleichheit des Wohnens sind weniger verbreitet (Beispiele sind Domanski 2008; Kurz/ Blossfeld 2004; Norris/ Shiels 2007). Wohnungleichheit zwischen den Mitgliedsstaaten der EU In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren in europäischen Städten (vor allem in den innerstädtischen Arbeitervierteln) die Wohnungen völlig überbelegt, mit schlechten Sanitär- und Heizungsanlagen ausgestattet und häufig aufgrund der charakteristischen Durchmischung von Industrie- und Wohnvierteln starken Umweltbelastungen ausgesetzt. Damit einhergehend war ein Wesensmerkmal europäischer Metropolen der damaligen Zeit ihre starke sozialstrukturelle Polarisierung. Zwar betrug nach Häußermann und Siebel (2000: 65) beispielsweise in Hamburg und München die durchschnittliche Wohnfläche pro Person zwischen <?page no="206"?> 10.1 Wohnen 207 zehn und 15 m 2 - exakte Statistiken sind aus dieser Zeit für die wenigsten Städte Wohnfläche pro Bewohner in Europa gewachsen verfügbar -, gleichzeitig kann man aber aufgrund der sehr ungleichen Verteilung von Wohnraum von Wohnungselend für etwa die Hälfte der Bewohner deutscher Großstädte ausgehen 49 (Häußermann/ Siebel 2000: 66). Die Modernisierung der europäischen Gesellschaften, hier vor allem sozialpolitische Programme wie der soziale Wohnungsbau, brachte in den letzten Jahrzehnten für die meisten Europäer eine deutliche Steigerung der Lebensqualität im Bereich des Wohnens: Im Jahr 2001 lag die pro Person durchschnittlich verfügbare Wohnfläche innerhalb der EU-15 bei 36,7 m 2 . Gegenüber dem Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich damit - auch wenn hier eine exakte Vergleichszahl fehlt - die verfügbare Wohnfläche pro Bewohner in Europa vermutlich mindestens verdoppelt, und dies trotz eines starken Bevölkerungswachstums in den europäischen Stadtregionen vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Höhn 1997: 75; Kaelble 2007: 362). Bei einem zweiten Blick auf Schaubild 25 zeigen sich allerdings Unterschiede verfügbare Wohnfläche variiert innerhalb Europas in Form eines klaren West-Ost-Gefälles. An der Spitze der innereuropäischen Hierarchie steht - wie schon bei den Löhnen (vgl. Abschnitt 10.1) - Dänemark mit einem Wert von über 50 m 2 pro Person. 50 Das ist eine Wohnfläche, die um 270 % größer ist als in Lettland und 55 % größer als in Spanien. Am unteren Ende der innereuropäischen Hierarchie der Wohnfläche pro Person liegen Länder wie Lettland, Bulgarien oder Rumänien, wo die Menschen durchschnittlich 13,5 bis 49 Häußermann und Siebel führen am Beispiel Berlins weiter aus (2000: 67): »1900 gibt es in Berlin 27.729 Wohnungen mit höchstens einem heizbaren Zimmer und sechs oder mehr Bewohnern. […] 7.759 Personen teilen sich 4.086 Wohnungen, die nur aus einer Küche bestehen, 7.412 Personen 2.419 Wohnungen, die nur aus einem nicht heizbaren Zimmer bestehen. 59.746 Personen 32.812 Wohnungen, die nur ein heizbares Zimmer haben, und 726.723 Personen wohnen in 197.394 Wohnungen, die nur aus einer Küche und einem Zimmer bestehen. Zählt man zu diesen über 900.000 Menschen noch die 381.118 Bettgänger hinzu […], so beschreiben diese Zahlen die Wohnsituation von etwa der Hälfte der Berliner Mieter.« (Sachße/ Tennstedt 1982: 280, zitiert nach Häußermann/ Siebel 2000: 67) Unter diesen Bedingungen war kein Privatleben möglich, keine persönlichkeitsorientierte Kindererziehung, die Chancen zur Erholung von Arbeitsbelastungen waren minimal. Wer es konnte, verließ solche Wohnungen und hielt sich im öffentlichen Raum auf. »Für die Frauen war diese Wohnung freilich der Ort, an dem sie sich überwiegend aufhalten mussten, an dem sie das Essen zubereiteten und für die Kinder sorgten, und an dem sie häufig auch noch Heimarbeit verrichteten, um das Einkommen des Haushaltes aufzubessern. Dass unter diesen Umständen ein geregeltes […] Familienleben aufrechtzuerhalten in den überfüllten, kaum mit Haustechnik und nur minimal mit Möbeln ausgestatteten Wohnungen eine […] ziemlich aussichtslose Anstrengung war, liegt auf der Hand.« 50 Deutschland befindet sich beim verfügbaren Wohnraum pro Kopf in der europäischen Spitzengruppe. Im Durchschnitt stehen den Deutschen etwa 40 m 2 Wohnfläche zur Verfügung; das sind 190 % mehr als in Lettland und 25 % mehr als in Spanien. Bei diesen Werten ist zu berücksichtigen, dass hier noch immer Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland (zugunsten der alten Bundesländer) bestehen, die allerdings in den letzten Jahren deutlich kleiner geworden sind (Geißler 2006: 73; Hradil 2001: 313). <?page no="207"?> 208 10 Lebensqualität Schaubild 25 | Wohnfläche pro Person 0 10 20 30 40 50 60 Bulgarien Rumänien Slowakei Tschechien Ungarn Polen Litauen Irland Estland Slowenien Griechenland Spanien Österreich Belgien Finnland Italien Frankreich EU-15 Schweden Deutschland Niederlande Luxemburg Malta Großbritannien Zypern Dänemark Quelle: Eurostat (2008b), Irland und Zypern: Norris und Shiels (2007); Werte für Portugal nicht verfügbar, Großbritannien nur England; Angaben für 2001 (Irland 2002) in Quadratmeter pro Person; EU-15 ungewichteter Mittelwert. 17 m 2 Wohnfläche zur Verfügung haben. In den osteuropäischen Ländern war schon während des Staatssozialismus Wohnraum knapp (Domanski 2008; Hegedüs/ Teller 2005), und auch heute hält der Wohnraummangel an (OECD 2005a). Einige Autoren stellen jedoch fest, dass dieses Problem durch die in den 1990er- Jahren schrumpfende Bevölkerung (vgl. Abschnitt 5.1) eher an Virulenz verloren habe (Lux 2003). Domanski (2008: 246) führt die schlechte Ausstattung mit angemessenem Wohnraum in den osteuropäischen Reformstaaten auf das vergleichsweise geringe Bruttosozialprodukt dieser Länder zurück. Hegedüs und Teller (2005) verweisen darauf, dass die staatssozialistische Wohnungspolitik mit ihren hoch subventionierten Mietpreisen nie in der Lage gewesen sei, ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die nach der Wende erfolgte Kürzung der Subventionen und die rasch erfolgte Privatisierung des Wohneigentums - Wohnungen gingen zum Teil kostenlos in den Besitz ihrer Mieter über - konnten diese Probleme nicht lösen. Im Gegenteil: Die meist gering verdienenden Neueigentümer sind nicht in der Lage, ihren Besitz instand zu halten (Norris/ Shiels 2007). Bezüglich der Ausstattung von Wohnungen mit Bad, WC, Zentralheizung oder Angleichung in der Ausstattung von Wohnungen Farbfernseher ist in den letzten Jahren eine starke Angleichung in Europa zu verzeichnen. Mittlerweile besitzt ein Großteil der Wohnungen vor allem in Westeuropa die genannten Merkmale (Domanski 2008). Über ein Bad verfügen in den westeuropäischen Ländern zwischen 92 und 100 % der Wohnungen, ein TV-Gerät <?page no="208"?> 10.1 Wohnen 209 | Schaubild 26 Haushalte mit Internetzugang 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Bulgarien Rumänien Griechenland Tschechien Ungarn Zypern Portugal Polen Italien Litauen Spanien Slowakei Frankreich Lettland Estland Malta Irland Slowenien EU-15 Belgien Österreich Großbritannien Finnland Deutschland Luxemburg Dänemark Schweden Niederlande Quelle: Eurostat (2008a); Angaben für 2007. findet man ebenfalls in 94 bis 99 % der Wohnungen (Statistisches Bundesamt 2006: 655). Im Hinblick auf diese Indikatoren fand also in der Vergangenheit bereits eine starke Angleichung innerhalb Europas statt. Ein Indikator für die Qualität der Wohnausstattung, der im letzten Jahrzehnt an Bedeutung gewonnen hat, ist der Anteil der Haushalte mit Internetzugang (Schaubild 26). Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet sind eine der bedeutendsten Grundlagen der Globalisierung (z. B. Castells 1996). Internetzugang steht nicht nur für die technische Fortschrittlichkeit und den wirtschaftlichen Entwicklungsstand der EU-Staaten, sondern in zunehmendem Maße bedeutet der Zugang zum Internet auch die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe im Sinne von Kommunikation und Informationsbeschaffung sowie für soziale und wirtschaftliche Entwicklungschancen (DiMaggio et al. 2001; Guillén/ Suárez 2005; OECD 2006a; Räsänen 2006). Die Ausstattung mit Internetzugang ist folglich eine immer bedeutender werdende Voraussetzung für die Verwirklichung von Lebensqualität. Schaubild 26 zeigt, dass im Jahr 2007 ein Anteil von 54 % der EU-27-Haushalte auf das Internet zugreifen konnte. Zugleich zeigen sich große Unterschiede innerhalb der EU. In den wirtschaftlich leistungsstarken westeuropäischen Ländern Niederlande, Schweden, Dänemark, Luxemburg und Deutschland haben 71 bis 83 % der Haushalte Zugang zum Internet. Der geringste Anteil von Haushalten mit Internetzugang findet sich bei den zwei jüngsten EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien. <?page no="209"?> 210 10 Lebensqualität Das Pro-Kopf-Einkommen ist ein wichtiger Prädiktor für die Verbreitung von Internetverbindungen in modernen Gesellschaften (Beilock/ Dimitrova 2003). Deshalb ist es nicht überraschend, dass der Zugang zu diesem wichtigen Informationsmedium in westeuropäischen EU-Staaten besser ist als in Süd- und Osteuropa. Jedoch gibt es in der letztgenannten Gruppe bemerkenswerte Befunde: So liegt etwa Slowenien mit 58 % nur knapp unter dem EU-15-Durchschnitt. Griechenland befindet sich mit 25 % Internetzugang in einer Gruppe mit den ärmsten EU-Staaten Bulgarien und Rumänien. Staaten wie Portugal, Spanien und Italien liegen hinter Lettland und Estland. Denn während die süd- und westeuropäischen Staaten kostspielige Investitionen in veraltete Kommunikationsinfrastrukturen tätigen mussten, konnten die osteuropäischen Staaten direkt in moderne Funknetze investieren, um ihren Rückstand aufzuholen (Howard 2007). Wohnungleichheit innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU Eigener Wohnraum hat für die Menschen in modernen, europäisch geprägten Wohneigentum besitzt hohen Stellenwert Gesellschaften einen hohen Stellenwert. Es ist »zweifellos die Wohnform, die sich die meisten Menschen wünschen«, schreiben Häußermann und Siebel (2000: 229) und formulieren weiter: »Ein eigenes Haus ist für die meisten Symbol für individuelle Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit. […] Aus dem Status des Mieters in den eines Eigentümers zu wechseln, gilt daher auch als ein Akt ökonomischer Emanzipation, der zudem mit der Befreiung von Bevormundungen verbunden ist, die dem rechtlich abgesicherten Verfügungsrecht des Privateigentums anhaften.« Empirisch zeigt sich, dass Wohneigentum in den postsozialistischen Staaten Litauen, Ungarn, Estland, Slowenien und in Spanien, Griechenland und Italien besonders verbreitet ist. Die durchschnittliche Quote der Wohneigentümer liegt zwischen 65 und 75 % der Haushalte (schwarze Balken in Schaubild 27). Die geringste Verbreitung von Wohneigentum ist in Schweden, Deutschland und Tschechien zu finden. Danach folgen Staaten wie Dänemark, die Niederlande, Polen oder Österreich, wo circa 55 % der Haushalte Wohneigentümer sind. Die hohen Eigentumsquoten in Osteuropa gehen - wie bereits erwähnt - nicht auf die Kaufkraft der dortigen Bevölkerungen zurück, sondern auf die Privatisierungspolitik nach dem Ende des Staatssozialismus. Auch in den westeuropäischen Staaten hat Wohnungspolitik Einfluß auf die Eigentumsquoten: Während zum Beispiel in Deutschland der Mietwohnungsmarkt reguliert ist und es einen großen Anteil an Sozialwohnungen gibt, ist dieser Markt in Irland und Großbritannien weitgehend unreguliert, und Sozialwohnungen werden ausschließlich für Bedürftige bereitgestellt. Dies führt dazu, dass in Deutschland die Mieten relativ günstig sind, während auf unregulierten Wohnungsmärkten wie in Großbritannien der (meist hypothekenfinanzierte) Erwerb von Wohneigentum attraktiver ist (Kurz/ Blossfeld 2004; Norris 2008). Eine weitere Erklärung der Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsländern liegt im hohen Verstädterungsgrad in Ländern wie Deutschland und den Niederlanden beziehungs- <?page no="210"?> 10.1 Wohnen 211 | Schaubild 27 Anteil der Wohneigentümer nach Haushaltseinkommen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Schweden Deutschland Tschechien Dänemark Niederlande Polen Österreich Frankreich Finnland Lettland EU-15 Zypern Belgien Großbritannien Luxemburg Malta Portugal Slowakei Irland Italien Griechenland Spanien Slowenien Estland Ungarn Litauen Anteil der Wohneigentümer Wohneigentümer mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens Wohneigentümer mit mehr als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens Quelle: Anteil der Wohneigentümer: Norris und Shiels (2007), Wohneigentümer nach Haushaltseinkommen: Eurostat (2008a), eigene Berechnungen. Anteil der Wohneigentümer für die Jahre 1999-2003 (nur Malta: 1995). Ungleichheit Wohneigentum für neue Mitgliedsstaaten nicht verfügbar. weise dem hohen Bevölkerungsanteil in ländlichen Regionen beispielsweise in Griechenland oder Italien. Denn gemeinhin finden sich die höchsten Wohneigen tumsquoten in ländlichen Regionen und die niedrigsten Quoten in Großstädten (Häußermann/ Siebel 2000: 237). Ein zweiter Blick auf die verfügbaren Daten zeigt, dass zwischen einer hohen ungleiche Verteilung von Wohneigentum durchschnittlichen Verbreitung von Wohneigentum und dessen ungleicher Verteilung ein negativer Zusammenhang besteht. Denn am stärksten ungleich ist die Verteilung von Wohneigentum in Dänemark, Schweden und Deutschland. Das sind Länder, die eine niedrige allgemeine Eigentumsquote aufweisen. Demgegenüber ist die Ungleichheit des Wohneigentums - gemessen an den Differenzen der Eigentumsquoten bei geringen und hohen Haushaltseinkommen - innerhalb Italiens, Spaniens, Griechenlands und Portugals sehr niedrig. Für Osteuropa liegen keine Daten vor. In Anbetracht der bereits erwähnten Art der Privatisierungspolitik kann vermutet werden, dass die Ungleichheit bei Wohneigentum in Osteuropa eher gering ist (Domanski 2008). Als weiteren Indikator zur Erfassung der Lebensqualität in Bezug auf das Wohnen zeigt Schaubild 28 die Verteilung von Wohnmängeln (Grzeskowiak et al. 2006) innerhalb der EU: Die schlechtesten Wohnbedingungen finden sich in Estland, wo die Hälfte aller Wohnungen gravierende Mängel haben. Auch in Portugal, der Slowakei, Lettland und Rumänien klagen über 40 % der Haushalte über Mängel an der Wohnung. Die besten Wohnbedingungen finden sich in Schweden, Luxem- <?page no="211"?> 212 10 Lebensqualität burg und Österreich, wo weniger als zehn Prozent der Wohnungen Mängel aufweisen. Auffällig ist hier, dass sich mit Griechenland und Portugal wieder zwei südeuropäische Staaten mit den neuen Mitgliedsstaaten auf einem Niveau befinden. Norris (2008) verweist in diesem Zusammenhang auf den unterentwickelten sozialen Wohnungsbau in den südeuropäischen Ländern. Innerhalb der EU-Staaten zeigt sich in den meisten Fällen eine deutliche Ein- Einkommensabhängigkeit der Wohnmängel kommensabhängigkeit bei der Verteilung der Wohnmängel: In Tschechien, Italien, Irland und Zypern gibt es besonders große Diskrepanzen zwischen Haushalten mit mehr als 140 % des durchschnittlichen Haushaltseinkommens und denen mit weniger als 60 %. Eine weitgehende Gleichheit zeigt sich in Schweden und Dänemark. Während die Unterschiede bezüglich des Wohneigentums dort besonders groß waren, offenbart sich nun beim Zustand der Wohnungen und Häuser, dass dort bezüglich der groben Mängel kaum ein Unterschied besteht. Schaubild 28 | Wohnmängel nach Haushaltseinkommen 0 10 20 30 40 50 60 70 Schweden Luxemburg Österreich Deutschland Dänemark Großbritannien Tschechien EU-15 Spanien Niederlande Finnland Irland Frankreich EU-25 Slowenien Italien Belgien Griechenland Zypern Ungarn Bulgarien Malta Polen Litauen Rumänien Lettland Slowakei Portugal Estland % Haushalte mit Fäulnis und/ oder Feuchtigkeit 60% des Medianeinkommens 140% des Medianeinkommens Quelle: European Quality of Life Survey 2003, eigene Berechnungen. »Haben Sie in Ihrer Wohnung/ Ihrem Haus eines der folgenden Probleme: Fäulnis in Fenstern, Türen oder Böden, Feuchtigkeit, undichte Stellen, Stockflecken? « und Haushaltsäquivalenzeinkommen nach alter OECD-Skala. Insgesamt zeigen die Befunde, dass es einen Zusammenhang zwischen den in diesem Kapitel verwendeten Indikatoren gibt (Beengtheit, Wohnausstattung mit Internet, Wohneigentum, Wohnmängel). Bei allen gibt es deutliche Ost-West- Differenzen: Bezüglich Wohnraum, Wohnmängeln und Internetausstattung ist die Lebensqualität in Osteuropa geringer als in den meisten westeuropäischen Staaten. Gleichzeitig ist die Wohneigentumsquote in Osteuropa höher als in Westeuropa. Dieses Zusammenkommen von Wohneigentum, geringer Wohn- <?page no="212"?> 10.2 Umwelt 213 fläche und Unzufriedenheit in Osteuropa wurde schon als »Paradox« bezeichnet (Domanski/ Alber 2006). Hier zeigt sich die Problematik der Wahl von Indikatoren für Lebensqualität: Während aus westeuropäischer Sicht der Erwerb von Wohneigentum als erstrebenswert und Zugewinn von Lebensqualität betrachtet wird, ist Lebensqualität in Osteuropa nicht an Wohnbesitz gekoppelt. Ergänzt wird das angesprochene Ost-West-Gefälle durch ein Nord-Süd-Gefälle innerhalb der EU: Zwischen den süd- und osteuropäischen Staaten zeigen sich oftmals nur geringe Differenzen bezüglich der Lebensqualität. Bei der Ausstattung mit Internetzugängen wird deutlich, dass osteuropäische Staaten einige der südeuropäischen Länder bereits überholt haben. Unabhängig von dieser Ost-West- und Nord-Süd-Struktur gibt es innerhalb der EU-Staaten oft eine Einkommensabhängigkeit der Wohnbedingungen. Beim Wohneigentum ist diese besonders groß in den Ländern mit einer geringen Eigentumsquote und regulierten Wohnungsmärkten (z. B. Schweden, Dänemark). 10.2 Umwelt Methodische Hinweise Belastung der städtischen Bevölkerung durch Luftverschmutzung mit Schwebstaub: Konzentration von Schwebstaubpartikeln (PM 10 ) in Mikrogramm pro m 3 Luft (μg/ m 3 ). Grundlage sind Eurostat-Daten. Schwebstaub oder auch Feinstaub kann Verschlechterungen des gesundheitlichen Zustandes vor allem bei Kindern und älteren Menschen verursachen. Das Ausmaß der Erkrankungsrisiken hängt, neben der Toxizität (Blei- oder Quecksilbergehalt), vor allem von der Größe der Staubpartikel ab. Je kleiner sie sind, desto gefährlicher sind sie. PM 10 entsteht durch Industrieabgase, Straßenverkehr, Emissionen von Privathaushalten (Heizungen), Heiz- und Stromkraftwerke, durch die Bauwirtschaft und die Landwirtschaft. Der EU-Grenzwert für den Jahresmittelwert der Feinstaubbelastung betrug im Jahr 2005 40 μg/ m 3 . Ab dem Jahr 2010 wird er bei 20 μg/ m 3 liegen. Belastung der städtischen Bevölkerung durch Luftverschmutzung mit bodennnahem Ozon: Jahressumme der mittleren Tagesmesswerte (8-Stunden-Mittel) über einem Schwellenwert von 70 μg/ m 3 . Grundlage sind Eurostat-Daten. Die Weltgesundheitsorganisation gibt einen Stundenwert von 120 μg/ m 3 als Grenzwert an, ab dem Gesundheitsgefahren bestehen. In der EU gelten gestaffelte Grenzwerte: Akute Gesundheitsgefahr gilt bei einem Stundendurchschnittswert von 360 μg/ m 3 . Ab 180 μg/ m 3 besteht eine Informationspflicht für die Bevölkerung. Bis zum Jahr 2010 will die Union die Ozonbelastungen weiter senken. Ab dann liegt der obere Stundenmittelwert bei 240 ‹ g/ m 3 und der 8-Stunden-Mittelwert bei 120 μg/ m 3 . Die Entstehung bodennahen Ozons wird begünstigt durch Industrieabgase, Straßenverkehr, landwirtschaftliche Aktivitäten und biogene Emissionen von z. B. Waldflächen (Europäischer Rat 2001; Meyer 2005). Ein guter Zustand der natürlichen Umwelt ist nach Allardt (1993: 90) und Erikson (1974: 278) als notwendige Ressource für das menschliche Überleben zu sehen und somit eine Dimension von Lebensqualität. Auch wenn der Zustand der Umwelt in der Lebensqualitätsforschung häufig vernachlässigt wird, so finden sich auch <?page no="213"?> 214 10 Lebensqualität Versuche, die Diskussion um Lebensqualität mit der um nachhaltige Entwicklung zu verknüpfen (Noll 2000; Schäfer et al. 2004). Grundgedanke hierbei ist, dass sich für Menschen Lebensqualität langfristig nur sichern lässt, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen ausschließlich in dem Maße genutzt werden, wie sie sich auch regenerieren können. Die Operationalisierung von guten Umweltbedingungen wird in der Forschung unterschiedlich vorgenommen: Während etwa Grasso und Canova (2008) die Steuereinnahmen aus Umweltgesetzen, den Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtstromverbrauch und die Zahl der Umweltgesetze als Indikatoren wählen, berichten Hagerty et al. (2001) von Operationalisierungen, die sich auf subjektive Bewertungen der Luftverschmutzung stützen. In anderen Studien fokus- Umwelt und Lebensqualität siert man stärker auf den Zusammenhang von Umwelt und sozialer Ungleichheit (vgl. Diekmann/ Jaeger 1996a). Letztere Betrachtungsweisen gehen auf Ulrich Becks Schrift »Risikogesellschaft« (1986) zurück und sind in der zeitgenössischen Gesellschaftstheorie fest verankert. 51 Leitend ist für diese Forschungsrichtung die Vorstellung, dass globale Gefährdungslagen soziale und territoriale Grenzen überschreiten können. »Die weltweite Egalisierung der Gefährdungslagen darf aber nicht über neue soziale Ungleichheiten innerhalb der Risikobetroffenheit hinwegtäuschen. Diese entstehen insbesondere dort, wo sich […] Klassenlagen und Risikolagen überlagern. Das Proletariat der Weltrisikogesellschaft siedelt unter den Schloten, Raffinerien und chemischen Zentren.« (Beck 1986: 54f., Hervorhebungen im Original) Dies ist aus Sicht Becks kein Zufall, denn es gibt seiner Ansicht nach einen systematischen Zusammenhang zwischen Armut und Umweltrisiken (1986: 55). Die Umweltsoziologie ist eine vergleichsweise junge Richtung innerhalb der Soziologie. Erste Ansätze umweltsoziologischer Analysen finden sich allerdings schon in den 1920er- und 1930er-Jahren und zwar in den humanökologischen Überlegungen der Chicago School (Park 1936). Die aktuellen Schwerpunkte der Forschung liegen im Bereich der Technikfolgenabschätzung (Bora et al. 2005; Goncalves 2006; Renn 1984), bei Studien zum Umweltbewusstsein (Diekmann/ Preisendörfer 1992; Dierkes/ Fietkau 1988; Urban 1986) und zur Umwelt- und Technologiepolitik (Cruz-Castro/ Sanz-Menendez 2005; Kuhlmann/ Edler 2003) oder in Analysen der Umweltbewegung als soziale Bewegung (Müller-Rommel 2002; Rootes 2003). Daneben gibt es einige überblicksartige Bände, in denen die Umweltsoziologie systematisierend vorgestellt wird (Diekmann/ Jaeger 1996b; Diekmann/ Preisendörfer 2001; Huber 2001). Ungleichheit der Umweltbelastungen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU Wendet man sich den Umweltbelastungen zu, denen die städtischen Bevölkerungen in der Europäischen Union ausgesetzt sind, so lässt sich das bisher skizzierte Bild einer ungleichen Lebensqualität innerhalb der Europäischen Union weiter vervollständigen. Besonders stark ist die Umweltbelastung durch gesundheits- Umweltbelastungen durch Feinstaub gefährdenden Feinstaub (Tab. 22) in italienischen, griechischen, tschechischen, polnischen, bulgarischen und rumänischen Städten, die im Jahresmittel 2005 in der Nähe des EU-weiten Grenzwertes lagen. Italien und Griechenland sind lange 51 Andere prominente Beiträge zu dieser Debatte kommen von Luhmann (1986) oder Eder (1988). <?page no="214"?> 10.2 Umwelt 215 | Tab. 22 Belastung der städtischen Bevölkerung durch Ozon und Schwebstaub Ozon Feinstaub 2000 2005 2005 EU-15 - - - Belgien 1987 2695 30,9 Dänemark 2574* 1467 23,4 Deutschland 2832 3322 23,9 Irland - - 13,8 Griechenland 6994 9600 41,1 Spanien 3563 4600 33,9 Frankreich 3003 4264 20,4 Italien 6636 7319 43,2 Luxemburg - - - Niederlande 1275 1490 28,5 Österreich 6896 5711 28,9 Portugal 2211 4145 34,3 Finnland 1345 1686 15,3 Schweden 1612 2917 19,5 Großbritannien 781 1250 23,6 Bulgarien - 2154 55,6 Tschechien 4880 5533 39,7 Estland 4255- 1321 20,7 Zypern - - - Lettland 3811* 1785 - Litauen 2909+ 5048 22,9 Ungarn 2895+ 5091 37,7 Malta - - - Polen 3712 4039 39,0 Rumänien - 4500 46,2 Slowenien 6861 6017 36,4 Slowakei 6694 7423 33,2 EU-27 3117 3919 28,8 Quelle: Eurostat (2008b); ∗ 1999, - 2001, + 2003. bekannt für ihre Umweltprobleme, die auf die späte, schnelle Modernisierung der Gesellschaften und die geringen Steuerungsmöglichkeiten der Regierungen zurückzuführen sind (Pridham 1994). Auch in den mittel- und südosteuropäischen Ländern ist der Zustand der Umwelt problematisch. Die staatssozialistische Wirtschaftspolitik mit ihrer Förderung der Schwerindustrie, der Energieerzeugung mittels Braunkohle (Bobak/ Feachem 1995; Horak 2001) sowie die schlechte Bausubstanz und Wärmedämmung von Wohnhäusern (Fenger 1999 sowie vorheriger Abschnitt) hatten starke Belastungen der Umwelt mit sich gebracht. Allerdings sind die Umweltbelastungen durch Feinstaub in einigen osteuropäischen Staaten in den letzten Jahren geringer geworden (Eurostat 2007a; Kahn 2003), was zum Teil an der Schließung von Betrieben der Schwerindustrie liegt (Fenger 1999). Demgegenüber sind die Menschen in Skandinavien, dem Baltikum, Irland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit vergleichsweise geringen Umweltrisiken insbesondere durch Feinstaub konfrontiert. Die Relevanz von Umweltpolitik beziehungsweise von Umweltbewegungen ist in einigen dieser Länder sehr hoch - Beispiele sind die skandinavischen Gesellschaften und Deutschland (Jamison/ Ring 2003; Paastela 2002; Rucht/ Roose 2003) -, was sich möglicherweise auch in geringeren Umweltgefahren für die Bevölkerung manifestiert (Rucht 1996). <?page no="215"?> 216 10 Lebensqualität Bei den Umweltgefahren durch schädliches Ozon finden wir innerhalb Europas Gesundheitsgefahren durch Ozon ein Ost-West-Gefälle, welches durch ein Nord-Süd-Gefälle überlagert wird. Besonders stark waren die Belastungen durch Ozon im Jahr 2005 in Griechenland, Italien, Österreich sowie in osteuropäischen Beitrittsnationen wie der Slowakei, Slowenien und Tschechien. In Griechenland betrug die Jahressumme der Überschreitung des verwendeten Grenzwertes 9600 ‹ g/ m 3 , in Italien und der Slowakei lagen diese Werte bei 7319 ‹ g/ m 3 beziehungsweise bei 7423 ‹ g/ m 3 . In Griechenland wurde der Grenzwert von 180 ‹ g/ m 3 im Sommer 2005 an 56 Tagen überschritten, in Italien sogar an 86 Tagen (EEA 2006). Für die südeuropäischen Länder spielt hier, neben Defiziten in der Umwelt- und Verkehrspolitik (Fenger 1999), auch die geografische Lage eine wichtige Rolle. Denn ein Mehr an Sonnentagen im Jahr resultiert in einer höheren Umweltbelastung durch bodennahes Ozon. Auch der vergleichsweise starke agrarische Sektor (vgl. Abschnitt 7.4) in diesen Ländern kann als Erklärungsfaktor hinzugezogen werden. Demgegenüber ist die Ozonbelastung in Ländern wie Großbritannien, Däne- Zunahme der Ozonbelastung mark, Estland, den Niederlanden oder Finnland sehr viel niedriger. Sie liegt zwischen 1250 ‹ g/ m 3 und 1686 ‹ g/ m 3 . So wurden dort im Sommer 2005 an höchstens sieben Tagen Grenzwertüberschreitungen festgestellt (EEA 2006). Ursachen dafür sind in der günstigen geografischen Lage zu sehen (wenige Sonnentage pro Kalenderjahr) und in den hohen Umweltstandards (Fenger 1999), die in diesen Ländern gelten. Weiter lässt sich im Zeitverlauf in den meisten Ländern Europas eine starke Zunahme der Ozonbelastung beobachten. Im EU-27-Durchschnitt stieg die Ozonbelastung um 25 %. Überdurchschnittliche Zuwächse sind dabei in Belgien, Griechenland, Frankreich, Großbritannien, Litauen, Ungarn, Portugal und Schweden zu beobachten. Alles in allem bestätigt die Verteilung von Umweltrisiken das schon mehrfach thematisierte Ost-West-Gefälle in puncto Lebensqualität innerhalb der Union, welches hier durch ein Nord-Süd-Gefälle der Umweltgefährdung der Bevölkerung überlagert wird. Weiter kann mit diesen Befunden die These von Beck (1986) unterstützt werden, nach der geringer Wohlstand mit hohen Umweltrisiken korreliert. Für die Verteilung von Umweltrisiken zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union ist zu konstatieren, dass in der Gruppe der Staaten, in denen die Bevölkerung stark durch Ozon und Feinstaub belastet wird, sich vor allem Länder finden lassen, die ein im EU-Durchschnitt geringes Bruttosozialprodukt (vgl. Abschnitt 7.1) aufweisen. Dem steht eine Gruppe von Ländern mit geringen Umweltbelastungen gegenüber, die über einen im europäischen Vergleich hohen Wohlstand verfügen (z. B. Finnland, Schweden, Dänemark, Großbritannien). <?page no="216"?> 10.3 Gesundheit 217 10.3 Gesundheit Methodische Hinweise Der Anteil der Raucher in der Bevölkerung wird definiert als der Anteil täglicher Tabakraucher in der Bevölkerung. Die Daten stammen aus nationalen Gesundheitserhebungen (1996-2003), die von Eurostat harmonisiert wurden. Der Anteil der Übergewichtigen umfasst sowohl übergewichtige als auch fettleibige Personen. Als übergewichtig gelten Personen mit einem Körpermasseindex (KMI) größer als 25. Fettleibig, d. h. ernstlich übergewichtig, sind Personen mit einen KMI von 30 und mehr. KMI ist eine Maßzahl des Körperfettanteils bei Erwachsenen, die als Verhältnis zwischen dem Gewicht in Kilogramm und dem Quadrat der Körpergröße in Meter berechnet wird. Die Daten wurden zwischen 1996 und 2003 von Eurostat erhoben. Der Alkoholkonsum wird auf Basis von Eurostat- Daten als jährlicher Durchschnittsverbrauch reinen Alkohols (in Litern) pro Einwohner ab 15 Jahren angegeben. Die Werte wurden zwischen 2003 und 2005 erhoben. Als Maß für die subjektive Gesundheit der Europäer wird anhand der Daten des European Quality of Life Survey 2003 (EQLS) die Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheitssituation verwendet. Nach der weithin anerkannten Definition der Weltgesundheitsorganisation kann Gesundheit ist ein wertvolles Gut Gesundheit als Zustand eines umfassenden körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens verstanden werden. Dies impliziert, dass sowohl »Einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern beziehungsweise verändern können. […] Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten.« (WHO 1986) Allardt sieht in Gesundheit ein essenzielles menschliches Grundbedürfnis (1993: 89), und auch für Erikson ist Gesundheit eine wichtige Ressource für die Verwirklichung von Lebensqualität (1974: 276). Gesundheit ist nicht nur Voraussetzung für materielle Existenzsicherung, sondern darüber hinaus eine wichtige Grundlage für soziale und gesellschaftliche Aktivitäten, Selbstentfaltung, Zufriedenheit und Wohlergehen des Einzelnen (Bäcker et al. 2008b: 91). Dementsprechend wird das gesellschaftlich vorherrschende Verständnis von Gesundheit nicht nur von medizinischen Kriterien bestimmt, sondern auch von einer Vielzahl sozialer und kultureller Normen. Darüber hinaus beeinflussen die konkreten Lebens- und Arbeitbedingungen, individuelle Bildung, die Zugehörigkeit zu sozialen Milieus und Schichten und die subjektive Wahrnehmung gesundheitlicher Beeinträchtigungen das Gesundheitsverhalten der Menmedizinische, soziale, kulturelle Kriterien schen (Bäcker et al. 2008b: 91). Aus sozialstruktureller Perspektive kann daher Gesundheit als sozial und strukturell geprägte Lebenschance, ein gesundes Leben zu führen, betrachtet werden (Jungbauer-Gans 2006: 87). Für die Gesundheitssoziologie stehen die sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit sowie der Umgang der Gesellschaft mit Gesundheit beziehungsweise die Politiken zum Erhalt und zur Wiederherstellung der Gesundheit der Menschen im Mittelpunkt. Nach einer Einteilung von Wolf und Wendt (2006: 10f.) lassen sich hierbei mehrere soziologische Forschungsfelder unterscheiden, die aktuell von <?page no="217"?> 218 10 Lebensqualität besonderer Bedeutung sind: Erstens sind sozialstrukturelle und kulturelle Einflüsse auf die Gesundheit zentral (Mirowsky/ Ross 2003; Richter/ Hurrelmann 2006; Siegrist et al. 2006). Zweitens thematisiert eine wachsende Anzahl von Studien (Klocke 2006; Layte/ Whelan 2008; Rosenbrock/ Kümpers 2006) den Zusammenhang von sozialem Handeln und Gesundheit (Gesundheitsverhalten). Ferner sind Analysen zum Gesundheitssystem und die Gesundheitspolitik relevant (Bäcker et al. 2008b; Gerlinger/ Urban 2006; Rothgang 2006). Schließlich gibt es eine wachsende Forschung, die sich mit dem Zusammenhang von Gesundheitszustand und subjektivem Wohlbefinden befasst (Michalos et al. 2000; Rapley 2003). Mit der verbesserten Fähigkeit der Medizin, das menschliche Leben zu verlängern, hat die Frage nach der Qualität des (verlängerten) Lebens an Bedeutung gewonnen (Sirgy et al. 2006: 399ff.). So werden in dieser Forschungsrichtung vor allem die Auswirkungen von Krankheit oder Behinderung auf die Lebensqualität untersucht (Michalos 2004; Sanders et al. 1998). Empirisch wird Gesundheit in vielen sozialwissenschaftlichen Studien durch die Selbstauskunft von Untersuchungspersonen erhoben. Häufig stehen dabei objektive Indikatoren, teilweise aber auch subjektive Gesundheitsparameter (wie die Zufriedenheit mit der Gesundheit) im Mittelpunkt. In Studien, die objektive Indikatoren verwenden, werden Häufigkeit von Arztbesuchen, Dauer von Krankenhaussubjektive, objektive Gesundheit aufenthalten, Krankheitslisten, Krankheitsdauern, Körpergewicht, Essgewohnheiten, aber auch gesundheitliche Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Übergewichtigkeit thematisiert. Bei solchen objektiven Indikatoren treten Messprobleme auf, weil die Befragten über gesundheitliche Probleme und Krankheiten, speziell wenn sie in der Vergangenheit liegen, häufig keine exakten Angaben machen können. Daher präferieren einige Autoren subjektive Gesundheitseinschätzungen, um das tatsächliche, nach Gesundheitsstatus variierende Verhalten der Menschen zu untersuchen (Robine et al. 2003: 8). Gesundheit in den Mitgliedsländern der EU Gesundheitliche Ungleichheit werden wir mit Hilfe von drei objektiven Gesundheitsindikatoren darstellen: Zunächst wird der Alkoholkonsum in den EU-Staaten als ein wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Krankheiten thematisiert (Helmert/ Schorb 2006). Danach wird der Bevölkerungsanteil der Übergewichtigen dargestellt, der ebenfalls als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt (Lang/ Rayner 2005). Als dritter Indikator wird der Anteil der Raucher diskutiert. Tabakkonsum stellt weltweit die bedeutsamste vermeidbare Ursache für Krankheit und Todesfälle dar. Raucher besitzen auch ein erhöhtes Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten, chronische Bronchitis, Lungenkrebs und andere Erkrankungen (Husten et al. 2000). Als letzter Gesundheitsindikator dieses Abschnitts werden die innereuropäischen Unterschiede im Hinblick auf das subjektive Gesundheitsempfinden thematisiert. Übermäßiger Alkoholkonsum ist ein wichtiger Indikator für objektive Gesund- Alkoholkonsum heitsrisiken von Individuen. Die verfügbaren Daten in Tabelle 23 weisen diesbezüglich auf innereuropäische Differenzen hin. Besonders viel Alkohol wird in Tschechien, Estland und Irland 52 konsumiert. Eine niedrige Quote des Alkohol- 52 Der ebenfalls hohe Wert für Luxemburg wird gemeinhin auf die niedrige Besteuerung von Alkohol zurückgeführt, die Konsumenten aus den Nachbarländern anzieht. <?page no="218"?> 10.3 Gesundheit 219 | Tab. 23 Alkoholkonsum, Übergewichtige, Raucher Alkoholkonsum (in l) Übergewichtige (in %) Raucher (in %) EU-15 11,2 47,3 27,9 Belgien 10,9 41,8 24,1 Dänemark 12,1 41,7 34,1 Deutschland 12,7 59,7 26,3 Irland 13,5 46,2 21,9 Griechenland 9,0 54,0 27,6 Spanien 11,7 49,0 28,1 Frankreich 12,3 37,1 26,1 Italien 10,5 39,8 24,5 Luxemburg 18,0 52,7 27,0 Niederlande 9,6 42,3 28,2 Österreich 12,6 43,5 36,3 Portugal 11,1 51,5 16,4 Finnland 12,7 51,3 18,1 Schweden 6,7 43,8 17,5 Großbritannien 11,4 61,0 26,7 Bulgarien 5,9 46,0 32,3 Tschechien 16,2 50,8 24,9 Estland 16,0 44,2 33,3 Zypern 11,4 46,1 23,9 Lettland 9,9 45,3 32,7 Litauen 10,4 49,0 27,3 Ungarn 11,6 52,7 30,5 Malta 6,7 57,5 23,4 Polen 8,2 43,2 29,9 Rumänien 8,9 41,8 20,8 Slowenien 10,3 48,5 34,6 Slowakei 11,6 46,7 19,2 EU-27 9,9 47,5 28,3 Quelle: Alkoholkonsum nach WHO (2007), Werte von 2003-2005; Übergewichtige nach Eurostat (2008), Werte von 1999-2003); EU-15- und EU- 25-Werte für Raucher nach WHO (2007), für Übergewichtige ungewichtete Mittelwerte; Übergewicht und Raucher für Luxemburg nach IASO/ IOTF (2007) und WHO (2007). konsums findet sich in Ländern wie Bulgarien, Malta, Schweden, Polen und Rumänien, wo der Pro-Kopf-Verbrauch von reinem Alkohol unter neun Litern im Jahr liegt. Nichtsdestotrotz ist der Alkoholkonsum in den meisten EU-Staaten als extrem hoch anzusehen, wenn man ihn mit dem globalen Durchschnitt vergleicht, der im Jahr 2000 bei etwa 5,8 Litern lag (Rehm et al. 2006). Ein klares Ost-West-Gefälle wird beim Indikator »Menge des konsumierten Alkohols« nicht deutlich, jedoch gelten die kulturell tradierten Konsummuster in den meisten osteuropäischen Staaten als riskanter (Trinkgelage, Bevorzugung von Branntwein) als in den westeuropäischen Staaten (Popova et al. 2007; Rehm et al. 2006). Übergewicht beziehungsweise Fettleibigkeit tritt vor allem in Großbritannien, Übergewichtigkeit Deutschland und Griechenland auf, wo deutlich mehr als die Hälfte der Wohnbevölkerung ab dem 15. Lebensjahr übergewichtig ist. Frankreich und Dänemark sind die Staaten in Europa, die den niedrigsten Anteil der Bevölkerung mit einem <?page no="219"?> 220 10 Lebensqualität Körpermasseindex von 25 und mehr aufweisen. Es zeigt sich hier kein klares Muster, das ost- und westeuropäische Staaten voneinander trennt; beide Regionen sind in ähnlichem Ausmaß betroffen. Selbst bei Staaten wie Frankreich, in denen der Anteil relativ gering ist, ist ein Anstieg des Anteils der Übergewichtigen festzustellen (Knai et al. 2007). In Forschung und Politik wird Fettleibigkeit als wachsendes Problem erachtet, da die verursachten Folgekosten für die Gesundheitssysteme immer weiter ansteigen (Fry/ Finley 2007; James et al. 2001; Lang/ Rayner 2005). Beim Tabakkonsum tritt das schon mehrfach angesprochene Ost-West-Gefälle Tabakkonsum der Lebensqualität in Europa deutlicher zutage. Im Durchschnitt der EU raucht aktuell etwa jeder Vierte der Erwachsenen, wobei sich mehr Raucher in Osteuropa finden lassen. Einen hohen Bevölkerungsanteil von Rauchern gibt es in Lettland, Estland, Dänemark, Slowenien und Österreich, wo laut den vorliegenden Eurostat- Daten circa ein Drittel der Menschen täglich Tabak konsumiert. In Slowenien und Österreich ist zusätzlich ein knapp zehnprozentiger Bevölkerungsanteil durch gelegentliches Rauchen verstärkten gesundheitlichen Risiken ausgesetzt (Eurostat 2008b). Im Vergleich dazu rauchen nur etwa halb so viele Menschen in Schweden, Finnland und Portugal. Ein durchschnittliches Gesundheitsrisiko durch regelmäßigen Tabakkonsum ist für Länder wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich feststellbar. Die Verbreitung des Rauchens wird in der Forschung anhand eines Diffusionsmodells erklärt (Graham 1996; Pampel 2001; Rogers/ Shoemaker 1971). Dieses Modell besagt, dass Innovationen (hier das Rauchen) in aufeinanderfolgenden Phasen von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen angenommen werden, wobei man zwischen Innovatoren, Frühadoptern, früher Mehrheit, später Mehrheit sowie Nachzüglern unterscheidet. Mittels eines solchen Modells kann man auch die Geschlechts- und Bildungsunterschiede erklären, die sich beim Tabakkonsum ergeben (siehe nächster Abschnitt). Nach dem Diffusionsmodell haben die nordeuropäischen Staaten (Schweden, Finnland) eine Vorreiterrolle eingenommen und nach einer langen Phase mit einer weiten Verbreitung des Rauchens in den 1970er-Jahren nun ein sehr niedriges Niveau erreicht (Graham 1996), während die südeuropäischen Länder bei dieser Entwicklung hinterherhinken und erst in einigen Jahren das Niveau Nordeuropas erreichen werden. In Osteuropa ist Rauchen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs deutlich populärer geworden, was auf den neu gewonnenen Einfluss der Tabakindustrie auf die dortigen Regierungen und die Einführung von Tabakwerbung zurückgeführt wird (Franceschi/ Naett 1995). Weiter ist zu beachten, dass die in Osteuropa verkauften Zigaretten in der Regel mehr Teer und Nikotin als für Westeuropa produzierte Zigaretten enthalten, wodurch sich das Gesundheitsrisiko des Rauchens in Osteuropa weiter erhöht (Franceschi/ Naett 1995). Ein weiterer in der Gesundheitssoziologie und Lebensqualitätsforschung verwendeter zentraler Indikator ist das subjektive Gesundheitsempfinden. Wie bei den objektiven Gesundheitsindikatoren birgt allerdings auch die Erhebung und Auswertung subjektiver Indikatoren methodische Herausforderungen. Befragte <?page no="220"?> 10.3 Gesundheit 221 verwenden bei Aussagen über ihren empfundenen Gesundheitszustand untersubjektives Gesundheitsempfinden, Referenzsysteme schiedliche Referenzsysteme. Diese variieren nach Alter, sozialem Status, Partnerschaftssituation sowie dem Einfluss kultureller und gesellschaftlicher Faktoren. So sind ältere Menschen mit ihrer Gesundheitssituation tendenziell zufriedener als junge Menschen, obwohl sie stärker von Krankheiten betroffen sind. Im internationalen Vergleich zeigen Amerikaner häufig eine höhere Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit als Europäer, obwohl sie objektiv nicht gesünder sind (Erhart et al. 2006; Kühnemund 2000). | Schaubild 29 Zufriedenheit mit der Gesundheit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Lettland Bulgarien Litauen Portugal Estland Slowakei Polen Ungarn Tschechien Rumänien Slowenien Spanien Großbritannien EU-25 Frankreich Niederlande EU-15 Deutschland Belgien Italien Schweden Griechenland Luxemburg Finnland Zypern Österreich Malta Dänemark Irland Quelle: European Quality of Life Survey 2003, eigene Berechnungen: »Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Gesundheit? Bitte antworten Sie anhand einer Skala von 1 bis 10.« Insgesamt besitzen die Bürger der Europäischen Union eine mittlere bis hohe Ost-West- Differenzen bei subjektiver Gesundheit Zufriedenheit mit dem eigenen Gesundheitszustand. Diese liegt im Durchschnitt der EU-15 bei 7,5 auf einer 10-stufigen Skala, bei der 10 die höchste Zufriedenheit anzeigt. Der verwendete Indikator verweist ferner auf relativ klare Ost-West- Unterschiede im Hinblick auf die subjektive Gesundheit in Europa: In Bulgarien, Polen, der Slowakei und dem Baltikum ist die Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheitssituation deutlich schwächer ausgeprägt als in den meisten Ländern Westeuropas. Die Differenz zwischen Lettland auf der einen und Irland auf der anderen Seite liegt bei fast 2,5 Skalenpunkten. Zwischen diesen beiden Ländergruppen sind Staaten wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland zu finden, wo die Menschen eine im europäischen Maßstab durchschnittliche Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheitssituation zeigen. In der Forschung wird dieses Ost-West-Gefälle zumeist mit dem sozioökonomischen Entwicklungsstand erklärt (Carlson 1998; Olsen/ Dahl 2007). <?page no="221"?> 222 10 Lebensqualität Zwei allgemeine Befunde lassen sich aus den Ergebnissen dieses Abschnitts ableiten. Erstens kann mit einem Blick auf die obige Diskussion der Gesundheitsrisikofaktoren bei der von uns getroffenen Auswahl nur von einer teilweisen Übereinstimmung zwischen objektiven und subjektiven Gesundheitsindikatoren in Europa gesprochen werden. Zypern (hohe subjektive Gesundheit, geringe Ausprägung von Risikofaktoren) und Litauen (niedrige subjektive Gesundheit, starke Ausprägung von Risikofaktoren) sind Beispiele für eine Übereinstimmung, Deutschland und Großbritannien (mittlere subjektive Gesundheit, starke Ausprägung von Risikofaktoren) dagegen Beispiele für die Diskrepanz zwischen subjektiven und objektiven Gesundheitsindikatoren. Andererseits ist die Auswahl der Indikatoren notwendigerweise nicht allumfassend. Zusätzliche Faktoren, die auf die Gesundheit einwirken, wie etwa Arbeitsbedingungen (Danna/ Griffin 1999; Siegrist/ Dragano 2006) oder der Zustand des Gesundheitssystems (Kohl/ Wendt 2004), wurden nicht berücksichtigt. Zweitens fällt im Vergleich mit anderen Lebensqualitätsdimensionen (z. B. Einkommen) die Ungleichheit des Gesundheitszustandes im innereuropäischen Vergleich deutlich niedriger aus. Insbesondere beim Risikoverhalten zeigt sich auch der häufig beobachtete Ost-West-Unterschied eher selten. Gesundheitliche Ungleichheit innerhalb der Mitgliedsländer der EU Die Gesundheitsrisiken verschiedener sozialer Gruppen sind ein zunehmend wichtiges Thema in der aktuellen Gesundheitsforschung. Als Differenzierungskriterien werden hier Bildung, Einkommen, berufliche Klassenposition, Geschlecht, Alter sowie soziales und kulturelles Kapital verwendet (Ahlström et al. 2001; Hradil 2006b; Klocke 2006; Lampert/ Kroll 2006; Richter/ Lampert 2008; Siegrist et al. 2006). Dieser Differenzierungsgrad der Analysen ist in nationalen Studien gebräuchlich. Für europäisch vergleichende Studien stehen solche Daten bislang kaum zur Verfügung (Kunst 2006). Daher beschränken sich die folgenden Ausführungen mittels Eurostat-Daten auf geschlechts- und bildungsspezifische Unterschiede im Hinblick auf das Rauchen und die Übergewichtigkeit. Tabelle 24 zeigt zunächst den Bevölkerungsanteil von Rauchern nach Bilin Süd- und Osteuropa rauchen Männer häufiger als Frauen dungsabschlüssen und Geschlecht. In fast allen europäischen Staaten rauchen Männer deutlich häufiger als Frauen. In Österreich, Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden ist der Anteil der Raucherinnen insgesamt überdurchschnittlich hoch (25 bis 32 %). Dort rauchen Frauen auch nur geringfügig seltener als Männer. Die stärksten geschlechtsspezifischen Unterschiede sind in süd- und osteuropäischen Staaten (Griechenland, baltische Staaten, Zypern oder Portugal) zu beobachten, wo Männer etwa drei bis vier Mal so häufig rauchen wie Frauen. Im Baltikum findet sich dann auch der höchste Anteil von Rauchern unter den Männern: Etwa jeder zweite erwachsene Mann ist ein täglicher Tabakkonsument. Dieses gesundheitsschädigende Verhalten hat Konsequenzen, was sich in der hohen frühen Sterblichkeit von Männern in diesen Ländern zeigt (siehe Abschnitt 5.2). <?page no="222"?> 10.3 Gesundheit 223 | Tab. 24 Raucher nach Geschlecht und Bildungsabschluss n e u a r F r e n n ä M insg. ISCED 0-1 ISCED 2 ISCED 3 ISCED 4-6 insg. ISCED 0-1 ISCED 2 ISCED 3 ISCED 4-6 EU-15 30,2 30,5 34,4 32,2 23,8 21,0 17,9 24,5 25,0 19,0 Belgien 28,3 28,5 34,7 29,8 21,9 20,1 15,7 23,5 22,6 17,4 Dänemark 36,3 - 47,3 41,5 29,2 31,9 - 36,3 37,4 27,5 Deutschland 30,9 39,4 32,9 30,0 20,3 22,0 28,4 22,7 19,8 17,3 Irland 23,9 23,2 29,3 18,4 - 20,5 20,2 23,7 17,1 - Griechenland 40,8 37,0 48,0 45,0 36,2 15,6 7,8 21,5 24,7 22,4 Spanien 34,2 34,0 40,0 35,9 27,9 22,4 13,3 31,6 34,7 25,1 Frankreich 31,6 25,1 38,1 32,3 25,4 21,2 11,3 24,7 25,9 21,7 Italien 31,9 25,5 36,4 33,2 25,5 17,6 9,4 21,5 22,1 19,4 Luxemburg - - - - - - - - - - Niederlande 31,6 40,5 29,1 32,0 21,5 24,9 29,7 26,1 23,6 16,9 Österreich 40,7 40,9 - 43,2 33,9 32,2 28,9 - 35,1 32,5 Portugal 27,1 15,2 36,2 35,3 25,2 6,8 0,9 13,7 22,0 5,4 Finnland 21,6 - 22,6 26,3 14,4 15,1 - 16,1 17,7 10,7 Schweden 16,5 19,1 22,1 18,5 10,4 18,5 14,3 26,4 23,1 12,2 Großbritannien 27,0 37,2 30,6 29,3 18,1 25,4 34,3 30,2 23,5 18,1 Bulgarien 42,6 33,3 38,6 49,0 37,7 22,7 8,8 12,4 32,9 31,1 Tschechien 32,0 35,0 41,1 22,0 14,4 19,2 16,7 24,6 18,8 9,9 Estland 49,8 38,0 54,2 53,8 33,2 18,6 4,4 15,3 22,2 17,9 Zypern 38,1 38,1 34,8 42,5 32,2 10,5 3,4 6,9 14,1 17,2 Lettland 50,6 37,0 54,3 55,0 32,4 17,0 9,4 16,2 19,6 12,4 Litauen 44,0 - 64,4 51,3 37,8 13,3 - 5,9 13,9 14,1 Ungarn 37,0 43,3 44,2 33,1 20,0 24,7 22,0 36,8 25,1 17,7 Malta 29,9 29,8 35,8 24,6 16,5 17,6 10,2 25,0 18,3 12,8 Polen 41,3 36,7 - 46,2 25,6 19,5 12,6 - 25,6 19,4 Rumänien 32,3 23,7 24,8 37,6 32,5 10,1 3,2 5,6 14,1 17,9 Slowenien 47,1 51,8 48,8 44,1 41,3 23,8 16,1 38,0 26,0 19,1 Slowakei 27,8 27,8 35,2 26,4 17,3 11,7 12,9 21,4 10,6 6,6 EU-27 34,4 33,0 38,5 36,0 26,0 19,3 14,5 21,9 22,7 17,7 Quelle: Eurostat (2008b), Angaben beziehen sich auf den Zeitraum von 1999-2003 und sind so aktuell wie möglich; EU-15- und EU-27-Werte ungewichtet. Das bereits erwähnte Diffusionsmodell legt nahe, dass Männer, insbesondere solche mit hoher Bildung, als Innovatoren und Frühadoptoren des Tabakkonsums fungiert haben. Frauen sind den Männern in Westeuropa erst mit zehn bis 20 Jahren Verzögerung gefolgt: Frauen haben erst in großer Zahl mit dem Rauchen begonnen, als die Mehrheit der Männer dies schon lange getan hat, und die Prävalenzrate hat bei Frauen erst ihren Höhepunkt erreicht, als die der Männer bereits sank (Cavelaars et al. 2000; Giskes et al. 2005; Graham 1996; Pampel 2001). So gibt es in Ländern wie Irland und Großbritannien, wo das Rauchen schon in den 1950er-Jahren weit verbreitet war, heutzutage nur noch geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern, während sich etwa in den südeuropäischen Ländern, in denen das Rauchen erst deutlich später Verbreitung fand, immer noch große Geschlechtsunterschiede zeigen. Sollte sich die westeuropäische Entwicklung so auch in Osteuropa wiederholen, ist dort auch mit deutlich steigenden Prävalenzraten für Frauen und mit noch stärkeren gesundheitlichen Problemen zu rechnen. Auch der Bildungsgrad ist für die Diskussion der Verbreitung des Rauchens von Bedeutung. Bezüglich der Bildung behauptet das Diffusionsmodell, dass ein hohes Bildungsniveau sowohl einen frühen Beginn mit dem Rauchen als auch ein frühes Aufhören wahrscheinlich macht. Dies erklärt, warum in Ländern wie Groß- <?page no="223"?> 224 10 Lebensqualität britannien, den Niederlanden oder Schweden unter den höher gebildeten Männern (ISCED 4-6 = Hochschulabschluss) der Anteil mittlerweile wieder niedriger ist als unter den weniger Gebildeten (ISCED 0-2 = kein formaler Berufsabschluss), Bildung und Rauchen während sich in ost- oder südeuropäischen Ländern wie in Portugal oder Lettland auch unter den höher gebildeten Männer große Anteile von Rauchern finden. Noch deutlicher wird der Zusammenhang beim Blick auf die Frauen in Ländern wie Bulgarien, Zypern und Rumänien, wo das Rauchen bei besser Gebildeten stärker verbreitet ist als unter den weniger Gebildeten. Das Modell sagt voraus, dass in der Zukunft Rauchen in allen Ländern in erster Linie in den unteren Bildungsschichten verbreitet sein wird (wie dies heutzutage schon in Großbritannien zu beobachten ist). Woran es liegt, dass Rauchen so stark mit Bildung (und auch Einkommen) korreliert, ist umstritten (Cavelaars et al. 2000; Huisman et al. 2005). Einerseits wird ein Zusammenhang vom Bildungsniveau mit der Einsichtsfähigkeit in die gesundheitlichen Folgen des Rauchens oder mit Selbstwirksamkeitserwartungen (und in der Folge mehr Erfolg bei Versuchen, das Rauchen aufzugeben) vermutet; andererseits finden sich aber auch Hinweise dafür, dass Rauchen eine Reaktion auf materielle Deprivationserfahrungen ist (Layte/ Whelan 2008). Auch bei Übergewichtig- und Fettleibigkeit (Tab. 25) sind wie beim Tabak- Übergewicht bei Männern häufiger konsum die Gesundheitsrisiken zwischen Männern und Frauen in Europa nicht gleich verteilt. In fast allen Ländern ist der Anteil von übergewichtigen und fettleibigen Männern circa 15 Prozentpunkte höher als der der Frauen 53 . Lediglich in Estland und Lettland, wo Gewichtsprobleme weniger prävalent sind (42,7 % und 44,0 %), ist der Anteil der Frauen mit Gewichtsproblemen höher als der der Männer. Betrachtet man Gewichtsprobleme nach Bildungsgrad, so zeigen sich weitere deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Während bei Frauen in fast allen Ländern ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Gewichtsproblemen besteht, so ist die Beziehung bei Männern weniger eindeutig. In den meisten EU-15-Staaten gibt es zwar einen ähnlichen Zusammenhang auch bei Männern. In Osteuropa ist dies allerdings weniger klar der Fall: Während in Estland, Slowenien und der Slowakei übergewichtige Männer sowohl bei den Hochschulabsolventen (ISCED 4-6) als auch bei den Personen ohne formale Bildungsabschlüsse (ISCED 0-2) zu finden sind, gehören sie in Bulgarien, Lettland und Litauen überdurchschnittlich häufig der höchsten Bildungsklasse (ISCED 4-6) an. Der hier beschriebene Geschlechterunterschied in der Beziehung von Bildung und Gewichtsproblemen deckt sich im Übrigen auch mit anderen Ergebnissen in der Forschung (Sobal/ Stunkard 1989; Wardle et al. 2002). 53 Differenziert man zwischen Übergewicht (KMI 25 bis 29,9) und Fettleibigkeit (KMI > 30), so liegt der Anteil fettleibiger Frauen in den meisten Ländern über dem der fettleibigen Männer. <?page no="224"?> 10.4 Zeitverwendung 225 | Tab. 25 Übergewichtige nach Geschlecht und Bildungsabschluss n e u a r F r e n n ä M insg. ISCED 0-1 ISCED 2 ISCED 3 ISCED 4-6 insg. ISCED 0-1 ISCED 2 ISCED 3 ISCED 4-6 EU-15 55,3 61,1 53,6 50,4 51,9 40,7 53,2 41,3 31,7 28,4 Belgien 47,7 56,5 55,4 44,3 40,7 36,2 55,0 45,1 31,0 20,6 Dänemark 49,6 - 59,4 53,1 44,9 33,9 - 47,5 34,6 28,8 Deutschland 66,8 64,5 71,0 49,5 60,4 53,0 45,6 58,1 35,4 29,5 Irland 57,3 61,0 60,5 50,3 - 38,5 53,4 43,2 28,3 - Griechenland 61,4 67,9 55,7 53,9 63,3 47,3 63,4 41,5 28,1 26,7 Spanien 56,5 64,2 52,7 48,9 51,2 41,0 59,0 32,7 24,0 20,8 Frankreich 44,5 61,7 46,4 33,2 37,0 30,4 49,4 33,1 22,3 18,3 Italien 48,9 62,4 46,5 43,6 42,5 31,4 52,2 26,9 17,8 14,3 Luxemburg 60,9 - - - - 44,6 - - - - Niederlande 47,3 55,7 30,5 46,8 44,6 37,2 50,7 31,0 31,4 25,9 Österreich 59,4 55,4 - 62,0 57,5 28,9 36,3 - 25,6 17,4 Portugal 55,2 54,1 47,8 46,1 60,3 48,3 56,1 34,5 22,8 52,2 Finnland 57,5 - 59,9 55,1 56,5 45,8 - 51,6 46,1 36,1 Schweden 50,7 57,7 40,3 54,0 47,4 36,9 49,6 31,1 40,3 29,4 Großbritannien 66,2 71,8 71,2 65,4 68,5 56,6 67,9 61,2 55,6 49,4 Bulgarien 50,1 39,7 50,0 50,1 57,8 42,3 45,5 52,0 37,3 36,3 Tschechien 55,5 35,4 62,4 55,5 59,0 46,7 55,6 51,8 35,1 37,8 Estland 42,7 53,7 40,1 40,2 49,9 45,4 68,6 57,3 40,2 36,8 Zypern 53,9 65,5 38,2 49,1 59,0 38,7 63,0 29,5 30,1 22,0 Lettland 44,0 32,7 35,6 47,0 54,2 46,3 48,3 42,0 48,6 44,7 Litauen 57,4 - 48,1 51,9 60,7 42,2 - 54,9 42,7 40,5 Ungarn 58,4 59,6 59,3 54,3 62,5 47,7 57,7 51,2 40,2 37,2 Malta 65,6 74,7 64,8 59,3 56,8 50,3 68,5 42,9 36,4 32,2 Polen 47,9 39,8 - 51,2 57,9 38,9 45,8 - 35,4 27,7 Rumänien 45,8 43,2 44,6 44,5 55,2 38,1 42,4 46,5 32,8 33,7 Slowenien 55,9 57,5 61,1 47,7 58,8 41,7 58,1 46,7 28,5 - Slowakei 57,8 35,4 61,9 55,5 70,3 37,4 41,8 47,7 35,8 30,2 EU-27 54,3 54,3 55,2 52,6 50,5 55,1 41,7 53,6 44,2 34,1 Quelle: Eurostat (2008b), Angaben beziehen sich auf den Zeitraum von 1999-2003 und sind so aktuell wie möglich; EU-15- und EU-27-Werte ungewichtet; Luxemburg nach IASO/ IOTF (2007). 10.4 Zeitverwendung Methodische Hinweise Bei der Erwerbsarbeitszeitin Tabelle 26 handelt es sich um die durchschnittlichen tatsächlich geleisteten Wochenarbeitsstunden im Hauptberuf, dargestellt auf Basis von Eurostat- Daten. Als Maß für den Zeitdruck, dem Erwerbstätige bei der Arbeit ausgesetzt sind, werden Angaben aus den European Working Conditions Surveys (EWCS) der Jahre 1990 bis 2005 verwendet. Angegeben wird die Prozentzahl der Arbeitnehmer, deren Arbeit mindestens drei Viertel der Zeit mit Zeitdruck verbunden ist. In Tabelle 27 werden Daten nationaler Zeitbudgetstudien verwendet, die zwischen 1998 und 2004 von den statistischen Ämtern in 18 EU-Mitgliedsstaaten erhoben wurden. Abgebildet wird der tägliche Zeitaufwand für verschiedene Aktivitäten (Stunden und Minuten pro Tag) als Jahresmittelwert für die Erwerbstätigen (Aliaga/ Winqvist 2003). Angaben zu Arbeitszeiten beziehen sich auf die erste und zweite Erwerbstätigkeit sowie die Arbeitssuche. Hausarbeitszeiten umfassen Tätigkeiten im Haushalt wie das Zubereiten von Mahlzeiten, das Reinigen der Wohnung, die Betreuung von Kindern und Erwachsenen, handwerkliche Tätigkeiten und Reparaturen, Einkäufe und Besorgungen. Wegezeiten umfassen das Pendeln zur Arbeitsbeziehungsweise Ausbildungsstätte, Zeitaufwendungen für Familienversorgung und Haushaltsführung sowie für das Reisen. Freizeit <?page no="225"?> 226 10 Lebensqualität umfasst ehrenamtliche Arbeit, Hilfe für andere Haushalte, soziale Kontakte und Unterhaltung, Sport und Aktivitäten im Freien, Hobbys und Spiele, Lesen, Fernsehen, Ruhen und Nichtstun. Der Indikator Schlafen und Essen umfasst neben den täglichen Zeitaufwendungen für Schlafen und Essen auch die Zeit für Körperpflege. Aus sozialstruktureller Sicht besitzt Zeit paradoxe Eigenschaften. Einerseits ist Zeit eine scheinbar vollkommen gleich verteilte Ressource - unabhängig von Stand und Klasse stehen jedem 24 Stunden pro Tag zur Verfügung -, andererseits ist sie Zeit und Ungleichheit aber auch Ausdruck und Ursprung gesellschaftlicher Ungleichheiten 54 (Gershuny 2001). Menschen verkaufen auf dem Arbeitsmarkt letztendlich ihre Zeit und erwerben in der Form von Waren und Dienstleistungen die Arbeitszeit anderer. Ihre Position in diesem Markt wird zu weiten Teilen von in der Vergangenheit liegender Zeitverwendung bestimmt: Wie viel Zeit man zurückliegend in Arbeit, Bildung, Kindererziehung oder Freizeitaktivitäten investiert hat, bestimmt den Preis, den man aktuell für die Arbeitszeit auf dem Arbeitsmarkt erzielen kann. Die Verfügbarkeit von Zeit kann vor diesem Hintergrund als eine strategische Ressource beim Zugang zu Handlungs- und Gestaltungsspielräumen gesehen werden. Im Zentrum des zeitlichen Institutionengefüges moderner Gesellschaften steht Zeit ist ein zentrales Strukturmoment der Gesellschaft die Arbeitszeit. Arbeitszeit hat eine historisch und kulturell variable Form und ist in der Form reiner Arbeitszeit ein Produkt der Industrialisierung. Die Arbeitszeit gilt als zentraler Zeitgeber des sozialen Lebens moderner Gesellschaften, in ihr sind Handlungsstrukturen verankert, die weite Teile des gesellschaftlichen Lebens bestimmen. Die Entwicklung der Arbeitszeit seit den Anfängen der Industrialisierung zog die Etablierung von Arbeitszeitinstitutionen nach sich; bedeutsam hier vor allem die Normalarbeitszeit 55 (Garhammer 1999: 251; Thinnes 1996: 66). Normalarbeitszeit und die komplementären Zeitinstitutionen der Freizeit und Hausarbeitszeit stellen den Rahmen für die Zeitstruktur von Gesellschaften auf der Makroebene dar. Sie lassen sich durch jeweils eigene Logiken im Zeitumgang kennzeichnen. Die freie Verfügbarkeit von Zeit kann auch als eine weitere Dimension von Lebensqualität verstanden werden (Gershuny/ Halpin 1996: 188; Goodin et al. 2008: 57ff.; Seidel/ Verwiebe 2006: 99; Verbakel/ DiPrete 2008). In zunehmendem Maße 54 Eine solche Konzeptionalisierung des Zusammenhangs von Ungleichheit und Zeit ist relativ neu. Erst mit dem Aufschwung der Biografie- und Lebensverlaufsforschung ab Mitte der 1980er-Jahren geriet in der Literatur (u. a. Blossfeld et al. 1986; Brose 1986; Kohli/ Robert 1984; Mayer 1990b; Voges 1987) die Verzeitlichung von Ungleichheit, meist betrachtet unter dem Aspekt der zeitlichen Dimensionen von Biografien und Lebensverläufen, zunehmend in den Mittelpunkt. 55 Die Normalarbeitszeit ist eine kollektive Zeitinstitution, die im idealtypischen Fall eine stabile Grenzziehung zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben gewährleistet (Garhammer 1994: 61) und an das Modell der Normalarbeit gebunden ist. Das Normalarbeitsverhältnis hat als Begriff erst in die sozialwissenschaftliche Diskussion Einzug gehalten (u. a. Dahrendorf 1982; Offe 1982), als es sich bereits aufzulösen begann. Bis dahin blieb es als lebensweltliche Normalität eher unbemerkt (Osterland 1990: 351). <?page no="226"?> 10.4 Zeitverwendung 227 wird in vielen europäischen Gesellschaften Zeitdruck als soziales Problem wahrgenommen. Gründe dafür werden in einer Arbeitsintensivierung oder Arbeitszeitverlängerung als Folge des stärkeren Wettbewerbs im Zuge der Globalisierung (Garhammer 2007), in der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen und der Erosion des Modells der Hausfrauenehe (Drobniˇc/ Blossfeld 2001; van der Lippe/ Peters 2007) sowie in einer generellen Beschleunigung des gesellschaftlichen Lebens (durch technischen Fortschritt und kulturelle Entwicklungen) gesehen (Heuwinkel 2004; Rosa 2005). Die Messung von Zeit als Dimension von Lebensqualität stellt eine Herausfor- Messung von Zeit derung dar. Eine Möglichkeit besteht darin, die Zeit, die Menschen für bestimmte Tätigkeiten jeden Tag aufwenden, von den Befragten schätzen zu lassen (z. B. Brines 1994). Diese Angaben sind jedoch anfällig für systematische Über- und Unterschätzungen durch diese Befragten (Schulz/ Grunow 2007). Vorteilhafter sind Tagebuchverfahren, bei denen eine repräsentative Stichprobe von Einzelpersonen an einem Wochentag und an einem Tag am Wochenende über das ganze Kalenderjahr verteilt ein Zeittagebuch führt, womit Aktivitäten auf die Minute genau erfasst werden (Chenu/ Lesnard 2006; Gershuny 2001; Michelson 2005). Auch wenn mittlerweile relativ viele solcher Studien vorliegen (Gershuny 2000; Haberkern 2007; Holz 2001; Jackel/ Wollscheid 2007; Merz/ Ehling 2001; Pentland et al. 1999), ist es immer noch nicht möglich, die Zeitverwendung in allen EU-27-Staaten abzubilden. Die genannten Verfahren sagen allerdings nicht unbedingt etwas über den Wert oder die Qualität der gemessenen Zeit aus. Wenn man etwa das Problem der Arbeitslosigkeit bedenkt, so zeigt sich, dass Verfügbarkeit von Zeit kein alleiniger Indikator von Lebensqualität sein kann (vgl. etwa Jahoda et al. 2006 [1933]), sondern weitere Indikatoren betrachtet werden müssen. Messbar wären diese Mechanismen der Zuweisung qualitativ hochwertiger Zeit über ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeitszeit, Freizeit und Hausarbeitszeit, über die Ausprägung von Stress und Zeitnot oder aber das Ausmaß von zusammenhängender Freizeit für Regeneration. In diesem Zusammenhang wird über »Zeitwohlstand« (Rinderspacher 2002) oder »Zeitautonomie«, die sich in frei verfügbarer Zeit (discretionary time) ausdrückt (Goodin et al. 2008), gesprochen. Unter frei verfügbarer Zeit verstehen Goodin und Kollegen (2008: 34f.) die Zeit, deren Verwendung nicht von den wirtschaftlichen, sozialen und biologischen Notwendigkeiten des Lebens bestimmt ist. Als wirtschaftliche Notwendigkeit gilt die Erwerbsarbeit, die nötig ist, um nicht unter die Armutsgrenze zu rutschen; als soziale Notwendigkeit die Hausarbeit, die nötig ist, den eigenen Haushalt am Laufen zu halten, sowie die biologische Notwendigkeit der Körperpflege, des Essens und Schlafens. Die Betonung liegt hier auf der Notwendigkeit - frei verfügbare Zeit kann also zum Beispiel auch auf die Erwerbsarbeit verwendet werden: Wenn jemand freiwillig zwölf Stunden pro Tag in seinem Beruf arbeitet, obwohl er auch mit fünf Stunden Erwerbsarbeit pro Tag sein Auskommen sichern könnte, so hat diese Person zwar wenig Freizeit, aber viel frei verfügbare Zeit. <?page no="227"?> 228 10 Lebensqualität Empirische Konturen der Zeitstrukturen in Europa Ein Blick auf Tabelle 26 zeigt zunächst, dass die Erwerbsarbeitszeit in Westeuropa im Durchschnitt niedriger ist als in Osteuropa. Sie liegt beispielsweise in den Niederlanden bei unter 32 Wochenstunden, während sie in Tschechien, Lettland und Slowenien über 41 Stunden beträgt. Länder wie Deutschland, Irland, Belgien und Finnland liegen mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 37 Stunden im europäischen Mittelfeld. Seit 1990 ist jedoch in fast allen europäischen Staaten die Wochenarbeitszeit zurückgegangen. Dieser Effekt zeigt sich auch, wenn man zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten oder Männern und Frauen differenziert. In einigen Ländern wie Dänemark, Griechenland, Spanien, Finnland ist sie weitgehend konstant geblieben. Lediglich in Rumänien lässt sich ein Anstieg von etwa einer halben Stunde konstatieren. Ingesamt ist die Zahl der Arbeitsstunden in den EU-15-Staaten zwischen 1995 und 2005 um über eine Stunde gesunken, in einigen Ländern wie Irland oder Portugal lassen sich Reduzierungen der Arbeitszeit von mehreren Stunden beobachten. Betrachtet man hingegen den Anteil der Erwerbstätigen in Europa, die bei ihrer Arbeit Zeitdruck ausgesetzt sind (Tab. 26, rechte Seite), so ergibt sich ein anderes Zeitdruck | Tab. 26 Erwerbsarbeitszeit und Zeitdruck Erwerbsarbeitszeit in h Zeitdruck in % 1990 1995 2000 2005 1990 1995 2000 2005 EU-15 - 38,1 37,6 36,9 - 35,1 37,3 37,4 Belgien 40,0 37,8 36,6 36,7 18,4 22,7 29,5 32,7 Dänemark 35,0 34,2 34,1 35,1 32,0 32,2 29,7 41,8 Deutschland 39,0 38,6 38,0 36,8 36,2 36,3 38,4 40,8 Irland 43,4 39,9 38,7 37,3 25,7 37,0 42,0 32,6 Griechenland 41,5 42,2 42,1 41,9 30,4 29,3 32,9 45,1 Spanien 38,9 38,3 38,4 38,6 19,5 23,4 22,8 33,2 Frankreich 39,9 39,7 38,4 36,8 26,9 31,7 36,9 36,5 Italien 39,6 39,3 39,1 38,1 14,2 20,8 29,9 29,7 Luxemburg 40,0 39,7 39,2 37,9 21,4 25,8 29,0 33,6 Niederlande 34,6 30,5 31,5 31,6 23,4 31,8 33,3 31,5 Österreich - 39,8 39,4 38,7 - 61,5 40,9 41,2 Portugal 42,8 41,5 38,7 38,4 11,5 20,8 16,6 27,3 Finnland - 36,8 36,8 37,0 - 42,6 39,8 42,8 Schweden - 33,8 36,5 35,6 - 33,7 39,2 37,4 Großbritannien 36,8 36,7 35,9 35,7 38,7 50,2 51,7 42,2 Bulgarien - - 40,6 40,6 - - 36,5 29,1 Tschechien - - 43,0 41,7 - - 43,9 48,5 Estland - - 40,5 39,9 - - 25,5 32,2 Zypern - - 39,3 39,1 - - 50,4 46,2 Lettland - - 42,4 41,4 - - 24,1 20,6 Litauen - - 39,3 38,1 - - 15,0 23,2 Ungarn - 41,1* 40,9 40,3 - - 35,4 41,3 Malta - - 41,4 39,1 - - 46,7 48,5 Polen - - 40,6 40,3 - - 24,3 30,3 Rumänien - - 39,4 40,1 - - 44,4 40,6 Slowenien - - 41,6 41,0 - - 26,5 44,0 Slowakei - 42,1* 41,0 40,2 - - 26,7 25,5 EU-27 - - 39,0 38,4 - - 33,8 36,2 Quelle: Arbeitszeit nach Eurostat (2008a); ∗ Wert für 1996; Zeitdruck: European Working Conditions Surveys 1990-2005, eigene Berechnungen; EU-27-Werte ungewichtet. <?page no="228"?> 10.4 Zeitverwendung 229 Bild. Im Vergleich der Länder wird deutlich, dass der Zeitdruck 2005 besonders in Tschechien, Malta, Zypern, Griechenland und Slowenien groß ist. Hier berichten zwischen 45 und 48 % der Beschäftigten, dass sie ihre Arbeit unter einem starken Zeitdruck realisieren müssen. Eher selten erleben Beschäftigte in Lettland, Portugal, der Slowakei und Litauen Zeitdruck. Im Zeitvergleich zeigt sich ferner: Der Anteil der Beschäftigten, die bei ihrer Erwerbstätigkeit großem Zeitdruck ausgesetzt sind, nimmt in den meisten EU-Staaten nahezu konstant zu. In Staaten wie Italien oder Portugal hat sich der Anteil zwischen 1990 und 2005 sogar verdoppelt. Auch in Luxemburg, Dänemark und Frankreich sind Zuwächse zu verzeichnen. In den neuen EU-Mitgliedsländern wie Bulgarien, Zypern und Rumänien ist hingegen der Anteil der unter Zeitdruck stehenden Erwerbstätigen im beobachtbaren Zeitraum etwas zurückgegangen. Insofern erklärt sich die Zeitproblematik in der Breite der Gesellschaft nicht durch ein Ausufern der Erwerbsarbeitszeit, vielmehr müssen es die Arbeitsbedingungen oder -inhalte selbst sein, die den Zeitdruck schaffen und die Lebensqualität beeinträchtigen. Im Zuge dieser Veränderungen beobachten wir bei beiden Indikatoren eine Angleichung im Zeitverlauf. Die Streuung der Arbeitszeit innerhalb Europas nimmt genauso ab (SD 1995: 2,7; 2005: 2,4) Konvergenz der Zeitstrukturen wie die des Arbeitsdrucks, der auf den Beschäftigten lastet (SD 1995: 8,4; 2005: 7,7). Daher gehen wir von einer Konvergenz der Zeitstrukturen in Europa aus. Im Folgenden werden neben dem Umfang der Erwerbsarbeitszeit auch noch Hausarbeitszeit, Freizeit, Wegezeiten und Reproduktionszeiten (Zeit für Schlaf, Essen, Körperpflege) nach Geschlechtern getrennt dargestellt (Tab. 27). Die vorliegenden Befunde zeigen, dass in den meisten hier betrachteten europäischen Ländern die Erwerbsarbeitszeit die zeitlichen Aktivitäten während des Tages dominiert; sie nimmt mehr Raum ein als Freizeit oder Hausarbeitszeit. In Litauen und Lettland ist die Arbeitszeit sowohl bei Frauen als auch bei Männern zentraler als in jedem anderen europäischen Land. Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit Erwerbsarbeit liegt bei über 6: 30 Stunden bei den Männern und über 5: 45 Stunden bei den Frauen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass hier Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte sowie Haupttätigkeiten und berufliche Nebentätigkeiten betrachtet werden. In Ländern wie den Niederlanden oder Belgien nimmt die Arbeitszeit einen wesentlich geringeren Raum ein. Über das ganze Jahr verteilt arbeiten Männer hier fünf Stunden, Frauen zwischen drei und vier Stunden täglich. Das entspräche bei den Frauen einer hochgerechneten Wochenarbeitszeit von 22 bis 27 Stunden, bei den Männern von 35 Stunden. Empirisch zeigen sich ferner in allen betrachteten EU- Staaten charakteristische Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Zum einen arbeiten Männer pro Woche fast zehn Stunden mehr als Frauen. Zum anderen ist die Streuung der Arbeitszeit innerhalb der Gruppe der europäischen Frauen größer als die der Männer. Dies lässt sich zum Teil damit erklären, dass mehr Frauen einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen und Frauen wesentlich häufiger und länger Erziehungsurlaub nehmen als Männer (Aliaga 2006: 7). <?page no="229"?> 230 10 Lebensqualität Tab. 27 | Zeitverwendung von Erwerbstätigen n e u a r F r e n n ä M Arbeitszeit Hausarbeitszeit Wegezeit Freizeit Schlaf, Essen etc. Arbeitszeit Hausarbeitszeit Wegezeit Freizeit Schlaf, Essen, etc. EU-10 05: 29 01: 52 01: 26 04: 26 10: 42 04: 08 03: 30 01: 21 03: 57 10: 56 Belgien 05: 00 02: 15 01: 43 04: 08 10: 48 03: 52 03: 46 01: 32 03: 43 11: 01 Dänemark 05: 24 02: 14 01: 17 04: 31 10: 27 04: 29 03: 13 01: 18 04: 10 10: 46 Deutschland 05: 05 01: 52 01: 31 05: 11 10: 21 03: 52 03: 11 01: 27 04: 48 10: 42 Spanien 06: 11 01: 20 01: 23 04: 20 10: 46 04: 57 03: 29 01: 22 03: 33 10: 39 Frankreich 05: 42 01: 53 01: 10 03: 37 11: 35 04: 30 03: 40 01: 05 02: 56 11: 46 Italien 06: 13 01: 10 01: 40 04: 07 10: 50 04: 39 03: 51 01: 28 03: 18 10: 44 Niederlande 05: 06 01: 51 01: 12 04: 42 11: 15 03: 10 03: 32 01: 07 04: 36 11: 15 Finnland 05: 24 01: 59 01: 17 04: 45 10: 26 04: 07 03: 21 01: 16 04: 19 10: 48 Schweden 05: 09 02: 22 01: 32 04: 36 10: 16 03: 55 03: 32 01: 28 04: 13 10: 48 Großbritannien 05: 38 01: 53 01: 36 04: 24 10: 21 03: 57 03: 27 01: 33 04: 01 10: 53 Estland 04: 55 02: 16 01: 16 04: 34 10: 54 04: 09 04: 01 01: 11 03: 50 10: 44 Lettland 06: 41 01: 26 01: 31 03: 58 10: 24 05: 46 03: 08 01: 26 03: 13 10: 27 Litauen 06: 31 01: 39 01: 17 04: 02 10: 31 05: 55 03: 24 01: 07 03: 05 10: 29 Ungarn 05: 19 02: 09 01: 09 04: 24 10: 53 04: 35 03: 53 01: 02 03: 33 10: 51 Polen 06: 10 01: 59 01: 15 04: 29 10: 13 04: 46 03: 58 01: 10 03: 43 10: 22 Rumänien 04: 46 02: 06 01: 06 04: 48 11: 06 03: 23 04: 52 00: 48 03: 52 10: 56 Slowenien 05: 28 02: 12 01: 18 04: 42 10: 20 04: 39 04: 10 01: 14 03: 42 10: 13 EU-18 05: 34 01: 55 01: 22 04: 26 10: 40 04: 24 03: 40 01: 16 03: 48 10: 47 Quelle: Aliaga (2006) und European Communities (2003); Angaben beziehen sich auf den Zeitraum von 1999- 2003 und sind so aktuell wie möglich; Angaben für Irland, Griechenland, Luxemburg, Österreich, Portugal, Bulgarien, Tschechien, Zypern, Malta, Slowakei nicht verfügbar; Angaben für EU-10 und EU-18 ungewichtet. Freizeit ist ein Spezifikum moderner Industriegesellschaften. Von der arbeitsfreien Zeit vorindustrieller Gesellschaften unterscheidet sich die Freizeit als Institution dadurch, dass sie dem Leitwert der Moderne, der Selbstverwirklichung des Individuums, einen legitimen Raum gibt. Bis in die 1980er-Jahre bildete Freizeit in soziologischen Betrachtungen den eigentlichen Gegensatz zur Arbeitswelt. Als Freizeit wurde die verbleibende Zeit betrachtet, die nach der normalen Arbeitsperiode übrig blieb. In jüngster Zeit wird Freizeit vielfach als eigenständiges Strukturelement der Gesellschaft betrachtet (Gershuny 2000). In der Institution Freizeit lassen sich idealtypisch drei funktionale Unterscheidungen vornehmen, und zwar zwischen der regenerativen, der suspensiven sowie der kompensatorischen Funktion. Regeneratives Verhalten dient der physischen und psychischen Wiederherstellung der Arbeitskraft. Suspensives Verhalten in der Freizeit ist auf Selbstbestimmung ausgerichtet und kann Arbeitscharakter tragen; steht aber im Gegensatz zu Abstraktheit und Fremdbestimmung während der Arbeitszeit. Beispiele sind ehrenamtliche Arbeit, politisches Engagement, Gartenarbeit. Kompensatorisches Verhalten wird in Aktivitäten mit direkter Abkehr von der Berufsarbeit gesehen und dient dem Ausgleich von Arbeitsbelastungen durch Sportaktivitäten oder Kulturkonsum (Prahl 2002). Korrespondierend mit diesen innereuropäischen Unterschieden bei der Arbeits- Deutschland eine Freizeitgesellschaft zeit lassen sich auch starke Unterschiede in der verfügbaren Freizeit finden. Die meiste Freizeit haben Männer und Frauen in Deutschland (täglich circa fünf Stunden). Sowohl Männer als auch Frauen haben dort im Durchschnitt weniger Arbeitszeit als Freizeit. Dieser Tatbestand lässt es als nicht verwunderlich erscheinen, dass etwa Prahl (2002: 41) die Bundesrepublik auf dem Weg zu einer Freizeitgesellschaft sieht. Mit einem Umfang von etwa drei Stunden täglich verfügen die Menschen in Frankreich, Litauen und Lettland (die Schlusslichter im Hinblick auf Freizeit) nur über 60 % des Freizeitvolumens der Deutschen. Darüber hinaus sind zwei Ergebnisse aus Tabelle 27 bemerkenswert: Erstens verfügen Frauen in allen europäischen Staaten über weniger Freizeit als Männer, wobei diese geschlechts- <?page no="230"?> 10.4 Zeitverwendung 231 spezifischen Differenzen in Osteuropa deutlich stärker ausgeprägt sind als in Westeuropa. Zweitens ist innerhalb der Gruppe der Frauen die Streuung des Freizeitvolumens deutlich höher als bei den Männern (SD Frauen: 31 Minuten, Männer: 22 Minuten). Auf Wegezeiten entfallen täglich im Schnitt zwischen 1: 00 und 1: 45 Stunden Wegezeiten des Zeitbudgets von Erwerbstätigen. Die längsten Wegezeiten haben Belgier, Italiener und Briten, die kürzesten Wegezeiten Rumänen und Ungarn. Das Mobilitätsverhalten unterscheidet sich dabei je nach Land und auch zwischen den Geschlechtern. In Belgien, Deutschland, Italien, Finnland, Schweden und Großbritannien entfällt mindestens die Hälfte der Wegezeit auf Autofahrten. Zu Fuß bewegen sich die Menschen am häufigsten in Lettland, Polen und Litauen fort. In Ungarn und Estland werden öffentliche Verkehrsmittel am häufigsten genutzt. Männer fahren häufiger mit dem privaten Pkw als Frauen, insbesondere in Estland, Lettland, Litauen, Ungarn und Polen. Frauen sind demgegenüber im Allgemeinen häufiger zu Fuß unterwegs als Männer (Aliaga 2006: 6). Von der Freizeit und der Arbeitszeit als Zeitinstitutionen ist die Hausarbeitszeit (Coltrane 2000; Shelton/ John 1996) zu trennen. Weil die Institution Familie auf anderen Zeitprinzipien basiert und sozialsowie familienpolitische Regulierung getrennt von arbeitsmarktpolitischer Regulierung stattfindet, bestehen besondere Herausforderungen für erwerbstätige Paare mit Kindern. Frauen sind hier vielfach stärker belastet als Männer, da sie im Durchschnitt mehr Hausarbeit und Pflegeleistungen erbringen und dies selbst dann, wenn beide Partner erwerbstätig sind (Drobniˇc/ Blossfeld 2004; Hirata/ Kergoat 2001; Mattingly/ Bianchi 2003). Zwischen verschiedenen Wohlfahrtstaatsregimes findet man wichtige Unterschiede in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung von Erwerbsarbeitszeit, Freizeit und Hausarbeitszeit. Die wichtigsten Theorien zur Erklärung der Aufteilung von Hausarbeitszeit und Arbeitszeit sind der Haushaltsproduktionsansatz von Becker (1981) und der Doing-Gender- Ansatz von Autoren wie Hochschild/ Machung (1990) und West/ Zimmerman (1987). Auch bei der Hausarbeit lassen sich, wie bei allen bislang diskutierten Zeitindikatoren, deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in Europa beobachten. Die mit Abstand niedrigsten Zeitaufwendungen für Hausarbeit bringen Männer (1: 10 bis 1: 25 Stunden täglich) in den konservativen Wohlfahrtsstaaten Südeuropas (Italien und Spanien) sowie in Lettland auf. Männer in Schweden hingegen arbeigeschlechtsspezifische Unterschiede bei Hausarbeit in Osteuropa ten im Schnitt fast doppelt so lange im Haushalt. Im Durchschnitt verbringen Frauen in Europa 3: 40 Stunden täglich mit der Betreuung von Kindern, Gartenarbeiten, handwerklichen Tätigkeiten oder Einkäufen. Die Durchschnittsarbeitszeit der Männer beträgt in diesen Bereichen etwas mehr als die Hälfte davon (1: 55 Stunden pro Tag). Besonders viel Hausarbeit leisten Frauen in den osteuropäischen Beitrittsnationen Polen, Estland, Slowenien und Rumänien (zwischen vier und fünf Stunden). Vergleichsweise wenig Hausarbeitszeit investieren sie in Deutschland, Dänemark und Finnland (circa 3: 15 Stunden täglich); in diesen Ländern sind auch die Differenzen zwischen Männern und Frauen wesentlich kleiner als in den meisten osteuropäischen Staaten. Die insgesamt täglich mit Arbeit verbrachte Zeit (Erwerbsarbeit und Haushaltstätigkeiten zusammengenommen) ist bei den Frauen im Baltikum, in Slowenien und Polen am längsten (8: 45 Stunden und mehr). Im Hinblick auf diesen Indikator beobachten wir innerhalb Europas die in diesem Studienbuch schon mehrfach <?page no="231"?> 232 10 Lebensqualität thematisierte Ost-West-Spaltung: Im westeuropäischen Durchschnitt ergeben sich für Männer geringfügig niedrigere Arbeitszeiten als für Frauen: zwischen vier und sieben Minuten in Skandinavien, Deutschland und Großbritannien. In Ländern wie Estland, Ungarn, Italien, Slowenien, Litauen und Rumänien arbeiten Frauen täglich mindestens eine Stunde länger als Männer. Anhand dieser Ergebnisse lässt sich schlussfolgern, dass sich die Lebensqualität im Bereich der verfügbaren, qualitativ hochwertigen Zeit zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union charakteristisch unterscheidet. Bei den erwerbstätigen Männern und Frauen in den Niederlanden und Deutschland beobachten wir die höchste Lebensqualität im Sinne von »Verfügbarkeit von Zeit«, da hier die Zeitaufwendungen für Erwerbsarbeit und Hausarbeit in einem vergleichsweise günstigen Verhältnis zu der verfügbaren Freizeit stehen (täglich zwei Stunden Differenz). In Litauen und Lettland ist es um die Verfügbarkeit von Zeit schlechter bestellt. Männer wenden im europäischen Durchschnitt täglich im Haushalt und in der Erwerbssphäre vier Stunden mehr Zeit auf als für ihre Freizeitaktivitäten. Bei Frauen fällt dieses Verhältnis noch ungünstiger aus, da sie zwischen fünf und sechs Stunden täglich mehr arbeiten, als sie über freie Zeit verfügen können. Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Verfügung über Freizeit finden sich überall in Europa. Sie sind am niedrigsten in den Niederlanden, Großbritannien, Schweden, Dänemark und Deutschland und am größten in Slowenien, Litauen, Ungarn und Rumänien. <?page no="232"?> Teil III: Europäische Vergesellschaftung und europäische Integration <?page no="234"?> 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung In den vorangegangenen Kapiteln stand der Vergleich unterschiedlicher Gesellschaften im Zentrum der Betrachtung. Im Folgenden möchten wir die Perspektive verändern und den Blick auf die europäische Integration richten. Die europäische Integration ist ein politisch initiierter Prozess. Ausgangspunkt und Träger sind nicht breite soziale Schichten und einfache Bürger, sondern Eliten, Regierungen und die Spitzen nationaler Behörden und Verwaltungen. Mit ihren Entscheidungen setzen sie Prozesse der Supranationalisierung in Gang und verändern die Rahmenbedingungen des gesellschaftlichen Handelns. Dieser Prozess der Integration umfasst die Übertragung von politischen Kompetenzen auf die europäische Ebene, was oft als Supranationalisierung bezeichnet wird. Gleichzeitig bedeutet die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, dass sich die nationalen Systeme durch die Übernahme gemeinschaftlicher Vorgaben oder die Notwendigkeit der Anpassung an neue Handlungsbedingungen verändern müssen. Integration erfolgt aber nicht nur auf politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher, sondern auch auf sozialer Ebene. In der Präambel des EG-Vertrages wird Integration als »immer engerer Zusammenschluss der europäischen Völker« bezeichnet und weist damit weit über die politische Dimension des Einigungsprozesses hinaus. Hand in Hand mit den politischen und wirtschaftlichen Integrationsbestrebungen ändert sich das Verhältnis der Europäer und ihrer nationalen Gesellschaften zueinander. Im Folgenden werden zunächst die institutionellen und politischen Schritte der Europäisierung summarisch dargestellt, um abzubilden, vor welchem Hintergrund und unter dem Einfluss welcher Faktoren sich gegenwärtige sozialstrukturelle Wandlungsprozesse vollziehen. 11.1 Geschichte der europäischen Integration Definition Mit politischer Integration wird ein Prozess bezeichnet, bei dem politische Akteure in unterschiedlichen nationalen Kontexten ihre Loyalitäten, Erwartungen und politischen Aktivitäten auf ein neues Zentrum richten. Im Rahmen der Europäisierung geht der Prozess der Integration mit der Schaffung supranationaler Institutionen und der Setzung eigener Rechtsnormen einher (vertikale Europäisierung). Als Resultat entsteht eine neue politische Gemeinschaft, die die Mitgliedsstaaten beeinflusst und überlagert (vgl. Haas 1968). Wirtschaftliche Integration bezeichnet die Schaffung einer Freihandelszone und eines gemeinsamen Marktes durch den Abbau von Handelshemmnissen, die Etablierung <?page no="235"?> 236 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung einer Zollunion und die Gewährung von Mobilitätsfreiheiten für Kapital, Güter, Dienstleistungen und Arbeitnehmer. In einem weiteren Schritt kommt es zur Schaffung einer supranationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik mit eigenständigen Institutionen zur Umsetzung ausgewählter Ziele wie Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Der Beginn der europäischen Integration Die 1951 erfolgte Gründung der Montanunion, also der Europäischen Gemeindie Montanunion schaft für Kohle und Stahl, kann als erster Schritt in Richtung europäischer Integration gelten. Sie ging auf den sogenannten Schuman-Plan des französischen Außenministers Robert Schuman zurück, der 1950 die Errichtung einer gemeinsamen Koordinations- und Kontrollbehörde für die deutsche und die französische Kohle- und Stahlproduktion vorschlug. Ziele waren die Zusammenfassung der nationalen Kohle- und Stahlmärkte zu einem gemeinsamen starken Markt und die Verbesserung der Bedingungen für Industrie, Verbraucher und Arbeitnehmer. Außenpolitisches Ziel war die Ablösung der alliierten Kontrolle über die deutsche Ruhrindustrie. Sie sollte durch ein rein westeuropäisches Organ ersetzt werden, das die Bundesrepublik Deutschland einschloss. Gründungsmitglieder waren die Länder Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, die Bundesrepublik Deutschland und Italien. Die Einrichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die Unter- Gründung der Europäischen Union zeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957 leitete die nächste Etappe der europäischen Integration ein. Nicht nur die Agrarpolitik wurde einem europäischen Regime unterworfen, sondern die sechs Gründerstaaten richteten auch eine Zollunion ein, mit der Außenzollgrenzen eingerichtet und innere Handelsbarrieren abgebaut wurden. Damit entstand auf der internationalen Bühne ein neuer Akteur, der die außenwirtschaftliche Vertretung der Mitgliedsländer gegenüber Dritten gewährleistete. Zusätzlich wurde in den Römischen Verträgen das Ziel festgeschrieben, einen gemeinsamen Markt mit freiem Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zu schaffen. In der Folgezeit wuchsen der innergemeinschaftliche Handel und die Industrieproduktion stark an. 1965 wurde der Fusionsvertrag unterzeichnet, der die Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vorsah (in Kraft getreten 1967). Durch diesen Vertrag wurden die Organe der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Europäischen Wirtschaftgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) zusammengefasst und fortan unter dem Begriff der Europäischen Gemeinschaft (EG) geführt. Der Prozess der Europäischen Integration ist durch zwei Tendenzen charak- Nord- und Süderweiterung terisiert: die territoriale Ausdehnung »Europas« und die Kompetenzerweiterung der Institutionen der Europäischen Gemeinschaft (Lepsius 2001). Anfang 1972 wurden die Verträge über die Norderweiterung der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet. In der Folge traten nach zum Teil kontroversen Auseinandersetzungen Großbritannien, Dänemark und Irland der Europäischen Gemeinschaft <?page no="236"?> 11.1 Geschichte der europäischen Integration 237 bei. Die Entwicklung der Institutionen der Europäischen Gemeinschaft geriet nach der Norderweiterung in einen Stillstand. Die Kommission scheute zunehmend die Auseinandersetzung mit dem Ministerrat, in dem einzelstaatliche Interessen Vorrang hatten. Die in den Römischen Verträgen verankerten Grundfreiheiten waren immer noch nicht vollständig verwirklicht, insbesondere wegen der Hindernisse zur freien Berufsausübung, der Weiterexistenz von Zollschranken und unterschiedlichen indirekten Steuersätzen. Gleichzeitig verschärfte sich infolge der Ölkrise ab Mitte der 1970er-Jahre die wirtschaftliche Stagnation in Europa. Erst mit der ersten direkten Wahl zum Europaparlament im Juni 1979 wurde der Stillstand im europäischen Integrationsprozess teilweise überwunden. 1979 trat auch das Europäische Währungssystem (EWS) in Kraft, durch welches stabile Wechselkurse zwischen den Währungen der Mitgliedsstaaten hergestellt wurden. Die nächste Stufe der europäischen Einigung wurde mit der Süderweiterung erreicht. Obwohl innerhalb der Europäischen Union die Widerstände gegen die Süderweiterung anfangs relativ groß waren, wurde der vollzogene Beitritt erst von Griechenland im Jahr 1981 und später von Spanien und Portugal zum 1. Januar 1986 als Erfolg der europäischen Integration gefeiert. Vertiefung der Integration Ein wichtiger Schritt der Kompetenzerweiterung war die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) im Februar 1986 (in Kraft getreten 1987). Durch die EEA sollten die unter dem Stichwort »Eurosklerose« subsumierte strukturelle und institutionelle Stagnation der Europäischen Union und die wirtschaftlichen Probleme der Mitgliedsländer gelöst werden. Der wichtigste Bestandteil der EEA war die Schaffung eines Binnenmarktes, der die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Ökonomien steigern sollte und Wohlfahrtsgewinne für die Mitgliedsländer erwarten ließ. Der Integrationslogik des Binnenmarktes folgend, wurde schließlich im Februar 1992 mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Union in Maastricht die Reform der Römischen Verträge abgeschlossen. Die Gemeinschaft entwickelte sich von einem hauptsächlich wirtschaftlichen und politischen Zusammenschluss zu einer Europäischen Union. Die Wirtschafts- und Währungsunion und damit der Eingriff in die Währungs-, Geld- und Haushaltspolitik der Mitgliedsländer der EU war das wichtigste Element des Maastricht- Vertrags. Mit dem Vertrag wurde auch die Einbeziehung der Bereiche Verteidigung, Justiz und Inneres in das bestehende Gemeinschaftssystem vereinbart. Die Beseitigung der Grenzen zwischen den Mitgliedsstaaten zählt zu den Freizügigkeit grundlegenden Zielen der EU. So wurden wichtige Schritte unternommen, um im Rahmen der Marktintegration die sogenannten »vier Freiheiten«, also die Freizügigkeit von Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr und die freie Mobilität von Personen zu verwirklichen. Das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU war ursprünglich nur für die Arbeitnehmer vorgesehen, da ein einheitlicher Binnenmarkt sich nicht realisieren ließ, solange die Mobilität der Arbeitnehmer Einschränkungen unterlag. Doch im Zuge der politischen Integration wurde die Frei- <?page no="237"?> 238 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung zügigkeit auf alle Bevölkerungsgruppen ausgedehnt, so auch auf Selbstständige, Studierende und Personen, die nicht mehr erwerbstätig sind. Die Mitgliedsstaaten haben nun (fast) keine Handhabe mehr, um Ein- und Austritte zu beschränken. Weiterhin wird jedem EU-Bürger das Recht eingeräumt, in jedem europäischen Mitgliedsland eine Beschäftigung aufzunehmen. Alle Restriktionen hinsichtlich des legalen Aufenthalts und der Aufnahme einer Arbeit sind damit entfallen. 56 Grenzen können im Sinne von physischen Barrieren wirken und die Mobilität Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung einschränken. Sie können aber auch als Form sozialer Exklusion wirksam werden, mit Hilfe derer Mitglieder einer Kerngruppe ihre Chancen zu monopolisieren versuchen: Selbst in einem geografischen Raum ohne physische Mobilitätshürden mag es schwer sein, mobil zu sein, weil Formen der Diskriminierung oder Ungleichbehandlung existieren, die den Zugang erschweren. Schon allein durch die Anerkennung oder Nichtanerkennung beruflicher Abschlüsse aus einem anderen Land können die Arbeitsmarktchancen wesentlich beeinflusst werden. Innerhalb der Europäischen Union ist frühzeitig klar geworden, dass die gemeinsame Marktbildung und die Deinstitutionalisierung von physischen Grenzen nicht ausreichen, um auch soziale Grenzziehungen abzubauen. Deshalb hat die Europäische Union durch das Nichtdiskriminierungsgebot einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der vorgibt, dass EU-Ausländer im Rahmen ihrer Arbeitsmarktmobilität rechtlich gleichgestellt werden. Unionsbürgerschaft als neuer Mitgliedschaftsstatus Mit dem Maastricht-Vertrag wurde auch die Unionsbürgerschaft als neue Form Unionsbürgerschaft des mitgliedschaftlichen Status in einem supranationalen Gebilde eingeführt (Eder/ Giesen 2001; Wiener 1998). Die Unionsbürgerschaft ersetzt aber die nationale Staatsbürgerschaft nicht, so dass man von einer Koexistenz nationaler und supranationaler Bürgerschaft sprechen kann (Faist 2000; Wobbe 2000). Unionsbürger wird man durch den Besitz der nationalen Staatsbürgerschaft in einem der Mitgliedsländer der Europäischen Union. Mit der Unionsbürgerschaft wurde die Idee des EU-Bürgers als reinem Marktbürger - also als Konsument, Arbeitnehmer etc. - verändert und ein neues Verständnis von Mitgliedschaftsrechten und Mitgliedschaftsrollen etabliert (Preuß 1998). Die damit verbundenen Rechte sind Freizügigkeitsrechte, die den Aufenthalt und die freie Mobilität in den EU- Mitgliedsstaaten zusichern, politische Rechte wie das Recht, bei Kommunal- und Europawahlen zu wählen und gewählt zu werden, und das Recht auf diplomatischen und konsularischen Beistand. Nicht-EU-Bürger, die sich auf dem Territorium der EU aufhalten oder dort leben, sind in ihren Möglichkeiten, den Aufenthalts-, Wohn- oder Arbeitsort zu wählen, deutlich begrenzter. 56 Einschränkungen der Freizügigkeit gibt es für Bürger aus den osteuropäischen Mitgliedsstaaten, die seit 2004 der EU beigetreten sind. Die alten Mitgliedsstaaten entscheiden im Einzelnen, wann sie die Beschränkungen aufheben. Spätestens bis Anfang 2014 müssen sämtliche Beschränkungen aufgehoben sein. Keine Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit gibt es für Selbstständige <?page no="238"?> 11.1 Geschichte der europäischen Integration 239 Charta der Grundrechte. Die Union hat auch eine Charta der Grundrechte entwickelt, die in einem einzigen Text die Gesamtheit der bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte der europäischen Bürger sowie aller im Hoheitsgebiet der Union lebenden Personen zusammenfasst. Diese Grundrechte beruhen vor allem auf den in der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten Rechten und Grundfreiheiten, den Verfassungstraditionen der Mitgliedsländer, der Europäischen Sozialcharta des Europarates und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer sowie anderen internationalen Übereinkommen, die die Europäische Union oder ihre Mitgliedsstaaten unterzeichnet haben. Diese Rechte sind in sechs große Kapitel unterteilt: Würde des Menschen, Freiheiten, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und justizielle Rechte. Weiterhin kann das Schengen-Abkommen als wichtiger Schritt des Grenzabbaus Schengen- Abkommen angesehen werden. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung wurden sämtliche Grenzkontrollen zwischen den Unterzeichnerländern abgeschafft, so dass man ohne Einreisekontrolle zwischen diesen Ländern reisen kann. Auf Flughäfen und in Häfen findet innerhalb des Schengen-Raums eine Trennung zwischen Bürgern der Schengen-Länder und denen anderer Länder statt. 1985 unterzeichneten Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande das Abkommen, welches 1995 in Kraft trat. Weiterhin traten Spanien, Portugal, Italien, Griechenland und Österreich dem Schengen-Abkommen bei. Dänemark, Schweden, Finnland und die beiden Nicht-EU-Länder Norwegen und Island unterzeichneten im Dezember 1996 das Schengen-Abkommen. Heute sind alle EU-Länder außer das Vereinigte Königreich und Irland Schengen-Unterzeichner, wobei Bulgarien, Rumänien und Zypern das Abkommen erst zu einem späteren Zeitpunkt anwenden werden. Auch die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied schafft seine Grenzkontrollen im Rahmen eines Schengen-Beitritts ab. In einem weiteren Schritt wurden zum 1. Januar 1999 die nationalen Wechder Euro als gemeinsames Zahlungsmittel selkurse festgeschrieben und der Euro als Referenzwährung eingeführt. Letzterer ist seit Januar 2002 alleiniges Zahlungsmittel innerhalb der Mehrheit der EU- Länder. Erstmals wird damit den Bürgern über das zentrale »Austauschmedium Geld« (Parsons 1964) die europäische Integration in der alltäglichen Praxis vermittelt. Dies kann als Form der »monetären Vergemeinschaftung« angesehen werden (Nollmann 2002). Allgemein gilt, dass die Europäische Union stärker denn je Teil der lebensweltlichen Erfahrung der Menschen wird. Durch den Maastricht-Vertrag und die Erweiterungen mit den Verträgen von Europäisches Parlament Amsterdam und Nizza wurden auch die Kompetenzen des Europäischen Parlaments erheblich ausgebaut. Seither muss die Kommission vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Für die Bereiche Binnenmarkt, Verbraucherschutz, Umwelt und Verkehr erhielt das Parlament Mitentscheidungskompetenzen. Ferner soll eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik die Europäische Union zu einem wirkungsvollen Vertreter europäischer Interessen auf der internationalen Ebene machen. Durch die Beschlüsse von Maastricht wurde also die Europäische Union nach Kompetenzfülle und Wirkungsgrad ein institutionalisiertes Regime, an das die Mitgliedsländer einen erheblichen Teil ihrer Kompetenzen übertragen haben. Über die Nationalstaaten schiebt sich damit eine neue supranationale Ordnung (Lepsius 2001). <?page no="239"?> 240 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung Erweiterungspolitik der EU Wie schon bei der Nord- und Süderweiterung sichtbar, ist der geografische und Expansion in konzentrischen Kreisen politische Raum der Europäischen Union nicht endgültig festgelegt, sondern verändert sich (Beck/ Grande 2004: 102). Man kann die Entwicklung der Europäischen Union als »Expansion in konzentrischen Kreisen« (Vobruba 2005: 17) beschreiben, durch welche Peripherien im Nahbereich der Europäischen Union in diese integriert werden. Hierdurch kommt es zwar zu einer Modernisierung und zum Aufholen der neuen Mitgliedsländer, gleichwohl aber entstehen auch neue und relativ stabile Zentrum-Peripherie-Beziehungen zwischen den alten und neuen Mitgliedern. Die neuen Mitglieder werden zu neuen Peripherien und müssen die Kosten der Randlage weitgehend allein tragen. Daher haben sie ein Interesse an der weiteren Expansion der EU, um »näher« an das Zentrum zu rücken. Damit etabliert sich damit eine Ordnung gestaffelter Integration, die das in den politischen Debatten kontrovers diskutierte »Kerneuropa« gesellschaftliche Realität werden lässt. Dies ist auch die Logik der Osterweiterungen der Europäischen Union (Beichelt 2004): Im Zuge der Osterweiterung 2004 traten Polen, Ungarn, die Slowakei, die Tschechische Republik, Lettland, Litauen, Estland, Slowenien, Malta und Zypern der EU bei, dann 2007 Bulgarien und Rumänien. Die Europäische Union hat damit 27 Mitgliedsstaaten, eine Bevölkerung von fast 500 Millionen Menschen Flexibilisierung der Mitgliedschaft und umfasst ein Territorium von Gibraltar bis in das Baltikum und von Griechenland bis zu den schottischen Inseln. Mit der Osterweiterung steht die Europäische Union vor großen Herausforderungen. Denn die Interessenvielfalt in der Agrar-, Finanz-, Asyl- oder Außenpolitik nimmt weiter zu. Einige Autoren sehen diesen Prozess kritisch, weil angesichts wachsender Steuerungsprobleme unklar ist, ob die bisherige institutionelle Architektur der EU den zukünftigen Herausforderungen angemessen ist (Giering 2001; Rothacher 2004; Vobruba 2000). Im Vorfeld der Erweiterungen wurden Reformen der Entscheidungsfindung in der EU durchgeführt. So wurden die Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat ausgeweitet und dem Parlament weitere Rechte übertragen. Der Vertrag von Ams- Abb. 8 | Erweiterungswellen der Europäischen Union Gründungsmitglieder (1951/ 1958) Erste Norderweiterung (1973) Süderweiterung Zweite Norderweiterung (1995) Osterweiterung Verbleibende europäische Flächenstaaten Island, Norwegen, Schweiz Albanien 1 , Bosnien und Herzegowina 1 , Kroatien 2 , Mazedonien 3 , Montenegro 4 , Serbien 4 , Türkei 5 Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande Dänemark, Großbritannien, Irland Griechenland (1981), Portugal, Spanien (1986) Finnland, Österreich, Schweden Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Ungarn Zypern (2004), Bulgarien, Rumänien (2007) Belarus, Moldawien, Russland, Ukraine Quelle: Erweiterung und Ergänzung einer Übersicht von Beichelt (2004: 11); 1 Europäische Partnerschaft seit Januar 2006; 2 Beitrittsverhandlungen seit Oktober 2005; 3 Kandidatenstatus seit Dezember 2005; 4 Europäische Partnerschaft seit Januar 2007; 5 Ergebnisoffene Beitrittsverhandlungen seit Oktober 2005. <?page no="240"?> 11.1 Geschichte der europäischen Integration 241 terdam (1997) stellt das Parlament auf eine Stufe mit dem Ministerrat und weitet die Mitentscheidungskompetenzen aus. Zudem wurde die Einführung von Flexibilitätsklauseln (Möglichkeiten der verstärkten Zusammenarbeit, Suspendierung der EU-Mitgliedschaft) beschlossen. 57 Auf dieser Grundlage wird die Differenzierung der Integration ein Handlungsprinzip für die Zukunft der erweiterten Union sein (Lepsius 2001). Mit dem Vertrag von Nizza (2000) wurden weitere institutionelle Reformen im Hinblick auf die steigende Mitgliederzahl vorgenommen, so bei der Zusammensetzung der Kommission, der Stimmenverteilung im Europäischen Rat und der Durchsetzung der qualifizierten Mehrheit bei Ratsentscheidungen (mit Ausnahme bestimmter Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik, der Einwanderungs- und Asylpolitik und der Steuerpolitik). Große Erwartungen richteten sich auch an die Ergebnisse des europäischen Verfassungskonvent Verfassungskonvents, durch den im Juni 2003 ein Entwurf für eine europäische Verfassung vorgelegt wurde. Dieser zielte auf eine neue Qualität der institutionellen und rechtlichen Verknüpfung der europäischen Nationen. In der Verfassung sollen, gewissermaßen als demokratische Ergänzung zum wirtschaftlich vereinigten Europa, Bürger- und Sozialrechte fixiert werden. Aufgabe des Konvents war es, einer europäischen Regierungskonferenz Vorschläge für eine Neuordnung der bisherigen Verträge zu unterbreiten, einschließlich einer klaren Kompetenzordnung und einer neuen Architektur der Machtverteilung zwischen den unterschiedlichen Regelungsebenen der Union (Maurer 2003; Schieder 2004). Mit welchen Schwierigkeiten die Erarbeitung einer europäischen Verfassung im komplexer werdenden Macht- und Regelungsgefüge der EU einhergeht, zeigt beispielsweise das Scheitern der Regierungskonferenz im Dezember 2003, aber auch die Ablehnung des Verfassungsentwurfs in Frankreich und den Niederlanden im Jahre 2005. Auch die Probleme bei der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon (2007), durch welchen die EU modernisiert werden sollte, zeigen an, dass es immer schwerer wird, die EU politisch zu organisieren und effektiv zu gestalten. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat der Prozess der europäischen Eini- Erweiterung versus Vertiefung gung einen Entwicklungsstand erreicht, bei dem die Gesellschaftssysteme der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union als weitgehend europäisiert gelten können. In ökonomischer, politischer und rechtlicher Hinsicht bedeutet Europäisierung ein kontinuierliches Schrumpfen der Einflussnahme nationaler Regulierungen, wobei die Nationalstaaten in zunehmendem Maße Restriktionen unterworfen werden, die auf die Wirkung der europäischen Ebene zurückzuführen sind. Fragen von Beschäftigung, sozialer Integration und Strukturiertheit sozialer Konflikte werden immer stärker durch den Europäisierungsprozess bestimmt. Die 57 Mit einem Europa der »variablen Geometrie« wird nun versucht, den Grad der Integration einzelner Nationalstaaten in die EU im Bedarfsfall zu variieren. In bestimmten Politikfeldern wie der Währungs-, Wirtschafts- oder Außenpolitik wird ein vollständig integriertes Europa angestrebt, während in anderen Politikfeldern, wie der Sozial-, Arbeitsmarkt- oder Innenpolitik eine Differenzierung und Flexibilisierung innerhalb Europas vertretbar erscheinen. <?page no="241"?> 242 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung finale Gestalt der EU ist nicht festgelegt, weder im Hinblick auf die institutionelle Architektur noch auf ihre Ausdehnung. Die künftige Entwicklung wird sehr davon abhängen, ob es gelingt, bei einer großen (und wachsenden) Zahl von Mitgliedsstaaten die Handlungsfähigkeit, Effizienz und Akzeptanz des politischen Systems der EU zu erhalten und zu erhöhen. Unterschiedliche Szenarien werden in diesem Zusammenhang diskutiert, beispielsweise das Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten mit einem Kerneuropa und weniger integrierten Mitgliedsstaaten. Auch im Hinblick auf die Erweiterung gibt es weitreichende Kontroversen über die prinzipielle Aufnahmefähigkeit der EU und die Spannung zwischen Vertiefung und Erweiterung, aber auch zu Fragen der sozialen, kulturellen und institutionellen Passfähigkeit weiterer Beitrittsanwärter, wie das Beispiel der Türkei zeigt (Gerhards 2005; Leggewie 2004). Schritte der EU-Integration 1950 Schuman-Erklärung: Plan für gemeinsame Behörde der Kohle- und Stahlproduktion Frankreichs und Deutschlands durch den französischen Außenminister Robert Schuman 1951 Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) 1958 Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch Deutschland, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Italien: Römische Verträge 1957 1962 Einführung einer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) 1967 Fusion der Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Gemeinschaft; Fusionsvertrag 1973 Norderweiterung: Die Länder Dänemark, Großbritannien und Irland treten bei 1979 Einrichtung des Europäischen Währungssystems (EWS) 1979 Wahl Europaparlament: Die erste Direktwahl des Europaparlaments findet statt 1981 Erste Süderweiterung: Griechenland tritt der EG bei 1986 Zweite Süderweiterung: Spanien und Portugal treten bei 1987 Einheitliche Europäische Akte (EEA), Bündelung der Römischen Verträge, schrittweise Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes 1990 Deutsche Wiedervereinigung, Erweiterung um die fünf neuen Bundesländer 1992 Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag), Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, seit 1993 »EU« statt »EG« 1995 Beitritt Schweden, Österreich, Finnland 1995 Inkrafttreten des Schengener Abkommens zum Abbau der Grenzkontrollen (1985 unterzeichnet) 1997 Vertrag von Amsterdam zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und innenpolitischen und justiziellen Zusammenarbeit, Einführung einer Sozialcharta 1998 Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB) 1999 Vertrag von Amsterdam: Grundlagen der Union nach der Einheitlichen Europäischen Akte und dem Vertrag von Maastricht ein weiteres Mal grundlegend verändert 2001 Unterzeichnung Vertrag von Nizza. Die Europäische Union wird in vier Kernbereichen auf die Erweiterung vorbereitet: Größe und Zusammensetzung der Kommission, Stimmengewichtung im Rat, Ausweitung der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit und Verstärkung der Zusammenarbeit 2002 Einführung des Euro (im bargeldlosen Verkehr schon 1999) 2004 Aufnahme zehn neuer Mitgliedsstaaten (ost- und mitteleuropäische Länder, Zypern und Malta) 2007 Erweiterung der EU um Rumänien und Bulgarien zur EU-27. Einigung auf Reformvertrag von Lissabon, der die Union demokratischer, effizienter und transparenter gestalten soll <?page no="242"?> 11.2 Institutioneller Integrationsmodus und Demokratiefähigkeit der EU 243 11.2 Institutioneller Integrationsmodus und Demokratiefähigkeit der EU Das europäische Projekt war über lange Zeit ein ökonomisches Zweckbündnis, von der ökonomischen zur politischen Integration welches von den politischen Funktionseliten primär über wirtschaftliche Effizienzkriterien legitimiert wurde (u. a. Bach 2000b; Immerfall 2000; Kielmansegg 1996; Lepsius 2000a, 2001; Merkel 1999; Münch 2000; Scharpf 1996). Der Prozess der europäischen Integration ist daher eher von einer Dominanz der »negativen Integration« durch die Herstellung und institutionelle Förderung des freien Binnenmarktes als von einer »positiven Integration« durch die Schaffung eines politischen Handlungs- und Gestaltungsrahmens geprägt (Münch 2000; Scharpf 1996). Im Kontext der negativen Integration verzichten die Mitgliedsstaaten zwar auf eine Reihe von Steuerungsinstrumenten, es wurden aber auf der EU-Ebene keine Handlungskompetenzen im vergleichbaren Umfang geschaffen, die es erlauben, den Markt einzuhegen und zu regulieren. Zwar finden wir gemeinschaftliche Politik in einer Reihe von relevanten Politikbereichen, aber die durch die Marktbildung hervorgerufenen Effekte von Deregulierung und Marktliberalisierung sind größer einzuschätzen als die Regulierungs- und Redistributionskompetenz der EU. Dennoch ist die Institutionenbildung auf der europäischen Ebene weit vorangeschritten. Längst hat sich die EU zu einer relevanten Bezugsebene für zahlreiche politische und gesellschaftliche Akteure entwickelt, und das nationalstaatliche Vergesellschaftungsmodell wird durch den Auf- und Ausbau europäischer Handlungskompetenz erheblich verändert. Aufgrund des hohen Grades der politischadministrativen Verflechtung zwischen supranationaler und nationaler Ebene sind die Rechtssysteme, Bürokratien und in zunehmendem Maße auch andere gesellschaftliche Systeme der Mitgliedsstaaten Teil eines europäischen Regimes (Bach 2000b; Lepsius 2000b). In zahlreichen politischen Regelungsbereichen wurden darüber hinaus konkurrierende Kompetenzen aufgebaut, mit der Folge, dass staatliche Regulierungen aufgebrochen, europäische Verwaltungs- und Expertennetzwerke etabliert sowie parallele Mittelaufbringungs- und -verteilungskanäle geschaffen wurden. Im Ganzen gesehen haben sich dadurch die Grundlagen der politischen Steuerung und des demokratischen Regierens in Europa tiefgreifend gewandelt (Bach 2000a: 13). Zu den zentralen Strukturmerkmalen des neuen europäischen Herrschaftsverbandes gehören die große Bedeutung des Rechts, die bürokratische Entscheidungsfindung und die defizitären demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürger. Entscheidungsfindung und Integration durch Recht Die Europäisierung ist zweifellos in den Bereichen am weitesten fortgeschritten, in Rolle des Rechts denen das europäische Recht Vorrang gegenüber dem nationalen Recht genießt. Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union müssen von den natio- <?page no="243"?> 244 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung nalen Behörden genauso angewendet werden wie nationale Gesetze; bei einem Widerspruch zwischen nationalem und europäischem Recht hat das europäische Recht sogar Vorrang. Viele Staatsrechtler sehen mittlerweile die nationalen Rechtsordnungen auf Teilordnungen des übergeordneten europäischen Rechtssystems reduziert. Die zentrale Bedeutung des Rechts kommt darin zum Ausdruck, dass die Europäische Union auf der Grundlage freier Vertragsschließung zwischen den souveränen Mitgliedsländern durch Rechtsakte konstituiert wurde. Darüber hinaus basiert auch die Legitimität und Durchsetzungsfähigkeit ihrer Beschlüsse auf der bindenden Verpflichtungskraft des europäischen Rechts. Dies zeigt sich in der faktischen Akzeptanz einer großen Bandbreite europäischer Rechtsakte in den Nationalstaaten, angefangen bei einheitlichen Umweltstandards bis hin zu rechtlich fixierten Wettbewerbskontrollen durch die Kommission. Hinzu kommt die in ihrer integrativen Bedeutung kaum zu überschätzende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Bach 2000a). Der Europäische Gerichtshof wird oft als »Motor der Integration« bezeichnet, weil er mit seiner Rechtsprechung offensiv gestalterisch in den Integrationsprozess eingegriffen hat. Die bürokratische Entscheidungsfindung ist ein weiteres wesentliches Merkinformelle Kompromisskultur mal des europäischen Integrationsmodus. Die Regierungsakteure, die im Wesentlichen die europäische Politik gestalten, bewegen sich in einem von öffentlicher und parlamentarischer Willensbildung weitgehend abgeschotteten Institutionenraum. Gemeinsam mit der Kommission, einer Behörde mit geringer demokratischer Legitimation, bestimmen untereinander vernetzte nationale und supranationale Experten- und Verwaltungsstäbe die Ziele und Instrumentarien der europäischen Politik. Zwar ist der Einfluss der Europäischen Kommission stark an den Mechanismus der Rechtsfindung und -setzung gebunden, aber als Hüterin der Verträge kann sie eine eigene politische Agenda setzen (Schmidt 2001). Die Rolle der Kommission wird oftmals als problematisch eingeschätzt, denn ihr alleiniges Initiativrecht entspricht nicht nationalen Gepflogenheiten, bei denen die aus Wahlen hervorgegangenen Organe (Parlament und/ oder Länderkammern) häufig Initiativrecht besitzen. Bei genauerer Betrachtung schwächt die bürokratisch-administrative Entschei- Komitologie dungsfindung die Rolle demokratischer Strukturen und Verfahren (Bach 2000a: 22): Entscheidungen kommen häufig durch informelle Aushandlungsprozesse zustande, und die Öffentlichkeit und das Parlament können diese Politikprozesse nicht wirkungsvoll kontrollieren. »Komitologie« wird das undurchschaubare Ausschusswesen genannt, das im Umfeld der EU-Organe errichtet worden ist. Auch ist die Gewaltenteilung nur unvollständig realisiert, und das Verhältnis von Legislative, Exekutive und Bürokratie wird nicht durch eine politische Öffentlichkeit und die parlamentarische Parteienkonkurrenz gebrochen. Auftretende Widersprüche und Interessengegensätze zwischen den beteiligten Regierungen und Organen werden in aller Regel in einer komplexen Substruktur von Gremien, Ausschüssen und Netzwerken zwischen den Mitgliedern des europäischen Funktionskartells zu einem Ausgleich gebracht. <?page no="244"?> 11.2 Institutioneller Integrationsmodus und Demokratiefähigkeit der EU 245 Die EU als Demokratie? Nicht von ungefähr ist ein Demokratiedefizit der EU diagnostiziert worden. Denn Asymmetrie von Macht und Legitimität das Verfügen über politische Macht und der Grad der demokratischen Legitimität in der Europäischen Union stehen in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander. Zwar können Bürger über verschiedene Kanäle, so die nationalen Wahlen und die Wahlen zum Europaparlament, die europäische Politik beeinflussen, aber bei den nationalen Wahlen stehen in der Regel innenpolitische und nicht europapo- Demokratiedefizit litische Probleme im Vordergrund. Das Europaparlament hat zwar Einfluss auf die Gestaltung konkreter Politiken, aber weniger wenn es um Fragen des Kompetenztransfers von der nationalen auf die europäische Ebene oder der Gestaltung des Europäisierungsprozesses selbst geht (Bach 2000a; Schäfer 2006). In der Europäischen Union ist aber nicht das Parlament, sondern der Ministerrat die Legislative, und dieser bezieht seine Legitimation über die auf nationaler Ebene gewählten Regierungsvertreter. Das ist aus demokratietheoretischer Sicht problematisch, besonders dann, wenn durch Mehrheitsentscheidungen direkte Hoheitsakte in Mitgliedsländern durchgesetzt werden, obgleich deren gewählte Vertreter diese abgelehnt haben. Die EU-Kommission besitzt als die Exekutive innerhalb der Europäischen Union eine beachtliche Gestaltungskompetenz, hat aber eine schwache Legitimationsbasis, da die Mitglieder nach einem ausgeklügelten Proporz durch nationale Regierungen bestimmt werden (Bach 2000c; Merkel 1999). Es gibt unterschiedliche Antworten auf dieses Problem. So wird vorgeschlagen, die gesellschaftlichen Voraussetzungen von Demokratie die demokratischen Verfahren innerhalb der EU aufzuwerten, zum Beispiel durch eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten. Oder die intergouvernementale Entscheidungsfindung solle zugunsten partizipativer Verfahren aufgegeben und die gesellschaftlichen Gruppen mehr an den EU-Entscheidungen beteiligt werden (Erikson/ Fossum 2004; Neyer 2005). Andere Autoren sehen die Demokratisierung und die Schaffung von mehr Mitbestimmungsformen aber nicht als Lösung an, da sie prinzipiell die »Demokratiefähigkeit« der EU in Frage stellen (Böckenförde 1999; Kielmansegg 1996). Nimmt man den normativen Anspruch demokratischen Regierens ernst, dann geht es nicht um formelle Beteiligungsrechte, sondersn um die gleichberechtigte Beteiligung aller Bürger an Willensbildungsprozessen und Entscheidungen. Die Weiterentwicklung der demokratischen Beteiligung, so die kritischen Stimmen, sei kein aussichtsreicher Weg, weil Europa die gesellschaftliche Infrastruktur der Demokratie fehle. Darunter wird das Vorhandensein einer auf Geschichte, Sprache, Erfahrung oder Kultur beruhenden politischen Gemeinschaft verstanden, welche durch ein gewisses Maß an Homogenität, Zusammenhalt und Identität geprägt ist. Weiterhin fehle eine europäische Öffentlichkeit, in welcher die demokratische Willensbildung und das Austragen der besten Argumente überhaupt stattfinden können. Entscheidend sind hier das Fehlen europäischer Medien, das Zerfallen Europas in nationale Teilöffentlichkeiten, Fragen des kontunierlichen Austausches von Informationen und Meinungen und schließlich die Sprachenvielfalt in Europa (zur Diskussion Eder 2000; Gerhards 2000; Trenz 2002). Schließlich müsse auch ein bestimmtes Maß an sozioökonomischer Gleich- <?page no="245"?> 246 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung heit existieren, denn starke Ungleichheiten bedingen ungleiche materielle und kognitive Fähigkeiten der Individuen und stünden daher gleichen Partizipationschancen entgegen (siehe Hurrelmann 2005). 11.3 Soziale Integrationsleistungen der EU Definition Kohäsion meint den sozialen Zusammenhalt von unterschiedlichen Einheiten. In der EU bezieht sich der Begriff vor allem auf territoriale Solidarität im Rahmen der EU- Kohäsionspolitik. Die EU-Kohäsionspolitik hat die Aufgabe, die regionalen Disparitäten sowie die sozioökonomische Rückständigkeit der am wenigsten entwickelten Regionen langfristig zu verringern (Konvergenz) und damit den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt innerhalb Europas nachhaltig zu stärken. Methodische Hinweise Eine speziell auf Europa bzw. auf die Europäische Union zugeschnittene Regionalstatistik erhebt Eurostat mit der sogenannten NUTS-Systematik (Nomenclature des unités territoriales statistiques). Die NUTS-Systematik teilt das europäische Territorium und die Mitgliedsstaaten nach Bevölkerungsgröße oder anhand bestehender Verwaltungsstrukturen in drei hierarchisch gegliederte Ebenen ein. Die NUTS-1-Ebene ist die höchste Aggregationsebene und bildet Gebiete von größeren EU-Mitgliedsländern mit drei bis sieben Millionen Einwohnern ab. Die nächstkleinere Ebene, die NUTS-2-Ebene, besteht in der Regel aus Untereinheiten der NUTS-1-Ebene mit bis zu drei Millionen Einwohnern. Schließlich gibt es noch die NUTS-3-Ebene, die Ebene der Städte und Bezirke. Die territorialen Einheiten spielen eine große Rolle im Kontext der EU-Regionalpolitik. Die soziale Dimension Von Jacques Delors stammt der Hinweis, Menschen könnten einen Binnenmarkt nicht lieben. Um dennoch die Zustimmung der Bürger zum Integrationsprojekt zu gewinnen, so sein Plädoyer, benötige Europa eine Stärkung der sozialen Dimension. Mit der sozialen Dimension sind in der Regel regulative und redistributive Politiken des sozialen Ausgleichs gemeint. Auch für wissenschaftliche Beobachter ist »eine politische Gemeinschaftsbildung ohne Verringerung des riesigen regionalen Gefälles in den Lebenschancen der Bevölkerung und ohne Entwicklung gemeinsamer Staatsbürgerrechte kaum vorstellbar« (Flora 1993: 756). Vor allem der verstärkte Wettbewerbs- und Deregulierungsdruck haben dazu geführt, dass es größeren Bedarf an Absicherung und sozialem Ausgleich gibt, der durch die nationalstaatlichen Systeme nicht mehr hinreichend gedeckt werden kann (Taylor-Gooby 2004). Zugleich sorgt die einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik innerhalb der Europäischen Union dafür, dass die Mitgliedsstaaten immer weni- <?page no="246"?> 11.3 Soziale Integrationsleistungen der EU 247 ger Spielräume für umverteilende Maßnahmen haben. Um diesem Mangel zu begegnen, und um das Hauptziel der europäischen Integration, nämlich die Schaffung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung, zu erreichen, hat sich die Europäische Union die Weiterentwicklung der sozialen Dimension Europas auf die Fahnen geschrieben (Europäische Kommission 1994). Im sozialpolitischen Ansatz der EU ist die Förderung von Beschäftigung, Wachs- Arbeitsmarktintegration als Motor tum und Innovation zentral (Kleinman 2001). Zahlreiche sozialpolitische Vorstöße, so die Eingliederung von EU-Ausländern in die nationalen Sicherungssysteme, die Beseitigung von Diskriminierung oder die Schaffung einheitlicher Standards in den Bereichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, unterliegen dem Bestreben der Schaffung eines einheitlichen Arbeitsmarkts inklusive Arbeitnehmermobilität. Dadurch soll die nationalstaatliche Abgeschlossenheit von Arbeitsmärkten aufgehoben werden. Die Zentralität der wirtschaftlichen Integration innerhalb des europäischen Einigungsprozesses hat dazu geführt, dass Sozialpolitik quasi zum Anhängsel der Wirtschaftspolitik geworden ist. Für die erste Phase der Integration war kennzeichnend, dass Regelungen vor allem für Arbeitnehmer getroffen wurden (z. B. im Hinblick auf Entlohnung, Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit). Erst nach und nach wurden diese auf die EU-Bürger ausgeweitet (Schulte 2004). Mit einer Reihe von Rechtsakten hat der Rat für gleichen Zugang zu den Sozialversicherungen und für die grenzüberschreitende Übertragbarkeit von erworbenen Ansprüchen gesorgt (Falkner 1998; Geyer 2000; Leibfried/ Pierson 1998). Das geschah vor allem in den Bereichen, in welchen nationale Sozialpolitik den vier Grundfreiheiten des Marktes entgegenstand. Die sozialpolitischen Initiativen der EU konzentrieren sich weiterhin auf den Bereich der Beschäftigungspolitik. Dabei geht es nicht darum, Beschäftigungswachstum durch makroökonomische Koordinierung zu erreichen, sondern vor allem darum, die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer (employability) zu erhöhen. Die Beschäftigungsstrategie umfasst konkret den Übergang von passiven zu aktiven Maßnahmen, Qualifizierung und die Arbeitsmarktintegration von älteren Arbeitnehmern, Frauen und Jugendlichen (Abb. 9 sowie Heidenreich 2006a). Trotz dieser Schritte ist an eine umfassende wohlfahrtspolitische Gestaltungs- Prinzip der Subsidiarität kompetenz der EU nicht zu denken. Im Maastricht-Vertrag wurde das Subsidiaritätsprinzip verankert, nach dem Sozialpolitik in erster Linie Angelegenheit der Mitgliedsstaaten ist. Nur wenn diese nicht in der Lage sind, ihre sozialpolitischen Aufgaben zu erfüllen, kann die Gemeinschaft aktiv werden. Zudem sind die Entscheidungsregeln der Gemeinschaft im Bereich der Sozialpolitik so angelegt, dass die Vielfalt der einzelstaatlichen Lösungen weitgehend gewahrt und anerkannt wird. Dementsprechend hat Europa bisher keine wohlfahrtsstaatlichen Politiken nach nationalem Vorbild entwickelt, die Lebens- und Risikolagen finanziell absichern und kompensieren. Es gibt einen großen Unterschied zwischen »Größe und Ausmaß nationaler Sozialpolitik und der bescheidenen Rolle (traditioneller) Sozialprogramme im Prozess der europäischen Integration« (Majone 1996: 233). Wohl gibt es Ansätze für eine größere Abstimmung einzelstaatlicher Politiken, aber <?page no="247"?> 248 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung Abb. 9 | Nationale und europäische Formen sozialer Sicherung Nationale Sozial- und Beschäftigungspolitiken Europäische Sozial- und Beschäftigungspolitiken Gleichheitsnormen Ergebnisgleichheit Chancengleichheit Solidarität umfassend (mechanische Solidarität) begrenzt (organische Solidarität) Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft tendenzielle Allzuständigkeit der Politik; wurde ermöglicht durch Kongruenz von Regulierungsbedarf und nationalstaatlichen Regulierungsmöglichkeiten Zentrale politische Ebene der souveräne Nationalstaat, der die Sozial- und Beschäftigungsordnungen auf seinem Territorium weitgehend autonom gestalten kann der Staat im Geflecht regionaler und europäischer Regulationsstrukturen und globaler Interdependenzen Koordinierung nationaler Ordnungen Zentrale Aufgabe der Politik bei der Reduzierung von Ungleichheiten Lösung sozialer Probleme - in der Regel durch Umverteilung Bereitstellung kollektiver Wettbewerbsgüter, um die Beschäftigungsfähigkeit der Einwohner und die Leistungsfähigkeit regionaler und nationaler Innovationssysteme zu erhöhen Æ politische Sicherstellung der Voraussetzungen für marktkonforme Lösungen sozialer Probleme (etwa durch Abbau von Diskriminierungen) Quelle: Heidenreich (2006b: 44). die wichtigsten Transfersysteme zur Sicherung von Standardrisiken werden nach wie vor durch die Nationalstaaten getragen und organisiert. Die Anstrengungen der Europäischen Union zielen aber auch nicht auf eine Vereinheitlichung der nationalen Systeme. Dafür sind die institutionellen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten zu groß, und es fehlt der politische Wille für eine Angleichung. Vielmehr stehen Formen der Koordination im Vordergrund, die helfen sollen, die sich auf der Ebene der Marktintegration ergebenden Probleme effektiv zu lösen. Dementsprechend wird häufig hervorgehoben, dass Europa sich anstelle eines redistributiven auf einen sozialregulativen Ansatz beschränken müsse, der ohne ein nennenswertes haushaltliches Budget auskommt (Majone 1996). Einige Autoren gehen aber davon aus, dass die Bedeutung der sozialen Dimension als Folge der vertieften wirtschaftlichen Integration zunehmen wird. Danach ist es wahrscheinlich, dass insbesondere die Schaffung eines europäischen Arbeitsmarktes weiteren Druck auf die sozialpolitische Agenda der EU ausübt (Leibfried 1996; Leibfried/ Pierson 1998). Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass sich im Prozess der Europäisierung eine grundlegende Schwächung der Souveränität natio- Souveränitätsverlust nationaler Wohlfahrtsstaaten naler Wohlfahrtsstaaten ergäbe, weil es immer weniger möglich werde, die sozialstaatlichen Leistungen den eigenen Bürgern exklusiv zu gewähren, den Status der Leistungsempfänger vollständig nationalstaatlich zu regeln und das Anbieten von entsprechenden Dienstleistungen durch ausländische Anbieter zu unterbinden. Freizügigkeit von Arbeitnehmern und die Dienstleistungsfreiheit bedeuten, dass der Ausschluss bzw. eine Diskriminierung von EU-Ausländern nicht mehr möglich sind (Ferrera 2003; Leibfried/ Pierson 1998). Da sich Marktbildung und Sozialpolitik aufgrund starker Verflechtungen wechselseitig bedingen, wächst der Druck auf Europa, sozialpolitisch stärker zu intervenieren. <?page no="248"?> 11.3 Soziale Integrationsleistungen der EU 249 | Schaubild 30 Neukonfiguration der Grenzen des sozialen Ausgleichs Zusätzliche freiwillige Programme Territoriale Dimension Mitgliedschaftsdimension b B C: Private Versicherungen Sozialhilfe Pflichtversicherungen d D A Eintritt Austritt E F Subnationaler Raum Nationaler Raum EU-Raum Raum außerhalb der EU Quelle: Ferrera (2003: 641). Die sich daraus ergebende neuartige Verschränkung von Mitgliedschaft und Terri- Mitgliedschaftsräume torialität hat Ferrera (2003; 2005) untersucht (vgl. Schaubild 30). Er unterscheidet unterschiedliche territoriale Räume der Kollektivierung von Risiken: den subnationalen Raum, den nationalen Raum, den EU-Raum und den Raum außerhalb der EU. Auf der Mitgliedschaftsdimension unterscheidet er zwischen Sicherungssystemen auf den Ebenen Sozialhilfe, gesetzliche Pflichtversicherungen, zusätzliche und freiwillige Versicherungsprogramme und private Versicherungen. Schaubild 30 zeigt, dass zwischen diesen Räumen unterschiedliche Durchgänge vorhanden sind. Im Unterschied zum Container-Nationalstaat, in dem soziale Versorgung exklusiv für die eigenen Staatsbürger vorgenommen wurde und wenig Möglichkeiten der Mobilität bestanden, ergibt sich nun eine grundsätzliche Öffnung zu anderen EU-Mitgliedsstaaten (E). Dies gilt vor allem im Bereich der Versicherungsleistungen (A, B und C). Wir sehen an den gestrichelten Linien, dass die oberen Säulen der sozialen Sicherung für andere EU-Bürger relativ leicht zugänglich sind. Zu Sozialhilfeleistungen (D) gibt es keinen direkten Zugang. Da diese in der Regel durch Steuern finanziert sind und nicht durch Beiträge zu den Sozialversicherungen, gibt es entsprechende Vorbehalte gegenüber der Öffnung des Zugangs. Insbesondere bei diesen Leistungen wird die Gefahr eines »Wohlfahrtstourismus« gesehen. Für Fürsorgeleistungen wie Sozialhilfe ist der Zugang allerdings nach bestimmten (Mindest-)Aufenthaltszeiten möglich, so dass der Zugang gewissermaßen »von oben« erfolgen kann. <?page no="249"?> 250 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung Methode der offenen Koordinierung und Regionalpolitik Seit der Tagung des Europäischen Rats 2000 in Lissabon hat sich die Europäische Union mit der offenen Methode der Koordinierung einem neuen Ansatz der Poliweiche Steuerung tikabstimmung verschrieben, der auch im Bereich der Sozialpolitik wirksam wird. Dieser entspricht einerseits dem Grundsatz der Subsidiarität, andererseits stellt er ein Instrument zur Harmonisierung unterschiedlicher Sozialsysteme dar. Die offene Methode der Koordinierung sieht vor, dass durch die sanften Wirkungen von Empfehlungen, Unterrichtung und Expertise eine wechselseitige Beeinflussung und Anpassung der einzelstaatlichen Systeme erreicht wird. Dies ist kein zentralistischer Sozialpolitikansatz, sondern eine Herangehensweise, die die Eigenständigkeit unterschiedlicher nationaler Einheiten respektiert. Die Politik bleibt dabei in großem Maße einzelstaatlich. Es soll aber auf Initiative der Mitgliedsländer oder der Kommission in bestimmten Bereichen zu gemeinsamen Zielbestimmungen kommen. Dabei vereinbaren Rat und Kommission gemeinsame Leitlinien und Ziele sowie Zeitpläne zur Erreichung der Ziele. Ausgehend von diesen Zielen erarbeitet jeder Mitgliedsstaat einen nationalen Aktionsplan. Die Beobachtung der Fortschritte anhand von EU-weiten Indikatoren erlaubt einen Vergleich der nationalen Strategien. Die Methode ermöglicht gemeinsame Zielsetzungen auf europäischer Ebene, erkennt aber an, dass deren Umsetzung auf der nationalen und der regionalen Ebene erfolgt. Durch ein umfassendes Berichtswesen, den Austausch von Fachwissen und Informationen soll den Mitgliedsstaaten ermöglicht werden, sich an den »best practices« zu orientieren. Offene Koordinierung strebt an, eine größere Kohärenz der Sozialpolitik durch die freiwillige Übernahme bewährter Praktiken zu fördern. Nicht alle Politikprogramme der EU setzen ausschließlich auf Regulierung. So wurde schon im Jahr 1974 ein Fonds zur gezielten Unterstützung der nationalen Regionalpolitik der Mitgliedsländer etabliert, der Europäische Fonds für Regiodie europäische Strukturpolitik und soziale Kohäsion nalentwicklung (EFRE). Dieser wurde im Laufe der Zeit durch weitere Fonds zur gezielten wirtschaftspolitischen Struktur- und Regionalförderung ergänzt (Leonardi 1995). Im Jahr 1989 wurde die europäische »Kohäsionspolitik«, wie die gemeinsamen Anstrengungen im Bereich Struktur- und Regionalförderung auf EU-Ebene üblicherweise genannt werden, schließlich offiziell eingeführt (Leonardi 2005). Die EU-Kohäsionspolitik hat die Aufgabe, die regionalen Disparitäten sowie die sozioökonomische Rückständigkeit der am wenigsten entwickelten Regionen langfristig zu verringern und damit den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt innerhalb Europas nachhaltig zu stärken. Die Kohäsionspolitik stellt eine eigenständige Umverteilungspolitik dar, die zwar vom Umfang und Mitteleinsatz weit von den nationalen Umverteilungspolitiken entfernt ist, aber für die Empfängerländer und -regionen deutliche sozioökonomische Besserstellungen bedeuten kann. Durch die Hilfen im Rahmen der Struktur- und Kohäsionsfonds soll innerhalb der EU größere Konvergenz hergestellt und den massiven Ungleichgewichten im wirtschaftlichen Wachstum, bei der Beschäftigung und dem Einkommen zwischen den Mitgliedsländern und den <?page no="250"?> 11.3 Soziale Integrationsleistungen der EU 251 Regionen entgegengewirkt werden (vgl. Mau 2004). Hierbei handelt es sich um finanzielle Zuwendungen, die beispielsweise für Investitionen im Infrastrukturbereich und für die Förderung des Humankapitals eingesetzt werden können. Die Förderinstrumente der Strukturfonds sind darauf gerichtet, durch Infrastrukturinvestitionen die Unterschiede im sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsstand zu verringern. Dass sich die Europäische Kommission durch gezielte Geldleistungen für den Ausgleich zwischen Regionen stark macht, lässt sich auf die sozialen Kosten der Integration zurückführen: Denn Integration kann für strukturschwache Gebiete zur Folge haben, dass sie größerem Druck ausgesetzt werden und in der Folge in eine soziale Abwärtsbewegung geraten. Mit der Zeit ist die Kohäsionspolitik der Europäischen Union immer weiter ausinvestiver Ansatz gebaut worden. Der Anteil der Strukturfonds stieg von 1988 bis 1999 deutlich von knapp 20 auf über 35 % der EU-Gesamtausgaben. Während im Zeitraum 1993 bis 1999 insgesamt etwa 170 Milliarden für strukturpolitische Maßnahmen (einschließlich Kohäsionsfonds) ausgegeben wurden, beläuft sich der entsprechende Mittelansatz für die Periode 2000 bis 2006 auf über 210 Milliarden Euro (jeweils in Preisen von 1999). Rund 308 Milliarden Euro sind für die Finanzperiode 2007 bis 2013 veranschlagt (siehe Schaubild 31). Davon werden 81,5 % für das Ziel »Konvergenz«, 16,0 % für das Ziel »Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung« und 2,5 % für das Ziel »Europäische territoriale Zusammenarbeit« verwendet. Zwei Drittel der Aufwendungen der Strukturfonds werden an Regionen mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von weniger als 75 % des EU-Durchschnitts vergeben. Im dritten Kohäsionsbericht der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2004 wurde die Kohäsionspolitik neben dem Binnenmarktprojekt und der Währungsunion als eine von drei zentralen Säulen eines einheitlichen politischen und wirtschaftlichen Raums in Europa hervorgehoben. Mit Beginn der vierten Programmplanungsperiode von 2007 bis 2013 ist die Kohäsionspolitik noch einmal gestärkt und weiter ausgebaut worden: zum einen, weil die Zahl der Länder und Regionen mit Entwicklungsunterschieden zum EU-Durchschnitt mit der Osterweiterung deutlich zugenommen hat, zum anderen, weil die Kohäsionspolitik im Rahmen der Lissabon-Strategie eine zentrale Rolle beim Ausbau wissensbasierter Ökonomien und bei der Förderung von Wachstum und Beschäftigung in Europa spielen soll (European Commission 2005a). Der Kohäsionsfonds wird ausschließlich an die ärmsten Mitgliedsstaaten ausgeschüttet. Seit der Osterweiterung sind das vor allem die neuen Mitgliedsländer in Mittel- und Osteuropa; außer Griechenland und Portugal gehören derzeit keine Förderung schwacher Regionen weiteren alten EU-15-Mitglieder zur Gruppe der »Kohäsionsländer«. Eine gezielte Unterstützung aus den Mitteln der Strukturfonds erhalten Regionen (NUTS-2), deren Bruttosozialprodukt niedriger als 75 % des EU-Durchschnitts ist. Für alle übrigen NUTS-2-Regionen ist im Zeitraum 2007 bis 2013 ebenfalls eine finanzielle Unterstützung aus den Strukturfonds zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung im Rahmen der Lissabon-Agenda vorgesehen. Weiterhin erhalten auch die meisten Grenzregionen auf NUTS-3-Ebene finanzielle Mittel zur <?page no="251"?> 252 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung Schaubild 31 | Verteilung der Finanzmittel der EU-Kohäsionspolitik Quelle: Europäische Kommission (2007a); eigene Darstellung. Förderung grenzüberschreitender Zusammenarbeit - und zwar auf beiden Seiten Solidarität der Grenze, also auch über das eigentliche Territorium der Europäischen Union hinaus. Auf diese Weise erhalten alle Länder und Regionen der Europäischen Union irgendeine Form von finanzieller Unterstützung durch die Struktur- und Kohäsionsfonds. Der Großteil der Förderung, und zwar mehr als drei Viertel aller Fördermittel, wird in den kommenden Jahren jedoch in die ärmsten Länder und Regionen der EU fließen (vgl. Europäische Kommission 2007a). Es ist in diesem Zusammenhang wichtig anzumerken, dass die europäische Kohäsionspolitik auf einem gewissen Maß an Solidarität zwischen den EU- Mitgliedsländern aufbaut. Denn ohne die Bereitschaft der EU-Mitgliedsländer zur Zusammenarbeit würde es einen solchen territorialen Umverteilungsmechanisterritoriale Solidarität mus kaum geben. Die Struktur- und Kohäsionsfonds machen die reicheren europäischen Länder zu Nettozahlern und die ärmeren zu Nettoempfängern. Die Finanzierung dieser Aufgaben erfolgt durch die Beiträge zum Haushalt der EU, die in Abhängigkeit vom nationalen Bruttosozialprodukt bemessen werden. Damit tragen die wirtschaftlich stärksten EU-Länder die größte Last bei der Finanzierung dieser kollektiven Ausgaben. Doch anders als im nationalstaatlichen Rahmen, wo die Maßnahmen territorialer und interpersonaler Umverteilung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Staatsvolk viel eher mit einer Art Binnensolidarität rechnen können, ist die Legitimation von Umverteilungen zwischen Nationen ungleich schwerer. Zwar hat die EU die Struktur- und Regionalpolitik aus nachvollziehbaren politischen Gründen ausgebaut, aber der Einsatz redistributiver Instrumentarien im europäischen Territorialgefüge ist in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig. Dies war insbesondere im Zuge der Osterweiterung vor allem bei der Verhandlung des neuen EU-Finanzrahmens zu beobachten. <?page no="252"?> 11.3 Soziale Integrationsleistungen der EU 253 Bleibt die Frage nach den bisherigen Effekten der Kohäsionspolitik. Dabei sollte Effekte der Kohäsionspolitik zunächst betont werden, dass es schwer ist, genau zu bestimmen, ob die Kohäsionspolitik in den vergangenen zwei Jahrzehnten zum Abbau von Entwicklungsunterschieden beigetragen hat. Es gibt nur wenige Studien, die den Effekt der Kohäsionspolitik in Abgrenzung zu anderen Einflussfaktoren und Entwicklungen herauszufiltern versuchen (Armstrong 1995; Armstrong/ Taylor 2000; Leonardi 2005; Sala-i-Martin 1996). Selbst die EU-Kommission bleibt bei ihrer Einschätzung der Entwicklung in ihren Kohäsionsberichten zurückhaltend. Sie betont einerseits die großen Erfolge und Fortschritte der Kohäsionspolitik auch über das Konvergenzziel hinaus, weist zugleich aber immer auch auf die noch zu bewältigenden Herausforderungen hin, die sich durch die Erweiterungen immer mehr potenziert haben (vgl. Europäische Kommission 2004b, 2007d). Leonardi (2005; 2006), der insgesamt zu einer positiven Einschätzung der Kohäsionspolitik neigt, zeigt, dass sich eine Konvergenz zwischen den Ländern und Regionen der EU bisher nur sehr schwach und langsam herausgebildet hat. Bemerkenswert für ihn ist allerdings vor allem die Entwicklung in den ärmsten Regionen der EU seit Einführung der Kohäsionspolitik: Von den ursprünglich 59 sogenannten Ziel-1-Regionen im Jahr 1988, also Regionen mit weniger als 75 % des durchschnittlichen EU- Bruttoinlandsprodukts pro Kopf, seien etwa ein Drittel über diese Schwelle geklettert. Herausragende Beispiele sind Länder wie Irland und Spanien, aber auch einige Regionen in Schottland und Griechenland. Im Gegensatz dazu bleibt die Situation vor allem im italienischen Mezzogiorno, in vielen Gebieten Ostdeutschlands und in den Überseegebieten Frankreichs trotz EU-Förderung weiterhin angespannt. Im Hinblick auf die neuen EU-Mitgliedsländer in Mittel- und Osteuropa wird es in den kommenden Jahren interessant zu beobachten sein, wie sich die EU-Struktur- und Regionalpolitik auf die sozioökonomische und die territoriale Entwicklung insgesamt auswirken wird. Die langfristige Rolle der EU als sozialpolitischer Akteur ist umstritten. So gilt die umstrittene Rolle der EU als sozialpolitischer Akteur zwar einerseits, dass der Ausbau der sozialen Dimension Europas Prozesse der wirtschaftlichen Liberalisierung sozial abfedern und für eine größere Legitimation der politischen Entscheidungen und Institutionen sorgen kann. Denn soziale Rechte, so ist zumindest im historischen Rückblick auf die nationalstaatlichen Entwicklungspfade erkennbar, steigern die Stabilität und Legitimität des jeweiligen politischen Systems (Leibfried 1996). Allerdings kann auch der Erfolg nationalstaatlich institutionalisierter Solidarität als Hindernis für die Ausweitung von Solidaritätsverpflichtungen angesehen werden (Offe 1998; Scharpf 1999). Sowohl die nationalen Regierungen als auch die Bevölkerungen mögen geneigt sein, den nationalen Wohlfahrtsstaat in der Pflicht zu belassen und dessen Schutzfunktion gegen die Unsicherheiten des Marktes nicht zugunsten europäischer Lösungen aufzugeben. Auch was die »Nachfrageseite« solidarischer Hilfe angeht, ergeben sich grundlegende Probleme: Ein Europa, das zu viel Redistributionskraft an sich zieht, steht in der Gefahr, einer Selbstüberforderung Vorschub zu leisten, weil es erhebliche Anspruchserhöhungen auslösen würde, diese aber nicht angemessen <?page no="253"?> 254 11 Institutionelle und politische Aspekte der Europäisierung beantworten könnte (Lepsius 2000b: 210). Es scheint so zu sein, dass die EU vor allem in jenen Bereichen aktiv wird, wo nationalstaatliche Regelungen nicht oder nicht mehr ausreichend greifen. Zugleich beobachten wir eine größere Bedeutung territorial orientierter Politik, welche auf die spezifische Dynamik regionaler Disparitäten reagiert. Aus sozialstruktureller Perspektive hat das zur Folge, dass es zu einer Aufladung der territorial-horizontalen Dimension sozialer Ungleichheit kommt und Verteilungskonflikte sich verstärkt zwischen den Regionen ergeben. <?page no="254"?> 12 Europäische Ungleichheitsdynamik In dem vorangegangenen Kapitel haben wir dargestellt, wie sich das Projekt »europäische Integration« in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. In der sozialwissenschaftlichen Forschung ist dieser Prozess vor allem aus der Perspektive der vertikalen Europäisierung analysiert worden. Dabei geht es um die Verlagerung politischer Entscheidungskompetenz nach oben (Beck/ Grande 2004). Nachfolgend soll die Frage diskutiert werden, welche Rückwirkungen dadurch auf die nationale Ebene ausgelöst werden, und ob im Prozess der Europäisierung neue Formen der sozialen Strukturierung entstehen. Es wurde schon betont, dass sich im Zeitalter der Nationalstaaten eine spezifische Form der gesellschaftlichen Segmentierung herausgebildet hat: das Modell der auf territorialer und sozialer Schließung beruhenden Deckungsgleichheit von sozialer und politischer Integration. Dieses Modell ist mit der Europäisierung grundlegenden Veränderungen unterworfen, weil die nationalen Gesellschaften vom Prozess der Supranationalisierung erfasst und ihre wirtschaftlichen und sozialen Strukturen zunehmend von Europa beeinflusst werden. Daher ist anzunehmen, dass der Europäisierungsprozess eine neuartige Ungleichheitsdynamik auslöst - mit neuen Gruppen von Verlierern und Gewinnern, neuen strukturellen Konfliktlinien und auch neuen Zurechnungsebenen sozialer Ungleichheit. 12.1 Neue Gruppen: Gewinner und Verlierer In der Europaforschung wird angenommen, dass sich die Europäische Union mittelfristig nicht nur als politischer und wirtschaftlicher, sondern auch als sozialer Raum konstituiert: Damit müsste die Europäisierung auch im Hinblick auf die Entstehung neuer sozialer Gruppen und die Formierung von spezifischen Lebenslagen und Interessen wirksam werden. In der Abbildung 10 sind einige dieser neuartigen Formen sozialer Strukturierung zusammengefasst. Auf der einen Seite können wir die Entstehung einer europäischen Expertenklasse und eines europäisierten Milieus, transnational agierender Gruppen und europäischer Transfergruppen beobachten. Auf der anderen Seite übt die Europäisierung Druck auf die Regulierungs- und Redistributionskraft nationalstaatlicher Systeme aus, treibt die Vermarktlichung von Lebenslagen voran und verändert die Strukturmuster innerstaatlicher Ungleichheit. Aus der ersten Perspektive geht es unmittelbar um die Formierung neuer Gruppen mit direktem Europabezug, aus der zweiten um die direkten und indirekten Folgeeffekte der Europäisierung im Hinblick auf soziale Lagen und Lebenschancen. <?page no="255"?> 256 12 Europäische Ungleichheitsdynamik Abb. 10 | Stratifikation durch Europäisierung Herausbildung neuer Gruppen Beispiele EU-Eliten und europäisierte Milieus EU-Bürokratie, Lobby- und Interessengruppen, Erasmus- Studenten Transnationale Eliten, Transmigranten mobile Gruppen mit hohem Humankapital und transnationalem Habitus; europäische Arbeitsmigranten (u. a. Pendelmigration und zirkuläre Migration), Ruhestandsmigration (vgl. Abschnitt 13.3) Europäische Transfergruppen strukturschwache Regionen, Landwirtschafts- und Fischereibetriebe als Begünstigte von EU-Transfers Effekte auf Soziallagen und Lebensbedingungen Vermarktlichung sozialer Lagen Druck auf alte Industrien, nicht wettbewerbsfähige Branchen und Regionen sowie schwächere Marktteilnehmer (z. B. Geringqualifizierte) Verräu mlichung sozialer Ungleichheit regionale Disparitäten und neue Zentrum-Peripherie- Strukturen (vgl. Abschnitt 12.3) n e t i e r h c s r e b ü z n e r g , g n u r h ä W e m a s n i e m e g , t i e k g i g ü z i e r F e t k e f f E e s u f f i D der Konsum Das Europa der Eliten In einer Vielzahl von europasoziologischen Arbeiten wird hervorgehoben, dass Europa eine Polarisierung zwischen den Eliten und den »einfachen Bürgern« hervorbringe (Haller 2008). So schreibt Richard Münch (2001: 294): »Europa ist eine Sache der Führungseliten, die Nation eine Sache der gefährdeten, an den Rand gedrängten Schichten.« Diese Diagnose geht auf die Beobachtung zurück, dass das »Projekt Europa« von Anfang an ein Elitenprojekt war, getragen von Europaidealisten und politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern. Mit der Etablierung der EU-Institutionen und Entscheidungsgremien hat die EU zudem der Formierung neuer administrativer und bürokratischer Eliten Vorschub geleistet. Brüssel als Sitz der Europäischen Kommission und Straßburg als Sitz des Europaparlaments sind heute Arbeits- und Lebensorte einer wachsenden Zahl von Menschen, die in europäischen oder europäisierten Bürokratien arbeiten. Maurizio Bach (1999) hat in seiner Studie zu Verwaltungseliten in der Europäischen Union zeigen können, wie die Bürokratisierung Europas vonstatten geht und wie sich in Europa ein eigenständiger Verwaltungsapparat mit entsprechendem Personal herausgebildet hat. Es gibt zwar nur 25.000 EU-Beamte, aber eine um ein Vielfaches größere Gruppe, welche im Umkreis der EU-Behörden Tätigkeiten mit genuinem Europabezug ausübt. Mit dem Wachstum der EU ist auch eine Reihe von EU- Agenturen gegründet worden, die in den einzelnen Mitgliedsstaaten angesiedelt sind und sich mit speziellen Fragen wie der Flugsicherheit, Drogensucht oder der Gleichstellung von Mann und Frau beschäftigen. Neben den europäischen Funktionseliten hat sich im Kontext der europäischen europäische Interessenorganisation: Kapital und Arbeit Institutionenbildung eine Vielzahl neuer politischer Interessen- und Lobbygruppen in Brüssel etabliert (Bouwen 2002; Lahusen 2005; Lahusen/ Jauß 2001; Michalowitz 2007). Diese versuchen, auf die europäische Politik Einfluss zu nehmen. Solche Interessengruppen reichen heute von Vertretungen wirtschaftlicher Verbände (siehe Nollert 2000), so der Unternehmen der Telekommunikation, des Automobil- <?page no="256"?> 12.1 Neue Gruppen: Gewinner und Verlierer 257 baus oder der Tabakindustrie, bis hin zu gewerkschaftlichen Interessenvertretungen wie der European Trade Union Confederation (ETUC), die 60 Millionen Arbeitnehmer aus 36 Ländern und 81 Einzelgewerkschaften vertritt. Zwar bestehen immer noch erhebliche Schwierigkeiten, unterschiedliche nationale Interessen europäisch zu organisieren, aber inzwischen gibt es auch hier recht weitreichende Bemühungen der Koordination oder sogar des Zusammenschlusses. Europa stellt aber auch Gelegenheitsstrukturen für neue soziale Akteure bereit, neue soziale Bewegungen so z. B. neue soziale Bewegungen, denen die europäische Arena Möglichkeiten bietet, welche sie auf der nationalen Ebene nicht haben (Imig/ Tarrow 2000). Da die Formalstrukturen demokratischer Partizipation auf der europäischen Ebene noch nicht vollständig ausgebildet sind, ergeben sich neue Zugänge zu politischen Entscheidungen und Prozessen der Meinungsbildung. Für neue soziale Bewegungen, die jenseits etablierter politischer Strukturen entstehen und durch ihr spezifisches und unkonventionelles Aktionsrepertoire erweiterte Partizipationsformen einfordern, ist Brüssel insofern interessant, als dass die EU-Politik stark durch die Arbeit in Kommissionen geprägt ist, die die Einbeziehung auch von Akteuren ohne formales Mandat ermöglicht. Interessanterweise finden sich auf der EU-Ebene relativ wenige unkonventionelle Protestformen der sozialen Bewegungen, während intensives Lobbying recht verbreitet ist (Rucht 2001). Das deutet darauf hin, dass die Gelegenheitsstrukturen der europäischen Institutionen recht breite Möglichkeiten für Partizipation bieten und es keinen so großen Druck gibt, über unkonventionelles Protesthandeln politisch an Einfluss zu gewinnen (Marks/ McAdam 1999). Europäisierte Gruppen und Milieus Jenseits der Gruppe derer, die direkt mit dem EU-Integrationsprozess zu tun ein entstehendes Europamilieu? haben, gibt es heute ein wachsendes Milieu mit europazentrierten Karriere- und Lebenswegen (Vobruba 2008: 38) (vgl. Abb. 10, Zeile 3). Dies sind Funktionseliten, Unternehmer, Hochqualifizierte in der Wissenschaft und der freien Wirtschaft und Beschäftigte in wissensintensiven Bereichen und neuen Dienstleistungsökonomien. Auch die Studierenden, die durch das Erasmus-Programm neue Erfahrungen gewinnen und sich »europäisieren«, können dazugezählt werden. Einerseits sind es berufliche Kontexte und Anforderungsprofile, die ein Mehr an transnationalen Aktivitäten verlangen, andererseits bringen diese Gruppen auch bestimmte »transnationale Kompetenzen« (Koehn/ Rosenau 2002) mit. Damit sind sprachliche, kulturelle, soziale und kognitive Kompetenzen gemeint, die es ihnen leicht machen, die Grenzen des Nationalstaats zu überwinden. Eine Gruppe, der man spezielle Kompetenzen der Grenzüberschreitung zuspricht, sind die hoch Gebildeten. Diesen wird unterstellt, dass sie sich durch eine größere Offenheit gegenüber anderen Kulturen, die Kenntnis anderer Sprachen und den Bezug auf über das Lokale hinausreichende Horizonte typischerweise viel weniger durch die Grenzen des Nationalstaates beschränken lassen (Hannerz 1996; Mau/ Mewes 2008). Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, welches im Zusammenhang <?page no="257"?> 258 12 Europäische Ungleichheitsdynamik mit neuen Formen der Ungleichheit einhergehen kann, nämlich dann, wenn der soziale Handlungsraum einiger Gruppen schon weitgehend entgrenzt und europäisiert ist und andere noch stark lokal und national verhaftet bleiben. Dies kann neue innergesellschaftliche Konflikte hervorbringen, die sich auf die Spannung zwischen Öffnung und Schließung des nationalgesellschaftlichen Raums beziehen (Kriesi 2001; Kriesi/ Grande 2004). Sozialstrukturelle Effekte gibt es auch durch die Bemühungen um internatio- Bildung als konvertierbare Währung nale bzw. europäische Standardisierungen von Bildungsabschlüssen, wie sie durch den Bologna-Prozess vorangetrieben werden: »Explizites Ziel ist es, eine international standardisierte und ›geeichte‹ Bildungswährung zu institutionalisieren, die überall erkannt und für ihre Leistungseinstufung anerkannt werden soll. Insofern wird eine nationenübergreifende Bildungsklassifikation der Weltbevölkerung möglich.« (Kreckel 2004: 325) Die Europäische Union setzt auf die Schaffung eines gemeinsamen Bildungsraumes, welcher durch Offenheit und Mobilität geprägt ist (Immerfall 2006: 61ff.; Wolter 2006). Sie unterstützt weiterhin eine Harmonisierung der Ausbildungsanforderungen, die in weiten Bereichen eine automatische Anerkennung der Berufsqualifikationen und Schulbzw. Universitätsabschlüsse ermöglicht. Damit verlieren Bildungszertifikate ihre nationalstaatliche Spezifik. Zugleich werden auf der Hochschulebene nationale Reputationshierarchien unterlaufen (z. B. durch europäische Rankings), und es kommt zu einer Neuordnung der europäischen Hochschullandschaft. Noch deutlicher ist der Zusammenhang zwischen Bildung und Europäisierung natürlich bei Bildungsinstitutionen mit direktem Europabezug wie dem Europa-Kolleg in Brügge (Belgien) oder dem Europäischen Hochschulinstitut in Florenz (Italien). Wie schon angesprochen, profitieren davon insbesondere diejenigen Gruppen, transnationaler Habitus die neben einer Formalqualifikation auch kulturelle und soziale Kompetenzen mitbringen. Für diese mag man mit Recht von gesteigerten Möglichkeiten der (europäischen oder auch globalen) Konvertierung ihres Bildungskapitals und einer »Transnationalisierung sozialer Lagen« sprechen (Weiß 2002). Dichte grenzüberschreitende Interaktionszusammenhänge, organisatorische Einbindung in paneuropäischen Austausch, sprachliche Verständigungsmöglichkeiten und bestimmte kognitive Fähigkeiten tragen dazu bei, dass die »heterogenen kulturellen und sozialen Herkünfte zugunsten einer gemeinsamen Orientierungsbasis in den Hintergrund« (Schwinn 2008: 25) treten. Die Ausbildung eines transnationalen Habitus ist insbesondere bei den hoch qualifizierten Professionals anzunehmen. Im Hinblick auf die Rekrutierung und Zusammensetzung der nationalen Wirtschaftseliten gilt dieser Befund nur eingeschränkt (vgl. Hartmann 2007). Hier sind es vor allem Großbritannien mit seiner Commonwealth-Tradition und kleinere Länder, in denen sich eine Internationalisierung des Topmanagements beobachten lässt, während das Führungspersonal in Ländern wie Deutschland, Italien oder Frankreich noch stark national rekrutiert wird. Es lässt sich aber zeigen, dass sich die Rekrutierungsmuster der administrativen und wirtschaftlichen Eliten in den europäischen Ländern ähneln und dass dadurch die Ausbildung einer transnatio- <?page no="258"?> 12.1 Neue Gruppen: Gewinner und Verlierer 259 nalen Elite möglich wird: »Die gemeinsame Herkunft aus dem Bürgertum wird den Prozess der Angleichung erleichtern. Je kleiner die Kreise sind, aus denen man stammt, und je höher in der gesellschaftlichen Hierarchie angesiedelt, umso einfacher fällt in der Regel die gegenseitige Verständigung. Das beste Beispiel dafür bietet der europäische Hochadel des Mittelalters. Während die Bevölkerung Europas damals in viele voneinander getrennte Teile zersplittert war, bildete er eine relativ homogene Einheit, die eine einheitliche Sprache pflegte und innerhalb derer auch länderübergreifend geheiratet wurde. Die Vereinheitlichung zu einer transnationalen Elite dürfte dementsprechend am ehesten für das Großbürgertum zu erwarten sein, d. h. in den Spitzen der Wirtschaft, der freien Berufe und (mit Abstrichen) auch in der Verwaltung.« (Hartmann 2003: 294) Europäische Transfergruppen Die Europäisierung erzeugt aber nicht nur europäisierte Milieus und Eliten, sondern nimmt auch direkten Einfluss auf die Lebensumstände von immer mehr Menschen und sozialen Gruppen der Durchschnittsbevölkerung. In Analogie zu den von Lepsius (1979) definierten Versorgungsklassen als Gruppen, deren Lebenschancen nicht zentral durch den Markt bestimmt sind, sondern durch staatliche Transfereinkommen, lassen sich auch europäische Transfergruppen identifizieren (vgl. Abb. 10, Zeile 4): Es gibt eine Reihe von Gruppen, deren Lebensverhältnisse unmittelbar von europäischen Finanzmitteln abhängen. Die europäische Landwirtschaft profitiert beispielsweise unmittelbar von hohen europäischen Subventionen, weshalb diese auch als wohlfahrtspolitische Unterstützung für die ländliche Bevölkerung charakterisiert worden sind (Rieger 1998). Mit den Brüsseler Transfers werden Agrarpreise massiv subventioniert. Neben den Zielen, die Versorgung zu sichern, Märkte zu stabilisieren und die Produktivität in der Landwirtschaft zu erhöhen, ist ein zentrales Anliegen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), das Pro-Kopf-Einkommen der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung zu erhöhen und somit einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten. Auch die Beschäftigten in vielen Fischereibetrieben profitieren von EU-Zahlungen und können damit ihre Marktposition und Einkommen verbessern. Angesprochen wurden schon die Struktur- und Regionalfonds der EU, die zwi- Regionaltransfers schen Ländern und Regionen umverteilen (siehe Abschnitt 11.3). Mit diesen politischen Instrumenten werden die »Bedürfnisse der Verlierer des Gemeinsamen Marktes« (Andersen 1998: 180) aufgegriffen. Ihnen wird so zu verstehen gegeben, dass sie bei der europäischen Integration nicht in dauerhafte Nachteilspositionen zurückfallen: »›Angleichung‹ ist das zentrale Anliegen dieser Zahlungen. Sozialpolitisch sollen rückständige Regionen der EU in die europäische Modellgesellschaft ›hineingekauft‹ werden und eine ›Abwärtsspirale‹ verhindert werden.« (Ross 1998: 335) Die Transferempfänger sind vor allem Regionen in den Beitrittsländern, aber auch periphere Regionen in Italien und Großbritannien. Problematisch ist, dass nicht alle Regionen in gleichem Maße die neuen Möglichkeiten der Regionalentwicklung nutzen können. Da die Umsetzung der neuen Leitlinien <?page no="259"?> 260 12 Europäische Ungleichheitsdynamik für die Struktur- und Regionalpolitik der EU eine starke Orientierung an den Zielvorgaben der Lissabon-Strategie verlangt (vgl. European Commission 2005a), ist bereits heute abzusehen, dass größere Agglomerationen es leichter haben werden, die Maßnahmen für eine stärkere Förderung wissensbasierter Wirtschaftszweige umzusetzen, als ärmere, dünn besiedelte Agrarregionen. Die Regionen werden die Förderung von »Leuchtturm«-Projekten dem Ziel einer ausgewogenen räumlichen Entwicklung unterordnen müssen, was aller Voraussicht nach die Unterschiede zwischen Stadt und Land weiter vergrößern wird. Im Dezember 2006 hat die EU mit dem Globalisierungsfonds, der mit 500 Millionen Euro ausgestattet ist, ein neues Instrument geschaffen, welches »Opfern der Globalisierung« in den Mitgliedsländern helfen soll. Dieser beinhaltet eine einmalige und spezifische Unterstützung für Maßnahmen der Wiedereingliederung bei über tausend Entlassungen innerhalb eines kürzeren Zeitraums. Aufgelegt wurde er vor allem, um zu demonstrieren, dass die EU nicht nur die wirtschaftliche Integration vorantreibt, sondern auch bei sichtbaren negativen Folgen der Globalisierung solidarische Hilfe gewährt. Hier wird auf Notsituationen ausgerichtete Solidarität auch dafür eingesetzt, um Legitimität zu gewinnen und das Image der EU zu verbessern. Vermarktlichung von Lebenslagen Große Bedeutung haben auch die Prozesse der Marktbildung und Liberalisierung, welche spezifische Gruppen von Gewinnern und Verlierern hervorbringen (Rieger 1998; Vobruba 2005). Diese Prozesse können zum Teil auf einen allgemeinen Globalisierungstrend zurückgeführt werden, zum Teil auf die wirtschaftlichen Integrationsmaßnahmen der EU. Mit dem Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen hat sich die wirtschaftliche Dynamik verstärkt. Dies setzt insbesondere schwächere Marktteilnehmer und Standorte mit veralteten Industrien unter Druck. Die Intensivierung der innereuropäischen Arbeitsteilung stärkt dagegen die Position transnationaler Konzerne im Industrie- und Finanzsektor. Mit einem integrierten und liberalisierten Finanzmarkt gewinnen beispielsweise die internationalen Finanzmarktakteure - Investmentbanken, Versicherungen, größere institutionelle Anleger und Investment- und Pensionsfonds - an Gewicht (Bieling/ Deppe 2003; Harmes 1998). Anders als in den 1950er bis 1980er Jahren, als nationale Ausbildungssysteme, Wohlfahrtsinstitutionen und Beschäftigungsordnungen eine relativ hohe Stabilisierung und Standardisierung garantierten, kommt es jetzt zu einer größeren Vermarktlichung sozialer Lagen. Nationalstaatliche Arrangements können nicht in gleichem Maße als Puffer gegen die Unwägbarkeiten des Marktes wirksam werden wie in der Vergangenheit. Als Folge davon gibt es eine wachsende Kluft zwischen jenen, die sich aufgrund ihrer Fähigkeiten und Qualifikationen im Wettbewerb behaupten können, und jenen, die durch ihren Mangel an wettbewerbsfähigen Ausstattungen zu sozialen Verlierern werden (Münch/ Büttner 2006; Walwei 1999). Besonders sichtbar ist diese Differenzierung bei der Trennung zwischen den Marktchancen und -risiken Insidern und Outsidern des Arbeitsmarktes: Es zeigt sich, dass insbesondere niedrig Qualifizierte, Arbeitnehmer mit veralteten Qualifikationen und ältere Menschen große Schwierigkeiten haben, im Arbeitsmarkt dauerhaft Platz zu finden. Sie stellen in den meisten europäischen Ländern auch das Gros der Langzeit- <?page no="260"?> 12.1 Neue Gruppen: Gewinner und Verlierer 261 arbeitslosen, denen die Rückkehr auf einen Arbeitsplatz verwehrt bleibt. Blossfeld et al. (2005) haben in ihren Untersuchungen aber festgestellt, dass es nicht nur die Älteren sind, die verstärkt mit diesen Prozessen konfrontiert sind, sondern zunehmend auch die jüngere Generation, die gerade in den Arbeitsprozess einsteigt. Dies zeigt sich insbesondere im Vergleich mit den Arbeitnehmern in mittleren Lebensphasen, die sich zumeist beruflich etabliert haben und durch sichere Verträge geschützt sind. Für die privilegierten und etablierten sozialen Schichten gibt es bessere Möglichkeiten, von den Vorteilen, die die EU bietet, Gebrauch zu machen, so durch neue Mobilitätschancen oder Marktintegration (Alvarez 2002). Im Kontext von europäischer und globaler Marktbildung kommt es zu einer Rolle des Humankapitals zunehmenden Spezialisierung der einzelnen Länder. Fortgeschrittene Industrieländer spezialisieren sich auf humankapitalintensive Produkte, was zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit für gering qualifizierte Arbeitskräfte führt. In vielen westeuropäischen Ländern steigt mit einer Zunahme des Außenhandels der Druck auf Arbeitnehmer mit geringer Qualifikation. Für die Beitrittsländer in Mittel- und Osteuropa gilt, dass sie durch die Mitgliedschaft ihren Zugang zu Märkten deutlich verbessern konnten. Auch können sie unter günstigeren Bedingungen Investitionskapital und im Rahmen der Kohäsionspolitik EU-Transfers erhalten. Dem stehen jedoch Verluste beim Produktionsfaktor Arbeit durch Abwanderung insbesondere qualifizierter Arbeitskräfte gegenüber. Gleichzeitig haben die Unternehmen Osteuropas Schwierigkeiten, mit den sehr viel produktiveren Industrien Westeuropas und deren hochwertigen Produkten zu konkurrieren. Dieser Druck hat einen Strukturwandel hervorgerufen, bei dem alte, nicht wettbewerbsfähige Industrien rückgebaut werden. Ausländische Investoren haben vor allem Interesse daran, vom Zugang zum EU-Binnenmarkt und den niedrigen lokalen Kosten zu profitieren, so dass schnell steigende Einkommen zur Investitionsbremse werden können. In den neuen Mitgliedsländern sind die Gewinner vor allem junge Menschen mit Universitätsabschluss und Personen in höheren Entscheidungspositionen im öffentlichen Dienst, während ethnische Minderheiten und ältere Menschen als Verlierer der Europäisierung gesehen werden (Tang 2000). Weiterhin beobachten wir in Europa einen intensiven Wandel der Beschäf- Strukturwandel der Beschäftigung tigungsstruktur, welcher den Übergang von einer Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft widerspiegelt (Europäische Kommission 2007d: 19). Zwar hat die Gesamtbeschäftigung in der EU in den letzten Jahren deutlich zugenommen, aber diesen Zuwachs begleiten ein Rückgang der Beschäftigung in der Landwirtschaft und Industrie sowie eine Zunahme der Beschäftigung im Dienstleistungssektor (siehe Abschnitt 7.4). Von 1998 bis 2006 wurden 20 Millionen Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor geschaffen. Der Dienstleistungssektor nimmt zum Teil freigewordene Arbeitskräfte aus anderen Sektoren auf. Allerdings finden sich insbesondere im Dienstleistungssektor auch viele schlecht bezahlte und ungeschützte Jobs. Diese Entwicklung geht zum Teil auf die von der EU- <?page no="261"?> 262 12 Europäische Ungleichheitsdynamik Kommission geförderte Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen in wichtigen Bereichen wie dem Energie-, Transport- und Telekommunikationssektor, den Postdiensten, dem Luftverkehr und der Gas- und Stromversorgung zurück. Die Kommission geht davon aus, dass die Schaffung von Märkten und die Zulassung von Wettbewerb in der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen zu Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen führen (Europäische Kommission 2003). Ein Resultat dieser ökonomischen Europäisierung ist aber auch ein Abbau von relativ gesicherten Beschäftigungsverhältnissen und ein zusätzlicher Druck auf die Arbeitskosten und die Löhne (Atzmüller/ Hermann 2004; Raza/ Wedl 2003). Die mit der Europäisierung einhergehenden Veränderungen werden natürlich nicht nur auf dem Arbeitsmarkt oder in den Bürokratien wirksam. Sie betrifft ebenso die Lebenswelten vieler Menschen außerhalb der Arbeitssphäre (siehe Kapitel 13 zur horizontalen Europäisierung). Hier ergeben sich beispielsweise verbesserte Möglichkeiten des Konsums, des Tourismus oder der Mobilität. Favell (2005: 1115) hat diese Perspektive folgendermaßen zugespitzt: “Political scientists think of voting and ‘revealed preferences’, of course, but ‘being European’ nowadays is as much likely to be about this, as it is about shopping across borders, buying property abroad, handling a common currency, looking for work in a foreign city, taking holidays in new countries, buying cheap airline tickets, planning international rail travel, joining cross-national associations - and a thousand other actions facilitated by the European free movement accords.” Es ist hinsichtlich der meisten dieser Aktivitäten zu erwarten, dass sie nicht auf wenige Gruppen beschränkt bleiben. Ihre Vor- und Nachteile sind breit gestreut und dauerhafte Strukturbildungen nicht zu erwarten. Vor- und Nachteile durch Mitgliedschaft Auch die europäischen Bürger haben den Eindruck, dass die Vor- und Nachteile der Europäisierung ungleich verteilt sind. In einer Eurobarometer-Umfrage im Jahr 2000 ist den Befragten eine Liste von 23 sozialen Gruppen vorgelegt worden, zu denen sie jeweils angeben sollten, ob diese in der Summe mehr Vor- oder Nachteile durch die europäische Integration erfahren. Ganz oben auf der Liste derer, die zu den Gewinnern gezählt werden, stehen Politiker, gefolgt von Gruppen mit Fremdsprachenkompetenz und großen Unternehmen. Als Verlierer der Integration werden die alten Menschen und einfache Arbeiter angesehen. In Bezug auf unterschiedliche Berufsgruppen werden diejenigen mit hohem Humankapital (Ärzte, Architekten, Manager, Beamte, Anwälte) in der Regel zu denen gezählt, die durch die Integration gewinnen. Landwirte, Arbeitslose, Arbeiter und Handwerker gelten dagegen als Verlierer (European Commission 2000). Weiterhin wurden die Europäer danach befragt, ob die Mitgliedschaft in der Europäischen Union für den Durchschnittsbürger von Vor- oder Nachteil sei. 45 % der Befragten glaubten, dass diese sich die Waage halten. Immerhin 28 % sagten, dass die Vorteile überwiegen, und eine Minderheit von 13 % sah die Nachteile als dominant. <?page no="262"?> 12.1 Neue Gruppen: Gewinner und Verlierer 263 | Schaubild 32 Persönliche Vor- und Nachteile durch die Europäisierung 0% 25% 50% 75% 100% Großbritannien Frankreich Finnland Italien Belgien Schweden EU-15 Österreich Deutschland Dänemark Portugal Griechenland Niederlande Luxemburg Spanien Irland mehr Vorteile so viele Vorteile wie Nachteile mehr Nachteile weiß nicht Quelle: Eurobarometer 58.1 (2002), eigene Berechnungen, Daten auf Länderebene gewichtet. Surveyfrage: »Was glauben Sie hat die Mitgliedschaft (Ihres Landes) in der Europäischen Union Ihnen persönlich gebracht? « Die Antwortkategorien »mehr Vorteile« und »mehr Nachteile« setzen sich aus den ursprünglich erhobenen Kategorien »viel mehr Vorteile« und »mehr Vorteile« bzw. »viel mehr Nachteile« und »mehr Nachteile« zusammen, die restlichen Antwortkategorien sind unverändert. Ähnlich sehen die Verteilungen aus, wenn gefragt wird, ob die EU-Mitgliedschaft persönliche Bilanz den Interviewten persönlich mehr Vor- oder Nachteile gebracht habe (Schaubild 32). In der EU-15 von 2002 waren es 46 %, die von einer alles in allem ausgeglichenen Situation ausgingen. Als Gewinner sahen sich etwas mehr als ein Viertel (27 %), als Verlierer 15 %. Zwölf Prozent wählten die Antwortkategorie »Weiß nicht«. Dies ist ein Indiz dafür, dass es trotz der großen Bedeutung der europäischen Integration für das Leben in den Mitgliedsländern offenbar sehr schwer ist, die Wirkung abzuschätzen, die diese für die eigenen Lebensumstände hat. Zwischen den einzelnen Ländern ergeben sich aber erhebliche Unterschiede: 60 % der Iren gaben an, dass sie von der EU-Mitgliedschaft ihres Landes persönlich profitiert haben. Dies gilt dagegen nur für 20 % der EU-skeptischen Briten. Interessant ist, dass in den Ländern, die über viele Jahre Netto-Empfänger von EU-Geldern waren, wie zum Beispiel Irland, Spanien, Griechenland und Portugal, jeweils deutlich mehr Menschen eine positive als eine negative Bewertung vornehmen. Diese Länder haben im Vorfeld oder im Rahmen ihrer EU-Mitgliedschaft tatsächlich Wachstumsprozesse vollziehen können (Delhey 2003). Dies scheint auch von den Bevölkerungen entsprechend wahrgenommen zu werden. Große Anteile an positiven Bewertungen finden sich auch in Luxemburg und den Niederlanden, obwohl diese Länder zu den Nettozahlern der EU gehören. Ungeachtet der Tatsache, dass Brüssel die »EU-Hauptstadt« ist und sich viele EU-Institutionen dort befinden, ist der Anteil der positiven Urteile in Belgien unterhalb des EU-Durchschnitts. Dies gilt auch für Italien, Finnland und Frankreich. <?page no="263"?> 264 12 Europäische Ungleichheitsdynamik 12.2 Das innereuropäische Wohlfahrtsgefälle und die Rolle der Regionen Methodische Hinweise Empirische Grundlage der Diskussion regionaler Ungleichheit sind Daten aus Eurostat- Publikationen. Diese erlauben eine Darstellung der Polarisierung zwischen den europäischen Regionen: Die 15 Regionen mit dem höchsten und dem niedrigsten Bruttossozialprodukt werden gegenübergestellt, auf Länderebene werden regionale Unterschiede und die Ungleichheiten zwischen städtischen und ländlichen Regionen aufgezeigt. Im Zuge der Europäisierung nimmt die Bedeutung grenzüberschreitender Prozesse zu, weil sich der Grad der Verflechtung und die Intensität der Interaktionen zwischen einzelnen Nationalstaaten erhöhen. Grenzüberschreitende Prozesse mit negativen Folgen (z. B. Wanderungswellen, Lohndruck) sind insbesondere dann zu erwarten, wenn zwischen den Ländern ein starkes Wohlstandgefälle existiert. Vobruba (1999) hat argumentiert, dass die Ungleichheitssoziologie den Begriff des Wohlstandsgefälles stärker ins Zentrum stellen soll. Wohlstandgefälle entstehen zwischen sozial und geografisch benachbarten Räumen, wenn zwischen ihnen eine große Einkommensdifferenz existiert. Große Wohlstandsgefälle sind ökonomisch nachteilig, weil sie Polarisierungen verstärken können und eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik erschweren (Mau 2004). Politisch bedeuten Ungleichheiten, dass es zu einer Verstärkung von divergenten Interessen kommen kann und damit die weitere Einigung erschwert wird. Auf der sozialen Ebene können Wohlstandsgefälle dazu führen, dass asymmetrische Wanderungsbewegungen ausgelöst und Steuer-, Transfer- und Tarifsysteme verstärktem Druck ausgesetzt werden. Konzentriert man sich auf das Wohlstandsgefälle innerhalb der Europäischen Union, dann kann man zwei sich überlagernde Prozesse identifizieren, nämlich Konvergenz und Erweiterung (Vobruba 2003). Der nach innen gerichtete Prozess der Konvergenz (siehe Abschnitt 11.3) kann Konvergenz als Aufholprozess unter anderem auf die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte der Mitgliedschaft zurückgeführt werden (Piazolo 2002). Tatsächlich ist es so, dass im Zuge der Mitgliedschaft Verbesserungen der relativen Wohlstandsposition sozioökonomisch schwacher Länder erreicht werden konnten (siehe Abschnitt 7.1). Ökonomische Analysen unterstützen die These langsamer innereuropäischer Konvergenz (Barro/ Sala-i-Martin 1992). Mit der Zeit hat sich der Abstand zwischen den Kohäsionsländern und den anderen Mitgliedsländern der EU verkleinert; zum Teil überholten die neuen Mitgliedsländer die anderen EU-Länder sogar (z. B. Irland). Auch die Europäische Union hat in ihren Kohäsionsberichten darauf hingewiesen, dass Konvergenzprozesse stattfinden und dabei neben Wachstumseffekten auf die positiven Wirkungen ihrer regionalpolitischen Instrumente verwiesen (Europäische Kommission 2004b). So hat sich in zahlreichen Ländern der Anteil der Beschäftig- <?page no="264"?> 12.2 Das innereuropäische Wohlfahrtsgefälle und die Rolle der Regionen 265 ten im Agrarsektor deutlich verringert, ist die Säuglingssterblichkeit gesunken, wurde in den meisten Ländern das Netz der sozialen Sicherheit ausgebaut und hat sich die Frauenerwerbsquote erhöht. Neben diesen Indikatoren lassen sich für die südeuropäischen Kohäsionsländer und Irland auch im Sinne modernisierungstheoretischer Annahmen Entwicklungsgewinne verzeichnen, die sie in einigen Bereichen sogar an die Spitze der EU bringen (siehe Teil 2). Die sukzessive Erweiterung der Europäischen Union bedeutete eine territoriale und flächenmäßige Ausdehnung der EU. Gleichzeitig kam es bei den meisten Erweiterung Erweiterungen zu einer massiven Vergrößerung von Disparitäten und zu einer Verringerung des europäischen Bruttosozialproduktes pro Kopf. Bis auf wenige Ausnahmen wurde Europa durch die Aufnahme neuer Länder durchschnittlich ärmer, und es vergrößerte sich das innereuropäische Wohlstandsgefälle. Mit der Osterweiterung ergibt sich eine bislang einmalige Verschärfung der wirtschaftlichen Disparitäten. Gegenüber der 15-Mitglieder-Union hat sich der Abstand zwischen den zehn Prozent der Bevölkerung in den wohlhabendsten Regionen und den zehn Prozent in den ärmsten Regionen der EU-27 mehr als verdoppelt (gemessen am Pro-Kopf-BIP). Zudem verlagert sich das Schwergewicht der Disparitäten in Richtung einer Ost-West-Kluft: Sechs von zehn Einwohnern der Europäischen Union, die in Regionen mit einem Pro-Kopf-BIP von weniger als 75 % des Gemeinschaftsdurchschnitts leben, wohnen in den Beitrittsländern. In der EU vor der Osterweiterung übertraf das Bruttoinlandsprodukt des reichsten Landes Luxemburg das des ärmsten Landes Portugal um den Faktor 3,5. Nach der Aufnahme der osteuropäischen Länder liegt dieser Faktor bei 7,4 mit Bulgarien als ärmstem Land (siehe Abschnitt 7.1). Mit der Erweiterung ist also das bisher dominante Nord-Süd- Gefälle von einem Ost-West-Gefälle überlagert worden. Regionalisierung sozialer Ungleichheit Innerhalb Europas wirken aber nicht nur die Ungleichheiten zwischen den Mitnationalstaatlicher Ausgleich regionaler Ungleichheiten gliedsstaaten als wichtige strukturierende Faktoren, es findet ebenso eine Aufladung regionaler Ungleichheiten statt. In historischer Perspektive war es eine der großen Leistungen der Nationalstaaten, dass sie nicht nur zwischen Klassen und sozialen Gruppen, sondern auch zwischen Regionen für sozialen Ausgleich sorgen konnten. So schreibt Martin Heidenreich (2003: 34): »Nationalstaaten haben […] mit einigem Erfolg versucht, die Auskristallisierung regionaler Unterschiede zu regionalen Ungleichheiten zu verhindern, indem regionale Unterschiede zum einen erfolgreich verhindert wurden und indem sie zum anderen in nichtterritorial definierte soziale Ungleichheiten transformiert wurden.« Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in einer Zahl anderer Mitgliedsländer der Europäischen Union regionale Förderprogramme und Finanzausgleichssysteme. Im Rahmen des Europäisierungsprozesses ergeben sich jedoch auch hier Veränderungen: Einerseits begrenzt Europa die Autonomie und die Souveränität der Nationalstaaten, andererseits stärken Föderalisierungs-, Regionalisierungs- und Dezentralisierungsprozesse die Rolle der Regionen als poli- <?page no="265"?> 266 12 Europäische Ungleichheitsdynamik tische Akteure. Daher kommen Fragen der Territorialgliederung in Europa eine immer größere Bedeutung für die Analyse sozialer Ungleichheit zu (Rodríguez- Pose 2002). Auf der regionalen Ebene zeigt sich eine große Polarisierung: In der reichsregionale Polarisierung ten Region Europas, Inner London, beträgt das BIP pro Kopf 303 % des europäischen Durchschnitts, in der rumänischen Region Nord-Est nur 24 % (siehe Tab. 28). Die Regionen mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen befinden sich alle in Westeuropa. Die zehn ärmsten Regionen liegen ausnahmslos in den Beitrittsländern Rumänien, Bulgarien und Polen. Schaubild 33 zeigt, dass es auch große Differenzen hinsichtlich des Bruttosozialproduktes pro Kopf innerhalb der Mitgliedsländer gibt. Vor allem in Großbritannien und Belgien, aber auch in Frankreich, Deutschland, Österreich, Tschechien und in der Slowakei gibt es große Unterschiede zwischen der reichsten und der ärmsten Region. Am geringsten sind die regionalen Ungleichheiten in den osteuropäischen Beitrittsländern Polen, Slowenien und Bulgarien. Weiterhin ist die Europäische Union mit starken regionalen Unterschieden hinsichtlich Beschäftigung und Arbeitslosigkeit konfrontiert. In einigen Regionen der EU liegt die Arbeitslosigkeitsquote bei circa 2,5 %, während andere Regionen Quoten von über 20 % aufweisen. Was die Beschäftigungsquoten angeht, so ist zwischen 2000 und 2005 eine gewisse Konvergenz vorzufinden. In diesem Zeitraum verringerte sich der Unterschied zwischen den zehn Prozent der Regionen mit der höchsten Beschäftigungsquote und den zehn Prozent mit der niedrigsten Beschäftigungsquote von 30 auf 20 Prozentpunkte (Europäische Kommission 2007d: 21). Tab. 28 | Regionales Bruttosozialprodukt 15 Regionen mit dem höchsten BIP pro Kopf 15 Regionen mit dem niedrigsten BIP pro Kopf 1 Inner London (UK) 303 1 Nord-Est (RO) 24 2 Luxemburg (LU) 264 2 Severozapaden (BG) 27 3 Bruxelles-Cap./ Brussels Hfdst. (BE) 241 3 Yuzhen tsentralen (BG) 27 4 Hamburg (DE) 202 4 Severen tsentralen (BG) 28 5 Wien (AT) 178 5 Sud-Vest Oltenia (RO) 28 6 Île de France (FR) 173 6 Sud-Muntenia (RO) 29 7 Stockholm (SE) 172 7 Severoiztochen (BG) 31 8 Berkshire, Buckinghamshire & Oxfordshire (UK) 168 8 Sud-Est (RO) 31 9 Oberbayern (DE) 166 9 Yugoiztochen (BG) 33 10 Groningen (NL) 164 10 Nord-Vest (RO) 34 11 Hovedstaden (DK) 161 11 Lubelskie (PL) 35 12 Praha (CZ) 160 12 Podkarpackie (PL) 35 13 Utrecht (NL) 158 13 Centru (RO) 36 14 Southern & Eastern* (IE) 158 14 Podlaskie (PL) 38 15 Darmstadt (DE) 158 15 Swietokrzyskie (PL) 38 Quelle: Eurostat (2008c); Angaben für 2005 in KKS, EU-27 = 100; * die regionalen Werte für Irland wurden von Eurostat geschätzt. <?page no="266"?> 12.2 Das innereuropäische Wohlfahrtsgefälle und die Rolle der Regionen 267 | Schaubild 33 Regionale Einkommensunterschiede 0 50 100 150 200 250 300 350 Großbritannien Belgien Deutschland Frankreich Slowakei Tschechien Österreich Griechenland Italien Schweden Dänemark Spanien Ungarn Niederlande Finnland Irland Rumänien Portugal Polen Slowenien Bulgarien Luxemburg Zypern Malta Estland Litauen Lettland Quelle: Eurostat (2008c); eigene Berechnungen. Regionales Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in KKS (2005) auf NUTS-2-Niveau, EU-27 = 100 (Luxemburg, Zypern, Malta, Estland, Litauen und Lettland mit jeweils nur einer Region). Nimmt man Europa als Ganzes in den Blick und vergleicht die regionalen Disparitäten mit denen anderer Länder wie den USA, China, Indien oder Japan, dann zeigt sich, dass die Einkommensdifferenzen zwischen den europäischen Regionen recht groß sind: »Die regionalen Unterschiede im Pro-Kopf-BIP fallen in den Regionen der EU weit extremer aus als in den USA oder Japan, besonders nach den jüngsten beiden Erweiterungen. In der EU ist das Pro-Kopf-BIP in der Region mit dem höchsten Pro-Kopf-BIP acht Mal höher als in der Region mit dem niedrigsten. In den USA beträgt dieser Unterschied nur das Zweieinhalbfache; in Japan gerade mal das Zweifache. […] In China beträgt das Pro-Kopf-BIP in KKS nur ein Fünftel des EU- Durchschnitts, während es in Indien ein Achtel ist. In Rumänien und Bulgarien, den Ländern mit dem niedrigsten Pro-Kopf-BIP in der EU, ist dieses immer noch doppelt so hoch wie in Indien und 50 % höher als in China. […] Trotz der enormen Unterschiede im Pro-Kopf-BIP zeigen sich in Indien und China ähnliche regionale Disparitäten wie in der EU. Sowohl in China als auch in Indien übertrifft die Region mit dem höchsten Pro-Kopf-BIP die Region mit dem niedrigsten Pro-Kopf-BIP um das Siebenfache, während es in der EU das Achtfache ist.« (Europäische Kommission 2007d: 5) Man muss in diesem Zusammenhang zwei unterschiedliche Aspekte regiona- Ungleichheit zwischen und innerhalb von Ländern ler Ungleichheit unterscheiden: Der erste ist, inwieweit die regionale Ungleichheit die sozioökonomischen Disparitäten zwischen den Mitgliedsländern spiegelt und damit als Ausdruck der schon angesprochenen zwischenstaatlichen Ungleich- <?page no="267"?> 268 12 Europäische Ungleichheitsdynamik heiten angesehen werden kann. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die innerstaatlichen Ungleichheiten, die auch zur regionalen Gesamtungleichheit in Europa beitragen. Duro (2001) kann zeigen, dass es unterschiedliche Entwicklungstrends hinsichtlich regionaler Ungleichheit innerhalb der Länder und zwischenstaatlicher Ungleichheit gibt. Danach konnte für Anfang der 1980er-Jahre gelten, dass die Ungleichheiten zwischen den Mitgliedsländern in etwa die Hälfte aller regionalen Ungleichheiten ausmachten, während die andere Hälfte sich aus den Ungleichheiten innerhalb der Mitgliedsländer ergab. Bis Mitte der 1990er-Jahre verschob sich dieser Befund in Richtung eines größeren Schwergewichts innerstaatlicher regionaler Ungleichheiten, so dass man von einer Regionalisierung sozialer Ungleichheit sprechen kann. In einer Gegenüberstellung der Entwicklung von inner- und zwischenstaatlichen Ungleichheiten in den EU-Mitgliedsländern und den Beitrittsländern von Mitte der 1990er-Jahre bis 2003 zeigt Heidenreich (2006b; Heidenreich/ Wunder 2008), dass die Ungleichheit zwischen den Ländern deutlich abgenommen hat, und zwar um 45 % (auf dem NUTS-3-Niveau), während die innerstaatlichen regionalen Ungleichheiten um 15 % zugenommen haben. Damit sind mehr als zwei Drittel der regionalen Ungleichheiten auf innerstaatliche Disparitäten zurückzuführen; auf dem NUTS-2-Niveau sind dies sogar 84 %. 58 Zieht man also die regionale Ebene mit in Betracht, dann zeigt sich, dass der allgemeine Trend der Konvergenz der Mitgliedsländer auf der regionalen Ebene gebrochen oder zumindest relativiert wird. Von einheitlichen Lebensbedingungen kann keine Rede sein, dafür aber von einer zunehmenden Annäherung zwischen den Ländern und einer Polarisierung im Inneren. Wir sehen auch unterschiedliche Muster der Entwicklung im Vergleich ländländliche und städtische Regionen licher und städtischer Regionen (Tab. 29). Die große Mehrheit der städtischen Räume hat ein Pro-Kopf-Einkommen, welches über dem EU-Durchschnitt liegt. Die Hauptstadtregionen gehören überall in Europa zu den größten Wachstumszentren und sind Magneten für Arbeitskräfte und Investoren: In allen Hauptstädten, mit Ausnahme von Berlin, liegt die Wirtschaftsleistung heute weit über dem nationalen Durchschnitt; in 14 Hauptstädten sogar zwischen 40 und 100 % über dem Landesdurchschnitt. Die europäischen Hauptstadtregionen sind auch durch eine überdurchschnittliche Bedeutung des tertiären Sektors gekennzeichnet. Regionen in Randlage hingegen haben häufig ein niedriges Pro-Kopf-Einkommen und überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit. Allgemein gibt es bezüglich der europäischen Großstädte zwar einen Trend zur Suburbanisierung, aber dieser geht oft mit steigender wirtschaftlicher Aktivität einher. Dies liegt zum Teil daran, dass viele Menschen zum Arbeiten in die Städte pendeln. Demgegenüber sind ländliche 58 Die EU selbst geht aufgrund des Wachstums in den Kohäsionsländern davon aus, dass sich die regionalen Disparitäten verringern. Allerdings bezieht sich dieser Befund nur auf die generelle Annäherung der durch die Kohäsionsfonds geförderten Regionen. Es wird gleichzeitig eingeräumt, dass der Grad der Konvergenz deutlich variiert und in nicht geförderten Regionen durchaus stagnative Tendenzen zu beobachten sind (Europäische Kommission 2004a). <?page no="268"?> 12.2 Das innereuropäische Wohlfahrtsgefälle und die Rolle der Regionen 269 | Tab. 29 Urbane und ländliche Räume im Vergleich Überwiegend städtisch Mittelmäßig ländlich Überwiegend ländlich Alle Prozent der NUTS-3-Regionen mit: wachsender Bevölkerung, 1995 bis 2004 61 70 54 62 Pro-Kopf-BIP (KKS 2004) über dem EU-Durchschnitt 71 34 23 43 9 0 2 , 1 1 6 3 1 4 4 7 0 4 n e n o i g e R r e d l h a z n A Gesamte Bevölkerung (in Millionen) 202,4 172,8 82,1 457,3 0 , 0 0 1 9 , 7 1 8 , 7 3 3 , 4 4 g n u r e k l ö v e B - 7 2 - U E % Quelle: Europäische Kommission (2007d); Eurostat, Berechnungen der GD REGIO. Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, einem Bevölkerungsrückgang und schwächerer Wirtschaftskraft konfrontiert. Bezüglich der Ursachen dieses Prozesses haben empirische Studien gezeigt, Ungleichheit und Mobilität dass die räumliche Konzentration ökonomischer Aktivitäten innerhalb der Europäischen Union zu interregionalen Einkommensgefällen führt (Hudson 1999). Die gemeinsame Marktbildung kann eine Konzentration von Produktion zur Folge haben: Firmen neigen demnach dazu, sich auf wenige Standorte in der Nähe zu attraktiven Märkten zu konzentrieren, auch wenn die Lohnkosten dort höher sind. Dass dies kein zwangsläufiger Zusammenhang ist, belegt der Vergleich mit den USA: Dort findet sich trotz noch stärkerer ökonomischer Konzentration kein vergleichbares interregionales Einkommensgefälle (Martin 2003). Ein Grund dafür ist in der enormen geografischen Mobilität der Amerikaner zu sehen. Auch wenn sich die industrielle Produktion in einigen Landesteilen deutlich ausdünnt, sorgt die große Arbeitskräftemobilität dafür, dass die Einkommensdifferenzen nicht weiter wachsen. Da die europäische Binnenmigration hingegen trotz der Beseitigung aller rechtlichen Mobilitätshindernisse immer noch relativ gering ist, sind solche Effekte in Europa schwächer. Weiterhin kann gezeigt werden, dass die ungleiche Ausstattung von Regionen mit Humankapital als eine mögliche Ursache für das Fortbestehen oder sogar die Verschärfung von Disparitäten angesehen werden kann. »Gewinnerregionen« verfügen in der Regel über eine besser ausgebildete und qualifizierte Bevölkerung, während »Verliererregionen« eine deutlich schlechtere Ausstattung mit Humankapital aufweisen (Rodriguez-Pose 2003). Ähnlich wie für die Disparitäten beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf gilt auch für die Ungleichheiten im Bereich Humankapital, dass diese zwischen den Regionen größer sind als zwischen den Ländern. Rückständige Regionen haben einen deutlich geringeren Anteil an Personen mit abgeschlossener Tertiärbildung als andere. Im Durchschnitt liegt dieser etwa zehn Prozentpunkte unterhalb des Anteils an Hochschulabsolventen in anderen Regionen (Europäische Kommission 2007c: 83). <?page no="269"?> 13 Horizontale Europäisierung Definition Unter horizontaler Europäisierung werden Kontakte, Interaktionen und soziale Beziehungen zwischen unterschiedlichen europäischen Ländern sowie Formen paneuropäischer Mobilität verstanden (Austausch und Verflechtung zwischen den Mitgliedsstaaten). In diesem Kapitel soll die Perspektive der horizontalen Europäisierung eingehorizontale Verflechtung und Austausch nommen werden, welche sich auf die grenzüberschreitenden Interaktionen und Transaktionen zwischen den einzelnen Mitgliedsländern und ihren Bevölkerungen bezieht (Beck/ Grande 2004). Dies ist ein wichtiger Ansatzpunkt für die Soziologie der Europäisierung, denn hier zeigt sich, ob die politische und wirtschaftliche Integration mit einem Mehr an grenzüberschreitender sozialer Verflechtung zwischen den europäischen Gesellschaften einhergeht: »Europäische Integration, soziologisch verstanden, meint […] die wechselseitigen, horizontal verlaufenden Verflechtungen und Vermischungen zwischen den europäischen Gesellschaften. Diese sind von ihrem Wesen her transnational, auf eine oder mehrere Gesellschaften gerichtet, nicht supranational auf ein gemeinsames Zentrum. ›Brüssel‹ ist ein neues politisches Herrschaftssystem, aber keine neue Gesellschaft. Die dyadischen Verbindungen zwischen je zwei Gesellschaften - der deutschen und der französischen, der französischen und der belgischen […] usw. - sind die kleinsten Einheiten, aus denen europäische Integration in einer makrosoziologischen Perspektive erwächst. Der soziologische Blick muss deshalb zur Seite gehen, nicht nach oben.« (Delhey 2005: 11) Allerdings sind beide Ebenen nicht voneinander getrennt: So ist die horizontale Europäisierung stark durch politische Prozesse beeinflusst, wenn man beispielsweise an den Rückbau nationalstaatlicher Grenzen und die gesteigerten Möglichkeiten des grenzüberschreitenden Austausches denkt. Auch Karl W. Deutschs (1957; 1968) Transaktionalismusansatz betont beispielsweise, dass ökonomische und politische Transaktionen zwischen Ländern auch einen engeren Austausch zwischen Individuen hervorrufen. Durch die Intensivierung des grenzüberschreitenden Austausches wiederum werden sich gemäß dieses Ansatzes immer mehr Menschen der Vorteile dieses Austausches bewusst und partizipieren an transnationaler Interaktion; hierdurch könne soziale Distanz überwunden und Vorurteile abgebaut werden. In den folgenden Abschnitten werden wir verschiedene Formen horizontaler grenzüberschreitender Aktivitäten innerhalb Europas beschreiben, um das Ausmaß der Transnationalität und Vernetzung unter Europas Bürgern zu bestimmen. Wir stellen dabei die Häufigkeit und Dichte horizontaler Verbindungen im Alltagsleben ins Zentrum. Zunächst beginnen wir mit der Infrastruktur der Transnationalisierung, also den sachlichen und technischen Bedingungen für Mobilität und <?page no="270"?> 13.0 Die Infrastruktur der horizontalen Europäisierung 271 Kommunikation über Grenzen hinweg. Danach geht es um transnationale Erfahrungen im Rahmen von Reisen, Auslandsaufenthalten, Städtepartnerschaften und transnationalen sozialen Netzwerken. 59 Ein abschließender Abschnitt widmet sich der intraeuropäischen Migration. 13.1 Die Infrastruktur der horizontalen Europäisierung Eine wichtige Grundlage transnationaler Verflechtung wird durch die Infrastruktur des Verkehrs und der Kommunikation bereitgestellt. Versteht man Sozialstruktur als relativ stabiles System sozialer Beziehungen, dann ist entscheidend, ob und europäische Infrastruktur des Transports und der Kommunikation unter welchen Bedingungen soziale Beziehungen aufgenommen werden können. Europa gilt insgesamt als ein verkehrs- und kommunikationstechnisch weitestgehend erschlossenes Gebiet. Im Vergleich zu Kontinenten wie Afrika oder Asien, wo nur wenige Menschen Zugang zu einer guten Infrastruktur haben, ist Europa durch Straßen, Schienennetze und ein ausgebautes System des öffentlichen Verkehrs und der Kommunikation gekennzeichnet (Jordan-Bychkov/ Bychkova Jordan 2003). Mit den politischen Integrationsbestrebungen geht einher, dass sich auch die infrastrukturellen Bedingungen des Austausches und der Kommunikation innerhalb Europas weiter verbessert haben. Allein ein Blick auf Autobahnen und Zuglinien zeigt, dass die wichtigsten europäischen Verkehrswege über nationalstaatliche Grenzen hinweg ausgebaut sind (vgl. Espon Project 2004, 2006a). In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind zahlreiche Verkehrsprojekte durchgeführt worden, welche zum Ziel haben, unterschiedliche europäische Regionen besser miteinander zu verbinden. Die Bahnunternehmen der einzelnen Nachbarländer kooperieren verstärkt und schaffen immer mehr und immer schnellere Verbindungen zwischen den urbanen Ballungszentren Europas. Nachbarländer und -regionen intensivieren ihre Zusammenarbeit, um die Zahl der Grenzüberschreitungen zu erhöhen und regelmäßigen grenzüberschreitenden Verkehr zu vereinfachen. Neben den einzelnen Nationalregierungen hat sich in den vergangenen Jahren vor allem auch die Europäische Kommission für die Idee uneingeschränkter europäischer Mobilität und den Ausbau europäischer Verkehrsnetze stark gemacht. Die EU-Kommission avisiert eine Verdopplung des grenzüberschreitenden Verkehrs zwischen EU-Mitgliedsstaaten bis 2020 und fördert daher den Ausbau europäischer Transportnetze mit erheblichem finanziellen Aufwand (vgl. Europäische Kommission 2001; TNS Opinion & Social 2005). Ein herausragendes Beispiel der grenzüberschreitenden Infrastrukturprojekte ist der Eurotunnel mit etwa 50 Kilometern Länge, der Dover (Großbritannien) und Calais (Frankreich) verbindet. Dieses Projekt wurde bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts entworfen, musste allerdings aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden beteiligten Regierungen immer wieder aufgeschoben werden. Im Zuge wachsender 59 Die Abschnitte 13.1 und 13.2 gehen zu weiten Teilen auf Mau/ Büttner (2008; 2009) zurück. <?page no="271"?> 272 13 Horizontale Europäisierung grenzüberschreitender Kooperationen und fortlaufender europäischer Integration entschieden sich Frankreich und Großbritannien dafür, das Projekt zu realisieren. Heute wird der 1994 offiziell eröffnete Eurotunnel von etwa sieben Millionen Menschen pro Jahr genutzt. Flugverkehr Eine wichtige Rolle für den Ausbau der grenzüberschreitenden Verkehrsinfra- Verkehrsnetze der Erreichbarkeit struktur in Europa spielt die von der EU-Kommission vorangetriebene Liberalisierung des Luftverkehrs. Private Fluggesellschaften haben nun vollen Marktzugang und können ihre Preispolitik eigenständig gestalten (Europäische Kommission 2004b). Eine direkte Folge dieser Reform ist ein enormer Zuwachs an europäischen Luftfahrtunternehmen und Flugverbindungen. Derzeit gibt es in Europa mehr als 130 Fluggesellschaften, die ein Netzwerk von über 450 Flughäfen unterhalten. Darüber hinaus hat der Aufstieg neuer, sogenannter »Billig-Airlines« den Reise- und Transportmarkt in den letzten Jahren revolutioniert und die Reisemöglichkeiten innerhalb Europas erheblich gesteigert. Im Zusammenhang mit den Billig-Airlines ist auch die Zahl der Fluggäste innerhalb der Europäischen Union signifikant angestiegen: allein im Zeitraum von 2003 bis 2004 um 8,8 % auf insgesamt 650 Millionen Flugpassagiere (in der EU-25). Etwa 42 % - also nahezu 300 Millionen Passagiere - flogen innerhalb Europas, der Rest befand sich auf Inlandsflügen (24 %) oder auf Flügen mit Zielen außerhalb der EU (34 %). In den letzten Jahren hat es zudem einen gewaltigen Anstieg der Verbindungen mit Hin- und Rückflugmöglichkeit am selben Tag gegeben (Schaubild 34). Ein Blick auf die tägliche Erreichbarkeit über den Luftweg zeigt, dass die größten Ballungsräume Europas bereits eng miteinander verbunden sind (vgl. Espon Project 2006a: 34ff.). Dies gilt vor allem für Paris, Brüssel, Frankfurt am Main und London; in eingeschränktem Maße auch für andere Städte wie Kopenhagen, Amsterdam, Hamburg, Berlin, Köln, München, Zürich, Prag, Wien und Rom. Die meistfrequentierten innereuropäischen Flugverbindungen bestehen zwischen Großbritannien und Spanien (mit 33,6 Millionen Passagieren 2004) sowie zwischen Deutschland und Spanien (19,3 Millionen). Andere hochfrequentierte Verbindungen sind Frankreich - Großbritannien (11,1 Millionen), Irland - Großbritannien (10,6 Millionen) sowie Deutschland - Großbritannien (10,1 Millionen). Die wichtigsten Verbindungen zwischen alten (EU-15) und neuen Mitgliedsstaaten bestehen zwischen Großbritannien und Zypern (2,8 Millionen) sowie Großbritannien und Tschechien (2,1 Millionen) (De La Fuente Layos 2006; Eurostat 2006). Trotz der enormen Verdichtung des europäischen Verkehrsraums gilt, dass das transeuropäische Verkehrs- und Transportnetz keineswegs gleichmäßig über das ungleiche Erreichbarkeit Territorium der Europäischen Union verteilt ist. Vielmehr kann man von einem klaren Ost-West- und Nord-Süd-Gefälle im Bezug auf Vernetztheit und Erreichbarkeit sprechen (vgl. Espon Project 2004, 2006b). Die zentraleuropäischen Länder mit der höchsten Bevölkerungsdichte, d. h. Deutschland, Österreich, Belgien, die Niederlande und Frankreich, sind über zahlreiche tägliche Flugverbindungen und grenzüberschreitende Autobahnen und Zuglinien gut verbunden (Strelow 2006). Ein hohes Maß an Vernetztheit besteht auch zwischen diesen Ländern und den Britischen Inseln sowie Italien. Im Verhältnis dazu sind die Autobahnen und Zuglinien zwischen den westeuropäischen Staaten und ihren östlichen Nachbarn <?page no="272"?> 13.1 Die Infrastruktur der horizontalen Europäisierung 273 | Schaubild 34 Tägliche Erreichbarkeit zwischen urbanen Zentren Europas Quelle: Espon (2006a: 39); eigene Darstellung; internationale Flugverbindungen, die eine tägliche Hin- und Rückkehr anbieten (2003, EU-25). bisher nur rudimentär ausgebaut. Die am leichtesten zu erreichenden Orte in den neuen EU-Mitgliedsstaaten sind die Hauptstädte und einige regionale Zentren. Ähnlich sieht es in einer Reihe der nord- und südeuropäischen Länder aus. Obwohl diese Länder intern sehr gute Transportwege haben, dienen nur einige urbane Ballungszentren als Knotenpunkte für den internationalen Reise- und Warenverkehr. Dies gilt etwa für Städte wie Oslo, Stockholm, Helsinki, Athen, Madrid, Barcelona, Lissabon und Zielorte des Massentourismus wie Palma de Mallorca, Malaga, Niko- <?page no="273"?> 274 13 Horizontale Europäisierung sia und Thessaloniki. Alle anderen Städte und Regionen in Nord-, Ost- und Südeuropa sind stärker innerstaatlich als transnational vernetzt. Kommunikative Vernetzung Während die neuen Transportwege erweiterte Möglichkeiten der Mobilität und des direkten Kontakts zwischen Menschen in unterschiedlichen Ländern Europas eröffnen, erlauben die Kommunikationstechnologien den Kontakt über größere geografische Distanzen. Ein erheblicher Teil transnationaler Interaktionen im Alltag findet heute via Telekommunikation und weiteren Formen des Austauschs über elektronische beziehungsweise digitale Medien statt. Nie zuvor war grenzüberschreitende Kommunikation so schnell, so einfach und so günstig wie heute. Die rasante Ausweitung der neuen Kommunikationsmittel versetzt Menschen in die Lage, problemlos berufliche, freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen über große Entfernungen hinweg aufrecht zu halten. Sowohl die Digitalisierung des Datentransfers als auch - analog zum Luftverkehr - die Entmonopolisierung und Privatisierung des Telekommunikationssektors in den Kommunikation EU-Mitgliedsstaaten haben einen starken Anstieg der Nutzung und Verbreitung dieser Technologien zur Folge gehabt. Aufgrund der Abschaffung der staatlichen Monopole im Jahre 1998 sind die Preise für Ferngespräche innerhalb weniger Jahre erheblich gesunken. So hat beispielsweise ein zehnminütiges Ferngespräch innerhalb Deutschlands im Jahr 1997 noch etwa 2,80 Euro gekostet. Ein internationaler Anruf gleicher Länge konnte abhängig vom Zielort doppelt so teuer sein. Nur zehn Jahre später kostet derselbe Anruf durchschnittlich nur noch circa vier Prozent des früheren Preises - ganz unabhängig davon, ob national oder international -, insbesondere bei Anrufen innerhalb des Kerngebiets der Europäischen Union. Die Verbreitung moderner Kommunikationstechnologie ist sicherlich kein spezifisch europäisches Phänomen. Dennoch haben die »digitale Revolution« und die Schaffung eines europäischen Telekommunikationsmarktes auch die Europäer näher zusammengebracht. Hinsichtlich des Ausbaus der Kommunikationsinfrastruktur stellt Europa eine der am weitesten entwickelten Regionen der Welt dar. Es bieten sich zahlreiche Möglichkeiten zur Kommunikation über weite Entfernungen hinweg. So existieren circa 226 Millionen Festnetzanschlüsse in den Ländern der EU-25, und die Zahl der Mobilfunkverträge ist auf über 400 Millionen angewachsen (Lumio 2006). Mehr als 90 % aller europäischen Unternehmen sowie über die Hälfte der EU-Bevölkerung haben bereits Zugang zum Internet und nutzen diesen regelmäßig (siehe auch Abschnitt 10.1). Es lässt sich jedoch ein spürbares Nord-Süd-Gefälle bezüglich der Internetnutzung feststellen. In Ländern wie den Niederlanden, Schweden und Dänemark liegt die private Internetnutzung bei über 70 %. In südeuropäischen Ländern und in den neuen EU-Mitgliedsstaaten hingegen ist die Verbreitung noch um einiges geringer, obwohl sich insbesondere in einigen Ländern Osteuropas (z. B. im Baltikum) rasante Entwicklungen vollziehen (Demunter 2005). <?page no="274"?> 13.2 Transnationale Erfahrungen und Begegnungen 275 13.2 Transnationale Erfahrungen und Begegnungen Methodische Hinweise Die Darstellung der transnationalen Erfahrungen erfolgt in diesem Abschnitt anhand von Zahlen aus Eurostat-Veröffentlichungen (Tourismus), Daten der UNESCO (Studierendenmobilität) sowie des Survey Transnationalisierung (transnationale Kontakte und Beziehungen). Die Odds Ratio (Quotenverhältnis) ist ein Zusammenhangsmaß, das angibt, um wie viel größer für eine bestimmte Merkmalsausprägung die Chance ist, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt. Errechnet wird die Odds Ratio als Quotient der Chance, dass ein Ereignis für eine Merkmalsausprägung eintritt und der Chance, das ein Ereignis für eine andere Merkmalsausprägung eintritt. Eine Odds Ratio kleiner 1 zeigt eine kleinere Chance an, ein Wert größer 1 eine größere Chance und ein Wert von 1 bedeutet, dass die Chancen gleichverteilt sind. Zentral für die horizontale Europäisierung ist die Zunahme an transnationalen vom »Container« zum europäischen Erfahrungsraum Erfahrungen der Europäer, also ein Mehr an Begegnungen und sozialem Austausch über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Der Prozess der Europäisierung und die genannten Veränderungen in Transport und Kommunikation katalysieren diese Entwicklungen. Zwar gab es schon zuvor viele transnationale Verbindungen, beispielsweise durch Gelehrtennetzwerke oder Bevölkerungswanderungen (vgl. Abschnitt 2.3), aber für die Masse der Europäer gehörte die transnationale Erfahrung nicht zum Alltag. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg und im Zuge der europäischen Aussöhnung kam es zu einer Verbreitung und Normalisierung der zwischennationalen Kontakte und der europäischen Erfahrungen aus erster Hand. »Bis ungefähr Mitte des 20. Jahrhunderts reichte der geografische Raum der Masse der Europäer in den Alltagserfahrungen normalerweise nicht über das eigene Land, oft nicht einmal über die eigene Region hinaus. Nur eine kleine Minderheit der Europäer, die europäischen Oberschichten und einige Spezialberufe, auch die Bewohner von Grenzgebieten kannten andere europäische Länder aus regelmäßiger eigener Erfahrung. Die Masse der Europäer kannte im Alltag andere europäische Länder nur durch Zeitungen, durch Bücher, durch das Radio, durch die oft zielgerichtet ausgewählten Berichte anderer. Sie lernten persönlich entweder nur das nichteuropäische Ausland oder das europäische Ausland nur in Form traumatischer Erfahrungen kennen […] Eine große Zahl von Europäern erlebte andere europäische Länder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem im Krieg - als Soldaten, als Kriegsgefangene, als Deportierte, als Flüchtlinge […] Auch wenn diese Kriegserfahrung anderer europäischer Länder da und dort in positiven persönlichen Beziehungen endete, führte diese Massenerfahrung anderer europäischer Länder nicht in die Alltagswirklichkeit anderer Gesellschaften hinein und war auch für die Erfahrenden keine normale, wiederholbare Alltagssituation.« (Kaelble 1997: 54f.) Für die Europäer von heute gilt, dass sie in vielfacher Weise in ein Netz des sozialen Austausches und des interkulturellen Kontakts einbezogen sind. Dazu gehören beispielsweise Formen der Studentenmobilität, Jugendaustausche, Städtepartnerschaften, grenzüberschreitende soziale Beziehungen und Netzwerke oder auch touristische Erfahrungen. Diese tragen zu einer Verdichtung des Kommunikations- und Sozialraums Europa bei. Die erweiterten Möglichkeiten, in der EU zu reisen und zu arbeiten, werden von den EU-Bürgern auch mehrheitlich als positiv <?page no="275"?> 276 13 Horizontale Europäisierung gesehen und finden mehr Wertschätzung als beispielsweise die gemeinsame Währung oder die EU als Friedensordnung (Krieger 2008). Dabei gibt es zweifelsohne große Abstufungen im Grad der Einbindung in Prozesse der horizontalen Europäisierung. So wissen wir, dass sich in Brüssel schon eine eigene politische und administrative Elite herausgebildet hat (siehe Abschnitt 12.1). Andere soziale Gruppen und Schichten, so in ländlichen und peripheren Regionen, sind demgegenüber in ihrem Alltag weit weniger in europäische Austausche einbezogen. Die Verbreitung des Tourismus in Europa Stellt man die Frage, in welchen sozialen Kontexten die »transnationale euro- Tourismus als transnationale Erfahrung päische Erfahrung« am weitesten verbreitet sei, dann ist als Erstes der Tourismus zu nennen. Während früher nur eine Minderheit der nationalen Bevölkerungen regelmäßig ins Ausland reiste, ist Tourismus heute eine ganz zentrale Form des Zugangs zu anderen Nationen und Kulturen. In den vergangenen Dekaden sind immer weitere touristische Ziele erschlossen worden. Zwar gibt es eine gewisse Skepsis, was den Tiefgang und die sozialen Folgen touristischer Erfahrungen angeht, aber zweifelsohne eröffnen touristische Reisen neue Horizonte und soziale Erfahrungsräume. Daher kann das touristische Reisen durchaus als eine wichtige Dimension des Überschreitens nicht bloß physischer, sondern auch kultureller Grenzen begriffen werden. Auch das Lernen und Nutzen von Fremdsprachen findet in den meisten Fällen im Rahmen von Urlaubsreisen statt (TNS Opinion & Social 2006). Hinsichtlich der Erreichbarkeit und der Reisekosten unterscheiden sich viele ausländische Ziele mittlerweile kaum mehr von inländischen Urlaubsorten. Vielmehr ist ein Ergebnis der Entwicklung des modernen Massentourismus, dass Reiseziele im Ausland manchmal sogar einfacher und günstiger zu erreichen sind als vergleichsweise nahe Ziele (Opaschowski 2006). So hat sich der Anteil der Personen, die ihre Ferien im Ausland verbringen, massiv erhöht. Der Welttourismusorganisation (UNWTO) zufolge hat der Tourismus - gemessen an internationalen Ankünften - seit den 1950er-Jahren weltweit um das 30fache zugenommen: von ungefähr 25 Millionen im Jahr 1950 auf mehr als 800 Millionen im Jahr 2005. 60 Ungeachtet der steigenden Umweltbelastung und des drastisch gestiegenen Ölpreises wächst der Tourismus immer weiter. Es wird erwartet, dass die Anzahl internationaler Ankünfte im Jahre 2010 bereits die Marke von einer Milliarde durchbrechen wird. Insofern hat sich der Tourismus in vielen Ländern zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige und Einkommensquellen entwickelt (UNWTO 2006). Europa als touristische Zielregion Europa ist die wichtigste touristische Zielregion weltweit. In den Top Ten der wichtigsten Reiseländer finden sich sechs Mitgliedsländer der EU, nämlich Spa- 60 In diesen Zahlen sind Geschäftsreisenenthalten; 2005 waren das 16 % aller internationalen Ankünfte. Die Hälfte der Ankünfte machen jedoch reine Urlaubsreisen aus (UNWTO 2006). <?page no="276"?> 13.2 Transnationale Erfahrungen und Begegnungen 277 nien, Frankreich, Italien, Großbritannien, Deutschland und Österreich. Aufgrund des relativen Wohlstandes und auch eines Mehr an Freizeit machen die Europäer heute deutlich mehr Urlaube als noch in den 1950er- und 1960er-Jahren und liegen damit vor den Bewohnern anderer Kontinente. 2004 wurden in der EU-25 insgesamt 400 Millionen Ferienaufenthalte von mehr als vier Tagen Dauer registriert. Nur ein Teil dieser Reisen ging ins Ausland, den Rest verbrachten die Europäer in ihrem jeweiligen Heimatland (Bovagnet 2006b). Fast 200 Millionen Europäer der EU-25 unternahmen längere Auslandsreisen. Zwei Drittel aller Auslandsreisen haben europäische Länder zum Ziel. Die beliebtesten Reiseziele der Europäer (EU-25) sind Spanien, Italien und Frankreich. Andere populäre Ziele sind Österreich, Großbritannien, Deutschland, die Niederlande, Portugal und Irland. Diese Länder verbuchen 90 % des internationalen Tourismus in der Europäischen Union (Europäische Kommission 2007c: 3ff.). Schaubild 35 bildet die Hauptströme des europäischen Tourismus nach Herkunfts- und Zielland ab. Dargestellt sind jeweils das wichtigste Zielland des jewei- | Schaubild 35 Wichtigste Zielländer des europäischen Tourismus Quelle: Bovagnet (2006a: 5); eigene Darstellung; die Pfeile markieren die wichtigsten Ziele des innereuropäischen Tourismus nach Herkunftsland (EU-25); die Prozentangaben stellen den jeweiligen Anteil an allen Auslandreisen dar. <?page no="277"?> 278 13 Horizontale Europäisierung ligen Herkunftslands sowie der Anteil an allen Auslandstouristen des jeweiligen Landes, die in das entsprechende Zielland reisen. In die Darstellung einbezogen sind lediglich internationale Reisen mit vier oder mehr Übernachtungen, und somit ist die große Bedeutung der Kurztrips für den europäischen Tourismus nicht erfasst. Spanien ist in allen nordeuropäischen und den meisten kerneuropäischen Ländern das mit Abstand beliebteste Urlaubsziel. Insbesondere zwischen den Britischen Inseln auf der einen Seite und Spanien auf der anderen Seite herrscht dichter Reiseverkehr. Von allen längeren Auslandsreisen gehen in Irland 32 % und in Großbritannien 28 % nach Spanien. Belgier, Niederländer, Luxemburger und Italiener präferieren Frankreich als Urlaubsziel, während Menschen aus den baltischen Staaten und aus Polen gerne nach Deutschland reisen. Tabelle 30 zeigt, dass es im Hinblick auf die Verbreitung der Auslandsreisen Urlaubsreisen ins europäische Ausland sehr große Unterschiede zwischen den einzelnen europäischen Ländern gibt. So reisen die Bürger Luxemburgs, Belgiens, Irlands, Dänemarks und Deutschlands weitaus häufiger ins Ausland als die Bürger Frankreichs, Spaniens oder Itali- Tab. 30 | Ziele der Urlaubsreisen mit vier und mehr Übernachtungen Urlaubsreisen nach Reisezielen d n a l n I d n a l s u A Land Insgesamt innerhalb der EU-25 außerhalb der EU-25 Insgesamt EU-15 44,3 66,6 33,4 55,7 Belgien 78,8 77,1 22,9 21,2 Dänemark 69,1 72,3 27,7 30,9 Deutschland 64,0 67,8 32,2 36,0 Irland 72,6 78,0 22,0 27,4 Griechenland 9,8 46,9 53,1 90,2 Spanien 11,9 59,1 40,9 88,1 Frankreich 17,1 47,6 52,4 82,9 Italien 24,9 54,1 45,9 75,1 Luxemburg 99,3 82,1 17,9 0,7 Niederlande 62,3 76,0 24,0 37,7 Österreich 64,7 59,2 40,8 35,3 Portugal 22,6 67,1 32,9 77,4 Finnland 30,5 58,9 41,1 69,5 Schweden 47,5 65,6 34,4 52,5 Großbritannien 58,6 72,1 27,9 41,4 Tschechien 42,1 55,6 44,4 57,9 Estland 49,3 - - 50,7 Zypern - 68,7 31,3 : Lettland 51,5 41,0 59,0 41,8 Litauen 61,1 43,2 56,8 38,9 Ungarn 27,2 - - 72,8 Malta - - - - Polen 2 18,2 71,9 28,1 81,8 Slowenien 73,0 14,1 85,9 27,0 Slowakei 43,4 53,8 46,2 56,6 EU-25 1 43,1 65,9 34,1 56,9 Quelle: Bovagnet (2006b: 2); Anteil der Urlaubsreisenden in Prozent der Bevölkerung, die im Jahr 2004 mindestens eine Urlaubsreise mit mindestens vier Übernachtungen außerhalb ihres normalen Wohnsitzes unternommen haben; 1 EU-25 bis auf fehlende Werte; 2 Schätzwert. <?page no="278"?> 13.2 Transnationale Erfahrungen und Begegnungen 279 ens. Diese letztgenannten Länder sind gleichzeitig die attraktivsten Reiseziele für Urlaubsreisen. Allerdings ist bei kürzeren Reisen, wie den Städtereisen, auch zu erkennen, dass vermehrt traditionell wenig populäre Ziele im Norden des Kontinents besucht werden. Größere Unterschiede zeigen sich zudem zwischen den alten und den neuen Mitgliedsländern: Der Anteil an der Bevölkerung, der im Inland Urlaub macht, ist in Ländern wie Ungarn oder Polen viel größer als der Anteil derjenigen, die im Ausland Urlaub machen. Soweit Daten vorhanden sind, gilt hier, dass ein sehr hoher Prozentsatz der Urlaube innerhalb der EU stattfindet und weniger außerhalb. Ausnahmen hiervon sind Länder wie Slowenien, Lettland und Litauen, die alle an den Außengrenzen der EU liegen. In Tabelle 30 sind lediglich Reisen mit vier oder mehr Übernachtungen berücksichtigt. Es wird aber geschätzt, dass heute mehr als die Hälfte aller Reisen innerhalb Europas Kurztrips mit ein bis drei Übernachtungen sind (Carley et al. 2007: 23ff.). Eine Vorliebe für Kurzreisen findet sich vor allem bei finnischen, schwe dischen und spanischen Touristen (70 % und mehr). In Dänemark, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und Luxemburg ist der Zuwachs an Kurztrips größer als bei längeren Reisen. Der Großteil dieser Reisen sind Urlaubsreisen, während Geschäftsreisen nur einen Bruchteil ausmachen. Insgesamt machen diese Daten deutlich, dass Ferienreisen und Kurztrips ins europäische Ausland für immer mehr Europäer zur Normalität geworden sind. Diese Entwicklung steht in engem Bezug zu den bereits angesprochenen strukturellen Veränderungen Europas in den letzten zehn Jahren. Die neuen Fluglinien schaffen nicht nur neue Reisemöglichkeiten, sondern erschließen auch ganz neue Bevölkerungsgruppen für den grenzüberschreitenden Tourismus. Studentenmobilität Eine weitere wichtige Komponente der horizontalen Europäisierung ist der europäische Studentenaustausche Bereich der Studentenmobilität. Das Auslandsstudium ist oftmals ein erster wichtiger Einschnitt im Lebenslauf junger Menschen und zuweilen sogar der Beginn einer internationalen Karriere. Zu den Besonderheiten zählen hierbei vor allem der Erwerb von sogenannten »interkulturellen Kompetenzen« wie etwa das Erlernen von Fremdsprachen, das Knüpfen von Kontakten mit Menschen aus anderen Ländern und das Lösen von alltäglichen Problemen in einer fremden Umgebung. Im internationalen Vergleich der Studentenmobilität gibt es erhebliche Unterschiede. Global gesehen gehen die Mobilitätsströme aus den weniger entwickelten Ländern in die hoch entwickelten Länder, so zum Beispiel in die USA. Eine große Zahl der mobilen Studenten kommt aus Asien oder Lateinamerika. Vergleicht man nur die hoch entwickelten Länder miteinander, dann erweisen sich die europäischen Länder als durchaus mobilitätsaktiv. Sie nehmen bezogen auf ihre Studierendenzahlen viele ausländische Studierenden auf, und gleichzeitig sind ihre Studierenden häufig im Rahmen ihres Studiums im Ausland. Die wichtigsten Sende- und Empfängerländer von Studierenden sind Deutschland, Frankreich und Spanien. Besonders wichtig für den europäischen Studentenaustausch sind die von der EU aufge- <?page no="279"?> 280 13 Horizontale Europäisierung legten und geförderten Mobilitätsprogramme. Das Erasmus-Programm, welches 1987 eingeführt wurde, ist zum wichtigsten Katalysator dieser Mobilität geworden. Es unterstützt Studienaufenthalte im Ausland und ermöglicht Studierenden beteiligter Universitäten, gebührenfrei im Ausland zu studieren. Zusätzlich stellt es Mittel für die Zusatzkosten eines Auslandsstudiums bereit und sichert, dass Studienleistungen wechselseitig anerkannt werden. Seit seiner Einführung sind 1,4 Millionen Studierende mit Unterstützung dieses Programms im Ausland gewesen. Das Programm startete dabei relativ bescheiden im Wintersemester 1987/ 88 mit circa 3.000 Teilnehmern und wuchs bis heute auf fast 150.000 Teilnehmer pro Semester an. Heute umfasst es insgesamt 22.000 Hochschulinstitutionen in 31 Ländern. Betrachtet man die Mobilität von Studierenden nach Europa und innerhalb Europas insgesamt, dann zeigen sich länderspezifische Muster. Die Ausprägung studentischer Mobilität steht im Zusammenhang mit bestimmten historischen Beziehungen und Faktoren wie eine geografische Nähe zwischen den jeweiligen Ländern. Tabelle 31 stellt die Wanderungsströme von Studierenden in ausgewählten EU-Ländern mit den jeweiligen Herkunfts- und Zielländern dar: zuerst die fünf für Studierende aus dem Ausland attraktivsten EU-Länder, darauf folgend einige andere ausgewählte EU-Länder (UNESCO 2006b). Es zeigt sich, dass sich die Herkunftsländer der einreisenden Studierenden in den verschiedenen Zielregionen stark voneinander unterscheiden, jedes der Länder hat eigene Verflechtungen. Während die Mehrheit der ausländischen Studierenden in Großbritannien aus Nordamerika oder Westeuropa sowie Ostasien und dem Pazifikraum kommt, stellen Studierende aus Zentral- und Osteuropa die Mehrheit in Deutschland. In Frankreich hingegen machen Studierende aus Westeuropa und Nordamerika lediglich einen Anteil von 16 % aller Auslandsstudenten aus, während mehr als die Hälfte aller einreisenden Studierenden aus arabischen Ländern und Afrika stammt. Was die Zielländer europäischer Studierender angeht, so stehen andere europäische Länder hoch im Kurs. Für alle dargestellten Länder gilt, dass unter den Top Five der Zielländer mindestens drei europäische Länder sind, in den meisten Fällen sogar vier. Neue Dynamik entsteht durch die relativ mobilen Studierenden aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten Mittel- und Osteuropas. Es verlassen wesentlich mehr Studierende diese Länder als dass in sie eingereist wird, das Verhältnis von einwandernden zu auswandernden Studierenden in Polen ist eins zu vier, in Lettland und Rumänien liegt es bei etwa eins zu zwei. Hier lässt sich ein klarer Wanderungstrend von Studierenden aus östlichen in westliche Länder Europas, aus neuen in alte EU-Mitgliedsländer und aus Nicht-EU-Staaten in die neuen osteuropäischen Mitgliedsländer der EU konstatieren. Insbesondere die innereuropäische Ost-West-Wanderung deutet auf das Entstehen eines europäischen Bildungsmarktes hin, innerhalb dessen viele junge Menschen der neuen Mitgliedsstaaten einen Teil ihrer Bildungskarriere im europäischen Ausland verbringen. Die europäische Erfahrung während des Studiums hat für viele Studierende einen besonderen Stellenwert. Neben dem fachlichen Fortkommen liegt das Inte- <?page no="280"?> 13.2 Transnationale Erfahrungen und Begegnungen 281 | Tab. 31 Internationale Studentenmobilität Land Anzahl einreisender Studierender Wichtigste Herkunftsregionen der Studierenden Anzahl ausreisender Studierender Beliebteste Zielländer ausreisender Studierender Verhältnis: Einreisende zu Ausreisenden Beliebteste EU-Zielländer: Nordamerika Westeuropa Ostasien und der Pazifikraum Süd- und Westasien Großbritannien 300.056 39% 31% 8% 23.542 1. USA (36%) 2. Frankreich (11%) 3. Deutschland (9%) 4. Irland (9%) 5. Australien (7%) 13: 1 Zentral- und Osteuropa Nordamerika Westeuropa Ostasien und der Pazifikraum Deutschland 260.314 40% 21% 16% 56.410 1. Großbritannien (21%) 2. USA (16%) 3. Frankreich (12%) 4. Schweiz (10%) 5. Österreich (10%) 5: 1 Arabische Länder Subsaharisches Afrika Nordamerika Westeuropa Frankreich 237.587 32% 17% 16% 53.350 1. Belgien (23%) 2. Großbritannien (21%) 3. USA (13%) 4. Deutschland (13%) 5. unbekannt (12%) 5: 1 Zentral- und Osteuropa Nordamerika Westeuropa Lateinamerika und die Karibik Italien 40.641 39% 36% 8% 38.544 1. Deutschland (21%) 2. Österreich (16%) 3. Großbritannien (14%) 4. Frankreich (12%) 5. Vatikan (11%) 1: 1 Nordamerika Westeuropa Subsaharisches Afrika Arabische Länder Belgien 37.103 60% 12% 9% 10.729 1. Frankreich (26%) 2. Großbritannien (23%) 3. Niederlande (19%) 4. Deutschland (10%) 5. USA (8%) 4: 1 Ausgewählte Fälle (nach geografischer Lage): Nordamerika Westeuropa Keine Angabe Zentral- und Osteuropa Schweden 32.469 50% 22% 12% 13.392 1. Großbritannien (25%) 2. USA (23%) 3. Norwegen (8%) 4. Australien (8%) 5. Deutschland (6%) 2: 1 Subsaharisches Afrika Nordamerika Westeuropa Lateinamerika und die Karibik Portugal 15.483 57% 21% 16% 11.213 1. Frankreich (24%) 2. Großbritannien (24%) 3. Deutschland (17%) 4. Spanien (12%) 5. USA (8%) 1: 1 Nordamerika Westeuropa Zentral- und Osteuropa Arabische Länder Griechenland 12.456 82% 11% 3% 49.631 1. Großbritannien (46%) 2. Deutschland (15%) 3. Italien (14%) 4. Frankreich (5%) 5. USA (4%) 1: 4 Nordamerika Westeuropa Ostasien und der Pazifikraum Süd- und Westasien Irland 10.201 62% 15% 6% 17.570 1. Großbritannien (84%) 2. USA (6%) 3. Frankreich (3%) 4. Deutschland (3%) 5. Australien (1%) 1: 2 Zentral- und Osteuropa Nordamerika Westeuropa Arabische Länder Rumänien 9.730 60% 22% 10% 20.680 1. Frankreich (22%) 2. Deutschland (20%) 3. USA (16%) 4. Ungarn (15%) 5. Italien (6%) 1: 2 Zentral- und Osteuropa Nordamerika Westeuropa Zentralasien Polen 7.608 63% 18% 8% 28.786 1. Deutschland (54%) 2. Frankreich (11%) 3. USA (10%) 4. Österreich (4%) 5. Italien (5%) 1: 4 Nordamerika Westeuropa Zentral- und Osteuropa Süd- und Westasien Lettland 2.390 49% 42% 4% 3.730 1. Russland (27%) 2. Deutschland (25%) 3. USA (11%) 4. Estland (8%) 5. Großbritannien (5%) 1: 2 Quelle: Mau/ Büttner (2009) auf der Grundlage von UNESCO (2006); Zahl/ Anteil der ein- und ausreisenden Studierenden in ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2004, sowie ihre jeweiligen Hauptherkunfts- und Zielländer (in Prozent der jeweiligen Menge); die Definitionen der Weltregionen folgen denen des UNESCO Institute of Statistics. <?page no="281"?> 282 13 Horizontale Europäisierung resse insbesondere in der Erweiterung sozialer und kultureller Erfahrungen. Stu- Prägung durch pan-europäische Erfahrungen dierende, die eine Zeit im europäischen Ausland verbracht haben, erlernen neue Sprachen und knüpfen neue Netzwerke. Befragungen von Erasmus-Studenten zeigen, dass viele von ihnen die Zeit im Ausland im Hinblick auf ihren Berufseinstieg für wichtig halten. Erasmus-Studenten und Studierende, die einen Teil ihrer Ausbildung im Ausland absolviert haben, bleiben zudem über ihre unmittelbare Studienphase hinaus international/ europäisch orientiert. In ihren beruflichen Kontexten haben frühere Teilnehmer des Erasmus-Programms zum Beispiel doppelt so häufig Kontakt ins Ausland wie nichtmobile Studierende (Bracht et al. 2006). Diese Verbreitung der europäischen Studentenmobilität hat auch dazu geführt, Studentenorganisationen dass sich grenzüberschreitende Studentenorganisationen und -netzwerke herausgebildet haben. Ein Beispiel ist die Vereinigung AEGEE (Association des Etats Généraux des Etudiants de l’Europe), in welcher mehr als 15.000 Studierende aus 40 europäischen Ländern organisiert sind. Diese Organisation wurde von Studierenden mit dem Ziel gegründet, den Euroskeptizimus zu überwinden und europäischen Austausch anzuregen. Neben diesen Studentenorganisationen gibt es zahlreiche Zusammenschlüsse und Aktivitäten im Bereich des Jugend- und Schüleraustausches. Mit der Wandervogel-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich eine erste Form der transnationalen Organisation herausgebildet. Heute gibt es eine sehr große Zahl ähnlicher Organisationen und Begegnungsmöglichkeiten. So haben zum Beispiel seit seiner Einführung im Jahr 1963 mehr als sieben Millionen Jugendliche am deutsch-französischen Jugendaustausch teilgenommen. Europäische Städtepartnerschaften In Europa hat sich zudem ein dichtes Netz an Städtepartnerschaften entwickelt, dessen Ziel es ist, Kontakte zwischen Bürgern von Städten in unterschiedlichen Ländern zu entwickeln und zu fördern. Nicht selten gehen diese Partnerschaften auf die Initiative einzelner Bürger zurück und bringen dann eine Reihe von sozialen und kulturellen Aktivitäten hervor, die diese Verbindungen verbreitern und bestärken. Es gibt innerhalb Europas sehr aktive Städtepartnerschaften mit regelmäßigen Besuchsreisen und gemeinsamen Veranstaltungen. Der Europarat unterstützt die Idee der Städtepartnerschaften, weil dieser Form des Austausches eine Funktion für die kulturelle Verständigung zugeschrieben wird. Weiterhin gibt es das Eurocities-Netzwerk, in welches über 130 größere Städte in mehr als 30 europäischen Ländern einbezogen sind und welches ein Forum für gemeinsamen Austausch und wechselseitiges Lernen voneinander darstellt. Transnationale soziale Netzwerke Vergleichsweise wenig Informationen gibt es zu transnationalen sozialen Netzwerken, wie zum Beispiel zu Freundschafts- und Familiennetzwerken. Interessant wären Daten zu grenzüberschreitenden Netzwerken vor allem deshalb, weil mit ihnen eine bessere Einschätzung darüber möglich wäre, inwieweit den horizonta- <?page no="282"?> 13.2 Transnationale Erfahrungen und Begegnungen 283 len Netzwerken eine lebensweltliche Relevanz zukommt, und ob Europa tatsächlich den territorialen Zielhorizont neuer Formen der Grenzüberschreitung dartransnationale Kontakte der Deutschen stellt. Von einer europäischen Gesellschaft ließe sich dann reden, wenn es innerhalb des europäischen Raums deutlich verdichtete Sozialbeziehungen gäbe. Wir können an dieser Stelle weder auf Daten zurückgreifen, die uns ein umfassendes Bild der innereuropäischen sozialen Vernetzung geben, noch auf international vergleichende Daten. Bisher liegt nur eine repräsentative Befragung für Deutschland (deutsche Staatsbürger) vor, der Survey Transnationalisierung (2006), welche transnationale Netzwerke und deren geografische Ausdehnung für 2.700 Befragte erfasst (vgl. Mau 2007). Auf diese Befragung soll im Folgenden exemplarisch eingegangen werden, um zu zeigen, inwieweit Europa tatsächlich einen wichtigen Bezugshorizont transnationaler Netzwerkbildung darstellt. Zunächst kann festgehalten werden, dass grenzüberschreitende soziale Beziehungen ein weit verbreitetes Phänomen sind (Tab. 32). So gibt knapp die Hälfte der befragten Deutschen (46,5 %) an, regelmäßigen privaten Kontakt zu mindestens einer Person im Ausland zu unterhalten. Im Durchschnitt verfügen diese transnational aktiven Personen über drei soziale Beziehungen zu Personen jenseits der nationalen Grenzen. Mit jeweils knapp 30 % gleich verteilt sind die Anteile derer, die angeben, Kontakt zu Ausländern beziehungsweise zu Deutschen im Ausland zu haben. Die durchschnittliche Zahl der Kontakte zu Ausländern liegt aber etwas höher als die zu den im Ausland lebenden Deutschen. In etwa gleich verteilt sind auch die durch Verwandtschaft beziehungsweise Freundschaften und Bekanntschaften mit Ausländern angegebenen transnationalen Kontakte. | Tab. 32 Verbreitung transnationaler sozialer Beziehungen Anteil der Befragten mit regelmäßigem privaten Kontakt zu mindestens einer/ einem… Person im Ausland Ausländer/ -in im Ausland Deutschen im Ausland ausländischen Ve rwandten im Ausland ausländischen Bekannten im Ausland 46,5 29,0 28,8 17,6 17,6 Durchschnittliche Anzahl der Personenkontakte in der jeweiligen Gruppe (Median, gerundet) 3 3 2 2 2 Quelle: Survey Transnationalisierung 2006. Hinsichtlich der räumlichen Struktur zeigt sich eine Konzentration der Kontakte räumliche Konzentration der Netzwerke auf Europa, Nordamerika und Australien, wenig Kontakt gibt es nach Afrika, Asien und Südamerika (Schaubild 36). Der asiatische Kontinent, der mit seinen 3,5 Milliarden Menschen einen riesigen Pool an potenziellen Kontakten darstellt, ist auffallend wenig Teil der transnationalen Netze der Befragten. Die Beziehungsnetzwerke spannen sich nicht um den ganzen Globus, sondern es gibt eine deutliche räumliche Verdichtung. Die ersten zehn Länder mit den größten Kontaktanteilen können schon zwei Drittel aller Kontakte auf sich vereinen; nimmt man weitere zehn Länder hinzu, dann sind es bereits 85 % aller Kontakte. <?page no="283"?> 284 13 Horizontale Europäisierung Schaubild 36 | Transnationale soziale Netzwerke deutscher Staatsbürger Quelle: Survey Transnationalisierung 2006; dargestellt ist die Höhe des Anteils der Bevölkerung, welcher regelmäßige Kontakte in das jeweilige Land angibt (bis zu vier Angaben pro Person). Die Weltkarte zeigt, dass wir es mit einer geografisch begrenzten Ausweitung transnationaler individueller Sozialkontakte zu tun haben. Unter den zehn wichtigsten Kontaktländern befinden sich sieben europäische Länder, hinzu kommen die USA, Australien und Kanada. Auf den ersten drei Plätzen stehen die USA, Frankreich und Großbritannien. Dies sind Länder, mit denen die Bundesrepublik auch enge wirtschaftliche und politische Verbindungen hat. Spanien liegt auf dem vierten Platz und damit weit vor seiner Bedeutung als Handelspartner und Herkunftsland von Migranten. Diese Position erklärt sich aus der Bedeutung Spaniens als populäres Reiseland und als Migrationsziel insbesondere der deutschen Rentnergeneration, welches an Beliebtheit gewinnt (Opaschowski 2006). Auch mit dem Nachbarland Schweiz, das an fünfter Stelle steht, gibt es viele Kontakte. Die Türkei ist zwar das wichtigste Quellland der Zuwanderung nach Deutschland und damit prädestiniert, enge, über die Migranten hinausgehende Kontakte mit der deutschen Bevölkerung zu haben, aber es ist eine recht kleine Gruppe der Deutschen, die in die Türkei reichende Kontakte hat. Die »effektive soziale Distanz« ist hier größer als zu anderen Ländern (detaillierter siehe Mau/ Mewes 2007). Europa als verdichteter Sozialraum Ein etwas anderes Bild erhalten wir, wenn wir berücksichtigen, dass die Länder unterschiedliche Einwohnerzahlen aufweisen. Es ist für die Deutschen statistisch <?page no="284"?> 13.2 Transnationale Erfahrungen und Begegnungen 285 gesehen wahrscheinlicher, einem Franzosen zu begegnen als einem Luxemburger, auch wenn beide Länder in direkter Nachbarschaft der Bundesrepublik Deutschland liegen. Wir müssen, wenn wir etwas über die Dichte der Kontakte aussagen wollen und nicht nur über den Gesamtumfang, dies in Relation zum potenziellen Kontaktpool setzen. Im Schaubild 37 werden die Kontakte in ein bestimmtes Land (Anteil der Befragten mit Kontakt) in Abhängigkeit von der Einwohnerzahl (Anteil an der Weltbevölkerung) dargestellt. Basis ist der Bevölkerungsanteil mit transnationalen Kontakten in der Stichprobe (ohne Kontakte zu Deutschen im Ausland). Wären die Kontakte in alle Länder hinein statistisch unabhängig verteilt, dann würden sie sich entsprechend der Größe der Länder verteilen. In der Darstellung sind sowohl die Bevölkerungsgröße als auch die relativen Kontaktchancen (Odds Ratios) ausgewiesen. Die Odds Ratios drücken aus, um wie viel häufiger oder seltener Personen Kontakt in das jeweilige Land haben, als man es aufgrund der Bevölkerungsgröße schließen würde. Ein Beispiel: Das Verhältnis der US-Bevölkerung zur Weltbevölkerung beträgt circa 1 zu 20. Damit würde man annehmen, dass der Anteil von Deutschen in den USA bei fünf Prozent der Kontakte liegt, tatsächlich liegt er aber bei 17 %. Damit ist die Beziehungsdichte zu den USA über drei Mal höher als im Weltdurchschnitt (3,4). Man sieht im Schaubild deutlich, dass die engsten Kontakte mit direkten oder mittelbaren Nachbarn bestehen, so mit der Schweiz, Österreich, Schweden, den Niederlanden und Tschechien. Die relativ gesehen größte Kontakt- | Schaubild 37 Transnationale Kontakte und Bevölkerungszahl 10000,0 1000,0 100,0 10,0 1,0 0,1 0,0 Schweiz Österreich Schweden Niederlande Tschechien Dänemark Belgien Polen Ungarn Großbritannien EU-15 EU-27 Philippinen Mexiko Japan Russische Förderation Pakistan Brasilien Indonesien USA Indien China Bevölkerungsgröße (in Millionen) Odds Ratio Quelle: Survey Transnationalisierung 2006; angegeben sind neben der EU-15 und der EU-27 die zehn Länder mit der höchsten Bevölkerungszahl weltweit und die zehn Länder mit der größten Kontaktwahrscheinlichkeit. <?page no="285"?> 286 13 Horizontale Europäisierung dichte besteht innerhalb Europas. Schauen wir auf die EU-15 und EU-27, dann zeigt sich, dass die Odds Ratios deutlich über eins liegen, und zwar bei 8,2 bzw. 7,0. Das bedeutet, dass die Kontaktnetze der Befragten sehr stark auf die EU beziehungsweise Europa ausgerichtet sind, wir es also mit einem verdichteten sozialen Raum zu tun haben. Der Prozess der horizontalen Europäisierung ist aber weder in sich homogen, Gruppenunterschiede noch umfasst er alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen. Er erzeugt als solcher neue Formen der Ungleichheit zwischen einem Teil der Bevölkerung, der an der horizontalen Europäisierung partizipiert, und einem anderen Teil, dessen lebensweltliche soziale Beziehungen lokal oder national ausgerichtet sind. Empirisch zeigt sich, dass vor allem statushöhere und gut gebildete Gruppen in transnationale Netzwerke und Mobilitätsprozesse einbezogen sind. Insbesondere bei den Kontakten zu Nichtdeutschen im Ausland ergeben sich große Schichtunterschiede. Menschen mit höherer Bildung verfügen auch über deutlich mehr Wahlbindungen ins Ausland, also Freundschafts- und Bekanntschaftsnetzwerke. Viele von ihnen können auch zur transnationalen Expertenklasse gezählt werden, deren berufliches Profil weitgehend internationalisiert ist. Es finden sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern, aber insbesondere bei den jüngeren Kohorten nehmen diese ab. Unterschiede zeigen sich auch im Vergleich zwischen der ländlichen Bevölkerung und den großen Städten sowie zwischen den Generationen. Hier sind es die Großstädter und die Jüngeren, die besonders enge transnationale Kontakte unterhalten (Mau 2007; Mau/ Mewes 2008). 13.3 Innereuropäische Migration Methodische Hinweise Zur Diskussion der Migrationsbereitschaft von Europäern wurden Daten des Eurobarometers genutzt. Dargestellt ist der Anteil derer, die die Absicht haben, in den nächsten fünf Jahren in ein anderes Land umzuziehen. Für die sozialstrukturelle Zusammensetzung innereuropäischer Migrationsgruppen haben wir Veröffentlichungen der Europäischen Kommission (2006) und OECD (2007c) verwendet. Diese lassen eine Charakterisierung der Erwerbspersonen mit EU- Staatsbürgerschaft zu, die sich innerhalb der letzten fünf Jahre in einem EU-15-Land niedergelassen haben. Neben kurzfristiger Mobilität und transnationalen Austauschbeziehungen stellen Migrationsbewegungen die zentrale Form dar, durch die unterschiedliche Gesellschaften miteinander in Kontakt kommen. Seit den 1950er-Jahren ist Europa Ziel zahlreicher Migrationsbewegungen (vgl. Kapitel 6). Zu einem gewichtigen Teil sind dies Zuwanderungen aus ehemaligen Kolonien in Asien, Afrika und Lateinamerika nach Frankreich, Belgien Großbritannien, Spanien und in die Niederlande. Ein <?page no="286"?> 13.3 Innereuropäische Migration 287 anderer Teil dieser Migrationsbewegungen beruht auf unterschiedlichen Formen innereuropäischer Migration. Ursprünglich sind diese Wanderungen eng mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der 1950erbis 1970er-Jahre verbunden, währenddessen der Arbeitskräftebedarf in Westeuropa rasch anstieg. Deutschland, Österreich, Frankreich und Belgien begannen, in verschiedenen Ländern der Mittelmeerregion Arbeitskräfte zu rekrutieren. Eine größere Wanderungswelle entstand im Gefolge der gesellschaftlichen Veränderungen in Osteuropa 1989/ 90: Einerseits kamen nun aus Osteuropa zahlreiche Arbeitsmigranten, andererseits brachten die Konfliktherde auf dem Balkan größere Kontingente von Flüchtlingen nach Westeuropa. Neuerdings gibt es auch verstärkt Arbeitsmigration innerhalb Osteuropas, wie aus der Ukraine und Weißrussland nach Polen, die dort die Arbeitskräftenachfrage in bestimmten wirtschaftlichen Bereichen befriedigt. Während es in Bezug auf die Migrationsbewegungen nach Europa Bemühungeringe intraeuropäische Migration gen einzelner Länder wie auch der Europäischen Union gibt, Migration zu begrenzen und zu regulieren, sind im Inneren der Europäischen Union in den letzten Jahrzehnten Mobilitätshürden kontinuierlich gesenkt worden. Mit Ausnahme der osteuropäischen Länder der letzten Beitrittsrunden 2004 und 2007, für die Übergangsfristen gelten, 61 genießen die EU-Bürger das Recht auf Freizügigkeit (European Commission 2006: 220; OECD 2007c: 160). Dieses wurde in der ersten Phase der Integration ausschließlich auf Arbeitnehmer angewandt. Seit Anfang 1993 (Implementierung der Maastricht-Beschlüsse) genießen alle EU-Bürger Freizügigkeit, das heißt eine volle Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit. Ein Teil der im Ausland lebenden EU-Bürger ist noch den Wanderungen aus dem Mittelmeerraum zu Zeiten der Arbeitskräfterekrutierung in den 1960er- und frühen 1970er- Jahren zuzuschreiben (Rother 2005), in denen innereuropäische Wanderungen ihren quantitativen Höhepunkt hatten (European Commission 2006: 210). Aktuell leben etwa 1,5 % der EU-Bürger in einem anderen EU-Land als ihrem eigenen. Allerdings variiert dieser Bevölkerungsanteil zwischen 0,5 % in Finnland und Portugal und fünf Prozent in Belgien und Zypern (OECD 2007c: 155). In Deutschland, das den höchsten absoluten Anteil an ausländischen Staatsbürgern aller europäischen Länder hat (acht Millionen Personen), machen innereuropäische Migranten etwa ein Drittel des Gesamtanteils der ausländischen Staatsbürger aus. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 2,5 % (Verwiebe 2006: 161). Neben Deutschland sind Großbritannien, Spanien und Frankreich die Staaten, die aktuell den 61 Mit der Erweiterung gab es in vielen Mitgliedsländern Bedenken vor dem Zuzug billiger Arbeitskräfte und einem für einheimische Arbeitnehmer ruinösen Wettbewerb. Schätzungen gingen von einem Migrationspotenzial von drei bis fünf Millionen Menschen aus, die in die EU-15 wandern würden (Fassmann/ Münz 2002). Als Folge setzten sich Länder in geografischer Nähe zu den neuen Mitgliedsländern wie Deutschland und Österreich dafür ein, Freizügigkeit erst nach einer Übergangszeit zu gewähren. In den Ländern, die ihre Arbeitsmärkte für Bürger aus den neuen Mitgliedsländern schon 2004 öffneten (Schweden, Irland, Großbritannien), kam es zu einem Zustrom von Arbeitskräften vor allem aus dem Baltikum, Polen und der Slowakei. <?page no="287"?> 288 13 Horizontale Europäisierung größten Zustrom von innereuropäischen Migranten erleben (European Commission 2006: 217). Aus der Perspektive des Push-Pull-Modells der klassischen Migrationsforschung (vgl. auch Kapitel 6) könnte man annehmen, dass bei einer Ungleichverteilung von Erwerbs-, Einkommens- und Lebenschancen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union auch größere Migrationsbewegungen freigesetzt werden. Interessant ist daher, dass trotz erheblicher innereuropäischer ökonomischer Unterschiede Mobilitätskultur der Umfang grenzüberschreitender Wanderungen begrenzt bleibt. Eine mögliche Erklärung dafür ist die im Vergleich zu den Vereinigten Staaten schwach ausgeprägte »Mobilitätskultur«. Eine im Jahr 2005 durchgeführte Umfrage des Eurobarometers zeigt, dass Europäer, sei es im Hinblick auf grenzüberschreitende Migration oder Wanderung über die Grenzen der Heimatregionen hinaus, recht immobil sind (Vandenbrande et al. 2006). Die Europäische Kommission schätzt das jährliche Niveau der grenzüberschreitenden Wanderung auf circa ein Prozent der am Arbeitsmarkt aktiven Bevölkerung. Die Migration innerhalb der Mitgliedsländer (gemessen als Migration zwischen den größten regionalen Einheiten) hat etwa denselben Umfang (European Commission 2006: 220ff.). Dieses Ausmaß von Wanderungsbewegungen ist vergleichbar mit den Wanderungen zwischen unterschiedlichen kanadischen Provinzen, in denen ebenfalls circa ein Prozent der am Arbeitsmarkt aktiven Bevölkerung geografisch mobil ist. Vergleichbare Zahlen für die Mobilität zwischen den Bundesstaten der USA liegen bei drei Prozent (OECD 2007c: 155). Für die geringen Anteile an grenzüberschreitender Migration gibt es jedoch mehr Gründe als eine schwach ausgeprägte Mobilitätskultur. So ist es immer noch nicht einfach, sich auf einem anderen Arbeitsmarkt erfolgreich zu etablieren, da Arbeitnehmer zum Teil, trotz formaler Anerkennung ihrer Bildungsabschlüsse, nicht ihren Qualifikationen entsprechend beschäftigt und bezahlt werden. Es gibt ferner Schwierigkeiten, die auf Unterschiede bei den sozialen Sicherungssystemen (vor allem fehlende Transferierbarkeit von erworbenen Renten- und Sozialversicherungsansprüchen) und in den Steuersystemen zurückgehen. Diese Faktoren spielen bei Wanderungen innerhalb der USA eine geringere Rolle. Zusätzlich wiegen in Europa kulturelle Gründe schwerer: Zum Beispiel ist ein großer Anteil der Europäer immer noch nicht in der Lage, eine andere europäische Fremdsprache zu sprechen (TNS Opinion & Social 2006). Auch wissen wir, dass Europäer durch familiäre Beziehungen und Gefühle der Zugehörigkeit oft eine starke Bindung an einen spezifischen regionalen Kontext entwickeln, wodurch große Migrationsbewegungen gebremst werden. Migrationsbereitschaft Schaut man auf die aktuelle Migrationsbereitschaft der Europäer im Ländervergleich, dann sehen wir große Unterschiede zwischen den Ländern, Veränderungen über die Zeit und Unterschiede im Hinblick auf die Zielregion der Wanderung (Tab. 33). Zwar lassen die Zahlen keine Rückschlüsse auf tatsächliche Migrations- <?page no="288"?> 13.3 Innereuropäische Migration 289 | Tab. 33 Migrationsbereitschaft Land innerhalb EU in % Land außerhalb EU in % 2001/ 02 2005 2001/ 02 2005 EU-15 1,5 2,7 1,4 1,9 Belgien 2,2 3,1 1,1 0,9 Dänemark 2,7 5,8 2,7 3,4 Deutschland 0,3 2,1 0,2 1,2 Irland 2,6 4,3 1,9 3,8 Griechenland 0,4 2,9 0,7 1,2 Spanien 0,6 1,7 0,6 0,7 Frankreich 2,5 4,3 2,0 2,6 Italien 1,7 1,6 1,4 1,1 Luxemburg 5,3 4,0 0,0 0,0 Niederlande 2,8 2,8 2,3 2,2 Österreich 1,9 2,2 1,4 0,9 Portugal 0,0 1,5 0,0 2,4 Finnland 3,7 4,5 1,4 1,7 Schweden 3,8 4,4 2,7 4,0 Großbritannien 1,8 3,4 2,7 3,5 Bulgarien - - - - Tschechien 1,1 1,6 0,8 0,3 Estland 1,6 8,3 0,2 1,7 Zypern 2,2 2,7 1,0 0,0 Lettland 2,0 7,4 0,6 2,1 Litauen 2,5 8,5 1,1 2,1 Ungarn 0,8 2,4 0,4 0,2 Malta 0,2 4,5 0,0 4,5 Polen 1,8 7,2 0,3 1,6 Rumänien - - - - Slowenien 0,9 1,8 0,5 1,8 Slowakei 2,0 3,4 1,4 1,4 EU-25 - 3,2 - 1,8 Quelle: Eurobarometer 54.1, 64.1, Candidate Countries Eurobarometer 2002.1; eigene Berechnungen; Angaben für EU-27 nicht verfügbar. bewegungen zu. Sie zeigen aber das Migrationspotenzial in den einzelnen Ländern. Befragt nach der Absicht, in den nächsten fünf Jahren umzuziehen, sagten im Jahr 2005 2,7 % der Befragten in der EU-15, dass sie dies vorhätten. Überdurchschnittlich starke Migrationsabsichten innerhalb dieser Ländergruppe haben die Skandinavier, Franzosen und Iren. Zwischen vier und sechs Prozent der jeweiligen Bevölkerung beabsichtigen demnach, innerhalb Europas zu wandern. Sehr geringe Wanderungsabsichten finden sich in Italien, Spanien und Portugal, d. h. Länder, die einstmals einen großen Teil der innereuropäischen Arbeitsmigration gestellt haben, und in ökonomisch erfolgreichen mittelosteuropäischen Staaten (Tschechien, Ungarn). Deutlich größer als im bisherigen Kerneuropa ist der Anteil der migrationsbereiten Bevölkerungsgruppe in den neuen EU-Mitgliedsländern. In der letzten <?page no="289"?> 290 13 Horizontale Europäisierung dazu verfügbaren Eurobarometerstudie zeigten hier über fünf Prozent der Befragten eine Migrationsbereitschaft an. Man kann dies als Indiz für das Entstehen eines »neuen« europäischen Mobilitätsraums interpretieren, innerhalb dessen sich grenzüberschreitende Wanderungen normalisieren. In den osteuropäischen Mitgliedsländern ist der Anteil derer, die einen Umzug ins europäische Ausland plahohe Migrationsbereitschaft im Baltikum nen, sogar größer als der Anteil derer, die in eine andere Region des eigenen Landes umziehen wollen. Der Anteil derer, die über die Grenzen der EU hinweg emigrieren, ist zudem deutlich geringer als der Anteil derjenigen, die innerhalb der Union wandern wollen. Mit Abstand am stärksten ist die Migrationsbereitschaft im Baltikum. Das Migrationspotenzial liegt hier zwischen 9,5 und 10,6 % der Bevölkerung, wovon der größte Teil Wanderungen innerhalb der EU präferiert. Dieses hohe Migrationspotenzial korrespondiert mit den faktischen Abwanderungsströmen aus dieser Region, wie sie auch im Abschnitt 6.1 diskutiert wurden. Ein Blick auf die Veränderungen zwischen 2001/ 02 und 2005 verweist auf einen Anstieg Migrationsbereitschaft deutlichen Anstieg der Migrationsbereitschaft sowohl innerhalb Westals auch Osteuropas. Zwar ist die Freizügigkeit für Bürger der Beitrittsländer immer noch eingeschränkt, aber es zeigt sich dennoch, dass dort eine deutlich höhere und weiter wachsende Wanderungsbereitschaft vorliegt als in den alten Mitgliedsländern. Außerdem sind viele Osteuropäer schon vor dem Beitritt auf verschiedenen Wegen in westeuropäische Länder gekommen, meistens mit befristetem Aufenthaltsstatus. Am stärksten wuchs in den letzten Jahren das Migrationspotenzial in den baltischen Staaten, in Polen und Deutschland. Die jüngst stark zunehmenden faktischen Auswanderungen aus diesen Ländern bestätigen die Relevanz dieses Befundes. Innereuropäische Wanderungen von Deutschen. In den 1950er-Jahren gingen etwa 100.000 Deutsche pro Jahr ins Ausland, davon etwa zwei Drittel in die klassischen Auswanderungsländer USA, Neuseeland, Kanada und Australien. Das Niveau der Fortzüge lag in dieser Zeit über dem der Zuzüge. In den 1960er-Jahren gingen Zuwie Abwanderungen zurück. Zwischen 1970 und Mitte der 1980er-Jahre wanderten dann jährlich weniger als 60.000 Personen aus. Die Zahl der jährlichen Fortzüge stieg erst in den 1990er-Jahren wieder deutlich an. Höhepunkt der Abwanderungen war das Jahr 2006 mit über 155.000 Auswanderern (Statistisches Bundesamt 2007). Mit dieser Entwicklung geht einher, dass sich Wanderungen ins europäische Ausland stark erhöht haben und nunmehr Europa zur wichtigsten Zielregion geworden ist. Während Anfang der 1950er-Jahre nur zwischen 30 und 35 % der Deutschen innerhalb Europas wanderten, sind es heute circa 60 % (Mau et al. 2007). Ziele der Arbeitsmigration sind Länder wie Irland, die Niederlande, Österreich oder Norwegen, wo eine hohe Nachfrage nach qualifizierter Arbeit besteht. Für diese Art der Migration spielen institutionelle Akteure eine wichtige Rolle: Der European Employment Service (EURES) beispielsweise ist ein Kooperationsnetzwerk zwischen der Europäischen Kommission und den Arbeitsämtern der Mitgliedsstaaten, das Arbeitsmarktmobilität innerhalb der Union durch Bereitstellung von Informationen und Unterstützung von Arbeitssuchenden befördert. Potenzielle Migranten erhalten Stellenangebote, Informationen über die Rechtslage und die Arbeitsbedingungen in anderen europäischen Ländern (Mau et al. 2007). Gründe und Formen innereuropäischer Migration Wanderungsprozesse sind das Ergebnis komplexer Entscheidungssituationen. In der Regel wird in der Migrationsforschung - wenn individuelle Akteure und deren Handlungsmotive im Vordergrund stehen - das Wirken ökonomischer und sozia- <?page no="290"?> 13.3 Innereuropäische Migration 291 ler Faktoren in der Herkunftsregion und in der Zielregion in den Mittelpunkt gestellt (Mau et al. 2007). In der Literatur wird anknüpfend an Lees Push-Pull- Modell (1966) den ökonomischen Gründen (vor allem Arbeitsmarktungleichgewichte und Einkommensdifferenzen) der größte Stellenwert für das Zustandekommen von Wanderungen eingeräumt (Bade 1987; Chies 1994; Kalter 1997; King 1993; Zimmermann 2005). Diese Vorstellungen werden durch Konzepte ergänzt, die auf den Stellenwert sozialer Faktoren, vor allem sozialer Netzwerke für die Herausbildung von Migrationsgründen abstellen (Faist 1997; Haug 2000; Hillmann 2000; Johnston et al. 2006; Pries 1998). In jüngster Zeit finden sich auch Autoren, die auf die Relevanz kultureller Motive für das Entstehen von Wanderungen hinweisen (Scott 2006; Verwiebe 2005). Aktuelle und umfassende empirische Studien zu den Gründen innereuropäischer Wanderungen liegen nicht in großer Zahl vor. Die Europäische Kommission (2006: 231) geht auf der Grundlage einer Eurobarometer-Studie zur geografischen Mobilität innerhalb Europas von einem hohen Stellenwert beruflich und familiär bedingter Wanderungen aus. Beide Faktoren spielen in jeweils circa 40 % der Wanderungsentscheidungen eine Rolle (Abb. 11, Spalte 2). In der Summe treten unterschiedliche familiäre und soziale Wanderungsgründe sogar häufiger auf als berufliche oder ökonomische Gründe. Aus diesen Befunden geht aber auch hervor, dass in sehr vielen Fällen nicht nur ein Grund, sondern ein ganzes Bündel von Gründen für das Zustandekommen von Wanderungen verantwortlich ist (siehe auch Lundholm 2007; Verwiebe 2005). Einen der umfassendsten Versuche, die Dynamiken innereuropäischer Migraökonomische, soziale, kulturelle Migrationsgründe tion zu untersuchen, stellt das von Ettore Recchi geleitete PIONEUR-Projekt dar (Pioneur 2006; Recchi et al. 2003). Trotz des erheblichen Umfangs des Projekts erwies es sich als schwierig, ein detailliertes Bild der Motivationen, Muster und Folgen innereuropäischer Migration herzustellen. Die innereuropäischen Migranten sind aufgrund ihrer Größe eine »versteckte Population«: Sie werden von den jeweiligen Herkunftsländern nicht systematisch erfasst, und es ist schwierig, sie mit standardisierten Umfragen zu erreichen. Grundlage der PIONEUR-Studie ist eine Stichprobe von 5.000 europäischen Bürgern, die als Nicht-Staatsbürger in den fünf | Abb. 11 Gründe innereuropäischer Wanderungen Europäische Kommission PIONEUR-Studie TRANSMOB-Studie Ökonomische und berufliche Gründe ca. 40 % 25 % 15 % (rein ökonomische und berufliche Gründe) Soziale und familiäre Gründe ca. 40 % 30 % 30 % (Heirat, Familiennachzug, Netzwerke) Kulturelle Gründe und Bildung nicht erfragt 7 % Studium 15 % (Studium, Interessen an anderen Sprachen/ Kulturen oder Metropolen) Andere Gründe 20 % Lebensqualität 24 % Lebensqualität 40 % Mischgründe, darunter 28 % ökonomische und andere Gründe Quelle: European Commission (2006: 231), PIONEUR (2006), Verwiebe (2005). <?page no="291"?> 292 13 Horizontale Europäisierung Mitgliedsstaaten Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien leben. Auch in dieser Befragung wurde deutlich, dass die klassischen Push-Pull- Faktoren Wanderungsprozesse in andere EU-Länder nicht vollständig erklären können. Etwa 30 % der Befragten gaben an, dass sie aus familiären Gründen oder wegen einer Liebesbeziehung in ein anderes EU-Land gegangen seien. Für 25 % standen Arbeitsmöglichkeiten im Vordergrund, für 24 % Fragen der Lebensqualität, für sieben Prozent Studienmöglichkeiten (Pioneur 2006). Diese Ergebnisse legen nahe, dass für Wanderungen innerhalb Europas der ökonomische Aspekt von Migration nur ein Grund unter anderen ist, und soziale sowie kulturelle Gründe einen relativ großen Stellenwert haben, wie dies auch die TRANSMOB- Studie zeigt (Verwiebe 2005). Damit ist insgesamt eine Veränderung der Wanderungsgründe gegenüber den Zeiten der innereuropäischen Arbeitsmigration der 1960er- und 1970er-Jahre plausibel, in denen ökonomische und berufliche Gründe klar dominierten (Castles 1986; Krane 1979). Betrachtet man daran anknüpfend die sozialstrukturelle Zusammensetzung derjenigen Europäer, die in den letzten fünf Jahren innerhalb der EU gewandert sind, so lässt sich die Annahme des Strukturwandels innereuropäischer Wanderungen weiter plausibilisieren (Verwiebe 2008b; Verwiebe/ Eder 2006). Was zunächst anhand der Daten deutlich wird (Tab. 34), ist das junge Alter der Migranten. Von den EU-Bürgern, die sich zwischen 2000 und 2005 in einem EU-15-Land niedergelassen haben und im erwerbsfähigen Alter sind, waren zwischen 60 % (EU- 15) und 78 % (Beitrittsnationen) nicht älter als 34 Jahre. Sie sind damit deutlich Wanderungen von hoch qualifizierten Westeuropäern jünger als die inländische Bevölkerung. Zusätzlich sind innereuropäische Migranten viel häufiger ledig und haben seltener Kinder (Tab. 34, unteres Drittel). Demnach sind die jungen und nicht gebundenen Menschen die mobilste Gruppe in Europa. Deren Wanderungsziele sind vor allem Metropolen wie London, Paris, Berlin und Brüssel (Scott 2006; Verwiebe 2008a), pulsierende urbane Ballungszentren in Irland und Großbritannien und die prosperierenden Regionen Schwedens, Dänemarks, Frankreichs, Hollands und der Schweiz. Insofern sind diese urbanen Ballungsräume die multikulturellsten Orte Europas (Favell 2008). Nicht weniger interessant ist ein Blick auf das Bildungsniveau der Wanderungsgruppen. Dieses ist im Fall der Personen mit EU-15-Staatsbürgerschaft überwiegend sehr hoch. 44 % der EU-Migranten besitzen einen Universitätsabschluss gegenüber 26 % bei den einheimischen Arbeitnehmern. Bei den osteuropäischen Migranten überwiegen die mittleren Qualifikationen, während bei den Personen, die ohne europäische Staatsbürgerschaft in die EU-15 eingewandert sind, die niedrigen und mittleren Qualifikationen dominieren. Es handelt sich also bei den Wanderungen innerhalb der bisherigen Kernunion überwiegend um die Migration von hoch Qualifizierten (u. a. Beaverstock 2005; Koser/ Salt 1997; Salt/ Ford 1993). Wie ein Blick auf die berufliche Tätigkeit zeigt (Tab. 34, mittlere Zeilen), sind diese überwiegend entsprechend ihren beruflichen Qualifikationen beschäftigt. Bei den Osteuropäern und den Migranten von außerhalb der EU ist dies seltener der Fall. Diese sind selten als hoch qualifizierte Angestellte beschäftigt. Es dominieren Tätigkei- <?page no="292"?> 13.3 Innereuropäische Migration 293 | Tab. 34 Sozialstrukturelle Zusammensetzung innereuropäischer Migrationsgruppen EU-15 EU-10 Nicht- EU-25 Inländer Altersgruppen 2 1 9 1 7 2 2 1 4 2 - 5 1 4 2 6 4 1 5 8 4 4 3 - 5 2 4 6 5 3 2 2 0 4 4 6 - 5 3 Bildung 7 2 6 3 5 1 5 1 g i r d e i N 7 4 0 4 3 6 1 4 l e t t i M 6 2 4 2 2 2 4 4 h c o H Berufliche Tätigkeit Hoch qualifizierte Angestellte 55 16 20 40 Niedrig qualifizierte Angestellte 24 28 25 26 Qualifizierte Arbeiter 12 27 21 25 Unqualifizierte Tätigkeiten 9 30 35 10 Familienstand 9 3 8 3 3 5 1 6 g i d e L Ve rheiratet 39 47 62 61 Haushaltszusammensetzung Alleinstehend 25 24 16 17 Paar ohne Kinder 44 48 40 33 Paar oder alleinstehend mit mind. einem Kind 31 31 44 51 Quelle: Europäische Kommission (2006: 224), OECD (2007c: 158). ten, für die man keine Qualifikationen benötigt. Ein Vergleich der beruflichen Bildung mit der ausgeübten Tätigkeit legt daher nahe, dass hierfür die fehlende Anerkennung beruflicher Qualifikationen der Grund ist. Der Fokus der Betrachtung von Migration liegt zumeist auf langfristigen Migravon langfristiger Migration zu kurzfristigen Migrationsformen tionsprozessen. Als Migranten werden in der Regel jene Personen angesehen, die ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft verlegen. Innerhalb Europas können wir aber beobachten, dass zahlreiche neue Migrationsformen entstanden sind, die dieser Definition nicht mehr entsprechen. Migrationsbewegungen sind zunehmend kurzfristiger oder vorübergehender Natur, so zum Beispiel in Form von saisonaler Migration, Pendelmigration oder der Ruhestandsmigration. Gemein ist ihnen, dass trotz Wanderung stabile Kontakte in das Herkunftsland aufrechterhalten werden, so dass oft nicht einfach zu bestimmen ist, in welchem Land sich der Lebensmittelpunkt befindet. In den offiziellen Meldestatistiken werden diese Wanderungsformen oft nicht erfasst, weil sich die Wandernden häufig nicht entsprechend abmelden. Saisonale Migration beziehungsweise Pendelmigration war noch bis Anfang der 1990er-Jahre vor allem typisch für Migration aus Südeuropa. Heute gibt es im europäischen Raum eine Reihe von Regionen mit starker Pendelmigration, so zum Beispiel zwischen Luxemburg, Deutschland und Frankreich (Strüver 2005). Besonders hervorzuheben ist die Pendelmigration zwischen Ost- und Westeuropa. In den letzten zehn Jahren haben zahlreiche Osteuropäer in Westeuropa <?page no="293"?> 294 13 Horizontale Europäisierung auf saisonaler Basis als Krankenpfleger, Au-pairs, Reinigungskräfte, Erntehelfer oder Handwerker in Westeuropa gearbeitet (Hess 2005; Morokvasic 1994). Dieser Trend hat sich mit dem Beitritt der neuen EU-Mitgliedsstaaten im Mai 2004 noch verstärkt. In Polen beispielsweise, das mit 38,5 Millionen Einwohnern das größte EU-Mitgliedsland in Osteuropa ist, geht man davon aus, dass ungefähr drei Millionen Menschen seit Mai 2004 im Ausland gearbeitet haben, die meisten von ihnen ohne die eigene Heimat permanent zu verlassen (Public Opinion Research Center 2007). Bis vor kurzem wanderten polnische Emigranten insbesondere in die USA und nach Australien aus. Nach dem EU-Beitritt ist meist nicht mehr Übersee das Ziel, sondern Westeuropa. Die geografische Nähe der westeuropäischen Arbeitsmärkte verstärkt den Trend, nicht dauerhaft auszuwandern, sondern »nur« in einem EU-Land zu arbeiten. Auch die Einschränkungen der Freizügigkeit für Bürger der neuen Mitgliedsländer in Teilen der EU haben dazu beigetragen, dass Ruhestandsmigration Aufenthalte vor allem temporär bleiben. Ein weiterer Aspekt innereuropäischer Migration, der neuerdings an Gewicht gewinnt, ist die Migration von älteren Mittelschichtseuropäern (Braun/ Recchi 2008; King et al. 1998; Williams et al. 1997). In dieser Gruppe wird es zunehmend populär, in attraktive Gegegenden in Frankreich, Portugal, Spanien, Italien und Griechenland sowie in Englands Südwesten und nach Schottland zu ziehen. Das zentrale Kriterium für die Migration nach der Pensionierung ist eher die Lebensqualität als die jeweilige lokale Einkommenssituation oder die Preise für Waren und Dienstleistungen. Erfahrungen, die im Verlauf von Urlaubsreisen gemacht worden sind, können solche Formen der Ruhestandsmigration befördern. <?page no="294"?> 14 Subjektive Europäisierung Definition Unter subjektiver Europäisierung wird die wachsende Rolle Europas für die kognitiven, affektiven und normativen Wahrnehmungen und Orientierungen der Menschen und die Abschwächung der Fixierung auf den Nationalstaat verstanden. Europa tritt dabei als zusätzlicher Referenz- und Zurechnungsrahmen in Erscheinung und überlagert die nationalstaatliche Ebene, ersetzt sie aber nicht notwendigerweise. Die Sozialstrukturforschung beschäftigt sich nicht nur mit objektiven Lebensbe- Spaltungsstrukturen dingungen und Ungleichverteilungen, sondern ist auch daran interessiert, welche Einstellungen, Orientierungen und Mentalitäten typischerweise mit bestimmten Lebensumständen verknüpft sind (vgl. Geiger 1972 [1932]). In entsprechenden Studien wird die Bevölkerung nach ihren Vorstellungen im Hinblick auf unterschiedliche Aspekte des Lebens wie Familie und Partnerschaft, Arbeit und Freizeit und politische Grundeinstellungen befragt. Ein ganzer Teilbereich der politischen Soziologie widmet sich der Frage, wie die sozialstrukturelle Ordnung mit politischen Interessenformationen verknüpft ist. Wegweisend war in diesem Kontext der norwegische Politikwissenschaftler Stein Rokkan (2000), der in seinen historisch-vergleichenden Arbeiten eine Analyse der historischen Spaltungsstrukturen Europas vornahm. Ihn beschäftigte die Frage, welches die maßgeblichen gesellschaftlichen Differenzierungslinien sind, die die Konfliktstrukturen im politischen System beeinflussen. Solche Spaltungsstrukturen sind auf sozialstrukturell identifizierbare Bevölkerungsgruppen und deren Interessen und Orientierungen bezogen (Pappi 1977). Politisch setzen sich diese gesellschaftlichen Spaltungen in Interessenallianzen um, und es kommt zu einer politischen und organisatorischen Repräsentation der Konflikte durch Parteien und Verbände (Lipset/ Rokkan 1967). Europa selbst ist ein emergenter sozialer und politischer Raum, in welchem Einstellungen und Integration ein enger Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und politischem System noch nicht voll ausgebildet ist. Es gibt weder ein ausgeprägtes europäisches Parteiengefüge noch politische Mitbestimmungsmöglichkeiten, die mit denen der nationalen Demokratien vergleichbar wären, noch eine klare sozialstrukturelle Lagerung von Interessen. Allerdings ist es speziell im Hinblick auf den Europäisierungsprozess besonders aussagekräftig, sich mit den Einstellungen der Bürger zu beschäftigen, weil die institutionelle Weiterentwicklung und Ausgestaltung der EU-Institutionen ganz maßgeblich davon abhängt, ob es eine Basis gemeinsam geteilter Vorstellungen gibt. Nimmt man die EU als Ganzes in den Blick, dann ist anzunehmen, dass sich die Interessen und Einstellungen nicht in erster Linie nach klassischen sozialstrukturellen Parametern strukturieren, sondern dass die nationalstaatliche Zugehörigkeit nach wie vor zentral ist. Damit im Zusammen- <?page no="295"?> 296 14 Subjektive Europäisierung hang stehen auch Unterschiede zwischen Gruppen von Ländern in Abhängigkeit von Kriterien wie Modernisierungsgrad, ökonomische Entwicklung, Dauer der Mitgliedschaft oder geografische Lage. Dies zeigen Forschungen zu unterschiedlichen Einstellungsaspekten, so zur Rolle von bürgerlichen Rechten, Gleichheitsvorstellungen, der Stellung des Rechts und der Religion im öffentlichen Leben, von Staat, Markt und Demokratie oder zum Schutz der Umwelt (Gerhards 2007; Gerhards/ Lengfeld 2006; Immerfall 1998). Im Hinblick auf die Integrationsbestrebungen sind Unterschiede in den Einstellungen folgenreich, weil die Bürger der Mitgliedsstaaten sehr verschiedene Vorstellungen davon haben können, wie eine Gesellschaft organisiert sein soll. Daher stellt sich mit der Aufnahme weiterer Mitglieder die Frage, inwieweit diese zum kulturellen und sozialen Selbstverständnis der EU passen, und ob sich nicht eine größere Diskrepanz zwischen den propagierten Grundwerten der EU und dem Wertehaushalt der Mitgliedsländer ergibt, die der Integration entgegensteht. Noch enger ist der Zusammenhang zwischen Einstellungsebene und Integrationsperspektiven, wenn man sich unmittelbar auf das Einstellungsobjekt Europäische Union bezieht. Die zentrale Frage ist, inwieweit die weitergehenden Integrationsbestrebungen der europäischen Eliten von den Bürgern mitgetragen werden, und ob sie durch ein entstehendes Bewusstsein für Zusammengehörigkeit gedeckt werden. Diese subjektive Dimension der Europäisierung verweist auf die gesellschaftlichen Bedingungen und Voraussetzungen der Europäisierung. In den nachfolgenden Abschnitten wird Europa in den Einstellungen der Bürger in drei exemplarischen Bereichen dargestellt: bezüglich der Frage der Legitimität und Unterstützung der Europäisierung, bezüglich der europäischen Identität und schließlich anhand verschiedener Aspekte der subjektiven Europäisierung, die sich auf die neuen Bindungen zwischen den europäischen Nationalgesellschaften und ihren Bürgern bezieht. Die leitende Annahme ist, dass diese Einstellungen in Wechselwirkung mit dem europäischen Einigungsprozess stehen und diesen mit beeinflussen. 14.1 Unterstützung für die Europäisierung Definition Jedes politische System ist zur Sicherung der eigenen Legitimität und Überlebensfähigkeit auf politische Unterstützung angewiesen. Nach Easton (1975) kann man zwei Arten der politischen Unterstützung unterscheiden: Spezifische Unterstützung bezieht sich auf die Zufriedenheit mit dem Output und den Leistungen der politischen Herrschaftsträger und ist kurzfristig orientiert. Die diffuse Unterstützung ist langfristig orientiert und zielt auf generelle Aspekte des politischen Systems ab. Das Objekt wird nicht anhand seiner Leistungen gemessen, sondern anhand dessen, was es repräsentiert. <?page no="296"?> 14.1 Unterstützung für die Europäisierung 297 Methodische Hinweise Zur Darstellung der Unterstützung für die Europäisierung wurden verschiedene Indikatoren aus Eurobarometererhebungen ausgewählt: Die individuelle Bewertung der EU- Mitgliedschaft wird mittels des EU-weiten Trends des Anteils derer, die die Mitgliedschaft für eine gute Sache halten, sowie nach Ländern differenziert für das Jahr 2007 beschrieben. Die wahrgenommene Problemlösungskompetenz von nationalen Regierungen und EU wird für das Jahr 2005 dargestellt. Eine der wichtigen Fragen, die in der sozialwissenschaftlichen Europaforschung wachsende Legitimitätsbedarfe diskutiert werden, ist die nach der Legitimität des europäischen Einigungsprozesses (Abromeit 1998; Gabel 1998; Hooghe 2003; Kohler-Koch 2000; Marks/ Steenbergen 2004; Medrano 2003). Dahinter steht die Befürchtung, dass die Integration vor allem von den politischen Eliten getragen wird, denen es bisher ungenügend gelungen ist, sich die Unterstützung der breiten Masse der Bevölkerung zu sichern (Haller 2008). Was den Legitimationsbedarf angeht, so kann man davon ausgehen, dass dieser im Verlauf der Integration größer geworden ist, weil auch die Entscheidungsfolgen schwerer wiegen. Aus demokratietheoretischer Perspektive gilt, dass die zunehmende Bedeutung der Mehrheitsentscheidungen auf der europäischen Ebene Legitimitäts- und Akzeptanzprobleme mit sich bringt, weil keine Entsprechung zwischen Regierenden und Regierten gegeben ist. Ein europäisches Volk (demos) im Sinne einer durch Sprache, Kultur und Geschichte verbundenen Gemeinschaft von Menschen gibt es bisher nicht. Mehrheiten innerhalb des Ministerrats können Entscheidungen mit bedeutsamen Konsequenzen für Bürger einzelner Mitgliedsstaaten treffen, ohne dass die handelnden Akteure von der Wählerschaft des entsprechenden Landes legitimiert worden sind. Weiterhin bedeutet »vertiefte Integration«, dass zunehmend Entscheidungen getroffen werden, die unmittelbare Kosten verursachen, also nicht mehr ferne Politik sind, sondern unmittelbare Wirkungen für viele Gruppen haben. Schließlich gilt, dass die EU ein komplexes politisches Gebilde mit einer Vielzahl politischer Handlungsebenen und oft intransparenter Entscheidungsstruktur ist (Brettschneider et al. 2003; Kielmansegg 1996). Über eine lange Zeit hat in der Europaforschung die Vorstellung eines »perpermissiver Konsens? missiven Konsens« dominiert (Hurrelmann 2007; Lindberg/ Scheingold 1970): Das bedeutet, dass es zwar eine Unterstützung des Integrationsprozesses durch die Bürger gibt, weil diese darauf vertrauen, dass ihre nationalen Eliten ihre Interessen durchsetzen, aber die EU kein weitergehendes und verlässliches Legitimationsfundament besitzt. Die Eliten treffen auf ein eher desinteressiertes und uninformiertes Publikum und haben daher relativ freie Hand bei der Gestaltung Europas. Neofunktionalistische Theorien vertrauten darauf, dass sich im Zuge der fortschreitenden Integration auch die Bürger verstärkt nach Europa orientieren würden (Haas 1968). Die einmal in Gang gesetzte Integration würde mit einer gewis- <?page no="297"?> 298 14 Subjektive Europäisierung sen Zeitverzögerung auch ihre eigene Akzeptanz mitproduzieren. Die Bürger würden sich an die neue Entscheidungsebene gewöhnen und auch ihre Vorteile zu schätzen wissen. Zum Teil wurde auch die Demokratisierung der europäischen Institutionen als Schlüssel zur Legitimierung gesehen, da dadurch eine Beteiligung der Bürger hergestellt werden kann. Skeptische Stimmen wenden dagegen ein, dass ein Mehr an europäischer Demokratie den Bestand der EU gefährden würde, weil dafür keine sozialstrukturellen Grundlagen im Hinblick auf Zugehörigkeit und Solidarität gegeben seien (vgl. Schäfer 2006). Es gibt nach wie vor eine Fixierung der Bürger auf die nationale politische Gemeinschaft, so dass die Einführung demokratischer Spielregeln zu Konfliktverschärfung und Desintegration führen würde (Bartolini 2005). Die EU wäre demnach (noch) nicht demokratiefähig. Ein zentraler Grund für die »Legitimationsschwäche« der EU wird darin gese- Outputversus Input- Legitimation hen, dass die EU-Legitimation insgesamt zu sehr durch den direkten Nutzen (Output-Legitimation) und weniger durch demokratische Verfahren der Entscheidungsfindung (Input-Legitimation) bestimmt ist (Scharpf 1999). Der Begriff der Input-Legitimation bezieht sich auf die normative Zustimmung zu einem politischen System. Output-Legitimation ist dagegen an das Potenzial des Systems zur Lösung von bestimmten Problemen gebunden und entspricht der spezifischen Unterstützung gemäß Easton (1975). Man versteht darunter die Zufriedenheit der Politikadressaten mit den Politikergebnissen. Auf der Input-Seite gibt es ein strukturelles Demokratiedefizit der EU, weil Formen der politischen Willensbildung und Einbeziehung noch wenig entwickelt sind. Auch eine genuin europäische Identität, welche die Bindung an europäische Akteure und Institutionen unterfüttern könnte, ist noch nicht stark ausgeprägt. Im Falle der Output- Legitimation ruht die Unterstützung der EU stark auf »utilitaristischen Motiven« (Immerfall/ Sobisch 1997), das heißt auf der Frage, ob die Europäische Integration einen Nutzen für ihre Bürger bringt. Die Output-Legitimität birgt aber die Gefahr, dass sich die Bevölkerungen vom politischen Projekt Europa abwenden, sobald dieses nicht mehr den erwarteten Ertrag abwirft. Wir wissen aus einer Reihe von empirischen Studien, dass der (wahrgenom- Nutzen der Mitgliedschaft mene) Nutzen aus der Gemeinschaft tatsächlich ein wichtiger Prädiktor für den Grad der Unterstützung ist (Anderson/ Reichert 1996; Anderson/ Kaltenthaler 1996). Nicht nur Regierungen, sondern auch die Bevölkerungen machen ihre Unterstützung der Mitgliedschaft und konkreter Schritte der Integration von zu erwartenden Vorteilen abhängig. Allerdings ist es ein recht schwieriges Unterfangen, diese genau abzuschätzen, speziell wenn man nicht nur auf das EU-Budget schaut, sondern auch auf weitergehende Wirkungen durch gemeinsame Marktbildung und wirtschaftliche Verflechtung. Noch schwieriger ist dies, wenn man nichtökonomische Effekte einbezieht, so die Etablierung von Europa als Friedensordnung. Auf der individuellen Ebene ist auch davon auszugehen, dass es eine Diskrepanz zwischen der objektiven Betroffenheit durch die EU-Politik und der individuellen Wahrnehmung geben kann. Hier sind letztlich die subjektive Wahr- <?page no="298"?> 14.1 Unterstützung für die Europäisierung 299 nehmung und Interpretation entscheidend, welche durch eine Vielzahl von Faktoren, nicht zuletzt Mediendiskurse beeinflusst werden (Mau 2005). Bewertung der Mitgliedschaft Ein Indikator für die Unterstützung der EU ist daher die Frage, ob die Mitglied- Mitgliedschaft als gute Sache? schaft als gut oder schlecht angesehen wird. Diese Frage wird regelmäßig im Eurobarometer erhoben. Im Zeitverlauf zeigt sich, dass die positive Bewertung der Mitgliedschaft des eigenen Landes von knapp 50 % in den 1980er-Jahren auf über 70 % im Jahr 1991 angestiegen ist. Danach fiel die positive Bewertung wieder auf 50 % (Immerfall 2006: 96). Hier lässt sich vermuten, dass die anstehende EU- Erweiterung und die Probleme der Konsensfindung innerhalb der EU ihre Spuren im öffentlichen Meinungsbild hinterlassen haben (Nissen 2004). Schaubild 38 zeigt die Veränderung der Bewertung der Mitgliedschaft im Zeitraum von 1996 bis 2007. In diesem Zeitraum sehen wir einen leichten Aufwärtstrend, allerdings unterbrochen durch einen Einbruch 2003/ 04, dem Zeitpunkt der Aufnahme zehn weiterer Länder vor allem aus Mittel- und Osteuropa. Danach gibt es wieder einen leichten Aufwärtstrend. Es ist anzunehmen, dass die Bewertung der Mitgliedschaft unmittelbar mit dem wahrgenommenen Nutzen der Mitgliedschaft in Verbindung steht. Beide bewegen sich auf einem ähnlichen Niveau, so dass vermutet werden kann, dass die Nutzenerwägungen in der Tat eine große Rolle für die Bewertung der EU ganz allgemein spielen (Fuchs 2003). | Schaubild 38 Bewertung der EU-Mitgliedschaft im Zeitverlauf 30% 40% 50% 60% 70% Frühling 1996 Herbst 1996 Frühling 1997 Herbst 1997 Frühling 1998 Herbst 1998 Frühling 1999 Herbst 1999 Frühling 2000 Herbst 2000 Frühling 2001 Herbst 2001 Frühling 2002 Herbst 2002 Frühling 2003 Herbst 2003 Frühling 2004 Herbst 2004 Frühling 2005 Herbst 2005 Frühling 2006 Herbst 2006 Frühling 2007 Herbst 2007 EU-15 EU-25/ 27 Quelle: Eurobarometer 45.1 bis 68.1; eigene Berechnungen; Surveyfrage: »Ist die Mitgliedschaft (unseres Landes) in der Europäischen Union Ihrer Meinung nach …? « Dargestellt ist der Anteil derer, die die Mitgliedschaft für eine gute Sache halten. <?page no="299"?> 300 14 Subjektive Europäisierung Bei der allgemeinen Bewertung der Mitgliedschaft zeigen sich große Länderunterschiede (Schaubild 39). Besonders positive Einstellungen gegenüber der Mitgliedschaft gibt es in Luxemburg, Belgien, Irland und den Niederlanden, deutlich negativer eingestellt sind die Menschen in Österreich, Großbritannien, Litauen, Finnland und Ungarn. Deutschland liegt im Mittelfeld. Es ist nicht einfach, dieses Muster zu interpretieren. Einerseits gibt es für jedes Land spezifische Erklärungen mit Rückgriff auf die Tradition, das Selbstverständnis und politische Faktoren, andererseits scheint es so zu sein, dass die Position als Nettoempfänger von ungleiche Bewertung der Mitgliedschaft EU-Mitteln, der Sitz zentraler EU-Institutionen, eine geografische Kernlage oder auch ein mit dem EU-Beitritt einhergehender wirtschaftlicher Aufschwung dazu beitragen, dass der Nutzen der EU-Mitgliedschaft stärker wahrgenommen wird. Die Beneluxländer sind traditionell der Idee eines geeinten Europas gegenüber aufgeschlossen, während die Kohäsionsländer Irland, Spanien, Portugal und, mit Einschränkungen, Griechenland mit der EU-Mitgliedschaft verbundene Modernisierungsfortschritte erzielen konnten (siehe Teil 2). Demgegenüber sind die Briten traditionell europa-skeptisch, auch jenseits konventioneller Rechts-Links-Orientierungen (Heath et al. 1999): Obwohl der gemeinsame Markt befürwortet wird, gibt es große Vorbehalte gegenüber der Europäisierung von Politik und Bürokratie. In Italien, traditionell eigentlich ein starkes Befürworterland, sind es weniger als die Hälfte, die in der Mitgliedschaft eine gute Sache sehen. Vermutlich lässt sich das auf die Probleme wirtschaftlicher Anpassung und die Arbeitsmarktkrise in Italien zurückführen, welche oft mit der durch Schaubild 39 | Bewertung der Mitgliedschaft im Ländervergleich 0% 20% 40% 60% 80% 100% Großbritannien Lettland Österreich Zypern Ungarn Tschechien Finnland Italien Bulgarien Malta Schweden Slowenien EU-27 Portugal Slowakei Frankreich Estland Griechenland Litauen Deutschland Spanien Dänemark Polen Rumänien Belgien Irland Niederlande Luxemburg eine gute Sache weder gut noch schlecht eine schlechte Sache weiß nicht Quelle: Eurobarometer 67.1 (2007); eigene Berechnungen; Surveyfrage: »Ist die Mitgliedschaft (unseres Landes) in der Europäischen Union Ihrer Meinung nach …? « <?page no="300"?> 14.1 Unterstützung für die Europäisierung 301 Europa angestoßenen wirtschaftlichen Liberalisierung in Verbindung gebracht wird. In einigen osteuropäischen Ländern gibt es deutliche Vorbehalte gegenüber Europa. Gründe sind in den besonderen Interessen nationaler Eigenständigkeit und möglichen Enttäuschungen über ausbleibende schnelle und greifbare Verbesserungen der Lebensbedingungen zu sehen. Die Länderrangfolge ist über die Zeit gesehen relativ stabil, auch wenn leichte Konvergenzprozesse zu registrieren sind. In europa-skeptischen Ländern hat sich die Bewertung tendenziell verbessert, in europa-freundlichen Ländern eher abgeschwächt (Immerfall 2006). Demokratische Qualität und Problemlösungsfähigkeit Über den Nutzenaspekt hinaus ist die Wahrnehmung der demokratischen Qualität der Europäischen Union für den Grad der Zustimmung entscheidend. Hier geben die Antworten der Europäer ein ambivalentes Bild ab. Einerseits kann man sehen, dass die Europäer durchaus Nachholbedarf bei der demokratischen Qualität der EU sehen. In einer Eurobarometer-Umfrage 2005 gaben 53 % aller EU- Bürger an, dass sie glauben, ihre Stimme in der EU zähle nicht. In Ostdeutschland waren dies sogar 66 %. Vier von Fünf Europäer gaben an, schon etwas von der Europäischen Verfassung gehört zu haben, allerdings gaben 68 % an, nur sehr wenig über ihren Inhalt zu wissen (TNS Opinion & Social 2005). Im Jahr 2006 sagte nur etwa die Hälfte der Befragten, dass sie mit der Demokratie in der EU zufrieden seien. Interessant ist, dass die Demokratiezufriedenheit in den neuen Mitgliedsländern höher ist als in den EU-15. In fast allen Ländern, mit Ausnahme der osteuropäischen Mitgliedsländer und Italiens, liegt die Zufriedenheit mit der nationalen Demokratie über der Zufriedenheit mit der Demokratie in der EU, allerdings ist der Niveauunterschied nicht sehr stark (Europäische Kommission 2007a, b). Schauen wir auf andere Faktoren wie die Wahlbeteiligung zum Europaparlament, so ist das Bild allerdings weniger positiv. Seit der ersten Direktwahl ist die Wahlbeteiligung zurückgegangen: 1979 waren es noch 60 % der Wähler, die zur Wahlurne gingen, 2004 dann nur noch 45 %. Die Wahlen zum Europaparlament erfahren weit weniger Beteiligung als die nationalen Parlamentswahlen (Schäfer 2006). Andererseits sehen wir aber auch, dass es ein Vertrauen in die Problemlösungs- Problemlösungsfähigkeit fähigkeit der Union gibt. Offensichtlich ist vielen Menschen bewusst, dass der Nationalstaat nur noch begrenzte Handlungsmöglichkeiten hat, um viele unserer gegenwärtigen Probleme zu bearbeiten. In einer Eurobarometer-Umfrage 2005 wurde für eine ganze Reihe von Politikbereichen gefragt, ob die Entscheidungsfindung auf der europäischen oder der nationalen Ebene stattfinden sollte (Tab. 35). Die Frage ist also: Welcher Ebene wird größere Kompetenz zugetraut? Hier zeigt sich, dass die Bürger in etlichen Sachbereichen der EU mehr zutrauen als ihren nationalen Regierungen. Dazu gehören Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität, wissenschaftliche Forschung, Umweltschutz, Verteidigung und Außenpolitik, Wettbewerbspolitik, Energiepolitik, Unterstützung von Regionen mit wirt- <?page no="301"?> 302 14 Subjektive Europäisierung Tab. 35 | Wahrgenommene Problemlösungskompetenz der EU Nationale Regierungen Europäische Union Weiß nicht 3 , 3 5 , 7 7 2 , 9 1 s u m s i r o r r e T n e g e g f p m a K Wissenschaftliche und technologische Forschung 25,9 69,0 5,1 5 , 3 3 , 6 6 2 , 0 3 z t u h c s t l e w m U 5 , 4 4 , 3 6 1 , 2 3 k i t i l o p n e ß u A d n u g n u g i d i e t r e V 8 , 9 1 , 6 5 0 , 4 3 k i t i l o p s b r e w e b t t e W 9 , 5 5 , 8 5 6 , 5 3 k i t i l o p e i g r e n E 3 , 3 1 , 9 5 6 , 7 3 t ä t i l a n i m i r K n e g e g f p m a K Unterstützung von Regionen mit wirtschaftlichen Problemen 38,1 56,8 5,1 2 , 4 4 , 7 5 5 , 8 3 g n u r e d n a w n i E 0 , 6 2 , 1 5 8 , 2 4 k i t i l o p i e r e h c s i F d n u s t f a h c s t r i w d n a L 8 , 4 1 , 8 4 1 , 7 4 z t u h c s r e h c u a r b r e V 5 , 3 1 , 9 3 4 , 7 5 t i e k g i s o l s t i e b r A n e g e g f p m a K 7 , 3 3 , 9 2 0 , 7 6 n e s e w s g n u h e i z r E d n u s g n u d l i B 7 , 3 3 , 9 2 0 , 7 6 n e s e w l a i z o S d n u s t i e h d n u s e G 6 , 4 4 , 5 2 0 , 0 7 n r e u e t S 9 , 3 3 , 2 2 9 , 3 7 n e t n e R Quelle: Eurobarometer 64.1 (2005); eigene Berechnungen; Angabe der Zeilenprozente; Surveyfrage: »Probleme in folgenden politischen Bereichen können am besten gelöst werden durch ….« schaftlichen Problemen und Einwanderungspolitik. Das heißt, dass trotz wahrgenommener Demokratiedefizite die EU als Adressat der Lösung sozialer, ökonomischer und ökologischer Probleme wahrgenommen wird. Demgegenüber plädieren die Bürger in den Bereichen Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Bildung und Erziehung, Gesundheits- und Sozialwesen, Steuern und Renten mehrheitlich dafür, dass die nationale Ebene die Handlungs- und Entscheidungsmacht behalten sollte. Interessant ist, dass im Gegensatz zu Fragen von Wissenschaft, Wirtschaft und Umgang mit Risiken die wohlfahrtspolitische Verantwortung sehr stark dem Nationalstaat zugeschrieben wird. Ausnahme ist hier die Regionalpolitik, ein Feld, in welchem die EU schon lange eine sehr aktive Rolle spielt (vgl. Abschnitt 11.3). Hinsichtlich der Bestimmungsgründe für diese Präferenzen lassen sich die Eigenart des Politikfelds, die wahrgenommenen Leistungsdefizite einer bestimmten Handlungsebene (national/ europäisch) und die generelle Zustimmung zu Europa benennen (Schmitt/ Scheuer 1996). 14.2 Nationale und europäische Identität Definition Die politische Identität eines Gemeinwesens bezieht sich auf das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und der Gemeinsamkeit, sei es aufgrund von gemeinsamen Werten, ethnischer Abstammung, ideologischer Überzeugung oder geschichtlicher Erfahrung. <?page no="302"?> 14.2 Nationale und europäische Identität 303 Methodische Hinweise Die Beschreibung der Identitäten in der EU wird anhand einer Frage aus dem Eurobarometer vorgenommen. Dargestellt werden die Anteile von Befragten, die sich als Europäer, nationale Staatsbürger oder beides zugleich sehen. In einem zweiten Schritt wird die Darstellung von Befragten mit europäischer Identität nach unterschiedlichen Berufsgruppen aufgeschlüsselt. Für den Fortgang der europäischen Integration ist es von Bedeutung, ob dieser umverteilungsfeste Identität Prozess auf Formen der Unterstützung zurückgreifen kann, die über die Nutzenkalküle der Bevölkerungen und Regierungen hinausgehen. Wenn Bindungen entstehen, die nicht nur instrumentell geprägt sind, sondern auf einer allgemeinen Identifikation mit Europa beruhen, dann fällt es auch leichter, Unterstützung für konkrete Integrationsschritte zu bekommen. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Integration nicht nur mit Nutzen, sondern auch mit Kosten verbunden ist. Es stellt sich die Frage, ob im Prozess der europäischen Integration das Gefühl von Zusammengehörigkeit und einer gemeinsamen Identität eine mögliche Ressource darstellt, um Solidarität und Loyalität zu sichern. Insbesondere wenn die EU weitere Kompetenzen an sich zieht und an Redistributionskraft gewinnen sollte, wird es notwendig, solche Formen der Unterstützung zu sichern, die unabhängig von spezifischen Vorteilen sind. Der sehr plastische Begriff der »umverteilungsfesten Identität« (Vobruba 2001: 126) unterstreicht, dass erst das Vorhandensein einer europäischen Identität das Maß an Zustimmung bringt, das es braucht, um eine bestimmte Opferbereitschaft auch im Hinblick auf die Kosten der Einigung zu erzeugen. Ganz zentral für die EU-Unterstützung ist deshalb, ob die Menschen sich kognitiv und affektiv mit Europa verbunden fühlen. In der Literatur gibt es eine anhaltende Debatte über die Möglichkeiten und nationale versus europäische Identität? Potenziale einer europäischen Identität (Eder 1999; Gerhards 2003; Habermas 1994; Kohli 2002; Münch 1999a; Pfetsch 1998). In dieser Auseinandersetzung ist auch deutliche Skepsis geäußert worden, was das Vorhandensein und die Belastbarkeit einer kollektiven Identität der Europäer angeht (Lepsius 2001). Diese gründet vor allem darin, dass die Nationalstaaten in der Vergangenheit eine große normative Integrationsdichte entwickelt haben und im Laufe der Jahrhunderte ein exklusives Bindungsverhältnis mit »ihren« Bürgern aufbauen konnten. Deshalb ist es schwierig, sich eine europäische Identität vorzustellen, die die nationale Identität einfach ablöst. Auch kann die EU noch als vergleichsweise junges Identifikationsobjekt gelten. Es ist allerdings fraglich, ob die Vorstellung, dass die Identifikation mit einer bestimmten Ebene - zum Beispiel eine Region, eine Nation oder Europa - als ein Nullsummenspiel zu begreifen ist, angemessen ist, bei welchem ein Mehr auf einer Ebene ein Weniger auf einer der anderen Ebenen zur Konsequenz haben muss (Marks/ Hooghe 2003). Untersuchungen zeigen einen hohen positiven Zusammenhang zwischen der Identifikation als Deutscher, als Europäer <?page no="303"?> 304 14 Subjektive Europäisierung und als Weltbürger auf (Schlickum 2005). Nationale Identität kann also mit supranationalen Zugehörigkeitsgefühlen einhergehen und ist mit anderen Bezugsebenen durchaus kompatibel. Anhand von Einstellungsdaten lässt sich die Verbreitung einer europäischen Sehen Sie sich als Europäer? Identität messen. So wird im Eurobarometer regelmäßig die Frage gestellt, ob die Befragten sich in naher Zukunft ausschließlich als Angehörige der eigenen Nation, als Angehörige der eigenen Nation und als Europäer oder ausschließlich als Europäer fühlen. Der Anteil derer, die sich unter anderem oder ausschließlich als Europäer sehen, liegt über die Jahre recht stabil zwischen 50 und 60 % (Nissen 2004). Ein Drittel bis die Hälfte der Befragten geben dagegen an, dass sie sich ausschließlich mit ihrer Nationalität identifizieren. Legt man ein härteres Kriterium an, zum Beispiel ob der Europabezug ausschließlich oder an erster Stelle steht, dann reduziert sich die Rolle der europäischen Identität. Es ist dann nur noch etwa jeder Zehnte, der dem zustimmt. Für die Mehrheit bleibt die nationale Zugehörigkeit prioritär (Europäische Kommission 2002). Auch hier finden wir wieder ausgeprägte Länderunterschiede (Schaubild 40): In den Benelux-Ländern, Deutschland, Frankreich und Italien ist die Identifikation mit Europa deutlich größer als in Schweden, Finnland, Portugal, Griechenland oder den neuen Mitgliedsländern in Osteuropa (Nissen 2004). Besonders schwach ist der Europabezug in Großbritannien und Irland. Schaubild 40 | Nationale oder europäische Identität 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Luxemburg Niederlande Belgien Deutschland Frankreich Spanien Malta Dänemark Slowenien Zypern EU-15 EU-27 Bulgarien Slowakei Österreich Polen Schweden Ungarn Griechenland Tschechien Estland Finnland Portugal Italien Rumänien Lettland Litauen Irland Großbritannien als (Nationalität) teilweise oder ganz als Europäer/ in weiß nicht Quelle: Eurobarometer 67.1 (2007), eigene Berechnungen; Surveyfrage: »In der nahen Zukunft, sehen Sie sich da (1) nur als (Nationalität), (2) als (Nationalität) und Europäer/ -in, (3) als Europäer/ -in und (Nationalität), (4) nur als Europäer/ -in oder (5) weiß nicht? « Die Kategorie »teilweise oder ganz als Europäer/ in« setzt sich aus den Antwortmöglichkeiten »als (Nationalität) und Europäer/ -in«, »als Europäer/ -in und (Nationalität)« sowie »nur als Europäer« zusammen (2, 3, 4). <?page no="304"?> 14.2 Nationale und europäische Identität 305 Fragt man nach den Ursachen für diese deutlichen Differenzen, dann sind es vor allem eine zentrale Lage in Europa und die Dauer der Mitgliedschaft, die hier angeführt werden können. Offensichtlich wirkt eine vergleichsweise lange Mitgliedschaft identitätsstiftend. Es zeigt sich weiterhin, dass die Verteilung der Identifikation relativ unabhängig davon ist, ob das Land Nettozahler oder Nettoempfänger in der EU ist. In Osteuropa ist eine schwächere Orientierung auf Europa vorzufinden, da nach dem Zusammenbruch des Sozialismus zunächst die Idee der nationalen Eigenständigkeit an Bedeutung gewann (siehe Drulák 2001; Pollack 2004). So findet sich in Osteuropa ein verbreitetes Nationalgefühl. Insbesondere die unterprivilegierten, oft bäuerlich geprägten Schichten orientieren sich verstärkt am Nationalstaat. Bei ihnen sind auch die Ablehnung von Werten beziehungsweise Institutionen wie Demokratie und Marktwirtschaft und die Europa-Skepsis besonders ausgeprägt, so dass man hier tatsächlich von einem Spannungsverhältnis zwischen europäischer und nationaler Identität ausgehen muss. Das bedeutet, dass das Verhältnis zu Europa durch die Konfliktlinie zwischen Modernisierung und Traditionalismus überlagert wird (Schödl 1993; Spohn 2000). Was die Frage einer europäischen Identität angeht, gibt es nicht nur große Län- Bildung und europäische Identität derunterschiede, sondern auch Unterschiede zwischen sozialstrukturellen Gruppen. Schaubild 41 stellt die Differenzen in den europäischen Identitätsbezügen | Schaubild 41 Beruflicher Status und europäische Identität gelernte und ungelernte Arbeiter 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Großbritannien Lettland Italien Litauen Rumänien Portugal Irland Tschechien Finnland Schweden Griechenland Slowakei Estland Deutschland-Ost Ungarn Bulgarien Zypern Polen EU-27 Österreich EU-15 Malta Dänemark Slowenien Frankreich Spanien Niederlande Deutschland-West Luxemburg Belgien Management/ leitende Tätigkeit Quelle: Eurobarometer 67.1 (2007), eigene Berechnungen; Surveyfrage: »In der nahen Zukunft, sehen Sie sich da als …? « »Europäische Identität« setzt sich aus den Antwortmöglichkeiten »als (Nationalität) und Europäer/ -in«, »als Europäer/ -in und (Nationalität)« sowie »nur als Europäer/ -in« zusammen; dargestellt sind die Differenzen hinsichtlich des Anteils derer mit einer europäischen Identität bei »gelernten und ungelernten Arbeitern« und »Management/ leitende Tätigkeiten«. <?page no="305"?> 306 14 Subjektive Europäisierung zwischen verschiedenen Berufsgruppen dar, und zwar zwischen der Gruppe der gelernten und ungelernten Arbeiter auf der einen Seite sowie der Gruppe der Verwaltungs- und Managementberufe und der leitenden akademischen Berufe auf der anderen Seite. Dies sind zwei Gruppen mit unterschiedlichen Statuspositionen und Ausstattungen an Bildungskapital. Im Durchschnitt betragen die Gruppenunterschiede der Zustimmung zu einer europäischen Identitätsebene über 15 %. Besonders ausgeprägt sind diese Unterschiede in Ländern wie Frankreich, Finnland, Schweden, Portugal, Zypern und Polen. Geringe Gruppenunterschiede gibt es dagegen in Irland und Spanien, was ein Hinweis darauf ist, dass die Orientierung auf Europa hier in geringerem Maße entlang beruflicher Statusunterschiede strukturiert ist. In diesen Ländern hat die gesamte Gesellschaft im Zuge der Europäisierung einen Wohlstandsschub erlebt, so dass sich Gruppendifferenzen vermutlich nicht so stark ausgebildet haben (Medrano 2003). Für Länder mit größeren Gruppenunterschieden gilt, dass die Europa-Affinität vor allem eine Sache der höheren Statusgruppen ist. Der Grund dafür wird einerseits darin gesehen, dass diese durch die Prozesse der Europäisierung, wie eine gemeinsame Marktbildung, weniger unter Druck geraten als Gruppen mit niedrigem sozialen Status, andererseits aber auch darin, dass sie deutlich mehr Gelegenheiten haben, positive Erfahrungen mit Europa und anderen Europäern zu machen (Abschnitt 13.2). Die oberen und mittleren Ränge der Angestellten und akademischen Berufe, die leitenden Angestellten in Management und Verwaltung und die Personen mit höherer Bildung sind diejenigen, die noch am ehesten in den transnationalen Erfahrungsraum Europa eingebunden sind (Fligstein 2008). Die langfristige Herausbildung einer europäischen Identität wird oft mit dem langfristiger Identitätswandel Prozess der europäischen Vergemeinschaftung in Verbindung gebracht. Von nationenübergreifenden Bindungen und Netzwerken kann man eine Verlagerung beziehungsweise Erweiterung von Loyalitäten und Identifikationen erwarten (Münch 1999b). Die Bindung an die nationale Gemeinschaft hebt sich dann nicht auf, wird aber von anderen Bezugsebenen überlagert und verliert ihre Exklusivität. Allerdings ist eine solche Entwicklung nicht über Nacht zu erwarten: »Für die Entstehung einer nachhaltigen europäischen Identität ist eine längerfristige Zeitperspektive zu veranschlagen, denn dazu bedarf es sowohl des Wandels innerhalb von nationalen Gesellschaften als auch der sozialen Mobilität von Individuen. Die übergeordnete Kategorie ›Europa‹ muss für die Individuen mit konkreten Inhalten gefüllt sein, damit sie als Denk- und Handlungsebene relevant werden kann. Konkrete Voraussetzungen dafür sind breite Sprach- und Bildungssowie europaweite Kontaktangebote und die Bereitschaft der Individuen für direkte Erfahrungen jenseits eigener Grenzen.« (Lilli 1998: 154) <?page no="306"?> 14.3 Das Verhältnis der Europäer zueinander 307 14.3 Das Verhältnis der Europäer zueinander Methodische Hinweise Das Verhältnis der Europäer untereinander wird anhand von Daten des European Values Survey (EVS), die Gerhards (2006) ausgewertet hat, und anhand von Daten der European Election Study diskutiert. Die Einstellungen zur Gleichheit von in- und ausländischen Arbeitskräften wird mit Hilfe des Anteils der Befragten, die die Diskriminierung von Ausländern auf dem Arbeitsmarkt ablehnen, dargestellt. Weiterhin werden Daten zum Vertrauen der Europäer ineinander präsentiert. In der neueren Forschung gibt es zahlreiche Versuche, über die Einstellungen zu Bezugsrahmen zur Bewertung von Ungleichheit und Vertrauen Europa und der EU hinaus das Verhältnis zwischen den Bürgern in den Ländern der Europäischen Union in den Blick zu nehmen. Leitfrage ist auch hier, ob sich in den subjektiven Orientierungen und Wahrnehmungen tatsächlich Anzeichen für eine Europäisierung finden lassen. Zum Beispiel ist anzunehmen, dass sich mit zunehmender Integration veränderte Wahrnehmungsweisen von Ungleichheit herausbilden. Während vormals nationale Grenzen den Blick nach außen verstellten, sollten nun diese Wahrnehmungsbarrieren allmählich abgebaut werden und ein europäischer Vergleichsmaßstab oder auch Referenzgruppen in anderen europäischen Ländern zunehmend eine Rolle spielen. Neben diesem Aspekt wird nachfolgend gefragt, ob es eine grundlegende Akzeptanz der Statusgleichheit der EU-Mitbürger gibt, die ja Teil des politischen Programms der EU ist. Schließlich werden Befunde zur Entwicklung des transnationalen Vertrauens zwischen den Völkern Europas präsentiert. Vergleich zwischen den Ländern Es gibt Indizien dafür, dass der eigene Lebensstandard zunehmend im europäi- Europäisierung und gefühlte Armut schen Vergleich verortet wird (vgl. Heidenreich 2006b: 24f.). In der Eurobarometer- Befragung von 2001 (56.1, 2001) finden sich sehr ungleiche Anteile der jeweiligen nationalen Bevölkerungen, die sich subjektiv arm fühlen: So berichten weniger als zehn Prozent der Dänen und der Luxemburger von »gefühlter Armut«, dagegen aber 41 % der Italiener, 54 % der Griechen und 66 % der Portugiesen. In Portugal und Griechenland sind über 90 % der Befragten unzufrieden mit der eigenen finanziellen Situation. Zwar ist die Einkommensungleichheit in Ländern wie Griechenland und Portugal relativ hoch (vgl. Kapitel 9), aber dennoch überrascht dieser große Anteil an subjektiv wahrgenommener Deprivation. Eine mögliche Erklärung wäre, dass sich die Befragten nicht mehr ausschließlich an nationalen Referenzgruppen und Vergleichsstandards orientieren, sondern sich auch in ein Verhältnis mit ihren europäischen Nachbarn setzen (Fahey/ Smyth 2004; Whelan et al. 2001). In der Ungleichheitsforschung ist man über lange Zeit davon ausgegangen, dass die Bewertung der eigenen Lebensbedingungen vor allem im natio- <?page no="307"?> 308 14 Subjektive Europäisierung nalen Kontext vorgenommen wird. In einem verdichteten europäischen Raum ist zu erwarten, dass sich die Europäer auch stärker im Vergleich miteinander und im Verhältnis zueinander sehen (Beck/ Grande 2004). Aus der neueren Forschung wissen wir, dass Menschen recht realistische Vorstellungen davon haben, wo sie und ihr Land in einer internationalen (europäischen) Einkommenshierarchie stehen, und dass das Gefühl der relativen Schlechterstellung einen negativen Einfluss auf die Bewertung der eigenen Lage und der Lebenszufriedenheit hat (Delhey/ Kohler 2006; Kohler 2007). Aufwärtsvergleiche sind dabei relevanter als Abwärtsvergleiche. Das heißt, dass es demnach insbesondere die neuen und ärmeren Mitgliedsstaaten sind, die sich an gemeinsamen europäischen Standards orientieren. Ihre Bürger erwarten, dass sie bezüglich Lebensstandard und ökonomischer Entwicklung zu den europäischen Standards aufschließen und sie nicht dauerhaft in einer rückständigen Position verharren. Öffnung und Gleichheit Ein wichtiger Aspekt der Europäisierung ist der Abbau von Grenzen und die Beseitigung von Mobilitätsbarrieren. Diese Veränderung ist einschneidend, da den Nationalstaaten die Möglichkeiten genommen werden, die eigenen Märkte und Sozialsysteme abzuschotten. Damit verändert sich auch das Verhältnis der EU-Bürger zueinander, weil die Staatsangehörigkeit nicht mehr für die Zuweisung sozialer und ökonomischer Rechte maßgeblich ist. Europäisierung bedeutet eine Transformation weg von Statusdifferenz hin zu Gleichheit und wechselseitiger Anerkennung (Beck/ Grande 2004). Dies geschieht vor allem durch gewährte Freizügigkeit im Hinblick auf den Aufenthalts- und Wohnort, Möglichkeiten des Zugangs zum Arbeitsmarkt und zum wohlfahrtsstaatlichen Leistungssystem und Prinzipien der Nichtdiskriminierung. Mit dieser Entwicklung wird eine ganze Reihe vormals an die Staatsangehörigkeit gekoppelter Rechte auch auf andere EU- Bürger übertragen. Soweit EU-Bürger sich in einem anderen EU-Land aufhalten oder dort niederlassen, sind sie, mit Ausnahme bestimmter politischer Rechte, gleichgestellt. Die Frage, die sich aus der Perspektive der Sozialstrukturforschung aufdrängt, Akzeptanz der Idee einer europaweiten Statusgleichheit lautet, ob diese Schaffung von Statusgleichheit Akzeptanz findet. Gerhards (2006) hat am Beispiel der Gleichbehandlung von inländischen und ausländischen Arbeitskräften untersucht, ob die von der EU propagierte Gleichheit Anerkennung findet, und wie groß die Vorbehalte gegenüber einer Öffnung des Mitgliedschaftsraumes sind (Schaubild 42). Mit Hilfe von Daten des European Values Survey kann er zeigen, dass die Vorstellung einer Gleichheit aller Bürger mehrheitlich abgelehnt wird und nach wie vor Unterschiede zwischen Mitbürgern und Staatsbürgern anderer Länder gemacht werden. Zugleich gibt es Unterschiede zwischen den Bevölkerungen der einzelnen Länder. In den alten Mitgliedsländern sprechen sich knapp 40 % der Befragten für einen gleichberechtigten Zugang von Ausländern zum einheimischen Markt aus, in den Erweiterungsländern liegt die Zustimmung zum Teil deutlich unter fünf Prozent. <?page no="308"?> 14.3 Das Verhältnis der Europäer zueinander 309 | Schaubild 42 Einstellungen zur Gleichheit von in- und ausländischen Arbeitskräften 0% 20% 40% 60% 80% 100% Schweden Niederlande Dänemark Luxemburg Estland Belgien Frankreich EU-15 Großbritannien Deutschland-West Finnland Portugal Italien Spanien Irland Lettland Deutschland-Ost Österreich Rumänien Griechenland Slowenien Beitritt 2004 Beitritt 2007 Tschechien Ungarn Bulgarien Slowakei Malta Polen Litauen Quelle: Gerhards (2006: 261); European Values Survey 1999/ 2000; Surveyfrage: »Wenn Arbeitsplätze knapp sind, sollten die Arbeitgeber (Nationalität) gegenüber Ausländern vorziehen? « mit den Antwortkategorien »Stimme zu«, »Stimme nicht zu« und »weder noch«; dargestellt ist die Ablehnung in Prozent. Schweden ist mit 78 % am »offensten«. Die schwedische Offenheit korrespondiert auch mit der tatsächlichen Politik. Zusammen mit Irland und Großbritannien war Schweden eines der wenigen Länder, die ihren Arbeitsmarkt sofort nach der Beitrittsrunde 2004 für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedsstaaten öffneten. Polen, Litauen, Malta und die Slowakei befinden sich am unteren Ende bei dem Anteil der Zustimmung. Zwar zeigen diese Daten, dass die Bejahung der Offenheit nationaler Arbeitsmärkte für Ausländer noch recht schwach ausgeprägt ist und sich eine Diskrepanz zwischen der EU-Politik und den Präferenzen der Bürger auftut, gleichzeitig gibt es aber Länder, in denen diese Gleichheitsnorm schon mehrheitliche Unterstützung findet. Die starken Unterschiede zwischen alten und neuen Mitgliedsländern sind ein Hinweis darauf, dass die Zustimmung mit der Dauer der Mitgliedschaft möglicherweise anwächst. Zugleich berichtet Gerhards von einer (moderaten) Zunahme der Akzeptanz europäischer Gleichheitsvorstellungen über die Zeit. Aus sozialstruktureller Perspektive ergibt sich weiterhin, dass mit höherer Bildung eine größere Offenheit vorliegt. Auch gilt: Je jünger ein Befragter ist, desto größer ist die Unterstützung für eine Europäisierung der Gleichheitsidee. Auf der Länderebene ergibt sich zudem ein positiver Zusammenhang mit dem Modernisierungsgrad eines Landes. Allerdings gilt auch: Je höher die Arbeitslosigkeit in einem Land, desto eher plädieren die Bürger für Schließung (Gerhards 2006). 62 62 Eine neuere Untersuchung in Deutschland zu der Frage, ob es Unterstützung für das Ziel der EU gibt, dass jeder Arbeitnehmer in jedem Land der EU arbeiten darf, zeigt <?page no="309"?> 310 14 Subjektive Europäisierung Transnationales Vertrauen Eine weitere exemplarische Perspektive der »subjektiven Europäisierung« bezieht Vertrauen zwischen den Völkern sich auf das transnationale Vertrauen zwischen den Völkern Europas (Delhey 2004a, b). Für die empirische Forschung stellt transnationales Vertrauen einen wichtigen Indikator dar, um die Qualität der sozialen Beziehungen zwischen den Nationen zu beurteilen. Vertrauen gilt als sozialer Kitt einer Gesellschaft, weil es die Bereitschaft zum kooperativen Handeln stützt, prosoziales Verhalten auslöst und positive Beziehungen zwischen Interaktionspartnern sicherstellt. Vertrauen ist aber nicht nur im Kontext nationaler oder lokaler Gemeinschaften zentral, es ist auch wichtig im Rahmen supranationaler Vergemeinschaftungsprozesse. Auch diese brauchen Formen positiver Vertrauensbeziehungen zwischen den beteiligten Nationen, um weitreichende Schritte der politischen Integration vollziehen zu können: »Vertrauen erleichtert das Miteinander. Wer vertraut, ist auch bereit, trotz Differenzen und Unterschieden zusammenzuarbeiten, was die Erstellung kollektiver Güter begünstigt.« (Delhey 2004b: 6) Dabei ist transnationales Vertrauen möglicherweise sowohl Grundlage als auch Folge von Prozessen der Supranationalisierung. Für Europa kann man fragen, ob das Verhältnis der Europäer auf Misstrauen gegründet ist, oder ob die Europäische Union auch als Vertrauensgemeinschaft verstanden werden kann. »Die soziale Integration, europäisch gedacht, nimmt dann zu, wenn das Vertrauen in die Bürger der anderen EU- Mitgliedsstaaten steigt; sie sinkt, wenn Misstrauen auf dem Vormarsch ist. Ihre ›natürliche‹ Grenze an Sozialintegration hat die Union dann erreicht, wenn Menschen den Partnervölkern ebenso vertrauen wie den eigenen Landsleuten.« (Delhey 2004b: 7) Für Europa kann man der Frage nach dem gegenseitigen Vertrauen mit Hilfe Vertrauenswachstum und Vertrauensgefälle der European Election Study und der Eurobarometer-Daten nachgehen. Die Befragten wurden aufgefordert, für eine Liste von Nationen (»Franzosen«, »Belgier« etc.) anzugeben, ob sie den Menschen dieser Länder vertrauen. Tabelle 36 zeigt sehr deutlich die Abstufungen zwischen den Ländern. In der EU-25 ist das Vertrauen, welches den Schweden, den Holländern, den Dänen, den Spaniern und den Finnen entgegengebracht wird, besonders groß. Am unteren Ende des Rankings finden sich Länder wie Litauen, Estland, Lettland, Slowenien, Slowakei und Zypern, bei den drei Letztgenannten ist der Anteil derer, die sagen, dass sie wenig Vertrauen haben, sogar größer als der Anteil derer mit viel Vertrauen. Es gibt für diese Länder auch einen größeren Anteil von Befragten, die sich keine Meinung zutrauen. Den EU-15-Nationen wird insgesamt mehr vertraut als den Beitrittsnationen, ein Indiz dafür, dass der Aufbau des Vertrauens Zeit braucht. Innerhalb der Gruppe eine Zustimmung von 64 %. Die Vorstellung einer europäischen Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt scheint hier demnach gut verankert zu sein (Gerhards et al. 2007). Gezeigt werden kann auch, dass die Zustimmung zur europäisierten Chancengleichheit mit höherem Ausbildungsgrad steigt. Dies lässt sich mit der größeren Konkurrenz im Bereich der niedrig qualifizierten Beschäftigung und spezifischen Vorbzw. Nachteilen erklären, die aus offenen Arbeitsmärkten erwachsen <?page no="310"?> 14.3 Das Verhältnis der Europäer zueinander 311 | Tab. 36 Vertrauen der Europäer in andere europäische Nationen Ver trauen in … Viel Ve rtrauen Wenig Ve rtrauen Weiß nicht Schweden 68,5 15,3 16,2 Niederlande 63,0 19,4 11,7 Dänemark 62,7 18,0 19,3 Spanien 59,8 23,3 17,0 Finnland 59,3 18,9 21,8 Deutschland 58,3 30,7 11,0 Frankreich 58,0 28,3 13,7 Belgien 56,4 21,8 21,8 Luxemburg 55,7 18,4 25,9 Irland 55,3 22,7 22,0 Österreich 54,5 26,4 19,1 Portugal 53,5 24,0 22,6 Italien 51,4 33,3 15,3 Griechenland 49,4 28,5 22,1 Großbritannien 47,0 38,0 15,0 Tschechien 45,0 33,0 22,0 Ungarn 41,9 33,3 24,7 Polen 41,8 39,6 18,6 Litauen 36,5 34,2 29,4 Estland 36,2 32,9 30,9 Lettland 34,9 32,6 32,5 Slowenien 34,6 36,0 29,4 Slowakei 34,5 39,1 26,3 Zypern 31,6 33,6 35,1 Quelle: European Election Study 2004; eigene Berechungen; Angabe in % aller Befragten; EU-25 (keine Angaben für Malta); angegeben ist immer das durchschnittliche Vertrauen aller Befragten aus den EU-25-Staaten in das jeweilige Volk; die jeweilige Nation wurde dabei aus der Analyse ausgeschlossen; Surveyfrage: »Ich möchte Sie nun danach fragen, wieviel Vertrauen Sie in die Völker verschiedener Länder haben. Sagen Sie mir bitte für jedes Land, ob Sie zu der Bevölkerung viel oder wenig Vertrauen haben.« der EU-15 sind es Portugal, Italien, Griechenland und Großbritannien, die geringere Vertrauenswerte haben. Eine andere Perspektive ergibt sich, wenn man auf die »Vertrauensgeber« schaut, also auf die Bereitschaft der einzelnen Nationen, anderen zu vertrauen. Delhey (2004a) berichtet, dass sich die Europäer prinzipiell den eigenen Landsleuten verbundener fühlen als anderen Nationen. In der Regel ziehen sie eine deutliche Grenze zwischen der eigenen Nation und den »anderen«. Aber auch innerhalb von Europa gibt es ein Vertrauensfundament. Nimmt man die europäischen Länder zusammen, so ist für die meisten Länder der Anteil derer, die insgesamt anderen europäischen Nationen Vertrauen schenken, größer als der Anteil derjenigen, die anderen europäischen Nationen eher nicht vertrauen. Über die Zeit steigt das transnationale Vertrauen, allerdings bleibt der Abstand zwischen nationalem und transnationalem Vertrauen recht stabil (Delhey 2004b). Ausnahmen ergeben sich für Westdeutschland, Belgien und Luxemburg. In diesen Ländern gibt es keinen großen Unterschied mehr zwischen den eigenen Landsleuten und den anderen <?page no="311"?> 312 14 Subjektive Europäisierung Europäern. Deutliche Differenzen zwischen transnationalem und nationalem Vertrauen werden in Frankreich, Italien, Dänemark und Griechenland gemacht, aber auch hier mit einem allgemeinen Trend zu einem Mehr an grenzüberschreitendem Vertrauen. Insgesamt hat sich das Vertrauensklima zwischen den Europäern über die Zeit verbessert. Mit den Erweiterungsrunden der EU geht aber einher, dass das Vertrauensniveau der EU insgesamt absinkt und es vermutlich erst längere Perioden der vertieften Zusammenarbeit braucht, damit das Vertrauen in der erweiterten Union insgesamt anwächst (Delhey 2007). Sozialstrukturell gesehen gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen Bildungsstatus und Vertrauensniveau, während das Vertrauen gegenüber anderen Europäern mit zunehmendem Alter der Befragten schwächer wird. Die empirischen Befunde machen deutlich, dass eine »subjektive Europäisierung« im Verhältnis der Europäer sichtbar wird. Zwar ziehen im Hinblick auf Statusgleichheit und Vertrauen die meisten Europäer nach wie vor eine Grenze zwischen der eigenen Nation und anderen europäischen Nationen, aber diese ist kein tiefer Graben mehr, der durch Distanz und Feindseligkeit geprägt ist. Für viele Europäer gilt, dass sie bereit sind, Angehörigen anderer Nationen gleiche Rechte in ihrem eigenen Land zuzugestehen, oder dass sie anderen Europäern vertrauen. Für die meisten dieser Indikatoren ergibt sich gleichfalls eine Steigerung über die Zeit, die darauf hindeutet, dass mit dem politischen Prozess ein Zusammenwachsen der Völker einhergeht. Allerdings sind nicht alle Befunde so eindeutig. Deshalb ist auch nicht zu prognostizieren, ob dies langfristig zu einem Zusammenwachsen der europäischen Nationen führt, bei dem nationale Unterschiede keine große Rolle mehr spielen, oder »nur« zu vertieften Beziehungen zwischen den Völkern, für die die Abstufung zwischen eigenen Landsleuten und EU-Ausländern zentral bleiben wird. Mit Blick auf die Sozialstruktur ist gleichfalls zu betonen, dass wir Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Statusgruppen finden. Mit höherem sozioökonomischen Status ist die Hinwendung zu Europa deutlich ausgeprägter und es ist zu vermuten, dass es insbesondere die privilegierten Gruppen sind, die auch die subjektive Europäisierung tragen. <?page no="312"?> 15 Fazit: Aufstieg einer europäischen Gesellschaft? Dieses Studienbuch hat sich die Beschreibung und Analyse der Sozialstruktur Europas zum Thema gesetzt. Dabei sind wir in drei Schritten vorgegangen: Zunächst haben wir die historischen Gemeinsamkeiten herausgearbeitet, die die europäischen Gesellschaften verbinden. Anschließend haben wir eine vergleichende Perspektive eingenommen und anhand der Leitmotive Konvergenz / Divergenz danach gefragt, ob die europäischen Nationalgesellschaften einander ähnlicher werden. In einem weiteren Schritt ging es unmittelbar um die sozialstrukturellen Effekte der Europäisierung sowie um Fragen der horizontalen Europäisierung und der Europäisierung in den Köpfen der Menschen. Diese Annäherungen dienten dazu, die konzeptionell bislang voneinander getrennten Ansätze der vergleichenden Europaforschung und der Integrationsforschung miteinander zu verbinden. Im Teil 1 stand die Frage im Mittelpunkt, welches die Grenzen Europas sind die Struktur Europas und wie sich Europa als territoriale Ordnung verstehen lässt. Es zeigte sich, dass es unterschiedliche Bestimmungen der räumlichen Ausdehnung Europas, der internen Strukturierung und räumlichen Hierarchisierung gibt. Mit der Herausbildung der Nationalstaaten sowie ihrer territorialen und mitgliedschaftlichen Abschließung ist eine Form der horizontalen Segmentierung entstanden. Damit etablierten sich voneinander abgegrenzte nationale Sozialstrukturen mit eigenen institutionellen Arrangements, Ungleichheitsregimen und Formen der Regulierung. Dennoch kann man typische sozialstrukturelle Charakteristika Europas identifizieren, die sich in vielen europäischen Ländern auffinden lassen und auf Prozesse der Modernisierung und Industrialisierung zurückgehen. Heute verfügt Europa über eine gut gebildete, urbanisierte, wohlhabende und an Werten wie Freiheit und Selbstverwirklichung orientierte Bevölkerung, typisch europäische Formen von Familie, Erwerb und Konsum, einen umverteilenden Sozialstaat, einen institutionalisierten Klassenkompromiss, einen regulierten Arbeitsmarkt, eine Dienstleistungsökonomie, religiöse und politische Toleranz und gut ausgebaute Netzwerke der Kommunikation und des Verkehrs (Outhwaite 2008). Diese Gemeinsamkeiten stellen die Basis für die europäischen Integrationsbe- Konvergenz oder Divergenz? strebungen dar, auch wenn sie keinesfalls ein Garant für den Erfolg der Integration sind. In der neueren Diskussion um die europäische Integration haben Fragen der Konvergenz und der Annäherung eine wachsende Rolle zugewiesen bekommen, da angenommen wird, dass größere Disparitäten oder gar eine Auseinanderentwicklung der EU-Mitgliedsländer dem Integrationsbestreben entgegenstehen. Im Teil 2 des Buches haben wir genauer untersucht, welche zentralen sozialstrukturellen Merkmale die europäischen Länder aufweisen und inwieweit sie sich durch <?page no="313"?> 314 15 Fazit: Aufstieg einer europäischen Gesellschaft? Veränderungen über die Zeit ähnlicher werden. Auf der Ebene der wohlfahrtsstaatlichen Arrangements, der Bildungsinstitutionen und des Systems der Arbeitsbeziehungen gibt es zwar eine unübersehbare Beharrungsfähigkeit etablierter Institutionen. Zugleich beobachten wir aber auch Formen der Angleichung zum Beispiel beim Profil der Sozialausgaben (Schwerpunkt in den Bereichen Gesundheit und Alterssicherung), den Bildungsinstitutionen im Hochschulbereich (Bologna- Prozess) sowie im System der Arbeitsbeziehungen, so bei der zunehmenden Verbetrieblichung der Aushandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Im Bereich Bevölkerung und Familie gibt es relativ stabile Differenzen zwischen süd- und nordeuropäischen Staaten, welche seit der Osterweiterung durch Unterschiede zwischen katholisch oder orthodox dominierten osteuropäischen und protestantisch geprägten Ländern überlagert werden. Diese zeigen sich bei der Bevölkerungsentwicklung, dem Partnerschaftsverhalten, der Lebenserwartung oder der Fertilität. Gemeinsam sind allen europäischen Staaten aber die Tendenz zur Alterung der Gesellschaft, das steigende Alter von Frauen bei Geburt ihrer Kinder, die abnehmende Bedeutung der Ehe und der Anstieg außerehelicher Geburten. Beim Thema Migration und Zuwanderung beobachten wir eher eine Reorganisation bestehender als eine Stabilisierung oder einfache Anpassung existierender Muster. Zum einen haben sich die europäischen Migrationssysteme in den letzten Jahren deutlich ausdifferenziert. Zum anderen gibt es in den letzten Jahren verstärkte innereuropäische Wanderungen aus den neuen Mitgliedsstaaten in die bisherige Kernunion, was als Indikator für die innereuropäische Verflechtung angesehen werden kann. Für den europäischen Arbeitsmarkt ist eine hohe Dynamik in den letzten Jahren unübersehbar. Zwar existieren auch hier weiterhin Länderunterschiede bei der Erwerbsbeteiligung oder der Arbeitslosigkeit. Dennoch sind konvergente Entwicklungen nicht zu übersehen: Die Erwerbsbeteiligung von Frauen steigt (vor allem auch im Süden der EU), die Arbeitslosigkeit nimmt ab (besonders die der Frauen), die Tertiarisierung hat an Dynamik gewonnen, und in der Berufsstruktur werden die hoch qualifizierten Arbeitsplätze immer bedeutender. Im Bereich soziale Ungleichheit und Lebensqualität sehen wir einerseits weiter bestehende Differenzen: in erster Linie zwischen der bisherigen Kernunion und den osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Für die Letztgenannten sind ein deutlich höheres Niveau sozialer Ungleichheit auf Haushaltsebene, mehr Armut und eine niedrigere Lebensqualität (zum Beispiel größere Umweltbelastungen, höhere Gesundheitsrisiken, geringere Wohnqualität) zu beobachten. Andererseits zeigen sich aber auch Angleichungstendenzen. So nehmen in den europäischen Staaten die geschlechtsspezifischen Lohndifferenzen ab, und die Bildungschancen von Frauen haben sich überall deutlich verbessert. Inzwischen verfügen die jüngeren Frauen in Europa über eine bessere Bildung als die Männer. Will man diese Ergebnisse zusammenfassen, dann gilt: Es gibt anhaltend große Unterschiede zwischen den europäischen Ländern, aber auch sehr wichtige Entwicklungen der Konvergenz. Vor allem in globaler Perspektive weisen die europäischen Länder vielfältige Wahlverwandtschaften auf, wenn man zum Beispiel <?page no="314"?> 15 Fazit: Aufstieg einer europäischen Gesellschaft? 315 auf Familienstrukturen, Arbeitsmärkte, Staat-Markt-Beziehungen oder Wertvorstellungen schaut. Europäische Gesellschaften sind zudem organisierte und intern hochgradig integrierte Gesellschaften, was sich in den Beziehungen zwischen der Sozialstruktur und dem politischen System, in den Arbeitsbeziehungen und den wohlfahrtsstaatlichen Arrangements zeigt. Europa verfügt über eine strukturierte Diversität, wie Crouch (1999) es genannt hat. Das bedeutet, dass es in Europa eine geordnete und begrenzte Vielfalt von kulturellen Traditionen, Werten, Ordnungsmodellen, institutionellen Architekturen und sozialen Strukturen gibt (Müller 2007b). Diese werden zwar im politischen und gesellschaftlichen Prozess der Europäisierung miteinander in enge Verbindung gebracht, bleiben aber auch in Zukunft identifizierbare Segmente einer europäischen Sozialstruktur. Über die Frage von Konvergenz und Divergenz hinaus hat uns interessiert, horizontale Europäisierung inwieweit sich verdichtete horizontale Austauschprozesse zwischen den europäischen Nationalgesellschaften entwickeln. Die Verflechtung innerhalb Europas und über nationalstaatliche Grenzen hinweg ist zwar historisch nicht neu, doch mit dem Prozess der europäischen Integration wurden verbesserte Möglichkeiten der Vernetzung, der Mobilität und des Austausches geschaffen. Es wurde dargelegt, auf welche Weise der europäische Integrationsprozess die nationalstaatliche Ordnung aufbricht und sowohl horizontale wie auch vertikale Verflechtungen zwischen unterschiedlichen Nationalgesellschaften hervorbringt. Aus unserer Sicht gibt es empirische Hinweise darauf, dass sich der Lebens- und Erfahrungshorizont der Menschen »europäisiert«. Europäische Erfahrungen entstehen im Zusammenhang mit touristischen Reisen, dem Zugewinn von Wissen über andere europäische Länder, Bildungs- und Studienaufenthalten, neuer Migration und der Entstehung eines europäischen Arbeitsmarktes, Formen der transnationalen politischen Mobilisierung und des grenzüberschreitenden Konsums. Diese Prozesse stehen erst am Anfang, aber mit dem Abbau nationalstaatlicher Grenzen, den erweiterten Möglichkeiten der Freizügigkeit und der Schaffung eines europäischen Arbeitsmarktes ist auch zu erwarten, dass sich Europa als sozialer Raum stärker konstituiert. Im Kontext der Prozesse von Denationalisierung, Transnationalisierung und Supranationalisierung verstehen wir Europa als wichtige neue Aggregationsebene, die an eigenständigem Gewicht gewinnt (vgl. Müller 2007b). Dabei liegt Europa zwischen der mit Begriffen wie Globalisierung und Weltgesellschaft umschriebenen »globalen« Ebene und der Nationalgesellschaft beziehungsweise dem Nationalstaat (Schaubild 43). Europas Sozialstruktur ist heute mehr als die Summe seiner Teile, sondern ein emergentes und eigenständiges makrogesellschaftliches Gebilde. Wichtige Voraussetzungen und Antriebskräfte ihrer Entstehung liegen einerseits in den gemeinsamen Werten, Traditionen und der geteilten Geschichte (vgl. Teil 1) und andererseits in dem politisch initiierten Integrationsprozess, der weite gesellschaftliche Bereiche berührt. Im Kern der Herausbildung einer europäischen Sozialstruktur liegen die genannten Elemente: die strukturierte Diversität, die Prozesse von Konvergenz und Divergenz und die horizontale <?page no="315"?> 316 15 Fazit: Aufstieg einer europäischen Gesellschaft? Verflechtung zwischen den Nationalgesellschaften. Diese drei Komponenten üben entscheidende Wirkung auf die Herausbildung einer europäischen Sozialstruktur aus. Sie sind grundlegend für den Grad an interner Homogenisierung, die Entstehung eines gemeinsamen Sozialraums und die Dichte sozialer Bindungen zwischen den europäischen Nationalgesellschaften. Nimmt man die Rede von der Europäisierung der Sozialstrukturen ernst, dann ist die Forschung auch auf konzeptionelle Innovationen angewiesen, so zum Beispiel bei der Festsetzung geeigneter Referenz-, Vergleichs- und Berechnungsmaßstäbe (Rainwater 1992). Noch stellen Nationalstaaten die zentralen Zurechnungseinheiten sozialer Ungleichheit dar, und Ungleichheitsmaße wie der Gini- Koeffizient sind als nationale Maße angelegt. Es stellt sich aber auch die Frage, ob die Ungleichheitsmessung innerhalb der Europäischen Union nicht auch auf Gesamtverteilungen Bezug nehmen sollte. Dies hieße zum Beispiel, nicht mehr nur das Bruttosozialprodukt verschiedener Länder oder Regionen miteinander zu vergleichen, sondern Verteilungen der personellen Einkommen innerhalb der Schaubild 43 | Europäische Gesellschaftsbildung - Quelle: Erweiterung eines Schaubildes von Müller (2007b: 24). <?page no="316"?> 15 Fazit: Aufstieg einer europäischen Gesellschaft? 317 Europäischen Union - im Sinne eines EU-Gini.Im Bereich der Armutsmessung gibt es erste Vorschläge in Richtung einer europäischen Armutsberichterstattung, die sich am europäischen Durchschnittseinkommen orientiert (Atkinson 1998; Fahey 2005). Eine europäisierte Perspektive ist auch für die Beschreibung sozialstruktureller Gruppierungen, Positionen und Formen der Mobilität oder der Determinanten von Ungleichheit gefragt. Um dies zu leisten, ist ein Mehr an gemeinsamen Anstrengungen von Sozialstrukturforschern in verschiedenen europäischen Ländern notwendig, um einerseits den nationalen Spezifika Rechnung zu tragen und um andererseits einen umfassenden Blick auf Europa als Ganzes zu ermöglichen. Die übergeordnete Frage ist, ob man tatsächlich von einer europäischen Geselleine emergente europäische Gesellschaft? schaft sprechen kann und wodurch sich diese charakterisieren ließe. Befindet sich Europa auf einem Entwicklungsweg, der dem der Nationalstaaten in gewisser Weise gleicht? In der Literatur finden sich sowohl skeptische wie auch optimistische Stimmen. Die Skeptiker führen an, dass in Europa nationale Identitäten, Egoismen und Schließungen weiterhin vorherrschend sein werden. Es sei kein kollektives Subjekt erkennbar, welches auch nur annähernd die Rede von einem europäischen Volk oder einer europäischen Gesellschaft rechtfertigen würde. Die Schwierigkeiten einer weitergehenden Integration ließen sich vor allem auch auf den »Erfolg« der Nationalstaaten zurückführen. Die Nationalstaaten besäßen eine starke Selbstbehauptungsfähigkeit und könnten konkurrierende Ansprüche auf die Ausübung politischer Funktionen abwehren. In zentralen Bereichen, so der Außenpolitik, der Sozialpolitik und der Bildungspolitik, sei der Nationalstaat wichtigste Instanz geblieben. Zu stark seien die Beharrungskräfte der nationalen Traditionen und die institutionellen Bestände. Mehr noch, eine Europäische Union, welche weitere Kompetenzen an sich zieht, stehe in der Gefahr, ein abgekoppeltes und technokratisches Gebilde zu werden, welches über keine entsprechende soziale Basis verfüge. Damit sei ein Missverhältnis zwischen Eliten, die auf Integration setzen, und den breiten Schichten der Bevölkerung vorprogrammiert. Die Optimisten sind dagegen der Ansicht, dass wir in Europa, ähnlich wie bei United States of Europe? der Herausbildung der Nationalstaaten, eine der politischen Integration nachgeordnete soziale Integration beobachten können. Neofunktionalistische Integrationstheorien haben beispielsweise argumentiert, dass Integration in einigen politischen und sozialen Bereichen Integration in anderen Bereichen nach sich ziehe, es also Spill-over-Effekte auch in Richtung gesellschaftlicher Vergemeinschaftung geben kann (Haas 1968). Auch die Nationalstaaten hätten nicht auf einem vorpolitischen Gemeinschaftsgefühl aufgebaut, sondern nationale Identität und Gefühle der Zugehörigkeit hätten sich erst infolge der politisch initiierten Nationalstaatenbildung entwickelt. Politische Zentralisierung, die Schaffung nationaler Institutionen, demokratische Teilhabe, nationale Symbole, ein eigenständiger Bildungskanon, territoriale Abgrenzung und Integrität - dies alles seien Entwicklungen gewesen, die erst dazu geführt haben, dass sich nationale Gesellschaften mit den ihnen eigenen Sozialstrukturen und Formen der Binnenkommunikation entwickelt haben. Daher hänge die Frage nach der europäischen Gesellschaft eng mit der <?page no="317"?> 318 15 Fazit: Aufstieg einer europäischen Gesellschaft? Entwicklung des europäischen Institutionensystems und den weiteren Schritten der Integration zusammen. Gemäß dieser Perspektive wäre ein »Europe-building« analog zum »Nation-building« zumindest nicht ausgeschlossen. So ließen sich parallele Entwicklungen mit der Gründung der USA feststellen, etwa die sukzessive Erweiterung und die Modalitäten des Beitritts, die Rolle der Markthomogenisierung nach innen, die gemeinsame Währung und die Rolle der Gerichte. Wenn sich die Europäische Union auf dem Weg hin zu einem föderalen Staat befände, so ließe sich annehmen, würden sich auch die Orientierungen und Erwartungen der Bürger langfristig verschieben. Man kann aber fragen, ob der Vergleich zwischen Europa und den Nationalstaaten überhaupt sinnvoll ist. Europa ist ein Gebilde sui generis, was heißt, dass es spezifische Eigenarten besitzt, die durch den Vergleich mit den Nationalstaaten ungenügend abgebildet werden. Zugleich ist Europa in sozialstruktureller Hinsicht mehr als die Summe seiner Teile. Noch setzen wir die Messlatte der räumlich und sozial integrierten Nationalgesellschaft an, wenn wir die Frage nach der europäischen Gesellschaft oder einer europäischen Sozialstruktur aufwerfen. Diese impliziert eine bestimmte Vorstellung von Raum, Staatsvolk, Inklusion, Identität, Zugehörigkeit und Binnenkommunikation. Tatsache ist aber: Europa wird weder einen Integrationsgrad erreichen, der dem der Nationalgesellschaften gleichkommt, noch wird Europa die alten Nationalgesellschaften ersetzen. Zudem ist Europa durch eine Reihe von Eigenarten geprägt, die der Analogie mit den Nationalgesellschaften entgegenstehen. Als wichtiges Charakteristikum des gesellschaftlichen Europas kann der Mehre- Mehrebenenbezug benenbezug politischer und sozialer Loyalitäten, Zugehörigkeiten und Identitäten herausgestellt werden. War der Nationalstaat in der Lage, eindeutige Inklusionen und Exklusionen vorzunehmen, so ist dies im europäischen Raum nicht möglich. Europa tritt einerseits als ergänzender Inklusionsraum zum schon vorhandenen nationalstaatlichen Mitgliedschaftsraum in Erscheinung, andererseits ist die politische Ordnung selbst auf die Verteilung von Handlungskompetenzen auf verschiedenen Ebenen angelegt. Das politische System der Europäischen Union organisiert sich durch die Aufteilung und Verschachtelung unterschiedlicher Handlungsebenen, so der europäischen, der nationalstaatlichen und der subnationalen Ebene (Hooghe/ Marks 2001). Auf der gesellschaftlichen Ebene findet dies seine Entsprechung im Hinblick auf Gefühle von Verbundenheit und Solidarität oder Fragen der identitären Zuordnung. Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass Europa nicht über klare Grenzen verfügt Variabilität und Fluidität (Beck/ Grande 2004). Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich die EU zu einem soziopolitischen Herrschaftsverband mit klar demarkierten politischen, sozialen und ökonomischen Grenzen entwickeln wird. Vielmehr werden aufgrund der besonderen politischen und sozialen Konfiguration der Europäischen Union ihre Außengrenzen unschärfer sein als die des klassischen Nationalstaates. Deutlich wird dies vor allem durch die »konzentrischen Grenzstrukturen« (Bös 2000: 438), hervorgebracht durch unterschiedliche Integrationsgrade im Inneren und spezifischen <?page no="318"?> 15 Fazit: Aufstieg einer europäischen Gesellschaft? 319 Assoziationsformen mit Ländern außerhalb der Europäischen Union (siehe auch Neuwahl 2005). Eine weitere Eigenart der Europäischen Union sind ihre wandernden Außengrenzen (Vobruba 2001, 2003). Die Frage der finalen Grenzen Europas ist heiß umkämpft und bis heute nicht gelöst, so dass die Variabilität der Außengrenzen Europas noch über Jahrzehnte ein wichtiges Charakteristikum bleiben wird (Zielonka 2002). Die EU stellt sich daher als ein soziales Gebilde dar, das neben allen Befestigungstendenzen an seinen Rändern »ausfranst«. Somit ist davon auszugehen, dass für diese soziale Formation nicht das westfälische Modell einer Föderation zum Tragen kommt, welches auf einer scharfen Trennung zwischen innen und außen aufbaut. Vielmehr entwickelt sich eine neomittelalterliche Struktur, die sich weniger durch zementierte Außengrenzen, Zentralisierung und hierarchische Organisation auszeichnet, sondern durch überlappende Autoritäten, geteilte Souveränitäten und unscharfe Grenzen (vgl. Wæver 1997; Zielonka 2001). Dies bedeutet im Vergleich zu nationalstaatlichen Grenzen ein Mehr an Variabilität und ein Weniger an Einheit und Homogenität (Bach 2003). Das alles sind vorläufige Antworten auf die Frage nach der europäischen Gesellschaftsbildung und einer europäischen Sozialstruktur. Im Hinblick auf die Konturen der Europäisierung der Sozialstrukturen sind die nächsten Integrationsschritte entscheidend, weil sie die nationalen institutionellen Arrangements nachhaltig verändern. Marktbildung, Integration durch Recht und Politik, Erweiterung, soziale Verflechtung, Gemeinschaftsbildung, Prozesse von Konvergenz und Divergenz, horizontale und vertikale Europäisierung und Solidarität werden verschiedene Facetten dieser Prozesse sein. Sie zu beobachten und eingehend zu analysieren ist die zentrale Aufgabe, welcher sich eine auf Europa und die Europäisierung ausgerichtete Sozialstrukturforschung in den nächsten Jahren stellen muss. Wir hoffen, dass das vorliegende Studienbuch dazu erste relevante Ansätze liefert. <?page no="320"?> Literatur Abromeit, Heidrun 1998. Democracy in Europe. Legitimising Politics in a Non-State Polity. New York: Berghahn. Acemoglu, Daron 2002. Technical Change, Inequality, and the Labor Market. Journal of Economic Literature 40 (1): 7-72. Agnew, John/ Corbridge, Stuart 1995. Mastering Space. Hegemony, Territory and International Political Economy. London: Routledge. Ahlström, Salme et al. 2001. 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Wanderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Verzeichnis der Schaubilder Schaubild 1: Modell regionaler Strukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Schaubild 2: Historische Grenzziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Schaubild 3: Wirtschaftsentwicklung und Bevölkerungswachstum, 1500 bis 1998 32 Schaubild 4: Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung . . . . . . . . 67 Schaubild 5: Finanzierung des Hochschulstudiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Schaubild 6: Geltungsbereich von Tarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Schaubild 7: Modell des demografischen Übergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Schaubild 8: Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Schaubild 9: Alter von Frauen bei Geburt ihrer Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Schaubild 10: Lebenserwartung mit 60 Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Schaubild 11: Anteil außerehelicher Geburten an allen Lebendgeborenen . . . . . 106 Schaubild 12: Personen in Singlehaushalten, nichteheliche Partnerschaften, Haushalte mit drei und mehr Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Schaubild 13: Kumuliertes Wanderungssaldo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Schaubild 14: Ausländische und im Ausland geborene Bevölkerung . . . . . . . . . 117 Schaubild 15: Beschäftigte im öffentlichen Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Schaubild 16: Frühe Schulabgänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Schaubild 17: Anteil der Studenten an der Bevölkerungsgruppe der 18bis 39-Jährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Schaubild 18: Lesekompetenzen nach sozialer Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Schaubild 19: Lesekompetenzen nach ethnischer Herkunft . . . . . . . . . . . . . . 172 Schaubild 20: Anzahl weiblicher Hochschulabsolventen . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Schaubild 21: Studierende nach sozialer Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Schaubild 22: Bruttoeinkommen in der Industrie und im Dienstleistungssektor . 180 Schaubild 23: Mindestlöhne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Schaubild 24: Ungleichheit von Geldvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Schaubild 25: Wohnfläche pro Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Schaubild 26: Haushalte mit Internetzugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Schaubild 27: Anteil der Wohneigentümer nach Haushaltseinkommen . . . . . . . 211 <?page no="362"?> Tabellenverzeichnis 363 Schaubild 28: Wohnmängel nach Haushaltseinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Schaubild 29: Zufriedenheit mit der Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Schaubild 30: Neukonfiguration der Grenzen des sozialen Ausgleichs . . . . . . . . 249 Schaubild 31: Verteilung der Finanzmittel der EU-Kohäsionspolitik . . . . . . . . . 252 Schaubild 32: Persönliche Vor- und Nachteile durch die Europäisierung . . . . . . 263 Schaubild 33: Regionale Einkommensunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Schaubild 34: Tägliche Erreichbarkeit zwischen urbanen Zentren Europas . . . . . 273 Schaubild 35: Wichtigste Zielländer des europäischen Tourismus . . . . . . . . . . 277 Schaubild 36: Transnationale soziale Netzwerke deutscher Staatsbürger . . . . . . 284 Schaubild 37: Transnationale Kontakte und Bevölkerungszahl . . . . . . . . . . . . 285 Schaubild 38: Bewertung der EU-Mitgliedschaft im Zeitverlauf . . . . . . . . . . . . 299 Schaubild 39: Bewertung der Mitgliedschaft im Ländervergleich . . . . . . . . . . . 300 Schaubild 40: Nationale oder europäische Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Schaubild 41: Beruflicher Status und europäische Identität . . . . . . . . . . . . . . 305 Schaubild 42: Einstellungen zur Gleichheit von in- und ausländischen Arbeitskräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Schaubild 43: Europäische Gesellschaftsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Sozialausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Tab. 2: Verteilung der Sozialausgaben nach Politikbereichen . . . . . . . . . . . . 64 Tab. 3: Organisationsgrad von Gewerkschaften und Streikhäufigkeit . . . . . . . . 82 Tab. 4: Bevölkerungsentwicklung und -vorausschätzung . . . . . . . . . . . . . . . 88 Tab. 5: Fertilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Tab. 6: Lebenserwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Tab. 7: Heiratsraten und Erstheiratsalter von Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Tab. 8: Scheidungsraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Tab. 9: Bruttoinlandsprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Tab. 10: Erwerbsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Tab. 11: Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Tab. 12: Sektorale Umschichtung der Erwerbsbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . 144 Tab. 13: Berufsstruktureller Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Tab. 14: Intergenerationale Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Tab. 15: Intragenerationale Mobilität und Abstiegsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . 157 Tab. 16: Öffentliche Bildungsausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Tab. 17: Lese- und Mathematikkompetenzen von Schülern . . . . . . . . . . . . . . 167 Tab. 18: Geschlechtsspezifische Lohnunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Tab. 19: Ungleichheit der Haushaltseinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Tab. 20: Armutsgefährdungsquote vor und nach sozialstaatlichen Transfers . . . . 196 Tab. 21: Hauptsächlich von Armut betroffene Gruppen nach Sozialtransfers . . . . 199 Tab. 22: Belastung der städtischen Bevölkerung durch Ozon und Schwebstaub . . 215 Tab. 23: Alkoholkonsum, Übergewichtige, Raucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Tab. 24: Raucher nach Geschlecht und Bildungsabschluss . . . . . . . . . . . . . . . 223 Tab. 25: Übergewichtige nach Geschlecht und Bildungsabschluss . . . . . . . . . . 225 Tab. 26: Erwerbsarbeitszeit und Zeitdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Tab. 27: Zeitverwendung von Erwerbstätigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Tab. 28: Regionales Bruttosozialprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 <?page no="363"?> 364 Tabellenverzeichnis Tab. 29: Urbane und ländliche Räume im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Tab. 30: Ziele der Urlaubsreisen mit vier und mehr Übernachtungen . . . . . . . . 278 Tab. 31: Internationale Studentenmobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Tab. 32: Verbreitung transnationaler sozialer Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . 283 Tab. 33: Migrationsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Tab. 34: Sozialstrukturelle Zusammensetzung innereuropäischer Migrationsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Tab. 35: Wahrgenommene Problemlösungskompetenz der EU . . . . . . . . . . . . 302 Tab. 36: Vertrauen der Europäer in andere europäische Nationen . . . . . . . . . . 311 <?page no="364"?> Sachregister Abstieg, sozialer 150-158 Abstiegsrisiko 43, 156ff Alkoholkonsum 97f, 217ff Alleinerziehende 58, 193, 197ff Alte Menschen 193, 198 Altersarmut 200 Alterssicherung 61-64, 314 Altersstruktur 85, 87-93 Alterung 60ff, 89-93, 189, 314 Angestellte 34f, 41f, 292f, 306 Arbeiter 18, 34f, 39ff, 174f, 193, 206, 262, 293, 305f Arbeiterklasse 33ff, 37-41, 43f Arbeitgeber 34, 57ff, 69f, 75-81, 182 Arbeitnehmer 34, 41, 45f, 59f, 73ff, 78ff, 82f, 122ff, 137ff, 147-150, 157f, 181ff, 236-239, 247f, 257, 260f, 287f, 309 Arbeitnehmervertretung 75 Arbeitsbedingungen 73f, 78f, 146f, 204, 222, 229 Arbeitsbeziehungen (Def.) 73 Arbeitslose 137, 192f, 197-201, 262 Arbeitslosenquote 63, 137f, 140 Arbeitslosigkeit 11, 31, 43, 48f, 62ff, 128ff, 137- 140, 153f, 156ff, 266ff, 302, 309 Arbeitsmarkt 37, 56f, 68ff, 119f, 122f, 128ff, 134- 141, 143-166, 178f, 185f, 226, 247f, 260, 262, 287f, 294, 307-310, 313ff Arbeitsmarktintegration 137, 247 Arbeitsmarkttheorie 128ff Arbeitsmigration 28, 113, 117, 172, 287, 289f, 292 Armut absolute 193f relative 193 Ressourcenansatz 194ff Lebenslagenansatz 194ff Armutsforschung 193-196 Armutsgefährdungsquote 192, 196-201 Armutsquote 195f, 198f, 201 Armutsrisiko 102, 193, 197-202 Assimilation 112, 120 Aufstieg, sozialer 150, 152-155 Ausländische Bevölkerung 115-121, 123ff Austausch, kultureller 27 ökonomischer 18, 27 sozialer 27, 275 Auswanderung 26, 33f, 113, 114-116, 290 Beruflicher Status 305f Berufsstruktureller Wandel 141-150 Bevölkerungsentwicklung 85, 87ff, 111, 314 Bevölkerungsstruktur 85 Bevölkerungswachstum 30, 32, 47, 85f, 88ff, 113f, 207 Bildungssystem schulisches 65-68 berufliches 65, 68ff Bildungsausgaben 162-166 Bildungschancen 69, 72, 159ff, 163f, 166ff, 170ff, 314 Bildungsexpansion 153f, 159ff Bildungskapital 35, 70, 96, 159f, 186, 258, 306 Bildungsinstitutionen 65-70, 161, 164, 258, 314 Bildungspolitik 57, 66f, 317 Bildungsreform 170 Bildungssystem (Def.) 65 Bildungsungleichheit 164, 169f, 173, 175, 177, 184 Bologna-Prozess 65, 71, 258, 314 Bourgeoisie 34f Bruttoinlandsprodukt (Def.) 130 Bruttosozialprodukt (Def.) 54 Bürgerrechte 44, 239, 246 Bürgertum 17, 34f, 259 Klein- 35 Bildungs- 35 Wirtschafts- 35 Capability-Ansatz 205 Chancengleichheit 42, 160, 248, 310 <?page no="365"?> 366 Sachregister Demografischer Wandel 63, 85ff, 87, 95f Demokratie 22ff, 45, 245, 295f, 298, 301, 305 Demokratiefähigkeit 243, 245 Dienstleistungsgesellschaft 31, 33, 37, 95, 141ff, 145ff, 261 Dienstleistungssektor 34, 37, 142f, 145f, 180f, 261 Diskriminierung 112, 125, 128, 176, 185, 238, 247f, 307 Disparitäten, regionale 246, 250, 254, 256, 267f Einbürgerungen 117f, 126 Einkommensungleichheit 48f, 111, 143, 178ff, 184, 188f, 267, 307 Einwohnerzahlen 284 Elite 43, 62, 235, 256, 258f, 276, 296f, 317 Erasmus-Programm 27, 257, 280, 282 Erwerbsarbeit 33, 36, 54, 59, 70, 128, 134, 140, 226-232 Erwerbsarbeitszeit 225, 228f, 231 Erwerbsbeteiligung 35, 59, 130, 134-137, 154ff, 186ff, 314 Erwerbsverläufe 58, 65, 69, 137 Erstheiratsalter 36, 103ff, 140 Erziehung 36, 102 Ethnische Minderheiten 120, 122, 125, 261 EU-Außengrenze 123f, 279, 318f EU-Gründungsmitglieder 236, 240 EU-Integration 242 Europäische Gemeinschaft (EG) 8, 242 Europäische Gesellschaft 5, 51, 313ff Europäische Identität 298, 302-305 Europäisierung 8f, 235, 241, 243, 248, 255-264, 270f, 275f, 295ff, 306-310, 312-319 Expertenklasse, europäische 255 Familienmodell 35, 102, 104, 108 Familienpolitik 47, 63, 89 Familienstruktur 101ff, 110, 315 Fertilität 93f, 96, 314 Flüchtlinge 113, 115f, 120f, 124, 275, 287 Flugverkehr 272 Freizeit 37, 42, 129, 164, 203f, 225ff, 229-232, 277 Freizügigkeit 119, 237f, 248, 256, 287, 290, 294, 308ff, 315 Geldvermögen 189-192 Gemeinschaftsbildung 8, 10, 22, 246, 319 Geschlechterungleichheit 11, 35, 58, 136, 170, 173f Geschlechtsspezifische Lohnunterschiede 178f, 185f Gesellschaft, bürgerliche 23, 36 Gesundheit 46, 57, 203ff, 217f, 221f, 314 Gesundheitspolitik 218, 335 Gesundheitssoziologie 217, 220 Gesundheitsversorgung 57, 62f Gewerkschaften 39, 44, 47, 58, 73-83, 129, 182 Gleichheitsvorstellungen 296, 309 Grenzziehung, historische 15ff, 21f Handel 17, 26f, 31, 146 Hausarbeit 227, 231f Haushaltseinkommen 178f, 186-189, 191f, 198 Heirat 87, 101, 107, 291 Heiratsraten 101, 103f Herrschaftsverband 8, 243, 318 Hochschulabsolventen 173, 175, 224, 269 Horizontale Europäisierung (Def.) 270 Humankapital 128f, 251, 256, 261f, 269 Identität 46, 245, 296, 298, 302ff, 317f Individualisierung 37, 90, 135 Industrialisierung (Def.) 30 Industriegesellschaft 11, 30, 33f, 37ff, 41, 85f, 134, 141, 184, 230, 261 Input-Legitimation 298 Integration europäische 7ff, 11, 15, 22, 233-239, 243, 247, 255-263, 270, 272, 298, 303, 313, 315 politische (Def.) 235 wirtschaftliche (Def.) 235f Internetzugang 205, 209f, 213 Jugendliche 72, 166, 170-175, 200, 282 Kapital 8, 18, 34, 38, 43, 73-84, 128, 142, 164, 236, 256 Kapitalismus 20f, 38ff, 45, 55, 177 Kernunion 63, 91, 114, 131, 137, 145, 148, 186, 196f, 200, 292, 314 Kindersterblichkeit 32 Klassenkonflikt 38ff, 43ff, 74 <?page no="366"?> Sachregister 367 Klassenlage 38, 40, 164, 214 Klassentheorie 38ff, 42, 176 Kohäsion 246, 250 Kohäsionsfond 250ff, 268 Kohäsionspolitik 246, 250-253, 261 Kollektive Identität 357 Kollektiv-Tarifvertrag (Def.) 73, 78 Kommunikationstechnologie 26, 112, 143, 209, 274 Konsum 91, 142 Konvergenz 22, 62, 71, 84, 96, 119, 126f, 137, 155f, 181f, 189, 198, 229, 246, 250f, 253, 264, 266, 268, 313ff Kulturraum Europa 22ff Landwirtschaft 18, 31, 141-150, 165, 213, 259, 261, 302 Lebensbedingungen 32, 38, 41, 176, 204, 268, 301, 307 Lebenschancen 38, 159, 176, 178, 184, 206, 246, 255, 259, 288 Lebenserwartung 32, 85f, 90, 94-100, 205, 314 Lebensformen 85, 90, 102ff, 177 Lebenslaufinstitutionen 37 Lebensqualität (Def.) 203 Lebensverlauf 30, 35ff, 39, 49, 58, 70, 87, 151f, 156, 177, 226 Lebenszufriedenheit 204, 217-221, 308 Legitimation 15, 193, 244f, 252f, 298 Lohnarbeiter 34, 38 Luftverschmutzung 213f Maastricht-Beschlüsse 113, 287 Migrant(en) 111f, 115-127, 137, 173, 184, 197f, 284, 287f, 290-293 Migrantennetzwerke 121 Migration 27, 111ff, 120f, 123f, 126, 271, 286ff, 290-294, 314f transnationale 112 Migrationshintergrund 5, 112, 115, 119, 122, 161, 170-173, 190, 193 Migrationsraum, europäischer 120, 126, 286ff Migrationssystem (Def.) 119 Milieu 38, 86, 102, 176, 217, 255ff, 259 Minderheit, ethnische 118, 120, 122, 125f, 261 Mindestlohn 178f, 182f Mitgliedschaft 123, 235, 240f, 249, 261-264, 296-300, 305, 309 Mittelstandsgesellschaft 42 Mobilität absolute 153 intergenerationale 150-156 intragenerationale 70, 150ff, 156f soziale (Def.) 150 vertikale 150-155 Mobilitätschancen 41, 261 Mobilitätskultur 288 Mobilitätsrate 153, 155-158 Modernisierung 20, 24, 29, 45, 47, 53, 102, 207, 215, 240, 305, 313 Nationale Identität 302-305, 317 Norderweiterung 236f, 240, 242 Nord-Süd-Gefälle 84, 145, 213, 216, 265, 272, 274 Öffentlicher Dienst 49, 83, 145ff, 261 Ökonomisches Wachstum 32, 47, 131, 133 Osterweiterung 189, 240, 251f, 265, 314 Ost-West-Gefälle 213, 216, 219ff, 265 Output-Legitimation 298 Partizipation 44, 257 Partnerschaft 86f, 90, 95, 102ff, 108f, 240, 282 PISA-Studie 163, 166-169, 171, 173 Politische Identität 302 Privatisierung 62, 132, 147, 163, 208, 262, 274 Problemlösungskompetenzen 297, 301f Proletariat 17, 34, 38ff, 43, 214 Push-Pull-Modell 111, 288, 291 Rauchen 98, 218, 220, 222ff Regionalisierung 265, 268 Regionalpolitik 246, 250ff, 259f, 302 Rentensystem 59, 90 Reproduktion 35, 39, 101, 154, 160, 164 Revolution, industrielle 25, 30ff, 39 Risikogruppen 167, 193, 198, 201 Römische Verträge 242 Scheidung 101, 103, 106ff, 191 Scheidungsraten 101, 103, 107ff Schengen-Abkommen 123, 239, 242 Schichtung, soziale 38ff, 42, 159 <?page no="367"?> 368 Sachregister Schulabgänger 163-166 Schüleraustausch 282 Schulsystem 66-69 Segregation 28, 112, 177, 206 Sozialausgaben 49, 54f, 60-64, 188f, 198, 314 Soziale Klasse 44ff, 205f Soziale Rechte (Def.) 43, 43ff, 253 Soziale Sicherheit 43ff, 54ff, 247 Soziale Spaltung 181f Soziale Ungleichheit 7-11, 90, 159, 176-202, 205ff, 210ff, 214, 222ff, 226ff, 246-248, 255- 269, 314 geschlechtsspezifische 170, 176, 184, 186 horizontale 176 vertikale 176 Sozialer Ausgleich 246, 249, 265 Sozialismus 40, 43, 305 Sozialstaat(-lichkeit) 45f, 48ff, 54-64, 188, 193, 313 Sozialstruktur (Def.) 7 Europäisierung der 8, 316, 319 nationale 9, 313 Sozialstrukturforschung 7ff, 38, 41ff, 85, 152, 159, 176ff, 184, 190, 201, 295, 308, 319 Sozialtransfers 192, 198f, 201 Sozialversicherung 45f, 48, 54, 57ff, 141, 145, 247, 249 Spaltungsstrukturen 75, 83, 295 Staatsvolk 29, 252, 318 Städtepartnerschaften 271, 275, 282 Steuern 55, 249, 302 Studierende 27, 71ff, 163, 165, 168ff, 174f, 238, 257, 279-282 Studentenmobilität 27, 275, 279ff Subjektive Europäisierung 11, 295-312 Subjektives Gesundheitsempfinden 218, 220f Süderweiterung 236f, 240, 242 Supranationalisierung 235, 255, 310, 315 Territorialstaat 29 Territorium (Def.) 15 Tourismus 138, 262, 273-279 Transnationale Netzwerke 282ff Transnationales Vertrauen 307, 310ff Übergewicht 217-225 Umweltbelastung 100, 206, 214ff, 276, 314 Umweltsoziologie 214 Ungleichheitsforschung 159, 187-178, 193-195, 307 Unionsbürgerschaft 238 Urbanisierung (Def.) 30 Urlaubsreisen 276, 278f, 294 Verkehrsnetze 271ff Vermögen 23, 176, 178, 189-192, 194, 204f Vermögensungleichheit 189-192 Verteilungskonflikt 55, 254 Vertikale Europäisierung (Def.) 235 Vertrag von Amsterdam 239, 242 Vertrag von Maastricht 237-242, 247 Vollbeschäftigung 49, 138 Wahlbeteiligung 301 Währungsunion 237, 242, 251 Wanderung/ Zuwanderung/ Abwanderung 11, 27f, 33f, 85, 88ff, 111-127, 286-294, 314 innereuropäische 286-294, 314 Wanderungssaldo 113f, 120, 124 Werte (Def.) 22 Wirtschaftsentwicklung 32, 130-133 Wohlfahrtsregime 54-59, 72, 95, 143 Wohlfahrtsstaat (Def.) 43 konservativer 57f, 95, 165, 178, 231 liberaler 56f, 198, 201 postsozialistischer 57, 60, 62, 70, 72, 199, 201 sozialdemokratischer 57, 61, 72, 136, 178 Wohlstandsgefälle 176ff, 264ff Wohneigentum194, 205, 208, 210ff Wohnen 31, 63f, 125, 205ff, 211 Wohnraum 89, 195, 205-208, 210, 212 Wohnungleichheit 206, 210 Wohnungsmarkt 90, 204, 206 Zeitverwendung 205, 225ff, 230 Freizeit 42, 87, 134, 142, 203f, 225-232, 277, 295 Haushalt 225ff, 231f Zollunion 236
