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Radio

0218
2010
978-3-8385-3333-9
UTB 

Seit 1923 gibt es Radio. Technische, ökonomische, politische und kulturelle Entwicklungen haben Stellenwert und Form der einzelnen Programmbereiche immer wieder verändert. Mal dominierte die Kultur, mal die Musik, die Politik oder die Werbung. Und mit jeder Verlagerung veränderten sich auch die Radioprogramme und Radioformate. Der Autor führt kompakt und verständlich in das Medium ein - in Geschichte, Ökonomie, Formate, Programmbereiche und Nutzung. Mit einem umfangreichen Sach- und Personenregister sowie einer Chronik.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich · Opladen · Farmington Hills facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft · Stuttgart Mohr Siebeck · Tübingen Orell Füssli Verlag · Zürich Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich UTB 3333 <?page no="4"?> Hans-Jürgen Krug lebt als Publizist und Medienwissenschaftler in Hamburg. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8252-3333-4 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Reihenkonzept und Umschlagentwurf: Alexandra Brand Umschlagumsetzung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: Claudia Wild, Konstanz Korrektorat: Christiane Kauer, Bad Vilbel Druck: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="5"?> Das unbekannte Massenmedium 7 Geschichte 13 Ökonomie 35 Formate 41 Nachrichten 59 Politik 65 Unterhaltung 75 Kultur 83 Werbung 91 Nutzung 95 Abkürzungen 101 Zeittafel 103 Literatur 107 Personenregister 111 Sachregister 113 <?page no="6"?> Das Radio ist ein flächendeckend etabliertes technisches Medium. Fast 100 Prozent aller Deutschen haben mindestens ein Radiogerät zu Hause, rund 75 Prozent besitzen 3 und mehr verschiedene Gerätearten, darunter Kofferradios, Walkman, Autoradios, Handys oder Radiowecker. Das Radio ist eines der meistgenutzten Massenmedien. Täglich mehr als 3 Stunden, genauer: 182 Minuten schaltete 2009 ein durchschnittlicher Nutzer sein Gerät ein. Die »Nutzungsdauer« des »Leitmediums« Fernsehen lag bei 228 Minuten; Presse (40 Minuten), Buch (25 Minuten) Video (4 Minuten) oder Internet (70 Minuten) blieben weit darunter (Eimeren 2009, 348). Und auch die Zahl der Sender ist enorm: In Deutschland strahlen derzeit 58 öffentlich-rechtliche Wellen und 233 Privatsender ihre Programme - vor allem auf Ultrakurzwelle (UKW) - aus; es gibt geschätzt 300 Millionen Radiogeräte und eine eindeutige Bevorzugung des traditionellen UKW- Radios. Mehr als 90 Prozent des Radiokonsums findet über UKW statt. Hinzu kommen seit den 1990er-Jahren (zusätzlich) über Kabel, Satellit oder übers Internet verbreitete Programme. Daneben positionierten sich heute je nach Schätzung zwischen mehr als 10.000 und über 50.000 - herkömmliche Radiodefinitionen sprengende - Internetradios. Hinter dem Einheitlichkeit versprechenden Begriff Radio verbergen sich also sehr vielfältige, heterogene und - was durchgehend übersehen wird - seit den Anfängen 1923 in Deutschland auch weitgehend regionale Radiorealitäten. 2009 etwa hatte die Hörfunkwelle Antenne Brandenburg die größte Reichweite in Brandenburg, in Hessen führte hingegen Hit Radio FFH, in Rheinland-Pfalz RPR 1 und im Saarland Radio Salü; selbst die reichweitenstärksten öffentlich-rechtlichen Wellen waren Regionalwellen: MDR 1 Radio Sachsen führte in Sachsen, Bayern 1 im gleichnamigen Bundesland (Media- Analyse 2009/ 1). Außerhalb ihrer Regionen blieben die Sender unbedeutend und unbekannt. Und noch eine Besonderheit bildete sich in der deutschen Radionutzung heraus: Die Hörer verhielten sich äußerst sendertreu: Ein durchschnittlicher Hörer nutzt statistisch nur rund 1,5 Programme. Innerhalb der neueren und boomenden Medien- und Kommunikationswissenschaften nimmt der Hörfunk seit Langem eine Randposition nahe der Nichtbeachtung ein. Zwischen dem riesigen Angebot und der <?page no="7"?> dauerhaften Nutzung einerseits sowie der wissenschaftlichen Wahrnehmung andererseits besteht eine riesige - und keineswegs unbekannte - Kluft. Der Siegener Medienwissenschaftler Helmut Kreuzer nannte das Radio schon 1997 ein »vernachlässigtes Forschungsobjekt«. Der Hamburger Medienwissenschaftler Knut Hickethier hielt 2004 »das Ausblenden des Radios in der Medienwissenschaft … für einen Fehler«. Bis heute hat sich die Forschungssituation kaum geändert. Die Geschichte des deutschsprachigen Radios ist weitgehend ungeschrieben. Die frühe Radiogeschichtsschreibung stand lange »unter dem Eindruck eines den Zeitgenossen noch nicht bekannten Endes« (Lersch 2004, 33) und konzentrierte sich auf den jungen Weimarer Hörfunk sowie die nationalsozialistischen Jahre. Doch je länger das Radio sendete, desto rarer wurden die Beschreibungen. Programm- und rezeptionsgeschichtliche Arbeiten etwa gibt es nur »als erste Ansätze« (Dussel 2004, 12). Über Politik, Unterhaltung oder Werbung im Radio, über den Siegeszug der Popwellen, über das duale Hörfunksystem oder die langsame Formatierung (fast) der gesamten Radiolandschaft seit Ende der 1980er-Jahre weiß man nur wenig; eine Ausnahme stellt einzig das Hörspiel dar (Krug 2008). Eine Geschichte des Radiohörens steht aus und die Ökonomie des Hörfunks ist ein Desiderat. Immerhin erlauben jüngst publizierte Jubiläumsschriften (WDR, SR, BR, HR) erstmals langfristige und materialreiche Einsichten in die Selbstbeschreibungen der Sender. Die Ursache dieser still versandeten Hörfunkforschung dürfte die für Deutschland typische Nähe von Kultur und Radio gewesen sein. Die Gründungsidee vom »Kulturfaktor Hörfunk« wurde über die Jahrzehnte langsam aufgelöst und bestand nur noch in Rudimenten, als sich in den späten 1970er-Jahren aus der Literaturwissenschaft die Medienwissenschaft zu entwickeln begann. Die ersten und meistzitierten ›Radiotheorien‹ stammen nicht zufällig von Schriftstellern (Bertolt Brecht) oder Redakteuren (Rudolf Arnheim, Eugen Kurt Fischer). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu folgenreichen Neupositionierungen: Die Sender weiteten ihre Hörerforschung aus und unterstellten sie ab Mitte der 1980er-Jahre direkt den Intendanten; Radioforschung wurde weitgehend mit interner, empirischer, demoskopischer und profilschärfender »Begleitforschung« identisch und »nur ein begrenzter Teil der Studien« (Klingler 1993, 479) wurde öffentlich. Da aus den lange Jahrzehnte eher locker aus Einzelsendungen komponierten Hörfunkprogrammen <?page no="8"?> medienerforscht konzipierte, bruchvermeidende Formatradios wurden, entstand ein weiteres Problem: »Ein Formatradio«, so Wolfgang Hagen, könne »von außen - unter Absehung der sie von innen her steuernden Managementfunktionen - sinnvoll überhaupt nicht beschrieben werden« (Hagen 2005, 302). Eine »eigenständige Radiowissenschaft« (Schanze 2002, 305) konnte sich in der Bundesrepublik nie etablieren. Die wissenschaftlich-akademische Radioforschung blieb auf eine Vielzahl sehr heterogener und zeitlich meist sehr eingegrenzter Arbeiten aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen (Germanistik, Geschichte, Ökonomie, Jura) beschränkt. Die avanciertesten Medientheorien von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, Norbert Bolz, Vilém Flusser, Jürgen Habermas, Friedrich Kittler, Niklas Luhmann oder Paul Virilio kommen ohne das (deutschsprachige) Radio aus und die Radioforschung ohne diese Theorieanschlüsse. Das Grundprinzip des Radios ist eigentlich ganz einfach und erstaunlich stabil: Ein Sender strahlt ein akustisches Angebot aus, das (viele) Empfänger ausschließlich mit einem Empfangsgerät hören können. Ohne Technik (auf der Basis von Elektrizität) gibt es kein Radio. Fast alles andere aber hat sich seit den Anfängen des Hörfunks in Deutschland 1923 dramatisch verändert. Selbst die Bezeichnungen für das neue Medium blieben nicht einheitlich: zunächst sprach man in Deutschland vom Funk oder vom Rundfunk. Dann setzte sich langsam der - das Fernsehen ausschließende - Terminus Hörfunk durch. Er sei erst »neuerdings aufgekommen« heißt es noch 1970 im »Fischer Lexikon Publizistik«. Spätestens mit der Einführung des Privatfunks 1986 wurde der Begriff Hörfunk zurückgedrängt. Es etablierte sich das - alltagssprachlich natürlich erheblich ältere - Wort Radio. Diese Einführung erzählt nicht die Geschichte der ungezählten Radioprogramme in Deutschland - dazu fehlt es auf fast allen Ebenen an Vorarbeiten. Und sie vertritt keine einzelmediale Radiotheorie (Faulstich 1991). Denn das Radio und seine Entwicklungen sind ohne die Auseinandersetzungen mit anderen Medien (Presse, Fernsehen, Internet) nicht zu verstehen. Schon 1913 zeigte Wolfgang Riepl, dass etablierte Medien durch neue Medien verändert werden und dass stetige Neupositionierungen stattfinden; schließlich werden aus neuen Medien irgendwann alte Medien, und so ist es auch dem Radio ergangen. 1923 war der Hörfunk das neue, unbekannte, sich selbst ungewisse akustische Medium, spätestens <?page no="9"?> in den 1960er-Jahren war das bereits ganz anders. Kapitel 1 erzählt von der Etablierung des Hörfunks auf einem von Papiermedien dominierten Informations-, Kultur-, Werbungs- und Unterhaltungsmarkt, den Möglichkeiten eines nur auf Stimmen, Töne und Geräusche setzenden, flüchtigen, aktuellen und zeitlich strukturierten Mediums und seinen Veränderungen bis in die Gegenwart. Ein wesentlicher Bestandteil ist, wie sich das Radio (gegen Presse, Fernsehen, Internet) stetig neu positionieren und durch technische (und programmliche) Innovationen neue Terrains erobern und neue Selbstdefinitionen entwickeln musste. Da der Hörfunk in Deutschland vor allem ein regionales Medium war und ist, sind diese Entwicklungen räumlich und zeitlich sehr unterschiedlich abgelaufen; allgemeingültigere Zäsuren lassen sich in der Radiogeschichte oft nur auf sehr hohem Abstraktionsniveau feststellen. Kapitel 2 widmet sich den ökonomischen Grundlagen des Hörfunks in Deutschland. Da der Hörfunk vor allem durch eine von 1924 bis 1970 konstante Gebühr von 2,00 Mark finanziert wurde, geriet dieser Themenbereich weitgehend aus dem Blickfeld von Medien- und Kommunikationswissenschaft. Dabei produzierte die Rundfunkwirtschaft schon 1929 durch Gebühren, Geräte, Löhne oder Radiozeitungen einen Produktionswert von der Größe der deutschen Braunkohlenwirtschaft. Seit den Anfängen spielte Werbung auch zur Finanzierung des Programms eine Rolle, ihre finanzielle Bedeutung nahm sogar stetig zu. Und seit Mitte der 1980er-Jahre hat sich neben dem öffentlich-rechtlichen Hörfunk ein privater Radiomarkt (mit vielen Verbindungsgliedern) herausgebildet. Der Hörfunk musste schon immer auch finanziert werden. Dieses Primat der Ökonomie hatte vielfältige Folgen. Traditionellerweise widmete sich die (literaturwissenschaftliche) Hörfunkforschung einzelnen Werken, vor allem Hörspielen. Die Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten haben die Bedeutung einzelner Sendungen deutlich reduziert, nicht mehr das einzelne Werk, die Welle ist die neueste Botschaft geworden. Kapitel 3 beschreibt, wie aus dem Einschaltmedium Hörfunk das Begleitmedium Radio und dann das allgegenwärtige Formatradio geworden ist. Seit den Anfängen mussten die Hörfunkproduzenten ihre Inhalte zeitlich ordnen und spezifische Programme herausbilden. Die historische Entwicklung ging vom relativ einfach erstellten »Kästchenprogramm« zu präzise geplanten, computergestützten und mehr oder weniger deutlich voneinander unterscheidbaren Wellen und Radiotypen. In diesen modernen Programmen ist nichts mehr dem Zufall oder der Abweichung überlassen: Die einzelne »Sendung« ist nicht mehr autonom; sie ist Teil des »durchhörbaren« Gesamtprogramms, der Welle, der Marke. <?page no="10"?> Ohne Inhalte, ohne Themen freilich gäbe es kein Radio - die Strukturen blieben leer. Die Inhalte kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, sie sind mal Unterhaltung, Kultur, Politik oder Information, mal Werbung. Alle werden vom Hörfunk gesendet und alle folgen ihren eigenen Logiken. Die Information will Neuigkeit und Überraschung, die Werbung Lockung und Verkauf, die Unterhaltung Vergnügen, die Kultur Ästhetik und Besserung, die Musik Emotionen, und diese Elemente wurden zunächst nacheinander angeboten (Programm) und für »alle« gesendet. Der Hörfunk der Mittelwellenjahre bildete also nicht nur, er unterhielt nicht nur und er warb nicht nur: seine Einheit lag in der ständigen akustischen Irritation der Hörer und im ständigen Training des Umgangs mit Irritation. Mit der Zunahme der Programme, der Ausdifferenzierung der Wellenstrukturen und der gegenseitigen Beeinflussung und Durchdringung der Elemente (etwa Infotainment, Public Relations) veränderten sich auch der Sound und die Leistungen der verschiedenen Wellen. Anders als bei Fernsehen oder Internet waren diese Entwicklungen regionale und nur sehr vermittelt (etwa bei der Technik, den Frequenzen, den Kooperationen (ARD, EBU) oder dem Werbungsverkauf) nationale oder gar internationale. Die Geschichte der Radiokultur, der Radionachrichten, der Funkwerbung, der Radiounterhaltung, der politischen Angebote und der Hörfunkmusik sind weitgehend ungeschrieben; systematischere Analysen fehlen. Kapitel 4 bis 8 skizzieren, wie sich die einzelnen einst zusammengehörenden Teilbereiche professionalisiert, separiert und dann neu definiert haben. Das moderne Radio bietet die verschiedenen Hörfunkelemente (Nachrichten, Politik, Unterhaltung, Kultur, Werbung und Musik) nicht mehr auf einem Programm; sie sind heute auf verschiedene Programme verteilt und zugleich gegeneinander durchlässig geworden: Kultur ist auch Unterhaltung, Politik auch Werbung, Unterhaltung auch Kultur. Im abschließenden Kapitel 9 geht es schließlich um unser - sehr einseitiges - Wissen über die Nutzung des Radios Diese Einführung kann das Thema »Radio« natürlich nicht vollständig abdecken, und sie will dies auch nicht. Sie versucht, neue Fragen an das Radio, seine Geschichte und seine Funktionen zu stellen. Darüber hinaus berücksichtigt der Text erstmals die verschiedenen Programmbereiche des Radios und beschreibt Nachrichten und Kultur, Unterhaltung und Musik, Werbung und Politik als Bestandteile des Hörfunks. Aus ihrem Zusammenwirken entsteht die Einheit, die Realität des Radios. Die Zitatnachweise wurden der besseren Lesbarkeit wegen auf ein Minimum reduziert. <?page no="12"?> Das Radio ist das erste elektronische Massenmedium. Es ist ein eindimensionales, rein akustisches Medium; das Radio übermittelt ausschließlich Stimmen, Geräusche und Töne. Es kann nur gehört werden. Der frühe Funk orientierte sich an der schriftgeprägten Gutenberg-Galaxis; er leitete eine erste Auflösung der Schriftorientierung und die Gründung regionaler, technisch-akustischer Welten ein. Das Radio richtet sich »an alle«, ist aber im Wesentlichen ein Regionalmedium. Für das Radiohören war keine Alphabetisierung mehr nötig. Es reichten ein Programm und ein spezifisches Empfangsgerät, ein Radioapparat. Der Rundfunk startete in Deutschland am 29. Oktober 1923 im Berliner Vox-Haus. Er war das erste elektronische und - nach einer Unterscheidung von Harry Pross - tertiäre, d. h. ausschließlich mit einem Empfangsgerät nutzbare Massenmedium. Darin unterschied sich das Radio elementar von primären (dem menschlichen Körper verbundenen, technikfreien) und sekundären Medien, bei denen Technik - wie etwa bei der Zeitung - nur zur Produktion nötig ist. Die ersten Funksendungen waren nur im Berliner Umland zu hören, Ende 1923 gab es rund 1.000 (registrierte) Hörer. Auch die bald gegründeten Sender in Hamburg, Frankfurt, Köln, Stuttgart, München, Leipzig, Breslau oder Königsberg waren (über Mittelwelle) kaum mehr als 150 Kilometer weit zu empfangen. Der Hörfunk startete als ein regionales Medium, er erweiterte den Klangraum der Kirchenglocken durch den der Sender. München oder Hamburg erhielten eigenständige Programme, und die waren nur nahe Hamburg und München zu hören. Die Empfangsqualität war - technikbedingt - schlecht. Die Programme waren zunächst reine Abendprogramme und der legale Zugang war teuer; <?page no="13"?> zwei Mark Rundfunkgebühr kostete der Hörfunkempfang - dieser Betrag sollte sich bis 1970 nicht mehr ändern. Als Ende 1926 die erste deutsche Rundfunkordnung abgeschlossen wurde, gab es - »strukturell gesehen« - einen »Staatsrundfunk« (Dussel 2004, 38). Die Funktion des neuen Mediums aber war unklar. Wie sollte es sich positionieren? Als zusätzlicher Realitätsvermittler ähnlich der Zeitung, als neues Medium der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung oder gar als Produzent von akustischem »Synchron-Stress« (Sloterdijk 1998, 42)? 1923 bestand in Deutschland eine prinzipiell funktionierende Medienlandschaft; sie war seit Langem Teil der typographischen, schriftorientierten Gutenberg-Galaxis und vielleicht noch ein wenig »earthy« (Marshall McLuhan). Für die Öffentlichkeit war das sekundäre Massenmedium Zeitung (Presse) zuständig (Habermas 1965); es gab Theater und Kinos (Film), Bücher, Fotografie, Schallplatten. Niemand hatte 1923 auf den Rundfunk gewartet, »der Rundfunk«, so Bertolt Brecht (1967), »wartete auf die Öffentlichkeit«. Der »unvorhersehbare Zufall« Rundfunk positionierte sich zu diesen anderen, vor allem privat organisierten Medien (konfliktreich) neu. Er ersetzte weder die Presse (Neuigkeit) noch die Schallplatte (Musik), die Livekultur, das Buch, die Oper oder das Theater (Kultur) - er wurde von den anderen Medien beeinflusst und beeinflusste sie wieder. Der Hörfunk setzte als erstes Massenmedium ausschließlich auf das Akustische und auf die Mündlichkeit. Er befreite die »Zauberkraft der Oralität« aus »einem langen Dornröschenschlaf« (Havelock 2007, 22), Brechts Wort von der »vorsintflutlichen Erfindung« (Brecht 1967, 119) nimmt gerade diese reine Mündlichkeit wieder auf. Denn fürs Radiohören brauchte man - anders als fürs Zeitunglesen - keine Alphabetisierung, sondern nur einen Empfänger. Die Mündlichkeit des Radios, diese sekundäre, technisch übermittelte Oralität, war zunächst nicht speicherbar und - ob Nachricht, Werbung oder Kunstwerk - so extrem flüchtig wie jedes gesprochene Wort. Kein Wunder also, dass Autoren, Journalisten, Schauspieler und Musiker zunächst recht zurückhaltend reagierten. <?page no="14"?> Der Funk begann als elektronisches Monopolmedium und behielt diesen Status bis weit in die 1950er-Jahre. 1923 existierte keinerlei akustische Konkurrenz. Das Radio wurde - in bewusster Anlehnung an Gutenbergs Buchdruck - als neuer »Kulturfaktor« positioniert. Ein Kulturfaktor freilich, der einen »Querschnitt durch den gegenwärtigen Stand unserer Kultur« (Krug 2008, 18) ermöglichen sollte. Das frühe Radio begriff sich als Fortsetzung und Erweiterung traditioneller Kultur im rein Akustischen. Deshalb übertrug man stundenlange Radiofassungen etablierter Dramen, sendete Vorträge oder gelesene Klassiker der Literatur. Der Hörfunk schloss sich an die etablierte (Schrift-)Kultur an und bemühte sich um etablierte Schriftsteller, Komponisten, Schauspieler. 1924 hatte - als erstes originäres Kunstwerk des Radios - das Hörspiel Premiere. Es wurde die »Krönung des Funks« (Richard Kolb). Das neue Medium Hörfunk unterschied sich essentiell von Buch, Theater, Oper, Kino oder Schallplatte. Er gab kein alleinstehendes Einzelwerk mehr, sondern ein laufendes, aus Einzelsendungen bestehendes flüchtiges Programm. Im Radio folgte Musik auf Vortrag, Meldung auf Musik, Erhabenes auf Komisches, »Kästchen« auf »Kästchen« - schon die Zeitgenossen sprachen vom »akustischen Warenhaus« (Brecht 1967, 128) Hörfunk. Und das Angebot wuchs beständig: Anfang der 1930er-Jahre gab es in Deutschland bereits 17bis 18-stündige Sendetage. Das Radio war zeitlich (zunehmend) immer präsent und räumlich ein Regionalmedium. Ein Zweiröhren-Netzempfänger mit Lautsprecher konnte kaum mehr als den Ortssender empfangen und kostete (mit 100 bis 120 Mark) für die meisten Hörer einen Monatslohn. Radio wurde vor allem zu Hause gehört, kaum ein Haushalt verfügte über mehr als ein Empfangsgerät. Das Radio ist in Deutschland (vor allem) ein regionales Massenmedium. Es ist ein rein akustisches und orales Medium, das ausschließlich auf Mündlichkeit, auf »Sprech- oder Singbarem« (Brecht 1967, 128) beruht. Zur Rezeption bedarf es spezifischer Empfangsgeräte und damit der Technik. Ohne Elektrizität ist Radio nicht hörbar, ohne Aufnahmegeräte nicht speicherbar. Hörfunk ist ein eindimensionales, asymmetrisches Medium: Viele können Radio hören, aber nur wenige können senden. Merksatz <?page no="15"?> Zum frühen Radio gehörte das gemeinsame - und damit sehr interessenverschiedene - Hören. Dennoch schuf das neue akustische Medium auf Dauer »im Hause selber eine Öffentlichkeit, wie Zeitung und Bücher es niemals vermocht haben« (Plessner 1985, 216). Trotz der Kosten gab es rasch einen Radioboom, Radio wurde nachgerade zur Mode. Ende 1924 gab es bereits 550.000 zahlende Teilnehmer, Ende 1925 über eine Million, Ende 1927 über zwei und Anfang 1932 schon über vier Millionen. Das frühe Radio war vor allem Liveradio; es wurde live produziert und »grundsätzlich« (Dussel 2004, 41) auf Mittelwelle (MW) gesendet. Nach der Ausstrahlung war das Programm - noch fehlte es an akustischen Speichermöglichkeiten - unwiderruflich versendet. In den Anfangsjahren war das Wort-Musik-Verhältnis etwa eins zu eins, 1932 bestand die Hälfte des Programms aus Musik - Oper, Operette, Schlager, Unterhaltungsmusik. Zunächst wurden vor allem Eigenproduktionen gesendet, Livestücke aus dem Studio. Der Schallplattenanteil lag bei etwa zehn Prozent - für das Grammophon war das Radio keine direkte Konkurrenz. Für die Literaturangebote spielte - fürs Radio gekürzt und dramatisiert - Theaterdichtung eine große Rolle; zumal sie bis 1926 weitgehend honorarfrei gesendet werden konnte. Einige Theater sperrten anfänglich ihre Schauspieler für Radiorollen oder verhinderten Übertragungen - erst langsam entwickelten sich Erfahrungswerte, wann das Radio für die anderen Kulturbereiche hilfreich oder schädlich war. Und die Nachrichten nahm man dorther, wo sie einfach und vor allem billig zu bekommen waren. Man kaufte die Zeitungen am nächsten Kiosk und nahm sie als Grundlage der anfänglich etwa drei Nachrichtensendungen täglich; Aktualität gab es - entgegen dem »Ohrenschein« - eigentlich nicht. Nachrichten hatten im frühen Kulturmedium Hörfunk einen Sonderstatus: Nach 1926 mussten die überregionalen Nachrichtentexte zentral (und widerwillig) von der Drahtloser Dienst AG (Dradag) in Berlin übernommen werden. Die technischen Möglichkeiten waren einfachster Art - selbst eine einfache Blende wurde erst langsam möglich. Aktuelle Berichterstattung war rar und konzentrierte sich auf den Sport, Radrennen vor allem. Zum frühen Radio gehörte schließlich auch die Werbung. Sie brachte unter 0,3 Prozent der Gesamteinnahmen ein, ihr Programmanteil lag 1927 in Berlin bei 14,1 Prozent, in Breslau sogar bei 15,3 Prozent, sank dann aber wieder rapide. <?page no="16"?> Die Wortsendungen beruhten auf Mündlichkeit und Stimme und waren doch zutiefst der Schriftlichkeit verbunden. Denn das Radio sendete zwar live, aber die gesprochenen Texte wurden zunächst geschrieben (und natürlich kontrolliert) und dann erst verlesen. Die sekundäre Oralität des frühen Radios beruhte also auf einer spezifischen, dem Medium sanft angepassten, einer »maskierten« (Gethmann 2006, 116) Schriftlichkeit. Ihre Bestandteile waren in Stilfibeln festgeschrieben: »kurze Sätze«, »natürliche Sprache« oder »keine Schachtelsätze«. Vor allem die Nachrichtensprecher setzten auf Nüchternheit und entwickelten einen eigenen Sicherheitston (der bis in die 1970er-Jahre stilbildend blieb). Das Sprechen im Radio wurde normiert und wirkte bei den Hörern normierend. Der Hörfunk begann am Abend und der Abend war über Jahrzehnte die wichtigste Radiozeit. Hier fanden die großen Radioangebote statt: Kultur, Unterhaltung, Musik, Vorträge. Das frühe Radio mit seinen »Kästchenprogrammen« wandte sich »an alle« (in der Region). In den ersten Jahren wurden die Sendungen von den Programmverantwortlichen eher intuitiv in den Programmtag, die Programmwoche und das Jahr eingebaut. Der Rundfunk reagierte auf die Rhythmen der Jahres- und Tageszeiten oder den Wechsel zwischen Werk- und Feiertagen. Sehr rasch und dauerhaft setzte sich (bis in die 1960er- Jahre) die Zeit zwischen 18 und 22 Uhr als die wichtigste Sendezeit, die Hauptsendezeit durch. Radiozeit war Abendzeit. Jetzt gab es die meisten Hörer und die ambitioniertesten Sendungen. Das bürgerliche Kulturleben prägte die Programmstruktur des Hörfunks und konkurrierte insofern mit Kino, Theater oder Oper. Das frühe Radio galt keineswegs als hörerfreundlich, aber es etablierte sich außerordentlich rasch. Dazu trug nicht nur sein akustisches Monopol bei. Das ›permanente‹ Programm befriedigte ein neues »lebensweltliches Interesse am Wissen«; es tat dies nebenbei, ersparte den Hörern die gezielte Auswahl und bot ihnen - so Kaspar Maase - eine »moderne Informiertheit« (Lersch 2004, 68). Das Radio brachte den Hö- Merksatz <?page no="17"?> rern statt ihrer primären Milieus oder sekundären (über Parteizeitungen vermittelten) »Klassenkulturen« eine neue, akustisch homogenisierte (tertiäre) »Massenkultur«; es kombinierte bisher einzigartig Kultur, Musik, Unterhaltung, Nachrichten und Werbung in professionell ausgewählten und erstellten Programmen. Arnold Gehlen hat für das neue, massenmedial vermittelte Wissen später die Formel der »reich unterrichteten Weltfremdheit« geprägt. Rapide technische Innovationen veränderten das Radio bis in die 1950er-Jahre nicht mehr. Am 26. August 1929 wurde in Deutschland der Kurzwellenrundfunk eingeführt und vor allem vom Auslandsfunk genutzt. Der Mittelwellenempfang wurde verbessert; nach den (Groß-)Städten wurde langsam auch das Land erschlossen; 1933 gab es im Deutschen Reich 4,5 Millionen Hörer, 1939 waren es 9,5 Millionen - doch auch der populäre »Volksempfänger VE 301« ließ gerade mal den Empfang des Deutschlandsenders auf Langwelle und eines Regionalsenders zu. Die erste Hörfunkperiode war in Deutschland durch das Mittelwellenradio geprägt. Diese technische Gegebenheit beeinflusste das Programm zutiefst: Von der großen Bedeutung des Wortes bis zum - durch die mäßige Übertragungsqualität nötig gewordenen - »rufenden« Sprechgestus. Das frühe Radio definierte sich als Kulturmedium, seine Programmstrukturen waren schwach. Es war ein Livemedium, in dem Aktualität, Nachrichten und Politik eine untergeordnete Rolle spielten. Es waren politische Veränderungen, die die junge Medienlandschaft rapide veränderten: Spätestens 1933 wurde der Hörfunk endgültig zum Staatsrundfunk, die regionalen Gesellschaften wurden 1934 zu »Reichssendern«. Der Anteil der Eigenproduktionen sank, das Regionale wurde reduziert. Am 22. März 1935 startete - für ein ganz kleines Publikum - das visuell-akustische und später große Konkurrenzmedium Fernsehen; der »Siegeszug der Kurzwelle verlieht dem Auslandsrundfunk neue Dimensionen« (Boelcke 1977, 28). Doch in Deutschland war Radio weiterhin bevorzugt Mittelwellenradio; der Abend blieb die wichtigste Radiozeit; der Musikanteil stieg (etwa in Köln) phasenweise auf bis zu 60 Prozent. Nach dem Kriegsausbruch 1939 wurden Wehrmachts- und Frontberichte im Wortprogramm immer wichtiger. Seit dem 9. Juli 1940 sendete nur noch der »Großdeutsche Rundfunk« mit einem Sendernetz, Merksatz <?page no="18"?> das bis Wien, Luxemburg, Oslo oder Belgrad reichte, der Musikanteil erreichte bis zu 85 Prozent. 1944/ 45 wurden die Luftwarnungen zur wichtigsten und Leib und Leben sichernden Serviceleistung des Hörfunks. Die Jahre zwischen 1933 und 1945 waren eine Sonderphase: Der Rundfunk wurde national und dann international (Auslandsrundfunk, besetzte Gebiete, Soldatensender). Nicht zufällig pointierten frühe kommunikationswissenschaftliche Arbeiten die Allmacht des Hörfunks, die Passivität, ja das Ausgeliefertsein der Empfänger sowie die Bedeutung der Propaganda. Erst viel später setzte sich die Einsicht durch, »dass das Gemeinschaftsleben gegen Massenmedien resistent« (Hondrich 2001, 158) sein kann. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Radio (vor allem) ein Mittelwellenmedium und wurde wieder ein Regionalangebot - darüber dürfen alle Metaphern vom »Ohr der Welt« oder vom »Ohr zur Welt« nicht hinwegtäuschen. Nach 1945 gab es sechs (westliche) »Besatzungssender« in München, Baden-Baden, Frankfurt, Bremen, Hamburg und Stuttgart; sie traten zunächst unter Namen wie Radio München oder Radio Hamburg auf; aus Berlin sendete - sowjetkontrolliert - der Berliner Rundfunk. Die neuen Hörfunkprogramme waren improvisierte Programme inmitten brachliegender Medienlandschaften: Theater waren zerstört, die Kinos lagen brach, die neuen Tageszeitungen erschienen zweibis dreimal pro Woche und nicht mehr mehrmals am Tag (wie bis in den Zweiten Weltkrieg praktiziert), der Umfang der Presse war gering. 42 Prozent der Haushalte besaßen 1946 noch einen Radioapparat, 1950 waren es 89 Prozent. In dieser Situation begann der selbst für die Programmverantwortlichen überraschende Aufstieg des Radios oder besser: der Radios. Diese hießen mal Nordwestdeutscher Rundfunk (NWDR), mal Bayerischer Rundfunk (BR), Hessischer Rundfunk (HR), Radio Bremen (RB), Südwestfunk (SWF) oder Süddeutscher Rundfunk (SDR). Die knappen Sendefrequenzen führten nach 1945 dazu, dass der Nachkriegshörfunk als öffentlich-rechtliches Medium (in Länderverantwortung) entstand. Während Zeitungen und Zeitschriften auf dem Markt um Käufer und Leser konkurrieren mussten, war der Hörfunk marktunabhängig gesichert: Er brauchte Gebührenzahler - Hörer waren erst in zweiter Linie wichtig. Auch das Nachkriegsradio war im elektrischen Bereich konkurrenzlos, Akustik ein ausreichendes Alleinstellungsmerkmal. Und wieder standen die »Kulturwerte«, die »Kulturwerte der einzelnen Landschaften« (Halefeldt 1999, 213) im Zentrum der Programmphilosophien; hinzu kamen Information, Unterhaltung und Bildung als neue Hörfunkaufgaben. <?page no="19"?> Wie in den Vorkriegsjahren gab es (für den durchschnittlichen Hörer) auch nach 1945 nur einen »Heimatsender« oder Haussender und der entwickelte sich (anders als noch in den Weimarer Jahren) rasch und selbst für die Programmverantwortlichen überraschend auch zu einem kulturellen Leitmedium. Man sprach von der »Blütezeit des Hörfunks«, den »fünfzehn großen Radio-Jahren von 1947 bis 1962« (Jenke 1997, 109). Der Hörfunk wurde ein »Kulturfaktor«, ein »kultureller Hausaltar« (Adolf Grimme), er schien in der Gutenberg-Galaxis angekommen zu sein. Dort, wo die »Dichter und Denker herrschen« (Bolz 2007, 13). Die legendären Hörspiele von Wolfgang Borchert (Draußen vor der Tür, 1947) oder Günter Eich leiteten diese Periode der Radiokultur ein. Das Hörspiel hatte seine Blütezeit; die Nachtprogramme und Abendstudios brachten kulturelle (und vor allem vom Papier verlesene) Weltdeutungen und erreichten fünf bis zehn Prozent der Hörer. Und der SWF ließ seit 1947 in seiner Professoren- und Vortragssendung Aula die geistige Elite zu Wort kommen. Doch noch populärer als die Philosophen und Dichter waren die Krimis und die - nach amerikanischem Vorbild serialisierten - wöchentlichen Familienserien (Die Familie Hesselbach), die Fußballübertragungen (Weltmeisterschaft 1954), die »Bunten Abende«, die Quizshows mit Peter Frankenfeld oder Hans-Joachim Kulenkampff. Seit 1945 wurde etwa in der Rundschau aus dem Hessenland (HR) über regionale Entwicklungen berichtet - die Informationssendung entwickelte sich rasch zu einer der populärsten Reihensendungen; das Echo des Tages (NWDR) informierte seit 1946 im Westen und Norden über aktuelles Zeitgeschehen. Auch die Nachrichtennutzung wuchs: Während unmittelbar nach dem Krieg fast 40 Prozent der Hörer politische Sendungen grundsätzlich ausschalteten, vertrauten bald zwei Drittel der Hörer den Hörfunknachrichten eher als denen der privat organisierten Presse. Nachrichten und Kommentar waren nach angelsächsischer Tradition getrennt. 1948 führte Das Radio war auch nach 1945 ein Monopolmedium, doch nun lagen die Kulturlandschaften brach. In dieser Situation wurde der neue öffentlich-rechtliche Hörfunk zum viel gehörten kulturellen Leitmedium. Bis dann der Wirtschaftsboom, die neuentwickelten Zeitschriften und das Fernsehen die Prioritäten der Hörer verschoben. Merksatz <?page no="20"?> Radio Bremen als erster Sender wieder die Funkwerbung ein, andere Anstalten folgten rasch - um kulturelle Aufgaben zu erfüllen. 1950 gründeten die öffentlich-rechtlichen Sender mit der »Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands« (ARD) eine Art Dachverband und etablierten 1959 mit der Musik bis zum frühen Morgen ein erstes, reguläres gemeinsames Nachtprogramm. 1952 gab es über zehn Millionen angemeldete Radiogeräte, 1959 waren es schon über 15,5 Millionen Die Radionutzungszeiten waren enorm: In den 1950er-Jahren wurde - mit den damaligen empirischen Möglichkeiten gemessen - durchschnittlich zwei bis drei Stunden Radio täglich gehört, »Dauerhören« aber war die Ausnahme. Das Mittelwellenradio war bis 1949 ein Monopolmedium. Die technische Neuentwicklung Ultrakurzwelle führte zu neuartigen Hörfunkprogrammen und ermöglichte den Hörern erstmals, zwischen verschiedenen Programmen zu wählen. Langsam entstand eine dezente öffentlich-rechtliche Binnenkonkurrenz. Es war die technologische Innovation Ultrakurzwelle, die erstmals wirkliche akustische Auswahl möglich machte. Die UKW-Ära begann 1949 und führte dazu, dass aus dem einen Mittelwellenprogramm für lange Zeit das Leitprogramm, das »erste Programm« wurde, neben dem sich langsam neue UKW-Programme positionieren konnten. 1951 ermöglichten erst acht Prozent der Geräte überhaupt den UKW-Empfang, 1959 waren es 79 Prozent - und es dauerte noch bis in die 1960er-Jahre, bis etwa der WDR auch sein »Erstes« auf UKW umstellte. Die Umstellung auf UKW verlief je nach Region und Sender unterschiedlich schnell. UKW ermöglichte nicht nur neue Angebote; die UKW-Reichweiten waren geringer als die MW-Reichweiten und führten deshalb zur Verstärkung der Regionalität. Da die Übertragungsqualität aber besser war, machten sie auch eine Musikalisierung der Programme sinnvoll. Welche einschneidenden Folgen die neue Technik (auf Dauer) hatte, lässt sich deutlich am Norden Deutschlands illustrieren: hier sendeten Hamburg und Köln ein gemeinsames Mittelwellenprogramm. Die Einführung von UKW machte zwei weitere Angebote möglich. 1950 entstanden UKW- West sowie die »Welle der Freude« UKW-Nord. Mit diesen »zweiten Pro- Merksatz <?page no="21"?> grammen« begann die quasi interne akustische und rein öffentlich-rechtliche (Binnen-)Konkurrenz um die Hörer. Die Hörer konnten erstmals bewusst auswählen. Dabei entwickelten sich spezifische - bis heute sichtbare - Nord-Süd-Besonderheiten: Im Norden wurden die »zweiten« Programme musikalisch-populär, im Süden hingegen »kulturell anspruchsvoll« (Kursawe 2004, 33) ausgerichtet. 1958 gab es bundesweit etwa zwei Programme - theoretisch wenigstens, denn bis zum flächendeckenden Empfang beider Programme dauerte es noch Jahre. Und im Norden gab es seit 1956 sogar ein »Drittes«, ein rein kulturelles (Abend-)Programm. Auch diese neu gegründeten Programme waren formal vor allem Fortschreibungen der traditionellen »Kästchen«- oder Mischprogramme: »Weder in der Programmkonzeption noch in der Ausgestaltung der einzelnen Sendungen brachten die Fünfziger Jahre viel Neues oder gar Umwälzendes« (Halefeldt 1999, 216). Dennoch lag die Hördauer während der 1950er-Jahre zwischen zwei und drei Stunden. 1956 beschrieb der Wiener Philosoph Günther Anders den modernen Rundfunknutzer als »Massen-Eremiten«, der, räumlich getrennt, millionenfach »das gleiche Ohrenfutter« erhielt (Anders 1980, 102). Das Neue brachte wiederum die Technik: 1956 kamen erste mobile Kofferradios auf den Markt und verbreiteten sich rapide, parallel eroberten die Autoradios (nicht zuletzt japanischer Herkunft) den Markt. Hören war nicht mehr auf einzelne (Wohn-)Räume beschränkt, es wurde entgrenzt und war - prinzipiell - überall möglich. Radiohören sollte sich nach 1960 deutlich vom Radiohören der 1950er-Jahre unterscheiden. Als wirkliche Konkurrenz entwickelte sich seit den 1950er-Jahren ein neues, ebenso flüchtiges, monopolistisches, öffentlich-rechtliches, aber nun akustisch-visuelles Medium: das Fernsehen. Es begann am 25. Dezember 1952 in Hamburg mit einem zweistündigen Programm und positionierte sich dort, wo das Radio traditionell besonders stark war: am Abend. Auch der TV-Auftrag war als »Dienst an der deutschen und an der europäischen Kultur« (Eckert 1961, 239) kulturorientiert definiert, was Folgen hatte: Während in den reinen Mittelwellenzeiten zwischen 19 und 21 Uhr noch bis zu 50 Prozent der Hörer ihre MW-Radiogeräte einschalteten, Konzerte, Bunte Abende, Hörspiele, Musik, Serien oder die neuen Quizsendungen hörten, erreichte der Hörfunk schon 1963 - das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) war gerade erst gestartet - samstags die 20-Prozent-Marke nicht mehr. Die Hörer bevorzugten das Fernsehen, zumal hier auch Radiohits adaptiert wurden. Schon 1957 hatte SDR-Hörfunkdirektor Peter Kehm für zwei »gegensätzliche« Hörfunkprogramme am Abend plädiert, ein »Bildungsprogramm« und ein Unterhaltungsprogramm - erfolglos. <?page no="22"?> ARD (TV) und ZDF entführten den öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen ihre Hörer eher beiläufig und still: Als die noch neue Medienforschung erstmals die Hörerentwicklung präsentierte, führte das im alten »Leitmedium« Hörfunk zu einem »Schock« (Halefeldt 1999, 217) und dann zu langwierigen Neuorientierungsprozessen. Zumal die Militärsender AFN und BFBS, dann Radio Luxemburg (seit 1957) und diverse Piratensender (1960er-Jahre) mit musikorientierten, internationalen Rock-, Pop- und Schlagerangeboten gerade die - erstmals als eigene Zielgruppe auftretenden - jüngeren Hörer ansprachen und in die öffentlichrechtliche Hörfunklandschaft regelrecht »einbrachen« (Henning Wicht); freilich ohne deren Dominanz ernsthaft zu gefährden. Der regionale Charakter des Hörfunks macht jahresgenaue Periodisierungen schwierig. Die meisten Programme sendeten auch in den 1960er-Jahren strukturell unverändert weiter, doch inselartig etablierten sich neue Radioformen. Um 1960 endete das alte »Hörfunkzeitalter« (Kursawe 2004, 31). Die Medienangebote explodierten zwischen 1960 und 1990 um den Faktor 40 (= 4.000 Prozent) (Merten 1994, 154), allein der HR steigerte sein Radioangebot von 9.000 Stunden (1960) auf 17.500 Stunden (1971). Auf dem Pressemarkt entwickelten sich Spiegel und Stern zu trendprägenden (investigativen) Qualitätsmedien, die Jugendzeitschrift Bravo erreichte riesige Auflagen, Bild (1952 gegründet), Quick, Bunte oder die Radiozeitschrift Hör Zu boomten, eine einzigartige »Mediatisierung der Wahrnehmung« (Knut Hickethier) begann. Und im kleinen Saarland setzte der - erst seit 1957 zur ARD gehörende - Saarländische Rundfunk mit seinem Mittelwellenprogramm Europawelle Saar 1964 erstmals in Deutschland neue, nichtkulturelle Radiostandards: 70 Prozent Musik, Autofahrersendungen, magazinisierte Information, fast ganztägige Streuwerbung. 1952 startete mit dem Fernsehen die wirkliche Konkurrenz für den kulturorientierten und konkurrenzfreien Hörfunk. Das zweisinnige, audiovisuelle Fernsehen konzentrierte sich gerade auf die Zeiten, in denen das Radio traditionell am erfolgreichsten war: auf den Abend. Schleichend beendete es um 1960 ein Hörfunkzeitalter. Merksatz <?page no="23"?> Spätestens seit Mitte der 1960er-Jahre wurde aus dem »Kulturträger der Nation« langsam ein »Dienstleistungsbetrieb mit kulturellen Aufgaben« (Jäger 1982, 63). Einige Sender strahlten inzwischen drei Programme aus (Durchschnitt 1968: 1,8), aber diese waren nur dezent gegeneinander differenziert; sie waren nach dem »Kästchenprinzip« aufgebaut und wurden von einheitlichen Fachredaktionen beliefert; die Nachrichtenredaktion etwa lieferte die Nachrichten für verschiedene Wellen. 1965 wurden die ersten Magazine ausgestrahlt. Sie waren Singularitäten in »Kästchenprogrammen« - doch mit ihrer Mischung aus »informieren, aufklären, unterhalten« (La Roche 1993, 183) enorm erfolgreich. Bald wurden Magazine zur prägenden, vor allem unterhaltenden Sendeform. Unter den Stichworten »Aktualisierung, Typisierung, Personalisierung und Spezialisierung« (Henning Wicht) wurde in den 1960er-Jahren das Profil der einzelnen Wellen stärker betont und gegeneinander abgegrenzt. Das erste Programm (auf MW) galt etwa beim WDR als »politisches Leitprogramm« und blieb formal ein traditionelles Misch- oder »Kästchenprogramm«; das zweite Programm (auf UKW) setzte nun stärker auf Musik, definierte sich neu als »Informationsprogramm« und begründete neue, großflächige und mehrstündige Magazine. 1965 wurde das Mittagsmagazin (12: 00 bis 15: 30 Uhr) eingeführt, 1967 folgte das Morgenmagazin - WDR 2 setzte also gerade auf die noch nicht vom Fernsehen besetzten Zeiten. Beide Magazine waren nicht nur enorm erfolgreich, sie veränderten auch den Sprechstil der Informationssendungen vom gelesenen Wort hin zur frei gesprochenen Sprache. Moderatoren »präsentierten« nun die Themen und die konnten aus Politik, Wirtschaft, Kultur oder Musik kommen. Für Kulturinteressierte gründete der WDR 1963 das neue dritte Programm - ein Zielgruppenprogramm. Die Neupositionierungen des Hörfunks waren von Sender zu Sender, von Region zu Region verschieden. In Süddeutschland blieben die ersten Programme Leitprogramme, die zweiten Programme (UKW) wurden zu Kulturwellen positioniert, der HR startete 1964 ein Programm für Gastarbeiter. Nachrichten wurden langsam deutschlandweit zu einem annähernd stündlichen Angebot ausgebaut. Mauerbau, Kuba-Krise und Kennedy steigerten das Interesse an politischen Informationen. Und im Fernsehen wurde 1967 die Farbe eingeführt. Merksatz <?page no="24"?> Seit 1963 verbesserte sich die technische Qualität des Radios enorm: In Berlin wurde vom Sender Freies Berlin (SFB) die erste Stereosendung ausgestrahlt und fortan wurden in langjährigen Prozessen (fast) alle Wellen umgestellt: 1978 sendete der gesamte WDR-Hörfunk stereophon; andere folgten erst in den 1980er-Jahren. Die Stereophonie führte in der Hörspielszene zu einer rapiden Neuorientierung, sie erst machte das »Neue Hörspiel« möglich. Vor allem aber erlangte der Hörfunk durch Stereo die Qualität der industriell hergestellten Schallplatten und so die (subkulturell) Platten kaufende und nutzende Jugend. Popsendungen wurden nun auch für die bisher auf Schlager, Oper, Operette und Orchester fixierten öffentlich-rechtlichen Sender ein »Must«. Seit Mitte der 1960er-Jahre stieg die Zahl der Jugend- und Popsendungen: Für junge Leute (WDR 1964), Hallo Twens (SR 1965), Teens-Twens-Top-Time (HR 1966), Panoptikum (WDR 1968), Der 5-Uhr-Club (NDR 1969), Pop Shop (SWF 1970). Eine musikalische Angloamerikanisierung des Programms begann; und eine neue Mischung von Pop und Politik wurde populär, die - jenseits der tradierten Zeitfunkangebote wie Echo des Tages oder Umschau am Abend (NDR) - zu heftigen Konflikten führen sollte. In den 1970er-Jahren entstanden erstmals eigenständige Service- und Begleitprogramme, die sich nicht mehr primär an den bewusst zuhörenden, häuslichen Hörer richteten. Die technischen Voraussetzungen für diese neuen Programmformen bildeten die boomenden Auto- und Kofferradios. Den Anfang machten die Autofahrer- und Servicewellen Bayern 3 (1971) und hr3 (1972) - teilweise in Kooperation mit dem österreichischen Ö 3. Diese neuen Wellen waren Neugründungen, sie setzten auf Nachrichten jede Stunde, Verkehrsmeldungen und Service, auf Industrietonträger und auf Werbung. »Unsere Servicewelle hr3 trägt sich durch die eingebaute Werbung selber«, so HR-Hörfunkdirektor Henning Wicht 1974 - und damit zu öffentlich-rechtlichen Monopolzeiten. Der Anteil der Information stieg seit der Etablierung der Servicewellen, die Definition von Information freilich war »spektakulär« (Kursawe 353) erweitert. Die neuen Programme waren durchlässig konzipiert, aktuelle Informationen konnten jederzeit eingebaut werden und die Moderationen waren live. Parallel zu den neuen Wellen entstand 1972 mit der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (ag.ma) eine neue demoskopische Institution zur Messung des Radiokonsums - zunächst vor allem für die Werbetreibenden. <?page no="25"?> Seit den 1960er-Jahren stieg der Stellenwert von Jugendsendungen, Popmusik, Service und Zielgruppenprogrammen (Autofahrer). Angloamerikanische Radioformen und Musiken wurden in die öffentlich-rechtlichen Angebote eingebaut und konnten rasch Zuschauermehrheiten binden. Autofahrer-, Service- und Popwellen drängten tradiertere Radiowellen und -formen in den Hintergrund. Die Servicewellen veränderten die Situation in den Sendern rapide, weil sie den traditionellen »ersten Programmen« mit ihrem engen (politischen) Informationsbegriff rapide die Hörer entzogen. 1975 startete der Südwestfunk mit SWF 3 erstmals ein neues Vollprogramm, das ganz gezielt auf Rock- und Popmusik setzte, umgangssprachlichere Moderationsstile bevorzugte, das neue Radiogenre Comedy etablierte und Berichte, Reportagen oder Statements zwar jederzeit sendete, aber auf fünf Minuten beschränkte; zur Programmphilosophie gehörten die Orientierung am nebenbei hörenden Gebührenzahler, der ständige Wandel und die bewusste Distanz zum herkömmlichen politischen Journalismus. SWF 3 setzte einen »völlig neuen Trend« (Hans-Peter Stockinger), dem bald auch Südfunk 3 (1979), Bayern 3 oder hr3 (1981) folgen sollten; in abgewandelter Form entwickelten sich dann auch NDR 2 oder - die inzwischen populärste und auf Magazine setzende WDR-Welle - WDR 2 (1980) in Rock- und Popwellen. Die frühen Magazinprogramme gaben noch nicht an, wann Interessantes, Wichtiges oder Sensationelles gesendet wurde, die Magazinstrukturen waren zunächst offen und der Hörer musste entsprechend lange - und zeitökonomisch sinnvoll, d. h. nebenbei - »zuhören«. Die Radionutzung stieg in den 1970er-Jahren durch die Servicewellen wieder an, nach der Blütezeit des Radios in den 1950er-Jahren kam es nun zu einer - vielfach als »trügerisch« wahrgenommenen - »Renaissance des Hörfunks« als dauergenutztes Begleitmedium. Anfang der 1980er-Jahre lag das Radio als »Faktor der öffentlichen Meinungsbildung« weit hinter Tageszeitungen, Zeitschriften und Fernsehen; er sei »nur noch gering zu veranschlagen«, so Hansjörg Bessler 1981. Die öffentlich-rechtlichen Radioangebote wurden seit 1923 durch Rundfunkgebühren finanziert, die seit 1924 konstant bei zwei Mark monatlich lagen. Die Finanzgeschichte des Hörfunks ist noch nicht Merksatz <?page no="26"?> geschrieben: Doch seit Mitte der 1960er-Jahre war der Radiomarkt gesättigt, die Ausgaben überstiegen die Einnahmen der Sender, die Werbung wurde zur Finanzierung der Programme immer wichtiger. 1970 entschied dann die Politik erstmals, die Gebühren auf 2,50 DM anzuheben. Rasch folgten 1974 (3,00 DM), 1979 (3,80 DM) und 1983 (5,05 DM) weitere Erhöhungen. Parallel versuchte die (genehmigende) Politik ihren Einfluss in den Sendern auszuweiten. Bereits Ende der 1940er-Jahre gab es »Rotfunk«-Vorwürfe gegen öffentlich-rechtliche Sender, die wegen ihrer Monopolstellung (politische) Meinungsvielfalt binnenplural, d. h. in den Redaktionen und im Programm herstellen mussten. In den 1970er-Jahren verstärkte sich dieser politische Druck; 1981 wurde die ehemalige »Leitwelle« NDR 1 in eine Hamburger, eine schleswig-holsteinische sowie ein niedersächsische Landeswelle aufgespaltet und damit die Macht der Abteilung »Politik« radikal reduziert (Krug 2009). Die Zahl der Programme stieg seit Anfang der 1980er-Jahre durch Regionalisierung; der Hörfunk betrat ein Terrain, auf dem die Presse dominierte. Den Trend hatte 1980 der Saarländische Rundfunk mit der Saarlandwelle ausgelöst, einer Kombination aus regionaler Berichterstattung und (Schlager-)Musik für die ältere Generation. Dann folgten der NDR mit seinen Landeswellen (1981), WDR 4 (1984), hr4 (1986), S 4 Baden-Württemberg (1991) oder der MDR (1992) mit zunächst sehr unterschiedlichen Ausrichtungen und folgereichen Konsequenzen: Die Mischprogramme (erste Programme) verloren Hörer, die Service- und Popwellen (zweite bzw. dritte Programme), die neuen, schlagernahen und musikreichen Regionalwellen (vierte Programme) wurden die publikumsstärksten öffentlich-rechtlichen Radios. Beim HR etwa schalteten »gegenwärtig« 300.000 Hörer täglich hr1 ein, 80.000 die Kulturwelle hr2, aber jeweils knapp eine Million hr3 und hr4 (Dussel 2004, 226). Das Fernsehen führte in den 1960er-Jahren zum Umbau des öffentlich-rechtlichen Hörfunks und zur Stärkung von Begleitwellen. Um 1985 schwächelte auch das Fernsehen: Die TV-Nutzung lag bei 2 Stunden und 10 Minuten täglich, das Radio aber blieb 2 Stunden und 34 Minuten eingeschaltet. Die Zahl der ARD-Sender erhöhte sich von 23 (1971) auf 28 (1985), aber die Situation war regional sehr unterschiedlich. <?page no="27"?> Seit Mitte der 1980er-Jahre veränderte sich die deutsche Radiolandschaft tiefgreifend. Aus dem rein öffentlich-rechtlichen Hörfunksystem wurde ein duales, länderspezifisch geprägtes System, in dem primär gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche und werbefinanzierte private Hörfunkanbieter agieren konnten. Die Zahl neuer Sender explodierte. Und sogar eine dritte Säule kam hinzu: die nichtkommerziellen Sender und Offenen Kanäle. Es war ein Neubeginn in Etappen. Während das duale System beim Fernsehen 1984 sehr breit startete, ging es beim Hörfunk langsam und regional zu. Seit 1985 sendeten in München zwar einige private Anbieter »Stadtradios« und seit April 1986 sendeten in Rheinland-Pfalz vier Vorgänger von RPR, doch die öffentlich-rechtliche Monopolperiode im Hörfunk wurde erst am 1. Juli 1986 mit dem ersten landesweiten Privatprogramm Radio Schleswig-Holstein (RSH) beendet. Die technische Voraussetzung für diesen Systemwechsel war, dass das UKW-Frequenzband jenseits der »100« frei wurde und neue Nutzungen erzwang. Bis 1986 hatte es zwar binnenstrukturelle Konkurrenzen zwischen einzelnen ARD-Sendern (etwa WDR 2 und WDR 1) und zwischen ARD-Wellen (etwa SWF 3 und hr3) gegeben, nun gab es Konkurrenz zwischen zwei Rundfunkkonzeptionen, der öffentlich-rechtlichen und der privat-kommerziellen. Wobei öffentlich-rechtlich inzwischen für die Hörer mehrheitlich vor allem hieß: Service- und Rock- und Popwellen sowie schlagernahe Landeswellen. Und dann juristisch: »Grundversorgung«. Radio Schleswig-Holstein (RSH) folgten in kurzen Abständen Radio Hamburg (1986), radio ffn (1987), Radio Hundert,6 (1987), Antenne Bayern (1988), OK Radio (1988), Radio FFH (1989), Radio Salü (1989) oder PSR (1992). Die neuen Privatwellen wurden von großen Verlagshäusern wie Axel Springer, Heinrich Bauer, Georg von Holtzbrinck, Bertelsmann, Hubert Burda Media, Oschmann, WAZ oder von Verlegerzusammenschlüssen wie »Funk & Fernsehen Nordwestdeutschland« veranstaltet. Die lange währende, durch rare Frequenzen verursachte Arbeitsteilung zwischen Hörfunk und Printmedien wurde beim Radio hinfällig, ökonomisch hinfällig. Denn die Verleger wollten im Hörfunk nicht publizistisch tätig werden wie in ihren Zeitungen, sondern Werbung verkaufen. Ihr Paradigma war: auch Radioprogramme sind Waren, und so kam es zwi- Merksatz <?page no="28"?> schen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern gerade dort zu heftigen Konkurrenzen, wo Werbung geschaltet wurde. NDR 2, WDR 2, Bayern 3, hr3, SWF 3 waren von den Privatradios am stärksten betroffen. 6,3 Millionen Hörer hatte WDR 2 1978, 1998 waren es noch 2,8 Millionen; NDR 2 rutschte von 5,3 Millionen auf 1,9 Millionen. Die Einführung des dualen Systems verstärkte die regionalen Strukturen des Radios. In Bayern und Nordrhein-Westfalen (NRW) wurden neben landesweiten auch (bzw. nur) lokale Wellen zugelassen und so stieg hier das numerische Angebot rapide. In NRW gab es bald 46 Lokalstationen, in Bayern 53 Lokalsender. Die Geschichten der Privatradios sind weitgehend ungeschrieben: Man distanzierte sich von den Nachrichten zur vollen Stunde (RSH) und den Magazinformen, baute auf populäre Musik zwischen Pop und Schlager, auf Werbung und lockere Ansprache. Erst langsam setzten die privaten Sender bewusst auf Formatierung und Marktforschung. Formatierung hieß hier vor allem: Ausrichtung des Programms an der werberelevanten Zielgruppe der 14bis 49-Jährigen und an einem möglichst populären Musikformat, in Deutschland vor allem an Adult Contemporary (AC) und Contemporary Hit Radio (CHR). Bis 1998 erreichten diese privaten Programme einen sensationellen Marktanteil von 44 Prozent. Kaum zählbar blieb dagegen die Resonanz der alternativen, nichtkommerziellen Radios (wie etwa das Freiburger Radio Dreyeckland, 1988) und der heute etwa 60 Offenen Kanäle (z. B. OK Berlin, 1985) und Bürgerradios mit ihrem »Schlangenprinzip«, d. h. der Ausstrahlung von Sendungen nach der Reihenfolge ihrer Anmeldung durch die (gesellschaftlichen) Macher. Doch trotz der neuen Angebote und trotz der Ausweitung des zerstreuten, zappenden Fernsehkonsums mittels Fernbedienung in den 1980er-Jahren: Der - einmal gefundene und geliebte - akustische Hintergrund wurde nur selten gewechselt. Rund 1,3 Programme, mehr nutzte ein durchschnittlicher Hörer auch im neuen dualen System nicht, zappen, switschen, Channel-Hopping gehörte nicht zum Radiokonsum. 1989 fiel die Mauer, das DDR-Hörfunksystem wurde abgewickelt. 1992 wurden der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) und der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) nach westlichen Vorbildern gegründet, Mecklenburg-Vorpommern schloss sich als viertes Bundesland 1992 dem NDR an. 1994 entstand mit dem Deutschlandradio ein neues nationales Radioangebot. Es wurde dem ZDF zugeordnet, das damit erstmals Fernsehen und Hörfunk verbinden und bimedial agieren konnte. Die beiden <?page no="29"?> Wellen Deutschlandfunk und Deutschlandradio Berlin waren ausdrücklich für die deutsch-deutsche Integration, für Information und Kultur zuständig. Seit 1994 existieren also quasi zwei öffentlich-rechtliche Hörfunksysteme in Deutschland. Und auch die Privaten expandierten in den neuen Ländern mit dem überdurchschnittlichen Radiokonsum: Radio PSR (1992), Radio Brocken (1992), Radio SAW (1992), Antenne Thüringen (1992), Antenne MV (1993) oder BB Radio (1993). Jugendradios waren die Neuentdeckung der 1990er-Jahre. Formatierte Musikwellen mit geringem Wortanteil sollten die Jugend wieder ansprechen und zum öffentlich-rechtlichen Radio zurückführen. Diese Programme entstanden außerhalb der öffentlich-rechtlichen Sendekomplexe, ohne deren Namenskennung und erstmals mehrmedial. Seit Ende der 1980er-Jahre wandte sich die Jugend rapide vom öffentlichrechtlichen Radio ab und den neuen Privatsendern zu. Was AFN oder Radio Luxemburg in den 1950er- und 1960er-Jahren bewirkten, übernahmen nun die TV-Angebote MTV oder VIVA (1993) sowie private Jugendradios wie OK Radio in Hamburg: sie zogen die 14bis 19-jährigen Hörer an und führten innerhalb der ARD zu Gegenbewegungen: Anfang der 1990er-Jahre gab es eine neue Gründungswelle. Die Jugendlichen erhielten mit Sputnik (1993), Fritz (1993), N-Joy Radio (1994), Eins Live (1995) oder DASDING (1997) eigene Wellen oder »Fachgeschäfte« (Krug 2000, 47). Die Namen der Mutterhäuser waren aus den Wellennamen verschwunden, der Musikanteil lag um die 80 Prozent und der Trend ging zu Infotainment-Nachrichten. Die Jugendangebote wurden sogar außerhalb der etablierten Häuser angesiedelt und neu strukturiert. Reine Wellenredaktionen, keine Fachredaktionen für Politik oder Kultur, machten die mehr oder weniger digital produzierten Jugendprogramme. Dieses Modell wurde später auch auf die anderen Wellen ausgeweitet. Parallel wurde über die Konvergenz, die Annäherung von öffentlich-rechtlichem und privatem System auf Programmebene diskutiert. Ursprünglich wurden alle Inhalte von einem einzigen Programm ausgestrahlt, dann wurden die (gestiegenen) Inhalte auf mehrere Radioprogramme aufgeteilt und zielgruppengenauer ausgestrahlt. Die immer stär- Merksatz <?page no="30"?> kere musikalische Profilierung einzelner Wellen gegeneinander und die Orientierung an Durchhörbarkeit und Dauerhören führten Ende der 1980er-Jahre dazu, die Inhalte als »Stopset«, ja als Ausschaltfaktor zu interpretieren und auf separate, »gehobene« Programme zu konzentrieren. 1989 startete der NDR das gehobene Wort- und Einschaltprogramm NDR 4, wenig später folgte der WDR mit WDR 5 (1991). Parallel dazu entstanden die ersten wort- und nachrichtenformatierten, nicht mehr magazinorientierten Infowellen: 1991 wurde mit einem Etat von etwa zehn Millionen D-Mark B5 aktuell gegründet, dann folgten MDR Info (1992), Info Radio (1995), NDR Info (1998) oder hr info (2004). Bei den neuen Infowellen waren ganze Sendetage durch Stundenuhren formatiert und in 15- oder 20-Minuten-Einheiten getaktet. Diese Inforadios orientierten sich an der Berichterstattung des Fernsehsenders CNN über den Golfkrieg (1990) und waren vor allem in Großstädten erfolgreich. Sie erreichten etwa in Hamburg oder Berlin Marktanteile zwischen fünf und acht Prozent (2007). Die Inforadios gehörten zu den ersten Hörfunkwellen, die nicht nur über UKW ausgestrahlt wurden. SWR.cont.ra - die Abkürzung steht für Content Radio - wurde 2002 gegründet, um die Akzeptanz für digitales Radio zu verbessern; die Welle war vor allem übers Internet zu hören. Die redaktionellen, noch rein auditiven Strukturen der Nachrichtenradios werden gegenwärtig umgestellt. Das Berliner Inforadio produziert sein Programm in einem Newsroom mit mehrmedialer Ausrichtung; bei NDR Info wurde ein mehrmedial anbietender Reporterpool angesiedelt, der ausschließlich neue Themen recherchieren soll. Der Trend geht zur trimedialen Nachrichten- und »News«-Arbeit. Die reine UKW-Zeit geht ihrem Ende entgegen. Radio, Internet und Fernsehen wachsen auch in den Produktionsstrukturen zusammen. Der Hörfunk startete 1923 als Einschalt- und Kulturradio. 80 Jahre später waren aus dem Kulturradio regionale Kultur- und vor allem Klassikwellen geworden, die weniger als fünf Prozent der Hörer erreichten. Sie begriffen sich als Begleitwellen und waren formatiert. Seit 1956 gibt es in Deutschland eigenständige Kulturprogramme. Spätestens seit den 1990er-Jahren wurden diese Einschaltprogramme - als letzter Programmtyp - mehr und mehr formatiert und in musikorientierte Klassikwellen umgewandelt. Die Kulturwellen definierten sich am entschiedensten als Einschaltprogramme in der alten Werk- und »Kästchen- Merksatz <?page no="31"?> tradition« und profitierten am längsten von einer »fürsorglichen Vernachlässigung« (Paul Nolte), die sie quotenfrei und gut finanziert wirken ließ. Die Formatierung der Kulturwellen war deshalb ein »besonders schwieriges Unterfangen« (Halefeldt 1999, 224) und führte bei Bayern 2, hr2 kultur, SR 2 Kulturradio, SWR 2 oder WDR 3 zu beständigen Neupositionierungen und zu heftigen Auseinandersetzungen um die am forciertesten formatierten Klassikwellen MDR Figaro, kulturradio vom rbb oder NDR Kultur. Hier wurde Klassik im Stil der »Top 40« eingesetzt. Nur die abendlichen Sendestrecken blieben - wie in den Anfängen - von Formatierung weitgehend frei. Eine kulturaffinere Formatierung des Kulturprogramms wählte 2005 das nationale Deutschlandradio Kultur. Es positionierte ein Radiofeuilleton, das Kultur und Stundenuhr, Wort und musikalische Neuheiten stundenweise zusammenband. Ende des Jahrtausends sendete jede ARD-Welle vier bis acht terrestrisch empfangbare Programme, die zunehmend bestimmten Ziel- und Altersgruppen zugeordnet waren, präzise abgegrenzt wurden und durchgehend »weiblicher« geworden waren. Spätestens mit der Krise des neuen Marktes um 2001 endeten die Ausweitungs- und Spezialisierungsstrategien. Der erste »Einschnitt« (Dussel 2004, 206) war 1998 der Zusammenschluss von SDR und SWF zum Südwestrundfunk (SWR), 2003 wurde aus SFB und ORB der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) - die Zahl der UKW-Programme sank. Öffentlich-rechtliche Kooperationen nahmen zu - so ist etwa das WDR-Programm Funkhaus Europa auch in Berlin und Bremen zu hören. Parallel dazu fanden auch im Privatfunk Konzentrationen (Kooperationen, Zweitwellen) statt. Das hessische Privatradio ffn erhielt die Schwesterprogramme planet radio (1997) und harmony.fm (2003); RTL Radio beteiligte sich inzwischen an 22 Sendern und versah einige mit dem RTL- Brand. Programmliche Innovationen freilich kamen vom Wirtschaftsgut Privathörfunk nicht mehr. »Die Programme der Privatradios haben sich seit mindestens 10 Jahren nicht verändert«, hieß es lapidar im »Weißbuch Privatfunk« (Bauer 2004, 16). Radionutzung ist noch immer vor allem an die Ultrakurzwellen gebunden - auch wenn die UKW-Periode langsam auszulaufen scheint. UKW soll bis 2015 durch DAB (Digital Audio Broadcasting) ersetzt werden, doch die Digitalisierung gestaltet sich außerordentlich schwierig. Spätestens seit der Etablierung von Satelliten und Kabel hat sich die Zahl der <?page no="32"?> Verbreitungswege erhöht - aber 86 Prozent aller Hörer empfingen 1994 Hörfunk terrestrisch. Die Nutzungszeiten blieben weitgehend stabil, nur die Jugend verabschiedete sich (wieder einmal) vom Radio. Fast alle Radioprogramme werden inzwischen zusätzlich auch per Livestream ausgestrahlt und sind am Computer zu empfangen, Podcast- oder On- Demand-Angebote halten besondere Sendungen auch über die Ursendung hinaus im Internet präsent. Erstmals sind - am Computer - Programme aus der gesamten Welt zu empfangen. Neue IP-Empfangsgeräte, sogenannte Webradios, sehen nicht mehr wie Computer aus, sondern wie traditionelle Empfänger. Die Zahl der - theoretisch hörbaren - Kanäle hat sich also rapide erhöht. Die Nutzungsquote für all diese Programme aber dürfte - so Marie Luise Kiefer schon in den 1990er-Jahren - »einige Dezimalstellen hinter dem Komma geringer« als 0,008 Prozent sein (Kiefer 1999, 440). Auch der Hörfunk leidet also an Unterkonsumption. <?page no="34"?> Das Radio wurde in Deutschland seit den Anfängen durch Gebühren finanziert und war damit ökonomisch vor Krisen geschützt. Seit 1924 wurden für den Besitz eines Empfangsgeräts Gebühren unterschiedlicher Höhe erhoben, nicht fürs konkrete Hören; zugleich war auch die zusätzliche Finanzierung des Radios durch Werbung möglich. Die Einführung des dualen Systems 1986 schuf auch in Deutschland einen neuen, rein werbefinanzierten kommerziellen Radiomarkt. Gebührenfinanziert - werbefinanziert bestimmt bis in die Gegenwart die Diskussionen um die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit sowie die Qualität des Radios. Der Hörfunk wurde in Deutschland - anders als etwa in den USA - zunächst vor allem durch Gebühren finanziert. »Zahlung von Gebühren für das Gehörte ist die selbstverständliche Voraussetzung für die Einführung des Rundfunks«, formulierte Hans Bredow. Seit 1924 hatte ein »Privatkunde« zwei Reichsmark monatlich für die Bereithaltung eines Geräts zu zahlen. Dies entsprach den Kosten eines Monatsabonnements für eine Tageszeitung; ein gelernter Arbeiter musste dafür zwei Stunden arbeiten. Die Gebühren wurden vom Postboten im Voraus eingezogen, von der Post verwaltet und anteilig an die Sender weitergeleitet. 40 Prozent (1924/ 25) bis 57 Prozent (1932) blieben bei der Reichspost, der Rest ging an die Sender. Da die Teilnehmerzahlen von 1,25 Millionen (1926) auf mehr als vier Millionen 1932 stiegen, erhöhten sich die Gebühreneinnahmen trotz Krise zwischen 1926 und 1932 um 130 Prozent. Die Zahl der fest angestellten Funkmitarbeiter stieg von 59 (1924) auf 1.573 (1933), 1930 soll es 40.000 freie Mitarbeiter gegeben haben. Da die Zahl der gemeldeten Nutzer die Höhe der Zuweisungen bestimmte, gab es seit den Anfängen reiche und arme Sender. Während die Ostmarken Rundfunk AG (Orag) 1926 einen Etat von 0,5 Millionen Reichsmark und 35 Mitarbeiter hatte, beschäftigte die Berliner Funk-Stunde 174 <?page no="35"?> Mitarbeiter und verfügte über 7,5 Millionen Reichsmark - diese ungleiche finanzielle Ausstattung einzelner Sender ist bis heute ein Problem des gebührenfinanzierten Rundfunks. 1925 wurde die »Reichs-Rundfunk-Gesellschaft« (RRG) gegründet, ihre Hauptaufgabe war die Unterstützung der notleidenden Sender. Insgesamt galt: »Das rasche Anwachsen der Hörer- Anzahl vergrößerte auch die Etats der Sende-Gesellschaften. Es gab [1928] mehr als drei Millionen Hörer, für die Sendegesellschaften fielen 36 Millionen Mark ab, eine im kulturellen Bereich unvorstellbar große Summe … Der Rundfunk war eine Macht geworden« (Bronnen 1954, 205). Schon der frühe Hörfunk konnte seit 1924 zusätzliche Einnahmen über Werbung generieren. Für die »Einschaltungen« war die Reichspostreklame zuständig. 1926 machte Werbung 0,19 Prozent der Gesamteinnahmen aus, 1930 waren es 0,27 Prozent. 1935 wurde die Rundfunkwerbung eingestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann das kleine Radio Bremen als erster Sender (1948) wieder mit Funkwerbung und soll so ein gutes Viertel seines Etats finanziert haben, nämlich 1,6 Millionen D-Mark. Bald folgten der BR (1949), der die Werbeerlöse zunächst für Kultur stiftete; wenig später nahm der HR (1954) Funkwerbung ins Programm - er wollte mit Werbung seine Beiträge zur Subventionierung des Fernsehaufbaus ausgleichen. Der NDR und der WDR sendeten erst seit den 1980er- Jahren Funkwerbung. Heute senden alle ARD-Sender Werbung. Die fortgeschriebene Hörfunkgebühr von zwei D-Mark - Hans Bredow hielt sie nach dem Krieg für »maßlos überhöht« - sicherte den öffentlichrechtlichen Sendern lange Zeit steigende Einnahmen und »beträchtliche Reserven«. Denn die Zahl der Rundfunkteilnehmer stieg auch nach 1945 rapide: 1926 gab es unter 100 Einwohnern 1,6 Hörfunkteilnehmer, 1976 waren es 34. Doch Mitte der 1960er-Jahre stagnierten die Zuwächse; Einnahmen und Ausgaben klafften auseinander, öffentlich wurde heftig über die Notwendigkeit von Gebührenerhöhungen (»Defizit-Manipulationen«) diskutiert und intern der »Werbefunk« ausgeweitet. »Linderung der Finanznot« durch »Programm-Innovation« (Raff 2007, 89) war das Konzept, das hinter der Gründung der Autofahrer- und Servicewellen Europawelle Saar (1964), hinter hr3, Bayern 3 oder B3, Südfunk 3 stand. Inwieweit bei diesen Neugründungen die mitfinanzierende Werbung auch die Programmformen beeinflusste, ist - trotz vieler Vermutungen - ungeklärt. <?page no="36"?> Neue öffentlich-rechtliche Programmangebote wurden schon in den 1970er-Jahren durch Werbung finanzierbar. SDR-Hörfunkdirektor Peter Kehm: »Ein kleiner Schritt, und wir hatten es: das ›duale‹ Rundfunksystem unter einem Dach, im eigenen Haus« (Kehm 1990, 219). 1970 wurde die Hörfunkgebühr erstmals auf 2,50 DM erhöht - die Sender hatten 3,00 DM verlangt. 1974 kam eine Erhöhung auf 3,00 DM, 1979 auf 3,80 DM, 1983 auf 5,05 DM und 1988 auf 5,16 DM. Seit 1975 war die »Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten« (KEF) für die Ermittlung des Finanzbedarfs zuständig, alle Landtage mussten Erhöhungen genehmigen - was in der ARD als voranschreitende »Entmündigung« (Peter Kehm) wahrgenommen wurde; »Mischfinanzierung« mit Werbung wurde innerhalb der ARD immer wieder als Teil der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Hörfunks von Politik definiert. In den 1970er- und 1980er-Jahren dürfte der Anteil der Werbeeinnahmen an den ARD-Radiohaushalten zwischen 20 und 30 Prozent gelegen haben; 1982 nahm der ARD-Hörfunk 1.662 Millionen D-Mark an Gebühren ein und 404 Millionen D-Mark durch Werbung. Seit 1976 werden die Gebühren nicht mehr von der Post, sondern von der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) eingezogen. Für den Werbezeitenverkauf wurden eigene Tochtergesellschaften zuständig: »Werbung im Rundfunk« (HR/ 1954), »Werbefunk Saar« (SR/ 1957) oder »NDR-Werbefernsehen und Werbefunk« (NDR/ 1981). Werbung gehörte zu den »spektakulärsten Wachstumsbranchen der Wirtschaft der Bundesrepublik«. Die Werbeumsätze (netto) stiegen von 4.543 Millionen D-Mark 1971 auf 40.393 Millionen D-Mark 1998, der Hörfunk profitierte davon mit 167 Millionen D-Mark (1971) bzw. 1.203 Millionen D-Mark (1998) (Wilke 1999, 787f). Hörfunkwerbung galt als außerordentlich »lukrativ«. Doch dieser Werbetopf wurde ganz anders verteilt, seit der private Hörfunk, der sich ausschließlich durch Werbung refinanziert, 1986 mit der Ausstrahlung eigener Programme begann. 1987 gingen 88,8 Prozent der Nettoumsätze an die ARD, 1993 waren es nur noch 54,6 Prozent. Rein rechnerisch standen den öffentlich-rechtlichen Sendern 1992 606 Millionen D-Mark aus Werbung zur Verfügung, den Privaten 535 Millionen D-Mark. 2005 hatten sich die Verhältnisse ver- Merksatz <?page no="37"?> kehrt: die Privaten führten mit 507 Millionen Euro Werbeeinnahmen deutlich vor den Öffentlich-rechtlichen mit 188 Millionen. Trotz dieser Größen war der Hörfunk für die Werbeindustrie nie ein bevorzugtes Werbemedium, er musste sich auf drei bis zehn Prozent der gesamten Werbegelder beschränken; 2007 waren es 6,2 Prozent. Vermarktungsgesellschaften wie die »Funk Kombi Nord« (FKN) oder »Radio Marketing Service« (RMS, 1990) warben die Gelder fürs Privatradio ein. Systemübergreifend kooperierten bereits 1989 NDR, Radio Bremen und das private Alsterradio in »NDR Plus«. Die privaten Radiosender sind zu großen Teilen eine Domäne der Presseverlage. Der Finanzierungsbedarf ist hier - medienspezifisch - »begrenzt«; die Kosten für einen Privatsender wurden in den 1980er-Jahren auf 3,6 bis 5 Millionen D-Mark im Jahr geschätzt. Der wirtschaftliche Erfolg der Privatsender war enorm - vor allem im Norden und bei den landesweiten Sendern. In den Anfangsjahren galt eine Sendelizenz als »Lizenz zum Gelddrucken« und der Axel Springer Verlag erreichte mit seinen Hörfunkbeteiligungen selbst 2003 noch »zweistellige Umsatzrenditen«. »Was die Rentabilität angeht«, so der damalige Springer-Vorstand Hubertus Meyer-Burckhardt 2003, »liegt Radio bei den Mediengattungen weiterhin auf einem Spitzenplatz«. Die vielen kleinen Lokal- und Bürgerradios in NRW und Bayern taten sich finanziell schwerer. Hier wurden andere Konstruktionen gewählt. So wurde beim Mantelprogramm Radio NRW neben dem »Pressefunk Nordrhein-Westfalen« auch der WDR Mitgesellschafter beim Konkurrenten. Privatfunk und öffentlich-rechtlicher Hörfunk gehörten gemeinsam zum riesigen, »industriell« organisierten System »Radio« - auch wenn in den jeweiligen medialen Auseinandersetzungen sich »jede Seite von der Refinanzierungspraxis der anderen in die Ecke getrieben« (Böckelmann 1999, 81) sah. Inwiefern sich zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Radio - auch in den Programmen - werbungsinduzierte Konvergenzen ergeben, ist ununtersucht. Die Hörfunkgebühren stiegen auch nach den 1980er-Jahren kontinuierlich: 6,00 DM (1990), 8,25 DM (1992), 9,45 DM (1997), 10,40 DM (2001), 5,52 Euro (2005) und 5,76 Euro (2009). Gleichzeitig fielen die Produktionskosten rapide: Eine durchschnittliche Sendeminute Hörfunk kostete innerhalb der ARD 1987 102 DM, 10 Jahre später waren es noch 88 DM und 2000 dann nur noch 79 DM, aber die Verteilung war sehr ungleich. Rock- und Popmusik kostete im Jahr 2000 21 DM, Unterhaltungsmusik 45 DM, Information und Service 97 DM, Klassik 115 DM, Unterhaltung 129 DM und Kultur/ Bildung 211 DM. Im Vergleich <?page no="38"?> zum Fernsehen war Radio ein billiges Medium. Das Erste Fernsehprogramm verbrauchte 1987 pro Sendeminute 5.247 DM, 2000 waren es schon 7.117 DM. Die Werbefinanzierung veränderte die Orientierung des Hörfunks rapide. Er wandte sich nicht mehr »an alle«, sondern an die Kernzielgruppe der 25bis 49-Jährigen. Das Privatradio finanzierte sich (fast) ausschließlich über Werbung, und dies veränderte die schon fließenden deutschen Radioparadigmen grundlegend: Programm wurde nun gemacht, um Geld zu verdienen, und dazu bedurfte es möglichst vieler Hörer und spezieller Programme. Richtete sich das traditionelle Radio noch »an alle«, so richtete sich das Privatradio seit Ende der 1980er-Jahre an die (werberelevante) Kernzielgruppe der 25bis 49-Jährigen. Deren Musik war Adult Contemporary (AC), das spezifische Konzept des durch Marketing und Meinungsforschung standardisierten Formatradios. Die regionale Struktur des bundesdeutschen Hörfunkmarktes beförderte früh lockere Zusammenschlüsse. 1950 gründeten die öffentlichrechtlichen Sender die ARD. Sie regelte - wie einst die RRG - den Finanzausgleich sowie den Programmaustausch unter den Mitgliedern; 1954 folgten die Werbegesellschaften. Sie schlossen sich zur »Arbeitsgemeinschaft Rundfunkwerbung«, dann »ARD-Werbung« (1990) bzw. »AS&S Radio« (2006) zusammen, die den Werbungsverkauf übernahmen. Da die Werbung vor allem von großen, national tätigen Unternehmen geschaltet wurde, konnten so koordiniert größere Hörerkreise erreicht werden. Und auch die privaten Hörfunksender entwickelten - vor allem nach der Krise am Neuen Markt um 2001 - neue Eigentums- und Kooperationsformen. Das Spektrum reicht von Senderfamilien (zwei oder drei Programme für einen Sender) über Funkhausmodelle (in Bayern) bis zur Radioholding. Seit 1991 gibt es auf dem deutschen Regionalmarkt auch internationale Anbieter: Die französische NRJ-Group (Nouvelle Radio Jeunesse) betreibt verschiedene Energy-Radios in Deutschland: etwa Energy Berlin (1991), Energy Sachsen (1992) oder Energy Stuttgart (2001); die Gruppe hat ihre eigene Vermarktungsfirma Energy Media; zum Konzept gehören auch gemeinsame, den regionalen Hörerkreis also erweiternde Hörfunksendungen. RMS hat sich inzwischen zum stärksten Vermarkter entwickelt, er teilt sich mit AS&S Radio den Hörfunk- Merksatz <?page no="39"?> werbemarkt. Dabei wird Hörfunkwerbung heute vor allem von den Produktgruppen Handelsorganisationen (11 Prozent), Möbel und Einrichtung, PKW und Kraftfahrzeugmarkt geschaltet. An sechster Stelle steht - selbstreferentiell - schon die Radiowerbung (5 Prozent). 2007 arbeiteten in Deutschland 16.808 Personen für den Hörfunk, darunter 3.900 für den Privatfunk. <?page no="40"?> Das Radio ist ein additives Medium, in dem Sendung auf Sendung folgt. Alles findet nacheinander statt und so haben bereits die ersten Hörfunkmacher ihre Angebote bewusst nacheinander angeordnet, anordnen müssen. Zunächst organisierten sie ihre (regionalen) Programme eher intuitiv nach Tageszeiten, Wochentagen und Jahreszeiten. Seit die ersten öffentlich-rechtlichen Programme in den 1950er-Jahren miteinander konkurrierten, seit das duale System 1986 etabliert wurde, erhielt jede Welle ihre spezifische Ausprägung in Musik, Wort und Anmutung. Nicht mehr die Summe der Einzelsendungen, sondern das (penibel durchstrukturierte) Format prägte das Programm. Radio ist in Deutschland vor allem ein Regionalmedium. Schon in der Weimarer Republik strahlten neun Sendegesellschaften sehr unterschiedliche Programme aus. Der Sendebeginn, die Sendedauer oder die Sendungen waren von Region zu Region unterschiedlich. Letztlich war jedes Programm eine regionale Angelegenheit, abhängig von Technik und Finanzlage, Radiokonzeption, Sozialstruktur, politischen und rechtlichen Vorgaben, Hörerreaktionen, konkurrierenden Massenmedien und - nicht zuletzt - den Machern. Und das ist bis heute so geblieben. Das Radio der Anfangsjahre richtete sich »an alle«, aber früh war klar, dass dies nicht zu jeder Tageszeit und mit jedem Programmangebot der Fall sein konnte. Spätestens 1931 wurde der Tag (implizit) in drei Phasen eingeteilt: Die A-Zeit, in der tendenziell alle Hörer erreichbar waren (18 bis 22 Uhr), die B-Zeiten, in denen viele Hörer aufnahmebereit waren (7 bis 8 Uhr, 15 bis 18 Uhr und 22 bis 24 Uhr) sowie die C-Zeit, in der kaum jemand Radio hörte (8 bis 15 Uhr). <?page no="41"?> Der Weimarer Hörfunk war ein »Mischprogramm«. Sehr unterschiedliche Programmbereiche wie Kultur, Bildung, Nachrichten, Unterhaltung, Werbung wurden auf einer Welle gebündelt und zeitlich strukturiert. Die Aufgabe der Programmplaner war, diese Bereiche innerhalb des Tages, der Woche, des Monats, kurz: innerhalb von Zeitzonen anzuordnen (und damit natürlich auch zu werten) und der Hörer hatte sich nach diesen Vorgaben zu richten. Zunächst positionierte man in den Funkhäusern einfach Sendung auf Sendung, nach einem Vortrag kam etwa Musik, nach einem Zielgruppenangebot kam Kultur. Für diese Programmphilosophie hat man später den Terminus »Kästchenprogramm« erfunden. Um 1930 bedeutete »Kästchenradio«, dass täglich - je nach Programmdauer - zwischen 13 und 33 Sendungen mit einer durchschnittlichen Länge von 30 Minuten ausgestrahlt wurden. Schon der frühe Hörfunk kannte Zielgruppensendungen für Kinder, Eltern, Arbeiter, Land und Kirche, stellte für sie bis zu zehn Prozent der Programmfläche zur Verfügung und ordnete sie durchaus adressatengemäß: Die Zielgruppensendungen für Frauen und Kinder wurden nachmittags, die für Arbeiter, Beamte oder Ärzte früh abends oder am Wochenende gesendet. Vorträge, die in den ersten Jahren bis zu 20 Prozent des Programms ausmachten, wurden vor allem am frühen Abend ausgestrahlt; Kultur und Unterhaltung dominierten die wichtigste Sendezeit: das abendliche Hauptprogramm. Zur gezielten Radionutzung halfen Programmzeitschriften und Programmvorschauen in Tageszeitungen. Diese Programmstruktur blieb bis in die 1960er-Jahre mehr oder weniger prägend - Programmkonzepte wurden »nur relativ geringfügig und ziemlich langsam« (Jäger 1982, 62) verändert. Das Nachkriegsradio definierte sich als akustischer »Gemischtwarenladen«, der das Notwendigste ohne große Auswahl bot. Der SDR etwa sendete zu reinen Mittelwellenzeiten morgens (5 bis 8 Uhr) vor allem Unterhaltungsmusik, unterbrochen durch stündliche Nachrichten, die »südwestdeutsche Heimatpost« und die Morgengymnastik; den Abend ordnete man seit 1950 nach Schwierigkeitsgraden: dienstags, mittwochs und freitags begann man mit anspruchsvollen Sendungen, an den anderen Tagen mit Unterhaltung. 80 Prozent der Bevölkerung, so stellte man in den 1950er-Jahren fest, hatten Hauptschulabschluss, 60 Prozent lebten in Dörfern und Kleinstädten, 80 Prozent waren bis 7 Uhr aufgestanden, 68 Prozent lagen um 22 Uhr in den Betten. Die Demoskopie wurde also überraschend früh auch zur Programmplanung herangezogen. <?page no="42"?> Auch als nach 1950 die ersten UKW-Programme aufgebaut wurden, änderte sich an den grundsätzlichen Programmstrukturen wenig. Die UKW-Angebote wurden zwar nach dem Grundsatz »Gegensätzlichkeit zur Mittelwelle« positioniert, doch sie blieben Mischprogramme nach dem »Kästchenprinzip«. Der NDR schuf neben der »Repräsentationswelle« die »Welle der Freude« UKW-Nord; der SDR kontrastierte seine beiden Programme anders: Während das erste MW-Programm Leichtes sendete, strahlte das (zweite) UKW-Programm Anspruchsvolles aus und umgekehrt. Programmreformen beschränkten sich lange auf diese - je nach Sender sehr unterschiedlichen - »Differenzierungen« zwischen erstem (MW), zweitem (UKW) und dann auch drittem Programm. Beobachter sahen in diesen Programmstrukturen der 1950er-Jahre »Orgo-Schema live«, sie waren vor allem Ausdruck senderinterner Machtverhältnisse und Organisationsstrukturen. Erst in den 1960er-Jahren war es mit der vierzigjährigen Ruhe vorbei; der Siegeszug des Fernsehens, die nachlassenden Hörzeiten, die Ausweitung der Programme, die finanzielle Situation der ARD-Sender führten nach und nach zu großen Programmreformen in den Sendern. Nun kam es zu grundsätzlichen Veränderungen: Das Radio wurde vom Abendzum Tagesmedium umgebaut, seine Position als eigenständiges, spezifisches, rein akustisches Medium pointiert. Aber dies waren jahre-, ja jahrzehntelange und regional sehr unterschiedliche Prozesse. Es waren zunächst eher vereinzelte Initiativen, die bald zu einem kompletten strukturellen Umbau des Radios führten. An erster Stelle standen - von der Forschung bisher vollständig übersehen - die Nachrichten zu jeder vollen Stunde. Der amerikanische Soldatensender AFN kannte sie seit Langem, aber erst 1964 wurden sie auf der jungen, werbungsintensiven Europawelle Saar eingeführt, 1966 folgten der NDR und in den 1970er-Jahren dann fast die gesamte ARD. Die Nachrichten waren aber nicht nur für die aktuelle Information wichtig, sie setzten den Radiohörern erstmals eine neue und strenge Struktur. »Die Einführung des Stundenrasters bei Nachrichten« war »der erste Schritt zur Entwicklung des Radios zum Begleitmedium« (Arnold 1981, 10). <?page no="43"?> Stündliche Nachrichten, Magazinsendungen und popmusikalische Jugendsendungen leiteten in den 1960er-Jahren den Umbau des »Kästchenhörfunks« zum Begleitmedium Radio ein. Es waren zunächst nur punktuelle, auf einzelne Sendungen bezogene Neuerungen, die schließlich zu umfassenden Programmformen führten. Amerikanischer Herkunft war auch eine zweite neue Radioform: das Magazin. Es wurde früh von RIAS Berlin und der Europawelle Saar (22 bis 24 Uhr) eingeführt, trat seinen Siegeszug aber erst mit dem WDR- Mittagsmagazin (1965) an. Im frühen Magazin wurde bisher Getrenntes vereint: Politik, Zeitgeschehen, Kultur, Sport, Buntes und Musik; die bisherigen Trennungen Information und Unterhaltung, Politik und Nichtpolitik wurden aufgehoben; der Stil wurde »dialogisch«, die Ansprache umgangssprachlich. Gleichzeitig veränderten sich auch die tradierten senderinternen Arbeitsteilungen. Für die neuen, zweibis zweieinhalbstündigen Magazine arbeiteten verschiedene Fachredaktionen zusammen und machten die neue Liveform rasch zum Riesenerfolg. Zunächst gehörte zum »Magazin« die »starke Betonung des politischen Geschehens« (La Roche1993, 183) - aber diese ließ nach, als immer mehr Programme Magazine sendeten. Schon 1971 hatte NDR 2 ein Tagesprogramm aus mehreren Magazinen; die Welle war durch die Magazinform charakterisiert. Weitere Neuerungen waren schließlich - Politik, Popmusik und Protest erstmals verbindend - spezifische Jugendsendungen wie Der 5-Uhr- Club (NDR 1969) oder der Zündfunk (BR 1974). In den 1970er-Jahren gab es in Deutschland drei verschiedene, unterschiedlich differenzierte Programmtypen: - Die traditionellen, weiterhin »kästchenartig« organisierten und für die politische Information zuständigen »ersten Programme«, die ihre Namen langsam in WDR 1, NDR 1, SDR 1 oder hr1 änderten. Die einst konkurrenzlosen Leitprogramme behielten weitgehend den Charakter eines Mischprogramms, verloren aber deutlich an Hörern. - Die magazinisierten, sehr stark popmusikalisch programmierten und zum Teil neu gegründeten Service-, Pop-, Informations- oder Unterhaltungswellen wie Europawelle Saar, hr3, Bayern 3, Südfunk 3, SWF 3, Merksatz <?page no="44"?> WDR 2 oder NDR 2. Diese Programme sendeten in der Regel Werbung und entwickelten sich innerhalb weniger Jahre zu den hörerstärksten Wellen und faktischen Leitwellen. Beim NDR gab es 1970 folgende Hörerverteilung: NDR/ WDR 1 - die damals noch gemeinsam sendeten: 27 Prozent, NDR 2: 33 Prozent und NDR 3: 2 Prozent (Köhler 1991, 426). - Die eigenständigen Kulturwellen wie NDR 3, WDR 3, BR 2, Studiowelle Saar, hr2 oder SWF 2. Sie blieben »Kästchenprogramme«, Minderheiten- und Einschaltangebote, zum Teil noch ohne richtige Programmstruktur oder zusätzlich als Gastarbeiterprogramm genutzt. Obwohl der Hörfunk seit den Anfängen ein Regionalmedium war, erhielten die Programme durch Programmaustausch oder gemeinsame ARD- Nachtprogramme immer wieder auch einen überregionalen, ja nationalen Charakter. Doch auch die Gegenbewegung fand statt: In Bayern wurden seit 1960 Sendungen von Bayern 1 nicht landesweit ausgestrahlt, sondern in Regionalfenster »gesplittet«, der SDR experimentierte seit 1979 mit Kurpfalz-Radio für den Ballungsraum Mannheim-Ludwigshafen. Das Radio war aus technischen und politischen Gründen seit den Anfängen vor allem ein Regionalmedium. In den 1980er-Jahren versuchte man, das Regionale durch das Lokale zu ergänzen. Dort, wo man das Neue bisher noch vor allem vom direkten Hörensagen oder aus der Zeitung erfuhr, suchte das Radio einen neuen Markt und den direkten Kontakt mit dem Hörer. Anfang der 1980er-Jahre ermöglichten es die neuen Kommunikationstechniken, systematisch über eine Subregionalisierung des Hörfunks nachzudenken; 1981 wurde die »Regionalisierung« etwa im WDR sogar zum neuen Unternehmensziel erklärt. Der öffentlich-rechtliche Hörfunk zielte einerseits auf die Zeitungsleser als neue Hörer, andererseits auf einen »Ereignisraum, der in besonderer Weise der Integrationsfunktionen der Medien« (Teichert 1982, 238) bedürfe - und scheitere. Radio Dortmund etwa wurde nach neun Jahren aufgegeben. Fortan wurde eine Fülle Regionalstudios gegründet und so die (direkte) Nähe zum Hörer gesucht, eigenständige öffentlich-rechtliche Lokalradios aber Merksatz <?page no="45"?> entstanden nicht. Die neuen Studiotechniken machten jedoch bimediale Redaktionsarbeit (ökonomisch) sinnvoll, die eher praktisch orientierte politische Arbeit vor Ort rief bald eine neue regionale Informationsform hervor: die Abkehr vom traditionellen Primat der Politik in den lokalen Informationssendungen und die Orientierung an der persönlichen Betroffenheit der Hörer. In der Regel wurden diese lokalen Formen als »Fenster« in die ersten Programme integriert. Besonders umkämpft war die Regionalisierung im Norden, wo der NDR gleich drei Bundesländer ›bestrahlte‹. Hier wurde nach heftigen politischen Auseinandersetzungen 1981 die älteste Welle NDR 1 in drei Landeswellen aufgespaltet: NDR 1 Welle-Niedersachsen, NDR 1 Welle Nord sowie NDR 1 Hamburg-Welle; friedlicher entstanden volkstümliche Wellen wie WDR 4, hr4 oder MDR 1 Radio Sachsen (1992). Alle diese regionalisierten Programme setzten musikalisch auf deutsch orientierte melodiöse Musik (DOM) und die älteren Hörer. Lokale Radios im eigentlichen Sinne, d. h. Radios, die nur in einem kleinen Sendebereich, einem Kreis oder einer Stadt hörbar waren, wurden erst nach der Etablierung des dualen Hörfunksystems in Bayern, Baden- Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen gegründet und wurden in einigen Orten (Radio Köln, 1991) sogar Marktführer. Die Vielzahl der bundesdeutschen Radios hat in der Fülle von Lokalsendern wie Radio Regenbogen, Antenne Unna oder Radio Dresden ihre Ursache. Es sind vor allem privatwirtschaftliche Formatradios mit Werbung, die Musik liegt im AC-Bereich und der Informationsanteil ist eher gering. Teile der Programme werden von sogenannten Mantelprogrammen übernommen. In NRW liefert Radio NRW diese Programmteile, viele Lokalradios verfügen also teilweise über identischen Content; das Lokale ist hier eine Fiktion. Als das duale Hörfunksystem 1986 startete, gab es im Wesentlichen vier öffentlich-rechtliche Programmformen: traditionelle »Kästchenwellen« (1), magazinisierte Rock- und Popwellen mit und ohne Infoschienen (2), einschaltorientierte Kulturprogramme (3) und seit 1984 erste (dezent) DOM-orientierte Regionalprogramme (4). Bis auf die Rock- und Popwellen waren alle Angebote noch mehr oder weniger Einschaltprogramme. Die jungen werbefinanzierten Privatfunkwellen orientierten sich zunächst an den - werbefinanzierten - öffentlich-rechtlichen Service-, Pop- und Unterhaltungswellen und konkurrierten vor allem mit ihnen. <?page no="46"?> Radio Schleswig-Holstein (RSH) etwa startete - so der ehemalige Unterhaltungschef der Europawelle Saar (1979 bis 1984) und RSH-Gründer Hermann Stümpert - mit einem breiten Full-Service-Angebot aus »Versatzstücken von ›Top 40‹, AC, Oldies … und der deutschen Programmtradition«, aber noch nicht mit einem voll formatierten Angebot. Über die Programmstrukturen und den Sound der frühen Privatradios weiß man bisher nur wenig; doch die Formatierung hat sich wohl eher langsam auf dem Privatfunkmarkt durchgesetzt; 1993 waren etwa 50 Prozent der Privatwellen formatiert, was bedeutete, dass sie »durchgehend gestylt« und durchhörbar programmiert waren. Der Programmschwerpunkt war der Morgen, wichtig wurden die Morgensendungen oder »Morningshows«, denn morgens gab es die meisten Hörer. Mit den privaten Hörfunkwellen wird nach 1986 ein ganz neuer, in Amerika schon vielfach und lange gelungener Programmtyp in Deutschland eingeführt: das Formatradio oder besser: die Formatradios. Die neuen Wellen sind vor allem durch die Musikfarbe geprägt; sie sind auf Durchhörbarkeit programmiert. Ein spezifisches Marketing legt das Profil fest, das - vom Anspruch her - akustisch unverwechselbar sein soll. Der Privatfunk hatte in Deutschland keine Grundversorgung zu gewährleisten, er war ein Zusatzangebot und der Informationsanteil war - etwa in Hamburg bis 2003 - auf 10 bis 15 Prozent festgeschrieben. Die Musik prägte die Programme also deutlich und sie definierte die Formate. Seit Beginn der 1990er-Jahre gab es in Deutschland vor allem drei musikdominierte Formate: - Adult Contemporary (AC) prägte etwa ein Drittel der Sender und galt als »sichere Wahl«. AC-Radios spielten die Popstandards der letzten Jahrzehnte und richteten sich an die Kernzielgruppe der 25bis 49-Jährigen; Werbung, Promotionaktionen, Gewinnspiele oder Anrufsendungen waren feste Programmbestandteile. Zum AC-Format gehören auch Unterformen wie »Soft AC«, »Oldie based AC«, »Current based AC« oder »Hot AC«. Frühe und erfolgreiche Wellen mit AC-Format waren in Deutschland RSH, Radio Gong 96,3 (München), Radio Hamburg, Antenne Bayern, Radio NRW, 104,6 RTL, Radio FFH, Radio PSR Merksatz <?page no="47"?> oder Radio SAW (Magdeburg). Die Playlists wurden von anfänglich rund 7.000 Titeln auf etwa 2.000 bis 3.000 (1993) reduziert. - Contemporary Hit Radio (CHR) ist ein Nachfolger der amerikanischen Top-40-Formate. Dieses Format setzte auf die aktuellen Hits und richtete sich an die 14bis 25-Jährigen. Die Playlists bestanden aus 60 bis 80 Titeln, Wiederholungen waren entsprechend häufig. Wortbeiträge waren auf wenige Nachrichten reduziert. Ein frühes, sehr erfolgreiches CHR-Radio war das Hamburger OK Radio (1988) - es erreichte Anfang der 1990er-Jahre in seiner Zielgruppe bis zu 60 Prozent. - Deutsch orientierte melodiöse Musik (DOM) war ein Format, das speziell für den deutschen Hörfunkmarkt entwickelt wurde und Ende der 1980er-/ Anfang der 1990er-Jahre mit Schlagern, Volksmusik und Oldies bei den Hörern außerordentlich erfolgreich war. Frühe Vertreter waren das Hamburger Alsterradio oder Radio Brocken. Da die Werbebranche auf das Format und die angesprochene Zielgruppe (40 bis 60 Jahre) zurückhaltend reagierte, entschlossen sich die meisten Sender zum Formatwechsel; die Werbung definierte letztendlich das Format. Inzwischen hat fast jeder ARD-Sender sein - außerordentlich quotenträchtiges - DOM-Format (WDR 4, hr4, NDR 90,3). Anders als in den USA entwickelte sich in Deutschland keine Vielfalt der Formate. Oldie- oder Klassikformate (Klassik Radio, 1990) blieben eher unbedeutend, andere wie das Jazzformat (Jazz Welle Plus) Episoden. Und auch die wortbasierten Formate wie Radioropa (1990), Inforadio 101 (1991 bis 1993), Berlin aktuell 93,6 (1998 bis 2000) oder FAZ Radio 93,6 (2000 bis 2002) konnten sich nicht etablieren. Diese Programme setzten quasi das Top-40-Konzept im Wort- und Newsbereich um, blieben aber - anders als die Vorbilder in den USA - auf dem deutschen Markt mit seinen ausgebauten öffentlich-rechtlichen Infostrukturen als Privatangebot erfolglos. An der Vorherrschaft der AC-CHR-Formate sollte sich bis in die Gegenwart nichts ändern; in kritischer Absicht beschreibt dies auch der Terminus »Dudelfunk«. Trotz der identischen Formate unterschieden sich die Programme aber letztlich in Sound und Struktur doch voneinander. Gerade auf den senderreicheren Märkten in Berlin, Hamburg oder München entwickelten auch die AC-Sender ihr jeweils eigenes Profil. Denn nicht nur die Musik, sondern Moderation, Stimmen, Nachrichten, Wortanteil, Aktionen, Jingles, Claims, Trailer, Rhythmus prägen das Format. <?page no="48"?> Jede Welle hat ihren eigenen programmtypischen Sound und soll - idealerweise - sofort vom Hörer identifiziert werden können. Deutlich werden die Unterschiede in den Programmen schon durch die Zahl der Elemente: So bestand WDR 2 1992 etwa aus 995 Elementen pro Tag, NDR 2 kam auf 1.076, Antenne Bayern auf 1.403 und RSH auf 1.412. Der duale Hörfunk begann in Schleswig-Holstein und Hamburg 1986, in München 1988, in NRW 1990 und in Sachsen 1992. Die Zulassung neuer Sender war von der Technik und den Frequenzen abhängig, von den Ländern und von der Politik und fand deshalb zu unterschiedlichen Zeitpunkten statt. Nicht nur das private Angebot stieg quantitativ, auch die öffentlich-rechtlichen Sender erhöhten die Zahl der Programme und strukturierten sich neu. Das duale System brachte vor allem die Zunahme von »Begleitprogramm«-Formen mit AC-Charakter. Die neuen Privatradios trafen auf inzwischen rund zehn Jahre erfolgreiche öffentlich-rechtliche Popwellen. Und die Folgen waren etwa für NDR 2 desaströs: Bereits 1993 hatte das private Radio Hamburg (in Hamburg) eine größere Reichweite als die NDR-Leitwelle. Diese Erfolge des Privatfunks führten innerhalb des ARD-Hörfunks rasch zu Programmreformen und Neupositionierungen. Man verschob zunächst die Inhalte und die Wortsendungen. Der NDR, der als erster öffentlich-rechtlicher Sender landesweiter privater Konkurrenz ausgesetzt war, machte NDR 2 stärker zum überwiegend popmusikbetonten Fließprogramm, führte ein Wortlimit ein und verbannte große Wortelemente auf andere Wellen. Anfang der 1990er-Jahre war »Durchhörbarkeit« das Zauberwort für Programmreformen; das Gesamtprogramm erhielt Priorität gegenüber der einzelnen Sendung. Es blieb nicht bei den eher feinjustierenden Reaktionen des öffentlichrechtlichen Hörfunks auf die neue Konkurrenz; binnen weniger Jahre wurden in den ARD-Sendern die Organisationsstrukturen und die Programme vollständig umgebaut und ausgeweitet. Beim NDR wurde das Hörfunkangebot 1989 »rundum erneuert und erweitert« (NDR Magazin 3/ 89, 17). Es war nun erstmals prinzipiell musikalisch geordnet: NDR 2 Merksatz <?page no="49"?> stand für Rock und Pop, NDR 3 für Klassik und das 1989 neu gegründete NDR 4 stand - ganz traditionell als »Kästchenradio« oder Einschaltprogramm eingerichtet - fürs Wort. Jede Welle erhielt ihre eigene Programmgruppe, »ihre programmbzw. kanalbezogene Organisationseinheit«, die für »das Gesicht, den Charakter einer ganzen Welle« (NDR Magazin 1/ 89, 13) zuständig war. Etablierte Wortsendungen wie das Echo des Tages wurden auf NDR 4 verschoben und damit fast in die Hörerfreiheit. 1995 wurde ein Prozent der Hörer erreicht. Die traditionelle Politikberichterstattung war vom Publikum abgekoppelt. Die Konkurrenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern konzentrierte sich zunächst auf die werbenden Begleitwellen und ihre Musikfarben - NDR 2 gegen ffn, Radio Hamburg oder RSH, hr3 gegen FFH oder Bayern 3 gegen Antenne Bayern. Doch da die alte Frequenzknappheit beseitigt war, versuchte man parallel, auch durch die Ausweitung und Spezialisierung der Angebote Hörer zu gewinnen. Bereits 1986 wurde mit Radio Bremen 4 ein erstes Jugendradio für die 14-bis 30-Jährigen gestartet - als Versuchsballon. Die Sendungen kamen von Anfang an aus dem - lange Jahre verpönten - Selbstfahrerstudio, für die Playlists wurden erste Computer eingesetzt, aber vom »Formatradio« wurde noch nicht gesprochen. Das Konzept wurde erst durch das Handbuch »Radio- Management« populär, das der ehemalige AFN-Redakteur und damalige Antenne-Bayern-Chef Mike Haas mit Uwe Frigge und Gert Zimmer 1991 vorlegte. Zugleich stieg die Nachfrage nach einer neuen, sehr diskreten Tätigkeit: der Radioberatung (Schramm 2009, 103). Seit Mitte der 1980er-Jahre wurden Computer im Hörfunk eingesetzt, Anfang der 1990er-Jahre begann die langsame Digitalisierung, und zwar bei den neuen, formatierten Jugendwellen. Außerhalb der traditionellen Funkhäuser wurden hier reine Wellenredaktionen etabliert, wellen- und zielgruppenspezifisches Arbeiten trainiert und erste Ansätze bimedialer Hörfunkarbeit erprobt. Die Digitalisierung und Formatierung des öffentlich-rechtlichen Radios begann mit den neu gegründeten Jugendwellen: N-Joy-Radio (1994) arbeitete erstmals in Deutschland mit digitalisierten Rechnersystemen und automatischer Senderabwicklung, hohem Musik- und geringem Merksatz <?page no="50"?> Wortanteil. Das jährlich etwa fünf Millionen D-Mark teure Jugendradio galt informierten Beobachtern als »lupenreine« Umsetzung der Haas’schen Vorstellungen vom modernen Privatradio; Eins Live (1995) war digitalisiert und wurde - erstmals im WDR - von einer Wellenredaktion produziert; vollständig digitalisiert war die neue Jugendwelle hr XXL (1998) - alle Schallereignisse außer den Moderationen kamen aus dem Computer. Die neuen Jugendwellen verließen technisch und organisatorisch die alten analogen Organisationsformen und veränderten durch die digitalen Techniken Sound, Geschwindigkeit und Format des Radios. Mancher sprach deshalb von einer Revolution des Radiomachens, mancher von der »Konvergenz« der Systeme (Merten 1995). Erstmals wurden bei Eins Live bimediale Arbeitsweisen erprobt: man sendete die Talksendung Domian in Radio und Fernsehen. Zunächst waren die Digitalisierungen Insellösungen, 1999 digitalisierte der Hessische Rundfunk seine acht Hörfunkwellen und die anderen Anstalten folgten. Die neue Technik veränderte und automatisierte fortan die Arbeitsprozesse, alte Arbeitsteilungen zwischen Redaktion und Technik wurden aufgehoben: Der Hörfunkjournalist der 1990er-Jahre musste Stimme, Recherche, Schnitt und Technik verbinden und zudem wellenspezifisch arbeiten können. Die private Konkurrenz und die technischen Neuentwicklungen der Redaktionssoftware führten zu umfangreichen Neustrukturierungen der öffentlich-rechtlichen Programme und der Radioarbeit, Programmreform folgte auf Programmreform. Bis in die 1990er-Jahre hatten Fachredaktionen sämtliche Wellen beliefert; die Kultur etwa NDR 1, NDR 2 und NDR 3; da die Programmideale und die Terminologien von Fachredaktionen wie »Zeitfunk« oder »Kultur« aber differierten, gelangte sehr Unterschiedliches in die Programme. Die Fachredaktionen (und das bisherige Integrationsmodell) wurden deshalb mit der fortschreitenden Formatierung nach und nach aufgelöst und in Wellenredaktionen überführt, die die Einheitlichkeit, Durchhörbarkeit, Zielgruppenorientierung und das Profil des Programms gewährleisten sollten. Die verschiedenen Wellen wurden nun - als Unternehmensziel - deutlich gegeneinander positioniert, jedes Programm sollte Tag für Tag wie ein jederzeit leicht zu identifizierendes Ganzes wirken. Die Nachrichten oder die Korrespondentenberichte wurden den Anforderungen der jeweiligen Welle angepasst. <?page no="51"?> An der Spitze jeder Welle stand seit den 1990er-Jahren ein Wellenchef, der nur dem für alle Wellen verantwortlichen Hörfunkdirektor und dem Intendanten untergeordnet war. Auch bei der Etablierung des Wellenkonzepts variierte die Umsetzung. 1995 installierte der WDR seine erste Wellenredaktion bei Eins Live, peu à peu wurden auch die anderen Programme umgebaut; der Saarländische Rundfunk begann 1998. Über diese Umbauprozesse und die Folgen für den Hörfunkjournalismus und die Programme weiß man nur wenig. Sicher scheint, dass die Reformen keiner einheitlichen Radioidee folgten, sondern schwer zu rekonstruierenden Organisationsprozessen, Macht- und Konkurrenzlagen. Anfang des 21. Jahrhunderts war das Radio weiterhin ein UKW- und ein Regionalmedium, doch innerhalb aller ARD-Radios hatten sich ähnliche Strukturen und Formate herausgebildet: Die Programme waren gegeneinander profiliert, nach Musikfarben und Zielgruppen geordnet, digital produziert, formatiert und - in der Regel bis auf die Abendstunden - auf Durchhörbarkeit, Verlässlichkeit und »Nebenbeihören« programmiert. Für den Zusammenhalt der Senderangebote waren nun die Öffentlichkeitsarbeit, das Corporate Design und die Off-Air-Präsentation, kurz: das Marketing, zuständig. 2006 hatten ARD-Sender zwischen vier und acht unterschiedliche, weitgehend formatierte und auch auf die private Konkurrenz reagierende terrestrische Wellen. Der NDR hatte folgende - etwa vom WDR- oder SWR-Hörfunkangebot abweichende - Differenzierung: - NDR 1 Welle-Nord (Landesprogramm (LP) Schleswig-Holstein). Musikfarbe (MF): Schlager. Zielgruppe (Z): 50+. Musikanteil (M): 68,2 %. Wortanteil (W): 31,8 %. Hörer: 685.000 (Tagesreichweite bundesweit). - NDR 1 Radio-MV (LP Mecklenburg-Vorpommern). MF: melodiös/ Schlager. Z: 50+. M: 64,3 %. W: 35,7 %. Hörer: 509.000. - NDR 1 Niedersachsen Welle (LP Niedersachsen). MF: Schlager. Z: 50+. M: 64,9 %. W: 35,1 %. Hörer: 2,58 Millionen. - NDR 90,3 (LP/ Stadtsender Hamburg). MF: Schlager. Zielgruppe: 50+. M: 69,4 %. W: 30,6 %. Hörer: 402.000. - NDR 2 (Popwelle). MF: Pop. Z: 30 bis 49. M: 76,0 %. W: 22,7 %. Werbung: 1,3 %. Hörer: 1,89 Millionen. - NDR Kultur (Klassik- und Kulturwelle). MF: Klassik. Z: 30 bis 49. M: 73,5 %. W: 26,5 %. Hörer: 280.000. <?page no="52"?> - NDR Info (Informationswelle). Z: 30 bis 49/ 50+. M: 26,2 %. W: 73,8 %. Hörer: 381.000. - NDR N-Joy (Jugendwelle). MF: Rap, Hip-Hop, Rock, Dance. Z: 14 bis 19. M: 82,4 %. W: 17,6 %. Hörer: 879.000. Während der alte Hörfunk, das sogenannte Dampfradio, Wort und Musik, Politik und Unterhaltung auf einer Welle bündelte, löste der Siegeszug des Formatradios diese Verbindungen endgültig auf. Formatradio ist eine Form serieller Organisation im Radio, die alle Programmbereiche den Formatvorgaben unterwirft. Damit wurde aber auch die Art und Weise standardisiert, wie Politik und Sport, Kultur und Werbung, Religion und Nachrichten berücksichtigt werden. Die Radioforschung hat sich bisher der Analyse dieses (inhaltlichen) »Begleitsounds« entzogen. Radio wurde schon immer »programmiert«, ob es sich nun um das traditionelle »Kästchenradio« oder das »Magazinradio« handelte. Die konsequenteste Form der Programmierung ist bisher das - weitgehend aus Amerika importierte - Konzept des Formatradios. Es orientierte sich an einer - fiktiven - Zielgruppe, der Durchhörbarkeit, dem Nebenbeihören, dem Tagesrhythmus, der Stundenuhr und den demoskopisch ermittelten Hörererwartungen. Das Formatradio wird vor allem durch die Stundenuhr geprägt, die Tag für Tag und Stunde für Stunde vorgibt, was für eine Musik gespielt werden soll, welcher Programmbereich an der Reihe ist und welches Thema in wenigen Minuten angerissen werden kann. »Die eigentliche Botschaft der Massenmedien lautet: Die Ereignisse wechseln, der Senderahmen bleibt konstant« (Bolz 2007, 59). Jeder Tag und jede Stunde haben ihre spezifische, quasi serielle Struktur, für die sich im öffentlich-rechtlichen Bereich etwa der Terminus Verlässlichkeit etabliert hat. Formatradios haben also eine feste formale Struktur, die sich Tag für Tag wiederholt - nur das Wochenende, gelegentlich auch der Abend, folgen anderen Rhythmen. 1999 sahen solche Tagesstrukturen etwa so aus: Merksatz <?page no="53"?> NDR 2 SWR 3 FFN 04: 05: Up 05: 30: Frühkurier 06: 05: Puls 05: 05: Morningshow 09: 00: Am Vormittag 09: 05: Magma 09: 05: Vormittag 12: 00: Mittagskurier 12: 05: Nun 13: 00: Am Nachmittag 14: 05: Hithop 13: 05: Nachmittag 17: 00: Abendkurier 16: 05: Hiline 17: 05: Feierabendshow 18: 00: Der Club 19: 05: Club 22: 05: Intensiv 21: 05: Am Abend 00: 05: Nacht 00: 05: Luna 00: 05: Nordnacht Die konzeptionellen und organisatorischen Absichten hinter diesen Programmstrukturen, die demoskopischen und medienwissenschaftlichen Hintergründe, sind weitgehend internes Senderwissen; über die relativ junge Beteiligung externer Radioberater, »ohne die kein erfolgreiches Radioprogramm mehr operiert« (Hagen 2005, 358), weiß man fast nichts - aber ihr Arbeitsspektrum ist breit. Einer beriet 1994 etwa »diverse« private Sender, »Alsterradio, Radio Brocken, RPR II, Radio NRW, Radio F, Charivari, Radio RT.1, Antenne 1. Es gibt so viele, dass es mir schwer fällt, sie alle aufzuzählen« (Radio-Journal 6/ 1994). Öffentlichrechtliches und privates Radio haben für ihre gerade im Popbereich sehr ähnlichen Programmierungen unterschiedliche Terminologien gefunden. Der Tag wird im Formatradio in verschiedene Phasen aufgeteilt, die sich an den - demoskopisch ermittelten - Lebensumständen der Hörer orientieren sollen. Morgens sind Musik und Moderation also rhythmischer und aggressiver, nachmittags melodischer und entspannter, morgens sind (obwohl zwischen »Tagesschau« und Aufstehen in der Regel nur wenig Neues passiert) die Nachrichten häufiger als am Nachmittag oder gar am Abend, und die Zeitansagen sind zur Aufstehzeit präsenter. Der Sound des Formatradios ist am Morgen also ein anderer als am Nachmittag oder am Abend und selbst die Themen dürften sich - in internen »Stylebooks« festgelegt - nach den »Bedürfnissen« der Hörer richten: um wie viel Uhr wird Comedy gesendet, wann spricht der Moderator, wann ist ein politischer Beitrag dran und wann ein kultureller (oder auch nicht). Zugleich sollte eine Station nach zwei Titeln erkennbar sein (Krug 2002, 125). Doch das war noch nicht alles. Im modernen Formatradio ist - anders als etwa in den Magazinen - auch jede Stunde bis auf die Minute, ja Sekunde <?page no="54"?> genau getaktet. Alle Elemente sind in der Stundenuhr festgehalten und festgelegt: die Länge der Nachrichten und ihre Schwerpunkte, das Musikbett beim Wetter und beim Verkehrsbericht, die akustischen Zeichen zwischen einzelnen Nachrichten, der Zeitpunkt der Werbung, die Länge der Moderationen, die Dauer jeder Musik und ihre »Anmutung«, die »Verpackung«, also der Zeitpunkt und die Häufigkeit der Jingles und Claims (Senderkennungen) und ihre jeweilige Form. Die moderne Radiosoftware bietet die Möglichkeit, diese Prozesse präzise und vorausschauend zu planen. So lassen sich nicht nur zu häufige Wiederholungen von Musiktiteln oder Wortbeiträgen durch Programmierung vermeiden. »In kleineren Sendern ist es durchaus möglich, dass ein Mitarbeiter mit seinem Computer das gesamte 24-Stunden-Programm im Fließbandverfahren produziert. Wer seine Ausgaben im musikredaktionellen Bereich noch mehr reduzieren will, kann sein komplettes Programm als CD-Stapel von einem Radioconsultant erwerben. Es gibt sogar schon Sender, die auf eine eigenständige Musikredaktion vollständig verzichten« (Münch 1995, 175). Nichts wird im modernen Radio dem Zufall überlassen; und vor allem wird alles akustisch gesteuert: Nicht mehr das Wort oder die Musik machen eine Formatwelle aus, sondern der Sound oder das Klangbild. »Das Klangbild ist abhängig von der Abfolge und Verdichtung der im Hörfunk akustisch wahrnehmbaren Klangelemente« (Drengberg 1993, 189). Vor allem zwei Begriffe sind für dieses moderne Klangmanagement relevant geworden: Soundprocessing, der technische Ausgleich dynamischer Unterschiede zwischen Musik und Wort durch einen Prozessor, sowie Pitching, die Veränderung der Geschwindigkeit - und damit der Wirkung - einzelner Titel um ein bis zwei Prozent. Weder die Mediennoch die Kommunikationswissenschaft haben bisher Untersuchungen zum formatierten Radioklang vorgelegt, zum Radioklang etwa der Berliner Republik. Empirisch freilich dürfte dies vor allem ein Sound aus der Kombination von Top 40 und AC, CHR, Schlager sowie Klassik sein. Auch das Inforadio kam aus den USA und existierte dort als »All-news radio« in fast jeder Großstadt. 1991 adaptierte der Bayerische Rundfunk das Konzept und gründete die Infowelle B5 aktuell. Die Welle war nach <?page no="55"?> einer Stundenuhr strukturiert. Jeder Werktag hatte die gleiche Struktur, jede Stunde war im 15-Minuten-Takt gegliedert. Immer auf 00, 15, 30 und 45 gab es Nachrichten mit oder ohne Originalton und jede Ausgabe begann mit den Topnews - ein neuer Informationstypus entstand, der durch Fakten, Fakten, Fakten und hohe Redundanz geprägt war. Nicht zufällig gelten die großen Krisensituationen als die Sternstunden der Inforadios (Krug 2002). Anfang der 1990er-Jahre wurde in Deutschland damit begonnen, eigenständige und anspruchsvolle Formatradios mit dem Schwerpunkt Wort zu etablieren. Nicht mehr die Musik, sondern ausschließlich Politik, Information, Kultur, Sport und Werbung wurden seriell organisiert. Nach den Nachrichten folgten Hintergrundberichte und Spezialangebote (Kultur, Sport). Wetter, Verkehr, Senderkennung und Werbung waren nach einem festen Rhythmus eingebaut. B5 aktuell war ein Bruch mit traditioneller Radioarbeit: Die Welle wurde von der BR-Nachrichtenredaktion vollständig abgekoppelt, das Inforadio erforderte eigene Arbeitsstrukturen zwischen Moderatoren, Nachrichtenredakteuren, Studioredakteuren und dem Chef vom Dienst. Und auch die Absicht war neu: Diese Welle richtete sich nicht mehr an den dauerhörenden Nebenbeihörer, sondern an den zappenden, bewusst einschaltenden Zuhörer. Das Wortformat »Inforadio« wurde regional sehr unterschiedlich umgesetzt. In Berlin setzte Inforadio auf einen 20-Minuten-Rhythmus, NDR Info beschränkte sich auf die Zeit von 6 bis 19 Uhr und unterbrach das Format mittags durch das traditionelle Mittagsecho. So wie die musikalischen Formate unterscheiden sich auch Infoformate durch Rhythmus, Themen und Themenspektrum, Nachrichten, Moderation und ihren spezifischen Sound. Die Formatstruktur gilt im Wesentlichen nur innerhalb der Woche, am Wochenende dominieren - ganz älteres Radio - die Wortmagazine mit dem Hintergrundwissen. 2005 etablierte Deutschlandradio Kultur mit dem insgesamt sechsstündigen Radiofeuilleton erstmals auch Kultur im Wortformat. Merksatz <?page no="56"?> Mit den Inforadios wurden erstmals eigenständige Reporterpools mit dem Auftrag aufgebaut, zu recherchieren und Themen zu finden. Inzwischen deutet sich eine weitere, technisch-organisatorisch verursachte Veränderung an: Die neu gebauten, digitalisierten Funkhäuser in Saarbrücken und Bremen bündeln in ihren nach 2006 eingerichteten Newsrooms Audio, TV und Internet. Wellenspezifisches Arbeiten wird hier - zunehmend - durch trimediales Arbeiten (wieder in Fachredaktionen) und ein herausgehobenes Themenmanagement ersetzt. Groß angelegte Themenangebote der ARD wie der Schwerpunkt Mehr Zeit zum Leben - Chancen einer alternden Gesellschaft (2008) sind hier Vorboten. Sie dauerten 2008 287 Radiostunden und 340 Fernsehstunden. Radioprogramme haben ihre jeweils spezifische Programmierung oder Formatierung. Sie orientieren sich am Nebenbeihörer; Morgenprogramm und Abendprogramm etwa unterscheiden sich vielfältig. Dieser Programmcharakter ist mit den On-Demand-Angeboten im Internet aufgelöst: hier zählt nur noch der einzelne Beitrag. Die Musik hat - schon aus Rechts- und Kostengründen - hier keine Bedeutung mehr. Die letzte Form des UKW-Radios ist das Formatradio, aus den frühen Warenhäusern, Gemischtwarenläden und Fachgeschäften sind Discounter mit beschränkter, aber standardisierter Produktpalette geworden. Ob (oder wann) sich in Deutschland ein digitales Radio etablieren kann ist offen, welche Formate die dann wohl nicht mehr regional beschränkten Formen DAB oder Digital Radio Mondiale (DRM) entwickeln könnten ebenso. Die Digitalisierung der Medien wirkt hier in zwei Richtungen: 1. Die trimedialen Newsrooms ändern das Verhältnis zwischen den Wellen; sie werden nicht mehr konkurrieren, sondern kooperieren und TV und Internet mit abdecken müssen. Welch ein radikaler Wechsel hier stattfindet, wird deutlich, wenn man sich daran erinnert, dass sich das Begleitradio gegen das Fernsehen erfand. 2. Das Internet bietet inzwischen mit Audio-on-Demand eine neue Form des Radiokonsums an. Sie ist den formatierten Strukturen entwachsen und jederzeit möglich. Das Internet erfordert also etwas, was aktuell im Radio vor allem in Häppchen angeboten wird: Inhalt oder neudeutsch: Content. Merksatz <?page no="58"?> Der Hörfunk verband seit den Anfängen sehr heterogene, eigenen Logiken verpflichtete Programmbereiche: Unterhaltung, Musik, Politik, Nachrichten, Kultur und Werbung. Diese Bereiche wurden durch Programmstrukturen mehr oder weniger fest miteinander verbunden und dienten einem Zweck: der »ständigen« akustischen »Erzeugung und Bearbeitung von Irritation« (Luhmann 1996, 174). Zum wichtigsten, allgegenwärtigen und das gesamte Programm strukturierenden Programmbereich entwickelten sich die Nachrichten. »Nachrichten berichten nicht was geschieht, sondern was andere für wichtig halten« (Bolz 1999, 21), und da es immer mehr Nachrichten als Sendezeit gab, mussten sie stets ausgewählt, selektiert und geordnet werden. Die ersten Hörfunknachrichten waren vor allem verlesene Zeitungsnachrichten. Ihre Aktualität war gering. Seit 1926 wurden die Nachrichten von der Drahtloser Dienst AG (Dradag) zentral geliefert. Sie war zu strikter politischer Neutralität verpflichtet. Die regionalen Gesellschaften waren auf der Nachrichtenebene also nationalisiert; interessanterweise hatte die Dradag keine eigenen Korrespondenten, sondern nutzte traditionelle Agenturen und schrieb deren Meldungen zu Hörfunkmeldungen um. Hörfunkgemäß hieß etwa: »Die Hörerschaft setzt sich zusammen aus allen Stämmen, Konfessionen, Ständen, Parteien und Bildungsschichten. Das Urteil über die Fassungskraft des Hörers hat sich zu richten nach den naivsten Hörern! « (Leonhard 1997, 428). Nachrichten waren anfangs selten und nur eingeschränkt politisch ausgerichtet; es waren vor allem Wirtschaftsnachrichten. Die Kölner Werag hatte täglich drei Nachrichtentermine: vormittags zwischen 10 und 11 Uhr, mittags gegen 13 Uhr und abends nach dem Abendprogramm. 1930 kam für die »werktätige Hörerschaft« ein vierter Nachrichtentermin um 21 Uhr hinzu - die Nachrichten, Meldungen und Bekanntmachungen galten grundsätzlich als staatsnah. Auch nach 1933 kamen die Nachrichten zentral von der Dradag, die nun dem Propagandaministerium angegliedert war. Mit Kriegsbeginn stieg die Zahl der Sendungen auf sieben; <?page no="59"?> 1938 gab es erstmals auch zehnminütige Angebote. Eine besondere Form der Nachricht waren nach 1940 die militärischen Meldungen, dann die Sonder- und Warnmeldungen etwa vor Luftangriffen. Nach 1945 wurden die Nachrichten regional produziert. Beim alliierten Radio Hamburg und dann beim NWDR war »News« der am schärfsten kontrollierte Programmbereich; Nachrichten waren das »journalistische Kardinalkriterium der ›Re-education‹« (Köhler 1991, 129) und machten beim NWDR etwa neun Prozent des Programms aus. Die alten Sprecherstimmen und Sprechstile blieben weitgehend erhalten - im Nachrichtensound gab es also Kontinuität. Nachrichten bringen nicht nur das Neue und Unbekannte, sondern sie irritieren auch; sie setzen - so Niklas Luhmann - »Individuen als kognitiv interessierte Beobachter voraus, die nur zur Kenntnis nehmen, was ihnen vorgeführt wird«. Nur »sozial zugewiesene Prominenz« handelt in den Nachrichten, dem Hörer wird seine passive Rolle bestätigt (Luhmann 1996, 131). 1953 gab es im Saarländischen Rundfunk neun tägliche Nachrichtensendungen, beim Süddeutschen Rundfunk wurden Nachrichten noch zu ungeraden Sendezeiten, etwa um 5: 20 Uhr oder 12: 45 Uhr gesendet und mancherorts dauerten die Nachrichten 10 oder sogar 15 Minuten. Dennoch wurden die Nachrichtenblöcke beliebter: Mitte der 1950er-Jahre hörten im Bundesdurchschnitt 55 bis 60 Prozent regelmäßig Nachrichten, vier Jahrzehnte später sollten es nur noch 50 Prozent sein. Konrad Dussel sieht die »demokratiepraktischen Verdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner ersten Phase hauptsächlich in einer umfangreichen, weitgehend unverzerrten Nachrichtenproduktion« (Dussel 2004, 213). 1960 konnte der WDR zu jeder Stunde Nachrichten anbieten - aber noch nicht auf jeder Welle. Zur gleichen Zeit erhöhte der Hessische Rundfunk die Dauer der Nachrichten in seinem ersten Programm von 105 Minuten (1961) auf 120 Minuten (1967) täglich. 41 Jahre nach dem Start des Hörfunks etablierte der Saarländische Rundfunk 1964 erstmals Nachrichten zu jeder Stunde, und zwar auf seiner Werbung sendenden, musikorientierten Europawelle; 1966 folgten NDR 2 und andere ARD-Sender. Aber es dauerte Jahre, bis sich diese stündliche Form breit durchgesetzt hatte und vermutlich brachten erst die Formatradios und ihre Philosophie des Nebenbeihörens den endgültigen Durchbruch. <?page no="60"?> Die größte Veränderung bei den Nachrichten fand in den 1960er- Jahren statt: stündlich wurden nun die aktuellen Nachrichten vermittelt. Damit war nicht nur eine neue Verlässlichkeit implementiert; alle weiteren Radioproduktionen hatten den neuen 60-Minuten-Radio-Rhythmus zu berücksichtigen. Die Stundennachrichten waren nicht mehr nur Information, sie prägten nun auch die Programmstruktur; die Neuigkeiten hatten regelmäßige Plätze, Irritation war ein serielles Ereignis im Radio. Und diese zweite Funktion änderte auch den Charakter der Nachrichten: Die Nachrichtenblöcke wurden auf Dauer kürzer und stärker auf die Topnews beschränkt, Wetter und Verkehr, Service also, kamen dazu bzw. danach. Dann wurde auch akustisch modernisiert. 1970 übernahm der Saarländische Rundfunk eine amerikanische Praxis und erweiterte seine nur gelesenen, »klassischen Nachrichten« durch sogenannte Originalton- oder O-Ton-Nachrichten. Es verlas nun kein Chef- oder Nachrichtensprecher mehr das Neueste, sondern Originaltöne wurden zunächst angehängt und dann eingebaut. Ein O-Ton war alles, was nicht im Nachrichtentext stand. Was in Saarbrücken als Nachricht »neuen Stils«, gar als »Revolution« verstanden wurde, wurde innerhalb der ARD konsequent abgelehnt - denn mit den O-Tönen drang die Subjektivität des Sprechenden in den um Objektivität und Neutralität bemühten Nachrichtenstil. Erst die Privatradios popularisierten nach 1986 diesen Sendungstyp und nutzen ihn durchweg. Öffentlich-rechtliche Wellen übernahmen die neue Form langsam und gezielt. Heute werden - je nach Welle, Format und Tageszeit - Nachrichten mit und auch ohne O-Töne ausgestrahlt. Nachrichten gelten einerseits als eine journalistische Grundform im Radio, andererseits ist der Anteil der »selbst erarbeiten Fakten und Daten« seit den Anfängen eher gering. Der Hörfunk konzentrierte sich auf die Verbreitung, Zeitungen und Radio recherchieren und positionieren - wie Hans Mathias Kepplinger (1985) zeigte - durchaus unterschiedlich. Die Menge der zu verarbeitenden Nachrichten und Daten wuchs dabei in den letzten Jahrzehnten enorm: Die Deutsche Presseagentur (dpa) lieferte 1963 in ihrem Basisdienst etwa 150 Meldungen, 1993 waren es 400. Die Nachrichtenzentralredaktion des SWF-Hörfunks erhielt 1993 über 2.000 Meldungen pro Tag. Merksatz <?page no="61"?> Nachrichten vermittelten in Deutschland traditionellerweise das Politische im engeren Sinne. Sie wurden - akustisch - in einem spezifischen, fast hoheitlichen Sicherheitston von Männern gelesen und sollten objektiv und wahr sein sowie das Wesentliche berücksichtigen. Dass die »Regierenden« bevorzugt zu Wort kommen, liegt etwa für Bernd-Peter Arnold, den langjährigen Nachrichtenchef des Hessischen Rundfunks, in der »Natur der Sache. Eine Partei, die die Regierung stellt, hat nun einmal mehr Gelegenheiten, ›politisch Relevantes‹ zu äußern. Sie hat vor allem Möglichkeiten, ›Fakten‹ zu schaffen, an denen der Nachrichtenjournalist nicht vorbeikommt« (Arnold 1981, 57). Seit die Nachrichten in den 1970er-Jahren ein Strukturelement der neuen Service- und Popwellen wurden, veränderte sich ihr Charakter wellenspezifisch immer wieder. Die Servicewellen erforderten hörerbezogene Informationen, die Jugendwellen knappste Daten, die Lokal- und Landeswellen bevorzugten das Lokale, die Inforadios das eigentlich Politische und einige Wellen ersetzten die Nachrichten durch »News«. Radionachrichten vermitteln also spätestens seit den 1970er-Jahren nicht mehr »die Wahrheit«, sondern sie vermitteln zielgruppenspezifisch selektierte und nach dramaturgischen Gesichtspunkten geordnete Informationen. Es entwickelte sich, so eine empirische Analyse 2005, »eine deutliche Korrelation zwischen Anmutung und Zielgruppe eines Senders sowie seiner Nachrichtengebung« (Volpers 2005, 122). Seit den 1970er-Jahren gab es immer wieder Debatten um die Verständlichkeit von Nachrichten (Horsch 1994). Sie führten zu vielfältigen und stillen Neujustierungen in Stil, Struktur, Tempo, Musikbett und Timbre der Blöcke, ohne die zentrale Funktion von Nachrichten zu verändern: die permanente (und professionelle) Erzeugung von Irritationen. 1998 ersetzte der Saarländische Rundfunk die traditionellen Nachrichtensprecher durch die verantwortlichen Nachrichtenredakteure, andere Sender folgten. Spätestens um die Jahrtausendwende waren Nachrichtenblöcke Kombinationen aus Nettonachrichten und anderen Bestandteilen wie Jingle, Begrüßung, Teaser, Name des Nachrichtensprechers (Bruttonachrichten). Sie lagen (2005) in Norddeutschland zwischen 9,3 (NDR 90,3) und 26,7 Prozent (Ostseewelle). <?page no="62"?> Nachrichtensendung ist nicht gleich Nachrichtensendung. »Die Nachrichten« folgen nicht nur spezifischen, professionalisierten Nachrichtenwerten; sie unterliegen auch den Formatvorgaben der Wellen und haben sich - je nach Welle - insgesamt vom traditionell Politischen entfernt. Auch die Vorstellungen darüber, was mitteilungswert sei, änderten sich im Verlauf der Jahre. Neben die Berichte über Kanzler, Minister und Parteien trat auch - je nach Welle - Regionales, Lokales, Boulevardeskes und Spektakuläres. Die (empirische) Lage ist auch hier unübersichtlich. 2005 entfielen in norddeutschen Vollprogrammnachrichten 51 Prozent auf politische Sachthemen, 22 Prozent auf Human Touch, 16 Prozent auf gesellschaftliche Sachthemen und 9,5 Prozent auf Sport. Doch zwischen den Wellen haben sich erhebliche Differenzierungen herausgebildet. Das Inforadio B5 aktuell etwa sendet täglich knapp 100 Nachrichtenausgaben, 4 pro Stunde. Einige Privatradios verzichten inzwischen auf eigene Nachrichten: RSH, das 1986 als Marketinggag und Alleinstellungsmerkmal gegen den NDR die Nachrichten »fünf vor« einführte, besitzt keine Nachrichtenredaktion mehr, sondern kauft sie bei einem Hörfunkdienstleister für Nachrichten; Lokalradios wie Antenne Unna oder Radio Bonn erhalten ihre Nachrichten vom Mantelprogrammanbieter Radio NRW. Bei einigen Jugendwellen und Privatsendern haben »Hörfunknachrichten immer mehr die Bedeutung von Teasern« (Bauer 2004, 10); ihnen bieten, so könnte man paraphrasieren, »anhaltende Traditionen der Radiogeschichte« nur noch »die Hülle« (Hagen 2005, 379). Merksatz <?page no="64"?> Das frühe Radio vermittelte politisch vor allem die Entscheidungen der Regierungen und Parlamente. Dies änderte sich nach 1945 und dann vor allen seit den 1960er-Jahren. Die Bedeutung von Politik stieg in den Programmen quantitativ; Politik ergriff zugleich immer mehr Radioformen (Magazine, Jugendsendungen, Bildungsangebote). Fast alles konnte auch politisch werden: der Begriff Politik diffundierte und wurde mehr und mehr lebenspraktisch ausgerichtet. Heute ist (Hoch)Politik vor allem ein Angebot spezialisierter, hörerärmerer Informationswellen. Der Hörfunk der Anfangsjahre verstand sich ganz bewusst als unpolitisch. Die Nachrichten kamen von einer staatlichen Organisation, aktuelle Berichterstattung gab es kaum; politische Informationen wurden vor allem durch Vorträge weitergegeben. Vorträge gehörten vor 1933 zu den wichtigsten Programmelementen, ihr Umfang an den Radioprogrammen lag etwa in Berlin bei bis zu 20 Prozent. Gerne wurden populäre Politiker wie Außenminister Gustav Stresemann oder Reichspräsident Paul von Hindenburg damit betraut. Für Meldungssendungen, für Aktuelles sowie für die Sportberichterstattung war der »Zeitfunk« zuständig, der 1925 zwischen 5 und 18 Prozent der Programme stellte. 1924 richtete die Funk-Stunde die erste Wahldienst-Nacht zur Reichstagswahl ein; sie dauerte von 20 bis 2 Uhr und galt Beobachtern als die politische Taufe des Rundfunks. Gerne wurden Reportagen von nationalen Feiertagen gesendet, z. B. Berichte über den Besuch von Hindenburgs in Bochum nach der Räumung des Ruhrgebiets (Werag, 1925) oder über die mitternächtliche Befreiungsfeier nach Abzug der britischen Truppen in Köln 1926. Die eigenständige, themensetzende Macht der Medien insgesamt war noch gering; in der »Reihenfolge der <?page no="65"?> Herrschaftsausübung« (»Absicht - Handlung - Wirkung - Medien«) standen sie noch am Ende (Schelsky 1983, 53). Die ersten eher aktuellen Sendungen entstanden 1927: die Norag in Hamburg richtete die Aktuelle Stunde ein, die seit 1928 täglich vor den Spätmeldungen über (Natur-)Katastrophen, Sportereignisse und Wirtschaftsgeschehen informierte. Der Inhalt war der Seite »Vermischtes aus aller Welt« in den Tageszeitungen vergleichbar. Relevanter waren die Übertragungen von nationalen Feiertagsveranstaltungen oder Sendungen über Zeppelinflüge; interessanterweise waren es gerade dem Sport nahe Reporter wie Paul Laven oder Bernhard Ernst, die auch für politische Reportagen Vorbildcharakter erlangten. Zur aktuellen Berichterstattung gehörte es früh, »eigene Spannungsbögen in das Geschehen einzubauen« (Gethmann 2006, 119) und notfalls auch zur Simulation, zur Fiktion, zur Täuschung zu greifen. Alfred Braun, der Starreporter des frühen Berliner Hörfunks, berichtete 1928 live über die Ozeanflieger Köhl und Hühnefeld vermeintlich von einem irischen Flugplatz. In Wirklichkeit stand er auf dem Dach des Berliner Funkhauses, die irische Atmosphäre wurde mit Berliner Straßenlärm und Plattenaufnahmen aus einem irischen Fußballstadion simuliert. Politik ist im Hörfunk schon sehr früh mit Liveberichterstattung, Sensationen und Katastrophen, mit Inszenierungen sowie bewusstem Erzählen, kurz: mit akustischem Storytelling, verbunden. Welche - frei nach Luhmann - »Realität des Hörfunks« auf politischer Ebene dabei entstand, ist bisher noch nicht zum Thema gemacht worden. 1931 wurden erstmals Ausschnitte aus Reichstagssitzungen gesendet - in der Sendung Rückblicke auf Schallplatten; Liveübertragungen kamen noch nicht zustande. 1932 wurde die Stunde der Reichsregierung eingerichtet - zwischen 18: 30 und 19: 30 Uhr waren alle Rundfunkgesellschaften zur Übertragung dieser Sendung verpflichtet. Die Politik im Hörfunk war regierungsnah, überregional und über weite Strecken staatlich; Kontrollausschüsse überwachten das Programm. Das Weimarer Radio hatte politisch ein deutlich eingegrenzteres Spektrum als die Tageszeitungen und ein anderes als die Parteizeitungen. Die Berichterstattung nach 1945 war - anders als beim Hörfunkstart 22 Jahre zuvor - ausdrücklich politisch. Das »Wort« machte beim alliier- Merksatz <?page no="66"?> ten Radio Hamburg mehr als 50 Prozent des Programms aus, Hauptbestandteile des NWDR-»Zeitfunks« waren Nachrichten, Berichte und Kommentare. Da es wenig Nachrichtenmaterial gab und Originaltöne schon technisch schwer zu beschaffen waren, gewann der subjektive Kommentar im Nachkriegshörfunk eine bisher nicht gekannte Bedeutung. Die politischen Sendungen der Nachkriegsjahre waren erheblich durch meinungsfreudige Kommentare geprägt, die Glossen waren auch mal bissig. Gerade die frühen Kommentatoren, ob Axel Eggebrecht, Peter von Zahn, Peter Bamm, Walter Steigner, Walter von Cube oder Carola Stern, wurden in der politischen Szene berühmt und manchmal auch legendär. Gregor von Rezzori hat einmal vom »Chor der Mahner der Warner der Prediger der verzückten Weltverbesserer und Apokalyptiker« geschrieben. Zugleich waren die Kommentare aber auch »ein ständiges Ärgernis«. Denn anders als bei den Zeitungen, die ja gegeneinander konkurrierten, hatte der Hörfunk keine akustische Konkurrenz. Außenkonkurrenz musste durch Binnenkonkurrenz, eine Meinung durch eine konträre ergänzt werden, damit kein Manipulationsverdacht entstehen konnte. Niklas Luhmann hat die These entwickelt, dass Medien in modernen Gesellschaften nicht manipulieren, sondern Themen setzen, zu denen sich Hörer dann verhalten können. »Die Themen, nicht die Meinungen sind entscheidend« (Luhmann 1996, 126). Doch bevor der Hörfunk sich an dieser Themensetzung beteiligte, machten dies natürlich schon andere: der Staat, die Zeitungen und die Parteien. Und neben dem Radio platzierten sich dann auch noch das Fernsehen und die moderne Mediendemokratie. Diese Konkurrenz ist bis heute geblieben, das Radio aber hat gegenüber den anderen Mitspielern deutlich an Kraft verloren, um Themen setzen zu können. Die Geschichte der Hörfunkkommentare und der damit verbundenen Konflikte ist noch nicht geschrieben. »Ohne Unterlass«, so steht in einer Geschichte des NDR, »erfolgte externe Kritik aus Politik, Parteien und Wirtschaft an einzelnen Kommentaren … Die Besetzung von Stellen, vor allem von Kommentatorplätzen, geriet verstärkt zur ›Personalpolitik‹« (Köhler 1991, 179), - das waren die ersten Positionierversuche der Parteien, weitere sollten in anderen Zusammenhängen folgen. Zunächst nahm erst einmal die Neigung zu prononcierter Politikkommentierung um 1953 stark ab. Parallel dazu entstanden - in Weimarer Tradition - <?page no="67"?> regierungsnahe Politikformate: Wo uns der Schuh drückt (SFB, 1951), Fragen Sie doch die Bundesregierung (SDR) oder Postfach 100 (SWF). Politik wurde nach 1945 in spezifischen Einschaltsendungen behandelt - sie gelten heute als »Kennzeichen eines neuen Selbstverständnisses des Mediums Radio« (Halefeldt 1999, 215). Bereits kurz nach Kriegsende gab es bundesweit erste »Zeitfunk«- Sendungen. Beim NWDR wurde nach britischem Konzept 1946 das Echo des Tages eingerichtet, das von Köln über Hamburg bis Berlin gehört werden konnte. Die Sendung fasste zwischen 18: 35 und 19: 00 Uhr den Tag zusammen, behandelte alle denkbaren Themen, war meinungsbetont und entwickelte sich dann zu einem Markenzeichen von WDR und NDR. Die Liste der Mitarbeiter ist ebenso legendär wie die Nähe der politischen Radiosendungen zum Pressejournalismus. So wie die frühe Radiokultur den Anschluss an die gedruckte Gutenberg-Galaxis suchte, orientierte sich die Hörfunkpolitik an jener zeitungsorientierten politischen Öffentlichkeit, der der »Abstand zum gedruckten Wort« (Habermas 1965, 215) noch grundlegend war. Politische Berichterstattung war also nicht zuletzt gesprochene Zeitung: »Ich fing an, Hörfunkberichte für das Echo des Tages zu schreiben, so wie ich früher meine Reportagen für die Zeitung geschrieben hatte«, erzählte Lothar Loewe einmal. »Ich ging dann ins Studio und habe sie auch selbst gesprochen. Manchmal brauchte ich dafür drei oder vier Anläufe«. Die politische Berichterstattung fand nach 1945 bevorzugt am Vorabend statt; sie war ein Mittelwellenangebot, konkurrenzlos und am gelesenen Text, am Zeitungsjournalismus orientiert. Die Informationen wurden weitgehend aus den damals vorhandenen Mediensystemen übernommen; die Aktualität war - schon aus technischen Gründen - eher gering. Auslandsberichte wurden zum Teil noch per Post in die Sender geschickt und dann durch Sprecher verlesen. Ein enger Politikbegriff bestimmte die politischen und die »Zeitfunk«- Angebote, Parteien und Parlamente, der engere Politikbetrieb, prägten die Angebote - analog zur Hochkultur könnte man hier von der Hochpolitik sprechen. Ein »Zusammenwirken von Politik und Medien«, ja eine Merksatz <?page no="68"?> »Kumpanei« (Ziegler 2001, 1488) war für die ersten Jahre des politischen Radiojournalismus in Bonn nicht untypisch. Die Programmschablonen - und damit die gesellschaftlichen Vereinbarungen darüber, was die Hörer hören sollten - variierten von Sender zu Sender, von Land zu Land. Der SDR etwa hatte um 18 Uhr Von Tag zu Tag. Berichte vom Zeitgeschehen eingerichtet - 30 Minuten mit 15-minütigen Nachrichten sowie 15 Minuten mit Kommentaren und Berichten - und erreichte damit in den 1950er-Jahren 30 Prozent der Hörer. Aber schon Anfang der 1960er-Jahre hatten die aktuellen politischen Sendungen am stärksten mit rapidem Hörerwechsel zum Fernsehen zu kämpfen. Bereits in den 1970er-Jahren verband man diese politische ARD-»Qualität« auch mit »Sterilität«. In den 1980er-Jahren wurden die politischen Magazine vor allem in den - von anderen Wellen inzwischen in der Beliebtheit überholten - ersten Programmen gesendet: Chronik des Tages (BR 1), Heute Aktuell (hr1), Aktuelles vom Tage (SFB 1) oder Tribüne der Zeit (SWF 1). Noch immer gegen 18 oder 19 Uhr, noch immer etwa 30 Minuten lang. Und das Echo des Tages wird noch heute auf NDR Info ausgestrahlt - das traditionelle »Zeitfunk«-Konzept hat alle gesellschaftlichen, politischen und medialen Veränderungen überstanden. Der Hörfunk lieferte nach 1945 neben den harten, parlaments- und parteienbezogenen politischen Nachrichten früh auch Regional- und Lokalinformationen. Die Hörernachfrage nach diesen »integrierenden« Berichten war enorm und führte auf Dauer zu neuen Nachrichtenformen abseits des strikt Politischen. Die politischen Hörfunksendungen widmeten sich nicht nur der nationalen und internationalen Politik. Viel wichtiger dürften für die Hörer jene Informationssendungen gewesen sein, die sich der regionalen Lebenswelt widmeten und ausdrücklich den regionalen Zusammenhalt fördern sollten. Bereits 1945 wurde die Sendung Rundschau aus dem Hessenland (HR) eingerichtet, zunächst um die Bevölkerung mit regionalen Informationen zu versorgen und ein Hessenbewusstsein bei den Hörern zu erzeugen. Über den Sound dieser Regionalnachrichtensendungen weiß man nur wenig, das über Jahrzehnte »nahezu unveränderte« Journal aus Hessen galt Anfang der 1960er-Jahre als »Herzstück« der HR-Regionalinformationen und war eine der beliebtesten Sendungen. Beim WDR übernahm die von Werner Höfer konzipierte Reihe Zwischen Merksatz <?page no="69"?> Rhein und Weser ab 1950 ähnliche Aufgaben. Später entstanden vielfältige Regionalsendungen, die unter dem Stichwort »News you can use« andere Berichterstattungsformen zu positionieren versuchten: statt Meinungen Fakten, statt des Primats der (großen) Politik bürgernahe Informationen. Früh wurden neben den Hardcoreangeboten neue politische Formen ausprobiert. 1952 startete Werner Höfer seinen Internationalen Frühschoppen, der seit 1953 (bimedial) auch im Fernsehen und damit bundesweit übertragen wurde. Das Format illustrierte nicht nur die gestiegene Macht des Journalismus, sondern auch die der Metadiskurse: Politik wurde zum Gegenstand professioneller Plauderei am Sonntag. Bis 1987 übertrug auch das Radio diese talkshownahe Gesprächsrunde quasi als Tonspur. Als Radioformat aber sollte sich der Talk in Deutschland nicht durchsetzen. Die entscheidenden Veränderungen für den traditionellen politischen Radiojournalismus brachte die Etablierung der Magazine. RIAS Berlin, Saarländischer Rundfunk und Westdeutscher Rundfunk sendeten als erste die neue und - wie man gerne hervorhob - aus dem amerikanischen Privatfunk adaptierte Form; doch auch in der deutschen Hörfunktradition gab es in den Sportsendungen längst diese Mischung aus Liveradio, Bericht und Musik. Deren Wettbewerbsberichterstattung sollte sich bald zum politischen Horce-Race-Journalism etwa in Wahlkampfzeiten professionalisieren. Die Magazinisierung des Hörfunks begann 1965 mit dem Mittagsmagazin auf WDR 2, wurde 1967 mit dem doppelmoderierten Morgenmagazin fortgesetzt und ergriff langsam auch andere Programme und Sendeplätze. Magazine hatten stündliche Nachrichten, dauerten 2 bis 2,5 Stunden, wurden live moderiert und hatten hohe, damals noch weitgehend nichtpopmusikalische Musikanteile. Vom vorlesenden Sprechfunk zum gesprochenen Wort, vom Verkünden zum Reden, so wurde damals die neue Form (selbst) beschrieben. Diese »klassischen« Magazine waren, so der Magazinpionier Dieter Thoma, zunächst vor allem »tagesaktuelle Sendungen mit Beiträgen aus nahezu allen Ressorts bei starker Betonung des politischen Geschehens«. Der oberste Grundsatz dieser Sendungen war: »So schnell, so genau, so kurz und so verständlich wie möglich« sowie: »Anstöße« geben. Zugleich gingen Hochpolitik und Unterhaltung eine Verbindung ein. »Unterhaltendes gehört in die Vielfalt der Information« (La Roche 1993, 183f). <?page no="70"?> Die Formen der politischen Information wurden immer wieder geändert, etwa wenn neue Radioformen entstanden oder neue Generationen Leitungsfunktionen übernahmen. Die veränderungskonservative traditionelle Berichterstattung der politischen Leitwellen (erste Programme) wurde seit den 1960er-Jahren durch Formen ergänzt, die das Infotainment, die Mischung von Information und Unterhaltung, privilegierten. Die 1960er- und 1970er-Jahre brachten auch im Hörfunk einen exorbitanten Zuwachs an Informationen. So stieg beim Hessischen Rundfunk das Programmbudget des »Zeitfunks« von 30 Minuten (1961) auf 75 Minuten (1967) täglich. Aber das war nur die eine Seite. Die neuen Magazine wurden von einer damals jungen, um 1930 geborenen Generation von Radiojournalisten gegründet; die Gleichstellung von Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Musik wurde - bisher unbeschrieben - in »einem harten Kampf gegen die alte Garde der politischen Redakteure und Fachleute« (Katz 2006, 2; 66) durchgesetzt. Mit der Zunahme der Informationen betraten nicht nur neue Macher die Radioredaktionen, auch die Infoformen veränderten sich. Als 1971 die Autofahrer- und Servicewelle Bayern 3 startete, fand die erste folgenreiche Neuorientierung statt: Informationen wurden nun an »der aktuellen Verwendbarkeit des Hörers« (Zöller 1981, 22) ausgerichtet; Informationen mit Servicecharakter boomten, vom Verkehrshinweis bis zur »Brieftaubenauflasszeit« oder der »Zuckerrübenbauern-Frostwarnung« war fast alles sendefähig. Bei dem - ohne personelle ›Altlasten‹ - neu gegründeten poporientierten Vollprogramm SWF 3 (1975) wurde dann auch der Moderationsstil radikal auf die Musik abgestimmt und die Themen wurden nach Betroffenheit und Gesprächswert ausgewählt. Der Unterhaltungswert des 24-stündigen »Mammutmagazins« wurde hervorgehoben, durch die Magazinstruktur konnten aktuelle Ereignisse jederzeit berücksichtigt werden. SWF 3 definierte sich als »Hörfunkprogramm mit Service-Funktion und journalistischem Anspruch« (Stockinger 1981, 67). Bald galt für diese Sendeform der Terminus »Infotainment«, die Mischung von Information und Unterhaltung. Merksatz <?page no="71"?> Und dann veränderten - quasi ohne politisches Mandat - auch noch die Redaktionen der Jugendjournale die politische Berichterstattung. Ob im Der 5-Uhr-Club (NDR), der Radiothek (WDR, 1974) oder im Zündfunk (BR): Radikalenerlass, Brokdorf, Bürgerinitiativen, Wackersdorf, Herbst 1977, Sexualität, Drogen - das waren hier die immer wieder äußerst umstrittenen Themen, ehe die meisten dieser Sendungen dann (nach großen Protesten) in den 1980er-Jahren eingestellt wurden. Diese Jugendsendungen prägten eine neue, nicht auf diese Jugendsendungen beschränkte Berichterstattungsform: den Protest gegen Politik (statt der Chronologie der Politik etwa in den Echo-Sendungen). Auch im Hörfunk fand statt, was der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger in einer sehr anregenden Studie die »Demontage der Politik« genannt hat. Anfang der 1970er-Jahre war Insidern klar, dass das (technisch bedingte) Freiwerden von Radiofrequenzen zu einer Aufweichung des öffentlichrechtlichen Hörfunkmonopols führen würde und dass die »Integrationsfunktionen« des Hörfunks neu bestimmt werden müssten. Die Fülle neuer Informations- und Servicesendungen führte seit Anfang der 1970er-Jahre zu einer »inhaltlichen Entgrenzung des Politischen«, gar »nicht selten« neigten die Magazine dazu, »nahezu alle Beiträge zu Gesprächen unter Journalisten« (Arnold 1981, 85) zu machen. Hier begann früh eine Selbstbezüglichkeit, die sich Ende der 1990er-Jahre verfestigen und professionalisieren sollte und den Hörfunk so an die anderen Medien Fernsehen, Buch, Zeitung oder Internet anband. Neue - vor allem in den Bereichen Kultur und Bildung initiierte - Sendeformen wie Hallo Ü-Wagen (WDR 2, 1974) wollten den »Betroffenen« Raum geben und setzten neue Themen (etwa Umwelt, Randgruppen). Die öffentliche Meinung wurde peu à peu durch die Meinungen organisierter Minderheiten ergänzt; zeitgleich begann eine »Feminisierung der politischen Öffentlichkeit« (Bolz 1999, 20). In den 1970er-Jahren kam es zu lange andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien und dem Hörfunk um Ausgewogenheit und Objektivität. Das Hörfunksystem und die Programme wurden nach dem Links-Rechts-Schema und nach Parteizugehörigkeiten beobachtet: 1972 galt der Hessische Rundfunk als »Regierungsfunk Hessen«; der BR wurde zum »Schwarzfunk«, der WDR und dann der NDR wurden zum »Rotfunk«, ehe 1981 die Politikabteilung in Hamburg aufgespaltet und ein Teil der Kompetenzen auf die neuen Regionalwellen verlagert wurde; selbst bei der jungen Welle SWF 3 sah man die »Begehrlichkeit der Politiker und der sich als Politiker verstehenden Journalisten« (Stockinger 1981, 66) wachsen. Biografische Einblicke bieten Franz Barsig (1981) und Heinz Burghart (1993). <?page no="72"?> Dennoch galt Anfang der 1980er-Jahre die Themensetzungsfähigkeit des Radios als vernachlässigbar. Als »Faktor der öffentlichen Meinung«, so 1983 SWF-Intendant Willibald Hilf, sei der Hörfunk »im Vergleich zu den Zeitungen, den Zeitschriften und dem Fernsehen nur noch gering zu veranschlagen«. Die Etablierung des dualen Systems 1986 veränderte am politischen Stellenwert, an der Themensetzungsfähigkeit des Hörfunks nur wenig, zumal das öffentlich-rechtliche und das private System auf dem Nachrichtenfeld kaum und auf dem Informationsfeld nicht miteinander konkurrierten. Die 1980er-Jahre waren für den ARD-Hörfunk eine »Phase des Stillstands« und dann des Schocks. Der Umfang der öffentlich-rechtlichen Politikberichterstattung aber war enorm. Folgt man den offiziellen Daten waren es ARD-weit 1987 1.676.262 Minuten oder 11 Prozent des Gesamtprogramms; Politik hatte den größten Programmanteil. Und jeder Sender hatte große Hauptabteilungen für »Politik«, »Politik und Aktuelles« oder »Politik und Zeitgeschehen«. Das Privatradio hingegen hatte außerhalb seiner Nachrichten- oder »News«-Flächen nur wenig Platz für Politik, seine »Mechanismen« waren auch in Deutschland »völlig unjournalistisch« (Hagen 2005, 302). Diese Gegenposition zum öffentlich-rechtlichen Politikverständnis beschrieb Rainer Canabis, der erste Programmdirektor bei Radio Hamburg, 1986: »Ich werde das, was ich bei SWF 3 praktiziert habe, in Hamburg platzieren … natürlich ohne politische Indoktrination.« Politik und politische Informationen waren lange Teil der populären Wellen: der Mittelwellenvollprogramme der 1950er-Jahre oder der popmusikalischen Informationswellen seit den 1970er-Jahren. Dann kam es zu folgenreichen Neupositionierungen: Das Wort wurde zum Stopset, zum Ausschaltgrund. Auch die Politik erhielt ihre eigenen, wortformatierten Wellen. Ende der 1980er-Jahre begann die Neuverteilung der traditionellen, überregionalen Politik. Sie wurde aus den populären Angeboten herausgenommen und erhielt eigene, neue Infowellen. Diese Entwicklung begann 1989 mit der Gründung der Wortwelle NDR 4, 1991 folgte das erste reine Inforadio B5 aktuell, dann breitete sich die Idee des reinen Nachrichten- Merksatz <?page no="73"?> radios fast in der ganzen ARD aus und führte zu einer enormen Ausweitung der Politikberichterstattung. 1998 war das Politikvolumen - mit den neuen Ost-Sendern - auf 4.857.160 Minuten (16,5 Prozent) gestiegen; parallel wurde auch die Politik einem heftigen Rationalisierungsprozess unterzogen: Die Sendeminute Politik, die 1987 180 DM kostete, war nun für 105 DM zu haben. Die Politik (außerhalb der Nachrichten) wurde innerhalb der ARD seit den 1990er-Jahren zunehmend den Infowellen zugeordnet. Diese wiesen 1998 zwischen 43 (NDR Info) und 91 Prozent (MDR Info) ihres Programms als »Politik« aus und vermittelten sie im strengen und engen Schema der Stundenuhr. Dann verschwand die »Politik« aus den Statistiken der »ARD-Jahrbücher«. Seit 2000 werden - den Programmstil nachvollziehend - nur noch »Information und Service« ausgewiesen. Eine besondere Position nahm der zum ZDF gehörende Deutschlandfunk ein, der politische Informationen national vermittelte und 1998 auf einen Politikanteil von fast 34 Prozent kam. Private Inforadios konnten sich nicht etablieren, auch wenn wie beim Berliner Inforadio 101 »RSH«, der »Tagesspiegel«, die »Süddeutsche Zeitung« und die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« Gesellschafter waren. Mit den Inforadios wurden auch die Nachrichten und der »politische Hintergrund« dem Format unterworfen: Nachrichten gab es im Viertelstunden- oder 20-Minuten- Takten, jede Stunde und jeder Tag waren sekundengenau getaktet, der Rahmen blieb konstant, die Ereignisse veränderten sich. Die Konzepte der Inforadios unterschieden sich zwar in Feinheiten; alle folgten aber dem Prinzip »Top News only« und konzentrierten sich auf Fakten, Fakten, Fakten. Inforadios - so könnte man sagen - schaffen »Verlässlichkeit durch Redundanz« (Bolz 2007, 48), sie stabilisieren durch ständig neue Informationen. Moderatoren führen durch die Neuigkeiten; die Ästhetik dieser Wellen ist eher nervös, aufgeregt, amerikanisch - die von B5 aktuell empfohlene Hördauer betrug 15 Minuten. Die Infowellen erreichen heute Marktanteile zwischen zwei und rund acht Prozent und sind vor allem in Großstädten populär. Im Vergleich zu den 1950er-Jahren hat die Politik quantitativ gewonnen, es gibt mehr politische Sendungen - aber entschieden weniger Hörer. Da die »großen Themen auf allen Kanälen sehr ähnlich behandelt werden« (Hondrich 2001, 158), kann das offenbar in der Gesellschaft folgenlos bleiben. <?page no="74"?> Unterhaltung ist im Hörfunk vor allem musikalische Unterhaltung, die von Liveaufführungen, Schallplatten, CDs oder aus dem Computer kommt. Wortorientierter und radiogemäßer waren die Bunten Abende des frühen Radios, später die Quizsendungen, Krimis oder Dialekthörspiele. Seit den 1960er-Jahren sollten nicht mehr nur die expliziten Unterhaltungssendungen unterhalten, sondern auch die anderen Programmangebote; fast alle Programme wurden deshalb nach und nach »unterhaltender«. Dies führte zum Abbau der traditionellen, eigenständigen und vor allem abendlichen Radiounterhaltungsformen. Im modernen Formatradio ist die Comedy die letzte Oase erzählender Unterhaltung. Sie dauert nur noch wenige Minuten. Bis zum Jahr 1926 sprach man in Deutschland vor allem vom »Unterhaltungsrundfunk«, erst dann wurde offiziell der Terminus »Rundfunk« eingeführt. Schon in der ersten Sendung am 29. Oktober 1923 spielte man Musik, man unterhielt also. Unterhaltung gehörte seit den Anfängen zum Radio, aber auch die Bereiche Kultur, Nachrichten, Werbung gehörten seit Anbeginn dazu. Eine gemeinsame (Hörfunk-)Technik vermittelte sehr unterschiedliche Programmbereiche mit sehr eigenen Funktionen. Die Unterhaltung bot im Medium der Fiktionalität Handlungen an, die es dem Hörer überließen, »ob er daraus Rückschlüsse auf sich selbst oder ihm bekannte Personen ziehen« wollte »- oder nicht« (Luhmann 1996, 132). Unterhaltung im Hörfunk war vor allem durch Musik geprägt, dann durch Wort und oft auch durch beides. In den Anfangsjahren unterschied man zwischen »leichter« und »anspruchsvoller« Unterhaltung. Erstere hatte 1925 im Programm der Orag einen Programmanteil von 37,3 Prozent, Letztere kam auf 10,1 Prozent. Über die Unterhaltungsfunktionen des Hörfunks ist fast nichts bekannt, die Geschichte der Radiounterhaltung (gerade auch in Konkurrenz <?page no="75"?> zu den anderen Hörfunkbereichen) liegt weitgehend im Dunkeln. Den ersten Programmmachern fehlten noch die Vorbilder. Die Schallplatte war neu und immer ein Einzelwerk, Kaffeehauskonzerte waren populär und so orientierte man sich zunächst an nichtmedialen Gewohnheiten und experimentierte. Man wies der Unterhaltung früh spezifische Sendeplätze zu. In den Weimarer Hörfunkjahren gab es wie im Kaffeehaus zunächst Nachmittagskonzerte gegen 17 Uhr, langsam wurden der Mittag mit den werktäglichen Werbekonzerten und der Morgen entdeckt. 1929 wurde Das Hamburger Hafenkonzert von der Norag urgesendet. Die Sonntagmorgensendung wurde rasch von anderen Sendern übernommen und existiert bis heute. (Seemanns-)Musik, Reportagen, O-Töne aus dem Hafen und die Glocken des »Michel« (vom Band) gingen früh eine besondere funkische, regional-nationale Verbindung ein. Radio war schon in den Anfängen nicht nur Radio. Mit der Schallplatte wurde erstmals ein massenindustriell und privatwirtschaftlich produziertes Produkt in den gebührenfinanzierten Hörfunk integriert. Hitparaden und Hitradios sollten sich später ausschließlich auf Schallplatten und dann CDs beschränken. Die Unterhaltungsmusik wurde zunächst von Kapellen und Tanzorchestern vor allem live gespielt und sofort gesendet; dann begann man zur Qualitätssicherung stetig stärker Schallplatten einzubeziehen. Der Hörfunk sendete damit fertige Produktionen, die außerhalb des Radios entstanden waren, der Sound des Hörfunks war über weite Programmstrecken massenindustriell und privatwirtschaftlich hergestellt. 1927 lag der Schallplattenanteil am Programm der Kölner Werag bei 7 Prozent, im Sommer 1931 waren es etwa 13 Prozent; Ende der 1960er-Jahre kamen beim NDR 25 Prozent der Musik von Platten. Längst waren Hörfunk und Schallplattenindustrie eine »Symbiose« (Manfred Jenke) eingegangen, die bis in die 1980er-Jahre dauern sollte. Erst das Formatradio mit seinen wirtschaftlichen, nicht mehr musikalischen Regeln löste die Symbiose auf. Das schmale Raster der Popwellen bot nur noch für wenige CD-Produktionen Sendeplätze. Der wichtigste Sendeplatz war auch für die Unterhaltung der Abend - aber schon die frühen Programmmacher griffen zu raffinierten Schematisierungen. »Man wird der Unterhaltung zweckmäßig zwei volle Merksatz <?page no="76"?> Abendsendungen, drei einstündige Abendeinleitungen, am besten von 8 bis 9 Uhr, und zwei Spätnachmittagsstunden einräumen«, schlug Kurt von Boeckmann, der Intendant der Deutschen Stunde, 1929 in München vor. Auch die Unterhaltung war regional sehr spezifisch positioniert und gemacht. Schon in den ersten Sendemonaten entstanden die Bunten Abende. Sie waren dem traditionellen Kulturleben abgeschaut und vermischten »Kabarettelemente wie Chanson, heitere Rezitation und Conférence mit populären Schlagern und Operettenmelodien« (Leonhard 1997, 1013). Sie entwickelten sich dann seit den 1930er-Jahren zum festen und populärsten Programmangebot aller Sender. Leichte Unterhaltung und Bunte Abende machten bei der Werag rund 35 Prozent des Programms aus. Seit 1929 wurden dann auch prominente Humoristen und Kabarettisten in die Studios geholt, separat gesendet oder in Bunte Abende integriert: Claire Waldoff, Theo Lingen, Willi Schaeffers, Ferdl Weiß. Erst allmählich - noch wurde samstags gearbeitet - entdeckte die Unterhaltung das Wochenende als vorzüglichen Sendeplatz. Der Reichssender Köln sendete seit 1934 Der frohe Samstagnachmittag (16 bis 18 Uhr). Fünf Jahre war diese live aus verschiedenen Städten ausgestrahlte Sendung das wohl erfolgreichste Unterhaltungsformat - und reichsweit hörbar. Ein Synonym für Unterhaltungssendungen während des Nationalsozialismus wurde das Wunschkonzert. Die Sendung unterstützte seit 1936 unter dem Motto »Sie wünschen - wir spielen, geholfen wird vielen« das Winterhilfswerk. Das erste Wunschkonzert dauerte fünf Stunden, es gab 1.200 Musikwünsche. Seit 1939 wurde aus dem Wunschkonzert das Wunschkonzert für die Wehrmacht. Seit 1940 wurde sonntags über alle Reichssender gesendet. Nach der 75. Ausgabe 1941 endete das Wunschkonzert, es folgte 1942 Fortsetzung folgt. 1946 fand ein stiller, aber folgenreicher Wandel der Unterhaltungskultur im Hörfunk statt. Die Bunten Abende der Vorkriegsjahre wurden durch angloamerikanisch inspirierte Quizsendungen ersetzt, ohne dass dies freilich erkennbar gewesen wäre. Merksatz <?page no="77"?> Die Unterhaltung war während des Nationalsozialismus eine nationale Angelegenheit, der Musikanteil erreichte im Krieg bis zu 83 Prozent, das Publikum war riesig. Dieses große, nationale Hörfunkpublikum existierte nach 1945 nicht mehr, die Unterhaltung wurde wieder regional. Ab 1946 wurden die Bunten Abende erneut in die Programme genommen - mit großer Resonanz. Bis zu 80 Prozent der Hörer lobten 1949 die Form, das Genre blieb bis in die 1960er-Jahre äußerst beliebt. Konkurrenz machten den Bunten Abenden nun aber die neuen, nach englischen und amerikanischen Vorbildern entwickelten Quizsendungen. Doppelt oder Nichts hieß die erste Quizsendung, die Just Scheu 1947 noch bei Radio Frankfurt initiierte. 1948 folgte das Quiz zwischen London und Frankfurt und dann - für den NWDR - die Funklotterie. Scheu wurde einer der populärsten Moderatoren der Nachkriegsjahre. Bald folgten Hans-Joachim Kulenkampff mit Heiß oder kalt und 1962 Hans Rosenthal mit Allein gegen Alle - Drei Hörer gegen drei Städte. Die RIAS-Produktion lief einmal im Monat am Samstagabend, wurde von sieben ARD-Sendern übernommen und war eine der erfolgreichsten Radiosendungen; die Radiounterhaltung nutzte also die Möglichkeiten, in einem regionalen Medium national zu wirken. Die gesendete Musik reichte von Operetten-Gassenhauern über Schlager und verpopte Klassik bis hin zu Swing. Einige der Quizsendungen konnten sich 20 Jahre behaupten - der große Bruch kam, als Kulenkampff oder Frankenfeld zum Fernsehen wechselten und die populären Radioprogramme vor allem unterhalten und begleiten wollten. Die Unterhaltung ergriff alle Radiogenres und begann zu diffundieren. Aber die Entwicklungen waren regional verschieden. Die 1950er-Jahre waren die Zeit der populären und konkurrenzfreien Radiounterhaltung, ja der »letzten ›großen‹ Wort-Unterhaltung« (Dussel 1995, 130). Fred Rauch konnte beim Bayerischen Rundfunk sein Wunschkonzert 30 Jahre moderieren. Der Frankfurter Wecker bot seit 1951 Kulenkampff, Frankenfeld oder Otto Höpfner frühmorgens (6: 30 bis 8: 00 Uhr) reichlich Auftrittsmöglichkeiten im Hessischen Rundfunk und dann in ganz Hessen. Diese populären Moderatoren und Conférenciers waren nicht fest an die Sender gebunden, sondern traten hier und da auf. Und auch die Formen waren nicht zu festgelegt. Frankenfeld etwa präsentierte Peters Bastelstunde (NWDR) sowie die Abendshow Ab acht wird gelacht (SDR). Bestandteil der Unterhaltung waren außerdem kabarettistische Sendungen. Jetzt schlägt’s 13 oder Fröhliches Schaumschlagen hieß es etwa <?page no="78"?> beim SDR, regelmäßig war das Düsseldorfer »Kom(m)ödchen« in WDR und SWF zu hören und der SDR übernahm ab 1954 einmal im Monat die »Insulaner« vom RIAS Berlin. Auch hier gab es früh Programmaustausch. Neben Bunten Abenden, Quizsendungen und spezifischen Wochenendangeboten gehörten Familienserien und Krimis zu den populärsten Unterhaltungsformen der Nachkriegsjahre. Es waren durchgehend serielle Produktionen, Serien mit langen Laufzeiten. »Unterhaltung ermöglicht eine Selbstverortung in der dargestellten Welt« (Luhmann 1996, 115). Es waren offenbar die für das deutsche Publikum zunächst unbekannten Serien des Nachkriegsradios, die diese »Selbstverortung« ermöglichten. Die Nachkriegsgesellschaft fand sich in unterhaltenden Familienserien wieder, die mittelwellentauglich produziert und mit Pathos und Dialekt gesprochen wurden. 1947 machte Radio München mit den Brummelg’schichten den Anfang, 1948 folgte in Stuttgart am Samstagabend die Familie Staudenmeier und erreichte mit 62 Prozent Straßenfeger-Quoten. Dann folgten - immer regional orientiert und nicht weniger erfolgreich - Die Familie Hesselbach (HR 1949) oder in Bremen die Familie Meierdierks (1950) und machten die Hörfunkserie im Wochenrhythmus auch in Deutschland heimisch, ehe die Form vom Fernsehen mehr oder weniger monopolisiert wurde. Zum Nachkriegsboom gehörten ebenso die legendären Krimireihen um Paul Temple (WDR ab 1953) oder Lester Powell (SR ab 1956) sowie Gestatten, mein Name ist Cox (NWDR ab 1952). Diese Serien versprachen Unterhaltung, nicht Kunst und ihre Macher waren vom traditionellen Kunstbetrieb eher weit entfernt. Auch Wolfgang Menges Gesprächsserie Adrian und Alexander (NWDR ab 1951) beförderte solche seriellen Neupositionierungen im deutschen Hörfunk. Während im Hörfunk der 1950er-Jahre formell noch das »Kästchenradio« vorherrschte, liefen auf der Programmebene schon die Veränderungen: hier entstanden die Urkerne späterer Programmserialisierungen. Quantitativ freilich machten diese Wortunterhaltungssendungen nur rund ein Prozent des Gesamtprogramms aus. Der bundesdeutsche Hörfunk war auch im Unterhaltungsbereich strukturkonservativ; die Quizsendungen, Bunten Abende und öffentlichen Veranstaltungen fanden bis in 1960er- und 1970er-Jahre hinein statt. Doch spannender als die Radiorätsel wurden die - adaptierten und national wahrnehmbaren - Fernsehausgaben. Die heißgeliebten Sams- Merksatz <?page no="79"?> tagabendshows verloren rapide Hörer; die besten Radioleute wurden vom besser bezahlenden TV abgeworben. Und so ahnte WDR-Intendant Klaus von Bismarck schon 1962, dass man die leichten Sparten der Unterhaltung wohl dem Fernsehen überlassen werden müsse. In den 1960er-Jahren verließ die Unterhaltung ihre »Kästchen« und »infizierte« die Gesamtprogramme; die Grenzen zwischen Bildung, Kultur, Unterhaltung oder Politik wurden durchlässiger. Die Europawelle Saar (1964), die WDR-2-Magazine (1965), die Jugend- und Popsendungen und dann die neuen Servicewellen gehören in diesen Zusammenhang. Zugleich veränderte sich die Radiounterhaltung rapide. Schon 1957 war mit Hans Verres und der Frankfurter Schlagerbörse (HR) eine neue Sendeform kreiert worden, die bald trendbildend werden sollte: die Hitparaden, die Konzentration auf wenige erfolgreiche Titel und herausgehobene Moderatoren. Es war der Beginn des Top-40-Radios in Deutschland, die temporäre Beschränkung des Angebots auf wenige Titel - jetzt prägte der Schallplattenmarkt ganze Sendungen, die Schallplattenindustrie produzierte verstärkt die öffentlich-rechtliche Musik. 1958 begann die legendäre Hitparade mit Camillo Felgen bei Radio Luxemburg, der deutsche Hitparadenmarkt spaltete sich rasch: hier Hallo Twen (SR) mit Manfred Sexauer, dort die Deutsche Schlagerparade (SR) mit Dieter Thomas Heck. Mit dem Stereoradio wuchs die Bedeutung der Musik und der Schallplatten enorm; Mitte der 1950er-Jahre kamen etwa 13 Prozent der Musik von hr1 und hr2 von Industrietonträgern, bis 1979 stieg er auf 35 (hr1), 40 (hr2) und 48 Prozent (hr3). Discjockeys wurden die neue Radiostars: Sexauer, Mal Sondock, Frank Laufenberg (SWF 3) und dann in den 1980er-Jahren mit den reinen Popwellen etwa Thomas Koschwitz (hr3) oder Thomas Gottschalk (Bayern 3). Sie moderierten auf Wellen, deren Musik zunehmend auf angloamerikanische Pophits verengt wurde. Erst die Privatradios spitzten das dann markenspezifisch zu. Sie senden heute »Megahits und das Beste von heute« (Radio Hamburg), »Hits der 60er, 70er und 80er« (Oldie 95), »Hitmusic only« (Energy 97,1) oder »Top Hits« (R.SH). Der relativ kleine Hessische Rundfunk hatte Ende der 1960er-Jahre das größte Unterhaltungsressort in der ARD und das war die »eigentliche kreative Triebfeder des HR-Hörfunks« (Kursawe 2004, 257). Erstmals wurden in der Sendung Funk für Fans - Frankfurter Unterhaltungsmagazin (1967) Wort und »Popmusik à la carte« neu gemischt. Hier war das <?page no="80"?> politische Mittagsmagazin des WDR kein Vorbild; dieses Abendmagazin - gestartet u. a. mit dem nun schon legendären Peter Frankenfeld - verband, was zuvor einzelne Sendeplätze in der Unterhaltung gehabt hatte: Kurzkrimis, Kabarett und vor allem Satire und Skurriles von Peter Knorr und der »Neuen Frankfurter Schule«. Das war nicht nur »dezidierte Radio-Unterhaltung«, es war die vorweggenommene Unterhaltung der Service- und Popwellen. Die Service- und Popwellen brauchten nicht mehr nur Unterhaltung, sie benötigten »programmgemäße Unterhaltung« und entwickelten kurze »SWF-3-Comics« wie Else Stratmann, Hein Piepenbrink oder Matthias Müsli. Anfang der 1990er-Jahre war die Comedy bei SWF 3 so profilbildend wie Information, Musik und Service. Täglich wurden 15 bis 20 Comedys gesendet, zwei pro Stunde. Die Machart war laut, schnell, grell, akustisch; die Personen waren entwicklungslos. Von Else Stratmann zu Feinkost Zipp war es ein weiter Weg. Die Unterhaltung wurde in den 1970er-Jahren ein wesentlicher Bestandteil der durchhörbaren Popwellen. Und dies veränderte den Charakter der Radiounterhaltung. Sie wurde kurz und lustig, Comedy. Die Etablierung des dualen Systems erhöhte die Zahl der Comedys rapide. 1988 richtete der Privatsender FFN eine vierköpfige Comedyredaktion ein, die das Frühstyxradio. Das größte Kulturmagazin der Welt produzierte, drei Sonntagsstunden und viele Einzeltermine lang. Dann übernahmen auch die neuen Jugendwellen wie N-Joy oder Eins Live Comedy als relevanten Wortpart. Im Wahljahr 1994 wurde erstmals politisch-aktuelle Comedy produziert - ein Trend, der sich bis zu Reihen wie der Gerd-Show (1999 bis 2005) oder Supermerkel (ab 2007) fortgesetzt hat. Die Grenzen zwischen Politik und Comedy, öffentlich-rechtlich und privat sind im Comedybereich fließend. Schon das Frühstyxradio wurde in beiden Systemen und vielen Regionen gesendet. Der Musikanteil variierte schon in den Anfangstagen des Hörfunks von Sender zu Sender. Er lag im Sommer 1925 zwischen 55,1 Prozent (Deutschen Stunde, München) und 32,3 Prozent (Funk-Stunde, Berlin); Merksatz <?page no="81"?> die ARD-Radios kamen 2006 auf etwa 61 Prozent, einzelne Wellen sogar auf über 90 Prozent. In diesen Bereichen dürfte auch der Musikanteil der meisten Privatradios liegen. Die Unterhaltung erreichte in der ARD 7,5 Prozent (2006) des Gesamtprogramms - die quantitative Stärke rührt daher, dass einige Schlager- und Regionalwellen mehr als 20 Prozent Unterhaltung ausstrahlten. Hier wurde das 1929 urgesendete Hamburger Hafenkonzert fortgesetzt, öffentliche Conférencierveranstaltungen wie Sonntakte (NDR 90,3) behielten ihre Bedeutung. Anders als im Fernsehen gibt es - abgesehen von einigen Radionovelas, die um 2006 die Tradition der Familienserien wieder aufgriffen - narrative Unterhaltung im Radio fast nicht mehr. Im Rahmen der Erweiterung des Kulturbegriffs wurde diese vom Hörspiel (etwa: Radiotatort) übernommen. Modernes Radio ist heute weitgehend auf »Gefühlsmanagement«, »Mood Management« durch spezifischen Wellensound, spezialisiert. Es schmiegt sich an den Tagesablauf und Alltag der Zielgruppe an, ist morgens etwa rhythmisch, nachmittags melodisch; Unterhaltungsrundfunk ist das nicht mehr. Die Musikauswahl oblag bis in die 1990er-Jahre vor allem den Musikredakteuren und Moderatoren, sie war in (Wellen-) Grenzen noch immer individuell. Diese Periode endete durch automatisierte Programmplanung und Radio-Management-Software. Spezifische Soundparameter für die Musik wurden entwickelt und mit den jeweiligen »Programmuhren« so kombiniert, dass ein einheitliches, fließendes Programm möglichst ohne Ausschaltimpulse entstand. Thomas Münch hat die Parameter »Stimme, Rhythmus, Tempo und Konvention/ Innovation« herausgearbeitet. »Mindestens ein musikalischer Parameter muss sich deutlich ändern, um der besonders im Bereich der massenpopulären Musik gegebenen Gefahr von Monotonie entgegenzuwirken« (Münch 1995, 172f). <?page no="82"?> Der Hörfunk definierte sich in Deutschland vor allem als kulturelles Medium. Klassische Kultur spielte in den frühen Programmen eine bedeutende Rolle, zeitgenössische Autoren schrieben nach 1945 gerne für den Hörfunk. 1956 startete der NDR das erste reine und bewusst elitäre Kulturprogramm - die Kultur sendete hier unabhängig von Politik, Unterhaltung, Werbung. Seit den 1970er-Jahren veränderte sich der Charakter der Radiokultur deutlich. Sie orientierte sich zunehmend an einem weiten Kulturbegriff und wurde - zunächst auf den hörerreichen Wellen - populärer. Die Kulturprogramme wurden seit den 1990er-Jahren langsam musikalisch formatiert und seit der Jahrtausendwende in Klassikwellen umgewandelt. Neue Medien positionieren sich am einfachsten kulturell - dies war auch beim Hörfunk so. Hans Bredow begrüßte 1924 den Rundfunk als einen »Kulturfaktor«, »dessen Auswirkungen auf das kulturelle, politische und wirtschaftliche Leben nicht hoch genug angeschlagen werden können«. Vier Jahre später forderte RRG-Geschäftsführer Kurt Magnus »den Hörern in rundfunkgeeigneter Form zu bieten, was Deutschlands große Geister geschaffen haben«, und diese kulturelle Orientierung blieb bis heute auf vielen Diskursebenen erhalten. Rundfunk wird also einerseits als Kulturfaktor wahrgenommen, einerlei ob es um Politik, Sport, Unterhaltung, Musik oder Kultur geht; das Radio ist insofern grundsätzlich ein Kulturmedium - es bot »zum ersten Mal« seit der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Gutenberg »eine neue Möglichkeit, Ungezählten geistige Güter« zu vermitteln (Hans Bredow). Andererseits gab es aber auch den spezifischen Programmbereich Kultur, besser noch Hochkultur. Seit den Anfängen hat der Hörfunk versucht, diese Hochkultur - funkgemäß - in sein Programm zu integrieren und Radiohochkultur zu werden. <?page no="83"?> Zunächst versuchte man, Stücke des traditionellen bildungsbürgerlichen Kanons auch im Hörfunk zu übertragen. 1924 wurde in Hamburg Johann Wolfgang von Goethes Faust II urgesendet, 1932 realisierte Werag-Indendant Ernst Hardt zum 100. Todestag Goethes eine vierstündige Fassung, die von allen deutschen Sendern übertragen wurde. Ob Friedrich von Schillers Wallensteins Lager (1925) oder Georg Büchners Woyzeck (1926) - das klassische Sendespiel gehörte in den Anfangsjahren zu den »ambitioniertesten Programmpunkten« und manchmal kam es gar zu einer »Wiedergeburt der Klassiker im Rundfunk« (Leonhard 1997, 1097). Eine Faust-Adaption dürfte das letzte Sendespiel des NS-Hörfunks gewesen sein. Nicht minder präsent als die Klassiker waren zeitgenössische Dichter wie Gerhard Hauptmann; Schriftsteller wurden ins Studio eingeladen, Texte gelesen, junge Autoren vorgestellt oder »Stehgreifgeschichten« fabuliert. Doch das neue, tertiäre und rein akustische Medium stieß bei vielen - papierorientierten - Autoren lange auf Ablehnung. 1929 beklagte der Schriftsteller Alfred Döblin, dass der Rundfunk »für etwas Vulgäres, für Unterhaltung und Belehrung plumper Art« gehalten werde. »Von den Autoren will noch immer ein mächtiger Teil nichts vom Rundfunk wissen.« Bestandteile des Radioprogramms waren seit den Anfängen klassische Musik, Opern, Sinfonien, Konzerte, und diese wurden bevorzugt in den einzelnen Sendern produziert. Rasch nach dem Sendebeginn 1923 besaßen die (reicheren) Sender eigene Orchester. Die Berliner Funk- Stunde beschäftigte ein Orchester mit 64 Mitgliedern, das Frankfurter Rundfunk-Symphonie-Orchester bestand aus 60 Personen; so blieb der Hörfunk unabhängiger vom Markt und - bis heute - Arbeitgeber für Musiker. 1931 wurde erstmals aus Bayreuth gesendet: Wilhelm Furtwängler dirigierte Richard Wagners »Tristan« und 200 Sender übertrugen. Der Programmbereich Kultur wollte - anders als Politik, Unterhaltung oder Werbung - nicht nur Kulturelles akustisch vermitteln. Er wollte selbst Kunst werden, arteigene Kunst, und probierte und entwickelte eine eigene Radiokunstform: das Hörspiel. Der Hörfunk der Anfangsjahre war vor allem ein reproduktives Medium - er verlas die Nachrichten anderer, produzierte fürs Theater geschriebene Stücke, berichtete von Sportereignissen oder sendete für Konzertsäle Merksatz <?page no="84"?> bestimmte Musik. Er übernahm Inhalte, die für andere Medien produziert worden waren. Doch dies änderte sich 1924 mit der Ursendung des ersten Hörspiels Zauberei auf dem Sender. Mit dem Hörspiel wurde der Hörfunk selbst Kunst; das Hörspiel galt fortan für lange Zeit als »Krönung des Funks«. In der Hörspielgeschichtsschreibung gelten die Jahre zwischen 1929 und 1936 sowie zwischen 1945 und etwa 1968 als Blütezeit des Hörspiels. Dies waren die Jahre der erzählenden Hörspiele. Wolfgang Borchert und dann vor allem Günter Eich prägten den Hörspielstil, fast alle Autoren der legendären Gruppe 47 etwa schrieben Hörspiele - jetzt war das Radio in der Kultur und in der Gutenberg-Galaxis angekommen. Formal zumindest: denn der frühe Hörspielboom beruhte auf einer althergebrachten Arbeitsteilung; die Autoren schrieben Manuskripte, die von Sprechern, Musikern, Redakteuren und Regisseuren ins Akustische transferiert wurden. Parallel zum Hörspiel entstanden seit 1945 Features, die mit künstlerischen Mitteln Wirklichkeit darzustellen versuchten - legendär wurde Ernst Schnabels Feature 29. Januar 1947 (NWDR). Diese Hörspiele und Features (Zindel 2007) waren Einzelwerke, darin unterschieden sie sich von den Unterhaltungsserien, und ihre Rezeption war über lange Strecken kollektiv. Hörspiele wurden gemeinsam in der Notunterkunft oder - das Radio stand noch im Wohnzimmer - in der Familie gehört. In diesen Abendstunden war der Rundfunk am deutlichsten ein - produktives - Kulturmedium. Explizit Literarisches, Kulturelles oder Philosophisches wurde seit 1947 nach 20 Uhr oder am Wochenende gesendet: Im Nachtprogramm (NWDR), im Frankfurter Abendstudio, in der Baden-Badener Aula oder im Münchener Nachtstudio. Hier wurde eine Form von Öffentlichkeit geprägt, die traditionelles Zeitungsfeuilleton und Radio neu verband, Papierradio mit intellektuellen Spitzen der jungen Republik. Die Grenzen zwischen Radio, Zeitung, Zeitschrift und Buch waren lange sehr durchlässig und der Druck das Endstadium vieler Radiobeiträge; bimediale Verwertungspraktiken gab es seit Beginn des Hörfunks. Und auch die Kultur stellte ihre Sendeformen auf Dauer: Was das Hafenkonzert für die Unterhaltung und das Echo des Tages für die Politik darstellten, wurden das Abendstudio (bis 2003) oder die Aula (SWR) für die Kultur. Auch nach 1945 beschäftigte der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Musikbereich eine Fülle von eigenen Orchestern und Chören, die dem <?page no="85"?> Hörfunk - trotz des zunehmenden Einsatzes von Schallplatten - gerade im Hochkulturbereich ein eigenes Profil gaben. Analog zum Hörspiel, der Kunst des Radios, entwickelte sich die elektronische Musik spätestens seit den 1950er-Jahren zur spezifischen Musik des Radios. Musique concrète, die Studios in München und vor allem Köln sowie der Name Karlheinz Stockhausen stehen für diese Förderung technischer Musik durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er trat hier als Finanzier, Produzent und Sender auf. Die Geschichte der Kämpfe zwischen Politik, Unterhaltung, Werbung, Musik und Kultur im Hörfunk ist noch nicht geschrieben, und auch über die Entwicklung der Radiokultur weiß man nur wenig (Krug 2006). 1956 wurde mit dem Dritten Programm des NDR das erste genuin kulturelle (Abend-)Programm gegründet. Es legte wie das Theater eine Sommerpause ein, dauerte - die Tagesschau war gerade vorbei - von 20: 15 Uhr bis 22: 30 Uhr und konzentrierte sich auf Ernste und Neue Musik, Jazz, Literatur, Wissenschaft. Das Programm wollte keine Massen erreichen, sondern - so NDR-Intendant Walter Hilpert - »Zuhörer, zum Zuhören bereite Hörer«. Merksatz Die Kultur prägte in den 1950er-Jahren relevante Teile der Radioprogramme. 1956 wurde das »Dritte Programm« des NDR gegründet. Es war das erste reine Kulturprogramm mit deutlicher Nähe zum Theaterprogramm. Das Dritte Programm des NDR war lange eine Singularität in der ARD und regte höchstens Tagungen über »Der kluge Mann und das Radio« an. In den anderen Sendern gewann die Kultur erst nach und nach neue ähnliche Sendeplätze etwa auf hr2, WDR 3, SFB 3 oder der neuen Studiowelle Saar (1967). Auch hier setzte man bewusst auf Minoritäten, auf bewusst einschaltende, wechselnde Minderheiten, auf neue Radioformen wie das stereophone, nichterzählende »Neue Hörspiel«, große Opern oder Neue Musik. Der Gestus war getragen, der Sprechrhythmus langsam und ernst. Zunächst waren diese Kulturwellen durchaus noch Mischprogramme, die auch nichtkulturelle Inhalte sendeten; sie wurden erst in den 1990er-Jahren nach und nach zu reineren Kulturbzw. Klassikwellen ausgebaut. In den 1970er-Jahren gingen die wesentlichen Veränderungen aber in eine andere Richtung und betrafen zunächst die populären Programme: aus dem »Kulturträger« Hörfunk wurde ein »Dienstleistungsbetrieb mit Merksatz <?page no="86"?> kulturellen Aufgaben« (Wolfgang Jäger). Auch diese Entwicklung begann offenbar in Saarbrücken, wo man 1967 das Kulturmagazin Kultur heute einrichtete und damit erstmals die Aktualität in die Kultur brachte. Kultur heute sendete neben Kultur auch Politik, Zeitgeschehen, Sport und Werbung, alles war »von flotter Unterhaltungsmusik« eingerahmt und die »Kultureigensinnigkeit« (Raff 2007, 109) aufgebrochen. 1971 folgte der Hessische Rundfunk mit seinem Kulturmagazin auf Mittelwelle. »Warenhauscharakter mit Aktualitätsbezug«, »Live-Gespräche« und Beitragslängen »zwischen 1 Minute und 30 Sekunden und höchstens 8 Minuten«: dies waren die neuen Kulturstilmittel. Und vor allem sollte es »locker« sein (Kursawe 2004, 278f). Mit der - regional sehr unterschiedlichen - Magazinisierung und Profilierung der populären Programme änderte sich auch der Inhalt der Kultur: Ähnlich wie beim Informations- und beim Politikbegriff etablierte sich ein erweiterter oder neuer Kulturbegriff. Kultur konnte nun überall sein und sie war für alle da. Neben die Kultur des traditionellen Bildungsbürgertums trat zudem die erweiterte der neuen (1968er-)Eliten: Aus Neue Bücher - alte Musik (SWF 2) wurde Neue Bücher - neue Platten, statt Vivaldi machten die Rolling Stones den Sound; und neben das reine Feuilleton trat die - den aktuellen politischen Redaktionen fremde - politisierte Kultur. Exemplarisch für diesen neuen Sendetyp wurde das Kritische Tagebuch. WDR 3 sendete es von 1967 bis 2003, dann ging es (wie das Abendjournal) in der Formatierung auch der Kulturwellen unter. Veränderungsprozesse geschehen im Hörfunk eher unmerklich, große Programmreformen sind die Ausnahme, und so war auch die Verlagerung kultureller Produkte von den Leitwellen auf spezifische Kulturprogramme ein langsamer - dem reinen Hören verschlossener - Prozess. Lange Jahre gab es Kultursendungen auf allen zwei bzw. drei Wellen, aber Qualitäten und Quantitäten wurden eher dezent, kaum merkbar und von Sender zu Sender verschieden verschoben: - Der Anteil der Kultur auf den Informationswellen (erste Programme) sank langsam und der Charakter der Kulturmagazine veränderte sich. Sie wurden stärker als Mischmagazine mit weitem Kulturbegriff positioniert; hr1 hatte 1967 noch einen Hörspielanteil von 0,2 Prozent. - Die neuen Service- und Popwellen, die nach 1971 entstanden, verzichteten weitgehend auf Kultur und setzten auf Kulturservice und Comedy. <?page no="87"?> - Kultur wurde seit den 1960er-Jahren vor allen von den »Kulturwellen« gesendet und hier »reservatiert« (Harro Zimmermann). In Hessen war das zweite Programm das Reservat. Im Norden wurden 1970 die meisten »kulturellen Sendungen des NDR im dritten Programm« gesendet (Kesting 1981, 87) - dem von allen NDR-Programmen ausgeprägtesten »Kästchenradio« mit den wenigsten Hörern. - 1980 gliederte - »nach langen Überlegungen« (Saur 2009, 210) - der Bayerische Rundfunk seine Klassikangebote aus seinen drei Programmen aus und bündelte sie in dem Spartenprogramm Bayern 4 Klassik. Der Musikanteil lag bei über 90 Prozent. Es gab zwei Prozent Wort und - erstmals im Zusammenhang mit Kultur - Werbung. Die Einführung des dualen Systems erschien für die Kultur bedeutungslos zu sein. Denn im neuen System konkurrierten weitgehend kulturfreie Popwellen miteinander. Und so sendeten die Kulturprogramme weiter wie bisher. Die Einführung des dualen Systems schien für die Kultur keine Bedrohung zu sein. Direkte Konkurrenz um Hörspiele, Features, Essays, Lesungen, Kulturberichterstattung, Büchersendungen, E-Musik oder Neue Musik gab es nicht. Das duale System beförderte die Konkurrenz zwischen den Popradios; die Kultur konnte zunächst weitermachen wie bisher - zumal den Kulturprogrammen keine Quotenvorgaben gemacht wurden. »Tapfer erfüllen die Anstalten, auf diesen Alibi-Kanälen, ihren Programmauftrag« stand 1986 im »Spiegel«. 1990 starteten die Gesellschafter Ufa, BMG-Ariola, Polygram, Burda Broadcast, der Spiegel-Verlag sowie Christoph Gottschalk in Hamburg - und dann deutschlandweit - mit Klassik Radio. Klassik Radio hatte »keinen Bildungsauftrag« und keinen »Anspruch der Kulturbildung«. Der Privatsender verstand sich als Klassikwelle, beschränkte sich auf die »Hits« der klassischen Musik, reduzierte die Länge der Stücke auf maximal 15 Minuten, begrenzte Wortbeiträge auf 1 Minute 30 und integrierte - wie der Popbereich - Jingles und Trailer. Klassik Radio beschäftigte etwa 30 Mitarbeiter. Nachts und am Sonntag kam das Programm von der Festplatte, der Sender war dann menschenleer. 1997 schrieb man erstmals schwarze Zahlen, 2004 ging der Sender an die Börse. Gemeinhin Merksatz <?page no="88"?> geht man davon aus, dass sich mit dem Markteintritt von Klassik Radio die Situation der ARD-Kulturwellen zunächst im Norden radikal änderte Doch die Ansätze lagen viel früher und betrafen gleichermaßen die Musik, die Politik und die Kultur. Ende der 1980er-Jahre begann die Umwandlung der Kulturwellen in musikdominierte Klassikwellen. Musikalisch konzentrierten sich die neuen Wellen auf klassische Hits, inhaltlich wurde das Repertoire auf Bereiche rund um die klassische Musik fokussiert. Bereits 1989 hatte der NDR in einer umfassenden Programmreform den Umbau seines gesamten Hörfunks initiiert, eine Mischung aus Fach- und Wellenleitung eingerichtet und - analog zu den privaten Sendern - das Angebot zunächst dezent nach Musikformen und Musikfarben neu gruppiert. Langsam wurde dann aus dem Kulturprogramm NDR 3 das dezent formatierte Kultur- und Klassikprogramm Radio 3 und 2003 NDR Kultur - ein öffentlich-rechtliches Format- und Klassikradio, das sich in seinen Tagesstrecken auf Klassikhits und kurze, nach der Stundenuhr platzierte Wortbeiträge konzentrierte. Jingles zur beiläufigen Sendernennung sicherten, dass das Klassikradio selbst die Botschaft wurde. Die Kultur war - als letzte Programmgruppe - der Begleitmedium-Philosophie angepasst worden. Die Kultur (Klassik) war ein abgestimmter Teil einer Senderphilosophie, die nun auch im Design vielfältig abgestimmt war. Schon seit den 1970er-Jahren war die Vorstellung davon, was Radiokultur sei, diffundiert - aber die Vermittlung wurde von Fachredaktionen wellenübergreifend verantwortet. Mit der Magazinisierung und dann der Formatierung traten neben die traditionelle (Hoch-)Kultur die Reisekultur, die Randgruppenkultur, die Buchkultur oder die Essenskultur. »Kultur im Sinne der Umformung von allem und jedem in ein Zeichen von Kultur, ist ein Produkt und zugleich Alibi der Massenmedien« (Luhmann 1996, 154). In den 1990er-Jahren wurden die vielen Kulturen dann auch noch auf Zielgruppen ausgerichtet - Kultur für die zweiten oder dritten Programme und Kultur für die Regional-, Multikulti- oder Jugendwellen meinte nun sehr Unterschiedliches; sie hatte sich am Wellenformat zu orientieren. Büchersendungen der populären Wellen richteten sich nun etwa an »Leute, die nicht viel lesen«, besprochen wurden »unterhaltsame, sinnliche oder populäre Titel« und die Kritik wurde durch den - werbenden - »Tipp« (Kicska 2000, 45f) ersetzt. Merksatz <?page no="89"?> Die Formatierung der Kultur fand bundesweit in unterschiedlichen Geschwindigkeiten statt und führte zu unterschiedlichen Resultaten. Sie betraf Kulturprogramme, deren Marktanteile inzwischen im unteren einstelligen Bereich lagen, deren Hörer durchschnittlich weit über 50 Jahre alt waren, deren Macher vor allem im »Konsens der Erschöpften« (Harro Zimmermann) vereint waren und deren Finanzspielraum deutlich geringer geworden war. 1987 kostete die Minute Kultur 196 DM, 1998 waren es 166 DM. Die Kosten für Familienprogramm waren im selben Zeitraum von 189 auf 245 DM gestiegen, die für Bildung von 162 auf 391 DM. Die 1990er-Jahre waren durch ein letztes Aufbäumen der traditionellen Kultur geprägt. Noch einmal wurde versucht, über Themenabende und große Eventproduktionen, durch die Ausnutzung der akustischen Möglichkeiten und durch Marketing, durch Kooperationen von Kultur und Jugendwellen (WDR 3 und Eins Live) und Kulturpartnerschaften (WDR 3) kulturinteressierte Hörer zu binden. Doch diese Versuche endeten mit der Krise der neuen Ökonomie - die Kultur konnte sich (als letzter Programmbereich) nicht mehr gegen ihre Formatierung behaupten. Innerhalb der ARD verstärkten die Kulturwellen ihren Charakter als Klassikwellen. Heute sind sämtliche Kulturwellen tagsüber (mehr oder weniger) durchformatiert, der Einschaltkultur ist - mit abnehmender Tendenz - der Abend geblieben. In den Kultur- und Klassikprogrammen haben die Tendenzen zugenommen, die regionalen Zielgruppen in den Abendstunden durch ARD-weite Angebote zu erreichen. 2009 sendeten alle ARD- Kulturwellen einen Sommer lang ein gemeinsames Abendprogramm. <?page no="90"?> Das frühe Radio sendete Werbung vor allem (inselartig) in spezifischen Werbesendungen. In den 1960er-Jahren wurde die Streuwerbung etabliert. Nun gab es - in der Regel in der Nähe der hochseriösen Nachrichten - in einigen Wellen den ganzen Tag über auch Werbung. Rock- und Popwellen professionalisierten als erste die beständige Integration von Werbung in das Programm. Werbung ist eine Zulieferung von außen und sie wird vor allem national und über Systemgrenzen hinweg gebucht. Ob öffentlich-rechtlich oder privat: Die gesendete Werbung war nicht nur zufällig oft identisch. Die entscheidenden Differenzen lagen in der Werbedauer. Werbung spielte für die Finanzierung des Hörfunks in den 1920er-Jahren keine besondere Rolle, doch sie war in den Programmen unüberhörbar. Vor allem in der Berliner Funk-Stunde war sie außerordentlich präsent. 23 Prozent des (Winter-)Programms bestand 1925 aus Werbung. Aber wie bei Politik, Kultur, Musik oder Unterhaltung war die Gewichtung auch bei der Werbung regional sehr unterschiedlich. In Breslau waren es 1929 etwa 10 Prozent, in Königsberg 2 Jahre später 0,3 Prozent. Es gab drei verschiedene Werbemöglichkeiten in den MW-Programmen: »1. Kurzsendungen, die sogenannten ›Reklame-Rundsprüche‹, 2. Werbevorträge und 3. Werbekonzerte« (Lerg 1980, 139). Bei der Norag gab es etwa das Nachmittagskonzert der Funkwerbung. Die Sendung dauerte 45 Minuten, beinhaltete Schallplattenwünsche der Hörer, Rätselfunk mit Urlaubsreisegewinnen und natürlich kurze Werbespots. Schon in den 1920er-Jahren wurde die Funkwerbung in Norddeutschland regionalisiert, sie war in Hamburg, Hannover und Kiel unterschiedlich; sie erlangte damit »Pilotfunktion für die Regionalisierung des Norag-Programms« (Köhler 1991, 34). Vor allem war die Werbung kein originäres, im Sender erstelltes Funkprodukt: Sie kam von außen ins Radio und zielte auf den Verkauf spezifischer Produkte. <?page no="91"?> Werbung war seit den Anfängen auch in Deutschland Teil der Hörfunkprogramme. Während etwa das Radio in den USA immer durch Werbung finanziert wurde, stand sie in Deutschland unter Kulturvorbehalt. Werbung sollte Kultur nicht stören. Werbung richtet sich an den Menschen als »seinen Nutzen kalkulierendes Wesen« (Luhmann 1996, 132), aber die Hörer wollten in den Jahren der Inflation, Wirtschaftskrisen und Massenarbeitslosigkeit von der noch sehr neuen, rein akustischen Werbung nichts wissen. Die ungeliebte Werbung wurde deshalb 1929 in die C-Zeit von 8 bis 15 Uhr geschoben, »in der kaum jemand bereit« war, »Radio zu hören« (Leonhard 1997, 412); 1935 wurde die Rundfunkwerbung dann ganz eingestellt. Die Geschichte der Hörfunkwerbung, ihrer Formen, Themen, Verbreitung und Wirkung ist noch ungeschrieben. Ausgerechnet in der sowjetischen Besatzungszone begannen 1946 der Berliner Rundfunk oder Radio Leipzig (Tönende Litfasssäule) mit Funkwerbung. In den westlichen Zonen folgten 1948 RIAS und - aus Finanzgründen - Radio Bremen und dann nach und nach auch die anderen ARD-Sender (der WDR erst 1987). Die Hörer aber blieben reserviert: 1951 schalteten 10 Prozent den Werbefunk ab, 1953 schon 20 Prozent. Damals hatten die Werbesendungen feste Termine und waren beim Bayerischen Rundfunk etwa so verteilt: 6: 45 bis 7: 00 Uhr, 8: 10 bis 8: 25 Uhr, 9: 50 bis 10: 30 Uhr, 13: 45 bis 14: 05 Uhr und 19: 40 bis 19: 45 Uhr. »Kaum ein Sendestoff der deutschen Rundfunkhäuser«, schrieb der »Spiegel« 1953, »prallt auf so bittere Gegnerschaft wie der Werbefunk«. Kulturradio und Werbung schienen nicht zusammenzupassen; auch wenn im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die finanzielle Notwendigkeit von Werbesendungen zu steigen schien. »Mehr als ihm seiner Titulatur nach angenehm sein konnte« (Kehm 1990, 219). Bis in die 1960er-Jahre hinein wurden komplette Werbesendungen von ARD-Tochtergesellschaften erstellt. Die »Werbefunk Saar« lieferte etwa drei Stunden Programm täglich, darunter die Sendung Allerhand für Stadt und Land. Doch gerade an der Saar gingen die Werbekunden früh zu Radio Luxemburg und so beschritt zuerst der Saarländische Rundfunk neue Werbe- und Hörfunkwege: Mit der Gründung der Europawelle Saar verschwand 1964 der Werbefunk als Programmlieferant ganzer Sendun- Merksatz <?page no="92"?> gen, Streuwerbung, d. h. die Verbreitung von kurzen Werbespots während des gesamten Tagesprogramms, wurde eingeführt und der Umfang der Werbung erweitert; 1968 bestand ein Drittel dieses Programms aus Werbung. Fortan wurde immer wieder dezent nach den programmlichen Voraussetzungen dafür gefragt, der Werbung ein attraktives Umfeld zu bieten. Der »Spiegel« zitierte 1972 SR-Intendant Karl-Heinz Reintgen mit dem Satz, die Welle sei »unter Berücksichtigung aller Wünsche der Werbung entstanden«. Mitte der 1970er-Jahre entstanden mit den neuen Service- und Popwellen öffentlich-rechtliche Radioangebote, die faktisch durch Werbung finanziert wurden, nicht mehr durch Gebühren. Dies veränderte die deutsche Radiolandschaft und dann auch die Radioformen fundamental. Dem Saarbrücker Werbungsmodell folgten später die Servicewellen hr3 oder SWF 3. Die neuen Werbeblöcke bildeten eine Einheit vor den Informations- und Serviceflächen - die Programme konnten durchhörbarer werden. Viel stärker als die Fernseh- oder Zeitungswerbung war die Funkwerbung auch in den 1970er-Jahren ein Werbemedium zweiter Klasse und sollte es bis heute bleiben. Die Werbungsquantitäten waren von Sender zu Sender unterschiedlich. 1982 sendete NDR 2 täglich 42 Minuten Werbung, der WDR seit 1988 90 Minuten. Nach ARD-Zählungen bestanden 1987 1,5 Prozent der Programme aus Werbefunk (225.121 Minuten), bei den dritten Programmen waren es 5,8 Prozent (hr3) oder gar 6,6 Prozent (Bayern 3). Die Einführung des dualen Hörfunksystems erhöhte Bedeutung und Hörbarkeit der Werbung deutschlandweit erheblich. Die Zahl der Werbung sendenden Wellen stieg dauerhaft rapide, da sich alle privaten Stationen über Werbung finanzierten. In den neuen kommerziellen Radioprogrammen waren pro Sendestunde zwölf Minuten Werbung erlaubt, 20 Prozent also, und nun wurde eine im öffentlich-rechtlichen Hörfunk schon lange diskret wirksame Tendenz vollends deutlich. »Der Hörer ist lediglich mittelbarer Bezugspunkt der Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Werbetreibenden und dem Rundfunkveranstalter«, so Wolfgang Hoffmann-Riem (Goldhammer 1995, 76). Ein prägnantes Beispiel dafür war die Neupositionierung der populären Hamburger Schlagerwelle Alsterradio als Popradio; Alsterradio (damals Radio 107) und NDR, Privat- Merksatz <?page no="93"?> funk und öffentlich-rechtlicher Hörfunk, warben seit 1989 über »NDR plus« auch gemeinsam. Hörer beider Systeme erhielten - ein noch nicht untersuchtes Phänomen - abgestimmte Werbung. Die bundesdeutsche Werbung versuchte, auch im Radio die Zielgruppe der 14bis 49-Jährigen zu erreichen und dies hatte einerseits eine Konzentration auf AC-Formate zur Folge. Goldhammer (1999, 250) geht davon aus, dass im Privatfunkbereich »die Werbewirtschaft und nicht die Sender über die gewünschten Zielgruppen und damit über das entsprechende Format bestimmen«. Die normale Werbeform ist der 20bis 30-sekündige, alleinstehende »klassische Spot«. Daneben ist der »Tandemspot« aus zwei - durch eine andere Werbung unterbrochenen - Spots populär. Der erste ist der »Hauptspot«, der durch einen »Reminder« ergänzt wird. Dazu gibt es zweiteilige »Contentspots«; hier wird ein redaktioneller Teil von zwei Werbebotschaften umrahmt. Populär wird in der Werbung zunehmend der »Mediamix«: Werbekampagnen werden hier auf verschiedene Medien wie Zeitung, Radio, Fernsehen oder Internet verteilt. Die Folgen dieser medienübergreifenden Werbung sind noch weitgehend unbekannt. Der Radioanteil am Werbekuchen liegt bei unter zehn Prozent. Radiowerbung ist auch unter Innovationsaspekten deutlich ein Nachzügler. Eine Programmgeschichte der Hörfunkwerbung fehlt bis heute. Doch mit der Werbung etablierte sich ein nichtregionaler Programmbereich im Hörfunk. Denn große Werbekunden produzieren in der Regel nur einen Werbespot, der dann überregional und über die Systemgrenzen hinweg ausgestrahlt wird. Längst wird Werbung nicht nur auf den Popwellen mit der Zielgruppe 14bis 49-Jährige ausgestrahlt, das RBB-Inforadio, B5 aktuell oder hr info sendeten 2006 Werbung, ebenso beispielsweise die Schlager- und Landesprogramme MDR 1 Radio-Thüringen oder die Jugendwellen Eins Live (WDR) und Jump (MDR). Besonders beliebt ist Werbung im Sportumfeld und etwa während der samstäglichen Fußballberichterstattung im Hörfunk. Beim Bayerischen Rundfunk werben alle Hörfunkprogramme. <?page no="94"?> Das Radio war das erste elektronische Massenmedium und es sendete zunächst ohne gezielte Hörerorientierung »an alle«. Die Neuheit des Mediums zog die Menschen über Jahrzehnte ausreichend an. Erst seit den 1960er-Jahren rückte der vom Fernsehen und ausländischen Popsendern umworbene Hörer stärker in den Fokus der Radiomacher. Die senderinterne Medienforschung erlangte die Definitionshoheit und definierte nun, an welche Hörer- und Zielgruppen sich die Programme richten sollten. Die Etablierung des Nebenbeihörens - gegen das tradierte Zuhören - wurde zur strategischen Ausrichtung der meisten Programme. Das frühe Radio richtete sich »an alle« (die einen Empfänger besaßen) - aber eben nicht zu jeder Zeit und mit jeder Sendung. Das Publikum, die Hörer der ersten Jahre waren für das Massenmedium Hörfunk eine mehr oder weniger anonyme Masse, die 1926 aus 1,022 Millionen und 1932 aus 4,099 Millionen Gebührenzahlern bestand. Die wichtigste Hörergruppe, die Gebührenzahler, war leicht quantifizierbar - nicht aber ihre Nutzungsgewohnheiten. Denn die Hörer gab es nicht. Sie hörten in Frankfurt und Hamburg, in Köln, Leipzig oder München jeweils andere Programme, und sie hatten eigene Nutzungsgewohnheiten. Die Massen des Massenmediums Hörfunk waren anonym und in ihrem Verhalten autonom. Lange hat die Forschung den Massenmedien und damit auch dem Hörfunk gerade die Möglichkeit zu Propaganda und Manipulation zugeschrieben. Was der Hörfunk sendete, so eine populäre und vor allem am nationalsozialistischen Rundfunk illustrierte Vorstellung, werde vom Hörer eins zu eins übernommen. Inzwischen ist man von diesen direkten Wirkungsmöglichkeiten abgekommen. Der Hörfunk wurde schon in der Weimarer Republik viel genutzt, aber er hatte es schwer, in die zeitgenössischen Klassen- und Milieukulturen einzubrechen (Lersch 2004, 44); selbst in seinen konkurrenzfreien Hochzeiten konkurrierte das Leitmedium Hörfunk mit Zeitungen, Milieus und vor allem der Berufs- und <?page no="95"?> Lebenswelt der Hörer. Es trieb eher - so Helmuth Plessner 1960 - »die Entsicherung privater Sphäre gefühlsmäßig jedenfalls einer Krise entgehen« (Plessner 1985, 216). »Die Massenmedien«, so der Soziologe Karl Otto Hondrich, »zerstören das Gemeinschaftsleben nicht, sondern werden von ihm in Dienst gestellt und unterliegen dabei einer faszinierenden Dialektik von Gemeinschaftsbildung und Individualisierung« (Hondrich 2001, 197). Derlei »Wirkungsaspekte« sind von der Hörfunkforschung vollständig übergangen worden. Heute erreichen die fast 300 traditionellen Radios zusammen in Deutschland tatsächlich beinahe »alle«, denn fast jeder Einwohner besitzt (auch) Hörfunkempfänger unterschiedlichster Art. Empiriker nennen dies die Versorgungsdichte, die 1950 bei 89 Prozent und schon 1964 bei 95 Prozent lag. Aber wie viel und welche Aufmerksamkeit die genau geplanten und vielfältig ausdifferenzierten Programme letztlich erhalten, ist weitgehend offen. Selbst die populärsten Hörfunkprogramme erreichten 2009 in den Bundesländern Marktanteile zwischen 11,3 (Berlin) und 32,5 Prozent (Mecklenburg-Vorpommern), die meisten Programme blieben weit unter 10 Prozent. Die Planungen und Angebote der Sender sind das eine; das Verhalten der Hörer aber ist ein anderes. Im Gegensatz zu Zeitung (Verkaufszahlen), Fernsehen (Einschaltquote) oder Internet (Klicks) gibt es beim Radio keine regelmäßigen, präzisen und gar die einzelnen Sendungen berücksichtigenden empirischen Erhebungen. Seit 1987 führt die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (ag.ma) die Media-Analyse (MA) durch und erfragt in persönlichmündlichen Gesprächen die Radionutzung. Die MA war ursprünglich für die Messung der Reichweiten der Werbewellen mit ihrer Zielgruppe 14bis 49-Jährige gedacht, erfasst heute aber - zwei Mal jährlich - auch die werbefreien Landes-, Kultur-, Klassik- und Infowellen. 2008 wurden rund 65.000 Telefoninterviews zur Radionutzung durchgeführt. Sie erfassen die Nutzungserinnerungen an den Vortag im Viertelstunden-Rhythmus und sind Bestandteil der Verlagerung von (Hörfunk-)Entscheidungen an die Demoskopie. <?page no="96"?> Seit den 1960er-Jahren machten technische Neuerungen wie Koffer- oder Transistorradio, Autoradio oder Handy Radiohören auch außerhalb der Wohnung möglich. Diese außerhäusliche Nutzung steigerte nicht nur die Hördauer, sondern veränderte auch die Machart der Radioprogramme. Programme zum Nebenbeihören entstanden. Radiohören ist ohne Empfänger nicht möglich und so bestimmte immer die Technik, wo und wann gehört werden konnte. Da die frühen Empfänger verhältnismäßig groß, teuer und strom(kabel)abhängig waren, standen sie vor allem in den Wohnzimmern und Wohnküchen. Radiohören war mehr oder weniger gemeinschaftlich, und dabei blieb es auch bis in die 1960er-Jahre, als Transistorradios (bei den Jugendlichen) und Autoradios das Hören allmählich mobil machten. Aus dem Gemeinschaftshörer der Weimarer Republik wurde langsam der Individualhörer mit eigenem Gerät; 1964 besaßen 15 Prozent der Haushalte 2 und mehr Hörfunkgeräte, 1990 waren es 79 Prozent. Und 1997 besaß fast jeder zweite Haushalt sogar »vier und mehr Radiogeräte unterschiedlicher Art«. Dann ermöglichten auch Walkman, Computer oder Handy den Radioempfang, quasi als Zusatzfunktion. Selbst beim Joggen musste man nun nicht mehr radiofrei sein. Das Radio war endgültig zur stets präsenten »psychoakustischen Nabelschnur« (Peter Sloterdijk) an überindividuelle Klangräume geworden. Empirische Hörerforschung entstand in Deutschland - anders als in den USA - erst in den 1950er-Jahren. »Die Einführung von Werbefunk setzte bei den einzelnen Anstalten deutliche Impulse in Richtung einer Intensivierung der Publikumsforschung« (Kiefer 1999, 427) und diese wurde in den Folgejahren entschieden verstärkt; alles, was wir über Hörer wissen, sei also, so Ien Ang, »kolonisiert« (Kiefer 1999, 427). Die Medienforschung wurde diskret in den Sendern etabliert: In der ARD gab es schon in den 1950er-Jahren Zuhörerforschung. Doch wohl erst in den 1970er-Jahren wurde sie langsam zur zentralen Planungsinstanz für Programmentscheidungen und Neuentwicklungen. Die »Bedürfnisse und Gewohnheiten des Publikums wurden untersucht«, »erstmals wurde die Einschaltquote ein Thema«, heißt es etwa in der WDR-Geschichte »Am Puls der Zeit« (Katz 2006, 67). Merksatz <?page no="97"?> Die Rezeption der Erkenntnisse der empirischen Medienforschung in den USA und ihre Übertragung auf die deutschen Verhältnisse führten in den 1960er-Jahren zur Etablierung des Nebenbeihörens. Hören, so die Vorgabe, findet parallel zu anderen Tätigkeiten (Arbeit, Haushalt, Autofahren) statt und kann und soll deshalb nicht dauerhaft von den anderen Tätigkeiten »ablenken«. Als erste öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt verabschiedete sich die Europawelle Saar »demonstrativ von der Vorstellung, Radiohören« sei eine »Intensiv-Tätigkeit« (Raff 2007, 422). Nebenbeihören war hier die Rezeptionshaltung für eine Werbewelle mit einem Wortanteil von unter 25 Prozent. Eine der ersten Neugründungen aus dem Geist der damaligen Medienforschung dürfte SWF 3 gewesen sein. Hörfunkforschung ist in Deutschland fast ausschließlich »demoskopische Reichweiten- und Meinungsforschung«, die feststellt, »wie viele Menschen welcher Alters-, Bildungs-, Berufs- und Einkommensgruppen wann Radio hören und welche Programmangebote sie bevorzugen« (La Roche 1993, 261). In den 1950er-Jahren wurde das »Leitmedium« und Einschaltmedium Hörfunk durchschnittlich »zwei bis zweieinhalb Stunden werktäglich« eingeschaltet, dann fiel die Radionutzung rapide auf 89 (1964) und schließlich auf nur noch 73 Minuten (1970) (Kiefer 1999, 42). Die Aufmerksamkeit der Hörer war zum Fernsehen übergegangen. Die Autofahrer-, Service- und Popwellen brachten in den 1970er-Jahren wieder eine erhöhte Radionutzung; damals entstand erstmals das Schlagwort von der »Renaissance des Hörfunks«; es sollte nach der Ausweitung der Programmangebote nach 1986 nochmals aktualisiert werden - doch die »Renaissance« betraf nur noch die Ausweiterung der Einschaltzeiten, nicht mehr primär die kulturellen, politischen oder journalistischen Funktionen des Radios, die zur Hülle für andere - werbende - Funktionen wurden. Die Hörfunknutzung stieg von 135 Minuten (1980) auf 206 Minuten (2000) täglich. Parallel explodierte die Mediennutzung von 346 (1980) auf 502 Minuten (2000). Der Anstieg der Radionutzung korrespondierte also auch mit einer allgemeinen Zunahme der Mediennutzung, ja einer Medialisierung der Gesellschaft. Damit stieg auch der Stellenwert der medial, nicht mehr individuell-real gemachten Erfahrungen. Der Anteil des nun fast umfassend formatierten Radios daran aber ließ seit 2000 wieder nach. Die Nutzungsdauer sank Jahr für Jahr. Hinter den Durchschnittswerten verbergen sich freilich sehr heterogene Daten. So wies der WDR schon 1979 eine Durchschnittshördauer von <?page no="98"?> »188 Minuten (das sind drei Stunden und acht Minuten« (Jenke 1993, 143) aus. Das Spektrum reichte von »durchschnittlich eine Stunde täglich« (13,6 Prozent) bis zu »mehr als fünf Stunden« (10,0 Prozent). Damals ging man von vier Hörertypen aus: Typ A nutzte das Radio über lange Strecken, Typ B nutzte es am Morgen und dann nur noch gezielt, Typ C nutzte ganz bewusst und wechselte die Wellen, während Typ D ausschließlich am Morgen hörte. Das moderne Radio wird - anders als das Fernsehen oder das Internet - nur wenig selektiv genutzt. Die Nutzungsschwerpunkte Abend (1923 bis 1965) und Morgen (1965 bis 1980) wurden inzwischen »abgeschliffen«. Radio ist heute ein sehr langzeitig eingeschaltetes Tagesbegleitmedium. Die Radionutzung veränderte sich im Tagesverlauf entschieden. Bis Anfang der 1960er-Jahre war der Abend die wichtigste Radiozeit (Phase 1). In einer zweiten Phase (etwa 1965 bis 1980) wurde der frühe Morgen zwischen fünf und sieben Uhr zur wichtigsten Radiozeit. Dann fiel - bis auf kurze Mittags- und Nachmittagsspitzen - die Nutzung. Seit 1980 (Phase 3) hat sich auch diese Morgenspitze langsam abgebaut, das Radio ist zum Tagesbegleitmedium geworden - mit ausgeglichenerer Nutzung vom Morgen bis zum Mittag. Dann lässt die Nutzung - auf hohem Niveau - nach (Eimeren 2001, 549). Beinahe alle Radioprogramme sind heute zum Nebenbeihören ausgerichtete Tagesbegleitprogramme: Die privaten AC- und CHR-Angebote, die öffentlich-rechtlichen Regional-, Jugend- und Popwellen, sogar die Klassik- und Kulturprogramme bis in die Abendstunden. Gerade hieran entzündet sich seit Langem die Kritik am Nebenbeiradio als »Geräuschkulisse«, »Musiktapete« oder »Dudelfunk« und an immergleichen Programmen. Die Ausrichtung der öffentlich-rechtlichen und privaten Radiowellen in formatierte und begleitende Zielgruppen- und Spartenprogramme ist in Deutschland weiter fortgeschritten als beim Fernsehen oder der Presse. Dennoch ist der Radionutzer außerordentlich konservativ: Er verhält sich wenig selektiv und ist seinem Programm außerordentlich treu. Dies bedeutet aber auch: »Die Selektion von Programmen schließt diejenige von Inhalten weitgehend mit ein. Zudem begünstigt die Funktion des Radios als Begleitmedium möglicherweise dessen wenig selektive Nutzung« (Kiefer 1999, 442). Eine Ausnahme stellen gegenwärtig die jungen Merksatz <?page no="99"?> Hörer (14bis 19-Jährige) dar. Sie wenden sich - wieder einmal - vom Radio und vor allem von den Massenprogrammen ab. Ihre Nutzungsdauer lag 2009 bei 89 Minuten. <?page no="100"?> AC Adult Contemporary AFN American Forces Network AG.MA Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland BFBS British Forces Broadcasting Service BR Bayerischer Rundfunk CHR Contemporary Hit Radio DAB Digital Audio Broadcasting DM Deutsche Mark DOM Deutsch orientierte melodiöse Musik Dradag Drahtloser Dienst AG DRM Digital Radio Mondial EBU European Broadcasting Union FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FFH Funk und Fernsehen Hessen FFN Funk & Fernsehen Nordwestdeutschland GEZ Gebühreneinzugszentrale HR Hessischer Rundfunk KEF Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten MA Media-Analyse MDR Mitteldeutscher Rundfunk MW Mittelwelle NDR Norddeutscher Rundfunk Norag Nordische Rundfunk AG NWDR Nordwestdeutscher Rundfunk Orag Ostmarken-Rundfunk AG ORB Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg O-Ton Originalton PKW Personenkraftwagen PSR Privater Sächsischer Rundfunk RB Radio Bremen <?page no="101"?> RBB Rundfunk Berlin-Brandenburg RPR Rheinland-Pfälzische Rundfunk GmbH RRG Reichs-Rundfunk-Gesellschaft RM Reichsmark RMS Radio Marketing Service RSH Radio Schleswig-Holstein RTL Radio Télévision Luxembourg SAW Sachsen-Anhalt-Welle SDR Süddeutscher Rundfunk, Stuttgart SFB Sender Freies Berlin SR Saarländischer Rundfunk SWF Südwestfunk, Baden-Baden SWR Südwestrundfunk UKW Ultrakurzwelle WDR Westdeutscher Rundfunk Werag Westdeutsche Rundfunk AG ZDF Zweites Deutsches Fernsehen <?page no="102"?> 1923 29.10. Sendestart des Hörfunks im Vox-Haus in der Potsdamer Straße in Berlin. 1924 24.10. Das erste Hörspiel, Zauberei auf dem Sender von Hans Flesch, wird in Frankfurt ausgestrahlt. 1925 15.05. Gründung der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) in Berlin. 1929 09.06. Start des Hafenkonzerts (Norag). 1933 18.08. Präsentation des Volksempfängers VE 301 auf der Berliner Funkausstellung. 1940 09.06. Beginn des Einheitsprogramms des »Großdeutschen Rundfunks«. 1945 04.05. Radio Hamburg beginnt als erster Militärregierungssender mit einem regelmäßigen Programm. 12.05. Sendestart Radio München. 13.05. Sendestart Berliner Rundfunk. 15.07. Sendestart des amerikanischen Soldatensenders AFN (American Forces Network) in Frankfurt. 29.07. Sendestart des britischen Soldatensenders BFN (British Forces Network). 1946 01.10. Start der Zeitfunksendung Echo des Tages. 1948 01.01. Gründung des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) als Anstalt des öffentlichen Rechts. 01.08. Radio Bremen beginnt mit der Ausstrahlung von Werbefunk. 1949 28.02. Der erste UKW-Sender Europas wird in München in Betrieb genommen. 1950 03.04. Die zweiten Programme des NWDR starten als UKW West in Köln und UKW Nord (14.5.) in Hamburg. 09./ 10.06. Gründung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD). Gründungsmitglieder sind: BR, HR, NWDR, RB, SDR und SWF. 18.08. BR startet zweites Programm auf UKW. 18.10. HR startet zweites Programm auf UKW. 1952 25.12. Sendestart des Fernsehens in der Bundesrepublik in Hamburg. 1953 03.05. Die Deutsche Welle beginnt - finanziert aus Steuermitteln - ihr Auslandsprogramm auf KW. 1956 01.04.Trennung des NWDR in Norddeutschen Rundfunk (NDR) und Westdeutschen Rundfunk (WDR). <?page no="103"?> 01.12. Das dritte Programm des NDR beginnt als erstes Kulturprogramm seinen Programmbetrieb. 1957 15.07. Sendestart des deutschsprachigen Programms von Radio Luxemburg. 1962 01.01. Sendebeginn des Deutschlandfunks auf LW. Zielgruppe sind Hörer in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). 1963 01.04. Sendebeginn des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF). 30.08. Offizieller Stereostart auf der 23. Funkausstellung in Berlin. 1964 02.01. Die Europawelle Saar eröffnet den Sendebetrieb als Musik- und Servicewelle. 01.11. Gemeinsames ARD-Hörfunkprogramm für ausländische Hörer. 1965 02.02. Start des ersten Hörfunkmagazins, des Mittagsmagazins auf WDR 2. 1967 25.08. Eröffnung des Farbfernsehens. 1970 01.01. Erste Gebührenerhöhung seit 1924. Die Hörfunkgebühr beträgt nun 2,50 D-Mark. 1971 01.04. Start der ersten Service- und Autofahrerwelle Bayern 3. 1972 23.04. Sendestart der Servicewelle hr3. 1975 01.01. Sendestart der ersten Pop- und Servicewelle SWF 3. 1976 01.01.EinzugderRundfunkgebührendurchdieGebühreneinzugszentrale (GEZ). 1980 04.10. Sendestart von Bayern 4 Klassik, dem ersten Spartenprogramm für klassische Musik. 1981 02.01. Auftrennung von NDR 1. Start der NDR-Landesprogramme für Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. 1984 01.01. Sendestart der Schlager- und Regionalwelle WDR 4. 1985 01.11. Der Offene Kanal Berlin erhält als erster OK eine UKW-Frequenz. 1986 01.07. Der erste private und landesweite Hörfunksender Radio Schleswig-Holstein (RSH) startet sein Programm. Beginn des dualen Hörfunksystems. 06.10. Sendestart der »rockfreien« Regional und Schlagerwelle hr4. 31.12. Sendestart des Privatsenders Radio Hamburg. 31.12. Sendestart des Privatsenders Radio FFN. 1988 23.07. Lizenzierung des ersten freien, nichtkommerziellen Radios und ehemaligen Piratensenders Radio Dreyeckland. 05.09. Sendestart des Privatradios Antenne Bayern. 1989 01.04. Sendestart des Wortprogramms NDR 4. 01.04. »Erweiterung, Erneuerung, Profilierung« - große Programmreform des NDR-Hörfunks. <?page no="104"?> 04.09. Start des Digitalen Satellitenradios (DSR). Erstmals sind ausgewählte Sender mit spezifischen Empfängern auch digital zu empfangen (bis 1999). 27.11. Strukturreform aller Radioprogramme des Hessischen Rundfunks. 1990 01.01. Radio NRW eröffnet sein Mantelprogramm für die Lokalsender in Nordrhein-Westfalen. 1991 06.05. Das erste formatierte öffentlich-rechtliche Inforadio B5 aktuell beginnt sein Programm. 06.08. Freigabe des Word Wide Web (www) für die allgemeine Nutzung. 1994 01.01. Sendebeginn von Deutschlandradio mit den beiden nationalen Sendern (auf regionalen Frequenzen) Deutschlandfunk und Deutschlandradio Berlin. 04.04. Programmstart des ersten formatierten öffentlich-rechtlichen Jugendprogramms N-Joy-Radio. 1996 13.03. Als erstes deutsches Hörfunkprogramm ist B5 aktuell live auch im Internet zu hören. 1997 17.05. Sendestart des »Jugendmultimedium«-Programms DASDING (SDR/ SWF). Das Programm ist auf UKW, DAB, ADR und im Internet hörbar. 1998 30.08. Sendebetrieb des - aus SDR und SWF - neugegründeten Südwestrundfunks (SWR) beginnt. 30.08. Sendestart des Integrationsprogramms Funkhaus Europa (WDR). 18.12. Sendestart des ersten deutschen reinen Internetradios Cyberradio in Hamburg. 1999 01.04. Beginn des DAB-Regelbetriebs in Sachsen-Anhalt. 2008 wird die Zahl der DAB-Empfänger auf zwischen 200.000 und 546.000 geschätzt. 22.05. Eröffnung des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin. 24.12. Hessischer Rundfunk schließt die Digitalisierung des Hörfunks ab. Der Umbau gilt als das »wohl größte Radio-Digitalisierungsprojekt Europas«. 2003 01.05. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) entsteht durch die Zusammenführung von SFB (Sender Freies Berlin) und ORB (Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg). 2005 07.03. Aus Deutschlandradio Berlin wird Deutschlandradio Kultur. 01.09. Alle ARD-Programme sind auch im digitalen Verfahren DVB-S (Digital Video Broadcasting - Satellite) zu empfangen. 2006 06.12. Saarländischer Rundfunk weiht mehrmedialen Newsroom als Planungs- und Informationszentrum für Hörfunk, TV, Online und Videotext ein. <?page no="105"?> 2008 01.09. Sendestart Bayern plus. Das »Hörfunk-Zusatzprogramm« im Rahmen des DAB-Pilotprojekts Bayern ist nur über DAB, DVB-S und im Internet zu hören. 2014 31.12. Der UKW-Betrieb soll, so hat Sachsen als erstes Bundesland festgelegt, in Sachsen enden und durch Digitalradio ersetzt werden. <?page no="106"?> Anders, Günther (1980): Die Antiquiertheit des Menschen. Band 1. 5. Auflage. München: Verlag C. H. Beck. Arnold, Bernd-Peter (1981): Hörfunk-Informationen. Hinter den Kulissen des schnellsten Nachrichtenmediums. Opladen: Leske + Budrich. Barsig, Franz (1981): Die öffentlich-rechtliche Illusion. Medienpolitik im Wandel. Köln: Deutscher Instituts-Verlag. Bauer, Helmut G. (2004): Weißbuch über die Situation des privaten Hörfunks in Deutschland. Düsseldorf: Landesanstalt für Medien. Böckelmann, Frank (1999): Hörfunk in Deutschland. 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