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Journalistik

1002
2013
978-3-8385-3923-2
UTB 
Klaus Meier

Eine kompakte und verständliche Einführung in die Journalistik Anwendungsorientiert, praxisnah und mit vielen Beispielen gibt der Autor einen systematischen Überblick über Theorien, Methoden und die vielfältigen Erkenntnisse des Faches. Neben grundlegendem Wissen über den Journalismus in der Gesellschaft thematisiert er aktuelle Debatten der Journalistik - über Ausbildung, Qualität, Ethik und die Zukunft des Journalismus. Zusammenfassungen, Definitionen und Boxen erleichtern das Lernen. Zahlreiche Tabellen und Abbildungen machen Fakten deutlich. Prüfungsfragen fördern das Verständnis. Die dritte Auflage wurde vollständig überarbeitet und aktualisiert. Das Lehrbuch richtet sich an Studierende der Journalistik im Haupt- und Nebenfach. Es ist ebenso für das Selbststudium mit dem Berufsziel Journalismus geeignet.

<?page no="2"?> K L AUS M E I E R Journalistik 3., überarbeitete Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> Klaus Meier ist Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und war dies zuvor am Institut für Journalistik der TU Dortmund und an der Hochschule Darmstadt. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.ddb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 1. Auflage 2007 2. Auflage 2011 3. Auflage 2013 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2013 Einbandgestaltung und Grundlayout: Atelier Reichert, Stuttgart Coverbild: © www.pixelio.de Satz: PTP-Berlin Protago-TEX-Production GmbH, Berlin Druck: fgb · freiburger graphische betriebe, Freibung UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 2958 ISBN 978-3-8252-3923-7 <?page no="4"?> 55 Inhalt Vorwort ............................................................................................................... 9 1 Journalistik und Journalismusforschung .......................................... 13 1.1 Gegenstand und Perspektiven des Fachs ....................................... 13 1.1.1 Was ist Journalismus? ........................................................... 13 1.1.2 Journalismus und Demokratie ........................................... 15 1.1.3 Was ist Journalistik? .............................................................. 18 1.1.4 Publizistik, Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft ............................................................... 21 1.2 Theorien des Journalismus ................................................................. 25 1.2.1 Wissenschaftliche Theorie und Alltagstheorie .............. 25 1.2.2 Übersicht: neun Theoriekonzepte ..................................... 26 1.2.3 Beispiel I: ein systemtheoretischer Ansatz ..................... 29 1.2.4 Beispiel II: Cultural Studies als kulturtheoretischer Ansatz ........................................... 37 1.3 Journalismusforschung ....................................................................... 40 1.3.1 Grundlagen empirischer Sozialforschung ...................... 40 1.3.2 Methoden empirischer Journalismusforschung ........... 48 1.3.3 Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung ................................... 58 2 Journalismus in der Gesellschaft ........................................................ 67 2.1 Die fünf Ebenen des Journalismus ................................................... 67 2.2 Geschichte und Wandel des Journalismus .................................... 71 2.2.1 Etappen der Journalismusgeschichte ............................... 72 2.2.2 Beispiele für lang wirkende Traditionen ......................... 80 2.3 Kommunikationsfreiheit und Mediensysteme ............................ 83 2.3.1 Kommunikationsfreiheit als Kennzeichen demokratischer Mediensysteme ........................................ 84 2.3.2 Mediensysteme im Vergleich .............................................. 87 <?page no="5"?> 6 I N H A L T 3 Journalismus und sein Publikum ........................................................ 97 3.1 Publikumsforschung ............................................................................ 97 3.2 Mediennutzung im Wandel ............................................................... 108 3.3 Wirkung des Journalismus ................................................................. 114 4 Medienorganisationen .......................................................................... 125 4.1 Medien und Massenkommunikation .............................................. 125 4.2 Organisationsformen und Ökonomie der Massenmedien ................................................................................ 129 4.2.1 Privatwirtschaftlich und öffentlich-rechtlich ................ 129 4.2.2 Der Doppelcharakter privatwirtschaftlicher Medienorganisationen .......................................................... 131 4.2.3 Medienkonzentration und Medienmultis ....................... 138 4.2.4 Ökonomische Herausforderungen durch das Internet .................................................................. 142 4.3 Medienlandschaft Deutschland: Basisdaten ................................. 146 4.3.1 Nachrichtenagenturen .......................................................... 146 4.3.2 Presselandschaft ...................................................................... 148 4.3.3 Rundfunklandschaft .............................................................. 153 4.3.4 Perspektiven ............................................................................. 158 4.4 Exkurs: Österreich und Schweiz ....................................................... 160 4.5 Redaktionsorganisation ...................................................................... 165 5 Journalistische Routinen ....................................................................... 179 5.1 Journalismus, Realität und Objektivität ........................................ 179 5.2 Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster ................. 186 5.3 Nachrichtenauswahl ............................................................................. 198 5.4 Journalismus und Public Relations ................................................. 205 6 Die Journalisten ...................................................................................... 211 6.1 Journalismus als Beruf ......................................................................... 211 6.2 Ausbildung und Kompetenzen ......................................................... 224 7 Aktuelle Debatten der Journalistik .................................................... 233 7.1 Qualität und Qualitätsmanagement ............................................... 233 7.2 Ethik ........................................................................................................... 244 7.3 Die Zukunft des Journalismus ........................................................... 255 <?page no="6"?> 7 I N H A L T Literaturempfehlungen ................................................................................. 271 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 274 Index .................................................................................................................... 287 <?page no="8"?> 99 Vorwort Ich gebe mit diesem Lehrbuch einen praxisnahen und systematischen Überblick über die vielfältigen Erkenntnisse der Journalistik als berufsorientierter wissenschaftlicher Disziplin. Studienanfänger der Journalistik haben häufig - wie ich auch - durch Praktika oder freie Mitarbeit ihre Leidenschaft für den Journalismus entdeckt. Ich möchte Lust wecken, mehr über diesen spannenden und für die Demokratie so wichtigen Beruf zu erfahren - nicht nur durch praktisches Tun im redaktionellen Korsett, sondern auch durch Nachdenken mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse im akademischen Freiraum. Über die Identität des Fachs Journalistik wird seit mehr als 30 Jahren munter diskutiert. Die Studienangebote wurden ausgebaut - und haben sich dabei stark differenziert. Die Erkenntnisse der Journalismusforschung sind ungemein gewachsen. Alle Studiengänge, Lehrstühle und Professuren an Fachhochschulen und Universitäten, die entweder Journalistik oder Journalismus im Namen tragen, haben eines gemeinsam: Sie wollen die Studentinnen und Studenten gründlich auf das Berufsfeld Journalismus vorbereiten - und zwar nicht nur durch praktisches Training, sondern auch mit wissenschaftlicher Forschung und Reflexion. Dieses Ziel will das vorliegende Lehrbuch unterstützen. Es führt kompakt, aber umfassend in die Wissensgebiete der Journalistik ein und orientiert sich dabei einerseits am Berufsfeld Journalismus, andererseits am anwendungsorientierten Forschungsstand der Publizistik-, Medien- und Kommunikationswissenschaft. Das Lehrbuch soll sowohl dem aktuellen Wandel des Journalismus als auch den Ansprüchen der neuen Bachelor- und Master-Studiengänge gerecht werden. Es versteht sich als Ergänzung zu praktischen Leitfäden und Ratgebern, die sich auf Tipps zum journalistischen Recherchieren, Schreiben und Produzieren konzentrieren - was in der Journalistenausbildung zwar elementar ist, aber angesichts des dynamischen Wandels der Medienmärkte, -techniken und -produkte bei weitem nicht ausreicht. Dieses Buch ist konzipiert für das Studium der Journalistik im Haupt- und Nebenfach, bietet aber auch eine Orientierung für Studierende <?page no="9"?> 10 V O R W O R T anderer (Medien-)Studiengänge und für das Selbststudium mit Berufsziel Journalismus. Es dient demnach • als begleitende Lektüre für Module, Vorlesungen, Seminare und Übungen im Haupt- und Nebenfachstudium Journalistik: vorwiegend als Einführung in den ersten beiden Semestern, aber auch als Vorbereitung auf Abschlussarbeiten und Abschlussprüfungen; • zum Selbststudium für Studierende anderer Fachrichtungen mit Berufsziel Journalismus; • zum Selbststudium für Journalistinnen und Journalisten - zum Beispiel in nicht-akademischer Aus- und Weiterbildung -, die in kompakter Form mehr über ihren Beruf wissen wollen und aus der inzwischen vorliegenden Fülle praxisrelevanter Forschung schöpfen möchten. Die Reihe »UTB basics«, in der dieses Lehrbuch erscheint, gibt in knapper und didaktisch ausgearbeiteter Form einen Überblick über ein Fachgebiet. Der Aufbau ermöglicht eine schnelle Orientierung durch Kapitelübersichten, Merksätze, Definitionen und Zusammenfassungen. Dem Selbststudium dienen Übungsfragen. Wer mehr zu einem Thema wissen möchte, findet nach jedem Kapitel Literaturhinweise auf weiterführende Aufsätze und Bücher. Hier soll das Buch auch zur Vorbereitung von Hausarbeiten, Referaten, Bachelor- oder Masterprojekten nützlich sein: Man kann einzelne Kapitel nachlesen, wenn der Stoff im Studium vorkommt. Das Buch ist so aufgebaut, dass man die einzelnen Kapitel nicht der Reihe nach lesen muss, sondern modular gezielt Vorlesungsinhalte herausgreifen kann - obschon ein umfassendes Verständnis des Fachs eher beim linearen Lesen entstehen wird. Ich beginne im ersten Kapitel mit einer Klärung des Gegenstands, der Perspektiven, Theorien und Forschungsmethoden der Journalistik. Das zweite Kapitel spannt dann den Rahmen für die weitere Gliederung des Buches auf, die sich an den fünf Ebenen des Journalismus orientiert: den historisch gewachsenen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, dem Kontext des Publikums, den Medienorganisationen, für die Journalisten tätig sind, den journalistischen Routinen und den Journalisten selbst, ihren sozialen Merkmalen und ihrer Ausbildung. Im letzten Kapitel werden schließlich drei übergreifende, aktuelle Debatten der Journalistik skizziert: über Qualität, Ethik und die Zukunft des Journalismus. Ich konnte bei diesem Buch - wie generell bei meiner Arbeit an der Hochschule - auf großartige Unterstützung zählen. Ich danke vor allem meinen Kolleginnen und Kollegen an den Journalismus-Studiengängen der Hochschule Darmstadt, am Institut für Journalistik der TU Dortmund sowie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt: Wir diskutieren seit Jahren intensiv über das Selbstverständnis der Journa- <?page no="10"?> 11 listik, über die Konzeption neuer Studieninhalte und Studiengänge. Vor allem Friederike Herrmann und Annette Leßmöllmann gaben mir wertvolle Hinweise zum Manuskript; Peter Seeger, Hartmut Vinçon, Carlo Sommer, Thomas Pleil und Lorenz Lorenz-Meyer waren immer wieder bereit zu fruchtbaren Gesprächen. Für wichtige Hinweise zur zweiten Auflage danke ich Melanie Verhovnik und insbesondere den Schweizer Kollegen Vinzenz Wyss und Michael Schanne sowie Daniela Kraus vom Medienhaus Wien. Zur Aktualisierung der 3. Auflage haben Michael Schanne, Andy Kaltenbrunner, Lisa Wolf und Verena Gabler beigetragen. Herzlichen Dank dafür. Als Gutachter in Akkreditierungsverfahren für neue Studiengänge an anderen Hochschulen hatte ich zudem vielfältige Einblicke in Journalistik-Konzeptionen; als Berater von Redaktionen und Coach in der Journalistenweiterbildung bekam ich die Gelegenheit, an Innovationen im Journalismus mitzudenken und mitzuarbeiten. Ich danke allen, die mir Chancen gaben, über mein Studium und die eigenen Forschungsprojekte hinaus mehr über den Journalismus und seine Wissenschaft zu erfahren. Eichstätt, im August 2013 Klaus Meier Das Blog zum Buch Ein Weblog ergänzt und aktualisiert dieses Lehrbuch. Unter www.journalistik-lehrbuch.de können die Leserinnen und Leser das Buch kommentieren, weitere Lektüreanregungen oder Hinweise auf nötige Aktualisierungen geben - oder ganz einfach mit dem Autor ins Gespräch kommen. <?page no="12"?> 13 13 Journalistik und Journalismusforschung Gegenstand und Perspektiven des Fachs Was ist Journalismus? Beginnen wir die Suche nach dem Journalismus mit einem ganz normalen Medienalltag. Am Morgen holt uns der Radiowecker aus dem Schlaf: Popmusik unterbrochen durch kurze Bemerkungen eines launigen Moderators über das miese Wetter. Wir blättern durch die Tageszeitung: Die CDU hat im neuesten Wahlbarometer ein Prozent mehr Zustimmung erhalten und bei Aldi ist das Duschbad billiger geworden. Auf dem Weg zur Arbeit lesen wir in »DB mobil«, der Kundenzeitschrift der Bahn, ein Porträt des Radsportlers Jan Ullrich. Später dann - am Schreibtisch im Büro - informiert uns das Internet-Angebot eines Fernsehsenders darüber, dass eben jener Jan Ullrich wegen Dopingverdachts von der Tour de France ausgeschlossen wird. Am Abend fesselt uns nach den Nachrichten eine ZDF-Serie an den Fernsehbildschirm: Im »Bundeskanzleramt« simulieren Schauspieler das Berliner Machtzentrum. Wir zappen durch die Programme und stoßen erneut auf Sendungen, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise Realität inszenieren: Fußball, »Die Super Nanny«, Talkshow »Berlin Mitte«, »Dschungelcamp«, »Harald Schmidt«. Die Massenmedien bieten vielfältige Formen öffentlicher Kommunikation ( → vgl. Kap. 4.1; S. 125-128. ). Sie gleichen einer großen Bühne, auf der vieles gespielt wird. Müssten wir für jedes mediale Format entschei- | 1 1.1 Gegenstand und Perspektiven des Fachs 1.2 Theorien des Journalismus 1.3 Journalismusforschung Inhalt | 1.1 | 1.1.1 Medienalltag Medien: eine große Bühne <?page no="13"?> 14 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G den, ob es sich um Journalismus handelt oder nicht - wir würden mit Sicherheit viel streiten. Journalismus lässt sich von anderen Aktivitäten im Medienbetrieb nicht klar unterscheiden. Selbst mit einer guten wissenschaftlichen Definition kann man oft nicht nach dem Muster »ja« oder »nein« vorgehen, sondern eher mit Hilfe einer bipolaren Linie: Es handelt sich dann um »mehr« oder »weniger« Journalismus. Das ist für die Wissenschaft höchst unbefriedigend, weshalb oft über Definitionsfragen diskutiert wird und viele Studien zur Theorie des Journalismus um eine sinnvolle Definition ringen ( → vgl. Kap. 1.2; S. 25 f. ). Die folgende Definition stellt die Aufgaben des Journalismus und seine Funktion für die Gesellschaft in den Mittelpunkt: Die Themen, welche der Journalismus aufgreift, haben also drei Eigenschaften, die gemeinsam den Begriff der Aktualität kennzeichnen: • Neuigkeit: Die Ereignisse, auf die sich die Themen beziehen, liegen nur einige Minuten, Stunden oder Tage zurück - je nach Erscheinungsintervall (= Periodizität) des jeweiligen Mediums. Bei Live-Berichterstattung wird sogar Gleichzeitigkeit erreicht. Auch Themen, die nicht direkt an Ereignisse gekopppelt sind, haben Gegenwartsbezug. • Faktizität: Es handelt sich um tatsächliche Ereignisse und nicht um Fiktionen. Die Regeln des Journalismus sehen Faktenüberprüfungen vor. Die Faktizität bestimmt damit den unmittelbaren Quellenbezug des Journalismus. • Relevanz: Die Themen sind wichtig für die Zielgruppe des jeweiligen Mediums, mitunter für die gesamte Gesellschaft. Das heißt, sie beziehen sich auf die (vermuteten) augenblicklichen Interessen des Publikums. Die Relevanz bestimmt damit den Gesellschafts- und Publikumsbezug des Journalismus. Der Soziologe Niklas Luhmann hat seine Theorie über die Realität der Massenmedien mit dem banalen und doch folgenreichen Satz begonnen: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir Journalismus Journalismus recherchiert, selektiert und präsentiert Themen, die neu, faktisch und relevant sind. Er stellt Öffentlichkeit her, indem er die Gesellschaft beobachtet, diese Beobachtung über periodische Medien einem Massenpublikum zur Verfügung stellt und dadurch eine gemeinsame Wirklichkeit konstruiert. Diese konstruierte Wirklichkeit bietet Orientierung in einer komplexen Welt. Definition Aktualität <?page no="14"?> G E G E N S T A N D U N D P E R S P E K T I V E N D E S F A C H S 15 leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.« (1996: 9) Die moderne Mediengesellschaft verlässt sich auf die durch den Journalismus konstruierte Wirklichkeit - trotz aller Kritik am Journalismus und trotz aller Skepsis, ob das denn alles richtig und wichtig ist, was wir lesen, sehen oder hören. Journalismus ist ein Vertrauensgut: Wir vertrauen darauf, dass die Journalistinnen und Journalisten die für uns wichtigen Themen auswählen und dass die Beschreibungen, die sie liefern, richtig sind - also bestimmte Realitätstests überstanden haben und nicht übertrieben oder gar falsch dargestellt sind. Auf diese Erwartungen hat der Journalismus mit der Entwicklung professioneller Arbeitsweisen - den journalistischen Routinen - reagiert ( → vgl. Kap. 5; S. 179 - 210 ): Die Selektionskriterien können mit den Nachrichtenfaktoren beschrieben werden; die Realitätstests beruhen auf den professionellen Kriterien der journalistischen Recherche. Journalismus würde seine gesellschaftliche Orientierungsleistung nicht erfüllen können, wenn er beliebig vorginge. Andere Medienbereiche adaptieren oder imitieren diese Arbeitsweisen, um ebenfalls Vertrauen zu gewinnen. Die Deutsche Bahn zum Beispiel lässt eine Zeitschrift produzieren, die in den Zügen ausliegt und in der mit journalistischen Darstellungsformen über prominente Sportler oder Schauspieler ebenso informiert wird wie über die Sauberkeit von Bahnhöfen und die Pünktlichkeit von Zügen. Mit Hilfe unserer Definition können wir feststellen, dass die Zeitschrift zwar neue und durchaus relevante Themen kommuniziert, dass es aber an der Faktizität hapern könnte: Ob die Bahnhöfe tatsächlich so sauber sind und die Züge so pünktlich? - Wir trauen der Zeitschrift in diesem Punkt nicht, weil es sich eben nicht um Journalismus handelt, sondern um ein Medium der Unternehmenskommunikation ( → vgl. Kap. 5.4; S. 205 - 210 ) - eine andere Form öffentlicher Kommunikation, die den Interessen des Auftraggebers folgt und nicht unabhängig arbeiten kann. Doch arbeitet Journalismus immer unabhängig? - Auch Journalismus unterliegt wirtschaftlichen und politischen Interessen. Journalismus und Demokratie Damit sind wir schon mitten in der Debatte um die Ideale und die Qualität des Journalismus, die wir später vertiefen werden ( → vgl. Kap. 7.1; S. 233 - 243 ). Einleitend sei darauf verwiesen, dass sich zur deskriptiven Frage »Was ist Journalismus? « oft die normative Frage »Was soll Journalismus? « gesellt. Vor allem aus der Perspektive eines freien pluralistischen Gesellschaftssystems werden an die Rahmenbedingungen und Arbeitsweisen des Journalismus immer wieder Forderungen Vertrauensgut Journalismus | 1.1.2 Öffentlichkeit und Transparenz <?page no="15"?> 16 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G gestellt, denn der Journalismus gilt als »Schlüsselberuf« für die moderne Demokratie, der Öffentlichkeit herstellt und dadurch Transparenz in die gesellschaftlichen Verhältnisse bringen soll ( → vgl. Kap. 2.3; S. 84 - 96 ). Es handelt sich dann nicht um deskriptive - also beschreibende - Definitionen (wie oben), sondern um normative Theorien, die begründen, was Journalismus idealerweise ausmacht und was er »sein soll«. Diesen Theorien zufolge ist ein qualitativ hochwertiger, seriös-nachrichtlicher Journalismus konstitutiv für die Demokratie. Die Leistungen für die Gesellschaft kann er nur erfüllen, wenn er folgenden Idealen möglichst nahekommt: • Zu den Kernaufgaben des Journalismus gehört die Information. Der Journalismus soll so vollständig und sachlich wie möglich informieren, damit wir uns über das politische und wirtschaftliche Geschehen ein sinnvolles Bild machen können. Journalismus sollte ein »Frühwarnsystem« der Gesellschaft sein und die Aufmerksamkeit auf zentrale Themen und Ereignisse lenken, damit gemeinsame Diskussionen über gesellschaftliche Probleme geführt werden können. Gleichzeitig sollte eine möglichst große Themen- und Meinungsvielfalt geboten werden. • Weitere Aufgaben sind Kritik und Kontrolle. Die moderne Demokratie ist gekennzeichnet durch ein System der »checks and balances« (»Kontrolle und Gegengewichte«). Man spricht von »Gewaltenteilung« - sinnvoller ist aber der Begriff »Macht«, weil in der Demokratie ja in den wenigsten Fällen physische Gewalt ausgeübt wird. Die staatliche Macht ist auf mehrere Schultern verteilt; die Mächte kontrollieren sich gegenseitig. Die drei staatlichen Mächte Exekutive, Legislative und Judikative werden durch die »vierte Macht« Journalismus kritisiert und kontrolliert. Missstände, Fehlentscheidungen, Korruption oder bürokratische Willkür sollen aufgedeckt werden. • Durch Information, Kritik und Kontrolle wirkt der Journalismus an der Meinungsbildung mit. • Die redaktionelle Unabhängigkeit gilt als wesentliches Merkmal journalistischer Professionalität. Journalisten können ihre öffentliche Aufgabe nur erfüllen, wenn sie unabhängig von privaten oder geschäftlichen Interessen Dritter und von persönlichen wirtschaftlichen Interessen arbeiten. Dieser Grundsatz ist - auf die Produktebene bezogen - im Trennungsgebot von redaktioneller Berichterstattung und Werbung gesetzlich verankert (z. B. in den Landespressegesetzen) und berufsethisch noch weiter gehend auf das journalistische Handeln bezogen formuliert (vgl. Pressekodex Ziffer 7): Verleger und Redakteure sollen jegliche Versuche, die Redaktion zu beeinflussen, abwehren. Unabhängigkeit und Trennungsgebot bestimmen letztlich »vierte Macht« redaktionelle Unabhängigkeit <?page no="16"?> G E G E N S T A N D U N D P E R S P E K T I V E N D E S F A C H S 17 die Glaubwürdigkeit der Information und liegen deshalb langfristig im Interesse aller Beteiligten. Denn die Attraktivität eines journalistischen Produkts resultiert aus der Erwartung eines mündigen Publikums, nicht einseitig im Dienst fremder Interessen informiert zu werden. Geht mit zunehmend schlechter Erfahrung das Vertrauen in die Unabhängigkeit einer Redaktion verloren, schwindet nicht nur die Zahlungsbereitschaft der Nutzer für die journalistische Dienstleistung, sondern auch der Wert der journalistischen Produkte als Werbeträger. »Wer kontrolliert die Kontrolleure? « - Nicht wenige Tagungen, Vorträge oder Podiumsdiskussionen stehen unter diesem Motto. Die Frage kann generell nicht befriedigend beantwortet werden. Einerseits sollte der Journalismus möglichst große Freiheit haben und weder durch staatliche noch durch wirtschaftliche Mächte beeinflusst werden (Stichwort Pressefreiheit → vgl. Kap. 2.3.1; S. 84 - 87 ). Andererseits ist der Journalismus nicht unfehlbar - auch er braucht Schranken. Da die Pressefreiheit verfassungsrechtlich ein hohes Gut ist (vgl. Art. 5 Grundgesetz), sind die gesetzlichen Schranken recht weit gefasst und beziehen sich vor allem auf das Persönlichkeitsrecht und den Jugendschutz. Wie lässt sich ohne Zensur und Reglementierung auf Fehlentwicklungen im Journalismus reagieren? Dies ist die Kernfrage der publizistischen Qualitätssicherung ( → vgl. Kap. 7.1; S. 233 - 243 ) und der journalistischen Ethik ( → vgl. Kap. 7.2; S. 244 - 255 ). Die Möglichkeiten reichen von publizistischer Selbstkontrolle (z. B. durch den Presserat) bis zur Beobachtung und Kritik des Journalismus beispielsweise durch die Wissenschaft (z. B. die Journalistik), durch Bereiche des Journalismus selbst (Medienjournalismus) und durch so genannte Media Watchdogs (»Wachhunde«). Das Internet bietet eine neue Plattform für die Watchdogs: Ein Beispiel ist »bildblog.de«, ein Weblog, das sich kritisch mit der Berichterstattung der B ILD -Zeitung und anderer Redaktionen auseinandersetzt - angeregt durch Hinweise von Leserinnen und Lesern. Aus Sicht einer normativen Demokratietheorie soll Journalismus Transparenz in die gesellschaftlichen Verhältnisse bringen. Seine Kernaufgaben sind demnach Information sowie Kritik und Kontrolle. Dadurch wirkt der Journalismus an der Meinungsbildung mit. Um ihre öffentliche Aufgabe optimal erfüllen zu können, brauchen Journalisten professionelle Unabhängigkeit. Merksatz »Wer kontrolliert die Kontrolleure? « <?page no="17"?> 18 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Was ist Journalistik? Der Begriff »Journalistik« lässt sich historisch mindestens über 200 Jahre verfolgen. Lange Zeit war damit aber nichts anderes als »Journalismus« gemeint. Erst allmählich setzte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die heutige Bedeutung durch: Seitdem ist - pragmatisch formuliert - die Journalistik nichts anderes als die Wissenschaft vom Journalismus. Sie entwickelte sich in Deutschland vor etwa 40 Jahren als Teildisziplin aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ( → vgl. Kap. 1.1.4; S. 21 - 24 ). Die Journalistik setzt sich wissenschaftlich-analytisch und reflektierend mit dem Berufs- und Arbeitsfeld Journalismus auseinander. Allerdings sind sich die Wissenschaftler nicht darüber einig, was dies im Detail bedeutet. Die Journalistik präsentiert sich, um es mit dem Journalismusforscher Martin Löffelholz (2003: 31) zu sagen, »als ein pluralistisches, differenziertes und dynamisches Forschungsfeld«. Im Wesentlichen gibt es zwei Dimensionen der Journalistik: das Studiengangmodell und den Forschungszweig. Journalistik als Studiengangmodell Die Journalistenausbildung bestand in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik vor allem aus einem Anlernen on the Job im Volontariat. Kritik an dieser einspurigen Ausbildungsform und den journalistischen Berufsstandards führte in den 70er-Jahren zu einer Reihe von Initiativen, die eine Hochschulausbildung von Journalisten forderten - zum Beispiel ein Memorandum des Deutschen Presserats. In Dortmund und München wurden Diplomstudiengänge gegründet, die erstmals den Namen »Journalistik« trugen und diesem Begriff ein Profil gaben. Es folgten weitere grundständige oder Aufbaustudiengänge mit im Detail unterschiedlichen Konzeptionen - aber mit dem gemeinsamen Anspruch, alle journalistischen Kompetenzen integrativ zu vermitteln ( → vgl. Kap. 6.2; S. 224 - 232 ) und damit Theorie und Praxis des Journalismus zusammenzuführen. Vorbild sind die USA: Es gibt dort mehr als 100 Journalistik-Studiengänge (insgesamt fast 500 kommunikationswissenschaftliche Angebote) und eine 100 Jahre alte Tradition der Hochschulausbildung von Journalisten. Mehr als drei Viertel der Journalisten, die in den USA in den 1990er-Jahren ihren Job begannen, hatten Journalistik oder Kommunikationswissenschaft studiert (Weaver u. a. 2007: 43) ( → vgl. Kap. 6.2; S. 224 - 232 ). In den 80er und 90er-Jahren richteten einige deutsche Universitäten Voll-, Teil-, und Nebenfachstudiengänge Journalistik ein. Daneben wur- 1.1.3 | Wissenschaft vom Journalismus Vorbild USA <?page no="18"?> G E G E N S T A N D U N D P E R S P E K T I V E N D E S F A C H S 19 den an traditionellen Instituten der Kommunikationswissenschaft und Publizistik Journalistik-Professuren und -Arbeitsbereiche eröffnet. In den vergangenen 15 Jahren kamen schließlich etliche Fachhochschulen hinzu, die mit unterschiedlichen Modellen für Medienberufe ausbilden. Insgesamt wurde die Journalistik vielfältiger ( → vgl. Kap. 6.2; S. 229 - 231 ). Journalistik als Forschungszweig Während die Journalistik als Studiengangmodell viele Perspektiven und Fachgebiete integriert - zum Beispiel die Medienökonomie, das Medienrecht oder politisches und gesellschaftliches Sachwissen -, um alle Dimensionen der journalistischen Kompetenz in die Ausbildung einbringen zu können, konzentriert sich die Journalistik als Forschungszweig auf die Erforschung des »Gegenstands Journalismus« - genauer: seiner Berufs- und Arbeitszusammenhänge. Die Journalistik untersucht die Regeln und Arbeitsweisen des Journalismus und analysiert »in einem auf die Kommunikationsverhältnisse der Gesellschaft bezogenen Kontext, was Journalismus leistet und wie Journalismus wirkt und unter welchen Bedingungen er dies tut« (Weischenberg 1992: 27). Für dieses Forschungsgebiet hat sich auch der Begriff »Journalismusforschung« etabliert. Manche Wissenschaftler sehen die Journalistik als Teil einer »Kommunikatorforschung« (vgl. Pürer 2003: 107; Löffelholz 2003). Diese Bezeichnung geht auf ein Kommunikationsmodell zurück, das Harold D. Lasswell 1948 formulierte. Die so genannte Lasswell-Formel teilt den Kommunikationsprozess vereinfacht in fünf Elemente: »Who says what in which channel to whom with what effect? « Diese Einteilung hat auf die Kommunikationswissenschaft noch immer einen gewissen Einfluss, weil sich daran fünf Hauptbereiche der Kommunikationsforschung aufzeigen lassen (vgl. Abb. 1.1). Diese Separierung von Forschungsbereichen ist allerdings nicht unproblematisch, weil damit mögliche Beziehungen untereinander unerforscht bleiben. So ist auch »Kommunikatorforschung« ein unglücklicher, weil missverständlicher Begriff: Man könnte meinen, es sei damit nur die Erforschung von Personen oder Gruppen von Personen gemeint, nämlich von Kommunikatoren (neben Journalisten auch PR-Fachleuten, Werbeagenten, sonstigen Autoren, Sprechern und Politikern, die in der Öffentlichkeit auftreten), die isoliert betrachtet gar nicht vernünftig erforscht werden können, weil sie immer in Strukturen und Prozesse der Medienproduktion und -nutzung eingebunden sind. Zudem können in neuen Medien wie dem Internet Kommunikator- und Rezipientenrollen nicht mehr strikt getrennt werden: Mediennutzer werden selbst zu Bedingungen, Leistungen und Wirkungen Kommunikatoren und Rezipienten <?page no="19"?> 20 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Kommunikatoren, wenn sie sich an Medieninhalten beteiligen - zum Beispiel in Foren, Weblogs und sozialen Netzwerken. Aus diesen Gründen sprechen wir auch nicht von »Journalistenforschung«, sondern von »Journalismusforschung«. Und deshalb verlaufen Journalistik und Journalismusforschung quer zu einer solchen Einteilung. Sie gehen weit über eine »Kommunikatorforschung« hinaus und stehen mit allen Disziplinen im Austausch. Die integrierende Perspektive: berufsorientierte Journalistik Die Fachgruppe, in der sich die deutschsprachigen Journalistik-Wissenschaftler austauschen, ist in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) angesiedelt und nennt sich »Journalistik und Journalismusforschung« - mit dem Ziel, beide Bereiche zu integrieren: die studiengangbezogene Dimension der Journalistik und das Feld der Journalismusforschung. In angloamerikanischen Ländern tut man sich sprachlich leichter: Die entsprechende Fachgrup- Die Lasswell-Formel bildet auf einen Blick wichtige Elemente des Kommunikationsprozesses ab und systematisiert Felder der Kommunikationsforschung - nimmt allerdings aufgrund der Einfachheit viele Nachteile in Kauf: So werden z. B. wechselseitige Abhängigkeiten, Beziehungen untereinander, Feedback und Rückkopplungsschleifen nicht berücksichtigt. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Massenkommunikation sind nicht explizit erwähnt (Quelle: eigene Darstellung nach Lasswell 1948). »Who says what in which channel to whom with what effect? « Aussagen-/ Medieninhaltsforschung z. B. Inhalte der Medien zu bestimmten Themen, Themenprofile von Medienprodukten; Genre- und Darstellungsformen Kommunikatorforschung z. B. Arbeitsweise, Merkmale und Einstellungen von Journalisten Medienstrukturforschung z. B. Organisationsformen und Strukturen von Massenmedien (z. B. öffentlich-rechtlich vs. privat) Publikums-/ Nutzungsforschung z. B. Art und Ausmaß der Mediennutzung, Motive und Wünsche der Rezipienten Wirkungsforschung z. B. Folgen und Effekte der Medien auf Wissen, Einstellung, Gefühle, Verhalten auf individueller und gesellschaftlicher Ebene Abb. 1.1 | »Journalism Studies« <?page no="20"?> G E G E N S T A N D U N D P E R S P E K T I V E N D E S F A C H S 21 pe der International Communication Association (ICA) heißt schlicht »Journalism Studies« und beschäftigt sich mit »journalism theory and research as well as professional education in journalism«. Journalistik-Wissenschaftler, die sich in deutschsprachigen Ländern um eine Integration von Journalistenausbildung und Journalismusforschung - also von Lehre und Forschung - bemühen, betonen die Anwendungsorientierung des Fachs: So sieht zum Beispiel Horst Pöttker die Journalistik als »berufsorientierte Wissenschaft«, »die zur journalistischen Profession ein ähnliches Verhältnis entwickeln kann wie die Medizin zum Arztberuf« (1998: 233). Die Wissenschaft konzentriert sich aus dieser Perspektive auf Probleme, die der Journalismus zu lösen hat, und sie stellt der journalistischen Praxis »nützliche, d. h. innovative und zutreffende Erkenntnisse« zur Verfügung. Dabei muss allerdings betont werden, dass die Wissenschaft einen gesellschaftlichen und keinen privatwirtschaftlichen Auftrag hat - und es deshalb nicht primär um die kommerzielle Verwertbarkeit von Erkenntnissen gehen kann. Die Journalistik ist immer auch kritischer Widerpart des Journalismus, beschreibt Defizite und Fehlentwicklungen, belässt es aber nicht bei der Kritik, sondern zeigt Fakten und Argumente für neue Wege auf und erforscht systematisch Innovationen zur Verbesserung journalistischer Qualität. Publizistik, Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft Die Journalistik entwickelte sich als Teildisziplin aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Sie nutzt in vielfältiger Weise die Erkenntnisse dieser Wissenschaftsdisziplin, die sich mit der Mediengesellschaft und der medialen Durchdringung fast aller Bereiche des wie die Medizin 1 Journalistik ist die Wissenschaft vom Journalismus. Sie erforscht die Regeln und Arbeitsweisen des Journalismus und geht den Fragen nach, was Journalismus für die Gesellschaft leistet und wie er wirkt. 2 Als berufsorientierte Wissenschaftsdisziplin integriert sie Journalistenausbildung und Journalismusforschung und stellt für die journalistische Praxis innovative Erkenntnisse bereit, untersucht aber auch Defizite und Fehlentwicklungen des Journalismus. 3 Journalistik-Studiengänge haben den Anspruch, die journalistischen Kompetenzen durch Forschung und Lehre sowie in Theorie und Praxis integrativ zu vermitteln. Zusammenfassung | 1.1. 4 <?page no="21"?> 22 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G gesellschaftlichen Lebens wie Politik, Wirtschaft, Erziehung oder Kultur beschäftigt. Was ist der Unterschied zwischen Journalistik und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft? Zum einen geht die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft über die Journalistik hinaus und untersucht alle Phänomene der durch Massenmedien vermittelten öffentlichen Kommunikation - also auch mediale Formen, die nicht Journalismus sind (z. B. die Produktion und Wirkung fiktionaler Formate), oder andere Berufsfelder (z. B. Public Relations, Werbung oder Medienpädagogik). Zum anderen unterscheidet sich die Journalistik von der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft durch ihren intensiven Berufs- und Anwendungsbezug. Die Kommunikationswissenschaft ist eine vergleichsweise junge Disziplin, die erst ab 1916 als »Zeitungskunde« in den Kanon akademischer Fächer aufgenommen wurde. Die heutigen Bezeichnungen des Fachs sind nicht einheitlich und stiften unter Studierenden sowie unter Wissenschaftlern anderer Fächer erhebliche Verwirrung. Nach 1945 wurde zunächst die Bezeichnung Publizistikwissenschaft gebräuchlich. Später kam der Begriff Kommunikationswissenschaft hinzu - in Anlehnung an die US-amerikanischen »Communication Studies«, die sich frühzeitig mit den gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen befassten und empirische Forschungsmethoden dafür entwickelten ( → vgl. Kap. 1.3; S. 40 - 65 ). Der Kerngegenstand des Fachs - nämlich die Massenmedien - hielt seltsamerweise erst spät Einzug in die Fachbezeichnung: In den 70er-Jahren entstand aus der Germanistik, den Literatur- und Theaterwissenschaften eine ästhetisch und historisch orientierte Medienwissenschaft, die sich als Geistes- und Kulturwissenschaft versteht und weniger den gesellschaftlichen Kontext als die Ästhetik und Geschichte von Einzelwerken und Einzelmedien erforscht. Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft geht dagegen eher sozialwissenschaftlich vor, berücksichtigt also stärker die Kommunikationsverhältnisse in der Gesellschaft und den Prozess- und Vernetzungscharakter von (Massen-) Kommunikation. Auch die historische Forschung ist entweder medienwissenschaftlich geprägt und betrachtet dann isoliert die Entwicklung einzelner Medien (wozu sie auch das Theater, den Brief oder das Plakat zählt; vgl. Faulstich 2004) - oder sie geht kommunikationswissenschaftlich vor und analysiert die Entwicklung der Massenmedien im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse der jeweiligen Zeit (vgl. Wilke 2000) ( → vgl. Kap. 2.2; S. 71 - 83 ). Um die Verwirrung noch zu steigern, gibt es Institute, die zwar den Namen »Medienwissenschaft« tragen, aber primär sozialwissenschaftlich geprägt sind, z. B. an den Universitäten Düsseldorf, Ilmenau und Leipzig. Immer mehr Kommunikationswissenschaftler schielen nach verwirrende Fachbezeichnungen <?page no="22"?> G E G E N S T A N D U N D P E R S P E K T I V E N D E S F A C H S 23 dem Begriff »Medien«, weil dieser in der Öffentlichkeit und der Hochschulpolitik leichter vermittelbar ist. So wurde zum Beispiel das Münchner Institut im Jahr 2004 von »Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft)« in »Kommunikationswissenschaft und Medienforschung« umbenannt - unter geschickter Umgehung des umstrittenen Begriffs »Medienwissenschaft«. Wie auch immer man sie bezeichnet: Die umfassende Wissenschaft der Massenmedien und der medialen Prozesse in der Gesellschaft entwickelt sich immer mehr zu einer transdisziplinären Wissenschaft mit zahlreichen Berührungspunkten zu anderen Disziplinen. Einige Beispiele: Gemeinsam mit der Politikwissenschaft erforscht man das Spannungsfeld zwischen Politik und Journalismus, mit der Psychologie die individuellen Wirkungen der Medien, mit der Soziologie die gesellschaftlichen Wirkungen der Medien, mit der Pädagogik die Medienerziehung und den Einsatz von Medien in der Bildung, mit der Literatur- und Sprachwissenschaft die Medienprodukte oder mit der Medieninformatik die neuen Möglichkeiten der computervermittelten Kommunikation. transdisziplinäre Wissenschaft Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft erforscht die wachsende mediale Durchdringung fast aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Politik, Wirtschaft, Erziehung oder Kultur. Sie geht primär sozialwissenschaftlich vor, entwickelt sich aber immer mehr zur transdisziplinären Integrationswissenschaft mit erheblichen Berührungspunkten zu anderen Disziplinen. Die Journalistik ging aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hervor, unterscheidet sich davon aber durch die konkrete Berufsorientierung und den intensiven Praxisbezug. Zusammenfassung 1 Definieren Sie »Journalismus«. Nennen Sie Beispiele medialer Formate und diskutieren Sie, inwiefern es sich um Journalismus handelt. 2 Welche drei Eigenschaften kennzeichnen die »Aktualität«? 3 Warum gilt der Journalismus als »Schlüsselberuf« für die moderne Demokratie? 4 Warum ist redaktionelle Unabhängigkeit so wichtig? 5 Welche Ziele verfolgt eine berufsorientierte Journalistik? 6 Warum ist die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft nicht deckungsgleich mit der Journalistik? Welche Unterschiede gibt es? Übungsfragen zu Kapitel 1.1 <?page no="23"?> 24 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Literatur Der Hamburger Professor Siegfried Weischenberg hat als Erster das umfangreiche Wissen der Journalistik gesammelt und in drei Bänden veröffentlicht. Da die Bücher mit 1.300 Seiten allerdings etwas ausufern, sind sie nicht in einem Semester zu bewältigen und eher als Nachschlagewerk geeignet. Problematisch ist, dass der Großteil schon vor 20 Jahren geschrieben wurde und deshalb veraltet ist. Auch neuere Auflagen wurden bislang nicht durchgehend aktualisiert. Klaus-Dieter Altmeppen und Klaus Arnold haben eine spezielle Einführung zu Journalismus als organisationales Handlungsfeld geschrieben. Einen neuen Ansatz der Integration von Theorie und Praxis - also von Journalismusforschung und Journalismus - verfolgt das gut lesbare Lehrbuch von Christoph Neuberger und Peter Kapern unter dem Titel Grundlagen des Journalismus. Einen Überblick über den aktuellen Stand der Journalismusforschung bietet der Sammelband, den Klaus Meier und Christoph Neuberger herausgegeben haben. Einen knappen Überblick über die Perspektiven und Probleme ihres Fachs gibt das Selbstverständnispapier der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (als kostenloser Download unter www.dgpuk.de). Als Einführung, als Nachschlagewerk und für die Prüfungsvorbereitung ist sowohl das 600 Seiten starke Handbuch Publizistik- und Kommunikationswissenschaft des ehemaligen Münchner Professors Heinz Pürer geeignet als auch das Studienhandbuch »Publizistik« der Mainzer Wissenschaftler Michael Kunczik und Astrid Zipfel. Unterschiedliche Journalistik-Konzepte verfolgen Horst Pöttker und Martin Löffelholz. Es lohnt sich, die beiden Aufsätze im Vergleich zu lesen: Während Pöttker - als ehemaliger Professor am Dortmunder Journalistik-Studiengang - im Beitrag »Öffentlichkeit durch Wissenschaft« die Berufsorientierung der Journalistik hervorhebt und sie mit der Medizin vergleicht, begreift der Ilmenauer Professor Löffelholz die Journalistik rein forschungsorientiert als Teilgebiet der Kommunikationswissenschaft - und dort wiederum als Teilgebiet der Kommunikatorforschung. Einführungen in die Medienwissenschaft mit geistes- und kulturwissenschaftlicher Prägung haben Werner Faulstich und Knuth Hickethier vorgelegt. <?page no="24"?> T H E O R I E N D E S J O U R N A L I S M U S 25 Theorien des Journalismus Wissenschaftliche Theorie und Alltagstheorie Schon die Frage, was überhaupt eine Theorie ist, lässt sich nicht einfach beantworten. Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab (»theoria« = »Betrachtung«, »Überlegung«, »Erkenntnis«) und bezeichnet im Allgemeinen einen Zusammenhang wissenschaftlich begründeter und generalisierender Aussagen über einen Bereich der Realität - also über bestimmte Tatsachen sowie über die ihnen zugrunde liegende Gesetzmäßigkeit. Aufgabe einer Theorie ist zunächst die Darstellung eines Sachverhalts (z. B. eine Beschreibung der Strukturen sozialer Wirklichkeit durch Bildung von Typologien und Klassifikationen), aber auch die Erklärung (»Was sind die Ursachen und Bedingungen dafür, dass Ereignisse eintreten, dass wir genau diese und nicht andere Strukturen vorfinden? «) und schließlich die Prognose (die Voraussage bis dahin unbekannter Sachverhalte oder Vorhersagen von Trends). Theorien können zudem normative Aussagen über wünschenswerte Entwicklungen treffen (»Was soll sein? «). Theorien des Journalismus beschreiben demnach den Journalismus oder einen bestimmten Bereich des Journalismus; sie suchen nach Ursachen und Bedingungen dafür, warum Journalismus so und nicht anders ist - und sie legen die Basis für Voraussagen, wohin der Journalismus sich künftig entwickelt. Oder sie fordern, was der Journalismus sein soll. Im Prinzip waren die Antworten auf die Fragen »Was ist Journalismus? « und »Was soll Journalismus? « in Kapitel 1.1 bereits Theoriefragmente. In vielen Alltagsbereichen und gerade im Journalismus und der Journalistenausbildung wird immer wieder auf einen (scheinbaren) Gegensatz von Theorie und Praxis verwiesen: hier das Nachdenken über Journalismus - dort das Handeln im Journalismus; hier die wissenschaftliche Arbeit - dort die journalistische Arbeit. Verfasser von Theorien werben dagegen mit Aussagen wie »keine Praxis ohne Theorie« oder »nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie«. Und in der Tat ist zielgerichtetes - also nicht zufälliges - praktisches Handeln nicht möglich ohne ein theoretisches Konzept, das zumindest durch Nachdenken gewonnen wurde. Wer sagt, er arbeite ohne Theorie, ist sich seiner Theorie nur nicht bewusst. Jeder Journalist ist gut beraten, wenn er sein Handeln nicht nur auf seine eigenen Alltagstheorien (oder die seiner Kollegen) gründet, sondern auf wissenschaftlich erarbeitete Theorien. Im Gegensatz zur Alltagstheorie, die vom Einzelfall und subjektiver Erfahrung ausgeht, liefert die wissenschaftliche Theorie eine intersubjektiv nachprüfbare, allgemeingültige und kritisierbare Beschreibung und Erklärung der | 1.2 | 1.2.1 Darstellung, Erklärung, Prognose an der Realität bewähren <?page no="25"?> 26 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Wirklichkeit. Gute Theorien bauen auf vorliegenden Theorien sowie auf Ergebnissen empirischer Sozialforschung auf ( → vgl. Kap. 1.3; S. 40 - 65 ) und werden weiterentwickelt, wenn neue Forschungsergebnisse oder Veränderungen der sozialen Wirklichkeit dies erfordern. Theorien müssen sich also immer wieder an der Realität bewähren (vgl. Kasten). Übersicht: neun Theoriekonzepte Wie die Journalistik insgesamt sind auch ihre theoretischen Grundlagen aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hervorgegangen. Die Theorien des Journalismus haben sich aber inzwischen unter dem Einfluss anderer Disziplinen und im Hinblick auf die Berufsorientierung der Journalistik in vielerlei Hinsicht von den ursprünglichen allgemeinen Kommunikations- und Medientheorien emanzipiert. Bewusst ist im Plural von »Theorien« die Rede, denn eine einzige »Supertheorie« des Journalismus gibt es nicht. Vielmehr konkurrieren etliche Teiltheorien mit unterschiedlichen fachlichen Wurzeln und Herangehensweisen sowie einer jeweils spezifischen Erklärungskraft. Martin Löffelholz hat sich um eine Synopse von Journalismustheorien bemüht und acht Theoriekonzepte identifiziert (vgl. Löffelholz 2003: 33). Dabei fasst er als »Theoriekonzept« unterschiedliche theoretische Das Falsifikationsprinzip Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie diskutieren Regeln und Gütekriterien für Theorien. Einer der einflussreichsten Wissenschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts war Karl R. Popper (1902 - 1994). Er begründete den Kritischen Rationalismus, der uns lehrt, dass unsere Vermutungen über die Realität - also unsere Theorien - immer kritisierbar und widerlegbar sein müssen. Das so genannte Falsifikationsprinzip besagt, dass wir nie absolute Gewissheit haben, sondern jede menschliche Erkenntnis nur vorläufig gültig sein kann - nämlich so lange, bis wir sie falsifizieren, bis wir also feststellen, dass sie falsch ist, weil sie an Tatsachen gescheitert ist. Erkenntnisfortschritt ist eine Folge von Vermutung und Widerlegung: Solange eine Theorie alle Einwände überlebt, die wir gegen sie haben, nehmen wir an, dass sie richtig ist. Streng genommen sind wir erst klüger, wenn die Theorie falsifiziert ist: Dann können wir unsere Vermutung über die Wirklichkeit optimieren. Wissenschaft vermittelt nach diesem Verständnis keine »Glaubenssicherheit«, sondern öffnet den kritischen Blick auf die Realität. 1.2.2 | keine »Supertheorie« <?page no="26"?> T H E O R I E N D E S J O U R N A L I S M U S 27 Konzept Vertreter Kontext Fokus normativer Individualismus Karl Bücher, Hermann Boventer, Emil Dovifat, Otto Groth, Walter Hagemann Individualismus, normative Publizistik, »Zeitungswissenschaft« Begabung und Gesinnung journalistischer Persönlichkeiten materialistische Medientheorie Hermann Budzislawski, Emil Dusiska, Horst Holzer, Wulf D. Hund historischer und dialektischer Materialismus Journalismus als klassenabhängige und kapitalverwertende Warenproduktion analytischer Empirismus Maxwell E. McCombs, Klaus Schönbach, Winfried Schulz, David Weaver, David M. White Empirismus, analytische Philosophie, Theorien mittlerer Reichweite Nachrichtenselektion, Agenda Setting und journalistische Akteure legitimistischer Empirismus Wolfgang Donsbach, Hans-Mathias Kepplinger, Renate Köcher Empirismus, Medienwirkungsforschung, politische Normen Verhaltensnormen, Wirklichkeitsbezug und journalistische Akteure (kritische) Handlungstheorien Achim Baum, Hans-Jürgen Bucher, Maximilian Gottschlich Basiskonzepte aus Linguistik und Soziologie, Kritische Theorie Journalismus als soziales und kommunikatives Handeln, Handlungsregeln funktionalistische Systemtheorien Bernd Blöbaum, Alexander Görke, Matthias Kohring, Manfred Rühl Differenzlogik, Theorie autopoietischer sozialer Systeme Journalismus als soziales System in der Weltgesellschaft integrative Sozialtheorien Klaus-Dieter Altmeppen, Martin Löffelholz, Christoph Neuberger, Siegfried Weischenberg soziokultureller Konstruktivismus, Akteur-Struktur-Dynamik, Strukturationstheorie journalistische Kognitionen und Kommunikationen im Systemzusammenhang Cultural Studies Stuart Allen, John Hartley, Elisabeth Klaus, Margreth Lünenborg, Rudi Renger Kritische Theorie, Semiotik, Linguistik, Handlungstheorien Journalismus als Teil der Populärkultur zur (Re-)Produktion von Bedeutung berufsorientierte Journalistik Horst Pöttker, Ulrich Pätzold, Michael Haller, Stephan Ruß-Mohl Normen und Arbeitsweisen des Journalismus als Profession, Öffentlichkeitskonzepte Probleme der journalistischen Praxis, Qualität und Ethik des Journalismus Abb. 1.2 | Synopse theoretischer Konzepte der Journalismusforschung In der Tabelle ist die Synopse von Martin Löffelholz (2003) um das Konzept der berufsorientierten Journalistik ergänzt. <?page no="27"?> 28 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Ansätze zusammen, die sich u. a. im Entstehungskontext, in der Herangehensweise und im Untersuchungsfokus ähneln. Löffelholz unterschlägt allerdings ein weiteres Konzept, das wir als »berufsorientierte Journalistik« bezeichnen können ( → vgl. Kap. 1.1.3; S. 18 - 21 ) und das in der Tabelle - nach der Systematik von Löffelholz - berücksichtigt wird (vgl. Abb. 1.2). Auch die Synopse in Abbildung 1.2 zeigt nur einen Ausschnitt einer Vielzahl von Konzepten. Würde man alle vorliegenden theoretischen Ansätze zählen, käme man sicherlich auf mehrere Dutzend Theorien des Journalismus. Und in der Tat enthält allein das von Löffelholz herausgegebene Handbuch »Theorien des Journalismus« insgesamt 27 zum Teil ganz unterschiedliche Ansätze. Dabei sind noch nicht einmal alle Perspektiven dort versammelt: Es fehlt zum Beispiel die Sichtweise von Wolfgang R. Langenbucher (vgl. u. a. 1993) und Hannes Haas (1999), die Journalismus als intellektuelle Leistung, als Kulturleistung sehen und den Werkcharakter journalistischer Arbeit hervorheben. Weitere soziologische Theoriekonzepte des Journalismus bündelt der Sammelband von Altmeppen, Hanitzsch und Schlüter (2007). Diese Einführung in die Journalistik kann nicht alle Konzepte angemessen darstellen. Beispielhaft soll anhand der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie gezeigt werden, wie Theorien in ihrer Beschreibung und Analyse der Wirklichkeit vorgehen. Als Kontrast dazu folgt ein kurzer Blick auf die kulturwissenschaftliche Schule der Cultural Studies. Theorien des Journalismus können vier Aufgaben erfüllen: • Darstellung: Sie beschreiben den Journalismus beispielsweise durch Bildung von Typologien und Klassifikationen. • Erklärung: Sie suchen nach Ursachen und Bedingungen dafür, warum Journalismus so und nicht anders ist. • Prognose: Sie sagen voraus, wohin sich der Journalismus entwickelt. • Normative Aufgabe: Sie treffen und begründen Aussagen über wünschenswerte Entwicklungen (»Was soll Journalismus? «). Es gibt keine »Supertheorie« des Journalismus, sondern es konkurrieren Teiltheorien mit unterschiedlichen fachlichen Wurzeln und Herangehensweisen sowie einer jeweils spezifischen Erklärungskraft, die sich auf bestimmte Aufgaben konzentriert. Zusammenfassung <?page no="28"?> T H E O R I E N D E S J O U R N A L I S M U S 29 Beispiel I: ein systemtheoretischer Ansatz Die systemtheoretische Perspektive ist vor allem dazu geeignet, die Struktur des Journalismus zu beschreiben und zu erklären. Schon seit 20 Jahren sind die meisten Journalismustheorien im deutschen Sprachraum systemtheoretisch geprägt; es wird sogar von einem »Mainstream« in der Journalismustheorie gesprochen - auch wenn inzwischen häufig Theorien unterschiedlicher Herkunft kombiniert und integriert werden. Bezugspunkt ist das Werk des Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann (1928 - 1998), der als »Spiritus rector« einer funktional-strukturellen und konstruktivistischen Systemtheorie gilt. Er hat sich selbst zwar immer wieder zu einer Theorie der Massenmedien geäußert (vgl. z. B. Luhmann 1996), aber keine spezielle Theorie des Journalismus entworfen. Luhmann ging es um die Entwicklung einer universalen Theorie der Gesellschaft, wofür er ein eigenes hochkomplexes Denk- und Begriffssystem entwickelte. Der folgende kurze Abriss beruht auf (weit ausführlicheren und im Detail unterschiedlichen) Ansätzen von Bernd Blöbaum, Ralf Hohlfeld, Matthias Kohring, Frank Marcinkowski, Christoph Neuberger, Manfred Rühl, Armin Scholl und Siegfried Weischenberg. Um exemplarisch zu zeigen, wie eine Theorie ein soziales Phänomen des Journalismus beschreiben, erklären und prognostizieren kann, wenden wir uns einer spezifischen Fragestellung zu, die ich an anderer Stelle ausführlicher und mit mehr Quellenhinweisen behandelt habe (vgl. Meier 2002a): Warum thematisiert der tagesaktuelle (Nachrichten-)Journalismus ausgerechnet Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport am stärksten? Warum nicht auch andere wichtige gesellschaftliche Bereiche wie Recht, Religion, Erziehung oder Gesundheit? Welche Konsequenzen hat dies für die vom Journalismus konstruierte Wirklichkeit? - Das sind Fragen, die sich mit Hilfe der Systemtheorie beantworten lassen. Die Funktion des Journalismus: Selbstbeobachtung und Synchronisation der Gesellschaft Die Systemtheorie geht davon aus, dass sich die moderne Gesellschaft in soziale Systeme differenziert hat, die jeweils für die Gesamtgesellschaft bestimmte Aufgaben übernommen haben, spezifische gesellschaftlich relevante Probleme lösen und damit eine exklusive Funktion erfüllen. Das System der Wirtschaft löst zum Beispiel das Problem des Warenaustauschs, das der Politik verhindert Anarchie und produziert kollektiv bindende Entscheidungen, Streitfälle werden durch das System des Rechts geschlichtet. Die Funktion des Journalismus wird beschrieben als »Herstel- | 1.2.3 »Mainstream« in der Journalismustheorie konstruierte Wirklichkeit exklusive Funktion <?page no="29"?> 30 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G lung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunikation« (Manfred Rühl), aber auch als »Selbstbeobachtung« und »Synchronisation der Gesellschaft« oder Erzeugung eines »sozialen Gedächtnisses« (Niklas Luhmann). Damit löst der Journalismus ein für die Gesellschaft zentrales Problem: Die dynamisch auseinander driftenden Systeme werden über das Journalismussystem zeitlich und sozial aneinander geknüpft. Sie wären überfordert, wenn sie jeweils selbst die Synchronisation und Beobachtung der anderen Systeme und der Gesellschaft übernehmen müssten. Über die Bearbeitung von Problemen entscheiden die sozialen Systeme weitgehend selbst: Sie operieren in hohem Maße autonom oder systemtheoretisch gesprochen: selbstreferentiell und autopoietisch - ein Kunstwort, das aus griech. »autos« (= selbst) und »poiein« (= machen, schaffen) zusammengesetzt ist. Dieser »Eigensinn« von Systemen steigert die Möglichkeiten der Komplexitätsverarbeitung, die grundsätzlich über Kommunikationsprozesse abläuft. Wegen der unendlichen und zufälligen (»kontingenten«) Möglichkeiten von Kommunikationen in der Gesellschaft ist es für jedes soziale System eine Herausforderung, die eigenen Grenzen zu definieren. Immer wieder muss ein System mit Hilfe eines binären Codes - oder seiner Leitdifferenz - entscheiden, welche Themen im System kommuniziert werden und welche zur Umwelt des Systems gehören. Am Themenrepertoire eines Systems bzw. an den akzeptablen Themen lassen sich die Grenzen dieses Systems ablesen. Die Autopoiesis, also die operative Geschlossenheit von Systemen, schließt jedoch Umweltkontakte nicht aus: Alle Funktionssysteme sind durch strukturelle Kopplungen miteinander verbunden. Systeme können über diese Kopplungen andere Systeme aber nicht direkt beeinflussen, sondern dort nur mehr oder weniger starke Irritationen auslösen und Möglichkeiten für Anschlusskommunikation schaffen. Will ein System in ein anderes intervenieren, hat es dabei umso mehr Erfolg, je intensiver es dessen Sprache spricht, sich also auf dessen Leitdifferenz einlässt. Politische Interventionen in die Wirtschaft müssen zum Beispiel so formuliert werden, dass die politischen Absichten in der Sprache der Preise verstanden werden können, denn der binäre Code der Wirtschaft ist Zahlung/ Nichtzahlung. Ein Beispiel: Wenn die Politik ein Unternehmen dazu bewegen will, mehr auf Umweltschutz zu achten, muss die Umweltbelastung für das Unternehmen verteuert oder eine ökologisch verträgliche Produktion verbilligt werden. Aktualität als Leitdifferenz des Journalismus Was ist nun die spezifische binäre Codierung des Journalismus? Diese Frage wurde nicht einheitlich beantwortet. Die Vorschläge reichen von binärer Code strukturelle Kopplungen <?page no="30"?> T H E O R I E N D E S J O U R N A L I S M U S 31 Information/ Nicht-Information (Niklas Luhmann, Bernd Blöbaum) über öffentlich/ nicht-öffentlich (Frank Marcinkowski, Ralf Hohlfeld) bis zu aktuell/ nicht-aktuell (Siegfried Weischenberg, Armin Scholl, Christoph Neuberger) oder neuerdings nachrichtlich/ nicht-nachrichtlich (Siegfried Weischenberg). An dieser Stelle sei der Begriff der Aktualität als Leitdifferenz favorisiert, weil wir damit die Funktion der Selbstbeobachtung und Synchronisation - also die soziale und zeitliche Dimension des Journalismus - schlüssig erklären können: (1) Durch die zeitliche Dimension der Aktualität lässt sich Journalismus von anderen nicht-periodischen Formen der Publizistik abgrenzen. Journalismus agiert »augenblicksbezogen«: Die gesellschaftsweite Beobachtung von Ereignissen ereignet sich oft gleichzeitig, zumindest aber fast gleichzeitig mit den Ereignissen selbst. Durch Journalismus wird Gegenwart erzeugt, was durchaus funktional ist: Die Synchronisation der Gesellschaft bis hin zur »Gegenwartsgesellschaft« ist eine Leistung des Journalismus, auf die viele andere Teilsysteme angewiesen sind - allen voran zum Beispiel die Wirtschaft oder die Politik: Zahlungen und Entscheidungen in der Demokratie brauchen gesellschaftsweite Gegenwart. Dazu gehört, dass zu bestimmten Zeitpunkten Wissen gesellschaftsweit unterstellt werden kann, obwohl dies nicht einmal für die Top-Themen de facto der Fall ist: Die »Unterstellung universeller Informiertheit« bestimmt »als eine Art operative Fiktion den politischen Prozess« (Luhmann). (2) Die soziale Dimension ist ebenso wie die zeitliche untrennbar mit dem Aktualitätsbegriff verbunden: Es handelt sich um zwei Seiten einer Medaille. Aktuell ist, was gesellschaftsweit oder in einer bestimmten Zielgruppe eine gewisse Relevanz besitzt und demnach die Interessen der Rezipienten treffen muss. Rezipienten erwarten vom Journalismus einen »kognitiven Nutzen«: Aktuelle Aussagen dienen dem Rezipienten als Wissen, mit dem er Probleme bearbeiten oder vermeiden kann; man spricht von einem »Frühwarnsystem«, das ein »Orientierungsbedürfnis« befriedigt (Neuberger). Da Probleme in der Realität gelöst werden müssen, ist Wahrheit die Bedingung für den kognitiven Nutzen schlechthin und damit Bedingung für die soziale Relevanz des Journalismus. Wahrheit konfligiert indes mit der zeitlichen Dimension der Aktualität, wenn eine Nachricht schneller verbreitet wird, als sie überprüft werden kann. Das alte Agenturprinzip »Get it first, but get it right« wird eben doch immer wieder verletzt. Und sei es dadurch, dass getrost das eigene Dementi einkalkuliert wird und damit erneut exklusiv etwas Aktuelles verbreitet werden kann. Dies ist auch der Grund dafür, warum der Code wahr/ unwahr nicht für den Journalismus gilt, sondern für das Wissenschaftssys- Selbstbeobachtung und Synchronisation der Gesellschaft kognitiver Nutzen <?page no="31"?> 32 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G tem, in dem Schnelligkeit hinter der Wahrheitsnorm zurücktritt. Gleichzeitig hat die Wahrheit über den Faktor der sozialen Relevanz einen hohen Stellenwert im Informationsjournalismus (im Gegensatz zum Unterhaltungsjournalismus, von dem das Publikum weniger kognitiven als emotionalen Nutzen erwartet). Will ein System vom Journalismus wahrgenommen werden, muss es sich auf die Leitdifferenz Aktualität einlassen. Politik und Wirtschaft z. B. schaffen dann Ereignisse, die Anknüpfungspunkte für Aktualität bieten - etwa durch Pressekonferenzen oder inszenierte Ereignisse. Oft wird anderen Systemen der Stempel der Aktualität aufgedrückt, was sich z. B. auf die Politik auch dysfunktional auswirken kann: Der Journalismus wird dann dafür verantwortlich gemacht, dass sich Bürger von der Politik abwenden. Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau hat dies in einer Rede vor Journalisten anhand eines Beispiels beklagt (vgl. Kasten sowie Informationen zum Ranking der meistzitierten Medien in → Kap. 1.3.2; S. 48 - 58 ). Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau beim Jahrestreffen des »Netzwerk Recherche« am 5. Juni 2004 in Hamburg (kleiner Auszug): Medien zwischen Anspruch und Realität [...] Es gehört ja inzwischen zum guten Ton, dass Medien ständig Exklusives melden und damit in eigener Sache werben. Daran ist nichts auszusetzen, wenn die Meldung denn auch stimmt. Inzwischen hat sich aber ein verhängnisvoller Medien-Mechanismus entwickelt, der die Politik und das Land in einen atemlosen Zustand permanenter Dauererregung versetzt. Ich will versuchen, diesen Mechanismus an einem Beispiel ganz plastisch zu erläutern. Vor drei Wochen erklärte der Bundesverkehrsminister in einem Interview mit einer Sonntagszeitung, wie seit Jahren die Rechtslage in Deutschland ist: Privatunternehmen, die ein neues Verkehrsprojekt privat finanzieren und betreiben, können eine Mautgebühr für dieses Projekt erheben. »Allerdings«, so sagte Manfred Stolpe, »ist diese Variante auf Grund europäischer Rahmenbedingungen beschränkt auf Tunnel, Brücken oder Gebirgspässe und einige wenige Bundesstraßen und Autobahnen.« So weit der Originalton. Die Zeitung macht daraus die Überschrift »Stolpe will Maut für Pkw« und gibt eine Vorabmeldung an die Nachrichtenagenturen. Am Samstag meldet die erste Agentur: »Stolpe - Maut auch für Pkw denkbar«. Die nächste spitzt schon weiter zu: »Stolpe plant Maut auch für Pkw«. Am Abend, das Interview ist noch immer nicht erschienen, beliefert eine <?page no="32"?> T H E O R I E N D E S J O U R N A L I S M U S 33 Die sachliche Kopplung: Selbstbeobachtung der Gesellschaft Auf die Herstellung von Öffentlichkeit durch ein autonomes Journalismussystem sind einige Systeme ganz besonders angewiesen: Politik zum Beispiel braucht Öffentlichkeit, damit die Bürger kompetent an gesellschaftlichen Prozessen mitwirken und über Wahlen mitentscheiden können. Wirtschaft braucht Öffentlichkeit, damit sich die Konsumenten über Waren informieren und Kaufentscheidungen treffen können, und auch, damit sich die Unternehmen für strategische Entscheidungen über ihr Umfeld informieren können. Die gesellschaftlichen Teilsysteme müssen der Gesamtbevölkerung Zugang zu ihrer Funktion und ihren Leistungen ermöglichen. Individuen müssen sich beteiligen können: Im Prinzip sollte jeder an politischen Leistungen für ein Massenpublikum andere Zeitung die Agenturen vorab mit einer exklusiven Stellungnahme des ADAC, der »mit allen Mitteln gegen die Pkw-Maut kämpfen« wolle. Am Sonntag, das Interview ist endlich erschienen, stellt das Ministerium klar, dass keine Maut geplant sei. Wenige Stunden später weist ein Grüner die Pläne Stolpes zurück, der CSU-Generalsekretär spricht von »hemmungsloser Abzockerei«, die CDU kritisiert die »neue Schröpfkur«. Am Montag ist die offenbar unmittelbar bevorstehende Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland das Thema aller Kommentare, es gibt Sonderberichte im Fernsehen, Experten werden befragt, die Opposition beschimpft die Regierung und umgekehrt. So geht das noch drei, vier Tage. Danach kehrt langsam wieder Ruhe ein. Der Nebel lichtet sich. Es gibt keine allgemeine Pkw-Maut, das hat auch niemand geplant. Der Verkehrsminister sei »lädiert«, schreibt eine Zeitung, und nicht nur die Bürger sind verunsichert und fragen sich: »Sind denn alle verrückt geworden? « Es gibt inzwischen leider viele Beispiele dieser Art. Virtuelle Debatten, deren Ursprung keinerlei Aufregung rechtfertigen würde, beschäftigen Journalisten und Politiker tagelang, manchmal wochenlang. Aus Referentenentwürfen werden in den Nachrichten Gesetzesvorhaben, aus Interview-Äußerungen werden in der flotten Moderation gleich Pläne. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Die Bürger verstehen immer weniger, was wirklich und was wirklich wichtig ist. Sie wenden sich ab und beschließen, vorsichtshalber gar nichts mehr zu glauben. Dafür tragen Journalisten eine erhebliche Mitverantwortung. [...] (www.bundespraesident.de → Die Bundespräsidenten → Johannes Rau Reden → 5. Juni 2004, Hamburg) <?page no="33"?> 34 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Entscheidungen teilnehmen können, jeder seine Bedürfnisse in der Wirtschaft befriedigen können, erzogen werden, einen Arzt konsultieren, Journalismus rezipieren oder an den Heilsgütern der Religion teilhaben können. Dafür hat jedes Teilsystem einen Inklusionstyp entwickelt. Durch Inklusion entstehen in jedem gesellschaftlichen Teilsystem Publikumsrollen und Leistungsrollen: Laien und Priester, Kranke und Ärzte, Wähler und Politiker, Käufer und Verkäufer, Zuschauer und Künstler, Klienten und Anwälte - um nur einige Beispiele zu nennen. Aber nur ganz bestimmte Sozialsysteme benötigen zur Inklusion die Vermittlung durch (unabhängigen) Journalismus. Es sind dies Sozialsysteme, die standardisierte Leistungen für ein Massenpublikum bereitstellen: Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport sowie die Medien selbst und mit Abstrichen die Wissenschaft. Alle anderen Sozialsysteme bevorzugen primär Inklusion durch persönliche, professionelle Betreuung einer möglichst kleinen Zahl von Klienten - zum Beispiel das Gesundheitssystem, das Erziehungssystem, Recht und Religion. Vor diesem Hintergrund lässt sich jetzt spezifizieren, dass sich die soziale Relevanz des Journalismus nach den Inklusionstypen der gesellschaftlichen Teilsysteme richtet. Das Realitätsspektrum der Nachrichtenmedien besteht überwiegend aus Themen derjenigen Sozialsysteme, die ihre Inklusion primär über Massenpublika vollziehen. Nimmt die Leistung dieser Systeme ab, hat das Publikum zwei Möglichkeiten: Abwanderung zur Konkurrenz und Widerspruch gegen den Anbieter - »exit« und »voice« - sind die beiden Äußerungsformen des Publikums in Politik, Wirtschaft, Kunst, Sport und Massenmedien (vgl. Neuberger 2004 a: 301). Journalismus ermöglicht Transparenz und damit die Wahl zwischen verschiedenen Angeboten für den Bürger, den Konsumenten, das Kunstpublikum, den Sportfan oder den Medienrezipienten (»exit«). Über den Widerspruch (»voice«), der im Journalismus gesammelt und gebündelt wird, zwingt das Publikum die Leistungserbringer zur Verbesserung ihrer Angebote. Umgekehrt benutzen diese die Beobachtungsstrukturen des Journalismus, um Wünsche, Zufriedenheit und Unzufriedenheit des Publikums kennenzulernen. In allen anderen Sozialsystemen vollzieht sich die Inklusion des Publikums über das Dual Professioneller/ Klient: Die Problembearbeitung geschieht normalerweise im kleinen Kreis unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Massenpublika sind im Kern ebenso wenig vorgesehen wie »exit«- oder »voice«-Optionen: Kranke, Laien, Schüler oder Klienten vertrauen der Kompetenz des Arztes, des Priesters, des Lehrers oder Anwalts. Je stärker allerdings das Vertrauen schmilzt - zum Beispiel aufgrund von vermehrt auftretenden Kunstfehlern, Justizirrtümern oder Ausbildungen in die Arbeitslosigkeit -, umso größere Chancen werden Transparenz <?page no="34"?> T H E O R I E N D E S J O U R N A L I S M U S 35 dem Informationsjournalismus eröffnet, in diese Sozialsysteme einzudringen. Journalismus drückt dann auch diesen Systemen den »voice«/ »exit«-Stempel auf: zum Beispiel durch Rankings von Medizinern, Anwälten oder Universitäten (»exit«) oder durch die Artikulation der Unzufriedenheit von Gläubigen zum Beispiel mit Aussagen des Vatikans zu Fragen der Ökumene oder des Schwangerschaftsabbruchs (»voice«). Die zeitliche Kopplung: Synchronisation der Gesellschaft Luhmann hat den Zwang, zum Beispiel in Wirtschaft, Politik oder Kunst permanent etwas Neues bieten zu müssen, als »geradezu neurotisch« bezeichnet. Ähnlich wie im Wirtschaftssystem immer wieder Geld durch Geld ersetzt werden muss, braucht der Journalismus permanent neue Information: »fresh money und new information sind zentrale Motive der modernen Gesellschaftsdynamik« (Luhmann 1996: 44). Aktualität bestimmt die Ablauforganisation in Redaktionen und verdichtet die Arbeitsphasen kurz vor Redaktionsschluss, wobei der Konkurrenzdruck bzw. der Drang zu Exklusivität eine zentrale Rolle spielt. Meldungen, die kurz vor Redaktionsschluss eintreffen, haben aufgrund der Aktualitätsprämisse höhere Publikationschancen. Von der Leistung der Synchronisation profitieren ebenfalls Sozialsysteme, in die Massenpublika eingeschlossen sind. Entscheidungsverhalten der Wähler wird ebenso synchronisiert wie das Konsumentenverhalten und das Börsengeschehen oder das Zuschauerinteresse bei Kultur- und Sportereignissen. Hochleistungssport zum Beispiel ist »daueraktuell«. Diese zeitliche Dimension des Codes aktuell/ nicht aktuell ist also ein weiteres Indiz dafür, warum sich der Informationsjournalismus ausgerechnet auf diese vier Ressorts spezialisiert hat. Vor allem in Politik, Wirtschaft und Sport ist der Bedarf nach Synchronisation zwischen Leistungsträgern und Publikum besonders hoch, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass bei Nachrichtenagenturen diese drei Ressorts mit Abstand am stärksten besetzt sind und dass dafür sogar spezialisierte Tageszeitungen existieren: Sportzeitungen gibt es in vielen Ländern, ebenso Wirtschaftszeitungen. Politik, Wirtschaft und Sport profitieren also von der zeitlichen Dimension der Leitdifferenz des Journalismus. Andere gesellschaftliche Teilsysteme müssen diesen Code akzeptieren, wenn sie im Journalismus thematisiert werden (wollen). Ein Beispiel: »Wenn Kirchen behaupten, Gott sei aktuell, so pervertieren sie einen Begriff, um Sendezeiten zu erhalten.« (Luhmann) Der Kern der Religion - der Glaube an Gott mit all seinen Folgen - wird normalerweise durch den Code aktuell/ nicht aktuell aus dem Journalismussystem ausgeschlossen. Ausnahmen sind Ereignis- »fresh money and new information« Bedarf nach Synchronisation bei Politik, Wirtschaft, Sport Religion und Aktualität <?page no="35"?> 36 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G se, die mit der gesellschaftsweiten Synchronisation zusammenfallen: Die Predigten von Papst, Kardinälen und Bischöfen in Weihnachts- und Ostergottesdiensten zum Beispiel werden vom Journalismus automatisch wahrgenommen - oder Ereignisse, bei denen ein Bedarf nach weltweiter Synchronisation von Seiten der Religion besteht, um den Laien eine Inklusion zu ermöglichen: Über eine Papstwahl wird immer berichtet werden. Massenmedial thematisierte Religion bleibt indes für den Einzelnen meist unbefriedigend, denn religiöse Sätze können medial nicht transferiert werden - »es sei denn, wir missverstünden religiöse Rede als Praxis der Information, was aber die religiöse Rede als absurde Rede erscheinen ließe«, hat der Philosoph Hermann Lübbe festgestellt. Auch andere Teilsysteme werden vom Informationsjournalismus thematisiert, wenn Synchronisationsbedarf besteht: beispielsweise das Gesundheitssystem bei Epidemien oder das Rechtssystem bei Entscheidungen der Bundesgerichte. Auch die zeitliche Kopplung des Journalismus mit anderen Sozialsystemen begründet also die Differenzierung des Informationsjournalismus in Politik, Wirtschaft und Sport. Das Kultursystem spielt, was Synchronisation und Schnelligkeit betrifft, eine etwas geringere Rolle. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass es in Redaktionen von Nachrichtenagenturen nur wenige Kulturjournalisten gibt. Konsequenz: Wahrnehmungsstrukturen des Journalismus Die Systemtheorie stellt also Erklärungsmodelle zur Verfügung, mit deren Hilfe sich die Ausprägung von Wahrnehmungsstrukturen im universellen Informationsjournalismus beschreiben und begründen lässt. Die Bildung von ausgerechnet vier Kernressorts liegt an der sozialen und zeitlichen Kopplung des Journalismus mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen. Um möglichst viele Rezipienten zu erreichen, verbessert der Informationsjournalismus seine Leistungen für diejenigen Sozialsysteme, die am stärksten auf sein Funktionieren angewiesen sind. Das Wahrnehmungsspektrum des Journalismus, das vom Code aktuell/ nicht aktuell ausgeformt wurde, umfasst also nicht alle Sozialsysteme der Gesellschaft in gleicher Art und Weise. Wir sollten uns deshalb von der These verabschieden, die Gesellschaft könne durch Selbstbeobachtung und Synchronisation eins zu eins gespiegelt werden. Die Konstruktion der Medienwirklichkeit durch Journalismus erfolgt vielmehr mit ganz bestimmten Regeln und Gesetzmäßigkeiten ( → vgl. zu den Routinen des Journalismus Kap. 5; S. 179 - 210 ). Wahrnehmungsstrukturen des universellen Informationsjournalismus <?page no="36"?> T H E O R I E N D E S J O U R N A L I S M U S 37 Beispiel II: Cultural Studies als kulturtheoretischer Ansatz Die so genannten Cultural Studies haben keinen sozialwissenschaftlichen, sondern einen kulturtheoretischen Hintergrund. Stark vereinfacht könnte man sagen, dass der Mensch weniger als soziales, sondern vielmehr als kulturelles Wesen begriffen wird. Dennoch wird mit diesem Ansatz nicht nur die kulturelle Praxis erfasst - also Literatur, Musik, darstellende Kunst etc. -, sondern es werden auch gesellschaftliche Strukturen wie das Machtgefüge oder Gewohnheiten und Verhaltensweisen der Menschen analysiert. Es steht also ein Kulturbegriff dahinter, der das soziale Verhalten einschließt. Die Cultural Studies bilden kein einheitliches Theoriegebäude, sondern wurzeln in einer Vielfalt von Ansätzen und methodischen Herangehensweisen. Die Journalismustheorie der Cultural Studies lenkt den Blick darauf, dass Journalismus nicht nur aus Information besteht, sondern Unterhaltung immer Teil des Journalismus war und ist. Aus Sicht von Autoren wie Rudi Renger (2000), Elisabeth Klaus und Margret Lünenborg (2002) ist Journalismus Teil der Populärkultur und des kulturellen Diskurses. In einer Theorie des Journalismus ist demnach die Trennung von Information und Unterhaltung nicht haltbar. Durch diese Perspektive geraten Bereiche des Journalismus ins Blickfeld, die vom obigen systemtheoretischen Entwurf nicht ganz erfasst werden können: Boulevardjournalismus, Skandal- und Sensationspresse sowie fiktionale Formen vor allem im Fernsehen. Die Cultural Studies sehen Journalismus als Gebrauchsprodukt, das dazu da ist, konsumiert und weggeworfen zu werden, der aber auch ein wichtiges »identitätsbildendes Instrument in der Gesellschaft« ist (Renger 2000: 491). Forschungsfokus der Cultural Studies ist weniger der Informationsjournalismus mit seiner »öffentlichen Aufgabe«, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Menschen journalistische Produkte eben nicht nur aus intellektuellen, kognitiven, sondern weit mehr aus emotionalen, affektiven Gründen konsumieren: Sie wollen sich zerstreuen und unterhalten. Weil Journalismus eine marktabhängige Ware ist und unter kommerziellen Bedingungen produziert wird, führt der tägliche Kampf um das Publikum zu einer Emotionalisierung, Fiktionalisierung und Entertainisierung journalistischer Inhalte. Man kann dies aus normativer und demokratietheoretischer Perspektive ( → vgl. Kap. 1.1.2; S. 15 - 17; Kap. 2.3.1; S. 84 - 87 ) beklagen, aber auch aus kulturtheoretischer Perspektive analysieren und erklären. Journalismus dient dann weniger der Wissensvermittlung, sondern vielmehr der »narrativen Herstellung eines gemeinsamen kulturellen Verständnisses« (Klaus/ Lünenborg). Wenn Journalismus als Narration - also als Erzählung - auf- | 1.2. 4 der Mensch als kulturelles Wesen Narration und Fiktion <?page no="37"?> 38 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G gefasst wird, kann dazu die Fiktion gehören: Produktbausteine, welche die Autoren erdacht haben. »Die Einbindung von Fakten in Erzählungen und ihre Anreicherung mit Fiktionen ist Teil des journalistischen Geschäfts und konstituiert per se keine Fälschung«, meinen Klaus und Lünenborg (2002: 155). Sie verweisen auf neue Fernsehgenres, die Fakten und Fiktionen bewusst mischen: Doku-Soaps - wie zum Beispiel die Reality-Shows aus deutschen Familien »Die Super Nanny« (RTL) oder »Die Supermamas« (RTL II) - stellen Menschen von nebenan mit ihren Alltagsproblemen dar und greifen in den Inszenierungen auf Elemente der Soap-Opera zurück. Im Doku-Drama werden historische Ereignisse - zum Beispiel aus der Zeit des »Dritten Reichs« - in Spielszenen »lebendig« gemacht. »In der Kombination von Dokumentarischem und Fiktionalem wird Authentizität hergestellt und damit eine Annäherung an die Wirklichkeit geschaffen, die mit der rein faktischen Rekonstruktion des Geschehenen so nicht möglich wäre.« (Klaus/ Lünenborg 2002: 159) Die Authentizität - und nicht die Faktizität - wird damit zu einem wesentlichen Maßstab journalistischer Qualität ( → vgl. Kap. 7.1; S. 233 - 243 ). Der Blickwinkel der Cultural Studies zeigt alles in allem auf, dass die Gleichungen »Fakten = Information« und »Fiktion = Unterhaltung« nicht aufgehen - vor allem wenn man das Publikumsverhalten und die Rezeptionsweisen in die Analyse einbezieht (Bausinger 1984; Lünenborg 2005 a). Fakten können auch unterhaltend aufbereitet und genutzt werden, fiktive Medienangebote der Information dienen. Dies hat weitreichende Folgen für die Grenzziehung des Journalismus ( → vgl. Kap. 7.3; (1) Die systemtheoretische Perspektive ist vor allem dazu geeignet, Strukturen der Gesellschaft zu beschreiben und zu erklären. Das System Journalismus übernimmt - wie andere gesellschaftliche Systeme auch - eine exklusive Funktion, die in der Selbstbeobachtung und Synchronisation der Gesellschaft liegt. Davon profitieren überwiegend die Systeme Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. (2) Die Journalismustheorie der Cultural Studies analysiert den Journalismus - unter Berücksichtigung der Rezeptionsweisen - nicht nur als Information, sondern als Mischung von Information und Unterhaltung. Vor allem populärer Journalismus - wie Boulevard- und Sensationspresse - gerät dadurch ins Blickfeld der Untersuchung, aber auch die Emotionalisierung und Entertainisierung journalistischer Inhalte und die bewusste Mischung von Fakten und Fiktionen in bestimmten Fernsehgenres. Zusammenfassung <?page no="38"?> T H E O R I E N D E S J O U R N A L I S M U S 39 S. 255 - 270 ): Die Frage, wo Journalismus anfängt und wo er aufhört, beantwortet die Kulturtheorie anders als z. B. die Demokratietheorie. Literatur Wer sich in wissenschaftliche Theorien einlesen und hineindenken möchte, muss Zeit und Muße mitbringen. Man kann die Literatur dazu nicht einfach überfliegen, sondern muss sich auf neue und ungewohnte Denk- und Begriffssysteme einlassen. Grundsätzlich ist Studienanfängern zu raten, verschiedene Theorieansätze nicht kreuz und quer zu lesen, sondern sich erst einmal mit einem Konzept intensiver zu beschäftigen - denn selbst einfach erscheinende Begriffe werden von verschiedenen Theorien oft unterschiedlich definiert und benutzt. Von und über Karl R. Popper gibt es schon fast unzählige Veröffentlichungen. Wer sich für einen Einstieg in Wissenschaftstheorie und Sozialphilosophie des Kritischen Rationalismus interessiert, dem sei das Lesebuch empfohlen, das David Miller mit Texten von Karl R. Popper zusammengestellt hat. Standardwerk zu den Theorien des Journalismus ist der 600 Seiten starke Sammelband unter dem gleichnamigen Titel, den Martin Löffelholz herausgegeben hat. Das Buch enthält die meisten wichtigen Konzepte. Die Autorinnen und Autoren haben sich in verständlicher Sprache um Kurzfassungen ihrer Ansätze bemüht. Zu jedem Beitrag ist weiterführende Literatur genannt. 1 Wie unterscheiden sich Alltagstheorie und wissenschaftliche Theorie? 2 Erläutern Sie das Falsifikationsprinzip als Grundannahme des Kritischen Rationalismus. 3 Welche exklusive Funktion erfüllt der Journalismus aus Sicht der Systemtheorie? Was bedeuten »Selbstbeobachtung« und »Synchronisation« als soziale und zeitliche Dimensionen des Journalismus? 4 Erklären Sie systemtheoretisch, warum vor allem Politik und Wirtschaft von der Funktionsweise des Journalismus profitieren. Warum kann sich umgekehrt der Journalismus auch dysfunktional auf diese beiden sozialen Systeme auswirken? 5 Warum lässt sich der Journalismus nach Ansicht der Cultural Studies nicht eindeutig in Information und Unterhaltung sowie in Fakten und Fiktionen teilen? Übungsfragen zu Kapitel 1.2 <?page no="39"?> 40 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Journalismusforschung Grundlagen empirischer Sozialforschung Sozialwissenschaftliche Forschung geht in der Regel empirisch vor - das heißt »auf Erfahrung beruhend« (griech. »empeiria« = Erfahrung). Die Forscher sammeln und systematisieren Erfahrungen über die gesellschaftliche Realität. Dabei bedient sich die Wissenschaft bestimmter Forschungsmethoden, die ein planmäßiges und systematisches Vorgehen bei der Erkenntnisgewinnung garantieren. Die gängigen empirischen Methoden der Journalismusforschung sind mündliche und schriftliche Befragung, Inhaltsanalyse und Beobachtung. Auch hier tritt die Wissenschaft - ähnlich wie bei der Theoriebildung - in Konkurrenz zur Alltagserfahrung: Erfahrene Journalisten z. B. glauben zu wissen, was journalistische Qualität ausmacht, wie sie erfolgreich informieren und was ihr Publikum lesen, sehen oder hören möchte. Alltagserfahrung hat immer einen gewissen Wert, sie ist jedoch situativ, subjektiv und begrenzt. Empirische Journalismusforschung baut auf Alltagserfahrung von Journalisten und Publikum auf - sie geht aber darüber hinaus: • durch umfangreichere Analyse (sie arbeitet aus einer Vielzahl ähnlicher Situationen das Gemeinsame heraus), • durch Distanz zum Untersuchungsgegenstand (Wissenschaftler sind nicht in den untersuchten Situationen und Institutionen tätig und deshalb in der Regel nicht durch eigene Interessen »gefangen«), • durch Offenlegung und Nachvollziehbarkeit der Vorgehensweise und der Ergebnisse. Wie in Kapitel 1.2.1 ausgeführt, müssen Theorien an der Realität geprüft werden. Umgekehrt ist empirische Forschung ohne theoretische Einbettung bedeutungslos. Theorie und Empirie sind im Idealfall verschiedene Stadien des Forschungsprozesses. Grundsätzlich gibt es zwei mögliche Vorgehensweisen: induktiv und deduktiv (vgl. Abb. 1.3). • Das induktive Vorgehen hat nur Sinn, wenn ein Realitätsbereich bislang wenig erforscht ist: Wir beobachten dann zunächst mit dem 1.3 | 1.3.1 | planmäßiges und systematisches Vorgehen Wissenschaft und Alltagserfahrung Abb. 1.3 | Zusammenhang zwischen Theorie und Empirie Gegenstand (als Teil der Realität), das Spezielle, der Einzelfall induktiv deduktiv Theorie, das Allgemeine, die Gesetzmäßigkeit Einzelfälle und Fallstudien <?page no="40"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 41 »Prinzip der Offenheit« ohne Vorstellung über theoretische Zusammenhänge und ohne großes Vorwissen den betreffenden Gegenstandsbereich, systematisieren Einzelfälle und versuchen, daraus gesetzmäßige Zusammenhänge zu bilden - also Theorien zu formulieren. Dabei greifen wir in der Journalismusforschung auch auf die Erfahrung von Journalisten zurück - etwa durch offene mündliche Interviews oder durch Fallstudien in Redaktionen. Wir gehen nicht beliebig vor, sondern fokussieren unser Erkenntnisziel mit Forschungsfragen, die unsere Aufmerksamkeit für bestimmte Phänomene und Zusammenhänge sensibilisieren. Die Wissenschaftstheorie lehrt uns aber, dass wir nie sicher sein können, ob wir von Einzelfällen auf andere Fälle schließen können - auch wenn wir noch so viele Einzelfälle einbeziehen. Induktive Theoriegewinnung ist deshalb immer explorativ, d. h. theorie-entdeckend und nicht theorie-prüfend (im Sinne des Kritischen Rationalismus). Die Wissenschaftstheorie bezeichnet dieses Vorgehen als interpretative Sozialwissenschaft (vgl. Kromrey 1995: 28 - 31), die eher die so genannten qualitativen Methoden einsetzt ( → vgl. Kap. 1.3.2; S. 48 - 49 ). Wissenschaftlicher Fortschritt: auf den Schultern von Riesen Wie ist wissenschaftlicher Fortschritt möglich? - Ein Gleichnis, das Isaac Newton zugeschrieben wird, aber vermutlich bis ins Mittelalter zurückgeht, besagt: »Wenn ich weiter gesehen habe (als andere), so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.« Jede Generation von Wissenschaftlern stützt sich auf das, was ihre Vorgänger geleistet haben. Selbst wenn ein Wissenschaftler nur wenig Neues zur Erkenntnis beizusteuern hat, kann er doch weiter blicken als seine großen Vordenker - sofern er deren Schultern erklimmt, also deren Erkenntnisse wahrnimmt und als Basis betrachtet. Dieses Grundprinzip des wissenschaftlichen Fortschritts kann nur eingehalten werden, wenn Wissen frei verfügbar ist, also wenn Erkenntnisse veröffentlicht werden - und wenn wissenschaftliche Arbeiten transparent zitieren, Vordenker würdigen und den Forschungsstand zunächst einmal zusammenfassen, bevor sie neue Fragen stellen. Ein witziges Buch zu diesem Grundsatz hat Robert K. Merton (1910 -2003) - Professor für Soziologie an der New Yorker Columbia University -1965 unter dem Titel »On the Shoulders of Giants« veröffentlicht (in Übersetzung 1983). Das Manuskript beruht auf einem Briefwechsel mit einem befreundeten Historiker, der mit der Suche nach dem Ursprung des genannten Zitats begann, letztlich aber in eine launige Betrachtung der Wissenschaftsgeschichte führt. <?page no="41"?> 42 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G • Das deduktive Vorgehen überprüft dagegen eine bereits vorliegende Theorie an der Realität. Streng forschungslogisch dürften wir dabei nach den Kriterien des Kritischen Rationalismus ( → vgl. Kap. 1.2.1; S. 25 - 26 ) nicht verifizierend vorgehen, denn nur die Falsifikation einer Theorie führt zu neuer Erkenntnis. Karl R. Popper nennt dazu ein Beispiel, das er immer wieder aufgreift (vgl. z. B. 1995: 95, 110, 405) und mit dem er oft zitiert wird: Selbst wenn wir noch so viele weiße Schwäne beobachten, dürfen wir nicht daraus schließen, dass alle Schwäne weiß sind - es könnte ja doch irgendwo auf der Welt einen schwarzen Schwan geben. Die Aussage »Alle Schwäne sind weiß.« kann also nicht verifiziert werden. Allerdings haben wir es in der Kommunikationsforschung nie mit derartig universellen Aussagen zu tun, sondern immer mit Theorien allenfalls mittlerer Reichweite und mit Hypothesen, die Aussagen auf bestimmte Rahmenbedingungen beschränken. In der Regel wird man die Leistung einer Theorie am Bewährungsgrad messen und ein »Bewährtheitskonto« und ein »Belastetheitskonto« führen (vgl. Brosius/ Koschel 2003: 50): »Je häufiger eine Hypothese durch empirische Forschung bestätigt wurde, desto bewährter ist sie, ohne gleich als wahr zu gelten. Je häufiger eine Theorie widerlegt wurde, desto größer ist ihre Belastetheit.« Aber auch wenn wir uns streng an das Falsifikationsprinzip halten, müssen wir eine Theorie nicht verwerfen, wenn wir ein Gegenbeispiel gefunden haben: Wir können die Theorie optimieren, indem wir intervenierende Bedingungen einführen. Finden wir z. B. schwarze Schwäne im Süden Australiens, können wir behaupten: Alle Schwäne sind weiß - außer einer bestimmten Art, die im Süden Australiens lebt. Das deduktive Vorgehen bevorzugt einen strengen methodischen Prozess: Der Untersuchungsgegenstand wird möglichst detailliert vorstrukturiert; wir formulieren Hypothesen, die wir mit standardisierten Erhebungsinstrumenten der quantitativen Sozialforschung überprüfen ( → vgl. Kap. 1.3.2; S. 48 - 58 ). Ein Beispiel aus der Journalismusforschung Die obige abstrakte Darstellung von Forschungsprozessen sei an einem Beispiel aus der Journalismusforschung veranschaulicht, das an der Hochschule Darmstadt zur Konzeption und Gründung des neuen Studiengangs Wissenschaftsjournalismus beigetragen hat (vgl. Meier/ Feldmeier 2005). Im Folgenden kommt es nicht darauf an, einen Forschungsablauf in all seiner Komplexität differenziert zu analysieren, sondern das Prinzip eines Forschungsprojekts darzustellen, um Studienanfängern einen Einblick zu geben und bei der Anfertigung von weiße und schwarze Schwäne Konzeption eines neuen Studiengangs <?page no="42"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 43 Abschlussarbeiten - wie z. B. Bachelorarbeiten - eine erste Orientierung zu liefern. In der Tabelle sind die einzelnen Schritte in groben Zügen dargestellt (vgl. Abb. 1.4). Erster Schritt ist das Beschreiben eines gesellschaftlich relevanten Problems - in unserem Fall einer für den Journalismus und die Journalistenausbildung relevanten Frage: Lohnt sich die Einführung eines Studiengangs Wissenschaftsjournalismus? Oft greift die Forschung in diesem Stadium auf Alltagserfahrungen und einzelne Aussagen von Journalisten, Chefredakteuren oder Verlegern zurück, oder ein Auftrag ist Auslöser des Projekts. In der zweiten, explorativen Phase wird unser Wissen systematisch verdichtet und fokussiert: durch die Sammlung von Ideen, einzelne Gespräche oder Fallstudien - und vor allem durch die Lektüre vorliegender journalistikwissenschaftlicher Allgemein Beispiel (1) Problem oder Fragestellung aus dem Bereich des Journalismus; Forschungsauftrag Alltagserfahrung: Wandel im Wissenschaftsjournalismus; wachsende Bedeutung von Themen aus Naturwissenschaft, Technik und Medizin in den Medien; steigender Bedarf an Wissenschaftsjournalisten? Forschungsinteresse: Lohnt sich die Einführung eines Studiengangs Wissenschaftsjournalismus? Wenn ja, welche Anforderungen müsste er erfüllen? (2) Exploration: Ideen, Gespräche, Fallstudien; Lektüre vorliegender journalistikwissenschaftlicher Befunde und Theorien Auswertung von wissenschaftlichen und praxisorientierten Fachzeitschriften und Büchern, Marktanalyse (z. B. Entwicklung von Auflagenzahlen sowie von einzelnen Fernseh- und Radiosendungen) (3) Überführung in wissenschaftliche Fragestellung und/ oder Entwicklung von Arbeitshypothesen Leitfragen zur Entwicklung der Berufsfelder Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation, zur redaktionellen Verarbeitung von Wissenschaftsthemen und zu den künftigen Qualifikationsanforderungen (4) Methodenwahl, Operationalisierung und Durchführung mündliche, teilweise standardisierte Befragung von 35 Wissenschaftsjournalisten (Chefredakteuren und Ressortleitern) und 24 leitenden Pressesprechern im Wissenschaftsbereich (5) Verwertung der Ergebnisse Publikationen (Aufsätze und Vorträge); Verwendung der Ergebnisse zur Konzeption eines neuen Studiengangs; Anknüpfungspunkte für weitere, stärker deduktiv vorgehende Forschungsprojekte | Abb. 1.4 Beispiel eines Forschungsablaufs <?page no="43"?> 44 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Befunde und Theorien. In diesem Forschungsprojekt nahm die Exploration einen relativ breiten Raum ein, da wir zu aktuellen Entwicklungen in der Wissenschaftskommunikation nur auf wenig journalistikwissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen konnten. Im dritten Schritt wird unser bisheriges, vorläufiges Wissen in eine wissenschaftliche Fragestellung überführt. Wenn die theoretische Basis und die bereits vorliegenden Befunde ausreichen, können wir hier Hypothesen formulieren, die im Weiteren streng deduktiv getestet werden. In unserem Beispiel wagten wir uns noch nicht an eine Hypothesenbildung, sondern wollten offener vorgehen und formulierten Leitfragen zur Entwicklung der betreffenden Berufsfelder, zur redaktionellen Verarbeitung von Wissenschaftsthemen und zu den künftigen Qualifikationsanforderungen. Die Methodenwahl im vierten Schritt hängt von der Fragestellung ab. Wenn wir uns auf die Medieninhalte beschränkt hätten und z. B. gefragt hätten, ob naturwissenschaftliche Themen in der journalistischen Berichterstattung tatsächlich zugenommen haben, dann wäre eine Inhaltsanalyse beispielsweise von Tageszeitungen oder Fernsehsen- Leitfragen Fragebogenkonzept Verstehende Methoden in der Journalismusforschung Die Methoden der empirischen Sozialforschung können als »Mainstream« in der Journalismusforschung - und allgemein in der Kommunikationsforschung - bezeichnet werden, weil sie unschlagbare Vorteile in der Beschreibung und Analyse gegenwärtiger sozialer Realität haben. Bei bestimmten Fragestellungen stoßen diese Methoden aber an Grenzen, die durch andere Vorgehensweisen durchbrochen werden können. Hans Wagner (1999) beschreibt in einem Lehrbuch für Kommunikationswissenschaftler Methoden, die primär aus einer geisteswissenschaftlichen Tradition stammen, als »verstehende Methoden«. Mit der biographischen Methode zum Beispiel können Leben und Werk herausragender Journalisten im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext erforscht werden. Das historisch-systematische Vorgehen und die aus der Geschichtswissenschaft übernommene Methode der Quellenkritik können historische Wurzeln des Journalismus aufdecken, die sich noch heute auf Struktur und Arbeitsweise des Journalismus auswirken. 2009 wurde das Buch unter dem etwas »mainstreamigeren« Titel »Qualitative Methoden in der Kommunikationswissenschaft« zusammen mit Philomen Schönhagen, Ute Nawratil und Heinz Starkulla neu aufgelegt. Der Fokus wendet sich nun neben den geisteswissenschaftlichen Methoden auch mehr der Sozialforschung zu, wenngleich nach wie vor deutlich mehr Methoden vorgestellt werden als in der üblichen Methodenliteratur. <?page no="44"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 45 dungen sinnvoll gewesen (vgl. Elmer / Badenschier / Wormer 2008). Wir wollten aber vor allem die Arbeitszusammenhänge in Redaktionen (z. B. zwischen Wissenschafts-PR und Wissenschaftsjournalismus) und Einstellungen von leitenden Wissenschaftsjournalisten (z. B. im Hinblick auf Qualifikationsanforderungen) erfahren, weshalb sich eine Befragung anbot. Die Leitfragen mussten nun in ein Fragebogenkonzept überführt werden, das sowohl standardisierte Fragen vorsah - zum besseren Vergleich der Antworten - als auch offene Fragen zu Fakten und Zusammenhängen, die uns im Vorfeld weniger bekannt waren. Hier zeigt sich wieder, dass wir nicht streng deduktiv vorgingen, sondern weiterhin die Exploration - also die Entdeckung von Phänomenen und Zusammenhängen - eine Rolle spielte. Als letzter Schritt folgt die Verwertung der Ergebnisse - in wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder als Planungshilfe in der sozialen Realität. Die Publikation von Ergebnissen ist im wissenschaftlichen Forschungsprozess elementar: Andere Forschungsprojekte können Bezug darauf nehmen und die gewonnenen Einsichten (erneut) an der Realität überprüfen. In unserem Beispiel böte sich eine künftige deduktive Überprüfung unserer Erkenntnisse an, die wir thesenhaft als »Konsequenzen für die Journalistenausbildung« formuliert haben. Man könnte aufbauend z. B. eine Inhaltsanalyse durchführen oder eine größere Zahl von Wissenschaftsjournalisten repräsentativ befragen. Qualitätskriterien empirischer Forschung Die Qualität wissenschaftlicher Forschung hängt von der Qualität des Erkenntniswegs ab: Folgt jeder Schritt im Forschungsprozess logisch auf den anderen? - Um den Erkenntnisweg transparent und überprüfbar zu machen, enthalten Veröffentlichungen von Forschungsprojekten nicht nur die Ergebnisse, sondern alle oben genannten Stufen: von der Fragestellung und Exploration bis zur Konzeption und Durchführung der Untersuchung. Die Forschung soll intersubjektiv nachvollziehbar und kritisierbar sein. Für alle Schritte des Forschungsablaufs gibt es Qualitätskriterien. Insbesondere bei der Konzeption und Umsetzung einzelner Methoden spricht man von Gütekriterien. Die größte Herausforderung empirischer Forschung ist die so genannte Operationalisierung: die Umsetzung einer Fragestellung in ein konkretes Untersuchungsdesign. Darauf beziehen sich auch die drei wichtigsten Gütekriterien zur Beurteilung von Forschungsqualität: • Validität (Gültigkeit): Misst das Untersuchungsdesign tatsächlich das, was gemessen werden soll? Gibt es Einflussfaktoren, die berücksichtransparent und überprüfbar Gültigkeit <?page no="45"?> 46 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G tigt werden müssen? Ein Beispiel aus der Nutzerforschung: Um zu erfahren, welche Medien die Menschen wie intensiv nutzen, wird häufig die Methode der Befragung eingesetzt. Doch die Mediennutzung ist meist ein unbewusster Vorgang, an den die Nutzer sich nur ungenau erinnern. In einer Befragung von Lesern einer Wirtschaftszeitung z. B. wollte man wissen, welche Teile der Zeitung die Leser in der Regel immer lesen und für unverzichtbar halten. 15 Prozent antworteten: den Sportteil - obwohl diese Zeitung noch nie einen Sportteil hatte. Die Untersuchung war an diesem Punkt also nicht valide. Andere Methoden wie Copytest oder ReaderScan können die Validität von Leserforschung erhöhen ( → vgl. Kap. 3.1; S. 97 - 103 ). Bei Befragungen kann zudem das Phänomen der sozialen Erwünschtheit eine besondere Rolle spielen. Ein Beispiel: In der Journalistenausbildung wird oft darauf hingewiesen, dass die Recherche wesentlich zur journalistischen Qualität beiträgt. Dies kann dazu führen, dass Journalisten bei Befragungen vor allem ihre Rechercheleistung hervorheben - weil es eben sozial erwünscht erscheint, lange und intensiv zu recherchieren. • Reliabilität (Zuverlässigkeit): Ein Untersuchungsdesign ist zuverlässig, wenn bei einer Wiederholung der Untersuchung das gleiche Ergebnis herauskommt. Dies sollte der Fall sein, wenn ein anderer Forscher das Design anwendet, und auch wenn der gleiche Forscher die Untersuchung wiederholt. • Grundgesamtheit und Repräsentativität: Mit der Grundgesamtheit sind alle Fälle gemeint, für die eine Untersuchung gelten soll. Bei manchen Projekten können wir die Grundgesamtheit komplett in die Untersuchung einbeziehen. Man spricht dann von einer Vollerhebung. Wenn wir zum Beispiel die Zukunftsstrategien der deutschen Zeitungschefredakteure erfahren wollen, können wir die Chefredaktionen aller 129 Publizistischen Einheiten befragen ( → vgl. Kap. 4.3.2; S. 148 - 150 ). Wenn wir dagegen wissen möchten, welche Interessen und Wünsche die Leser haben, wäre es ökonomisch unsinnig und praktisch nicht durchführbar, alle Leser auch nur einer Zeitung zu befragen. Oder: Wenn wir erfahren möchten, wie ein bestimmtes Thema von den Medien aufgegriffen wird, müssen wir für die Inhaltsanalyse eine Auswahl an Medien und Beiträgen treffen. Es handelt sich dann um eine Teilerhebung, der eine Stichprobenziehung vorausgeht. Die Güte einer Stichprobe bemisst sich an der Repräsentativität: Handelt es sich um ein strukturgleiches Abbild der Grundgesamtheit? Repräsentiert die Stichprobe tatsächlich die Grundgesamtheit, bildet sie sie also adäquat ab? Man kann die Verteilung bestimmter Variablen vergleichen, also z. B. darauf achten, dass in einer Leserbefragung der Anteil von Frauen und Männern, Jungen und Alten, Reichen und Armen genau dem Zuverlässigkeit Stichprobe <?page no="46"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 47 Anteil in der Grundgesamtheit entspricht. Dies setzt aber voraus, dass wir Geschlecht, Alter und Einkommen jedes Lesers kennen. Die Sozialforschung behilft sich oft mit einer Zufallsauswahl: Man zieht dann z. B. aus einer alphabetisch sortierten Leserkartei jede zehnte Karte oder man untersucht jede zehnte Ausgabe einer Zeitschrift. Aber auch mit einer Zufallsauswahl können wir uns der Repräsentativität nur mit einer bestimmten Irrtumswahrscheinlichkeit annähern, die mit statistischen Methoden berechnet werden kann. Ist also eine Vollerhebung in jedem Fall besser als eine Teilerhebung? Nicht unbedingt. Bleiben wir beim obigen Beispiel: Wenn von 137 befragten Chefredakteuren nur 70 antworten - können wir dann von einer repräsentativen Befragung sprechen? Mit dem Begriff Repräsentativität sollte man in diesem Fall vorsichtig umgehen. Elisabeth Noelle-Neumann, ehemalige Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach, nannte als »groben, praktischen Anhaltspunkt« eine Rücklaufquote von 50 Prozent (Noelle-Neumann/ Petersen 2003: 280). Liege der Rücklauf darunter, könne man nicht von einer »repräsentativen Befragung« sprechen. Etwas Sicherheit können wir auch hier gewinnen, wenn wir die Verteilung von Variablen vergleichen: Sind große und kleine Zeitungen, Boulevard- und Abonnementzeitungen, Regionen und Bundesländer im Rücklauf im gleichen Verhältnis vertreten wie in der Gesamtheit der Zeitungen in Deutschland? Die Diskussion der Gütekriterien zeigt, dass es keine hundertprozentig sichere empirische Sozialforschung geben kann. Wir können uns nur den Idealen möglichst weit annähern. Gerade deshalb sind Transparenz, Offenlegung und Reflexion des Erkenntniswegs so wichtig. Empirische Methoden der Sozialforschung garantieren eine planvolle und systematische Erkenntnisgewinnung. Wir unterscheiden zwischen • explorativen Elementen im Forschungsablauf, die Realität erkunden und entdecken sowie von Einzelfällen ausgehend vorsichtig generalisieren (induktives Vorgehen), • und hypothesen-testenden Forschungsschritten, die bestehende Theorien an der Realität überprüfen (deduktives Vorgehen). Die Qualität wissenschaftlicher Forschung hängt von der Qualität des Erkenntniswegs ab, der grundsätzlich transparent und kritisierbar sein sollte. Es gibt drei wesentliche Gütekriterien: Zusammenfassung <?page no="47"?> 48 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Methoden empirischer Journalismusforschung Dem empirisch arbeitenden Journalismusforscher stehen im Wesentlichen drei Werkzeuge zur Verfügung: Er kann Menschen befragen, Gruppen oder Organisationen beobachten oder Medieninhalte analysieren. Mit der Befragung kann man Einstellungen und Meinungen erforschen; die Beobachtung erfasst das Verhalten und Handeln; die Inhaltsanalyse beschreibt und wertet systematisch Medieninhalte aus. Während Inhaltsanalysen den Journalismus also vom Produkt oder Output her untersuchen, erheben Befragungen und Beobachtungen die Merkmale und Einstellungen von Journalisten und die Bedingungen der Aussagenentstehung. Befragungen und Beobachtungen erforschen zudem die Nutzung und Wirkung von Medien. Bei jeder dieser Methoden kann man entweder stärker quantitativ oder stärker qualitativ vorgehen (vgl. Brosius/ Koschel 2003; Klammer 2005). Jede Methode hat Vor- und Nachteile. Es kommt auf die Forschungsfrage und das Erkenntnisinteresse an, welche Methode in einer Studie eingesetzt werden sollte. In umfangreicheren Untersuchungen hat sich die Kombination mehrerer Methoden mit unterschiedlichen Zugängen zur Wirklichkeit bewährt: Eine Methode beleuchtet die »blinden Flecken« der anderen und gleicht deren Unzulänglichkeiten aus. Man spricht dann vom Mehrmethodendesign oder von Triangulation (Flick 2004). Im Rahmen dieser Einführung können nicht alle Methoden ausführlich dargestellt werden. Es geht vielmehr darum, exemplarisch und in groben Zügen das Vorgehen der Journalismusforschung zu erklären und verständlich zu machen. Dies geschieht vor allem anhand der Methode der Befragung. 1.3.2 | Mehrmethodendesign • Die Validität fragt danach, ob das Untersuchungsdesign gültig ist und tatsächlich die Forschungsfragen beantworten kann - ob das »gemessen« wird, was »gemessen« werden soll. • Die Reliabilität fragt nach der Zuverlässigkeit eines Instruments. Eine Wiederholung der Untersuchung sollte zum gleichen Ergebnis kommen. • Die Repräsentativität ist Kennzeichen dafür, ob eine Stichprobe die Grundgesamtheit adäquat abbildet. <?page no="48"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 49 Quantitative und qualitative Forschung Quantitative Verfahren belegen ausgesuchte Merkmale mit Zahlenwerten. Die soziale Realität wird »vermessen«, komplexe Zusammenhänge werden auf Aussagen reduziert, die in Zahlen, Prozent- oder Mittelwerten ausgedrückt werden können. Eine Befragung von 450 Online-Journalisten kam u. a. zu dem Ergebnis, dass 97 Prozent online und 77 Prozent offline recherchieren und dass für die Online-Recherche im Schnitt 73 Minuten pro Tag aufgewendet werden, für die Offline-Recherche dagegen nur 35 Minuten - dies ist ein Beispiel, bei dem die Forscher in Fragestellung und Auswertung quantitativ vorgingen (Löffelholz/ Quandt/ Hanitzsch/ Altmeppen 2003: 482). Qualitative Verfahren versuchen dagegen, ein komplexes Phänomen in seiner jeweiligen Situation, individuelle Motive und Hintergründe detailliert zu erfassen. Man befragt dann z. B. einzelne Online-Journalisten, warum und bei welchen Themen sie welche Recherchemethoden einsetzen, und lässt sie dabei relativ offen aus ihrem journalistischen Alltag erzählen. Eine solche qualitative Befragung kann aber nicht 450 Journalisten, sondern allenfalls 20 oder 30 in die Untersuchung einbeziehen, weil es viel zu aufwändig wäre, hunderte Interviews im Detail auszuwerten. Vorteil des quantitativen Vorgehens ist, dass aufgrund der Standardisierung die untersuchten Fälle vergleichbar sind. Zudem kann eine relativ große Menge untersucht werden, was oft sogar repräsentative Rückschlüsse auf eine Grundgesamtheit ermöglicht. Unser Beispiel ist ein starker Beleg für die These, dass Online-Journalisten in Deutschland generell stärker online als offline recherchieren, woraus man z. B. die Schlussfolgerung ziehen kann, dass Inhalte, die bereits online sind, bessere Chancen auf Publikation in Online-Medien haben als Inhalte außerhalb von Internet und Datenbanken (was dann aber wiederum mit anderen Methoden zu prüfen wäre). Vorteil des qualitativen Vorgehens ist dagegen, dass man soziale Realität detaillierter und tiefer erfassen kann - ohne allerdings verbindliche Schlüsse auf andere Fälle oder gar auf eine Grundgesamtheit ziehen zu können. In unserem Beispiel könnten z. B. Leitfadengespräche mit Online-Journalisten oder Redaktionsbeobachtungen dazu beitragen, die Arbeitsweisen und Tätigkeiten in Online-Redaktionen sowie Motive und Hintergründe zu erhellen. Eine Sonderform qualitativen Vorgehens ist die Fallstudienforschung. Fallstudien werden in der Sozialforschung - z. B. in den Wirtschaftswissenschaften oder der Politikwissenschaft - angewandt, um aktuelle und dynamische Entwicklungen möglichst tief gehend, individuell und nicht pauschalisierend zu erkunden. Sie dienen also induktiven Schritten im Realität »vermessen« Motive und Hintergründe Fallstudie <?page no="49"?> 50 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Forschungsprozess. Ein Fall - beispielsweise eine Redaktion, ein Verlag oder eine Rundfunkanstalt - wird möglichst umfassend analysiert. Dazu werden qualitative Methoden kombiniert: Leitfadeninterviews, einfache Beobachtungen, Hintergrundgespräche oder die Auswertung von schriftlichen Quellen wie Selbstdarstellungen oder Strategie-Papieren. Fallstudien können z. B. die Strategien von Redaktionen zur Lösung bestimmter Probleme ganzheitlich ergründen. In der Regel wird ein Fall aber nicht isoliert betrachtet: Ein systematischer Vergleich mehrerer Fallstudien kann zu generalisierenden Thesen führen - und so weiter gehende, vielleicht repräsentative Untersuchungen explorativ vorbereiten (Grundlagenliteratur: Yin 2003). Quantitative Methoden zwängen das Forschungsthema in ein enges Korsett. Wenn die Methode nicht ausreichend vorbereitet ist, besteht die Gefahr, dass sie dem Forschungsthema nicht gerecht wird, dass das Korsett nicht passt und die Daten wertlos sind, weil sie an der Hauptsache vorbeigehen. Zwar wird in der Journalismusforschung - wie in der Kommunikationsforschung und auch in der Sozialforschung allgemein - überwiegend quantitativ empirisch gearbeitet, aber in größeren Studien werden oft beide Varianten kombiniert. Dabei hat sich die Reihenfolge qualitativ → quantitativ → qualitativ bewährt: Ist ein Bereich bislang wenig erforscht, setzt man zunächst zur induktiven Thesengewinnung ( → vgl. Kap. 1.3.1; S. 40 - 41 ) qualitative Instrumente ein: Der Forscher führt zum Beispiel offene, detaillierte Gespräche mit einzelnen Journalisten oder Experten, oder er sammelt Fallstudien, um auf dieser Basis konkrete Fragestellungen für eine quantitative, groß angelegte Journalistenbefragung zu gewinnen. Kommen nun dabei Ergebnisse heraus, die näher erklärt oder plausibilisiert werden müssen, könnte ein weiterer qualitativer Schritt noch einmal stärker in die Tiefe gehen. Zudem kann man in einem einzigen Instrument qualitative und quantitative Elemente mischen - z. B. durch die Kombination offener oder geschlossener Fragen in einer Befragung (siehe die folgenden Seiten). Die Auswertung der Daten erfolgt in der Regel mit Unterstützung durch Software: Bei der quantitativen Analyse hat sich z. B. SPSS bewährt (das kurzzeitig PASW hieß), bei der qualitativen Analyse MAXQDA. Die Befragung Streng genommen kann man mit einer Befragung nur Einstellungen, Bewertungen und Überzeugungen von Menschen erforschen. Da viele Forschungsfragen indes oft auf Verhalten abzielen, das nicht durch Einstellungen, Bewertungen, Überzeugungen <?page no="50"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 51 Beobachtung zugänglich ist (weil es z. B. zu aufwändig wäre, 1.000 Journalisten oder Nutzer zu beobachten), behelfen wir uns, indem wir mit einer Befragung Selbstauskünfte einholen: »Welche Sender haben Sie in der letzten Woche im Radio gehört? « ( → vgl. Kap. 3.1; S. 97 - 101 ) - »Schätzen Sie bitte, wie viel Zeit Sie im Schnitt für folgende Tätigkeiten aufwenden: Recherche, Verfassen eigener Texte, Redigieren von Agenturtexten, …« ( → vgl. Kap. 6.1; S. 216 - 217 ). Die verschiedenen Möglichkeiten der Befragung sind in der Tabelle dargestellt (vgl. Abb. 1.5). Die Form der Befragung (mündlich oder schriftlich) sollte aufgrund des Forschungsziels gewählt werden, oft spielen aber auch Kostengründe eine Rolle. Grundlage jeder Befragung ist der Fragebogen, der mehr oder weniger standardisiert sein kann: • Standardisierte Fragebögen enthalten überwiegend geschlossene Fragen und legen alles genau fest: von Wortlaut und Abfolge der Fragen bis zu den Antwortvorgaben, aus denen der Befragte dann auswählen kann. Diese Fragebögen können quantitativ statistisch ausgewertet werden. • Weniger standardisierte Fragebögen verwenden meist offene Fragen und bestehen in mündlichen Interviews entweder aus einem Leitfaden oder einer Stichwortliste für den Interviewer. Sie werden qualitativ und explorativ eingesetzt, wenn zum Thema der Studie noch wenig bekannt ist. Wenn die Interviews später verglichen werden sollen, empfiehlt sich die Festlegung von Wortlaut und Reihenfolge im Leitfaden. Spontanes Nachhaken des Interviewers, um tiefer gehende Informationen zu erhalten, sollte jedoch möglich sein. Mündliche Leitfadeninterviews werden mit Zustimmung der Interviewten aufgezeichnet und nachher - zumindest in wesentlichen Teilen - transkribiert, um die Auswertung zu optimieren. Generell gibt es zwei Fragetypen: offene und geschlossene Fragen (vgl. die Beispiele in Abb. 1.6). Offene Fragen sind grundsätzlich zu empfehlen, wenn der Forscher die Bandbreite möglicher Antworten nicht genau kennt und Aspekte zur Sprache kommen sollen, die vorher nicht bekannt waren. Geschlossene Fragen sollten alle möglichen Antworten vorgeben (Vollständigkeit), und die Antwortvorgaben sollten inhaltlich nicht überlappen (Trennschärfe). Man kann zwar mangelnde Vollständigkeit durch einen offenen Zusatz (z. B. »Sonstiges«) ausgleichen, finden sich dort aber sehr viele Antworten, fällt eine quantitative Auswertung schwer, weil man nicht weiß, ob eine Kategorie häufiger angekreuzt worden wäre, wenn sie auf der Liste gestanden hätte. Bei der Frage nach Einschätzungen und Meinungen werden oft »Rating-Skalen« benutzt - mit in der Regel zwei bis sieben Stufen. Dabei müssen unterschiedliche Skalen- und Datenniveaus beachtet werden, Der Fragebogen vollständig und trennscharf <?page no="51"?> 52 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Form der Befragung mündlich: face to face aufwändige, aber intensive Interviews mit geringer Abbrecherquote mündlich: telefonisch kostensparend und schnell, aber ohne Visualisierungsmöglichkeit; Fragen und Antwortvorgaben müssen einfach formuliert sein schriftlich: postalisch Rücklaufquote meist relativ niedrig: langwierige Nachfassaktionen sind nötig schriftlich: austeilen/ einsammeln Verteilung eines Fragebogens z. B. in einer Redaktion oder einer Schulklasse/ einer Vorlesung; beim Einsammeln auf Anonymität achten schriftlich: per E-Mail am besten telefonisch ankündigen (Spam- Filter! ); beliebige, breite Streuung hat wenig Sinn und nervt unter Umständen die Befragten; eine Mail kann auf einen Fragebogen im WWW hinweisen schriftlich: im WWW kostensparend und schnell, automatische Dateneingabe und statistische Verwertbarkeit; aber: nur Internet-Nutzer sind erreichbar, Selbstselektion der Befragten (meist keine Repräsentativität). Gute Einsatzmöglichkeit vor allem bei klar umrissener und kleiner Grundgesamtheit (z. B. Journalisten bestimmter Redaktionen, Absolventen von Studiengängen, Nutzer einer bestimmten Website) Art des Fragebogens stark standardisiert genaue Festlegung von Antwortvorgaben; überwiegend geschlossene Fragen; Vorteil: quantitative, statistische Auswertung weniger standardisiert Leitfaden oder Stichwortliste; überwiegend offene Fragen; Ziel: Exploration, Stoffsammlung Fragetypen offen keine Vorgabe von Antwortkategorien; möglichst wörtliche Aufzeichnung der Antwort; Auswertung in der Regel qualitativ deskriptiv; eventuell können die Antworten auch quantitativ in Kategorien einsortiert werden geschlossen vollständige und trennscharfe Antwortvorgaben; möglich sind z. B. Skalen: zweigeteilt (ja/ nein oder männlich/ weiblich) oder mehrgeteilt (stimme voll zu/ stimme weitgehend zu/ lehne weitgehend ab/ lehne voll ab) Abb. 1.5 | Möglichkeiten der Befragung <?page no="52"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 53 Beispiele für offene Fragen: (1) Wie lautet die genaue Bezeichnung Ihrer jetzigen beruflichen Stellung? (z. B. Redakteur, Moderator, Korrespondent) (2) Über journalistische Qualität wird in letzter Zeit viel diskutiert. Was sind für Sie die wichtigsten Kriterien journalistischer Qualität? (3) Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Aufgaben eines Journalisten? Beispiele für geschlossene Fragen: (4) Welche redaktionelle Position haben Sie? Gesamtleitung (Chefredakteur, Programmdirektor oder Stellvertreter) Teilleitung (Chef vom Dienst, Ressortleiter, Teamleiter) Redakteur Volontär Praktikant/ Hospitant (5) Wie oft werden Ihre Beiträge von jemand anderem in der Redaktion gegengelesen bzw. abgenommen? immer oder fast immer meistens ab und zu selten gar nicht (6) Nun lese ich Ihnen einige Aussagen vor, in denen es darum geht, wie man sich in seinem Beruf als Journalist verstehen kann und welche Ziele man mit seiner beruflichen Arbeit erreichen möchte. Es geht also immer um die Frage: Worum geht es Ihnen ganz persönlich in Ihrem Beruf? - IN MEINEM BERUF GEHT ES MIR DARUM … a) »komplexe Sachverhalte zu erklären und zu vermitteln.« trifft voll und ganz überwiegend teils/ teils weniger überhaupt nicht zu b) »dem Publikum eigene Ansichten zu präsentieren.« trifft voll und ganz überwiegend teils/ teils weniger überhaupt nicht zu c) »die Realität genauso abzubilden, wie sie ist.« trifft voll und ganz überwiegend teils/ teils weniger überhaupt nicht zu … Einige dieser Beispiele sind in etwas veränderter Form der Studie »Journalismus in Deutschland« entnommen. Die kompletten Fragebögen für diese umfangreiche Untersuchung sind in den Büchern von Scholl/ Weischenberg (1998: 325 - 354) und Weischenberg/ Malik/ Scholl (2006: 229 - 254) abgedruckt. | Abb. 1.6 Offene und geschlossene Fragen <?page no="53"?> 54 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G die in den einschlägigen Lehrbüchern ausführlich beschrieben werden. Beispiele sind Zustimmung/ Ablehnung (stimme voll zu/ stimme weitgehend zu/ lehne weitgehend ab/ lehne voll ab), Häufigkeit (immer/ häufig/ selten/ nie) oder Bewertung (Schulnoten von 1 bis 6). Wie kann man einen Fragebogen optimal aufbauen? Wie werden Fragen gut formuliert? - Zum Handwerkszeug der Befragung gibt es gute Lehrbücher, die am Ende dieses Kapitel vorgestellt werden. Vor allem bei standardisierten Fragebögen ist es zentral, dass alle Missverständnisse, Zweideutigkeiten und Verzerrungen bei jeder einzelnen Frage vermieden werden - und dass die Dramaturgie des Fragebogens stimmt, um Abbrüche möglichst zu minimieren. Die Beobachtung Diese Methode wird in der Kommunikationsforschung relativ selten eingesetzt. In der Journalismusforschung hat sie sich jedoch vor allem in der Redaktionsforschung schon gut bewährt, weil dadurch Abläufe, Handlungen und soziale Strukturen in einer Redaktion erfasst werden können. Man kann z. B. herausfinden, wie sich redaktionelle Umstrukturierungen auf das journalistische Arbeiten auswirken, wie Journalisten mit Informanten umgehen, wie zeitlicher Druck die redaktionelle Arbeit beeinflusst oder wie journalistische Arbeit technisiert und formalisiert wird ( → vgl. Kap. 4.5; S. 165 - 178 ). Redaktionsforschung mit der Methode der Beobachtung wurde in Deutschland bislang vor allem in Dissertationen betrieben - vgl. z. B. die Arbeiten von Manfred Rühl (»Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System«, 1979), Ulrich Hienzsch (»Journalismus als Restgröße«, 1990), Eduard Grimme (»Zwischen Routine und Recherche«, 1991), Klaus-Dieter Altmeppen (»Redaktionen als Koordinationszentren«, 1999), Klaus Meier (»Ressort, Sparte, Team«, 2002) oder Thorsten Quandt (»Journalisten im Netz«, 2005). Wie alle empirischen Methoden sollte auch die Beobachtung nicht unkontrolliert, unsystematisch und impressionistisch vorgehen, um möglichst zuverlässige und gültige Daten liefern zu können. Wir beobachten deshalb nur ganz bestimmte Aspekte, die wir vorher aufgrund unserer Fragestellung und unseres theoretischen Konzepts festlegen - und wir gehen systematisch mit Hilfe eines mehr oder weniger stark definierten Schemas vor. Diskutiert wird in der Wissenschaft immer wieder, wie weit die Systematisierung gehen soll, das heißt, wie stark ein Kategorienkatalog spezifiziert und wie exakt ein Beobachtungsschema vorgegeben wird. Während quantitativ orientierte Forscher zunächst Hypothesen entwickeln und dann in einem standardisierten Beobachtungsschema genau Redaktionsforschung Beobachtungsschema <?page no="54"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 55 Zahl und Art der Beobachtungseinheiten von vornherein festlegen, rät die qualitativ orientierte Sozialwissenschaft von einem exakten Plan ab, um die Exploration nicht zu behindern und nicht nur zu sehen, was man vorher schon sehen wollte. Ratsam ist es auch hier wieder, zwei Regeln zu befolgen. Erstens: Je mehr wir vom zu untersuchenden Gegenstand wissen, umso eher können wir quantifizierend, also messend und zählend vorgehen. Zweitens: Quantitative und qualitative Elemente können kombiniert werden. Wenn zum Beispiel aufgrund unseres Forschungsinteresses Dauer und Art der Tätigkeiten eines Redakteurs beobachtet werden sollen, könnten wir einen standardisierten Erhebungsbogen entwerfen: Dort tragen wir dann in einer Spalte die Tätigkeit ein (eventuell mit einer Nummer aus einer vorgefertigten Liste), in einer weiteren Spalte die Dauer in Minuten. Eine dritte Spalte können wir dann der offenen Form eines Beobachtungstagebuchs vorbehalten, in dem Merkmale der Tätigkeiten und Besonderheiten notiert werden. Eine Beobachtung kann offen oder verdeckt, teilnehmend oder nicht teilnehmend vorgehen (vgl. dazu ausführlich Klammer 2005: 200 - 204). Wird allen beobachteten Redakteuren der Forscher als Forscher vorgestellt, handelt es sich um die offene Variante. Schmuggelt sich der Forscher dagegen als Praktikant ein, beobachtet er verdeckt. Dies bringt allerdings - ähnlich wie die verdeckte Recherche eines Journalisten ( → vgl. Kap. 6.1; S. 221 - 223 ) - ethische und rechtliche Probleme mit sich und ist in der Regel nicht zu empfehlen. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass Menschen nicht ausschließlich zu Objekten der Untersuchung gemacht und als zweckdienlich betrachtet werden sollten. Die Methode der Beobachtung ist aus verschiedenen Gründen nicht unproblematisch. Die Forscher müssen Zugang zum Feld, also zum Beispiel zu einer Redaktion erhalten, was oft Geduld und Hartnäckigkeit erfordert. Zudem kann man nicht ausschließen, dass sich der Beobachter allein durch seine Anwesenheit auf die Handelnden auswirkt. Der Aufwand ist insgesamt relativ hoch, wenn man bedenkt, dass immer nur einzelne Fallstudien erhoben werden können, also nie Repräsentativität - z. B. für alle Redaktionen in Deutschland - erreicht werden kann. Dennoch sind wissenschaftliche Beobachtungen wertvoll, weil nur durch sie soziale Situationen in ihrer Tiefe richtig erfasst werden können. Eine Kombination mit anderen Methoden ist gerade bei Beobachtungen sinnvoll: So kann z. B. die Redaktionsforschung mit zusätzlichen mündlichen Leitfadengesprächen und einer begleitenden schriftlichen Befragung der Redakteure arbeiten. offen oder verdeckt Geduld und Hartnäckigkeit <?page no="55"?> 56 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Die Inhaltsanalyse Die Inhaltsanalyse ist die am weitesten verbreitete Methode der Kommunikationsforschung. Deshalb gibt es dazu eine Reihe guter Einführungen, die von Kommunikations- und Journalismusforschern geschrieben wurden (vgl. die Literaturempfehlungen). Wertvoll ist die Inhaltsanalyse zum Beispiel im Bereich der Public Relations: Wenn die Themenagenda des Journalismus kontinuierlich analysiert und wenn systematisch ausgewertet wird, wie sich die Aussagen von Politikern und Parteien, Unternehmen und Verbänden in den Medien niederschlagen, können darauf aufbauend Kommunikationsstrategien entworfen oder optimiert werden. Nutzen für die journalistische Praxis hat die Inhaltsanalyse beispielsweise in so genannten Benchmarkings, wie sie vom Leipziger Journalismusforscher Michael Haller entworfen wurden (vgl. www.journalismusforschung.de): Die Inhalte von Tageszeitungen wurden verglichen, und in Kombination mit Leserforschungen wurden Qualitätskriterien herausgearbeitet, die für den Markterfolg wichtig sind. Auf dieser Basis können nun per Inhaltsanalyse Stärken und Schwächen von redaktionellen Teilen herausgefunden und Strategien für einzelne Redaktionen entwickelt werden. Eine ähnliche, aber umfangreichere Studie von Klaus Schönbach zu den Erfolgsfaktoren von Tageszeitungen wird im folgenden Kapitel 1.3.3 kurz vorgestellt. Es gibt zwar qualitativ vorgehende Inhaltsanalysen, überwiegend wird jedoch quantitativ gearbeitet, um große Mengen an Text-, Bild-, Audio- oder Videomaterial verarbeiten und vergleichen zu können. Die Stichprobenziehung ist gerade bei der Inhaltsanalyse sehr wichtig, weil meist aufgrund einiger hundert oder tausend Beiträge (Untersuchungseinheiten) auf die gesamte Berichterstattung geschlossen werden soll. Ein Kategorienschema legt auf Basis der Forschungsfragen genau fest, welche Variable (z. B. Thema eines Beitrags) mit welcher Ausprägung (z. B. Politik, Wirtschaft, Sport, Bildung) wie kodiert - also vermessen oder ausgezählt - wird. Das Kategorienschema wird im Codebuch erklärt, das Anweisungen und Regeln für die Codierer bereithält. Themenagenda des Journalismus Stärken und Schwächen von Zeitungen Beispiele für Inhaltsanalysen Beispiel I: Themenprofile deutscher Fernsehnachrichten (Leitung: Udo Michael Krüger, IFEM-Institut, Köln) Die ARD/ ZDF-Medienkommission hat das Kölner Institut IFEM damit beauftragt, die wichtigsten Nachrichtensendungen im deutschen Fern- <?page no="56"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 57 sehen kontinuierlich zu analysieren. Der Bericht für das Jahr 2012 ergab, dass die »Tagesschau« zu 53 Prozent, »heute« zu 37 Prozent und die Nachrichtensendungen in RTL und SAT.1 zu 23 bzw. 30 Prozent über Politik berichten. Zentrale politische Themen werden in den Sendungen von ARD und ZDF kontinuierlicher beobachtet als in den privaten Fernsehkanälen. Das Ergebnis ist nicht überraschend, kann für die Verantwortlichen von ARD und ZDF jedoch eine wissenschaftlich gestützte Argumentationshilfe sein, wenn es darum geht, die Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender zu verteidigen. (Quelle: M EDIA P ERSPEKTIVEN , 2/ 2013, 62-92) Beispiel II: Ranking der meistzitierten Medien (Leitung: Institut Media Tenor, Zürich) Das Forschungsinstitut Medien Tenor führt regelmäßig Inhaltsanalysen der wichtigsten deutschen Medien durch - überwiegend zu politischen oder wirtschaftlichen Fragestellungen im Auftrag von Parteien, Unternehmen oder Verbänden. Ein Produkt dieser Forschung ist das so genannte Ranking der meistzitierten Medien. Hintergrund ist, dass sich Redaktionen aufgrund der großen Medienkonkurrenz durch Exklusivmeldungen profilieren wollen: Wer Exklusives meldet und über Nachrichtenagenturen geschickt vermarktet, wird von anderen Medien öfter zitiert und deshalb in der Branche und eventuell auch vom Publikum als »wichtig« wahrgenommen. Dies soll langfristig den Erfolg des journalistischen Produkts sichern. Der Trend, dass Redaktionen immer mehr Exklusives recherchieren und vermarkten wollen, führt allerdings auch zu Falschmeldungen oder bewussten Falschinterpretationen (vgl. die Kritik des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, die in Kapitel 1.2.3 wiedergegeben ist). 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600 1800 2000 Spiegel Bild-Zeitung Bild am Sonntag Süddeutsche Handelsblatt Focus FAZ Wall Street Journal New York Times Welt am Sonntag <?page no="57"?> 58 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung Jede Wissenschaft hat zwei Dimensionen (vgl. Kromrey 1995: 18 - 20): Grundlagenforschung begründet die Relevanz der von ihr aufgegriffenen Themen wissenschaftsimmanent aus bestehenden Lücken oder aus Widersprüchen im bisherigen Wissensbestand. Anwendungsorientierte Forschung leitet die behandelten Fragestellungen aus den Bedürfnissen der Praxis außerhalb der Scientific Community ab. Auch Ergebnisse aus Grundlagenprojekten können indes Praxisrelevanz und Nutzwert außerhalb der Wissenschaft besitzen - und umgekehrt können anwendungsorientierte Projekte zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen. Wir können zwar feststellen, ob eine Studie mehr in die eine oder mehr in die andere Richtung geht, aber es gibt keine trennscharfe Grenze zwischen beiden Bereichen. Kriterium ist zum Beispiel die Finanzierung: Stammen die Forschungsmittel von einer Universität oder von einer forschungsfördernden Institution wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dann handelt es sich in der Regel um Grundlagenprojekte. Wenn Unternehmen, Institutionen der journalistischen Praxis oder Fachhochschulen Forschungsmittel bereitstellen, besteht in der Regel das Interesse, die Ergebnisse außerhalb der Scientific Community zu verwerten. 1.3.3 | Nutzwert Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus einem Ranking der meistzitierten Medien, das Media Tenor nach einer Auswertung von 22.447 Zitaten in 40 Medien zwischen Januar und September 2010 erstellt hat. Die Zählung belegt, dass S PIEGEL und B ILD am erfolgreichsten die redaktionelle Strategie der Exklusivmeldung verfolgen. (Quelle: www.mediatenor.de, 8. 10. 2010) Empirisch arbeitende Journalismusforscher können drei Methoden einsetzen und bei Bedarf kombinieren: die Befragung, die Beobachtung und die Inhaltsanalyse. Jede Methode kann stärker quantitativ oder stärker qualitativ vorgehen - wobei quantitative Verfahren häufiger verwendet werden: Sie vergleichen anhand von Zahlen, Prozent- und Mittelwerten und erlauben aufgrund großer untersuchter Mengen repräsentative Schlussfolgerungen. Qualitative Forschungen versuchen dagegen, ein komplexes Phänomen z. B. durch Fallstudien ganzheitlich zu erfassen. Zusammenfassung <?page no="58"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 59 Vorwiegend grundlagenorientierte Journalismusforschung Dank der empirisch-analytischen Journalismusforschung der vergangenen drei bis vier Jahrzehnte können wir wissenschaftlich fundierte Aussagen über den Journalismus treffen. Was wir früher über den Journalismus wussten, wussten wir durch den Journalismus: durch Einzelaussagen und Selbstbeobachtungen der Berufspraktiker. Die Journalistik dagegen untersucht den Journalismus als ein Beobachter zweiter Ordnung, der mit intersubjektiv überprüfbaren Methoden systematisch und kontinuierlich Realitäten und Wandlungsprozesse der aktuellen Aussagenentstehung, -nutzung und -wirkung beschreibt. DFG-Projekte im Bereich der Journalistik gab es in den vergangenen Jahren z. B. zu folgenden Themen: »Journalismus in Deutschland« (Siegfried Weischenberg/ Armin Scholl), »Kulturelle Bedeutungsproduktion durch Journalismus. Die Integration der Publikumsperspektive in die Journalistik« (Margreth Lünenborg), »Der Einfluss der angewandten Medienforschung auf den Journalismus« (Ralf Hohlfeld), »Online-Journalismus: Die Transformation aktueller Medienkommunikation. Theoretische und empirische Eingrenzung eines Medienbereichs im Wandel« (Martin Löffelholz), »Vertrauen in Medien: Strukturen, Gründe und Konsequenzen des Vertrauens in medial vermittelte öffentliche, insbesondere journalistische Kommunikation« (Matthias Kohring), »Wandel bei aktuellen Massenmedien: Journalismus in veränderten Medienkontexten« (Bernd Blöbaum). »Die (Wieder-)Entdeckung des Publikums: Journalismus unter den Bedingungen von Web 2.0« (Wiebke Loosen), »Themendynamik der öffentlichen Kommunikation im Internet - Netzwerk- und Inhaltsanalyse aktueller Themen in Twitter« (Christoph Neuberger, Stefan Stieglitz). Auf den ersten Blick ist aus diesen Studien kein unmittelbarer Nutzen für die journalistische Praxis abzuleiten. Noch am ehesten lässt sich der Sinn dieser Grundlagenforschung für die Praxis damit erklären, dass die Journalisten dank der Forschung mehr über ihren Beruf wissen (können, wenn sie wollen). Die Forschungserkenntnisse helfen bei der Einordnung des eigenen Tuns und tragen zur Professionalisierung des traditionellen »Anlernberufs« bei. Diese Funktion der Journalistik wurde immer wieder mit dem Begriff der Reflexion etikettiert und dutzendfach beschrieben. In diesen Kontext ist auch die Journalistenausbildung an Hochschulen einzuordnen ( → vgl. Kap. 6.2; S. 224 - 232 ) - oder die Analyse einer journalistischen Ethik im Kontext von vielerlei Abhängigkeiten der Journalisten ( → vgl. Kap. 7.2; S. 244 - 255 ). Es wäre indes absurd, den praktischen Nutzen von Grundlagenforschung auf Transfermöglichkeiten und Reflexionswissen zu beschrän- Beobachter zweiter Ordnung Professionalisierung <?page no="59"?> 60 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Grundlagenorientierte Journalismusforschung: ein Beispiel Journalismus in Deutschland II (Leitung: Siegfried Weischenberg/ Armin Scholl) Die repräsentative Befragung lieferte wichtige Daten über die Journalistinnen und Journalisten in Deutschland ( → vgl. Kap. 6; S. 211 - 232 ). Die Studie wurde von der DFG gefördert. Sie ist auf der DFG-Website wie folgt beschrieben: »Zum Journalismus in Deutschland sind Anfang der 90er-Jahre erstmals repräsentative Daten erhoben worden. Sie bildeten nicht nur die Basis für einen soliden Kenntnisstand über Journalistinnen und Journalisten, sondern erlaubten auch eine anspruchsvollere theoretische Einordnung der Voraussetzungen, unter denen Wirklichkeitsentwürfe der aktuellen Medien zu Stande kommen. Es muss aber vermutet werden, dass der heutige Journalismus in wesentlichen Bereichen ein anderes Bild bietet als vor zehn Jahren, sodass die damaligen Daten einer Aktualisierung bedürfen. Sichtbare Wandlungsprozesse im Mediensystem, bei der Medienproduktion und bei den Medienprodukten haben inzwischen die Aussagenentstehung und ihre Akteure verändert. Die Befunde aus den 90er-Jahren bedürfen also einer Aktualisierung. Das Projekt ermittelt erneut mit Hilfe einer repräsentativen Journalistenbefragung, welche Institutionen und welche Akteure journalistische Aussagen produzieren, welche Merkmale sie haben und unter welchen Bedingungen sie arbeiten. [...] Die als Replikation angelegte Studie verfolgt drei grundlegende Ziele: 1) Die Neuerhebung repräsentativer Daten soll es ermöglichen, den gegenwärtigen Journalismus, seine Strukturen und die Bedingungen der journalistischen Aussagenentstehung fundiert beschreiben und analysieren zu können. 2) Im diachronen Vergleich mit den zehn Jahre alten Ergebnissen der Vorläuferstudie wird erstmals empirisch-analytisch und nicht spekulativ geprüft, ob und in welcher Weise sich der Journalismus gewandelt und verändert hat. Die Langzeitstudie zur Mediennutzung und -bewertung erfährt so eine Ergänzung im Bereich der Kommunikatorforschung. 3) Im synchronen Vergleich mit anderen nationalen Kommunikator-Studien und insbesondere mit der neuen Erhebung im Rahmen der Langzeituntersuchung zum Journalismus in den USA soll die Bedeutung des Journalismus in seinem gesellschaftlichen Kontext analysiert und bewertet werden.« (Quelle: gepris.dfg.de) Die Studie ist u. a. in der Zeitschrift »Journalist« (Heft 8 und 9/ 2006) und im Buch von Weischenberg/ Malik/ Scholl (2006) veröffentlicht. Teilergebnisse der Vorläuferstudie Anfang der 90er-Jahre sind an verschiedenen Stellen zu finden, z. B. im Buch von Scholl/ Weischenberg (1998). <?page no="60"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 61 ken: Sie legt vor allem die Basis, auf der erst anwendungsorientierte Forschung gedeihen kann. Vorwiegend anwendungsorientierte Journalismusforschung Die Wissenschaft wird gern zu Rate gezogen, wenn Journalisten mehr über ihr Publikum wissen wollen: Redaktionen, Verlage und Rundfunkanstalten beauftragen dann Wissenschaftler oder Forschungsinstitute mit Leserforschung, Zuschauerbefragung oder Usability-Tests von Online-Medien. Meist findet derartige Forschung außerhalb des akademischen Bereichs statt: Große Rundfunkanstalten und Verlage unterhalten eigene Abteilungen für so genannte »Medienforschung« - oder freie Marktforschungsinstitute werden mit Nutzerforschung beauftragt. Der Nutzen einer anwendungsorientierten Journalistik geht indes über die Publikumsforschung hinaus. Er liegt z. B. darin, mögliche Innovationen zu erforschen, zu prüfen und zu testen, neue Wege aufzuzeigen - nicht nur im Hinblick auf ökonomischen Erfolg, der von vielen Faktoren abhängt, sondern zur Verbesserung der journalistischen Qualität in allen ihren Dimensionen ( → vgl. Kap. 7.1; S. 233 - 243 ). Wo und wie funktionieren Innovationen, wo bergen sie Risiken und Gefahren für die journalistische Qualität? - Insgesamt ist das Potential von angewandter Journalismusforschung bei weitem (noch) nicht ausgeschöpft ( → vgl. Kap. 7.3; S. 266 - 270 ). Zu denken wäre z. B. an neue Formen der Aktionsforschung, welche die Sozialforschung in den 70er-Jahren entwickelte und bei der die Forschungstätigkeit z. B. als Beratungsleistung unmittelbar in die Alltagspraxis eingebunden wird, mit dem Ziel, diese zu verändern (vgl. Kromrey 1995: 430 - 438). Der Forschungsprozess durchläuft dann mehrere Zyklen, um die Veränderungen und Erfolge des Handelns mehrfach zu prüfen und wieder verändern zu können. In diese Richtung geht eines meiner Projekte, das im folgenden Kasten kurz beschrieben ist (vgl. Meier 2011). Während die Grundlagenforschung nahezu ausschließlich wissenschaftsimmanent veröffentlicht, greift die angewandte Forschung auch auf alternative Outputformen zurück, die aus wissenschaftsinternen Publikationsritualen ausbrechen: Beiträge in Fachzeitschriften für Journalisten (z. B. »Message«, »Journalist« oder »Medium Magazin«), Expertisen und Beratungsleistungen für Redaktionen, beispielsweise in Form von Analysen vor Ort, Coachings und Weiterbildungen. Viele anwendungsorientierte Projekte sind allerdings nicht öffentlich zugänglich - nämlich dann, wenn die Auftraggeber einer Veröffentlichung nicht zustimmen. Innovationen Expertise, Beratung, Coaching <?page no="61"?> 62 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Anwendungsorientierte Journalismusforschung: zwei Beispiele Beispiel I: Zeitungen in den Neunzigern: Faktoren ihres Erfolgs 350 Tageszeitungen auf dem Prüfstand (Leitung: Klaus Schönbach) Schon seit mehr als 20 Jahren tun die deutschen Verlage viel, um die Tageszeitung für die Zukunft zu stärken: Ausbau der Hintergrundberichterstattung und lokaler Service-Angebote, Modernisierung des Erscheinungsbildes, gezieltes Lesermarketing und vieles mehr. Doch wie erfolgreich sind sie damit? - Ein generelles Schrumpfen der Leserzahlen scheint unausweichlich ( → vgl. Kap. 3.2; S. 108 - 114 ). Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und die Stiftervereinigung der Presse haben den Journalistik-Wissenschaftler Klaus Schönbach Mitte der 90er-Jahre damit beauftragt, alles auf den Prüfstand zu stellen, was Zeitungen unternehmen, um Leser zu binden und neue zu gewinnen. Die umfangreiche Studie kombinierte mehrere Methoden: Eine Inhaltsanalyse von 350 Ausgaben untersuchte im Vergleich jeweils einer Woche aus den Jahren 1989 und 1994, was die Zeitungen in ihrem Inhalt attraktiver gemacht haben könnte. Eine Befragung der Verlage trug zusammen, was zudem das Lesermarketing unabhängig vom Zeitungsinhalt unternahm, z. B. durch Abonnenten-Werbung oder Preisgestaltung. Alle Verlags- und Redaktionsaktivitäten wurden dann in Bezug zu Entwicklungen der Abonnenten- und Leserzahlen gesetzt, wobei die Wettbewerbssituation im Erscheinungsgebiet berücksichtigt wurde. Die Untersuchung lieferte praktische Erkenntnisse für die Tageszeitungen: Auf der Basis harter Daten wurde ermittelt, ob sich mehr Lokales, der Ausbau des Service-Angebots, eine stärkere Bebilderung oder ein niedriger Bezugspreis tatsächlich ausgezahlt haben, wenn es darum ging, Auflage und Reichweite stabil zu halten oder sogar zu steigern. Zudem konnte spezifiziert werden, welche gut gemeinten Maßnahmen offensichtlich sinnlos oder sogar kontraproduktiv waren. (Quelle: Schönbach 1997) Klaus Schönbach wiederholte seine Pionierstudie von 1995 knapp zehn Jahre später: mit einer kleineren Stichprobe in Deutschland und einem Vergleich mit Erfolgsfaktoren US-amerikanischer Zeitungen. (Quelle: Schönbach 2004) <?page no="62"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 63 Beispiel II: Newsroom, Newsdesk, crossmediales Arbeiten Neue Modelle der Redaktionsorganisation und ihre Auswirkung auf die journalistische Qualität (Leitung: Klaus Meier) Die Anglizismen »Newsroom«, »Newsdesk« und »Crossmedia« avancierten zu Modewörtern des Redaktionsmanagements vor allem bei Tageszeitungen, aber auch bei Nachrichtenagenturen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten ( → vgl. Kap. 4.5; S. 173 - 178 ). Sie werden in der journalistischen Praxis ganz unterschiedlich verwendet und bewertet. Euphoriker versprechen sich durch neue redaktionelle Strukturen eine höhere journalistische Qualität, weil u. a. Abläufe, Themenplanung und Themenbearbeitung professionalisiert werden können. Skeptiker sehen dagegen den ökonomischen und zeitlichen Druck auf Redakteure (erneut) wachsen oder befürchten einen Verlust an Qualität und Vielfalt. Die Studie erarbeitete zunächst explorativ anhand von Beispielen einen Überblick über neue Modelle und Motive für deren Umsetzung und untersuchte dann in einer empirischen Langzeitstudie den redaktionellen Innovationsprozess der österreichischen Nachrichtenagentur APA: Die A USTRIA P RESSE A GENTUR siedelte im August 2005 in ein neues Gebäude über und bezog einen Newsroom auf einer Ebene mit etwa 1600 Quadratmetern für ca. 140 Arbeitsplätze. Das Großraumbüro soll neue Organisationsformen journalistischer Arbeit ermöglichen: Verbesserung der Kommunikation und der Arbeitsabläufe, vernetztes ressortübergreifendes Denken und Handeln, Einführung aktueller Teams (Task forces) für zentrale, komplexe Themen, neue koordinierende Rollen (News-Manager), Integration der »Multimedia«-Abteilung. Erstmals wurde eine derartige redaktionelle Innovation von einer Langzeitstudie begleitet: Die Untersuchung begann vor der Umstrukturierung mit zwölf mündlichen Intensivinterviews mit Ressortleitern und zufällig ausgewählten Redakteuren sowie einer schriftlichen Befragung aller Redakteure per Online-Fragebogen und wurde fortgesetzt nach der Umstrukturierung wiederum mit mündlichen Interviews und einer schriftlichen Befragung sowie einer Redaktionsbeobachtung im neuen Großraum. Wie verändern sich die Arbeitsbedingungen der Redakteure? Tragen die neuen Strukturen aus Sicht der Redaktion zu einer Verbesserung der journalistischen Qualität bei? Die Studie mündete in Ratschläge, wie das Redaktionsmanagement der APA weiter optimiert werden kann. Gleichzeitig trug die Studie über Veröffentlichungen zum wissenschaftlichen Fortschritt bei, hatte also <?page no="63"?> 64 J O U R N A L I S T I K U N D J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G Literatur Die Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius und Friederike Koschel haben ein sehr gut lesbares und anschauliches Lehrbuch zu den Methoden der empirischen Kommunikationsforschung geschrieben. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf hypothesen-testenden, quantitativen Methoden sowie auf Beispielen aus der Nutzungs- und Wirkungsforschung - und weniger auf der Journalismusforschung. Eine ähnliche Einführung liegt von Bertram Scheufele und Ines Engelmann vor. Auf einen Vergleich empirischer Forschungsmethoden und journalistischer Recherchemethoden hat sich Bernd Klammer im Buch Empirische Sozialforschung konzentriert. Er erklärt außerdem, warum Journalisten in der Ausbildung empirische Methoden zumindest kennenlernen sollten, und schlägt vor, wie Journalisten in der Berichterstattung besser mit den Ergebnissen empirischer Studien umgehen können. Das Buch ist leider nicht mehr lieferbar, steht aber in vielen Bibliotheken. auch grundlagenorientierte Aspekte, weil das Feld der Redaktionsorganisation und des Redaktionsmanagements bislang kaum untersucht ist. (Quelle: Meier 2006, 2007, 2011) 1 Was unterscheidet empirische Sozialforschung von Alltagserfahrung? 2 Was meint induktives und deduktives Vorgehen in einem Forschungsprozess? 3 Erklären Sie die Qualitätskriterien Validität, Reliabilität und Repräsentativität. 4 Welche grundsätzlichen Unterschiede lassen sich zwischen quantitativer und qualitativer Sozialforschung feststellen? Wie können beide Vorgehensweisen kombiniert werden? 5 Was sind die Kennzeichen von Fallstudien? 6 Erläutern Sie Einsatzgebiete, Vorgehensweise und Beispiele für die drei Methoden der empirischen Journalismusforschung: Befragung, Beobachtung und Inhaltsanalyse. 7 Beschreiben Sie die Unterschiede von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung und nennen Sie jeweils ein Beispiel aus der Journalismusforschung. Übungsfragen zu Kapitel 1.3 <?page no="64"?> J O U R N A L I S M U S F O R S C H U N G 65 Wer sich intensiver mit der Methode der Befragung auseinandersetzen oder sie selbst in Forschungsprojekten anwenden möchte - dem seien zwei Bücher empfohlen: Der Münsteraner Journalismusforscher Armin Scholl liefert im Buch Die Befragung nicht nur einen gut nachvollziehbaren Leitfaden für alle Arten der Befragung, sondern beschreibt auch Dutzende von Beispielen aus der Kommunikationsforschung. Um die kluge Formulierung von Fragen und Konzipierung von Fragebögen dreht sich das Buch »Alle, nicht jeder« von Elisabeth Noelle-Neumann und Thomas Petersen. Die Lektüre ist lesenswert und ergiebig - etwas nervig ist nur die aufdringliche Werbung für das Vorgehen des Instituts für Demoskopie Allensbach, das die 2010 verstorbene Elisabeth Noelle-Neumann 1947 gegründet hat. Zur Inhaltsanalyse hat Werner Früh schon 1981 einen praxisorientierten und gut nachvollziehbaren Leitfaden geschrieben, der mittlerweile in 6. Auflage vorliegt. In der Reihe »UTB basics«, in der auch das vorliegende Buch erscheint, hat Patrick Rössler 2005 ein erfrischendes und anwendungsorientiertes Einführungsbuch zur Inhaltsanalyse vorgelegt (2. Auflage 2010). Das Internet eröffnet neue Möglichkeiten der Markt- und Sozialforschung - wie beispielsweise die erwähnte Befragung durch einen Fragebogen im World Wide Web. Ein umfangreicher Ratgeber dazu ist 2005 erschienen: Online-Research von Martin Welker, Andreas Werner und Joachim Scholz. <?page no="66"?> 67 67 Journalismus in der Gesellschaft Die fünf Ebenen des Journalismus Der Journalismus ist in modernen Demokratien in der Regel ein freier Beruf: Jeder kann sich Journalist nennen - egal, was er tatsächlich tut. De facto sind aber Menschen, die als Journalisten praktizieren und vom Journalismus leben, immer dem normativen Kontext der Gesellschaft, den Wünschen und Interessen des Publikums, den organisatorischen Zwängen der Medieninstitutionen, für die sie arbeiten, und den Darstellungsmöglichkeiten der jeweiligen medialen Plattform unterworfen. Der Journalismus ist geprägt durch fünf Ebenen (Weischenberg 2004: 68 - 71; Fabris 2004: 394 f.): • Normenkontext: Als gesellschaftliche Rahmenbedingungen bestimmen die historischen und rechtlichen Grundlagen sowie aktuelle medienpolitische Entscheidungen das Mediensystem eines Landes. Wie groß ist die Kommunikationsfreiheit? Welche Traditionen und professionellen Standards prägen den Journalismus? • Kontext des Publikums: Der Zuspruch des Publikums - gemessen an Auflage und Quote - bestimmt den ökonomischen Erfolg von Medieninstitutionen. Nur wer genügend Publikum findet, kann langfristig auf dem Markt bestehen. Die Erforschung der Interessen und Wünsche der Rezipienten ist deshalb für privatwirtschaftliche Medienunternehmen elementar. Aber auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten müssen legitimieren, warum sie von allen Zuschauern und Zuhörern Gebühren verlangen, und können nicht fernab vom Publikum | 2 Inhalt 2.1 Die fünf Ebenen des Journalismus 2.2 Geschichte und Wandel des Journalismus 2.3 Kommunikationsfreiheit und Mediensysteme | 2.1 Mediensystem Publikum <?page no="67"?> 68 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T agieren. Die Nähe oder Ferne zum Publikum wird im Journalismus immer wieder heftig diskutiert. Denn traditionell ist der Bezugspunkt für den Journalismus der durch Information aufgeklärte Staatsbürger - und nicht eine durch Marketing definierte Zielgruppe (vgl. u. a. Blöbaum 2004: 202). • Organisationskontext: Journalistische Produkte entstehen in Medienunternehmen oder allgemeiner formuliert in Medienorganisationen. Hier werden die ökonomischen, organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen für das journalistische Arbeiten festgelegt. Journalisten bei privatwirtschaftlichen Unternehmen haben andere Bedingungen als Journalisten bei öffentlich-rechtlichen Anstalten. Technischer Wandel der journalistischen Produktion oder organisatorischer Wandel der Redaktion führen zu neuen Arbeitsweisen und Routinen im Journalismus. • Kontext der Medienprodukte und journalistischen Routinen: Bei der Produktion von Beiträgen sind Journalisten einerseits von der Informationslage und den Quellen abhängig - andererseits von den Darstellungsmöglichkeiten der jeweiligen medialen Plattform. Die Beitragsproduktion für Print, Radio, Fernsehen oder Internet ist geprägt durch die tradierten Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster - oder allgemein formuliert durch die Medienschemata. Die Systemtheorie spricht hier von den »Arbeitsprogrammen des Journalismus« (Altmeppen 2004: 425 f.; Blöbaum 2004: 209 - 211). Das Korsett der jeweiligen medialen Plattform wird deutlich, wenn man die Zwänge des Fernsehens mit denen der Printmedien vergleicht: Ein Fernsehjournalist muss in Bildern erzählen. Lassen sich keine starken Bilder finden, ist das Thema nicht fernsehgerecht und kann nur schwer im Programm untergebracht werden. Allgemein kann man fragen: Welche Routinen und Schemata bestimmen die Medienrealität? Welche Merkmale hat die durch Journalismus konstruierte Wirklichkeit? Was ist zum Beispiel »Objektivität«? • Rollenkontext: Journalisten sind auf Tätigkeiten spezialisiert und bestimmten Verhaltenserwartungen ausgesetzt. Sie sind Chefredakteure oder Redakteure, spezialisiert auf Politik oder Wirtschaft, auf Themen- und Sendungsplanung oder auf Recherche und Beitragsproduktion. Jeder einzelne Journalist hat aber auch - trotz aller Zwänge und Rahmenbedingungen moderner Medienkommunikation - einen autonomen Spielraum, in dem seine persönliche Einstellung, sein Rollenselbstverständnis und seine Ausbildung in die Arbeit einfließen. Diese Ebenen lassen sich nur analytisch trennen: Sie hängen in der Realität stark zusammen; es gibt Rückkopplungen über mehrere Ebenen hinweg. Beispiel ist der Publikumsbezug des Journalismus: Wenn Medienorganisationen journalistische Routinen Spielraum des Journalisten <?page no="68"?> D I E F Ü N F E B E N E N D E S J O U R N A L I S M U S 69 sich z. B. Journalisten in ihrem Handeln nach der Quote richten - etwa Online-Journalisten nach den Klickzahlen (Meier/ Tüshaus 2006, Hohlfeld 2013) -, dann hat das mit konkretem Publikumsverhalten zu tun, aber auch mit Vorgaben des Medienunternehmens oder mit Leitlinien der Redaktion - und hat Auswirkungen auf die Darstellungsformen. Jeder einzelne Journalist muss für sein tägliches redaktionelles Entscheidungshandeln ganz pragmatisch über ein Konzept »seines Publikums« verfügen (Hohlfeld 2005: 195). Auch die zentrale Frage nach der Wirkung des Journalismus lässt sich nicht auf einzelne Ebenen beschränken: Ob Journalismus rechtlich, politisch und wirtschaftlich frei oder unterdrückt ist, ob ein breites Publikum überwiegend Unterhaltungsformate nutzt oder auch politische Informationen, wie die Medien organisiert sind (z. B. privat-kommerziell oder öffentlich-rechtlich) - all dies hat Effekte auf Gesellschaft und Individuum. Seit etwa 25 Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, die Einflussfaktoren auf den Journalismus zu systematisieren und zu klassifizieren. Als tauglich hat sich die oft zitierte Zwiebel-Metapher erwiesen, mit der Siegfried Weischenberg (2004: 68 - 71) das System Journalismus verdeutlicht. Die Schalen der Zwiebel stehen für die einzelnen Ebenen, welche den Journalismus prägen. Die äußeren Ebenen sind das Korsett für die jeweils darunter liegenden. Andere Forscher haben das Modell der Zwiebel aufgegriffen und weiterentwickelt - z. B. Frank Esser (1998: 20 - 28) für einen Ländervergleich oder Hans Heinz Fabris (2004: 394 f.) zur Beschreibung der Dimensionen journalistischer Qualität. Allerdings werden die Schalen der Zwiebel nicht immer gleich definiert. So besteht z. B. die Zwiebel von Weischenberg nur aus vier Schalen: Normenkontext (Mediensysteme), Strukturkontext (Medieninstitutionen), Funktionskontext (Medienaussagen) und Rollenkontext (Medienakteure). Die dritte Schale, der Funktionskontext, fasst hier sowohl die Quellen und Darstellungsformen als auch Nutzung und Wirkung zusammen. Doch es wäre eine verengte Sichtweise, wenn wir die Rolle des Publikums für den Journalismus nur als Kontext der Medienaussagen analysierten oder die Wirkung nur von den Medieninhalten ableiteten. Auch die Struktur der Medienorganisationen und das Rollenverständnis der Journalisten beziehen sich zum Teil auf das Publikum. Differenzierter können wir demnach vorgehen, wenn wir - so wie Fabris - das Publikum als eigene Schale definieren, die sogar noch über der Schale des Organisationskontexts liegt, weil die Mediennutzung auch das Agieren von Medienunternehmen einengt (vgl. Abb. 2.1). Eine ähnliche Systematisierung findet sich zum Beispiel auch in der US-amerikanischen Gatekeeping-Theorie, die in Kapitel 5.3 vorgestellt wird ( → vgl. S. 198 - 200 ). Zwiebel-Metapher <?page no="69"?> 70 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T Die Journalistik erforscht die Schalen der Zwiebel und deren Wechselbeziehungen. Wenn wir im Folgenden die Wissensbestände der Journalistik systematisch darstellen, so entblättern wir die Zwiebel und beschreiben die einzelnen Schalen in den Kapiteln 2 bis 6. Da die äußeren Schalen die jeweils darunter liegenden prägen, gehen wir von außen nach innen vor: • Die Kapitel 2.2 und 2.3 zur Geschichte und zu Mediensystemen thematisieren den Normenkontext des Journalismus. • Der Kontext des Publikums - also Nutzung und Wirkung des Journalismus - wird im dritten Kapitel beschrieben. • Kapitel 4 widmet sich dem Organisationskontext, wobei der Schwerpunkt auf Medienökonomie, Medienlandschaften und Redaktionsorganisation liegt. • Wie Medienprodukte entstehen und welche Regeln und Arbeitsweisen zu den Routinen des Journalismus gehören - diesen Fragen gehen wir im fünften Kapitel nach. • Die Merkmale der einzelnen Journalisten, ihr Selbstverständnis und ihre Ausbildung werden im sechsten Kapitel dargestellt. Das Modell der Zwiebel ist für ein Einführungsbuch in die Journalistik gut geeignet, weil die Ebenen des Journalismus systematisch dargestellt werden können. Wir müssen uns aber im Klaren darüber sein, dass es andere Modellierungen und theoretische Durchdringungen des Journalismus gibt - und jedes Modell hat Vorteile, aber auch Grenzen. Otfried Jarren und Hartmut Weßler (2002: 31 - 35) plädieren zum Beispiel für ein »Modell öffentlicher Kommunikation«, das die Einflüsse auf den Journalismus wie in Abbildung 2.2 dargestellt in Beziehung setzt. Auch hier werden im Wesentlichen die fünf Ebenen modelliert, die wir in den Kapiteln 2 bis 6 analysieren. Abb. 2.1 | Die Ebenen des Journalismus als Zwiebel (Quelle: eigene Darstellung nach Weischenberg 2004: 71; Fabris 2004: 395) Normenkontext (Mediensysteme) Kontext des Publikums Organisationskontext (Medieninstitutionen) Kontext der Routinen und Medienprodukte Rollenkontext (Journalisten) Wissensbestände der Journalistik alternative Modelle <?page no="70"?> G E S C H I C H T E U N D W A N D E L D E S J O U R N A L I S M U S 71 Geschichte und Wandel des Journalismus Man kann auch bei einer historischen Journalismusforschung nach dem Zwiebelmodell vorgehen - und analysiert dann separat die Normengeschichte (z. B. die Geschichte der Pressefreiheit), die Geschichte der Mediennutzung, der Medienorganisation, der Medientechnik, der Medieninhalte, Darstellungsformen und Arbeitsweisen sowie des journalistischen Rollenverständnisses. Wir gehen integrativ vor und tragen als Übersicht die wesentlichen Entwicklungsschritte des Journalismus in allen diesen Kontexten zusammen. Natürlich kann eine Einführung in die Journalistik Geschichte und Wandel des Journalismus nicht komplett nachzeichnen. Wir wollen uns aber einige Eckdaten der Medienentwicklung und grundsätzliche Etappen der Journalismusgeschichte vor Augen führen - und dann der Frage nachgehen, welche Traditionen, die in ganz bestimmten historischen Konstellationen entstanden sind, noch heute den Journalismus prägen. Auch dies kann nur exemplarisch erfolgen. Dieses Kapitel soll bewusst machen, dass Journalismus nie geschichtslos existiert: Der heutige Journalismus und unser Demokratieverständnis beruhen auf Traditionen, die mehrere Jahrzehnte, mitunter sogar Jahrhunderte zurückgehen. Eine umfassende Geschichte des journalistischen Berufs ist noch nicht geschrieben (Hömberg 1987). Es gibt aber eine frühzeitige Systematisierung, deren Einteilung in historisch gewachsene Epochen man noch heute folgen kann (Baumert 1928/ 2013), sowie eine umfangreiche Erforschung des journalistischen Berufs im 19. Jahrhundert (Requate 1995) - in diesem Jahrhundert wurden die Wurzeln des heutigen Journalismus im Wesentlichen gelegt. Zudem ist die Journalismusgeschichte untrennbar mit der Medien- und Kommunikationsgeschichte verbunden, die heute gut erforscht ist - vgl. z. B. die umfangreichen Übersichten von Wilke (2008) und Stöber (2005). | Abb. 2.2 Analysemodell gesellschaftlicher Öffentlichkeit (Quelle: Jarren/ Weßler 2002: 32) Medien als institutioneller Kontext Journalisten als Rollenträger Medienprodukte als Handlungsergebnisse Gesellschaftliche Akteure Publikum | 2.2 Wurzeln des heutigen Journalismus <?page no="71"?> 72 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T Etappen der Journalismusgeschichte Der Journalismus entwickelte sich im Laufe von vier Jahrhunderten aufgrund eines Zusammenspiels von technischen Erfindungen und Verbesserungen, kommunikationspolitischen und rechtlichen Regulierungen sowie aufgrund wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandels. In Abbildung 2.3 sind einige Eckdaten dieser Entwicklung notiert. 2.2.1 | ca. 1450 Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg ab ca. 1480 Vorläufer der Zeitungen: nichtperiodische Einblattdrucke und Flugblätter (Neue Zeitungen), halbjährliche Chroniken (Messrelationen) Zeitungen und Zeitschriften 1597 Die erste monatliche Zeitschrift erscheint in Rorschach am Bodensee: A NNUS C HRISTI ( R ORSCHACHER M ONATSSCHRIFT ). 1605 Die erste wöchentlich erscheinende Zeitung ist urkundlich nachgewiesen: R ELATION (Straßburg); Ausgaben sind aus dem Jahr 1609 erhalten - ebenso vom A VISO (Wolfenbüttel). 17. Jh. erste Zeitungen z. B. in den Niederlanden (1618), England (1621), der Schweiz (1622), Frankreich (1631), Italien (1643), den USA (1690) 1650 erste Tageszeitung der Welt: E INKOMMENDE Z EITUNGEN (Leipzig) ab 1665 erste Zeitschriften, z. B. Gelehrten-Zeitschriften/ Fachzeitschriften ( J OURNAL DES S AVANTS , Paris), Salonblätter mit Klatsch aus der höfischen Welt ( M ERCURE G ALANT , Paris, G ÖTTER -B OTH M ERCURIUS , Nürnberg), Familienzeitschriften (Moralische Wochenschriften ab 1709, z. B. T ATLER , S PECTATOR , D ER P ATRIOT ) ab 1780 erste moderne Tageszeitungen (unabhängige Forumszeitungen): N EUE Z ÜRCHER Z EITUNG (seit 1780), T IMES London (seit 1788), F RANK - FURTER Z EITUNG (1866 - 1943), B ERLINER T AGEBLATT (1871 - 1939). Die W IENER Z EITUNG (1780; seit 1703 W IENNERISCHES D IARIUM ) ist bis heute 300 Jahre lang in Staatsbesitz. 19. Jh. Aufkommen der Massenpresse: zuerst in England und den USA (z. B. T HE S UN , 1883, N EW Y ORK H ERALD , 1835), später in Deutschland (z. B. B ERLINER L OKAL -A NZEIGER , 1883, BZ AM M ITTAG , 1904); Ende des 19. Jhs.: große Pressekonzerne entstehen in Berlin (Mosse, Ullstein, Scherl) 19. Jh. Erfindungen zur Verbesserung der Drucktechnik: z. B. Schnellpresse 1814 (Koenig), Satzmaschine »Linotype« 1885 (Mergenthaler) Pressefreiheit 1689/ 95 erstmals Pressefreiheit: »Bill of Rights« und Fall des »Licencing Act« (Vorzensur) in England Abb. 2.3 | Eckdaten der Geschichte des Journalismus <?page no="72"?> G E S C H I C H T E U N D W A N D E L D E S J O U R N A L I S M U S 73 1789 Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, inkl. Pressefreiheit 1791 Pressefreiheit in den Vereinigten Staaten: »First Amendment« zur Verfassung 1815 - 48 Kampf um Pressefreiheit in Deutschland 1819 - 48 Karlsbader Beschlüsse: scharfe Unterdrückung und Vorzensur 1848 Märzrevolution und Versammlung in der Frankfurter Paulskirche: Verkündigung der Pressefreiheit in Deutschland, allerdings mit erheblichen Rückschlägen ab 1850/ 54 (z. B. Konzessions- und Kautionszwang, Steuern) 1874 Reichspressegesetz: erstmals Pressefreiheit in Deutschland - mit nur noch kleinen Lücken (z. B. Sozialistengesetz) 1914 - 18 Erster Weltkrieg: Unterdrückung der Pressefreiheit durch Militärzensur und Presseanweisungen 1919 Die Meinungsfreiheit erhält in § 118 Verfassungsrang; die Pressefreiheit wurde aber vor allem zum Ende der Weimarer Republik immer wieder attackiert. 1933 - 45 Totalitäre Diktatur mit Unterdrückung und Steuerung der Medien durch die Nationalsozialisten (»Gleichschaltung«): Schriftleitergesetz; Berufsverbote, Verhaftungen und Ermordungen von Journalisten; Presseanweisungen und Propaganda 1945 - 49 Deutsche Medien unter Kontrolle der Alliierten; »Reeducation« der westdeutschen Journalisten durch Briten und Amerikaner 1949 Verabschiedung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik: In Artikel 5 genießen nun erstmals in Deutschland »Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit« Verfassungsrang. 1945 - 89 Totalitäre Diktatur mit zentraler Lenkung und Überwachung aller journalistischen Aktivitäten in der DDR 1989/ 90 Ende der DDR und Pressefreiheit in ganz Deutschland Nachrichtenübermittlung ab ca. 1500 regelmäßiges Botenwesen an den Hauptlinien der Postkutschen 1833 - 50 Erfindung und technische Verbesserungen der elektrischen Telegraphie, Ausbau der Telegraphennetze und Freigabe für die Allgemeinheit ab 1825/ 35 Erfindung und Ausbau der Dampf-Eisenbahn ab 1835 erste Nachrichtenagenturen als privatwirtschaftliche Unternehmen (z. B. H AVAS , Paris, 1835; W OLFF ’ S T ELEGRAPHISCHES B UREAU , Berlin, 1849; R EUTERS , London, 1851), als staatliche Dienste (z. B. K. K. T ELEGRAPHEN -K ORRESPONDENZ -B UREAU , Wien, 1860) oder als genossenschaftlicher Zusammenschluss von Zeitungen (z. B. A SSOCIATED P RESS AP , New York, 1848; S CHWEIZERISCHE D EPESCHENAGENTUR sda, Bern, 1895) <?page no="73"?> 74 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T Vor einigen Jahren konnten Jubiläen gefeiert werden: »350 Jahre Tageszeitung« (2000) z. B. mit einer Briefmarke der Deutschen Post und »400 Jahre Zeitung« (2005) mit einer Sonderausstellung im Gutenberg-Museum in Mainz (Teile davon langfristig als Dauerausstellung). Im Vergleich dazu sind andere Medien ziemlich jung: Der Hörfunk konnte das 90-jährige Bestehen feiern (2013), das Fernsehen wurde 60 Jahre alt (2012) und der Journalismus im Internet ist gerade mal 20 Jahre jung (2014). In den folgenden vier Phasen der Journalismusgeschichte folgen wir der Systematik von Dieter Paul Baumert von 1928, die auch heute noch als grundlegend zitiert wird (vgl. z. B. Hömberg 1987: 624; Pürer 2003: 110 f.; Donsbach 2003: 82) und 2013 von Walter Hömberg neu herausgegeben und mit einer einordnenden Einleitung versehen wurde. Die Phasen sind nicht scharf zu trennen - es gibt lange Übergangszeiten: An einem Ort oder in einem Land war man schon weiter als anderswo. Abb. 2.4 | Am 6. Juni 2000 erschien diese Briefmarke der Deutschen Post vier Phasen der Journalismusgeschichte 1946/ 49 Gründung genossenschaftlicher Nachrichtenagenturen in Österreich ( A USTRIA P RESSE A GENTUR APA , 1946) und Deutschland ( D EUT - SCHE P RESSE -A GENTUR dpa, 1949) nach dem Vorbild von AP Hörfunk und Fernsehen 1923 erste regelmäßige Hörfunksendungen in Deutschland: Berliner »Radio-Stunde« (20 - 21 Uhr); staatliches Unterhaltungsradio, Sendegesellschaften auf Länderebene 1935 erster regelmäßiger Fernsehprogrammbetrieb in öffentlichen Fernsehstuben in Berlin, Leipzig und Potsdam 1946 - 63 Monopol der ARD-Anstalten; 1950 Gründung der ARD als Zusammenschluss aller Landesrundfunkanstalten; 1952 erstes tägliches Fernsehprogramm (NWDR Hamburg) 1963 - 84 öffentlich-rechtliche (Fernseh-)Konkurrenz von ARD und ZDF seit 1984 Duales System aus öffentlich-rechtlichen und privaten Fernseh- und Hörfunkanbietern Internet 1994 erste journalistische Websites: www.spiegel.de und www.dwelle.de ( D EUTSCHE W ELLE ) 2010 mit dem Erscheinen des iPads erste Apps auf mobilen Endgeräten (Tablets) <?page no="74"?> G E S C H I C H T E U N D W A N D E L D E S J O U R N A L I S M U S 75 Präjournalistische Periode (bis ca. 1600) Im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit überbrachten Sendboten, wandernde Spielleute, Sänger und Dichter Neuigkeiten. Neben dieser mündlichen Überlieferung von Nachrichten etablierte sich allmählich vor allem für Fürsten und Handelsleute ein regelmäßiges Botenwesen, durch das handschriftlich vervielfältigte Nachrichten verbreitet wurden. Der korrespondierende Journalismus (ca. 1600 bis 1750) Im Jahr 1605 verdient der Straßburger Johann Carolus einen Teil seines Unterhalts damit, Briefe von Korrespondenten aus großen europäischen Städten handschriftlich zu kopieren und zu verkaufen - er betätigt sich als »Zeitungsschreiber«. Das ist ihm aber zu mühselig und langwierig. Da hat er eine Idee: Er kauft eine Druckerei, setzt die Briefe in Blei und druckt sie unter dem Titel R ELATION wöchentlich. Die Zeitung ist geboren. Mehr als 200 Jahre lang beschränkten sich die Zeitungen darauf, die an einem Postknotenpunkt eingehenden Korrespondenzen zu sammeln, aneinandergereiht zu setzen und meist auf vier oder acht Blätter zu drucken. Der »korrespondierende Journalismus« lag in der Hand von Druckern oder Postmeistern, die nebenberufliche Korrespondenten beschäftigten und aus anderen Zeitungen abschrieben. Die Korrespondenten waren im Hauptberuf meist Handelsleute, Beamte oder Diplomaten. Ein redaktionelles Selektieren, Gewichten und Plazieren nach Relevanz, wie wir es heute kennen, gab es in den ersten Zeitungen nicht: Die Nachrichten wurden in der Reihenfolge ihres Eintreffens ohne Überschrift oder sonstige typografische Hervorhebung oder Gliederung gesetzt. Als Gliederungshilfe diente lediglich die Ortsmarke: Mit Ort und Datum - oft fett gedruckt - begann ein neuer Artikel, der aus einer Korrespondenz aus jenem Ort bestand und mehrere thematisch ganz unter- | Abb. 2.5 Titelseite und erstes Blatt der Relation aus dem Jahr 1609. Die Nachrichten wurden in der Reihenfolge des Eintreffens gesetzt. Die Überschriften bestanden nur aus Ortsmarke und Datum: hier zum Beispiel »auß Köln/ vom 8. Jenner Anno 1609« und »Auß Andorff von 26. Decemb.« (Copyright: Universitätsbibliothek Heidelberg). »Zeitungsschreiber« als Erfinder der Zeitung <?page no="75"?> 76 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T schiedliche Nachrichten enthalten konnte. Dieses »Layout« blieb oft bis ins 19. Jahrhundert erhalten. Der schriftstellerische Journalismus (ca. 1750 bis 1850) Im Zuge der Aufklärung und des Wandels der philosophisch-politischen Verhältnisse wandten sich immer mehr Schriftsteller im Kampf um die Freiheit des Denkens und der Ideen an die Öffentlichkeit. Gelehrte Kampf um Freiheit Die Merkmale der Zeitung Der Begriff »Zeitung« wurde bereits im 15. Jahrhundert für »Nachricht« gebraucht. So lässt sich auch der Titel der ersten Tageszeitung erklären: »E INKOMMENDE Z EITUNGEN «. Vier Merkmale kennzeichnen die Zeitung von Anfang an, wenn man sie nicht technisch, sondern als soziale Institution ( → vgl. Kap. 4.1; S. 125 - 128 ) definiert (von Otto Groth schon 1927 bis 1930 in der vierbändigen Zeitungskunde beschrieben): • Aktualität: auf die Gegenwart bezogen, mit gegenwärtiger Relevanz • Periodizität: das Erscheinen in regelmäßigen Abständen • Publizität: öffentlich und allgemein zugänglich • Universalität: thematische Vielfalt Bei allen Merkmalen strebt die Zeitung ein hohes Maß an. Die Zeitschrift zum Beispiel ist nicht so universell (z. B. kein Lokalteil) und erscheint mit geringerer Periodizität. In Abgrenzung zu den linearen Medien Hörfunk und Fernsehen ist später als fünftes Merkmal die Disponibilität hinzugekommen: die zeitlich und räumlich unabhängige Nutzungsmöglichkeit (Speichermedium). Definitorisch spannend ist die Frage, ob man im Internet noch von Zeitungen sprechen kann - denn prinzipiell ist der Trägerstoff Papier in dieser Definition nicht berücksichtigt (Groth hat den Druck schon 1960 nur als zeitbedingtes Merkmal gesehen). Angesichts der Konvergenz digitaler Medien verschwimmen indes die Grenzen zwischen technischen Einzelmedien ( → vgl. Kap. 4.1; S. 126 ) - die genannten Merkmale könnten allgemein als Kennzeichen des Journalismus in Massenmedien gelten (auch Rundfunk ist in digitaler Verbreitung ja disponibel, z. B. als Podcast). Die frühe Kommunikationswissenschaft ging übrigens lange von einem solchen breiten Zeitungsbegriff aus und nannte das Fach »Zeitungswissenschaft« - allerdings ein missverständlicher und im Alltag kaum zu vermittelnder Begriff. <?page no="76"?> G E S C H I C H T E U N D W A N D E L D E S J O U R N A L I S M U S 77 Zeitschriften wurden gegründet - die Schriftsteller waren oft Literaten, Herausgeber und Verleger zugleich - und in einigen Zeitungen entstand der »Gelehrte Artikel«: Diese regelmäßige Sparte kann als Vorläufer des Wissenschaftsjournalismus oder allgemein des Kulturteils bezeichnet werden (das Feuilleton entstand als erstes Ressort um 1800). Einige Prestigeblätter leisteten sich schon im 18. Jahrhundert einen angestellten Redakteur, der den »Gelehrten Artikel« pflegte. Bekanntes Beispiel ist der Literat Gotthold Ephraim Lessing, der von 1751 bis 1755 die Sparte »Gelehrte Sachen« in der B ERLINISCHEN P RIVILEGIRTEN Z EITUNG (der späteren V OSSISCHEN Z EITUNG ) betreute. Während im 18. Jahrhundert selbst bei Qualitätsblättern die redaktionelle Arbeitsteilung nur aus dem Modell Verleger/ nebenberuflicher Redakteur bestand, sind in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits einige größere Redaktionen mit mehreren hauptberuflichen Redakteuren entstanden. Einer der wichtigen Vorreiter war Johann Friedrich von Cotta - der Verleger von Goethe - mit der 1798 gegründeten A LLGEMEINEN Z EITUNG , die zunächst in Tübingen, Stuttgart und Ulm und ab 1810 in Augsburg erschien. Cotta setzte als Verleger von Anfang an auf ein professionell gemachtes Blatt und bemühte sich um ein Netz aus eigenen Korrespondenten (z. B. Heinrich Heine mit seinen Berichten aus Paris). Zwar war die Auflage mit 6.000 bis 8.000 Exemplaren im Vergleich nicht besonders hoch - der H AMBURGISCHE C ORRESPONDENT zum Beispiel verbreitete in dieser Zeit bis zu 30.000 Auflage. Die Cotta’sche A LLGEMEINE erwarb sich aber schnell einen hervorragenden Ruf, was nicht zuletzt an der personellen Ausstattung der Redaktion lag: Cotta arbeitete zunächst mit zwei und seit 1833 mit vier Redakteuren. Ursprünglich hatte sogar Friedrich Schiller die Redaktionsleitung übernehmen sollen, der jedoch absagte, weil ihm für dieses »höchst schwierige Fach« das Talent fehle (Müchler 1998: 13 - 16). Protagonisten des politischen Journalismus im 19. Jahrhundert waren Joseph Görres, der als Herausgeber des »Rheinischen Merkur« 1814 - 1816 mit seinen Leitartikeln für eine freiheitliche Verfassung und Pressefreiheit kämpfte, sowie der junge Karl Marx, der 1842 - 1843 die Redaktion der R HEINISCHEN Z EITUNG in Köln leitete. Der redaktionelle Journalismus (ab ca. 1850/ 70) Nach der Märzrevolution und der Beseitigung der Zensur schossen neue Zeitungen und Zeitschriften wie Pilze aus dem Boden: Zwischen 1848 und 1850 wurden in Deutschland mehr Zeitungen und Zeitschriften gegründet, als es vorher insgesamt gegeben hatte. Allerdings in der Mehrzahl sehr kleine Blätter, die allein von Verlegerredakteuren vertrie- Joseph Görres und Karl Marx <?page no="77"?> 78 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T ben wurden und unter dem wirtschaftlichen Druck der Restaurationsphase ab 1850 wieder verschwanden. Erst eine Welle von Neugründungen in den 70er-Jahren, als sich mit dem Reichspressegesetz der Spielraum der Zeitungen erweiterte, führte zu einer stärkeren Verberuflichung des Journalismus (Requate 1995: 130). Bernd Blöbaum (1994: 179) spricht von dieser Zeit als der Phase des Take-off des Journalismus: Die Kommunikationsbedürfnisse der Bevölkerung wachsen, die (Massen-)Produktion von Zeitungen wird zu einem lohnenden Geschäft, die Redaktion als journalistische Organisation entsteht, die Nachricht als journalistische Darstellungsform bildet sich heraus ( → vgl. Kap. 5.2; S. 187 - 189 ) - und immer mehr Journalisten können von ihrem Beruf leben. Nachrichtenagenturen werden gegründet und liefern mehr Stoff. Die Materialfülle muss gebändigt werden, weshalb sich redaktionelle Arbeitsteilung mit Spezialisierung und Ressortierung herausbildet: zunächst das Wirtschafts- und das Lokalressort und um die Jahrhundertwende zunehmend auch das Sportressort (Meier 2002 a: 119 - 132). Bei der N EUEN Z ÜRCHER Z EITUNG (NZZ) zum Beispiel wuchs die Zahl der Redakteure zwischen 1860 und 1900 von zwei auf acht, wobei die Redaktion ab 1894 drei Ausgaben täglich und 18 pro Woche produzierte. Der Berliner L OKAL -A NZEIGER dagegen fing 1883 mit drei Redakteuren an, hatte zehn Jahre später elf, 1899 bereits 46 Redakteure beschäftigt und dürfte damit zur Jahrhundertwende die größte Redaktion in Deutschland betrieben haben. Die Ursachen dieses rasanten Wandels in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind vielfältig: • Technisch: Neue Übermittlungsverfahren (Eisenbahn, Telegraph, Telefon) und schnellere Satz- und Druckverfahren ermöglichen eine Beschleunigung der Kommunikation und eine massenhafte Verbreitung der Presse. • Rechtlich-politisch: Pressefreiheit und Liberalisierung sorgen nicht nur dafür, dass Zeitungen und Zeitschriften nun frei produziert werden dürfen, sondern ermöglichen auch eine breitere Finanzierung durch Werbung. Durch das Erstarken der Freiheits- und Bürgerrechte (z. B. Gründung neuer Parteien, allgemeines Wahlrecht) wächst die politische Öffentlichkeit. • Wirtschaftlich: Durch Industrialisierung und Liberalisierung der Märkte werden schnelle und verlässliche Informationen benötigt (z. B. Aufstieg der Börsen und Aktiengesellschaften, Kreditinstitute und Versicherungen). Angebot und Nachfrage bestimmen zunehmend die Märkte. Die Unternehmen werben für ihre Produkte. Take-off des Journalismus viele Ursachen des rasanten Wandels <?page no="78"?> G E S C H I C H T E U N D W A N D E L D E S J O U R N A L I S M U S 79 • Sozial: Die Großstädte wachsen durch Großindustrie und Urbanisierung - das tägliche Leben wird anonymer. Der Informationsbedarf im Nahraum steigt, was Lokaljournalismus nötig macht. Die Verbesserung der Bildung für eine breite Bevölkerung (Alphabetisierung) vermehrt die Kundschaft für »Zeitungen für alle«. In ihrem sozialen Elend suchen Arbeiter aber auch nach Unterhaltung und Ablenkung vom harten 18-Stunden-Tag. Mit der Zeit des Um- und Durchbruchs des professionellen Journalismus in Deutschland hat sich Thomas Birkner (2011) näher beschäftigt: Dessen Entwicklung unterteilt er in die Phasen der Formierung (1849 bis 1873), der Ausdifferenzierung (1874 bis 1900) und des Durchbruchs (1900 bis 1914). Das Riepl’sche Gesetz: Verdrängen neue Medien die alten Medien? In der Geschichte der Massenkommunikation hat es immer wieder Befürchtungen gegeben, dass aufkommende neue Medien die alten Medien verdrängen. Schon 1913 hat Wolfgang Riepl in seinem Buch »Das Nachrichtenwesen des Altertums« die These formuliert, dass dies nicht der Fall ist: Demnach können »die einfachsten Mittel, Formen und Methoden, wenn sie nur einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden […], sondern sich neben diesen erhalten, nur dass sie genötigt werden, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen«. In der Tat hat die Zeitung nicht die Zeitschrift, der Film nicht das Foto, das Fernsehen weder Hörfunk noch Zeitung - und das Internet (noch) kein Medium verdrängt. Die These ist später als »Riepl’sches Gesetz« in die Kommunikationswissenschaft eingegangen, wird viel zitiert und immer wieder diskutiert (z. B. von Winfried B. Lerg 1981 oder Christoph Neuberger 2001). So mancher Medienmanager und Journalist nutzt die These als Beruhigungspille - letztlich empirisch bewiesen ist sie aber nicht. Und man darf den zweiten Teil nicht vergessen: Neue Medien bringen alte Medien zwar nicht um, sie zwingen sie aber zu einer anderen publizistischen und ökonomischen Strategie (zu einem Funktionswandel). Wer den Anpassungsdruck nicht rechtzeitig erkennt, kann untergehen. Und man muss berücksichtigen, dass bislang alle neuen Medien von den herkömmlichen Medien getrennte Kanäle waren und diese komplementär ergänzten, das Internet aber die alten Medien konvergent vereint. <?page no="79"?> 80 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T Pressefreiheit: ein langer Weg Deutschland ist zwar das Geburtsland der Zeitung, hinsichtlich der Pressefreiheit kann man es aber nur als »verspätet« bezeichnen. Im Vergleich zu anderen Ländern - wie den USA oder England - ist die lange Unfreiheit eine wesentliche Traditionslinie der deutschen Presse. Insbesondere das 19. Jahrhundert steht unter dem Zeichen eines jahrzehntelangen Kampfes um die Pressefreiheit. Im Vormärz (1815 - 1848) wurden Verleger, Journalisten und Literaten politisch verfolgt und verhaftet oder mussten ins Exil. Redakteure standen in ständigem Konflikt mit den Zensoren. Aber selbst nach den Befreiungsschüben 1848 und 1874 wurden die Journalisten im deutschen Obrigkeitsstaat des Kaiserreichs längst nicht als unabhängige und kritische Wächter der Öffentlichkeit angesehen - wie zur gleichen Zeit etwa Journalisten in den Vereinigten Staaten oder in England. Beispiele für lang wirkende Traditionen Die restriktiven rechtlich-politischen Rahmenbedingungen im 19. Jahrhundert beeinflussten den Journalismus im deutschen Sprachraum lange und nachhaltig. Das Bild des Publizisten, der für Ideen und Meinungen einsteht, blieb aus dem Kampf für Pressefreiheit bis weit ins 20. Jahrhundert erhalten: Im Vergleich zu den USA und England hatten der politisch unabhängige Nachrichtenjournalismus und die journalistische Konzeption der Presse als »Fourth Estate« in Deutschland lange einen schweren Stand (vgl. z. B. Requate 1995: 393 - 407; Donsbach 2003: 83 f.). Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endlich der Spielraum der Journalisten erweitert wurde, »empfanden die Redakteure den verlegerischen Unparteilichkeitsanspruch als Einengung ihrer journalistischen Freiheit, die in ihren Augen darin bestand, endlich die eigenen Anschauungen nicht mehr zurückhalten zu müssen, sondern Partei ergreifen zu können« (Requate 1995: 394). Der Nachholbedarf mündete in parteibezogenen Gesinnungsjournalismus und heftige publizistische Meinungskämpfe. Bis in die Weimarer Republik informierten Zeitungen aufgrund ihrer parteipolitischen, ideologischen oder wirtschaftlichen Bindungen oft einseitig. Eine stark fragmentierte Presselandschaft sowie massive verunglimpfende Kritik an der Republik waren Faktoren einer mangelnden Ausbildung von Demokratie in der Weimarer Republik (vgl. Wilke 2000 a: 355). Moderne Forumszeitungen, die unabhängig berichten und verschiedene Meinungen widerspiegeln - wie das B ERLINER T AGEBLATT oder die F RANKFURTER lange Unfreiheit 2.2.2 | Gesinnungsjournalismus <?page no="80"?> G E S C H I C H T E U N D W A N D E L D E S J O U R N A L I S M U S 81 Z EITUNG - hatten eine zu geringe Auflage, um eine Breitenwirkung entfalten zu können. Der Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit bzw. der Institution der freien Presse ( → vgl. Kap. 2.3.1; S. 84 - 87 ) war in der Weimarer Republik kaum bewusst (in der Verfassung war auch nur die Meinungsfreiheit geschützt). Während sich in den USA schon im 19. Jahrhundert ein unparteilicher Recherche- und Informationsjournalismus ausbildete, genoss im deutschsprachigen Raum der Meinungsjournalismus weit höheres Ansehen als eine faktenorientierte Informationsvermittlung ( → vgl. Kap. 5.2; S. 189 - 195 ): Wer unparteilich war, galt als »gesinnungslos«. Selbst die Reportage hatte von Anfang an eine starke Meinungsprägung. Egon Erwin Kisch (1885 - 1948) zum Beispiel - nach dem S TERN -Gründer Henri Nannen 1977 einen Reportagepreis benannte - recherchierte und schrieb nicht unparteilich: Er machte aus seiner kommunistischen Haltung keinen Hehl, auch wenn er dies geschickt und innovativ mit Reporterinstinkt kombinierte und immer wieder darauf bestand, dass er der »Wahrheit« verpflichtet sei (vgl. Langenbucher 1992: 373 - 384). Meisterwerke des Journalismus Der bekannteste ist wohl Egon Erwin Kisch. Aber auch Karl Kraus, Joseph Roth und Marianne Pollak gehören dazu. Unter dem Titel »Sensationen des Alltags« hat der Wiener Journalistik-Professor Wolfgang R. Langenbucher im Jahr 1992 Meisterwerke des österreichischen Journalismus in einem Buch verlegt. Die gesammelten Texte stammen meist aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und sollen »Mitarbeiter des Tagesschrifttums aus ihrer Anonymität« heben und einen Baustein zum Beleg der These liefern, dass Journalismus über die Jahrhunderte hinweg als Produkt, als Beruf und als gesellschaftliche Funktion eine »unerkannte Kulturmacht« geblieben ist. (Die Theorie dazu lieferte Hannes Haas mit seiner Habilitation »Empirischer Journalismus«, 1999). Aus den Texten kann man heute noch viel lernen wie auch aus anderen Textsammlungen von Journalisten - ob sie schon gestorben (wie Kisch oder Herbert Riehl-Heyse) oder Zeitgenossen sind (wie Günter Wallraff, Jürgen Leinemann oder Nina Grunenberg). »Das Gewissen ihrer Zeit« heißt eine Sammlung von 50 Porträts vorbildlicher Journalisten, die zuerst in der S ÜDDEUTSCHEN Z EITUNG erschienen sind und von Medienredakteur Hans-Jürgen Jakobs und Wolfgang R. Langenbucher als Buch herausgegeben wurden (Verlag Picus/ Süddeutsche Zeitung). <?page no="81"?> 82 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T Die Bemühungen um Reeducation durch Briten und Amerikaner nach 1945 wollten mit der deutschen Tradition des parteilichen Gesinnungsjournalismus brechen (Esser 1998: 47 - 52). Presseoffiziere versuchten, den deutschen Journalisten die professionellen Grundsätze der Richtigkeit der Faktenübermittlung und der Trennung von Nachricht und Kommentar beizubringen (»Comment is free but facts are sacred.«). Nicht wenige Journalisten wehrten sich zunächst dagegen - letztlich hat sich die angloamerikanische Professionalität im Nachrichtenjournalismus der Bundesrepublik aber durchgesetzt. Sogar so stark, dass man davor warnen muss, den Trennungsgrundsatz überzubewerten (Pöttker 2005: 132 - 137): Denn Journalisten und Publikum sollten sich bewusst sein, dass eine völlig wertfreie Faktenwiedergabe gar nicht möglich ist, weil schon in der Auswahl eine Subjektivität steckt ( → vgl. Kap. 5.1; S. 182 - 184 ). Andere Berichterstattungsmuster - wie der Investigative Journalismus - wurden entwickelt, um die Defizite des »Objektiven« Journalismus zu kompensieren ( → vgl. Kap. 5.2; S. 189 - 195 ). Aktuelle Befragungen von Journalisten in Deutschland zeigen zudem, dass inzwischen nur noch eine Minderheit eine aktive Beeinflussung der politischen Agenda anstrebt und damit der Gesinnungsjournalismus nur noch eine Randbedeutung hat ( → vgl. Kap. 6.1; S. 218 - 221 ). Literatur Wer sich in die Medien- und Kommunikationsgeschichte vertiefen möchte, der ist mit den Überblickswerken von Jürgen Wilke und Rudolf Stöber gut bedient. Beide Bücher eignen sich auch als Nachschlagewerke im Verlauf des Studiums. Reeducation Der Journalismus entwickelte sich im Laufe von vier Jahrhunderten aufgrund eines Zusammenspiels von technischen Erfindungen und Verbesserungen, kommunikationspolitischen und rechtlichen Regulierungen sowie aufgrund wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandels. Deutschland ist zwar das Geburtsland der Zeitung (1605) - im Vergleich zu anderen Ländern ist aber der lange Kampf um die Pressefreiheit eine wesentliche Traditionslinie der deutschen Presse. Der Take-off des Journalismus fand in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts statt: Erst ab ca. 1870 kann man von einem »redaktionellen Journalismus« sprechen, der in großbetrieblichen Unternehmen organisiert ist. Zusammenfassung <?page no="82"?> K O M M U N I K A T I O N S F R E I H E I T U N D M E D I E N S Y S T E M E 83 Kommunikationsfreiheit und Mediensysteme Journalismus ist in erster Linie geprägt durch die Gesellschaftsordnung und das politische System eines Landes. Verändert sich das Gesellschaftssystem - durch Demokratisierung oder die Machtübernahme von Diktatoren -, wandeln sich auch das Mediensystem eines Landes und damit die Arbeitsbedingungen der Journalisten. Zeitgeschichtliche Beispiele sind der Transformationsprozess in Mittel- und Osteuropa nach 1989/ 90 - oder umgekehrt die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland 1933. Oft charakterisieren allerdings nicht radikale Einschnitte, sondern schleichende Prozesse den Wandel von Mediensystemen. | 2.3 1 Nennen und erklären Sie die fünf Ebenen, die den Journalismus prägen. 2 Wann wurden die Medien geboren: Presse, Hörfunk, Fernsehen, Internet? Wann entstanden die Nachrichtenagenturen? 3 Was sind die Unterschiede zwischen den Phasen des korrespondierenden, des schriftstellerischen und des redaktionellen Journalismus? 4 Nennen Sie die Faktoren, die den Wandel des Journalismus im 19. Jahrhundert prägen: von der scharfen Unterdrückung bis zum Take off. 5 Was sind die Gründe und Unterschiede zwischen der deutschen Tradition des kämpferischen Gesinnungsjournalismus und der angloamerikanischen Tradition der Konzeption von Presse als »Fourth Estate«? 6 Was sagt das Riepl’sche Gesetz und warum kann es kaum als Beruhigungspille dienen? Übungsfragen zu den Kapiteln 2.1 und 2.2 Mediensystem Der Begriff »Mediensystem« beschreibt die Gesamtheit von Ordnungen oder Strukturen, die Medien in einem definierten Raum - zumeist einem Staat - charakterisieren (nach Kleinsteuber 2005: 275). Gemeint sind damit z. B. die Mediengesetze, die politische Einflussnahme auf Medien und Journalismus, die staatlichen Aufsichtsstrukturen über die Massenmedien Print, Rundfunk und Internet, die Besitzverhältnisse der Medien und die Mediennutzung. Definition <?page no="83"?> 84 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T Kommunikationsfreiheit als Kennzeichen demokratischer Mediensysteme In liberalen, durch Pluralität gekennzeichneten demokratischen Staaten ist ein freies und offenes Mediensystem Voraussetzung für die Bildung einer politischen Öffentlichkeit, an der sich alle Menschen auf rationale Weise am Prozess der Meinungs- und Willensbildung beteiligen können ( → vgl. Kap. 1.1.2; S. 15 - 17 ). Als Sammelname hat sich der Begriff der Kommunikationsfreiheit eingebürgert (Langenbucher 2003). Die Kommunikationsfreiheit hat rechtliche, politische und ökonomische Voraussetzungen: • Die rechtlichen Grundlagen finden sich in Deutschland in Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) - als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe: die individuelle Meinungsfreiheit (»Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten …«), die individuelle Informationsfreiheit (»… und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.«) sowie die institutionelle Freiheit der Massenmedien, die auch als Presse- und Rundfunkfreiheit bezeichnet wird (»Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.«). Daraus ergeben sich Sonderrechte der hauptberuflich tätigen Journalisten (Auskunftsanspruch gegen Behörden, Zeugnisverweigerungsrecht, Schutz des Redaktionsgeheimnisses durch Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbote) - aber auch Pflichten und Grenzen (z. B. Schutz der Persönlichkeit und der persönlichen Ehre, Gegendarstellungsrecht, Jugendschutz, Grundsatz der Trennung von Redaktion und Werbung). • Die durch die Verfassung geschützten Grundrechte bedürfen der konkreten Ausgestaltung durch die Politik: in der allgemeinen Gesetzgebung, in der täglichen Praxis der Regierungen, der Behörden und der Polizeigewalt und in den Entscheidungen der Gerichte. Einerseits können Grundrechte miteinander in Konflikt geraten und müssen gegeneinander abgewogen werden (z. B. Meinungsfreiheit versus Menschenwürde/ Persönlichkeitsschutz). Andererseits tendieren Legislative und Exekutive mitunter dazu, das Verfassungsrecht bis an die Grenzen auszunutzen. Nicht selten hat in Deutschland das Bundesverfassungsgericht Politik und Behörden in die Schranken weisen müssen, indem es Artikel 5 GG konkreter definiert hat. Bekanntes Beispiel ist das S PIEGEL -Urteil, das auf die S PIEGEL -Affäre folgte (vgl. Kasten). Auch in jüngster Zeit hat es vereinzelt Redaktionsdurchsuchungen und Beschlagnahme von Recherchematerial in Deutschland gegeben (z. B. im Konflikt um Redakteure der Zeitschrift »Cicero« 2.3.1 | Voraussetzungen der Kommunikationsfreiheit rechtliche Grundlagen politische Grundlagen <?page no="84"?> K O M M U N I K A T I O N S F R E I H E I T U N D M E D I E N S Y S T E M E 85 Spiegel-Affäre und Spiegel-Urteil Der S PIEGEL berichtet im November 1962 über eine Nato-Übung mit der Schlussfolgerung, dass die Bundeswehr nur »bedingt abwehrbereit« sei. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und Bundeskanzler Konrad Adenauer sehen darin einen »Landesverrat«; der Generalbundesanwalt lässt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den Herausgeber Rudolf Augstein, die Chefredakteure und weitere Mitarbeiter verhaften und die S PIEGEL -Redaktions- und Archivräume durchsuchen und versiegeln. Die Journalisten müssen später mangels Beweisen und nach Demonstrationen der Bevölkerung frei gelassen werden. Drahtzieher Strauß verliert sein Amt. Augsteins Verfassungsbeschwerde endet zwar mit einem Patt und damit einer Zurückweisung durch das Gericht - vier Verfassungsrichter halten die Aktion für grundgesetzwidrig, vier nicht - doch die Urteilsbegründung am 5. August 1966 setzt Maßstäbe für die Pressefreiheit und weist der Presse eine »öffentliche Aufgabe« und eine Kontrollfunktion zu: »Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates […] In ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung […] In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung. Sie fasst die in der Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die auf diese Weise ihre Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen messen können.« Die Richter äußern sich auch zur Pressevielfalt: »So wichtig die damit der Presse zufallende ›öffentliche Aufgabe‹ ist, so wenig kann diese von der organisierten staatlichen Gewalt erfüllt werden. Presseunternehmen müssen sich im gesellschaftlichen Raum frei bilden können. Sie arbeiten nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und in privatrechtlichen Organisationsformen. Sie stehen miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf. […] Der Staat ist - unabhängig von subjektiven Berechtigungen Einzelner - verpflichtet, in seiner Rechtsordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen. Freie Gründung von Presseorganen, freier Zugang zu den Presseberufen, Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden sind prinzipielle Folgerungen daraus; doch ließe sich etwa auch an eine Pflicht des Staates denken, <?page no="85"?> 86 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T 2005). Allerdings wurde 2006 mit dem Informationsfreiheitsgesetz auch die Recherchemöglichkeit bei Bundesbehörden erweitert. • Selbst wenn die Medien staatsunabhängig sind, ist die Kommunikationsfreiheit noch nicht gewährleistet: Die Medienlandschaft insgesamt muss möglichst vielfältig organisiert sein und darf deshalb nicht uneingeschränkt dem freien Markt überlassen werden. Alle gesellschaftlichen Gruppen und geistigen Richtungen müssen zu Wort kommen. Dies betrifft vor allem die Besitzverhältnisse: Liegen die Massenmedien in der Hand weniger Unternehmer oder Konzerne, besteht die Gefahr von Meinungsmonopolen. In Deutschland ist die Medienvielfalt durch ein Miteinander von privatwirtschaftlicher Presse, öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privat-kommerziellem, aber öffentlich beaufsichtigtem Rundfunk gekennzeichnet ( → vgl. Kap. 4.2; S. 129 - 141 ). Im S PIEGEL - Urteil hat das Verfassungsgericht die Pflicht des Staates formuliert, »Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen könnten« (vgl. Kasten). So dürfen sich in Deutschland zum Beispiel Presseverlage nur zu einem bestimmten Anteil an Radio- und Fernsehsendern beteiligen - dem Axel Springer-Verlag wurde 2006 die Fusion mit der Pro-SiebenSat.1 Media AG vom Bundeskartellamt untersagt. Ökonomischer Druck auf die Redaktionen kann auch Medienvielfalt Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen könnten.« Der Informantenschutz wird ebenfalls erwähnt: »Die in Art. 5 GG gesicherte Eigenständigkeit der Presse reicht von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen […] Deshalb gehört zur Pressefreiheit auch ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten. Er ist unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, dass das ›Redaktionsgeheimnis‹ gewahrt bleibt.« (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 20: 162 - 230; dokumentiert auf der Website des Instituts für öffentliches Recht an der Universität Bern: www.servat.unibe.ch/ dfr/ bv020162.html) Weitere Informationen zur Spiegel-Affäre und den Folgen finden sich auf der Website www.spiegel-affaere.de sowie im Buch von Martin Doerry und Hauke Janssen. <?page no="86"?> K O M M U N I K A T I O N S F R E I H E I T U N D M E D I E N S Y S T E M E 87 durch den Einfluss großer Werbekunden ausgeübt werden - bis hin zur Schleichwerbung. Deshalb ist es wichtig, dass einerseits in Medienunternehmen Redaktion und Anzeigen-/ Werbeabteilung getrennt sind und andererseits die Finanzierung des Mediensystems insgesamt nicht komplett über Werbung geschieht, sondern dass sich die Nutzer beteiligen ( → vgl. Kap. 4.2; S. 129 - 141 ). Mediensysteme im Vergleich Mediensysteme sind im nationalstaatlichen Kontext entstanden (Kleinsteuber 2005) und noch heute stark national geprägt - auch wenn immer mehr von transnationalen oder gar globalen Kommunikationsräumen gesprochen wird (etwa vom Kommunikationsraum Europa oder vom arabischen Kommunikationsraum). Die Analyse von Mediensystemen geschieht meist in vergleichender Perspektive: • Die diachrone Analyse untersucht den Transformationsprozess eines Mediensystems, vergleicht also verschiedene Epochen. Wir sind ansatzweise in Kapitel 2.2.1 so vorgegangen. • Synchrone Analyse: Die Spezifik des eigenen Systems - zum Beispiel in Deutschland - wird im Vergleich mit den Systemen anderer Länder klarer. Wer zum Beispiel den Journalismus in Deutschland, Österreich oder der Schweiz mit dem Journalismus in den USA, in Großbritannien, Russland oder China vergleicht, sollte die jeweiligen Mediensysteme als Rahmenbedingungen in die Analyse einbeziehen (vgl. z. B. Hallin/ Mancini 2004; Holtz-Bacha 2003; Kopper/ Mancini 1997) - eine vergleichende Inhaltsanalyse oder eine vergleichende Befragung allein kämen zu kurz. Klassifizierung von Mediensystemen Das bekannteste Konzept zur weltweiten Klassifizierung von Mediensystemen ist schon 60 Jahre alt: Die US-amerikanischen Kommunikationsforscher Fred Siebert, Theodore Peterson und Wilbur Schramm (1956) werteten historische Entwicklungen und die Systeme ihrer Zeit aus und kamen auf vier Typen (»Four Theories of the Press«): Authoritarian, Libertarian, Communist und Social Responsibility. Diese Klassifizierung wurde oft zitiert (vgl. z. B. Weischenberg 2004: 86 - 92) und kritisiert (vgl. z. B. Nerone 1995; McQuail 1992: 65 f.). Eine Kritik zielt darauf ab, dass das Modell zwar in den 50er-Jahren signifikant war, in der Zwischenzeit aber überholt ist. So spiegelt die explizite Erwähnung kom- | 2.3.2 Analyse von Mediensystemen »Four Theories of the Press« <?page no="87"?> 88 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T munistischer Gesellschaftssysteme die Zeit des Kalten Kriegs wider, vernachlässigt aber andere totalitäre Systeme. Zudem argumentieren die Autoren stark normativ und US-zentriert. Wir orientieren uns im folgenden Überblick zwar am bekannten Modell von Siebert/ Peterson/ Schramm (und an der Übersetzung von Weischenberg 2004), aktualisieren dieses aber - und klassifizieren nach den vier Typen wirtschaftsliberal, sozialverantwortlich, autoritär und totalitär (vgl. Abb. 2.6). Dabei postulieren wir kein Idealmodell, sondern klassifizieren durch Beschreibung. • Der wirtschaftsliberale Typ entstand als Grundmodell der westlichen Mediensysteme ideengeschichtlich in der Aufklärung und sieht Medien nur im Privatbesitz vor. Sie konkurrieren in einem freien Markt ohne rechtliche und politische Schranken. • Das Modell der Sozialverantwortung entstand aufgrund der Nachteile und Gefahren des Wirtschaftsliberalismus: Um Medienmonopole und Meinungsmacht zu verhindern, werden verschiedene Möglichkeiten einer gemeinschaftlichen Medienkontrolle eingeführt. Beispiel ist die Gründung der BBC (British Broadcasting Corporation) in den 20er-Jahren als erstes öffentlich-rechtliches (»public service«) und damit nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch weitgehend unabhängiges Angebot ( → vgl. zur öffentlichen Finanzierung und Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Kap. 4.2; S. 129 - 131 ). Aber auch privatwirtschaftliche Medien lassen sich sozialverantwortlich führen, wenn sie nicht nur zur Gewinnmaximierung genutzt werden, sondern wenn die Eigentümer eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft freiwillig eingehen oder dazu gesetzlich verpflichtet werden. Problem dieses Modells sind potentielle Einfallstore für den Staat - zur Beschränkung privatwirtschaftlichen Medienagierens oder zur Reglementierung und Steuerung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten (etwa über die Besetzung der Aufsichtsgremien oder über die Entscheidungen zur Höhe der Rundfunkgebühren). • Das autoritäre Modell bildete historisch die ersten Rahmenbedingungen der Medien: Die Presse sollte die etablierten Autoritäten und staatlichen Ordnungen stabilisieren. Es können durchaus Parallelen zu heutigen Transformationsprozessen gezogen werden: In restaurativen Phasen nach Revolutionen und Freiheitskämpfen setzten die Machthaber schon immer die Presse unter Druck. Allerdings konnte z. B. Metternich mit den Karlsbader Beschlüssen viel offensichtlicher vorgehen als in jüngster Zeit so manche Regierung der Nachwendezeit in Osteuropa. Auch wenn Präsident bzw. Ministerpräsident Putin noch immer behauptet, dass die Medien in Russland frei seien: In seiner Regierungszeit ist der Einfluss des Staates auf den Journalis- Verantwortung gegenüber der Gesellschaft <?page no="88"?> K O M M U N I K A T I O N S F R E I H E I T U N D M E D I E N S Y S T E M E 89 mus enorm gewachsen - beispielsweise durch das Medienimperium des staatlich kontrollierten Gas-Monopolisten Gazprom oder durch Schließungen von Verlagen, Durchsuchungen von Redaktionen und Verhaftungen und Ermordungen von Journalisten. Auch nach den Revolutionen des arabischen Frühlings 2011 stellten sich nicht automatisch freie Mediensysteme ein, sondern die neuen Machthaber suchten Einfluss und Druck auf Medien und Journalismus - mit dem expliziten Argument der Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und dem impliziten Vorhaben des Machterhalts; Länder wie Ägypten, Tunesien und Libyen veränderten sich in den Rangliswirtschaftsliberal sozialverantwortlich autoritär totalitär Eigentumsverhältnisse privatwirtschaftlich privatwirtschaftlich oder öffentlich staatlich, privatwirtschaftlich oder öffentlich staatlich Steuerung und Kontrolle der Medien Markt und Selbstregulierung gemeinschaftliche Medienaufsicht, unternehmerische und redaktionelle Selbstkontrolle Staatsapparat Staatspartei und Staatsapparat Ziele und Erwartungen Medien organisieren und kontrollieren sich selbst und sorgen dadurch für freien Zugang zur Öffentlichkeit Aufklärung und Partizipation; Verpflichtung der Medien gegenüber der Gesellschaft (z. B. Qualität, Vielfalt) Medien als Dienstleistung des Staates; sie sollen insgesamt die soziale Ordnung und die Regierung stabilisieren Absicherung der Staatspartei mit ihren Herrschaftsinteressen Nachteile und Gefahren Medienmonopole, unkontrollierte Medienmacht; starke ökonomische Abhängigkeit potentielle Einflussmöglichkeiten des Staates kaum Vielfalt in den Medien Medien präsentieren nur eine Sichtweise; Nachrichten werden unterdrückt; abweichende Meinungen verfolgt | Abb. 2.6 Typen von Mediensystemen im Vergleich (Quelle: eigene Darstellung auf Basis von Siebert/ Peterson/ Schramm 1956 und Weischenberg 2004: 87) <?page no="89"?> 90 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T ten zur Pressefreiheit zwar schon ein Stück weit, aber nicht bis in den als »frei« klassifizierten Bereich. • Während in heutigen autoritären Systemen zumindest noch Feigenblätter und ein Ansatz von Vielfalt geduldet werden, gehen totalitäre Regime noch radikaler gegen die Medienfreiheit vor: Die Medien befinden sich nahezu ausschließlich in Staatsbesitz; jegliche abweichenden Meinungen werden hart verfolgt. Bei der Klassifizierung handelt es sich um vier Modelle, um den Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu schärfen. Die Grenzen sind jedoch fließend, was die Zuordnung von Ländern zu einzelnen Typen erschwert: Die USA haben eher ein wirtschaftsliberales Grundmodell, verschiedene Infrastrukturen der Medienkritik und der gemeinschaftlichen Medienkontrolle weisen jedoch auch Züge der Sozialverantwortung auf. In Großbritannien ist zwar der Public Service-Gedanke erfunden worden, für die Presse herrscht aber ein weitgehend wirtschaftsliberales Denken vor, das Tendenzen zu Monopolisierung und Meinungsmacht zulässt: Rupert Murdochs N EWS C ORPORATION besitzt mehrere überregionale Tageszeitungen und Fernsehkanäle (www.newscorp.com). Maßgeblich für die Medienordnung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Teilung der Medienmacht. In der Geschichte der Bundesrepublik zeigt sich exemplarisch das Ringen um das richtige kommunikationspolitische System zwischen wirtschaftsliberal und sozialverantwortlich: Während die sozialliberale Politik der 70er-Jahre stark auf das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem fixiert war und für die Presse sogar ein Gesetz zur Stärkung der Freiheitsrechte der Journalisten gegenüber den Verlegern (»Innere Pressefreiheit«) überlegt wurde - ermöglichte die konservativ-liberale Regierungskoalition unter Helmut Kohl in den 80er-Jahren die Einführung des privaten Rundfunks. Nicht wenige konservative Politiker beklagten dies nachher aber wieder, als sie merkten, dass zunehmend Sensationsjournalismus, Sex- und Gewaltdarstellungen ins Fernsehen Einzug hielten und bei den Besitzern der Privatkanäle kaum öffentliche Verantwortung spürbar war. Pluralistische westliche Demokratien bewegen sich mit ihren offenen Mediensystemen also zwischen den ersten beiden Typen der Klassifikation. Mehr Freiheit bedeutet auch mehr ethische Verantwortung ( → vgl. Kap. 7.2; S. 244 - 255 ). Mehr oder weniger stark geschlossene Mediensysteme sind dagegen das Kennzeichen von autoritären und totalitären Gesellschaftssystemen. Während sich in Russland - wie erwähnt - viele Charakteristika eines autoritären Mediensystems finden, sind die Systeme zum Beispiel in China, Kuba, Nord-Korea, Weißrussland und Iran von totaler staatlicher Medienkontrolle geprägt. fließende Grenzen Ringen um das richtige Mediensystem <?page no="90"?> K O M M U N I K A T I O N S F R E I H E I T U N D M E D I E N S Y S T E M E 91 Italien ist ein Spezialfall, der zwischen offen und geschlossen schwankt: Die Entflechtung von Politik und Medien ist schon nach dem zweiten Weltkrieg kaum gelungen und erreichte ihren Höhepunkt, als der größte Medieneigentümer Silvio Berlusconi zunächst 1994 und später erneut (2001 und 2008) zum Regierungschef gewählt wurde - und dadurch einerseits sein Medienimperium durch eine wirtschaftsliberale Gesetzgebung erweitern und andererseits seinen Einfluss auf die öffentlich-rechtliche RAI ausbauen konnte. Neue Modelle der westlichen Mediensysteme Die erwähnte Kritik an den »Four Theories of the Press« wurde von einigen Wissenschaftlern in den letzten Jahren fruchtbar für neue Versuche zur Modellierung aufgegriffen. Den bisher überzeugendsten Entwurf legten der italienische Wissenschaftler Paolo Mancini und der US-amerikanische Forscher Daniel C. Hallin vor. Sie modellieren ausschließlich die liberalen Demokratien Westeuropas und Nordamerikas und konzentrieren sich auf das Verhältnis von Mediensystem und politischem System. Dabei schließen sie auf drei Modelle (Hallin/ Mancini 2004: 66-86): Das polarisiert-pluralistische Modell umfasst mediterrane Länder wie Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien mit einer traditionell niedrigen Zeitungsreichweite und einer relativ starken Instrumentalisierung der Medien durch die politischen Parteien. Das demokratisch-korporatistische Modell trifft auf nordeuropäische Länder wie Deutschland, Österreich, die Schweiz, Dänemark oder Schweden zu und ist charakterisiert durch hohe Zeitungsreichweiten und eine institutionalisierte Selbstkontrolle, Schutz der Pressefreiheit und einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das liberale Modell findet sich in den nordatlantischen Ländern Großbritannien, Irland, Kanada und den USA mit einer neutralen, kommerzialisierten Presselandschaft mittlerer Reichweite. Rankings der Medienfreiheit Einen konkreten - wenn auch holzschnittartigen und wenig differenzierten - Ländervergleich ermöglichen die Rankings der Medienfreiheit, die seit 1980 von der New Yorker Stiftung Freedom House und seit 2002 von der Pariser Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen veröffentlicht werden (vgl. www.freedomhouse.org; www.reporter-ohne-grenzen.de). Basis sind die in Kapitel 2.3.1 genannten drei Grundlagen der Kommunikationsfreiheit: Freedomhouse urteilt nach »the legal environment Beispiel Italien <?page no="91"?> 92 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T Rang Land Minus-Punkte Status 1 Norwegen 10 frei Schweden 10 frei 3 Belgien 11 frei Finnland 11 frei Niederlande 11 frei 6 Dänemark 12 frei Luxemburg 12 frei Schweiz 12 frei … 19 Deutschland 17 frei … 23 USA 18 frei … 31 Österreich 21 frei Großbritannien 21 frei … 52 Spanien 27 frei … 68 Italien 33 teilweise frei … 109 Tunesien 52 teilweise frei … 128 Libyen 59 teilweise frei … 140 Ägypten 62 nicht frei … 176 Russland 81 nicht frei … 179 China 83 nicht frei … 196 Nord Korea 96 nicht frei Turkmenistan 96 nicht frei Abb. 2.7 | Freedomhouse- Ranking 2013 (Quelle: www.freedomhouse.org) <?page no="92"?> K O M M U N I K A T I O N S F R E I H E I T U N D M E D I E N S Y S T E M E 93 in which media operate, political influences on reporting and access to information, and economic pressures on content and the dissemination of news« und vergibt die drei Prädikate »free« (maximal 30 Minuspunkte; 63 Länder), »partly free« (maximal 60 Minuspunkte; 70 Länder) und »not free« (61 bis 100 Minuspunkte; 63 Länder). Im Jahr 2013 leben demnach 14 Prozent der Weltbevölkerung ohne signifikante Restriktionen, 43 Prozent haben teilweise freie Medien und 43 Prozent müssen ohne Medienfreiheit auskommen. In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der freien und unfreien Länder ab; die Grauzone dazwischen wuchs. Kontinuierliche Abstiege gibt es in Süd- und Mittelamerika (von 23 auf 13 freie Länder zwischen 1991 und 2013) sowie in Mittel- und Osteuropa (von sieben auf neun unfreie Länder zwischen 1996 und 2013). Russland zum Beispiel verschlechterte sich von 40 Punkten (1994) auf 81 (2013) und wird seit 2002 als unfrei klassifiziert. Der Mittlere Osten und Nordafrika sind die Regionen mit den schlechtesten Bedingungen für Medienfreiheit. Kein einziges Land wird hier als frei eingestuft - nicht einmal mehr Israel, das ebenso wie Tunesien, der Libanon, Kuwait und Libyen als teilweise frei gilt. Einzelne Länder konnten sich allerdings - wie erwähnt nach den Revolutionen des Jahres 2011 - verbessern: Libyen zum Beispiel von 94 (2010) auf 59 Punkte (2013) oder Tunesien von 85 (2010) auf 52 Punkte (2013). Man darf nicht vergessen, dass die Normen, die derartigen Definitionen und Rankings von Medienfreiheit zugrunde liegen, ausschließlich der westlichen Wertsphäre und Menschenrechtstradition entnommen sind - und dass die Freiheit der Medien und die Meinungsfreiheit sehr hoch gewichtet werden gegenüber anderen Menschenrechten und Werten (so kritisiert Freedomhouse zum Beispiel, dass in Deutschland das Leugnen des Holocausts und Nazi-Propaganda verboten sind). Kritik kommt denn auch vor allem aus Asien, aber auch aus der arabischen Welt. In Asien zum Beispiel beruhen die traditionellen Werte auf einem anderen Verhältnis gegenüber der Gemeinschaft (vgl. z. B. Goonasekera/ Chong Jin 2002). Pressefreiheit wird dort oftmals nicht als Lizenz für das Individuum verstanden - was in Entwicklungsländern einer Lizenz der Reichen gleichkäme -, sondern ist einer größeren Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft und einem gegenseitigen Respekt verpflichtet. Man befürchtet ein Eindringen westlicher Medienimperien und Werte durch allzu freie Massenmedien: Konsummaterialismus, sexuelle Freizügigkeit, religiöse Gleichgültigkeit oder sozialen Unfrieden durch allzu offene Debatten. Damit werden auf Basis einer anderen Wertewelt bestimmte Eingriffsrechte des Staates in die Medienfreiheit begründet. Andererseits verstehen es moderne Despoten und Regime zunehmende Restriktionen westliche Werte und Traditionen <?page no="93"?> 94 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T immer wieder, traditionelle Werte für Unterdrückung und Machtmissbrauch auszunutzen. Das eigene Machtinteresse wird durchgesetzt, abweichende Meinungen werden verfolgt und Journalisten inhaftiert - unter dem Vorwand der sozialen Sicherheit und Ordnung und des Schutzes der Werte. Welche Grenzen der Freiheit, wenn sie mit anderen Rechten kollidiert, als legitim angesehen werden, hängt von historischen und kulturellen Faktoren ab (vgl. Czepek 2013). Aus westlicher Sicht schwer zu verstehen sind zum Beispiel die Ergebnisse der Umfrage »Trust in the Media«, die BBC und Reuters im März 2006 in Auftrag gaben (Quelle: news.bbc.co.uk/ 2/ shared/ bsp/ hi/ pdfs/ 02_05_06mediatrust.pdf). In Nigeria und Indonesien vertrauen demnach 88 bzw. 86 Prozent der Menschen den Medien - im Freedomhouse-Ranking liegt Nigeria auf Platz 114 und Indonesien auf Platz 121. In Deutschland dagegen trauen nur 43 Prozent der Menschen den Medien. In Nigeria und Indonesien meinen wesentlich mehr Menschen als in Deutschland, Journalisten würden zu kritisch über die Regierung und über Wirtschaftsführer berichten (56 bzw. 68 Prozent gegenüber 24 Prozent in Deutschland) - obwohl dort freie Meinungsäußerung und Kritik nicht so umfangreich möglich sind wie in Deutschland. Mit ähnli- Informations- und Meinungsfreiheit durch das Internet Das Internet ist als generell offenes Medium weniger kontrollierbar und steuerbar als die traditionellen Massenmedien. Es bietet neue Möglichkeiten, aus staatlichen Restriktionen und Repressionen auszubrechen: in mehr Informationsfreiheit - durch die Nutzung anderer Quellen und Sichtweisen außerhalb der Staatsgrenzen - aber auch in mehr Meinungsfreiheit. So veröffentlichen z. B. die Warblogs von Laien in Kriegsregionen alternative Sichtweisen zur Propaganda der Kriegsparteien (berühmtes Beispiel war der Blogger Salam Pax während des Irakkriegs). Im Iran werden Blogs und seit 2009 auch Twitter immer wieder als Protestmedien und als Koordinationswerkzeug für Proteste genutzt. Allerdings geht die Justiz inzwischen hart dagegen vor. Die Protestbewegungen und Revolutionen 2011 in Nordafrika waren durch soziale Vernetzungen im Internet - z. B. auf den Plattformen Facebook und Twitter - gestützt und gefördert. Totalitäre Regierungen bemühen sich, auch das Internet zu kontrollieren. Über Firewalls werden die Seiten ausländischer kritischer Webserver gar nicht ins Land gelassen. Internet-Cafés werden beobachtet und kontrolliert. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen waren 2013 160 Online-Aktivisten inhaftiert - davon 69 allein in China. <?page no="94"?> K O M M U N I K A T I O N S F R E I H E I T U N D M E D I E N S Y S T E M E 95 chen Ergebnissen bestätigt das »Trust Barometer« der PR-Agentur Edelman diesen Trend im Jahr 2013: In Indonesien und China vertrauen 80 Prozent der Menschen den Medien - in Deutschland und den USA sind es nur gut 40 Prozent (vgl. trust.edelman.com). Auch Jan Müller (2013) kommt in seiner Dissertation zu dem Ergebnis, dass zwar in westlichen Demokratien ein ausgeprägter Vertrauensverlust in die Medien zu verzeichnen ist, Nachrichtenmedien in autoritären Regimen dagegen von der Bevölkerung als wesentlich glaubwürdiger eingeschätzt werden. Diesen Befund erklärt er mit dem sogenannten emanzipativen Wertewandel: Je höher die Bildungsressourcen eines Volkes sind, desto ausgeprägter ist die kritische Distanz zu staatlichen und politischen Institutionen - und auch zum Journalismus als Institution. Eine Demokratisierung der Öffentlichkeit geht hier einher mit einem Vertrauensverlust in die Profession Journalismus. Zusammenfassung Mit dem Begriff »Mediensystem« ist die Gesamtheit von Ordnungen und Strukturen gemeint, die in einem definierten Raum - meist in einem Staat - die Medien charakterisieren. Politisches System, Wirtschaftssystem und Mediensystem hängen eng zusammen. Wir unterscheiden zwischen offenen Mediensystemen, die weitgehend Kommunikationsfreiheit in rechtlicher, politischer und ökonomischer Hinsicht gewährleisten, und geschlossenen Mediensystemen, welche Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit autoritär beschränken oder totalitär kontrollieren. Mediensysteme pluralistischer Demokratien schwanken zwischen wirtschaftsliberal und sozialverantwortlich. 1 Beschreiben Sie die drei Voraussetzungen für Kommunikationsfreiheit. 2 Was war die S PIEGEL -Affäre? Warum ist das S PIEGEL -Urteil des Bundesverfassungsgerichts so wichtig? 3 Wie kann man Mediensysteme klassifizieren? Nennen und unterscheiden Sie verschiedene Typen von Mediensystemen. 4 Nennen Sie Beispiele für Länder, in denen die Medien als besonders frei, teilweise frei und unfrei beurteilt werden. 5 Was spricht dafür, was dagegen, die Freiheit der Medien generell über alle anderen Werte, Grund- und Menschenrechte zu stellen? Übungsfragen zu Kapitel 2.3 <?page no="95"?> 96 J O U R N A L I S M U S I N D E R G E S E L L S C H A F T Literatur Das Medienrecht konnte in dieser Einführung nur bei den Grundrechten am Rande gestreift werden. Der Dortmunder Medienrechtler Udo Branahl hat eine umfassende Einführung für Journalisten geschrieben. Fundiert sind auch das Buch Presserecht für Journalisten von Dorothee Bölke, der ehemaligen S PIEGEL -Justiziarin und Geschäftsführerin des Presserats, sowie das Buch Recht für Journalisten des Rechtsanwalts Ernst Fricke. Wer intensiver in die politische Ausgestaltung der Kommunikationsfreiheit und das Mediensystem in Deutschland einsteigen will, kann sich die Einführung in die Medienpolitik von Manuel Puppis vornehmen. Über aktuelle medienpolitische Debatten und Entscheidungen informieren die Fachdienste epd medien (www.epd-medien.de) und Funkkorrespondenz (www.funkkorrespondenz.de). Einen ausführlichen Überblick über die ökonomischen, politischen und technischen Strukturen der Medien in Deutschland gibt das Lehrbuch Das Mediensystem Deutschlands von Klaus Beck, das auch als vertiefende Lektüre für das Kapitel 4 geeignet ist. Einen guten Überblick über die Mediensysteme und Medienlandschaften in mehr als 80 Ländern der Welt bietet das Internationale Handbuch Medien, welches das Hans-Bredow-Institut alle paar Jahre aktualisiert herausgibt. Ausgewählte Themen des Vergleichs von Mediensystemen und Weltregionen zeigt Barbara Thomaß in einem Lehrbuch auf. Schließlich seien die Rankings des Freedomhouse und der Reporter ohne Grenzen zur vertiefenden Lektüre empfohlen - wenn man sich über die Freiheit der Medien in einzelnen Ländern und Weltregionen informieren möchte (www.freedomhouse.org und www.reporter-ohne-grenzen.de). <?page no="96"?> 97 97 Journalismus und sein Publikum Publikumsforschung »Und immer an die Leser denken.« Wohl kein Spruch eines Journalisten hat in den letzten Jahrzehnten weitere Kreise gezogen als diese Aufforderung von Helmut Markwort an seine Redaktion, die in zahllosen Werbespots und Anzeigen verbreitet wurde. Der ehemalige Chefredakteur der 1993 gegründeten Zeitschrift F OCUS und seine Redaktion halten viel darauf, dass sie aus ihrer Erfahrung, aus dem Gefühl und aus dem Bauch heraus wissen, was das Publikum lesen will (Hohlfeld 2003: 14). Allerdings gründet der Erfolg von F OCUS nicht nur auf journalistischem Gespür, sondern auch auf intensiver Publikumsforschung: Mehrere Marktforschungsinstitute waren beteiligt, als es beim Burda-Verlag darum ging, Erfolgsaussichten einer S PIEGEL -Konkurrenz, mögliche Themen und Präsentationsformen sowie einen marktgängigen Namen zu finden (Filipp 1995). Journalisten brauchen zur Orientierung eine - zumindest intuitive - Vorstellung davon, wer ihr Publikum ist. Quellen dieses Publikumsbildes können sein: Publikumspost (traditionell der Leserbrief, neuerdings die E-Mail oder der Eintrag in Foren, Blogs oder soziale Netzwerke), persönliche Begegnungen mit oder Anrufe von Lesern, Zuhörern, Zuschauern und Nutzern, Gespräche mit Kollegen - oder Ergebnisse der Publikumsforschung. Während das Publikumsbild von Printjournalisten (noch) stark über Leserpost und persönliche Begegnungen geprägt ist, verlassen sich Fernseh- und vor allem Radiojournalisten eher auf die Ergebnisse der angewandten Medienforschung (vgl. für Deutschland: Hohlfeld 2003: | 3 Inhalt 3.1 Publikumsforschung 3.2 Mediennutzung im Wandel 3.3 Wirkung des Journalismus | 3.1 »an die Leser denken« Quellen des Publikumsbildes <?page no="97"?> 98 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M 257 - und für die Schweiz: Marr u. a. 2001: 195). Zwar kommen 97 Prozent der deutschen Journalisten mit den Ergebnissen der Publikumsforschung in Kontakt (Hohlfeld 2003: 265), in der Regel haben Journalisten aber »nur unspezifische Kenntnisse über die Zusammensetzung und die Erwartungen ihres Publikums« (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 143). Standarduntersuchungen In keinen Forschungszweig stecken die Medienunternehmen mehr Geld als in die Reichweitenmessung. Die Suche nach dem Medienpublikum wurde im Laufe der vergangenen Jahrzehnte immer intensiver Reichweitenmessung Publikumsforschung Die Publikumsforschung (englisch: audience research) untersucht die Nutzung der Massenmedien. Darin liegt das Hauptforschungsinteresse von Medienunternehmen. Verschiedene Begriffe, Methoden und Interessen haben sich etabliert - was auch zu einer Begriffsverwirrung führt: (1) Die akademische Kommunikationswissenschaft spricht oft von »Nutzungsforschung« oder »Rezeptionsforschung«. Sie geht der grundlegenden Frage nach, was die Menschen mit den Medien machen, und entwickelt Theorien der Mediennutzung. Nicht selten hat dies auch mit der umgekehrten Frage zu tun, was die Medien mit den Menschen machen, die man durch die Wirkungsforschung zu beantworten versucht ( → vgl. Kap. 3.3; S. 114 - 123 ). (2) In der Medienwirtschaft haben sich dagegen die Begriffe »Mediaforschung« und »angewandte Medienforschung« etabliert. Damit sind die Aktivitäten von hauseigenen Forschungsabteilungen in Rundfunkanstalten und Verlagen oder von freien Marktforschungsinstituten gemeint, die im Auftrag von Medienunternehmen tätig sind. Es geht einerseits darum, den Erfolg eines Mediums zu kontrollieren, insbesondere die Leistung als Werbeträger: »Mediaforschung« ist meist »Werbeträgerforschung« und dient Werbeagenturen dazu, die »Mediaplanung« zu optimieren und Anzeigen und Spots zielgruppengerecht zu platzieren. Andererseits stellt die »angewandte Medienforschung« mit der redaktionellen Publikumsforschung den Redaktionen Daten zur Verfügung, die zeigen, wie Journalisten ihr Publikum besser erreichen und bedienen können. In die Werbeträgerforschung wird wesentlich mehr investiert als in die redaktionelle Publikumsforschung. Definition <?page no="98"?> P U B L I K U M S F O R S C H U N G 99 und methodisch ausgefeilter betrieben. Die wichtigsten Standarduntersuchungen und Methoden der angewandten Medienforschung im Überblick: • In der Arbeitsgemeinschaft Media Analyse (AG.MA oder kurz: MA) haben sich etwa 240 große Unternehmen der Medien- und Werbewirtschaft zusammengeschlossen (www.agma-mmc.de). Auf Basis von Interviews mit zum Teil mehr als 50.000 Mediennutzern werden regelmäßig die Reichweiten und die Struktur des Publikums (z. B. Einkommen, Bildung) einzelner Medien erhoben. Die Interviewer der beauftragten Marktforschungsinstitute wollen wissen, welche Medienprodukte wann und wie lange in letzter Zeit genutzt wurden. Insbesondere die Radiosender verlassen sich auf die Ergebnisse der Befragung, berechnen damit ihre Werbepreise oder entscheiden über redaktionelle Änderungen - zum Beispiel über einen Moderatorenwechsel oder die Abschaffung einer Sendung. Der größte Einzelsender Deutschlands ist nach der »ma 2010 radio II« (vgl. www.reichweiten.de) die privat-kommerzielle A NTENNE B AYERN mit durchschnittlich 1,3 Millionen Hörern pro Stunde ( → vgl. Kap. 4.3.3; S. 155 - 156 ). Auch die Zeitungen und Zeitschriften warten jedes Mal gespannt auf die MA-Ergebnisse: Zusätzlich zu den Auflagen- und Verkaufszahlen der Presse kann über die MA-Interviews die Reichweite herausgefunden werden - also wie viele Leser pro Ausgabe (LpA) ein Printprodukt erreicht. So hat zum Beispiel F OCUS (0,5 Mio.) zwar fast nur die Hälfte der Auflage des S PIEGEL (0,9 Mio.), aber laut »MA 2013 I« immerhin 4,5 Mio. Leser gegenüber 6,3 Mio. Leser des S PIEGEL . (vgl. www.ma-reichweiten.de). • Die Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse (AWA) wird vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt und steht in Konkurrenz zur MA (www.awa-online.de). In den mehr als 21.000 Interviews pro Jahr wird nicht nur nach der Mediennutzung, sondern auch nach den Konsumgewohnheiten gefragt. In der AWA sind in der Regel mehr Zeitungen und Zeitschriften enthalten als in der MA. Obwohl beide Analysen angeben, repräsentativ und mit zuverlässigen Hochrechnungen zu arbeiten, kommen doch immer wieder unterschiedliche Ergebnisse zustande. Nach der AWA hatten zum Beispiel F OCUS und S PIEGEL 2012 Reichweiten von 3,6 und 5,8 Millionen. • Die Reichweiten der Fernsehprogramme und -sendungen werden von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) ermittelt (www.agf.de sowie Hofsümmer/ Engel 2013). Im Gegensatz zu MA und AWA ist man nicht auf das Gedächtnis befragter Mediennutzer angewiesen, sondern hat ein technisches Messverfahren aufgebaut: In 5000 Haushalten, in denen ca. 10.500 Menschen leben, steht jeweils ein Messgerät Leser- und Hörerzahlen Einschaltquote <?page no="99"?> 100 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M neben dem Fernseher, an dem sich die Bewohner per Fernbedienung an- und abmelden. Das Messgerät speichert die gesehenen Programme und gibt die Daten nachts per Telefon an einen Zentralcomputer weiter. Spätestens um 8.30 Uhr am Tag nach der Ausstrahlung stehen die TV-Quoten der GfK-Fernsehforschung auf den Computern der Fernsehproduzenten zur Verfügung. In Planungen und Konferenzen werden dann »Beiträge und Themen […] auf ihre Publikumstauglichkeit geprüft, das künftige Themendesign der Sendung darauf ausgerichtet« (Hohlfeld, 2003: 309). Insgesamt lagen im Jahr 2012 die Dritten Fernsehprogramme der ARD sowie das ZDF mit jeweils 12,6 Prozent Marktanteil vor dem Gemeinschaftsprogramm der ARD D AS E RSTE (12,3) und RTL (ebenfalls 12,3)( → vgl. Kap. 4.3.3; S. 153 - 158 ). • Die Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) wurde 2002 gegründet, um für einen einheitlichen Standard in der Online-Werbeträgerforschung zu sorgen (www.agof.de). Viermal pro Jahr werden die Reichweiten und Nutzerstrukturen von großen Online-Angeboten gemessen. Die Methode hat drei Elemente: technische Abrufzahlen einzelner Seiten (PageImpressions), Online-Befragungen von Nutzern und repräsentative Telefonbefragungen der Bevölkerung. Auf dieser Basis wird die Reichweite von Online-Angeboten berechnet - also die Zahl der Unique User, die eine Website in einem bestimmten Zeitraum (meist in einem Monat) hat. Nach den Berechnungen der AGOF hat zum Beispiel das Online-Angebot WELT . DE 8,69 Mio. Unique User (vgl. internet facts 2013-II) - und damit eine wesentlich größere Reichweite als die gedruckte Tageszeitung D IE W ELT (0,87 Mio. nach AWA 2012) ( → vgl. Kap. 4.3.4; S. 158 - 160 ). Neben diesen auf kommerziellen Interessen aufbauenden Standarduntersuchungen gibt es eine Reihe von Studien, die das Nutzungsverhalten der Menschen auf breiterer Basis untersuchen. Dazu gehört die Langzeitstudie Massenkommunikation, welche die Medienforschungsabteilungen von ARD und ZDF zwischen 1964 und 2010 zehnmal in Auftrag gegeben haben (Reitze/ Ridder 2006 und 2011; vgl. die Hefte 9 und 10/ 2005 der Zeitschrift M EDIA P ERSPEKTIVEN sowie erste Ergebnispräsentationen der zehnten Welle vom September 2010 (Engel/ Ridder 2010) und in den Heften 11 + 12/ 2010 und 1/ 2011 unter www.media-perspektiven. de). Mit der repräsentativen Befragung von jeweils 4500 Personen kann man vor allem feststellen, wie sich generell das Nutzungsverhalten und die Bewertung der Medien im Laufe der Jahrzehnte verändert haben (vgl. das folgende Kapitel 3.2). Ebenfalls von ARD und ZDF stammt die Online-Studie, die seit 1997 jedes Jahr auf Basis einer repräsentativen Befragung durchgeführt wird. Damit lässt sich nicht nur sagen, wie sich die Internet-Nutzung verändert, sondern auch ob und wie sich Inno- Unique User Langzeitstudie Massenkommunikation <?page no="100"?> P U B L I K U M S F O R S C H U N G 101 vationen durchsetzen und ob die Online-Medien traditionelle Medien bedrängen (die Ergebnisse werden jedes Jahr im August-Heft der M EDIA P ERSPEKTIVEN veröffentlicht; vgl. auch www.ard-zdf-onlinestudie.de). Neue technische Verfahren der Reichweitenmessung Wie beschrieben, ist die angewandte Medienforschung im Wesentlichen entweder auf die Erinnerungsleistung repräsentativ ausgewählter und befragter Mediennutzer angewiesen oder auf technische Messverfahren - oder auf eine Kombination aus beidem. Reine Befragungen sind methodisch problematisch ( → vgl. Kap. 1.3.1; S. 46 ): So hat die große Bedeutung der MA für die Radiosender dazu geführt, dass der Name des Sen- Reichweite Zahl der Menschen, die von einem Medienprodukt maximal erreicht werden (Basis sind repräsentative Befragungen oder technische Messungen) Leser pro Nummer (LpN) oder Leser pro Ausgabe (LpA) alle Personen, die mit einer durchschnittlichen Ausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift Kontakt haben Leser pro Exemplar (LpE) LpN dividiert durch die verkaufte Auflage eines Blattes Marktanteil Anteil einer Sendung am Zuschauermarkt in Prozent (bezogen auf alle Menschen, die zu diesem Zeitpunkt überhaupt das Gerät angeschaltet haben). Nachts oder am Vormittag kann man schon mit wenigen Zuschauern einen hohen Marktanteil erreichen - im Gegensatz zur Hauptsendezeit am Abend. Einschaltquote Durchschnittliche Sehbeteiligung der Zuschauer in Prozent (bezogen auf alle Menschen, die einen Fernseher besitzen). Die Sehbeteiligung gibt an, wie viele Personen während einer Sendung durchschnittlich ferngesehen haben. Jede Person wird mit dem Anteil gezählt, der ihrer Sehdauer im Verhältnis zur Dauer der Sendung entspricht. Der Begriff »Einschaltquote« ist nicht unproblematisch, weil er manchmal auch als Synonym für »Marktanteil« verwendet wird. Page Impressions Anzahl der Abrufe einzelner Seiten eines Webangebots Visits Anzahl der »Besuche« eines Webangebots (als zusammenhängender Nutzungsvorgang) Unique User Anzahl der Personen, die in einem bestimmten Zeitraum (z. B. in einem Monat) ein Webangebot besucht haben | Abb. 3.1 Begriffe der Publikumsforschung (Quellen: www.agf.de, www.agof.de, www. mediasearch.ch) <?page no="101"?> 102 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M ders möglichst oft im Programm und in Gewinnspielen erwähnt wird. Wichtig ist nicht, wie viele Hörer man tatsächlich erreicht, sondern dass sich möglichst viele Hörer an den Namen des Senders erinnern, wenn die Interviewer der MA anrufen. Technische Reichweiten- und Akzeptanzmessungen sind aus diesem Grund im Kommen: • Seit 2001 befindet sich »Radiocontrol« in der Schweiz im Regel- und in anderen Ländern im Testbetrieb. Panelteilnehmer tragen das Messgerät, das Radiosignale aufnimmt, in Form einer Uhr mit sich, stellen es regelmäßig in eine Dockingstation, welche die Daten aus der Uhr ausliest und an ein Rechenzentrum sendet, das die Daten mit den Signalmustern der Sender vergleicht. Dadurch werden minütliche Reichweiten der Radioprogramme bei den 1002 Panelteilnehmern ermittelt und auf alle 5,8 Millionen potentiellen Hörer in der Schweiz hochgerechnet. • An das »Radiocontrol«-Messverfahren angelehnt entwickelte der Schweizer Carlo Imboden vor einigen Jahren die Methode »Reader- Scan« zur Leserforschung für Printmedien - und traf damit den Nerv von Zeitungsredaktionen: Nach einem Pilotprojekt in den Jahren 2004/ 05 bei der M AIN P OST in Würzburg und weiteren Studien zum Beispiel für B ERLINER Z EITUNG und B ERLINER K URIER war er gefragter Referent auf Medientagungen und wurde von immer mehr Zeitungsverlagen mit Leserstudien beauftragt. »ReaderScan« wird nicht laufend eingesetzt, sondern nur für einzelne Projekte. Eine relativ kleine Stichprobe von 100 bis 200 Lesern - je nach Budget des Verlagshauses - soll die Zielgruppe der Zeitung repräsentieren. Die Panelteilnehmer erhalten einen Mini-Scanner in Form eines Stifts, mit dem sie durch kurzes Antippen die Ein- und Ausstiegsstellen der gelesenen Texte scannen. Wie bei »Radiocontrol« übernimmt eine Dockingstation die Daten vom Stift und sendet sie an ein Rechenzentrum, das die Scan-Schnipsel mit dem Zeitungsinhalt vergleicht. Am Nachmittag liegen die ermittelten Lesequoten auf dem Tisch des Chefredakteurs. Das Messverfahren wird einige Wochen lang angewandt - und eventuell nach einigen Monaten wiederholt. Zwar ist das Verfahren methodisch umstritten (das Panel ist sehr klein; der Stift kann das Leseverhalten beeinflussen), aber Chefredakteure und »Reader- Scan«-Erfinder Imboden stellen mehrere weitreichende Effekte in den Redaktionen fest: Einerseits orientiert sich die aktuelle Zeitungsproduktion am Leserverhalten der Panelteilnehmer, wenn zum Beispiel mit der Formulierung von Texten, Titeln und Bildunterschriften sowie mit der Platzierung von Themen in den folgenden Ausgaben experimentiert wird. Andererseits führen die Forschungsergebnisse mittelfristig zu kompletten Relaunches von Seiten, Sparten und Radio-Reichweiten Lesequoten <?page no="102"?> P U B L I K U M S F O R S C H U N G 103 Büchern - die dann wiederum in einer weiteren Untersuchungswelle auf Akzeptanz überprüft werden. Bei der M AINPOST zum Beispiel hat sich die durchschnittliche »Lesequote« zwischen der ersten und der zweiten Untersuchungswelle von 6,8 auf 8,5 Prozent, beim B ERLINER K URIER von 12,7 auf 15,7 Prozent erhöht. • Online-Redaktionen stehen die schnellsten und detailliertesten Akzeptanzdaten zur Verfügung: Die aktuellen Abrufzahlen (»Klicks«) werden auf Webservern gezählt und können von den Redakteuren nahezu zeitgleich eingesehen und zur Veränderung aktuell genutzter Inhalte verwendet werden. In Online-Redaktionen, die mit solchen Systemen arbeiten, spricht man von »Echtzeit-Quoten«. Studien in Online-Redaktionen zeigen eine Reihe von Aspekten, die bewusst und unbewusst einen Quoten-Druck auf Online-Journalisten ausüben können (Meier/ Tüshaus 2006). Gleichzeitig werden die Klickzahlen aber als Instrumente des Qualitätsmanagements genutzt: Titel und Teaser können optimiert werden; wenig attraktive, aber als relevant eingeschätzte Themen können besser präsentiert und so ihre Reichweite gesteigert werden. Crossmedial organisierte Redaktionen lernen inzwischen, die Online-Quoten auch für ihre Print-Produkte einzusetzen: Themen, die heute online gut laufen, schaffen es eher auf die Titelseite der morgigen Zeitung oder werden in der Zeitung sogar zu Hintergrundseiten, Themenpaketen und Serien ausgebaut. Allerding muss man dabei differenziert vorgehen, denn das Online- und das Zeitungspublikum können sich stark unterscheiden. »Echtzeit-Quoten« Beispiel für ein Projekt angewandter Medienforschung: Radio-Programm-Controlling Kann die Publikumsforschung über Angaben zu Reichweite und Marktanteil hinaus Hinweise auf die Qualität eines journalistischen Produkts liefern? Dieser Frage ging ein Projekt nach, welches das Institut für Angewandte Medienforschung der Zürcher Hochschule zusammen mit einer Regionalredaktion des öffentlichen Senders S CHWEIZER R ADIO DRS durchführte. Direkt nach bestimmten Radiosendungen wurden 20 Redakteure und 199 Hörer telefonisch befragt. Im Mittelpunkt stand eine Beurteilung nach verschiedenen Qualitätskriterien - zum Beispiel nach Verständlichkeit, Spannung oder Glaubwürdigkeit. Durch die Befragungen sollten Unterschiede in der Wahrnehmung der Qualität zwischen Journalisten und Publikum ermittelt und so die Kritik- und Feedback-Kultur in der Redaktion gefördert werden (vgl. zur Methode und den Ergebnissen Wyss 2006). <?page no="103"?> 104 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M Zielgruppen Der Begriff der Zielgruppe stammt aus dem Marketing und bezeichnet die Gesamtheit der Personen, auf die sich eine bestimmte Maßnahme bezieht - zum Beispiel die Vermarktung eines Produkts. Der Journalismus hat sich traditionell wenig um Zielgruppen-Konzepte gekümmert: Journalistische Produkte waren als »Omnibusmedien« konzipiert und sollten alle Mediennutzer erreichen - wie heute noch die Tageszeitungen. Im modernen Zeitschriftenmarkt, im Fernsehen, im Hörfunk und im Internet ist die Ausrichtung auf Zielgruppen dagegen immer wichtiger geworden. Im Kontext des Journalismus hat dies drei Aspekte: erstens die Ausrichtung eines journalistischen Produkts - einer Zeitschrift, einer Website, eines Programms oder einer Sendung - auf eine bestimmte Rezipientengruppe, zweitens die Vermarktung des Produkts in dieser Gruppe, drittens die Vermarktung des Produkts an Anzeigenkunden, die an dieser Zielgruppe interessiert sind. Der erste und dritte Aspekt hängen gerade bei der Neukonzipierung von werbefinanzierten Formaten eng zusammen: Journalistische Produkte können am Markt nur bestehen, wenn Werbeagenturen und werbende Unternehmen Interesse an der Zielgruppe haben; das redaktionelle und programmliche Umfeld der Werbung wird werbefreundlich gestaltet ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 131 - 132 ). Die Einteilung der Mediennutzer in Zielgruppen folgt bestimmten Kriterien: Man kann Zielgruppen beispielsweise geographisch definieren, wie dies der Lokaljournalismus macht, oder sozio-demographisch (z. B. nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Beruf, Einkommen, Kaufverhalten) wie bei Special-Interest-Zeitschriften und Fachzeitschriften. Eine komplexere Herangehensweise hat das Heidelberger Institut Sinus Sociovision entwickelt (www.sinus-institut.de): Es teilt die Gesellschaft in zehn verschiedene Lebenswelten ein, die auch Milieus genannt werden. Zu einem Milieu werden Menschen zusammengefasst, die sich in Lebensweise und Lebensauffassung ähneln, beispielsweise in der Einstellung gegenüber Werten oder im Lebensstil. Daraus ist die so genannte »Kartoffelgrafik« entstanden (österreichisch »Erdäpfel-Chart«), in der auf der vertikalen Achse die soziale Lage (die Schicht) eingetragen ist und in der horizontalen Achse die Werteorientierung. Die Milieus heißen dann beispielsweise Traditionelles Milieu, Bürgerliche Mitte oder Expeditives Milieu. Die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung arbeitet zum Beispiel mit dem Modell der Sinus Milieus. Die Einteilung der Milieus durch Sinus Sociovision ist allerdings umstritten. So verwendet zum Beispiel die AWA ein Milieu-Modell, das mit der GfK entwickelt wurde und das von sieben Lebensstilen ausgeht: Zielgruppen-Konzepte und Omnibusmedien Lebenswelten andere Lebensstil- Modelle <?page no="104"?> P U B L I K U M S F O R S C H U N G 105 den Bodenständigen, den Schutzsuchenden, den Träumern, den Abenteurern, den Behaglichen, den Weltoffenen und den Kritischen. Das Modell der so genannten »MedienNutzerTypologie MNT 2.0« definiert dagegen zehn Lebensstile - zum Beispiel die Jungen Wilden, die Berufsorientierten, die Modernen Kulturorientierten oder die Zurückgezogenen (vgl. die Ausgabe 5/ 2007 der Zeitschrift Media Perspektiven und Oehmichen/ Ridder 2010). Journalismus und Publikum: traditionell ein schwieriges Verhältnis Das Verhältnis zwischen Journalismus und Publikum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt (Hohlfeld 2005). Noch bis in die 70er- und 80er-Jahre hinein galt es als verpönt, sich am Publikum zu orientieren: Journalisten gaben vor, genau zu wissen, was guten Journalismus ausmacht, und lehnten eine Publikumsorientierung als »Anpassungsjournalismus« oder als »korrumpierendes Element« ab. Man orientierte sich an den Maßstäben und Idealen der eigenen Zunft - und nicht selten an der Meinung der Kollegen. Die erste Brandschrift gegen eine solch abgehobene Einstellung veröffentlichten Peter Glotz und Wolfgang R. Langenbucher 1969 unter dem Titel »Der missachtete Leser« (erneut veröffentlicht 1993). Das Buch kritisierte zum Beispiel unverständliche Wirtschaftsteile oder »Rezensionsfriedhöfe« in den Feuilletons der Zeitungen. In den Jahrzehnten danach stieg die Zahl der Medien - und damit die Konkurrenz auf dem Publikumsmarkt um das zunehmend knappe Gut Aufmerksamkeit. Privat-kommerzielle Rundfunksender erhoben die Unterhaltungsbedürfnisse der Menschen zur obersten Maxime des Programms, was sich in dem immer wieder zitierten Bonmot von Helmut Thoma, dem ehemaligen RTL-Geschäftsführer, ausdrückt: »Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.« Wenn von »Quotennutte«, »Quotenjäger« oder »Quotentussi« die Rede ist, sind Fernsehproduzenten gemeint, die den Zuschauern jeden Wunsch erfüllen, um Reichweite und Marktanteil nach oben zu treiben. Das Schielen nach der Quote ist vor allem ein Problem der unterhaltungsorientierten Fernsehwelt. Aber auch Zeitungsredaktionen, die in der verschärften Wettbewerbssituation überleben wollen, müssen zunehmend die Interessen und Wünsche ihrer Kunden wahrnehmen und sich danach richten: Der Begriff des »Redaktionellen Marketings« wurde aus der Leserforschung heraus geboren (vgl. Definition) und gehört inzwischen zum Standard des Managements von Redaktionen . Das Verhältnis zwischen Journalismus und Publikum schwankt also zwischen einerseits Publikumsmissachtung und andererseits einer starken Orientierung an Unterhaltungs- und Servicebedürfnissen des Publider missachtete Leser Quotenjäger ein Drahtseilakt <?page no="105"?> 106 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M kums. Dabei kann die Unterstellung, das Publikum sei nur an leichter Kost interessiert, wieder als Publikumsverachtung oder zumindest als Unterforderung interpretiert werden. Der Drahtseilakt des Redaktionellen Marketings besteht darin, zwischen Informations-, Service- und Unterhaltungsbedürfnissen des Publikums zu vermitteln. Publikumsbeteiligung und Transparenz im Internet Mit der gestiegenen Popularität von sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, aber auch mit anderen Möglichkeiten des Web 2.0 wie Blogs, Foren oder Diskussionen unter Artikeln hat sich das Verhältnis zwischen Redaktionen und Publikum noch einmal verändert, weil nun vielfältige Formen der Vernetzung möglich sind (Hohlfeld 2013, Loosen 2013). Leser können mit Journalisten einfacher Kontakt aufnehmen und umgekehrt. Journalistische Angebote werden im Internet vom Publikum weiter verbreitet und kommentiert - und erzeugen somit Anschlusskommunikation. Dies kann zu einer neuen Publikumsbindung an journalistische Angebote führen, aber auch zu einer gewissen Demokratisierung des Journalismus, wenn Journalisten und Publikum sich auf Augenhöhe begegnen. Zudem können Redaktionen durch ein Monitoring der Social-Media-Aktivitäten die Interessen des Publikums beobachten und Themen darauf ausrichten. Außerdem gibt es neue Möglichkeiten für Transparenz im Journalismus ( → vgl. Kap. 7.1; S. 236 - 243; Kap. 7.3; S 262; Kap. 5.2; S. 194) . Marketing heißt in der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, ein Produkt oder eine Dienstleistung möglichst den Kundenwünschen entsprechend anzubieten. Redaktionelles Marketing fordert von Journalisten demnach, die Wünsche und Interessen der Zielgruppe(n) zu kennen, ernst zu nehmen und ihnen mit dem redaktionellen Teil eines Mediums zu entsprechen (Mast 2012: 394 ff.). Der Begriff tauchte in den 90er Jahren vor allem in der Zeitungsforschung vermehrt auf (z. B. Rager/ Schaefer-Dieterle/ Weber 1994) und kennzeichnet das Anliegen, dass Zeitungsredaktionen mit wissenschaftlichen Instrumentarien ihr Publikum besser kennenlernen und ihre Produkte systematischer planen und umsetzen sollen. Kritiker befürchten dagegen bei einer Übertreibung der Marketing-Aktionen einen Verlust der öffentlichen Verantwortung und der politischen Funktion des Journalismus, wenn nur noch Inhalte produziert werden, die leicht konsumierbar sind (»Marketing-Journalismus«). Definition <?page no="106"?> P U B L I K U M S F O R S C H U N G 107 Literatur Eine übersichtliche Einführung in die Methoden und Ergebnisse der Mediennutzungsforschung hat Michael Meyen geschrieben. Viele allgemeine Ergebnisse der Publikumsforschung können im Internet aktuell recherchiert werden - vor allem die Zahlen zu Reichweiten und Marktanteilen (vgl. die Websites, die im Text jeweils angegeben sind). Spezielle Studien für einzelne Redaktionen werden jedoch meist unter Verschluss gehalten, weil die Konkurrenz davon nicht profitieren soll. Nach wie vor (1) Leser, Hörer, Zuschauer und Nutzer sind die Kunden der Journalisten. Publikumsforschung kann dazu beitragen, die Interessen und Wünsche der Kunden genauer kennenzulernen. Im Redaktionellen Marketing werden Konzepte entwickelt, welche die Ergebnisse der Publikumsforschung umsetzen und zwischen Informations-, Service- und Unterhaltungsbedürfnissen des Publikums vermitteln. (2) Die Standarduntersuchungen der Publikumsforschung dienen allerdings weniger redaktionellen Zielen als vielmehr der Mediaforschung, welche die Leistung der Medien als Werbeträger kontrolliert und über regelmäßige repräsentative Befragungen und technische Messungen die Reichweiten und Marktanteile der Medien erhebt. (3) In sozialen Netzwerken, Blogs, Beitragsanmerkungen und anderen Formen des Web 2.0 können Journalisten sich mit dem Publikum vernetzen, deren Interessen beobachten und transprenter agieren. Zusammenfassung 1 Nennen Sie mögliche Quellen des Publikumsbildes von Journalisten. 2 Welche Standarduntersuchungen der Publikumsforschung gibt es? Wo liegen Stärken und Schwächen? 3 Erklären Sie, warum Zielgruppen für Redaktionen wichtiger geworden sind. 4 Was ist »Redaktionelles Marketing«? 5 Warum kann man das Verhältnis zwischen Journalismus und Publikum als »schwierig« bezeichnen? 6 Welche neuen Möglichkeiten für die Vernetzung zwischen Redaktionen und Publikum gibt es im Internet? Mit welchen Konsequenzen? Übungsfragen zu Kapitel 3.1 <?page no="107"?> 108 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M lesenswert ist die Pressekritik von Peter Glotz und Wolfgang R. Langenbucher unter dem Titel »Der missachtete Leser«. Ein frühes Plädoyer für Redaktionelles Marketing im Zeitungsjournalismus haben Günther Rager, Susanne Schaefer-Dieterle und Bernd Weber vorgelegt. Mediennutzung im Wandel Das Zeitbudget der Menschen für die Nutzung von Medien scheint nahezu unbegrenzt erweiterbar: Zwischen 1980 und 2010 hat sich der Medienkonsum der Deutschen fast verdoppelt - von sechs auf zehn Stunden im Schnitt pro Tag. Allein innerhalb von fünf Jahren nach der Jahrtausendwende wuchs das Mediennutzungsvolumen um mehr als anderthalb Stunden pro Tag. Seit 2005 bleibt es auf hohem Niveau stabil (und mehr geht wohl auch nicht mehr). Zu diesem Ergebnis kommt die ARD/ ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation, die das Medienverhalten der Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg regelmäßig erfragt ( → vgl. zur Methode Kap. 3.1; S. 100 ). In dieser Einführung können nur ein paar Grunddaten der Mediennutzung als Überblick zusammengefasst werden: Zahlen, Trends und Zusammenhänge, die jeder Journalistik-Student und jeder Journalist kennen sollte. Quellen sind nicht nur die Langzeitstudie (Reitze/ Ridder 2006; van Eimeren/ Ridder 2011; Ridder/ Engel 2005; Engel/ Ridder 2010; Ridder/ Engel 2010a und b; Reitze/ Ridder 2011), sondern auch andere Erhebungen von Daten zur Mediennutzung. Abbildung 3.2 zeigt, dass die Zeit für Medien in den letzten 15 Jahren geradezu explodiert ist: Bezogen auf einen 19-Stunden-Tag von 5.00 bis 24.00 Uhr verbrachten die Deutschen 1995 noch rund ein Drittel ihrer Zeit mit Medien, 2005 ist es schon mehr als die Hälfte. Diese Zahlen sind in der Summe zwar etwas unscharf - da 50 Minuten für die gleichzeitige Nutzung verschiedener Medien enthalten sind -, sie belegen alles in allem jedoch den Wandel zur Mediengesellschaft. Die Budgets für Regeneration, Produktion und Freizeit haben sich nicht wesentlich verändert - seit einigen Jahren arbeiten die Deutschen allerdings wieder länger. Die überwiegende Mediennutzung geschieht zwar in der Freizeit, aber während Berufsarbeit, Schule und Studium stieg der Medienkonsum auf mittlerweile fast anderthalb Stunden. Etwa genauso lang nutzen wir Medien während der Mahlzeiten und der Körperpflege. Folgende Trends lassen sich zusammenfassen: • Nach wie vor sind Fernsehen und Radio die beiden Leitmedien der Gesellschaft. Allerdings verliert die Kulturtechnik Lesen nicht an Bedeutung: 25 bzw. 22 Minuten tägliche Buchlektüre markieren den 3.2 | Medienkonsum nahezu verdoppelt Wandel zur Mediengesellschaft Leitmedien TV und Radio <?page no="108"?> M E D I E N N U T Z U N G I M W A N D E L 109 höchsten Wert seit 1970 und ein Plus von zwei Dritteln zwischen 1995 und 2005. • Alle Wellen der Langzeitstudie seit 1964 bestätigen die These, dass kein neues Medium ein altes ersetzt ( → vgl. Kap. 2.2.1; S. 79 ). Allerdings sind funktionale Anpassungsprozesse erkennbar - zum Beispiel zwischen Fernsehen und Radio: Während noch in den 60er und 70er-Jahren in den Abendstunden Radio gehört und Tageszeitung gelesen wurde, regiert inzwischen das Fernsehen den Abend. Radio wurde zum erfolgreichen Begleitmedium über den Tag verteilt bis in den späten Nachmittag. Heute stellt sich vor allem die Frage, ob das Internet die Nutzung der traditionellen Medien beeinflusst. Häufige Internetnutzer, die mehrmals täglich online sind, sehen deutlich weniger fern, lesen etwas weniger Tageszeitung und Zeitschrift - und nutzen deutlich mehr CD- oder MP3-Player (Reitze/ Ridder 2006: 55). 14bis 29-Jährige haben das Internet als drittes Medium komplett in den Alltag integriert: In ihrem täglichen Medi- Medienkonkurrenz 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Fernsehen 125 121 135 158 185 220 220 Hörfunk 135 154 170 162 206 221 187 Tageszeitung 38 33 28 30 30 28 23 Zeitschriften 11 10 11 11 10 12 6 Bücher 22 17 18 15 18 25 22 CD / LP / MC / MP3 15 14 14 14 36 45 35 Video / DVD - 2 4 3 4 5 5 Internet - - - - 13 44 83 Gesamt 346 351 380 393 502 600 583 Anteil Mediennutzung (bezogen auf 19 Stunden) 30 % 31 % 33 % 34 % 44 % 53 % 51 % Allgemeine Tätigkeiten - Sammelkategorien (Summe 1140 Minuten = 19 Stunden) Regeneration 285 271 310 314 341 341 339 Produktion 385 389 351 345 331 353 341 Freizeit 449 458 497 495 477 455 469 | Abb. 3.2 Trends der Mediennutzung Entwicklung der Mediennutzung in Deutschland (bis 1990 nur alte Bundesländer): täglicher Durchschnitt von 5.00 bis 24.00 Uhr in Minuten (brutto), Personen ab 14 Jahren. (Quelle: van Eimeren/ Ridder 2005: 501 f; Engel/ Ridder 2010: 11; Reitze/ Ridder 2011: 79) <?page no="109"?> 110 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M enbudget machen Fernsehen, Radio und Internet jeweils ca. ein Viertel aus (Reitze/ Ridder 2011: 75). • Die durchschnittliche Lesezeit der Tageszeitung ist in den 80er-Jahren stark zurückgegangen, blieb 15 Jahren lang stabil und nahm in den letzten Jahren wieder etwas ab. Der durchschnittliche Wert übertüncht jedoch ein generelles Problem der Tageszeitung: Die Reichweite in der Gesamtbevölkerung und vor allem bei jungen Menschen nimmt kontinuierlich ab (vgl. Abb. 3.3), während die ältere zeitungsnahe Bevölkerung immer länger Zeitung liest und damit den Schnitt stabil hält. Die Zeitungsfans finden also mehr lesenswerten Stoff - allerdings werden weniger Menschen zum Zeitungsfan. • Seit dem Fernsehen hat es bislang kein neues Medium gegeben, das sich so rasant verbreitet hat wie das Internet (vgl. Abb. 3.3). Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren nutzen inzwischen zu 100 Prozent zumindest gelegentlich das Internet. Nach der AGOF-Studie 2013-03 bezeichnen sich 73 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren als Internet-Nutzer (52,2 Mio.). In der durchschnittlichen Nutzungszeit steht das Internet mit 83 Minuten täglich an dritter Stelle des Medienmixes - hinter TV und Radio, aber weit vor Zeitung und Zeitschrift. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass das Internet ein Hybridmedium ist, das viele Kommunikationsarten vereint (vgl. Abb. 3.4): von der individuellen E-Mail über journalistische Angebote bis zu Geschäftsvorgängen und Transaktionen. Tageszeitung: Lesezeit im Schnitt stabil Durchschnittswerte und Streuung Durchschnittswerte als arithmetisches Mittel verdichten große Datenmassen zu einer kompakten Zahl und sind besonders für Vergleiche hilfreich - wie in den Trendanalysen in diesem Kapitel. Man muss damit aber auch vorsichtig umgehen, weil sie nichts über die Streuung um das Mittel herum aussagen. Ein alter Statistiker-Witz, der Franz Josef Strauß zugeschrieben wird, nimmt dieses Problem aufs Korn (nach Krämer 1991: 48): »Zwei Männer sitzen im Wirtshaus, der eine verdrückt eine Kalbshaxe, der andere trinkt zwei Maß Bier. Statistisch gesehen ist das für jeden eine Maß Bier und eine halbe Haxe, aber der eine hat sich überfressen und der andere ist besoffen.« In unserem Fall können wir mit dem Durchschnittswert des Fernseh- und Radiokonsums nichts aussagen über die Streuung von Wenig- und Vielsehern. Nicht jeder Deutsche sitzt dreieinhalb Stunden täglich vor dem Fernseher - es gibt viele, die gezielt wenige Sendungen einschalten, und viele, die das Gerät den ganzen Tag anhaben. Vor allem ältere und nicht berufstätige Menschen neigen zu exzessivem Fernsehkonsum. <?page no="110"?> M E D I E N N U T Z U N G I M W A N D E L 111 • Als Einflussfaktor der Mediennutzung gilt die Bindung der Menschen an die Medien. Sie wird auf zwei Arten ermittelt (vgl. Abb. 3.5): die Vermissensfrage (»Wie stark würde man ein Medium vermissen, wenn es längere Zeit nicht zur Verfügung stünde? «) und die Inselfrage Inselfrage 0% 20% 40% 60% 80% 100% 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 Tageszeitung gesamt TZ 20-29 Jahre TZ 14-19 Jahre Internet gesamt Internet 20-29 Jahre Internet 14-19 Jahre | Abb. 3.3 Reichweiten von Tageszeitung und Internet: Die Tageszeitungen verlieren vor allem bei jungen Menschen an Reichweite - gleichzeitig verbreitet sich rasant das Internet. (Quellen: BDZV und ARD/ ZDF-Online- Studien) 86,2 85 59,7 58 52,4 48,4 32,7 30,3 30,3 30,3 25,3 24,1 20,3 18,7 16,6 15,9 Private E-Mails versenden und empfangen Recherche in Suchmaschinen/ Webkatalogen Nachrichten zum Weltgeschehen Online-Einkaufen Online-Banking Regionale oder lokale Nachrichten Sportergebnisse und -berichte Chats und Foren Kinofilme, Kinoprogramm Messenger Essen, Trinken und Genießen Familie und Kinder Aktuelles Fernsehprogramm Fitness und Wellness Stars und Prominente Flirten und Kontakte Hybridmedium Internet: Information (dunkelblau), Kommunikation (weiß) und Transaktion (hellblau) sind Gründe für die Internet-Nutzung. 86 Prozent der Onliner senden und empfangen private E-Mails. Informationsangebote werden unterschiedlich intensiv genutzt. Mehr als die Hälfte der Internet-Nutzer kauft online ein oder erledigt übers Internet die Bankgeschäfte. | Abb. 3.4 Gründe für die Online-Nutzung (Quelle: AGOF internet facts 2006-I) <?page no="111"?> 112 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M (»Für welches Medium würde man sich entscheiden, wenn man nur noch eines behalten könnte? «). In der Vermissensfrage lag das Internet 2010 mit 38 Prozent im Bevölkerungsschnitt zwar noch knapp an letzter Stelle, was kein Wunder ist, da ja erst drei Viertel überhaupt das Internet nutzen. Doch auf eine einsame Insel würden mehr Menschen das Internet (33 Prozent) als das Fernsehen (32 Prozent) mitnehmen. Bei den 14bis 29-Jährigen zeigt sich ein anderes Bild (van Eimeren/ Ridder 2011: 5): 72 Prozent würden das Internet sehr stark oder stark vermissen; 70 Prozent würden sich für das Internet entscheiden. Das sind 2010 doppelt so viele wie 2005 (34 Prozent). • Aus welchen Gründen nutzen Menschen die Medien? Die Langzeitstudie Massenkommunikation unterscheidet neun Nutzungsmotive, die man zu zwei Clustern gruppieren kann (vgl. Abb. 3.6): Informationsmotive (sich informieren, mitreden können, Denkanstöße bekommen, sich im Alltag zurecht finden) und Unterhaltungs-/ Eskapismusmotive (Spaß, Entspannung, Gewohnheit, Alltag vergessen, sich nicht allein fühlen). Man kann aus den Nutzungsmotiven die Stärken und Schwächen der Medien ablesen: Die Stärken des Fernsehens und des Hörfunks liegen in der Unterhaltung, wobei das Fernsehen zugleich eine relativ hohe Informationsfunktion für die Nutzer besitzt. Die Tageszeitung ist ein eindeutiges Informationsmedium - der Spaßfaktor ist gering. Auch wenn die Tageszeitung hier die Führungsrolle knapp behält, ist der Rückgang der Informationsfunktion der Tageszeitung schon fast dramatisch: Die Zeitung war im Jahr 2000 Stärken und Schwächen der Medien 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Es würden sehr stark / stark vermissen … Fernsehen 47 42 51 54 44 44 45 Hörfunk 52 54 57 55 58 57 52 Tageszeitung 60 57 63 58 52 46 42 Internet - - - - 8 21 38 Es würden sich entscheiden für … Fernsehen 51 47 52 55 45 44 32 Hörfunk 29 31 26 27 32 26 21 Tageszeitung 18 20 20 17 16 12 11 Internet - - - - 6 16 33 Abb. 3.5 | Bindung an die Medien: Vermissen und Entscheiden in einer simulierten Grenzsituation: Personen in Deutschland ab 14 Jahren in Prozent. (Quelle: van Eimeren/ Ridder 2011: 5) <?page no="112"?> M E D I E N N U T Z U N G I M W A N D E L 113 noch für 44 Prozent das Informationsmedium Nummer eins - 2010 nur noch für 32 Prozent. Auch Denkanstöße bekommen nun weniger Menschen in erster Linie aus der Tageszeitung. Informationen, Denkanstöße und Alltagsorientierung kommen für immer mehr Menschen inzwischen aus dem Internet. Das Internet ist primär ein Informationsmedium - mit hohem Spaß-, aber geringem Entspannungsfaktor. Literatur Die ARD/ ZDF-Studie Massenkommunikation ist eine weltweit einmalige Langzeitstudie, die Veränderungen und Konstanten der Mediennutzung und -bewertung über Jahrzehnte nachzeichnet. Die Ergebnisse von 1964 bis 2010 sind im Buch von Helmut Reitze und Christa-Maria Ridder ausführlich dargestellt. Zusammenfassungen zu zentralen Aspekten finden sich in den Heften 9 und 10/ 2005 bzw. in den Heften ab 11/ 2010 der Zeitschrift M EDIA P ERSPEKTIVEN (kostenlos unter www.media-perspektiven.de). Fernsehen Hörfunk Tageszeitung Internet 2000 2010 2000 2010 2000 2010 2000 2010 damit ich mitreden kann 41 34 14 14 38 31 6 20 weil ich Denkanstöße bekomme 39 30 17 17 36 25 8 27 weil ich mich informieren möchte 35 26 14 14 44 32 8 29 weil ich dabei entspannen kann 54 54 38 31 7 7 1 8 weil es Spaß macht 55 44 30 23 7 6 8 27 weil ich mich dann nicht allein fühle 52 47 36 30 6 6 3 18 weil ich damit den Alltag vergessen möchte 59 53 29 25 6 6 2 16 weil es aus Gewohnheit dazugehört 45 41 31 29 22 18 1 13 weil es mir hilft, mich im Alltag zurechtzufinden 35 29 19 16 38 26 6 28 | Abb. 3.6 Nutzungsmotive: »Auf welches Medium trifft das Statement am meisten zu? « Angaben in Prozent; Basis: Personen ab 14 Jahren; Befragte, die mindestens zwei Medien mehrmals im Monat nutzen; jeweils gewichtet. (Quelle: Ridder/ Engel 2005: 431; Engel/ Ridder 2010: 29; Ridder/ Engel 2010b: 541) <?page no="113"?> 114 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M Wirkung des Journalismus Als das amerikanische Magazin N EWSWEEK im Mai 2005 berichtet, dass Wachmannschaften des US-Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba Ausgaben des Koran in die Toiletten geworfen und sogar eine Ausgabe hinuntergespült hätten, um muslimische Gefangene einzuschüchtern, geht eine Welle der Entrüstung durch die islamische Welt. In vielen Ländern kommt es zu Ausschreitungen, in Afghanistan werden dabei 16 Menschen getötet. Als im August 1997 zwei Menschen bei einem Autounfall in Paris sterben, steigern sich Milliarden Menschen weltweit in eine kollektive Trauerbegeisterung hinein. Eine der Toten ist eine Medienikone: Prinzessin Diana. Am 11. September 2001 haben Milliarden Menschen weltweit ein Hauptthema beim Abendessen: Sie sprechen über die Fernsehbilder des 3.3 | Zehn Stunden pro Tag verbringt die deutsche Bevölkerung ab 14 Jahren im Schnitt mit Massenmedien. Fernsehen und Hörfunk stehen mit knapp vier bzw. gut drei Stunden an der Spitze. Während die Tageszeitung an Reichweite verliert, hat sich das Internet rasant verbreitet und wird inzwischen von fast allen jungen Menschen genutzt. Befragt nach einer fiktiven Grenzsituation würden 52 Prozent das Radio, 42 Prozent die Tageszeitung, 45 Prozent das Fernsehen und 38 Prozent das Internet vermissen. Auf eine einsame Insel würden allerdings mehr Menschen das Internet mitnehmen als andere Medien. Die Stärken des Fernsehens und des Hörfunks liegen in der Unterhaltung. Informationsmedium Nummer eins ist nach wie vor die Tageszeitung, auch wenn sie für viele Menschen nicht mehr die Bedeutung hat wie früher. Das Internet ist vor allem ein Informationsmedium - mit hohem Spaßfaktor. Zusammenfassung 1 Fassen Sie zentrale Haupttrends der Mediennutzung in den vergangenen 30 Jahren zusammen. 2 Nennen Sie die wichtigsten Gründe für die Online-Nutzung. 3 Wo liegen die Stärken und Schwächen der Medien im Hinblick auf die Nutzungsmotive? Übungsfragen zu Kapitel 3.2 <?page no="114"?> W I R K U N G D E S J O U R N A L I S M U S 115 Tages, die dutzendfach gezeigt haben, wie zwei Passagierflugzeuge in die Türme des New Yorker World Trade Center rasen, sie zum Einsturz bringen und dabei 3000 Menschen töten. Drei Medienereignisse - drei Wirkungen des Journalismus über Ländergrenzen und traditionelle Kommunikationsräume hinweg. Die Berichterstattung über diese Extremereignisse schockiert, löst Betroffenheit aus, die sich in Gesprächen in den und außerhalb der Medien fortsetzt. In den seltensten Fällen sind Medienwirkungen allerdings so stark und eindeutig. Und: In der Regel verpuffen derart heftige Effekte rasch. Medienwirkung ist häufig alles andere als spektakulär, sondern so alltäglich wie die tägliche Nachrichtensendung, die Tageszeitung am Morgen oder der Spielfilm am Abend (vgl. Jäckel 2005: 87 - 100). Dass Journalismus und Medien im Allgemeinen Wirkungen auf Gesellschaft und Individuen haben, ist heute unumstritten. Die Frage ist indes, welche Wirkungen genau und in welchem Ausmaß. Komplexe Zusammenhänge Die alltäglichen Wirkungen des Journalismus sind schwer zu analysieren und theoretisch zu fassen - vor allem aus den folgenden drei Gründen: • Die Wirkung ist keine einzeln messbare Größe, sondern ein komplexes theoretisches Konstrukt. Es gibt zahlreiche Einflussfaktoren, die auch in Experimenten und anderen Studien nicht komplett kontrolliert werden können. Der Einfluss der Medien ist situationsabhängig. Die Standardfrage zum Beispiel, ob, wie viel und welcher Fernsehkonsum Kindern schadet, hängt auch vom sozialen Umfeld ab, in dem die Kinder aufwachsen. • Wie in Kapitel 2.1 schon kurz angedeutet, haben alle Ebenen des Journalismus - also alle Schalen der Zwiebel - Effekte auf Individuum und Gesellschaft. Die weitreichenden Fragen, die sich daraus ergeben, können auch durch umfangreiche Forschung nur ansatzweise beantwortet werden. Zum Beispiel: Wie wirkt sich die bloße Existenz von Massenmedien aus - beispielsweise die Existenz des Internet? Wie wirkt sich die Explosion von Medienangeboten und Nutzungszeiten aus? Wie wirken sich die Organisationsform und die ökonomische Ausrichtung von Medien aus - beispielsweise die zunehmende Kommerzialisierung des Journalismus und die Konzentration der Medienunternehmen? Wie wirken sich Ausbildung, Einstellungen und soziales Umfeld der Journalisten aus - beispielsweise die zunehmende Akademisierung dieses Berufs (können Journalisten z. B. Lebenswelten und Probleme anderer sozialer Schichten überhaupt adäquat erfassen)? Und schließlich: Wie wirken sich die in den Medien ver- Schock und Betroffenheit theoretisches Konstrukt weitreichende Fragen <?page no="115"?> 116 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M breiteten Inhalte aus? - Diese letzte Frage steht im Mittelpunkt der Wirkungsforschung in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, weil man davon ausgeht, dass alle anderen Fragen sich letztlich in den Inhalten niederschlagen, und weil sich ein Kausalzusammenhang zwischen bestimmten Inhalten und Effekten noch am ehesten empirisch nachweisen lässt. • In der Frage der Wirkung ist kaum zu unterscheiden zwischen Journalismus und anderen Medieninhalten - zum Beispiel zwischen Fakten und Fiktionen. Zuschauer beziehen Informationen über die Wirklichkeit auch aus rein unterhaltenden, erfundenen Formaten. Frühes Beispiel ist eine angebliche Massenpanik, die das Hörspiel von Orson Welles »War of the Worlds« am 30. Oktober 1938 in New York und New Jersey ausgelöst haben soll: Als Halloween-Scherz berichtete eine erfundene Radio-»Reportage« von der Landung der Marsmenschen und nutzte zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit Stilelemente des Journalismus - Reporter, O-Töne von Augenzeugen, Atmo (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Spielberg-Film, der 2005 in die Kinos kam). Ein neueres Beispiel: Im März 2006 steckten sich in der ARD-Krankenhausserie »In aller Freundschaft« zuerst ein Papagei und dann der kleine Chefarztenkel Jonas mit Vogelgrippe an. Trotz der Proteste von Bundesärztekammer und Tierschutzbund wurde mit diesem hanebüchenen Szenario die Vogelgrippe-Hysterie in Deutschland geschürt. Nach der Sendung hatte ein Virologe der Universität Leipzig im Chat alle Mühe, die geweckten Ängste wieder zu zerstreuen. Ähnliche Erfahrungen liegen bei anderen fiktionalen Verarbeitungen von Risikothemen vor - zum Beispiel beim Seuchen-Thriller »Outbreak«. Dieses Problem betrifft aber nicht nur Radio und Fernsehen: Die katholische Kirche ist regelmäßig um ihr Image besorgt, wenn Romanautoren historische Fakten und Fiktionen vermischen - wie zum Beispiel Dan Brown mit »The Da Vinci Code«. Schon die alten Römer wussten: »semper aliquid haeret« - »etwas bleibt immer hängen«. Die Medienwirkungsforschung versucht, der Komplexität der Wirklichkeit gerecht zu werden und hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte erhebliche methodische und theoretische Fortschritte gemacht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging das vorherrschende Stimulus-Response-Modell von einer starken, eindeutigen Medienwirkung aus. Weil sich das nur bei einigen auffälligen Ereignissen, nicht jedoch in der Breite empirisch nachweisen ließ, traute man den Medien in den 50er und 60er-Jahren eher keine oder nur geringe Effekte zu. Seit den 70er-Jahren geht die Forschung von selektiven Wirkungen aus. Die empirisch geprüften Theorien haben nurmehr geringe Reichweiten und konzentrieren sich auf die Frage, unter welchen Bedingungen seitens des Publi- Wirkungen von Fiktionen methodische und theoretische Fortschritte <?page no="116"?> W I R K U N G D E S J O U R N A L I S M U S 117 kums, der Medien und externer Umstände es zu bestimmten Effekten kommen kann. Die vielen Einzelstudien und theoretischen Ansätze haben sich derart differenziert, dass sie nahezu unüberschaubar sind. Bei allen Unterschieden in der theoretischen Zugangsweise gibt es hauptsächlich zwei Methoden der Wirkungsforschung (Brosius 2003: 128, Bonfadelli 1999: 36 f.): • In Laborexperimenten, die an Versuchsanordnungen in der psychologischen und der medizinischen Forschung angelehnt sind, werden konkrete Kausalitäten nachgewiesen. Man teilt dann zum Beispiel die Probanden in zwei oder mehrere Gruppen und variiert die Medieninhalte, welche die Probanden unter Beobachtung rezipieren. Danach kann man beispielsweise beobachten oder fragen, ob die Gewaltbereitschaft oder auch das Wissen zugenommen hat. Problem der Laborexperimente ist, dass die künstlich hergestellte Situation nicht zwingend auf den Alltag übertragen werden kann. • Feldstudien untersuchen dagegen den tatsächlichen Medienalltag. In Längsschnittanalysen werden Inhaltsanalysen der journalistischen Berichterstattung mit repräsentativen Befragungen des Publikums über einen längeren Zeitraum hinweg kombiniert. Man stellt dann zum Beispiel fest, ob journalistische Themenauswahl, -darstellung und -bewertung die Einstellung der Bevölkerung verändern. Zentrales Beispiel ist die Untersuchung des Politikjournalismus, speziell der Wahlkampfkommunikation: Wie beeinflusst die Berichterstattung über Kandidaten, Parteien und politische Sachthemen die Wahlabsichten der Wähler oder sogar die Wahlentscheidung? Das Problem der Feldstudien liegt darin, dass Einflussfaktoren, deren Ursache nicht in der Berichterstattung liegen, kaum ausgeschlossen werden können. im Labor … … oder im Feld Medienwirkungsforschung Unter Wirkungen der Massenmedien werden alle Veränderungen verstanden, die ganz, partiell oder in Wechselwirkung mit anderen Faktoren auf Medien bzw. deren Inhalte zurückgeführt werden können. Damit sind sowohl Phänomene auf der Mikro-Ebene (einzelne Rezipienten) als auch auf der Makro-Ebene (Gesellschaft oder Teile davon) gemeint. Die Wirkungsforschung untersucht langfristige und kurzfristige, direkte und vermittelte Wirkungen ebenso wie Wirkungen in Form von Veränderungen oder Stabilisierungen (nach Brosius 2003: 128). Definition <?page no="117"?> 118 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M Theorien der Medienwirkung Im Folgenden werden exemplarisch einige Theorien der Medienwirkung skizziert, die sich vor allem auf die aktuelle journalistische Berichterstattung beziehen - und weniger auf Unterhaltung und Werbung (vgl. u. a. Bonfadelli 1999/ 2000, Brosius 2003, Jäckel 2005; Noelle-Neumann/ Kepplinger 2003): • Wichtiger Ansatz der neueren Wirkungsforschung ist das Agenda Setting. Demnach bestimmen Medien nicht so sehr, was die Menschen meinen, sondern zu welchen Themen sie sich Gedanken machen. Mitbegründer und wichtigster Vertreter ist Maxwell McCombs von der University of Texas in Austin. Die Theorie geht davon aus, dass die Themenagenda der Medien vom Publikum übernommen wird. Thematisiert der Journalismus zum Beispiel über Monate hinweg Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Lage - dann denken die Menschen, dass dies die drängendsten Probleme der Gesellschaft sind. Dominieren dagegen Umweltprobleme, Klimawandel, neue Krankheiten oder Bedrohung durch Terroristen das Themenranking der Medien, werden diese Problemfelder auch von der Bevölkerung als zentral erachtet. Weiterentwicklungen dieses Ansatzes gehen inzwischen davon aus, dass über die Themenauswahl der Medien auch Meinungen beeinflusst werden können - und zwar nicht direkt über Leitartikel oder Kommentare, sondern eher indirekt: Mit Priming ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass die mediale Betonung eines bestimmten Themas, für die einem Politiker eine hohe Kompetenz zugeschrieben wird, dazu führt, dass dieser Politiker generell in der Bevölkerung positiver beurteilt wird. Berichten die Medien im Vorfeld von Wahlen zum Beispiel verstärkt über Wirtschaftsfragen, wird das eher Parteien nutzen, denen die Menschen eine höhere Kompetenz in der Lösung von Wirtschaftsproblemen zutrauen (also eher FDP und CDU). Treten dagegen in Wahlkampf-Zeiten Umweltprobleme zutage, wird eher eine Umweltpartei wie die Grünen einen positiven Schwung beim Wahlverhalten erhalten. Die PR-Strategen in den Parteizentralen nutzen die These der Priming-Effekte und versuchen die Themenagenda der journalistischen Berichterstattung zu beeinflussen. • Die Theorie der Schweigespirale wurde von der inzwischen verstorbenen Elisabeth Noelle-Neumann (Universität Mainz) in den 70er-Jahren entwickelt und kritisiert eine angeblich große Macht des Fernsehens bei der Bildung der öffentlichen Meinung. Grundannahme ist, dass Menschen bei kontroversen Themen mit ihrer Meinung nicht zur Minderheit gehören wollen und sich vor sozialer Isolation fürchten. Sie beobachten deshalb ihre Umwelt und die Medienberichter- Agenda Setting Schweigespirale <?page no="118"?> W I R K U N G D E S J O U R N A L I S M U S 119 stattung, um festzustellen, welche Meinung zurzeit verbreitet ist und was man deshalb öffentlich äußern darf, um sich nicht zu isolieren. Dann setzt die Spirale ein: Menschen, die glauben, zur Minderheit zu gehören, schweigen; die in den Medien verbreitete Meinung wächst an und etabliert sich zur tatsächlichen öffentlichen Meinung. Problematisch ist das weniger, wenn die Medienmeinung von vornherein der Mehrheitsmeinung (also der Realität) entspricht. Noelle-Neumann geht aber davon aus, dass die Berichterstattung verzerrt ist und eine faktische Minderheitenmeinung präsentiert, die sich dann aufgrund der Schweigespirale in der Öffentlichkeit durchsetzt ( → vgl. zum Verhältnis zwischen Medien und Realität Kap. 5.1; S. 180 - 182 ). Auf Grundlage dieser Theorie haben Noelle-Neumann und ihre Schüler immer wieder den Journalisten vorgeworfen, durch eine gewisse Linkslastigkeit Wahlen zu beeinflussen. Konkret wird zum Beispiel behauptet, das Fernsehen sei 1976 beim Sieg von SPD/ FDP wahlentscheidend gewesen. Die Theorie der Schweigespirale ist bis heute umstritten, wird aber weiterhin empirisch untersucht. Eine ähnliche Wirkung auf die öffentliche Meinung hat der Bandwagon-Effekt: Während die Schweigespirale aus Isolationsfurcht in Gang gesetzt wird, winkt hier allerdings die Belohnung, wenn man sich bewusst auf die Seite der Mehrheit stellt. Die These besagt, die Menschen würden dem »Wagen mit der Musikkapelle« hinterherlaufen, weil sie auf der Seite der Sieger stehen wollen - auch als »Mitläufereffekt« bekannt oder neuerdings als: »Erfolg macht sexy«. • Die These der wachsenden Wissenskluft (»Knowledge Gap«) wurde erstmals 1970 von einer Forschergruppe der Minnesota University formuliert (Tichenor/ Donohue/ Olien): Menschen mit höherer Bildung und höherem sozioökonomischen Status verfolgen die aktuelle Berichterstattung intensiver, eignen sich Informationen rascher an und behalten diese meist besser, weil sie über ein größeres Vorwissen verfügen, das die Speicherung von und Erinnerung an Informationen erleichtert. Diese These ist gesellschaftlich brisant, weil sie den Aufklärungsanspruch der Medien in Frage stellt: Medien verschärfen demnach eher die Kluft zwischen sozialen Schichten und können mangelnde (Schul-)Bildung nicht ausgleichen. Diese zunächst etwas holzschnittartige These wurde durch zahlreiche empirische Studien verfeinert. Inzwischen geht man davon aus, dass zur Entstehung von Wissensklüften nicht nur kognitive Faktoren (Bildung, Vorwissen), sondern auch die jeweiligen Motivationen der Mediennutzer beitragen: ob die Menschen von einem Thema besonders betroffen sind oder sich generell dafür interessieren. Und das ist nicht zwangsläufig eine Bildungselite. Unter dem Begriff Digital Divide wird zudem dis- Wissenskluft <?page no="119"?> 120 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M kutiert, ob die Wissensklüfte in der Bevölkerung durch neue Medien wachsen: Neue Medien - wie das Internet - sind zumindest in der Anfangsphase Medien der Mittel- und Oberschicht; weltweit haben vor allem Menschen aus Industrienationen Zugangsmöglichkeiten zu neuen Medien. Allerdings ist noch nicht hinreichend untersucht, ob der Zugang zum Internet auch tatsächlich einen Wissenszuwachs beim Nutzer zur Folge hat. Das ist mit Sicherheit auch situations- und interessenabhängig. • Reaktorunfälle, Naturkatastrophen, Chemieunfälle, Flugzeugabstürze, Rinderwahnsinn, Vogelgrippe, Gammelfleisch - dies sind Beispiele für die Thematisierung von gesellschaftlichen Risiken in den Massenmedien. Ging es früher hauptsächlich um Gefahren, die von Großtechnologien ausgehen, zählen heute auch Gesundheits- und Ernährungsgefahren zum Feld der so genannten Risikokommunikation. Die Wirkungsforschung geht davon aus, dass die Berichterstattung Einfluss auf die Wahrnehmung und Einschätzung von Risiken in der Bevölkerung hat. Als Indiz gilt die unterschiedliche Risiko-Einschätzung durch Experten und Laien: Laien stufen Risiken individueller Entscheidungen als eher gering ein, die Risiken gesellschaftlicher Entscheidungen, über die permanent berichtet wird, dagegen als hoch. So werden in Umfragen Risiken durch beispielsweise Umweltverschmutzung, Kernenergie oder genveränderte Lebensmittel meist höher eingeschätzt als Risiken durch Rauchen, wenig Bewegung, Alkohol oder fettes Essen. Letztere Punkte sind zwar tatsächlich wesentlich häufigere Todesursachen, aber die Medien berichten nicht so häufig und drastisch darüber: Über seltene Ereignisse wird häufig berichtet, über häufige selten ( → vgl. zu den Selektionskriterien des Journalismus Kap. 5.3; S. 198 - 205 ). Bei der Risikoeinschätzung gibt es indes viele Einflussfaktoren, weshalb eindeutige Schlussfolgerungen - wie die These, die Medien seien schuld an einer angeblichen Technikfeindlichkeit - hoch umstritten sind. Weiteres Beispiel ist die Berichterstattung über BSE, Sars, Vogelgrippe und Co.: Noch im November 2005 fühlten sich fünf Prozent der Deutschen durch Vogelgrippe persönlich gefährdet - drei Monate später waren es schon 20 Prozent. In der Hochphase der BSE-Berichterstattung Anfang 2001 fühlten sich 54 Prozent durch BSE persönlich gefährdet (Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 7001, 7081 und 7087) - heute redet niemand mehr von Vogelgrippe und BSE. Journalismus in pluralistischen Demokratien beschreitet nicht nur bei Risikothemen, sondern auch bei vielen politischen Themen eine Gratwanderung zwischen einerseits der Aufdeckung von Missständen und gesellschaftlichem Frühwarnsystem und andererseits einer Hysterisierung und übertriebenen Skandalierung. Risikokommunikation <?page no="120"?> W I R K U N G D E S J O U R N A L I S M U S 121 Wirkung und Verantwortung Die Tatsache, dass Wirkungen des Journalismus nicht immer und grundsätzlich eindeutig empirisch belegt werden können, kann keine Ausrede für verantwortungslosen Journalismus sein. Ethische Kriterien des Journalismus ( → vgl. Kap. 7.2; S. 244 - 255 ) gründen in der Regel auf vermuteten und bewiesenen Wirkungen des Journalismus. Schlechte Recherche oder überzogener Skandaljournalismus zum Beispiel kann das Leben von betroffenen Menschen zerstören, sensationeller Ratgeber-Journalismus kann nicht erfüllbare Hoffnungen wecken oder Hysterie schüren. So ist es zum Beispiel traurige Regel, dass nach »Krebs-Wundermittel«-Meldungen die Beratungstelefone im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg nicht still stehen. Auch an der Imagebildung sind Medien beteiligt: Bevölkerungsgruppen zum Beispiel werden in einer bestimmten Art und Weise durch Journalismus dargestellt - was ihr Prestige fördert oder senkt. Dies betrifft auch und vor allem den Journalismus selbst, denn Journalisten kennt man kaum persönlich, sondern aus den Medien (vgl. Abb. 3.7): In der Berufsprestige-Skala des Instituts für Demoskopie Allensbach liegt die Wertschätzung von Journalisten immer recht niedrig im Vergleich mit anderen Berufen: Nur zwischen zehn und 17 Prozent der Deutschen hatten in den vergangenen Jahren hohe Achtung vor dem Beruf des Journalisten (Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 7007, 7071 und 10067). Weniger das Prestige, sondern vielmehr Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind indes wesentliche Grundlagen des Journalismus ( → vgl. Kap. 1.1.1; S. 14 - 15 ). Doch auch damit ist es nicht weit her: Mehr als drei Viertel der Deutschen vertrauen Ärzten, Polizisten und Lehrern - Journalisten nur 31 Prozent (Quelle: GfK-Vertrauensindex 2006). Damit liegt Deutschland in Europa am Ende der Skala zusammen mit Italien und Großbritannien. Noch am ehesten vertrauen die Bürger den Journalisten in Rumänien, Polen und Spanien. Es ist allerdings ein grundsätzliches Phänomen, dass in Ländern mit wenig Kommunikationsfreiheit größeres Vertrauen in die Medien gesetzt wird als in freiheitlich-pluralistischen Demokratien mit hohen Bildungstandards und entsprechend kritischer Skepsis gegenüber Institutionen wie Politik und Medien ( → vgl. Kap. 2.3.2; S. 94 - 95 ). Vertrauen Starke Medienwirkungen können nur bei Extremereignissen beobachtet werden. Die alltägliche Wirkung des Journalismus ist komplex, hängt von vielen Faktoren ab und lässt sich nicht ohne weiteres von der Wir- Zusammenfassung <?page no="121"?> 122 J O U R N A L I S M U S U N D S E I N P U B L I K U M kung fiktionaler Unterhaltungsformate oder von Werbewirkung trennen. Neuere empirisch geprüfte Theorien konzentrieren sich auf die Frage, unter welchen Bedingungen es zu bestimmten Effekten kommen kann. Man weiß inzwischen zum Beispiel, dass die Medien die Themen bestimmen, über die sich die Menschen unterhalten und zu denen sie sich Gedanken machen (Agenda Setting), oder dass die Medien die Risiko-Einschätzung beeinflussen und Wissensklüfte in der Gesellschaft verstärken. Der Prozess der Meinungsbildung ist allerdings schwieriger zu fassen: Er kann beispielsweise als Priming, als Schweigespirale oder als Bandwagon-Effekt theoretisch beschrieben werden. Arzt 82 Krankenschwester 67 Lehrer 42 Handwerker 41 Ingenieur 33 Hochschulprofessor 33 Rechtsanwalt 29 Pfarrer, Geistlicher 28 Unternehmer 25 Polizist 22 Botschafter, Diplomat 20 Journalist 17 Spitzensportler 14 Offizier 9 Buchhändler 6 Politiker 6 Banker, Bankangestellter 4 Fernsehmoderator 4 Abb. 3.7 | Berufsprestige-Skala: Frage: »Hier sind einige Berufe aufgeschrieben. Könnten Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Achtung haben? « (Bevölkerung ab 16 Jahren in Prozent). (Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 10067, Februar 2011) <?page no="122"?> W I R K U N G D E S J O U R N A L I S M U S 123 Literatur Es gibt mehrere Lehrbücher zur Wirkungsforschung. Empfehlenswert sind die Bücher von Michael Jäckel und Heinz Bonfadelli/ Thomas N. Friemel. Einen übersichtlichen Einstieg in die komplexen Zusammenhänge der Wirkungsforschung gibt Hans-Bernd Brosius im Aufsatz »Medienwirkung«. Das Handbuch zur Medienwirkungsforschung, das Wolfgang Schweiger und Andreas Fahr 2013 erstmals herausgegeben haben, bietet einen umfassenden, aktuellen und gut strukturierten Überblick über die Forschung. Zahlreiche Forschungen zur Wirkung des Journalismus hat der Mainzer Forscher Hans Mathias Kepplinger durchgeführt. Wenn man sich auf seine These einlässt, dass Journalismus die Wirklichkeit oft verzerrt wiedergibt, sind seine Bücher und Aufsätze über Technikfeindlichkeit und die Skandalierung und Demontage der Politik durch den Journalismus erhellend und lesenswert (z. B. »Die Mechanismen der Skandalierung«). 1 Warum sind die Wirkungen des Journalismus schwer zu analysieren? 2 Beschreiben Sie die zwei zentralen Methoden der empirischen Wirkungsforschung. 3 Welche Theorien sind mit Agenda Setting, Schweigespirale und Wissenskluft gemeint? 4 Diskutieren Sie mögliche Gründe, warum das Berufsprestige der Journalisten so schlecht ist. Übungsfragen zu Kapitel 3.3 <?page no="124"?> 125 125 Medienorganisationen Medien und Massenkommunikation Der Begriff »Medien« leitet sich aus dem Lateinischen (medium = Mittel) ab und wird im Alltag als Sammelbegriff für die verschiedenen aktuellen Massenmedien verwendet. Die Kommunikations- und Medienwissenschaft tut sich allerdings mit einer eindeutigen Definition schwer, weil Medien sehr vielschichtig sind und sie sich aufgrund technischer Entwicklungen und sozialen Gebrauchs immer wieder wandeln. Die Journalistik unterscheidet grundsätzlich zwischen einem technischen und einem institutionellen Medienbegriff (vgl. z. B. Pürer 2003: 208 - 213; Neuberger 2003: 18 - 29; Burkart 2002; Kiefer 2010): • Technisch kann man Medien (Beispiele im Folgenden in Klammern) als Printmedien (Zeitung, Zeitschrift, Buch) oder Funkmedien (Hörfunk, Fernsehen) definieren oder die so genannten neuen Medien als multimediale Medien (Internet, CD-ROM, iPod). Auch der Begriff audiovisuelle Medien hat sich eingebürgert (für Radio, Fernsehen, Film, DVD). Man kann auch unterscheiden zwischen Speichermedien (Zeitung, Zeitschrift, Buch, DVD, Internet) und flüchtigen Medien (Radio, Fernsehen) oder zwischen linearen (Radio, Fernsehen) und nicht-linearen Medien (Internet, aber auch Zeitung, Zeitschrift, Buch). Technisch gesehen sind Medien Produktions- und Übertragungssysteme, die | 4 Inhalt 4.1 Medien und Massenkommunikation 4.2 Organisationsformen und Ökonomie der Massenmedien 4.3 Medienlandschaft Deutschland: Basisdaten 4.4 Exkurs: Österreich und Schweiz 4.5 Redaktionsorganisation | 4 .1 technischer Medienbegriff <?page no="125"?> 126 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N den Menschen helfen, die Grenzen der direkten Kommunikation zu überwinden: Ein Sender erreicht die Massen als Empfänger über Zeit und/ oder Raum hinweg. • Ein allein technisches Medienverständnis berücksichtigt indes nicht, dass Medien ohne Menschen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen nicht möglich sind: Das technische Potenzial eines Mediums wird erst im sozialen Gebrauch genutzt. Die Kommunikationswissenschaft definiert deshalb Medien als Doppelnatur von technischen und institutionellen Systemen: Mit den institutionellen Systemen sind die Medienorganisationen gemeint, die Medieninhalte produzieren und vertreiben - und damit bestimmte gesellschaftliche Funktionen erfüllen (z. B. im Journalismus Information, Meinungsbildung, Kritik und Kontrolle). Sie unterliegen gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Regeln ( → vgl. zum Mediensystem Kap. 2.3; S. 83 - 96 ). Gedrucktes Papier wird zum Beispiel erst dadurch zum institutionellen Medium Zeitung, dass es regelmäßig und regelhaft produziert und gelesen wird und dass die Medienorganisationen, die dahinterstecken, ökonomische und redaktionelle Strategien verfolgen und damit Massenpublika erreichen. Traditionell sind Medieninhalte an eine bestimmte Übermittlungsform gebunden: Ein Zeitungsbeitrag wird in einer bestimmten Ausgabe gedruckt, ein Fernsehbeitrag in einer Sendung gesendet (und das war’s dann). Diese Bindung zwischen Inhalt und technischem Medium löst sich in der digitalen Medienwirtschaft zunehmend auf: Beiträge liegen digitalisiert vor, können mehrfach umgebaut und verwertet werden. Weil Medienorganisationen inzwischen häufig mehrere technische Medien zur Verbreitung der Inhalte einsetzen - und nicht mehr nur eine Zeitung drucken oder ein Fernsehprogramm senden - wird der technische Medienbegriff immer problematischer. Ist eine Zeitung zum Beispiel nur eine Zeitung, wenn sie gedruckt vorliegt (als newspaper), oder auch, wenn ihre Inhalte (die news) als Website, als pdf zum selbst Ausdrucken, als e-paper oder »App« auf mobilen Endgeräten verbreitet werden? Aufgrund dieser Begriffsproblematik wurden neue Begriffe aus dem Englischen übernommen: Plattform (platform) oder Ausspielkanal (channel) meinen nun die jeweilige technische Grundlage, auf der Kommunikation stattfindet und auf der digitalisierte Inhalte verbreitet werden. Eine solche digitale Plattform ist zum Beispiel das Internet oder das Mobiltelefon. Dort können mehrere bislang getrennte Medienformen zusammengeführt werden (Text, Bild, Audio und Video) ( → vgl. zu Digitalisierung und Konvergenz Kap. 7.3; S. 261 - 262 ). Journalismus nutzt die Medien der aktuellen Massenkommunikation, die sich öffentlich, indirekt und einseitig an ein disperses Publiinstitutioneller Medienbegriff Digitalisierung Plattform oder Ausspielkanal <?page no="126"?> M E D I E N U N D M A S S E N K O M M U N I K A T I O N 127 kum wendet (Maletzke 1963: 76). Mit Internet und mobilen Plattformen verschwimmen indes die Grenzen zwischen dieser institutionellen Massenkommunikation und einer Individualkommunikation. Im Internet findet neben der Massenkommunikation (one to many) auch nicht-öffentliche und zweiseitige Kommunikation zwischen Individuen statt (one to one) oder auch öffentliche und nicht-öffentliche Gruppenkommunikation (many to many) ( → vgl. zur Nutzung des Internet Kap. 3.2; S. 111 - 112 ). Im Internet können sich Nutzer zum einen einfacher an institutioneller Massenkommunikation - also z. B. an journalistischen Websites - beteiligen (z. B. mit Textkommentaren, Bewertungen von Beiträgen, eingesandten Fotos und Videos - allgemein gesagt: dem so genannten User Generated Content UGC oder partizipativem Journalismus). Zum anderen können sie selbst auf persönlichen Websites Text und Foto (Weblogs) oder Audio und Video (Podcasts) veröffentlichen. Diese Beiträge können dann über die Vernetzungsmöglichkeiten der »Blogosphäre« (RSS-Feeds, Ping und Trackback) ein Massenpublikum erreichen. So hat die Journalistin und Podcasterin Larissa Vassilian unter dem Pseudonym Annik Rubens Anfang 2007 nach eigenen Angaben pro Audio-Folge rund 10.000 Hörer (www.schlaflosinmuenchen.com). Eine andere neue Medienform ermöglicht die Nachrichtenaufbereitung durch Nutzer nach dem Prinzip der Wikipedia (Wiki-Prinzip): An www.readers-edition.de oder de.wikinews.org kann sich jeder beteiligen. Vorbild ist das südkoreanische Webportal ohmynews.com, das inzwischen Ableger und Nachahmer in aller Welt hat - und vor allem in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit Erfolge feiert. Die neuen kollaborativen Kommunikationsformen im Internet werden mit dem Begriff Social Software zusammengefasst. Damit sind alle Anwendungen im Internet gemeint, die der sozialen Interaktion und menschlichen Zusammenarbeit in Netzwerken dienen. Am stärksten zeigt sich die Verwischung zwischen (eigentlich privater) individueller und (öffentlicher) Massenkommunikation in sozialen Netzwerken - wie dem Mikroblogging-Dienst T WITTER oder Websites wie F ACEBOOK , S TUDI VZ oder X ING . Wenn die auf diese Art zustande gekommenen Beiträge einen aktuellen Bezug zur Gesellschaft haben, spricht man auch von Citizen Journalism (»Bürgerjournalismus«). Umstritten ist, ob Blogs, Podcasts, Wikis und soziale Netzwerke auch als institutionelle Medien - oder generell auch als »Journalismus« - gelten können. Dies hängt davon ab, ob sie bestimmte gesellschaftliche Funktionen erfüllen und ein Massenpublikum erreichen ( → vgl. zum Kommunikationsmodell der Internetöffentlichkeit und zur Zukunft des Journalismus Kap. 7.3; S. 258 - 260 ). User Generated Content Social Software Citizen Journalism <?page no="127"?> 128 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Literatur Grundlegende Überblicke über die Debatte zum Medienbegriff finden sich in Heinz Pürers Handbuch zur Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (208 - 213) oder im Beitrag von Roland Burkart zu den Fragen »Was ist Kommunikation? Was sind Medien? «. Wer sich über aktuelle Entwicklungen neuer Kommunikationsformen im Internet informieren will, kommt um eine gezielte Internet-Recherche und um eine Suche in aktuellen Beiträgen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften nicht herum, weil dazu gedruckte Handbücher und Studien schnell veralten. Eine solide Basis bieten dafür aber die beiden Sammelbände, die Ansgar Zerfaß, Martin Welker und Jan Schmidt herausgegeben haben. Die Journalistik definiert Medien als Doppelnatur von technischen und institutionellen Systemen. Medien sind nicht nur Übertragungskanal, sondern auch Organisationen mit gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Regeln. Durch die Digitalisierung löst sich die Verbindung von Medieninhalt und Übermittlungsform. Auf digitalen Plattformen wie dem Internet oder dem Mobiltelefon werden bislang getrennte Medienformen (Text, Bild, Audio, Video) zusammengeführt. Die alten Vorstellungen und Begriffe von Einzelmedien können diese Entwicklung nicht mehr erfassen. Die Grenzen zwischen Massen- und Individualkommunikation verschwimmen - ebenso die Grenzen zwischen Produzenten und Rezipienten. Zusammenfassung 1 Erklären Sie die Doppelnatur von Medien als technische und institutionelle Systeme. 2 Fassen Sie die erwähnten Konsequenzen der Digitalisierung für Medieninhalte, Massen- und Individualkommunikation zusammen. 3 Diskutieren Sie, was Blogs, Podcasts und Wikis vom Journalismus unterscheidet und was sie gemeinsam haben. Übungsfragen zu Kapitel 4.1 <?page no="128"?> O R G A N I S A T I O N S F O R M E N U N D Ö K O N O M I E D E R M A S S E N M E D I E N 129 Organisationsformen und Ökonomie der Massenmedien Wie bereits in Kapitel 2.3 beschrieben, sind in pluralistischen Demokratien die Mediensysteme durch ein Miteinander von privatwirtschaftlicher Presse, öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privat-kommerziellem, aber öffentlich beaufsichtigtem Rundfunk gekennzeichnet. Die Autonomie und die Vielfalt der Medienanbieter und -inhalte sind entscheidend für einen demokratischen Informationsfluss und Meinungsbildungsprozess. Privatwirtschaftlich und öffentlich-rechtlich Grundsätzlich können zwei Formen der Organisation von Massenmedien unterschieden werden (vgl. u. a. Pürer 2003: 228 - 229): • Privatwirtschaftliche Medienorganisationen sind kommerziell geführte Unternehmen. Dazu gehören die Printmedien und der privatwirtschaftliche Rundfunk. Angebot und Nachfrage des freien Markts entscheiden über Erfolg und Misserfolg. Auf zwei Märkten werden Erlöse erzielt: dem Anzeigenmarkt und - wenn die Produkte nicht gratis vertrieben werden - dem Publikumsmarkt. Zeitungen und Zeitschriften sind häufig gemischt finanziert (mit Ausnahme von Anzeigenblättern und Gratiszeitungen), Radio und Fernsehen oft ausschließlich über Werbung (mit Ausnahme des Pay-TV). Wirtschaftlicher Erfolg ist eng mit hohen Reichweiten und Auflagen verbunden, weshalb vor allem bei privat-kommerziellem Radio und Fernsehen die Tendenz zur Massenorientierung besteht. Zeitungen und Zeitschriften agieren mit einer geringen gesellschaftlichen Kontrolle (jeder darf eine Zeitung oder Zeitschrift gründen und verbreiten). Privat-kommerzielle Radio- und Fernsehsender werden durch die Landesmedienanstalten zugelassen und kontrolliert (vgl. www.alm. de), weil sie nicht ausschließlich dem Markt überlassen werden sollen. Medienvielfalt in der Gesellschaft soll bei privatwirtschaftlichen Medienangeboten durch eine Vielzahl von Anbietern sichergestellt werden (außenplurales Modell). • Öffentlich-rechtliche Medienorganisationen sind vor allem Rundfunkanstalten, die Radio und Fernsehen sowie Multimedia-Angebote auf digitalen Plattformen ausspielen. Sie unterliegen einer gesellschaftlichen Kontrolle: Die Kontrollorgane - in der Regel die Rundfunk-, Fernseh- oder Medienräte - sind pluralistisch mit Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen besetzt. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sollen wirtschaftlich unabhängig sein, weshalb | 4 .2 Autonomie und Vielfalt | 4 .2.1 Außenpluralität Binnenpluralität <?page no="129"?> 130 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N sie mit einem allgemeinen Rundfunkbeitrag und nur zu einem kleinen Teil über Werbung finanziert werden. Sie sind auf Grundlage der Rundfunkgesetze der Vielfalt, der Ausgewogenheit und einem Programmauftrag verpflichtet (Information, Bildung, Beratung, Unterhaltung). Das Ideal dieses binnenpluralen Modells sieht öffentlich-rechtliche Anstalten als Kollektivgut - als »unser aller Rundfunk«. Öffentlich-rechtliche Medienorganisationen laufen allerdings Gefahr, dass sie sich im Laufe der Jahrzehnte zu bürokratischen und unflexiblen Großorganisationen entwickeln, die sich mit Innovationen schwertun. Weil sie von allen Hörern und Zuschauern Gebühren erhalten, müssen sie sich über Einschaltquoten legitimieren und sich zumindest zu einem Teil am Massengeschmack orientieren. Zudem versuchen Regierungen und Parteien, über Beteiligungen an den Kontrollgremien und die Mitsprachemöglichkeiten bei der Festlegung der Gebührenhöhe die Programminhalte und die Besetzung von Leitungspositionen zu beeinflussen (vor allem von Intendanten und Chefredakteuren). Die Zusammensetzung der Rundfunkräte wird immer wieder diskutiert, weil sich die entsprechenden Gesetze an der Gesellschaft der 50er-Jahre orientieren, als die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gegründet wurden. So sitzen zum Beispiel im Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks nur fünf Frauen und 25 Männer; Schüler und Studenten sind nicht vertreten - dagegen u. a. Vertreter der Vertriebenen, der Bauern, der Gewerkschaften, der Kirchen und des Landtags. Zeitungen und Zeitschriften sind in Deutschland privatwirtschaftlich und außenplural organisiert. Nach den ersten Verlagskonzentrationen ( → vgl. Kap. 4.2.3; S. 138 - 140 ) gab es in den 60er und 70er-Jahren Vorschläge, sie einer stärkeren gesellschaftlichen Kontrolle und Mitbestimmung zu unterwerfen und damit eine gewisse Binnenpluralität in Verlagsstrukturen einzuziehen (z. B. mit »Zeitungsräten« oder »Landes-Presseausschüssen«, vgl. Glotz/ Langenbucher 1993/ 1969: 192 - 212). Doch die Verleger setzten sich durch und behielten nicht nur die Kontrolle über ihre Presseunternehmen - sie erhielten in den 80er-Jahren sogar Beteiligungsmöglichkeiten am entstehenden privatwirtschaftlichen Rundfunk. Mit der Kabel- und Satellitentechnik war die Frequenzknappheit zu Ende und die Begründung für ein allein binnenplurales Modell im Rundfunk nicht mehr gegeben. Mit dem Start von SAT.1 im Januar 1984 begann das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Programmen. Das so genannte Duale Rundfunksystem war geboren. Auch im Rundfunkbereich hielt nun die Zielsetzung Einzug, Gewinne am Markt zu erzielen. Allerdings spannte das Bundesverfassungsgericht in mehreren Rundfunk-Urteilen den recht- Duales Rundfunksystem <?page no="130"?> O R G A N I S A T I O N S F O R M E N U N D Ö K O N O M I E D E R M A S S E N M E D I E N 131 lichen Rahmen für eine möglichst große Autonomie und für eine Vielfaltssicherung auf (vgl. Ronneberger 1989): Die Öffentlich-Rechtlichen haben demnach eine »Grundversorgung« sicherzustellen - die privatwirtschaftlichen sind nicht so frei wie im Pressemarkt, sondern unterliegen bestimmten gesetzlichen Beschränkungen und gesellschaftlicher Kontrolle. Die Kontrollorgane der Landesmedienanstalten sind ähnlich wie die Rundfunkräte aus Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen zusammengesetzt. Der Doppelcharakter privatwirtschaftlicher Medienorganisationen Privat-kommerzielle Medienunternehmen betreiben also einerseits ein Geschäft: Ihr Ziel ist es, Profit in einem freien Wettbewerb um Publikum und Werbung zu erzielen. Andererseits sind sie ein Teil der »Infrastruktur der Öffentlichkeit (und der Demokratie)« (Altmeppen 2006: 181). Sie unterliegen publizistischen Normen ( → vgl. Kap. 7.1 und 7.2; S. 233 - 255 ) und den Vorstellungen von möglichst großer Vielfalt. Der Doppelcharakter von Privatbesitz und Gewinnstreben auf der einen Seite und öffentlicher Aufgabe auf der anderen führt zu einem Spannungsfeld, das schon lange diskutiert wird. Karl Bücher (1847 - 1930), Redakteur der F RANKFURTER | 4 .2.2 Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten finanzieren sich im Schnitt zu 93 Prozent aus Gebühren und zu sieben Prozent aus Werbung - wobei der Anteil der Gebührenfinanzierung kontinuierlich zunimmt. Ein Teil der Rundfunkgebühren fließt in die Landesmedienanstalten, die den privatwirtschaftlichen Rundfunk beaufsichtigen. Zu den in der Tabelle genannten Beträgen kommen noch Erlöse aus anderen Quellen, zum Beispiel aus dem Verkauf von Programmen ins Ausland (Summen in Millionen Euro). 1995 2000 2005 2011 Rundfunkgebühren gesamt 4.666 5.918 7.083 7.490 Rundfunkgebühren Hörfunk 1.789 2.225 2.642 2.807 Rundfunkgebühren Fernsehen 2.877 3.693 4.441 4.682 davon an die ARD 3.727 4.496 5.082 5.341 davon an das ZDF 846 1.303 1.681 1.814 davon an die Landesmedienanstalten (Index) 93 118 136 142 Werbeumsatz Hörfunk ARD (netto) 219 226 237 247 Werbeumsatz Fernsehen ARD (netto) 154 193 158 154 Werbeumsatz ZDF (netto) 176 179 102 128 | Abb. 4.1 Erlösstrukturen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (Quelle: Media Perspektiven Basisdaten 2003, 2006, 2009, 2012) <?page no="131"?> 132 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Z EITUNG , später Professor für Nationalökonomie an der Universität Leipzig und Gründer des ersten Instituts für Zeitungskunde in Deutschland, geißelte in vielen Streitschriften die Zustände des Pressewesens in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Kritik von Karl Bücher bringt die Janusköpfigkeit privat-kommerzieller Medien auf den Punkt - auch wenn ihm heute so mancher Verleger heftig widersprechen würde. Vor allem mittelständische Verleger und Verlage im Familienbesitz reklamieren für sich auch publizistische Ziele - und nicht nur ökonomische. Die Problematik verschärfte sich allerdings mit der Einführung privaten Rundfunks: Seit den 80er-Jahren spricht man in der Bundesrepublik Deutschland von einer »Kommerzialisierung« der Medien - und mahnt an, dass Medien eigentlich »meritorische Güter« sind. Janusköpfigkeit »Der redaktionelle Teil ist bloßes Mittel zum Zweck. Dieser besteht allein in dem Verkauf von Anzeigenraum; nur um für dieses Geschäft möglichst viele Abnehmer zu gewinnen, wendet der Verleger auch dem redaktionellen Teile seine Aufmerksamkeit zu und sucht durch Ausgaben für ihn seine Beliebtheit zu vergrößern. Denn je mehr Abonnenten, um so mehr Inserenten. Sonst aber ist der redaktionelle Teil nur ein lästiges kostensteigerndes Element des Betriebes und wird nur deshalb mitgeführt, weil ohne ihn Abonnenten und in deren Gefolge Inserenten überhaupt nicht zu haben wären. ›Öffentliche Interessen‹ werden in der Zeitung nur gepflegt, soweit es den Erwerbsabsichten des Verlegers nicht hinderlich ist.« (Quelle: Bücher 1921; erneut gedruckt in Bücher 1981: 219) Zitat Kommerzialisierung Der Begriff der »Kommerzialität« bedeutet ein auf Gewinn bedachtes Handeln eines Unternehmens - also selbstverständliche Kaufmannspflicht. In der Logik marktwirtschaftlicher Ordnung dient ein Kaufmann dem Wohle aller, wenn er möglichst marktfähige Produkte herstellt und damit im Eigeninteresse hohe Gewinne erzielt (Angebot und Nachfrage). Medien sind in diesem Sinne nichts anderes als Fischstäbchen oder Teigwaren. Medienmärkte unterscheiden sich aber grundsätzlich von anderen Märkten, weil Medien nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Kulturgü- Definition <?page no="132"?> O R G A N I S A T I O N S F O R M E N U N D Ö K O N O M I E D E R M A S S E N M E D I E N 133 Das Konzept der meritorischen Güter ist nicht unumstritten. Denn diese Theorie könnte auch von einem »wohlwollenden Diktator« missbraucht werden, der vorgeblich besser weiß, was den Menschen guttut. Das gesellschaftlich Wünschenswerte muss deshalb demokratisch entschieden und kontrolliert werden. Vor allem im Medienbereich sollte staatlicher Einfluss möglichst vermieden werden. Mit dem Argument der Meritorik werden die (Zwangs-)Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begründet - aber auch staatliche Finanzierungen von Medien in westlichen Demokratien ermöglicht: So wird zum Beispiel die Deutsche Welle aus Bundesmitteln finanziert, ist aber gesetzlich verankert kein Staatsrundfunk, sondern gehört mit eigenem Intendanten und Rundfunkrat zum öffentlich-rechtlichen Verbund der ARD. In Österreich unterstützt der Staat mit der Presseförderung die Zeitungsverlage, um die Vielfalt der Presse zu fördern (vgl. das Bundesgesetz über die Förderung der Presse). In den Jahren 2004 bis 2011 erhielten Der Standard und Die Presse die größten Anteile des Kuchens, staatliche Finanzierung ter sind, die eine öffentliche Aufgabe erfüllen und eine gesellschaftlichpolitische Funktion haben (z. B. Information, Meinungsbildung, Kritik und Kontrolle). Die Tendenz, dass die öffentliche Aufgabe dem Gewinnstreben - das Kulturdem Wirtschaftsgut - untergeordnet wird, wird mit dem Begriff »Kommerzialisierung« bezeichnet. Konsequenzen der Kommerzialisierung sind eine billigere Meritorische Güter Über den Marktmechanismus bereitgestellte Güter folgen ausschließlich den Bedürfnissen und Nutzenerwartungen der Komsumenten. Wenn diese Konsumentenpräferenzen »verzerrt« sind - zum Beispiel weil es sich um Vertrauensgüter handelt, die von vornherein nicht umfassend beurteilt werden können, oder um Kulturgüter, die nicht automatisch massenhaft nachgefragt werden - dann spricht man von »meritorischen Gütern« (englisch: »merit wants«): Sie sind grundsätzlich gesellschaftlich erwünscht, würden aber in einem freien Markt nur ungenügend produziert und konsumiert. Typische meritorische Güter sind Gesundheit, Bildung oder allgemein die Sozialversicherung - aber auch journalistische Medienprodukte werden als meritorische Güter angesehen (nach Kiefer 2001: 136 - 139). Definition <?page no="133"?> 134 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N der insgesamt rund neun Millionen Euro groß ist (vgl. www.statistik. at). In Frankreich betragen die direkten staatlichen Subventionen für die Presse sogar 280 Millionen Euro (vgl. Ollrog 2007). Der (politische und inhaltliche) Einfluss der Regierung und der Parteien auf die Medienlandschaft durch solche Finanzierungsmodelle wird immer wieder diskutiert - in Österreich wie in Deutschland. In Frankreich kommt hinzu, dass die Subventionen Verlage und Redaktionen von längst fälligen Innovationen abhalten. Neue Modelle der öffentlichen Finanzierung des Journalismus werden in jüngster Zeit auch in Deutschland immer wieder diskutiert. Dabei geht es nicht mehr in erster Linie um eine direkte Finanzierung der Medienunternehmen (also der Presseverlage), sondern um eine Unterstützung von Journalisten und journalistischer Redaktionen, zum Beispiel mit Recherchestipendien und Weiterbildung. So hat die von SPD und Grünen geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 2013 den Entwurf für ein neues Landesmediengesetz vorgelegt, mit dem durch eine Stiftung Vielfalt und Partizipation im Journalismus gefördert werden sollen. In den USA gibt es eine Reihe von großen (privat gegründeten) Stiftungen, die sich um Journalismusförderung kümmern - zum Beispiel die Knight Foundation, deren Ziel es unter anderem ist, „to help sustain democracy by leading journalism to its best possible future in the 21st century“ (www.knightfoundation.org). Erlösmodelle privatwirtschaftlicher Medien Die zwei grundsätzlichen Erlösmodelle privatwirtschaftlicher Medien haben wir schon kurz erwähnt. Neuerdings kommen neue Möglichkeiten hinzu - vor allem mit digitalen Plattformen wie dem Internet, der mobilen Kommunikation oder dem digitalen Fernsehen. Im Wesentlichen können folgende Finanzierungsformen für Medien, die journalistische Inhalte produzieren, aggregieren und vertreiben, unterschieden werden: • Verkauf ans Publikum: Zeitungen und Zeitschriften können im Abonnement oder im Einzelverkauf am Kiosk (Boulevard) vertrieben werden. Beim Bezahlfernsehen (Pay-TV) wird ein ganzes Programmpaket verkauft, ein einzelner Kanal (pay per channel) oder eine einzelne Sendung (pay per view). Diese zwei letztgenannten Formen wurden für den Verkauf journalistischer Produkte im Internet übernommen: das Abonnement einer ganzen Website oder der Kauf eines einzelnen aktuellen oder archivierten Beitrags (micro payment). Allerdings ist es schwierig, im Internet zahlendes Publikum für journalistische Inhalte zu bekommen, weil sich eine »Kostenloskultur« durchgesetzt neue Modelle der Journalismusförderung Abo oder Einzelverkauf <?page no="134"?> O R G A N I S A T I O N S F O R M E N U N D Ö K O N O M I E D E R M A S S E N M E D I E N 135 hat: Gerade bei allgemeinen Informationen findet sich immer ein Anbieter, der die gleichen oder ähnliche Informationen umsonst zur Verfügung stellt. Mit den so genannten Apps (»Applikationen«) für Plattformen wie iPhone oder iPad hoffen viele Verleger seit 2009/ 2010 die Zahlungsbereitschaft der Nutzer auch für digitale Inhalte zu steigern. Auch das Bezahlfernsehen hat es in Ländern schwer, in denen viele Free TV-Kanäle angeboten werden wie in Deutschland. • Der Verkauf von Werbefläche unterliegt schon immer stark konjunkturellen Schwankungen: Wenn es der Wirtschaft gut geht, gehen die Werbeeinnahmen nach oben - und umgekehrt. Hinzu kommen inzwischen allerdings massive Umbrüche. Nach dem Allzeithoch im Jahr 2000 sind die Werbeeinnahmen der aktuellen Massenmedien im Zuge der Krise der »New Economy« und einer allgemeinen Konjunkturschwäche stark zurückgegangen (vgl. Abb. 4.2). Vor allem die Tageszeitungen mussten erhebliche Einbußen in Kauf nehmen (von 6,5 Milliarden auf 4,4 Milliarden Euro in fünf Jahren). Im Jahr 2010 überholte das Fernsehen die Tageszeitungen, die seit Beginn der Statistik immer vor allen anderen Medien waren. Hauptgrund für die Verluste ab dem Beginn des Jahrtausends ist die Abwanderung der Anzeigenmärkte ins Internet (u.a. Auto-, Wohnungs- und Jobanzeigen). Die Werbeeinnahmen im Internet sind von Jahr zu Jahr massiv gestiegen und kamen 2012 zum ersten Mal über eine Milliarde Euro. Das Werbevolumen insgesamt nimmt seit 2000 indes kontinuierlich Werbeflächen Entwicklung der Werbeeinnahmen in Deutschland In der Tabelle sind bei Fernsehen und Hörfunk die Werbeeinnahmen von privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Sendern zusammengefasst. In der Gesamtsumme in der letzten Zeile sind weitere Werbeträger enthalten (z. B. Anzeigenblätter, Fachzeitschriften, Filmtheater). (Quelle: Jahrbücher des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW); vgl. auch www.zaw.de) | Abb. 4.2 Werbeträger 2000* Veränderung gegenüber dem Vorjahr 2005* Veränderung gegenüber dem Vorjahr 2012* Veränderung gegenüber dem Vorjahr Tageszeitungen 6.557 + 8,1 % 4.418 - 1,9 % 3.233 - 9,1 % Fernsehen 4.709 + 9,1 % 3.930 + 1,8 % 4.051 + 1,8 % Publikumszeitschriften 2.247 + 12,0 % 1.791 - 2,6 % 1.281 - 11,1 % Hörfunk 733 + 6,1 % 664 + 7,4 % 720 + 1,5 % Online-Angebote 153 + 100 % 332 + 22,5 % 1.079 + 9,0 % Gesamt 23.376 + 7,1 % 19.775 + 1,0 % 18.420 - 3,2 % * Angaben in Millionen Euro <?page no="135"?> 136 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N ab und befand sich 2012 mit 18,4 Milliarden Euro unter dem Niveau von 1995. Bezahlte Medieninhalte müssen von redaktionellen Inhalten strikt getrennt und klar gekennzeichnet werden, wobei es immer wieder Versuche gibt, diese Trennungsnorm zu unterlaufen, was die Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt (Baerns 2004). Eine der Werbung verwandte Finanzierungsform ist das Sponsoring: Eine Sponsor unterstützt zum Beispiel eine Fernsehsendung und wird vorher und nachher kurz eingeblendet (Sportübertragungen im Fernsehen werden z. B. häufig von Brauereien gesponsert). Sponsoren dürfen genauso wie Anzeigenkunden keinen Einfluss auf die redaktionellen Inhalte nehmen. • Die Transaktion als dritte Finanzierungsform von Massenmedien wurde mit den Shoppingkanälen des Fernsehens populär (z. B. HSE24 oder QVC). Während beim klassischen Fernsehen noch auf einen anderen Bestellkanal (in der Regel das Telefon) zurückgegriffen werden muss, ist bei digitalen Plattformen wie dem Internet die Transaktion auf der Plattform selbst möglich (E-Commerce). Dies kann zu neuen Trennungsunschärfen bei journalistischen Inhalten führen: Ist es legitim, wenn ein Medienunternehmen neben der Buch-, CD- oder DVD-Kritik gleich eine Bestellmöglichkeit anbietet - und beim Verkauf mitverdient? Eine enge Verbindung zwischen Information/ Nachrichten und Shopping geht zum Beispiel T- ONLINE . DE ein - Kritiker sprechen von einer Versandplattform mit angeschlossener Nachrichtenproduktion. Aber auch außerhalb des Internet nutzen Medienunternehmen immer häufiger ihren Bekanntheitsgrad und ihre Glaubwürdigkeit für Transaktionen: Die S ÜDDEUTSCHE Z EITUNG zum Beispiel verkauft Bücher, CDs, DVDs oder Wein - und wirbt im redaktionellen Teil dafür ganz ungeniert. In Krisenzeiten entwickeln Medienhäuser noch mehr Einnahmequellen: Nach dem Fall des Postmonopols setzen Zeitungsverlage ihre Austräger als Briefzusteller ein. Das Medienhaus Vorarlberg (Firmenimperium Russ) in Österreich bietet neben der Tageszeitung V ORARLBERGER N ACHRICHTEN , Anzeigenblättern und einem Radiosender auch Online- und Telefonanschluss, Strom oder Versicherungen an. Kleinanzeigen- und Transaktionsplattformen, die von großen Medienhäusern im Internet betrieben werden, sind inzwischen weitgehend losgelöst von journalistischen Angeboten. So erzielt der Axel-Springer-Verlag 2013 hohe Erlöse mit Rubrikenportalen wie Immonet, StepStone, Totaljobs oder meinestadt.de - oder mit anderen digitalen Geschäftsmodellen wie idealo, kaufDA und Smarthouse. Damit werden journalistische Angebote wie Welt online mit finanziert. • Der Verkauf von Medieninhalten nicht direkt an das Publikum, sondern an andere Medienhäuser gehört auch zu den Möglichkeiten der Finanzierung journalistischer Redaktionen. Klassisch ist die Produktion Shopping Content syndication <?page no="136"?> O R G A N I S A T I O N S F O R M E N U N D Ö K O N O M I E D E R M A S S E N M E D I E N 137 eines Zeitungsmantels für kleine Verlage, also eines überregionalen Zeitungsteils, in den der jeweilige Lokalteil eingelegt werden kann. Weitere Möglichkeiten sind die Produktion eines Mantelprogramms für kleine Radiosender, der Verkauf von einmal gesendeten Programminhalten an andere Sender - oder das Geschäftsprinzip der Nachrichtenagenturen, die ihre Nachrichten an Redaktionen zum weiteren Gebrauch verkaufen. Seit der Jahrtausendwende wird der Verkauf von digitalisierten Inhalten als Content syndication bezeichnet. Die wesentlichen Finanzierungsformen privatwirtschaftlicher Medien bleiben indes nach wie vor der Verkauf von Medienprodukten ans Publikum und der Verkauf von Werbefläche. Die Mischkalkulationen sind ganz unterschiedlich (vgl. Abb. 4.3). Zwei - sich auf den ersten Blick widersprechende - Trends sind zu beobachten: • Die klassischen Tageszeitungen werden immer mehr über den Vertrieb finanziert. Bis zum Jahr 2000 galt die Faustregel, wonach ein Drittel der Umsätze des Zeitungsgeschäfts über den Vertrieb und zwei Drittel über Anzeigen erzielt wurden. Inzwischen liegen die Zeitungsverlage bei 50: 50. • Die Zahl der Medien, die sich (nahezu) ausschließlich über Werbung finanzieren, nimmt zu. Neben dem privatwirtschaftlichen Rundfunk und den wöchentlichen oder monatlichen Anzeigenblättern ist dies vor allem im Internet der Fall - und in immer mehr Ländern auch auf dem Markt der Tageszeitungen. So erreichen zum Beispiel kostenlose Pendlerzeitungen in Österreich ( H EUTE ) und in der Schweiz ( 20 M INU - TEN ) in den Großstädten höhere Reichweiten als die klassischen Tages- Vertrieb: Anzeigen = 50: 50 kostenlose Pendlerzeitungen Vertrieb Werbung Anzeigenblätter Publikumszeitschriften Fachzeitschriften Öffentlich-rechtlicher Rundfunk (Gebühren) Privatwirtschaftlicher Rundfunk (free) Privatwirtschaftlicher Rundfunk (Pay-TV) Internet Tageszeitungen Gratis-Tageszeitungen | Abb. 4.3 Mischfinanzierung aus Vertrieb und Werbung Die Balken geben das Verhältnis von Vertriebs- und Werbefinanzierung an. Es handelt sich um Schätzungen aufgrund von Angaben der Medienorganisationen und Verbände. <?page no="137"?> 138 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N zeitungen. International größter Anbieter ist das schwedische Unternehmen M ETRO , das im September 2006 in 21 Ländern 70 Ausgaben von Gratis-Pendlerzeitungen herausgab (Haas 2006: 511). Medienkonzentration und Medienmultis Autonomie und Vielfalt als die Hauptkriterien für ein freies Mediensystem wurden bereits mehrfach in diesem Buch benannt ( → vgl. z. B. Kap. 2.3.1; S. 84 - 86 ). Die Gefahr einer Abnahme der Angebotsvielfalt und einer Machtballung liegt in einer unkontrollierten Wirtschaftskonzentration. Dementsprechend gibt es staatliche Regulierungen, die eine allzu große Medienkonzentration verhindern sollen - ob dies allerdings tatsächlich gelingt, wird immer wieder diskutiert. Die horizontale Konzentration traf in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vor allem den Markt der Tageszeitungen - und zwar in einer ersten Konzentrationswelle zwischen den 50er und 70er-Jahren, einer zweiten nach der Wiedervereinigung in den 90er-Jahren und einer sich gerade abzeichnenden dritten Welle, deren Ende nicht abzusehen ist (vgl. Abb. 4.4). Die Daten der Zeitungsstatistik, welche diese Konzentrationsbewegungen belegen, wurden in mühsamer Kleinarbeit jahrzehntelang vom Zeitungsforscher Walter J. Schütz zusammengetragen (vgl. z. B. Schütz 2012). 4 .2.3 | Medienkonzentration Konzentrationsprozesse sind ein Bestandteil des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs: Weniger erfolgreiche Anbieter werden durch erfolgreichere vom Markt verdrängt oder aufgekauft. In der Konsequenz kommt es zu einer allmählichen Verringerung der Zahl der Anbieter. Im Wesentlichen gibt es drei Typen von Medienkonzentration (nach Dreier 2006): (1) Von horizontaler Konzentration spricht man, wenn die beteiligten Unternehmen auf demselben Markt agieren. Wenn zum Beispiel ein Zeitungsverlag einen anderen Zeitungsverlag kauft, sinkt die Zahl der Anbieter und der Marktanteil des Käufers steigt. (2) Mit vertikaler Konzentration ist gemeint, dass ein Medienunternehmen eine vor- oder nachgelagerte Produktionsstufe übernimmt. Wenn zum Beispiel ein Zeitungsverlag eine Druckerei kauft, ein Fernsehsender einen Rundfunksatelliten oder ein Kabelnetzbetreiber die Ausstrahlungsrechte eines Sport-Großereignisses - dann steigt die Marktmacht des Unternehmens, da es leichter über die entsprechen- Definition <?page no="138"?> O R G A N I S A T I O N S F O R M E N U N D Ö K O N O M I E D E R M A S S E N M E D I E N 139 Ähnliche Konzentrationsbewegungen gab es in Österreich (vgl. Melischek/ Seethaler/ Skodacsek 2005): Die Zahl der Publizistischen Einheiten sank von 34 im Jahr 1946 auf 20 im Jahr 1971 - und schließlich auf 13 seit dem Jahr 2004. Auffällig für den Markt der Tageszeitungen in Österreich ist die hohe ökonomische Konzentration auf wenige Großverlage, was besonders im Osten und Westen Österreichs dramatisch ist: In Wien und Niederösterreich beläuft sich der Marktanteil der Mediaprint, zu der die K RONEN Z EITUNG (Boulevard) und der K URIER (Abo) gehören, auf 90 Prozent - im Burgenland hat sie ein Monopol. Ein Quasi-Monopol mit 96 Prozent Marktanteil hält in Vorarlberg das Firmenimperium Russ ( V ORARLBERGER N ACHRICHTEN und N EUE V ORARLBERGER T AGESZEITUNG ). Pressekonzentration in Österreich den Ressourcen verfügen kann und eventuell sogar andere Anbieter behindern könnte. (3) Diagonale Konzentration bezeichnet die Fusion oder Übernahme von Medienunternehmen, die auf unterschiedlichen Märkten agieren. Wenn sich zum Beispiel ein Fernsehsender an einer Zeitung oder Zeitschrift beteiligt oder ein regionaler Zeitungsverlag an einem Lokalradio, steigt insgesamt die Medienmacht dieses Unternehmens. Diese Konzentrationsform wird auch als multimediale oder crossmediale Konzentration oder als Crossownership bezeichnet. Die Zahl der Publizistischen Einheiten und der Zeitungsverlage ging in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland stark zurück. Mit dem Kunstwort »Publizistische Einheit« sind alle Verlage und Ausgaben gemeint, die einen gemeinsamen Mantelteil haben. Im Jahr 2008 gab es in Deutschland demnach 135 Zeitungsmäntel (überregionale Teile), 2012 waren es nur noch 130. Jahr Publizistische Einheiten Verlage als Herausgeber Ausgaben Einzeitungskreise 1954 225 624 1.500 15 % 1976 121 403 1.229 45 % 1989 119 358 1.344 49 % 1989 (DDR) 37 38 291 1991 158 410 1.673 1993: 55 % 2008 135 353 1.515 2004: 58 % 2012 130 333 1.532 59 % | Abb. 4.4 Konzentrationsprozesse auf dem Markt der Tageszeitungen (Quelle: Media Perspektiven Basisdaten; Schütz 2012) <?page no="139"?> 140 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Wesentliche Auswirkung der Pressekonzentration in Deutschland ist die Reduzierung der Medienvielfalt im Lokalen: Die Zahl der Kreise und kreisfreien Städte, in denen es nur eine lokale Tageszeitung - also ein Zeitungsmonopol - gibt, ist auf 59 Prozent im Jahr 2012 gestiegen: In 236 von 402 Landkreisen gibt es nur eine Tageszeitung (Schütz 2012: 586). Allerdings ist umstritten, ob dies tatsächlich eine Einschränkung der inhaltlichen Zeitungsqualität bedeutet: Es gibt in Einzeitungskreisen zwar keine zweite täglich gedruckte öffentliche Plattform und damit keinen Konkurrenzdruck, aber größere Zeitungsverlage können in der Regel größere Redaktionen betreiben, während kleinere nur mühsam ihre Seiten füllen. Letztlich ist gerade im Lokaljournalismus die Vielfalt in den Medien genauso wichtig wie die Vielfalt der Medien - zumal die Menschen ja in der Regel nur eine Zeitung lesen. Dies ist allerdings wieder ein Argument für Binnenpluralität auch bei Tageszeitungen ( → vgl. Kap. 4.2.1; S. 129 - 130 ). Medienmultis Beispiele für diagonale Konzentration (Crossownership) findet man in Deutschland bei den Medienmultis, deren Beteiligungen regelmäßig das Dortmunder FORMATT-Institut recherchiert und veröffentlicht (vgl. z. B. Röper 2006 sowie Media Perspektiven Basisdaten). Dazu zählen die folgenden Medienunternehmen (Beispiele für Beteiligungen in Deutschland jeweils in Klammern, mehr Beispiele in Kapitel 4.3): • Axel Springer Verlag in Berlin: Zum Springer-Konzern gehören ein Dutzend Tages- und Sonntagszeitungen, mehr als doppelt so viele Zeitschriften und Beteiligungen an regionalen Radiosendern ( A NTENNE B AYERN , RADIO FFN ) sowie an diversen Internetaktivitäten. • Die Bertelsmann AG in Gütersloh ist an Tageszeitungen beteiligt ( S ÄCH - SISCHE Z EITUNG ), vor allem aber über das Tochterunternehmen Gruner + Jahr (Hamburg) an mehr als 60 Zeitschriften. 92 Prozent Anteile besitzt die Bertelsmann AG an der RTL Gruppe (Köln), die Fernseh- und Radiosender ( RADIO NRW, RTL RADIO , R ADIO H AMBURG ) betreibt und an Produktionsunternehmen (UFA Filmproduktion) beteiligt ist. • Der Burda-Konzern in Offenburg/ München trägt den offiziellen Namen Hubert Burda Media und ist bekannt für seine mehr als 50 Zeitschriften und Beteiligungen an regionalen Radio- ( A RABELLA , G ONG , FFH ) und Fernsehsendern ( MÜNCHEN . TV , TV A UGSBURG ). • Weitere deutsche Medienmultis sind die Funke Mediengruppe Essen, die bis 2012 WAZ Mediengruppe hieß (vor allem regionale Tageszeitungen), der Holtzbrinck-Konzern Stuttgart (Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschriften - wie H ANDELSBLATT , T AGESSPIEGEL , D IE Z EIT oder Vielfalt in der Zeitung Crossownership <?page no="140"?> O R G A N I S A T I O N S F O R M E N U N D Ö K O N O M I E D E R M A S S E N M E D I E N 141 S PEKTRUM DER W ISSENSCHAFT ) und der Bauer-Konzern Hamburg (vor allem 40 Zeitschriften). Alle diese Medienmultis haben vielfache Beteiligungen in anderen Ländern. Zur Bertelsmann AG gehören zum Beispiel 39 Zeitschriften in Frankreich und 32 in Spanien. Der Springer-Konzern gibt weltweit mehr als 150 Zeitungen und Zeitschriften heraus. Ein weiteres globales Wachstum ist für die großen Medienunternehmen vorgezeichnet (vgl. Hachmeister/ Rager 2005), während die Konzentrationsbestimmungen überwiegend auf nationale Märkte beschränkt sind. Klassisches Beispiel für transnationale Verflechtungen ist der österreichische Zeitungsmarkt, in dem ein Drittel von ausländischen Firmen kontrolliert wird - vor allem von deutschen, aber auch schwedischen und italienischen Unternehmen. Die K RONEN Z EITUNG und der K URIER gehören zum Beispiel zur Hälfte dem deutschen WAZ-Konzern, der seit 2013 Funke Mediengruppe heißt, die den Zeitschriftenmarkt dominierende N EWS -Verlagsgruppe gehört zur Hälfte zu Gruner + Jahr und zu einem Viertel zur Funke Mediengruppe ( → vgl. Kap. 4.4; S. 160 - 162 ). Konzentrationskontrolle Für die Konzentrationskontrolle im Medienbereich sind in Deutschland zwei Institutionen zuständig: das Bundeskartellamt und die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK). Während das Bundeskartellamt der Wettbewerbshüter für alle Branchen ist und auch im Medienbereich auf den Schutz des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs achtet, wurde die KEK von den Landesmedienanstalten als Expertengremium zur Sicherung der Meinungsvielfalt - also des publizistischen Wettbewerbs - eingesetzt. Die KEK wird nur gehört, wenn es um die Zulassung oder die Änderung der Beteiligungsverhältnisse von Fernsehveranstaltern geht - das Kartellamt übt auch eine Pressefusionskontrolle aus. Die KEK setzt sich indes immer mehr für eine medienübergreifende Vielfaltssicherung ein - zum Beispiel im vierten Medienkonzentrationsbericht vom Oktober 2010 (vgl. KEK 2010). Beispiele für das Wirken der Konzentrationskontrolle: • In den Jahren 2002/ 03 hat das Bundeskartellamt den Erwerb des Berliner Verlags ( B ERLINER Z EITUNG , B ERLINER K URIER , Stadtillustrierte T IP ) durch den Holtzbrinck-Konzern, Stuttgart, (in Berlin: T AGESSPIEGEL , Stadtillustrierte Z ITTY ) untersagt, weil der Zusammenschluss zur Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung von Holtzbrinck auf dem Lesermarkt für regionale Abonnement-Tageszeitungen in Berlin und dem dortigen Lesermarkt für Stadtillustrierte geführt hätte (vgl. www.bundeskartellamt.de). In der Folge übernahm ein Konsortium transnationale Verflechtungen Bundeskartellamt und KEK Kampf um Berliner Zeitung <?page no="141"?> 142 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N aus ausländischen Investmentgesellschaften den Berliner Verlag, was die Branche sorgenvoll beobachtete, weil Investmentgesellschaften vor allem die Rendite im Auge haben - und weniger die publizistische öffentliche Aufgabe. Die Investmentgesellschaft der Mecom-Mediengruppe wollte indes den Berliner Verlag bald wieder verkaufen: Im Februar 2009 gab das Bundeskartellamt grünes Licht für den Kauf des Berliner Verlags durch den Kölner Verlag DuMont Schauberg, der damit zur viertgrößten Zeitungsverlagsgruppe in Deutschland aufstieg ( → vgl. Kap. 4.3.2; S. 148 ). • Im Januar 2006 untersagte die KEK die Übernahme der ProSiebenSAT.1 Media AG durch den Axel Springer Verlag, weil man durch die Verbindung eines starken Fernsehunternehmens (Marktanteil 22 Prozent) und des größten deutschen Zeitungskonzerns (Marktanteil 23 Prozent) eine »vorherrschende Meinungsmacht« in zwei eng verwandten Medienmärkten befürchtete (diagonale Konzentration). Vor allem die Monopolstellung der Boulevardzeitung B ILD könnte durch crossmediale Strategien gestärkt werden. Die KEK hat Alternativen vorgeschlagen, welche die Bedenken ausgeräumt hätten, die aber vom Springer Verlag nicht akzeptiert wurden: der Verzicht auf den Erwerb einer der Sender SAT.1 oder ProSieben oder die verbindliche binnenplurale Ausgestaltung eines dieser Sender (vgl. www.kek-online.de). Auch die ProSiebenSAT.1 Media AG wurde in der Folge von internationalen Investmentgesellschaften gekauft - mit dem Ziel, einen europaweit tätigen Fernsehkonzern zu gründen. Der Springer Verlag bemühte indes die Gerichte: Im Juni 2010 erklärte der Bundesgerichtshof das Fusionsverbot für rechtmäßig. Ökonomische Herausforderungen durch das Internet Die Barrieren für den Marktzutritt sind bei den klassischen Medien sehr hoch. Man muss schon viel Geld in die Hand nehmen, um eine Zeitung, eine Zeitschrift oder einen Sender zu gründen. Nur wenige Tageszeitungen schafften in der Bundesrepublik Deutschland eine überlebensfähige Neugründung - wie zum Beispiel die TAZ 1979 oder die F INANCIAL T IMES D EUTSCHLAND 2000, die immerhin zwölf Jahre lang bis zur Einstellung überlebte. Im Internet ist die Schwelle, eine Website zu veröffentlichen, dagegen sehr niedrig. Allerdings schaffen es auch hier nur wenige, ein Massenpublikum zu erreichen - doch oft liegt dies nicht nur am Kapitaleinsatz, sondern an einer zündenden Idee. Prominentes Beispiel ist die Suchmaschine G OOGLE , die 1998 nicht von einem Medien- oder Soft- Kampf um ProSiebenSAT.1 4 .2. 4 | Google <?page no="142"?> O R G A N I S A T I O N S F O R M E N U N D Ö K O N O M I E D E R M A S S E N M E D I E N 143 ware-Konzern gegründet wurde, sondern von den zwei Studenten Larry Page und Sergey Brin. G OOGLE ging 2004 an die Börse und setzte allein im Jahr 2005 mehr als sechs Milliarden US-Dollar - überwiegend durch Werbung - um. Ähnliche Erfolgsgeschichten verzeichnen partizipative Websites, die auf das Mitteilungsbedürfnis der Nutzer setzen: Die Community M Y S PA - CE wurde im Juli 2003 gegründet - und zwei Jahre später für 580 Millionen US-Dollar vom Medienmogul Rupert Murdoch gekauft, einem der weltweit größten Medienunternehmer (vgl. www.newscorp.com). Die Video-Community Y OU T UBE startete im Februar 2005 ohne Marketingaufwand - und wurde im Oktober 2006 für 1,6 Milliarden US-Dollar von G OOGLE übernommen. In Deutschland hat die Verlagsgruppe Holtzbrinck im Januar 2007 die Community-Plattform S TUDI VZ für 85 Millionen Euro gekauft. In den Jahren danach waren spektakuläre Verkäufe für hohe Summen nicht mehr so häufig; Plattformen wie MySpace oder StudiVZ verloren an Reichweite und Bedeutung. Der Wert der großen Community-Plattform F ACEBOOK wurde schon 2010 auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt. Zunächst wurden von den Gründern nur kleine Anteile verkauft; 2012 ging F ACEBOOK an die Börse. Vier Phasen bis zum Web 2.0 Die kurze Zeit der Internet-Ökonomie kann in vier Phasen eingeteilt werden (vgl. u. a. Friedrichsen/ Mühl-Benninghaus/ Schweiger 2006: 9): (1) Anfangs war das Internet Spielplatz für Amateure und ökonomisch weitgehend bedeutungslos. (2) In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre versuchten findige Geschäftsleute an den Ideen der Amateure zu partizipieren: Das Phänomen der »New Economy« schien die bisherigen ökonomischen Grundsätze aus den Angeln zu heben, ließ eine weltweite Blase an den Aktienmärkten entstehen - und so manche Online-Redaktion rasant wachsen. Den teilweise immensen Investitionen standen kaum Einnahmen gegenüber. (3) Nach dem Zusammenbruch der »New Economy« und dem weltweiten Absturz der Aktienmärkte im Jahr 2000 wichen die ökonomischen Utopien und Allmachtsträume einer nüchternen Sichtweise. Viele Investoren zogen sich aus dem Internet zurück - Online-Redaktionen wurden ausgedünnt. (4) Seit dem Jahr 2006 ist wieder Zuversicht in die Potentiale des Internet spürbar - vor allem in die Interaktivität und Multimedialität. Der Begriff des Web 2.0 - vom Verleger Tim O’Reilly erfunden - ist zum Schlagwort für die vielen Möglichkeiten der Nutzerbeteiligung im Internet geworden. O’Reilly (2005) beschreibt die Grundlagen für die MySpace und You Tube »New Economy« Web 2.0 <?page no="143"?> 144 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N erwähnte Dynamik von sozialen Netzwerken wie M Y S PACE , Y OU T UBE , F ACEBOOK , S TUDI VZ oder T WITTER - und andere Formen der Nutzerintegration. Verbesserte Übertragungs- und Komprimierungstechniken sowie die Zunahme schneller Internetzugänge erweitern zudem die Multimedialität des Internet: Audio- und Videobeiträge werden populärer. Die spektakulären Geschäfte und teuren Investitionen sind nur die Spitze des Eisbergs: Das Internet hat eine weltweite Wachstumsdynamik entwickelt, die in der klassischen Medienwelt ohne Vorbild ist - und welche die Medienorganisationen zunehmend verunsichert. Einerseits hat das Internet das Potential einer zentralen Drehscheibe für Text, Bild, Audio und Video und kann sich zu einer ernsthaften Konkurrenz und Bedrohung der traditionellen Medien entwickeln. Andererseits sind die ökonomisch zentralen Fragen nach wie vor nicht klar beantwortet: Wie können Online-Medien mit journalistischen Inhalten Gewinne erwirtschaften - nur durch Werbung oder auch mit anderen Geschäftsmodellen? Sind Nutzer zunehmend bereit, für journalistische Inhalte im Internet zu bezahlen? Entstehen neue Werbeformen? Wie verändern sich die Märkte und Produkte? Werden die öffentliche Aufgabe der Medien und die ökonomischen Interessen in der Waage bleiben? Versuche, neue Geschäftsmodelle im Internet zu analysieren, gibt es viele. Ein Beispiel ist eine oft zitierte Analyse des Web 2.0-Geschäfts, die der Chefredakteur des US-Magazins W IRED , Chris Anderson, 2004 in seiner Zeitschrift vorgestellt und später als Buch erweitert hat (2007). Unter dem Schlagwort »Long Tail« (»langer Schwanz«) beschreibt er die Strategie, nicht mit einem Massenprodukt, sondern mit einer großen Anzahl an Nischenprodukten langfristig im Internet Gewinne zu erzielen (vgl. sein Weblog unter www.longtail.com). verunsicherte Medienbranche Long Tail Die eine und einzige ideale Organisationsform von aktuellen Massenmedien gibt es nicht. Weil jeder Typ Vor- und Nachteile hat, hat es sich in einer pluralistischen Demokratie bewährt, verschiedene Modelle zuzulassen und mehr oder weniger gesellschaftlich zu fördern und zu kontrollieren. Grundsätzlich kann zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Organisationsformen unterschieden werden. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten finanzieren sich überwiegend mit allgemeinen Gebühren. Sie sind der Vielfalt und einem Programmauftrag verpflichtet, laufen allerdings Gefahr, dass sie sich zu bürokratischen und unflexiblen Großorganisationen entwickeln. Privatwirtschaftliche Medienunternehmen leben in einem Spannungsfeld Zusammenfassung <?page no="144"?> O R G A N I S A T I O N S F O R M E N U N D Ö K O N O M I E D E R M A S S E N M E D I E N 145 Literatur Zur Medienökonomie gibt es inzwischen viele Lehrbücher. Zu empfehlen sind zwei dicke Werke: die »Medienökonomik« von Marie Luise Kiefer, die sich eher an ökonomischen Theorien ausrichtet, und die »Medienökonomie« von Jürgen Heinrich, der in zwei Bänden detailliert alle mikro- und makro-ökonomischen Grundlagen des Mediensystems analysiert. Spannend zu lesen sind die Porträts der 50 größten Medienkonzerne der Welt, die Lutz Hachmeister und Günther Rager im Buch »Wer beherrscht die Medien? « zusammengetragen haben. Zur Internet-Ökonomie liegt ein grundlegendes, aber leider seit Jahren nicht mehr aktualisiertes Buch des inzwischen verstorbenen Axel Zerdick u. a. vor. Ansonsten gibt es ein paar Bücher zur Internet-Ökonomie von Wirtschaftswissenschaftlern, die sich aber nur am Rande mit Geschäftsmodellen für journalistische Inhalte beschäftigen, z.B. von Ralf Peters. Ergänzend ist zur Entwicklung des Internet zum Web 2.0 der Aufsatz von Tim O’Reilly lesenswert. zwischen Gewinnstreben und öffentlicher Aufgabe. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beidem kann mit zunehmender Kommerzialisierung und Medienkonzentration aus den Fugen geraten. 1 Erklären Sie den Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Medienorganisationen. 2 Was sind »meritorische Güter« - und warum können journalistische Medienprodukte als meritorische Güter bezeichnet werden? 3 Nennen und analysieren Sie die verschiedenen Erlösmodelle privatwirtschaftlicher Medien. 4 Welche Typen von Medienkonzentration können unterschieden werden? 5 Recherchieren Sie auf den Websites des Bundeskartellamts und der KEK Fallbeispiele für Entscheidungen der Konzentrationskontrolle im Medienbereich. 6 Inwiefern ist das Internet eine ökonomische und publizistische Herausforderung für alle klassischen Medienorganisationen? Übungsfragen zu Kapitel 4.2 <?page no="145"?> 146 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Medienlandschaft Deutschland: Basisdaten Das vielfältige Medienangebot in Deutschland hat sich aus den Vorgaben der alliierten Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt (vgl. z. B. Dreier 2004, Wilke 1999). Viele der heute noch größten Zeitungen und Zeitschriften begannen zwischen 1945 und 1949 mit einer Lizenz der Alliierten - darunter z. B. S ÜDDEUTSCHE Z EITUNG , F RANKFURTER R UNDSCHAU und D IE W ELT oder S TERN , S PIEGEL und D IE Z EIT . Die Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist durch das Vorbild der staatsfernen britischen BBC beeinflusst, wurde aber mit den Landesrundfunkanstalten noch stärker föderalisiert - nach den Erfahrungen mit einem zentralen Propaganda-Hörfunk der Nationalsozialisten. In der DDR entwickelte sich dagegen mit der sowjetischen Besatzungspolitik ein zentralistisches Mediensystem unter Kontrolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurden die westdeutschen Rahmenbedingungen auf die neuen Bundesländer übertragen. Die ehemaligen Parteizeitungen sind heute überwiegend im Besitz westdeutscher Großverlage. Das Rundfunksystem wurde in die westdeutsche ARD integriert. Literatur Eine anschauliche und mit vielen Fotos bebilderte Übersicht über die Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis 1999 bietet ein Sammelband, den Jürgen Wilke herausgegeben hat. Die Mediengeschichte der DDR von 1945 bis 1990 wurde von Gunter Holzweißig gut lesbar analysiert. Die zentrale Steuerung und totale Kontrolle der Medien im Nationalsozialismus ist von Clemens Zimmermann im Vergleich von Deutschland, Italien und Spanien beschrieben. Nachrichtenagenturen Die Nachrichtenagenturen sind die Grundlage des überregionalen (Informations-)Journalismus. Sie sammeln und selektieren aktuelle Meldungen und bereiten sie für ihre Kunden auf. Theoretisch kann jeder Agenturdienste beziehen; in der Regel werden die Meldungen aber von Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunkanstalten und Online-Diensten zur weiteren Verarbeitung und Verbreitung an ein Massenpublikum gekauft. In westlichen Demokratien liegen die Agenturen meist in der Hand der Kunden: Zeitungsverleger haben sich zur Genossenschaft zusammen- 4 .3 | Vorgaben der Alliierten Mediensystem in der DDR 4 .3.1 | Genossenschaft, Privat- oder Staatsbesitz <?page no="146"?> M E D I E N L A N D S C H A F T D E U T S C H L A N D : B A S I S D A T E N 147 geschlossen - wie zum Beispiel bei der D EUTSCHEN P RESSE -A GENTUR (dpa), der A USTRIA P RESSE A GENTUR (APA) und der S CHWEIZERISCHEN D EPESCHENAGEN - TUR (sda). Vorbild ist die US-amerikanische A SSOCIATED P RESS (AP), die 1848 in New York gegründet wurde ( → vgl. Kap. 2.2.1; S. 73 - 74 ). Es gibt aber auch Agenturen, die Aktiengesellschaften (z. B. R EUTERS , London) oder die in staatlichem Besitz sind oder zumindest staatlich mitfinanziert werden (von der chinesischen Agentur X INHUA über die griechische A THENS N EWS A GENCY ANA bis zur französischen A GENCE F RANCE P RESSE AFP). Weltweit sind die staatlichen Agenturen in der Mehrheit. Heute existieren drei Weltagenturen: AP, R EUTERS und AFP. Deutschland ist weltweit das Land mit den meisten Nachrichtenagenturen (Schulten-Jaspers 2013). Die dpa ist inzwischen die einzige Vollagentur, nachdem dapd im Jahr 2013 Konkurs angemeldet hat (dapd war 2010 aus dem ehemaligen Deutschen Depeschendienst (ddp) und dem deutschen AP-Ableger hervorgegangen). R EUTERS und AFP haben noch eigene deutschsprachige Dienste. Daneben gibt es spezialisierte Agenturen wie den E VANGE - LISCHEN P RESSEDIENST (epd), die K ATHOLISCHE N ACHRICHTEN -A GENTUR (KNA), den S PORT -I NFORMATIONS -D IENST (sid) und die V EREINIGTEN W IRTSCHAFTSDIENSTE (vwd). Die deutschen Tageszeitungen beziehen im Schnitt 2,5 Nachrichtenagenturen, wobei etwa ein Fünftel sich auf nur eine Agentur verlässt (Resing 2006). dpa wird mit einem Marktanteil von 96 Prozent fast flächendeckend abonniert, AP und AFP jeweils von knapp der Hälfte der Publizistischen Einheiten, Reuters und ddp jeweils zu einem Drittel (die Statistik listete damals AP und ddp noch getrennt auf). Die Agenturen stehen in Konkurrenz zueinander, haben aber internationale Kooperationsverträge, welche die gegenseitige Übernahme von Meldungen aus dem Ausland ermöglichen. Die Kosten für ein Agentur-Abonnement richten sich für Medienorganisationen nach der Reichweite ihrer Produkte (also nach Auflage bzw. Hörer- und Seherzahl). Literatur Einen aktuellen Überblick über den Markt der Nachrichtenagenturen in Deutschland bieten regelmäßig die Jahrbücher des Bundesverbands der Zeitungsverleger - zum Beispiel der Beitrag von Christian Resing im Jahrbuch 2006. Ergänzend können Informationen auf den Websites der Agenturen recherchiert werden. Jürgen Wilke hat in den 90er-Jahren mehrere Studien zur Arbeitsweise von Agenturen und zur Nachrichtenproduktion herausgegeben - der Abschlussband heißt »Von der Agentur zur Redaktion« und beschäftigt sich mit der dpa-Zentralredaktion ebenso wie mit der Verwendung der Meldungen bei Tageszeitungen. hohe Konkurrenz in Deutschland <?page no="147"?> 148 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Ein praktisches Ratgeberbuch zum Agenturjournalismus liegt von Peter Zschunke vor, eine Studie zur Situation und Zukunft der Nachrichtenagenturen von Yasmin Schulten-Jaspers. Presselandschaft Die Zeitungslandschaft in Deutschland sieht mit 130 Publizistischen Einheiten, 333 Verlagen als Herausgebern und 1.532 Ausgaben auf den ersten Blick recht vielfältig aus. Bei genauerer Betrachtung fällt indes auf, dass B ILD als einzige überregionale Boulevardzeitung eine Monopolstellung einnimmt und dass 44 Prozent der Auflage aller Tageszeitungen in der Hand der fünf größten Verlagsgruppen liegen (vgl. Abb. 4.5). 4 .3.2 | Verlagsgruppe zugehörige Zeitungstitel (Beispiele) anteilige Auflage dieser Gruppe Anteil am Zeitungsmarkt Axel Springer AG Bild, Welt, Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost, B.Z. 3,41 Mio. 18,8 % Südwestdeutsche Medien Holding GmbH (SWMH) Süddeutsche Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Die Rheinpfalz, Südwest Presse, Freie Presse 1,68 Mio. 9,2 % Verlagsgruppe Funke Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Westfälische Rundschau, Neue Ruhr/ Neue Rhein Zeitung, Westfalenpost, Thüringische Landeszeitung 1,04 Mio. 5,7 % Verlagsgruppe DuMont Schauberg Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express, Mitteldeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau 0,99 Mio. 5,5 % Madsack Hannoversche Allgemeine Zeitung, Neue Presse Hannover, Leipziger Volkszeitung, Märkische Allgemeine, Ostsee-Zeitung 0,94 Mio. 5,2 % Gesamt 8,06 Mio. (von 18,15 Mio.) 44,4 % Abb. 4.5 | Tageszeitungen: Marktanteile der fünf größten Verlagsgruppen (Quelle: Röper 2012) <?page no="148"?> M E D I E N L A N D S C H A F T D E U T S C H L A N D : B A S I S D A T E N 149 Die Tageszeitungen können nach Vertriebsform in vier Typen eingeteilt werden (vgl. Abb. 4.6). 120 Publizistische Einheiten werden überwiegend im Abonnement verkauft, zehn im Einzelverkauf auf dem »Boulevard«. Die Vertriebsform hat eine große Auswirkung auf den Zeitungsinhalt: Boulevard-Zeitungen müssen sich immer wieder am Kiosk bewähren, weshalb sie stark reißerisch aufgemacht sind (vgl. Dulinski 2003). Überregionale Abo-Zeitungen legen einen Schwerpunkt auf bundesweit bedeutsame und internationale Themen. Die Klassifizierung in regional/ überregional ist umstritten: Die S ÜDDEUT - SCHE Z EITUNG zum Beispiel berichtet auch über München und Bayern, wird aber dennoch als überregional bedeutsam eingestuft, weil sie auch in anderen Bundesländern gelesen wird. Große Regionalzeitungen - wie zum Beispiel die W ESTDEUTSCHE A LLGEMEINE Z EITUNG oder die R HEINISCHE umstrittene Klassifizierung Vertriebsform P. E. Beispiele (mit den höchsten Auflagen) Auflage 2000 Auflage 2012 Abonnement überregional 8 Süddeutsche Zeitung, München 419.000 432.000 Frankfurter Allgemeine Zeitung 401.000 355.000 Die Welt, Berlin 252.000 242.000** Handelsblatt, Düsseldorf 170.000 137.000 Abonnement regional 112 Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Essen ca. 560.000* ca. 390.000* Rheinische Post, Düsseldorf 417.000 340.000 Freie Presse, Chemnitz 413.000 271.000 Boulevard überregional 1 Bild, Berlin 4,3 Mio. 2,7 Mio. Boulevard regional 9 Express, Köln 297.000 136.000 Berliner Kurier 286.000 110.000 B.Z., Berlin 276.000 144.000 * Für diese Zeitungstitel werden Auflagenzahlen nur im Verbund mit anderen Zeitungen gemeldet. Die Zahlen sind deshalb geschätzt. ** D IE W ELT seit dem Jahr 2004 inkl. W ELT K OMPAKT . | Abb. 4.6 Tageszeitungen: Typen, Beispiele, Auflagenentwicklung (Quellen: BDZV-Jahrbuch 2006; IVW 1/ 12; Röper 2012; Schütz 2012) <?page no="149"?> 150 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N P OST - kämpfen ebenfalls um den Status einer überregionalen Bedeutung, werden aber über Nordrhein-Westfalen hinaus kaum wahrgenommen. Die F RANKFURTER R UNDSCHAU wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als links-liberales Blatt mit überregionaler Stimme eingestuft - schon 2012 war dieser Rang mit 120.000 Auflage diskussionswürdig, nach der Insolvenz und der Übernahme durch die FAZ im Jahr 2013 hat die FR die überregionale Geltung verloren. Der Begriff »Publizistische Einheit« wurde von dem Zeitungsstatistiker Walter J. Schütz einst erfunden, um die Konzentrationsprozesse im Markt der Tageszeitungen besser messen zu können. Damit sind alle Verlage und Ausgaben gemeint, die einen gemeinsamen Mantelteil haben. Unterschiedliche Mantelteile werden als verschiedene »Publizistische Einheiten« gezählt. Das erweist sich allerdings zunehmend als problematisch: So hat die Funke Mediengruppe (früher: WAZ Mediengruppe) die W ESTFÄLISCHE R UNDSCHAU in Dortmund 2013 zu einer Zeitung ohne Redaktion gemacht (alle Redakteure wurden entlassen) - die allerdings noch immer mit einem von anderen Zeitungen verschiedenen Mantelteil erscheint, der zugeliefert wird. Oder viele Zeitungskooperationen führen inzwischen dazu, dass nicht hinter jeder »Publizistischen Einheit« eine eigenständige Redaktion steht. Die früher gültige Gleichung »Publizistische Einheit« = »Vollredaktion« gilt heute bei weitem nicht mehr. Die Anzahl der Vollredaktionen, die eine Zeitung inkl. Mantel komplett eigenständig herstellen, wird nicht erhoben; sie dürfte jedoch unter 100 liegen. Die Tageszeitungen haben drei Problemzonen, die miteinander in engem Zusammenhang stehen (vgl. Pürer 2006: 21 - 24): • Die Auflagen der meisten Zeitungstitel gehen seit Jahren kontinuierlich nach unten (vgl. Abb. 4.6). Besonders dramatisch ist das zum Beispiel bei B ILD mit einem Rückgang um 37 Prozent zwischen 2000 und 2012. Eine der wenigen Ausnahmen ist die S ÜDDEUTSCHE Z EITUNG , die im gleichen Zeitraum leicht zulegte. Mit den Auflagen sinken die Reichweiten - vor allem bei jungen Lesern ( → vgl. Kap. 3.2; S. 109 - 111 ). • Die Werbeeinnahmen gingen ebenfalls massiv zurück: zwischen 2000 und 2005 um ein Drittel; bis 2010 nochmals um 16 Prozent ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 135 ). • Das Internet erweist sich als scharfe Konkurrenz - auf dem Werbemarkt (vor allem die Rubrikenanzeigen wanderten ab) und auf dem Lesermarkt (vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen). Den internationalen Trend zu kleinformatigen Zeitungen - den so genannten Tabloids - haben die deutschen Zeitungsverleger kaum mitgemacht. Bislang gibt es nur wenige Versuche, zum Beispiel mit der W ELT KOMPAKT und der F RANKFURTER R UNDSCHAU . Zudem konnten die deut- Publizistische Einheit drei Problemzonen Tabloid <?page no="150"?> M E D I E N L A N D S C H A F T D E U T S C H L A N D : B A S I S D A T E N 151 schen Zeitungsverleger die Gründung von Gratis-Tageszeitungen (Pendlerzeitungen) bislang verhindern ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 137 ). Gut etabliert haben sich dagegen die kostenlos verteilten und rein durch Werbung finanzierten Anzeigenblätter, an denen die Zeitungsverleger oft mit beteiligt sind. Sie erscheinen meist wöchentlich und bedienen einen lokalen bis regionalen Markt. Anfang der 90er-Jahre erlebten die Anzeigenblätter einen regelrechten Boom, weil sie - im Gegensatz zu den damaligen Tageszeitungen - viel Service und Nutzwert boten. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Anzeigenblätter (www.bvda.de) erschienen 2012 1.411 Anzeigenblätter mit einer Auflage von 93 Millionen. 1990 waren es noch 1.034 Titel mit 54 Millionen Auflage. Der Markt der Wochenzeitungen teilt sich im Wesentlichen in die Donnerstags- und Sonntagsblätter: Donnerstags erscheint D IE Z EIT (Auflage 520.000); sonntags B ILD AM S ONNTAG (1,2 Mio.), W ELT AM S ONNTAG (403.000) und F RANKFURTER A LLGEMEINE S ONNTAGSZEITUNG (347.000). D IE Z EIT und die F RANKFURTER A LLGEMEINE S ONNTAGSZEITUNG legten in den vergangenen Jahren an Auflage zu, weshalb immer mehr Zeitungsverlage überlegen, eine Sonntagsausgabe auf den Markt zu bringen. Neben diesen allgemeinen Titeln gibt es eine Reihe konfessioneller Wochenzeitungen (Bistumsblätter) und mehrere wöchentliche Branchenblätter, die meist von Verbänden herausgegeben werden und inhaltlich den Fachzeitschriften ähneln (von den VDI N ACHRICHTEN für Ingenieure bis zum B AYE - RISCHEN L ANDWIRTSCHAFTLICHEN W OCHENBLATT ). Der Markt der Zeitschriften teilt sich in Publikumszeitschriften und Fachzeitschriften, wobei sich vor allem die Publikumszeitschriften in immer mehr Special-Interest-Titel ausdifferenziert haben, die sich zum Beispiel an Autofans und Motorradfreaks, Gartenfreunde, Computernutzer, Freizeitsportler oder Fitness-Fans wenden. Während Special-Interest-Zeitschriften in der Regel privat gelesen werden, wenden sich Fachzeitschriften an ein beruflich interessiertes Publikum - zum Beispiel an Krankenschwestern ( D IE S CHWESTER D ER P FLEGER ), Mitarbeiter in chemischen Laboren ( L ABORPRAXIS ), in der Verkehrsbranche ( L OGISTIK HEUTE ) oder an Journalisten ( M EDIUM M AGAZIN , J OURNALIST und M - M ENSCHEN MACHEN M EDIEN ) . Viele Zeitschriften - wie auch die beiden letztgenannten - werden von Verbänden und Vereinen als Mitgliedszeitschriften produziert und sind damit ähnlich wie Kunden- oder Mitarbeiterzeitschriften von Unternehmen interessengebunden. Sie müssen deshalb eher der Public Relations als dem Journalismus zugerechnet werden ( → vgl. Kap. 7.3; S. 260 ). Darunter auch die größte Zeitschrift in Deutschland, die ADAC M OTOR - WELT mit einer Auflage von 13,6 Millionen. Die Zahl der Fachzeitschriften liegt in Deutschland im fünfstelligen Bereich. Einer der größten Verlage ist »Springer science + business« Boom der Anzeigenblätter erfolgreiche Sonntagsausgaben differenzierter Zeitschriftenmarkt <?page no="151"?> 152 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N (nicht verbunden mit der Axel Springer AG), bei dem etwa 2.000 Zeitschriften der Themenfelder Wissenschaft, Medizin, Wirtschaft, Technik, Architektur, Bau und Verkehr erscheinen (z. B. die Ä RZTE Z EITUNG ). Die allgemeinen Publikumszeitschriften sind vor allem durch Flaggschiffe wie S PIEGEL , S TERN , B UNTE , G EO , B RIGITTE , M EN ’ S H EALTH oder TV14 bekannt. Diese kleine Aufzählung zeigt schon, dass wir hier wieder typisieren können - zum Beispiel in Nachrichtenmagazine, Illustrierte, People-Magazine, Frauen-, Männer- oder Programmzeitschriften. Der Markt für Publikumszeitschriften ist mit insgesamt ca. 1.400 Titeln von hoher Konkurrenz geprägt. Spektakuläre Neugründungen - wie 1993, als der Burda-Konzern mit F OCUS einen erfolgreichen Konkurrenten gegenüber dem etablierten S PIEGEL lancieren konnte (Filipp 1995) - sind selten. Dennoch gab es zum Beispiel in den Jahren 2004/ 05 insgesamt 360 neue redaktionelle Titel an den Kiosken (vgl. Vogel 2006). Viele davon werden wieder eingestellt, einige überleben ein paar Monate, einige wenige erweisen sich dauerhaft als profitabel. Kriterium dafür ist, dass das redaktionelle Konzept auf dem Lesermarkt eine Zielgruppe anspricht, die von den Werbetreibenden als attraktiv wahrgenommen wird ( → vgl. Kap. 3.1; S. 103 ). Ein überraschendes Wachstum gab es in den vergangenen Jahren bei den populären Wissenschaftszeitschriften - mit erfolgreichen Neugründungen wie G EHIRN & G EIST , Z EIT W ISSEN oder T ECHNOLOGY R EVIEW (vgl. Meier/ Feldmeier 2005: 206 - 207). Die meisten Neugründungen gelingen Wachstum bei Wissensmagazinen Publikumszeitschriften: Marktanteile der fünf größten Verlagsgruppen (Quelle: Vogel 2012); IVW 3/ 10 Abb. 4.7 | Verlagsgruppe zugehörige Zeitschriftentitel (je fünf Beispiele; Auflagen 3/ 2010 in Tsd. in Klammern) Anteil am Markt der Publikumszeitschriften Anzahl der IVW-gemeldeten Titel Bauer TV14 (2.403), Bravo (482), Laura (224), inTOUCH (324), Maxi (204) 18,5 % 42 Burda Focus (557), Bunte (658), SUPERillu (420), Chip (337) Playboy (212) 14,8 % 43 Axel Springer Hörzu (1.391), Bild der Frau (990), Computer Bild (585), Mädchen (157), Musikexpress (52) 12,7 % 23 Gruner + Jahr Stern (905), Brigitte (687), Geo (333), Eltern (313), Der Spiegel (zu 25 % G + J; 1.013) 9,3 % 58 Funke Die Aktuelle (401), Gong (379), Frau im Spiegel (311), Echo der Frau (238), Ein Herz für Tiere (86) 8,4 % 32 Gesamt 63,7 % 198 (36 %) <?page no="152"?> M E D I E N L A N D S C H A F T D E U T S C H L A N D : B A S I S D A T E N 153 den fünf großen Konzernen, die mit 64 Prozent den Markt dominieren: Der Markt der Publikumszeitschriften ist noch stärker konzentriert als jener der Tageszeitungen (vgl. Abb. 4.7). Es gibt allerdings eine Ausnahme: Die erfolgreichste Neugründung im Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende ist der Titel L AND L UST , der 2005 vom Landwirtschaftsverlag Münster ins Leben gerufen wurde, 2010 eine verkaufte Auflage von 750.000 und 2013 von 1,1 Millionen aufweisen konnte. Literatur Ein umfassendes Handbuch zur Presse in Deutschland liegt von Heinz Pürer und Johannes Raabe vor. Aktuelle Daten zum Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt sowie zu den Konzentrationsverhältnissen publiziert regelmäßig die Fachzeitschrift M EDIA P ERSPEKTIVEN , die kostenlos im Internet zu lesen ist (www.media-perspektiven.de). Die aktuellen Auflagenzahlen und -entwicklungen lassen sich in der Datenbank der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern recherchieren (www.ivw.de). Ein gutes Lehrbuch zum Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus hat Volker Wolff geschrieben. Rundfunklandschaft Der Begriff »Rundfunk« wird im Alltagsgebrauch noch häufig gleichbedeutend mit »Hörfunk« verwendet. Dies liegt daran, dass sich das Fernsehen in den 50er-Jahren in den ARD-Rundfunkanstalten entwickelte, die vorher ausschließlich Radio gesendet hatten ( → vgl. zur Geschichte Kap. 2.2.1; S. 74 ). Heute ist mit »Rundfunk« gleichermaßen Radio wie Fernsehen gemeint. In der juristischen Definition war Rundfunk gemäß dem Rundfunkstaatsvertrag jahrzehntelang »die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters«. Unter dem Vorzeichen der Digitalisierung braucht es zur Begriffsbestimmung nun mehr als eine Seite. Im Kern heißt es jetzt: »Rundfunk ist ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen.« (Rundfunkstaatsvertrag vom 1. Januar 2013, § 2) Linearität und Sendeplan | 4 .3.3 Radio und Fernsehen <?page no="153"?> 154 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N unterscheiden den Rundfunk nun grundsätzlich von Audio und Video im Internet und auf Empfangsgeräten wie Computer, TabletPCs oder Smartphones. Die Rundfunkgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland teilt sich im Wesentlichen in drei Phasen: (1) Zwischen 1945 und 1961 bestand das Monopol der ARD-Anstalten, die größtenteils von den Alliierten als Militärradios gegründet und Ende der 40er-Jahre Zug um Zug in deutsche Hände als öffentlich-rechtliche Organisationen übergeben wurden. Die selbständigen Landesrundfunkanstalten schlossen sich 1950 zur »Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland« (ARD) zusammen und starteten 1954 ein gemeinsames bundesweites Fernsehprogramm (nach ersten Fernsehversuchen ab 1952 beim NWDR in Hamburg). (2) Von 1961 bis Anfang der 80er-Jahre gab es im bundesweiten Fernsehen die Konkurrenz zwischen ARD und ZDF. Das ZDF wurde 1963 offiziell als von der ARD unabhängige Anstalt gegründet, nachdem die ARD bereits zwei Jahre lang provisorisch ein zweites Fernsehprogramm produziert hatte. In den 60er-Jahren folgten dann die dritten Programme der ARD-Anstalten. Im Radiobereich hatten die ARD-Anstalten ein Monopol bis in die 80er-Jahre. (3) Mit dem Start privatwirtschaftlicher Radio- und Fernsehprogramme in der ersten Hälfte der 80er-Jahre begann das Duale Rundfunksystem. Öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen Die ARD produziert mit einem Budget von rund 6,3 Milliarden Euro und 23.000 festen Mitarbeitern täglich ca. 1.400 Stunden Radio und 240 Stunden Fernsehen (Stand 2007) - und ist damit der weltweit größte nicht-kommerzielle Programmanbieter. Zur ARD gehören alle neun Landesrundfunkanstalten: B AYERISCHER R UNDFUNK (BR; Bayern), H ESSI - SCHER R UNDFUNK (HR; Hessen), M ITTELDEUTSCHER R UNDFUNK (MDR; Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen), N ORDDEUTSCHER R UNDFUNK (NDR; Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein), R ADIO B REMEN (RB; Bremen), R UNDFUNK B ERLIN -B RANDENBURG (RBB; Berlin, Brandenburg), S AARLÄNDISCHER R UNDFUNK (SR; Saarland), S ÜDWESTRUNDFUNK (SWR; Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz), W ESTDEUTSCHER R UNDFUNK (WDR; Nordrhein-Westfalen). Hinzu kommt der Auslandsrundfunk ( D EUTSCHE W ELLE ), der Radio und Online-Angebote in 30 Sprachen und Fernsehen in den Sprachen Deutsch, Englisch, Arabisch und Spanisch für alle Kontinente anbietet. ARD-Monopol ARD und ZDF Duales Rundfunksystem neun Landesrundfunkanstalten <?page no="154"?> M E D I E N L A N D S C H A F T D E U T S C H L A N D : B A S I S D A T E N 155 Die ARD strahlt 54 regionale Radioprogramme aus: jede Rundfunkanstalt zwischen drei und sieben. ARD und ZDF sind gemeinsam Träger des D EUTSCHLANDRADIO , das zwei bundesweite Programme ausstrahlt (Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur). Die Fernsehprogramme der ARD: Neben dem Gemeinschaftsprogramm D AS E RSTE produziert jede Landesrundfunkanstalt ein Drittes Programm, der B AYERISCHE R UNDFUNK zusätzlich den Bildungskanal BR- AL - PHA . Die Dritten sollen sich - noch stärker als D AS E RSTE - durch Kultur, Bildung und Information auszeichnen und sind meist über Kabel und Satellit auch in anderen Bundesländern zu empfangen. Gemeinsam mit dem ZDF veranstaltet die ARD den Kinderkanal KI.KA, den Ereignis- und Dokumentationskanal P HOENIX und zusammen mit einem französischen Partner das Europäische Kulturprogramm ARTE. 3 SAT wird gemeinsam von ZDF, SRG, ORF und der ARD produziert. Digital strahlt die ARD die zusätzlichen Programme TAGESSCHAU 24 , E INS P LUS und E INS F ESTIVAL aus. Beim ZDF sind 3.600 Mitarbeiter fest angestellt, der Haushalt beläuft sich auf knapp zwei Milliarden Euro. Außer dem Z WEITEN D EUTSCHEN F ERN - SEHEN und den erwähnten Beteiligungen werden digital ein Info- und ein Kulturkanal sowie mit ZDFneo ein Kanal für junge Zuschauer ausgestrahlt. Privatwirtschaftliches Radio und Fernsehen Die Landschaft der kommerziellen Radio- und Fernsehsender ist in Deutschland bei den bundesweiten Fernsehprogrammen ziemlich konzentriert - bei den lokalen und regionalen Radio- und Fernsehprogrammen dagegen sehr kleinteilig. Die Zulassungspolitik der Landesmedienanstalten unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Die Zahl der Radioprogramme ändert sich fast schon monatlich. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) gab es 2009 19 bundesweite, 55 landesweite und 158 lokale oder regionale Privatradioangebote sowie zwölf über DAB verbreitete Radioprogramme. In Bayern ist die Lokalradio-Landschaft mit mehr als 64 Programmen am stärksten untergliedert (allein für München sind z. B. mehr als zehn Radiosender zugelassen), in Nordrhein-Westfalen gibt es 46 lokale Radiosender. Die bundesweiten kommerziellen Fernsehsender gehören im Wesentlichen zu zwei Konzernen ( → vgl. Kap. 4.2.3; S. 138 - 142 ): der RTL-Gruppe (Bertelsmann AG) mit RTL, RTL II, S UPER RTL, VOX und N - TV sowie der ProSieben SAT.1 Media AG mit PRO S IEBEN , SAT.1 und K ABEL 1. Im Jahr 2006 gab es etwa 50 werbefinanzierte regionale Fernsehsender - die meisten senden in Bayern (9), Rheinland-Pfalz und Thüringen (jeweils 8). Hinzu kommen 37 regionale Anbieter, die in bundesweiten bundesweit konzentriert, regional kleinteilig zwei Konzerne <?page no="155"?> 156 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Vollprogrammen wie RTL oder SAT.1 ein tägliches Fenster von mindestens 30 Minuten füllen, sowie fast 200 Sub-Lokalsender, die ein kleines Programm in lokale Kabelnetze einspeisen (mehr als 60 davon in Sachsen). Bei der Klassifizierung unterscheidet man grundsätzlich zwischen Vollprogrammen und Spartenprogrammen (vgl. Abb. 4.8): Ein Vollprogramm ist nach der Definition des Rundfunkstaatsvertrags »ein Rundfunkprogramm mit vielfältigen Inhalten, in welchem Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung einen wesentlichen Teil des Gesamtprogramms bilden«. Ein Spartenprogramm sendet dagegen »im Wesentlichen gleichartige Inhalte«. Zuhörer- und Zuschauermarkt Die Hörgewohnheiten und die Nutzung des Radios haben sich im Laufe der Zeit gewandelt ( → vgl. Kap. 3.2; S. 108 - 114 ). Radio ist nicht mehr ein Voll- und Spartenprogramme Formatradio Vollprogramme Spartenprogramme Anzahl Beispiele Anzahl Beispiele öffentlichrechtliche 3 Das Erste, ZDF, 3sat 4 Arte, KI.KA, Phoenix, BR-alpha 9 Dritte Programme öffentlichrechtliche digital 6 tagesschau24, EinsPlus, EinsFestival, ZDFneo, ZDFkultur, ZDFinfo privatwirtschaftliche 20 RTL, RTL II, VOX, Pro- Sieben, SAT.1, Kabel 1 43 Sport1, FCB.TV, n-tv, N24, Super RTL, Tele 5, Viva privatwirtschaftliches Pay-TV (digital) 77 Discovery Channel, Disney Channel, Sky (diverse Programme) privatwirtschaftliche Shopping- Sender 21 HSE24, QVC, Sonnenklar TV Abb. 4.8 | Bundesweite Fernsehprogramme (Quelle: ZAW-Jahrbuch 2010: 309f. sowie 2013: 337f., nach Angaben von KEK und ALM) <?page no="156"?> M E D I E N L A N D S C H A F T D E U T S C H L A N D : B A S I S D A T E N 157 Einschaltmedium für einen bestimmten Sendeplatz, sondern Begleit- und Nebenbeimedium durch den ganzen Tag. Viele Radioprogramme haben deshalb das Schema der festen Spartensendungen (zum Beispiel für Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft) zu bestimmten Uhrzeiten aufgegeben, um das Programm als Ganzes für eine breite Masse »durchhörbar« zu machen. Ein weit verbreiteter Begriff bei der Konzipierung von Programmen ist das »Formatradio«: Musikausrichtung, Programmstruktur und Moderation werden formatisiert, damit ein Programm durchgehend gleich bleibt und wiedererkannt wird. Nach der Media Analyse 2012 Radio II ( → vgl. Kap. 3.1; S. 99 ) hören 51 Prozent der deutschen Erwachsenen werktäglich mindestens eines der öffentlich-rechtlichen Radioprogramme. Die privatwirtschaftlichen Radiosender kommen zusammen auf 43 Prozent. Die Programme mit den meisten Hörern sind die privatwirtschaftliche Antenne Bayern sowie die öffentlich-rechtlichen Bayern 1, SWR 3, WDR 2 und 1LIVE. Beim Fernsehen sind seit Jahren mehrere Trends zu verzeichnen: Während die Vollprogramme um teure Übertragungsrechte von (Sport-) Großereignissen oder um Lizenzen für Kino-Blockbusters konkurrieren, werden Spartenprogramme bewusst auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten. Obwohl der Markt des Free-TV kontinuierlich gewachsen ist, hat er sich als endlich erwiesen: Die Verheißung von hunderten Programmen im digitalen Fernsehen wurde (noch) nicht verwirklicht. Die Hoffnung für die Anbieter von ganz speziellen Spartenprogrammen liegt im digitalen Pay-TV. Bei den Fernseh-Marktanteilen insgesamt liegen die öffentlich-rechtlichen an der Spitze (insgesamt ca. 38 Prozent). Allerdings sprechen die kommerziellen Programme eher die angeblich besonders werberelevante Zielgruppe der 14bis 49-Jährigen an, bei denen die Öffentlich-Rechtlichen zusammen nur auf 19 Prozent kommen (vgl. Abb. 4.9). Programmexplosion durch Digitalisierung? Sender Das Erste ZDF ARD- Dritte RTL SAT.1 Pro7 RTL II 2005 gesamt 13,5 13,5 13,6 13,2 10,9 6,7 4,2 2012 gesamt 12,3 12,6 12,6 12,3 9,4 5,9 4,0 2012: 14-49 7,0 6,8 5,3 15,9 9,9 11,3 6,4 2012: 50+ 16,6 17,3 18,5 9,8 9,4 1,8 2,3 | Abb. 4.9 Fernsehmarktanteile Angaben in Prozent (Quelle: ZAW-Jahrbuch 2013: 341f.; AGF) <?page no="157"?> 158 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Sonstige nicht-kommerzielle Rundfunkangebote Je nach Landesrundfunkgesetz gibt es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Konzepte für weitere nicht kommerziell geführte Sender. Das Spektrum reicht von offenen Kanälen, an denen sich jeder mit einer eigenproduzierten Sendung oder einem Beitrag beteiligen kann, über Ausbildungskanäle bis zu kirchlichen Sendern oder Sendern für Minderheiten (z. B. türkische Sender). Beispiele sind der Hamburger Bürger- und Ausbildungskanal TIDE (www.tidenet.de), die bayerischen Aus- und Fortbildungskanäle (www.afk.de) oder der TV-Lernsender für Nordrhein-Westfalen nrwision (www.nrwision.de). Literatur Ein zweibändiges Lehrbuch zum Rundfunk in Deutschland hat Heinz-Werner Stuiber geschrieben. Über die aktuellen Marktentwicklungen berichtet regelmäßig die Fachzeitschrift M EDIA P ERSPEKTIVEN . Lehrbücher zum praktischen Radio- und Fernsehjournalismus finden sich in der gelben Reihe »Journalistische Praxis« (z. B. zum Radiojournalismus von Walther von La Roche und Axel Buchholz) und in der Reihe »Praktischer Journalismus« bei UVK, Konstanz (z. B. zum »Fernsehjournalismus« von Martin Ordolff). Perspektiven Das Internet ist die mediale Plattform mit den höchsten Wachstumsraten bei der Nutzung ( → vgl. Kap. 3.2; S. 108 - 114 ) und bei den Werbeeinnahmen ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 134 - 136 ). Es ist ein Spiegel der Multioptionsgesellschaft: Jeder Mensch, jede Organisation, jedes Unternehmen kann sich im Internet präsentieren, Marketing betreiben oder sich an Diskussionen oder an der Verbreitung von Informationen beteiligen. Die journalistischen Websites geraten deshalb auch in bislang nicht gekannte Konkurrenz, was die Frage nach der Zukunft des Journalismus verschärft ( → vgl. Kap. 7.3; S. 255 - 270 ). Der Markt der journalistischen Online-Medien in Deutschland ist vielfältig, aber überschaubar: Im Wesentlichen handelt es sich um die Online-Auftritte der etablierten Zeitungs- und Zeitschriftenverlage sowie der Rundfunkanbieter. An der Nachrichtenverarbeitung und -präsentation beteiligen sich zudem die Online-Provider (vor allem T-O NLINE ), Portale und E-Mail-Anbieter (z. B. WEB . DE , GMX . DE ) und Suchmaschinen 4 .3. 4 | Multioptionsmedium Internet <?page no="158"?> M E D I E N L A N D S C H A F T D E U T S C H L A N D : B A S I S D A T E N 159 (news.google.de). Hinter G OOGLE -N EWS steckt keine Redaktion, sondern ein Such-Algorithmus, der 700 Nachrichtenquellen durchkämmt, mehrfach genannte Themen als relevant herausfiltert und Teaser und Links zu diesen Quellen präsentiert. Als Startjahr des professionellen Online-Journalismus in Deutschland gilt der Launch von S PIEGEL ONLINE und des Online-Angebots der D EUTSCHE W ELLE im Herbst 1994. Der S PIEGEL hat seine Führungsrolle bei den Nachrichtenangeboten klassischer Medienorganisationen behalten (vgl. Abb. 4.10, S. 160). Allerdings werden bei der Reichweitenmessung der AGOF ( → vgl. Kap. 3.1; S. 100 ) und bei der Klickzahlmessung der IVW die öffentlich-rechtlichen Online-Angebote nicht berücksichtigt, weil sie keine Werbeträger sind. Für den Online-Journalismus sind neben den allgemeinen Programm- und Sendungswebsites vor allem die Nachrichten-Flaggschiffe TAGESSCHAU . DE und HEUTE . DE relevant. Die neue Medienplattform, der zurzeit große Zukunftschancen eingeräumt werden, ist die mobile Kommunikation, wobei die Frage des Endgeräts offen ist: Konvergieren Telefon, Internet, Radio und Fernsehen auf einem einzigen Gerät - eine Art »Super-TV-Internet-Handy«? Ein Massenmarkt für mobiles Fernsehen ist zwar noch nicht in Sicht, aber die orts- und zeitsouveräne Nutzung von Fernsehinhalten spielt unter den Zukunftsvisionen, die für das Fernsehen entworfen werden, eine zentrale Rolle (vgl. ARD/ ZDF-Projektgruppe Mobiles Fernsehen 2007). Mobile Endgeräte sind nicht nur für multimediale und audiovisuelle Inhalte eine Zukunftsvision, sondern generell für Inhalte aller Art - so auch für Texte und Fotos, die auf tragbaren Tablet-PCs mit berührungsempfindlichem Bildschirm (wie zum Beispiel dem iPad) - genutzt werden sollen. Literatur Der Markt der Online-Medien entwickelt sich rasant und dynamisch. Aktuelle Reichweiten- und andere Marktentwicklungen müssen im Internet recherchiert werden (vgl. z. B. www.agof.de oder www.ivw.de). Eine grundsätzliche Analyse des Journalismus im Internet haben Christoph Neuberger, Christian Nuernbergk und Melanie Rischke vorgelegt. Das Handbuch Online-Kommunikation, herausgegeben von Wolfgang Schweiger und Klaus Beck, gibt einen weiten Überblick über ein neu entstandenes Forschungsfeld. Drei Lehrbücher behandeln die praktischen Herausforderungen des Internet-Journalismus: von Gabriele Hooffacker, Nea Matzen und Klaus Meier. Startjahr 1994 Zukunft: mobile Endgeräte <?page no="159"?> 160 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Exkurs: Österreich und Schweiz Die Medienlandschaften in Österreich und der Schweiz können in dieser Einführung nur knapp beschrieben werden. Für Interessierte gibt 4 . 4 | Rang Reichweite in Prozent (bezogen auf Internet-User der letzten drei Monate) Netto-Reichweite in Mio. Unique User T-Online 1 50,3 25,89 eBay.de 2 48,1 24,75 gutefrage.net 3 33,9 17,46 WEB.de 4 28,6 14,72 CHIP Online 5 28,5 14,65 computerbild.de 6 28,0 14,42 GMX 7 24,0 12,36 BILD.de 8 23,8 12,27 Yahoo! Deutschland 9 23,3 12,01 SPIEGEL ONLINE 10 23,1 11,88 CHEFKOCH.de 11 20,5 10,57 RTL.de 12 20,4 10,52 FOCUS Online 16 17,8 9,14 meinestadt.de 17 17,2 8,83 DIE WELT 18 16,9 8,68 MyVideo 22 14,1 7,25 N24.de 24 14,0 7,19 Süddeutsche.de 25 12,9 6,62 STERN.de 30 11,3 5,81 ProSieben.de 32 10,7 5,49 ZEIT ONLINE 34 9,7 5,01 HolidayCheck 35 9,7 4,97 FAZ.NET 47 7,8 3,99 Abb. 4.10 | Reichweiten des Werbeträger-Onlinemarkts: Angaben für einen durchschnittlichen Monat im Untersuchungszeitraum März 2013. Einzelne Zeilen wurden in dieser Tabelle aus Platzgründen gelöscht (siehe Rangplatz). (Quelle: AGOF / internet facts 2013-03) <?page no="160"?> E X K U R S : Ö S T E R R E I C H U N D S C H W E I Z 161 es aber Literaturempfehlungen. Die Medienlandschaften in beiden Ländern sind dadurch geprägt, dass sie Kleinstaaten mit großen Nachbarländern sind. Vor allem in der Schweiz - mit einem kleinteiligen, in vier Sprachregionen separierten Markt - werden viele Zeitschriften und Fernsehsender aus Deutschland, Frankreich und Italien konsumiert. Österreich Die Pressekonzentration auf dem Markt der Tageszeitungen nahm in Österreich einen ähnlichen Verlauf wie in Deutschland ( → vgl. Kap. 4.2.3; S. 138 - 139 ). Marktzutritte schafften 1988 der links-liberale S TANDARD , der Oscar Bronner und seiner Privatstiftung gehört, sowie im Jahr 2006 die neue Tageszeitung Ö STERREICH , die mit einem aggressiven Preis (50 Cent) den Einstieg auf dem Lesermarkt mit 162.000 verkaufter Auflage schaffte - aber mindestens genau so viele Exemplare gratis verteilte. Seit 2010 wird Ö STERREICH von der österreichischen Auflagenkontrolle als Gratiszeitung geführt, weil mittlerweile der überwiegende Teil der Zeitungen gratis verteilt und nicht verkauft wird (2012: 82.000 verkauft, 351.000 gratis). Ö STERREICH gehört Privatstiftungen der Familie Fellner. Marktführer ist die Boulevardzeitung K RONEN Z EITUNG , die mit 810.000 fast die Hälfte der verkauften Auflage österreichischer Tageszeitungen ausmacht. Die nationale Reichweite dieser einen Zeitung von 37 Prozent ist einmalig in demokratischen Ländern. Die Redaktion der K RONEN Z EITUNG ist sich dieser Macht bewusst und nutzt sie nicht selten zur Kampagnisierung bestimmter politischer Forderungen. Mit H EUTE wurde auch eine Tageszeitung, die von Beginn an auf Gratis-Vertrieb, vor allem im Wiener U-Bahn-Netz, setzte, innerhalb kürzester Zeit zu einem wichtigen Markt- und Machtfaktor. Mit einer Reichweite von 42 Prozent in Wien (österreichweit: 14 Prozent) übertrifft H EUTE in der Bundeshauptstadt sogar die K RONEN Z EITUNG . Zwischen diesen beiden Medienunternehmen existiert übrigens eine Verbindung: H EUTE wird von Eva Dichand, der Schwiegertochter des mittlerweile verstorbenen K RONE -Gründers und langjährigen Herausgebers Hans Dichand, geführt. Beide Zeitungen gehören privaten Stiftungen. Der Markt der österreichischen Publikumszeitschriften liegt zu etwa 90 Prozent in der Hand der NEWS-Verlagsgruppe (www.newsmedia.at), die 15 Magazine herausgibt - darunter die beiden Nachrichtenmagazine P ROFIL (Auflage 2012: 90.000) und F ORMAT (54.000), die Illustrierte N EWS (175.000), die Programmzeitschrift T V -M EDIA (234.000) und die Frauenzeitschrift W OMAN (190.000). Deutsche Zeitschriften erreichen auch in Österreich eine relativ hohe Reichweite - zum Beispiel G EO mit 502.000 Lesern (vgl. www.media-analyse.at). Deutsche Medienkonzerne sind in Marktführer Kronen Zeitung <?page no="161"?> 162 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Österreich engagiert: So gehören jeweils etwa die Hälfte der K RONEN Z EI - TUNG und des K URIER zur Funke Mediengruppe; Gruner + Jahr besitzt 56 Prozent der N EWS -Verlagsgruppe. Österreich war das letzte Land in Europa, das privatwirtschaftlichen Rundfunk zugelassen hat: Erst ab 1995 gab es erste Radiosender, ab 2002 Fernsehsender. Entsprechend stark ist nach wie vor die Stellung des öffentlich-rechtlichen Ö STERREICHISCHEN R UNDFUNKS (ORF). Er sendet drei bundesweite Radioprogramme ( Ö STERREICH 1, FM4 und H ITRADIO Ö3 ) sowie neun Regionalradios in den Bundesländern, zwei Fernseh-Vollprogramme (ORF 1 und ORF 2), hat Beteiligungen an 3 SAT , BR- ALPHA und ARTE sowie digitale Spartenprogramme (den Info- und Kulturkanal ORF 3, den Reise- und Wetterkanal TW1, das Sportprogramm ORF SPORT PLUS und das Auslandsprogramm ORF 2 E UROPE ). Die Website www.orf.at ist das größte österreichische Online-Medium. Es gibt etwa 50 regionale und lokale privatkommerzielle Radios. Am 1. Juni 2003 startete ATV PLUS - das erste bundesweit terrestrisch ausgestrahlte privatwirtschaftliche Fernsehen. Daneben gingen zwischen 2002 und 2004 Ballungsraumsender in Salzburg ( S ALZBURG TV ), Linz (LT1) und Wien ( P ULS C ITY TV, seit 2008 als Puls 4 österreichweit zu empfangen) an den Start. D IE GRO ßen deutschen privatwirtschaftlichen Sender begannen schon in den 90er-Jahren via Satellit für Österreich eigene Werbefenster und kleine Programmangebote auszustrahlen (z. B. Nachrichten oder Fußball). starke Stellung des ORF Verkaufte Auflage in 1.000 2002 2006 2012 Kronen Zeitung 852 847 810 Kleine Zeitung 250 269 279 Kurier 174 169 159 Oberösterreichische Nachrichten 104 105 107 Tiroler Tageszeitung 91 89 87 Die Presse 76 80 73 Der Standard 69 74 69 Salzburger Nachrichten 75 69 69 Vorarlberger Nachrichten 66 65 62 Abb. 4.11 | Die größten Tageszeitungen in Österreich (Quelle: ÖAK; VÖZ; Melischek/ Seethaler/ Skodacsek 2005) <?page no="162"?> E X K U R S : Ö S T E R R E I C H U N D S C H W E I Z 163 Schweiz Die Medienlandschaft in der Schweiz ist vor allem durch die Teilung in vier Sprachregionen geprägt, wobei in der Deutschschweiz die größten und meisten Medien erscheinen. Das Boulevard-Blatt B LICK hatte traditionell die höchste Auflage (vgl. Abb. 4.12), wurde inzwischen aber von den Gratiszeitungen 20 M INUTEN (495.000) und B LICK AM A BEND (326.00) überholt ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 137 ). Überregional bekannt sind die N EUE Z ÜR - CHER Z EITUNG - eine der ältesten Zeitungen Europas ( → vgl. Kap. 2.2.1; S. 72 ) - und der T AGES -A NZEIGER , der als größte Abonnementzeitung der Schweiz ebenfalls in Zürich erscheint. Die drei größten Verlagsgruppen in der Schweiz sind Ringier (mit z. B. B LICK , B LICK AM A BEND , S CHWEIZER I LLUSTRIERTE , G LÜCKSPOST , L ANDLIE - BE , C ICERO ), T AMEDIA -G RUPPE (20 M INUTEN , 24 H EURES , B ERNER Z EITUNG / D ER B UND , L E T EMPS , T AGES -A NZEIGER , F INANZ UND W IRTSCHAFT , A NNABELLE , S CHWEIZER F AMILIE ) und NZZ-Gruppe ( N EUE Z ÜRCHER Z EITUNG , N EUE L UZER - NER Z EITUNG , S T G ALLER T AGBLATT ). Zu den auflagenstärksten Publikumszeitschriften gehören B EOB - ACHTER (Zürich, 297.000), S CHWEIZER F AMILIE (Zürich, 187.000), S CHWEIZER I LLUSTRIERTE (Zürich, 181.000), G LÜCKSPOST (Zürich, 155.000), L’ ILLUSTRÉ (Lausanne, 83.000). Es gibt zwei Nachrichtenmagazine: D IE W ELTWOCHE Marktführer Blick und 20 Minuten Verkaufte Auflage in 1.000 2002 2012 Blick 292 191 Tages-Anzeiger 235 187 Berner Zeitung 163 174 Die Nordwestschweiz 194 169 Neue Zürcher Zeitung 166 130 Die Südostschweiz 138 121 Neue Luzerner Zeitung 133 119 St. Galler Tagblatt 110 116 Basler Zeitung 104 68 24 heures 89 72 Corriere del Ticino 36 | Abb. 4.12 Die größten Tageszeitungen in der Schweiz (Quelle: WEMF; Schweizer Presse; Meier, W. 2004) <?page no="163"?> 164 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N (69.000) und die alternative W OCHEN Z EITUNG W O Z (16.000). Noch mehr als in Österreich werden in der Schweiz Zeitschriften der Nachbarländer gelesen. Die Rundfunklandschaft wird dominiert von der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR IDÉE SUISSE , die ähnlich wie die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland und Österreich überwiegend durch Gebühren finanziert wird und sich als »Service public«-Veranstalter versteht. Das Angebot der SRG SSR umfasst acht Fernseh- und 18 Radioprogramme in den vier Landessprachen sowie ergänzende Websites in insgesamt zehn Sprachen. 1983 wurden Lokalradios zugelassen, 1993 lokale Fernsehanbieter. Die ca. 50 privatwirtschaftlichen Radioanbieter senden noch heute lokal und regional. An den Radiostationen und vor allem auch an den regionalen Fernsehsendern sind die Presseunternehmen maßgeblich beteiligt. Die Crossownership auf den regionalen Medienmärkten ist deshalb in der Schweiz höher als in Deutschland und Österreich. So kontrolliert zum Beispiel die azmedien-Gruppe D IE N ORDWESTSCHWEIZ und damit den werbemäßigen und redaktionellen Verbund von acht Tageszeitungen und einer Sonntagszeitung; die Gruppe umfasst die reichweitenstärkste TV-Familie ( T ELE Z ÜRI , T ELE M1, T ELE B ÄRN ) und eine Reihe von Fachzeitschriften und den AT Buchverlag. Allerdings ist der Anteil der regionalen Fernsehsender am Publikumsmarkt relativ gering, weil die Schweizer neben den Programmen der SRG SSR überwiegend Programme aus den Nachbarländern konsumieren. »In keinem europäischen Land ist die Nutzungsdauer der einheimischen Fernsehsender so gering wie in der Schweiz« (Blum 2003: 368). Literatur Eine detaillierte Übersicht über die Medienlandschaft in Österreich bieten Thomas Steinmaurer und Hans-Heinz Fabris. Das Handbuch »Praktischer Journalismus« von Heinz Pürer, Meinrad Rahofer und Claus Reitan ist ein handwerklicher und berufskundlicher Ratgeber aus überwiegend österreichischer Sicht. Für die Medienlandschaft Schweiz liegen zwei Übersichtsbeiträge von Werner A. Meier und von Roger Blum vor. Matthias Künzler hat 2013 ein grundlegendes Lehrbuch über das Mediensystem Schweiz vorgelegt. starke Stellung der SRG <?page no="164"?> R E D A K T I O N S O R G A N I S A T I O N 165 Redaktionsorganisation Medienorganisationen gliedern sich in verschiedene Abteilungen. Presseunternehmen zum Beispiel bestehen in der Regel aus einer Vertriebs- und einer Anzeigenabteilung, einem Druckzentrum und einer Redaktion. Um unabhängig von parteilichen und kommerziellen Interessen arbeiten zu können, sollte eine Redaktion weitgehend autonom von den anderen Abteilungen sein - wobei fallweise auch koordiniert werden muss. Wenn die Redaktion zum Beispiel eine aufwendige Serie oder ein Special (etwa zu einem Großereignis) plant, kann der Vertrieb spezielle Abonnentenwerbung machen, wenn er rechtzeitig davon weiß. Auch in der Entwicklung neuer journalistischer Produkte müssen Zielgruppenkonzepte zwischen Redaktion, Vertriebs- und Anzeigenabteilung abgestimmt werden ( → vgl. zum redaktionellen Marketing Kap. 3.1; S. 105 - 106 ). Die Organisation einer Redaktion richtet sich im Idealfall nach der publizistischen Strategie, den journalistischen Konzepten, Zielen und | 4 .5 Autonomie der Redaktion strenges organisatorisches Korsett 1 Nennen Sie die wichtigsten Nachrichtenagenturen in Deutschland. 2 Wie heißen die fünf größten Zeitungsverlagsgruppen in Deutschland und welche Zeitungstitel geben sie zum Beispiel heraus? 3 In welche vier Typen kann die Zeitungslandschaft eingeteilt werden? Nennen Sie Beispiele für dazugehörige Zeitungstitel. 4 Wie kann man den Markt der Publikumszeitschriften typisieren? Nennen Sie Beispiele. 5 In welche drei Phasen teilt sich die Rundfunkgeschichte der Bundesrepublik Deutschland? 6 Nennen Sie Beispiele für bundesweite Vollprogramme und Spartenprogramme (öffentlich-rechtlich und privatwirtschaftlich). Wie verteilen sich im Wesentlichen die Zuschauermarktanteile? 7 Bringen Sie die folgenden Online-Medien in die richtige Reihenfolge - von der höchsten bis zur niedrigsten Reichweite: B ILD . DE , FAZ.N ET , F OCUS O NLINE , P RO S IEBEN . DE , S PIEGEL O NLINE , SUEDDEUTSCHE . DE , T-O NLINE . 8 Welches sind die fünf größten (Verkaufs-)Tageszeitungen in Österreich und der Schweiz? 9 Vergleichen Sie die Medienlandschaften in Österreich und der Schweiz mit der Medienlandschaft in Deutschland. Welche Unterschiede fallen Ihnen auf? Übungsfragen zu Kapitel 4.3 und 4.4 <?page no="165"?> 166 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Zielgruppen. Ohne strenges organisatorisches Korsett könnten die journalistischen Produkte nicht die Wünsche der Leser, Hörer und Zuschauer befriedigen. Die Kunden der Journalisten müssen sich darauf verlassen können, dass die Zeitung oder die Sendung regelmäßig und pünktlich erscheint und dass das Spektrum an aktuellen Themen die Erwartungen erfüllt. Würde eine Morgenzeitung erst am Abend ausgeliefert, wäre das ebenso unbefriedigend wie eine Fernseh-Nachrichtensendung, die zufällig einmal nur über Politik und ein anderes Mal nur über Sport berichtet. Organisation, Struktur und Arbeitsweise einer Redaktion müssen sich auf diese thematischen und zeitlichen Erwartungen einstellen. Das Themenspektrum, das eine Redaktion bearbeiten kann, wird in der horizontalen Gliederung der Redaktion fachlich verankert. Ein privatwirtschaftlicher Radiosender wird beispielsweise eher Musikredakteure und unterhaltsame Moderatoren einstellen und seine Redaktion nach den Bereichen Musik, Unterhaltung und Nachrichten gliedern. Darüber hinausgehende spezielle thematische Zuständigkeiten finden sich in den Redaktionen privatwirtschaftlicher Radiosender kaum - allenfalls ein Sport-, Kino- oder Lifestyle-Redakteur (vgl. Altmeppen/ Donges/ Engels 1999, S. 146 ff.). Ähnlich eingeschränkt definieren unterhaltungsorientierte Zeitschriften ihr Spektrum an Ressorts. Informationsorientierte Medien mit universellem Themenanspruch teilen die Redaktion dagegen in die klassischen Ressorts ein, um die für Wahrnehmungsstruktur Redaktion Der Begriff »Redaktion« wird im deutschsprachigen Journalismus vielfältig verwendet. Definitorische Klarheit bringt eine Gegenüberstellung mit den entsprechenden englischen Bezeichnungen. Im Allgemeinen ist mit »Redaktion« diejenige Abteilung eines Medienunternehmens gemeint, welche die journalistischen Leistungen erbringt (»editorial department«). Mitunter wird die Gesamtheit aller journalistischen Mitarbeiter als »Redaktion« bezeichnet (»editorial staff«) oder die Räume bzw. die organisatorischen Strukturen, in denen sie arbeiten (»Newsroom«), oder auch die Tätigkeit der Redakteure: Sie erledigen die »Redaktion« eines publizistischen Werks (»editing«). Redakteure sind fest angestellte Journalisten (im Gegensatz zu den freien Mitarbeitern) - ein Begriff, der sich ebenfalls nicht treffend ins Englische übersetzen lässt, weil dort »editors« und »reporters« eine ganz bestimmte journalistische Rolle einnehmen und sich nicht durch die Art des Arbeitsverhältnisses definieren (nach Meier 2005). Definition <?page no="166"?> R E D A K T I O N S O R G A N I S A T I O N 167 den Journalismus wichtigen gesellschaftlichen Teilsysteme kontinuierlich beobachten zu können ( → vgl. Kap. 1.2.3; S. 28 - 35 ). Aber auch hier gibt es Unterschiede: Während Tageszeitungen in der Regel Themengebiete, die für eine kurzfristige aktuelle Berichterstattung zentral sind, fachlich verankern (Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Lokales), bilden öffentlich-rechtliche Fernseh- und Hörfunksender zusätzlich Abteilungen für längerfristig aktuelle Themengebiete - wie für Wissenschaft und Bildung, für Religion oder für Kinder, Jugend und Familie. Das Themenspektrum eines öffentlich-rechtlichen Senders ist damit breiter als das eines Printmediums. Insgesamt gilt: Ressorts und thematische Zuständigkeiten von Journalisten sind die Wahrnehmungsstruktur des Journalismus (vgl. Meier 2002 a). Nur Themen, die in einer Redaktion strukturell verankert sind, werden wahrgenommen. Aufbauorganisation: Tätigkeiten, Sparten und Macht Der Begriff »Aufbauorganisation« stammt aus der allgemeinen Managementlehre. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen horizontaler und vertikaler Abteilungsbildung. Die horizontale Abteilungsbildung erfolgt nach dem Kriterium der Aufgabenverteilung, die vertikale beschreibt das Machtgefüge in einer Redaktion. Die Aufgaben in einer Redaktion können auf zwei verschiedene Arten verteilt werden: Einerseits können die Redakteure auf Objekte spezialisiert sein (Spartenorganisation) - sie sind für ganz bestimmte Sparten, Sendungen oder Themengebiete zuständig - andererseits nach ihrer Tätigkeit (Funktionalorganisation). Ob die Redakteure auf Tätigkeiten spezialisiert sind, hängt größtenteils von der Journalismuskultur und -tradition ab: In deutschsprachigen Zeitungsredaktionen zum Beispiel erledigt der Redakteur überwiegend alle Tätigkeiten von Recherche, Texten und Redigieren bis zu Blattplanung und Seitenlayout; im angloamerikanischen Journalismus hat sich dagegen frühzeitig eine funktionale Spezialisierung in »reporters« und »editors« durchgesetzt (vgl. Esser 1998). Während die »reporters« recherchieren und schreiben, ist es die alleinige Aufgabe der »editors«, Texte zu redigieren, Schlagzeilen zu formulieren, die Seiten am Computer zu layouten und die Produktionsabläufe zu überwachen. Beide Organisationsformen haben Vor- und Nachteile. Der Trend in den USA geht in Richtung stärkerer Abstimmung zwischen »reporters« und »editors«, die traditionell wenig miteinander zu tun haben (vgl. Meier 2002 a: 244 - 248). Deutschsprachige Redaktionen spezialisieren dagegen immer mehr in Schreiber und Blattmacher, wobei man aber das angloamerikanische Modell nicht direkt übernimmt, sondern eigene Organisationsformen entwirft (vgl. Meier 2006, 2007). Aufgaben und Machtgefüge »reporters« und »editors« <?page no="167"?> 168 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N In vielen Fernsehredaktionen ist eine ähnliche funktionale Spezialisierung üblich: Während die fest angestellten Redakteure für das Programm verantwortlich sind, in Konferenzen koordinieren, Themen planen, Beiträge in Auftrag geben und fertige Beiträge abnehmen, liefern Reporter, freie und feste freie Mitarbeiter Beiträge zu: Sie recherchieren, drehen vor Ort (in Zusammenarbeit mit dem Kamerateam), schneiden (zusammen mit dem Cutter) und texten. Kriterien der vertikalen Abteilungsbildung sind die Entscheidungskompetenz und die Machtverteilung innerhalb einer Organisation. Typische Organisationsweise der Redaktion ist die Einlinienorganisation mit dem klassischen Bild der Pyramide und dem Prinzip der Auftragserteilung. Die Hierarchie Chefredaktion/ Ressortleiter/ Redakteure ist sowohl in deutschen als auch in angloamerikanischen Redaktionen üblich (vgl. Abb. 4.13). Vorteile sind klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Die einfachen Kommunikations- und Kompetenzstrukturen fördern das Sicherheitsgefühl. Die Einzelprodukte - in Printmedien die Sparten, im Rundfunk die Sendungen - werden weitgehend autonom und unabhängig voneinander hergestellt. Die strikte Einlinienorganisation kann sich allerdings auf die redaktionelle Arbeit auch schädlich auswirken: Wer nur auf die eigene Sparte oder die eigene Sendung schaut, verliert den Blick fürs Ganze. Die Zeitung, die Zeitschrift, das Radio- oder das Fernsehprogramm werden nicht »aus einem Guss« produziert. Themen, die nicht zweifelsfrei einem Ressort oder einer Sendung zugeordnet werden können, fallen durchs Wahrnehmungsraster der Redaktion oder werden womöglich in zwei Abteilungen gleichzeitig behandelt (vgl. Ruß-Mohl 1995: 122) - es entstehen die so genannten Dubletten. Zudem können Ressourcen nicht übergreifend genutzt werden: Die Redakteure können ihre Sachkompetenz nur für die eigene Sparte umsetzen und sind nicht flexibel einsetzbar. Je nach Personal- und Themenlage ist an einem Tag das eine Ressort unterbesetzt, am anderen Tag ein anderes. Um diese Nachteile zu vermeiden, haben Redaktionsleiter Ideen aus anderen Managementmodellen übernommen (vgl. Meier 2002 a). Bei der Stab-Linien-Organisation koordiniert ein Redaktionsmanager die Themenabsprachen zwischen den Abteilungen, den Beitragsaustausch, die gegenseitige Zuarbeit und die Teamarbeit über Ressortgrenzen hinweg. Das Modell der Mehrlinienorganisation ist ausschließlich ressortübergreifend angelegt: Die Ressorts lösen sich auf; die Redakteure bleiben zwar fachlich spezialisiert, arbeiten aber in wechselnden Teams für verschiedene Ressortleiter. Das Modell sorgt für einen stärkeren Wissenstransfer. Sachkompetenz wird ausgiebig und unterschiedlich genutzt: So schreibt zum Beispiel der auf Wirtschaftspolitik spezialisierte Redakteur zwar Hierarchie Chefredaktion/ Ressortleiter/ Redakteure mangelnder Blick fürs Ganze alternative Modelle <?page no="168"?> R E D A K T I O N S O R G A N I S A T I O N 169 meist für die Politik, bei Bedarf aber auch für die Wirtschaftsseiten. Oder beim Radio produzieren die Wissenschaftsredakteure nicht nur die »eigene« Wissenschaftssendung, sondern liefern auch den aktuellen Magazinsendungen zu (vgl. Meier/ Feldmeier 2005). Die Matrixorganisation stellt eine Kombination aus funktionalen und objektorientierten Gruppen dar. In einigen Zeitungsredaktionen sind zum Beispiel zentrale Layouterpools oder Fotografengruppen eingerichtet - oder eine Reportergruppe, die ressortunabhängig verschiedenen Ressorts zuliefert. In großen Fernsehredaktionen sind die Kameraleute und die Cutter eigenen Abteilungen unterstellt; die Journalisten müssen Einlinienorganisation I: Die klassische Redaktionsorganisation im deutschsprachigen Raum: Die Redakteure (R) sind Ressortleitern (RL) unterstellt. Jeder übernimmt alle Aufgaben (Texten, Redigieren, Layout) - eine rein objektorientierte Spezialisierung. Einlinienorganisation II: Die klassische Redaktionsorganisation im anglo-amerikanischen Journalismus: Die Journalisten sind zwar auch objektorientiert spezialisiert, aber nicht in so viele Ressorts wie in Deutschland. Prägender ist die funktionale Spezialisierung nach Tätigkeiten: Die Reporters recherchieren und schreiben. Sie arbeiten den Editors zu, die redigieren, das Blatt planen und gestalten. RL 1 RL 1 Edit. Rep. Edit. Rep. RL 2 RL 2 RL 3 R R R R R R R R R Mehrlinienorganisation: Die fachlich spezialisierten Redakteure arbeiten für verschiedene Ressorts. Die Ressortleiter stellen sich themenorientiert immer wieder Teams zusammen. Matrix-Organisation: Die Teams sind zum einen tätigkeitsorientiert (Reporter-, Layouter-, Fotografengruppe) mit je einem Leiter und zum anderen objektorientiert nach klassischen Ressorts eingeteilt. Die Reportergruppe zum Beispiel beliefert verschiedene Ressorts - je nach Thema. Stab-Linien-Organisation: Zur Einlinienorganisation kommt eine Stabsstelle hinzu, zum Beispiel ein Chef vom Dienst oder Redaktionsmanager. Er koordiniert Ressorts, Themen und Projektteams. Rep. Ress.1 Ress.2 Ress.3 Lay. Foto | Abb. 4.13 Grundmodelle der Redaktionsorganisation (Quelle: Meier 2002 a: 102 -105) <?page no="169"?> 170 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N über eine zentrale Koordinationsstelle ein Team buchen, wenn sie einen Beitrag vor Ort drehen und anschließend schneiden wollen. Kameraleute und Cutter sind mal für diese, mal für jene Redaktion tätig. Neue Erscheinungsform der Matrix-Organisation ist die crossmedial integrierte Redaktion: Auf der einen Seite gibt es die Ressorts (wie in der obigen Matrix), auf der anderen die medialen Plattformen: Ein Ressort ist dann für verschiedene Plattformen zuständig (in der Matrix horizontal); es gibt daneben aber Teams, die nur für eine Plattform arbeiten und die Zulieferungen der Ressorts bündeln (in der Matrix vertikal) (vgl. Meier 2013). Die vier Organisationsmodelle existieren selten in Reinform - nicht zuletzt, weil sie jeweils spezifische Nachteile mit sich bringen. Die Kunst des Redaktionsmanagements besteht darin, diejenigen Elemente zu kombinieren, mit denen die redaktionellen Konzepte und Ziele am besten umgesetzt werden können. Ablauforganisation: redaktioneller Workflow Der Erscheinungsrhythmus eines Mediums bestimmt wesentlich die zeitlichen Strukturen und Arbeitsweisen einer Redaktion. Mit »Workflow« sind einerseits die Stationen gemeint, die ein Beitrag durchläuft, bis er gedruckt oder gesendet wird, und andererseits die grundsätzlichen, routinisierten Abläufe in einer Redaktion: von der Redaktionskonferenz und Themenplanung über die Beitragsproduktion bis zum Andruck, zur Sendung oder zur Aktualisierung eines Online-Magazins. Während Nachrichtensendungen nahezu rund um die Uhr im Schichtbetrieb arbeiten und sich manche Tätigkeiten stündlich oder sogar viertelstündlich wiederholen, haben Zeitungsredaktionen einen am Tagesrhythmus orientierten Workflow: Am Vormittag wird das einlaufende Material sortiert, in Konferenzen werden Themen besprochen und vergeben, die ersten Recherchen laufen an. Erst am Nachmittag wird geschrieben und layoutet. Die letzten Beiträge werden kurz vor Redaktionsschluss am Abend fertig. Ganz anders müssen Online-Redaktionen ihren Workflow organisieren: Sie haben weder Redaktionsschluss noch Sendetermin; die Nutzer erwarten eine permanente Aktualisierung der Nachrichten. Der redaktionelle Workflow muss so eingerichtet sein, dass ein Beitrag von einem Texter in die Hand eines anderen wandern kann: Eine neue Schicht übernimmt die Geschichte und schreibt sie aufgrund der aktuellen Lage um und weiter. Nachrichten zu zentralen Ereignissen werden meist mehr als ein Dutzend Mal umgeschrieben. unterschiedlicher Workflow <?page no="170"?> R E D A K T I O N S O R G A N I S A T I O N 171 Redaktionstechnik steuert redaktionelle Abläufe Technische Innovationen verändern die Abläufe in den Redaktionen grundlegend. Beispiel Zeitungsredaktion: Während früher ein Text auf der Schreibmaschine geschrieben, per Redaktionsbote in den Satz gegeben und anschließend vom Setzer in die Seite eingefügt wurde, kann mit modernen Redaktionssystemen das Layout am Computer entworfen werden - und der Journalist schreibt seinen Text direkt ins Layout. Ändert sich die Nachrichtenlage dramatisch, können Seiten jederzeit umgebaut, Beiträge gelöscht, auf andere Seiten verschoben oder gekürzt, neue Beiträge in kurzer Zeit aufgenommen werden. Beispiel Radioredaktion: Früher lag ein O-Ton auf einem Tonband vor, das Band wurde geschnitten und geklebt. Es wurde immer mit dem Original gearbeitet, denn mit jeder Kopie hätten die Töne an Qualität verloren. Das Tonband musste materiell immer vorhanden sein, wenn der Beitrag gesendet wurde; danach wanderte das Band ins Archiv. Nach der Digitalisierung der Radiotechnik liegen O-Töne und Beiträge auf Servern, die für jeden Redakteur permanent übers Netzwerk erreichbar sind. Töne können beliebig oft kopiert werden. In kurzer Zeit können mehrere Versionen eines Beitrags für verschiedene Sendungen produziert werden. Auch das digitale Archiv ist schnell und einfach erreichbar. Während die Digitalisierung von Print- und Radioproduktion schon länger zurückliegt, befinden sich viele Fernsehredaktionen zurzeit in der Einführungsphase digitaler Technik und damit in einem radikalen Umbau der Abläufe in den Redaktionen. Mit analogem Bandmaterial hing der redaktionelle Ablauf am physischen Weg eines Bandes: Nach dem Dreh vor Ort kam das Band in den Schneideraum; der geschnittene Beitrag wanderte auf Band in die Redaktion zur Abnahme, in das Tonstudio zum Besprechen, ins Sendezentrum zum Ausspielen und anschließend ins Archiv. Jetzt wird das digitale Videomaterial nach dem Dreh auf einem Server gespeichert, ist für alle Redakteure erreichbar und kann beliebig oft verwendet oder kopiert werden. In kurzer Zeit können Beiträge an jedem Arbeitsplatz abgenommen, aktualisiert oder ausgetauscht werden. Im digitalen Videoarchiv kann in den Beiträgen über eine Schlüsselbild- oder Stichwortsuche recherchiert werden. Redaktionssysteme bzw. Content Management Systeme für Print, Audio, Video und Internet strukturieren und steuern heute die redaktionellen Arbeitsabläufe bei allen Medien. Während früher aus technischen Gründen strikt lineare Abläufe vorgegeben waren, werden mit digitaler Technik Abläufe und Tätigkeiten vernetzt. Moderne Redaktionstechnik ermöglicht es zudem, dass Reporter mit dem Laptop und einer Onlineverbindung - oder einfach einem Smarttechnische Innovationen Umbau der Abläufe Redaktionssysteme <?page no="171"?> 172 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N phone - ihre Texte, Fotos oder Videos vor Ort direkt ins Redaktionssystem einpflegen und veröffentlichen. Gelegentlich wurde auch schon von einer »Virtualisierung der Redaktion« gesprochen (vgl. Meier 2002 c: 208 - 209), weil die Redaktion als physischer Ort nicht mehr für alle an der Produktion beteiligten Journalisten die gleiche zentrale Bedeutung hat wie früher, als Manuskripte, Fotoabzüge oder Bänder dort abgegeben werden mussten. Neue Möglichkeiten des Wissensmanagements ergeben sich im redaktionellen Intranet durch den Einsatz von Web 2.0-Technologien und Social Software: An einem Wiki zum Beispiel - nach dem Vorbild der Wikipedia - können alle Redakteure mitschreiben. In einer solchen redaktionellen Wissensdatenbank können Themenideen und Recherchequellen gesammelt werden oder es kann gemeinsam an Styleguides, Ablaufplänen und redaktionellen Handbüchern gearbeitet werden (vgl. Simons 2007). Wissensmanagement Redaktionsforschung Die Anfänge der Redaktionsforschung in den USA liegen in den so genannten Gatekeeper-Studien in den 1950er Jahren, die das Selektionsverhalten von Nachrichtenredaktionen mit sozialwissenschaftlichen Methoden untersuchten ( → vgl. Kap. 5.3; S. 198 - 201 ). In Deutschland beschäftigten sich zwar fast alle Nestoren der Zeitungswissenschaft von den 20er bis zu den 60er Jahren in Teilen ihrer Werke mit der Zeitungsredaktion, sie kamen dabei aber über vorempirische Beschreibungen nicht hinaus. Manfred Rühls (2. Aufl. 1979) Pionierstudie zur Zeitungsredaktion in der zweiten Hälfte der 60er Jahre beachtete erstmals die Interaktionsbeziehungen in einer Redaktion sowie den funktionalen Zusammenhang zwischen (redaktionsexterner) Umwelt und interner Differenzierung der Redaktion. Neue Antriebe erhielt die Redaktionsforschung in den 1990er Jahren, als Aspekte des Redaktionsmanagements, des redaktionellen Marketings und des Qualitätsmanagements eine größere Rolle in Praxis und Wissenschaft spielten und sich der analytische Bezugsrahmen der Forschung nicht nur auf soziologische und publizistische Theorien bezog, sondern auch Aspekte der Managementlehre integrierte (vgl. u. a. Ruß- Mohl 1995, Meckel 1999, Meier 2002 a, Wyss 2002). Neuere Theorie als Grundlage der Redaktionsforschung ist die Strukturationstheorie, die u. a. von Klaus-Dieter Altmeppen (2004) und Vinzenz Wyss (2004) unter Bezug auf den Soziologen Anthony Giddens für die Journalistik fruchtbar gemacht wurde. (Organisations-)Strukturen sind demnach nicht einfach als Zwang für die Journalisten zu betrach- <?page no="172"?> R E D A K T I O N S O R G A N I S A T I O N 173 Neue Modelle der Redaktionsorganisation Nicht nur technische Innovationen, auch neue gesellschaftliche oder ökonomische Rahmenbedingungen zwingen Redaktionen zu Umstrukturierungen. Wenn sich die Wünsche und Interessen des Publikums ändern, wenn sich die gesellschaftlichen Anforderungen an die Herangehensweise an Themen wandeln und dementsprechend die Inhalte eines Mediums modernisiert werden sollen, muss auch und vor allem die Redaktion umgebaut werden. Bereits in den 90er-Jahren haben mehr als 80 Prozent der deutschen Zeitungschefredakteure ihre Redaktionen umgebaut, die meisten davon mit neuen Modellen, die bislang nicht in der Praxis erprobt waren (vgl. Meier 2002 a: 286). Dies war allerdings nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe weiterer Umstrukturierungen nach der Jahrtausendwende, die vor allem auf einer veränderten Teamarbeit beruhen - über Ressortgrenzen und Medien hinweg (vgl. Meier 2007). Innovative Chefredakteure haben Ressorts neu geschnitten, auch architektonisch Wände eingerissen, Großressorts geschaffen, Themen- und Autorenteams eingerichtet, das redaktionelle Management gestärkt oder einen Newsdesk installiert: • Ressortübergreifende Teams sollen den Nachteil der klassischen Redaktionsorganisation ausgleichen, dass im Ressort-Egoismus das Bewusstsein für die Zeitung oder das Programm als Ganzes abhanden kommt und die Redaktion nur Themen wahrnimmt, die ins Raster der Ressorts oder der Abteilungen passen (vgl. die erwähnten neuen Modelle). Gleichzeitig werden oft redaktionelle Abläufe optimiert, Strukturen flexibilisiert und Tätigkeiten professionalisiert, um mehr Freiräume für Recherche und Themenplanung zu bekommen. • Crossmediale Teams bedienen in einer Redaktion mehrere Ausspielkanäle (z. B. Print im »normalen Format«, Print als kompaktes Format für junge Zielgruppen; verschiedene Formate im Internet wie Text, Audio, Video; mobile Kommunikation etc.). In crossmedial organisierten Redaktionen werden die Ausspielkanäle zum Beispiel am Newsdesk zusammengeführt: Das digitalisierte redaktionelle »Material« soll Umstrukturierungen ressortübergreifend crossmedial ten, sondern »vielmehr als Ermöglichungsbedingungen, die im Handeln erzeugt, genutzt, stabilisiert, aber auch modifiziert werden« (Wyss 2004: 308). Die Strukturen einer Redaktion wandeln sich also immer wieder, wobei auch dieser Wandel bestimmten Regeln folgt und nicht beliebig vor sich gehen kann. <?page no="173"?> 174 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N mehrfach verwendet, Ressourcen sollen für verschiedene Produkte eingesetzt werden. Neue Redaktionsstrukturen sind die Bedingung dafür, dass neue Ausspielkanäle schnell besetzt und redaktionell integriert werden können. Beide Konzepte von Teamarbeit werden in so genannten Newsrooms oder an Newsdesks kombiniert. Diese Anglizismen avancierten in den vergangenen Jahren im deutschsprachigen Raum zu Modewörtern in Sachen Redaktionsmanagement. Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 60 bis 80 Redaktionen im deutschsprachigen Raum neue Strukturen eingeführt haben - und dafür im weitesten Sinne diese Begriffe verwenden (Meier 2006, 2007). Manchmal wird am Newsdesk nur monomedial gearbeitet, oder es sitzen dort nur ein oder zwei Redaktionsmanager, die das Nachrichtenmaterial koordinieren (Beispiel S ÜDDEUTSCHE Z EITUNG ). In anderen Medienhäusern ist mit »Newsdesk« oder »Newsroom« ein zentraler großer Arbeitsbereich gemeint, an dem mindestens ein halbes Dutzend Redakunterschiedliche Konzepte Newsdesk Der »Newsdesk« ist eine Koordinations- und Produktionszentrale, in der alles zusammenläuft, was die Redaktion an Material zur Verfügung hat. In Zeitungsredaktionen werden dort die Seiten verschiedener Ressorts und/ oder Lokalredaktionen gemeinsam koordiniert und produziert. Am Newsdesk können zudem crossmedial mehrere Plattformen abgestimmt und bedient werden. Newsroom Der »Newsroom« ist nicht einfach ein traditionelles Großraumbüro, sondern unterstützt architektonisch neue redaktionelle Konzepte des ressort- und medienübergreifenden Planens und Arbeitens. Die Wände zwischen Ressorts und Medien werden eingerissen; alle Journalisten sitzen in einem gemeinsamen Redaktionsraum und sollen sich so besser absprechen und koordinieren. Mit dem Begriff Newsroom ist indes gar nicht so sehr die Architektur, sondern eher das neuartige Organisationsmodell und die neue Art, journalistisch zu denken und zu handeln, gemeint. Oft ist Rede vom »Fall der Mauern im Kopf«. Mitunter werden beide Konzepte verbunden: Der Newsdesk bildet dann das Zentrum eines Newsrooms. Definition <?page no="174"?> R E D A K T I O N S O R G A N I S A T I O N 175 Reporter rte rt r orrter rter Repor Rep Repo orr Repor Repor Online Social-Media Wirtschaft Grafik Chefredaktion Politik Lokales Kultur Editoren Entscheidungs- & Produktionszentrale Online- Ausgabe Tablet- Ausgabe Soziale Netzwerke Printausgabe recherchieren produzieren koordinieren beauftragen arbeiten in Editoren-Teams User-Feedback aufnehmen auf Kanäle verteilen Inhalte bearbeiten Themen aufnehmen planen Reporter Querverweise und ergänzende Inhalte Weitere (Spezial-)Desks | Abb. 4.14 Abläufe in einer crossmedialen (Lokal-)Redaktion: Ressortübergreifend werden Themen auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht; soziale Netzwerke gehören ebenso dazu wie Print-, Online- oder Tablet-Ausgabe. User-Feedback wird in Themenfindung und -gewichtung eingeschleust (Quelle: Meier 2012, bpb.de, Creative Commons Lizenz by-nc-nd/ 3.0/ de). <?page no="175"?> 176 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N teure verschiedener Ressorts gemeinsam produzieren und verschiedene Medien bedienen (Beispiele B RAUNSCHWEIGER Z EITUNG , M AINPOST und R HEI - NISCHE P OST ). Wiederum ein anderes Konzept sieht einen gemeinsamen Newsdesk für mehrere Lokalredaktionen vor (Beispiele M AINPOST und S ÜDKURIER ). In anderen Redaktionen wurden dagegen kleinteilige Büros aufgelöst und ein großer gemeinsamer Newsroom geschaffen (Beispiele: H ANDELSBLATT , Düsseldorf: 900 Quadratmeter für 70 Redakteure seit 2002; A USTRIA P RESSE A GENTUR APA , Wien: 1.500 Quadratmeter für 100 Redakteure seit 2005; W ELT / W ELT AM S ONNTAG / M ORGENPOST , Berlin: 400 Quadratmeter für 56 Arbeitsplätze). Manchmal versuchen die Redaktionen, die Anglizismen zu vermeiden, und verwenden dann Begriffe wie »Nachrichtenraum« (so bei der W ELT ), »Nachrichtentisch« (so beim M AIN - E CHO in Aschaffenburg) oder »zentrale Produktionseinheit« (so bei der H ESSISCHEN / N IEDERSÄCHSISCHEN A LLGEMEINEN in Kassel). Das wohl größte Newsroom-Projekt Europas ist seit Ende 2006 in London zu besichtigen: Beim D AILY T ELEGRAPH sitzen 450 »editors« und »reporters« in einem neuen Großraum, der mit 6.300 Quadratmetern etwas kleiner als ein Fußballfeld ist. Im Zentrum steht ein »Hub« an dem die verschiedenen Plattformen koordiniert werden. Ein internationales Forschungsprojekt hat drei Modelle redaktioneller Konvergenz auf der Basis von Fallstudien in Deutschland, Österreich und Spanien definiert (vgl. García Avilés et al. 2009). Mit Hilfe dieser Typisierung und einer Matrix mit 32 zentralen Fragen, die in Konvergenzprozessen auftreten, stellt die Journalismusforschung dem Redaktionsmanagement Instrumente zur Verfügung, die dazu beitragen können, eine eigene Newsroom-Strategie zu entwickeln: • Vollständige Integration: Hier ist in einem einzigen Newsroom die notwendige Infrastruktur für die multimediale Produktion konzentriert. Die Workflows werden für alle Kanäle im Newsroom bestimmt. Häufig sind themenorientierte Teams (früher: Ressorts) für alle Plattformen zuständig (Matrix-Organisation). • Cross Media: Eine Mehrheit der Journalisten arbeitet weiterhin spezialisiert für eine Plattform. Entsprechend können Newsrooms und Newsdesks auch räumlich getrennt bleiben. Allerdings gibt es eine zentrale, übergreifende Steuerung der Workflows und Content-Verwertungen durch Koordinatoren und Newsmanager. Teambildungen sind über Mediengrenzen hinweg möglich und werden ebenso gefördert wie mehrmediales Arbeiten Einzelner und die Weiterbildung dafür. • Koordination von eigenständigen Plattformen. Weder bei Beschaffung noch bei Produktion noch bei Distribution von Nachrichten gibt es eine Zusammenarbeit verschiedener Medien eines Unternehmens. Das ist auch bewusst kein strategisches Ziel. Mehrmediale Tätigkeit größtes Newsroom- Projekt Europas drei Modelle redaktioneller Konvergenz <?page no="176"?> R E D A K T I O N S O R G A N I S A T I O N 177 einzelner Journalisten entspringt allenfalls individuellen Interessen, ist aber nicht vom Management beabsichtigt. Dahinter steht die Absicht zum Erhalt schlagkräftiger, autonomer Einheiten - ohne das Risiko einzugehen, dass journalistische Kernkompetenzen verwässert werden oder die spezifische Identität der Plattformen aufgegeben wird. Erfahrungen mit neuen Organisationsstrukturen Welche Erfahrungen wurden allgemein mit diesen neuen Arbeitsstrukturen gemacht? Eine pauschale Antwort ist schwierig, weil jede Redaktion Arbeitsteilung und Arbeitsabläufe finden muss, die für sie optimal sind. Manchen gelingt das besser, anderen schlechter. Wissenschaftliche Studien ( → vgl. zur anwendungsorientierten Forschung Kap. 1.3.3; S. 63 - 64 ) zeigen (Meier 2007), dass durch Newsdesk-Modelle die journalistische Qualität steigen kann und auch die Arbeitszufriedenheit der Redakteure, wenn sie merken, dass sie eine gute Zeitung machen und zudem das Publikum über mehrere Wege erreichen. Andererseits kann aber auch der Arbeitsdruck größer werden: Die zeitlichen Freiräume werden enger, der persönliche Stress nimmt zu. In der Schweiz spricht man so gar von einem »Prekariat des Journalismus«, das in den neuen crossmedialen Newsrooms arbeite (Wyss 2013a). In crossmedialen integrierten Newsrooms ist zudem Training und Coaching gefragt. Ein Print-Journalist kann nicht von heute auf morgen lernen, wie das Internet tickt oder wie ein Podcast oder ein Video-Beitrag produziert wird. Als journalistischer Nachwuchs werden zunehmend Journalisten gebraucht, die mit den neuen Formen und Formaten des Internet umgehen können, die aber die Denkweise der alten Medien nicht aus den Augen verlieren. Erfolgreiche Redaktionen müssen sich immer wieder wandeln, um die neuen technischen Möglichkeiten, die veränderten Marktbedingungen und die sich ändernde Mediennutzung produktiv und kreativ nutzen zu können. Allerdings gilt auch: Der ökonomische Druck auf Redaktionen ist nicht beliebig steigerbar, sonst gerät die Qualität unter die Räder - mit welchen Organisationsstrukturen auch immer ( → vgl. zur Zukunft des Journalismus Kap. 7.3; S. 259 - 266 ). bessere Qualität, aber höherer Arbeitsdruck <?page no="177"?> 178 M E D I E N O R G A N I S A T I O N E N Literatur Grundsätze und neue Modelle der Redaktionsorganisation werden in den Beiträgen von Klaus Meier (2002 a, 2007, 2013) beschrieben und analysiert (vgl. auch García Avilés et al. 2009). Ein allgemeines Lehrbuch zur Analyse des Redaktionsmanagements liegt von Miriam Meckel vor - eines mit praktischen Ratschlägen von Kurt Weichler. Für die Organisation einer Redaktion sind Aufbau und Ablauf wichtig. Beim Aufbau werden die Aufgaben verteilt (zum Beispiel an »reporters« und »editors«) und das Entscheidungsgefüge wird festgelegt (zum Beispiel als Einlinienorganisation mit Chefredakteur, Ressortleitern und Redakteuren). Der Ablauf - der redaktionelle Workflow - hängt stark vom Erscheinungsrhythmus eines Mediums ab. Tageszeitungen haben zum Beispiel einen ganz anderen Workflow als Online-Redaktionen, was auch das crossmediale Arbeiten schwierig macht. Durch die Digitalisierung und den Einzug von Redaktionssystemen in alle Medienbereiche werden die früher strikt linearen Abläufe vernetzt. Neue Modelle der Redaktionsorganisation werden mit den Begriffen Newsdesk und Newsroom bezeichnet. Sie fördern ressortübergreifendes und crossmediales Arbeiten. Zusammenfassung 1 Welche verschiedenen Wörter und Bedeutungen gibt es im Englischen für den Begriff »Redaktion«? 2 Beschreiben Sie die verschiedenen Möglichkeiten des Aufbaus einer Redaktion und diskutieren Sie Vor- und Nachteile. 3 Skizzieren Sie den Workflow in einer Zeitungs- und einer Online-Redaktion. Wie könnte ein crossmedialer Workflow aussehen? 4 Wie verändert die Digitalisierung die Abläufe einer Redaktion? 5 Beschreiben Sie neue Modelle der Redaktionsorganisation und überlegen Sie Vor- und Nachteile. Übungsfragen zu Kapitel 4.5 <?page no="178"?> 179 179 Journalistische Routinen Journalismus, Realität und Objektivität Als am 22. September 2006 ein Transrapid auf der Teststrecke im Emsland mit Tempo 170 in einen Werkstattwagen raste, starben 23 Menschen. Die Nachrichtenmedien berichteten intensiv über diese Katastrophe. - Etwa genau so viele Menschen sterben im Schnitt alle zwei Tage durch Verkehrsunfälle in Deutschland. Beinahe täglich erreicht uns in den Jahren des terroristischen Wahnsinns die Meldung, dass im Irak oder einem anderen Land wieder einmal dutzende Menschen durch einen Anschlag ums Leben gekommen sind. - Nach Angaben der Welthungerhilfe sterben täglich 6.000 Kinder weltweit an Hunger. Das sind vier Kinder pro Minute. Das Erkenntnisinteresse des Journalismus richtet sich auf Einzelereignisse. Themen brauchen hervorstechende Ereignisse, um vom Journalismus wahrgenommen zu werden. Die Ereignisfixierung des Informationsjournalismus ist indes nur ein Baustein der Prozesse und Routinen, welche die Wirklichkeit der Medien konstruieren. | 5 Inhalt 5.1 Journalismus, Realität und Objektivität 5.2 Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster 5.3 Nachrichtenauswahl 5.4 Journalismus und Public Relations | 5 .1 »News and truth are not the same thing, and must be clearly distinguished.« (Walter Lippmann 1922) Zitat <?page no="179"?> 180 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N Wie verhalten sich Medienrealität und Wirklichkeit zueinander? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Massenkommunikationsforschung seit mehr als 100 Jahren. Es gibt dazu dutzende empirische Untersuchungen (vgl. z. B. Schulz 1989). Basis ist häufig ein Vergleich der Medieninhalte mit so genannten »Extra-Media-Daten« - also zum Beispiel mit Statistiken, Augenzeugenberichten oder Aussagen von Experten -, was zu dem allgemeinen Resümee führt, dass Journalismus die Wirklichkeit nicht repräsentiert. Doch die Schlussfolgerungen aus dieser Feststellung sind unterschiedlich. Es kommt auf die Einschätzung an, ob wir Realität an sich überhaupt erkennen können. Im Wesentlichen gibt es drei Positionen: • Die erste Position stimmt zunächst recht gut mit unserem Alltagsverständnis überein. Sie geht davon aus, dass es grundsätzlich Aufgabe des Journalismus ist, ein »möglichst getreues und genaues Abbild der Welt bereitzustellen« und damit »Spiegel der Wirklichkeit« zu sein (Schulz 1989: 140). Festzustellen sei indes immer wieder, dass Journalismus die Realität »verzerrt« und dass er zugleich das Potential habe, zu manipulieren und der Gesellschaft zu schaden. Die Konsequenz aus diesem Widerspruch ist eine massive Medienkritik und eine vermutete Manipulation der Gesellschaft durch Journalismus. Gefordert wird eine stärkere Kontrolle, wenn nicht gar Zensur. Wissenschaftliche Vertreter dieser Position verbinden die These der Realitätsverzerrung meist direkt mit Thesen der Medienwirkungsforschung ( → vgl. Kap. 3.3; S. 118 - 120 ) - um den Manipulationsverdacht zu erhärten. Oft haben Vertreter dieser Position starke eigene Interessen oder eine »Mission«: Sie fordern dann zum Beispiel, dass die politischen Inhalte ihrer Partei vom Journalismus besser transportiert werden sollen oder dass die Medien doch intensiver über den Hunger in aller Welt, über die Klimakatastrophe oder auch öfter über »good news« und weniger über »bad news« berichten sollten. • Die zweite Position begreift Journalismus nicht bloß als passiven Spiegel einer Wirklichkeit, die unabhängig von Massenkommunikation existiert. Journalismus ist stattdessen »aktives Element in einem sozialen Prozess […], aus dem eine Vorstellung von Wirklichkeit erst hervorgeht« (ebd. 142). Journalismus ist zentraler Teil des kollektiven Bemühens, eine gemeinsame Realität zu konstruieren, die Basis für soziales Handeln ist. Eine selektive Wahrnehmung des Journalismus kann somit durchaus erwünscht sein, dient sie doch der Beseitigung von Unsicherheit: Über das Tagtägliche müssen wir nicht informiert werden, sondern über das Ungewöhnliche. Die Aufmerksamkeitsregeln des Journalismus stimmen hier weitgehend mit der allgemeinen menschlichen Aufmerksamkeit überein. Ob und inwieweit Journalismus die Realität verzerrt, ist allerdings recht schwer festzustellen, Medienrealität und Wirklichkeit? »Spiegel der Wirklichkeit« kollektives Bemühen um gemeinsame Realität <?page no="180"?> J O U R N A L I S M U S , R E A L I T Ä T U N D O B J E K T I V I T Ä T 181 denn die Wahrnehmung von Realität ist nach diesem Verständnis immer ein soziales Konstrukt - ob das des Journalismus, der Statistik oder eines Beobachters, der »dabei war«. Welches Konstrukt »wahr«, welches »verzerrt« ist, bleibt letztlich ungeklärt. »In der Praxis kommt es darauf an, dass die Wirklichkeitskonstrukte als plausibel anerkannt werden und als Handlungsbasis taugen« (ebd. 143). Medienkritik zielt im Sinne dieser Position nicht auf die Durchsetzung partikularer Interessen oder Zensurmaßnahmen ab, sondern achtet auf die professionellen Standards, die in Kapitel 7.1 näher beschrieben werden. Vielfalt und Wettbewerb - die Konkurrenz verschiedener Wirklichkeitskonstruktionen - sollen »die bestmögliche Annäherung an die objektive Realität« (ebd. 146) ermöglichen. • Die dritte Position greift die Argumente der zweiten auf, ist aber radikaler. Sie nennt sich »radikaler Konstruktivismus« und bezeichnet andere Positionen als »naiven Realismus« (Pörksen 2005 a: 177). Die Konstruktivisten gehen davon aus, dass Wirklichkeit an sich nicht erkennbar ist, sondern dass Erkenntnis »stets und unvermeidlich aus den viablen (das heißt: den nützlichen und brauchbaren) Konstruktionen eines Beobachters, eines Erkennenden« entsteht (ebd. 177). Diese These basiert einerseits auf der Erkenntnis der Neurobiologie, dass das Gehirn operativ geschlossen ist und keinen direkten Umweltkontakt besitzt, und andererseits auf der Wissenssoziologie, die feststellt, dass »Realität im Gefüge der Gesellschaft und der jeweiligen Kultur entsteht« (ebd. 178). Kritiker einer konstruktivistischen Journalistik geißeln den Konstruktivismus als zu Willkür und Fälschung einladenden Subjektivismus. Dem halten Konstruktivisten entgegen, dass Konstruktionen nicht willkürlich oder beliebig sind, sondern »vielfältig bedingt durch Natur und Kultur, Geschichte, Sprache und insbesondere auch durch die Medien, die in modernen Gesellschaften als zentrale Sozialisationsinstanzen wirken« (ebd. 177). Die Konsequenz aus der Beobachterabhängigkeit allen menschlichen Erkennens ist eine »Ablehnung dogmatischer Wahrheitsansprüche« sowie die Forderung nach einer »Verantwortung für die eigene Wirklichkeitskonstruktion« und einer »Toleranz gegenüber anderen Wirklichkeiten« (ebd. 180). Der Konstruktivismus sensibilisiert damit für einen kritischen Umgang mit den professionellen Routinen des Journalismus und seinen handwerklichen Standards. In der Journalistik gibt es Wissenschaftler, die sich bewusst als »radikale Konstruktivisten« bezeichnen, und Wissenschaftler, die bewusst gegen den Konstruktivismus argumentieren und zwischen den Positionen eins und zwei wandern. Andere Wissenschaftler vertreten eine Position, die zwischen zwei und drei navigiert: nicht ein »radikaler«, sondern ein mit radikaler Konstruktivismus <?page no="181"?> 182 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N dem Realismus vereinbarer »(moderater) sozialer Konstruktivismus« (Neuberger 2005 a: 328). In der Kommunikationspraxis fand die erste Position in der Bundesrepublik lebendigen Ausdruck in den Lagerkämpfen zwischen »rechts« und »links« in den 60er und 70er-Jahren. Politiker und Interessengruppen klagten über eine »einseitige« Berichterstattung - und wurden von Wissenschaftlern unterstützt ( → vgl. die Ausführungen zur Schweigespirale in Kap. 3.3; S. 118 - 119 ): So hieß es in den 70er-Jahren, eine angeblich »linke« Berichterstattung vor allem des damals rein öffentlich-rechtlichen Fernsehens habe der SPD/ FDP zum Wahlsieg verholfen - was übrigens dann auch ein Argument für die CDU/ CSU war, die Einführung des privatwirtschaftlichen Rundfunks zu unterstützen. In jüngster Zeit nutzen eher links orientierte Politiker genau die gleichen Argumente: nämlich, dass die Journalisten sich stärker an einer neoliberalen Ideologie orientierten als an dem, was für die Öffentlichkeit relevant sei - zum Beispiel die Politikwissenschaftlerin und SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Gesine Schwan, die die Wahl gegen Horst Köhler verlor und eine Mitschuld daran den Medien gab (vgl. Schwan 2005), oder der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der nach verlorener Wahl 2005 zu einer massiven Medienschelte ansetzte. Doch in diese alten Muster verfallen Politiker inzwischen recht selten: Heute werden die Konstruktionsprozesse der Medien in den Public Relations intensiv analysiert und ihre Mechanismen für den Image-Gewinn von Parteien und Politikern, von Unternehmen und Organisationen genutzt - von der Inszenierung der Parteitage und des Wahlkampfs bis zum gezielten Themenmanagement (vgl. u. a. Donsbach/ Jandura 2003) ( → vgl. Kap. 3.3; S. 118 ). Das Problem der Objektivität Wenn man voraussetzt, dass Medienrealität durch die Konstruktionsprozesse des Journalismus - oder anders formuliert: durch kollektives Bemühen um eine gemeinsame soziale Wirklichkeit - entsteht, wie kann man dann die Frage nach Objektivität beantworten? Ist ein »objektiver Journalismus« überhaupt möglich? Kann man Realität »objektiv« beschreiben, wenn ihre Erkenntnis nur »subjektiv« möglich ist? Schließlich ist die Objektivität eine wichtige Norm im Journalismus, an der sich rechtliche Vorschriften, ethische Kodizes ( → vgl. Kap. 7.2; S. 251 - 254 ) und viele praktische Lehrbücher orientieren. In einer repräsentativen Befragung ( → vgl. Kap. 6.1; S. 218 - 221 ) gaben 89 Prozent der deutschen Journalisten an, »das Publikum möglichst neutral und präzise informieren« zu wollen und immerhin 74 Prozent waren sich des beschriebenen Lagerkampf und Medienschelte Inszenierung und Themenmanagement Ist »objektiver Journalismus« möglich? <?page no="182"?> J O U R N A L I S M U S , R E A L I T Ä T U N D O B J E K T I V I T Ä T 183 erkenntnistheoretischen Problems nicht bewusst, als sie sagten, sie wollten »Realität genauso abbilden, wie sie ist« (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 102). Ein Vorschlag zur Lösung des Objektivitätsproblems liegt in einer grundsätzlichen Unterscheidung: Christoph Neuberger (1997, 2005 a) hat darauf aufmerksam gemacht, dass von der Frage nach möglicher Objektivität die Frage nach der Relevanz zu unterscheiden sei - die Frage »Was ist wirklich? « also von der Frage »Was ist wichtig? «. Ähnlich argumentiert das älteste noch aktualisierte Lehrbuch für praktischen Journalismus im deutschsprachigen Raum: Walther von La Roche (2013: 133 - 150) unterscheidet zwischen äußerer und innerer Objektivität. Bei der Frage »Was ist wirklich? « (oder der äußeren Objektivität) geht es um die Übereinstimmung der journalistischen Berichterstattung mit Tatsachen, die grundsätzlich überprüfbar sind - also um die Richtigkeit. La Roche (2013: 134f.) sagt dazu: »Die Fakten müssen stimmen.« Und: »Wo sich der Redakteur keine Gewissheit über den Sachverhalt verschaffen konnte, führt das Bemühen um Richtigkeit dazu, in aller Offenheit auf diese Ungewissheit aufmerksam zu machen.« Neuberger (2005 a: 326) verweist darauf, dass hier die journalistischen Regeln für die Beobachtung von Ereignissen und die Prüfung von Nachrichten mit den wissenschaftlichen Grundprinzipien des Kritischen Rationalismus übereinstimmen ( → vgl. zur Wissenschaftstheorie des Kritischen Rationalismus Kap. 1.2.1; S. 26 ). Demnach sind vorläufige Aussagen über die Realität möglich, wenn eine Konsensbildung über die Erkenntnismethoden erfolgt, der Erkenntnisprozess transparent ist und die Erkenntnismethoden überprüfbar und kritisierbar sind. »Objektivität« kann nur durch »Intersubjektivität« erreicht werden. Für den (Nachrichten-)Journalismus heißt dies, dass von den in Kapitel 7.1 genannten Qualitätskriterien neben der Vielfalt (z. B. bei widersprüchlichen Behauptungen zu demselben Sachverhalt) vor allem der Transparenz und der Interaktivität eine besondere Bedeutung zukommt und dass die Infrastrukturen der Qualitätssicherung (z. B. Selbstkritik und Fremdkritik) funktionieren müssen, wenn sich der Journalismus dem Ideal der Objektivität - also der Richtigkeit - annähern will. Bei der Frage »Was ist wichtig? « (oder der inneren Objektivität) geht es dagegen um die Entscheidung des Journalisten bzw. der Redaktion, wenn Nachrichten nach ihrer Relevanz auswählt und gewichtet werden. Auch wenn man sich dabei an den W-Fragen und den Nachrichtenfaktoren (also den professionellen Selektionskriterien) orientiert, enthält die Entscheidung noch immer eine implizite Wertung - zum Beispiel die Beurteilung, welchen Nutzen die Nachricht für das Publikum bzw. die Zielgruppe hat. »Die Realität sagt nicht aus sich heraus, welche ihrer Objektivität und Relevanz »Intersubjektivität« statt Objektivität Auswahlproblem <?page no="183"?> 184 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N Aspekte relevant sind und welche nicht.« (Neuberger 1997: 313) »Kriterien für die Auswahl von Nachrichten und die Sortierung nach Wichtigkeit sind für jede Redaktion die Wünsche und das Vorwissen ihrer Zielgruppe.« (La Roche 2013: 148) Eine »objektive« Auswahl von Nachrichten oder eine »objektive« Gewichtung bei der Auswahl von Fakten ist demnach nicht möglich. »Man kann entsprechend den Übereinkünften einer ›gemeinsamen gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit‹ berichten, aber eine Beschreibung der Wirklichkeit, innere Objektivität leistet man damit nicht.« (ebd. 149) Neuberger und La Roche stimmen zwar in der Grundunterscheidung überein, im Detail gibt es aber Unterschiede: Während Neuberger nur die Richtigkeit als Objektivitätskriterium sieht und alle anderen Kriterien als Relevanzkriterien einstuft, die nur wertend und nicht »objektiv« zu lösen sind, kommen bei La Roche zur Objektivität noch die Vollständigkeit und Ausgewogenheit sowie die Trennung von Nachricht und Meinung hinzu. Streng wissenschaftlich argumentiert muss man Neuberger Recht geben, denn die Befolgung von Vollständigkeit, Ausgewogenheit und des Trennungsgrundsatzes verlangt immer auch implizit Wertungen - kann also letztlich nicht »objektiv« entschieden werden. Wer dennoch meint, »objektiv« ausgewogen oder vollständig oder rein nachrichtlich sein zu können, läuft Gefahr, sich der impliziten Wertung nicht bewusst zu sein, deshalb ideologisch zu argumentieren und journalistische Beiträge als »Wahrheit« zu bezeichnen, der sie sich aber letztlich nur annähern können (vgl. die Ausführungen zum »objective reporting« im folgenden Kapitel). Journalisten suchen also nicht nach der »Wahrheit«, sondern sie halten sich an professionelle Routinen und Standards, um nicht beliebig zu entscheiden, sondern so, wie es das Publikum (zu Recht) erwartet. Es ist Aufgabe der Journalistik, Erkenntnis- und Objektivitätsproblem zu diskutieren - und dazu beizutragen, dass Journalisten (nicht nur in der Ausbildung) auch über implizite Wertungen kritisch reflektieren können. Dazu gehört eine Untersuchung der Relevanzkriterien und Schemata des Journalismus - verbunden mit dem Versuch, die Konstruktionsprozesse des Journalismus offenzulegen. Deshalb werden wir im Folgenden die Darstellungsformen, Berichterstattungsmuster und Spezialisierungen, die Nachrichtenauswahl und den Einfluss der Public Relations näher analysieren. Auch die Diskussion der Qualitätskriterien und ethische Fragestellungen sind ein Beitrag zur kritischen Reflexion journalistischer Produktion ( → vgl. Kap. 7.1 und 7.2; S. 233 - 255 ). <?page no="184"?> J O U R N A L I S M U S , R E A L I T Ä T U N D O B J E K T I V I T Ä T 185 Literatur Wer sich näher mit der Position des radikalen Konstruktivismus und seinem besonderen Ansatz der Journalistik und Journalistenausbildung beschäftigen möchte, dem sei »Die Beobachtung des Beobachters« von Bernhard Pörksen empfohlen. Wem das nicht ausreicht, der kann zu dem dicken Buch Die Wirklichkeit der Medien greifen, das von Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt und Siegfried Weischenberg herausgegeben wurde. Einen unterhaltsamen Einblick in die Inszenierung der Wirklichkeit von und über Prominente bieten Jens Bergmann und Bernhard Pörksen in »Medienmenschen«. Die Frage, wie sich Medienrealität und Wirklichkeit zueinander verhalten, beschäftigt schon Generationen von Forschern. Das Spektrum der theoretischen Positionen reicht von einem Realismus, der den Medien die Aufgabe zuschreibt, ein getreuer Spiegel der Wirklichkeit zu sein, bis zum radikalen Konstruktivismus, der grundsätzlich die Erkennbarkeit der Wirklichkeit an sich verneint und sagt, dass Realität im Gefüge von Gesellschaft und Kultur entsteht. Der Mainstream der Journalistik stimmt zwar nicht unbedingt der radikalen Variante des Konstruktivismus zu, geht inzwischen aber davon aus, dass der Journalismus eine Medienrealität konstruiert, die Basis für soziales Handeln ist ( → vgl. Kap. 1.1.1; S. 14 - 15 ). Aufgabe der Journalistik ist es, die Konstruktionsprozesse des Journalismus zu analysieren und damit eine kritische Reflexion zu ermöglichen. Ein erster Schritt dabei ist die Unterscheidung von Objektivität (»Was ist richtig? «) und Relevanz (»Was ist wichtig? «). Zusammenfassung 1 Warum kann man nicht so einfach sagen, die Medien seien ein »getreuer Spiegel der Wirklichkeit«? - Beschreiben Sie die drei theoretischen Positionen, die das Verhältnis von Medienrealität und Wirklichkeit diskutieren. 2 Worin unterscheiden sich die beiden Fragen »Was ist wirklich? « und »Was ist wichtig? «. Warum kann die Frage »Was ist wichtig? « grundsätzlich nur wertend entschieden werden? Übungsfragen zu Kapitel 5.1 <?page no="185"?> 186 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N Zum Problemkreis der Objektivität lesen Sie kritisch vergleichend die Beiträge von Christoph Neuberger (1997 und 2005 a) sowie den entsprechenden Abschnitt im Buch von Walther von La Roche (2013). Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster Journalistische Wirklichkeitskonstruktion läuft nicht beliebig ab, sondern folgt ganz bestimmten Routinen. Die Realität der »News« entsteht erst durch ein routinisiertes und institutionalisiertes Netz, das der Journalismus über die Welt legt, so die New Yorker Wissenschaftlerin Gaye Tuchman (1977, 1978), die sich jahrelang mit der Routine in Redaktionen beschäftigt hat. Sowohl das Erwartbare als auch das Unerwartete werden in der »news factory« routinisiert. »Eine Geschichte ist gut, wenn sie rund ist«, sagt zum Beispiel die Lokaljournalistin Ulrike Pfeil (2006: 146). Was rund ist, bestimmt die journalistische Routine: »Die Geschichte fügt sich wunderbar in die Vorstellungswelt, sie bestätigt, was man schon immer vermutet hat, oder sie widerlegt Patent-Vorurteile.« Ein Aspekt der Nachrichtenroutine ist zum Beispiel die Zeit- und Platzeinteilung: Bis zum Redaktionsschluss muss genau eine Seite oder genau eine 15-Minuten-Sendung gefüllt sein. »[W]ork must be scheduled in time and space so that recognizable news events can be routinely encountered and processed.« (Tuchman 1977: 45) Wie sehen die Routinen des Journalismus aus, die letztlich die Medienrealität konstruieren? - Darum geht es in diesem und im folgenden Kapitel 5.3. Ordnung durch Schemata Wesentliche Merkmale der journalistischen Wirklichkeitskonstruktion sind die Darstellungsformen (z. B. Nachricht, Kommentar oder Reportage) und die Berichterstattungsmuster (z. B. der »Objektive« Journalismus oder der Investigative Journalismus). Diese Merkmale sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben sich im Laufe der Geschichte des Journalismus in den jeweiligen Mediensystemen entwickelt - als intersubjektive Vereinbarungen (vgl. Weischenberg 1995: 111 - 124). Man kann sie als »Schemata« bezeichnen, die Ordnung in die journalistische Kommunikation bringen (vgl. u. a. Rühl 1980: 303; Schmidt/ Weischenberg 1994). Auf die Schemata können sich die Produzenten und Rezipienten verlassen; sie reduzieren Unsicherheit und steuern die (Erwartungs-)Erwartungen zwischen Anbietern und Nutzern. Wenn zum Beispiel die F RANKFURTER A LLGEMEINE Z EITUNG die Kommentare auf der 5 .2 | »News factory« Merkmale der journalistischen Wirklichkeitskonstruktion <?page no="186"?> D A R S T E L L U N G S F O R M E N U N D B E R I C H T E R S T A T T U N G S M U S T E R 187 ersten Seite typografisch besonders absetzt, dann weiß der Leser, dass er in diesen Texten (konservative) Meinung bekommt. Hinweise auf Schemata können auch missbraucht werden - etwa im Fall von Schleichwerbung in redaktionellen Texten oder mit nicht gekennzeichneten fiktionalen Elementen in journalistischen Beiträgen (vgl. Pöttker 2005). Schemata wandeln sich im Laufe der Zeit und passen sich dem ökonomischen, technischen und sozialen Wandel des Journalismus an. So hat Manfred Rühl (1980: 307 - 308) zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die Reportage zu den Zeiten von Egon Erwin Kisch eine andere Funktion hatte als nach der Etablierung von Radio und Fernsehen (die beide eine Unterhaltungsfunktion übernommen haben und durch Live-Berichterstattung, O-Töne und bewegte Bilder einen starken Eindruck des »Dabeiseins« vermitteln, der in einer geschriebenen Reportage kaum erreicht werden kann). Auch die Darstellungsformen im Fernsehen haben sich vor allem nach Einführung des Dualen Systems gewandelt (z. B. »Infotainment« oder »Reality-TV«). Besonders beim Fernsehen - aber auch generell im Journalismus - trifft die Feststellung zu, dass die Schemata Strategien des Wirklichkeitsbezugs oder anders formuliert Strategien der »Inszenierung dieses Wirklichkeitsbezugs« sind (vgl. Weischenberg 1995: 111). Ohne Routinen und ohne standardisierte Schemata könnte einerseits die journalistische Produktion nicht arbeitsteilig organisiert und hochgradig aktuell erfolgen. Journalisten lernen die Schemata in ihrer Ausbildung und redaktionellen Sozialisation. Andererseits wäre das Publikum immer wieder überfordert, aus der Flut der Medienangebote sinnvoll und nutzbringend auszuwählen. Auch die Mediennutzer lernen die Schemata in der Sozialisation: von der Mediennutzung im Elternhaus über entsprechende Inhalte in der Schule bis zur außerschulischen Medienpädagogik. Auch bei neuen Medien - wie dem Internet - schaffen Anbieter und Nutzer in einem sozialen Prozess Ordnung durch die Herausbildung von Schemata (vgl. Neuberger 2005b): Nach einer Phase der Imitation von Schemata alter Medien entstehen nach und nach eigenständige Formate, die den technischen Potentialen des Internet gerecht werden (vgl. z. B. Meier 2002 c: 21 - 171). In der aktuellen Internetöffentlichkeit werden neue Formate zum Beispiel als Portale, Weblogs oder Social Software/ Social Media bezeichnet. Wandel der Darstellungsformen Schemata werden gelernt »Without standardization, without stereotypes, without routine judgments, without a fairly ruthless disregard of subtlety, the editor would soon die of excitement.« (Walter Lippmann 1922) Zitat <?page no="187"?> 188 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N Darstellungsformen Wer allerdings erwartet, dass die Schemata eindeutig definiert sind und überall gleichbedeutend verwendet werden - der muss enttäuscht werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Schemata permanent wandeln, kreativ und innovativ vermischt oder neu entwickelt werden, um dem Wandel der Nutzungsgewohnheiten sowie der ökonomischen und technischen Rahmendingungen gerecht zu werden. Zudem hängen die Schemata im Einzelnen u. a. von der medialen Plattform und dem Themengebiet ab. Es lassen sich allerdings Idealtypen finden, die sich durch ganz spezifische Besonderheiten voneinander absetzen. Die journalistischen Darstellungsformen werden auch als »Genres« (Kurz 2000), als »Gattungen« (Roloff 1982) oder neuerdings als »Formate« (Meier 2002 c) bezeichnet. In einer ersten systematischen Zusammenstellung identifizierte Eckart Klaus Roloff (1982) 19 journalistische Textgattungen, die er in referierende, interpretierende und kommentierende Gattungen einteilte. Die Lehrbuchliteratur führt die Fülle der Darstellungsformen auch heute noch häufig auf zwei oder drei Grundformen zurück: Walther von La Roche (2013: 73 - 183) teilt in »informierende Darstellungsformen« (Nachricht, Bericht, Reportage, Feature, Interview und Umfrage, Korrespondentenbericht und analysierender Beitrag) und »meinungsäußernde Darstellungsformen« (Kommentar, Glosse, Rezension). Siegfried Weischenberg (2001 a: 49 - 67) nennt dagegen nur sechs allen Formen zugrunde liegende Darstellungsformen, die er in drei Typen klassifiziert: »Nachrichtendarstellungsformen« (Meldung und Bericht), »Meinungsdarstellungsformen« (Kommentar und Glosse) und »Unterhaltungsdarstellungsformen« (Reportage und Feature). Das Interview reicht Weischenberg als »zusätzlichen Typ« nach. Darstellungsformen, Genres, Gattungen, Formate Entstehung der »inverted pyramid« als Form der Nachricht Viele der heute noch gebräuchlichen Darstellungsformen im Journalismus sind im 19. Jahrhundert in den USA entstanden - so auch die Nachricht in der weit verbreiteten Form der »inverted pyramid« (»umgekehrte Pyramide«). Gemeint ist das Prinzip, wonach das Wichtigste an den Anfang gesetzt wird. Die weniger wichtigen Details der Nachricht folgen später und können im journalistischen Produktionsprozess gekürzt oder in der Rezeption ohne größere Verständnisschwierigkeiten weggelassen werden. Wie ist dieser Aufbau entstanden? Gern erzählt wird der Mythos, wonach die »inverted pyramid« aufgrund technischer Probleme während des amerikanischen Bürgerkriegs (1861 - 1865) entstanden sei. <?page no="188"?> D A R S T E L L U N G S F O R M E N U N D B E R I C H T E R S T A T T U N G S M U S T E R 189 Literatur Zu Anwendung und Training der journalistischen Darstellungsformen gibt es inzwischen etliche Lehrbücher, die sich oft sogar auf eine einzige Darstellungsform konzentrieren wie die Nachricht, die Reportage oder den Kommentar. Als übergreifende Basisliteratur hat sich seit 40 Jahren die »Einführung in den praktischen Journalismus« bewährt, die von Walther von La Roche regelmäßig aktualisiert wurde und nach seinem Tod im Jahr 2010 von Gabriele Hooffacker und Klaus Meier weiter bearbeitet wird. Zu den sprachlichen Grundlagen des professionellen Textens sei zudem das Buch Journalistisches Texten von Jürg Häusermann empfohlen. Berichterstattungsmuster Die Journalisten orientieren sich in ihren Routinen nicht nur an den Darstellungsformen, sondern auch - bewusst oder unbewusst - an bestimmten Strategien, die in der Journalismusforschung als »Bericht- So heißt es zum Beispiel im Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation: »Wegen der Störanfälligkeit der Telegrafenverbindungen erreichte oft nur der Anfang eines Gefechtsberichts die Redaktionen. […] Die Reporter gingen deshalb dazu über, […] das Wichtigste im Nachrichtenkopf zusammenzufassen.« (Reumann 2009: 138 - 139) Horst Pöttker (2003) dagegen hat in einer Inhaltsanalyse US-amerikanischer Zeitungen herausgefunden, dass sich die Pyramidenform erst in den 1880er Jahren als professioneller Standard durchgesetzt hat und ihre Einführung also nicht am Telegrafenproblem im Bürgerkrieg liegen konnte. Er vermutet, dass der Entstehungsgrund für diesen professionellen Standard in einer Qualitätsverbesserung lag: Die Zeitung sollte für das Publikum lesbarer und attraktiver gemacht werden. Die journalistische Innovation wurde also nicht durch technische Mängel verursacht, sondern aus den Redaktionen heraus bewusst entwickelt. Für diese These spricht, dass sich etwa zur gleichen Zeit auch in anderen Ländern der Journalismus professionalisierte - und zum Beispiel begann, die Zeitungen nach Sachgebieten und Sparten zu gliedern (vgl. Meier 2002 a: 110 - 134). Ungeklärt bleibt allerdings, warum die amerikanischen Lehrbücher die Pyramide »umgekehrt« haben. Wenn das Wichtigste an der Spitze steht, wäre es genauso einleuchtend, einfach von der »Pyramide« zu sprechen. <?page no="189"?> 190 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N erstattungsmuster« (Weischenberg 1983, 1995: 111 - 119), »Typen von Informationsjournalismus« (Saxer 1992: 117 - 123) oder »Journalismus-Konzeptionen« (Wyss/ Keel 2010a) bezeichnet werden (vgl. Abb. 5.1). Sie beschreiben Varianten von Rollenbildern und Berufsauffassungen, die zu einem Teil der persönlichen Einstellung der Journalisten, der redaktionellen Routinen und der allgemeinen Berufskultur geworden sind - und das Zustandekommen der Medienrealität mit prägen. Das Vorkommen dieser Strategien hängt vom Mediensystem ab: In pluralistischen Demokratien dominiert der »Objektive« Journalismus, was sich in repräsentativen Journalistenbefragungen etwa in Deutschland, Dominanz des »Objektiven« Journalismus Medienlinguistik: Erforschung der Mediensprache und des journalistischen Schreibens Es gibt Bereiche des Journalismus, die nicht im Zentrum der Journalistik stehen, weil diese Wissenschaft sich auf die sozialen Zusammenhänge des Journalismus konzentriert ( → vgl. Kap. 1.1; S. 18 - 24 ) - und zum Beispiel weniger auf die sprachlichen. Mit der Sprachanalyse beschäftigt sich die Linguistik, also eine Disziplin der Sprach- und Literaturwissenschaft. Sie setzt sich in großer Mehrheit zwar mit »hoher Literatur« und nicht mit den Besonderheiten massenmedialer Textproduktion auseinander, unternimmt in jüngster Zeit aber verstärkt Anstrengungen, die als »angewandte Medienlinguistik« bezeichnet werden. Es ist erstaunlich, wie groß die Kluft zwischen Sozial- und Geisteswissenschaft an dieser Stelle klafft und wie wenige Forscher sich bislang interdisziplinär mit diesem für den Journalismus und die Journalistenausbildung so wichtigen Thema beschäftigt haben. Selbst in der akademischen Journalistenausbildung werden Übungen und Seminare oft mit Ratschlägen von Sprachkritikern wie Ludwig Reimers oder Wolf Schneider bestritten, die zwar anschaulich und scharfzüngig argumentieren, ihr Urteil aber nur selten auf wissenschaftlicher Analyse gründen. Als fruchtbar haben sich zum Beispiel Forschungsprojekte erwiesen, welche den Schreibprozess - also die Entstehungsgeschichte hinter einem fertigen Text - untersuchen und daraus Anleitungen entwickeln, mit Schreibblockaden umzugehen, oder Strategien, wie Texte kreativer geplant, flüssiger zu Papier gebracht und effizienter überarbeitet werden können. Zum Weiterlesen empfehle ich die beiden Lehrbücher von Daniel Perrin »Medienlinguistik« und »Schreiben ohne Reibungsverlust« sowie den Reader »Unter Druck« von Friederike Herrmann. <?page no="190"?> D A R S T E L L U N G S F O R M E N U N D B E R I C H T E R S T A T T U N G S M U S T E R 191 der Schweiz und Österreich immer wieder bestätigt, wenn nach dem Rollenselbstbild gefragt wird ( → vgl. Kap. 6.1; S. 218 - 221 ). In Diktaturen nimmt der Meinungsjournalismus in Verbindung mit Parteigängertum und Parteiloyalität eine überragende Stellung ein (Saxer 1992: 119). Der Begriff »Meinungsjournalismus« sollte nicht mit den meinungsäußernden Darstellungsformen (Kommentar und Glosse) verwechselt werden, die auch zum »Objektiven« Journalismus gehören, dort aber von Nachricht und Bericht getrennt sind. »Meinungsjournalismus« bedeutet, dass der Trennungsgrundsatz bewusst ignoriert wird und eine bestimmte Meinung in allen verwendeten Darstellungsformen eine große Rolle spielt - und dass Themen unterdrückt werden, die nicht in die (eigene und/ oder offizielle) Überzeugung passen. In offenen Gesellschaften findet sich Meinungsjournalismus in den Publikationen von Institutionen und Organisationen - wie beispielsweise Parteizeitungen oder Kirchenblättern - und ist eher der Public Relations zuzuordnen ( → vgl. Kap. 5.4; S. 205 - 210 ). Das Konzept des »Objektiven« Journalismus steht in der Tradition des angloamerikanischen »objective reporting« ( → vgl. zu den Reeducation-Bemühungen der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg Kap. 2.2.2; S. 82 - 83 ). Die journalistische Arbeit wird als neutral, unparteilich und passiv vermittelnd verstanden - und läuft damit Gefahr, die »Objektivität« zu ideologisieren und zur »Wahrheit« zu erheben ( → vgl. Kap. 5.1; S. 181 - 183 ). Die dominierende Praxis dieses »Objektiven« Journalismus wird deshalb in westlichen Ländern seit den 1960er-Jahren kritisiert (vgl. Weischenberg 1983, Neuberger 2005 a, Wyss/ Keel 2010a): Er bevorzuge offizielle Standpunkte und Ereignisse, die von mächtigen Institutionen inszeniert und kontrolliert werden, sei also relativ offen für Einflüsse der Public Relations (z. B. über Pressemitteilungen und Pressekonferenzen → vgl. Kap. 5.4; S. 205 - 210 ) und tendiere zu Verlautbarungen. Auch wenn er Zitate und Gegenzitate »neutral« aneinanderfüge, vernachlässige er Hintergründe, Ursachen und Folgen. Durch die Ereignisfixierung würden langfristige Prozesse ausgeklammert. Zu den Schlagwörtern der Kritik gehörten schon in den 70er-Jahren »Verlautbarungsjournalismus«, »Hofberichterstattung« und »Terminjournalismus« - gefordert wurde ein aktiver, recherchierender Journalismus (vgl. Langenbucher 1980). Aufgrund der Schwächen des »Objektiven« Journalismus wurden andere Konzepte angeregt und entwickelt, die in Abb. 5.1 in einer Übersicht charakterisiert sind. Alle diese alternativen Konzepte achten weniger auf die strikte Trennung von Nachricht und Meinung - oft wird bewusst offengelegt, dass journalistisches Entscheiden Wertungen impliziert. Der Journalist ist kein passiver Übermittler, sondern schlüpft in eine aktive und manchmal auch engagierte Rolle: Kritik am »Objektiven« Journalismus <?page no="191"?> 192 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N • Insbesondere für den Investigativen Journalismus, der sich als Wachhund der Demokratie versteht und Missstände und Machtmissbrauch aufdecken will, finden sich auch heute Befürworter (vgl. in Deutschland Missstände aufdecken Berichterstattungsmuster: Typen des Informationsjournalismus (Quellen: Weischenberg 1983, 1995; Saxer 1992; Wyss/ Keel 2010a) Journalismus- Konzeption Rollenbild Intention Faktenpräsentation Recherche »Objektiver« Journalismus Vermittler »Realität« abbilden neutrale Faktizität Verlautbarung Meinungsjournalismus Parteigänger Meinungsformung persuasiv Verlautbarung Präzisionsjournalismus Forscher wissenschaftlich erhärtet recherchieren wissenschaftlich erhärtete Faktizität sozialwissenschaftliche Methoden, Datenbankrecherche Interpretativer Journalismus Erklärer Orientierung stiften erläuterte Faktizität Recherche von Interpretationshilfen (z. B. bei Experten) Investigativer Journalismus Wachhund Kontrolle / Kritik / Machtmissbrauch aufdecken beweisführend, zuspitzend unorthodox (oft »Whistleblowers« als Informanten) Literarischer (»Neuer«) Journalismus Stilist / Unterhalter Sensibilität ausdrücken, »Authentizität« literarisch subjektive Sensibilität, keine zwingende Faktentreue Anwaltschaftlicher Journalismus Anwalt Verständnis, Solidarität schaffen »Betroffenheits«-Faktizität, »Gegenöffentlichkeit« inoffizielle Quellen Public Journalism Dialog- Organisator Lösungen für lokale Probleme interaktiv, forumsorientiert Aktionen Partizipativer Journalismus Diskurs-Moderator/ Kurator Beteiligung des Publikums an der Medienrealität interaktiv, prozessorientiert in Kooperation mit dem Publikum Ratgeberjournalismus Ratgeber, Helfer Lebenshilfe problemlösungsorientiert bei Experten und Laien mit Problemlösungskompetenz Die Bezeichnungen und Charakterisierungen von Berichterstattungsmustern (Journalismus-Konzeptionen) gehen in der Literatur im Detail auseinander. Für die Tabelle wurde ein übersichtlicher Kompromiss gesucht, der nicht vollständig ist, aber die wesentlichen Muster enthält. Ergänzt wurden die Muster des Partizipativen und des Ratgeberjournalismus. Abb. 5.1 | <?page no="192"?> D A R S T E L L U N G S F O R M E N U N D B E R I C H T E R S T A T T U N G S M U S T E R 193 z. B. die Initiativen des Netzwerks Recherche). Er geht auf das amerikanische »investigative reporting« zurück, das in der Watergate-Affäre (1972 - 74) eine Initialzündung hatte. In Deutschland finden sich Beispiele vor allem bei den Nachrichtenmagazinen, den Politikmagazinen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und den überregionalen Tageszeitungen. Immer mehr Redaktionen bilden feste Recherche- und Reporterteams, die den Anspruch des investigativen Journalismus verfolgen, so zum Beispiel der NDR oder SZ, WAZ, TAZ und WELT. • Der Präzisionsjournalismus setzt inzwischen verstärkt auf den Einsatz von Datenbanken in der Recherche, die mit sozialwissenschaftlichen Methoden (z. B. mit Mitteln der Statistik) ausgewertet werden (»computer-assisted reporting«). Die Grenzen zum Investigativen Journalismus verschwimmen, wenn mit Hilfe von Datenbanken Missstände aufgespürt werden. Neue Plattformen im Internet erweitern die Möglichkeiten für investigativen Datenbank-Journalismus - sie sind aber umstritten: Wikileaks zum Beispiel veröffentlicht umfangreiche Sammlungen von geheimen, internen Dokumenten aus Regierungskreisen oder von Wirtschaftsunternehmen, die von Informanten illegal zugespielt worden sind. Neue Spielart des Präzisionsjournalismus ist in Online-Redaktionen der so genannten »Datenjournalismus«: Umfangreiche Datenbanken und andere Datensammlungen werden als interaktive Infografiken visuell aufbereitet und navigierbar gemacht. • Der Interpretative Journalismus plädiert dafür, die Fakten und Einzelereignisse des »Objektiven« Journalismus in Zusammenhänge zu stellen und erläuternd einzuordnen. Beispiele dafür sind die Storys der Nachrichtenmagazine und immer mehr Hintergrundstücke in den Tageszeitungen. Über den Bezugsrahmen und die Maßstäbe zur Einordnung fließt - explizit oder implizit - eine Wertung des Journalisten in die Beiträge ein. • Der »Neue« Journalismus übernimmt literarische Stilmittel und geht sehr persönlich und subjektiv vor. Vorbilder sind u. a. die amerikanischen Schriftsteller Truman Capote und Tom Wolfe, die den Begriff »new journalism« mit prägten. Capote veröffentlichte zum Beispiel 1965 mit »In Cold Blood« (»Kaltblütig«) einen Tatsachenroman (zuerst in der Zeitschrift »The New Yorker«), für den er sechs Jahre lang den Mord an einer Familie in Kansas recherchiert hatte. Letztlich bleibt es indes schwierig, »new journalism« genau zu definieren, ja schon zu begründen, warum es sich um einen »neuen« Journalismus handeln soll. In Anlehnung an die Belletristik können die Grenzen zwischen Fakten und Fiktionen überschritten werden, weshalb umstritten ist, ob es sich überhaupt um Journalismus handelt. Aus Gründen der präzise berichten interpretieren und einordnen persönlich und subjektiv <?page no="193"?> 194 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N Transparenz und Glaubwürdigkeit sollte auf Fiktionalisierungen explizit hingewiesen werden (was nicht immer der Fall ist). • Der Anwaltschaftliche Journalismus konzentriert sich auf Betroffene, Minderheiten oder »machtlose Mehrheiten« (z. B. Kinder, Alleinerziehende, Arbeiter, Kranke), deren Stimme kaum öffentlich wahrgenommen wird, weil sie keine Lobby haben. Anwaltschaftlicher Journalismus will diejenigen zu Wort kommen lassen, deren Interessen sonst kaum erwähnt werden - quasi als Gegenöffentlichkeit zur Institutionenhörigkeit des »Objektiven« Journalismus. • Der Public Journalism stammt aus den USA und wird auch als Civic Journalism oder Community Journalism bezeichnet. Er sollte nicht mit dem im Internet aufkommenden »Citizen Journalism« verwechselt werden, der die Nutzer selbst zu Kommunikatoren macht ( → vgl. Kap. 4.1; S. 127; Kap. 7.3; S. 262 - 263 ). Public Journalism bleibt dagegen in der Hand professioneller Journalisten, die sich jedoch viel stärker sozial engagieren als im herkömmlichen Journalismus. Kritisiert wird die Bürgerferne des traditionellen Lokaljournalismus: Über lokale soziale Probleme werde nur berichtet, aber nichts dagegen unternommen. Die mittelbis langfristigen Projekte des Public Journalism organisieren zum Beispiel Diskussionsrunden und Selbsthilfegruppen zu Themen wie Armut, Gewalt in der Schule, Drogen oder Stadtentwicklung. Ziel ist es, »to re-engage people in public life« (Pew Center for Civic Journalism). Im Deutschen wird dieses Konzept mitunter als »Aktionsjournalismus« bezeichnet. Hier finden sich Formen zum Beispiel in von der Lokalzeitung organisierten Diskussionsforen zu Kommunalwahlen oder in Schlagzeilen wie »Zeitung XY kämpft für den Erhalt des Stadtparks«. Ein Beispiel ist der Einsatz der Rhein-Zeitung in Koblenz für den Erhalt einer Seilbahn über den Rhein im Jahr 2013. Insgesamt ist expliziter Public Journalism aber in Deutschland kaum verbreitet (Lünenborg 2005 b: 155 - 156). • Der Partizipative Journalismus wird vor allem durch Beteiligung im Internet ermöglicht. Die Nutzer werden in das Zustandekommen der Medienrealität bewusst einbezogen, wobei der Grad der Beteiligung unterschiedlich sein kann. Beim so genannten Crowdsourcing arbeiten Nutzer bereits bei der Themenfindung und Recherche mit. Bei anderen Modellen werden ihre Anmerkungen, Ergänzungen und Kommentare erst während oder nach der Veröffentlichung in den Beitrag einbezogen. Die Journalisten treten nicht als allwissend auf, sondern werben transparent um die Mitarbeit des Publikums. Eine Spielart des partizipativen Journalismus sieht die Rolle des Journalisten als »Kurator«, der auf Informationen in Blogs und Social Media hinweist und die Nutzer bewusst durch die Informationswelt des Internet führt. Stimme für Minderheiten sozial engagiert beteiligen lassen <?page no="194"?> D A R S T E L L U N G S F O R M E N U N D B E R I C H T E R S T A T T U N G S M U S T E R 195 • Der Ratgeberjournalismus wird auch als Nutzwertjournalismus bezeichnet und will über abstrakte Fakten hinaus Lebenshilfe geben - von der Kindererziehung über Gesundheit und Partnerschaft bis zu Hausbau, Computer und Geldanlage. Die alternativen Berichterstattungsmuster sind bislang nicht weit verbreitet und konnten sich kaum als Gegenentwürfe zum »objective reporting« profilieren (vielleicht mit Ausnahme des Ratgeberjournalismus). Meist werden die verschiedenen Konzeptionen komplementär in redaktionellen Strategien eingesetzt, um den Defiziten des »Objektiven« Journalismus begegnen zu können. Literatur Zum Investigativen Journalismus gibt es inzwischen eine Reihe von Lehrbüchern, zum Beispiel von Johannes Ludwig oder die vom Netzwerk Recherche herausgegebenen Bände (vgl. www.netzwerk-recherche.de). Zum Nutzwertjournalismus hat der Zeitschriftenjournalist Christoph Fasel ein Lehrbuch geschrieben. Licht ins Dunkel der verschiedenen Facetten des New Journalism bringt ein Sammelband, der von Joan Kristin Bleicher und Bernhard Pörksen herausgegeben wurde. Guter Einstiegspunkt für eine Recherche in Sachen Präzisionsjournalismus ist die Internet-Suche nach dem Stichwort »Datenjournalismus« bzw. »data journalism« - und in Sachen Public Journalism die Site des »Pew Center for Civic Journalism« (www.pewcenter.org). Die vier Dimensionen journalistischer Wahrnehmungsroutine Mit den Darstellungsformen und Berichterstattungsmustern haben wir zwei Dimensionen der »journalistischen Wahrnehmung« (Schmidt/ Weischenberg 1994: 235 - 236) kennengelernt. Als dritte Dimension kommen die Ressorts und thematischen Spezialisierungen hinzu, die wir bereits in Kapitel 1.2.3 ( → S. 36 ) und Kapitel 4.4 ( → S. 166 - 167 ) als »Wahrnehmungsstruktur« bezeichnet haben. Vierte Dimension sind die Medien(plattformen), die in Kapitel 4.3 als Strukturen der Medienlandschaften vorgestellt wurden. • Ressorts und thematische Spezialisierungen sind Kennzeichen der Ausdifferenzierung des Journalismus. Wie in Kapitel 1.2.3 ausführlich analysiert ( → S. 29 - 36 ), haben sich im tagesaktuellen Journalismus vor allem Politik-, Wirtschafts-, Kultur-, Sport- und Lokaljournalismus etabliert. Daneben sind Zeitungssparten und Sendeplätze für die Themengebiete Boulevard/ Vermischtes, Wissenschaft und Medien Nutzwert Ressortierung und Spezialisierung <?page no="195"?> 196 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N entstanden. Für alle diese Themengebiete gibt es auch Wochen- oder Monatsmedien - in Form von Zeitschriften oder Rundfunksendungen. Daneben ist eine Vielzahl von Special-Interest-Zeitschriften, -Sendungen und -Websites gegründet worden (nicht nur für bestimmte Interessen, sondern auch für altersbedingte Zielgruppen wie Kinder, Jugendliche oder »Best Agers«). Diese Ressortierung ist die Wahrnehmungsstruktur einer Redaktion: Themen, die durchs Raster fallen, kommen nicht vor oder werden einseitig bearbeitet. Spezialisierungen im Journalismus werden mitunter auch als »Fachjournalismus« bezeichnet (vgl. Dernbach 2010). • Die Medien(plattformen) haben ganz bestimmte technische Potenziale, die beim institutionellen Gebrauch genutzt werden und die journalistische Präsentation einengen oder erweitern. Das Erzählen in Bildern beim Fernsehen unterscheidet sich radikal vom textorientierten Journalismus der Printmedien und vom »Produzieren fürs Hören« beim Radiojournalismus. Dies hat Auswirkungen auf die Medienrealität: Themen, die (spannende) Töne hergeben, werden im Radio intensiver und anschaulicher behandelt. Themen, die sich in (spektakulären) Bildern erzählen lassen, finden in den Fernsehprogrammen mehr Platz. Die Journalismusforschung fokussierte sich produzieren fürs Lesen, Sehen, Hören Darstellungsformen als Schemata Nachricht Bericht Reportage Feature Kommentar Glosse etc. Politik Print Wirtschaft Fernsehen Kultur Radio Wahrnehmungsstruktur einer Redaktion etc. etc. Medien(plattformen) als technische Potentiale »Objektiver« Journalismus Interpretativer Journalismus Investigativer Journalismus etc. Berichterstattungsmuster als Schemata Medienrealität Abb. 5.2 | Die vier Dimensionen journalistischer Wahrnehmungsroutine <?page no="196"?> D A R S T E L L U N G S F O R M E N U N D B E R I C H T E R S T A T T U N G S M U S T E R 197 lange Zeit auf die Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster der Printmedien und ging implizit davon aus, dass diese wohl auch für die anderen Medien gelten. Der Mainzer Journalistik-Professor Karl Nikolaus Renner hat jüngst kritisiert, dass sich die Journalistik noch zu sehr auf die Formen des Printjournalismus konzentriere. Er stellte für das journalistische Handeln und das Erzählen im Fernsehjournalismus eine eigene Theorie vor (Renner 2007). Auch die Journalistik-Wissenschaftlerin Margreth Lünenborg (2005 a) hat eine Genretheorie für die neuen Formate des Fernsehens entworfen, die mit der klassischen Theorie der Darstellungsformen nicht analysiert werden können - von der Live-Übertragung bis zur Talkshow. Alle vier Dimensionen prägen die journalistische Wirklichkeitskonstruktion. Sie beeinflussen sich gegenseitig und hängen miteinander zusammen. Die Darstellungsformen im Fernsehen sehen im Detail anders aus als in der Tageszeitung - und im Sportjournalismus wiederum anders als im Wirtschaftsjournalismus. Ein interpretativer Kulturjournalismus wiederum anders als ein interpretativer Politikjournalismus. Ein investigativer Sportjournalismus ist bei Dopingskandalen gefordert, ein investigativer Wirtschaftsjournalismus bei Korruptionsfällen. Nachrichten für Kinder müssen anders aufbereitet werden als für Jugendliche oder für Erwachsene. Die komplexen Zusammenhänge der vierdimensionalen Wahrnehmungsstrukturen bei der Konstruktion der Medienrealität sind allerdings noch kaum erforscht. Literatur Zu den thematischen Spezialisierungen im Journalismus liegt eine Fülle von Lehrbüchern vor. Im Einzelnen werden empfohlen: Wirtschaftsjournalistik von Jürgen Heinrich/ Christoph Moss, die beiden Bücher zum Kulturjournalismus von Gunter Reus und Dieter Heß, das etwas veraltete Buch zum Sportjournalismus von Josef Hackforth/ Christoph Fischer sowie das neuere von Horky/ Schauerle/ Schwier/ DFJV, die beiden nur noch in Bibliotheken oder gebraucht erhältlichen Bände von Norbert Jonscher und dem Projektteam Lokaljournalisten zum Lokaljournalismus, die beiden Werke von Winfried Göpfert und Holger Hettwer/ Markus Lehmkuhl/ Holger Wormer/ Franco Zotta zum Wissenschaftsjournalismus sowie Medienjournalismus von Michael Beuthner und Stephan Alexander Weichert. Der Herbert von Halem-Verlag hat seit 2012 die neue Reihe »Journalismus-Bibliothek« aufgelegt, in der Bücher vor allem zu Ressorts und Spezialisierungen erscheinen sind - zum Beispiel zu Lokales, Medien, Wissen und Sport (vgl. www.halem-verlag.de/ 2012/ journalismus-bibliothek). Vgl. zur Forschungslücke <?page no="197"?> 198 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N vierten Dimension die Angaben zur Lehrbuchliteratur zum Produzieren für Printmedien, Radio, Fernsehen und Internet in Kapitel 4.3. Nachrichtenauswahl Welche Ereignisse werden zur Berichterstattung ausgewählt, welche nicht? Über welche der ausgewählten Ereignisse wird groß berichtet, über welche weniger groß? Welche Ereignisse erscheinen als Aufmacher einer Sendung oder Zeitung - welche werden nach unten oder nach hinten geschoben? Die Entscheidung über die Selektion und die Gewichtung des Nachrichtenstoffes steht im Zentrum verschiedener theoretischer und empirischer Ansätze der Kommunikationsforschung. Die Studien lassen sich grob drei Forschungsfeldern zuordnen: der Gatekeeperforschung, die in den Kontext der Redaktionsforschung gehört ( → vgl. 5 .3 | Selektion und Gewichtung des Nachrichtenstoffes Zu den Routinen der »news factory« gehören Schemata. Sie bringen Ordnung in die journalistische Kommunikation. Produzenten und Rezipienten können sich darauf verlassen und wissen, was gegenseitig voneinander erwartet wird. Die Schemata des Journalismus bestehen aus Darstellungsformen und Berichterstattungsmustern. In den westlichen Ländern dominiert der »Objektive« Journalismus. Alternative Konzeptionen - wie der Investigative oder der Interpretative Journalismus - werden komplementär eingesetzt, um die Defizite des »objective reporting« auszugleichen. Neben den Schemata prägen noch zwei weitere Dimensionen die journalistische Wahrnehmung: die thematischen Spezialisierungen (Ressortierungen) und die beschränkten Möglichkeiten des Erzählens auf den einzelnen Medienplattformen. Zusammenfassung 1 Wie lassen sich die traditionellen journalistischen Darstellungsformen klassifizieren? Gelten diese Genres auch für den Fernsehjournalismus? 2 Was ist mit der »inverted pyramid« gemeint - und wie ist sie entstanden? 3 Welche Defizite hat der »Objektive« Journalismus - und welche Möglichkeiten gibt es, diese auszugleichen? Übungsfragen zu Kapitel 5.2 <?page no="198"?> N A C H R I C H T E N A U S W A H L 199 Kap. 4.4; S. 172 ), der Nachrichtenwertforschung, die mit Inhaltsanalysen arbeitet, und dem Framing-Ansatz, der einen sozial-psychologischen Hintergrund hat. Gatekeeping Die Gatekeeper-Studien haben ihren Ursprung in den 1940er-Jahren in den USA, als erstmals das Entscheidungsverhalten von Nachrichtenredakteuren in Zeitungsredaktionen erforscht wurde: Welche der Nachrichten, die aus dem Agenturticker kamen, warf »Mr. Gates« - wie er anonymisiert in einer Studie hieß - in den Papierkorb, welche nahm er ins Blatt? Und mit welcher Begründung tat er dies? Die Forschung ging später von diesen individualistischen Ansätzen zum organisatorischen Kontext über und untersuchte die komplexen Einflussbeziehungen auf die Nachrichtenauswahl innerhalb und außerhalb der Redaktionen (vgl. Robinson 1973). Grundlegende These des Gatekeepings ist, dass der Journalismus eine Art Schleuse ist, welche die Flut der Informationen kanalisiert. Wer in das Licht der Öffentlichkeit will, muss durch diese Schleuse hindurch. Das Konzept wird wieder intensiver diskutiert, seit klar geworden ist, dass die Schleuse des Journalismus mit dem Internet und mit Aktivitäten der Public Relations außerhalb des klassischen Journalismus ihr Monopol verloren hat ( → vgl. Kap. 7.3; S. 262 - 263 ). Der individuelle Journalist und die redaktionelle Linie sind nur einige der Einflussfaktoren auf das Gatekeeping. Pamela J. Shoemaker (1991) hat in einer Systematisierung der Forschungslage fünf Ebenen identifiziert: • Auf der individuellen Ebene ist der Auswahlprozess von den Einstellungen - zum Beispiel dem Rollenselbstbild - und den Erfahrungen der Journalisten abhängig. • Auf der Ebene der Routinen spielen professionelle Regeln des Journalismus zur Konstruktion der Medienrealität eine wichtige Rolle, wie sie in Kapitel 5.2 beschrieben wurden - zum Beispiel: der richtige Aufbau einer Meldung, die Bebilderungsmöglichkeiten (vor allem beim Fernsehen), die Platzbeschränkungen, der Aktualitätsdruck oder die Passung in die Ressortstrukturen einer Redaktion. Wichtig sind hier auch der Nachrichtenwert und die Passung in Frames (vgl. weiter unten). • Auf der organisatorischen Ebene haben neben der redaktionellen Linie auch ökonomische Faktoren einen Effekt auf das Gatekeeping: Zahl und Platz der Korrespondenten zum Beispiel (wenn eine Redaktion einen Mitarbeiter in Brüssel unterhält, wird sie mehr aus Brüssel vermelden, um die Kosten zu rechtfertigen). Nachrichtenredakteur »Mr. Gates« Journalismus als Schleuse fünf Ebenen des Gatekeepings <?page no="199"?> 200 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N • Auf der »Extramedia«-Ebene beeinflussen Interessengruppen über Public Relations das Gatekeeping ( → vgl. Kap. 5.4; S. 205 - 210 ). Aber auch das Nutzungsverhalten des Publikums oder ein etwaiger Einfluss der Werbewirtschaft spielt hier eine Rolle. • Auf der Ebene des Sozialen Systems beeinflusst ein weiter gefasster sozialer und kultureller Hintergrund die Nachrichtenauswahl: In Europa sind die Kriterien hierfür anders als zum Beispiel in den USA oder im Nahen Osten. Bis auf einige Details entspricht diese Gatekeeping-Theorie von Shoemaker grob den Ebenen des Journalismus, die wir als Systematik für den Aufbau dieses Buchs verwendet haben ( → vgl. Kap. 2.1; S. 67 - 71 ). Diese umfassende Sichtweise des Gatekeeping-Prozesses kann generell auch als Theorie des Journalismus aufgefasst werden. Nachrichtenwertforschung Die Nachrichtenwertforschung richtet sich bei der Untersuchung des Auswahlprozesses nicht auf das Gatekeeping, sondern setzt viel früher an: bei den Ereignissen selbst (vgl. Definition). Die ersten skandinavischen Studien entstanden im Kontext der internationalen Konflikt- und Friedensforschung (vgl. Galtung/ Ruge 1965) und wurden in den 1970er-Jahren von Winfried Schulz auf Deutschland übertragen und theoretisch erweitert. Nachrichtenfaktoren werden durch Inhaltsanalysen identifiziert und können verschiedenen Dimensionen zugeordnet werden (vgl. Abb. 5.3). Ein einfaches Beispiel: Je mächtiger eine beteiligte Nation (USA), je offener die Gewalt (Anschläge mit vielen Toten im Irak), je stärker allgemeine Werte bedroht sind (West gegen Ost, Christentum gegen Islam), je stärker Angehörige der eigenen Nation beteiligt sind (Entführungen von Deutschen im Irak), je stärker das Ereignis zu den wichtigsten Themen der Zeit passt (Kampf gegen den Terrorismus) - umso eher wird ein Ereignis zur Nachricht. Nachrichtenwert und Nachrichtenfaktoren Nachrichtenfaktoren sind bestimmte Merkmale von Ereignissen, die deren Nachrichtenwert bestimmen. Je ausgeprägter diese Merkmale sind und je mehr Faktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto größer ist dessen Chance, als Nachricht beachtet zu werden. (nach Schulz 1997: 69) Definition <?page no="200"?> N A C H R I C H T E N A U S W A H L 201 Hans Mathias Kepplinger (2006: 15 - 17) weist darauf hin, dass nicht alle Nachrichtenfaktoren in gleicher Weise die Berichterstattung beeinflussen, sondern dass dies im Einzelnen auch vom Medium und vom Thema abhängt (vgl. die Übersicht über die journalistischen Wahrnehmungsroutinen in Kapitel 5.2). Mal wirkt ein Faktor stärker, mal schwächer. Bislang wurden die Nachrichtenfaktoren vor allem im Politikjour- Prognose der Publikationschancen? Dimension Faktor Definition Status Elite-Nation je mächtiger die beteiligte(n) Nation(en) Elite-Institution je mächtiger die beteiligte(n) Institution(en) oder Organisation(en) Elite-Person je mächtiger, einflussreicher, prominenter die beteiligten Akteure Valenz Aggression je mehr offene Konflikte oder Gewalt vorkommen Kontroverse je kontroverser das Ereignis oder Thema Werte je stärker allgemein akzeptierte Werte oder Rechte bedroht sind Erfolg je ausgeprägter der Erfolg oder Fortschritt Relevanz Tragweite je größer die Tragweite des Ereignisses Betroffenheit je mehr das Ereignis persönliche Lebensumstände oder Bedürfnisse einzelner berührt Identifikation Nähe je näher das Geschehen in geografischer, politischer, kultureller Hinsicht Ethnozentrismus je stärker die Beteiligung oder Betroffenheit von Angehörigen der eigenen Nation Emotionalisierung je mehr emotionale, gefühlsbetonte Aspekte das Geschehen hat Konsonanz Thematisierung je stärker die Affinität des Ereignisses zu den wichtigsten Themen der Zeit Stereotypie je eindeutiger und überschaubarer der Ereignisablauf Vorhersehbarkeit je mehr das Ereignis vorherigen Erwartungen entspricht Dynamik Frequenz je mehr der Ereignisablauf der Erscheinungsperiodik der Medien entspricht Ungewissheit je ungewisser, offener der Ereignisablauf Überraschung je überraschender das Ereignis eintritt oder verläuft | Abb. 5.3 Nachrichtenfaktoren nach Winfried Schulz (Quelle: Schulz 1997: 70 - 72) <?page no="201"?> 202 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N nalismus der Tageszeitungen und der Fernsehnachrichten untersucht. Für andere Ressorts, Themenfelder und Medien liegen noch kaum Studien vor - geschweige denn eine Theorie, die alle diese Bereiche vergleicht. Kepplinger (2006: 31 - 32) vermisst zudem eine Theorie, welche die Publikationschancen von Ereignissen sowie deren Platzierung prognostizieren könnte. Bei den Nachrichtenfaktoren handelt es sich um Kriterienkataloge, die im Rahmen von Inhaltsanalysen zusammengestellt wurden. Faktoren, die in Inhaltsanalysen nur schwer zu erfassen sind - etwa weil die Codierer die Ereignisse selbst oder die Materiallage in Redaktionen kennen müssten -, fanden keinen Eingang in die Kataloge. Stephan Ruß- Mohl (2003: 135 - 136) nennt zum Beispiel als weiteren Faktor die »Umsetzbarkeit in Bilder«. Ein Kriterienkatalog wie in Abb. 5.3 ist also kein praktisches Regelwerk, das Journalisten bürokratisch abhaken. Dennoch fanden ähnliche Faktorenkataloge schon frühzeitig Eingang in praktische Abb. 5.4 | Elemente der Nachricht nach Carl Warren (1934) (Quelle: Warren 1934: 39) <?page no="202"?> N A C H R I C H T E N A U S W A H L 203 Journalismus-Lehrbücher - zum Beispiel in das Buch »Modern News Reporting« von Carl Warren (1934), das die Deutsche Journalistenschule in München 1959 unter dem Titel »ABC des Reporters« übersetzen ließ (vgl. Abb. 5.4). Befragungen von Journalisten zeigen, dass sie sich zumindest implizit an Nachrichtenfaktoren orientieren (vgl. z. B. Ruhrmann/ Göbbel 2007). Frames Das Framing-Konzept wird zunehmend angewandt, um zu erklären, wie Nachrichten ausgewählt und wie sie vom Publikum rezipiert werden. Es verknüpft Theorien der Nachrichtenauswahl mit Theorien der Medienwirkung und ist in der psychologischen und soziologischen Fundierung ziemlich komplex (vgl. z. B. Scheufele 2003; Dahinden 2006). Auch wenn der Framing-Begriff nicht einheitlich verwendet wird, kann man im Großen und Ganzen folgende Definition verwenden: Als Beispiel nennt Urs Dahinden (2006: 14 - 20) das David-Goliath-Frame, das bei verschiedenen Themen als Deutungsmuster für bestimmte asymmetrische Konflikte zum Einsatz kommt. Ein Beispiel aus der internationalen Politik: Im Nahostkonflikt wurde der junge Staat Israel zunächst als unschuldiger David interpretiert, welcher sich erfolgreich gegen die Übermacht eingesessener arabischer Staaten zur Wehr setzt. Aufgrund der militärischen Übermacht wird Israel mehr und mehr als mächtiger Goliath wahrgenommen, der die schwach organisierten Palästinenser unterdrückt. Ähnliche Konflikte, über die gemäß dem David-Goliath-Frame berichtet wird, können wir beobachten beim Kampf von Greenpeace David-Goliath-Frame Framing Frames sind Produkte des Framing-Prozesses. Sie sind Interpretationsrahmen, die als kognitive Strukturen im Bewusstsein verankert sind - bei Journalisten wie beim Publikum. Erfahrungen werden gespeichert und als Rahmen benutzt, um spätere Erfahrungen sinnvoll und schnell interpretieren, einsortieren oder wieder vergessen zu können. Diese Bezugsrahmen strukturieren ein Thema und steuern damit die Informationsverarbeitung. Wesentliches Kennzeichen von Frames ist, dass sie Bewertungen enthalten. Sie können insofern auch als »Deutungsmuster« bezeichnet werden. Definition <?page no="203"?> 204 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N gegen multinationale Konzerne (z. B. Shell im Konflikt um die Ölplattform Brent Spar) oder bei der wirtschaftlichen Auseinandersetzung zwischen etablierten Großunternehmen und innovativen Kleinunternehmen (z. B. Apple gegen IBM, Linux gegen Microsoft). »Akteure, denen es gelingt, sich in der Davids-Rolle zu etablieren, können dabei auf größere Sympathie und moralische Unterstützung zählen.« (ebd. 19) Literatur Zur Nachrichtenauswahl kann ich kein spezielles Buch zur Vertiefung empfehlen, weil die Erklärungsansätze so verschieden sind und bislang nicht umfassend zusammengeführt wurden. Wenn Sie eines der drei besprochenen Forschungsgebiete vertiefen möchten, können Sie anhand der Quellenangaben im Text weiter recherchieren. Wer sich alleine mit der Nachrichtenwerttheorie beschäftigen möchte, findet im Lehrbuch von Michaela Maier, Karin Stengel und Joachim Marschall einen fundierten Überblick. Initiative Nachrichtenaufklärung Die Initiative Nachrichtenaufklärung will Themen herausfinden und bekanntmachen, die durch den Journalismus vernachlässigt werden, aber dennoch für einen Großteil der Bevölkerung relevant sind. Einmal im Jahr wird eine Rangliste veröffentlicht, über die eine Jury aus Journalisten und Wissenschaftlern entscheidet. Basis sind Vorschläge, die das ganze Jahr über von Journalisten, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Institutionen oder von Bürgerinnen und Bürgern eingereicht werden können. Gegründet wurde die Initiative 1997 an der Universität Siegen. Inzwischen arbeiten verschiedene Journalistik- und kommunikationswissenschaftliche Studiengänge zusammen. Beispiele für vernachlässigte Themen der vergangenen Jahre sind die Korruptionsgefährdung von Richtern, das Geschäft mit der Abschiebepraxis von Asylbewerbern, die Intransparenz des UN-Welternährungsprogramms, Notstände im Krankenhaus, mangelnde Rentenansprüche für arbeitende Strafgefangene, politische Lobbyarbeit der Gentechnik-Befürworter oder die schlechte medizinische Versorgung in Gefängniskrankenhäusern. (vgl. www.nachrichtenaufklaerung.de bzw. www.derblindefleck.de) <?page no="204"?> J O U R N A L I S M U S U N D P U B L I C R E L A T I O N S 205 Journalismus und Public Relations Das Verhältnis zwischen Journalismus und Public Relations wird schon seit Jahrzehnten in Wissenschaft und Berufspraxis kontrovers und intensiv diskutiert. Eine der ersten folgenreichen Studien zu den Einflussbeziehungen zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit publizierte Anfang der 1980er-Jahre die Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Baerns (2. Aufl. 1991). Sie belegte empirisch, dass die Öffentlichkeitsarbeit einen ausgeprägten Einfluss auf den Journalismus hat. Im | 5 . 4 Drei Forschungsrichtungen untersuchen, warum Ereignisse für die Berichterstattung ausgewählt werden (Selektion) und warum sie eine bestimmte Platzierung in den Medien erhalten (Gewichtung). (1) Der umfassende Gatekeeping-Ansatz sieht den Journalismus als Schleuse, welche die Flut der Informationen kanalisiert. Die Einflussfaktoren auf dieses Gatekeeping liegen auf den fünf Ebenen, nach denen auch dieses Buch gegliedert ist. (2) Die Nachrichtenwertforschung identifiziert durch Inhaltsanalysen die Nachrichtenfaktoren: Je mehr davon und je stärker sie auf ein Ereignis zutreffen - desto größer ist die Publikationschance. (3) Das Framing-Konzept stellt fest, dass Interpretationsrahmen (Deutungsmuster) als kognitive Strukturen im Bewusstsein die schnelle Einordnung und Bewertung von Themen ermöglichen. Beispiel ist das David-Goliath-Frame. Zusammenfassung 1 Was ist die grundlegende These des Gatekeepings? Welche Einflüsse darauf sind festzustellen? 2 Wie hat die Forschung die Nachrichtenfaktoren herausgefunden? 3 Zählen Sie beispielhaft einige Nachrichtenfaktoren auf und suchen sie jeweils nach einem Beispiel aus der aktuellen Berichterstattung, auf das ein Faktor besonders zutrifft. 4 Erklären Sie das David-Goliath-Frame als Beispiel für einen Interpretationsrahmen, in den aktuelle Ereignisse eingeordnet werden. 5 Überlegen Sie, welche Themen Ihrer Beobachtung nach vom Journalismus vernachlässigt werden. Übungsfragen zu Kapitel 5.3 <?page no="205"?> 206 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N Widerspruch zu journalistischen Selbsteinschätzungen stellte sie fest (ebd. 98), dass • erstens Öffentlichkeitsarbeit »die Themen der Medienberichterstattung unter Kontrolle« hat. »Informationen zu platzieren, Nachrichten zu initiieren, Themen zu forcieren und publizierte Wirklichkeit so zu konstruieren, ist den belegten Proportionen zufolge überwiegend Informatoren, nicht Journalisten, zuzusprechen. Angesichts vorgegebener Themen zeigt sich journalistische Recherche als Nachrecherche.« • zweitens Öffentlichkeitsarbeit »das Timing unter Kontrolle« hat. »Denn Pressemitteilungen und Pressekonferenzen lösen Medienberichterstattung unmittelbar aus.« Basis dieser Feststellung ist eine Untersuchung der landespolitischen Berichterstattung in Nordrhein-Westfalen. Zwischen 59 und 64 Prozent der landespolitischen Beiträge in Nachrichtenagenturen, Tageszeitungen, Hörfunk und Fernsehen im Oktober und April 1978 gingen auf Pressemitteilungen und Pressekonferenzen zurück (ebd. 87). Dass die Journalisten einen Großteil des Materials gekürzt und umformuliert haben, ändert nichts an der Tatsache, dass die Öffentlichkeitsarbeit themenleitender Auslöser war. Die Studie belegt, dass der Informationsjournalismus mit seinem dominierenden Muster des »objective reporting« zum überwiegenden Teil auf Impulse der Öffentlichkeitsarbeit bloß reagiert und kaum selbst agiert ( → vgl. Kap. 5.2; S. 189 - 195 ). Die Leistung der Journalisten besteht zu einem Großteil darin, den Stoff, den die Öffentlichkeitsarbeit liefert, auszuwählen und schnell zu verarbeiten sowie zu interpretieren und einzuordnen. Nachfolgende Forschungsprojekte bestätigten im Grunde genommen Baerns’ Pionierstudie; die Befunde wurden aber noch weiter differenziert. Eine Inhaltsanalyse von Henrike Barth und Wolfgang Donsbach (1992) stellte zum Beispiel fest, dass Journalisten in Krisen- und Konfliktsituationen, die hohen Nachrichtenwert besitzen, aktiver sind und verstärkt Quellen außerhalb der Public Relations nutzen (es ging in den untersuchten Fällen um einen Unfall in einem Chemiewerk und um die Schließung eines Werkes eines anderen Chemieunternehmens). Liegt dagegen ein relativ niedriger Nachrichtenwert vor, betreiben die Journalisten keinen großen Aufwand und verhalten sich eher passiv (hier waren eine Veranstaltungsankündigung und eine Produkt-PR die Themen). Mit diesen und ähnlichen Inhaltsanalysen wurde in den 90er-Jahren die These vertieft, die Öffentlichkeitsarbeit »determiniere« den Journalismus (vgl. Röttger 2005: 371 - 372; Raupp 2005). Die Debatte um diese »Determinierungshypothese« kann allerdings rasch in Schieflage geraten, wenn man sie normativ überhöht: PR-Wissenschaftler wie Ulrike Röttger (2005: 372) von der Universität Münster warnen davor, Public »Themen unter Kontrolle« »Timing unter Kontrolle« Determiniert PR den Journalismus? <?page no="206"?> J O U R N A L I S M U S U N D P U B L I C R E L A T I O N S 207 Relations zu »einer tendenziell manipulierenden, propagandistischen, alleine dem Erfolg verpflichteten und damit insgesamt gefährlichen Öffentlichkeitsarbeit« zu erklären, die einem »gesellschaftlich wertvollen, ethisch hochwertigen und selbstlosen Journalismus« gegenüberstehe. Eine derart einseitige Wertung trifft nicht die realen Verhältnisse, denn auch die Öffentlichkeitsarbeit kann nach ethischen Prinzipien erfolgen und hat eine wichtige gesellschaftliche Funktion - und umgekehrt kann Journalismus ethische Vorstellungen unterlaufen ( → vgl. Kap. 7.2; S. 244 - 255 ) und gerät zunehmend in ökonomische Abhängigkeiten, welche der öffentlichen Aufgabe zuwiderlaufen ( → vgl. Kap. 4.2; S. 129 - 145 ). Es sind also weder die einen die »Bösen« noch die anderen die »Guten«. Wenn wir das Verhältnis von Journalismus und Public Relations theoretisch reflektieren und empirisch untersuchen, müssen wir von einer gegenseitigen Abhängigkeit und einem komplexen Beziehungsgeflecht ausgehen. Dass beide Seiten nicht ohne die jeweils andere Seite auskommen können und dass sie sich gegenseitig beeinflussen, stellte zum Beispiel Günter Bentele (2005) mit seinem so genannten »Intereffikationsmodell« fest. Abgeleitet vom lateinischen »efficare« (ermöglichen) differenziert Bentele die These, dass sich Journalismus und Public Relations wechselseitig »ermöglichen«. Im Prinzip hat Barbara Baerns (1991: 2) schon darauf hingewiesen, dass es sich bei Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus um »zwei Parameter des gesellschaftlichen Diskurses« handelt. Beide haben jedoch unterschiedliche Ziele und gesellschaftliche Funktionen: • Die Öffentlichkeitsarbeit dient der Selbstdarstellung und nützt in erster Linie den Interessen einer bestimmten Institution. Das kann gesamtgesellschaftlich notwendig und wertvoll sein, wenn wir wissen müssen, was Unternehmen, Parteien, Behörden oder Organisationen umtreibt und welche Ziele sie verfolgen. Journalisten brauchen Ansprechpartner oder schlicht Informationen darüber, was wann und wo stattfindet oder entschieden wurde. Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner (oder Wähler) brauchen Informationen über neue Produkte und strategische Entscheidungen (oder über Parteiprogramme). • Beim Journalismus handelt es sich dagegen um eine Fremddarstellung, die eine verfassungsrechtlich geschützte öffentliche Aufgabe ist. Im Idealfall nützt Journalismus der Gesellschaft, zumindest dem Publikum bzw. der Zielgruppe. Dass ein unabhängiger Journalismus gesellschaftlich notwendig ist und zum Interessensausgleich und der Konsensfindung in der Demokratie beitragen muss, wird in diesem Buch mehrfach erwähnt. Eine wesentliche Aufgabe des Journalismus ist demnach, die Verlautbarungen der Public Relations zu hinterfragen und Themen zu recherchieren, die für die Öffentlichkeit relevant Öffentlichkeitsarbeit: Selbstdarstellung Journalismus: Fremddarstellung <?page no="207"?> 208 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N sind, aber von PR-Abteilungen nicht von sich aus kommuniziert oder sogar abgeblockt werden (insbesondere durch investigativen Journalismus). Zudem muss Journalismus diejenigen zu Wort kommen lassen, die selbst keine PR betreiben (insbesondere durch anwaltschaftlichen Journalismus). Journalisten und PR-Experten profitieren also einerseits voneinander - sind aber andererseits natürliche Kontrahenten, weil sie Aufgaben und Funktionen haben, die sich widersprechen. Aus demokratietheoretischer Sicht sollte das Verhältnis zwischen Journalismus und Public Relations ausgewogen sein; die Regeln des anderen Systems sollten beachtet werden und gegenüber dem Publikum sollte transparent gemacht werden, welche Interessen hinter redaktionellen Beiträgen stecken. Eine problematische Entwicklung ist zum Beispiel die Zunahme von Schleichwerbung im redaktionellen Teil. So hat eine Studie im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt belegt, dass im privatwirtschaftlichen Radio immer mehr Audio-PR-Beiträge ausgestrahlt werden, die nicht journalistisch bearbeitet oder relativiert werden, sondern so gesendet werden, wie sie PR-Agenturen oder PR-Abteilungen von Unternehmen produzieren (vgl. Volpers 2007). Hier gehen Defizite auf beiden Seiten Hand in Hand: Die PR-Experten nutzen durch fertig produzierte Beiträge aus, dass die Sender kaum in Redaktionen investieren. Die Journalisten stehen unter Druck und füllen mit unredigiertem PR-Material die Sendeplätze, die sie eigenständig nicht bestücken können oder wollen. Weitere Indizien für einen wachsenden Einfluss der Public Relations auf die öffentliche Kommunikation werden in Kapitel 7.3 diskutiert ( → vgl. S. 260 - 264 ). problematisch: Schleichwerbung Public Relations Public Relations (PR) ist die inzwischen gängige Bezeichnung für den früher üblichen Begriff Öffentlichkeitsarbeit. Wörtlich übersetzt kann man PR mit »Pflege öffentlicher Beziehungen« umschreiben. PR ist die geplante und strategische Kommunikation einer Organisation mit denjenigen Personen oder Gruppen, die ihr Handeln beeinflussen können - also mit den Bezugsgruppen einer Organisation (engl. »Stakeholder«). Bezugsgruppen sind extern zum Beispiel die Journalisten, die Kunden oder die Nachbarn eines Unternehmens und intern die Mitarbeiter. Die Interessen der Organisation sollen von diesen Bezugsgruppen nicht nur akzeptiert, sondern als legitim angesehen werden. Damit schafft PR die kommunikativen Voraussetzungen für den Organisationserfolg. (nach Röttger 2005: 369) Definition <?page no="208"?> J O U R N A L I S M U S U N D P U B L I C R E L A T I O N S 209 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass PR noch andere Aufgaben hat als die Information und Beeinflussung des Journalismus. Man kann sogar feststellen, dass PR zunehmend versucht, eigene Wege in die Öffentlichkeit zu finden und den Journalismus als Gatekeeper zu umgehen - mit eigenen medialen Plattformen oder direkten Kontakten zu Bezugsgruppen ( → vgl. Kap. 7.3; S. 260 - 264 ). Die Arbeitsfelder der PR können in drei Bereiche eingeteilt werden (vgl. Röttger 2005): • Bezugsgruppen: von der internen PR (z. B. Mitarbeiterzeitschrift, Intranet) über die Community Relations (z. B. Nachbarschafts- und Standort-PR) bis zur Lobby-Arbeit in der Politik. Sind Journalisten die Bezugsgruppe, sprach man früher von »Pressearbeit« - heute von »Media Relations«. • Thematische Spezialisierungen: Issues Management (z. B. Themenbeobachtung in den Medien), Krisen-PR, Non-Profit-PR (z. B. für soziale oder kirchliche Einrichtungen), Politik-PR, Kultur-PR, Healthcare-PR etc. • PR-Instrumente: Online-PR (z. B. Website, Einsatz von Social Software für die PR), Sponsoring, Event-PR, Corporate Publishing (z. B. Kundenzeitschriften) etc. Journalismus und Public Relations sind natürliche Kontrahenten, weil sie Aufgaben und Funktionen haben, die sich widersprechen: Fremddarstellung versus Selbstdarstellung. Es sind aber weder die einen die »Guten« noch die anderen die »Bösen«, sondern beide Berufs- und Arbeitsfelder haben wichtige gesellschaftliche Funktionen und können qualitativ und ethisch gut oder schlecht ausgeübt werden. Die Leistung der Journalisten besteht im dominierenden Muster des »objective reporting« zu einem Großteil darin, den Stoff, den die Öffentlichkeitsarbeit liefert, auszuwählen und schnell zu verarbeiten sowie zu interpretieren und einzuordnen. Öffentlichkeitsarbeit hat hier Themen und Timing der Berichterstattung im Wesentlichen unter Kontrolle. Aus demokratietheoretischer Sicht ist es umso wichtiger, dass Journalisten durch komplementäre Berichterstattungsmuster die Verlautbarungen der PR interpretierend einordnen, dass sie - zum Beispiel in Krisenfällen oder in Fällen von Machtmissbrauch - investigativ recherchieren und dass sie grundsätzlich auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die keine PR betreiben. Zusammenfassung <?page no="209"?> 210 J O U R N A L I S T I S C H E R O U T I N E N Literatur Zur Public Relations gibt es inzwischen etliche Handbücher, wissenschaftliche Studien und praktische Ratgeber. Als Überblick über den Stand der Wissenschaft ist der Sammelband »Handbuch der Public Relations« von Günter Bentele, Romy Fröhlich und Peter Szyszka zu empfehlen. Claudia Mast führt fundiert in das Gebiet der Unternehmenskommunikation ein. Das Handbuch Public Relations, herausgegeben von Jan Lies, erklärt alphabetisch 110 Begriffe der PR. 1 Was ist und was macht Public Relations? 2 Inwiefern hat PR einen Einfluss auf journalistische Medieninhalte? 3 Skizzieren Sie die unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen von Journalismus und PR. Übungsfragen zu Kapitel 5.4 <?page no="210"?> 211 Die Journalisten Journalismus als Beruf Wie viele Journalisten gibt es? Wo und wie arbeiten sie? Welche Merkmale und Einstellungen haben sie? Es gibt hunderte von Forschungsprojekten, die diesen Fragen nachgegangen sind. Allein für den Zeitraum von 1945 bis 1990 hat Frank Böckelmann (1993) im Auftrag des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung 716 Studien zum Forschungsgebiet »Journalismus als Beruf« zusammengetragen. Und dabei ist die Forschung in den vergangenen 20 Jahren erst so richtig explodiert. Anfang der 90er-Jahre entstanden in Deutschland die ersten repräsentativen Journalistenbefragungen (vgl. u. a. Schneider/ Schönbach/ Stürzebecher 1993; Scholl/ Weischenberg 1998) - wiederholt 2005 (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006). In der Schweiz wurde erstmals Ende der 90er-Jahre eine repräsentative Journalisten-Enquête durchgeführt (Marr/ Wyss/ Blum/ Bonfadelli 2001) und 2008 wiederholt (vgl. Wyss/ Keel 2010b) - und in Österreich erst in den Jahren 2005 bis 2008 (Medienhaus Wien 2007; Kaltenbrunner/ Karmasin/ Kraus/ Zimmermann 2007 und 2008). In den USA liegen ähnliche Befragungen aus den Jahren 1971, 1982/ 83, 1992 und 2002 vor (Weaver u. a. 2007), die wir in diesem Kapitel zum internationalen Vergleich mit den deutschsprachigen Ländern heranziehen. Das Problem dieser Studien beginnt schon bei der Definition, wer überhaupt Journalist ist. An die definitorischen Hinweise, die in diesem Buch im ersten Kapitel genannt sind, halten sich zwar die meisten Studien - Basis ist die »gesellschaftliche Funktion des Journalismus: | 6 Inhalt 6.1 Journalismus als Beruf 6.2 Ausbildung und Kompetenzen | 6.1 repräsentative Journalistenbefragungen Wer ist überhaupt Journalist? <?page no="211"?> 212 D I E J O U R N A L I S T E N der Öffentlichkeit aktuelle, tatsachenbezogene Themen zur Verfügung zu stellen« (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 34). Mit dieser Definition stoßen die Studien aber auf Widerspruch: Gewerkschaften gefällt nicht, dass Mitarbeiter der Public Relations ausgeschlossen werden (im Deutschen Journalistenverband DJV können zum Beispiel explizit Öffentlichkeitsarbeiter Mitglied werden). Laienreportern, ehrenamtlichen und nebenberuflichen Journalisten missfällt, dass nur hauptberufliche Journalisten qua Definition als »Journalisten« gelten. Und zudem ist die Unterscheidung, wer primär Unterhalter und wer Journalist ist, vor allem bei Fernsehformaten schwierig (ist z. B. Günther Jauch Journalist? ). Die im Folgenden zitierten Studien aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA haben sich bemüht, den Kern des Journalismus so eng wie nötig zu definieren. Sie sind deshalb im Wesentlichen miteinander vergleichbar. In Deutschland liegt zudem die Wiederholung einer Studie mit gleichen Definitionen und ähnlichen Fragestellungen vor, so dass ein Vergleich der Situation 1993 mit 2005 möglich ist (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006). Die Journalistendichte weist von Land zu Land eine außerordentliche Bandbreite auf (vgl. Abb. 6.1): zwischen 154 Journalisten je 100.000 Einwohner in Finnland und acht Journalisten je 100.000 Einwohner in Die Zahlen stammen aus Studien zwischen Mitte der 90er Jahre und dem Jahr 2007 und verwenden nicht immer die gleiche Journalismusdefinition (so wurden in den USA nur Journalisten der »mainstream news media« befragt und nicht aus dem Special-Interest-Sektor - es wurden also nur wenige Zeitschriftenjournalisten berücksichtigt). Die Zahlen sind demnach nicht direkt vergleichbar, erlauben aber eine grobe Orientierung. Land Journalisten Einwohner (in Mio.) Journalisten je 100.000 Einwohner Finnland 8.000 5,2 154 Schweiz 9.100 7,1 129 Ungarn 8.900 9,9 90 Österreich 7.100 8,2 87 Deutschland 1993 54.300 81,5 67 Deutschland 2005 48.400 82,5 59 Frankreich 26.600 57,7 46 USA 116.000 301,0 39 Großbritannien 15.200 58,2 26 Australien 4.200 17,8 24 Türkei 5.000 60,7 8 Abb. 6.1 | Journalistendichte im Ländervergleich (Quelle: Medienhaus Wien 2007: 3; Marr/ Wyss/ Blum/ Bonfadelli 2001: 59; Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 257 - 258; Weaver u. a. 2007: 2; Scholl/ Weischenberg 1998: 222) <?page no="212"?> J O U R N A L I S M U S A L S B E R U F 213 der Türkei. Im Vergleich der deutschsprachigen Länder gibt es in der Schweiz relativ viele Journalisten, was daran liegt, dass sich die Medienlandschaft an drei Sprachregionen orientieren muss ( → vgl. Kap. 4.3.5; S. 163 - 164 ). In Deutschland nahm die Zahl der Journalisten zwischen 1993 und 2005 um 5.900 ab (elf Prozent), wobei die Zahl der fest Angestellten mit 36.200 konstant geblieben, aber die Zahl der freien Mitarbeiter von 18.000 auf 12.200 gesunken ist (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 258). Es gibt zwar offenbar noch genauso viele oder sogar mehr »freie Journalisten« (das zeigen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften), aber sie können immer weniger vom Journalismus im Hauptberuf leben. Sie verdienen mehr Einkommen oder verbringen mehr Arbeitszeit in der Öffentlichkeitsarbeit - oder in anderen Berufen - und fallen deshalb aus der Statistik. Die Wissenschaftler, die die Studien durchgeführt haben, sprechen von einer »partiellen Deprofessionalisierung« des Journalismus (ebd. 189 - 190). weniger freie Journalisten Journalisten nach Mediensparte (Quellen: für Deutschland (D) Weischenberg / Malik / Scholl 2006: 257 - 260; für die Schweiz (CH) Marr / Wyss / Blum / Bonfadelli 2001: 62, 92 sowie Bonfadelli/ Keel/ Marr/ Wyss 2012; für Österreich ( A) Medienhaus Wien 2007: 4 sowie Kaltenbrunner/ Karmasin/ Kraus/ Zimmermann 2007. Die leeren Felder werden in den Studien nicht explizit ausgewiesen.) | Abb. 6.2 Verteilung nach Mediensparte (%) Frauenanteil (%) D 1993 D 2005 CH 2008 A 2005/ 7 D 1993 D 2005 CH 2008 A 2005/ 7 Zeitung 46 35 35 - 30 34 31 34 Zeitschrift 15 20 25 - 39 39 45 - Print gesamt 72 61 60 67 30 36 35 40 TV 8 15 13 10 31 41 - 47 öffentlich-rechtl. TV 6 11 9 - 27 41 38 - Radio 12 17 16 17 34 40 - 44 öffentlich-rechtl. Radio 8 11 10 - 34 38 43 - priv. TV + Radio 6 10 13 - 35 42 32 - Nachrichtenagentur und Mediendienste 8 3 4 3 37 38 31 30 Online - 5 3 4 - 36 32 43 Gesamt - - - - 31 37 35 42 <?page no="213"?> 214 D I E J O U R N A L I S T E N In einzelnen Segmenten gibt es jedoch auch Zuwächse. Vor allem beim Fernsehen (von 4.500 auf 7.200), aber auch bei Hörfunk und Zeitschriften arbeiten 2005 mehr Journalisten als 1993. Bei Tages- und Wochenzeitungen hat die Zahl der hauptberuflichen Journalisten dagegen rapide abgenommen (von 24.900 auf 17.100). Dennoch sind in allen deutschsprachigen Ländern noch die meisten Journalisten für Printmedien tätig - zu jeweils etwa zwei Dritteln (vgl. Abb. 6.2). Immer mehr Frauen im Journalismus Der Frauenanteil im Journalismus ist in Österreich mit 42 Prozent am höchsten. Für Deutschland ist es belegt und für viele andere Länder wird vermutet, dass der Anteil der Frauen zunimmt. Je jünger die Journalisten, desto mehr Frauen: Sowohl in Deutschland als auch in Österreich liegt der Frauenanteil bei den unter 30-jährigen weit über 50 Prozent. In Führungspositionen sind Frauen zwar nach wie vor unterrepräsentiert, aber der Anteil der Chefredakteurinnen und Ressortleiterinnen hat zwischen 1993 und 2005 zugenommen (von 19 auf 22 bzw. von 20 auf 29 Prozent). Anders ist die Situation in den USA: Dort stagniert der Frauenanteil im Journalismus zwischen 1982 und 2002 konstant bei einem Drittel (Weaver u. a. 2007: 8), obwohl auch in den USA die jungen Journalisten mehrheitlich weiblich sind. Offenbar steigen die amerikanischen Journalistinnen nach ein paar Jahren Berufserfahrung öfter aus dem Journalismus aus als ihre männlichen Kollegen. Alter und Einkommen Das Durchschnittsalter der Journalisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz liegt zwischen 40 und 43 Jahren, wobei es in Deutschland 1993 noch bei 37 Jahren gelegen hatte. 1993 waren noch mehr als die Hälfte der deutschen Journalisten höchstens 35 Jahre alt - inzwischen ist es nur noch ein Drittel. Ähnlich ist die Entwicklung in den USA, wo das Durchschnittsalter zwischen 1992 und 2002 von 36 auf 41 Jahre gestiegen ist (Weaver u. a. 2007: 7). In den vergangenen ein bis zwei Jahrzehnten wurden weniger junge Journalisten beschäftigt als vorher. Auch für das nächste Jahrzehnt besteht wenig Aussicht auf einen Generationswechsel: Nur acht Prozent der Journalisten in Deutschland sind älter als 55. Die Einkommensspanne der Journalisten in Deutschland liegt im Kern zwischen 1.000 und 4.000 Euro netto im Monat (im Schnitt 2.300 Euro) - in der Schweiz zwischen 2.000 und 10.000 Franken (im Schnitt 6.400 CHF), wobei es in allen Ländern »Großjournalisten« gibt, die ein hoher Frauenanteil in Österreich im Schnitt 2.300 Euro <?page no="214"?> J O U R N A L I S M U S A L S B E R U F 215 mindestens fünfstelliges Monatseinkommen haben, und ein »Prekariat«, das vom Journalismus kaum leben kann. Die deutsche Studie hat in dreifacher Hinsicht eine Kluft festgestellt (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 193): • Frauen verdienen durchschnittlich 500 Euro weniger im Monat als Männer (auf derselben hierarchischen Position); • das Netto-Einkommen von Fernsehredakteuren ist im Schnitt am höchsten, das der Online-Journalisten und der Mitarbeiter von Anzeigenblättern am niedrigsten; • Mitarbeiter privatwirtschaftlicher Fernsehsender erhalten durchschnittlich 1.300 Euro weniger als ihre öffentlich-rechtlichen Kollegen. Spiegel der Bevölkerung? Immer wieder gibt es Forderungen, die Journalisten sollten die Segmente und Milieus der Gesamtbevölkerung vielfältig repräsentieren, damit sie allen Positionen und Problemlagen nicht nur stellvertretend eine Stimme geben, sondern sie aus eigener Erfahrung kennen. In den USA wird dies unter dem Stichwort »diversity in the newsroom« diskutiert. So fordert die American Society of Newspaper Editors: »To cover communities fully, to carry out their role in a democracy, and to succeed in the marketplace, the nation’s newsrooms must reflect the racial diversity of American society by 2025 or sooner. […] The newsroom must be a place in which all employees contribute their full potential, regardless of race, ethnicity, color, age, gender, sexual orientation, physical ability or other defining characteristic.« (asne.org/ content.asp? pl=15&sl=28&contentid=28) Aus den Befragungen in Deutschland kennen wir zwar nicht alle diese sozialen Merkmale - Religion oder Migrationshintergrund werden hier z. B. im Gegensatz zu den US-Studien nicht erhoben. Aber nach allem, was wir wissen, unterscheiden sich die sozialen Merkmale der Journalisten erheblich vom Bevölkerungsdurchschnitt (vgl. im Folgenden Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 69 - 72). Die meisten Journalisten rekrutieren sich aus der Mittelschicht: Väter und Mütter waren meist Angestellte (55 Prozent der Väter bzw. 43 Prozent der Mütter), Beamte (24/ 9) oder selbständig (18/ 7). Arbeiterkinder sind eine kleine Minderheit (9/ 3). Nur drei Prozent haben allerdings Väter oder Mütter, die selbst Journalisten sind. Die politische Einstellung der Journalisten in Deutschland ist traditionell eher links, was durch die aktuellen Befunde bestätigt wird: Bei der Befragung im Frühjahr 2005 verorteten sich die Journalisten auf einer Skala von 1 (für politisch links) bis 100 (für politisch rechts) im Schnitt bei 38. Die Parteipräferenzen haben sich zwischen 1993 und 2005 erheblich verschoben: 36 Prozent sehen sich 2005 in der Nähe von Diversity in the newsroom politische Einstellung <?page no="215"?> 216 D I E J O U R N A L I S T E N Bündnis 90/ Die Grünen (gegenüber 19 Prozent 1993) und 26 Prozent in der Nähe der SPD (gegenüber 25 Prozent). CDU/ CSU (12/ 9), FDP (9/ 6) und PDS (4/ 1) sind weit abgeschlagen. Nur noch 20 Prozent (gegenüber 30) sind ohne Partei-Neigung. Vor allem bei den Journalistinnen haben die Grünen Anhänger (43 Prozent). Die Autoren der Studie ziehen die Schlussfolgerung, dass viele Journalistinnen und Journalisten aus einem Milieu kommen, in dem die Grünen ihr Zuhause haben: Sie sind »relativ jung, überdurchschnittlich gebildet, treten für Umweltziele ein; sie denken liberal und pazifistisch, stammen aus höheren Gesellschaftsschichten und widmen sich in besonderem Maße der Gleichberechtigung von Frauen« (ebd. 71). Mit weiteren Schlussfolgerungen aus diesen Befragungsergebnissen - vor allem im Hinblick auf die politische Wirkung des Journalismus - sollte man sehr vorsichtig sein. Schließlich wurden die Daten im Vorfeld einer Bundestagswahl erhoben, welche der rot-grünen Regierung eine Niederlage bescherte. Weder ist die Schlussfolgerung plausibel, die mehrheitlich links-orientierten Journalisten würden linke Regierungen stützen, noch der umgekehrte Vorwurf, so manche Journalisten hätten mit einer neoliberalen Ideologie den Machtwechsel herbeigeschrieben ( → vgl. Kap. 5.1; S. 182 ). Wenn sie schon nicht alle Bevölkerungssegmente repräsentieren - konfrontieren sich Journalisten dann in ihrem Privatleben mit anderen sozialen Milieus? - Mitnichten: Für 91 Prozent der Journalisten gehören wiederum Journalisten zum engeren Bekanntenkreis (ebd. 150 - 154). Allenfalls trifft man sich mit anderen Akademikern. Die Lebenswelt anderer sozialer Gruppen außerhalb der Mittelschicht - vom Hartz-IV- Empfänger bis zum Millionär - ist für Journalisten im Alltag schwer zugänglich. Tätigkeiten: Schreiben, Recherchieren, Produzieren, Organisieren Die durchschnittliche Arbeitszeit der deutschen Journalisten ist zwischen 1993 und 2005 im Wochenschnitt von 46 auf 45 Stunden gesunken. In die Arbeitszeit wird indes eine Reihe neuer Tätigkeiten hineingepackt, die mit der Internet-Nutzung zu tun haben (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 79 - 82). Dies geht im Durchschnitt auf Kosten der Zeit für klassische Recherche, Textauswahl und Moderation in Hörfunk und Fernsehen (vgl. Abb. 6.3). Allerdings sind diese Zeitangaben mit Vorsicht zu interpretieren, weil es sich nicht um exakte Messungen der Tätigkeiten handelt, sondern um Schätzungen der Journalisten im Rahmen einer Befragung. Wer kann schon auf folgende Frage eine minutengenaue Antwort geben: »Sagen Sie mir bitte für jede Tätigkeit, wie viele Journalisten als Freunde 45-Stunden-Woche <?page no="216"?> J O U R N A L I S M U S A L S B E R U F 217 Dauer journalistischer Tätigkeiten (Quelle: Weischenberg / Malik / Scholl 2006: 80, 267, 268) | Abb. 6.3 Tätigkeit (Durchschnitt in Minuten pro Tag) 1993 2005 2005 TV 2005 Radio 2005 Zeitung 2005 Zeitschrift 2005 Online Recherche 140 117 117 109 102 119 106 Verfassen/ Redigieren eigener Texte 118 120 85 111 131 129 118 Auswahl von Texten 49 33 25 45 31 26 42 Redigieren von Agentur- und Pressematerial 37 33 16 42 41 18 29 Redigieren der Texte von Kollegen / Mitarbeitern 39 55 34 32 68 61 51 Organisation und Verwaltung 69 78 110 83 64 84 66 Technik 50 84 155 103 70 46 100 Moderation (nur Rundfunkjournalisten) 46 28 8 47 - - - Kontakt mit dem Publikum* - 26 20 23 31 22 22 PR, Werbung, Marketing, kaufmännische Tätigkeiten 0 9 12 7 5 10 11 Internettätigkeiten allgemein* - 122 137 147 73 148 262 davon Online- Recherche* - 66 72 81 38 81 136 davon E-Mail- Kontakte* - 44 50 50 30 54 77 davon Kommunikation mit dem Publikum* - 9 7 8 9 11 19 * 1993 nicht abgefragt <?page no="217"?> 218 D I E J O U R N A L I S T E N Stunden bzw. Minuten Sie diese an einem durchschnittlichen Arbeitstag ausüben.« (ebd. 235) ( → vgl. Kap. 1.3.1; S. 46 ) Es ist zum Beispiel schwierig festzustellen, ob die deutschen Journalisten 2005 mehr oder weniger Zeit für Recherche aufwenden als 1993 (ebd. 79 - 81): Sie geben zwar an, kürzer zu recherchieren (117 statt 140 Minuten) - aber sie schätzen inzwischen den täglichen Aufwand für Online-Recherche auf 66 Minuten. Da Recherchezeit und Zeit für Internetnutzung in der Befragung nicht aufeinander bezogen wurden, wissen wir nicht, ob die Zeit für Recherche insgesamt tatsächlich gesunken oder in der Summe nicht sogar gestiegen ist. Auffällig ist die Zunahme von organisatorischen und vor allem von technischen Tätigkeiten. Die Fernseh- und Radiojournalisten sind damit am stärksten belastet. Eine Ursache dieser Veränderung ist, dass Rundfunkjournalisten mit inzwischen meist digitaler Technik häufiger selbst drehen und schneiden. Rollenselbstverständnis Die Frage nach dem Rollenselbstverständnis der Journalisten hat in der journalistischen Berufsforschung eine lange Tradition (vgl. u. a. Donsbach 2003: 116 - 117; Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 98 - 119; Weaver u. a. 2007: 136 - 157; Wyss/ Keel 2010b: 256f.). Welche Vorstellungen haben die Journalisten von ihrer eigenen Rolle? Welchen Idealen folgen sie und welche Ziele setzen sie sich in ihrer täglichen Arbeit? Sehen sie sich eher als passive Informationsvermittler oder als engagierte Kritiker, die sogar die politische Tagesordnung beeinflussen wollen? Oder wollen sie in erster Linie das Publikum unterhalten oder ihm als Ratgeber mit Service-Leistungen dienen? Zwar sind die durch repräsentative Befragungen erhobenen Absichtserklärungen der Journalisten umstritten, weil unklar ist, ob sie wirklich eine Bedeutung für die journalistische Arbeit haben, aber man kann damit zum Beispiel international vergleichend Unterschiede feststellen: im Berufsverständnis und in den Idealen, die im Verlauf der journalistischen Ausbildung und Sozialisation erworben werden. Und wir können den Wandel dieses Verständnisses beschreiben, wenn Befragungen systematisch wiederholt werden. Auf der individuellen Ebene der Journalisten lässt sich die Neigung zu verschiedenen aktiven oder passiven Berichterstattungsmustern einordnen, wie sie in Kapitel 5.2 ( → vgl. S. 189 - 195 ) beschrieben wurden. In den 80er und 90er-Jahren haben Forscher der Mainzer Publizistik - vor allem Renate Köcher (vgl. z. B. 1986) und Wolfgang Donsbach (vgl. z. B. 2003) - in international vergleichenden Journalistenbefragungen festmehr oder weniger Zeit für Recherche? internationale Vergleiche »missionarischer« Journalismus? <?page no="218"?> J O U R N A L I S M U S A L S B E R U F 219 gestellt, dass die deutschen Journalisten stärker politisch aktiv mitwirken wollen und dass sie sich weniger als neutrale und passive Vermittler sehen als ihre Kollegen in Großbritannien und den USA. Die Vertreter dieser wissenschaftlichen Schule kritisierten den - wie sie es nannten - »missionarischen« Journalismus in Deutschland, den sie auf historische Entwicklungen zurückführten ( → vgl. Kap. 2.2.2; S. 80 - 83 ). Dieser Aspekt des Rollenselbstverständnisses diente auch als Baustein bestimmter Wirkungstheorien - wie zum Beispiel der Schweigespirale ( → vgl. Kap. 3.3; S. 118 - 119 ). Diese Studien und die wirkungstheoretischen Schlussfolgerungen daraus wurden früh kritisiert (vgl. u. a. Weischenberg 1989). In den jüngsten Befragungen zeigt sich nun deutlich, dass sich die Journalisten in ihrem Aufgabenverständnis international angleichen und dass man die deutschen Journalisten in einer breiten Mehrheit nicht als »missionarisch« bezeichnen kann, sondern dass sie in erster Linie neutral und präzise informieren wollen - wie ihre Kollegen in anderen westlichen Demokratien auch (vgl. Abb. 6.4). Im Gegensatz zu den Annahmen der Mainzer Studien kann das Berufsverständnis zudem mehrdimensional sein (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 100 - 101): Verschiedene Rollenbilder schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern werden »fallweise nach individueller Relevanz gewichtet« (Marr/ Wyss/ Blum/ Bonfadelli 2001: 123). Es muss kein Widerspruch sein, wenn ein Journalist neutral informieren und gleichermaßen Kritik an Missständen üben will. Die amerikanischen Forscher sprechen vom Phänomen des »pluralistic journalist«, der verschiedene sich eigentlich widersprechende Rollenkonzepte verfolgt (Weaver u. a. 2007: 145 - 146). Tabelle 6.4 zeigt das Antwortverhalten in repräsentativen Befragungen in drei Ländern, wobei ein absoluter Vergleich nicht möglich ist, weil die Studien unterschiedliche Statements vorformulieren. Schon die Dimensionen des Rollenselbstverständnisses werden anders definiert: Während die deutschen Forscher drei Dimensionen ausmachen (Information, Kritik und Service/ Unterhaltung), haben die Schweizer Forscher noch Indikatoren für eine vierte Dimension (Werbemarktorientierung) abgefragt, die in der folgenden Tabelle nicht wiedergegeben sind. In den USA spielt das Konzept des Public Journalism ( → vgl. Kap. 5.2; S. 192 - 194 ) eine größere Rolle als in Europa, weshalb ein Statement wie »motivate people to get involved«, das in Deutschland und der Schweiz gar nicht vorgelegt wurde, 39 Prozent Zustimmung bekam (Weaver u. a. 2007: 140). In der Tabelle werden jeweils Formulierungen gewählt, die allen drei Länderstudien gerecht werden sollen. Wo dies nicht geht, werden Zeilen mit der amerikanischen Variante eingefügt. Der Vergleich wird allerin erster Linie neutral und präzise informieren <?page no="219"?> 220 D I E J O U R N A L I S T E N dings dadurch zusätzlich erschwert, dass die Studien unterschiedliche Antwortskalen verwendeten (vier-, fünf- oder sechsstufig). In Deutschland, Österreich und der Schweiz dominiert die Rolle des neutralen Vermittlers, der komplexe Sachverhalte analysiert und einordnet. Die Bedeutung der Kritik an Missständen ist in der Schweiz und in Österreich relativ hoch und hat in Deutschland etwas abgenommen. Im internationalen Vergleich wollen in Österreich relativ viele Journainternationale Unterschiede * Die deutsche Studie verwendete eine fünfstufige Skala zur Zustimmung oder Ablehnung. In der Tabelle sind alle Antworten summiert, die »trifft voll und ganz zu« oder »trifft überwiegend zu« angaben. Die US-Studie legte eine vierstufige Skala vor, wies im Ergebnisbericht jedoch nur die Extremposition »extremely important« aus, die auch in der Tabelle wiedergegeben ist. Die Schweizer Studie verwendete eine sechsstufige Skala von »sehr wichtig« bis »gar nicht wichtig«, wobei in der Tabelle die drei Antworten mit »wichtig« summiert sind. Die österreichische Studie ging genauso wie die deutsche vor. Zustimmung zum Rollenselbstverständnis … (in %)* D 1993 D 2005 USA 1992 USA 2002 CH 2008 A 2008 Information und Vermittlung möglichst neutral und präzise informieren 74 89 92 92 avoid stories with unverified content 49 52 komplexe Sachverhalte nachprüfen / analysieren / erklären / vermitteln 74 79 48 51 85 89 möglichst schnell Informationen vermitteln 73 74 69 59 69 sich auf ein möglichst breites Publikum konzentrieren 54 60 20 15 59 Kritik, Kontrolle, Engagement Kritik an Missständen üben 63 58 79 75 investigate government claims 67 71 Themen auf die politische Agenda setzen 19 14 5 3 31 sich einsetzen für die Benachteiligten / Anwalt für die gesellschaftlich Schwachen 43 29 56 60 motivate people to get involved 39 Service und Unterhaltung als Ratgeber helfen/ Lebenshilfe bieten 36 44 72 54 Unterhaltung, Entspannung bieten 47 37 14 11 48 51 Abb. 6.4 | Rollenselbstverständnis im Vergleich D - USA - CH (Quellen: Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 98 - 119, 279; Weaver u. a. 2007: 139 - 140; Bonfadelli/ Keel/ Marr/ Wyss 2012; Kaltenbrunner/ Karmasiin/ Kraus/ Zimmermann 2008: 22) <?page no="220"?> J O U R N A L I S M U S A L S B E R U F 221 listen die politische Tagesordnung beeinflussen. Der Ratgeberjournalismus findet in Deutschland zunehmend Zustimmung. In den USA prägt indes die kritische Überprüfung von Regierungsaussagen das Rollenselbstverständnis - präzise Information und Analyse tritt dagegen etwas zurück. Überraschend ist, dass die amerikanischen Journalisten der Schnelligkeit ein abnehmendes Gewicht beimessen (trotz Internet) und dass sie sich immer weniger auf ein breites Publikum, sondern eher auf ganz bestimmte Zielgruppen konzentrieren. Mit Hilfe der Daten lassen sich auch verschiedene Segmente des Journalismus vergleichend analysieren. So zeigt sich, dass in Deutschland die Sportjournalisten am stärksten unterhaltungsorientiert eingestellt sind, dass die Schnelligkeit im Hörfunk und im Internet die größte Rolle spielt und dass vor allem die Zeitungsjournalisten Kritik an Missständen üben wollen (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 280 - 284). Bewertung umstrittener Recherchemethoden Die Frage zur Bewertung umstrittener Recherchemethoden geht intensiv auf das Berichterstattungsmuster des Investigativen Journalismus ein ( → vgl. Kap. 5.2; S. 192 - 193 ): Nehmen sich die deutschen oder die amerikanischen Journalisten vor, hartnäckiger und skrupelloser zu recherchieren? In den Antworten lässt sich die Reflexion über einen journalistischen Grundkonflikt ablesen (vgl. Weaver u. a. 2007: 162 - 173; Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 174 - 180): zwischen der Forderung nach ethisch Abnahme der Zustimmungswerte Journalismuskulturen in 17 Ländern In einer multinationalen Studie wurden 1700 Journalisten aus 17 Ländern zu ihrer professionellen Orientierung befragt (vgl. Hanitzsch/ Seethaler 2009). Rollenmodelle, die durch Distanz zu Politik und Wirtschaft gekennzeichnet sind, gehören zwar zu den weltweit akzeptierten Standards. Im Detail ergeben sich aber Unterschiede: Während es in den entwickelten Staaten des Westens nicht zur Journalismuskultur gehört, sich aktiv für bestimmte politische Positionen, Gruppen oder für soziale Veränderungen einzusetzen, wollen Journalisten in Entwicklungs- und Transformationsgesellschaften für sozialen Wandel eintreten und dafür unter Umständen auch die Regierungspolitik unterstützen - »insbesondere dort, wo er sich rapide vollzieht bzw. wo er am dringendsten benötigt wird« (ebd. 471), zum Beispiel in Ägypten, der Türkei und Indonesien. <?page no="221"?> 222 D I E J O U R N A L I S T E N gerechtfertigtem Handeln, zum Beispiel nicht zu betrügen und Vertrauen nicht zu missbrauchen, und der Forderung nach Erfüllung der journalistischen Kontrollfunktion, gesellschaftlich relevante Informationen auch gegen Widerstand zu recherchieren und öffentlich zu thematisieren. Während fast alle umstrittenen Methoden von deutschen Journalisten mehrheitlich abgelehnt werden - 2005 noch stärker als 1993 -, gibt es in den USA bei einigen Methoden mehrheitliche Zustimmung (vgl. Abb. 6.5). Allerdings gehen auch in den USA die Zustimmungswerte zurück. * Die deutsche Studie verwendete eine fünfstufige Skala zur Zustimmung oder Ablehnung. In der Tabelle sind alle Antworten summiert, die »trifft voll und ganz zu«, »trifft überwiegend zu« oder »trifft teils/ teils zu« angaben. Die US-Studie gab eine Dreierskala vor, wobei in der Tabelle Antworten mit »may be justified on occasion« aufgenommen sind. Zustimmung zu journalistischen Recherchemethoden (in %)* D 1993 D 2005 USA 1992 USA 2002 vertrauliche Regierungsunterlagen benutzen, ohne die Genehmigung zu haben / 54 59 82 78 using confidential business or government documents without authorization sich als Mitarbeiter in einem Betrieb/ einer Organisation betätigen, um an interne Informationen zu gelangen / 54 49 63 54 getting employed in a firm or organization to gain inside information sich als eine andere Person ausgeben / 45 32 22 14 claiming to be somebody else Leuten für vertrauliche Informationen Geld bezahlen / 41 27 20 17 paying people for confidential information versteckte Mikrofone oder Kameras benutzen / 31 28 60 60 using hidden microphones or cameras unwillige Informanten unter Druck setzen, um Informationen zu bekommen / 12 12 49 52 badgering unwilling informants to get a story private Unterlagen (z. B. Briefe, Fotos) von jemandem ohne dessen Zustimmung verwenden 11 8 48 41 making use of personal documents such as letters and photographs without permission Abb. 6.5 | Recherchemethoden im Vergleich Deutschland - USA (Quellen: Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 245, 301; Weaver u. a. 2007: 163) <?page no="222"?> J O U R N A L I S M U S A L S B E R U F 223 Das Berichterstattungsmuster des Investigativen Journalismus ist traditionell in Deutschland nicht so sehr ausgeprägt wie in den USA, was unter anderem an der traditionellen US-amerikanischen Rollentrennung zwischen »reporters« und »editors« liegt ( → vgl. Kap. 4.4; S. 166 ). Die »reporters« sind auf Recherche angesetzt, während die deutschen Journalisten Recherche neben anderen Dingen erledigen. Allerdings nähern sich die US-amerikanischen und die deutschen Journalisten bei der Bewertung einiger Recherchemethoden an: etwa in der Benutzung vertraulicher Regierungsunterlagen oder im Einschleichen als Mitarbeiter in einen Betrieb oder eine Organisation. Andererseits gibt es erhebliche Unterschiede bei den »skrupellosen« Methoden (Weischenberg/ Malik/ Scholl: 176): Die deutschen Journalisten scheuen vor allem zurück, wenn Informanten nachhaltig geschädigt werden - etwa indem man sie unter Druck setzt oder ihre privaten Briefe und Fotos ohne Zustimmung veröffentlicht (jeweils ca. 90 Prozent Ablehnung). Die nordamerikanischen Journalisten geben sich hier nicht so skrupulös: 52 bzw. 41 Prozent meinen, diese Methoden können gerechtfertigt sein. US-Journalisten weniger skrupulös In Österreich gibt es etwa 7.100, in der Schweiz 9.100 und in Deutschland 48.400 Journalisten. Sie stammen in Deutschland mehrheitlich aus der Mittelschicht und verorten sich selbst politisch meist eher links. Zwischen 1993 und 2005 sind die hauptberuflichen Journalisten weniger, und im Schnitt sind sie älter geworden (41 Jahre). Der Frauenanteil liegt in Österreich mit 42 Prozent relativ hoch und steigt auch in Deutschland und der Schweiz. Für klassische Recherche bleibt 2005 weniger Zeit als 1993. Dafür nutzen die Journalisten im Schnitt zwei Stunden täglich das Internet, müssen mehr organisieren und digitale Technik bedienen. Das Rollenselbstverständnis gleicht sich international an, wobei das Ideal der neutralen Vermittlung dominiert. Auch in der Bewertung harter Recherchemethoden gleichen sich zunehmend die deutschen und US-amerikanischen Journalisten. Die amerikanischen Kollegen haben indes weniger Skrupel, Informanten unter Druck zu setzen oder persönliche Unterlagen ohne Zustimmung zu verwenden. Zusammenfassung <?page no="223"?> 224 D I E J O U R N A L I S T E N Literatur Zur weiterführenden Lektüre werden die in diesem Kapitel mehrfach zitierten Bücher und Buchkapitel mit Ergebnissen aus Journalisten- Befragungen empfohlen: Für die Journalisten in Deutschland Siegfried Weischenberg, Maja Malik und Armin Scholl, in der Schweiz Heinz Bonfadelli, Guido Keel, Mirko Marr und Vinzenz Wyss bzw. von Vinzenz Wyss und Guido Keel sowie in den USA David H. Weaver u. a. Zu den Journalisten in Österreich liegen mehrere Bände unter dem Titel »Der Journalisten-Report« von Andy Kaltenbrunner, Matthias Karmasin, Daniela Kraus und Astrid Zimmermann vor. Ausbildung und Kompetenzen Die Debatten um eine sinnvolle Ausbildung von Journalisten scheinen sich von Land zu Land, von Jahrhundert zu Jahrhundert zu wiederholen. Als der erfolgreiche Journalist und Verleger Joseph Pulitzer in den Jahren 1903/ 04 in seinem Testament zwei Millionen Dollar der Columbia University in New York vermachte und damit das Fundament für die Gründung eines Journalistik-Studiengangs und eines Journalistenpreises legte, musste er gegen vielerlei Widerstände kämpfen. Die Argumente gegen eine akademische Journalistenausbildung waren damals wie heute ähnlich: Journalisten könnten nicht ausgebildet werden, sie müssten vielmehr Talent mitbringen, das sich nur in praktischer Tätigkeit in einer Redaktion entfalten könne. In seiner Erwiderung verglich Pulitzer den Journalismus mit der Medizin: 6.2 | Joseph Pulitzers Kampf 1 Diskutieren Sie die Probleme von Journalistenbefragungen - von der adäquaten Journalismusdefinition bis zum internationalen Vergleich des Rollenselbstverständnisses. 2 Fassen Sie die sozialen Merkmale der Journalisten in Deutschland zusammen. 3 Nennen Sie die journalistischen Haupttätigkeiten. Welche haben zwischen 1993 und 2005 zu-, welche abgenommen? 4 Welche Unterschiede gibt es im Rollenselbstverständnis zwischen deutschen, schweizerischen, österreichischen und US-amerikanischen Journalisten? Übungsfragen zu Kapitel 6.1 <?page no="224"?> A U S B I L D U N G U N D K O M P E T E N Z E N 225 Die Visionen Pulitzers wurden in den USA zunehmend verwirklicht: Gut die Hälfte der amerikanischen Journalisten hat »journalism« oder »communications« studiert. Inzwischen ist ein Abschluss in Journalistik oder Kommunikationswissenschaft nahezu die Bedingung für den Einstieg in den Journalismus: Mehr als drei Viertel der Anfänger in den 1990er-Jahren hatten diesen Abschluss (Weaver u. a. 2007: 43). Volontariate oder verlagseigene Journalistenschulen sind in den USA nicht denkbar. In Europa ist die Situation fast umgekehrt. Nur ein Drittel der österreichischen Journalisten hat überhaupt einen Studienabschluss. In der Schweiz sind es gut die Hälfte, in Deutschland zwei Drittel (vgl. Abb. 6.6). Obwohl die Journalistik-Studiengänge hierzulande noch recht jung sind und es bei weitem weniger gibt als in den USA, hat schon ein Drittel der deutschen Journalisten entweder Journalistik oder Publizistik, Kommunikations- oder Medienwissenschaft studiert. In Deutschland sind die am weitesten verbreiteten journalistischen Ausbildungsformen nach wie vor das Praktikum und das Volontariat in Redaktionen. Allerdings wurden die verschiedenen Ausbildungsformen in Deutschland im Laufe der Jahrzehnte optimiert. Das Volontariat in Zeitungsverlagen erhielt 1990 einen Tarifvertrag, der reines »training by doing« versucht auszuschließen und bestimmte Ausbildungsinhalte vorschreibt. Ob und inwiefern sich die Verlage allerdings daran halten, wird nicht systematisch überprüft. anders in Europa »Before the century closes schools of journalism will be generally accepted as a feature of specialized higher education, like schools of law or of medicine. […] Must a journalist be ›born‹? […] The only position that occurs to me which a man in our Republic can successfully fill by the simple fact of birth is that of an idiot. […] Must journalism be learned in the office? […] In journalism at present the newspaper offices are the hospitals, but the students come to them knowing nothing of principles or theories. The newspaper hospital is extremely accommodating. It furnishes the patients for its young men to practise on, puts dissecting-knives into the hands of beginners who do not know an artery from a vermiform appendix, and pays them for the blunders by which they gradually teach themselves their profession.« (Joseph Pulitzer 1904: 20 - 26) Zitat <?page no="225"?> 226 D I E J O U R N A L I S T E N In Deutschland führen alles in allem viele Wege in den Journalismus, was einerseits ein Beitrag zur »diversity in the newsroom« sein kann ( → vgl. Kap. 6.1; S. 215 ), andererseits aber auch Ausdruck einer noch nicht erreichten Professionalisierung (vgl. Pätzold 2005). Im Gegensatz zu anderen Professionen, wie der Medizin, der Justiz oder den Lehrberufen, ist für den Journalismus der freie Zugang durch das Grundgesetz garantiert - nach den bitteren Erfahrungen des reglementierten Berufszugangs im Nationalsozialismus (und dann auch in der DDR). Junge Journalisten kombinieren heute oft verschiedene Ausbildungsformen und basteln sich so die Kompetenzen selbst zusammen, die sie für einen Berufseinstieg benötigen. Schon 1993 haben nur noch 20 Prozent der deutschen Journalisten allein ein Volontariat als Ausbildungsform durchlaufen, was Siegfried Weischenberg (1995: 519) zum Kommentar veranlasste, dass das Volontariat »längst nur noch aufgrund ›künstlicher Beatmung‹ durch andere Formen der Vor- und Ausbildung überlebensfähig ist«. Das Studiengangmodell Journalistik begann in Deutschland in den 70er-Jahren mit einigen wenigen Standorten als Antwort auf allenthalben kritisierte Missstände der Journalistenausbildung ( → vgl. Kap. 1.1.3; S. 18 - 21 ). Nach mehr als drei Jahrzehnten Erfahrung mit der Journalistik muss man bilanzieren, dass das ursprüngliche Ziel, die Hochschulausbildung als Regelzugang zum Journalismus ähnlich wie in den USA zu etablieren, (bislang) nicht verwirklicht wurde. Es wurden allerdings verschiedene Studiengangmodelle und viele unterschiedliche didaktische Konzepte der Integration von Theorie und Praxis entwickelt (vgl. z. B. Altmeppen/ Hömberg 2002; Dernbach/ Loosen 2012) - zum Beispiel das Modell der Lehrredaktion mit der Produktion von periodischen Campusmedien (vgl. z. B. Blöbaum 2000) oder mit innovativen Einzelprodukten, die marktfähig sind und zum Teil mit Partnern aus der Medienwirtschaft realisiert werden (vgl. z. B. Bergmann/ Pörksen 2007). Nicht zu vernachlässigen ist der Aspekt, dass Journalistenausbildung an Hochschulen nicht dem ökonomischen und zeitlichen Druck der redaktionellen Routine und den Verwertungsinteressen der Medienindustrie unterworfen ist, sondern Nachdenken und Reflexion fördert und Freiraum zum Experimentieren lässt: Es kann kreativ gespielt und getestet werden, neue Formen und Formate können überlegt und verbessert werden (vgl. z. B. Meier 2002 d; Meier/ Giese/ Schweigmann 2012). Schon Pulitzer (1904: 33) hatte betont: »The School of Journalism is to be, in my conception, not only not commercial, but anti-commercial.« Kompetenzen selbst zusammenbasteln Integration von Theorie und Praxis Kreativität statt Routine <?page no="226"?> A U S B I L D U N G U N D K O M P E T E N Z E N 227 Was müssen Journalisten können? Die Frage nach den Dimensionen journalistischer Kompetenz wird meist dann gestellt, wenn über die Journalistenausbildung diskutiert wird. Im Hinblick auf die sich dynamisch wandelnden Medienmärkte, -techniken und -produkte ist ein ständiger Abgleich der Lehrinhalte mit den neuen Berufsanforderungen nötig. Das, was Journalisten können müssen, kann theoretisch modelliert (vgl. z. B. Donsbach 1978) und empirisch über Befragungen erhoben werden (vgl. z. B. Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994: 207 - 222). Allerdings gibt es keine übereinstimmenden Vorstellungen vom Begriff der journalistischen Kompetenz (vgl. Wei- Angabe in Prozent D 2005 CH 2008 A 2007 USA 2002 Studium (Universität / Fachhochschule / university / college) abgeschlossen 69 59 34 89 nicht abgeschlossen 15 13 9 Hauptfächer* Journalistik, Kommunikationswissenschaft etc. 17 29 58 Geisteswissenschaften (Literatur, Sprache, Geschichte etc.) 38 24 Sozialwissenschaften (z. B. Politik) 15 11 Naturwissenschaften, Mathematik 10 3 Wirtschaftswissenschaft 8 2 Jura 4 0,3 andere Fächer 5 2 Journalistische Ausbildung** Studium Journalistik (auch als Nebenfach) 14 4 36 Studium Publizistik, Kommunikations-, Medienwissenschaft (auch als Nebenfach) 17 17 17 Praktikum 69 35 Volontariat 62 35 Journalistenschule 14 30 | Abb. 6.6 Studium und Ausbildung im Vergleich (Quellen: Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 65 - 69; Bonfadelli/ Keel/ Marr/ Wyss 2012; Medienhaus Wien 2007: 4; Kaltenbrunner/ Karmasin/ Kraus/ Zimmermann 2008: 116; Weaver u. a. 2007: 44) * Die Prozentzahlen für Deutschland beziehen sich auf alle Journalisten, die studiert haben (auch ohne Abschluss), für die USA nur auf Abschlüsse im Hauptfach. ** Die Prozentzahlen der journalistischen Ausbildung beziehen sich auf alle befragten Journalisten. <?page no="227"?> 228 D I E J O U R N A L I S T E N schenberg 1990: 21 f.): Da viele Wege und Ausbildungsmöglichkeiten in den Beruf führen, wird die eine oder andere Kompetenzdimension je nach Ausbildungskonzept hervorgehoben oder ignoriert. Eine Interessenskollision liegt in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft in der Natur der Sache. Zwei Beispiele: Verlagsvertreter betonen die handwerklichen Fähigkeiten, die im Volontariat trainiert werden, Journalistik-Professoren eher das Reflexionswissen. Journalisten selbst empfehlen meist den Ausbildungsweg, den sie selbst beschritten haben (vgl. z. B. Pörksen 2005 c). Die Einteilung der Kompetenzdimensionen orientiert sich - Siegfried Weischenberg (1990) folgend - an der Fach- und der Sachkompetenz, wobei zwischen beidem Vermittlungskompetenz und soziale Orientierung liegen. Diese vier Grunddimensionen sind in Abbildung 6.7 dunkelblau markiert. In den vergangenen Jahren (Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994; Dörmann/ Pätzold 1998; Meier 2002 d) kamen verstärkt die beiden Dimensionen der Technik- und Gestaltungskompetenz sowie der Organisations- und Konzeptionskompetenz hinzu (hellblau markiert), was beides früher nicht explizit erwähnt oder nur als kleiner Teil der Fachkompetenz gesehen wurde. Alles in allem muss betont werden, dass sich die Dimensionen nur analytisch trennen lassen und de facto in starkem Zusammenhang stehen oder ineinander übergehen. • Fachkompetenz: Journalisten müssen - wie alle akademischen Berufe - ihr eigenes Fachgebiet gut kennen. Dazu gehören das »Handwerk« (Recherche, Themenauswahl, Redigieren, Berichterstattungsmuster), aber auch ein grundsätzliches Fachwissen als »Kopfwerk«: Das »Handwerk« braucht nicht nur eine solide wissenschaftliche Basis, um durchschaut, reflektiert und fortentwickelt werden zu können, sondern Journalisten müssen sich sicher im Medienumfeld bewegen, was nur mit Grundkenntnissen des Mediensystems sowie der wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Grundlagen des Journalismus möglich ist. Kenntnisse der Medienentwicklung schließen historisches und prognostisches Wissen mit ein, das die Kommunikationswissenschaft ebenfalls zur Verfügung stellt. • Sachkompetenz: Journalisten müssen über die Sache, über das Themengebiet Bescheid wissen, über das sie berichten. Wie tief oder breit das Sachwissen (vor der Recherche eines Einzelthemas) sein sollte, hängt vom Medium und der Zielgruppe ab. Spezialisierte Fachzeitschriften haben hier tiefer gehende Ansprüche für genau ein Fachgebiet. Da Wissen schnell veraltet, ist ein Zugangswissen zu Quellen allerdings wichtiger als Details eines bestimmten Gebiets. Und: Weil Journalisten grundsätzlich nicht fachorientiert vorgehen, sondern problemorientiert, ist ein interdisziplinär angelegter wiseigenes Fachgebiet die Sache, über die man berichtet <?page no="228"?> A U S B I L D U N G U N D K O M P E T E N Z E N 229 senschaftlicher Hintergrund in Kombination mit sozialwissenschaftlichem Orientierungswissen wichtiger als ein festes Spezialgebiet. Dies gilt sogar für den Wissenschaftsjournalismus, wie Befragungen von leitenden Wissenschaftsjournalisten zeigen (vgl. Meier/ Feldmeier 2005: 221 - 222). • Die Vermittlungskompetenz liegt in der Mitte zwischen Fach- und Sachkompetenz - als »Schnittmenge« von beidem (Weischenberg 1990: 23). Es geht um das Beherrschen einer zielgruppenorientierten Darstellung von Themen, die je nach Medium anders aussieht ( → vgl. Kap. 5.2; S. 196 - 197 ). Dabei stehen das Training und die Weiterentwicklung der Darstellungsformen (des »Story-Tellings«) im Mittelpunkt. • Eng damit verknüpft ist die Technik- und Gestaltungskompetenz, die ebenfalls medienspezifisch ist. Journalisten arbeiten zunehmend selbst mit digitaler Technik - oder sie müssen in Teams mit (Informations-)Designern, Technikern, Fotografen und Kameraleuten kooperieren und wissen, vor welchen Problemen diese stehen und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. Eine angemessene Themendarstellung hängt zunehmend von einer gelungenen gestalterischen und technischen Umsetzung ab - und nicht nur vom optimalen Gebrauch der journalistischen Darstellungsformen. • Organisations- und Konzeptionskompetenz: Es stärkt die Innovationsfähigkeit des Journalisten, wenn er weiß, wie Medien genutzt werden und mit welchen Konzepten man die Zielgruppen auch durch Qualitätsjournalismus optimal erreicht. Vom journalistischen Konzept hängen die optimale Organisation der Redaktion ( → vgl. Kap. 4.5; S. 165 - 178 ) und das Qualitätsmanagement ab ( → vgl. Kap. 7.1; S. 233 - 243 ). Hinzu kommt in zunehmendem Maße ein professioneller Umgang mit sozialen Netzwerken wie T WITTER oder F ACEBOOK . • Soziale Orientierung: Journalisten tragen Verantwortung; sie sollten sich ihrer Rolle in der demokratischen Gesellschaft bewusst sein und die ethischen Grenzen ihres Berufs reflektieren ( → vgl. Kap. 7.2; S. 244 - 254 ). Es wäre ein Missverständnis, das Kompetenzraster in Abbildung 6.7 als Curriculum für die Journalistenausbildung zu begreifen. Denn nicht alle Journalisten brauchen alle Kompetenzen gleichermaßen. Fachjournalisten (vgl. Dernbach 2010) müssen in ihre Berichterstattungsfelder tiefer einsteigen als allgemeine Nachrichtenjournalisten. Redakteure mit Leitungsfunktion und Entwicklungsredakteure (z. B. für neue Plattformen wie das Internet) brauchen Konzeptions- und Organisationswissen. Bei stärkerer redaktioneller Arbeitsteilung ( → vgl. Kap. 4.5; S. 167 - 168 ) müssen »editors« sich eher in Fragen der Technik und Gestaltung auskennen, »reporters« dagegen eher in Recherche und Quellenwissen. Vermittlung und Darstellung Technik und Gestaltung Organisation und Konzeption Verantwortung <?page no="229"?> 230 D I E J O U R N A L I S T E N Verschiedene Ausbildungsformen konzentrieren sich auf einzelne Kompetenzdimensionen: Praktika, Volontariate und Journalistenschulen zum Beispiel trainieren die Vermittlungskompetenz und ausgewählte Aspekte der Fachkompetenz. Traditionelles Ziel des Studiengangmodells »Journalistik« ist die integrative Vermittlung der journalistischen Kompetenzen in allen Dimensionen. Vorbilder waren in den 70er und 80er-Jahren die Modelle an den Universitäten in Dortmund, München und Eichstätt. Mit zunehmender Differenzierung und Spezialisierung des Journalismus musste man sich indes davon verabschieden, allen Studierenden alles tiefgehend beizubringen: Entweder die Studierenden wählen selbst einen Schwerpunkt - etwa durch die Wahl eines Zweitfachs oder eines Mediums in Lehrredaktionen und Übungen - oder die Studiengänge geben das Profil vor. Im Wesentlichen gibt es drei Spezialisierungen: • Profilierung nach medientypischer Fach-, Vermittlungs-, Gestaltungs- und Technikkompetenz: z. B. Online-Journalismus an den Hochschu- Journalistik: integrative Vermittlung Abb. 6.7 | Dimensionen journalistischer Kompetenz (Quelle: erweiterte Darstellung auf Grundlage von Weischenberg 1990: 22 - 26; Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994: 207 - 222; Dörmann/ Pätzold 1998: 61 - 67; Meier 2002 d: 146 - 154) Instrumentelle Fähigkeiten („Handwerk“): Recherche Selektion Redigieren Berichterstattungsmuster Fachwissen: Medienentwicklung Mediensystem Medienrecht Medienökonomie Fachkompetenz Artikulationsfähigkeit Präsentations- und Darstellungsformen • medienspezifisch • themenorientiert • zielgruppenorientiert Vermittlungskompetenz Ressort- und Spezialwissen: klassische Ressorts neue Ressorts Orientierungswissen: Gesellschaftswissen (Politik, Soziologie, Ökonomie) Quellenkenntnis wissenschaftliches Arbeiten/ sozialwissenschaftliche Methoden breite Allgemeinbildung Sachkompetenz Soziale Orientierung Funktionsbewusstsein Reflexionsfähigkeit Autonomiebewusstsein Berufsethik Redaktionssysteme; Aufnahmegeräte; Software für Layout, Bildbearbeitung, Audio- und Videoschnitt sowie für multimediale Präsentationen; Datenbank- und Online-Recherche Gestaltung von Print- und Online-Medien; Bild- und Tongestaltung Technik- und Gestaltungskompetenz Redaktionsorganisation, Qualitätsmanagement, Projektmanagement, Teamarbeit Nutzungsforschung: Publika und Zielgruppen Redaktionelles Umgang mit sozialen Netzwerken Marketing Organisations- und Konzeptionskompetenz <?page no="230"?> A U S B I L D U N G U N D K O M P E T E N Z E N 231 len in Darmstadt und Köln, Fernseh-Journalismus an der HTWK Leipzig oder der Hochschule Hannover; • Profilierung nach Themengebiet, also der Sachkompetenz: z. B. an den Fachhochschulen, Darmstadt (Wissenschaftsjournalismus), Bonn- Rhein-Sieg (Technikjournalismus) und Bremen (Fachjournalistik) oder an den Universitäten Dortmund (Wissenschaftsjournalismus) Musikjournalismus und Wirtschaftspolitischer Journalismus und Berlin (UdK, Kulturjournalismus) oder Sportjournalismus im Nebenfach an verschiedenen Instituten; • Profilierung durch einen bewussten Bezug zwischen Journalismus und Medienmanagement/ Medienwirtschaft: z. B. an den Fachhochschulen Magdeburg-Stendal, Oldenburg-Ostfriesland-Wilhelmshaven und Würzburg-Schweinfurt oder beim Master »Journalistik mit Schwerpunkt Innovation und Management« in Eichstätt. Weil sich die Medienbranche in einem dynamischen Wandel befindet ( → vgl. Kap. 7.3; S. 259 - 269 ), sind Journalisten grundsätzlich nie fertig gebildet: Der Weiterbildung kommt in den nächsten Jahren eine besondere Bedeutung zu. Auch dazu gibt es neben vielen Kursen an Akademien bereits Studiengänge wie den Master «International Media Innovation Management» an der Deutschen Universität für Weiterbildung in Berlin. In pluralistisch-demokratischen Gesellschaften liegt es in der Natur der Sache, dass über die Ausbildung von Journalisten und journalistische Kompetenzen kein Konsens besteht. Im deutschsprachigen Raum führen viele Wege in den Journalismus, wobei die Akademisierung zwar fortschreitet, aber im Vergleich zu den USA noch gering ist. In Österreich hat nur ein Drittel der Journalisten einen Studienabschluss, in der Schweiz gut die Hälfte und in Deutschland zwei Drittel. In diesen Ländern sind das Praktikum und das Volontariat die am weitesten verbreiteten Ausbildungsformen; junge Journalisten basteln sich ihre Kompetenzen meist eigenständig zusammen. Die Dimensionen journalistischer Kompetenz können zusammen nur in integrierenden Journalistik-Studiengängen erworben werden: Zur klassischen Einteilung in Fach- und Sachkompetenz, Vermittlungskompetenz und soziale Orientierung sind in den vergangenen Jahren die Dimensionen der Technik- und Gestaltungskompetenz sowie der Organisations- und Konzeptionskompetenz hinzugekommen. Zusammenfassung <?page no="231"?> 232 D I E J O U R N A L I S T E N Literatur Einen umfangreichen Studienführer über alle Studiengänge im deutschsprachigen Raum, die auf Journalismus, Medien- und Kommunikationsberufe vorbereiten, haben Walter Hömberg und Renate Hackel-de Latour herausgegeben. Eine knappe, aber umfassende Übersicht bietet die Einführung in den praktischen Journalismus von Walther von La Roche. Da sich die Ausbildungslandschaft in Zeiten des Bologna-Prozesses allerdings rapide wandelt und immer wieder neue Studiengänge eröffnet und alte geschlossen werden, kommt man um eine Internet-Recherche nicht umhin (vgl. z. B. www.medienstudienfuehrer.de). 1 Wer war Joseph Pulitzer - und was hat er zur Journalistenausbildung beigetragen? 2 Welches Studium und welche journalistische Ausbildung haben die Journalisten in Deutschland und in den USA durchlaufen? 3 Erklären Sie die Dimensionen journalistischer Kompetenz. Übungsfragen zu Kapitel 6.2 <?page no="232"?> 233 233 Aktuelle Debatten der Journalistik Qualität und Qualitätsmanagement Die Debatte um Qualität boomt in der Journalistik und im Journalismus. Es gibt Tagungen, Qualitätsinitiativen und -vereine, Beiträge auf Medienseiten, Forschungsprojekte, wissenschaftliche Publikationen - und jede Menge Wettbewerbe und Preise für herausragenden Journalismus. Im Herbst 2006 machte zum Beispiel die Hamburger Akademie für Publizistik mit einem Wettbewerb auf sich aufmerksam: 37 Essays wurden zur Preisfrage »Was ist heute guter Journalismus? « eingesandt. Gewonnen hat Philipp Cueni - Präsident des schweizerischen Vereins für Qualität im Journalismus - mit einem Beitrag, der die Überschrift trägt: »Anmerkungen zu einer Frage, die nie abschließend beantwortet sein darf«. Warum ist die Qualität im Journalismus eigentlich so umstritten? In den ersten beiden Buchkapiteln haben wir bereits erklärt, warum ein qualitativ hochwertiger Journalismus konstitutiv für die Demokratie ist, im vierten Kapitel, wie man mit Journalismus Geld verdienen kann. Journalismus erfüllt eine öffentliche Aufgabe - und ist gleichzeitig Teil des Geschäftsmodells von Medienunternehmen. Beides passt nicht immer und nicht ideal zusammen. Wenn das Geschäft eine zu große Rolle spielt, nur noch auf die Rendite des Medienunternehmens geachtet wird, Redaktionen ausgedünnt und freie Mitarbeiter schlecht bezahlt werden, dann gerät die Qualität des Journalismus in Gefahr - und mit ihr die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe. Das ist ein Aspekt der Debatte um journalistische Qualität, den vor allem die Gewerkschaften immer wieder | 7 Inhalt 7.1 Qualität und Qualitätsmanagement 7.2 Ethik 7.3 Die Zukunft des Journalismus | 7.1 öffentliche Aufgabe und Geschäftsmodell <?page no="233"?> 234 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K betonen. Verleger, Geschäftsführer und Vorstände von Medienunternehmen halten dagegen, dass journalistische Qualität bezahlbar sein und sich in erster Linie nach der Akzeptanz beim Publikum richten muss: Erreicht man die Zielgruppe (auch: egal mit welchen Mitteln), stimmt die Qualität - und auch das Geschäft. Die journalistische Qualität hängt indes nicht nur von ökonomischen, sondern von vielen Faktoren ab - und sie ist nicht einfach zu definieren. Vom Definitionsproblem handelt denn auch der am meisten zitierte Satz der Qualitätsdebatte: »Qualität im Journalismus definieren zu wollen, gleicht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln.« Der Journalistik-Professor Stephan Ruß-Mohl (1992: 85) hat das Anfang der 90er-Jahre geschrieben, sich gleichzeitig aber auch um eine Systematisierung möglicher Lösungen des Problems gekümmert. Seine Feststellung, dass es sich bei der journalistischen Qualität um einen multidimensionalen Begriff handelt, der nicht absolut und statisch ist, hat die Qualitätsdebatte in der Journalistik und in der journalistischen Praxis beeinflusst. Qualität ist demnach unter anderem abhängig vom journalistischen Selbstverständnis, dem Medientyp, der Zielgruppe, dem Genre, der Quellenlage, dem Aktualitätsverständnis und Erscheinungsrhythmus eines Mediums. Es gibt zwar allgemeine Grundsätze, aber im Detail kann man die Qualitätsmaßstäbe zum Beispiel von S ÜDDEUTSCHER Z EITUNG und B ILD -Zeitung oder von T AGESSCHAU , H ALLO D EUTSCHLAND und RTL E XPLOSIV nicht vergleichen. Auch im Laufe der Zeiten ändern sich die Qualitätsvorstellungen: Vom »guten Journalismus« hatte man in der Weimarer Republik eine andere Vorstellung als nach dem Zweiten Weltkrieg und wiederum heutzutage ( → vgl. Kap. 2.2; S. 80 - 82 ). Qualitätskriterien Ruß-Mohl (1992: 86; 1994: 96) hat vorgeschlagen, die Qualitätsmaßstäbe und die Kriterien der Qualitätsbewertung als »Magisches Vieleck« zu sehen, in dem sich Ziele überlappen, gegeneinander konkurrieren und sich nicht alle gleichzeitig erreichen lassen. Wer zum Beispiel schnell informieren will, kann dies meist nicht hintergründig tun und sich kaum Zeit für Recherche nehmen. Der Informationsgehalt und die Komplexität eines Beitrags können auf Kosten der Verständlichkeit gehen. Wer sich als investigativer Kontrolleur versteht, der Missstände aufdeckt, wird der Unparteilichkeit und Ausgewogenheit nicht immer ein hohes Gewicht beimessen ( → vgl. Kap. 5.2; S. 189 - 195 ). Das »Magische Vieleck« von Ruß-Mohl orientiert sich genauso wie andere Kriterienkataloge - allgemein (Rager 1994) oder zum Beispiel auf den Online-Journalismus bezogen (Meier 2003) - an den Handwerkseinen Pudding an die Wand nageln magisches Vieleck <?page no="234"?> Q U A L I T Ä T U N D Q U A L I T Ä T S M A N A G E M E N T 235 regeln und Berufsnormen des Journalismus, kurzum: den Standards der journalistischen Professionalität. Im Kern geht es dabei fast ausschließlich um die Kriterien des Informationsjournalismus; Formen der Unterhaltung werden nur am Rande gestreift. Abbildung 7.1 fasst oft genannte Kriterien in einer Liste zusammen und unterscheidet zwischen der Ebene des journalistischen Handelns und des Produkts, wobei diese Ebenen nur analytisch getrennt und viele Kriterien nur schwerpunktmäßig einer Ebene zugeordnet werden können. Natürlich schlägt sich journalistisches Handeln im Produkt nieder. Die Richtigkeit zum Beispiel wird in der so genannten Accuracy-Forschung auf Produktebene überprüft (Wie präzise ist ein journalistischer Beitrag? ), es erscheint jedoch sinnvoll, die Richtigkeit in erster Linie auf das journalistische Handeln zu beziehen, nämlich auf die Qualität des Recherche- und Prüfprozesses. Grundsätzlich sei nochmals darauf verwiesen, dass nur das Qualitätskriterium der Richtigkeit »objektiv« sein kann und alle anderen Kriterien immer implizite Wertungen enthalten - aus erkenntnistheoretischen Gründen, die in Kapitel 5.1 ausgeführt werden ( → vgl. S. 182 - 184 ) (z. B. Wertungen des Journalisten, der Medienorganisation, der professionellen Standards des Berufs etc.). Die Unterscheidung der beiden Qualitätsebenen soll ein Grundprinzip des Journalismus veranschaulichen (Meier 2003): Der Wert und die Qualität von Information stehen und fallen mit der Qualität des Herstellungsprozesses. Wenn Unabhängigkeit, Recherche, Aktualität und Relevanz nicht garantiert sind, verliert Journalismus seine Aufgaben und Funktionen - und damit seinen Sinn und Wert für das Publikum ( → vgl. Kap. 1.1; S. 14 - 17 ). Produktspezifische Kriterien dagegen wie Verständlichkeit, Anschaulichkeit, Nutzwert oder Sinnlichkeit sind grundsätzlich auf andere Publikationsformen wie Public Relations, Werbung oder die Veröffentlichungen von jedermann - etwa in Weblogs - anwendbar. Während produktspezifische Qualitäten von den Nutzern meist ad hoc oder zumindest mittelfristig beurteilt werden können und zum Beispiel schlecht gestaltete oder formulierte Medienprodukte nicht mehr gekauft, geklickt oder eingeschaltet werden, beruht die Einschätzung des Herstellungsprozesses und des institutionellen Rahmens, in dem Information entstanden ist, auf langfristiger Erfahrung und Vertrauen (Neuberger 2002: 37). Eine Konsequenz der geringen Qualitätstransparenz ist der Image- und Markentransfer von Qualitätsmedien, die das Publikum aus Print-, Hörfunk oder Fernsehjournalismus kennt, auf das Internet. Neue journalistische Anbieter im Internet - wie zum Beispiel die inzwischen nicht mehr redaktionell bearbeitete NETZEITUNG . DE - haben es erheblich schwerer als die Online-Produkte etablierter journalistischer Marken. Qualität des Herstellungsprozesses <?page no="235"?> 236 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K Im Internet werden vor allem zwei Qualitätsdimensionen erweitert: die Interaktivität und damit verbunden die Transparenz des Journalismus. In Beitragsanmerkungen, Web-Videos, Blogs, Twitter-Feeds und sozialen Netzwerken diskutieren Journalisten mit Nutzern über redaktionelle Entscheidungen und legen Rechenschaft über ihre Arbeit ab. Transparenz kann Glaubwürdigkeit und Vertrauen des Publikums in journalistische Produkte steigern, weil sie Qualitätsbewertungen durch das Publikum ermöglicht (vgl. Meier/ Reimer 2011). Zudem sollten Journalisten verantwortlicher handeln, wenn sie wissen, dass sie Rechenschaft ablegen müssen und zumindest zum Teil unter Beobachtung stehen. Man unterscheidet zwischen der Transparenz eines Beitrags, in dem zum Beispiel alle Quellen offengelegt werden, und der Transparenz redaktioneller Prozesse, wenn etwa Bedingungen der Berichterstattung, Redaktionskonferenzen und Themenentscheidungen öffentlich diskutiert werden. In jedem Fall gehört eine offensive Fehlerkorrektur zur Transparenz. Auf journalistisches Handeln bezogene Dimensionen Unabhängigkeit Die Unabhängigkeit ist letztlich für die Glaubwürdigkeit des Journalismus verantwortlich. Medienunternehmen und Redaktionen sollen jegliche Versuche, die Redaktion zu beeinflussen, abwehren und bezahlte Inhalte (Werbung) klar von redaktioneller Berichterstattung trennen. Richtigkeit Faktentreue Fairness Qualität des Rechercheprozesses (z. B. Prinzip des »audiatur et altera pars«) Aktualität Neuigkeit, Gegenwartsbezug, Schnelligkeit Relevanz Themenauswahl nach Wichtigkeit/ Bedeutsamkeit; Orientierung an professionellen Selektionskriterien (keine beliebige Auswahl) Originalität Eigenrecherche, Exklusivität, Themenfindung, intellektueller Anspruch (hier ist nicht »originell« im Sinne von »komisch«, »humorig« gemeint, sondern »original« im Sinne von »einzigartig«, »schöpferisch«) Interaktivität Dialogfähigkeit einer Redaktion; auf »Augenhöhe des Publikums«; Mitwirkungsmöglichkeiten des Publikums an Themenfindung und Medieninhalten Transparenz Offenlegen der Berichterstattungsbedingungen; Quellenangaben und Quellenkritik; Eingeständnis von Fehlern (z. B. in einer »Correction Corner«) Abb. 7.1 | Qualitätskriterien des (Informations-) Journalismus <?page no="236"?> Q U A L I T Ä T U N D Q U A L I T Ä T S M A N A G E M E N T 237 Es gibt weitere Medienqualitäten, auf die die Journalisten in der Regel keinen Einfluss haben, die aber aus Publikumssicht den Wert journalistischer Produkte mindern oder steigern können. Zwei Beispiele: • Der Zeitungsvertrieb muss dafür sorgen, dass die Tageszeitung jeden Morgen pünktlich im Briefkasten steckt (was mit der journalistischen Aktualität konfligieren kann). • Im Internet hat sich der Begriff Accessibility - zu Deutsch: Barrierefreiheit - eingebürgert: Damit ist gemeint, dass Websites von allen Menschen uneingeschränkt nutzbar sein sollen, egal, ob sie beispielsweise Behinderungen, Seh- oder Hörschwächen haben. Dies betrifft zwar die Verständlichkeit journalistischer Produkte, mehr jedoch technische und gestalterische Aspekte der Online-Produktion. Qualitätsforschung und Qualitätssicherung Die Qualitätskriterien des Journalismus sind also nicht absolut und statisch, sondern sie unterliegen einem historischen Wandel, sind flexibel einsetzbar, werden multiperspektivisch diskutiert - und laufen damit Gefahr, subjektiv und beliebig zu sein: Jeder definiert sich seine Qualität. Die Qualitätsforschung der Journalistik will dazu beitragen, dass die Debatte nicht einer subjektiven Beliebigkeit ausgeliefert ist, sondern die weitere Medienqualitäten Auf das Produkt bezogene Dimensionen Vielfalt von der Vielfalt des redaktionellen Gesamtangebots (Themenspektrum) bis zur Vielfalt in einem einzelnen Beitrag (verschiedene Perspektiven und Quellen) Unparteilichkeit Ausgewogenheit (als Gegenteil von Einseitigkeit); Unvoreingenommenheit und Distanz zum Berichterstattungsgegenstand; Trennung von Nachricht und Kommentar Verständlichkeit sachgerechte Sprache, anschaulicher und prägnanter Stil, klarer Aufbau; weiter gefasst auch: funktionale Mediengestaltung (z. B. im Online-Journalismus: Usability) Sinnlichkeit Spannungsbogen, Dramaturgie eines Beitrags, einer Sendung oder eines Hefts; Zusammenspiel von Text und Bild, von Sprecher, O-Ton und Atmo Attraktivität Herstellung von Aufmerksamkeit; zielgruppengerechte Ansprache des Publikums; passende Genrewahl; packende Titel, Teaser, Trailer etc. Nutzwert Anwendbarkeit im Alltag des Publikums - als Orientierung, Rat und Entscheidungshilfe <?page no="237"?> 238 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K unterschiedlichen Interessen und Perspektiven transparent gemacht, die Kriterien systematisiert und reflektiert werden (vgl. Arnold 2009). Wer bestimmt über journalistische Qualität? Die Journalisten, die Medienorganisationen, das Publikum, die Medienpolitik, das Gesellschaftssystem? - Es kommt nicht von ungefähr, dass diese Fragen die Ebenen des Journalismus aufgreifen, die in Kapitel 2.1 mit der Zwiebelmetapher beschrieben wurden: Alle Ebenen haben unterschiedliche Ansprüche an den Journalismus (Fabris 2004). Empirische Studien der Qualitätsforschung können durch Inhaltsanalysen überprüfen, inwiefern die Qualitätskriterien in den journalistischen Produkten umgesetzt sind (vgl. z. B. Hagen 1995 sowie die Benchmarking-Studien von Michael Haller → vgl. Kap. 1.3.2; S. 56 ), und machen durch Befragungen die Blickwinkel der verschiedenen Anspruchsgruppen transparent. Drei Beispiele: • Befragungen von Journalisten können eruieren, ob sich die Berufsnormen verändert haben, nach denen sich Journalisten richten (vgl. z. B. Rager 1994). Eine besondere Rolle beim Entstehen und der Veränderung dieser Normen können Journalistenpreise spielen. Eine Befragung von Juroren ergab, dass vor allem die gründliche Recherche und die Bedeutung des Themas für die Demokratie als wichtig erachtet werden - dann erst kommen Verständlichkeit, Stil und Dramaturgie (Wilke 1998: 139). • Durch die Auswertung von Nutzungsdaten und durch Publikumsbefragungen kann erforscht werden, welche Qualitätsmaßstäbe die Rezipienten wünschen. Der Hamburger Kommunikationsforscher Uwe Hasebrink (1997) hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass Fernsehzuschauer sehr wohl in der Lage sind, Qualität zu beurteilen, und dass zwischen Qualität und Quote kein Missverhältnis bestehen muss ( → vgl. Kap. 3.1; S. 105 - 107 ). Ein Vergleich der Qualitätseinschätzungen der Journalisten und der Rezipienten kann zur Qualitätssicherung in einer Redaktion beitragen - wie dies zum Beispiel ein Schweizer Forschungsprojekt zum Radio-Programm-Controlling vorgeführt hat ( → vgl. Kap. 3.1; S. 103 ). • Die Accuracy-Forschung legt journalistische Beiträge den darin zitierten Quellen oder unabhängigen Experten zur Überprüfung vor (vgl. z. B. Maier 2005): Sie sollen feststellen, ob die Beiträge aus ihrer Sicht Fehler aufweisen. Der Anspruch ist, dass Journalismus der Genauigkeit der Fachwissenschaft entspricht - weshalb solche Studien zum Beispiel im Wissenschaftsjournalismus gemacht werden, etwa zur Berichterstattung über den Reaktorunfall von Tschernobyl (vgl. z. B. Haller 1987). Qualitätsforschung <?page no="238"?> Q U A L I T Ä T U N D Q U A L I T Ä T S M A N A G E M E N T 239 Weitere Anspruchsgruppen mit jeweils eigenen Qualitätsvorstellungen können sein: die Kapitalgeber von Medienunternehmen, die Mediengesetzgebung oder die Werbewirtschaft. Die Qualitätsforschung macht uns darauf aufmerksam, dass journalistische Qualität nicht allein auf den Schultern einzelner Journalisten oder Redaktionen lastet, sondern dass eine Vielzahl von Initiativen und Institutionen in einem pluralistischen Prozess zusammenspielen muss, um Qualität im Journalismus zu stärken. Stephan Ruß-Mohl (1994, 1997) hat dies den »I-Faktor« der Qualitätssicherung genannt - den »Infrastruktur-Faktor«. Abbildung 7.2 zeigt diese Infrastrukturen der Qualitätssicherung als ein Netzwerk innerredaktioneller und außerredaktioneller Initiativen, die präventiv, produktionsbegleitend und als Korrektiv nach der Veröffentlichung wirken können. pluralistischer Prozess Infrastrukturen der Qualitätssicherung (Quelle: zusammenfassende Darstellung nach Ruß-Mohl 1997: 221 und Hermes 2006) | Abb. 7.2 l l e n o i t k a d e r r e ß u a l l e n o i t k a d e r r e n n i präventiv produktionsbegleitend korrektiv Ausbildungsleistungen der Journalistik Qualitätskontrolle der Aus- und Weiterbildung Journalistenschulen Volontariat Qualitätsmanagement in einer Redaktion (TQM); Leitbilder, Statute, Guidelines Weiterbildung Coaching Gegenlesen durch Experten Orientierung an professionellen Qualitätskriterien (vgl. die Liste in Abb. 7.1), systematisches Gegenlesen, Themenplanung, Redaktionskonferenzen (Planungs-, Qualitäts-, Kritikkonferenzen) Produkt-/ Blattkritik Korrekturspalte Forschungsleistungen der Journalistik Medienselbstkontrolle (z. B. Presserat, Rundfunkräte) Journalistenpreise Ombudsleute Medienjournalismus eigene Publikumsforschung, systematische Auswertung von Leserbeiträgen/ Leserreaktionen redaktionelles Marketing Medienbeobachtung durch Watchdogs, Qualitätsinitiativen Lehrbücher <?page no="239"?> 240 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K Die außerredaktionellen Institutionen und Initiativen sind in die journalistische Produktion zwar nicht direkt involviert, sie tragen aber zur Qualitätssicherung bei, indem sie den Diskurs über Journalismus in Gang halten, für Kritik, Selbstkritik und Transparenz sorgen sowie die Professionalisierung des Journalismus vorantreiben. Die Journalistik zum Beispiel hat einerseits das Ziel, gute Journalisten auszubilden, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind (präventiv). Andererseits kann sie durch Forschungs- und Beratungsprojekte - teilweise in Kooperation mit Redaktionen und Medienunternehmen - auf kritische Punkte des Journalismus aufmerksam machen und Alternativen aufzeigen, die in der täglichen Produktionsroutine oft untergehen (korrektiv). Mitunter ist die Wissenschaft (außenstehender) Kritiker, mitunter (involvierter) Impulsgeber ( → vgl. Kap. 1.3.3; S. 58 - 64 ). Ein Beispiel für eine kritische Begleitung des schweizerischen Journalismus ist das Qualitätsmonitoring, das eine Forschergruppe um Kurt Imhof an der Universität Zürich betreibt und regelmäßig in Jahrbüchern veröffentlicht (vgl. z.B. das dritte Jahrbuch: fög - Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft 2012). Weitere Beispiele für außerredaktionelle Infrastrukturen sind die Vereine und Initiativen für Qualität im Journalismus, die in der Schweiz (im Jahr 1999; www.quajou.ch), in Österreich (2000; www.iq-journalismus.at) und in Deutschland (2000; www.initiative-qualitaet.de) in den letzten Jahren gegründet wurden. Dass sich die Debatte nicht auf den deutschsprachigen Journalismus beschränkt, zeigen Initiativen in anderen Ländern oder globale Aktionen, die von der International Federation of Journalists ausgehen (www.ifj.org/ en/ pages/ quality-in-journalism). Qualitätsmanagement Mit dem Begriff »Qualitätsmanagement« ist die innerredaktionelle Qualitätssicherung gemeint. Wer dies systematisch und ganzheitlich angeht, richtet sich nach den Prinzipien des Total Quality Managements (TQM), das aus der Wirtschaftswissenschaft stammt und in vielen Branchen angewandt wird. Der Journalismus blieb davon lange Zeit unberührt: Qualitätsmanagement war in den meisten Redaktionen dem Zufall oder einzelnen isolierten Maßnahmen überlassen. Zwei innovative journalistik-wissenschaftliche Dissertationen - für die Schweiz von Vinzenz Wyss (2002) und darauf aufbauend für Deutschland von Sandra Hermes (2006) - haben untersucht, welche Voraussetzungen und Vorteile TQM in der journalistischen Praxis hat. Vinzenz Wyss hat Modell, Struktur und Bausteine des Qualitätsmanagements in den Jahren danach weiter entwickelt (vgl. Wyss 2013b) und mit den Journalisten Peter Studer und Toni Zwyssig ein Lehrbuch dazu geschrieben (vgl. Wyss/ Studer/ Zwyssig 2012). Professionalisierung des Journalismus Total Quality Management (TQM) <?page no="240"?> Q U A L I T Ä T U N D Q U A L I T Ä T S M A N A G E M E N T 241 Ausgangspunkt ist die Definition von Qualität als Prozess: Die Redaktion formuliert selbst Qualitätsziele und -kriterien (z. B. in einem Leitbild, einem Kodex oder in Styleguides) und nähert sich diesen Zielen in einem fortlaufenden Prozess an, überprüft sie und misst, ob man sie erreicht hat oder wo es Defizite gibt. Qualität ist auch hier nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern hängt von den Erwartungen und Anforderungen ab: Wenn sich die Ziele verändert haben, muss man die redaktionellen Regeln aktualisieren. Sandra Hermes (2006: 238 - 317) hat in einer Befragung von deutschen Nachrichtenredaktionen festgestellt, dass erst fünf Prozent eine TQM-Initiative haben, dass aber 31 Prozent andere Qualitätsmanagementstrategien einsetzen. 54 Prozent geben an, dass ihre Redaktion spezielle Qualitätsziele für ihr Medienprodukt schriftlich formuliert hat. Instanz zur Überprüfung und Aktualisierung der Ziele ist für viele die Redaktionskonferenz, fast ein Drittel hat eigene Qualitätskonferenzen. Insgesamt wird das Qualitätsmanagement in öffentlich-rechtlichen Redaktionen am umfangreichsten umgesetzt. Großes Manko ist in den Nachrichtenredaktionen durchweg eine mangelnde Orientierung an den Mitarbeitern: Instrumente der Mitarbeitermotivation werden kaum genutzt. So wird das Potential verschenkt, dass motivierte Mitarbeiter auch bessere Produkte abliefern. Trotz des Innovationspotenzials der TQM-Philosophie hat sich also in der Medienwirtschaft - von Ausnahmen abgesehen - ein nennenswertes Qualitätsmanagement oder zumindest eine Qualitätskultur in den Redaktionen kaum entwickelt. Etwas Bewegung gibt es jedoch neuerdings bei den Anbietern von Evaluations- oder gar Zertifizierungsmodellen - zugeschnitten auf die spezifische Situation von Medienorganisationen. Zu erwähnen sind hier die International ISAS Standards für die Evaluation von Rundfunkorganisationen und Pressebzw. Onlineanbietern, die in der Schweiz entwickelt wurden (vgl. www.media-society.org). Die Anforderungen dieser Standards beruhen auf der Normenreihe ISO 9001: 2000 und wurden mit Hilfe von erfahrenen Journalisten, Redaktions- und Medienmanagementverantwortlichen auf die spezifische Situation von Medienorganisationen adaptiert. Sie sollen international - und vor allem auch in Entwicklungsländern - zum Einsatz kommen. In der Schweiz hat die Medien-Regulierungsbehörde Anstrengungen unternommen, den privaten Rundfunk zur Implementierung eines Qualitätsmanagements zu bewegen (vgl. Wyss/ Keel 2009). Private Rundfunkveranstalter sind dazu verpflichtet, ein Qualitätssicherungssystem einzurichten, welches mit Bezug auf die publizistische Programmproduktion Qualitätsziele und -standards (journalistische Standards, redaktionelle Sendungskonzepte usw.) transparent macht und festgeschriebeinternationaler Standard aus der Schweiz <?page no="241"?> 242 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K ne Prozesse etabliert, mittels welcher sich regelmäßig überprüfen lässt, ob die festgelegten Qualitätsziele erfüllt werden (z. B. Abnahmeprozesse, Feedback-Systeme, Sendekritiken usw.). Die Programmveranstalter sind zudem dazu verpflichtet, den Stand ihrer Qualitätssicherung regelmäßig von einer externen, vom Regulator anerkannten Organisation ihrer Wahl evaluieren zu lassen. Abbildung 7.3 gibt einen Überblick über mögliche Instrumente nach einem Ideenkatalog, den Sandra Hermes zusammengestellt hat. Sie orientiert sich allerdings nur an den Routinen - und nicht an den Strukturen der Redaktionsorganisation, die qualitätshemmend oder -fördernd sein können. Die Optimierung von Workflows oder die Einführung flacher Hierarchien - zum Beispiel mit Newsdesks und in crossmedialen Newsrooms - kann grundsätzlich auch als Element des Qualitätsmanagements betrachtet werden (Meier 2006, 2007) ( → vgl. Kap. 4.5; S. 173 - 177 ). In der Übersicht ist dies in Zeile fünf ergänzt. Zudem wurden neue Instrumente und Ideen aus dem Leitfaden von Wyss/ Studer/ Zwyssig hinzugefügt. Prozesshaftigkeit schriftliche Definition der gewünschten Qualitätsziele (z. B. Qualitätskatalog, Leitbild, Redaktionsstatut, Styleguide, Zielvereinbarungen); regelmäßige Überprüfung der Ziele Umgang mit dem Publikum Definition von Zielgruppen; Auswertung von Publikumsforschung und Publikumsreaktionen; redaktionelles Marketing; geplanter und bewusster Einsatz von sozialen Netzwerken Mitarbeiterorientierung aktive Förderung der persönlichen Kompetenzen der Mitarbeiter (Weiterbildung, Coaching); finanzielle Anerkennung guter Leistungen; persönliche Zielvereinbarungen; Feedback durch Mitarbeiterbefragungen Kontrollmöglichkeiten systematisches Gegenlesen; Korrektorat / Dokumentation; Produkt- und Blattkritik (nicht beliebig, sondern orientiert an den Qualitätszielen); Optimierung der Recherchemittel; systematische Themenplanung; Konkurrenzbeobachtung Optimierung von Workflows und Hierarchien regelmäßige Überprüfung der Redaktionsstrukturen; Arbeitsgruppe(n) zur Verbesserung der Organisation; bei Bedarf: Einführung neuer Modelle (z. B. Newsdesk-Prinzip) Ganzheitlichkeit Qualitätsinitiativen in allen Bereichen eines Unternehmens (z. B. nicht nur in der Redaktion) Gesellschaftsorientierung redaktionelle Ziele veröffentlichen; Zusammenarbeit mit Selbstkontroll-Gremien (z. B. Presserat), Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen (z. B. Hochschulen) Abb. 7.3 | Instrumente des redaktionellen Qualitätsmanagements (Darstellung nach Hermes 2006: 318 - 335; Meier 2007; Wyss/ Studer/ Zwyssig 2012) <?page no="242"?> Q U A L I T Ä T U N D Q U A L I T Ä T S M A N A G E M E N T 243 Literatur Das grundlegende Buch zu den Infrastrukturen der Qualitätssicherung hat Stephan Ruß-Mohl geschrieben (Der I-Faktor). Lesenswert ist der praxisnahe Leitfaden zum Qualitätsmanagement in Redaktionen von Wyss/ Studer/ Zwyssig. Es ist lohnend, die Websites der erwähnten Qualitätsinitiativen in der Schweiz, in Österreich und Deutschland zu studieren - und als vorbildliches Beispiel das redaktionelle Leitbild der britischen BBC unter www.bbc.co.uk/ guidelines. Eine Übersicht über Journalistenpreise findet sich zum Beispiel unter www.newsroom.de/ journalistenpreise. Journalistische Qualität ist nicht absolut und statisch zu definieren, sondern hängt von verschiedenen Faktoren ab - beispielsweise vom Medientyp und der Zielgruppe. Die Qualitätskriterien des Informationsjournalismus beziehen sich auf das journalistische Handeln (z. B. Unabhängigkeit, Richtigkeit, Aktualität, Relevanz, Transparenz) oder auf das Produkt (z. B. Vielfalt, Unparteilichkeit, Verständlichkeit, Attraktivität). Sie können miteinander konkurrieren (z. B. Schnelligkeit mit Recherchequalität). Die Qualität lastet nicht nur auf den Schultern einzelner Journalisten oder Redaktionen, sondern eine Vielzahl von Initiativen und Institutionen müssen in einem pluralistischen Prozess zusammenspielen, um Qualität im Journalismus zu stärken. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Qualitätsmanagement, das in Redaktionen Qualität sichern soll. Zusammenfassung 1 Versuchen Sie nun die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Warum ist die Qualität im Journalismus eigentlich so umstritten? 2 Nennen Sie die gängigen Qualitätskriterien des Journalismus und diskutieren Sie, wo sie sich ergänzen, sich überlappen und wo sie miteinander konkurrieren. 3 Was sind »Infrastrukturen der Qualitätssicherung«? 4 Nennen Sie Instrumente des Qualitätsmanagements in Redaktionen. Übungsfragen zu Kapitel 7.1 <?page no="243"?> 244 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K Ethik Die Debatte über journalistische Ethik hat viel mit der beschriebenen Diskussion um journalistische Qualität zu tun. Die Ethik als Teilbereich der Philosophie stellt grundsätzlich die Frage nach richtigem Handeln, gutem Leben und vernünftigem Entscheiden. Es geht also bei beidem um »guten Journalismus«. Ähnlich wie bei den Qualitätskriterien können auch ethische Werte konfligieren und müssen in der täglichen Praxis des Journalismus abgewogen werden. Dennoch gibt es Unterschiede - Ethik und Qualität sind zwar oft, aber nicht immer deckungsgleich: • Nicht alles, was die Qualität steigert, ist ethisch geboten: Die Forderung nach einem verständlichen Stil, einer spannenden, alle Sinne ansprechenden Reportage oder einer attraktiven Aufmachung kann man kaum aus ethischen Prinzipien ableiten. • Qualitätsansprüche können sogar ethischen Idealvorstellungen widersprechen: Eine möglichst schnelle Berichterstattung kann die ethische Forderung nach Wahrhaftigkeit und einer gründlichen und fairen Recherche unterlaufen. Generell können ökonomisch motivierte Qualitäten - beispielsweise eine stark affektive Aufmachung - vor allem des Boulevard-Journalismus ethischen Prinzipien zuwiderlaufen (Achtung der Privat- und Intimsphäre, keine sensationelle Darstellung von Gewalt, → vgl. Kasten; S. 245 ). Deckungsgleich sind Qualität und Ethik aber zum Beispiel bei der Forderung nach Unabhängigkeit oder Transparenz. Noch stärker als bei der Qualität sind bei der Debatte um journalistische Ethik die Verantwortung des Journalismus gegenüber der Gesellschaft und die Rolle des Journalismus in einer freiheitlichen, pluralistischen Demokratie gefragt. Je weiter die Kommunikationsfreiheit gefasst ist ( → vgl. Kap. 2.3.1; S. 84 - 86 ), umso größer die Verantwortung aller Beteiligten. Das Medien- und Presserecht stellt einen weiten Rahmen dar (»Was darf Journalismus? «); das Gesetz ist gewissermaßen das ethische Minimum. Nicht alles, was rechtlich erlaubt ist, ist ethisch zu rechtfertigen und zu verantworten - im Journalismus wie in allen Bereichen des Lebens. Die Ethik stellt demnach die Frage: Was soll Journalismus? Soll Journalismus tatsächlich alles, was nicht verboten ist? Bevor wir den Vergleich zwischen Dürfen und Sollen, zwischen Gesetz und Ethik verlassen, sei der Hinweis gestattet, dass auch Gesetze mit ethischen Maßstäben in Konflikt geraten können - nicht nur in Diktaturen, sondern auch in freiheitlichen Demokratien. In den USA wurden zum Beispiel in den vergangenen Jahren immer wieder Journalisten in Beugehaft genommen, weil sie ihre Quellen nicht verraten 7.2 | Ethik und Qualität Ethik und Gesetz <?page no="244"?> E T H I K 245 Ethik und B ILD »Stellen wir uns einmal ganz dumm. Rufen wir uns den ersten Artikel des Grundgesetzes in Erinnerung: ›Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.‹ Das Nähere wird von Bundesgesetzen geregelt, die es Kai Diekmann, dem Herausgeber und Chefredakteur der B ILD -Zeitung, erstaunlicherweise gestatten, auf der ersten Seite der größten europäischen Tageszeitung die Aussage eines Zeugen in einem Gerichtsverfahren, in dem geklärt werden sollte, ob eine Frau vergewaltigt worden sei oder nicht, in 5,5 Zentimeter hohen Balkenbuchstaben als »Neue SEX-Enthüllung« anzukrähen und eine Schreibkraft fortfahren zu lassen: »Hat Katharina B., das angebliche Vergewaltigungsopfer von TV-Moderator Andreas Türck, schon wenige Tage danach Sex mit einem flüchtigen Bekannten gehabt? Ein neuer Zeuge sagte gestern gegen Katharina B. aus. Was eine Gutachterin über die Psyche der jungen Frau verriet - Seite 4.« Garniert worden waren diese Worte in B ILD am 26. August 2005 mit Porträtfotos des angeblichen Vergewaltigers und seines angeblichen Opfers, das weiter nichts verbrochen hatte, als nach eigener Aussage vergewaltigt worden zu sein, und dessen Liebesleben, nach menschlichem Ermessen, weder den Herrn Diekmann noch die Öffentlichkeit etwas angeht. Wie ist es nun aber möglich, dass B ILD die grundgesetzlich verbürgte Unantastbarkeit der Menschenwürde eines angeblichen Vergewaltigungsopfers zerstampfen und in dessen Intimsphäre tollhäuslerisch wüten darf, aus dem niederen Beweggrund, finanziell von einem Skandalprozess um eine angebliche Vergewaltigung zu profitieren? « (Quelle: Gerhard Henschel: Gossenreport. Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung. Berlin 2006: 7) An den ethischen Grenzgängen und Entgleisungen der B ILD -Zeitung haben sich schon viele Autoren abgearbeitet. Die neueste Entrüstung des Schriftstellers Gerhard Henschel verweist auf die alten Probleme des Extrem-Boulevards, die schon der Schriftsteller und Journalist Günter Wallraff 1977 anprangerte: Als »Hans Esser« schlich er sich drei Monate lang in die B ILD -Redaktion Hannover ein und deckte die Mechanismen und Zwänge des Systems B ILD auf. Sein Buch ging auf Betreiben des Axel Springer Verlags durch alle juristischen Instanzen, wurde aber immer wieder nachgedruckt und neu aufgelegt, z. B. zum 20. Jubiläum: Günter Wallraff: Der Aufmacher. Der Mann, der bei Bild Hans Esser war. Köln 1997. Moderne Formen der B ILD -Kritik nutzen das Internet als offenes und kollaboratives Medium: www.bildblog.de. <?page no="245"?> 246 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K wollten. Es gehört zu den ethischen Maßstäben, dass Journalisten ihren Informanten Vertraulichkeit zusichern, wenn diese schlimme Folgen zu befürchten haben, weil sie durch die Preisgabe von Interna zwar Missstände aufdecken, sich aber strafbar machen, wenn sie Staats-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verraten. Investigativer Journalismus ist auf solche Informanten - die so genannten »Whistleblowers« - angewiesen (vgl. z. B. Woodward 2006). In Deutschland sind der Informantenschutz und das Redaktionsgeheimnis mit dem Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten, mit Beschlagnahme- und Durchsuchungsverboten in der Strafprozess- und der Zivilprozessordnung verankert. Es gibt indes auch hierzulande Eingriffe der Ermittlungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft), die dieses Recht bedrohen - zum Beispiel mit Redaktionsdurchsuchungen. Die moralische Pflicht und die Folgen des Handelns Doch was ist Ethik überhaupt? - Der Begriff leitet sich vom altgriechischen Wort ethos ab, das sowohl Gewohnheit, Sitte, Brauch meint, als auch den Charakter, also die Tugend bezeichnet. Die Wissenschaft unterscheidet von der Ethik die Moral: Während Moral eine Bezeichnung für die gesellschaftlich anerzogenen, akzeptierten und eingehaltenen sittlichen Normen ist, meint Ethik als philosophische Disziplin (= »Praktische Philosophie«) seit Aristoteles die wissenschaftliche Beschäftigung mit moralischen Vorstellungen, Werten und Normen. Die Ethik reflektiert also die journalistische Praxis: Deskriptiv und empirisch erklären Forschungen zur Ethik die vielfältigen Ausprägungen, die Ursachen und Folgen von Moral im Journalismus - normativ und analytisch werden Prinzipien des richtigen journalistischen Handelns begründet und überprüft. Wer der Praktischen Philosophie auf den Grund gehen will, kommt um den deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724 - 1804) nicht herum, der mit seiner »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« (1785) und der »Kritik der praktischen Vernunft« (1788) eine heute noch maßgebliche Theorie der Moral - ein moralisches Grundgesetz - formuliert hat. Auf der Suche nach einer allgemein gültigen Antwort auf die philosophische Grundfrage »Was soll ich tun? « formulierte er den kategorischen Imperativ: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde« (Kant 1986: 68). Ethik ist demnach nicht eine Frage des äußeren oder inneren Zwangs, sondern freier, reflektierter Entscheidungen auf Grundlage der Vernunft und des eigenen Gewissens. Und: Moralisch akzeptable Handlungen sind nicht situationsabhängig beliebig, sondern orientieren sich an Werten, die immer gelten, weil sie an sich gut sind. Ethik als Reflexion Immanuel Kant <?page no="246"?> E T H I K 247 Zu dieser Pflichtenethik gesellt sich philosophiegeschichtlich die utilitaristische Ethik, welche die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen einer Handlung in den Mittelpunkt der Entscheidung stellt. Ähnlich unterscheidet Max Weber zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik (die Begriffe sind missverständlich: denn auch die Gesinnungsethik ist »verantwortlich«). Der Unterschied liegt darin, dass ich in Konfliktsituationen bei der einen Theorie nach einem moralischen Grundgesetz entscheide (egal, welche Folgen mein Handeln hat) - und bei der anderen Theorie nach den vermutlichen Folgen (egal, ob ich damit gegen ein moralisches Gesetz verstoße). Klassisches Beispiel ist die Frage, ob man einen Diktator umbringen darf: nein, weil Töten moralisch verwerflich ist; ja, weil damit vermutlich das Leben von tausenden Menschen gerettet werden kann. In den seltensten Fällen allerdings ist die Unterscheidung zwischen beiden Polen einfach. Der Journalistik-Wissenschaftler Heinz Pürer (1992: 312 f.) verweist darauf, dass Journalisten nicht selten in das Spannungsverhältnis zwischen beiden Positionen geraten können: einerseits die (alleinige) Pflicht zur wahrheitsgetreuen Berichterstattung - andererseits die Berücksichtigung der Folgen. Wer sich zum Beispiel nur an der Wahrheit orientiert, darf berichten, dass ein Politiker ernsthaft krank ist (wenn es stimmt) oder dass ein Angehöriger einer bestimmten ethnischen Gruppe eine Gewalttat verübt hat. Wer sich an den Folgen orientiert, könnte beides unterlassen, weil er im einen Fall dem Politiker unter Umständen die Wiederwahl vernichten und im anderen Fall Vorurteile schüren könnte. Auch in ganz kleinen alltäglichen redaktionellen Entscheidungen, können beide Positionen konfligieren. In einem weniger dramatischen Spannungsverhältnis | Abb. 7.4 Wahrheit oder Folgen? Im Dilemma zwischen der Wahrheit an sich und Folgen der Berichterstattung befand sich 2005 die Online-Redaktion des Bayerischen Rundfunks: Man entschied sich für die Vermeidung der Folgen, retuschierte den Schweißfleck am Kleid von Angela Merkel - und erntete in den Tagen danach Kritik und Häme der Branche: Die Redaktion musste »Bildmanipulation« zugeben. <?page no="247"?> 248 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K Konflikt standen zum Beispiel die Redaktionen, als im Juli 2005 dpa ein Foto von Angela Merkel über den Ticker schickte, in dem ein deutlicher Schweißfleck unter der Achsel zu sehen war (vgl. Abbildung 7.4). Sollte man der Wahrheitspflicht folgen und das Bild unverändert veröffentlichen - oder ist eine leichte Bildbearbeitung geboten, um die Abgebildete vor einer peinlichen Situation und dem hämischen Grinsen des Publikums zu bewahren? Maßstab für das alltägliche Entscheiden wird immer die Verhältnismäßigkeit sein, denn ein rein gesinnungsethisch orientierter Journalismus schert sich nicht um die Folgen und ein ausschließlich der Verantwortungsethik verpflichteter Journalismus läuft Gefahr, »in einen Gefälligkeitsjournalismus abzudriften« (Pürer 1992: 313). In unserem - zugegeben sehr einfachen Beispiel - wäre durch die Wahl eines anderen Fotos das Dilemma umgangen worden. Der Gefahr des Gefälligkeitsjournalismus sind Journalisten indes immer wieder ausgesetzt - etwa wenn Politiker fordern: »Bitte schreiben Sie nicht, dass … denn das könnte die und die Folgen haben.« Im Zweifel sollte die Maxime der Öffentlichkeit Vorrang haben, die der Gesellschaft auch unangenehme Themen und Diskurse nicht ersparen darf. Fünf Ebenen verantwortlichen Medienhandelns So wie bei der Debatte um journalistische Qualität kommen auch bei der Ethik die fünf prägenden Ebenen des Journalismus ins Spiel, die wir in Kapitel 2.1 beschrieben haben und nach denen sich dieses Buch in den Kapiteln 2 bis 6 gliedert. Es geht um die Frage der jeweils Verantwortlichen, aber auch um die Reflexion der Zwänge, die moralisch bewerteten Entscheidungen zu Grunde liegen - um die Möglichkeiten und Bedingungen verantwortlichen Medienhandelns. In der Journalistik und Kommunikationswissenschaft werden einzelne Ebenen mal mehr, mal weniger stark betont (vgl. als Übersicht Pürer 1992: 310 - 317; Pörksen 2005 b): Eine lange Tradition hat die Individualethik, welche die Verantwortung allein auf die Schultern der Journalisten lädt. Demgegenüber verwiesen Systemtheoretiker wie Manfred Rühl und Ulrich Saxer in den 80er-Jahren auf die Zwänge des Gesamtsystems, in denen der einzelne Journalist weitgehend ohnmächtig ist. Neue Ansätze verknüpfen diese Positionen, sprechen vom »Konzept einer gestuften Verantwortung« (Pürer 1992: 319) und berücksichtigen alle fünf am Kommunikationsprozess beteiligten Gruppen: • Den Normenkontext der Gesetze als ethisches Minimum für alle Beteiligten haben wir schon erwähnt. Neben dem Gesetzgeber, der aufgrund des Gebots der Pressefreiheit nicht zu stark in die journalis- Politik und Wirtschaft <?page no="248"?> E T H I K 249 tischen Freiheiten einwirken sollte (auch wenn diese missbraucht werden), haben allgemein Politik und Wirtschaft eine Verantwortung: Zu nennen wären beispielsweise die gesellschaftliche Kontrolle von Medienmacht und das Schaffen von Rahmenbedingungen für ein möglichst vielfältiges Medienangebot oder auch ein verantwortlicher Umgang mit Macht auf Seiten großer Unternehmen, die keinen Druck auf Redaktionen ausüben sollten (beispielsweise mit der Drohung von Anzeigenentzug). Wer redaktionelle Leistung gering schätzt, versucht zu beeinflussen oder gar zu manipulieren, handelt unmoralisch - und setzt das ganze System unter Druck. • Die Verantwortung des Publikums ist schwer zu fassen, denn einzelne Leser, Zuhörer und Zuschauer haben zwar für sich selbst die Verantwortung, sich kritisch und reflektiert mit dem Medienangebot auseinanderzusetzen und zum Beispiel auf zweifelhafte Angebote des Boulevards in Zeitung, Zeitschrift oder Fernsehen zu verzichten - doch bewirken können Einzelne mit einem solchen Boykott nichts. Es bräuchte schon einen kollektiven Widerstand gegen minderwertigen Journalismus und widerwärtige Medienangebote. Ansätze für ein derartig breites Agieren gibt es im Bemühen der Medienpädagogik, das Publikum von Kindesbeinen an aufzuklären und zu emanzipieren, oder in Initiativen, welche einzelne Medien kritisch begleiten (vgl. z. B. Watchblogs wie www.bildblog.de). • Eine Wirtschaftsethik von Medienunternehmen sucht nach einem Ausgleich zwischen kommerzieller Ausrichtung und Sozialverantwortung. Grundproblem ist, wie im Konfliktfall zwischen Gewinnorientierung und moralisch korrektem Verhalten entschieden werden kann. Eine Befragung österreichischer Journalisten im Jahr 2004 belegte, dass ethische Normen immer wieder mit ökonomischen Realitäten in Konflikt geraten können (Karmasin 2005: 186). Pürer (1992: 315) verweist darauf, dass es auch innerhalb eines Medienbetriebs eine gestufte Verantwortung mit hierarchisch festgelegten Kompetenzen gibt: von Medienbesitzern, Herausgebern und Intendanten über Chefredakteure und Ressortleiter bis zu fest angestellten und freien Journalisten. Wird »von oben« Druck aufgebaut, kann sich der einzelne Journalist »unten« kaum wehren. Umso nötiger ist es, über verschiedene Management-Instrumente ethische Grundlagen zu legen, auf die sich der Einzelne dann auch verlassen kann (vgl. z. B. Funiok 2006): Ethisch begründete Normen können zum Beispiel in die Qualitätsdiskurse einfließen; so sollte der Umgang mit Anzeigenkunden, mit Informanten, mit der Privatsphäre, mit »Berichterstattungs-Opfern«, mit der Berichtigung von Fehlern (vgl. z. B. www.regrettheerror.com) und generell mit Extremsituationen in Leitbildern und Kodi- Publikum Medienunternehmen <?page no="249"?> 250 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K zes formuliert werden. Förderlich ist auch eine aktive Beteiligung von Medienunternehmen an der publizistischen Selbstkontrolle (vgl. die Ausführungen zum Presserat weiter unten), die Einrichtung von Ombuds-Stellen als Ansprechpartner für Leser und von der Berichterstattung Betroffene (»Leseranwälte«) oder die Ermöglichung eines offenen und transparenten Medienjournalismus - also einer Berichterstattung über die eigene Branche. • Bei der Beitragsproduktion sind Journalisten von der Informationslage und den Quellen abhängig. Es ist legitim, dass Quellen ein Eigeninteresse verfolgen und in der Öffentlichkeit ein positives Image aufbauen wollen. Unternehmen, Organisationen, Parteien, Verbände oder Privatpersonen wollen nicht alles öffentlich machen, was die Öffentlichkeit tangiert - zum Beispiel Fehler und Missstände nicht aktiv nach außen tragen. Dass die Verantwortlichen für Public Relations deshalb natürliche Gegenspieler des Recherchejournalismus sind, ist nicht das Problem ( → vgl. Kap. 5.4; S. 205 - 210 ). Problematisch sind dagegen bewusst irreführende Presseinformationen oder unmoralische Angebote, zum Beispiel mit Schleichwerbung die redaktionelle Unabhängigkeit zu untergraben (was z. B. die Arbeitgeber-Initiative »Neue Soziale Marktwirtschaft« 2002 mit der ARD gemacht hat), oder Strafaktionen gegen kritische Journalisten (Entzug von Pressemitteilungen und Einladungen zu Pressekonferenzen). PR-Fachleute sollten die Rolle der Journalisten und ihre Pflicht zur unabhängigen Berichterstattung respektieren. Auch für die Public Relations gibt es ein Organ der Selbstkontrolle: Der Deutsche Rat für Public Relations orientiert sich in seiner Spruchpraxis an verschiedenen Verhaltenskodizes (www. drpr-online.de), die zum Beispiel fordern, dass PR-Fachleute »nach bestem Wissen und Gewissen« informieren und »wahrhaftig« sind. • Im Mittelpunkt medienethischer Überlegungen stehen meist die Journalistinnen und Journalisten, denn trotz der erwähnten Zwänge und Rahmenbedingungen bleiben ihnen Spielräume freien Entscheidens. Sie sollen verantwortlich mit ihrer Macht umgehen, sich an Qualitäts- und Ethikmaßstäben orientieren und sich schon in der Aus- und Weiterbildung mit möglichen Konfliktsituationen beschäftigen. Die Reflexion der Werte, Zwänge und Folgen des Journalismus ist wesentliches Element der Individualethik. Darüber hinaus legt eine Professionsethik allgemein verbindliche Maßstäbe der Berufsgruppe fest (vgl. den Pressekodex, der weiter unten beschrieben wird). Im Sinne einer umfassenden Medien- und Kommunikationsethik sind also alle fünf Ebenen des Journalismus gefordert. Wenn wir von »journalistischer Ethik« im engeren Sinne sprechen, dann stehen allerdings zwei Ebenen eindeutig im Mittelpunkt: einerseits die Wirtschaftsethik Quellen und Public Relations Journalisten Professionsethik <?page no="250"?> E T H I K 251 der Medieninstitutionen und andererseits die Individualethik der Journalisten. Diese beiden Ebenen werden in der Professionsethik angesprochen: Sie vermittelt die Standards und Regeln der Branche in der gesamten Berufsgruppe der Journalisten - vertreten durch die Berufsverbände und Gewerkschaften - und auch unter den Medienunternehmen - vertreten durch Unternehmerverbände (wie den Zeitungsverlegerverband, den Zeitschriftenverlegerverband oder den Verband privater Rundfunk und Telekommunikation). Kodizes und Selbstkontrolle Auf die Professionsethik beziehen sich die international verbreiteten Kodizes, die entweder von Gewerkschaften und Journalistenverbänden, von Medienunternehmen oder von Presseräten als Organen der Selbstkontrolle erarbeitet wurden. Diese Kodizes sind freiwillige Vereinbarungen und Grundsatzpapiere, an denen sich Journalisten in der Ausbildung und bei ihrer Arbeit orientieren sollen. Der Pressekodex des Deutschen Presserats zum Beispiel wurde 1973 als »Regelwerk für die tägliche Arbeit des Journalisten« entworfen und betont in seiner aktuellen Fassung vom 13. März 2013 vor allem die folgenden Werte (vgl. www.presserat.info/ inhalt/ der-pressekodex): • Achtung vor der Wahrheit und Wahrung der Menschenwürde • gründliche und faire Recherche • klare Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen • Schutz der Persönlichkeit, Achtung von Privatleben und Intimsphäre • Vermeidung unangemessen sensationeller Darstellung von Gewalt und Brutalität Der Deutsche Presserat wurde 1956 von Journalisten- und Verlegerverbänden nach dem Vorbild des 1953 gegründeten British Press Council ins Leben gerufen. Hauptmotiv war damals die Abwehr einer drohenden Einschränkung der Pressefreiheit durch den Gesetzgeber nach den ersten publizistischen Skandalen der jungen Bundesrepublik (der damalige Innenminister plante ein Bundespressegesetz, das staatliche Aufsichtsinstanzen für die Presse vorsah): Die Branche versprach, sich selbst zu kontrollieren und Fehlleistungen selbst zu sanktionieren. Noch heute verfolgt der Deutsche Presserat zwei Ziele: die Lobbyarbeit für die Pressefreiheit in Deutschland und die Bearbeitung von Beschwerden aus der Leserschaft. Ähnlich arbeiten viele Presseräte in modernen Demokratien, zum Beispiel der 1977 gegründete Schweizer Presserat (presserat.ch), in dem im Gegensatz zum deutschen Presserat sogar Publikumsvertreter mitfreiwillige Vereinbarungen Deutscher Presserat in Österreich gescheitert und 2010 neu gegründet <?page no="251"?> 252 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K wirken. Der 1961 in Österreich gegründete Presserat scheiterte 2002 mit dem Austritt der Zeitungsverleger. Danach gab es immer wieder Initiativen, den Österreichischen Presserat neu zu beleben. 2010 gelang es schließlich, einen Trägerverein neu zu gründen, der einen Ehrenkodex erarbeitete und im Herbst seine Arbeit aufnahm (vgl. www.presserat.at). Hauptvorwurf an die Presseräte ist ein mangelndes Durchsetzungsvermögen - man spricht vom »zahnlosen Tiger«: Das Sanktions- und Druckpotential ist gering; die Verlage können nicht gezwungen werden, auch wenn von einer »Abdruckverpflichtung« die Rede ist. Wie geht der Deutsche Presserat im Einzelnen vor? Er wird nur tätig, wenn Beschwerden von Leserinnen und Lesern eingehen. Der Beschwerdeausschuss bittet die betreffende Redaktion um eine Stellungnahme, prüft den Fall anhand des Pressekodex und wählt im Fall einer »Verurteilung« eine von vier möglichen Sanktionen: Die schärfsten Sanktionen sind die öffentliche Rüge (mit »Abdruckverpflichtung«) und die nicht-öffentliche Rüge (auf Abdruck wird verzichtet, zum Beispiel aus Gründen des Opferschutzes), gefolgt von der Missbilligung und dem Hinweis. Im Jahr 2005 mündeten 746 Beschwerden in 25 öffentliche Rügen. 2009 waren es schon 1269 Beschwerden und 30 öffentliche Rügen, 2012 insgesamt 1.500 Beschwerden und 17 öffentliche Rügen. Die Zahl der Beschwerden steigt, seit der Presserat seit 2009 auch für journalistisch-redaktionelle Online-Publikationen zuständig ist und ein Online-Beschwerdeformular die Eingaben erleichtert. In den letzten Jahren lag der Schwerpunkt der Beschwerdearbeit im Bereich der Ziffer 7 des Pressekodex, der eine klare Trennung von Redaktion und Werbung fordert. Im Dezember 2010 beispielsweise wurde in 14 Fällen gegen Ziffer 7 verstoßen, u. a. von diversen Frauenzeitschriften und dem B ERLINER K URIER . Wegen eines Verstoßes gegen die Persönlichkeitsrechte eines Mordopfers wurden B ILD und B ILD -O NLINE gerügt »zahnloser Tiger«? Schwerpunkt Trennungsgrundsatz »Wesentlicher Kern« der Arbeit des Deutschen Presserats ist laut einer Rede von Bundespräsident Horst Köhler zum 50. Jubiläum am 20. November 2006 »die Einsicht, dass in der freien Presse niemand die Wahrheit für sich gepachtet hat. Und dass jeder für eigene Fehler im Ernstfall auch öffentlich geradestehen muss. Und auch: dass freiwillige Kontrolle allemal besser ist als unfreiwillige Kontrolle - etwa durch den Gesetzgeber.« (Quelle: www.bundespraesident.de Zitat <?page no="252"?> E T H I K 253 (vgl. www.presserat.de). Manche Zeitungen und Zeitschriften können nur mit Mühe (oder gar nicht) zum Abdruck von Rügen bewegt werden, andere Medien drucken sogar Missbilligungen und Hinweise ab, was die Transparenz und Glaubwürdigkeit des Journalismus letztlich fördert. Der Deutsche Presserat ist nicht das einzige Organ der Medienselbstkontrolle in Deutschland (Baum/ Langenbucher/ Pöttker/ Schicha 2005): Schon 1949 wurde die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft gegründet (www.fsk-online.de). Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben Rundfunkräte (ARD) oder einen Fernsehrat (ZDF), die ähnliche Funktionen erfüllen. Für die Kontrolle des privaten Rundfunks weitere Organe der Selbstkontrolle Ethische Zweifelsfälle - Beispielfragen Mit folgenden Fragen muss sich der Deutsche Presserat beschäftigen: Vor der Veröffentlichung: • Muss sich ein Journalist immer ausweisen? Ist verdeckte Recherche gerechtfertigt? • Wie weit geht die Recherchefreiheit bei laufenden Gewalttaten (z. B. Geiselnahme, Erpressung)? Bei der Veröffentlichung: • Wie weit dürfen plakative Zuspitzungen und Verallgemeinerungen in Überschriften gehen? • Wie extrem darf Meinung sein? • Wo ist die Grenze zwischen nutzwertiger (Wirtschafts-)Information und Schleichwerbung? • In welchen Fällen darf über die Erkrankung von Politikern berichtet werden? • Inwiefern dürfen bei der Berichterstattung über Gewalttaten Namen und Fotos von Opfern und Tätern veröffentlicht werden? • Wo ist die Grenze zwischen Voyeurismus und Dokumentation? • Wo ist die Grenze zwischen berechtigter Religionskritik und nicht gerechtfertigter Verletzung religiösen Empfindens? Nach der Veröffentlichung: • Wie werden Falschmeldungen richtig korrigiert? (Diese und andere Fälle sind im Handbuch »Ethik im Redaktionsalltag« ausführlich mit Lösungen beschrieben; herausgegeben vom Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses/ Deutscher Presserat 2005.) <?page no="253"?> 254 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K sind unter anderem die pluralistisch zusammengesetzten Landesmedienanstalten zuständig. Für Werbung (www.werberat.de) und Public Relations (www.drpr-online.de) gibt es ebenfalls Räte. Um das Thema »Jugendschutz und Internet« - allerdings kaum um sonstige Belange des Online-Journalismus - kümmert sich die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia Diensteanbieter (www.fsm.de). Die Medienselbstkontrolle wird in den vergangenen Jahren wieder stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen, wobei der Bekanntheitsgrad insgesamt noch sehr gering ist. 2004 gründeten Journalistik-Wissenschaftler den »Verein zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle« (www.publizistische-selbstkontrolle.de), der sich zum Ziel gesetzt hat, einen kritischen öffentlichen Diskurs über die Selbstkontrolle zu führen. Die Ethik stellt die Frage nach richtigem Handeln und beschäftigt sich als philosophische Disziplin mit moralischen Vorstellungen, Werten und Normen. Wer die Möglichkeiten und Bedingungen verantwortlichen Medienhandelns beschreiben, analysieren und begründen will, muss zwar die fünf Ebenen des Journalismus berücksichtigen, die journalistische Ethik im engeren Sinne beschäftigt sich aber mit der Verantwortung der Journalisten und der Medienunternehmen. Organe der Medienselbstkontrolle (zum Beispiel der Presserat mit dem Pressekodex) wollen einen verantwortlichen Umgang mit Kommunikationsfreiheit bestärken und tragen damit letztlich zur Sicherung der Pressefreiheit bei. Zusammenfassung 1 Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede zwischen journalistischer Qualität und ethischer Verantwortung? 2 Warum braucht es eine publizistische Selbstkontrolle? Reichen die Gesetze nicht aus? 3 Erklären Sie den Unterschied zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. 4 Was besagt das Konzept der gestuften Verantwortung? 5 Lesen Sie sich im Internet die aktuelle Fassung des Pressekodex, die Richtlinien und Fallbeispiele durch und überlegen Sie, wo Sie selbst in Ihrer journalistischen Tätigkeit schon mit dem Kodex in Berührung gekommen sind. Übungsfragen zu Kapitel 7.2 <?page no="254"?> D I E Z U K U N F T D E S J O U R N A L I S M U S 255 Literatur Das Handbuch Medienethik, herausgegeben von Christian Schicha und Carsten Brosda, versammelt interdisziplinär alle wesentlichen Ansätze. Einen nach wie vor lesenswerten Überblicksbeitrag über die Debatte zur Ethik in der Journalistik hat Heinz Pürer 1992 unter dem Titel »Ethik in Journalismus und Massenkommunikation« geschrieben. Das Buch »Ethik im Redaktionsalltag«, welches das Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses und der Deutsche Presserat herausgegeben haben, bietet auf Grundlage des Pressekodex eine Fülle von didaktisch gut aufbereiteten Fallbeispielen aus der redaktionellen Praxis mit Lösungen. Wer sich in die Praktiken und Probleme der Selbstkontrolle vertiefen möchte, kann auf das gut gegliederte »Handbuch Medienselbstkontrolle« von Achim Baum, Wolfgang R. Langenbucher, Horst Pöttker und Christian Schicha zurückgreifen. Im Internet gibt es eine Reihe einschlägiger Websites: Neben den Räten (www.presserat.de; www.presserat.ch; www.presserat. at; www.drpr-online.de) sind auch die Seiten www.publizistische-selbstkontrolle.de und www.netzwerk-medienethik.de empfehlenswert. Die Zukunft des Journalismus Der ehemalige Eichstätter Journalistik-Professor Walter Hömberg (2006: 382) hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Blick in die Zukunft des Journalismus schwierig ist: Berge von prognostischer Literatur hätten »häufig nichts anderes als Prognosemüll« produziert. Daraus könnte man schließen, dass der Blick in die Zukunft nicht Aufgabe einer seriösen Wissenschaft sein kann, sondern denen überlassen werden sollte, die in die Glaskugel schauen oder im Kaffeesatz lesen. Das Erfassen von Trends und die visionäre Verlängerung von aktuellen Entwicklungen in die Zukunft gehören dennoch zu den zentralen Aufgaben der Journalistik - schon allein aufgrund des Ausbildungsauftrags. Wer im Jahr 2013 Studierende aufnimmt, entlässt sie nicht im gleichen Jahr, sondern bildet sie für den Arbeitsmarkt der Jahre 2015 bis 2018 aus. Damit sie sich dort bewähren, sollten sie im Studium zumindest eine Ahnung davon bekommen, wie sich Journalismus und Medien bis 2015 oder gar 2020 entwickeln könnten. Zudem kann die Wissenschaft den Redaktionen und Medienunternehmen systematisch überprüfte und verlässliche Grundlagen für strategische Entscheidungen zur Verfügung stellen, die immer in die Zukunft gerichtet sein müssen. Und schließlich sollte die Journalistik sich auch an der gesellschaftlichen Debatte beteiligen, wie ein qualitätsvoller Journalismus überleben und ausgebaut werden kann. | 7.3 »Prognosemüll« <?page no="255"?> 256 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K Wenn die Journalistik wissenschaftlich fundiert in die Zukunft blickt, werden neben der Entwicklung des Mediennutzungsverhaltens sinnvollerweise technische, organisatorische, ökonomische, rechtliche, (medien-) politische und kulturelle Faktoren einbezogen. So sollte man zum Beispiel nicht nur berücksichtigen, dass das Internet von immer mehr Menschen genutzt wird, sondern auch, dass sich die Wertewelten verändern oder dass die Bevölkerung älter wird. Solide Prognosen können nur »begründete Vermutungen auf der Basis vorhandenen Vergangenheits- und Gegenwartswissens sein« (Gerhards/ Klingler 2006: 75). Im Wesentlichen gibt es dafür drei gängige empirische Verfahren: die Auswertung von Datenreihen, die Befragung von Experten und die Wiederholung repräsentativer Journalistenbefragungen. Empirische Methode I: Auswertung von Datenreihen In der Nutzungsforschung ( → vgl. z. B. Kap. 3; S. 97 - 114 ) werden qualitative und quantitative Befunde und Datenreihen der vergangenen Jahre ausgewertet, um daraus Hypothesen für die nächsten Jahre abzuleiten. Maria Gerhards und Walter Klingler von der SWR-Medienforschung haben dies schon mehrfach für die Zeitschrift M EDIA P ERSPEKTIVEN getan (vgl. z. B. Gerhards/ Klingler 2006). Grundlage für derartige Prognosen sind die wesentlichen Trends der Mediennutzung, die in Kapitel 3.2 zusammengefasst wurden. Man kann daraus zum Beispiel schließen, dass auch ältere Menschen mehr und mehr das Internet nutzen werden, dass Zeitungen insgesamt (noch) weniger gelesen werden oder der Wettbewerb um das Zeitbudget der Menschen (noch) schärfer werden wird und dass bi- oder trimediale Strategien für Medienunternehmen und Redaktionen an Bedeutung gewinnen, weil sie das Publikum über mehrere Plattformen erreichen müssen. Ein besonderes Augenmerk bei derartigen Nutzungsprognosen gilt den Trendsettern und innovativen Zielgruppen (vgl. Reitze/ Ridder 2006: 178 - 191): 58 Prozent von ihnen wollten schon 2005 am liebsten das Internet behalten, wenn sie nur noch ein Medium zur Verfügung hätten - gefolgt von Fernsehen (27), Radio (11) und Tageszeitung (5). Heute trifft dies bereits auf den Bevölkerungsschnitt zu ( → vgl. Kap. 3.2; S. 112 ). Dem Internet kommt bei den Trendsettern insgesamt eine »Schlüsselrolle in der Mediennutzung zu« (Reitze/ Ridder 2006: 186). Sie nutzen weniger traditionelle Fernseh- und Radioprogramme, sondern häufig nicht-lineare und mobile Audio- und Videoplayer (z. B. iPod oder iPhone), die sich via Internet speisen lassen. Zeitungen und Zeitschriften werden in dieser Bevölkerungsgruppe deutlich seltener und kürzer gelesen. drei gängige empirische Verfahren Nutzungsforschung Trendsetter <?page no="256"?> D I E Z U K U N F T D E S J O U R N A L I S M U S 257 Empirische Methode II: die Delphi-Studie Ein besonderes Verfahren der Expertenbefragung trägt den schönen Namen »Delphi-Methode«, der an die antiken Orakel-Priesterinnen in Delphi erinnert. Experten haben zwar in der Regel keine hellseherischen Fähigkeiten, aber sie beobachten Gesellschafts- und Branchentrends und sie gestalten die Zukunft durch ihre eigenen strategischen Entscheidungen mit. Für Studien, die sich mit der Zukunft des Journalismus beschäftigen, werden sowohl leitende Journalisten und Medienmanager als auch Journalistik-Wissenschaftler, Vertreter von anderen Ausbildungsinstitutionen oder von Verbänden befragt. Es gibt zwar im Detail verschiedene Varianten der Delphi-Methode, doch allen ist gemeinsam, dass die Experten mehrfach befragt werden, was sich über mehrere Monate oder sogar Jahre erstrecken kann. Die erste Befragungswelle arbeitet - auf Basis einer theoretischen Analyse - am sinnvollsten mit eher offenen Fragen, um die Einschätzungen der Experten in breiter Fülle erfassen zu können. Für die zweite Welle wird daraus ein schriftlicher Fragebogen mit weitgehend geschlossenen Fragen formuliert. Ab der zweiten Welle werden die Experten mit den Ergebnissen der vorhergehenden Runde konfrontiert (in Form statistischer Mittelwerte). Nach drei oder vier Wellen soll dadurch ein gewisser Konsens entstehen: Die Experten sollen Schätzungen, bei denen sie unsicher waren, vor dem Hintergrund der Mehrheitsmeinungen korrigieren, sichere Schätzungen dagegen reproduzieren. Mit dieser Methode arbeiteten zum Beispiel Studien zur Zukunft des Journalismus zwischen 1988 und 1990 (vgl. Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994), zur Entwicklung von Print- und Online-Medien zwischen 2002 und 2003 (vgl. Glotz/ Meyer-Lucht 2004), zur Zukunft des Journalismus einer Leipziger Forschergruppe um Michael Haller von 2003 bis 2007 (vgl. www.uni-leipzig. de/ ~zdj) sowie 2012 zur Zukunft katholischer Medien (vgl. Klenk 2013) und der der Nachrichtenagenturen (vgl. Schulten-Jaspers 2013). Die Ergebnisse der Delphi-Studien sind manchmal enttäuschend - etwa wenn zentrale Innovationen aufgrund gemeinsamen Nichtwissens oder kollektiver Ignoranz nicht erkannt werden können (wie z. B. Anfang der 90er-Jahre der Siegeszug des Internet, der ab 1995 begann). Oft ergeben sie aber auch wertvolle Hinweise auf Trends. Der Wert solcher Studien liegt weniger darin, dass sie sich nach zehn Jahren als exakt zutreffend erwiesen haben, sondern dass sie zum Zeitpunkt des Erscheinens eine Basis für die richtigen Entscheidungen legen - die dann vielleicht sogar dazu beitragen, Trends zu beschleunigen, zu verlangsamen oder umzukehren und die ursprüngliche Studie als übertrieben oder nicht (mehr) zutreffend erscheinen lassen. Doch die Ein- Expertenbefragung mehrere Befragungswellen komplexe Einflüsse <?page no="257"?> 258 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K flüsse auf Medien und Journalismus sind komplex, Randbedingungen können sich rasch und unvorhersehbar ändern (vgl. Neuberger 2004 b). Vor allem muss eine wissenschaftliche Prüfung von Entwicklungen aufpassen, nicht aus wenigen Einzelbeobachtungen gleich einen Trend zu konstruieren. Manche Passagen aus früheren Delphi-Studien lesen sich dennoch wie eine Gegenwartsbeschreibung. So muss die Aussage von Herbert Kolbe, Chefredakteur der E MDER Z EITUNG , aus dem Jahr 1988 schon als visionär eingestuft werden, weil sie die Situation des Web 2.0 ( → vgl. z. B. Kap. 4.1; S. 127 ) zwei Jahrzehnte später beschreibt: »Manchmal glaube ich, dass eine ganz neue Art von Journalismus auf uns zukommen wird. In dieser Gesellschaft machen wir folgende Beobachtung: Alles wird selber gemacht; man tapeziert selber - und bald macht jede Straße ihren eigenen Fernsehbericht. Ich glaube, dass diese Philosophie des Alles-Selber-Machens auch in den Journalismus einbrechen wird. Der Journalismus wird seine Faszination des Exklusiven verlieren. Das Zeitungmachen, das Zeitungproduzieren ist heute schon durch die Elektronik derart einfach geworden, davon macht man sich keine Vorstellung.« (zitiert nach Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994: 13) Empirische Methode III: Wiederholung repräsentativer Journalistenbefragungen Die repräsentative Befragung von Journalisten durch eine Forschergruppe um Siegfried Weischenberg wurde in dieser Einführung bereits mehrfach erwähnt ( → vgl. z. B. zur Methode Kap. 1.3.3; S. 60 ). Durch einen diachronen Vergleich der Befragungswellen 1993 und 2005 lässt sich der Wandel des Journalismus erfassen - und auf dieser Basis eine vorsichtige Prognose erarbeiten (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 181 - 205). Die wich- »Ob der Journalismus, der in seiner heutigen Form im 19. Jahrhundert entstand und im 20. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte, unter den neuen technischen und ökonomischen Bedingungen angemessene Lösungen für Kommunikationsprobleme des 21. Jahrhunderts anbieten kann, lässt sich in genereller Form nur schwer prognostizieren. Sicher ist jedoch, dass sich Medien und Journalismus im Online-Zeitalter erheblich wandeln (müssen). Und dies bedeutet auch eine große Herausforderung für alle, die mit der Vor- und Ausbildung für Kommunikationsberufe befasst sind.« (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 202) Zitat <?page no="258"?> D I E Z U K U N F T D E S J O U R N A L I S M U S 259 tigsten Trends der Journalistenbefragungen haben wir bereits in Kapitel 6.1 zusammengefasst ( → vgl. S. 214 - 224 ). Trends und Prognosen Wohin treiben Medien und Journalismus seit der Jahrtausendwende? Was sind die großen Trends - abseits der kurzlebigen »Hypes«, die schnell wieder verschwinden? Wichtige aktuelle Entwicklungen wurden in diesem Buch an mehreren Stellen beschrieben: zum Beispiel zum Publikumsverhalten in Kapitel 3.2, zur Entwicklung der Massenmedien, der Finanzierung von Medienunternehmen und der redaktionellen Organisation - beispielsweise vor dem Hintergrund der raschen Verbreitung des Internet - in Kapitel 4, zum Wandel von Darstellungsformen und Berichterstattungsmustern in Kapitel 5 sowie zu Tätigkeiten und Einstellungen von Journalisten in Kapitel 6.1. Zusammenfassend und im Überblick werden wichtige Wandlungsprozesse des Journalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Folgenden kurz skizziert (vgl. Meier 2010): • Kommerzialisierung und Ökonomisierung: Die Konzentrationsbewegungen in den Medien, die Übernahmen von Zeitungen durch Medienkonzerne, die Zusammenlegung von ehemals unabhängigen Zeitungsredaktionen, die steigende Bedeutung der Renditemaximierung in journalistisch tätigen Unternehmen - all dies sind Anzeichen dafür, dass sich das Verhältnis zwischen Profit und öffentlicher Aufgabe in Richtung Profit bewegt. Dass der wirtschaftliche Druck auf die Redaktionen wächst, belegt auch der steigende Anteil von Schleichwerbung im redaktionellen Teil (vgl. Baerns 2004; Volpers 2007). Bei zunehmenden Verstößen gegen die Regel, dass redaktioneller Teil und Werbung strikt getrennt werden, ist die Glaubwürdigkeit des Journalismus in Gefahr. Der ökonomische Druck auf Redaktionen kann auch zu schlechter Bezahlung, zu Überstunden, zu psychischer Belastung und einem steigenden Burnout-Risiko bei Journalisten führen (vgl. Pfeuffer 2006). • Hinter der Finanzierung des Journalismus steht ein großes Fragezeichen, wenn man in die Zukunft blickt. Was schon mit privat-kommerziellem Fernsehen und Radio in den 80er-Jahren begonnen hat, findet seine Fortsetzung in der Kostenloskultur des Internet und im Erfolg von Gratiszeitungen in vielen europäischen Ländern (z. B. in der Schweiz, in Österreich oder in Skandinavien). Kernfrage ist, ob sich das Publikum aus der direkten Finanzierung des Journalismus noch weiter zurückzieht. Aus demokratie-theoretischer Sicht braucht unabhängiger und vielfältiger Journalismus eine finanzielle Beteiligung des Publikums ( → vgl. Kap. 2.3.1; S. 84 - 86; Kap. 4.2; S. 129 - 145 ). Können ökonomischer Druck auf Redaktionen Kostenloskultur <?page no="259"?> 260 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K das Gebühren-Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und das Abonnement-Modell der Printmedien im Medienmarkt der Zukunft überleben und auf die digitalen Plattformen übertragen werden (so ist zum Beispiel der Axel-Springer-Verlag 2013 mit einer großen Initiative zur Bezahlung redaktioneller Online-Inhalte gestartet)? Oder finden sich andere funktional-äquivalente Finanzierungsformen, welche den Journalismus nicht gänzlich dem Kommerz, der Werbe- oder Staatsfinanzierung ausliefern (zum Beispiel durch Finanzierung über Stiftungen wie in den USA schon vielfältig möglich oder über Spenden wie über die Plattformen krautreporter.de oder startnext.de)? • Wachsender Einfluss der Public Relations: Immer weniger freie Journalisten können von den kargen Honoraren des Journalismus allein leben: Sie verdienen ihren Lebensunterhalt in der Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 189 f.). Wenn Journalismus teilweise nicht mehr als eigenständige Profession ausgeübt wird, kann der Beruf »deprofessionalisiert« werden und die journalistische Unabhängigkeit ist in Gefahr. Theorien und empirische Untersuchungen verweisen zwar darauf, dass Journalismus und Public Relations voneinander abhängig sind ( → vgl. Kap. 5.4; S. 205 - 210 ) - doch es gibt eine Reihe von Indizien dafür, dass der Einfluss der PR auf die öffentliche Kommunikation zunimmt und der des genuin unabhängigen Journalismus sinkt. Unternehmen stecken mehr Geld in Public Relations, weil sie ihre Zielgruppen direkt und ohne Umweg über die traditionellen Gatekeeper - die Journalisten - erreichen wollen - ein Phänomen, das als »Disintermeditation« bezeichnet wird (Neuberger 2008: 22-30). Aus Sicht des Journalismus besteht die Gefahr, dass langfristig die Budgets für Anzeigen und Werbung, von denen der Journalismus zu einem Teil lebt, umgeschichtet werden in konzerneigene Medien: von Internetauftritten, Corporate Weblogs und Unternehmens-TV (z. B. Bahn-TV) bis zu Kundenzeitschriften - was alles zusammen als »Corporate Publishing« bezeichnet wird. Public Relations imitieren Darstellungs- und Erscheinungsformen des Journalismus, weil sie sich dadurch Glaubwürdigkeit und Imagegewinn erhoffen. Das geht bis zur teilweisen Finanzierung von Kundenzeitschriften über Fremdanzeigen und den Verkauf am Kiosk. Nach Angaben des »Forums Corporate Publishing« sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz 3.500 Kundenmagazine auf dem Markt - darunter zum Beispiel so auflagenstarke Zeitschriften wie B LEIB G ESUND von der Krankenkasse AOK (6,4 Mio. Auflage), ADAC M OTOR - WELT (13,8 Mio.), A POTHEKEN -U MSCHAU (4,8 Mio.), DB M OBIL der Deutschen Bahn (500.000), L UFTHANSA M AGAZIN (600.000) oder I KEA F AMILY L IFE (400.000). Einfluss der Public Relations <?page no="260"?> D I E Z U K U N F T D E S J O U R N A L I S M U S 261 • Die Technisierung der journalistischen Arbeit reicht bis in die 70er-Jahre zurück, als der Fotosatz und die ersten Computer den Bleisatz der Zeitungen und Zeitschriften verdrängten und sich zunehmend Journalisten mit Layout und Seitenproduktion beschäftigen mussten. Inzwischen ist es nicht nur selbstverständlich, dass Zeitungsjournalisten die Seiten selbst am Bildschirm bauen (eventuell unterstützt von Mediengestaltern), sondern auch dass Radio und Fernsehjournalisten selbst den Schnitt am Computer ausführen. Dies kann bei fehlendem Training und steigendem Zeitdruck zu sinkender Qualität führen, kann aber auch ein kreatives Potential im journalistischen Produktionsprozess freisetzen. Die Qualität der Zeitungsgestaltung zum Beispiel wurde seit den 90er-Jahren erheblich verbessert - in gelungener Teamarbeit zwischen Grafikern und Journalisten, in der die Journalisten nicht nur Texte abliefern, sondern vielfältige Möglichkeiten der Informationsgestaltung, der Infografik, des Layouts und der Typografie überlegen, selbst umsetzen oder anregen (vgl. Blum/ Bucher 1998). • Alle Medieninhalte werden bald digital auf Servern vorliegen. Die Digitalisierung ändert nicht nur die Produktions- und Arbeitsweise in Redaktionen ( → vgl. Kap. 4.5; S. 171 - 172 ), sondern auch die Möglichkeit, journalistische Produkte schnell über verschiedene Plattformen an das Publikum zu vertreiben. Dabei entwickelt sich das Internet zur universellen Drehscheibe für Texte, Fotos, Audios und Videos. • Mit dem Begriff der Konvergenz ist gemeint, dass die medialen Plattformen aufgrund dieser Digitalisierung zusammenwachsen - und zwar nicht nur auf Seiten der Produktion (Print-, Audio- und Video-Produktion auf einem einzigen leistungsfähigen Computer bzw. in einem Computer-Netzwerk) und der Organisation (crossmediale Redaktionen, die mehrere Plattformen bedienen), sondern auch auf Seiten der Mediennutzung: Es gibt mehr Geräte, die nicht nur für ein »Medium« genutzt werden, sondern die mehrere Formen integrieren (zum Beispiel mobile Geräte, mit denen man telefonieren, Fotos und Videos machen und versenden, Internet, SMS, MMS, Audio-Dateien und Video-Dateien abrufen, speichern und weitergeben kann). Diese Konvergenz ist eine der größten Herausforderungen für Medienhäuser, der nur mit crossmedialen Strategien und großer Innovationsfähigkeit begegnet werden kann (vgl. z. B. Kramp/ Weichert 2012). Das Kerngeschäft von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen zum Beispiel wird nicht mehr allein das Bedrucken von Papier sein, sondern ein Journalismus, der unterschiedliche Wege zum Publikum beschreitet. Technisierung Digitalisierung Konvergenz und crossmediale Strategien <?page no="261"?> 262 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K • Das Internet ist nicht nur eine Plattform, die alle traditionellen Ausspielkanäle vereint, sondern bietet gleichzeitig immens große Beteiligungsmöglichkeiten des Publikums. Im »Web 2.0« kann jeder publizieren - und zwar nicht nur für sich allein, sondern kollaborativ und vernetzt mit tausenden anderen Nutzern ( → vgl. Kap. 3.1; S. 106) . Das geht weit über den Journalismus hinaus, ermöglicht aber auch eine kollaborative Form der Nachrichtenproduktion, -kommentierung und -weiterleitung durch Amateure in Blogs, Wikis und sozialen Netzwerken wie T WITTER oder F ACEBOOK ( → vgl. Kap. 4.1; S. 127) . Wenn professioneller Journalismus diese Möglichkeiten im Sinne eines »Citizen Journalism« oder eines partizipativen Journalismus nutzen möchte, muss er das Publikum respektvoll als aktiv beteiligte Bürger einbeziehen ( → vgl. Kap. 5.2; S. 194) . Journalisten sind dann die Moderatoren des Diskurses; sie hören zu, was das Publikum zu sagen hat, beschäftigen sich mit den Themen, welche die Menschen bewegen - und behandeln Leser nicht nur als »Leser-Reporter«, die bloße Zuträger, Informanten oder Lieferanten von Fotos und Videos sind (vgl. Outing 2005, Neuberger 2007). Bei intensiver Nutzerbeteiligung könnte sich das Berichterstattungsmuster des Prozessjournalismus entwickeln (vgl. Meier 2013: 125): Ein Beitrag ist im Gegensatz zum Produktjournalismus nicht »fertig«, sondern wird durch das Zusammenspiel mit Nutzern weitergeschrieben. Die Nutzer beteiligen sich dann am gesamten Arbeitsprozess: von der Themenfindung und Recherche (Augenzeugen, andere Quellen) über die Publikation (Korrektur, Ergänzung, Aktualisierung) bis zur Kommentierung und dem Teilen des Beitrags mit Freunden. • Der wachsende Konkurrenzdruck - der Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Zeitbudget des Publikums - erhöht den Druck auf Redaktionen, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen: zum Beispiel durch exklusive Geschichten und Bilder ( → vgl. Kap. 1.2.3; S. 31 - 32 ). Selbst die Mainstream-Themen erhalten immer wieder durch den »eigenen Dreh« einer Geschichte einen exklusiven Anstrich. Um aus der Masse herauszustechen, reicht es nicht aus zu melden, was alle melden. Dies kann zu mehr journalistischer Qualität führen, zum Beispiel wenn sich mehr Regional- und Lokalredaktionen die Frage stellen, welche Bedeutung eine abstrakte politische Entscheidung für die Region und den einzelnen Leser hat (statt einfach die dpa-Meldung weiterzureichen). Es kann aber auch die Folge haben, dass immer mehr Redaktionen meinen, besonders provozierend, überraschend, bunt oder sexy sein zu müssen, was dann zu einer wachsenden Boulevardisierung und Skandalisierung des Journalismus führt. Alles in allem lässt sich feststellen, dass das journalistische Monopol der Selbstbeobachtung und Synchronisation der Gesellschaft zu wan- Beteiligung des Publikums Konkurrenzdruck <?page no="262"?> D I E Z U K U N F T D E S J O U R N A L I S M U S 263 ken beginnt und dass es schwieriger geworden ist, journalistische Produkte von anderem »Content« zu unterscheiden. Bei all diesen zentralen Trends stellt sich die Frage, ob und - wenn ja - wie Journalismus überlebensfähig sein kann. Wie in den Kapiteln 1.1.2 und 2.3 ausführlich begründet, ist die offene, freie und pluralistische Gesellschaft auf funktionierenden Journalismus angewiesen. Eine durch neutrale Beobachter moderierte öffentliche Diskussion ist Grundlage des demokratischen Zusammenlebens - oder um es in Anlehnung an die Definition zu Beginn dieses Buchs zu sagen: Nur eine nach den Regeln des hochwertigen Journalismus konstruierte Wirklichkeit kann verlässliche und glaubwürdige Orientierung in einer komplexen Welt bieten (vgl. u. a. Jarren 2008). Journalismus muss sich deshalb deutlich von anderem »Content« unterscheiden (vor allem durch die in den Kapiteln 7.1 und 7.2 genannten Faktoren der Qualität und Ethik), um nicht seinen Sinn und Wert für das Publikum und damit die Funktion der Selbstbeobachtung journalistisches Monopol wankt In der klassischen Massenkommunikation ist der Journalismus der »Gatekeeper« ( → vgl. Kap. 5.3; S. 198 - 200 ) des Informationsflusses zwischen Quellen und Nutzern. In der Internetöffentlichkeit kommunizieren die Nutzer zudem untereinander und erreichen dabei zum Teil auch ein Massenpublikum. Sie geben dem Journalismus verstärkt Rückmeldungen - und sie informieren sich direkt bei den Quellen, was die Möglichkeiten für Public Relations aus Sicht der Quellen erhöht (unter Umgehung des klassischen »Gatekeepers«). Auch außerhalb des Internet versucht Public Relations zunehmend, den Journalismus zu umgehen. Nutzer Nutzer Nutzer Journalismus Quellen »Gatekeeping« der klassischen Massenmedien Internetöffentlichkeit Nutzer Nutzer Nutzer Journalismus Quellen | Abb. 7.5 Kommunikationsmodell der Internetöffentlichkeit (Quelle: Darstellung nach Neuberger 2008: 22-23) <?page no="263"?> 264 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K und Synchronisation der Gesellschaft zu verlieren. Wenn Journalismus verschwindet oder zurückgedrängt wird, orientiert sich die Gesellschaft mehr an einer interessengeleiteten, nicht-faktischen Wirklichkeitskonstruktion (vgl. Abb. 7.6; S. 265). Die These der »Entgrenzung« des Journalismus Die Motive für den Journalismuswandel liegen zurzeit also in den rapiden technischen Innovationen (Digitalisierung und Internet) sowie in den sich ändernden ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Eine Hamburger Forschergruppe hat einzelne Phänomene des derzeitigen Journalismuswandels unter dem Begriff »Entgrenzung« des Journalismus zusammengefasst (vgl. Weischenberg 2001 b; Loosen 2005; Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006). »Journalismus verliert als fest umrissener, identifizierbarer Sinn- und Handlungszusammenhang deutlich an Konturen; er ist deshalb als Einheit kaum noch beschreib- und beobachtbar« (Weischenberg 2001 b: 77). Gemeint sind zum Beispiel (vgl. Loosen 2007: 63) die professionelle »Entgrenzung« gegenüber Public Relations, die Auflösung der Autonomie gegenüber der Werbung oder die inhaltliche »Entgrenzung« gegenüber der Unterhaltung (Infotainment). Tabelle 7.6 listet mögliche »Entgrenzungen« des Journalismus auf - in funktionaler wie struktureller Hinsicht. Dabei ist, in Anlehnung an Christoph Neuberger (2004 b), die Grenze jeweils durch ein Begriffspaar markiert, das zwei entgegengesetzte Pole markiert (Journalismus und Nicht-Journalismus). Bei den funktionalen »Entgrenzungen« steht die Funktion des Journalismus in Frage; bei der Aufhebung von strukturellen Grenzen wandelt sich der Journalismus intern. Zwei Beispiele für »Entgrenzungsphänomene« (vgl. Neuberger 2004 b): • Die Verwischung zwischen Information und Unterhaltung, die Infotainisierung journalistischer Inhalte, wird schon länger diskutiert. Die »Entgrenzungsthese« besagt, dass »soft news« zunehmend »hard news« verdrängen: Sport, Prominenz, Kriminalität, Kurioses gewinnen auf Kosten von Politik und Wirtschaft. Spektakuläre und emotionale Bilder bestimmen zusehends die Berichterstattung im Fernsehen, aber auch in den Printmedien und im Internet. Natürlich konnte man vor allem aus Rezipientensicht Information noch nie scharf von Unterhaltung trennen. Aber im klassischen (Informations-)Journalismus orientiert sich die Darstellung zuerst auf den Informationsgehalt; Unterhaltsamkeit und Attraktivität sind zwar Stilmittel, stehen aber nicht im Mittelpunkt. Die These besagt, dass sich dies nun ändert. • Die These, ob sich nationale Journalismen zunehmend auflösen und der Journalismus globalisiert wird, ist umstritten. Noch am ehesten »Journalismus verliert an Konturen« Infotainisierung globaler Journalismus? <?page no="264"?> D I E Z U K U N F T D E S J O U R N A L I S M U S 265 trifft dies für gemeinsame Sprachräume zu: Internet-Publikationen aus Großbritannien (wie www.guardian.co.uk, www.telegraph.co.uk oder www.bbc.co.uk) haben auch in den USA ein großes Publikum, das aus der engen nationalen Perpektive der US-Medien ausbrechen will. Die BBC-Website wird in vielen Ländern auf allen Kontinenten nachgefragt. Aber nach wie vor hat der Nachrichtenfaktor »Nähe« eine große Bedeutung im Journalismus, was sich meist nur im nationalen Kontext umsetzen lässt. Zu diskutieren ist indes zudem, ob sich nationale Journalismuskulturen mit unterschiedlichen Traditionen global angleichen (z. B. die Einstellungen der Journalisten oder die Redaktionsstrukturen). Mit der These der »Entgrenzung« des Journalismus wird unterstellt, dass die vielfältigen Wandlungsprozesse des Journalismus einer gemein- Externe (funktionale) Grenzen gegenüber anderen Kommunikationsformen Dimension Journalismus Nicht-Journalismus Funktion Fremdbeobachtung interessengeleitete Kommunikation Profession hauptberufliche Journalisten andere Kommunikationsberufe (z. B. PR-Fachleute) und Amateure / Laien Autonomie redaktioneller Teil Werbung Leistungen Information Unterhaltung Verhältnis zu Berichterstattungsobjekten neutrale Beobachtung Inszenierung Realitätsbezug faktisch fiktional Verhältnis zu Nutzern Massenkommunikation Individualkommunikation Zeit zeitliche Aktualität Archivierung Interne (strukturelle) Grenzen zwischen journalistischen Subsystemen Dimension Differenzierung Integration Medien Einzelmedien crossmediale Konvergenz und Kooperation Themen Separierung / Spezialisierung in Sparten/ Ressorts ressortübergreifendes / integrierendes redaktionelles Arbeiten Raum nationale Journalismen Globalisierung | Abb. 7.6 Dimensionen der »Entgrenzung« des Journalismus (Diese Darstellung ergänzt die Tabelle von Neuberger 2004 b - auf der Basis von Loosen 2005, Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006 und Meier 2007.) <?page no="265"?> 266 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K samen Entwicklungsrichtung folgen, was nicht unumstritten ist (vgl. Neuberger 2004 b). Wer von »Grenzen« des Journalismus spricht, muss außerdem erst einmal definieren, wo diese liegen - und da wären wir wieder bei der eingangs gestellten Frage nach der Definition des Journalismus: Wo hört Journalismus auf, wo fangen andere gesellschaftliche Funktionssysteme und andere Kommunikationsformen an? Ist Journalismus nur Informationsjournalismus, mit dem klaren Auftrag der Information, Meinungsbildung, Kritik und Kontrolle? Oder ist Medienunterhaltung grundsätzlich auch Journalismus? Und schließlich auch: Können Public Relations oder von Nutzern (Laien, Amateuren) produzierte Medieninhalte funktional-äquivalent - zumindest partiell - den Journalismus ersetzen? (vgl. Abb. 7.5; S. 263) Künftige Aufgaben der Journalistik Im derzeitigen dynamischen Wandel der Medienmärkte, -techniken und -produkte ist die Innovationsfähigkeit von Redaktionen und Medienunternehmen gefragt. Die Journalistik kann die Medienpraxis durch anwendungsorientierte Forschungs- und Kooperationsprojekte dabei unterstützen - mit dem Ziel der Sicherung und Weiterentwicklung des Qualitätsjournalismus (vgl. z. B. Meier 2002 b; Hohlfeld/ Meier/ Neuberger 2002; Rager/ Graf-Szczuka/ Hassemer/ Süper 2006; Kramp/ Weichert 2012). Wie können neue technische Möglichkeiten, veränderte Marktbedingungen und die sich wandelnde Mediennutzung für journalistische Angebote produktiv und kreativ genutzt werden? - Vier Beispiele aus einem insgesamt weiten Feld: • Qualitätsmonitoring: Insgesamt bleibt es zentrale (Dauer-)Aufgabe der Journalistik, auf die öffentliche Aufgabe des Journalismus zu verweisen und damit die Qualitätsdebatte zu bereichern und einen Beitrag zur Qualitätssicherung zu leisten ( → vgl. Kap. 7.1; S. 237 - 239 ). In Deutschland gibt es zwar eine Vielzahl außerredaktioneller Qualitätsinitiativen, aber es fehlt eine regelmäßige wissenschaftliche Beobachtung und Trend-Dokumentation der Journalismus-Branche. Was sind die wichtigsten Trends? Wo liegen Gefahren, wo Chancen für die journalistische Qualität? Ein Beispiel für eine kritische Begleitung des österreichischen Journalismus war das Qualitätsmonitoring, das die Journalistik an der Universität Salzburg unter dem Titel »Berichte zur Lage des Journalismus in Österreich« zwischen 1996 und 2000 betrieben hat (www.sbg.ac.at/ ipk/ abteilungen/ aak/ projekte. htm). Vorbild könnte auch das amerikanische »Project for Excellence in Journalism« sein, das von der Stiftung des Pew Research Center finanziert wird und seit 2004 jedes Jahr einen umfangreichen, unab- Beitrag zur Qualitätssicherung <?page no="266"?> D I E Z U K U N F T D E S J O U R N A L I S M U S 267 hängigen Bericht im Web veröffentlicht (www.stateofthenewsmedia.org). Ein ähnliches Projekt verfolgt das Schweizer »Observatorium Öffentlichkeit und Gesellschaft« unter Leitung von Kurt Imhof an der Universität Zürich seit 2009 - mit kontinuierlichen wissenschaftlichen Analysen, die auf einer Website (vgl. jahrbuch. foeg.uzh.ch) und in einem Jahrbuch (vgl. z. B. fög 2012) veröffentlicht werden. Die Journalistik in Deutschland könnte ein ähnliches Projekt aber nur leisten, wenn ein Finanzier gefunden wird, der langfristig Verantwortung übernimmt. • Redaktionelles Marketing: Mit Ausnahme einzelner großer Medienunternehmen, die selbst Publikumsforschung betreiben, besteht generell im Journalismus ein Bedarf, das Publikum, seine Wünsche und Interessen besser kennenzulernen ( → vgl. Kap. 3; S. 97 - 123 ). Die Journalistik kann durch eine gezielte redaktionelle Publikumsforschung dazu beitragen, dass Redaktionen alte Zielgruppen besser bedienen und neue Zielgruppen erschließen (Hohlfeld 2002). Dies könnte auch dazu führen, dass das Publikum weniger unterschätzt und unterfordert wird, und mit dem Vorurteil aufräumen, dass Auflage und Quote nur mit Boulevard und Infotainment erhöht werden können (vgl. z. B. Glotz/ Langenbucher 1969/ 1993). Neue Instrumente der Qualitätsmessung (vgl. z. B. Wyss 2006) können mit Unterstützung anwendungsorientierter Forschung und Beratung im Qualitätsmanagement eingesetzt werden. Sie könnten die Fixierung auf rein quantitative Einschaltmessungen durch eine Stärkung von »Qualitätsquoten« aufweichen (vgl. z. B. Hohlfeld 1999 b). • Formatentwicklung: Die Herausforderungen durch Digitalisierung, Konvergenz und neue Formate in Internet und mobiler Kommunikation stellt Anforderungen an den Journalismus, auf die dieser traditionell nicht eingestellt ist. Journalisten lieben die Routine: Einmal bewährte Arbeitsabläufe, Produktionsformen und inhaltliche Formate werden nicht verändert. Mit der Formatentwicklung in speziellen, ausgelagerten Entwicklungsredaktionen beschäftigten sich bislang hauptsächlich große Zeitschriftenverlage, Unterhaltungsabteilungen der Fernsehsender oder einige wenige Online-Redaktionen. Die neuen crossmedialen, multimedialen und interaktiven Formen des Story-Tellings betreffen früher oder später indes alle Redaktionen im Kern - und sie sind noch lange nicht erfunden (vgl. z. B. Meier 2002 c; Rusch 2006) - auch wenn seit Jahren Schlagworte wie «Multimediales Erzählen», «Datenjournalismus», «Newsgames» oder «Prozessjournalismus» die Runde machen und durch einzelne Beispiele mit Leben gefüllt werden. Auch für traditionelle Plattformen kann die Journalistik neue Darstellungsformen entwickeln und testen (so Publikumsforschung und »Qualitätsquoten« neue Formate entwickeln und testen <?page no="267"?> 268 A K T U E L L E D E B A T T E N D E R J O U R N A L I S T I K wurde zum Beispiel gezeigt, dass mit narrativen Fernsehnachrichten die Behaltens- und Verstehensleistung beim Zuschauer gesteigert werden kann; vgl. Machill/ Köhler/ Waldhauser 2006). Die Integration von Forschung und Lehre an Hochschulen verlangt nicht nur das Training von journalistischem Regelwissen, sondern auch kreatives und forschungsbegleitetes Testen neuer Formen und Formate. In Forschungs- und Lehrprojekten sowie in Abschlussarbeiten können in Kooperation mit Redaktionen neue Formate entwickelt und auf Tauglichkeit überprüft werden. Gerade die Hochschulen bieten hierfür kreative Freiräume, die Medienunternehmen unter permanentem Produktions- und Renditedruck nicht bieten können. Die Ergebnisse dieser anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung können wiederum über Lehrbücher, Trainings und Coachings in die Redaktionen eingebracht werden (vgl. z. B. zum Schreibcoaching Perrin 1999; Herrmann 2006). • Redaktionsorganisation und Qualitätsmanagement: Stephan Ruß-Mohl (1998: 289) hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Redakteure und Redaktionsleiter auf strategische Entscheidungen kaum vorbereitet sind, weil sie zu sehr mit dem schieren Tagesgeschäft der Nachrichtenselektion und -bewertung, der Recherche und Präsentation befasst sind. Er empfiehlt, dass die Journalistik in Sachen Organisationsstrukturen und -abläufe oder zur Personalentwicklung beratend tätig sein sollte. Verkrustete und bürokratische Redaktionsstrukturen verhindern zum Beispiel nicht selten ein flexibles Agieren, ein innovatives Angehen von Themen oder eine Integration neuer Plattformen. Stichworte für Innovationen sind hier: ressortübergreifende Themensetzung und -profilierung, Raum für Recherchejournalismus, Professionalisierung von Tätigkeiten (z. B. »reporters« und »editors«), crossmediale Newsdesks und integrierte Newsrooms ( → vgl. Kap. 4.5; S. 174 - 177 ) oder diverse Instrumente des Qualitätsmanagements ( → vgl. Kap. 7.1; S. 240 - 243 ). Die Journalistik kann Chefredakteure und Redakteure ermutigen, neue Strukturen und Formen des Qualitätsmanagements zu finden, und diese durch empirische Begleitforschung überprüfen. Am Innovationsprozess der Austria Presse Agentur (APA) in Wien 2004 bis 2006 ließ sich zum Beispiel zeigen, dass moderne Redaktionsstrukturen und Newsrooms die Schnelligkeit der Redaktion und die journalistische Qualität steigern können (vgl. Meier 2007; 2011). Auf einen dauerhaften Transfer von wissenschaftlichem Wissen in den Journalismus sind beide Seiten allerdings noch nicht optimal vorbereitet. Die Journalistik braucht eine stärkere strukturelle Ausrichtung auf Anwendungswissen und Transfer - nicht nur in Forschungs- und angewandte Forschung als Beratung <?page no="268"?> D I E Z U K U N F T D E S J O U R N A L I S M U S 269 Kooperationsprojekten und in Abschlussarbeiten, sondern auch in den Formen des wissenschaftlichen Outputs (Coachings, Workshops, Beratungen) ( → vgl. Kap. 1.3.3; S. 61 - 64 ). Der Journalismus muss so manche Scheuklappen ablegen, sich gegenüber wissenschaftlichem Anwendungswissen öffnen - am Ende aber auch akzeptieren, dass die Journalistik der sozialwissenschaftlichen Neutralität verpflichtet ist und nicht einfach für redaktionelle Zwecke instrumentalisiert werden kann (vgl. Wyss 2006; Saxer 2006). Literatur Um Innovationen im Journalismus und deren Erforschung zu recherchieren, lohnt sich immer wieder ein Blick auf die Webseiten US-amerikanischer Forschungsinstitute wie dem »J-Lab« der American University of Washington (www.j-lab.org), dem Poynter Institute in Florida (www. poynter.org) oder dem Pew Research Center’s Project for Excellence in Journalism in Washington D.C. (www.journalism.org). So brachten zum Beispiel die elf Thesen zum Citizen Journalism von Steve Outing die Herausforderungen durch Nutzerbeteiligung bereits in frühen Jahren auf den Punkt - und sind auch heute noch lehrreich. Das »J-Lab« hat auch verschiedene Modelle der Kooperation zwischen Redaktionen und Blogs untersucht und daraus Ratschläge abgeleitet (Schaffer 2012). Mit den Grenzen und »Entgrenzungen« des Journalismus hat sich Christoph Neuberger in einem übersichtlichen Beitrag befasst. Zehn Thesen zum Thema »Journalismus in der Krise« hat Klaus Meier formuliert; der Buchbeitrag ist kostenlos im Internet abrufbar. Er legt den Schwerpunkt auf aktuelle Problemlagen in den Jahren 2008 bis 2010, thematisiert aber auch allgemeine Trends. Mit dem Wandel und Innovationen im Journalismus beschäftigt sich die Studie Innovationsreport von Leif Kramp und Stephan Weichert. <?page no="269"?> 270 L I T E R A T U R E M P F E H L U N G E N (1) Solide Prognosen zur Zukunft des Journalismus beruhen auf einer Analyse zentraler Trends der vergangenen Jahre bis zur Gegenwart. Empirische Methoden sind die Auswertung von Datenreihen in der Nutzungsforschung und die wiederholte Befragung von Experten und Journalisten - zum Beispiel mit der Delphi-Methode. (2) Motive für den dynamischen Journalismuswandel liegen derzeit in technischen Innovationen (Digitalisierung, Internet) und sich ändernden ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z. B. Kommerzialisierung, Einfluss der Public Relations, Beteiligung des Publikums). Die Grenzziehung zwischen Journalismus (öffentliche Aufgabe, Fremdbeobachtung) und anderem »Content« (Interessenvertretung, Unterhaltung) wird zunehmend schwierig. (3) Die Journalistik als anwendungsorientierte Forschung und Lehre ist gefordert, die Innovationsfähigkeit von Redaktionen zu stärken - zum Beispiel durch Qualitätsmonitoring, Publikumsforschung, Formatentwicklung oder in der Optimierung von Organisationsstrukturen und Qualitätsmanagement. Zusammenfassung 1 Erklären Sie die Vor- und Nachteile der genannten empirischen Prognosemethoden. 2 Beschreiben Sie anhand des Begriffs der »Entgrenzung« zentrale Aspekte des gegenwärtigen Journalismuswandels. 3 Blättern Sie dieses Buch noch einmal durch und achten Sie dabei besonders auf Passagen, die Entwicklungen der letzten Jahre bis zur Gegenwart wiedergeben. Welche Prognosen können Sie daraus ableiten und wie lassen sich diese Prognosen begründen? 4 Lesen Sie noch einmal die Kapitel zu Journalistik und Journalismusforschung (1.1.3 und 1.3) und geben Sie nun in einer Zusammenschau mit dem Ausblick in diesem Kapitel eine Antwort auf die Frage: Was ist und zu welchem Zweck betreiben wir Journalistik? Übungsfragen zu Kapitel 7.3 <?page no="270"?> 271 Literaturempfehlungen Zur Grundausstattung eines Studiums der Journalistik gehören … … eine Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten: Dahinden, Urs/ Sturzenegger, Sabina/ Neuroni, Alessia C. (2006): Wissenschaftliches Arbeiten in der Kommunikationswissenschaft. Bern/ Stuttgart/ Wien. Eco, Umberto (2010): Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt. Heidelberg (13. Aufl.). … ein Handbuch bzw. Nachschlagewerk oder Lexikon: Weischenberg, Siegfried/ Kleinsteuber, Hans J./ Pörksen, Bernhard (Hg.) (2005): Handbuch Journalismus und Medien. Konstanz. Hans-Bredow-Institut (Hg.) (2006): Medien von A bis Z. Wiesbaden. Bentele, Günter/ Brosius, Hans-Bernd/ Jarren, Otfried (Hg.) (2012): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden (2. Aufl.). … Ratgeber- und Trainingsbücher zum praktischen Journalismus: La Roche, Walther von (2013): Einführung in den praktischen Journalismus. Mit genauer Beschreibung aller Ausbildungswege. Wiesbaden (19. neu bearb. Aufl. von Gabriele Hooffacker und Klaus Meier). Mast, Claudia (Hg.) (2012): ABC des Journalismus. Ein Handbuch. Konstanz (12. Aufl.). Ruß-Mohl, Stephan (2010): Journalismus. Das Lehr- und Handbuch. Frankfurt (2. Aufl.). … bei Interesse für den angloamerikanischen Journalismus und die internationale Journalismusforschung (z. B. zur Vorbereitung eines Auslandsstudiums): Harcup, Tony(2010): Journalism. Principles and Practice. London/ Thousand Oaks/ New Delhi (2. Aufl.). Wahl-Jorgensen, Karin/ Hanitzsch, Thomas (Hg.) (2009): The Handbook of Journalism Studies. New York, London. Franklin, Bob/ Hamer, Martin/ Hanna, Mark/ Kinsey, Marie/ Richardson, John E. (2005): Key Concepts in Journalism Studies. London/ Thousand Oaks/ New Delhi. <?page no="271"?> 272 L I T E R A T U R E M P F E H L U N G E N … Einstiegsmöglichkeiten für die Literaturrecherche: Die Virtuelle Fachbibliothek www.medien-buehne-film.de ist ein fächerübergreifendes Informationsportal und Rechercheinstrument. Der Dokumentlieferdienst der Bibliotheken mailt Aufsätze gegen ein geringes Entgelt (www.subito-doc.de). Im Karlsruher virtuellen Katalog (www.ubka.uni-karlsruhe.de/ kvk.html) kann man in Dutzenden Buch- und Bibliothekskatalogen weltweit mit einer Suchanfrage recherchieren. Folgende Fachzeitschriften sind für das Journalistik-Studium und für das Berufsfeld Journalismus relevant: Die beiden Berufsverbände für Journalisten geben die Zeitschriften J OUR - NALIST (DJV) und M - M ENSCHEN MACHEN M EDIEN (dju/ verdi) heraus. Zwei unabhängige Zeitschriften zum Berufsfeld sind das M EDIUM M AGAZIN und M ESSAGE , wobei M ESSAGE eher längere Beiträge und auch Forschungserkenntnisse der Wissenschaft präsentiert. Dem Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis hat sich das J OURNALISTIK J OURNAL des Instituts für Journalistik an der TU Dortmund verschrieben. Wissenschaftliche Fachzeitschriften speziell zum Fachgebiet Journalistik gibt es seit ein paar Jahren auf dem internationalen, aber nicht auf dem deutschsprachigen Markt: J OURNALISM (seit 2000; jou.sagepub.com) und J OURNALISM S TUDIES (seit 2000; www.informaworld.com/ rjos) widmen sich eher der Grundlagenforschung; stärker anwendungsorientiert ist J OURNALISM P RACTICE (seit 2007; www.informaworld.com/ rjop); Forschungen aus dem Bereich des Digitalen Journalismus veröffentlicht D IGITAL J OURNALISM (seit 2013; www.informaworld.com/ rdij). Deutschsprachige Veröffentlichungen zur Journalistik erscheinen häufig in den Zeitschriften P UBLIZISTIK (www.publizistik-digital.de), M EDIEN & K OMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT (www.m-und-k.nomos.de), M EDIA P ERSPEKTIVEN (www.media-perspektiven.de) sowie im Online-Journal S TUDIES IN C OMMU - NICATION | M EDIA (www.scm-nomos.de). <?page no="272"?> 273 Literaturverzeichnis Die mit [*] gekennzeichneten Aufsätze und Bücher werden in diesem Buch am Ende der Kapitel zur weiterführenden Lektüre empfohlen. Altmeppen, Klaus-Dieter (2004): Entscheidungen und Koordinationen. Theorien zur Analyse von Basiskategorien journalistischen Handelns. In: Martin Löffelholz (Hg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. Wiesbaden (2. Aufl.), 419 - 433. Altmeppen, Klaus-Dieter (2006): Medienökonomie. In: Günter Bentele/ Hans-Bernd Brosius/ Otfried Jarren (Hg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden, 180 - 181. Altmeppen, Klaus-Dieter/ Arnold, Klaus (2013): Journalistik. Grundlagen eines organisationalen Handlungsfeldes. München. [*] Altmeppen, Klaus-Dieter/ Donges, Patrick/ Engels, Kerstin (1999): Transformation im Journalismus. Journalistische Qualifikationen im privaten Rundfunk am Beispiel norddeutscher Sender. Berlin. Altmeppen, Klaus-Dieter/ Hanitzsch, Thomas/ Schlüter, Carsten (Hg.) (2007): Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation. Wiesbaden. Altmeppen, Klaus-Dieter/ Hömberg, Walter (Hg.) (2002): Journalistenausbildung für eine veränderte Medienwelt. Diagnosen, Institutionen, Projekte. Wiesbaden. Anderson, Chris (2007): The Long Tail - der lange Schwanz. Nischenprodukte statt Massenmarkt. Das Geschäft der Zukunft. München. ARD/ ZDF-Projektgruppe Mobiles Fernsehen (2007): Mobiles Fernsehen: Interessen, potenzielle Nutzungskontexte und Einstellungen der Bevölkerung. Ergebnisse einer repräsentativen Studie der ARD/ ZDF-Medienkommission. In: Media Perspektiven, Heft 1, 11 - 19. Arnold, Klaus (2009): Qualitätsjournalismus. Die Zeitung und ihr Publikum. Konstanz. Baerns, Barbara (1991): Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus? Zum Einfluss im Mediensystem. Köln (2. Aufl.). Baerns, Barbara (Hg.) (2004): Leitbilder von gestern? Zur Trennung von Werbung und Programm. Wiesbaden. Barth, Henrike/ Donsbach, Wolfgang (1992): Aktivität und Passivität von Journalisten gegenüber Public Relations. Fallstudie am Beispiel von Pressekonferenzen zu Umweltthemen. In: Publizistik, Heft 2, 151 - 165. Baum, Achim/ Langenbucher, Wolfgang R./ Pöttker, Horst/ Schicha, Christian (Hg.) (2005): Handbuch Medienselbstkontrolle. Wiesbaden. Baumert, Dieter Paul (1928/ 2013): Die Entstehung des deutschen Journalismus. Eine sozialgeschichtliche Studie. Herausgegeben und eingeleitet von Walter Hömberg. Baden-Baden. Bausinger, Hermann (1984): Alltag, Technik, Medien. In: Sprache im technischen Zeitalter, Heft 89 vom 15. März, 60 - 70. Beck, Klaus (2012): Das Mediensystem Deutschlands. 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139 , 142 , 170 , 173 , 174 , 175 , 177 , 178 , 242 , 261 , 265 , 267 , 268 Crowdsourcing 194 Cultural Studies 27 , 37 , 38 Datenjournalismus 192 , 193 , 195 , 267 DDR 73 , 139 , 146 , 226 deduktiv 40 , 42 , 44 , 45 , 47 Demokratie 15 , 16 , 31 , 37 , 39 , 67 , 71 , 80 , 85 , 90 , 91 , 95 , 120 , 121 , 129 , 131 , 133 , 144 , 146 , 190 , 192 , 207 , 208 , 219 , 233 , 238 , 244 , 251 , 259 Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 20 , 24 Digital Divide 119 Digitalisierung 126 , 171 , 178 , 261 , 264 , 267 , 270 Doku-Soaps 38 Duales Rundfunksystem 74 , 130 , 154 , 187 E-Commerce 136 Einkommen der Journalisten 214 Einschaltquote siehe Quote Entwicklungsredaktion 229 , 267 explorativ 41 , 47 Facebook 94 , 106 , 127 , 143 , 144 Fachkompetenz 228 Faktizität 14 , 192 Fallstudien 40 , 41 , 49 , 50 , 176 Falsifikation 26 , 39 Fiktion 14 , 37 , 38 , 39 , 116 , 122 , 187 , 193 , 194 , 265 Formatentwicklung 267 Fragebogen 51 , 52 , 53 Framing 203 <?page no="287"?> 288 I N D E X Frauen im Journalismus 214 Freedomhouse-Ranking 92 Gatekeeper 260 , 263 Gatekeeping 69 , 199 , 200 , 205 Geschichte siehe Journalismusgeschichte Glaubwürdigkeit (siehe auch Vertrauen) 236 Gratiszeitung 137 , 151 , 161 induktiv 40 , 49 , 50 Informantenschutz 86 , 192 , 222 , 246 , 249 Informationsfreiheitsgesetz 86 Inhaltsanalyse 40 , 48 , 56 , 58 , 62 , 65 , 87 Initiative Nachrichtenaufklärung 204 Innovation 61 , 63 , 130 , 134 , 171 , 173 , 189 , 229 , 231 , 241 , 256 , 257 , 261 , 264 , 266 , 268 , 269 , 270 Inselfrage 111 Inszenierung 38 , 182 , 185 , 187 , 265 Interaktivität 134 , 183 , 236 inverted pyramid 188 , 198 Investigativer Journalismus 82 , 186 , 192 , 193 , 195 , 196 , 208 , 221 , 223 , 234 , 246 Journalismus-Definition 14 , 16 , 17 , 211 Journalismusförderung 134 Journalismusgeschichte 71 , 72 , 74 , 146 , 154 Kommerzialisierung 115 , 132 , 145 , 259 , 270 Kommunikationsraum 87 Kommunikationswissenschaft 18 , 19 , 21 , 22 , 23 , 24 , 26 , 116 , 128 , 225 , 227 , 272 Kommunikatorforschung 19 , 20 Konstruktivismus 27 , 181 , 182 , 185 Konvergenz (siehe auch Crossmedial) 76 , 126 , 176 , 261 , 265 , 267 Konzentrationskontrolle (siehe auch Medienkonzentration) 141 , 145 Kritischer Rationalismus 26 , 39 , 41 , 42 , 183 Kronen Zeitung 161 Laborexperiment 117 Landesmedienanstalt 129 , 131 , 141 , 155 , 208 , 254 Langzeitstudie Massenkommunikation 100 , 108 , 109 , 112 , 113 Lasswell-Formel 19 , 20 Leseranwälte 250 Lokaljournalismus 62 , 78 , 79 , 104 , 111 , 137 , 140 , 155 , 174 , 175 , 176 , 192 , 194 , 195 , 197 , 262 Magisches Vieleck 234 Marktanteil 101 , 157 Media Analyse 99 , 157 , 161 Medienkonzentration (siehe auch Konzentrationskontrolle) 115 , 138 , 140 , 141 , 142 , 145 , 150 , 259 Medienlinguistik 190 Medienwissenschaft 22 , 23 , 24 , 225 , 227 meritorische Güter 132 , 133 mobile Kommunikation 74 , 126 , 127 , 128 , 134 , 159 , 173 , 256 , 261 , 267 Nachrichtenagentur 32 , 35 , 36 , 57 , 73 , 74 , 78 , 137 , 146 , 147 , 148 , 165 , 206 , 213 , 257 Nachrichtenfaktoren 15 , 183 , 200 , 201 , 205 , 265 Nationalsozialismus 73 , 83 , 146 , 226 New Journalism 193 , 195 Newsdesk 63 , 173 , 174 , 177 , 178 , 242 , 268 Newsroom 63 , 166 , 174 , 176 , 177 , 178 , 268 objective reporting 190 , 191 , 192 Objektivität 68 , 179 , 182 , 183 , 184 , 185 , 186 , 191 Öffentlichkeit 14 , 15 , 16 , 19 , 24 , 27 , 33 , 34 , 71 , 76 , 78 , 80 , 84 , 89 , 119 , 131 , 182 , 187 , 192 , 194 , 199 , 207 , 209 , 212 , 248 , 250 , 263 Online-Journalismus 59 , 69 , 74 , 143 , 158 , 159 , 177 , 215 , 234 , 267 <?page no="288"?> D I E Z U K U N F T D E S J O U R N A L I S M U S 289 Operationalisierung 45 Österreich 74 , 81 , 91 , 92 , 133 , 134 , 136 , 137 , 139 , 141 , 160 , 161 , 164 , 176 , 191 , 211 , 212 , 213 , 214 , 220 , 223 , 224 , 225 , 231 , 240 , 243 , 249 , 252 , 259 , 260 , 266 Österreich, Nachrichtenagentur 63 Page Impressions 101 partizipativer Journalismus 127 , 143 , 192 , 194 , 262 , 269 Periodizität 76 Presseförderung 133 Pressefreiheit 17 , 72 , 73 , 77 , 78 , 80 , 82 , 84 , 85 , 86 , 90 , 91 , 93 , 95 , 127 , 244 , 248 , 251 , 254 Pressekodex 16 , 250 , 251 , 252 , 254 , 255 Presserat 17 , 18 , 239 , 242 , 250 , 251 , 252 , 253 , 254 , 255 Priming 118 , 122 Professionalisierung 59 , 213 , 226 , 240 , 260 , 268 Prognose 25 , 28 , 201 , 255 , 256 , 258 , 259 , 270 Prozessjournalismus 262 Public Journalism 194 , 195 , 219 Public Relations 22 , 56 , 151 , 182 , 184 , 191 , 199 , 200 , 205 , 208 , 209 , 212 , 235 , 250 , 260 , 263 , 264 , 270 Public Service 88 , 90 Publikumsbindung 106 Publizistik 18 , 19 , 21 , 22 , 23 , 24 , 26 , 27 , 31 , 116 , 128 , 189 , 218 , 225 , 227 Publizistische Einheit 46 , 139 , 147 , 148 , 149 , 150 Publizität 76 Qualitätsforschung 103 , 237 , 238 , 239 , 266 , 269 Qualitätsmanagement 103 , 172 , 229 , 230 , 233 , 240 , 241 , 243 , 268 , 270 Quote 67 , 69 , 99 , 100 , 101 , 102 , 103 , 105 , 130 , 238 , 267 ReaderScan 102 Redaktion 166 Redaktionelles Marketing 106 , 108 , 230 , 267 Redaktionsforschung 54 , 55 , 63 , 172 , 198 Redaktionskonferenz 170 , 236 , 239 , 241 Redaktionsorganisation 63 , 165 , 169 , 173 , 178 , 230 , 268 Redaktionssystem 171 , 172 , 178 , 230 Reeducation 82 Reichweite 62 , 91 , 98 , 99 , 100 , 101 , 102 , 103 , 105 , 107 , 110 , 111 , 114 , 129 , 137 , 143 , 147 , 150 , 159 , 160 , 161 , 164 Relevanz 14 , 75 , 183 , 235 , 236 , 243 Reliabilität 46 , 48 , 64 Religion 29 , 34 , 35 , 36 , 167 , 215 , 253 , 257 Repräsentativität 46 , 48 Ressort 35 , 36 , 54 , 63 , 77 , 78 , 166 , 167 , 168 , 169 , 170 , 173 , 174 , 176 , 195 , 202 , 230 , 265 Riepl’sches Gesetz 79 , 83 , 109 Risikokommunikation 120 Rollenselbstverständnis 190 , 218 , 219 , 220 , 221 , 223 Rundfunkgebühren 130 , 131 , 133 Rundfunkräte 130 , 131 , 133 , 239 , 253 Rundfunkstaatsvertrag 153 , 156 Sachkompetenz 228 Schleichwerbung 87 , 187 , 208 , 250 , 253 , 259 Schweigespirale 118 , 119 , 182 Schweiz 72 , 73 , 91 , 92 , 98 , 102 , 103 , 137 , 147 , 160 , 163 , 164 , 177 , 191 , 211 , 212 , 213 , 214 , 219 , 220 , 223 , 224 , 225 , 231 , 233 , 238 , 240 , 241 , 243 , 251 , 259 , 260 , 267 Selbstkontrolle 17 , 89 , 91 , 239 , 250 , 251 , 253 , 254 , 255 Shoppingkanäle 136 Sinus Milieus 104 Skandal 37 , 120 , 121 , 123 , 197 , 245 , 251 , 262 <?page no="289"?> 290 I N D E X Social Software 127 Sonntagsausgaben 151 soziale Netzwerke 20 , 97 , 106 , 107 , 127 , 144 , 175 , 229 , 230 , 236 , 242 , 262 Spiegel-Urteil 84 , 85 , 86 Sponsoring 136 Systemtheorie 29 , 36 , 38 , 248 Tabloid 150 Total Quality Management 239 , 240 Transparenz 15 , 16 , 17 , 34 , 47 , 106 , 183 , 194 , 235 , 236 , 240 , 243 , 244 , 253 Trendsetter 256 Triangulation 48 Twitter 59 , 94 , 106 , 127 , 144 , 236 Unique User 101 Universalität 76 Unternehmenskommunikation 15 , 210 User Generated Content 127 Validität 45 , 48 , 64 Vertrauen 15 , 59 , 94 , 95 , 121 , 235 , 236 vierte Macht 16 Vollredaktion 150 Volontariat 18 , 225 , 226 , 227 , 228 , 230 , 239 Watchdog 17 , 192 , 239 Web 2.0 59 , 106 , 143 , 144 , 145 , 172 , 258 , 262 Weblogs (siehe Blogs) W-Fragen 183 Whistleblowers 192 , 246 Wikipedia 127 , 172 Wissenschaftsjournalismus 42 , 43 , 45 , 77 , 197 , 229 , 231 , 238 Wissenschaftstheorie 26 , 39 , 41 Wissenskluft 119 Wissensmanagement 172 Wochenzeitungen 151 Zeitungskooperation 150 Zeitungswissenschaft 23 Zielgruppe 14 , 31 , 68 , 104 , 106 , 152 , 157 , 165 , 173 , 183 , 196 , 207 , 221 , 228 , 229 , 230 , 234 , 242 , 260 , 267