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Mediensysteme im internationalen Vergleich

0717
2013
978-3-8385-3932-4
UTB 

Das in zweiter Auflage überarbeitete Lehrbuch führt konsistent und verständlich in Theorie, Methodik und Gegenstandsbereiche der international vergleichenden Mediensystemforschung ein. Es macht mit deren Fragestellungen vertraut und arbeitet die für den Vergleich relevanten Strukturelemente heraus. Der Forschungsbereich wird einerseits inhaltlich, d. h. durch ausgewählte Themenstellungen (z. B. Kommunikationspolitik, Medienkonzentration), und andererseits räumlich, d. h. durch bedeutende Länder und Weltregionen, erschlossen. Mit zahlreichen weiterführenden Literaturhinweisen, Übungsfragen und Lösungen sowie einem Glossar.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Barbara Thomaß (Hrsg.) Mediensysteme im internationalen Vergleich 2., überarbeitete Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> Barbara Thomaß ist Professorin am Institut für Medienwissenschaft der Universität Bochum. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Dort finden sich auch kostenlose digitale Zusatzmaterialien zum Buch: ein Glossar sowie die Lösungen zu den Übungsfragen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2013 Einbandgestaltung und -illustration: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: Dagny Körber, Bochum Korrektorat: Katrina Weißer, Konstanz Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 2831 ISBN 978-3-8252-3932-9 <?page no="4"?> 5 Inhalt 1 Einführung.......................................................................................................... 7 (Barbara Thomaß) 2 Mediensysteme vergleichen......................................................................... 12 (Barbara Thomaß) 2.1 Begriffsdefinitionen: Systeme - Medien - Mediensysteme ............. 12 2.2 Bestandteile und prägende Faktoren der Mediensysteme ................ 20 2.3 Die Methode des Vergleichs ................................................................. 27 2.4 Klassifikationen als Ergebnisse des Mediensystemvergleichs ......... 36 2.5 Globalisierung der Mediensysteme ...................................................... 39 3 Ausgewählte Themen des Vergleichs von Mediensystemen ..................................................................................... 46 3.1 Kommunikationspolitik......................................................................... 46 (Barbara Thomaß) 3.2 Politische Kommunikation ................................................................... 64 (Barbara Pfetsch/ Eva Mayerhöffer/ Silke Adam) 3.3 Public Service Broadcasting .................................................................. 81 (Barbara Thomaß) 3.4 Pressesysteme .......................................................................................... 99 (Markus Behmer) 3.5 Unterhaltungsformate im Fernsehen ................................................ 117 (Gerd Hallenberger) 3.6 Medienkonzentration ........................................................................... 135 (Manfred Knoche) 3.7 Medienrezeption ................................................................................... 161 (Uwe Hasebrink) 3.8 Journalismuskulturen ........................................................................... 183 (Thomas Hanitzsch) 3.9 Das Gendering internationaler Mediensysteme............................... 199 (Elisabeth Klaus/ Margreth Lünenborg) <?page no="5"?> 6 4 Weltregionen im Vergleich ........................................................................ 220 4.1 Westeuropa ............................................................................................ 220 (Barbara Thomaß) 4.2 Osteuropa .............................................................................................. 239 (Indira Dupuis/ Barbara Thomaß) 4.3 Nordamerika ......................................................................................... 257 (Hans J. Kleinsteuber) 4.4 Lateinamerika ........................................................................................ 271 (Annette Massmann/ Laura Schneider) 4.5 Arabische Welt...................................................................................... 294 (Carola Richter/ Asiem El Difraoui/ Oliver Hahn/ Zahi Alawi) 4.6 Asien ....................................................................................................... 321 (Vinzenz Hediger) 4.7 Afrika (südlich der Sahara) .................................................................. 340 (Stefan Brüne) 5 Ausblick: Desiderata und offene Forschungsfragen .......................... 354 (Barbara Thomaß) Autorinnen und Autoren ..................................................................................... 367 Index ....................................................................................................................... 373 <?page no="6"?> 7 B ARBARA T HOMAß 1 Einführung Dieses Lehrbuch erscheint sechs Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung in zweiter Auflage. International vergleichende Perspektiven haben Verbreitung in den Curricula und Lehrinhalten gefunden, und auch viele Abschluss- und Doktorarbeiten innerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaft werden mittlerweile mit einer vergleichenden Fragestellung geschrieben. Und in der Forschungslandschaft sind große Fortschritte in der komparativen Erkenntnisgewinnung erzielt worden. Das alles waren gute Gründe, die Autorinnen und Autoren der Erstauflage zu bitten, ihren Beitrag auf einen neuen Stand zu bringen. Ihnen allen sei dafür gedankt, dass sie ihr Wissen wieder für die Studierenden der Fächer Publizistik-, Kommunikations- und Medienwissenschaft aufbereitet haben. Wer solche Fächer studiert, beschäftigt sich mit der durch Medien vermittelten öffentlichen Kommunikation und betrachtet damit Produktions- und Rezeptionsprozesse im Bereich der Medien. Diese Prozesse erfolgen innerhalb des Mediensystems. Mediensysteme werden durch die Institutionen und ihre Struktur konstituiert, sie werden durch Medienökonomie, -politik, -recht, und -technik gestaltet; in ihnen sind Kommunikatoren tätig, die Output, d.h. Inhalte produzieren. Mediensysteme haben ihre Auswirkungen auf die Herausbildung von Identitäten, sie prägen Umweltwahrnehmung von Rezipienten, die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen, die politische Kommunikation und Öffentlichkeit. Mediensysteme sind eingebettet in ihre gesellschaftliche Umwelt, die immer auch die kulturelle und national geprägte Umwelt ist. Mediensysteme lassen sich zunächst am besten im Rahmen territorialer Grenzen, so wie sie durch Staaten gegeben sind, betrachten. Und somit unterscheiden sich Mediensysteme der verschiedenen Länder auch deutlich voneinander. Dies wirft viele Fragen auf: Warum unterscheiden sich Mediensysteme? Worin unterscheiden sie sich? Welche Folgewirkungen haben diese Unterschiede für Medienrezipienten oder für ganze Gesellschaften? Aufgrund welcher Dynamiken entwickeln und verändern sich Mediensysteme? Dies sind Fragen, die mit der Forschung zum Mediensystemvergleich beantwortet werden sollen. Die international vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung hat in den letzten Jahren einen erheblichen Aufschwung genommen. Zahlreich sind die Einzeldarstellungen aus den Ländern und Regionen der Welt. Dieser Auf- <?page no="7"?> Einführung 8 schwung ist berechtigt. Die mit dem Stichwort der Globalisierung bezeichneten Veränderungen und Prozesse haben auch die nationalen Mediensysteme erfasst. Längst werden wichtige medienpolitische und kommunikationstheoretische Fragen länderübergreifend gestellt, erforscht und auch Versuche unternommen, sie praktisch zu lösen. Man denke nur an die Felder der EU-Medienpolitik, an die internationale Kommunikationspolitik z.B. der UNESCO und an die Versuche, das Internet weltweit zu regulieren. Andererseits werden noch die meisten richtungsweisenden Bedingungen zur rechtlichen Ausgestaltung der Mediensysteme auf nationaler Ebene entschieden. Die Kenntnisse über die ökonomischen, rechtlichen, politischen, kulturellen und technischen Voraussetzungen eines Mediensystems müssen also das jeweils eigene wie das anderer Länder umfassen, um ein Verständnis der globalen Bedingungen zu begründen. Entsprechende Fragestellungen haben zunehmend Eingang in die Curricula und Lehrveranstaltungen der verschiedenen medien- und kommunikationswissenschaftlichen Studiengänge gefunden. Das Lehrangebot auf dem Gebiet der internationalen Kommunikation und des Vergleichs von Mediensystemen wird verstärkt. Diese Entwicklung wird sich auch künftig im Rahmen der Internationalisierung der Studiengänge, der Integration Europas und der weiteren Globalisierung der Medien fortsetzen. Dieses Lehrbuch soll in konsistenter und verständlicher Form eine Einführung in die Theorie, Methodik und Gegenstandsbereiche der international vergleichenden Mediensystemforschung geben und dabei grundlegende Kenntnisse über verschiedene Mediensysteme liefern. Es führt auf sozialwissenschaftlicher Grundlage in die Theorie, Methodik und das Leistungsvermögen komparativ angelegter Forschung ein. Da ein Vergleich überall dort gegeben ist, wo sich unterschiedliche Kulturen begegnen, ist der Vergleich eine der zentralen Metamethoden der Sozialwissenschaft und somit auch konstitutiv für die Medien- und Kommunikationswissenschaft. Das Lehrbuch macht darüber hinaus mit den Gegenstandsbereichen der international vergleichenden Mediensystemforschung vertraut und arbeitet die vergleichsrelevanten Strukturelemente heraus. Damit führt es hin zur Kategorienbildung, zu Differenzen und zur Relevanz der Gegenstandsbereiche für den Mediensystemvergleich. Es führt in ausgewählte Themenstellungen des Mediensystemvergleichs ein und vermittelt Kenntnisse zu diesen Themenstellungen ebenso wie zu Mediensystemen bedeutender Länder und Weltregionen. Ziel des Lehrbuches »Mediensysteme im Vergleich« soll sein, Kenntnisse der Strukturen und Differenzen internationaler Mediensysteme zu vermitteln, ein grundlegendes Verständnis von politischen, ökonomischen, technischen und rechtlichen Prozessen und ihren Interdependenzen zu wecken, die Mediensys- <?page no="8"?> Einführung 9 teme konstituieren, sowie das Problembewusstsein für die gesellschaftliche Dimension von Medien zu sensibilisieren. Um sich diesem Ziel anzunähern, werden zunächst die Grundlagen für das Verständnis vergleichender Mediensystemforschung gelegt. In Kapitel 2 wird geklärt, womit sich dieser Teilbereich der Kommunikationsforschung beschäftigt. Kapitel 3 widmet sich einzelnen Gegenständen, die in einem weit gefassten Verständnis als Bestandteil von vergleichender Mediensystemforschung gelten können. Hat sich diese bislang auf die Entwicklung von Typologien von Mediensystemen auf der Basis einer Kategorienbildung auf hohem Abstraktionsniveau konzentriert, so ist bei einem vertiefenden Studium der Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Mediensystemen davon auszugehen, dass differenziertere Beobachtungen für Teilgebiete des Mediensystems notwendig sind. Die einzelnen Abschnitte dieses Kapitels liefern so ausgewählte Beispiele dafür, wie sich einzelne Teilaspekte vergleichender Mediensystemforschung ausdifferenzieren lassen. Sie geben einen Einblick darin, welcher Forschungsstand aufgrund welcher Entwicklungslinien erreicht wurde, welche Problemlagen und Perspektiven sich für den jeweiligen Gegenstand auftun und welche Herausforderungen sich für eine einschlägige weiterführende vergleichende Forschung stellen. In Kapitel 4 werden die Mediensysteme der einzelnen Weltregionen vorgestellt. Diese Beiträge sind ihrerseits schon Darstellungen, die auf einem doppelten vergleichenden Blick beruhen: Zum einen wird durch den Vergleich in der jeweiligen Weltregion - sofern das möglich ist - herausgearbeitet, welche Spezifika zu beobachten sind. Diese Betrachtungsweise muss notwendigerweise eine Fülle von Einzelaspekten und Bedingungen in den den Regionen zugehörigen Ländern außer Acht lassen. Die Mediensysteme in den Ländern der einzelnen Weltregionen sind trotz erkennbarer Gemeinsamkeiten unterschiedlich entwickelt. Die zusammenfassende Querschnittsperspektive muss wegen der Vielzahl an Ländern (Ausnahme: Nordamerika) lediglich ordnend, schematisch vereinfacht und selektiv-kursorisch sein. Zum anderen bedeutet eine solche zusammenfassend-vergleichende Betrachtung auch immer, dass implizit ein Vergleich zu den Gegebenheiten im eigenen Land gezogen wird. Mit dem Blick auf das jeweils Andere werden die Besonderheiten und Eigenarten der vertrauten Verhältnisse deutlich. Mit Ausnahme von Ozeanien und Australien sind alle Weltregionen berücksichtigt. Im abschließenden Kapitel 5 wird aufgrund der Hinweise, die sich aus den einzelnen Kapiteln ergeben, ein Ausblick auf künftige vergleichende Mediensystemforschung gegeben: Welche Desiderate und offene Forschungsfragen stellen sich? Mit einem Sachregister lässt sich dieses Lehrbuch gezielt auf einzelne Begriffe hin erschließen; ein Glossar und eine Zusammenstellung der Lösungen zu den in den Kapiteln gestellten Übungsfragen sind auf den Verlagswebseiten <?page no="9"?> Einführung 10 unter www.utb.de und www.uvk.de einsehbar. Das Lehrbuch ist sowohl zum systematischen Durcharbeiten als auch für die Bearbeitung einzelner Aspekte geeignet. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Lehrbuch nur die übliche maskuline Form verwendet, um auf männliche und weibliche Medienproduzenten, Mediennutzer usw. Bezug zu nehmen. Differenziert wird lediglich dort, wo die relevanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern behandelt werden. Bei der Fülle an Themen und Regionen, die behandelt werden, ist nicht davon auszugehen, dass ihre Kenntnis allein bei einer Person zu finden wäre. Zu reichhaltig ist das Faktenmaterial, das es zu sichten gilt; zu vielfältig sind die Gegebenheiten, als dass ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin allein diese »Weltvergleiche« liefern kann. Und vielfach haben Forscher, die für eine Thematik hoch spezialisiert sind, (noch) nicht die vergleichende Perspektive eingenommen. Deshalb wurden viele Autorinnen und Autoren für die Beiträge zu diesem Lehrbuch gewonnen. Naturgemäß unterscheiden sie sich in Stil und Annäherungsweise an ihr Forschungsgebiet - sei es territorialer oder inhaltlicher Natur. Und sowohl die Weltregionen als auch die Vergleichsgegenstände unterscheiden sich so sehr, dass sie nicht in ein gemeinsames Gliederungsraster, wie man es vielleicht von einem Lehrbuch erwarten würde, gepresst werden können. Deshalb wurden für den vorliegenden Band den Autoren der gegenstandsbezogenen und der regionenbezogenen Kapitel gleiche Fragestellungen aufgegeben. Die Schwerpunkte darin haben sie allerdings nach Maßgabe ihres Themas gewählt. Nicht für alle Regionen liegen Fakten und Studien gleicher Breite oder Tiefe vor; die jeweiligen Charakteristika erforderten ein flexibles Umgehen mit den Vorgaben, das von der Herausgeberin durchaus erwünscht war. Und zudem ist von jedem, der zu diesem Lehrbuch beigetragen hat, gefordert worden, sich im Umfang seiner Darstellungen außerordentlich zu beschränken. Dabei werden aufmerksamen Leserinnen und Lesern (und erst recht den in vergleichender Betrachtung erfahrenen) Lücken auffallen. Sie mögen den Autoren verziehen und der Herausgeberin angelastet werden, die den Mitwirkenden den »Mut zur Lücke« abverlangt hat, den eine solche vergleichende Betrachtung großer Regionen und komplexer Gegenstände erfordert. Insofern soll dieses Lehrbuch Einblick geben in die Werkstatt vergleichender kommunikations- und medienwissenschaftlicher Forschung - wohl wissend, wie unerschöpflich das Erkenntnisreservoir ist, das dieser Forschungszweig bietet. Wenn die Leser dieses Buches am Ende ein vertieftes Verständnis davon gewonnen haben, welche Vielfalt und Komplexität sich durch vergleichende Forschung erschließt und welche Lust der Erkenntnis das Entdecken dieser Mannigfaltigkeit bereitet, dann hat es sein tieferes Ziel erreicht. Wenn es darüber hinaus Forschungen anregt, die über das bisher Erreichte hinausgehen, es anrei- <?page no="10"?> Einführung 11 chern und ergänzen, in Frage stellen und vollkommen Neues entdecken, dann freut es die Herausgeberin umso mehr. Denn eines ist auffällig bei der Sichtung der Studien innerhalb der vergleichenden Kommunikations- und Medienforschung: Eine Vielzahl von solchen Studien sind von jungen und Nachwuchswissenschaftlerinnen erstellt worden, die in den vergangenen Jahren stark gewachsenen Möglichkeiten zu internationalen Studienaufenthalten genutzt haben. Mittlerweile liegen schon viele interessante Abschlussarbeiten von Studierenden vor, die eine vergleichende Perspektive einnehmen. Das ist nicht verwunderlich. Denn ein Großteil der Studierenden nimmt im Laufe des Studiums Auslandsaufenthalte wahr, und der Anteil der Studierenden aus anderen Ländern an deutschen Universitäten nimmt zu. So liegt eine vergleichende Fragestellung für eine Studienabschlussarbeit schon lange nicht mehr außerhalb der Möglichkeiten Nichtgraduierter. Insofern will dieses Lehrbuch nicht nur Achtung vor den Leistungen vergleichender Forschung vermitteln, sondern sie zugleich aus einer möglichen Ferne - der Vorstellung, sie sei nur mit einem ausgesprochenen Reichtum an Ressourcen, vielen Forschern und viel Geld zu leisten - in eine Nähe der Machbarkeit rücken. Denn auch dies ist nicht zu verhehlen: Forschung soll (auch) Freude machen. Und wen der kulturelle Reichtum dieser Welt zu Entdeckungen anregt - meist auf privaten Reisen -, warum soll der diese Entdeckungen nicht mit seinem Lern- und Studienprozess verknüpfen? Den Reiz und den Reichtum vergleichender Medien- und Kommunikationsforschung habe ich durch meinen Doktorvater, Mentor und Freund Hans J. Kleinsteuber kennengelernt, wofür ich ihm unendlich dankbar bin. Er ist in diesem Lehrbuch mit einem wichtigen Kapitel vertreten. Im Februar 2012 ist er verstorben. Aus Respekt vor seinem Werk und weil seine Beiträge von ungebrochener Aktualität sind, habe ich auf eine Überarbeitung verzichtet. Ihm widme ich dieses Buch. Barbara Thomaß, im Mai 2013 <?page no="11"?> 12 B ARBARA T HOMAß 2 Mediensysteme vergleichen In diesem Kapitel werden die Grundlagen für das Verständnis vergleichender Mediensystemforschung gelegt. Zunächst wird geklärt, womit sich dieser Teilbereich der Kommunikationsforschung beschäftigt. Zu den Begriffen System, Medien und Mediensystem wird das hier zugrunde liegende Verständnis dargelegt. Sodann wird erläutert, welche Bestandteile unter einem Mediensystem zu fassen und zu analysieren sind und welche prägenden Faktoren diese Bestandteile formen. Die Methode des Vergleichs wird in einem weiteren Abschnitt erläutert, ohne dass dieser Abschnitt die Lektüre eines einschlägigen Lehrbuches ersetzen kann. Vielmehr wird erläutert, wie sich bekanntes empirisches kommunikationswissenschaftliches Vorgehen mit der vergleichenden Methode verbindet. Die wichtigsten Theorien und Modelle des Mediensystemvergleichs behandelt der nächste Abschnitt. Abschließend wird diskutiert, inwieweit es angesichts der Globalisierung von Medienproduktion und -rezeption noch legitim ist, Mediensystemvergleiche auf der Basis von nationalen Einzelbetrachtungen vorzunehmen. 2.1 Begriffsdefinitionen: Systeme - Medien - Mediensysteme In der Kommunikations- und Mediewissenschaft hat sich der Begriff des Mediensystems etabliert. Medien und System sind geläufige Begriffe - ist also auch das Kompositum plausibel? Der Systembegriff scheint ohne Weiteres verständlich zu sein, er hat aber auch eine eindeutig zuzuordnende theoretische Provenienz. Beides soll zunächst erläutert werden: Auch der hier verwendete Begriff des Mediums soll eingegrenzt werden, um sodann den Mediensystembegriff herauszuarbeiten, der diesem Lehrbuch zugrunde liegt. <?page no="12"?> Begriffsdefinitionen 13 Systeme Zunächst ist ein System (griechisch-lateinisch »Zusammenstellung«) nichts anderes als ein aus grundlegenden Einzelelementen zusammengestelltes Ganzes, wobei die Einzelelemente in bestimmten Beziehungen zueinander stehen. Eine unbestimmte Anzahl von Objekten samt ihrer Wechselwirkungen kann durch eine plausible Abgrenzung von ihrer Umgebung (d.h. der komplexen Realität) zu einer Gesamtheit zusammengefasst werden. Systeme sind also aus Teilen (Systemkomponenten oder Subsystemen) zusammengesetzt, die untereinander in verschiedenen Beziehungen stehen können. Systemteile, die nicht weiter zerlegbar sind oder zerlegt werden sollen, werden als Systemelemente bezeichnet. Die Teile eines Systems, die Relation und Struktur dieser Teile, seine Identität und die Grenzziehung des Systems sind also für die Analyse von Systemen von Interesse. Als Systeme kennen wir als allumfassendstes System das Sonnensystem, in der menschlichen Umwelt dann Maschinen, Organismen, psychische Systeme und soziale Systeme. Das Kennzeichnende für psychische und soziale Systeme ist, dass sie Sinn verarbeiten (im Unterschied zu Maschinen und niederen Organismen). Soziale Systeme sind z.B. ein Seminar an der Universität, eine Universität oder das Bildungssystem eines gegebenen Landes. Systeme generell - also auch Sozialsysteme - lassen sich wie eine russische Matrjoschka betrachten: jene Holzpuppen, die in einer größeren, beide wiederum in einer noch größeren stecken usf. Subsysteme sind in kleinere Subsysteme gegliedert und sind in größeren integriert. Um beim genannten Beispiel zu bleiben: Die Bedingungen eines Universitätsseminars hängen von der Organisation der gesamten Universität ab, diese wiederum wird durch das Bildungssystem beeinflusst, und auch hier können wir einen supranationalen Einfluss feststellen - man denke nur an die Bologna-Erklärung, die auf europäischer Ebene die Einführung von Bachelor- Studiengängen vorsah, welche vom Bundeswissenschaftsministerium und den einzelnen Landesministerien umgesetzt wurde, weshalb eine Universität solche Studiengänge einführte mit dem Effekt, dass Seminare nun als Module gestaltet wurden, für die credit points zu erwerben sind. Wenn von Subsystemen in der Gesellschaft die Rede ist, ist auch der Begriff des Funktionssystems relevant, weil diese Systeme notwendige Leistungen für das Funktionieren einer Gesellschaft erbringen. Das schon genannte Bildungssystem - zu dem als weitere Subsysteme die Schule, die vorschulische Erzie- <?page no="13"?> Mediensysteme vergleichen 14 hung, die Erwachsenenbildung etc. gehören - ist ein Beispiel, weitere sind das Rechtswesen, die Wirtschaft oder eben auch die Massenmedien bzw. das Mediensystem. Der Systembegriff verweist aber auch auf die Systemtheorie, deren bekannteste Vertreter Talcott Parsons und Niklas Luhmann sind. Die allgemeine Systemtheorie geht auf Ludwig von Bertalanaffy zurück, der sie mit einem interdisziplinären Anspruch entwickelt hat. Sie betrachtet die Wirkweise des Zusammenhanges einzelner Phänomene, ihre Eigenlogik, mit der sie auf Umweltveränderungen reagieren, die kausalen Zusammenhänge in den Wirkungsbeziehungen und ihre Abhängigkeiten. Danach ist die Organisationsform der komplexen Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Elementen zu erklären, für die gilt, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Mit einer systemischen Betrachtung wird also der Blick über das Einzelphänomen hinaus geweitet. Das Besondere an Systemen ist, dass sich Veränderungen in ihnen nicht durch die Beziehungen zwischen ihren Einzelphänomenen mittels einfacher Ursache-Wirkung-Schemata erklären lassen, sondern dass Systeme mit einer komplexen Eigenlogik auf die jeweiligen Umwelteinflüsse reagieren (Kneer/ Nassehi 1997). Parsons Leistung ist es gewesen, diese Erkenntnisse auch auf soziale Systeme zu übertragen und zu analysieren, welche Prozesse ablaufen müssen, damit die Stabilität eines Systems und seiner Strukturen erhalten bleibt. Diese bei Parsons als Funktionen gefassten sozialen Prozesse können verschiedene Wirkungen haben - erwünschte wie unerwünschte, beabsichtigte wie unbeabsichtigte. Wendet man diese Betrachtungsweise auf Medien an, so lassen sich offensichtliche Beispiele finden: Medien erbringen Funktionen für die Gesellschaft, die funktional (z.B. Informationsangebote) wie dysfunktional sein können (z.B. Gewaltdarstellungen), beabsichtigt (z.B. Unterhaltungsfunktion) wie unbeabsichtigt (z.B. Hamsterkäufe bei Knappheitsmeldungen bestimmter Güter). Luhmann war weniger an der Frage des Systemerhaltes interessiert als daran, welche Funktion die Bildung von Systemen hat (Luhmann 1984). In seiner theoretischen Perspektive werden spezialisierte soziale Einheiten als Systeme aufgefasst, die sich für die Lösung spezieller Aufgaben herausgebildet haben und die Lösungen für gesellschaftliche Probleme bereitstellen. Sie unterscheiden sich von anderen Systemen und von ihrer Systemumwelt durch ihre Art der Problemlösung, durch ihre Funktionen und Leistungen sowie durch die Codes, die sie dafür herausgebildet haben. Allerdings sind Systeme, wie sie in der Systemtheorie Luhmanns konzipiert werden, der empirischen Analyse kaum zugänglich <?page no="14"?> Begriffsdefinitionen 15 - der systemtheoretische Theoriebest and und Begriffsapparat eignet sich vor allem für eine stark abstrahierende theoretische Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse. Zudem hat es sich als problematisch herausgestellt, Systeme - auch Mediensysteme -, wie es Luhmann tat, als autonom zu charakterisieren. So ist diese Betrachtungsweise zunehmend in die Kritik geraten, da in ihrem Rahmen Akteure, ihre Interessen und ihr Handeln nicht erfasst werden können. Die Systemtheoretiker haben dem Nachdenken und der Forschung über Mediensysteme wertvolle Impulse geliefert. Doch nicht jeder Autor, jeder Vortragende, der von Mediensystemen spricht, bezieht sich auch auf den genannten theoretischen Rahmen und folgt den dort gemachten theoretischen Annahmen. Dies soll auch hier nicht geschehen. Für den Vergleich von Mediensys temen ist es zunächst ausreichend, das Mediensystem als etwas Zusammengeset ztes mit komplexen Strukturen und Entwicklungslogiken zu begreifen. Der hier zugrunde gelegte Systembegriff ist ein pragmatischer, der an die Systemtheorie angelehnt ist, ohne jedoch allen ihren Definitionen und Unterscheidungen zu entsprechen. Damit werden die zentralen Charakteristika von Struktur und Organisation übernommen, die ein System als einen Komplex von Organisationen beschreiben, also als soziale Gebilde, die für bestimmte Zwecke auf relative Dauer mit zielgerichtetem und arbeitsteiligem Handeln und mit ähnlichen Aufgaben ausgerichtet sind. Entscheidend für die weiteren Überlegungen ist, dass soziale Systeme raumzeitlich verfestigte Interaktionsmuster sind, die - und das ist für die Erfassung und die Darstellung von Medien und Mediensystemen relevant - empirisch analysiert werden können und die fließende Grenzen zu ihrer Umwelt haben (Jarren 2001: 146). Medien Hier ist nun eine Eingrenzung des Medienbegriffes notwendig, um darzulegen, aus welchen Elementen das Mediensystem zusammengesetzt ist. Zunächst werden mit dem Medienbegriff alle gegenwärtigen und vergangenen Formen der Kommunikation umfasst (Spangenberg 2002: 85). Dieser Begriff wäre allerdings so allgemein gehalten, dass er schwerlich für eine analytische Fassung des Gegenstandes geeignet wäre, denn man müsste so unterschiedliche Dinge wie die Runenschrift der Wikinger mit dem komplexen Gebilde der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) samt ihrer Organisation aus <?page no="15"?> Mediensysteme vergleichen 16 neun Landesrundfunkanstalten, ihrem Programmangebot und ihren Sendemasten etc. auf eine Ebene stellen. Wenn wir Mediensysteme vergleichen, brauchen wir umso mehr einen mehrdimensionalen Medienbegriff, der den unterschiedlichen Gegebenheiten in verschiedenen Ländern gerecht werden will; denn sicherlich haben - nehmen wir eine Perspektive vom Nutzen und Wirken gesellschaftlicher Kommunikation ein - eine Internetplattform in China, die versucht, Dissidenten eine Stimme zu geben, und eine Dokumentarsendung im Ersten Programm zu später Stunden über Korruptionsskandale in Deutschland in ihrer gesellschaftlichen Kommunikationsfunktion eine ähnliche Bedeutung - auch wenn sich Sprache, Darstellungsmodus, die Organisation, die sich hinter diesem Angebot verbirgt, die Zugänglichkeit und vieles mehr deutlich unterscheiden. Die Vielschichtigkeit der Phänomene, die mit dem Medienbegriff verbunden sind, hat zu einer Fülle von Definitionen geführt, und es ist, wie bei jeder wissenschaftlichen Begriffsdefinition, zu berücksichtigen, welchem Erkenntnisinteresse bzw. welcher übergeordneten Fragestellung eine Definition zu dienen hat. Das Medium als Mittel, als Träger oder als Vermittlungsinstanz ist da nur der Ausgangspunkt. Auch die Physik kennt Medien, wie z.B. Luft oder Wasser. In den Geistes- und Sozialwissenschaften wird hingegen mit einem symbolischen Medienbegriff gearbeitet. Da es sich bei der Untersuchung von Mediensystemen verschiedener Länder und Gesellschaften darum handelt, der Funktion gesellschaftlicher Kommunikation mittels Medien auf die Spur zu kommen, muss sich dieser Bezug auch im Begriffskonzept widerspiegeln. Die Mittel der Kommunikation in einer Gesellschaft, also die Kommunikationsmedien, haben sich im Verlauf der geschichtlichen Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems geändert. Waren es zunächst nur die Sprache, dann die Schrift, im antiken Griechenland das Theater, im späten Mittelalter Flugschriften, die der gesellschaftlichen Kommunikation dienten, so wurde mit Beginn des 20. Jahrhunderts angesichts massenhafter Produktion von Inhalten, die mittels Kommunikationsmedien verbreitet wurden, die Grundlage für den Begriff von den Massenmedien gelegt. Zur Presse, als erstem dominanten Massenmedium, kamen Radio und Fernsehen hinzu, und für alle drei galt: »Unter Massenkommunikation verstehen wir jene Form der Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich (d.h. ohne begrenzte und personell definierte Empfängerschaft), indirekt (d.h. bei räumlicher oder zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern) und einseitig (d.h. ohne Rollenwechsel zwischen den Aussagenden und den Aufnehmenden), <?page no="16"?> Begriffsdefinitionen 17 durch technische Verbreitungsmittel (sog. ›Massenmedien‹) an ein disperses Publikum (einzelne Individuen, aber auch kleine Gruppen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie sich einer Aussage der Massenkommunikation zuwenden) vermitteln werden« (Maletzke 1963: 76). Nicht berücksichtigt wurde in dieser Definition, dass sich Massenmedien als komplexe soziale Institutionen etabliert haben und in vielschichtige Handlungszusammenhänge eingebettet sind - Politik, Recht und Ökonomie formen ihre Ausgestaltung neben ihrer technischen Grundlage nachhaltig mit. Auch ist für einen heute kommunikations- und medienwissenschaftlich brauchbaren Medienbegriff mit zu berücksichtigen, dass sich die in der Definition von Maletzke noch angenommene Einheitlichkeit und Einseitigkeit des Verhältnisses von Medium und Publikum deutlich gewandelt hat. Der Verteilcharakter von Medien ist vielfältiger geworden. Zu one-to-many (z.B. Fernsehen) ist das many-to-many (Chatrooms, Webdienste) oder auch one-to-few (Blogs, ausgewählte individualisierte Online-Dienste) und auch one-to-one (E-Mail) im Medienbetrieb hinzugekommen. Das Internet sperrt sich gegen jede vorschnelle Einordnung herkömmlicher Begrifflichkeiten; der Begriff des Hybridmediums (vgl. Höflich 1997: 86) führt noch am weitesten. All dies sollte in einer umfassend brauchbaren Definition des Mediums enthalten sein, die deshalb mehrere Dimensionen integrieren muss. Für den vorliegenden Zusammenhang ist es also notwendig, die Medien nicht nur als tec hnische Artefakte zu begreifen, sondern ihre gesellschaftliche Dimension zu fassen. Dies leistet die Definition von Saxer, nach der Medien • technische Transportsysteme für bestimmte Zeichensysteme, • Organisationen mit eigenen Zielen und Interessen, • komplexe Gefüge von Strukturen, • Erbringer von funktionalen und dysfunktionalen Leistungen für die Gesellschaft und • soziale Institutionen, eingebunden in die Verhältnisse der Gesellschaft sind (Saxer 1998: 54 f.). Mediensysteme Bei der Analyse von Mediensystemen richtet sich das Interesse auf jene Teile der Definitionen, die den systemischen Zusammenhang von den Medien betrach- <?page no="17"?> Mediensysteme vergleichen 18 ten, die für die gesellschaftliche öffentliche Kommunikation von Relevanz sind. Die Individualkommunikation ist also weniger von Interesse, wenngleich die Trennung zwischen beiden Kommunikationsarten zunehmend schwieriger wird. Medien können nun selbst als »organisierte soziale Handlungssysteme« (Siegert 1993: 13) aufgefasst werden, und sie bilden in ihrer Gesamtheit wiederum ein System, das Mediensystem. Mit dem Begriff des Mediensystems lässt sich beschreiben, dass Medien nicht nur technische Artefakte, sondern auch soziale Organisationen sind, die auf vielfältige Weise in ökonomische, politische, soziale und kulturelle Gegebenheiten eingebunden sind und auch auf diese einwirken. Sie sind Ausdruck kultu rellen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Mediensysteme bilde n deshalb soziale und politische Strukturen ab (Schneider 1998: 422). Systeme - so wurde aus der Systemtheorie übernommen - sind soziale Gebilde, die für bestimmte Zwecke auf relative Dauer mit zielgerichtetem und arbeitsteiligem Handeln und mit ähnlichen Aufgaben ausgerichtet sind (Jarren 2001: 146). Mediensysteme sind also daraufhin zu analysieren und zu vergleichen, welche Funktion sie erfüllen und wie sie dies mittels ihrer verschiedenen Bestandteile erreichen. Auch der grundlegende Gedanke der Systemtheorie, dass Systeme nach Geschlossenheit gegenüber der Umwelt und nach Gleichgewicht streben, kann für die Analyse und den Vergleich von Mediensystemen eine Bedeutung haben. Systeme setzen sich aus Subsystemen zusammen: Print, Rundfunk und Online-Medien, die im Weiteren im Mittelpunkt stehen werden, können als solche Subsysteme betrachtet werden, die ihrerseits in Subsysteme (die einzelnen Fernsehsender z.B.) mit Subsystemen (die Redaktionen) etc. aufgeteilt sind. Die Zusammenhänge in diesen komplexen Systemen interessieren hier. Mediensysteme zu betrachten, bedeutet, die politischen, ökonomischen, rechtlichen und technologischen Aspekte von Medien in ihrem Zusammenwirken zu analysieren. Dabei werden Zusammenhänge in den Blick genommen, die als prägend und charakterisierend angenommen werden können. Das hier zugrunde gelegte Verständnis von Mediensystemen umfasst eine Perspektive, die Medien als Bestandteile von Gesellschaft sieht und die gleichzeitig Relevanzen gesellschaftlicher Entwicklungen für die Medien benennen kann. Da Medien ja auch in der Regel Wirtschaftsunternehmen sind, könnte der Gedanke aufkommen, sie vollkommen unter das Wirtschaftssystem zu subsumieren. Dies ist aber insofern nicht erkenntnisleitend, weil dabei außer Betracht geriete, dass Medien nicht vollständig den Regeln des Wirtschaftssystems unter- <?page no="18"?> Begriffsdefinitionen 19 worfen sind, dass sie content-driven, nicht (nur) money-driven sind. Das Mediensystem - insbesondere das der Massenmedien Rundfunk, Zeitungen, aber auch das Internet - bildet einen gesellschaftlichen Teilbereich, der eigene spezifische Gesetzmäßigkeiten aufweist und eine Vielzahl anderer Teilsysteme - wie das politische oder das wirtschaftliche - beeinflusst und sogar erst funktionsfähig macht. Beim Forschungsfeld und Lehrgebiet so verstandener Mediensysteme geht es im Wesentlichen um: • die ökonomischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, • die technische Basis, • die Organisationen des Mediensystems und Strukturen im Mediensystem und seinen Organisationen, • die Wirkungen dieser Elemente auf Leistungen der Medien und des Mediensystems. Insbesondere der letzte Aspekt gewinnt unter dem Veränderungsaspekt Relevanz, denn der Zustand des Mediensystems determiniert die Medienwirkungen (Saxer 1997: 77). Allerdings ist das Wissen über diesen Zusammenhang gering. Die Analyse von Mediensystemen umfasst • die ökonomischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen; • die technische Basis; • die Organisationen des Mediensystems und Strukturen im Mediensystem samt seiner Organisationen; • die Wirkungen dieser Elemente auf Leistungen der Medien und des Mediensystems. Da vor allem Sprache und später rechtliche Rahmenbedingungen für die Institutionalisierung von Medien ausschlaggebend waren, sind sie zunächst im nationalstaatlichen Kontext entstanden, als solche wahrgenommen und auch analysiert worden. Erst in jüngerer Zeit spielt der Vergleich von Mediensystemen in der Medien- und Kommunikationswissenschaft eine Rolle - zunächst bezogen auf einzelne Fragestellungen (z.B.: Wie reagieren Menschen in verschiedenen Ländern auf Kriegspropaganda? ) und später dann auch in dem Bemühen, grundsätzliche Unterschiede zwischen Mediensystemen beschreibbar zu machen (siehe 2.4). Mittlerweile wird mit dem Begriff der inter- und transnationalen, <?page no="19"?> Mediensysteme vergleichen 20 sowie inter- und transkulturellen Kommunikation auch angesprochen, dass wir Medien in einem globalen systemischen Kontext interpretieren müssen (→ 2.5). 2.2 Bestandteile und prägende Faktoren der Mediensysteme Nachdem nun der Mediensowie der Systembegriff geklärt sind und auch das Konzept vom Mediensystem erläutert wurde, sollen nun seine einzelnen Bestandteile vorgestellt werden. Zunächst gehören zum Mediensystem alle Medien, die der oben angeführten Definition entsprechen, also solche, die nicht der aktuellen Aussagenproduktion dienen, wie Film, Video, Schallplatte, CD, DVD, Buch, Plakat etc. und unzählige Internetangebote, als auch diejenigen, die aktuelle Informationen und Inhalte verbreiten, wie Zeitungen und Zeitschriften (allgemein als Printsektor gefasst), Radio und Fernsehen (mit Sammelbegriff Rundfunk) sowie wiederum Internetangebote und Online-Dienste. Diese auf Aktualität orientierten, periodisch bis kontinuierlich (Online-Nachrichtendienste) erscheinenden Medien sind für die öffentliche Kommunikation einer Gesellschaft von besonderer Bedeutung. Sie unterliegen deshalb am stärksten dem Bemühen politischer Akteure um Regulierung, Steuerung oder gar Einflussnahme (in undemokratischen Gesellschaften der Zensur); sie sind der wichtigste mediale Machtfaktor in der politischen Gestaltung einer Gesellschaft und deshalb auch am meisten Gegenstand politischer Diskussionen. Diese Medien (mit Ausnahme des Internets) wurden bislang auch unter dem Begriff der medialen Massenkommunikation subsumiert, wie sie oben von Maletzke definiert wurde (→ 2.1). Diese schon fast klassisch zu nennende Definition der Massenkommunikation wäre nach wie vor eine solide Arbeitsgrundlage, wenn nicht aktuelle Medienentwicklungen (man denke an Weblogs, individualisierte Online-Angebote, Telekommunikationsdienste etc.) die Grenzen des Gegenstandes, der durch sie beschrieben wird, zunehmend verschwimmen lassen würden. Dies wird weiter unten behandelt. Print, Rundfunk und Online-Medien sollen in diesem Lehrbuch über Mediensys teme im internationalen Vergl eich im Mittelpunkt stehen, wenngleich <?page no="20"?> Faktoren der Mediensysteme 21 - vor allem in den Darstellungen zu ausgewählten Themen des Mediensystemvergleichs - auch andere Aspekte des Mediensystems betrachtet werden. Was zeichnet nun die genannten aktuellen Medien aus? Welche Struktur- und Ordnungsfaktoren müssen beschrieben werden, um sie einer Analyse und erst recht einem internationalen Vergleich zugänglich zu machen? Dies wird im Folgenden anhand der genannten Medien erläutert. Darüber hinaus sind auch solche Elemente wie die bestehenden Strukturen der Selbstregulierung, die demografische Struktur im Journalismus oder die gegebenen Ausbildungsinstitutionen wichtige Bestandteile von Mediensystemen. Print Der Sektor der Zeitungen und Zeitschriften ist der älteste im gesamten Mediensystem, und seine Strukturen sind in der Regel von vielen historischen, geografischen und politischen Besonderheiten des jeweiligen Landes geprägt. So geht das Vorhandensein einer Hauptstadtpresse, wie sie z.B. in Paris oder London zu finden ist, auf die historisch seit langem existierenden zentralistischen Strukturen zurück. Gegenüber national verbreiteten Zeitungen ist eine starke regionale Presselandschaft vor allem in föderalen Staaten wie in Deutschland existent. Lokalzeitungen sind ein weiteres spezifisches Angebot, das nicht in allen Ländern anzutreffen ist. Längst nicht alle Mediensysteme kennen den Typus der Boulevardzeitung, hingegen werden Wochenzeitungen, Sonntagsblätter, Anzeigenblätter und kostenlose kleinformatige Zeitungen auf vielen Pressemärkten angeboten. Man unterscheidet ferner das Zeitungsangebot danach, wie das Verhältnis von Abonnements- und Kaufzeitungen beschaffen ist; die Vertriebsstrukturen im Pressebereich sind ein weiteres Merkmal, in dem sich die Presse verschiedener Mediensysteme unterscheidet. Im Rahmen des Zeitschriften-Angebotes sind die Ausdifferenzierung der Publikumszeitschriften, der Umfang der Titel der Fach- und Kundenzeitschriften sowie die Existenz von Vereinszeitschriften einige der Merkmale, die den gegebenen Printsektor eines Landes auszeichnen. Mit der Umsatzstärke der einzelnen Pressegattungen lässt sich die Struktur des Pressemarktes relativ präzise beschreiben. Sie ergibt aber erst dann ein nicht nur ökonomisch, sondern auch in medienpolitischer Hinsicht ein abgerundetes Bild, wenn man die am Pressemarkt täti- <?page no="21"?> Mediensysteme vergleichen 22 gen Unternehmen und ihre Art, Zahl und Größe mit berücksichtigt und das Volumen des Werbe- und Anzeigenmarktes. Mit all diesen Daten lassen sich die Makrostrukturen der Presse erfassen. Innerhalb der Mikrostrukturen geht es darum, wie ihre Binnengliederungen und Ressortdifferenzierungen aussehen, wie Arbeitsabläufe und ihre Koordination organisiert sind oder welche Kompetenzen wie verteilt sind. Die Rechtsgrundlagen der Presse beschreiben die vom Gesetzgeber geschaffenen verbindlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die Presseunternehmen bewegen. Hier geht es um solche Fragen wie die Ausgestaltung der Pressefreiheit, ihre Beschränkung, die Konkretisierungen zum Persönlichkeitsschutzrecht, den Schutz, den die Presse genießt, die Rechte und Pflichten, die ihr auferlegt werden. Rundfunk Im Rundfunksektor lassen sich Unterschiede zwischen den Mediensystemen wesentlich danach feststellen, ob wir einen öffentlichen Rundfunk nach dem Vorbild der BBC als einziges (dies ist nahezu verschwunden) oder wesentliches Element vorfinden, ob das kommerzielle Prinzip nach dem Vorbild der USA dominiert oder welche Mischformen vorliegen (duales System). Die Bedeutung des Staates bei der Regulierung, die Betonung der kulturellen und identitätsstärkenden Rolle von Rundfunk, die z.B. in der Form von Eigenproduktionsquoten umgesetzt wird, und der Stellenwert, den die sogenannte dritte Säule (Bürgerfunk, community radios etc.) einnimmt, sind weitere wichtige Merkmale des Rundfunksektors eines Mediensystems. In ökonomischer Hinsicht sind die Eigentumsstrukturen am Rundfunkmarkt von besonderem Interesse. Welche Konzerne beherrschen welche Rundfunkangebote und vor allem wie viele? Konzentrationstendenzen lassen sich daran gut ablesen, besonders wenn man die Querverflechtungen zu anderen Medienbranchen (Print, Film, Online) oder auch zu ganz anderen Industriesektoren berücksichtigt. Wie viele Sender verträgt ein gegebener Markt? Welche Wirtschaftskraft der werbetreibenden Industrie finanziert die Sender? Wie ist die Kaufkraft der Bevölkerung, und welchen Anteil davon ist sie bereit für Medienprodukte, insbesondere für die neben dem Free-TV wachsende Zahl der Pay-TV-Angebote, <?page no="22"?> Faktoren der Mediensysteme 23 auszugeben? Dies sind die Faktoren, die den Rundfunkmarkt eines Landes beeinflussen. In rechtlicher Hinsicht sind die Strukturen und Organisationen der Rundfunkaufsicht von besonderem Interesse für den Mediensystemvergleich. Wie zentral bzw. dezentral, wie staatsnah oder staatsfern ist sie organisiert? Ist sie in einer integrierten Medienaufsicht aufgegangen? Hat sich die jeweilige Regierung einen Einfluss gesichert, oder ist eine relevante Repräsentanz der Öffentlichkeit vorgesehen? Mit solchen Kategorien ist die rechtliche Dimension des Rundfunks eines Mediensystems gut zu fassen. Online Für Online-Medien ist mehr noch als für den Rundfunk und den Printsektor eine zentrale Größe, wer überhaupt Zugang zum Internet und den damit verbundenen Diensten hat. Wie viele Internethosts und wie viele Internetanschlüsse in einem Land existieren, welche Übertragungskapazität die Netze haben, sagt viel über die Zugangsproblematik aus. Die großen Unterschiede weltweit, aber auch in einem gegebenen Land, die hier bestehen, sind unter dem Begriff der digital divide vielfach problematisiert worden. Damit ist der Umstand beschrieben, dass - in einer sehr generalisierenden Beschreibung - höhere Zugangszahlen in den industrialisierten Ländern gegeben sind als in den armen Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika. Angehörige höherer Bildungs- und Einkommensschichten haben zu einem größeren Anteil Zugang zu Online-Medien als Angehörige niedrigerer Schichten, Männer mehr als Frauen - auch wenn sich diese Differenzen zunehmend reduzieren. Dies sind nur die ganz allgemeinen Tendenzen, die von Land zu Land stark variieren und somit wichtige Vergleichsgrößen sind. Die Dynamik, mit der die Zahl der Nutzer in einem Land zunimmt, ist eine entscheidende Kennziffer für den Online-Bereich eines Mediensystems, die ihrerseits Rückwirkungen auf seine anderen Bereiche hat. Beim Angebot der Online-Medien ist danach zu unterscheiden, wie hoch der Anteil öffentlicher und privatwirtschaftlicher Kommunikationsinhalte ist. Zugang wird damit zur Frage, nicht nur wer das Internet nutzen kann, sondern wer die Möglichkeit hat, sich im Internet darzustellen. Auch hier bestehen große Unterschiede weltweit, deren Vergleich wichtige Aufschlüsse über das jeweilige Mediensystem gibt. <?page no="23"?> Mediensysteme vergleichen 24 In sprachlicher und damit kultureller Hinsicht ist von Interesse, ob bzw. in welcher Größenordnung Online-Angebote in einer gegebenen Landessprache zur Verfügung stehen und inwieweit die Angebote eines Landes über seine Grenzen hinaus wahrgenommen werden bzw., in umgekehrter Perspektive, wie stark die Webseiten anderer Länder genutzt werden. Die Präsenz englischsprachiger Webseiten in der weltweiten Nutzung ist da nur ein Hinweis auf die Internetgeografie, die sich aus jedem Land anders darstellt. Prägende Faktoren der Mediensysteme Betrachtet man Mediensysteme und ihre Sektoren danach, wodurch ihre Unterschiede geprägt werden, so stößt man auf verschiedene Faktoren: das Recht, das politische System, die Wirtschaftsverfassung, die Sprachkulturen, der gegebene Stand der Medientechnologie und seiner Verbreitung und die Geografie (vgl. Blum 2005). Das Recht, das politische System, die Wirtschaftsverfassung, die Sprachkulturen, der gegebene Stand der Medientechnologie und seiner Verbreitung und die Geografie sind die wesentlichen prägenden Faktoren der Mediensysteme. Medienrecht formuliert die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für Presse, Film, Rundfunk und neue Medien und für die Grundlagen der journalistischen Praxis. Es setzt sich zusammen aus einer Vielzahl von medienspezifischen, vor allem rundfunk- und presserechtlichen Vorschriften sowie weiteren Normen, die im gesamten Rechtsgefüge eines Staates integriert sein können. Das Recht hat prägende Wirkung für den Grad an Freiheit, die Medien in einem Lande gewährt werden. Es determiniert den Rahmen, in dem Medien tätig werden können und formuliert, mit welchen Institutionen und Instrumenten die gewollte Medienrechtsordnung umgesetzt werden soll. Es bestimmt maßgebliche und nachgeordnete Akteure der Medienordnung und setzt Grenzen, die Medienaktivitäten nicht überschreiten sollen. Es beschreibt Funktionen von Medien und das Aufgabenverständnis der in ihnen Tätigen. Medienrecht ist zunächst grundsätzlich national dimensioniert, da nur der Nationalstaat (oder die darunter angeordneten föderalen Einheiten) die körperschaftliche Ebene ist, die rechtssetzende Gewalt für ein gegebenes Territorium hat. Allerdings ist in Europa die Tendenz zu beobachten, das mit der Ausgestal- <?page no="24"?> Faktoren der Mediensysteme 25 tung der supranationalen Entscheidungsgewalt der Europäischen Union auch rechtswirksame Normensetzungen jenseits der Grenzen des Nationalstaates stattfinden und prägende Wirkung für das Mediensys tem haben. Das politische System ist maßgeblich prägend für das Mediensystem, nicht nur weil es relevant für die Rechtsordnung ist, die den Rahmen für das Mediensystem bestimmt, sondern auch weil es die politische Kommunikation prägt. Diese wiederum ist über das Mediensystem vermittelt. Ein demokratisches System behandelt und nutzt seine Medien anders als ein autoritäres, Parteienvielfalt und -stärke (oder -schwäche) und die Frage, ob und inwieweit Medien in ihren Grundüberzeugungen das gegebene politische System eher stützen oder in Frage stellen, sind weitere wichtige Unterscheidungsmerkmale innerhalb dieser Perspektive. Die Wirtschaftsverfassung eines Landes prägt die Ökonomie der Medien. In einer kapitalistischen Wirtschaftsverfassung ist auch die Mehrzahl der Medien privatwirtschaftlich organisiert. Der Übergang von einer sozialistischen Wirtschaftsform zur kapitalistischen hat grundlegende Umwälzungen in den betroffenen Mediensystemen gebracht (→ 4.2). Und genauer ausdifferenziert wird auch die Rolle der Medien, z.B. im Hinblick auf ihre Sozialverantwortlichkeit, anders interpretiert, je nachdem, welche Bedeutung dem Wohlfahrtsstaat im Rahmen der jeweiligen Wirtschaftsauffassung zugesprochen wird. Sprachkulturen sind ein weiteres ganz wesentliches Strukturelement von Medien, die als Mittler gesellschaftlicher Kommunikation ja auf Sprache beruhen. Wenn nun - ganz anders als in Deutschland - mehrere Sprachen in einem Land beheimatet sind, hat das beträchtliche Auswirkungen auf das Medienangebot. Dies kann anschaulich an einem Land wie beispielsweise Südafrika studiert werden, wo elf offizielle Landessprachen existieren, und allein die drei Kanäle des öffentlichen Rundfunks ihr Unterhaltungswie Informationsprogramm zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Sprachen senden - Englisch, Afrikaans und die verschiedenen schwarzafrikanischen Sprachen. Viele Auseinandersetzungen innerhalb von Ländern mit starken sprachlichen Minderheiten werden auch über die Repräsentanz der jeweiligen Sprachen im Mediensystem geführt. Und bei der Erlangung politischer Unabhängigkeit - die Beispiele Ukraine oder Kroatien mögen hierfür stehen - ändert sich gar die dominierende Sprache im Mediensystem. Auch das Mediennutzungsverhalten von Sprachgruppen in einem Land ist ein Strukturelement des Mediensystems - man denke nur an den starken türkischsprachigen Mediensektor in Deutschland. <?page no="25"?> Mediensysteme vergleichen 26 Der jeweils gegebene Stand der Medientechnologie in den verschiedenen Mediensubsystemen hat seine Auswirkungen auf Nutzung wie Regulierung und auch Struktur des Medienmarktes. So ist die massenhafte Verbreitung des Fernsehens im Deutschland der 1960er-Jahre für das Kinosterben verantwortlich gemacht worden. Die Vervielfältigung audiovisueller Übertragungswege durch die Digitalisierung bringt eine Vielzahl von neuen Content-Angeboten und unterminiert so die Legitimation des öffentlichen Rundfunks. Die Abwanderung eines Großteils des Kleinanzeigenwesens in das Internet hat in vielen Ländern die wirtschaftliche Basis der Tageszeitungen geschwächt. Und die Isolation von autoritären Systemen durch Medienzensur wird in Zeiten des Internets immer schwieriger aufrechtzuerhalten. Dass die Geografie eines Landes ein Mediensystem in wesentlichen Zügen mitgestaltet, mag auf den ersten Blick eher uneinsichtig erscheinen. Klein- oder Großräumigkeit, Ausdifferenzierung der Landschaft mit damit einhergehenden Besiedlungsformen, Arten der Grenzen und Nachbarn prägen das Mediensystem mit. So hat allein die Größe eines Landes nachhaltige Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft eines Mediensystems, wie wir an der alles dominierenden Unterhaltungsindustrie der USA ablesen können. Ein kleinräumig gegliedertes Mediensystem wie das der Schweiz, in deren Grenzen lange Zeit viele selbstständige Staatswesen existierten, hat auch ein in räumlicher Hinsicht stark differenziertes Mediensystem (Blum 2005). Dass Größe, die aber mit einer eher kleinen Bevölkerungszahl einhergeht, noch keine Dominanz auf Weltmedienmärkten einhergeht, zeigt das Beispiel Kanada, das auch lehrt, wie sehr ein potenter Nachbar (in diesem Fall die USA) Gegebenheiten und Entscheidungen innerhalb eines Mediensystems maßgeblich beeinflussen kann. Das aufgrund seiner Geografie völlig abgeschieden liegende Bhutan konnte sich über lange Zeit gegen die Einführung des Fernsehens wehren; Luxemburg hingegen in der Mitte Europas machte seine Winzigkeit und seine Lage zur Tugend und exportierte Medieninhalte seit den 1930er-Jahren. Mit der Erfassung dieser Strukturelemente werden wichtige Einflussfaktoren auf ein gegebenes Mediensystem beschrieben, die Unterschiede erklärbar machen und auf vergleichbare Wirkmechanismen hinweisen können. Vergleicht man die Gegebenheiten von Mediensystemen verschiedener Länder und die sie bedingenden Einflussfaktoren miteinander, ist es möglich, zu Modellbildungen im Hinblick auf Mediensysteme zu kommen. Um diese Vorgehen transparent zu machen, wird im nächsten Abschnitt die Methode des Vergleichs vorgestellt. <?page no="26"?> Die Methode des Vergleichs 27 2.3 Die Methode des Vergleichs Der Vergleich liegt in dem Versuch des Menschen begründet, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in seiner Lebensumwelt zu begreifen. Der Vergleich ist menschlich, und er findet dort statt, wo sich unterschiedliche Kulturen begegnen: Sie beinhalten regionale, ethnische, sprachliche, religiöse, familiäre, kulturelle Unterschiede, Verschiedenartigkeiten des Essens, der Identität, des Wirtschaftens, sozialer und politischer Gegebenheiten, der Macht, der Autorität etc. (Kleinsteuber 2003: 78). Das Vergleichen findet im Alltag statt, in dem sich unterschiedliche Kulturen begegnen, und es ist eine der Kernmethoden wissenschaftlicher Analyse. Beide Denkweisen verfolgen dabei ein gemeinsames Erkenntnisinteresse: Der Vergleichende will sich selbst (seine eigene Lebensart) positionieren, und er will die Welt in ihrer Vielfältigkeit besser verstehen. Dabei geht es dem Vergleichenden nicht nur darum - wie es das Wort nahelegen mag - Gleiches zu finden, vielmehr richtet sich der Blick auch auf Verschiedenes - und hier ist auch Trennendes (»Scheidendes«) angesprochen. Besser als diese Wortbedeutungen kann der Begriff der komparativen Methode dem im Vergleich angelegten Erkenntnisinteresse an Gemeinsamkeiten sowie Unterschiedlichkeiten Ausdruck geben. Beides muss der wissenschaftlich fundierte Vergleich berücksichtigen, und dies setzt voraus, dass die zu vergleichenden Entitäten Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufweisen (ebd.: 79). Es ist naheliegend, dass die Sozialwissenschaften, die die Erkenntnis gesellschaftlichen Lebens als Gegenstand haben, den Vergleich als zentrale Methode nutzen; und es ist frühzeitig die Politikwissenschaft gewesen, die den Vergleich systematisch zur Erkenntnis einsetzte. Als frühesten Vertreter eines vergleichenden Politikwissenschaftlers können wir auf Aristoteles zurückblicken, der die Prinzipien des guten Regierens verschiedener Regierungsformen zusammenfasste (vgl. Landman 2000). Sein Vergleichskriterium - und hier finden wir einen ersten methodischen Hinweis auf das Wie des Vergleichens - war die Frage: In wessen Interesse wird regiert? Wer vergleicht, muss sich entscheiden, auf welche Beobachtungen hin er vergleichen will. Die Kommunikations- und Medienwissenschaft hat demgegenüber erst wesentlich später den Vergleich als lohnende Methode wissenschaftlicher Erkenntnis <?page no="27"?> Mediensysteme vergleichen 28 entdeckt (u.a. Gurevitch/ Blumler 1990, Blumler et al. 1992, ERG 2004). Insbesondere in den vergangenen zwanzig Jahren hat die komparative Methode in der Kommunikationswissenschaft einen erheblichen Aufschwung erfahren (Esser/ Hanitzsch 2012: 3). Allen Disziplinen liegen dieselben wissenschaftlichen Motive und Zwecke für den Vergleich zugrunde: • Mit der Beschreibung wird Wissen über andere Verhältnisse gesammelt. • Mittels Klassifizierung und Typologisierung wird Komplexität reduziert. • Die darauf folgende Hypothesenbildung liefert die Vorstufe für allgemeine Theorien. • Aufgrund einer so gewonnen Theorie lassen sich Erklärungen für vorfindbare Phänomene liefern und Voraussagen für weitere Phänomene machen. Im Einzelnen sind bei Anwendung dieser Schritte im kommunikations- und medienwissenschaftlichen Vergleich folgende Aspekte zu beachten: Wissenschaftliche Motive des Vergleichs: • Beschreibung • Klassifizierung und Typologisierung • Hypothesenbildung • Theoriebildung Bei der Beschreibung von Phänomenen und Ereignissen in einem gegebenen (anderen) Land, gilt es, dem eigenen Ethnozentrismus zu entkommen, d.h. nicht durch die in der eigenen Kultur gewonnenen Maßstäbe die Erkenntnis anderer Verhältnisse zu verhindern. Frühe Mediensystemklassifikationen (→ 2.4) mögen als Beispiel für einen derartigen Ethnozentrismus dienen. Vielmehr muss vorrangiges Ziel sein, weitergehendes Wissen über das untersuchte Land zu erlangen. Dabei ist der Vergleich zum eigenen Land immer implizit gegeben, auch wenn er nicht - wie häufig der Fall - explizit gemacht wird. Wie jede gute Forschung beginnt auch der wissenschaftliche Vergleich mit systematischer Beschreibung: Was, wie, in welchem Zeitraum wird beobachtet? Hier liegt ein entscheidender Unterschied z.B. zur journalistischen Beschreibung, die anekdotisch, am Einzelbeispiel oder auch an einer bestimmten Perspektive orientiert vorgeht. Die systematisch gewonnene Beschreibung liefert <?page no="28"?> Die Methode des Vergleichs 29 die Rohdaten für den Vergleich. Der Vergleich ist dabei eine Metamethode, weil er die Daten, die durch andere Methoden gewonnen wurden, nutzt. Mit der Klassifizierung entwickelt der Forscher ein Konzept für seinen Untersuchungsgegenstand, das identifizierbare gemeinsame Charakteristika enthält. Das Ziel dabei ist die Reduktion der Komplexität der Welt und ihrer Erscheinungen: Welche Qualitäten haben Länder gemeinsam, welche nicht? Hier ist ein deduktives Vorgehen möglich, das ausgehend von normativen und vorgegebenen Kategorien die Typologisierung entwickelt oder ein induktives Vorgehen, bei dem ausgehend vom empirisch Vorfindbaren Kategorien für die Modellbildung gebildet werden. Die Rankings zur Medienfreiheit, die von Organisationen wie FreedomHouse oder Reporter ohne Grenzen vorgenommen werden 1 , mögen als Beispiel für deduktives Vorgehen gelten, die weiter unten erläuterten neueren Klassifikationen des Mediensystemvergleichs stehen für die induktive Vorgehensweise. Die Hypothesenbildung stellt dann die Suche nach den Faktoren dar, die erklären, was beschrieben und klassifiziert wurde. Dabei müssen rivalisierende Faktoren ausgeschlossen werden, die die gegebenen Unterschiede nicht erklären können; und die Hypothesen müssen getestet werden. So lässt sich der Grad der Boulevardisierung der Politikberichterstattung auf den Stand der Kommerzialisierung eines Mediensystems zurückführen, möglicherweise mit dem Stand der Ausbildung von Journalisten, nicht jedoch mit deren Mortalitätsrate erklären. Bei der Theoriebildung werden die erklärenden Schlüsselvariablen und die zu erklärenden Variablen durch die empirischen Befunde in ihrer Beziehung zueinander dargestellt. Die Leistung des Vergleichs für die Theoriebildung ist die kumulative und wachsende Addition von Elementen auf systemischem Niveau zu existierenden erklärenden Theorien; damit werden Theorien vollständiger. Die theoretischen Konzepte der Wissenskluft, der Mediatisierung oder Globalisierung der Medien stellen solche Ergebnisse vergleichender Beobachtungen dar. Mit der der Theoriebildung folgenden Voraussage schließlich findet die logische Verlängerung der getesteten Hypothesen entweder in die Zukunft oder auf andere Regionen statt. Das ist der Kern der wissenschaftlichen Vorgehensweise 1 http: / / www.reporter-ohne-grenzen.de/ ranglisten/ rangliste-2011-2012/ http: / / www.freedomhouse.org/ sites/ default/ files/ Map%20of%20Freedom%2020 13%2C%20final.pdf und http: / / www.freedomhouse.org/ sites/ default/ files/ Maps.pdf <?page no="29"?> Mediensysteme vergleichen 30 aufgrund des Vergleichs: Es wird von bekannten Fakten und Zusammenhängen auf unbekannte geschlossen. Denn letztlich ist die allmähliche Ansammlung von Wissen über die empirische Welt durch systematische Methoden der Forschung, einschließlich der Sammlung von empirischen Daten, die Bildung und das Testen von Hypothesen und das Ziehen substanzieller Schlussfolgerungen das Wesen jeden wissenschaftlichen Forschens. Die Frage nach dem zukünftigen Bestand von Zeitungen angesichts der wachsenden Abwanderung von Jugendlichen zu Online-Informationsmedien ist eine derartige Prognoseaufgabe, die beispielsweise von vielen Zeitungsverlegern gestellt wird. Voraussagen können jedoch bestenfalls im Rahmen von Wahrscheinlichkeitsaussagen stattfinden, da zu viele mögliche intervenierende Variablen Aussagen über die Zukunft zunehmend kontingent machen. Wenn dann Vorhersagen nicht eintreffen, ist dies Anlass für neue Forschungsfragen und Vergleiche. Erst mit der Berücksichtigung zukünftiger Verlagsstrategien und dem genaueren Wissen um Mediennutzungsweisen von Jugendlichen ließe sich etwas zur Zukunft der Zeitung aussagen. Das beschriebene Vorgehen aus Beschreiben, Klassifizieren, Hypothesenbildung und Voraussage ist dem in der Naturwissenschaft sehr ähnlich. Im Unterschied zur Naturwissenschaft sind jedoch in den Sozialwissenschaften aus praktischen und ethischen Gründen Experimente, die das Beobachtungsmaterial für die Beschreibung liefern, nicht möglich. So wird statt dessen ein Experiment simuliert, wenn mit kontrafaktischen Aussagen gearbeitet wird: Z.B. wird aus der Beobachtung, dass ein Public-Service-orientiertes Mediensystem einen hohen Anteil an werbefreien Kinderprogrammen bereithält, geschlossen, dass ein kommerzielles System diesen Programmtypus zu einem geringeren Anteil anbietet. Der quasiexperimentelle Charakter von Forschung wird auch dadurch erreicht, dass verschiedene Variablen untersucht werden, während andere konstant gehalten werden. So kann die Wirkung einer Antikonzentrationspolitik auf die Medienvielfalt eines Mediensystems dadurch untersucht werden, dass verschiedene entsprechende Maßnahmen in gegebenen Ländern miteinander verglichen werden. Im Unterschied zur Naturwissenschaft haben aber sozialwissenschaftliche Theorien keinen gesetzesgleichen Status (wie z.B. das Gesetz der Erdanziehung oder der Energieerhaltungssatz), sondern sie verfolgen das Ziel, ein Verstehen und Erklären der vorfindbaren Phänomene zu ermöglichen. <?page no="30"?> Die Methode des Vergleichs 31 Systematisch vergleichende Forschung Vergleichende Kommunikationsforschung bedeutet nicht nur, Kommunikationsphänomene in ausgewählten Ländern zu vergleichen, sonderen den Vergleich zwischen Makro-Einheiten verschiedener Art zu ziehen. Das können Weltregionen sein (→ 4.1 bis 4.7), Regionen innerhalb von Staaten, soziale Milieus, Sprachräume, ethnische Kulturen oder Märkte (Esser/ Hanitzsch 2012: 3 und 15). Ein Vergleich untersucht also immer ein oder mehrere Objekte in den gegebenen Kontexten. Im Folgenden soll grob schematisch erläutert werden, wie bei vergleichender Medien- und Kommunikationsforschung vorgegangen werden kann. Dieser Abschnitt will und kann nicht die sorgfältige Auseinandersetzung mit den Methoden empirischer Kommunikationsforschung ersetzen (vgl. dazu u.a. Brosius et al. 2012, Lamnek 2010, Gläser/ Laudel 2009, Mikos/ Wegener 2005, Schöneck/ Voß 2005, Daschmann 2003, Krotz 2003, Gehrau 2002, Merten 2000). Zu differenziert sind die Methoden, die man unterhalb der Metamethode Vergleich einsetzen kann. Dazu gehören unter anderen die Dokumenten- und Literaturanalyse, Inhaltsanalysen, Auswertung von statistischen Daten, Reichweiten-, Zuschauererhebungen und Meinungsumfragen sowie Experteninterviews. Hier sollen lediglich einige praktische Hinweise gegeben werden, wie bei der Planung einer vergleichenden Forschungsarbeit vorgegangen werden kann. Aufgrund der Tatsachen, dass ein Großteil von Studierenden im Laufe des Studiums Auslandsaufenthalte wahrnimmt und der Anteil der Studierenden aus anderen Ländern an deutschen Universitäten zunimmt, liegt eine vergleichende Fragestellung für eine Studienabschlussarbeit schon lange nicht mehr außerhalb der Möglichkeiten Nichtgraduierter. Eine vergleichende kommunikationswissenschaftliche Arbeit hat die Möglichkeit, die Frage zu verfolgen, welche Schlüsselemente in Mediensystemen von großer Ähnlichkeit sich unterscheiden; dies wird als most-smilar-Design bezeichnet. In einem most-different-Design wird demgegenüber danach gefragt, welche Gemeinsamkeiten in ansonsten sehr unterschiedlichen Systemen zu finden sind. Es wird durch den Vergleich also herausgefunden, welche Rahmenbedingungen welche Ergebnisse zeitigen. So lässt sich zum Beispiel in einem most-similar- Design danach fragen, wie sich die Finanzierungsform öffentlicher Rundfunkanbieter auf den Anteil von Werbung im Programm auswirkt. Ähnlich ist in diesem Beispiel die Organisationsform »öffentlicher Rundfunk«, der sich nur nach der Finanzierungsform unterscheidet (Werbefinanzierung ja oder nein? ). In einer most-different-Studie könnte man zum Beispiel erforschen, welche gemein- <?page no="31"?> Mediensysteme vergleichen 32 samen Nachrichtenfaktoren in Nachrichtensendungen in autoritären und in demokratischen Mediensystemen zu finden sind. Diese Fragestellung kann sich dann auf wenige oder mehrere in Frage kommende Länder konzentriert. Für diese werden die Untersuchungseinheiten festgelegt, also die Objekte bzw. Gegenstandsbereiche, über die Daten erhoben werden wollen, z.B. im ersten Beispiel die Rundfunkanstalten, im zweiten die Nachrichtensendungen. Weiterhin sind mit Variablen die Elemente festzulegen, die im Hinblick auf die Untersuchungseinheiten veränderlich sind: z.B. (erstes Beispiel) Höhe, Zusammensetzung und Herkunft der Rundfunkfinanzierung, bzw. (zweites Beispiel) Zusammensetzung der Nachrichten nach Nachrichtenfaktoren. Die Beobachtungen beschreiben dann den Inhalt der jeweiligen Variable für jede Untersuchungseinheit, z.B. Durchschnittsalter von Journalisten, Organisationsform von Redaktionen. Die abhängige Variable ist dabei diejenige, die der Forscher erklären will, z.B. das Ausmaß der Werbung in öffentlichen Rundfunksendern; die unabhängige Variable bezeichnet jene, die durch die abhängige Variable erklärt wird, z.B. Art der Rundfunkfinanzierung. Mehrere unabhängige Variablen sind dabei möglich, weil es mehr als einen Grund für die Erklärung eines Phänomens gibt (hier z.B. zusätzlich Gesetze zur Werbezeitbeschränkung). Wirth/ Kolb weisen darauf hin, wie bedeutsam für die Solidität einer vergleichenden Untersuchung das Auffinden funktionaler Äquivalente ist, da Begriffe und Konzepte, aber auch z.B. Institutionen und Regelwerke in verschiedenen nationalen Kontexten unterschiedliche Bedeutung haben bzw. unterschiedlich ausgeprägt sind (2012: 469ff.). So ist die rechtliche Definition dessen, was öffentlicher Rundfunk ist, in den Ländern durchaus unterschiedlich (→ 3.3) Des Weiteren lassen sich drei verschiedene Ebenen der Analyse unterscheiden: • Auf der Mikroebene stehen individuelle Akteure im Fokus des Interesses. • Auf der Mesoebene werden Organisationen, Institutionen oder Unternehmen untersucht. • Auf der Makroebene sind Gruppen, Strukturen, Systeme, Prozesse oder Interaktionen Gegenstand der Analyse. So lässt sich auch der Vergleich von Mediensystemen auf der Mikro- (z.B. Kommunikatoren), der Meso- (z.B. Teilmärkte, Einzelmedien) und der Makroebene (z.B. Medienrecht) vollziehen. Dabei gibt es zwischen den Ebenen durchaus gegenseitige Abhängigkeiten. Denn Strukturen sind ohne Akteure ebenso wenig wie Akteure ohne Strukturen denkbar. <?page no="32"?> Die Methode des Vergleichs 33 Mediensysteme lassen sich auf der Mikro-, der Meso- und der Makroebene analysieren. Diese Ebenen sind auch in ihrer Interdependenz zu betrachten. Die Frage nach der Anwendung von quantitativen oder qualitativen Methoden oder einer Kombination von beiden stellt sich in Abhängigkeit von der Forschungsfrage ebenso wie bei jeder anderen empirischen Untersuchung. Ob Unterschiede zwischen Mediensystemen in Zahlen ausgedrückt werden sollen oder in Qualitäten bzw. Eigenschaften, ist auch mit der Entscheidung über die Zahl der Fallstudien verbunden. Eine kleine Zahl von Fallstudien erlaubt tiefgehende, konkrete qualitative Aussagen und arbeitet somit explorativ. Eine große Zahl von Fallstudien erlaubt weitreichende quantitative, abstrakte Aussagen und liefert damit überblicksartig deskriptive Ergebnisse. Dies soll aber keine ausschließende Gegenüberstellung darstellen; beide Methoden sind berechtigt und notwendig. Die Zahl der Länder ist somit bei vergleichender Kommunikationsforschung auch forschungspragmatisch entscheidend. Ob eine große oder eine kleine Anzahl ausgewählt wird, ist von der Fragestellung, den Möglichkeiten des Forschers, von Zeit und Ressourcen des Projektes abhängig. Grundsätzlich lässt sich annehmen, dass der Abstraktionsgrad der Analyse umso höher ist, je größer die Zahl der Länder ist, die untersucht werden, denn eine Vielzahl an Untersuchungsländern wird nur eine geringe Variablenzahl zulassen, bei der man dann sehr allgemeine Kategorien wählen wird. Bei der anderen Vorgehensweise, wenige Länder einzubeziehen, wird man eine größere Zahl der zu untersuchenden Variablen wählen können, die entsprechend genauer ihren Gegenstand beschreiben können. Ein Vorteil eines Viel-Länder-Vergleichs liegt darin, dass eine große Fallzahl klarere Schlussfolgerungen und einen größeren Beitrag zur Theoriebildung erlaubt als eine kleine. Damit ist auch die Chance größer, Abweichler herauszufinden und daraus die Suche nach weiteren Erklärungen für das analysierte Phänomen zu spezifizieren. Aufgrund der Konzeptionierung einer solchen Studie für eine große Zahl von Ländern ist die Möglichkeit der Replizierung in einem weiteren Land eher gegeben. Schwierigkeiten wird man bei einem Viel- Länder-Vergleich bei qualitativen Analysemethoden haben, da diese in der Regel wesentlich aufwendiger sind. Vergleichende Mediensystemforschung kann statisch arbeiten und Zustände vergleichend erfassen oder mit einer dynamischen Betrachtungsweise Entwicklungen von Mediensystemen in ihrer internationalen Interdependenz erfassen. <?page no="33"?> Mediensysteme vergleichen 34 Soll nicht nur statisch der Zustand von Mediensystemen vergleichend erfasst werden, sondern auch die Dynamik der Mediensystementwicklung in der internationalen Interdependenz, so sind neben den grundlegenden Vergleichsbefunden Übereinstimmung oder Unterscheidbarkeit weitere Dimensionen vonnöten. Kleinsteuber hat die genannten beiden, Konkordanz und Differenz, um vier weitere erweitert (vgl. Kleinsteuber 2003: 86): • Diffusion beschreibt die freiwillige Übernahme von Modellen und Ideen, die sich als erfolgreich erwiesen haben, so das Modell des öffentlichen Rundfunks, wie es ursprünglich in Großbritannien entwickelt und von vielen Ländern in Europa und im Commonwealth übernommen wurde. • Dependenz ist gegeben, wenn ein Modell in Abhängigkeit von einem anderen entstanden ist, wie die Mediensys teme in den ehemaligen sozial istischen Staaten. • Bei Temporanz erfolgt eine Entwicklung gleichartig, aber zeitversetzt. So ließ sich die Zukunft des Vielkanalfernsehens in Europa in den USA vorab studieren. • Mit Performanz wird das Phänomen bezeichnet, dass ähnliche Systeme nach systematischer Prüfung voneinander positive Elemente übernehmen: Im Rahmen der EU werden die Antikonzentrationsregelungen studiert, um zu einer Harmonisierung dieser Gesetze innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches zu kommen. In dem Maße, wie Globalisierungsprozesse zunehmenden Einfluss auf nationale Mediensys teme nehmen, werden diese Dimensionen als Analysekategorien noch an Wichtigke it gewinnen, da sich mit den ihnen inhärenten Beschreibungen Aussagen über die Interdependenz der Mediensysteme machen lassen - und vielleicht auch einmal die Entstehung eines Weltmediensystems modelliert werden könnte (→ 2.5). Mit der wachsenden Anzahl komparativer Studien in der Kommunikations- und Medienwissenschaft hat sich auch die Methodik solcher Untersuchungen verfeinert. In ihrem Handbuch zur komparativen Kommunikationsforschung stellen Esser/ Hanitzsch (2012: 6 f.) vier Essentials heraus, die ein einwandfreies vergleichendes Forschungsdesing erfüllen muss. Voraussetzung ihrer Überlegungen dabei ist, dass ein Vergleich immer vor dem Hintergrund der Absicht erfolgt, dass die Erklärung der Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten vor dem Hintergrund kontextueller Bedingungen (der jeweiligen Politik, Kultur, Wirtschaft etc.) erfolgen muss: <?page no="34"?> Die Methode des Vergleichs 35 • Die Zielsetzung eines Vergleichs muss explizit gemacht und in dem Forschungsdesign berücksichtigt werden. • Da nicht nur Länder, sondern auch Kulturen oder Märkte verglichen werden können, muss immer der Rahmen der Vergleichseinheit klar abgesteckt werden. • Die Untersuchungseinheiten müssen funktional äquivalent sein, d.h. verglichen wird, was vergleichbar ist, auch wenn es nicht identisch ist. • Die Analyseobjekte müssen vor dem Hintergrund eines gemeinsamen theoretischen Rahmens mit gleicher Methode untersucht werden. Mit diesen Forderungen ist es nicht mehr damit getan, einfach zu vergleichen um des Vergleichs willen. Vielmehr muss der Erkenntnisgewinn, den ein Vergleich bringen kann, ausgewiesen werden. Der Nutzen international vergleichender Forschung Vergleichende oder komparative Forschung in der Kommunikations- und Medienwissenschaft bringt gegenüber den Analysen, die sich auf ein Land beschränken, einen mehrfachen Erkenntnisgewinn (Esser/ Hanitzsch (2012: 4): • Sie erlaubt die Verallgemeinerung von Erkenntnissen und die Validierung von Interpretationen, die aus Einzeldarstellungen resultieren. • Sie verhindert unzulässige Verallgemeinerungen, die einem naiven Universalismus folgen. • Sie erlaubt die genaue Bestimmung der Reichweite von Aussagen. • Sie ermöglicht, das Verständnis der eigenen Kultur in einem breiteren Kontext zu sehen. • Sie erlaubt den Aufbau von weltweiten Forschernetzwerken und einen internationalen Austausch von Wissen. • Sie liefert den Einblick in das praktische Wissen und die Erfahrungen anderer Kulturen, die sich gegebenenfalls übertragen lassen. Vergleichende Forschung liefert somit ein Vielfaches der Datenmenge und Erkenntnissen, die in einem gegebenen Land zu erheben wäre, und sie ermöglicht, die Kenntnis der Mediensysteme in ihrer Mannigfaltigkeit zu fundieren. <?page no="35"?> Mediensysteme vergleichen 36 Den vielen Einzelvergleichen im Hinblick auf Gegenstände sowie Mikro-, Meso- und Makroebene ist der Versuch vorangegangen, Mediensysteme als Ganzes zu vergleichen und einer Typologisierung zugänglich zu machen. Der zurückliegenden Entwicklung dieser Mediensystemklassifikationen widmet sich der nächste Abschnitt. 2.4 Klassifikationen als Ergebnisse des Mediensystemvergleichs Modelle und Realitäten Aufgrund der gesellschaftlichen Bedingtheit von Mediensystemen ist es naheliegend, dass unterschiedliche Staaten und Gesellschaftssysteme unterschiedliche Mediensysteme hervorgebracht haben. Dies hat schon frühzeitig die kommunikationswissenschaftliche Forschung angeregt, Mediensystemklassifikationen vorzunehmen. Aufgrund der prägenden Wirkung national bedingter Strukturelemente sind diese Klassifikationen auch lange national konfiguriert gewesen - internationale Bezüge spielten bis in die jüngste Zeit keine Rolle. Dabei widerspiegelten diese Klassifikationen ihrerseits Kriterien, die aus dem jeweiligen Wertesystem und vorherrschenden ordnungspolitischen Vorstellungen gewonnen worden waren. Dies wird besonders deutlich bei dem frühesten Modell einer Mediensystemklassifikation, den »Four Theories of the Press« von Siebert, Peterson und Schramm (1956). Sie identifizierten vier Modelle weltweit: das des Autoritarismus, des Liberalismus, und die modernen Varianten des Models der Sozialverantwortung und des Kommunismus (vgl. Hardy 2012). Entstanden in der Zeit des Kalten Krieges, in der die West-Ost-Auseinandersetzung der Gesellschaftssysteme auch die Sozialwissenschaften stark beeinflussten, nehmen die Autoren die Perspektive des Liberalismus-Modells ein und lassen die anderen Modelle, an diesem gemessen, als defizitär erscheinen. Ein liberales Medienmodell ist nach Siebert, Peterson und Schramm durch Medien in Privatbesitz charakterisiert, deren Hauptziele Informieren, Unterhalten und Verkaufen sind, und über die <?page no="36"?> Mediensystemklassifikationen 37 Kontrolle ausschließlich durch die freie Konkurrenz von Ideen und ein transparentes Rechtssystem ausgeübt wird. Demgegenüber ist das Autoritarismus-Modell noch ganz dem absolutistischen Denken verhaftet, nach dem Medien im Dienst der Herrschenden und des Staates stehen müssen. Das Sozialverantwortungsmodell fügt - angesichts der tatsächlichen Fehlleistungen von Medien - dem Liberalismus-Modell lediglich die Funktion von Medien bei, dass sie als Foren zur Debatte sozialer Konflikte dienen mögen, während das Kommunismus-Modell - verortet in der Sowjetunion - Medien in der Kontrolle und im Dienst von Partei und System der kommunistischen Staaten sieht. Abgesehen davon, dass in diesen vier Modellen ganze Weltregionen unberücksichtigt blieben, sind vor allem die normativen Zuordnungen in diesem Modell auffällig (Massmann 2003: 25). In einem zu Beginn der 1980er-Jahre entstandenen Modell des Finnen Wiio (1983) wird versucht, durch differenzierende Kategorien eine empirische Beschreibung von Mediensystemen zu ermöglichen. Wiio unterscheidet • offene von geschlossenen Rezeptionssystemen, • offene von geschlossenen Produktionssystemen, • öffentlichen von privatem Medienbesitz, • zentralisierte von dezentralisierter Medienkontrolle und • das Recht zu senden und zu empfangen, das entweder bei der Gesellschaft oder bei dem Individuum liege. und kombiniert diese Kategorien miteinander, so dass hier eine deutliche Differenzierung gegenüber dem vorangegangenen Modell vorgenommen wird. Kleinsteuber wies allerdings auch darauf hin, dass bestimmte Faktoren die Mediensys teme der Länder einerseits zur Annäherung tend ier en lassen, andere wiederum die Unterschiede betonen, und machte damit auf die Dynamik und Vielfalt der Mediensystementwicklung aufmerksam (Kleinsteuber 2003: 31). Hallin und Mancini überwanden bisherige Ansätze, die empirisch kaum fundiert waren, und legten eine Analyse von Mediensystemen vor, indem sie durch den Vergleich von Medienentwicklung und Medienrealität eine Vielzahl von Kriterien extrahierten und daraus Medienmodellgruppen entwickelten (2004). Aus 18 Ländern in Nordamerika und Westeuropa bildeten sie • das mediterrane oder polarisiert-pluralistische Modell (Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und Frankreich), • das nord- und zentraleuropäische oder demokratisch-korporative Modell (Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland, Niederlande, Belgien, Österreich, Schweiz) und <?page no="37"?> Mediensysteme vergleichen 38 • das nord-atlantische oder liberale Modell (USA, Kanada, Großbritannien, Irland, Kanada) (ebd. 66-75). Hallin und Mancini entwickelten ihre Basis auf der Grundlage von politischen und medialen Dimensionen und stellten erst im Ergebnis fest, dass bei dieser Modellbildung klar abgegrenzte Regionen entstanden. Die Beobachtung, dass sich Mediensysteme in gleichen Weltregionen ähnlich entwickeln, liegt auch der Kapitelgliederung im vierten Abschnitt dieses Lehrbuches zugrunde. Dort kann dann auch nachvollzogen werden, wie verwandte Kulturen und Mentalitäten, auf denen sie basieren, diese Ähnlichkeiten kreieren. Allerdings beschränken sich Hallin/ Mancini in ihrer Beschreibung von Mediensysteme n auf die industrialisierten Länder und können mit ihren Kategorien den Großteil der Länder außerhalb dieses Kreises nicht in den Blick nehmen. Den Ansatz von Hallin/ Mancini, Mediensysteme nicht aufgrund von ideologischen Konzepten, sondern empirisch nachweisbaren Kriterien zu identifizieren, entwickelte Blum mit seinem pragmatischen Differenzansatz weiter, in dem er die Differenzierung der Beschreibungskategorien vorantrieb. Er unterscheidet neun Dimensionen (Regierungssystem, politische Kultur, Medienfreiheit, Medienbesitz, Medienfinanzierung, politischer Parallelismus, Staatskontrolle über die Medien, Medienkultur und Medienorientierung), deren Ausprägung er jeweils einer liberalen Linie (A), einer regulierten (C) oder einer mittleren Linie (B) zuordnet. Somit erweitert er in diesem Modell fünf medienbezogene Dimensionen (Medienfreiheit, -besitz, -finanzierung, -kultur, -orientierung) und eine politische (Regierungssystem) um drei Dimensionen, die an den Ansatz von Hallin/ Mancini angelehnt sind. Dies sind die politische Kultur, die Staatskontrolle über die Medien und der politischer Parallelismus, also die Nähe zwischen Medien und politischen Parteien. Aus der Kombination dieser Dimensionen und ihrer Ausprägungen konstruiert er sechs Mediensystemmodelle, denen er verschiedene Weltregionen zuordnet: • das atlantisch-pazifische Lieralismus-Modell (z.B. USA), • das südeuropäische Klientelmodell (z.B. Italien), • das nordeuropäische Public-Service-Modell (z.B. Deutschland), • das osteu ropäische Schockmodell (z.B. Russland), • das arabisch-asiatische Patrioten-Modell (z.B. Ägypten) und • das asiatisch-karibische Kommandomodell (z.B. China). Auch wenn die Zuordnung einzelner Länder in dem einen oder anderen Fall zu überprüfen wäre, so erlaubt dieses Modell doch, eine präzisere Beschreibung <?page no="38"?> Mediensystemklassifikationen 39 von Mediensystemen als die vorangegangenen Modelle vorzunehmen. Zudem ermöglicht dieses Klassifikationssystem, Fragestellungen zu formulieren, unter denen Mediensysteme zu analysieren und zu vergleichen sind. Sicher sind die Dimensionen von einer Groborientierung gekennzeichnet, die für Einzelfragen zu spezifizieren wäre. Die Unterscheidung zwischen Staatsrundfunk und public service (→ 3.3) fehlt hier völlig. Über da s Konzept der Medienfreiheit liegen sehr unterschiedliche Vorstellungen vor. Die Forschung zur politischen Kultur und den sie bestimmenden Faktoren ist äußerst umfangreich, und auch der politische Parallelismus bedarf der Aufschlüsselung, um Aussagekraft für Vergleiche zu gewinnen. Auch bedeutet die Reduktion auf Fragen der politischen Kommunikation und Vernachlässigung aller Unterhaltungsmedien eine Verengung der Realität von Mediensystemen. Dennoch liegen hier Vergleichskriterien vor, die Grundlagen zu genaueren Analysen liefern können. Hallin und Mancini (2012) prüfen in einer neuen Publikation ihren Ansatz, indem sie neue Modelle und Konzepte vor dem Hintergrund nicht-westlicher Mediensysteme betrachten und auch Prozesse politischer Transformationen inkludieren. Allen vorgestellten Mediensystemklassifikationen ist gemeinsam, dass sie vergleichend vorgehen, den Vergleich also als Methode nutzen, um typisierende Aussagen machen zu können. Mediensystemklassifikationen gehen vergleichend vor und bilde n nach zuvor gewählten Kategorien Typologien. Von der Differenziertheit dieser Kategorien hängt die Aussagekraft der Typologien ab. 2.5 Globalisierung der Mediensysteme Bisher ist in diesem Lehrbuch von der Existenz unterscheidbarer nationaler Mediensysteme ausgegangen worden. In diesem letzten Abschnitt zur Einführung in den Vergleich von Mediensystemen soll geklärt werden, ob diese Betrachtungsweise überhaupt noch ihre Berechtigung hat. Denn auffällig und zahlreich sind die Entwicklungen, die von einer Entgrenzung der Medienkommunikation im Hinblick auf ihre nationale Bedingtheit zeugen. Die globale Be- <?page no="39"?> Mediensysteme vergleichen 40 deutung des Internets und seine Quasi-Nichtregulierbarkeit aus nationaler Perspektive sind sichtbarstes Zeichen für diese Entwicklung. Diese Entgrenzung lässt sich im Hinblick auf ökonomische, rechtliche, politische, technische und kulturelle Faktoren hin beobachten. Ökonomisch haben schon längst global operierende Medienunternehmen einen machtvollen Einfluss auf nationale Medienmärkte genommen. Nicht nur in der Unterhaltungsindustrie, wo weltweit sechs US-amerikanische Konzerne das Geschäft beherrschen, ist dies der Fall (vgl. Doyle 2002 a und b). Ebenso teilen sich schon wenige global operierende Nachrichtenagenturen den Weltnachrichtenmarkt untereinander auf (vgl. Boyd-Barrett 2010). Medienkonzentrationstendenzen sind grenzüberschreitend und weit entwickelt (vgl. Lange 2008, Sjurts 2009). Unterhaltungsformate werden über internationale Fernsehmärkte ausgetauscht (Hallenberger 2009), Werbung für Markenprodukte erlebt international eine tendenzielle Standardisierung (vgl. Pezdir 2002). In medienrechtlicher Hinsicht hat zumindest in Europa die EU als supranationale Organisation rechtssetzende Macht erhalten, die über den Gestaltungsmöglichkeiten des nationalen Staates steht. Selbst Kommunikationspolitik, auch wenn sie keine Institutionen mit Durchsetzungsmacht auf supranationaler Ebene jenseits der EU kennt, hat - im Rahmen der UNESCO - internationale Dimensionen angenommen (vgl. Tietje 2009). In technischer Hinsicht sind schon mit den Satelliten weltweite Kommunikationsströme generiert und nationale Mediensysteme in ihrer Selbstbestimmung erodiert worden. Vor allem aber wird im Internet Kommunikation globalisiert. Die elektronischen Informationsflüsse überschreiten jedwede nationale Grenzen, räumliche Distanzen spielen für die Wahrnehmung von Weltgeschehen keine Rolle mehr. Es hat den Anschein, als würden durch die Medien geografische Grenzen und Hindernisse mehr und mehr schrumpfen und die Welt zu einem globalen Dorf und einem einheitlichen Schauplatz werden. Demgegenüber sind im Internet keine nationalen Gestaltungsansprüche mehr geltend zu machen. Vielmehr versuchen internationale Netzwerke, Standards zu entscheiden und durchzusetzen, denen schon einmal das Etikett der Internet- Weltregierung angeheftet wird (vgl. Kleinwächter 2005). Mit der schnellen Verbreitung der Kommunikationstechnologien wird befürchtet, dass eine kommerziell motivierte kulturelle Vereinheitlichung der Welt einhergeht, dass Konsumvorstellungen, Rezeptionsvorlieben und Weltbilder sich in einer »McDonaldisierung« einander annähern. Auch wenn diese Globalisierungsprozesse immer wieder durch Regionalisierungsbestrebungen konterka- <?page no="40"?> Globalisierung der Mediensysteme 41 riert werden, so ist dieser Trend doch unübersehbar (Kleinsteuber/ Thomaß 2002: 189). Und auch die journalistischen Kulturen nähern sich - mindestens in der westlichen bzw. industrialisierten Welt - soweit einander an, dass nationale Besonderheiten dahinter zu verschwinden scheinen (Weaver et al. 2006). Macht es angesichts dieser Entwicklungen noch Sinn, nationale Mediensysteme zu identifizieren, analysieren und vergleichen? In diesem Lehrbuch wird davon ausgegangen, dass die prägenden Faktoren Geografie sowie Recht, politisches System, Wirtschaftsverfassung, Sprachkultur, gegebener Stand der Medientechnologie und ihrer Verbreitung (s.o.), die sich ihrerseits im nationalen Rahmen historisch entwickelt haben, es gerechtfertigt erscheinen lassen, Mediensysteme innerhalb ihrer jeweiligen nationalen Grenzen zu betrachten. Medien sind in kulturelle Kontexte eingebettet, die national - und auch grenzüberschreitend - dimensioniert sind, jedoch nur in Ansätzen global. Vor allem Medienrecht und -politik, auch wenn deren Gestaltungsmacht aufgrund von Globalisierungsprozessen abnimmt, machen es möglich, national begrenzte Mediensysteme zu identifizieren. Aber auch Sprach- und Kulturräume - die ihrerseits als zu vergleichende Systeme verstanden werden können (Esser/ Hanitzsch 2012: 15) - stehen in engem Zusammenhang mit nationalen Grenzen - können diese allerdings auch weit überschreiten. Die Entgrenzung von Mediensystemen in globalisierender Perspektive ist jedenfalls in vollem Gange. Die prägenden Faktoren der Mediensysteme, die sich im nationalen Rahmen historisch entwickelt haben, rechtfertigen es, diese innerhalb ihrer jeweiligen nationalen Grenzen zu betrachten - trotz einer voranschreitenden Entgrenzung der Mediensysteme. Aber erst die Kenntnis bestehender nationaler Mediensysteme und ihrer konkreten Erscheinungen, Entwicklungstendenzen und Probleme erlaubt es, solche Konzepte wie Internationalisierung, Globalisierung oder auch Deregulierung und Kommerzialisierung empirisch nachvollziehbar feststellen zu können. Gerade die Vergleiche von Einzelphänomenen in gegebenen Mediensystemen ermöglichen es, danach zu fragen, welche generellen Tendenzen grenzüberschreitend sichtbar werden. Dies wird in den nachfolgenden Kapiteln, die sich gegenstandsbezogen mit dem Vergleich in der Kommunikations- und Medienwissenschaft auseinandersetzen, deutlich werden. Auch in dem sich anschließenden Teil, der auf Weltregionen bezogen vergleichende Erkenntnisse vorstellt, wird diese Wechselbeziehung von nationaler Prägung und globaler Entgrenzung sichtbar werden. <?page no="41"?> Mediensysteme vergleichen 42 Schließlich ist festzuhalten, dass mit den nationalen Mediensystemen ein klar umrissener Untersuchungsgegenstand gegeben ist, der eine sinnvolle Analyseeinheit darstellt. Dass diese durch die Globalisierungsprozesse gravierenden Veränderungen unterworfen ist, kann der Vergleich von Mediensystemen langfristig erkennbar machen. Literatur Bertrand, Claude-Jean (2000): Media Ethics and Accountability Systems. 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Die Kommunikationswissenschaft bezieht in dieses Politikfeld neben der Massenkommunikation, für die der Begriff der Medien hier steht, auch die nicht aktuellen Medien wie Film oder Buch und die Individualkommunikation mit ein, die die gesamten Aspekte der Telekommunikation umfasst, und berücksichtigt Multimedia und Onlinemedien, die der individuellen Nutzung unterliegen. Deshalb ist Kommunikationspolitik der umfassendere Begriff, der das Handeln in diesem Politikfeld bezeichnen soll. Kommunikationspolitik richtet sich auf die Strukturen, Prozesse und Inhalte der gesellschaftlichen Kommunikation: Kommunikationspolitik meint »ein politisch motiviertes und intendiertes Handeln, das sich auf die Organisation, Funktionsweise, die Ausgestaltung sowie die materielle und personelle Situation der Massenmedien bezieht« (Kleinsteuber 1996: 17). Sie bemüht sich um Normierungen vornehmlich der Massenkommunikation, aber auch der Individualkommunikation und entwirft dafür Maßnahmen, die unter Einfluss der verschiedenen Akteure der Medienkommunikation gestaltet und umgesetzt werden. Kommunikationspolitik als Gegenstand bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Mediensystem und politischem System. Entsprechend wird sie vor allem von zwei Wissenschaftsdisziplinen in Augenschein genommen. Während die Kommunikationswissenschaft kommunikationstheoretische Befunde erhebt, die gegebenenfalls zur Beratung der praktischen Politik zur Verfügung gestellt werden, widmet sich die Politikwissenschaft vor allem der Analyse von Konflikt, <?page no="46"?> Kommunikationspolitik 47 Interesse, Macht und Konsens. Im Rahmen der Kommunikationspolitik lassen sich verschiedene Ansätze identifizieren (Puppis 2010: 49-64), je nachdem, ob es sich bei der Regulierung um eine staatliche oder um Selbstregulierung durch Medienakteure handelt, um eine Kombination beider, die als Co-Regulierung bezeichnet wird, oder um media governance, bei der das Zusammenwirken von verschiedenen Ebenen und verschiedenen Akteuren betrachtet wird (Donges 2007). Die Bedeutung der Kommunikationspoliti k für die Ausgestaltung von Mediensystemen Kommunikationspolitik ist ein prägender Faktor, der die vorfindbare Ausgestaltung der Mediensysteme maßgeblich beeinflusst. Dabei ist zu unterscheiden, ob die wissenschaftliche Kommunikationspolitik im Mittelpunkt des Interesses steht, also die analytische Begleitung der praktischen Kommunikationspolitik, oder ob wissenschaftliche Kommunikationspolitik Alternativen für das praktische und politische Handeln entwickeln, also auf Verwendbarkeit zielen und diese maximieren soll, wie es Saxer forderte (Saxer 1994: 42). Bei der vergleichenden Analyse von Mediensystemen wird die wissenschaftliche Kommunikationspolitik zentral sein. Gemäß der in der Politikwissenschaft verwendeten Dreiteilung lassen sich Mediensysteme nach folgenden kommunikationspolitischen Bereichen unterscheiden (Kleinsteuber/ Thomaß 2009: 65): • Polity (die politische Ordnung in ihrer Gesamtheit): Wie ist die dem jeweiligen Mediensystem zugrunde liegende Kommunikationsordnung verfasst? Welche Leitbilder sind für die vorherrschende Kommunikationspolitik relevant? Welche Visionen werden von anderen Akteuren miteingebracht? • Politics (das Ringen der Akteure um politische Macht): Welche Akteure spielen welche Rolle im gegebenen Mediensystem mit welchen Einflussmöglichkeiten? Welche Strategien wenden die verschiedenen Akteure an, welches sind ihre zentralen Vorhaben bzw. Forderungen? Welche Möglichkeit der Gestaltung und auch der normativen Einflussnahme bestehen? Wie werden sie genutzt? • Policies (Inhalte der Politik): Welche Medienbereiche sind Gegenstand der Kommunikationspolitik? Welche Regelungen in welchen <?page no="47"?> Themen des Vergleichs 48 Feldern gelten für das gegebene Mediensystem? Welchen Grad an Unabhängigkeit oder Einflussnahme durch welche Akteure erleben die Medien? Zur Polity: Sicher ist davon auszugehen, dass Kommunikationspolitik in einem gegebenen Land den ordnungspolitischen Leitvorstellungen der dort gegebenen Gesellschaft folgt. Dies hat Herbert Altschull deutlich herausgearbeitet. Er konstatierte, dass in allen Mediensystemen Medien Agenten der politischen und ökonomischen Macht sind und dass der Inhalt der Medien die Interessen derer reflektieren, die sie finanzieren. Der Begriff von Pressefreiheit (oder im weiteren Sinne Medienfreiheit) und von sozialer Verantwortung, der in den Selbstbeschreibungen aller Mediensysteme eine wichtige Rolle spielt, wird im Lichte der jeweiligen Gesellschaftsordnung interpretiert (Altschull 1984: 279). In einer pluralistischen Gesellschaftsordnung, die individuelle Grundfreiheiten festschreibt, sind die Kommunikationsfreiheiten und eine plurale Medienordnung die zentralen Leitvorstellungen, an denen sich die praktische ebenso wie die wissenschaftliche Kommunikationspolitik ausrichtet. Somit steht die Frage nach der Organisationsform der Kommunikationsmittel, »der demokratiegerechten Kommunikationsordnung einer Gesellschaft« (Haas/ Langenbucher 2003: IX) im Zentrum der Kommunikationspolitik dieser Gesellschaftsordnungen. Wissenschaftliche wie praktische Kommunikationspolitik geht hier also von einem normativen Ausgangspunkt aus: Ohne freie Medien ist keine ungehinderte Meinungsbildung und damit keine Demokratie möglich. Zu Politics: Allerdings ist - wo es wie z.B. in weniger stabilen Gesellschaften oder Transformationsstaaten (→ 4.2) keine konsentierten Leitideen gibt - gerade die Entwicklung dieser Leitbilder einer heftigen Auseinandersetzung unterworfen. Immerhin entstehen sie dann endogen. Häufig ist es aber auch der Fall, dass Leitbilder aus dem Ausland importiert werden, also exogen entstehen. Dies ist in den Ländern Afrikas nach der Erlangung der Unabhängigkeit zum Teil der Fall gewesen oder auch in den postkommunistischen Staaten. Auch die Durch- und Umsetzung der Leitideen kann sich in den einzelnen Staaten stark unterscheiden. Geschieht sie auf dem Wege der Verrechtlichung - also top down - oder wird sie im Zuge von Selbstregulierungsprozessen durchgesetzt bzw. optimiert - also bottom up? Zu Policies: Gerade bei der Frage der Gegenstände der Kommunikationspolitik und den entsprechenden Regelungen ist in zweifacher Hinsicht eine ausgesprochene Dynamik zu finden: Sowohl der Gegenstand von Kommunikationspolitik hat sich über die Zeit deut lich verändert, als auch der Raum, innerhalb <?page no="48"?> Kommunikationspolitik 49 dessen Kommunikationspolitik stattfindet. Die Entwicklung der Kommunikationspolitik wird im nächsten Abschnitt nachgezeichnet. Bisherige Entwicklung von Kommunikationspolitik Wilke weist darauf hin, dass der Gegenstand Medienpolitik schon existiert hatte, lange bevor der Begriff in die Debatte kam. Von der Errichtung der Zensur über die beginnende periodische Presse im 16. Jahrhundert, über die Gewährleistung der Pressefreiheit im Zuge der Aufklärung, eine aktive Pressepolitik durch den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck (er etablierte eine Art Pressedezernat), die Pressekontrolle im Ersten Weltkrieg, die absolute Kontrolle der Medien im nationalsozialistisc hen Deutschland bis hin zur Gestaltung einer demokratischen Medienlandschaft in Deutschland durch die alliierten Besatzungsmächte - allein in Deutschland lässt sich eine jahrhundertelange Geschichte aktiver politischer Beeinflussung der Rahmenbedingungen und Inhalte von medial ermittelter Kommunikation feststellen (Wilke 1986). Ähnliche Entwicklungslinien ließen sich für alle Länder zeichnen; diese zu vergleichen ist ein fast noch gänzlich unbearbeitetes Forschungsgebiet. Zwei Linien lassen sich verfolgen, wenn man die Entwicklung von Kommunikationspolitik betrachtet. Die eine bezieht sich auf die Ausweitung des Gegenstandes, die andere auf die Ausweitung des Raumes, innerhalb dessen Kommunikationspolitik analysiert und betrieben wird. Die Ausweitung des Gegenstandes folgt dabei weitgehend den medientechnischen Entwicklungen. Die Erfindung von Gutenberg, mit der Druckwerke massenhaft verbreitet werden konnten, zog den Versuch der Obrigkeiten nach sich, Kommunikation zu kontrollieren; mit der beginnenden Verbreitung periodischer Presse setzte auch die Auseinandersetzung um die Pressefreiheit ein; für den Film als »neues Medium« wurde in Deutschland 1920 ein »Reichslichtspielgesetz« erlassen; in den USA baute der mächtige Filmverband MPPA (Motion Pictures Association of America) seine Kartellmöglichkeiten und seinen Einfluss auf den kulturellen Außenhandel schnell aus, so dass die US-Filmindustrie bis heute davon profitiert; der entstehende Rundfunk in den 1920er-Jahren geriet bald in allen europäischen Ländern in den Fokus des medienpolitischen Interesses des Staates. Die in den 1980er-Jahren als »neu« geltenden Medien Kabel und Satellit, die Online-Medien in den 1990er-Jahren, der gesamte Bereich der Telekommunikation, das welt- <?page no="49"?> Themen des Vergleichs 50 umspannende Internet - alle technisch neuen Kommunikationsmedien ziehen medienpolitische Problemlagen, Begehrlichkeiten und letztlich Regelungen nach sich. Die Vergrößerung des Raumes innerhalb dessen Kommunikationspolitik stattfindet bzw. analysiert wird, ist die zweite Linie, die ihre Entwicklung bestimmt. Sie lässt sich aus deutscher Perspektive wie folgt darstellen. Allein in Deutschland geschieht Kommunikationspolitik auf zwei Ebenen: auf der Länderebene, wo Ministerpräsidenten, Rundfunkanstalten und Landesmedienanstalten als maßgebliche Akteure gelten können, und auf der Bundesebene, wo Regierung, Parlament und das Bundesverfassungsgericht die bedeutsamen Akteure sind. Wegen des Grundsatzes der Kulturhoheit der Länder - eine föderale Besonderheit, die im internationalen Vergleich selten zu finden ist - wurde z.B. Rundfunkpolitik lange primär auf Länderebene wahrgenommen, bevor es zu komplizierten Abstimmungsprozessen zwischen den Länden kam. Die Bundesebene ist erst in dem Maße mit ins Spiel gekommen, wie - in den 1960er-Jahren - der Begriff der »Medienpolitik« aufkam. Die Ausweitung des Raumes, innerhalb dessen sich Kommunikationspolitik entwickelt, lässt sich besonders in Europa gut nachvollziehen. Mit der Integration der Europäischen Gemeinschaft und der EU fand auch eine Verlagerung wesentlicher und zunehmender Teilgebiete auf die europäische Ebene statt. Mit der Entstehung des Binnenmarktkonzeptes für die europäischen Länder, nach dem die schon lange geplante Verschmelzung der Märkte erreicht werden sollte und das den freien Verkehr von Waren, Kapital und Dienstleistungen realisierte, wurde auch die bislang vorwiegend im Nationalen operierende Kommunikationspolitik in ihren Grenzen ausgeweitet (Kleinsteuber/ Rossmann 1994). Die Verabschiedung der Richtlinie über grenzüberschreitendes Fernsehen von 1989, kurz Fernseh-Richtlinie und seit 2007 Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste genannt, war ein Meilenstein auf diesem Wege der Entwicklung einer großräumigen Kommunikationspolitik 2 . Spätere Richtlinien zur Telekommunikation, die Transparenz-Richtlinie, die relevant für die Rechtmäßigkeit der Rundfunk- 2 Richtlinien und Grünbücher werden hier wegen dem Überblickscharakter der Darstellung nicht im Einzelnen aufgeführt. Die entsprechenden Quellenangaben zu den genannten Texten findet sich auf folgenden Webseiten der Europäischen Union zu ihren Tätigkeitsbereichen »Audiovisuelle Politik und Medienpolitik« sowie »Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien«: http: / / ec.europa.eu/ avpolicy/ info_centre/ library/ legal/ index_en.htm und http: / / ec.europa.eu/ dgs/ connect/ index_en.htm. <?page no="50"?> Kommunikationspolitik 51 gebühren ist, und die damit verbundenen Anfragen der EU-Kommission bei nationalen Regierungen, Richtlinien zum Urheberrecht, zu Ausstrahlungsnormen, zur Liberalisierung des Telekommunikationssektors und zur Herstellung eines neuen Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu medienpolitischen Fragen auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechtes, der Versuch, die jeweiligen Bedingungen des Pressemarktes einander anzugleichen, die Förderung der europäischen audiovisuellen Produktion, auch die verfehlte Antikonzentrationspolitik (→ 3.6) - all dies waren und sind Elemente einer Kommunikationspolitik, die den nationalen Rahmen längst gesprengt hat und die die Bedingungen der nationalen Mediensysteme in Europa massiv beeinflusst. Die Entwicklung von Kommunikationspolitik ist durch die Ausweitung des Gegenstandes und durch die Ausweitung des Raumes, innerhalb dessen Kommunikationspolitik analysiert und betrieben wird, gekennzeichnet. Mit der Ausweitung der EU auf weitere Staaten, besonders der Transformationsstaaten in Osteuropa (→ 4.2), wurde der Raum europäischer Kommunikationspolitik noch mehr erweitert. Diese Integration und Vereinheitlichung in medienpolitischer Hinsicht ist in keiner Weltregion soweit vorangeschritten wie in Europa. Dennoch lassen sich auch auf anderen Kontinenten erste Gestaltungselemente erkennen, die auf eine grenzüberschreitende Medienpolitik zielen. Die Entste hung eines integrierten Wirtschaft sraumes in Lateinamerika - Mercosur -, der auch medienpolitisch relevant wird (→ 4.4), oder die Gestaltung der Absatzmärkte, die für den in Asien produzierten Film in Angriff genommen wird (→ 4.6) können so gedeutet werden. Über der Ebene der Kommunikationspolitik in Weltregionen entwickelt sich die internationale Kommunikationspolitik, die vor allem auf völkerrechtsverbindliche Vereinbarungen abzielt (Tietje 2009). Kommunikationspolitik im internationalen Vergleich Auch wenn sich der Raum, in dem Kommunikationspolitik stattfindet, von der nationalen Ebene über Großräume wie die EU auf die globale Ebene ausgeweitet hat, ist der Nationalstaat immer noch ein entscheidender Rahmen, innerhalb dessen sie stattfindet. Deshalb sollen hier einige wesentliche Parameter, nach <?page no="51"?> Themen des Vergleichs 52 denen sie zu beschreiben ist, und die damit verbundenen Unterschiede weltweit dargestellt werden. Diese Parameter werden wiederum nach der schon oben genannten Dreiteilung von Polities, Politics und Policies angeordnet. Fragt man im Bereich von Polities nach den Medienordnungen und dort nach den Institutionen und Strukturen der Regulierung, die durch Kommunikationspolitik realisiert wird, so ist das Verhältnis von Staat und Medien von Bedeutung. Insgesamt befindet sich das kommerzielle Marktmodell auf dem Vormarsch. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich staatliche Stellen gegenüber den Medien abstinent verhalten. Vielmehr lässt sich eine abnehmende Regelungsintensität gegenüber Rundfunk, Print, Online und nichtaktuellen Medien beobachten. Bei Rundfunk hat sich international das Prinzip Regulierung durchgesetzt, wobei eine Behörde Sendelizenzen auf Zeit vergibt und die Einhaltung von Programmregeln überwacht. Rundfunk (nicht nur im Public-Service-Bereich) ist in Westeuropa die am meisten regulierte Industrie. Regulierung - und dies geht auf die Public-Service-Broadcasting-Tradition (→ 3.3) zurück - ist bislang vordringlich mit kulturellen und politischen, viel weniger mit ökonomischen Belangen begründet worden. Daraus resultiert die Überzeugung, dass Rundfunk zu wichtig ist, als dass man ihn dem Markt allein überlassen könnte (Levy 1999: 20). Die mittlerweile weitestgehend abgeschlossene Einführung kommerziellen Fernsehens änderte an dieser Grundüberzeugung nichts. Allerdings macht der internationale Vergleich deutlich, dass ein kulturpolitisches immer mehr durch ein wirtschaftliches Paradigma abgelöst wird (Nieminen/ Trappel 2011: 143). Weitere Kriterien der Polities sind die Unterscheidung nach der jeweiligen Freiheit von Mediensystemen (→ 2.4), dem Grad der Konzentration von Märkten (→ 3.6), der Situation von Public Service Broadcasting (→ 3.3) und dem Wandel von Mediensystemen (→ 4.2). Im Rahmen von Politics stehen die Akteure der Kommunikationspolitik im Mittelpunkt des Interesses, die in außerordentlicher Vielzahl und Vielfältigkeit gegeben sind (Kleinsteuber/ Thomaß 2009: 74). Je nach gegebener kommunikationswirtschaftlicher Lage eines Landes ergibt sich daraus eine Vielzahl möglicher Allianzen und Zusammenschlüsse, die politikrelevant werden. Auf Seiten der Politik lassen sich Akteure auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene unterscheiden; eine große Vielzahl entsteht dort, je nachdem wie stark Akteure aus der Wirtschafts-, der Kultur- oder auch der Sozialpolitik beteiligt sind. Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, welche Akteure jeweils einen Input zur Kommunikationspolitik leisten, stellt sich das Ringen um Macht in diesem <?page no="52"?> Kommunikationspolitik 53 Politikfeld in den verschiedenen Ländern durchaus unterschiedlich dar. Die deutsche Lösung für die administrative Gestaltung der Kommunikationspolitik mit ihrer ausgeprägten Dezentralität verkörpert dabei das eine Ende eines Kontinuums, an dessen anderem Ende Staaten wie Frankreich zu lokalisieren sind, die - eingedenk der gesamten staatlichen Tradition - ihr Mediensystem von zentralen Institutionen ausgehend lenken bzw. regulieren. Dezentrale Kommunikationspolitiken liegen damit vor allem in Europa in Ländern vor, die ohnehin über starke Regionen oder Regionalisierungstendenzen verfügen, wie z.B. Spanien, Österreich oder die Niederlande, während die zentrale Lösung weltweit eher als die dominierende gelten kann (vgl. Moragas Spà/ Garitaonandía 1999). Das Bemühen, Medienfragen als Machtfragen eng an das staatliche Handeln zu binden, findet insbesondere in den Ländern, in denen die Ausgestaltung einer demokratischen Medienlandschaft erst in den Anfängen begriffen ist, ihren Ausdruck in zentralen Zuständigkeiten. Ein Informationsministerium ist ohnehin in den meisten autoritären und semiautoritären Staaten anzutreffen. Dabei ist es eine oft zu beobachtende Tendenz, die sensible Position des Informationsministers mit den jeweiligen Machtzentren besonders nahe stehenden Personen zu besetzen. Beispiele dafür lassen sich in afrikanischen, arabischen ebenso wie in zentralasiatischen Staaten finden (→ 4.7, 4.6, 4.2). Weitere wichtige Akteure der Kommunikationspolitik sind die Public-Service-Anbieter (→ 3.3), Medienmogule - die in den hochkonzentrierten westlichen Medienmärkten abnehmen, in östlichen und südlichen Industrielädern jedoch zunehmend auftreten -, zivilgesellschaftliche Akteure mit eigenen Medienangeboten sowie Parteien und Verbände. Fragt man nach dem Output von Kommunikationspolitik, also nach den Policies, so stellt sich das Problem, wie zielgerichtet Politik in diesem Feld vorgehen kann, das - zumindest in pluralistischen Gesellschaften - ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Staatsferne für sich beansprucht und das in sich so wenig homogen ist, dass Gestaltbarkeit auch aus dieser Perspektive schwer zu erreichen ist. Zwei Besonderheiten akzentuieren dieses Problem noch. Neben der außerordentlichen Vielzahl und Vielfältigkeit der Akteure im Bereich der Politik und der Kommunikationsindustrie ist dies die Tatsache, dass Kommunikationspolitik mehr noch als andere Politikfelder an der Abwesenheit klarer Leitbilder leidet. Dies ist auf die zahlreichen Akteure zurückzuführen, die an der Entstehung eines solchen Leitbildes mitwirken und die auch die Realisierung eines solchen Leitbildes mitgestalten. Zwar lässt sich für westeuropäische Staaten feststellen, dass Presse- und Medienfreiheit in den jeweiligen Verfassun- <?page no="53"?> Themen des Vergleichs 54 gen postuliert werden; wie diese jedoch zu realisieren ist, ob darunter vornehmlich Wirtschaftsfreiheit oder publizistische Freiheit zu verstehen ist, welche Medienordnungen am geeignetsten sind - dafür lässt sich schwer eine allgemein anerkannte Legitimation herstellen. Und selbst dort, wo Leitbilder gewachsen sind - die exception culturelle, die die französische Medienpolitik immer wieder inspiriert, kann hier als Beispiel gelten - , werden diese im Zuge der Europäisierung und Globalisierung konkurrierenden Leitbildern ausgesetzt - im französischen Beispiel die Notwendigkeit, am Weltmarkt konkurrenzfähige Medienkonglomerate zu schaffen. So setzt sich die Kommunikationspolitik in den verschiedenen Feldern jeweils pragmatisch oder kurzfristig Ziele, die angesichts der Vielzahl der beteiligten Akteure als konsensfähig bzw. durchsetzbar gelten können. Die einzelnen Akteure haben bei der Aushandlung ihrer Interessen mehr oder weniger Verhandlungsmacht. Deshalb fällt der Output von Kommunikationspolitik trotz gleicher oder ähnlicher Problemlagen in unterschiedlichen Ländern durchaus unterschiedlich aus. Trotz ähnlicher Problemlagen fällt der Output von Kommunikationspolitik in unterschiedlichen Ländern aufgrund der Vielzahl der beteiligten Akteure, ihrer divergierenden Ziele und der variierenden Aushandlungsergebnisse unterschiedlich aus. Die in der sogenannten Informationsgesellschaft gegebene Konvergenz von Bild-, Ton- und Schriftmedien, von Telefonie, Rundfunk und Online-Techniken - also auch von Telekommunikations- und Medienmärkten - hat kommunikationspolitische Weichenstellungen und neue rechtliche Zuordnungen notwendig gemacht. Die politischen Akteure müssen entscheiden, wie sie die einzelnen Kommunikationsdienste voneinander abgrenzen wollen, für welche der Medientechniken sie welche Regelungstiefe anstreben, z.B. welche sie komplett den Marktkräften überlassen und welche sie im Rahmen einer öffentlichen Daseinsvorsorge fördern wollen. Allerdings sind dies kommunikationspolitische Herausforderungen, die sich vor allem den reicheren Industriestaaten stellen, in denen diese Informations- und Kommunikationstechniken (IuK) schon zu einer breiten Entfaltung gekommen sind. Für die Mehrheit der Staaten auf der Welt stellt sich das Problem der Sicherung eines universalen Zugangs zum Internet, von dessen Realisierung sie noch weit entfernt sind. »Digitalen Anschluss« fordern in der Konsequenz zahlreiche politische und wirtschaftliche Initiativen. Die Überwindung der sogenannten <?page no="54"?> Kommunikationspolitik 55 digital divide ist somit ein Feld der Kommunikationspolitik, bei dem Anstrengungen der nationalen Regierungen und der supranationalen Organisationen Hand in Hand gehen. Bei dieser neuartigen Problematik tritt aber in den Hintergrund, dass in vielen Ländern noch nicht einmal der Zugang aller Teile der Bevölkerung zu den traditionellen Medien gesichert ist. Wo es bereits einen hohen Anteil der Bevölkerung gibt, der online ist, sind Cyberkriminalität, e-commerce, e-government und auch die Entwicklung von e-learning die kommunikationspolitischen Herausforderungen. Der Vormarsch der Online-Medien hat ein weiteres Feld der Kommunikationspolitik in den Mittelpunkt vor allem der europäischen Aufmerksamkeit gerückt: die Sicherung des öffentlichen Rundfunks, der schon durch die zurückliegende Dynamisierung der Kommerzialisierung in fast allen Ländern, in denen er existiert, unter erheblichen Druck geraten ist (→ 3.3). Aber längst nicht alle Staaten entwickeln eine Kommunikationspolitik, die seiner Sicherung förderlich ist. Die Tatsache, dass die Medienindustrie immer auch eine Kulturindustrie ist, die Werte jenseits der rein kommerziellen berührt - wie nationale Identität, Förderung der demokratischen Öffentlichkeit etc. -, hat zur Folge, dass ihre Akteure von einer Vielzahl von Staaten eine besondere Förderung erhalten. Dies ist insbesondere bei der Filmwirtschaft zu beobachten. Filmförderungspolitik ist beispielsweise in Frankreich selbstverständlicher Bestandteil der Kommunikationspolitik; sie ist kulturell motiviert, aber mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden. Zentren der kommerziellen Filmproduktion, die denen in den USA vergleichbar sind, sind mittlerweile auch in Asien (Indien → 4.6) und Lateinamerika (Brasilien → 4.4) entstanden. Die Sicherung kultureller Identität ist ein kommunikationspolitisches Ziel, das besonders in Kleinstaaten und Staaten, die mit kleinen Medienmärkten gegenüber großen Nachbarn mit gleicher Sprache konkurrieren müssen, eine bedeutende Rolle spielt (Puppis/ d’Haenens 2009). Das kommunikationspolitische Ziel der Sicherung des Wettbewerbs, das der Wahrung von Medienvielfalt dienen soll, findet in vielen Ländern seinen konkreten Ausdruck in der Betreibung einer Antikonzentrationspolitik, die Konzentrationen am Medienmarkt entgegentreten soll (→ 3.6). <?page no="55"?> Themen des Vergleichs 56 Das Spannungsverhältnis von nationaler und internationaler Kommunikationspolitik Oben wurden die Leitbilder erwähnt, die von zentraler Bedeutung für die Ausrichtung nationaler Kommunikationspolitiken sind. Divergenzen in den jeweiligen Ausprägungen der Kommunikationspolitik werden sich auf unterschiedliche Leitbilder zurückführen lassen. Nun hat aber das Leitbild von den kommunikativen Grundfreiheiten und auch einer pluralen Medienordnung in internationale Vereinbarungen Eingang gefunden, so dass sich die Fragen stellt, wie diese Grundlagentexte mit den jeweils nationalen Medienpolitiken vereinbar sind. Als Ausgangspunkt der Überlegungen ist hier die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948 zu nennen, die in Artikel 19 postuliert: »Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.« 3 Es liegt auf der Hand, dass längst nicht alle Länder dieser Erde diesem Leitbild folgen, auch wenn ihre Regierungen den entsprechenden Text unterschrieben haben. Allein die Tatsache, dass nur einem kleinen Teil der UN-Mitglieder eine freie Medienlandschaft besche inigt werden kann, macht dies es Spannungsverhältnis deutlich. Die Geschichte der internationalen Kommunikationspolitik - von der Auseinandersetzung über eine Neue Internationale Informationsordnung (Breunig 1996) bis zu den Debatten rund um den Weltgipfel zur Informationsgesellschaft 2003 und 2005 (u.a. Hamelink 2004) - ist eine Geschichte der Beispiele, wie sehr global formulierte Ansprüche im Widerspruch, zumindest nicht in Übereinstimmung mit nationalen Auslegungen stehen. Auf supranationaler Ebene lässt sich eine Fülle von Aktivitäten nennen, die sich als globale Kommunikationspolitik deuten lassen. Der Akteurskreis hat sich erweitert. Zu den nationalen Regierungen sind weitere Akteure hinzugekommen, zunächst die UNESCO und institutionalisierte internationale Kooperationsregime wie die Internationale Telekommunikations-Union (ITU) 4 oder die 3 Zitiert bei Haller (2003). Dort findet sich eine Dokumentation international gültiger Texte über Normen zur Pressefreiheit. 4 In der schon im 19. Jahrhundert gegründeten ITU, die heute auf der Grundlage eines zuletzt 1998 reformierten völkerrechtlichen Vertrages arbeitet, sind neben 191 Mitgliedsstaaten über 700 Unternehmen und NGOs tätig (Puppis 2010: 143). <?page no="56"?> Kommunikationspolitik 57 Welthandelsorganisation (WTO) 5 , dann aus dem Bereich der Privatwirtschaft und ihrer Verbände, später aus dem Bereich der Zivilgesellschaft. Dies ist insbesondere auf dem schon erwähnten Weltgipfel zur Informationsgesellschaft deutlich gew orden (Raboy 2005). Zu den Aktivitäten dieser Akteure gehören die Verabschiedung einheitlicher Kommunikationsnormen, Plattformen, Rechte oder technischer Standards. Das Internet stellt für die Kommunikationspolitik aus verschiedenen Gründen große Probleme, für die erst allmählich tragfähige Lösungen entwickelt werden. Dass im Netz alles illegal ist, was auch online illegal ist (Puppis 2010: 259) reicht schon lange nicht mehr aus. Die national dimensionierte Medienpolitik erscheint für das grenzenlose Medium ungeeignet. Denn die Regeln, die es im Hinblick auf Jugendschutz, Persönlichkeitsschutz, e-commerce, Urheberrecht etc. gibt, lassen sich durch das Ausweichen der Anbieter in andere Nationen leicht umgehen. Nur kooperativ, durch das Zusammenwirken von Regierungen, dem Privatsektor und zivilgesellschaftlicher Organisationen lässt sich die Formulierung und Implementierung weltweit gültiger Regeln durchsetzen. Das ist woran das sogenannte Internet Governance Forum arbeitet - seit 2006 unter UN-Mandat und voraussichtlich bis 2015. Die bekanntere ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) ist nur für die Verwaltung der technischen Infrastruktur des Netzes verantwortlich (Puppis 2010: 165). Problemlagen und Perspektiven von Kommunikationspolitik Kommunikationspolitik ist ein diffuses Politikfeld, dass von der Politikwissenschaft selbst (noch) wenig beachtet, von der Kommunikationswissenschaft mehr im Hinblick auf die Befunde zu seinen Auswirkungen betrachtet wird. Für die praktische Kommunikationspolitik lässt sich eine Vielzahl von Problemlagen benennen, die sich danach unterscheiden, welchen Rahmen man jeweils zugrunde legt. Für die internationale Dimension gilt, dass die Globalisie- 5 Die World Trade Organisation arbeitet an der Liberalisierung des weltweiten Handels und behandelt in diesem Zusammenhang auch Aspekte der internationalen Kommunikation und Information. <?page no="57"?> Themen des Vergleichs 58 rung der Märkte - auch der Medienmärkte - in einem Ausmaß vorangeschritten ist, dem eine Kommunikationspolitik auf supranationaler Ebene noch in keiner Weise gerecht wird. Etliche Einzelproblemlagen, die in den Nationalstaaten zu beobachten sind, sind letztendlich auch angesichts dieses Defizits zu betrachten. So ist das Problem der Medienkonzentration durch die grenzüberschreitenden Aktivitäten der Medienkonzerne mit generiert; und die Frage der digital divide hat viel mit internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu tun, die die ökonomische Situation eines gegebenen Landes bedingen. Vertikale und horizontale Allianzen zwischen Sektoren, die bislang getrennt voneinander agierten und reguliert wurden wie Rundfunkmedien, Telekommunikation und online basierte Geschäftsaktivitäten sind kennzeichnend für einen ständigen Wandel der Medienmärkte (Sjurts 2009). Eine unmittelbare Konsequenz aus diesen sich verwischenden Abgrenzungen ist, dass Politikformulierung für diesen konvergierenden Sektor extrem schwierig ist. Dies betrifft Themen wie Schutz der Privatsphäre, Schutz der Informationen, Sicherung des universalen Zugangs zu allen Kommunikationsmitteln, technische Kompatibilität, Standardisierungen usw. Im europäischen Rahmen wird die Frage nach dem Primat von Ökonomie oder Kultur innerhalb der Kommunikationspolitik immer weniger gestellt, obwohl eine langanhaltende Entwicklung von Privatisierungen und Deregulierung zu einem Ungleichgewicht geführt hat, das die Sicherung der öffentlichen Kommunikation jenseits der privatwirtschaftlichen Interesssen in Frage stellt (McQuail 2011: 18 f.). Durch die wachsende Geschwindigkeit der Verbreitung der Online-Medien geraten traditionelle Medien zunehmend unter Druck. Der Erfolg der sozialen Medien vollzieht sich unter den Vorzeichen hoher Konzentration (→ 3.6). Der rasante Wandel im gesamten Medienbereich und die damit einhergehende Mediatisierung der Gesellschaft (Krotz 2007), lassen Zweifel an der Fähigkeit politischer und gesellschaftlicher Akteure aufkommen, die Folgen des Wandels im Sinne eines öffentlichen Interesses zu gestalten (McQuail 2011: 18). Ein zentrales Problem für alle Staaten - wenn auch in völlig unterschiedlicher Ausprägung - ist die Herstellung oder Sicherung pluraler demokratischer Medienordnungen - vorausgesetzt man legt dieses kommunikationspolitische Leitbild zugrunde. Dabei ist in keinem Land von einem vollkommen stabilen Status auszugehen. Wo die entsprechenden Grundrechte gesichert sind, wie in den westlichen Demokratien, stellt sich dennoch das Problem der Vielfaltsicherung <?page no="58"?> Kommunikationspolitik 59 und der Vermeidung einer Zusammenballung von Medien-, politischer und wirtschaftlicher Macht, wie das Beispiel Italien lehrt. Zunehmend wird diskutiert, ob und inwieweit Medien in Krisen- und Konfliktprävention bzw. -bewältigung eine Rolle spielen können (Thomaß 2013). Konzepte wie das des Friedensjournalismus von Galtung (1999) fordern eine aktive Rolle der Medien in diesem Feld und entsprechende kommunikationspolitische Maßnahmen. Dass Medien konfliktverschärfende, möglicherweise verursachende Wirkungen haben können, hat sich angesichts der Verbreitung von sogenannten Hassradios im früheren Jugoslawien oder in Ruanda gezeigt; umgekehrt versucht man eben in diesen Regionen, Medien, besonders Radiosender, in den friedlichen Aufbauprozess mit einzubeziehen. Eine Evaluierung des Erfolges nach wissenschaftlichen Kriterien steht allerdings noch aus. Zentrales Problem einer Kommunikationspolitik im Spannungsfeld von nationalen Handlungsmöglichkeiten und internationalen Dynamiken bleibt allerdings, ob und inwieweit das traditionelle Leitmodell einer demokratischen Medienordnung auch global für die weltweite Kommunikation gelten wird. Im Prozess der Globalisierung werden Staaten und Regierungen bei der Führung und Gestaltung wichtiger wirtschaftlicher Prozesse durch globale Unternehmen, die weltweiten Märkte und internationale Großorganisationen abgelöst. Damit sinkt insbesondere im Bereich von Kommunikation und Information ihre Möglichkeit, als rechtssetzende Instanz zu wirken. So bleibt nicht nur die Frage, welche Schranken der weltweiten Kommerzialisierung der Kommunikation gesetzt werden soll, sondern auch, wer diese Eindämmung vornehmen kann. Zentrales Problem einer Kommunikationspolitik im Spannungsfeld von nationalen Handlungsmöglichkeiten und internationalen Dynamiken ist, ob und inwieweit das traditionelle Leitmodell einer demokratischen Medienordnung auch global für die weltweite Kommunikation gelten wird. Vergleichende Studien zur Kommunikationspolitik Vergleichende Studien zur Kommunikationspolitik sind zunächst vor allem in Europa entstanden, die durch die ersten medienpolitischen Aktivitäten der Europäischen Kommission angeregt wurden (Kleinsteuber 2003: 78). Sie nahmen in den 1990er-Jahren deutlich zu. So untersuchte Humphries (1996), wel- <?page no="59"?> Themen des Vergleichs 60 che Auswirkungen Mediengesetzgebung in den Bereich Print und audiovisuelle Medien auf die Medienfreiheit und -vielfalt in 16 Ländern hatte; Hoffmann- Riem (1996) fokussierte auf die Lizenzierung und Kontrolle von öffentlichen und kommerziellen Rundfunkanbietern. Die unterschidlichen Regulierungsmodelle untersuchten Jarren et al. (2002); und eine Studie des Open Society Institutes (2008) untersuchte in 20 Mediensystemen in Ost-, Mittel- und Südosteuropa die Regulierungsstrukturen. Das Hauptinteresse dieser Studien liegt auf der Identifizierung von Instrumenten und Maßnahmen der Medienregulierung - auch im Sinne einer best-practice-Perspektive (Puppis/ d’Haenens 2012: 228). Zunehmende Bedeutung bei der vergleichenden Forschung zur Kommunikationspolitik erhält auch die Frage, wie digitale Infrastrukturen entwickelt und implementiert werden (u.a. Brown/ Picard 2005). Dabei werden solche Themen wie Urheberrechte, diagonale Konzentration und Antikonzentrationsregelungen, Schutz der Privatsphäre, Zensur, Sicherheit der elektronischen Information und universaler Zugang zu Kommunikationstechnologien relevant. Unterschiede bestehen in der Balance, die die jeweiligen Regierungen zwischen Kommunikations- und Marktfreiheiten und notwendigen Regulierungen finden. Beispielhaft sei hier die Studie von d’Haenens genannt, die feststellt, dass das Deregulierungsparadigma ausgehend von den USA nach Großbritannien und Japan gewandert ist und dann auch das kontinentale Europa erfasst hat (d’Haenens 1999: 143). So finden sich in solchen breit angelegten Vergleichsstudien die Vergleichsbefunde wieder, wie sie in Kapitel 2 genannt wurden, in diesem Fall das Prinzip der Diffusion. Schwerpunktländer dieser vergleichenden Studien sind die westlichen Industrieländer. Auch Osteuropa ist mittlerweile relativ gut erforscht, insofern als Untersuchungen zu den Mediensystemen in der Region immer auch Hinweise auf kommunikationspolitische Entwicklungen beinhalten. Weitgehend unerforscht im deutschen Sprachraum sind kommunikationspolitische Entwicklungen in Asien, Afrika oder Lateinamerika, wenngleich auch hier viele Einzelaspekte der Darstellung von Mediensystemen kommunikationspolitische Bedeutung haben. Hinsichtlich der oben angesprochenen Fragen internationaler Kommunikationspolitik wird es aber von zunehmender Bedeutung sein, auch in vergleichender Perspektive Wissen über die Kommunikationspolitik der betroffenen Länder auf diesen Kontinenten zu gewinnen. <?page no="60"?> Kommunikationspolitik 61 Fazit Kommunikationspolitik, so wurde in diesem Kapitel herausgestellt, findet auf nationaler Ebene - und dort mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen - statt und auf internationaler Ebene, wo die Akteure gegenüber den ursprünglich allein bedeutsamen Regierungen vielfältiger geworden sind. Die Bedeutung der nationalstaatlichen Ebene, so ist zu erwarten, wird abnehmen, und dies aus zweierlei Gründen: Zum einen werden mehr und mehr Entscheidungen auf übergeordnete Ebenen, also größere Räume verlagert werden, weil sich die Problemlagen nicht mehr auf nationale Grenzen beschränken. Zum anderen werden kommunikationspolitische Entscheidungsprozesse zunehmen, an denen nicht nur Regierungen, sondern auch Marktakteure und zivilgesellschaftliche Vertreter beteiligt sein werden. Vor allem transnationale Unternehmen drängen auf solche marktorientierten Lösungen und internationale Schlichtungsverfahren, doch es wird eine gewichtige Frage zukünftiger Kommunikationspolitik sein, inwieweit NGOs, also Vertreter von Bürgern, dabei beteiligt sein werden (Kleinsteuber/ Thomaß 2009: 69). Das Studium und die Analyse der Kommunikationspolitik verschiedener Länder kann langfristig als eine Art Benchmarking genutzt werden: Wo wird welchen Probleme mit welchen Lösungen begegnet und welche Auswirkungen hat dies? Die sich durch die Globalisierung angleichenden Bedingungen der kommunikationspolitischen Gestaltung von Mediensystemen lassen solche vergleichenden Betrachtungen zu, sofern die jeweils nationalen Gegebenheiten in ihren sozialen und kulturellen Unterschiedlichkeiten in Rechnung gestellt werden. Die Balance von Differenz und Konkordanz spielt somit hier eine besondere Rolle. Übungsfragen 1) Nach welchen Bereichen lässt sich Kommunikationspolitik strukturieren? 2) Welches ist der normative Ausgangspunkt der Kommunikationspolitik in demokratischen Gesellschaften? 3) Welche zwei Linien kennzeichnen die bisherige Entwicklung der Kommunikationspolitik? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de <?page no="61"?> Themen des Vergleichs 62 Literatur Breunig, Christian (1996): Internationale Kommunikationspolitik im Wandel. In: Meckel, Miriam/ Kamps, Klaus (Hrsg.): Internationale Kommunikation. Eine Einführung. Opladen, S. 67-84. Brown, Allan/ Picard, Robert G. (Hrsg.) 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Humphries, Peter (1996): Mass Media and Media Policy in Western Europe. Manchester. Jarren, Otfried et al. (Hrsg.) (2002): Rundfunkregulierung. Leitbilder, Modelle und Erfahrungen im internationalen Vergleich. Eine sozial- und rechtswissenschaftliche Analyse. Zürich. Kleinsteuber, Hans J. (2003): Medien und Kommunikation im internationalen Vergleich: Konzepte, Methoden und Befunde. In: Esser, Frank/ Pfetsch, Barbara (Hrsg.): Politische Kommunikation im internationalen Vergleich. Grundlagen, Anwendungen, Perspektiven. Wiesbaden, S. 78-103. Kleinsteuber, Hans J. (1996): Kommunikationspolitik. Herangehensweisen und Theorien. In: Wittkämper, Gerhard W./ Kohl, Anke (Hrsg.): Kommunikationspolitik. Einführung in die medienbezogene Politik. Darmstadt, 17-37. Kleinsteuber, Hans J./ Thomaß, Barbara (2009): Kommunikationspolitik international - ein Vergleich nationaler Entwicklungen. In: Hans-Bredow-Institut (Hrsg.): Internationales Handbuch Medien. Baden-Baden, S. 64-88. 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Wiesbaden (im Erscheinen). Tietje, Christian (2005): Grundzüge und rechtliche Probleme der internationalen Informationsordnung. In: Hans-Bredow-Institut (Hrsg.): Internationales Handbuch Medien. Baden-Baden, S. 15-39. Tietje, Christian (2009): Grundzüge und rechtliche Probleme der internationalen Informationsordnung. In: Hans-Bredow-Institut (Hrsg.): Internationales Handbuch Medien. Baden-Baden, S. 15-40. Wilke, Jürgen (1986): Bedeutung und Gegenstand der Medienpolitik. Skizze eines Feldes praktischer Politik und wissenschaftlicher Analyse. In: Universitas, 41. Jg., S. 143- 152, S. 471-482. <?page no="63"?> 64 B ARBARA P FETSCH / E VA M AYERHÖFFER / S ILKE A DAM 3.2 Politische Kommunikation Politische Kommunikation als Vergleichsgegenstand Politische Kommunikation ist kein klar umrissener Forschungsgegenstand. Weder in der Forschung noch in der politischen Praxis gibt es eine Verständigung darüber, was unter Politischer Kommunikation zu verstehen ist, welchen normativen Anforderungen sie ausgesetzt werden soll und welche theoretischen und methodischen Herangehensweisen über Disziplinengrenzen hinweg forschungsleitend sein könnten. In einer ersten Annäherung lässt sich politische Kommunikation als der Nachrichten- und Informationsfluss beschreiben, der den politischen Prozess strukturiert und ihm Bedeutung gibt (Pye 1993: 442). Um den politischen Prozess zu analysieren, bietet sich eine Heuristik an, die zwischen zwei Arenen differenziert: der parlamentarisch-administrativen und der öffentlichen (Kriesi 2003: 213). In der parlamentarisch-administrativen Arena werden politische Entscheidungen getroffen - in der öffentlichen Arena stehen die Legitimierung der Entscheidungen und die Zustimmung zu den Akteuren und ihren Standpunkten im Mittelpunkt. Politische Kommunikation findet in beiden Arenen statt. In der öffentlichen Arena ist sie auf das Publikum ausgerichtet. Hier erfüllt politische Kommunikation eine Vermittlungs- und Informationsleistung, die sich in erster Linie auf die Massenmedien stützt. Sie ermöglicht es den Bürgern, an Politik teilzunehmen und politische Akteure zu kontrollieren. Diese Kommunikation ist auch für die politischen Akteure unabdingbar, die die öffentliche Meinung laufend beobachten und sie zu beeinflussen versuchen (Pfetsch 1997). Auch in der parlamentarisch-administrativen Arena findet politische Kommunikation statt. Hier geht es um die interne Verhandlungskommunikation im Vorfeld politischer Entscheidungen. Wenngleich die Prozesse der öffentlichen und der parlamentarischadministrativen Arena in der Sache eng miteinander verknüpft sind, beschäftigt sich die politische Kommunikationsforschung vor allem mit Problemlagen im Bereich der öffentlichen Kommunikation. Wichtig ist aber, dass die öffentliche Kommunikation in vielfältiger Weise auf die parlamentarisch-administrative Arena zurückwirkt (Kriesi 2003: 213). So ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Medienprominenz von Politikern eine Rolle spielt, wenn es um deren Durchset- <?page no="64"?> Politische Kommunikation 65 zungsfähigkeit bei internen Verhandlungen geht. Ebenso zeigt sich, dass diejenigen Themen, die in den Medien prominent diskutiert werden, auch in der parlamentarischen Ebene erhöhte Aufmerksamkeit genießen. Die Fokussierung der Forschung auf die medienvermittelte öffentliche Kommunikation führt dazu, dass die Wechselwirkungen zwischen der öffentlichen und parlamentarischadministrativen Arena und die informellen Beziehungsspiele zwischen Medien und Politik lange Zeit 6 unerforscht geblieben sind (Jarren/ Sarcinelli 1998: 18). Relevanz des Forschungsfeldes Die Bedeutung der politischen Kommunikation ergibt sich aus der grundsätzlichen Abhängigkeit der Politik von Prozessen der öffentlichen Kommunikation. Diese Abhängigkeit ist ambivalent, weil politische Akteure und Massenmedien in einem Spannungsfeld nicht immer deckungsgleicher Interessen agieren. Das Verhältnis von Medien und Politik ist ein prominenter Gegenstand der politischen Kommunikationsforschung, da unterschiedliche Vorstellungen darüber existieren, wie sich die beiden Seiten zueinander positionieren (Jarren/ Donges 2002: 26 f.). Drei grundsätzliche Richtungen lassen sich unterscheiden: Das Paradigma der Gewaltenteilung sieht Politik und Medien als autonome Systeme an. Hier wird postuliert, dass es den Medien möglich ist, politische Institutionen zu kontrollieren. Für das Paradigma der Instrumentalisierung lassen sich zwei konträre Ausformungen unterscheiden. Zum einen wird die Übermacht der Massenmedien proklamiert, da diese häufig die einzige Möglichkeit für politische Akteure darstellen, ihre Wählerschaft zu erreichen. Das wiederum führe zu einem hohen Anpassungsdruck auf politische Institutionen, der schlussendlich der Politik die Logik der Medien aufzwänge. Diese Mediatisierung der Politik, d.h. die Ausrichtung politischen Handelns und Verhaltens an den Regeln des Mediensystems, bringt - so wird argumentiert - bewährte Verfahren der Entscheidungsfindung aus dem Gleichgewicht, da Positionen im Voraus öffentlich festgelegt werden und Kompromisse deshalb kaum mehr zu finden sind (z.B. Kriesi 2003: 218). Im Gegensatz dazu wird auch die Übermacht der Politik gegenüber den Medien proklamiert. Die Politik habe sich auf die Bedeutung der Medien eingestellt und ihre Kommunikationsaktivitäten professionalisiert. Politische PR mit ihrem gezielten Themen- und Ereignismanagement mache die Medien 6 Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Studien in Donsbach et al. (1993), sowie Lesmeister (2008). <?page no="65"?> Themen des Vergleichs 66 machtlos. In der Kommunikationswissenschaft dominiert heute die Ansicht, dass man beiden Perspektiven durchaus Realitätsgehalt zusprechen muss und sie demnach vereinen kann. Aus der Perspektive des Paradigmas der Symbiose werden Politik und Medien in einem wechselseitigen Abhängigkeits- und Tauschverhältnis gesehen, in dem Information gegen Publizität getauscht wird. Bentele bezeichnet dieses Verhältnis als Intereffikation (Bentele/ Liebert/ Seeling 1997). Auch die Relevanz der international vergleichenden politischen Kommunikationsforschung lässt sich auf dieses klassische Spannungsverhältnis zwischen Politik und Medien zurückführen. In der ländervergleichenden Perspektive interessiert vor allem die Frage, inwieweit sich verschiedene Länder und Kulturkreise hinsichtlich eben dieses Spannungsverhältnisses typologisieren lassen. Darüber hinaus gilt auch für die international vergleichende politische Kommunikationsforschung, dass deren Bedeutung in gleichem Maße zunimmt wie die Internationalisierung und »Entgrenzung« der Politik fortschreitet. Im Zeitalter der Globalisierung sind wir mit Entwicklungen konfrontiert, die es verbieten, politische Kommunikation auf singuläre nationale, kulturelle oder sprachliche Räume zu beschränken. Vielmehr liegt die Aufgabe der politischen Kommunikationsforschung heute darin, sich den nationenübergreifenden Entwicklungen und Folgen der Modernisierung politischer Prozesse zu stellen, und dies nicht nur für westliche Demokratien, sondern mehr und mehr auch in Bezug auf Transformations- und Entwicklungsländer (Pfetsch/ Esser 2003: 10). Die Bedeutung von international vergleichender politischer Kommunikationsforschung nimmt in gleichem Maße zu wie die Internationalisierung und »Entgrenzung« der Politik fortschreitet. Ein zentrales Thema ist hier die Rolle der politischen Kommunikation für die Demokratieentwicklung (vgl. Norris 2003; → 4.2). Ländervergleichende Untersuchungen (z.B. Gunther/ Mughan 2000) zeigen, dass die Massenmedien in den sogenannten neuen Demokratien - und hier insbesondere das öffentliche Fernsehen - die Übernahme demokratischer Normen unterstützen und einen positiven Beitrag zur demokratischen Konsolidierung leisten. In den traditionellen westlichen Demokratien ist der Beitrag der Massenmedien zum demokratischen Prozess indessen ambivalent. Hier konzentriert sich die Forschung auf die Auswirkungen einer »Amerikanisierung« bzw. Modernisierung der politischen Kommunikation, die mit einer umfassenden Mediatisierung von Politik einhergeht (Swanson 2003). Schließlich hängt die Relevanz der international vergleichenden politischen Kommunikationsforschung auch mit dem fundamentalen Wandel der (westlichen) Mediensysteme zusammen (Pfetsch/ Esser 2003: 11 f., Hallin/ Mancini 2004). Ursache dieser Entwicklung sind die dramatischen Veränderungen der Informati- <?page no="66"?> Politische Kommunikation 67 onstechnologie und Kommunikationsinfrastruktur sowie die Ausbreitung einer globalen Medienökonomie. Das Aufkommen und das Wachstum transnational agierender Medienkonzerne haben in vielen Ländern zu einer Umorientierung der Medienpolitik hin zu einer Deregulierung und Öffnung der Märkte geführt. Die technische Entwicklung und die Zunahme von Konkurrenz und Kommerzialisierung bleiben dabei nicht ohne Rückwirkung auf die politische Kommunikation. Mit der Internationalisierung und Kommerzialisierung internationaler Medienunternehmen wächst die Besorgnis einer globalen Homogenisierung der politischen Kommunikation über die verschiedenen Gesellschaften hinweg (vgl. Hallin/ Mancini 2003). Dahinter stehen zwei Prozesse: Zum einen werden sich die Mediensysteme in ihren Produkten und ihrem professionellen Verhalten, aber auch in ihren Beziehungen zu politischen Institutionen immer ähnlicher, zum anderen passen sich die politischen Systeme in ihrem Kommunikationsverhalten international aneinander an. Entwicklung des Forschungsfeldes Während sich die international vergleichende politische Kommunikationsforschung erst in jüngerer Zeit wirklich entfaltet, hat die nationale Teildisziplin in manchen Fragestellungen eine langjährige Tradition bis zurück in die 1920er-Jahre. Dies gilt vor allem für die Erforschung der politischen Wirkungen des Journalismus und der Massenkommunikation sowie der Mobilisierungspotenziale der Massenmedien in Wahlkämpfen. Wenngleich den Massenmedien hier starke politische Einflüsse unterstellt wurden, hat sich schon sehr früh gezeigt, dass die interpersonale Kommunikation eine wichtige intervenierende Variable für die Wirkung der Massenkommunikation auf die Bürger darstellt (Lazarsfeld et al. 1968). Auch in Bezug auf die Demokratieentwicklung gab es eine Reihe von weitreichenden Wirkungsvermutungen. Politischer Kommunikation wurden große Potenziale zur Mobilisierung, Integration und Sozialisation der Bürger zugesprochen und damit zur Entwicklung der in den 1950er- und 1960er-Jahren entstehenden Staatswesen in Afrika und Asien (→ 4.7, → 4.6). Strukturelle Fragen prägten die frühe Auseinandersetzung über das Verhältnis von Medien und politischen Institutionen. So postulierten Siebert et al. (1956), dass das Mediensystem eines Landes das politische System widerspiegele (→ 2.4). Auf der Basis dieser Annahme entwickeln die Autoren eine Heuristik von vier idealtypischen Modellen von Mediensystemen, denen jeweils unterschiedliche politische Funktionen und Werte zugrunde liegen. Hauptaufgabe der Medien im liberalen Modell ist die Kontrolle der Regierung; im autoritären Modell und im totalitären Modell dagegen unterliegen die Medien dem Diktat der Regierung. Lediglich <?page no="67"?> Themen des Vergleichs 68 in dem Modell, in dem die Massenmedien autonom und sozial verantwortlich sind, kann es zu einem ausgewogenen Verhältnis kommen. Das Konzept von Siebert et al. (1956) hat vielfältige Kritik erfahren, u.a. seiner fehlenden empirischen Fundierung wegen. An seine Stelle ist eine Heuristik von Hallin und Mancini (2004) getreten, die differenziertere Kategorien - zumindest für westliche Länder - der Mediensystemanalyse anbietet. Danach sind die Verbreitung der kommerziellen Massenpresse und die Regulierung des Rundfunkes, der politische Parallelismus, die Professionalisierung des Journalismus sowie historische, strukturelle und kulturelle Faktoren eines Landes für die Ausgestaltung des Mediensystems verantwortlich. Die Varianz dieser Faktoren führten - so Hallin und Mancini (2004) zu drei unterschiedlichen Typen von politischen Mediensystemen in westlichen Ländern: Ein liberales Modell, das in den angelsächsischen Ländern verwirklicht sei, ein demokratisch-korporatistisches Modell, das die Autoren in Skandinavien sowie Mitteleuropa sehen, sowie ein polarisiert-pluralistisches Modell, das die Mediensysteme in Südeuropa charakterisiert. Der praktische Bezug der politischen Kommunikationsforschung wird indessen schon früh im Streit um eine neue Weltinformationsordnung deutlich, der in den 1970er-Jahren entbrannte. Ausgangspunkt war der Vorwurf der Entwicklungsländer, der Nachrichtenfluss sei von einer Dominanz der Industrieländer geprägt und zementiere diese Struktur. Die Schwellenländer argumentierten, im internationalen Nachrichtenfluss werde über sie und ihre Anliegen kaum berichtet - und wenn, dann in negativen Stereotypen. Die stark normativ geprägte Debatte um eine neue Weltinformationsordnung war der Ausgangspunkt dafür, dass die Nachrichtengeografie als Teilgebiet der politischen Kommunikationsforschung entstand (vgl. Rössler 2003). Die Arbeiten dieser Forschungsrichtung beschäftigen sich mit der Frage, welche Faktoren die Auswahl der Länder bzw. Weltregionen, über die berichtet wird, bestimmen. In den vergangenen drei Jahrzehnten ist das Interesse an der Analyse politischer Kommunikationsprozesse deutlich angestiegen. Schwerpunktthemen in Bezug auf die westlichen Massendemokratien sind weiterhin die differenzierte Untersuchung der Wirkung von politischer Kommunikation auf die Bevölkerung, deren Problemwahrnehmung und Bewertungsschemata sowie die Mobilisierungspotenziale von Massenmedien und Onlinemedien und die Veränderung der Politik durch die mediale Omnipräsenz. Im Mittelpunkt dieser Forschung stehen Aspekte der Modernisierung der politischen Kommunikation: Politische PR, Themen- und Ereignismanagement und TV-Debatten im Kontext von Wahlkämpfen sind die häufigsten Untersuchungsgegenstände. Darüber hinaus liegt inzwischen eine Reihe von Studien vor, die den Einfluss politischer PR auf die Medienberichterstattung analysieren (Schulz 1997: 225 f.). Vor dem Hintergrund der <?page no="68"?> Politische Kommunikation 69 gegenseitigen Abhängigkeit und Einflussnahme von politischen Akteuren und Journalisten sind auch die Milieus bzw. die Kommunikationskulturen zwischen Journalisten und politischen Sprechern (Pfetsch 2003, Tenscher 2003, Pfetsch/ Mayerhöffer 2011) Teil der Grundlagenforschung im Bereich der politischen Kommunikation. Es gehört zur Natur des Gegenstandes der politischen Kommunikation, dass einschlägige Untersuchungen durch aktuelle Problemlagen, politische Konflikte und Kontroversen angestoßen werden. So gewann die Frage nach der Leistung politischer Kommunikation für neu entstehende Demokratien durch das Ende des Kalten Krieges einen hochaktuellen Stellenwert. Es ist daher nur konsequent, wenn Forscherinnen und Forscher erneut die Transformation von Medienstrukturen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks untersuchen (Thomaß/ Tzankoff 2001) und deren Beitrag zur Konsolidierung der Demokratien näher beleuchten (Voltmer 2006; → 4.2). In jüngster Zeit sind zudem Prozesse der Europäisierung der politischen Kommunikation (vgl. die Beiträge in Langenbucher 2006) sowie Fragen der Vernetzung und der Transnationalisierung politischer Akteure und ihrer Debatten (Adam 2007) in den Fokus der empirischen Forschung gerückt. Schließlich gehören auch Kriege und kriegerische Konflikte zu den Ereignissen, die Untersuchungen zur politischen Kommunikation anregen. Wurde jedoch in früheren Zeiten die Berichterstattung nicht selten in den Dienst der Kriegsführung gestellt, überwiegen in der jüngeren Zeit kritische Untersuchungen und die Frage nach dem Realitätsgehalt der Kriegsberichterstattung (vgl. etwa Hallin 1986, Bennett/ Paletz 1994, Eilders/ Hagen 2005). Wenngleich die politische Kommunikation in der Kommunikationswissenschaft von Anfang an eine zentrale Position einnahm, glaubte man lange, sie allein anhand von nationalen Einzelphänomenen oder historischen Studien beschreiben zu können. Eine anderen Disziplinen vergleichbare internationale Ausrichtung war - mit wenigen Ausnahmen - bis in die 1970er-Jahre nicht erkennbar (Gurevitch/ Blumler 2003: 371). In Deutschland wurden, wenn überhaupt, dann vor allem US-amerikanische Entwicklungen als Vergleich herangezogen (Kleinsteuber 2003: 78; → 4.3). Aus heutiger Sicht ist es verwunderlich, wie lange es dauerte, bis die vergleichende Forschung als notwenige Erkenntnisstrategie der politischen Kommunikationsforschung erkannt wurde; schließlich weist Graber (1993: 305, 2005: 496) zu Recht darauf hin, dass sich politische Kommunikation ohne vergleichende Forschungsdesigns nicht angemessen analysieren lässt. Da die Institutionen und Prozesse politischer Kommunikation in unterschiedlichen Kulturen variieren, ist eine vergleichende Analyse nicht nur lehrreich, sondern sogar notwendig. In der Tat scheinen die Zweifel über die Vorteile und Potenziale der vergleichenden Forschung inzwischen ausgeräumt. Von einer Vernachlässigung der <?page no="69"?> Themen des Vergleichs 70 vergleichenden Forschung »kann keine Rede mehr sein, ganz im Gegenteil: Sie ist fast schon in Mode gekommen«, schreiben Gurevitch und Blumler (2003: 373). Dennoch ist die vergleichende politische Kommunikationsforschung noch weit davon entfernt, alle Aspekte des Forschungsfeldes gleichermaßen hinreichend zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund dieser Diagnose sollen im Folgenden die wichtigsten Problemlagen der aktuellen Forschung sowie sich daraus ergebende Perspektiven vorgestellt werden. Problemlagen und Perspektiven Grundsätzlich gelten die Problemlagen, die in der nationalen politischen Kommunikationsforschung bearbeitet werden, auch für die international vergleichende Forschung. Durch die rasant wachsende Bedeutung der digitalen Medien und des Internets ist die langjährige Fixierung der Forschung auf das Schlüsselmedium Fernsehen und die Qualitätszeitungen beendet. Durch den Medienwandel sind neue Fragestellungen der politischen Kommunikation aufgekommen und »alte« Fragen müssen neu gestellt werden. Fragen der Qualität, Reichweite und Wirkung der Online-Kommunikation auf die politische Kommunikation, aber auch Fragen der Vernetzung und Transnationalisierung sind jetzt in den Mittelpunkt gerückt. Durch die Online-Kommunikation hat auch die Beziehung zwischen Bürgern und der politischen Arena eine neue Qualität erhalten, die noch nicht wirklich erforscht ist. Als wesentliche Entwicklungen infolge der sich verändernden sozialen und technologischen Grundlagen der politischen Kommunikation gelten die Fragmentierung und Stratifizierung des Publikums (Bennett und Iyengar 2008). Prozesse der selektiven ideologisch gesteuerten Medienauswahl und -nutzung haben ambivalente Folgen für die Informiertheit des Publikums und die Ausübung der Bürgerrolle. Die Thesen über neue Paradigmen der Wirkungsforschung gelten insbesondere für diejenigen Länder, die einen sehr hohen Verbreitungsgrad der neuen Medien haben. Bislang ist noch weitgehend unerforscht, wie sich die Folgen des Medienwandels in unterschiedliche Ländern und politischen Kontexten auswirken. Die vergleichende Perspektive ermöglicht es, die Frage zu beantworten, ob, und wenn ja, wie politische Kommunikationskulturen und -strukturen zwischen Ländern variieren und welche Faktoren dies bedingen. Wenngleich nicht mehr von einer Vernachlässigung der vergleichenden Forschung zur politischen Kommunikation gesprochen werden kann, befindet sich das Forschungsfeld noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Vor allem hinsichtlich Reichweite und Kraft der theoretischen Debatte ist es im Vergleich zu ande- <?page no="70"?> Politische Kommunikation 71 ren Teilgebieten der Politik- und Kommunikationswissenschaft noch relativ wenig fortgeschritten. Viele der konzeptionellen Rahmungen, die sich auf spezifische Bereiche oder Fragestellungen des Forschungsfeldes beziehen, existieren bisher unverbunden und unkritisiert nebeneinander. Ein Austausch über Theorien und damit eine integrative Theoriebildung stehen noch aus (Gurevitch/ Blumler 2003: 387 ff.). In einer Situation, in der das Wachstum der international vergleichenden Forschung zu einer Fülle von nebeneinander stehenden Einzelstudien geführt hat, ist es angemessen und nötig, paradigmatische Schneisen in diesen Wissensbestand zu schlagen und die Befunde zu bündeln, um neue Perspektiven entwickeln zu können. Dazu bietet es sich an, Schlüsseldimensionen zu identifizieren, anhand derer verschiedene Gesellschaften ihre politische Kommunikation regeln. Einen möglichen Ansatzpunkt stellt die politische Kulturforschung dar (Pfetsch 2003b, Gurevitch/ Blumler 2003). Ordnet man politische Kommunikationsprozesse in diesen konzeptuellen Rahmen ein, so muss politische Kommunikation als zweidimensionales System begriffen werden: Die strukturelle Dimension der politischen Kommunikation betrifft die institutionellen Bedingungen des politischen Systems und des Mediensystems auf der Makro- und Mesoebene. Die kulturelle Dimension bezeichnet die Prozesse der Interaktion von politischen Akteuren und Medienakteuren sowie deren Grundlagen, Ergebnisse und Wirkungen. Wenn man politische Kommunikationsprozesse als Zusammenspiel von Akteurshandeln und Strukturbedingungen sieht, dann bietet der vergleichende Ansatz ein beträchtliches Potenzial für die Analyse dieser Prozesse (vgl. Pfetsch/ Esser 2012). Der Vergleich ermöglicht, die Struktur- und Kontextbedingungen zu variieren und danach zu fragen, wie sich die Orientierungen der Akteure im Verhältnis dazu bilden. Politische Kommunikation hat eine strukturelle und eine kulturelle Dimension. Politische Kommunikationsprozesse sind als Zusammenspiel von Akteurshandeln und Strukturbedingungen zu begreifen. Durch vergleichende Forschung kann man mit der Untersuchung unterschiedlicher Kontextbedingungen analysieren, wie sich Orientierungen von Akteuren dazu verhalten. <?page no="71"?> Themen des Vergleichs 72 Forschungsstand 7 Die jüngere international vergleichende Forschung zur politischen Kommunikation setzt sich vor allem kritisch mit den Folgen der modernen professionellen Medienkommunikation für politische Prozesse und für politische Öffentlichkeit auseinander. Dabei ist zu beachten, dass sich die Medienkommunikation selbst durch Globalisierung, Internationalisierung und Kommerzialisierung und nicht zuletzt durch den enormen Siegeszug der Netzmedien in einem anhaltenden tief greifenden Wandel befindet, der alle Aspekte der Politikvermittlung beeinflusst. Betrachtet man das Tempo des Wandels der Kommunikationsmedien, so kann unsere Darstellung des Forschungsstandes allenfalls als Momentaufnahme gelten. Studien zur Politikvermittlung gehen inzwischen von der Prämisse aus, dass politisches Handeln in modernen westlichen Demokratien in hohem Maße den Zwängen und Regeln der öffentlichen, medienvermittelten Kommunikation unterworfen ist und politische Akteure ihre Kommunikationsstrategien unter diesen Umständen stark auf die medialen Bedingungen ausrichten. Das Ergebnis ist eine umfassende Professionalisierung der Politikvermittlung, zu deren Handlungsrepertoire strategisches News-Management, Ereignisinszenierungen und Personalisierung der Politik gehören (Plasser/ Plasser 2002). In einigen Ländern wie den USA und Großbritannien hat dies dazu geführt, dass diese Entwicklung die Journalisten zu wachsender Distanz und Gegnerschaft veranlasst, um sich ihrer Unabhängigkeit zu versichern (Bennett 1996, Blumler/ Coleman 2001, Fallows 1997). Eine Folge ist auch, dass neue Formate der Berichterstattung entstehen, bei denen weder Themen noch Personen, sondern die strategischen Aspekte der Wahlkampfführung und die Interpretationen von Journalisten in den Mittelpunkt der Berichterstattung rücken (Mancini 1999). Neue Formate der politischen Berichterstattung entstehen auch durch die Verschmelzung von Informations- und Unterhaltungsangeboten sowie durch die Verheiratung von realitätsgetriebenen und fiktionalen Formen und Inhalten, während die Effekte dieser Hybride noch weitgehend unbekannt sind (Saxer 2006, Mazzoleni et al. 2011). Im Bereich der Wahlkampfkommunikation beschäftigt sich die Mehrzahl jüngerer Untersuchungen mit Fragen der Konvergenz von Kommunikationsinhalten und Kommunikationsstilen im Wahlkampf. Ziel ist es, die generalisierbaren Charakteristika der Modernisierung von Wahlkämpfen zu beschreiben und gleichzeitig der Varianz politischer und medienkultureller Kontexte in unter- 7 Einen guten Überblick über das Forschungsfeld bietet auch Kleinsteuber (2003). <?page no="72"?> Politische Kommunikation 73 schiedlichen Ländern Rechnung zu tragen (vgl. Holtz-Bacha 2003). In der Tat lässt sich für viele moderne westliche Demokratien beobachten, dass Wahlkämpfe länger und aggressiver geworden sind und vielfältige Formen des News Managements zum Einsatz kommen. Zu den Innovationen, die moderne Wahlkämpfe in westlichen Ländern charakterisieren, gehören auch eine deutlich wahrzunehmende Selbststilisierung und Selbstreferenzialität der Medien in der Wahlkampfkommunikation (Esser/ D’Angelo 2006). Durch diese Metaberichterstattung inszenieren Medien, Medienberater und Journalisten ihre eigene Rolle und verlassen damit die ihnen bisher zugedachten Rollen. Der internationale Vergleich zeigt allerdings, dass das Ausmaß der Metaberichterstattung über die strategische Seite der Kommunikation, Spin Doctoring und politische PR in verschiedenen Ländern beträchtlich variiert (Esser et al. 2001, Esser/ D’Angelo 2006). So hängt das Ausmaß der Selbstinszenierung von Journalisten und Medien davon ab, wie lange strategische Öffentlichkeitsarbeit schon zum Handlungsrepertoire der politischen Akteure gehört (was kritische Medienbeiträge eher abebben lässt), wie stark sich die Politiker auf diese Art der Kommunikation einlassen (was wiederum kritisch-distanzierende Medienbeiträge eher provoziert) und schließlich, wie sich die Verschränkungen zwischen nationalen politischen und medialen Systemen bzw. die politische Kommunikationskultur eines Landes gestalten. Die zentrale Stellung der Massenmedien in der modernen Politik, die Anpassung der Politiker an die Imperative der Nachrichten sowie das vermehrt aggressive Aufdecken dieser Entwicklungen durch Journalisten wird oft als eine Ursache zunehmender Politikverdrossenheit betrachtet (Blumler/ Coleman 2001: 4). In der Tat bringen eine Reihe von Studien, vor allem aus den USA, die Merkmale politischer Nachrichten in eine direkte Verbindung mit Zynismus der Bürger gegenüber Politikern und Politik (Capella/ Jamieson 1996, 1997; Patterson 1993, 1996). Doch auch für die Art der Effekte von Politikberichterstattung kann die international vergleichende Forschung inzwischen differenzierte Befunde vorweisen. Schmitt-Beck (2000, 2003) kann zeigen, dass einschlägige Wirkungen der Wahlkampfberichterstattung keineswegs für alle Länder in gleicher Weise gelten. Vielmehr bleiben starke Effekte der Medienkommunikation im Wahlkampf insbesondere in Ländern aus, die man als starke Parteiendemokratien bezeichnen kann. In Systemen, bei denen maßgebliche Anteile des Elektorats eine hohe Parteiidentifikation besitzen, spielt die interpersonale Kommunikation eine wichtigere Rolle als die Massenmedien. Dass die Modernisierung von Wahlkämpfen im Sinne eines universellen und sukzessiven Siegeszuges des politischen Marketing-Ansatzes nicht notwendigerweise eine konsequente Entwicklungsstufe moderner Demokratien ist, zeigt der Vergleich von alten Demokratien mit neuen Demokratien. So ist zwar für <?page no="73"?> Themen des Vergleichs 74 die etablierten westlichen Demokratien eine stufenweise Entwicklung der Modernisierung der politischen Kommunikation festzustellen, die nicht zuletzt mit einigen grundlegenden Veränderungen in den politischen Parteien und ihrem Verhältnis zu den Wählern in Verbindung steht. Dieser Zusammenhang gilt dagegen nicht für die neuen Demokratien wie beispielsweise Spanien und Russland (Swanson/ Mancini 1996). Transformationsländer zeichnen sich vielmehr durch eine sprunghafte, abrupte Adaption moderner Kampagnenformate aus: Hier wird bereits auf modernisierte medienorientierte Formen der Kommunikation zurückgriffen, bevor demokratische Strukturen und Kulturen überhaupt herangereift sind. Demokratien mit internen destabilisierenden Spannungen wie Italien, Argentinien oder Israel haben dagegen mit einem erheblichen Vertrauensverlust der Wählerschaft zu kämpfen und erhalten sich daher neben modernen Wahlkampfmethoden auch die traditionelleren Formen der Wähleransprache. Die vergleichende Forschung über den Zusammenhang der politischen Kommunikation und der Qualität der Demokratie zeigt, dass die Rolle der Medien im demokratischen politischen Prozess keineswegs pauschalisiert werden kann (Gunther/ Mughan 2000, Thomaß/ Tzankoff 2001, Voltmer 2006, Hallin/ Mancini 2012): Die Rolle der Medien unterscheidet sich erheblich zwischen »alten« und »neuen« Demokratien: Während die Medien in den etablierten Demokratien allenfalls einen mäßigen Beitrag zur Demokratie leisteten, unterstützen sie in den Transformationsdemokratien klar die Einführung und Etablierung demokratischer Normen. So weisen Voltmer und Schmitt-Beck (2006) für die jungen Demokratien in Südeuropa und Südamerika und die Transformationsdemokratien in Südosteuropa nach, dass die Massenmedien eine ausgesprochen konstruktive Rolle im Prozess der politischen Konsolidierung spielen. Medien tragen nach diesen Ergebnissen vor allem zur positiven Wahrnehmung der Staatsbürgerrolle, zu politischem Interesse und politischem Wissen bei. Solche positiven Medienwirkungen sind gleichwohl von einigen wichtigen Makrofaktoren abhängig, denn sie gehen auf die Existenz und Nutzung informationsreicher Printmedien und Qualitätszeitungen und insbesondere des öffentlichen Fernsehens zurück. Die Studien in Gunther und Mughan (2000) zeigen, dass gerade die Existenz und der staatsbürgerliche Auftrag starker öffentlichrechtlicher Rundfunkorganisationen sowie eine strenge Regulierung des Rundfunkwesens einen positiven Beitrag zur Demokratieentwicklung leisten können. Die kulturelle Dimension des Verhältnisses von Medien und Politik steht im Mittelpunkt der Arbeiten zur politischen Kommunikationskultur, ein vergleichendes Forschungsgebiet, das aus der Perspektive der politischen Kulturforschung entwickelt wurde. Pfetsch (2003b, 2008) versteht unter politischer Kommunikationskultur das spezifische Milieu der Interaktion von politischen Sprechern und <?page no="74"?> Politische Kommunikation 75 Journalisten eines Landes, welches die Art und Weise ihres Umgangs und die Ergebnisse der politischen Kommunikation beeinflusst. Für die modernen westlichen Demokratien entwickelt Pfetsch (2003a, 2003b) eine Typologie von vier politischen Kommunikationskulturen, die in Abhängigkeit von Strukturbedingungen des politischen und des Mediensystems, insbesondere der Verfasstheit des Mediensystems sowie der strukturellen Fixierungen politischer Verhandlungsprozesse, variieren. So lassen sich die medienorientierte politische Kommunikationskultur, wie z.B. in den USA, von der PR-orientierten politischen Kommunikationskultur, z.B. in der Schweiz, der (partei)politischen Kommunikationskultur (z.B. Deutschland) sowie der strategischen politischen Kommunikationskultur (z.B. Italien) unterscheiden. Die Arbeiten zur institutionellen wie auch zur kulturellen Dimension des Verhältnisses von Medien und Politik stellen den Versuch dar, die politische Kommunikationsforschung wieder stärker an die Makroperspektive der Gesellschaftsanalyse heranzuführen. Damit wird ein Repertoire an analytischen und empirischen Zugängen eröffnet, die es ermöglichen, die Prozesse der politischen Kommunikation - jenseits von Einzelphänomenen - in ihrer Bedeutung für politische Regime und schließlich für die Demokratieentwicklung abzuschätzen. Durch die Berücksichtigung der institutionellen und kulturellen Dimension des Verhältnisses von Medien und Politik kann politische Kommunikationsforschung eine makroanalytische Perspektive der Gesellschaftsanalyse herstellen und die Bedeutung politischer Kommunikation für die Demokratieentwicklung herausarbeiten. Fazit: Erkenntnisse des Vergleichs Die international vergleichende politische Kommunikationsforschung stellt in zweifacher Hinsicht einen Erkenntnisgewinn im Vergleich zu rein national orientierter Forschung dar: Zum einen erlaubt sie Erkenntnisse über inhärent transnationale und globale Kommunikationsprozesse, zum anderen besitzt sie eine Erklärungsfunktion für den nationalen Kontext. So können bis dato national untersuchte Gegenstände, wie z.B. Wahlkämpfe, erst durch die Methode des Vergleichs nicht nur beschrieben, sondern auch erklärt werden. Somit erlaubt der Vergleich die Identifizierung relevanter Kontextfaktoren verschiedenster Ausprägungen der politischen Kommunikation. Das Spannungsfeld Medien- Politik-Bürger kann folglich umfassender beschrieben werden. Die vergleichende politische Kommunikationsforschung verdient also nicht zuletzt deshalb <?page no="75"?> Themen des Vergleichs 76 stärkere Beachtung, weil sie uns in die Lage versetzt, die eigenen Kommunikationsverhältnisse kritisch am Beispiel anderer zu überprüfen und erst so zu Aussagen mit weitreichendem Gültigkeitsanspruch zu gelangen. Dabei ist es jedoch entscheidend, dass es der weiteren Forschung gelingt, die international vergleichende politische Kommunikationsforschung in einen theoretisch fundierten Kontext einzubetten. Wenn dies langfristig gelingt, hat sie eine Perspektive als notwendiger Bestandteil der modernen Gesellschaftsanalyse. Übungsfragen 1) In welchem Verhältnis stehen das politische System und das Mediensystem? Welche grundlegenden Paradigmen lassen sich dabei unterscheiden? 2) Welchen Beitrag können Medien zur Demokratieentwicklung leisten? Unterscheidet sich die politische Kommunikation in »neuen« und »alten« Demokratien? 3) Warum ist es wichtig, politische Kommunikationsforschung auch international vergleichend zu betreiben, und welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn erhält man dadurch? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Adam, Silke (2007): Symbolische Netzwerke in Europa. Der Einfluss der nationalen Ebene auf europäische Öffentlichkeit. Deutschland und Frankreich im Vergleich, Köln. Bennett, W. Lance (1996): News: The politics of illusion. White Plains. Bennett, W. Lance/ Iyengar, Shanto (2008): A New Era of Minimal Effects? The Changing Foundations of Political Communication. In: Journal of Communication, 58, 707-731. Bennett, W. Lance/ Paletz, David (1994): Taken by Storm. The media, public opinion, and U.S. foreign policy in the Gulf War. Chicago. Bentele, Günter/ Liebert, Tobias/ Seeling, Stefan (1997): Von der Determination zur Intereffikation. 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New York, S. 228-245. <?page no="80"?> 81 B ARBARA T HOMAß 3.3 Public Service Broadcasting Wesentliche Unterscheidungsmerkmale von Mediensystemen sind die Ordnungsvorstellungen, die ihnen zugrunde liegen. Diese sind grundsätzlich für alle Mediengattungen relevant. Sie können sich aber von Medium zu Medium in ihren Konkretisierungen unterscheiden. Von besonderer Bedeutung sind sie für den Rundfunk, da die zu seiner Entstehungszeit und auch lange danach bestehenden knappen Übertragungsfrequenzen und die Wirkmächtigkeit, die man dem Rundfunk seit je zuschrieb, es jedem politischen System als notwendig erscheinen lassen, ihn einer eigenen Regulierung zu unterwerfen. Ein für den Rundfunksektor wesentliches Prinzip ist die Organisation fern von kommerziellen Verwertungsinteressen, für die der Staat einen gesetzlichen Rahmen vorgibt, ohne selbst den Rundfunk zu beeinflussen. Dieses Prinzip, das in Deutschland als öffentlich-rechtlicher Rundfunk nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert wurde, wird international unter dem Begriff des Public Service Broadcasting (PSB) geführt. Weil sich der deutsche Begriff »öffentlich-rechtlich« als Gattungsbegriff nicht auf andere Rundfunksysteme anwenden lässt 8 , wird - wenn der Anglizismus Public Service Broadcasting PSB vermieden werden soll - oft auch der allgemeine Begriff »öffentlicher Rundfunk« gewählt. In diesem Kapitel sollen nach einer Definition des Gegenstandes vor dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte aktuelle Problemlagen und Perspektiven des PSB dargestellt werden. Weil seine Weiterentwicklung auf andere Plattformen - wie zu zeigen sein wird - zur Debatte steht, wird auch der Begriff der Public Service Media (PSM) verwendet. 8 Zur unterschiedlichen Begrifflichkeit im Deutschen und Englischen vgl. Kleinsteuber 1997. <?page no="81"?> Themen des Vergleichs 82 Public Service Broadcasting: Gattungs- und Funktionsbestimmungen Auch wenn es einen öffentlich verantworteten Rundfunk in vielen Ländern gibt und die Literatur darüber reichhaltig ist, ist eine griffige Definition dessen, was ihn ausmacht, nicht zu haben, denn der Geltungsbereich des Begriffes ist nicht eindeutig. So kann sich PSB beziehen auf: • ein gesamtes (nationales) Rundfunksystem, • eine einzelne Rundfunkinstitution, • einen bestimmten Programmmix. In der Literatur, die in den letzten 20 Jahren eine breite Entwicklung auf europäischer und internationaler Ebene genommen hat, lassen sich bis zu 30 verschiedene Elemente finden, die beschreiben, was PSB ausmacht: u.a. die rechtliche Form, die Organisationsform, die Finanzierungsform, seine Funktionen, Programminhalte, die Motive, Ziele, Prinzipien aber auch Traditionen, die ihm zugrunde liegen, etc. Diese Vielzahl von Beschreibungen hat ihre Ursache darin, dass Public Service Broadcasting sowohl eine faktisch vorfindbare Institution wie ein Ideal ist. Zudem hat er in den verschiedenen Ländern sehr verschiedene Ausprägungen angenommen. Die Versuche, PSB zu definieren, sind denn auch von einem wachsenden Grad an Abstraktion und dem Bemühen gekennzeichnet, nationale Besonderheiten zugunsten allgemeiner Merkmale zu überwinden und eine empirisch haltbare Beschreibung an die Stelle der Kataloge normativer Vorstellungen zu setzen (Broadcasting Research Unit 1986, Blumler 1992: 7 ff., Siune/ Hultén 1998: 24, Seneviratne 2006). Nun bestehen die Möglichkeiten, dass kommerziellen Fernsehanbietern gemeinwohlorientierte Verpflichtungen auferlegt werden und öffentliche Anbieter zunehmend zu kosteneffizienten, quotenorientierten und ähnlichen Maßnahmen tendieren, sodass die herkömmliche Unterteilung zwischen kommerziellen und öffentlichen Anbietern nicht mehr ausreichend ist, um Public Service Broadcasting als Gattung zu beschreiben. Syvertsen schlägt statt dessen vor: »seeing public broadcasting as a form of governance - rather than a specific form of a media institution« (Syvertsen 2001: 1). Die Perspektive, Public Service Broadcasting als eine Form der Regulierung zu betrachten, erlaubt es, drei dafür charakteristische Merkmale zu identifizieren (ebd. 2 f.): <?page no="82"?> Public Service Broadcasting 83 • Die Sicherung von Privilegien schützt Medienunternehmen, die dieser Regulierung unterliegen, in gewissem Maß vor den Kräften des Marktes. Dazu gehört z.B. die Finanzierung durch Rundfunkbeiträge oder -gebühren. • Verpflichtungen, die diesen Medienunternehmen auferlegt werden, zielen auf grundlegende kulturelle oder gesellschaftliche Zwecke, welche jenseits der Sicherung von Verbraucherinteressen liegen. Diese werden z.B. durch die Verpflichtung zur universellen Verbreitung, durch bestimmte inhaltliche Auflagen (beide zusammen in Deutschland mit dem Begriff der Grundversorgung erfasst) oder durch die Bindung der Sender an nationale Kultur und Identität umgesetzt. • Die Absicherung dieser Privilegien und Verpflichtungen erfolgt durch bestimmte Kontrollstrukturen. Diese funktionieren aber nur erfolgreich auf der Basis eines gesellschaftlichen Konsenses über diese Verpflichtungen. Die grundlegende Legitimation dieses Regulierungsregimes - so Syvertsen - beruht auf der Übereinkunft, dass Rundfunk bestimmte gesellschaftliche und kulturelle Bedürfnisse zu befriedigen hat und nicht nur eine zahlungskräftige Nachfrage. Will man die verschiedenen Definitionen in einer kurzen Arbeitsdefinition zusammenführen, die schwerpunktmäßig die deskriptiven Elemente zusammenfasst, so soll folgende Definition gelten: Public Service Broadcasting ist eine Rundfunkorganisation, die Markt- und Staatsferne zu vereinbaren versucht, um unabhängige Information, Bildungs- und Kulturangebote für die gesellschaftliche Kommunikation bereitzustellen. Sie wird von einer entsprechenden Gesetzgebung getragen, die ihr einen gewissen Schutz vor den Marktkräften gewährt und ihr im Gegenzug dafür bestimmte Verpflichtungen im Dienste der Öffentlichkeit abverlangt. Wichtig an dieser Definition ist außerdem, das PSB von Staatsrundfunk, bei dem die Kontrolle in der Hand der jeweiligen Regierungen liegt, klar zu unterscheiden ist, auch wenn diese Staatsfunk oft mit dem Wort public versehen. Raboy charakterisiert den öffentlichen Rundfunk weiterhin, indem er Distinktionen zum kommerziellen Rundfunk aufstellt (Raboy 1995: 12 ff.): <?page no="83"?> Themen des Vergleichs 84 PSB kommerzieller Rundfunk schafft eine Rundfunkökologie schafft einen Markt ist politik-motiviert ist profit-motiviert Zweck: Verbesserung der Qualität des öffentlichen Lebens, indem es Individuen und gesellschaftliche Gruppen zu mehr Teilhabe befähigt Zweck: große Zuschauerschaften ein möglichst großes Publikum im Lichte eines bestimmten Programmes erzielen möglichst große Publika generell viele Zuschauer über einen gewissen Zeitraum zu halten große Zuschauerschaften zu jedem Zeitpunkt Menschen berühren, bewegen, verändern Menschen zum Konsumieren von Waren und kommerziellem Rundfunk bewegen Abb. 1: Unterschiede PSB - kommerzieller Rundfunk (Raboy 1995: 12 ff. Übers. B.T.) Die Logik eines Rundfunks in der Perspektive einer Markorientierung und jene fußend auf der Public-Service-Verpflichtung unterscheiden sich nicht darin, dass sie unterschiedliche Produkte hervorbringen - beide produzieren Programme mit Nachrichten, Unterhaltung, Sport etc. - sondern dass sie es auf unterschiedliche Weise tun, mit unterschiedlichen organisatorischen Mitteln, unterschiedlichen Stilen und mit einem unterschiedlichen Ethos (Scannell 1995: 25). Die vergleichende Betrachtung von Public Service Broadcasting Öffentlichen Rundfunk einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen, ist sinnvoll, weil erst durch den Vergleich die Unterscheidung von besonderen Erscheinungsformen und allgemeinen Merkmalen möglich wird. Schon die oben angeführten Definitionen machen deutlich, dass eine tragende Charakterisierung erst in der Abstraktion von den konkreten Formen möglich ist. <?page no="84"?> Public Service Broadcasting 85 Organisationsform, Finanzierung und Zielsetzung öffentlicher Rundfunkveranstalter differieren weltweit. Nähme man beispielsweise das deutsche föderale Modell zum Ausgangspunkt, so käme man zu völlig irreführenden Wesensmerkmalen. Das föderale Prinzip ist nur die deutsche Ausprägung eines öffentlichen Rundfunks. Die meisten Länder haben eher zentralistische Institutionen geschaffen und zudem ganz andere Organisationsformen gefunden. Während die BBC unter einer sogenannten Royal Charter agiert, die ihr für eine Dauer von zehn Jahren vom Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreiches gewährt wird, jedoch keine konstitutionellen Rechte garantiert, haben andere öffentliche Rundfunkanstalten ein gesetzlich abgesichertes Mandat, wie z.B. den Rundfunkstaatsvertrag in Deutschland. Die Trägerschaft des PSB kann dabei sehr unterschiedliche Formen annehmen. Während in Deutschland mehrere Anstalten öffentlichen Rechts existieren, die in einer föderalen Struktur zusammenarbeiten, war öffentlicher Rundfunk in Italien als Aktiengesellschaft entlang den Parteien organisiert 9 , in den Niederlanden in der Form von Vereinen, deren Träger die Religionsgemeinschaften und weltanschauliche Gruppen waren 10 , in Frankreich findet sich eine Staatsholding und in Portugal experimentiert man mit einem öffentlichen Kanal, der von verschiedensten öffentlichen und privaten Organisationen gefüttert wird. Auch die Mischfinanzierung vornehmlich aus Beitragseinnahmen und einem geringen Anteil von Werbeeinnahmen, wie sie für Deutschland gilt, ist längst nicht in allen Ländern zu finden. Die britische BBC ist wie auch die NRK in Norwegen und Schwedens SVT werbefrei, in Frankreich wurde France Télévision nur zu ca. 60 % seines Einkommens aus Gebühren finanziert mit einer Deckelung bei den Werbeeinnahmen - ein geplantes Werbeverbot wurde widerrufen, und gilt jetzt nur noch für das Abendprogramm - ; beim spanischen öffentlichen Rundfunk wurde die Finanzierung gar bis zu 86 % aus Werbung bestritten, dann 2009 ein Werbeverbot ausgesprochen und die Finanzierung aus Steuermitteln vorgenommen; in kleinen Staaten wie den baltischen, der Schweiz oder Belgien beträgt die öffentliche Finanzierung ca. zwei Drittel des Gesamt- 9 Dieser Zustand ist mit der Krise und dem Scheitern verschiedener Parteien überwunden worden - zugunsten einer starken Kontrolle der RAI durch den damaligen Ministerpräsidenten Berlusconi - zur Zeit wird nach einer neuen Aufsichtsstruktur gesucht. 10 Dem liegt der Prozess der sogenannten Versäulung der niederländischen Gesellschaft zugrunde, deren Bedeutung stark abgenommen hat und durch die Orientierung der Sender an verschiedenen Lifestyle-Gruppen ersetzt worden ist. <?page no="85"?> Themen des Vergleichs 86 budgets; in den Niederlanden ist die Rundfunkgebühr abgeschafft worden, und NOS wird wie die kanadische CBC aus dem Staatshaushalt alimentiert - in den Niederlanden mit garantiertem und indexiertem Einkommen, in Kanada jährlich neu verhandelt und beschlossen. Letztlich sind auch die Ziele, denen sich öffentlicher Rundfunk verschreibt, und auch seine Verankerung in der politischen Kultur in den verschiedenen Ländern völlig unterschiedlich. Da ist zunächst die Differenz, ob die Betonung auf einem nationalen öffentlichen Rundfunk liegt, oder ob die regionale oder lokale Komponente betont wird. Die BBC interpretierte ihren Auftrag lange in der Tradition ihres Gründervaters John Reith als paternalistische Erziehungsinstanz, die den breiten Massen Bildung zu vermitteln habe, ein Selbstverständnis, das erst jüngst ins Wanken geraten ist. In Kanada steht die Förderung kanadischer Kultur und kanadischer Identität im Vordergrund des öffentlichen Rundfunks ähnlich wie in Frankreich, wo der Rundfunk, der bis zum Beginn der 1980er-Jahre in staatlicher Hand organisiert war, aber auch seine Nachfolgeorganisationen der französischen exeption culturelle verpflichtet sind. In Dritte-Welt-Staaten wird öffentlicher Rundfunk, sofern vorhanden, oft ganz in den Dienst von Bildung und Entwicklung gestellt. Innerhalb Europas lässt sich ein Gefälle von Nord nach Süd feststellen im Hinblick auf die Verankerung, die PSB in der jeweiligen Gesellschaft erfahren hat. Unabhängig von diesen kulturellen Unterschieden aber findet öffentlicher Rundfunk seine Entsprechung und Begründung in dem Ideal einer politischen Öffentlichkeit, Konstrukt der Zeit der Aufklärung, in der sich das politische und soziale Leben einer Nation entfaltet, wie es von Habermas in seiner kritischen Analyse vom »Strukturwandel der Öffentlichkeit« ausgebreitet wurde (Habermas 1962). Auch aus dieser Perspektive ist PSB eine genuin europäische Errungenschaft. Die Entwicklung des Public Service Broadcasting Das europäische Rundfunkmodell des Public Service Broadcasting hat Nachahmer in verschiedenen Teilen der Welt gefunden. Die jeweiligen Leitvorstellungen, wie dieses Rundfunkmodell in der Praxis umgesetzt werden sollte, wurden durch den spezifischen historischen, sozialen und technologischen Kontext geprägt. <?page no="86"?> Public Service Broadcasting 87 Im Ursprungsland des PSB, Großbritannien, wurde ein öffentlicher Rundfunkveranstalter etabliert, der sich in eine Kultur der öffentlichen Daseinsvorsorge einbettete, die ihrerseits als eine Antwort auf die Probleme der britischen Klassengesellschaft interpretiert werden kann (Scannell/ Cardiff 1991). Die BBC blieb ein Pionier des öffentlichen Rundfunks bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, als der Wohlfahrtsstaat in vielen Ländern Europas ausgebaut wurde - einschließlich seiner öffentlichen Gesundheits- und Bildungssysteme. In diesem Verständnis von Rundfunk als einer öffentlichen Dienstleistung, die die Massen bilden soll, ist eine öffentliche Finanzierung unabdingbar, auch wenn in jüngerer Zeit der kommerzielle Zweig der BBC, BBC World, eine hohe Bedeutung für die gesamte Institution gewonnen hat. Die BBC ist auch heute noch - im Unterschied zu vielen anderen öffentlichen Rundfunkanbietern weltweit - werbefrei. Die Kernidee öffentlich verantworteten Rundfunks, die die BBC entwickelt hat, nämlich die Triade von Information, Bildung und Unterhaltung, ist von vielen öffentlichen Rundfunkveranstaltern weltweit übernommen worden, auch wenn sie eine ganz andere Rechtsform angenommen haben (siehe oben). Public Service Broadcasting gibt es heute in vielen Ländern der Erde - oftmals ist der britische Einfluss deutlich erkennbar, vielfach ist er unter dem Druck jüngerer Entwicklungen (siehe unten) stark geschwunden, wie z.B. in Australien, in Kanada oder in Neuseeland, wo PSB Mitte der 1990er-Jahre durch eine nachhaltige Privatisierungspolitik bis auf ein Radio-Network fast vollständig abgeschafft worden ist. In Afrika (→ 4.7) haben nur die demokratisch orientierten Staaten eine Rundfunkorganisation vergleichbar der öffentlich-rechtlichen geschaffen. Vorbildlich war hier die SABC, die South African Broadcasting Corporation, die mit ihrem Anspruch, Vielfalt in einem Land mit elf Amtssprachen zu gewährleisten und die Überwindung des Erbes der Apartheid voranzutreiben, das modernste Rundfunkgesetz geschaffen hatte, das einen öffentlichen Rundfunk reguliert - ein Erfolg, der in jüngerer Zeit durch autoritative Züge der Regierung wieder in Frage gestellt wurde. Die jüngste Region, in die öffentlicher Rundfunk eingeführt wurde bzw. wird, sind die postsozialistischen Staaten, die der Europäischen Union beigetreten bzw. Beitrittskandidaten sind. PSB gehört zwar nicht zum sogenannten acquis communitaire, dem gemeinsamen Rechtsbestand der EU, doch haben die Anforderungen an eine demokratische Medienordnung, die Bestandteil der Beitrittsverhandlungen waren, dazu geführt, dass in den Ländern Ostmitteleu- <?page no="87"?> Themen des Vergleichs 88 ropas Konzept und Struktur des öffentlichen Rundfunks ebenfalls mehr oder minder ausgeprägt übernommen wurden (→ 4.2). Darüber hinaus wird versucht, in Ländern, die ein durchgängig kommerzielles Mediensystem haben - wie z.B. Mexiko (Juarez/ Lowe 2012), die Idee von Public Service Media in der Form von public service publishing einzuführen; und selbst in China (Chin/ Johnson 2012) und der arabischen Welt (Sakr 2012) wird das Konzept unter Wissenschaftlern und Medienaktivisten diskutiert. Ein vertieftes Studium der Bedingungen, unter denen PSB in den genannten Weltregionen und Ländern eingeführt wurde, würde Folgendes ergeben: Gesellschaftliche Bedürfnisse wurden in spezifische Konzepte transformiert, die ihrerseits ihren Niederschlag in besonderen Formen der Finanzierung, Regulierung und Aufsicht finden. Eine Theorie dieser Zusammenhänge ist bislang noch nicht formuliert worden. Solch eine Theorie müsste im Detail beschreiben, wie und nach welchen Mustern eine gegebene historische und gesellschaftliche Situation die Konstituierung von öffentlichem Rundfunk beeinflusst (Saxer 2005: 28). Die jeweilige konkrete Ausgestaltung von Public Service Broadcasting lässt eine Antwort auf gesellschaftliche Bedürfnisse erkennen, die zu einer gegebenen Zeit an den Rundfunk gestellt worden ist. Sie äußert sich in spezifischen Formen der Finanzierung, Regulierung und Aufsicht. Der privilegierte Rechtsstatus, den Public Service Broadcasting in seiner Kernregion - in Europa - genießt, wird allerdings aus Gründen verschiedener Entwicklungen stark in Frage gestellt. In den meisten Ländern, in denen Public Service Broadcasting seit Jahrzehnten existiert, war er als eine Monopolinstitution geschaffen worden. Mit dem Aufkommen der kommerziellen Sender ist er angesichts des ökonomischen Paradigmas des Wettbewerbs in die Defensive gedrängt worden. Besonders stark war das Wachstum der kommerziellen Sender in der Zeit zwischen 1985 und 1995. Danach stand vor allem der Ausbau der Spartenprogramme im Vordergrund. Trotz vielfacher Warnungen, dass der öffentliche Rundfunk unter starken kommerziellen Druck geraten würde, behauptete er sich besser als angenommen. Allerdings büßte er zunächst gewaltig an Zuschauerzahlen ein, verlor Werbeeinnahmen und musste sich zahlreicher Angriffe erwehren - vor allem seitens der Akteure des kommerziellen Rundfunks, die ihm seine Existenzgrundlage streitig machen wollten. Dazu gehörten auch zahlreiche Interventionen bei der EU. Deren Behandlung des Rundfunks in Europa ist dominierend davon geprägt, ihn als Wirtschaftsgut zu behandeln, <?page no="88"?> Public Service Broadcasting 89 das ihn unter den Prämissen des EU-Wettbewerbsrechtes betrachtet und vor allem in ihre fortgesetzte Politik der Marktderegulierung einbettet. Doch hat sich der öffentliche Rundfunk in Europa mit einer stabilen Zuschauerschaft konsolidiert, deren Durchschnittsalter allerdings meist weit über dem der Bevölkerung liegt. Ein der Öffentlichkeit verpflichteter Rundfunk steht in den meisten Ländern in dem Dilemma, einerseits gesetzlich vorgeschriebene Programmleistungen erbringen zu müssen, z.B. Minderheiten programmlich zu berücksichtigen und zur Integration der Gesellschaft beizutragen, und in der Folge - wenn sich relativ wenig Zuschauer solchen Angeboten zuwenden -, Kritik an seiner mangelnden Massenattraktivität und damit Wettbewerbsfähigkeit aushalten zu müssen. Andererseits gereichen ihm Zuschauererfolge ebenso zum Nachteil, weil diese die mangelnde Unterscheidbarkeit zu kommerziellen Sendern belegen und damit die Überflüssigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens beweisen würden. Aber nicht nur das Hinzutreten kommerzieller Rundfunkanbieter hat dem öffentlichen Rundfunk in den letzten 20 Jahren eine Veränderung seiner Existenzbedingungen beschert. Maßgeblich sind auch die technischen Entwicklungen. Die fortgesetzte Zunahme der Zahl an Distributionskanälen, gleich ob sie über Satellit, Kabel oder terrestrische Netze ausgestrahlt werden, die Vervielfältigung der Übertragungswege durch die Digitalisierung von Satellit, Kabel und Terrestrik und das neue Angebot digitaler Dienste in den Kabelnetzen haben dazu geführt, dass Frequenzknappheit ein Problem der Vergangenheit geworden ist und nicht mehr als Legitimation für eine starke nationale Regulierung angeführt werden kann. Mit der rasanten Entwicklung der digitalen Medienangebote und dem umfassenden Wandel der Mediennutzung hin zu mobiler und Bewegtbildnutzung über das Internet wird zunehmend die Frage diskutiert, ob und wie die Prinzipien des Public Service Broadcasting auch auf den Multimediaplattformen Anwendung finden sollen (Lowe/ Bardoel 2007, Raboy 2008). Dies hat sowohl Konsequenzen für die Politik der Rundfunkregulierung, für das Verhalten der Public Broadcaster wie für die wissenschaftliche Analyse. Der Hintergrund dieser Überlegungen, die allerdings von den Wettbewerbern am Markt kritisch gesehen werden ist die derzeitige Medienumgebung, die durch die Konvergenz von Fernsehen, Radio, Print und dem Internet geprägt ist, von einer Kombination linear und nicht-linear Medienangebote auf einer Plattform, einer Multiplikation der Programme und Angebote, Hyperlinks, sich wandelnden Erwartungen und <?page no="89"?> Themen des Vergleichs 90 Nutzungsgewohnheiten der Publika sowie ihrer Segmentierung (Suárez-Candel 2012). Die Internationalisierung von Programmproduktion und -distribution verbunden mit der Zunahme der horizontalen, vertikalen und diagonalen Konzentration (→ 3.6) in den Händen einer begrenzten Zahl dominierender Unternehmen haben die Konkurrenzbedingungen für den öffentlichen Rundfunk verschlechtert. Die schnelle Expansion des Pay-TV hat zur Abwanderung attraktiver Sendeereignisse in das Pay-TV geführt, und die Diversifizierung der Pay-Kanäle bedingt eine Fragmentierung der Zuschauer, so dass der nationale Integrationsanspruch der traditionellerweise als Vollprogramm konzipierten Sender auf veränderte Rezeptionsbedingungen stößt. All diese Entwicklungen haben besondere Problemlagen für den öffentlichen Rundfunk geschaffen, die Auswirkungen auf seine Perspektiven haben, die weiter unten erläutert werden. Zunächst sollen jedoch einige ausgewählte Studien vorgestellt werden, die den öffentlichen Rundfunk in einer vergleichenden Perspektive zum Gegenstand haben. Studien Die Literatur zur europäischen Ausprägung des PSB, des öffentlic hen Rundfunks in den Ländern der EU, ist nahezu unüberschaubar. Deshalb sollen hier nun anhand von ausgewählten Beispielen die wichtigsten Debatten rund um PSB wiedergegeben werden. Dabei wurden auch Darstellungen mit aufgenommen, die methodisch nicht auf dem neuesten Stand der vergleichenden Forschung sind (vgl. Esser/ Hanitzsch 2012: 12 f.). Die ersten vergleichenden Untersuchungen entstanden in den 1980er-Jahren, als erste Erfahrungen mit dem dualen Rundfunksystem, also dem Nebeneinander von öffentlichem und kommerziellem Rundfunk, vorlagen (Rowland 1986, Garnham 1986). Anfang der 1990er-Jahre, als sich das duale Rundfunksystem in fast allen Ländern Westeuropas voll entfaltet hatte und die damit einhergehenden Bedrohungen des Public Service Broadcasting in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückten, entstand eine Fülle von Literatur, die den Zustand des PSB, seine Perspektiven und die dazugehörende Medienpolitik in Augenschein nahmen. Der Schwerpunkt der meisten Studien lag seinerzeit auf normativer Reflexion, wobei etwa der Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen <?page no="90"?> Public Service Broadcasting 91 Anbieter betont wurde, die besondere Kulturverantwortung der Anstalten oder auch das öffentliche Interesse an ihrer Weiterexistenz (Brants/ Siune 1992, Blumler 1992, Hultén/ Brants 1992, Blumler/ Gurevitch 1995). Seit Mitte der 1990er-Jahre wird von der »Reife« der dualen Systeme in ganz Europa im Sinne einer klaren Positionierung der kommerziellen Anbieter und einer gewissen Konsolidierung des Public Service Broadcasting gesprochen (Woldt 1998: 81). Ob der öffentliche Rundfunk eine Zukunft habe, fragten angesichts der gewandelten Medienstrukturen Siune und Hultén und kamen zu dem Ergebnis, dass die Funktionen des Public Service erhalten bleiben, allerdings weite sich ihr Geltungsbereich aus (Siune/ Hultén 1998: 33). Im Auftrag der Bertelsmann- Stiftung entstand eine Untersuchung, die Angebot, Nutzung, Regulierung und Kosten in den Fernsehmärkten von sechs Ländern verglich (Hamm 1998). Diese Studie, die resümierend für eine Überprüfung des Auftrages des öffentlich-rechtlichen Fernsehens plädierte, hat damit Fragen aufgenommen, die in der späteren Entwicklung auch die EU-Kommission aufgegriffen hat. Die medientechnologische Zukunft sowie das Regulierungsregime, besonders in seiner Prägung durch die EU, stellen seit etwa dem Jahr 2000 die entscheidenden Rahmenbedingungen dar, die von den PSB-bezogenen Forschungen aufgegriffen werden (McKinsey & Company 1999, Levy 1999, Lowe/ Hujanen 2003, Collins 2004, Lowe/ Jauert 2005). D’Haenens et al. (2011) bieten einen breiten datenreichen Überblick über Einkommensquellen, Programmstrukturen, Herstellungsland der Programme und Zuschauermarktanteile. Die jüngste Welle der europäischen Studien ist durch die Vorgaben der EU- Politik motiviert, nach denen PSB seine Existenzberechtigung und Legitimität - insbesondere in Hinblick auf seine Online-Angebote im Rahmen sogenannter Ex-Ante-Tests nachweisen muss (Donders/ Moe 2011, Donders/ Pauwels 2012). Damit sind Verfahren angesprochen, mittels derer geprüft wird, ob neue Angebote durch den bisherigen rechtlich abgesicherten Auftrag der öffentlichen Rundfunkanbieter gedeckt sind. Im Zusammenhang mit diesen Ex-Ante-Tests ist der Begriff des Public Value und dessen Konkretisierung in vergleichenden Studien untersucht worden (Christl/ Süssenbacher 2010, Karmasin et al. 2011). Der Fokus dieses Terminus liegt auf der Frage, welchen - publizistischen, demokratischen, sozialen, kulturellen etc. - Mehrwert öffentlicher Rundfunk erbringt. Und mit der Public-Value-Debatte ist schließlich auch die Frage nach den Public Service Medien verbunden, also die Untersuchungen, welche Online- Angebote öffentliche Rundfunkveranstalter machen und wie diese zu legitimie- <?page no="91"?> Themen des Vergleichs 92 ren oder rechtlich zu fundieren seien (Lowe/ Bardoel 2007, Moe 2009a und b, Iosifidis 2010, Gundlach 2011, Suárez Candel 2012). Weniger Beachtung findet der öffentliche Rundfunk weltweit, obwohl es in allen Kontinenten Debatten gibt, wie die öffentliche Funktion der audiovisuellen Medien zu stärken oder zu wahren sei. Die UNESCO hatte eine Dokumentation zusammengestellt, die sich besonders dem Bildungs- und Erziehungsauftrag öffentlichen Rundfunks widmet (UNESCO 1995) und brachte in ihrem Informations- und Kommunikationsbericht einen Überblick über die Situation von PSB weltweit (Wessberg 2000). Mendel (2000) untersuchte weltweit die Rechtsgrundlagen von PSB; und Raboy/ Price (2003) richteten den Blick auf die öffentlichen Rundfunkveranstalter in West- und Osteuropa sowie Kanada und ihre Transformationsstrategien. Probleme und Perspektiven Gegenwärtig steht der öffentlichen Rundfunk in Europa vor der Frage, wie er seine Zukunft als ein universelles Angebot, das die europäische kulturelle Vielfalt reflektiert und seine Unabhängigkeit von Staat und Markt wahrt, sichern kann. Im Wesentlichen sind es folgende Entwicklungen, die diese Zukunft gefährden könnten: • Die Vervielfältigung der Kanäle durch Digitalisierung lassen Zuschauerschaften schrumpfen. • Die Möglichkeiten, die die durch Digitalisierung entstandenen Plattformen den PSBs bieten, werden ihnen von kommerziellen Konkurrenten streitig gemacht, und ihre Nutzung durch PSBs ist politisch umstritten. • Die Aufforderung der EU, den Programmauftrag extrem präzise und konkret zu definieren, auf dass sie weiter öffentlich finanziert werden können, führt zu grundlegenden Identitätsfragen der Sender: Sollen sie reine Bildungs- und Informationsangebote machen und die Defizite der kommerziellen Sender kompensieren oder sollen sie ein Vollangebot machen wie bisher, das allen Zuschauern etwas bietet? • Die Formen der Finanzierung werden verändert und sind für die Zukunft ungewiss. <?page no="92"?> Public Service Broadcasting 93 • Neue Organisationsformen werden debattiert, die die alte Institutionen in Frage stellen (d’Haenens et al. 2011: 189). Auch wenn das sogenannte Protokoll von Amsterdam - ein Zusatz zu europäischen Verträgen - 1997 festgelegt hat, dass duale Rundfunkordnungen im Einklang mit dem europäischen Wettbewerbsrecht sind, solange sie das Verhältnis von öffentlicher Finanzierung und ihrem Auftrag eindeutig gestalten, so ist genau dieses Verhältnis, um das unter Beteiligung vieler Akteure in Zukunft gerungen werden wird. Die Zukunft des Public Service Broadcasting - umfassender Public Service Media - wird von mehreren Faktoren abhängen: • von dem Umfang der politischen Unterstützung, die er genießt, • von einer stabilen finanziellen Grundlage, • von der Loyalität und Unterstützung der Rezipienten und • von Reaktionen der öffentlichen Rundfunkanstalten auf den genannten Wandel. Auf Seiten der Public Service Broadcaster stehen unter diesen Bedingungen die Erneuerung (ihrer Konzepte), Revitalisierung (ihrer Kreativität) und Legitimation (ihres Auftrages) als zentrale Aufgaben. Und es stellen sich weitergehende Fragen: Bislang war Public Service Broadcasting in einem nationalen Rahmen gedacht worden - insbesondere im Zusammenhang mit der Aufgabe, der nationalen Öffentlichkeit zu dienen, eine nationale Identität zu reflektieren etc. Dies wird in einer globalisierten Medienumwelt durch eine andere Perspektive erweitert. Statt das Nationale gegenüber dem Fremden zu repräsentieren, wird Public Service Broadcasting zukünftig diese Kategorien im Hinblick auf die Dimensionen lokal und global neu konzipieren müssen (Raboy 1995: 5). Was das bedeuten kann, ist erst in Umrissen erkennbar. Durch die europäische Integration ist ein größerer Kommunikationsraum entstanden, der einer Begleitung durch eine grenzüberschreitende Öffentlichkeit bedarf. Das heißt, dass grundsätzlich mehr und vielfältigere europabezogene Programmangebote benötigt werden, um Europa in den Köpfen seiner Bürgerinnen und Bürger lebendiger und erfahrbarer werden zu lassen. Der öffentliche Rundfunk hat den Vorteil, dass er aufgrund der gesellschaftlichen Bindung, die ihn auf grundlegende kulturelle oder gesellschaftliche Zwecke verpflichtet, leichter in den Prozess der Europäisierung von Öffentlichkeiten einzubinden ist als kommerzielle Sender. Das erfordert allerdings, dass ihm diese Aufgabe auch zugeschrieben wird, was bislang bei keinem der PSB-Veranstalter der Fall ist. <?page no="93"?> Themen des Vergleichs 94 Angesichts des Legitimationsdrucks, der auf dem öffentlichen Rundfunk lastet, ist möglicherweise auch eine Erweiterung seiner Perspektiven im Hinblick auf globale Kommunikationsaufgaben zu erwägen. Das bedeutet, dass PSB seinen Auftrag der Universalität innerhalb globaler Medienstrukturen interpretieren müsste. Er könnte seine Möglichkeiten entwickeln, Information und Wissen für eine globalisierte Welt bereitzustellen. Er könnte einen Beitrag leisten, Probleme der globalisierten Kommunikation zu lösen, wie z.B. der kommunikativen Gleichberechtigung der Kulturen, der kulturellen Vielfalt oder der digitalen Spaltung (Thomaß 2005). Er könnte Antworten anbieten für das Problem der Identitätswahrung in einer globalisierten Welt und das Verständnis für Fremdheit und Andersartigkeit fördern. Er könnte seine Erfahrungen internationaler Kooperation für die Entwicklung von Kommunikationsnetzwerken nutzen, die die Erfordernisse der Wissensgesellschaft aufgreifen. Die Antworten, die PSB/ PSM auf die genannten Herausforderungen der Zukunft bietet, wird auch einen Einfluss darauf haben, ob und in wieweit er in anderen Ländern außerhalb Europas als Modell attraktiv genug ist, um ihn einzuführen, zu stärken oder bestehende staatliche Sender in öffentliche umzuwandeln. Diese Perspektiven, die europäische wie die globale, setzen allerdings voraus, dass Medienpolitik auf die bewusste Nutzung eines öffentlich verantworteten Mediums setzt, das für gesellschaftliche Zwecke zu optimieren ist. Zukünftige Forschungsfragen für den Vergleich von Public Service Broadcasting Die weitere Forschung zum öffentlichen Rundfunk - und also auch die, die sich dem Vergleich der verschiedenen Rundfunksysteme und PSB-Veranstalter widmet - wird mindestens eine doppelte Aufgabe haben. Zum einen gilt es, eine theoretische Fundierung von PSB/ PSM voranzutreiben, die umfassend nur auf der Grundlage vergleichender Typenbildung gelingen wird. Auf der anderen Seite wird - sofern der Standpunkt der Notwendigkeit des Erhalts eines öffentlich verantworteten Rundfunks eingenommen wird - eine Legitimierung des PSB die gewandelten technologischen und globalen Kommunikationsbedingungen zugrunde legen müssen. Auch dies wird letztlich nur aufgrund vergleichender empirischer Bestandsaufnahmen möglich sein. <?page no="94"?> Public Service Broadcasting 95 Zukünftige vergleichende Forschung zu Public Service Broadcasting muss seine theoretische Fundierung ausarbeiten und die Legitimität von PSB angesichts gewandelter technologischer und globaler Kommunikationsbedingungen analysieren. Für die Analyse der Zukunftsperspektiven von PSB/ PSM sind rechtliche, finanzielle und technische Bedingungen zu berücksichtigen: • In rechtlicher Hinsicht: wie lässt sich die Notwendigkeit meritorischer Güter im Hinblick auf Medien begründen und formulieren? • In finanzieller Hinsicht: Welche Modelle einer langfristigen Finanzierung für PSM gibt es, die von der Gesellschaft legitimiert werden? • In technischer Hinsicht: Wie kann der öffentliche Rundfunk alle technischen Plattformen vollumfänglich nutzen, um sie in den Dienst einer deliberativen Öffentlichkeit zu stellen? Diese Fragen sind im Hinblick auf den Wandel der Medienumgebung und der technischen Weiterentwicklungen in vergleichender Perspektive zu beantworten. Dabei werden deskriptive Bestandsaufnahmen die Grundlage für theoretische Analysen und Konzeptionen abgeben, die ihrerseits dem normativen Legitimationsdiskurs dienen können. Es erscheint nicht unmöglich, dass diese Institution in einigen Jahren ihren hundertsten Geburtstag erleben kann, wenn es im Jahr 2020 erneuerte moderne Public Service Media geben wird. Die vergleichende Kommunikationsforschung kann dazu einiges beitragen. Übungsfragen 1) Welche Elemente charakterisieren PSB? 2) Welche Finanzierungsformen von PSB können Sie nennen? 3) Welche Problemlagen kennzeichnen den PSB gegenwärtig? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de <?page no="95"?> Themen des Vergleichs 96 Literatur Banerjee, Indrajit/ Seneviratne, Kalinga (Hrsg.) (2006). Public service broadcasting in the age of globalization. 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Im Jahr 1605 schlug im damals deutschen Straßburg ihre Geburtsstunde - regelmäßig wurde hier nun die R ELATION gedruckt, ein wöchentlich erscheinendes, schmales Nachrichtenblatt, redigiert, hergestellt und vertrieben von dem Drucker Johann Carolus. Bald schon wurden auch an andern deutschen Orten Zeitungen gegründet, so 1609 in Wolfenbüttel, 1617 in Berlin und wenig später in vielen anderen europäischen Städten und Staaten, z.B. 1621 in London, 1631 in Paris, 1643 in Italien und (erst) 1703 in Russland. Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts kam - ausgehend von Frankreich - die Zeitschrift als Medium der längeren Abhandlung, des wissenschaftlichen Austausches, des Räsonnements und auch der Unterhaltung hinzu und erlebte rasch immer stärkere Ausdifferenzierungen. Global gesehen stiegen die Zahl und auch die Verbreitung der Zeitungen wie der Zeitschriften bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ständig - mit immensen Zuwächsen insbesondere im 19. (v.a. auf der Nordhalbkugel) und 20. Jahrhundert (v.a. in der Südhemisphäre). Erst in jüngster Zeit ist im Pressemarkt eine Stagnation auf hohem Niveau festzustellen. »Die Zeitungsauflagen sind wie die Sonne. Sie steigen weiterhin im Osten und sinken im Westen« (WAN-IFRA 2011), sagte Christoph Riess, Vorsitzender des weltgrößten Verlegerverbandes, der World Association of Newspapers and News Publishers (WAN-IFRA) bei der Vorstellung des Jahresberichts 2011, den »World Press Trends«. Einer nun insgesamt leicht rückläufigen Welt- Gesamtauflage stehen anhaltend Zuwachsraten insbesondere in großen Teilen der sogenannten »Dritten Welt« gegenüber. So seien nach Angaben der WAN- IFRA im Asien-Pazifik-Raum die Auflagen seit 2006 um 16 % und allein von 2009 auf 2010 um 7 % gestiegen - und in Lateinamerika um 4,5 resp. 2 %. In gesamt Westeuropa sanken hingegen die Zeitungsauflagen von 2009 auf 2010 um 2,5 % und im Fünfjahresvergleich um 11,8 %, in Ost- und Mitteleuropa allein in einem Jahr um 12 %, in Nordamerika von 2009 auf 2010 um 11 % und <?page no="99"?> Themen des Vergleichs 100 seit 2006 um 17 % (vgl. WAN-IFRA 2011). Und in Deutschland? Lag die verkaufte Auflage der Tages- und Sonntagszeitungen hierzulande im zweiten Quartal 2002 nach IVW-Angaben (2012) noch bei 27,7 Millionen, so liegt sie zehn Jahre später, im zweiten Quartal 2012, nur mehr bei 21,5 Millionen, die der Tageszeitungen allein bei knapp unter 20 Millionen. Weltweit gibt es derzeit (bei, wie noch zu zeigen sein wird, in den Details problematischer Zählung) knapp 8.000 Zeitungen, deren Gesamtauflage im Jahr 2010 519 Millionen verkaufte Exemplare betragen haben soll (vgl. WAN-IFRA 2011) - und damit 31 Millionen mehr als noch im Jahr 2002 (vgl. WAN 2007). Hinzu kommt eine weit höhere, in die hunderttausende gehende, aber nicht exakt bestimmte Zahl von Zeitschriften. Täglich sollen so allein von den gedruckten Zeitungen mehr als zweieinhalb Milliarden Leser erreicht werden - und 600 Millionen von deren Onlineausgaben (vgl. WAN-IFRA 2012). Manche Blätter haben nur eine Auflage von wenigen hundert Exemplaren, die anderer geht in Millionenhöhe - wie etwa die der B ILD mit knapp 2,8 Millionen Exemplaren täglich oder gar die der größten japanischen Blätter: Y OMIU- RI S HIMBUN mit rund zehn Millionen verkauften Exemplaren und A SAHI S HIM- BUN mit einer Distribution von täglich rund acht Millionen können als »Auflagenweltmeister« gelten (vgl. Wadlinger 2012). Mehr als dreieinhalb Jahrhunderte lang blieb die Presse das unumschränkte Leitmedium im öffentlichen Diskurs, abgelöst erst ganz allmählich durch das Fernsehen - und insbesondere in vielen Teilen der sogenannten Dritten Welt vom Radio. Das Prestigemedium ist die Presse, sind die Zeitungen bis heute in den meisten Teilen der Erde geblieben - und die wichtigste aktuelle Informationsquelle sehr vieler Menschen. Bis ins neue Jahrtausend hinein bot kein anderes Medium umfassendere und gleichzeitig übersichtlicher präsentierte Informationen aus den »Kernressorts« Politik und andere aktuelle Nachrichten, Kultur, Wirtschaft, Sport und meist regionales oder lokales Geschehen. Wollte man etwa den gesamten Text einer der abendlichen Hauptnachrichtensendungen des Fernsehens drucken, so würde er nicht einmal eine Seite etwa der S ÜDDEUT- SCHEN Z EITUNG , der N EUEN Z ÜRCHER Z EITUNG oder der N EW Y ORK T IMES füllen. Heute bieten zwar Nachrichtenangebote im World Wide Web teils (über zahlreiche Links) eine größere Informationsfülle und werden rascher aktualisiert, aber Gedrucktes genießt in der Regel noch immer höhere Glaubwürdigkeit, und die Selektionsleist ung wie die journalistische Einordnung und die publizistisch e Bewertung der Geschehnisse in den Zeitungen bleiben unverzichtbar. <?page no="100"?> Pressesysteme 101 Funktionen und Begriffe »Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse«, so konstatierte 1966 das Bundesverfassungsgericht im »S PIE- GEL -Verlag-Urteil«, einer bis heute wegweisenden Entscheidung, »ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich. [...] In ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung« 11 . Damit ist bereits eine wesentliche Funktion der Medien insgesamt und insbesondere der Presse genannt. Sie stellt (im Verbund mit allen anderen Massenmedien) das Forum dar, auf dem sich Öffentlichkeit bildet und ausdrückt. Neben der übergeordneten Aufgabe der Information hat die Presse noch eine Fülle von Detailfunktionen. Sie übt Kritik und Kontrolle gegenüber den staatlichen Gewalten, erfüllt einen Bildungsauftrag und trägt insbesondere zur Meinungsbildung bei, setzt Themen auf die Tagesordnung und liefert Bewertungen, dient zur Entspannung und ermöglicht es dem Einzelnen, seinen Platz in der Gesellschaft zu erkennen, übernimmt vielfältige Serviceleistungen, leistet als Werbeträger einen Beitrag zur Güterzirkulation, erwirtschaftet selbst als Ware Mehrwert und bietet Arbeitsplätze, dient nicht zuletzt der Unterhaltung - und wird insbesondere in diktatorisch verfassten Staaten vielfach als Führungsmittel instrumentalisiert. In pluralistischen Demokratien ist eine wesentliche Funktion der Presse, ein Forum für die Bildung und die Artikulation von Öffentlichkeit darzustellen. Presse, Zeitung, Zeitschrift - was ist mit diesen Begriffen exakt gemeint? Unter Presse im engen Sinn der Kommunikationswissenschaft (wie er im Folgenden zugrunde gelegt ist) wird die Gesamtheit aller periodisch erscheinenden Druckmedien verstanden. Gemeint sind damit Zeitungen und Zeitschriften. Was darunter wiederum genau zu fassen ist, dazu gibt es keine international einheitliche, »verbindliche« Definition. Zumindest die deutsche Fachwissenschaft bestimmt Zeitung über die vier Merkmale Periodizität, Publizität, Aktualität und Universalität; sie ist demgemäß ein wenigstens zweimal wöchentlich 12 (meist werktäglich oder täglich) erscheinendes Druckerzeugnis, das allgemein zugäng- 11 BVerfGE 20, 162, 174 ff. - »Spiegel-Verlag«; Urt. v. 5. August 1966 - 1 BvR 586/ 62, 610/ 63 und 512/ 64. 12 Nach UNESCO-Definition mindestens viermal wöchentlich. <?page no="101"?> Themen des Vergleichs 102 lich ist, jüngstes Gegenwartsgeschehen vermittelt und sich nicht auf bestimmte Themengebiete beschränkt. Zeitschriften hingegen weisen mindestens eines dieser Merkmale nur beschränkt auf, erscheinen also z.B. nur maximal einmal wöchentlich (mindestens aber halbjährlich) oder/ und richten sich nur an eine spezielle Zielgruppe, z.B. ein bestimmtes Fachpublikum, oder/ und weisen eine inhaltliche Spezifizierung auf (Täglich erscheinende Sportzeitungen, die etwa in Italien und Spanien höhere Auflagen erreichen als jede allgemein informierende Tageszeitung, sind damit wissenschaftlich respektive pressetypologisch ebenso den Zeitschriften zuzuordnen wie auch Wochenzeitungen, z.B. D IE Z EIT ). Das riesige Feld der Zeitschriften kann man grob segmentieren in (wesentlich unterhaltende) Publikumszeitschriften und (sach- oder berufsbezogene, teils wissenschaftliche) Fachzeitschriften sowie Mitgliederorgane von Parteien, Verbänden oder Vereinen, Werks- und Kundenzeitschriften, Verlautbarungsorgane bestimmter Gruppen, Weltanschauungen oder Interessen (z.B. Kirchenpresse, Alternativpresse), Anzeigenblätter und Amtsblätter (vgl. konkreter Vogel 1998). Pressesystem meint schließlich - in Anlehnung an eine Definition von Hans J. Kleinsteuber (2005: 275) - »die Gesamtheit von Ordnungen oder Strukturen«, die die Presse »in einem definierten Raum - zumeist ein Staat - charakterisieren«. Gemäß einzelner Faktoren dieser »Ordnungen und Strukturen« lassen sich dann auch Pressesysteme einzeln analysieren - und gegebenenfalls vergleichend in den Blick nehmen. Strukturelemente Titelzahl Ein wichtiger struktureller Faktor ist die Anzahl der Einzelelemente, sprich: die Zahl der Zeitungs- und Zeitschriftentitel. Da es für Zeitschriften keine verlässlichen internationalen Statistiken - und noch nicht einmal annähernd einheitliche Zählmaße - gibt, soll sich im Folgenden die Betrachtung auf Zeitungen konzentrieren. Hier gibt es zwar für viele Staaten je nationale Angaben etwa der statistischen Zentralämter (wobei etwa in Deutschland, einem »Musterland« der Zeitungserhebung, ein 1975 erlassenes Pressestatistikgesetz, nach dem das statisti- <?page no="102"?> Pressesysteme 103 sche Bundesamt jährlich strukturelle, unternehmerische wie ökonomische Kerndaten des Pressewesens erhob, Ende 1997 aufgehoben wurde und amtlicherseits nun nur mehr in unregelmäßigen Abständen, zuletzt 2008, publizierte Medienberichte der Bundesregierung vorliegen (siehe Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien 2008, siehe auch Hans-Bredow-Institut 2008). Auch nationale Verlegerverbände bieten oft Datenmaterial. Und es liegen einige supranationale Überblickswerke vor, die allerdings teils recht veraltet sind - so die statistischen Jahrbücher von der UNESCO (zuletzt 1999) und den Vereinten Nationen selbst (»World Media Handbook«, zuletzt 1995! ) und die »World Press Trends«, eine seit 1989 jährlich vorgelegte Datensammlung des internationalen Verlegerverbandes World Association of Newspapers and News Publishers (WAN). Doch basieren die in all diesen Büchern dokumentierten Daten auf unterschiedlichen Standards, genügen oft kaum wissenschaftlichen Anforderungen und bieten damit eher Tendenzeindrücke als eine verlässliche Grundlage für einen internationalen oder gar globalen Vergleich der Pressesysteme. Was allein ist jeweils als eine Zeitung, als Zähleinheit also anzusehen? Schon darüber gibt es keine transnationale Verständigung. Walter J. Schütz, der seit 1954 mittels einer Stichtagserhebung alle zwei Jahre sämtliche deutschen Tageszeitungen systematisch erfasst (und damit auch langfristige Entwicklungen dokumentiert), hat hierfür funktionale Zählmaße entwickelt. Kleinste pressestatistische Einheit ist bei ihm die Ausgabe, hier wird jede Zeitung einzeln erfasst, die einen eigenen Titel oder auch nur Untertitel aufweist; unter der nächst größeren Kategorie Verlage als Herausgeber werden alle Zeitungen zusammengefasst, bei denen im Impressum der gleiche Verlag genannt ist; größtes und zugleich wichtigstes Zählmaß ist schließlich die Publizistische Einheit, der alle Ausgaben zugeordnet werden, die eine gemeinsame »Kernredaktion« und damit auch einen gemeinsamen »Zeitungsmantel«, in der Regel die (ersten) Seiten mit aktuellen politischen Nachrichten, haben. Zuletzt zählte er so in Deutschland 1.515 Ausgaben, 353 Verlage als Herausgeber und nur 135 Publizistische Einheiten (Schütz 2009: 455). Diese Schütz’schen Kategorien finden aber nicht international Anwendung. Bei aller angebrachten Vorsicht aufgrund dieser misslichen Datenlage lässt sich global ein Nord-Süd-Gefälle im Zeitungswesen feststellen. So gab es gemäß der W ORLD P RESS E NCYCLOPEDIA in ganz Afrika um die Jahrtausendwende nicht einmal 150 Tageszeitungen (Quick 2003: XIX), während nach der gleichen Quelle allein in Deutschland 382 erschienen (ebd.: 357). Auch kontinental ist dieses Nord-Süd-Gefälle augenfällig. So gibt es etwa im gerade fünfeinhalb <?page no="103"?> Themen des Vergleichs 104 Millionen Einwohner zählenden Norwegen etwa ebenso viel Zeitungen (nämlich im Jahr 2000 82) wie in Italien mit der zehnfachen Bevölkerungszahl (88 Titel) und zweieinhalbmal so viel wie im doppelt so viele Einwohner zählenden Griechenland (33 Titel); in Asien sind insbesondere Japan und Südkorea ausgeprägte Zeitungsländer; und in den USA (dem mit rund 1.500 Zeitungen nach WAN_IFRA-Angaben titelreichsten Land der Erde) erscheinen mehr Tageszeitungen als in allen Staaten Mittel- und Südamerikas zusammen. Im Hinblick auf die Zahl der Zeitungstitel, ihre Zugänglichkeit und Nutzung herrscht weltweit ein Nord-Süd-Gefälle. Verbreitung Dieses Nord-Süd-Gefälle bestätigt sich noch weit nachdrücklicher hinsichtlich der Verbreitung von Zeitungen innerhalb der Bevölkerung, mithin ihre Zugänglichkeit und Nutzung, dem zweiten wesentlichen Strukturmerkmal. Zentrales Zählmaß ist hier die Zeitungsdichte. Sie gibt an, wie viele Zeitungsexemplare auf je 1.000 Einwohner über 14 Jahre innerhalb eines Landes entfallen. Weltweite Spitzenreiter sind (oder waren zumindest im Jahr 2009) hier Norwegen und Japan mit einer Zeitungsdichte von 538 bzw. 458, in Deutschland kommen 279 Exemplare auf 1.000 Einwohner, in Frankreich 146, in Italien 94, in Südafrika 47 und in vielen anderen afrikanischen wie auch manchen asiatischen Staaten ist die Zeitungsdichte kleiner als 10 (vgl. WAN-IFRA 2011). »In Tadschikistan«, so veranschaulicht Susanne Fengler (2004) plastisch, »weiß überhaupt niemand, was eine Tageszeitung ist - weil es in Afghanistans nördlichem Nachbarland schlicht nicht möglich ist, auf den maroden Straßen mit noch maroderen Fahrzeugen Tag für Tag einen funktionierenden Vertrieb auf die Beine zu stellen. Zeitungen erscheinen dort in der Regel nur einmal pro Woche und sind so teuer, dass oft ein ganzes Dorf zusammenlegen muss, um ein gemeinsames Exemplar anzuschaffen.« Die extreme Unterversorgung in den Entwicklungsländern liegt nicht nur an fehlender Infrastruktur und ökonomische Schranken, sondern auch an einer mangelhaften inhaltlichen Zugänglichkeit des Gedruckten. So sind nach Angaben der UNESCO weltweit etwa 796 Millionen erwachsene Menschen (über 15 Jahre) Analphabeten, zwei Drittel davon Frauen (vgl. UNESCO 2011: 280). <?page no="104"?> Pressesysteme 105 Warum es allerdings auch innerhalb des hoch entwickelten Westeuropas so große Unterschiede in der Zeitungsnutzung gibt, das ist damit nicht zu erklären. Unterschiedliche Pressetraditionen, unterschiedliches Nutzerverhalten, staatliche Presseförderung, verschiedene Distributionsmodelle, abweichende Preispolitik der Verlage, evtl. auch schlichte klimatische Bedingungen können Faktoren sein. Hier Einzelheiten zu ermitteln, darin könnte eine Aufgabe komparatistischer Forschung bestehen. In absoluten Zahlen gesehen sind dennoch schon seit Jahren zwei »unterentwickelte« Staaten die größten Zeitungsmärkte der Welt - nämlich die bevölkerungsreichsten Länder der Erde China mit (bereits im Jahr 2005) 96,6 Millionen und Indien mit 78,7 Millionen verkauften Exemplaren täglich, gefolgt von Japan (69,7 Millionen), den USA (53,3 Millionen) und Deutschland mit 21,5 Millionen (WAN 2006b: 3). Zeitungstypen Nicht nur ein globales wie kontinentales Nord-Süd-Gefälle ist zu konstatieren, sondern gerade im »Süden« häufig auch ein starkes Gefälle vom Zentrum zur Peripherie - und damit ein weiteres Strukturmerkmal: die regionale Verteilung respektive die vorherrschenden Zeitungstypen. So erscheinen Zeitungen wiederum gerade in Afrika oft nur in den (wenigen) großen Städten meist an der Küste und finden kaum den Weg aufs weite Land und in die Dörfer. Es handelt sich also meist um reine Großstadt-, oft Hauptstadtpresse. Auch in vielen europäischen Staaten erscheinen die wichtigsten Zeitungen in den Hauptstädten, so z.B. in den klassischen Zentralstaaten England, Frankreich und Polen. In der föderalen Bundesrepublik ist hingegen Berlin zwar der größte Zeitungsstandort mit acht publizistischen Einheiten, die auch international renommiertesten Zeitungen sind aber die in München erscheinende S ÜDDEUTSCHE Z EITUNG und die F RANKFURTER A LLGEMEINE Z EITUNG , und auch etwa in den Vereinigten Staaten sind die N EW Y ORK T IMES und die L OS A NGELES T IMES publizistisch mindest ens ebenso tonangebend wie die W ASHINGTON P OST (zur krisenhaften Entwicklung der Presse in den USA siehe z.B. Ruß-Mohl 2009). Überhaupt gibt es in den USA und in Deutschland, wie etwa auch in Skandinavien und vielen anderen Zeitungsländern, nur wenige (doch meist qualitätvolle) überregionale Zeitungen. Lokal- und Regionalpresse, Zeitungen also mit einem mehr oder weniger eng umgrenzten Verbreitungsraum, die auch inhaltlich stark auf <?page no="105"?> Themen des Vergleichs 106 Informationen aus dem nahen oder näheren Lebensumfeld der Leser setzen, sind die vorherrschenden Typen. Aufgrund von Konzentrationstendenzen gibt es in vielen Ländern mit starker Lokalpresse aber immer häufiger Kommunen, in denen nur je eine Lokalzeitung erscheint, die publizistische Konkurrenz bei lokalen Informationen - und damit die Möglichkeit der Leser, sich aus unterschiedlichen Quellen zu informieren - also abnimmt. In Frankreich existiert dagegen die tonangebende Pariser Presse etwa mit den »Elitemedien« L E M ONDE , F IGARO und L IBÉRATION - und daneben auflagenstärkere Regionalzeitungen, aber kaum Lokalpresse. Vertriebswege Unterschiedlich sind auch die Vertriebswege. In vielen Staaten vor allem Nord- und Mitteleuropas wird, neben dem Einzelverkauf, ein Großteil der Zeitungen an feste Bezieher mit Vertragsbindung, monatlichem (oder längerem) Bezugsentgelt und einem eigenen Zustellsystem ins Haus geliefert, während etwa in Südeuropa, auch in Frankreich und in den meisten anderen Staaten der Erde diese Form des Abonnements unüblich ist und Zeitungen fast ausschließlich im Einzelverkauf an festen Verkaufsstellen vertrieben werden. Echte Boulevardzeitungen, die über Verkaufskästen und Straßenhändler vertrieben werden und mit großen Schlagzeilen Käufer locken, gibt es wiederum nur in einigen Staaten der Erde. Als dritte Vertriebsform neben Abonnement und Einzelverkauf wächst insbesondere in Großstädten und hier vor allem an Knotenpunkten des Nahverkehrs die Gratisverteilung stark an. Ausgehend von Skandinavien traten sie Anfang des 21. Jahrhunderts einen europäischen Siegeszug etwa in Madrid, Lissabon, Paris und Rom, Wien und Zürich an, während sie etwa in Deutschland (noch) nicht Fuß fassen konnten. Finanzierung Während sich die Gratispresse allein über Anzeigen finanziert, herrscht sonst bei Zeitungen wie Zeitschriften eine Mischfinanzierung - aus Verkaufserlösen und aus Anzeigen - vor. Weltweit ist die Tageszeitung, knapp hinter dem Fernsehen, der zweitgrößte Werbeträger mit einem Anteil von rund 20 % am gesam- <?page no="106"?> Pressesysteme 107 ten Werbeaufkommen (vgl. ZenithOptimedia 2010). Doch gehen die Anzeigeneinnahmen seit einem Jahrzehnt in den meisten der »klassischen« Zeitungsländer Europas und in Nordamerika kontinuierlich zurück. So meldet der Weltverlegerverband WAN-IFRA in seinem jüngsten Bericht weltweite Zeitungswerbeeinnahmen von nurmehr 78 Milliarden US-Dollar, während es 2007 noch 128 Milliarden Dollar gewesen seien; allein in den USA sei der Markt innerhalb dieser fünf Jahre um 72 % eingebrochen (vgl. WAN-IFRA 2012). Um einem (weiteren) Qualitätsverlust aufgrund unzureichender Mittel entgegenzusteuern, gibt es insbesondere in den USA und manchen europäischen Staaten verschiedene Ansätze, über Stiftungen oder andere gemeinnützige Initiativen alternative Finanzierungsmodelle insbesondere für Recherchejournalismus zu etablieren (vgl. z.B. Weichert/ Kramp 2009: 63-103), doch scheinen sie kaum geeignet, sinkende Vertriebs- und Werbeerlöse generell zu kompensieren. In vielen Ländern gibt es darüber hinaus ein System staatlicher Presseförderung auch mit direkten Finanzhilfen. Während dies in autoritären Staaten vielfach zur gezielten Pressebeeinflussung oder -lenkung genutzt wird, wird es in Ländern wie Frankreich und Österreich streng neutral gehandhabt und soll dazu dienen, dass die Zeitungen ihre wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen können und ein vielfältiges Pressesystem aufrechterhalten werden kann (vgl. z.B. Holtz-Bacha 1994). Tradition Diese und andere Unterschiede zwischen den Pressesystemen der Welt sind vielfach Ausdruck unterschiedlicher Pressetraditionen. In Deutschland, dem Geburtsland der Zeitung, dominierte (nicht zuletzt aufgrund von Kleinstaaterei und meist strenger Zensur) bis weit ins 19. Jahrhundert eine Vielzahl kleiner Lokalzeitungen, die pure Nachrichtengebung ohne Kommentierung betrieben. Erst ab 1848 »politisierte« sich die Tagespresse, erst kamen Parteirichtungs-, dann Parteizeitungen auf. Noch in der Zeit der Weimarer Republik bildeten Zeitungen, die klar einer politischen Richtung zuzuordnen waren, neben vielen sehr kleinen Lokalzeitungen den größten Teil der über 4.000 Ausgaben. Spät erst, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, entwickelte sich daneben der Typus der Massenpresse mit Auflagen von über 100.000 Exemplaren (während Zeitungen etwa in Frankreich und England in den 1890er-Jahren schon die Millionengrenze erreichten), und es entstanden große Pressekonzerne. <?page no="107"?> Themen des Vergleichs 108 Eine andere Entwicklung nahmen die Zeitungen in England und den USA, den »Musterländern« der freien Presse. In England, wo schon seit 1695 (als erstem Land der Erde) Pressefreiheit weit gehend gegeben war, und in Amerika nach der Unabhängigkeitserklärung herrschte lange eine stark an politischen Richtungen orientierte Presse vor. In den USA ab 1835, in England etwas später, wurde die parteifixierte Gesinnungspresse dann überwiegend durch die marktorientierte Geschäftspresse abgelöst; Zeitungen wurden nun als lukrative Unternehmen betrieben. Es galt, mit billigen Blättern möglichst breite Lesermassen zu erreichen (und damit auch das Anzeigengeschäft anzukurbeln). Umgesetzt wurde dies durch möglichst aktuelle und attraktive Nachrichten, die zunehmend auch selbst recherchiert wurden, und durch den Anspruch parteipolitischer Unabhängigkeit. Die Folge war ein immenser Aufschwung des Zeitungswesens und inhaltlich eine klare Ausrichtung auf einen recherchierenden Informationsjournalismus, der allerdings auch zum Sensationsjournalismus führen konnte und auch führte. In Frankreich wiederum, so lässt sich sehr pauschal konstatieren, wurde fast immer dem Meinungsjournalismus der Vorrang vor dem Informationsjournalismus eingeräumt, und viele Journalisten waren sehr viel mehr von einem literarischen und intellektuellen Selbstverständnis geprägt als von einem rein informationsvermittelnden. Der Gegensatz zwischen zweitem, eine klare Trennung von Nachrichtengebung und Kommentierung anstrebendem, sich oft überparteilich positionierendem Zeitungswesen und einem stark parteilich ausgerichtetem ist ein mögliches weiteres Kriterium zur Analyse unterschiedlicher Pressesysteme, wobei freilich immer die politischen Gegebenheiten berücksichtigt werden müssen - vor allem der Freiheitsraum der Presse. Die großen politischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts brachten neue, starke Umbrüche, auch der Pressesysteme. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Presse in Deutschland unter den Vorgaben der alliierten Besatzungsmächte ganz neu strukturiert, und auch die Zeitungslandschaft fast aller anderen europäischen Staaten erlebte einschneidende Veränderungen. Die bis heute schwach ausgeprägte afrikanische Presse musste eine neue Rolle nach dem Ende des Kolonialismus insbesondere in den 1960er-Jahren finden (→ 4.7). Im östlichen Mittel- und in Osteuropa setzte ein erneuter radikaler Umbruch (auch) des Pressewesens mit dem Ende der Sowjetvorherrschaft ein. Die Region durchlebt seither einen Transformationsprozess, der noch immer nicht abgeschlossen ist (→ 4.2.). Etwa in Polen, Tschechien und der Slowakei ist dabei ein sehr großer Einfluss westeuropäischer, namentlich deutscher, Medienkonzerne feststellbar. <?page no="108"?> Pressesysteme 109 Womit das nächste - und in unserer kursorischen Auflistung letzte - Strukturmerkmal angesprochen ist: die Besitzverhältnisse der Zeitungen. Besitzverhältnisse In fast allen Staaten der Erde ist Presse privatwirtschaftlich organisiert. Zeitungsverlage sind oft mittelständische Unternehmen, die teils nur eine Zeitung herausgeben, doch geht die Tendenz meist in Richtung größerer Einheiten. Waren hierbei bis gegen Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts reine Pressekonzerne dominierend, so gibt es nun einen Trend zu Mischkonzernen, die nur unter anderem auch Zeitungen besitzen; die diagonale Konzentration nimmt zu - und ebenso die Internationalisierung des Marktes mit Global Players wie Murdochs N EWS C ORPORATION , der B ERTELSMANN AG und auch kleineren Unternehmensgruppen, die zunehmend im Ausland investieren (→ 3.6.). Presse in direktem Staatsbesitz ist selten, in den meisten autoritären und allen totalitären Staaten werden die Zeitungen aber von den Herrschenden in den Dienst genommen, unterliegen strenger Zensur und sind vom Wohlwollen der Regierenden abhängig. Oft sind zumindest relevante Teile der Presse auch im Besitz der herrschenden Partei - so z.B. einst im »Dritten Reich« und heute in Kuba, China und Nordkorea. Aktuelle Entwicklungen Nach dem von Wolfgang Riepl 1913 formulierten »Gesetz der Medienkomplementarität« werden Medien, »die einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich […] verdrängt […] werden können, sondern sich neben diesen erhalten, nur daß sie genötigt werden, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen« (Riepl 1913: 5). Demnach muss es einen um die Zukunft der Presse nicht bange sein, doch sieht sie sich weltweit großen Herausforderungen insbesondere durch die Konkurrenz des Internets gegenüber. So verlieren die Zeitungen insbesondere in den hoch entwickelten Staaten des Nordens, in den »klassischen« Zeitungsmärkten also, kontinuierlich Leserschaft und sind insbesondere für junge Menschen immer weniger attraktiv; gleichzeitig ist der Markt <?page no="109"?> Themen des Vergleichs 110 der »Rubrik-« oder »Kleinanzeigen« (Stellen-, KFZ- und Immobilienmarkt, Kontaktanzeigen etc.), ein für sie ökonomisch höchst wichtiger Bereich, zunehmend ins World Wide Web abgewandert. Neue Verwertungsgebiete sind (abgesehen von Zusatzeinnahmen etwa mittels - durchaus lukrativer - Buchreihen, Videoeditionen oder ähnlichen »Begleitprodukten«, wie sie von vielen Zeitungsverlagen seit rund zehn Jahren verstärkt auf den Markt gebracht werden) kaum in Sicht, und so suchen die Zeitungen einerseits durch eine umfassendere Hintergrundberichterstattung und einen Ausbau der Service- und Ratgeberfunktion, andererseits durch eine prägnantere und optisch ansprechendere Informationsaufbereitung Leserschaft zu binden und gerade auch für jüngere Menschen attraktiver zu werden, um im Wettbewerb mit den elektronischen Medien bestehen zu können. Die beiden Hauptprobleme der Zeitungen - besonders in den hoch entwickelten Staaten des Nordens - sind der Verlust an Leserschaft vor allem unter jüngeren Menschen sowie die Abwanderung der Kleinanzeigen in das World Wide Web. Ein weltweiter Trend geht hin zu handlicheren Formaten, den Tabloid- oder Kompaktzeitungen. So haben in England die beiden führenden Qualitätszeitungen T HE T IMES und T HE I NDEPENDENT 2003/ 04 ihr Format halbiert, viele andere Zeitungen - auch in Skandinavien, Irland, den Niederlanden, Deutschland und zahlreichen anderen Staaten - sind nachgezogen oder haben neben großformatige »Mutterblätter« kompakte Parallelausgaben positioniert. Nicht nur diese handlicheren Blätter, sondern gerade auch die Gratiszeitungen für ein mobiles Publikum sollen das alte Medium für junge Leser interessant machen. Insbesondere in Lateinamerika und Südafrika experimentieren Verlage zudem mit populär aufgemachten Qualitätszeitungen, um bisherige Nichtleser an das Produkt heranzuführen - mit einigem Erfolg (vgl. Wilkinson 2004: 234 f.). Gleichzeitig suchen Zeitungen ihrerseits verstärkt Dienste in elektronischen Netzen anzubieten, sich hier als führende Nachrichtenportale zu etablieren, damit auch Werbekunden zu binden und neue Leser zu gewinnen. Jüngst wird auch immer stärker versucht, Bezahlschranken für die Nutzung von Presseangeboten im Internet einzuführen, also für die Nutzung einzelner Texte oder den Zugang zu ganzen Onlineangeboten Geld zu verlangen (»Paid Content«). Doch sind hier bisher nur wenige Verlage wirklich ökonomisch erfolgreich - so insbesondere das W ALL S TREET J OURNAL , die F INANCIAL T IMES und seit 2011 auch <?page no="110"?> Pressesysteme 111 die N EW Y ORK T IMES . Als neuer Vertriebs- und Vermarktungsweg bieten Presseunternehmen auch mehr und mehr Applikationen für Tabloid-PCs und Smartphones an. Waren mit der Einführung dieser Apps sehr hohe Erwartungen verbunden, so hat sich hier bislang noch kaum ein für die Printverlage lukratives Geschäftsmodell durchsetzen lassen (siehe hierzu z.B. Bauer et al. 2012, Jakubetz 2012). Auf Verlagsseite sind seit Jahren Trends zur Bildung von Multimediakonzernen und zur Internationalisierung erkennbar. Globale Geschäftsstrategien gehen oft einher mit lokal adaptierten inhaltlichen Angeboten. Derartige Trends der Globalisierung oder »Glokalisierung« sollten ein zunehmend wichtiges Feld auch der komparativen Forschung darstellen. Vorliegende Studien Auf einer »Makroebene«, der Ebene des Vergleichs ganzer Pressesysteme aus vielen verschiedenen Ländern, gibt es kaum Studien, die mit einheitlichem Instrumentarium wissenschaftlich vorgenommen wurden. Unternehmungen wie das »Handbuch der Auslandspresse«, in dem von einem Forscherteam um Emil Dovifat (1960) vom Institut für Publizistik der Freien Universität Berlin Ende der 1950er-Jahre versucht wurde, mittels an Zeitungen und Nachrichtenagenturen aus annähernd 200 Ländern versandte Fragebogen in mehreren Sprachen (bei geringem Rücklauf) sowie der Auswertung von Fachliteratur »Stand und Entwicklung der Weltpresse« allgemein zu erheben, gibt es seither kaum mehr. Schon dieses Handbuch bot kaum einen Vergleich, vielmehr eine knappe enzyklopädische Übersicht in Form von Länderberichten. Derartige Nachschlagewerke, zum Teil auch mit einführenden Überblickskapiteln, gibt es heute mehrere (und auch gründlichere). Zu nennen ist hier das vom Hamburger Hans-Bredow-Institut alle zwei Jahre erarbeitete »Internationale Handbuch Medien« (zulet zt 2009), das freilich nicht nur auf Presse fokussiert, so ndern Struktur wie Verbreitung und Nutzung aller Massenmedien in insgesamt 83 Staaten beleuchtet. Prägnante Einzeldarstellungen gezielt der Pressesysteme von sogar 232 Ländern oder Territorien bietet die von Amanda C. Quick (2003) editorisch gele itete »World Press Encyclopedia«. Die in beid en enthaltenen (oft von Experten aus den jeweiligen Ländern erstellten) Länderberichte sind zwar jeweils nach einem gleichen Schema angelegt, nicht aber mit einem <?page no="111"?> Themen des Vergleichs 112 einheitlichen wissenschaftlichen Instrumentarium erarbeitet worden - und damit auch nicht Ergebnis komparativer Forschung, der sie allerdings mindestens zum Teil als Grundlage dienen können. Dies gilt ebenfalls für bereits erwähnte Datensammlungen wie dem »World Communication and Information Report« der UNESCO (zuletzt 1999), dem »World Media Handbook« der UN (zuletzt 1995) und den »World Press Trends« der WAN-IFRA (2011a). Knappe nationale »Medienprofile« u.a. zur Presse bieten auch Johnston (2003) und de Beer/ Merill (2004) sowie Kelly/ Mazzoleni / McQuail (2004). Zumindest für Europa will nun eine von Beate Schneider und Walter J. Schütz gestartete Forschungsinitiative anderes versuchen, nämlich einheitliche Maßstäbe für die Erfassung und Zuordnung von Presseerzeugnissen erstellen. In einem ersten Schritt wurde ein Erhebungsbogen zur Erfassung relevanter Merkmale der Zeitungsstatistik erarbeitet - und bereits in 13 europäischen Ländern angewandt. Eine »Annäherungen an eine länderübergreifende Zeitungsstatistik«, die (anders als die WAN-Daten) auch streng wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, ist damit geleistet (Schneider/ Schütz 2004). Ziel ist eine gesamteuropäische Stichtagssammlung aller Zeitungen, die dann - mehrfach durchgeführt - auch einmal wissenschaftlich abgesicherte, vergleichende Aussagen über Entwicklungstrends und deren Ursachen zulassen könnte. Auf einer »Mikroebene« gibt es zahlreiche Studien, die etwa einzelne Aspekte des Pressesystems oder - häufiger - der Berichterstattung zu bestimmten Themen in zwei oder mehr Staaten vergleichen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Bleibt die »Mesoebene«, wobei hier Studien gemeint sind, die ebenfalls einzelne Detailaspekte der Pressesysteme untersuchen, dies aber in größerer internationaler Perspektive. Eine knappe, instruktive (wenn auch nicht mehr ganz aktuelle) Übersicht zum diesbezüglichen Forschungstand bietet Josef Seethaler (2004). An jüngeren Studien seien hier wenigstens drei exemplarisch genannt: Michael Haller und ein internationales Forschungsteam untersuchten 2004 den Pressevertrieb in sechs Staaten der EU - mit dem Ergebnis, dass die umfassende Versorgung der Bevölkerung mit Tageszeitungen vielerorts gefährdet ist und Konzentrationstendenzen damit Vorschub geleistet werden kann (Haller 2004). Marcus Haas analysierte Verbreitung und Entwicklung der Gratiszeitungen - oder, wie er sie nennt, »kostenlosen Pendlerzeitungen« - in sieben europäischen Ländern; ein Zeitungstyp, so Haas, »der bleiben wird, da es eine Zeitung ist, die zu ihrer Zeit passt« (Haas 2005: 330) - und dem Medium eine neue Leserschaft erschließen kann. Stephan Weichert und Leif Kramp fragten schließlich 2009 <?page no="112"?> Pressesysteme 113 nach dem »Verschwinden der Zeitung? «, zeigten internationale Entwicklungstrends auf und stellten knapp medienpolitische Maßnahmen insbesondere der Presseförderung dar und beschrieben Qualitätsinitiativen in USA und Europa. Es gibt sie also, international vergleichende Studien im Bereich der Pressesysteme. Aber es sind wenige - was nicht zuletzt am großen Aufwand diesbezüglicher Forschung liegt: So müssen etwa Sprachprobleme überwunden, oft internationale Forscherteams gebildet, Daten aus sehr unterschiedlichen Quellen erschlossen, umfangreichere Mittel auch für Reisen aufgebracht werden - und es müssen umfangreiche Vorkenntnisse über die einzelnen Mediensysteme, kultu relle Gegebenheite n etc. erarbeitet werden. Zur Bedeutung des Vergleichs Wie kommt es, dass die Zeitungsdichte in Deutschland nur halb und in Italien gar nur ein Fünftel so groß ist wie in Norwegen? Warum gibt es in Deutschland oder den USA - anders als in West- und Südeuropa - keine Sporttageszeitungen? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit man in Frankreich oder Spanien eine Boulevardzeitung nach der Art von B ILD oder S UN etablieren kann? Weshalb gibt es in Benin und Mali besser funktionierende Pressesysteme als in den Nachbarstaaten? Was kann man tun, um Presse gezielt auch der ländlichen Bevölkerung in Entwicklungsländern zugänglich zu machen? Oder allgemein: Welche Indikatoren gibt es, um die Vielfalt einer Presselandschaft gezielt in den Blick zu nehmen? Auf Fragen wie diese und viele andere kann, vielmehr könnte vergleichende Pressesystemforschung Antworten suchen respektive geben. Doch wird sie bislang kaum umfassend vorangebracht. Derartige Forschung sollte nicht nur national betrieben werden - internationale Kooperationen und Forscherverbünde sind gefordert. Gerade in Zeiten, da die Medienwirtschaft mehr und mehr transnational und global agiert, sollte die Medienwissenschaft ebenfalls stärker grenzübergreifende Aspekte in den Blick nehmen, um die Entwicklungen nicht aus einem verengten Blickwinkel wahrzunehmen. Andererseits wird - bei der vergleichenden Analyse von Pressesystemen wie in allen Anwendungsfeldern der Komparatistik - erst durch die Gegenüberstellung mit anderen Systemen die Spezifik des eigenen Systems erkennbar. Systemvergleiche können also auch eine heuristische Funktion haben: Fragestellungen in Bezug auf die <?page no="113"?> Themen des Vergleichs 114 einzelnen Systeme können aufgeworfen, Detailstudien angeregt werden. Komparatistik ist damit nicht nur Grundlagenforschung, sondern es können auch konkrete Entwicklungschancen etwa einzelner Pressesparten aufgezeigt, Abhängigkeiten deutlicher erkannt, Versäumnisse und Probleme aufgedeckt - und damit gezielte Beratung für Politik wie Unternehmen ermöglicht - werden. Vergleichende Pressesystemforschung kann so einen Beitrag zur Sicherung der Zukunft des »klassischen« Leitmediums Presse mit seinen vielfältigen Funktionen leisten. Übungsfragen 1) Welche wesentlichen Kriterien kann man heranziehen, um Pressesysteme international vergleichen zu können? 2) Wo liegen Probleme einer internationalen Zeitungsstatistik? 3) Mit welchen Strategien suchen Zeitungsverlage der Konkurrenz durch »neue Medien« und insbesondere das Internet zu begegnen? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Bauer, Florian et al. (2012): Alles Digital. Zeitungen im Crossmedia-Zeitalter (BDZV/ ZV-Report). Berlin. Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien (Hrsg.) (2008): Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2008. Berlin. de Beer, Arnold S./ Merill, John C. (Hrsg.) (2004): Global Journalism. Topical Issues and Media Systems (4th Edition). Boston et al. Dovifat, Emil (Hrsg.) (1960): Handbuch der Auslandspresse. Bonn/ Köln/ Opladen. Fengler, Susanne (2004): Zeitungs Lust und Nutz. 10 Thesen zum alten und neuen Leitmedium. In: die tageszeitung vom 11.12.2004. Haas, Marcus (2005): »Die geschenkte Zeitung«. 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Der Begriff der Fernsehunterhaltung erlangt vor diesem Hintergrund ebenfalls doppelte Bedeutung - er lässt sich sinnvoll sowohl auf Angebotsformen wie auf eine generelle Umgangsweise mit dem Medium beziehen: Fernsehunterhaltung geschieht, wenn sich Zuschauer beim Fernsehen unterhalten. Dies findet zwar überwiegend bei Sendungen statt, die speziell für diesen Zweck produziert worden sind, aber nicht nur dort. Eine weitere wichtige Beobachtung ist in diesem Zusammenhang, dass das Verhältnis zwischen Unterhaltung und Information noch in anderer Hinsicht nicht wechselseitig exklusiv ist. Ebenso wie Informationssendungen von Zuschauern zu Unterhaltungszwecken genutzt werden können, kann das Erlangen von Informationen einen durchaus wichtigen Teil von Unterhaltungserlebnissen darstellen (vgl. Dehm 1984). Vor diesem Hintergrund hat sich in jedem Land ein Spektrum von Fernsehangeboten entwickelt, das sich heute allenfalls mit großen Einschränkungen in unterhaltende versus nicht-unterhaltende Sendungen unterteilen lässt. Abgesehen davon, dass ohnehin kaum zu ermitteln ist, wie einzelne Zuschauer konkret mit einzelnen Sendungen umgehen, lässt sich auch im Programm vielfach beobachten, dass primär Unterhaltendes informativen Zusatznutzen verspricht und selbst klassische Informationssendungen selten auf unterhaltende Anteile verzichten. Viele Programmentwicklungen der letzten Jahre setzen von vornherein auf die Mischung von Nutzungsangeboten, was Bezeichnungen wie etwa »Infotainment« oder »Doku-Soap« nahe legen. <?page no="117"?> Themen des Vergleichs 118 Worum es in diesem Text geht, sind neben den schon »klassischen« Unterhaltungsformen des Fernsehens auch neuere Mischformen mit erkennbarer Unterhaltungsabsicht. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Fragen. Erstens: Wie lässt sich dieses Gegenstandsfeld allgemein strukturieren? Und zweitens: Welche Formen internationaler Beziehungen lassen sich in diesem Gegenstandsfeld finden? Formen und Inhalte intentional unterhaltender Fernsehsendungen Erscheinungsformen Für jedes Land gilt, dass das einschlägige aktuelle Programmangebot zentral sowohl in mediale wie in allgemeinere (populär-)kulturelle Kontexte eingebunden ist. Was an Unterhaltungssendungen geboten wird, wird zum einen davon beeinflusst, wie das jeweilige Fernsehsystem organisiert ist und finanziert wird und welche Rolle das Fernsehen im jeweiligen Mediensystem spielt; zum anderen davon, welches populärkulturelle Repertoire unter Verwendung unterschiedlicher Medien sich entwickelt hat. Bei allen Differenzen im Detail haben sich dabei Grundmuster herausgebildet, die sich länderübergreifend für eine grobe Typologie eignen. Eine erste Hauptgruppe von Unterhaltungssendungen sind die, in denen fiktionale Geschichten erzählt werden: Schauspieler agieren als Rollenträger in einer erfundenen Handlung, die sich an speziell dafür hergerichteten Handlungsorten ereignet. Innerhalb dieser Hauptgruppe gibt es klar unterscheidbare Untergruppen, die sich etwa durch eine bestimmte Handlungsstruktur oder einen bestimmten Handlungsort unterscheiden. Wenn beispielsweise eine Produktion ein »Krimi« sein soll, muss im Mittelpunkt der Handlung die Aufklärung eines geschehenen, geplanten oder vermuteten Verbrechens stehen. Wenn es dagegen um »Science- Fiction« geht, muss in der Handlungswelt ein wichtiges Element von unserer empirischen Realität verschieden, aber prinzipiell wissenschaftlich erklärbar sein. Dies kann etwa die Ansiedlung der Handlung in der Zukunft sein, eine fantastische Erfindung oder ein Besuch von außerirdischen Wesen. <?page no="118"?> Unterhaltungsformate im Fernsehen 119 Eine zweite Hauptgruppe sind nonfiktionale Unterhaltungssendungen, in denen (mediale) Realität inszeniert wird. In der deutschen Sprache werden derartige Sendungen traditionell bevorzugt als »Show« bezeichnet, wobei die wichtigsten Untergruppen die Musik-Show, die Talk-Show und die Game-Show sind. Ebenso wie bei der ersten Hauptgruppe, fiktionalen Angeboten, handelt es sich um autonome Inszenierungen des Mediums (d.h., gäbe es kein Fernsehen, gäbe es auch diese Phänomene nicht), aber im Unterschied zu fiktionalen Angeboten haben sie einen qualitativ anderen Realitätsanspruch. In Spiel-Shows werden tatsächlich Preise gewonnen, in Talk-Shows treten Medienprominente als wirkliche Menschen auf, und in Musik-Shows werben wirkliche Künstler für ihre tatsächlich käuflich erwerbbaren Produktionen. Die Unterscheidung von fiktionalem und nonfiktionalem Fernsehen war zwar noch nie völlig problemlos, da auch im dokumentarischen Bereich immer schon gerne »Geschichten erzählt« wurden, in der aktuellen Programmentwicklung spielen jedoch hybride Formen eine zentrale Rolle. Reality-TV- Produktionen (vgl. Hill 2005) wie beispielsweise Casting-, Coaching- oder Gerichts-Shows kombinieren systematisch einen dokumentarischen »Look« mit fiktionaler Dramaturgie. Dies trifft vor allem auf das derzeit besonders umstrittene Genre »Scripted Reality« zu, in dem Laiendarsteller auf der Grundlage von Rollenvorgaben Dialoge in alltagsnahen Problemsituationen improvisieren. »Echt« ist dabei nur der Eindruck, der erzeugt werden soll: Die Darsteller sehen so aus, reden und verhalten sich so, wie die Produzenten annehmen, dass die Zuschauer annehmen, dass sich tatsächlich in den gezeigten Situationen befindende Menschen aussehen, reden und sich verhalten. Eine dritte Hauptgruppe von Unterhaltungssendungen konstituiert schließlich der Bereich Sport, der - im Prinzip - medienunabhängig ist. Sportveranstaltungen gab und gibt es auch heute noch unabhängig von Fernsehübertragungen, weshalb traditionell Sport auch Gegenstand von »Berichterstattung« war und daher als Teil des Informationsangebots angesehen wurde. Tatsächlich war beispielsweise die Live-Übertragung eines Fußballspiels aber immer schon ein Erlebnis- und kein Informationsangebot, also Unterhaltung - zur reinen Information hätte auch die Übermittlung des Spielergebnisses genügt. Dieses besondere Unterhaltungspotenzial, von dem in zahlreichen Ländern seit den Anfängen des Fernsehens besonders hohe Einschaltquoten bei einzelnen Sportereignissen zeugen, hat in den letzten Jahrzehnten zu einer drastischen Verteuerung der Übertragungsrechte und als Konsequenz zu einer deutlichen Positionsveränderung von Sportsendungen im Angebotsspektrum des Fernsehens geführt. <?page no="119"?> Themen des Vergleichs 120 Hohe Kosten für die Senderechte bedingen zwangsläufig hohe Investitionen für die Produktion der entsprechenden Sendungen, da zur Refinanzierung das Zuschauerpotenzial durch eine möglichst attraktive Sendungsgestaltung optimal genutzt werden muss. So ist das Fernsehen zu einer zentralen Einnahmequelle für Sportverbände, -vereine und -veranstaltungen geworden und Sportübertragungen zu einem strategisch wichtigen Angebot von Fernsehsendern. Die Folgen sind in beiden Bereichen deutlich sichtbar: Ablauf- und sogar Regeländerungen bei Sportveranstaltungen sorgen dafür, dass dem Fernsehen optimales Rohmaterial geboten wird (vgl. Schauerte/ Schwier 2004). Um den Spannungswert zu erhöhen, wurde beispielsweise beim Fußball mit dem »Golden Goal« bzw. dem »Silver Goal« experimentiert, die Ablösung des alten Europapokals der Landesmeister durch die Champions League garantiert nicht nur den beteiligten Vereinen dank Gruppenphase eine längere Mindestpräsenz im Wettbewerb, zudem können aus den spielstärksten Ligen mehrere (in der Regel: international bekannte) Vereine daran teilnehmen. Betont unterhaltungsorientierte Inszenierungsformen der mit diesem Material gestalteten Sendungen sollen anschließend die Zuschauerschaft optimieren. Sport im Fernsehen hat sich damit endgültig von einem Gegenstand der »Berichterstattung« in einen Teilbereich der Fernsehunterhaltung verwandelt, in »MediaSport« (Wenner 1998). Im Unterschied zu Fernsehshows sind die meisten Sportveranstaltungen zwar keine indigenen Veranstaltungen des Mediums, ohne Fernsehen gäbe es aber erheblich weniger - und sie sähen anders aus. Drei Grundmuster von Unterhaltungsangeboten im Fernsehen lassen sich - bei großen nationalen Unterschieden im Einzelnen - weltweit finden: • Unterhaltungssendungen, in denen fiktionale Geschichten erzählt werden • nonfiktionale Unterhaltungssendungen, in denen (mediale) Realität inszeniert wird • Sportsendungen Serialität Fernsehen ist weltweit ein alltäglich genutztes Medium, ein Alltagsmedium, was nicht zuletzt auf bestimmte Erwartungen an das Angebot verweist. Es hat Tag für Tag seine Nützlichkeit zu erweisen und muss daher eine zeitliche Strukturierung aufweisen, die der Struktur des Zuschaueralltags folgt. Beim Fernsehen <?page no="120"?> Unterhaltungsformate im Fernsehen 121 erwarten wir während des (Arbeits)Tages etwas anderes als am (Feier)Abend, an Arbeitstagen etwas anderes als am Wochenende, und an Feiertagen soll es etwas ganz Besonderes geben. Unser Alltag unterliegt sich überlagernden Zeitrhythmen mit täglich, wöchentlich und jährlich wiederkehrenden Elementen. Er ist in wesentlichen Teilen seriell organisiert und das Fernsehangebot als Konsequenz ebenfalls (vgl. Hickethier 1991: 11f.). Im Verlauf der Fernsehgeschichte hat sich dabei eine formal ähnliche Staffelung entwickelt, wie sie auch unseren Lebensalltag prägt. Auf der ersten Ebene stehen dabei täglich wiederkehrende Angebote wie Nachrichtensendungen, Wetterberichte und neuerdings auch bestimmte Unterhaltungsangebote wie Spiel-Shows oder Daily Soaps, auf einer zweiten Ebene finden sich einmal pro Woche ausgestrahlte Produktionen, wie etwa fiktionale Serien oder politische Magazine. Eine dritte Ebene konstituieren im monatlichen Turnus oder zumindest mehrmals im Jahr angebotene Sendungen, wie beispielsweise große Shows, eine vierte schließlich das verlässlich einmal im Jahr präsentierte Sonderereignis, egal ob es sich um das Pokalendspiel im Fußball, die Silvester-Show oder den »Domino Day« handelt. Darüber hinaus gibt es das Phänomen der virtuellen Serialisierung, der Verknüpfung von Einzelsendungen durch Obertitel. Dies geschieht etwa, wenn unverbundene Fernsehspiele auf einem festen wöchentlichen Sendeplatz als »Fernsehspiel der Woche« angeboten werden oder aufeinander folgende Comedy-Serien als Comedy-Block beworben werden. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied zwischen realem Alltag und Fernsehalltag: Während es in unserem Leben durchaus passieren kann, dass wir regelmäßig Wiederkehrendes als bloße Wiederholung erleben - wie das morgendliche Aufstehen, den Gang ins Bad und das Einschalten der Kaffeemaschine -, sind derartige Wiederholungen beim Fernsehen ausgeschlossen. Nachrichtensendungen haben tagesaktuell zu sein, in der täglichen Game-Show müssen andere Kandidaten als gestern auftreten und andere Aufgaben lösen, die heutige Daily-Soap-Folge hat einen Fortgang der Handlung zu zeigen. Gerade im Bereich der intentionalen Fernsehunterhaltung - mit der Ausnahme des Fernsehsports - stellt sich dabei das Problem der Produktion von Differenz bei Ähnlichkeit. Während es bei der aktuellen Berichterstattung, bei den meisten nonfiktionalen Magazinformen und im Sport einen quasi »natürlichen« kontinuierlichen Strom außermedialer Ereignisse gibt, die als Rohmaterial für immer neue mediale Inszenierungen dienen, muss bei den meisten Varianten intentionaler Fernsehunterhaltung das Problem des immer wieder neuen Ange- <?page no="121"?> Themen des Vergleichs 122 bots, das den bisherigen Angeboten aber ähnlich zu sein hat, medienintern gelöst werden. Orientierungsweisen Wenn durch Serialisierung programmstrukturell Beziehungen zwischen einzelnen Sendungen hergestellt werden, dann geschieht dies programminhaltlich durch die Organisation von Ähnlichkeitsbeziehungen. Dafür hat sich bereits im 19. Jahrhundert ein in der gesamten populären Kultur verwendetes Konzept herausgebildet, die Genrebildung (vgl. ausführlich Grant 1977, Hallenberger 2002; McQuail 1994: 263 f., Neale 2000). Zuerst geschah dies im Bereich der populären Unterhaltungsliteratur, später entwickelten sich auch beim Film, in der Unterhaltungsmusik, im Radio und schließlich im Fernsehen vergleichbare Orientierungssysteme. »Genres« sind über inhaltliche Angebotsmerkmale operierende, hoch flexible Systeme, die zwischen Produzenten, Distributoren und Nutzern oder Käufern von Medienangeboten vermitteln und alle Akteure in die Lage versetzen, sensibel auf alle jeweils für sie relevanten Veränderungen, wie z.B. Veränderungen des Publikumsgeschmacks, der medientechnologischen Grundlagen oder der allgemeinen Marktbedingungen, reagieren zu können. Gleichgültig, um welche Inhalte und welches Medium es im Einzelfall geht, lassen sich dabei immer vergleichbare Entwicklungsphasen erkennen. In der Herausbildungsphase erweist sich ein bestimmtes Angebot bzw. ein Angebotstyp auf einem bislang von Produzenten wie Nutzern als einheitlich wahrgenommenen medialen (Teil)Markt als so erfolgreich, dass kontinuierlich Ähnliches produziert und nachgefragt wird. Dies traf beispielsweise bei der vor allem in Heften und Periodika veröffentlichen Unterhaltungsliteratur des 19. Jahrhunderts auf Geschichten zu, die sich mit Verbrechen oder fantastischen Erfindungen beschäftigten (vgl. allgemein Goulart 1973, Seeßlen/ Kling 1977). In der darauf folgenden Konsolidierungsphase wird dieser Angebotstyp mit einer allgemein verwendeten Bezeichnung versehen und entweder ganz konkret (in Buchhandlungen, im Tonträgerhandel, in Videotheken etc.) oder virtuell (im Radio oder Fernsehen an bestimmten Sendeplätzen) an separaten Stellen präsentiert. Beim gewählten Beispiel wurden aus den angedeuteten Anfängen die Genres Krimi und Science- Fiction, die von nun an beide unter diesen Bezeichnungen eine Marktnische suchten und fanden. Autoren, Herausgeber und Leser konnten sich so speziali- <?page no="122"?> Unterhaltungsformate im Fernsehen 123 sieren, und es entwickelten sich marktvermittelt Genrekonventionen: erstens in inhaltlicher Hinsicht, als Verständigung darüber, was eine Geschichte unbedingt enthalten muss, darüber hinaus enthalten kann und auch auf gar keinen Fall enthalten darf, wenn sie denn als Krimi oder Science-Fiction wahrgenommen werden soll; zweitens auch bezüglich der Nutzung. Ein als einem Genre zugehörig codiertes Medienangebot kommt immer auch mit einer »Gebrauchsanweisung« zur optimalen Nutzung daher - wer von einem Krimi in erster Linie Romantik erwartet, hat mit einiger Sicherheit das falsche Angebot gewählt. Weitere Phasen der Genreentwicklung sind dann Binnendifferenzierung und Genremischung, woraus unter Umständen neue Basisgenres entstehen können. Beide Phänomene sorgen dafür, dass immer neu Ähnliches entstehen kann, sei es durch die Entwicklung von kontinuierlich auf dem jeweiligen Markt präsenten Varianten (im Falle des Krimis beispielsweise durch die Differenzierung von Polizei- und Detektivkrimi) oder die Kombination von Elementen verschiedener Genres. So verband die Fernsehserie A KTE X Bausteine der Genres Krimi, Spionage, Fantasy und Science-Fiction - und schuf damit gleichzeitig ein neues, nämlich »Mystery«, wodurch eine ältere Bezeichnung eine neue Bedeutung bekam: Als »mystery novels« wurden früher Kriminalromane bezeichnet. Die angeführten Beispiele deuten an, dass das Konzept »Genre« nicht nur an sich medienübergreifend ist, sondern auch konkret viele einzelne Genres mediale Wechsel vollzogen haben. Die Hauptgruppen intentionaler Fernsehunterhaltung weisen allesamt eine umfangreiche mediale Vor- und teilweise auch Parallelgeschichte auf. Fiktionale Produktionen greifen vor allem auf den Genrekanon zurück, der sich zunächst in der Unterhaltungsliteratur herausgebildet hat und dann im Kinofilm medial angepasst, ergänzt und weiterentwickelt wurde. Nonfiktionale Unterhaltungssendungen des Fernsehens konnten zum einen auf dem Repertoire der nonfiktionalen Bühnenunterhaltung aufbauen, z.B. auf Vaudeville, Music Hall, Kabarett und Varieté, zum anderen auf Programmformen des Radios wie Quiz und Gesprächssendungen. Auch bei der dritten Hauptgruppe, Sportsendungen, gab es viele Querbezüge zu älteren Medien - neben Anschlüssen an die Sportberichterstattung zunächst der Printmedien vor allem an die Live-Übertragungen des Radios. <?page no="123"?> Themen des Vergleichs 124 Internationale Unterhaltungsbeziehungen Hintergrund Ebenso wenig wie Unterhaltungsangebote in der Regel das Resultat der Angebotsentwicklung nur eines Mediums sind, sondern teilweise sogar hoch komplexe Beziehungen zu älteren bzw. zeitgenössischen Angeboten anderer Medien aufweisen, so wenig sind sie ausschließlich in Landesgrenzen denkbar. Es gab und gibt kein rein »nationales« Fernsehen, und auch die intentionale Fernsehunterhaltung jedes Landes ist auf vielfältige Weise mit der vieler anderer verbunden. Das Fernsehen jedes Landes stellte immer schon eine je eigene Mischung aus Elementen unterschiedlichsten Verbreitungsgrades dar. Einige waren von Anfang an allen Ländern im Prinzip gemeinsam, so etwa die technischen Grundlagen, auch wenn es unterschiedliche Standardsetzungen gab wie etwa beim Farbfernsehen mit den Normen NTSC, PAL und SECAM. Vergleichbares gilt auch für wesentliche Programminhalte: In jedem Land gab und gibt es irgendeine Form aktueller Berichterstattung, Dokumentarisches, fiktionale Angebote, Musik, Gesprächssendungen, Spiele und Sport. Was die Organisation von Fernsehsystemen betrifft, haben sich in der Fernsehgeschichte weltweit zwei Basismodelle herausgebildet, nämlich das kommerzielle und das öffentliche (→ 3.3) - was Mischformen keineswegs ausschließt. Hinsichtlich der Finanzierung von Fernsehen gab es bis vor kurzem drei wesentliche Grundmodelle (und beliebige Mischformen): Gebührenfinanzierung, Werbefinanzierung und direkte Bezahlung. Mittlerweile ist eine weitere hinzugekommen, die Fernsehfinanzierung durch die Nutzung angeschlossener Dienstleistungen (Beteiligung an kostenpflichtigen Gewinnspielen oder Kauf beworbener Produkte), dafür ist eine andere ältere weitgehend entfallen, die staatliche Subventionierung. Das heißt, hinter den auf den ersten Blick oftmals so unterschiedlichen Fernsehbildern aus den Ländern dieser Welt verbargen sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt der Fernsehgeschichte zahlreiche Gemeinsamkeiten. Einige dieser Gemeinsamkeiten sind für das Programmangebot irrelevant (wie technische Gemeinsamkeiten), andere fungieren als zwar allgemeine, dann aber doch in ihren Konsequenzen höchst sichtbare Rahmungen, nämlich organisatorische und ökonomische Strukturen, wieder andere verweisen auf allgemeine mediale Möglichkeiten und global geteilte Zuschauerwartungen, hinter denen wiederum <?page no="124"?> Unterhaltungsformate im Fernsehen 125 oft über Ländergrenzen hinweg vergleichbare soziale und kulturelle Situationen stehen - sowie eine in vielen Bereichen ebenfalls international geteilte Geschichte der populären Kultur. So hat sich beispielsweise in Literatur, Film und Fernsehen in sehr vielen Ländern eine diversifizierte »Krimi-Kultur« entwickelt, zu der in unterschiedlichsten Mischungsverhältnissen ältere und zeitgenössische Arbeiten aus anderen Ländern ebenso beitragen wie einheimische Werke, die wiederum auf vielfältige Weise von ausländischen Vorbildern beliebiger medialer Herkunft beeinflusst sein können. Der frühe literarische englische Rätselkrimi mit seinen genialischen Detektivfiguren wie etwa Sherlock Holmes erwies sich nicht nur beim Kriminalroman in vielen Ländern als stilprägend, sondern auch in Film und Fernsehen. In neuzeitlicher Interpretation, die aus der viktorianischen Außenseiterfigur Sherlock Holmes einen modernen Außenseiter macht, bewies diese Detektivfigur in der Darstellung von Benedict Cumberbatch durch eine BBC-Produktion von 2010 sogar im 21. Jahrhundert erneut ihr Potenzial. Einige Jahrzehnte nach dem originalen literarischen Sherlock Holmes begründeten Texte etwa von Dashiell Hammett und Raymond Chandler zunächst die neue literarische Variante des »Hard-boiled-Krimis«, populärkulturell gesehen fast noch wichtiger war die filmische Umsetzung im Rahmen der »Schwarzen Serie«, die in der internationalen Filmentwicklung eine große Rolle spielte. Neben englischsprachigen Ländern erwiesen sich auch andere als einflussreich, etwa Frankreich durch den von Pierre Boileau und Thomas Narcejac geprägten psychologischen Krimi oder Schweden durch die sozialkritischen Romane von Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Intermediale und internationale Vernetzung zeichnen auch die Entwicklung des Fernsehkrimis beispielsweise in Deutschland aus. Ab 1954 präsentierte D IE G ALERIE DER GROSSEN D ETEKTIVE klassische Figuren der internationalen Kriminalliteratur wie Sherlock Holmes oder Hercule Poirot, ab 1958 wurde S TAHLNETZ zum Publikumserfolg, die deutsche Adaption der amerikanischen Polizeireihe D RAGNET . Geradezu als »Straßenfeger« erwiesen sich vor allem in den 1960er-Jahren Mehrteiler nach Vorlagen des englischen Autors Francis Durbridge. In seinem Heimatland galt Durbridge dagegen als eher unbedeutend, genauso wie sein Landsmann Edgar Wallace, dessen Romane zeitgleich als Kinoverfilmungen in Deutschland ein großes Publikum fanden. Selbst die Krimireihe, die dank des Exports in über 100 Länder mehr als jede andere weltweit als typisch für den deutschen Fernsehkrimi gilt, hat eine internationale Vorge- <?page no="125"?> Themen des Vergleichs 126 schichte: Die endgültige Fassung von D ERRICK ist eine Weiterentwicklung der Reihe D ER K OMMISSAR , die sich an eine ältere britische Produktion anlehnte, deren Titelheld, M AIGRET eine Erfindung des belgisch-französischen Schriftstellers Georges Simenon ist (vgl. Martenstein 1996: 68 u. 86 f.). Die unterschiedlichen Fernsehbilder aus den Ländern dieser Welt verbergen zahlreiche Gemeinsamkeiten. Diese verweisen auf allgemeine mediale Möglichkeiten und global geteilte Zuschauerwartungen, hinter denen wiederum oft über Ländergrenzen hinweg vergleichbare soziale und kulturelle Situationen stehen sowie eine in vielen Bereichen ebenfalls international geteilte Geschichte der populären Kultur. Vergleichbares ließe sich für nahezu alle Varianten des fiktionalen wie des nonfiktionalen Unterhaltungsfernsehens aufzeigen. Nicht nur zahlreiche Genres, von der Arzt- und Familienserie bis zur Komödie, vom Quiz bis zur Prominenten-Talk-Show sind prinzipiell im Programmangebot vieler Länder präsent, auch die inhaltlichen und formalen Strukturen der betreffenden Sendungen weisen oft erhebliche Ähnlichkeiten auf. Umsetzung Vor diesem Hintergrund lassen sich seit den Anfängen des Fernsehens vier Grundformen internationaler Unterhaltungsbeziehungen unterscheiden, die aber je nach Programmform unterschiedliche Bedeutung haben. Die offensichtlichste Form, durch die das Fernsehen eines Landes direkt in einem anderen angeboten wird, ist der Programmimport bzw. die Sendungsübernahme. Im Bereich der intentionalen Fernsehunterhaltung wird mit dem Begriff des Programmimports vor allem die Einfuhr fiktionaler Produktionen verbunden, insbesondere von seriellen Angeboten, aber auch von Einzelstücken (Fernsehspielen bzw. TV-Movies). Falls es sich nicht um Importe aus dem eigenen Sprachraum handelt, werden sie in größeren Ländern oft synchronisiert, in anderen häufig mit Untertiteln unterlegt. Als traditionell wichtigstes Exportland gelten die USA: Von 77 S UNSET S TRIP über C OLUMBO und D ALLAS bis zu den X F ILES und H OUSE wurden und werden amerikanische Reihen und Serien in zahlreichen Ländern ausgestrahlt. Aber auch andere Länder spielen als Exporteure fiktionaler Programme eine durchaus wichtige Rolle - beispielsweise haben sich zwischen Spanien und den spanischsprachigen Ländern Mittel- und <?page no="126"?> Unterhaltungsformate im Fernsehen 127 Südamerikas rege Handelsbeziehungen entwickelt. Auch Deutschland genießt als Anbieter vor allem von Krimireihen in vielen Ländern einen guten Ruf. Sendungsübernahmen sind im nonfiktionalen Bereich mit einer wichtigen Ausnahme vergleichsweise seltener, sie finden gelegentlich bei Showsendungen und bevorzugt im gleichen Sprachraum statt (die Oscar-Verleihung ist hier ein Sonderfall), hin und wieder auch bei Großereignissen in europäischen Adelshäusern. Die erwähnte Ausnahme sind regelmäßige Übertragungen von regional (z.B. Fußballspiele der Champions League) oder global wichtigen Sportveranstaltungen (z.B. Olympische Spiele), die genau genommen aber nur eingeschränkt als Sendungsübernahmen anzusehen sind, da in aller Regel nur das Bild, nicht aber der Ton der Ausgangsproduktion übernommen wird. Für die Zuschauer eines Landes im Normalfall nicht als teilweise Übernahmen erkennbar sind zweitens Programmadaptionen, also die Umsetzung von in anderen Ländern entwickelten Konzepten in eigene Produktionen. Diese Variante hat in den meisten Ländern vor allem bei nonfiktionalen Produktionen eine lange Tradition; allerdings gelten hier seit einigen Jahren neuartige Regeln - worauf unten noch näher eingegangen wird. Noch weniger für Zuschauer ersichtlich ist eine dritte Grundform, die Vorbildfunktion. Zwar ist dieser Bereich noch nicht systematisch untersucht worden, entsprechende Hinweise sind aber zahlreich. Immer wieder galten und gelten etwa einzelne Produktionen, Rollenfiguren oder Inszenierungsstile als vorbildlich für eigene Produktionen. So wurden beispielsweise in den 1950er-Jahren in Deutschland amerikanische Fernsehspiele als vorbildhaft gesehen (vgl. Pigge 1958). Gerade die USA dienten mindestens ebenso häufig als positives wie als negatives Vorbild, also als abschreckendes Beispiel, etwa für »Kommerz- Dramaturgie« (Durzak 1977: 77) als Folge der Notwendigkeit, in Serienfolgen Werbeunterbrechungen einplanen zu müssen. Die vierte Grundform schließlich sind Koproduktionen, die hinsichtlich der Mischung kreativer Einflüsse allerdings sehr unterschiedlich ausfallen können, von der reinen Kofinanzierung bis zur tatsächlichen inhaltlichen Kooperation. Mit Blick allein auf Europa gilt, dass im fiktionalen Bereich Koproduktion in der Regel reine Kofinanzierung bedeutet, lediglich um 1990 gab es Versuche, über Koproduktionen spezifische europäische Inhalte zu entwickeln (vgl. Pieper 1996). Im Bereich nonfiktionaler Unterhaltung waren europäische Koproduktionen immer eine rare Ausnahme, dafür aber sehr profiliert wie vor allem S PIEL OHNE G RENZEN und der G RAND P RIX E UROVISION DE LA C HANSON (heute E UROVISION S ONG C ONTEST ) (vgl. Degenhardt/ Strautz 1999: 134 bzw. 98). <?page no="127"?> Themen des Vergleichs 128 Vier Grundformen internationaler Unterhaltungsbeziehungen lassen sich unterscheiden: • Programmimporte bzw. Sendungsübernahmen • Programmadaptionen • Vorbildfunktion • Koproduktionen Ähnlichkeit und Differenz Alle diese Formen von Beziehungen tragen dazu bei, dass das Unterhaltungsprogramm in vielen Ländern dem anderer Länder - vor allem der gleichen Region - in hohem Maße ähnelt, dennoch aber spezifische Züge trägt. Als Alltagsmedium begleitet Fernsehen nicht nur den Zuschaueralltag, dieser Alltag kommt auch auf vielfältige Weise im Programm vor - als Thema, als Schauplatz, durch das Verhalten der Akteure etc. Das dem Zuschauer alltäglich Vertraute ist in hohem Maße sichtbar und hörbar, es prägt Programmoberflächen - und ist ein zentraler Faktor für die Attraktivität des Programms. Einen wichtigen Beleg für diese These liefern die Ergebnisse des Forschungsprojekts »Eurofiction« (1996-2004), das sich mit dem Angebot erstausgestrahlter einheimischer fiktionaler Fernsehproduktionen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien beschäftigt hat. Im fiktionalen Gesamtangebot dominieren zwar fast durchweg Importe (vor allem aus den USA), im Angebot zur Hauptsendezeit überwiegen aber einheimische Produktionen, die auch die höchsten Zuschauerzahlen erzielen (vgl. z.B. Buonanno 2002). Während sich bei den Angebotstypen zahlreiche länderübergreifende strukturelle Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zeigen, etwa allgemein hinsichtlich des Rekurrierens auf relativ wenige Genregrundmuster oder konkret der Präferenz deutscher und französischer Zuschauer für aufwendig gestaltete 90-Minuten-Krimis, erweisen sich die Programmoberflächen als vorwiegend »national«: Handlungsort ist fast immer das jeweilige Inland, wobei Großstädte in der Regel bevorzugt werden. Vergleichbares ließe sich auch für die anderen Hauptgruppen intentionaler Fernsehunterhaltung entwickeln. Zwar stammen beispielsweise bei vielen Quizsendungen und Talk-Shows die zugrunde liegenden Sendungskonzepte aus anderen Ländern, zu jeweils »nationalen« werden sie durch Sprache und Verhalten der Akteure (Kandidaten/ Gäste, Publikum, Moderation), durch Spielaufga- <?page no="128"?> Unterhaltungsformate im Fernsehen 129 ben bzw. Befragungsstil. Bei Sportsendungen nähern sich in vielen Ländern die Inszenierungsstile (und teilweise die Kommentierungsstile) an, was sie als landestypisch ausweist, sind neben den Protagonisten - bevorzugt Sportler/ Mannschaften aus dem eigenen Land - oft die Sportarten. In den USA waren und sind die wichtigsten (Fernseh-)Sportarten nun einmal Football, Baseball und Basketball, in vielen anderen Ländern der europäische Fußball - und in Finnland Eishockey. Die Systematisierung von Ähnlichkeit und Differenz: das Formatfernsehen Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, dass intentionale Fernsehunterhaltung auf dreifache Weise von einer Dialektik von Ähnlichkeit und Differenz geprägt wird: • Erstens durch die Serialisierung des Angebots, die seriellen Strukturen des Zuschaueralltags folgt. Serialisierung bedeutet vor allem die Variation von Schemata - in regelmäßigen zeitlichen Abständen hat es neue Folgen der gleichen Sendereihe zu geben, die zwar dem vertrauten Schema folgen, sich aber durch eine Variation von den bereits bekannten unterscheiden. • Zweitens durch die Orientierung der betreffenden Reihe an Genrekonzepten, die gleichfalls zur Entwicklung von immer wieder Neuem beitragen, das aber keine zu große und damit von den Zuschauern schwer nachvollziehbare Differenz zu Vertrautem aufweist. • Drittens durch die jeweils sprachraumbzw. länderspezifische Ausfüllung oftmals länderübergreifend verwendbarer Angebotsmuster. Berücksichtigt man ferner, dass diese Dialektik(en) von Ähnlichkeit und Differenz vielfach auf einem länderübergreifend geteilten (populär)kulturellen Wissen vieler Fernsehzuschauer sowie oftmals ähnlichen Lebensbedingungen und Orientierungen aufbauen können, gelangt man zur These einer weitreichenden internationalen Vernetzung bzw. Vernetzbarkeit intentionaler Fernsehunterhaltung. Die gravierenden Veränderungen der Fernsehsysteme vieler Länder in den letzten Jahrzehnten haben die Voraussetzungen geschaffen, um dieses Potenzial marktoptimal zu nutzen. Die Vermehrung der Distributionswege durch Kabel-, <?page no="129"?> Themen des Vergleichs 130 Satelliten- und neuerdings Digitalfernsehen sowie die Zulassung kommerzieller Fernsehsender in vielen vormals ausschließlich öffentlich-rechtlich bzw. (in ehemals sozialistischen Staaten) staatlich organisierten Fernsehsystemen sorgten nicht nur für eine dramatische Sender- und Angebotsvermehrung. Diese Vermehrung war zudem mit einer massiven Ökonomisierung des Fernsehens insgesamt verbunden. Der Begriff meint, dass auch in Ländern mit einem »dualen« Fernsehsystem, also einem Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Fernsehen, die Spielregeln, Marktpreise und Erfolgsdefinitionen vor allem von ökonomischen Parametern bestimmt werden. Unter diesen Voraussetzungen erfolgte eine Systematisierung des länderübergreifenden Umgangs mit programmbezogener Ähnlichkeit und Differenz, die zur Einführung eines neuen Fachbegriffs führte, dem »Format« (vgl. zum Folgenden Hallenberger 2009). In der Regel werden damit sowohl in Sendungsform vorliegende serielle Fernsehproduktionen bezeichnet als auch deren unveränderliche Elemente, also all das, was einzelne Folgen als Episoden einer Gesamtproduktion erkennbar macht. Der Begriff meint weitaus mehr und ist wesentlich konkreter als etwa der des »Konzepts«, der früher oft zur Benennung solcher Zusammenhänge verwendet wurde. Zu einem Format gehören neben dem zugrunde liegenden Konzept beispielsweise auch das Erscheinungsbild einer Produktion, Sendungsabläufe, optische und akustische Signale oder Logos und nicht zuletzt die Vermarktung der Produktion (Festlegung von Sendeplatz, Zielgruppe etc.). Dass von »Formaten« immer im Zusammenhang von Formathandel gesprochen wird, ist kein Zufall: Der Begriff kennzeichnet eine »technology of exchange« (Moran 1998: 18) unter Marktbedingungen. Während in der Fernsehvergangenheit diejenigen, die ein Sendungskonzept aus dem Ausland adaptierten, damit weitgehend nach Belieben umgehen konnten, ist dies heute nicht mehr möglich. Ein Format ist letztlich ein Markenartikel, und wie jeder andere Markenartikel wird er auf allen Märkten mit gleichem Erscheinungsbild und in annähernd gleicher Qualität angeboten. So haben beispielsweise alle nationalen Versionen des Quiz W HO W ANTS TO BE A M ILLION - AIRE ? nicht nur das gleiche Sendungslogo und die gleichen Spielregeln, sondern auch das gleiche Set- und Grafikdesign und die gleichen Licht- und Soundeffekte. Wie bei jedem anderen Markenartikel soll so ein doppelter Imagetransfer ermöglicht werden: Jede nationale Version profitiert von der Stärke der globalen Marke, diese wiederum gewinnt mit jeder erfolgreichen neuen nationalen Adaption an Marktwert. Obwohl Fernsehformate anders als ganze Sendungen kaum rechtlichen Schutz genießen, da in allen für diesen Markt wichtigen Ländern der <?page no="130"?> Unterhaltungsformate im Fernsehen 131 Gesetzgeber die inhaltliche Weiterentwicklung von Fernsehangeboten nicht behindern will, gibt es für die Marktteilnehmer gute Gründe, sich auf entsprechende vertragliche Regelungen einzulassen, auch wenn sie es im Prinzip nicht müssten. Wer ein Format »kauft«, erlangt nicht zuletzt Zugang zu geldwertem Insiderwissen darüber, wie man erfolgreiches Fernsehen macht, und kann damit sein Risiko bei der Einführung neuer Fernsehangebote minimieren. Im Prinzip können alle Formen seriellen Fernsehens als »Formate« be- und gehandelt werden, es gibt jedoch logisch erklärbare Schwerpunktsetzungen: Erstens geht es im Formathandel ausschließlich um potenziell massenbzw. zielgruppenattraktive, also um Unterhaltungsformate - andere Angebotsformen sind ökonomisch nicht interessant. Zweitens dominieren im Formathandel nonfiktionale Unterhaltungsformate. Um in möglichst vielen Ländern möglichst leicht adaptiert werden zu können, ist ein möglichst hoher Anteil »konstanter« gegenüber in doppeltem Sinne »variabler« Elemente von Vorteil sowohl hinsichtlich der Varianz von Einzelfolge zu Einzelfolge als auch der Varianz von Land zu Land. Nonfiktionale Produktionen haben in der Regel ein relativ starres Konzept, das mit relativ geringem Aufwand variiert werden kann. Für eine neue Quizfolge benötigt man beispielsweise nur neue Kandidaten und neue Fragen, für den Transfer einer Quizreihe in ein anderes Land zusätzlich lediglich einen anderen Moderator und ein anderes Saalpublikum. Fiktionale Produktionen verlangen dagegen nicht nur für jede einzelne Folge einen wesentlich höheren Aufwand (eines neues Drehbuch, andere Drehorte, zusätzliche Schauspieler), zudem fällt die kulturelle Anpassung weitaus schwerer. Um im jeweiligen Land als einheimische Produktion wahrgenommen zu werden, müssen zahllose Details verändert werden: z.B. das Alltagsverhalten der Rollenträger, Handlungsmuster, Dialoge und Schauplätze. Falls drittens doch einmal fiktionale Formate gehandelt werden, gehört die Mehrzahl zum Genre der Daily Soaps, da es das am stärksten standardisierte und kostengünstigste fiktionale Genre ist. Ausblick: zum globalen Unterhaltungsfernsehen mit lokalem Erscheinungsbild? Der Rückgriff auf international gehandelte Formate stellt für viele Sender in vielen Ländern aus mehreren Gründen eine äußerst attraktive Option dar. Die <?page no="131"?> Themen des Vergleichs 132 Sender können nicht nur zu relativ günstigen Preisen an Programme gelangen, die in anderen Ländern bereits ihre Attraktivität bewiesen haben, sondern sie erscheinen auch zudem für die einheimischen Zuschauer als lokale Produktionen - mit einheimischen Akteuren im eigenen Land umgesetzt. Vorliegende Zahlen zeigen, dass sich das Volumen des internationalen Formathandels in den letzten 15 Jahren deutlich vergrößert hat (vgl. Schmitt/ Bisson/ Fey 2005). Ein weiterer Indikator für die Ausweitung des Formathandels ist die Tatsache, dass sich das Spektrum der Genres, der Herkunfts- und der Zielländer erheblich vergrößert hat. Noch Anfang der 1990er-Jahre bedeutete Formathandel eine relativ schmale Einbahnstraße. Es ging vor allem um amerikanische Game- und Reality-Shows sowie einige wenige australische Daily Soaps, die nach Europa exportiert wurden. Mittlerweile sind nicht nur etliche weitere Genres zum globalen Formatportfolio hinzugekommen (z.B. Real-Life-Soaps, Makeover, Coaching- und Casting-Shows), auch die Zahl der importierenden und exportierenden Länder ist erheblich gestiegen. Das Quiz W HO W ANTS TO BE A M ILLIONAIRE ? ist beispielsweise in weit über 100 Länder verkauft worden, zudem stammen Erfolgsformate schon seit längerem nicht mehr hauptsächlich aus den USA. Das Quiz W HO W ANTS TO BE A M ILLIO - NAIRE ? etwa kommt aus Großbritannien, das vieldiskutierte Format B IG B RO- THER aus den Niederlanden. Trotz dieser Entwicklungen haben wir kein global vereinheitlichtes Unterhaltungsfernsehen, und es wird es auch nicht geben. Erstens weil es trotz aller Angleichungstendenzen immer auch lokal spezifische und nur lokal erfolgreiche Angebote gibt, die sich selbst unter Nutzung aller Marketingstrategien nicht exportieren lassen. Die lange und erfolglose Geschichte der Versuche der amerikanischen National Football League, ihren (Medien)Sport auch in Europa zu etablieren, ist nur ein Beispiel. Zweitens veranschaulicht gerade das Formatfernsehen mit den kleinen Differenzen zwischen den nationalen Versionen weltweit verbreiteter Formate, dass wir zwar in vielem ähnlich sind, aber eben nicht völlig gleich - und so wird dann doch wieder menschliche Vielfalt sichtbar. <?page no="132"?> Unterhaltungsformate im Fernsehen 133 Übungsfragen 1) Erläutern Sie die doppelte Bedeutung des Begriffs »Fernsehunterhaltung«. 2) Welche Funktionen haben »Fernsehgenres«? 3) Welche Typen internationaler Verbindungen gibt es hinsichtlich des Fernsehprogramms? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Buonanno, Milly (Hrsg.) 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Baran/ Sweezy 1967, Bischoff/ Boccara/ Zinn u.a. 2000, Huffschmid 1969, 2000, Kisker 1999, 2000, Mandel 1972, Sweezy 1970). Auch von Seiten etablierter Wettbewerbstheoretiker wird zuweilen - allerdings ohne Konsequenzen für die eigene Theorieentwicklung - (an)erkannt, »wie realistisch KARL MARX (Großbuchstaben im Original. MK) den kapitalistischen Wettbewerbsprozeß als Auslese-, Verdrängungs- und Konzentrationsprozeß im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gesehen hat. (...) aus wettbewerbstheoretischer Sicht ist seine Analyse des Wettbewerbsprozesses und der Wettbewerbsbeschränkungen sehr bedeutend, aber von der bürgerlichen Ökonomie weitgehend unbeachtet geblieben« (Olten 1998: 41). Internationale Vergleiche zur Medienkonzentration werden folglich im vorliegenden Beitrag im Kontext von Ansätzen einer kritischen Politischen Ökonomie der (Massen)Kommunikation vorgenommen (Fuchs/ Mosco 2012, Herman/ Chomsky 2002, Holzer 1994, McChesney 2000, 2008, McChesney/ Wood/ Foster 1998, Meier 1996/ 97, 2003, Mosco 2009, Murdock/ Golding 1973, Wasko/ Murdock/ Sousa 2011 , Winseck/ Jin 2011). Basis des internationalen Vergleichs der Medienkonzentrations-Entwicklung ist eine kapitalismuskriti- <?page no="135"?> Themen des Vergleichs 136 sche Konzentrationstheorie (Knoche 2005a, b) im Rahmen einer Kritik der Politischen Ökonomie der Medien (Knoche 2001, 2002, 2005c, Fuchs 2009). Da sich somit der Vergleich auf einen einheitlichen Typ von kapitalistischen Gesellschaften bezieht, kommt - nach der klassischen Unterscheidung von J. St. Mill nach Differenzmethode (method of difference) und Konkordanzmethode (method of agreement) (Berg-Schlosser/ Müller-Rommel 1992, Esser/ Hanitzsch 2012, Kleinsteuber 2003, Melischek/ Seethaler/ Wilke 2008, Thomaß/ Kleinsteuber 2011) - vorrangig die Konkordanzmethode zur Anwendung 13 . Als Ergebnis des Ländervergleichs auf theoretischer (Makro)Ebene mit dem wissenschaftlich gebotenen hohen Abstraktionsniveau sind in erster Linie Gleichheiten, Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten hinsichtlich der Medienkonzentrationsentwicklung einschlie ßlich ihrer Ursachen und Fo lg en zu erkennen. Differenzen, Unterschiede und Verschiedenheiten sind allenfalls auf geringerem Abstraktionsniveau, auf der empirischen (Mikro)Ebene, hinsichtlich der aktuell erreichten Konzentrationsgrade und des zeitlichen Verlaufs der Medienkonzentrationsprozesse zu beobachten. Relevanz: publizistische Vielfalt, Macht- und Legitimationsproblematik, Demokratie Die Problematik der Medienkonzentration ist generell von gesellschaftlicher Relevanz, weil damit die demokratischen Grundlagen kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme praktisch und legitimatorisch in Frage gestellt werden. Im Medienbereich stellt sich diese »Systemfrage« über die übrige Wirtschaft hinausgehend in zweifacher Weise: ökonomisch hinsichtlich der auch für den Medienbereich als ideale Steuerungsmechanismen propagierten Privatwirtschaft, Markt und Wettbewerb sowie politisch hinsichtlich der Ideale Medienfreiheit 13 Auch von Beyme (2000: 154 f.) sieht die Dominanz eines »kapitalistischen Weltsystems« und eine zunehmende »Uniformisierung der Welt«, deren Folgen für die vergleichende Methode »noch nicht voll abzuschätzen« seien. Daraus schlussfolgert er jedoch mit einem Hinweis auf postmodernes Denken »als Vollender und nicht als Überwinder der Moderne«, das »den Primat der Differenzmethode über die Suche nach Ähnlichkeiten gestellt« hat: »Gerade weil die Welt sich angleicht, kann die Differenzmethode für die verbleibenden Unterschiede umso radikaler angewandt werden.« <?page no="136"?> Medienkonzentration 137 und publizistische Vielfalt als Voraussetzungen für eine demokratische Öffentlichkeit. Die Konzentrationsproblematik ist generell, nicht nur im Medienbereich (Jin 2008), von hochgradiger politischer Relevanz, insbesondere seitdem Markt und Wettbewerb im Zuge der weltweiten neoliberalen Privatisierungspolitik als die alleinigen Steuerungsmittel für Wirtschaft und Gesellschaft durchgesetzt werden. Aufgrund der realen Konzentrationsprozesse »verschwindet die Legitimationsgrundlage des gesamten Systems« (Huffschmid 1969: 67), da diese erkennbar in erheblichem Widerspruch zu den nach wie vor verbreiteten Wettbewerbstheorien und der daran orientierten staatlichen Wettbewerbspolitik stehen. Konzentrationsprozesse gefährden die demokratischen Grundlagen kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme, weil sie den propagierten Idealen des Wettbewerbs und der publizistischen Vielfalt real widersprechen. Insofern ist die Konzentrationsproblematik auch von erheblicher wissenschaftlicher Relevanz, da auf der Basis neoliberaler Politikkonzepte Konzentrationsförderung statt Konzentrationskontrolle betrieben wird (Knoche 1996b, 1997). Begleitend wird durch regelmäßig angepasste wirtschaftswissenschaftliche Wettbewerbstheorien der Legitimationsrahmen in der Art verschoben, dass der jeweils erreichte Konzentrationsgrad in der Wirtschaft legitimiert wird (Olten 1998, Rittner/ Kulka 2008, Schmidt 2012, Sjurts 2005). Wettbewerbstheorie erfüllt somit eine apologetisch-ideologische Funktion zur Legitimierung bzw. Verschleierung der Konzentration von wirtschaftlich-politischer Herrschaft und Macht, indem Wettbewerb »abgeschafft wird, ohne daß auch die Theorie des Wettbewerbs abgeschafft würde« (Huffschmid 1969: 67). Relevant ist schließlich der Zusammenhang von Medienkonzentration sowie ökonomischer, publizistischer und politischer Macht (Chomsky 2004, Knoche 1997, Leidinger 2003, McChesney/ Nichols 2004, Meier 2007, Trappel/ Meier/ Schrape/ Wölk 2002, Murdock 1990, Prokop 2005). Die aus der ökonomischen Macht der Medienunternehmen, genauer gesagt: der (Kapital)Eigentümer dieser Unternehmen, resultierende publizistische Macht bezieht sich auf Journalisten und Programmmacher mit der Durchsetzung herrschaftskonformer Information, Meinung, Legitimation und Ideologie. Die daraus entstehende politische Macht erstreckt sich auf Bürger, Organisationen, Parteien und den Staat. Diese Machtkonzentration ist von erheblicher gesellschaftlicher Relevanz, weil die durch Eigentums rechte und zusätzlich durch grundgesetzliche Pressefreiheitsga- <?page no="137"?> Themen des Vergleichs 138 rantien abgesicherte autonome Verfügungs- und Gestaltungsmacht der Medieneigentümer im Kern nicht kontrollierbar und grundsätzlich irreversibel ist. Fragestellungen und Systematisierung der Konzentrationsmessung Fragestellungen für den internationalen Vergleich zur Medienkonzentration können sich an einer theoretischen Systematisierung zum Untersuchungsgegenstand (Knoche 1978, 1996a, 1997) orientieren, die auf deskriptiver Ebene Grundlage für Messungen und Darstellungen zu Entwicklung und Stand der Medienkonzentration in den verschiedenen Ländern sein sollte. Es geht dabei zunächst um die grundlegende Frage, was überhaupt als Konzentration angesehen bzw. gewertet wird. Dies ist nicht nur unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten klärungsbedürftig, sondern auch unter gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Aspekten, insbesondere im Zusammenhang mit staatlicher Regulierung bzw. Konzentrationskontrolle. Anhand der Systematisierung zur marktbezogenen Konzentrationsmessung (Abbildung 2) ist zwischen verschiedenen Mediensektoren (Pres se, Radio, Fernsehen, Film etc.) als Konzentrationssektoren zu unterscheiden. Dabei ist die Differenzierung von Konzentrationsebenen - international, national, regional, lokal - von Bedeutung. Um zu aussagekräftigen Konzentrationsanalysen zu gelangen, ist innerhalb dieser Konzentrationssektoren und -ebenen jeweils eine Abgrenzung nach relevanten Märkten erforderlich, die sachlich nach homogenen Produktarten, räumlich nach Verbreitungsgebieten und zeitlich nach Erscheinungsweisen/ Sendezeiten vorgenommen wird. Da in den vorliegenden Länderdarstellungen zur Medienkonzentration diese Unterscheidungen nur selten vorgenommen werden, kommt es in der Regel zu systematischen Unterschätzungen der Konzentrationsgrade. <?page no="138"?> Medienkonzentration 139 Abb. 2: Medienkonzentrationsmessung (Quelle: eigene Darstellung) Die Regelhaftigkeit der nationalen und internationalen Medienkonzentrationsprozesse wird nach vier Konzentrationsrichtungen - horizontal, vertikal, (medien)diagonal und konglomerat - jeweils nach Mediensektoren (Presse, Fernsehen, Film etc.) und relevanten Märkten unterschieden. Hierbei kommt gleichermaßen ein alle Mediensektoren übergreifender Markt- und Kapital-Konzentrationsprozess zum Ausdruck, der sich vorrangig in der Entwicklung von Pressekonzernen zu Multimedien- und Kommunikationskonzernen manifestiert. In Anlehnung an gebräuchliche wirtschaftswissenschaftliche Begriffsbildungen ist eine Unterscheidung nach folgenden Konzentrationsrichtungen relevant (Knoche 1996a: 109): • horizontale Konzentration für Konzentrationserscheinungen auf der gleichen Produktionsstufe innerhalb eines Wirtschaftszweiges, einer Branche, eines Mediensektors oder eines relevanten Marktes; • vertikale Konzentration für Konzentrationserscheinungen auf nacheinander gelagerten Produktionsstufen wie Beschaffung, Produktion und Vertrieb; <?page no="139"?> Themen des Vergleichs 140 • (medien)diagonale Konzentration für mediensektorenübergreifende Konzentrationserscheinungen wie Verflechtungen zwischen Mediensektoren; • konglomerate Konzentration für wirtschaftszweig-/ branchenübergreifende Konzentrationserscheinungen wie Verflechtungen zwischen der Medienbranche und anderen Branchen. Für kommunikationswissenschaftliche Medienkonzentrationsmessungen hat grundsätzlich die Unterscheidung von zwei zusammenhängenden Konzentrationsarten, der ökonomischen und der publizistischen Konzentration, einen elementaren Stellenwert. Ökonomische Konzentration wird üblicherweise in zweifacher Weise gemessen: zum einen als Marktkonzentration, zum anderen als Kapitalkonzentration, die allerdings miteinander in einem starken Zusammenhang stehen. Dabei wird in der Wettbewerbstheorie - in Analogie zur Marx’schen Akkumulation und Zentralisation des Kapitals - zwischen interner und externer Unternehmenskonzentration unterschieden. Publizistische Konzentration wird in der Regel lediglich formal als redaktionelle Konzentration dargestellt, selten als Konzentration von inhaltlich homogenen Informationen und Meinungen. Konzentration im Mediensektor umfasst die ökonomische Konzentration, die als Markt- und als Kapitalkonzentration erscheint, sowie die publizistische Konzentration, die sich auf die Konzentration redaktioneller Einheiten sowie auf die Homogenisierung von Inhalten bezieht. Dabei ist die Analyse von Bedeutung, inwiefern eine ökonomische Konzentration Ursache, Auslöser oder Voraussetzung für eine publizistische Konzentration ist. Das Forschungsinteresse richtet sich auch auf die Untersuchung, inwieweit es bei einem möglicherweise geringen ökonomischen Konzentrationsgrad publizistische Konzentration in beträchtlichem Ausmaß gibt, und zwar in Form von homogener Ideologieproduktion zur Legitimation und Stabilisierung der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Innerhalb dieser beiden Konzentrationsarten ist jeweils zwischen zwei Konzentrationsformen, der absoluten und der relativen Konzentration, zu unterscheiden. Konzentrationsmaßstab sind dabei jeweils verschiedene ökonomische oder publizistische Merkmalsträger (selbstständige Unternehmen, Betriebe, Redaktionseinheiten, »Publizistische Einheiten«) sowie ökonomische oder publizistische Merkmale (z.B. Umsatz, Auflage, Reichweite). Die übliche Beschränkung auf die Darstellung absoluter Konzentration, also auf die Anzahl selbstständiger ökonomischer oder publizistischer Einheiten und eventuell deren Verringerung über <?page no="140"?> Medienkonzentration 141 Zeit ist wenig aussagekräftig im Verhältnis zur Darstellung relativer Konzentration anhand der ungleichen Verteilung (Disparität) von ökonomischen oder publizistischen Merkmalsanteilen auf die Merkmalsträger innerhalb von Mediensektoren bz w. relevanten Medienmärkten. Problemlagen und Perspektiven Übliche Messungen sind auf die zu bestimmten Zeitpunkten erreichten Konzentrationszustände (Konzentrationsgrade) bezogen. Unter dem Gesichtspunkt des Verlaufs von Konzentrationsprozessen interessieren aber auch verschiedene Konzentrationsvorgänge wie Kapitalbeteiligungen, Verflechtungen, Fusionen, Übernahmen/ Aufkäufe, Joint Ventures, Kartell-, Konzern-, Trust- und Holding- Bildungen, strategische Allianzen, Vergrößerungen von Marktanteilen etc. Die Betrachtung von Konzentrationsprozessen impliziert eine wissenschaftliche Diagnose von Konzentrationsphänomenen (über deskriptive Datendokumentationen hinausgehend) sowie ihrer Erklärung und Prognose als Ursachen- und Wirkungen-Folgen-Analyse (Leidinger 2003, McChesney 2000, Siegert/ Meier/ Trappel 2010, Trappel/ Meier/ Schrape/ Wölk 2002, grundlegend für die gesamte Wirtschaft z.B. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 1988). Im Rahmen einer kritisch-empirischen Medienkonzentrationstheorie wird von dem in Abbildung 3 dargestellten Ursachen-Folgen-Zusammenhang ausgegangen (Knoche 2005a). Als prinzipielle, der kapitalistischen Produktionsweise immanente strukturelle ökonomische Ursachen für die daraus resultierenden Konzentrationsaktivitäten der Medienunternehmen können das Privateigentum an Produktionsmitteln sowie die Anwendung des Profitmaximierungs- und des Konkurrenzprinzips gelten. In Koordination damit wirken zusätzlich als Ursachen von Seiten der Politik die Privatisierungs-, Deregulierungs- und Konzentrationsförderungspolitik, die in weitgehender Interessenübereinstimmung von Staat und Medienwirtschaft betrieben wird. Politisch gefördert wird (entgegen den offiziellen Bekundungen wettbewerbspolitischer Leitbilder) nicht der Wettbewerb, sondern die internationale Wettbewerbsfähigkeit von kapitalstarken Medienunternehmen. Damit werden in Wirklichkeit die nationale Konzentration und darüber die internationale Konzentrationsfähigkeit gefördert (Huffschmid 1992, Knoche 2004). Die unter dem Gesichtspunkt demokratischer Öffentlichkeit relevanten Folgen der staatlich geförderten, zumindest nicht verhinderten welt- <?page no="141"?> Themen des Vergleichs 142 weiten Konzentrationsaktivitäten von Medienunternehmen werden in einer Vielzahl von Bereichen sichtbar (Abbildung 3, rechts). Abb. 3: Ursachen und Folgen von Konzentrationsaktivitäten der Medienunternehmen (Konzentrationstheorie) (Knoche 2005a: 128) Problemlagen und Perspektiven des internationalen Vergleichs zur Medienkonzentration sind also nicht nur durch Probleme und Perspektiven der Medienkonzentrationsforschung bestimmt, sondern auch durch die brisante Frage der Wettbewerbspolitik, Konzentrationskontrolle bzw. der Regulierung der Medienindustrie. Weltweit erkennbar ist, dass auch Medienkonzentration - in gleicher Weise wie die Konzentration in der gesamten Wirtschaft - zunehmend durch Deregulierungen oder Reregulierungen größtenteils erleichtert bzw. gefördert wird, insbesondere in den USA, die für Reregulierungen in europäischen Ländern oftmals als Vorbild dienen. Auf der Basis eines empirischen Ländervergleichs (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, USA) zu den kartellrechtlichen Regelungen und ihrer Rechtsanwendung für Fusionen im Bereich der Presse (Fusionskontrolle) lässt sich »eine beachtenswerte Gleichheit bezüglich der gesetzlichen Regelungen und der Entscheidungspraxis« (Knoche/ Zerdick 2002: 185) feststellen. <?page no="142"?> Medienkonzentration 143 Medienkonzentration wird zunehmend durch Deregulierungen oder Reregulierungen größtenteils erleichtert bzw. gefördert, weil die internationale Wettbewerbsfähigkeit von kapitalstarken Medienunternehmen angestrebt wird. Medienkonzentrationskontrolle wird, wie es auch am Beispiel der jahrelangen (teilweise gewollt) ergebnislosen Diskussionen des Europäischen Parlaments, der Europäischen Union und des Europarats nachgewiesen wurde, als symbolische Politik, als Non-decision-Politik (Farda 2000) bzw. als »undermining media diversity« durch »inaction« (Doyle 2007) betrieben. Ein wesentliches Mittel symbolischer Politik sind auch die kontinuierlichen Veränderungen der Leitbilder der Wettbewerbstheorie und -politik (Gabler Verlag 2012) in Richtung einer Legitimierung der realen Konzentrationsentwicklung, dies im krassen Gegensatz zur vorgegebenen Intention der Wettbewerbsförderung (Knoche 2004). Folglich werden umfangreich und vielseitig eingesetzte Konzentrationsstrategien der Unternehmen im Interesse der konzentrationsaktiven Unternehmen als notwendig propagiert und legitimiert (Sjurts 2005). Empirische Studien zur Medienkonzentration Vorliegende Publikationen zu (empirischen) Primär- oder Sekundärdaten- Untersuchungen/ Studien zur Medienkonzentration in verschiedenen Ländern, die in der Regel Eigenarten einzelner Länder und folglich Untersch iede zwischen den Ländern in den Mittelpunkt stellen, können danach charakterisiert werden, wie konzentrationsspezifisch und direkt/ indirekt international vergleichend sie angelegt sind. Dabei lässt sich eine Skala von fünf Typen von Publikationen unterscheiden (aufsteigend geordnet nach ihrer Qualität für den internationalen Vergleich zur Medienkonzentration): • Publikationen mit einer Sammlung von additiven, zumeist nicht systematisch streng an einem einheitlichen Kategoriensystem orientierten Einzel- Länderstudien zu nationalen Mediensystemen bzw. Medienmärkten allgemein, aus denen in der Regel auch mehr oder weniger Informationen zur Medienkonzentration anhand von Sekundärdaten entnommen werden können (Hans-Bredow-Institut 2009, Thomaß/ Tzankoff 2001, Wilke 1992/ 1994/ 1996; nach einheitlichem Kategoriensystem: Schneider/ Schütz 2004, Stürzebecher 2004). <?page no="143"?> Themen des Vergleichs 144 • Publikationen zu einzelnen Ländern spezifisch zur Medienkonzentration, die zwar jeweils nur für ein Land durchgeführt und publiziert wurden, aber als Primär- oder Sekundär-Daten-Quelle für darauf aufbauende eigenständige international vergleichende Untersuchungen herangezogen werden können, falls für andere Länder entsprechende/ ähnlich angelegte Untersuchungen publiziert worden sind (z.B. Bagdikian 2004, Bonfadelli/ Meier/ Trappel 2006, Compaine/ Gomery 2000, Doyle 2002, McChesney/ Nichols 2004, Seethaler/ Melischek 2006, Röper 2012, Vogel 2012). • Publikationen zu den größten transnationalen Medienkonzernen der Welt oder in Europa bzw. zu den globalen Medienunternehmen, zum Teil nach Mediensektoren unterschieden, die partielle indirekte Ländervergleiche spezifisch zur Medienkonzentration ermöglichen (Hachmeister/ Rager 2005, Herman/ McChesney 1997, Kleinsteuber/ Thomaß 2004). • Publikationen mit einer Sammlung von additiven, aber an einem einheitlichen Kategoriensystem orientierten Einzel-Länderstudien, die indirekte Ländervergleiche spezifisch zur Medienkonzentration ermöglichen (European Federation of Journalists 2004/ 2005, Media Diversity Institute/ International Federation of Journalists/ Internews Europe 2009, Nordicom 2009; auch zur Regulierung der Medienkonzentration: Knoche/ Zerdick 2002, Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) 2007/ 2010, Schulz/ Held/ Arnold 2007). • Publikationen mit direktem Ländervergleich nach einem einheitlichen Kategoriensystem spezifisch zur Medienkonzentration (Sánchez-Tabernero / Carvajal 2002, Ettl-Huber 2008). Des Weiteren können die vorliegenden Publikationen danach unterschieden werden, auf welchen geografischen Raum 14 sie sich beziehen: • Jeweils nur ein Land in Westeuropa/ Europäische Union (Bonfadelli/ Meier/ Trappel 2006, Doyle 2002, Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien 2008, Hans-Bredow-Institut 2008, 14 Da für den vorliegenden Beitrag aus Zeit- und Platzgründen nicht alle Publikationen zu allen Kontinenten und Ländern verarbeitet werden konnten, ist die folgende Aufstellung nur beispielhaft mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Deutschland, Europa und den USA. <?page no="144"?> Medienkonzentration 145 Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) 2010, Ofcom 2012, Seethaler/ Melischek 2006, Röper 2012, Vogel 2012; zur Konzentrationskontrolle in Deutschland: Schulz/ Held 2006, Schulz/ Dreyer/ Hagemeier 2011) • Ausgewählte Länder Westeuropa/ Europäische Union (Council of Europe 2004, 2009; European Commission 2007, 2008/ 2009; European Parliament 2008, Thomaß/ Kleinsteuber 2011, Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) 2007, Nordicom 2009, Trappel/ Meier/ d’Haenens/ Steemers/ Thomaß 2011, Sánchez-Tabernero/ Carvajal 2002) • Ausgewählte Länder Osteuropa (European Federation of Journalists 2004, Ettl-Huber 2008, Thomaß/ Tzankoff 2001) • Ausgewählte Länder West- und Osteuropa (Doyle 2006, European Federation of Journalists 2005, Schneider/ Schütz 2004) • USA (Bagdikian 2004, Baker 2007, Compaine/ Gomery 2000, Federal Communications Commission (FCC) 2010 , McChesney/ Nichols 2004, Noam 2009) • Ausgewählte Länder Europa/ USA (Knoche/ Zerdick 2002, Schulz/ Held/ Arnold 2007) • Ausgewählte Länder weltweit: USA, Mittelamerika, Südamerika, Europa, Afrika und Mittlerer Osten, (Ost-)Asien und Australien (Hachmeister/ Rager 2005, Hans-Bredow-Institut 2009, Herman/ McChesney 1997, Kleinsteuber/ Thomaß 2004, Wilke 1992/ 1994/ 1996). Auf Basis der bislang praktizierten Forschung kann man die gebräuchlichen Ansätze der Konzentrationsforschung grob in zwei Gruppen je nach behandelten Konzentrationsfeldern unterscheiden (Knoche 1978, 1996a, Kopper 1995): • Untersuchungen zu Marktstrukturen als Indikatoren für Marktkonzentration: Marktanteile von Medienunternehmen auf diversen relevante n Märkten in dive rsen Mediensektoren (Presse, Fernsehen, Radio, Film etc.) auf verschiedenen Konzentrationsebenen (international, national, regional, lokal) nach verschiedenen Konzentrationsarten (ökonomisch, publizistisch); diese Untersuchungen entsprechen den Ansätzen der Wettbewerbstheorie und -politik, den Konzentrationsgrad anhand von Marktmacht und Marktbeherrschung zu bestimmen. <?page no="145"?> Themen des Vergleichs 146 • Untersuchungen zu Eigentumsstrukturen (media ownership, crossmedia ownership) als Indikatoren für Kapitalkonzentration und Unternehmenskonzentration: Kapitalanteile von Medieneigentümern in diversen Mediensektoren sowie sektorenübergreifend. Zur wissenschaftlich fundierten Charakterisierung der Konzentrationsentwicklung müssten jeweils beide Untersuchungsansätze komplementär angewandt werden. Dominant sind jedoch Untersuchungen zur Marktkonzentration. Diese sind insofern unzulänglich und vom Problem ablenkend, als sie die reale marktübergreifende Kapitalkonzentration als die übergeordnete Markt- und Verfügungsmacht ausblenden. Zusammenfassende Erkenntnisse Wie auch Seethaler (2004) in seinem Literaturbericht über »Vergleichende Ansätze in der Erforschung der europäischen Pressemärkte« betont, mangelt es an Untersuchungen, die den methodisch-systematischen Ansprüchen an komparative Forschung gerecht würden. Klagen über eine fehlende oder unzulängliche Datengrundlage sind einerseits berechtigt, andererseits haben sie oftmals Alibi- Charakter, um die Nichtbereitschaft zu politischem Handeln in Form von Regulierungen und Konzentrationskontrolle zu kaschieren. Illustratives Beispiel hierfür ist der ansatzweise selbstkritische Hinweis von Jens Cavallin, dem langjährigen Chairman des Expertenkomitees für Medienkonzentration und Pluralismus beim Europarat: »... from one point of view there is a wealth of information available, even an embarras de richesse (kursiv im Original). From another perspective, however, our ignorance is desperate. (...) The Council of Europe has a wealth of documentation, as assembled for the most part in internal working documents« (Cavallin 1995: 14). Strikt datenorientierte Medienkonzentrationsforschung erweist sich als eine Art von Sisyphusarbeit, die treffend folgendermaßen charakterisiert wurde: »Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, daß die Anteils- und Besitzformationen vor allem bei den großen Medienunternehmen oft äußerst verschachtelt sind und sich vielfach ändern, der Dokumentalist (sic! ) mithin ständig sozusagen auf fliegende Objekte zielen muß« (Luyken 1990: 621). Denn die zumeist nur graduellen Unterschiede der Konzentrationsentwicklung in den verschiedenen Ländern oder die geringfügigen Verschiebungen innerhalb der Rankings im Zeitver- <?page no="146"?> Medienkonzentration 147 gleich sind kaum relevant im Verhältnis zu der Gemeinsamkeit/ Gleichheit, dass es in jedem dieser Länder und länderübergreifend international, also weltweit, in gleicher Weise miteinander verflochtene, multinationale und multimediale globale Medienkonzerne gibt. Dies kommt in fast allen international vergleichenden Publikationen zum Ausdruck. Unter Berufung auf Untersuchungsergebnisse des Council of Europe (2004) wird zum Beispiel festgestellt: »...the majority of European countries are characterised by high and increasing levels of media and cross-media concentration (...) similar content is being recycled across different channels in different territories« (Doyle 2006: 122). Diese Gleichheit drückt sich vor allem in der Herrschaft dieser großen nationalen und transnationalen Medienkonzerne mit einer Vielzahl von Beteiligungsverhältnissen und Geschäftsfeldern in einer Vielzahl von Ländern aus. Die Konzentrationsproblematik beschränkt sich jedoch keineswegs auf die »50 größten Medienkonzerne der Welt« (Hachmeister/ Rager 2005), sondern umfasst auch eine Vielzahl von regionalen und lokalen Medienmonopolen in allen Ländern. Medienkonzentration ist als kontinuierlicher Prozess in jedem Land und länderübergreifend international beobachtbar, wobei Differenzen im Ausmaß der Konzentration zwischen den Ländern in ihrer Bedeutung hinter die grundsätzliche Gemeinsamkeit und Gleichheit dieses Prozesses zurücktreten. Diese vielfach empirisch belegte Erkenntnis einer grundsätzlichen (strukturellen und prozessualen) Gleichheit der Entwicklung sowie deren gleiche Ursachen und Folgen in allen kapitalistischen Ländern ist die adäquate Basis für eine kritische Medienkonzentrationstheorie und darauf aufbauendes kritisches politisches Handeln. Es ist eine zentrale Erkenntnis international vergleichender Medienkonzentrationsforschung, dass im Verlauf der dem Kapitalismus immanenten, regelmäßigen Konzentrationsprozesse weltweit kumulativ, geradezu exponentiell wachsend stets mehr Kapital und Verfügungsmacht bei wenigen Medieneigentümern konzentriert wird. Es ist demnach eine sehr verkürzte Betrachtungsweise, wenn - wie zumeist üblich - das Problem der Medienkonzentration auf die Beschreibung von Phänomenen der Markt- und Unternehmenskonzentration beschränkt wird. Damit wird einerseits das Ausmaß der Konzentration systematisch unterschätzt, weil z.B. die Bedeutung der markt- und unternehmensübergreifenden Konzentration aus dem Blickfeld gerät oder etwa die Diversifikation von Medienobjekten eines Medienkonzerns sogar fälschlicherweise als Reduktion von Konzentration gewertet wird. Bei der Beantwortung der Frage »Who Owns the Media Compa- <?page no="147"?> Themen des Vergleichs 148 nies? « (Compaine/ Gomery 2000) geht es weniger um die Kenntnis der Namen von Medieneigentümern als »Medienmogule«. Vielmehr ist zu beachten, dass die Medienunternehmen weltweit prinzipiell (mit Ausnahme einiger öffentlichrechtlicher Medienorganisationen) »in der Hand« von wenigen individuellen 15 Kapitaleignern sind. Abb. 4: Medienkonzentration und Verfügungsmacht (Quelle: eigene Darstellung) Es handelt sich also, wie in Abbildung 4 schematisch dargestellt, um eine Konzentration des individuellen Eigentums an den Produktionsmitteln der Medienkonzerne, -unternehmen und -betriebe sowie der daraus abgeleiteten und rechtlich abgesicherten individuellen Verfügungsmacht, also um eine Form von relativ 15 Dass sich individuelle Kapitaleigner zu Gesellschaften zusammenschließen, ändert nichts an der prinzipiellen Tatsache, dass je individuelle Kapitaleigner Eigentümer der Medienunternehmen sind (im Gegensatz zu staatlichem oder gesellschaftlichem Eigentum etwa in Form von öffentlich-rechtlichen Organisationen). Die Legitimation individueller Eigentümer zur Verfügung über die Medienproduktion beruht - sehr demokratiewidrig - nur auf ihrem angeeigneten Kapital, welches ihnen von ihren Lohnabhängigen erwirtschaftet wurde. <?page no="148"?> Medienkonzentration 149 uneingeschränkte Herrschaft der Kapitaleigner. Dies beinhaltet gleichzeitig eine uneingeschränkte Verfügungsmacht über die inhaltliche Gestaltung der Medienprodukte und damit über die Gestaltung der gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Öffentlichkeit. Letzteres ist keineswegs nur ein Problem der publizistischen Vielfalt, sondern es ist ein für Demokratien grundlegendes Problem, dass in kapitalistischen Gesellschaften auch die Medienproduktion unter der Verfügungsmacht von denjenigen individuellen Kapitaleignern und ihrem Interesse an weiterer Kapitalvermehrung steht, welche große Kapital-, Vermögens- und Eigentumsmengen konzentrieren (Keiser 1931). So verdienstvoll die zum Teil äußerst aufwendigen Einzelländerstudien mit Daten zur Beschreibung der Medienkonzentration auch sein mögen, sie sind wissenschaftlich und politisch von relativ geringem Wert, soweit sie nicht in einen theoretischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhang zur wissenschaftlichen Erklärung und Prognose der Konzentrationsphänomene und -prozesse beitragen. Diesem Ziel dient die »Entwicklung einer kritisch-empirischen Medienkonzentrationstheorie in der Kommunikationswissenschaft, die an die Stelle der apologetisch-normativen wirtschaftswissenschaftlichen Wettbewerbstheorien tritt« (Knoche 2005a: 124). Grundlage hierfür ist der von Marx analysierte und prognostizierte regelmäßige Prozess der mit der Akkumulation identischen Konzentration von Kapital, Produktionsmitteln und Kommando über Arbeit in Verbindung mit der Zentralisation als »Konzentration bereits gebildeter Kapitale, Aufhebung ihrer individuellen Selbständigkeit, Expropriation von Kapitalist durch Kapitalist, Verwandlung vieler kleinerer in wenige größere Kapitale.« (Marx 1867/ 1962: 654). <?page no="149"?> Themen des Vergleichs 150 Abb. 5: Wettbewerbstheorie versus Konzentrationstheorie (Knoche 2005a: 125) In der empirisch-kritischen Konzentrationstheorie wird die mit der Profitmaximierung verbundene reale ökonomische Konkurrenz der individuellen Kapitaleigner als systematische, regelmäßige Ursache für Konzentrationsprozesse mit negativen Folgen für die Informations- und Meinungsfreiheit/ -vielfalt der Medien gesehen (Abbildung 5, unterer Teil). Dies steht im diametralen Gegensatz zu den vorherrschenden Wettbewerbstheorien (Abbildung 5, oberer Teil), die deshalb als apologetisch-normativ gekennzeichnet werden, weil sie mit der Propagierung von Wettbewerb als normativer Soll-Funktion ein Leitbild mit angeblich positiven Folgen für die Informations- und Meinungsfreiheit/ -vielfalt der Medien in den Mittelpunkt stellen. Konzentration wird hier nur als Ausnahme gesehen, die (angeblich) »kontrolliert« werden kann oder als positiver »funktionsfähiger Wettbewerb« propagiert wird. Dies erfüllt die Funktion, von den empirisch belegten realen Ursachen der Medienkonzentration und deren negativen Folgen abzulenken. Ein weiterer wesentlicher Gegensatz der beiden gegenüber gestellten Theorieansätze liegt in der Funktionsbestimmung des Staates. In den Wettbewerbstheorien wird der Staat normativ als Wettbewerbs-»Sicherer« und Konzentrations-»Kontrolleur« propagiert, in der kritischen Konzentrationstheorie <?page no="150"?> Medienkonzentration 151 dagegen wird der Staat - auf der Basis von empirischen Daten - als realer Konzentrations-Förderer und -Legitimierer analysiert. Die empirisch-kritische Konzentrationstheorie sieht die mit der Profitmaximierung verbundene reale ökonomische Konkurrenz der individuellen Kapitaleigner als systematische, regelmäßige Ursache für Konzentrationsprozesse mit negativen Folgen für die Informations- und Meinungsfreiheit/ -vielfalt der Medien. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Medienkonzentration im internationalen Vergleich wissenschaftlich und politisch ein vergleichsweise viel bearbeitetes Problemfeld ist. Dennoch gilt: »Die Kommunikationswissenschaft hat sich zumeist als Bedenkenträger gegenüber Konzentrationsprozessen im Medienmarkt gezeigt. Sie verweist gerne auf die wichtige Rolle von Presse und Vielfalt für die gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildung. Das bleibt jedoch ein wohlfeiles Lippenbekenntnis.« (Holtz-Bacha 2006: 289) Weltweit ist ein gleiches »Aktion-Reaktion-Schema« (Knoche 1996: 103 ff.) zu erkennen: Auf die von Medienunternehmen aktiv vorangetriebenen Konzentrationsprozesse reagieren (staatliche) Kommissionen mit Vergabe von Forschungsaufträgen zur Datendokumentationen (Federal Communications Commission (FCC) 2010, Media Diversity Institute/ International Federation of Journalists/ Internews Europe 2009, Ofcom (Office of Communications UK) 2012). Auf EU-Ebene wird Medienkonzentration in deutlich ideologischer (ablenkender, verschleiernder) Absicht durch Begriffswandel umgedeutet (European Commission/ Task Force for Co-ordination of Media Affairs 2012, Karppinen, Kari 2006). Die Rede ist von media pluralism, freedom und diversity, und anstelle von control, regulation oder government intervention wird transpareny, observing, monitoring und corporate governance empfohlen. Wie Neelie Kroes, Vice-President of the European Commission responsible for the Digital Agenda, programmatisch verkündet, geht es (unter Missachtung der real fortgeschrittenen Konzentration) um »Safeguarding Media Pluralism in the EU« (Kroes 2012). Dazu wurden 2011 eine High-Level Group on Media Freedom and Pluralism sowie ein Centre for Media Pluralism and Media Freedom eingerichtet. Diese Form symbolischer Politik wird zurecht kritisiert: »The analysis of contemporary policy debates indicates that the notion of media pluralism has been too readily reduced to an empty catchphrase or conflated with consumer choice and market competition. In this narrow technocratic logic, pluralism is often unreflectively associated with quantita- <?page no="151"?> Themen des Vergleichs 152 tive data in a way that leaves unexamined key questions about social and political values, democracy, and citizenship.« (Karppinen 2010: 3) Übungsfragen 1) Welche gesellschaftliche Relevanz kommt der Problematik der Medienkonzentration zu? 2) Welche zwei Gruppen von gebräuchlichen Konzentrationsmessungen, unterschieden nach Konzentrationsfeldern, gibt es in der praktischen Forschung. Welcher Ansatz ist der gebräuchlichste, welcher ist der aussagekräftigste? 3) Welchen Stellenwert hat der Wettbewerb in der apologetisch-normativen Wettbewerbstheorie im Unterschied zur Konkurrenz in einer kritischempirischen Konzentrationstheorie? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Altvater, Elmar/ Hecker, Rolf/ Heinrich, Michael/ Schaper-Rinkel, Petra (1999): Kapital.doc: Das Kapital (Bd. 1) von Marx in Schaubildern mit Kommentaren. Münster. 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Kennwerte wie die »technische Erreichbarkeit« geben an, wie viele Menschen in einer Region Zugang zu einem bestimmten Medium haben - dies ergibt sich teilweise aus der technischen Infrastruktur, teilweise aber auch aus der Bereitschaft der Menschen, sich diese Infrastruktur verfügbar zu machen. In diesem Sinne gibt z.B. der Anteil der Bevölkerung eines Landes, der über einen Kabelanschluss, eine Satellitenempfangsanlage oder einen Internetzugang verfügt, nicht nur Auskunft über Technologiepolitik und ökonomische Strategien, sondern auch über das Interesse der Bevölkerung an den jeweiligen Medien- und Kommunikationsdiensten. Der technische Zugang zu bestimmten Medien ist klar von der Frage zu trennen, ob und in welchem Ausmaß diese Medien auch genutzt werden. Der große Bereich der Reichweiten- oder Publikumsforschung definiert Mediennutzung als Kontakt von Menschen mit einem Medienangebot. Insbesondere die Medienanbieter haben ein Interesse daran, möglichst genaue Informationen darüber zu bekommen, wie viele Menschen wie oft und wie lange ihre jeweiligen Angebote nutzen; daher werden überall auf der Welt mit viel Aufwand Medienkontakte gemessen. Während sich die Publikumsforschung auf die Messung beobachtbarer Kontakte beschränkt, setzt sich ein weiterer Strang mit der Frage auseinander, wie es <?page no="161"?> Themen des Vergleichs 162 zu diesen Kontakten kommt, welche Faktoren bei der Medienauswahl eine Rolle spielen. Zu diesen Faktoren gehören zum einen Merkmale des sozialen Status und der kulturellen, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, zum anderen konkrete Nutzen- und Funktionserwartungen, die die Menschen an die Medien herantragen und zum Maßstab ihrer Auswahlentscheidungen machen. Ein weiterer Strang des hier behandelten Gegenstandsbereichs bezieht sich auf die Rezeption und Aneignung von Medieninhalten. Es geht um die Frage, was die Menschen mit den ausgewählten Medieninhalten tun, wie sie konkrete Angebote vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Alltagserfahrungen interpretieren und mit Sinn versehen. Die Ergebnisse der Mediennutzung werden im Rahmen eines letzten Forschungsstrangs als Medienwirkungen interpretiert. Dabei geht es mittlerweile weniger um die Behauptung, Medien könnten als alleinige kausale Ursachen bestimmter Verhaltensweisen oder Einstellungen angesehen werden, sondern vielmehr um das Interesse, die Verantwortung der Medien für die öffentlic he Kommunikation, für die Identitätsbildung von bestimmten Teilgruppen der Gesellschaft oder für die Lebensführung der Einzelnen herauszuarbeiten. Relevanz des Gegenstandsbereichs für die international vergleichende Forschung Die Relevanz des so umrissenen Gegenstandsbereichs für die international vergleichende Forschung ergibt sich aus verschiedenen Anlässen und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Interessen (vgl. Livingstone 2003: 479). Länderübergreifend oder sogar global tätige Medienunternehmen sowie die werbetreibende Wirtschaft haben ein Interesse daran, inwieweit sie ihre Medienangebote und Werbekampagnen auch in verschiedenen Ländern einsetzen können, ob also eine Fernsehserie oder ein Werbespot, die bzw. der im Herkunftsland erfolgreich gewesen ist, auch von den Mediennutzern in anderen Ländern akzeptiert wird. Für Medienunternehmen und Medienpolitiker, die angesichts neuer technischer Optionen oder neuer Herausforderungen für die öffentliche Kommunikation vor einschneidenden Weichenstellungen stehen, gilt es als ein anerkanntes Prinzip, die Erfahrungen aus anderen Ländern zu nutzen, in denen die betreffende Entwicklung bereits weiter gediehen ist - wie etwa im Falle der Digitali- <?page no="162"?> Medienrezeption 163 sierung des Fernsehens in Großbritannien - oder in denen bereits bestimmte politische Maßnahmen umgesetzt und evaluiert worden sind - wie etwa der in den USA eingesetzte sogenannte V-Chip zur Filterung von problematischen Fernsehangeboten (vgl. Hasebrink 1998). Empirische Befunde darüber, wie die neue Technik von den Nutzern in anderen Ländern angenommen und genutzt wird und welche Konsequenzen dies für die bisherigen Medien hat, spielen daher - bei aller Skepsis hinsichtlich der Übertragbarkeit dieser Erfahrungen - eine entscheidende Rolle für die Medienentwicklung. Die internationale und transnationale Politik, die sich um die Lösung von Konflikten zwischen Ländern und Kulturen bemüht oder aber eine engere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ländern anstrebt (z.B. im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsprozess) hat ein gewichtiges Interesse daran zu erfahren, anhand welcher Informationsquellen sich die Bürger der betreffenden Länder informieren und wie sich dieses Informationsverhalten auf die Einstellungen zu Konfliktlösungen oder zu den Zielen der transnationalen Integration auswirkt; gerade aus der Perspektive der Europäischen Union ist es von besonderem Interesse zu erfahren, inwieweit im Informationsverhalten der Europäer Anzeichen für die Herausbildung europäischer Öffentlichkeiten erkennbar sind (→ 3.1). Neben dieser Relevanz für politische und wirtschaftliche Akteure sind international vergleichende Untersuchungen auch für die akademische Forschung relevant, unter anderem dann, wenn es um die Formulierung von universell anwendbaren theoretischen Konzepten und Annahmen geht. Ein Beispiel ist etwa die Perspektive des Nutzen- und Belohnungs-Ansatzes (Uses-and- Gratifications-Approach), demzufolge Medienkontakte als Ergebnis bewusster Auswahlentscheidungen der Nutzer nach dem Kriterium der Maximierung des persönlichen Nutzens angesehen werden können. Solche Annahmen sollten sich möglichst unter den verschiedensten kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen bestätigen - jeder internationale Vergleich ist in dieser Logik ein neuer Test der Theorie. International vergleichende Untersuchungen der Medienrezeption haben Relevanz für politische und wirtschaftliche Akteure auf nationaler und internationaler Ebene sowie für die akademische Forschung. Weitere Relevanz kommt international vergleichenden Nutzungsstudien im Zusammenhang mit der Untersuchung länderübergreifender Phänomene zu, die über unterschiedliche gesellschaftliche, politische und ökonomische Kontexte <?page no="163"?> Themen des Vergleichs 164 hinweg in ihren Auswirkungen untersucht werden sollen (z.B. Globalisierung und Individualisierung). Auch der länderübergreifende Einfluss einzelner Medienanbieter (z.B. D ISNEY ) oder einzelner Länder und ihrer Kulturproduktion (z.B. USA) auf die kulturelle Identität anderer Länder stellt einen wichtigen Gegenstandsbereich der international vergleichenden Nutzungsforschung dar. Datengrundlagen und Methoden Die folgenden Ausführungen skizzieren Datenquellen für international vergleichende Nutzungsforschung sowie einige methodische Herausforderungen der betreffenden Forschung. Datenquellen für internationale Vergleiche 16 Viele vergleichende Aussagen über die Mediennutzung in verschiedenen Ländern beruhen auf den Ergebnissen der Reichweiten- und Publikumsforschung der betreffenden Länder. Dies liegt nahe - stellen diese Daten, die auf großen und repräsentativen Stichproben basieren, doch in der Regel die maßgebliche Währung für die Medien- und Werbemärkte dar. Probleme für den internationalen Vergleich ergeben sich allerdings daraus, dass sich die betreffenden Messungen des Nutzungsverhaltens deutlich unterscheiden: Als Folge unterschiedlicher Mediensysteme und unterschiedlicher ökonomischer und wissenschaftlicher Ressourcen und Interessen werden unterschiedliche Daten erhoben. Und auch wenn die gleichen Fragen gestellt werden, ergeben sich mannigfache methodische Unterschiede: Im internationalen Vergleich wird offenbar, dass es sich bei den in den einzelnen Ländern angewandten Standards und Normen jeweils um Konventionen handelt, die meist in langwierigen Aushandlungsprozessen zwischen den beteiligten Interessengruppen festgelegt wurden und von Land zu Land höchst unterschiedlich ausfallen können (vgl. Koschnick 1993). 16 Der folgende Abschnitt stellt eine aktualisierte Fortschreibung des Beitrags von Hasebrink und Herzog (2009) dar. <?page no="164"?> Medienrezeption 165 Datenerhebungen in den einzelnen Ländern beruhen auf der Anwendung von Standards und Normen, die meist in langwierigen Aushandlungsprozessen zwischen den beteiligten Interessengruppen festgelegt wurden und von Land zu Land höchst unterschiedlich ausfallen können. Dies stellt ein Problem für die international vergleichende Medienrezeptionsforschung dar. Die Überwindung dieser Probleme zumindest für Europa war und ist das Ziel der 1992 auf der Grundlage eines Europarats-Beschlusses gegründeten Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle 17 in Straßburg, die seit 1994 ein Statistisches Jahrbuch veröffentlicht, das grundlegende Kennwerte des audiovisuellen Sektors in Europa dokumentiert und zugleich versucht, zur Harmonisierung der Datenerfassung in Europa beizutragen (vgl. Europäische Audiovisuelle Informationsstelle 2013). Eine weitere Institution, die sich unter anderem mit der Sammlung medienrelevanter Daten beschäftigt, ist die UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation), deren 1999 gegründetes Institute for Statistics nationale Daten unter anderem zu Tageszeitungen (Anzahl und Auflage) sowie Radio und Fernsehen (Anzahl Empfangsgeräte) sammelt und in einer online recherchierbaren Datenbank verfügbar macht. 18 Mit einem besonderen Fokus auf neuen Informations- und Kommunikationstechnologien stellt auch die International Telecommunication Union (ITU) informative Datenübersichten und Berichte bereit (siehe z.B. ITU 2010a). Andere Datenquellen geben Auskunft über die Nutzung einzelner Medien, so etwa die jährlich erscheinenden »International Key Facts«-Berichte des international tätigen IP-Network, der Vermarktungstochter der RTL Group, zur Entwicklung der Fernsehnutzung (IP 2012). Für den Bereich Printmedien stellt der jährlich erscheinende Bericht World Press Trends, der von der World Association of Newspapers (2012) herausgegeben wird, die umfangreichste Datensammlung dar. 17 Für nähere Angaben siehe www.obs.coe.int (11.2.2013). 18 Siehe für die allgemeine Datenbank http: / / stats.uis.unesco.org/ unesco/ TableViewer/ document.aspx? ReportId=143&I F_Language=eng; für die laufenden Bemühungen um eine Systematisierung international vergleichender medienbezogener Statistiken siehe http: / / www.uis.unesco.org/ Communication/ Pages/ media-statistics.aspx (11.2.2013). <?page no="165"?> Themen des Vergleichs 166 Statistiken zur Internetnutzung werden vor allem von verschiedenen international tätigen Marktforschungsinstituten zur Verfügung gestellt. 19 Ein anderes Vorgehen für vergleichende Untersuchungen kann darin bestehen, über die Recherche bereits vorliegender nationaler Daten hinauszugehen und bereits bei der Formulierung der Fragestellungen und der Datenerfassung eine gewisse Einheitlichkeit zu erreichen. Die Umsetzung kann dann nach dem »Korrespondentenprinzip« erfolgen - Experten aus verschiedenen Ländern bearbeiten die jeweiligen Fragen für ihr Land. Frühe Beispiele sind das seit den 1950er-Jahren erscheinende Internationale Handbuch Medien des Hans-Bredow- Instituts (2009), in dem Länderberichte über die Mediensysteme in aller Welt auch auf Aspekte der Mediennutzung eingehen; weiter die Publikationen der seit 1982 aktiven European Media Research Group (z.B. Trappel u.a. 2011) sowie, für die Nutzungs- und Rezeptionsforschung besonders relevant, eine Sammlung von Länderstudien über die Publikumsreaktionen auf die Erweiterung des Medienangebots in den 1980er-Jahren (Becker/ Schönbach 1989). Empirische Untersuchungen können auch von vornherein transnational angelegt werden, wie dies bei einigen Media-Analysen für den europäischen Markt der Fall ist. Ein frühes, mittlerweile nicht mehr fortgeführtes Beispiel war die bereits Mitte der 1980er-Jahre erstmals von privaten Satellitenkanälen finanzierte PETAR-Studie (Pan European Television Audience Research). 20 Seit 1996 liegen Ergebnisse einer anderen Studie vor, die auch verschiedene europaweit verbreitete Medien einbezieht: Grundgesamtheit des sogenannten EMS - European Media and Marketing Survey 21 , einer in 16 europäischen Ländern durchgeführten Studie, sind allerdings nur die jeweils 20 % der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen. Interessante punktuelle Befunde liefern auch die in unregelmäßigen Abständen publizierten Publikumsuntersuchungen der verschiedenen Auslandssender im Hinblick auf die Mediennutzung in allen Teilen der Welt (siehe z.B. Zöllner 2003, 2004). Trotz der Förderpolitik der EU, die darauf abzielt, europäische Kooperationsprojekte einzurichten, die von vornherein auf einen interkulturellen Vergleich abzielen, kann in dieser Hinsicht bisher nur auf wenige substanzielle Studien zurückgegriffen werden. Zu nennen ist hier etwa das seit 2006 beste- 19 Z.B. http: / / www.internetworldstats.com/ stats.htm (11.2.2013). 20 Vgl. z.B. http: / / www.magazine.org/ satellite-television-establishing-pan-europeanaudience 21 Siehe http: / / ems.ipsos-nederland.nl/ <?page no="166"?> Medienrezeption 167 hende europaweite Forschungsnetzwerk EU Kids Online 22 , welches im Jahr 2010 in 25 europäischen Ländern eine vergleichende Befragung von 9bis 16jährigen Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern organisiert und vergleichend ausgewertet hat (Livingstone u.a. 2011; Hasebrink/ Lampert 2012). Im Jahr 2011 wurde überdies im Rahmen des COST-Programms (European Cooperation in Science and Technology) 23 eine Aktion »Transforming Audiences, Transforming Societies« eingerichtet, die die internationale Kooperation zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fördert, die sich mit Fragen der Medienrezeption auseinandersetzen. 24 Konzeptionelle und methodische Herausforderungen Auf den ersten Blick scheint klar zu sein, was mit international vergleichender Nutzungs- und Rezeptionsforschung gemeint ist: Man stellt verschiedene Länder im Hinblick auf einen bestimmten Aspekt des Nutzungsverhaltens einander gegenüber und registriert Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch gravierende konzeptionelle Unterschiede zwischen verschiedenen Forschungsansätzen. In Anlehnung an eine Systematisierung von Kohn (1989) hat Livingstone (2003: 483 ff.) vier Ansätze für vergleichende Forschung unterschieden: • Länder als Untersuchungsgegenstände: Bei diesem Ansatz geht es um die Beschreibung der Mediennutzung in den betreffenden Ländern; der Vergleich dient dabei lediglich dazu, Besonderheiten des einen oder anderen Landes besser erkennen zu können. Das Ausgangsinteresse gilt den betreffenden Ländern bzw. dem Ziel, das dortige Mediennutzungsverhalten zu verstehen. • Länder als Kontexte: Ein allgemeines Phänomen wird in verschiedenen Ländern untersucht, um festzustellen, inwieweit dieses sich un- 22 Siehe www.eukidsonline.net; das Netzwerk wird koordiniert von Sonia Livingstone und leslie Haddon, London School of Economics. Die bisher drei Projektphasen, 2006-2009, 2009-2011 und 2001-2014, wurden jeweils im Rahmen des Safer Internet Programms der Europäischen Kommission finanziert. 23 Siehe www.cost.eu 24 Weitere Hinweise sowie aktuelle Publikationen finden sich unter http: / / www.costtransforming-audiences.eu/ <?page no="167"?> Themen des Vergleichs 168 ter unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen bestätigt. Ein Beispiel sind die in vielen Ländern vorgenommenen Überprüfungen der Theorie von Rogers (1995) zur Diffusion technischer Innovationen. Das Ausgangsinteresse gilt bei diesem Ansatz der Theorie bzw. dem Ziel, diese Theorie zu bestätigen oder weiterzuentwickeln. • Länder als Untersuchungseinheiten: Auf der Grundlage entsprechender theoretischer Annahmen werden einzelne Länder jeweils als Fälle zur Überprüfung systematischer Zusammenhänge zwischen relevanten Dimensionen der Mediennutzung behandelt. Eine solche Hypothese könnte darin bestehen, dass die Menschen in Ländern mit eingeschränkter Medienfreiheit verstärkt dazu tendieren, ausländische Informationsquellen zu nutzen. Wie beim zweiten Ansatz gilt das Ausgangsinteresse der Theorie - mehr noch aber gilt es, anhand dieser Theorie die Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern zu erfassen und zu erklären. • Länder als Bestandteile größerer internationaler oder transnationaler Zusammenhänge: Verschiedene Länder werden gemeinsam unter dem Einfluss länderübergreifender Faktoren gesehen; es wird jeweils untersucht, wie sich diese übergreifenden oder globalen Einflüsse konkret auswirken. Beispiele für solche Einflüsse sind etwa die vielfach untersuchten Wirkungen der amerikanischen Medienindustrie im Allgemeinen oder einzelner, global agierender Medienunternehmen im Besonderen auf die kulturelle Identität der Menschen in verschiedenen Regionen der Welt. Diese Systematisierung ist hilfreich für die Entscheidungen, die bei der Konzeption einer konkreten, international vergleichenden Studie anstehen: Welche Länder sollen einbezogen werden? Welche Einzelaspekte des Nutzungs- und Rezeptionsverhaltens sollen wie erfasst und gemessen werden? Und wie sollen die entsprechenden Beobachtungen vergleic hend ausgewertet werden? Ei n kritischer Blick auf die vorliegenden vergleichenden Untersuchungen zur Nutzungs- und Rezeptionsforschung zeigt allerdings, dass die Forschungspraxis bisher weit weniger systematisch ist, als es dieses Modell nahe legt. Vielmehr überwiegen punktuelle Untersuchungen, bei denen die Auswahl der Länder eher nach pragmatischen als nach inhaltlich-theoretischen Überlegungen erfolgt ist und die in den meisten Fällen dem ersten Forschungstyp zuzuordnen sind, also zu einem besseren Verständnis der Mediennutzung in den betreffenden Ländern <?page no="168"?> Medienrezeption 169 beitragen können. Die ambitionierteren Ansätze internationaler Vergleiche sind hingegen bisher selten realisiert worden. Die Konsequenz daraus ist, dass selbst vermeintlich einfache Fragestellungen der international vergleichenden Nutzungsforschung große Schwierigkeiten aufwerfen. Was bedeutet es etwa, wenn in einem Land, z.B. Italien, die durchschnittliche Fernsehdauer größer ist als in einem anderen, z.B. Österreich? Die einfachste Erklärung scheint zu sein, dass Italiener eben mehr fernsehen als Österreicher, dass sie generell dem Fernsehen gegenüber aufgeschlossener sind. Solche Erklärungen, die Unterschiede in der Mediennutzung einfach auf Unterschiede in der »Mentalität« von Völkern oder Kulturen zurückführen, sind allerdings schwer zu belegen. Zumindest gibt es eine Vielzahl von Alternativerklärungen. Eine solche alternative Erklärung kann darin bestehen, dass es in Italien eine größere Zahl inländischer Kanäle und vor allem ein sehr viel etablierteres kommerzielles Fernsehen und einen entsprechend ausgeprägteren Wettbewerb um die Zuschauer gibt als in Österreich. Außerdem können die Ursachen in unterschiedlichen - zum Teil klimatisch bedingten - gesellschaftlichen Strukturen und Routinen liegen, etwa in dem Umstand, dass die Mittagspause in Italien sehr viel ausgeprägter ist und entsprechend häufiger auch zum Fernsehen genutzt wird oder dass es in Italien sehr viel üblicher ist, Fernseher in Restaurants, Bars und anderen öffentlichen Räumen laufen zu lassen. Es könnte aber auch sein, dass der Unterschied in der Dauer der Fernsehnutzung nichts mit der Nationalität zu tun hat, sondern lediglich damit, dass die italienische Bevölkerung anders zusammengesetzt ist als die österreichische, etwa in dem Sinne, dass in Italien Bevölkerungsgruppen, die generell mehr fernsehen als andere, z.B. formal geringer Gebildete oder Ältere, einen höheren Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen. Erklärungen der Unterschiede der Medienrezeption zwischen untersuchten Ländern müssen eine Vielzahl von kulturellen, technischen, politischen und ökonomischen Faktoren berücksichtigen. Der Stellenwert und die mit ihm verbundenen konkreten Merkmale der Medienausstattung, der Mediennutzung und der Medienrezeption hängen von verschiedenen Faktoren ab, die bei vergleichenden Nutzungsstudie n mit zu berücksichtigen sind (siehe dazu im Überblick Abbildung 5). Nach wie vor entscheidend ist in dieser Hinsicht die Ebene der ökonomischen und damit auch technischen Voraussetzungen, die vor allem den Unterschied zwischen den hoch industrialisierten Ländern und der sogenannten Dritten Welt markieren: Wo flächende- <?page no="169"?> Themen des Vergleichs 170 ckende Elektrizität nicht selbstverständlich ist, sind der Verbreitung elektronischer Medien von vornherein enge Grenzen gesetzt. Die ökonomischen Voraussetzungen prägen auch den Umfang und die Struktur des jeweiligen nationalen Medienmarktes sowie die Angebotsvielfalt an Medien. Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern im Zugang zu und in der Nutzung von neuen Medien ergeben sich somit auch daraus, dass die Länder im Hinblick auf die von Rogers (1995) beschriebene idealtypische Kurve der Diffusion technischer Innovationen einen Entwicklungsvorsprung oder -rückstand aufweisen. Abb. 6: Länderbezogene Einflussfaktoren von Mediennutzung und -rezeption (Quelle: eigene Darstellung) Für ein Verständnis der Mediennutzung in einem Land bedarf es darüber hinaus auch der Kenntnis der bestehenden politischen und rechtlichen Voraussetzungen. Die Sicherung der Medienfreiheit, die Verankerung von Public-Service-Elementen im Medienangebot sowie die Stellung der Bürger gegenüber den Medien sind relevante Rahmenbedingungen für den konkreten Medienumgang in einem Land. Zusammengenommen prägen die ökonomisch/ technischen sowie die <?page no="170"?> Medienrezeption 171 politisch/ rechtlichen Rahmenbedingungen das für die Nutzer verfügbare Angebot, also den Möglichkeitsraum für Mediennutzung und -rezeption. Wie dieser Möglichkeitsraum tatsächlich genutzt wird, hängt ab von den Alltagsstrukturen, Gewohnheiten und konkreten Bedürfnissen und gesuchten Gratifikationen der Nutzer, die sich einerseits vor dem Hintergrund des jeweiligen gesellschaftlichen Kontexts ergeben; dazu gehören insbesondere die Sozialstruktur und die Infrastruktur sowie die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Bildungssystems. Insbesondere für die Printmedien ist der Faktor der Schulbildung bzw. der Alphabetisierung von grundsätzlicher Bedeutung. Der Analphabetismus ist immer noch in großen Teilen der Welt ein Ausschlussfaktor für viele Bürger: Wie die UNESCO-Statistiken für die Jahre 2005 bis 2008 zeigen, galt damals mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Afrika als nicht lesefähig; diese Rate lagt für Frauen noch höher (fast 50 %) (UNESCO Institute for Statistics, 2010). Doch auch in den industrialisierten Ländern wird in den letzten Jahren - trotz in der Regel flächendeckender Schulsysteme - über Anzeichen für einen zunehmenden funktionalen Analphabetismus diskutiert 25 - ein Phänomen, das auch als Ursache für die in vielen Ländern rückläufigen Zeitungsreichweiten angeführt wird. Auch der kulturelle Kontext in den untersuchten Ländern kann die Mediennutzung beeinflussen. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Aspekt der Sprache - so steht Angehörigen großer Sprachgemeinschaften ein deutlich vielfältigeres Medienangebot zur Verfügung als kleineren Sprachgemeinschaften. Die sprachliche und kulturelle Nähe zu Nachbarländern wirkt sich auf die Mediennutzung nachhaltig aus. Doch auch die kulturelle und ethnische Vielfalt innerhalb der betreffenden Länder ist für das Verständnis der jeweils zu beobachtenden Nutzungsmuster relevant. Schließlich werden auch kulturgeschichtliche Traditionen als relevante Faktoren angeführt. So wird etwa der Unterschied zwischen dem bilderreichen Katholizismus und dem eher bilderfeindlichen Protestantismus als einer der Gründe dafür angesehen, dass in den nordeuropäischen Ländern deutlich weniger ferngesehen wird als in den Mittelmeerländern. 25 Siehe z.B. für Deutschland Grotlüschen/ Riekmann (2011). <?page no="171"?> Themen des Vergleichs 172 Fragestellungen und Ergebnisse Der folgende Abschnitt entspricht den in Abschnitt 1 eingeführten Teilbereichen der Nutzungs- und Rezeptionsforschung: Von Fragen des technischen Zugangs führt die Darstellung über Ergebnisse der Reichweiten- und Publikumsforschung, Erkenntnisse zum Auswahlverhalten und zur Rezeption und Aneignung der ausgewählten Inhalte bis zu möglichen Medienwirkungen. An dieser Stelle können nur exemplarische Studien genannt werden; als Basis für die Nutzungsforschung werden die Bereiche des Zugangs zu den Medien und der Mediennutzung dabei ausführlicher dargestellt. Zugang zu Medien Insbesondere die UNESCO und andere internationale Organisationen setzen sich kontinuierlich mit der Frage auseinander, welche Zugangsvoraussetzungen zu Medien- und Kommunikationsdiensten in verschiedenen Teilen der Welt bestehen. Für den Bereich der Printmedien stellen in einigen Regionen nach wie vor die schlecht entwickelten Strukturen des Post- und Transportwesens ein grundsätzliches Hindernis für den Vertrieb dar. Dies gilt insbesondere für die ärmsten Länder der Welt, wie z.B. Burkina Faso, Tschad und Ruanda (→ 4.7). Im Hinblick auf die Kluft zwischen industrialisierten Ländern und Entwicklungsländern hat der World Summit on the Information Society (WSIS) verschiedene Zielsetzungen vorgeschlagen; eine von ihnen betont das Anliegen, sicherzustellen, dass die gesamte Weltbevölkerung Zugang zu Fernseh- und Hörfunkdiensten hat - zum Teil als Ergänzung zu neuen digitalen Technologien, zum Teil aber auch als Grundausstattung, solange neue Technologen noch nicht verfügbar oder auch nicht erschwinglich sind (ITU, 2010a, S. 153). In den industrialisierten Ländern verfügten 2010 so gut wie alle Haushalte über mindestens ein Radiogerät; auch in der Mehrheit der Entwicklungs- und Schwellenländer war zumindest in 75 % der Haushalte ein Radiogerät vorhanden, allerdings gibt es bemerkensw erte Ausnahmen, z.B. Indien und Pakistan mit weniger als der Hälfte der Haushalte, die zu Hause Radio hören können. Festzuhalten ist aber, dass gerade in den am wenigsten entwickelten Ländern das Radio die wichtigste Plattform für die öffentliche Kommunikation darstellt (ITU, 2010a, S. 158). <?page no="172"?> Medienrezeption 173 Weltweit gesehen hat der Anteil der Haushalte, die mindestens ein Fernsehgerät besitzen, im Jahr 2009 79 % erreicht. Während das Fernsehen in Europa, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten sowie in Nord- und Südamerika so gut wie omnipräsent ist, verfügen nur rund drei Viertel der Haushalte im asiatischen und Pazifik-Raum und weniger als ein Drittel in Afrika über ein Fernsehgerät. Bei dieser Aufteilung nach Weltregionen ist zu beachten, dass etwa der Kategorie Asien und Pazifik mit Japan und Südkorea auch Länder angehören, die weltweit über die am weitesten fortgeschrittene technische Infrastruktur verfügen. 15 Jahre nach dem Beginn der allgemeinen Verbreitung des Internets verteilt sich die Internetnutzerschaft sehr ungleich über die verschiedenen Weltregionen: Während 2010 zwei Drittel der Europäer das Internet nutzen, liegt dieser Anteil in Afrika unter 10 %. Auf der Ebene einzelner Länder weisen die nordischen Staaten in Europa die höchsten Nutzerzahlen auf (mehr als 85 %), auf der anderen Seite gibt es einige Länder, vor allem in Afrika, mit weniger als einem Prozent. Innerhalb Europas zeigt sich ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle; so nutzten 2012 über 90 % der Dänen, Schweden und Niederländer das Internet, während es in Italien, Griechenland, Bulgarien und Rumänien nur weniger als 60 % waren. 26 Bemerkenswert und ein Hinweis auf kulturelle Unterschiede in der Affinität zu bestimmten Kommunikationstechnologien ist die Tatsache, dass in den Mittelmeerländern die relativ geringe Internetverbreitung einhergeht mit einer hohen Dichte an Mobiltelefonen. Mediennutzung Die Mediennutzung, d.h. auch die Verteilung der Mediennutzung auf Printmedien, Radio, Fernsehen und Online-Medien, wird nicht nur durch technische und ökonomische Faktoren beeinflusst, sondern wesentlich auch durch kulturelle Traditionen und politische Bedingungen. Wie der Vergleich der wichtigsten Kennwerte für die Nutzung von Tageszeitungen zeigt (World Association of Newspapers 2012), variiert die Zahl der verfügbaren Tageszeitungen von Land zu Land sehr stark. So werden etwa in Japan und einigen Ländern im Nordwesten Europas - gemessen an der Bevölkerung - deutlich mehr Zeitungsexemplare verbreitet als anderswo auf der Welt. Die 26 Quelle: Eurostat, siehe http: / / appsso.eurostat.ec.europa.eu/ nui/ show.do? dataset= isoc_ci_ifp_iu&lang=en <?page no="173"?> Themen des Vergleichs 174 Zahlen darüber, wie viele Menschen täglich von der Zeitung erreicht werden, sind aber aufgrund zum Teil abweichender Erhebungsmethoden nur mit Vorbehalt miteinander zu vergleichen. Gleichwohl wird erkennbar, dass es selbst innerhalb der Europäischen Union deutliche Unterschiede in dieser Hinsicht gibt: Während die Tageszeitung 2009 in Norwegen, Schweden, Finnland und der Schweiz mehr als vier Fünftel der Bevölkerung erreichte, waren es in Deutschland 71 %, in Polen 55 % und in Italien, Frankreich und Spanien weniger als 50 % (WAN 2010). Das Radio hat sich überall in der Welt als unaufwendiger Begleiter durch den Tag etabliert und nimmt einen festen Platz in der Mediennutzung ein. Die relative Wichtigkeit des Mediums hängt offensichtlich von der jeweiligen Medienlandschaft ab: In Ländern mit technisch weniger entwickelten und weniger vielfältigen Mediensystemen spielt das Radio eine Schlüsselrolle für die öffentliche Kommunikation, für die Bildung und für die kulturelle Identität. In industrialisierten Ländern mit einer Vielzahl an Fernsehangeboten und weit ausgebauter Infrastruktur für die Nutzung digitaler Medien besteht die Funktion des Radios dagegen eher in einer Ergänzung der anderen Medien um seine spezifischen Stärken, so die Mobilität, aktuelle Nachrichten und Serviceinformationen sowie die Bequemlichkeit eines Begleiters über den Tag. Unterschiede in Reichweite und Nutzungsdauer des Radios lassen sich auch innerhalb einzelner Weltregionen beobachten: In Europa lässt sich eine hohe Radionutzung - zum Teil länger als die Fernsehnutzung - in den nordwestlichen Ländern sowie in Österreich und der Schweiz beobachten; in Südeuropa fällt die Radionutzung deutlich geringer aus. Überzeugende Erklärungen für diese Unterschiede liegen bisher nicht vor; eine Hypothese mag sein, dass der Süden Europas kulturell deutlich stärker vom Katholizismus mit seiner Vorliebe für starke Bilder geprägt ist, während die nördlichen, stärker protestantisch geprägten Länder Bildern eher skeptischer gegenüber stehen und deshalb stärker dem Radio zuneigen (Hasebrink & Herzog 2009). Im Hinblick auf die Nutzungsdauer ist das Fernsehen in den meisten Ländern das wichtigste Medium. Die täglichen Nutzungsdauern schwanken zwischen zweieinhalb und vier Stunden, in einigen Ländern, z.B. Italien, einigen mittel- und osteuropäischen Ländern und den USA liegt dieser Wert noch höher (IP, 2009). Innerhalb Europas sehen die Menschen in den nordischen Ländern, den Niederlanden, Flandern, Österreich und der Schweiz unterdurchschnittlich lang fern; dies unterstützt die oben aufgestellte These von den mehr oder weniger stark visuell ausgerichteten Kulturen. Da es sich bei den genannten Ländern <?page no="174"?> Medienrezeption 175 zudem um eher kleinere Medienmärkte handelt, liegt die These nahe, dass größere Märkte ein reichhaltigeres Fernsehangebot ermöglichen, das dann auch mit insgesamt höheren Nutzungsdauern einher geht. In den meisten Ländern hat sich die Fernsehnutzung zwischen 2000 und 2008 trotz der parallel erfolgenden Ausweitung der Internetnutzung noch erhöht (IP, 2009, S. 41). Weitere Merkmale der Fernsehnutzung können hier nur exemplarisch angesprochen werden. So ist relativ übereinstimmend zu beobachten, dass die Fernsehnutzung in allen Ländern am Abend ihre Prime Time hat. Unterschiedliche institutionelle Zeitstrukturen und kulturelle Traditionen in den verschiedenen Ländern führen darüber hinaus zu unterschiedlichen Nutzungsschwerpunkten: So wird das Fernsehen in verschiedenen Ländern auf unterschiedliche Art und Weise in den Tagesablauf integriert (IP 2009, S. 38 ff.). Während sich in Deutschland das Publikum über den Tag hinweg nur langsam aufbaut und erst am frühen Abend eine ausgeprägte Prime-Time-Phase beginnt, ist dies etwa in Frankreich, Italien und Spanien anders: Zum einen gibt es dort mittags eine erkennbare »Siesta- Phase«, die mit hohen Fernsehreichweiten einhergeht, zum anderen liegt der Höhepunkt der Prime Time später - in Spanien erst gegen 22.30 Uhr. Ein noch komplexeres Muster zeigt sich in Japan, wo der Mittags- und Abendgipfel durch einen ausgeprägten Morgengipfel ergänzt wird: Gegen 7 Uhr morgens sehen gut 30 % der Japaner fern - zu der Zeit also, die in den meisten europäischen Ländern dem Radio vorbehalten ist. Bisher hat die Forschung noch keine festen Konventionen zur standardisierten und zuverlässigen Beschreibung der Onlinenutzung etabliert. Konsequenz daraus ist es, dass die vorliegenden Daten über die Zahl der Personen, die das Internet nutzen, und deren Nutzungsmuster schwer miteinander vergleichbar sind - selbst Daten aus verschiedenen Studien aus ein und demselben Land variieren zum Teil erheblich. Dennoch weisen alle Daten darauf hin, dass sich die Zahl der Internetnutzenden zwischen verschiedenen Ländern stark unterscheidet. Im Jahr 2010 gab es knapp zwei Milliarden Internetnutzer (29 % der Weltbevölkerung), doppelt so viel wie fünf Jahre zuvor und viermal so viele wie zehn Jahre zuvor. 27 Der Anteil betrug 77 % in Nordamerika, 61 % in Ozeanien/ Australien, 58 % in Europa, 35 % in Lateinamerika/ Karibik, 30 % im Mittleren Osten, 22 % in Asien und 11 % in Afrika. Aufgrund der ungleichen Verteilung der Weltbevölkerung setzt sich das derzeitige Internet-Universum wie folgt zusammen: Asien (42 % aller Internetnutzer), Europa (24 %), Nordameri- 27 Siehe http: / / www.internetworldstats.com/ stats.htm/ (11.2.2013). <?page no="175"?> Themen des Vergleichs 176 ka (13 %), Lateinamerika/ Karibik (10 %), Afrika (6 %), Mittlerer Osten (3 %) und Ozeanien/ Australien (1 %). Im Hinblick auf die benutzten Sprachen zeigt sich, dass die Hälfte des derzeitigen Internet-Universums Englisch (27 %) oder Chinesisch (23 %) sprechen. Die anderen Sprachen unter den häufigsten zehn sind Spanisch (8 %), Japanisch (5 %), Portugiesisch (4 %), Deutsch (4 %), Arabisch (3 %), Französisch (3 %), Russisch (3 %) und Koreanisch (2 %). Zusammen machen die zehn wichtigsten Sprachen also 82 % der weltweiten Internetnutzerschaft aus. Dabei ist zu beachten, dass diese Zahlen sich nur auf die jeweils erste Sprache beziehen und nicht die zunehmende Mehrsprachigkeit berücksichtigen. Einer der ambitioniertesten Ansätze, eine vertiefende und vergleichend angelegte Nutzungsforschung zum Internet zu etablieren, ist das World Internet Project, das von der USC Annenberg School of Communication & Journalism koordiniert wird (WIP, 2010). Die jüngsten Befunde dokumentieren für die beteiligten Länder übereinstimmend eine zurückgehende (wenn auch in den meisten Ländern noch vorhandene) Kluft zwischen den Geschlechtern sowie weiterhin ausgeprägte Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Medienauswahl Eine wesentliche Fragestellung der international vergleichenden Nutzungs- und Rezeptionsforschung bezieht sich auf die Nutzung ausländischer oder transnationaler Medienangebote. Untersuchungen dazu sind bisher eher punktuell, ein Gesamtbild lässt sich allenfalls aus verschiedenen Indizien herauslesen. Zu der Frage, inwieweit die Menschen in- und ausländische Fernsehprogramme nutzen, kann auf der Basis von Ergebnissen der Zuschauerforschung, die sich über mehrere Jahre als recht stabil herausgestellt haben, zunächst eine allgemeine These aufgestellt werden: Fernsehnutzung konzentriert sich überwiegend auf die jeweiligen nationalen Programme. Wie die meisten Regeln hat auch diese einige bedeutsame Ausnahmen, nämlich diejenigen kleineren Länder, die an gleichsprachige größere Nachbarländer grenzen (Österreich, Schweiz, Flandern, Wallonien, Irland); hier entfallen zum Teil erhebliche Anteile der Nutzung auf Programme der Nachbarländer. Das größte Interesse an ausländischen Programmen finden Filme und Unterhaltungsangebote, während eine hohe Loyalität gegenüber inländischen Nachrichtensendungen besteht: Unterhaltung ist danach internationaler als Information (siehe schon Olderaan/ Jankowski 1989: 47). <?page no="176"?> Medienrezeption 177 Auch die zunehmende Zahl transnationaler Medienangebote hat bisher die Konzentration der Nutzer auf das inländische Medienangebot nicht wesentlich schmälern können. Ein Erklärungsve rsuch für die entsprechenden Befunde besteht in der Annahme, dass Mediennutzer sich bei der Medienauswahl an der kulturellen Nähe der verfügbaren Medienangebote orientieren. Die »Cultural Proximity«- Forschung (vgl. Trepte 2004) geht davon aus, dass sich Menschen bei sonst gleichen funktionalen Voraussetzungen für das Medienangebot entscheiden, das ihnen selbst kulturell am nächsten ist. Als Beleg wird angeführt, dass in vielen Ländern die weltweit verbreiteten amerikanischen Serien zwar durchaus ihr Publikum finden, aber in aller Regel dann, wenn es auch inländische Serienproduktionen gibt, hinter dem Erfolg der nationalen Produktionen zurückbleiben. Haupthindernis nicht nur für transnationale Medienangebote, sondern auch für intensivere interkulturelle Kommunikation sind die zahlreichen unterschiedlichen Sprachen. Mediennutzer haben überall auf der Welt eine deutliche Präferenz für Angebote in ihrer Muttersprache - nur wenn es für bestimmte Funktionen kein Angebot in der Muttersprache gibt, wird ausnahmsweise auch auf anderssprachige Medien zurückgegriffen. Das lässt sich etwa an den Erfahrungen in Europa beobachten: Obwohl mittlerweile rund die Hälfte der Europäer sich auf Englisch verständigen können, hat das nicht automatisch zur Folge, dass sie entsprechend auch in großer Zahl englischsprachige Medienangebote nutzen würden. Ein im Hinblick auf die Präferenzen der Mediennutzer verschiedener Länder höchst interessanter Befu nd bezieht sich auf die Synchronisierung bzw. Untertitelung fremdsprachiger Filme und Serien. Die Fernsehveranstalter aus kleineren Sprachgemeinschaften strahlen ausländische Filme und Serien im Original mit Untertiteln aus. Für die Zuschauer aus den großen Sprachgemeinschaften fällt dieser explizite Hinweis, dass es sich hier um ein Angebot aus einem anderen Land handelt, weg - Verkehrspolizisten in den Straßen von San Francisco sprechen im deutschen Fernsehen Deutsch und im französischen Französisch. Während dies für die Zuschauer in diesen Ländern normal ist, wird eine solche Praxis in Skandinavien und den Niederlanden als kulturelle Barbarei empfunden: Verschiedene Studien (z.B. Kilborn 1993) zeigen übereinstimmend, dass jeweils die große Mehrheit die im eigenen Land übliche Praxis bevorzugt - hier unterscheiden sich die Nutzer aus verschiedenen Ländern also ganz erheblich, was unter anderem zu deutlich unterschiedlichen Chancen führt, mit fremdsprachigen Medienangeboten in Kontakt zu kommen. <?page no="177"?> Themen des Vergleichs 178 Medienrezeption und Medienaneignung Anlass für international vergleichende Untersuchungen zur Rezeption und Aneignung von Medienangeboten haben verschiedene, weltweit verbreitete Medienangebote gegeben; insbesondere amerikanische Fernsehserien sind oft zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht geworden, die der Frage nachgehen, wie diese Angebote in verschiedenen Kulturen rezipiert und interpretiert werden. Vor allem die Fernsehserie »Dallas« (→ 3.5) ist mehrfach daraufhin untersucht worden, wie sie von Menschen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten wahrgenommen wurde (z.B. Katz/ Liebes 1987). Eine wesentliche Schlussfolgerung aus entsprechenden Studien besteht darin, dass der jeweilige kulturelle Hintergrund bei der Rezeption der Serien eine maßgebliche Rolle spielt: Die Rezipienten übernehmen nicht einfach die in den Angeboten angelegten Botschaften, sondern sie machen sich vor dem Hintergrund ihrer eigenen kulturellen Erfahrungen ihren Reim aus den entsprechenden Angeboten. Dieselbe Serie kann so in verschiedenen Ländern sehr unterschiedliche Bedeutung haben. Eine vergleichende Studie zur Rezeption von Nachrichten (Jensen 1998) hat herausgearbeitet, was Zuschauer aus verschiedenen Ländern unter Nachrichten verstehen und welche Bedeutung sie den Nachrichten in ihrem Alltag und in ihrem Selbstverständnis als Bürger zuweisen. Medienwirkungen Zahlreiche Thesen der Medienwirkungsforschung sind mittlerweile auch in international vergleichenden Studien untersucht worden. Dazu gehört der sicherlich prominenteste Bereich der Wirkungsforschung, die Frage nach den Auswirkungen von medialen Gewaltdarstellungen. Die UNESCO hat Ende der 1990er-Jahre die Initiative zu einem Projekt ergriffen, in dem in 23 Ländern aus aller Welt untersucht wurde, wie Kinder in unterschiedlichen kulturellen Rahmenbedingungen mit den Medien im Allgemeinen und medialen Gewaltdarstellungen im Besonderen umgehen (vgl. Groebel 2001). Die Ergebnisse weisen zum einen auf die Omnipräsenz von medialen Gewaltdarstellungen hin; potenzielle Wirkungen ergeben sich, bei allen interkulturellen Unterschieden, vor allem durch diese ständigen Begegnungen mit gewalthaltigen Darstellungen, in denen zudem die Gewalt oft mit Belohnungen einhergeht. <?page no="178"?> Medienrezeption 179 Im Hinblick auf die international vergleichende Forschung typischer sind jedoch Wirkungsstudien, die sich mit dem länderübergreifenden Einfluss von Medienangeboten befassen. Viele von den betreffenden Studien sind der Kultivierungsforschung zuzuordnen, die von der These ausgeht, dass insbesondere das Fernsehen durch die langfristige Präsentation relativ gleichförmiger Botschaften auf die Dauer das Weltbild der Zuschauer beeinflusst, insbesondere bei denjenigen, die besonders viel fernsehen (vgl. z.B. Signorielli/ Morgan 1990). Diese These wurde oft auf die Fragestellung angewandt, inwieweit amerikanische oder allgemein westliche Medieninhalte die kulturelle Identität anderer Kulturen, deren Fernsehangebot zu einem großen Teil aus den entsprechenden Angeboten besteht, mitprägen bzw. zu einer Entfremdung von der eigenen Kultur befördern (vgl. z.B. Liebes 2003). Ausblick Der international vergleichende Blick auf Phänomene der Mediennutzung, der Medienrezeption und der Medienwirkung wird weiter an Bedeutung gewinnen. Die zunehmend globalisierten Medienumgebungen sowie die anhaltenden Migrationsbewegungen und die damit verbundene multikulturelle Zusammensetzung auch der Bevölkerungen einzelner Länder lassen Nutzungsstudien, die sich pauschal auf die Bevölkerung eines bestimmten Landes beziehen, fragwürdig erscheinen. Medienrezeption ist in hohem Maße abhängig von der kulturellen Verortung der betreffenden Person, ein Verständnis der entsprechenden Prozesse wird also am ehesten durch systematische kulturvergleichende Untersuchungen möglich. <?page no="179"?> Themen des Vergleichs 180 Übungsfragen 1) Auf welche Phänomene bezieht sich international vergleichende Nutzungs- und Rezeptionsforschung? 2) Inwieweit orientieren sich die Mediennutzer bei ihrer Medienauswahl an in- oder ausländischen Angeboten? 3) Wie lautet der Hauptbefund international vergleichender Studien zur Rezeption weltweit verbreiteter Medienangebote? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Becker, Lee B./ Schönbach, Klaus (Hrsg.) (1989): Audience Responses to Media Diversification - Coping with Plenty. Hillsdale/ N.J. Europäische Audiovisuelle Informationsstelle (Hrsg.) (2013): Jahrbuch 2012. Bd. 1: Fernsehen, Film, Video und audiovisuelle Abrufdienste in Europa (2 Bände). Straßburg [auch unter www.obs.coe.int; letzter Abruf: 11.2.2013]. Groebel, Jo (2001): Media Violence in Cross-Cultural Perspective. A Global Study on Children’s Media Behavior and Some Educational Implications. In: Singer, Dorothy G./ Singer, Jerome L. (Hrsg.): Handbook of Children and the Media. Thousand Oaks, S. 255-268. Grotlüschen, Anke/ Riekmann, Wibke (2011): Leo. Level-One Studie. Literalität von Erwachsenen auf den unteren Kompetenzniveaus. Hamburg. http: / / www.alphabe tisierung.de/ fileadmin/ files/ Dateien/ Downloads_Texte/ leo-Presseheft-web.pdf Hans-Bredow-Institut (Hrsg.) (2009): Internationales Handbuch Medien. Baden-Baden. 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Hanitzsch/ Mellado 2012). Allerdings werden zentrale Begriffe noch immer recht uneinheitlich verwendet, denn nicht alle Autoren sprechen explizit von ›journalistischer Kultur‹ oder ›Journalismuskultur‹ (vgl. Donsbach/ Patterson 2003; Hanitzsch 2007; Harrison 2000). Populär sind auch Termini wie ›Nachrichtenkultur‹ (vgl. Deuze 2002; Esser 2008), ›Zeitungskultur‹ (vgl. Knott/ Carroll/ Meyer 2002), ›Redaktionskultur‹ (vgl. Brüggemann 2011) oder ›professionelle Kultur‹ (vgl. Hollifield/ Kosicki/ Becker 2001). Dieser begriffliche Pluralismus hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich der Kulturbegriff, wie die britische Soziologin Margaret Archer (1996: 2) bedauert, in einem »konzeptuellen Morast festgefahren« hat. Kultur wird auch im aktuellen Diskurs als »ein chronisch vieldeutiges« (Reckwitz 1997: 319), »gnadenlos inflationäres« (Karmasin 2000: 245) »Amöbenwort« (Kramer 2000: 62) beschrieben. Die verwendeten Definitionen reichen dabei von alltagsverständlichen Allgemeinplätzen wie »Nationalkultur« bis hin zu schwer fassbaren Einordnungen wie Kultur als »Gesamtheit der Lebensweise« (Williams 1958: 18). Für die Journalismusforschung tut sich hier ein disparates Forschungsfeld auf, dessen Grenzen gerade erst abgesteckt werden. Bedeutsam ist die Beschäftigung mit Journalismuskulturen vor allem deshalb, weil nahezu alle Problemstellungen der Journalismusforschung in irgendeiner Weise mit Journalismuskultur zu tun haben. Es geht dabei um die gesellschaftliche Rolle von Journalismus als Ort der industriell-massenmedialen Kulturproduktion, aber auch um die Frage, was Journalismus »im Innersten zusammenhält«. Auf dem Prüfstand <?page no="183"?> Themen des Vergleichs 184 steht zudem die Identität von Journalismus. Die kultursoziologische Journalismusforschung möchte vor allem verstehen, wie Journalisten ihre eigene berufliche Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und wie sie in ihrer täglichen Arbeit die »Grenzen« von Journalismus im gesellschaftlichen Diskurs aushandeln. Bei der Beschäftigung mit Journalismuskulturen geht es um die gesellschaftliche Rolle von Journalismus als Ort der industriell-massenmedialen Kulturproduktion und um die Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen Journalismus und seinem jeweiligen kulturellem Kontext. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage nach der Existenz einer »universellen« Journalismuskultur, die häufig mit dem konventionellen westlichen Verständnis von objektiver, neutraler und unabhängiger Berichterstattung assoziiert wird und die in Form eines »Ideologie-Transfers« (Golding 1977) zunehmend in die nicht-westliche Welt hineingetragen wird. Darüber hinaus bereichert die Beschäftigung mit Journalismuskultur die Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen Journalismus und seinem jeweiligen kulturellem Kontext. So interessiert z.B. die Interaktion zwischen journalistischer und politischer Kultur (vgl. Hallin/ Mancini 2004) oder die zunehmende Fremdsteuerung von Journalismus durch ökonomische Imperative. Dabei macht die Verwendung des Kulturbegriffes nur in Abgrenzung zu anderen Kulturen Sinn, denn es geht immer auch um Identität (nach innen) und Differenz (nach außen). Aus diesem Grunde widmet sich die Journalismusforschung insbesondere der Pluralität journalistischer Praktiken und Wertesysteme sowie den Faktoren, die für Differenz verantwortlich zeichnen. Zudem trägt der Vergleich mit anderen Journalismuskulturen erheblich zum Verständnis der eigenen professionellen Kultur bei, da hierdurch der Blick auf die eigenen Besonderheiten gelenkt wird. <?page no="184"?> Journalismuskulturen 185 Zur Identifikation von Journalismuskulturen Dieser Beitrag beschäftigt sich mit journalistischen Kulturen aus der Perspektive der Kommunikatorforschung. In Anlehnung an das Kulturverständnis von Reckwitz (2000) wollen wir Journalismuskultur definieren als die im Journalismus spezifischen kognitiven, evaluativen und performativen kulturellen Ordnungen, mit denen sich Journalisten ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von kollektiven Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und einschränken (vgl. Hanitzsch 2007). In ähnlicher Weise bestehen für Harrison (2000) Journalismuskulturen aus einer Reihe von spezifischen Routinen, Praktiken, normativen Werten und professionellen Mythen, die von einer Generation von Journalisten zur nächsten weitergegeben werden. Diese symbolischen Ordnungen finden ihren Niederschlag auf drei Ebenen (vgl. Hanitzsch 2007): • Die kognitiven Schemata steuern als Grundelemente der Wahrnehmung und Deutung die routinisierte Nachrichtenproduktion, z.B. die Relevanzzuweisung an Ereignisse in Form von Nachrichtenwerten. • Die evaluativen Schemata leiten die in beruflichen Zusammenhängen vorgenommenen Bewertungen an. Dies geschieht in Form von professionellen Weltsichten der Akteure (Rollenverständnis) und professionellen Subkulturen (z.B. ›objektiver Journalismus‹ oder ›investigativer Journalismus‹). • Die performativen Schemata (z.B. Recherchemethoden) manifestieren sich in der journalistischen Praxis. Die Handlungen der Journalisten werden dabei angeleitet durch kognitive und evaluative Schemata, denen der Praxisvollzug wiederum Geltung verschafft. Identifizieren lassen sich Journalismuskulturen anhand des zugrunde gelegten Kulturbegriffs, da dieser darüber entscheidet, was der Forscher »sieht« - und was nicht. Die ländervergleichende Journalismusforschung nimmt andere Journalismuskulturen in den Blick (z.B. die ›deutsche‹ und ›französische‹ Nachrichtenkultur) als die genderorientierte Forschung, die sich von der Geschlechter- Differenz leiten lässt (z.B. ›femininer Journalismus‹). Auf Basis der in der aktuellen Journalismusforschung verwendeten Kulturbegriffe lassen sich fünf Perspektiven unterscheiden, die im Folgenden Gegenstand dieses Beitrages sein sollen: die Identifikation von territorialen, essenzialistischen, lebensstilbzw. <?page no="185"?> Themen des Vergleichs 186 milieuspezifischen, werte-zentrierten und organisationsspezifischen Journalismuskulturen. Territoriale Journalismuskulturen Der Analyse von territorialen Journalismuskulturen unterliegt die Vorstellung von Kultur als geografisch definiertem Raum. In der Journalismusforschung sind dies üblicherweise Nationen, Sprachräume (z.B. in Kanada und der Schweiz) sowie innerstaatliche Räume (z.B. Ost- und Westdeutschland). So charakterisierte Köcher (1986) auf Basis von 855 Interviews die britischen Journalisten plakativ als »Spürhunde« und ihre deutschen Kollegen als »Missionare«. Letztere sahen sich dabei stärker in einer anwaltschaftlichen Rolle. Bemerkenswerte Unterschiede konnten auch Donsbach und Patterson (2003) in ihrer Fünf-Länder-Studie zwischen US-amerikanischen und europäischen Journalismuskulturen herausarbeiten: Amerikanische Journalisten treten engagierter für Pressefreiheit ein, greifen stärker auf individuelle Quellen zurück und setzen das Objektivitätsprinzip über eigene subjektive Werte und Einstellungen. In einer Metaanalyse von Journalistenbefragungen aus 21 Ländern konstatiert Weaver (1998) in seinem Buch »The Global Journalist« zum Teil substanzielle Unterschiede zwischen den Journalismuskulturen der einzelnen Länder. Aus diesen Unterschieden zieht Weaver die Schlussfolgerung: »there are strong national differences that override any universal professional norms or values of journalism around the world« (473). Allerdings, so bemerkt Weaver weiter, lassen sich diese Unterschiede nicht eindeutig anhand von politischen und kulturellen Kontextfaktoren erklären. Auch in der zweiten Auflage des Buches wird diese Ratlosigkeit noch sichtbar und durch teilweise unplausible Befunde noch weiter verstärkt (vgl. Weaver & Willnat 2012). Letzteres hat nicht zuletzt mit den methodischen Problemen zu tun, die ein Vergleich von Länderstudien ohne gemeinsame konzeptionelle und methodische Grundlage mit sich bringt. Diesem Problem stellen sich zunehmend Studien, die einem kollaborativen Ansatz folgen. Im Rahmen der Worlds of Journalism Study wurden insgesamt 2100 Journalisten in 21 Ländern mittels standardisierter Befragung untersucht. 28 Die 28 Detaillierte Informationen unter http: / / www.worldsofjournalism.org. <?page no="186"?> Journalismuskulturen 187 Ergebnisse zeigen, dass Rollenmodelle, die durch Distanz und Nichtinvolviertheit gekennzeichnet sind, durchaus zum weltweit akzeptierten journalistischen Standard gehören. Darüber hinaus erschienen den Journalisten die Verlässlichkeit und Faktizität von Informationen sowie das strikte Einhalten von Unparteilichkeit bzw. Neutralität sehr wichtig - und dies global relativ übereinstimmend. Umstritten waren hingegen interventionistische Aspekte der Berufsausübung, wobei sich die größten Differenzen zwischen westlichen und nicht-westlichen Ländern zeigten. Große Länderunterschiede ließen sich auch bezüglich der Rolle von Subjektivität sowie der Vermischung von Fakten und Meinung feststellen (vgl. Hanitzsch et al. 2011). Verschiedene Autoren haben sich zudem in jüngerer Zeit auf die Suche nach einer »europäischen Journalismuskultur« begeben. Preston (2009: 165) konnte »auffallende« Ähnlichkeiten in den professionellen Orientierungen von 95 Journalisten feststellen, die in Frankreich, Großbritann ien, Irland, Italien, Schweden, Serbien, Slowenien, Spanien, Ungarn sowie in der Tschechischen Republik, Slowakei und den Niederlanden befragt wurden. Und auch Statham (2008: 418) folgerte aus den Ergebnissen einer Befragung von 110 Zeitungsjournalisten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, der Schweiz und den Niederlanden: »journalism over Europe is emerging as a common transnational experience and practice.« Andere Autoren gelangen jedoch zu gegensätzlichen Schlüssen. Örnebring (2009) bezweifelt die Existenz einer »europäischen Journalismuskultur«, und Heikkilä und Kunelius (2006) kommen auf Basis von 149 Leitfadeninterviews mit Journalisten in zehn europäischen Ländern zu ähnlichen Feststellungen. Ländervergleiche zu Journalismuskulturen gehen von der Vorstellung von Kultur als geografisch definiertem Raum aus; doch stellen neue, translokale Kulturen, die durch traditionelle Kulturformationen quer hindurch gehen, neue Herausforderungen an die Forschung. Die Popularität des nationalen Vergleichsansatzes ist dem Umstand geschuldet, dass Nat ionen als Vergleichseinheiten praktisch bereits »feststehen« und keinerlei großen Definitionsaufwand für den Forscher bedeuten. Dennoch sind Ländervergleiche alles andere als unproblematisch. Während die Bedeutung des Nationalstaates immer weiter zurücktritt, entstehen neue, translokale Kulturen, die durch traditionelle Kulturformationen quer hindurch gehen (vgl. Livingstone 2003). <?page no="187"?> Themen des Vergleichs 188 Essenzialistische Journalismuskulturen Die Beschäftigung mit essenzialistischen Journalismuskulturen gründet in der Annahme, dass Kulturen über einen »wahren Kern« verfügen. Im Zentrum dieser Forschungstradition stehen personenbezogene Merkmale wie Rasse, Ethnizität, Geschlecht oder Alterskohorte, die - so die Annahme - gewissermaßen als »Kondensationskerne« für spezifische Subkulturen fungieren. Die Beobachtung von essenzialistischen Journalismuskulturen birgt für die empirische Forschung den Vorteil, dass diese auf Operationalisierungen zurückgreifen kann, die auch in »klassischen« Journalismusbefragungen häufig zum Einsatz kommen. Die erkenntnisleitende Frage lautet hier, ob und inwieweit diese Variablen systematisch in berufsstrukturelle Prozesse im Journalismus hineinreichen. Den größten Raum nimmt in diesem Forschungszusammenhang die Diskussion um Genderaspekte im Journalismus ein, wobei es insbesondere um die ungleichen Berufschancen von Frauen sowie um den Einfluss des Geschlechts auf die Produktion von journalistischen Medienaussagen geht. Relativ einmütig kommt die Forschung zu dem Ergebnis, dass Frauen im Journalismus allgemein unterrepräsentiert und im Hinblick auf Einkommen und Karriere benachteiligt sind. Geteilt sind die Meinungen allerdings in der Frage, ob die zunehmende Präsenz von Frauen in Redaktionen zur Herausbildung eines »femininen Journalismus« (van Zoonen 1998) beiträgt. Umfangreiche Journalistenbefragungen konnten bislang kaum Anhaltspunkte dafür liefern (vgl. Hanitzsch/ Hanusch 2012; Scholl/ Weischenberg 1998; Weaver/ Wilhoit 1991). Allerdings deutet einiges darauf hin, dass genderspezifische Unterschiede dann zutage treten, wenn sich Forscher den Medieninhalten zuwenden (vgl. Lavie/ Lehman-Wilzig 2005). Ob die Rede von kohortenpezifischen Journalismuskulturen gerechtfertigt ist, wurde bislang kaum untersucht. Diese Frage wird insbesondere nach einem Regimewechsel interessant. Dabei entstehen nicht selten unterschiedliche Generationen von Journalisten, die sich jeweils durch spezifische (politische) Sozialisationserfahrungen auszeichnen. So hat Pasti (2005) nach dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion in Russland zwei in Hinblick auf ihr berufliches Rollenverständnis sehr verschiedene Journalistengenerationen identifiziert. Bestätigt scheint auch ein Zusammenhang, der von Johnstone, Slawski and Bowman bereits 1976 entdeckt wurde. Demnach sind (ethnische) Minderheiten im Jour- <?page no="188"?> Journalismuskulturen 189 nalismus unterrepräsentiert und überdies im Hinblick auf die Karriereentwicklung benachteiligt (vgl. Weaver/ Willnat 2012). Der Faktor Ethnizität (im Sinne der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe) könnte einen interessanten Ansatzpunkt für weitere Forschungen bilden. So hat Hanitzsch (2006) in Indonesien Journalisten aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen systematisch verglichen und konnte zeigen, dass sich javanische Journalisten deutlich weniger in einer Rolle des kritischen Kontrolleurs gesellschaftlicher Missstände sehen. Die Ursache liegen vermutlich im kulturellen Fundament javanischer Kulturen, die Werte wie Gehorsam, Loyalität, Harmonie und Respekt gegenüber Autoritäten in den Vordergrund stellen. Insgesamt aber scheint der Einfluss der in diesem Abschnitt genannten Faktoren zu gering, um zu einer Herausbildung von klar definierten Journalismuskulturen beizutragen. Dies soll nicht heißen, dass individuelle Faktoren im Journalismus keinerlei Rolle spielen, allerdings fällt ihre Bedeutung hinter andere Einflüsse (Mediensystem, organisationale Faktoren, etc.) zurück. Lebensstilbzw. milieuspezifische Journalismuskulturen Während die Differenzierung in essenzialistische Journalismuskulturen an den ungleichen Lebensbedingungen der Individuen ansetzt, beschäftigt sich die Forschung zu lebensstilbzw. milieuspezifische Journalismuskulturen mit den Praxisformen, die von den jeweils verschiedenen Existenzbedingungen hervorgebracht werden. Mit Bourdieu (1998) wollen wir Lebensstile als die stilistische Einheitlichkeit der Lebensführung bezeichnen, die Praktiken eines einzelnen Akteurs oder einer Klasse von Akteuren miteinander verbindet. Sie manifestieren sich u.a. in Form von Geschmack, Kleidungswahl, Ernährungs- und Konsumgewohnheiten, weshalb Taylor (2002) Lebensstile als gesellschaftliches Symptom des Überganges von einer Zivilzur Konsumgesellschaft betrachtet. Milieus sind subkulturelle Einheiten innerhalb einer Gesellschaft, die Gruppen von Individuen mit ähnlichen Lebensstilen und Weltsichten umfassen. Die Sozialstrukturanalyse hat dabei gezeigt, dass in modernen industrialisierten Gesellschaften Lebensstil-Milieus zunehmend an die Stelle der traditionellen Sozialmilieus (z.B. Arbeitnehmermilieu) treten. In der Journalismusforschung ist die Berücksichtigung der Rolle von Milieus und Lebensstilen zwar häufig eingefordert worden, allerdings beschränken sich <?page no="189"?> Themen des Vergleichs 190 die wissenschaftlichen Anstrengungen weitgehend auf das Feld der Rezeptionsforschung. So vermuten Schoenbach et al. (1999) in Anlehnung an Bourdieu, dass die Zeitungsnutzung in den USA u.a. der Artikulation eines bestimmten Lebensstils und damit der Unterscheidung von anderen sozialen Gruppen dient. Die Kommunikatorforschung hat den Milieu- und Lebensstilbegriff bislang sehr zurückhaltend verwendet. Klaus und Lünenborg (2000) positionieren Journalisten im Produktionsprozess auf zwei Ebenen: ressort- und medienspezifisch (Berufsrolle) sowie subjekt- und milieuspezifisch (lebensweltlich). Darüber hinaus ist in der Literatur gelegentlich von einem »journalistischen Milieu« zu lesen, was einen äußerst interessanten, aber bislang kaum genutzten Raum für wissenschaftliche Forschung eröffnet. Empirisch umgesetzt wurde die Lebensstil- und Milieuanalyse in einer repräsentativen Journalistenbefragung in Bayern. Die Ergebnisse zeigen, dass Journalisten mit ihren modernen bis postmodernen Wertorientierungen relativ privilegierte Positionen im sozialen Raum einnehmen und Milieus in höheren sozialen Lagen angehören (vgl. Raabe 2000). Darüber hinaus unterscheiden sich Journalisten bei privat-kommerziellen Medien, in denen postmaterialistische Milieus dominieren, recht deutlich von ihren Kollegen, die für Printmedien und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig sind. Eine theoretische Anbindung des Konzepts der Journalismuskultur an das Begriffsinstrumentarium von Bourdieu hat auch Hanitzsch (2011) versucht. Journalistische Milieus wurden hier definiert als Gruppen von Journalisten, die ähnliche Vorstellungen über die Rolle und Funktion von Journalismus in der Gesellschaft haben. Anhand von Daten aus der Worlds of Journalism Study konnten insgesamt vier verschiedene globale professionelle Journalistenmilieus bestimmt werden, in denen jeweils spezifische Rollenverständnisse vorherrschten: die populist disseminators, die detached watchdogs, die critical change agents und die opportunist facilitators. Insgesamt ist festzustellen, dass sich die Beschäftigung mit Bourdieus Arbeiten sowohl in Deutschland als auch international im Aufwind befindet, womit auch die lebensstil- und milieuorientierte Journalismusforschung stärker an Relevanz gewinnen dürfte (vgl. Hanitzsch 2011; Meyen 2009). <?page no="190"?> Journalismuskulturen 191 Wertezentrierte Journalismuskulturen Die Erforschung von wertezentrierten Journalismuskulturen gründet in der Ansicht, dass Kulturen anhand von gesellschaftlichen Werten, Überzeugungen und Einstellungen unterschieden werden können. Auch wenn die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Gegenstand über die disziplinären Grenzen breit streut (von der Kulturanthropologie über die Kulturpsychologie bis hin zur interkulturellen Managementforschung): Gemeinsam ist vielen Arbeiten die Suche nach den grundlegenden Dimensionen kultureller Varianz. Hier haben insbesondere die IBM-Studie von Hofstede (1980) sowie verschiedene Arbeiten von Inglehart (1998) im Zusammenhang mit dem World Values Survey den Diskurs nachhaltig beeinflusst. Edward T. Hall (1976) hat Kulturen anhand ihrer Kommunikationsmodi in zwei Basisformen unterschieden. In High-context-Kulturen werden wichtige Teile einer Mitteilung (implizit) durch den Kontext bestimmt, während in Lowcontext-Kulturen der Inhalt einer Mitteilung explizit in der Aussage selbst transportiert wird. Mit einer solchen Leitdifferenz operiert Hahn (1997), der in seiner Dissertation zu dem Ergebnis kommt, dass Journalisten in einigen Kulturen mit tendenziellem Low-context-Charakter (z.B. Deutschland) eher die Rolle eines unbeteiligten und distanziert beobachtenden Außenseiters spielen. Demgegenüber operieren Journalisten in Kulturen, die eher dem High-context-Spektrum zuzuordnen sind (z.B. Frankreich), stärker als Mittler zwischen den Bürgern und politischen Institutionen. Eine andere prominente Unterscheidung ist jene in individualistische (z.B. Nordamerika und Westeuropa) und kollektivistische Kulturen (Asien), wobei der Referenzwert entweder auf dem Primat der Autonomie des Einzelnen oder dem Primat des Gemeinwohls liegt. Trotz aller durchaus berechtigten Kritik an diesem Ansatz wäre es sicherlich die Mühe wert, die Befunde aus ländervergleichenden Journalistenbefragungen auf Aggregatebene in Beziehung zu den Ergebnissen der Arbeiten von Hofstede, Inglehart und anderen zu setzen. Auf diese Weise könnte die Varianz in den verschiedenen Auffassungen etwa zum beruflichen Rollenverständnis oder zu professioneller Ethik möglicherweise auch auf kulturelle Einflussfaktoren systematisch zurückgeführt werden. Der Ansatz der wertezentrierten Journalismuskultur versucht, verschiedene Auffassungen zum beruflichen Rollenverständnis oder zu professioneller Ethik auf kulturelle Einflussfaktoren zurückzuführen. <?page no="191"?> Themen des Vergleichs 192 Im Kontext der Beschäftigung mit werte-zentrierten Journalismuskulturen steht auch der Versuch, spezifische »pan-asiatische« Werte im Journalismus in einigen Ländern Asiens auszumachen. Hierzu zählen kulturelle Werte wie Verantwortung, Gemeinschaftssinn und Konsens, Harmonie und soziale Stabilität, Hingabe und Aufopferung für Eltern und Familie, Respekt vor älteren Personen sowie der Respekt vor Ordnung und Autorität (vgl. Xiaoge 2005). Allerdings ist hier Skepsis durchaus angebracht: Angesichts der religiösen, kulturellen, ideologischen und politischen Vielgestaltigkeit des asiatischen Kontinents erscheint ein solches gemeinsam geteiltes Wertefundament problematisch. Häufig steht diese Denkschule eher im Kontext des Bemühens autoritärer Regimes, ihren Herrschaftsanspruch sowie Einschränkungen der Pressefreiheit über vermeintlich kulturelle Eigenheiten zu legitimieren. Journalistische Organisationskulturen Die Forschung zu Organisationskulturen, die im Konzept des »Organisationsklimas« (organizational climate) wurzelt, wurde zu Beginn der 1980er-Jahre insbesondere durch Arbeiten von Deal and Kennedy (1982) sowie Peters and Waterman (1982) popularisiert. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei einer Organisationskultur um kollektive Werte und Praktiken, die Mitglieder einer Organisation von Mitgliedern anderer Organisationen unterscheiden. Allerdings zeigt ein Blick auf die Literatur, dass spezifische Definitionen in diesem Forschungsfeld noch sehr weit auseinander liegen. Kritische Arbeiten zu journalistischen Organisationskulturen beschäftigen sich aktuell mit der zunehmenden Bedeutung von ökonomischen und unternehmensspezifischen Werten (corporate values) im Hinblick auf redaktionelle Entscheidungsprozesse sowie die Rekrutierung von Nachwuchsjournalisten (vgl. u.a. Loomis/ Meyer 2000; Hollifield/ Kosicki/ Becker 2001). Demnach scheinen viele Journalisten auf den unteren Ebenen der redaktionellen Entscheidungshierarchie dem schleichenden Bedeutungsverlust einer traditionellen journalistischen Kultur mit Widerstand zu begegnen. In diesem Zusammenhang spricht Peter J. Gade (2004: 42ff.) sogar von einem »Kulturkampf« zwischen einer redaktionsspezifischen journalistischen Kultur und einer journalismusfremden »Marketingkultur«, der zudem durch eine zunehmende Unternehmensintegration katalysiert wird. <?page no="192"?> Journalismuskulturen 193 Kulturkämpfe können allerdings auch innerhalb von Redaktionen stattfinden, wie Singer (2004) beobachtet hat. In einer Untersuchung von vier USamerikanischen Redaktionen hat die Autorin feststellen können, dass moderne crossmediale Redaktionskonzepte, wonach Inhalte für verschiedene Mediengattungen häufig unter einem Dach produziert werden, dort an ihre Grenzen stoßen, wo die verschiedenen journalistischen Teilkulturen (z.B. Printmedien, Fernsehen und Online-Medien) miteinander inkompatibel sind. Die berufssoziologische Journalismusforschung hat darüber hinaus die Grundzüge einer organisationsübergreifenden journalistisch-professionellen Kultur herausgearbeitet. Implizit geht diese Forschungstradition von der Existenz einer gemeinsamen professionellen Werteordnung aus, die von konventionellen westlichen Standards wie Objektivität, Neutralität und Unabhängigkeit geprägt ist. Zelizer (1993) verwendet hierfür die anthropologische Vorstellung von Journalisten als »interpretative Gemeinschaften« (interpretative communities). Demnach erzeugen interpretative Gemeinschaften unausgesprochene und übertragbare Konventionen im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung professioneller Standards und beruflicher Identitäten, die unter den Gemeinschaftsmitgliedern diskursiv ausgehandelt werden. Eine solche Sichtweise eignet sich insbesondere für ethnografische Studien, wie etwa Harrisons (2000) Untersuchung der britischen BBC. Ein anderes Beispiel ist die Studie des schwedischen Anthropologen Hannerz (2004), der auf Basis umfangreicher Feldforschung in Jerusalem, Johannesburg, Kapstadt und Tokio zu dem Schluss gelangte, dass es sich bei Auslandskorrespondenten um ein »besonderes Volk« von Journalisten handele. In Deutschland plädiert Brüggemann (2011: 54) für die Beschäftigung mit »Redaktionskulturen«, die er definiert als »Gesamtheit der Deutungsmuster, die sich im Denken und in Diskursen, Praktiken und den journalistischen Produkten einer Redaktion äußern«. Insgesamt ist festzustellen, dass die Forschung zu journalistischen Organisationskulturen auf zum Teil sehr unterschiedliche Verständnisse von Kultur und Organisation zurückgreift. Dies führt u.a. zu problematischen Gegenüberstellungen von »Organisationskultur« mit »journalistischer Kultur« und »professioneller Kultur« (vgl. Hollifield/ Kosicki/ Becker 2001). Es scheint demnach begrifflich sinnvoller, von (journalismusspezifischen) redaktionellen Kulturen und (nicht-journalistischen) Unternehmenskulturen sowie - auf einer anderen Ebene - von redaktionellen und professionellen Kulturen zu sprechen. Redaktionelle Kulturen sind dabei an die Grenzen von Organisationen gebunden, wohingegen professionelle Journalismuskulturen diese Grenzen transzendieren können. <?page no="193"?> Themen des Vergleichs 194 Fazit Insgesamt lässt sich sagen, dass die systematische Erforschung von Journalismuskulturen trotz ihrer Zentralität und langen Tradition noch einen weiten Weg zu gehen hat. Die vielen Einzelstudien - nur einige davon konnten in diesem Beitrag Erwähnung finden - haben noch kein kohärentes Gesamtbild hervorbringen können. Zusätzlich erschwert wird die Identifikation von Journalismuskulturen durch disparate Ansätze und konzeptionelle Vorstellungen sowie einem Mangel an originär komparativen Studien. Schritte in diese Richtung sind in jüngerer Zeit jedoch vermehrt unternommen worden. Auf diese Weise ist es zumindest gelungen, der Beschäftigung mit Journalismuskultur innerhalb der Kommunikationswissenschaft einen festen Platz zu verschaffen. Übungsfragen 1) Welche Formen von Journalismuskulturen können anhand des zugrunde gelegten Kulturbegriffs unterschieden werden? 2) Welche Probleme stellen sich beim nationalen Vergleichsansatz von Journalismuskulturen? 3) Welches Kulturverständnis unterliegt der Analyse von essenzialistischen Journalismuskulturen? Über welche Merkmale können sie identifiziert werden? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Archer, Margaret S. (1996): Culture and Agency: The Place of Culture in Social Theory, Cambridge. Bourdieu, Pierre (1998): Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main. Brüggemann, Michael (2011): Journalistik als Kulturanalyse. Redaktionskulturen als Schlüssel zur Erforschung journalistischer Praxis. 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November 2009 war für die Nachrichtenredaktionen der Welt ein ganz normaler Tag ohne außergewöhnliche Vorkommnisse. Das machte ihn zu einem idealen Tag für die wissenschaftliche Beschreibung der ganz alltäglichen Nachrichtenberichterstattung. Am 10. November 2009 wurde zum vierten Mal nach 1995, 2000 und 2005 das Global Media Monitoring Project (GMMP) durchgeführt, eine weltweite Stichtagserhebung unter Beteiligung von Medienbeobachtern aus 108 Ländern (vgl. GMMP 2010). Das GMMP hat es sich zum Ziel gesetzt, herauszufinden, wie häufig und in welchen Kontexten in den verschiedenen Regionen der Welt über Männer und Frauen in den Nachrichten berichtet wird und danach zu fragen, ob die Medienberichterstattung die Gleichberechtigung der Geschlechter fördert oder hemmt. Die Ergebnisse des GMMP 2010 zeigen, dass Frauen sowohl in Deutschland als auch international viel seltener in den Nachrichten zu Wort kommen als Männer. Nur jede vierte in den Nachrichten erwähnte Person ist eine Frau (vgl. Abb. 7). Das ist ein ernüchterndes Ergebnis, auch wenn die Vergleichszahlen erfreulicherweise eine Erhöhung des Frauenanteils gegenüber den früheren Erhebungen zeigen. Der kontinuierliche, wenn auch nur langsame Anstieg des Frauenanteils zwischen 1995 und 2010 gilt allerdings nicht durchgängig für Deutschland. <?page no="199"?> Themen des Vergleichs 200 Abb. 7: GMMP-Ergebnisse 1995-2010 (Personen in Medienbeiträgen nach Geschlecht in Prozent am jeweiligen Stichtag) (Quelle: eigene Darstellung) Hinter den 24 % Frauen, die in den Nachrichten der Welt durchschnittlich zu Wort kommen, verbergen sich große Unterschiede zwischen den am GMMP beteiligten Ländern. In Europa fällt der Anteil von Frauen in Schweden und Norwegen mit über 30 % überdurchschnittlich aus, während er in Österreich, Portugal und Italien unter 20 % bleibt (vgl. GMMP 2010: 67). Schweden und Norwegen gehören mit 44 % bzw. 37 % zu den Ländern mit den höchsten Frauenanteilen im Parlament, während in Portugal und Italien nur gut 10 % Parlamentarierinnen vertreten waren, wohingegen es in Österreich 23 % waren (vgl. Bühlmann/ Schädel 2012). Studien aus einer Reihe von Ländern zeigen, dass es keine eindeutige Korrespondenz zwischen der Präsenz von Frauen in der Politikberichterstattung und im Parlament in den verschiedenen Ländern gibt, meist jedoch fällt ihr Anteil in der Politikberichterstattung noch geringer aus als in der Politik. Medien spiegeln nicht, wie häufig angenommen, die fehlende Gleichberechtigung in Gesellschaft und Politik, sondern sie benutzen einen geschlechtsspezifischen Filter, mit dem die Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik und in anderen gesellschaftlichen Bereichen zusätzlich verschärft wird (vgl. Lünenborg/ Röser 2012). Dem GMMP zufolge kommen Frauen viel <?page no="200"?> Gendering internationaler Mediensysteme 201 seltener als Männer als Expertinnen zu Wort. Größer hingegen sind ihre Chancen als Alltagspersonen oder Stars in den Medien beachtet zu werden (vgl. GMMP 2005: 30-59; GMMP 2010: xi). Die Daten des GMMP zeigen zweierlei: Zum einen weisen sie auf ein weltweit existierendes Muster hin, demzufolge Frauen in den Nachrichten seltener zu Wort kommen als Männer. Frauen und Männer werden auch in unterschiedlicher Weise in den Nachrichten gezeigt. So verstärkten 46 % der Beiträge Geschlechterstereotype, während nur 6 % diese in Frage stellten (GMMP 2010, xii). Zum anderen geben die Daten aber auch Aufschluss darüber, dass die Diskriminierung von Frauen in den verschiedenen Ländern sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht unterschiedlich ausfällt. Je nach kulturellen Traditionen, gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen, rechtlichen Bestimmungen und Strukturen des Mediensystems variiert auch die Darstellung der Geschlechter in den Nachrichten. Frauen kommen in den Nachrichten seltener zu Wort als Männer. Frauen und Männer werden zudem in unterschiedlicher Weise in den Nachrichten gezeigt, so dass Geschlechterstereotype verfestigt werden. Das Ausmaß der Diskriminierung von Frauen unterscheidet sich in den verschiedenen Ländern sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Erklärtes Ziel des GMMP ist es, zur Gleichberechtigung der Geschlechter beizutragen und auf Probleme in der Mediendarstellung und Medienproduktion hinzuweisen, die die Erfahrungen von Frauen und ihre Sicht auf die Welt negieren. Angesichts der Bedeutung, die Medien für die Konstituierung demokratischer Gesellschaften übernehmen, ist eine angemessene Repräsentation der Geschlechter in den Nachrichten unverzichtbar. Demokratietheoretisch gehört die gleichwertige Präsentation und Repräsentation der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu den zentralen Aufgaben, die Medien wahrzunehmen haben. Zu fragen ist also gleichermaßen danach, ob die Medienorganisationen die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in den unterschiedlichen Feldern der Medienproduktion ermöglichen, und ob Medientexte Bilder und Vorstellungen von der Welt entwerfen, in denen die Sichtweisen und Interessen von Männern und Frauen gleichermaßen berücksichtigt werden. Nur dann leisten Medien den geforderten Beitrag zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit in Öffentlichkeit und Gesellschaft. In den frühen Formen der kommunikationswissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung wurden diese Fragen bereits aufgeworfen. Unter dem <?page no="201"?> Themen des Vergleichs 202 Begriff Gender Media Studies wird heute die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Gleichberechtigungsnorm und der Realität der Medien thematisiert und kritisiert. Diese Forschung beinhaltet deshalb immer auch eine politische Dimension. In der Tradition der feministischen Forschung ist mit der Analyse von Ungleichheit auch das Bestreben nach Veränderung, nach gesellschaftlichem Wandel verbunden. Relevanz entwickeln Fragen der Geschlechterforschung in der vergleichenden Kommunikationswissenschaft jedoch auch jenseits dieser normativen, demokratietheoretischen Perspektive: Die Analyse der Geschlechterrepräsentationen in den Medien ermöglicht eine Rekonstruktion der Prozesse von Inklusion und Exklusion, der Aushandlung von Zugehörigkeit und Fremdheit. Geschlecht erweist sich dabei als Merkmal von Individuen und zugleich auch als Strukturierungsmerkmal von sozialen Gruppen und gesellschaftlichen Institutionen. Feministische Theorie und Forschung stellt sich so immer einer doppelten Herausforderung: Einerseits geht es um die Entwicklung theoretischer Konzepte und Modelle zur Analyse von diskriminierenden Geschlechterzuschreibungen und hierarchischen Geschlechterverhältnissen und andererseits um die Entwicklung politischer Strategien zur Beseitigung gesellschaftlicher Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts. Aus einem internationalen Vergleich lässt sich viel lernen über das Gendering in den Medien. Offensichtlich ist Geschlecht in allen Mediensystemen eine einflussreiche Größe. Zugleich variiert aber die konkrete Ausformung des Geschlechterverhältnisses zwischen den einzelnen Ländern stark. Die Gender Media Studies beschreiben die Bedeutung des Gendering internationaler Mediensysteme; sie versuchen zu erklären, wie die ungleiche Präsentation und Repräsentation von Gender zustande kommt, und dazu Alternativen zu entwickeln. Das wirft die Frage nach dem Gegenstand der Gender Studies auf: Was genau verbirgt sich hinter der Geschlechterkategorie, was ist gemeint, wenn vom »Gendering« der Mediensysteme und vom Ziel des »undoing gender« die Rede ist? Geschlecht als vieldimensionale Kategorie der Kommunikationswissenschaft Am Beginn der sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung in den 1970er-Jahren steht die Unterscheidung zwischen sex und gender. Während <?page no="202"?> Gendering internationaler Mediensysteme 203 sex allein das biologische Geschlecht beschreibt, greift die Differenzierung nach gender deutlich weiter. Mit Gender wird dann eine kulturell geschaffene, historisch gewachsene und gesellschaftlich konstruierte Differenzierung betrachtet, deren Bedeutung sich auf der Ebene des Individuums ebenso wie auf der Ebene gesellschaftlicher Strukturen und Ideologien ausdrückt. Offensichtlich erklärt das biologische Geschlecht nicht, warum der Anteil von Frauen und Männern in der Nachrichtenberic hterstattung in verschiedenen Ländern deutlich variiert. Solche Geschlechterunterschiede sind eine Folge kulturgebundener geschlechtsspezifischer Zuschreibungen und sozialer Unterschiede zwischen Männern und Frauen, also eine Folge des »Gendering« der Gesellschaft. Die Bedeutung, die den Geschlechtern und ihrem Handeln jeweils zugewiesen wird, unterscheidet sich in verschiedenen Kulturen und Staaten offensichtlich deutlich voneinander. Für die Gender Studies ist diese Erkenntnis, dass Geschlecht keine essenzialistische Annahme, keine notwendige Folge biologischer Unterschiede ist, zentral. Jede Unterscheidung, auch die zwischen Männern und Frauen (und nur zwischen diesen beiden), ist Folge kulturellen, sozialen Handelns, keine biologisch induzierte Zwangsläufigkeit. Deshalb führt die dichotome Differenzierung von Mann und Frau auch nicht zu deterministischen Vorgaben für das Handeln der sich als Männer, Frauen oder transsexuell verstehenden Individuen. Subjekte lassen sich nicht reduzieren auf ihr ›Mannsein‹ oder ›Frausein‹. Geschlecht kann stattdessen besser als eine prozessuale und kontextuelle Kategorie verstanden werden. Was Männlichkeit und Weiblichkeit, ›Mannsein‹ und ›Frausein‹ jeweils bedeutet, wird täglich neu ausgehandelt, ist abhängig von sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen, ist beständigem Wandel ausgesetzt. Ein solches Verständnis von Gender ist insbesondere für die international vergleichende Forschung von herausragender Bedeutung. So lässt sich komparativ beobachten und beschreiben, unter welchen sozialen und kulturellen Umständen welche Merkmale ausgeprägt werden, sich als vermeintlich geschlechtsspezifisch verfestigen oder unter Druck und in Bewegung geraten. Sex und Gender sind keine notwendige Folge biologischer Unterschiede. Jede Unterscheidung, auch die zwischen Männern und Frauen und die Reduktion von Geschlechteridentitäten nur auf diese beiden, ist Folge kulturellen, sozialen Handelns. Gender ist damit als eine prozessuale und kontextuelle Kategorie zu verstehen. Die amerikanische Kommunikationswissenschaftlerin Lana Rakow hat zum Ausdruck gebracht, dass Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen Vor- <?page no="203"?> Themen des Vergleichs 204 gaben an das Individuum enthalten, die zugleich von den Individuen angeeignet werden und sich in den Geschlechteridentitäten niederschlagen müssen, um gesellschaftliche und kulturelle Wirkung zu entfalten: »Gender is both something we do and something we think with, both a set of social practices and a system of cultural meaning.« (Rakow 1986: 19) Gender ist nicht primär etwas von »außen« Zugewiesenes, sondern die Menschen erschaffen im Denken und Handeln zugleich ihre Geschlechteridentitäten. Die Kategorie Gender verweist deshalb nicht nur auf die soziale Ordnung, sondern auch auf die kulturellen Formen, in denen sich Denkprozesse und Handlungsweisen verfestigt haben: d.h. die gesellschaftliche Bezeichnung als Mann oder Frau, die individuelle Positionierung und Identifikation qua Geschlecht und die Involviertheit in geschlechtergebundene, soziale Praxen - diese Ebenen sind unauflöslich miteinander verbunden. Im englischen Sprachraum hat sich dafür das schwer zu übersetzende Adjektiv »gendered« durchgesetzt, das nicht »geschlechtsspezifisch« - also einem Geschlecht zugehörig oder eigen - meint, sondern »in der Tiefenstruktur mit dem Geschlecht verwoben«. Das Gendering bezeichnet in Anlehnung an Gudrun-Axeli Knapp (1993: 28) den Prozess des Entstehens und der kontinuierlichen Ausgestaltung der sozialen Geschlechterverhältnisse einer Gesellschaft oder eines Teilsystems einer Gesellschaft wie es das Mediensystem darstellt (vgl. Lünenborg 1997: 29). Begrifflich lässt sich dabei unterscheiden zwischen einer personalen und einer inhaltlichen Dimension des Gendering im Mediensystem, die von, in und durch Medien hergestellt und artikuliert wird. Auf der personalen Ebene, der Subjektebene, stellen sich Fragen nach der geschlechtsspezifischen Struktur der Medienorganisationen und den Arbeitsverhältnissen in den Medien. Bis heute existiert eine Arbeitsmarktsegmentation, die für Männer und Frauen unterschiedliche Aufgabenfelder und Berufsrollen vorsieht und etwa zu einer dramatischen Unterrepräsentanz von Frauen in Leitungsfunktionen führt. Bei der Analyse von Mediensystemen ist dabei relevant, in welchem Maße diese Berufsfelder selbst geschlechtsspezifisch strukturiert sind. Das bildet die Grundlage für die inhaltliche Ebene, auf der Formen der medialen Repräsentation von Geschlecht in den Mittelpunkt rücken. Neben der unmittelbaren Darstellung von Männern und Frauen in den Medien geht es dabei tief er liegend um die Konstruktion von Öffentlichkeit und Privatheit, Beruf und Familie, von Relevanz und Trivialität, von Information und Unterhaltung, um nur einige der wichtigeren geschlechtsgebundenen Dualismen zu nennen. Die inhaltliche Dimension thematisiert, in welcher Weise mediale Repräsentationen eigenständige Entwürfe und Deutungen geschlechts- <?page no="204"?> Gendering internationaler Mediensysteme 205 gebundener Lebenspraxen liefern und wie die sozialen Subjekte diese Medienangebote zur Ausarbeitung ihrer geschlechtergebundenen Identitäten nutzen. Zusammengefasst untersucht die vergleichende kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung, welche Relevanz und Bedeutung Medien im Prozess des Gendering haben und welche Erkenntnisse über das Zusammenwirken von Medien und Geschlecht aus einer international vergleichenden Perspektive gewonnen werden können. So stellen sich beispielsweise Fragen danach, ob gesellschaftliche Modernisierungsprozesse und mediale Wandlungsprozesse stets mit Veränderungen der Geschlechterverhältnisse einhergehen oder auch ob Veränderungen des Gendering auf der personalen Ebene Veränderungen in der inhaltlichen Dimension bewirken. Vier theoretische Ansätze der Gender Media Studies In den 1960er-Jahren begannen zunächst in den USA, dann in Frankreich und in vielen anderen Ländern Westeuropas Frauen, das Versprechen der Aufklärung nach umfassender Gleichberechtigung der Bürger und Bürgerinnen einzufordern und gegen bestehende Diskriminierungen zu protestieren. Dabei gerieten die Medien als zentrale Sozialisationsagenten bald in den Fokus der Kritik. Dass das Mediensystem an der Aufrechterhaltung der Geschlechterhierarchie aktiv beteiligt war, wurde von den Verantwortlichen in Politik und Medien jedoch zunächst vehement bestritten. Damit waren die ersten Forschungsfragen der immer international ausgerichteten - allerdings sich in den verschiedenen Ländern unterschiedlich schnell entwickelnden - kommunikationswissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung, heute oft Gender Media Studies genannt, vorgezeichnet. Die frühen Studien fragten nach den von den Medien verbreiteten Frauenbildern und untersuchten den Anteil von Frauen in den Medien. Die Ergebnisse zum Frauenbild der Medien waren bei allen nationalen Differenzierungen im Gesamtergebnis einhellig und belegten die weitgehende Verbreitung stereotyper Geschlechterbilder und die Marginalisierung von Frauen in den Medienunternehmen. Wie etwa die Küchenhoff-Studie (Küchenhoff et al. 1975) in Deutschland lösten diese ersten Studien erhebliche gesellschaftliche Diskussionen aus. Die US-amerikanische Kommunikationswissenschaftlerin Gaye Tuchman fasste die im englischsprachigen Raum bis dato vorliegenden <?page no="205"?> Themen des Vergleichs 206 Ergebnisse 1978 wie folgt zusammen: Frauen und ihre spezifischen Lebenserfahrungen würden in den Medien trivialisiert. Da sie in den non-fiktionalen Medienangeboten kaum auftauchten, würden ihre Leistungen ignoriert und ihr öffentliches Wirken unsichtbar gemacht. Massenmedien verbreiteten rigide Geschlechterstereotype, denen zufolge der Frau das Heim und dem Mann die Welt gehört. Frauen würden in den Medien auf nur wenige Rollen festgelegt, die ihnen kaum eigenständige Entwicklungsmöglichkeiten, unabhängig von Mann und Kind, böten. Der Titel von Tuchmans Analyse, »The Symbolic Annihilation of Women by the Mass Media«, brachte die Ergebnisse von Studien in vielen Ländern auf den Punkt. Zugleich belegten die ersten Kommunikatorstudien überdeutlich die Unterrepräsentanz von Frauen in den Medien. Die Geschlechterverteilung auf den einzelnen Hierarchiestufen der Medien zeigte eine vertikale Segmentation. Waren fast alle Sekretärinnen Frauen, so waren Chefredakteurinnen nur ausnahmsweise zu finden. Deutlich wurde auch, dass die Geschlechterverteilung innerhalb der einzelnen Redaktionen nicht ausgeglichen war, sondern Geschlechterrollen und -stereotypen entsprach, denen zufolge Frauen sich für Familie, Kinder und Soziales, Männer sich für Politik, Sport und Wirtschaft interessieren. Neben der vertikalen Segmentation bestand also, wie die deutschen Forscherinnen Irene Neverla und Gerda Kanzleiter (1984) herausarbeiteten, eine horizontale Segmentation. Ähnliche Befunde erbrachten Studien in den USA und in anderen westeuropäischen Ländern, wenngleich die horizontale Ungleichverteilung inzwischen weniger deutlich ist (vgl. Lafky 1990; Lünenborg 1997; Robinson 2005). Die erste Phase der Frauen- und Geschlechterforschung in der Kommunikationswissenschaft zeigte die umfassende Benachteiligung von Frauen in den Medien vieler Länder auf. Die beteiligten Forscherinnen forderten, der in den westlichen Demokratien bestehenden Norm der Gleichheit aller Bürger näher zu kommen. Formuliert wurden auf dieser Basis Forderungen nach einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in allen Berufsfeldern der medialen Produktion und nach der gleichgewichtigen und gleichwertigen Präsentation einer Vielfalt von Frauen- und Männerbildern in fiktionalen wie non-fiktionalen Medienangeboten. Diese Forschungstradition, in der auch das eingangs diskutierte GMMP steht, wird deshalb heute als Gleichheitsansatz bezeichnet. Das Bemühen um Gleichheit und Gleichberechtigung auf der einen Seite wurde auf der anderen Seite ergänzt durch Fragestellungen nach der Differenz, den Unterschieden im Medienhandeln von Männern und Frauen (vgl. dazu Costera-Meijer 1991). <?page no="206"?> Gendering internationaler Mediensysteme 207 Innerhalb der feministischen Bewegung, die sich als gesellschaftskritisch verstand, gab es Strömungen, die die im Gleichheitsansatz implizierte Anpassung der Lebens- und Handlungsperspektiven von Frauen an die der Männer nicht für erstrebenswert hielten. Nicht alle Frauen wollten so arbeiten und leben, wie es der »männliche« Lebens- und Arbeitszusammenhang vorschrieb. Spezifisch »weibliche« Fähigkeiten und Potenziale, so die Argumentation, gingen in den Anpassungsprozessen an die »männliche Normalbiografie« und »männliche Arbeitskultur« verloren. Auf der Suche nach Alternativen zum etablierten Mediensys tem, das von den Beschäftigten unbegrenzte Arbeitszeiten, die Aneignu ng von Konkurrenzritualen und die Anpassung an rigide hierarchische Strukturen verlangte, fragten Forscherinnen deshalb danach, ob es einen weiblichen Journalismus gäbe und ob Frauen möglicherweise andere Medienbedürfnisse und -interessen entwickelten als sie traditionelle journalistische Angebote erfüllten. Im Mittelpunkt dieses Differenzansatzes steht die Annahme der Andersartigkeit der Frau - je nach Position als Folge einer Arbeitsteilung aufgrund der biologischen Differenz oder durch kulturell erworbene und historisch gewachsene Lebenspraxen. Demnach ist eine dualistische Geschlechterstruktur gegeben oder wird historisch fortlaufend reproduziert. Die im Differenzansatz begonnene Suche nach einem »weiblichen Journalismus«, nach einem anderen Schreiben von Frauen endete jedoch stets mit einem »Nein, aber …«. Qua Geschlecht, so reflektierten etwa die befragten Journalistinnen, entstehe nicht automatisch eine andere Form des journalistischen Arbeitens. Dennoch führten unterschiedliche Lebenspraxen und Erfahrungszusammenhänge von Frauen und Männern durchaus immer wieder zu bewusst anders gewählten Themen, zu einer anderen Sicht- und Analyseweise (vgl. Klaus 2005; Lünenborg 1997; Zoonen 1994). Die damit entstandene Forschungsrichtung hat deshalb Alternativen zum bestehenden Mediensystem aufgezeigt, etwa indem Vorstellungen für eine feministische Praxis im Journalismus ausgearbeitet oder alternative Medienprojekte untersucht wurden. Während im Rahmen des Differenzansatzes grundlegenden Unterschieden im Medienhandeln von Männern und Frauen nachgespürt wurde, zeigte sich, dass Geschlecht allein nicht geeignet ist, mediale Artikulationen von Menschen zu unterscheiden und dass keineswegs ›die Frauen‹ und ›die Männer‹ über je identische Erfahrungen, Wünsche und soziale Praxen verfügen. Die Differenzierung nach Geschlecht schafft keine homogenen, binären Gruppen, d.h. Männer und Frauen stellen weder unterschiedliche journalistische Berufsgruppen noch unterschiedliche Publika dar. Sie verfügen vielmehr über zahlreiche geteilte, <?page no="207"?> Themen des Vergleichs 208 kulturell geprägte mediale Handlungsmuster, ebenso wie auch Differenzen qua Alter, Bildungshintergrund oder regionaler Herkunft sichtbar werden. Beobachtbare Unterschiede zwischen den Geschlechtern, etwa der größere Anteil von Frauen in den Familien- und Feuilletonredaktionen oder ihre stärkere Zuwendung zu Melodramen und Familienserien, lassen sich nicht als kausale Folge des biologischen und/ oder sozial-kulturellen Geschlechts von Journalistinnen und Zuschauerinnen erklären. Denn Gender ist, wie oben dargelegt, kein der Identitätsfindung vorgängiges Merkmal des Menschen, sondern eine ständig neu angeeignete und produzierte kulturelle und soziale Konstruktion. Doing gender als Prozess des Herstellens und der fortlaufenden Re-Artikulation von Geschlecht rückt damit in den Fokus der Forschung. Genau diese Auffassung von Gender, nicht als Essenz, sondern als fluide, kontextgebundene, kulturelle Kategorie, wurde von den konstruktivistischen Ansätzen ausgearbeitet, die in der Kommunikationswissenschaft seit den 1990er-Jahren eine zunehmend größere Rolle spielen. So rückt der Prozess der Konstruktion von Geschlecht in, mit und durch Medien in den Mittelpunkt der Forschung. Wenn Menschen selber ihr Geschlecht permanent (mit-)erzeugen, dann sind Geschlechterunterschiede nichts Gegebenes, sondern stellen Reaktionen auf unterschiedliche Lebensbedingungen dar und sind zugleich ein Mittel zur »Ausübung« der persönlichen Geschlechteridentität. Im Rahmen der konstruktivistischen Gender Studies geht es deshalb darum, soziale Konstruktionsprozesse von Geschlecht in und durch Medien nachzuvollziehen und so das Gendering im Medienprozess offenzulegen. In international vergleichender Perspektive erscheint dieser Zugang besonders vielversprechend, weil die je kulturell gebundenen Praxen der Artikulation von Geschlecht im Vergleich verschiedener Kulturen und Länder deutlicher hervortreten können. So erscheinen mediale Repräsentationen von Weiblichkeit und Männlichkeit sowohl historisch als auch transkulturell vergleichend als ›gemacht‹ und damit verhandelbar. International vergleichende Studien zur Adaption von Formaten (bspw. Soap Operas) oder zur Rezeption von Medienangeboten (bspw. Reality TV) zeigen dies deutlich. Die Konstruktion von Frausein und Mannsein findet in je spezifischen kulturellen Mustern ihre Ausdrucksform. Deutlich wurde dies z.B. bei der Kulturgrenzen überschreitenden Adaption der Real-Life-Soap B IG B ROTHER . Das Ausmaß, in dem Sexualität in der Serie visuell sichtbar gemacht und dramaturgisch in den Mittelpunkt der Handlung gerückt wurde, unterschied sich zwischen Spanien und Deutschland erheblich. Auch die Konstruktionen eines <?page no="208"?> Gendering internationaler Mediensysteme 209 »idealen Mannes« und einer »idealen Frau« variierten beträchtlich (vgl. Mathijs/ Jones 2004). Im Rahmen der konstruktivistischen Gender Studies geht es darum, soziale Konstruktionsprozesse von Geschlecht in und durch Medien nachzuvollziehen und so das Gendering im Medienprozess offenzulegen. Die international vergleichende Analyse von Genderingprozessen zeigt die Kontextgebundenheit medialer Repräsentationen. Im Rahmen konstruktivistischer Perspektiven sind insbesondere die geschlechtlich konnotierten Dimensionen des Mediensystems untersucht worden, die im Gleichheits- und Differenzansatz verborgen blieben. So liefern die Diskussionen um aktuelle Veränderungen im Mediensystem zahlreiche Beispiele für geschlechtlich gebundene Positionierungen. Wenn etwa gegenwärtige Entwicklungen des europäischen Fernsehsystems als Privatisierung, Fiktionalisierung und Unterhaltungsorientierung beschrieben und negativ bewertet werden, so sind die damit aufgerufenen Dualismen mit der Genderkategorie verknüpft. Das Öffentliche, Faktische, Objektive und Informative erscheint nämlich kulturell an Männlichkeit gebunden und wird gegenüber dem Privaten, Fiktionalen, Subjektiven und Unterhaltenden, das an Weiblichkeit gebunden erscheint, gesellschaftlich höher bewertet und als niveauvoller angesehen. Damit werden Frauen implizit für den vermeintlichen Niedergang der Medienkultur verantwortlich gemacht, anstatt dass die politischen und ökonomischen Interessen, die für die Veränderungen ursächlich sind, genauer herausgearbeitet würden (vgl. Klaus/ Lünenborg 2000). Das unterschiedliche Ansehen in Öffentlichkeit wie Wissenschaft von Sportberichterstattung einerseits und von Telenovelas oder Soap Operas andererseits, die von der Dramaturgie her durchaus vergleichbar sind, liefert reichhaltiges Anschauungsmaterial für die Verwobenheit von Geschlechterzuschreibungen und Bewertungen. Die Charakterisierung von Fußball als »Dallas with balls« (vgl. O’Connor & Boyle 1993) macht diesen Zusammenhang prägnant deutlich. Ähnlich argumentiert Klaus (1996), die darauf verweist, dass Information und Unterhaltung als geschlechtergebundene Gegensätze konstruiert werden. Die Geschlechterbinarität durchzieht die Bewertung individuellen wie institutionellen Handelns und dient immer wieder auch implizit als Folie zur Analyse neuerer Medienentwicklungen. Als viertes theoretisches Konzept lässt sich schließlich die Form der diskurstheoretischen Dekonstruktion unterscheiden. Diese Perspektive, die an poststrukturalistische Ansätze von Foucault und Derrida anknüpft, versucht die Einschrei- <?page no="209"?> Themen des Vergleichs 210 bung von Geschlecht in Prozesse der medialen Kommunikation theoretisch zu dekonstruieren und damit die heteronormative Struktur von Medienkommunikation - die die Zweigeschlechtlichkeit wie ein Naturgesetz reproduziert - sichtbar zu machen. In endgültiger Verabschiedung von einem essenzialistischen Geschlechterverständnis (sex und gender werden als performativ hergestellt begriffen) lässt sich am einzelnen Medientext sichtbar machen, wie hier Geschlechterpositionen hergestellt werden. Indem diese dekonstruiert werden, entsteht die Option für ein un-doing gender, für jene Artikulationen und Praxen also, die Markierungen der Zweigeschlechtlichkeit brechen, irritieren und außer Kraft setzen. In der empirischen Forschung lässt sich ein solches Vorgehen, das bewusst auf den Rückgriff auf ein dualistisches Geschlechterkonzept verzichtet, nur schwer umsetzen. Zumindest in der Forschung zur Medienproduktion und zur Medienrezeption bleiben ›Männer‹ und ›Frauen‹ als Journalistinnen oder Redakteure, als Leserinnen oder Zuschauer relevante Bezugspunkte. Für die diskurstheoretische Dekonstruktion gilt es aber gerade, die damit gesetzte Binarität aufzulösen und Artikulationen, Körperbilder und Handlungen zu betrachten, die naturalisierte Geschlechteridentitäten irritieren, brechen oder persiflieren. Neben theoretisch-konzeptionellen Arbeiten der Gender und Queer Studies sind es primär textanalytische Arbeiten zu Kinofilmen oder fiktionalen Fernsehangeboten, bei denen diese Perspektive nutzbar gemacht wird. Die konstruktivistischen und dekonstruktivistischen Ansätze haben eine methodologische Weiterentwicklung der Gender Media Studies bewirkt, indem sie zu einem dialektischen Herangehen auffordern. »Wir müssen gleichsam doppelt hinschauen«, formuliert Carol Hagemann-White (1993: 74) die Konsequenzen aus der Einsicht in die Konstruiertheit des Geschlechts und plädiert für eine Forschungsstrategie, »welche die Differenzperspektive abwechselnd ernst nimmt und außer Kraft setzt«. Geschlechterforschung legt die Dualität der Geschlechter als strukturprägende Kraft der Gesellschaft zugrunde und versucht zugleich, diese bei der Interpretation der Ergebnisse zu dekonstruieren, um den Raum zu schaffen für neuartige, non-dualistische, »verquere« Entwürfe von Geschlecht. Demnach müssen Geschlechterunterschiede weiterhin beschrieben werden, nicht zuletzt, um das demokratietheoretische Potenzial der Gender Studies einzulösen. Per se erklären solche Differenzen in den von Medien verbreiteten Frauen- und Männerbildern, im Mediennutzungsverhalten der beiden Geschlechter und in ihrer Beschäftigungssituation in den Medien aber nichts. Erst wenn gefundene Unterschiede als eine Konstruktionsleistung verstanden werden, zeigen sie, wie Medien zur Reproduktion ungleicher Ge- <?page no="210"?> Gendering internationaler Mediensysteme 211 schlechterverhältnisse und zur Naturalisierung der Zweigeschlechtlichkeit beitragen. In dieser Aufforderung zur Reinterpretation von Forschungsergebnissen und ihrer genauen kulturellen, sozialen und historischen Verortung liegt die Bedeutung der Gender Media Studies für die empirisch vergleichende Medienforschung. Das verdeutlichen wir abschließend am Beispiel einer komparatistisch vorgehenden Journalismusforschung. Die Geschlechterperspektive in der vergleichenden Journalismusforschung Seit den 1970er-Jahren hat sich - anfangs aus der Berufspraxis heraus initiiert, später in die wissenschaftliche Forschung integriert - die Analyse der Geschlechterstrukturen im Journalismus etabliert. In der Tradition des Gleichheitsansatzes standen dabei Fragen nach der Teilhabe von Frauen im Journalismus im Mittelpunkt des Interesses. Wie viele Frauen arbeiten in den Redaktionen? In welchen Positionen? Mit welchen inhaltlichen Zuständigkeiten? Diese Fragen wurden mit dem Ziel gestellt, eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Journalismus zu erreichen. Dabei lässt sich weltweit - mit beachtlichen regionalen Differenzen - eine deutliche Unterrepräsentation von Frauen im Journalismus bei großer Varianz nach Mediengattungen einerseits und Ländern bzw. Weltregionen andererseits konstatieren. Angesichts ihres damaligen Anteils von lediglich 13 % im Journalismus beschrieben Neverla & Kanzleiter (1984) in Deutschland Frauen als Minderheit »in einem Männerberuf«. Die Journalismusforschung wurde mit diesen Befunden insofern sensibilisiert, als seitdem Fragen zum Frauenanteil in der Profession in das Standardrepertoire ihrer Surveys gehören. Nationale wie international vergleichend angelegte Studien erheben Geschlecht jedoch fast durchgängig als isolierte demografische Variable (vgl. Hanitzsch 2011, Weaver 1998, Weaver et al. 2007). Mit Bezug auf diese Tradition entsteht 1994 die Studie »Journalismus in Deutschland«, deren geschlechterrelevante Daten komprimiert veröffentlicht wurden (vgl. Weischenberg/ Keuneke/ Löffelholz/ Scholl 1994; weitergehend Scholl/ Weischenberg 1998; Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006). Feststellen lässt sich auf dieser Grundlage, dass der Frauenanteil im Journalismus in Deutschland mit 37 % im Jahr 2005 deutlich angestiegen ist, Journalistinnen aber noch immer eine Minderheit bilden. In <?page no="211"?> Themen des Vergleichs 212 Österreich hat sich mit einem Anteil von 42 % (vgl. Kaltenbrunner/ Karmasin/ Kraus/ Zimmermann 2007: 115) die Struktur der Profession in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verändert. In der Schweiz wurde ein Frauenanteil von 35 % ermittelt (vgl. Wyss/ Keel 2010: 251). US-amerikanische Untersuchungen haben über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hinweg keine nennenswerten Veränderungen in der Geschlechterstruktur festgestellt. Der Anteil von Journalistinnen stagniert hier bei ca. 33 % (vgl. Weaver et al. 2007). Während David Weaver 1998 in einer Zusammenstellung diverser nationaler Surveys im Schnitt einen Anteil von ca. 30 % Frauen identifiziert hat, kommt Thomas Hanitzsch (2011) in dem komparativ angelegten »Worlds of Journalism«-Projekt, das 18 Staaten umfasst, im Mittel auf einen Anteil von 42 %. Dies verweist - bei allen methodischen Schwierigkeiten im Detail - auf einen international weiterhin steigenden Frauenanteil im Journalismus. Dabei zeigen sich deutliche Differenzen nach Mediengattungen. Während im Magazinjournalismus mit mehr als 40 % Journalistinnen relativ stark vertreten sind, erweisen sich Tageszeitungen und Nachrichtenagenturen länderübergreifend als deutlich von Männern dominiertes Terrain. Insbesondere in Bezug auf die in den Medienunternehmen bestehende Hierarchie ist eine fehlende Gleichberechtigung unübersehbar: Chefredakteurinnen sind nur ausgesprochen selten anzufinden, Berufsanfängerinnen dagegen in der Überzahl. Als gleichstellungspolitisch relevant erweist sich zudem die nach wie vor bestehende Einkommensdifferenz zwischen Frauen und Männern bei gleicher Qualifikation. Diese fehlende Lohngerechtigkeit findet sich - mit sehr wenigen Ausnahmen - weltweit im Journalismus. Daten aus dem Baltikum, aus osteuropäischen sowie einzelnen skandinavischen Staaten verdeutlichen hier Tendenzen zu einer gleichwertigeren Teilhabe von Frauen im Journalismus (vgl. Obijiofor/ Hanusch 2011: 91-97). Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass der Frauenanteil im Journalismus jedenfalls von zwei Faktoren beeinflusst wird: Einerseits ist der Anteil von Frauen im Journalismus dort höher, wo Gleichstellungs- und Emanzipationspolitik eine große Relevanz haben und langfristig verfolgt wird. So stellte Gallagher in einer weltweiten Bestandsaufnahme bereits 1995 in Finnland (49 %) und Neuseeland (45 %) eine überdurchschnittliche Partizipation von Frauen im Journalismus, in Korea (14 %), Hong Kong, Taiwan sowie Spanien (jeweils 25 %) dagegen eine unterdurchschnittliche fest, die mit der Etablierung oder dem Fehlen von Gleichstellungspolitiken in diesen Ländern korrespondiert. Relevant erscheint andererseits als weiterer Faktor das (fehlende) Prestige des <?page no="212"?> Gendering internationaler Mediensysteme 213 Journalismus innerhalb des nationalen Kontexts sowie die (mangelnde) Qualität und Sicherheit der Beschäftigungsverhältnisse im Journalismus. So verweist der hohe Journalistinnenanteil in osteuropäischen Staaten zumindest teilweise auf eine niedrige Reputation des Berufs. Erkennbar ist zudem, dass mit der Zunahme unsicherer Beschäftigungsverhältnisse, Freiberuflichkeit und sinkenden Einkommen die Attraktivität von Journalismus abnimmt. In der Folge wird damit der Zutritt für Frauen in die Profession erleichtert. In Bezug auf das berufliche Selbstverständnis oder die Berufszufriedenheit von Journalistinnen und Journalisten findet die Forschung jedoch keine relevanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern. An dieser Stelle knüpft die Kritik der Geschlechterforschung an: Schon die Frage nach Unterschieden zwischen Männern und Frauen im journalistischen Handeln basiert auf der essenzialisierenden Annahme einer Zweigeschlechtlichkeit. Wird nicht sex als biologische Differenz sondern gender als sozialkulturelles Konstrukt in den Blick gerückt, so müssen journalistische Praktiken (Themenselektion, Recherche, formal-ästhetische Gestaltung) in ihren je spezifischen Kontexten untersucht und dabei auch daraufhin betrachtet werden, in welcher Weise sich Formen des doing gender darin artikulieren, arrangieren oder gebrochen werden. Kritisch formuliert die Geschlechterforschung, dass der Berufsdefinition implizit der politische Nachrichtenjournalist als typischer Vertreter der Profession zugrunde liege (vgl. für die historische Perspektive Kinnebrock 2009). Aktuelle Formen des Journalismus, vor allem Ratgeber- oder Unterhaltungsjournalismus, finden demgegenüber kaum Berücksichtigung, manchmal werden sie gar nicht erst zum Journalismus gezählt. Mit dieser Vorstrukturierung werde an einem überholten, hochgradig männlich typisierten Berufsbild festgehalten und der Geschlechterdualismus damit reproduziert. Aus der Perspektive der Gender Studies kann die Frage nicht sein, ob Männer und Frauen ein unterschiedliches berufliches Selbstverständnis haben. Vielmehr gilt es danach zu fragen, in welcher Weise historische und aktuelle Ausprägungen des Journalismus - in seinen ethischen, professionellen oder technischen Implikationen - mit Dimensionen von Geschlecht und mit Geschlechteridentitäten (also sex und gender) verbunden sind. Eine international vergleichende Perspektive kann dabei zeigen, in welcher Weise journalistische Idealtypen wie ›der rasende Reporter‹, ›der watchdog of society‹, ›der unerbittliche Aufklärer‹, ›die Ratgebertante‹ oder ›die Klatschreporterin‹ universell vorkommen und geschlechtsgebundene Implikationen beinhalten. Unter welchen gesellschaftlichen Geschlechterformationen haben sich normative Ideale des Journalismus herausgebildet? Wie lassen sich demokratietheoretische An- <?page no="213"?> Themen des Vergleichs 214 sprüche an Journalismus mit geschlechterdemokratischen Anforderungen verbinden? Die vergleichende Journalismusforschung gibt dazu bislang nur wenige Antworten. Drängend wird die kritische Medienbeobachtung immer dann, wenn Brüche und Wandlungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen Gesellschaft und Mediensystem verändern. So gingen mit den Transformationsprozessen in Osteuropa und den damit verbundenen Umbrüchen im dortigen Mediensystem auch grundlegende Wandlungen der Geschlechterverhältnisse einher. Bis Ende der 1980er-Jahre fanden sich in Osteuropa deutlich mehr Frauen im journalistischen Arbeitsmarkt als in westeuropäischen Ländern. Die Transformation der Mediensysteme von staatlich regulierten zu allein der Marktlogik gehorchenden ging auch mit einer Verschiebung der Geschlechterverhältnisse einher. Das Ausmaß dieser Veränderungen variiert bis heute in beträchtlichem Umfang. Bislang existieren nur vereinzelte Analysen der Geschlechterstrukturen in den Medien dieser Transformationsstaaten (vgl. Lünenborg 1997: 119-131; Tzankoff 1999; für Rumänien und Bulgarien Hanitzsch et al. 2011). Ebenso zeigen die Versuche, weltweite Bestandsaufnahmen zum Gendering im Journalismus vorzulegen, immer wieder beträchtliche blinde Flecken. So liegen zu vielen Ländern Asiens und Afrikas sowie Südamerikas nur wenige Daten, geschweige denn systematische Beobachtungen vor, die über die bloße Berücksichtigung von Geschlecht als demografischer Variable hinausreichen (vgl. Gallagher 1995; Ross/ Byerly 2004). Verfügbar sind kritische Reflexionen zur Geschlechterstruktur in westeuropäischen Staaten (vgl. Gallagher 1990; Lünenborg 1994, 1997) sowie in den USA und Kanada (vgl. Robinson 2005). Die Autorinnen dieser Studien nehmen »das Gendering des sozialen Systems Journalismus« (Lünenborg 1997) in den Blick und machen die Kategorie Geschlecht sichtbar als immanent im Journalismus wirkendes und diesen formendes Konstruktionsmerkmal. Die Dimensionen einer solchen Analyse sind vielfältig: Sie reichen von der vergleichenden Betrachtung berufsbiografischer Entwicklung von Männern und Frauen im Journalismus über die Analyse des »gendered climate in the newsroom« (Robinson 2005) bis zu der Relevanz von Geschlecht im Prozess der Globalisierung der Medien. Methodisch erfordern diese Analysen qualitative Zugänge ins Forschungsfeld mittels teilnehmender Beobachtung, verschiedenen Formen der Befragung oder Textanalysen. An dieser Stelle können nur exemplarisch Erkenntnisse und Herausforderungen für die international vergleichende Journalismusforschung benannt werden: <?page no="214"?> Gendering internationaler Mediensysteme 215 Ein wesentliches Problem für den aktuellen Journalismus ist sein Verlust an Glaubwürdigkeit, der mit einer mangelnden Bindung des Publikums an journalistische Angebote einhergeht. Unter Bedingungen digitaler Kommunikation muss das Verhältnis von Journalisten und Publikum neu gefasst werden. Als citizen journalism (vgl. Allan/ Thorsen 2009) werden jene Formen diskutiert, bei der die Rollen von Produzierenden und Rezipierenden nicht länger trennscharf zu unterscheiden sind. Mit user generated content werden neue Stimmen und veränderte lebensweltliche Perspektiven in den journalistischen Diskurs eingebracht. Themensetzungen und Themenbearbeitung schließen damit stärker an Alltagserfahrungen und Lebensweisen des Publikums an und sind weniger an einen traditionellen, elitenzentrierten Politik- und Gesellschaftsbegriff gekoppelt. An diesem Beispiel wird sichtbar, dass eine Analyse des Gendering in den Medien und im Journalismus und durch den Journalismus in international vergleichender Perspektive weit mehr leistet als den Anteil von Frauen in den Redaktionen zu erfassen. Sie macht vielmehr deutlich, dass dem gesellschaftlichen Verständnis von Journalismus geschlechtsgebundene Strukturen eingeschrieben sind. Analytisch gilt es damit auf der Ebene der handelnden Subjekte ebenso wie auf der gesellschaftlichen Strukturebene und auf der inhaltlichen Ebene implizit geschlechtsgebundene Mechanismen und Konzepte sichtbar zu machen. Einige Schlussbemerkungen Die international vergleichende Forschung zeigt, dass das Gendering der Mediensysteme universell ist. In allen Ländern sind die Leistungen der Medien mit der Geschlechterkategorie verwoben. Am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren Frauen weltweit nur minimal, in den politischen und ökonomischen Eliten sind sie nur marginal vertreten. All das wirkt sich auf die Bedingungen, unter denen Frauen am medial vermittelten Kommunikations- und Öffentlichkeitsprozess teilnehmen, negativ aus. Dabei variieren allerdings die spezifischen, in den Medien wirksamen Dimensionen des Gendering entsprechend der jeweiligen nationalen Traditionen sowie der jeweils spezifischen kulturellen und sozialen Ausprägungen des Geschlechterdualismus. So erfordert auch die wissenschaftliche Analyse des Gendering internationaler Mediensys teme einen doppelten Blick: Es gilt, die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, mit denen Medien weltweit die bestehende Geschlechterhierarchie und das dualistische System der Zweigeschlechtlichkeit stützen. Zugleich müssen aber die <?page no="215"?> Themen des Vergleichs 216 Zweigeschlechtlichkeit stützen. Zugleich müssen aber die länder- und nationenspezifischen Unterschiede herausgearbeitet werden, um Möglichkeiten der Veränderung sowohl der nationalen Mediensysteme wie auch der spezifischen Geschlechterkonstruktionen sichtbar zu machen. Wenn das in Angriff genommen würde, könnte die Kommunikationswissenschaft viel darüber lernen, was es bedeutet, in Mediengesellschaften zu leben, und wie gesellschaftliche und mediale Transformationsprozesse zu bewerten sind. Übungsfragen 1) Erläutern Sie die Aussage, dass Geschlecht nicht etwas ist, was wir haben, sondern was wir tun. Versuchen Sie Beispiele für das »doing« und »undoing gender« in Ihrem Lebensumfeld zu finden. 2) Welche Fragen werfen die vier verschiedenen Forschungsperspektiven - Gleichheitsansatz, Differenzansatz, konstruktivistische und dekonstruktivistische Gender Studies - in Bezug auf die Repräsentanz von Frauen im Journalismus jeweils auf? 3) Durch Formen der digitalen Kommunikation (social media) haben sich Grenzen zwischen Publikum und Medienproduzierenden nachhaltig verschoben bzw. aufgelöst. Diskutieren Sie Relevanz und Folgen dieser Entwicklung für die Geschlechterverhältnisse einer Gesellschaft. Entwickeln Sie Forschungsfragen aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven der Gender Media Studies. Berücksichtigen Sie dabei eine komparative Forschungsperspektive. 4) In zahlreichen osteuropäischen Staaten war der Frauenanteil bis in die 1990er-Jahre im Journalismus deutlich höher als in Westeuropa. Nach der Wende und im Rahmen der Transformationsprozesse finden sich dort Länder mit weiterhin hohem Frauenanteil (Bsp. Bulgarien), aber auch Länder, in denen das Niveau auf das niedrigere Niveau des Westens gesunken ist. Diskutieren Sie die Rahmenbedingungen, die für solche Entwicklungsprozesse relevant sind. Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de <?page no="216"?> Gendering internationaler Mediensysteme 217 Literatur Allan, Stuart/ Thorsen, Einar (Hrsg.) (2009): Citizen Journalism. Global Perspectives. New York: Peter Lang. Bühlmann, Marc/ Schädel, Lisa (2012): Representation Matters: The Impact of Descriptive Women’s Representation on the Political Involvement of Women. In: Representation, 48 (1), S. 101-114. Costera Meijer, Irene (1991): Which Difference Makes the Difference? On the Conceptualization of Sexual Difference. In: Hermsen, Joke J./ Lenning, Alkeline van (Hrsg.): Sharing the Difference. Feminist Debates in Holland. London, S. 32-45. 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Im Allgemeinen besteht die Neigung, Westeuropa mit dem Gebiet gleichzusetzen, das die Mitgliedsländer der Europäischen Union umfasst. Aber nicht alle westeuropäischen Länder sind Mitglied in der EU - die Schweiz und Norwegen gehören nicht dazu - , und die EU umfasst mittlerweile neun osteuropäische Länder, die vormals als sogenannte sozialistische Staaten zum Teil zum Einflussbereich der ehemaligen Sowjetunion gehörten; Kroatien ist im Prozess des Beitritts; fünf weitere haben ihre Mitgliedschaft beantragt (Mazedonien, Island, Montenegro, Serbien, Türkei). Insofern werden hier zwei Blickrichtungen eingenommen. Geht es um Entwicklungen der Mediensysteme, die durch die Zeit vor 1989 geprägt sind, so bezieht sich die Darstellung auf die alte EU vor dem Beitritt der zwölf neuen Mitgliedsstaaten von 2004 (Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern und die baltischen Staaten) bzw. 2007 (Bulgarien und Rumänien) und berücksichtigt weitere westeuropäische Nicht-EU-Mitglieder; geht es um aktuelle und zukünftige Entwicklungen, so wird die gegenwärtige EU mit ihren 27 Mitgliedsstaaten zugrunde gelegt. <?page no="220"?> Westeuropa 221 Charakteristika und Spezifika der Mediensysteme in Westeuropa Europa ist ein vergleichsweise kleiner Kontinent mit intensiven Austauschbeziehungen auf wirtschaftlicher, politischer und kultureller Ebene. Die europäischen Staaten weisen dennoch große soziale, kulturelle und auch geografische Unterschiede auf. Für ihre Mediensysteme bedeutet dies, dass sie einerseits homogene Merkmale aufweisen - vor allem aufgrund gemeinsamer politischer, ökonomischer und technischer Faktoren -, dass sich andererseits aber auch große Differenzen finden lassen. Die Mediensysteme der westeuropäischen Länder sind nicht ohne die Hintergründe der politischen Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg und die daraus resultierenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen zu verstehen. Diese Nachkriegsordnung hat die Gründung der NATO sowie der Vorläuferorganisationen der EU in Westeuropa bedingt und zur Spaltung Europas in West und Ost geführt. In Westeuropa konnten sich nach und nach in allen Ländern pluralistische Gesellschaften etablieren bzw. weiterentwickeln, deren demokratische Fundamente weitreichende Folgen für die Medienordnungen haben. Wichtigste Grundlage der hier entstandenen offenen Mediensysteme ist die Informations- und Meinungsfreiheit, die die ungehinderte Herausgabe und Publikation von Veröffentlichungen jedweder Art umfasst. Sie sind dabei rezipientenzentriert, was bedeutet, dass die Medien sich weitgehend an den Nachfragen der Rezipienten ausrichten - mit allen Fehlentwicklungen und publizistisch fragwürdigen Erscheinungen, die diese Freiheit hervorzubringen vermag (Weischenberg 1998: 119). Mit Ausnahme der Regulierungen, die den Rundfunk betreffen (→ 3.3), und medienrechtlicher Einschränkungen beruht diese Freiheit auf der wirtschaftlichen Potenz von Medienunternehmen, die in einem ungezähmten Markt agieren (→ 3.6). Rein wirtschaftliche Interessen der Medienunternehmen, die von den publizistischen zu unterscheiden sind, gehören also grundsätzlich zur Medienordnung der westeuropäischen Staaten, so wie sie in allen offenen Mediensystemen prägend sind. Westeuropäische Mediensysteme sind geprägt durch die Nachkriegsordnung, die die pluralistischen Demokratien mit garantierter Informations- und Meinungsfreiheit und einen freien Medienmarkt etabliert hat. Der Medienmarkt ist an der Nachfrage der Rezipienten ausgerichtet. Die vergleichbaren rechtlich-politischen Merkmale der hier beschriebenen Mediensysteme beruhen auf den gemeinsamen Rechtsprinzipien, insbesondere der Anerkennung der Menschenrechte, und auf der demokratischen Ordnung, <?page no="221"?> Weltregionen im Vergleich 222 die sich nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt hat. Gemeinsam ist ihnen ein duales Rundfunksystem, in dem eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Regulierung im Gemeinwohlinteresse erfolgt, ein Kontext von konkurrierenden politischen Parteien, die auch für die Ausrichtung der Medien eine - wenn auch abnehmende - Rolle spielen und die zunehmend bedeutendere rechtliche Rahmensetzung durch europäische Institutionen (Kelly et al. 2004: 2). Jenseits dieser grundsätzlichen Gemeinsamkeiten aller westeuropäischen Länder bestehen erhebliche Differenzen bei der Ausgestaltung der einzelnen Mediensysteme. Diese gründen sich auf den unterschiedlichen ökonomischen Gegebenheiten, die trotz des - im weltweiten Maßstab betrachtet - großen Wohlstands in dieser Weltregion zu finden sind. Sie gründen des Weiteren auf unterschiedlichen politischen Traditionen, die das Verhältnis von Medien- und politischem System stark beeinflussen; hierzu gehören auch die Autonomie und Stärke des öffentlichen Rundfunks, sowie der Zugriff, den Parteien auf Medien zu nehmen in der Lage sind. Schließlich gründen sie auch auf kulturellen Unterschieden, die gemeinsamen mit den politischen Gegebenheiten die besondere Bedeutung der verschiedenen Regionen innerhalb Europas und innerhalb der europäischen Mediensysteme ausmachen (Moragas Spà et al. 1999). Unterschiede bestehen im Hinblick auf die Rolle der Zeitungen im Mediensystem bezüglich der Reichweiten und Bedeutung im politischen Diskurs und in der Dauer, die sich die nationalen Publika dem Fernsehen und den Online- Medien zuwenden (Hasebrink/ Herzog 2009). Der Zugang zum und die Nutzung des Internets ist in den europäischen Mediensystemen sehr unterschiedlich dimensioniert. Die Medienmärkte der einzelnen Länder unterscheiden sich ökonomisch in der Größe und technisch bezüglich der Digitalisierung von audiovisuellen Medien, und des Ausbaus mit Breitbandnetzen. Eine weitere Grundbedingung (west)europäischer Mediensysteme ist, dass sie einer nationalen Entgrenzung unterliegen, die durch den europäischen Integrationsprozess maßgeblich befördert wird. So sind die medienrechtlichen Grundlagen national zwar sehr divergent, doch stellt die EU eine starke Klammer dar, die eine enorm wachsende Bedeutung erhält. Ökonomische Strukturen der Medien Betrachtet man die westeuropäischen Mediensysteme unter ökonomischen Aspekten, so findet man Märkte, die von sehr unterschiedlicher Größe sind. Auf der einen Seite finden sich kleine Staaten wie Luxemburg (0,5 Mio. Einwohner), Dänemark (5,5 Mio. Einwohner) oder - unter den jüngeren EU-Mitgliedslän- <?page no="222"?> Westeuropa 223 dern Estland oder Zypern mit jeweils unter 2 Millionen Einwohnern (1,3 Mio. bzw. 0,8 Mio.) -, auf der anderen die großen Medienmärkte Deutschland, Großbritannien und Frankreich, die auch dominierend im Hinblick auf die Stärke ihrer Medienkonzerne sind. Die westeuropäischen Medienmärkte sind hochgradig konzentriert, trotz der regelmäßig wiederholten politischen Erklärungen, nach denen die Medienkonzentration national und auch international eingedämmt werden soll (→3.6). Etliche der konzentrierten Medienunternehmen spielen auch in der internationalen Konkurrenz eine wichtige Rolle, wie der deutsche player Bertelsmann oder der französische Konzern Canal plus. Die Medienkonzentration ist in den westeuropäischen Ländern noch deutlich höher als in den Transformationsstaaten (→ 4.2), wobei westeuropäische Medienunternehmen durch Übernahmen bestehender Medien (im Printbereich) und den Aufbau neuer Medienangebote (Fernsehsender) wesentlich zur Konzentration in Osteuropa beitragen. Eine besondere Form der Konzentration, die z.B. in Frankreich, aber auch in Italien Einfluss auf das Mediensystem hat, ist die Verflechtung von Medienkapital mit dem anderer Branchen, z.B. der Bau- oder Rüstungsindustrie. In solchen Konstellation laufen Medien mehr als sonst Gefahr, für politische oder Wirtschaftsinteressen missbraucht zu werden. Der europäische Medienmarkt innerhalb der EU ist durch deren Erweiterung beständig im Wachsen begriffen. Umfasste die alte EU (vor der Erweiterung von 1995) noch 340 Medienkonsumenten, und war damit schon größer als der Medienmarkt der USA, so sind durch die Erweiterung auf 27 Mitgliedsstaaten nun 502 Millionen Einwohner als potenzielle Mediennutzer anzusprechen, wobei sich allerdings bisher wegen der sprachlichen, kulturellen und politischen Grenzen keine gesamteuropäischen Medien in einem ernstzunehmenden Umfang etablieren konnten. Mit der Genehmigung von Beitrittsgesuchen von sechs weiteren europäischen Staaten 29 werden über 89 Millionen Menschen hinzukommen. Print Bis vor kurzem ist Europa insgesamt noch als »Zeitungskontinent« betrachtet worden, in dem die Verbreitung und Lektüre von Tageszeitungen die höchsten 29 Kroatien, Mazedonien, Island, Serbien, Montenegro und Türkei (für die die Beitrittsverhandlungen eröffnet sind) <?page no="223"?> Weltregionen im Vergleich 224 in der Welt waren. Mittlerweile sind Tendenzen zu beobachten, die diesen Charakter langfristig verändern: Ein anhaltender Konzentrationsprozess lässt die Zahl der Titel schrumpfen, die Auflagenzahlen gehen zurück, der Anteil der Printmedien an der Werbung nimmt aktuell vor allem zugunsten der Online- Medien dramatisch ab, Neugründungen von Tageszeitungen finden nicht mehr statt. Der Rückgang der Nutzung von Tageszeitungen unter jungen und bildungsfernen Lesern ist in den nordeuropäischen Ländern besonders ausgeprägt; in Südeuropa sind es vor allem Frauen, die immer weniger von den Tageszeitungen erreicht werden (WAN 2011). Eine neuere Entwicklung, die als Reaktion auf die genannten Entwicklungen interpretiert werden kann und die sich in vielen europäischen Staaten verbreitet, ist die der Gratispresse, die - für die schnelle Lektüre vor allem in den urbanen Zentren konzipiert - nur aus Anzeigen finanziert wird. Die Besonderheit, dass Europa als »Zeitungskontinent« gilt, wird durch sinkende Auflagen- und Titelzahlen, abnehmende Werbeeinnahmen und geringere Leserbindung aufgehoben. Neben diesen Trends sind länderspezifische Unterschiede in den westeuropäischen Ländern festzustellen. Zunächst differiert die Bedeutung, die dem wichtigsten Medium des Printsektors für die öffentliche Kommunikation, der Tageszeitung, zukommt. Es gibt ein starkes Gefälle der Zeitungsdichte, die in Auflage pro Tausend Einwohner gemessen wird, von Nord nach Süd. Während Norwegen mit 583 Tageszeitungsexemplaren je 1000 Einwohner an der Spitze steht, liegt Deutschland mit einem Wert von 279 im oberen Mittelfeld, und Italien kann mit 94 Tageszeitungsexemplaren je 1000 Einwohner als Beispiel für die geringe Neigung zum Tageszeitungslesen im Mittelmeerraum gelten (BDZV 2012: 418). Ähnliches trifft für die Reichweite von Tageszeitungen zu. Sie liegt in skandinavischen Ländern bis 81 %, in Deutschlang bei 70 %, in Italien und Spanien nur bei 46 bzw. 38 % (ebd. 419). Es gibt darüber hinaus aber auch starke qualitative Unterschiede. Deutschland weist einen Printsektor mit einem starken Anteil von Regional- und Lokalzeitungen auf, ähnlich wie Frankreich oder Großbritannien. Diese Medien spielen aber in den Mittelmeeranrainerstaaten nur eine geringe Bedeutung. In Ländern mit einer langen zentralistischen Tradition, wie - prototypisch - Frankreich, aber auch in Italien oder Dänemark spielt die Hauptstadtpresse eine besondere Bedeutung. Erst seit der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Umzug der Bundeshauptstadt von Bonn nach Berlin wird beobachtet, dass dieser Pressetypus in Deutschland zögerlich entsteht. Ein weiteres national stark differierendes Merkmal ist die Boulevard- oder Tabloidpresse. In Frankreich oder Italien kennt man diesen Zeitungstyp überhaupt nicht. In Großbritannien <?page no="224"?> Westeuropa 225 prägt er den Zeitungsmarkt und auch in Deutschland ist er eine dominante Größe. Angesichts der Probleme des Zeitungsmarktes gibt es verschiedene Subventionspraktiken, die zum Erhalt von Pressevielfalt bei gleichzeitiger Wahrung des Wettbewerbs dienen solenl und in den jeweiligen Staaten sehr unterschiedlich ausgeprägt sind (Murschetz 1998). Eine angelsächsisch geprägte, minimalistische Herangehensweise steht einer eher großzügigen in den skandinavischen Ländern, aber auch in Frankreich oder Österreich vorherrschenden Praxis gegenüber, bei der mit direkten und indirekten Steuererlassen die Wettbewerbssituation der Tageszeitungen gestützt werden soll. Ein weiterer Teil der Presseregulierung ist außerdem, dass bestimmte Vertriebsorganisationen gesetzlich abgesichert werden. Das deutsche Grossistensystem gilt dabei im internationalen Vergleich als ausgesprochen leistungsfähig, sowohl was den publizistischen Nutzen - also die Sicherung und Bereitstellung von einem vielfältigen Angebot - als auch was die betriebswirtschaftliche Effektivität angeht (Haller 2004). Abgesehen von der großen sprachlichen und kulturellen Vielfalt in den Pressesystemen der europäischen Länder kann jedoch aus der Sicht der ökonomischen Strukturen keine Rede von einem einheitlichen europäischen Pressesystem sein. Hörfunk und Fernsehen In allen westeuropäischen Ländern haben sich im Laufe der 1980er-Jahre des letzten Jahrhunderts die sogenannten dualen Rundfunksysteme herausgebildet mit einem öffentlichen und kommerziellen Sektor und einer mehr oder minder starken Tendenz zur Dominanz des Letzteren. Kennzeichnend für die Radiolandschaft innerhalb der europäischen Mediensysteme ist, dass sie hochgradig disparat ist, weil sie sich - abgesehen von der gemeinsamen historischen Grundlage des Rundfunkmonopols der öffentlichen Anbieter - aus völlig unterschiedlichen Voraussetzungen heraus entwickelt hat. Nach den turbulenten 1980er-Jahren, die in fast allen westeuropäischen Ländern die mehr oder minder legale Entstehung von kommerziellen oder nichtkommerziellen Lokal-, Regional- und landesweit sendenden Radios brachte, konnte 1990 konstatiert werden, dass es circa 35 Radiomodelle gab (Wedell 1991). Die jeweiligen Distinktionen hängen von der Perspektive, in der man Radios beurteilt, ab: legal oder illegal, öffentlich oder privat, professionell oder amateurhaft, international, national, regional oder lokal, public-service-orientiert oder kom- <?page no="225"?> Weltregionen im Vergleich 226 merziell, gebunden an politische Parteien, an Interessengruppen oder ohne solche eine Gruppierung im Hintergrund - die Unterscheidungen sind vielfältig. Als stabil und analytisch fruchtbar hat sich die Unterscheidung in öffentliche, kommerzielle und nichtkommerzielle Radios herausgestellt (Kleinsteuber et al. 1990). Welcher Typus jeweils dominiert und welcher weniger vorhanden ist, hängt stark von der jeweiligen Gesetzgebung ab. So hat sich z.B. in Italien durch die lange Abwesenheit einschlägiger Gesetze in den 1980er-Jahren eine unüberschaubare Fülle kommerzieller Radios etabliert, während in den skandinavischen Ländern öffentliche Radios bis in die 1990er-Jahre die Hörfunklandschaft dominierten. In Deutschland ist der Typus des nichtkommerziellen Lokalradios - nach Kleinsteuber »die dritte Säule« - im Vergleich zu den meisten anderen westeuropäischen Ländern weitgehend unterrepräsentiert, weil die Ausgestaltung der dualen Rundfunkordnung dieser kaum Bedeutung (und rechtliche Voraussetzungen) eingeräumt hat. Frankreich, Italien oder Dänemark z.B. sind Mediensysteme, in denen dieser Typus weite Verbreitung gefunden hat. In Polen, um ein Beispiel aus den Transformationsstaaten (→ 4.2) zu nennen, ist mit religiös gebundenen Sendern ein weiterer Radiotypus entstanden. Der Fernsehsektor in Europa wächst immer noch beständig. Über 7200 Kanäle sind in den 27 EU-Mitgliedsländern und weiteren zwei europäischen Ländern auf Sendung 30 . In technischer Hinsicht hat Fernsehen einen rasanten Wandel von analoger zu digitaler Übertragung, zu high definition bis hin zu (den Anfängen von) dreidimensionaler Ausstrahlung vollzogen. In organisatorischer Hinsicht haben sich letztlich nur die zwei Formen des kommerziellen Rundfunks und des Public Service Broadcasting (→ 3.3) herausgebildet, wenngleich der Letztere sehr unterschiedliche Ausprägungsformen angenommen hat und vor allem in seiner Stabilität in den verschiedenen europäischen Ländern große Unterschiede aufweist. Die Abschaffung der Rundfunkgebühr in den Niederlanden zeugt von den großen Legitimationsproblemen, die der öffentliche Rundfunk dort hat; die BBC in Großbritannien hat eine nach wie vor (fast) unangefochtene Position; in Tschechien und Ungarn sind die Versuche seitens politischer Akteure, die Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks zu beeinträchtigen, nach wie vor massiv. Maßgebliche Veränderungen am Fernsehmarkt sind in ganz Europa durch die Digitalisierung der Übertragung angestoßen worden, die in den europäischen Ländern unterschiedlich weit vorangeschritten ist. Obwohl die Entwicklung hin zur digitalen Verbreitung des Fernsehsignals auf terrestrischem Wege, über Kabel oder Satellit und die Einrichtung neuartiger Netze für den Empfang mit 30 http: / / www.obs.coe.int/ about/ oea/ pr/ mavise_end2009.html (2.2.2013) <?page no="226"?> Westeuropa 227 mobilen Endgeräten (Handys) seit etwa dem Jahr 2000 zunehmend an Dynamik gewonnen hat, sind viele damit verbundene Fragen noch völlig ungeklärt, vor allem solche der Finanzierung und Regulierung. Für alle Länder gilt, dass sich durch die entstehende Vielkanalumgebung Angebote und Publika weiter segmentieren und dass sich der Wettbewerb massiv verschärft, was auch erhebliche Auswirkungen auf den öffentlichen Rundfunk haben wird (→ 3.3). Wichtig für den Rundfunk in den europäischen Mediensystemen sind die Vorgaben der EU-Kommission, die vornehmlich durch die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste 31 , aber auch durch entsprechende Anfragen und Entscheidungen der EU-Kommission sowie Urteile des Europäischen Gerichtshofes erfolgen. Nach dem Hauptanliegen der Europäischen Union, im europäischen Binnenmarkt den Wettbewerb zu sichern, wird Rundfunk weniger als Kulturgut wie in der bisherigen Regulierung der meisten europäischen Länder, sondern vornehmlich als Dienstleistung und damit als Wirtschaftsgut definiert, auch wenn es Vereinbarungen gibt, die die kulturelle Bedeutung des öffentlichen Rundfunks und das Recht der Mitgliedsstaaten hervorheben, diese nach Maßgabe der jeweils nationalen Erfordernisse abzusichern 32 . Auf europäischer Ebene ist die Auseinandersetzung darum, ob Rundfunk als Wirtschaftsgut oder als Kulturgut gehandhabt wird, eine andauernde Quelle politischer Auseinandersetzungen. Das hat weitreichende Konsequenzen. Nach den Regeln des europäischen Binnenmarktes darf Rundfunk im innergemeinschaftlichen Wirtschaftsverkehr keinen weiteren Beschränkungen unterworfen werden. Nationale Regelungen, die möglicherweise inhaltsbezogen sind (z.B. das Gebot zur Aufrechterhaltung von Vielfalt), werden damit in Frage gestellt. Auch die Legitimität der Rundfunkgebühr wird vor dem Hintergrund des europäischen Wettbewerbsrechtes überprüft. 31 Vormals: EG-Fernsehrichtlinie von 1989 »Fernsehen ohne Grenzen«. 32 Hierfür ist insbesondere das Protokoll von Amsterdam anzuführen (Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten. In: Vertrag über eine Verfassung für Europa) http: / / eurlex.europa.eu/ LexUriServ/ LexUriServ.do? uri= OJ: C: 2004: 310: 0372: 0372: DE: PDF (2.2.2013). <?page no="227"?> Weltregionen im Vergleich 228 Neue Informations- und Kommunikationstechnologien Europa steht bei der Nutzung des Internets im weltweiten Vergleich an dritter Stelle (nach Nordamerika und Australien/ Ozeanien) 33 . Während der Weltdurchschnitt der Internetnutzung bei 34,3 % liegt (in Nordamerika bei 78,6 %) - und sich damit seit 2006 mehr als verdoppelt hat -, haben 63,2 % der Bevölkerung in Europa Zugang zum weltweiten Netz (73 % innerhalb der EU); allerdings sind die Unterschiede innerhalb des Kontinentes gewaltig. Zwischen den alten und den neuen Mitgliedsländern der EU tut sich eine Kluft auf (78,3 % gegenüber 65,7 %), die dabei ist, sich zu schließen; aber auch innerhalb Westeuropas sind durchaus unterschiedliche Bedingungen bei der Online-Kommunikation gegeben. Führend sind die skandinavischen Länder (bis zu 92,7 %) und die Niederlande (92,9 %) gegenüber Griechenland, wo nur gut die Hälfte der Bevölkerung (53 %) online ist. Online-Medien sind (nicht nur) in Europa zu einer eigenständigen Mediengattung herangewachsen, die über die klassischen Merkmale von Massenmedien hinaus mit Multimedialität und direkter Interaktion ihr Leistungsspektrum erweitern und damit die Muster der Mediennutzung weiter verschieben werden (Trappel/ Enli 2011) (→ 3.7). Die sie ermöglichende Technik der Digitalisierung hat darüber hinaus mit der Konvergenz aller Daten einen Prozess in Gang gesetzt, bei dem alle - alte wie neue Medien - vor neue Markt-, Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen gestellt werden: Printmedien müssen neue Geschäftsmodelle für den Online-Vertrieb ihrer Produkte entwickeln, Rundfunkanbieter müssen insbesondere jüngere Rezipienten durch Cross- Media-Entwicklungen halten bzw. zurückgewinnen; Internetprovider dringen in traditionelle Geschäftsfelder ein; und über all dem muss ein Regulierungsregime, dass bisher den verschiedenen Medien auf getrennten Pfaden folgte, diesen konvergierenden Entwicklungen gerecht werden. Entwicklung der Mediensysteme in Europa Das entscheidende Merkmal europäischer Mediensysteme im Unterschied zu anderen Weltregionen ist, dass mit der Schaffung der Europäischen Union und dem von ihr ausgehenden Integrationsprozess viele bislang disparate Mediensysteme sich entgrenzen und tendenziell zu einem einheitlichen zusammen- 33 http: / / www.internetworldstats.com/ stats.htm (2.2.2013). <?page no="228"?> Westeuropa 229 wachsen könnten. Die europäische Medienpolitik (→ 3.1) ist dafür der eine Motor, die ökonomischen Strategien globaler Medienplayer ein weiterer. Beide Triebkräfte dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nationalen Mediensysteme dennoch eine starke Persistenz haben und integrative sowie dezentralisierende Kräfte sich bislang die Waage halten. Dennoch sollen hier im Weiteren die Elemente und Entwicklungen betrachtet werden, die das Zusammenwachsen der europäischen Mediensysteme langfristig befördern könnten. Das europäische Medienrecht greift nachhaltig in die jeweiligen nationalen Mediensysteme ein. Aktivitäten europäischer Institutionen im Medienbereich sind vielfältig und einschneidend. Sie beziehen sich vornehmlich auf den Rundfunk, aber auch auf die Presse und in zunehmendem Maße auf den Online- Bereich (Dörr 2009). Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ist als Grundlage europäischer Mediensysteme anzusehen. Der EU-Vertrag mit seiner Fundierung der Dienstleistungsfreiheit stellt den wesentlichen rechtlichen Rahmen dar. Die Kommission setzt sich mit der Zulässigkeit der Rundfunkgebühr auseinander. EU-Richtlinien regeln das grenzüberschreitende Fernsehen, elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (→ 3.1). Ob durch diese Aktivitäten eine europäische Medienordnung, letztlich ein europäisches Mediensystem entsteht, bleibt allerdings abzuwarten. Ein weiteres Element, das als Teil sich annähernder Strukturen in den europäischen Mediensystemen gedeutet werden könnte, ist die Existenz transnationalen und paneuropäischen Fernsehens. Während transnationales Fernsehen den Umstand beschreibt, dass Fernsehprogramme über ihr Herkunftsland hinaus ausgestrahlt und empfangen werden können, ist paneuropäisches Fernsehen genuin auf den europäischen Markt ausgerichtet. Typische Beispiele für transnationales Fernsehen sind die deutschen Sender, die auch in angrenzenden Sprachräumen wie der deutschsprachigen Schweiz und in Österreich empfangen wird, ebenso werden z.B. britische Sender in Irland ausgestrahlt und rezipiert. Rund 100 Kanäle, die ein nicht national begrenztes Sendegebiet haben, zählt die Europäische Audiovisuelle Informationsstelle 34 . Beispiele für paneuropäische Programme sind E UROSPORT , MTV oder A RTE ; ihre Eigentumsstrukturen weisen große Unterschiede auf, und sie passen ihren Inhalt zunehmend an regionale Gegebenheiten an (Chalaby 2005). Zusätzlich zu diesen schon bestehenden Elementen sind es verschiedene Entwicklungen, die eine Annäherung der Spezifika der Mediensysteme in Euro- 34 http: / / mavise.obs.coe.int/ channel? event=listing&query_clauses={%22country_gro up_of_establishment%22%3A%22eu27_croatia_and_turkey_only%22%2C%22type _of_coverage_id%22%3A%221%22%2C%22status%22%3A%22t%22} (2.2.2013). <?page no="229"?> Weltregionen im Vergleich 230 pa erkennen lassen, welche langfristig möglicherweise als europäisch integrierte denkbar sind. Da ist allen voran die Ökonomisierung, die weite Teile der europäischen Mediensysteme erfasst hat. Mit Ökonomisierung ist ein Prozess angesprochen, bei dem wirtschaftliche Ziele über die publizistischen Entscheidungen dominieren und dadurch erhöhte Marktausrichtung der Medien zu gesellschaftlich erwünschten Kommunikationsergebnissen - wie z.B. demokratische Meinungsbildung oder Integration - in Widerspruch gerät (vgl. Meier/ Jarren 2001: 145 ff.). Von politischer Seite wird die Ökonomisierung durch die rechtliche Deregulierung der Mediensysteme unterstützt. Damit wird ein Rückzug staatlicher Einflussnahme auf das Mediensystem betrieben; ergänzend ist ein Prozedere der regulierten Co- oder Selbstregulierung eingeführt worden. Dieses Konzept bezieht sich auf eine Selbstregulierung, die in einen staatlich gesetzten Rahmen eingepasst ist bzw. auf rechtlicher Grundlage erfolgt (HBI/ EMR 2006). Dabei kommt es zu einer Veränderung der Rolle des Staates weg von einer hierarchischen Steuerung hin zu einer Modulation von gesellschaftlichen Prozessen. Solche Formen der Co-Regulierung finden sich in Europa mittlerweile im Jugendschutz und beim Schutz der Menschenwürde, bei Werberegelungen, in Fragen der Qualität, Ethik und Vielfalt bei privaten Medien; es ist zu erwarten, dass sie auf Zugangsfragen zu Plattformen und technische Standardisierungen sowie Probleme des Datenschutzes ausgeweitet werden. Eine entscheidende Entwicklung, die alle europäischen Mediensysteme erfasst, ist die Europäisierung von nationalen Öffentlichkeiten, die langfristig europäische Öffentlichkeiten zu schaffen vermag - auch wenn die europäische Finanzkrise es so erscheinen lassen mag, dass nationale Egoismen eine Entfernung von dieser Perspektive bedeuten. Dem Konzept der politischen Öffentlichkeit 35 liegt die Annahme zugrunde, dass Kommunikation als stabilisierender Faktor einer demokratischen Gesellschaft wirkt. Öffentlichkeit ist dabei als Raum zu verstehen, in dem Bürger sich artikulieren und Interessen gegenüber der Politik ausdrücken sowie versuchen, diese zu beeinflussen und zu kontrollieren. Medien konstituieren Öffentlichkeit, weil sie darin als Informant und als Kontrolleur, als Plattform für Partizipation und Debatte, aber auch als Akteure wirken. Der Begriff europäische Öffentlichkeit überträgt dieses Konzept von der nationalen auf eine supranationale Ebene und umfasst die Strukturen und Prozesse öffentlicher Kommunikation in Europa und also auch die Rolle der Medien darin. 35 Es werden auch andere Formen von Öffentlichkeit konstatiert, z.B. solche, die durch Kultur, Sport oder Tourismus konstituiert werden. <?page no="230"?> Westeuropa 231 Die ursächlichen Faktoren für eine Europäisierung von Öffentlichkeiten sind darin zu sehen, dass sich der Ort der politischen Entscheidungen zunehmend vom Nationalstaat auf die europäische Ebene verlagert, dass die politischen Institutionen der Europäische Union nach demokratischem Verständnis der öffentlichen Kontrolle bedürfen und dass sich außerdem die ökonomische Sphäre zunehmend sowohl bezüglich der Regulierung als auch der Märkte transnationalisiert. Die Frage, ob es europäische Öffentlichkeit bereits gibt, lässt sich anhand der Medienangebote, die den nationalen Rahmen überschreiten, und der Themen der öffentlichen Kommunikation klären, die nationale Öffentlichkeiten transnational verbinden. Zwar sind europäische Medien noch mehr als marginal 36 , doch ist sich die Forschung mittlerweile darin einig, dass in den nationalen Mediensystemen Themen zunehmend in den europäischen Kontext gestellt und Aspekte der Mediendiskurse der anderen Länder wahrgenommen werden (vgl. Brüggemann et al. 2009, Langenbucher/ Laatzer 2006). Ob diese europäisierten nationalen Öffentlichkeiten langfristig auch in ein europäisches Mediensystem münden, ist eine offene Forschungsfrage. Ein europaweit gegebenes technisches Faktum ist die Digitalisierung der Übertragung elektronischer Medien. Die Verbreitung der Fernsehsignale per Satellit und Kabel ist dabei in allen Ländern bereits vor der terrestrischen Übertragung digitalisiert worden, da die Standards für DVB-T 37 wesentlich später definiert wurden als die für DVB-C und DVB-S. Die Versorgung der Bevölkerung mit digitalem Fernsehen ist in Westeuropa derzeit noch sehr unterschiedlich. Einen schnellen Übergang zum digitalen Empfang haben vor allem die Rezipienten in jenen Ländern vollzogen, in denen das Free-to-air-Angebot der terrestrischen Kanäle bislang eher begrenzt war wie in Großbritannien, Spanien, Schweden oder Dänemark. Insgesamt ist aber der Übergang zum digitalen terrestrischen Fernsehen in den meisten Ländern bislang u.a. aufgrund der Kosten, die damit für die Rezipienten verbunden sind, und ungewisser Vorteile eher schleppend vonstatten gegangen und dabei hinter den offiziellen Prognosen zurückgeblieben. 2011 verfügten 20 Länder in Europa (16 innerhalb der EU) über digitalen terrestrischen Empfang 38 . Während der Übergang zum digitalen Signal über Kabel oder Satellit vornehmlich von den Kalkulationen und Entscheidungen der kommerziellen Anbieter abhing, waren für die Einführung der digitalen Terrestrik konzertierte 36 Euronews und Arte im Fernsehsektor, die Wochenzeitung »European Voice« im Printsektor oder www.Europa.digital.de können hier als Beispiele genannt werden. 37 Digital Video Broadcasting - terrestrial, bzw. Cable oder Satellite. 38 http: / / www.obs.coe.int/ about/ oea/ pr/ mavise_juin2011.html (2.2.2013) <?page no="231"?> Weltregionen im Vergleich 232 Anstrengungen von Geräteherstellern und Programmanbietern notwendig, die in der Regel durch Aktivitäten und Anreize der jeweiligen Regierungen stimuliert worden waren. Dazu gehörten u.a. die zeitliche Koordinierung der neuen Dienste, die Zulassung neuer Anbieter, die Festlegung der Rolle der PSBs (→ 3.3) innerhalb der neuen Übertragungstechnik und Planungen für den Switch-off des analogen Fernsehens. Die Möglichkeit, ganz auf die terrestrische Ausstrahlung zu verzichten und es bei der Digitalisierung von Kabel und Satellit zu belassen, hat keine Regierung beschlossen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass im Unterschied zu Kabel- und Satellitenbetreibern, die zunehmend als internationale mediaplayer auftreten und schwer zu regulieren sind, die Terrestrik national verortet bleibt und damit nationaler Regulierung unterworfen werden kann. Digitales terrestrisches Fernsehen erlaubt so medienpolitische Aktivitäten, die sich in die jeweiligen nationalen Bestrebungen zu kultureller Souveränität, Identitätswahrung, Standardsicherung, Zulassungspolitik, Förderung der Programmproduktion etc. einbinden lassen. Der größere Rahmen, der die Entwicklung der Mediensysteme in Europa umschließt, ist mit dem metaphorischen Begriff der »Informationsgesellschaft« umschrieben. Mit dem Begriff, der aus der soziologischen Literatur der 1970er-Jahre (Bell 1973, Drucker 1993) stammt und von der EU 1993 in einem Weißbuch aufgriffen wurde 39 , werden die Informations- und Kommunikationstechnologien als Schlüsseltechnologien einer sich wandelnden Gesellschaft identifiziert, welche sich von der klassischen Industriezu einer informations- und wissensbasierten Gesellschaft entwickelt hat. Die Informations- und Kommunikationstechnologien, als Schlüsseltechnologien einer sich wandelnden Gesellschaft identifiziert, welche sich von der klassischen Industriezu einer informations- und wissensbasierten Gesellschaft entwickelt hat, sind Motor des Wandels der europäischen Mediensysteme. Die in der sogenannten Informationsgesellschaft gegebene Konvergenz von Bild-, Ton- und Schriftmedien, von Telefonie, Rundfunk und Online- Techniken, also auch von Telekommunikations- und Medienmärkten, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Mediensysteme, da sie eine Verschiebung unter den Akteuren der Medienmärkte, den Produkten und den Rezeptionsmustern und eine Veränderung der Regulierungsregimes mit sich bringt: Online-Anbieter werben mit Telefondiensten; und über das Kabel, das bislang Fernsehprogramm 39 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1993): »Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung - Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert«. Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 6/ 93, Luxemburg. <?page no="232"?> Westeuropa 233 brachte, erhält man Zugang ins Internet etc. Damit wurden kommunikationspolitische Weichenstellungen und neue rechtliche Zuordnungen notwendig (→ 3.1), die wiederum EU-weite Regelungen befördern. Problemlagen und Perspektiven Betrachtet man die west- und große Teile der osteuropäischen Medienlandschaft im vergleichenden Überblick, so lassen sich einige große Problemlagen feststellen, die allen Mediensystemen mehr oder minder zu eigen sind. Dazu gehören die Auseinandersetzungen um Deregulierung und Kommerzialisierung der audiovisuellen Medien. Dies umfasst auch die Frage der Zukunft und Bedeutung des öffentlichen Rundfunks (→ 3.3). Ein zweites großes Thema, die Durchsetzung und Anwendung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und ihre sozialen Folgen, ist durch die Digitalisierung von elektronischen Medien und die Verbreitung des Internets verursacht. Medienkonzentration, sowohl die grenzüberschreitende als auch die branchenübergreifende, ist ein drittes zentrales Thema (→ 3.6). Ein weiteres Thema dreht sich um das Spannungsverhältnis von europäischer Integration und kultureller Identität, die beide auch medienvermittelt sind - auf einer übergeordneten Ebene spielt hier auch das Verhältnis zum weltweit dominierenden US-Medienmarkt eine Rolle. Schließlich ist die Frage der Verantwortung der Medien und wie diese her- und sicherzustellen sei, ein durchgängiges Problem aller west- und auch osteuropäischen Mediensysteme. Die Frage bleibt, ob Mediensysteme zunehmend ohne Normen oder gar nicht steuerbar sind (Kelly et al. 2004: 2). Vergleichende Studien zu europäischen Mediensystemen Publikationen über europäische Mediensysteme gibt es in großer Vielzahl. Lange lagen vornehmlich additive Darstellungen vor, die den einzelnen Mediensystemen gewidmet sind; in deutscher Sprache ist vor allem das »Internationale Handbuch Medien« (vormals »Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen«) des Hans-Bredow-Institutes, das alle zwei Jahre erscheint (zuletzt 2009), in englischer Sprache die Darstellungen der Euromedia Group (zuletzt Trappel et al. 2011a) zu nennen. Diese hat zudem auch eine Reihe von Veröf- <?page no="233"?> Weltregionen im Vergleich 234 fentlichungen vorgelegt, die sich medienpolitischen und medienökonomischen Vergleichsaspekten der Mediensysteme gewidmet haben (Kelly et al. 2004, McQuail/ Siune 1999, Siune/ Trützschler 1992, McQuail/ Siune 1986). Frühzeitig schon haben die Bemühungen der EU, vormals EG, dazu geführt, dass systematische Bestandserhebungen zu den Mediensystemen in Westeuropa (später in Europa) im Auftrag der EUbzw. EG-Kommission getätigt wurden. Dies begann mit dem Grünbuch »Fernsehen ohne Grenzen«, das der 1989 folgenden gleichnamigen EG-Richtlinie über grenzüberschreitendes Fernsehen vorausging (EG 1984), und setzte sich fort in einer Reihe weiterer Grünbücher, die die Medienkonzentration (EU 1992), die Telekommunikationspolitik (1994/ 95), den Jugendschutz (EU 1996), die Informationsgesellschaft (EU 1996a), die Konvergenz (EU 1997) und den Online-Vertrieb von audiovisuellen Werken (EU 2011) zum Gegenstand hatten. Nicht zuletzt diese medienpolitischen Aktivitäten der EU haben Forschungskooperationen angeregt, die ihrerseits zahlreiche Untersuchungen hervorgebracht haben. Dabei sind drei Typen von Studien entstanden (Kleinsteuber 2003: 93): die schon genannten Handbücher nationaler Mediensysteme; nationale Einzelfallstudien zu bestimmten Aspekten der Mediensysteme, die in einem zweiten Schritt einer vergleichenden Betrachtung unterzogen worden sind (z.B. de Moragas Spá et al. 1999 zu Lokal- und Regionalfernsehen, Open Society Institute 2005 zur Fernsehregulierung); sowie gesamteuropäische Trendanalysen, die bestimmende Merkmale wie z.B. die Digitalisierung der Fernsehübertragungswege (z.B. Brown/ Picard 2005), Pressefreiheit (Czepek et al. 2009) Presseräte (Puppis 2009), die Rolle der Medien für die Demokratie (z.B. Trappel et al. 2011b) oder Medienmärkte (z.B. Sánchez-Tabernero/ Carjaval 2002, Heinrich/ Kopper 2006, Lund 2007) zum Gegenstand haben. D’Haenens/ Saeys haben beide Herangehensweisen in einem Band vereinbart (D’Haenens/ Saeys 2007). Von großer Zahl sind schließlich die Studien, die einzelne Aspekte von Mediensystemen betrachten, wie sie im Kapitel zu ausgewählten Themen des Vergleichs von Mediensystemen dargestellt wurden (→ 3). Fazit: Erkenntnisse des Vergleichs mit Mediensystemen dieser Region Europa ist ein außerordentlich vielgestaltiger Kontinent - dieses Charakteristikum traf auch schon auf das alte Westeuropa zu. Die Vereinigung seiner unter- <?page no="234"?> Westeuropa 235 schiedlichen Länder im Rahmen der Europäischen Union, die intensivierten Beziehungen zu den Staaten, die nicht Mitglied innerhalb der EU sind, sowie das Hinzutreten einer großen Zahl der osteuropäischen Transformationsländer haben eine Dynamik entfaltet, die sein Gesicht innerhalb der letzten Jahrzehnte maßgeblich verändert hat und noch verändern wird. Europa ist ein wirtschaftlich, politisch und kulturell zunehmend integrierter Kontinent, auch wenn die europäische Finanzkrise vor allem die vielfältigen Differenzen zum Ausdruck brachte. Nähere Prognosen über den Ausgang dieser Entwicklungen sind nicht möglich. Die Integrationsprozesse werden durch die Leistungen der Mediensysteme begleitet; die Mediensysteme ihrerseits werden davon beeinflusst, und sie haben mit ihren Medienangeboten Auswirkungen auf die Integrationsprozesse. (West)Europa ist also ein relevantes Analyseobjekt im Hinblick auf die Rolle der Medien bei den genannten Integrationsprozessen und die Veränderung von Mediensystemen vor dem Hintergrund dieser Integration. Insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Eigenständigkeit und Angleichung der Mediensysteme sowie zwischen Zentralität und Dezentralität ist von Bedeutung. Dem Zusammenwachsen des europäischen Kontinents liegen zwar andere Motive und Dynamiken zugrunde als jene, die die oft beschworene Globalisierung der Medien befördern. Erkenntnisse, die aus dem Studium der Veränderungen der europäischen Mediensysteme resultieren, werden mittelfristig aber auch für das Verständnis der Entwicklungen auf globaler Ebene bedeutsamer werden. Übungsfragen 1) Welches sind die Elemente, die als Annäherung der Strukturen in den europäischen Mediensystemen gedeutet werden können? 2) Welches sind die wesentlichen Problemstellungen der europäischen Mediensysteme? 3) Warum ist eine getrennte Betrachtung nach west- und osteuropäischen Ländern sinnvoll? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de <?page no="235"?> Weltregionen im Vergleich 236 Literatur BDZV Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (2012): Zeitungen 2012/ 13. Berlin Bell, Daniel (1973): The coming of post-industrial society: A venture in social forecasting. 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Die Mediensysteme in West- und Osteuropa haben unterschiedliche Entwicklungspfade beschritten, als sich der ganze Kontinent politisch in zwei gegensätzliche Regionen teilte (→ 4.1). Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kam es mit der Transformation von kommunistischen, planwirtschaftlichen zu demokratischen, marktwirtschaftlichen Systemen zu einer nachholenden Entwicklung in Osteuropa, wodurch auch die Mediensysteme in diesem Teil Europas maßgeblich geprägt sind. Wie die politischen und ökonomischen Systeme dieser Länder wurden auch sie nach westlichem Vorbild umgestaltet. Die kommunistische Phase und die Systemtransformation führten zu einer spezifischen Ausprägung aller Mediensysteme in Osteuropa heute, auch wenn sich die nationalen Mediensysteme im Einzelnen voneinander unterscheiden. Gerade die vergleichende Analyse des Überganges der Mediensysteme der postkommunistischen Staaten in eine demokratische Ordnung hat daher viele Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Ausgangsvoraussetzungen und der Entwicklung von Mediensystemen erbracht. Im Folgenden wird zuerst eine kurze historische Einführung gegeben, denn zum Verständnis der Schwierigkeiten heutiger Mediensysteme in Osteuropa ist die Kenntnis der sozialistischen Mediensysteme sowie der Herausforderungen der Transformationsphase unabdingbar. Jenseits dieser Gemeinsamkeit kennzeichnen diese Länder eine Vielfalt von historischen, politischen, ökonomischen und kulturellen Eigenarten, die auch insbesondere im Mediensystem sichtbar werden. In die Betrachtung werden, aufgrund der ähnlichen historischen Voraussetzungen in jüngerer Zeit, am Rande auch Staaten mit einbezogen, die geografisch nicht zu Europa gehören: die ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und in Zentralasien. Außerdem ist es durchaus als unbestimmt anzusehen, wo die Grenzen von Europa enden (Kleinsteuber/ Rossmann 1994: 44 f.). So sind Armenien, Aserbaidschan und Georgien, die hinter dem Ural bzw. dem Kaukasus als einst willkürlich festgelegte Grenzen Europas liegen, Mitglieder im Europarat. <?page no="239"?> Weltregionen im Vergleich 240 Kommunistische Prägung 1922 formierte sich, nach der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg, die Sowjetunion auf dem Gebiet des ehemaligen russischen Zarenreichs als ein kommunistischer und zentralistisch regierter, föderativer Einparteienstaat. In der Sowjet union wurde nach den Vorstellungen, die der russische Revolutionsführer Lenin in seinen Schriften formuliert hatte, ein kommunistisches Mediensystem eingerichtet (Roth 1982). Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gerieten auch die Länder Mittelosteuropas und ein Teil Deutschlands in die Einflusssphäre der Sowjetunion, mit deren Unterstützung sich dort kommunistische Regierungen durchsetzten. Durch den Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand sowie den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe wurden sie sowohl außenpolitisch als auch ökonomisch eng an die Sowjetunion gebunden. Dem politischen und wirtschaftlichen Systemwechsel entsprechend wurden auch hier die Mediensysteme nach dem Vorbild der Sowjetunion umgestaltet. Im Gegensatz zum demokratischen Ideal der unabhängigen Medien war das kommunistische Mediensystem vollständig in das politische System integriert. Lediglich in Polen wurde mit der katholischen Presse eine überwachte und limitierte, aber nicht direkt kontrollierte Ausnahme zugelassen (Delhaes 2000). Die hierarchisch gegliederte Kommunistische Partei mit ihren verschiedenen regionalen Mitgliedern und die gesellschaftlichen Organisationen, die ihrerseits Teil des politischen Systems waren, gaben Zeitungen und Zeitschriften heraus. Die Nachrichtenagentur und das Rundfunksystem waren dem obersten Exekutivorgan in der Sowjetunion, dem ZK der KPdSU in Moskau, über die Abteilung für Agitation und Propaganda direkt unterstellt. In Kapitel 2 ist aufgezeigt worden, welche Klassifikationen von Mediensystemen existieren, und wie - nach Unterscheidung der Normen und Ziele und in Abhängigkeit von den jeweiligen sozialen und politischen Bedingungen - unter den verschiedenen Medienmodellen das Kommunismus-Modell begründet wurde (Siebert/ Peterson/ Schramm 1956). Dass implizite Paradigma eines westlichen Idealtyps von Mediensystemen in diesem Modell aus den 1950er-Jahren fordert, dass sich alle anderen Mediensystemtypen daran messen müssen; es wurde jedoch als wenig produktiv hinsichtlich seines Erklärungspotenzials sowohl für die tatsächlichen Funktionen und Mechanismen des Systemtyps als auch für die spätere demokratische Transformation der Mediensysteme identifiziert (Downing 1996). Modelle weniger normativ argumentierender Wissen- <?page no="240"?> Osteuropa 241 schaftler sind der »östlich-realsozialistische Typus« eines Mediensystems (Kleinsteuber 1991) oder auch das »geschlossene Mediensystem« (Weischenberg 1998: 105). Zum Kennzeichen dieses Typus wurde »die staatliche Garantie eines nichtkapitalistischen, parteilichen Charakters der sozialistischen Medien« (Kleinsteuber 1991: 66). In der osteuropäischen Forschung wurde auch der Begriff des Transmissionsriemen-Systems auf die Mediensysteme übertragen (Goban-Klas 1994). Dieser Begriff Lenins wurde in den kommunistischen Staaten allgemein verwendet, um damit die Rolle der verschiedenen Organisationen als hierarchische Strukturen zur Übertragung der Parteilinie in die Gesellschaft zu bezeichnen. Grundsätzlich unterschied sich dieser Systemtyp bereits auf der normativen Ebene von den Mediensystemen in Westeuropa, denn er folgte der marxistischleninistischen Doktrin. Nur innerhalb der ideologisch festgelegten Grenzen sollte der Journalismus objektiv und wahrhaftig Bericht erstatten. In der nur proklamierten klassenlosen Gesellschaft war es nicht möglich, dass sich verschiedene Medienunternehmen entlang der politischen Konfliktlinien entwickelten (McQuail 1987: 118); die Funktion der Medien, die Politik zu kontrollieren, war von untergeordneter Bedeutung (vgl. McNair 1991). Zensur war erlaubt, wenn die Ziele der Gesellschaft, repräsentiert durch die Partei, gefährdet waren (Weischenberg 1998: 105ff). Das geschlossene Mediensystem der kommunistischen Staaten unterschied sich auf der normativen Ebene von den offenen Mediensystemen in Westeuropa im Hinblick auf die Interpretation von Objektivität: Nur innerhalb der ideologisch festgelegten Grenzen sollte der Journalismus objektiv und wahrhaftig Bericht erstatten. In den Strukturen der totalen politischen Kontrolle übernahmen die Medien jedoch auch eine Art Ersatzrolle ein für die dysfunktionalen politischen Institutionen, indem z.B. die wichtigsten Zeitungen den Diskurs der verschiedenen politischen Richtungen in der Partei übernahmen (Johnson 1998). Organisatorisch unterschieden sich die Mediensysteme in Osteuropa durch die planwirtschaftliche Finanzierung, in der alles - die Mediendistribution, die Zeitungsauflagen und Verkaufspreise, die Ressourcenzuteilung, die Ausbildung und Löhne der Mitarbeiter etc. - zentral gesteuert wurde. <?page no="241"?> Weltregionen im Vergleich 242 Transformation Im Zuge der Reformen in der Gorbatschow Ära ab der Mitte der 1980er gewannen die Medien Osteuropas deutlich an Unabhängigkeit. Außerdem entstanden parallel zu den offiziellen Medienorganen illegale und tolerierte, später auch offiziell zugelassene, alternative Medien. Diese Liberalisierung hatte wiederum deutliche Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Transformationsprozess (O’Neill 1998). Bezeichnenderweise wurden in dieser Zeit viele politische Akteure über ihr journalistisches Engagement in der alternativen Presse zu Leuchtfiguren der Demokratisierungsbewegungen, wie beispielsweise der spätere Präsident der Tschechoslowakei bzw. der Tschechischen Republik Vaclav Havel. Das galt jedoch auch für jene Journalisten der offiziellen Medien, die ihre neuen Freiräume nutzten (Mickiewicz 1998). Mit der Regierungsübernahme der Reformkräfte veränderte sich erneut die Situation: Das nun politisch unabhängige journalistische System übernahm dem politischen System gegenüber eine kritische Rolle. Darauf reagierte die ehemalige politische Opposition meistens irritiert, und es wurde mit mehr oder weniger rigorosen Maßnahmen versucht, wieder mehr Kontrolle über die Medien zu erlangen. Dagegen versuchten die Journalisten ihre gerade erlangte Autonomie zu verteidigen und auszuweiten (Milton 2000). Korrespondierend zu den Phasen des politischen Systemwechsels (Merkel 199: 120) lassen sich drei Entwicklungsphasen der Mediensysteme unterscheiden: • eine Phase der Demonopolisierung und Dezentralisierung der ehemaligen Staatsmedien, die in der Regel in der Presse früher als in den audiovisuellen Medien stattfindet; • eine Phase, in der die neuen Mediengesetze verabschiedet werden, und in der sich die neuen bzw. privatisierten Medienunternehmen professionalisieren; • eine Phase der Konsolidierung von Mediengesetzgebung und Professionalisierung, in der die finanzielle Basis der privatisierten Medien allerdings noch lange sehr labil bleibt. Gleichzeitig setzt ein Prozess der Medienkonzentration ein (Bennett 1998: 211). Die monolithischen Medienorganisationen wurden in pluralistische Mediensysteme überführt, wobei grundsätzliche medienpolitische Fragen in den einzelnen Ländern unterschiedlich gelöst wurden. Wie sollte die Pluralisierung durchgesetzt und verhindert werden, sodass sich die Medien nicht wiede r in privater <?page no="242"?> Osteuropa 243 Hand monopolisieren? Sollten die staatlichen Medienorganisationen erhalten bleiben bzw. in welcher Form sollten sie fortexistieren? Da für die Lösung solcher Fragen keine inländischen Experten und keine Erfahrungswerte vorhanden waren, wurde viel Beratung aus dem Ausland eingeholt, sowohl von Vertretern aus der europäischen Union als auch aus den USA (Harcourt 2012; Richter 2009). Medienrechtliche und -regulative Grundlagen In den Ländern Osteuropas war die Medienfreiheit bereits vor dem Fall der kommunistischen Regierungen offiziell verfassungsrechtlich garantiert, jedoch war das Mediensystem - wie alle anderen Gesellschaftsbereiche - durch die Partei kontrolliert und weniger durch die Gesetzgebung als durch Parteidirektiven reguliert. Je bedeutender das jeweilige Medium in der Hierarchie des Transmissionsriemen-Systems war, desto stärker mischte sich die Partei bei der Nachrichtenberichterstattung oder der Einstellung von Personal ein. Um die Medien gegen politischen Einfluss von konservativen Kräften aus der Partei abzusichern, wurden von Gorbatschow und den Reformern in anderen kommunistischen Ländern bereits in den 1980er-Jahren zügig neue Mediengesetze eingeführt. Nach dem Systemwechsel wurde die Zensur jeglicher Art verboten (McNair 1994). Weniger schnell ließ sich jedoch die Errichtung und Implementierung eines differenziert ausgestalteten, demokratischen, die Grundrechte und gesellschaftlichen Interessen berücksichtigenden Rechtsrahmen umsetzen. Dieser Prozess nahm in den Ländern Osteuropas - entsprechend der unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen - einen unterschiedlichen Verlauf. Nach dem Systemwechsel in Osteuropa wurde die Zensur jeglicher Art verboten. Die Errichtung und Implementierung eines differenziert ausgestalteten, demokratischen, die Grundrechte und gesellschaftlichen Interessen berücksichtigenden Rechtsrahmen dauerte jedoch länger. Medienpolitisch kann die regulative Umstrukturierung der Mediensysteme Osteurop as nach den Motivationen der beteiligten Akteure kategorisiert werden. Eine idealistische Perspektive wurde von den intellektuellen Dissidenten vertreten, die sich in Abgrenzung zum kommunistischen System ein rein gesellschaftlich <?page no="243"?> Weltregionen im Vergleich 244 kontrolliertes Mediensystem vorstellten, das einer direkten, partizipativen Demokratie Vorschub leisten sollte. Aus der pragmatischeren mimetischen Perspektive sahen deren Vertreter die Einführung eines vollständig liberalisierten Printmarkts und eines dualen Rundfunksystems als notwendig an, um mit dem entwickelten Westen aufzuschließen. In der atavistischen Perspektive zeigten sich rückwärtsgewandte Orientierungen am alten System. Je nach soziokultureller Situation setzen sich verschiedene Kombinationen von mimetisch und atavistisch orientierten Ideen in den Regulierungssystemen durch (Jakubowicz 2004). Die meisten Länder Osteuropas haben ihre Mediengesetzgebung bereits mehrfach revidiert und im Zuge dessen auch die Regulierungsinstitutionen umgestaltet. Andere brauchten viele Jahre bis zur Verabschiedung eines Pressegesetzes, z.B. Rumänien bis 2003, weil sich die verschiedenen Akteure gegenseitig blockierten. Eine Gemeinsamkeit, die sich in Osteuropa beobachten lässt, ist die grundsätzlich noch problematische Tendenz in der Anwendung von verschiedenen, die Medienfreiheit einschränkenden Gesetzen - sei es aufgrund von Persönlichkeitsrechten (z.B. gegen Verleumdung) oder Rechten zum Schutz des Staates (z.B. gegen Volksverhetzung). Mit diesen Gesetzen wird auf die Journalisten und die Medienunternehmen Druck ausgeübt, vor allem in Zentralasien, den Balkanländern, Russland, der Ukraine, und Weißrussland, Moldawien, Armenien und Georgien (Yanchukova 2002-2003), aber durchaus auch in den Ländern, die jüngst der EU beigetreten sind (Reporter ohne Grenzen 2012). In Russland, Aserbaidschan und Kasachstan sind die Massenmedien zum großen Teil in staatlicher Kontrolle und entsprechend zeichnen sich die Mediensysteme vor allem durch informellen staatlichen Druck aus (Vartanova 2012, Richter 2008). Die Länder Weißrussland, Usbekistan und Turkmenistan befinden sich auf den letzten Plätzen des weltweiten Pressefreiheits-Rankings der Organisation Freedom House (Deutsch Karlekar/ Dunham 2012: 7). Investigative Journalisten gehen in diesen Ländern hohe Risiken ein, bedroht oder sogar ermordet zu werden, wobei die Verfolgung und Verurteilung der Täter verschleppt wird und zu Straffreiheit oder Verurteilungen mit nur geringen Strafen führt. In den osteuropäischen EU-Staaten kann mit einzelnen Ausnahmen von einem weitgehend funktionierenden Mediensystem ausgegangen werden, das die Aufgaben der Kritik und Selbstbeobachtung der Gesellschaft erfüllt, auch wenn - wie z.B. in Ungarn und Bulgarien - neue Mediengesetzentwürfe schon Anstoß in der EU und im Europarat hervorgerufen haben - dies unter anderem auch, <?page no="244"?> Osteuropa 245 weil die Sicherheit von Journalisten nicht immer gewährleistet ist (Reporter ohne Grenzen 2012). Ungarn, Bulgarien und Rumänien werden infolge dessen von Freedom House auch nur als teilweise freie Mediensysteme klassifiziert (Deutsch Karlekar/ Dunham 2012). Die stabilere Rechtssituation in den meisten der mittelosteuropäischen EU-Länder ist auch unter anderem auch auf den EU- Beitritt zurückzuführen. Ökonomische Strukturen Die Medienmärkte in Osteuropa sind unter widrigen wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der maroden Volkswirtschaften neu strukturiert worden. Anders als in den weiterhin geschlossenen Mediensystemen Zentralasiens und Weißrusslands sahen sich die Medienorganisationen Mittelosteuropas mit der Transformation und der Öffnung der Medienmärkte dem internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb ausgesetzt (Jakubowicz 1995). Zu Beginn musste der Wegfall der großzügigen staatlichen Zuteilungen, die in den kommunistischen Staaten üblich waren, kompensiert sowie ein oftmals veralteter technischer Produktionsapparat erneuert werden. Danach galt es, die medienwirtschaftlichen Kompetenzen aufzubauen, um sich allein durch die Verkaufserlöse und Werbeeinnahmen zu finanzieren, welche vor allem in den kleinen nationalen Medienmärkten vorerst gering blieben. Durch ihre Wettbewerbsvorteile setzten sich eine Reihe ausländischer, finanzkräftiger Medienhäuser vor allem in den sowohl wirtschaftlich attraktiven als auch rechtlich sichereren neuen EU- Ländern Osteuropas durch. Ausländische Investitionen in Medienunternehmen wurden in den meisten Ländern nur wenig gesetzlich beschränkt, wie z.B. durch kartellrechtliche Grenzen im Rundfunkmarkt. Seit Mitte der 2000er-Jahre zeichnet sich allerdings wieder ein Rückzug internationaler Medienunternehmen aus dem osteuropäischen Markt ab, deren Medien von lokalen Medienunternehmen mit durchaus ausgeprägten publizistischen und/ oder politischen Interessen gekauft wurden (Stetka 2012). <?page no="245"?> Weltregionen im Vergleich 246 Die Medienorganisationen Mittelosteuropas sind mit der Transformation und der Öffnung der Medienmärkte dem internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb ausgesetzt. Dies gilt nicht für die weiterhin geschlossenen Mediensysteme Zentralasiens und Weißrusslands. In Russland brachte eine Finanzkrise im Jahr 1998 eine neue Abhängigkeit der Medien entweder vom Staat oder von Oligarchen - also den Eigentümern der neuen Finanz- und Industriegruppen. Eine daraus resultierende, große Instabilität und Intransparenz hat zur Folge, dass Russland für ausländische Medieninvestoren - mit Ausnahme der Publikumszeitschriften - kein interessanter Markt ist. Inzwischen sind die Märkte Osteuropas weitgehend saturiert. Cross- Ownership - also die diagonale Medienkonzentration, die Print und audiovisuelle oder noch andere Medien umfasst - entwickelt sich dabei erst in Ansätzen, auch weil sich die internationalen Investoren meist auf einen Mediensektor konzentrieren. Der Presseboom der Anfangsjahre und der Zuwachs von elektronischen Medien haben die Zahl der Journalisten, aber auch den Wettbewerb um Stellen und Aufträge vergrößert. Innerhalb des Berufsstandes kam es zu einer starken politischen und berufsethischen Fragmentierungen und entsprechenden Spannungen (Hume 2011). Ein homogenes Berufsverständnis kann sich erst langsam entwickeln, und Verstöße gegen die journalistischen Verhaltenscodizes wie z.B. Bestechlichkeit, stark parteinehmende Berichterstattung und andere ethische Verfehlungen sind zu beobachten (Coman 2000). Zum Konkurrenzdruck und der Konzentration kommt ein mehr oder weniger sichtbarer politischer Einfluss hinzu, den privatwirtschaftliche Besitzer auf die Redaktionen ausüben - die gilt für die Printmedien in Bulgarien, Lettland, Tschechien sowie Ungarn und für die Rundfunkmedien in Litauen, Polen, Rumänien und in der Slowakei (Stetka 2012: 11ff.). Print Die Presse wurde bereits 1989 bis 1991 weitgehend durch Verkauf bzw. Übergang des Eigentums an die Mitarbeiter privatisiert. Der Enthusiasmus der Redaktionen, die ihre Zeitungen übernommen hatten, erlosch nach einer kurzen <?page no="246"?> Osteuropa 247 Zeit des Pressebooms angesichts der massiven ökonomischen Probleme, die sich den neuen Eigentümern stellten, relativ schnell. Die Umstellung auf Weltmarktpreise bei der Produktion sowie die wirtschaftliche Krise in den Ländern mit einem rapide sinkenden Wohlstand der Bevölkerung führte zu einem Anstieg der Produktionskosten und Absatzproblemen. Infolgedessen gingen Medienunternehmen ein oder wurden von ausländischen Investoren bzw. branchenfremden Unternehmern (oft Oligarchen) aufgekauft. Westeuropäische Verlagshäuser und andere Investoren investierten vornehmlich in den 1990er-Jahren in die neuen Printmärkte. Im Jahr 2008 waren 85 % des Printmarkts der neuen EU-Mitgliedsländer Osteuropas von ausländischen Firmen aufgekauft (Lauk 2008) - in Tschechien und Polen vor allem von deutschen Verlagshäusern. In den anderen Ländern erschlossen sich die deutschen Verlage die Zeitschriftenmärkte mit Ablegern eingeführter Special-Interest- Marken von G EO bis A UTOBILD . Dabei spielte die geografische Nähe der Investoren eine nicht unerhebliche Rolle. So waren in den baltischen Staaten vor allem skandinavische Unternehmen (Schibsted, Bonnier, Modern Times Group, Orkla) aktiv, die sich allerdings z.T. inzwischen wieder zurückgezogen haben. Printunternehmen aus Deutschland (Axel Springer AG, Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft, Verlagshaus Passau; Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ)) investierten vor allem in Tschechien, Polen sowie auch auf dem Balkan, dessen Zeitungsmarkt dem Geschäftsführer der WAZ-Gruppe, Bodo Hombach, aus seiner Zeit als EU-Sonderkoordinators für den Stabilitätspakt in Südosteuropa gut bekannt war. Der Konzern ist in Besitz von Zeitungen und Zeitschriften in Kroatien, Serbien und Ungarn. Aufgrund der negativen öffentlichen Wahrnehmung, wie z.B. der WAZ-Mediengruppe in Bulgarien, sowie im Zuge der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise haben einige ausländische Medienunternehmen Titel und Sender in Osteuropa in jüngster Zeit wieder verkauft. Die ausländischen Verlage brachten neue Zeitungs- und Zeitschriftenformate, betriebswirtschaftliche Professionalität und teilweise publizistisch hervorragende (z.B. bei der Diena in Lettland von Bonnier), aber auch durchaus weniger anspruchsvolle Zielvorgaben (z.B. bei den Zeitungen der Ringier Axel Springer Polska) in die osteuropäischen Medienmärkte. Es entstanden Special-Inte rest- Medien für vers chiedene Zielgruppen und Boulevardmedien, erstere waren vor der Transformation wenig und letztere gar nicht vorhanden. Der Konkurrenzdruck führte auch in Qualitätsmedien zu sogenannten Least-Cost-Strategien bei allen Printmedien: Mehrfachverwertung von Inhalten, weniger rechercheintensi- <?page no="247"?> Weltregionen im Vergleich 248 ve journalistische Formate und Themen, z.B. aus dem Human-Interest- und Service-Bereich. Rundfunk In der Region konnte schon zur Transformationszeit ein Boom nicht lizenzierter, geduldeter TV- und Radiosender beobachtet werden, vor allem unter den Lokal- und Regionalsendern, und die Reregulierung der Rundfunksysteme begann mit der Legalisierung dieser Piratensender. Erst danach wurden die staatlichen Rundfunkorganisationen formal aus dem politischen Machtbereich herausgelöst und in öffentliche Sendeanstalten umgewandelt. Sie befanden sich damit sofort in einer Wettbewerbssituation, während sie intern von politischer Seite meist nicht genügend Spielräume erhielten, um sich zu weitgehend unabhängigen Medieninstitutionen zu entwickeln (Jakubowicz 2004). Es gibt in den osteuropäischen EU-Staaten noch etliche Beispiele, in denen politische Akteure nachdrücklich die Kontrolle über die öffentlichen Sender auszuüben versuchen. Dies ist massiver noch jenseits der EU und in Zentralasien zu beobachten. Weißrussland ist eine offene Diktatur, in der das Staatsoberhaupt seine Präsenz in Radio und Fernsehen nach Belieben gestaltet. In Russland wird der Einfluss der Regierung über die Aufsichtsbehörde für Massenmedien, Kommunikation und den Schutz des kulturellen Erbes (Roskomnadsor), Präsidialerlasse sowie über die Personalpolitik ausgeübt. In den Transformationsstaaten, die ehemals zu den asiatischen Sowjetrepubliken gehörten (Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan, Tadschikistan), sind es vor allem Familienclans, die sich die Macht in Politik, Wirtschaft und Medien sichern. Seit die Gesetzeslage relativ stabil war, investierten ausländische Medienunternehmen in den audiovisuellen Markt der Region, z.B. in Polen oder Bulgarien, wo Rupert Murdoch sich 2000 in einen Sender eingekauft hatte (Tzankoff 2001: 81). Allerdings befinden sich die ausländischen Medienunternehmer auf dem Rückzug, 2009 bzw. 2010 verkaufte Murdoch seine Senderanteile in Polen und Bulgarien wieder (Stetka 2012). <?page no="248"?> Osteuropa 249 Neue Informations- und Kommunikationstechnologien Die Verbreitung von Online-Medien ist in Osteuropa von großen Unterschieden gekennzeichnet. Die Daten stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den politischen Gegebenheiten, dem Wirtschaftswachstum der jeweiligen Länder und mit der Kaufkraft der Bevölkerung. In den EU-Staaten ist heute die Anschlussdichte privater Haushalte in Rumänien und Bulgarien am geringsten (45-47 %), während in allen anderen osteuropäischen EU-Staaten zwei Drittel bis drei Viertel aller Haushalte Internetzugang haben. In Zentralasien und dem Nordkaukasus hat das Internet mehr (Kirgistan, 40 % Internethaushalte) oder weniger (Turkmenistan, ca. 1,6 %) große Verbreitung gefunden. Es hat ohne Zweifel eine zentrale Rolle in den »Farbrevolutionen« (Georgien 2003), Ukraine (2004) und Kirgistan (2005) gespielt (Schmitz, Wolters 2012). In Russland variiert die Verbreitung des Internets zwischen Stadt und Land (43 % Internethaushalte im Durchschnitt). Aufgrund der Marktgröße konnten sich eigenständige Social-Media-Plattformen sehr erfolgreich etablieren, u.a. Vkontakte (13,3 % Reichweite 2011) und Odnoklassniki.ru (10,3 % Reichweite). Das Internet ist in Russland das freieste der elektronischen Medien, auch wenn jegliche Kommunikation durch den Geheimdienst kontrolliert werden kann, worüber sich auch der oppositionelle Protest organisiert. Spezifika der Mediensysteme der Region Strukturell sind die Mediensysteme durch eine nachholende Entwicklung und die Umstrukturierung der parteigelenkten, zentralen Mediensysteme geprägt. Die Spuren der kommunistischen Phase sind in den Mediensys temen Osteuropas noch mehr oder weniger stark erkennbar, wobei sich die nationalen Mediensysteme im Einzelnen, je nach politischer Lage, auch deutlich voneinander unterscheiden. In ökonomischer Hinsicht fand unmittelbar nach dem Umbruch in fast allen Transformationsstaaten ein Medienboom mit einem schnellen Ansteigen der Zahl der Publikationstitel statt, die sich aber längst nicht alle am Markt halten konnten. Eine Stabilisierung der Märkte in den osteuropäischen EU- Mitgliedsstaaten tritt etwa in der Mitte der 1990er-Jahre ein. <?page no="249"?> Weltregionen im Vergleich 250 Strukturell sind die Mediensysteme Osteuropas durch eine nachholende Entwicklung und die Umstrukturierung der parteigelenkten, zentralen Mediensysteme geprägt. Die Spuren der kommunistischen Phase sind noch erkennbar, wobei sich die nationalen Mediensysteme im Einzelnen, je nach politischer Lage, auch deutlich voneinander unterscheiden. Die Bedeutung ausländischer Investoren für die Vielfalt der Medienlandschaft ist in der Anfangszeit der Entwicklung der Printmärkte nicht unerheblich gewesen, auch wenn sie im weiteren Verlauf eher Anlass zu einer kritischen Bewertung geben, da sie zu den massiv anzutreffenden Konzentrationstendenzen beitragen. Zum Teil spielte ausländisches Medienkapital auch eine bedeutende Rolle bei der Professionalisierung des Journalismus, weil es aktuelle Standards bei der Produktion und Umsetzung von Medientrends mitbrachte - aber auch Negativerscheinungen wie den Tabloid-Journalismus. Problemlagen und Perspektiven Mit den oben genannten Spezifika sind auch gleichzeitig die Probleme genannt, die in etlichen Ländern die Funktionsfähigkeit der Mediensysteme beeinträchtigen. Besonders die weiterhin bestehende Autokratie in einigen Nicht-EU- Transformationsstaaten, die wirtschaftliche Schwäche der Märkte, die daraus resultierenden schwachen, wenn auch EU-überdurchschnittlich wachsenden Werbe- und Rezipientenmärkte sowie das unausgereifte Berufsethos in den Journalistenkulturen mancher Länder - Erscheinungen, die dem historischen Erbe der kommunistischen Regime zuzuschreiben sind, - schaffen Spannungen im Mediensystem, die Anlass zu vielen politischen, ökonomischen und ethischen Debatten geben. Die postkommunistischen Staaten haben bisher nur zum Teil zu einer stabilen Medienordnung gefunden, und auch in den Ländern, in denen die Medienordnungen sehr zügig transformiert wurden, sind immer wieder Rückschritte zu beobachten, wie beispielsweise aktuell in Ungarn. Die mehr oder weniger starken Diskrepanzen zwischen den Verfassungsgrundsätzen hinsichtlich der offiziellen Anerkennung der Medienfreiheit und der Realität in Bezug auf deren Implementierung und der Gesetzesauslegung bleiben als negatives kulturelles Erbe bestehen. <?page no="250"?> Osteuropa 251 Die postkommunistischen Staaten haben bisher nur zum Teil zu einer stabilen Medienordnung gefunden. Auch in den Ländern, in denen die Medienordnungen sehr zügig transformiert wurden, sind immer wieder Rückschritte zu beobachten. Wo eine Vielfalt im Mediensystem in eher kleinen Medienmärkten entstand - z.B. in Estland oder Litauern, aber auch Ungarn und Bulgarien -, besteht die Gefahr, dass diese Pluralität nicht aufrechterhalten werden kann. Konzentrationsprozesse werden in jedem Fall kleineren Unternehmen erhebliche Schwierigkeiten bereiten und große stabilisieren. Auch ist in diesem Zusammenhang der zunehmende Einfluss von Medienmogulen zu erwähnen, die jedoch eine sehr unterschiedliche Unternehmenspolitik ausüben. Während z.B. die Sender Antena TV und Realitatea TV in Rumänien von ihren Besitzern Dan Voiculescu und Sorin Vântu stark politisch instrumentalisiert werden, ist in Tschechien bei den privaten Fernsehsender lediglich eine Instrumentalisierung im Sinne einer positiven Darstellung des Besitzers und seiner Unternehmen zu beobachten (Stetka 2012: 15). Ergebnisse ausgewählter Studien Gerade die vergleichende Analyse des Überganges der Mediensysteme postkommunistischer Staaten in eine demokratische Ordnung hat viele Erkenntnisse für die Bedeutung der Medien bei einem solch gravierenden Gesellschaftswandel erbracht (Jakubowicz 2006, Thomaß/ Tzankoff 2001, Gross 2002, Aumente et al. 1999, Mickiewicz 1998, McNair 1991). Auch die gängigen Medienmodelle und Klassifikationen wurden auf Basis dieser Erkenntnisse neu überdacht (Vartanova 2012, Wyka 2008, Jakubowicz 2006, Sparks 2000, Downing 1996). Seit 2000 stehen in der Forschung zu den Mediensystemen Osteuropas zunehmend Einzelfragen im Mittelpunkt der Untersuchungen - so die Medienbesitzverhältnisse, Medienregulierung und die Bedeutung von öffentlichem Rundfunk, die Rolle der ausländischen Investoren oder die Entwicklung der medial vermittelten politischen Kommunikation in den jungen Demokratien (Voltmer 2006, Röper 2005, Petcović 2004, Jakubowicz 2004, Harcourt 2003, Open Society Institute 2005). Auch wenn bzw. gerade weil sich die Mediensysteme in ihrer Ausprägung auseinanderentwickeln, bleibt die allgemeine Mediensystem- <?page no="251"?> Weltregionen im Vergleich 252 entwicklung im Ländervergleich eine interessante Forschungsfrage (Downey/ Mihelj 2012). Fazit Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ein Vergleich der Mediensysteme in Osteuropa bringen kann, ist die Tatsache, dass Medien in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen eine entscheidende Rolle spielen. Dieses Verständnis für den Zusammenhang von Medienwandel und Gesellschaftswandel ist in Gesellschaften von hoher Stabilität geringer ausgeprägt als in Ländern, die solche - meist schwierigen - Wandlungsprozesse durchlebten. Die Analyse der Entwicklungen von Mediensystemen in Osteuropa zeigt auf, wie groß der Medieneinfluss auf politische und gesellschaftliche Dynamiken in Umbruchphasen ist. Während einer Phase der ökonomischen und politischen Stabilisierung erlischt jedoch die Dynamik, die von den Akteuren in den Medien ausgeht. Im Weiteren entwickeln sich Medien in Abhängigkeit von den wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die im Zuge der Umgestaltung in den jeweiligen Ländern geschaffen wurden und werden. In den vergangenen Jahren haben sich Dynamiken entfaltet, die mittelfristig auch für die »Nachzügler« Demokratisierungstendenzen als möglich erscheinen lassen. Der EU-Beitritt von Rumänien oder Bulgarien, das Ende der Ära Milosevic oder die »orangene Revolution« in der Ukraine geben berechtigten Anlass zu solchen Perspektiven. Andererseits deuten die Verhältnisse beispielsweise in Tadschikistan oder Aserbaidschan eher darauf, dass noch eine lang anhaltende Phase der Stagnation zu erwarten ist. So lehrt ein Studium der Mediensysteme in den Transformationsstaaten, dass Unterschiede, die zur Zeit des Umbruches wirksam waren, langfristige Auswirkungen auf die weitere Entwicklung haben. <?page no="252"?> Osteuropa 253 Übungsfragen 4) Was geschah mit den Mediensystemen sozialistischer Länder während der Transformation zu pluralistischen Gesellschaften? 5) Welche Probleme kennzeichnen die Mediensysteme der Transformationsstaaten? 6) Welche Rolle spielten ausländische Investoren in den Mediensystemen Osteuropas? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Aumente, Jerome et al. (Hrsg.) (1999): Eastern Europe journalism: Before, during and after communism. Cresskill. Bennett, W. Lance (1998): The Media and Democratic Development. The Social Basis of Political Communication. In: O’Neil, Patrick (Hrsg.): Communicating Democracy: The Media and Political Transitions. Colorado/ London, S. 195-207. Coman, Mihai (2000): Developments in Journalism Theory. 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Andererseits zählen beide Systeme prototypisch zu den westlichindustrialisierten und freiheitlichen Nationen mit einem Lebensstil, der fast auswechselbar erscheint, wenn man sich etwa die Verhältnisse auf beiden Seiten der bisher völlig offenen Grenze anschaut. Nimmt man sich die Medienordnungen beider Staaten vor, so trifft man auf einen auffälligen Widerspruch zwischen räumlicher und struktureller Nähe einerseits und bewusster Abgrenzung und Andersartigkeit andererseits. Insofern lohnt es sich, den vergleichenden Blick auf beide Systeme zu werfen, wobei die USA sich weitgehend autonom, nach internen Vorgaben entwickeln konnten, während die Kanadier an britisches Erbe anknüpften und immer im Schatten des großen Nachbarn handelten. Dies bedeutete, dass sie gar nicht umhin kamen, bestimmte Aspekte zu übernehmen, während sie in anderen Bereichen bewusst Kontrapunkte setzten. Zu den Gemeinsamkeiten zählen die klare Orientierung an Grundrechten der Meinungs- und Pressefreiheit sowie das privatkapitalistische Prinzip, das dazu führt, dass die große Mehrzahl der Medien mit unternehmerisch-gew erblicher Zielrichtu ng betrieben wird. Aus diesem Grundverständnis heraus entstand in den USA der Prototyp eines kommerziell ausgerichteten Rundfunksystems, bei dem Radio und Fernsehen dem Zugewinn von Unternehmen dienen und öffentliche Anbieter im europäischen Verständnis unbekannt sind. Ganz anders in Kanada, das sich von dem südlichen Riesennachbarn kulturell immer bedroht 40 Dies ist der Originaltext der Erstauflage dieses Lehrbuches von 2007. Aufgrund seiner grundlegenden Bedeutung wurde auf eine Aktualisierung verzichtet. Hans J. Kleinsteuber ist am 18.2.2012 verstorben (B.T.). <?page no="257"?> Weltregionen im Vergleich 258 sah und auf Abgrenzung achtete. So bewahrte man sich spezifische Elemente des britisch-europäischen Erbes durch Gründung eines öffentlichen Rundfunkanbieters, dem Verständnis folgend, dass der Staat Verantwortung für die Absicherung zentraler Bedürfnisse der Bürger übernimmt. Folgerichtig entstand hier sehr viel früher als in Europa eine Version des dualen Rundfunksystems (mit Australien die erste überhaupt), indem ein nach britischem Vorbild etablierter öffentlicher Anbieter (CBC) neben frühen kommerziellen Akteuren antrat. Wie in vielen anderen Bereichen Kanadas auch entstand so eine Mischung europäischer und US-amerikanischer Elemente. Die Stärkung der als bedroht empfundenen kanadischen Identität geschieht zudem durch eine aktive Medienpolitik, bei der den im Lande lizenzierten Medien ein bestimmter Canadian Content vorgeschrieben wird, also ein bindender Anteil von Eigenproduktion, der im Lande zu erbringen ist. Diese Bemühungen ändern freilich wenig daran, dass der US- Einfluss jenseits der gemeinsamen Grenze übermächtig bleibt, die Kanadier z.B. überwiegend Filme und TV-Programme mit US-amerikanischer Herkunft schauen oder US-amerikanische Pop-Musik hören. Die meisten Kanadier leben in einem schmalen Streifen entlang der US-Grenze und sind aus den USA aus gut erreichbar. Angesichts dieser Rahmenbedingungen erscheint es sinnvoll, für den Einstieg beide Systeme getrennt zu beschreiben. Das Mediensystem der USA Kein Mediensystem hat sich als ähnlich richtungsweisend für den Rest der Welt erwiesen wie das der USA (Kleinsteuber 2004). Kaum lassen sich die zahlreichen Felder umreißen, in denen das Land als Schrittmacher und Vorbild diente. Dies beginnt mit der Gründung der Vereinigten Staaten, als symbolhaft im ersten Zusatzartikel zur Verfassung (First Amendment) 1791 eine umfassende Pressefreiheit festgeschrieben wurde. Sie geht so weit, dass jede pressegesetzliche Einschränkung verboten wird (»Congress shall make no law ... abridging the freedom of speech, or the press ...«), wie sie z.B. im deutschen Grundgesetz vorgesehen ist. Viele Entwicklungen des Mediensystems der USA sind richtungsweisend für den Rest der Welt gewesen. <?page no="258"?> Nordamerika 259 Bereits in der Kolonialzeit bestanden Zeitungen, die über erhebliche Freiheiten verfügten. In der Revolutionsphase unterstützten die meisten von ihnen den Unabhängigkeitsprozess. Mit der Verfassungsgebung entwickelte sich stürmisch ein modernes Pressewesen in den USA, wobei regelhaft Innovationen früher als in Europa eingeführt wurden. In den 1930er-Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden Frühformen einer Boulevardpresse (One-Penny-Press), gedruckt auf Schnellpressen. Zum Ende des Jahrhunderts entwickelte sich in massiven Pressekriegen zwischen den Giganten Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst die moderne Massenpresse mit Farbe auf dem Titelblatt, den Text illustrierende Fotos, ersten Comics etc. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde investigative reporting zur Kontrolle der Regierenden fester Bestandteil des journalistischen Selbstverständnisses, die Metapher von der Presse als »Vierter Macht« etablierte sich. In derselben Phase wurden die ersten universitären Schools of Journalism begründet, aus denen heute das Gros der arbeitenden Journalisten hervorgeht. Die Ausbildung erfolgt mit großen Praxisanteilen, was durch den Betrieb eigener Radio- und TV-Stationen und mitunter auch eigenen Tageszeitungen unterstützt wird, Themen der Ethik und des journalistischen Selbstverständnisses sind fester Bestandteil der Ausbildung. Bis heute gilt, dass in den USA der lokale/ regionale Bezug der Tagespresse klar im Vordergrund steht. Fast alle führenden Zeitungen tragen den Ort ihres Erscheinens im Titel. Nationale Zeitungen waren angesichts der Größe des Landes lange unbekannt. Erst in den 1970er-Jahren des letzten Jahrhunderts ging das W ALL S TREET J OURNAL dazu über, via Satellit das Satzbild an Druckereien in verschiedenen Teilen des Riesenlandes zu übertragen und damit eine national verfügbare Zeitung zu schaffen. Im Jahre 1981 wurde die erste betont nationale Zeitung U SA T ODAY begründet, die so erfolgreich war, dass sie inzwischen zur auflagenstärksten Publikation wurde (2,15 Mio.). Derzeit in Bedeutung und Auflage wichtige Organe sind das Wirtschaftsblatt W ALL S TREET J OURNAL , von dem es auch eine europäische Ausgabe gibt, die international bekannte N EW Y ORK T IMES (die in Europa mit der I NTERNATIONAL H ERALD T RIBUNE kooperiert), die Hauptstadtzeitung W ASHINGTON P OST und die an der Westküste dominierende L OS A NGELES T IMES . Auch Zeitschriften sind bereits früh in der Mediengeschichte zu finden, sie begannen in der Form von Almanachen. Heute führen Magazine wie R EADER ’ S D IGEST (gibt es auch in deutscher Version) und T V G UIDE die Liste der auflagenstärksten Publikationen an, bekannte politische Magazine sind T IME M AGA- ZINE (optisches und publizistisches Vorbild für den S PIEGEL ) und N EWSWEEK . <?page no="259"?> Weltregionen im Vergleich 260 Die USA sind auch Vorreiter bei dem Prozess eines allmählichen Bedeutungsverlusts der Printmedien im globalen Kontext, so erreichen Tageszeitungen heute nur mehr 60 % aller Haushalte. Nach einer Phase des Experimentierens mit der neuen Funktechnik entstanden nach dem Ersten Weltkrieg erste elektronische Medien. In dieser Frühphase war, anders als in Europa, der Staat nicht beteiligt, vielmehr loteten Amateure und Konstrukteure die Möglichkeiten der Technik aus, bald folgten Unternehmen. Der Hörfunk führt seine Anfänge auf die Jahre 1919/ 20 zurück (einige Jahre vor Deutschland), und alsbald stellte man fest, dass Werbung den Stationsbetrieb finanzieren kann, worauf ein explosives Wachstum begann. Das mündete wenige Jahre später in einen aggressiven Verdrängungswettbewerb der vielen neu entstandenen Sender, so dass alle Beteiligten nach dem Staat riefen und staatliche Regulierung ordnend eingreifen musste. Sie begann 1927 und 1934 wurde die Federal Communications Commission (FCC) etabliert, die heute noch tätig ist und für den gesamten Radio- und Fernsehbereich, aber auch für den Sektor der Telekommunikation zuständig ist. Sie erteilt Sendelizenzen, wobei die rechtliche Annahme ist, dass die Frequenzen (public airwaves) der Allgemeinheit gehören und für deren Nutzung eine zeitlich begrenzte Autorisierung zu erwerben ist. Damit wurde gleichzeitig entschieden, dass die unbegrenzte Freiheit, die für die Presse in der Verfassung verankert wurde, für den elektronischen Bereich so nicht wirksam sein kann (Creech 2003). Auf der Grundlage dieses Lizenzsystems entfaltete sich ein kommerzielles Radio- und später Fernsehsystem, in dem die Finanzierung des Programms über Werbeeinblendungen erfolgt. Es basiert auf der Logik des kommerziellen Rundfunks, in dem - genau genommen - Hörer- oder Zuschauerschaften an die werbetreibende Wirtschaft verkauft werden. Damit geht einher, dass staatlich begründete und gebührenfinanzierte Anbieter mit einem gesetzlichen Programmauftrag wie im Public-Service-Sektor Europas niemals eine Chance hatten, weil sie als Verstoß gegen das Gebot der Medienfreiheit interpretiert wurden. Der kommerzielle Typ des Sendens war bereits Ende der 1920er-Jahre fest etabliert; ein Typ, der sich früh in Lateinamerika und anderen Regionen unter US-Einfluss ausbreitete. In Europa kam er nach einigen Ausnahmen (Luxemburg, Großbritannien) erst in den 1980er-Jahren an und markiert hier seitdem die zweite Säule des dualen Systems. In den USA entstanden bereits früh networks: Dabei verbinden sich aus Kostengründen örtlich lizenzierte Stationen mit nationalen Netzwerken, die wesentliche Teile des Programms zur Verfügung stellen; die Werbeeinnahmen <?page no="260"?> Nordamerika 261 werden geteilt. Seit Jahrzehnten stehen die drei Network-Gesellschaften NBC, CBS und NBC im Mittelpunkt der TV-Versorgung, dazu kommt der Spätstarter FOX. Bei diesem Typus des TV-Vollprogramms stehen unterhaltende Programme im Vordergrund, weil nur die das optimale Umfeld für Werbung bieten und große Zuschauerschaften anziehen. Die networks bestreiten immer noch einen erheblichen (allerdings sinkenden) Anteil der TV-Diät der Amerikaner (Head/ Spann/ McGregor 2001). In den 1970er-Jahren kamen Kabel und Satellit als zusätzliche Verteilsysteme dazu, auch hier ging die weltweite Entwicklung weitgehend von den USA aus. Damit wurde es möglich, eine hohe Zahl von Programmen zu verbreiten, und heute verfügt der typische US-Haushalt über ca. hundert Kanäle zur Auswahl. Parallel zu den neuen Übertragungswegen begann die Expansion von Pay-TV, bei dem werbefreie Programme gegen ein Abonnement angeboten werden. Der Pionier und heute marktstärkste Anbieter ist H OME B OX O FFICE (HBO, zum weltgrößten Medienkonzern Time Warner gehörig), der vor allem aktuelle Spielfilme anbietet. Inzwischen entwickelte sich auch ein verzweigtes System von »freien« und Pay-Spartenkanälen (Nachrichten, Musik, Sport, Kinder etc.), von denen sich inzwischen etliche auch nach Europa ausgedehnt haben, etwa der Nachrichtenkanal CNN, der Musikkanal MTV, der Kinderkanal N ICKELODEON oder typische Pay-Programme wie D ISCOVERY . In kleinem Umfang (wenige Prozent Marktanteil) gibt es in den USA auch »öffentliche« Anbieter mit N ATIONAL P UBLIC R ADIO (NPR) und P UBLIC B ROADCASTING S YSTEM (PBS), deren Stationen sich dabei um kommerziell benachteiligte Bereiche wie Kultur und Bildung kümmern, ihre Nachrichtensendungen im Radio gelten als vorbildlich. Sie werden meist von Universitäten oder zivilgesellschaftlichen Trägern betrieben: Die bescheidene Finanzierung beruht auf Spenden und staatlichen Zuweisungen. Die Bezeichnung public bezieht sich also auf zumeist privat betriebene Sender, die einem Non-profit-Auftrag folgen. In einem typischen Haushalt ist das Fernsehgerät zwischen sieben und acht Stunden in Betrieb, ein seit Jahren wenig veränderter Wert, der deutlich höher liegt als in Deutschland. Auch das Internet hat seine Wurzeln in den USA, wo es seit den 1970er-Jahren auf der Grundlage eines ursprünglich militärisch genutzten Netzes aus der universitären academic community heraus aufgebaut wurde. In den 1990er-Jahren begann seine publizistische Nutzung wiederum vor Europa. Zeitungen starteten mit Online-Ausgaben im Netz. Früher auch als in Europa erfolgte der Übergang in die nächste Generation von TV, in das kinoähnliche, <?page no="261"?> Weltregionen im Vergleich 262 hochauflösende Fernsehen (digitales HDTV). Ähnliches gilt für den Aufbau von Breitbandverbindungen in die Haushalte, anders als in Deutschland (mit DSL) geschieht dies allerdings vorwiegend auf der Basis von Kabelnetzen (Kleinsteuber 2001). Es steht außer Frage, dass viele der aktuellen Anstöße für die deutsche und europäische Medienentwicklung aus den USA stammen; ihre komparative Bedeutung wird unten diskutiert. Das Mediensystem Kanadas Kanada ist ein Großflächenstaat, den USA vergleichbar, der sich föderal aufbaut, wesentliche Funktionen werden von den Provinzen wahrgenommen. Im Unterschied zu den USA besteht Zweisprachigkeit, d.h., die englische Sprache steht in den meisten Landesteilen im Vordergrund, aber in der Provinz Quebec wird Französisch gesprochen, andere Regionen sind bilingual. Die beschriebene Vermischung europäischer und US-amerikanischer Vorbilder findet sich neben dem Mediensektor auch in vielen anderen Feldern (Lorimer 2003). Das kanadische Mediensystem ist geprägt durch eine Mischung von USamerikanischen und europäischen Vorbildern. Die Verfassung Kanadas stammt aus dem Jahr 1867, sie wurde 1982 um eine Canadian Charter of Rights and Freedoms ergänzt. Ganz am Anfang werden die »fundamentalen Rechte« genannt (Art. 2), darunter »freedom of thought, belief, opinion and expression, including freedom of the press and other media of communication« (Canadian Charter 1982). Gesetze bestimmen Rechte und Pflichten der Journalisten, spezielle Vorschriften von 1985 regeln den Zugang zu öffentlichen Akten (Access to Information Act). Ethikcodes binden häufig die Medienunternehmen und in nahezu allen Provinzen arbeiten Presse räte. Als älteste Zeitung des Landes gilt die H ALIFAX G AZETTE , gegründet 1752; zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sowohl in den französischwie englischsprachigen Landesteilen Zeitungen, und zur Zeit der Staatengründung (1867) bestand bereits ein differenziertes Zeitungssystem, das sich an den politischen Hauptströmungen um die liberalen Reformer und die konservative Partei orientierte. Die einst differenzierte Zeitungslandschaft geriet zunehmend unter die Kontrolle großer Medienkonzerne, die auch Querverbindungen in den Be- <?page no="262"?> Nordamerika 263 reich Fernsehen und Kabel haben. Der größte Zeitungskonzern CanWest Global kontrollierte 2003 über 28 % der Tageszeitungsauflage, die fünf größten Zeitungsgruppe n kamen auf 75 %. Die bekannteste Zeitung ist T HE G LOBE AND M AIL aus Toronto (Raboy/ Gasher 2004). Die Rundfunkentwicklung in dem technologisch immer auf dem neuesten Stand stehenden Kanada begann bereits früh; manche sagen früher als in den USA und verweisen auf den Montrealer Sender XWA, der bereits 1919 eine Lizenz erhielt. Von Anbeginn waren nach US-Vorbild kommerzielle Radiostationen im Markt, und der bedeutende öffentliche Sender C ANADIAN B ROADCA- STING C ORPORATION (CBC) wurde erst 1936 gegründet und offeriert seitdem Programme in englischer und französischer Sprache. Nach dem Vorbild der britischen BBC als gebührenfinanzierte Corporation konstruiert, geriet der öffentliche Sender wegen der aggressiven kommerziellen Konkurrenz in finanzielle Schwierigkeiten und wird seit vielen Jahren aus dem Staatshaushalt alimentiert. Neben dem Radio- und TV-Angebot der CBC haben sich kommerzielle Sender etabliert, die meist crossmedial mit Zeitungsverlagen verbunden sind. Von den Einschaltungen her beherrschen sie den Markt, allerdings hat die CBC eine enorme Bedeutung, was kanadische Identität anbetrifft (Canadian Heritage ist hier ein leitender Begriff). Dazu finden sich TV-Erziehungssender, die von den Provinzen gegründet wurden, und eine lebendige Szene von Community- Radiostationen. In der Anfangsphase hatte die CBC auch regulative Aufgaben, die aber später abgetrennt wurden. Seit 1968 gibt es eine der FCC vergleichbare Regulierungsbehörde, die seit 1976 Canadian Radio-television and Telecommunications Commission (CRTC) heißt. Neben den üblichen Aufgaben wacht sie darüber, dass die von ihr lizenzierten Sender eine Quote für kanadische Inhalte (Canadian Content) beachten, also für im Lande produzierte Inhalte oder Musik kanadischer Bands, die je nach Medium und Sprache variiert. Diese auch in Kanada nicht unumstrittene, aber seit Jahrzehnten praktizierte Eigenproduktionsquote hat zur finanziellen Sicherung einer beachtlichen Produktionsindustrie geführt, weil in Kanada verdientes Geld im Lande reinvestiert werden muss. Diese gezielte Unterstützungspolitik wird noch um eine sehr aktive Filmförderung (Telefilm Canada) ergänzt, die ihre Vorläufer bis 1939 zurückführt und damit das weltweit älteste Projekt dieser Art darstellt (Heide/ Kotte 2006). Längst haben sich Kabel, Satellit (Kanada war das dritte Land mit einem eigenen Kommunikationssatelliten) und Online-Medien etabliert; Pay-TV und digitales Fernsehen sind weit verbreitet, aber auch hier müht sich die staatliche <?page no="263"?> Weltregionen im Vergleich 264 Seite, auf den Schutz eigener Anbieter zu achten. Spezielle Satellitendienste versorgen die Inuits im hohen Norden mit modernen Rundfunk- und Kommunikationsdiensten. In der Summe sucht Kanada, das über ähnliche Ausgangsbedingungen wie die USA verfügt, oft einen eigenen, ganz anderen Weg, auch wenn der große südliche Nachbar omnipräsent erscheint. In der Konsequenz hat Kanada mitunter erstaunliche Lösungen für Fragen zu bieten, die uns in Deutschland und Europa derzeit beschäftigen. Nordamerika als Vorbild Nordamerika stellt aus europäischer Perspektive eine klassische Region der Temporanz dar, was bedeutet, dass hier viele Entwicklungen begannen, bevor sie in Europa und Deutschland übernommen oder eigenständig entwickelt wurden (→ 2.3). Der vergleichende Ansatz ermöglicht also vielfach, einen Blick in die eigene Zukunft zu werfen. Die USA haben historisch der ganzen Welt demonstriert, wie eng demokratische Willensbildung und freie Medien zusammenhängen. Was die Verfassung vor mehr als zwei Jahrhunderten forderte, zählt heute zum selbstverständlichen Wertekatalog aller westlich-liberalen Staatswesen. Damit sind auch bestimmte Forderungen an den Staat verbunden, etwa im Sinne des Freedom of Information Act in den USA (Gesetz von 1966), der den Bürgern garantiert, dass sie jederzeit Einsicht in behördliche Akten nehmen können, falls dem nicht übergeordnete Gesichtspunkte entgegenstehen. Entsprechende Gesetze wurden später nach US-Vorbild in Europa eingeführt, ziemlich spät (2006) auch in Deutschland. Hier wird deutlich, wie aufmerksam immer wieder US-amerikanische Entwicklungen bei uns verfolgt werden. So wurde lange übersehen, dass in Schweden vergleichbare Bestimmungen zur Aktenoffenlegung seit dem 18. Jahrhundert bestehen. Die USA stellen für die europäischen Mediensysteme eine Region der Temporanz dar: Hier begannen Entwicklungen, die später in Europa übernommen oder eigenständig entwickelt wurden. Im Bereich der Regulierung (eigentlich ein amerikanischer Begriff, der schon in der Verfassung vorkommt: regulation) haben die USA mit der FCC international vorbildlich gewirkt (auch die kanadische CRTC ist ähnlich konstruiert), mit der Schaffung dualer Systeme in Europa wurden überall vergleichbare Aufsichtsbe- <?page no="264"?> Nordamerika 265 hörden geschaffen. In Deutschland hat man allerdings mit Landesmedienanstalten weltweit einmalig den föderalen Weg eingeschlagen. Damit bewegen wir uns zunehmend ins medienpolitische Abseits; während FCC und CRTC längst die Konvergenz von Rundfunk, Telekommunikation und Informationstechnik regulativ abbilden und für alle Bereiche zuständig sind, kümmern sich bei uns die Länder um Radio und Fernsehen, der Bund aber um Telekommunikation (mit der Bundesnetzagentur). Der Vergleich mit Nordamerika demonstriert den deutlichen Modernisierungsrückstand in Deutschland. Dazu kommt, dass die nordamerikanischen Regulierungskommissionen sich eher als Jurys verstehen, die bei hoher Transparenz und zivilgesellschaftlicher Beteiligung ständig neu entstehende Konflikte im Kompromiss beizulegen versuchen, währenddessen deutsche Regulierer sich eher in verwaltungsjuristischer Tradition als hoheitlich handelnde Behörden verstehen. Als bei uns die zweite, kommerzielle Säule im dualen Rundfunksystem entstand (die niemand in Nordamerika »privat« nennen würde), standen vor allem US-amerikanische Anbieter Modell. Unter Einbezug von Consultants von jenseits des Atlantiks wurden überall in Europa in Nordamerika entstandene Konzepte wie die formatierten Radiostationen oder unterhaltungsorientierte, werbefinanzierte TV-Kanäle eingerichtet, die in der Anfangsphase vor allem US-Serien und Hollywood-Filme zeigten. Inzwischen ist aber der zeitliche Vorsprung der USA geschmolzen, europäische Medienkonzerne haben ihre Lektion gelernt und haben gleichgezogen, etwa bei der Entwicklung von TV-Serienformaten (so wurde das europäische Doku-Format Big Brother vor einigen Jahren auch in den USA ein Erfolg). Zentralen Einfluss erwarb sich auch die nordamerikanische Kommunikationsforschung in Europa - und gerade in Deutschland. Viele Amerikanismen in unserer Fachsprache, etwa Agenda Setting, Gatekeeper, Uses and Gratification, Framing, verdeutlichen, in welchem Umfang Konzepte und Schulen übernommen wurden. Dies ist umgekehrt nicht der Fall, lediglich einige Ansätze sind jenseits des Atlantiks bekannt, etwa die Frankfurter Schule mit ihrem skeptischen Blick auf die Kulturindustrie oder das von Jürgen Habermas entwickelte Öffentlichkeitskonzept (unter dem Kunstbegriff public sphere). Die Einführung von Journalistik-Studiengängen in Deutschland seit den 1970er-Jahren wurde massiv vom nordamerikanischen Vorbildern geprägt, wobei insbesondere Journalism Schools (die prominenteste in USA: die Columbia School of Journalism, gegründet 1912) inspirierend wirkten. Aber hier besteht noch großer Nachholbedarf, etwa wenn man die hervorragende Ausstattung der nordamerikanischen Universitäten und <?page no="265"?> Weltregionen im Vergleich 266 ihre guten Beziehungen zu den Medienbetrieben bedenkt. Ein wesentliches Element der Journalistenausbildung stellt dabei der Fokus auf Ethik dar, unterrichtet an konkreten Fällen aus der redaktionellen Praxis. Da es keine pressegesetzlichen Regelungen in den USA gibt, sind seit den 1920er-Jahren spezifische Ethikregeln in Codes von Verleger- und Journalistenorganisationen festgelegt worden, Grenzfälle werden ausgiebig in Fachjournalen (etwa: C OLUMBIA J OURNALISM R EVIEW ) debattiert (Fengler 2002). Diesem Vorbild journalistischer Selbstreflexion folgen inzwischen auch deutsche Publikationen (wie die Journalistenzeitschrift M ESSAGE ), die amerikanische Entwicklungen sorgfältig beobachten. Im Bereich journalistischer Professionalität hat vor allem die in der Reformphase vor dem Ersten Weltkrieg entstandene Tradition des investigative reporting stilbildend gewirkt (Redelfs 1996). Sie unterstreicht, dass Medien privilegiert sind, aber auch besondere Verpflichtungen haben, nämlich den politischen Betrieb auf Machtmissbrauch und Korruption hin zu durchleuchten. Die Aufdeckung der Watergate-Machenschaften des US-Präsidenten Nixon und sein erzwungener Amtsverzicht 1974 gelten hier - weltweit beachtet - als Höhepunkt und Vorbild. Inzwischen hat sich in Deutschland eine Vereinigung von Journalisten nach US-Muster der Pflege des investigativen Journalismus verschrieben, zusammengefasst in der Organisation »Netzwerk Recherche«. Dies geschah übrigens zu einer Zeit, da die US-Medien in schwierigen Zeiten (Präsidentschaft Bush, Invasion im Irak 2003) wenig investigatives Gespür zeigten und zeitweise patriotisch getränkte, unkritische Berichterstattung im Vordergrund stand. Auch in anderen Bereichen entsteht mitunter der Eindruck, dass wesentliche Innovationen, die einst in den USA entstanden waren, heute eher in Europa überleben. So war bereits früh das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten ab Ende des 19. Jahrhunderts in Teilen der USA (Maryland 1896) gesetzlich garantiert worden, auf Bundesebene fehlt aber bis heute eine klare Regelung. Während dieses Journalistenprivileg in allen deutschen Landespressegesetzen fest verankert ist, findet sich keine parallele bundesstaatliche Regelung in den USA. Dieses Rechtsvakuum nutzte die Bush-Administration mehrfach dazu, um Journalisten zu inhaftieren, die sich weigerten, Quellen preiszugeben. Gegenüber der Weltmacht USA hat das kleine Kanada vergleichsweise wenig Einfluss genommen, wobei viele der oben genannten vorbildhaften Medienprinzipien auch hier zu finden sind. Im Bereich der Kommunikationstheorien ist der Wissenschaftler Marshall McLuhan weltberühmt geworden, vor allem für <?page no="266"?> Nordamerika 267 seine These, dass die technische Hardware der Medien bereits wesentlich deren Inhalt und Wirkung bestimmt, umschrieben mit der doppeldeutigen Aussage, »the medium is the massage« 41 , massiere also direkt den Körper (die kanadische Botschaft in Berlin verfügt über eine nach McLuhan benannte Multimedia- Lounge; McLuhan 1967). Ein anderer Bereich, in dem Kanada internationale Beachtung fand, stellt seine Politik des Canadian content dar, bei der Radio- und Fernsehstationen ein bestimmter Anteil kanadischer Eigenproduktion vorgeschrieben wird, eine Politik, die innerhalb Europas besonders in Frankreich Nachahmer fand. In Deutschland wird für diesen Ansatz meist wenig Sympathie gezeigt (die guten kanadische Erfahrungen sind kaum bekannt), aber vor allem die Szene der Pop-Musiker befürwortet seit Jahren eine entsprechende Quote, um sich der überwältigenden angloamerikanischen Konkurrenz besser erwehren zu können. Fazit In diesem Überblicksartikel konnte nur auf die wichtigsten Impulse verwiesen werden, welche über Jahrhunderte von Nordamerika auf Deutschland (und ganz Europa) wirkten. Mit ihrer oft erfolgreichen Übernahme haben sich die hiesigen Verhältnisse in gewissem Umfang »amerikanisiert«, aber zum einen scheint dieser Vorgang weitgehend abgeschlossen, zum anderen wird er oft auch überschätzt. So ist es immer wieder einmal Mode, mit trendigen Amerikanismen die eigene Position zu verbrämen, ohne eigentlich differenziert zur Kenntnis zu nehmen, was nordamerikanische Besonderheiten sind, wie sie entstanden und wie die Praxis aussieht. So haben etwa deutsche Regulierungsbehörden bis heute wenig mit dem amerikanischen Pendant gemein. In der Wissenschaft wurde diese Flucht in das schnelle Amerikanisierungsargument insbesondere im Bereich der Wahlkampfkommunikation diskutiert. Während allerorten davon die Rede war, dass Professionalisierung und Personalisierung typisch amerikanisch seien, wiesen Wissenschaftler auf die weiterlaufende große Differenz in der 41 Dies ist der Titel eines Buches, mit dem McLuhan sein Zitat »the medium is the message« in die Doppeldeutigkeit abwandelte. <?page no="267"?> Weltregionen im Vergleich 268 Ausgangslage, also zwischen amerikanischem und deutschem Politik- und Wahlsystem, hin (Kamps 2000). Dies sei an TV-Duellen demonstriert. Die Vorstellung, dass wir erst seit einigen Jahren im Wahlkampf TV-Duelle abhalten und diese nach US-Vorbild ablaufen, ist stark verkürzt. Tatsächlich nennen die Amerikaner diese Kandidatendialoge TV-Debatten und unterstreichen damit, dass es dabei eher gesittet und kontrolliert zugeht. Für Deutschland gilt dagegen, dass es im Rahmen des parlamentarischen Systems völlig normal ist, dass immer wieder hitzige Konfrontationen zwischen den Spitzenpolitikern stattfinden. Im Bundestag wie auch im Fernsehen (Talk-Sendungen) treten sie regelmäßig gemeinsam auf, während das präsidentielle System der USA für vergleichbare Konfrontationen kaum Raum bietet. Da der amtierende Präsident der USA in vielerlei Hinsicht die distanzierte Rolle eines »Wahlkönigs« einnimmt, tritt er fasst nur in inszenierten Situationen auf und wird selten öffentlich zur Rede gestellt. Darum haben die TV-Debatten, bei denen z.B. der amtierende Präsident mit seinem Herausforderer Argumente austauscht, wegen ihrer Exklusivität einen besonderen Stellenwert. Allgemein gilt, dass Deutsche und Europäer ähnlich professionelle Wahlkämpfe führen wie die Amerikaner, allerdings zeigen sich die Rahmenbedingungen von Politik, Parteien, Finanzierung und Wahlrecht sehr unterschiedlich. Modernisiert wird dagegen überall, derzeit sind es vor allem Online- Wahlkämpfe, bei denen Europäer sich gern Anregungen in Nordamerika holen. In der Vergangenheit sind die USA immer einmal wieder in einer Weise dargestellt worden, bei der weniger die Besonderheiten dieses spannenden Landes im Mittelpunkt standen als Verklärungen, die eher spezifisch deutsche Sichtweisen in den Mittelpunkt stellten, als die Realitäten einer anderen Kultur abbildeten. So wurden Verhältnisse in dem Land als vorbildhaft für Marktorientierung und Deregulierung dargestellt. Dem steht die Realität entgegen, dass fünf der sechs weltgrößten Medienkonzerne aus diesem Land stammen, crossmedial integrierte Unternehmen viele Märkte unter sich aufteilen und die publizistischen Leistungen angesichts rein kommerziellen Managements zunehmend schwächer ausfallen. Auch die Vorstellung, dass staatliche Eingriffe auf ein unvermeidliches Minimum reduziert seien, greift zu kurz; Gesetze schreiben z.B. vor, dass (anders als in Europa) nur Amerikaner Rundfunklizenzen erhalten können. Ebenso wirken sich die puritanischen Traditionen massiv in Wort und Bild aus, unanständige Four-Letter-Words dürfen auch heute nicht im Radio gesprochen und erotisierte Bilder nicht im freien Fernsehen gezeigt werden. <?page no="268"?> Nordamerika 269 Manches was bei uns alltäglich erscheint, ist im »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« so nicht gegeben. Angesichts anders lautender Erfahrungen ist es leichtfertig, die Verhältnisse in den USA als Manifestierung neoliberaler Ideale zu interpretieren, die Realität ist viel komplexer. Als ARD, ZDF und die DEUTSCHE WELLE 2002 damit begannen, in den USA ein deutschsprachiges Vollprogramm GERMAN TV als Pay-TV zu starten, trafen sie auf viele unvorhergesehene Behinderungen. So mussten sie erfahren, dass private Kabelfirmen abschließend über die Belegung in ihren Netzen entscheiden, und Satellitenprogramme sind nur über Pay-Pakete empfangbar (Kleinsteuber 2006). Ende 2005 mussten sie das Vorhaben aufgeben, weil zu wenig Zuschauer erreicht wurden. Eher stimmt, dass die USA bei ihren internationalen Auftritten gern das hohe Lied der privaten Initiative singen, ohne dies immer daheim einzulösen. Kanada, der nächste Nachbar, kennt diese Realitäten und hat mit einer Palette medienpolitischer Sicherungen in seiner Canadian-content-Politik darauf reagiert, die mediale Umklammerung aus den USA zu konterkarieren. Sein öffentliches Rundfunksystem, die Eigenproduktionsquoten, die aktive Filmförderung sind längst zu einem Faktor der Identitätssicherung in diesem immer wieder von Sprach- und Kulturkonflikten heimgesuchten Land geworden. Es ist dabei auffällig, dass diese Abschottungsmaßnahmen eigentlich nicht zu dem Freihandelsabkommen NAFTA passen, das Kanada mit den USA verbindet. Das Land hat sich aber von den USA zusichern lassen, dass seine einzigartige Medienpolitik nicht gegen den Geist des Vertragswerks verstößt, so wichtig waren ihm diese Sonderrechte, und die USA haben sich darauf eingelassen. Daran sollte Europa denken, wenn es immer wieder einmal wieder unter amerikanischen Druck gerät, es möge seine Märkte für mehr US-Medien öffnen oder endlich die angeblich marktgerechten US-Verhältnisse übernehmen. <?page no="269"?> Weltregionen im Vergleich 270 Übungsfragen 1) Was unterscheidet das US-amerikanische vom deutschen Verständnis von Pressefreiheit? 2) Welcher, heute in der gesamten Welt praktizierte Typus von Rundfunk wurde in den USA entwickelt? 3) Welche Institution ist für die Regulierung von Rundfunk in den USA zuständig und was machte sie vorbildhaft für die Welt? 4) Warum gilt Kanada als das beispielhafte Land für Eigenproduktionsquoten? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Creech, Kenneth C. (2003): Electronic Media Law and Regulation. Boston. Fengler, Susanne (2002): Medienjournalismus in den USA. Konstanz. Head, Sidney W./ Spann, Thomas/ McGregor, Michael A. (2001): Broadcasting in America. A Survey of Electronic Media. Boston. Heide, Markus/ Kotte, Claudia (2006): Kanadischer Film. Geschichte, Themen, Tendenzen. Konstanz. Kamps, Klaus (Hrsg.) (2000): Trans-Atlantik - Trans-portabel? Die Amerikanisierungsthese in der politischen Kommunikation. Wiesbaden. Kleinsteuber, Hans J. (2004): Das Mediensystem der USA. In: Hans-Bredow-Institut (Hrsg.): Internationales Handbuch Medien. Baden-Baden, S. 1081-1094. Kleinsteuber, Hans J. (Hrsg.) (2001): Aktuelle Medientrends in den USA. Wiesbaden. Kleinsteuber, Hans J. (2008): Deutsche Welle und German TV in den USA: Auswärtige Kulturpolitik auf einem schwierigen Markt. In: Raab, Josef/ Wirrer, Jan (Hrsg.): Die deutsche Präsenz in den USA. Münster: LIT Verlag, S. 451-478. Lorimer, Rowland (2003): Mass Communication in Canada. Toronto. McLuhan, Marshall (1967): The Medium is the Massage. Harmondsworth (deutsch: Das Medium ist Massage. Frankfurt 1969). Raboy, Marc/ Gasher, Mike (2004): Medien in Kanada. In: Hans-Bredow-Institut (Hrsg.): Internationales Handbuch Medien. Baden-Baden, S. 928-939. Redelfs, Manfred (1996): Investigative Reporting in den USA. Strukturen eines Journalismus der Machtkontrolle. Wiesbaden. <?page no="270"?> 271 A NNETTE M ASSMANN / L AURA S CHNEIDER 4.4 Lateinamerika Zum Gebiet von Lateinamerika und der Karibik zählen insgesamt 50 Staaten und Inselgruppen mit 598.001.000 Menschen (vgl. UNdata 2012; UNCTADStat 2012). Dieses Gebiet erstreckt sich von Mexiko, an der US-amerikanischen Grenze, bis hinunter nach Feuerland und die Antarktis. Die nachfolgende Darstellung hebt überwiegend auf die größeren Staaten Lateinamerikas ab (von Nord nach Süd): Mexiko, Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica, Panama, Kolumbien, Ecuador, Venezuela, Brasilien, Peru, Bolivien, Paraguay, Chile, Uruguay, Argentinien. Die zusammenfassenden Erläuterungen zu dieser Vielzahl von Ländern müssen naturgemäß schematisch sein. Dementsprechend sollen sie nur als ordnende Annäherung begriffen werden; komplexe historische und kulturelle Prozesse werden vereinfacht umrissen. Politische und wirtschaftliche Hintergründe Der Ursprung, Lateinamerika als eine zusammenhängende Region zu sehen, liegt in der spanischen Eroberung. Die gewaltsame Eroberung des Subkontinents hinterließ bis heute insbesondere zwei kulturell prägende Merkmale: die Sprache und den Katholizismus. In Lateinamerika werden fast 700 verschiedene Sprachen gesprochen, die in etwa 100 unterschiedlichen Sprachfamilien kategorisierbar sind. Zwar sind die Verkehrssprachen Spanisch und in Brasilien Portugiesisch, in mehreren Ländern sind aber weitere Sprachen offiziell anerkannt. So sind neben dem Spanischen laut Verfassung etwa in Bolivien und Peru auch alle indigenen Sprachen offizielle Landessprachen und in Paraguay Guaraní (vgl. PDBA 2012; PDBA 2012a; PDBA 2012b). Diese Anerkennung hat jedoch gesellschaftlich und sprachpolitisch kaum Bedeutung. Ausnahmen in Bezug auf eine grundsätzliche Prägung durch den Katholizismus gibt es in Lateinamerika nicht, wohl aber bedeutende Unterschiede hinsichtlich des Grades seiner Durchsetzung in der Alltagskultur: Wo die indigene Bevölkerung in Folge der Eroberung nicht vollkommen ausgerottet wurde, <?page no="271"?> Weltregionen im Vergleich 272 treten stärkere Mischformen auf. Ganz besonders starke Synkretismen finden sich in afrobrasilianischen und afrokubanischen Gemeinschaften, wo unter dem Deckmantel katholischer Rituale afrikanische Religionen samt ihrer Riten die Alltagskulturen 42 bis heute prägen (UNEAC 1995: 27 ff.). Die Phase der Eroberung mündete in allen Ländern Lateinamerikas in koloniale Strukturen der Ausbeutung natürlicher Ressourcen durch die jeweiligen »Mutterländer«. Ebenso traten ab dem 19. Jahrhundert sukzessive in allen Ländern nationalistische Unabhängigkeitsbewegungen auf, die sich in den eher großbürgerlichen Milieus der Städte formierten (eine Ausnahme ist der bäuerlich geprägte Kampf um die Unabhängigkeit in Mexiko Anfang des 20. Jahrhunderts) (vgl. u.a. Topitas 1994; Halperin Donghi 1994: 19-153, 239 ff.). Die nationale Unabhängigkeit der Länder Lateinamerikas ging ab Anfang des 20. Jahrhunderts in postkoloniale Strukturen wirtschaftlicher Abhängigkeit von westlichen Industrienationen über. Dies bedeutet, dass die politische Unabhängigkeit zwar formal erreicht wurde, wirtschaftliche Abhängigkeitsstrukturen (intern und extern) jedoch bestehen bleiben 43 . Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt von starker gesellschaftlicher Polarisierung: Rechte, bürgerliche Kräfte, überwiegend unterstützt durch Militär und Ausland (allen voran die USA), standen postkolonialen Befreiungsbewegungen unterschiedlicher linkspolitischer Strömungen gegenüber. Diese strebten über die Eroberung staatlicher Macht tendenziell eine Nationalisierung der Ausbeutung natürlicher Ressourcen sowie die Umverteilung von Besitz und Produktionsmitteln an. Zentrale politische Forderungen waren u.a. Landverteilung zugunsten von 42 Kultur wird hier grundsätzlich verstanden als »...feature of the lived practices of everyday life, which needed to be understood in political terms« (vgl. Dahlgreen 1997: 50), entsprechend dem Ansatz der Cultural studies (vgl. u.a. Williams 1958; Thompson 1963). 43 Diese Form der Abhängigkeit mit daraus resultierender spezifischer gesellschaftlicher Strukturierung nach innen, führte zur Begründung der Dependenztheorie, die als ein Sammelbegriff für verschiedene Ansätze zu verstehen ist. Sie gehen alle von der Annahme aus, dass Abhängigkeit ein wichtiger, wenn auch nicht der einzige Faktor zur Erklärung von Unterentwicklung ist und dass Entwicklung und Unterentwicklung miteinander verschränkte Prozesse darstellen. Ihre Kernthese lautet, »dass in Lateinamerika die Jahrhunderte währende und auf den Beginn der spanischen Kolonisierung zurückgehende Einbindung in das sich ausbreitende kapitalistische Weltsystem nicht nur einen permanenten Ressourcenabfluss (...) bewirkt hat, sondern auch (...), dass diese Beziehungen eine strukturelle Transformation des internationalen Systems wie der innergesellschaftlichen Strukturen herbeigeführt haben (…)« (vgl. Menzel 1993: 27 ff.). <?page no="272"?> Lateinamerika 273 Landlosen und Kleinbauern sowie Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Die Forderungen reichten von der Teilhabe am politischen System bis hin zur Machtergreifung des Systems (vgl. ebenda: 490 ff.). Dem Erstarken der - zwar leicht zeitlich versetzt, aber in allen Ländern Lateinamerikas auftretenden - unterschiedlichen radikal linken Gruppierungen traten vielfach Militärregierungen entgegen, die diktatorische Regimes errichteten (z.B. 1953 Guatemala; 1964 Brasilien; 1973 Chile; 1973 Uruguay; 1976 Argentinien). Verfolgung, Folter und Ermordung politisch Andersdenkender sowie der allmähliche, aber massive gesellschaftliche Umbau zu neoliberalen Wirtschaftsmodellen bei Konsolidierung ausländischen Einflusses kennzeichneten diese Phase. Der dauerhafte massive Widerstand gegen die Diktaturen wie auch die wirtschaftlichen Krisen, in die diese vielfach führten, mündeten ab Ende der 1980er-Jahre in die Phase des sogenannten Übergangs (transición) zu demokratischen Systemen (vgl. Hernández 2001). Bis heute charakteristisch für alle Länder Lateinamerikas ist die nicht durchgesetzte integrative Vergesellschaftung. Parallel existieren vormoderne Vergesellschaftungsformen (z.B. traditionelle indigene Gemeinschaften oder sklavenähnliche Abhängigkeitsstrukturen bei Landarbeitern) neben hochmodernen, globalisierten wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Zentren (z.B. die Metropolen Buenos Aires, Santiago de Chile, Lima, S-o Paulo, Mexiko Stadt). Die bestehende Ausgrenzung ist zwar jeweils unterschiedlich groß, immer bedeutendere Anteile der Bevölkerung sind jedoch vom Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung, Einkommen und Land ausgeschlossen. Diese Phänomene beschreibt der Soziologe Barbero als die lateinamerikanische Variante der Moderne, die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« (vgl. u.a. Barbero 1993). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts setzten sich bei Wahlen in verschiedenen Ländern Regierungen unterschiedlicher linker Couleur durch - von Argentinien über Bolivien, Brasilien, Chile, Venezuela bis nach Uruguay und Ecuador. Vielfach wird in diesem Kontext von einem »politischen Linksruck« gesprochen (vgl. u.a. Exeni 2006: 15 ff.; Celedón Díaz/ Muñoz Vasquez 2006: 11 ff.; Maihold/ Zilla 2006). Dieser führte zur politischen Spaltung, die von Lagerdenken und medial ausgetragenen Streitigkeiten bestimmt war und die intraregionalen Beziehungen belastete. Trotz des erwarteten »Rechtsrucks« nach den Wahlen in Chile und Kolumbien hat sich das außenpolitische Klima seit 2010 jedoch merklich entspannt (vgl. Nolte/ Stolte 2010: 6 ff.). Generell kennzeichnen seit dem Bicentenario, den großen Feierlichkeiten zum 200. Jubiläum der Unabhängigkeit von Spanien, Euphorie und wachsendes <?page no="273"?> Weltregionen im Vergleich 274 Selbstbewusstsein die Region. Trotz der vielen länderspezifischen Unterschiede ist festzuhalten, dass sich Lateinamerika überraschend schnell von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise erholt hat und derzeit zu den Wachstumszentren der Weltwirtschaft zählt. Während die wirtschaftliche Abhängigkeit, in der die Region lange Zeit zu den USA stand, rückläufig ist, ist besonders das wachsende Gewicht Asiens und vor allem Chinas entscheidend für die Veränderung der Handelsströme von und nach Lateinamerika (vgl. ebd.: 2 ff.). Medienrechtliche Grundlagen Lateinamerika hat eine lange Tradition liberaler Verfassungen. Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit wurden mit der staatlichen Unabhängigkeit überall formal festgeschrieben. Während der Phase der Militärdiktaturen wurden diese Medienrechte massiv beschnitten. Medien wurden verboten und Journalisten, besonders jene von oppositionellen Medien, verfolgt. Im Rahmen der jeweiligen Transitionsphasen haben fast alle Staaten Lateinamerikas ihre Verfassungen erneuert; die Menschenrechte wurden gestärkt und die verschiedenen Kommunikationsfreiheiten wieder in Kraft gesetzt (vgl. Schilling- Vacaflor/ Barrera 2011: 2ff.). Für die demokratisch gewählten Regierungen gehört es seither zu den wichtigsten Aufgaben, die Mediensysteme neu zu regulieren. Obwohl zum Teil noch immer die während der Diktaturen entstandenen Mediengesetze rechtskräftig sind, wurden diese überarbeitet und erweitert und sind heute formal demokratisch 44 . 44 Kubas Mediensystem wird in der kubanischen Selbstbeschreibung als sozialistisch bezeichnet (vgl. u.a. Massmann 2003). Außerdem haben neue Mediengesetze sowie Regierungsinitiativen im Mediensektor in den letzten Jahren für internationale Aufmerksamkeit und zum Teil heftige Kritik gesorgt. Dazu zählen etwa das von Venezuelas Ex-Präsident Chávez im Rahmen der sogenannten bolivarianischen Revolution 2004 verabschiedete »Gesetz für soziale Verantwortung in Radio und Fernsehen«, das Gesetz gegen Rassismus und Diskriminierung in Bolivien (2010), das Gesetz über die audiovisuellen Medien in Argentinien (2009) und ein kürzlich von Ecuadors Regierung vorgelegtes, sehr umstrittenes neues Medien- und Kommunikationsgesetz. Für ausführliche Informationen über neue Mediengesetze vgl. u.a. Boris 2012; Hetzer 2012; Lugo-Ocando 2008; Schulten 2012; Latinobarómetro 2011: 20 ff. <?page no="274"?> Lateinamerika 275 Ein zentrales Moment sind die massiven medienrechtlichen Deregulierungen, die Ende des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika einsetzten. Die Zulassung ausländischer Kapitalbeteiligungen im Medien- und Telekommunikationssektor sowie die Erweiterung der Gesetzesspielräume für Konzentrationsprozesse bzw. der Verzicht auf kartellrechtliche Regelungen haben mächtige, internationale Multimediakonzerne hervorgebracht, die nicht nur mehrere Mediensektoren beherrschen, sondern auch in andere Wirtschaftszweige expandiert sind. Ihre Funktionäre sind oft gleichzeitig auch Großgrundbesitzer, Aktionäre von Banken und Politiker (vgl. Boris 2012: 32; Hetzer 2012: 50). So wie die übrigen Freihandelsabkommen in Lateinamerika hat auch der Tratado de Libre Comercio zwischen Mexiko und den USA die Grundlage gebildet, um Privatisierungen und Fusionen voranzutreiben und den mexikanischen Medienmarkt für Auslandskapital zu öffnen (vgl. u.a. Crovi Druetta 1999). Trotz des formal demokratischen Rahmens zählt Lateinamerika bis heute zu den gefährlichsten Regionen für Journalisten weltweit (vgl. O'Reilly 2012). Laut International Press Institute wurden 2010 32 und 2011 35 Journalisten getötet 45 (vgl. IPI 2011). Trotz der langen Tradition liberaler Verfassungen mit festgeschriebener Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit zählt Lateinamerika bis heute zu den gefährlichsten Regionen für Journalisten weltweit. Für die gesamte Region sind ähnliche Einschränkungen der Pressefreiheit charakteristisch: »Many repressive elements of the dictatorship period remain in place or have mutated into more subtle means of censorship and control« (Lugo-Ocando 2008: 2). Dazu zählen neben der Gewalt gegenüber Journalisten die starke Medienkonzentration, fehlende Informationsfreiheit, politische Kontrolle sowie indirekte Mittel der Zensur und Unterdrückung 46 . Darüber hinaus stellt die extreme Straflosigkeit ein großes Problem dar: Von den 81 Morden an Journalisten, die es seit 2000 in Mexiko gegeben hat, wurde kein einziger aufgeklärt (vgl. Langer 2012). Ambort (2005: 53 ff.) weist in einer Studie darauf hin, 45 2011 wurden in Mexiko zehn, in Honduras sechs, in Brasilien und Chile jeweils fünf, in Peru drei, in El Salvador zwei und in Bolivien, Chile, Kolumbien, Guatemala und Paraguay jeweils ein Journalist getötet (vgl. IPI 2011). 46 Zur Situation von Journalisten in Lateinamerika vgl. u.a. Lopez 2001; Güvenel 2004; Lauría 2005; Aceves González 2004, zur Situation in Mexiko Schneider 2011; Rey Lennon 2001 zu Argentinien, Bucci 2006 zum Verhältnis brasilianische Regierung/ Medien. <?page no="275"?> Weltregionen im Vergleich 276 dass die Arbeitsbedingungen der Journalisten ferner durch Prekarisierung und Flexibilisierung sowie fehlenden gewerkschaftlichen Schutz geprägt seien. Eine Durchsetzung und Sicherung berufsethischer und Qualitätsstandards soll über eine verpflichtende Ausbildung an Journalistenschulen erreicht werden. Gleichzeitig ist die Berufsbezeichnung »Journalist« in vielen Ländern Lateinamerikas rechtlich geschützt, in neun Staaten ist die Mitgliedschaft in einem Berufsverband Pflicht (vgl. Lugo-Ocando 2008: 11). Bewertungen dieser Maßnahmen fallen unterschiedlich aus: Während Befürworter sagen, dass so u.a. Standards für Mindestbezahlung gehalten würden, was die Anfälligkeit für Korruption unter Journalisten senke, sehen Gegner die Gefahr der leichteren Kontrolle der Berufsgruppe durch Regierungen (vgl. u.a. Knudson 1997: 878 ff.; Ambort et al. 2005: 20 ff.). Ökonomische Strukturen der Medien In Lateinamerika herrscht traditionell privatwirtschaftlicher Medienbesitz vor. Ein öffentlich-rechtlicher Sektor wird medienrechtlich nicht gefördert und ist quasi nicht existent. Kennzeichnend für die Medienmärkte sind oligopolistische, meist monopolistische Strukturen mit horizontalen und vertikalen Konzentrationsprozessen. Der Anteil ausländischen Kapitals ist nicht nur bei traditionellen Medien wie Presse, Hörfunk und Fernsehen, sondern insbesondere auch im Telekommunikationssektor bis heute sehr hoch 47 . In den letzten Jahren haben jedoch mehrere Regierungen ihre Rechtsvorschriften zum Eigentum an den Medien geändert. So beschränken neuerdings z.B. Gesetze in Peru und Argentinien die ausländische Kapitalbeteiligung auf 40 % bzw. auf 30 % des gesamten Grundkapitals eines Medienunternehmens (vgl. Jacoby 2011: 109). In Argentinien bestimmt ein spezielles Investitionsabkommen allerdings, dass nordamerikanische Investoren als Argentinier angesehen werden, so dass sie bis zu 100 % eines Mediums erwerben dürfen (vgl. Mastrini 2009: 775). 47 Siehe hierzu u.a. Hetzer 2012; Boris 2012: Lopez Alonso/ Rey Lennon 2001; Wilke 2003 <?page no="276"?> Lateinamerika 277 Seit Ende des 20. Jahrhunderts gehören Lateinamerikas Medienmärkte zu den größten Wachstumsmärkten; Brasilien hat heute einen der größten Medienmärkte weltweit. Hier erzielte die Telekommunikationsindustrie 2004 einen Absatz von 43,9 Milliarden US-Dollar, in Mexiko 21,6 Milliarden US-Dollar (vgl. Medioslatinos 2012). Doch obwohl der lateinamerikanische Medienmarkt boomte und der größte lateinamerikanische Konzern, Globo Communicaç-o e Participações aus Brasilien, im Jahr 2012 auf Platz 25 und der größte spanischsprachige Medienkonzern, Televisa aus Mexiko, auf Platz 33 der 50 größten Medienkonzerne weltweit rangieren, beherrschen auf globaler Ebene immer noch die Medienkonzerne mit Stammsitz in Industriestaaten den Kommunikationssektor. So kommen von diesen 50 größten Medienkonzernen (Rangfolge nach Umsatz) 21 aus den USA, vier jeweils aus Großbritannien, Japan, Deutschland, Frankreich, drei aus Kanada, zwei aus Italien und den Niederlanden sowie jeweils einer aus Südafrika, Schweden, Finnland und Spanien (vgl. IfM Mediendatenbank 2012). Dies bedeutet, dass das bereits Anfang der 1980er-Jahre beklagte Kräfteverhältnis in der internationalen Informationsordnung sich nicht grundlegend geändert hat (vgl. u.a. Hachmeister/ Rager 2000: 23 ff.) 48 . Print Im Bezug auf die Reichweite spielen die Printmedien in Lateinamerika im Vergleich zu den anderen Medienformen traditionell eine untergeordnete Rolle. Gründe hierfür liegen u.a. in der langsameren Industrialisierung und Verstädterung sowie in der mangelnden Kaufkraft großer Anteile der Bevölkerung. Der existente Analphabetismus und generell geringe formale Bildungsvoraussetzungen sind weitere Gründe (vgl. Hetzer 2012: 54). Die Printmärkte in Lateinamerika sind hochgradig konzentriert und oligopolistisch strukturiert. Sie sind nahezu durchgehend privatwirtschaftlich organisiert und - wie die anderen Mediensektoren auch - durch zunehmende horizontale und vertikale Konzentrationsprozesse gekennzeichnet (vgl. u.a. Ambort et al. 48 Vgl. grundlegend zum Themenbereich der Auseinandersetzung um die Neuordnung internationaler Kommunikation UNESCO 1981. <?page no="277"?> Weltregionen im Vergleich 278 2005: 20 ff.; Massmann 2004: 275 ff.; → 3.6). Seit Ende des 20. Jahrhunderts nahmen dabei Konversionsprozesse zu: Führende Verlagshäuser in den unterschiedlichen Ländern investierten vermehrt in andere Mediensektoren 49 . Ein Paradebeispiel dafür ist die argentinische Mediengruppe Clarín, die mit der gleichnamigen Zeitung nicht nur die Vorherrschaft auf dem Zeitungsmarkt innehat, sondern neben anderen wirtschaftlichen Aktivitäten auch über große Anteile u.a. am Kabelfernsehen, Radio, der Papierherstellung und dem Internet verfügt (vgl. Mastrini 2009: 771). Im Einklang mit den generell zentralistischen Systemen vieler Länder Lateinamerikas konzentriert sich die Presse vornehmlich in den Hauptstädten und Provinzhauptstädten. Hier herrscht neben einigen wenigen Qualitätszeitungen überregionaler Bedeutung zunehmend Boulevardpresse (prensa amarilla) vor 50 . Beispielhaft für die Größenordnung der Printmedien sei hier auf die größeren lateinamerikanischen Printmärkte hingewiesen: In Mexiko gab es 2012 1028 registrierte Zeitungen und Zeitschriften, von denen fast die Hälfte in der Hauptstadt Mexiko Stadt herausgegeben wird (vgl. PNMI 2012; Gómez García/ Sosa Plata 2009: 1060). In Brasilien sind 2010 4056 Zeitungen erschienen, 652 von ihnen als Tageszeitungen. Die Auflage der zehn größten Zeitungen betrug 2,1 Millionen (vgl. ANJ 2012). In Argentinien zirkulierten 2006 160 Zeitungstitel. Die Auflage der sechs größten Tageszeitungen lag bei 1,02 Millionen (vgl. Mastrini 2009: 774). Die nach dem Ende der Militärdiktaturen entstandenen investigativen Printmedien (wie P ÁGINA 12 in Argentinien, M ATE A MARGO in Uruguay, P UNTO F INAL in Chile oder L A J ORNADA in Mexiko) haben sich zwar einen konstanten, aber im Vergleich zu anderen Printmedien geringen Leseranteil erworben, der sich darüber hinaus auf die Hauptstädte konzentriert. Wie in anderen Regionen ohne eine große Zeitungszirkulation fungiert die Presse in Lateinamerika hauptsächlich als Informationsmittel für die überdurchschnittlich gebildete Bevölkerungsschicht, politische Eliten und Aktivisten. 49 Vgl. u.a. für das Beispiel Brasiliens Grünewald/ Kirsch 2009, für Chile Carvajal Rivera 2009, für Peru Zeta de Pozo 2009 und für Venezuela Cañizález 2008. 50 Vgl. zum Boom der Boulevardpresse und der »revistas desechables«, sogenannter »Wegwerfzeitungen« in Argentinien u.a. Lopez Alonso 2001. <?page no="278"?> Lateinamerika 279 Hörfunk und Fernsehen Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist in Lateinamerika kaum existent. Seit den 1930er-Jahren sukzessive etabliert, war das Radio lange das populärste Massenmedium Lateinamerikas. Ursachen hierfür sind der erwähnte Analphabetismus sowie die geringeren Kosten für Radios im Vergleich zum Fernseher. Heute stagniert in vielen Ländern der Region der prozentuale Wert der Radiohaushalte - mittlerweile sind mehr Haushalte mit einem Fernseher ausgestattet (vgl. Medioslations 2012a). In den ländlichen Regionen ist das Radio jedoch noch immer das Medium mit der größten Reichweite. Es dominieren kommerzielle, nationale Radiosender in Privatbesitz, die sich über Werbung finanzieren und zu größeren Medienunternehmen gehören. Die meisten Radiostationen gibt es in Brasilien (4089) und Mexiko (1488) (vgl. Grupo de Mídia 2012; Gómez García/ Sosa Plata 2009: 1061f.). Ein Spezifikum Lateinamerikas ist die breite Bewegung mehr oder minder professioneller sogenannter Gemeinschaftsradios (radios comunitarias). Dies sind Hunderte kleine Sender, die oft illegal ohne Lizenz ausstrahlen. In fast regelmäßigen Abständen versuchen Regierungen gegen sie vorzugehen. In Venezuela, Bolivien und Ecuador wurden die radios comunitarias in den letzten Jahren jedoch technisch ausgestattet, mit Frequenzen versorgt oder legalisiert. Obwohl ihr Einfluss meist regional begrenzt ist, ist dies ein wichtiger Schritt, denn »(…) die Projekte bergen ein großes Potenzial zur Steigerung der sprachlichen, ethnischen und sozialstrukturellen Vielfalt« (Hetzer 2012: 58). Eine Vielzahl der Gemeinschaftsradios organisiert sich im Netzwerk AMARC. Neben kommerziellen, privaten Senderketten regionaler und nationaler Reichweite existieren kleine regionale und lokale Sender in kirchlicher Trägerschaft, die einen expliziten Bildungsauftrag vertreten oder, wie z.B. in Bolivien, gewerkschaftlich getragene Regionalsender (vgl. u.a. Grebe 2002: 718). Darüber hinaus wird dieser Bildungsanspruch von einem über Satellit übertragenen Programm der Lateinamerikanischen Vereinigung für Bildungsradio (Asociación Latinoamericana de Educación Radiofónica) vertreten, das täglich für den gesamten Kontinent sendet (vgl. Ambort et al. 2005: 27 ff.). Das Fernsehen startete in Lateinamerika in den 1950er-Jahren nach USamerikanischem Vorbild als privatwirtschaftliche Initiative. Heute ist es zum Leitmedium avanciert, das trotz seiner extremen Konzentration und Voranstellung kommerzieller Interessen noch immer viel Glaubwürdigkeit genießt. Bei einer repräsentativen Studie gaben 2009 85 % aller Befragten das Fernsehen als <?page no="279"?> Weltregionen im Vergleich 280 wichtigste Informationsquelle für politische Angelegenheiten an (vgl. Hetzer 2012: 53). Das Vertrauen der Bürger ins Fernsehen (48 %) ist größer als das in Tageszeitungen (45 %) (vgl. Latinobarómetro 2011: 52). Der Fernsehmarkt Lateinamerikas gilt aufgrund seines homogenen Werbemarktes, auf dem länderübergreifend Werbestrategien entwickelt werden können, weiterhin als Wachstumsmarkt. Er wird beherrscht von privaten Monopolen und Oligopolen. In den meisten Ländern existiert jedoch zumindest ein staatlicher Fernsehsender. Die in den letzten Jahren von linksgerichteten Regierungen durchgesetzte Verstaatlichungspolitik im Fernsehsektor ist kritisch zu bewerten, »(…) weil sie Parteilichkeit privater politischer Interessen lediglich durch Regierungsnähe ersetzt« (Hetzer 2012: 58) (für Details vgl. auch Kitzberger 2010). Alle großen nordamerikanischen Medienkonzerne kooperieren mit lateinamerikanischen Anbietern auf dem Fernsehmarkt, so u.a. Time Warner, News Corporation Ltd., Walt Disney und CNN. Laut Schätzungen wird die Verbreitung von digitalem Fernsehen in Lateinamerika bis 2017 bei 76 % liegen. Führende Länder werden demnach Brasilien und Mexiko sein (vgl. Digital TV Research 2012). 2010 war digitales Fernsehen in Brasilien in 38 Städten empfangbar; in Mexiko konnte man 2009 59 digitale TV-Signale empfangen (vgl. Behrens et. al. 2012). Die Verbreitung konzentriert sich auf die urbanen Zentren. 2011 haben die Telekommunikationsminister von sieben lateinamerikanischen Staaten den Grundstein für eine bedeutende Initiative zur Stärkung des digitalen Fernsehens gelegt, die Brasiliens Kommunikationsminister wie folgt beschreibt: »Wir wollen ein einheitliches, digitales Fernsehsystem schaffen - für ganz Südamerika, oder gar für ganz Lateinamerika« (vgl. ebd.). Die Entwicklungen im Satellitenrundfunk zeigten vor allem zwei Trends auf: Einerseits war eine generelle geografische Ausweitung zu erkennen, andererseits hat auch die regionale Fokussierung zugenommen. 2003 haben 21 Satellitenanbieter Fernseh- und Radioprogramme für die lateinamerikanische Region übertragen. Neben neun Satelliten regionaler Systeme engagieren sich mehrere Konsortien aus den USA und Kanada im Satellitenmarkt Lateinamerikas (vgl. Aguilera 2003). Stärkstes eigenständiges Produkt des lateinamerikanischen Fernsehens ist die Telenovela, die spanischbzw. portugiesischsprachige Variante der Seifenoper, die täglich ein Millionenpublikum findet und sich zum Exportschlager mit welt- <?page no="280"?> Lateinamerika 281 weitem Absatz entwickelt hat (vgl. u.a. Boll 1999: 18; O’Donnell 1999: 3). Größte Produzentenländer sind Mexiko, Brasilien, Venezuela und Kolumbien. Televisión del Sur - eine Programmalternative Neben den rein kommerziell ausgerichteten Fernsehsendern Lateinamerikas existiert seit dem 24. Juli 2005, dem 222. Geburtstag Simón Bolivars, dem Vater der lateinamerikanischen Unabhängigkeits- und Einigungsidee, eine Programmalternative. Der Kanal T ELEVISION DEL S UR (TeleSur) hatte von Anfang an zwei Ziele: die Bekämpfung der »hegemonialen Herrschaft« von internationalen Netzwerken wie BBC oder CNN sowie die Förderung der kulturellen und politischen Integration Lateinamerikas (vgl. Cañizález/ Lugo-Ocando 2008a: 214). Initiator des Kanals ist Venezuelas Ex-Präsident Hugo Chávez - und obwohl mehrere Länder an dem Projekt beteiligt sind, ist Venezuela der alleinige Geldgeber. Die venezolanische Regierung hält zurzeit einen Anteil von 46 % an der Betreibergesellschaft Nueva Televisión del Sur S.A., Argentinien 20 %, Kuba 19 %, Uruguay 10 % und Bolivien und Ecuador jeweils 5 %. Der Sendebetrieb umfasst 24 Stunden, wovon fast 50 % von der Darstellung aktueller Ereignisse und Nachrichtensendungen geprägt sind. Knapp 20 % der Sendezeit sind Dokumentarfilme, etwa 30 % Sport- und Unterhaltungssendungen (vgl. ebd.: 213f.). Der als multistaatliches Medienunternehmen geplante Kanal wird heute häufig kritisiert, u.a. aufgrund der Vormachtstellung Venezuelas, der allgemeinen Regierungsnähe des Kanals, der fehlenden Professionalität sowie der geringen Einschaltquoten (vgl. Aharonian 2012: 70ff.). Neue Informations- und Kommunikationstechnologien Die Marktsituation im Telekommunikationsbereich hat sich in Lateinamerika seit den 1990er-Jahren radikal geändert: War früher das staatliche Telekommunikationsmonopol die Norm, so kam es in fast allen Ländern des Kontinents zu einer weitgehenden Liberalisierung und Privatisierung, die private Monopole oder Oligopole an die Stelle der staatlichen Monopole treten ließ. Ähnlich starke Konzentrationstendenzen wie im Rundfunksektor sind somit auch im Bereich <?page no="281"?> Weltregionen im Vergleich 282 der Neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (NIKT) zu diagnostizieren (vgl. Herzog/ Hoffmann/ Schulz 2002a). Verglichen mit den USA oder Europa weist die Verbreitung der Online- Medien in den meisten Ländern Lateinamerikas noch immer einen Rückstand auf. Von allen Internetusern weltweit kommen nur 8,2 % aus Lateinamerika (vgl. comScore 2010). Die Region gehört jedoch zu den am schnellsten wachsenden Online-Märkten weltweit: So ist die Internetnutzung in den meisten Ländern zwischen 2000 und 2011 um mehr als 1000 % gestiegen (vgl. Internet World Stats 2012). Typisch für Lateinamerika ist die Nutzung neuer Medien insbesondere durch sozioökonomisch besser gestellte und junge Bürger: Während in Kolumbien 40 % und in Mexiko 39 % aller Internetznutzer zwischen 15 und 24 Jahre alt sind, ist der Anteil der jungen Nutzer in Venezuela mit 44,5 % sogar weltweit am höchsten (vgl. comScore 2011). Die Internetverbreitung ist in Argentinien (67 % der Gesamtbevölkerung) und Chile (59 %) am größten. Chile wird wegen günstiger rechtlicher Rahmenbedingungen und der staatlichen Unterstützung digitaler Projekte häufig als »Silicon Valley« Südamerikas bezeichnet (vgl. Réniz Caballero 2012: 14). Die Nutzung sozialer Netzwerke ist von großer Bedeutung: 2011 haben 96 % aller lateinamerikanischen Internetuser ein soziales Netzwerk genutzt - 84 % allein Facebook (weltweit: 55 %). Lateinamerika ist somit die Region mit der größten Verbreitung von Facebook weltweit (für Details in den einzelnen Ländern siehe comScore 2012; comScore 2011a). Darüber hinaus ist die Nutzung der Mobiltelefonie in den letzten Jahren im globalen Vergleich in Lateinamerika am stärksten gewachsen: 98 % der Bevölkerung verfügen über ein Mobilfunksignal und 84 % aller Haushalte nutzen eine Art von mobilem Service. Die Anzahl der Handynutzer z.B. in Argentinien und Panama (141 bzw. 184 pro 100 Einwohner) übersteigt sogar die durchschnittliche Handydichte in hochentwickelten Ländern (118) (vgl. World Bank 2012). Trotz der großen Wachstumsraten ist der Zugang zu neuen Informationstechnologien in der Region aber noch immer heterogen. In Bolivien und Guatemala zum Beispiel haben weniger als 5 % aller Haushalte Internetzugang und weniger als 20 % besitzen einen Computer. Grund hierfür sind neben der mangelhaften Infrastruktur die hohen Kosten für Internetdienste (vgl. Hougland 2012). <?page no="282"?> Lateinamerika 283 Spezifika und Problemlagen der Mediensysteme Obwohl von regionalen Ähnlichkeiten nicht auf einen homogenen Mediensystemtypus geschlossen werden kann (vgl. Blum 2005: 6), weisen viele lateinamerikanische Mediensysteme wesentliche gemeinsame Charakteristika auf. Hierzu zählt etwa das durch das nordamerikanische Modell inspirierte kommerzielle, oligarchische Rundfunkmodell, das zu informellen Verbindungen zwischen Staat und Medienunternehmen geführt hat und die Instrumentalisierung privatkommerzieller Medien für politische und wirtschaftliche Interessen unterstützt (vgl. Mastrini 2009: 770). Typisch für Lateinamerika sind außerdem die geringe Zeitungsauflage und die damit verbundenen Finanzierungsprobleme der Printmedien, die Ausprägung von Meinungsjournalismus anstatt ausgewogenem Informationsjournalismus, die Politisierung der staatlichen Medien, die oft gefährlichen Arbeitsbedingungen für Journalisten sowie die geringe Regulierungsdichte (vgl. Hetzer 2012: 54). Der Kommunikationswissenschaftler Enrique E. Sánchez Ruíz (2004: 17) beschreibt außerdem ein starkes Zentrum/ Peripherie-Gefälle als charakteristisch für die Mediensysteme Lateinamerikas: In den Begriffen von Immanuel Wallerstein (1976) bestehe das »amerikanische Weltsystem« aus einem Zentrum (Vereinigte Staaten, vielleicht begleitet von Kanada), einer »Semiperipherie« (Brasilien, Mexiko, Chile, Argentinien, Venezuela) und einer Peripherie, die aus dem Rest der Nationen des Kontinents bestehe. Die Wirtschafts-, Informations- und Unterhaltungsflüsse hätten bis heute tendenziell diese Reihenfolge der Intensität. Innerhalb der jeweiligen Länder setze sich diese Kennzeichnung von Zentrum bis Peripherie fort 51 . Das Recht auf Kommunikation und Information sei dabei an die ökonomische Situation der jeweiligen Haushalte gebunden. Diese Tendenz zeige sich besonders markant im Bereich der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, aber auch bei traditionellen Medien. Das bedeutet, dass in Lateinamerika Prozesse von Exklusion im Medienbereich entlang ökonomischer Faktoren in besonderem Maße konstitutiv für die Strukturierung der jeweiligen Mediensysteme sind und eben nicht auf Integration setzende Mediensystemmodelle. Diese Mediensystemmodelle, für die weitere Defizite im Hinblic k auf Partizipation, Demokratie und Informationsbreite für 51 Vgl. grundlegend zu Nachrichtenflüssen: Galtung/ Holmboe Ruge 1965. <?page no="283"?> Weltregionen im Vergleich 284 alle gesellschaftlichen Schichten auch historisch konstitutiv zu sein scheinen, haben sich dennoch in den letzten Jahren rasant entwickelt. Prozesse von Exklusion im Medienbereich entlang ökonomischer Faktoren sind in besonderem Maße konstitutiv für die Strukturierung der lateinamerikanischen Mediensysteme. Dies gilt u.a. im Hinblick auf die Implementierung technologischer Neuerungen, die Quantität der Medien und ihrer Formate, Ausbildungsmöglichkeiten für Journalisten und Journalistinnen und auch in Bezug auf ihre Reichweiten. Diese Strukturen bestimmen eine weitere Form der bereits erwähnten »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« - hier im Medienbereich. Die Prozesse der Exklusion vom Medienzugang und der Mediennutzung aufgrund mangelnder ökonomischer Voraussetzungen, Zugehörigkeit zu ethnischen Minderheiten, mangelndem Zugang zu Bildung oder auch politischer Einflussnahme erachten Kommunikationswissenschaftler in Lateinamerika als zentrale Problemlagen. Weitere Herausforderungen sind die mit der Deregulierung einhergehenden massiven horizontalen, vertikalen und Cross-over- Konzentrationstendenzen. In den Kommunikationswissenschaften Lateinamerikas wird auch der Frage von Gesellschaftswandel durch Medien und Medienwandel ein großer Stellenwert eingeräumt (vgl. u.a. Massmann 2004). Ausgewählte Studien und ihre Ergebnisse Studien zu Mediensystemen oder kommunikationsbzw. medienwissenschaftlichen Aspekten in Lateinamerika sowie der Austausch über Ansätze von lateinamerikanischen Kommunikationswissenschaftlern stellen bislang immer noch ein Desiderat in der wissenschaftlichen Forschung des deutschen und angloamerikanischen Raums dar. In deutscher Sprache lassen sich wenige Studien finden. 2012 veröffentlichten Bruchmann et. al. (2012) den Sammelband »Medien und Demokratie in Lateinamerika«, der sowohl einen Gesamtüberblick über die Medien der Region bietet als auch die Besonderheiten der einzelnen Mediensysteme in Länderbeispielen herausstellt. Ähnliche Ziele verfolgt auch das 2008 von Lugo-Ocando in englischer Sprache herausgegebene Überblickswerk »The media in Latin America«, das sich neben den einzelnen Mediensystemen auch ausführlich mit der <?page no="284"?> Lateinamerika 285 Programmalternative Telesur beschäftigt. Mit den Medien in Revolutionen in Nicaragua, El Salvador und Mexiko beschäftigt sich »Latin America, media, and revolution« (Darling 2008). Ferner erschienen einige Einzelarbeiten zu nationalen Mediensystemen (vgl. u.a. Schneider 2011; Sorensen 2009; Michalski 2003; Bolaño 2003; Massmann 2003). In den 1990er-Jahren gab Wilke eine Reihe von Mediensystembeschreibungen zu Lateinamerika heraus (vgl. Wilke 1992; 1994; 1996). 2003 folgte ein Band mit drei Studien (zu Kuba, der Medienproblematik in Lateinamerika und dem Internet am Beispiel Kolumbiens). Außerdem finden sich in jeder Ausgabe des Internationalen Handbuch Medien des Hamburger Hans-Bredow-Instituts auch Überblicke über die Mediensysteme der größeren Länder Lateinamerikas. Die meisten dieser Arbeiten sind in erster Linie deskriptiv. Sie stellen die jeweiligen Mediensysteme bzw. Einzelaspekte aus diesen dar. Eine herausragende Studie zur Implementierung von Neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in einzelnen Ländern Lateinamerikas legten Herzog, Hoffmann und Schulz 2002 vor (vgl. Herzog/ Hoffmann/ Schulz 2002a; Herzog/ Hoffmann/ Schulz 2002). Auch sie gehen in der Analyse der Implementierungsprozesse deskriptiv vor. Sie können aber aufgrund der von ihnen angelegten Systematik der Betrachtung der unterschiedlichen Länder am Ende übergreifende Tendenzen markieren, aufgrund derer sie in erster Linie für Modelle der Internetnutzung plädieren, die breiteren Zugang unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zulassen. Regelmäßig diskutiert außerdem das GIGA-Institut in der Reihe »GIGA Focus Lateinamerika« aktuelle Entwicklungen und Trends in den lateinamerikanischen Mediensystemen. Die Zeitschrift »Nord-Süd aktuell«, herausgegeben vom Deutschen Überseeinstitut Hamburg, publizierte ferner in den letzten Jahren einige kleinere Artikel und Nachrichten. Insgesamt ist das Forschungsfeld jedoch weiterhin sehr bearbeitungswürdig. Erkenntnisgewinn durch den Mediensystemvergleich mit Lateinamerika Die Mediensysteme Lateinamerikas mit den ihnen inhärenten Widersprüchen, den spezifischen Medienstrukturen, Medieninhalten, Kommunikations- und Nutzungsgewohnheiten von Medien sowie Problemlagen konstituieren Systeme, <?page no="285"?> Weltregionen im Vergleich 286 deren Wahrnehmung und Analyse zu einer präziseren Analyse des eigenen Referenzsystems führen können. Damit geht einher, dass allein schon ein Vergleich der in Lateinamerika verwendeten theoretischen Begriffe und Ansätze mit jenen aus dem angloamerikanischen Forschungsraum eine teilweise völlig andere Perspektivierung des Gegenstandsbereichs anleiten kann. Beispielhaft sei hier der schon eingeführte Begriff der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« in Bezug auf die Strukturierung von Gesellschaft, oder aber die »Architektur des Netzes« im Hinblick auf die Implementierung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien genannt. Ein weiterer Begriff ist die »soziale Kommunikation« (comunicación social). Man spricht in Lateinamerika von der Wissenschaft der sozialen Kommunikation, wenn man nach Kommunikations- oder Medienwissenschaft recherchiert. Soziale Kommunikation als Begriff und die damit einhergehenden Konzepte suchen alle Prozesse gesellschaftlicher Kommunikation zu fassen - von der interpersonalen Kommunikation bis zur Gruppenkommunikation und ihren Prozessen, medial oder nicht medial gestützt (Fuentes Navarro 1999). Dazu gehört auch die Beschäftigung mit der oralen Kultur als etwas Eigenständigem, die eben nicht als Analphabetismus markiert wird, und deren Anpassung an Modernisierungsprozesse. Die Wissenschaft von der sozialen Kommunikation betrachtet außerdem die Pluralisierung der Rolle des Kommunikators, der nicht als reiner Informant gesehen wird, sondern auch als Erziehender und selbst Lernender, wie auch als Vermittler zwischen den Kulturen (vgl. u.a. Barbero 1999: 4; ders. 2000: 14; ebenso Emanuelli 1999: 6). Mediale Massenkommunikation stellt nur einen Teilbereich der sozialen Kommunikation dar. In diesem Begriff spiegelt sich auch ein Dilemma deutscher und auch angloamerikanischer Kommunikations- und Medienwissenschaft, die vielfach mit der Verkürzung auf die reine Betrachtung medialer Kommunikation sowie ihrer Inhalte oder Folgen arbeiten (vgl. u.a. Fuentes Navarro 1999). Ein weiterer Themenkomplex, dessen wissenschaftliche Analyse in Lateinamerika eine lange Tradition hat, ist die Demokratisierung und der Gesellschaftswandel und das darin inhärente, spezifische Zusammenspiel von Medien und Gesellschaft - also die Frage des Zusammenhangs zwischen Gesellschaftswandel durch Medienwandel (vgl. Massmann 2003: 275 ff.). Der Vergleich unterschiedlicher Mediensysteme kann auch sinnvoll im Hinblick auf Problemlagen sein, die u.a. auch in Deutschland oder Europa auftreten, wie z.B. horizontale, vertikale und Cross-over-Konzentrationsprozesse und ihre Folgen auf massenmediale Kommunikation und Inhalte. Dazu zählt auch <?page no="286"?> Lateinamerika 287 die Untersuchung von spezifischen Exklusionsprozessen aufgrund von ökonomischen oder Bildungsvoraussetzungen. Ein möglicher Fokus wäre hier z.B. ein Vergleich der Strategien des Umgangs mit diesen Prozessen - sei es auf der Ebene der Regulierung oder im Hinblick auf Strategien von spezifischen Aneignungsprozessen. Dennoch ergibt sich bei allen Vergleichen immer die Problematik des Referenzrahmens, bei dessen Erarbeitung neben kulturellen Differenzen auch die reine Problematik der Datenlage eine große Rolle spielt. So ist quantitative Forschung in Lateinamerika unterrepräsentiert - sie ist vielfach zu teuer. Übungsfragen 1) Wie lassen sich die medienrechtlichen Grundlagen lateinamerikanischer Mediensysteme beschreiben und welche Problemlagen prägen sie? 2) Welche Tendenzen der Strukturierung der Printmärkte lassen sich erkennen? 3) Welche Tendenzen der Strukturierung von Hörfunk und Fernsehen lassen sich erkennen? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur In Lateinamerika werden Fachzeitschriften der comunicación social aus Kostengründen vornehmlich über das Internet verbreitet. Artikel dieser Publikationen werden häufig nicht fortlaufend nummeriert. Aus diesem Grunde entfallen bei einigen Literaturverweisen die Seitenzahlen. Aceves González, Francisco de Jesús (2004): Monitoreo de medios y democratización en América Latina. La participación de la cuidadanía en la vigilancia de la función informativa de los medios de comunicación de masas. In: Comunicación y Sociedad, Febrero - Junio 2004, S. 91-108. Aguilera Flores, Margarita (2003): Constelación saletial. 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Seit 2011 berichten zahlreiche Journalisten des Senders von zunehmenden politischen Steuerungsversuchen. 52 Diese enge Anbindung der Massenmedien an staatliche Eliten ist ein wesentliches Charakteristikum sowohl der nationalen Mediensysteme als auch transnational operierender Medien in der arabischen Welt. Mit den Umbrüchen wurde aber zugleich auch die Wirkmächtigkeit des Internets als transnationales, dezentral nutzbares und ungleich weniger an Eliten gebundenes Medium in den Vordergrund der Forschung gerückt. Erste differenzierte Analysen haben zwar bereits die Klischees vermeintlicher »F ACE- BOOK - und Y OU T UBE -Revolutionen« relativiert: Die Umbrüche wurden von Menschen getragen und haben vor allem in Tunesien, Ägypten, Jemen, Libyen, Syrien und Bahrain insgesamt zehntausende Todesopfer gefordert. Trotzdem haben in einem bisher einmaligen Prozess digitale Medien im Zusammenspiel mit klassischen Massenmedien eine Schlüsselrolle für die politischen Transformation gespielt: Demonstranten filmten die Ereignisse mit ihren Handys und stellten diese Bilder auf Y OU T UBE , TV-Kanäle wie A L -J AZEERA brachten schließlich die Videos in die Wohnzimmer der gesamten arabischen Welt. Die 52 Z.B. Aktham Suliman (2012): Vergiss, was du gesehen hast! In: FAZ.net, 11.12.2012, URL: http: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ medien/ ein-abschied-vonal-dschazira-vergiss-was-du-gesehen-hast-11988966.html <?page no="294"?> Arabische Welt 295 Nutzung des Web 2.0 schuf in autoritär reglementierten politischen Systemen öffentliche Räume, die als Infrastruktur zur Ressourcenmobilisierung von marginalisierten Akteuren dienten. Zugleich boten diese Räume die Möglichkeit, bis dato tabuisierte Themen und Informationen auch über die staatlichen Nationalgrenzen hinauszutragen und somit eine große außenpolitische Wirkung zu entfalten. Es ist daher notwendig, die spezifischen Mechanismen und Funktionen arabischer Mediensysteme und ihrer transnationalen Verflechtungen zu analysieren, nicht zuletzt, um verstehen zu können, wie dieses cross-mediale Zusammenspiel möglich wurde, in einer Region, von der es lange hieß, sie habe aufgrund ihres anhaltenden Autoritarismus die »Wellen der Demokratisierung« einfach verpasst (Huntington 1991). Mit dem Begriff der arabischen Welt werden hier die 22 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga (die palästinensischen Gebiete darin eingeschlossen) und ihrer mehr als 300 Millionen Einwohner bezeichnet 53 . Trotz verschiedener Dialekte teilen sie eine Sprache, das sogenannte Moderne Standardarabisch. Durch das gemeinsame Idiom kann, wie der »Arabische Frühling« eindrucksvoll demonstriert hat, die Berichterstattung der Medien über Ereignisse in einem Land auch Einfluss auf Entwicklungen in anderen arabischen Ländern haben. Geografisch erstreckt sich die arabische Welt von Nordafrika über die Levante, die arabische Halbinsel bis zum Irak. Die häufig islamisch geprägten Länder lassen sich in folgende Subregionen einteilen: Maghreb (Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, politisch auch Mauretanien); Maschrek (Libanon, Syrien, Jordanien, Irak und palästinensische Gebiete) sowie die Golfregion (Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate (VAE), Kuwait, Bahrain, Qatar, Oman, Jemen). Das Nilland Ägypten wird keiner dieser Regionen zugeordnet. 53 Die afrikanischen Mitgliedsstaaten Nordsudan, Komoren, Somalia und Djibouti werden hier nicht behandelt. <?page no="295"?> Weltregionen im Vergleich 296 Politische und wirtschaftliche Hintergründe Die Staatsformen der arabischen Länder sind Varianten von demokratischen oder autokratischen Präsidialrepubliken oder konstitutionellen, parlamentarischen oder absoluten Erbmonarchien in Form von Königreichen, Sultanaten, Emiraten oder autonomen Emiraten in einer Föderation. Politische Parteien spielen vor allem in den Umbruchstaaten Tunesien und Ägypten eine entscheidende, und in Libyen aufgrund der tribalen und ethnischen Strukturen des Landes eine etwas geringere Rolle. Auch in Marokko, Algerien und Jordanien und den palästinensischen Gebiete haben politische Parteien ein gewisses Gewicht. Im Libanon, im Irak und im Jemen sind sie vor allem die politischen Organe konfessioneller und ethnischer Gruppen. In diesen Ländern mit institutionalisierten und zumindest ansatzweise konkurrierenden politischen Akteuren findet sich häufig auch eine Bandbreite an Printmedien mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen, so dass sich häufig von einem externen politischen Pluralismus in der Printmedienlandschaft sprechen lässt. In anderen Staaten sind Parteien gänzlich verboten, etwa in Saudi-Arabien und Qatar. In diesen Ländern sind die Medien nach wie vor Bestandteil ihrer hegemonialen autoritären Umwelten, von denen sie überdies wirtschaftlich abhängen und als Mechanismen zur Absicherung des regierungspolitischen Alltagsgeschäfts dienen (Hafez 2004). In zahlreichen arabischen Staaten werden zwar Wahlen - zuweilen auf verschiedenen politischen Verwaltungsebenen - abgehalten, diese dienen jedoch zumeist lediglich als Feigenblätter zur Machtsicherung der Eliten (Hippler 2006). Hierbei sind die Transformationsländer Tunesien, Ägypten und Libyen sowie der Irak, der Libanon und die palästinensischen Gebiete mittlerweile Ausnahmen. Im Hinblick auf die Wirtschaftskraft herrscht in der arabischen Welt ein großes Gefälle. Alle arabischen Staaten gelten als Entwicklungs- oder Schwellenländer. Nichtsdestotrotz gehören die VAE und Qatar dank reicher Rohstoffvorkommen an Erdöl und Erdgas zu den Ländern mit den weltweit höchsten Pro- Kopf-Einkommen. Das ökonomische Gefälle führt zu starken Migrationsbewegungen von den ärmeren in die reicheren Staaten, gerade auch im Dienstleistungsbereich und im Mediensektor. Dies begünstigt 1.) die Ausbildung transnationaler Öffentlichkeiten, 2.) die Entstehung dominanter panarabischer Medienproduktionszentren insbesondere in den Golfstaaten und 3.) die Prägung einer transnational orientierten journalistischen Produktionskultur. Trotz der massiven Entwicklungen hin zu panarabischen Medien seit Anfang der 1990er-Jahre, lassen sich in den einzelnen Ländern immer noch nationale Spezifika identifizie- <?page no="296"?> Arabische Welt 297 ren, so die in den Golfstaaten fast absurde Parallelität von liberalen panarabischen Medien und konservativ-restriktiven nationalen Medienpolitiken. Trotz der massiven Entwicklungen hin zu panarabischen Medien seit Anfang der 1990er-Jahre, lassen sich in den einzelnen Ländern immer noch nationale Spezifika identifizieren. Rugh (2004) kennzeichnet die prinzipielle Ausrichtung der nationalen arabischen Mediensysteme mit den Schlagworten Mobilisierungsmedien, loyalistische Medien, diverse Medien und transitionale Medien. Obwohl diese Einteilung vereinfachend erscheint, ermöglicht sie doch wichtige Aussagen über die Medienlandschaften und den ihnen zu Grunde liegenden politischen und ökonomischen Strukturen. Die Mediensysteme der sechs im Golf-Kooperationsrat (Golf Cooperation Council, GCC) organisierten und finanziell sehr gut ausgestatteten Staaten (Bahrain, Kuwait, Oman, Qatar, Saudi- Arabien und VAE) bringen beispielsweise überwiegend loyalistische Medien hervor. Sie sind in überaus konservative politische, soziale und rechtliche Systemumwelten eingebunden. Häufig ist insbesondere die Presse in Privatbesitz. Die Medieninfrastruktur ist gut ausgebaut und von Innovationsschüben im Hinblick auf professionelle Gestaltung gekennzeichnet (Boyd 2001). Die Medien verhalten sich weitgehend loyal gegenüber den Herrscherhäusern, das heißt, sie kritisieren die wesentlichen politischen Leitlinien, Institutionen und Personen nicht. Die dortigen Mediensysteme dienen somit vor allem dem Erhalt des politischen und sozialen Status Quo. Eine Ausnahme hier ist Kuwait, das neben einer lebhaften parlamentarischen Monarchie auch eine kritischere (nach Rugh »diverse«) Medienlandschaft besitzt, die bereits mehrmals auf den Rücktritt von Regierungsmitgliedern hinwirkte (El Difraoui/ Abel 2012). Allerdings ist auch hier Kritik am Emir tabu. Im weniger wirtschaftlich prosperierenden Maschrek bilden v.a. der Nahostkonflikt mit Israel, aber auch die Spätfolgen der willkürlichen Grenzziehungen nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs durch europäische Kolonialpolitik die Rahmenbedingungen für die Mediensysteme. Der Libanon, Syrien, Jordanien und Irak entstanden erst nach dem Ersten Weltkrieg, die palästinensischen Gebiete als ehemaliges britisches Mandatsgebiet sind bis heute kein Staat. Befreiungskriege, Bürgerkriege und andere innenpolitische Probleme sowie sich häufig ideologisch durch den Nahostkonflikt und den arabischen Nationalismus legitimierende autoritäre Herrschaft führte in Ländern wie Syrien und Irak, aber auch Libyen und Ägypten, zu einer Dominanz von Mobilisie- <?page no="297"?> Weltregionen im Vergleich 298 rungsmedien. Diese verbreiteten kaum mehr als die Propaganda des Regimes und waren dazu gedacht, die Bevölkerung im erzieherischen Sinne für den Staatsaufbau zu mobilisieren. Diese Art Medien konnten jedoch nur sehr autoritäre Regimes aufrechterhalten. Gegenwärtig lassen sie sich lediglich noch an der Informationspolitik des Assad-Regimes in Syrien festmachen. Die regimetreuen Mobilisierungsmedien verschwanden mit den Kriegen in Irak 2003 und Libyen 2011 in den jeweiligen Ländern. Allerdings ist als Nachwirkung häufig auch bei neuen Medien- und politischen Akteuren (noch) das Verständnis vorherrschend, Medien dienten zur Verbreitung der jeweiligen »Wahrheiten« partikularistischer politischer Gruppen (vgl. die Porträts neuer Zeitungsmacher in Wollenberg/ Recker 2012). In Ägypten war bereits seit dem Ende der 1970er mit der Einführung der Parteipresse eine Entwicklung zu einem pluralistischeren Mediensystem abzusehen. Diese Tendenz verfestigte sich durch die Zulassung privater Fernsehsender ab 2001 und privater Presse ab 2004 (Richter 2011). Ähnliche Aussagen über graduelle, aber immer wieder von den Regimes eingehegte Autonomiebestrebungen im Zuge von Privatisierungen im Medienbereich lassen sich auch für Marokko, Jordanien, Tunesien, Algerien und Jemen treffen (vgl. u.a. Ibahrine 2009a, b, c). Bei den Bestrebungen seit 2011, parlamentarische Demokratien zu etablieren, haben die Mediensysteme insbesondere in Tunesien und Ägypten, aber auch in Libyen eine neue Dynamik mit einer Vielzahl an Akteuren gewonnen. Eine größere Diversität an Medien existiert bereits seit Längerem im Libanon und den palästinensischen Gebieten. Im libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990) hat sich eine Vielzahl politischer Parteien entlang konfessioneller Linien herausgebildet, die nicht nur die Gesellschaft fragmentieren und im politischen System polarisieren, sondern die überwiegend ihre eigenen Medien unterhalten (Nesemann 2001, Nötzold 2009). Einige libanesische Fernsehsender wie LBC oder F UTURE TV nehmen aufgrund ihrer Konzentration auf Unterhaltungsprogramme eine zentrale Stellung als panarabische Leitmedien ein und stehen deshalb im Fokus saudischer Investitionen. In den palästinensischen Gebieten gab es bis zum Friedensabkommen von Oslo 1993 mit Israel, dank dessen die israelisch besetzten palästinensischen Gebiete ihr immer noch geltendes (zumindest offizielles) Autonomiestatut erhielten, mit Ausnahme weniger Zeitungen und Zeitschriften keine eigenen palästinensischen Medien. Danach wurden Medien größtenteils von der Palästinensischen Autonomiebehörde gefördert (Reuter/ Seebold 2000, Jamal 2005, Nazzal 2006). Im Zuge der militanten Auseinan- <?page no="298"?> Arabische Welt 299 dersetzungen zwischen Hamas und Fatah 2007 und der Aufteilung ihrer Herrschaftsgebiete in Gazastreifen und Westjordanland, polarisieren sie auch in den eigenen Medien stärker (Bishara 2010). Medienrechtliche Grundlagen In zahlreichen arabischen Ländern ist die Pressefreiheit im Zuge ihrer staatlichen Unabhängigkeit im letzten Jahrhundert formal in den jeweiligen Verfassungen fixiert worden. Allerdings wird diese und im weiten Sinne die Medienfreiheit in den meisten arabischen Ländern mittels etlicher Gesetze sowie politischer, sozialer und religiöser Normen nach wie vor erheblich eingeschränkt. In der Regel kontrollieren Informationsministerien oder andere Regierungsbehörden die Medien direkt. Diese Kontrolle führt zumeist zu präventiver Vorzensur und journalistischer Selbstzensur; eine freie und kritische Berichterstattung im Sinne westlicher Demokratien wird somit strukturell zu verhindern versucht. Gesetzesverstöße können zudem in vielen arabischen Ländern mit drakonischen Freiheits- und Geldstrafen gegen Journalisten und andere Medienschaffende geahndet werden - besonders in Fällen von Vorwürfen der Diffamierung eigener und ausländischer politischer Eliten. Die 2008 von der Arabischen Liga verabschiedete Arab Satellite Broadcasting Charta fordert beispielsweise ihre Unterzeichner in Artikel 7 auf, »es zu unterlassen, die Führer [arabischer Staaten] sowie nationale und religiöse Symbole zu beleidigen« 54 . In Ägypten hatte es in den Jahren vor dem Umbruch 2011 zahlreiche Gerichtsverfahren gegen Journalisten allein deshalb gegeben, weil sie über den Gesundheitszustand des damaligen Präsidenten Mubarak berichtet hatten 55 . Die in den Verfassungen fixierte Medienfreiheit wird in den meisten arabischen Ländern mittels etlicher Gesetze sowie politischer, sozialer und religiöser Normen erheblich eingeschränkt. 54 Englische Übersetzung in Arab Media & Society, Februar 2008: http: / / www.arabmediasociety.com/ articles/ downloads/ 20080314081327_AMS_Ch arter_English.pdf. Lediglich Qatar und Libanon waren damals der Charta nicht beigetreten. 55 Carnegie Endowment for International Peace (2007): Egypt: Four Editors Convicted; Brotherhood Members Arrested. In: Arab Reform Bulletin, September. <?page no="299"?> Weltregionen im Vergleich 300 Eines der die verfassungsgebenden Versammlungen beherrschenden Themen in den Umbruchländern Tunesien und Ägypten ist aufgrund dieser Erfahrungen auch das der Pressefreiheit und die Frage, wo diese anfängt und aufhört. Dies betrifft insbesondere die Spannungsfelder Pressefreiheit und Diffamierung sowie Pressefreiheit und Respekt gegenüber der Religion. Bei der gegenwärtig sehr unklaren Rechtslage folgen Journalisten teils noch immer einer Selbstzensur, obwohl sie andere Idealvorstellungen und Wünsche haben (Pintak/ Ginges 2009, Ramaprasad/ Hamdy 2006). Die Praxis der Selbstzensur, der sogenannten Schere im Kopf zur Beschneidung der eigenen Freiheit, ist ein strategischer Mechanismus des Selbstschutzes, der als Vorsichtsmaßnahme angesichts des großen politischen und rechtlichen Interpretationsspielraums der staatlichen Behörden von vielen Journalisten angewandt wird. In vielen Golfstaaten, insbesondere in Saudi-Arabien, aber auch in den häufig als »fortschrittlich« geltenden VAE ist die Pressefreiheit de facto und de jure stark eingeschränkt. Oftmals wird die Pressefreiheit mit (juristischen) Argumenten zum Schutz nationaler, islamischer, gesellschaftlicher sowie persönlicher Interessen von Mitgliedern von Herrscherhäusern beschnitten. Der Golf- Kooperationsrat (GCC) schuf einen sogenannten Ethik-Codex, nach dem sich die Medien aller GCC-Staaten u.a. an die Werte und Normen des Islams halten sollen (Ayish 2004). Die Regulierung der digitalen Medien ist auch in arabischen Ländern ein neues medienrechtliches Feld und wird auf sehr unterschiedliche Weise gehandhabt. Die meisten Golfstaaten, die anfänglich ähnlich wie Ägypten, Tunesien und Marokko die Ausbreitung des Internets stark gefördert haben, sind zu einer sehr repressiven Internetpolitik übergegangen. Saudi-Arabien kreierte bereits 2007 eine Sonderkommission zur Filterung des Internets, um so die »saudische Gesellschaft« vor Terrorismus, Betrug, Pornografie, Diffamierung und der Verletzung religiöser Werte zu schützen (El Difraoui 2012a). Mehr als 400.000 Websites wurden im Zuge dieser Maßnahmen geschlossen. Blogger können sehr einfach für die Verbreitung von Inhalten, die den Prinzipien des Islams und dessen sozialen Normen nach Meinung der Kommission widersprechen, angeklagt und festgenommen werden. Ein Jahr später weitete das Königreich die Gesetzgebung soweit aus, dass selbst ein Cybercafébesitzer, der keine eigenen Inhalte produziert, ins Gefängnis kommen kann, wenn auf seinem Grundstück Artikel publiziert werden, die diesen moralischen Werten widersprechen. Wenig überra- <?page no="300"?> Arabische Welt 301 schend stufte Reporter Ohne Grenzen Saudi-Arabien bereits damals als »Feind des Internets« ein. 56 Saudi-Arabien und Bahrain verschärften im April 2011, als auch in ihren Ländern Proteste als Folge des »Arabischen Frühlings« ausbrachen, die Gesetzgebung ein weiteres Mal. Wellenbewegungen in der Restriktion zeigen aber auch, wie die verschiedenen Regime sich einerseits das Internet selbst zu Nutze machen, andererseits die Verbreitung oppositioneller Inhalte zu verhindern trachten: In Syrien liberalisierte das Assad-Regime zu Beginn der zunächst friedlichen Massendemonstrationen im Frühjahr 2011 den Internetzugang, um so besser zum einen Propaganda betreiben zu können und zum anderen Oppositionelle auszuspionieren. Gleichzeitig wurden aufrührerische Medienaktivisten getötet (El Difraoui 2012b). Ökonomische Strukturen der Medien Grundsätzlich lassen sich in den meisten arabischen Mediensystemen fünf Typen von Medien im Hinblick auf finanzielle (Un-)Abhängigkeit und Besitzverhältnisse unterscheiden: 1. staatliche Medien, welche die Regierung bzw. Machthaber des jeweiligen Landes finanziert, kontrolliert und zensiert; 2. privat-kommerzielle Medien, die zwar privat finanziert werden, aber der Regierung bzw. den Machthabern eines bestimmten Landes (nicht unbedingt ihres Standortes) nahe stehen; 3. privat-kommerzielle Medien, die politisch unabhängiger sind als Typ 2, aber häufig mit großen Wirtschaftsakteuren verbunden sind; 4. Medien von Parteien und politischen oder religiös-politischen Gruppierungen; 5. Medien, die von institutionellen politischen Akteuren unabhängig sind, zumeist Internet-basiert; etwa Blogs von Aktivisten, die aber 56 Reporters Without Borders (2012): Saudi Arabia. URL: http: / / en.rsf.org/ reportsaudi-arabia,146.html <?page no="301"?> Weltregionen im Vergleich 302 auf die Infrastruktur globaler Medienkonzerne wie etwa G OOGLE oder F ACEBOOK zurückgreifen müssen. Die Mediensysteme der nicht von den Umbrüchen betroffenen Länder sind weiterhin zentralistisch organisiert und konzentrieren sich in den Hauptstädten oder Metropolen. Insbesondere reichweitenstarke Medien wie Nachrichtenagenturen oder der Rundfunk werden bisher in weiten Teilen der arabischen Welt nicht als öffentliche Kulturgüter oder als Wirtschaftsfaktoren gesehen, sondern als politische Instrumente und zählen deshalb zu Medientyp 1. Die Organisationsform von öffentlich-rechtlichem Rundfunk gibt es bisher nicht, auch keine direkten Rundfunkgebühren. 57 Zuhörer und Zuschauer sind hier deshalb zumeist einer Form von Hofberichterstattung, Verlautbarungs- und Obrigkeitsjournalismus ausgesetzt. Die Nachrichtenagenturen sind fast alle weiterhin im Staatsbesitz, beispielsweise die ägyptische M IDDLE E AST N EWS A GENCY (MENA), eine der größten in der arabischen Welt (Al-Zubaidi 2012). In der Regel unterhält der Staatsapparat diese Medien aus Haushaltsmitteln, die Angestellten gelten als Staatsbeamte und sind entsprechend weisungsgebunden. In Ägypten aber auch Tunesien herrschen zwischen den verschiedenen politischen Parteien zurzeit heftige Machtkämpfe über die Kontrolle der Agenturen. Selbst A L -J AZEERA ist weiterhin wirtschaftlich und finanziell vom qatarischen Herrscherhaus abhängig (Da Lage 2005). In zahlreichen arabischen Ländern ist das Staats- und Regierungsmonopol über unterschiedliche Mediengattungen inzwischen aufgehoben und einige nationale arabische Medienmärkte bzw. Medienmarktsegmente sind dereguliert. Dennoch überwiegen die staatlichen Medien zumeist, koexistieren aber in einer Art dualem System mit den privatkommerziellen Medien, ergänzt durch Partei- und Graswurzelmedien. Die Einführung privat-kommerzieller Rundfunkunternehmen ist eng verknüpft mit einer Diversifizierungsstrategie der arabischen Staaten. Diese moderne Medienentwicklung wird in der Golfregion besonders am Beispiel Dubais in den VAE deutlich. Neben Freihandelszonen für andere Wirtschaftsbranchen existiert dort seit 2000 die dynamische D UBAI T ECHNOLOGY , E LECTRONIC C OMMERCE & M EDIA F REE Z ONE (DTECOM) (El-Baltaji 2007). Mit diesem Medienballungsraum, der in Anspielung auf Hollywood auch Dollywood genannt wird, soll das Emirat weiter von einer Rohstoffin eine Medien-, Technik- und 57 In Tunesien werden aber z.B. zur Finanzierung des Fernsehens »Elektrizitätsgebühren« eingezogen (vgl. Ibahrine 2009c). <?page no="302"?> Arabische Welt 303 Wissenschaftsökonomie transformiert werden (Ayish 2004). Auch andere Regimes in der Region verfolgen eine Diversifizierungspolitik und nutzen dabei die Medien: Ein ähnlicher Medienballungsraum existiert in Ägypten in der Nähe der Pyramiden von Gizeh unweit der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Hier wurde 1995 durch den Staat auf einer Fläche von rund zwei Millionen Quadratmetern die E GYPTIAN M EDIA P RODUCTION C ITY (EMPC) eröffnet. Wegen ausbleibender Gewinne wurde das Gebiet 2000 von der Regierung per Dekret zur Medien-Freihandelszone erklärt, in der sich privat-k ommerzielle Medienunternehmen, insbesondere Satelliten-Fernsehsender, steuer- und zollbefreit niederlassen können (Saleh 2003). Der Medientyp 2 (privat-kommerzielle, regierungsnahe Medien) ist das Hauptprodukt dieser Deregulierung. Die so entstandenen Fernsehsender und Printmedien dienen in Form einer Beteiligung des Umfelds der Regimes an den Pfründen des Mediensystems aber letztlich der ökonomischen Bestandswahrung und Stabilisierung des jeweiligen politischen Systems. Das Regierungsmonopol wandelte sich hier durch Privatisierung zu einem staatlich-privaten Oligopol, das die Staatskontrolle unter dem Anschein der Liberalisierung fortsetzt (Sakr 2001). So sind beispielsweise die wichtigsten panarabisch ausgerichteten Fernsehkonsortien wie MBC, ART und O RBIT in Mehrheitsbesitz von Prinzen des saudischen Königshauses und deren Angehörigen (Boyd 2001). Auch der Medientyp 3 (privat-kommerzielle, von politischen Machthabern unabhängigere Medien) ist eine Folge der Deregulierung und existiert vor allem in finanziell weniger gut ausgestatteten Staaten wie Ägypten oder Marokko. Hier ist von Seiten der staatlichen Eliten versucht worden, die aufgrund ökonomischen und sozialen Drucks notwendige Deregulierung mit der Einbindung von mächtigen wirtschaftlichen Akteuren als loyale Stützen der Regimes zu verknüpfen. Insbesondere in Ägypten sind so zahlreiche privat-kommerzielle Fernsehsender wie D REAM TV, M EHWAR oder ONTV entstanden. Diese ließen sich von Seiten der Regierung durch Zugeständnisse an die Besitzer lange Zeit zu einer loyalen Berichterstattung bewegen, haben sich aber aufgrund ihrer kommerziellen Publikumsausrichtung in den Umbruchprozessen 2011 schnell vom alten Regime abgewandt. Allerdings verbergen sich hinter diesen Medien durchaus auch handfeste politische Interessen der Besitzer, wie beispielsweise von <?page no="303"?> Weltregionen im Vergleich 304 Naguib Sawiris, Telekommunikationsmogul und bisheriger Eigentümer von ONTV in Ägypten - der auch eine eigene Partei gegründet hat. 58 Dies leitet zum Medientyp 4 über. Insbesondere in Ländern mit einer Vielzahl konkurrierender politischer Akteure wie dem Libanon, dem Irak oder den palästinensischen Gebieten, herrscht ein hoher politischer Parallelismus zwischen Parteien und Medienorganen. Zeitungen, aber insbesondere Fernsehsender werden hier durch Parteien finanziert, was sich deutlich im Tenor und den Inhalten widerspiegelt (vgl. Nötzold 2009, Cochrane 2006, Rousu 2010, Jamal 2005). Medientyp 5 besteht aus alternativen oder Graswurzelmedien oder ist aus ihnen entstanden. Er ist aufgrund der geringen finanziellen Anforderungen vor allem im Internet etabliert. Der Kollektivblog N AWAAT in Tunesien oder die F ACEBOOK -Gruppe We are all Khaled Said in Ägypten haben sich insbesondere in den Umbruchprozessen als alternative Nachrichtenmedien beweisen können. Aus diesen Erfahrungen heraus und in Abgrenzung zu den als vermachtet empfundenen anderen Medien haben sich Plattformen von Bürgerjournalisten wie rassd.com herausgebildet (vgl. auch zum Bürgerjournalismus Khamis/ Vaughn 2011). Print Die Printmedien zählen in der arabischen Welt u.a. wegen des zum Teil hohen Analphabetismus‘ nicht immer zu den populärsten und meistgenutzten. Deshalb haben sie aber im Hinblick auf kritische Berichterstattung in der Regel auch größere Freiräume. Durch die zunehmende Konvergenz, insbesondere zwischen Print und dem Internet, haben zudem gerade kritische und professionell gemachte Printmedien über ihre Online-Portale eine höhere Reichweite gewinnen können. Die ehemals wichtigste liberale private Zeitung Ägyptens A L -M ASRY A L -Y OUM stellt beispielsweise eines der meistbesuchten Newsportale im Internet. In vielen arabischen Ländern koexistieren inzwischen staatliche und privatkommerzielle Printmedien. Die Parteipresse hat zwar vordergründig an Bedeu- 58 Egypt Independent, 16.12.2012, URL: http: / / www.egyptindependent.com/ news/ sawiris-sells-ontv-tunisian-businessman <?page no="304"?> Arabische Welt 305 tung verloren, dennoch spielen Parteien als Finanziers von Zeitungen weiterhin in vielen Ländern eine Rolle. Die ersten Printmedien in der arabischen Welt erschienen im späten 18. oder im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Als wichtige Zentren der Presse haben sich vor allem Ägypten, Libanon und die saudisch bzw. palästinensisch finanzierte panarabische Presse in London entwickelt. Bis dato mit einer Auflage um 400.000 Exemplaren das auflagenstärkste arabisch-sprachige Blatt ist die Zeitung A L -A HRAM , die von zwei libanesischen Journalisten und Auswanderern 1875/ 1876 in Ägypten gegründet wurde. Über Jahrzehnte war Ägypten vom Duopol aus nationalen (staatseigenen) und vom Regime bezuschussten Parteizeitungen geprägt. Seit 2004 existieren auch privat-kommerzielle Printmedien, die seit 2011 in Anzahl und Auflage enorm gestiegen sind (Richter 2011). Die Entwicklung der Presse im Libanon in den 1950er- und 1960er-Jahren gilt als Ausnahme in der Region, als goldenes Zeitalter für Printmedien. Mit der Einführung eines Lizenzsystems für politische Publikationen entstanden in der Hauptstadt Beirut zahlreiche Tageszeitungen, die von verschiedenen politischen Interessengruppen finanziert wurden (Nesemann 2001, Al-Zubaidi 2012). Besonders die Herausgeber der drei Tageszeitungen A L -H AYAT (inzwischen in saudischem Besitz und in London produziert), L’O RIENT (Vorgänger von L’O RIENT L E J OUR ) und A L -N AHAR trugen zur Modernisierung und Professionalisierung des libanesischen Journalismus bei. Seit den 1960er-Jahren kennzeichnet den libanesischen Printmedienmarkt ein Dualismus zwischen kleineren Zeitungen mit einer Leserschaft aus verschiedenen politischen, konfessionellen und ideologischen Gruppen und größeren Zeitungen unter der Leitung politischer Eliten. Inzwischen sind alle nationalen Tageszeitungen im Libanon im Besitz lokaler christlicher und muslimischer Privatunternehmen (Nesemann 2001, Al-Zubaidi 2012). Die palästinensischen Printmedien unterstanden in der Zeit zwischen der Gründung des Staates Israel 1948 und dem sogenannten Sechstagekrieg zwischen Israel und arabischen Staaten 1967 der jordanischen Presseaufsicht. Die zunehmenden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) aus Jordanien heraus sowie der Krieg 1967 stellten den wohl drastischsten Einschnitt in der Entwicklung der palästinensischen Presse dar. Das einzige Blatt in den palästinensischen Gebieten, das seitdem immer noch erscheint, ist die 1967 gegründete und bis dato dort bekannteste Tageszeitung A L -Q UDS . Die zweitwichtigste Tageszeitung ist <?page no="305"?> Weltregionen im Vergleich 306 die 1995 in Ramallah gegründete A L -A YYAM (Reuter/ Seebold 2000, Al-Zubaidi 2012). Die Wichtigkeit, die Zeitungen trotz beschränkter Leserschaft als Möglichkeit der freien Artikulation auch in anderen Ländern beigemessen wird, zeigt exemplarisch der große Gründungsboom nach den Umstürzen in Irak 2003 (Rousu 2010, Al-Jezairy 2006) und Libyen 2011 (Wollenberg/ Recker 2012). Hörfunk und Fernsehen In vielen arabischen Ländern dominiert nach wie vor der staatliche Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen), in Syrien sogar noch als Monopol. Allerdings haben zahlreiche arabische Länder inzwischen privat-kommerziellen Rundfunk zugelassen. Dieser zunächst vor allem als unpolitisch-kommerziell eingerichtete Rundfunk (wie D REAM -TV in Ägypten 2001) ist inzwischen in den Transformationsländern zu einem sehr politischen Medium geworden, welches den Wirtschaftsinteressen der dahinterstehenden Industriemagnaten dient oder den Interessen einzelner politischer Gruppierungen von Salafisten bis zu Liberalen. In den meisten arabischen Ländern wurde der Hörfunk in den 1920er- und 1930er-Jahren eingeführt. Im Vergleich zum subsaharischen Afrika, wo Radio eine große Rolle spielt, ist der Hörfunk in arabischen Ländern heute weit weniger bedeutend und fällt auch gegenüber dem Fernsehen an Reichweite ab. Bis dato ist der ägyptische Auslandssender S AUT AL A RAB (S TIMME DER A RABER ) die bekannteste Radiostation der arabischen Welt. Viele Staaten setzen auf staatlich finanzierte religiöse Radiosender, die vor allem ein älteres Publikum erreichen. Im Zuge einer Public Diplomacy-Offensive der USA ging 2002 der Radiosender S AWA auf Sendung, der zwar von vielen arabischen Journalisten als paternalistisch kritisiert wurde, mit einem Mix aus Popmusik und seichten News sich aber in Irak, Jordanien und Marokko einen großen Markt erobern konnte (El-Nawawy 2006). In den 1950er- und 1960er-Jahren gründeten zahlreiche arabische Länder ihre Staatsfernsehsender, die bis in die 1990er-Jahre Monopolisten blieben (Boyd 1999). Im Wesentlichen gilt nationales Fernsehen im Vergleich mit panarabischem Satellitenfernsehen auch heute noch als eher langweilig und von Protokollnachrichten geprägt. Strukturelle Ausnahmen hiervon bilden der Libanon und der Irak nach 2003 mit ihrer diversen und hochpolitisierten Fernsehland- <?page no="306"?> Arabische Welt 307 schaft; Marokko, das bereits Anfang der 1990er privat finanziertes Pay-TV zuließ (Ibahrine 2009b), die palästinensischen Gebiete, die aufgrund fehlender Regulierung eine Vielzahl von lokalen Fernsehstationen hervorbrachten und Ägypten, das sich als Medien(produktions)zentrum und damit wichtigster Programmexporteur der arabischen Welt über Jahrzehnte behauptet hat. Als erstes Land der arabischen Welt führte der Libanon privat-kommerzielles Fernsehen ein. Da der libanesischen Regierung für Staatsfernsehen das Geld fehlte, erteilte sie 1956 einer Gruppe libanesischer und ausländischer Investoren die Konzession, die erste privat-kommerzielle Fernsehstation der arabischen Welt zu gründen: C OMPAGNIE L IBANAISE DE T ÉLÉVISION (CLT). Eine zweite Gruppe libanesischer Investoren erhielt die Lizenz zur Gründung der ebenfalls privat-kommerziellen Fernsehstation T ÉLÉ -O RIENT . Später wurden beide Sender verpflichtet, zur T ÉLÉ -L IBAN zu fusionieren. Letztlich spielt dieser Sender heute aber keine Rolle mehr. Stattdessen existiert seit dem Bürgerkrieg eine Vielzahl an Fernsehsendern mit nationalen und panarabischen Sendern, die jeweils spezifischen politischen Eliten nahestehen. Der 2005 getötete sunnitische Ministerpräsident Rafiq al-Hariri gründete die Mediengruppe A L - M USTAQBAL (F UTURE TV); der Sender LBC wurde von christlichen Maroniten gegründet; dem schiitischen Parlamentssprecher Nabih Berri gehört NBN; die schiitische Hisbollah wiederum betreibt A L -M ANAR , der zwar erst 1997 von der libanesischen Regierung eine Lizenz zur politischen Berichterstattung erhielt, aber schon zuvor Nachrichten über den Widerstand gegen die Besatzung Südlibanons durch die israelische Armee (1985-2000) gesendet hatte (Kraidy 1999, Nesemann 2001, Nötzold 2009). Im Irak sind in ähnlicher Weise nach 2003 zahlreiche Fernsehsender von politischen Parteien oder Gruppierungen gegründet worden, die sich beispielsweise kurdischen, schiitischen oder sunnitischen Einflüssen zurechnen lassen. Wie auch im Libanon ist der Einfluss der Besitzverhältnisse auf die Inhalte stark von der aktuellen politischen Lage abhängig und dem Druck, den sich die politischen Akteure ausgesetzt sehen (Cochrane 2006). Ähnlich wie im Libanon gibt es in den palästinensischen Gebieten - gemessen an ihrer kleinen Fläche - relativ viele privat-kommerzielle Rundfunkanbieter. Viele dieser Sender mit überwiegend lokaler Reichweite in den palästinensischen Gebieten sind mangelhaft ausgestattet, was sich in ihrer niedrigen Programmqualität niederschlägt. Im Gegensatz zu den profitorientierten Lokalradios produzieren die Fernsehsender relativ wenige Programmanteile selbst, über- <?page no="307"?> Weltregionen im Vergleich 308 nehmen Sendungen von panarabischen Sendern oder senden illegal Filme (Nazzal 2006). Die Bedeutung, die arabische Regimes dem Fernsehen beimessen, zeigt auch die Initiative der Arabischen Liga, die seit 1985 in eine eigene Satellitenflotte namens A RABSAT investiert. Ägypten besitzt als einziges Land des arabischen Raums sogar einen eigenen Fernsehsatelliten (N ILESAT ). 1990 sendete es mit seinem ersten Kanal von einem Satelliten und leistete damit Pionierarbeit in der Region (Boyd 1999). Internet und Web 2.0 Seit Anfang der 1990er-Jahre betrieben die arabischen Staaten eine sehr aktive Internetpolitik, vor allem um den technologischen Rückstand gegenüber den Industriestaaten, aber auch Schwellenländern wie Indien und China, zu verringern. Die Einführung des Internets erfolgte 1991 zuerst in Tunesien, 1993 in Ägypten, Algerien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Kuwait, 1994 in Jordanien, 1995 in Bahrain, Libanon und Marokko, 1996 im Jemen und 1997 in Oman, Qatar, Saudi-Arabien und Syrien (vgl. Oghia/ Indelicato 2011). Das Wachstum der Internetnutzung war in der arabischen Welt zwischen 2000 und 2008 fast vier Mal so hoch wie die Weltrate (Colombo/ Caridi/ Kinninmont 2012). 59 Allerdings gibt es ein riesiges Gefälle zwischen den Staaten, was die Zugangsmöglichkeiten angeht. Während in Qatar 81,6 % der Bevölke rung Zugang zum Internet haben, in Tune sie n 36,8 % und in Ägypten immerhin noch 26,7 %, sind es im Irak lediglich 2,5 %. Im Schnitt der arabischen Länder hat gegenwärtig nur ein Drittel der Bevölkerung prinzipiell Zugang zum Internet. 60 Zudem haben fast alle Staaten im Laufe der Etablierung des Internets unterschiedlich starke Versuche der Kontrolle oder Zensur unternommen. Dennoch haben internet-basierte Medien nicht nur die Mediensysteme in der arabischen Welt verändert, sondern auch politische Umbrüche mit bewirkt. Exemplarisch lassen sich an Tunesien und Ägypten die Ambivalenzen 59 Sie betrug demnach 1176,8 % in der arabischen Welt gegenüber 290 % in der gesamten Welt. 60 International Telecommunication Union mit Daten für 2010: http: / / www.itu.int/ ITU-D/ ICTEYE/ Indicators/ Indicators.aspx <?page no="308"?> Arabische Welt 309 zwischen Kontrollversuchen und oppositioneller Nutzung des Internets aufzeigen: Beide Länder führten zeitig das Internet ein und versuchten mit diversen Kampagnen wie dem »Internetbus« das neue Medium bekanntzumachen (Abdulla 2007). Während Ägypten aber bereits Mitte der 1990er privatkommerzielle Internetanbieter zuließ, wurde es in Tunesien nur von der zentralen Internetagentur ATI verbreitet. Diese zensierte von Beginn an Seiten wie A L -J AZEERA , Amnesty International, Wikileaks, Y OU T UBE und später etliche F ACEBOOK -Seiten. Dabei wurde vor allem argumentiert, moralisch-religiöse Standards könnten verletzt werden. Zumeist ging es aber um den Ausschluss von oppositionellen politischen Inhalten und Akteuren. Dabei wurden Websites, Emails und später die sozialen Medien vorwiegend für Kontaktaufnahme mit neuen Freunden oder Partnern genutzt und dienten der Unterhaltung. Interessanterweise waren es die den meisten arabischen Regimes feindlich gegenüberstehenden Jihadisten, die das Internet erstmals als Medium im Sinne eines politischen Mobilisierungsinstruments im arabischen Raum nutzten. Die erste jihadistische Webseite azzam.com wurde 1996 gegründet (El Difraoui 2012a). Ab Mitte der 2000er entstand vor allem in Ägypten eine große Blogosphäre mit zeitweilig mehreren Zehntausend aktiven Blogs (Radsch 2008). Etliche politische Blogs wie manalaa.net, misrdigital.blogspirit.com oder sandmonkey.org in Ägypten und nawaat.org in Tunesien kritisierten vor allem die strikte Zensur und den Mangel an Presse- und Redefreiheit. Sie fungierten zudem als erste Elemente einer Gegenöffentlichkeit, die bisher von den offiziellen Medien verschwiegene Themen wie Folter, sexuelle Belästigungen oder soziale Probleme publik machten. Mit dem Aufkommen von F ACEBOOK und T WITTER ab 2007 eröffneten sich weitere Möglichkeiten, diskursive Räume für tabuisierte Themen zu schaffen. Die Regime reagierten mit Verhaftungen von Internetaktivisten und insbesondere in Tunesien mit der Sperrung von Websites. Durch seine dezentrale Gestalt und vereinfachte Gruppenbildungsprozesse erlaubte es das Netz jedoch politischen Akteuren mit einem Minimum an finanziellen Mitteln und Personen Hunderttausende von Menschen zu mobilisieren. Dabei war das Zusammenspiel konventioneller (panarabischer) und neuer Medien entscheidend für die Umgehung staatlicher Kontrollmechanismen und das Erreichen breiter Bevölkerungsschichten. <?page no="309"?> Weltregionen im Vergleich 310 Panarabische Medien mit globaler Reichweite Als Spezifika des arabischen Raums können die panarabischen Medien mit globaler Reichweite in den Tageszeitungs- und Satellitenfernsehsegmenten betrachtet werden. Sie sind eng mit der Golfregion verknüpft und werden überwiegend aus ihr heraus finanziert. Nach einer längeren Zeit im Londoner bzw. italienischen »Exil« sind insbesondere die Fernsehsender mittlerweile in Dubai ansässig bzw. haben Dependancen in der Medienfreihandelszone in Ägypten. Die panarabischen Tageszeitungen A SHARQ A L -A WSAT und A L -H AYAT sind jedoch weiter in London stationiert, was vermutlich auch ihre Unabhängigkeit von direkten staatlichen Eingriffen sichern hilft. Nichtsdestotrotz unterliegen auch sie indirektem saudischen Einfluss, denn sie werden von zwei saudischen privaten Verlagsgesellschaften finanziert (Boyd 2001). Dennoch genießt besonders die panarabische Tageszeitung mit der höchsten Auflage und weitesten internationalen Verbreitung, A L -H AYAT , wegen ihres moderaten, neutralen Berichterstattungsstils und Meinungspluralismus, nicht nur bei arabischen Eliten, sondern auch in internationalen Medien einen hervorragenden Ruf. Daneben wird häufig noch die palästinensisch finanzierte und im Gege nsatz zum saudis che n Imperium stark links-antiimperialistisch orientierte AL -Q UDS AL -A RABI als arabisches Referenzmedium herangezogen. Alle Blätter setzen die Satellitenübertragungstechnik zur Distribution ihrer Produkte in der arabischen Welt und darüber hinaus ein. Besonders Araber in der Diaspora und staatliche Eliten lesen diese Zeitungen. Im Vergleich zu den panarabischen Tageszeitungen erfreuen sich sowohl die panarabischen TV-Satellitenplattformen A RAB R ADIO AND T ELEVISION (ART) und O RBIT T ELEVISION AND R ADIO N ETWORK sowie die panarabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehsender A L -J AZEERA und A L -A RABIYA großer Beliebtheit bei arabischen Medienkonsumenten. Dank ihrer Übertragung über die Satellitensysteme des hauptsächlich saudisch, kuwaitisch und libysch finanzierten A RABSAT 61 und des ägyptischen N ILESAT sind sie weltweit zu empfangen. A L -J AZEERA gilt in der arabischen Welt als Pionier professioneller Nachrichtenvermittlung und als Medienrevolutionär (Lynch 2006). Die Gründung von A L -J AZEERA ging auf einen Vorschlag des qatarischen Staatsoberhauptes, Emir 61 Auf der Website des Konsortiums findet sich eine genaue Aufschlüsselung der staatlichen Finanziers: http: / / www.arabsat.com/ pages/ ArabLeague.aspx <?page no="310"?> Arabische Welt 311 Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani, zurück. Nach der Einstellung des ersten A RABIC TV der B RITISH B ROADCASTING C ORPORATION (BBC) 62 1996 lud er dessen arabisch-sprachige TV-Journalisten nach Doha ein und bot ihnen an, mit Hilfe eines einmaligen Staatskredits in Höhe von 140 Millionen US-Dollar über eine Laufzeit von fünf Jahren ein arabisches Nachrichtenfernsehen nach BBC- Vorbild aufzubauen. Am Ende desselben Jahres ging A L -J AZEERA auf Sendung. Trotz seiner wirtschaftlichen und finanziellen Abhängigkeit galt A L -J AZEERA in der arabischen Medienwelt bis 2011 als politisch relativ unabhängig (El- Nawawy/ Iskandar 2002, Hahn 2004, 2005). Dabei ist der Kanal weniger aus Idealismus für eine demokratische arabische Welt, denn aus strategischen Erwägungen des Emirs entstanden. Er wollte mit A L -J AZEERA ein Instrument schaffen, das seinem winzigen Emirat zu mehr symbolischem Kapital und auf lange Sicht zu mehr internationalem Gewicht verhelfen sollte. A L -J AZEERAS Marktstrategie sollte im Gegensatz zu den bisher existierenden Medien eben gerade die kritische und tabulose Berichterstattung sein (Da Lage 2005). Ende 2006 startete unter der Prämisse der Ausweitung des internationalen Einflusses von Qatar der englischsprachige Nachrichtenkanal des Senders unter dem Namen A L J AZEERA E NGLISH . Seitdem A L -J AZEERA auf sehr unterschiedliche Weise über die Proteste im »Arabischen Frühling« berichtet hat, wird ihm zunehmend eine zu starke Nähe zu den außenpolitischen Interessen des Emirats Qatar attestiert. So unterstützte es aktiv die Rebellen in Libyen und verschaffte der syrischen Opposition Gehör, während die Proteste in Bahrain kaum Eingang in die Berichterstattung fanden. 63 A L -A RABIYA wurde als Konkurrenz zu A L -J AZEERA 2002 gegründet und nahm 2003 seinen Sendebetrieb als 24-Stunden-Nachrichtensender auf. Der in Dubai stationierte Sender wurde vom saudischen, ersten panarabischen Satellitenrundfunksystem M IDDLE E AST B ROADCASTING C ENTRE (MBC), das 1991 noch in London startete, von saudischen und kuwaitischen Investoren mit etwa 300 Millionen US-Dollar für die ersten fünf Jahre finanziert. Panarabische Internet-Nachrichtenportale wie beispielsweise www.elaph.com (ein früheres Weblog) auf Arabisch (aus Kuwait) und www.islamonline.net auf Arabisch und Englisch (aus Qatar) erfreuen sich - neben den Internet- 62 2008 hat die BBC dann einen eigenen arabischen TV-Dienst mit Sitz in London gestartet. 63 Vgl. Reuters, 14.04.2011, URL: http: / / www.reuters.com/ article/ 2011/ 04/ 14/ oukwd-uk-mideast-protests-media-idAFTRE73D1HB20110414 <?page no="311"?> Weltregionen im Vergleich 312 Präsenzen von A L -J AZEERA (auf Arabisch: www.aljazeera.net; auf Englisch: www.aljazeera.com) - großer Beliebtheit bei Internetnutzern. Die panarabischen Medien haben insbesondere zu einem veränderten Rezeptionsverhalten und einer Professionalisierung in der journalistischen Produktion beigetragen. Beides ist eng verknüpft mit der transnationalen Ausrichtung dieser Medien. Zunächst hat vor allem die Ausstrahlung von Unterhaltungsformaten dazu beigetragen, dass die Fernsehsender in allen arabischen Ländern rezipiert werden. Dies speiste wiederum das Interesse der Sender, auch für eine Vielzahl von arabischen Publika interessante Inhalte zu präsentieren. Die panarabischen Medien mit globaler Reichweite in den Tageszeitungs- und Satellitenfernsehsegmenten haben zu einem veränderten Rezeptionsverhalten und einer Professionalisierung in der journalistischen Produktion beigetragen. Unterhaltungssendungen wie die arabischen Äquivalente zu »Wer wird Millionär«? oder »Das Supertalent« warten mit Kandidaten aus der gesamten Region auf. Gleichzeitig hat die Wahrnehmung der Sender in unterschiedlich geprägten arabischen Ländern und auch bei Arabern in der europäischen Diaspora dazu geführt, dass spezifische Ansprüche an die Professionalität der Präsentation von Unterhaltungsformaten und Nachrichten gestellt wurden. Dies hat auch wesentliche Einflüsse auf das Verständnis von Objektivität im Journalismus, auf die Publikumsorientierung und auf die Ausbildung von Mechanismen der Medienselbstkontrolle und journalistischen Ethik in die nationalen Mediensysteme hinein. Problemlagen und Perspektiven Der große direkte Einfluss von Staaten, Regierungen bzw. Machthabern auf die Medien in der arabischen Welt ist nach wie vor als problematisch einzustufen. Daran hat auch die Entstehung unabhängiger Internetmedien und die Einführung privat-kommerzieller Medien aller Gattungen in einigen arabischen Ländern wenig geändert, zumal der indirekte Einfluss von privaten Geldgebern und Finanziers, die Regierungen bzw. Machthabern nahe stehen, offensichtlich ist. Zudem sind weder die Internetgestützten noch die privat-kommerziellen Medien längs t nicht konsolidiert, und Mechanismen der Medienverantwortung und öffentlicher Medienkontrolle sind kaum ausgebildet. Die Frage der Einführung <?page no="312"?> Arabische Welt 313 eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Ersatz für den weitgehend delegitimierten Staatsrundfunks steht weiter im Raum. Hier gibt es allenfalls in den Transformationsländern Ägypten, Libyen und Tunesien erste Überlegungen, wie ein durch verschiedene gesellschaftliche Gruppen getragener Rundfunk angelegt sein könnte (Kuttab 2012). Die rasante Ausbreitung und Popularität von Online-Medien wirft Fragen nach der Veränderung des Journalistenberufs auf. Das Konzept des Bürger- oder Graswurzeljournalismus und sein Einfluss auf etablierte Medien bekommt durch die Umbrüche in der arabischen Welt neue Bedeutung und muss neu verortet werden (El Difraoui 2012b). Zudem sind die großen Defizite in der empirischen Mediennutzungs- und Marktforschung in der arabischen Welt problematisch: Sie ist noch unterentwickelt bzw. nicht in einer Form existent, die mit den entsprechenden Messinstrumenten und -standards im Westen vergleichbar wäre, weshalb häufig nicht auf statistisch reliable Daten, sondern meist nur auf Schätzungen zurückgegriffen werden kann (Rhodes/ Chapelier 2004). Im Zuge der zunehmenden Etablierung privat-kommerzieller Medien gibt es aber auch hier Entwicklungen, wobei Auftragsforschung überwiegt und die erhobenen Daten von den Unternehmen häufig vertraulich behandelt werden. 64 Ausgewählte Studien und Forschungsdesiderata Die Mediensysteme der arabischen Welt sind bis dato in der internationalen wissenschaftlichen Auseinandersetzung ein weitgehend exploratives Forschungsfeld. Besonders komparative Studien zu den Mediensystemen innerhalb der arabischen Welt und darüber hinaus analytische Vergleiche mit den Mediensystemen anderer Weltregionen sind bislang kaum vorhanden in der deutsch-, englisch-, französisch- und arabisch-sprachigen Journalistik oder Kommunikationswissenschaft. Sreberny (2008) und Wilkins (2004) haben in einer kritischen Durchsicht der vorhandenen Literatur gezeigt, dass vor allem in Sammelbänden, die die Rolle von Medien in Demokratisierungsprozessen vergleichen, auf ein- 64 So haben kommerzielle Unternehmen wie die Arab Advisors Group aus Jordanien (www.arabadvisors.com) oder Bildungseinrichtungen wie die Dubai School of Government (www.dsg.ae) Verfahren wie Panelbefragungen entwickelt, aus denen sich zumindest Trends für die Forschung ablesen lassen. <?page no="313"?> Weltregionen im Vergleich 314 zelne arabische Länder eingegangen wurde. In der Tat liegen bislang in deutscher und englischer Sprache überwiegend Länder- und Fallstudien zu wenigen Staaten der arabischen Welt bzw. zu bestimmten Einzelsegmenten von Mediensystemen arabischer Länder vor, so beispielsweise zu den palästinensischen Gebieten (Reuter/ Seebold 2000, Nazzal 2006), dem Libanon (Nesemann 2001, Braune 2005, Nötzold 2009), Ägypten (Korff 2003, Richter 2011) oder Libyen (Richter 2004). Editierte Überblicksbände, die in mehr oder weniger stark vergleichender Perspektive Länderstudien zusammenbringen oder einzelne Aspekte im Vergleich analysieren, stammen von Rugh (2004: zur Presse), Hafez (2001: allgemein, 2003: zum Thema Ethik, 2008: allgemein), von Sakr (2001: zur Politischen Ökonomie, 2007: zum Fernsehen), Seib (2007: zu neuen Medien) und Guaaybess (2013: zum Fernsehen). Im Internationalen Handbuch Medien des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung an der Universität Hamburg finden sich aktualisierte, deskriptive Überblicke zu Mediensystemen einzelner arabischer Länder - insbesondere zu Ägypten, den Golfstaaten und dem Maghreb, ebenso wie in der International Encyclopedia of Communication, herausgegeben von Donsbach (2008). Ferner veröffentlichen Stiftungen und Think Tanks zusammenfassende Übersichten zu Mediensystemen arabischer Länder, allerdings ist auch in diesen Fällen die Querschnittsperspektive eher unterentwickelt (ECSSR 1998, Al- Zubaidi 2012, KAS 2008, IFEX 2011). Einige auf Medien orientierte Zeitschriften wie das Online-Journal Arab Media & Society (www.arabmediasociety.com), das Middle East Journal of Culture and Communication und das Journal of Arab & Muslim Media Research veröffentlichen regelmäßig wissenschaftliche Artikel zur Region. Im Fokus stehen dabei zumeist Ägypten, die Golfstaaten (insbesondere die VAE, Qatar, Saudi-Arabien und zuweilen Kuwait), Libanon und Irak und zuweilen Jordanien und die palästinensischen Gebiete. In der französischsprachigen Literatur werden häufiger auch die Maghreb-Staaten abgedeckt. Über andere arabische Staaten wie den Jemen, Oman, Mauretanien oder den Sudan liegen bis dato so gut wie gar keine wissenschaftlich relevanten Informationen und Daten über deren Mediensysteme vor. Im Zuge des Umbruchs in der arabischen Welt 2011 sind allerdings bereits zahlreiche Studien erschienen, die sich intensiv mit der Infrastruktur und der Nutzung des Internets auseinandersetzen. Das renommierte Journal of Communication hat 2012 eine Spezialausgabe zum Thema »Soziale Medien und politischer Wandel« herausgebracht (s. u.a. Lim 2012). Auch die Open Access-Zeitschriften Global Media Journal - Deutsche Edition (www.globalmediajournal.de, 1/ 2012), das <?page no="314"?> Arabische Welt 315 International Journal of Communication (www.ijoc.org, 5/ 2011) und Cyberorient (www.cyberorient.net, 1/ 2012) haben Sonderausgaben zum »Arabischen Frühling« und der Rolle der Medien darin veröffentlicht. Der Fokus liegt dabei aber eindeuti g auf der Analyse nur eines Aspekts - des Aktivismus mittels sozialer Medien - häufig ohne weitere Einbettung in die Mediensystemstrukturen. Fazit Der internationale Vergleich mit den Mediensystemen der arabischen Welt birgt ein Erkenntnisinteresse in vielfacher Hinsicht. Insbesondere das Spannungsfeld zwischen autoritärer Beharrung der Mediensysteme einerseits und ihrer aktiven Rolle in der politischen Transformation andererseits eröffnen zahlreiche Anschlussmöglichkeiten für den innerregionalen, aber auch den internationalen Vergleich. Entlang der von Hallin/ Mancini (2004) entworfenen vier Hauptdimensionen für eine Einordnung von Mediensystemen sollen im Fazit einige wesentliche Aspekte für den Vergleich herausgearbeitet werden. Hinsichtlich der Dimension des Medienmarktes bzw. der Position der Presse im System hat sich gezeigt, dass eine Analyse des cross-medialen Zusammenspiels von Medien zunehmend relevanter wird, statt nur auf den Stellenwert einer bestimmten Mediengattung zu fokussieren. So hat die Presse zwar deutlich weniger Reichweite als in westlichen Ländern, sie kann allerdings auch als Hort journalistischer Professionalisierung, Spielfeld politischer Parteien und Grundlage für die Ausbildung von reichweitenstarken Online-Portalen gesehen werden. Die Mediengattungen sind deshalb eher als komplementär zu betrachten, auch und gerade im Hinblick auf ihre Nutzung und Effekte. Die Dimension des politischen Parallelismus, so zeigt sich bei der Analyse der arabischen Mediensysteme, ist zentral für die Konstitution autoritärer und post-autoritärer Medien. Auf der strukturellen Ebene können Medien häufig politischen Akteuren klar zugeordnet werden. Allerdings sind Medien nicht nur Anhängsel von politischen Akteuren, sondern auch von Industriemagnaten, die über die Medien ihre spezifischen Interessen artikulieren - eine Entwicklung, die sich auch für Russland oder lateinamerikanische Länder nachzeichnen lässt. Zudem lässt sich über die Dimension des politischen Parallelismus auch eine spezifische Medienkultur ausmachen: Medien werden auch in den Transformationsländern von Produzenten und Publikum häufig (noch) als Verlautbarungs- <?page no="315"?> Weltregionen im Vergleich 316 organe der Besitzer verstanden. Dies kann leicht zu einer Oligopolbildung und zu einer massiven Fragmentierung der Gesellschaft beitragen, wenn nicht vermittelnde Institutionen wie beispielsweise ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk installiert werden. Im Hinblick auf die Dimension der Staatskontrolle der Medien lässt sich anhand der arabischen Staaten erkennen, dass die Verschiedenheit der Kontroll- und Regulierungsmöglichkeiten durch den Staat unmittelbaren Einfluss auf die Transformationswahrscheinlichkeit eines Staates hat. In Ägypten hat sich gezeigt, dass auch eine als Pseudo-Liberalisierung intendierte Privatisierung von Medien plötzlich Räume geschaffen hat, die politische Akteure nutzen konnten. Saudi-Arabien hat dagegen durch die mittelbare Kontrolle der Medien über Familienbesitz und Syrien durch eine massive Repression deutlich bessere Möglichkeiten, eine aktive Rolle der Medien für eine Transformation einzuschränken. Schließlich lässt sich im Hinblick auf die Dimension des Professionalisierungsgrads des Journalismus sehen, dass im Zuge des Aufkommens von dezentralen Internet-Medien und einer zunehmenden Transnationalisierung der Medienproduktion auch massive Einflüsse auf die Profession des Journalismus bestehen. So gilt es, den Bürgerjournalismus als neue prägende Form des Journalismus zu beachten, sowie die Rückwirkung transnationaler Vorbilder auf die nationale Produktion des Journalismus zu erörtern. Übungsfragen 1) Welche Medientypen existieren in Bezug auf finanzielle (Un-)Abhängigkeit und Besitzverhältnisse in den meisten arabischen Mediensystemen? 2) Worin unterscheiden sich panarabische Medien mit globaler Reichweite von anderen Medien der arabischen Welt? 3) Beschreiben Sie die mit dem Ausbau neuer Informations- und Kommunikationstechnologien verbundenen Effekte in der arabischen Welt! Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de <?page no="316"?> Arabische Welt 317 Literatur Abdulla, Rasha A. (2007): The Internet in the Arab World. Egypt and Beyond. New York. Al-Jezairy, Zuhair (2006): The Iraqi Press: The Heritage of the Past and the Challenges of the Future. Assessment. Copenhagen: International Media Support. URL: http: / / portal.unesco.org/ ci/ en/ files/ 23828/ 116870779611099_Iraqi_report.pdf/ 10 99%2BIraqi_report.pdf Al-Zubaidi, Layla (2012): Walking A Tightrope. News Media & Freedom of Expression in the Arab Middle East. Heinrich-Böll-Foundation. Ayish, Muhammad I. (2004): Medien in den Golfstaaten Bahrein, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. In: Hans-Bredow-Institut (Hrsg.): Internationales Handbuch Medien 2004/ 2005. Baden-Baden, S. 859-871. Bishara, Amahl (2010): New Media and Political Change in the Occupied Palestinian Territories: Assembling Media Worlds and Cultivating Networks of Care. 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Die folgende Darstellung wird sich auf China, Japan und Indien konzentrieren. Auch wenn einzelne Länder wie Südkorea, die sich in den letzten Jahren gerade im Medienbereich dynamisch entwickelt haben - so verfügt Südkorea über die höchste Dichte an Breitband-Internetverbindung pro Kopf der Bevölkerung unter allen entwickelten Industrienationen und das wichtigste Film- und Medienfestival in Asien -, handelt es sich doch bei den genannten drei um die wirtschaftlich wie geopolitisch gesehen einflussreichsten Staaten Asiens, die zudem in paradigmatischer Weise die unterschiedlichen politischen Systeme der Region vertreten: Den autoritären Einparteienstaat (China; weitere Beispiele sind Vietnam, Laos, Nordkorea sowie die Militärdiktaturen Pakistan und - bis zum Einsetzen der politischen und ökonomischen Liberalisierung 2012 - Myanmar/ Birma), die konstitutionelle Monarchie (Japan: weitere Beispiele sind Thailand und Kambodscha) und die liberale parlamentarische Demokratie (Indien; weitere Beispiele sind Sri Lanka und Südkorea). China, Japan und Indien vertreten in paradigmatischer Weise die unterschiedlichen politischen Systeme der Region: den autoritären Einparteienstaat, die konstitutionelle Monarchie und die liberale parlamentarische Demokratie. China Die Volksrepublik China ist mit 1,3 Milliarden Einwohnern das bevölkerungsreichste Land und die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Gegründet 1949, nachdem die kommunistische Partei Chinas in einem Bürgerkrieg mit dem <?page no="321"?> Weltregionen im Vergleich 322 Kuomintang die Kontrolle über Festland-China errang, ist die VR China ein Einparteienstaat, der von der KP beherrscht wird. Nach dem Tod des Staatsgründers Mao Tsetung 1976 und der Beendigung der »Kulturrevolution«, die von 1966 bis 1976 währte, schlug die Partei unter Deng Xiaoping ab 1978 einen Kurs der Marktliberalisierung ein. Während die Partei die politische Kontrolle behält, befindet sich mittlerweile 70 % des Eigentums in privater Hand. Die Liberalisierung und Privatisierung wichtiger Wirtschaftszweige führte in den letzten zwanzig Jahren zu einem explosionsartigen Wirtschaftswachstum. Jährliche Wachstumsraten von 20 % sind die Regel. Lebten zu Beginn der 1990er- Jahre noch knapp 50 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, so sind es nach offiziellen Angaben mittlerweile weniger als 8 %. Die Verbindung von zentraler staatlicher Kontrolle und liberaler Marktwirtschaft prägt auch das Mediensystem in China. Die Medien und vor allem das Leitmedium Fernsehen befinden sich im Staatsbesitz. Die VR China unterhält zwei Nachrichtenagenturen, die international operierende Xinhua mit Niederlassungen in 107 Ländern sowie den China News Service, der vor allem die in Übersee lebenden Chinesen sowie Hongkong, Taiwan und Macao mit Nachrichten über Festlandchina und die Volksrepublik versorgt. Das Mediensystem in China ist durch die Verbindung von zentraler staatlicher Kontrolle und liberaler Marktwirtschaft geprägt. Print Die VR China bildet nach Indien den zweitgrößten Zeitungsmarkt der Welt. Die kombinierte tägliche Auflage der chinesischen Tageszeitungen betrug 2011 109 Millionen Exemplare, und der Zeitungsmarkt ist weiterhin stark im Wachstum begriffen. Das erklärt auch, weshalb die Ausweitung der Online- Kommunikation sich bislang nicht negativ auf die Auflagezahlen ausgewirkt hat. Das wichtigste Printmedium in der VR China ist nach wie vor die Parteizeitung Renmin Ribao (Tageszeitung des Volkes), die 1948 gegründet wurde und bis Ende der 1970er-Jahre das einzige maßgebliche Informationsmedium in und über China war. Renmin Ribao unterhält internationale Ausgaben in Englisch, Französisch, Japanisch, Spanisch, Russisch und Arabisch sowie seit 1997 eine Online-Ausgabe (www.people.com.cn). Neben einer Vielzahl weiterer staatlicher Printorgane verfügt China seit Ende der 1980er-Jahre auch über eine wachsende <?page no="322"?> Asien 323 Anzahl von Boulevardzeitungen, die teilweise aus vormals staatstreuen Regionalzeitungen hervorgingen. Sie berichten strikt leser- und absatzorientiert und geraten immer wieder mit den staatlichen Autoritäten in Konflikt, weil sie die geltenden Grenzen der Medienberichterstattung regelmäßig überschreiten. Ihr Auftreten erklärt sich auch aus dem Rückzug des Staates aus den Medien (siehe unten). Rundfunk Das staatliche Fernsehen nahm seinen Sendebetrieb 1958 auf, beschränkte seine Reichweite allerdings lange Zeit auf Parteikader in der Umgebung der Hauptstadt Beijing. Im Zug der Reformen der späten 1970er-Jahre konstituierte sich das Staatsfernsehen neu unter dem Namen CCTV (China Central Television). Mittlerweile strahlt CCTV 16 Programme für ein nationales Publikum aus, worunter neben Vollprogrammen auch eine Reihe von Spartenkanälen für Sport, Musik und Nachrichten sind. CCTV konkurriert mit einer Reihe von regionalen Fernsehsendern, die von den Provinzregierungen unterhalten werden, sowie mit ausländischen Fernsehsendern, die über Satellit empfangen werden können. Unter den ausländischen Anbietern, die in China präsent sind, nimmt Star TV eine besondere Rolle ein. Star TV ist eine Tochtergesellschaft von Rupert Murdochs Newscorp. und unterhält Sender in Hongkong, Festland-China und Indien. Star TV ist der reichweitenstärkste transnational operierende Fernsehanbieter der Welt und erreicht 300 Millionen Zuschauer in 53 Ländern bei einer täglichen Einschaltquote von 100 Millionen. Die aktuelle Verfassung der Volksrepublik China, die 1982 in Kraft gesetzt wurde, garantiert das Recht auf Eigentum, Religionsfreiheit, allgemeines Stimm- und Wahlrecht sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit. Der Bestand dieser Freiheiten ist prekär. Dissidenten sind nach wie vor staatlicher Verfolgung ausgesetzt, der Zugang zum Internet wird strikt reguliert und die staatliche Zensur greift regelmäßig in die Berichterstattung ein, wo diese nicht ohnehin in vorauseilendem Gehorsam die Linie der Partei und der staatlichen Autoritäten vertreten. Beispielgebend für diese Tendenz ist die Berichterstattung von CCTV, die Richtlinien folgt, welche vom Propaganda-Ministerium erlassen werden. Zugleich sind die Medien für ihre Finanzierung auf Marktkräfte und namentlich auf Werbeeinahmen angewiesen. Fernsehwerbung wurde in China 1982 erstmals <?page no="323"?> Weltregionen im Vergleich 324 zugelassen. Im Zug des Wirtschaftswachstums der letzten fünfzehn Jahre vervielfachte sich das Aufkommen an Fernsehwerbung, sodass der Staat sich aus der Subventionierung der Medien mehr und mehr zurückzog und namentlich die Fernsehanbieter dazu zwang, ihre Betriebsmittel auf dem Werbemarkt zu erwirtschaften. Diese Entwicklung führte zu einer starken Kommerzialisierung des Fernsehens. Auch CCTV setzte in den 1990er-Jahren vermehrt auf Unterhaltungsformate wie Serien, Spielshows und Spielfilme. Kino China verfügt über schätzungsweise 120.000 Kinoleinwände (zum Vergleich: In den USA sind es ungefähr 40.000), eine Infrastruktur, die teilweise schon in den 1950er-Jahren aufgebaut wurde, als das Kino noch das bevorzugte politische Kommunikationsmedium des Staates darstellte. Heute werden immer noch rund 100 Filme pro Jahr in Festland-China produziert. Die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong, die 1997 Teil der Volksrepublik China wurde, verfügt aufgrund eines Zustroms von Kapital und Talent aus Festlandchina nach dem Ende des Bürgerkriegs seit den 1950er-Jahren über eine eigenständige, höchst erfolgreiche Filmindustrie, die mit Kampfsportfilmen in den 1970er-Jahren weltweit Kinoerfolge erzielte und ihre Filme nach wie vor in alle Länder Asiens exportiert, insbesondere natürlich auch nach Festland-China. Bis Mitte der 1990er-Jahre übte die Hongkong-Filmindustrie ein Quasi-Monopol auf ihrem Heimmarkt aus. Erst 1993 schaffte es mit »Jurassic Park« erstmals ein amerikanischer Film an die Spitze der Jahresbestenliste. In den letzten Jahren wurde auch der festlandchinesische Markt sukzessive liberalisiert. Die VR China hat sich zu einem wichtigen Auslandsmarkt für indische Filme entwickelt, während chinesische Filme zugleich vermehrt in Indien gezeigt werden. Ausländische Filme zirkulieren oftmals in Form von Raubkopien auf DVD und VCD. Die amerikanische Produzentenvereinigung MPAA schätzt, dass Hollywood allein in China durch Piraterie jährlich mehr als eine Milliarde Dollar an Einnahmen entgehen. <?page no="324"?> Asien 325 Online-Kommunikation Gab es in der VR China noch 22,5 Millionen Internetnutzer, so waren es 2012 bereits 538 Millionen, was 22,4 % aller weltweiten Internetnutzer entspricht. Derzeit verfügen 40,1 % der Bevölkerung über Internetzugang. Diese Werte dürften sich in den nächsten Jahren denjenigen von avancierten Industrienationen wie Großbritannien (83,6 % Penetration), Deutschland (83 %) oder Südkorea (82 %) angleichen, womit China demnächst mehr als einen Drittel aller weltweiten Internetnutzer stellen wird. Die Nutzung des Internets unterliegt, wie die politische Kommunikation in Presse und Rundfunk, starken Einschränkungen durch Regierungsstellen. Zahlreiche Seiten ausländischer Anbieter sind gesperrt, und die Kommunikation in sozialen Netzwerken wird teilweise direkt überwacht und zensiert. Die Aufgabe der staatlichen Zensoren und Regulatoren erleichtert dabei die Tatsache, dass die meisten Chinesen anstelle der in den USA domizilierten sozialen Netzwerkdienste chinesische Nachahmungen wie Sina Weibo (Twitter-Substitut) oder RenRen Network oder Freebao (Facebook- Substitut) nutzen. Weil sich deren Serverstrukturen innerhalb des Landes befinden, verfügen staatliche Zensoren über einen einfachen Zugriff auf deren Inhalte. Problemlagen und Perspektiven Die Verbindung von staatlicher Kontrolle und Marktorientierung führt zum paradoxen Phänomen, dass eine einheitliche Parteilinie der politischen Berichterstattung mit einem Höchstmass an Diversität und Vielfalt der Medienformate und Medienangebote einhergeht. In seiner doppelten Rolle als Regulator und Förderer der Medien kommt sich der Staat dabei bisweilen selbst ins Gehege. China schickte in den frühen 1990er-Jahren erstmals Satelliten in die Erdumlaufbahn und schuf damit die Möglichkeit, staatliche Fernsehprogramme auch noch in die entlegensten Regionen des Riesenreiches zu übertragen. Zugleich erließ die Regierung 1994 vorübergehend ein Verbot von Satellitenschüsseln, um den Empfang politisch nicht opportuner ausländischer Kanäle zu unterbinden. Damit verunmöglichte der Staat selbst die angestrebte vollständige Medienabdeckung seines Territoriums. In ähnlicher Weise untersagt ein Erlass des Staatsrates von 1999, das sogenannte Dokument Nr. 82, die Konvergenz von Telekommunikationsinfrastrukturen und Kabelnetzen, die in anderen fortge- <?page no="325"?> Weltregionen im Vergleich 326 schrittenen Medienökonomien in den letzten Jahren zu einer wichtigen Triebkraft der Strukturentwicklung der Medien geworden ist. Das gleiche Dokument schränkt ferner ausländische Investitionen im Medien- und Telekommunikationsbereich auf ein Minimum ein, was sich weiteres Hemmnis für die Entwicklung des Mediensystems erweist. Zu den Anomalien des chinesischen Systems zählt ferner die Tatsache, dass die VR China praktisch keinen Schutz von Urheberrechten kennt und Piraterie im Bereich der Medien - wie auch in anderen Industriebranchen - an der Tagesordnung ist. So lange solche Widersprüche nicht gelöst werden, und so lange der Marktzugang für ausländische Anbieter weiterhin durch starke Eintrittshürden beschränkt wird, bleibt die chinesische Medienlandschaft geprägt von einem Konflikt zwischen politisch motivierter Kontrolle von Medieninhalten und Medienpraktiken und einer Marktorientierung, die aufgrund staatlicher Eingriffe doch nie zur vollen Entfaltung gelangen kann. Im Unterschied zu anderen Einparteien-Staaten der Region wie Nordkorea, dessen Medienlandschaft der chinesischen vor 1978 gleicht, hat die chinesische Medienpolitik der letzt en dreißig Jahre dies en dynamischen Prozess immerhin in Gang gebracht. Und während ein volle Presse- und Meinungsfreiheit in China ebenso auf sich warten lassen wie in Nordkorea und vorerst auch noch in Myanmar, so sind diese Rechte in China immerhin verfassungsmäßig garantiert und können im Prinzip eingefordert werden, wie dies unter anderem in der - allerdings gewaltsam niedergeschlagenen - Reformbewegung von 1989 geschah. Ausgewählte Studien Den besten Überblick über das chinesische Mediensystem liefern nach wie vor Donald/ Kean/ Hong (2002). Keane (2001) richtet ein besonders Augenmerk auf die Interaktion von Medienpolitik und gesellschaftlichen Protestbewegungen, während Hong (1998) das Problem der Internationalisierung des chinesischen Medienmarktes unter besonderer Berücksichtung von Star-TV beleuchtet (siehe auch Indien). Neuer noch ist Abels (2006), die den Zusammenhang von Medien, Markt und politischer Kontrolle untersucht. <?page no="326"?> Asien 327 Japan Eine Analyse des japanischen Systems muss bei den Printmedien ansetzen, weil von diesen auch Rundfunk und Fernsehen wesentlich mitbestimmt werden. Tatsächlich werden die japanischen Medieninstitutionen geprägt durch eine Gruppe von fünf großen, ökonomisch unabhängigen Tageszeitungen, zu denen die beiden auflagestärksten Zeitungen der Welt zählen, sowie durch die nationale Rundfunkgesellschaft NHK (Nihon Hoso Kyokai). Daneben sind eine Reihe von privaten Fernsehsendern und Radiostationen zu nennen, deren größte und wichtigste sich jeweils im Besitz der großen nationalen Tageszeitungen befinden. Das Kino spielt als Medium der politischen und gesellschaftlichen Kommunikation in Japan eine weniger prominente Rolle als in China und Indien (siehe unten), weshalb es hier ausgeblendet werden soll. Die bestimmende Rolle der Tageszeitungen lässt sich auf historische Umbrüche des ausgehenden 19. Jahrhunderts zurückführen. Die Entwicklung der Rundfunkmedien im 20. Jahrhundert folgt weitgehend dem Muster, das auch aus Großbritannien und Deutschland geläufig ist. Mit der Thronbesteigung von Kaiser Mutsihito im Oktober 1868 und der Verlegung des Kaiserthrons von Kyoto nach Tokyo beginnt die sogenannte Meiji-Restauration, eine Phase der raschen Modernisierung, in der ein jahrhundertealtes Feudalsystem durch einen modernen Beamtenstaat nach preußischem Vorbild ersetzt wird und Japan in wenigen Jahrzehnten zur bedeutenden Industrie- und Seemacht aufsteigt. Im Zug dieser Modernisierung bilden sich auch die Grundzüge des heutigen Mediensystems Japans heraus. Print Vor 1860 gab es in Japan keine Zeitungen im eigentlichen Sinn. Gedruckte Materialien unterlagen strengster Zensur, und die Herausbildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit aufgrund der Zirkulation von Druckerzeugnissen, wie sie sich für Westeuropa ab dem 16. Jahrhundert beobachten lässt, blieb aus. Im Zug der Meiji-Restauration kommt es 1860 und 1872 zu den ersten Zeitungsgründungen, wobei die entsprechenden Erzeugnisse allerdings noch bloße Verlautbarungsblätter regionaler Gouverneure sind. Verstand sich Japan zu Beginn der Meiji-Restauration noch als Obrigkeitsstaat, so entwickelt sich in den 1870er-Jahren eine »Bewegung für Volksrechte und Freiheit«, die eine stärkere <?page no="327"?> Weltregionen im Vergleich 328 Mitbestimmung der ländlichen Kreise und der einfachen Arbeiter fordert. Diese erreichte die Umwandlung der absoluten in eine konstitutionelle Monarchie, die mit der bis 1946 geltenden Verfassung von 1889 besiegelt wurde. Im Zug der »Bewegung für Volksrechte und Freiheit« entfaltete sich eine kritische politische Öffentlichkeit. Unabhängige, regierungskritische Zeitungen fanden rasch eine große Leserschaft und konnten sich umgehend als selbständige Unternehmen etablieren. Dazu zählen namentlich Y OMIURI S HIMBUN , die ab 1874 in der neuen Hauptstadt Toyko erschien, und A SAHI S HIMBUN , publiziert ab 1879 in Osaka. Die Verfassungsreform von 1889 schuf ferner ein Parlament mit Parteien, die nach westeuropäischem Muster Parteizeitungen herausgaben. Mit einer täglichen Auflage von über 90 Millionen Exemplaren verfügt Japan nach Indien und China den drittgrößten Zeitungsmarkt der Welt. Y OMIURI und A SAHI sind heute mit einer täglichen Auflage von 14,4 Millionen respektive 12,8 Millionen die auflagestärksten Tageszeitungen der Welt. Y OIMURI allein hat eine größere Auflage als die fünf größten amerikanischen Tageszeitungen zusammen; von der B ILD wurden zu ihren besten Zeiten 5,5 Millionen Exemplare gedruckt. Zusammen mit M ANICHI (6 Millionen), der Wirtschaftszeitung N IKKEI , die dem Tokyoter Börsenindex seinen Namen gibt (4,6 Millionen) und S ANKEI (2,9 Millionen) bilden Y OMIURI und A SAHI die Gruppe der fünf großen nationalen Tageszeitungen in Japan. Die großen Zeitungsverlage agieren als unabhängige Unternehmen, unterhalten aber eine Vielzahl von Interessensverknüpfungen mit den traditionellen Industrieunternehmen Japans. Neben den fünf nationalen Tageszeitungen existiert eine Vielzahl von regionalen und überregionalen Tageszeitungen, die Auflagen bis zu 2 Millionen erreichen, sowie eine Reihe von Wirtschaftszeitungen und Sportpublikationen. Ferner verfügt Japan nach wie vor über eine vitale Parteipresse, zu der auch die nationale Tageszeitung der kommunistischen Partei gehört, A KAHATA (Die Rote Fahne). Neben den Tageszeitungen umfasst der Printbereich eine Vielzahl von Wochenzeitungen und Monatsmagazinen, die teilweise ebenfalls zum politischen Meinungsbildungsprozess beitragen. Großer Beliebtheit erfreuen sich ferner auch Mangas, Comic-Bücher, die von jungen wie von alten Lesern als Reiselektüre im Pendelverkehr gerne gelesen werden. 92 % der Japaner lesen täglich Zeitung, und die großen fünf Tageszeitungen setzen den Hauptteil ihrer Auflage über Abonnemente ab, was auf eine Leserbindung hinweist, wie sie in Westeuropa allenfalls regionale Abonnementszeitungen wie die W ESTDEUTSCHE A LLGEMEINE (Auflage 600.000, Verbreitung vor allem im Ruhrgebiet) erreichen. Japanische Zeitungen finanzieren sich weit- <?page no="328"?> Asien 329 gehend über den Verkauf der Auflage und nicht den Absatz von Anzeigen wie etwa US-Zeitungen, für die denn auch Renditen von 15 % als Ziel gelten, und nicht die in Japan üblichen 2 % bis 3 %. Rundfunk Die Entwicklung des Rundfunks verläuft ähnlich wie in Westeuropa, namentlich in Großbritannien. 1925 wurde der gebührenfinanzierte NHK gegründet, der bis in die frühen 1980er-Jahre ein Staatsmonopol für Radio- und Fernsehsendungen ausübte und nach der 1926 gegründeten BBC die zweitgrößte öffentliche Rundfunkgesellschaft der Welt ist (→ 3.3). 1953 strahlte NHK die ersten TV-Programme aus, 1960 erfolgte der Übergang zum Farbfernsehen. NHK treibt seit den Anfängen auch die technologische Weiterentwicklung des Rundfunks voran und zählt etwa zu den Pionieren des Satellitenfernsehens. Die Einführung von Kabel- und Satellitenfernsehen und eine allgemeine wirtschaftliche Liberalisierung führten wie in Europa in den 1970er- und 1980er-Jahren zu einer Aufweichung des Staatsmonopols. Seit den 1980er-Jahren liegt NHK in Konkurrenz mit fünf privaten Senderketten, die den großen Zeitungsverlagen gehören. Eine weitere Ausdifferenzierung des TV-Marktes ist bislang ausgeblieben. Staatliche Regulierung und Einschränkungen des Besitzes an Rundfunk- Anstalten schützen das staatliche Fernsehen, tragen aber auch dazu bei, dass die etablierten privaten Anbieter den Markt gegen den Eintritt neuer Konkurrenten abschotten können. Japan verfügt über fast so viele Fernsehgeräte wie Einwohner (125 Mio.), wobei das Fernsehen insbesondere auch in öffentlichen Räumen präsent ist und in Bahnhöfen und an anderen Übergangsorten im öffentlichen Raum regelmäßig konsumiert wird. Online-Kommunikation Das Internet schließlich hat in Japan rasch Verbreitung gefunden. Derzeit besitzen über 90 Millionen Japaner Mobiltelefone mit Internetzugang. Verfügte Japan 2000 noch über 47,8 Millionen Internetznutzer, so waren es 2012 101,3 Millionen oder 79,5 % der Bevölkerung. Dies entspricht der Penetration in vergleichbar avancierten Industrienationen wie Südkorea oder Deutschland. <?page no="329"?> Weltregionen im Vergleich 330 Anders als in China unterliegt die Internetnutzung keinen Einschränkungen von staatlicher Seite. Wie in China und Indien (siehe unten), aber anders als in den USA und Westeuropa wirkt sich die Internetkommunikation nicht negativ auf die Auflagezahlen der Tageszeitungen aus. Das ist umso bemerkenswerter, als sowohl der Zeitungsmarkt als auch die Internet-Penetrationsrate in Japan im Unterschied zu den Wachstumsmärkten China und Indien längst die Sättigungsschwelle erreicht haben. Problemlagen und Perspektiven Angesichts der starken Verbreitung der Printerzeugnisse und der langen institutionellen Kontinuitäten sowohl im Bereich der Tageszeitungen wie auch des Rundfunks stellt sich die Frage nach der politischen Wirkung und Ausrichtung der Medien und nach der Interaktion von Medien und Politik in Japan in besonders virulenter Weise. Festzuhalten ist zunächst, dass die politische Meinungsbildung keineswegs nur Aufgabe der großen Tagszeitungen und des Fernsehens ist. Gerade die Wochenzeitungen und Monatsmagazine bilden Foren öffentlicher Kritik an politischen Prozessen, die in ihrer Bedeutung für das Leben der japanischen Demokratie keinesfalls zu unterschätzen sind. Für den Zeitraum vor 1945 gilt, dass der Staat in unterschiedlicher Weise, meistens aber direkt regulierend in die Berichterstattung eingriff. Das japanische Mediensystem zeigt in Geschichte und Gegenwart eine besonders intensive Verschränkung von Politik und Medien. Vor allem in den 1890er-Jahren trat der Staat als Förderer einer unabhängigen Presse auf, nur um diese bald wieder in die Schranken einer starken politischen Zensur zu weisen. Auf eine besonders liberale Periode von 1918 bis 1932 folgte eine Phase drakonischer Zensurmaßnahmen und direkter Steuerung der Berichterstattung durch den Staat in den Jahren von 1937 bis 1945. In den Kriegsjahren war die Verschränkung von Politik und Medien besonders ausgeprägt. So amtierte der Vizepräsident von Asahi in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges als Kabinettsminister. Seit 1955 trägt faktisch eine einzige Partei, die liberaldemokratische LPD, ununterbrochen die Regierungsverantwortung und hält durch ein ausgeklügeltes Klientelsystem allfällige Oppositionsparteien in Schach. Das Verhältnis der Medien zum faktischen Machtmonopol der LPD ist als durchaus ambivalent zu beschreiben. Ähnlich wie in den ökonomisch weni- <?page no="330"?> Asien 331 ger avancierten Ländern mit vergleichbaren politischen Systemen, Thailand und Kambodscha, verhalten sich die Leitmedien in der Regel staatstreu. Sie stützten die Monarchie und halten mit Kritik an der jeweils regierenden Partei nach westlichen Begriffen merklich zurück. Zugleich aber kommt ihnen eine »trickster«- oder Hofnarren-Funktion zu, können sie doch immer wieder Missstände benennen, die in einem totalitären System verschwiegen würden. Ausgewählte Studien Den besten Überblick über die Interaktion von Medien und Politk liefern Pharr/ Krauss (1996); von Pharr stammt auch die Charakterisierung der japanischen Presse als »trickster«. Für Rundfunk und Fernsehen ist Langdale (1997) einschlägig. Krauss (2000) erläutert den Vorrang der Zeitungen und die Gründe für die sekundäre Rolle Fernsehens in der politischen Kommunikation seit dem Zweiten Weltkrieg; eine besonders lesbare Einführung in die Politikgeschichte Japans unter Berücksichtigung der Medien liefert schließlich Buruma (2005). Indien Indien ist seit seiner Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft im Jahr 1947 die größte liberale Demokratie der Welt sowie seit einigen Jahren auch eine der am schnellsten wachsenden Wirtschaftsmächte Asiens. Mit über viertausend Tageszeitungen in mehr als zwanzig regionalen Sprachen, staatlichen Radio- und Fernsehkanälen, die das ganze Land abdecken, einer Vielzahl von Kabel- und Satelliten-Fernsehkanälen und der mit mehr als tausend Filmen pro Jahr produktivsten Kinoindustrie der Welt verfügt Indien über ein vielfältiges und komplexes Mediensystem. Ferner zählt Indien zu den wichtigsten Anbietern von Computersoftware und globalisierten Mediendienstleistungen wie »call center«. Lange Zeit wurde die indische Medienlandschaft von einer relativ geringen Anzahl von Qualitätszeitungen sowie den staatlichen Radio- und Fernsehprogrammen bestimmt. Die Einführung des Computers und neuer, verbilligter Druckverfahren in den 1980er-Jahren führten zu einer raschen Entfaltung regionalsprachlicher Tageszeitungen, während die 1991 vom damaligen Wirt- <?page no="331"?> Weltregionen im Vergleich 332 schaftsminister Manmohan Singh initiierte Liberalisierung der Wirtschaft privaten Fernsehanbietern den Weg ebnete. Ähnlich wie in China stieg das Fernsehen in Indien erst in den letzten zwanzig Jahren zum Leitmedium auf. In beiden Ländern profitierte es von der wirtschaftlichen Entwicklung ebenso wie es diese auch vorantrieb, vor allem in seiner Rolle als Werbemedium. Indien kennt ein verfassungsmäßig garantiertes Recht auf freie Meinungsäußerung und eine weitgehend uneingeschränkte Pressefreiheit, die in der politischen Realität auch respektiert wird. Eine staatliche Zensur besteht namentlich bei religiösen Themen. Indien umfasst neben der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit eine Vielzahl kleinerer Religionsgruppen wie Parsen, Sikhs und Christen und zählt mehr Muslime als Pakistan. Obwohl sich Indien als sakulärer Staat versteht, sind Konflikte zwischen Hindus und Muslimen an der Tagesordnung. Diesen versucht die Zensur vorzugreifen. Print Die Anfänge eines Pressewesens im modernen Sinn liegen in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, als in Kalkutta und Bombay niedergelassene Briten erste Tages- und Wochenzeitungen zu publizieren versuchten, dabei aber auf den Widerstand der Kolonialverwaltung stießen. Eine englisc hsprachige Ta gespres se exis tiert in Indien seit 1838, als in Bombay (heute Mumbai) zum ersten Mal die T IMES OF I NDIA erschien. Sie ist heute mit neun Regionalausgaben und einer täglichen Auflage von 4,1 Millionen Exemplaren die wichtigste englischsprachige Tageszeitung Indiens und zugleich die auflagenstärkste englischsprachige Qualitätszeitung und eine der am schnellsten wachsenden Tageszeitungen der Welt (seit 2006 stieg die Auflage um 1,4 Mio. Exemplare). Zugleich bildet die T IMES OF I NDIA das Herzstück eines diversifizierten Medienkonglomerats, zu dem neben Magazinen und regionalsprachlichen Tageszeitungen im Teilstaat Maharashtra auch Beteiligungen an Fernsehkanälen und an Filmproduktionsgesellschaften gehören. Eine von der britischen Kolonialverwaltung gänzlich unabhängige indische Tagespresse gibt es seit 1878, als im südindischen Madras (heute Chennai) die von der Familie Katsuri verlegte Tageszeitung T HE H INDU erschien. T HE H INDU war das Sprachrohr der indischen Emanzipation und ist auch deshalb nach wie vor die angesehenste Qualitätszeitung des Subkontinents, in ihrem Status vergleichbar der F RANKFURTER A LLGEMEINEN Z EITUNG . <?page no="332"?> Asien 333 Ebenfalls noch aus dem 19. Jahrhundert stammt die erste regionalsprachliche Tageszeitung Indiens. M ALAYALAM M ANORAMA wurde 1890 in Kottayam im heutigen Bundesstaat Kerala zunächst als Wochenzeitung in der Regionalsprache Malayalam gegründet und ging 1928 zur täglichen Erscheinungsweise über. Mit 2,05 Millionen ist sie die auflagenstärkste regionalsprachliche Tageszeitung. M ALAYALAM M ANORAMA betätigt sich heute auch im Rundfunk und Regionalfernsehen und war überdies die erste Aktiengesellschaft unter den indischen Medienunternehmen; die älteren Zeitungen sind Familienunternehmen. Weitere englischsprachige Tageszeitungen mit nationaler Verbreitung sind die H INDU- STAN T IMES in Delhi, die 1924 erschien und 1927 von der Birla-Familie übernommen wurde, und der I NDIAN E XPRESS , der ab 1940 in Bombay publiziert wurde. Ähnlich traditionsreich sind die in der nordwestindischen Regionalsprache Gujarati erscheinenden Zeitungen S ANDESH (gegr. 1923) G UJARAT S AMA- CHAR (gegr. 1932). Noch vor der Unabhängigkeit verfügte die britische Kronkolonie Indien also über eine unabhängige, im Besitz lokaler Interessen befindliche Presse in Englisch und in wichtigen Regionalsprachen, die eine eigene Öffentlichkeit konstituierte und zur Erlangung der indischen Unabhängigkeit nicht unwesentlich beitrug. Eine weitere Gründungswelle erlebte der Markt für Printmedien und insbesondere für regionalsprachliche Zeitungen in den Jahren nach der Unabhängigkeit. Zu einer eigentlichen Revolution des Zeitungsmarktes kam es schließlich in den 1990er-Jahren, als sich die Gesamtauflage der indischen Tageszeitungen innerhalb weniger Jahre mehr als verdoppelte. Die Einführung von Desktop-Publishing und neuer, verbilligter Drucktechnologien sowie die Liberalisierung machten das Verlagswesen zu einem hoch profitablen Geschäft. Betrug die Gesamtauflage der in Indien publizierten Tageszeitungen 1951 noch 2,5 Millionen Exemplare bei einer Gesamtbevölkerung von 359 Millionen, so stieg sie bis 1996 auf über 40 Millionen Exemplare bei 932 Millionen Einwohnern und beträgt heute 110 Millionen Exemplare (für eine Bevölkerung von 1,2 Mrd.). Mitte der 1990er-Jahre zirkulierten in Indien pro 1.000 Einwohner 43 Tageszeitungen, während es 1976 noch 15 Exemplare pro 1.000 Einwohner gewesen waren (Jeffrey 2000, 47). Indien ist damit der größte Zeitungsmarkt der Welt, mit einer starken Tendenz zu weiterem Wachstum. Empirische Studien zeigen, dass ab einer Frequenz von 30 Exemplaren pro 1.000 Einwohner die Presse einen signifikanten Einfluss auf das öffentliche Leben und die Politik nimmt (Jeffrey 2000). Tatsächlich übernehmen die regionalsprachlichen Zeitungen in ländlichen Gebieten in Indien längst eine Funktion <?page no="333"?> Weltregionen im Vergleich 334 der Kontrolle staatlicher Autoritäten und tragen damit auch zur Entwicklung eines neuen zivilgesellschaftlichen Bewusstseins bei. Rundfunk Die Entwicklung des Rundfunks und der elektronischen Medien beginnt in Indien wie in Japan und den westeuropäischen Ländern in den 1920er-Jahren. 1927 nehmen zwei private Radiosender in Bombay und Kalkutta ihren Betrieb auf, die 1930 nationalisiert und 1936 in das staatliche A LL I NDIA R ADIO (AIR) überführt werden. Nach der Unabhängigkeit konstituiert sich A LL I NDIA R ADIO als Teil von P RASAR B HARATI , der staatlichen indischen Rundfunkgesellschaft, die dem Ministerium für Information und Rundfunk untersteht. 1957 wird AIR offiziell in A KASHWANI umbenannt, doch die populäre Bezeichnung A LL I NDIA R ADIO hält sich bis heute. AIR ist bei weitem das reichweitenstärkste und populärste Medium in Indien und erreicht über 99 % der Bevölkerung. Erste Fernseh-Versuche finden 1958 statt. Regelmäßige tägliche Fernsehsendungen werden im Raum Delhi im Jahr 1965 aufgenommen. Bis 1975 dehnt AIR sein TV-Programm auf die sieben größten Städte Indiens aus. 1976 wird das Fernsehen unter dem Namen D OOR D ARSHAN als eigenständige Abteilung von P RASAR B HARATI organisiert. Aus Anl ass der Asienspiele in Delhi 1982 nimmt das staatliche Fernsehen seinen nationalen Sendebetrieb auf. Aktuell unterhält D OOR D ARSHAN zwei nationale Fernsehkanäle, elf regionalsprachliche Programme sowie eine Reihe von Spartenkanälen, u.a. ein Sportprogramm und zwei Kanäle für Direktübertragungen aus dem indischen Parlament. Zur Durchsetzung von D OOR D ARSHAN trugen nicht zuletzt Fiktionsprogramme bei. Zwei Miniserien auf der Grundlage der vedischen Epen R AMAYANA und M AHABA- RATA lockten 1987/ 88 und 1988/ 89 ein Fernsehpublikum im hohen zweistelligen Millionenbereich vor den Bildschirm und bilden damit die ersten großen nationalen Medienereignisse mit identitässtiftendem Charakter. Im Zug der Liberalisierung der 1990er-Jahre etablieren sich ferner eine Vielzahl von Satelliten- und Kabelkanälen. Treibende Kraft dieser Entwicklung war nicht zuletzt Rupert Murdochs auch in China präsentes Star TV. In Indien umfasst das Senderpaket von Star TV das neben Nachrichtenkanälen auch eine Reihe von Programmen, die in erster Linie klassische indische Spielfilme ausstrahlen. Klassische Spielfilme beherrschen auch das Angebot von B4U, einem vom Stahlmagnaten Lakshmi Mittal betriebenen Satelliten-Kanal, der auch in <?page no="334"?> Asien 335 England und den USA empfangen werden kann, wo große Gruppen von Exil- Indern leben. Zu einem wichtigen Faktor des Medienmarktes in Indien hat sich in den letzten Jahren überdies MTV India entwickelt, das vorzugsweise Musikvideos aus neuen Kinospielfilmen ausstrahlt und die Verschränkung der Kabel-TVmit der Filmindustrie unterstreicht, die ihrerseits mit der Printindustrie aufs engste verknüpft ist. So tritt die T IMES OF I NDIA als Veranstalterin der »Filmfare Awards« auf, des indischen Äquivalents der amerikanischen Oscars. Kino Obwohl die Filmindustrie erst vor kurzem offiziell den Status einer Industrie erhielt und nach wie vor notorisch enge Beziehungen zur Unterwelt unterhält, lässt sich die politische und gesellschaftliche Bedeutung des Kinos in Indien kaum hoch genug einschätzen. Bis in die 1970er-Jahre war eine Mehrheit der indischen Bevölkerung nur bedingt des Lesens und Schreibens mächtig, und noch heute geht die Alphabetisierungsquote in manchen ländlichen Gegenden über 50 % nicht hinaus. Anders als in westlichen Nationalstaaten fiel die Aufgabe der medialen Konstruktion einer nationalen Identität in Indien nach der Erlangung der Unabhängigkeit denn auch weniger der Presse zu als vielmehr dem Kino, das im Unterschied zu den Printmedien alle Schichten erreichte. Innerhalb des indischen Mediensystems hat das Kino - mehr als in westlichen Nationalstaaten - wesentlich zur medialen Konstruktion einer nationalen Identität beigetragen. Gerade die populären Unterhaltungsfilme, die im Westen gerne als seichte Unterhaltung mit absurden Sing-und-Tanz-Einlagen verlacht werden, verhandeln seit je wichtige gesellschaftliche Anliegen wie Generationenkonflikte, Korruption oder Spannungen zwischen den Religionsgruppen. Zur politischen Funktion des Kinos zählt auch, dass Filmstars oft eine besondere Nähe zu Politikern pflegen oder selbst in die Politik einsteigen. Mehrfach sind Filmstars schon zu Chief Ministers, zu Ministerpräsidenten von Teilstaaten aufgestiegen. Obwohl im Zug der Liberalisierung der 1990er-Jahre auch das Importverbot für amerikanische Spielfilme gelockert wurde, verfügen einheimische Filme nach wie vor über einen Marktanteil von mehr als 90 %. Die größte Verbreitung finden populäre Hindi-Filme, die vorab in Bombay produziert werden und seit den <?page no="335"?> Weltregionen im Vergleich 336 1990er-Jahren unter der griffigen Formel »Bollywood« vermarktet werden. In Südindien allerdings dominieren tamilische Filme, die in der Nähe von Chennai produziert werden. Die Hindi-Filmindustrie ist zugleich mittlerweile eine global operierende Kulturindustrie, die in Afrika, im mittleren Osten, in Südostasien (vor allem in Malaysia und Indonesien) und in China direkt mit der amerikanischen Filmindustrie konkurriert und diese an Popularität oft übertrifft. Online-Kommunikation Zählte Indien 2000 noch 5 Millionen Internetnutzer, so waren es 2012 137 Millionen oder 5,7 % aller weltweiten Nutzer. Das Wachstumspotenzial ist allerdings sehr groß. Während in Indien mehrere hundert Millionen Mobiltelefone im Gebrauch sind, beträgt die Penetrationsrate beim Internet derzeit nur 11,4 % der Bevölkerung. Damit liegt Indien deutlich hinter anderen Ländern aus der Top-20 der Internet-Märkte zurück. In Indonesien etwa nutzen 22,1 % der Bevölkerung das Internet, in Nigeria 28,4 % und in Vietnam 33,9 %. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf das Fehlen einer entsprechenden technischen Infrastruktur in bevölkerungsreichen ländlichen Gebieten. Da die Landbevölkerung über eine beschränkte Kaufkraft verfügt, wird sich daran ohne entsprechende Infrastrukturmaßnahmen der Regierung in absehbarer Zeit wenig ändern. Vor allem in den dicht besiedelten nördlichen Teilstaaten wie Gujarat und Uttar Pradesh wird der Internetzugang derzeit aber stark ausgebaut. Da die großen Tageszeitungen alle über multifunktionale Internet-Portale verfügen, ist dort, wo die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, davon auszugehen, dass die weitere Entwicklung der Internetnutzung mit der Entwicklung des Zeitungsmarkts parallel laufen wird. Dem Internet dürfte dabei wie den Tageszeitungen vermehrt eine zivilgesellschaftliche Kontrollfunktion zukommen. Problemlagen und Perspektiven Die Printmedien und das Radio erfüllen in Indien eine Funktion der Konstitution von Öffentlichkeit, wie sie auch aus westlichen Demokratien geläufig ist. Dabei knüpfen sie an eine jahrhundertealte Tradition der öffentlichen Debatte an, die der Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen in einem Buch gleichen Namens auf die Formel vom »argumentative Indian« bringt, vom streitlustigen <?page no="336"?> Asien 337 Inder. Allerdings kommt mit dem Fernsehen und insbesondere mit dem Kino in Indien eine zusätzliche Dimension mit ins Spiel, berühren doch die in den vermeintlich reinen Unterhaltungs- und Fiktionsformaten verhandelten Themen unmittelbar auch Fragen der Politik und namentlich solche der nationalen Identitätsbildung. Fast mehr noch als mit anderen, jüngeren liberalen Demokratien Asiens wie Indonesien oder dem ökonomisch weiter fortgeschrittenen Südkorea, die ohnehin weniger gefestigte parlamentarische Traditionen aufweisen, lohnt sich vielleicht auch ein anderer Vergleich, und zwar der zwischen Indien und einer anderen ursprünglich ländlich geprägten Demokratie, zu deren moderner Konstitution das Kino einen nicht geringen Beitrag geleistet hat und in der die Presse lange in der Hand von Familienunternehmen war: mit den USA. Ausgewählte Studien Thussu (1999) zeichnet die politischen Konsequenzen der Liberalisierung des Fernsehens in Indien nach, während Mankekar (1999) schon im Titel ihrer grundlegenden Studie Screening Culture, Viewing Politics die Doppelnatur der AV- Medien im indischen Mediensystem zur Sprache bringt. Die Rolle von Star-TV und anderen internationalen Anbietern auf dem indischen TV-Markt beleuchtet Machanda (1998), während für die jüngsten Entwicklungen vor allem Bereich des Satellitenfernsehens Metha (2008) einschlägig ist. Pathania-Jain (2001) analysiert die Struktur indischer Medienkonzerne, während Jeffrey (2000) die umfassendste Studie zur Entwicklung der Printmedien vorlegt. Über die parallelen und teilweise aufeinander bezogenen Entwicklungen in China und Indien schließlich geben die Beiträge in Curtin/ Shah (2010) Auskunft. Fazit Während die Entwicklung des Mediensystems in Japan nach der Öffnung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend Mustern folgt, die auch aus Westeuropa bekannt sind, haben Indien und China eine andere Entwicklung durchlaufen, die in beiden Ländern in einigen wesentlichen Punkten durchaus analog verlief. Ungeachtet der Differenz ihrer politischen Systeme gilt für beide Länder für den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg, dass Film und Kino <?page no="337"?> Weltregionen im Vergleich 338 wesentliche Beiträge zur Herausbildung des jeweiligen nationalen Selbstverständnisses leisteten. Ferner avanciert in Indien wie in China das Fernsehen erst zu Beginn der 1980er-Jahre zum Leitmedium, und in beiden Ländern lässt sich im Zuge einer Marktliberalisierung seit den 1980er-Jahren ein eigentlicher Boom des Fernseh- und Zeitungsmarktes beobachten. Abzuwarten bleibt, wie sich in Indien und China die Konvergenz von Telekommunikation und herkömmlichen Massenmedien weiter entwickelt. Wird sie in China von staatlichen Autoritäten aus politischen Gründen behindert, so stehen ihr in Indien eine ungenügend ausgebaute Infrastruktur und eine allzu hohe Regulationsdichte entgegen. Eine Schrittmacherrolle nimmt im Bereich der digitalen Kommunikationsmedien in Asien Südkorea ein; Indien und China, aber wohl auch Japan, werden sich in den nächsten Jahren an den Entwicklungen in Südkorea orientieren können. Übungsfragen 1) Inwiefern wirkt sich die staatliche Kontrolle der Medien in China erschwerend auf die Entwicklung des Mediensystems aus? 2) Inwiefern folgt die Entwicklung des Mediensystems in Japan Muster, die auch aus Westeuropa bekannt sind? 3) Welche Rolle spielen die regionalsprachlichen Tageszeitungen im indischen Mediensystem? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Abels, Sigrun (2006): Medien, Markt und politische Kontrolle in der Volksrepublik China: Eine Untersuchung zur Rolle der Medien seit Beginn der Reformära (1979- 2005) unter besonderer Berücksichtigung des Hörfunks. Bochum. Buruma, Ian (2005): Inventing Japan. From Empire to Economic Miracle, 1853-1964. New York. Curtin, Michael/ Shah, Hemant (Hrsg.) (2010): Re-Orienting Global Communication: Indian and Chinese Media Beyond Borders. Carbondale. <?page no="338"?> Asien 339 Hemelryk Donald, Stephanie/ Keane, Michael/ Hong, Yin (2002): Media in China. Consumption, Content, and Crisis. London. Hong, Junhao (1998): The Internationalization of Television in China. The Evolution of Ideology, Society, and Media. Westport, CT. Jeffrey, Robin (2000): India’s Newspaper Revolution. Capitalism, Politics and the Indianlanguage Press. New Dehli. Keane, Michael (2001): Broadcasting policy, creative compliance and the myth of civil society in China. In: Media, Culture & Society 23/ 6, S. 783-798. Krauss, Ellis S. (2000): Japan: News and Politics in a Media-Saturated Democracy. In: Gunther, Richard/ Mughan, Anthony (Hrsg.): Democracy and the Media: A Comparative Perspective. Cambridge: Cambridge University Press, S. 266-302. Langdale, John (1997): East Asian Broadcasting Industries: Global, Regional, and National Perspectives. 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In: Media, Culture & Society, Vol. 21, No. 1, S. 125-131. <?page no="339"?> 340 S TEFAN B RÜNE 4.7 Afrika (südlich der Sahara) Die Medienlandschaften des subsaharischen Afrika haben sich seit Mitte der 1990er-Jahre dynamisch verändert. Infolge der - durch das Ende des Ost-West- Konfliktes beschleunigten - Krise des Einparteienstaates wurden die staatlichen Informationsmonopole vielerorts geschwächt. Obwohl inzwischen zahlreiche private Zeitungen und Rundfunkstationen das Medienangebot bereichern und die auch politisch bedeutsame Mobiltelefonie boomt, ist die Zahl der Regime, die glauben, ihr Image durch Propaganda, Zensur und willkürliche Verhaftungen kontrollieren zu können, nach wie vor groß. Radio und Fernsehen verbleiben in den meisten Staaten in der Hand der Regierungen, und die privaten Medien sehen sich erheblichen wirtschaftlichen und politischen Problemen gegenüber. Trotz der zunehmenden verfassungsrechtlichen Absicherung von Meinungs- und Informationsfreiheit bleiben medienpolitische Freiräume in den neopatrimonial geprägten Gesellschaften südlich der Sahara weitgehend vom Wohlwollen der Regierenden abhängig. Dabei gewinnen indirekte Formen der Informationskontrolle (Beleidigungs-, Antiterror- und Sicherheitsgesetze, kostspielige Lizenzen, Benachteiligung privater Investoren) zunehmend an Bedeutung. Nach wie vor werden Fragen von Medienverfassung und -praxis im nationalen Kontext als politisch hoch sensibel empfunden. Zu den Ländern, deren Presse der jüngste Freedom-House-Report als »frei« qualifiziert, zählen nur fünf der 48 erfassten subsaharischen Staaten (Mali, Ghana, Kap Verde, Mauritius, S-o Tomé und Príncipe). 22 weitere gelten als »teilweise frei« (Benin, Südafrika, Namibia, Botswana, Burkina Faso, Mosambik, Komoren, Lesotho, Tansania, Nigeria, Mauretanien, Sierra Leone, Kongo (Brazzaville), Kenia, Senegal, Uganda, Malawi, Seychellen, Guinea-Bissau, Guinea, Liberia, Niger). Die Presse in den restlichen 21 Staaten wird als »nicht frei« eingeordnet (Zentralafrikanische Republik, Sambia, Angola, Madagaskar, Kamerun, Côte d’Ivoire, Gabun, Dschibuti, Togo, Burundi, Tschad, Swasiland, Äthiopien, Sudan, Kongo (Kinshasa), Gambia, Simbabwe, Ruanda, Somalia, Äquatorialguinea, Eritrea). 65 65 Quelle: Global Press Freedom Rankings (2011): Sub-Saharan Africa. Freedom of the Press 2006-2011. http: / / www.freedomhouse.org/ reports (19.02.2013) <?page no="340"?> Afrika 341 Trotz anhaltender Bemühungen, die Handlungs- und Berichtsspielräume regierungskritischer Medien einzuengen, hat das Zusammenspiel technischen Fortschritts (Internet, Mobiltelefonie) und politisch-gesellschaftlichen Wandels (Mehrparteienwahlen, Aufkommen von Demokratiebewegungen) in den vergangenen Dekaden eine spektakuläre Pluralisierung des afrikanischen Medienangebots befördert. Auf zunehmend liberaler Rechtsbasis - die afrikanischen Regionalorganisationen waren auf dem Gebiet der Formulierung medienpolitischer Grundsätze und Ziele weltweit lange führend - hat sich, zumindest für die formal gebildeten Bevölkerungsschichten urbaner Zentren, die Bedeutung von Radio und Fernsehen als öffentliche Informations- und Bildungsquelle spürbar erhöht. Auch hinsichtlich der Erwartung, die Medienberichterstattung solle die Entwicklung einer Gesellschaft in ihrer politischen und kulturellen Vielfalt spiegeln, waren bemerkenswerte Fortschritte zu verzeichnen. Das Broadcasting in afrikanischen Sprachen hatte Konjunktur, und die inzwischen weit verbreiteten Lokalradios (rural community radios - radio rurale) haben maßgeblich dazu beigetragen, neue Themen und Hörerschichten zu erschließen (Hyden 2002; Beck 2004; Nyamnjoh 2005). Begünstigt wurden diese Entwicklungen durch den Umstand, dass die überkommenen Ideale eines international geförderten Entwicklungsjournalismus sukzessive durch renditeorientierte Investitions- und Standortentscheidungen ersetzt wurden. Während sich westliche Unternehmen angesichts politischer Unwägbarkeiten und als zu klein wahrgenommener nationaler Märkte lange zurückhielten, hat - insbesondere in den anglofon kolonialisierten Ländern Ost- und Südafrikas - die Herausbildung regionaler afrikanischer Medienkonzerne begonnen. Über das klassische Zeitungsgeschäft hinausgewachsen verdanken sie - programmpolitisch zumeist am Infotainment orientiert - ihren von einer fortschreitenden Medienkonzentration begleit eten Bedeutungszuwachs langfristig angelegten Investitionsstrategien. Dabei spielt seitens der Investoren die Hoffnung, mittels wirtschaftlicher Erfolge und länderübergreifender Aktivitäten politischer Kontrolle entgehen zu können, eine wichtige Rolle. Allerdings geht das exponentielle Wachstum privater Medien nicht überall und durchgängig mit einem Zugewinn an journalistischer Unabhängigkeit und Seriösität einher. Unter den neuen Medienmanagern finden sich neben reichen Geschäftsleuten auch ehemalige Militärs und Politiker, denen die Deregulierung der Märkte die Chance bietet, aus dubiosen Finanzquellen stammenden Reichtum zu legalisieren. Obwohl die staatlich kontrollierten oder alimentierten Sender ihr Meinungsmonopol verloren haben, verfügen sie nach wie vor über eine große Leser-, <?page no="341"?> Weltregionen im Vergleich 342 Zuschauer- und Hörerschaft sowie vergleichsweise gut ausgebildete Mitarbeiter. Nach wie vor erschweren verbreitete Infrastrukturprobleme (Stromausfälle, zweitklassige Telefonleitungen, Datenstau) die mediale Berichterstattung (Chéneau-Loquay 2000; Gabas 2004). Investigative Recherchen sind selten und für die vielfach mangelhaft ausgebildeten Journalisten mitunter mit hohen persönlichen Risiken verbunden. Unter diesen Umständen sind die kostengünstigen, schwer zu kontrollierenden sozialen Medien zu einer wichtigen alternativen Nachrichtenquelle geworden. Allerdings erreichen die meist von Exilanten betriebenen Websites häufig nur die kleine Elite städtischer Internetnutzer. Die drahtlose Revolution Das subsaharische Afrika zählte gegen Ende des 20. Jahrhunderts zu den informationstechnologisch rückständigsten Weltregionen. Heute gelten die Länder südlich der Sahara, in denen man noch vor kurzem bis zu fünfzehn Jahre auf einen Festnetzanschluss warten musste, der International Telekommunication Union (ITU) als Beispiel für erfolgreiches leapfrogging (wörtlich: Bockspringen, im übertragenen Sinne: das Auslassen einzelner Stufen im Laufe eines Entwicklungsprozesses; Brüne 2000; 2005; 2011). Zwar belegen die meisten subsaharischen Staaten in internationalen Telekommunikationsstatistiken - mit Ausnahme Südafrikas - weiterhin nach wie vor die unteren Plätze, aber die seit Mitte der 1990er-Jahre erzielten Fortschritte sind beeindruckend. Technische Innovationen, liberalere Politikansätze und unternehmerisches Engagement - ein gutes Drittel der staatlichen Telekommunikationsgesellschaften ist inzwischen (teil)privatisiert - haben erfolgreich dazu beigetragen, dass die Zahl der afrikanischen Telefon- und Mediennutzer in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten exponentiell gestiegen ist. Auch das Satelliten-TV findet zunehmend Verbreitung. Das subsaharische Afrika zählt zwar immer noch zu den informationstechnologisch rückständigsten Weltregionen, hat aber seit Mitte der 1990er-Jahre beeindruckende Fortschritte erzielt. <?page no="342"?> Afrika 343 Anfang 2002 besaß von 770 Millionen Afrikanern • jeder 5. ein Radio (160 Mio.), • jeder 13. ein Fernsehgerät (50 Mio.), • jeder 33. ein GSM-Mobiltelefon (23 Mio.), • jeder 39. einen Festnetzanschluss (20 Mio.), • jeder 130. einen PC (5,9 Mio.), • jeder 150. Zugang zum Internet (5,5 Mio.), • jeder 400. Pay-TV (2 Mio.). Heute liegen die Vergleichszahlen um ein Vielfaches höher. Insbesondere die Mobiltelefonie boomt. Seit 2001 gibt es auf dem afrikanischen Kontinent mehr Mobiltelfone als Festanschlüsse. Obwohl die Telefonkunden vergleichsweise hohe Einkommensanteile für Telekommunikationsleistungen aufwenden müssen - in einigen Ländern mehr als 10 % - hat sich die Zahl der Handynutzer, von denen über 95 % mit Prepaidkarte zahlen, in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten von 2 (1998) auf 650 (2011) Millionen erhöht. Ende 2012 werden es voraussichtlich 735 Millionen Nutzer sein. Afrika ist damit der am schnellsten wachsende Mobilfunkmarkt der Welt. Absehbar scheint zudem, dass die Internettelefonie in naher Zukunft zur überfälligen Reduktion traditionell hoher Telefonkosten - in Nigeria gab es bereits erste Mobilfunkstreiks - beitragen wird. 1. Seychellen 1.049,2 25. Guinea-Bissau 347,9 2. Botswana 961,2 26. Sambia 340,7 3. Südafrika 941,5 27. Togo 330,5 4. Gabun 931,1 28. Lesotho 319,8 5. Mauritius 852,1 29. Madagaskar 305,6 6. Gambia 840,4 30. Mali 287,6 7. Kap Verde 775,3 31. Uganda 286,9 8. Mauritanien 663,2 32. Mosambik 260,8 9. Äquatorialguinea 658,0 33. Ruanda 243,0 10. Ghana 633,8 34. Tschad 239,7 11. Côte d’Ivoire 633,3 35. Simbabwe 238,8 12. Kongo 589,4 36. Liberia 212,9 13. Benin 563,3 37. Burkina Faso 209,4 <?page no="343"?> Weltregionen im Vergleich 344 14. Namibia 560,5 38. Sierra Leone 203,6 15. Guinea 556,9 39. Niger 170,0 16. Swasiland 553,6 40. Malawi 157,2 17. Senegal 550,6 41. DR Kongo 153,9 18. Kenia 486,5 42. Komoren 151,7 19. Nigeria 472,4 43. Dschibuti 149,0 20. Angola 438,4 44. Burundi 101,0 21. Tansania 399,4 45. Somalia 70,2 22. S-o Tomé and Principe 393,2 46. Äthiopien 48,9 23. Kamerun 378,9 47. Zentralafrikanische Republik 38,0 24. Sudan 362,9 48. Eritrea 27,8 Abb. 8: Sub-Sahara Afrika: Mobiltelefone pro 1.000 Einwohner (2009) (ITU Africa Development Indicators Factoids (2009)) Obwohl die Entwicklung des Internets weniger dynamisch verläuft als die des Mobilfunks, waren auch hier hohe Wachstumsraten zu verzeichnen (Nielinger 2004). Nachdem 1993 nur die Republik Südafrika an das globale Datennetz angeschlossen war, folgten 1994 Sambia und Mosambik. 1998 gab es bereits in 42 Hauptstädten Internetzugänge; als letztes afrikanisches Land richtete Eritrea im Jahr 2000 mit Hilfe der von USAID unterstützten Leyland-Initiative öffentlich zugängliche Internetdienste ein. Inzwischen verfügen nahezu alle afrikanischen Regierungen über lokale oder internationale Webserver. Im Gegensatz zu anderen Weltregionen wird das Internet von offizieller Seite bisher allerdings kaum für administrative Zwecke genutzt. Seit 2006 hat sich die Zahl der afrikanischen Internetanschlüsse - sie lag Ende 2011 bei 139,8 Millionen, davon die Hälfte in Südafrika - beinahe versechsfacht. Während kontinentweit inzwischen rd. 13,5 % der Bevölkerung Internetzugang haben, sind es in den Ländern südlich der Sahara allerdings nur knapp 1,5 %. <?page no="344"?> Afrika 345 Land Bevölkerung 2011 Internetnutzer 2000 Internetnutzer 2011 Zugang (% Bevölk.) Nutzer (% Afrika) Facebook März 2012 Angola 13.338.541 30.000 744.195 5,6 % 0,5 % 361.420 Benin 9.325.032 15.000 744.195 3,0 % 0,2 % 134.920 Botswana 2.065.398 15.000 167.180 8,1 % 0,1 % 199.180 Burkina Faso 16.751.455 10.000 230.562 1,4 % 0,2 % 103.680 Burundi 10.216.190 3.000 176.040 1,7 % 0,1 % 31.460 Kamerun 19.711.291 20.000 783.956 4,0 % 0,6 % 481.280 Kap Verde 516.100 8.000 148.800 28,8 % 0,1 % 83.940 Zentralafrikanische Republik 4.950.027 1.500 123.800 2,5 % 0,1 % 105.580 Tschad 10.758.945 1.000 190.863 1,8 % 0,1 % 26.760 Komoren 794.683 1.500 37.472 4,7 % 0,0 % 13.340 Kongo 4.243.929 500 295.132 7,0 % 0,2 % 81.640 Kongo, Demokratische Republik 71.712.867 500 915.400 1,3 % 0,7 % 643.220 Côte d'Ivoire 21.504.162 40.000 968.000 4,5 % 0,7 % k.A. Dschibuti 757.074 1.400 61.320 8,1 % 0,0 % 42.260 Äquatorialguinea 668.225 500 42.024 6,3 % 0,0 % 21.200 Eritrea 5.939.484 5.000 283.699 4,8 % 0,2 % 20.120 Äthiopien 90.873.739 10.000 622.122 0,7 % 0,4 % 511.240 Gabun 1.576.665 15.000 108.845 6,9 % 0,1 % 94.940 Gambia 1.797.860 4.000 159.012 8,8 % 0,1 % 82.860 Ghana 24.791.073 30.000 2.085.501 8,4 % 1,5 % 1.205.420 Guinea 10.601.009 8.000 95.823 0,9 % 0,1 % 43.720 Guinea- Bissau 1.596.677 1.500 37.123 2,3 % 0,0 % k.A. <?page no="345"?> Weltregionen im Vergleich 346 Land Bevölkerung 2011 Internetnutzer 2000 Internetnutzer 2011 Zugang (% Bevölk.) Nutzer (% Afrika) Facebook März 2012 Kenia 41.070.934 200.000 10.492.78 5 25,5 % 7,5 % 1.325.020 Lesotho 1.924.886 4.000 83.813 4,4 % 0,1 % 31.480 Liberia 3.786.764 500 20.000 0,5 % 0,0 % k.A. Madagaskar 21.926.221 30.000 352.135 1,6 % 0,3 % 219.620 Malawi 15.879.252 15.000 716.400 4,5 % 0,5 % 127.780 Mali 14.159.904 18.800 414.985 2,9 % 0,3 % 132.520 Mauritanien 3.281.634 5.000 100.333 3,1 % 0,1 % 87.160 Mauritius 1.303.717 87.000 323.494 24,8 % 0,2 % 312.640 Mayotte (FR) 209.530 k.A. 10.620 5,1 % 0,0 % 11.460 Mosambik 22.948.858 30.000 975.395 4,3 % 0,7 % 191.080 Namibia 2.147.585 30.000 148.414 6,9 % 0,1 % 148.420 Niger 16.468.886 5.000 128.749 0,8 % 0,1 % 43.880 Nigeria 155.215.57 3 200.000 45.039.71 1 29,0 % 32,2 % 4.312.060 Reunion (FR) 834.261 130.000 300.000 36,0 % 0,2 % 236.880 Ruanda 11.370.425 5.000 818.048 7,2 % 0,6 % 127.680 Saint Helena (UK) 7.700 k.A. 900 11,7 % 0,0 % k.A. S-o Tomé & Príncipe 179.506 6.500 31.012 17,3 % 0,0 % 4.640 Senegal 12.643.799 40.000 1.989.396 15,7 % 1,4 % 694.220 Seychellen 89.188 6.000 33.900 38,0 % 0,0 % 19.880 Sierra Leone 5.363.669 5.000 48.520 0,9 % 0,0 % 50.320 Somalia 9.925.640 200 106.000 1,1 % 0,1 % 75.500 Südafrika 49.004.031 2.400.000 6.800.000 13,9 % 4,9 % 4.954.280 Südsudan 8.260.490 k.A. k.A. 0,0 % k.A. Sudan 45.047.502 30.000 4.200.000 9,3 % 3,0 % k.A. <?page no="346"?> Afrika 347 Land Bevölkerung 2011 Internetnutzer 2000 Internetnutzer 2011 Zugang (% Bevölk.) Nutzer (% Afrika) Facebook März 2012 Swasiland 1.370.424 10.000 95.122 6,9 % 0,1 % 62.540 Tansania 42.746.620 115.000 4.932.535 11,5 % 3,5 % 437.040 Togo 6.771.993 100.000 356.300 5,3 % 0,3 % 84.480 Uganda 34.612.250 40.000 4.178.085 12,1 % 3,0 % 387.080 Westsahara 507.160 k.A. k.A. k.A. 0,0 % k.A. Sambia 13.881.336 20.000 882.170 6,4 % 0,6 % 206.700 Simbabwe 12.084.304 50.000 1.445.717 12,0 % 1,0 % k.A. Abb. 9: Internet in Afrika (2011) (Internet Usage Statistics for Africa, 31. Dezember 2011; Internetworldstats.com) Radio Afrika dürfte auf absehbare Zeit der »Kontinent des Radios« bleiben. Trotz wachsender Konkurrenz durch das Fernsehen und die Neuen Medien ist das Radio - das über 60 % der Bevölkerung empfangen können und das der oralen Traditi on und der Sprachenvielfalt entgegenkommt - das mit Abstand massenwirksamste Informations- und Mobilisierungsmedium. Mehr als 100 Millionen über 15 Jahre alte Afrikaner hören mindestens einmal am Tag Radio. Das Radio ist nicht nur das am weitesten verbreitete, sondern auch das am stärksten afrikanisierte Medium. Im subsaharischen Afrika, wo vier von zehn der über 15-jährigen Erwachsenen nicht lesen und schreiben können und lange Transportwege die Verbreitung von Zeitungen erschweren, sind Radioprogramme eine populäre, weitgehend konkurrenzlose Informations- und Unterhaltungsquelle. Lokale Radiostationen - nur noch Eritrea verweigert ihre Zulassung - haben Konjunktur. Allein in Mali, einem Land mit knapp 16 Millionen Einwohnern, gab es - bis zur jüngsten Krise - 400 kleinere, private Radiosender. Wie in den Nachbarstaaten Benin, Togo und Senegal senden sie bevorzugt Unterhaltungsprogramme - in der Regel eine Mischung aus Musik, Call-in- Programmen, Talkrunden und Werbung. Da sie zudem in Lokalsprachen landwirtschaftliche Ratschläge geben, Kleinanzeigen senden und alltagstaugliche Informationen verbreiten, erfreuen sie sich, zumal in Ländern, in denen noch <?page no="347"?> Weltregionen im Vergleich 348 vor zwanzig Jahren nur ein fremdsprachiges nationales Radio zu hören war, wachsender Beliebtheit. Die häufig mit Hilfe internationaler Geldgeber ausgerüsteten Studios - sie kosten nicht mehr als 10.000 Euro - sind ebenso erschwinglich wie die Endgeräte. Ein Transistorgerät kostet wenige Euro und die seit kurzem in Südafrika produzierten aufziehbaren Radios kommen ohne Batterie aus (Tudesq 2002). Daneben haben aber in jüngster Zeit auch in der ehemaligen Dritten Welt beheimatete Auslandssender an Bedeutung gewonnen. Mit ihren Fremdsprachenprogrammen vermochten R AD IO K AIRO , R ADIO T EHERAN , A LL I NDIA R ADIO und C HINA R ADIO I NTERNATIONAL auch in Afrika neue Publika zu erschließen. Im »frankophonen« West- und Zentralafrika zählen unverändert F RANCE 24 und R ADIO F RANCE I NTERNATIONAL (RFI) zu den meistgehörten - zu begrenzter Regierungskritik fähigen - internationalen Nachrichtensendern. Der französisch-gabunesische Radiosender A FRIKA N R . 1 wird vor allem wegen seines Musikprogramms und seines »jungen Tons« gehört. Printmedien In den meisten subsaharischen Ländern gab es bis vor kurzem nur wenige, in der Regel im Regierungsbesitz befindliche Tageszeitungen. Lange als wichtigste Informationsquelle einer kleinen, aber politisch einflussreichen städtischen Bildungsschicht geltend, hat sich ihre Zahl in den zurückliegenden Jahrzehnten deutlich erhöht. In Ländern wie Nigeria, Senegal, Äthiopien, Tansania, Kenia, der Côte d’Ivoire, Madagaskar, Guinea, Ghana und Angola konkurrieren heute mehr als ein Dutzend Tages- und Wochenzeitungen um die - zumeist städtische - Leserschaft. Die Gesamtzahl der im subsaharischen Afrika vertriebenen Tages- und Wochenzeitungen beläuft sich inzwischen auf knapp 700 (davon rd. 100 allein in Südafrika). Obwohl sich nach wie vor etwa 60 % der Printmedien in Staatsbesitz befinden, hat das Aufkommen privater Zeitungen die öffentliche Meinungsbildung durch einen nicht mehr nur auf Parteienvielfalt reduzierten Meinungspluralismus verbessert. Die politischen Folgen dieser Entwicklung können kaum überschätzt werden. Obgleich nicht alle zum Kauf angebotenen Zeitungen diese Bezeichnung verdienen - die Auflagen sind klein und das journalistische Niveau sehr unterschiedlich -, hat allein ihre Existenz maßgeblich zur »Entweihung der <?page no="348"?> Afrika 349 Macht« und damit folgenreich zur Veränderung des öffentlichen Raums beigetragen. Auch kleine Zeitungen nehmen im Zeichen der neuen Meinungsfreiheit maßgeblich Einfluss auf sich verändernde Sichtweisen und Wertesysteme. In jüngster Zeit hat sich zudem - vor allem in frankophon kolonisierten Ländern West- und Zentralafrikas - eine an französischen Vorbildern orientierte Fach- und Satirepresse herausgebildet: Zeitungen wie L E C AFARD LIBÉRÉ (Dakar), L E M ESSAGER P OLOLI (Douala), L E L YNX (Guinea) erfreuen sich trotz kleiner Auflagen wachsender Beliebtheit. Das, gemessen an den Auflagezahlen, beliebteste regionale Presseerzeugnis ist indes das 1972 in Dakar gegründete Frauenmagazin A MINA , das mit einer Auflage von 100.000 über eine Millionen Leser(inn)en erreicht (Frère 2000; Perret 2005; Politique africaine 2005). Ungeachtet dieser Fortschritte - die Berufsbezeichnung Journalist ist auch in Afrika nicht geschützt - mindern verbreitet anhaltende Ausbildungsdefizite und ein nicht immer seriös recherchierender Partisanenjournalismus die Qualität einer oftmals aggressiven, nicht selten partikularen Anliegen verpflichteten Berichterstattung. Fernsehen Das afrikanische Fernsehzeitalter begann in den 1970er-Jahren. Anfangs verbreiteten die meist aus Prestigegründen geschaffenen nationalen Fernsehanstalten, die zunächst nur in ausgewählten städtischen Zentren empfangen werden konnten, vor allem offizielle Bilder und Präsidenten-Communiqués. Es gab kaum lokale Nachrichten, und ein Fernsehgerät galt als Statussymbol. Obwohl sich das Programmangebot seither an Professionalität und Vielfalt gewonnen hat - Mitte 2006 gab es südlich der Sahara über 100 TV-Kanäle -, unterliegt das Fernsehen in den meisten Staaten staatlicher Kontrolle. Die große Mehrzahl der im subsaharischen Afrika ansässigen Fernsehsender ist unverändert in staatlichem Besitz. Das subsaharische Land mit den mit Abstand meisten privaten Fernsehsendern ist die Demokratische Republik Kongo, gefolgt von Nigeria, Ghana, Kenia und Tansania. Aus Kostengründen haben sich die wenigen kommerziellen Fernsehsender, die mit wirtschaftlichen Problemen kämpfen und deren politische Berichterstattung weitgehend auf das von internationalen Nachrichtagenturen angebotene Material angewiesen bleibt, auf Re-Broadcasting verlegt. Mit unge- <?page no="349"?> Weltregionen im Vergleich 350 wissen Zukunftsaussichten: 2004 untersagte die nigerianische Regierung die direkte Wiederausstrahlung ausländischer Programme, die seither nur noch bearbeitet und zeitversetzt zur Ausstrahlung kommen dürfen. Zusätzliche Konkurrenz haben die staatlichen und privaten afrikanischen Fernsehsender in jüngster Zeit durch die zunehmend verbreiteten »raumfremden« Satellitenprogramme erhalten. Seit Staaten wie Iran, Saudi-Arabien und Ägypten begonnen haben, in großen afrikanischen Regionalsprachen (Swahili, Haussa, Somali, Arabisch) zu senden, ist der Einfluss arabischer Staaten auf die afrikanischen Fernsehlandschaften spürbar gewachsen. Mit A L -J AZEERA , das seit kurzem auch englischsprachige Programme anbietet, wächst den afrikanischen Staats- und Privatsendern ein echter Konkurrent heran. Unterdessen dauert die Meinungsmacht »westlicher« Medien an. Während das Aufkommen privater Printmedien, die sich in ihrer Gründungsphase häufig als Avantgarde verstanden und vehement politische Veränderungen einforderten, politisierend wirkten und die Entwicklung lokaler Öffentlichkeiten stimulierten, blieb der private Rundfunk - entgegen ursprünglicher Planung - in seiner Bedeutung und Akzeptanz hinter den großen westlichen Auslandssendern zurück. Ökonomische Probleme, journalistische Ausbildungsdefizite und mitunter dubiose Geldgeber sorgen bis heute dafür, dass die Auslandsprogramme von BBC, R ADIO F RANCE I N TERNATIONAL , FRANCE 24, der D EUTSCHEN W ELLE und CNN, die hinsichtlich der journalistischen Qualität und des Nachrichtenumfangs Standards setzen, auch für die lokale afrikanische Konkurrenz eine wichtige Referenzgröße geblieben sind (Bergstresser 2006). Von zukunftsweisender Bedeutung könnte unter diesen Umständen das in Planung befindliche, weltweit empfangbare panafrikanische Satelliten- Fernsehprogramm A FRICANEWS 24 sein. Programmatisches Kernanliegen ist es, zu einem Afrikabild beizutragen, das - nach dem Vorbild von A L -J AZEERA - dem Katastrophenimage des Kontinents eine regional und kulturell differenzierte Berichterstattung entgegensetzt. Studien Bislang gibt es nur wenige Studien, die sich umfassend und empirisch gesättigt mit dem Stand und den Problemen afrikanischer Medienentwicklung auseinandersetzen. Die besten Studien stammen - kulturelle Spätfolge der Kolonialisie- <?page no="350"?> Afrika 351 rung? - aus dem südlichen und dem westlichen Afrika. Auch die Datenlage ist schlecht. Die International Telekommunication Union weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei den von ihr veröffentlichten Daten um Schätzungen handelt (www.itu.org), da ein Großteil der importierten Geräte illegal eingeführt wird und daher statistisch nicht erfasst ist. Auf dem Weg zu einer im internationalen Vergleich entwickelten afrikanischen Telekommunikations- und Medienlandschaft ist es noch ein weiter Weg. Trotz zahlreicher, international gestützter Initiativen zur Restrukturierung der nationalen Telekombetreiber, ambitionierter Infrastrukturvorhaben und einer sich differenzierenden Produktpalette zeichnen sich umfassende, die Lebensumstände einkommensschwacher und illiterater Bevölkerungsteile berücksichtigende Medienentwicklungsstrateg ien bislang nur in Umrissen ab. Plan ungen und Vorhaben, die das generell niedrige Einkommensniveau, die eingeschränkte formale Geschäftstätigkeit und die sozialen und politischen Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung in den Vordergrund stellen und auf gemeinsamer Infrastrukturnutzung basieren, sind noch die Ausnahme. Umfassende Medienentwicklungsstrategien, die die Lebensumstände einkommensschwacher und illiterater Bevölkerungsteile berücksichtigen, sind bislang kaum zu erkennen. Ob, in welchem Umfang und in welchen Zeiträumen die kontinentweit beobachtbaren Tendenzen zur Ökonomisierung der Medien deren Wächterrolle stärken werden, ist offen. Da absehbar ist, dass regierungsseitige Versuche der Informationskontrolle und -einhegung anhalten werden und journalistische Ausbildungs- und Qualitätsmängel vordemokratischen Regimen auch künftige Vorwände für politische Verfolgung und Informationsverweigerung liefern werden, ist auf mittelfristige Sicht eine spannungsvolle Koexistenz staatsmonopolistischer und privater Medien wahrscheinlich. Obwohl in Umfragen über zwei Drittel der befragten Afrikaner erklären, die Demokratie anderen Regierungsformen vorzuziehen (www.afrobarometer.org), dürften die politischen Spielräume regierungsunabhängiger Medien vor allem von der Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen und damit vom sozialen und gesellschaftlichen Wandel der subsaharischen Gesellschaften abhängen. <?page no="351"?> Weltregionen im Vergleich 352 Übungsfragen 1) Welche regionalen Spezifika kennzeichnen die Medien- und Telekommunikationsmärkte des subsaharischen Afrika, und wie berechtigt erscheinen Hoffnungen auf ein informationstechnologisches »leapfrogging«? 2) Welche Motive und Interessen haben afrikanische Regierungen, wenn sie die international erhobenen Forderungen nach einer Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte und Pressefreiheit zu unterlaufen suchen? Lösungen unter www.utb.de und www.uvk.de Literatur Beck, Rose M. (Hrsg.) (2004): African Media Cultures. Transdisciplinary Perspectives. Köln. Bergstresser, Heinrich (2006): Strukturelle Probleme der Medien und des Journalismus in Afrika. In: Zöllner, Oliver (Hrsg.): Der Blick der Anderen. Europa in der Wahrnehmung von Medien Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Bochum, S. 21-32. Brüne, Stefan (Hrsg.) (2000): Neue Medien und Öffentlichkeite n: Politik und Tele- Kommunika tion in Afrika, Asien und Lateinamerika. 2 Bände. Hamburg. Brüne, Stefan (2005): Afrika. In: Weischenberg, Siegfried/ Kleinsteuber, Hans J./ Pörsken, Bernhard (Hrsg.): Handbuch Journalismus und Medien. Konstanz. Chéneau-Loquay, Annie (2000): Enjeux des technologies de la communication en Afrique. Du télephone à Internet. Paris. Freedom House Special Reports (200 6): Freedom in Africa Today. http: / / www.freedom house.org/ uploads/ special_report/ 36.pdf. Frère, Marie-Soleil (2000): Presse et démocratie en Afrique francophone, Paris. Gabas, Jean-Jacques (Hrsg.) (2004): Société numérique et développement en Afrique. Usages et politiques publiques. Paris. 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In den vergangenen fünf Jahren ist zudem eine sehr systematische Entwicklung der Forschungsmethodik zu beobachten. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Das Ende des Kalten Krieges und voranschreitende Globalisierungsprozesse haben zu erweiterten Fragestellungen gegenüber der Betrachtungsweise, die Welt als bipolar zu verstehen - »frei« oder »unfrei«, kapitalistisch oder sozialistisch -, geführt. Die Möglichkeiten für Wissenschaftler, forschend zu reisen und reisend zu forschen, und damit auch Erfahrungsgrundlagen für vergleichende Untersuchungen zu legen, sind enorm gewachsen; der internationale Austausch zwischen Fachkollegen ist selbstverständlich geworden. Die Gründung entsprechende Fachgruppen in den nationalen und internationalen Wissenschaftlervereinigungen beförderte diesen Prozess. Die Kommunikationsbeziehungen über das Internet haben sich intensiviert und komplexe internationale Forschernetzwerke ermöglicht. Selbst in der Wissenschaftsförderung ist die Wertschätzung international vergleichender Forschung angekommen, was sich an den besseren Möglichkeiten für die Finanzierung transnationaler Verbundprojekte ausdrückt. Vor allem die Entwicklung grenzüberschreitender Medien in Europa (A RTE , 3S AT ) und die Herausbildung einer europäischen Medienpolitik seit den 1980er-Jahren haben europäisch vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung beflügelt. Der auf diese Weise internationalisierte Blick der Medien- und Kommunikationswissenschaftler auf ihre Gegenstände hat für die Unterschiede der Mediensysteme in dieser Welt sensibilisiert und die vergleichende Mediensystemforschung befördert, die zunehmend genauer fokussierte Kriterien entwickelt hat, mit denen sich Klassifikationen entwickeln lassen. <?page no="354"?> Ausblick 355 Dieses Lehrbuch hat Einblicke in den Reichtum vergleichender Mediensystemforschung und in die Forschungsentwicklung gegeben, die sich in vielen Teilbereichen dynamisiert hat. Das Lehrbuch hat anhand von ausgewählten Gegenständen und für einzelne Weltregionen dargelegt, wie Mediensysteme geprägt und geformt werden, welche Teilaspekte ihre Besonderheit ausmachen und wie diese Teilaspekte in einer internationalen Vernetzung stehen und sich entwickeln. Die Tatsache, dass die vergleichende Mediensystemforschung noch ein recht junges Forschungsgebiet ist, hat zur Folge, dass sich noch viele Forschungslücken und -desiderata identifizieren lassen. Diese liegen sowohl 1) in inhaltlichen Fragen der einzelnen Teilbereiche und Weltregionen und in ihrem Verhältnis zu einander als auch 2) in Fragen der Methodik und des Forschungsdesigns. Weitergehende Forschungsherausforderungen liegen 3) in dem übergeordneten Zusammenhang von Mediensystem und Gesellschaftssystem bzw. Mediensystemwandel und Gesellschaftswandel. Alle drei Aspekte sollen abschließend betrachtet werden. Forschungsdesiderata zu ausgewählten Themen In den Kapiteln zu ausgewählten Themen des Mediensystemvergleic hs sind zahlreiche weiterführend e Fragen angesprochen worden, die hier zusammengeführt werden sollen. Weil es in der zukünftigen Kommunikationspolitik (→ 3.1) eine wichtige Frage sein wird, inwieweit NGOs, also Organisationen der Zivilgesellschaft, beteiligt sein werden, wird auch die wissenschaftliche Kommunikationspolitik sich dieser Frage in vergleichender Perspektive widmen müssen. Denn das Studium und die Analyse der Kommunikationspolitik verschiedener Länder kann langfristig als eine Art Benchmarking genutzt werden: Wo wird welchen Probleme mit welchen Lösungen begegnet und welche Auswirkungen hat dies? In wieweit sind sie übertragbar? Themen wie Urheberrechte, diagonale Konzentration und Antikonzentrationsregelungen, Schutz der Privatsphäre, Zensur, Sicherheit der elektronischen Information und universaler Zugang zu Kommunikationstechnologien werden dabei von besonderem Interesse sein, da sie sich im Rah- <?page no="355"?> Ausblick 356 men von Globalisierungsprozessen in allen Ländern mit ähnlichen Bedingungen in vergleichbarer Weise stellen. Die Arbeiten zur institutionellen wie auch zur kulturellen Dimension des Verhältnisses von Medien und Politik können - so ein Fazit des Kapitels zur politischen Kommunikation (→ 3.2) - diese Forschung an die makroanalytische Perspektive der Gesellschaftsanalyse heranführen. Damit soll es möglich werden, die Prozesse der politischen Kommunikation - jenseits von Einzelphänomenen - in ihrer Bedeutung für politische Regime und schließlich für die Demokratieentwicklung abzuschätzen. Die gewandelten Bedingungen auch sehr reifer Demokratien dabei im Blick zu haben, die zum Teil von den zerstörerischen Tendenzen einer »Postdemokratie« (Crouch 2008) behaftet sind, wird dabei ein besondere Aufgabe sein. Und auch in diesem Bereich gilt, dass die international vergleichende politische Kommunikationsforschung noch in einen theoretisch fundierten Kontext eingebettet werden muss. Die Rundfunkordnung als ein konstituierendes Element von Mediensystemen ist mit Fokus auf die Stellung des Public Service Broadcasting (PSB) als wichtiges Vergleichsthema vorgestellt worden (→ 3.3). Die weitere Forschung zum öffentlichen Rundfunk - und also auch die, die sich dem Vergleich der verschiedenen Rundfunksysteme widmet - wird mindestens eine doppelte Aufgabe haben. Zum einen gilt es, die theoretische Fundierung von PSB voranzutreiben, die umfassend nur auf der Grundlage vergleichender Typenbildung gelingen wird. Für die Analyse der Zukunftsperspektiven von PSB/ PSM werden rechtliche, finanzielle und technische Bedingungen zu berücksichtigen sein, um die Frage vergleichend untersuchen zu können, wie öffentlicher Rundfunk ausgestaltet werden muss um im Dienst einer deliberativen Öffentlichkeit legitimiert zu sein. Die Forschung zu den Pressesystemen hat ergeben, dass es auch innerhalb des hoch entwickelten Westeuropas große Unterschiede in der Zeitungsnutzung gibt, ohne dass dies bereits hinlänglich erklärt worden wäre (→ 3.4). Die Frage nach den Indikatoren, die geeignet sind, um die Vielfalt einer Presselandschaft gezielt in den Blick zu nehmen, verweist auf ein wichtiges kommunikationspolitisches Handlungsfeld. Die Tatsache, dass die Medienwirtschaft mehr und mehr transnational und global agiert, erfordert von der Kommunikations- und Medienwissenschaft mehr internationale Kooperationen und Forscherverbünde, um grenzübergreifende Aspekte besser in den Blick nehmen zu können. Angesichts der Krise der Printerzeugnisse kann Komparatistik - so der Ausblick - auch konkrete Entwicklungschancen etwa einzelner Pressesparten aufzeigen. <?page no="356"?> Ausblick 357 Die Fragen nach Vielfalt und Globalisierung nehmen in dem Kapitel über Unterhaltungsformate einen wichtigen Stellenwert ein (→ 3.5). Es wurde festgestellt, dass es kein global vereinheitlichtes Unterhaltungsfernsehen gibt und auch nicht geben wird, weil lokal spezifische und nur lokal erfolgreiche Angebote eine beachtliche Persistenz haben, und weil die Differenzen zwischen den nationalen Versionen weltweit verbreiteter Formate auf den Bedarf nach Vielfalt verweisen. Allerdings sind die Bedingungen für den Erhalt dieser Vielfalt noch eingehender zu analysieren und die Möglichkeit der Übertragung der gewonnen Erkenntnis auf andere Medienprodukte zu erforschen. »Medienkonzentration im internationalen Vergleich« hat sich wissenschaftlich und politisch als ein zunehmend beachtetes und vergleichsweise viel bearbeitetes Forschungsfeld herausgestellt (→ 3.6). Dennoch ist einzufordern, dass die vielfach empirisch belegte Erkenntnis einer grundsätzlichen (strukturellen und prozessualen) Gleichheit der Entwicklung sowie deren gleiche Ursachen und Folgen in allen kapitalistischen Ländern in einer kritischen Medienkonzentrationstheorie berücksichtigt wird, damit sie darauf aufbauendes kritisches politisches Handeln anregen kann. Denn es ist eine zentrale Erkenntnis international vergleichender Medienkonzentrationsforschung, dass im Verlauf der dem Kapitalismus immanenten, regelmäßigen Konzentrationsprozesse weltweit kumulativ, geradezu exponentiell wachsend stets mehr Kapital und Verfügungsmacht bei wenigen Medieneigentümern konzentriert wird. Das gilt insbesondere auch für ganz neue Entwicklungen, wie z.B. die Konzentration bei Suchmaschinen, social-media-Angeboten und anderen Diensten des Web 2.0 und 3.0. Bei den Erklärungen der Unterschiede der Medienrezeption zwischen untersuchten Ländern wurde herausgearbeitet, dass eine Vielzahl von kulturellen, technischen, politischen und ökonomischen Faktoren berücksichtigt werden muss (→ 3.7). Kulturvergleichende Studien werden dabei gegenüber den ländervergleichenden zu stärken sein. Denn die zunehmend globalisierten Medienumgebungen sowie die multikulturelle Zusammensetzung der Bevölkerungen einzelner Länder machen es notwendig, Nutzungsstudien nicht pauschal über ein bestimmtes Land, sondern in Berücksichtigung von Kulturen jenseits von Ländergrenzen zu erstellen. Die Frage, wie Untersuchungseinheiten beim Vergleichen abgegrenzt werden stellt sich hier und wird auch weiter unten noch einmal angesprochen. Außerdem wird anhand der vergleichenden Erforschung der Medienrezeption deutlich gemacht, wie wichtig künftig die Angleichung der Normen und Standards der Datenerhebung sowie die Konzeptionierung von vergleichenden Nutzungsstudien sein werden. <?page no="357"?> Ausblick 358 Die systematische Erforschung von Journalismuskulturen hat - so hieß es in Kapitel 3.8 - trotz langer Tradition noch viele Aufgaben vor sich. Die vielen vorliegenden Einzelstudien haben noch kein kohärentes Gesamtbild hervorbringen können. Zusätzlich erschwert wird die Identifikation von Journalismuskulturen von disparaten Ansätzen und Konzeptualisierungen sowie einem Mangel an originär komparativen Studien. Und auch hier wird Theoriebedarf konstatiert, indem eine Prioritätensetzung auf eine theoretische Bestimmung von Journalismuskultur als komplexes und mehrdimensionales Konstrukt angemahnt wird. Vergleichende Journalismusforschung hat bereits eine lange Tradition. Allerdings sind darin wesentliche genderbezogene Fragestellungen kaum berücksichtigt worden (→ 3.9). Unter welchen gesellschaftlichen Geschlechterformationen haben sich normative Ideale des Journalismus herausgebildet? Wie lassen sich demokratietheoretische Ansprüche an Journalismus mit geschlechterdemokratischen Anforderungen verbinden? Für die wissenschaftliche Analyse des Gendering internationaler Mediensysteme ergibt sich aus diesen Fragen die Forderung, dass die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten sind, mit denen Medien weltweit die bestehende Geschlechterhierarchie stützen. Zugleich müssen aber die länder- und nationenspezifischen Unterschiede herausgearbeitet werden, um Möglichkeiten der Veränderung sowohl der nationalen Mediensysteme wie auch der spezifischen Geschlechterkonstruktionen herauszufinden. Zwei Hauptmerkmale lassen sich aus den Forschungsdesiderata dieser Vergleichsthemen innerhalb der Mediensystemforschung herausdestillieren: Zum ersten besteht ein großer Bedarf nach Ausweitung des substanziellen Wissens, dass über jeweils andere Mediensysteme und ihre einzelnen Teilbereiche vorliegt. Zum zweiten ist es in weiten Bereichen ein großes Defizit, dass Theorieansätze und -ausarbeitungen noch nicht zur Verfügung stehen. Dies ist aber durchaus im Zusammenhang mit dem noch unzureichenden Wissen über Mediensys teme anderer Länder und Weltregione n zu sehen, da erst - wie eingangs in den Überlegungen zum Leistungsvermögen komparatistischer Mediensystemforschung dargelegt wurde - auf der Grundlage von differenzierten Deskriptionen eine Hypothesen- und Theoriebildung möglich ist. <?page no="358"?> Ausblick 359 Forschungsdesiderata zu den Weltregionen Weiterführende Fragen aus den Kapiteln zu den Weltregionen im Vergleich verweisen zuvorderst auf die eben genannte Notwendigkeit, dass mehr Wissen über die Mediensysteme der Welt vonnöten ist. Diese Wissensbestände sind natürlich im Hinblick auf die unterschiedlichen Weltregionen durchaus unterschiedlich groß bzw. solide. Es erklärt sich von selbst, dass deutschsprachige (auch europäische) kommunikationswissenschaftliche Forschung zum Mediensystemvergleich den europäischen Kontinent am besten von allen beschrieben und analysiert hat (→ 4.1). Wenngleich sich auch hier viele offene Fragen ergeben, allen voran die Frage nach der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit bzw. den Bedingungen eines europäischen Mediensystems oder auch - unter dem Eindruck der europäischen Finanzkrise - die Möglichkeit einer Desintegration und ihrer medialen Vermittlung. Das entscheidende Merkmal europäischer Mediensysteme im Unterschied zu anderen Weltregionen ist, dass mit der Schaffung der Europäischen Union und dem von ihr ausgehenden Integrationsprozess viele bislang disparate Mediensysteme sich entgrenzen und tendenziell zu einem einheitlichen zusammenwachsen könnten oder sich zunehmend vernetzen. Europa ist auf dem Weg zu einem wirtschaftlich, politisch und kulturell integrierten Kontinent, innerhalb dessen vielfältige Differenzen aber bestehen bleiben werden und sich - vorübergehend? - auch verstärken werden. Nähere Prognosen über den Ausgang dieser Entwicklungen sind nicht möglich. Erkenntnisse, die aus dem Studium der Veränderungen der europäischen Mediensysteme resultieren, werden mittelfristig auch für das Verständnis der Entwicklungen auf globaler Ebene bedeutsamer werden, da die grundlegenden Trends Entgrenzung und Vernetzung auch im Weltmaßstab - natürlich komplexer und noch viel mehr durch eine Vielfalt unterschiedlicher Kulturen modifiziert - zu beobachten sind. Auch Osteuropa ist aufgrund der profunden Umwälzungen in der jüngsten Vergangenheit, ein vergleichsweise gut erforschter Teilkontinent (→ 4.2). Allerdings werden in dem Maße, wie sich die Entwicklungen in den Transformationsstaaten ausdifferenzieren und die Überwindung des postsozialistischen Erbes jeweils unterschiedliche Gestalt annimmt, auch Beschreibungen über die Transformationsstaaten zunehmend schwierig, und die Unterscheidung, ob es sich bei den untersuchten Ländern um EU-Mitgliedsstaaten, um Beitrittskandidaten, wirtschaftlich schwache Länder oder autokratische Regime handelt, ist in den Vordergrund getreten. Die genannte Staatengruppe bleibt in absehbarer Zeit <?page no="359"?> Ausblick 360 von Relevanz für die Fragestellungen, welche Bedeutung Medien in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen einnehmen und wie Unterschiede, die zur Zeit des Umbruches wirksam waren, langfristige Auswirkungen auf die weitere Entwicklung haben. Vergleichende Mediensystemforschung hat schon frühzeitig - fast mit Beginn des komparativen Forschungsinteresses in der Medien- und Kommunikationswissenschaft - den Blick auf Nordamerika, und dort vor allem auf die USA gelegt (→ 4.3). Allerdings sind die Perspektiven, die dabei genommen wurden, durchaus noch zu erweitern. In dem entsprechenden Kapitel wird darauf verwiesen, wie viele Medienentwicklungen in den USA beobachtbar waren, bevor sie in Europa übernommen wurden oder sich eigenständig entwickelten. Kanada ist als Vergleichsland besonders für die Frage interessant, wie es Medienpolitik gelingen kann, ein nationales Mediensystem vor der Übermacht der USamerikanischen Unterhaltungsindustrie zu schützen. Beide Perspektiven sind für künftige vergleichende Forschungsfragestellungen von Bedeutung. Der quasiexperimentelle Charakter vergleichender Analysen wird hier besonders deutlich. Wesentlich lückenhafter ist das Wissen, das über die Mediensysteme der weniger industrialisierten Weltregionen vorliegt. Dabei hat die bisher vorliegende Forschung z.B. über Mediensysteme in Lateinamerika durchaus relevante, für die Verallgemeinerung zu prüfende Erkenntnisse hervorgebracht, z.B. über den Zusammenhang von Gesellschaftswandel und Medienwandel, die Bedeutung von Exklusionsprozessen und ihre mediale Vermittlung oder der Begriff der sozialen Kommunikation (→ 4.4), der die Gesellschaftlichkeit von Kommunikationsprozessen in den damit einhergehenden Konzepten immer mitdenkt. Insgesamt ist damit dieses Forschungsfeld noch sehr bearbeitungswürdig. Auch die Mediensysteme der arabischen Welt sind bis zu den Umwälzungen des »arabischen Frühlungs« in der internationalen wissenschaftlichen Auseinandersetzung ein weitgehend exploratives Forschungsfeld (→ 4.5). Mit dem Spannungsfeld zwischen autoritärer Beharrung der Mediensysteme einerseits und ihrer aktiven Rolle in der politischen Transformation andererseits eröffnen zahlreiche Anschlussmöglichkeiten für den innerregionalen, aber auch den internationalen Vergleich - zum Beispiel mit den osteuropäischen Ländern. Auch die Erkenntnis, dass die Verschiedenheit der Kontroll- und Regulierungsmöglichkeiten durch den Staat unmittelbaren Einfluss auf die Transformationswahrscheinlichkeit eines Staates hat, wäre durch Vergleiche mit den postsozialistischen Transformationsländern zu erhärten. <?page no="360"?> Ausblick 361 In Asien wird die (nicht nur medien- und kommunikationswissenschaftliche) Aufmerksamkeit vor allem auf die Staaten gezogen, die aufgrund ihrer Größe oder ihres Wirtschaftspotenzials herausragend sind: Indien, China und Japan (→ 4.6). Sie sind - im Vergleich zu der Vielzahl der anderen asiatischen Staaten - auch gut wissenschaftlich erschlossen, wenngleich auch noch voller Forschungslücken. Genau diese Wissenskluft, die im Hinblick auf die asiatischen Mediensys teme besteht, sagt viel über For schu ngs desiderata und weiterführende Fragen. Insbesondere die Annahme, dass Länder eines gemeinsamen Kontinentes auch ähnliche Mediensysteme aufweisen (die sich für Europa, Lateinamerika und Nordamerika ja durchaus belegen ließe), wäre anhand des asiatischen Kontinentes daraufhin zu überprüfen, unter welchen Bedingungen eine solche Annahme gelten kann und unter welchen nicht. Hat die Tatsache, dass die arabischen Länder aufgrund aktueller Entwicklungen viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dazu geführt, dass die Beschäftigung mit ihnen ihre Unterschiedlichkeit zunehmend berücksichtigt, so ist eine regional und kulturell differenzierende Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents noch wenig gegeben (→ 4.7). Auch die afrikabezogene Medienforschung und -literatur ist noch grob bzw. sehr lückenhaft. Bislang gibt es nur wenige Studien, die sich umfassend und empirisch gesättigt mit dem Stand und den Problemen afrikanischer Medienentwicklung auseinandersetzen. Die besten Studien stammen aus dem südlichen und dem westlichen Afrika. Der Rest des Kontinents, der interessantes Anschauungsmaterial z.B. zum medialen Umgang mit ethischer und kultureller Vielfalt oder zum Zusammenhang von oraler und medialer Kommunikation bieten könnte, ist weitgehend unerforscht. Die Darstellung der Mediensysteme der Weltregionen hat vor allem die Erkenntnis gebracht, dass es ein großes Gefälle im Wissen gibt, das über die verschiedenen Kontinent vorliegt. Es wäre eine interessante Frage, zu prüfen, ob diese »Forschungsgeografie« der sogenannten Nachrichtengeografie entspricht, nach der die Berichterstattung über die Länder der Welt besonderen Nachrichtenfaktoren folgt, aufgrund derer sie sehr unterschiedlich repräsentiert werden. Fragen zur Methodik und zum Forschungsdesign Die wachsende Bedeutung komparativer Forschungsansätze hat dazu geführt, dass zunehmend nach der Qualität und den Forschungsstandards dieser Ar- <?page no="361"?> Ausblick 362 beitsweise gefragt wird. Es gilt nicht mehr - wie in den Anfängen und manchmal noch in gegenwärtigen Pilotstudien - »gut, dass wir verglichen haben« (Esser 2003: 437), sondern mittels methodologischer Aufarbeitung findet eine Entwicklung von Qualitätsstandards statt. Dennoch kritisieren Altmeppen/ Hanitzsch, dass die komparative Forschung stärker deskriptiv und weniger explanativ angelegt ist (Altmeppen/ Hanitzsch 2007: 186), womit sie »eher farbenreiche Beschreibungen produziert als Erklärungen wichtiger Probleme« (Peter 2003: 191). Mit der Diskussion grundlegender methodologischer Standards wird die komparative Medien- und Kommunikationsforschung seit einigen Jahren beständig weiterentwickelt (vgl. Esser/ Hanitzsch 2012). So werden die theoretischen und philosophischen Grundlagen komparativer Forschung diskutiert (vgl. Gudykunst & Nishida 2000; Jensen 1998), die Problematik der funktionalen Äquivalenz (vgl. Wirth & Kolb 2012), die Frage der Auswahl der Vergleichseinheiten (vgl. Ebbinghaus 2005) sowie allgemeine Problemstellungen und Lösungsansätze (vgl. Chang et al. 2001; Johnson & Tuttle 2000; Livingstone 2012). Esser/ Hanitzsch stellen fest, dass sich komparative Medien- und Kommunikationsforschung von der Beschreibung zur Erklärung, von Vereinfachung zu theoretischer Verfeinerung und von der zufälligen Auswahl der Fallstudien hin zu ihrer systematischen Auswahl wandelt (Esser/ Hanitzsch 2012: 3), und sie extrahieren aus dem aktuellen Diskussionsstand zur komparativen Forschung Essentials, die Vergleichsstudien in Zukunft berücksichtigen sollten. Die genannten Autoren beziehen sich auf Herausforderungen konzeptioneller, methodologischer und erkenntnistheoretischer Art und berücksichtigen Aspekte der wissenschaftlichen Zusammenarbeit sowie forschungspraktische Anforderungen (ebd. 501). Sie zielen damit letztlich auf die großen Forschungsverbünde, die nur mit erheblichen Ressourcen und großer Erfahrung ins Werk zu setzen sind. Doch auch unterhalb dieser Anspruchsebene sind Qualitätsmerkmale zu formulieren. Vor wenigen Jahren noch - und auch dies mag den Fortschritt im Nachdenken über komparative Forschung illustrieren - stellten Altmeppen/ Hanitzsch (2007: 188 f.) etwas bescheidener folgende Qualitätsanforderungen an komparative Forschung und ihre Veröffentlichung auf: 1) Der besondere Erkenntniswert eines Vergleichs sollte explizit gemacht werden. 2) Eine theoretische Perspektive sollte die Anlage der Untersuchung anleiten. <?page no="362"?> Ausblick 363 3) Welche Länder für eine Untersuchung ausgewählt werden, welche Untersuchungseinheiten für die Forschungsfrage herangezogen werden, bedarf ebenfalls der Begründung, die aus der theoretischen Perspektive gewonnen wird. 4) Die Wahrung bzw. Herstellung von funktionaler Äquivalenz im Hinblick auf die Untersuchungsplanung und die Wahl der Forschungsinstrumente gilt als zentrales Qualitätskriterium (→ 2.3). 5) Damit gewinnt der Forscher eine Sensibilität dafür, welche Reichweite seine Ergebnisse haben, wenn funktionale Äquivalenz nur annähernd erreicht wurde. Deshalb muss darüber auch transparent berichtet werden. Diese Forderungen sind methodisch und erkenntnistheoretisch berechtigt. Dennoch wird ein vergleichender Forscher sich immer wieder in der Lage befinden, dass die besonderen Bedingungen seines oder seiner jeweils gewählten Untersuchungsländer oder auch seiner Forschungsfrage nicht die vollkommene Berücksichtigung aller genannten Kriterien erlauben. Deshalb - und dies gilt auch und besonders für den »Anfänger« in mediensys temvergleichender Forschung - ist die Forderung nach Transparenz, nach bestmöglicher Dokumentation von Forschungsdesign und Untersuchungsanlage sowie ihrer Begründung die zentrale im oben genannten Katalog. Globalisierung, Mediensystemwandel und Gesellschaftswandel Nur an einzelnen Stellen wurde in diesem Überblick über offene und weiterführende Forschungsfragen angedeutet, dass die vorgestellten Teilgebiete zueinander im Verhältnis stehen, wie sie sich möglicherweise gegenseitig bedingen und welche Dynamik sie in ihren Wechselverhältnissen entfalten können. Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich eine Fülle von weiterführenden Fragen. Des Weiteren wissen wir auch noch wenig darüber, wie Mediensysteme unterschiedlicher Räume aufeinander einwirken, welche Rückwirkungen Entgrenzungen haben und welc he Einheiten jenseits der Nationalstaaten für einen Vergleich sinnvoll erscheinen. Auch die Frage, ob und inwieweit national konfigurierte Mediensysteme einander angleichen, sich annähern oder in größeren Systemen aufgehen, ist noch weitgehend offen. Das zentrale Stichwort lautet hier Globalisierung. <?page no="363"?> Ausblick 364 Im Eingangskapitel war thematisiert worden, ob eine Betrachtung von Mediensystemen in nationaler Unterscheidung überhaupt noch sinnvoll ist. Ihre tendenzielle Entgrenzung und Unterwerfung unter Prozesse der Globalisierung einerseits und die Tatsache, dass sie sich ihrerseits aus vielfältigen Kulturen zusammensetzen, lassen Zweifel daran aufkommen. Andererseits hat nicht nur die Tatsache, dass Nationen über klar definierte Grenzen verfügen und damit ebenso klar identifizierte Vergleichseinheiten zur Verfügung stehen, dieses Vorgehen als gerechtfertigt erscheinen lassen. Vielmehr haben die Darstellungen zu den Vergleichsthemen und den Weltregionen gezeigt, dass jenseits der eingangs genannten prägenden Faktoren Recht, Geografie, Sprachkulturen, politisches System, Wirtschaftsverfassung und gegebener Stand der Medientechnologie und seiner Verbreitung, die sich im nationalen Rahmen historisch entwickelt haben, tatsächlich kulturelle Kontexte, die vorwiegend national dimensioniert sind, für die Mediensysteme maßgeblich sind. Deutlicher noch formuliert es Hafez: »Ein Weltkommunikationssystem existiert nicht, denn ungeachtet allen Informations- und Nachrichtenaustausches sind die Mediensys teme fest in nationaler Hand: national e Eigentümer, Investoren und Publika dominieren; transnationale Medien (wie A RTE ) werden kaum genutzt; die Transnationalisierung von Medienkapital endet zumeist an subregionalen Grenzen« (Hafez 2005: 227). Dennoch gilt es mehr denn je, bei der Betrachtung von Mediensystemen und ihren Veränderungen und den Auswirkungen, die dies auf Gesellschaften hat, einerseits die globale Perspektive in der komparativen Herangehensweise mit zu berücksichtigen und andererseits andere - kulturell bestimmte - Einheiten als Länder für den Vergleich heranzuziehen. Alle Elemente der Mediensysteme sind mehr oder weniger im Wandel begriffen. Sie ändern sich in räumlicher Hinsicht (Stichworte: Entgrenzung, Globalisierung), in technischer Hinsicht (Stichworte: Digitalisierung, Konvergenz), im Hinblick auf die beteiligten Akteure (Stichwort: nichtstaatliche Akteure) und auf Ziel- und Zwecksetzungen (Stichwort: Ökonomisierung). Diese Veränderungen der Mediensysteme haben ihre Auswirkungen auf die Teilbereiche; umgekehrt stellt sich das Problem, dass bestimmte Veränderungen in diesen Teilbereichen auf ein gesamtes Mediensystem zurückwirken. Es lässt sich also fragen: Verändert sich ein Mediensystem, weil sich seine Teilbereiche wandeln, oder verändern sich die Teilbereiche weil sich das Mediensystem entwickelt? Und wie wirkt dieser Gesamtzusammenhang auf die Veränderungen des gesellschaftlichen Systems? Antworten auf diese Fragen werden erst mit vergleichenden Analysen gefunden werden und befriedigende Aussagekraft haben. <?page no="364"?> Ausblick 365 Es liegt auf der Hand, dass sich die Forschung und auch das Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft diesen Fragen stellen müssen, denn die genannten Wandlungsprozesse haben Folgen für die öffentliche Kommunikation und für gesellschaftliche Systeme schlechthin. Medien- und kommunikationswissenschaftliche Forschung muss also auf die genannten Veränderungen reagieren und auch die Gültigkeit bisheriger Theorien überprüfen. Komparative Forschung, die Wissen über die entsprechenden Veränderungen in anderen Ländern generiert, wird zur Analyse der wesentlichen Trends innerhalb dieser Veränderungen beitragen. Eine Theorie der Mediensysteme, die deren Entwicklungsgeschichte und -dynamik beschreiben und modellieren kann, steht allerdings noch aus. Literatur Altmeppen, Klaus-Dieter/ Hanitzsch, Thomas (2007): Über das Vergleichen: Komparative Forschung in deutschen kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschriften, 1948-2005. In: Medien & Kommunikationswissenschaft 2, S. 185-203. Chang, Tsan-Kuo et al. (2001): Comparing Nations in Mass Communication Research, 1970-97: A Critical Assessment of How We Know What We Know. In: Gazette 63(5), S. 415-434. Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Frankfurt. Ebbinghaus, Bernhard (2005): When less is more: Selection Problems in Large-N and Small-N Cross-National Comparisons. In: International Sociology 20(2), S. 133-152. Esser, Frank (2003): Gut, dass wir verglichen haben. Bilanz und Bedeutung der komparativen politischen Kommunikation. In: Esser Frank/ Pfetsch, Barbara (Hrsg.): Politische Kommunikation im internationalen Vergleich. Grundlagen, Anwendungen, Perspektiven. Wiesbaden, S. 437-494. Gudykunst, William B./ Nishida, Tsukasa (2000): Theoretical Perspectives for Studying Intercultural Communication. In: Asante, Molefi Kete/ Gudykunst, William B. (Hrsg.): Handbook of International and Intercultural Communication. Newbury Park, CA, S. 17-46. Hafez, Kai (2005): Mythos Globalisierung. Warum die Medien nicht grenzenlos sind. Wiesbaden. Jensen, Klaus Bruhn (1998): Local Empiricism, Global Theory: Problems and Potentials of Comparative Research on News Reception. In: Communications, 23 (4), S. 427- 445. <?page no="365"?> Ausblick 366 Johnson, J. David/ Tuttle, Frank (1989): Problems in Intercultural Research. In: Asante, Molefi Kete/ Gudykunst, William B. (Hrsg.): Handbook of International and Intercultural Communication. Newbury Park, CA, London & New Delhi, S. 461-483. Livingstone, Sonia (2012): Challenges to comparative research in a globalizing media landscape. In: Esser, Frank/ Hanitzsch, Thomas (Hrsg.): The Handbook of Comparative Communications Research. London, S. 415-429. Peter, Jochen (2003): Konsonanz 30 Jahre später. Eine international vergleichende Studie zum Einfluss konsonanter Berichterstattung auf Meinungen zur europäischen Integration. In: Publizistik 48(2), S. 190-208. Wirth, Werner/ Kolb, Steffen (2012): Securing Equivalence: Problems and Solutions. In: Esser, Frank/ Hanitzsch, Thomas (Hrsg.): The Handbook of Comparative Communications Research. London, S. 468-486. <?page no="366"?> 367 Autorinnen und Autoren Silke Adam, Prof. Dr., Professorin für Politische Kommunikation am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bern. Arbeitsgebiete: Politische Kommunikation im internationalen Vergleich, Inhalte und Effekte der Medien- und Parteikommunikation, Verhältnis von online und offline Kommunikation, Europäische Integration und Identität, Netzwerkanalyse. Silke.adam@ikmb.unibe.ch Zahi Alawi, Dipl.-Journ., Doktorand am Institut für Journalistik der TU Dortmund und freier Mitarbeiter des arabischen TV-Dienstes der Deutschen Welle (DW) sowie Projektmanager und Trainer für Online-Journalismus bei der DW- Akademie. Arbeitsgebiet: Online-Journalismus. zahi.alawi@gmail.com Markus Behmer, Prof. Dr. phil., Professor für empirische Kommunikatorforschung am Institut für Kommunikationswissenschaft der Otto-Friedrich- Universität Bamberg. Arbeitsgebiete: Medien- und Kommunikationsgeschichte, internationale Kommunikationspolitik, Kulturkommunikation und aktuelle Medienentwicklungen. markus.behmer@uni-bamberg.de Stefan Brüne, Prof. Dr. phil. habil., Hiob-Ludolf-Professor am Asien-Afrika- Institut der Universität Hamburg, war nach Gastprofessuren in Paris (Institut d’Etudes Politiques de Paris), Nancy (Chaire Relations Internationales et Intégration Européenne), Eichstätt (Otto von Freising-Gastprofessur) und Mekelle (Abba Giorgyos Professor) als GIZ-Experte der Intergovernmental Authority on Developement (IGAD) in Dschibuti mit Fragen friedensfördernder Regionalintegration befaßt. Mehrjährige Lehr-, Beratungs- und Forschungsaufenthalte in Afrika, Asien und Lateinamerika. Seit Mitte 2012, als Berater mehrerer ostafrikanischer Universitäten, Programmdirektor der in Dschibuti ansässigen Forschungsinitiative »Greater Horn Horizon Forum« (GHHF). Arbeitsgebiete: Europäische Außen- und Entwicklungsbeziehungen; Internationale Medien und politische Kommunikation; Gewalt, Macht und Sicherheit in den internationalen Beziehungen. stefan.bruene@yahoo.de <?page no="367"?> Autorinnen und Autoren 368 Indira Dupuis, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mediensysteme im internationalen Vergleich, Institut für Medienwissenschaft, Ruhr- Universität Bochum. Sie leitet dort eine Lehr- und Lernredaktion für audiovisuellen Journalismus. Ihre Dissertation hat sie über die europäische Öffentlichkeit in posttransitionellen, mittelosteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten verfasst. Vor ihrer akademischen Laufbahn hat sie längere Zeit in den Medien, u.a. im Fernsehjournalismus gearbeitet. Arbeitsgebiete: Mediensysteme in Mittelosteuropa, Medien in der politischen Transformation, Journalismus, Öffentlichkeit bzw. europäische Öffentlichkeit. indira.dupuis@rub.de Asiem El Difraoui, Dr. phil., Senior Fellow am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin, Politologe und Dokumentarfilmautor. Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Kairo, London und Paris. 2010-2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher/ Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. 2004-2010 Lehrbeauftragter am Institut d’Etudes Politiques de Paris (Sciences Po). Relevante Arbeitsgebiete: Medien als politische Infrastruktur, Jugendkultur in der arabischen Welt, jihadistische Propaganda. asiem.eldifraoui@medienpolitik.eu Oliver Hahn, Univ.-Prof. Dr. phil., Universitätsprofessor für Journalistik an der Universität Passau. Mehrjährige Tätigkeit als Journalist und in der Weiterbildung von Journalisten. Arbeitsgebiete: Medien in der arabischen Welt, Mediensysteme im internationalen Vergleich, international vergleichende Journalismusforschung, Auslandskorrespondenten, EU-Journalismus und europäische Öffentlichkeit(en), Konflikt-, Krisen- und Kriegsberichterstattung, Social-Media-Protestkommunikation ziviler Bewegungen, Public/ Media Diplomacy. oliver.hahn@uni-passau.de Gerd Hallenberger, Dr. phil. habil., freiberuflicher Medienwissenschaftler. Lehrtätigkeit an verschiedenen Hochschulen. Mehrfach Mitglied von Nominierungskommissionen und Jurys für den Grimme-Preis, Mitglied des Kuratoriums der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. Arbeitsgebiete: Theorie und Geschichte der Fernsehunterhaltung, internationale Medienentwicklung und Populärkultur. gerdhallenberger@aol.com <?page no="368"?> Autorinnen und Autoren 369 Thomas Hanitzsch, Dr. phil., Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Journalismusforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Arbeitsgebiete: Journalismusforschung, Kriegsberichterstattung und vergleichende Medienforschung. hanitzsch@ifkw.lmu.de Uwe Hasebrink, Prof. Dr. phil., Direktor des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung sowie Professor für Empirische Kommunikationswissenschaft am Institut für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg; 2005-2012 Mitglied des Executive Board der European Communication Research and Education Association (ECREA). Arbeitsgebiete: Nutzungs- und Rezeptionsforschung, Europäische Medien und Öffentlichkeiten, Medienpolitik. U.Hasebrink@hans-bredow-institut.de Vinzenz Hediger, Prof. Dr. phil., Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Langjährige Tätigkeit als Film- und Medienjournalist für Ringier und die Neue Zürcher Zeitung. Mitbegründer des europäischen Forschungsnetzwerks NECS - European Network for Cinema and Media Studies (www.necs.org). Gründungsherausgeber der Zeitschrift für Medienwissenschaft (www.zfmedienwissenschaft.de). Arbeitsgebiete: Geschichte und Ästhetik des Films, Geschichte der Filmtheorie, Filmökonomik, Wissensgeschichte der Medien. hediger@tfm.uni-frankfurt.de Elisabeth Klaus, Univ.-Prof.in Dr. phil., Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Vertretungs- und Gastprofessuren u.a. an den Universitäten Hamburg, Wien und Klagenfurt. Arbeitsgebiet: Allgemeine Kommunikationswissenschaft, Cultural Studies und Populärkultur (Publikums- und Genreforschung, Reality TV, Information und/ oder Unterhaltung), Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung, Theorien der Öffentlichkeit. Elisabeth.Klaus@sbg.ac.at <?page no="369"?> Autorinnen und Autoren 370 Hans J. Kleinsteuber, Prof. em. Dr., († 2012), Professor für Politische Wissenschaft/ Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Hamburg und für Journalistik und Kommunikationswissenschaft. Leiter der Arbeitsstelle Medien und Politik an der Universität Hamburg. Forschungsgebiete: Medienpolitik, -ökonomie und -technik, politische Kommunikation in Deutschland und in vergleichender Perspektive, speziell Europa, Nordamerika und weitere Industriestaaten sowie Reisejournalismus. Mitglied in der Euromedia Research Group und im europäischen Verbund der Radioforscher IREN. Mitglied im Rundfunkrat der Deutschen Welle 1999-2007, im Fachausschuss Information und Kommunikation der deutschen UNESCO- Kommission u.a. Manfred Knoche, Prof. em. Dr. phil., Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienökonomie am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. 1983-1994 Professor für Kommunikationswissenschaft an der Vrije Universiteit Brussel. Arbeitsgebiete: Medienökonomie, Kritik der Politischen Ökonomie der Medien, Medienkonzentrationsforschung, Medien und Politik, Nichtkommerzielle Medien. manfred.knoche@sbg.ac.at Margreth Lünenborg, Prof. Dr. phil., Professorin für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Journalistik am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FU Berlin, Direktorin des Internationalen Journalisten-Kollegs an der FU Berlin. Arbeitsgebiete: Journalismusforschung, Gender Media Studies, populäre Medienformate, Medien und Migration, Kulturorientierte Medienanalyse, Cultural Studies. margreth.luenenborg@fu-berlin.de Annette Massmann, Dr. phil., Vorstand GLS Treuhand und Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe bei der GLS Treuhand, Bochum. Mehrjährige Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Medienwissenschaft und der Sektion für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Internationale und interkulturelle Kommunikation, Mediensystemvergleich; Kommunikation und Entwicklung; Mediensystementwicklung in Lateinamerika. Annette.Massmann@gls.de <?page no="370"?> Autorinnen und Autoren 371 Eva Mayerhöffer, Dipl. rer. com., wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin. Studium der Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Internationalen VWL an den Universitäten Hohenheim, Stuttgart und Santiago de Chile. Forschungsaufenthalt an der Hebräischen Universität, Jerusalem. Arbeitsgebiete: Vergleichende politische Kommunikationsforschung, Einstellungsforschung, Elitesoziologie. eva.mayerhoeffer@fu-berlin.de Barbara Pfetsch, Prof. Dr. phil.; seit 2008 Professorin für Kommunikationswissenschaft, insb. Kommunikationstheorie und Medienwirkungsforschung an der FU Berlin. Studium der Politikwissenschaft und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Mannheim und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Research Fellowships an der Georgetown University, Washington, D.C., an der Harvard University und am Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences at Stanford University USA. Forschungsgebiete: Politische Kommunikation im internationalen Vergleich. pfetsch@zedat.fu-berlin.de Carola Richter, Jun.-Prof. Dr. phil., Juniorprofessorin für Internationale Kommunikation an der Freien Universität Berlin. Studium der Arabistik, Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig und Birzeit (Palästina). 2004-2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Erfurt. Arbeitsgebiete: Mediensysteme und Transformationsprozesse in der islamischen Welt, außereuropäische Mediensysteme und Kommunikationskulturen, Public Diplomacy, Auslandsberichterstattung, Medien und Migration. carola.richter@fu-berlin.de Laura Schneider, M.A., Doktorandin der Graduate School Media and Communication der Universität Hamburg, Studium der Journalistik, Kommunikationswissenschaft und Lateinamerika-Studien in Hamburg, Guadalajara (Mexiko) und Sydney. Seit 2011 Projektkoordinatorin für das Lateinamerikanische- Medienprogramm des International Media Center Hamburg und Analyst für das Freedom of the Press Ranking von Freedom House. Außerdem Tätigkeit als freie Journalistin. Arbeitsschwerpunkte: Internationale Medienfreiheitsforschung, Messung von Medienfreiheit, Mediensysteme in Lateinamerika sowie Medienentwicklung. laura.schneider@uni-hamburg.de <?page no="371"?> Autorinnen und Autoren 372 Barbara Thomaß, Prof. Dr. phil., Professorin für Mediensysteme im internationalen Vergleich am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Seit 2005 Sprecherin der DGPuK-Fachgruppe »Kommunikations- und Medienethik«. Mehrjährige Tätigkeit als Journalistin und in der Weiterbildung von Journalisten. Arbeitsgebiete: Mediensysteme in Ost- und Westeuropa, vergleichende Mediensystemforschung, europäische Medienpolitik, Medienethik und journalistische Ethik. Barbara.Thomass@rub.de <?page no="372"?> 373 Index Agitation und Propaganda 240 Alltagsmedium 120, 128 Alphabetisierungsquote 335 Analphabetismus 171, 277, 279, 286, 304 Aneignung von Medieninhalten 162 Asociación Mundial de Radios Comunitarias (AMARC) 279 Ausbildungsdefizite 349, 350 Bertelsmann AG 109 Blogs 17, 20, 301, 309 Buch 20, 46 Bürgerfunk 22, 263 Cable News Network (CNN) 261, 280, 281, 350 Canadian Content 258, 263, 267, 269 Comedy-Serien 121 Community-Radios Siehe Bürgerfunk Cultural Proximity 177 Deregulierung 41, 58, 60, 67, 89, 141, 142, 143, 230, 233, 268, 275, 284, 303, 341 Differenzansatz 38, 207, 209, 216 digital divide 23, 55, 58 Digitalisierung 26, 89, 92, 162, 222, 226, 228, 231, 232, 233, 234, 364 Druckmedien Siehe Printmedien Drucktechnologien 333 Druckverfahren 331 Eigentumsstrukturen 22, 146, 229 elektronische Medien 260 Ethik 191, 230, 259, 266, 312, 314, 372 Ethikcodes 262 Ethik-Codex 300 Europäische Audiovisuelle Informationsstelle 165, 229 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte 229 Europäische Union (EU) 34, 40, 50, 51, 87, 91, 112, 144, 145, 166, 220, 221, 222, 223, 226, 227, 228, 229, 231, 232, 233, 234, 235, 245, 359 Federal Communications Commission (FCC) 145, 151, 260, 263, 264, 265 Feministische Theorie und Forschung 202 Fernsehen 16, 17, 20, 26, 34, 50, 52, 66, 70, 74, 89, 91, 100, 106, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 128, 129, 130, 131, 132, 138, 139, 145, 163, 165, 169, 173, 174, 175, 177, 179, 193, 222, 225, 226, 227, 229, 231, 232, 233, 234, 248, 257, 262, 263, 265, 268, 276, 279, 280, 287, 306, 307, 308, 314, 322, 323, 324, 327, 329, 330, 331, 332, 334, 337, 338, 340, 341, 347, 349 digitales Fernsehen 130, 263, 280 kommerzielle Rundfunkanbieter Siehe kommerzielle Sender kommerzielle Sender 93, 263, 307 <?page no="373"?> Index 374 öffentlich-rechtlicher Rundfunk 74, 81, 279, 313, 316 Pay-TV 22, 90, 261, 263, 269, 307, 343 Regionalfernsehen 234, 333 Satelliten-TV 303, 306, 310, 329, 337, 342, 350 fiktional 72, 118, 119, 120, 121, 123, 124, 126, 127, 128, 131, 206, 209, 210 Film 20, 22, 24, 46, 49, 51, 122, 125, 138, 139, 145, 176, 177, 258, 324, 331, 335, 337, 369 Krimi 118, 122, 123, 125, 128 Science Fiction 118, 122, 123 Spielfilme 261, 324, 334, 335 Filmförderung 55, 263, 269 Filmindustrie 49, 324, 335, 336 Filmproduktionsgesellschaften 332 Frauenmagazin 349 Funktion der Medien 101 Gender Studies 202, 203, 208, 209, 210, 213, 216 Genres 122, 123, 126, 132, 133 Global Media Monitoring Project (GMMP) 199, 200, 201, 206 Globalisierung 8, 12, 29, 34, 39, 40, 41, 42, 54, 58, 59, 61, 66, 72, 111, 164, 214, 235, 354, 356, 357, 363, 364 Glokalisierung 111 Golf-Kooperationsrat (GCC) 297, 300 Gratiszeitungen 110, 112 Grundrechte 58, 243, 244, 257 Grundversorgungsauftrag 90 High-context-Kulturen 191 Importverbot 335 Individualisierung 164 Informations- und Kommunikationstechniken 54 Informationsfreiheit 275, 340 Informationsgesellschaft 54, 56, 57, 232, 234 Infotainment 117 Infrastrukturprobleme 342 International Telecommunication Union (ITU) 56, 165, 342 internationale Informationsordnung 56, 68 Internet 8, 17, 19, 20, 23, 26, 40, 50, 54, 57, 70, 89, 100, 109, 110, 114, 161, 173, 175, 176, 222, 228, 233, 249, 261, 278, 285, 287, 301, 304, 308, 309, 311, 312, 316, 323, 325, 329, 336, 341, 343, 344, 354 Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) 57 interpersonale Kommunikation 67, 73 Journalismus 21, 67, 68, 183, 184, 185, 188, 189, 190, 192, 207, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 241, 250, 266, 305, 312, 316, 358, 367, 368 Bürgerjournalismus 304, 316 Entwicklungsjournalismus 341 investigativer Journalismus 185, 259, 266 Unterhaltungsjournalismus 213 Journalismusforschung 183, 184, 185, 186, 189, 190, 193, 211, 214, 358, 368, 369, 370 Journalistenschulen 276 Kabel 49, 89, 129, 226, 231, 232, 261, 263, 278, 329, 331, 335 Kabelnetze 89, 262, 325 <?page no="374"?> Index 375 Kino 123, 125, 210, 324, 327, 335, 337 Kinoindustrie 331 Kinospielfilme 335 Kommunikationsforschung 7, 9, 11, 12, 31, 33, 34, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 75, 76, 95, 265, 354, 356, 362, 371 Kommunikationskultur 69, 70, 73, 74, 75, 371 Kommunikationsordnung 47, 48 Kommunikationspolitik 8, 40, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 234, 355, 367, 368 Konvergenz 54, 72, 89, 228, 232, 234, 265, 304, 325, 338, 364 Konzentration 22, 30, 34, 40, 51, 52, 55, 58, 60, 90, 106, 109, 112, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 177, 223, 233, 234, 243, 246, 275, 279, 298, 341, 355, 357, 370 Konzentrationskontrolle 137, 138, 142, 143, 145, 146 Ko-Regulierung 230 Kulturproduktion 164, 183, 184 Leitmedien 298, 331 Leitsystem 257 Liberalisierung 51, 57, 242, 281, 294, 303, 316, 321, 322, 329, 332, 333, 334, 335, 337, 352 Low-context-Kulturen 191 Mangas 328 Marktliberalisierung 322, 338 Marktstrukturen 145 Mediengesetzgebung 60, 242, 244 Medienkonzentration Siehe Konzentration Medienordnung 24, 48, 52, 54, 56, 58, 59, 87, 221, 229, 250, 251, 257 Medienpolitik 8, 46, 49, 50, 51, 54, 56, 57, 67, 90, 94, 229, 258, 269, 297, 326, 354, 360, 369, 370, 372 Medienprominenz 64 Medienrecht(e) 24, 32, 41, 229, 274 Mediensektoren 138, 139, 140, 141, 144, 145, 146, 275, 277, 278 medientechnische Infrastrukturen 161 Medientechnologie 24, 26, 41, 364 Medienwirkungen 19, 74, 162, 172, 178 Medienwirkungsforschung 178, 371 Meinungsfreiheit 56, 150, 151, 221, 274, 275, 326, 349 Mobiltelefonie 282, 340, 341, 343 Modernisierung 66, 68, 72, 73, 74, 205, 265, 286, 305, 327 Monatsmagazine 328, 330 Musikvideos 335 Mystery 123 Nachrichten 32, 64, 73, 84, 100, 103, 108, 174, 178, 199, 200, 201, 261, 285, 307, 312, 322, 323, 349 Nachrichtenagentur(en) 40, 111, 212, 240, 302, 322 Nachrichtengeografie 68, 361 Nachrichtenkultur 183, 185 National Television Systems Committee (NTSC) 124 Networks 260, 261 Neue Informations- und Kommunikationstechnologien (NIKT) 228, 281, 282, 283, 285, 286, 308, 316 <?page no="375"?> Index 376 News Corporation Ltd. 280 non-fiktional 119, 120, 121, 123, 126, 127, 131, 206 Nord-Süd-Gefälle 86, 103, 104, 105, 173 North Atlantic Treaty Organisation (NATO) 221 Nueva Televisión del Sur 281 Nutzen- und Belohnungs-Ansatz (uses and gratifications approach) 163 öffentliche Kommunikation 18, 20, 64, 65, 162, 172, 174, 224, 365 Öffentlichkeit 7, 23, 55, 72, 83, 86, 89, 93, 95, 101, 137, 141, 149, 163, 201, 204, 209, 230, 231, 294, 296, 327, 328, 333, 336, 350, 356, 368, 369 Ökonomisierung 130, 230, 351, 364 Online-Medien 18, 20, 23, 49, 55, 58, 173, 193, 222, 224, 228, 249, 263, 282, 313 panarabische Medien 310, 316 paneuropäische Programme 229 Phase Alternating Line (PAL) 124 Plakat 20 Politikverdrossenheit 73 Politikvermittlung 72 politische Berichterstattung 349 politische Meinungsbildung 330 politische PR 65, 68, 73 Presse 16, 21, 22, 24, 49, 99, 100, 101, 102, 105, 106, 108, 109, 111, 112, 113, 114, 138, 139, 142, 145, 151, 229, 240, 242, 247, 259, 260, 274, 275, 276, 278, 297, 298, 305, 315, 325, 330, 331, 333, 335, 337, 340 Anzeigenblätter 21, 102 Boulevardpresse 259, 278 Boulevardzeitungen 21, 106, 113, 323 Fachpresse 21, 349 Fachzeitschrift(en) 102, 266, 287 Kundenzeitschriften 21, 102 Lokalpresse 106 Massenpresse 68, 107, 259 Parteipresse 107, 298, 304, 305, 322, 328 Pressegattungen 21 Publikumszeitschrift(en) 21, 102, 246 Qualitätszeitungen 70, 74, 110, 278, 331, 332 Ratgeberjournalismus 213 Regional- und Lokalzeitungen 21, 106, 107, 224, 323 Regionalpresse 105 Satirepresse 349 Sonntagsblätter 21, 100 Tabloid- oder Kompaktzeitungen 110, 224 Tageszeitung(en) 26, 100, 102, 103, 104, 106, 107, 112, 113, 165, 173, 174, 212, 223, 224, 225, 259, 260, 278, 280, 305, 310, 322, 327, 328, 330, 331, 332, 333, 336, 338, 348 Vereinszeitschriften 21 Wochenzeitungen 21, 102, 328, 330, 332, 333, 348 Zeitschrift(en) 20, 21, 99, 100, 101, 102, 106, 240, 247, 259, 278, 285, 298, 314, 354 Zeitung(en) 19, 20, 21, 30, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 174, 222, 240, 241, 247, 259, 261, 262, 263, 278, <?page no="376"?> Index 377 298, 304, 305, 310, 327, 328, 331, 333, 340, 347, 348, 349, 369 Presseförderung 105, 107, 113 Pressefreiheit 22, 48, 49, 53, 56, 108, 138, 186, 192, 234, 245, 257, 258, 270, 275, 299, 300, 309, 323, 326, 332, 352 Presserat (Presseräte) 234, 262 Print 18, 20, 21, 22, 52, 60, 89, 223, 246, 247, 277, 304, 322, 327, 332 Printindustrie 335 Printmedien 74, 101, 123, 165, 171, 172, 173, 190, 193, 224, 228, 246, 248, 260, 277, 278, 283, 296, 303, 304, 305, 322, 327, 333, 335, 336, 337, 348, 350 Privatisierung 58, 87, 137, 141, 209, 275, 281, 298, 303, 316, 322 professionelle Kultur 183 Profitmaximierung 141, 150, 151 Public Service Broadcasting (PSB) 52, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 93, 94, 95, 226, 232, 356 Radio/ Rundfunk 15, 16, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 25, 26, 31, 32, 34, 49, 50, 52, 54, 55, 59, 68, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 100, 122, 123, 138, 145, 165, 172, 173, 174, 175, 190, 221, 222, 225, 226, 227, 229, 232, 233, 248, 252, 257, 259, 260, 261, 263, 264, 265, 267, 268, 270, 278, 279, 280, 302, 306, 313, 323, 325, 327, 329, 330, 331, 333, 334, 336, 340, 341, 343, 347, 348, 350, 356 Gemeinschafts-Radios 279 Rundfunkstationen 263, 265, 327, 340 rural community radios - radio rurale 341 Referenzmedium 310 Regulierung 20, 22, 26, 47, 52, 60, 68, 74, 81, 82, 83, 88, 89, 91, 138, 142, 144, 146, 221, 222, 227, 231, 232, 234, 260, 264, 270, 287, 300, 307, 329 Reichweiten- und Publikumsforschung 161, 164, 172 Rundfunkgebühren 51, 83, 86, 226, 227, 229, 302 Rundfunkmodell 86, 283 Rundfunkregulierung Siehe Regulierung Satellit(en) 40, 49, 89, 130, 161, 226, 231, 232, 259, 261, 263, 279, 280, 308, 323, 325, 342 Schallplatte 20 Selbstregulierung 21, 47, 48, 230 Selbstzensur 299, 300 Séquentiel couleur à mémoire (SECAM) 124 Show 119, 120, 121, 127, 132, 324 Game-Show 119, 121, 132 Musik-Show 119 Talk-Show 119, 126, 128 social media 216, 357 soziale Kommunikation (communicación social) 286, 287, 360 sozialistische Mediensysteme 239, 241 Spiegel-Verlag-Urteil 101 Sport 84, 100, 119, 120, 121, 124, 132, 206, 230, 261, 281, 323 <?page no="377"?> Index 378 Struktur- und Ordnungsfaktoren 21 Subventionierung 124, 225, 324 Subventionspraktiken Siehe Subventionierung Systemtheorie 14, 15, 18 technische Erreichbarkeit 161 Technologiepolitik 161 Telekommunikationsleistungen 343 Terrestrik Siehe terrestrische Übertragung terrestrische Übertragung 89, 226, 231, 232 Time Warner 261, 280 Transformationsprozess 108, 214, 216, 242, 371 Transformationsstaaten 48, 51, 214, 220, 223, 226, 248, 250, 252, 253, 359 Transición 273 United Nations for Educational Scientific and Cultural Organisation (UNESCO) 8, 40, 56, 92, 101, 103, 104, 112, 165, 171, 172, 178, 277, 370 Unterhaltungsmedium 39, 117 Unterhaltungsprogramme 128, 298, 347 Video 20, 231, 294 Wahlkampfkommunikation 72, 73, 267 Walt Disney 280 Weltinformationsordnung Siehe internationale Informationsordnung Wettbewerb 88, 89, 93, 110, 120, 135, 136, 137, 140, 141, 143, 149, 150, 152, 169, 225, 227, 245, 246, 248, 260 Wettbewerbspolitik 137, 142, 143, 145 World Association of Newspapers (WAN) 99, 103, 104, 105, 112, 165, 173, 224 Zeitungsdichte 104, 113, 224 Zensur 20, 26, 49, 60, 101, 107, 109, 241, 243, 244, 275, 299, 308, 309, 323, 327, 330, 332, 340, 355 Zentrum/ Peripherie-Gefälle 105, 283