Fit für die Prüfung: Europäische Integration
Lernbuch
1002
2013
978-3-8385-3952-2
UTB
Renate Ohr
Ob im Freibad, auf dem Sofa oder am Schreibtisch: Mit diesem Lernbuch ist es kein Problem, sich die prüfungsrelevanten Inhalte der Produktionswirtschaft erfolgreich einzuprägen. Dank seines kompakten Formats ist es stets griffbereit und lässt sich überall hin mitnehmen.
Das Buch ist in Etappen eingeteilt: Zu Beginn werden die wichtigsten Schlagwörter genannt, die Anwendung des Stoffs beschrieben und Prüfungstipps gegeben. Durch Single-Choice-Fragen kann am Ende jeder Etappe das Wissen auf die Probe gestellt werden.
Dieses Lernbuch hilft Bachelor-Studierenden der Wirtschaftswissenschaften an allen Hochschultypen.
<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Renate Ohr Fit für die Prüfung: Europäische Integration Lernbuch UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2013 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: istockphoto.com, t_kimura Druck und Bindung: fgb. freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 3952 ISBN 978-3-8252-3952-7 Prof. Dr. Renate Ohr ist Inhaberin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftspolitik an der Georg-August-Universität Göttingen <?page no="4"?> Inhalt Über das Buch ......................................................................................... 9 Abkürzungs- und Symbolverzeichnis................................................. 13 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess ................... 15 Startschuss: Schlagwörter und Prüfungstipps ............................ 15 Formen grenzüberschreitender Integration ...................................... 17 Von der EWG zur EU ......................................................................... 23 Ziele der europäischen Integration ..................................................... 27 EU-Institutionen ................................................................................... 31 Entscheidungsregeln ............................................................................. 34 Der Vertrag von Lissabon.................................................................... 37 Zwischenstand: Fragen und Antworten...................................... 40 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt ................... 45 Startschuss: Schlagwörter und Prüfungstipps ............................ 45 Traditionelle Wohlfahrtseffekte einer Zollunion.............................. 47 Dynamische Wohlfahrtseffekte der Zollunion ................................. 54 Maßnahmen des Europäischen Binnenmarktes ............................... 55 Realität des EU-Binnenmarktes .......................................................... 62 Exkurs: Zur Mehrwertsteuerregelung ................................................ 67 Arbeitskräftewanderung im Binnenmarkt ......................................... 71 Zwischenstand: Fragen und Antworten............................................. 78 <?page no="5"?> 6 Inhalt Etappe 3: EU-Regional- und Strukturpolitik......................... 83 Startschuss: Schlagwörter und Prüfungstipps ............................ 83 Rechtfertigung regionalpolitischer Eingriffe ..................................... 85 Inhalte der EU-Strukturfonds ............................................................. 88 Entwicklung der Zielsetzungen der EU-Förderung ........................ 90 Kritische Reflexion der Regional- und Strukturpolitik der EU ...... 96 Exkurs: Konvergenz oder Divergenz im Integrationsprozess? ...... 99 Zwischenstand: Fragen und Antworten.................................... 109 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU ........................113 Startschuss: Schlagwörter und Prüfungstipps .......................114 Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik................................................. 115 Wirkungsweise der Interventionspreise ........................................... 116 Reformen der EU-Agrarpolitik ......................................................... 123 Exkurs: Der EU-Haushalt.................................................................. 126 Zwischenstand: Fragen und Antworten.................................... 129 Etappe 5: Vom EWS zur EWU............................................. 133 Startschuss: Schlagchlagwörter und Prüfungstipps ................. 134 Ziele des Europäischen Währungssystems EWS ........................... 135 Funktionsweise des EWS ................................................................... 137 Scheitern des EWS? ............................................................................ 141 Der Weg zum Euro............................................................................. 145 Anforderungen an eine funktionierende Währungsunion ............ 151 Exkurs: Theorien zum optimalen Währungsraum ......................... 153 Zwischenstand: Fragen und Antworten.................................... 157 <?page no="6"?> Inhalt 7 Etappe 6: Europäische Währungsunion .............................. 163 Startschuss: Schlagwörter und Prüfungstipps .......................... 164 Erwartungen an die EWU.................................................................. 165 Konstruktionsmerkmale der EWU................................................... 167 Zur Europäischen Zentralbank......................................................... 171 Zur Rolle des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ........................... 174 Der Weg zur Eurokrise ...................................................................... 178 Perspektiven der EWU....................................................................... 181 Zwischenstand: Fragen und Antworten.................................... 185 Etappe 7: Erweiterung des Integrationsraums .................... 18 7 Startschuss: Schlagwörter und Prüfungstipps .......................... 1 88 Sicht der Beitrittsstaaten..................................................................... 1 8 9 Sicht der „alten“ Mitgliedsstaaten ..................................................... 19 2 Zwischenstand: Fragen und Antworten.................................... 19 4 Den Fitness-Stand errechnen ............................................... 19 5 Glossar .................................................................................................. 19 7 Wichtige Lehrbücher und Literatur .................................................. 20 1 Stichwortverzeichnis ........................................................................... 20 7 <?page no="8"?> www.uvk-lucius.de Über das Buch Der europäische Integrationsprozess der Nachkriegszeit begann in den 1950er Jahren zunächst mit einer Gruppe von sechs Ländern und dem Aufbau einer Zollunion. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Prozess fortgeführt bis zur heutigen EU mit Binnenmarkt und Währungsunion und mittlerweile 28 Mitgliedern - ein weltweit einmaliges Integrationsprojekt für eine so große Gruppe souveräner Staaten. Während sich dabei in den ersten Jahrzehnten des Integrationsprozesses stets längere Phasen der Vertiefung mit ebenfalls längeren Phasen der Erweiterung der europäischen Gemeinschaft abwechselten, haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten die Abstände zwischen Vertiefungs- und Erweiterungsaktivitäten erheblich verkürzt. Mittlerweile scheinen Vertiefung und Erweiterung der EU fast Hand in Hand zu gehen. Institutionelle Arrangements, die ursprünglich für eine Gemeinschaft von sechs Mitgliedsländern konzipiert waren, sind allerdings für eine Gemeinschaft von 28 und mehr Ländern nicht immer gleichermaßen effizient. Auch haben sich in den letzten 60 Jahren die globalen ökonomischen Rahmenbedingungen stark verändert, so dass die europäische Integrationspolitik durch häufige institutionelle Anpassungen geprägt ist, um den jeweiligen neuen Herausforderungen gerecht werden zu können. Das vorliegende Lernbuch befasst sich mit den Zielen und den Ergebnissen dieses Integrationsprozesses. Vor dem Hintergrund von Integrationstheorien werden die faktischen Entwicklungen in der EU dargestellt, analysiert und bewertet. Im ersten Kapitel werden zunächst auf theoretischer Basis die Stufen grenzüberschreitender ökonomischer Integration dargestellt, um darauf aufbauend einen kurzen historischen Abriss des Europäischen Integrationsprozesses zu geben. Es folgt eine Analyse der Ziele dieser Integrationspolitik, der wichtigsten Institutionen der EU und der jüngsten Vertragsanpassungen (Vertrag von Lissabon). <?page no="9"?> 10 Über das Buch fit-lernhilfen.de Die Folgekapitel vertiefen sodann konkrete Integrationsbereiche bzw. -politiken. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Marktintegration. Auch hier geht es zunächst um theoretische Überlegungen, indem die Wohlfahrtseffekte des regionalen Freihandels (Zollunion) bis hin zur Realisierung der vier Grundfreiheiten (Binnenmarkt) betrachtet werden. Anschließend wird die Realität des EU- Binnenmarktes untersucht, um Erwartungen und Zielerreichung zu überprüfen. Dabei wird auch speziell auf die Integration der Arbeitsmärkte eingegangen (Migration). Das dritte und das vierte Kapitel handeln von den beiden großen Gemeinschaftspolitiken - der EU-Regional- und Strukturpolitik sowie der Gemeinsamen Agrarpolitik. Es geht dabei jeweils um die Ziele, die Grundsätze, die Probleme und die (vielfältigen) notwendigen Reformen dieser Gemeinschaftspolitiken. Zudem wird auch die Frage nach dem gesamtwirtschaftlichen Ergebnis dieser Integrationspolitik gestellt (Konvergenz oder Divergenz? ). Um diese Betrachtungen abzurunden, wird schließlich noch kurz auf den EU- Haushalt eingegangen, da diese beiden Politikbereiche den größten Teil des EU-Budgets beanspruchen. Die nächsten beiden Kapitel widmen sich dem Thema der monetären Integration in Europa. Dazu wird zunächst im fünften Kapitel rückblickend das Europäische Währungssystem (EWS) theoretisch und faktisch analysiert und bewertet, um darauf aufbauend den Weg zur Europäischen Gemeinschaftswährung kritisch zu beleuchten. Die Konsequenzen der Einführung der Währungsunion werden sodann im sechsten Kapitel untersucht. Der theoretischen Betrachtung der Anforderungen an eine funktionsfähige Währungsunion aus Kapitel fünf wird nun die Realität der Europäischen Währungsunion gegenübergestellt. Dabei werden auch hierfür relevante Institutionen, wie die Europäische Zentralbank oder der Stabilitäts- und Wachstumspakt, genauer hinterfragt. Abschließend wird auf die aktuellen Entwicklungen im Rahmen der europäischen Staatsschuldenkrise (kurz Eurokrise) eingegangen. Das siebte Kapitel widmet sich schließlich der Größe des Integrationsraums. Was erwartet man sich von Erweiterungen der Ge- <?page no="10"?> Über das Buch 11 meinschaft, welche Probleme können damit verbunden sein, welchen institutionellen Arrangements könnten helfen, eine immer größer und immer heterogener werdende EU erfolgreich zu gestalten? In diesem Lernbuch findet man somit die wesentlichen Inhalte zum Thema Europäische Integration. Dabei werden theoretische Kausalzusammenhänge über regionale grenzüberschreitende Integrationsprozesse und die faktischen Entwicklungen in der EU gegenübergestellt. Das Lernbuch unterscheidet sich dabei deutlich von einem herkömmlichen Lehrbuch. Mit dem Lernbuch aus der Reihe Fit für die Prüfung kann man gezielt sein Wissen für die Prüfung aufarbeiten. Jede Lernetappe ist auf die Prüfung zugeschnitten. Neben den wichtigen Stichworten gibt es wertvolle und themenbezogene Prüfungstipps zu Beginn. Nach jeder Etappe kann man seinen Wissensstand überprüfen. Am Buchende befindet sich ein Glossar mit den wichtigsten Fachbegriffen, sowie eine Literaturübersicht mit den wichtigsten Lehrbüchern sowie anderen didaktisch gut aufbereiteten Beiträgen zum Thema Europäische Integration. Und nun, viel Erfolg bei der Prüfungsvorbereitung. <?page no="12"?> www.uvk-lucius.de Abkürzungs- und Symbolverzeichnis A Arbeit A g geringqualifizierte Arbeitskräfte A h hochqualifizierte Arbeitskräfte AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäische Union BIP Bruttoinlandsprodukt BNE Bruttonationaleinkommen ECU European Currency Unit EFRE Europäischer Fonds für regionale Entwicklung EFTA European Free Trade Area EFWZ Europäischer Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit EG Europäische Gemeinschaften EGFL Europäischer Garantiefonds für die Landwirtschaft EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ELER Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums ESF Europäischer Sozialfonds ESM European Stability Mechanism EU Europäische Union EUV Vertrag über die Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWS Europäisches Währungssystem EWU Europäische Währungsunion (auch EWWU) EZB Europäische Zentralbank GAP Gemeinsame Agrarpolitik IFW Internationaler Währungsfonds K Kapital <?page no="13"?> 14 Abkürzungs- und Symbolverzeichnis MIP Macroeconomic Imbalance Procedure MwSt Mehrwertsteuer NUTS Nomenclature des Unités Territoriales Statistiques OMT Outright Monetary Transactions P Preisniveau SWP Stabilitäts- und Wachstumspakt W Nominallohn W/ P Reallohn WKM Wechselkursmechanismus WTO World Trade Organisation X Menge Y Gesamtwirtschaftliche Produktion Y/ A Grenzprodukt der Arbeit <?page no="14"?> Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess Der Europäische Integrationsprozess <?page no="15"?> 16 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Startschuss: Schlagchlagwörter und Prüfungstipps Schlagwörter und Prüfungstipps Was erwartet mich in diesem Kapitel? In diesem Kapitel wird ein kurzer theoretischer Einstieg zu möglichen Formen und Wirkungen grenzüberschreitender (wirtschaftlicher) Integration gegeben, um vor diesem Hintergrund kurz den historischen Verlauf des Integrationsprozesses, die Ziele und die wesentlichen Institutionen der EU zu skizzieren. Das Kapitel schließt mit den jüngsten EU-Vertragsanpassungen, die im Vertrag von Lissabon vereinbart wurden. Damit soll ein erster Überblick über wichtige Fakten und Zusammenhänge des Europäischen Integrationsprozesses gegeben werden. Welche Schlagwörter lerne ich kennen? Integrationsform Präferenzzone Freihandelszone Zollunion Gemeinsamer Markt Binnenmarkt Marktordnung Wirtschaftsunion Währungsunion Marktintegration institutionelle Integration Marktöffnung Systemwettbewerb negative Integration positive Integration Montanunion EWG EG EU EWU Vertrag von Maastricht Europäische Kommission Europäisches Parlament Ministerrat Rat der Europäischen Union EU-Erweiterungen Vertrag von Nizza Mehrheitsentscheidung qualifizierte Mehrheit doppelte Mehrheit verstärkte Zusammenarbeit Vertrag von Lissabon Welchen Prüfungstipp erhalte ich aus dieser Etappe? Da es mittlerweile überall in der Welt Versuche der regionalen Integration gibt, ist es wichtig, den Stand der europäischen Integration richtig einordnen und bewerten zu können. In diesem Kapitel geht es zudem auch um einiges Faktenwissen über die EU. Diese Kenntnisse werden nicht immer im Einzelnen in <?page no="16"?> fit-lernhilfen.de Klausuren abgefragt, aber sie werden vorausgesetzt, und die Unkenntnis solcher Fakten bewirkt oft auch ungenaue oder missverständliche Antworten bei übergreifenden Fragen. Um die Entwicklungen in der EU richtig beurteilen zu können, müssen darüber hinaus die Ziele und die Institutionen der EU bekannt sein. Formen grenzüberschreitender Integration In der Ökonomie bezeichnet man die Verbindung einer Anzahl bislang getrennter Wirtschaftsräume zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum als regionale Integration. In der vorliegenden Betrachtung geht es dabei um grenzüberschreitende regionale Integration innerhalb Europas. Der Weg zur wirtschaftlichen Integration kann dabei zum einen über Fortschritte im freien Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren gehen, also über internationale Gütermobilität, Arbeitsmobilität und Faktormobilität und die dadurch intensivierte Verflechtung der Märkte. Zum anderen kann Integration aber auch über Fortschritte in der grenzüberschreitenden Abstimmung, Harmonisierung und Vereinheitlichung von wirtschaftlichen Strukturen und wichtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen erfolgen. Schließlich kann auch eine gemeinsame zentrale Gestaltung von Politikbereichen stattfinden. Je nach Art und Intensität der wirtschaftlichen Verknüpfung lassen sich dabei verschiedene Integrationsformen unterscheiden: Präferenzzone: Den Partnerländern werden für bestimmte Gütergruppen Handelspräferenzen eingeräumt (sektorale Integration). Freihandelszone: Die Handelshemmnisse zwischen den Integrationspartnern werden abgebaut, aber die eventuell unterschiedlichen nationalen Außenhandelsregulierungen gegenüber Drittstaaten beibehalten. 17 <?page no="17"?> 18 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Zollunion: Zusätzlich zu den Maßnahmen einer Freihandelszone wird eine gemeinsame Außenhandelspolitik gegenüber Drittstaaten praktiziert. Gemeinsamer Markt: Zusätzlich zur Zollunion werden weitere Liberalisierungen des Güterhandels (Waren und Dienstleistungen) vorgenommen. Außerdem werden administrative Beschränkungen der Mobilität der Produktionsfaktoren zwischen den Integrationspartnern aufgehoben. Dies beinhaltet die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, Niederlassungsfreiheit für Unternehmen und Freizügigkeit für Arbeitskräfte. Zur Sicherung einer optimalen Allokation der Produktionsfaktoren ist dabei auch eine gewisse Angleichung der Wettbewerbsbedingungen erforderlich. Dies kann Harmonisierungen in Bereichen der Wettbewerbs- und der Steuerpolitik bedeuten. Gemeinsame Marktordnung: In dieser sektoral ausgerichteten Integrationsform wird auf spezifischen Märkten (z.B. Agrarmarkt, Energiemarkt) versucht, einheitliche institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies bedeutet nicht nur identische Wettbewerbsregeln, sondern zumeist supranationale Regulierungen, etwa durch Preisfestsetzungen, Mengenregulierungen oder Abnahmegarantien. Wirtschaftsunion: Aufbauend auf dem Gemeinsamen Markt werden bestimmte Bereiche der Ordnungspolitik (Wettbewerbspolitik, Sozialpolitik), der Strukturpolitik (Verkehrspolitik, Industriepolitik) und der Prozesspolitik (Fiskalpolitik) harmonisiert. Währungsunion (Wirtschafts- und Währungsunion): Unabhängig von einer Wirtschaftsunion oder aber auch aufbauend auf einer Wirtschaftsunion wird eine gemeinsame Währungspolitik eingeführt. Dies bedeutet entweder unwiderruflich feste Wechselkurse und absolut freie Konvertibilität zwischen den einzelnen Mitgliedswährungen oder die Einführung einer einheitlichen gemeinsamen Währung. <?page no="18"?> Formen grenzüberschreitender Integration 19 fit-lernhilfen.de Die Betrachtung der verschiedenen Integrationsformen verdeutlicht, dass regionale (wirtschaftliche) Integration zum einen über Fortschritte im freien Austausch von Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren erfolgen kann. Zum anderen ist eine Verflechtung der Volkswirtschaften aber auch über Fortschritte bei der Abstimmung, Harmonisierung und Vereinheitlichung wirtschaftspolitischer Bestimmungen und Maßnahmen möglich. Demzufolge kann zwischen Formen der Marktintegration und Formen der institutionellen/ politischen Integration unterschieden werden. Kennzeichen der Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes im Zuge der Marktintegration ist die Öffnung der nationalen Märkte gegenüber den Anbietern und Nachfragern der Partnerstaaten. Diese Integrationsformen sind folglich mit einer Liberalisierung und Deregulierung des Marktgeschehens verbunden, so dass die Verflechtung zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum über Marktprozesse erfolgt. Marktintegration bedeutet dabei eine „Integration durch Wettbewerb“ und ist von dem Grundgedanken geleitet, dass Integration im Sinne eines Zusammenwachsens der Volkswirtschaften vor allem durch den Abbau von Hindernissen bei grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Transaktionen erreicht werden soll. Die oben genannten ersten vier Integrationsformen, die Präferenzzone, die Freihandelszone, die Zollunion und der Gemeinsame Markt sind somit der Marktintegration zuzuordnen. Ziel der regionalen Integration über die verschiedenen Formen der Marktintegration ist letztlich eine Optimierung der Allokation der Ressourcen und damit eine Steigerung der ökonomischen Effizienz und der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt im Integrationsgebiet. Im Einzelnen wird erwartet, dass die Produktion in den Mitgliedsländern im Zuge der zunehmenden Arbeitsteilung (und Spezialisierung gemäß komparativer Kostenvorteile) effizienter wird, durch die Ausdehnung der Absatzmärkte Massenproduktionsvorteile genutzt werden können, der zunehmende Wettbewerb den technischen Fortschritt fördert sowie die Produktivität erhöht, <?page no="19"?> 20 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de das Kapital „in die richtige Richtung“ fließt, also von den (kapital)reicheren Ländern mit geringerem Grenzprodukt des Kapitals in die (kapital)ärmeren Länder mit hohem Grenzprodukt des Kapitals, hierdurch insgesamt auch ein Aufholen rückständiger Länder unterstützt wird, dem Verbraucher eine größere Produktvielfalt geboten wird, sowie im Zuge einer verbesserten Handelsposition gegenüber Drittstaaten diesen gegenüber eine Verbesserung der Terms of Trade (Relation der Exportpreise zu den Importpreisen) erreicht werden kann. Grundlage für diese Effekte ist die Öffnung der Märkte und der unbeschränkte Wettbewerb der Anbieter und Nachfrager. Die sich im Integrationsprozess zumeist auch ergebende Intensivierung der politischen Beziehungen ist dabei nicht vorrangiges Ziel, sondern eher (gern gesehene) Folge des Strebens nach ökonomischer Wohlfahrtsmaximierung. Marktintegration wird oft (nach Tinbergen) auch mit dem Begriff „negative“ Integration verbunden, da sie auf die Beseitigung/ den Abbau von Handels- und Mobilitätshindernissen ausgerichtet ist. Als „positive“ Integration wird demgegenüber eine Politik bezeichnet, die neue gemeinsame Institutionen schafft (institutionelle oder politische Integration). Während Marktintegration somit als ein auf freiwilliger Basis „von unten“ erfolgender Prozess der Verflechtung von Volkswirtschaften verstanden werden kann, beschreibt der Begriff der politischen Integration ein politisch „von oben“ angestrebtes Verbinden von Wirtschaftsräumen durch ein gemeinsames Eingliedern unter zentrale, supranationale Institutionen. Die institutionelle/ politische Integration oder „Integration durch Intervention“ zielt somit darauf ab, dass die unterschiedlichen nationalen Wirtschaftspolitiken und die damit verbundenen Interventionen und Regulierungen durch ein gemeinsames System zentraler Intervention ersetzt werden. Der Prozess der institutionellen Integration verläuft somit über eine Vergemeinschaftung institutioneller Regelungen und Poli- <?page no="20"?> Formen grenzüberschreitender Integration 21 fit-lernhilfen.de tiken. Im Mittelpunkt stehen daher nicht wie bei der Marktintegration Deregulierung und Liberalisierung, sondern Zentralisierung und gemeinsame Regulierung. Zur institutionellen/ politischen Integration zählen gemeinsame Marktordnungen, Wirtschaftsunion und Währungsunion. Für diese Integrationsweise ist ein hohes Maß an Abstimmung und Harmonisierung zwischen den Mitgliedsländern notwendig. Im Zuge der institutionellen/ politischen Integration werden zumindest in bestimmten Bereichen identische ökonomische Vorgaben und Rahmenbedingungen für die beteiligten Volkswirtschaften festgelegt. Dabei wird erwartet, dass es über die fortschreitende Harmonisierung und Zentralisierung von Entscheidungen zu einem Abbau von Reibungsverlusten (z.B. durch eine Verringerung von Transaktionskosten) und hierdurch auch zu einer Intensivierung der wirtschaftlichen Verflechtungen und damit wiederum zu Effizienzsteigerungen und Wohlfahrtsgewinnen kommt. Aber: Die Vergemeinschaftung bestimmter Politikbereiche in Form supranationaler Institutionen kann auch den Wettbewerb solcher Institutionen zwischen den Volkswirtschaften einschränken und somit Effizienzverluste bewirken. Ein Übermaß an Harmonisierung, Vereinheitlichung und Gemeinschaftsbürokratie kann zudem auch die gesamtwirtschaftlichen Transaktionskosten erhöhen, und die Wohlfahrt hierdurch negativ beeinflussen. Inwieweit durch politisch/ institutionelle Integration eindeutig positive Wohlfahrtseffekte entstehen, ist also nicht ganz unumstritten. Es stellt sich die Frage, ob die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Produktivität, das effiziente Wirtschaften nicht durch zu viel Vereinheitlichung, Harmonisierung und durch zu große Gemeinschaftsbürokratien behindert werden können. Die These hierfür lautet: „Ein System des Wettbewerbs erfordert auch einen Wettbewerb der Systeme.“ <?page no="21"?> 22 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Was bedeutet dies? Wettbewerb der Systeme beschreibt die Möglichkeit der Wirtschaftssubjekte, die Qualität und Effizienz vorhandener institutioneller Regelungen zu prüfen - sei es durch die Abwahl des politischen Regimes, sei es durch Verlagerung der eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten an einen Ort mit einem anderen institutionellen Arrangement („voice oder exit“). Damit werden auch die politischen Akteure einem Wettbewerb ausgesetzt und gezwungen, attraktive institutionelle Rahmenbedingungen anzubieten. Dieser Wettbewerb der Systeme kann z.B. das Steuersystem betreffen, das Währungssystem oder das Sozialsystem. Je mehr auch grenzüberschreitend die Vergleichbarkeit und die Nutzbarkeit anderer Systeme ermöglicht werden, umso größer wird der Wettbewerbsdruck sein, die existierenden institutionellen Arrangements immer wieder zu überprüfen und gegebenenfalls an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen. Das marktwirtschaftliche System ist auf dem System des Wettbewerbs aufgebaut, auf möglichst viel Privatinitiative und freien Gestaltungsmöglichkeiten. Je mehr grenzüberschreitende Wirtschaftspolitik betrieben wird, je mehr supra-national harmonisiert und vereinheitlicht wird, umso mehr wird aber in die freien Gestaltungsmöglichkeiten, die u.a. auch auf regionale und nationale Besonderheiten reagieren könnten, eingegriffen und gegebenenfalls notwendige Anpassungsflexibilität behindert. Selbst wenn es auch Situationen gibt, in denen ein „Versagen“ der Marktmechanismen diagnostiziert wird, ist keinesfalls gesichert, dass die zentrale Steuerungslösung bessere Ergebnisse bewirken würde. Oft wird unterstellt, dass das Aushandeln von zentralen Steuerungsmechanismen grundsätzlich von „wohlwissenden und wohlmeinenden“ Politikern betrieben würde - eine Annahme, die besser durch die realistischeren Annahmen unvollkommener Informationen und eines wählerstimmenmaximierenden Verhaltens der Politiker ersetzt würde. Daher stellt sich die Frage, ob die Gefahr des Marktversagens oder die des Politikversagens höher einzuschätzen ist. Ein internationaler Wettbewerb der Systeme korrigiert nationales Politikversagen gegebenenfalls oft schneller als es bei einer supranationalen Steuerung geschehen würde. <?page no="22"?> fit-lernhilfen.de Auf diese Überlegungen und ihre Bedeutung für die Beurteilung bestimmter Entwicklungen in der europäischen Integration werden wir später bei den einzelnen EU-Politikbereichen noch einmal zurückkommen. Doch zunächst ein kurzer Abriss der Entwicklung der europäischen Integration. Von der EWG zur EU Ausgangspunkt dessen, was heute die Europäische Union (EU) kennzeichnet, ist die in den 1950er Jahren gegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Ausgehend von einem Zusammenschluss von sechs mitteleuropäischen Ländern haben sich mittlerweile 28 europäische Volkswirtschaften in einem immer engeren Wirtschaftsverbund integriert. Die europäische Integration der Nachkriegszeit begann mit der Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl), die 1951 mit Unterzeichnung des Pariser Vertrags gegründet wurde und 1952 in Kraft trat. Gründerstaaten waren Deutschland, Frankreich, Italien und die Beneluxländer (Belgien, Niederlande, Luxemburg). Mit diesem Zusammenschluss sollte ein gemeinsamer Markt für Kohle- und Stahlprodukte geschaffen werden, um eine gemeinsame europäische Energiepolitik zu verfolgen (also eine sektorale Integration). 1957 beschlossen die Länder der Montanunion mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Ziel dieses Zusammenschlusses, der 1958 in Kraft trat, war eine umfassende makroökonomische Integration. Schon der ursprüngliche EWG-Vertrag sah vor, über die Errichtung einer Zollunion die europäischen Länder so weit zu integrieren, dass später ein gemeinsamer Markt aufgebaut werden kann. Mit den Römischen Verträgen entstand auch Euratom (Europäische Atomgemeinschaft). Ziel war eine gemeinsame Betreibung der Kernenergieforschung in Europa und eine gemeinsame friedliche Nutzung der Atomenergie. 1967 „fusionierten“ diese drei Gemeinschaften zur Europäischen Gemeinschaft (EG). 23 <?page no="23"?> 24 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Während die Zollunion schon 1967, also relativ zügig, realisiert worden war, blieb die Weiterentwicklung hin zum Gemeinsamen Markt zunächst aus. Erst 1986, also fast 30 Jahre nach dem Start der EWG, wurde das Projekt erneut aufgegriffen, indem in der „Einheitlichen Europäischen Akte“ vereinbart wurde, bis zum 1.1.1993 den „Binnenmarkt“ zu vervollkommnen. Mit der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht 1992 (Inkrafttreten am 1.11.1993) fand eine neue Namensänderung statt: Die „Europäische Union“ (EU) wurde gegründet. Sie beruhte zunächst auf drei Säulen: a) der weiterhin fortbestehenden Europäischen Gemeinschaft (EG) mit ihrem gesamten bisherigen Rechtsbestand sowie der zusätzlich vereinbarten Wirtschafts- und Währungsunion; b) der neuen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP); c) der ebenfalls neuen Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik (ZJIP). Rechtspersönlichkeit besaß dabei nur die Europäische Gemeinschaft, nicht aber die Europäische Union als Dach der drei Säulen. Nach Anpassungen des EU-Vertrags durch die Verträge von Amsterdam (1997 beschlossen und 1999 in Kraft getreten) und von Nizza (2000 beschlossen und 2003 in Kraft getreten) wurde in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends ein weiterer Integrationsschritt anvisiert: eine EU-Verfassung. Zur Ratifizierung dieser EU-Verfassung waren in einigen Ländern Volksabstimmungen notwendig. Während die Referenden in Spanien und Luxemburg zu einem „Ja“ führten, versagte die Bevölkerung in Frankreich und den Niederlanden ihre Zustimmung, wonach der Ratifizierungsprozess abgebrochen wurde (2005). Nach einer „Denkpause“ wurde der sog. Reformvertrag (heute: Vertrag von Lissabon) formuliert, der die wesentlichen materiellen Inhalte des Verfassungsentwurfes enthält, aber nicht den Anspruch einer „Verfassung“ erhebt. Er wurde 2007 in Lissabon endgültig beschlossen und trat zum 1.12.2009 in Kraft. Mit dem Vertrag von Lissabon hat die EU nun auch eine eigene Rechtspersön- <?page no="24"?> Von der EWG zur EU 25 fit-lernhilfen.de lichkeit erhalten. Die Existenz der Europäischen Gemeinschaft und auch die Säulenstruktur der Gemeinschaft sind beendet. In den 1970er und 1980er Jahren war die Vertiefung des Integrationsprozesses zeitweilig ins Stocken geraten; dafür erweiterte sich der Kreis der Mitgliedsländer: 1973 traten Dänemark, Großbritannien und Irland der EG bei; 1981 kam Griechenland hinzu; 1986 erweiterte sich die Gemeinschaft um Spanien und Portugal; 1995 fand die Norderweiterung der EU um Österreich, Finnland und Schweden statt; 2004 erfolgte die Osterweiterung um acht mittel- und osteuropäische Länder (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen) sowie Malta und Zypern; 2007 traten Bulgarien und Rumänien bei. Seit 1.7.2013 ist Kroatien (ca. 4,5 Mio. Einwohner) das 28. Mitglied der Gemeinschaft. Man kann feststellen, dass außer bei der Norderweiterung 1995 stets ökonomisch schwächere Länder beigetreten sind, die ein deutlich geringeres Pro-Kopf-Einkommen hatten als die schon bestehende Gemeinschaft. (Siehe Tabelle 1.1 zu den Kennzahlen der bisherigen Erweiterungen.) In den 1990er Jahren wurde sodann die Vertiefung der Integration wieder forciert. Dabei wurde nicht nur zum 1.1.1993 offiziell der Binnenmarkt vollendet, sondern mit dem Vertrag von Maastricht, der Ende 1993 von allen Ländern ratifiziert worden war, wurde die Einrichtung einer Europäischen (Wirtschaftsund) Währungsunion (EWWU bzw. meist EWU) definitiv beschlossen. Seit 1999 gibt es daher eine Währungsgemeinschaft mit der gemeinsamen Währung Euro. Zunächst waren nur 11 Länder beteiligt (Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg, Spanien, Portugal, Niederlande, Österreich, Finnland, Irland). Seit dem 1.1.2001 gehört auch Griechenland zur Eurozone, und 2007 trat Slowenien als erstes osteuropäisches EU-Land bei. <?page no="25"?> 26 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Jahr Gemeinschaft/ neue Mitglieder Bevölk. in Mio. BIP in Mrd. Euro Pro-Kopf- BIP in Euro 1973 EG-6 (Deutschland, Frankreich, Italien, Benelux) 209 831 3.970 Neu: Großbritann., Dänemark, Irland 64 204 3.167 Neue Mitglieder / EG-6 in (%) 31 % 25 % 80 % 1981 EG-9 279 2.373 8.521 Neu: Griechenland 10 42 4.294 Neues Mitglied / EG-9 in (%) 4 % 2 % 50 % 1986 EG-10 290 3.057 10.543 Neu: Spanien, Portugal 49 258 5.319 Neue Mitglieder / EG-10 in (%) 17 % 8 % 51 % 1995 EU-12 350 7.509 21.453 Neu: Österreich, Schweden, Finnland 22 568 25.832 Neue Mitglieder / EU-12 in (%) 6 % 8 % 120 % 2004 2007 EU-15 376 7.983 21.232 Neu: 10 MOEL, Malta, Zypern 106 355 3.367 Neue Mitglieder / EU-15 in (%) 28 % 5 % 16 % 2013 EU-27 501 12.901 25.600 Kroatien 4,4 43,9 10.300 Kroatien / EU-27 0,88 % 0,34 % 40 % Quellen: IWF, eurostat; Tab. 1.1: Kennzahlen zu den EU-Erweiterungen <?page no="26"?> fit-lernhilfen.de 2009 kamen die Slowakei, Zypern und Malta zur Währungsgemeinschaft hinzu, 2011 Estland. Während die EU (seit Juli 2013) 28 Mitglieder zählt, bildet die Eurozone quasi einen „Club im Club“ mit (2013) 17 Mitgliedern. Als Gegenpol zur EG hatten sich in den 1960er Jahren andere europäische Länder zur EFTA (einer Freihandelszone) zusammengeschlossen. Mittlerweile sind jedoch alle Länder der EFTA außer Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz Mitglied der Europäischen Union geworden. Ziele der europäischen Integration Was wollte und will man im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses erreichen? Konzentrieren wir uns auf die wirtschaftlichen Aspekte der europäischen Integration, so findet sich im EWG-Vertrag von 1957 (Römische Verträge) als wesentlichste Zielsetzung die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes. Später kamen weitere Ziele hinzu. Für die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes sind im EWG- Vertrag eine Reihe von Maßnahmen aufgeführt worden, u.a.: Abschaffung der Zölle und der quantitativen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie aller anderen handelsbeschränkenden Einflüsse innerhalb der Gemeinschaft; Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs und einer gemeinsamen Handelspolitik gegenüber Drittländern; Realisierung freizügiger Faktorbewegungen (freier Personen- und Kapitalverkehr sowie Niederlassungsfreiheit der Unternehmen) und eines freien Dienstleistungsverkehrs; Durchführung einer gemeinsamen Agrar- und Verkehrspolitik; Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen; Abbau von Zahlungsbilanzungleichgewichten; Koordinierung und Annäherung der Wirtschaftspolitiken; Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, soweit sie für den gemeinsamen Markt von Bedeutung sind. 27 <?page no="27"?> 28 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Die ersten beiden Maßnahmen implizieren die Gründung einer Zollunion, die - nach offizieller Verlautbarung - auch 1968 schon weitgehend erreicht war. Auch eine gemeinsame Agrarpolitik wird seit Anfang der 1960er Jahre betrieben. Die anderen Planvorstellungen konnten jedoch bis 1992 noch nicht in gewünschtem Maße realisiert werden. Denn bis zur tatsächlichen Realisierung des Binnenmarktes (1.1.1993) gab es noch eine Reihe von Diskriminierungen zwischen den Partnerländern: So bestanden nach wie vor beträchtliche nicht-tarifäre Handelshemmnisse (z.B. nationale bürokratische Verfahrensweisen und Grenzformalitäten, unterschiedliche nationale technische Vorschriften und Normen, umständliche nationale Prüfungs- und Zulassungsverfahren für gehandelte Produkte, Herstellungsmethoden und Betriebsführungen, unterschiedliche Verbrauchssteuern, unterschiedliche Gesundheitsbestimmungen, unterschiedliche Sicherheitsvorschriften, unterschiedliche Lieferquoten und Importkontingente im Handel mit Drittländern, unterschiedliche Umweltschutzvorschriften, unterschiedliche Versicherungsschutzmaßnahmen, divergierende Produkthaftung usw.). Die Freiheit der Faktorbewegungen und des Dienstleistungsverkehrs war auch noch nicht vollständig hergestellt. Lediglich die volle Freizügigkeit der Arbeitskräfte war seit den 1980ern (de jure - nicht unbedingt de facto) beschlossen. Kapitalverkehrskontrollen wurden erst 1990 vollständig abgeschafft. Dienstleistungsfreiheit sowie die Niederlassungsfreiheit von Selbstständigen waren zwar geltendes Recht, aber es gab nach wie vor eine Vielzahl nationaler Vorschriften, die dieses Recht faktisch einschränkten. Dies galt insbesondere für die Niederlassungsfreiheit von Bankfilialen, für die grenzüberschreitenden Geschäfte von Versicherungen, für den Wertpapierhandel, für die Telekommunikation, die Werbung, die Datenverarbeitung usw. Die geplante einheitliche europäische Verkehrspolitik war vollkommen gescheitert. <?page no="28"?> Ziele der europäischen Integration 29 fit-lernhilfen.de Der nachhaltige Abbau von Zahlungsbilanzungleichgewichten und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitiken - also der Schritt in Richtung Wirtschaftsunion - war ebenfalls noch nicht gelungen. Die Beseitigung dieser verbliebenen Hindernisse der Integration wurde erst mit der Einführung des Binnenmarkt-Projektes (Einheitliche Europäische Akte, 1986) wirklich konsequent angegangen, also rund 30 Jahre nach Gründung der EWG. Trotzdem hatten die ersten Jahre nach Inkrafttreten des EWG- Vertrags schon ein kräftiges Wirtschaftswachstum in allen Mitgliedsstaaten bewirkt. Ende der 1960er Jahre begann der Integrationsprozess jedoch an Dynamik einzubüßen. Es entwickelte sich wieder vermehrt nationalstaatliches Denken, so dass gemeinsame Entscheidungen immer schwieriger wurden. Insbesondere auch die Notwendigkeit der Einstimmigkeit bei Entscheidungen im Ministerrat begrenzte weitere Integrationsbestrebungen in der EG. Der bis dahin erreichte Integrationsgrad wurde sogar tendenziell wieder verringert, indem der entfallene Zollschutz zunehmend durch nicht-tarifäre Handelshemmnisse ersetzt wurde. Die Erweiterung der EG in den 1970er und 1980er Jahren verstärkte diese Probleme. Die Erweiterung der Integrationsgemeinschaft um neue Mitgliedsländer und die Vertiefung der Integration sind nicht leicht gleichzeitig (und erfolgreich) zu realisieren. Je größer die Zahl der Mitglieder, je stärker die Interessen divergieren und je mehr Entscheidungen zu treffen sind, umso schwieriger wird der Prozess der Konsensbildung und umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Probleme als unlösbar befunden werden und somit nicht gemeinschaftlich gelöst werden. Der Integrationsprozess geriet hierdurch in den späten 1960er und in den 1970er Jahren zunehmend ins Stocken, weil sich der Ministerrat als weitgehend entscheidungsunfähig erwies, zugleich die Zahl der zu harmonisierenden nationalen Rechtsvorschriften aber immer größer wurde. Die Vorschläge der EG-Kommission wurden zunehmend komplizierter, weil möglichst den Wünschen aller Mitgliedsstaaten Rechnung getragen werden sollte, um die Chance einer Annahme im Ministerrat zu erhöhen. <?page no="29"?> 30 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen (1. und 2. Ölkrise; abnehmendes weltweites Wirtschaftswachstum; zunehmende weltweite Arbeitslosigkeit; wachsende Konkurrenz aus den Schwellenländern; zunehmender Protektionismus) unterstützten Tendenzen, die auch in Europa wieder integrationsschwächend waren (sog. Eurosklerose). Umso erstaunlicher war der 1986 getroffene Beschluss über die Einheitliche Europäische Akte, in der sich die Mitgliedsländer vertraglich verpflichteten, die Bedingungen für die Vollendung des EG-Binnenmarktes bis Ende 1992 zu schaffen und damit jene Integrationsschritte vorzunehmen, die in den 1960er Jahren geplant waren. In dieser Akte wird auch erstmals das Ziel einer „Europäischen Union“ bzw. einer „Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion“ explizit zum Ausdruck gebracht. Im Vertrag von Maastricht (Vertrag über die Europäische Union, 1993) wurden zudem weitere gemeinschaftliche Tätigkeitsfelder genannt (Art. 3 und 4 EG-Vertrag), die künftig neben den im EWG-Vertrag von 1957 genannten Zielen angegangen werden sollten: Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitik Gemeinsame Sozialpolitik mit Sozialfonds Stärkung des wirtschaftlichen Zusammenhaltes (Kohäsion) Gemeinschaftliche Umweltpolitik Gemeinschaftliche Industriepolitik Förderung von Forschung und technologischer Entwicklung Förderung transeuropäischer Netze (TEN) Beitrag zu einem hohen Gesundheitsschutzniveau Beitrag zur allgemeinen und beruflichen Bildung und Kultur Politik der Entwicklungszusammenarbeit Beitrag zum Verbraucherschutz enge Koordinierung der Wirtschaftspolitiken einheitliche Geld- und Wechselkurspolitik. Zu den einzelnen Vereinbarungen und Maßnahmen, die diesen Integrationsweg kennzeichnen, und inwieweit sie mittlerweile tatsächlich realisiert sind, kommen wir in den folgenden Kapiteln. Wir wenden uns zuvor aber den für die Gemeinschaft verantwortlichen Institutionen zu. <?page no="30"?> .de EU-Institutionen Die Europäische Union umfasst (seit Juli 2013) 28 Mitglieder mit ca. 508 Mio. Einwohnern. Ihre Entwicklung und ihre Aktivitäten sind geprägt durch ihre Institutionen, die im Folgenden kurz charakterisiert werden. Europäischer Rat Der Europäische Rat repräsentiert die oberste Ebene der Entscheidungskompetenz. Hier werden die Grundsatzentscheidungen getroffen. Mitglieder sind die Regierungsführer bzw. Staatspräsidenten der Mitgliedsländer. Der Europäische Rat tagt in der Regel zweibis viermal im Jahr mit halbjährlich wechselndem Vorsitz, um Grundsatzfragen und Leitlinien der europäischen Entwicklung zu beraten und zu entscheiden. Tagungsort ist jeweils im Land des Vorsitzenden (früher = Ratspräsident). Seit 2010 gibt es neben dem halbjährlich wechselnden Vorsitzenden den Ratspräsidenten mit zweieinhalbjähriger Amtszeit. Rat der Europäischen Union (Ministerrat) Der Rat der Europäischen Union ist quasi der „Gesetzgeber“ der EU mit Sitz in Brüssel. Im Ministerrat (oder kurz: Rat) sitzt jeweils ein Vertreter der Regierung jedes Mitgliedslandes; der Vorsitz wechselt halbjährlich zwischen den Teilnehmerstaaten. Je nach Themengebiet der anstehenden Entscheidungen treten Minister oder Staatssekretäre unterschiedlicher Ressorts im Rat zusammen (z.Zt. 10 unterschiedliche Zusammensetzungen des Ministerrates). Die zentralen Aufgaben bestehen in der Rechtsetzung (Legislative): Der Rat entscheidet über die von der Kommission vorbereiteten Rechtsakte. Er hat zudem die Befugnis, nach Abstimmung mit dem Europäischen Parlament, Abkommen mit anderen Ländern oder internationalen Organisationen zu beschließen. Er entscheidet darüber, ob Verhandlungen über den Beitritt zur Gemeinschaft aufgenommen werden. Hier - wie auch im Europäischen Rat - kommen einzelstaatliche (nationale) Interessen am stärksten zur Geltung. Von großer Bedeutung sind dabei die Entscheidungsre- 31 <?page no="31"?> 32 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de geln, die in den letzten Jahren mehrfach geändert wurden (siehe weiter unten). Europäische Kommission Die Europäische Kommission (mit Sitz in Brüssel) gilt offiziell als Exekutive. Sie wird oft als „Unabhängige Europäerin und Motor der europäischen Einigung, als Hüterin der Verträge und Stimme Europas in der Welt“ bezeichnet. Sie führt die Beschlüsse des Ministerrates aus, bereitet aber auch seine Entscheidungen vor und kontrolliert die Einhaltung der Rechtsvorschriften der EU. In den Bereichen Kohle, Stahl, Energie und Agrarmarkt hat sie auch eigene Entscheidungsbefugnisse. Da zudem allein die Kommission Gesetzesinitiativen entwickeln kann (ohne einen Vorschlag der Kommission ist kein neues EU-Gesetz möglich), hat sie aber letztlich neben ihrer exekutiven auch eine legislative Macht. Und im Bereich der Wettbewerbspolitik kann sie selbständig Geldbußen verhängen, so dass auch judikative Elemente vorzufinden sind. Dies ist eigentlich inkompatibel mit den klassischen Prinzipien der Gewaltenteilung, zumal die Kommission weder von einem Parlament gewählt, noch der Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig ist (Entscheidungen finden hinter verschlossenen Türen statt, es gibt keine Protokolle über die Abstimmungsverhältnisse). Die Kommission besteht derzeit (2013) aus 28 Mitgliedern (Kommissare), die von den Regierungen der einzelnen EU-Staaten entsandt werden. Laut Vertrag von Lissabon sollten es ab 2014 nur noch 18 Kommissare sein (inwieweit dies umgesetzt wird, ist allerdings fraglich). Beschlüsse erfolgen mit einfacher Mehrheit. Die Kommission hat entsprechend den unterschiedlichen Themenbereichen verschiedene Generaldirektionen (derzeit 33). Die Kommissare werden für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. In der Kommission werden genuin EU-Interessen vertreten, d.h. unter anderem, dass ein Interesse an einer Ausweitung der EU- Einflussnahme und der EU-Befugnisse besteht. Dieses kann damit erklärt werden, dass damit auch die Macht und das Prestige der Kommission selbst steigt. <?page no="32"?> EU-Institutionen 33 fit-lernhilfen.de Europäisches Parlament Das Europäische Parlament ist das einzige demokratisch legitimierte Organ der EU. Es tagt in Straßburg (Plenarsitzungen) und in Brüssel (Ausschusssitzungen). Es setzt sich derzeit (2013) aus 754 Mitgliedern zusammen, die seit 1979 im 5-Jahres-Rhythmus bei den Europa-Wahlen in den Mitgliedsländern gewählt werden. Die Zahl der von jedem Mitgliedsland entsendeten Abgeordneten hängt weitgehend von der jeweiligen Bevölkerungszahl ab, allerdings sind kleine Staaten deutlich überrepräsentiert. So hat Malta z.B. 6 Sitze, was einen Sitz pro 66.000 Bürger bedeutet. Deutschland hat ab 2014 dagegen 96 Sitze, was einen Sitz pro 860.000 Einwohner bedeutet (derzeit hat Deutschland noch 99 Sitze). Mit der Europawahl 2014 werden noch einige Länder einen Sitz verlieren, da ab Juli 2013 Kroatien mit 12 Sitzen hinzugekommen ist. Das Europaparlament wirkt an der Erstellung des Haushalts mit, es berät den Ministerrat, hat Anhörungsrecht bei den Haushaltsbeschlüssen, darf Anfragen und auch Misstrauensvoten stellen. Insgesamt hat das Europäische Parlament im Vergleich zum Ministerrat immer noch begrenzte Befugnisse. Es hat allerdings mittlerweile ein Vetorecht bei nahezu allen Rechtsakten und wird daher zunehmend vorab in die Entscheidungsfindung mit einbezogen. Trotzdem hat das Europäische Parlament keine eigenständige Entscheidungsbefugnis, sondern immer nur im Zusammenspiel mit den anderen Gremien - dem Ministerrat und der Kommission. Die geringe Wahlbeteiligung bei den Europawahlen zeigt zudem, dass es dem Parlament noch zu wenig gelingt, seine Rolle und seine Positionen den nationalen Wählern zu vermitteln. Europäischer Gerichtshof Er hat seinen Sitz in Luxemburg und entscheidet in den EU- Rechtsangelegenheiten auf Grundlage der existierenden Gemeinschaftsverträge. Er besteht aus 28 Richtern, die jeweils eine Amtszeit von 6 Jahren haben. <?page no="33"?> 34 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Europäischer Rechnungshof Er ist für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausgaben und Einnahmen der Gemeinschaft verantwortlich. Er besteht aus 28 Mitgliedern. Sein Sitz ist in Luxemburg. Europäische Zentralbank (EZB) Sie hat ihren Sitz in Frankfurt und ist für die Liquiditätsausstattung in der Währungsunion und die einheitliche Geld- und Währungspolitik verantwortlich. Die laufenden Entscheidungen trifft das Direktorium. Es besteht aus dem Präsidenten der EZB sowie 5 weiteren Mitgliedern. Daneben gibt es noch den Zentralbankrat. Er besteht aus den Direktoriumsmitgliedern sowie den nationalen Notenbankpräsidenten der Eurozone (zur EZB noch Genaueres in Etappe 6). Entscheidungsregeln Ein wesentlicher Aspekt in einer solchen Gemeinschaft wie der EU mit Mitgliedern sehr unterschiedlicher Größe, Interessenlage und wirtschaftlicher Bedeutung sind die Entscheidungsregeln in diesen gemeinsamen Institutionen. Zum Gewicht der einzelnen Länder in den Entscheidungsprozessen des Ministerrates und des Parlaments seit dem Vertrag von Nizza (2000 beschlossen, 2003 in Kraft getreten) siehe Tabelle 1.2. Im Hinblick auf die Osterweiterung der EU und die damit verbundene Erhöhung der Mitgliederzahl von 15 auf 27 wurden im Vertrag von Nizza die Entscheidungsregeln in der EU angepasst. Sie gelten noch aktuell (2013), werden aber mit dem Vertrag von Lissabon 2014 erneut verändert. Die wesentlichen Reformbeschlüsse von Nizza waren: Stimmengewichtung: Ziel war es, die Stimmengewichtung der einzelnen Länder im Ministerrat so zu ändern, dass den unterschiedlichen Bevölkerungszahlen besser Rechnung getragen wird. <?page no="34"?> Entscheidungsregeln 35 fit-lernhilfen.de EU - Mitglieder* Bevölkerung in Mio (2011) Stimmen im Rat 2013 Parlamentssitze Deutschland 81,75 29 99 Frankreich 65,08 29 74 Großbritannien 62,44 29 73 Italien 60,63 29 73 Spanien 46,15 27 54 Polen 38,20 27 51 Rumänien 21,41 14 33 Niederlande 16,65 13 26 Griechenland 11,33 12 22 Belgien 10,92 12 22 Portugal 10,64 12 22 Tschechien 10,53 12 22 Ungarn 9,99 12 22 Schweden 9,42 10 20 Österreich 8,40 10 19 Bulgarien 7,50 10 18 Dänemark 5,56 7 13 Slowakei 5,43 7 13 Finnland 5,38 7 13 Irland 4,48 7 12 Litauen 3,24 7 12 Lettland 2,23 4 9 Slowenien 2,05 4 8 Estland 1,34 4 6 Zypern 0,80 4 6 Luxemburg 0,51 4 6 Malta 0,42 3 6 * EU-27 (noch ohne Kroatien); Kroatien erhält 12 Sitze. Tab. 1.2: Stimmrechte in der EU seit Nizza (2003) für EU-27 <?page no="35"?> 36 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Die Relation der Stimmrechte zwischen kleinen und großen Ländern ist jetzt tatsächlich etwas stärker an der Bevölkerungszahl orientiert - mit Ausnahme der Stimmen Deutschlands. Hier besteht ein krasses Missverhältnis zur (großen) Bevölkerungszahl. Dafür hat Deutschland allerdings nun ein etwas stärkeres Gewicht als zuvor im Europaparlament bekommen. Hier wurde die Ausrichtung der Sitze an der Bevölkerungszahl verstärkt. Mehrheitsentscheidungen: Ziel war es, die Anzahl jener Bereiche, für die bisher Einstimmigkeit verlangt wurde, deutlich zu reduzieren. Ein nationales Vetorecht wurde nun auch tatsächlich in vierzig von siebzig Artikeln gestrichen. Bei den Verhandlungen dominierten jedoch sehr stark nationale Egoismen, so dass es eine Reihe von Sonderregelungen gibt. Einstimmigkeitsbedarf besteht nach wie vor bei Beschlüssen zu Steuern, Sozialpolitik, Asyl- und Einwanderungspolitik sowie in wesentlichen Bereichen der Handelspolitik und der Strukturpolitik. Zudem wurde nun das Instrument der Mehrheitsentscheidung sogar komplizierter als zuvor: Mehrheitsentscheidungen müssen grundsätzlich „qualifizierte“ Mehrheitsentscheidungen sein. Bei der EU-27 bedeutete dies 255 von 345 Stimmen (Sperrminorität: 90 Stimmen). Dazu müssen 73,8 Prozent der Stimmen im Ministerrat zusammen kommen. Als weitere Hürde muss gleichzeitig eine einfache Mehrheit der Staaten zustimmen. (Grund: Seit der Erweiterung könnten die 11 größten Länder eine qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte erreichen, würden aber nicht die Mehrheit der Länder repräsentieren.) Auf Antrag kann nach der Abstimmung geprüft werden, ob die Entscheidung wenigstens 62 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung repräsentiert. Rein rechnerisch kann nach Maßgabe dieses letzten Kriteriums Deutschland zusammen mit Frankreich und Großbritannien oder Italien nun eine Entscheidung verhindern. Ginge es nur nach der Stimmenzahl im Rat, bräuchten drei große Länder für die Sperrminorität dagegen noch die Unterstützung eines kleineren Partners. Dies stützt also die großen Länder, die ja (bezogen auf die Bevölkerung) nur unterproportionale Stimmrechte haben. <?page no="36"?> 37 fit-lernhilfen.de Ab 2014 ist nach dem Vertrag von Lissabon die sog. „Doppelte Mehrheit“ relevant, d.h. diejenigen, die für eine Entscheidung stimmen, müssen 55 Prozent der Länder und 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, um Erfolg zu haben. Alle Länder haben nun dasselbe Stimmrecht (one country one vote). (Auf Antrag kann bis 2017 aber auch die Nizzaregel angewandt werden.) Größe der Kommission: Die fünf EU-Länder, die früher zwei Kommissare stellten, mussten ab November 2004 auf einen ihrer beiden Kommissare verzichten. Damit stellt jetzt jedes Land einen Kommissar. Laut Vertrag von Lissabon sollte es ab 2014 nur noch 18 Kommissare geben. Irland wurde jedoch nun zugesagt, dass es auf jeden Fall seinen Kommissar behalten kann. Verstärkte Zusammenarbeit: Die bereits im Amsterdamer Vertrag (1997) vorgesehene Möglichkeit einer kleineren Ländergruppe, in der Integration schneller voranzuschreiten, wurde erleichtert. Die Gruppe muss allerdings mindestens ein Drittel der Mitgliedsländer umfassen, und die verstärkte Zusammenarbeit darf kein „closed shop“ sein. Die verstärkte Zusammenarbeit in einzelnen Bereichen innerhalb einer kleineren Gruppe soll jedoch nur als „letztes Mittel“ genutzt werden, wenn die angestrebten Ziele nicht in einem vertretbaren Zeitraum für die gesamte EU erreichbar sind. Es zeigt sich, dass die institutionellen Rahmenbedingungen dieser immer größer und komplexer werdenden Gemeinschaft häufig angepasst werden müssen, um sie entscheidungs- und funktionsfähig zu halten. Dies wurde auch in der letzten Anpassung der Gemeinschaftsverträge - durch den Vertrag von Lissabon - fortgeführt. Der Vertrag von Lissabon Der Vertrag von Lissabon besteht aus dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) und aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, früher EGV: Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft). Im EUV finden sich die Grundsätze, Ziele und grundlegenden organisatorischen Regelungen der EU. Im AEUV werden die Bestimmun- <?page no="37"?> 38 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de gen genauer für die einzelnen Politikbereiche ausgeführt. Die Bestimmungen des Lissabon-Vertrags wurden in die zuvor schon bestehenden Verträge integriert. Nach dem Scheitern der EU-Verfassung durch die Ablehnung in Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden (2005) unterzeichneten die europäischen Staats- und Regierungschefs am 13. Dezember 2007 den Vertrag von Lissabon und beendeten damit die mehrjährigen Verhandlungen über die institutionelle Reform der EU. Der Ratifizierungsprozess zögerte sich allerdings auch wieder hinaus, da die Iren zunächst in einer Volksabstimmung mit „Nein“ stimmten und erst Anfang Oktober 2009 (nach einigen Zugeständnissen von Seiten der EU) in einer weiteren Volksabstimmung mit „Ja“ stimmten. Durch den Vertrag von Lissabon wollte und will die EU den rechtlichen und institutionellen Rahmen schaffen, der auch künftig den gemeinsamen Integrationsweg für eine doch sehr heterogene Integrationsgemeinschaft sichert. Dazu ist der Vertrag auf vier große Ziele ausgerichtet: Ein demokratischeres und transparenteres Europa Ein stärkeres Europäisches Parlament: Insbesondere wurden die Kompetenzen des Europäischen Parlaments in Bezug auf die Rechtsprechung, den Haushalt und internationale Übereinkommen erweitert. Stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente: Die Einhaltung des „Subsidiaritätsprinzips“ wird verstärkt angestrebt und kontrolliert, damit die EU nur Aufgaben übernimmt, die sie effizienter als die nationalen Entscheidungsträger erfüllen kann, so dass die nationalen Parlamente wieder eine größere Rolle spielen. Stärkeres Mitspracherecht der Bürger: Eine Bürgerinitiative ist möglich (ab einer Million Bürger aus verschiedenen Mitgliedsstaaten). <?page no="38"?> Der Vertrag von Lissabon 39 fit-lernhilfen.de Freiwilliger Austritt aus der Union: Erstmalig wird die Möglichkeit des Austritts eines Mitgliedsstaates aus der Union thematisiert. Moderne und effiziente Institutionen Schnelle und effiziente Entscheidungsfindung: Die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rat wird ausgedehnt. Ab 2014 ist eine qualifizierte Mehrheit erreicht, wenn 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die gemeinsam mindestens 65 Prozent der europäischen Bevölkerung auf sich vereinen, zustimmen (doppelte Mehrheit). Stabilere und schlankere Institutionen: Die Zusammensetzung des Parlaments wird verändert (max. 751 Abgeordnete; mindestens 6 und maximal 96 Sitze für ein Land). Die Kommission soll verkleinert werden (auf 2/ 3 der Mitgliederzahl). Erstmals wird ein Präsident des Europäischen Rates gewählt. Ein Europa der Rechte und Werte, der Freiheit, Solidarität und Sicherheit Demokratische Werte: Der Vertrag von Lissabon nennt und bekräftigt die Werte und Ziele, auf denen die Europäische Union aufbaut. Bürgerrechte und Charta der Grundrechte. Freiheiten der europäischen Bürger: Der Vertrag von Lissabon garantiert und stärkt die „vier Grundfreiheiten“ sowie die politische, wirtschaftliche und soziale Freiheit der europäischen Bürger. Europa als „Global Player“ Ein „Hoher Vertreter“ der Europäischen Union für die Außen- und Sicherheitspolitik wird eingeführt, unterstützt von einem Europäischen Auswärtigen Dienst. Die Europäische Union erhält eine eigene Rechtspersönlichkeit, die die Position der EU im globalen Umfeld stärkt. <?page no="39"?> .de Zwischenstand: Fragen und Antworten Fragen und Antworten Fit für die Prüfung? Beantworten Sie die folgenden Fragen und finden Sie heraus, ob Sie die Inhalte dieser Etappe verinnerlicht haben. (Es können keine, eine oder mehrere Antworten richtig sein.) Die Lösungen stehen online bereit. Folgen Sie einfach dem QR- Code am Ende des Fragenkatalogs oder dem Link: fit-lernhilfen.de/ europa/ 1.htm Addieren Sie die Fit-Punktzahlen der korrekt beantworteten Fragen, die in der eckigen Klammer angegeben sind, und notieren diese in der Auswertung am Ende des Buches, um den eigenen Fitness-Stand zu errechnen. Was sind Beispiele für Marktintegration? [1 Fit-Punkt] Freihandelszone Gemeinsame Marktordnung Präferenzzone Währungsunion Was bedeutet „negative“ Integration? [2 Fit-Punkte] Die Integration wird wieder zurück genommen. Es werden Handelshemmnisse abgebaut. Die Integration hat einen negativen Wohlfahrtseffekt. Es werden ungewünschte Maßnahmen ergriffen. 40 <?page no="40"?> Fragen und Antworten 41 fit-lernhilfen.de Der Beginn der Europäischen Integration der Nachkriegszeit ist gekennzeichnet durch … [2 Fit-Punkte] den Zusammenschluss von vier westeuropäischen Ländern zur EWG. die Gründung der Montanunion. die Vollendung der Zollunion 1958 mehrere (sektorale bzw. gesamtwirtschliche) Zusammenschlüsse mehrerer europäischer Staaten in den 1950er Jahren. Welche Aussage(n) ist/ sind richtig? [3 Fit-Punkte] Deutschland, Belgien und Österreich waren unter den Gründungsmitgliedern der EWG. Frankreich, Niederlande und Schweden gehören zur Eurozone. Norwegen, Tschechien und die Schweiz sind nicht Mitglied der EU. In den 1990er Jahren sind Schweden, Finnland und Dänemark der EU beigetreten. Von der Marktintegration wird erwartet, … [2 Fit-Punkte] dass die Arbeitsteilung effizienter wird. dass durch die Ausdehnung der Absatzmärkte Massenproduktionsvorteile entstehen. dass die Partnerländer sich nicht mehr so viel Konkurrenz machen. <?page no="41"?> 42 Etappe 1: Der Europäische Integrationsprozess fit-lernhilfen.de Institutionelle Integration … [2 Fit-Punkte] fordert oft eine stärkere Zentralisierung der Entscheidungen, um Reibungsverluste zu verringern. kann durch zu viel Bürokratie die Produktivität und Effizienz im Integrationsraum auch verringern. erhöht den Wettbewerb der Systeme. Der Begriff Eurosklerose … [1 Fit-Punkt] bezeichnet Rückschritte im europäischen Integrationsprozess in den 1970er Jahren. bezeichnet die aktuelle Krise des Euro. bezeichnet die grundlegende Schwäche Europas in den 1950er Jahren. Welche Entscheidungsregel(n) gilt/ gelten ab 2014 im Ministerrat? [3 Fit-Punkte] Die Mitgliedsländer haben ein unterschiedliches Stimmengewicht. Die Abstimmungen erfolgen nach Maßgabe der einfachen Mehrheit. Die Abstimmungen erfolgen nach Maßgabe der doppelten Mehrheit. Deutschland und Frankreich zusammen können eine Entscheidung verhindern. <?page no="42"?> Fragen und Antworten 43 Laut dem Vertrag von Lissabon… [3 Fit-Punkte] werden die nationalen Parlamente weniger Einfluss bekommen. wird der Austritt eines Mitgliedslandes möglich sein. wird das Subsidiaritätsprinzip geschwächt. werden alle Entscheidungen künftig mit einfacher Mehrheit getroffen werden können. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [3 Fit-Punkte] In der Europäischen Kommission werden vor allem nationale Interessen vertreten. Der Ministerrat ist dem Europäischen Parlament untergeordnet. Die Europäische Kommission gilt als Motor der Europäischen Integration. Wie viele Sitze ein Land im Europäischen Parlament hat, hängt davon ab, wie viele Wähler dieses Landes bei der Europawahl ihre Stimme abgegeben haben. Ihr Punktestand Etappe 1 [ Fit-Punkte] <?page no="44"?> Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt Von der Zollunion zum Binnenmarkt <?page no="45"?> 46 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de Startschuss: Schlagchlagwörter und Prüfungstipps Schlagwörter und Prüfungstipps Was erwartet mich in diesem Kapitel? In diesem Kapitel wird die europäische Marktintegration betrachtet, d.h. Zollunion und Binnenmarkt. Dabei werden zunächst aus der Zollunionstheorie die Wohlfahrtswirkungen einer Zollunion abgeleitet und danach die theoretisch möglichen Wirkungen der vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes analysiert. Sodann geht es um die faktische Umsetzung dieser Integrationsstufen in der EU: Haben sich die Erwartungen bezüglich der Handelsintensivierung erfüllt? Welche Wirkungen können Arbeitskräftewanderungen (Migration) haben? Welche Schlagwörter lerne ich kennen? Freihandel Zollwirkungen optimale Allokation Terms of Trade Aufschließungseffekt Abschließungseffekt Handelsschaffung Handelsumlenkung Wohlfahrtseffekte der Zollunion vier Grundfreiheiten Äquivalenzprinzip Ursprungslandprinzip Bestimmungslandprinzip Cecchini Bericht Arbeitskräftewanderung Welchen Prüfungstipp kann ich aus diesem Abschnitt ziehen? Die Wirkungen der regionalen (Markt)Integration können nur verstanden werden, wenn Grundkenntnisse aus der Außenhandelstheorie über Freihandel und Protektionismus vorhanden sind. Um den Europäischen Binnenmarkt richtig einordnen zu können, sollte darüber hinaus bekannt sein, was für die faktische Umsetzung der vier Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes alles notwendig war und ist. Um die Ausführungen zur Integration der Arbeitsmärkte zu verstehen, sind Grundkenntnisse der Arbeitsmarkttheorie gefragt. <?page no="46"?> Wohlfahrtseffekte einer Zollunion 47 fit-lernhilfen.de Nicht nur die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen sind in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen (Globalisierung), sondern auch die regionalen Integrationsprojekte (wie NAFTA, Mercosur oder ASEAN) haben zugenommen. Weltweit versprechen sich somit viele Staaten positive Effekte von der Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes, wobei sich die gemeinsamen Aktivitäten als erstes stets auf die Einrichtung einer Freihandelszone oder Zollunion konzentrieren. Im Folgenden sollen daher zunächst die Wohlfahrtswirkungen einer Zollunion ausführlicher betrachtet werden. Traditionelle Wohlfahrtseffekte einer Zollunion Wir beginnen mit der theoretischen Analyse der ersten Integrationsstufen, die vor allem den Freihandel fördern wollen. Die traditionellen Vorteile von Freihandel sollten bekannt sein: Optimale Allokation der Ressourcen: Die Güter können dort produziert werden, wo komparative Vorteile ihrer Produktion bestehen. Güter, bei denen ein Land komparative Nachteile hat, können importiert werden. Damit werden die vorhandenen Ressourcen jedes Landes auf die Produktion von Gütern konzentriert, die es besonders effizient herstellen kann (Effizienzsteigerung). Wachstum: Durch die optimale Allokation der Ressourcen werden keine Ressourcen verschwendet, und es kann mehr produziert werden, als wenn jedes Land auch Güter herstellt, bei denen es komparative Nachteile hat. Ein größeres Güterangebot bedeutet eine höhere Wertschöpfung, damit ein höheres gesamtwirtschaftliches Einkommen, gestiegene Verbrauchsmöglichkeiten und somit positive Wohlfahrtseffekte. Anstieg der Konsumentenrente: Durch Freihandel haben die Verbraucher die Möglichkeit, im Ausland billiger angebotene Güter zu erwerben. Damit müssen sie nur einen geringeren Teil ihrer Zahlungsbereitschaft dafür bereitstellen, so dass ihre „Rente“ steigt. <?page no="47"?> 48 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de Um nun die Wirkungen einer Zollunion, d.h. die Aufhebung von Zöllen innerhalb einer Region, zu analysieren, muss man sich zunächst noch einmal die Wirkungen der Einführung von Zöllen ins Gedächtnis rufen: Durch den Einsatz von Importzöllen finden Produktionsverlagerungen von einer Niedrigkostenproduktion im Ausland zu einer kostenintensiveren Produktion im Inland statt. Unter der Annahme der Vollbeschäftigung der Produktionsfaktoren (klassische Sicht) erfolgt hierdurch eine ineffiziente Allokation der (knappen) Ressourcen und damit eine nichtoptimale Produktionsmenge. Zugleich müssen die Inländer nun teurere heimische Güter anstelle von billigeren Importgütern erwerben, wodurch sich der Realwert ihres Einkommens vermindert. Wird allerdings die Nachfrage nach Importgütern sehr stark eingeschränkt und ist zugleich das durch einen Zoll geschützte Land sehr groß, so kann dieser Nachfragerückgang auf den Weltmärkten zu einem Preisverfall des Gutes führen, so dass sich die Terms of Trade des den Zoll erhebenden Landes verbessern (Optimalzoll). Im Rahmen der Theorie der Zollunion werden die Wohlfahrtseffekte eines regionalen Abbaus von Handelshemmnissen bei Beibehaltung von Handelsschranken gegenüber Drittländern untersucht. Die traditionelle Zollunionstheorie baut allerdings auf vielen vereinfachenden Annahmen auf: Vollständige Konkurrenz (keine Monopole, keine Oligopole) homogene Güter keine Skaleneffekte keine technologischen oder anderen Marktzutrittsbarrieren keine Entwicklung neuer Produkte kein technischer Fortschritt. In der Realität sind diese Annahmen natürlich nicht gegeben, so dass sich neben den traditionellen Zollunionswirkungen auch noch andere ableiten lassen. Es werden daher sogenannte statische und <?page no="48"?> Wohlfahrtseffekte einer Zollunion 49 fit-lernhilfen.de dynamische Integrationseffekte unterschieden. Die statischen Effekte beziehen sich auf die traditionellen Wohlfahrtswirkungen, die aus einer effizienteren Allokation der Ressourcen in dem neu gebildeten Wirtschaftsraum resultieren (aber auch auf mögliche Wohlfahrtsverluste, die aus einer ineffizienteren Allokation resultieren, wenn sogenannte Abschließungseffekte gegenüber Drittländern auftreten). Die statischen Auswirkungen ergeben sich aus einmalig entstehenden, aber dann dauerhaft bestehen bleibenden Produktionsveränderungen, Konsumveränderungen und Veränderungen der Terms of Trade. Sie resultieren letztlich aus einmalig notwendigen Anpassungen der interregionalen Spezialisierung im Zuge einer Verringerung von Handelshemmnissen. Dynamische Wohlfahrtseffekte ergeben sich dagegen durch den Einfluss der Integration auf die Marktdynamik, d.h. auf bestimmte Wachstumsfaktoren. Hier geht es im Einzelnen um den Einfluss auf die Marktgröße, die Marktstrukturen und den technologischen Fortschritt. Die dynamische Analyse rückt längerfristige Auswirkungen und sich verselbständigende Effekte in den Vordergrund. (Genaueres hierzu einige Seiten weiter.) Wie sehen nun die statischen Wohlfahrtseffekte einer Zollunion konkret aus? Infolge der Errichtung einer Zollunion entfällt die Diskriminierung zwischen der heimischen Produktion und der Produktion aus den Mitgliedsstaaten der Zollunion; die Benachteiligung von Gütern aus Drittländern kann jedoch zunehmen. Einerseits wird zwischen den Mitgliedsstaaten der Zollunion der Handel durch den Abbau der Handelshemmnisse intensiviert. Andererseits ergeben sich relative Preisverschiebungen zwischen Drittländern und Mitgliedsländern, so dass sich Produktionsverlagerungen in den Integrationsraum hinein ergeben können. Insgesamt ergeben sich hierdurch sowohl handelsschaffende als auch handelsumlenkende Effekte, d.h. Aufschließungs- und Abschließungseffekte. <?page no="49"?> 50 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de Gegenüber einer vorherigen Situation eines allgemeinen Protektionismus beinhaltet der Übergang zu einer Zollunion Preisvorteile für die Verbraucher im Integrationsraum. Trotzdem kann der Fall entstehen, dass durch die ausgelöste Handelsumlenkung von Drittländern zu Partnern in der Zollunion letztlich eine ineffizientere weltweite Produktionsstruktur entsteht als zuvor. Es kann sich also eine Spezialisierung ergeben, die nicht den grundlegenden (ohne Zollbelastung berechneten) komparativen Kostenvorteilen entspricht. Sie kann sogar ineffizienter sein als die Spezialisierung bei einem nichtdiskriminierenden allgemeinen Zoll gegenüber allen Handelspartnern. Tab. 2.1 zeigt dies an einem Zahlenbeispiel: Deutschland, Frankreich und Japan produzieren ein vergleichbares Auto, Japan ist dabei am günstigsten, Deutschland am teuersten. Bei Freihandel wird Deutschland japanische Autos importieren. Gilt in Deutschland ein 25-prozentiger Importzoll gegenüber ausländischen Autos, ist Japan immer noch günstiger als Deutschland. Es findet immer noch ein Import aus Japan statt. Der Verbraucher zahlt jetzt allerdings mehr als zuvor, da der Importzoll zu begleichen ist. Dieses Geld bleibt aber im Lande, da die Zolleinnahmen dem deutschen Staat zufließen. Bei einem 50-prozentigen Importzoll sind dagegen auch die japanischen Autos für den deutschen Konsumenten zu teuer, es findet kein Import mehr statt. Schließen sich nun Deutschland und Frankreich zu einer Zollunion zusammen, so können französische Autos ohne Zoll importiert werden, während japanische immer noch mit einem Zoll belastet sind. Lag zuvor ein 25-prozentiger Zoll auf allen ausländischen Autos (Zeile 2), so führt die Zollunion nun zu einem Abschließungseffekt bzw. Handelsumlenkungseffekt von Japan nach Frankreich (Zeile 4). Es fand auch vorher schon Handel statt, doch nun wird aus Frankreich statt aus Japan importiert. Handel wird also von Drittländern in die Zollunion umgelenkt. <?page no="50"?> .de Tab. 2.1.: Auf- und Abschließungseffekte einer Zollunion 51 <?page no="51"?> 52 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt .de Aber: Das Auto wird nun in einem Land mit höheren Produktionskosten gekauft. Der Verbraucher zahlt zwar weniger (24.000 statt 25.000), aber die deutsche Volkswirtschaft zahlt höhere Preise an das Ausland (24.000 statt 20.000). Die Terms of Trade verschlechtern sich, da höhere Importpreise an das Ausland gezahlt werden. Der deutsche Staat verliert Zolleinnahmen (- 5.000). Lag zuvor jedoch ein 50-prozentiger Zoll auf allen ausländischen Autos (Zeile 3), so führt die Zollunion nun zu einem Aufschließungseffekt: Da zuvor der Zoll so hoch war, dass gar nicht importiert wurde, führt die Zollunion mit Frankreich nun zu einer Handelsschaffung, nämlich dem Import aus Frankreich (Zeile 5). Das Auto wird nun in einem Land gekauft, wo es billiger produziert wird. Merke: Die Terms of Trade geben die Relation der Exportpreise zu den Importpreisen an. Ein Importzoll erhöht nicht die an das Ausland zu zahlenden Importpreise, sondern nur den Verbraucherpreis des inländischen Konsumenten. Die Zolleinnahmen bleiben also im Inland. Wenn die deutschen Verbraucher nun das zollfreie französische Auto kaufen statt das mit einem Zoll belastete (aber vom Grundpreis billigere) japanische Auto, steigen die Importpreise, die an das Ausland gezahlt werden - die deutschen Terms of Trade verschlechtern sich, und die Zolleinnahmen des deutschen Staates sinken. Eine verbesserte Allokation in Richtung komparativer Kostenvorteile entsteht also immer dann, wenn bisherige Eigenproduktion aufgegeben wird zu Gunsten von Importen aus einem günstigeren Land (Aufschließungseffekte). Unter der Annahme der Vollbeschäftigung (neoklassisches Szenario) fließen freigesetzte Ressourcen reibungslos in andere Verwendungsrichtungen, so dass sich dabei auch keine Beschäftigungsverluste ergeben, sondern nur positive Konsumeffekte. Da der Eintritt in die Zollunion nicht nur auf der Importseite wirkt, sondern auch auf der Exportseite, werden Ressourcen umgelenkt von der (ineffizienteren) Importsubstitutionsgüterindustrie zur (effizienteren) Exportgüterindustrie. Durch diese verbesserte Allokation ergeben sich positive Produktions- und Einkommenseffekte mit entsprechenden Multiplikatorwirkungen. <?page no="52"?> Traditionelle Wohlfahrtseffekte einer Zollunion 53 fit-lernhilfen.de Mit dem steigenden Einkommen erhöht sich im Übrigen auch allgemein die Importnachfrage, die dann auch Drittländern zu Gute kommen kann. Bei der Handelsumlenkung dagegen werden letztlich zu teure Importgüter aus dem Partnerland der Zollunion bezogen. Allerdings profitiert ein Zollunionsland von einer solchen Handelsumlenkung natürlich entsprechend im Exportbereich, da es nun im Vergleich zu Drittländern in der Zollunion preislich günstiger anbieten kann. Insgesamt resultiert aber eine verschlechterte Allokation, da nun vermehrt im Partnerland mit den höheren Produktionskosten gekauft wird statt im kostengünstigeren Drittland. Hieraus folgt: Die Einführung einer Zollunion führt im Vergleich zur vorherigen Situation eines alle Länder gleichermaßen betreffenden Zolls in der Regel zur Verringerung der Konsumentenpreise im Integrationsraum. Wird bisherige Eigenproduktion nun durch die günstigeren Importe aus dem Zollunions-Partnerland ersetzt, so entsteht eine verbesserte Allokation im Integrationsraum. Aufgrund der zollbedingten Benachteiligung der Drittstaaten besteht kann sich allerdings ein Spezialisierungsmuster entwickeln, das nicht den grundlegenden (ohne Zollbelastung berechneten) komparativen Kostenvorteilen entspricht und das auch ineffizienter sein kann als das Spezialisierungsmuster bei Vorliegen eines nicht diskriminierenden allgemeinen Zolls. Die Erfolgsaussichten einer Zollunion sind daher umso größer, je höher die Zolltarife zwischen den Partnerstaaten vor Einführung der Zollunion waren (großer Aufschließungseffekt); je geringer die Zölle gegenüber Drittstaaten sind (geringer Abschließungseffekt); je größer das Zollunionsgebiet ist (geringer Abschließungseffekt, großer Aufschließungseffekt); je höher der Grad der Substituierbarkeit zwischen den Zollunionsländern ist (ausgeprägte technische Möglichkeiten der <?page no="53"?> 54 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de internationalen Arbeitsteilung innerhalb der Zollunion, die zumeist an ein relativ ähnliches Entwicklungsniveau der beteiligten Volkswirtschaften gebunden sind); je komplementärer die Produktionsstrukturen zwischen Zollunionsländern und Drittländern sind (geringe Beeinträchtigung dieser Handelsbeziehungen); je geringer die Transportkosten in der Zollunion sind, je größer also z.B. die geographische Nähe der Unionsstaaten ist; je höher die Anzahl der effizienten Anbieter innerhalb der Zollunion und je geringer die Anzahl der effizienten Anbieter in den Drittstaaten ist. Dynamische Wohlfahrtseffekte der Zollunion Im Gegensatz zu den bisher analysierten Wohlfahrtswirkungen einer Zollunion, die v.a. die unmittelbar und einmalig auftretenden Allokationseffekte erfassen, werden im Folgenden die dynamischen Auswirkungen in Form von Skaleneffekten, Wettbewerbseffekten und allgemeinen Wachstumsimpulsen vorgestellt. Mit positiven Skaleneffekten sind die Vorteile der Massenproduktion gemeint. Man geht davon aus, dass ein größeres Produktionsvolumen zu steigenden Grenzerträgen und damit zu sinkenden Stückkosten führen kann, die Produktionsausweitung also bei einem U-förmigen Durchschnittskostenverlauf erfolgen kann. Die Gründe für solche positiven Skaleneffekte resultieren aus den generellen Vorteilen der Massenproduktion: Fließbandfertigung, größere Losgrößen, effizientere Ausnutzung der Organisation, geübtere und damit geschultere Arbeitskräfte, sinkender Fixkostenanteil. Unter Umständen können die positiven Skaleneffekte dazu führen, dass die Anbieter aus Drittländern schließlich vollkommen vom Markt verdrängt werden (Handelsunterdrückungseffekt). Dieser Effekt ist nicht so negativ zu werten wie die bisher betrachtete Handelsumlenkung, wenn nun durch die Economies of Scale innerhalb der Zollunion so günstig produziert wird, dass man mit den Drittlän- <?page no="54"?> 55 fit-lernhilfen.de dern auch konkurrieren könnte, wenn diese nicht mehr mit einem Zoll belastet wären. Eine weitere Dynamik kann dadurch entstehen, dass sich die Wettbewerbssituation innerhalb der Zollunion verschärft und marktbeherrschende Stellungen abgebaut werden. Generell geht man davon aus, dass eine Zollunion die Wettbewerbsintensität innerhalb des Integrationsraums erhöht. Diese positive Erwartungshaltung stützt sich auf die These, dass zuvor geschützte Monopole oder Oligopole durch die Handelsliberalisierung (also die Handelsschaffung) nun der Konkurrenz aus den Partnerländern ausgesetzt werden. Die zusätzliche Wettbewerbsintensität tritt natürlich nicht auf, wenn durch die Zollunion effiziente Konkurrenten aus Drittländern diskriminiert werden. Erfolgt jedoch eine Intensivierung des Wettbewerbs, so können sich Produktivitätssteigerungen und Preissenkungen ergeben. Werden zuvor abgeschirmte Wirtschaftsräume integriert, so können durch die größeren Märkte und die verstärkte Konkurrenz aber auch noch weitere Wachstumsprozesse ausgelöst werden: Es kann eine technologische Dynamik in Gang gesetzt werden, deren positive Auswirkungen über Einkommenseffekte, Verflechtungseffekte und Spill-over-Effekte andere Industrien mit fördern können. Die dynamischen Integrationseffekte werden umso größer sein, je größer in den zu integrierenden Ländern die Anzahl jener Industriezweige ist, die als Folge der Ausdehnung des Binnenmarktes einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt sind, Economies of Scale nutzen können und Verkettungseffekte aufweisen. Maßnahmen des Europäischen Binnenmarktes Die Hauptzielsetzung der 1986 in der Einheitlichen Europäischen Akte beschlossenen Umsetzung des Europäischen Binnenmarktes ist die Verwirklichung der vier Grundfreiheiten: Freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freie Mobilität des Faktors Arbeit (Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit der Arbeitnehmer) und freie Mobilität des Faktors Kapital (s. Tab. 2.2). <?page no="55"?> 56 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de Die vier Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes Freier Warenverkehr Freier Dienstleistungsverkehr Abbau der Grenzkontrollen Abbau tarifärer Handelshemmnisse Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse (techn. Harmonisierung) Abbau steuerlicher Schranken (z.B. unterschiedliche Mehrwertsteuersätze) Deregulierung der Finanzdienstleistungen Deregulierung des Verkehrswesens Deregulierung der Telekommunikation und der Informationsdienstleistungen Deregulierung der freien Berufe Grenzüberschreitendes öffentliches Auftragswesen Freier Personenverkehr Freier Kapitalverkehr Abbau der Personenkontrollen Harmonisierung der Einreise- und Asylgesetze Freizügigkeit für Arbeitnehmer Aufenthaltsrecht für Nichterwerbstätige Keine devisenrechtlichen Beschränkungen Freizügigkeit für Geld- und Kapitalbewegungen Liberalisierung des Wertpapierverkehrs Niederlassungsfreiheit Tab. 2.2: Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes Die offensichtlichste Veränderung zu Beginn 1993 war der Wegfall von Grenzkontrollen. Wieso waren jedoch die Grenzkontrollen überhaupt notwendig gewesen, obwohl schon seit 1968 eine Zollunion vorlag? Die auch bei Importprodukten geforderte Einhaltung nationaler Produktstandards (Bestimmungslandprinzip), etwa bezüglich Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Sicherheit usw., machten Grenzkontrollen notwendig. <?page no="56"?> Maßnahmen des Europäischen Binnenmarktes 57 fit-lernhilfen.de Unterschiedliche Mehrwertsteuersätze und unterschiedliche Verbrauchssteuersätze machten einen Steuerausgleich notwendig, wenn die Besteuerung nach dem Bestimmungslandprinzip erfolgen sollte. Dafür mussten Exporte und Importe an der Grenze kontrolliert und erfasst werden. Es bestanden noch bilaterale Ein- und Ausfuhrkontingente gegenüber Drittländern. An den Grenzkontrollen konnte überprüft werden, ob diese Kontingente nicht durch die Einfuhr über ein anderes EU-Land umgangen wurden. Bei kommerziell genutzten Fahrzeugen wurden Transportgenehmigungen und auch die Einhaltung nationaler Sicherheitsvorschriften überprüft. Bei einigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen waren im Zusammenhang mit der Anwendung der „grünen Parität“ Ausgleichszahlungen an der Grenze notwendig (Exporterstattungen bei aufwertenden Ländern und negative Ausgleichsbeträge bei abwertenden Ländern = Grenzausgleich). Schließlich wurden für die Erhebung statistischer Daten die Außenhandelsdokumente an den Grenzen registriert. Die Abschaffung dieser Grenzkontrollen erfordert, dass die bisher von ihnen erfüllten Aufgaben anderweitig gelöst werden: Hinsichtlich der unterschiedlichen Standards gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder können die unterschiedlichen nationalen Regelungen harmonisiert werden. Die andere Möglichkeit ist die gegenseitige Anerkennung nationaler Regelungen - so, wie sie im Partnerland erlaubt sind (Äquivalenzprinzip, Ursprungslandprinzip). Der Vorteil des Harmonisierungsprinzips wäre eine absolute Wettbewerbsgleichheit. Das Problem der Konsensfindung hätte jedoch jeweils nur zu Minimum-Standards geführt („kleinster gemeinsamer Nenner“), was insbesondere bei Umweltschutz-, Gesundheits- oder Sicherheitsvorschriften negativ wäre. Das Äquivalenzprinzip war leichter realisierbar. Für nationale Produkte können höhere Standards gesetzt werden. Der „Markt“ muss nun ent- <?page no="57"?> 58 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de scheiden, ob die Verbraucher bereit sind, für bessere Qualitäten und Standards auch höhere Preise zu zahlen. Grundsätzlicher Vorteil des Abbaus dieser technischen Handelshemmnisse ist zum einen eine Verbesserung der Transparenz für Anbieter aus den Partnerländern. Wer ins EU-Ausland liefern will, muss sich nicht mehr zunächst Informationen darüber verschaffen, welche Vorschriften es dort für die bestimmten Produkte zu beachten gibt. Vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlte es oftmals an Informationen hierüber, bzw. die Informationsbeschaffung verursachte zu hohe Kosten. Die damit einhergehende „Schwellenangst“ wurde als mögliches Exporthemmnis angesehen. Ein verstärkter Absatz bei den EU-Partnerländern, der vorher auf Grund der unterschiedlichen nationalen Regulierungen nicht möglich war, kann zu höheren Losgrößen und damit zu kostengünstigerer Produktion führen. Dies kann dann sogar zu Vorteilen in der Wettbewerbsfähigkeit auch auf den Weltmärkten führen. Die Kehrseite ist allerdings, dass durch das Äquivalenzprinzip eine schlechtere Transparenz für Verbraucher entsteht. Sie können nicht so leicht beurteilen, ob die Waren oder Dienstleistungen aus dem Ausland auch den Standards des eigenen Landes entsprechen. Ausnahmeregelung: Eine Beeinträchtigung des Absatzes von Erzeugnissen aus anderen EU-Ländern auf dem Inlandsmarkt ist erlaubt, wenn „besondere Umstände“ vorliegen, die ein solches Verhalten rechtfertigen. Hierzu zählen „zwingende Erfordernisse“ des Verbraucherschutzes, der Lauterkeit des Wettbewerbs, der wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Umweltschutzes, des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen usw. (ein Beispiel war das temporäre Importverbot für britisches Rindfleisch wegen der Gefahr des Rinderwahns). Diese Ausnahmeregelungen dürfen jedoch nicht zur willkürlichen Diskriminierung von Partnerländern oder zur verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten benutzt werden. Deshalb werden hiervon auch nationale Qualitätsstandards (z.B. das Reinheitsgebot des Bieres) ausgenommen, wenn ein Festhalten daran für das Gemeinwohl nicht zwingend erforderlich ist. Allerdings gibt <?page no="58"?> Maßnahmen des Europäischen Binnenmarktes 59 fit-lernhilfen.de es noch eine Vielzahl solcher nationaler Vorschriften, auch wenn sie eigentlich nicht mehr erlaubt sind. Begründet werden Sie mit Sicherheitsstandards oder Gesundheitsschutz. Für neue Produktstandards gibt es nun allerdings europäische Standardisierungsgremien, damit es wenigstens in Zukunft keine technisch erzwungenen Marktsegmentierungen mehr gibt. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Telekommunikation und EDV. Problematisch waren des Weiteren (insbesondere für die Bundesrepublik) die vielen bisherigen nationalen Einfuhrkontingente für Waren aus Drittländern (z.B. Kraftfahrzeuge, Unterhaltungselektronik, Textil- und Bekleidungsprodukte). So verwehrte Spanien japanischen Fahrzeugen praktisch vollkommen den Zugang, während Deutschland keinerlei Beschränkungen hatte. Hierdurch hatten die Japaner in Spanien einen Marktanteil von weniger als 1 Prozent auf dem PKW-Markt, in Deutschland dagegen mehr als 15 Prozent. Anfang der 1990er Jahre hatten Italien fast 400 und Frankreich über 300 mengenmäßige Handelsbeschränkungen gegenüber Drittländern. Im Vergleich hierzu hatten Deutschland und Großbritannien überhaupt keine solchen Beschränkungen. Im Übrigen gilt aber auch trotz des Binnenmarktes noch Artikel 115 EG-Vertrag, der Abweichungen von der gemeinsamen Außenhandelspolitik (nach oben) unter bestimmten Bedingungen legalisiert. Er sollte jedoch in möglichst geringem Umfang genutzt werden, so dass die Außenhandelspolitik einheitlicher wird. Die statistischen Erhebungen (z.B. Zahlungsbilanzdaten) sind schwieriger geworden; z.T. erfolgen sie im Zusammenhang mit der derzeitigen Mehrwertsteuerregelung. Große Probleme gab und gibt es hinsichtlich der Angleichung der Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern (ausführlicher im nächsten Kapitel). Wie Tab. 2.2 zeigt, gibt es jedoch noch andere Bereiche, die von der „Vollendung des Binnenmarktes“ betroffen sind: Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens Das Gesamtvolumen der Warenlieferungen und Baumaßnahmen von kommunalen, regionalen und überregionalen Körperschaften <?page no="59"?> 60 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de sowie öffentlichen Unternehmen in der EU liegt um einiges über dem Gesamtvolumen des grenzüberschreitenden Handels innerhalb der EU. Nach Schätzungen könnte etwa die Hälfte der von der öffentlichen Hand benötigten Güter über EU-weite Ausschreibungen beschafft werden. Tatsächlich brachten es nicht-nationale Lieferanten bei der öffentlichen Auftragsvergabe Anfang der 1990er Jahre aber nur auf einen Marktanteil von unter 1 Prozent. Es gab also in diesem Bereich praktisch keinen grenzüberschreitenden Wettbewerb in der EU. Im Rahmen des Binnenmarktprojektes sollte nun zum einen die Transparenz für das öffentliche Beschaffungswesen erhöht werden, so dass auch Anbieter aus anderen EU- Ländern eine faire Chance erhalten. Zum anderen sollte generell das Ausschreibungswesen ausgeweitet werden, das z.B. in der Bundesrepublik zuvor die Sektoren Energie, Wasser, Verkehr und Fernmeldewesen nicht umfasst hatte (Bauaufträge z.B. müssen jetzt ab 5 Mio. Euro und Telekommunikationsaufträge ab 600.000 Euro europaweit ausgeschrieben werden). Schaffung eines gemeinsamen Dienstleistungsmarktes Bis zur Verwirklichung des Binnenmarktes war eine Vielzahl von Hemmnissen auf dem Gebiet der modernen Dienstleistungen vorhanden. Der wachstumsträchtige Dienstleistungssektor umfasst daher das meiste von dem, was im Rahmen der Binnenmarktliberalisierung wirklich entscheidend verändert wurde: das Verkehrswesen und die Telekommunikation, die Finanzdienstleistungen und der Kapitalmarkt, das Versicherungswesen und die persönlichen Dienste Freiberuflicher. Warum gab es hier so große Liberalisierungsschwierigkeiten, so dass die EU in der Vergangenheit hier nur kleine Schritte in Richtung Marktintegration vornehmen konnte? Der Grund liegt darin, dass diese Bereiche in sämtlichen Mitgliedsländern sehr stark reguliert sind; eine Integration dieser nationalen Regulierungssysteme hätte einen immensen Harmonisierungsbedarf erfordert. Dies war selbst für die Befürworter der institutionellen Integration im Gegensatz zur Marktintegration zu viel. Erst mit der Einführung des Äquivalenzprinzips ist nun ein gemeinsamer Weg möglich geworden. Folgende Bereiche sind z.B. davon betroffen worden: <?page no="60"?> Maßnahmen des Europäischen Binnenmarktes 61 fit-lernhilfen.de Für die Kreditwirtschaft gilt nun, dass auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung nationaler Zulassungen und des Prinzips der Sitzlandkontrolle den Kreditinstituten die Freiheit zugestanden wird, ihre Leistungen in den einzelnen EU-Ländern anzubieten, ohne dazu Niederlassungen oder Zweigstellen gründen zu müssen. Dies ist nicht unproblematisch, da die Bankenaufsicht in den einzelnen Ländern unterschiedliche Regelungen hat. Z.B. wird das Eigenkapital unterschiedlich definiert. Die Höhe des Eigenkapitals einer Bank bestimmt aber deren Kreditspielraum. Jene Länder, die eine relativ weite Eigenkapital-Definition benutzen, geben ihren Kreditinstituten einen Wettbewerbsvorteil, weil diese dann vergleichsweise mehr Kredite geben könnten als z.B. deutsche Banken. Im Versicherungswesen war es auch schon zuvor erlaubt gewesen, dass EU-Versicherungsunternehmen jenseits der nationalen Grenzen Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften gründen konnten. Doch musste jeder Anbieter sich den Bestimmungen unterwerfen, die in dem Land gelten, in dem er tätig werden wollte. Nun müssen solche Zweigniederlassungen nicht mehr gegründet werden, sondern die Versicherungsunternehmen können von ihrem nationalen Standort aus und unter den Regulierungen ihres nationalen Aufsichtsamtes auch andere EU-Länder „bedienen“. Der Verkehrssektor stellt noch immer einen der am stärksten reglementierten und geschützten Märkte dar. Hier wurden im Zuge der Öffnung technische und soziale Vorschriften wie etwa die Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer vereinheitlicht. Eine wesentliche Veränderung ergab sich daraus, dass die üblichen bilateralen Fahrgenehmigungen nun durch EU-Genehmigungen ersetzt wurden. Die Kontingentierung von Transportlizenzen sowie die Kabotagevorbehalte entfielen. Damit darf also z.B. ein Spediteur aus Hamburg, der seine Fracht in Paris gelöscht hat, dort auch eine Ladung für Brüssel übernehmen, statt den Heimweg leer anzutreten, weil es gerade keine Rückfracht nach Deutschland gibt. Dies beinhaltet eine eindeutige Kostenverringerung im Gütertransport innerhalb der EU, aber auch deutlich mehr Konkurrenz unter den Transportunternehmen! Auch im Luftverkehr wurde verstärkt dereguliert. Dies betrifft die Flugtarife, das Kapazitätsangebot, den Marktzugang und <?page no="61"?> 62 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de die Anwendung der Wettbewerbsregeln. Für Betriebsbedingungen, Sicherheit und soziale Regelungen musste allerdings eine einheitliche Linie gefunden werden. Auch die Telekommunikation wurde einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt. Technische Spezifikationen wurden harmonisiert, bzw. die in den einzelnen Ländern angewandten Prüfverfahren und Zulassungen gegenseitig anerkannt. Realität des EU-Binnenmarktes Zielsetzung des EU-Binnenmarktes war es, durch eine verstärkte Öffnung aller Märkte zusätzlichen Wettbewerb zu induzieren, der eine effizientere Ressourcenallokation und Produktion bewirkt. Dabei stützte man sich zum Teil auf die Annahme von positiven Skalenerträgen, so dass sich durch den erleichterten Marktzugang Massenproduktionsvorteile ergeben können. Erwartungen an den EU-Binnenmarkt Sinkende Transaktions- und Informationskosten (u.a. durch den Wegfall der Grenzkontrollen und das Äquivalenzprinzip der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen und Standards) fördern die wirtschaftliche Verflechtung. Die Ressourcenallokation wird hierdurch verbessert. Es entstehen weitere Kostenvorteile aus zunehmender Spezialisierung (Skaleneffekte). Im öffentlichen Beschaffungswesen wird der Wettbewerb erhöht, indem zunehmend EU-weit ausgeschrieben wird. Es ergeben sich generell Effizienzgewinne durch verstärkten Wettbewerb auf den Güter- und Faktormärkten. Die Produktpreise sinken, und die Produktvielfalt nimmt zu. Es ergeben sich Anreize für technischen Fortschritt, Produkt- und Prozessinnovationen. Allerdings könnte bei positiven Skalenerträgen auch eine Abnahme der Anbieterzahl auftreten und so der Monopolisierungsgrad zunehmen. <?page no="62"?> Realität des EU-Binnenmarktes 63 fit-lernhilfen.de Der Cecchini-Bericht Um eine Größenordnung der Vorteile des geplanten EU-Binnenmarktes zu bekommen, gab die Europäische Kommission Anfang der 1980er eine Studie in Auftrag, die im sogenannten Cecchini- Bericht gipfelte. Er wurde 1988 veröffentlicht und versucht, „the cost of non-Europe“ zu quantifizieren. (Er bezog sich auf die damaligen 12 EG-Länder.) Folgende Integrationseffekte wurden dabei erfasst: Auswirkungen des Abbaus der innergemeinschaftlichen Handelsschranken (vorwiegend der Grenzformalitäten und der Wartezeiten) auf die Kosten und Preise der Handelsgüter (Endprodukte). Auswirkungen des Abbaus von Handelsschranken für Vorleistungsprodukte auf die Produktionskosten von gehandelten und nichtgehandelten Waren. Auswirkungen der möglichen Nutzung von Economies of Scale. Auswirkungen des zunehmenden Wettbewerbs auf innerbetriebliche Rationalisierung und Beseitigung von Monopolstellungen. (Dies betraf auch den Dienstleistungsbereich.) Für die Ermittlung möglicher Nutzen aus Größenvorteilen wurde eine Zunahme des internen und externen Außenhandels um 25 Prozent als Folge der Vollendung des Binnenmarktes unterstellt. Dieser Handelszuwachs könne zum Teil durch Outputsteigerungen bei bestehender Betriebsgröße realisiert werden, zum Teil ergäben sich auch Veränderungen der Betriebsgröße. In beiden Fällen könnten in bestimmten Bereichen verstärkt Massenproduktionsvorteile entstehen. Auch die Wohlfahrtswirkungen des verstärkten Wettbewerbs versuchte der Cecchini-Bericht quantitativ zu erfassen. Dabei wurden neben möglichen Skalenerträgen auch Effizienzsteigerungen in den Unternehmen infolge eines Abbaus überhöhter Lagerbestände, eines Abbaus überflüssigen Personals oder der Anpassung veralteter Organisationsstrukturen unterstellt. Auch ein Abbau der Mono- <?page no="63"?> 64 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de polgewinne wurde durch die Intensivierung des Wettbewerbs erwartet. Alle diese Ergebnisse wurden sektoral geschätzt und in Milliarden ECU ausgedrückt. Mit Hilfe von Simulationsmodellen wurden Anstoßwirkungen des Binnenmarktes im ersten Jahr angenommen, deren dynamische Folgewirkungen für einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren berücksichtigt wurden. Als Anstoßeffekte wurden berücksichtigt: Beseitigung von Grenzkontrollen, Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte, Liberalisierung der Finanzdienste und Kapitalmärkte, Angebotseffekte durch die Nutzung von Skaleneffekten. Prognostizierte Wirkungen: Die Maßnahmen sollten annahmegemäß zu erheblichen Preisniveausenkungen führen, die mit höherer Kaufkraft der Verbraucher und einem Anstieg der internationalen Wetbewerbsfähigkeit verbunden wären; Weiter wurden Investitionsanreize infolge verringerter Zinsen unterstellt. Insgesamt sollte ein positiver gesamtwirtschaftlicher Wachstumsschub realisiert werden, der für den gesamten Anpassungszeitraum über Multiplikatoreffekte auf 4,5 Prozent geschätzt wurde. Gleichzeitig sollte sich das Budgetdefizit um 2 Prozent des BIP vermindern, die Handelsbilanz (gegenüber Drittländern) um 1 Prozent des BIP verbessern. Bei diesen Effekten hätte es einen Spielraum für zusätzliche fiskalpolitische Maßnahmen, etwa Steuersenkungen oder öffentliche Investitionen gegeben, mit denen das Wirtschaftswachstum noch hätte weiter vergrößert werden können. Nach Einschätzung des Cecchini-Berichtes hätte der Wachstumsschub dadurch von 4,5 Prozent auf 7 Prozent ausgeweitet und die Beschäftigtenzahl um 1,9 bis 5 Millionen zunehmen können. Mittlerweile ist allgemein anerkannt, dass diese Studie die positiven Wachstumsimpulse des Binnenmarktes zunächst weit überschätzt hatte. So waren insbesondere die Beschäftigungseffekte stark überdimensioniert. Es wurde vernachlässigt, dass Effizienz- <?page no="64"?> Realität des EU-Binnenmarktes 65 fit-lernhilfen.de steigerungen zumeist zum Beschäftigungsabbau durch Rationalisierung führen. Nicht geklärt war auch der Widerspruch zwischen dem zunehmenden Konkurrenzdruck und zunehmenden Skalenerträgen, die ja zu Konzentrationsprozessen, also zum Abbau von Wettbewerb führen können. Auch das Risiko gewisser Zentrifugalkräfte wurde unterschätzt: So besteht schließlich die Gefahr, dass die weitgehenden Liberalisierungen letztlich den ökonomisch stärkeren Ländern mehr nützen könnten als den schwächeren. Und grundsätzlich mussten für diese positiven Ergebnisse in allen Bereichen signifikante Economies of Scale unterstellt werden! Insgesamt wurden recht hohe reale Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes prognostiziert. Diese waren auch nötig, um die unterstellten hohen Beschäftigungseffekte zu rechtfertigen, da andererseits ja zugleich auch deutliches Produktivitätswachstum angenommen wurde, das den Arbeitskräftebedarf c.p. senkt. Schließlich war es eine implizite Annahme des Cecchini-Berichts, dass generell eine U-förmige langfristige Durchschnittskostenkurve realistisch sei. Dies hätte bedeutet, dass vor den Marktöffnungen aufgrund von geringeren Produktionsmengen fast überall noch im Bereich sinkender Kosten produziert worden wäre, die man durch den Gemeinsamen Markt dann hätte ausnutzen können. Gar nicht berücksichtigt wurden schließlich die möglichen Abschließungseffekte gegenüber Drittländern, die mit dem Binnenmarkt auftreten können. Diese entstehen ja durch die regionale Integration automatisch, können aber auch zusätzlich bewusst herbeigeführt werden: Hierzu zählten etwa Versuche, bisherige nationale Kontingentierungen gegenüber Drittländern im Zuge des Binnenmarktes EU-weit auszudehnen (Bananenstreit). Erste faktische Bewertungen des Binnenmarktes gab es u.a. durch eine Studie, die nach ca. 10 Jahren Binnenmarkt mit Hilfe von Unternehmensbefragungen durchgeführt wurde: Es waren kaum Skaleneffekte nachweisbar. Es gab keinen „Befreiungsschlag“ durch die gegenseitige Anerkennung von Normen und Standards. <?page no="65"?> 66 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de Es gab kaum verstärkten Wettbewerb (je nach Branche sagten 60 - 80 Prozent der Unternehmen, es gäbe weder mehr Konkurrenten, noch einen höheren Preis- oder Qualitätswettbewerb). Es gab kaum Veränderungen im öffentlichen Beschaffungswesen. Allein im Vertriebswesen gab es entscheidende Veränderungen (durch Liberalisierung im Transportwesen). Großunternehmen hatten mehr profitiert als Kleinunternehmen. Die „Kettenreaktion“ von Wachstumsimpulsen durch den Abbau von Handelshemmnissen war nicht nachweisbar. Vermutlich waren v.a. im Warenhandel die Expansionsmöglichkeiten durch den zuvor schon sehr intensiven Handel bereits ausgereizt. Die de facto-Umsetzung entsprach auf vielen Märkten bis heute nicht unbedingt der de jure-Liberalisierung des Binnenmarktes. In jüngeren Untersuchungen, die auch den durch die Osterweiterung der EU nun deutlich vergrößerten Binnenmarkt einbeziehen, werden die Wettbewerbseffekte mittlerweile höher eingeschätzt. Doch werden auch noch bestehende Unvollkommenheiten des Binnenmarktes kritisiert, die u.a. durch eine weitere Harmonisierung der Regelungsverfahren und durch weitere Liberalisierungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe reduziert werden könnten. Die Dienstleistungsrichtlinie von 2006 Ein oft genannter Kritikpunkt ist auch, dass in manchen Dienstleistungsbereichen noch vielfältige Hindernisse bestehen. Diese sollten u.a. 2006 im Rahmen der (umstrittenen) Dienstleistungsrichtlinie verringert werden. Ziel der sog. Bolkestein-Richtlinie ist es, Hindernisse für die Niederlassung von Dienstleistungsanbietern in anderen Mitgliedsstaaten sowie für den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen abzubauen. Hierzu sollen auf nationaler Ebene die Verfahren vereinfacht werden. Dies betrifft Berufe wie <?page no="66"?> fit-lernhilfen.de Architekten oder Unternehmensberater, Installateure oder das Pflegepersonal. Kern des Kompromisses dieser Richtlinie sind jedoch auch die dazugehörigen Ausnahmeregeln, z.B. im Gesundheitswesen (einschl. privater Dienstleistungen, wie privat engagiertes Pflegepersonal). Letztlich hat sich das kritisierte Herkunftslandprinzip auch für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen weitgehend durchgesetzt. Dies bedeutet, dass ein Dienstleistungsanbieter aus einem anderen EU-Land, der etwa in Deutschland seine Dienstleistungen verkauft, nur den Vorschriften seines Heimatlandes für dieses Dienstleistungsangebot unterworfen ist, nicht aber den deutschen. Zwar wurde somit beschlossen, dass ausländische Dienstleistungsanbieter grundsätzlich zugelassen werden müssen, aber es können ihnen Auflagen gemacht werden - aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des Umweltschutzes oder der öffentlichen Gesundheit. Auch dürfen gegenüber den ausländischen Dienstleistungsanbietern die heimischen Bestimmungen über Beschäftigungsbedingungen durchgesetzt werden (z.B. ein Mindestlohn). Exkurs: Zur Mehrwertsteuerregelung Im Zusammenhang mit dem Wegfall der Grenzkontrollen erfolgten auch Überlegungen zur Angleichung der indirekten Steuern. Nach wie vor gibt es innerhalb der EU die verschiedensten Mehrwertsteuersätze. Die gewünschte Harmonisierung war und ist nach wie vor nicht gelungen, man hatte sich nur darauf einigen können, einen Mindestmehrwertsteuersatz von 15 Prozent einzuführen. Die höchsten Sätze haben derzeit Ungarn (27 Prozent) sowie Dänemark und Schweden (25 Prozent). Die niedrigsten Sätze haben mittlerweile Luxemburg (15 Prozent) sowie Malta und Zypern (18 Prozent). Neben den generellen Mehrwertsteuersätzen gibt es noch ermäßigte Sätze für bestimmte Warengruppen des lebensnotwendigen Bedarfs und für bestimmte Dienstleistungen im Sozial- und 67 <?page no="67"?> 68 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de Kulturbereich, die entsprechend zwischen den einzelnen Ländern variieren. Hinzu kommen auch noch Unterschiede in den speziellen Verbrauchssteuern. Einige wurden schon immer in allen EU-Ländern erhoben, diese wurden beibehalten. Andere - sog. Bagatellsteuern - galten nur in einzelnen Ländern. Sie wurden mit dem Binnenmarkt weitgehend abgeschafft. Es blieben: Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Branntweinsteuer, Weinsteuer, Biersteuer. Diese Steuern gibt es nun in allen EU-Ländern. Auch bei den Verbrauchssteuern ist keine Vereinheitlichung gelungen, sondern nur die Festlegung eines Mindestsatzes. Zu den Rahmenbedingungen: Die Mehrwertsteuer ist in allen EU-Staaten die zweitgrößte Steuerquelle nach der Lohn- und Einkommensteuer. Die Mehrwertsteuer ist konzipiert als sog. Allphasen-Netto-Umsatzsteuer (also zu erheben auf jeder Handelsstufe, aber mit Vorsteuerabzug). Grundsätzlich war bisher das Bestimmungslandprinzip der Besteuerung gewünscht. Im Folgenden sollen die beiden Extreme der möglichen Besteuerung im Binnenmarkt dargestellt werden (Ursprungslandprinzip und Bestimmungslandprinzip) und welche Konsequenzen dies für die jeweilige Wettbewerbsposition der Unternehmen und die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens zwischen den Mitgliedsstaaten hat. Als mögliche Ziele könnten genannt werden: Wettbewerbsneutralität der Besteuerung; Benefit to Consumer (d.h. der Konsument, der die Steuer zahlt, soll auch davon profitieren, indem er in dem Staat lebt, der die Steuer bekommt); möglichst keine Verschiebung der Steueraufkommen zwischen den Ländern gegenüber der derzeitigen Situation; möglichst wenig Kontrollaufwand. <?page no="68"?> Exkurs: Zur Mehrwertsteuerregelung 69 fit-lernhilfen.de Bestimmungslandprinzip Hier werden die Erzeugnisse von der Umsatzsteuer im exportierenden Land freigestellt und anschließend mit der Umsatzsteuer im importierenden Land belastet. Durch den beim Bestimmungslandprinzip praktizierten „Grenzausgleich“ werden importierte Waren umsatzsteuerlich so gestellt, als ob sie im Bestimmungsland produziert worden seien. Unter Wettbewerbsgesichtspunkten werden somit alle im Land des Endverbrauchers miteinander konkurrierenden in- und ausländischen Unternehmen gleichgestellt (Wettbewerbsneutralität). Unternehmen aus Ländern mit vergleichsweise geringeren Umsatzsteuertarifen haben keinen Wettbewerbsvorteil. Bezogen auf die Verteilung der Steueraufkommen führt das Bestimmungslandprinzip dazu, dass sämtliche Umsatzsteuereinnahmen dem Importstaat zufließen. Auch das Prinzip des „Benefit to Consumer“ ist somit erfüllt, aber die Importe müssen dafür in irgendeiner Form erfasst werden (Kontrollen). Ursprungslandprinzip In diesem Fall werden die Exporte genauso wie Binnenumsätze im produzierenden (und exportierenden) Staat besteuert. Heimische und importierte Güter werden somit gegebenenfalls mit unterschiedlichen Steuern belastet, wodurch sich Wettbewerbsverzerrungen ergeben können. Das Steueraufkommen fällt nur im Ursprungsland an, so dass gegenüber der Situation vor Einführung des Binnenmarktes eine Steuerumverteilung stattfinden würde. Länder, die mehr exportieren als importieren, würden nun ein höheres Steueraufkommen haben, und ebenso Länder, die im Vergleich zu den Partnerländern höhere Mehrwertsteuertarife haben. Auch das Prinzip des „Benefit to Consumer“ ist nicht erfüllt, dafür gibt es keinen Kontrollaufwand. Weitere Vorschläge waren „Ursprungslandprinzip mit Vorsteuerabzug“, „Gemeinsamer Markt Prinzip“ oder „Ursprungslandprinzip mit Vorumsatzabzug“. Diese sollen hier nicht weiter thematisiert werden. Will man das Bestimmungslandprinzip bei der Verbrauchsbesteuerung anwenden, so müssen also die Exporte und Importe <?page no="69"?> 70 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de kontrolliert/ erfasst werden. Will man das Bestimmungslandprinzip ohne Kontrollen anwenden, so müssen die Steuern vereinheitlicht werden oder dürfen nur in ganz engen Bandbreiten divergieren. Will man die Steuern nicht vereinheitlichen und nicht kontrollieren, so muss das Ursprungslandprinzip angewandt werden, das jedoch Wettbewerbsverzerrungen beinhaltet, da die unterschiedlichen Steuern dann Preisunterschiede bewirken, die nicht durch unterschiedliche Produktionskosten bedingt sind. „Übergangsregelung“ Bis zum 31.12.1996 (! ) war eine „befristete“ Übergangsregelung vorgesehen (sie gilt immer noch! ). Sie besagt, dass zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und Verschiebungen im Umsatzsteueraufkommen das Ursprungslandprinzip nur bei Einkäufen von Privatpersonen im innergemeinschaftlichen Reiseverkehr gilt. Bei Umsätzen des Versandhandels, die 100.000 Euro pro Unternehmer und Mitgliedsstaat übersteigen, und für die Lieferung von Neufahrzeugen an Endverbraucher sowie für alle Lieferungen zwischen Unternehmen gilt im Grundsatz das Bestimmungslandprinzip. Jedoch wird die bisher durch den Importstaat erhobene Einfuhrumsatzsteuer abgeschafft (so dass die Grenzkontrollen überflüssig wurden). Die Mehrwertsteuer wird stattdessen im Bestimmungsland beim Erwerb der Ware fällig. Die exportierende Firma muss also keine Umsatzsteuer abführen, sie muss nur eine Aufstellung über die Lieferungen an andere EU-Länder abgeben. Dabei muss sie ihre eigene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angeben sowie die entsprechende Identifikationsnummer des importierenden Unternehmens sowie den Gesamtwert des Exports an das jeweilige Unternehmen. Damit dieses Mehrwertsteuersystem kontrolliert werden kann, wurde auf EU-Ebene ein Datenverbundsystem aufgebaut. Die Unternehmen sind jetzt verpflichtet, regelmäßig - zusammen mit ihren herkömmlichen Umsatzsteuervoranmeldungen - alle drei Monate den Gesamtbetrag ihrer Verkäufe an Kunden in anderen EU- Staaten (einschließlich deren Identifikationsnummern) zu melden. Das System funktioniert jedoch auf Dauer nur, wenn tatsächlich sämtliche Meldungen der exportierenden Unternehmen überprüft <?page no="70"?> fit-lernhilfen.de werden, inwieweit die entsprechenden Waren angekommen und im importierenden Land auch tatsächlich versteuert worden sind. In den ersten Jahren des Binnenmarktes deutete die Höhe der Mehrwertsteuereinnahmen darauf hin, dass diese Kontrolle nicht hundertprozentig erfolgte. Mittlerweile hat sich das System eingespielt. Alternative Gemeinschaftssteuer? Manchmal wird der Vorschlag gemacht, die Mehrwertsteuer zu einer EU-Gemeinschaftssteuer umzugestalten, für die der EU- Haushalt eine eigene Ertragshoheit hätte. Das Mehrwertsteueraufkommen der gesamten EU könnte dann nach einem bestimmten Schlüssel auf die einzelnen Länder verteilt werden, der zugleich einen Finanzausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern beinhalten könnte. Die Übertragung solcher eigenständiger Einnahmequellen an die EU ist allerdings rechtlich problematisch, solange die EU-Behörden keine demokratisch legitimierten Organe eines gemeinschaftlichen Staates sind. Und es würden viel zu hohe Beträge an die Gemeinschaft überwiesen, da das Mehrwertsteuereinkommen ein Vielfaches des derzeitigen EU- Budgets ausmacht. Fazit: Es zeigt sich, dass solange noch unterschiedliche Umsatzsteuersätze und Verbrauchsteuersätze bestehen, kein richtiger Binnenmarkt vorliegt, da der Handel zwischen den einzelnen Ländern immer noch erfasst, registriert und kontrolliert werden muss. Dies ist mit handelshemmenden Transaktionskosten verbunden Arbeitskräftewanderung im Binnenmarkt Der Begriff Arbeitskräftewanderung ist nicht einheitlich definiert. Im Folgenden wird damit der Sachverhalt bezeichnet, dass eine Erwerbsperson (d.h. eine beschäftigte oder arbeitslos gemeldete Person) freiwillig Arbeitsangebot und Wohnsitz für mindestens ein Jahr in ein anderes Land verlegt. Arbeitskräftewanderung im Binnenmarkt 7 <?page no="71"?> 72 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de Die Arbeitskräftewanderungen in der EU haben sich im Zeitablauf wechselhaft entwickelt. Kennzeichnend für die 1960er und frühen 1970er Jahre war ein starker Strom von gering qualifizierten Arbeitskräften aus südeuropäischen Ländern in die nordeuropäischen Länder. Diesen Süd-Nord-Wanderungen standen immer auch hohe Re-Migrationen entgegen, so dass die Nettomigration insgesamt weit schwächer als die Bruttowanderung ausfiel. Insgesamt arbeiteten am Ende der Wanderungsepoche (1974) jedoch 0,6 Mio. Portugiesen (16 Prozent der portugiesischen Erwerbspersonen), 0,3 Mio. Griechen (8 Prozent) und 1 Mio. Italiener (5 Prozent) in anderen EG-Ländern. In den Einwanderungsländern betrug der EG- Ausländeranteil an den inländischen Erwerbspersonen 5,5 Prozent in Deutschland (rd. 1,5 Mio.), 5 Prozent in Frankreich (rd. 1 Mio.) und 3 Prozent in Belgien (rd. 0,1 Mio.). Nach 1974 gingen sowohl Bruttoals auch Nettoflüsse deutlich zurück. Die bisherige Entwicklung verlangsamte sich dadurch spürbar - wenn sie sich im Allgemeinen auch nicht umkehrte - und pendelte sich schließlich auf einem eher niedrigen Niveau ein. Im Zuge der Osterweiterung der EU wurde allerdings anderes erwartet. Mit der Vollendung des Binnenmarktes 1993 waren ja die letzten formalen Beschränkungen der Freizügigkeit aufgehoben worden, und die neuen EU-Mitglieder wiesen ein deutlich niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen als die EU-15 Länder auf (Push-Effekt). Aus Angst vor einer Belastung der Arbeitsmärkte in den westlichen EU-Ländern, die ja auch keine Vollbeschäftigung aufwiesen, wurden daher längere Übergangsphasen beschlossen, in denen noch Zuwanderungsbeschränkungen aufrecht erhalten werden konnten. Diese konnten von den potenziellen Zuwandererländern in drei Abschnitten (2-3-2 Jahre) bis zu 7 Jahre in Anspruch genommen werden. Sie wurden allerdings sehr unterschiedlich genutzt. So verzichteten Großbritannien, Irland und Schweden von Beginn an auf die Übergangsregelung, während Deutschland und Österreich sie am längsten nutzten. Seit dem 1. Mai 2011 ist die Übergangszeit für Arbeitnehmer aus der Ost-Erweiterung von 2004 beendet. Bis 2014 betrifft sie nur noch Bulgaren und Rumänen, da diese der EU erst 2007 beigetreten sind. <?page no="72"?> Arbeitskräftewanderung im Binnenmarkt 73 fit-lernhilfen.de Auswirkungen der Arbeitskräftewanderung: Arbeitskräftewanderung kann sich - v.a. wenn sie in großem Umfang auftritt - grundsätzlich auf alle gesellschaftlichen Bereiche auswirken. Von besonderem Interesse ist jedoch im Allgemeinen ihr Einfluss auf das Einkommen, die Einkommensverteilung und die Beschäftigung sowohl im Ursprungsals auch im Zielland. Welche Wirkungen Migration hier zeigt, hängt v. a. davon ab, ob die wandernden Arbeitskräfte in einem substitutiven oder komplementären Verhältnis zu den Arbeitsanbietern im Ursprungsbzw. Zielland stehen. Sind das Arbeitsangebot der Migranten und das der Erwerbspersonen des Ziellandes weitgehend substitutiv, so steigt im Zielland durch die Migration das Arbeitsangebot an, während das Kapitalangebot - und somit auch die Arbeitsnachfrage - zunächst unverändert bleiben. Die Situation der einheimischen Arbeitsanbieter im Zielland verschlechtert sich daher, da der Lohn tendenziell sinkt - bzw. bei Existenz von Arbeitslosigkeit nun auch die Migranten um jede neue Stelle konkurrieren. Bei elastischer Arbeitsnachfrage bewirkt der sinkende Lohn nun, dass zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden und auf diese Weise die Produktion ausgedehnt wird. Unterstellt man, dass keine inländischen Erwerbspersonen durch die Migranten verdrängt werden, nimmt das Einkommen der Bürger des Ziellands somit insgesamt zu, da die zugewanderten Arbeitskräfte in der Regel nur einen Teil der zusätzlichen Produktion als Einkommen erhalten werden. Anders ist dies natürlich, wenn im Zielland Arbeitslosigkeit - eventuell wegen eines zu hohen Mindestlohnes - besteht. Dann gibt es keine Lohnsenkung, keinen zusätzlichen Arbeitseinsatz und keinen Einkommensanstieg. Stattdessen verdrängen die Zuwanderer zum Teil inländische Arbeitnehmer. Ferner wird im Ursprungsland im Allgemeinen kein Einkommensrückgang auftreten, wenn die abwandernden Erwerbspersonen arbeitslos waren. Es ist dann vielmehr mit einem Einkommensanstieg der verbleibenden Erwerbspersonen zu rechnen, da nun weniger Transfers an Arbeitslose geleistet werden müssen und <?page no="73"?> 74 Etappe 2: Von der Zollunion zum Binnenmarkt fit-lernhilfen.de außerdem oft Rücküberweisungen von den Abgewanderten an die Familien zu Hause erfolgen. Etwas anders ist das Ergebnis, wenn das Arbeitsangebot der Migranten komplementär zu dem der Erwerbspersonen des Ziellandes ist. Der Unterschied besteht darin, dass nun das Angebot des von Bürgern des Ziellandes angebotenen „Arbeitstyps“ (z.B. geringqualifizierte Arbeit) konstant bleibt, sich jedoch gleichzeitig die Nachfrage nach diesem Arbeitstyp durch die verbesserte Ausstattung mit komplementärer (z.B. hochqualifizierter) Arbeit erhöht. Die einheimischen Arbeitsanbieter erleiden somit durch den Zuzug neuer Arbeitskräfte keinen Wohlfahrtsverlust, sondern erzielen vielmehr einen Wohlfahrtsgewinn. Auch hier gelten dieselben Überlegungen vice versa für das Ursprungsland. Folgende Produktionsfunktion illustriert diese Überlegungen: Y = Y(A g , K, A h ) = A g K A h A g sind geringqualifizierte Arbeitskräfte, A h hochqualifizierte Arbeitskräfte, K ist der (konstante) Kapitalstock, Y ist die Produktion. Die beiden sektoralen Arbeitsmärkte für Geringqualifizierte und für Hochqualifizierte seien getrennt. Die Entlohnung erfolge nach dem Grenzprodukt. Die Zuwanderer können Geringqualifizierte oder Hochqualifizierte sein. Unterstellt man nun einen Mindestlohn auf dem Markt für Geringqualifizierte und flexible Löhne auf dem Markt für Hochqualifizierte, so folgt: Wenn Geringqualifizierte zuwandern: Wenn in diesem Sektor Arbeitslosigkeit (wegen zu hoher Mindestlöhne) herrscht, so steigt das Arbeitsangebot an Geringqualifizierten weiter, aber der Reallohn sinkt nicht. Somit steigt auch die Beschäftigung nicht, sondern die Arbeitslosigkeit. Damit bleibt im Übrigen auch das Grenzprodukt der Arbeit Hochqualifizierter konstant, so dass sich auf diesem Arbeitsmarktsegment keine Effekte ergeben. <?page no="74"?> Arbeitskräftewanderung im Binnenmarkt 75 fit-lernhilfen.de Zuwanderung Geringqualifizierter Zuwanderung Hochqualifizierter Abb. 2 1: Effekte auf dem Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte (W/ P) 0g A g A S A S ’ ’ A d (W/ P) g A 0g A 1g A B A g A g A S A d A 0g A 1g ( W/ P) 0g (W/ P) 1g (W/ P) g A d’ A B <?page no="75"?> Wenn Hochqualifizierte zuwandern: Der Reallohn für Hochqualifizierte sinkt, der Arbeitseinsatz Hochqualifizierter A h steigt, hierdurch steigt zugleich das Grenzprodukt der Arbeit Geringqualifizierter ( Y/ A g = A g -1 K A h ). Der Reallohn Geringqualifizierter kann ebenfalls steigen oder - falls dort zuvor Arbeitslosigkeit herrschte - steigt die Beschäftigung der Geringqualifizierten. Das obere Teilbild in Abb. 2.1 zeigt, dass eine Zuwanderung von Geringqualifizierten das Arbeitsangebot auf dem Markt für Geringqualifizierte erhöht (A S verschiebt sich nach rechts). Wenn zunächst Arbeitsmarktgleichgewicht bestand, der dabei bestehende Reallohn aber dann nach unten rigide ist - Mindestlohn auf (W/ P) 0g -, so entsteht in Höhe der Zuwanderung nun Arbeitslosigkeit (Strecke zwischen A 0g und A 1g ). Es entsteht eine Substitutionsbeziehung der Arbeitskräfte im gleichen Marktsegment. Das untere Teilbild zeigt, dass eine Zuwanderung von Hochqualifizierten einen positiven Produktivitäts- und Arbeitsnachfrageeffekt auf dem Markt für Geringqualifizierte bewirkt (A d verschiebt sich nach rechts). Somit entsteht in diesem Fall ein Beschäftigungszuwachs bei den Geringqualifizierten (Strecke zwischen A 0g und A 1g ). Hier bestimmt die Komplementaritätsbeziehung der Arbeitskräfte das positive Ergebnis. Diese Ergebnisse lassen sich auch auf die Analyse von Abwanderung übertragen. Wandern etwa Hochqualifizierte aus einem Land ab (Brain drain), so sinkt hierdurch das Grenzprodukt der Arbeit der Geringqualifizierten. Dies senkt die Arbeitsnachfrage bei den Geringqualifizierten und führt dort zu sinkenden Löhnen oder zu steigender Arbeitslosigkeit. Was ist für die EU festzustellen? Die Analyse der Migrationswirkungen zeigt, dass sich die Wanderungen überwiegend positiv ausgewirkt haben. In der ersten Periode (1970er Jahre) konnten die überlasteten Arbeitsmärkte der Ursprungsländer durch die Migration zumindest teilweise entlastet werden; ferner profitierten diese Länder von den Rücküber- 7 Arbeitskräftewanderung im Binnenmarkt 6 <?page no="76"?> Arbeitskräftewanderung im Binnenmarkt 77 fit-lernhilfen.de weisungen der Gastarbeiter an ihre Familien. Die Emigranten waren zwar meist junge, besonders leistungsfähige und mobile Arbeitsanbieter, angesichts der mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten in den Ursprungsländern war ihre Abwanderung jedoch kein Wachstumshemmnis dort. Die Hoffnung der südlichen Länder, dass der Auslandsaufenthalt nach der Rückkehr zu einer deutlichen Verbesserung des Humankapitals führen würde und somit die remigrierenden Arbeitskräfte komplementär zum vorhandenen Arbeitsangebot sein würden, hatte sich allerdings meist nicht erfüllt. Vielmehr belasteten Remigranten die Arbeitsmärkte auch wieder in dem Maße, wie Emigranten sie entlasteten. Die nördlichen Zielländer wiederum konnten über den Zustrom ausländischer Arbeitskräfte das historisch belegte hohe Wirtschaftswachstum realisieren. Die zuziehenden Arbeitskräfte waren dabei im Allgemeinen komplementär zum inländischen Arbeitsangebot. Dies zeigt sich auch darin, dass in der Regel Arbeitsplätze besetzt wurden, für die von einheimischen Arbeitskräften keine Nachfrage bestand (z.B. in der Gastronomie, im Reinigungsgewerbe oder der Bauindustrie). Während zu Beginn v. a. gering qualifizierte Erwerbspersonen wanderten, sind es heute zunehmend auch besser qualifizierte. Mittlerweile besteht etwa in Deutschland auch wieder ein Interesse an Zuwanderung, da in bestimmten Branchen schon Arbeitskräftemangel herrscht, der vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft persistent zu werden droht. Die anfänglichen Freizügigkeitsbeschränkungen gegenüber den osteuropäischen Beitrittsländern - aus Furcht vor einer zu starken Zuwanderung - können sich daher als Bumerang erweisen, da sich gerade qualifizierte Arbeitskräfte mittlerweile anderen Ländern zugewendet haben. Fazit zum EU-Binnenmarkt Insgesamt ist der Europäische Binnenmarkt zwar noch nicht einem nationalen Binnenmarkt gleichzusetzen, aber er weist eine weltweit einzigartige Integrationstiefe für eine so große Gruppe von ansonsten souveränen Nationalstaaten auf. <?page no="77"?> .de Zwischenstand: Fragen und Antworten Fragen und Antworten Fit für die Prüfung? Beantworten Sie die folgenden Fragen und finden Sie heraus, ob Sie die Inhalte dieser Etappe verinnerlicht haben. (Es können keine, eine oder mehrere Antworten richtig sein.) Die Lösungen stehen online bereit. Folgen Sie einfach dem QR- Code am Ende des Fragenkatalogs oder dem Link: fit-lernhilfen.de/ europa/ 2.htm Addieren Sie die Fit-Punktzahlen der korrekt beantworteten Fragen, die in der eckigen Klammer angegeben sind, und notieren diese in der Auswertung am Ende des Buches, um den eigenen Fitness-Stand zu errechnen. Was sind die traditionellen Wohlfahrtseffekte einer Zollunion? [3 Fit-Punkte] Es entstehen Aufschließungseffekte gegenüber den Zollunionspartnerländern. Es entstehen Abschließungseffekte gegenüber Drittländern. Die Handelsumlenkung von Drittländern in den Zollunionsraum verbessert die Allokation. Die Konsumentenrente steigt. Bisherige Importgüter werden nun von inländischen Produzenten hergestellt. <?page no="78"?> Fragen und Antworten 79 fit-lernhilfen.de Welcher Einfluss auf die Terms of Trade kann durch die Einführung einer Zollunion entstehen? [3 Fit-Punkte] Die Terms of Trade verbessern sich, da die an das Ausland zu zahlenden Importpreise sinken. Die Terms of Trade verbessern sich, da die Konsumentenpreise der Importgüter sinken. Die Terms of Trade verbessern sich, wenn das Inland nun anstelle von Drittländern in das Partnerland exportieren kann. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [2 Fit-Punkte] Die vier Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes beziehen sich nur auf den Waren- und Dienstleistungshandel. Für den Binnenmarkt wurden alle Produktstandards EUweit harmonisiert. Im öffentlichen Auftragswesen können die Aufträge weiterhin ohne EU-weite Ausschreibung vergeben werden Was wissen Sie über das Ursprungslandbzw. Bestimmungslandprinzip bei Produktstandards? [2 Fit-Punkte] Beim Ursprungslandprinzip müssen die Regelungen des Herkunftslandes auch im Zielland akzeptiert werden. Das Bestimmungslandprinzip schafft mehr Transparenz für die Verbraucher. Das Bestimmungslandprinzip vereinfacht die Produktion für die Anbieter im Integrationsraum. <?page no="79"?> fit-lernhilfen.de Welche Aussage(n) ist/ sind richtig? [2 Fit-Punkte] In der EU hat Deutschland den niedrigsten Mehrwertsteuersatz. Die Mehrwertsteuersätze in der EU haben eine Bandbreite von mehr als 10 Prozentpunkten. Vor Einführung des Binnenmarktes wurden importierte Waren mit dem MwSt-Satz des produzierenden Landes belegt. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [2 Fit-Punkte] Beim Bestimmungslandprinzip der Mehrwertsteuer ist eine Erfassung von Exporten und Importen notwendig. Beim Ursprungslandprinzip der Mehrwertsteuer ist das Prinzip der Wettbewerbsneutralität erfüllt. Beim Ursprungslandprinzip der Mehrwertsteuer gilt das Prinzip des „benefit to consumer“. Der Cecchini-Bericht … [2 Fit-Punkte] erfasst jedes Jahr die Umsetzung des Binnenmarktes. versuchte ex ante die Wirkungen des Binnenmarktes abzuschätzen. beruht auf realistischen Annahmen über die mögliche Ausnutzung von Skaleneffekten durch den Binnenmarkt. 80 <?page no="80"?> Fragen und Antworten 81 Welche Aussage(n) über die Wirkung von Arbeitskräftewanderungen ist/ sind richtig? [3 Fit-Punkte] Eine Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften verringert das Grenzprodukt der Geringqualifizierten. Eine Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften kann zu Arbeitslosigkeit bei den Geringqualifizierten führen. Die Wirkung der Zuwanderung kann auch davon abhängen, ob die Löhne flexibel sind oder es einen Mindestlohn gibt. Das Ursprungsland der Migranten kann von den Überweisungen an die im Heimatland verbliebenen Familien profitieren. Der EU-Binnenmarkt … [1 Fit-Punkt] ist mehr als eine Zollunion. ist zugleich eine Wirtschaftsunion. beinhaltet nur Liberalisierungen, aber keine Harmonisierungen. Ihr Punktestand Etappe 2 [ Fit-Punkte] <?page no="82"?> Etappe 3: EU-Regional- und Strukturpolitik EU-Regional- und Strukturpolitik 11 <?page no="83"?> 84 Etappe 3: EU-Regional- und Strukturpolitik fit-lernhilfen.de Startschuss: Schlagchlagwörter und Prüfungstipps Schlagwörter und Prüfungstipps Was erwartet mich in diesem Kapitel? Sowohl die Europäische Union als auch die Mitgliedsstaaten (auf nationaler Ebene) wenden hohe Summen für die regionale Förderung von Regionen mit Entwicklungsrückstand auf. Diese Beeinflussung regionaler Wirtschaftsstrukturen stützt sich auf das Konvergenzziel. In diesem Kapitel soll untersucht werden, wie dieses regionalpolitische Engagement für die Ebene der EU theoretisch gerechtfertigt werden kann. Sodann wird die konkrete Ausgestaltung der EU-Regional- und Strukturpolitik kritisch reflektiert. Abschließend wird kurz analysiert, ob die europäische Integration selbst Ursache von Konvergenz oder aber auch von Divergenz der wirtschaftlichen Entwicklungen im Integrationsraum sein kann. Welche Schlagwörter lerne ich kennen? Kohäsionspolitik Strukturfonds EFRE Europäischer Sozialfonds Kohäsionsfonds Programmplanung Additionalität Kofinanzierung Ziel-1-Region Gemeinschaftsinitiative Heranführung Konvergenz Divergenz Subsidiaritätsprinzip Mitnahmeeffekte Neue Ökonomische Geographie Polarisierung Zentrifugalkräfte Welchen Prüfungstipp erhalte ich aus dieser Etappe? Das Kapitel greift neben der zum Teil deskriptiven Darstellung der faktischen Regional- und Strukturpolitik der EU auch grundsätzliche Überlegungen zur Regionalförderung (Strukturpolitik) auf, die gleichermaßen im nationalen Rahmen relevant sind. Hier finden sich also Verbindungen zu Themen, die allgemein in Lehrveranstaltungen zur Wirtschaftspolitik angesprochen werden. Da die Regional- und Strukturpolitik ein aktives <?page no="84"?> Rechtfertigung regionalpolitischer Eingriffe 85 fit-lernhilfen.de Eingreifen des Staates bzw. der EU in die Wirtschaftsstrukturen bedeutet, wird hier auch die Bedeutung von Anreizstrukturen thematisiert, die z.B. auch in finanzwissenschaftlichen Vorlesungen angesprochen werden. Zudem werden Aspekte der klassischen und der neueren Wachstumstheorie aufgegriffen, die ebenfalls zu Synergieeffekten beim Erlernen des Stoffs anderer makroökonomischer Vorlesungen führen können. Rechtfertigung regionalpolitischer Eingriffe Unter Regionalpolitik oder regionaler Strukturpolitik wird der Versuch verstanden, über die Beeinflussung der Wirtschaftsentwicklung bzw. der Wirtschaftsstruktur von Regionen die regionalen Indikatoren so zu verändern, dass bestimmte wirtschaftspolitische Ziele erreicht werden (z.B. räumliche Konvergenz der Pro-Kopf-Einkommen). In der Europäischen Union existieren große Unterschiede bezüglich des BIP und des Pro-Kopf-Einkommens zwischen den einzelnen Mitgliedsländern - und noch ausgeprägter - zwischen den einzelnen Regionen. Die reichsten Regionen liegen im Nordwesten, im Norden und in der Mitte des Integrationsraums, die ärmsten an den Randgebieten und im Mittelmeerraum. Mit der europäischen Regionalpolitik und den Strukturfonds wurde daher ein Instrument geschaffen, um die Disparitäten zu reduzieren und die Kluft zwischen armen und reichen Regionen zu verringern. Diesen als Konvergenz bezeichneten Prozess befördert man, indem man versucht, den ärmeren Regionen zu einem stetig stärkeren Wachstum als den reichen zu verhelfen. Im Falle aktiver Regionalpolitik wird dabei der Versuch unternommen, ein politisch vorgegebenes Strukturleitbild mittels bewusster Interventionen und selektiv wirkender Instrumente durchzusetzen. Im Falle passiver Regionalpolitik wird dagegen lediglich der ordnungspolitische Rahmen dafür geschaffen, dass sich einzelne Regionen gemäß den jeweiligen regionalen Präferenzen <?page no="85"?> 86 Etappe 3: EU-Regional- und Strukturpolitik fit-lernhilfen.de entwickeln können und regionale Entwicklungspotenziale in einem Wettbewerbsprozess der Regionen untereinander mobilisiert werden. Wir werden uns hier vor allem mit der aktiven Regional- und Strukturpolitik befassen. Unter den Rahmenbedingungen eines (funktionierenden) marktwirtschaftlichen Systems sollten solche staatlichen Eingriffe jedoch auch klar begründet werden. Ökonomisch gerechtfertigt wären solche Maßnahmen z.B. dann, wenn Skalenerträge, Spill-over-Effekte, Agglomerationsvorteile oder endogener technischer Fortschritt wettbewerbsstärkere Regionen zusätzlich begünstigen, so dass sich die Regionen immer weiter auseinander entwickeln (Neue Ökonomische Geographie). Siehe hierzu auch das Unterkapitel „Konvergenz oder Divergenz“. Auch wenn der Wettbewerb zwischen den Regionen funktioniert und die (divergierende) regionale Wirtschaftsentwicklung schlicht Ergebnis einer effizienten Allokation der Ressourcen ist, werden zu große wirtschaftliche Unterschiede oft von der Gesellschaft (aufgrund bestimmter normativer Vorstellungen) nicht akzeptiert. Regionalpolitische Eingriffe, die die Divergenz verringern sollen, können daher eventuell - zumindest temporär - die Effizienz mindern und damit die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt beeinträchtigen. Wie auch in der Entwicklungspolitik sollten regionalpolitische Fördermaßnahmen daher immer nur zeitlich begrenzt und als „Hilfe zur Selbsthilfe“ angelegt sein. Sie können letztlich hierdurch doch langfristig effizient sein, wenn, z.B. durch eine verbesserte Infrastruktur, die geförderten Regionen später auch ohne weitere Unterstützung wettbewerbsfähiger sind als zuvor und den Rückstand aufholen. Problematisch ist es dagegen, wenn die Transfers dazu führen, dass eigentlich notwendige strukturelle Anpassungsprozesse in der Region unterbleiben. Die Folge wäre eine dauerhafte Transferabhängigkeit. Es stellt sich jedoch die Frage, ob - selbst prinzipiell gerechtfertigte - regionalpolitische Eingriffe auf nationaler Ebene oder von Seiten der EU erfolgen sollen. Generell sollte das Subsidiaritätsprinzip gelten, d.h. Entscheidungskompetenzen sollten auf möglichst niedriger Ebene angesiedelt werden, also möglichst „nahe am Gesche- <?page no="86"?> Rechtfertigung regionalpolitischer Eingriffe 87 fit-lernhilfen.de hen“. So hat die dezentrale Ebene bessere Informationen über die lokalen Präferenzen und lokalen Ressourcenausstattungen als eine höhere (zentrale) Ebene. Auch kann bei zentralen Lösungen weniger auf Unterschiede in den regionalen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen eingegangen werden. Auf europäischer Ebene wären regionalpolitische Eingriffe daher nur dann gerechtfertigt, wenn die genannten Skaleneffekte und Agglomerationseffekte grenzüberschreitend wären und somit eine gemeinsame Lösung erfordern, oder wenn ungewünschte regionale Entwicklungen durch den EU-Integrationsprozess selbst hervorgerufen wurden. So können bestimmte Regionen ja unterschiedlich stark vom Integrationsprozess profitieren, je nach wirtschaftlicher Ausgangssituation oder geographischer Lage (im Kern des Integrationsraums oder an der Peripherie). Dies könnte für eine Unterstützung der weniger begünstigten Regionen sprechen. Ökonomisch gerechtfertigt wären regionalpolitische Maßnahmen der EU auch dann, wenn den gesamten Integrationsraum betreffende externe Effekte vorlägen. Dies ist z.B. bei Netzwerkexternalitäten der Fall (z.B. Schaffung/ Ausbau von leitungsgebundenen Infrastruktureinrichtungen). Der bedarfsgerechte Ausbau eines Teilstücks eines transeuropäischen Netzes würde den Zugang aller Marktteilnehmer in der gesamten EU zu den betreffenden Regionen verbessern. Dies würde jedoch nicht unbedingt immer für die gezielte Förderung peripherer (armer) Regionen sprechen, sondern manchmal auch für den Ausbau der Netzwerke in überlasteten (eher reichen) Zentren. In der EU war jedoch seit jeher die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen ein wichtiges Ziel, das (unabhängig von den Ursachen der Unterschiedlichkeit der Wirtschaftskraft) die Förderung „weniger begünstigter Gebiete“ durch regional- und strukturpolitische Interventionen begründete. Dieses muss als rein politisches Anliegen angesehen werden, da divergierende realwirtschaftliche Entwicklungen nicht zwangsläufig ineffizient sein müssen und Divergenzprozesse nicht zwingend Marktversagen bedeuten, das durch regionalpolitische Eingriffe korrigiert werden müsste. <?page no="87"?> .de Inhalte der EU-Strukturfonds Theoretische Überlegungen zu Konvergenz und Divergenz im Zuge regionaler Integration sowie die Tatsache der nach wie vor recht gravierenden regionalen Unterschiede in der Wirtschaftsleistung Europas begründen die Forderungen nach einer europäischen Regional- und Strukturpolitik zum Abbau regionaler Unterschiede. Nach Artikel 130a des EG-Vertrages ist es ja auch Ziel der EU, „das bestehende Wohlstandsgefälle zwischen den Regionen der Gemeinschaft abzubauen“. Entscheidend ist dabei der Begriff „Region“, die Betrachtung erfolgt also nicht auf Länderebene, sondern auf untergeordneten Ebenen. Regionen Nach der Nomenclature des Unités Territoriales Statistiques (NUTS) des Europäischen Statistischen Amtes werden die Mitgliedsstaaten auf verschiedenen Ebenen in Regionen eingeteilt, die sich an den jeweiligen institutionellen Gebietseinheiten der Mitgliedsländer orientieren. Derzeit gilt: NUTS-0-Ebene: 28 Mitgliedsländer; NUTS-1-Ebene: 98 Regionen (in D: die 16 Bundesländer); NUTS-2-Ebene: 274 Regionen (in D: 39 Regierungsbezirke); NUTS-3-Ebene: 1324 Regionen (in D: 429 Landkreise) Hauptinstrumente der aktuellen EU-Regional- und Strukturpolitik (auch „Kohäsionspolitik“ genannt) sind die beiden Strukturfonds „Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)“ und „Europäischer Sozialfonds (ESF)“ sowie der spezielle „Kohäsionsfonds“. Ziel der Fondspolitik ist es, über eine Förderung des Strukturwandels und eine Verbesserung der Infrastruktur eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums in unterentwickelten Regionen zu erreichen und so bestehende regionale Wohlstandsunterschiede innerhalb der Union abzubauen. <?page no="88"?> Inhalte der EU-Strukturfonds 89 fit-lernhilfen.de Der ESF wurde bereits 1960 mit dem Ziel gegründet, die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu verbessern und zur Hebung ihres Lebensstandards beizutragen. Die Maßnahmen waren auf die Bereiche Umschulung, Umsiedlungsbeihilfen und Produktionsumstellung ausgerichtet. Mittlerweile erfolgt eine inhaltliche Konzentration auf Langzeitarbeitslose (75 Prozent der Mittel für jugendliche Langzeitarbeitslose, 25 Prozent für ältere Langzeitarbeitslose) und eine regionale Konzentration auf unterentwickelte Regionen (40 Prozent der Fondsmittel). Letzteres führt zu Überschneidungen mit dem EFRE. Der EFRE wurde 1975 im Zuge der Norderweiterung der EG als Instrument einer eigenständigen, supranationalen Regionalpolitik gegründet. Bis 1988 entwickelte sich die Regionalpolitik der EG dabei in drei Phasen: Beteiligungsphase (1975 - 79: finanzielle Beteiligung an der nationalen Regionalpolitik ohne eigene Konzeption), Abkoppelungsphase (1979 - 84: erste Ansätze für eine eigenständige, regionalpolitische Konzeption des EFRE; komplementäre Regionalpolitik) und Verselbstständigungsphase (seit 1985: Stärkung der EFRE-Kompetenzen im Sinne einer eigenständigen EU- Regionalpolitik und Übergang vom projektzum mehrjährigen programmorientierten Förderansatz). Im Rahmen der Diskussion um die Europäische Währungsunion wurde Anfang der 1990er Jahre mit dem Kohäsionsfonds ein weiterer Fonds geschaffen. Seine Aufgabe war es zunächst, über eine finanzielle Förderung von Umwelt- und grenzüberschreitenden Verkehrsinfrastrukturinvestitionen eine wirtschaftliche Verbesserung in schwächeren Mitgliedsstaaten zu erreichen, um sie vor dem Start der Währungsunion für die gemeinsame Währung zu stärken. Wesentlich bei allen Förderungen ist, dass es keine Zahlungen im Sinne eines ungebundenen Finanzausgleichs gibt, sondern an Projekte oder Programme gebundene Transfers. Zwar könnte das Argument, dass die Empfängerregion die besten Kenntnisse über die Notwendigkeiten vor Ort hat und durch die eigenen Wähler leichter als die EU für Fehlinvestitionen zur Verantwortung gezogen werden könnte, für ungebundene Transfers sprechen. Doch besteht die Gefahr, dass die Interessen der Zahler (Gemeinschaft <?page no="89"?> 90 Etappe 3: EU-Regional- und Strukturpolitik fit-lernhilfen.de der EU-Steuerzahler) und der Empfänger nicht identisch sind. Die EU will mit den Transfers primär einen Aufholprozess schwächerer Regionen, also Wirtschaftswachstum und entsprechende nachhaltige Beschäftigungseffekte generieren. In der Empfängerregion können aber auch andere Ziele eine Rolle spielen, wie Umverteilung, Wahlgeschenke oder kurzfristige Konjunkturimpulse statt längerfristiger Wachstumseffekte. Bei ungebundenen Transfers würden die Ziele der Geldgeber daher eventuell unterlaufen werden. Entwicklung der Zielsetzungen der EU-Förderung Nach dem Beitritt der südeuropäischen Länder, die eine deutlich unterdurchschnittliche Wirtschaftsentwicklung aufwiesen, und dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte wurde das Ziel eines Abbaus der regionalen Ungleichheiten noch intensiver verfolgt. So erfolgte 1988 eine grundlegende strukturelle Reform der EU-Regional- und Strukturpolitik. Die Mittel der Strukturfonds wurden zugleich verdoppelt, um einen möglichen Wettbewerbsschock für die schwächeren Volkswirtschaften abmildern zu können. Zur Steigerung der Effizienz wurden zudem für alle kohäsionspolitischen Interventionen dieser Fonds einheitlich fünf zentrale Grundsätze festgelegt: (1) Konzentration der kohäsionspolitischen Interventionen (2) Programmplanung (3) Partnerschaft der Kommission mit nationalen und lokalen Behörden (4) Kohärenz und Additionalität (5) Begleitung und Bewertung der kohäsionspolitischen Interventionen. Unter Grundsatz (1) ist die Konzentration der Kohäsionspolitik auf wenige, vorrangige Ziele zu verstehen (ursprünglich sechs, mittlerweile zusammengefasst bzw. gekürzt auf drei Ziele, siehe auch weiter hinten). Die ursprünglichen Ziele waren: <?page no="90"?> Entwicklung der Zielsetzungen der EU-Förderung 91 fit-lernhilfen.de Ziel 1: Förderung der Entwicklung und der strukturellen Anpassung der Regionen mit Entwicklungsrückstand (Pro-Kopf-BIP unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts), Ziel 2: Umstellung der Regionen, die von einer rückläufigen industriellen Entwicklung schwer betroffen sind, Ziel 3: Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, Ziel 4: Erleichterung der Eingliederung der Jugendlichen in das Erwerbsleben, Ziel 5a und b: Beschleunigte Anpassung der Agrarstrukturen und Entwicklung des ländlichen Raums, Ziel 6: Förderung dünnbesiedelter Regionen. Intention dieses Grundsatzes der Konzentration war es, durch die Vermeidung einer zu weiten Streuung der Mittel eine höhere Effizienz der Kohäsionspolitik zu erreichen. Von den sechs Zielen war und ist bis heute Ziel 1 am relevantesten: Von Anfang an schon flossen mehr als zwei Drittel der Fondsmittel in sog. Ziel-1- Regionen. Um die Zusammenarbeit der Einzelfonds zu fördern, Synergieeffekte nutzen zu können und den Planungshorizont zu erweitern, wechselte man von einer projektbezogenen Planung auf die Programmplanung über (Grundsatz 2). Damit sind klare, aufeinander abgestimmte strategische Ziele und Maßnahmen sowie mehrjährige Laufzeiten der Förderprogramme verbunden. Im Regelverfahren genehmigt die Kommission die von den Mitgliedsstaaten eingereichten, mehrjährigen Pläne, die nach der Genehmigung auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Zusätzlich legt die Kommission in Form von Gemeinschaftsinitiativen eigenständige Programme auf. Unter Partnerschaft (Grundsatz 3) ist eine Beteiligung nationaler Gebietskörperschaften an der Planung und Durchführung sowie eine enge Abstimmung zwischen der Kommission und den zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten zu verstehen. Mit Kohärenz (Grundsatz 4) sollen Widersprüche zwischen den nationalen Regionalpolitiken und der EU-Politik vermieden werden. Zudem soll die Additionalität gewährleisten, dass Fondszu- <?page no="91"?> 92 Etappe 3: EU-Regional- und Strukturpolitik fit-lernhilfen.de weisungen zusätzliche Mittel darstellen und nicht nur nationale Gelder ersetzen. Ein Instrument zur Umsetzung der Additionalität ist das Prinzip der obligatorischen Kofinanzierung durch die nationalen Behörden. Unter Begleitung und Bewertung (Grundsatz 5) ist zu verstehen, dass die EU bei der Umsetzung in Form von Begleitausschüssen beratend zur Seite steht und abschließend eine Evaluierung des wirtschaftlichen Erfolges des Programmes stattfindet. Der erst in den 1990er Jahren geschaffene Kohäsionsfonds unterscheidet sich von den Strukturfonds u.a. durch folgende Punkte: Seine Mittel fließen nur Staaten zu, deren Pro-Kopf-Einkommen unter 90 Prozent des EU-Durchschnitts liegt. Die Ausrichtung ist somit national statt regional. Die Mittelvergabe ist an eine makroökonomische Konditionalität gebunden, die die Empfängerländer über die Laufzeit des Fonds zur Einhaltung der Maastrichter Fiskalkriterien verpflichtet. Die Gründung neuer Einzelfonds und die Erweiterung um neue Unterziele hatte zwischenzeitlich dazu geführt, dass über die Hälfte der EU-Bevölkerung in als förderungswürdig eingestuften Regionen lebten. Diese großflächige Streuung der Haushaltsmittel verhinderte zum einen die notwendige Konzentration auf tatsächliche Problemregionen und drohte zum anderen den EU-Haushalt zu überfordern. Daher sollte mit den Beschlüssen von Berlin im Juni 1999 eine Reform der Strukturpolitik stattfinden. Ziel der Reform war eine weitere inhaltliche Fokussierung der Strukturpolitik und ihre Konzentration auf die wirtschaftlich schwächsten Regionen. Der von den regionalen Förderprogrammen abgedeckte Anteil der EU- Bevölkerung sollte von damals mehr als 50 Prozent auf unter 40 Prozent bis zum Jahr 2006 sinken. Die Strukturfonds sollten sich nur noch auf 3 Ziele konzentrieren: Ziel 1: Förderung der Regionen mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts. Dies <?page no="92"?> Entwicklung der Zielsetzungen der EU-Förderung 93 fit-lernhilfen.de sind insbesondere die fünf neuen Bundesländer, große Teile Irlands, Portugals, Spaniens und Griechenlands, das österreichische Burgenland, Schottland, Süditalien sowie die arktischen Gebiete Finnlands und Schwedens. Aus der Förderung nun ausscheidende Regionen sollten Übergangszeiten erhalten. In diese Ziel-1-Regionen sollten 70 Prozent aller Strukturgelder fließen. Ziel 2: Unterstützung von Gebieten, die vom Strukturwandel besonders betroffen sind, aber nicht Ziel-1-Region sind. Verfügbar waren hierfür 11,5 Prozent der Strukturmittel. Ziel 3: Hilfen für die Ausbildungs- und Beschäftigungspolitik in den Mitgliedsstaaten. Die Vergabe der Mittel richtete sich im Wesentlichen nach der Beschäftigungslage. Der Anteil an den Strukturmitteln betrug 12 Prozent. Gemeinschaftsinitiativen: Rund 5 Prozent der Strukturmittel blieben für von der EU-Kommission direkt betreute Schwerpunktprogramme reserviert. „Interreg“ diente der Verstärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. „Equal“ sollte zur Chancengleichheit von Mann und Frau in Gesellschaft und Beruf beitragen. Aus dem Programm „Leader“ wurden Pilotvorhaben für die Wirtschaftsförderung im ländlichen Bereich finanziert. Programm „Urban“ richtete sich an krisenbetroffene Städte. Eine veränderte inhaltliche Ausrichtung war mit den neuen Zielen jedoch nicht verbunden: An der Abgrenzung von Ziel-1-Regionen und Ziel-2-Regionen hatte sich inhaltlich nichts geändert. Das Ziel 3 entsprach den früheren Zielen 3 und 4. Die Gemeinschaftsinitiative „Leader“ entsprach in etwa den früheren Zielen 5a und 5b. Nur das frühere Ziel 6 war nun weggefallen. Weitere Beschlüsse waren: Besondere Mittel für die osteuropäischen Beitrittskandidaten wurden bereitgestellt, die der „Heranführung“ an den Beitritt dienen sollten, um diese Länder „fit“ für die EU zu machen. Für die Gesamtförderung eines Landes wurde eine Höchstgrenze von maximal vier Prozent des BIP eingeführt. <?page no="93"?> 94 Etappe 3: EU-Regional- und Strukturpolitik fit-lernhilfen.de Der Kohäsionsfonds wurde (und wird) fortgeführt, obwohl die Währungsunion ja mittlerweile schon existiert (und zwar auch teilweise mit Ländern, die nach wie vor vom Kohäsionsfonds unterstützt werden). Für den Finanzrahmen 2007 - 2013 sind die Ziele erneut etwas umdefiniert worden (bei im Wesentlichen gleichen Inhalten): Ziel 1: Konvergenz Innerhalb des Ziels „Konvergenz“ sollen die Mitgliedsstaaten und Regionen mit dem größten Entwicklungsrückstand durch Verbesserung der Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung gefördert werden. 81,54 Prozent der Mittel sind hierfür vorgesehen. Unter das Ziel „Konvergenz“ fallen dabei Regionen, deren Pro- Kopf-BIP weniger als 75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts beträgt (alte und neue Ziel-1-Regionen). Auch sind jene Regionen förderfähig, die vom sog. „statistischen Effekt“ betroffen sind. Statistischer Effekt: Durch die Osterweiterung der EU ist das durchschnittliche BIP der Gemeinschaft gesunken. Hierdurch gibt es Regionen, die vor der Erweiterung ein Pro- Kopf-BIP unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts hatten, nun aber über 75 Prozent liegen. Sie sind vom sog. „statistischen Effekt“ betroffen, indem sie wegen des Rückgangs des durchschnittlichen EU-BIPs aus der „klassischen” Ziel-1- Förderung herausfallen würden. Diese Regionen erhalten zum Ausgleich am Beginn des Finanzierungszeitraums 85 Prozent jener Mittel, die sie im Rahmen des Konvergenzziels bekommen hätten, falls sie nach wie vor ein Pro-Kopf- Einkommen unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts gehabt hätten. Bis 2013 wird dieser Anteil auf 60 Prozent gesenkt. Ziel 2: Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung Das Ziel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ erstreckt sich auf Gebiete der EU, die nicht unter das Ziel „Konvergenz“ fallen. Ziel ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und <?page no="94"?> Entwicklung der Zielsetzungen der EU-Förderung 95 fit-lernhilfen.de Attraktivität der Regionen. Erreicht werden soll dies durch die Steigerung und qualitative Verbesserung der Investitionen in das Humankapital, durch Innovation und Förderung der Wissensgesellschaft, Förderung des Unternehmergeistes, Schutz und Verbesserung der Umwelt, Förderung der Anpassungsfähigkeit von Arbeitnehmern und Unternehmen sowie Entwicklung von integrativen Arbeitsmärkten. (Entspricht weitgehend den vorherigen Zielen 2 und 3). Knapp 16 Prozent der Mittel sind für dieses Ziel vorgesehen. Ziel 3: Europäische territoriale Zusammenarbeit Das Ziel „Europäische territoriale Zusammenarbeit“ besteht in der Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durch gemeinsame lokale und regionale Initiativen, in der Stärkung der transnationalen Zusammenarbeit in Gestalt von Aktionen zur integrierten Raumentwicklung und im Ausbau der interregionalen Zusammenarbeit und des Erfahrungsaustauschs auf der geeigneten territorialen Ebene. Ca. 2,5 Prozent der Mittel stehen hierfür zur Verfügung. Im Ziel „Konvergenz“ werden EFRE, ESF und Kohäsionsfonds tätig, im Ziel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ EFRE und ESF und im Ziel „Europäische territoriale Zusammenarbeit“ ausschließlich der EFRE. Bei dem weiterhin bestehenden Kohäsionsfonds sind seit 2007 alle zwölf neuen Mitgliedsstaaten sowie noch zwei der ursprünglichen Empfängerstaaten der „alten“ EU (Portugal und Griechenland) Begünstigte. Dazu war eine Aufstockung der Finanzausstattung des Kohäsionsfonds von 18 Mrd. € (für den Zeitraum 2000 - 2006) auf rund 61 Mrd. € (2007 - 2013) notwendig. Irland erhält seit dem 1.1.2004 und Spanien seit dem 1.1.2007 keine Mittel mehr aus dem Kohäsionsfonds. <?page no="95"?> .de Kritische Reflexion der Regional- und Strukturpolitik der EU Im Folgenden seien einige Aspekte aufgeführt, die die Effizienz der europäischen Regional- und Strukturpolitik mindern können: Das Subsidiaritätsprinzip ist nicht immer erfüllt. Nicht immer wird hinreichend überprüft, ob tatsächlich die EU- Ebene besser geeignet ist, über die Förderungen auf regionaler Ebene zu entscheiden. Auch stellt sich die Frage: Muss die EU regionale Disparitäten ausgleichen, wenn sie gar nicht die Ursache dafür ist? Eine Rent-Seeking-Mentalität der Mitgliedsländer ist nicht auszuschließen: Die Mitgliedsländer setzen alles daran, Mittel aus den Strukturfonds abzuschöpfen, auch wenn sie diese Mittel gar nicht immer effizient verwenden können. Die Gefahr von Mitnahmeeffekten ist ebenfalls nicht immer auszuschließen: Sowieso national geplante Projekte werden zumindest teilweise durch die EU finanziert. Oft werden zwar viele Mittel beantragt, aber der Mittelabfluss ist dann recht zögerlich. Der Grund hierfür ist, dass die Kofinanzierung selbst für sinnvolle Projekte oft schwierig ist. Die Finanzierungsmöglichkeiten werden zu optimistisch eingeschätzt, so dass zu viele Mittel beantragt werden, obwohl der Eigenbeitrag gar nicht geleistet werden kann. Andererseits werden oftmals auch weniger Fördermittel beantragt als von Seiten der EU geplant waren. Als Gründe hierfür werden vor allem genannt: eine schwerfällige EU-Verwaltung; eine schwerfällige Verwaltung in den Mitgliedsstaaten; ursprünglich zu optimistische Finanzierungspläne der Mitgliedsländer; Koordinierungsschwierigkeiten mehrerer befasster Stellen; Unkenntnis der EU-Vorschriften; Differenzen und Unverträglichkeiten zwischen nationalen und gemeinschaftlichen Behörden usw. Fördermaßnahmen können letztlich in eine falsche Richtung wirken: (Verkehrs)Infrastrukturinvestitionen können zu 9 Etappe 3: EU-Regional- und Strukturpolitik <?page no="96"?> Kritische Reflexion der Regional- und Strukturpolitik der EU 97 fit-lernhilfen.de Ballungstendenzen führen, da die Belieferung der Peripherie vom Zentrum aus leichter wird. Auch können Investitionen in das Humankapital in der Peripherie die Abwanderung gut qualifizierter Arbeitskräfte dort erhöhen (Brain drain), wodurch ein nachhaltig positiver Effekt in der Peripherie verhindert wird. Es können sich Zielkonflikte zwischen dem Konvergenzziel und allgemeinen Wachstumseffekten ergeben: Negative Anreizeffekte: Fördert man wirtschaftlich schwache Regionen durch Transfers aus den Regional- und Strukturfonds, vermindert man u.U. den Druck zu strukturellen Reformen, so dass die Regionen dauerhaft „am Tropf“ bleiben. Die Empfängerregionen müssen zudem befürchten, in Zukunft keine Mittel mehr zu bekommen, wenn sie zu stark wachsen, was ebenfalls kein Ansporn ist. Der Eingriff in die Allokation durch Transfers kann daher zwar zu mehr Gleichheit zwischen den Regionen führen, aber schwächt eventuell die Effizienz. Falsche Auslese: Subventionszahlungen an Unternehmen, die sich in peripheren Regionen ansiedeln, können zu einer selektiven Ansiedelung von unproduktiven Unternehmen in diesen Regionen führen. Verlust an positiven Externalitäten: Die Abwerbung von Unternehmen aus dem Zentrum in die Peripherie durch EU-Transfers kann dazu führen, dass diese Unternehmen die positiven Externalitäten verlieren, die sie in der Kernregion erhalten hatten. Sie werden somit in der Peripherie tendenziell unproduktiver sein, was das Wachstum schwächt. Empirische Studien: In empirischen Untersuchungen zeigt sich, dass EU-Fördermittel wohl einen konvergenzfördernden Effekt haben, sich aber langfristig eher negativ auf das Wachstum insgesamt auswirken (z.B. wachstumsfördernd in den armen Bundesländern und wachstumsschwächend in den reichen Bundesländern). <?page no="97"?> 98 fit-lernhilfen.de Fazit Die Bereitstellung von Strukturhilfen ist somit nur solange konvergenzfördernd, wie diese auch investiert und absorbiert werden können, also zusätzliche Wachstumsimpulse geben. Ist die Investitions- und Absorptionsfähigkeit erschöpft, so verpuffen die Hilfen, lösen nur noch Mitnahmeeffekte ohne realwirtschaftliche Folgen aus oder alimentieren überzogene Lohn- und Preisforderungen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach einer Bewertung der europäischen Regional- und Strukturpolitik: Seit 1988 sind Kommission und Mitgliedsstaaten zu einer regelmäßigen Evaluation ihrer Regional- und Strukturpolitik verpflichtet. Genutzt werden hierzu verschiedene ökonometrische makrobzw. regionalpolitische Modelle sowie Input-Output-Vergleiche. Die Inputseite ist dabei naturgemäß besser erfassbar. Fraglich bleibt aber oft, inwieweit die EU-Fördermittel tatsächlich zusätzliche Projekte finanzieren oder nur nationale Mittel ersetzen, die sonst ebenfalls das Projekt ermöglicht hätten. Die Modelle unterstellen dabei volle Additionalität. Auf der Outputseite besteht das Problem, dass der Erfolg von Maßnahmen oft über mehrere Jahre verteilt eintritt und somit sowohl schwer zu messen als auch schwer bestimmten Maßnahmen zuzuordnen ist. Diagnostizierte Erfolge oder Misserfolge ergeben sich zudem aus dem Zusammenwirken allgemeiner wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen, dem Einfluss der nationalen Regionalpolitik und dem Einfluss der europäischen Kohäsionspolitik. Es ist kaum möglich, den jeweiligen Anteil zu identifizieren, insbesondere wenn auch noch Effekte durch die Konjunktur oder durch weltwirtschaftliche Veränderungen hinzukommen. Selbst wenn Transferzahlungen bestimmte Indikatoren positiv beeinflussen, sagt dies zumeist noch nichts über nachhaltige Veränderungen aus oder über die Fähigkeit von Regionen, nachhaltig aus eigener Kraft aufzuschließen. <?page no="98"?> Exkurs: Konvergenz oder Divergenz im Integrationsprozess? 99 fit-lernhilfen.de Schließlich müssen mikro- und makroökonomische Effekte unterschieden werden. Auch wenn einzelwirtschaftlich positive Effekte vorzufinden sind, können die gesamtwirtschaftlichen Effekte ein anderes Bild zeichnen. Das Entstehen neuer Arbeitsplätze etwa muss nicht bedeuten, dass diese nicht auch ohne die Fördermittel entstanden wären (Mitnahmeeffekte). Umgekehrt können umfangreiche Transfers dazu verleiten, Projekte in Angriff zu nehmen, für die im Grunde kein Bedarf besteht und deren gesamtwirtschaftliche (makroökonomische) Effekte daher deutlich geringer sind als die zunächst geschaffenen Arbeitsplätze suggerieren. Die Problematik der Zuordenbarkeit der Erfolge strukturpolitischer Maßnahmen führt im Übrigen auch dazu, dass nachfrageseitige Programme oft stärker gefördert werden als angebotsseitige. Nachfragewirkungen treten kurzfristig auf und sind auch quantitativ besser erfassbar. Strukturverbesserungen, die die Angebotsbedingungen nachhaltig verbessern, so dass der Wachstumsimpuls später auch ohne Strukturhilfen fortwirken kann, sind schwerer quantitativ erfassbar. Als Reformvorschläge werden oftmals genannt: Stärkere Ausrichtung der Mittelvergabe an der wirtschaftlichen Effizienz und weniger an der Bedürftigkeit; Konzentration auf weniger Ziele und Regionen; Senkung der Fördersätze (dadurch mehr Kofinanzierung durch die Regionen selbst). Exkurs: Konvergenz oder Divergenz im Integrationsprozess? Ein Ziel der Europäischen Gemeinschaft ist die Förderung einer „beständigen und ausgewogenen Wirtschaftsausweitung“. Daneben hat sie sich aber auch das Ziel gesetzt, „den Abstand zwischen den verschiedenen Regionen zu verringern“ (Artikel 130a EWGV). Diese Formulierung bezieht sich auf den Abbau regionaler Dis- <?page no="99"?> 100 fit-lernhilfen.de paritäten, sowohl innerhalb als auch zwischen den Ländern. Sie werden an Unterschieden im Pro-Kopf-Einkommen festgemacht. Es stellt sich nun die Frage, ob die Integrationsbestrebungen der Gemeinschaft automatisch zu mehr Konvergenz führen, oder ob sogar polarisierende Wachstumsprozesse eingeleitet werden können, die die Einkommensunterschiede noch verschärfen. Wäre dies der Fall, so würde auch dies die Notwendigkeit zentraler Eingriffe im Rahmen der EU-Regionalpolitik begründen können. Gilt die Konvergenzthese, so müsste im Rahmen der Integration im Zeitablauf eine Angleichung der Pro-Kopf-Einkommen entstehen. Voraussetzung eines Abbaus regionaler Einkommensdifferenzen ist dabei, dass die Wachstumsraten der Einkommen in den wirtschaftlich schwächeren Regionen höher ausfallen müssen als in den wirtschaftlich stärkeren Regionen. Das Kohäsionsbzw. Konvergenzziel erfordert daher über eine längere Frist ein überdurchschnittliches reales Wachstum in den rückständigen Gebieten ( -Konvergenz). Absolute (unbedingte) ß-Konvergenz bedeutet, dass die regionalen/ nationalen Wachstumsraten negativ mit dem jeweiligen Ausgangsniveau des BIP pro Kopf korreliert sind, d.h. dass Regionen/ Länder mit niedrigem BIP tendenziell höhere Wachstumsraten haben als Regionen/ Länder mit hohem BIP. Nach Abschluss des Konvergenzprozesses haben alle dasselbe Pro-Kopf-Sozialprodukt. Bedingte ß-Konvergenz bedeutet, dass die Wachstumsraten des BIP umso höher sind, je weiter ein Land (eine Region) von der eigenen steady-state-Wachstumsrate entfernt ist. Diese individuellen steady-state-Wachstumsraten unterscheiden sich in Abhängigkeit von der Ausstattung mit wichtigen sozioökonomischen Variablen wie Humankapitalbestand, Produktionstechnologien, Infrastruktur, politische Institutionen usw. Unter bedingter ß-Konvergenz können die Pro-Kopf- Einkommen auch dauerhaft unterschiedlich bleiben. <?page no="100"?> Exkurs: Konvergenz oder Divergenz im Integrationsprozess? 101 fit-lernhilfen.de -Konvergenz liegt vor, wenn sich im Zeitablauf die Streuung der realen Pro-Kopf-Einkommen innerhalb einer Ländergruppe reduziert. Konvergenzthese Internationale Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen sind heutzutage zumeist in unterschiedlichen Höhen und Wachstumsraten der (Arbeits)Produktivität begründet. Diese wiederum sind c.p. abhängig von der Höhe des technischen Fortschritts und der Kapitalintensität, so dass internationale Einkommensdisparitäten letztlich auf technischen Rückstand und Kapitalknappheit der ärmeren Länder zurückzuführen sind. Nach neoklassischer Theorie bewirkt eine ökonomische Integration durch Liberalisierung der Gütermärkte, der Dienstleistungsmärkte und der Faktormärkte eine internationale Angleichung der Faktoreinkommen und auch der Pro-Kopf-Einkommen. So bedeutet im einfachen Zwei-Faktoren-Modell eine hohe Kapitalintensität c.p. ein relativ geringes Grenzprodukt des Kapitals, ein hohes Grenzprodukt der Arbeit und damit hohe Löhne. Eine geringe Kapitalintensität dagegen bewirkt ein hohes Grenzprodukt des Kapitals, aber ein geringes Grenzprodukt der Arbeit und niedrige Löhne. Bei unbeschränkter Kapitalmobilität wird das Kapital dorthin wandern, wo die höchste Rendite zu erzielen ist; dies ist dort, wo ein hohes Grenzprodukt des Kapitals vorliegt, also in den arbeitsreichen (Niedriglohn-)Regionen. Das Kapital wird danach in die schwächeren Regionen gelenkt und kann dort die Arbeitsproduktivität, die Löhne, das Wirtschaftswachstum sowie das gesamtwirtschaftliche Realeinkommen (und damit auch das Pro-Kopf- Einkommen) steigern. Entsprechend gegenläufige Wirkungen treten im kapitalreichen Land auf, wodurch sich die Pro-Kopf- Einkommen der beiden Länder annähern. Auch die neoklassische Wachstumstheorie kommt zu diesem Ergebnis: Der Ertrag eines Faktors ist umso größer, je niedriger die <?page no="101"?> 102 fit-lernhilfen.de Anfangsausstattung mit dem Faktor ist, d.h. ärmere Volkswirtschaften wachsen schneller als reichere. Das einfache neoklassische Modell kommt also zu dem Ergebnis, dass regionale Einkommensdifferenzen durch entsprechende Faktorwanderungen abgebaut werden können. Dabei wird allerdings freie internationale Mobilität der Produktionsfaktoren, Entlohnung nach dem Grenzprodukt und Flexibilität der Faktorpreise nach oben und unten unterstellt. Die internationale Mobilität der Faktoren kann auch durch absolut freien Güterhandel substituiert werden, wenn - bei unterschiedlichen Faktorintensitäten in der Produktion der einzelnen (international homogenen) Güter - die Spezialisierung gemäß der Faktorausstattung (Heckscher-Ohlin-Ansatz; Faktorproportionentheorie) zum internationalen Faktorpreisausgleich führt. Im Hinblick auf eine monetäre Integration (hier etwa in Form einer Währungsunion) lassen sich darüber hinaus noch weitere mögliche Konvergenzeffekte ableiten: Durch die Ausschaltung des Wechselkursrisikos im Währungsraum und den Wegfall wechselkursbedingter Transaktionskosten kann die Intensität der Handels- und Kapitalbeziehungen verstärkt werden und somit auch die damit verbundenen Konvergenzeffekte. Speziell die Ausschaltung des Währungsrisikos zwischen den Partnerländern kann höhere Kapitalzuflüsse in die bisher schwächeren Länder bewirken. Direktinvestitionen in den peripheren Ländern sind dann nicht mehr dem Währungsrisiko ausgesetzt, so dass ein eventueller Lohnkostenvorteil dieser Regionen die Richtung der Investitionen deutlicher bestimmen kann. Steigende Kapitalimporte erhöhen die Produktivität, und da das Produktivitätsniveau in den ökonomisch schwächeren Regionen anfangs relativ niedrig ist, kann hierdurch oftmals ein verhältnismäßig großer Produktivitätssprung erreicht werden. Falls schließlich in der Währungsunion eine stabile gemeinsame Währung geschaffen wird, werden die früheren Schwachwährungs- <?page no="102"?> Exkurs: Konvergenz oder Divergenz im Integrationsprozess? 103 fit-lernhilfen.de Länder auch für Direktinvestitionen aus Drittländern attraktiver; dies kann das Produktivitätswachstum dort zusätzlich vorantreiben. Wenn die ökonomischen Unterschiede innerhalb des Integrationsraums somit ihre Ursache in den unterschiedlichen Geld- und Währungspolitiken haben, so könnte sich durch eine monetäre Integration eine aufholende Entwicklung für diejenigen Länder ergeben, deren ökonomische Probleme zuvor durch eine vergleichsweise instabile Währung (oft in Verbindung mit relativ hohen Zinsen) bedingt waren. Divergenzthese Die Realität anhaltender regionaler Unterschiede zwischen integrierten Volkswirtschaften führte zu der These, dass die Liberalisierung auch regionale Konzentrationsprozesse und eine Ausweitung bereits bestehender Einkommensdivergenzen hervorbringen kann. Eine zentrale Rolle in der daraus folgenden Divergenzthese spielen steigende Skalenerträge, Spill-over-Effekte, Agglomerationsvorteile und endogener technischer Fortschritt, also die Existenz unvollkommener Märkte (Aspekte der neueren Wachstumstheorie). Durch die Integration wird eine Arbeitsteilung nach komparativen Vorteilen möglich. Nun spielen aber steigende Skalenerträge und der technologische Fortschritt eine wichtige Rolle für die Möglichkeit der fortschrittlicheren Länder oder Regionen, im Zuge der Integration ihren Vorsprung auszubauen, indem sie sich auf neue Produkte mit hohem technologischen Input und hoher Wertschöpfung spezialisieren, deren Produktionsverfahren durch Economies of Scale und/ oder positive externe Effekte (und Spill-overs) gekennzeichnet sind. Ein Wachstum solcher Industriezweige verstärkt damit die komparativen Vorteile in der Produktion dieser Güter. Unterscheiden sich zudem die Regionen hinsichtlich der Produktivitätsentwicklung, während sich die Löhne im Zuge der Integration jedoch interregional anpassen, so profitieren die Regionen mit den höheren Produktivitätszuwächsen, die damit vergleichsweise niedrigere Lohnstückkosten und höhere Gewinne verbuchen können. Dies wiederum führt zu verstärkten Investitionen und damit <?page no="103"?> 104 fit-lernhilfen.de zu weiteren Produktivitätssteigerungen in den sowieso schon einkommensstarken Regionen. Berücksichtigt man darüber hinaus noch, dass aufgrund des raschen Alterungsprozesses hochtechnologischen Produktivkapitals das Durchschnittsalter des Kapitalstocks mitentscheidend für die Produktivität und damit die Produktionskosten ist, so unterstützt dies noch die Argumentation. Eine Region, die schneller wächst als andere, erreicht durch die Neuinvestitionen einen zusätzlichen Produktivitätsfortschritt oder einen Qualitäts- und Effizienzvorsprung, der es ihr ermöglicht, weiterhin schneller zu wachsen als die anderen Regionen. Auch damit werden also Ungleichgewichte zwischen den Regionen verstärkt. Im Rahmen der sog. „neuen ökonomischen Geographie“ werden Größenvorteile, wie unternehmensinterne Skalenerträge (z.B. Massenproduktionsvorteile, Lernkurveneffekte), brancheninterne Lokalisationsvorteile (z.B. ein großer branchenspezifischer Absatzmarkt, eine hohe Zuliefererdichte oder ein hohes Fachkräfteangebot) und branchenexterne Urbanitätsvorteile (z.B. Spill-over- und Spread-Effekte aus anderen Branchen), als zentripetale Kräfte bezeichnet. Diese Merkmale eines unvollkommenen Marktes bewirken, dass sich Unternehmen bevorzugt in bereits bestehenden Ballungszentren niederlassen, wodurch es zu Konzentrationsprozessen und der Verfestigung von Einkommensdivergenzen kommt. In diesem Ansatz wirkt eine hohe Faktormobilität noch verstärkend auf die Polarisierung: Durch die aus der Handelsspezialisierung resultierende Beschleunigung des technischen Fortschritts in den stärkeren Regionen können Kapital- und Arbeitsproduktivität dort simultan steigen, so dass auch dementsprechend höhere Faktorpreise bezahlt werden. Diese bewirken wiederum, dass Kapital und insbesondere hochqualifizierte Arbeitskräfte aus den schwächeren Regionen abgeworben werden können (Brain drain), wodurch es zu einer verstärkten Divergenz der regionalen Einkommensentwicklungen kommt. Ökonomische Integration, die die Faktormobilität erhöht, verstärkt unter diesen Umständen nur die Disparitäten. <?page no="104"?> Exkurs: Konvergenz oder Divergenz im Integrationsprozess? 105 fit-lernhilfen.de Die Abwanderung der Produktionsfaktoren aus schwachen Regionen in starke Regionen kann jedoch zum Stillstand kommen, wenn Ballungsnachteile, wie steigende Preise der immobilen Produktionsfaktoren, überlastete Infrastruktur, Staukosten oder ansteigende Kriminalität, die als zentrifugale Kräfte bezeichnet werden, die Agglomerationsvorteile übersteigen. Die Rolle von Transportkosten wird in der neuen ökonomischen Geographie in diesem Zusammenhang ambivalent gesehen. Sind die Transportkosten sehr hoch, so befindet sich jede Region in einem Zustand der kostenbedingten Autarkie. Erst das Absenken der Transportkosten erlaubt die Aufnahme von Außenhandel und damit Integration. Bei geringeren Transportkosten ermöglicht zunächst ein zentraler Standort das Ausnutzen von Skaleneffekten und Externalitäten - die zentripetalen Kräfte überwiegen. Sinken die Transportkosten jedoch weiter und steigen gleichzeitig die Ballungskosten, so können die zentrifugalen Kräfte dominieren, und es wird für Unternehmen zunehmend interessant, auch die Absatzmärkte der Zentren von Produktionsstätten in den peripheren Regionen zu bedienen. Die Divergenzthese berücksichtigt also die Unvollkommenheit der Märkte. Dies beinhaltet auch eine mögliche Inflexibilität der Löhne nach unten und dass die Löhne nicht unbedingt dem Grenzprodukt der Arbeit entsprechen. Weiterhin werden dynamische Aspekte einbezogen: endogener Faktorbestand, endogene Faktorproduktivitäten, Externalitäten. Entwicklungsunterschiede bedeutsam Divergenz- und Konvergenzthesen lassen sich abgrenzen, wenn man die Entwicklungsunterschiede der sich integrierenden Regionen bzw. Länder mit einbezieht. Je ähnlicher und je höher die Entwicklungsniveaus sind, umso eher werden die sog. „Spread- Effekte“ wirksam, die simultane Wachstumswirkungen im gesam- <?page no="105"?> 106 fit-lernhilfen.de ten Integrationsraum auslösen. Durch die im Zuge der Integration steigende Spezialisierung auf Produktionszweige mit komparativen Kostenvorteilen können hier Produktionszuwächse und ein höheres Verbrauchsniveau in allen beteiligten Regionen gleichermaßen erreicht werden, da ähnliche Angebotsstrukturen vorliegen und der Handel eher intra-sektoral und nicht inter-sektoral stattfindet. Je größer jedoch die Entwicklungsunterschiede der sich integrierenden Volkswirtschaften sind, umso wahrscheinlicher sind die Polarisierungseffekte. Die Vorteile der Spezialisierung sind unterschiedlich hoch für die einzelnen Produktkategorien. Es liegt ein intersektoraler Handel vor. Die weiterentwickelten Länder haben aus der Produktion ihrer Güter größere Verkettungseffekte und höhere positive externe Effekte (Bildung von Humankapital; learning by doing). Dies führt in der Tendenz zu einer Verstärkung der Vorteile bei den Anbietern solcher Produkte und damit zu „ungleichem Tausch“. Unterstützt wird dies durch unterschiedliche Preis- und Einkommenselastizitäten der Nachfrage nach den verschiedenen Gütergruppen, die tendenziell zum Nachteil der weniger entwickelten Länder ausfallen (Verschlechterung ihrer Terms of Trade und damit Verringerung ihres Realeinkommens). Wer profitiert mehr von einer Handelsausweitung? Länder, die hochwertige, d.h. in der Regel auch einkommenselastische Güter anbieten können, profitieren mehr vom Wirtschaftswachstum der Handelspartner (Exporte steigen kräftig) als Länder, die einfache Güter mit geringer Einkommenselastizität der Nachfrage produzieren. Hochwertige, hoch technologische Güter haben meist auch eine geringe Preiselastizität der Nachfrage, so dass leicht höhere Preise durchgesetzt werden können. Einfache Standardprodukte sind dagegen meist einem hohen Preiswettbewerb ausgesetzt. Somit können weiter entwickelte Länder/ Regionen unter Umständen ein höheres Exportwachstum und höhere Exporterlöse erzielen als weniger entwickelte. Dies kann auch zu Divergenz führen. <?page no="106"?> Exkurs: Konvergenz oder Divergenz im Integrationsprozess? 107 fit-lernhilfen.de Der in den weniger entwickelten Regionen eher veraltete Kapitalstock kann allerdings auch als positiv gewertet werden, da Ersatzinvestitionen oder auch Neuinvestitionen dann einen außerordentlich großen technologischen Schub hervorrufen. Dies bedeutet, dass das Potential für eine absolute und auch relative Steigerung der Produktivität in den peripheren Regionen größer ist als in den führenden Regionen. Inwieweit eine Region oder ein Land das Potential für technologische Erneuerungen und damit verbundenem Wachstum aber nutzen kann, hängt unter anderem ab von der Funktionsfähigkeit der Marktmechanismen, den Arbeitsmarktbedingungen, dem verfügbaren Humankapital den ökonomischen Institutionen und den sozialen und politischen Strukturen, also insgesamt von der sog. Social capability und deren wirtschaftspolitischer Nutzung. Zur Entwicklung in der EU In der EU sind beide Tendenzen feststellbar. Die Kapitalmobilität hat zugenommen, und die Richtung der Direktinvestitionsströme spricht für die Konvergenzthese. Auch der innereuropäische Handel hat sich intensiviert. Einkommensdisparitäten bestehen aber nach wie vor in deutlichem Umfang, sie haben sich zum Teil weniger, zum Teil stärker verringert. Wie Tab. 3.1 zeigt, hat etwa Irland im Pro-Kopf-Einkommen in den letzten beiden Jahrzehnten stark aufgeholt, ebenso die meisten osteuropäischen Staaten. Portugals Position ist über diesen Zeitraum relativ unverändert geblieben. Griechenland hat zunächst eine konvergente Entwicklung gezeigt und ist - nicht zuletzt durch die jüngste Verschuldungskrise - wieder stark zurückgefallen. Insbesondere wenn die Entwicklungsunterschiede zu Beginn recht groß sind, spielt letztlich die begleitende Wirtschaftspolitik der einzelnen Länder eine entscheidende Rolle, also inwieweit sie ihre Social capability ausbauen und nutzen. <?page no="107"?> 108 fit-lernhilfen.de Daten: eurostat. Tab. 3.1: Indexwerte für das BIP pro Kopf der EU-Länder (EU-27) BIP pro Kopf in Kaufkraftstandards 1995 2000 2004 2008 2012 Luxemburg 223 244 252 263 271 Österreich 135 131 128 124 131 Irland 103 131 143 131 129 Niederlande 124 134 129 134 128 Schweden 125 128 126 124 128 Dänemark 132 132 126 124 125 Deutschland 129 118 115 116 121 Belgien 129 126 121 116 119 Finnland 108 117 116 119 115 Großbritannien 113 119 123 113 110 Frankreich 116 115 110 107 108 EU (27 Länder) 100 100 100 100 100 Italien 121 117 107 104 98 Spanien 92 97 101 104 97 Zypern 88 89 91 99 91 Malta 87 84 80 81 86 Slowenien 74 80 87 91 82 Tschechien 73 68 78 81 79 Griechenland 84 84 94 92 75 Portugal 77 81 77 78 75 Slowakei 48 50 57 73 75 Litauen 36 39 52 65 70 Estland 36 45 57 69 68 Ungarn 52 55 63 64 66 Polen 43 48 51 56 66 Lettland 31 37 47 58 62 Rumänien 33 26 34 47 49 Bulgarien 32 28 35 43 47 <?page no="108"?> .de Zwischenstand: Fragen und Antworten Fragen und Antworten Fit für die Prüfung? Beantworten Sie die folgenden Fragen und finden Sie heraus, ob Sie die Inhalte dieser Etappe verinnerlicht haben. (Es können keine, eine oder mehrere Antworten richtig sein.) Die Lösungen stehen online bereit. Folgen Sie einfach dem QR- Code am Ende des Fragenkatalogs oder dem Link: fit-lernhilfen.de/ europa/ 3.htm Addieren Sie die Fit-Punktzahlen der korrekt beantworteten Fragen, die in der eckigen Klammer angegeben sind, und notieren diese in der Auswertung am Ende des Buches, um den eigenen Fitness-Stand zu errechnen. Regionalpolitische Maßnahmen von Seiten der EU … [3 Fit-Punkte] sollten nur nach dem Subsidiaritätsprinzip erfolgen; sind immer ineffizienter als nationale Regionalpolitik; können bei grenzüberschreitenden Netzwerkexternalitäten ökonomisch gerechtfertigt sein; sind allein aus verteilungspolitischen Gesichtspunkten zu rechtfertigen. Kofinanzierung … [1 Fit-Punkte] wird verlangt, weil sonst das Geld nicht reicht; soll dazu führen, dass die Gelder effizienter verwendet werden. Fragen und Antworten 1 <?page no="109"?> 110 fit-lernhilfen.de Der Kohäsionsfonds unterscheidet sich von den Strukturfonds ESF und EFRE … [3 Fit-Punkte] durch seine länderbezogene statt regionenbezogene Mittelvergabe; indem dort alle Länder mit einem Pro-Kopf-Einkommen unter dem EU-Durchschnitt einen Förderanspruch haben. indem dort nur Länder gefördert werden, die den Euro eingeführt haben; indem dort nur Länder gefördert werden sollen, die die Maastrichter Fiskalkriterien einhalten. Welche Aussage(n) ist/ sind richtig? [3 Fit-Punkte] Der größte Teil der Mittel aus den Regional- und Strukturfonds fließt in Ziel-1-Regionen. Eine Förderung aus dem ESF und dem EFRE erfolgt nur bei Kofinanzierung durch nationale Behörden. Ziel-1-Regionen sind Regionen mit einem Pro-Kopf- Einkommen unter 90 Prozent des EU-Durchschnitts. Die Mittel aus den Regional- und Strukturfonds werden zum Teil als ungebundene Finanztransfers gegeben. Die EU-Regional- und Strukturpolitik gerät manchmal in die Kritik … [2 Fit-Punkte] wegen der Gefahr von Mitnahmeeffekten; da das Subsidiaritätsprinzip oft nicht berücksichtigt wird; da falsche Anreize gesetzt werden. <?page no="110"?> Fragen und Antworten 111 fit-lernhilfen.de Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [2 Fit-Punkte] Die osteuropäischen Beitrittsstaaten erhielten schon vor dem Beitritt Mittel aus den Fonds. Regionen, die wegen des „statistischen Effektes“ nicht mehr Ziel-1-Regionen sind, können übergangsweise trotzdem Fördergelder erhalten. Mittlerweile (2013) bekommen nur noch die ab 2004 eingetretenen Länder Mittel aus dem Kohäsionsfonds. Tabelle 3.1 zeigt … [3 Fit-Punkte] Die baltischen Staaten zeigen seit ihrem Beitritt zur EU einen deutlichen Aufholprozess im Pro-Kopf-Einkommen-Vergleich. Ungarn, Tschechien und Slowenien stagnieren im Pro- Kopf-Einkommen-Vergleich. Italien hat sich im Pro-Kopf-Einkommen-Vergleich in den letzten 12 Jahren stark verschlechtert. Irland hat 2012 (nach Luxemburg) das zweithöchste Pro- Kopf-Einkommen in der EU. Welche Aussage(n) ist/ sind richtig? [2 Fit-Punkte] Die makroökonomischen Effekte der Regional- und Strukturpolitik sind meist größer als die mikroökonomischen. Die nachfrageseitigen Programme haben kurzfristig eine größere Wirkung als angebotsseitige Programme. <?page no="111"?> 112 Konvergenz der Pro-Kopf-Einkommen wird unterstützt,… [3 Fit-Punkte] wenn Kapital von den reichen in die armen Regionen fließt; wenn eine arme Region schneller wächst als eine reiche; wenn das Grenzprodukt des Kapitals in der armen Region höher ist als in der reichen; wenn in der ärmeren Region „brain drain“ stattfindet. Divergenz wird befürchtet… [3 Fit-Punkte] bei sinkenden Skalenerträgen; bei Existenz zentripetaler Kräfte; bei unvollkommenen Märkten. Ihr Punktestand Etappe 3 [ Fit-Punkte] <?page no="112"?> Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU Gemeinsame Agrarpolitik der EU <?page no="113"?> .de 1.1 Startschuss: Schlagchlagwörter und Prüfungstipps Schlagwörter und Prüfungstipps Was erwartet mich in diesem Kapitel? Eine besondere Unterstützung des landwirtschaftlichen Sektors erfolgt in fast allen Ländern der Welt. Daher nimmt die Agrarpolitik auch in der EU eine besondere Rolle ein. Während mit der Binnenmarktpolitik vor allem die freien Marktkräfte unterstützt werden sollen, ist die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU jedoch als Marktordnungspolitik angelegt. Die konkrete Ausgestaltung der GAP war und ist dabei recht umstritten. Im vorliegenden Kapitel werden daher die Ziele, Wirkungsweisen, Probleme und Reformen der GAP seit ihrem Bestehen vorgestellt. Welche Schlagwörter lerne ich kennen? GAP Marktordnungen Abnahmegarantie Gemeinschaftspräferenz Selbstversorgung Interventionspreis Abschöpfung Exporterstattung Garantiepreis Direktzahlung Entkoppelung Cross-Compliance Modulation EU- Haushalt Finanzrahmen Nettoposition Eigenmittel Welchen Prüfungstipp erhalte ich aus dieser Etappe? Das Kapitel stellt die Probleme und Folgeprobleme von Markteingriffen im Agrarsektor dar. Die zugrunde liegenden Wirkungsmechanismen gelten aber weitgehend gleichermaßen auch bei Markteingriffen auf anderen Märkten. Somit werden hier auch Kenntnisse aus anderen Bereichen der Wirtschaftstheorie und -politik mit vertieft. Einige Zahlen zum EU-Haushalt ermöglichen es, die quantitative Bedeutung der EU-Umverteilungsströme besser abzuschätzen. 11 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU <?page no="114"?> Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik 115 fit-lernhilfen.de Nach den Bestimmungen des EG-Vertrages umfasst der angestrebte gemeinsame Markt auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Darüber hinaus gibt es jedoch in den Artikeln 33 - 38 (der heutigen konsolidierten Fassung des Vertrags, früher Artikel 39 - 46) weitere Leitlinien für die Gestaltung einer gemeinsamen Agrarpolitik parallel zur Entwicklung des gemeinsamen Marktes. Die Landwirtschaft nimmt somit schon im EWG- Gründungsvertrag eine gewisse Sonderstellung ein. Insbesondere soweit es sich um die Marktordnungspolitik handelt, liegt die Agrarpolitik heute voll in der Gemeinschaftskompetenz. Sie ist damit - neben der nach außen gerichteten Handelspolitik - die einzige vollständige Gemeinschaftspolitik. Sie ist seit Jahren aber auch die am heftigsten umstrittene Gemeinschaftspolitik und steht seit langem immer wieder im Zentrum von Reformdiskussionen. Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik Nach Artikel 33 des (konsolidierten) EG-Vertrages (ehemals Artikel 39) ist es Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte zu steigern; auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten; die Märkte zu stabilisieren; die Versorgung sicherzustellen; für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen. <?page no="115"?> 116 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU fit-lernhilfen.de Auf der Grundlage dieses Artikels wurde ab 1962 eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte geschaffen. Über 95 Prozent der Agrarproduktion der Gemeinschaft waren zeitweilig von gemeinsamen Marktordnungen erfasst. Sie sahen überwiegend Abnahme- und Preisgarantien, zum Teil aber auch Schutzmaßnahmen gegenüber Drittländern sowie Beihilfen vor. Die Marktordnungen und auch die heutigen agrarpolitischen Maßnahmen werden grundsätzlich von drei Prinzipien beherrscht: Der Markteinheit, der Gemeinschaftspräferenz und der finanziellen Solidarität. Die Einheitlichkeit der Märkte beruht darauf, dass im innergemeinschaftlichen Warenverkehr mit Agrarprodukten keinerlei Beschränkungen und Behinderungen bestehen sollen und dass die Marktordnungspolitik sowie die von der Gemeinschaft festgesetzten Preise in der gesamten Gemeinschaft einheitlich gelten. Gemeinschaftspräferenz bedeutet, dass die Versorgung der Gemeinschaft und die Sicherung der Produzenteneinkommen in der Gemeinschaft im Vordergrund stehen sollen. Finanzielle Solidarität bedeutet, dass die Ausgaben für den Agrarhaushalt aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert werden. Wirkungsweise der Interventionspreise Im Mittelpunkt der wichtigsten Marktordnungen stand lange Zeit ein System gemeinsamer Preise, durch das nicht nur die Einheitlichkeit des Agrarmarktes, sondern auch ein ausreichendes Einkommen für die Landwirte gewährleistet werden sollte. Die gemeinsamen Agrarpreise wurden als Referenzpreise und als Interventionspreise auf der Erzeugerstufe festgelegt. Der Referenzpreis stellte den politisch angestrebten Erzeugerpreis in den Verbrauchsgebieten dar. Mit dem Interventionspreis (Mindestpreis) wurde die untere Preisgrenze festgelegt. Der tatsächliche Erzeugerpreis bewegte sich im Allgemeinen - entsprechend der Marktentwicklung <?page no="116"?> Wirkungsweise der Interventionspreise 117 fit-lernhilfen.de - zwischen diesen beiden Grenzen. Drohte der Marktpreis unter den Interventionspreis (= Garantiepreis) zu sinken, so setzte ein Stützungsmechanismus ein: Interventionsstellen kauften dann im Auftrag und auf Rechnung der Gemeinschaft die überschüssigen Produkte auf. Umgekehrt wurde ein Ansteigen über die obere Preisgrenze, den Referenzpreis, zumeist dadurch verhindert, dass bei höheren Marktpreisen Importe aus Drittländern zugelassen wurden, die billiger waren als Käufe auf dem Gemeinschaftsmarkt. Die Festlegung gemeinsamer Agrarpreise erfordert ein Schutzsystem an den Außengrenzen der Gemeinschaft. Bei niedrigeren Weltmarktpreisen können die Einfuhrpreise durch Abschöpfungen (variabler Importzoll) auf den sog. Schwellenpreis (Referenzpreis abzüglich der Transportkosten von der Außengrenze) angehoben werden (Abb. 4.1). Bei der Ausfuhr dagegen können die Gemeinschaftspreise gegebenenfalls durch Erstattungen auf ein niedrigeres Weltmarktpreisniveau heruntergedrückt werden (Abb. 4.2). Liegen die Weltmarktpreise über den EU-Preisen, so kann die Ausfuhr in Drittländer durch Ausfuhrabschöpfungen (Exportzölle) behindert werden, um die Versorgung der Verbraucher in der Gemeinschaft sicherzustellen (Abb. 4.3). Siehe hierzu Abb. 4.1 bis Abb. 4.3 (Annahme hier: Interventionspreis = Referenzpreis = Schwellenpreis). Liegt der Weltmarktpreis P W unter dem Interventionspreis der EU P I (Abb. 4.1), so werden mit der Abschöpfung die Importprodukte von den Weltmärkten so stark verteuert, dass sie preislich den EU-Produkten entsprechen. Die Weltmarkt-Angebotskurve A W verschiebt sich durch den Zoll nach oben. Durch die Verteuerung sinkt der Import von (X 3 - X 0 ) auf (X 2 - X 1 ). Die EU-Produktion, die beim Interventionspreis zustande kommt, kann daher verkauft werden. Da trotzdem noch eine Überschussnachfrage N EU A EU von Seiten der EU besteht, ergeben sich - für den verbleibenden Import - Zolleinnahmen: (P I - P W ) (X 2 - X 1 ) (grau gefärbte Fläche). <?page no="117"?> 118 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU fit-lernhilfen.de Abb. 4.1: Importschutz durch Abschöpfung Abb. 4.2: Exportsubventionierung A W (Zoll) Überschussproduktion P Exporterstattung A W X X 2 X 1 P I P W N EU A EU A W (Zoll) A W P W P I N EU A EU X Abschöpfung P X 2 X 3 X 0 X 1 <?page no="118"?> Wirkungsweise der Interventionspreise 119 fit-lernhilfen.de Liegt der Interventionspreis deutlich über dem Gleichgewichtspreis in der EU (Abb. 4.2), so werden Überschüsse produziert, da die EU-Behörden den europäischen Landwirten eine Abnahme beliebiger Mengen zum (hohen) Interventionspreis garantieren. Diese Überschüsse werden dann oft auf den Weltmärkten angeboten. Dazu wird den Landwirten beim Export an Drittländer eine Exporterstattung in Höhe der Differenz zwischen Weltmarktpreis und EU-Garantiepreis ausgezahlt. Der EU entstehen hierdurch Kosten in Höhe eines Betrags von (P I - P W ) (X 2 - X 1 ) (grau gefärbte Fläche). In Abb. 4.3 ist der Weltmarktpreis höher als der europäische Garantie- und Referenzpreis. Es würde sich für die europäischen Landwirte lohnen, an Drittländer zu exportieren, statt die europäischen Verbraucher preisgünstiger zu versorgen. Abb. 4.3: Exportzoll N EU X X 3 X 2 X 1 X 0 P I P W A EU P Ausfuhrabschöpfung <?page no="119"?> 120 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU fit-lernhilfen.de Hier wird nun mit einem Exportzoll (Ausfuhrabschöpfung) der mögliche Erlös beim Verkauf auf den Weltmärkten auf das Niveau des europäischen Interventionspreises (hier auch gleich Referenzpreis) heruntergedrückt. Der Ausfuhrzoll verhindert, dass (X 3 - X 0 ) exportiert wird und damit der EU-Preis auf den Weltmarktpreis steigt. Es verbleibt hier beim europäischen Garantiepreis (der immer noch höher ist als der Gleichgewichtspreis) trotzdem noch eine (kleinere) Überschussproduktion (X 2 - X 1 ). Diese kann an Drittländer exportiert werden, aber nur zu einem dem Interventionspreis entsprechenden Preis. Dazu wird der höhere Weltmarktpreis mit dem Exportzoll belastet. Hierdurch entstehen der EU Zolleinnahmen in Höhe eines Betrags von (P W - P I ) (X 2 - X 1 ) (grau gefärbte Fläche). In der EU spielte vor allem der Fall der Überschussproduktion mit Weiterleitung eines Großteils der Überschussproduktion auf die Weltmärkte lange Zeit eine wichtige Rolle. Insgesamt war diese Marktordnungspolitik über Garantiepreise allerdings mit einer Reihe von Problemen verbunden: Wachsende Produktionsüberschüsse infolge von weit über den Gleichgewichtspreisen liegenden Garantiepreisen erhöhten die Lagerbestände an Agrarprodukten immens. Damit stieg auch die finanzielle Last der Agrarmarktinterventionen stetig an. Anfang 1993 hatte die Gemeinschaft z.B. mehr als 25 Mio. Tonnen Getreide und mehr als 1,1 Mio. Tonnen Rindfleisch auf Lager. Bei den meisten Produkten erreichte die EU Anfang der 1990er Jahre einen Selbstversorgungsgrad, der weit über 100 Prozent lag (insbesondere bei Getreide, bei Butter und Milch sowie bei Rind- und Kalbfleisch). Diese systembedingten Produktionsüberschüsse wurden von der EU z.T. mit hohen Subventionen (Exporterstattungen) auf dem Weltmarkt verkauft. Exporterfolge solcher Art sind nicht nur sehr kostspielig, sondern führen auch weltweit zu Konflikten mit wichtigen Handelspartnern der EU. Diese beklagten nicht zu Unrecht, dass die EU ihnen Märkte wegnähme und auch das Niveau der Weltmarktpreise verzerre. <?page no="120"?> Wirkungsweise der Interventionspreise 121 fit-lernhilfen.de Eine nachhaltige Stützung der landwirtschaftlichen Einkommen mit Hilfe der Preispolitik scheiterte nicht zuletzt daran, dass immer größere finanzielle Beträge zur Bewältigung der Folgelasten der betriebenen Agrarpolitik benötigt wurden. Nach Schätzungen wurden über lange Zeit etwa die Hälfte des Agraretats für Lagerhaltungskosten, Wertminderungen, Exportsubventionen usw. ausgegeben. Auch das sozialpolitische Ziel wurde verfehlt, denn das System der Garantiepreise begünstigte vor allem die großen, kostengünstiger operierenden Betriebe, während die einkommensschwachen Kleinbauern daraus nur vergleichsweise geringen Nutzen ziehen konnten. Die Agrarausgaben beanspruchten lange Zeit bis zu zwei Drittel des Haushaltsvolumens der EU (im Finanzplan 2007 - 2013 mittlerweile allerdings „nur“ noch ca. 40 Prozent). Dabei machten allein die für den Milchsektor veranschlagten Mittel wiederum zeitweilig über 30 Prozent der Agrarausgaben aus. Nimmt man Getreide und Rindfleisch hinzu, so ergab sich für die drei Hauptüberschussprodukte ein Anteil an den Mitteln des Agrarfonds von 50 Prozent und 60 Prozent. Diese hohen Agrarmarkt-Zahlungen kamen aber nicht unbedingt den ärmsten EU-Ländern zugute. Gerade in den ärmsten Ländern der EU arbeiten (noch heute) überdurchschnittlich viele Erwerbstätige in der Landwirtschaft (in Rumänien, Polen, Griechenland, Portugal, Spanien auch heute noch über 10 Prozent; im Vergleich dazu Deutschland: unter 2 Prozent). Doch war bei den Agrarausgaben der EU pro Erwerbstätigen in der Landwirtschaft lange Zeit ein deutliches Nord-Süd- Gefälle sichtbar. So erhielten die Bauern in Griechenland, Portugal und Spanien relativ wenig Geld aus dem EU-Agrarfonds, die Landwirte Irlands, der Niederlande, Belgiens und Dänemarks dagegen relativ viel. Der Grund dafür war, dass nach den Agrarmarktordnungen der Gemeinschaft am meisten für Milch, Rindfleisch und Getreide bezahlt wurde - Produkte, die vornehmlich aus dem Norden der Gemeinschaft kamen. Die Subventionen für Erzeugnisse aus dem Süden wie Tabak, Oli- <?page no="121"?> 122 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU fit-lernhilfen.de venöl und Orangen waren zwar auch gestiegen, fielen aber vergleichsweise gering aus. Durch die gemeinschaftliche Marktordnungspolitik entstand weiterhin ein Anreiz zu ineffizienter Produktion. Die Überschussproduktion war nicht allein das Ergebnis höherer Produktivität, sondern sie stand auch im Zusammenhang mit der Finanzierung der Marktordnungskosten. So stellte die gemeinsame Finanzierung der Marktordnungen für das einzelne Land jeweils eine Möglichkeit dar, die Kosten seiner eigenen Landwirtschaft zu externalisieren. Ein Land hatte umso größere Vorteile aus dieser gemeinsamen Agrarpolitik, je höher seine Produktion an preisgestützten Erzeugnissen im Verhältnis zu seinem Beitrag zum Gesamthaushalt der Gemeinschaft war. Damit wuchs die Neigung, die Einkommensprobleme der eigenen Landwirtschaft über Produktionssteigerungen zu lösen, auch wenn damit für die Gemeinschaft insgesamt höhere Kosten entstanden. Es zeigte sich, dass diese EU-Agrarpolitik vor allem negative Integrationswirkungen beinhaltete: Zum einen gab es starke Umlenkungseffekte, d.h. eine verstärkte Diskriminierung von Drittländern. Aber auch die gemeinschaftliche Politik im Binnenraum (verbunden mit absolutem Freihandel innerhalb der Gemeinschaft) konnte hier nicht ihre positiven Wirkungen entfalten, da keine verbesserte Allokation ausgelöst wurde, sondern stattdessen eine ineffiziente Überproduktion. Es wurde kein verstärkter Wettbewerb bewirkt, sondern es wurden stattdessen unproduktive Strukturen erhalten. Aber selbst die eingangs genannten Ziele der Agrarpolitik wurden nicht erreicht: Die Einkommen der kleineren landwirtschaftlichen Betriebe wurden nicht erhöht; die Verbraucherpreise waren zu hoch, und insoweit als das durchschnittliche Pro-Kopf- Einkommen der Landwirte stieg, geschah dies nicht durch eine besonders effiziente Produktion, sondern durch die teure Finanzierung der Überschussproduktion. <?page no="122"?> www.uvk-lucius.de Reformen der EU-Agrarpolitik Die genannten Probleme führten ab Mitte der 1980er Jahre zu einer Vielzahl von Reformen: Einschränkung der Preis- und Mengengarantien, freiwillige Flächenstilllegungsprogramme und die Aufstellung einer Agrarleitlinie zur Begrenzung des Ausgabenwachstums. Aber erst die Reform von 1992 nahm eine eindeutige Trennung zwischen Einkommens- und Preispolitik vor: Die Interventionspreise für Getreide und Rindfleisch wurden erheblich gesenkt und die aus den Preissenkungen resultierenden Einkommenseinbußen durch Direktzahlungen an die Landwirte kompensiert, die jedoch zunächst an obligatorische Flächenstilllegungen gekoppelt waren. Des Weiteren wurde ein Bündel flankierender Maßnahmen in Form von Extensivierungs-, Aufforstungs- und Vorruhestandsprogrammen verabschiedet. Erste Erfolge zeigten sich dann auch schon in einer deutlichen Reduktion der Überschussproduktion. Die Verpflichtungen durch die Vereinbarungen der WTO führten schließlich zu nochmals weitergehenden Reformen der Europäischen Agrarpolitik (Agenda 2000). So verpflichtete sich die EU, subventionierte Exportmengen sowie die Exporterstattungen und Einfuhrbelastungen deutlich zu reduzieren und Drittländern einen Mindestmarktzugang von drei bzw. fünf Prozent zu gewähren. 2003 wurde die vorerst letzte große GAP-Reform verabschiedet: Hauptelemente der Reform 2003 (Umsetzung ab 2005): Entkoppelung: Produktionsunabhängige einzelbetriebliche Zahlungen; mittlerweile werden rund 90 Prozent der Direktzahlungen über von der Produktion entkoppelte Betriebsprämien (1. Säule der Agrarpolitik) geleistet. Cross-Compliance: Verknüpfung dieser Zahlungen mit der Einhaltung von Standards in den Bereichen Umwelt, Lebensmittelsicherheit, Pflanzengesundheit und Tierschutz sowie Arbeitssicherheit; darüber hinaus Verknüpfung mit der Verpflichtung, alle Landwirtschaftsflächen des Betriebs in gutem agronomischem Zustand zu erhalten. 12 <?page no="123"?> 124 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU fit-lernhilfen.de Entwicklung des ländlichen Raums: 2. Säule der Agrarpolitik (seit 2005) durch Bereitstellung von mehr Fördermitteln zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft, Verbesserung der Umwelt, des Tierschutzes und der Landschaft, Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum und Förderung der Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft. Modulation: Kürzung der Direktzahlungen an Großbetriebe, um Zusatzmittel für die ländliche Entwicklung (Naturschutz) frei zu machen und mit den hiervon verbleibenden Mitteln weitere Reformen finanzieren zu können. Insgesamt sind die heutigen Ziele der GAP etwas anders als früher: Schaffung eines konkurrenzfähigen landwirtschaftlichen Sektors; Entwicklung umweltfreundlicher Produktionsmethoden; Vielfältigkeit bei landwirtschaftlichen Formen; Bürokratieabbau; Landschaftspflege. Für die Maßnahmen der 1. und 2. Säule der GAP sind heute zwei Fonds zuständig: Der Europäische Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) finanziert v.a. die Direktzahlungen an die Landwirte, aber auch Ausfuhrerstattungen und Interventionen zur Regulierung der Agrarmärkte, Informations- und Absatzförderungsmaßnahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse u.ä. Der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) unterstützt über eine Kofinanzierung die Förderprogramme der Mitgliedsstaaten. Die eingesetzten Mittel müssen dabei einem von vier Schwerpunkten zuordenbar sein: Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft, Verbesserung der Umwelt und der Landschaft, Lebensqualität im ländlichen Raum und Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft, lokale Entwicklungsstrategien. <?page no="124"?> Reformen der EU-Agrarpolitik 125 fit-lernhilfen.de Zentrales Instrument der GAP sind heute die Direktzahlungen. Sie machen über 90 Prozent der Ausgaben für die 1. Säule aus. Im Gegenzug hat die Bedeutung der Ausfuhrerstattungen (von früher bis zu 30 Prozent auf unter 1 Prozent) und der Preisstützungs- Interventionen (von bis zu 51 Prozent auf 8 Prozent) abgenommen. Die anfänglichen Ziele der EU-Agrarpolitik waren gekennzeichnet durch die Nahrungsmittelknappheit der Nachkriegszeit. Daher war damals die Produktionssteigerung als Hauptziel der Agrarpolitik formuliert. Erstaunlich ist, dass die Agrarpolitik nach wie vor eine so bedeutende Rolle in der EU spielt, obwohl der prozentuale Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt in der EU nur noch ca. 1,7 Prozent ausmacht. Trotzdem fließen immer noch rund 40 Prozent des EU-Haushalts in die Agrarpolitik. Dies könnte natürlich an den vergleichsweise höheren Beschäftigtenzahlen im Agrarsektor liegen: So beträgt der Erwerbstätigenanteil in der Landwirtschaft in Rumänien 29 Prozent, in Polen 13 Prozent, in Griechenland 12 Prozent oder in Portugal 10 Prozent. Aus politökonomischen Überlegungen könnte man zudem vermuten, dass u.a. die EU-Kommission ein Eigeninteresse an der Agrarpolitik hat, da bei ihrer Reduzierung Brüssel sehr stark an Macht verlieren würde - und viele Beamte ihre Jobs. Tendenziell zeigt sich jedoch eine erfreuliche Entwicklung, indem die Überschussproduktion weitgehend abgebaut ist. Allerdings gibt es immer noch Interventionspreise (etwa bei Butter, Milch, Zucker und Getreide). Zumeist sind sie jedoch mittlerweile so niedrig angesetzt, dass sie sich nicht mehr stark von den Weltmarktpreisen unterscheiden. 2009 waren die Weltmarktpreise bei Milchprodukten allerdings recht stark gesunken - mit der Folge starker Interventionen in der EU, einem Butterberg und Exportsubventionen, also den alten Problemen. Die jüngsten Agrarbeschlüsse für die Finanzperiode 2014 - 2020 bestärken jedoch die Richtung der letzten Jahre in der Gemeinsamen Agrarpolitik. 30 Prozent der Direktzahlungen an die Landwirte sollen künftig als „Ökologisierungszuschlag“ (Greenings) ausgezahlt werden. Zudem soll die Angleichung forciert werden, indem <?page no="125"?> 126 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU fit-lernhilfen.de historisch gewachsene Unterschiede in den Betriebsprämien pro Hektar zwischen den einzelnen EU-Staaten, aber auch innerhalb eines Staates sukzessive abgebaut werden sollen. Entkoppelung und Modulation sollen weiter verfolgt werden. Fazit: Überall in der Welt gibt es eine Subventionierung der jeweiligen nationalen Landwirtschaft. In der EU wird diese Unterstützung zentral gesteuert, aber sie ist vom finanziellen Umfang nicht unbedingt höher als es die Summe der nationalen Agrarausgaben sonst wäre. Dafür wird aber ein Subventionswettlauf zwischen den EU-Partnern vermieden. Zugleich ist die Grundnahrungsversorgung gesichert, und mittlerweile sind auch mehr Marktmechanismen implementiert, ohne dass die grundlegende Absicherung der Landwirte verloren geht. Umweltschutz und Förderung des ländlichen Raums werden zudem auch von der Bevölkerung positiv gesehen, so dass die heutige GAP gegenüber der Agrarpolitik vor 20 Jahren deutlich an Akzeptanz gewonnen hat. Exkurs: Der EU-Haushalt Der mehrjährige Finanzrahmen der EU legt die jährlichen Höchstbeträge für die Ausgaben der einzelnen Maßnahmekategorien im Rahmen des Gesamthaushaltsplans der EU fest. Im aktuellen Finanzrahmen für die Jahre 2007 - 2013 gibt es folgende Hauptausgabekategorien: Maßnahmen für nachhaltiges Wachstum (44,2 Prozent des EU-Budgets) mit den Unterkategorien Kohäsion (35,6 Prozent) und Wettbewerbsfähigkeit (8,6 Prozent); Bewahrung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen (43 Prozent des EU-Budgets), darunter die (agrar)marktbezogenen Ausgaben und Direktzahlungen mit 33,9 Prozent; Unionsbürgerschaft, Freiheit, Sicherheit und Recht (1,2 Prozent); Die EU als globaler Akteur (5,7 Prozent); <?page no="126"?> 127 fit-lernhilfen.de Verwaltung (5,8 Prozent); Ausgleichszahlungen (0,1 Prozent). Insgesamt macht das EU-Budget derzeit etwa 1,06 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens (EU-BNE) aus. Im Jahr 2013 beträgt das Budget ca. 144 Mrd. Euro. Die EU hat zudem festgelegt, dass das Budget grundsätzlich nicht größer sein darf als 1,24 Prozent des EU-BNE (sog. Eigenmittelobergrenze). Damit besteht derzeit ein erheblicher Spielraum zu dieser Obergrenze. Die mittelfristige Finanzplanung für die Periode 2014 - 2020 bewegt sich auch wieder in der Nähe von 1 Prozent des BIP: Woher kommen die Mittel? 1. Traditionelle Eigenmittel (knapp 15 Prozent im Jahr 2012): Agrarzölle, Zuckerabgabe, allg. (Außen)Zölle. 2. MwSt-Eigenmittel: Anteil an den (harmonisierten) nationalen MwSt-Einnahmen (gut 11 Prozent im Jahr 2012). 3. BNE-Eigenmittel: vom nationalen Bruttonationaleinkommen abhängige Beiträge (ca. 73,5 Prozent im Jahr 2012). Für jedes einzelne Mitgliedsland ist naturgemäß auch seine Nettoposition von Interesse. Derzeit sind 17 der 28 Mitgliedsländer Nettoempfänger, 11 sind Nettozahler. Auch wenn Deutschland in absoluten Beträgen der größte Nettozahler ist, muss dies relativiert werden. Bezogen auf das jeweilige Bruttoinlandsprodukt war im Jahr 2011 z.B. Italien der größte Nettozahler der EU. Die Nettoposition Italiens entsprach - 0,38 Prozent seines BIP. Es folgten Belgien und die Niederlande (jeweils - 0,36 Prozent) sowie Dänemark und Deutschland (- 0,34 Prozent). Auf der anderen Seite war 2011 Ungarn der größte Nettoempfänger (+ 4,67 Prozent seines BIP). Die weiteren Haupt-Nettoempfänger waren Litauen (+ 4,63 Prozent), Lettland (+ 3,62 Prozent), Polen (+ 3,10 Prozent) und Estland (+ 2,31 Prozent). <?page no="127"?> 128 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU fit-lernhilfen.de Fazit Insgesamt ist der EU-Haushalt nicht übermäßig hoch - nur etwa 1 Prozent des EU-BNE (nationale Staatshaushalte machen zumeist zwischen 40 und 50 Prozent des BNE aus. Andererseits hat die EU natürlich auch eine Vielzahl der Aufgaben und Ausgaben nicht, die nationale Staatswesen haben). Die festgelegte Obergrenze von 1,24 Prozent des EU-BNE ist bei weitem nicht ausgeschöpft - trotz Osterweiterung der EU. Mittlerweile nutzen die osteuropäischen Länder ihr Potential an Regional- und Strukturförderung nahezu vollständig. Sie sind flächendeckend Ziel-1-Regionen, hatten aber zu Anfang ihrer Mitgliedschaft noch zu wenig Absorptionsfähigkeit für die EU-Programme, bzw. zu wenig Mittel zur Kofinanzierung. Die vielfach kritisierte EU-Agrarpolitik und EU-Regionalförderung würde vermutlich nicht viel weniger kosten, wenn sie im nationalen Rahmen durchgeführt würde. In welchem Maße die Effizienz höher wäre, ist schwer abzuschätzen. Deutschland ist zwar Nettozahler, doch in Relation zum BNE zahlen etwa Italien oder die Niederlande mehr: Irland ist immer noch Nettoempfänger, obwohl es nach der Jahrtausendwende einige Jahre das - nach Luxemburg - zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen in der EU hatte und auch 2012 noch an vierter Position liegt. Die Ausgaben für die Verwaltung der EU-Bürokratie sind moderat (unter 6 Prozent). Der größte Teil des EU-Budgets wird für die beiden Politikbereiche Regional-/ Strukturpolitik und Agrarpolitik verwendet, wobei sich der Schwerpunkt in der jüngsten Zeit von der Agrarpolitik zur Kohäsionspolitik verschoben hat. Innerhalb der Agrarpolitik versucht man, künftig die Mittel etwas von der Einkommenspolitik (heute v.a. über Direktzahlungen) hin zur Förderung der ländlichen Entwicklung zu verlagern. <?page no="128"?> Zwischenstand: Fragen und Antworten Fragen und Antworten Fit für die Prüfung? Beantworten Sie die folgenden Fragen und finden Sie heraus, ob Sie die Inhalte dieser Etappe verinnerlicht haben. (Es können keine, eine oder mehrere Antworten richtig sein.) Die Lösungen stehen online bereit. Folgen Sie einfach dem QR- Code am Ende des Fragenkatalogs oder dem Link: fit-lernhilfen.de/ europa/ 4.htm Addieren Sie die Fit-Punktzahlen der korrekt beantworteten Fragen, die in der eckigen Klammer angegeben sind, und notieren diese in der Auswertung am Ende des Buches, um den eigenen Fitness-Stand zu errechnen. Im EWG-Vertrag stehen als Ziele der Agrarpolitik: [2 Fit-Punkte] eine Überschussproduktion, damit Agrarexporte möglich sind; niedrige Agrarpreise, um international wettbewerbsfähig zu sein; die Erhöhung der Pro-Kopf-Einkommen in der Landwirtschaft. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [2 Fit-Punkte] Der größte Teil des EU-Budgets wird durch einen Anteil an den nationalen MwSt-Einnahmen finanziert. Ein Teil des EU-Budgets wird aus Zolleinnahmen im Handel mit Drittländern finanziert. <?page no="129"?> 130 Etappe 4: Gemeinsame Agrarpolitik der EU fit-lernhilfen.de Ein Problem der Marktordnungspolitik mit Garantiepreisen ist, [3 Fit-Punkte] dass die Überschussproduktion zu einer finanziellen Belastung werden kann; dass zu wenig für Drittländer produziert wird; dass keine Anreize für eine hinreichende Produktion gegeben werden; dass die Großbetriebe zu wenig unterstützt werden. Welche Aussage(n) ist/ sind richtig? [3 Fit-Punkte] Entkoppelung bedeutet, dass die Preise nicht mehr garantiert werden. Cross-compliance bedeutet, dass Zahlungen an die Erfüllung von Auflagen gebunden sind. Modulation beinhaltet eine Kürzung der Direktzahlungen an Großbetriebe. Bei Zahlungen aus dem Agrarfonds ELER ist eine Kofinanzierung aus den Empfängerländern erforderlich. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [3 Fit-Punkte] Die Abschöpfung ist ein variabler Zoll und entspricht der Differenz zwischen Weltmarktpreis und Schwellenpreis. Droht der Marktpreis über den Interventionspreis anzusteigen, kaufen die EU-Behörden das betreffende Agrarprodukt auf. Je höher die Garantiepreise sind, umso wahrscheinlicher ist eine Überschussproduktion. <?page no="130"?> Reformen der EU-Agrarpolitik 131 Mit der Festlegung von Referenz- und Garantiepreisen [2 Fit-Punkte] sollten die Verbraucherpreise von Agrarprodukten gesenkt werden; sollten Produktionsanreize geschaffen werden; werden die Preise zumeist unter das Weltmarktpreisniveau gedrückt. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [2 Fit-Punkte] In der EU sind derzeit (2013) 17 Nettozahler. Die Ausgaben für die EU-Verwaltung belaufen sich auf ca. 10 Prozent des EU-Budgets. Deutschland ist der größte Nettozahler - absolut, aber auch in Relation zum BIP. Welche Aussage(n) ist/ sind richtig? [3 Fit-Punkte] Durch einen Importzoll gegenüber Drittländern können der EU traditionelle Eigenmittel entstehen. Sind die Agrarpreise auf den Weltmärkten höher als in der EU, so erhebt die EU oft Exportzölle. Der Importzoll bewirkt, dass die Verbraucher in der EU zu günstigeren Preisen beliefert werden. Ihr Punktestand Etappe 4 [ Fit-Punkte] <?page no="132"?> Etappe 5: Vom EWS zur EWU Vom EWS zur EWU <?page no="133"?> 1.1 Startschuss: Schlagchlagwörter und Prüfungstipps Schlagwörter und Prüfungstipps Was erwartet mich in diesem Kapitel? Nach dem endgültigen Zusammenbruch des Bretton Woods- Systems im Jahr 1973 und der Aufgabe weltweit fester Wechselkurse gab es zunächst starke Wechselkursfluktuationen zwischen den wichtigsten Währungen. Aufgrund der damit verbundenen Unsicherheiten versuchte man innerhalb Europas bald, wieder stabilere Wechselkursrelationen zu erreichen, um insbesondere die Handelsintegration nicht zu gefährden. Dies führte letztlich zur Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS). Wie dieses System konstruiert war, warum es immer wieder zu Krisen kam und inwieweit es heute noch eine Rolle in Europa spielt, wird in diesem Kapitel untersucht. Welche Schlagwörter lerne ich kennen? Europäisches Währungssystem Krönungstheorie Volatility Misalignment Realignment Interventionssystem Leitkurse Bandbreiten obligatorische Interventionen intramarginale Interventionen ECU Wechselkursmechanismus EWS-Krise reale Falschbewertung Abwertungserwartung Einbahnspekulation Paritätsanpassung Stabilitätskonsens Delors-Plan Maastrichter Konvergenzkriterien Eurozone Opting-out optimaler Währungsraum Welchen Prüfungstipp erhalte ich aus dieser Etappe? Am Beispiel des Europäischen Währungssystems können sehr klar die grundlegenden Probleme eines Systems fester Wechselkurse illustriert werden, die z.B. in Vorlesungen zur Außenwirtschaft theoretisch begründet werden. Grundkenntnisse der monetären Außenwirtschaftstheorie sind daher erforderlich. tappe : <?page no="134"?> Ziele des Europäischen Währungssystems 135 fit-lernhilfen.de Das Europäische Währungssystem (EWS) ist 1979 als ein System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse konstruiert worden. Zielsetzung war es, eine stabile Währungszone in Europa zu schaffen, wobei sich die Währungsstabilität sowohl auf den Binnenwert (Preisniveau) als auch auf den Außenwert (Wechselkurs) der Währungen beziehen sollte. Ziele des Europäischen Währungssystems EWS Die in den 1970-er Jahren angestrebte Einrichtung eines eigenständigen Währungsverbunds innerhalb der Europäischen Gemeinschaft muss vor dem Hintergrund der integrationspolitischen Zielsetzung einer Europäischen Währungsunion gesehen werden. Zu Beginn des europäischen Integrationsprozesses waren allerdings noch keine konkreten Zielvorstellungen zur währungspolitischen Integration formuliert worden, da die handelspolitische Integration in Form eines Gemeinsamen Marktes im Vordergrund stand. Die Wechselkurse wurden zwar als „eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“ bezeichnet, aber weitere Vorgaben schienen zu jenem Zeitpunkt nicht notwendig, da alle beteiligten Länder in das damals noch intakte weltweite System fester Wechselkurse (Bretton Woods-System) eingebunden waren. Mit den zunehmenden Instabilitäten dieses Weltwährungssystems ab Mitte der 1960er Jahre wurde jedoch immer häufiger eine verstärkte währungspolitische Kooperation innerhalb Europas gefordert, um die durch die Liberalisierungen im Güter- und Kapitalverkehr stark intensivierten Handels- und Finanzbeziehungen nicht wieder zu gefährden. Aus Sorge, dass künftig häufige Wechselkursschwankungen die bisher erzielten Erfolge im europäischen Integrationsprozess wieder beeinträchtigen könnten, begann man darüber nachzudenken, ob die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Gemeinschaft (die allerdings zu diesem Zeitpunkt erst aus sechs Ländern bestand) nicht durch die Schaffung einer Währungsunion vor solchen Risiken geschützt werden könnte. Konkrete Ideen <?page no="135"?> 136 fit-lernhilfen.de hierzu wurden auf der Den Haager Gipfelkonferenz von 1969 mit dem Plan zur stufenweisen Verwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion in Europa bis zum Jahr 1980 („Werner- Plan“) entwickelt, der dann aber letztlich nicht realisiert wurde. Bei den Überlegungen hinsichtlich einer optimalen Integrationsstrategie hin zu einer Wirtschafts- und Währungsunion in Europa standen sich dabei von Anfang an zwei konkurrierende Denkrichtungen zur Frage gegenüber, in welcher Abfolge die Währungsintegration zu erfolgen habe. Das monetaristische Konzept ging davon aus, dass eine geld- und währungspolitische Integration in Form starrer Wechselkurse oder eine Einheitswährung eine Konvergenz auch im wirtschaftspolitischen Handeln und in der wirtschaftlichen Entwicklung erzwingen würde; also erst Währungs-, dann Wirtschaftsunion (Grundsteintheorie). Aus ökonomistischer Sicht war demgegenüber die wirtschaftspolitische Konvergenz (Angleichung der Wirtschafts- und Konjunkturentwicklungen) der integrierten Volkswirtschaften eine notwendige Voraussetzung für spannungsfreie währungspolitische Integrationsschritte; also erst Wirtschafts-, dann Währungsunion (Krönungstheorie). Nach dem endgültigen Zusammenbruch des Bretton Woods- Systems im Jahr 1973 führte die Wechselkursfreigabe tatsächlich zu den befürchteten starken Paritätsveränderungen. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft entwickelten sich daher rasch Tendenzen, untereinander stabilere Wechselkursrelationen einzuführen. Dies gipfelte - nach mehreren erfolglosen Versuchen - 1979 in der Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS). Teilnehmer des EWS waren formal alle damaligen Mitgliedsländer der EG (1979: neun Staaten), wobei Großbritannien jedoch zunächst nicht am Wechselkursmechanismus teilnahm. Zielsetzung des EWS war es, eine Zone der Währungsstabilität in Europa zu schaffen. Der Begriff Währungsstabilität kann sich <?page no="136"?> 137 fit-lernhilfen.de zum einen auf die Ausschaltung kurzfristiger nominaler Wechselkursschwankungen (Volatility) beziehen. Zum anderen kann damit auch die Vermeidung anhaltender realer Falschbewertungen der Wechselkurse (Misalignments) gemeint sein. Reale Falschbewertungen der Wechselkurse werden vermieden, wenn anhaltende Inflationsunterschiede durch nominale Wechselkurskorrekturen (Realignments) ausgeglichen werden. Die Beibehaltung fester nominaler Paritäten ist daher nur dann sinnvoll, wenn sich die Inflationsraten zwischen den betreffenden Ländern angenähert haben. Deshalb war ein systemimmanentes Ziel des EWS eine Angleichung der Inflationsraten auf möglichst niedrigem Niveau. Funktionsweise des EWS Indem das EWS als System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse konstruiert wurde, konnte es von seiner Grundidee her als ein Kompromiss zwischen den beiden Integrationsstrategien (monetaristisches versus ökonomistisches Konzept) angesehen werden. Zum einen wurden (nominal) feste Wechselkurse etabliert (monetaristische Strategie), womit der Anreiz zu spekulativen internationalen Kapitalbewegungen und damit verbundenen Devisenströmen verringert wurde. Zum anderen waren jedoch Wechselkursänderungen bei anhaltenden Zahlungsbilanzungleichgewichten und anhaltendem Druck auf die Wechselkurse vorgesehen. Zugleich wurde großer Wert auf die Abstimmung und Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken gelegt, die letztendlich zu einer Harmonisierung gesamtwirtschaftlicher Zielgrößen (Inflationsraten, Zinssätze, Wachstumsraten) führen sollten. Solange dies jedoch noch nicht hinreichend gelang, sollte die Möglichkeit bestehen, durch nominale Wechselkurskorrekturen reale Falschbewertungen der Paritäten zu verhindern (ökonomistisches Konzept). Die wichtigsten Konstruktionsmerkmale des EWS waren die Europäische Währungseinheit ECU, der Wechselkursmechanismus und die Kreditmechanismen. Sämtliche Operationen im Rahmen <?page no="137"?> 138 fit-lernhilfen.de des Interventions- und Kreditmechanismus des EWS wurden zunächst über den Europäischen Fonds für Währungspolitische Zusammenarbeit (EFWZ) abgewickelt. Die ECU wurde als europäische Recheneinheit geschaffen. Sie stellte eine Korbwährung dar, in die die Währungen der Mitgliedsländer mit festen Beträgen eingingen. Für jede dieser Währungen wurde ein Austauschverhältnis zur ECU festgelegt. Daraus ließen sich Leitkurse der EWS-Währungen untereinander bestimmen (Paritätengitter). Die ECU war Bezugsgröße (numéraire) für den Wechselkursmechanismus, Rechengröße für die Finanzierungs- Operationen sowie Zahlungsmittel und Reserveinstrument unter den EWS-Zentralbanken. Der Wechselkursmechanismus war durch folgende wesentlichen Bestandteile gekennzeichnet: Festlegung von bilateralen Leitkursen zwischen den am Wechselkursmechanismus beteiligten Währungen. Obligatorische Interventionen, wenn die Wechselkurse sich um mehr als ± 2,25 Prozent (Interventionspunkte) von den Leitkursen entfernten. Dabei waren immer beide Notenbanken gleichzeitig zur Intervention verpflichtet. Auf diese Weise sollten symmetrische Liquiditätseffekte in beiden betroffenen Ländern hervorgerufen werden, die den zugrunde liegenden Zahlungsbilanzungleichgewichten tendenziell entgegenwirken sollten. Möglichkeit der Notenbanken, intramarginale Interventionen vorzunehmen, um zu verhindern, dass die Wechselkurse die Interventionspunkte erreichten. Damit sollten Spekulationen auf Leitkursänderungen verhindert werden, die beim Erreichen der Interventionspunkte vielleicht ausgelöst worden wären. Einführung von Kreditmodalitäten (Beistandssystem) zur Finanzierung von Zahlungsbilanzdefiziten und den damit verbundenen obligatorischen Interventionen. Hierzu mussten die Notenbanken der Mitgliedsländer 20 Prozent ihrer Gold- und Dollardevisenvorräte beim EFWZ hinterlegen. <?page no="138"?> 139 fit-lernhilfen.de Das EWS war prinzipiell symmetrisch angelegt. Die grundsätzlich symmetrischen Liquiditätseffekte der bilateralen Interventionen konnten allerdings asymmetrisch werden, wenn diese Geldmengeneffekte in unterschiedlichem Maße sterilisiert wurden. Die Deutsche Bundesbank hatte sich zumeist bemüht, die im Zuge ihrer Interventionsverpflichtung (Verhinderung einer DM-Aufwertung durch Kauf anderer Währungen) entstandenen Geldmengenausweitungen zu neutralisieren. Ein automatischer Zahlungsbilanzausgleichsprozess (das preisstabile Zahlungsbilanzüberschussland erfährt über die Interventionen eine Geldmengenausdehnung, wodurch die Preise steigen und ein Leistungsbilanzüberschuss abgebaut wird) ist somit von Seiten der Bundesrepublik ausgeschaltet worden. Die Anpassung musste hierdurch von Seiten der Defizitländer erfolgen: Diese mussten ihre Inflation reduzieren, um damit ihre Leistungsbilanz bzw. Zahlungsbilanz zu verbessern. Es wurde in diesem Zusammenhang von einer ungleichen Verteilung der „Anpassungslast“ gesprochen. Andererseits bedeutete es, dass sich die einzelnen Geldpolitiken an der Geldpolitik des stabilsten Landes orientieren mussten, was insgesamt dem Ziel stabiler Währungen in Europa diente. Auch die Reserveeffekte wirkten daher asymmetrisch, da der Devisenreservenzufluss (bei Sterilisierung der Geldmengenwirkung) keine Anpassungszwänge auslöste, ein Devisenreservenabfluss aber irgendwann zur Illiquidität des Landes führen konnte und somit Anpassungsmaßnahmen erzwang. Es gab zwar keine institutionalisierte Leitwährung. Die D-Mark hatte sich jedoch bald - marktmäßig - als Quasi-Leitwährung herausgebildet, da sie lange Zeit die stabilste Währung war. Das EWS konnte funktionieren, wenn es nach Maßgabe seiner Konstruktionsmerkmale gehandhabt wurde. Dies bedeutet, dass die Wechselkursanpassungen rechtzeitig und in angemessener Höhe vorgenommen werden mussten, um damit anhaltende Falschbewertungen und destabilisierende Wechselkursspekulationen zu vermeiden. <?page no="139"?> 140 Etappe : Vom EWS zur EWU fit-lernhilfen.de Feste, aber anpassungsfähige Wechselkurse ermöglichen die Stabilität der realen Wechselkurse, indem die nominalen Paritäten den Inflationsdifferenzen angepasst werden können. Geschieht dies rechtzeitig, entstehen auch keine Auf- oder Abwertungs-Einbahnspekulationen. Durch die Möglichkeit bzw. Gefahr von Wechselkursanpassungen wird ein Harmonisierungsdruck bewirkt: Stärker inflationierende Länder werden mit einer Abwertung „bestraft“, was die Bereitschaft zu mehr Binnenstabilität im eigenen Land erhöhen kann. Merke: Der reale Wechselkurs gibt das Verhältnis an, zu dem inländische Gütermengen gegen ausländische Gütermengen getauscht werden können. Er hängt somit sowohl vom Austauschverhältnis der Währungen (nominaler Wechselkurs) als auch von den Preisniveaus im In- und Ausland ab. Wenn eine Veränderung des nominalen Wechselkurses gerade den Unterschied zwischen inländischer und ausländischer Preisentwicklung ausgleicht, spricht man von einer kaufkraftparitätischen Wechselkursentwicklung. Der reale Wechselkurs bleibt dann konstant. Eine reale Aufwertung entsteht, wenn inländische Güter vergleichsweise teuer werden, sei es weil die eigene Währung nominal aufwertet oder weil die eigene Inflationsrate vergleichsweise hoch ist. In beiden Fällen leidet die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes. In den ersten zehn Jahren seines Bestehens erwies sich das EWS als recht erfolgreich. So hatte es sich im Hinblick auf das Ziel der Binnenstabilität nicht etwa zu einer Inflationsgemeinschaft entwickelt, sondern es war eine gewisse Verringerung der Inflationsraten festzustellen. Allerdings hatten sich auch in den Nicht-EWS- Staaten die Inflationsraten seit 1980 erheblich vermindert. Weiterhin konnten häufige und kurzfristige nominale Wechselkursfluktuationen (Volatility) ex definitione nicht auftreten. Um reale Falschbewertungen (Misalignments) zu vermeiden, mussten jedoch beträchtliche Leitkursanpassungen vorgenommen werden. <?page no="140"?> 141 fit-lernhilfen.de So wurde die D-Mark in dieser Zeit gegenüber der Lira um fast 60 Prozent und gegenüber dem Französischen Franc um ca. 45 Prozent aufgewertet. Diese Paritätsänderungen erfolgten jedoch schrittweise und richtungsmäßig gleichbleibend, in deutlichem Gegensatz zu den starken Wechselkursfluktuationen gegenüber und zwischen den Währungen außerhalb des Systems (insb. Dollar und Pfund). Die Realignments waren zudem weitgehend in Richtung und Ausmaß durch die noch bestehenden Inflationsdivergenzen zwischen den Partnerländern bestimmt (kaufkraftparitätische Wechselkursanpassung; Konstanz der realen Wechselkurse). Ein wesentliches Kennzeichen dieses Zeitraums war darüber hinaus, dass starke spekulative Kapitalbewegungen und damit verbundene Spannungen im Wechselkursgefüge verhindert werden konnten. Die Gründe dafür waren zum einen der Versuch, die nationalen Wirtschaftspolitiken stärker zu harmonisieren, zum anderen aber die rechtzeitigen Wechselkursanpassungen, solange die ökonomische Konvergenz noch nicht ausreichend war. Es schien somit, als ob man mit dem EWS den richtigen Weg gefunden hatte, um eine gewisse Stabilität der Währungsrelationen einerseits mit der Vornahme notwendiger Wechselkurskorrekturen andererseits durchaus sinnvoll verbinden zu können. Scheitern des EWS? Nach dem elften Realignment (= Leitkursänderungen) im Jahr 1987 blieben die Paritäten im EWS jedoch für fünf Jahre unverändert. Mittlerweile waren auch Großbritannien, Spanien und Portugal dem Wechselkursmechanismus beigetreten. Obwohl sich nach wie vor deutliche Inflationsunterschiede zwischen den Mitgliedsländern zeigten, verfolgten die politischen Entscheidungsträger jedoch nun das Konzept, keine Wechselkursanpassungen mehr vorzunehmen. Und trotz des Abbaus der letzten Kapitalverkehrskontrollen in Frankreich und Italien 1990 schien es zu- <?page no="141"?> 142 Etappe : Vom EWS zur EWU fit-lernhilfen.de nächst, als ob das Wechselkursgefüge dennoch spannungsfrei gehalten werden könnte. Ein genauerer Blick zeigte aber schon damals, dass die Währungsrelationen nicht mehr den Gleichgewichtskursen entsprachen. Länder wie Italien oder Spanien wiesen aufgrund ihrer deutlich höheren Inflation Wettbewerbsnachteile und somit Leistungsbilanzdefizite auf. Diese Leistungsbilanzdefizite wurden jedoch durch Kapitalbilanzüberschüsse kompensiert, so dass zumindest keine - auf den Devisenmärkten sonst zu Spannungen führenden - Zahlungsbilanzsalden entstanden. Die Kapitalbilanzüberschüsse waren Folge der - inflationsbedingt - hohen Nominalzinsen. Solange von politischer Seite glaubhaft gemacht wurde, dass die nominalen Wechselkurse auf absehbare Zeit nicht geändert werden sollten, lohnten sich Kapitalanlagen in den Ländern mit den höheren Nominalzinsen. Solche Kapitalbilanzüberschüsse, die inflationsbedingte Leistungsbilanzdefizite finanzieren, können jedoch nicht dauerhaft sein. Irgendwann ist mit einer Abwertung der inflationierenden Währung zu rechnen, und die Kapitalflucht beginnt. Es war also eine Frage der Zeit, wann eine Umkehr der Kapitalströme eintreten würde. Die Umkehr trat ein, als im Zuge der Diskussion um den Vertrag von Maastricht klar wurde, dass ein nahtloser Übergang zu einer Währungsunion nicht zu erwarten war, sondern stattdessen noch einmal mit Wechselkursänderungen gerechnet werden konnte. Da in den Jahren von 1987 bis 1992 die nominale Wechselkursstabilität teilweise durch reale Wechselkursveränderungen erkauft worden war, zeigten sich z.B. die Lira, das Britische Pfund oder die Peseta deutlich real überbewertet. Aufgrund der höheren Inflationsraten hätten sie schon längst abgewertet werden müssen. Diese Erkenntnis führte im Herbst 1992 zu einer eskalierenden Kapitalflucht aus diesen Währungen in die D-Mark. Dies war also nicht Folge eines zu hohen deutschen Zinsniveaus (die deutschen Zinsen waren immer noch unter denjenigen in Italien, Großbritannien, Spanien, Frankreich), sondern Folge einer zu langen realen Falschbewertung dieser Währungen. Um Kapital zu halten, mussten die betreffenden Länder ihre Nominalzinsen dann um eine ständig wachsende Risikoprämie (für die zu befürchtende Abwertung) über <?page no="142"?> Scheitern des EWS? 143 fit-lernhilfen.de das deutsche Zinsniveau hinaus erhöhen. Rechtzeitige Wechselkurskorrekturen in kleinen Schritten hätten dies und die damit verbundenen Turbulenzen auf den Devisenmärkten des EWS im Herbst verhindern können. Im Zuge der Krise traten Großbritannien und Italien aus dem Wechselkursmechanismus aus, die Peseta, der Escudo und das Irische Pfund wurden kräftig abgewertet. Die EWS-Krise im Herbst 1992 war nicht durch ein Systemversagen des EWS hervorgerufen worden, sondern eher durch Politikversagen: Die Anpassung der Wechselkurse an geänderte Fundamentaldaten war ab 1987 aus politischen Gründen zu lange hinausgezögert worden. Notwendig gewordene wirtschaftspolitische Anpassungen unterblieben oder reichten nicht aus, die Unterschiede in den wirtschaftspolitischen Rahmendaten - insbesondere bei den Inflationsraten - auszugleichen. Anders ist allerdings die erneute Kapitalflucht aus verschiedenen EWS-Währungen im Sommer 1993 zu erklären. Hier wurden die Rolle der Glaubwürdigkeit einer stabilitätsorientierten Geldpolitik und die Rolle des Vertrauens in eine Währung deutlich. Es traten Abwertungsspekulationen gegenüber Währungen auf, die zu dieser Zeit sogar eine höhere Binnenstabilität aufwiesen als die deutsche Währung. Die Spekulation orientierte sich also nicht an den aktuellen Wirtschaftsdaten, sondern anscheinend an Erwartungen über die für die Zukunft zu erwartende Stabilität der Währungen. Solange kein Vertrauen in eine anhaltend stabilitätsorientierte Geldpolitik eines Landes vorliegt, können sich immer wieder Abwertungserwartungen bilden, die Kapitalabflüsse auslösen. Diese Spekulation „lohnt“ sich eindeutig, solange die Notenbanken aufgrund einer Interventionsverpflichtung gegenhalten müssen. So konnte im EWS z.B. ein Kurswechsel der - 1993 noch stabilen - französischen Geldpolitik nicht ausgeschlossen werden, was dann den Franc geschwächt hätte. Damit schien es sinnvoll, rechtzeitig <?page no="143"?> 144 Etappe : Vom EWS zur EWU fit-lernhilfen.de Francs zu verkaufen. Solange die Notenbank den Franc-Kurs stützte, war die Spekulation risikolos: (Relativ) teure Francs wurden mit der Option verkauft, sie später billiger - oder schlimmstenfalls zum gleichen Preis (falls der Franc doch nicht abwertete) wieder zurückkaufen zu können. Diese Einbahn-Spekulationen eskalierten und erzwangen hohe Interventionen, um die Wechselkurse trotzdem in den Bandbreiten zu halten. Die Lösung des Problems fand sich in einer Erweiterung der Bandbreiten um die Leitkurse auf ± 15 Prozent. Zum einen wurde mit den unveränderten Leitkursen signalisiert, dass nach Maßgabe der Fundamentaldaten keine Paritätsanpassungen notwendig erschienen. Damit konnten die Wechselkurserwartungen stabilisiert werden. Zugleich erhöhte die Vergrößerung der Bandbreiten das Risiko der kurzfristigen Wechselkursspekulationen, da die Wechselkurse viel stärker schwanken konnten. Der Einbahn-Spekulation wurde der Boden entzogen. Insgesamt zeigte sich, dass in Krisensituationen eine größere Flexibilität der Wechselkurse oft angebracht ist und anhaltende Probleme vermeiden kann. Die danach bald wiedergewonnene Stabilität im Wechselkursmechanismus des EWS gab diesem Konzept Recht. So notierten die meisten Paritäten bald wieder in oder nahe bei den früheren engen Bandbreiten um die Leitkurse. Italien trat dem Wechselkursmechanismus wieder bei, und mit dem Beitritt zur EU 1995 kamen auch Finnland und Österreich zum EWS hinzu, so dass zu dieser Zeit von den EU-Mitgliedern nur Großbritannien, Schweden und Griechenland nicht am Wechselkursmechanismus des EWS teilnahmen, sondern flexible Wechselkurse praktizierten. Mit der Einführung des Euro wurde das EWS durch den sog. Wechselkursmechanismus II (WKM II) abgelöst. Mitglieder dieses Wechselkursabkommens müssen dafür sorgen, dass sich der Wechselkurs ihrer Währung zum Euro innerhalb einer maximalen Bandbreite von ± 15 Prozent um den festgelegten Leitkurs bewegt. Die Interventionsverpflichtung ist nun einseitig, die EZB ist nicht beteiligt. <?page no="144"?> 145 fit-lernhilfen.de Fazit: Für die Stabilität eines Währungssystems fester Wechselkurse wie dem EWS ist es erforderlich, dass zum einen notwendige Realignments (bei inflationsbedingten Veränderungen der realen Wechselkurse) rechtzeitig und in kleinen Schritten vorgenommen werden und zum anderen Vertrauen in die künftige Geldpolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten geschaffen wird. Die Erweiterung der Bandbreiten um die Leitkurse hatte das EWS stabilisiert, indem hierdurch Wechselkursspekulation wieder risikoreich geworden war und zugleich durch die Konstanz der Leitkurse eine Orientierung der Wechselkurserwartungen an den Fundamentaldaten unterstützt wurde. Der Weg zum Euro Trotz des gescheiterten Werner-Plans und der häufig notwendig gewordenen Leitkursanpassungen im EWS erlebte der Gedanke einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) Mitte der 1980er Jahre eine Renaissance. So findet sich in der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986, die sich eigentlich primär dem Binnenmarkt widmet, auch das Ziel einer schrittweisen Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion. Es folgte der Bericht einer von Kommissionspräsident Jacques Delors geleiteten Arbeitsgruppe, der das Erreichen einer Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen vorsah (Delors-Plan). Mit dem 1992 unterzeichneten Vertrag von Maastricht wurde die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion dann definitiv und konkret beschlossen und in einen festen Zeitplan eingebunden. Als Gründe für die nun sehr plötzliche konkrete Umsetzung eines zuvor eher vagen Ziels wird oft die (von den Partnerländern ungewünschte) Dominanz der Deutschen Bundesbank und der D-Mark im EWS angesehen, die den anderen Mitgliedern eine Stabilitätsorientierung aufzwang, die diese nicht präferierten. Hinzu kam die deutsche Wiedervereinigung, für die Deutschland bereit war, seine geldpolitische Souveränität aufzugeben. <?page no="145"?> 146 Etappe : Vom EWS zur EWU fit-lernhilfen.de Die Errichtung der Währungsunion beruhte auf dem Drei-Stufen- Plan des früheren Präsidenten der EU-Kommission Delors. Der Beginn der ersten Stufe war auf den 01.07.1990 terminiert, die zweite Stufe begann am 1.1.1994, und die Endstufe sollte frühestens 1997 und spätestens am 1.1.1999 starten. In der ersten Stufe sollten u.a. sämtliche noch bestehenden Kapitalverkehrsbeschränkungen abgebaut werden. Zu Beginn der zweiten Stufe wurde das Europäische Währungsinstitut (EWI) errichtet. Seine Aufgabe bestand v.a. in der Schaffung der technischen Voraussetzungen für die Endstufe. Weiterhin hatten die Mitgliedsstaaten die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken in der Endstufe garantiert war. Die dritte Stufe sollte spätestens 1999 beginnen und sah die unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse und auf der Basis dieser Umrechnungskurse die anschließende Einführung des Euro als gemeinsame Währung vor. Zugleich sollte die geldpolitische Verantwortung auf die Europäische Zentralbank (EZB) übergehen. Auf der Grundlage eines Berichts der EU-Kommission traf der Europäische Rat im Mai 1998 die Entscheidung, elf der (zu dem Zeitpunkt) fünfzehn EU-Staaten in die Euro-Währungsgemeinschaft aufzunehmen. Voraussetzung dafür war, dass diese Länder die sog. Konvergenzkriterien erfüllt hatten. Die im Vertrag von Maastricht genannten Konvergenzkriterien sollten den Nachweis erbringen, dass die beteiligten Länder einen hinreichenden Grad an Homogenität sowie an anhaltender und nachhaltiger Stabilität aufwiesen. Die Konvergenz künftiger Mitgliedsstaaten wurde und wird dabei auch heute noch anhand folgender fünf Kriterien beurteilt: Die Inflationsrate soll nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte vom Durchschnitt der drei preisstabilsten Länder abweichen. Die Staatsschuld soll nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen. Die staatliche Neuverschuldung soll unter 3 Prozent des BIP liegen. <?page no="146"?> Der Weg zum Euro 147 fit-lernhilfen.de Der langfristige Zinssatz soll den durchschnittlichen langfristigen Zinssatz der drei preisstabilsten Länder nicht um mehr als 2 Prozentpunkte übersteigen. Der Wechselkurs muss sich seit mindestens zwei Jahren spannungsfrei innerhalb der normalen Bandbreite des Wechselkursmechanismus II (Nachfolge des EWS) bewegen und darf innerhalb dieses Zeitraums gegenüber keiner Währung eines anderen Mitgliedsstaates abgewertet worden sein. Im Januar 1999 wurde die Zuständigkeit für die Geldpolitik der elf ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten auf die EZB übertragen und der Euro als Buchgeld eingeführt. Die verbliebenen vier EU-Staaten (Großbritannien, Schweden, Dänemark und Griechenland) wurden als EWU-Outs oder als Pre-Ins bezeichnet. Innerhalb dieser Gruppe haben Großbritannien und Dänemark im Vertrag von Maastricht eine sog. Opting-Out-Klausel vereinbaren können. Diese beinhaltet, dass die beiden Länder auch bei Erfüllung der Konvergenzkriterien selbst entscheiden können, ob und wann sie der Eurozone, d.h. der dritten Stufe der Währungsunion beitreten wollen. Die anderen beiden Länder hatten die Beitrittskriterien noch nicht erfüllt (Griechenland und Schweden). Dabei hatte und hat Schweden eine „Quasi Opting-Out“-Variante gewählt, indem es einfach nicht am Wechselkursmechanismus II teilnimmt und damit automatisch nicht dem Wechselkurskriterium entsprechen kann. Griechenland dagegen hatte zum Zeitpunkt der ersten Prüfung nahezu keines der Konvergenzkriterien erfüllt. Zwei Jahre später fand allerdings eine erneute Überprüfung statt, und Griechenlands Beitritt wurde für 2001 beschlossen. Zum 1.1.2007 sind Slowenien, Malta und Zypern aufgenommen worden, 2009 die Slowakei und 2011 Estland. Zum 1.1.2014 wird Lettland beitreten. Die EWU umfasst heute formal alle 28 EU-Länder. Der Begriff wird im engeren Sinn jedoch meist (so im Folgenden auch hier) auf jene Mitgliedsstaaten der EU beschränkt, die an der dritten Stufe teilnehmen, also den Euro als Währung eingeführt haben. <?page no="147"?> 148 Etappe : Vom EWS zur EWU fit-lernhilfen.de Alle Staaten außer Großbritannien und Dänemark (Opting- Out) müssen den Euro als Währung einführen, sobald sie die EU-Konvergenzkriterien (Maastricht-Kriterien) erfüllt haben. Einige der noch nicht der Eurozone beigetretenen Länder sind mittlerweile schon im Wechselkursmechanismus II, Dänemark hat sich dabei sogar zur Einhaltung der früheren engen Bandbreiten von ± 2,25 Prozent um den Leitkurs zum Euro verpflichtet. Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (2013) Mitglieder der Eurozone (EWU im engeren Sinne) Belgien, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, die Slowakei, Slowenien, Spanien und Zypern WKM-II-Mitglieder Lettland, Litauen WKM-II-Mitglied mit Optout-Klausel im Hinblick auf die 3. Stufe der EWU Dänemark Land mit flexiblen Währungskursen und Opt-out-Klausel im Hinblick auf die 3. Stufe der EWU Großbritannien Land mit Currency Board gegenüber dem Euro Bulgarien restliche EU-Länder (flexible Wechselkurse) Polen, Rumänien, Schweden, Tschechien, Ungarn Tab. 5.1: EWU-Teilnahme der EU-Staaten <?page no="148"?> Der Weg zum Euro 149 fit-lernhilfen.de Bei der Überprüfung der Konvergenzkriterien zeigten sich das Inflations- und das Zinskriterium - außer für Griechenland - nicht als Problem. So lag die Inflationsrate überall unter 2 Prozent - ein Wert bis zu 2,7 Prozent wäre erlaubt gewesen. Der langfristige Zinssatz lag zwischen 5,5 und 7 Prozent - ein Höchstwert von 7,8 Prozent wäre erlaubt gewesen. Auch der Referenzwert für die Neuverschuldung von 3 Prozent des BIP wurde nur von Griechenland überschritten, wobei diese Defizitquote jedoch in einigen Ländern durch sog. „Maßnahmen mit zeitlich begrenzter Wirkung“ nach unten gedrückt worden war. Der Referenzwert der Schuldenquote von 60 Prozent des BIP wurde allerdings von einigen Ländern sehr deutlich überschritten. So hatten Belgien und Italien einen Schuldenstand von weit über 100 Prozent des BIP. Die Schuldenquote war zwar dort in den letzten Jahren rückläufig, doch konnte man eigentlich nicht sagen, dass sie sich „rasch dem Referenzwert näherte“, was als Ausnahmetatbestand gegolten hätte. Dass diese beiden Länder trotzdem zur Währungsunion zugelassen wurden, ist daher nur politisch erklärbar. Eine spannungsfreie Teilnahme am EWS-Wechselkursmechanismus innerhalb der letzten 2 Jahre vor der Konvergenzprüfung konnte dagegen allen späteren Mitgliedsländern bescheinigt werden. Vielfach wird die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre festgestellte monetäre Konvergenz in der EU allein auf die angestrebte Währungsunion zurückgeführt. Die gesunkenen Inflationsraten müssen aber auch vor dem Hintergrund einer weltweiten Tendenz zu mehr Preisstabilität gesehen werden. Damit verbunden sind dann auch ein Rückgang und eine Konvergenz der langfristigen Zinsen, die ja Inflationserwartungen widerspiegeln. Eine besonders starke Reduktion der langfristigen Zinsen zeigte sich in Italien, Portugal und Spanien. Hier wirkte tatsächlich die Perspektive einer künftigen Teilnahme an der Währungsgemeinschaft vertrauensbildend und damit zinssenkend. Die verringerten Zinsen begünstigten die Rückführung der Defizitquoten insbesondere bei jenen Ländern, deren Schuldenstand relativ hoch war oder die bis Mitte der 1990er Jahre als sog. Schwachwährungsländer überproportional hohe Zinsen verzeichnet hatten. <?page no="149"?> Der Beitritt zu einer Währungsunion bedeutet für die beteiligten Länder die Aufgabe jeglicher nationalen Souveränität im gesamten monetären Bereich. Eine gemeinsame Währung beinhaltet eine zentrale Geldmengensteuerung, einen einheitlichen Basiszins, einen gemeinsamen Außenwert der Währung. Die „richtige“ quantitative (die Geldmenge betreffende) und qualitative (die Zinsen betreffende) Gestaltung der Geldversorgung ist jedoch von eminenter Bedeutung für die Erreichung der gesamtwirtschaftlichen Ziele. Aufgabe einer für die Geldversorgung zuständigen Institution muss es dabei sein, zum einen genügend Geld zur Verfügung zu stellen, damit das potentiell realisierbare Produktionswachstum finanziert werden kann, zum anderen aber auch die monetäre Kaufkraft insoweit zu kontrollieren, dass keine inflationären Tendenzen in Gang gesetzt werden. Eine für mehrere Länder gemeinsam und zentral gesteuerte Geldversorgung kann damit nur dann für alle Länder gleichermaßen sinnvoll sein, wenn diese ähnlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterliegen. Probleme bei der Festlegung des Geldmengenziels können sich daher z.B. bei Unterschieden in den Wachstumsraten oder bei divergierenden Preisschocks innerhalb der Währungsunion ergeben. Probleme bei der einheitlichen Zinspolitik können z.B. auftreten, wenn unterschiedliche konjunkturelle Situationen oder uneinheitliche Finanzierungsstrukturen und monetäre Übertragungsmechanismen vorliegen. Schließlich kann auch der gemeinsame Außenwert problematisch werden, wenn die an der Währungsunion beteiligten Länder unterschiedliche Handelsbeziehungen zu Drittländern haben. fit-lernhilfen.de 1 Etappe : Vom EWS zur EWU <?page no="150"?> fit-lernhilfen.de In einer Währungsunion verlieren die Mitgliedsländer zwei nationale wirtschaftspolitische Instrumente - die Geldpolitik und die Wechselkurspolitik. Dies ist problematisch, solange noch unterschiedliche Wirtschaftsstrukturen, divergierende endogene und exogene ökonomische Störungen oder unterschiedliche wirtschaftspolitische Zielvorstellungen vorliegen. Die richtige Abgrenzung eines „optimalen Währungsraums” hängt letztlich eng mit den Kosten und Nutzen veränderbarer Wechselkurse zusammen. Innerhalb der Währungsunion sollten die Vorteile fester Wechselkurse überwiegen, während gegenüber Drittländern die Vorteile flexibler Wechselkurse dominieren sollten. Zugleich muss innerhalb einer Währungsunion eine Geld- und Währungspolitik definierbar sein, die zu allen beteiligten Mitgliedsländern gleichermaßen gut „passt“. Dafür muss gewährleistet sein, dass die ökonomischen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern dieselbe Geldpolitik erfordern und dass die gemeinsame Geldpolitik in allen Mitgliedsländern der Währungsunion auch die gleichen realwirtschaftlichen Wirkungen entfaltet. Ist dies nicht beides gewährleistet, so bewirkt die gemeinsame Geldpolitik ökonomische Spannungen und Fehlentwicklungen. Es ist also ein relativ hoher Grad an Homogenität der Volkswirtschaften erforderlich, d.h. geringe nationale Unterschiede in den Wirtschaftsstrukturen, in den Wirtschaftsentwicklungen und in den wirtschaftspolitischen Präferenzen sowie ein geringer monetärer Anpassungsbedarf an rein regionale Störungen. Ein hohes Maß an Heterogenität der Volkswirtschaften kann allenfalls kompensiert werden durch eine hohe Flexibilität der relativen Preise (auch nach unten! ) und/ oder eine hohe Mobilität der Produktionsfaktoren. Denn fällt der Wechselkurs als monetärer Puffer zur Abfederung unterschiedlicher ökonomischer Entwicklungen weg, so müssen andere Ausgleichsmechanismen in Kraft treten. Dies können Wanderungsbewegungen der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sein, stärkere Differenzierungen in der Lohngestaltung oder fiskalische Ausgleichsmechanismen. Anforderungen an eine funktionierende Währungsunion 151 <?page no="151"?> 152 Etappe : Vom EWS zur EWU fit-lernhilfen.de Existieren jedoch Mobilitätsbzw. Flexibilitätsbeschränkungen, so besteht die Gefahr, dass ökonomische und politische Spannungen auftreten und letztlich eine Aufweichung der stabilitätsorientierten Geldpolitik und/ oder ein umfangreicher grenzüberschreitender Finanzausgleich gefordert werden. Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass die gemeinsame Notenbank fähig und willens ist, eine stabilitätsgeleitete Geld- und Währungspolitik zu praktizieren, und dass diese nicht durch destabilisierendes Verhalten nationaler Regierungen oder Interessengruppen unterlaufen wird (gesamtgesellschaftlichen Stabilitätskonsens). Dies bedeutet, dass in allen Teilnehmerländern dasselbe Grundverständnis bezüglich der Stellung und der Aufgaben der Zentralbank vorliegen muss und ihre Geldpolitik nicht durch divergierende Interessen nationaler, gesellschaftlicher und politischer Entscheidungsträger (Tarifparteien, Regierungen) behindert werden darf. Die Änderung der Währungsordnung durch den Beitritt zu einer Währungsunion ist eine Entscheidung, die den monetären Ordnungsrahmen der gesamten Volkswirtschaft einschneidend verändert. Sie sollte daher nur nach sorgfältiger Abwägung von Kosten und Nutzen, von Chancen und Risiken getroffen werden und ökonomisch rational begründbar sein. Eine Währungsunion ist nur dann sinnvoll, wenn mit der einheitlichen Währung und der gemeinsamen Geldpolitik ein besseres ökonomisches Ergebnis erzielbar ist als bei Beibehaltung der nationalen Geldpolitiken und Währungen und der damit verbundenen Möglichkeit von Paritätsänderungen zwischen den nationalen Währungen. Exkurs: Theorien zum optimalen Währungsraum Die traditionellen Kriterien zur Abgrenzung eines optimalen Währungsraums hängen vielfach mit der Diskussion um die Vor- und Nachteile fester und flexibler Wechselkurse zusammen. Schon in den 1950er Jahren wies Friedman darauf hin, dass eine hohe Preis- und Lohnflexibilität notwendig sei, wenn der Ausgleichsmechanismus flexibler Wechselkurse aufgegeben werden soll. <?page no="152"?> Exkurs: Theorien zum optimalen Währungsraum 153 fit-lernhilfen.de Wohl am bekanntesten ist das von Mundell zu Beginn der 1960er Jahre formulierte Kriterium einer hohen Faktormobilität, insbesondere bezogen auf den Faktor Arbeit: Nachfrageverschiebungen zwischen zwei Ländern oder Regionen eines Währungsraums sind nur dann unproblematisch, wenn Faktorwanderungen zwischen den Regionen stattfinden können. Ist dies nicht der Fall, ist die Existenz verschiedener Währungen mit Flexibilität ihrer Wechselkurse effizienter. McKinnon dagegen nahm den Offenheitsgrad einer Volkswirtschaft als Maßstab für den optimalen Währungsraum. Je größer der Anteil handelbarer Güter ist, umso stärker wirken sich Wechselkursveränderungen auf die binnenwirtschaftlichen Zielgrößen aus, so dass wirtschaftlich stark miteinander verflochtene Länder besser einen gemeinsamen Währungsraum bilden sollten. Auch Kenen befasste sich mit der Frage, wie ein Währungsraum abzugrenzen ist, damit mikroökonomische Störungen besser abgefedert werden können: Je geringer der Diversifikationsgrad von Produktion und Konsum, desto mehr sind flexible Wechselkurse als Puffer erforderlich, während bei einem hohen Diversifikationsgrad sich einzelne Nachfragestörungen nur begrenzt auf die gesamtwirtschaftlichen Zielvariablen auswirken, so dass die Vorteile der Wechselkursstabilität genutzt werden sollten. Eher makroökonomische Kriterien wurden von Ingram hervorgehoben. Er betonte eine hohe Finanzmarktintegration als wesentliche Voraussetzung für einen optimalen Währungsraum. Bei hoher Finanzmarktintegration sei der Wechselkurs als Zahlungsbilanzausgleichsmechanismus nicht mehr nötig, da geringfügige Zinsveränderungen genügten, um ausgleichende Kapitalströme zu induzieren. An den Ursachen möglicher Zahlungsbilanzungleichgewichte setzte dagegen Fleming an, der eine Angleichung der Inflationsraten als Voraussetzung für einen optimalen Währungsraum postulierte. Der Fokus liegt also auch hier auf der Vermeidung anhaltender Zahlungsbilanzungleichgewichte innerhalb eines Währungsraums, in welchem der Wechselkurs nicht mehr als Anpassungsinstrument fungieren kann. <?page no="153"?> 154 Etappe : Vom EWS zur EWU fit-lernhilfen.de Nicht zuletzt wurde aber auch schon früh auf die Bedeutung fiskalischer Ausgleichsmechanismen hingewiesen: Falls ein Land des Währungsraums von asymmetrischen Schocks betroffen ist, könnten fiskalische Transfers der anderen Mitgliedsländer den Wegfall des Wechselkurses als Ausgleichsmechanismus kompensieren. Die traditionellen Ansäte zum optimalen Währungsraum entstanden in einer Zeit mit noch bestehenden Kapitalverkehrskontrollen und unvollständiger Kapitalmobilität. Der Wechselkursmechanismus sollte vor allem über seine Wirkung auf die Handelsströme zum Zahlungsbilanzausgleich führen. Der Abbau von Kapitalverkehrsbeschränkungen weltweit, die zunehmende Kapitalmobilität und die damit verbundenen hohen spekulativen Kapitalbewegungen bewirken jedoch, dass die Wechselkurse mittlerweile immer stärker auch durch Schocks auf den Finanz- und Kapitalmärkten beeinflusst werden. Einer der ersten, der dies in seine Überlegungen zum optimalen Währungsraum einbezog, war Mundell. In einem Artikel des Jahres 1973, auch manchmal als „Mundell II“ bezeichnet, führt er aus, dass bei hoher Kapitalmobilität die Wechselkursflexibilität seine Stabilisierungskraft verliert. Stattdessen werde der Wechselkurs zur Zielscheibe destabilisierender Aktivitäten und selbst Verursacher asymmetrischer Schocks. Bei voll integrierten Kapitalmärkten sei eine Währungsunion daher günstig. Die Argumentation ist allerdings insofern nicht ganz schlüssig, als er dabei implizit ineffiziente Devisenmärkte, aber effiziente Finanzmärkte unterstellt. Ansätze der 1980er und 1990er Jahre befassten sich schließlich mit der Frage, inwieweit der Währungsraum im Vorfeld (ex ante) optimal abgegrenzt sein muss, oder ob nicht die gemeinsame Währung ex post bewirken kann, dass sich die Kriterien des optimalen Währungsraums erfüllen. Eine solche Endogenität des optimalen Währungsraums wird vielfach durch intensiveren Handel, verstärkte Finanzmarktintegration, größere Flexibilität auf den Arbeitsmärkten und eine stärkere Synchronisation der Konjunkturverläufe im Zuge einer gemeinsamen Währung unterstellt: <?page no="154"?> Exkurs: Theorien zum optimalen Währungsraum 155 So wird erwartet, dass durch die Senkung der Transaktionskosten und die bessere Preistransparenz bei einheitlicher Währung der Handel zwischen den Partnerländern intensiviert würde. Je größer das Ausmaß der Handelsverflechtungen sei, desto wichtiger sei wiederum die Ausschaltung von Wechselkursrisiken durch einen gemeinsamen Währungsraum. Sinkende Transaktionskosten und der Wegfall von Wechselkursrisiken sowie der damit verbundenen Risikoprämien lassen auch die Finanzmärkte stärker verschmelzen. Dies kann die Allokation des Kapitals verbessern und hierdurch die Absicherung gegen asymmetrische Schocks erleichtern. Auch dies könnte somit die Rahmenbedingungen für einen optimalen Währungsraum verbessern. Auch eine hohe Arbeitsmarktflexibilität ist eine gute Voraussetzung für einen optimalen Währungsraum, indem damit der Verlust des „Shock absorbers“ Wechselkurs zumindest teilweise kompensiert werden kann. Wenn durch die Einführung der gemeinsamen Währung mehr Lohntransparenz und damit mehr Wettbewerb entstehen, könnte dies effizientere Arbeitsmärkte bewirken und somit den Währungsraum ex post rechtfertigen. Schließlich kann durch eine stärkere Verflechtung auf den Güter-, Finanz- und Kapitalmärkten auch das Risiko asymmetrischer Schocks reduziert werden, wodurch die Konjunkturverläufe synchroner werden könnten - eine weitere Voraussetzung für eine effiziente gemeinsame Geld- und Währungspolitik. Ob eine solche Endogenität des optimalen Währungsraums in der Realität der Europäischen Währungsunion wiederzufinden ist, wird das folgende Kapitel zeigen. <?page no="155"?> Etappe : Zwischenstand: Fragen und Antworten Fragen und Antworten Fit für die Prüfung? Beantworten Sie die folgenden Fragen und finden Sie heraus, ob Sie die Inhalte dieser Etappe verinnerlicht haben. (Es können keine, eine oder mehrere Antworten richtig sein.) Die Lösungen stehen online bereit. Folgen Sie einfach dem QR- Code am Ende des Fragenkatalogs oder dem Link: fit-lernhilfen.de/ europa/ 5.htm Addieren Sie die Fit-Punktzahlen der korrekt beantworteten Fragen, die in der eckigen Klammer angegeben sind, und notieren diese in der Auswertung am Ende des Buches, um den eigenen Fitness-Stand zu errechnen. Welche Aussage(n) zum Wechselkursmechanismus des ursprünglichen EWS ist/ sind falsch? [3 Fit-Punkte] Interventionen waren obligatorisch, wenn ein Wechselkurs sich um mehr als ± 2,25 Prozent von seinem Leitkurs entfernte. Es musste immer nur das Schwachwährungsland intervenieren. Intramarginale Interventionen waren freiwillig. Wenn Interventionen in bestimmter Höhe vorgenommen wurden, musste der Leitkurs angepasst werden. 156 <?page no="156"?> Fragen und Antworten 157 fit-lernhilfen.de Was ist unter der Krönungstheorie zu verstehen? [2 Fit-Punkte] Eine Währungsunion sollte die Krönung einer bereits vollzogenen Wirtschaftsunion sein. Sie ist die monetaristische Sichtweise zur Reihenfolge von Wirtschaftsunion und Währungsunion. Eine Währungsunion erzwingt eine Konvergenz in der wirtschaftlichen Entwicklung (Krönung). Eine reale Falschbewertung des Wechselkurses entsteht… [2 Fit-Punkte] durch regelmäßige Realignments. durch kurzfristige Volatilität des Wechselkurses. bei konstantem nominalen Wechselkurs, aber Inflationsunterschieden der beiden betroffenen Ländern. Welche Aussage(n) zum Liquiditätseffekt der Interventionen im EWS ist/ sind richtig? [3 Fit-Punkte] Eine Intervention zur Stützung der Währung des eigenen Landes erhöht die inländische Geldmenge. Zahlungsbilanzüberschussländer können den Liquiditätseffekt ihrer Intervention sterilisieren. Die Intervention im Schwachwährungsland senkt die inländische Geldmenge und reduziert hierdurch die Preise. <?page no="157"?> 158 Etappe : Vom EWS zur EWU fit-lernhilfen.de Die Ursache der EWS-Krise 1992 war, [3 Fit-Punkte] dass es in den Jahren zuvor häufige Realignments gegeben hatte; dass die realen Wechselkurse konstant geblieben waren; dass die Inflationsunterschiede nicht mehr durch Leitkursanpassungen ausgeglichen wurden; dass die deutsche Währung überbewertet war. Die Ursache der EWS-Krise im Sommer 1993 … [3 Fit-Punkte] war eine Vertrauenskrise; lag in der Möglichkeit der temporären Einbahn- Spekulation. konnte nur durch Leitkursanpassungen behoben werden. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [3 Fit-Punkte] Wenn eine inflationierende Währung lange nicht abgewertet wird, ergibt sich eine reale Aufwertung. Die realen Wechselkurse bleiben stabil, wenn die nominalen Paritäten den Inflationsdifferenzen angepasst werden. Eine kaufkraftparitätische Wechselkursanpassung lässt den realen Wechselkurs konstant. Wenn der nominale Wechselkurs unverändert bleibt, ist auch der reale Wechselkurs konstant. <?page no="158"?> Fragen und Antworten 159 fit-lernhilfen.de Welche Aussage ist richtig? [1 Fit-Punkte] Wenn eine inflationierende Währung lange nicht abgewertet wird, ergibt sich eine Abwertungserwartung. Wenn eine inflationierende Währung lange nicht abgewertet wird, ergibt sich eine Aufwertungserwartung. Die Maastrichter Konvergenzkriterien… [3 Fit-Punkte] sollen den Nachweis erbringen, dass die künftigen Währungsunionsländer hinreichend homogen und stabilitätsorientiert sind; beinhalten u.a. Kriterien zu Inflation und Wirtschaftswachstum; besagen, dass die Auslandsverschuldung eines potentiellen Mitgliedslandes nicht zu hoch sein darf; begrenzen die erlaubte Inflationsrate auf maximal 2 Prozent. Welche Aussage(n) ist/ sind richtig? [3 Fit-Punkte] Dänemark ist im Wechselkursmechanismus II. Dänemark muss der Eurozone nicht beitreten. Bulgarien hat flexible Wechselkurse gegenüber dem Euro. Schweden muss der Eurozone nicht beitreten. <?page no="159"?> 160 Etappe : Vom EWS zur EWU Welche Voraussetzung(en) ist/ sind für eine funktionierende Währungsunion hilfreich? [2 Fit-Punkte] Ähnliche Wirtschaftsstrukturen und wirtschaftspolitische Zielvorstellungen; Geringe Mobilität der Produktionsfaktoren; Geringe Flexibilität der relativen Preise; Stabilitätskonsens. Die Theorie der Endogenität des optimalen Währungsraums besagt, dass… [2 Fit-Punkte] eine Währungsunion den Handel in der Gemeinschaft fördert, was wiederum für das Funktionieren der Währungsunion hilfreich ist; eine Währungsunion die Konjunkturverläufe in der Gemeinschaft synchronisiert, was wiederum für das Funktionieren der Währungsunion hilfreich ist; eine Währungsunion immer eine sehr stabilitätsorientierte Zentralbank hat, was ebenfalls für das Funktionieren der Währungsunion hilfreich ist. Ihr Punktestand Etappe 5 [ Fit-Punkte] <?page no="160"?> Etappe 6: Europäische Währungsunion Europäische Währungsunion <?page no="161"?> 162 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de 1.2 Startschuss: Schlagchlagwörter und Prüfungstipps Schlagwörter und Prüfungstipps Was erwartet mich in diesem Kapitel? Nach der theoretischen Betrachtung einer Währungsunion in Etappe 5 geht es in diesem Kapitel um die konkrete Umsetzung im Rahmen der Europäischen Währungsunion. Um dieses Projekt beurteilen zu können, werden zunächst die Ziele und Vorgaben dargestellt, um dann auf wesentliche Institutionen, wie die Europäische Zentralbank oder den Stabilitäts- und Wachstumspakt einzugehen. Das Kapitel schließt mit den jüngsten Entwicklungen im Rahmen der Eurokrise. Welche Schlagwörter lerne ich kennen? Transaktionskostenersparnis Risikoprämien Stabilitätsorientierung Kritik an Konvergenzkriterien Stabilitäts- und Wachstumspakt Stabilitätsgemeinschaft Unabhängigkeit der EZB Public Choice Zeitinkonsistenz Zwei-Säulen-Strategie No-bailout Sanktionsmechanismus Automatismus Rettungsschirm Fiskalpakt European Stability Mechanism Outright Monetary Transactions Troika Macroeconomic Imbalance Procedure Welchen Prüfungstipp erhalte ich aus dieser Etappe? Um die Problematik der EWU zu verstehen, die u.a. darin begründet ist, dass die Geldpolitik zentral gestaltet, aber die Fiskalpolitik national verantwortet wird, muss man auch Grundkenntnisse über die Wirkungsweise von Geld- und Fiskalpolitik besitzen. Weiterhin spielen hier auch politökonomische Zusammenhänge eine Rolle, die eventuell aus finanzwissenschaftlichen Vorlesungen bekannt sind. Aufbauend darauf sollten dann z.B. Klausurfragen zur Beurteilung des Beitritts Lettlands zur EWU zum 1.1.2014 beantwortet werden können. <?page no="162"?> Erwartungen an die EWU 163 Erwartungen an die EWU Primäres ökonomisches Ziel einer Währungsunion ist es, durch den Zusammenschluss zu einem einheitlichen Währungsgebiet die Effizienz des innergemeinschaftlichen Handels- und Kapitalverkehrs zu stärken. Gemäß Art. 2 EGV sollten die von der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ausgehenden wohlfahrtssteigernden Effekte ein „beständiges, nicht-inflationäres und umweltverträgliches Wachstum, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz und damit eine Verbesserung der Lebensqualität in der Gemeinschaft“ sichern. Zugleich soll damit ein „hoher Grad an Konvergenz der nationalen Wirtschaftsergebnisse“ angestrebt und der „wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt sowie die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten“ gefördert werden. Auch wenn die hier genannten Wohlfahrtseffekte wohl kaum allein durch die Einführung einer einheitlichen Währung erzielt werden können, so lassen sich für die Schaffung einer solchen Währungsunion doch eine Reihe von potentiellen Vorteilen und Effizienzgewinnen anführen: Mittels der Einführung einer Einheitswährung können Reibungsverluste im Handel und im internationalen Zahlungsverkehr abgebaut werden. Die dabei entstehenden Effizienzgewinne werden vor allem durch Transaktionskostenersparnisse hervorgerufen. Hiervon betroffen sind die Kosten des Währungsumtausches, die Kosten der Informationsbeschaffung über die zukünftige Wechselkursentwicklung sowie die Kosten der Absicherung vor Wechselkursrisiken. Mit der Einführung einer einheitlichen Währung entfallen diese Kosten innerhalb des Währungsraums. Damit kann ein Anreiz zur Ausweitung des Handels- und Kapitalverkehrs im integrierten Währungsraum mit den damit verbundenen wohlfahrtsteigernden Effekten gegeben werden. Darüber hinaus können auch Effizienzgewinne in Form von Skalenerträgen anfallen, wenn durch die einheitliche Währung Märkte für gleichartige Finanzinstrumente miteinander <?page no="163"?> 164 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de verschmelzen (Harmonisierung der Finanzmärkte). In diesem Sinne kann die Europäische Währungsunion die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes unterstützen. Weiterhin wird im einheitlichen Währungsraum die Gefahr der Wiedereinführung von Kapitalverkehrsbeschränkungen gegenüber den Partnerländern minimiert, und Direktinvestitionsentscheidungen werden seltener durch das Motiv der Umgehung von Wechselkursrisiken beeinflusst. Auch entfallen innerhalb des Währungsraumes wechselkursbedingte Risikoprämien, die zuvor in den Schwachwährungsländern die Zinsen in die Höhe getrieben hatten. Darüber hinaus kann es innerhalb der Währungsunion auch zu keinen realwirtschaftlichen Verzerrungen durch spekulative Falschbewertungen der Wechselkurse kommen. Allerdings ist zu beachten, dass es nach wie vor zu spekulativen Kapitalbewegungen zwischen der gemeinsamen Währung und den Währungen von Drittländern wie bspw. Den USA und Japan kommen kann. Ein weiterer Vorteil einer Währungsunion wird oft darin gesehen, dass die Mitgliedsländer zu einem Geld übergehen „das sie nicht selbst herstellen können“. Die daraus gefolgerte stabilitätspolitische Effizienz einer Währungsunion wird aber letztlich nur dann eintreten, wenn es gelingt, stabilitätspolitisch ineffiziente nationale Wirtschaftspolitiken zu disziplinieren. Es müssen demnach genügend Sanktionsmechanismen existieren, die sowohl die gemeinsame Zentralbank als auch die nationalen wirtschaftspolitischen Akteure an stabilitätswidrigem Verhalten hindern. Die aufgrund des Wegfalls von Transaktionskosten prognostizierten Handelszuwächse sind allerdings nicht in dem Maße eingetreten wie vor dem Start der Währungsunion erwartet worden war. Zwar hat der Handel zwischen den Europartnern absolut zugenommen, doch ist der Handel mit Nicht-Europartnern deutlich stärker gewachsen, so dass für fast alle Mitgliedsländer der Währungsunion gilt, dass jener Anteil ihres Außenhandels, der mit den Euro-Partnerländern stattfindet, gesunken ist. Zum einen war das <?page no="164"?> E 165 fit-lernhilfen.de Potential an Handelszuwächsen durch den Binnenmarkt wohl schon weitgehend ausgereizt. Zum anderen scheint die Existenz einer gemeinsamen Währung für den Handel doch nicht so entscheidend zu sein, sondern vielmehr die Existenz zahlungskräftiger, wachstumsstarker Geschäftspartner - und diese sind derzeit außerhalb der Eurozone, nämlich in Asien, aber auch in Osteuropa. Die prognostizierten positiven Stabilitätseffekte waren dagegen zunächst in den zuvor instabileren Ländern festzustellen - schon allein durch den Disziplinierungszwang der Konvergenzkriterien, die vor dem Start der Währungsunion zu erfüllen waren. Hinzu kommt ein gewisser Glaubwürdigkeitsgewinn durch die Abgabe der geld- und währungspolitischen Kompetenzen an die Europäische Zentralbank - zumindest wenn es dieser gelingt, die propagierte Stabilitätsorientierung anhaltend zu realisieren. Diese Stabilitäts- und Glaubwürdigkeitsgewinne können prinzipiell ein aufholendes Wachstum in den ehemals schwächeren Ländern unterstützen. Ein Abbau der Risikoprämien ermöglicht es diesen Ländern, notwendiges Kapital nun zu geringeren Zinsen zu attrahieren. Dies könnte auch zur gewünschten Konvergenz beitragen - allerdings natürlich nur, wenn das importierte Kapital wachstumsfördernd (investiv! ) eingesetzt wird, so dass es später auch wieder zurückgezahlt werden kann. Wird es dagegen konsumtiv verwendet (sei es vom Staat oder von privaten Schuldnern), dann baut sich damit letztlich ein Länderrisiko auf, das zu Verschuldungskrisen führen kann (Bsp. Griechenland). Der „Übergang zu einem Geld, das man nicht selbst herstellen kann“, ist für Länder ein Vorteil, die zuvor eine instabile Währung hatten. Ein Land wie Deutschland mit seiner außerordentlich guten und stabilen Währung konnte dagegen hierdurch nichts gewinnen, sondern allenfalls verlieren. Konstruktionsmerkmale der EWU Als 1993 der Vertrag von Maastricht, in dem die Europäische Währungsunion definitiv beschlossen wurde, in Kraft trat, bestand die Europäische Gemeinschaft noch aus 12 Mitgliedsländern. Zu die- <?page no="165"?> 166 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de sem Zeitpunkt konnte niemand prognostizieren, dass 11 Jahre später die Gemeinschaft schon 25 Mitgliedsländer verzeichnen würde, die fast alle auch irgendwann an der Währungsunion teilnehmen sollten. Schon die theoretischen Überlegungen haben gezeigt, dass die Heterogenität der Partnerstaaten ein großes Problem für das Funktionieren einer Währungsunion ist. Eine solche Heterogenität lag auch schon in der EU-12 vor, doch hat sie sich mit den anschließenden Erweiterungen der Gemeinschaft noch drastisch verstärkt. Um der Kritik zu entgehen, eine instabile Währungsunion durch zu heterogene Mitgliedsstaaten zu schaffen, wurden im Vertrag von Maastricht die schon in Kapitel 5 genannten Konvergenzkriterien aufgenommen, die Voraussetzung für einen Beitritt zur Währungsgemeinschaft sind. Sie sollen gewährleisten, dass beitrittswillige Länder einen für eine erfolgversprechende Währungsunion hinreichenden Grad an Homogenität sowie an nachhaltiger Stabilität aufweisen. Inwieweit die genannten Konvergenzkriterien allerdings eine Garantie für eine solide Basis der Währungsunion darstellen, ist fraglich. Folgende Kritikpunkte an den Konvergenzkriterien sind zu nennen: So sind alle Kriterien statisch angelegt, da sie Stichtag-bezogen sind („kreative Buchführung“ ist möglich). Für die Entscheidung über die Teilnehmer am Start der Währungsunion zum 1.1.1999 wurden z.B. allein die Wirtschaftsdaten von 1997 zugrunde gelegt. Eine dauerhafte und nachhaltige Erfüllung dieser Kriterien wird dagegen nicht gefordert. Weiterhin gelten einige Kriterien als nicht ausreichend ökonomisch fundiert und damit als willkürlich. So ist zwar unbestritten, dass eine gewisse fiskalische Stabilität eine Voraussetzung für eine funktionsfähige Währungsunion ist, doch gibt es keine plausible ökonomische Begründung dafür, warum gerade ein Schuldenstand über 60 Prozent bzw. eine Neuverschuldung über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für eine Währungsunion problematisch sein sollen. <?page no="166"?> Konstruktionsmerkmale der EWU 167 fit-lernhilfen.de Zudem sind gerade die fiskalischen Konvergenzkriterien nur Referenzwerte. Laut Vertrag müssen sog. „übermäßige öffentliche Defizite“ vermieden werden. Aber auch bei Überschreitung des Referenzwertes muss nicht auf ein solches übermäßig hohes Defizit geschlossen werden, wenn die Neuverschuldung „erheblich und laufend zurückgegangen“ ist und einen Wert in der „Nähe“ des Referenzwertes erreicht hat oder dieser nur „ausnahmsweise und vorübergehend“ überschritten ist (Art. 126 AEUV.). Gleiches gilt für das Schuldenstandkriterium. Auch hier kann ein Wert von über 60 Prozent toleriert werden, wenn das Verhältnis „hinreichend rückläufig“ ist und sich „rasch genug dem Referenzwert nähert“. Wie die Teilnahme der Länder Italiens und Belgiens am Start der Währungsunion beweist, blieben diese Ermessensspielräume nicht ungenutzt. Auch beim Wechselkurskriterium lässt die Auslegung erhebliche Spielräume zu. So bleibt weitgehend offen, was unter „normalen Bandbreiten“ zu verstehen ist. Sind es die anfänglichen 2,25 Prozent oder die späteren 15 Prozent? Schließlich ist die Erfüllung der Konvergenzkriterien für den Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion ohnehin nicht zwingend. Denn gem. Art. 121 EGV obliegt die Entscheidung darüber, ob ein Land in die Währungsunion aufgenommen wird, dem Ministerrat, der in seiner Entscheidung den „Grad“ der Erfüllung der Referenzwerte nur „gebührend berücksichtigen“ muss. Viel entscheidender ist jedoch, dass sich die Referenzwerte allein auf monetäre Größen beziehen und realwirtschaftliche und strukturelle Konvergenz dagegen überhaupt nicht geprüft wird. Ein weiteres grundsätzliches Problem der Europäischen Währungsunion ist die Tatsache, dass auf der einen Seite die Geldpolitik vollständig zentralisiert und für alle Mitgliedsländer einheitlich ausgestaltet ist, auf der anderen Seite aber die Fiskalpolitik weiterhin in nationaler Kompetenz verblieben ist. <?page no="167"?> 168 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de Durch diesen institutionellen Mix kann eine nationale Regierung der eigenen Volkswirtschaft mit einem defizitären Staatshaushalt kurzfristig expansive Impulse durch ein „Deficit spending“ verschaffen, während sich die mit der Staatsverschuldung verbundenen negativen Effekte auf die gesamte Währungsgemeinschaft verteilen. Hieraus ergibt sich ein Anreiz für die nationalen Entscheidungsträger, eine Politik zunehmender Staatsverschuldung zu präferieren. Vor diesem Hintergrund wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt beschlossen, der die Währungsunion vor unsoliden Haushaltspraktiken der nationalen Regierungen schützen sollte. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt kann damit als Eckpfeiler fiskalischer Governance in der Eurozone gesehen werden. Seine Wirkungsweise wird im übernächsten Unterkapitel untersucht. Darüber hinaus wurde als weiterer Pfeiler zur Sicherung der Fiskaldisziplin die No-bailout-Klausel in den Vertrag mit aufgenommen. So besagt Art. 125 AEUV (ex Art 103 EGV): Weder die Union noch die Mitgliedsstaaten haften für die Verbindlichkeiten anderer Mitgliedsstaaten und treten nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. Des Weiteren besagt Art. 123 AEUV: Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den nationalen Zentralbanken für Regierungen der Mitgliedsstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken. Ein weiteres Konstruktionsmerkmal der Europäischen Währungsunion ist, dass sie explizit als „Stabilitätsgemeinschaft“ gegründet wurde. So schrieb auch das Bundesverfassungsgericht 1993: „Diese Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes“ (zur Währungsunion). Um diese (Währungs-)Stabilität zu sichern, wurde - unter anderem - die Europäische Zentralbank nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank gestaltet und ihr als vorrangiges Ziel die Preisstabilität vorgegeben. (Näheres zur EZB im folgenden Unterkapitel.). <?page no="168"?> Zur Europäischen Zentralbank Der stabilitätspolitische Auftrag der Europäischen Zentralbank ist klar definiert. Art. 127 AEUV (ex 105 EGV) bestimmt, dass das vorrangige Ziel der EZB die Gewährleistung der Preisstabilität ist. Nur „soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB (Europäisches System der Zentralbanken) die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft“. Zur Wahrung dieses stabilitätspolitischen Auftrags garantiert Art. 130 AEUV (ex 108 EGV) der EZB, den nationalen Notenbanken und den Mitgliedern ihrer Beschlussorgane eine umfassende Unabhängigkeit. Art. 130 AEUV: Weder die EZB noch eine nationale Notenbank noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane dürfen Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedsstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Umgekehrt verpflichten sich sowohl die Organe der Gemeinschaft als auch die Regierungen der Mitgliedsstaaten, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die EZB für politische Zwecke zu beeinflussen . Obwohl die Unabhängigkeit von Notenbanken mittlerweile zunehmend als selbstverständlich angesehen wird, bleibt dennoch zu fragen, mit welchen Argumenten die Forderung nach Zentralbankautonomie ökonomisch legitimiert werden kann. Im Rahmen von Public-Choice-Überlegungen können die wichtigsten Argumente für die Notwendigkeit einer politikneutralen monetären Institution verdeutlicht werden. Unterstellt man, dass Politiker sich nicht als wohlmeinende Diktatoren, sondern stimmenmaximierend verhalten, so würde für diese - wenn sie für die Geldpolitik maßgeblich mitverantwortlich sind - ein Anreiz bestehen, mittels expansiver Geldpolitik das Wirtschaftswachstum kurz- <?page no="169"?> 170 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de fristig anzukurbeln, um die Wiederwahl zu sichern. Die Folgen wären das Auftreten politischer Konjunkturzyklen und erhöhte Inflationsraten. Sind zugleich die Wähler nur unvollkommen darüber informiert, wer die höheren Inflationsraten zu verantworten hat, so ist mit einer Sanktionierung der politisch handelnden Akteure in Form von Stimmenverlusten nicht zu rechnen. Eine politisch abhängige Notenbank steht daher immer im Verdacht, dem Zielkonflikt zwischen der Sicherung der Preisstabilität und der Wahrung eines hohen Beschäftigungsstandes ausgesetzt zu sein und aus diesem Grund gelegentlich das Instrument der Überraschungsinflation nutzen zu wollen, um kurzfristige Beschäftigungserfolge zu realisieren. Hieraus ergibt sich ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem. Rational handelnde Wirtschaftssubjekte werden, da sie die Anreizstruktur einer politisch beeinflussten Geldpolitik kennen, diese in ihrem Verhalten antizipieren und im eigenen Preis- und Lohnsetzungsverhalten berücksichtigen. Die Folge wäre, dass auch eine angekündigte stabilitätsorientierte Politik unter einem inhärenten Glaubwürdigkeitsmangel leidet, der dazu führt, dass die privaten Akteure sich an einer höheren erwarteten Inflationsrate orientieren. Damit wird eine mögliche Preisstabilisierungsstrategie der Notenbank unterlaufen (Zeitinkonsistenzproblematik). Dieses Glaubwürdigkeitsrisiko kann nur durch eine unabhängige Zentralbank in Verbindung mit einer eindeutigen Prioritätsvorgabe für das Ziel der Preisniveaustabilität signifikant verringert werden. Auch die Entscheidungsträger einer unabhängigen Notenbank werden zwar versuchen, ihren eigenen Nutzen zu maximieren, doch ist dieser nicht von einer Wählerstimmenmaximierung abhängig, sondern vom Ansehen der eigenen Institution. Insofern besteht für die unabhängig handelnden Akteure der Zentralbank ein Anreiz, das Ansehen ihrer Institution durch eine erfolgreiche Stabilitätspolitik zu steigern. Die Zentralbankunabhängigkeit kann sich auf verschiedene Aspekte beziehen: Die funktionelle Unabhängigkeit einer Notenbank hängt davon ab, wie frei die operative Geldpolitik (Zielfestsetzung <?page no="170"?> Zur Europäischen Zentralbank fit-lernhilfen.de 171 und Mitteleinsatz) gestaltet werden kann, ob sich die Notenbank hierfür mit der Regierung abstimmen muss und ob ihr ein effizientes geldpolitisches Instrumentarium sowie die Entscheidung über das Wechselkurssystem zugestanden wird. Die grundsätzliche und prioritäre Aufgabe der EZB - die Gewährleistung der Preisstabilität - ist ihr vorgegeben. Die Definition, wann Preisstabilität vorliegt, ist ihr jedoch überlassen. (EZB: „Inflationsrate soll nicht über, aber nahe bei 2 Prozent sein.) Über die Ausgestaltung der Zwischenziele, z.B. im Rahmen ihrer Zwei-Säulen-Strategie, kann sie ebenfalls frei entscheiden. Zwei-Säulen-Strategie: Um die Inflationsgefahr richtig einschätzen zu können, beobachtet die EZB als „Erste Säule“ die Inflationsentwicklung selbst und Größen, die Einfluss darauf haben können, wie z.B. Löhne, Importpreise, Wechselkurs, Zinsen, Gesamtnachfrage. Als „Zweite Säule“ betrachtet sie die Entwicklung der Geldmenge, da ein übermäßig hohes Geldmengenwachstum langfristige Inflationsrisiken beinhaltet. Die personelle Unabhängigkeit einer Notenbank ist allgemein dann gewahrt, wenn staatliche Organe und gesellschaftliche Gruppierungen (wie z.B. die Tarifparteien) möglichst wenig Einfluss auf Vorschlag, Berufung und Abberufung der Notenbankleitung haben. Ferner dürfen die Entlohnungsmodalitäten, Amtszeiten und Wiederberufungsregelungen keine Anreize für eine „freiwillige“ Anpassung an äußere Einflüsse setzen. Je länger deshalb die Amtszeit der Notenbankmitglieder ist, desto unabhängiger sind diese von späteren Arbeitgebern und desto unabhängiger können sie deshalb auch das Preisstabilitätsziel verfolgen. Das Direktorium der EZB wird einmalig auf 8 Jahre durch den Ministerrat gewählt, d.h. ohne die Möglichkeit der Wiederwahl. Im Zentralbankrat der EZB sind neben den Mitgliedern des Direktoriums die Präsi- <?page no="171"?> 172 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de denten der nationalen Zentralbanken vertreten. Diese werden auf 5 Jahre (mit der Möglichkeit der Wiederwahl) gewählt. Von großer Bedeutung ist schließlich die finanzielle Komponente der Notenbankautonomie. Soll sie garantiert sein, darf der Staat keinen Anspruch auf Kreditgewährung durch die Notenbank haben (die ja gleichbedeutend mit Geldschöpfung wäre). Die finanzielle Autonomie der EZB sollte dadurch gewahrt sein, dass Notenbankkredite an die „öffentlichen Hände“ nach Art. 123 AEUV (no bailout) eigentlich rechtlich verbindlich ausgeschlossen sind. Rein formal ist die EZB weitgehend unabhängig ausgestaltet worden. Doch ist sie auch faktischen, vor allem gesellschaftlichen und ökonomischen Grenzen ihrer autonomen Geldpolitik unterworfen. Grenzen der Autonomie ergeben sich insbesondere daraus, dass eine stabilitätsorientierte Geldpolitik der formal unabhängigen Europäischen Zentralbank durch destabilisierende nationale Wirtschaftspolitiken unterlaufen werden kann. Somit ist die vertragliche Absicherung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für den Erfolg ihrer stabilitätsorientierten Geldpolitik. Zur Rolle des Stabilitäts- und Wachstumspaktes Einer der Kritikpunkte an den Konvergenzkriterien für die Aufnahme in die Währungsunion war die mangelnde Gewährleistung einer Nachhaltigkeit vor allem der fiskalischen Konvergenzkriterien nach Eintritt in die Währungsunion. Gerade die Sicherung fiskalischer Stabilität ist aber besonders wichtig: Zum einen besteht - wie schon ausgeführt - in einer Währungsunion ein größerer Anreiz für die nationalen Staaten, sich zu verschulden, und zugleich werden dann alle Partner vom unsoliden Haushaltsgebaren einzelner Länder mit betroffen. Zum anderen kann die Aneignung eines wachsenden Anteils der Ersparnisse der Gemeinschaft durch einzelne unsolide Regierungen die Allokation des Faktors Kapital im Währungsraum negativ beeinflussen. <?page no="172"?> Zur Rolle des Stabilitäts- und Wachstumspaktes 173 fit-lernhilfen.de Weiterhin kann die höhere Zinsbelastung bei Regierungen mit hoher Staatsschuld dazu führen, dass diese versuchen, Druck auf die gemeinsame Zentralbank auszuüben, um sie zu einer Niedrigzinspolitik zu bewegen. Je mehr Länder der Währungsunion sich einer Politik hoher Haushaltsdefizite anschließen, desto größer wird außerdem der Vertrauensverlust gegenüber dem gesamten Währungsraum. Eine solche Entwicklung sollte durch die Aufnahme von Bestimmungen zum sog. Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) im Vertrag von Amsterdam (1997) verhindert werden. Weicht die Haushaltslage eines Staates erheblich vom mittelfristigen Ziel eines ausgeglichenen oder positiven Budgetsaldos ab, so gibt der Rat eine frühzeitige Warnung bereits vor Auftreten eines übermäßigen Defizits, indem er Empfehlungen für notwendige Anpassungsmaßnahmen an den betreffenden Staat gibt („Blauer Brief“). Überschreitet das gesamtstaatliche Budgetdefizit 3 Prozent des BIP, so gilt es grundsätzlich als übermäßig, es sei denn, die Überschreitung wäre ausnahmsweise und vorübergehend aufgrund außergewöhnlicher Ereignisse oder eines schwerwiegenden Wirtschaftsabschwungs. Wird vom Rat (in der Zusammensetzung der Finanzminister) gem. Art 126 AEUV (ex-Art 104 EGV) mit qualifizierter Mehrheit ein übermäßiges Defizit festgestellt, so soll das betroffene Land innerhalb bestimmter Fristen angemessene Maßnahmen für die Reduktion des Budgetsaldos ergreifen. Dies wird zum Ende des Jahres kontrolliert. Falls keine hinreichenden Maßnahmen erfolgt sind, kann der Rat von dem betreffenden Mitgliedsstaat eine unverzinsliche Zwangseinlage verlangen. Sind jedoch Maßnahmen ergriffen worden, so wird erst nach Ablauf des darauffolgenden Jahres überprüft, ob nun das Defizit hinreichend reduziert ist. Ist das Haushaltsdefizit dann immer noch übermäßig, so sollte nun eine unverzinsliche Zwangseinlage gezahlt werden. Diese Zwangsabgabe setzt sich jeweils aus 0,2 Prozent des BIP und einer variablen Komponente (10 Prozent des Betrags, um den das Defizit den Referenzwert von 3 Prozent des BIP überschreitet) zusammen. <?page no="173"?> 174 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de Bei erfolgreichem Abbau des Defizits wird das Verfahren dagegen eingestellt. Ist im hierauf folgenden Jahr erneut ein zu hohes Budgetdefizit nachweisbar, so kann die Zwangseinlage in eine endgültige Geldbuße umgewandelt werden. Ist der Staatshaushalt dagegen nun konsolidiert, so wird die anfängliche Zwangseinlage wieder zurückgezahlt. Eine endgültige Geldbuße ist also nur vorgesehen, wenn das übermäßige Defizit über mehrere Jahre hinweg bestehen bleibt. Schon allein damit verlieren diese Sanktionen deutlich an Abschreckungswirkung. Aber selbst die vorgesehenen Sanktionen wurden nicht eingesetzt: Nachdem Deutschland und Frankreich ab 2002 für jeweils vier Jahre eine deutlich überhöhte Neuverschuldung aufwiesen (s. Tabelle 6.1), ohne dass die entsprechenden Sanktionen erhoben wurden, entschloss man sich 2005 daher auch offiziell zu der faktisch schon vollzogenen Aufweichung des Stabilitätspaktes. (Zeitweilig hatten nämlich mittlerweile sogar fünf bis sechs Länder den Referenzwert überschritten; 2003 lag sogar der Durchschnittswert der Neuverschuldung für den gesamten Euroraum über 3 Prozent des BIP.) Folgende Änderungen wurden beschlossen: Das mittelfristige Ziel eines Haushaltsausgleichs oder -überschusses wurde in „länderspezifische“ Ziele zwischen -1 % und Haushaltsausgleich resp. überschuss abgewandelt (und Abweichungen davon sind möglich! ). Rechtfertigungen einer Überschreitung des 3-Prozent-Kriteriums, die zuvor nur in Naturkatastrophen oder eindeutig negativen Wachstumsraten bestanden, sind nun auch generell eine ungünstige Konjunktur oder „besondere Ausgabenbelastungen“. Die Fristen für die Korrektur eines überhöhten Defizits sind deutlich verlängert worden und können bei „unerwarteten Ereignissen“ weiter verlängert werden. Die Konsolidierung der Staatshaushalte, die dann ab 2006 zunächst festzustellen war, war allerdings nicht auf einen irgendwie gearteten Stabilitätspakt zurückzuführen, sondern auf die verbesserte Konjunktur und die damit verbundenen Steuereinnahmenzuwächse und Ausgabenreduzierungen. Ein Abbau des strukturellen <?page no="174"?> Zur Rolle des Stabilitäts- und Wachstumspaktes 175 fit-lernhilfen.de (d.h. konjunkturbereinigten) Defizits fand zumeist nach wie vor nicht statt. Dies zeigte sich dramatisch im Zuge der weltweiten Finanzkrise 2008/ 2009, in deren Folge die Staatsdefizite wieder stark zunahmen - bis an den Rand des Staatsbankrotts in Griechenland. Staatliche Neuverschuldung in Prozent des BIP 1999 2002 2005 2007 2009 2012 EWU-16 -1,3 -2,6 -2,5 -0,7 -6,4 -3,7 LUX 3,4 2,1 0,0 3,7 -0,8 -0,8 NL 0,4 -2,1 -0,3 0,2 -5,6 -4,1 AUS -2,3 -0,7 -1,7 -0,9 -4,1 -2,5 IR 2,7 -0,4 1,7 0,1 -14,0 -7,6 FIN 1,6 4,1 2,8 5,3 -2,5 -1,9 DE -1,5 -3,8 -3,3 0,2 -3,2 +0,2 BEL -0,6 -0,1 -2,5 -0,1 -5,6 -3,9 FR -1,8 -3,1 -2,9 -2,7 -7,5 -4,8 IT -1,7 -3,1 -4,4 -1,6 -5,4 -3,0 SP -1,4 -0,2 1,3 1,9 -11,2 -10,6 GR -4,8 -5,2 -6,5 -15,6 -10,0 POR -2,8 -3,4 -6,5 -3,1 -10,2 -6,4 Quelle: Eurostat Tab. 6.1 Entwicklung der staatlichen Neuverschuldung in der EWU Es ist somit mehr als fraglich, ob der Stabilitäts- und Wachstumspakt tatsächlich dazu geeignet ist, die angestrebten Ziele zu erreichen. Denn streng genommen kann er keine wirklichen Anreize zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin setzen. Dies liegt vor allem daran, dass kein Automatismus bei der Sanktionierung stabilitätswidrigen Verhaltens greift und zudem lange Zeiträume bis zu <?page no="175"?> 176 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de einer gegebenenfalls wirklich schmerzhaften Sanktion (wenn überhaupt! ) verstreichen. Ministerrat und Kommission verfügen über erhebliche Ermessensspielräume bei der Feststellung darüber, ob ein übermäßiges Defizit vorliegt oder nicht und welcher Zeitraum gegebenenfalls für seine Behebung bereitgestellt wird. Dazu kommt, dass der Rat nicht zwingend die Sanktionen beschließen muss. So muss ein Land mit übermäßigem Haushaltsdefizit nur „in der Regel“ mit einer unverzinslichen Einlage rechnen, und nur „in der Regel“ erfolgt gegebenenfalls eine Umwandlung in eine Geldbuße. Tatsächlich kamen die erforderlichen Mehrheiten für eine Sanktionierung bisher im Ministerrat nicht zustande. Denn letztlich entscheiden in diesem Fall „potentielle Sünder“ über „aktuelle Sünder“, so dass es opportun erscheinen kann, die weiten Ermessensspielräume der Beurteilung zu nutzen. Durch die im Zuge der Finanz- und Schuldenkrise wieder vorgenommene „Verschärfung“ des Stabilitäts- und Wachstumspaktes soll nun allerdings ein „Quasi-Automatismus“ gelten. Eine Sanktion tritt prinzipiell automatisch ein, wenn die entsprechenden Daten vorliegen, kann allerdings durch eine Mehrheit im Ministerrat wieder aufgehoben werden (also umgekehrte Beweislast). Insgesamt kann trotzdem nicht davon ausgegangen werden, dass der Stabilitätspakt die notwendigen fiskalpolitischen Voraussetzungen für eine Währungsunion wirkungsvoll sichern kann. Auch die Ergänzung durch den „Fiskalpakt“ wird nicht entscheidend helfen, da er im Zweifelsfall nicht „eingeklagt“ werden wird. Zum Fiskalpakt und den jüngsten Veränderungen des SWP siehe das folgende Unterkapitel. Der Weg zur Eurokrise Die Europäische Währungsunion existiert mittlerweile bald 15 Jahre. Wie ist diese Zeit im Hinblick auf die Ziele der Währungsunion zu beurteilen? Betrachtet man den Wechselkurs des Euro, so hat sich erstaunlich rasch Vertrauen aufgebaut, bedenkt man, dass hier eine neue, quasi künstliche Währung auf den Markt kam. Nachdem <?page no="176"?> fit-lernhilfen.de Die durchschnittliche Inflationsrate in der Währungsunion (gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex) lag fast in dem gesamten Zeitraum zunächst leicht über 2 Prozent und somit etwas über dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (seit der Finanzkrise ist sie aber deutlich höher: 2008: 3,3 Prozent; 2011 und 2012: 2,7 Prozent). Noch problematischer ist, dass die Inflationsraten der Mitgliedsländer deutlich voneinander abweichen. Länder wie Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland wiesen durchweg deutlich höhere Lohnstückkosten und Inflationsraten auf als etwa Deutschland. Sie werteten damit real auf, wodurch ein wachsender Wettbewerbsnachteil entstand, der in der Währungsunion aber nun nicht mehr über eine Abwertung der eigenen Währung korrigiert werden kann. Hierdurch entstanden zunehmend Leistungsbilanzdefizite in diesen Ländern. Die Renditen langfristiger Staatsschuldpapiere, die vor der Währungsunion aufgrund unterschiedlicher Währungsrisiken stark divergierten, näherten sich sehr schnell an und blieben bis zur weltweiten Finanzkrise auf niedrigem Niveau. Danach drifteten sie allerdings wieder stark auseinander. Somit waren die Risiken der verschiedenen nationalen Staatsanleihen zeitweilig nicht mehr als sehr unterschiedlich angesehen worden. Die Ursache war der Wegfall des Wechselkursrisikos. Dieser allein hätte allerdings nicht zu Der Weg zur Eurokrise 177 der Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar von seinem Ausgangswert von ca. 1,18 Dollar pro Euro im Laufe der ersten zwei Jahre auf 0,82 Dollar pro Euro gesunken war, stieg er in den Folgejahren sukzessive an und erreichte im Sommer 2008 seinen bisher höchsten Wert von 1,59 Dollar pro Euro. In Zusammenhang mit der Finanzkrise verlor er im Herbst 2008 allerdings ca. 20 Prozent seines Werts und sank auf 1,25 Dollar pro Euro. Mittlerweile (2013) hat er sich im Bereich von etwa 1,30 Dollar pro Euro wieder gefestigt. Diese Veränderungen des Außenwertes des Euro erfolgten nicht nur gegenüber dem Dollar, sondern auch gegenüber den meisten anderen Währungen, was sich im sogenannten effektiven Eurokurs zeigt. Der Außenwert des Euro erscheint somit relativ stabil und als möglicher Erfolgsindikator. <?page no="177"?> 178 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de einer vollständigen Angleichung der Renditen führen dürfen, da ja trotz allem noch unterschiedliche Länderrisiken bestanden. Wäre die No-bailout-Klausel von den Finanzmärkten ernst genommen worden, hätten die Renditen auch weiterhin differieren müssen. Da sie es nicht taten, nutzten die ehemaligen Schwachwährungsländer die Situation der niedrigen Zinsen für eine ausufernde private und öffentliche Verschuldung im Ausland: Die durch die sinkende Wettbewerbsfähigkeit entstandenen Leistungsbilanzdefizite wurden durch Kapitalimporte finanziert. Die über Kredite beschafften Mittel wurden zum großen Teil konsumtiv verwendet oder auch im Immobilienbereich investiert. Es fehlten hinreichend produktive Investitionen, die über damit verbundene Wachstumseffekte die Zins- und Tilgungszahlungen hätten finanzieren können. Ein Leistungsbilanzdefizit, das durch entsprechende Kapitalströme finanziert wird, ist dann nicht als problematisch anzusehen, wenn diese Kapitalzuflüsse zugleich Investitionen ermöglichen, deren Renditen höher sind als der an das Ausland zu zahlende Zins. Problematisch ist es allerdings, wenn der Zins nicht den wirtschaftlichen Bedingungen des Landes entspricht, sondern zu niedrig ist, wie es in den derzeitigen Defizitländern im Euroraum der Fall war. Die globale Finanzkrise 2007 verschärfte die Situation bzw. ließ die Ungleichgewichte, die sich hierdurch in der Währungsunion aufgebaut hatten, sichtbar werden. Dies gipfelte dann in der sog. Eurokrise, die korrekter als Staatsschuldenkrise im Euroraum bezeichnet werden müsste. Einigen Ländern der Eurozone war es nicht mehr möglich, ihre Staatsschulden, die zudem großteils auch Auslandsschulden sind, ohne Hilfe von Dritten zu refinanzieren. Hinzu kamen auch Refinanzierungsprobleme im privaten Sektor. <?page no="178"?> Perspektiven der EWU Um die Schuldenkrise im Euroraum zu bewältigen, ohne den Euroraum selbst in Frage zu stellen (obwohl ja gewisse institutionelle Unvollkommenheiten der Eurozone mit verantwortlich waren), wurden von der Politik verschiedene „Rettungsschirme“ geschaffen, die durch Hilfsmaßnahmen der EZB und eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ergänzt wurden. Die Maßnahmen umfassen somit eine fiskalische Komponente eine monetäre Komponente die Reform des SWP Die fiskalische Komponente begann mit der 2010 eingerichteten Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), die dann in den dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) umgewandelt wurde. Der ESM nimmt am Kapitalmarkt Geld auf und gibt es als Hilfskredite an überschuldete Euroländer weiter. Für diese Kredite bürgen die Euroländer - Deutschland mit 190 Mrd. Euro. Der ESM kann seine Mittel auch einsetzen, um einem gefährdeten Euro-Land vorsorglich zu helfen; Darlehen zur Rekapitalisierung angeschlagener Finanzinstitute zu gewähren; an den Primär- und Sekundärmärkten Staatsanleihen anzukaufen, d.h. direkt von den betroffenen Mitgliedsstaaten oder anderen Anlegern. Voraussetzung ist jeweils ein Sanierungsprogramm des Schuldnerlandes, das von der sog. „Troika“ aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) überwacht wird. Die monetäre Komponente beinhaltet quantitative und qualitative Lockerungen der EZB, mit denen der Wirtschaft und den Banken mehr Liquidität zur Verfügung gestellt werden soll, da die gegenseitige Kreditvergabe der Banken untereinander stark eingebrochen war. Dies beinhaltet u.a. die Absenkung der Anforderun- <?page no="179"?> 180 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de gen an die Beleihungssicherheiten und den möglichen Ankauf von Staatsanleihen (der überschuldeten Staaten) auf dem Sekundärmarkt, sog. Outright Monetary Transactions (OMT). Die EZB kann dabei unbegrenzt Anleihen mit einer Laufzeit von einem bis drei Jahren kaufen. Ziel der Einführung der OMT im Sommer 2012 war es, damit die Zinsen für Staatsanleihen der Krisenländer abzusenken. Allein die Ankündigung dieser Maßnahmen genügte zunächst, um die Risikoprämien der Schuldenländer wieder etwas zu senken, so dass zunächst gar keine faktischen OMT-Transaktionen stattfanden. Folgende Risiken dieser EZB-Politik bestehen jedoch: Da die gegebenenfalls aufgekauften Papiere voraussichtlich bis zur Fälligkeit gehalten werden (müssen), leidet die geldpolitische Steuerungsflexibilität (Inflationsgefahren). Darüber hinaus könnte sich die EZB durch den vermehrten Aufkauf von Staatschuldtiteln unsolider Staaten zur „Bad Bank“ entwickeln. Mögliche Zielkonflikte entstehen zwischen dem Ziel der Preisstabilität und der Vermeidung von Verlusten aus Anleihegeschäften, die etwa bei einer Umschuldung auftreten würden. Die EZB betreibt letztlich monetäre Politik, um fiskalische Ziele zu erreichen, was ihrem Auftrag widerspricht. Die gestiegenen Zinsen in den Krisenländern spiegelten eine unsolide Wirtschaftspolitik mit gestiegenen Risikoprämien. Werden die Zinsen aber wieder künstlich reduziert, so werden falsche Signale gesetzt und die Länder weiter zu unsolidem Haushaltsgebaren verleitet. Die dritte Komponente des Krisenmanagements, die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes beinhaltet eine stärkere fiskalische und makroökonomische Überwachung und schnellere und stärkere Sanktionen bei Fehlverhalten: <?page no="180"?> Perspektiven der EWU 181 fit-lernhilfen.de Für die jährliche Neuverschuldung der Staaten gilt nach wie vor der Grenzwert von drei Prozent des BIP. Neu ist, dass Staaten mit einem Schuldenstand von mehr als 60 Prozent ihres BIP diesen Überschuss um fünf Prozent jährlich abbauen sollen. Es gilt nun ein automatischer Sanktionsmechanismus, der nur durch eine qualifizierte Ratsmehrheit außer Kraft gesetzt werden kann. Mit einem neuen Überwachungsverfahren sollen Ungleichgewichte in den Volkswirtschaften und Fehlentwicklungen schneller ermittelt werden. Anhand von Indikatoren wie der Verschuldung des Privatsektors, den Lohnkosten, der Produktivität und dem Leistungsbilanzsaldo will die Kommission rechtzeitig erkennen, ob Staaten in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zurückfallen (Macroeconomic Imbalance Procedure MIP ). Der Fiskalpakt wird eingeführt (für die gesamte EU außer Großbritannien und Tschechien): Er sieht einen mittelfristig ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung vor (mit Ausnahmen) sowie die Einführung nationaler Schuldenbremsen. Die neue Regelung wird in den nationalen Verfassungen verankert. Sie muss einen automatischen Korrekturmechanismus beinhalten, der im Falle einer Abweichung ausgelöst wird. Bei Nichteinhaltung ist eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof möglich. Die vor einigen Jahren noch als Erfolg gepriesene Angleichung der Renditen auf Staatstitel innerhalb der Währungsunion hat sich also gerade für die südlichen Länder als großes Problem erwiesen. Erst das hohe Ausmaß der durch die falschen Anreize forcierten Verschuldung ließ dann - zu spät - die richtige Risikoeinschätzung in die Renditen einfließen. Mit eigener Währung hätte es diese ausufernde Entwicklung nicht gegeben. Zur Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Dämpfung des internen Verbrauchs in den Defizitländern ist letztlich eine reale Abwertung notwendig, die aber in der Währungsgemeinschaft nur durch die Anpassung von Löhnen und Preisen nach unten erfolgen <?page no="181"?> 182 Etappe 6: Europäische Währungsunion kann. Eine solche Korrektur der Wirtschaftspolitik (interne Abwertung) ist aber oft mit hohen sozialen Kosten verbunden und von den Bürgern schwer zu akzeptieren. Eine Wechselkursanpassung (externe Abwertung nach Austritt aus der Währungsunion) könnte von den Bürgern eher akzeptiert werden, da der Realeinkommensverlust dabei weniger fühlbar ist. Zugleich würde sich die Anpassungslast auf Defizit- und Überschussländer gleichermaßen verteilen, da die Überschussländer entsprechend real aufwerten würden, ohne dies aber durch eine inflationäre Lohn- und Preispolitik bewirken zu müssen. Soll der Euro als Integrationsprojekt bestehen bleiben, so müssen die divergenten Entwicklungen in der Währungsunion zum Stillstand gebracht werden. Dazu dürfen die Marktkräfte nicht durch immer weitere Rettungsschirme und eine Vergemeinschaftung der Schulden außer Kraft gesetzt werden. Stattdessen müssen Risikoprämien zugelassen werden, da allein diese die Politik der betroffenen Länder letztlich zum Handeln zwingen. Auch der Austritt einiger Defizitländer aus der EWU darf kein Tabu sein. <?page no="182"?> Zwischenstand: Fragen und Antworten Fragen und Antworten Fit für die Prüfung? Beantworten Sie die folgenden Fragen und finden Sie heraus, ob Sie die Inhalte dieser Etappe verinnerlicht haben. (Es können keine, eine oder mehrere Antworten richtig sein.) Die Lösungen stehen online bereit. Folgen Sie einfach dem QR- Code am Ende des Fragenkatalogs oder dem Link: fit-lernhilfen.de/ europa/ 6.htm Addieren Sie die Fit-Punktzahlen der korrekt beantworteten Fragen, die in der eckigen Klammer angegeben sind, und notieren diese in der Auswertung am Ende des Buches, um den eigenen Fitness-Stand zu errechnen. Folgende Transaktionskosten sinken durch eine Währungsunion: [2 Fit-Punkte] Kosten des Währungsumtausches; Kosten der Absicherung vor Wechselkursrisiken; Kosten der Transportversicherung. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [2 Fit-Punkte] Der Anteil des Handels mit den Europartnern am Gesamtaußenhandel der EWU-Mitglieder ist gesunken. Der Handel mit Drittländern außerhalb der EWU ist langsamer gestiegen als der Handel mit den Europartnern. Der Handel zwischen den Europartnern ist zurückgegangen. Fragen und Antworten 18 <?page no="183"?> 184 Etappe 6: Europäische Währungsunion fit-lernhilfen.de Als Kritik an den Maastrichter Konvergenzkriterien wird geäußert: [2 Fit-Punkte] Die Höhe der fiskalischen Kriterien ist nicht ausreichend ökonomisch fundiert. Die Kriterien müssen gar nicht unbedingt eingehalten werden. Eine Erfüllung der Kriterien ist eventuell mit „kreativer Buchführung“ möglich. Die No-bailout-Klausel … [3 Fit-Punkte] … steht im Stabilitäts- und Wachstumspakt. … besagt, dass weder die Union noch die Mitgliedsstaaten für die Verbindlichkeiten anderer Mitgliedsstaaten haften. … ist durch den Fiskalpakt aufgehoben worden. Eine politisch abhängige Notenbank … [3 Fit-Punkte] … ist glaubwürdiger. … stellt eventuell das Beschäftigungsziel vor das Ziel der Preisniveaustabilität. … kann von der Regierung angewiesen werden, Staatsdefizite zu finanzieren. … wird niemals das Instrument der Überraschungsinflation einsetzen. <?page no="184"?> Fragen und Antworten 185 fit-lernhilfen.de Welche Aussage(n) ist/ sind richtig? [3 Fit-Punkte] Die EZB definiert ihr Preisstabilitätsziel als eine „Inflationsrate so niedrig wie möglich, maximal 2 Prozent“. Die personelle Unabhängigkeit der Notenbankvertreter hängt u.a. von ihrer Amtszeit ab. Notenbankkredite an die „öffentlichen Hände“ der Mitgliedsstaaten sind nach dem AEUV verboten. Die „Zwei-Säulen-Strategie“ der EZB bedeutet, dass sich ihre Politik an den beiden Zielen Preisstabilität und Wirtschaftswachstum orientiert. Fiskalische Stabilität ist in einer Währungsunion besonders wichtig, … [2 Fit-Punkte] … da alle Partner vom unsoliden Haushaltsgebaren einzelner Länder mit betroffen sind. … da sonst die Ersparnisse im Währungsraum v.a. durch unsolide Regierungen absorbiert werden. … da bei hoher Staatsverschuldung die Zinsen im Währungsraum sinken würden. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [3 Fit-Punkte] Der Stabilitäts- und Wachstumspakt SWP wurde im Vertrag von Maastricht beschlossen. Der SWP erlaubt keine Neuverschuldung. 2005 wurde der SWP verschärft. Die Sanktionen des SWP können durch eine Mehrheit im Ministerrat wieder aufgehoben werden. <?page no="185"?> 186 Etappe 6: Europäische Währungsunion Welche Aussage(n) ist/ sind richtig? [3 Fit-Punkte] Die durchschnittliche Inflationsrate in der Währungsunion hat dem Zielwert der EZB fast immer entsprochen. Länder wie Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland haben real abgewertet. Die Renditen langfristiger Staatspapiere beinhalten auch die vom Markt verlangten Risikoprämien. Die niedrigen Zinsen bei den Staatsanleihen setzten falsche Anreize, nämlich, sich mehr zu verschulden. Die Rettungsmaßnahmen im Rahmen der europäischen Staatschuldenkrise werden kritisiert, weil… [2 Fit-Punkte] … die EZB in Zielkonflikte gerät. … die grundlegenden Ursachen der Krise damit nicht behoben werden. … nun kein automatischer Sanktionsmechanismus mehr im Stabilitäts- und Wachstumspakt gilt. Welche Aussage(n) ist/ sind falsch? [2 Fit-Punkte] Eine interne reale Abwertung kann innerhalb einer Währungsunion nicht zustande kommen. Eine reale Abwertung (intern oder extern) verschlechtert in der Regel die Leistungsbilanz. Ihr Punktestand Etappe 6 [ Fit-Punkte] <?page no="186"?> Etappe 7: Erweiterung des Integrationsraums Erweiterung des Integrationsraums <?page no="187"?> 188 Etappe 7: Erweiterung des Integrationsraums fit-lernhilfen.de 1.3 Startschuss: Schlagchlagwörter und Prüfungstipps Schlagwörter und Prüfungstipps Was erwartet mich in diesem Kapitel? Nachdem der Europäische Integrationsraum von sechs Ländern auf 28 Länder angewachsen ist, ergeben sich auch hieraus besondere Herausforderungen. Das Kapitel befasst sich daher mit den Kosten und dem Nutzen einer EU-Mitgliedschaft aus Sicht eines potentiellen Beitrittslandes und aus Sicht der schon bestehenden EU. Welche Schlagwörter lerne ich kennen? Osterweiterung Transformationsländer Acquis communautaire Brain drain Kopenhagener Kriterien Zuwanderung Direktinvestitionsflüsse Welchen Prüfungstipp erhalte ich aus dieser Etappe? Das Kapitel baut auf den vorherigen Kapiteln auf. Das Verständnis für dieses Kapitel erfordert also, dass die Wirkungen der realwirtschaftlichen und monetären Integration bekannt und verstanden sind. Darauf aufbauend können dann z.B. Klausurfragen zur jüngsten Erweiterung der EU (Kroatien) im Sommer 2013 beantwortet werden. Nachdem es in den letzten Kapiteln v.a. um die Vertiefung der gemeinsamen Politik in einzelnen Politikfeldern gegangen ist, soll nun noch kurz auf die Erweiterungspolitik eingegangen werden. Am aktuellsten und am einschneidendsten war die Osterweiterung der EU, zum einen da sich die Zahl der Mitgliedsländer sehr stark erhöht hat, zum anderen, da die neuen Mitgliedsländer sich in ihrer wirtschaftlichen Struktur und im Pro-Kopf-Einkommen sehr stark von den „alten“ EU-Ländern unterschieden. Der Beitritt war somit sowohl für die Beitrittsländer als auch für die bestehende EU eine große Chance, aber auch eine Herausforderung. <?page no="188"?> Sicht der Beitrittsstaaten In den osteuropäischen Transformationsländern hatte die zügige Einführung des Binnenmarktes u.a. zur Folge, dass die noch fragilen und z.T. wenig flexiblen Wirtschaftsstrukturen relativ schnell und vollständig der etablierten Konkurrenz aus den EU-Ländern ausgesetzt wurden. Andererseits konnten die Transformationsländer den Vorteil ihrer deutlich niedrigeren Lohnkosten ausnutzen. Chancen durch die EU-Mitgliedschaft Handel freier Zugang zu allen EU-Märkten keine Anti-Dumping-Maßnahmen oder Safeguard clauses der EU mehr möglich geringere Transaktionskosten Kapitalverkehr höhere Attraktivität für ausländische Investoren Migration geringere Arbeitslosigkeit durch freien Zugang zu den Arbeitsmärkten der EU Rücküberweisungen der Migranten erhöhen das BSP Know-how-Transfer durch Rückwanderung Transfers Nettotransfers aus dem EU-Budget Transformation Schnellere Modernisierung des Wirtschaftssystems und der Rechtsordnung durch Übernahme des „Acquis communautaire“ der EU und durch Systemwettbewerb Tab. 7.1: Chancen durch die EU-Mitgliedschaft Gleichzeitig mussten aber von Staat und Unternehmen hohe Aufwendungen getätigt werden, um die mit dem Binnenmarkt verbundenen institutionellen Anpassungsmaßnahmen (etwa in der Steuer- Sicht der Beitrittsstaaten 1 9 8 <?page no="189"?> 190 Etappe 7: Erweiterung des Integrationsraums fit-lernhilfen.de politik, bei technischen und administrativen Vorschriften, im öffentlichen Auftragswesen etc.) durchzuführen (Übernahme des „Acquis communautaire“). Sämtliche direkten Instrumente zur Beeinflussung des Außenhandels bzw. zur Stimulierung oder Kontrolle des Kapitalverkehrs sind zudem nicht mehr erlaubt. Die Freizügigkeit kann zur Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte führen (Brain drain). Risiken durch die EU-Mitgliedschaft Handel verstärkter Wettbewerb durch den Binnenmarkt keine Möglichkeit zu protektionistischen Notmaßnahmen und Subventionen Verlust von APS-Präferenzen auf Drittmärkten Kapitalverkehr Kapitalflucht Überfremdung („Ausverkauf“) durch ausländische Direktinvestoren Migration Brain drain Transfers Verteilungskämpfe Transformation politische Instabilität durch den Systemwettbewerb Tab. 7.2: Risiken durch die EU-Mitgliedschaft Tendenziell negativ könnten auch die Folgen einer Teilnahme an manchen Gemeinschaftsaktivitäten sein. Im Rahmen der Umweltpolitik müssen die Beitrittsländer vielleicht Regelungen übernehmen, die das für sie optimale Niveau vielleicht übersteigen und ihre internationale Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen. Die Teilnahme an der Agrarpolitik erscheint auf den ersten Blick zwar vorteilhaft, da die Förderung des Agrarsektors in der EU durchschnittlich höher ist als früher in den Transformationsländern. Allerdings werden <?page no="190"?> Sicht der Beitrittsstaaten 191 fit-lernhilfen.de hierdurch unter Umständen wenig zukunftsträchtige Produktionsstrukturen aufrechterhalten bzw. neu entstehen. Überwiegend positiv sind die Auswirkungen einer Teilnahme an der Regionalpolitik. Da Strukturförderungsmittel überwiegend einkommensabhängig vergeben werden, haben die osteuropäischen Beitrittsländer Anspruch auf einen Großteil der bereitgestellten Mittel - soweit sie die Kofinanzierung leisten können. Aufgrund der großen Unterschiede zwischen den EU-15 Ländern und den osteuropäischen Beitrittskandidaten wurde nach den Beschlüssen des Kopenhagener EU-Gipfels von 1993 der Beitritt dieser Länder davon abhängig gemacht, dass das jeweilige Land über stabile demokratische Institutionen verfügt, mit den Zielen der Gemeinschaft einverstanden ist, das Gemeinschaftsrecht übernehmen wird, eine funktionierende Marktwirtschaft besitzt, und den Wettbewerbsdruck innerhalb der EU aushalten kann. Zudem sollte es imstande sein, Mitgliedschaftsverpflichtungen (z.B. in Bezug auf die Wirtschafts- und Währungsunion) zu übernehmen. Zur Operationalisierung dieser Beitrittskriterien, die auch heute noch für neue Beitrittskandidaten gelten, wurden auf der Kopenhagener Ratstagung verschiedene Vorschläge gemacht (sog. French- Liste, oder Kopenhagener Kriterien). Dabei geht es zum einen um Indikatoren der Makrostabilisierung, zum anderen um Indikatoren der Mikroliberalisierung bzw. der institutionellen Restrukturierung (ordnungspolitische Reformen). Je besser die Werte all dieser Indikatoren sind, desto wahrscheinlicher ist ein Wohlfahrtsgewinn für alle Beteiligten der Gemeinschaft. Klare Grenzwerte für die Indikatoren wurden allerdings nicht festgelegt. <?page no="191"?> Sicht der „alten“ Mitgliedsstaaten Die Länder der (alten) EU-15 sahen durch die Osterweiterung zum einen Probleme in einer künftig verschlechterten Nettoposition (höhere Zahlungen oder geringere Rückflüsse), zum anderen befürchteten manche hohe Zuwanderungen oder auch starke Konkurrenz in der Niedriglohnproduktion und Verlagerungen der Produktionsstandorte nach Osteuropa. Darüber hinaus wurde die Gefahr gesehen, dass die Erweiterung Spannungen durch zu unterschiedliche Interessenlagen in die Gemeinschaft hineintragen könnte. Aufgrund der befürchteten Risiken aus einer starken Zuwanderung wurde eine Übergangsfrist von maximal 7 Jahren (3-2-2 Jahre) beschlossen, in der die EU-15 noch eine gewisse Beschränkung der Freizügigkeit gegenüber den osteuropäischen Beitrittsländern beibehalten durfte. Nur Großbritannien, Irland und Schweden machten davon keinen Gebrauch. Bei der Beurteilung möglicher Zuwanderungsströme muss ja berücksichtigt werden, ob die Zuwanderer ggf. eher substitutiv oder komplementär zu den heimischen Arbeitskräften sind. Im ersten Fall ist die Gefahr des Verdrängungseffektes inländischer Arbeitnehmer größer; im zweiten Fall könnte dagegen die Produktivität heimischer Arbeitnehmer durch die Zuwanderer steigen. Es kommt daher im Wesentlichen auch auf die Qualität der zuwandernden Arbeitskräfte an. Großbritannien hat mit der von Beginn an geltenden Freizügigkeit keine schlechten Erfahrungen gemacht. Die Zuwanderer waren großteils recht gut ausgebildet. Auch in Deutschland gibt es mittlerweile Bereiche, in denen Arbeitskraftmangel herrscht und Zuwanderer daher durchaus komplementär wirken könnten. Auch das gesamte Potential an Wanderungswilligen wird oft überschätzt, da aufholende Entwicklung in den Beitrittsstaaten mit weit über dem EU-Durchschnitt liegenden Wachstumsraten den Migrationswunsch mittlerweile begrenzt. Bei der Frage, welche Folgen Direktinvestitionsabflüsse aus den EU in die osteuropäischen Beitrittsstaaten für die EU-15 Länder 19 Etappe 7: Erweiterung des Integrationsraums <?page no="192"?> fit-lernhilfen.de haben, muss man zunächst zwischen Direktinvestitionen zur Übernahme (M&A) und sog. Greenfield-Direktinvestitionen unterscheiden. Nur letztere sind manchmal auch mit direkten Arbeitsplatzverlagerungen verbunden. Es hängt also davon ab, ob die Direktinvestition eher absatzorientiert oder eher kostenmotiviert ist. Die hohen Direktinvestitionszuflüsse, die die meisten osteuropäischen Beitrittsstaaten zunächst zu verzeichnen hatten, waren großteils durch die Privatisierungen bedingt und in der Tendenz mehr absatzorientiert als kostenmotiviert. Ein großer Teil dieser Direktinvestitionen floss bisher dem Dienstleistungssektor zu und dort insb. den Sektoren Finanzintermediäre, Handel, Grundstücks- und Wohnungswesen, Verkehr. Hier dominiert die Suche nach Marktanteilen. Ein weiterer großer Teil der Direktinvestitionen ging in das verarbeitende Gewerbe und dort v.a. in ganz spezifische Sektoren: Kfz, Büromaschinen, EDV, Elektrotechnik, Nahrungsmittelbereich. Hier können auch tatsächlich Produktionsverlagerungen aufgrund der geringeren Lohnstückkosten in den Beitrittsländern festgestellt werden. Allerdings kann die Auslagerung einzelner Produktionsschritte, die besonders arbeitsintensiv sind, die Gesamtproduktion im Ursprungsland rentabel halten. Dies ist ein Phänomen der deutschen Exportindustrie: Der Importgehalt der Exporte steigt, aber hierdurch steigt der Gesamtabsatz der Exporte, da die Exportprodukte nun preislich günstiger geworden sind. Aus heutiger Sicht sind durch die Osterweiterung für die Gesamtheit der EU sicherlich Wohlfahrtsgewinne aufgrund der statischen und dynamischen Effekte der Marktintegration festzustellen, wobei diese zwischen den verschiedenen Ländern jedoch ungleich verteilt sein können. Deutliche Gewinne haben eher die mit den osteuropäischen Ländern eng verflochtenen Länder Deutschland und Österreich. In den Ländern, die einen ähnlichen Entwicklungsstand und ähnliche Wirtschaftsstrukturen aufweisen wie die osteuropäischen Beitrittsstaaten (z.B. Portugal, Spanien und Griechenland), sind hingegen auch temporäre Nachteile durch einen verstärkten Konkurrenzdruck denkbar. 193 <?page no="193"?> Zwischenstand: Fragen und Antworten Fragen und Antworten Fit für die Prüfung? Beantworten Sie die folgenden Fragen und finden Sie heraus, ob Sie die Inhalte dieser Etappe verinnerlicht haben. (Es können keine, eine oder mehrere Antworten richtig sein.) Die Lösungen stehen online bereit. Folgen Sie einfach dem QR- Code am Ende des Fragenkatalogs oder dem Link: fit-lernhilfen.de/ europa/ 7.htm Addieren Sie die Fit-Punktzahlen der korrekt beantworteten Fragen, die in der eckigen Klammer angegeben sind, und notieren diese in der Auswertung am Ende des Buches, um den eigenen Fitness-Stand zu errechnen. Welche Aussage(n) trifft/ treffen zu? [3 Fit-Punkte] Die EU-Mitgliedschaft erhöht die Attraktivität für ausländische Direktinvestitionen. Die EU-Mitgliedschaft ermöglicht Brain drain. Zuwendungen aus der Agrarpolitik sind nur bei Kofinanzierung erhältlich. EU-15 Länder befürchteten durch die Osterweiterung [3 Fit-Punkte] … eine Verlagerung von Arbeitsplätzen. … die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte. … einen Lohndruck. Ihr Punktestand Etappe 7 [ Fit-Punkte] 19 Etappe 7: Erweiterung des Integrationsraums <?page no="194"?> Den Fitness-Stand errechnen Nun erfahren Sie, wie fit Sie für die Prüfung sind. Notieren Sie Ihre erreichten Punktzahlen aus den einzelnen Etappen in den entsprechenden Feldern und bilden Sie die Summe. Im Anschluss daran können Sie Ihren Fitnessgrad für die Prüfung bestimmen: Ihr Punktestand Etappe 1 […………… Fit-Punkte] Ihr Punktestand Etappe 2 […………… Fit-Punkte] Ihr Punktestand Etappe 3 […………… Fit-Punkte] Ihr Punktestand Etappe 4 […………… Fit-Punkte] Ihr Punktestand Etappe 5 […………… Fit-Punkte] Ihr Punktestand Etappe 6 […………… Fit-Punkte] Ihr Punktestand Etappe 7 […………… Fit-Punkte] Gesamtpunktestand […………… Fit-Punkte] * Dieses Buch befasst sich mit den Grundlagen der Europäischen Integration. Da jeder Dozent und jede Dozentin seine/ ihre eigenen Schwerpunkte setzt und unterschiedlich tief in die Thematik eindringt, sollte auf jeden Fall die eigene Mitschrift aus den Vorlesungen mit genutzt werden, um in vollem Umfang fit für die Prüfung zu sein. Sollte Ihrer Meinung nach ein Thema in diesem Buch künftig stärker gewürdigt werden, so schreiben Sie uns eine E-Mail unter wirtschaft@uvk.de. 19 <?page no="195"?> 196 0 bis 49 Punkte: Da hilft kein herum reden: Sie sind nicht fit. Lesen Sie das Buch erneut und konzentrieren Sie sich dabei ganz besonders auf die Etappen, in denen Sie nur wenige oder gar keine Punkte erzielen konnten. Denken Sie daran, dass das Wissen aus den Etappen aufeinander aufbaut. Die Lücken bei den Grundlagen müssen also unbedingt geschlossen werden, um das Verständnis beim Lesen zu erhöhen. Nur so kann man das Wissen der folgenden Etappen erfolgreich vernetzen. Aber keine Panik - es ist zu schaffen! 50 bis 84 Punkte: Mit dieser Leistung könnte es in der Prüfung sehr brenzlig werden. Am besten steigen Sie noch einmal in die Etappen ein, in denen die wenigsten Punkte erzielt wurden. Sollten bei den Grundlagen Schwächen vorliegen, sollten diese zuerst vorgenommen werden. Vielleicht hilft auch das Glossar am Ende des Buches, um definitorische Lücken zu schließen. Nun heißt es: Ärmel hochkrempeln und erneut in den Stoff gezielt eintauchen. 85 bis 119 Punkte: Na also, das sieht doch schon recht gut aus. Wenn es die Vorbereitungszeit zulässt, könnte man nochmals in die Etappen einsteigen, in denen die wenigsten Punkte erzielt wurden. Dadurch können die letzten Lücken geschlossen werden. Ein Blick in das Glossar hilft dabei, die Definitionen zu wiederholen. Wenn Sie noch etwas Zeit investieren, können Sie mit einem sehr guten Gefühl in die Prüfung gehen. 120 bis 150 Punkte: Prima, eine wirklich gute Leistung. Sie haben den Stoff der einzelnen Etappen bereits sehr gut verinnerlicht und sind fit für die Prüfung. Die Punktestände der einzelnen Etappen verraten, in welchen Themenbereichen noch kleinere Schwächen vorhanden sind. Wenn Sie dafür noch etwas Zeit investieren, könnten Sie in der Prüfung glänzen. Wir drücken die Daumen! <?page no="196"?> Glossar Abschließungseffekt Wird eine Zollunion oder Freihandelszone gebildet, so führen die Handelserleichterungen im Binnenraum dazu, dass bisherige Importe aus Drittländern nun von den Partnerländern bezogen werden. Der Handel wird umgelenkt, zum Nachteil der Drittländer, die quasi ausgeschlossen werden. Acquis communautaire Wortwörtlich bedeutet der Begriff „Gemeinschaftlicher Besitzstand“. In der EU wird damit die Gesamtheit des gültigen EU-Rechts, also das EU-Vertragswerk, die EU- Rechtsordnung, die Richtlinien, die Verwaltungsvorschriften usw. bezeichnet. Aufschließungseffekt Wird eine Zollunion oder Freihandelszone gebildet, so führen die Handelserleichterungen im Binnenraum dazu, dass mehr mit den Partnern gehandelt wird. Grenzen werden quasi aufgeschlossen. Beitrittsstaaten Damit werden Länder bezeichnet, die der EU beitreten wollen oder gerade beigetreten sind. Vielfach taucht der Begriff im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU auf. Bestimmungslandprinzip Dieses Prinzip spielt im Binnenmarkt eine wichtige Rolle. Es bedeutet, dass die Regeln, bzw. Vorschriften, Standards oder Steuersätze des Landes relevant sind, in das ein Produkt geliefert wird. Das gegensätzliche Prinzip ist das Ursprungslandprinzip. Brain drain Mit diesem Begriff wird die Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte umschrieben. Cecchini-Bericht Der Cecchini-Bericht wurde 1988 veröffentlicht und war eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie über die erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen der zum 1.1.1993 geplanten Vollendung des Binnenmarktes. <?page no="197"?> 198 Glossar fit-lernhilfen.de Fiskalpakt Hiermit wird ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den (meisten) EU-Ländern bezeichnet, der mithelfen soll, die Staatsschuldenkrise zu bewältigen. Er sieht u.a. für die beteiligten Länder einen mittelfristig ausgeglichenen Haushalt sowie die Einführung nationaler Schuldenbremsen vor und wird in den nationalen Verfassungen verankert. Kaufkraftparitätische Wechselkursanpassung Bei einer solchen Wechselkursanpassung wird der Wechselkurs zwischen zwei Währungen nach Maßgabe der Inflationsunterschiede zwischen den beiden betroffenen Ländern verändert. Kofinanzierung Dieser Begriff bedeutet, dass eine Förderung durch die EU im Rahmen der Regional-und Strukturpolitik nur zu Stande kommt, wenn die begünstigte Region sich an der Finanzierung des Projektes beteiligt. Konvergenzkriterien Dies sind Kriterien, die im Vertrag von Maastricht stehen und die Voraussetzungen für die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion konkretisieren und operationalisieren. Ihr Ziel ist es, dass nur Länder mit einem hinreichenden Grad an Homogenität sowie an nachhaltiger Stabilität der Währungsunion beitreten dürfen. Leitkurs Dies ist die im Rahmen eines Systems fester Wechselkurse festgelegte Parität zwischen zwei Währungen. Um diesen Leitkurs kann eine Bandbreite vereinbart werden, innerhalb derer der Wechselkurs schwanken darf. Marktintegration Hiermit wird ein Integrationsprozess bezeichnet, der über Marktprozesse (durch Freihandel, freien Kapitalverkehr, Arbeitskräftemobilität) zu Stande kommt. Negative Integration Unter negativer Integration versteht man Maßnahmen, die darauf abzielen, bisherige Integrationshemmnisse (Handels- und Mobilitätsbeschränkungen) abzubauen, ohne gleichzeitig gemeinsame übergreifende Institutionen aufzubauen. <?page no="198"?> Glossar 199 fit-lernhilfen.de Obligatorische Intervention Dieser Begriff bezeichnet eine Devisenmarktinterventionen der Notenbank, die diese im Rahmen ihrer Interventionsverpflichtung bei festen Wechselkursen vornehmen muss. Opting out Mit der Opting out-Klausel im Vertrag von Maastricht haben Dänemark und Großbritannien die Möglichkeit, dass sie nicht automatisch der Eurozone beitreten müssen, wenn sie die Konvergenzkriterien erfüllen, sondern auch „außen vor“ bleiben können. Positive Integration Als positive Integration wird die Schaffung, neuer gemeinsamer Institutionen und Regelungen bezeichnet, die die Integration vorantreiben sollen (institutionelle oder politische Integration). Reale Abwertung Unter einer realen Abwertung ist eine Verbilligung der inländischen Güter zu verstehen, wobei dies entweder durch eine nominale Abwertung der inländischen Währung oder durch eine geringere Inflationsrate als im Ausland zu Stande kommen kann. Sie bedeutet auf jeden Fall eine Verbesserung der internationalen preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Realignment Hierunter ist eine diskretionäre Veränderung des Leitkurses im Rahmen eines Systems fester Wechselkurse zu verstehen. Risikoprämie Die Risikoprämie zeigt sich in der Differenz zwischen dem geforderten Zins für eine spezielle Anlage und dem durchschnittlichen Marktzins. Der Zinsunterschied soll das betreffende Risiko entgelten. Das Risiko kann dabei z.B. ein Wechselkursrisiko oder ein Länderrisiko sein. Stabilitäts- und Wachstumspakt Der im Vertrag von Amsterdam 1997 festgeschriebene Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte die Budgetdisziplin der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion nachhaltig sichern. Hierzu war vereinbart worden, dass <?page no="199"?> 200 Glossar sich alle EWU-Mitglieder an das Maastrichter Konvergenzkriterium zur Neuverschuldung (max. 3 Prozent des BIP) halten sollen und Sanktionen bei Nichteinhaltung möglich sind. Subsidiaritätsprinzip Nach dem Subsidiaritätsprinzip soll eine staatliche Aufgabe möglichst von der Ebene, die die Aufgabe am besten erfüllen kann (und das ist meist die Ebene, die die größte Nähe zum Ort des Geschehens hat), wahrgenommen werden. D.h., dass die EU nur Aufgaben übernehmen soll, die sie definitiv effizienter als die nationalen Entscheidungsträger erfüllen kann. Terms of Trade Hiermit wird die Relation von Exportpreisen zu Importpreisen (in derselben Währung gemessen) bezeichnet. Ursprungslandprinzip Dieses Prinzip spielt im Binnenmarkt eine wichtige Rolle. Es bedeutet, dass die Regeln, bzw. Vorschriften, Standards oder Steuersätze des Landes relevant sind, aus dem ein Produkt kommt. Daher wird es auch manchmal Herkunftslandprinzip genannt. Das gegensätzliche Prinzip ist das Bestimmungslandprinzip. Wechselkursmechanismus Mit diesem Begriff wird das Festkurssystem des Europäischen Währungssystems bezeichnet. Der Wechselkursmechanismus ist durch feste Wechselkurse der jeweiligen Währungen zum ECU (bzw. heute zum Euro) gekennzeichnet - mit Bandbreiten, innerhalb derer sich die Wechselkurse verändern dürfen. Seit der Einführung des Euro gilt der sog. Wechselkursmechanismus II. Ziel-1-Region Dieser Begriff bezeichnet eine Region, die den Kriterien des Ziels 1 der Europäischen Regional- und Strukturpolitik genügt. Es ist eine Region, in der das Pro-Kopf-BIP unter 75 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-BIPs der Gemeinschaft liegt. <?page no="200"?> Wichtige Lehrbücher und Literatur Lehrbücher, die man kennen sollte Es gibt mittlerweile einige gute Lehrbücher zur Europäischen Integration. Derzeit sehr häufig verwendet werden die Bücher von Baldwin/ Wyplosz (2012), Brasche (2013) und de Grauwe (2012). Baldwin/ Wyplosz ist sehr umfangreich (550 Seiten), umfasst das gesamte Spektrum der Europäischen Integration und hat die typisch amerikanische Darstellungsweise mit vielen Beispielen zur Illustration. Brasche ist das aktuell relevanteste deutschsprachige Lehrbuch. Er argumentiert oft politökonomisch und hat einen großen Schwerpunkt auf die Erweiterungspolitik gelegt. De Grauwe befasst sich speziell mit der Europäischen Währungsunion, wobei er zu Beginn auch sehr ausführlich auf die grundsätzlichen Kosten und Nutzen einer Währungsunion und auf die Theorie des optimalen Währungsraums eingeht. El-Agraa (2011) und Pelkmans (2006) sind eher Klassiker und decken die Fragestellungen zur Europäischen Integration umfassend ab. El- Agraa legt dabei viel Wert auf eine gute theoretische Fundierung. Außerdem geht er auch auf einzelne Politikbereiche ein, wie Umweltpolitik, Industriepolitik, Wettbewerbspolitik oder Sozialpolitik. Pelkmans ist ein versierter Kenner der EU- Institutionen und kombiniert ebenfalls methodische Grundlagen mit der konkreten Analyse der Entwicklungen in der EU. Generell sollte man in diesem Themenbereich bei allen Lehrbüchern versuchen, möglichst die aktuellste Auflage zu nutzen, da sich die Dinge in der EU sehr schnell verändern. Umfassende und aktuelle Daten zur EU finden Sie im Übrigen im Internet bei Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union (http: / / epp.eurostat.ec.europa.eu). <?page no="201"?> 202 Literatur fit-lernhilfen.de Alesina, Alberto / Angeloni, Ignazio / Schuknecht, Ludger: What does the European Union do? , in: Public Choice, Vol. 123, Iss. 3, 2005, S. 275-319. Baldwin, Richard/ Wyplosz, Charles: The Economics of European Integration, 4. Aufl., 2012. Baldwin, Richard/ Francois, Joseph/ Portes, Richard: The Costs and Benefits of Eastern Enlargement: The Impact on the EU and Central Europe, in: Economic Policy, 24. Jg., 1997, S. 127 ff. Bauer, Thomas: Arbeitsmarkteffekte der Zuwanderung nach Deutschland, in: DIW Wochenbericht 21/ 2000, S. 327 - 332. Beemtsma, Roel/ Giuliodori, Massimo: The Macroeconomic Costs and Benefits of the EMU and Other Monetary Unions: An Overview of Recent Research, Journal of Economic Literature, Vol. 48, 2010, S. 603-641. Brasche, Ulrich: Europäische Integration, 3. Aufl., München 2013. Busch, Berthold: Der EU-Binnenmarkt-Anspruch und Wirklichkeit, Beiträge zur Ordnungspolitik Nr. 39, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln 2009. Cecchini, Paolo: Europa ‘92. Der Vorteil des Binnenmarktes, Baden-Baden 1988. CESifo Forum, Vol. 12, No. 2 (Summer 2011), Focus: Europe in Crisis, S. 3 - 62. De Grauwe, Paul: Economics of Monetary Union, 9. Aufl., Oxford 2012. De Grauwe, Paul: The Euro at Ten: Achievements and Challenges, in: Empirica, Vol. 38, 2009, S. 5 - 20. De Grauwe, Paul / Mongelli, Francesco): Endogeneities of Optimum Currency Areas: What Brings Countries Sharing a Single Currency Closer Together? , ECB Working Paper No. 468, 2005, Frankfurt. <?page no="202"?> Literatur 203 fit-lernhilfen.de Deutsche Bundesbank: Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, April 2008, Frankfurt. ECB: The international role of the euro, July 2011, Frankfurt. Eichengreen, Barry (1992): Is Europe an Optimum Currency Area? , in: S. Borner/ H. Gruber (Hrsg.), The European Community after 1992, London, S. 138 - 161. El-Agraa, Ali M.: The European Union: Economics and Policies, 9. Aufl., London u.a, 2011. European Central Bank: The Reform of Economic Governance in the Euro Area, Monthly Bulletin, March 2011, S. 99 - 119. Europäische Zentralbank: Zehn Jahre Stabilitäts- und Wachstumspakt, Monatsbericht Oktober 2008, Frankfurt, S. 59 - 73. Eggert, Wolfgang/ von Ehrlich, Maximilian/ Fenge, Robert/ König, Günther: Konvergenz- und Wachstumseffekte der europäischen Regionalpolitik in Deutschland, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Vol. 8, 2007, S. 130 - 146. Feld, Lars: Nettozahler Deutschland? Eine ehrliche Kosten- Nutzen-Rechnung, in: Wessels, W./ Diedrichs, U. (Hrsg.), Die neue Europäische Union: im vitalen Interesse Deutschlands, Januar 2006, Berlin, S. 94 - 113. Goodhart, Charles: Currency Unions: Some Lessons from the Euro-Zone, Atlantic Economic Journal, 2007, S. 1 - 21. Ilzkowitz, Fabienne/ Dierx, Adriaan, u.a.: Steps towards a deeper economic integration: The internal market in the 21 st century, European Commission, Economic Papers, no. 271, 2007. Lieb, Julia/ Maurer, Andreas (Hrsg.): Der Vertrag von Lissabon, Kurzkommentar, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage, Diskussionspapiere der Forschungsgruppe EU-Integration, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin 2009. <?page no="203"?> 204 Literatur fit-lernhilfen.de Matthes, Jürgen: Ten Years EMU - Reality Test for the OCA Endogeneity Hypothesis, Economic Divergences and Future Challenges, in: Intereconomics, March/ April 2009, S. 114 - 128. Mongelli, Francesco: What is European Economic and Monetary Union Telling Us About the Properties of Optimum Currency Areas? , in: Journal of Common Market Studies, Vol. 43, 2005, S. 607 - 635. Nunnenkamp, Peter: Aufhol- und Abkoppelungsprozesse im europäischen Binnenmarkt, in: Die Weltwirtschaft, 1997, S. 190 - 213. Ohr, Renate/ Theurl, Theresia (Hrsg.): Kompendium Europäische Wirtschaftspolitik, München 2001. Ohr, Renate: Wirtschaftliche Konvergenz und Divergenz: Theoretische Konzepte, in: Caesar/ Lammers/ Scharrer (Hrsg.), Konvergenz und Divergenz in der Europäischen Union, Baden-Baden 2003, S. 11 - 30. Ohr, Renate: Monetäre Integration in der Europäischen Gemeinschaft, in: Wirtschaftsdienst, Heft 2/ 2007, S. 106 - 113. Ohr, Renate: Clubs im Club - Europas Zukunft, in: ORDO Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 58, 2007, S. 67 - 82. Ohr, Renate: Erfolgsbilanz Europäische Währungsunion: Hatten die Maastricht-Kritiker Unrecht? , in: Knoll, B./ Pitlik, H. (Hrsg.), Entwicklung und Perspektiven der Europäischen Union, Baden- Baden, 2009, S. 9 - 28. Ohr, Renate: Falsche Anreize in der Währungsunion - eine Gefahr für die Europäische Union, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg., 2011, S. 370 - 375. Ohr, Renate: Wie viel Euro braucht Europa? , in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 62. Jg., Heft 13/ 2012, S. 23 - 28. Ohr, Renate/ Schmidt, André: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt: Eine Analyse unter Berücksichtigung konstitutionen- und in- <?page no="204"?> Literatur 205 stitutionenökonomischer Aspekte, in: Schäfer, Wolf (Hrsg.): Zukunftsprobleme der europäischen Wirtschaftsverfassung, Berlin 2004, S. 181 - 201. Ohr, Renate/ Schmidt, André: Institutionelle Alternativen in der Europäischen Union: Das Beispiel des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 55. Jg., 2006, S. 127- 149. Ohr, Renate/ Lechner, Susanne: Governancestrukturen in der EU - Neue Herausforderungen durch Vertiefung und Erweiterung der Gemeinschaft, in: Ohr, Renate (Hrsg.): Governance in der Wirtschaftspolitik, Berlin 2010, S. 143 - 172. Ohr, Renate/ König, Jörg: EU-Binnenmarktintegration im Lichte des EU-Integrationsindexes, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg., 2012, S. 795 - 800. Pelkmans, Jacques: European Integration, 3. Aufl., 2006. Rohwer, Anja: Die gemeinsame Agrarpolitik der EU - Fluch oder Segen? , in: ifo-Schnelldienst, 63. Jg., Heft 3/ 2010, S. 27 - 36. Vaubel, Roland: The European Institutions as an Interest Group, London 2009. Wagner, Helmut: Europäische Wirtschaftspolitik: Perspektiven einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU), 2. Aufl., Berlin 1998 Weidenfeld, Werner/ Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A-Z, 12. Aufl., Bonn 2011. Weise, Christian: Grundlagen der EU-Regionalpolitik und Ansätze zu ihrer Weiterentwicklung, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 74/ 1, 2005, S. 74 - 90. Wood, Steve / Quaisser, Wolfgang: The New European Union - Confronting the Challenges of Integration, 2008. Ziltener, Patrick: Hat der EU-Binnenmarkt Wachstum und Beschäftigung gebracht? , in : WSI-Mitteilungen 4/ 2003, S. 221 - 245. <?page no="206"?> Stichwortverzeichnis -Konvergenz 100, 101 „negative“ Integration 20 „positive“ Integration 20 Abschließungseffekt 50 Abschöpfungen 117 Agrarpolitik, Reformen der EU- 123 Agrarpolitik, Ziele der gemeinsamen 115 Äquivalenzprinzip 57 Arbeitsangebot 73 Arbeitsangebot, komplementäres 74 Arbeitskräftewanderungen 72 Aufschließungseffekt 52 Auftragswesen, öffentliches 59 Ausfuhrabschöpfung 120 Benefit to Consumer 68 Bestimmungslandprinzip 56, 69 Binnenmarkt, Bewertungen 65 Binnenmarkt, Maßnahmen 55 Brain drain 76 Bürgerinitiative 38 Cecchini-Bericht 63 Cross-Compliance 123 Dienstleistungsmarkt 60 Dienstleistungsrichtlinie 66 Direktzahlungen 123, 125 Divergenzthese 103 doppelte Mehrheit 37 ECU 138 Effekt, statistischer 94 EFRE 89 EFTA 27 EG 23 EGFL 124 Einheitliche Europäische Akte 24 ELER 124 Entkoppelung 123 Entscheidungsregeln 34 Erweiterung der EG 29 ESF 89 EU 24 EU-Binnenmarkt 62 EU-Binnenmarkt, Erwartungen 62 EU-Erweiterungen 26 EU-Haushalt 126 Euratom 23 Eurokrise 178 Europäische Gemeinschaft 23 <?page no="207"?> 208 Stichwortverzeichnis fit-lernhilfen.de Europäische Kommission 32 Europäische Union 24 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 23 Europäische Zentralbank 34, 171 Europäischer Gerichtshof 33 Europäischer Rat 31 Europäischer Rechnungshof 34 Europäischer Stabilitätsmechanismus 181 Europäisches Parlament 33 Europäisches Währungssystem 135 Eurosklerose 30 EU-Verfassung 24 EWG 23 EWS 135 EWS, Funktionsweise des 137 EWS, Scheitern des 141 EWS, Zielsetzung des 136 EWS-Krise 143 EWU 147 EWU, Erwartungen an die 165 EWU, Konstruktionsmerkmale der 167 Exporterstattung 119 EZB 34 Finanzrahmen 2007 - 2013 94 Finanzrahmen, mehrjähriger 126 Fiskalpakt 183 Freihandelszone 17 Funktionsweise des EWS 137 GAP 115 GAP, Ziele der 124 Garantiepreis 117 GASP 24 Gemeinsamer Markt 18 Geographie, neue ökonomische 104 Gerichtshof, Europäischer 33 Geringqualifizierten-Zuwanderung 7 Grundfreiheiten, die vier 56 Grundsteintheorie 136 Handelshemmnisse, nichttarifäre 28 Handelsschaffung 52 Handelsumlenkung 50 Harmonisierungsprinzip 57 Haushalt, EU- 126 Hochqualifizierten-Zuwanderung 7 institutionelle/ politische Integration 20, 21 Integration 17 Integration, „negative“ 20 Integration, „positive“ 20 <?page no="208"?> Stichwortverzeichnis 209 fit-lernhilfen.de Integration, institutionelle/ politische 20, 21 Interventionen, intramarginale 138 Interventionen, obligatorische 138 Interventionspreise 116 Kohäsionsfonds 92 Kommission, Europäische 32 Konvergenz, - 100, 101 Konvergenzkriterien 146, 149 Konvergenzthese 101 Kopenhagener Kriterien 193 Krönungstheorie 136 Leitkursanpassungen 140 Lissabon, Vertrag 37 Maastricht, Vertrag 30 Macroeconomic Imbalance Procedure 183 Markt, gemeinsamer 18 Märkte, Öffnung der 20 Marktintegration 19 Marktordnung 18 Mehrheit, doppelte 37 Mehrheitsentscheidungen 36 qualifizierte 36 Mehrwertsteuerregelung 67 Ministerrat 31 Modulation 124 Montanunion 23 Nettoposition 127 No-bailout-Klausel 170 NUTS 88 Öffnung der Märkte 20 Opting-Out 147 Outright Monetary Transactions 182 Parlament, Europäisches 33 Polarisierungseffekte 106 Präferenzzone 17 Rat der Europäischen Union 31 Rat, Europäischer 31 Rechnungshof, Europäischer 34 Regionen, Ziel-1- 91 Rettungsschirme 181 Scheitern des EWS 141 social capability 107 Stabilitäts- und Wachstumspakt 175 Stabilitätsmechanismus, Europäischer 181 Stimmrechte 35 Subsidiaritätsprinzip 38, 86 <?page no="209"?> Übergangsregelung der Mehrwertsteuerregelung 70 Überschussproduktion 120 Unabhängigkeit 171 Ursprungslandprinzip 57, 69 Vertrag von Lissabon 37 Vertrag von Maastricht 30 Währungsraum, optimaler 152 Währungsraum, optimaler, Theorien zum 153 Währungsraums, optimaler, Endogenität des 155 Währungsunion 18 Wechselkurs, realer 140 Wechselkursmechanismus 138 Wettbewerb der Systeme 22 Wirtschaftsunion 18 WKM II 144 Wohlfahrtseffekte 47, 165 Wohlfahrtseffekte, dynamische 54 Wohlfahrtseffekte, statische 49 Zentralbank, Europäische 34 Zentralisierung 21 Ziel-1-Regionen 91 Zielsetzung des EWS 136 ZJIP 24 Zollunion 18 Zollunion, Theorie der 48 Zusammenarbeit, verstärkte 37 Zwei-Säulen-Strategie 173 210 Stichwortverzeichnis Terms of Trade 52 Theorie der Zollunion 48