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Organisation

0101
2014
978-3-8385-3976-8
UTB 
Wilhelm Schmeisser

Längst wird in einer Lehrveranstaltung nicht mehr nur der Organisationsaufbau eines Unternehmens besprochen. Vielmehr stehen nun Prozessfragen und Change Management im Mittelpunkt. Zudem finden Themen wie Projektorganisation, Corporate Governance und interkulturelles Management Einzug in die Lehre. All dies berücksichtigt dieses Lehrbuch.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich UTB (basics) Impressum_14.indd 1 27.11.13 16: 12 <?page no="2"?> W ilh elm S ch m e i S S er | m ich a el re i S S arno rolf | re b e cc a P o P P Organisation Unter mitwirkung und mitarbeit von rené lillich nadine herrfurth elise rottstege Daniel Stoeff mouna Zitawi anja Dittmann Kristin Kirchhoff lydia clausen Peter Seitz UVK Verlagsgesellschaft mbh · Konstanz mit UVK / lucius · münchen 39763 Schmeisser.indd 3 21.11.13 11: 23 <?page no="3"?> Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de Umfangreicher Web-Service zu diesem Buch: www.uvk-lucius.de/ organisation Die Deutsche Bibliothek - CIP Einheitsaufnahme Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abruf bar. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014 Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Covermotiv: © iStockphoto, juliehagan Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigen Papier. UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-21 · Fax 07531-9053-98 UTB-Band-Nr.: 3976 ISBN 978-3-8252-3976-3 <?page no="4"?> 5 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Vorwort Dass die Unternehmensorganisation durch die Strategie und das Geschäftsmodell des Unternehmens geprägt wird, ist Studenten / innen noch geläufig, aber dass sie auch die Produktivität, die Wirtschaftlichkeit und die Rentabilität absichert und stark beeinflusst weit weniger. Das Organisationsphänomene unterschiedlich erlebt, beschrieben, analysiert und gestaltet werden können ist wahrscheinlich auch für manche nicht selbstverständlich. Und nicht zuletzt, dass Organisationsprobleme heute immer mehr zu IT-Problemen bei Geschäftsmodellen werden, ist für den „naiven“ Beobachter von Organisationen oft noch überraschend. Aufgrund der Vielfältigkeit des betriebswirtschaftlichen Organisationsphänomens wurde deshalb ein multikontextualer Rahmen für dieses Einführungsbuch in die Organisation gewählt, der unterschiedliche „Geschichten“ bzw. Organisationstheorien (Ansätze) zu gleichen Organisationsphänomenen bzw. Organisationsproblemen erzählen kann, um diese an ausgewählten Organisationszielen zu analysieren und zu gestalten. Dabei vermeiden die Verfasser / innen einer Organisationstheorie mit ihren Organisationszielen und Prämissen den Vorrang einzuräumen, sondern stellen auf die normativ gewollte betriebswirtschaftliche Lösung kritisch ab. Im ersten und zweiten Kapitel wird ein Einstieg in die betriebswirtschaftliche Organisationslehre gegeben. Sie führen in die grundlegenden Begriffe, Theorien und Organisationsinstrumente ein. Im dritten Kapitel zeigt Prof. Reiß, dass die Organisation ein derivatives Instrument der Unternehmenspolitik und der Strategie eines Konzerns bzw. eines Unternehmens ist. Frau Popp diskutiert im vierten Kapitel, dass die Strategie eines Konzerns neben internem Wachstum (Innovationen) durch externes Wachstum (Mergers & Acquisitions) geprägt ist und aufgrund von Portfoliomanagement-Überlegungen die Organisation einem ständigen Wandel (Change Management) ausgesetzt wird. Im letzten Kapitel wendet Sie sich dem Corporate Governance Ansatz zu. Prof. Rolf und Herr Lillich beschreiben im sechsten und siebenten Kapitel, wie die „tägliche“ Unternehmensorganisation zur Prozessorganisation und zur IT-Organisation wird, sowohl in allen Unternehmen als auch beispielsweise in der Finanzdienstleistungsbranche. Unternehmensorganisationen können aber nicht nur von der Aufgabe und / oder Information her „technisch“ gestaltet werden, sondern auch die Mitarbeiter / innen müssen dabei mit abgeholt werden, darum werden ebenso die anderen „Geschichten“ (Theorien) zur Organisation in den nächsten Kapiteln disputiert, wobei leider der symbolisch-kulturelle Ansatz von Prof. Schmeisser / Kirchhoff nicht mehr <?page no="5"?> 6 V o r w o r t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation im Organisationsbuch berücksichtigt werden konnte (Bitte vgl. Sie dazu Schmeisser / Kirchhoff: Innovation und Kultur, E-Book, UVK, Konstanz und München 2014). Herrn Dr. Jürgen Schechler von der UVK Verlagsgesellschaft danken wir für die erneut gute Zusammenarbeit. Die Verfasser / innen Berlin, Hamburg, Nürnberg, Stuttgart 2014 Zu diesem Buch stellen Verlag und Autoren eine Webseite bereit, auf der für Studierende und Dozenten ein Glossar zur Verfügung steht: Diesen Web-Service finden Sie unter http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Wichtige Begriffe sind zudem mit einem QR- Code am Seitenrand markiert. Sobald Sie diesen mit einem internetfähigen Smartphone scannen, wird der Begriff kurz und knapp erklärt. Die gängigen QR-Reader-Anwendungen speichern die aufgerufenen QR- Codes, so dass die Begriffe vor einer Prüfung wie ein digitales Lernkarten-Set verwendet werden können. Wir hoffen, Ihnen das Lernen und die Vorbereitung auf eine anstehende Prüfung auf diese Weise erleichtert zu haben. ▲ Benutzungshinweise ▼ <?page no="6"?> 7 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1 Organisationsansätze und Organisationserfolgsmodelle . . . . 18 1.1 Grundsätzliches zum Organisationsphänomen . . . . . . . . . . . . . 20 1.1.1 „Wir“ leben in einer „Organisationsgesellschaft“ . . . . . . . . . . . . 20 1.1.2 Zur Aufbauorganisation eines Konzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.2 Ablauforganisation zur routinemäßigen Aufgabenbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.3 Kernprozesse und Supportprozesse der Organisation . . . . . . . . 25 1.4 Organisationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.4.1 Zum symbolisch-kulturellen Organisationsansatz . . . . . . . . . . 26 1.4.2 Scientific Management als Struktureller Ansatz . . . . . . . . . . . . 27 1.4.3 Zum verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.5 Struktureller Ansatz im Ausgangspunkt der Organisationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.1 Toyotas Just-in Time: Eine organisatorische Erfolgsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.1.1 Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.1.2 Organisationscontrolling: Just-Time-Konzept und Returnon-Investment anhand eines fiktiven Beispiels . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2 Organisationsziele: Ohne Ziele keine Performance- Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 <?page no="7"?> 8 I n h a l t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 2.3 Zur Notwendigkeit von Organisationsansätzen . . . . . . . . . . . . . 45 2.4 Organisationsansätze und Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.4.1 Zum Strukturellen Ansatz: Metapher - Organisation als „Maschine“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.4.2 Verhaltenswissenschaftlicher und arbeitsorganisatorischer Organisationsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.4.3 Rechtlich-politischer Organisationsansatz: Unternehmen als Herrschaftsinstrument und politische Arena von Interessengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2.4.4 Zum visionären, symbolisch-kulturellen Organisationsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2.5 Betriebliche Organisationstheorie als Wissenschaft Organisationsprobleme zu erkennen, zu analysieren und zu gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.6 Zur traditionellen, deutschen Organisationslehre nach Kosiol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.7 Organisationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3 Strategien und Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.1 Klassische und aktuelle Varianten des Strategie-Struktur-Verbunds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.2 Bausteine des Strategie-Struktur-Verbunds . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2.1 Strategie-Struktur-Schnittstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2.2 Performance Measurement-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.2.3 Organisationsrelevante Konzepte des strategischen Managements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.4 Strategierelevante Konzepte der Organisationsgestaltung . . . 85 3.3 Strategiegerechte Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.3.1 Programm- und ressourcenfokussierte Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.3.2 Programmfokussierte Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.3.3 Ressourcenfokussierte Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.3.4 Bifokale Organisationsformen: Netzwerkorganisation und virtuelle Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 <?page no="8"?> 9 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 4 Struktureller und organisatorischer Wandel durch M & A-Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4.2 Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.3 Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.3.1 Reale Zusammenschlussmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.3.2 Spekulative Zusammenschlussmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.3.3 Managementmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.4 Phasen von M & A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.4.1 Preakquisitionsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.4.2 Transaktionssphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.4.3 Post-Merger-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.5 Erfolgsmodelle der Post Merger Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.5.1 Das 7K-Modell nach Jansen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.5.2 Erfolgsfaktoren der PMI nach Koch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.5.3 Erfolgsfaktoren der PMI nach A. T. Kearney . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.6 Erfolgsmessung von Mergers & Acquisitions . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.6.1 Quantitative Messmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.6.2 Qualitative Erfolgskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.7 Zur Verwendung der BSC im PMI Management . . . . . . . . . . . . . 114 4.7.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.7.2 Aufbau des strategischen Managements mit der Berliner Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5 Von der Strategie zu den Grundformen der Primärorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5.1 Organisation als zielgerichtetes, arbeitsteiliges und koordiniertes Handlungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5. 2 Praktische Grundstrukturen der Primärorganisation zur Strategie- und Herrschaftssicherung durch formale Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 <?page no="9"?> 10 I n h a l t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 5.2.1 Eindimensionale Grundstrukturen für permanente Aufgaben („Produktaufgaben“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5.2.2 Grundformen der befristeten Aufgaben („Projektaufgaben“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.2.3 Mehrdimensionale, innovative Organisationsstrukturen . . . 133 6 Organisationen auf dem Weg in das Digitale Zeitalter . . . . . . . 138 6.1 Herausforderungen für die aktuelle Organisationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 6.2 Organisationskonzepte in der vorindustriellen und industriellen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 6.2.1 Das Kontor in der vorindustriellen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 6.2.2 Taylor, Ford & Co - Die Organisationsbasis der Industriegesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6.3 Die computergestützte Organisation in der Industriegesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 6.3.1 Wechselwirkungen von informationstechnischen und organisatorischen Innovationen am Beispiel Büroorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.3.2 Nutzung der Stapelverarbeitung in Organisationen als Rationalisierungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 6.3.3 Mit der Dialogverarbeitung zur Organisationstechnologie . . 154 6.3.4 Von Mainframe-Rechnern zu Client / Server-Architekturen und zur Prozessorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 6.4 Personal Computer (PC) und Internet als Werkzeug und Medium für Organisationen und Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . 163 6.4.1 Aus der Lebenswelt entwickelt sich eine zweite mächtige Innovationsspirale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 6.4.2 PC und Internet in Organisationen und Lebenswelt . . . . . . . . . 165 6.5 Globale Netzwerkorganisationen - Realitäten und Visionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 6.6 Die Durchdringung von Organisationen durch Smartphone, Tablet-PC und Soziale Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 6.6.1 Der Weg zum Smartphone als ständiger Begleiter . . . . . . . . . . . 183 6.6.2 Apps als Fenster zur Welt des Internets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 <?page no="10"?> 1 1 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 6.6.3 Neue Organisationsformen durch „Mobile work“: Verlängerung der Geschäftsprozesse bis in die Hosentaschen der Nutzer . . . 185 6.6.4 Die Nutzung von Wikis, Facebook & Co in Organisationen . . 186 6.6.5 Herausforderungen und „Nebenfolgen“ für Organisationen und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 7 Von der funktionalen zur kundenorientierten GPO (Prozessorganisation) am Beispiel der Baufinanzierung in Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 7.1 Motive und Entwicklungen im Prozessmanagement . . . . . . . 191 7.1.1 Motive für Kundenorientierte Geschäftsprozesse . . . . . . . . . . . . 192 7.1.2 Marktreaktionen aus Prozesssicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 7.2 Abgrenzungen zur Kundenorientierten Geschäftsprozessoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 7.2.1 Geschäftsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 7.2.2 Prozesselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 7.2.3 Prozesstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 7.2.4 Geschäftsprozessoptimierung (GPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 7.3 Gestaltungsparameter aus Kundensicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 7.3.1 Kundenzufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 7.3.2 Qualitätsdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 7.3.3 Prozessqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 7.3.4 Messung kritischer Erfolgsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 7.4 Optimierungsansätze für Kundenorientierte Geschäftsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 7.4.1 Theoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 7.4.2 Ansätze nach Reifegrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 7.4.3 Operative Stellhebel der Prozessverbesserung . . . . . . . . . . . . . . . 212 7.4.4 Prozesselemente durch Streichung eliminieren . . . . . . . . . . . . . 212 7.4.5 Prozesselemente hinzufügen, um Mehrwert für Bankkunden zu schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 7.4.6 Reihenfolge optimieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 7.4.7 Triage-Ansatz entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 7.5 Integrative GPO-Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 7.5.1 Marktüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 <?page no="11"?> 12 I n h a l t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 8 Grundlagen zum verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 8.1 Bilder bzw. Perspektiven zum Organisationsphänomen . . . . 225 8.2 Terminologische Grundlagen zur Organisationsentwicklung respektive Change Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 8.3 Ausgangsbasis und Zielsetzungen einer Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 8.4 Phasen der Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 8.5 Acht Schritte zum erfolgreichen, organisatorischen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 9 Grundsätzliches zum rechtlichpolitischen Organisationsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 9.1 Ziele, Macht, Konflikte und die Suche nach einem Konsens in der Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 9.2 Zum govermentalen Politikansatz bzw. „Politik der innovativen Organisationsgestaltung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 9.3 Zum normativen Politikansatz bzw. zur Zielsetzungskonzeption in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 9.4 Zum konfliktorientierten Politikansatz: Strategien und Taktiken zur Zieldurchsetzungskonzeption und zur Zielsicherung von Organisations- und Koalitionszielen . . . . . . . . . 253 9.5 Folgerungen und Konsequenzen aus dem politischen Ansatz für das organisatorische Innovationsverhalten in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 10 Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 10.1 Terminologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 10.1.1 Shareholder Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 <?page no="12"?> 13 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 10.1.2 Stakeholder Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 10.2 Principal-Agent-Theorie vs. Stewardship-Ansatz . . . . . . . . . . . . . 261 10.3 Kontrollmöglichkeiten in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 10.4 Mitbestimmung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 10.5 Der deutsche Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 10.5.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 10.5.2 Inhalt des deutschen Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . 267 10.5.3 Beurteilung des deutschen Corporate Governance Kodex . . . 269 10.6 Normative Entwicklung zur Corporate Governance in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 10.7 Vergleich der Corporate Governance zwischen Deutschland und den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 10.7.1 Gesetzesgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 10.7.2 Monistisches vs. Dualistisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 10.7.3 Managementvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 10.7.4 Buchführung, Veröffentlichungspflicht und Buchprüfung 273 10.7.5 Kapitalstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 10.7.6 Haftungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 <?page no="13"?> 14 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Von der Wiege bis zur Bahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Abb. 2: Organisationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Abb. 3: Zusammenhang Rechnungswesen, Organisationsstellen und Kostenträgerrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Abb. 4: Multikontextuale Organisationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Abb. 5: Erkenntnisgewinnungsprozess einer Theorie bzw. eines Organisationsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Abb. 6: Aufbau- und Ablauforganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Abb. 7: In modifizierter Anlehnung an die traditionelle Organisationslehre nach Kosiol 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Abb. 8: Methodisches Vorgehen bei der traditionellen Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Abb. 9: Organisationsanalyse zum Problem der Delegation von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz mit der potentiellen Erfassung von Konflikten in der Aufbau- und Ablauforganisation, die die Zusammenarbeit der Stellen gefährdet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Abb. 10: Zum problematischen Zusammenhang zwischen Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz in der Stellenanalyse und der Stellenabstimmung im Rahmen der Organisationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Abb. 11: Methodisches Vorgehen der Organisationsanalyse . . . . . . . 70 Abb. 12: Performance-Sektoren und -Kriterien für den Strategie-Struktur-Verbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Abb. 13: Konzeptionen des strategischen Managements . . . . . . . . . . . 80 Abb. 14: Historische Entwicklung der Strategieformen . . . . . . . . . . . . 81 Abb. 15: Spektrum der Wettbewerbsstrategien Ressourcen- und kompetenzbasierte Strategien . . . . . . . . . . . 83 Abb. 16: Portfolio-Verbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Abb. 17: Value Net . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Abb. 18: Center-Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Abb. 19: Typen der Holding-Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Abb. 20: Netzwerkorganisation im engeren und weiteren Sinne . . . 97 Abb. 21: Dimensionen der Virtualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Abb. 22: Wesentliche Erscheinungsformen von M & A . . . . . . . . . . . . . 102 Abb. 23: Kategorisierungsmöglichkeiten von M & A-Aktivitäten . . . 103 Abb. 24: Integrationsgrade von M & A-Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Abb. 25: Modell der Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Abb. 26: Funktionale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 <?page no="14"?> 15 a b b I l d u n g s V e r z e I c h n I s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Abb. 27: Vorteile / Nachteile der Funktionalen Organisation . . . . . . . 127 Abb. 28: Spartenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Abb. 29: Vorteile / Nachteile der Spartenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . 130 Abb. 30: Projektorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abb. 31: Vorteile / Nachteile der Projektorganisation . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abb. 32: Matrix- / Tensorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Abb. 33: Vorteile / Nachteile der Matrixorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Abb. 34: Kontorschreibtisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Abb. 35: Manufaktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Abb. 36: Das Industriezeitalter zu Zeiten von F. W. Taylor und H. Ford . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Abb. 37: Modelle der Aufbauorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Abb. 38: Darstellung der Wechselwirkungen als Innovationsspirale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Abb. 39: Das „Fließbandbüro“ einer amerikanischen Versicherungsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Abb. 40: Organisationsablauf bei Stapelbzw. Batchverarbeitung . . 154 Abb. 41: Computereinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Abb. 42: Arbeitszerlegung bei der Abwicklung von Routinefällen der „Schadensabwicklung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Abb. 43: Die Idealvorstellung der Schadensabwicklung nach Nutzung der IT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Abb. 44: Die „reine“ hierarchische Organisationsform . . . . . . . . . . . . . 161 Abb. 45: Neu entstandene Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Abb. 46: Neben der klassischen ist eine zweite Innovationsspirale außerhalb der Systemwelt von Organisationen durch Tüftler in der Lebenswelt entstanden. Der Computer wird jetzt als Werkzeug und Medium sowohl in der Systemwelt der Organisationen als auch der Lebenswelt genutzt . . . . . . 165 Abb. 47: In dieser Grafik blenden wir wieder die Details der System- und Lebenswelt aus und zeigen nur die Überwälzung von Aufgaben auf den Kunden durch PC, Internet und Automaten (z. B. Geldautomaten, E-Commerce). Voraussetzung dafür ist, dass computergestützte Prozesse in den Organisationen vorliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Abb. 48: Automatisieren, Verlagern, Überwälzen: Aufgaben werden auf Kunden überwälzt. Operative und innovative Module werden zu CallCentern, Freelancern, start ups oder virtuellen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Abb. 49: Kostenloses Abschöpfen von Kopfarbeit durch Crowdsourcing und „Schwarmintelligenz“ . . . . . . . . . . . . . . . 174 Abb. 50: Netzwerk eines weltweit agierenden Unternehmens . . . . . 177 <?page no="15"?> 16 a b b I l d u n g s V e r z e I c h n I s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Abb. 51: Die Grafik zeigt am Beispiel von adidas den Netzwerktypus Contract Manufacturing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Abb. 52: Smartphones und Tablets als Interfaces zur Welt des Internets und zum Eintritt in Soziale Netzwerke . . . . . . . . . . 182 Abb. 53: MIKROPOLIS-MODELL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Abb. 54: Inhalte des Kapitels 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Abb. 55: Zinsmarge nach Bankengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Abb. 56: Schlussfolgerung zu Motiven und Marktreaktionen . . . . . . 195 Abb. 57: Elemente des Geschäftsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Abb. 58: Folgebeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Abb. 59: Sichtweisen zu Prozesstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Abb. 60: Leistungsprozess Kreditbearbeitung in der Privaten Baufinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Abb. 61: Einordnung Kundenorientierte Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Abb. 62: Einordnung Effektivität und Effizienz in den GPO-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Abb. 63: Zusammenhang Prozess und Qualitätsbegriff . . . . . . . . . . . . 203 Abb. 64: Gestaltungsfaktoren aus Kundensicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Abb. 65: Gestaltungsfaktoren zur Prozessqualität in der Privaten Objektfinanzierung (Baufinanzierung) . . . . . . . . . . 205 Abb. 66: Säulen der Geschäftsprozessoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Abb. 67: Prozessfenster unterschiedlicher GPO-Ansätze . . . . . . . . . . . 209 Abb. 68: Konzept Prozessgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Abb. 69: Konzept Kontinuierliche Prozessoptimierung . . . . . . . . . . . . . 211 Abb. 70: Stellhebel im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Abb. 71: Optimierungsansatz - Prozesselemente eliminieren / outsourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Abb. 72: Optimierungsansatz zu Prozesselementen . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Abb. 73: Optimierungsansatz zur Prozesslogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Abb. 74: Optimierungsansatz zu Prozessdimensionen . . . . . . . . . . . . . 215 Abb. 75: Optimierungsansatz zur Aufbauorganisation . . . . . . . . . . . . 216 Abb. 76: Anbieter von Testversionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Abb. 77: ibo Notation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Abb. 78: ibo Folgestruktur - Avalinanspruchnahme . . . . . . . . . . . . . . . 221 Abb. 79: Auszug aus ibo Analyse Teilstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Abb. 80: Modell integrierter Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . 231 Abb. 81: Ziele der Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Abb. 82: Reaktionsspanne über die Dauer eines OE-Prozesses . . . . . . 234 Abb. 83: Acht Schritte zum erfolgreichen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Abb. 84: Principal-Agentvs. Stewardship-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Abb. 85: Vorstandsrelevante Regelungen des Deutschen Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 <?page no="16"?> 17 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Abkürzungsverzeichnis AktG Aktiengesetz CEO Chief Executive Officer DCGK Deutscher Corporate Governance Kodex HGB Handelsgesetzbuch KonTraG Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich NYSE New York Stock Exchange SE Societas Europaea Sec.303A Section 303A SOA Sarbanes-Oxley-Act TransPuG Transparenz- und Publizitätsgesetz US-GAAP United States-Generally Accepted Accounting Principles VorstAG: Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung <?page no="17"?> 18 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Organisationsansätze und Organisationserfolgsmodelle 1 | 1.1 Grundsätzliches zum Organisationsphänomen 1.2 Ablauforganisation zur routinemäßigen Aufgabenbewältigung 1.3 Kernprozesse und Supportprozesse der Organisation 1.4 Organisationsansätze 1.5 Struktureller Ansatz als Ausgangspunkt der Organisationstheorien Inhalt ▶ Sie sollen verstehen, dass wir in einer Organisationsgesellschaft leben und Sie ein aktives oder passives Mitglied in mehreren Organisationen sind. ▶ Sie sollen erkennen, wenn Sie ein Unternehmen negativ erleben, dann durch ihre Produkte oder ihre Dienstleistungen. Man spricht dann aber trotzdem gern vom Versagen der Organisation der Unternehmung. ▶ Erfolgsmodelle wie das Fließband in der Automobilindustrie, Projektorganisationen in der Investitionsgüterindustrie, virtuelle Unternehmensnetzorganisationen wie Amazon, Google, Facebook und Geschäftsprozessgestaltungen für Unternehmen z. B. mittels SAP-Programmen aber auch Tabletts / Smartphones prägen unser Arbeitsleben. ▶ Organisationsansätze mit ihren Organisationszielen und Prämissen beschreiben über ihre Perspektiven was effektiv und effizient im Unternehmen ist, und warum bestimmte Organisationsformen wettbewerbsorientiert sowie strategisch aufgestellt sind. ▶ Gerade der strukturelle Ansatz mit seiner „Aufbauorganisation“ ermöglicht dem Unternehmen mit seinen Stellen, Abteilungen und „Business Units“ Aufwendungen / Ausgaben und Erträge / Einnahmen zu erfassen und zuzuordnen. Über Lernziele ▼ Übersicht ▼ ▲ <?page no="18"?> 19 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Ü b e r s I c h t Organisationsstelleneinheiten / Kostellenstellen (-rechnungen) können Kosten und Leistungen auf Kostenträger erfasst, weiterverrechnet und z. B. in Segmentberichten des Geschäftsberichtes ausgewiesen werden. Dadurch ist eine Erfassung der Produktivität, der Wirtschaftlichkeit und der Rentabilität pro Organisationseinheit im Sinne eines Organisationscontrollings für Produkte und Dienstleistungen im Unternehmen gegeben, um sie effizient mittels Prozessen zu steuern. ▶ Gleiche betriebswirtschaftliche Überlegungen, wie bei der Aufbauorganisation / Struktur gelten auch bei der Prozessorganisation (Ablauforganisation), nämlich einmal durch ein Target-Costing und zum anderen durch die Erfassung von Prozesskosten. Die Effizienz von „Ablauforganisationen“ / Prozessen kann mit Prozesskosten erfasst und gesteuert werden. ▶ Chandler prägte die organisatorische Hypothese: Structure follows Strategy! Er sagt damit, dass die Strategien die effektive Aufbauorganisation sprich die Strukturen und die Prozesse der Unternehmung bestimmen. Damit sind z. B. Fragen aufgeworfen, welche Strukturen und Prozesse bei grundlegenden Innovationen effektiv und effizient sind. ▶ Eine Strategie wird in einem institutionellen, rechtlichen Organisationsrahmen entwickelt, d. h. die Geschäftsführung darf auf Grund eines Corporate Governance- Ansatzes die Strategie und damit auch die Organisation festlegen und bestimmen. Dabei dient die Aufbauorganisation der „strategischen Befehlsgewalt“ (Direktionsrecht) bzw. der Herrschaftssicherung des Managements aufgrund einzelner Machtbasen. Eingeschränkt wird das „monarchische Prinzip“ des Unternehmertums in der instrumentellen Organisationsstruktur nur durch das kollektive-Arbeitsrecht, wie das Betriebsverfassungsrecht, das Mitbestimmungsrecht und das Tarifrecht. ▶ Visionen und eine Unternehmenskultur unterstützen symbolisch den gewählten Corporate Governance Ansatz. Mit der Unternehmenskultur wird die Unternehmensverfassung mittels Unternehmensgründungsgeschichten, Erfolgsgeschichten der Gründer usw. legitimiert und „mythisch“ überhöht. Neue Visionen und Unternehmenskulturen begründen beispielsweise damit zwar nicht rational, aber einen Unternehmenswandel (Change Management) durch Innovationen gegenüber den Beschäftigten. ▶ Eine verhaltenswissenschaftliche Organisationsgestaltung („Organizational Behaviour“) ist im gewissen Sinne eine Art „Reparaturbetrieb“ aus betriebswirtschaftlicher Sicht (vgl. die Hawthorne-Experimente von 1927 - 1932). Versagt der strukturelle Ansatz, beispielsweise das Scientific Management von Taylor und Ford, dann sind psycho-soziale Organisationsanalysen und Gestaltungsoptionen notwendig und gefragt, die dem bedürftigen und sozialen Menschen in der Unternehmensorganisation helfen, seine Arbeit produktiv und glücklich-motiviert zu verrichten. Dies ist u. a. die Aufgabe der arbeitswissenschaftlichen und verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung als Teil einer Personalentwicklung (Verhaltenswissenschaftlicher Ansatz des Change Managements) ▲ <?page no="19"?> 20 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d e r f o l g s m o d e l l e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Grundsätzliches zum Organisationsphänomen „Wir“ leben in einer „Organisationsgesellschaft“ Seit der Industrialisierung leben wir in einer Organisationsgesellschaft. Diese Tatsache kann historisch mit der Industrialisierung in Europa, Japan, China und den USA begründet werden. Betriebliche und damit organisatorische Erfolgsmodelle von Siemens, Bayer, Bosch, Lufthansa, Mercedes-Benz, Volkswagen, Toyota, Sony, General Motors, Ford, General Electric, Deutscher Bank, Allianz, Mikrosoft, Google, Facebook und SAP belegen dies exemplarisch. Heute wird zuerst nach der Institution bzw. Unternehmen (institutioneller Organisationsbegriff) gefragt, nämlich wo man arbeitet, und erst dann, was man in diesem Unternehmen arbeitet. Von der Wiege bis zur Bahre und jeden Tag durchlaufen wir als passive Mitglieder in unserem Leben viele Organisationen. Wir werden im Krankenhaus geboren, erfahren unsere Sozialisation, rechtliches und kulturelles Verständnis durch Kindergarten, Schule, Berufsschule, Universitäten, Unternehmen und werden durch ein Beerdigungsinstitut zu Grabe getragen. Im Weiteren werden wir sozialisiert durch staatliche Institutionen, Sportvereine, Kirchen, Gefängnisse und Erziehungsanstalten, Parteien, Gewerkschaften usw., durch die wir Dienstleistungen und Produkte, wie Krankenhausbetreuung, Pflegedienste, Unterstützung bei einer Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe, Erziehungshilfe usw. erhalten. 1.1 | 1.1.1 | organisatorische Erfolgsmodelle institutioneller Organisationsbegriff Info ▼ Von der Wiege … … bis zur Bahre Krankenhaus Betriebe Schule Universitäten Behörden Gewerkschaften Gefängnisse Parteien Vereine Kirchen Organisationen sind Bestandteil des täglichen Lebens � als Lebensraum � als Instanzen von Sozialisation und Kontrolle � als Agenturen sozialen Wandels � als Zweckverbände � als Kooperationssysteme � als Herrschaftsinstrument Bü sch ges, B. (1983), S. 16 ff. Abb 1 | Von der Wiege bis zur Bahre <?page no="20"?> 21 g r u n d s ä t z l I c h e s z u m o r g a n I s a t I o n s p h ä n o m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Nach der schulischen Ausbildung werden wir in eine oder mehrere der Institutionen bzw. Organisationen als aktives Mitglied arbeiten. Diese Organisationen, meist ein Unternehmen, können wir möglicherweise beeinflussen oder sogar verändern, durch den Karrierepfad, und durch das Gehalt, das wir in dieser Unternehmensorganisation verdienen, das aber auch unseren Lebensunterhalt und Lebensstandard bestimmt. Unsere praktischen und theoretischen Vorstellungen von Organisationen (Organisationsansätze) werden derzeit maßgeblich von internationalen Konzernunternehmen, wie Bayer, BASF, DuPont, General Motors, General Electric, Toyota, VW geprägt. Zur Aufbauorganisation eines Konzerns Im Internetauftritt und Geschäftsberichten von Konzernunternehmen kann man Visionen und / oder strategische, organisatorische und personalwirtschaftliche Prinzipien finden, wie ▶ Wir schaffen Werte als Technologieunternehmen. ▶ Wir setzen auf Innovationen, um unsere Kundenwünsche zu realisieren und um international wettbewerbsfähiger zu werden. ▶ Wir treiben nachhaltige, ökologische Lösungen voran. ▶ Wir bilden das beste kreative Team als Unternehmen ▶ Unsere Mitarbeiter und Führungskräfte werden wertorientiert bezahlt Ohne tiefgründig in strategische Zieldiskussionen einzusteigen, wird allein durch ein Leitspruch „Vorsprung durch Technik“ oder „We create chemistry“ die Kernkompetenzen eines Konzerns deutlich, die die Aufbauorganisation bzw. die Struktur des Unternehmens bestimmen. Durch den Segmentbericht im Geschäftsbericht kann ein externer Jahresabschlussanalyst selbst eine fiktive Portfoliomatrix erstellen, die die Business Units des Konzerns aggregiert zusammenfasst und implizit die Aufbauorganisation des Konzerns widerspiegelt. Nur das Setzen auf Innovation sowie die Bildung von kreativen, internationalen Teams in der Forschung und Entwicklung unterstreicht den zu erwartenden, permanenten Wandel der Business Units (Segmente im Geschäftsbericht) und erklärt ebenso den Wandel in der Auf bauorganisation in Konzernen. Die strategische Neufindung von Business Units (Segmente) durch Innovationen und / oder Mergers-and-Acquisitions-Aktivitäten (Verkauf und Zukauf neuer Business Units bzw. Unternehmen) bestimmen einerseits die Kernkompetenzen des Konzerns und zeigt andererseits auf, wie die Stärkung und Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit durch eine wissensbasierte Unternehmensführung erfolgen wird. Die Betonung der Wertschaffung im Sinne des Shareholder Value-Gedankens durch das Unter- ▲ | 1.1.2 Leitspruch Segmentbericht <?page no="21"?> 22 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d e r f o l g s m o d e l l e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation nehmen unterstreicht und verweist neben den finanziellen Zielen, auf die gemeinsame Ausrichtung aller Mitarbeiter auf eine wertorientierte, variable Bezahlung mittels Aktienoptionsprogrammen hin, und die im Sinne eines Corporate Governance Kodex die innovative Leistungen der Mitarbeiter belohnt. Gleichzeitig werden alle Gruppengesellschaften innerhalb des gemeinsamen, internationalen Konzerns, auf die gemeinsame finanzielle Verfolgung der Konzernziele eingeschworen. Business-Units (Segmente lt. Geschäftsbericht) im Portfolio verhelfen dem obersten und höheren Management im Konzern spezifische Strategien und primäre Organisationsstrukturen für die Geschäftsfelder zu entwickeln. Der institutionelle Rahmen eines Konzerns wird durch das Bürgerliche Gesetzbuch, das Handelsgesetzbuch, das Aktiengesetz sowie der Konzernrechnungslegung, dem Publizitätsgesetz, dem GmbH-Gesetz aber auch durch das Betriebsverfassungsgesetz und das Mitbestimmungsgesetz und durch eine gute Unternehmensführung (Corporate Governance) ( → QR-Glossar) in Deutschland bestimmt. Ein internationaler Konzern lässt sich derart beschreiben, dass ein auf unbegrenzter Zeit ausgerichteter Verbund von einer führenden Mutter- Gesellschaft und deren Tochtergesellschaften eine wirtschaftliche Einheit bilden. Die führende Gesellschaft bestimmt die Sachziele bzw. das Konzernportfolio und richtet die strategischen Handlungen und Entscheidungen nach betriebswirtschaftlichen Formalzielen, beispielsweise Rentabilität und Shareholder Value, aus. D. h. die Tochtergesellschaften sind rechtlich selbständig auch in den verschiedenen Ländern tätig, in dem auch die Muttergesellschaft agiert, trotzdem müssen die Tochtergesellschaften sich wirtschaftlich nach der Konzernmutter ausrichten. Konzerne sind deshalb funktional, segment- oder spartenartig oder mehrdimensional organisiert. Eine Gesamtorientierung verschafft das Konzernportfolio, dass aus den Konzernsegmentbericht entwickelt werden kann und damit der Organisation strategisch eine vorläufige Ausrichtung vorgibt. Ist der Konzern an nur einem Sachziel orientiert, wie Energie erzeugen, dann kann beispielsweise die funktionale (Aufbau-)Organisation ein wirtschaftliches Geschäftsmodell für das Unternehmen sein. Funktionen sind dann ▶ Beschaffung, ▶ Produktion, ▶ Absatz, ▶ Logistik, Corporate Governance Kodex internationaler Konzern wirtschaftliches Geschäftsmodell Info ▼ <?page no="22"?> 23 g r u n d s ä t z l I c h e s z u m o r g a n I s a t I o n s p h ä n o m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Finanz- und Rechnungswesen sowie ▶ Personal. Weist das Konzernportfolio eine heterogene, risikoverteilende und renditeorientierte Business Units Struktur auf, dann bieten sich für jede Produkt-Markt-Kombination eine Business Unit-Einheit an, nämlich z. B. eine Spartenstruktur, die gleiche Produkte und Produktgruppen nach Beschaffung, Produktion und Absatz zusammenfasst. Kommt noch die Forschung und Entwicklung sowie die Innovationsproblematik mit je versetzter, zeitlicher Lebenszyklusbetrachtung hinzu, wählen derartige Technologieunternehmen mehrdimensionale Organisationsformen wie Matrix- oder Tensor-Organisationsstrukturen, wobei eine Verknüpfung von Funktionen, Sparten, Projekten und Ländern erfolgt. Das Führungsverhalten der Konzernspitze bestimmt den Grad der Zentralisation oder Dezentralisation der Organisation nach Segmenten, Sparten oder beispielsweise Projekten. Nach welchen Organisationsprinzipien zentralisiert oder dezentralisiert wird, entscheidet sich danach, wie die Gesamtkonzernspitze aber auch die organisatorischen Konzerneinheiten befugt sind, eigene strategische und operative Entscheidungen treffen zu dürfen. Bei der Ausprägung der Aufbauorganisation der Konzernmutter findet man folgende Formen. Beim Stammhauskonzern trifft die führende Gesellschaft alle strategischen und operativen Entscheidungen. Bei der Management-Holding nimmt die führende Gesellschaft alle strategische Entscheidungen und Aufgaben wahr, die Tochtergesellschaften dagegen alle operativen Entscheidungen und Aufgaben. Beim Konzept der Finanz- Holding übernimmt im Sinne eines Portfoliomanagements die führende Gesellschaft ausschließlich finanzielle Verantwortung durch Mergers- und Akquisitionsaktivitäten. Strategische und operative Entscheidungen sind von den Konzerngesellschaften im In- und Ausland zu treffen. ▲ Business Units Struktur Aufbauorganisation der Konzernmutter Stammhauskonzern Management-Holding Finanz-Holding Als Fazit lässt sich herausstellen, dass der Dezentralisierungsgrad in Bezug auf selbständige Aufgabenerledigung und Entscheidungen in Tochtergesellschaften im Stammhauskonzern gering, der strategischen Management-Holding mittelmäßig bei der Finanz-Holding hoch eingestuft werden kann. Hintergrund der Philosophie der Aufbauorganisation ist immer inwiefern das Direktionsrecht oder „Herrschaftsrecht“ des Konzernvorstandes gewahrt bleibt. Zusammenfassung <?page no="23"?> 24 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d e r f o l g s m o d e l l e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Ablauforganisation zur routinemäßigen Aufgabenbewältigung In der traditionellen, deutschen Betriebswirtschaftslehre wurde von ca. 1928 - 1972 überwiegend zwischen Aufbauorganisation (Primäre Organisation) ( → QR-Glossar) und Ablauforganisation (Prozessorganisation, Sekundäre Organisation) ( → QR-Glossar) differenziert. Die Spitze der Auf bauorganisation der Aktiengesellschaft ist der Vorstand, zur Sicherung des Direktionsrechts bzw. „Herrschaftsrechts“. Unterhalb des Vorstandes sind die untergeordneten, organisatorischen Einheiten wie Funktionen, Sparten, Projekte, Abteilungen, Gremien / Ausschüsse, Stäbe und Stellen. Jede organisatorische Einheit erhält eine Aufgabe, Kompetenz / Befugnisse und Verantwortungen zugeteilt, die in der Aufbauorganisation untereinander koordiniert und evtl. immer wieder neu abgestimmt werden müssen. Hintergrund der Organisationsprobleme in der Ablauforganisation sind Schnittstellenprobleme zwischen den Organisationseinheiten, d. h. hier versagt beispielsweise der Informationsaustausch zwischen den Stellen. Die Überwindung der Schnittstellenprobleme wird ▶ erstmals durch das Lean-Management bzw. das Toyota-System in der Automobilindustrie zwischen den Funktionen Beschaffung, Logistik und Produktion optimal gelöst. ▶ Die zweite Optimierung der Schnittstellenproblematik erfährt die Ablauforganisation mit dem Ansatz des Business Prozess Reengineering von Hammer und Champy, bei dem der Geschäftsprozess in den Fokus der Betrachtung rückt. ▶ Beim dritten Ansatz tritt neben der Geschäftsprozessoptimierung die Information verstärkt in den Vordergrund, so dass das IT- Softwareprogramm und das Informationsmanagementsystem die „Ablauforganisation“ maßgeblich bestimmen. Z. B. können nun Prozesskosten über die Wirtschaftlichkeit von Geschäftsmodellen informieren. Inputfaktoren, Aktivitäten und Ergebnisse von Geschäftsprozessen sind anhand 1.2 | Direktionsrecht Entstehen Konflikte, wegen sich überschneidender Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen, dann sind diese nur durch die nächsthöhere Hierarchieebene zu lösen. Merksatz ▼ Die Ablauforganisation setzt sich mit der Aufgabenerfüllung, der Abfolge der Aufgabenerfüllungsprozesse innerhalb, außerhalb und zwischen den organisatorischen Einheiten, zwecks des Ressourcenverbrauchs und der Leistungserstellung pro Organisationseinheit, auseinander. Definition ▼ Der Geschäftsprozess bestimmt die zielgerichteten Abfolgen von Prozessaktivitäten, nämlich wie die Inputfaktoren zu Outputergebnissen transformiert werden. Merksatz ▼ Lean-Management <?page no="24"?> 25 K e r n p r o z e s s e u n d s u p p o r t p r o z e s s e d e r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation von Kennzahlen messbar. Arbeits-, Informations- und Kommunikationsabläufe stehen im Fokus dieser ablauforganisatorischen Betrachtung, und zwar um Störungen in der Prozessabfolge möglichst gering zu halten, und die Waren-, Leistungs- und Finanzflüsse zu optimieren. Kernprozesse und Supportprozesse der Organisation Im Zusammenhang mit der Ablauforganisation wird auch die Wertschöpfungskette ( → QR-Glossar) nach Porter gesehen. Unter Wertschöpfung wird die Differenz zwischen dem Input und dem Output der Leistungserstellung einer Unternehmung verstanden. Oder nach dem Porter-Ansatz ist die Wertschöpfungskette die Implementierung einer Unternehmensstrategie bzw. organisatorisch gesehen, das Geschäftsprozessmodell der Unternehmung. Die Inputfaktoren werden dabei mit den Marktpreisen oder im Konzern mit den Verrechnungspreisen bewertet. Durch die Veredelung der Inputfaktoren durch das Geschäftsprozessmodell entsteht ein Mehrwert für den potentiellen Kunden, der durch den Verkaufspreis des Produktes der Unternehmung zu bezahlen ist. Fragt man nach den betriebswirtschaftlichen Gründen derartiger organisatorischer Betrachtungen, dann ist hier auf das Problem der Erfassung der Einzelkosten und Gemeinkosten heutiger Unternehmensproduktergebnisse verwiesen. In der Industrieunternehmung konnten vor hundert Jahren besser Einzelkosten als Gemeinkosten ursachengemäß über die Kostenarten-, Kostenstellenrechnung / Betriebsabrechnungsbögen erfasst werden, wobei die Kostenstellen identisch mit den Organisationseinheiten, den organisatorischen Stellen, sind, um sie auf die Kostenträger zu verrechnen. Dieser industrielle Zustand ist heute leider nicht mehr gegeben. Durch die permanente Rationalisierung, Automatisierung und IT-Steuerung der Prozesse, haben Unternehmen einen derartig hohen Verkettungsgrad von Stellen erreicht, der die Einzelkosten in den Hintergrund treten lässt, und die Gemeinkosten im Geschäftsprozessmodell zu mehr als 400 bis 600 % zu Kostentreiber werden lässt. Um also zu überprüfen, ob die Organisation wirtschaftlich und rentabel die Produkte und Dienstleistungen herstellt und verkauft, muss die Organisation kostenrechnerisch mit der Prozesskostenrechnung analysiert werden, um dem Controlling- Gedanken gerecht zu werden. | 1.3 ▲ Info ▼ <?page no="25"?> 26 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d e r f o l g s m o d e l l e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Nach Kaplan und Murdock (Core Process Redisign 1991, p. 28) wird innerhalb einer Unternehmung bzw. innerhalb einer Wertschöpfungskette dann von Kernprozessen gesprochen, wenn sie direkt einen wahrzunehmenden Kundennutzen schaffen, der eine Einmaligkeit in der unternehmensspezifischen Ressourcenallokation im Geschäftsprozessmodell aufweist und durch Dritte aufgrund der Immaterialität nicht einfach zu imitieren ist oder durch andere alternative, innovative Problemlösungen substituierbar ist. Männel (Eigenfertigung oder Fremdbezug 1981, S. 44 ff.) warf erstmals die organisatorische Frage nach Make or Buy - Selbstherstellung oder Fremdbezug -auf. Die Folgefrage war die nach der optimalen Fertigungstiefe respektive Wertschöpfung für einen Industriebetrieb, damit dieser wirtschaftlich, rentabel und wettbewerbsfähig mit seiner Organisation produziert. Weitere Fragen, die sich aus den Make and Buy organisatorisch ergeben, sind Fragen des Outsourcings von Geschäfts(teil)prozessen oder des Kaufs der Ressource auf einen Beschaffungsmarkt bei einem externen Unternehmen. Dagegen werden mit einer strategischen Make-Entscheidung Fragen aufgeworfen, ob Supportprozesse im Konzern mehr dezentalisiert oder zentralisiert werden sollen. Alle weiteren nun zu betrachtenden Organisationsansätze sind komplementär zum Strukturellen Organisationsansatz ( → QR-Glossar) und setzen immer die Auf bau- und Ablauforganisation voraus. Die Ansätze helfen aber weitere organisatorische Aspekte stärker herauszuheben, zu legitimieren und einen Organisationswandel (Change Management- Ansatz), z. B. ausgelöst durch eine Innovation, einfacher und erfolgreicher zu gestalten. Organisationsansätze Zum symbolisch-kulturellen Organisationsansatz Der symbolisch-kulturelle Organisationsansatz ( → QR-Glossar) kann als ergänzendes Erklärungsmodell der Aufbauorganisation angesehen werden. Alle anderen Teilgeschäftsprozesse, die nicht die obigen Charakteristika des Kernprozesses aufweisen, werden als Supportprozesse bezeichnet, die kostenrechnerisch nur Gemeinkosten verursachen. Diese Supportprozesse werden heute organisatorisch als Shared Services Center einer Organisation im Konzern betrachtet. Definition ▼ Make or Buy 1.4 | 1.4.1 | Kaplan und Murdock <?page no="26"?> 27 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Das Hierarchieprinzip als „monarchisches Prinzip“ der Unternehmensorganisation findet man analog im Königtum, in der katholischen Kirche oder z. B. bei der Bundeswehr. Mit der Unternehmensverfassung darf die Herrschaft des Unternehmers nicht in Frage gestellt werden, z. B. durch ein demokratisches Unte rne h me n s ve rfa s s u ng s ve rständnisses oder einen Corporate Governance-Ansatzes. Dieses Unternehmensverständnis geht auch aus dem Unternehmensverfassungsrecht des BGB, HGB und des Aktiengesetzes hervor, und bestimmt die Alleinherrschaft des Unternehmers bzw. Vorstands im Unternehmen unter anderen mittels der Organisation. Erst seit dem Montanmitbestimmungsrecht 1951 und dem Mitbestimmungsrecht 1976 vollzieht sich ein langsamer Wandel dieses Unternehmens- und Organisationsverständnisses. Scientific Management als Struktureller Ansatz Ford und Taylor (1913 - 1918) zeigen und beweisen, dass bei der Herstellung des Modells T bisherige betriebswirtschaftliche, organisatorische und personalwirtschaftliche Überlegungen zum Scientific Management und bei deren Anwendung in Form des Fließbandes eine Massenproduktion möglich wird. ▶ Zum einen führen diese Überlegungen zu einem extrem niedrigen Autopreis für das Modell T. Implizit haben Taylor und Ford damit die Kostenführerschaft mit der Erfahrungskurve verwirklicht, obwohl sie damals nur aus dem „Bauch heraus“ das Unternehmen Ford unbewusst strategisch führten. ▶ Gleichzeitig wurde zum anderen das Volksauto „geboren“, für einen „unendlichen“ Automobilmarkt und ein entsprechendes Konsumgütermarketing, das für eine Überflussgesellschaft notwendig ist. Ausgangspunkt ist die Zweckmäßigkeit der Organisation mit der technische Vereinbarung der Organisation mit der Automobilmontage des Modells T und damit der impliziten Kostenführerschaft als Strategie. Man kann sich die Montage des Fertigproduktes Auto vielleicht mit der Lego- Die Aufbauorganisation dient maßgeblich dem Hierarchieprinzip, damit der Vorstand bzw. die Geschäftsführung befehlsartig ihren Willen „konfliktfrei“ im Unternehmen durchsetzen kann. Die Unternehmenskultur mit ihren Symbolen und Riten hilft den Vorgesetzten tagtäglich in seinem Direktionsrecht mit Symbolen der Macht, wie Kleidung, Größe des Büros, Abzeichen, Firmenauto, Sekretärin usw. seinen Herrschaftsanspruch zu „symbolisieren“. Merksatz ▼ Info ▼ monarchisches Prinzip Ford und Taylor Kostenführerschaft ▲ | 1.4.2 <?page no="27"?> 28 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d e r f o l g s m o d e l l e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation technik der Automontage eines Sportwagens mit 400 Teilen vorstellen. Die einzelnen Teile des Autos müssen genau nach technischer Anleitung hintereinander korrekt hingelegt (gelagert), ausgeführt und montiert werden, wenn das Fertigprodukt „Auto“ am Ende der „Fließstraße / Fließband“ des Fertigungsprozesses herauskommen soll. Das Fließband ist nur eine weitere technische (Produktions-)Innovation des organisatorischen Fließprinzips der Ablauforganisation, um den Prozess der Fertigungsmontage zu beschleunigen, da nun nacheinander Arbeiter mit nur einem einfachen Montageteil und Arbeitsgang an das Fließband hingestellt werden können. Die Arbeiter werden angelernt, um diesen einfachen Montageprozess am Fließband optimal zu betätigen, die Arbeitszeit pro Montageteil wird analytisch gemessen (Vgl. die Multimomentaufnahme), der Materialverbrauch pro Montageprozessfortschritt exakt erfasst und ein Akkordlohnsystem entwickelt. Ein mehrdimensionales Führungssystem / Funktionsmeistersystem, einer Art Matrixorganisation sorgt für ein produktives, operatives Management. Dadurch wird auch das erste analytische Plankostensystem, ein Controlling zur Ermittlung des exakten Produktpreises des Modell T mittels einer (Plan-) Kostenträgerrechnung geschaffen, um dieses mit den entstandenen Ist-Kosten zu vergleichen. Abweichungsanalysen in den Organisationseinheiten (Kostenstellen) und Kostenträgern (zuerst nur anhand des Modells T) dienen dazu, an der Weiterentwicklung der Arbeitsplätze und der Prozessverbesserung des „Fließbandes“ organisatorisch zu arbeiten (vgl. dazu Lean-Management). Modern interpretiert haben Taylor und Ford die Kostenführerschaft als Strategie eingeführt, und diese Strategie im Sinne von Chandlers zweiter Hypothese (strategy follows structure) über eine passende Funktionsmeisterorganisation / Matrixorganisation als Auf bauorganisation und eine passende Ablauforganisation mittels Fließband als Wertschöpfungskette implementiert. Implementiert wurde dieser Ansatz auch, um die höchste Produktivität und Wirtschaftlichkeit kostenrechnerisch zu erreichen, aber auch um den höchsten Returnon-Investment zu erzielen, da sich das Produkt / Modell T auch 16,5-millionenfach verkauft hat. ▲ strategy follows structure Dieser technisch geprägte Organisationsansatz wird im Weiteren als Struktureller Ansatz bezeichnet und das Fließband als Erfolgsmodell charakterisiert. Definition ▼ Info ▼ <?page no="28"?> 29 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Zum verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatz ( → QR-Glossar) Hawthorne-Experimente (1927 - 1932): Zur Entdeckung des bedürftigen und sozialen Menschen bzw. der Auftakt des arbeitspsychologischen und verhaltenswissenschaftlichen Personal- und Organisationsansatzes Sicherlich kennen Sie den Film Modern Times mit Charly Chaplin, in dem er die groteske Situation eines Montagearbeiters am Fließband spielt, der permanent Schrauben mit einem Schraubenzieher an halbfertigen Autos in Minutentakt anziehen muss. Er wird dabei zum Rädchen in der Maschinerie des Produktionsbetriebes einer Autofabrik und er leidet dabei unter Monotonie bzw. psychischen Sättigung. Der Film ist eine Art kritische Auseinandersetzung mit dem Scientific Management in der Industrie und mit den ersten kritischen Erkenntnissen des Human Relation-Ansatzes, der hier als verhaltenswissenschaftlicher Organisationsansatz bezeichnet wird. Mayo, Roethlisberger und Dickson führen mehrere Experimente durch, um die hohe Fluktuation und damit niedrige Produktivität der Mitarbeiter bei der Telefonmontage in den Hawthorne-Werken, der zur AT&T Corporation gehörenden Western Electric Company, erklären zu können. Sie wollen die Produktivität erhalten und / oder sogar erhöhen. Das ursprüngliche Ziel der wissenschaftlichen Experimente in den Hawthorne-Werken war es, die Theorie der wissenschaftlichen Betriebsführung (Scientific Management von Taylor) zu beweisen. Ihre Hypothese im Sinne von Taylor war es, dass die Arbeitsproduktivität der Mitarbeiter durch die Variation der Arbeitsbedingungen (Beleuchtung, Arbeitszeit, Pausenregelungen, usw.) positiv beeinflusst werden kann. Hier wird im Weiteren der Argumentation von Holtbrügge gefolgt: Die Forscher nahmen dazu zielgerichtete Veränderungen der Arbeitsbedingungen wie z. B. der Beleuchtung und der Arbeitsplatzgestaltung vor. „Wie von der Theorie der wissenschaftlichen Betriebsführung postuliert, nahmen daraufhin die Leistungen der Mitarbeiter zu. Unerwartet stiegen jedoch auch die Leistungen von Kontrollgruppen, die unter unveränderten Arbeitsbedingungen arbeiteten und jeweils gleichzeitig neben den Testgruppen beobachtet wurden, an. Noch überraschender war es, dass darüber hinaus auch die Leistungen aller Mitarbeiter nach Rücknahme aller positiven Veränderungen und damit nach Rückkehr zu den ursprünglichen Arbeitsbedingungen vor Beginn der Experimente nochmals zunahmen, und zwar auf ihren absoluten Höchststand, auf dem sie mehrere Wochen verblieben.“ … Hawthorne-Experimente | 1.4.3 Info ▼ ▲ Variation der Arbeitsbedingungen <?page no="29"?> 30 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d e r f o l g s m o d e l l e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation (Diese Testergebnisse widersprechen der Theorie des Scientific Managements und sind mit der Theorie von Taylor nicht zu erklären, d. Verf. und vgl. dazu auch Schmeisser, Andresen / Kaiser: Personalmanagement, 2012, S. 1 ff.) „Die Forscher interpretierten diese unerwarteten Ergebnisse so, dass die Arbeitsleistung - entgegen der Annahme von Taylor - nicht nur von den objektiven Arbeitsbedingungen, sondern in einem stärkeren Maße auch von den sozialen Bedingungen am Arbeitsplatz abhängt. Allein die Anwesenheit der Forscher, deren Bemühungen um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und deren Gespräche mit den Mitarbeitern haben dabei bereits zu einer Verbesserung des Arbeitsklimas geführt (Hawthorne- Effekt). Die zentrale These des Human-Relations-Ansatzes lautet demzufolge, dass die Verbesserung der sozialen Beziehungen (Gruppendynamik, informelle Kommunikation) und soziale Bedingungen (betriebliche Einrichtungen wie Altersversorgung, Verpflegung, Sportstätten etc.) die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter steigert und diese wiederum zu steigenden Arbeitsleistungen führt.“ (Holtbrügge, D.: Personalmanagement, 2004, S. 10 f.) In den 1960er und 1970er Jahren führt dies in Norwegen, Schweden, Deutschland usw. zu einer unternehmerischen und politischen Bewegung der „Humanisierung des Arbeitslebens“. Statt des Fließbandes werden neue Formen der Arbeitsorganisation in Industriebetrieben und Verwaltungen eingeführt. Stichworte hierzu bilden organisatorische Gestaltungsoptionen wie ▶ Job Rotation, ▶ Job Enlargement, ▶ Job Enrichment und ▶ die teilautonome Arbeitsgruppe, die das Fließband zum Teil ersetzen sollen. In Deutschland kam in dieser Zeit hinzu, dass die Novellierung des Betriebsverfassungs-gesetzes (1972) und die Einführung des Arbeitsdirektors in mitbestimmte Unternehmen (Mitbestimmungsgesetz 1976) verabschiedet wurden. Man wollte das monarchistische Prinzip des Direktionsrechtes des Arbeitgebers in der Aufbauorganisation durch demokratische Mitbestimmungsstrukturen des Betriebsrates, des paritätisch besetzten Aufsichtsrat in der Aktiengesellschaft und des Arbeitsdirektor im Vorstand relativieren (vgl. hierzu den Rechtlich-politischen Organisationsansatz: Unternehmen als Herrschaftsinstrument und politische Arena von Interessengruppen). Hawthorne-Effekt Humanisierung des Arbeitslebens Info ▼ ▲ <?page no="30"?> 31 s t r u K t u r e l l e r a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Strategische Innovationen erfordern den permanenten strukturellen Organisationswandel, der durch verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklungsmodelle und symbolische und politische Visionen, einem Change Management, begleitet und unterstützt werden muss, um Innovationswiderständen durch die Organisationsmitglieder umfassend und rechtzeitig begegnen zu können. Einordnung dieses Buches: Mit den Organisationsansätzen oder organisatorischen Denkschulen folgt dieses Basic-Buch nicht den bisherigen Veröffentlichungen zur Organisation der letzten Jahre, wie den Büchern von Kieser, A. und Walgenbach, P. (Organisation, 2007) und Picot u. a. (Organisation, 2012), sondern lehnt sich an die typologischen Denkschulen von Bolman and Deal (Modern Approaches To Understanding and Managing Organizations, 1987) und Jürgen Habermas beiden Bänden zur „Theorie des kommunikativen Handels“ von 1982, an. Eine vertiefende und erweiterte Darstellung der unten referierten Denkansätze mit praktischen Unternehmensbeispielen erfolgte bereits in den Büchern „Personalführung und Organisation“ 2000 und „Strategisches Personalmanagement in Globalen Unternehmen“ 2001 von Clermont / Schmeisser / Krimphove (Hrsg). Struktureller Ansatz als Ausgangspunkt der Organisationstheorien ( → QR-Glossar) Organisationsansätze oder organisatorische Denkschulen bzw. Perspektiven (Approaches) helfen Unternehmen ihre Organisationsziele aus ihren Visionen und Strategien abzuleiten und zu definieren. Die Organisationsprämissen als begrenzende Variable helfen dem Organisator den präferierten Ansatz grundsätzlich besser zu beschreiben und zu verstehen. Dadurch können der Wandel und die Funktionsweisen von Organisationsstrukturen und Prozessen systematisch kausalanalytisch beschrieben und erklärt werden, z. B. warum abweichende betriebswirtschaftliche Organisationsziele bei Innovationsprojekten noch weiter zu justieren sind (vgl. Abbildung 2). Hinzukommt, dass die Verknüpfung von Denkschulen die Betriebswirtschaft von Organisationsphänomenen auch zu Hypothesen veranlassen könnte, eine integrative und interdisziplinäre „Organisationstheorie“ für Unternehmen zu entwickeln. | 1.5 Innovationen Einordnung dieses Buches Verknüpfung von Denkschulen Der traditionelle, betriebswirtschaftliche und funktionsorientierte Managementansatz bzw. strukturelle Organisationsansatz wird als Maschinenmodell angesehen, um „technische Innovationen in der Massenproduktion“ rational herzustellen. Merksatz ▼ <?page no="31"?> 32 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d e r f o l g s m o d e l l e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Eine Untersuchung einer Organisation, d. h. deren Strukturen und Prozesse, kann man im Sinne eines Managementansatzes (Scientific Managementansatzes) als eine systematische Organisationsmethode bzw. als eine Organisationsanalyse, ansehen. Eine Organisationsanalyse, heute auch als Systemanalyse bezeichnet, führt man durch, um komplexe und innovative Aufgaben in permanente, angemessene und genau festgelegte Teilaufgaben / Verrichtungen zu zerlegen, um die Produkte und Dienstleistung der Unternehmen den Kunden in routinemäßig produktiver und wirtschaftlicher Weise anbieten zu können. Nach der Organisationsanalyse erfolgt die Synthese oder Organisationsgestaltung, um die Arbeitsaufgaben für das Produkt / die Dienstleistung im Unternehmung in einer Aufbau- und Ablauforganisation zu koordinieren, und um damit die Organisationsziele als quantitative Gesamtaufgabe und als Strategie wertschöpfungs-konform und dauerhaft im Unternehmen zu implementieren. Im klassischen Funktionsorientierten Personalmanagement, in der allgemeinen Managementlehre und in der deutschen Organisationslehre von Kosiol und Gutenberg sprich man hier vom Substitutionsgesetz der Perspektiven/ Bezugsrahmen für Führung, Personalmanagement und Organisation Struktureller Ansatz Symbolischerunternehmenskultureller Ansatz Verhaltenswissenschaftlicher Human Ressourcen Ansatz Rechtlich- Politischer Ansatz Führung Personalmanagement Organisation als Mittel zur Planung, Steuerung und Kontrolle des Unternehmens Abb 2 | Organisationsansätze Info ▼ ▲ Untersuchung einer Organisation Substitutionsgesetz der Organisation <?page no="32"?> 33 s t r u K t u r e l l e r a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Organisation, nämlich das fallweise Regelungen durch generelle Regelungen ersetzt werden, damit immer gleiche Aufgabenkomplexe routinemäßig abgearbeitet werden können, um dadurch auch hohe Produktivitätsraten und Qualitätsziele zu erreichen. Unternehmensziele, Konzernstrategien, Geschäftsstrategien, Überlegungen zu einem Portfoliomanagement, Funktionsstrategien oder kombinierte Strategiebündel bilden den Ausgangspunkt aller Wettbewerbsüberlegungen von Unternehmen und deren Wertschöpfungsketten, um diese Organisationsstrukturen und Prozessabläufen mittels eines Organisationscontrollings besser kontrollieren zu können, und um die Effektivität und Effizienz der Organisation im Unternehmen zu sichern. Die managementorientierten Organisationstheoretiker und Praktiker wie Dale (Vgl. Dale, Ernest: Die großen Organisatoren: Eine Analyse des Erfolgs amerikanischer Konzerne. Düsseldorf / Wien 1962) weisen darauf hin, dass das Rechnungswesen bzw. das Controlling mit den Organisationsstrukturen und Prozessen zu verknüpfen sind, wenn eine Effektivität und Effizienz der Organisationsgestaltung mittels eines Controllings gemessen werden soll. ( → QR-Glossar) Dieses Wissen ist in der neueren, betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie und Organisationsforschung meist verdrängt oder verloren gegangen. „1. Eine vorteilhafte Kontrolle kann erreicht werden durch ein nach Verantwortungsbereichen gegliedertes Rechnungswesen: die Organisationsstruktur wird mit einer planmäßigen Ertragsrate des Anlagekapitals und der kontrollierbaren Kosten gekoppelt. Das führt zu einem hohen Maß an Wechselbeziehung zwischen Aufwand und Ertrag (Donaldson Brown bei Du Pont und General Motors). 2. Dezentralisierung betrieblicher Vorgänge und Koordinierung der Kontrolle (das heißt die Organisation verschiedener Tätigkeiten, so dass sie als gesonderte Gruppen arbeiten, die möglichst wenig miteinander in Konflikt geraten, aber doch einen gemeinsamen Zweck anstreben (Du Pont, GM)) kann ein Mittel darstellen, um die Vorzüge großer wie kleiner Unternehmen auszunutzen. 3. Der Einsatz der Ein-Mann-Kontrolle durch eine Gruppen-Kontrolle bewährt sich am besten, wenn die Mitglieder der Gruppe gleichartige Anschauungen, gleichen Rang und heterogene Fähigkeiten aufweisen (Du Pont und GM). … 5. Es ist vielleicht möglich, einen „ewigen Plan“ zu entwickeln, der über eine lange Zeitspanne hinweg eine regelmäßige und gewinnbringende Expansionsrate vorsieht (Weir bei der National Steel). 6. Wenn eine Firma von einer zentralisierten zu einer dezentralisierten Organisationsstruktur übergeht, werden die unmittelbaren kurzfristigen Ergebnisse wahrscheinlich von den Ergebnissen auf lange Sicht abweichen (Westinghouse): Info ▼ <?page no="33"?> 34 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d e r f o l g s m o d e l l e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation a) Die unmittelbare Wirkung besteht im Allgemeinen in einer Zunahme der Rentabilität. b) Kurzfristig muss man mit einer die Gewinne übersteigende Zunahme der Verwaltungskosten rechnen. c) Die Wirkung auf lange Sicht wird jedoch im Allgemeinen in einer Zunahme der Erträge bestehen, welche die gestiegenen Kosten mehr als aufwiegen“ (Dale, 1962, S. 46 f.) Dale diskutiert hier den Strategiewechsel durch Diversifikation bei Konzernen, die daraufhin von einer funktionalen Organisationsstruktur auf ein objektbezogene Organisationsstruktur oder Spartenorganisation wechseln. 1 Warum sind wir in einer Organisationsgesellschaft aktive und passive Organisationsmitglieder? 2 Wie schaffen wir es in der Betriebswirtschaft Organisationsstrukturen und Organisationsprozesse zu messen. 3 Welche Organisationsansätze kennen Sie? Die Antworten finden Sie auf unserer Web-Service-Seite zum Buch. ▲ Strategiewechsel durch Diversifikation Fragen ▼ ▲ <?page no="34"?> 35 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollen erkennen und begreifen, dass sich die Organisation in einem Industriebetrieb als Geschäftsmodell, beispielsweise aus einer Strategie und einem herzustellenden Produkt, ableiten lässt, unter Beachtung der Anforderungen an die Produktivität, Wirtschaftlichkeit und der Rentabilität. ▶ Sie sollen lernen, dass die sachlichen Unternehmensziele, z. B. billige Autos zu produzieren, die Strategie bestimmt, hier die Kostenführerschaft nach Porter, und damit die Wertschöpfungskette im Unternehmen. Die Wertschöpfungskette ist hier die Prozessorganisation oder Ablauforganisation, um einen angestrebten Return on Investment, gemäß der unternehmerischen Voll- oder Teilkostenrechnung zu erzielen. ▶ Sie sollen organisationsanalytisch verstehen, dass das Unternehmensziel zum Ziel der Gesamtorganisation wird, das mengen- und artenteilig auf fiktive Stellen oder personale Stelleninhaber aufgeteilt und verteilt wird, um das Unternehmen produktiver werden zu lassen, um Qualitätsfehler zu vermeiden, um Kosten und Leistungen Organisationsbzw. Kosten-Stellen zuzuordnen und die Rentabilität der Herstellung und des Verkaufs von Produkten durch das Controlling zu überprüfen. Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 2.1 Toyotas Just-in Time: Eine organisatorische Erfolgsgeschichte 2.2 Organisationsziele: Ohne Ziele keine Performance-Messung 2.3 Zur Notwendigkeit von Organisationsansätzen 2.4 Organisationsansätze und Prämissen 2.5 Betriebliche Organisationstheorie als Wissenschaft Organisationsprobleme zu erkennen, zu analysieren und zu gestalten 2.6 Zur traditionellen, deutschen Organisationslehre nach Kosiol 2.7 Organisationsanalyse Inhalt | 2 Lernziele ▼ <?page no="35"?> 36 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollen lernen, dass das Organisationsphänomen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, zu definieren und zu verstehen ist, Stichworte hierzu sind u. a. der institutionelle Organisationsbegriff, der instrumentelle und der funktionale Organisationsbegriff, insbesondere im Zusammenhang mit dem Substitutionsgesetz der Organisation und der Innovation. ▶ Sie sollen lernen, dass man bei der Organisation oft zwischen Organisationsstruktur bzw. Aufbauorganisation sowie zwischen Geschäftsprozessorganisation und Ablauforganisation unterscheidet. ● Dabei dient die Aufbauorganisation der Unternehmenszielfindung und -durchsetzung des Unternehmensziels. Die Hierarchie der Aufbauorganisation dient als Befehlskanal des Direktionsrechts. ● Die Geschäftsprozessorganisation oder Ablauforganisation soll insbesondere der Herstellung und des Vertriebs des Produktes dienen, um die Rahmenbedingungen, insbesondere die Plankosten des Produktes einzuhalten, die Zeit der Belieferung und die Einhaltung der Qualität des Produktes zu garantieren, die Humanisierung des Arbeitsplatzes und die Motivation der Mitarbeiter zu berücksichtigen, usw. ● Innovationen sind für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit für Unternehmen relevant, erfordern aber auch einen permanenten organisatorischen Wandel, ein Change Management, der Aufbau- und Ablauforganisation sowie der Weiterbildung bzw. Qualifikation der Stelleninhaber bzw. deren Versetzung oder deren Ausscheiden aus der Organisation, ein Prozess der kaum konfliktfrei abläuft. ▶ Treten in der Organisation Probleme auf, bedient man sich entweder der Aufgabenanalyse bzw. Organisationsanalyse oder der empirischen Personal- und Organisationsforschung. ● Die Aufgabenanalyse bzw. Organisationsanalyse dient zum Beispiel Konflikte zwischen Stellen, Abteilungen und / oder Bereiche / Sparten im Hinblick auf Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen zu untersuchen, um dann neue organisatorische Gestaltungskonzepte zu entwickeln. ● Aufgaben- und Arbeitsanalysen dienen aber auch als Voraussetzung, um Arbeitsabläufe mittels von Computern automatisch zu programmieren oder in einer Vorstufe spezifische Logistikkonzepte wie Just-in-Time einzuführen, um kundenorientiert Produkte / Autos zu liefern, deren Produktivität zu erhöhen, wirtschaftlich und rentabler zu arbeiten. ● Eine empirische Organisations- und Personalforschung ist meist dann notwendig und sinnvoll, wenn Unternehmen z. B. einen demographischen Wandel ausgesetzt sind, und bestimmte Personalgruppen, wie junge Mütter, bestimmte personalpolitische und organisatorische Instrumente und Maßnahmen vom Unternehmen erhoffen und erwarten, um auf ihre familiären- und Berufsprobleme besser einzugehen, wenn man sie als Mitarbeiterinnen im Unternehmen möchte. <?page no="36"?> 37 t o y o t a s J u s t - I n t I m e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollen mit Hilfe eines Organisationscontrollings lernen und erkennen, dass optimale Ablauforganisationen, wie das Just-in Time-Logistikkonzept, die Rentabilität eines Automobilunternehmens nach einem Change Management enorm erhöhen kann. Ein Marketing kann diese Rentabilitätssteigerung im Logistikbereich kaum in gesättigten Märkten durch alternative Umsatzsteigerungen, wie in der Autobranche, kompensieren. Derartige Rentabilitätssteigerungen wie im Logistikbereich sind nur durch Produktinnovationen möglich, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass Just-in-Time eine Prozessinnovation in der Ablauforganisation war und ist. Toyotas Just-in Time: Eine organisatorische Erfolgsgeschichte Historischer Hintergrund Dass ablauforganisatorische Erfolgsmodelle nicht vom Himmel fallen, sondern zufällig, praktisch und theoretisch entwickelt werden müssen, lässt sich in einem historischen Abriss zur japanischen Automobilindustrie zumindest andeuten. Toyota und Nissan wurden 1933 in einer Förderphase des Ministry of Commerce and Industry (MCI) gegründet. Erst 1949 erlaubte die amerikanische Besatzungsmacht in Japan Personenkraftwagen wieder zu produzieren. 1952 stellte das Ministry of International Trade and Industry (MITI), als Nachfolgeorganisation des MCI seine Politik des Protektionismus und des Technologietransfers für die japanische Automobilindustrie auf, die diese vor amerikanische und europäische Konkurrenz schützte. Da Gründungen ausländischer Unternehmen in Japan nach 1946 untersagt waren und ausländische Unternehmen sich an japanische Unternehmen nur bis 20 % beteiligen durften, war Japan kein interessantes Zielland für ausländische Investitionen. Deshalb stellte die Lizenzvergabe an japanischen Autoproduzenten die einzige Möglichkeit dar, den japanischen Markt mit europäischen und amerikanischen Automobilen zu erobern. Zwischen 1952 und 1953 konnten vier japanische Automobilhersteller ausländische Hersteller finden, die ihnen Lizenzen einiger Automarken erteilten. Nissans Lizenzvertrag war so ausgestaltet, dass Nissan zunächst alle zur Herstellung eines PKWs notwendigen Teile von Austin aus Europa geliefert bekam. Ab dem zweiten Vertragsjahr sollte Nissan im Stande sein, Lieferanten in Japan zu gewinnen, um den Austin 40 eigenständig zu produzieren. Zur Sicherstellung dieses Ziels wurden die Nissan-Mitarbeiter intensiv von Austin-Ingenieuren geschult und beraten. ▲ | 2.1 | 2.1.1 ablauforganisatorische Erfolgsmodelle Beispiel ▼ Toyota und Nissan <?page no="37"?> 38 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Bereits Ende 1955 erreichte Nissan das Ziel, dass 100 % aller Teile aus Japan kamen. Aus der Notwendigkeit Teile aus anderen Ländern zu beziehen und später aus einer großen Zuliefererindustrie aus Japan zu beziehen, entstand das revolutionäre, organisatorische“. „ Just-in-Time-System“. D. h. Wenn Autos bestellt und verkauft werden können, und wenn das Automobilunternehmen nur so viele Teile bestellt und bezieht, wie es für die momentane Produktion von bestellten Autos braucht, spricht man vom „Just-in-Time-Verfahren“ ( → QR-Glossar). Um nur einige betriebswirtschaftliche Nebeneffekte herauszustellen, sei betont, dass dadurch der japanische Automobilhersteller keine Grundstücke sowie Gebäude für den Einkauf und die Logistik benötigte, keine Lagerhaltung für die Einzelteile der zu montierenden Autos, kein Lagerpersonal und auch keine Lagerverwaltung. Es wurde also viel Kapital und Kosten eingespart. Toyota und Nissan waren die ersten japanischen Autounternehmen, die versuchten eigene (innovative) Autos zu entwickeln und zu exportieren. Zum damaligen Zeitpunkt glaubten beide Hersteller, dass sie mit ihrem kleinen, einfach gebauten japanischen PKW im europäischen, insbesondere im amerikanischen Markt keine Wettbewerbschancen besaßen. Als jedoch europäische Kleinwagenhersteller, wie der VW-Käfer, erste nachhaltige Exporterfolge auf dem amerikanischen Markt erzielten, erwogen auch Toyota und Nissan, Kleinwagen in die USA zu exportieren. Damit traten für Toyota mehrere Probleme auf: a) Wie sieht ein wettbewerbsfähiges Auto aus, das z. B. den VW-Käfer Konkurrenz machen könnte und vom amerikanischen Markt aufgenommen werden könnte. Der Erfolg des VW Käfers in Amerika konnte auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden. Er war gut konstruiert und verarbeitet und hatte einen geringen Benzinverbrauch sowie einen niedrigen Verkaufspreis. Damit erfüllte er das Bedürfnis vieler Amerikaner in den 1950er und 1960er Jahren, nämlich ökonomischer zu sein als amerikanische Autos. Entscheidend zum Erfolg des VW-Käfers in den USA trug jedoch bei, dass Volkswagen frühzeitig die Notwendigkeit einer hohen Servicequalität erkannt hatte, und ein flächendeckendes Werkstättennetz mit einem zuverlässigen Kundendienst aufgebaut hatte. So konnte VW dem Image und dem Vorurteil entgegenwirken, dass ausländische Autos generell teure Unterhaltskosten verursachen und Ersatzteile nur schwer erhältlich sind. Nissan und Toyota stellten fest, dass die Penetrationsrate ausländischer Autos an der Pazifik- und Atlantikküste der USA am höchsten waren, was Ihnen entgegenkam. Weiter profitierten ausländische Automarken davon, dass die Autohändler in den USA nicht an Autohersteller gebunden waren und die USA keinen Protektionismus gegenüber ausländischen Autohersteller praktizierten. Toyota und Nissan nahmen sich den VW-Käfer als Vorbild, und stellten die größten Schwachpunkte des VW-Käfers bei ihren Autos ab. Die amerikanischen Käufer wünschten sich einen größeren Motor, um die langen Strecken in Amerika besser zu bewältigen und eine bessere Innenausstattung des Autos. Der 1965 eingeführte Toyota Corona wurde speziell für den amerikanischen Markt mit einigen Innenausstattungszusätzen produziert, die andere importierte <?page no="38"?> 39 t o y o t a s J u s t - I n t I m e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Kleinwagen nicht aufweisen konnten. Beispielsweise waren die Sitze weich gepolstert, der Boden der Autos wurde mit Teppichböden ausgekleidet und sie hatten getönte Windschutzscheiben. Darüber hinaus besaß der Corona mit 90 PS einen doppelt so starken Motor wie sein direkter Konkurrent, der VW-Käfer. Zum Zeitpunkt der Markteinführung war der Corona der einzige importierte Kleinwagen in den USA, der über ein automatisches Getriebe verfügte. Mit innovativen Autos wie Corona und Corolla (1967) legte Toyota den Grundstein seines Weltruhms und um in Zukunft die Nr. 1 am Weltmarkt zu werden. Bis 1967 schafften Toyota und Nissan es, die Preise ihrer Kleinwagen auf das Niveau vergleichbarer europäischer Autos anzugleichen. Der Toyota Corolla wurde 1967 mit 1.374 Dollar angeboten, während der VW-Käfer 1.375 Dollar kostete. Der Datsun 310 von Nissan war mit 1.339 Dollar sogar billiger als der vergleichbare Austin Mini Deluxe mit 1375 Dollar. Toyota und Nissan kam es beim Vertrieb entgegen, dass es amerikanischen Automobilherstellern verboten war, Vertragshändler zu verpflichten, ausschließlich nur ihre Marken zu führen. Um den Automarkt in Amerika zu erobern boten japanische Automobilherstellern den Vertragshändlern Gewinnmargen zwischen 18 und 20 % an, im Gegensatz zu den 12% bis 13 % von Ford, General Motors und Chrysler vom Endverkaufspreis. Toyota war der erste Automobilimporteur in den USA, der Fernsehspots für seine Modelle einsetze. ! 971 hatte Toyota mit 39 % den höchsten Werbemarktanteil an TV-Werbung von allen Automobilunternehmen in den USA. b) Wie konnte Toyota diesen Erfolg erzielen, da 1960 in ganz Japan nur 165.000 PKW / pro Jahr produziert wurden, während im selben Jahr in den USA 6, 6 Millionen PKW verkauft wurden? Genau hier setzt die Problematik der japanischen Automobilhersteller mit der Organisation und Qualitätssicherung in der Produktion und in der Einkaufslogistik an. Im Vergleich zu Japan waren die USA schon sehr früh in den 1910er und 1920er Jahren motorisiert. Dies wurde durch die Ablauforganisation / Prozessorganisation des technischen Erfolgsmodell Fließband von Taylor / Ford in der Automobilbranche möglich. 1914 überführte Ford die Werkstattproduktion der Einzelfertigung von Automobilen zur ablauforientierten Fließproduktion des Automobils mittels Fließband nach den wissenschaftlichen Vorgaben der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Taylor. Durch die innovative, tayloristische Produktionsmethode mit dem Fließband war es möglich, kleine PKW einfacher Bauart kostengünstig in der Massenproduktion herzustellen. Durch die Massenproduktion konnte man sein Personal spezialisieren und die Personalkosten senken. Die Per- ▲ tayloristische Produktionsmethode <?page no="39"?> 40 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation sonalkosten sanken mit den Produktivitätserhöhungen durch Lern- und Übungseffekte am Arbeitsplatz und in der gesamten Produktionsorganisation. Man konnte durch den Taylorismus genaue Arbeitszeiten pro Mitarbeiter und Organisationsstelle bzw. Arbeitsplatz bestimmen sowie die Materialverbrauchsmengen kalkulieren und damit Plankosten der Herstellung eines Autos bestimmen und kontrollieren. Modern gesprochen haben Ford 1914 und Toyota 1967 die Kostenführerschaft als Strategie nach Porter (1982) mittels der Verwirklichung der Erfahrungskurve (Henderson, 1972) praktiziert und erfolgreich implementiert. Auch die japanische Automobilindustrie hat von Anfang an versucht das Gesetz der Massenproduktion zu verwirklichen, um die Fixkosten zu senken. Ford hatte dies erstmals mit dem Modell T durch die Fließbandproduktion und durch den Verkauf des Autos in den gesamten Vereinigten Staaten geschafft. Toyota und Nissan setzten auf eine aggressive Exportwirtschaft nach Amerika, Asien und später nach Europa, um hohe Produktionsmengen zu erzielen. Toyota und Nissan kannten das Erfolgsmodell Fließband von 1914 von Ford und Taylor. Durch diese innovative Ablauforganisation und dank der Erfahrungskurve konnten Ford den Preis des Modells T von 850 Dollar auf 450 Dollar und sogar bis 1926 auf 310 Dollar senken. Durch die implizite Strategie der Kostenführerschaft war das Modell T als (Volks-)Auto zum ersten Mal auch für die Käufer mittlerer Einkommen erschwinglich und erweiterte den Automarkt und dessen Wachstumsmöglichkeiten enorm. Die VW-Käfer-Produktion und die Produktion des Corollas übernahmen dieses organisatorische Erfolgsmodell von Ford und Taylor. Dass Toyota aber noch erfolgreicher als Ford und VW werden sollte, lag einmal an der innovativen Produktpolitik und am Just-in-Time-Konzept mit den neuen Controllinginstrumenten, wie das Target-Costing und der Prozesskostenrechnung, die die Ablauforganisation wirtschaftlich besser steuern halfen. Ebenso perfektionierte die japanische Automobilindustrie ihre Vertriebsorganisation für ihre Exporte. Zwischen 1978 und 1985 versuchten europäische und amerikanische Organisationstheoretiker den Erfolg der japanischen Automobilindustrie mit der japanischen Mentalität und Unternehmenskulturen zu begründen. Erst spät erkannte man, dass die Japaner die amerikanische Literatur zur Qualitätskontrolle aber auch Kosiols Buch zur Organisation der Aufbau- und Ablauforganisation (1961) übersetzt hatten, um ihr Logistik-Konzept „Just-in-Time“ bzw. Lean-Management in der Ablauforganisation zu perfektionieren. Zusätzlich fand eine Überprüfung der Strategieimplementierung in der Organisationsablaufanalyse in Abstimmung mit dem Rechnungswesen laufend statt, um permanent Produktivitäts- und Wirtschaftlich- Gesetz der Massenproduktion Controllinginstrumente Erfolg der japanischen Automobilindustrie <?page no="40"?> 41 t o y o t a s J u s t - I n t I m e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation keitsverbesserungen zu erzielen. Die japanische Mentalität und Unternehmenskultur hat den Organisationswandel im Strukturellen Ansatz nur „psychologisch-unternehmenskulturell“ unterstützt, erklärt aber nicht deren betriebswirtschaftlichen Erfolg. Dieser Beweis wird durch eine fiktive Return-on-Investment-Rechnung im unteren Beispiel bewiesen. Ansonsten lesen Sie mehr dazu im Kapitel Ablauforganisation bzw. zum Lean-Management. In Abb. 3 finden sie den Zusammenhang zwischen Rechnungswesen, Kostenstellen bzw. Organisations-stellen und Kostenträgerrechnung angedeutet. Organisationscontrolling: Just-Time-Konzept und Returnon-Investment anhand eines fiktiven Beispiels Fall: Ein Automobilunternehmen will den Return on Investment seiner Produktpalette (bestehend aus den Produktgruppen A = PKW, B = Sportwagen und C = LKW) errechnen und durch eine Verbesserung seiner organisatorischen Logistikkonzepte im Beschaffungsbereich verbessern. Aus der Buchhaltung und aus der Kosten- und Leistungs- Bilanz Aktiva Passiva AV UV EK FK GuV Ertrag = Gewinn/ Verlust KOART- Rechnung Welche Kosten? Personalaufwand/ Personalkosten Materialaufwand/ Materialkosten Abschreibungen sonstige(r) Aufwand/ Kosten Sekundärkosten Kostenstellenrechnung Wo? „Organisationsstellen“ Leistung Kosten Kostenstelle K Verrechnungsdifferenz Leistung Kosten Kostenstelle B Verrechnungsdifferenz Leistung Kosten Kostenstelle C Verrechnungsdifferenz Leistung Kosten VuV-Kostenstelle D Kostenträgerrechnung Wofür? Geschäftsfeld „Produkt“ Erlöse - Herstellkosten = DB I +/ - KOSTweichg = DB II - VuV-Kosten = Periodenergebnis - Aufwand | Abb 3 Zusammenhang Rechnungswesen , Organisationsstellen und Kostenträgerrechnung | 2.1.2 Beispiel ▼ <?page no="41"?> 42 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation abrechnung (Controlling) können für das letzte Jahr folgende Zahlen ermittelt werden (siehe unten) Freigesetztes Kapital bzw. Finanzierungsmittel sollen in Zukunft in Diversifikationsoptionen des Konzerns investiert werden (vgl. Portfoliomanagement). Grundstücke / Gebäude A: 10.000 Produktionsanlagen A: 3.000 B: 20.000 B: 16.000 C: 15.000 C: 6.000 Lagerbestände A: 4.000 Forderungen A: 6.000 B: 18.000 B: 5.000 C: 7.000 C: 7.000 Flüssige Mittel A: 3.000 Umsatz A: 40.000 B: 4.000 B: 45.000 C: 2.000 C: 15.000 Variable Kosten A: 15.000 Unternehmensfixkosten 30.000 B: 22.000 C: 8.000 1 Errechnen Sie für die Produktpalette des Konzerns den Return on Investment (ROI). 2 Machen Sie gezielte Vorschläge für Parameteränderungen in Form neuer Logistikkonzepte des Lean-Managements bzw. des Just-in-Time-Konzeptes von Toyota, um in den nächsten Jahren der ROI um 10 % zu erhöhen? 3 Wo sehen Sie Weiterentwicklungsoptionen, um den ROI zu erhöhen? Die Antworten finden Sie auf unserer Web-Service-Seite zum Buch. ▲ Fragen ▼ S chmeiSSer , W. (1997): Internationale Strategien der japanischen Automobilindustrie zur Erschließung des amerikanischen Automobilmarktes bis 1992; in Clermont, A. / Schmeisser, W. (Hrsg.): Internationales Personalmanagement, Vahlen-Verlag, München S. 165 - 194. S chmeiSSer , W. / c lauSen , l. (2009): Controlling und Berliner Balanced Scorecard Ansatz, Oldenbourg Verlag, München. S chmeiSSer , W. / a ndreSen , m. / K aiSer , S. (2012): Personalmanagement, UTB basic, München, S. 12 ff. S chmeiSSer , W. / S toeff , d. (2014): Leanmanagement (E-Book), München. Literatur ▲ <?page no="42"?> 43 o r g a n I s a t I o n s z I e l e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Organisationsziele: Ohne Ziele keine Performance-Messung Wenn man danach fragt, warum Unternehmen sich eine Organisation geben, d. h. eine in Form der Aufbauorganisation und eine in Form der Ablauforganisation, dann sind mehrere Antworten denkbar, hinter denen sich implizite Organisationsziele verbergen: 1) Die Unternehmung ist eine Organisation. In der Literatur nennt man dies den institutionellen Organisationsbegriff. Die Unternehmung ist z. B. eine Aktiengesellschaft und muss im Handelsregister angemeldet werden. Sie tritt im Innen- und Außenverhältnis als eine juristische Person auf, die durch einen Organträger, den Vorstandsvorsitzenden, gegenüber Banken, Finanzamt, Gewerkschaften, Arbeitsgerichten, Lieferanten und Kunden vertreten wird. 2) Die Unternehmung hat eine Organisation. Wenn die Unternehmung eine Organisation hat, und von einem Vorstand als Organträger z. B. einer Aktiengesellschaft geführt wird. Dann bedient sich der Vorstand einer Organisation, um besser operativ und strategisch das Unternehmen führen zu können. In diesem Fall spricht man davon, dass die Unternehmung eine Organisation hat. In der Organisationslehre spricht man hierbei vom instrumentellen Organisationsbegriff. | 2.2 Das Organisationsziel ist hier ein juristisches Ziel, nämlich dass die Unternehmung klagen und verklagt werden kann. Im Innenverhältnis benötigt die Aktiengesellschaft eines Aufsichtsrates, eines Vorstandes und sie muss einmal im Jahr eine Hauptversammlung mit Aktionären abhalten. Es muss ein Betriebsrat und eine Frauenbeauftragte gewählt werden (vgl. Corporate Governance-Ansatz) usw. Die Organisation dient dem Vorstand seine Ziele und Strategie wertschöpfungsorientiert mittels einer Primärorganisation (Aufbauorganisation) z. B. durch eine funktionale Organisation, Geschäftsbereichsorganisation, Matrixorganisation und in Form einer Sekundärorganisation (Ablauforganisation) z. B. Produktorientierte -, Prozessorientierte - und Kundenorientierte - Prozessorganisation zu implementieren. Merksatz ▼ Merksatz ▼ institutioneller Organisationsbegriff instrumenteller Organisationsbegriff <?page no="43"?> 44 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Organisationsziele ( → QR-Glossar) zur Verbesserung der Unternehmensführung können folgende sein: ▶ Implementierung einer Strategie eines Geschäftsfeldes (Produkt, Produktprogramm, etc. in einer wertschöpfungsorientierten Primär- und Sekundärorganisation (Vgl. Porter Ansatz), um deren Profitabilität (ROI, EBIT, EVA, Berliner Balanced Scorecard etc.) zu gewährleisten und um diese sich durch das Rechnungswesen / Controlling bestätigen zu lassen. ▶ Die Stellenbildung und die Kostenstellenbildung werden bei der Aufbauorganisation bzw. Primärorganisation parallel und deckungsgleich vorgenommen. Zum einen können damit die Stelleninhaber für verursachte Kosten und Erträge zur Verantwortung gezogen werden. Gleichzeitig kann mittels Voll- und / oder Teilkostenrechnung überprüft werden, ob die Ist-Kosten auch den Plankosten entsprechen. Die Abweichungsanalyse gilt sonst als erster Ansatzpunkt, um einen Organisationswandel mit einer evtl. verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung (Change Management) einzuleiten. ▶ Um wettbewerbsfähig zu bleiben, versuchen Industriebetriebe permanent durch ein Innovationsmanagement neue Produkte in eine mehr oder weniger flexible Organisation zu implementieren. Dazu dient aber auch das Lean-Management, das Betriebliche Vorschlagswesen und das Qualitätsmanagement in der Sekundärorganisation bzw. Ablauforganisation, die die Produktivität um 5 % pro Jahr zu steigern versuchen. Für die Unternehmensführung heißt dies, bei gleicher Produktion muss dann auch pro Jahr 5 % mehr verkauft werden oder die Rationalisierung führt zu einem entsprechenden Personalabbau. Gerade diese Organisationsziele sind bei Mitarbeitern, Betriebsrat und Gewerkschaften unbeliebt. ▶ Für die Sekundärorganisation bzw. Ablauforganisation lässt sich die Verknüpfung Rechnungswesen und Organisation bei der Rationalisierung und dem Lean-Management ebenfalls belegen. Das Target Costing mit der Prozesskostenrechnung und / oder die Teilkostenrechnung bieten sich an, bei Geschäftsprozessen die Produktivität und Wirtschaftlichkeit einzelner oder gesamter Prozesse laufend durch das Controlling zu verfolgen oder nach der Zweckmäßigkeit der bisherigen Organisation zu fragen. ▶ Die Aufbauorganisation dient natürlich auch dafür, um Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in Gremien bei der Zielfindung und -durchsetzung des Vorstandes mit zu berücksichtigen (Vgl. Corporate Governance Ansatz im Rahmen des politisch-rechtlichen Organisationsansatzes). Ansonsten gilt das Direktionsrecht, das in einer hierarchischen Aufbauorganisation einfacher durchzusetzen ist. <?page no="44"?> 45 z u r n o t w e n d I g K e I t V o n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 3) Die Unternehmung wird organisiert (tätigkeitsorientierter Organisationsbegriff) Hinter dem tätigkeitsorientierten Organisationsbegriff steht die Intention beispielsweise den Arbeitsplatz oder die Produktion im Sinne des Lean-Managements effizient zu gestalten. Zur Notwendigkeit von Organisationsansätzen Gerade der instrumentelle Organisationsbegriff der Primär- und Sekundär-Organisation sind durch interdisziplinäre Perspektiven zum Organisationsphänomen gekennzeichnet. Dies liegt daran, dass sich mehrere Wissenschaften mit dem Organisationsphänomen seit Jahrzehnten und sogar seit Jahrhunderten auseinandersetzen. Sie verfolgen und untersuchen dabei unterschiedlichste Organisationsziele und heben dadurch auch unterschiedlichste Kausalitätserkenntnisse zur Organisation (Quasi-Theorien) heraus, die wiederum als Grundlage zur Organisationsgestaltung dienen können. ▶ Die notwendige Voraussetzung jeder instrumentellen Organisationsgestaltung ist der Strukturelle Ansatz, so dass sich der Vorstand über eine Aufbaubzw. Primärorganisation zu entscheiden hat. Im Vordergrund steht hier die Aufgaben- und Informationserfüllung durch die Organisation. Mit der Primärorganisation wird auch die Entscheidung zur Sekundärorganisation bzw. Ablauforganisation fallen. Der strukturelle Ansatz legt die zweckmäßige und eine technisch sinnvolle Option für die Primär- und Sekundärorganisation fest. Ohne den strukturellen Ansatz ist somit keine instrumentelle Organisation und fortschrittliche Unternehmensführung in einem Unternehmen denkbar. ▶ Hinreichende Voraussetzung(en): Mit dem strukturellen Organisationsansatz, können dann weitere Organisationsansätze alleine oder additiv Organisationsziele sind hier z. B.: Arbeitsplätze derart zu gestalten, das sie der Arbeitsstättenverordnung und der Arbeitsplatzsicherheit des Stelleninhabers dienen. Der Mitarbeiter der Stelle darf selbst Vorschläge zur Arbeitsplatzgestaltung machen, um den Mitarbeiter zu motivieren und am Unternehmen zu binden. Aber auch im Sinne des Lean-Managements über ein Qualitätsmanagement (Quality-Circles, Kaizen) und betriebliches Vorschlagswesen erhofft man sich Produktivitätsverbesserungen zu erzielen, technisch-organisatorische Verbesserungsvorschläge zu realisieren, um so die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität des Working Capitals des Umlaufvermögens zu verbessern. Merksatz ▼ | 2.3 unterschiedlichste Organisationsziele Struktureller Ansatz <?page no="45"?> 46 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation berücksichtigt werden. Hierzu bietet sich erst einmal der psychologischverhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklungsansatz bzw. Humanorientierte Organisationsansatz an. Mitarbeiter wollen bei der Reorganisation von Unternehmen bei Innovationen und beim Lean- Management psychologisch mitgenommen werden, sonst können enorme Widerstände durch die Belegschaft auftreten. Becker und Labucay (2012, S. 2) bringen dies in ihrer Definition zur Organisationsentwicklung besonders gut auf den Punkt: Die strukturelle Organisationsentwicklung kann oder muss oft durch eine arbeitspsychologisch verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklung begleitet werden, wie dies Becker in der Personalentwicklung und mit Labucay in der Organisationsentwicklung fordert. Eine Unterstützung erfährt die arbeitspsychologisch verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklung durch die Unternehmenskultur, die man als einen Spezialfall der verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung bzw. Change Management ansehen kann, oder soziologisch dem symbolischen Interaktionismus, um interkulturelle Probleme in Internationalen Unternehmen besser lösen zu können. Auch in diesem Buch wird der symbolische, unternehmenskulturelle Organisationsansatz ( → QR-Glossar) mit seinen eigenen Modellen analytisch und gestalterisch getrennt als eigener Organisationsansatz behandelt. (vgl. Schmeisser / Kirchhoff: Innovation und Kultur, E-Book, UTB, München 2013) Der letzte Ansatz, der in diesem Organisationsbuch als Ergänzung zum „Strukturellen Ansatz“ erörtert, diskutiert, analysiert und seine gestalterischen Auswirkungen zeigen wird, ist der „Rechtlich-politische Ansatz“ ( → QR-Glossar), der sowohl unter den institutionellen als auch den instrumentellen Organisationsbegriff zu subsumieren ist. Folgt man Nitschke „Organisationsentwicklung als ganzheitlicher , managementgeleiteter Prozess der Gestaltung und Veränderbarkeit von Organisationseinheiten und Organisationen umfasst alle Maßnahmen der direkten und indirekten zielorientierten Beeinflussung von Strukturen, Prozessen, Personen und Beziehungen, die eine Organisation (gemeint ist hier die Unternehmensleitung / Vorstand, d. Verf.) plant, realisiert und (durch ein Organisationscontrolling, d. Verf.) evaluiert.“ Definition ▼ Beim strukturellen Ansatz wird deshalb gern vom Organisationswandel, der Reorganisation oder der strukturellen Organisationsentwicklung in der Primär- und Sekundärorganisation gesprochen. Merksatz ▼ Unternehmenskultur <?page no="46"?> 47 z u r n o t w e n d I g K e I t V o n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation (in Anlehnung an Nitschke, 2012, S. 10), so kann man mit Politik und dem Recht folgende Vorstellungen zum Organisationsphänomen verbinden und identifizieren: a) Im Sinne des institutionellen Organisationsbegriffs: ▶ Eine öffentlich-rechtliche Ordnung, die mit den Corporate-Governance-Ansatz verbunden werden kann, also Rechtsform, Gesellschafterversammlung, Hauptversammlung, Aufsichtsrat, Vorstand, Betriebsrat, Frauenquote, ein shareholdervalue-orientiertes Entgeltmanagementsystem mit Aktienoptionsprogrammen usw. ▶ Eine Ordnung für alle, die man mittels Regeln in einem Organisationsbuch schafft und sich auf das Arbeitsrecht, Sozialrecht usw. bezieht, also beispielsweise Anweisungen am Anfang und Ende der einzelnen Arbeitsschichten im Betrieb im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes, wie z. B. Anlegung von Schutzkleidung, Arbeitspausen, Urlaubsanträge, Einstellungen, Besetzungen von Stellen, Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversicherung. ▶ Die Repräsentation des Unternehmers durch ein Geschäftsführerorgan (Vorstand) gegenüber allen Kunden, Lieferanten, Banken, Aktionären, Mitarbeitern, Finanzämtern, Sozialversicherungsträgern, um klagen und verklagt werden zu können. ▶ Eine mehr demokratische oder monarchische Verfassung, um über Ziele der Organisation zu bestimmen und sie mit und ohne Direktionsrecht durchsetzen zu können. ▶ Die Frage nach ethischen Prinzipien bei der Zielfindung, um das Gemeinwohl der Organisation und das Gute im Leben der Menschen / Mitarbeiter zu fördern oder zu behindern. ▶ Das „Regierungshandeln“ in und durch die Organisation entspricht der Unternehmenspolitik der Unternehmensführung. b) Im Sinne des instrumentellen Organisationsbegriffs: ▶ Im klassischen Primärorganisationsansatz werden die Herrschafts- und die Machtfrage über das Recht geklärt und legitimiert. Wer das Geld hat, hat das sagen und legt die entsprechende Rechtsform zur Herrschaftssicherung und zur Festlegung der Unternehmenspolitik fest. ▶ Trotzdem kann die Zielfindung und Zieldurchsetzung eine Machtfrage von externen und internen Satellitengruppen bzw. Stakeholdern werden, an denen sich die Organisationspolitik zukünftig orientiert. ▶ In mitbestimmten Unternehmen stellt sich im Rahmen der Unternehmensverfassung die Frage, wie die unterschiedlichen Interessengruppen in der Organisation repräsentiert werden, durch rechtliche Regelungen oder durch Machtspiele und Überredungskünste mittels des Kommunikationskonzeptes des Harvard Ansatzes. Konfliktma- <?page no="47"?> 48 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation nagement und Wirtschaftsmediation als Konfliktlösungs- und Kommunikationsinstrument im Rahmen von Einigungsstellen, die dann dadurch einen eigenen Stellenwert erhalten. ▶ Es treten aber auch politische Herausforderungen an Unternehmen auf, wie ein gesundes, erfolgreiches und gutes Leben jedes einzelnen Organisationsmitgliedes in der Unternehmung gewährleistet werden kann, wenn man zumindest die „Diktatur“ des Unternehmers verneint (Vgl. Wirtschaftsethik, Ethik). Organisationsansätze und Prämissen Abbildung 4 gibt einen vertieften Überblick zu den Organisationsansätzen. Zum Strukturellen Ansatz: Metapher - Organisation als „Maschine“ Der klassische, strukturelle Ansatz der Organisationstheorie von Taylor, Fayol, Max Weber, Nordsieck, Kosiol, Dale, Drucker etc. weist zumindest folgende Organisationsziele auf, wie ▶ Zweckmäßigkeit, ▶ Produktivität in Bezug auf die eingesetzte Technik, ▶ Wirtschaftlichkeit und Rentabilität, den Return on Investment nach Du Pont von 1919. 2.4 | Struktureller Ansatz Aufbauorganisation Ablauforganisation/ Geschäftsprozess „Die Organisation als Maschine“ Rechtlich-politischer Ansatz Die Organisation als konfliktäre Arena Unternehmensziele Strategien Organisationsziele Verhaltenswissenschaftlicher Ansatz Der Mensch als bedürftiger, sozialer Organisationsträger und innovativer Veränderer Symbolischer Ansatz Organisation als Theater Zwischen „Bestand“ und „innovativer Auslöser“ Abb 4 | Multikontextuale Organisationsansätze 2.4.1 | <?page no="48"?> 49 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d p r ä m I s s e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Der moderne, strukturelle Organisationsansatz fordert zumindest im Sinne von Porter die Kostenführerschaft mit Hilfe der Erfahrungskurve und / oder die Differenzierungsstrategie pro Business Unit gemäß dem Portfoliomanagement zu verwirklichen, und die angestrebte Strategie mit dem Produkt organisatorisch zu implementieren. Die Business Units / Geschäftsfelder in Organisationseinheiten (Segmente, Business Units, Sparten, Projekte usw.) zu implementieren und eine entsprechende Organisationsform auszuwählen und umzusetzen, ist eine zentrale Herausforderung an die Unternehmensleitung und die eines Organisators. Die Wertschöpfungskette als Prozessorganisation soll den Return on Investment oder den Shareholder Value sicherstellen. Dies ist ein Weg, den auch der Berliner Balanced Scorecard Ansatz vorschlägt, um die Performance zu messen. (Vgl. Schmeisser / Clausen 2009). Die Organisationsprämissen des „Strukturellen Organisationsansatzes“ sind: 1) Die Organisation wird, aus einem ingenieurwissenschaftlichen und wirtschaftsinformatikorientierten Verständnis heraus, als eine Maschine bzw. als ein Managementinformationssystem eines Computers verstanden. 2) Die Unternehmensorganisation wird dabei nicht von einer sozialen, politischen, kulturellen und ökonomischen Umwelt beeinflusst. 3) Die betriebswirtschaftlichen Organisationsziele beschränken die Organisation auf ein rationales, quantitatives Zweck-Mittel-Modell des (positiven) Bürokratiemodells von Max Weber und sie enden in einer Aufbauorganisation. Modern formuliert, würde das rationale Bürokratiemodell von Max Weber eine Strategieimplementierung im Sinne einer Wertschöpfungskette fordern, die in dem Berliner Balanced Scorecard Modell und einer Prozessorganisation wiederzufinden ist. 4) Es wird im Sinne von Taylor mehr oder weniger implizit ein mechanistischesinstrumentelles Menschenbild (homo oeconomicus) gefordert. Der Mensch ist ein „Rädchen“ in der Uhrwerkorganisation der Unternehmung. Die Mitarbeitermotivation orientiert sich am homo oeconomicus oder moderner am Shareholder Value. 5) Die Technik wird im Sinne von Max Weber als gegebenes passives Element angesehen oder als aktives Element z. B. in Projektorganisationen, die durch (technische) Innovationen und Organisationswandel geprägt sind (vgl. Burns and Stalker: The Management of Innovation, London 1961). 6) Nur die politische Spitze, also der Vorstand, die Geschäftsleitung in Anlehnung an Max Weber haben das Recht Unternehmensziele und damit Organisations- Ausgangspunkt aller Organisationsüberlegungen ist die Aufgabe bzw. heute die Information, die sich aus der Unternehmenszielsetzung und / oder Strategie ableitet. Merksatz ▼ Merksatz ▼ Kostenführerschaft <?page no="49"?> 50 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ziele, Strategien und Visionen zu bestimmen. Alle anderen Organisationsmitglieder sind im Sinne des monarchischen Prinzips Befehlsempfänger. 7) Gegebene Organisationsziele, Effektivität und Effizienz durch ein (Organisations-) Controlling und Strategien, Organisationsstrukturen und Organisationsprozesse stehen im Mittelpunkt einer strukturellen Organisationsgestaltung. 8) Organisatorische Aktivitäten, die nicht in der Wertschöpfung enthalten sind und nicht der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmung dienen, und nicht den Unternehmenswert (Shareholder Value) erhöhen, dürfen und können organisatorisch nicht beachtet werden. Verhaltenswissenschaftlicher und arbeitsorganisatorischer Organisationsansatz Gemeint ist hier: Unternehmen als Instrument, um kognitive, emotionale und soziale Bedürfnisse der Organisationsmitglieder zu befriedigen Die „Rationalität“ des naturwissenschaftlichingenieurwissenschaftlichen Maschinenmodells des traditionellen Managementverständnisses zur Organisation, ging davon aus, dass die Mitarbeiter sich mit ihrem Verhalten problemlos in die formalen Strukturen und Prozessen einfügen würden, wie Zahnräder in einem Uhrwerk. Schon bei der Einführung des Fließbandes bei Ford ging diese Annahme des Taylorismus nicht auf. Die Mitarbeiter litten an Monotonie und psychische Sättigung und versuchten durch Krankmachen und Fluktuation derartigen Arbeitsbedingungen zu entkommen. Spätestens seit dem Hawthorne-Experiment gehen diese Erkenntnisse in die Organisationstheorie und Organisationsforschung ein. Mit der Anreiz-Beitragstheorie von Barnard (1938), werden Organisationsprobleme nicht nur als Koordinationsproblem eines Strukturellen Ansatzes sondern auch als Motivationsproblem eines verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatzes angesehen. Es wird seit dem vermutet, dass die Motivation eines Mitarbeiters im Sinne der Bereitschaft der Erbringung einer erwarteten bzw. definierten Arbeits-Leistung nur erfolgt, wenn der Organisator bzw. Arbeitsstudieningenieur im Sinne des Scientific Managements nicht nur die organisatorische Leistung festlegt, sondern auch die organisatorischen Beiträge, die personalwirtschaftlichen Anreize, die den Erwartungen des Mitarbeiters entsprechen müssen. Die organisatorischen Anreize sind die kollektiven, arbeitsrechtlichen Verpflichtungen der vereinbarten organisatorischen und personalwirtschaftlichen Spielregeln des Tarifvertrages und der eigenen Bedürfnisse des Mitarbeiters. Es ist zu vermuten, dass die Produktivität eines Mitarbeiters umso höher ist, je mehr ein Akteur bzw. Organisationsmitglied durch eine bestimmte Arbeitsteilung, Spezialisierung und Professionalisierung ▲ 2.4.2 | Anreiz-Beitragstheorie <?page no="50"?> 51 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d p r ä m I s s e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation der gestellten organisatorischen Aufgabe entspricht, diese als interessante Arbeit erlebt und sein Einkommen, seine Arbeitsplatzsicherheit und seine Zukunftsperspektiven durch eine Unternehmenskarriere mittels dieser Aufgabe abgesichert sieht. Es verwundert deshalb nicht, das der arbeitspsychologische und verhaltenswissenschaftliche Organisationsansatz einmal als konträrer Ansatz zum strukturellen Organisationsansatz angesehen wird, und zum anderen als „Reparaturbetrieb“, d. h. als komplementärer Ansatz zum strukturellen Ansatz verstanden wird, weil dieser den Menschen jetzt als bedürftiges, soziales Wesen sieht. Denn der Mitarbeiter möchte sich trotz Techniknotwendigkeit und Struktur im Betrieb immer noch als Mensch behandelt sehen. Die arbeitspsychologische und verhaltenswissenschaftliche Perspektive der Organisation ( → QR-Glossar) geht von folgenden Prämissen im Sinne von Cyert, March und Simon (Cyert / March 1963, Simon 1976 und Schanz 1978) aus: ▶ Der Ansatz wählt den „Methodologischen Individualismus“, da höhere verhaltenswissenschaftliche Organisationseinheiten, wie die Gruppe, die Führung oder die Organisation als soziale Einheit, nur als Aggregation von Individuen sozialpsychologisch untersucht werden können. Dies ist ein methodisches Defizit des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes. ▶ Organisationen, wie Unternehmen, existieren, um menschliche Bedürfnisse, Motivationen zu befriedigen und einen Glückzustand durch die Arbeit zu bewirken. ▶ Organisationen und Mitarbeiter benötigen einander im Rahmen der Strategieimplementierung in Strukturen und Prozessen. ▶ Wenn die Zusammenarbeit zwischen individuellen Mitarbeiter und / oder aggregierten Organisationseinheiten und / oder der gesamten Organisation mangelhaft ist, wird einer von ihnen oder beide in Mitleidenschaft gezogen. ▶ Passen sich Organisation und Individuum / Mitarbeiter hingegen gut aneinander an, ist dies vorteilhaft für beide. ▶ Konflikte sind verhaltenswissenschaftliche Störphänomene und müssen deshalb harmonisch, psychologisch gelöst werden. D. h. Konflikte sind nicht erwünscht oder sie müssen offengelegt, diskutiert und konstruktiv mittels Coaching, Mediation usw. beigelegt werden (Ein Konfliktmanagement im Sinne des politischen Organisationsansatzes ist nicht erwünscht! ). Der verhaltenswissenschaftliche Organisationsansatz konzentriert sich in seiner Analyse auf das individuelle Verhalten der Mitarbeiter in der Organisation, auf das Gruppenverhalten und / oder interaktive Gruppenverhalten in der Organisation, auf das Führungsverhalten in der Organisation, verhaltenswissenschaftlicher Organisationsansatz Merksatz ▼ ▲ <?page no="51"?> 52 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation das kommunikative, harmonische Verhalten in der Organisation und das Verhalten aller Mitglieder in der Organisation, oft auch als verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklung bekannt. Verhaltenswissenschaftliche Organisationsprobleme treten dergestalt auf, dass z. B. eine Motivationsoffensive auf der individuellen Ebene durch Gruppendruck und Gruppendynamik und / oder durch autoritäre Führung zum Scheitern führt. Die einzelnen Aggregationsebenen Individuum, Gruppe, Führungsverhalten, Kommunikationsgeflecht, Organisationsentwicklung des verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatzes widersprechen sich ständig und können nur schwer zu einer einheitlichen arbeitspsychologischen Organisationsleitlinie ausgerichtet werden. Gerade im situativen Ansatz, als eine Teilperspektive des verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatzes, untersucht man empirisch Situationsvariable, wie diese sich auf die Formalstruktur auswirken (vgl. Kieser / Walgenbach 2007). Ob diese Analytik und empirische Organisationsforschung etwas für die Praxis bringt, darf angezweifelt werden. ▶ Zum einen, weil die Situationsvariablen, insbesondere die Rechtsform, Unternehmensziele, die Strategie und die Effizienzkriterien durch die Geschäftsleitung selbst festgelegt werden. ▶ Zum anderen ist es nicht üblich, dass Unternehmen sich an derartigen situativen Organisationsergebnissen der Organisationsforschung in ihren organisatorischen Gestaltungsbemühungen zielgerichtet ausrichten oder orientieren. Oft jedoch wird die Organisationsentwicklung durch die Personalentwicklung und Motivationsentwicklung vorangetrieben. Man denke nur z. B. an die Humanisierung des Arbeitslebens in den 1970er Jahren in Deutschland. In Unternehmen war es üblich Job Enrichment, Job Enlargement und Job Rotation sowie teilautonome Arbeitsgruppen anstatt einer klassischen Fließarbeit zu organisieren. Gerade bei den neuen Formen der Arbeitsorganisation sind struktureller und verhaltenswissenschaftlicher Organisationsansatz eine enge Kooperation eingegangen. Rechtlich-politischer Organisationsansatz: Unternehmen als Herrschaftsinstrument und politische Arena von Interessengruppen ( → QR-Glossar) Organisatorische Arbeitsteilung und Spezialisierung erhöht den Wohlstand der Nationen und schafft Produktivitätssteigerungen in Organisationen, wie bereits Adam Smith 1776 in seinem berühmten Nadelproduktionsbeispiel dies berichtet. Motivationsoffensive situativer Ansatz Adam Smith Info ▼ ▲ 2.4.3 | <?page no="52"?> 53 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d p r ä m I s s e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Es wirft aber auch die Frage auf, dass mit der aufkommenden Manufakturproduktion immer mehr Tausch und Abstimmungsprozesse in großen Unternehmensorganisationen erfolgen müssen statt in Märkten. Es wird hier damit auch die Frage gestellt, wann ein freier Markt für Austausch und Abstimmung notwendig ist, und wann ein Unternehmen eine Organisation(-struktur) benötigt, um die Abstimmungs- und Koordinationsprozesse intern über eine Ablauforganisation zu regeln. Die Industrialisierung und Massenproduktion hat das Fließband und das Großunternehmen, wie Ford, Siemens, Toyota und andere Unternehmen, im Sinne des strukturellen Organisationsansatzes hervorgebracht. Eine vorläufige Begründung dafür ist es, das Arbeitsteilung und Spezialisierung von Fertigungsprozessen einfacher in Unternehmen als auf Märkten zu erbringen sind, um Produktivitätsvorteile zu erzielen. Es bleiben aber auch die Argumente des neo-institutionalistischen, volkswirtschaftlich geprägten Organisationsansatzes erhalten, dass der Ressourcenverbrauch für Tausch und Abstimmung in Industriegesellschaften nicht unerheblich sind, und heute möglicherweise in marktwirtschaftlich oder virtuell zu betreibende Organisationseinheiten auszulagern sind. Im Weiteren stehen jedoch für diese betriebswirtschaftliche Organisationsbetrachtung der Unternehmung die rechtlichen Institutionen und ihren herrschaftssichernden Mitteln im Vordergrund dieses Ansatzes. Anfang der 1990er Jahre wurden diese ökonomischen Organisationsansätze z. B. von Picot u. a. entwickelt. Grundlage bildete die Mikroökonomie, die die Akteure der Organisationen als rational handelnde Individuen ansahen, die über vollständige und sichere Information über den Markt verfügten. Die Akteure verfolgen als Produzenten das Ziel der Gewinnmaximierung. Die Institution Organisation dient ihnen dazu ihre Marktmacht aufzubauen oder sich gegenüber Konkurrenten zu verteidigen. Die neo-institutionalistischen Organisationsansätze gehen von begrenzt rationalen Akteuren aus, die über begrenztes Wissen, begrenzte Informationsverarbeitungskapazitäten und einer eingeschränkten Moral verfügen. Zur Bewältigung der organisatorischen Koordinations-, Moral- und Motivationsproblemen helfen rechtliche Institutionen, sprich Gesetze und organisatorische Regelungen. Das Setzen juristischer Rahmenbedingungen (Institutionen) für einen unternehmerischen Ordnungsrahmen, d. h. für die Leitung und Überwachung von Unternehmen ist unumgänglich. Das Spektrum von rechtlichen Institutionen sei in diesem Buch beispielhaft für eine Aktiengesellschaft vorgestellt. Arbeitsteilung und Spezialisierung Gesetze und organisatorische Regelungen Info ▼ ▲ <?page no="53"?> 54 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Der Gesetzgeber bestimmt mit Hilfe der Gesetzeswerke des Bürgerlichen Gesetzbuches, des Handelsgesetzbuches, des Aktiengesetzes, des Betriebsverfassungsgesetzes, des Mitbestimmungsgesetzes und des Tarifgesetzes, um nur die relevantesten Gesetze zu benennen, den rechtlichen Ordnungsrahmen einer institutionellen Unternehmensorganisation. Der rechtliche Rahmen legimitiert im Sinne von Max Weber (1920) z. B. das Direktionsrecht der obersten Unternehmensorgane im Sinne eines Obrigkeitsverständnisses. Der Vorstand darf z. B. im Sinne eines eingeschränkten „monarchischen Herrschaftsrechts“, die Strategie bestimmen und sie in eine entsprechende Aufbauorganisation / Struktur des Unternehmens implementieren. Durch die organisatorische und personelle Trennung von strategischer Willensbildung einerseits z. B. des Strategisches Managements, der Strategiefestsetzung z. B. der Business Units / Segmentfelder lt. Geschäftsbericht in einem Portfolio und damit der Segmente und Sparten in der Aufbauorganisation des Unternehmens entsteht andererseits ein konfliktorientierter Abstimmungsprozess mit den operativen Management-Organisationsebenen, den Tarifpartnern und dem Controlling. Bereits Machiavelli, Max Weber (1920), French and Raven (1959) oder Fisher and Ury (Harvard Modell der Kommunikation) haben darüber nachgedacht, wie Herrschaft mittels Machtbasen in Organisationen zu sichern ist. Im Gegensatz zum psychologisch-orientierten, verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatz wird hier vom interessenorientierten Koalitionsmodell der Unternehmung ausgegangen. Konflikte zwischen internen und externen Koalitions- und Interessengruppen, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sind nicht etwas „Schlechtes“, dass die soziale Harmonie in der Organisation gefährdet, sondern ein absolut normales organisatorisches Phänomen und darum ein Menschenrecht, dass sich z. B. in der rechtlichen Institution der Tariffreiheit, im Grundgesetz und im Tarifrecht widerspiegelt. Im rechtlich-politisch Organisationsansatz wird von einer Unternehmung ausgegangen, die sich einem rechtlichen und damit organisatorischinstitutionellen Unternehmensverfassungsrahmen bewegen muss. Dieser rechtlich-institutionelle Rahmen ist durch weitere Rechtsinstitutionen wie das Betriebsverfassungsgesetz, das Mitbestimmungsgesetz und Compliance-Management-System zu erweitern und zu ergänzen, damit eine „gute“ Corporate Governance-Unternehmensführung im organisatorischen Aufbau einer Unternehmung entsteht. Damit soll gewährleis- Info ▼ Info ▼ ▲ ▲ <?page no="54"?> 55 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d p r ä m I s s e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation tet werden, dass zum einen das Direktionsrecht des Vorstandes gesichert ist, aber auch zum anderen die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Interessen in der Unternehmenswillensbildung berücksichtigt werden. Das klassische „monarchische Prinzip“ der rechtlichen Herrschaftssicherung durch die Auf bauorganisation wird durch Mitbestimmungsgesetze der Interessengruppen „demokratisiert“. Mit dem rechtlich-konfliktorientierten Organisationsansatz wird die Organisation „Unternehmung“ als politische Arena der Ziel- und Strategiefindung definiert. Es wird z. B. über die Budgetallokation auf die Bereiche, Sparten und Abteilungen der Unternehmung verhandelt, über Arbeitsplätze und über die Verteilung von Unternehmensergebnissen zwischen den Interessengruppen. Unternehmensverfassung, Konfliktmanagement mit Hilfe der Machtnutzung und Interessenkonflikte mittels Kommunikation werden bei diesem Organisationsansatz herausgehoben. Organisationsprämissen des rechtlich-politisch-orientierten Organisationsansatzes sind: ▶ Unternehmerische Strategieentscheidungen betreffen immer die Allokation knapper betrieblicher Ressourcen in der Organisation. ▶ Eine Unternehmung ist eine Organisation, die als Koalitionsgebilde angesehen wird. Koalitionen bestehen aus internen (Vorstand, Aufsichtsrat, Betriebsrat, Funktionsbereiche etc.) und externen Interessengruppen (Banken, Gewerkschaften, Staat, u. a.) ▶ Koalitionen bzw. Interessengruppen sind Individuen und / oder Gruppen. ▶ Die Koalitionen verfolgen unterschiedliche Ziele und Strategien, aufgrund persönlicher Werte, Normen und Einstellungen. ▶ Unternehmensziele und damit Organisationsziele sowie Strategieentscheidungen entstehen aus der Interaktion dieser Koalitionen untereinander heraus, und zwar durch ständiges Feilschen, Verhandeln, Drohen und Wetteifern um „machtvolle“ Positionen in der Organisation. ▶ Wegen der Ressourcenknappheit sind Machtspiele und konfliktorientierte Auseinandersetzungen bei der Strategiesuche, -bildung, -verabschiedung und -durchsetzung in der betrieblichen Organisation die Regel. ▶ Konflikte zwischen Koalitionen sind normal, und können und sollten nicht „psychologisch harmonisch“ gelöst werden. Die politische Setzung durch eine Institution, einen Vertrag, z. B. Unternehmenssatzung, Organisationsrichtlinien, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag usw. sind zeitlich begrenzte Konfliktlösungsmechanismen für die Organisation. Merksatz ▼ ▲ <?page no="55"?> 56 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Zum visionären, symbolisch-kulturellen Organisationsansatz: Hier: Organisation als Theater von Visionen und Mythen ( → QR-Glossar) Die Erfolgsgeheimnisse innovativer und erfolgreicher Unternehmen ist z. B. das Lean-Management-System der Ablauforganisation bei Toyota. Seit über 30 Jahren versucht man mit dem Phänomen Unternehmenskultur den kreativen Produkten mit dem interkulturellen Management auf dessen Erfolgsspur zu kommen. Zu den bekanntesten Büchern zur Unternehmenskultur zählen „In Search of Excellence“ von Peters / Waterman, die Theory Z von Ouchi (1982), „ The Art of Japanese Management “ von Pascale und Athos (1982) und Corporate Cultures“ von Deal und Kennedy (1982). Schein (1984) ist jedoch Auslöser und Nestor der Unternehmenskulturdebatte. Scheins „Drei-Kultur-Ebenen-Modell“ gibt eine erste Vorstellung davon ab, wie eine Organisationskulturanalyse erfolgen kann und wie eine entsprechende Unternehmenskulturgestaltung erfolgen müsste. Gerade bei Unternehmensfusionen auf nationaler und internationaler Ebene ist dies ein Dauerthema, wie bei Technologieunternehmen, die permanent Innovationsmanagement betreiben müssen. Bei Ihnen ist das Change-Management, d. h., der ständige Struktur- und Prozesswechsel in der Organisation, verursacht durch technologische Innovationen, eine permanente Herausforderung. Die innovative Strategiefindung wird mit der Metapher des Theaterspielens verglichen, da die Organisationskoalitionen, die Unternehmensbelegschaft und die Gewerkschaft auf eine symbolische Führung, auf Zusammenhalt und auf Veränderungsbereitschaft eingeschworen werden müssen. Neue Visionen, wie die iPad Vorführung von Steve Jobs bei Apple 2011 ist nicht nur gutes Innovationsmarketing, sondern sind auch neue Drehbücher, die neue Rollenspiele der Mitarbeiter in Organisationseinheiten bedeuten, um sie mittels neuer Maskeraden und einer neuen Bühnengestaltung auf eine neue Unternehmensorganisation bei Apple vorbereiten zu können. Innovative Unternehmenskulturen dienen dazu politisch konfliktfreier neue Strukturen und Prozesse in der Organisation zu implementieren. 2.4.4 | Info ▼ Beispiel ▼ Erfolgsgeheimnisse ▲ ▲ Change-Management Strategiefindung <?page no="56"?> 57 o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e u n d p r ä m I s s e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Schaffung und Veränderung der Unternehmenskultur bedeutet auch eine andere Aufbau- und Ablauforganisation für neue Produkte zu kreieren. Dabei verändert sich jeder Arbeitsplatz jedes Mitarbeiters. Personalentwicklung wird zur Organisationsentwicklung mit Hilfe einer veränderten Unternehmenskultur. Organisationsprämissen des symbolischen Organisationsansatzes sind: ▶ Nicht das (Marketing-)Ereignis ist wichtig, z. B. ein vorgeführtes iPad durch Steve Jobs, mit einer Unternehmensmission, Vision und Strategie, sondern seine Bedeutung für die Unternehmensorganisation. ▶ Die Bedeutung eines Ereignisses oder einer Strategie erlangen diese erst durch deren Interpretation durch die Mitarbeiter (Mit der Vorführung des iPads als Forschungs- und Entwicklungsergebnis von Apple wird auch die Organisation der Produktion und das Marketing bei Apple verändert, um das Massenprodukt iPad besser zu produzieren und zu verkaufen). ▶ Die meisten Visionen, Ziele und Strategien in der Organisation sind für die Belegschaft und das Management nicht eindeutig zu interpretieren. ▶ Mit dem symbolischen Organisationsansatz und der symbolischen Führung will man die „Eindeutigkeit“ auch vermeiden, um den konfliktorientierten Organisationswandel weniger kontrovers mit den Interessengruppen zu gestalten, z. B. über den Verbleib von Arbeitsplätzen oder bei der Schließung von Produktionsstätten. ▶ Vieldeutigkeit von Strategien und Zielen fördert rationale Problemlösungen, unterminiert politisch gewollte Interessenkoalitionen und erleichtert Innovationen und deren Strategieimplementierung in der Organisation, um zu einen neuen strukturellen Ansatz in der Unternehmung zu kommen. ▶ Bei der Konfrontation mit der Ungewissheit und Mehrdeutigkeit der Arbeitsplatzerhaltung und Produktionsstandortschließung und / oder -erhaltung neigen Organisationsmitglieder und Organisationen dazu, Symbole der Solidarität und Gemeinschaft zu entwickeln, um unternehmerische Strategien für sie verständlicher zu machen, obwohl sie vielleicht gegen die eigenen Interesse der eigenen Koalition verstoßen. Im Sinne der Chandler Hypothese „Structure follows Strategy“ kommt es beim Strategiewechsel zu organisatorischen Erfordernissen, die mit Hilfe der (manipulativen) Unternehmenskulturänderung konfliktärmer gelöst werden können. Merksatz ▼ ▲ Strategiewechsel <?page no="57"?> 58 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Betriebliche Organisationstheorie ( → QR-Glossar) als Wissenschaft Organisationsprobleme zu erkennen, zu analysieren und zu gestalten Mit Immanuel Kant in Bezug auf die Anwendung der Organisationstheorie hin zu antworten, könnte lauten: Was kann man über Organisationstheorien wissen? Und: Was kann man bei Organisationsproblemen tun? Kant bezieht sich bei der Erkenntnisgewinnung bzw. bei Theorien oder theoretischen Ansätzen auf Hume, der bei der Erklärung von Theorien auf das Kausalitätsproblem ausführlich und kritisch eingeht: Man findet in der menschlichen bewussten Vorstellung zu einem Phänomen, hier Organisation, eine intuitive Kausalvorstellung, d. h. die Vorstellung , dass jede (organisatorische) Wirkung mit ihrer Ursache notwendigerweise verknüpft ist. Die kritische Frage hierzu ist nur, wie man zu der vorläufigen, „richtigen“ Kausalvorstellung gekommen ist? Ohne hier das logische, erkenntnistheoretische und empirische Forschungsproblem auszudiskutieren, haben die Verfasser in diesem Buch eine Grundsatzentscheidung getroffen, die betriebliche Organisationsproblematik anhand von vier Organisationsansätzen und deren Kausalitätsvorstellungen zu lösen, um dem Unternehmen Hilfestellungen bei der Organisationsproblematik zu geben. Das dabei immer nicht alle Organisationsansätze in ihrer Totalität bzw. in ihrer Gesamtheit behandelt werden können, verwenden die Verfasser hier einen wissenschaftlichen „Trick“, den die Leser bzw. wirtschaftswissenschaftlichen Studenten aus der Volkswirtschaft her kennen werden, nämlich die Ceteris-paribus- Klausel. Bei jedem Organisationsproblem erfolgt eine getrennte Betrachtung einer Variablen hier eines Organisationsansatzes dazu. Lateinisch bedeutet ceteris paribus, unter sonst gleichen Umständen. Übertragung auf die Organisationsansätze bedeutet dies, dass man nicht gleichzeitig alle Wirkungen und Ursachen beobachten, beschreiben, analysieren, erklären und gestalten kann. Bei der theoretischen Betrachtung eines Organisationsansatzes werden daher automatisch die anderen Organisationsansätze ausgeblendet, obwohl sie in der betrieblichen Wirklichkeit alle gleichzeitig bestehen und wirken. Mit den Organisationsansätzen werden erst einmal axiomatische Theoriesysteme entwickelt, die aus einem vorläufigen, induktiv erworbenen Vorverständnis der Praktiker und / oder Theoretiker von (Unternehmens-) Organisationen besteht. Diese haben eine bestimmte Sichtweise bzw. 2.5 | Info ▼ ▲ Theoriesysteme ceteris paribus <?page no="58"?> 59 b e t r I e b l I c h e o r g a n I s a t I o n s t h e o r I e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Perspektive, wie sie die Organisation beobachten, beschreiben und verstehend erklären. Dabei entwickeln sie erste fachliche Grundterme zur Organisation sowie abgeleitete Terme, aus ihrer Perspektive bzw. Organisationsansatz. Wie die Terme definiert werden, geben Bildungsregeln der Logik an. Die Terme werden zu Ausdrücken gruppiert, klassifiziert bzw. systematisiert. Als klassische Beispiele hierfür sind das System der traditionellen Organisationslehre von Kosiol (1961) und das Lean-Management-System / Kanban-System als spezifisches Logistiksystems von Toyota im Strukturellen Ansatz zu nennen. Der Strukturelle Ansatz als „Theorie“ besteht dabei aus (Quasi-)Gesetzen, in der Organisationstheorie als „Organisationsprinzipien“ bekannt. Bei den (Quasi-) Gesetzen, sprich Organisationsprinzipien, gibt es zwei logische Systematisierungen: ▶ Axiome oder Prämissen des Organisationsansatzes, d. h. (Quasi-) Gesetze, die im Organisationsansatz nicht abgeleitet sondern gesetzt werden (z. B. Ausgangspunkt des Strukturellen Ansatzes ist die Aufgabe, heute die Information). ▶ Organisationsprinzipien des Organisationsansatzes, d. h. (Quasi-) Gesetze / Theoreme / Organisationsprinzipien, die im Organisationsansatz abgeleitet sind (Vgl. Traditionelle Organisationslehre von Kosiol: Aus der Aufgabe wird die Analyse und Synthese der Aufbauorganisation und der Ablauforganisation deduziert.) Die Ableitung von Organisationsprinzipien ist geregelt durch Ableitungsregeln (Deduktionsregeln), die dann auch empirisch, d. h. induktiv-statistisch auf „Kausalität“ überprüft werden können. Popper spricht hierbei von Falsifikationsregeln (Vgl. Popper (1976), Logik der Forschung) Organisationsprinzipien ( → QR-Glossar) bzw. Hypothesen, z. B. Objektprinzip mit dem Gestaltungsmodell der Objektorganisation oder Spartenorganisation, steht in einem logischen Primär-Organisationssystem einer Holding in einem Wirkungsverhältnis zur Produktivität, Wirtschaftlichkeit und Rentabilität des Produktprogramms einer Unternehmen. In Abb. 5 wird ein grundsätzlicher Erkenntnisgewinnungsprozess eines theoretischen Organisationsansatzes dargestellt, der insbesondere mittels Hypothese empirisch noch überprüft werden kann. Bestätigte Hypothesen und damit Theorien, die eine Kausalität zwischen Prämissen, Organisationsprinzipien und Wirkungen aufzeigen, eignen sich für eine sinnvolle betriebswirtschaftliche Organisationsgestaltung bzw. für einen Change-Management-Ansatz (Organisationswandel der Organisation, wenn dieser vorher nicht effektiv gewesen war.) Bildungsregeln der Logik Organisationsprinzipien Deduktionsregeln Hypothesen <?page no="59"?> 60 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Zur traditionellen, deutschen Organisationslehre nach Kosiol … als eine Ausgangsbasis einer „multikontextualen Organisationstheorie“: Kosiol (1961) übernahm das Konzept der traditionellen Organisationslehre von Nordsieck (1928), und entwickelte die Organisationsprinzipien für die Analyse und Synthese der Auf bau- und Ablauforganisation zu einem betriebswirtschaftlich, mathematisch-logischen „geschlossen“ Gesamtkonzept der Organisation. Die traditionelle Organisationslehre ( → QR-Glossar) wählte als Axiom die Aufgabe. Die anderen „multikontextualen“ Organisationsansätze, wie politisch-rechtlicher Ansatz, symbolischer und verhaltenswissenschaftlich-psychologischer Organisationsansatz können nur ergänzend und komplementär zum strukturellen, traditionellen Organisationsansatz angewendet werden. Ohne Struktur und Prozess der Organisation können die anderen Organisationsansätze nicht mit ihren Organisationsproblemen nicht eingebracht werden. Kosiol geht bei seinen Organisationsüberlegungen von eine freien Marktwirtschaft aus, die einem Unternehmen eine „Aufgabe“ aus der Realwirtschaft für die Leistungssphäre eines Industrieunternehmens vorgibt bzw. stellt. Demnach fragt der Markt Autos nach. Autos herstellen und verkaufen wird zur Unternehmensaufgabe und damit zur quantitativen Organisationsgesamtaufgabe. Weltbild zur Unternehmung, insbesondere Organisation und Personalführung und -verwaltung Theorie / Modell Hypothese(n) Ergebnisse theoretische und empirischstatistische Beobachtungen, praktische Erfahrungen, Experimente plausible Idee mehrfache Prüfung, Bestätigung, Korrektur oder Verwerfung andere Theorien andere Theorien Abb 5 | Erkenntnisgewinnungsprozess einer Theorie bzw. eines Organisationsansatzes 2.6 | Aufgabe <?page no="60"?> 61 o r g a n I s a t I o n s l e h r e n a c h K o s I o l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Modifizierend und ergänzend muss heute noch die Strategie in das Kosiolsche Organisationssystem eingefügt werden, d. h. z. B. muss die Kostenführerschaft im Sinne von Porter (1982), die in einer Wertschöpfungskette implementiert werden. Die Aufgabe strategisch anzugehen, heißt erst einmal, Autos billig herzustellen, wie dies Ford beim Modell T, „aus dem Bauch heraus“ mit Hilfe des Fließbandes entschieden hatte. Mittels extremer Arbeitsteilung und geringer Qualifikation bei den Mitarbeiter bei der Stellen- und Arbeitsplatzbesetzung am Fließband, wollte man eine hohe Produktivität erzielen und die Personalkosten massiv senken, um organisatorisch wirtschaftlich und beim Verkauf der Produkte rentabel zu sein. Organisatoren folgten den Rezepten des Scientific Management von Taylor und führten in allen Automobilunternehmen eine Ablauforganisation mit Fließband und ein Funktionsmeistersystem (heute als Matrix bekannt) als Aufbauorganisation ein. Dabei bilden die Auf bauorganisation und die Ablauforganisation nicht nur methodischinstrumentelle Instrumente, um dem strukturellen Organisationsphänomen besser gerecht zu werden. Die Aufbauorganisation zeigt eine Über-, Gleich- und Unterordnung von Stellen und Stelleninhaber, die Ablauforganisation beschreibt den Arbeitsprozess, nämlich wer mit wem in welcher örtlichen und zeitlichen Reihenfolge zusammenarbeitet, um die Aufgabe zu lösen bzw. z. B. das Auto herzustellen und zu verkaufen. Kostenführerschaft Die Unternehmensaufgabe wird zur Organisationsaufgabe, die nun zweckmäßig, technisch und ökonomisch in der Aufbau- und Ablauforganisation in der Unternehmung routinemäßig gelöst werden muss. Die Aufgabe (heute die Information bei Informations- und Kommunikationstechnologien) bildet das Grundaxiom bzw. die Grundprämisse aller strukturellen Organisationsbetrachtungen. Merksatz ▼ Geschäftsleitung Kostenstelle G Einkauf Kostenstelle E Produktion Absatz Kostenstelle A Materiallager Kostenstelle M Logistik Kostenstelle L Montage Kostenstelle M Einzelfertigung Kostenstelle E Verkauf Kostenstelle V Aufbauorganisation (Struktur) Ablauforganisation (Prozess) | Abb 6 Aufbau- und Ablauforganisation <?page no="61"?> 62 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Neben dem Axiom „Aufgabe“ aus dem Kosiol die traditionelle Organisationslehre entwickelt, sind sein methodisches Vorgehen und seine generellen Performance-Ziele für die Organisation eines Industriebetriebes herausgestellt. Methodisch analysiert Kosiol die Gesamtaufgabe in immer kleiner Teilaufgaben bis er zu den Bewegungselementen an einen speziellen Arbeitsplatz kommt (Vgl. hierzu das Multimomentaufnahmeverfahren). Von da an synthetisiert er sinnvolle / zweckmäßige kleinere Bewegungselemente eines Arbeitsvollzuges zu Subaufgaben der unternehmerischen Gesamtaufgabe bzw. zu einen Aufgabenbündel einer Stelle, dann zu einer Abteilung, einer Hauptabteilung und dann zu einer Funktion oder Sparte. Analoges erfolgt bei der Ablauforganisation, wobei der Arbeitsvollzug erst einmal analysiert wird, um ihn dann zu einer Synthese zu vereinigen, z. B. in Form eines Maschinenarbeitsplatzes, einer Werkstätte oder eines Fließbandes. Dabei fordert Kosiol ▶ einmal, dass man bei der Aufgabenanalyse und Aufgabensynthese zweckmäßig vorzugehen habe, also immer an eine kausale Zweck-Mittel- Beziehung zu denken hat bzw. „was“ jede Stelle als Teil der Gesamtaufgabe in der Aufbauorganisation zu erfüllen hat. ▶ Zweitens, dass die Zweckmäßigkeit sich an den technischen Erfordernissen und Möglichkeiten zu orientieren hat, um sinnvolle und technisch machbare Organisationsformen im Industriebetrieb zu entwickeln. Und Aufgabe (z. B. Autos herstellen) als Basisaxiom der Traditionellen Organisationslehre Marktaufgabe Unternehmensaufgabe Strategie: Aufgabe mittels Kostenführerschaft bewältigen Organisationsaufgabe wird als Herausforderung für die Strategie wird arbeitsteilig und mengenteilig zur Aufgaben-Analyse Aufgaben-Synthese (z.B. Matrixorganisation) Arbeits-Analyse Arbeits-Synthese (z.B. Fließband) und für wird zur wird zur und Aufbauorganisation Ablauforganisation Abb 7 | In modifizierter Anlehnung an die traditionelle Organisationslehre nach Kosiol 1961 Gesamtaufgabe <?page no="62"?> 63 o r g a n I s a t I o n s l e h r e n a c h K o s I o l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation die Organisation muss ökonomisch sein, d. h. sie muss produktiv, wirtschaftlich und rentabel sein. Methodisches Vorgehen Kosiols bei der Analyse und Synthese bei der Aufbau- und Ablauforganisation ist Programm des strukturellen Organisationsansatzes. Kosiol wirft die Frage auf, nach welchen Gesetzmäßigkeiten bzw. Organisationsprinzipien Organisationen zu analysieren und dann wieder zu synthetisieren sind? Für die Auf bauorganisation benennt er fünf Organisationsprinzipien, mit denen Organisationsphänomene zu analysieren und mit dem die Synthese der Organisation nach einem Organisationsprinzip zentralisiert durchzuführen ist: Zuerst wird die Gesamtaufgabe des Industriebetriebes beschrieben, um sie dann mengen- und artmäßig nach den Organisationsprinzipien zu analysieren: Für die Aufbauorganisation ( → QR-Glossar) benennt Kosiol fünf Organisationsprinzipien, und zwar 1. die Verrichtung, 2. das Objekt, 3. die Phase, 4. den Rang und 5. die Zweckmäßigkeit sowohl für die Analyse der Gesamtaufgabe als auch für die Synthese. Aufgabe Aufbauorganisation Teilaufgaben Stellen Abteilungen oder Gruppen Aufgabenanalyse Aufgabensynthese Ablauforganisation Personale Synthese Räumliche (lokale) Synthese Zeitliche (temporale) Synthese Arbeitselemente Arbeitsanalyse Arbeitssynthese Organisation der Unternehmung | Abb 8 Methodisches Vorgehen bei der traditionellen Organisation (Vgl. Schulte-Zurhausen 2010) Merksatz ▼ fünf Organisationsprinzipien <?page no="63"?> 64 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Er schlägt vor, immer z. B. ein Organisationsprinzip zu nehmen, um z. B. nach der Verrichtung zu zentralisieren und nach den anderen Organisationsprinzipien zu dezentralisieren. Verrichtung (synonyme Begriffe sind Funktion und „Aufgabe“): Typische Aufgabe im Industriebetrieb sind in der Leistungssphäre Beschaffung, Produktion und Absatz. In der Finanz- / oder Verwaltungssphäre Rechnungswesen, Personalwirtschaft, Organisation und Informatik, Allgemeine Verwaltung mit Assistenten und Stäben, Bewachung der Gebäude. Es ist nicht verwunderlich, dass Kosiol bei der Synthese nach der Verrichtung zur Primärorganisation der „Funktionalen Organisations-Struktur“ gelangt. Objekt (Objekte sind für Kosiol Produkte, Produktprogramme bzw. Sparten oder Divisionen, modern Geschäftsfelder, Länder, Regionen, Kontinente etc.): Ein Automobilunternehmen können seine Organisation nach kleinen, mittleren und großen Personenkraftwagen, Lastkraftwagen / Busse, Motorräder, Sportwagen, in Spanien, Deutschland, Asien, Amerika usw. analysieren und synthetisieren. Kosiol kommt mit dem Objektprinzip zur Produktorganisation (synonyme Begriffe sind Spartenorganisation, Geschäftsfeld-Organisation usw.) Kosiol schlägt aber auch vor Organisationsprinzipien zu kombinieren, wie nach Verrichtungs- und Objektprinzip, und kommt dann zur Primärorganisation der Matrixorganisation. Phase (Mit dem Phasen-Organisationsprinzip im Sinne von Fayol wird der Managementprozess mit seinen Management-Funktionen Zielsetzung, Planung, Personalführung, Kommunikation, Organisation und Kontrolle beschrieben): Geschlossene Großaufgaben die gemanagt und durchgeführt werden, sind typische Erfolgsmodelle in unserer Wirtschaft. Bei der Analyse und Synthese nach dem Phasenprinzip kommt Kosiol zur Projektorganisation in der Primärorganisation. Rang (Der Rang beschreibt die Hierarchie in der Aufbauorganisation): Hier folgt Kosiol Max Webers oder auch Taylors Gedanken, das Organisationen „immer“ das monarchische Prinzip der Herrschaftssicherung des Unternehmers in rechtlicher Form des Direktionsrechts im Unternehmen sichern wollen, ein Gedanke der im rechtlich-politischen Organisationsansatz noch einmal kritisch untersucht werden wird. Zweckmäßigkeit (Kosiol unterscheidet zwischen primären und sekundären Zweck): Mit der Zweckmäßigkeit verfolgt Kosiol mehrere Überlegungen: (a) das Unternehmen ist in einer Zweck-Mittel-Beziehung so zu analysieren und zu synthetisieren, das z. B. die Organisationsstellen gleichzeitig als Kostenstellen des Rechnungswesens zu verwenden sind, um z. B. Kosten und <?page no="64"?> 65 o r g a n I s a t I o n s l e h r e n a c h K o s I o l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Leistungen, die durch derartige Stellen, Abteilungen, Funktionen, etc. verursacht werden, diesen Stellen die Kosten mindestens zurechnen zu können. (b) Primäre Zwecke werden im Industriebetrieb immer in der Leistungssphäre, in der Beschaffung, Produktion und im Absatz erfüllt. Sie sind produktiv, wirtschaftlich zu organisieren und erwirtschaften einen Return-on-Investment. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass in diesen Organisationseinheiten grundsätzlich die Einzelkosten entstehen und die Kostenträger als potentielle Umsatz- und Deckungsbeitragsträger zu identifizieren sind. (c) Sekundäre Zwecke entstehen organisatorisch nach Kosiol immer in der Sphäre des „Finanz-Verwaltungsbereichs“, und sind für ihn deshalb unproduktiv, belasten die Wirtschaftlichkeit und den Deckungsbeitrag. Das Kosiol in diesen Organisationsstellen die Gemeinkosten und die Fixkosten vermutet überrascht nicht. Für die Ablauforganisation (modern: Prozessorganisation) schlägt Kosiol acht Organisationsprinzipien für die Arbeitsanalyse und Arbeitssynthese vor. Dies sind die fünf Organisationsprinzipien der Aufbauorganisation, und zwar 1. Verrichtung, 2. Objekt, 3. Phase, 4. Rang und 5. Zweck. Es kommen in Anlehnung an das Scientific Management noch drei weitere Organisationsprinzipien hinzu, nämlich „wie“ 6. zeitlich, 7. örtlich und 8. personell die Aufgaben zu bewältigen sind. Zeitliches Organisationsprinzip (Stichworte hierzu könnte die Arbeitszeit bzw. die Arbeitszeitflexibilisierung in der Analyse und Synthese der Arbeit sein: In Anlehnung an das Scientific Management werden hier die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Arbeitsgänge am Fließband oder im Logistiksystem Just-in-Time analysiert, die Reihenfolge festgelegt und dazu die jeweilige Zeitdauer. Weitere Aspekte dazu sind die Schichtbetriebszeiten, Anfangs- und Endzeiten von Arbeiten zu bestimmen, und zwar in Anlehnung an das Arbeitszeitgesetz usw. Danach werden auch nach die zeitlichen, personalen und sachlichen Abhängigkeiten zwischen den Arbeitsgängen gestaltet. Räumliches Organisationsprinzip Das räumliche Organisationsprinzip analysiert die Arbeitsplätze, deren Anordnung, Zuordnung und Bearbeitungsstationen z. B. bei Fließbandpro- Merksatz ▼ acht Organisationsprinzipien Ablauforganisation <?page no="65"?> 66 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation duktion, um die Durchlaufzeit und die Transportwege zu minimieren. Es klärt die ergonomischen Erfordernisse des Arbeitsplatzes, der Werkzeugmaschine, der Raumgestaltung, die Arbeitsplatzsicherheit usw. Personales Organisationsprinzip Schließlich erfolgt aufgrund der organisatorischen Anforderungen an einen gewünschten Stelleinhaber, der einzelne Arbeitsgänge an einem Werkstück mittels eines angedachten Kompetenzprofils erfüllen soll, eine Zuordnung zu einem Eignungsprofil einer in Betracht gezogenen Person. Durch diese Person verknüpft sich die Ablaufmit der Aufbauorganisation mit dem Personalmanagement. Literatur Bitte lesen Sie dazu noch: B ea , f. X. / G öBel , e. (2010): Organisation, 4. Aufl., UTB-Verlag, München, Kapitel 12: Traditionelle Organisationsmodelle, S. 359 - 392 Organisationsanalyse ( → QR-Glossar) Auslöser einer Organisationsanalyse sind z. B. Kommunikationsprobleme in einem internationalen Projekt, oft alleine schon durch ▶ E-Mails, ▶ Sprachprobleme und ▶ kulturelle Missverständnisse. Weitere Auslöser von Organisationsanalysen sind, wenn ein Organisationswandel von den Mitarbeitern wegen Gefährdung bestehender Ressourcenzuteilung oder nur auf eine Teileinheit der Organisation ein beschränkter Organisationswandel nicht hingenommen wird. Hinzukommen Ängste und Befürchtungen von Mitarbeitern, dass durch den strukturellen und prozessualen organisatorischen Wandel, Fachwissen und Kompetenzen bei der Aufgabenerfüllung durch die Neuausrichtung der Organisation gefährdet sein könnten, bestehende Machtbeziehungen zu Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten gefährdet sind, Gruppenaktivitäten in Projektgruppen nicht gewollte Resultate hervorbringen und dann Mitarbeiter mit struktureller Trägheit auf psychologisch erlebte „Bedrohungen“ reagieren und betriebswirtschaftlich geplante Ergebnisse des Unternehmens unterminieren usw. Neben den rein technisch-strukturellen „Organisationswandel“, aufgrund einer Organisationsanalyse, müssen die 2.7 | Organisationswandel <?page no="66"?> 67 o r g a n I s a t I o n s a n a l y s e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ psychologischen, ▶ politischen und ▶ kulturellen Organisationsprobleme komplementär mittels eines Change Managements gelöst werden. Es können unterschiedliche Vorgehensweisen bei einer Organisationsanalyse gewählt werden, um Organisationsprobleme zu beschreiben, zu erklären und daraus Schlussfolgerungen für die Primärorganisation und die Sekundärorganisation zu ziehen: a) Eine traditionelle aufgaben-, technik-, ergonomische und informatikbezogene Organisationsanalyse im Sinne der traditionellen Organisationslehre von Kosiol bzw. des Strukturellen Organisationsansatzes durchzuführen (dies erfolgt gleich unten im laufenden Text). b) Eine organisations- und arbeitspsychologische, politisch-konfliktorientierte und unternehmenskulturelle Organisationsanalyse, z. B. beim „Organisatorischen Wandel“ durch Innovationen durchzuführen, um ein Change Management zum strukturellen Organisationswandel ( → QR- Glossar) unterstützend einzubringen. (Vgl. dazu Change Management bei den organisationspsychologischen -, rechtlich-politischen - und beim symbolischunternehmenskulturellen Organisationsansatz) c) Eine Organisationsanalyse mittels einer empirischen Organisations- und Personalforschung durch Befragung der potentiellen und / oder der derzeitigen Belegschaft durchführen, um z. B. zu Hypothesen (Gesetzmäßigkeiten) der Karrierewünsche von Frauen zu gelangen, damit diese Familie, Arbeit und Karriere in einer Organisation bewältigen können. Eine Organisationsgestaltung in der Prozessorganisation könnte z. B. dann dazu kommen Arbeitsabläufe stärker durch Arbeitszeitflexibilisierung und / oder einen Kindergarten im Unternehmen zu berücksichtigen. (Vgl. dazu Arbeitszeitflexibilisierung in der Ablauforganisation) d) Heute kann man mit Hilfe ausgewählter Instrumente des Organisationscontrollings, zusätzlich zu den obigen Organisationsanalysen, betriebswirtschaftlich-finanzwirtschaftliche Organisationsanalyse durchführen. Bei der Prozessorganisation bietet sich die Prozesskostenrechnung und das Target Costing an, aber auch die Berliner Balanced Scorecard. Man kann aber auch die Beschaffungs-, Produktions- und Absatzprozesse mit ausgewählten Kennzahlen des Working-Capital-Management-Ansatzes der Finanzanalyse untersuchen. Hier in diesem Kapitel wird nur die erste Möglichkeit der Organisationsanalyse im Sinne der traditionellen Organisationslehre erläutert. Organisationsanalyse Info ▼ ▲ <?page no="67"?> 68 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Dabei tauchen sofort erste Organisationsfehler auf, nämlich das pro Organisationsstelle für einen fiktiven Stelleninhaber Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung sich nicht kongruent entsprechen, oder das in der gelebten „Praxis“ sich Stelleninhaber Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung anderer Stellen mit aneignen oder es zumindest versuchen, so dass Konflikte vorprogrammiert sind. Jede laufende Organisationsanalyse bzw. Systemanalyse im IT-Bereich verfolgt den Zweck, Schwachstellen zu beschreiben und aufzudecken, Verbesserungsmöglichkeiten für die Organisation und / oder IT-Bereich zu finden, diese zu bewerten und daraus Organisationsgestaltungsempfehlungen abzuleiten (vgl. z. B. Lean-Management bzw. das Justin-Time-Konzept von der japanischen Automobilindustrie). In Anlehnung an Acker (Acker, H. B., Weiskamp, J. (1977) Organisationsanalyse, S. 11 ff.) besteht eine Organisationsanalyse aus drei Hauptphasen: a) Aus der Aufnahme und Darstellung des organisatorischen IST-Zustandes (mittels Prüflisten, Prüffragen, Prüfkatalogen, Multimomentverfahren bzw. weitere REFA-Techniken, Stellenbeschreibungen, Organigrammen usw.) b) Einer kritischen Prüfung von Schwächen und Fehlern der Aufbau- und Ablauforganisation (mittels Interviews der Betroffenen, Funktionendiagrammen, Kommunikationsanalysen etc.) c) Aus der Entwicklung, Beurteilung und Bewertung von Alternativlösung der Aufbau- und Ablauforganisation mittels Argumentationsbilanzen, Nutzwertanalysen, Entscheidungsbaumverfahren, Target Costing, Prozesskostenrechnung, Investitionsrechnungen und dergleichen mehr. Bei dem methodischen Verfahren der Organisationsanalyse kann man zwei Grundphasen unterscheiden: „1. Prüfung der Einzelheiten einer Organisation auf fehlerhafte und unzweckmäßige Gestaltung, 2. Vergleich mehrerer Alternativlösungen, zwischen denen sich ohne besondere Bewertungsverfahren keine Entscheidung fällen lässt. (Heute spricht man in diesen Fällen vom Organisationscontrolling, d. Verf.)“ (Acker / Weiskamp 1977, S. 39). Folgt man Kosiol, so hat der Organisator die Gesamtaufgabe der Unternehmung analytisch nach Organisationsprinzipien zu zerlegen, um sie später nach zweckmäßigen Organisationsprinzipien wieder zu Organisationstellen, Abteilungen, Hauptabteilungen, Sparten bzw. Strategische Geschäftsfelder / Business Units zu synthetisieren. Merksatz ▼ Organisationsfehler IT-Bereich Organisationsanalyse drei Hauptphasen Merksatz ▼ <?page no="68"?> 69 o r g a n I s a t I o n s a n a l y s e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Aufgabe Kompetenz Verantwortung Zum Problem der Delegation A K V V K A VK A A K A A V V V | Abb 9 Organisationsanalyse zum Problem der Delegation von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz mit der potentiellen Erfassung von Konflikten in der Aufbau- und Ablauforganisation, die die Zusammenarbeit der Stellen gefährdet � Aufgabenerfüllung � technisch � personal � betriebswirtschaftlich � Organisationstellen sind gleich Kostenstellen und eine Kostenkontrolle durchzuführen Plankosten (Sollkosten) mit Istkosten vergleichen, Abweichungen feststellen, Ursachenforschung betreiben � Erfolg erzielen (Erträge sichern) Humankapital Fähigkeiten und Kompetenzen � Aufgabe zu verstehen � Aufgabe zu bewältigen � Aufgabe zu verändern � Aufgabe zu verbessern im Rahmen von Rationalisierungsmaßnahmen Aufgabe (Prozessschritt) im Rahmen der Aufbau- und Ablauforganisation Verantwortung Kompetenz | Abb 10 Zum problematischen Zusammenhang zwischen Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz in der Stellenanalyse und der Stellenabstimmung im Rahmen der Organisationsanalyse <?page no="69"?> 70 z u d e n o r g a n I s a t I o n s a n s ä t z e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 1 Welche Prämissen und Organisationsziele verfolgen die einzelnen Organisationsansätze? 2 Erläutern Sie das methodische Vorgehen der traditionellen Organisationslehre nach Kosiol. 3 Wie kommt man von den Organisationsprinzipien zu alternativen Gestaltungsalternativen der Primärorganisationen? 4 Was versteht man unter einer Sekundärorganisation, und warum ist diese derart bedeutsam? 5 Wie wird nach der traditionellen Organisationslehre die Organisationsanalyse durchgeführt? 6 Welche Möglichkeiten der Organisationsanalyse kennen Sie? 7 Wie wird Organisationswissen über die Unternehmung erzielt? 8 Welche Ziele und Methoden eines Organisationscontrollings sind besonders relevant? Die Antworten finden Sie auf unserer Web-Service-Seite zum Buch. Zur Analyse der Organisationsstruktur (Aufbauorganisation/ Ablauforganisation) - methodisches Vogehen - Problem Feststellung des IST-Zustandes der Organisationsstruktur Feststellen, ob die Organisation mit Fehlern behaftet ist Beurteilung der Strukturalternativen - Hilfe von Prüflisten - Partialanalyse mit Hilfe des Rol - Verfahren der Punktbewertung (Scoring-Verfahren) - Dynamische Investitionsrechnungen Verbaler Vergleich der Vor- und Nachteile unterschiedlicher Strukturen evtl. unter Einschluss der Kostenvergleichsrechnung Berliner Balanced Scorecard (Berliner Organisationscontrolling) Alternative Strukturierungslösung (bzw. Reorganisationsalternativen), die andere Aufgabenverteilungen, Ziel- und Entscheidungsbildungen oder Informationsflüsse vorsehen Dokumentenanalyse („Inhaltsanalyse“) Befragung mit Hilfe einer Prüfstelle Abb 11 | Methodisches Vorgehen der Organisationsanalyse Fragen ▼ ▲ <?page no="70"?> 71 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Dieses Kapitel vermittelt die Basics zum Zusammenhang zwischen strategischem Management und Organisationsgestaltung. Sie lernen, ▶ welche Strategieformen und strategiegerechten Organisationsformen es gibt ▶ wie man die Performance einer strategiegerechten Organisation ermittelt ▶ worin die strategische Relevanz kooperativer, kompetitiver und koopkurrenter Organisationsformen besteht ▶ wie Geschäftssegmentierung, Matrix- und Center-Organisation die absatzmarktfokussierten Strategien unterstützen ▶ wie Holding-Strukturen, Allianzen, Netzwerke und virtuelle Unternehmen die ressourcenfokussierten Strategien unterstützen ▶ wie relevant ein Business Relationship Management für das strategische Management ist. Strategien und Strukturen 3.1 Klassische und aktuelle Varianten des Strategie-Struktur- Verbunds 3.2 Bausteine des Strategie-Struktur-Verbunds 3.3 Strategiegerechte Organisationsformen Inhalt | 3 Lernziele ▼ ▲ <?page no="71"?> 72 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Klassische und aktuelle Varianten des Strategie-Struktur-Verbunds Tandems aus zwei eng gekoppelten Managementfunktionen, etwa Forschung & Entwicklung, Informations- und Kommunikationsmanagement oder Investition und Finanzierung, repräsentieren in der Betriebswirtschaftslehre ein verbreitetes und zugleich herausforderndes Gestaltungsobjekt. Auch „Strategien und Strukturen“ zählen zu diesen klassischen Konfigurationen. Dabei beinhaltet die Komponente „strategisches Management“ z. B. Strategien der Diversifikation, Globalisierung oder der Konzentration auf Kernkompetenzen. Im Spektrum der Struktur- Komponente findet man beispielsweise Organisationsformen wie Holding-Strukturen, Matrixorganisation, strategische Allianzen oder Shared Services. Die Herausforderung besteht in der integrierten, ganzheitlichen Optimierung beider Funktionen anstelle einer isolierten Optimierung, also der separaten Formulierung einer optimalen Strategie oder einer optimalen Struktur. Der so erreichte strategische Fit, auch als Stimmigkeit oder Alignment bezeichnet, kommt gemäß der Fit-Performance-These der Performance des gesamten Managementsystems zugute. Im Gegensatz dazu liefern isolierte Optimierungen infolge von Inkompatibilitäten und Mangel an Synergie einen deutlich geringeren Beitrag zur Performance. Offensichtlich setzt sich die Optimierung des Strategie-Strukturverbunds aus vier Bausteinen zusammen: Strategie, Struktur, die Strategie-Struktur- Schnittstelle und einem Ansatz zur Performance-Messung. Die wohl bekannteste klassische Variante des Strategie-Strukturverbunds ist die Kopplung einer Diversifikationsstrategie mit einer divisionalen Rahmenstruktur: Hierbei ist jeweils eine organisatorische Geschäftseinheit für ein strategisches Geschäftsfeld (z. B. ein Marktsegment) zuständig. Neuere Verbundformen resultieren etwa aus der Nutzung des Internet für das E-Business: Das Internet ermöglicht sowohl neue Strategien ( → QR-Glossar) und Geschäftsmodelle (E-Business) ( → QR-Glossar) als auch Organisationsformen. Dabei wird einerseits das Spektrum der Vertriebskanäle auf einen Brick- und Click-Vertrieb (z. B. über Filialen, Franchise-Nehmer und über das Internet) erweitert. Andererseits sinkt die Relevanz jener Organisationseinheiten wie z. B. des Handels, die die Funktion eines klassischen Intermediärs zwischen Anbietern und Nachfragern übernehmen, was als Desintermediatisierung bezeichnet wird. Ferner fördert die Verfolgung komplexer hybrider Strategien, z. B. von Klasse- und von Massevorteilen im Rahmen der so genannten „maßgeschneiderten Massenproduktion“ (Mass Customization) das Auftreten komplexer hybrider Organisationsformen: 3.1 | Fit-Performance-These <?page no="72"?> 73 K l a s s I s c h e u n d a K t u e l l e V a r I a n t e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Hierzu werden beispielsweise die Push- und die Pull-Steuerung über die Stufen des Wertschöpfungsprozesses miteinander gekoppelt. Als eher traditionell sind die Ansätze zur Installation von Marktmechanismen in der Konzernorganisation („interne Märkte“) einzustufen, um auf diesem Weg die Flexibilität von Großunternehmen zu erhöhen. Dies gilt auch für die gleichzeitige Verfolgung von Integrationsvorteilen und Flexibilitätsvorteilen, die durch bestimmte Varianten der Matrixorganisation (vor allem die Produkt-Funktion-Matrix und die Projekt-Funktion-Matrix) unterstützt werden. In der Industrie erfolgt mit Beginn des 21. Jahrhunderts ein Wandel im Strategie- Struktur-Verbund in Gestalt der so genannten Servitization: Durch eine verstärkte Service-Orientierung werden aus Produzenten letztlich produzierende Dienstleister, die beispielsweise industrielle Anlagen nicht nur erstellen und warten, sondern diese auch betreiben. In der IuK-Branche schlägt sich Servitization vor allem in Geschäftsmodellen des „Everything as a Service“ nieder, z. B. in Gestalt eines Cloud-basierten Angebots von „Software as a Service“ oder „Infrastructure as a Service“. Sowohl die konzerninternen Marktmechanismen als auch die Multikanalsysteme (z. B. Brick und Click) haben zur Folge, dass Elemente des emergenten oder organisierten Wettbewerbs in die primär kooperativ ausgerichtete Unternehmensorganisation eindringen. Im Zusammenhang mit dieser Mischung von Kooperation und (regelgeleiteter) Konkurrenz ist von Koopkurrenz („Coopetition“) die Rede. Den Kern eines besonders relevanten und breit angelegten Trends bilden „unternehmensübergreifende“ oder „interorganisationale“ Organisationsformen. Hierbei handelt es sich z. B. um ▶ Supply Chains, ▶ Unternehmensfusionen (Mergers), ▶ Joint Ventures, ▶ Arbeitsgemeinschaften in der Bauwirtschaft und ▶ Unternehmensnetzwerke (z. B. Airline-Netzwerke, Lieferantennetzwerke, Eco-Systems, Business Webs und Vertriebsnetzwerke). Diese interorganisationalen Strukturen sind häufig insofern ▶ Strategie-getrieben, als sich die Performance der betroffenen Unternehmen durch Mergers & Acquisitions ( → QR-Glossar), Spin-offs, Unternehmensspaltung (Splits), Outsourcing und Franchising steigern lässt. ▶ Einige dieser grenzüberschreitenden Organisationsformen sind hingegen Technologie-getrieben, nicht zuletzt, weil das Internet als Enabler diese Strukturen fungiert. Hier spricht man von virtuellen Unterneh- Konzernorganisation Info ▼ ▲ interorganisationale Organisationsformen <?page no="73"?> 74 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation men und virtuellen Teams (die im „Around the clock and the globe“- Modus arbeiten) oder Communities (z. B. Wissensgemeinschaften, Social Networks). Unternehmensübergreifende Organisationsformen verdanken ihre Relevanz zwei gegenläufigen Trends: Der Erosionstrend führt zu einer Lockerung von klassischen Unternehmensstrukturen. Letztlich wird durch Ausgründungen, Aufgliederungen in relativ autonome Profit-Center, Spaltung (z. B. von integrierten Chemiekonzernen in die Sektoren „Pharma“, „Spezialchemie“ und „Agrochemie“) und die Installation interner Märkte eine bestehende Organisationseinheit in n Organisationseinheiten überführt: Beispielsweise mündet die Erosion in die Ausgründung von Wertschöpfungsfunktionen wie z. B. des Consulting, der Logistik, des IT-Bereichs, des Engineering oder der Fertigung von Aggregaten und Komponenten in Konzerntöchter. Noch stärker als bei diesen „Near-the-Corporation“-Strukturen fällt die Erosion des Unternehmens aus, wenn ein Off-the-Corporation-Outsourcing, etwa das Outsourcing von Manufacturing Services (z. B. in der IT-Branche) oder von Engineering Services (z. B. in der Automobilbranche) betrieben wird. In umgekehrter Richtung verfestigen sich durch den Konsolidierungstrend marktliche Geschäftsbeziehungen und überführen so n existierende Organisationseinheiten in eine Organisationseinheit: Dies erfolgt entweder in Form einer Verschmelzung (z. B. M & A) mit einem sehr hohen Grad an Interdependenz und Integration zwischen den konsolidierten Einheiten oder über eine weniger enge Vernetzung oder Kooperation, z. B. Lizenzverträge, Contractual Joint Ventures, Konsortien oder strategische Allianzen. Im Gleichschritt mit der Enge (Interdependenzgrad) zwischen den beteiligten Organisationseinheiten muss auch die Nähe (Integrationsgrad) wachsen. Die Integration der beiden Management-Systeme (z. B. Organisationsstrukturen, Unternehmenskulturen, Führungsstile, IT-Systeme und Vergütungssysteme) kann einerseits nach der Entscheidung für eine Zusammenarbeit erfolgen, was im Fall von M & A als Post Merger Integration bezeichnet wird. Andererseits erleichtern (supranationale) technische Normen und Management-Standards (z. B. für die Rechnungslegung, Business Ethics), standardisierte Schnittstellen oder modulare Holding-Strukturen die Pre Merger Integration, weil der zu bewältigende Integrationsbedarf geringer ausfällt. Das Integrationsmanagement kann dazu führen, dass vorhandene Strukturen und Strategien der beteiligten Unternehmen radikal verändert werden müssen: Hierbei werden vorhandene Firmierungen, Organigramme, Kulturen und IT-Systeme von einem oder von allen beteiligten Unternehmen „demontiert“. Um die dadurch hervor- Erosionstrend Konsolidierungstrend Integrationsgrad <?page no="74"?> 75 b a u s t e I n e d e s s t r a t e g I e s t r u K t u r - V e r b u n d s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation gerufenen Widerstände zu verringern, kann man auch eine Integration mithilfe von Overlays bewerkstelligen. Hier bleiben die vorhandenen Bausteine der Management-Systeme in den beteiligten Unternehmen erhalten, werden jedoch durch eine überlagernde Kultur, Rechtsform oder Holding-Struktur ergänzt. Bausteine des Strategie-Struktur-Verbunds Strategie-Struktur-Schnittstelle Für die Modellierung der Strategieentwicklung und Organisationsgestaltung und damit auch für die Modellierung des Strategie-Struktur- Verbunds kann man auf zwei gegensätzliche, aber grundsätzlich komplementäre Ansätze zurückgreifen: Die rationalistische Konstruktion ist eingebettet in das entscheidungsorientierte Optimierungsparadigma, bei dem Instrumente zur Erreichung von Zielen unter Berücksichtigung von Bedingungen entwickelt und eingesetzt werden. Zu den typischen strategischen Zielen (und damit zu den Kriterien der strategischen Performance, vgl. Abb. 1) gehören etwa ▶ Economies of Scale, ▶ Economies of Scope, ▶ Economies of Speed oder ▶ Economies of Network. Der Katalog von Bedingungen umfasst etwa ▶ Barrieren des Eintritts in und ▶ Barrieren des Austritts aus Märkten, ▶ Verkäuferversus Käufermarktkonstellationen sowie ▶ den (komplementären oder substitutionalen) Nachfrage- und Angebotsverbund zwischen Geschäftsfeldern (z. B. Produkten) als Ausdruck der bestehenden Interdependenzen in einem Geschäftsfeld-Portfolio. Demgegenüber haben operative Kapazitätsrestriktionen im strategischen Kontext keinen Bedingungscharakter. Strategien und Strukturen fungieren als Instrumente. Die Formel für deren rationales Alignment lautet: Struktur folgt Strategie. In jüngster Zeit wurde diese klassische Anpassungsformel verfeinert, vor allem im Sinne der so genannten Prozessorganisation, wonach gilt: Struktur folgt Geschäftsprozess folgt Geschäftsstrategie. Overlays | 3.2 | 3.2.1 rationalistische Konstruktion Katalog von Bedingungen Struktur folgt Strategie Info ▼ ▲ <?page no="75"?> 76 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Demgegenüber wird im Rahmen des Ansatzes der realistischen Rekonstruktion dadurch ein Modell von Strategie-Entwicklung, Organisationsgestaltung und Strategie-Struktur-Verbund konzipiert, dass man untersucht, wie diese Bausteine in der Realität zustande kommen. Hierfür eignen sich beispielsweise Modelle der Koevolution von Strategie und Struktur oder der Pfadabhängigkeit, nach der sich im Zeitablauf stabile Verlaufsmuster herauskristallisieren. Methodisch basiert die Rekonstruktion der Realität auf Fallstudienmaterial (z. B. Chroniken von Strategie und Struktur- Ereignissen in einem Unternehmen), großzahligen Erhebungen, Trendanalysen und Korrelationsstudien. Trendanalysen decken nicht selten Modeströmungen im Management auf, etwa organisatorische Wellen wie z. B. eine Matrix-, Lean Management-, Holding-, Outsourcing- oder Shared Services-Welle. Für den Strategie-Struktur-Verbund ergeben sich hieraus Formen des Verbunds, die signifikant von der rationalen Anpassungsformel abweichen. In der Realität gilt häufig nicht „Structure follows strategy“, sondern eher „Structure follows technology“, „Structure follows fashion“ oder „Strategy follows structure“: Hier werden von den in der existierenden Organisation agierenden Managern nur solche Strategien entworfen, die die vorhandene Machtverteilung zwischen den Stakeholdern nicht verändern. Nicht selten ergibt sich hieraus eine organisatorische Trägheit oder gar Verkrustung im Sinne von „Structure follows Structure“. Der rationalistische und der realistischem Zugang resultieren offensichtlich in denkbar unterschiedlichen Sichtweisen der Strategie-Struktur- Schnittstelle, vor allem bezüglich der Existenz einer Abhängigkeit, der Abhängigkeitsrichtung und der Relevanz von Drittgrößen, etwa ▶ IT-Systeme (z. B. ERP-Systeme, Cloud-Computing, Online-Vertrieb), ▶ Marktgegebenheiten (z. B. stabil wachsende oder dynamisch-volatile Märkte) oder ▶ Unternehmenskulturen, z. B. Engineering-geprägte Kulturen (Slogan: „Wir konstruieren innovative Produkte“), kaufmännisch-geprägte Kulturen („Wir machen Geld“) oder Marketing-Kulturen („Wir schaffen Kundennutzen“). Im Folgenden wird der rationalistische Zugang gewählt. Die Strukturformen, die der „Struktur folgt Strategie“-Formel genügen, stellen also strategiegerechte Organisationsformen dar, was sich mitunter auch in der Bezeichnung dieser Organisationsformen als „strategische Management-Holding“ oder „strategische Allianz“ niederschlägt. realistische Rekonstruktion Info ▼ ▲ strategiegerechte Organisationsformen <?page no="76"?> 77 b a u s t e I n e d e s s t r a t e g I e s t r u K t u r - V e r b u n d s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Performance Measurement-Ansatz Alle Performance-Measurement- und -Management-Ansätze sind durch zwei Arten von Komplexität geprägt: ▶ Zum einen durch die Vielzahl von Performance-Kriterien und ▶ zum anderen durch die Konflikte zwischen diesen Zielen, die auch aus Formeln wie „Quick, but dirty“ bekannt sind. Solche Dilemmata kennzeichnen generisch das Spannungsfeld zwischen Effektivität (z. B. Qualität, Innovativität, Nachhaltigkeit, Zufriedenheit, Umweltverträglichkeit) und Effizienz (Kosten, Zeit): Eine vereinfachte Performance-Evaluierung der Matrixorganisation ( → QR-Glossar) kommt hier beispielsweise zum Ergebnis, dass diese zwar effektiv, aber nicht zeit- und kosteneffizient ist. Nicht selten verhalten sich diese beiden Kostenblöcke gegenläufig: Eine unternehmensinterne Eigenerstellung von Leistungen verursacht häufig höhere Produktionskosten, jedoch niedrigere Koordinationskosten als der Fremdbezug oder das Outsourcing dieser Leistungen. Zudem ist zu beachten, dass die Performance aller Management-Aktivitäten an zwei unterschiedlichen Punkten gemessen wird (vgl. Abb. 12): ▶ Zum einen an der erzielten Programmunterstützung, z. B. Schaffung von Customer Value oder Wettbewerbsvorteilen gegenüber Konkurrenten, ▶ zum anderen an der Ressourcennutzung, etwa der Zufriedenheit von Mitarbeitern, Motivation von Lieferanten oder dem hohen Beschäftigungsgrad von Anlagen. Für das Performance Management von Strategien und Strukturen werden differenzierte Systeme wie etwa die Balanced Scorecard herangezogen, die neben den finanziellen Kennzahlen (z. B. Ebit, Economic Value Added / Geschäftswertbeitrag, Kapitalrentabilität, z. B. Return on Capital Employed) auch nicht-finanzielle Kriterien aus der Kunden- und Mitarbeiterperspektive beinhalten. Als spezifische Performance-Maßstäbe für den Strategie-Struktur-Verbund fungieren „Integration“ und „Flexibilität“, wie Abb. 12 illustriert. | 3.2.2 Info ▼ ▲ Effektivität Effizienz Bezüglich der Kosteneffizienz wird deutlich, dass nicht nur die Kosten der Leistungserstellung („Produktionskosten“), sondern auch die organisationsbedingten Koordinationskosten berücksichtigt werden müssen. Merksatz ▼ Programmunterstützung Ressourcennutzung <?page no="77"?> 78 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Dabei bildet „Integration“ ( → QR-Glossar) den Sammelbegriff für Größenvorteile (z. B. Economies of Scale ( → QR-Glossar), Economies of Scope ( → QR-Glossar), Fixkostendegression, Erfahrungskurven-Effekte) und Synergievorteile: Synergie in einem Portfolio aus verbundenen Produkten führt dazu, dass der Portfolio-Gesamtumsatz (bzw. Cash Flow) größer ist als die Summe der Produktumsätze (2 + 2 = 5-Formel) oder dass die Gesamtkosten niedriger ausfallen als die Summe der Produktkosten (2 + 2 = 3-Formel: Economies of Scope). Flexibilität umfasst hingegen Vielseitigkeit (z. B. durch Customizing und Variantenreichtum), Reaktionsschnelligkeit und Agilität: Darunter versteht man die proaktiv-explorative Nutzung von Chancen auf der Basis von organisch-selbstorganisatorischen statt fremdorganisatorisch-reglementierten Organisationsformen. Das Spannungsfeld zwischen Integration und Flexibilität äußert sich organisatorisch letztlich darin, dass die Mehrzahl der Organisationsformen einseitig nur eines der beiden Performance-Kriterien erfüllt: So sind Profit- Center Strukturen zwar flexibel, jedoch erzielen sie keine Größenvorteile und Synergien. Umgekehrt sorgen etwa Koordinationseinheiten wie Ausschüsse, Meetings, Controller oder Intermediäre zwar für Integration, jedoch nicht für Flexibilität. Von strategiegerechten Organisationsformen wird hingegen erwartet, dass sie das Dilemma zwischen Flexibilität („Small is beautiful“) und Integration („Big is beautiful“) im Sinne von „Small within big is beautiful“-Konzeptionen meistern. Dies gelingt beispielsweise durch eine Management-Holding oder ein Franchise- Netzwerk, die in ausgewogener Form für Flexibilität und für Integration sorgen können. Definition ▼ ▲ Integration Synergie Flexibilität Spannungsfeld zwischen Integration und Flexibilität Merksatz ▼ ▲ <?page no="78"?> 79 b a u s t e I n e d e s s t r a t e g I e s t r u K t u r - V e r b u n d s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Organisationsrelevante Konzepte des strategischen Managements Der Strategiebegriff im strategischen Management weicht vom Strategiebegriff der Spieltheorie ab, wo Strategie als rationale Vorgehensweise, z. B. gewinnmaximierende Preispolitik, verstanden wird. Strategien im Sinne des strategischen Managements werden durch drei unterschiedliche, aber grundsätzlich kompatible Vorstellungen einer Kontextsteuerung definiert, wie Abb. 13 verdeutlicht: Erstens Strategie als Aufstellen von Grundsätzen (z. B. Codes, Führungsgrundsätze, Charters, Satzungen, Geschäftsordnungen), die dann operativ angewendet werden. Zweitens Strategie als Festlegung eines Rahmens, z. B. eine langfristige Grobplanung, die durch taktische und operative Planung umgesetzt wird. Drittens Strategie als Gestaltung der Erfolgspotenziale, die operativ genutzt werden. Aus Abb. 13 geht hervor, dass es für jede der drei Auffassungen jeweils Pendants im operativen Management gibt, das der Umsetzung der Strategien dient. Performance- Sektoren Programmerfüllung Ressourcennutzung Flexibilität Integration Fokalität Funktionalität � Kundennutzen � Kundenbindung � Marken-Image � Innovativität � Umsatz � Qualität � … � Verfügbarkeit � Nutzungsgrad � Leistungsmobilisierung � Nachhaltigkeit � Sourcing-Kosten � Ressourcenbindung � … � Vielseitigkeit � Anpassungsfähigkeit � Wandlungsfähigkeit � Quick Response � Skalierbarkeit � Agilität � Spielräume � Slack � … � Größenvorteile � Synergie � Economies of Scope � Kompatibilität � Fixkostendegression � … | Abb 12 Performance-Sektoren und -Kriterien für den Strategie-Struktur- Verbund | 3.2.3 Definition ▼ ▲ <?page no="79"?> 80 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Erfolgspotenziale lassen sich an zwei Punkten des Wertschöpfungssystems eines organisatorischen Gebildes verankern: Zu den Erfolgspotenzialen im Programm zählen vor allem exzellente Produkte, Marken-Image, Kundentreue und das akquisitorische Potenzial auf dem Absatzmarkt. Die Erfolgspotenziale in den Ressourcen umfassen ▶ Patente, ▶ Know-how, ▶ die Produktionskapazitäten der Standorte, ▶ das Humankapital und ▶ Capabilities oder Kompetenzen. Zu diesen intangiblen Ressourcen gehören auch so genannte organisationale Dynamic Capabilities oder Meta-Kompetenzen wie z. B. die Wandlungsfähigkeit, Absorptionskapazität oder Kooperationsfähigkeit eines Unternehmens. Da Ressourcen (als Input) in Programme (Output) transformiert werden, handelt es sich hierbei nicht um eine trennscharfe Klassifikation, sondern lediglich um eine unterschiedliche Fokussierung. Sie korrespondiert mit den beiden traditionellen Zugängen zum strategischen Management, dem (programmfokussierten) Market Based View und dem Resource Based View. Mit Blick auf die vertikale Struktur eines Unternehmens lassen sich Erfolgspotenziale a) auf der Ebene des Gesamtunternehmens (z. B. Kernkompetenzen auf dem Gebiet der Automobilität oder IT-Sicherheit), b) der einzelnen Geschäftsfelder (z. B. Baureihen, Firewalls, Kundenschulungen) oder c) der einzelnen Funktionsbereiche (z. B. Logistik- oder Montagekompetenzen, Prozesstechnologie) verorten. Strategisches Management Operatives Management Strategien (Beispiele) Fokus Grundsätze Aufstellen von Grundsätzen Anwenden von Grundsätzen Stakeholderorientierte Unternehmensgrundsätze Rahmen Abstecken des Rahmens Ausfüllen des Rahmens Langfristige Grobplanung Potentiale Gestalten von Erfolgspotentialen Nutzen von Erfolgspotentialen Portfolio- Management Abb 13 | Konzeptionen des strategischen Managements Programm Ressourcen Fokussierung <?page no="80"?> 81 b a u s t e I n e d e s s t r a t e g I e s t r u K t u r - V e r b u n d s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Epochen in der historischen Entwicklung des strategischen Managements seit den 1960er Jahren standen jeweils im Zeichen von unterschiedlichen Erfolgspotenzialen. Wie Abb. 14 verdeutlicht, wurden Erkenntnisse aus dem in den Anfängen dominierenden programmfokussierten Entwicklungsphasen in die Konzeption der nachfolgenden ressourcenbasierten Strategiemodelle transferiert, was eine - in der Abbildung visualisierte - Kumulation des strategischen Wissens signalisiert. Die einzelnen Strategieformen lassen sich in komprimierter Form wie folgt anhand ihrer jeweiligen Fokussierung (Leistungen, Kunden Konkurrenten, Ressourcen, Kompetenzen) und der generischen Mission Statements charakterisieren. Produkt-Markt-Strategien ( → QR-Glossar) Diese kombinieren die beiden Entwicklungsstufen der Produktstrategien und der Marktstrategien. Im Fall von Strategien der Programmerweiterung - die für den weltweiten Wachstumstrend nach dem zweiten Weltkrieg typisch waren - werden die bestehenden Produkt-Markt-Kombinationen durch ▶ hinzukommende Produkte (Lines of Business, Baureihen, Categories), ▶ hinzukommende Märkte (Kunden, Regionen) oder beides erweitert. Die Konstellation „neue Produkte für neue Märkte“ wird als Diversifikation im engeren Sinne bezeichnet. Besteht zwischen den vorhandenen und den neuen Programmbausteinen ein Angebotsverbund (wie z. B. bei der Kraft-Wärme-Kopplung oder der Digital Convergence) oder ein Nachfrageverbund (z. B. komplementäre Konfigurationen aus Sachleistung und Dienstleistung wie z. B. Gerät, Zubehör, Wartung und Finanzierung), lassen sich Synergie-Effekte erzielen. Eine integrierte Corporate Strategy geht also einher mit einer Vielzahl von Business Strategies und einer überschaubaren Anzahl von Functional Strategies. Merksatz ▼ Epochen in der historischen Entwicklung Produkt- Strategien Kompetenz- Strategien Wettbewerbs- Strategien Markt- Strategien Ressourcen- Strategien LEIST UNGEN RESSOURCEN KONKURRENTEN KUNDEN KOMPET ENZEN Durch Leistungsangebote Nachfrage schaffen! Unternehmensspezifische Stärken auf- und ausbauen! Marktanteile durch Wettbewerbsvorteile erkämpfen! Kundennutzen für Marktsegmente generieren! Kernkompetenzen aufbauen! + + + + | Abb 14 Historische Entwicklung der Strategieformen Programmerweiterung <?page no="81"?> 82 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Im Falle einer unverbundenen Diversifikation dient die Diversifikation hingegen primär der Risikostreuung. Einen Extremfall bilden hier die Konglomerate, in deren Portfolio ( → QR-Glossar) sich beispielsweise sowohl Industriegüter als auch Luxushotels und Spielcasinos oder Stahlproduktion und Tourismus befinden. Neben den Erweiterungsstrategien sind auch Strategien der Programmbereinigung relevant, etwa wenn Unternehmen sich aus bestimmten Produktbereichen (z. B. Atomkraftwerke) oder Kundengruppen (z. B. Patienten mit gesetzlicher Krankenversicherung) zurückziehen. Wettbewerbsstrategien ( → QR-Glossar) Die Performance des strategischen Managements zeigt sich also darin, qualitativ besser, schneller, kundennäher, innovativer oder billiger zu sein als der Wettbewerb. Die Wettbewerbsvorteile werden in Leistungsvorteile (z. B. Differenzierungsstrategien) und Kostenvorteile (z. B. Kostenführerschaft) aufgeteilt, wie aus Abb. 15 hervorgeht. Zu diesen hybriden Wettbewerbsstrategien zählt etwa die Mass Customization: Mit Hilfe von Baukastensystemen werden hier Kostenvorteile durch die Massenproduktion von Komponenten erzielt, die dann zu kundenindividuellen Varianten konfiguriert werden und so zusätzlich zu den „Massevorteilen“ auch „Klassevorteile“ generieren. Mit Blick auf die Bearbeitung des Weltmarktes werden Leistungsvorteile meist über Strategien der Lokalisierung erzielt: Die Wettbewerbsstärke resultiert hierbei aus der Fähigkeit, für unterschiedliche Regionen geeignete Produkte (z. B. Baureihen für PKW) anzubieten, die auf die lokalen Kundenpräferenzen, rechtlichen Regulierungen, klimatischen Gegebenheiten oder Infrastrukturen angepasst sind. Den Kontrast hierzu bildet die Strategie der Globalisierung, bei der der Weltmarkt mit standardisierten Weltprodukten oder Commodities (z. B. Speicherchips, Weltautos, Freizeitbekleidung, Drucker, Unterhaltungselektronik) versorgt wird, wodurch sich Economies of Scale, Lernkurveneffekte, Fixkostendegressionseffekte und weitere Kostenvorteile nutzen lassen. Programmbereinigung Diversifikation Die in den 1990er Jahren entwickelten Wettbewerbsstrategien definieren die Erfolgspotenziale über Wettbewerbsvorteile (Competitive Advantages) gegenüber dem Wettbewerb, konkret gegenüber dem stärksten Konkurrenten. Definition ▼ Während längere Zeit empfohlen wurde, sich jeweils entweder auf Leistungs- oder auf Kostenvorteile zu konzentrieren, werden aktuell sequenzielle oder simultane Strategien der kombinierten Verfolgung von Leistungs- und von Kostenvorteilen propagiert. Definition ▼ Baukastensysteme Strategie der Globalisierung <?page no="82"?> 83 b a u s t e I n e d e s s t r a t e g I e s t r u K t u r - V e r b u n d s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Ressourcen- und kompetenzbasierte Strategien Erfolgspotenziale bestehen nicht hier nur in der Verfügbarkeit von Kapazitäten oder fachlichen Kompetenzen (z. B. Vertriebs-Know-how, Patente für Produktionsverfahren), sondern in spezifischen Kompetenzen, die möglichst vielseitig eingesetzt werden können. Zu diesen zählen zum einen Meta-Kompetenzen, etwa die Absorptionskapazität im Sinne der Fähigkeit, Wissen aus Kooperationen und Netzwerken zu erwerben. Zum anderen sind hier die Kernkompetenzen zu nennen: Sie schaffen nicht nur einen hohen Kundennutzen (Leistungsvorteil) und sind schwer zu kopieren, also imitationsresistent. Darüber hinaus lassen sie sich auch in einem breiten Spektrum von Geschäftsfeldern verwerten, etwa Betriebssysteme in einer Vielzahl von Electronic Devices, Antriebe in mehreren Fahrzeugbaureihen und Logistik-Know-how für die Beschaffungs-, Vertriebs- und Intralogistik in zahlreichen Industriezweigen. Alle Strategiekonzepte greifen zur Strategiefindung auf zahlreiche Methoden und Modelle zurück. ▶ Diese unterstützen einerseits die strategische Diagnose (Intelligence), etwa die Wettbewerber-Analyse (Competitor Intelligence), die Abweichungsanalyse (Gap-Analyse) oder die so genannte SWOT-Analyse von Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) eines Unternehmens Leistungsvorteile Kostenvorteile Spezialisierungsstrategien Hybridstrategien Volumenstrategien Fragmentierte strategien � Anlagengeschäft � Systemgeschäft � Lösungsgeschäft � ... Pattstrategien � Mass Customization � Outpacing � Simultanisierung � ... � Massengeschäft � Globalisierung � Produktgeschäft � ... | Abb 15 Spektrum der Wettbewerbsstrategien Meta-Kompetenzen Kernkompetenzen Im Plädoyer für diese Kernkompetenzen verschmelzen die Argumente aus dem Market Based View und aus dem Resource Based View. Merksatz ▼ Strategiefindung <?page no="83"?> 84 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation gekoppelt mit der Erfassung der Gelegenheiten (Opportunities) und Bedrohungen (Threats) im marktlichen, politischen, ökologischen, rechtlichen und technologischen Umsystem des Unternehmens. ▶ Andererseits stehen Tools zur strategischen Intervention zur Verfügung, etwa das Road Mapping. Eine klassische Methode sowohl für die Diagnose als auch die Intervention ist das Portfolio-Management ( → QR-Glossar). In einem Portfolio werden Erfolgspotenziale in einem zweidimensionalen Erfolgsdeterminanten-Raster aus einer Unternehmensdimension (z. B. Wettbewerbsposition) und einer Umsystemdimension (z. B. Marktdynamik) positioniert. Nach ihren Koordinaten kategorisiert man die Potenziale als besonders attraktiv (z. B. als Stars), als Quelle von Finanzierungsmitteln (Cash-Kühe) oder als Fragezeichen (z. B. innovative Produkte am Beginn des Lebenszyklus oder Nachwuchskräfte). Um innerhalb des gesamten Portfolios eine optimale Mischung, entweder zum Risikoausgleich oder für Synergien, zu erzielen, werden auf die Potenzial-Kategorien unterschiedliche Normstrategien der Investition (z. B. in Nachwuchsprodukte und Stars) oder der Desinvestition bzw. Abschöpfung (z. B. bei Cash-Kühen) angewendet. Handelt es sich um programmfokussierte Erfolgspotenziale, liegt ein Geschäftsfeld- Portfolio vor. Im Zusammenhang mit Humanressourcen, Produktionsstandorten oder Lieferanten geht es um Ressourcenportfolios. Da Ressourcen als Input in die Programmgestaltung fungieren, wurden zusätzlich Programm-Ressourcen-Portfolios entwickelt. In Gestalt von Technologie-Portfolios positionieren sie etwa vorhandenes Know-How und Patente anhand der Stärke der Technologie (z. B. Imitationsresistenz) und der Marktattraktivität (z. B. Restlaufzeit eines Patents). Den Zusammenhang zwischen den Dimensionen der drei Portfolio-Kategorien veranschaulicht Abb. 16. Info ▼ ▲ <?page no="84"?> 85 b a u s t e I n e d e s s t r a t e g I e s t r u K t u r - V e r b u n d s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Strategierelevante Konzepte der Organisationsgestaltung Grundsätzlich haben einige archetypische Organisationsformen wie z. B. die divisionale Organisation ( → QR-Glossar), Matrixorganisation oder Projektorganisation durchaus das Zeug zur strategiegerechten Organisation. Um alle strategierelevanten Organisationsformen abzudecken, ist jedoch eine zweifache Erweiterung des traditionellen Organisationsbegriffs erforderlich: Zusätzlich zu den unternehmensinternen (intraorganisationalen) Strukturformen besitzen die interorganisationalen Strukturen, sprich Partnerschaften und Netzwerke, eine hohe strategische Relevanz. Außerdem müssen die klassischen, durchweg auf Kooperation fokussierten Strukturkonzepte um kompetitive Organisationsformen erweitert werden. So werden beispielsweise Ausschreibungen und Auktionen als organisierte Wettbewerbsformen eingesetzt, um den günstigsten Lieferanten oder Abnehmer ausfindig zu machen. Um alle strategierelevanten interorganisationalen und kompetitiven Strukturen zu erfassen, reicht das traditionelle Modell der Unternehmensorganisation, also das durch Sekundärstrukturen wie die Projektorga- Programm- Portfolio Ressourcen- Portfolio Programm- Ressourcen- Portfolio h och niedrig h och niedrig h och niedrig niedrig h och h och niedrig niedrig h och Marktattraktivität Wettbewerbsposition Marktattraktivität Ressourcenstärke Zukünftige Ressourcenstärke Gegenwärtige Ressourcenstärke | Abb 16 Portfolio-Verbund | 3.2.4 Merksatz ▼ ▲ Wettbewerbsformen <?page no="85"?> 86 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation nisation ergänzte Organigramm nicht aus. Ähnliche Defizite weist das Markt-Hierarchie-Kontinuum auf: Es enthält zwar interorganisationale Organisationsformen, die in Gestalt von Quasi-Firmen, Lizenzverträgen, Joint Ventures, Wertschöpfungsgemeinschaften als hybride Organisationsformen zwischen den archetypischen Governance-Formen „Markt“ und „Unternehmung“ interpoliert werden. Es ist jedoch nicht in der Lage, die kompetitiven Organisationsformen abzudecken. Als Referenzmodell eignet sich hier das in Abb. 17 skizziert so genannte Value Net. Komplementoren im Sinne von Anbietern komplementärer Sachleistungen (z. B. Zubehörhersteller) und Dienstleistungen (z. B. Wartung, Logistik, Recycling, Financial Services, IT- Security) sind häufig auf einer eigenen Supply Chain angesiedelt. Zu den generischen Komplementoren, die unabhängig von dem konkreten Wertschöpfungsprozess immer in einem Value Net agieren, gehören Dienstleister für Zertifizierung, Auditierung und Qualitätssicherung, die als neutrale Drittparteien die Qualität, Compliance oder Umweltverträglichkeit der Wertschöpfung beurteilen. Ferner liefern Gerichte, Ombudspersonen, Schlichtungs- und Schiedsstellen koordinative Services für alle Beteiligten in Sachen Konfliktmanagement. An industriellen Wertnetzen sind in aller Regel Logistik-Dienstleister als Komplementoren beteiligt. Aus Sicht der Realwirtschaft fungieren zudem die Kreditwirtschaft und andere Anbieter von Financial Services als Komplementoren. Sie sind nicht zuletzt deshalb Bestandteil eines netzwerkförmigen Wertschöpfungssystems, weil die Kunden in der Regel keine Einzelleistungen, sondern Problemlösungen nachfragen, die aus komplementären Leistungskonfigurationen (z. B. Geräte und Zubehör, Hardware und Software, Geräte und Wartungsdienstleistungen, Produkte und Finanzierung) bestehen. Konkurrenten fungieren innerhalb eines Wertschöpfungsnetzwerks als Benchmarks, als implizite Partner in Gestalt von so genannten „guten Konkurrenten“ sowie als explizite Kooperationspartner für strategische Allianzen (z. B. Konsortien im Triebwerksbau oder für Hochgeschwindigkeitszüge). Als theoretische Basis des Value Net fungiert der Relational View, der nicht Produkte oder Ressourcen, sondern Geschäftsbeziehungen als Erfolgspotenziale betrachtet. Diese Business Relationships zwischen Unternehmen können durchaus in interpersonelle Beziehungen eingebettet sein. Der Organisationsbegriff des Value Net geht über das Organisationsverständnis der Institutionellen Ökonomie („Kontraktökonomie“) hinaus, das Organisation mit vertragsbasierten Arrangements (Governance-Forhybride Organisationsformen Das Value Net erfasst aus Sicht einer Bezugseinheit zusätzlich zu den in den etablierten Supply-Chain-Referenzmodellen enthaltenen Lieferanten und Kunden auch Komplementoren und Konkurrenten. Definition ▼ Komplementoren Konfliktmanagement Wertschöpfungssystem Konkurrenten Relational View <?page no="86"?> 87 s t r a t e g I e g e r e c h t e o r g a n I s a t I o n s f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation men) gleichsetzt. Neuere Ansätze des Business Relationship Managements erfassen auch nicht vertragsbasierte Geschäftsbeziehungen. Einen Klassiker hierfür repräsentiert die als Wintel bezeichnete Geschäftsbeziehung zwischen Microsoft und Intel, bei der Betriebssysteme (Windows-Versionen) einen Bedarf an leistungsfähigen Prozessoren für Rechner hervorrufen und deshalb eine Abhängigkeit zwischen dem Betriebssystem- und dem Prozessoren-Geschäft herstellen. Auch aktuelle Innovationen etwa bei der Energiewende oder der Elektromobilität sind nur dann erfolgreich, wenn es über funktionstüchtige Geschäftsbeziehungen zwischen den komplementären Anbietern gelingt, dass abgestimmte Kapazitäten für die Stromerzeugung (z. B. Windparks) und die Stromübertragung (Netze) sowie Elektrofahrzeuge und Tankstellen bereitgestellt werden. Strategiegerechte Organisationsformen Programm- und ressourcenfokussierte Organisationsformen Korrespondierend zu den beiden Fokussierungen von Erfolgspotenzialen kann man das Gesamtspektrum der strategiegerechten Strukturen in zwei Klassen differenzieren: Bei den programmfokussierten Strukturen geht es um Organisationsformen, die primär die absatzmarktgerichteten Erfolgspotenziale (Programm) unterstützen. Diese Strukturen dienen also der Implementierung von Produkt-Markt-, Supply Chain und Wettbewerbsstrategien. Konkurrenten Komplementoren Kunden Lieferanten Unternehmen | Abb 17 Value Net Microsoft und Intel Beispiel ▼ ▲ | 3.3 | 3.3.1 Definition ▼ programmfokussierte Strukturen <?page no="87"?> 88 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Traditionsreiche Varianten für programmfokussierte Organisationsformen sind die Divisionalisierung (zur Unterstützung von Diversifikationsstrategien) oder die Produkt-Regionen-Matrix für eine „zweigleisige“ Marktorientierung. Zu den neueren Entwicklungen gehören beispielsweise die Geschäftssegmentierung, die Tensor-Organisation sowie alle Bemühungen um die marktnah-flexible Führung der Geschäfte durch relativ autonome und autarke „Unternehmen im Unternehmen“ (z. B. Profit Center) bei gleichzeitiger Sicherung der Integrationsvorteile durch ein Corporate Center. Ressourcenfokussierte Strukturen unterstützen nicht die absatzmarktfokussierten Strategien, sondern die Bereitstellung von Ressourcen. Handelt es sich bei diesen Ressourcen um rein proprietäre Assets, eignen sich hierfür intraorganisationale Strukturen, z. B. die ressourcenfokussierte Konzernorganisation, die in der Primär- und / oder Sekundärorganisation entsprechende Zuständigkeiten für die Qualitätssicherung, Forschung und Entwicklung, das Wissensmanagement (z. B. themenzentrierte Communities of Practice) und Shared Services einrichtet. Im Fall von externen Ressourcen muss auf interorganisationale Organisationsformen zurückgegriffen werden, etwa Partnerschaften entlang der Supply Chain oder das Outsourcing von so genannten Managed Services. Programmfokussierte Organisationsformen Geschäftsfokussierte Segmentierung Grundsätzlich eignen sich die bekannten Standardstrukturen der objektorientierten Organisation ( → QR-Glossar) zur Unterstützung von programmfokussierten Strategien: Alle Produkte (erfolgskritische Sach- und Dienstleistungen mit dem Charakter von Stars, Cash Cows oder Nachwuchsprodukten), Kunden und Absatzregionen repräsentieren Erfolgspotenziale in Gestalt von Geschäftsfeldern. Die objektorientierte Organisation in Form einer produkt- oder kunden- oder geografisch divisionalisierten Geschäftsbereichsorganisation legt für jedes der Erfolgspotenziale eine dedizierte Zuständigkeit in Form eines Geschäftsbereichs (Business Unit, Sparte, Division) fest. Dies gilt für Produktgruppen, Baureihen, Kundengruppen, Großkunden (im Konsumgüter- und Dienstleistungsbereich auch als Key Accounts bezeichnet) und nationale Märkte oder Regionen aus mehreren nationalen Märkten wie z. B. den gesamten Die ressourcenfokussierten Strukturen bezwecken eine Unterstützung von ressourcen- und kompetenzfokussierten Strategien. Mit Hilfe dieser Organisationsformen sollen also die für die Geschäftstätigkeit erforderlichen Ressourcen bereitgestellt, die aus proprietären und aus externen Quellen stammenden Ressourcen konfiguriert und zur Leistungserstellung motiviert werden. Definition ▼ neuere Entwicklungen 3.3.2 | Beispiel ▼ ressourcenfokussierte Strukturen <?page no="88"?> 89 s t r a t e g I e g e r e c h t e o r g a n I s a t I o n s f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Auslandsmarkt (international Division), den EUbzw. Non-EU-Markt oder die Weltregionen (z. B. EMEA: Europe-Middle East-Africa, the Americas, Asia-Pacific). Für die Unterstützung der internationalen Geschäftstätigkeit werden Zuständigkeiten in der Rahmenorganisation (Konzernspitze, Headquarters), in regionalen Koordinationszentren (z. B. EMEA) und in den Auslandsstützpunkten(z. B. nationale Vertriebsgesellschaften, Tochterunternehmen) geschaffen. Die Geschäftsfokussierung über die klassischen divisionalen Organisationsformen wurde in Form einer Geschäftssegmentierung weiterentwickelt. Im Unterschied zur orthodoxen Divisionalisierung, die nur entweder mehrere Produkt-Divisions, Kundenbereiche oder Regionaleinheiten generiert, vollzieht sich die Geschäftssegmentierung insofern liberaler, als die einzelnen Business Units sowohl nach Produkt-, Kundenals auch Geografie- Merkmalen spezifiziert sein können: Neben einer Geschäftseinheit für Elektromobile finden sich dann beispielsweise Verantwortliche für das China- Geschäft und für Key-Accounts, z. B. Mietwagenunternehmen. Zum anderen werden Geschäfte nicht nur objektseitig definiert. Neben diesen Programm-Merkmalen spezifizieren auch Merkmale des Geschäftsprozesses, z. B. Seriengeschäft versus Projektgeschäft die zuständigen Business Units. Schließlich lassen sich die Geschäftssegmente auch durch die mit dem Geschäft verfolgten Wettbewerbsvorteile definieren, etwa das kostenfokussierte Volumengeschäft im Unterschiede zum kundenfokussierten Solutions- Geschäft. Mehrdimensionale Organisationsformen Sollen zwei Kategorien von programmseitigen Erfolgspotenzialen simultan und flächendeckend unterstützt werden, kommen zweidimensionale Matrix-Strukturen in Betracht. Handelt es hierbei um die weit verbreitete Produkt-Region-Matrix, umfasst deren Organigramm die Unternehmensleitung als Matrix-Leitung, die Matrix-Stellen, also die Produkt-Geschäftseinheiten und die geografischen Units (z. B. auf der Ebene des Konzerns, der Weltregionen oder der Landesgesellschaften) sowie die Matrix-Schnittstellen, also die Bereichsleiter in den lokalen Einheiten, deren Tätigkeitsbereich sowohl durch produktfokussierte als auch geografiefokussierte Daten determiniert ist. Beispiel ▼ ▲ ▲ ▲ Geschäftssegmentierung Definition ▼ Produkt-Region-Matrix <?page no="89"?> 90 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation In einer Produkt-Funktion-Matrix agiert ein Produkt-Matrix-Manager als Koordinator der Funktionsbereiche für seine Produktgruppe. Das Spektrum der Matrix-Varianten umfasst ferner die Funktion-Querschnittsfunktion-Matrix (z. B. Funktionsbereiche kombiniert mit Zuständigkeiten für Logistik, Umweltschutz und Qualitätssicherung) sowie die Funktion-Projekt-Matrixorganisation ( → QR-Glossar). Hier werden die Funktionsbereiche als permanent installierte Organisationseinheiten („Paläste“) kombiniert mit temporär installierten Projektzuständigkeiten („Zelte“). Um der matrixspezifischen Gefahr einer Innenorientierung zu begegnen, wurden Ansätze zu einer Verbesserung der Zeit- und Kosteneffizienz von Matrixstrukturen konzipiert. Hierzu zählt u. a. die Ersetzung einer symmetrischen Matrixorganisation durch eine asymmetrische Matrixorganisation. Während bei der symmetrischen Matrix-Konstruktion beide Matrix-Dimensionen gleichen Einfluss besitzen, überwiegt bei der asymmetrischen Projekt- Funktion-Matrix beispielsweise die Projektdimension, wenn die Projektverantwortlichen als so genannte Schwergewichtsprojektmanager ausgestattet sind. Dadurch lassen sich schwerfällige Abstimmprozesse beschleunigen. Verteilen sich die Erfolgspotenzial auf mehr als zwei Objektkategorien, also auf Funktionen (fachliche Kompetenzen), auf Produkte und auf Regionen, kommt eine dreidimensionale Organisationsstruktur zum Einsatz, die auch als Tensor-Organisation bezeichnet wird. Center-Organisation Strategiegerechte Organisationsformen sind häufig insofern modular aufgebaut, als sie aus flexiblen Modulen und integrativen Modulen bestehen. Flexibilität und Integration stehen für die strategiespezifischen Performance-Kriterien (vgl. Abb. 18). In einer Produkt-Region-Matrix fungieren z. B. die Produkteinheiten als integrative Module, die für Globalisierungsvorteile, etwa weltweite Standardisierung, zuständig sind. Demgegenüber sind die regionalen Units für Flexibilität via Lokalisierung verantwort- Produkt-Funktion-Matrix Funktion-Querschnittsfunktion-Matrix Funktion-Projekt- Matrixorganisation Eine Stärke der Matrix ist die Innovativität als Resultat des produktiven Spannungsverhältnisses zwischen zwei Formen der Erfolgsorientierung. Eine zentrale Schwäche ist die Innenorientierung im Gefolge des Konfliktpotenzials zwischen den beiden Erfolgsfaktoren: Jede der beiden Matrix- Dimensionen beschäftigt sich intensiv mit der anderen Dimension und vernachlässigt deshalb die (strategisch erfolgskritische) Außenorientierung an Kunden oder Konkurrenten. Merksatz ▼ Definition ▼ Tensor-Organisation ▲ <?page no="90"?> 91 s t r a t e g I e g e r e c h t e o r g a n I s a t I o n s f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation lich. Eine spezielle modulare Organisationsform kombiniert mehrere geschäftsverantwortliche Business Center (flexible Module) mit einem integrationsverantwortlichen Corporate Center, das als Koordinator der Business Center fungiert: Im Rahmen einer solchen strategischen Center-Organisation optimieren die Business Center den jeweiligen Geschäftserfolg, während sich das Corporate Center um die Performance des gesamten Geschäftsfeld-Portfolios kümmert, nicht zuletzt mit Blick auf Synergien. Die strategisch ausgerichtete Center-Organisation ist nicht identisch mit der bekannten Profit-Center-Organisation: Diese bezweckt einseitig eine Flexibilisierung der Geschäftsaktivitäten mithilfe von autonomen und autarken Business Centern, ohne für die Integrationsperformance zu sorgen. Faktisch kommt in der Center-Organisation noch eine dritte Center- Kategorie hinzu, die so genannten (internen) Service-Center, wie Abb. 18 veranschaulicht. Die Flächen der drei „Ringe“ in Abb. 18 spiegeln die personelle Besetzung der drei Center-Typen wider und sind gleichzeitig ein Indikator für die bestehende Machtverteilung: Umfangreiche Corporate Center und Service Center kennzeichnen zentralisierte Unternehmen, die den geschäftsführenden Business Centern relativ wenig Autarkie (dedizierte Ressourcenausstattung) und Autonomie (Entscheidungsbefugnisse) belassen. Demgegenüber schaffen schlanke Corporate Center, die nur auf minimale Shared Services zurückgreifen, die Voraussetzung für eine flexible Geschäftsführung durch die autarken und autonomen Business Center. Info ▼ strategische Center-Organisation Flexibilisierung der Geschäftsaktivitäten ▲ Corporatecenter Businesscenter Servicecenter | Abb 18 Center-Organisation <?page no="91"?> 92 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Zu diesen Shared Services zählen z. B. die Einheiten, die die Informationsversorgung, Finanzierung, Logistik, Mitgliederauswahl und -beratung, das Controlling oder administrative Funktionen bewerkstelligen. Die strenge modulare Konstruktion zwischen den drei Center-Typen wird häufig dadurch aufgeweicht, dass ein und dasselbe Center simultan zwei Rollen übernimmt: Einige Service-Bereiche wie z. B. das Controlling oder die Rechtsabteilung sind deshalb simultan dem Corporate Center und den internen Service-Centern zuzuordnen. Im Fall der Service-Business- Center entwickelt ein interner Dienstleister aus seinen internen Diensten ein Geschäft, mit dem auch externe Kunden bedient werden. Er wendet er sich folglich an zwei Kundengruppen mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen. Ein Business-Service- Center bearbeitet nicht nur ein Geschäftsfeld, sondern stellt dem Konzern darüber hinaus eine spezifische, meist wissensintensive Dienstleistung zur Verfügung. Hierbei handelt es sich in der Regel nicht um die Leistung, die das Geschäft des Business Centers definiert. Vielmehr besteht die interne Dienstleistung oft ist einer speziellen Kompetenz, die im Zusammenhang mit dem Geschäft steht. Beispielsweise kann eine Geschäftseinheit diese Kompetenz erworben haben im Zusammenhang mit neuen Automatisierungstechnologien, dem E-Business, einem intensiven Auslandsgeschäft oder der Durchführung von Sustainability-Projekten. Das Corporate Center verleiht nun diesem Business- Center den Status eines Kompetenz- Zentrums: Dieser Geschäftsbereich fungiert dann im Rahmen eines Single Sourcing als einziger interner Lieferant dieser Dienste. Durch diese „dezentrale Zentralisation“ bestimmter Aufgaben auf dezentrale Einheiten in der Peripherie statt in einem Zentrum wird der Aufbau von Gemeinkosten vermieden. Bei einem Corporate-Business- Center ist der Vorstand eines Unternehmens gleichzeitig für die Geschäftsführung eines bestimmten Geschäftsbereichs verantwortlich. Oft handelt es sich hierbei um das Stammgeschäft, Die Business Center erstellen die Wertschöpfung, die an die jeweiligen Absatzmärkte abgegeben wird. Bei den Service Centern handelt es sich um interne Dienstleister, die (sekundäre) Unterstützungsaufgaben für die eigentlichen (primären) Wertschöpfungsprozesse übernehmen. Bei den Service-Corporate-Centern handelt es sich um die häufigste Variante derartiger bifunktionaler oder hybrider Center: Diese Mischung resultiert unmittelbar aus der Positionierung von Service-Centern. Sie sollen ja gleichzeitig die Unternehmensleitung und die Geschäftseinheiten unterstützen. Definition ▼ Definition ▼ Service-Business-Center Business-Service-Center Beispiel ▼ ▲ Corporate- Business-Center <?page no="92"?> 93 s t r a t e g I e g e r e c h t e o r g a n I s a t I o n s f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation etwa im Fall einer kürzlich eingerichteten Holding-Struktur. Eine solche Personalunion ist zwar kostengünstig. Allerdings lassen sich die Konflikte zwischen fokussierter Geschäftsverantwortung und neutraler Portfolio- Verantwortung nur schwer konstruktiv lösen. Ressourcenfokussierte Organisationsformen Hierarchische Organisationsformen: Konzernorganisation Häufig wird jedwede Organisation von Unternehmen als „Hierarchie“ bezeichnet. Nicht jede Konzernorganisation verdient allerdings das Prädikat „strategiegerechte Organisation“. Klassische zentralistische Konzernstrukturen sorgen einseitig für Integrationsvorteile, vernachlässigen jedoch die für die Führung der unterschiedlichen Geschäfte erforderliche Flexibilität, etwa Marktnähe und Reaktionsgeschwindigkeit. In welchem Umfang sich durch diese Funktionsteilung Integrations- und Flexibilitätseffekte erzielen lassen, hängt vom jeweiligen Holding-Typ ab. Wie Abb. 19 veranschaulicht, werden drei Holding-Typen unterschieden, die durch jeweils unterschiedliche Verteilungen der Zuständigkeiten (Kompetenzen) auf Dachgesellschaft und Beteiligungen definiert werden. Die Finanzholding sieht in den Beteiligungen primär ein Portfolio von Finanzanlage-Objekten. Sie nimmt keinen Einfluss auf Geschäftsstrategien oder das operative Management der Geschäftsprozesse, was der | 3.3.3 Mit so genannten Holding-Strukturen gelingt eine bessere Balance von Integration und Flexibilität: Hier beteiligt sich das Corporate Center als Dachgesellschaft an geschäftsführenden Beteiligungsgesellschaften, ohne selbst Geschäfte am Markt zu betreiben. Definition ▼ Hierarchie Holding-Typen Holding-Strukturen Holdingtyp Kompetenzen Finanz- Holding Management- Holding Operative Holding Kompetenzspektrum der Holding Allokation von Finanzressourcen auf die Beteiligungen Portfolio-Management/ Top-Management- Positionen Richtlinien für Geschäftsprozesse Kompetenzspektrum der Beteiligungen Finanzierung & Investition Geschäftsfeldstrategie Operative Geschäftsführung | Abb 19 Typen der Holding-Organisation Finanzholding <?page no="93"?> 94 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Flexibilität des Gesamtkonzerns zugutekommt. Im Rahmen des Portfolio- Managements investiert oder desinvestiert sie in die Beteiligungsfirmen, wobei auch das Instrument der Innenfinanzierung, etwa die Quersubventionierung von Nachwuchsprodukten durch Cash-Kühe, genutzt wird. Die operative Management-Holding maximiert hingegen ihren Einfluss, um dadurch Integrationsvorteile zu erzielen, was allerdings die Flexibilität der Beteiligungen einschränkt. Das Kompetenzspektrum der Dachgesellschaft erstreckt sich nicht nur auf die Corporate Strategy und die Business Strategies, sondern steuert das operative Management der Geschäfte durch zentral fixierte Richtlinien für die Geschäftsprozesse in den Beteiligungsunternehmen. Im Mittelfeld ist die strategische Management-Holding angesiedelt, die in ausgewogener Form für Integration und Flexibilität sorgt. Die Integrationseffekte werden vornehmlich durch die (Mit-)Bestimmung beim Geschäftsfeld-Portfolio sichergestellt: Geschäftsstrategien fallen also sowohl in den Zuständigkeitsbereich der Holding als auch der Beteiligungen. Das flexible Umsetzen der Geschäftsstrategien obliegt ausschließlich den Business Centern. Darüber hinaus nimmt die Dachgesellschaft Einfluss durch Besetzung von Top Management-Positionen und deren Vernetzung, häufig durch eine Personalunion von Mitgliedern in Aufsichtsräten und Vorständen (so genannte Interlocking Directorates). Kooperative Organisationsformen: Allianzen und Partnerschaften Die Allgegenwart von interorganisationalen Formen der Zusammenarbeit signalisiert, dass a) zahlreiche Strategien eine sehr umfangreiche Ressourcen- und Kompetenzbasis benötigen, b) einzelne Unternehmen infolge einer Spezialisierung und Konzentration auf Kernkompetenzen nicht über diese Ressourcen verfügen und c) die Kosten der Kooperation, sprich der Integration und Angleichung ebenso wie die Opportunitätskosten von Lock-ins, als niedriger angesetzt werden als die Kosten einer Konkurrenz. Diese Umstellung von Konkurrenz auf Kooperation wird beispielsweise in dem Slogan „If you can’t beat them, join them! “ eingefangen. Kooperationsformen werden zum einen durch die Konfiguration der Partner (und deren Ressourcen) determiniert. Unter Rückgriff auf das Value Net (vgl. Abb. 6) kann man hier vertikale und horizontale Kooperationen unterscheiden. Info ▼ ▲ If you can’t beat them, join them! <?page no="94"?> 95 s t r a t e g I e g e r e c h t e o r g a n I s a t I o n s f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Bei den vertikalen Kooperationen entlang der Supply Chain kann es sich aus Sicht des Bezugsunternehmens einerseits um die Zusammenarbeit mit Downstream-Partnern handeln, also etwa mit intermediären Absatzmittlern (z. B. Vertriebspartnern) oder mit dem Endkunden, was häufig als Co-Production oder Co-Creation bezeichnet wird. Das Outsourcing liefert vielfältige Beispiele für die Kooperation mit Upstream- Partnern, etwa System- und Komponentenlieferanten oder Providern von IT-Services. ▶ Für die horizontalen Kooperationen mit Konkurrenten hat sich die Bezeichnung strategische Allianzen eingebürgert. Die ebenfalls horizontal positionierte Zusammenarbeit mit Komplementoren ist weit verbreitet, auch wenn diese Geschäftsbeziehung häufig nicht durch Verträge (z. B. über Verrechnungspreise für die Vermittlung von Kunden) geregelt wird. Das Management dieser Complementor Relationships wird deshalb häufig nicht dem Kooperations-, sondern dem Netzwerkmanagement zugerechnet, das nicht zwangsläufig auf formellen Vereinbarungen beruhen muss. Aus der Sicht des Relational View geht es bei allen Kooperationsformen um Varianten eines Business Relationship Management, die im Value Net (vgl. Abb. 6) verortet werden können. Hier zeichnen sich das Customer Relationship Management und das Supplier Relationship Management durch einen deutlich höheren Reifegrad aus als das Complementor und das Competitor Relationship Management. Kompetitive Organisationsformen: Organisierter Wettbewerb Parallelverhandlungen werden von einem Abnehmer oder Anbieter in Form mehrerer bilateraler Verhandlungen mit zwei oder mehr Parteien geführt. Hierbei fungiert das Ergebnis einer Verhandlung als Vergleichsmaßstab (Eingangsforderung) für die nachfolgenden Verhandlungen. Ausschreibungen bezwecken eine kompetitive Reihung von Anbietern nach mehreren Leistungskriterien (wie z. B. Qualität, Servicegrad) zur Erfüllung eines ausgeschriebenen Auftrags. Sie wird nicht nur von öffentlichen Auftragvertikale Kooperationen horizontale Kooperationen Komplementoren Kooperationsbeziehungen unterscheiden sich signifikant durch den Grad der Enge der Kooperation. Enge, also hoch interdependente („eheähnliche“) Kooperationen zeichnen sich vor allem durch Langfristigkeit, Kapitalverflechtungen (z. B. gegenseitige Beteiligungen), zahlreiche Kooperationsobjekte (z. B. Produkte, Märkte, Technologien), umfangreiche Formalisierung durch Verträge und die Exklusivität der Zusammenarbeit aus. Merksatz ▼ Neben den gewachsenen Formen der Konkurrenz existieren mehrere organisierte Formen, bei denen der Wettbewerb auf der Basis einer koordinativen Infrastruktur vonstattengeht, die u. a. Wettbewerbsregeln, transparenzschaffende Informationssysteme sowie eine Wettbewerbsorganisation (z. B. Wettbewerbsveranstalter und neutrale Drittparteien) umfasst. Merksatz ▼ Ausschreibungen <?page no="95"?> 96 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation gebern (z. B. Bauvorhaben, Forschungsmittel), sondern verstärkt auch von privaten Abnehmern in Gestalt von Entwicklungs- und Produktionsaufträgen vergeben. Auktionen sollen den preislich attraktivsten Abnehmer oder den günstigsten Anbieter ermitteln. Sie finden zunehmend auf digitalen Marktplätzen statt, die von einzelnen Unternehmen, von Anbieterkooperationen (z. B. Beschaffungskooperationen) oder von Drittparteien (z. B. Supplyon, Chemconnect) betrieben werden. Ideen- und Konzeptwettbewerbe fokussieren die Innovativität als Leistungsmerkmal. Dual Sourcing bezeichnet grundsätzlich die Strategie eines Käufers, eine Ressource bei zwei Lieferanten zu beschaffen, wobei die beiden Bezugsquellen nicht additiv, sondern alternativ gekoppelt werden. Bifokale Organisationsformen: Netzwerkorganisation und virtuelle Unternehmen Einige Organisationsformen sind nicht einseitig entweder auf Programmunterstützung oder auf Ressourcennutzung fokussiert, sondern unterstützen beide Erfolgspotenziale in ausgewogener Art und Weise. Zu diesen bifokalen Organisationsformen zählen einige flexible Konzernstrukturen, bei denen sich „Unternehmen im Unternehmen“ (z. B. autonome und autarke Business Center) über interne Märkte koordinieren oder bei denen mikroorganisatorisch Business Teams sowohl eine Marktorientierung als auch eine Mitarbeiterorientierung ermöglichen. Rein formal handelt es sich bei den bifokalen organisatorischen Netzwerken um Gebilde aus zahlreichen Organisationseinheiten und Beziehungen. Während diese Beziehungen im Sinne von Links die Netzwerke im weiteren Sinne definieren (z. B. Aktions-Reaktion-Beziehungen zwischen Oligopolisten oder Wintel), setzen Netzwerke im engeren Sinne einen höheren Integrationsgrad („Fit“) voraus, der sich z. B. in gemeinsamen Zielen, Spielregeln und einer Netzwerkkultur niederschlägt, wie Abb. 20 verdeutlicht. Netzwerke basieren dabei nicht auf demselben organisatorischen Konstruktionsprinzip wie Kooperationen. Kooperationen repräsentieren durchweg Versuche der Komplexitätsreduktion durch Schaffung eines weitreichenden Fit zwischen den Partnern. Diesem Zweck dienen vor allem strenge Aufnahmebedingungen („handverlesene Partner“), das Exklusivitätsgebot, die konse- 3.3.4 | Ideen- und Konzeptwettbewerbe flexible Konzernstrukturen Interorganisationale Unternehmensnetzwerke zeichnen sich ebenfalls durch Bifokalität aus. Hierzu zählen etwa Zuliefernetzwerke, Vertriebsnetzwerke (z. B. Franchise-Systeme, Handelsketten), Business Webs (im E-Business), Ecosystems (vor allem in der IT-Branche), Verbundgruppen (im Handel), Verbände, etwa Branchenverbände oder Berufsverbände, Foundations (z. B. Wikimedia, Linux), Communities, Social Networks (z. B. Facebook), Entwickler- Communities (z. B. Apache, Mozilla) und Cluster (z. B. Silicon Valley, Packaging Valley). Definition ▼ Kooperationen <?page no="96"?> 97 s t r a t e g I e g e r e c h t e o r g a n I s a t I o n s f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation quente Abschottung gegenüber dem „Rest der Welt“ und die Vermeidung von Wettbewerb unter den Kooperationspartnern. Diese Komplexitätsreduktion entspricht jedoch nicht dem Wesen der Vernetzung, die auch den gewachsenen (emergenten) Wettbewerb unter Partnern zulässt oder Spielregeln für einen gemachten, kanalisierten Wettbewerb definiert. Für einige der interorganisationalen Strukturen spielt die informationstechnologische Infrastruktur, allen voran das Internet, eine wichtige Rolle als Befähiger („Enabler“). Man spricht hier von virtuellen Organisationsformen, die das Enterprise 2.0, die Open Source-Strukturen, die Peer Production und andere Entwicklungen im Strategie-Struktur-Verbund prägen. Die Internet-Infrastruktur erlaubt ferner auktionsbasierte Transaktionen mit einer deutlich größeren Reichweite an Teilnehmern als bei konventionell-physischen Auktionen. Internet-Infrastrukturen ermöglichen zudem eine kostengünstige Integration von Kunden, vor allem in die Pull-Steuerung von Transaktionen (die Online vom Kunden angestoßen werden), in das Self-Customizing, die Co-Creation und in die Customer Intelligence, wo Informationen Integrationsgrad Kulturelle Gemeinsamkeiten Geflecht bilateraler Beziehungen Personelle Verflechtung Austauschbeziehungen Interdependenz von Wettbewerbern Vernetzung = Fitting Vernetzung = Linking Netzwerkorganisation im weiteren Sinn Netzwerkorganisation im engeren Sinn Netzwerkziele Netzwerkspielregeln Begriffs- Spezifikation | Abb 20 Netzwerkorganisation im engeren und weiteren Sinne Während sich Netzwerke also durch Koopkurrenz und damit einen geringeren Integrationssowie Interdependenzgrad (z. B. infolge einer Offenheit) auszeichnen, ist hohe Integration und enge, exklusive Verbindung ein typisches Erkennungsmerkmal von Kooperationen. Merksatz ▼ Virtuelle Strukturen überwinden dadurch die Grenzen konventioneller Organisation, dass Akteure eine asynchrone, ortsunabhängige und interorganisationale Telekooperation praktizieren. Merksatz ▼ Auktionen virtuelle Organisationsformen <?page no="97"?> 98 s t r a t e g I e n u n d s t r u K t u r e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation über Bedürfnisse und Verhaltensmuster nicht durch aufwändige Marktforschung, sondern unter Mitwirkung des Kunden etwa durch Auswertung von Clickstreams und über Datamining gewonnen werden können. Konkret können virtuelle Strukturen drei typische Grenzen konventioneller Organisationsformen überwinden, wie Abb. 21 veranschaulicht. In virtuellen Projektteams kooperieren zahlreiche globale und über die Zeitzonen verstreute Mitglieder. Diese Reichweite differenziert ebenfalls die virtuellen Communities von den Communities of Practice, die sich in der Regel im Face-to-Face-Modus austauschen und deren Mitglieder nur aus einem Unternehmen stammen. Auch das Spektrum der virtuellen Intermediäre, die meist als Cybermediäre bezeichnet werden, ist sehr breit. Cybermediäre bringen ihre Vermittlungsdienste beispielsweise ein über das Betreiben von Internet-Plattformen für das Ideenmanagement (z. B. Innocentive), für die Bereitstellung von Services (z. B. Mechanical Turk) sowie von Manpower (z. B. Crowdflower). Bei den virtuellen Unternehmen lassen sich die unterschiedlichen Varianten danach spezifizieren, wie viele der drei Virtualisierungsdimensionen aus Abb. 21 vorliegen. Wenn man diese drei Dimensionen nach den offensichtlichen Ähnlichkeiten in ihrer Genese zu zwei Virtualisierungsdimensionen verdichtet, ▶ zum einen in die durch IT-Enabling entstandene raum-zeitliche Virtualisierung und Räumliche Virtualität Zeitliche Virtualität Interorganisationale Virtualität � Anyplace � Verteilt � Remote/ Distant � Telekooperation � Flexi-Space � Mobil � ... � Anytime � Entkoppelt � Asynchron � Flexi-Time � ... � „Anybody“ � Grenzenlos � Grenzüberschreitend � Ressourcen-Sharing � Virtuelle Größe � Flexi-Contract ... Abb 21 | Dimensionen der Virtualisierung Zu allen konventionellen Formen der strategiegerechten Organisation gibt es virtuelle Varianten. Merksatz ▼ virtuelle Communities Beispiel ▼ ▲ Virtualisierungsdimensionen <?page no="98"?> 99 s t r a t e g I e g e r e c h t e o r g a n I s a t I o n s f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ zum anderen in die durch grenzüberschreitende Wertschöpfung entstandene interorganisationale Virtualisierung, dann ergeben sich die drei Varianten virtueller Unternehmen: Für die konventionellen interorganisationalen Netzwerke, also Franchising- Systeme, Outsourcing-Partnerschaften, ARGEs oder Konsortien, ist die IT-Infrastruktur nicht obligatorisch, sondern lediglich fakultativ. Die zweite Variante virtueller Unternehmen besteht aus Dotcoms und Digitalen Märkten, die zwar ihre Geschäftstätigkeit auf die IT-Infrastruktur fokussieren, jedoch keine interorganisationale Strukturen nutzen. Die virtuellen Netzwerke als dritte Variante kumulieren beide Formen und nutzen alle Vorteile der Virtualisierung. 1 Wie wirkt sich das E-Business auf den Stellenwert von Beschaffungs- und Vertriebsabteilungen in Unternehmen aus? 2 Welche Anforderungen stellen Strategien des Unternehmenswachstums an wachstumsgerechte Organisationsformen? 3 Durch welche organisatorischen Ansätze kann man die Konzeption und Implementierung kundengerechter Leistungsprogramme unterstützen? 4 Welche Faktoren sorgen für einen hohen Stellenwert von Komplementoren? 5 Durch welche Strukturen lässt sich die internationale Geschäftstätigkeit eines Unternehmens unterstützen? 6 Welche organisatorischen Bausteine eines Franchise-Systems haben den Charakter von Kooperationsbeziehungen, welche von Netzwerkbeziehungen? Die Antworten finden Sie auf unserer Web-Service-Seite zum Buch. Fragen ▼ ▲ a mitaBh , m. / G upta , r. h.: Research in strategystructure-performance construct: Review of trends, paradigms and methodologies, in: Journal of Management & Organization 16 (2010) 5, p. 744-763 B ea , f. X. / h aaS , J.: Strategisches Management, 6. Aufl., Konstanz-München 2013 B ea , f. X. / G öBel , e.: Organisation, 4. Aufl., Stuttgart 2010 f aulKner , d. o. / c ampBell , a. (Hrsg.): The Oxford Handbook of Strategy, Bd. 1 &2, Oxford 2006 G rant , r. m. / n ippa , m.: Strategisches Management, 5. Aufl., München 2009 K utSchKer , m. / S chmid , S t .: Internationales Management, 7. Aufl., München - Wien 2011 m acharzina , K. / W olf , J.: Unternehmensführung, 8. Aufl., Wiesbaden 2012 S cheWe , G.: Unternehmensstrategie und Organisationsstruktur, in: Die Betriebswirtschaft 59 (1999), S. 61-75 W elGe , m. K. / a l -l aham , a.: Strategisches Management, 6. Aufl., Wiesbaden 2011 W olf , J.: Strategie und Struktur, in: Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 4. Aufl., Stuttgart 2004, Sp. 1374-1382 z enteS , J. / S WoBoda , B. / m orSchett , d. (Hrsg.): Kooperationen, Allianzen und Netzwerke, 2. Aufl., Wiesbaden 2005 Literatur <?page no="99"?> 100 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollen den Begriff M & A verstehen und wissen welche Arten von Transaktionen darunter fallen. ▶ Sie sollen verschiedene Kategorien von Unternehmenszusammenschlüssen kennen ▶ Sie sollen verschiedene Motive von M & A Transaktionen nennen können. ▶ Sie sollen die verschiedenen Phasen von M & A Transaktionen beschreiben können. ▶ Sie sollen wesentliche Erfolgsfaktoren erfolgreicher Fusionen benennen können. ▶ Sie sollen verschiedene Messmethoden von M & A Transaktionen nennen können. ▶ Sie sollen wissen, wie die Balanced Scorecard im Rahmen des PMI-Managements genutzt werden kann. Struktureller und organisatorischer Wandel durch M & A-Aktivitäten 4 | Inhalt Lernziele ▼ 4.1 Definition 4.2 Kategorisierung 4.3 Motive 4.4 Phasen von M & A 4.5 Erfolgsmodelle der Post Merger Integration 4.6 Erfolgsmessung von Mergers & Acquisitions 4.7 Zur Verwendung der BSC im PMI Management ▲ <?page no="100"?> 101 d e f I n I t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Definition Das Begriffspaar M(ergers) & A(cquisitions) ( → QR-Glossar) und dessen Bestandteile werden in der Literatur meist synonym mit vielen anderen Begrifflichkeiten verwendet, wie z. B. Transaktion, Zusammenschluss, Fusion, Akquisition, Übernahme, Beteiligung etc. Häufig wird der Begriff als Sammelbegriff verwendet, der Kooperationsformen wie Kartelle, strategische Allianzen und Joint Ventures umfasst (vgl. Rademacher 2011, S. 10 ff.). Unter das Verständnis von M & A im weiteren Sinne fallen auch Unternehmenskooperationen. Dazu gehören strategische Kooperationen wie etwa Joint Ventures oder strategische Allianzen, sowie andere Kooperationsformen, wie z. B. Konsortien oder Kartelle. Die Partner der Unternehmenskooperationen sind allerdings durch wirtschaftliche und rechtliche Selbständigkeit gekennzeichnet und fallen dadurch nicht unter den engeren M & A Begriff. Versteht man M & A ( → QR-Glossar) im engeren Sinne, so kommt es dabei zu einem Übergang von Weisungs- und Kontrollrechten an einem Unternehmen, was zu Verlust von wirtschaftlicher und evtl. rechtlicher Selbständigkeit führt. In diesem Rahmen beschreibt Acquisition den Erwerb von Beteiligungen an Unternehmen, unabhängig vom Beteiligungsgrad. Die Akquisition erfolgt durch Kauf von Gesellschaftsanteilen (share deal) oder als Übertragung sämtlicher Wirtschaftsgüter des Zielunternehmens (asset deal). Merger beschreibt die Fusion von zwei bisher rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen, wobei mindestens ein Unternehmen seine rechtliche Selbständigkeit aufgibt. Unterschieden werden kann dabei zwischen einer Fusion durch Neugründung, oder Fusion durch Aufnahme (vgl. Hinne 2003, S. 5 f.; Wirtz 2003, S. 13, Rademacher 2011, S. 11, Picot 2012, S. 26). | 4.1 Allgemein umfasst der Begriff M & A sämtliche Vorgänge, die zu Veränderungen der Eigentumsverhältnisse am Eigenkapital von Unternehmen führen. Definition ▼ Definition ▼ ▲ Acquisition Merger Unternehmenskooperationen <?page no="101"?> 102 s t r u K t u r e l l e r u n d o r g a n I s a t o r I s c h e r w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Kategorisierung M & A Transaktionen lassen sich nach verschiedenen Kriterien kategorisieren. ▶ Eine erste Unterscheidung kann nach dem leistungswirtschaftlichen Zusammenhang der Unternehmen erfolgen. Verbinden sich Unternehmen auf der gleichen Produktionsstufe, so bezeichnet man dies als horizontalen Zusammenschluss (vgl. Grill 2011, S. 18 f., Gaughan 2002, S. 13). Horizontale Zusammenschlüsse können wettbewerbsschädliche Effekte nach sich ziehen, insbesondere, wenn die Transaktionen zwischen Unternehmen mit großer Marktmacht stattfinden. Negative Auswirkungen sollen durch kartellrechtliche Kontrollen vermieden werden (Gaughan 2002, S. 13 f.). ● Bei vertikalen Zusammenschlüssen verbinden sich Unternehmen vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen. Die Integration vorgelagerter Produktionsstufen dient z. B. der Versorgung mit Vorprodukten oder Rohstoffen. Man spricht in diesem Fall von der Rückwärtsintegration. Mit Vorwärtsintegration meint man folglich die Akquisition von Unternehmen nachgelagerter Wertschöpfungsstufen (vgl. Stein 1992, S. 9). ● Als Konglomerat bezeichnet man Zusammenschlüsse von Unternehmen, die in keinerlei leistungswirtschaftlichen Zusammenhang stehen (vgl. Grill 2011, S. 18 f.). ▶ Eine weitere Kategorisierung kann im Hinblick auf die Finanzierung vorgenommen werden. Dabei unterscheidet man üblicher Weise zwischen Außen- und Innenfinanzierung, sowie eigen- und fremdkapitalbasierter Finanzierung. Mergers & Acquisitions im weiten Sinne Unternehmenskooperationen M&A im engen Sinne Die Unternehmen arbeiten freiwillig zusammen und bleiben rechtlich und in den nicht von der Kooperation betroffenen Bereichen auch wirtschaftlich selbstständig Die Unternehmen verlieren ihre wirtschaftliche und mindestens ein Unternehmen seine rechtliche Selbstständigkeit Strategische Kooperationen � Joint Venture � Strategische Allianz Weitere operative Kooperationen � Konsortium � Kartell etc. Akquisitionen � Asset Deal � Share Deal Merger � Fusion durch Aufnahme � Fusion durch Neugründung Abb 22 | Wesentliche Erscheinungsformen von M & A (In Anlehnung an Rademacher 2011, S. 11.) 4.2 | vertikale Zusammenschlüsse Konglomerat Finanzierung Außen- und Innenfinanzierung eigen- und fremdkapitalbasiert <?page no="102"?> 103 m o t I V e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Eine weitere Differenzierung ist nach der Übernahmetechnik möglich. Man unterscheidet zwischen der so genannten freundlichen Übernahme (friendly takeover) und der feindlichen Übernahme (hostile takeover). Eine freundliche Übernahme resultiert aus Verhandlungen zwischen dem Interessenten und dem Management des Akquisitionsobjekts. Feindliche Übernahmen sind ein Phänomen bei Kapital- und Aktiengesellschaften, bei denen Eigentümer- und Managementfunktion auseinander fallen und ein Interessenkonflikt entstehen kann. Ein Investor, der beabsichtigt, ein Unternehmen zu kaufen, kann sich direkt an die Eigentümer des Unternehmens wenden (in der Regel mit einem öffentlichen Übernahmeangebot), ohne die Einwilligung des Managements des Übernahmekandidaten eingeholt zu haben (vgl. Bauer 2011, S. 15). Motive Reale Zusammenschlussmotive Zu den realen Zusammenschlussmotiven gehören: ▶ Synergieeffekte ▶ Diversifikation / Risikominimierung ( → QR-Glossar) ▶ Größere Marktmacht ▶ Verbesserung der Managementleistung Zu den Synergieeffekten gehören z. B. Kosten und Umsatzvorteile, die auf Unternehmenszusammenschlüsse bzw. -übernahmen zurückzuführen sind. Durch die Zusammenlegung bisher getrennter Unternehmensbereiche oder Funktionen bisher getrennter Unternehmen, wie der Verwaltung oder der Produktion können Doppelarbeit vermieden und Kosten eingespart werden (vgl. Kurz 2006, S. 8). Ein weiterer Kostenvorteil durch Zusammenschlüsse ist die resultierende Unternehmensgröße und die | 4.3 | 4.3.1 Leistungswirtschaftlicher Zusammenhang Finanzierung Übernahmetechnik � Horizontaler Zusammenschluss � Vertikaler Zusammenschluss � Konglomerat � Friendly takeover � Hostile takeover � Außenfinanzierung � Innenfinanzierung � Eigenkapitalbasierte Finanzierung � Fremdkapitalbasierte Finanzierung | Abb 23 Kategorisierungsmöglichkeiten von M & A-Aktivitäten Der Begriff Synergie bedeutet, „dass die entstehende Gesamtwirkung eines Vorgangs größer ist als die Addition seiner Teile“ (vgl. Vogel 2002, S. 33). Definition ▼ Übernahmetechnik Synergie <?page no="103"?> 104 s t r u K t u r e l l e r u n d o r g a n I s a t o r I s c h e r w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation dadurch entstehende Produktionsauslastung. Dieser Effekt wird als „Economies of Scale“ bezeichnet. Dieses Phänomen entsteht, da sich die Fixkosten auf eine höhere Produktionsstückzahl verteilen, was zu sinkenden Fixkosten je Stück führt (vgl. Kurz 2006, S. 8). Neben den Economies of Scale können Synergieeffekte durch Verbundvorteile, wie z. B. Know-how-Transfer zwischen den Fusionspartnern erzielt werden. Diese Verbundvorteile werden in der Literatur als „Economies of Scope“ bezeichnet. Hier können Kostenvorteile in einem diversifizierten Produktionsprogramm in gemeinsamer Produktion gegenüber mehreren Produktionen erreicht werden (vgl. Jansen 1999, S. 75). Durch so genannte „finanzwirtschaftliche Synergien“ wird der Zugang zu internationalen Kapitalmärkten und Börsen erleichtert, da durch den Zusammenschluss eine bestimmte Unternehmensgröße erreicht wird (vgl. Budzinski / Kerber 2003, S. 43). Das Hauptargument für Diversifikation ( → QR-Glossar) ist die Risikoreduktion. Dabei kann man zwischen kurz- und langfristigen Risiken unterscheiden. Die kurzfristigen Risiken bestehen aufgrund der Abhängigkeit eines Unternehmens von bestimmten Produkten oder Branchen. Der Zusammenschluss von Unternehmen unterschiedlicher Branchen ermöglicht eine Risikostreuung. Häufig werden für Zusammenschlüsse Unternehmen ausgesucht, deren Ertragsentwicklungen sich entgegenstehen, um Zahlungsströme auszugleichen und eine Unabhängigkeit von Schwankungen bei der Marktentwicklung zu erreichen (Wirtz 2003, S. 64). Durch vertikale Zusammenschlüsse kann die Abhängigkeit von Zulieferern oder Abnehmern verringert werden und die Kontrolle über den gesamten Wertschöpfungsprozess erhöht werden (vgl. Budzinski / Kerber 2003, S. 43). Eine theoretische Basis für die Diversifikationsstrategie im Rahmen von M & A liefert die Portfoliotheorie von Markowitz. Dieser Ansatz beschreibt die Vorteile der Anlagenstreuung auf mehrere Investitionen, da die Anlagenstreuung zu einer Risikosenkung des gesamten Portfolios führt (vgl. Jansen 1999, S. 80). Im Rahmen von M & A besteht auch noch das Motiv der größeren Marktmacht. Erlangt eine Unternehmen durch die Zusammenführung eine gewisse Größe, so kann es durch die größere Marktmacht die Anzahl der Konkurrenten reduzieren und Monopolgewinne zu Lasten der Abnehmer realisieren (vgl. Kurz 2006, S. 11). Insbesondere haben Unternehmen mit Monopolstellung größere Preissetzungsmöglichkeiten und können somit den Gewinn erhöhen (Budzinki / Kerber 2003, S. 52). Eine Verringerung der langfristigen Risiken ist durch das Vordringen in neue Märkte möglich, da sich die Abhängigkeit von stagnierenden heimischen oder wettbewerbsintensiven Märkten reduzieren lässt (vgl. ebda). Merksatz ▼ Economies of Scale Economies of Scope Diversifikation Portfoliotheorie von Markowitz größere Marktmacht <?page no="104"?> 105 p h a s e n V o n m & a Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Das Motiv der Verbesserung der Managementleistung wird bei ungenügsamer Managementperformance im Akquisitionsobjekt gültig. In einem solchen Fall kann ein Zusammenschluss das Übernahmeobjekt vor der Insolvenz bewahren oder durch verbessertes Management wieder auf Erfolgskurs bringen (vgl. Bühner 1990, S. 15). Spekulative Zusammenschlussmotive Spekulationen durch Finanzinvestoren stellen ein weiteres Motiv für M & A-Aktivitäten dar. Bei spekulativen Zusammenschlussmotiven geht es darum, Arbitrage- Gewinne zu erzielen, die sich aus der Differenz zwischen Kaufpreis zuzüglich der angefallenen Finanzierungskosten und einem höheren Verkaufserlös ergeben. Der Käufer muss dabei die notwendige Akquisitionserfahrung und Marktkenntnis haben. Allgemeine Bedingung ist die Intransparenz des Markts und Unvollständigkeit der Informationen über das Akquisitionsobjekt, so dass der Käufer über mehr Informationen verfügt als andere Marktteilnehmer. Besitzt ein Käufer die notwendige Akquisitionserfahrung, so sollte er sich auf unterbewertete Unternehmen konzentrieren, um eine hohe Wertsteigerung zu erzielen (vgl. Jansen 1999, S. 156). Managementmotive Managementmotive entstehen meist aus Macht- und Prestigestreben. Das Ziel der Übernahme ist insbesondere die Vergrößerung des eigenen Einflussbereichs (vgl. Jansen 1999, S. 156). Dabei kann die Selbstüberschätzung des Managements dazu führen, dass der gewünschte Erfolg aus der Übernahme ausbleibt („Hybris-Theorie“). Wenn einem Unternehmen freie Mittel zur Verfügung stehen, so ergibt sich ein Zielkonflikt zwischen Management und Eigentümern: während die Eigentümer an einer Ausschüttung der freien Mittel interessiert sind, möchte das Management die Mittel nutzen, um Unternehmenskäufe durchzuführen (vgl. Bruner 1988, S. 205 f.). Phasen von M & A Im Folgenden werden die drei Hauptphasen von M & A-Transaktionen dargestellt: | 4.3.2 Managementleistung Arbitrage-Gewinne Intransparenz des Markts und Unvollständigkeit der Informationen Hybris-Theorie Info ▼ ▲ | 4.3.3 | 4.4 <?page no="105"?> 106 s t r u K t u r e l l e r u n d o r g a n I s a t o r I s c h e r w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Preakquisitionsphase Nach der Analyse der Ausgangssituation erfolgt die Definition des Anforderungsprofils des Target-Objekts, das dem akquirierenden Unternehmen neue strategische Möglichkeiten eröffnen sollte. Dazu muss zunächst die Akquisitionsstrategie festgelegt werden, indem die eigenen Unternehmensziele und die daraus resultierenden Stärken und Schwächen analysiert werden (vgl. König 2004, S. 25; vgl. Jansen 2001, S. 165). Daraufhin sollte ein Soll-Profil erstellt werden, das das Aussortieren möglicher Zielgesellschaften - das so genannte „Screening“ erleichtert (vgl. Rödl 2002, S. 39). Zu Ausschlusskriterien des Soll-Profils gehören z. B. ▶ Unternehmensgröße, ▶ Marktzugangsmöglichkeiten, ▶ Branche, ▶ Produktprogramm oder ▶ Kapazitäten (vgl. Reißner 1992, S. 152). Die notwendigen Informationen über die verbleibenden potentiellen Zielobjekte können entweder durch eine Abteilung des Käufers oder durch ein externes Unternehmen wie z. B. eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beschafft werden (vgl. Berens / Mertes / Strauch 1998, S. 52). Als Ergebnis der ersten Informationsbeschaffung wird eine so genannte long list von Unternehmen erstellt, die nach Abgleich der realen Daten mit den Anforderungsprofil noch in Frage kommen. Eine weitere Analyse stützt sich zum Beispiel auf Geschäftsberichte, Branchenstudien oder Finanzinformationsdienste und bezweckt die Erstellung einer short list, die die Auswahl der potenziellen Targets weiter reduziert (vgl. Storck 1993, S. 78). Je näher die erhaltenen Realprofile dem zu Beginn erstellten Soll-Profil kommen, desto wahrscheinlicher ist die Akquisition (vgl. Berens / Mertes / Strauch 1998, S. 52). Transaktionssphase Die Transaktionsphase oder Merger-Phase kann in die Teilbereiche Kontaktaufnahme, Due Diligence, Unternehmensbewertung, Verhandlung und Vertragsgestaltung und -abschluss gegliedert werden. In der Transaktionsphase findet die gesamte technische Abwicklung der Transaktion statt (vgl. Stegmann 2002, S. 31). 1) Die Transaktionsphase beginnt mit der Kontaktaufnahme zu einer Zielgesellschaft, die auf der short list zu finden ist. Es gilt dabei festzustellen, ob das Management des Zielobjekts an einem Verkauf Interesse zeigt. Bei 4.4.1 | 4.4.2 | Definition ▼ ▲ Kontaktaufnahme long list short list <?page no="106"?> 107 p h a s e n V o n m & a Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Interesse werden erste Gespräche geführt, in denen die Strategien abgeglichen, mögliche Synergieeffekte ermittelt und die Vorgehensweise der Unternehmensbewertung festgehalten wird (vgl. Blex / Marchal 1990, S. 89). 2) Bei der Unternehmensbewertung steht die Kaufpreisfindung für das Target-Objekt im Vordergrund. Sofern der mögliche Kaufpreis den Vorstellungen des Käufers genügend entspricht, werden in dieser Phase auch erstmals interne Informationen herangezogen. Der Letter of Intent (LoI) stellt aus juristischer Perspektive den ersten Schritt der Formalisierung der Vertragsverhandlungen und des Informationsprozesses dar (vgl. Berens / Mertes / Strauch 1998, S. 54). Der LoI enthält unter anderem die Definition des konkreten Transaktionsgegenstandes, Kaufpreisvorstellungen, Gemeinhaltungsverpflichtungen sowie die detaillierte Planung der Due Diligence (vgl. Steinöcker 1993, S.101). 3) Due Diligence stellt eine weitgehende Prüfung eines Unternehmens dar, die im Rahmen einer Transaktion erfolgt (Heinrich 2003, S. 3). Dabei sollen insbesondere so genannte Deal Breaker aufgedeckt werden, d. h. Sachverhalte bei derer Kenntnis die Transaktion abgebrochen würde. In Rahmen einer Due Diligence Prüfung wird auf die Einzelbereiche „Financial-, Marketing-, Human Resources-; Cultural-, Legal and Tax, Organizational und IT sowie Environmental Due Diligence“ (Wirtz 2003, S. 186) zurückgegriffen 4) Daraufhin erfolgen die Klärung rechtlicher Fragen, die Aufteilung vorhandener Risiken und die Verhandlung über den Kaufpreis. Sobald die Verhandlungen über diese Fragen und den Kaufpreis abgeschlossen sind, kommt es zum Vertragsabschluss (vgl. König / Bedey 2004, S. 26 f.). Die Vertragsunterzeichnung wird auch als Signing bezeichnet. Zudem ist ein Übergangsstichtag festzulegen, zu dem die Vertragsparteien alle an sie gestellten Bedingungen zu erfüllen haben (vgl. Beisel / Klumpp 2006, S. 140). Dieser Termin schließt die Transaktionsphase ab und wird auch als Closing bezeichnet. Post-Merger-Phase Die Post-Merger-Phase beinhaltet die Integration des erworbenen Unternehmens sowie die Erfolgskontrolle des M & A Prozesses (vgl. Stegmann 2002, S. 33). Während sich die Post-Merger-Integration (PMI) mit dem Zusammenführen von Käufer und Target-Objekt befasst, informiert die Abschlusskontrolle über den Grad der Zielerreichung (Rödl 2002, S. 40). Unternehmensbewertung Due Diligence Vertragsabschluss Signing Integration Erfolgskontrolle | 4.4.3 Info ▼ ▲ <?page no="107"?> 108 s t r u K t u r e l l e r u n d o r g a n I s a t o r I s c h e r w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Im Rahmen der Integrationsphase erfolgt die organisatorische und kulturelle Zusammenführung der akquirierenden und verkauften Unternehmen. Dieser Phase wird häufig eine entscheidende Bedeutung für den Erfolg oder Misserfolg einer Transaktion zugesprochen (vgl. Jansen 2001, S. 233, vgl. Kurz 2006, S. 99). Die Verbindung zwischen den am M & A-Prozess beteiligten Unternehmen oder Teilunternehmen kann enger oder weiter gestaltet werden, was durch den Begriff des Integrationsgrades zusammengefasst wird. Dabei gibt es vier verschiedene Integrationsgrade (vgl. Kurz 2006, S. 31; vgl. Jansen 2001, S. 233): ▶ Stand alone Position: charakterisiert die rechtliche Selbständigkeit des akquirierten Unternehmens. Die Management, Organisations- und Personalpolitik wird fortgeführt, bestehende Markennamen werden übernommen und die unterschiedlichen Unternehmensziele des Käufers und Verkäufers werden beibehalten. Zu den Vorteilen dieses Ansatzes gehören die Vermeidung von Kulturschocks und die Fortsetzung der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter (vgl. Jansen 2001, S. 233 f.). ▶ Holding bzw. Turnaround Akquisition: Die rechtliche Selbständigkeit des Verkäufers bleibt auch in diesem Ansatz erhalten, wobei vor allem finanzielle Synergieeffekte bzw. Einkaufs- und Vertriebssynergien verfolgt werden. Bei der Turnaround-Akquisition wird zudem auf Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen zurückgegriffen. Dabei wird das Management des erworbenen Unternehmens ausgetauscht und die Finanzierungs- und Kostensituation optimiert (vgl. Jansen 2001, S. 234). ▶ Symbiose bzw. partielle Integration: Bei diesem Ansatz werden die Vorteile der Stand-alone-Position mit der Erreichung von Synergieeffekten verbunden. Nur diejenigen Unternehmensteile werden integriert, die eng mit dem Käuferunternehmen verbunden sind und nach der Übernahme nicht doppelt verfügbar sind. Die übrigen Unternehmensbereiche werden eliminiert (vgl. Jansen 2001, S. 234). ▶ Absorption: Diese Art von Unternehmensverbindung stellt den schwierigsten Prozess dar, da zwei ehemals unabhängige Unternehmen zu einem zusammengefasst werden (vgl. Jansen 2001, S. 235). Stand alone Position Holding bzw. Turnaround Akquisition Symbiose bzw. partielle Integration Absorption <?page no="108"?> 109 e r f o l g s m o d e l l e d e r p o s t m e r g e r I n t e g r a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Erfolgsmodelle der Post Merger Integration Im Folgenden sollen die drei verschiede Erfolgsmodelle der Post Merger Integration vorgestellt werden, die sowohl wissenschaftliche, als auch praxisnahe Erkenntnisse vermitteln: Das 7K-Modell nach Jansen Laut Jansen gibt das 7K-Modell keine Rezepte, sondern lediglich Hinweise für ein effektives Integrationsmanagement (vgl. Jansen 2004, S. 254). Diese Faktoren sind: 1) Koordination: Planung und Architektur der organisatorischen Fragen im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses. Dabei spielen z. B. die Integrationsgeschwindigkeit und - tiefe eine Rolle (vgl. Jansen 2004, S. 292). 2) Kultur: Wirkung verschiedener Kulturen auf den Erfolg des Zusammenschlusses (vgl. Jansen 2004, S. 335) 3) Kunden: Auswirkungen von Zusammenschlüssen auf das Verhalten der Kunden (vgl. Jansen 2004, S. 373). 4) Kommunikation: Differenzierte Ansprache aller Zielgruppen, die vom Unternehmenszusammenschluss betroffen sind (vgl. Jansen 2002, S. 521). 5) Kernbelegschaft: Mitarbeiterfreisetzung und Fluktuation (vgl. Jansen 2004, S. 424). 6) Kernkompetenz: Durch Abwanderung von Mitarbeitern kann ein Wissensverlust entstehen. Aufgabe des Wissensmanagements ist es, Kernkompetenzen im Unternehmen zu halten (vgl. Jansen 2002, S. 523 f.). 7) Kontrolle: Über aktuelle Entwicklungen informieren und mögliche Korrekturmaßnahmen aufzeigen. Das Prozess-Controlling soll Lerneffekte Vollkommene Übernahme Absorption Komplementierung Holding Konstruktion Turnaround Bei schwacher Ertragskraft Partielle Integration Symbiose Expansion Stand alone-Position Erhaltung Diversifikation gering stark gering stark Bedarf an strategischen Interdependenzen Bedarf an organisatorischer und kultureller Autonomie | Abb 24 Integrationsgrade von M & A-Aktivitäten | 4.5 | 4.5.1 Koordination Kultur Kunden Kommunikation Kernbelegschaft Kernkompetenz Kontrolle <?page no="109"?> 1 10 s t r u K t u r e l l e r u n d o r g a n I s a t o r I s c h e r w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ermöglichen, die für weitere Fusionen oder Akquisitionen nutzbar sind (vgl. Jansen 2012, S. 524 f.). Dieses Modell soll durch eine Partialanalyse der genannten Faktoren und durch eine Gesamtbetrachtung die Kosten und die Kapitalwirkungen eines Unternehmenszusammenschlusses identifizieren und quantifizieren, so dass diese den durch Unternehmensbewertung ermittelten Synergien gegenübergestellt werden können. Dadurch sollen die Integrations- und Vernetzungskosten ermittelt werden. Erfolgsfaktoren der PMI nach Koch Koch nennt drei wesentliche Erfolgsfaktoren der Post Merger Integration (vgl. Koch 2002, S. 386 - 389): 1) Eindeutige Führung: gewährleistet, dass das Management immer fähig ist, schnell klare Grundsatzentscheidungen, wie z. B. Personalbenennung oder Festlegung von Verantwortungsbereichen, zu treffen. 2) Hohes Anspruchsniveau: garantiert zum einen, dass alle Synergiepotentiale ausgeschöpft werden, zum anderen sollte die Integration als Chance betrachtet werden, bisherige Unternehmensfunktionen und Geschäfte kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu strukturieren. Das hohe Anspruchsniveau beinhaltet außerdem das Entwickeln und Kommunizieren einer motivierenden Vision sowie eine Wachstumsstrategie. 3) Gemeinsame Leistungskultur: kulturelle Integration als häufig unterschätzter Erfolgsfaktor. Erfolgsfaktoren der PMI nach A. T. Kearney A. T. Kearney sieht sieben Schlüsselfaktoren erfolgreicher M & A-Aktivitäten (vgl. Habeck / Kröger / Träm 1999, S. 21 ff.): 1) Vision: bei Fusionen stehen oft Kostensynergien im Vordergrund, so dass den Fusionspartnern häufig eine richtungsweisende Vision und daraus ableitbare Strategien fehlen. 2) Führung: Das neue Management zweier fusionierter Unternehmen wird oft zu spät nominiert, womit ein vorübergehendes Führungsvakuum entsteht, was neben Entscheidungslähmungen auch zu Machtkämpfen in der Unternehmensleitung und Abwanderung von Mitarbeitern führen kann. 3) Wachstum: Schnelle Gewinne, die ein fusioniertes Unternehmen erzielt und kommuniziert, dienen dazu, die Mitarbeiter vom Erfolg der Fusion Merksatz ▼ ▲ 4.5.2 | 4.5.3 | Eindeutige Führung Hohes Anspruchsniveau Gemeinsame Leistungskultur Vision Führung Wachstum <?page no="110"?> 1 1 1 e r f o l g s m e s s u n g V o n m e r g e r s & a c q u I s I t I o n s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation zu überzeugen. Um negative Einstellungen gegenüber dem neuen Unternehmen v.a. seitens der Mitarbeiter ins Positive zu wenden, sind Zeichen, die schnelle Gewinne für die Beteiligten aufzeigen, wichtig. Schnelle Gewinne können beispielsweise durch die Vermeidung von Bürokratie, die Verbesserung des Arbeitsumfeldes oder auch neue Lieferantenverträge oder verbesserter Kundenservice realisiert werden. 4) Kultur: Kulturbarrieren werden oft vernachlässigt. Ein professionelles Kulturmanagement, das sich mit den notwendigen Veränderungen zur Schaffung und Ausgestaltung einer gemeinsamen neuen Unternehmenskultur befasst, wird häufig nicht veranlasst. 5) Kommunikation: Soll Unsicherheiten bei allen Stakeholdern abbauen. Die Einbeziehung der Kommunikationspartner soll ebenfalls eine positive Wirkung bringen. 6) Risikomanagement: Risiken werden häufig nur theoretisch diskutiert, nicht aber professionell gemanagt. Synthese der Ansätze: Die wichtigsten Punkte, die sich aus den drei vorgestellten Modellen als Erfolgsfaktoren für PMI ergeben sind: ▶ die Bedeutung einer Vision, ▶ die Realisierung von Synergien, ▶ die Human Resources, ▶ die Unternehmenskultur, ▶ die Kommunikation, ▶ die Koordination der Integration und ▶ das Controlling Erfolgsmessung von Mergers & Acquisitions Die M & A-Erfolgsmessung lässt sich generell der Post-Merger-Phase zuordnen, in der die Erfolgskontrolle über den Zusammenschluss dauerhaft erfolgt (vgl. Wirtz 2003, S. 395). Dabei lassen sich die Messmethoden in quantitative und qualitative Methoden unterteilen (vgl. Stegmann 2002, S. 36). Quantitative Messmethoden Bei den quantitativen Messmethoden kann zwischen jahresabschlussorientierten, kapitalmarktorientierten und ereignisorientierten Methoden unterschieden werden. Kultur Kommunikation Risikomanagement | 4.6 | 4.6.1 Info ▼ ▲ <?page no="111"?> 1 12 s t r u K t u r e l l e r u n d o r g a n I s a t o r I s c h e r w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Jahresabschlussorientierte Erfolgskontrolle „Die jahresabschlussorientierte Analyse basiert auf allen im Jahresabschluss vorhandenen und somit zumeist über den Geschäftsbericht öffentlich verfügbaren Daten, bestehend aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht bzw. auf Kennzahlen, die in einer Zeitreihenanalyse verglichen werden.“ (Stegmann 2002, S. 38 f.). Bei der Analyse der jahresabschlussorientierten Kennziffern sind insbesondere die Veränderungen aufgrund der M & A-Transaktion sowie der Vergleich mit relevanten Kontrollgruppen von Bedeutung (vgl. Stegmann 2002, S. 39). Die mögliche Zeitspanne für die Analyse anhand dieser Kennziffern kann z. B. drei Jahre vor dem M & A-Projekt bis sechs Jahre danach darstellen (vgl. Stegmann 2002, S. 39). Kritikpunkt an dieser Art der Messung ist, dass die buchhalterischen Werte aufgrund internationaler bilanzpolitischer Bewertungswahlrechte den Vergleich verschiedener Unternehmen nicht ohne Weiteres ermöglichen (vgl. Stegmann 2002, S. 39). Außerdem lässt sich im Nachhinein keine genaue Aussage treffen, ob sich die M & A Transaktion oder andere unternehmerische Entscheidungen sich auf den Unternehmenserfolg ausgewirkt haben (vgl. Kurz 2006, S. 41). Kapitalmarktorientierte Erfolgskontrolle In diesem Ansatz werden die Börsenkursentwicklungen der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen untersucht, wobei im Normalfall die Veränderung des Börsenkurses des kaufenden Unternehmens als Erfolgsmaßstab dient (vgl. Stegmann 2002, S. 37). Die wichtigste Rolle bei einem kapitalmarktorientierten Ansatz spielen die Aktionäre, deren Einschätzung einer bekannt gewordenen M & A-Aktivität sich direkt auf die Börsenkursentwicklungen auswirkt. Haben die Aktionäre eine positive Haltung gegenüber dem Zusammenschluss und erwarten sie eine Steigerung des Unternehmenswertes, kaufen sie Aktien. Dadurch ergeben sich bei Bekanntgabe der Transaktion durch die Einschätzung der Aktionäre Kursgewinne bzw. -verluste (vgl. Böckli 2003, S. 81). In der Regel profitieren die Aktionäre des gekauften Unternehmens: im Schnitt steigt der Börsenkurs den akquirierten Unternehmens um 20 %, während der Börsenkurs des kaufenden Unternehmens sich kaum verändert (vgl. Müller-Stewens 2000, 54). Info ▼ Info ▼ ▲ ▲ Aktionäre <?page no="112"?> 1 13 e r f o l g s m e s s u n g V o n m e r g e r s & a c q u I s I t I o n s Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Kursreaktion bei Bekanntmachung des Zusammenschlusses kann aus der Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem erwarteten Aktienkurs ermittelt werden (so genannte abnormale Rendite) (vgl. Böckli 2003, S. 84f, vgl. Stegmann 2002, S. 37, vgl. Kurz 2006, S. 37). Die Ermittlung des erwarteten Aktienkurses erfolgt unter der Annahme der Fortführung der Gesellschaft ohne die M & A-Transaktion, unter Berücksichtigung bisheriger Börsenkurse sowie aktueller Markt- und Branchenentwicklungen (vgl. Kurz 2006, S. 37). Ereignisorientierte Erfolgskontrolle Bei der ereignisorientierten Erfolgskontrolle erfolgt die Analyse durch Wiederverkaufsanalysen und Fluktuationsraten von Führungskräften. Für die Beurteilung des M & A-Erfolges wird einerseits geprüft, ob das akquirierte Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt wieder verkauft wird (Desinvestition), und andererseits ob die Fluktuation von Führungskräften und Leistungsträgern des übernommenen Unternehmens zunimmt oder gleich bleibt. Eine geringe Fluktuationsrate bedeutet nach diesem Ansatz einen hohen Erfolg (vgl. Wirtz 2003, S. 402). Qualitative Erfolgskontrolle Bei der qualitativen Erfolgskontrolle erfolgt die Beurteilung des M & A-Erfolges mit Hilfe der Befragung von Managern oder Mitarbeitern oder externen Expertenbefragungen. Vor allem zur Bewertung des strategischen und kulturellen Fits sowie der Motive und Ziele wird auf diese Methode zurückgegriffen. Die qualitative Erfolgskontrolle erlaubt das Identifizieren von Problemen schon in der Merger- und Post-Merger-Phase, so dass Gegenmaßnahmen schon früh eingeleitet werden können, während die quantitativen Ansätze lediglich eine Ex-post-Analyse erlauben. Subjektive Erfolgseinschätzungen geben auf der anderen Seite häufig verzerrte Ergebnisse wieder. Dennoch kann die qualitative Erfolgsmessung mit Interviews und Fragebögen eine gute Ergänzung der quantitativen Methoden darstellen. Gerade wenn es nicht nur um die Messung der Erfolgsquote geht, sondern darum, M & A-Aktivitäten zum Erfolg zu führen und Probleme früh aufzudecken, stellt die qualitative Erfolgskontrolle einen sinnvollen Ansatz dar (vgl. Stegmann 2002, S. 40, vgl. Wirtz 2003, S. 404). | 4.6.2 Info ▼ Info ▼ ▲ ▲ Wiederverkaufsanalysen und Fluktuationsraten Kursreaktion <?page no="113"?> 1 14 s t r u K t u r e l l e r u n d o r g a n I s a t o r I s c h e r w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Zur Verwendung der BS C im PMI Management Nach Zusammenschluss der Unternehmen ist eine Neuausrichtung der Strategie und eine umfassende Verankerung dieser Strategie in der gesamten Organisation das zentrale Element der PMI-Phase. Der Balanced-Scorecard-Ansatz kann dabei helfen, alle Steuerungsaktivitäten an der Strategie auszurichten. Er stellt außerdem einen Controlling-Ansatz dar, in dem die qualitative und quantitative Erfolgskontrolle sinnvoll verknüpft wird. Grundlagen Das von Kaplan / Norton entwickelte Modell der Balanced Scorecard stellt ein „vernetztes mehrdimensionales Managementsystem zur strategischen Unternehmensführung“ dar, das aus zwei Elementen besteht: dem Kennzahlen- und dem Managementsystem (Schmeisser / Clausen 2009, S. 35; Kaplan / Norton 1997, S. 7 - 11). Folgende Abbildung stellt das BSC-Konzept dar: Im Kennzahlensystem ergänzen eine Kunden-, eine interne Prozesssowie eine Lern- und Entwicklungsperspektive den rein finanziellen Blickwinkel, so dass vorlaufende Indikatoren bzw. Leistungstreiber oder Werttreiber neben den traditionellen Ergebniskennzahlen berücksichtigt werden (Schmeisser / Clausen 2009, S. 35; Kaplan / Norton 1997, S. 7 - 11). 4.7 | 4.7.1 | Info ▼ ▲ Kennzahlen- und Managementsystem Vision Strategische Ziele Strategie-Reviews Strategie Kennzahlen Vorgaben Maßnahmen Entwicklungsprozess Managementsystem Kennzahlensystem Formulierung und Umsetzung von Vision und Strategie Strategisches Feedback und Lernen Kommunikation und Verbindung Planung und Vorgaben Vision und Strategie Kunde interne Geschäftsprozesse Finanziell Lernen und Entwicklung Abb 25 | Modell der Balanced Scorecard Kennzahlensystem <?page no="114"?> 1 15 z u r V e r w e n d u n g d e r b s c I m p m I m a n a g e m e n t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Als Managementsystem fungiert die Balanced Scorecard als Bindeglied zwischen Entwicklung einer Strategie und ihrer Umsetzung. Soll-Ist-Vergleiche werden durch die Zuordnung von Messgrößen zu den einzelnen Zielen ermöglicht. Um die Zielerreichung sicherzustellen, werden strategische Aktionen mit entsprechenden Termin- und Budgetvorgaben und Verantwortlichkeiten verknüpft (vgl. Schmeisser / Clausen 2009, S. 37). Gemäß Kaplan / Norton umfasst die Balanced Scorecard vier Komponenten: 1) Konsensfindung und Umsetzung von Vision und Strategie, 2) Kommunikation und Verknüpfung strategischer Ziele und Maßnahmen, 3) Planung und Festlegung von Zielen und Abstimmung strategischer Initiativen sowie 4) Sicherstellung von strategischem Feedback und Lernen (vgl. Kaplan / Norton 1997, S. 10 f.; vgl. Schmeisser / Clausen 2009, S. 37). Durch das gleichgewichtige Einbeziehen von vier Perspektiven bei der Festsetzung strategischer Ziele entsteht ein ausgewogenes Zielsystem, was einseitiges Denken verhindert (vgl. Schmeisser / Clausen 2009, S. 36): ▶ Finanzwirtschaftliche Perspektive: integriert die wertorientierte Ausrichtung der Unternehmensführung. Die finanziellen Erwartungen der Kapitalgeber bestimmen dabei die Zielsetzung, die darin besteht, finanzielle Erträge für die Investoren zu erwirtschaften. Die Finanzperspektive ist als Endziel mit den anderen Perspektiven über Kausalzusammenhänge verbunden (vgl. Kaplan / Norton 1997, S. 24; vgl. Schmeisser / Clausen 2009, S. 38). ▶ Kundenperspektive: umfasst die strategischen Ziele des Unternehmens im Hinblick auf Kunden- und Marktsegmente. Die Zufriedenstellung der Kunden ist Bedingung zur Erreichung der Finanzziele. Als Abnehmer beeinflussen Kunden die Unternehmenserlöse. Es sind Fragen bzgl. Marktauftritt und -positionierung zu klären (vgl. Schmeisser / Clausen 2009, S. 38). Insbesondere eine aktive Neuausrichtung gegenüber den Kunden bietet einen Startpunkt für die Aushandlung neuer unternehmenskultureller Grundsätze für beide Unternehmen im Rahmen einer Fusion. Ansatzpunkte bieten zum Beispiel der Fusionsnutzen für Kunden, Entwicklung der Betreuungsintensität und Kundenzufriedenheit, sowie Veränderungen im Kundenstamm (vgl. Wagner 2001, S. 142). ▶ Interne Prozessperspektive: bildet die Geschäftsprozesse ab, die zur Erreichung der Ziele der Finanz- und Kundenperspektive am meisten Bedeutung haben. Somit muss hier die Darstellung und Berücksichtigung der kompletten Wertkette der internen Prozesse erfolgen. Gemäß Definition ▼ ▲ Managementsystem Zielsystem Finanzwirtschaftliche Perspektive Kundenperspektive Interne Prozessperspektive <?page no="115"?> 1 16 s t r u K t u r e l l e r u n d o r g a n I s a t o r I s c h e r w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Kaplan / Norton gliedert sich die Wertkette der internen Geschäftsprozesse in den Innovationsprozess (Schaffung neuer Produkte oder Dienstleistungen zur Erfüllung neuer Wünsche gegenwärtiger und künftiger Kunden), den internen Betriebsprozess (Betrachtung des Produktionsprozesses hinsichtlich Kosten-, Qualitäts-, Zeit- und Leistungseigenschaften) und den Kundendienstprozess (Garantie- und Wartungsarbeiten, Bearbeitung von Fehlern und Reklamationen sowie Zahlungen) (vgl. Kaplan / Norton 1997, S. 92-103, vgl. Schmeisser / Clausen 2009, S. 40). So ist zum Beispiel der Betriebsprozess auf die neuen Anforderungen des gemeinsamen Unternehmens auszurichten oder zwei Finanzprozesse müssen zu einem verschmolzen werden (vgl. Wagner 2001, S. 141). ▶ Lern- und Entwicklungsperspektive: identifiziert die notwendige Infrastruktur zur Erreichung der Ziele der ersten drei Perspektiven. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können muss in die Zukunft investiert werden - z. B. in die Qualifizierung der Mitarbeiter, Leistungsfähigkeit des Informationssystems und Motivation und Zielausrichtung der Mitarbeiter (vgl. Kaplan / Norton 1997, S. 27, vgl. Schmeisser / Clausen 2009, S. 40). Kenngrößen wie Mitarbeiterzufriedenheit, Mitarbeitertreue und Mitarbeiterproduktivität werden mit dieser Perspektive in die Konzepte der Strategieumsetzung einbezogen (vgl. Schmeisser / Clausen 2009, S 41). Dabei kommt es insbesondere auf die richtige Kommunikation gegenüber den Mitarbeitern an, wenn es zum Zusammenschluss kommt, damit Vertrauen und Motivation gegenüber dem neuen Unternehmen erhalten bleibt. Neben den vier Dimensionen haben sich drei wesentliche Prinzipien bei der Umsetzung der Balanced Scorecard herausgebildet (vgl. Wagner 2001, S. 141 f.): ▶ Zunächst sollte jedes Kriterium ein Element einer Kausalkette sein, das Aufschluss über die Unternehmensstrategie gibt. Ändert sich durch den Zusammenschluss die Strategie, so müssen auch die Kriterien und Ursache-Wirkungsbeziehungen neu geordnet werden. ▶ Jede Balanced Scorecard sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Früh- und Spätindikatoren aufweisen. Es muss also darauf geachtet werden, dass die Frühindikatoren im Rahmen des M & A Transaktion nicht vernachlässigt werden. ▶ Die Kausalkette einer Balanced Scorecard sollte stets mit den finanziellen Zielen verknüpft sein. Mit Hilfe der Balanced Scorecard kann man überprüfen, ob die verschiedenen Interessen im Unternehmen auch geeignet sind, das neue Unternehmen zum finanziellen Erfolg zu führen. Lern- und Entwicklungsperspektive Prinzipien bei der Umsetzung Kausalkette Früh- und Spätindikatoren den finanziellen Zielen verknüpft <?page no="116"?> 1 17 z u r V e r w e n d u n g d e r b s c I m p m I m a n a g e m e n t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Aufbau des strategischen Managements mit der Berliner Balanced Scorecard ( → QR-Glossar) Wird die Balanced Scorecard richtig eingesetzt, kann den Aufbau eines strategischen Managementsystems im fusionierten Unternehmen sinnvoll unterstützten. Wenn im zusammengeführten Management Einigkeit bzgl. der anzuwendenden Strategie und Vision herrscht, kann diese mit Hilfe von Leistungskennzahlen, Maßnahmen und Anreizsystemen auf das gesamte Unternehmen übertragen werden. Die BSC erfüllt dabei einen dreifachen Zweck im Integrationsprozess (vgl. Wagner 2001, S. 143): ▶ als Instrument zur Strategieumsetzung ▶ als Instrument zum PMI- Controlling ▶ als Instrument zum Aufbau einer Unternehmenskultur im Sinne „Strategic Learning“ Allerdings stellt die Fokussierung einer langfristigen Strategie, die Identifikation von Zielen und Messgrößen und deren Verknüpfung über Kausalzusammenhänge fusionierte Unternehmen vor große Herausforderungen. Die Schwierigkeit, strategische Ziele und Ursache-Wirkungs- Beziehungen zu quantifizieren, besteht weiterhin. Die von Schmeisser entwickelte Berliner Balanced Scorecard bietet eine Hierarchisierung der Perspektiven und zeigt auf, welche Instrumente des internen und externen Rechnungswesens geeignet sind, die Perspektiven der BSC abzubilden und zu verknüpfen. Sie gibt damit fusionierten Unternehmen einen praktischen Leitfaden für gelungenes PMI-Management (vgl. Schmeisser / Clausen 2009, S. 120). 1 1 Die Hierarchisierung der Perspektiven und die möglichen Kennzahlen im Rahmen des Berliner Balanced Scorecard Ansatzes übersteigen den Rahmen dieses Beitrages, können aber in Schmeisser / Clausen 2009, Kapitel II und III nachgelesen werden. | 4.7.2 ▲ Info ▼ Strategie und Vision langfristige Strategie, Berliner Balanced Scorecard internes und externes Rechnungswesen <?page no="117"?> 1 18 s t r u K t u r e l l e r u n d o r g a n I s a t o r I s c h e r w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Allgemein umfasst der Begriff M & A sämtliche Vorgänge, die zu Veränderungen der Eigentumsverhältnisse am Eigenkapital von Unternehmen führen. Versteht man M & A im engeren Sinne, so kommt es dabei zu einem Übergang von Weisungs- und Kontrollrechten an einem Unternehmen, was zum Verlust von wirtschaftlicher und evtl. rechtlicher Selbständigkeit führt. Nach dem leistungswirtschaftlichen Zusammenhang kann man zwischen vertikalen Zusammenschlüssen, horizontalen Zusammenschlüssen und Konglomeraten unterscheiden. Die Finanzierung erfolgt durch Innen- oder Außenfinanzierung bzw. durch eigenkapitalbasierte oder fremdkapitalbasierte Finanzierung. Außerdem kann man zwischen so genannten freundlichen und feindlichen Übernahmen unterscheiden. Zu den Motiven von M & A Transaktionen gehören reale Zusammenschlussmotive, spekulative Zusammenschlussmotive und Managementmotive. Zu den realen Motiven zählen Synergieeffekte, Diversifikation, Marktmacht und Verbesserung der Managementleistung. Bei den spekulativen Motiven geht es darum, Arbitragegewinne durch Spekulation zu erwirtschaften. Bei den Managementmotiven geht es den Führungskräften vor allem um die Selbstdarstellung im Rahmen der Zusammenschlüsse. Die drei Phasen von M & A Transaktionen werden als Preakquisitionsphase, Transaktionsphase und Integrationsphase bezeichnet. Dabei wird der letzten Phase häufig eine besondere Bedeutung für den Erfolg des Zusammenschlusses beigemessen. Um den Erfolg des Zusammenschlusses messen zu können, stehen quantitative und qualitative Messmethoden zur Verfügung. Während die quantitativen Messmethoden nur ex-post Auskunft über den Erfolg oder Misserfolg gewähren, ermöglichen es die qualitativen Messmethoden schon früher einzugreifen. Allerdings geben qualitative Messmethoden häufig nur ein verzerrtes Bild. Eine gelungene Kombination aus beiden Messmethoden stellt die Berliner Balanced Scorecard dar. Sie ermöglicht, nicht nur die Finanzperspektive, sondern auch die drei übrigen Perspektiven der Balanced Scorecard - Kunden-, interne Prozess und Lern- und Entwicklungsperspektive mit Hilfe von Instrumenten des Rechnungswesens zu quantifizieren. Dadurch ist es möglich, eine Balance zwischen Früh- und Spätindikatoren herzustellen, um zu erlauben, dass der Zusammenschluss dauerhaft erfolgreich ist. Zusammenfassung <?page no="118"?> 1 19 z u r V e r w e n d u n g d e r b s c I m p m I m a n a g e m e n t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 1 Definieren Sie den Begriff Mergers & Acquisitions im engeren und im weiteren Sinne. 2 Stellen Sie dar wie sich M & A-Aktivitäten 1) nach dem leistungswirtschaftlichen Zusammenhang, 2) nach Art der Finanzierung und 3) nach Übernahmetechnik kategorisieren lassen. 3 Beschreiben Sie was man unter 1) realen Zusammenschlussmotiven, 2) spekulativen Zusammenschlussmotiven und 3) Managementmotiven versteht. 4 Vergleichen Sie Vor- und Nachteile quantitativer und qualitativer Messmethoden von M & A-Aktivitäten. 5 Erörtern Sie die Balanced Scorecard in ihren groben Zügen und nennen Sie den Mehrwert der Berliner Balanced Scorecard. Die Antworten finden Sie auf unserer Web-Service-Seite zum Buch. Fragen ▼ ▲ J anSen , S tephan a. (1999): Mergers & Acquisitions. Unternehmensakquisitionen und -kooperationen; eine strategische, organisatorische und kapitalmarkttheoretische Einführung. 2. Aufl. Wiesbaden: Gabler. J anSen , S tephan a. (2004): Management von Unternehmenszusammenschlüssen. Theorien, Thesen, Tests und Tools. Stuttgart: Klett-Cotta. m üller -S teWenS , G ünter / l echner , c hriStoph (2005): Strategisches Management. 3. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. m üller -S teWenS , G ünter / B rauer , m atthiaS (2009): Corporate Strategy & Governance. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. p icot , G erhard / B äzner , B ernd (Hrsg.) (2012): Handbuch Mergers & Acquisitions. Planung, Durchführung, Integration. 5. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. S chmeiSSer , W ilhelm / c lauSen , l ydia (2009): Controlling und Berliner Balanced Scorecard Ansatz. München: Oldenbourg. Literatur <?page no="119"?> 120 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollen die Grundformen der Primärorganisation kennen und skizzieren können. Gleichzeitig müssen Sie Vor- und Nachteile der Grundformen diskutieren können. ▶ Sie sollen anhand selbst ausgewählter Beispiele erläutern und zeigen können, wie sich die Strategie der Unternehmung in der Primär- und Sekundärorganisation bemerkbar macht bzw. wie die Strategie in einer Organisation implementiert wird. Organisation als zielgerichtetes, arbeitsteiliges und koordiniertes Handlungssystem a) Gegenstand aller organisationstheoretischen Aussagen zu Unternehmen ist, dass diese ihre Ziele mittels einer Strategie verfolgen, die arbeitsteilig und permanent mit Hilfe des Substitutionsgesetzes der Organisation erfüllt werden sollen. Von der Strategie zu den Grundformen der Primärorganisation 5 | Inhalt Lernziele ▼ 5.1 Organisation als zielgerichtetes, arbeitsteiliges und koordiniertes Handlungssystem 5. 2 Praktische Grundstrukturen der Primärorganisation zur Strategie- und Herrschaftssicherung durch formale Hierarchie ▲ 5.1 | Die Ziele sind Aufgaben, die arbeitsteilig und mengenmäßig zerlegt werden, damit sie als betriebliche (Teil-)Aufgabe, z. B. in einer Stelle durch einen Mitarbeiter, häufiger und in gleicher Weise wiederholt werden kann („Die Tendenz zur generellen Regelung nimmt mit abnehmender Variabilität betrieblicher Tätigkeiten zu.“ Substitutionsgesetz der Organisation nach Gutenberg, vgl. Vahs, 1997, S.13). Definition ▼ <?page no="120"?> 121 o r g a n I s a t I o n a l s h a n d l u n g s s y s t e m Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Durch das Substitutionsgesetz der Organisation entstehen beim Stelleninhaber durch die häufige und wiederholte Aufgabenerstellung Lern- und Übungseffekte sowie Nullfehlerbzw. Qualitätseffekte bei der betrieblichen Tätigkeit im Rahmen der Stelle. Durch die Lern- und Übungseffekte entwickelt sich eine hohe Produktivität pro Stelle, die Personalkosten und Qualitätskosten pro Stück sinken. Die Strategie spiegelt sich in der Ausrichtung der Primärorganisation wider. Die Strategie kann hier als potenzielles, organisatorisches Koordinationsinstrument angesehen werden, die die arbeitsteiligen Stellen der Unternehmung erstmalig zweckmäßig zusammenführen will, damit ein komplexes Ziel, das kein einzelner Mitarbeiter alleine erfüllen könnte, erreicht wird. b) Die Organisation ist grundsätzlich, z. B. im Vergleich zu einem Markt, ein soziales, technisches und wirtschaftliches Handlungssystem, bei dem sich die Subsysteme und Elemente des Gesamtsystems Unternehmung zielorientiert aufeinander beziehen und sich gegenseitig beeinflussen, damit das komplexe, heterogene Gesamtziel bzw. die Gesamtaufgabe des Unternehmens erfüllt wird. ▶ Die Organisation ist ein soziales Handlungssystem, da eine komplexe Aufgabe zu erfüllen, z. B. Autos entwickeln, produzieren und verkaufen und dies weltweit, nur durch viele unterschiedlich qualifizierte und kompetente Mitarbeiter und Führungskräfte möglich ist. ▶ Die Organisation ist ein technisches Handlungssystem, da ein Automobilunternehmen bereits durch seine Zielsetzung, das technische Produkt Auto herzustellen bzw. durch die Technologie zweckmäßig und technisch „vorprogrammiert“ ist, d. h. die Primär- und Sekundärorganisation werden maßgeblich durch die Technologie, die Forschung und Entwicklung und die Herstellung des Automobils geprägt sein. ▶ Die Organisation einer Unternehmung ist ein wirtschaftliches Handlungssystem, da die rechtliche und politische Sphäre der Gesellschaft eines Landes maßgeblich auf die Organisationsstruktur, z. B. im Verwaltungsbereich der Aktiengesellschaft eines Industriebetriebes einwirken, nämlich ob eine Buchhaltung, eine Steuerabteilung, eine Compliance-Abteilung, ein Betriebsrat, ein mitbestimmter Aufsichtsrat usw. als Organisationsstellen und / oder Gremien erforderlich sind. c) Organisationen in Unternehmen weisen eine formale Struktur, eine Primär- und Sekundärorganisation auf, um grundsätzlich die strategische Ausrichtung der permanenten Ziel- und Aufgabenerfüllung zu dokumentieren und um rentabel zu wirtschaften. Substitutionsgesetz der Organisation Strategie <?page no="121"?> 122 V o n d e r s t r a t e g I e z u d e n g r u n d f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Primärorganisation ( → QR-Glossar) als handlungsorientierte Hierarchie (Auf bauorganisation) ist auf die Verwirklichung eines offiziellen, politischen Ziels ausgerichtet, dass einen von allen Organisationsmitgliedern anzustrebenden „Aufgabenendbestand“ zu einem gegebenen Zeitpunkt beschreibt (z. B. in der Corporate Vision, im Strategiekonzept und im Jahresabschluss, im Geschäftsbericht). Da sich dieser Endzustand im Sinne des Substitutionsgesetzes der Organisation permanent wiederholt, ist das Ziel, in die formale Struktur zu implementieren. Das offiziell-politische Ziel für die Organisation wird von einer Kerngruppe an der Organisationsspitze, z. B. die Unternehmensleitung, verbindlich formuliert und an alle Organisationsmitglieder kommuniziert. Die Hierarchie erfüllt dazu den Zweck, dass das Ziel keiner näheren Begründung bedarf, und die Organisationsmitglieder es „normal“ voll akzeptieren und es arbeitsteilig verfolgen. Die formale Primärorganisation erweist sich deshalb als ideale Kommunikations-, Anweisungs- und Kontrollstruktur, die Entscheidungsprozesse im Unternehmen beschleunigt und Organisationswiderstände z. B. bei Innovationen verringern oder vermeiden hilft. Das Direktionsrecht steht mit der formalen Organisation in einer idealen Verknüpfung. Es verwundert sicherlich niemanden, dass Unternehmen vor ca. 150 Jahren ihre Primärorganisation pragmatisch aus dem staatlichen, militärischen und kirchlichen Bereich übernommen haben. Die Sekundärorganisation, z. B. in der Gestalt der Prozessorganisation oder Ablauforganisation, kann bei einem Ein-Produkt-Unternehmen, wie 1914 bis 1818 bei Ford mit dem Modell T, die Strategie einer Kostenführerschaft durch den Einsatz der Ablauforganisation in Form der Technologie des Fließbandes, ein preiswertes Auto für die gesamte amerikanische Gesellschaft („ Ein Volkswagenauto in Gestalt von Modell T“) zu produzieren, erfüllen. Mit der Sekundärorganisation wird die betriebliche Unternehmenszielsetzung, ein rentables Unternehmen mit einem strategischen Geschäftsmodell zu führen (Vgl. Return on Investment-Rechnung), durch die permanente Produktion und den Verkauf von Autos erreicht. Praktische Grundstrukturen der Primärorganisation zur Strategie- und Herrschaftssicherung durch formale Hierarchie Die betriebswirtschaftliche Organisationslehre sieht das Sachziel, das Leistungsprogramm als Betriebsaufgabe und als den Ausgangspunkt der organisatorischen Gestaltung an. 5.2 | Primärorganisation Sekundärorganisation <?page no="122"?> 123 p r a K t I s c h e g r u n d s t r u K t u r e n d e r p r I m ä r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Auf bauorganisation hat dafür zu sorgen, dass das Kerngeschäft (core business, Geschäftsmodell) effektiv bewältigt wird und die Kernkompetenzen (core competencies) mit der angestrebten Unternehmensstrategie grundsätzlich dargestellt und erhalten bleiben. Die Hierarchie ist dafür ein geeignetes Mittel, da die Zielsetzung und Anweisungskompetenz der Managementebenen nicht infrage gestellt werden. Hierarchie erfüllt dadurch ein Harmoniebedürfnis, dass Entscheidungen relativ schnell fallen und unproblematisch durchgesetzt werden können. Erst eine Innovationsentscheidung schafft Probleme, da sie „feste“ Strukturen auflöst und verändern will. Erst bei der Innovationsproblematik werden eindimensionale „permanente“ Grundstrukturen problematisiert, und es werden für die Primärorganisation mehrdimensionale Organisationsstrukturen in Erwägung gezogen. Damit aber löst man auch die harmonische Herrschaftssicherung der Manager in der eindimensionalen Hierarchie auf und implementiert ein Konfliktmanagement, z. B. um Ressourcen in der Primärorganisation effizienter zu verteilen. Die Sekundärorganisation, z. B. als Projektorganisation oder als Ablauforganisation bzw. Prozessorganisation, ist deshalb notwendig, weil die Primärorganisation nicht in der Lage ist, bestimmte komplexe, innovative und überlagernde Aufgabenstellungen mit Schnittstellenproblemen und alle Interdependenzen zwischen den Organisationseinheiten ausreichend und effizient zu lösen, d. h. Organisationsstrukturen werden oft externen und internen Anforderungen nicht gerecht. Externe und interne Anforderungen sind Entscheidungskriterien (auch als Vorteile und Nachteile in der Literatur diskutiert), die gebraucht werden, um organisatorische Gestaltungsalternativen vergleichen und deren Zweckmäßigkeit für eine betriebliche Zielsetzung beurteilen zu können. Als externe Anforderungen, denen eine betriebswirtschaftliche Organisationsstruktur eines Unternehmens im Hinblick auf ihre wirtschaftliche, gesellschaftlich-rechtliche und technische Umwelt gerecht werden muss, lassen sich Markt- und Wettbewerbsorientierung, politisch-rechtliche Anpassung und Aufrechterhaltung der Flexibilität der Organisationsstrukturen (wegen der Erhaltung der Innovationsfähigkeit der Unternehmung) benennen. Für die Betriebswirtschaft ist die Primärorganisation normalerweise durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet. Die Primärorganisation stellt das hierarchische Grundgerüst der Aufbauorganisation dar. Merksatz ▼ Info ▼ ▲ Kerngeschäft und Kernkompetenzen externe Anforderungen <?page no="123"?> 124 V o n d e r s t r a t e g I e z u d e n g r u n d f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Wünschenswert ist es, dass beispielsweise die Wachstumsstrategien der Unternehmung sich durch Diversifikation, Mergers & Acquisitions, Portfoliomanagement und Segmentberichten in der Primär- und Sekundärorganisation wiederfinden lassen, z. B. durch eine Sparten- und Projektorganisation. Mit den Sparten und Projekten spiegeln die Organisationsstrukturen eine Markt- und Wettbewerbsorientierung der Unternehmen wider. Mit politisch-rechtlicher Anpassung der Primärorganisation ist gemeint, inwiefern politische Forderungen oder rechtliche Normen, wie die Frauenquote im Aufsichtsrat, Frauen als Vorgesetzte in der Aufbauorganisation, Compliance-Abteilung, mitbestimmter Aufsichtsrat, Betriebsrat oder familiengerechte Arbeitszeitregelungen in den Organisationsstrukturen berücksichtigt werden, um vom „obrigkeitsstaatlichen Verhalten des Gesellschafters oder Unternehmers“ des Handelsgesetzbuches abzuweichen. In diesem Anforderungskriterium wirkt sich die implizite These aus, dass in einer demokratischen Gesellschaft auch die Institutionen, Organisationen und damit auch die Unternehmen die Grundrechte und Grundwerte der Mitarbeiter organisatorisch zu schützen und zu praktizieren haben bzw. den Organisationsmitgliedern diese gewährt werden müssen. In einer globalen und marktwirtschaftlich-orientierten Gesellschaft geht man davon aus, dass die Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilitätsorientierung der Unternehmen, maßgeblich durch die Innovationsfähigkeit und Innovationswilligkeit der Organisation ermöglicht oder verhindert wird. Inwiefern also die Entwicklung und Implementierung von Produkten in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung auf der einen Seite und deren Implementierung in den Produktions- und Marketingabteilungen andererseits in der Organisationsstruktur gelingt, ist eine Frage der Innovationsfähigkeit der Primär- und Sekundärorganisation (vgl. Schmeisser / Hartmann / Hentschel / Krimphove: Handbuch des Innovationsmanagements, München 2013). Hinsichtlich der internen Anforderungskriterien, muss noch eine Argumentation vorangestellt werden. Die Organisation wird auch als indirekte Führung bzw. als indirektes Führungsinstrument der Geschäftsführung verstanden, und zwar im Gegensatz zur direkten Führung, die Faceto-Face-Führung. Dadurch werden die Beurteilungskriterien der formalen Organisationsstruktur sicherlich verständlicher, wie die ▶ Führungsprozesseffizienz, ▶ Leistungsprozess-Effizienz, ▶ Humankapitalressourcen-Effizienz und ▶ Sachmittel-Ressourcen-Effizienz. Markt- und Wettbewerbsorientierung politisch-rechtliche Anpassung der Primärorganisation Innovationsfähigkeit der Primär- und Sekundärorganisation Die Organisation als indirekte Führung <?page no="124"?> 125 p r a K t I s c h e g r u n d s t r u K t u r e n d e r p r I m ä r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Führungsprozess-Effizienz ist erst einmal klassisch im Sinne von Max Webers Bürokratiemodell zu verstehen, nämlich inwiefern die oberste Führungsspitze über alle Managementebenen hinweg ihre Zielsetzung, Entscheidungsfindung durch Informations-, Ausführungs- und Kontrollsphären in der Organisationsstruktur durchsetzt. Leistungsprozess-Effizienz bedeutet, wie flexibel, qualitätsfehlerfrei und schnell der Leistungserstellungs- und der Leistungsverwertungsprozess durchgeführt wird. Dadurch wird auch über die Höhe des Return-on- Investment entschieden, wenn man an den Kapitalumschlag und an das Working Capital-Management und die Teilkennzahlen wie Debitorenumschlag, Kreditorenumschlag und Lagerumschlag beispielsweise nur denkt. Humankapital-Ressourcen-Effizienz heißt, 1) inwieweit wissensbasiertes Humankapital in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung erarbeitet wird, gemessen anhand der Erfindungen, betrieblichen Verbesserungsvorschlägen, Patenten und montagegerechten Konstruktionen neuer Produkte. 2) Inwieweit eine Überführung wissensbasierten Humankapitals in technologisches Humankapital in den Produktions- und Marketingbereich der Unternehmung gelingt. 3) Inwieweit die Qualifikation, Motivation und Kompetenzentwicklung des technologischen Humankapitals durch eine Personalentwicklung sichergestellt wird. 4) Inwiefern ein Innovationsprozessmanagement alle Humankapital-Transferprozesse erfolgreich plant, steuert und kontrolliert (Vgl. Schmeisser, W.: Humankapital -Voraussetzung für Innovation und Change, in: HR Performance 4 / 2013, S. 33) Sachmittelressourcen-Effizienz heißt ein kostenminimaler Einsatz der personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen (z. B. Roh-, Betriebs- und Hilfsstoffe, Fremdbauteile, unfertige Zwischenprodukte, Maschinen, Forschungsprojektbudgets etc.). Hierzu bietet sich eine Kontrolle mit den Instrumenten des Rechnungswesens an, wie die Kostenstellenrechnung, dynamische Transferpreise oder organisatorische Maßnahmen, wie das Konfliktmanagement in der Matrixorganisation, wobei Funktions- und Projektmanager um die knappen Ressourcen feilschen und „kämpfen“ müssen. Externe und interne Beurteilungskriterien bilden für Gestaltungsalternativen der Organisationsstrukturen zumindest Orientierungshilfen, für die Wahl und die Entscheidung für oder gegen eine Primär- und / oder Sekundärorganisation in einem Unternehmen. Führungsprozess- Effizienz Leistungsprozess- Effizienz Humankapital- Ressourcen-Effizienz Sachmittelressourcen- Effizienz Beurteilungskriterien Orientierungshilfen <?page no="125"?> 126 V o n d e r s t r a t e g I e z u d e n g r u n d f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Eindimensionale Grundstrukturen für permanente Aufgaben („Produktaufgaben“) Von der Strategie der Kostenführerschaft hin zur Funktionalen Organisation Die funktionale Organisationsform wird auch als Verrichtungsorganisation nach Nordsieck und Kosiol bezeichnet, und ist durch die Gliederung der zweiten Hierarchieebene nach Funktionsbereichen wie Beschaffung, Lagerhaltung, Produktion, Marketing und Verwaltung charakterisiert. Diese Funktionen sind der Unternehmensleitung direkt unterstellt, gemäß dem Einlinienprinzip nach Fayol (Fayol übernimmt das Einlinienprinzip der Organisationsstruktur aus der französischen Armee). Bei der funktionalen Organisation besteht bei einem gegebenen Produktionsprogramm die Tendenz zur Entscheidungszentralisation an der Organisationsspitze, was im Sinne des Direktionsrechts auch von Fayol gewollt ist. Die funktionale Organisation ( → QR-Glossar) ist die älteste Organisationsform in Industriebetrieben, und wurde aus dem monarchisch-gesellschaftlichen, kirchlichen und militärischen Bereich direkt übernommen, und prägt bis heute die Unternehmensverfassung des Bürgerlichen- und Handelsgesetzbuches (Vgl. dazu Corporate Governance-Ansatz im politischrechtlichen Organisationsansatz, siehe dazu auch Frese, 1984, S. 31 ff.) Die Steuerung der operativen Funktionsbereiche Beschaffung, Produktion, Absatz, Verwaltung etc. erfolgt im Wesentlichen über die Organisationsstellen als gleichzeitige Kostenstellen. Anhand der Organisationsstel- Die funktionale Organisation eignet sich besonders für kleine und mittlere Unternehmen, die maßgeblich ein einheitliches Produktprogramm besitzen, wie Holzbearbeitung und -verarbeitung oder Verkauf von Computern, Softwareprogrammen und Organisationsberatungsleistungen. Merksatz ▼ Un tern ehmensfüh run g Materialwirtschaft Pro d uktion Vertrieb Stab Einkauf Logistik Lager 1. Ebene (Geschäftsleitung) 2. Ebene (Bereichsleitung) 3. Ebene (Abteilungsleitung) ... ... Abb 26 | Funktionale Organisation (Vahs, D., 2012, S. 157) 5.2.1 | Verrichtungsorganisation Steuerung der operativen Funktionsbereiche <?page no="126"?> 127 p r a K t I s c h e g r u n d s t r u K t u r e n d e r p r I m ä r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation len / Kostenstellen erfolgt eine Wirtschaftlichkeitsüberprüfung, und zwar mittels der zurechenbaren Personal- und Sachkosten entweder als (Plan-) Gemeinkosten über die Kostellenrechnung und / oder als Einzelkosten über die Plan- Kostenträgerrechnung. Ein Problem der Effizienzbetrachtung der funktionalen Organisationsform besteht darin, dass die Erlöse bzw. die Umsätze der Produkte den einzelnen Funktionen nicht zugerechnet werden können, sondern nur der Gesamtorganisation. Deshalb werden die Funktionen der Organisation auch von der (strategischen) Unternehmensleitung geführt und verantwortet. Die Geschäftsführung entscheidet nämlich über das Produktprogramm und damit über die Umsätze. Sie entscheidet auch darüber, ob Innovationen mit neuen Umsatzmöglichkeiten angegangen werden sollen oder nicht. Die Effizienzbetrachtung der Funktionen kann also nur eine Kostenbetrachtung und / oder eine Produktivitätsbetrachtung sein. Vorteile Nachteile ▶ Einfache und transparente Unternehmensstruktur der Aufbauorganisation ▶ Spezialisierungseffekte (Kostendegressions- / Erfahrungskurveneffekte) durch klar umrissene Aufgaben in den einzelnen Funktionsbereichen, wenn nur ein Produkt oder ein enges Produktprogramm hergestellt und verkauft wird ▶ In sich abgeschlossene, gut kontrollierbare Funktionsbereiche aufgrund von Kostenstellenrechnungen ▶ Produktivität und Kosten pro Organisationsstelle können gut erfasst werden ▶ Viele Schnittstellen und Interdependenzen zwischen Funktionsbereichen in der Ablauforganisation ▶ Gefahr der Suboptimierung durch Ressortdenken und Bereichsegoismen ▶ Koordinationsprobleme bei zunehmender Breite und Komplexität des Produktprogramms ▶ Umsätze und Leistungen pro Kostenstelle bzw. Organisationsstelle können nicht ermittelt werden ▶ Überlastung der Unternehmensspitze durch wachsenden Koordinationsbedarf (Kamineffekt) ▶ Innovationsproblematik kann nur durch die Unternehmensspitze gelöst werden Von der Diversifikation zur Divisionalisierung ( → QR-Glossar) , bzw. Objekt- und Spartenorganisation Die Divisionalisierung, auch als Objekt-, Produkt-, Geschäftsbereichsorganisation oder Spartenorganisation bezeichnet, findet man in US-amerikanischen Chemieunternehmen, wie DuPont seit den 1920er Jahren oder in der deutschen Chemie seit 1925 den Konzern I. G. Farbenindustrie mit seinen produktbezogenen Sparten (Agfa, BASF, Bayer u. a.). Das Strukturmerkmal der Geschäftsbereichs- oder Spartenorganisation auf der zweiten Hierarchieebene wird nach Objekten (vgl. Kosiol | Abb 27 Vorteile / Nachteile der Funktionalen Organisation (in Anlehnung an Vahs, D., 2012, S. 159 ff.) <?page no="127"?> 128 V o n d e r s t r a t e g I e z u d e n g r u n d f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 1962, Organisationsprinzipien) gebildet. Objekte können Produkte, Produktgruppen, Produktlinien, Business Units, Geschäftsbereiche, Regionen, Märkte, Kunden, Kundengruppen usw. sein, denen man Umsätze zurechnen kann. Die Spartenorganisation ist ein typisches Ergebnis einer Organisationsstruktur der Wachstumsstrategie einer Industrieunternehmung. Dabei erfolgt die Wachstumsstrategie durch Umsatzsteigerungen mittels Diversifikation, d. h. das Angebotsprogramm der Unternehmung wird erweitert. Diversifikation als Unternehmensstrategie Diversifikation stellt ganz auf die Erweiterung der Produkt- und Produktprogrammpalette einer Unternehmung ab. Dabei muss die Erweiterung signifikant sich von den bisherigen Produktangeboten unterscheiden, d. h. jedes Produktprogramm hat eine eigene Produktion, eigene Forschung und Entwicklung, daher auch separate Einkaufs- und Lieferantenketten sowie eigene Kunden und Märkte. „Ein Unternehmen, das nur ein Produkt in verschiedenen Varianten produziert und vertreibt, ist nicht diversifiziert. Je mehr unterschiedliche Produkte oder Dienstleistungen das Angebotsprogramm einer Unternehmung umfasst, desto diversifizierter ist sie.“(vgl. Kieser / Walgenbach 2007, S. 236) „ Nach Ansoff (1966) ist eine Diversifikation ( → QR-Glossar) eine von vier generellen Wachstumsstrategien: ▶ Marktdurchdringung: Die Unternehmung strebt eine Absatzsteigerung der gegenwärtigen Produkte auf gegenwärtig bediente Märkte an (durch Rationalisierung, Automation in der Beschaffung und Produktion sowie durch Marketingaktivitäten wie Relaunch von Produkten, d. Verf.). ▶ Produktentwicklung: Die Unternehmung versucht eine Absatzsteigerung auf dem Wege einer Ablösung bisheriger Produkte durch neue Produkte auf bestehenden Märkten (Innovations- und Technologiemanagement, d. Verf.). ▶ Marktentwicklung: Die Unternehmung verfolgt eine Absatzsteigerung der gegenwärtigen Produkte auf neue Märkte (z. B. eine Marktsegmentierung des Produktes Buch, das als Leinenbuch, Taschenbuch, auf CD und als Film vermarktet wird sowie Auslandsaktivitäten im Nachbarländern, Internationales Management, Globales Management, d. Verf.). ▶ Diversifikation: Die Unternehmung nimmt neue Produkte in ihr Programm auf, die in neuen, noch nicht bedienten Märkten angesiedelt sind. Nach Maßgabe der Beziehungen zum vorhandenen Angebotsprogramm werden folgende Diversifikationstypen unterschieden: Diversifikationstypen <?page no="128"?> 129 p r a K t I s c h e g r u n d s t r u K t u r e n d e r p r I m ä r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Horizontale Diversifikation: Aufnahme neuer Produkte oder Produktlinien in das Programm, wobei zwischen den Produkten eine hoher Verwandtschaftsgrad besteht, der keine größeren Änderungen der Herstellungsverfahren und Absatzkette erforderlich macht (Krupp AG beteiligt sich an der Thyssen AG oder die Allianz AG beteiligt sich an der Commerzbank). ▶ Vertikale Diversifikation: Aufnahme neuer Produkte oder Produktkomponenten aus vorgelagerten Produktionsstufen oder aus nachgelagerten Absatzstufen (Yahoo kauft einen Softwarehersteller für Fotobearbeitung und -speicherung für seine Internetaktivitäten; Textilunternehmen kauft eine Baumwollfabrikation und einen Damenmodehersteller für diverse Damenoberbekleidungen, d.Verf.). ▶ Konglomerate (laterale) Diversifikation: Aufnahme eines neuen Produkt- Marktbereichs, der zum bisherigen Produktangebot der Unternehmung keine Beziehung aufweist (z. B. TUI kam aus der Stahlbranche und wechselte in den Reisetouristikmarkt, Mannesmann kam aus dem Röhren- / Stahlmarkt und diversifizierte in den Telefonmarkt und wurde später von Vodaphone gekauft, d. Verf.). Jeder Diversifikationstyp wird in der Aufbauorganisation zur eigenen Sparte / eigenen Geschäftsbereich. Damit entsteht aus einem Unternehmen durch die Diversifikation ein Konzern, wobei die Sparten „Unternehmen im Konzernunternehmen“ sind. Von einer internen Diversifikation spricht man, wenn die Unternehmung aus eigener Kraft - „von innen heraus“ - durch eigene Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in neue Produkt-Marktbereiche eindringt. Externe Diversifikation liegt vor, wenn die Unternehmung Diversifikation durch Zukauf anderer Unternehmen realisiert“ (vgl. Kieser / Walgenbach 2007, S. 236 f.) Definition ▼ Unternehmensführung Produktgruppe 2 Produktgruppe 3 Produktgruppe 1 Materialwirtschaft Produktion Vertrieb 1.Ebene (Geschäftsleitung) 2. Ebene (Divisions/ Sparten) 3. Ebene (Funktionalressorts) Zentralbereiche ... ... | Abb 28 Spartenorganisation (Vahs, D., 2012, S. 166) <?page no="129"?> 130 V o n d e r s t r a t e g I e z u d e n g r u n d f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Vorteile Nachteile ▶ Ganzheitliche Delegation der Zuständigkeit für Produkte, Märkte und Kunden auf einzelne Divisionen ist möglich; dadurch bessere Ausrichtung einer Strategie des Unternehmens auf spezifische Markt- und Wettbewerbserfordernisse ▶ Ressourcentrennung und Entscheidungsdezentralisation ermöglicht eine bessere Erfolgszurechnung ▶ Unternehmerische Selbständigkeit der Spartenleiter erhöht Motivation ▶ Verringerter Koordinations- und Kommunikationsbedarf, durch die Unternehmensspitze dadurch schnellere Entscheidungsfindung innerhalb der Sparte bzw. durch die Spartenleitung ▶ Entlastung der Unternehmensführung auf der Konzernebene, dadurch Konzentration auf Gesamtkoordination des Konzerns und auf grundsätzliche strategische Fragestellungen möglich ▶ Kernproblem liegt im Autonomiestreben und im übergreifenden zentralem Koordinationsbedarf der Divisionen ▶ Enger Entscheidungs- und Handlungsspielraum bei sehr zentralisierten Strukturen, dadurch Markt- und Kundennähe nicht effizient nutzbar ▶ Gefahr von Suboptimierungen bei stark dezentralisierter Struktur; fördert gewisse Funktionsbereiche in jeder Divisionen einzurichten, dadurch Doppelarbeiten und Verhinderung von Kostendegressionseffekten (Economiesof-Scale) ▶ Gefahr von Bereichsegoismen und kurzfristiger Gewinnorientierung in einzelnen Divisionen; dadurch keine Nutzung von Synergieeffekten und Gefahr von unproduktiven Konflikten ▶ Erhöhter Bedarf an Leitungsstellen durch Dezentralisierung von Leitungsaufgaben Vorteile der Diversifikation bzw. der Spartenorganisation: ▶ Bessere Wachstums- und Ertragsaussichten auf neue Produktmärkte für das Gesamtunternehmen (ergänzendes Instrumente hierfür sind das Portfoliomanagement und die Segmentberichterstattung im Jahresabschluss) ▶ Risikostreuung aufgrund integrierter Produktlebenszyklusüberlegungen und aufgrund von SWOT-Analysen (Stärken-Schwächen-Gelegenheits- Bedrohungsanalysen). ▶ Risiko- / Unabhängigkeitsüberlegungen bei vertikaler Diversifikation (Kauf des Rohstofflieferanten, wenn die Belieferung gefährdet sein könnte). ▶ Realisierung von Synergien: Aus dem Kerngeschäft erworbene Kenntnisse sollen in die Sparten und damit in den Gesamtkonzern transferiert werden. (VW z. B. baut sich einen Konzern aus dem PKW-Geschäft heraus auf, mit neuen Sparten wie Audi, Seat, Skoda, Sportwagen / Porsche, LKW / MAN und Motorrädern.) ▶ Gewinnung von Marktmacht durch Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch eigene Forschung und Entwicklung aber auch durch Mergers- und Akquisitionsaktivitäten. Strategisch kommen dabei das Gesetz der Massenproduktion, der Lernkurveneffekte, der Erfahrungskurve, einer Abb 29 | Vorteile / Nachteile der Spartenorganisation (in Anlehnung an Vahs, D., 2012, S. 172) <?page no="130"?> 131 p r a K t I s c h e g r u n d s t r u K t u r e n d e r p r I m ä r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Kostenführerschaft und / oder einer Differenzierungsstrategie durch Innovationsaktivitäten zum Tragen. Nachteile der Diversifikation bzw. der Spartenorganisation: ▶ Vernachlässigung der Kernkompetenzen und der Synergieeffekte, wenn Sparten als Profitcenter mit außertariflichen Managemententgeltsystemen geführt werden, werden langfristige Investitionen in die Personalentwicklung und die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten oft vernachlässigt. ▶ Probleme der Finanz-Konzernspitze, die Spartenorganisation nur mittels Portfoliomanagementüberlegungen und Synergieeffekten zu führen. ▶ Konzerne mit Sparten haben oft einen zu großen Verwaltungsbereich in der Konzernzentrale, aber auch in den einzelnen Sparten ▶ Spartenegoismen müssten bekämpft werden, wenn diese auf Kosten des Konzernjahresabschlusses sich auswirken, z. B. durch Verrechnungs- und Transferpreise zwischen den Sparten. Grundsätzlich erfolgt ein organisatorischer Wandel von einer funktionalen Organisationsstruktur zu einer Spartenorganisation nicht unmittelbar, sondern kann sich über Jahre erstrecken. Oft werden in einer funktionalen Organisation “task groups“ oder Projektgruppen gebildet, die sich über die Zeit zu Geschäftsfeldern / Sparten (Produkt-Markt-Kombinationstypen der Diversifikation nach Ansoff) entwickeln können. Grundformen der befristeten Aufgaben („Projektaufgaben“) ( → QR-Glossar) Der Einsatz von Projekten und deren Projektmanagement als Partialkonzept struktureller Organisationsführung, hilft Innovationen in die Unternehmung zu implementieren und mittels eines Change Managements die Mitarbeiter und die Führungskräfte zu flexibilisieren und zu revitalisieren, damit das Unternehmen seine Wachstumsstrategie aufrechterhalten kann und die Wettbewerbsfähigkeit nicht verliert. Aus diesem Grund wird Projektorganisation im Sinne des Phasenkriteriums von Kosiol als Primärorganisation, aber wegen der befristeten Aufgabenstellung eines Innovationsmanagements auch als eine Form der Sekundärorganisation angesehen. Aufgrund dieser strukturellen Grundüberlegungen erscheint der Doppelcharakter des Projektmanagements in der folgenden Zuspitzung gut widergegeben: | 5.2.2 ▶ Projektmanagement ist Führung von Projekten aufgrund wachstumsfördernder Innovationen im Unternehmen und ▶ Führung durch Projekte ist ein Projektmanagement, um die innovative Revitalisierung der Organisation zu fördern und zu erhalten. Definition ▼ organisatorischer Wandel <?page no="131"?> 132 V o n d e r s t r a t e g I e z u d e n g r u n d f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Dadurch erhält man auch zwei Definitionen eines Projektmanagements in Unternehmen: 1) Projektmanagement umfasst i. S. v. Kosiols Organisationsprinzip „Phase“ die Gesamtheit aller Managementaufgaben: Zielsetzung, Planung, Organisation, Personalführung, Durchführung und Kontrolle zur Abwicklung eines Projekts in der Beschaffung, Produktion und im Absatz eines Produkt-Markt-Geschäftsmodells, das sich bei Wiederholungsfällen zu einer eigenen Sparte entwickeln kann. 2) Projektmanagement ist eine task group bzw. ein Shared Service Center oder ein Modul innerhalb der Gesamtorganisation der Unternehmung, um innovative Elemente oder Revitalierungsaktivitäten in die Unternehmensführung einzelner Funktionen und Sparten zu implementieren. Typische Aufgabenfelder betrieblicher Projektarbeit sind in Großunternehmen: ▶ Grundlagenforschung zu betreiben, um die technologische Entwicklung in einzelnen naturwissenschaftlich-technischen Feldern mitzugestalten und um die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produkte zu erhalten. ▶ Angewandte Forschung, Produktentwicklung und montagegerechte Konstruktion von Nullserien zur Implementierung der eigenen Produkte in die Produktion. ▶ Investition und Bauvorhaben, ob Haus, Straße, Glasfaserverlegung in einer Region, Brücke, Staudamm, Schiffsbau oder Kraftwerksbau, um nur einige zu benennen. ▶ Rationalisierung und Automation der Geschäftsprozesse (z. B. die Lohn- und Gehaltsrechnung wird mit SAP durchgeführt und in das Management-Informationssystem des Gesamtunternehmens integriert.) ▶ Unternehmensakquisition und Neuausrichtung des Gesamtkonzerns. ▶ Reorganisation der Primär- und Sekundärorganisation wegen Diversifikationen und innovativer Strategieentwicklung (Structure follows Strategy und vice versa) Demnach zeichnen sich Projekte durch folgende charakteristische Aspekte aus: Sie sind komplex, für das Unternehmen neuartig und erstmalig, zeitlich klar limitiert wegen knapper Ressourcen, und sie erfordern funktions- und ressourcenübergreifendes Know-how. D. h. normalerweise werden die Ressourcen aus dem operativen Geschäft des laufenden Unternehmens entzogen, und könnten das Tagesgeschäft beeinträchtigen. Wegen des hohen Ressourcenverbrauchs werden die Phasen der Projektarbeit mittels eines Projektmanagements sorgfältig geplant und realisiert, will man einen Flop des Projektes vermeiden und / oder Konventionalstrafen in Kauf nehmen, da der Kunde das Projekt am Ende nicht übernehmen kann und will. Projektarbeit <?page no="132"?> 133 p r a K t I s c h e g r u n d s t r u K t u r e n d e r p r I m ä r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Typische Phasen eines Projektes sind Erhalten eines Projektauftrages, Projektplanung, Projektdurchführung und Projektabschluss. Vorteile Nachteile ▶ Volle Konzentration auf ein Projektvorhaben (straffe Organisation) ▶ Unmittelbarer Zugang zur Unternehmensleitung ▶ Weniger Konflikte zwischen Projektgruppe und Abteilungen in der laufenden Projektarbeit ▶ Volle Kompetenzausstattung des Projektleiters ▶ Schnelle Reaktion bei Projektstörungen möglich ▶ Verkürzte Projektlaufzeiten ▶ Eindeutige Zuordnung von Kosten und Erfolgen / Umsätzen ▶ Unklare Einsatzverwendung der Projektmitglieder nach Projektende ▶ Konkurrenzdenken zwischen Projektgruppe und Linie ▶ Gefahr der Kompetenzüberschreitung durch Projektleiter ▶ Schwierigkeit, Projektorganisation dauerhaft zu etablieren, z. B. zu Sparten (Projekte immer nur temporär) ▶ Hohe organisatorische Umstellungskosten, Vertretungsregelungen für freigestellte Mitarbeiter notwendig Mehrdimensionale, innovative Organisationsstrukturen … als Philosophie eines strategieorientierten Differenzierungs- und Konfliktmanagements. Mehrdimensionale Organisationsstrukturen, wie die Matrix- und Tensororganisation, sind in hochkomplexen, innovativen, technologieorientierten Konzernen erforderlich, wenn die Spitze des Konzerns sich weder im permanenten Innovationsmanagement ihrer Produkte und Dienstleis- Bezirk K Verkauf Bezirk L Bezirk M Gruppe 1 Projektleiter Gruppe 2 Einkauf Projektleiter Finanzen Personal Werk 1 Projektleiter Werk 2 Werk 3 Unternehmensleitung Am Projekt beteiligte Organisationseinheiten | Abb 30 Projektorganisation ( → QR-Glossar) (Olfert, K., 2010, S. 47) | Abb 31 Vorteile / Nachteile der Projektorganisation (Olfert, K., 2010, S. 48; Schmidt, G. , 2000 S. 143) | 5.2.3 <?page no="133"?> 134 V o n d e r s t r a t e g I e z u d e n g r u n d f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation tungen, noch in der optimalen Verteilung der Ressourcen oder noch in der Vermarktung dieser technologiegetriebenen Produkte professionell orientieren kann. Konzern-Finanzholdings suchen bei mehrdimensionalen Technologien und Produkten der Unternehmung unter anderen eine betriebswirtschaftliche Erfolgslösung in der Organisation. Unternehmen planen neben dem Strategischen Management und Finanzmanagement die Organisation als Führungsmittel mit ein, indem sie die Managementphilosophie der „Harmonie durch Hierarchie“ durch Konfliktmanagement und marktähnliche Strukturen in der Organisation bei der Zielfindung und Ressourcenverteilung bewusst einsetzen. Rein formal werden Verrichtungs- und Objektprinzip kombiniert oder eine Funktionale Organisationsform auf der zweiten Hierarchieebene mit einer Sparten- und / oder Projektorganisation verknüpft, so dass Funktionsmanager und Sparten- / Projektmanager sich beim Verteilen um die knappen Ressourcen streiten, kommunikativ feilschen oder rhetorisch überzeugen müssen usw. Je nachdem, in welcher zeitlichen und / oder internationalen Phase ein Produkt sich in seinem integrierten Lebenszyklus befindet, braucht es mehr oder minder Ressourcen von den Funktionen. Gleichzeitig erhofft man sich Lern- und Erfahrungskurveneffekte bei den Mitarbeitern und Managern, die alte Projekterfahrungen auf die neuen Projekte übertragen sollen (Technologietransfer). Seit den 1970er Jahren entwickeln sich mehrdimensionale Organisationsstrukturen in amerikanischen aber auch europäischen Unternehmen, die dabei einige typische Intensitätsstufen der Internationalisierung bis Globalisierung durchlaufen haben. 1) Stufe: Autonome ausländische Tochtergesellschaften werden gegründet: ▶ Wenn Exporte in Auslandsmärkten durch tarifäre und nicht-tarifäre Gesetze, inflationäre Währungen oder politische Aspekte von Staaten bedroht werden oder die Staaten explizit verlangen, dass Produkte, die in ihrem Land verkauft werden auch dort hergestellt oder entwickelt werden müssen, entstehen ausländische Tochtergesellschaften. In den ausländischen Tochtergesellschaften hat das Management unbegrenzte Entscheidungs- und Handlungskompetenzen. Die Mutter- und Tochtergesellschaften sind oft nur durch finanzielle Beziehungen verknüpft, da es an einer einheitlichen internationalen und / oder globalen Strategie fehlt. Die ausländischen Tochtergesellschaften mit gleichen Divisionen / Sparten bzw. Geschäftsbereichen können vor Ort ihre eigene Forschung und Entwicklung, Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Verwaltung pro Sparte betreiben. Erfolgslösung in der Organisation typische Intensitätsstufen der Internationalisierung bis Globalisierung <?page no="134"?> 135 p r a K t I s c h e g r u n d s t r u K t u r e n d e r p r I m ä r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 2) Stufe: Es wird eine Strategie für jede gleiche Sparte aller ausländischen Tochtergesellschaften und der entsprechenden inländischen Konzern- Spartengesellschaft entwickelt und eine Internationale Division pro Sparte in der Konzernmutter zur Koordination der in- und ausländischen Auslandsgesellschaften eingerichtet. ▶ Alle gleichen Sparten aller Auslandsgesellschaften und der Inlandsgesellschaft sind der Internationalen Division unterstellt und diese wiederum der Konzernspitze. Internationale Divisionen kommen sowohl mit funktionalen als auch mit divisionalen Strukturen vor. Hier treten unterschiedliche Probleme auf, z. B., ob eine Auslandstochter eigene Forschung und Entwicklung betreiben darf oder ob die Forschung und Entwicklung zentralisiert bei der Muttergesellschaft angesiedelt werden soll. Darf jede Auslandstochtergesellschaft ihre eigenen Beschaffungswege entwickeln oder sollen diese zentral gesteuert und koordiniert werden. Wie werden Produkte weiterentwickelt und die Erfahrungen von Produktgeneration zu Produktgeneration weitergegeben und organisatorisch implementiert. Soll eine Arbeitsteilung in der Beschaffung, in der Produktion, in der Verwaltung erfolgen, um unterschiedliche Kostenvorteile zu erzielen usw. 3) Stufe: Schaffung globaler Strategien und Strukturen unter Auflösung der internationalen Divisionen in der Muttergesellschaft bzw. in der Konzernzentrale. 1. Ebene (Geschäftsleitung) 2. Ebene (Funktionalressorts) 2. Ebene (z.B. Projekte) Unternehmensführung Produktion Vertrieb Materialwirtschaft Zentralbereiche Produktgruppe 1 Produktgruppe 2 Projekt 1 Matrixschnittstelle Problembereich Matrixteam 2. Ebene (Divisions/ Sparten) | Abb 32 Matrix- / Tensorganisation (Vahs, D., 2012, S. 178) <?page no="135"?> 136 V o n d e r s t r a t e g I e z u d e n g r u n d f o r m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Vorteile Nachteile ▶ Kurze Kommunikationswege durch zugrunde liegendes Mehrlinienprinzip ▶ Chance zu ganzheitlichen, innovativen Problemlösungen durch Einbeziehung unterschiedlicher Sichtweisen verschiedener Dimensionen (z. B. Produktlebenszyklusphase jedes Projektes oder Produktes, EBIT und Umsätze pro Produkt) ▶ Flexible strategische Ausrichtung der Organisation auf veränderte Markt- und Wettbewerbserfordernisse; keine Neugestaltung der gesamten Unternehmensorganisation durch Innovationen erforderlich (z. B. bei Aufnahme neuer Produkte und / oder Märkte) ▶ Entlastung der Unternehmensführung durch spezialisierte Leitungsinstanzen innerhalb der verschiedenen Dimensionen ▶ Gute Möglichkeiten der Personalentwicklung durch unternehmerischen Spielraum für Matrixmanager ▶ Entwicklung von variablen Entgeltelementen und Incentives auf der Grundlage des Shareholder Values ▶ Probleme bei der Abgrenzung der funktionalen und objektorientierten Kompetenzen ▶ Vorprogrammierte Schnittstellenkonflikte (gewollt zwecks Ressourcenallokation), hoher Koordinationsaufwand ▶ Erhöhter Regelungsbedarf durch Richtlinien, Handlungsanweisungen, Stellenbeschreibungen usw. ▶ Entscheidungsfindung schwerfälliger; Gefahr erzwungener Kompromisse; Zwang zum Konsens kann sehr zeitaufwendig werden und ▶ Simultane Aufgaben- und Problembetrachtung steht beschränkter Informationsverarbeitungskapazität entgegen, nur teilweise durch hohe Leitungsintensität ausgleichbar ▶ Hohe fachliche Anforderungen an Mitarbeiter und Führungskräfte ▶ Gefahr von faulen Kompromissen zwischen Funktionen, Projekten und Sparten Die Vorteile von Matrixstrukturen: Matrixstrukturen und mehrdimensionale Strukturen (Tensororganisationen) erweisen sich als effektiv und sinnvoll, um bei der Koordination Skaleneffekte und Synergieeffekte bei Funktionen zu erzielen, aber auch bei globalen Strategien als auch bei Teil-Strategien, die auf die Besonderheiten von Regionen (z. B. Europa, USA / Länder / Marktsegmenten wie Europäische Jugendgruppen etc.) ausgerichtet sind, erweisen sich mehrdimensionale Strukturenals besonders vorteilhaft. Gleiches gilt für lebenszyklusphasenorientierte Projekttypen im Flugzeug-, Schifffahrtsbau oder in der Telekommunikation, die über mehrere „Produktgenerationen“ überlappend fortgeschrieben werden müssen. Nachteile der Matrixstrukturen: Matrixorganisationen können über Transfer- und Bürokratieregeln auf eine andere Art von „Hierarchien“ wieder einführen, wenn ihnen das Konfliktmanagement um Ressourcen bei der Forschung und Entwick- Abb 33 | Vorteile / Nachteile der Matrixorganisation ( → QR-Glossar) (in Anlehnung an Vahs, D., 2012, S. 180 ff.) <?page no="136"?> 137 p r a K t I s c h e g r u n d s t r u K t u r e n d e r p r I m ä r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation lung zwischen Mutterzentrale und Töchter, zwischen Funktionen, Sparten, Regionen und Projekten zu konfliktträchtig wird oder Mitarbeiter einfach das Unternehmen verlassen. 1 Welche Grundformen der Organisation kennen Sie? Erläutern Sie diese und skizzieren Sie deren Struktur. 2 Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile der Grundformen der Organisation. 3 Beschreiben und erläutern sie die Typen der Diversifikation. 4 Wie spiegelt sich die Strategie in der Organisation wieder? Erläutern sie dies an drei Beispielen. Die Antworten finden Sie auf unserer Web-Service-Seite zum Buch. Fragen ▼ ▲ f reSe , e rich (1984): Grundlagen der Organisation. 2. Aufl. Wiesbaden: Gabler-Verlag. J oneS , G areth , r. / B ouncKen , r icarda , B. (2008): Organisation. 5. Aufl. München: Pearson Studium. K ieSer , a. / W alGenBach , p. (2007): Organisation. 5. Aufl. Stuttgart: Schäffer Poeschel Verlag. S chreyöGG , G eorG (2012): Grundlagen der Organisation. Wiesbaden: Springer Gabler Verlag. S chmeiSSer , W illhelm / S toeff , d aniel (2014): Leanmanagement, E-Book, München. V ahS , d ietmar (1997): Organisation. Stuttgart: Schäffer Poeschel Verlag. Literatur <?page no="137"?> 138 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Bei Betrachtung der Entwicklung der Organisationstheorien der letzten Jahrzehnte fällt ins Auge, dass die Vielfältigkeit der Ansätze auf das spezifische Interesse verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen am Objekt Organisation zurückzuführen ist. So haben Betriebswirtschaftslehre, Psychologie, Sozial- und Politikwissenschaften ausdifferenzierte Konzepte aus ihrer Perspektive vorgelegt. Sie vernachlässigen dabei in den allermeisten Fällen, auf die Erkenntnisse der Nachbardisziplinen einzugehen. Leider können wir deshalb nicht auf ein disziplinübergreifendes theoretisches Konzept zurückgreifen. Wie also ist vorzugehen, um den vorliegenden reichen Schatz, den die verschiedenen Disziplinen angehäuft haben, zu heben und die heute noch tragfähigen Ansätze mit den aktuell herrschenden ökonomischen und gesellschaftlichen Kontexten zu verknüpfen? Der ganz schlichte Ansatz wäre, einen Organisations-Kanon dessen zusammenzustellen, was man wissen sollte, um einen gebildeten Eindruck beim Small Talk zu hinterlassen. Das ist nicht unser Anliegen. Organisationen auf dem Weg in das Digitale Zeitalter 6 | Inhalt 6.1 Herausforderungen für die aktuelle Organisationsforschung 6.2 Organisationskonzepte in der vorindustriellen und industriellen Zeit 6.3 Die computergestützte Organisation in der Industriegesellschaft 6.4. Personal Computer (PC) und Internet als Werkzeug und Medium für Organisationen und Lebenswelt 6.5 Globale Netzwerkorganisationen - Realitäten und Visionen 6.6 Die Durchdringung von Organisationen durch Smartphone, Tablet-PC und Soziale Netzwerke <?page no="138"?> 139 d I e a K t u e l l e o r g a n I s a t I o n s f o r s c h u n g Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Herausforderungen für die aktuelle Organisationsforschung ▶ Sie sollen wissen, was die Gründe für die Vielfältigkeit der organisationstheoretischen Angebote sind. ▶ Sie werden drei wichtige Herausforderungen für die heutige Organisationsforschung kennenlernen. ▶ Sie sollen die Intervon der Transdisziplinarität unterscheiden können. Wir werden bei den vorhandenen Lücken der disziplinären Konzepte ansetzen und sehen drei Herausforderungen für eine zeitgemäße Organisationsforschung: 1) Verzahnung der Organisationsforschung mit gesellschaftlichen Entwicklungen aus einer historischen Perspektive Bislang werden gesellschaftliche Entwicklungsverläufe, die neue Herausforderungen für organisationstheoretische Ansätze provozieren, nicht systematisch in den Blick genommen. Gesellschaftliche Kontexte haben zur Ausprägung jeweils unterschiedlicher disziplinärer Kulturen bis auf den heutigen Tag geführt. Gesellschaften verändern sich durch neue ▶ Leitbilder, ▶ Normen, ▶ Regulierungen und ▶ technische Innovationen. Organisationen nehmen diese auf und reagieren mit Anpassungen. Nach und nach hat sich so ein enormer, nicht immer mehr aktueller Wissensbestand über Organisationen angesammelt. Zu konstatieren ist, dass wir heute, bei der Entwicklung neuer Konzepte, auf den Schultern von Riesen stehen, die es zur Kenntnis zu nehmen gilt, um zu lernen und nicht längst Bekanntes neu aufzuwärmen. Manches ist davon veraltet, vieles von dem hat auch heute noch Gültigkeit. 2) Digitalisierung und Globalisierung als aktuelle Herausforderungen Auf diesem Fundament sind die aktuellen Herausforderungen und Kontexte für Organisationen zu beschreiben. Auf einen knappen Nen- | 6.1 Lernziele ▼ ▲ Es gilt im Sinne des „history matters“, die Verläufe in ihren Grundzügen zu verstehen und gleichzeitig die Organisationsforschung um ihre enge Verzahnung mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu erweitern. Merksatz ▼ drei Herausforderungen für eine zeitgemäße Organisationsforschung <?page no="139"?> 140 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ner gebracht: Viele aktuelle Herausforderungen für die Organisationsforschung resultieren aus der Digitalisierung und Globalisierung vieler gesellschaftlicher und ökonomischer Bereiche, wobei die Globalisierung erst mit dem verstärkten Einsatz der Informationstechnik einen Schub erhalten konnte. Insofern haben wir es mit Wechselwirkungen zu tun. Computer und Internet haben Zeit und Raum schrumpfen lassen. Prozesse, an denen Menschen und Materialien beteiligt sind, beschleunigen sich ebenso wie Informationen und Innovationen. 3) Transdisziplinäre Öffnung der Organisationsforschung Angesichts dieser Entwicklungen erscheint die analytische Beschränkung der Organisationsforschung auf eine disziplinäre Perspektive willkürlicher und ungeeigneter denn je. Die globalisierte und digitalisierte Welt mit ihren Organisationsnetzwerken zeichnet sich durch hochkomplexe Wechselwirkungen aus. Gesellschaften verändern sich, Menschen müssen sich in ihrer Lebenswie Arbeitswelt anpassen. Die Folgewirkungen sollten deshalb nicht nur aus einer disziplinären Sichtweise betrachtet werden und alles, was aus dieser Perspektive nicht von Interesse ist, sollte nicht als „Nebenfolgen versenkt“ werden. Dies ist besonders in den Wirtschaftswissenschaften aufgrund der Homo-oeconomicus-Orientierung verbreitet. Die Organisationsforschung setzt sich mit einer Vielzahl interessanter Fragen auseinander, die zum Teil noch nicht gelöst sind oder kontrovers diskutiert werden. Einige davon sind: Schreiben ökonomische und technische Sachzwänge die Ausprägung von Organisationen verbindlich vor? Oder haben kulturelle Leitbilder, gesetzliche Regulierungen, Interessen von Akteuren, spezifische Konstellationen und Wechselwirkungen eine Rolle bei der Veränderung von Organisationen gespielt? Welche Rolle spielt die Informationstechnik? Welche methodischen Konzepte sind erkennbar, wie sind sie entstanden, was sind historisch ihre Grundlagen? Sind Widersprüche, Optionen, Risse und Brüche beim jetzt vorzustellenden dominanten Pfad der Entwicklung von Organisationen erkennbar? Weltweite Arbeitsteilung und Logistiksysteme verknüpfen die Welt wie nie zuvor und erfordern tragfähige organisatorische Konzepte. So lässt sich die Verflechtung der Welt nicht zuletzt am Beispiel der Organisationsveränderungen durch Informationstechnik vermitteln. Merksatz ▼ Transdisziplinarität ist ein Modus zwischen zwei und mehr wissenschaftlichen Disziplinen. Während Interdisziplinarität, wie etwa bei der Wirtschaftsinformatik, von den beteiligten Disziplinen getragen wird und häufig eine neue Disziplin entsteht, orientiert transdisziplinäres Vorgehen ihre Beiträge unmittelbar am vorliegenden Problem. Transdisziplinarität ist nicht auf die Gründung einer neuen Disziplin aus. Damit ersetzt die Transdisziplinarität keineswegs die Disziplinarität, ihre Primärmotivation ist die Lösung gesellschaftlicher Problemlagen. Definition ▼ Transdisziplinarität <?page no="140"?> 141 V o r I n d u s t r I e l l e u n d I n d u s t r I e l l e n z e I t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Internet-Tipps http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Organisationstheorie http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Organisation Organisationskonzepte in der vorindustriellen und industriellen Zeit ▶ Sie sollen erkennen, wie Organisationen von gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig sind. ▶ Sie sollen verstehen, dass die Entwicklung von Organisationen in Wechselwirkungen eingebunden ist. ▶ Sie sollen eine Beziehung zwischen bedeutenden Organisationskonzepten der industriellen Gesellschaft herstellen können. Das Kontor in der vorindustriellen Zeit In der Abbildung blicken wir auf einen Kontorschreibtisch etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die anfallenden Verrichtungen sollen vor allem durch eine übersichtliche Ordnung, die schnelle Handgriffe erlaubt, ratio- | 6.2 Lernziele ▼ ▲ | 6.2.1 | Abb 34 Kontorschreibtisch Kontorschreibtisch <?page no="141"?> 142 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation nell abgewickelt werden können. Dem strengen Vorgesetzten ist der Anblick dieser Ordnung eine Wonne. Könnte die Anordnung der Icons auf einem PC-Desktop eine gewisse Verwandtschaft signalisieren? Das Kontor ist die vorindustrielle Organisationsform des Büros. Sie reicht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück und hat auf den ersten Blick Ähnlichkeiten, abgesehen von der technischen Ausrüstung, mit heutigen Büros von Selbstständigen sowie Klein- und Mittelständlern. Jeder Büroangestellte hat seinen Bereich. Der Grad der Arbeitsteilung und Standardisierung der Aufgaben ist noch gering. Der Arbeitsstil der Beschäftigten ist stark von damals geltenden kulturellen Leitbildern der damaligen Gesellschaft wie Korrektheit, Ordnung, Pünktlichkeit und Disziplin geprägt. Der Inhaber ist der Patriarch, seinen Weisungen ist Folge zu leisten, er hat die Kontrolle über alles. Eine stärkere Arbeitsteilung und Standardisierung setzt mit der Technisierung des Büros ein durch Telegraph, Telefon vor allem durch die Schreibmaschine. Sie verändern die Büroorganisation. Es werden überwiegend Frauen zur Bedienung der Bürotechnik und zum Maschineschreiben eingestellt. Die Schreibarbeiten werden von den Beschäftigten und ihren übrigen Arbeitsaufgaben abgespalten und konzentrieren sich jetzt bei den weiblichen Schreibkräften. Mit dem Aufkommen der Industrialisierung weitet sich der Verwaltungsaufwand, insbesondere durch Kontrolltätigkeiten und Schriftverkehr, enorm aus. vorindustrielle Organisationsform Arbeitsteilung und Standardisierung Organisationen & Technik wirken zurück auf Gesellschaft Gesellschaft wirkt auf Organisationen & Technik Büro Kontor Produktion: Manufaktur: Einzelherstellung mit geringer Arbeitsteilung Technik: Schreibmaschine, Telefon, Werkzeug Gesellschaftliche Bedingungen, Kultur und Leitbilder: Korrektheit, Disziplin, Pünktlichkeit, klare Hierarchien Technik wird von Organisationen beobachtet und evtl.gekauft Technikhersteller bieten Organisationen Technik an Organisation Abb 35 | Manufaktur <?page no="142"?> 143 V o r I n d u s t r I e l l e u n d I n d u s t r I e l l e n z e I t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Abbildung zeigt: In der vorindustriellen Zeit, auch als Manufaktur bezeichnet, wird die Organisation durch eine Reihe von Einflüssen geprägt, die durch die Pfeile angedeutet werden. So z. B. durch die damals herrschenden kulturellen Bedingungen, die sich in Korrektheit, Disziplin, Pünktlichkeit und klaren Hierarchien bei den Beschäftigten ausdrückten. Aber auch die seinerzeit vorhandene, noch spärliche Technik (Schreibmaschine, Telefon) hatte Einfluss auf die Arbeitsabläufe. Technikhersteller, z. B. Schreibmaschinenfabriken bieten den Organisationen an und recherchieren, was die Büroarbeiter gebrauchen können, damit ihre Arbeit produktiver wird. Umgekehrt beobachten die Organisationen, was an neuen Techniken für sie interessant sein könnte. Die Dreifachpfeile deuten an, dass sowohl unterschiedliche Einflüsse zur Geltung kommen; sie sollen aber auch zeigen, dass kein Stillstand herrscht, sondern Organisationen und Technik in einer dynamischen Entwicklung stehen, auch wenn diese in der vorindustriellen Zeit noch nicht sehr ausgeprägt waren. Taylor, Ford & Co - Die Organisationsbasis der Industriegesellschaft Wichtige Grundlagen der Organisationskonzepte, die zum Teil auch heute noch von Bedeutung sind, wurden zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gelegt. Sie sind eng mit den Namen F.W. Taylor (1856 - 1915) und Henry Ford (1863 - 1947) verbunden. Beide gelten heute als Begründer der arbeitsorganisatorischen Produktionskonzepte der Industriegesellschaft. Die Konzepte wurden schon bald auf Büro und Verwaltung übertragen. Im „Fließbandbüro“ findet dies seinen Ausdruck, das wir noch vorstellen werden. F. W. Taylors „Wissenschaftliche Betriebsführung“ F. W. Taylor versuchte mit der sog. „Wissenschaftlichen Betriebsführung“ die aufkommende Massenproduktion des Industriezeitalters in eine hierarchische und auf Arbeitszerlegung und Standardisierung von Aufgaben aufbauende Ordnung zu bringen. Er hat damit nicht nur die Strukturen der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts geprägt, sondern auch wesentliche „Vorarbeiten“ für den späteren Einsatz von Informationstechnik gemacht. Taylors Konzepte zwingen dazu, auf sein Menschenbild einzugehen. Es ist durch die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt. Taylor sah es als wichtigste Aufgabe des Managements an, aus jedem Arbeiter entsprechend seiner Anlagen, die maximale Leistung herauszuholen. Seiner Meinung nach gibt es ein stillschweigendes Übereinkommen der Arbeiter, „sich um die Arbeit zu drücken, d. h. absichtlich so langsam zu arbeiten, dass ja nicht eine wirkliche ehrliche Tagesleistung zustande kommt („soldiering“ nennt es der Amerikaner, hanging it out der Eng- | 6.2.2 Begründer der arbeitsorganisatorischen Produktionskonzepte Menschenbild <?page no="143"?> 144 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation länder, „canac“ der Schotte) Taylor sah drei Ursachen für die mangelhaften Leistungen der Arbeiter: ▶ „Der angebliche Trugschluß, der von Urzeiten her fast allgemein unter den Arbeitern verbreitet ist, dass eine wesentliche Vergrößerung der Produktion jedes Mannes und jeder Maschine schließlich dazu führen muss, eine große Anzahl von Arbeitern brotlos zu machen. ▶ Die mangelhaften Betriebs- und Verwaltungssysteme, die allgemein verbreitet sind und die jeden Arbeiter zum <Bummeln> zwingen, um seinen eigenen Vorteil zu wahren. ▶ Die unökonomischen Faustregel-Methoden, die sich noch in allen Gewerben finden, und bei deren Anwendung unsere Arbeiter einen großen Teil ihrer Kraft verschwenden“ (Taylor, S. 14). Diese Melange aus Erfahrungen und Vorurteilen ist die Grundlage für die so genannte „Wissenschaftliche Betriebsführung“, die Taylor damals gegen viele Angriffe verteidigen musste. Sie haben die Fabriken und Büros des 20. Jahrhunderts wie kaum eine andere Lehre bis heute beeinflusst. Die wesentlichen methodischen Grundsätze lassen sich so zusammenfassen: ▶ Trennung von Hand- und Kopfarbeit: Die Leitung plant die Arbeit präzise, der Arbeiter konzentriert sich auf die präzise Ausführung. ▶ Die Arbeitsleiter oder das Management verschaffen sich durch Arbeitsanalyse Einblick in den Betriebsablauf und optimieren die Organisation durch Arbeitszerlegung, Standardisierung und Formalisierung und durch sich ständig wiederholende Arbeitsvorgänge. ▶ Der Arbeiter soll nicht eigenen Vorstellungen des Arbeitsvollzuges folgen, er soll vielmehr die verbleibenden, hoch standardisierten kurzen Arbeitszyklen wie eine Maschine abarbeiten. ▶ Das angestrebte Resultat: Abschaffung des vermeintlichen „Bummelsystems der Arbeiter und ihrer „Faustregeln“ sowie die Herstellung der Kontrolle des Managements über Arbeit und Arbeiter. ▶ Management und Betriebseigentümer erhalten den Großteil der Zuwächse der Arbeitsproduktivität, ein geringer Teil geht an die Arbeiter. Es ist nicht ganz leicht, Taylors Vorurteile über Menschen von seinem methodischen Konzept zu trennen. Ein solcher Versuch muss seinen Ausgangspunkt bei den gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen am Ende des 19. Jahrhunderts nehmen. Taylor beabsichtigte mit seinem Konzept, eine Zusammenfassung Grundsätze Ursachen für die mangelhaften Leistungen Taylors Vorurteile über Menschen <?page no="144"?> 145 V o r I n d u s t r I e l l e u n d I n d u s t r I e l l e n z e I t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation schlüssige Arbeitsorganisation für das industrielle Zeitalter aus Sicht des Managements zu geben, die durch die aufkommende Massenproduktion geprägt war. Es war eine Zeit des Aufbruchs, die von Klassenkämpfen zwischen Fabrikbesitzern und Arbeitern und ihren Gewerkschaften gekennzeichnet war. Es wurden viele Arbeitskräfte benötigt, die damals in den USA überwiegend ungebildet waren und möglichst wenig Kosten sollten. Methodisch bedeutet die Trennung von Kopf- und Handarbeit, dass die Arbeit, die der Arbeiter bislang nach seinem Erfahrungen, Interessen und Empfindlichkeiten verrichtete, aus seinem Kontext herausgelöst bzw. in der bestehenden Form zerstört wird (Dekontextualisierung bzw. Destruktion). Sodann wird die Arbeit zerlegt, standardisiert und formalisiert, also in eine Form gebracht, die sich am Bild der Maschine orientiert, und anschließend wieder in den Arbeitskontext der Arbeiter zurückgeführt (Rekontextualisierung bzw. Konstruktion). Für die Planung dieser neuen Arbeitsorganisation sind die Kopfarbeiter, sog. Arbeitsplaner zuständig. „Den Leitern fällt es z. B. zu, all die überlieferten Kenntnisse zusammenzutragen, die früher im Alleinbesitz der einzelnen Arbeiter waren, sie zu klassifizieren und in Tabellen zu bringen, aus diesen Kenntnissen Regeln, Gesetze und Formeln zu bilden, zur Hilfe zum Besten des Arbeiters bei seiner täglichen Arbeit... welche an Stelle des Gutdünkens des einzelnen Arbeiters treten. Sie können mit Erfolg erst angewendet werden, wenn sie systematisch aufgezeichnet und zusammengestellt sind. Die praktische Anwendung von wissenschaftlichen Aufzeichnungen erfordert auch einen Raum, in dem die Bücher, Statistiken etc. aufbewahrt werden, und einen Tisch, an dem der disponierende Kopfarbeiter arbeiten kann. Alle Kopfarbeit unter dem alten System wurde von dem Arbeiter mitgeleistet und war ein Resultat seiner persönlichen Erfahrung.“ (1983, S. 38 f.). Taylors Lehren waren zu seiner Zeit umstritten. Mehrmals musste er sich vor dem amerikanischen Repräsentantenhaus verteidigen. Ihm wurde vorgeworfen, dass sein methodisches Konzept ausschließlich die Interessen des Managements im Blick habe, die Interessen der Arbeiter ignoriere, obwohl es doch auch möglich sei, eine „Wissenschaftliche Betriebsführung“ zu entwerfen, die auch die Interessen der Arbeiter berücksichtigt. Allerdings wurden arbeitnehmerorientierte Alternativen von der Wissenschaft zu der Zeit nicht vorgelegt. Trennung von Kopf- und Handarbeit ausschließlich die Interessen des Managements Info ▼ ▲ <?page no="145"?> 146 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Henry Fords Fließbandorganisation Taylor publizierte viel, um seine Lehre zu verbreiten, anders Henry Ford, der seine Ideen in der Praxis umsetzen wollte. Ford richtete den Blick auf das Fabriksystem. „Das rasche Wachstum und Tempo der Produktion machte jedoch sehr bald das Ersinnen neuer Produktionspläne erforderlich, um zu vermeiden, dass die verschiedenen Arbeiter übereinander stolperten. Der ungelernte Arbeiter verwendet mehr Zeit mit Suchen und Heranholen von Material und Werkzeugen als mit Arbeit und erhält dafür geringen Lohn, da das Spazierengehen bisher immer noch nicht sonderlich hoch bezahlt wird. Der erste Fortschritt in der Montage bestand darin, dass wir die Arbeit zu den Arbeitern hinschafften, statt umgekehrt. Heute befolgen wir zwei große allgemeine Prinzipien bei sämtlichen Verrichtungen - einen Arbeiter, wenn irgend möglich, niemals mehr als nur einen Schritt tun zu lassen und nirgends zu dulden, dass er sich bei der Arbeit nach den Seiten oder vornüber zu bücken braucht. Die bei der Montage befolgten Grundregeln lauten: 1) Ordne Werkzeuge wie Arbeiter in der Reihenfolge der bevorstehenden Verrichtungen, so daß jedes Teil während des Prozesses der Zusammensetzung einen möglichst geringen Weg zurückzulegen hat. 2) Bediene dich der Gleitbahnen oder anderer Transportmittel, damit der Arbeiter nach vollendeter Verrichtung das Teil, an dem er gearbeitet hat, stets an dem gleichen Fleck - der sich selbstverständlich an der handlichsten Stelle befinden muß - fallen lassen kann. Wenn möglich, nutze die Schwerkraft aus, um das betreffende Teil dem nächsten Arbeiter zuzuführen. 3) Bediene dich der Montagebahnen, um die zusammenzusetzenden Teile in handlichen Zwischenräumen an- und abfahren zu lassen. Das Nettoresultat aus der Befolgung dieser Grundregeln ist eine Verminderung der Ansprüche an die Denktätigkeit des Arbeitenden und eine Reduzierung seiner Bewegungen auf das Mindestmaß. Nach Möglichkeit hat er ein und dieselbe Sache mit nur ein und derselben Bewegung zu verrichten.“ … „Ich glaube, es war die erste bewegliche Montagebahn, die je eingerichtet wurde. Im Prinzip ähnelte sie den Schiebebahnen, deren sich die Chicagoer Fleischpacker bei der Zerlegung der Rinder bedienen.“ (Henry Ford: „Mein Leben und Werk “ (1923, S. 92 - 94). Fords Vorstellungen wurden damals nicht von allen Arbeitern geteilt. Zeitweilig betrug die Fluktuationsrate bis zu 60 Prozent der Belegschaft im Monat. Als Ursachen wurden Monotonie und Arbeitshetze durch zu schnellen Lauf der Fließbänder genannt. Charlie Chaplin hat die fordis- Info ▼ ▲ <?page no="146"?> 147 V o r I n d u s t r I e l l e u n d I n d u s t r I e l l e n z e I t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation tische Arbeitsorganisation in seinem Film „Modern Times“ auf brilliante Weise dargestellt. Die organisatorische Alternative von Hellpach und Lang bei Daimler Gab es damals im Automobilbau andere Produktionskonzepte als die Fließbandorganisation? Im Deutschland der Nachkriegszeit des 1. Weltkrieges (1914 - 1918) entwickelten die beiden Mitarbeiter der Daimler- Motorengesellschaft im Werk Untertürkheim Hellpach und Lang ein Konzept zur Gruppenfabrikation (1922). Während der Betriebsingenieur Lang neue organisatorische Strukturen entwarf, analysierte der Mediziner und Psychologe Hellpach die sozialpsychologischen Auswirkungen der Gruppenfabrikation. Es war ein Gegenentwurf zu Taylorismus und Fordismus, allerdings nicht, wie man zunächst vermuten könnte, um „ein Arbeiterbeglückungsprojekt zu starten“ (Hellpach / Lang 1922, S. 49). Aus dem Taylorismus resultierte eine Atomisierung der Arbeit, so Lang. Die Konsequenzen waren starke Unübersichtlichkeit, bei der Überwachung des Fertigungsfortschritts sowie große Transportwege, da die Einzelteile zwischen den einzelnen Abteilungen hin- und herwandern müssen. Modern Times Organisationen & Technik wirken zurück auf Gesellschaft Gesellschaft wirkt auf Organisationen & Technik Technik: Dampfmaschine/ Fließband Schreibmaschine/ Telefon Gesellschaftliche Bedingungen, Kultur und Leitbilder: Massenproduktion, Mensch = Maschine, geringe Bildung, Klassenkämpfe, Korrektheit, Disziplin, Pünktlichkeit, klare Hierarchien Technik wird von Organisationen beobachtet und evtl.gekauft Technikhersteller bieten Organisationen Technik an Organisation Büro & Produktion: Taylorismus: Formalisierung/ Standardisierung/ Arbeitszerlegung; Trennung von Kopf- und Handarbeit. Fordismus: zusätzlich: Material wird zum Arbeiter gebracht. | Abb 36 Das Industriezeitalter zu Zeiten von F. W. Taylor und H. Ford Gruppenfabrikation Gegenentwurf zu Taylorismus und Fordismus <?page no="147"?> 148 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die entscheidende Erklärung für das Konzept der Gruppenfabrikation lag aber wohl in den gesellschaftlichen Verhältnissen nach dem verlorenen 1. Weltkrieg. Vermutlich war die Ressourcenknappheit in Deutschland, erzwungen durch hohe Reparationszahlungen vor allem an Frankreich, die eigentliche Ursache für den Versuch der Gruppenfabrikation. Es waren in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland keine finanziellen Mittel vorhanden, um wie in den USA die Fließbandproduktion einzuführen. Insofern ist die Alternative Gruppenfabrikation aus der Not der gesellschaftlichen Verhältnisse geboren und ein deutlicher Hinweise, dass die Arbeitsorganisation in Wechselwirkung zum jeweiligen gesellschaftlichen Kontext steht. Erst in den 1970er Jahren erlebte die Gruppenarbeit in Europa eine Renaissance, insbesondere durch Volvo und durch das von der damaligen deutschen Bundesregierung initiierten Programm „Humanisierung der Arbeitswelt“. Damit wollte man eine Alternative zu tayloristischen und fordistischen Konzepten schaffen. Elton Mayos Beleuchtungsexperimente: Der amerikanischen Managementlehre geht ein Licht auf. Ford und Taylor machten bei ihren arbeitsorganisatorischen Konzepten kaum einen Unterschied zwischen Arbeiter und Maschine. Arbeitszerlegung, Standardisierung, Formalisierung und Zusammenpacken möglichst weniger Handgriffe zu kurzen Abläufen war ihr Ziel. Mit dieser Betrachtung menschlicher Arbeit sollte die Produktivität gesteigert werden. Dieses Menschen- und Leitbild erhielt erstmals durch Elton Mayos „Beleuchtungsexperimente“ einen eher zufälligen Knacks. Elton Mayo kann, wenn auch ungewollt, als Begründer der Unternehmensführungslehre betrachtet werden, weil seine Experimente aufzeigten, dass die Arbeitsproduktivität auch von der Arbeitszufriedenheit der Beteiligten abhängt und die Gleichsetzung „Mensch = Maschine“ eher ideologisch ist. Mayo untersuchte in den Hawthorne-Werken in den 1920er Jahren Näherinnen, um herauszufinden, ob eine stärkere oder schwächere Beleuchtung eine höhere Leistung der Näherinnen zur Folge hat. Überraschenderweise stieg sowohl bei guter wie bei schlechter Beleuchtung die Arbeitsproduktivität der Arbeiterinnen. Allein die Tatsache, dass das Untersuchungsteam mit den Näherinnen sprach und sich für ihre Arbeit interessierte, bewirkte eine höhere Arbeitsproduktivität. Das Motiv für die angestrebte Gruppenfabrikation bestand darin, Kontrolle und Transportwegen reduzieren zu können und so die Produktivität zu verbessern. Es geht also in erster Linie um Verkürzung der Transportwege, um Kraft- und Zeiteinsparung. Merksatz ▼ Humanisierung der Arbeitswelt Beleuchtungsexperimente <?page no="148"?> 149 V o r I n d u s t r I e l l e u n d I n d u s t r I e l l e n z e I t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Hier wird eine Wurzel der bis heute in den „nützlichen Disziplinen“, wie der Betriebswirtschaftslehre, erkennbaren Spaltung zweier Entwicklungspfade sichtbar: auf der einen Seite die Formalisierer, Rationalisierer und Automatisierer in der Tradition von Taylor und Ford, die vor allem „hard facts“ gelten lassen, auf der anderen Seite die auf „soft skills“ setzenden Organisationsentwickler und Anhänger der Personal- und Unternehmensführungslehre. Wenn man so will, gelingt Mayo ein früher Nachweis für die zu kurz greifende Sichtweise des Homo oeconomicus. Offensichtlich ist es angemessener, Beschäftigte als Akteure mit jeweils eigenen Interessen und Werten zu berücksichtigen. Die Lehren der „Altvorderen“ haben Organisationstheorie wie Organisationspraxis bis heute beeinflusst. Eine Reihe von Organisationsmethoden und -modellen wie die Unterscheidung von Aufbauorganisation und Ablauforganisation sowie Arbeitsteilung und Arbeitszerlegung zeugen noch heute davon. Die jeweils geltenden gesellschaftlichen Bedingungen in Kultur, Bildung und Ökonomie haben ebenso Einfluss genommen wie die Kriegsfolgen in Deutschland. Zusammen standen sie in Wechselwirkung mit der Etablierung organisatorischer Konzepte und Methoden der Organisationsforschung. Modelle der Aufbauorganisation in der Industriegesellschaft ( → QR-Glossar) In der Industriegesellschaft ist die hierarchische Auf bauorganisation organisatorischer Standard. In ihrem Schatten haben sich einige organisatorische Varianten entwickelt. Globalisierung und Innovationen waren, im Vergleich zum Computerzeitalter, schwach ausgebildet. Alles, was angeboten wurde, wurde von Konsumenten, Unternehmen oder vom Staat nachgefragt. Flexibilität hatte noch keine Priorität. Das funktionsorientierte Hierarchiemodell war relativ stabil. Mit zunehmender Wettbewerbsintensität und wachsender internationaler Konkurrenz, spätestens seit den 1970er Jahren, werden flexiblere Varianten erprobt. Das klassische funktionsorientierte Hierarchiemodell hat eine klare Hierarchie (vertikale Arbeitsteilung). Man orientiert sich an einem System von Weisungen und Kontrollen von oben nach unten (in Abb. 37). Gleichartige Verrichtungen an unterschiedlichen Objekten werden an einer Stelle zusammengefasst (horizontale Arbeitsteilung), wie man es von Taylor gelernt hat. Es ist ein „Einliniensystem“, da jede untergeordnete Person oder Organisationseinheit jeweils nur von einer übergeordneten Organisationseinheit Weisungen erhalten kann. Mayos Schlussfolgerung: Die Arbeitsleistung ist abhängig von Aufmerksamkeit und Anerkennung, die den Akteuren entgegengebracht wird. Merksatz ▼ funktionsorientiertes Hierarchiemodell <?page no="149"?> 150 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Bei der Stab-Linien-Organisation, als einer Variante des Hierarchiemodells, wird Rechnung getragen, dass die Aufgaben für Organisationen komplexer geworden sind. Rechts-, Steuerfragen und Marketingfragen kommen auf, die Führungskräfte müssen entlastet werden und delegieren diese Aufgaben an Spezialisten in sog. Stabsabteilungen. Es sind Fachexperten, die beraten aber keine Weisungskompetenz haben und sich mit der Vorbereitung und Absicherung von Entscheidungen auseinandersetzen. Die Stab- Linien-Organisation hat ihren Ursprung im militärischen Bereich. ▶ Die hierarchische Organisation mit Projektgruppen: Seit den 1980er Jahren werden hierarchische Organisationen um Projektgruppen ergänzt. Projektgruppen sind flüchtige Organisationsformen, die Sachverstand aus verschiedenen Hierarchieebenen und Abteilungen herausziehen und zeitlich begrenzt bündeln, um innovative Aufgaben zu bearbeiten. ▶ Die Divisionale Organisation ( → QR-Glossar) ist typisch für Großorganisationen. Sie gliedert die hierarchische Organisation in sog. Divisionen, die nach Regionen (z. B. Südamerika, Europa, Asien), Produkt- (z. B. LKW und PKW) oder Kundengruppen (z. B. private und öffentliche Absatzmärkte) strukturiert sein können. ▶ Die Matrix-Organisation ( → QR-Glossar) ergänzt die hierarchische (vertikale) Organisation durch so genannte (horizontal handelnde) Produktmanager. Sie sollen Koordinationsaufgaben ohne Weisungsfunktionen z. B. über die Funktionsbereiche Vertrieb, Produktion und Finanzierung hinweg ausüben. Die Produktmanager sollen ein waches Auge haben und durch Sachkenntnisse überzeugen und so die schwerfällige vertikale Organisation entbürokratisieren. Markt Modell 1 Hierarchie oder Bürokratiemodell Modell 3 Stab-Linien-Organisation Modell 5 Divisionale Organisation Modell 2 Funktionale Organisation Modell 4 Hierarchische Organisation mit Projektgruppen Modell 6 Matrix-Organisation Verrichtg. Region/ Kunde/ Produkt Verrichtungsorientierung Produkt- Manager Produktion F+E x y z Abb 37 | Modelle der Aufbauorganisation <?page no="150"?> 151 d I e c o m p u t e r g e s t Ü t z t e o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die vorgestellten aufbauorganisatorischen Varianten sind Reaktionen auf die nicht mehr ganz so stabilen Wettbewerbsverhältnisse. Große Veränderungen erfahren Organisationen und Akteure aber erst mit dem Einzug der Informationstechnik. Die computergestützte Organisation in der Industriegesellschaft ▶ Sie können nachvollziehen, weshalb organisatorische und informationstechnische Innovationen wesentlich aus ihren Wechselwirkungen resultieren. ▶ Sie können etwas mit dem Begriff Organisationstechnologie anfangen. ▶ Sie wissen, wie die Prozessorganisation entstanden ist und weshalb sie für Organisationen von Vorteil ist. Organisationen beobachten heute permanent die Forschung und Entwicklung von Informationstechnik-Herstellern (IT) und Forschungsinstituten, um durch Innovationen ihre Wettbewerbsposition zu verbessern (demand pull). Umgekehrt beobachten diese die anwendenden Organisationen, um deren IT-Bedarfe rechtzeitig zu identifizieren und entsprechende Entwicklungen in die Wege zu leiten (technology push). Dieser Beobachtungs- und Entdeckungsprozess - verstärkt durch Marketing- und Werbemaßnahmen der IT-Hersteller - läuft permanent ab. Die Innovationspirale wird in Abb. 38 durch Mehrfachpfeile angedeutet. Innovationsschöpfung ist ein ununterbrochen laufender Wechselwirkungsprozess. Wird dieser über die Zeit aufmerksam verfolgt, so lässt sich ein historischer Technik-Entwicklungs- und -Nutzungspfad beschreiben. In den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen ist die Betrachtung der Wechselwirkungen und das daraus resultierende Verständnis histot aylor , f redericK W. (1983): Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. Nachdruck der Originalausgabe von 1919, 2. Aufl., München. h enry f ord (1923): „Mein Leben und Werk“, S. 92 - 94. h ellpach , W. / l anG , r. (1922): Gruppenfabrikation, Berlin. K ieSer , a. (2010): Organisation, 6. Aufl., Stuttgart. r olf , a. (1998): Grundlagen der Organisations- und Wirtschaftsinformatik, Heidelberg. Literatur | 6.3 Lernziele ▼ ▲ <?page no="151"?> 152 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ry matters allerdings kaum verbreitet. Wir werden im Folgenden diesen Pfad aufmerksam verfolgen und so zu wesentlichen Einsichten der Entwicklung von Organisationen im Computerzeitalter kommen. Wechselwirkungen von informationstechnischen und organisatorischen Innovationen am Beispiel Büroorganisation Die industrielle Revolution hat das Büro grundlegend verändert. Große Fabriken sind entstanden, Arbeiter wurden eingestellt. Der Verwaltungs- und Büroaufwand stieg rapide. Die Organisationsprinzipien der Fabrikarbeit wurden auf die Büroorganisation übertragen. Die Metapher „Fließbandbüro“ steht für den Versuch, Methoden und Strategien von F. W. Taylor und Henry Ford auf die Büroorganisation zu übertragen. Abbildung 39 zeigt eine Versicherungsabteilung, vielleicht ein Büro, in dem Schadensabrechnungen abgewickelt werden. Es ist ein Büro ohne Rechnerunterstützung, etwa im Jahre 1965 (die rechten Räume der Abbildung bleiben unberücksichtigt). Wir konzentrieren uns bei der Abb. 39 auf die Abwicklung der Kundenaufträge. Sie werden vorne an Informationsschaltern von Angestellten entgegengenommen und zur Gruppe Arbeitsverteilung ins Großraumbüro gebracht (Mitte oben). Die vier Sachbearbeiter teilen die Fälle in Standard- und Sonderfälle auf. Das Ziel ist die Trennung der Kopfarbeit in Routine- und anspruchsvollere Kopfarbeit. Während die Routinefälle in kleine Arbeitsschritte, wie Prüfen, Buchen, Kontenabstimmung etc. zerlegt und hoch arbeitsteilig von Sachbearbeitern bearbeitet werden (linke Hälfte der Abb. 39), werden die Ausnahmebzw. Sonderfälle von qualifizierteren und vermutlich auch höher bezahlten Angestellten übernommen. Es sind Fälle, die noch der Klärung bedürfen, wo z. B. noch Geschädigte oder Anwälte gehört werden müssen. < beobachten IT- Bedarfe, entwickeln IT, bieten an Organisationen beobachten IT- Entwicklungen, kaufen ein, wenden an > „IT-Entwicklung wird beobachtet, Erfolg versprechende Resultate werden eingekauft“. „Anwendungs- Organisationen werden beobachtet, Erfolg versprechende technische Lösungen entwickelt“. Anwendungs- Kontext Entwicklungs- Kontext technology push demand pull Organisation Abb 38 | Darstellung der Wechselwirkungen als Innovationsspirale 6.3.1 | <?page no="152"?> 153 d I e c o m p u t e r g e s t Ü t z t e o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Sie werden von einem Angestellten komplett vom Anfang bis zum Ende bearbeitet. Die einzelnen, aufeinander folgenden Handlungen und Arbeitsschritte sind nicht sinnvoll zu standardisieren und deshalb nicht nach „Schema F“ abzuwickeln. Technisch waren die Büros bis in die 1960er Jahre eher spärlich ausgerüstet. Es standen mechanische Schreib- und Rechenmaschinen oder Buchungsautomaten zur Verfügung. So konzentrierten sich die Bemühungen vor allem auf ▶ Arbeitsteilung, ▶ Arbeitszerlegung und die ▶ Trennung von Kopfarbeit in Routinearbeit und in anspruchsvollere Sonderfälle. Die Routinefälle sind wie beim Fließband in der Fabrik hoch standardisiert und zerlegt. Es geht bei diesen Routineaufgaben darum, sie wie im Schlaf zu beherrschen. In der Fabrik wie im Büro wird wenig gesprochen. Es gilt das Motto: Ihr seid zum Arbeiten hier und nicht zum Quatschen. Nutzung der Stapelverarbeitung in Organisationen als Rationalisierungsmittel Der Nachfrage nach Informationstechnik von großen Organisationen setzte etwa zum Ende der 1960er Jahre ein. Die Stapelverarbeitung war zu jener Zeit die Metapher des technischen Entwicklungsstandes: Teure Hardware wurde genutzt, um die in Lochkarten gestanzten Informationen einzelner Abteilungen im Stapel abzuarbeiten. Ökonomisch ist es der Versuch, die eh schon standardisierten und formalisierten Routinefunktionen der hierarchisch-bürokratischen Organisation zu automatisieren und zu rationalisieren. Die teuren und nach heutigem Maßstab leistungsschwachen Rechner sind in einem Rechenzentrum zentralisiert. So lassen sich Kosten wie Bedienungsaufwand minimieren. Die Bedienung bleibt | Abb 39 Das „Fließbandbüro“ einer amerikanischen Versicherungsgesellschaft (Spektrum der Wissenschaft, 11 / 1982, S. 122) | 6.3.2 <?page no="153"?> 154 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation wenigen Spezialisten vorbehalten. Ablauf und Einbau der Stapelverarbeitung in die Unternehmensorganisation zeigt Abb. 40. Die Nachteile der Stapelverarbeitung sind offensichtlich: Aufwand und Reibungsverluste entstehen durch eine Reihe zusätzlicher Tätigkeiten, z. B. durch Transport der Belege von und zum Rechenzentrum, durch Ablochen der Belege in Lochkarten und Fehlerkontrollen sowie durch Programmierung und Administration. Der Rationalisierung von Routinefunktionen ist also nicht umsonst zu haben. Häufig treten die erhofften Produktivitätsgewinne nicht ein. Mit der Dialogverarbeitung zur Organisationstechnologie Seit den 1970er Jahren bahnt sich ein Paradigmenwechsel durch das Eindringen der Computer in Organisationen an. Die von Taylor und Ford geprägte Organisation war der Versuch war, die massenhaft anfallenden Aufgaben durch ein hohes Maß an Hierarchiebildung, Standardisierung und Arbeitszerlegung durchschaubar und beherrschbar zu machen. Der Stapelverarbeitung lag die Erwartung zugrunde, diese Routineaufgaben durch den Rechner erledigen zu lassen. Die Ausnahmefälle sollten zur Bearbeitung bei den Sachbearbeitern verbleiben. Der Innovationsschritt von der Stapelverarbeitung zur Dialogverarbeitung macht in Organisationen (zunächst) vieles einfacher und komfortabler. Informationen können jetzt unmittelbar in den Fachabteilungen über („unintelligente“) Terminals in die zentralen Mainframe-Rechner ein- und ausgegeben werden. In den Fachabteilungen wie im Rechenzentrum können Tätigkeiten entfallen. Rechner und Software werden in dieser Phase zur Organisationstechnologie. Die IT-Nutzung als Organisationstechnologie soll die Koordination, Steuerung und Kontrolle von Aufgaben, Arbeitskräften und Ressourcen einer Organisation ergänzen und zum Teil übernehmen. Es entsteht ein systemischer Blick auf die Organisation, über die IT soll diese Sicht umgesetzt werden. Fachabteilung Lochkartenabteilung Lesegerät Rechner Drucker Erfassungsbelege Lochkarten Computer-Ausdruck-Listen Abb 40 | Organisationsablauf bei Stapelbzw. Batchverarbeitung 6.3.3 | von der Stapelverarbeitung zur Dialogverarbeitung <?page no="154"?> 155 d I e c o m p u t e r g e s t Ü t z t e o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Vor dem Hintergrund dieser systemischen Sicht entwickelt sich in Kreisen des Managements, der Technikhersteller und der Wirtschaftsinformatiker eine eher euphorische Vision: warum nicht die gesamte Organisation eines Unternehmens als Management-Informationssystem (MIS) realisieren? Die Idee ist, ein Unternehmen in seiner Hierarchie, seinen Funktionen und Abläufen in Programmen abzubilden und in großen Teilen zu automatisieren, also weitgehend selbststeuernd und selbstkontrollierend zu entwerfen. An den Schaltknöpfen sollen quasi die Manager als Piloten der Steuerung und Kontrolle sitzen. Die Organisationstheoretiker Kirsch und Klein (1977) haben früh versucht, die Motive für diese Vision zu deuten. Es lohnt sich diese genauer anzuschauen, weil sie in vielen Köpfen in unterschiedlichen Ausprägungen noch heute verborgen sind. „Das Ideal eines mechanistischen Managementsystems ist die Maschine als mechanisches System. Eine Organisation ist ideal, wenn sie wie eine Maschine funktioniert und auch wie eine Maschine vollständig ‚durchkonstruiert ‘ ist ... Die Mitglieder einer Organisation sollten sich unter Zurückstellung ihrer Persönlichkeit wie ‚Rädchen‘ in das Gesamtsystem einordnen. Ihre Funktion ist dabei ganz genau zu beschreiben. Durch geeignete Lohn- und Anreizsysteme und durch umfassende Kontrollmechanismen ist ein funktionsgerechtes Arbeiten der Teile des Systems zu garantieren. Das Ineinandergreifen der Rädchen soll unpersönlich bleiben. Das Schlimmste sind ‚Reibungsverluste‘ durch Konflikte. Die Vorgesetzten mit ihren klaren Weisungen geben die Steuerimpulse für die einzelnen Maschinenteile, wobei durch die Realisierung des Prinzips der Einheit der Auftragserteilung sicherzustellen ist, dass die einzelnen Maschinen nicht sich widersprechende Steuerimpulse erreichen. Alle Teile sind so zu konzipieren, dass die Zielsetzungen der Maschine, die durchaus auch als relativ flexible Mehrzweckmaschine konstruiert werden kann, optimal erreicht werden. Mit anderen Worten: Aus dem Studium einer störungsfrei laufenden Maschine kann man einiges für den Entwurf von Organisationen lernen“. (Kirsch / Klein II 1977, S. 123 ff.) Für Teile des Managements ist es faszinierend, auf diese Weise Transparenz und Kontrolle über ihre Organisation zu erhalten. MIS-Anhänger unterstellten, dass die Realität objektiv aus der Führungsperspektive abgebildet werden kann und sollte. Sie sind die „Benutzer“ des MIS, während die Mitarbeiter als „Beplante“ die Rolle von Datenlieferanten übernehmen. Systementwickler sollen - mit dem Selbstverständnis von Ingenieuren - entsprechende Programme entwickeln. Die Vision MIS war in der Praxis nicht nur aufgrund der fehlenden Leistungsfähigkeit der damaligen IT wenig erfolgreich. Sie musste auch schei- Info ▼ Management- Informationssystem Kirsch und Klein Vision MIS ▲ <?page no="155"?> 156 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation tern, da die Einführung von IT in Organisationen allein als technisches Problem unter Vernachlässigung der Beschäftigten und ihrer Arbeitskontexte betrachtet wurde. Akzeptiert wurde, dass eine Organisation nicht nur „durchformalisiert und -automatisiert“ werden sollte, sondern sich ein hohes Maß an Flexibilität und Innovationskraft erhalten muss. Wir wissen heute, dass die „Durchautomatisierung“ für die Wettbewerbsfähigkeit einer Organisation kontraproduktiv ist. Die sorgfältige Aufrechterhaltung der notwendigen Formalisierungslücken bei jeder neuen IT-Einführung ist für jede Organisation eine sich immer wieder neu stellende Aufgabe, aber überlebenswichtig. Dennoch hat das MIS-Leitbild die Weiterentwicklung der Organisationstechnologie beeinflusst. Mit der aufkommenden Prozessorientierung, die die Verknüpfungen in Organisationen deutlich machte, verdichtete sich die Sicht der Organisation als System. Abbildung 41 zeigt: Großrechner, die vor allem von IBM hergestellt wurden, drangen nach und nach in größere Organisationen ein und automatisierten vor allem die eh schon standardisierten Routinetätigkeiten. Die erforderliche Software wurde zu Beginn noch kostenlos dazu geliefert. Die Entwicklung der Computer hat viel mit dem Ehrgeiz des amerikanischen Mondprogramms zu tun. Denn die Mondlandung war erst durch Büro Produktion Das Computerzeitalter beginnt ... Prozess-Organisation Technik Großrechner/ Massendatenverarbeitung, z.B. IBM 360; Von Stapelzur Dialogverarbeitung; Von Lochkarten zu „unintelligenten“ Terminal- Eingabegeräten, Beginn Standardsoftware Methoden Automatisierung von formalisierten, zerlegten Routineaufgaben durch Formalisierung & Programmierung; Beginn: Orientierung an Geschäftsprozessen Kultur/ Leitbild/ Rechtssystem IT-Forschungsförderungsprogramme; Mondlandung; Rationalisierung, Liberalisierung, Privatisierung, Deregulierung Transfer durch Systementwickler Organisatoren Programmierer etc. Abb 41 | Computereinsatz MIS-Leitbild <?page no="156"?> 157 d I e c o m p u t e r g e s t Ü t z t e o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Computereinsatz möglich. In Deutschland fürchtete man um seine Konkurrenzfähigkeit und legte deshalb DV-Förderungsprogramme auf und begann mit der Gründung von Informatikfakultäten. Von Mainframe-Rechnern zu Client / Server-Architekturen und zur Prozessorganisation In dieser Phase liegt der Fokus beim Übergang von zentralen Hostrechnern bzw. Mainframerechnern zu Client / Server-Architekturen (C / S) und Rechnernetzen. Beim Hostkonzept sind zahlreiche Terminals mit dem Zentralrechner verbunden, der Daten verarbeitet und Anwendungen verwaltet. Der Rechner wird immer mehr zum Flaschenhals. Die großen Stärken der C / S-Architektur im Vergleich zum Host-Konzept liegen in der Nutzung unterschiedlicher Rechnertypen und in der Überwindung des Flaschenhalses. Flexibilität und Verfügbarkeit von Rechenleistungen im Netz verbessern sich. Leitbild Prozessorganisation In Wechselwirkung mit dieser mächtigen IT-Innovation kommt die Idee auf, die Organisationen „auf den Fluss“ von Geschäftsprozessen auszurichten. Bearbeitungsvorgange soll möglichst zügig mit Unterstützung der IT durch den Betrieb „fließen“. Informationssysteme sollen die Informationen über Produkte, Kunden und Lieferanten verwalten und verarbeiten. Technisch betrachtet kann auf diese Informationen von überall zugegriffen werden. Es ist ein Sprung, den wir am Beispiel der Schadensabwicklung mit dem Übergang vom „Fließbandbüro der Industriegesellschaft“ zum „Büro der Prozessorganisation“ exemplarisch verdeutlichen wollen. Die informationstechnische Vernetzung von Prozessen verlangt (zunächst) einen Bruch mit den traditionellen Organisationsprinzipien der Arbeitszerlegung: Funktionen werden jetzt nicht mehr entsprechend tayloristischer Prinzipien aus Sicht der Unternehmensspitze aus der betriebswirtschaftlichen Gesamtaufgabe der Organisation abgeleitet und auf Stellen hoch arbeitsteilig zusammengepackt, vielmehr sollen sie der Prozesssicht untergeordnet werden. Für die Prozessorganisation gibt es plausible Argumente: Durch die Transformation von Routinearbeiten auf den Rechner können sie zu einer logisch aufeinander folgenden Ablauffolge, zu mehr oder minder weitgehend automatisiert ablaufenden Geschäftsprozessen verknüpft werden. Der vor Taylor nicht zerlegte Arbeitsablauf findet im Rechner seine | 6.3.4 C / S-Architekturen stehen für verteilte Verarbeitung: Einige Rechner im Rechnernetz übernehmen die Funktion des Servers mit Dienstleistungen wie Datenverwaltung, Anwendungen etc., während die Clients als Kunden diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Definition ▼ C / S-Architekturen Prozessorganisation <?page no="157"?> 158 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation „Wiedergeburt“. Es kommt hinzu: Wird die Arbeitszerlegung, Formalisierung und Standardisierung der Routinearbeiten in der traditionellen Schadensabwicklung genauer analysiert, so können Zweifel hinsichtlich der damit erwarteten Produktivitäts-Versprechungen aufkommen. Es lassen sich viele unproduktive Fehlzeiten identifizieren: Liegezeiten, Rüst- und Einarbeitungszeiten, Wartezeiten und Transportzeiten. Offensichtlich können die tayloristischen Prinzipien überdreht werden und fallen dann in ihr unproduktives Gegenteil (Abb. 42). Abbildung 42 zeigt: Die Darstellung der Arbeitszerlegung bei der Abwicklung von Routinefällen der „Schadensabwicklung“ macht die Zeit- und Produktivitätsverluste deutlich. Hohen Rüst- Liege- und Transportzeiten steht eine relativ geringe Bearbeitungszeit gegenüber. Die Arbeitszerlegung macht den Vorgang langsam. Durch IT können große Teile der Routinearbeiten automatisiert werden. Die Transformation zur Prozessorganisation hat zwei „Enabler“: Formalisierungen und Arbeitszerlegung nach tayloristischen Prinzipien sowie die Potentiale der Informationstechnik in Organisationen. Da die IT nach und nach viele formalisierbare Aufgaben automatisiert, und eine Vielzahl von Unternehmensdaten gespeichert werden, wird der Zugriff auf Daten und Prozesse theoretisch von jedem Arbeitsplatz aus möglich und sinnvoll. Er wird jedoch durch die Zuteilung unterschied- Die Prozessorganisation kann sowohl die Effizienz wie die Effektivität der Unternehmen verbessern. Sie ist effizienter, weil sie schnellere Durchlaufzeiten, keine Liege-, Transport- und Rüstzeiten erfordert, effektiver, weil diese Zeiten zugleich Zeitverluste im Wettbewerb darstellen, und die Kommunikation mit Kunden sowie mit internen Akteuren beschleunigt werden kann. Abstimmungs- und Koordinationsaufwand zwischen Mitarbeitern und Einarbeitungszeiten können reduziert werden (Abb. 42). Definition ▼ SB „Kundeninformation“ Sachberarbeiter (SB) „Prüfungen“ SB „Buchungen“ SB „Kontenabstimmungen“ L R B L L R B L T L R B L W R B L T T T T z.B. Kundenorientierter IT- Auftragsabwicklungsprozess LEGENDE: Durchlaufzeit „Schadensabwicklung“ = Summe aus: Liegezeit (L) Rüst-/ Einarbeitungszeit (R) Bearbeitungszeit (B) Wartezeit (W) Transportzeit (T) Abb 42 | Arbeitszerlegung bei der Abwicklung von Routinefällen der „Schadensabwicklung“ <?page no="158"?> 159 d I e c o m p u t e r g e s t Ü t z t e o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation licher Zugriffsrechte wieder eingefangen. Voraussetzung ist die Integration der betrieblichen Informationssysteme durch entsprechende Softwaresysteme. Das ist die Erfolgsgeschichte des Softwareherstellers SAP und seiner Standardsoftware R / 3. Am Anfang einer solchen Umstellung geht es nur um die Automatisierung einzelner formalisierbarer Routinefälle der Schadensfallabwicklung. Nach und nach geht der Blick über einzelne Workflows und auch über Abteilungen hinaus hin zu Standardprozessen, die die gesamte Organisation „durchfließen“ und verbinden. Alle Akteure sind dann Teil dieser übergreifenden Prozessorganisation. So tangiert etwa der Auftragsabwicklungsprozess in der Industrie heute die traditionellen Funktionsbereiche Verkauf, Rechnungswesen, Logistik. Das „Fließbandbüro“ in der Schadensabwicklung unserer Versicherung wie in den Industriebüros soll, so die Hoffnung der Macher in Unternehmen und Wissenschaft, durch IT und Prozessorientierung erheblich schrumpfen. Übrigbleiben sollen die Sachbearbeiter, die die Sonderfälle jetzt interaktiv mit einer Standardsoftware, wie z. B. SAP abwickeln. Sie sind nicht wie ehedem für ein Versicherungsprodukt, z. B. Schadensfälle zuständig. Vielmehr gilt jetzt das Prinzip, den Kunden in seinen verschiedenen Versicherungsbeziehungen zu erfassen und von einer Stelle aus zu bearbeiten (Stichwort: Kundenorientierte IT-Auftragsabwicklung). (Abb. 43). Abbildung 43 zeigt: Die Idealvorstellung der S c h ade n s abw ic k lu ng nach Nutzung der IT. Alle Routineaufgaben sollen von der IT übernommen werden. Kundennahe Kontakte sollen von internen und externen Mitarbeitern bearbeitet werden (Spektrum der Wissenschaft, 11 / 1982, S. 123). Leitbilder werden zur scheinbaren „Nutzungslogik“ In der Realität sind zwar jetzt viele Routinefälle in Prozessen automatisiert, dennoch fallen auch hier eine Reihe von Restarbeiten an (z. B. Kun- Fließbandbüro | Abb 43 Die Idealvorstellung der Schadensabwicklung nach Nutzung der IT <?page no="159"?> 160 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation dennachfragen wegen Fehlerkorrekturen, Reklamationen, Missverständnissen). Dazu sind zahlreiche Beschäftigte notwendig. Die Schaffung einer Prozessarchitektur ist zwar leitendes Gestaltungsprinzip, die Restarbeiten werden anschließend entlang der Geschäftsprozesse im Sinne Taylors bei Arbeitskräften arbeitsteilig zusammengepackt, was durchaus wiederum zu monotoner Arbeit führt. Dieser Blick in die Realität, der nicht deckungsgleich ist mit Versprechungen, dass nur noch anspruchsvolle Arbeit übrigbleibt, lenkt die Aufmerksamkeit auf ein in der Organisationsforschung wenig diskutiertes Phänomen. Wie eine neue Technik zu nutzen ist, wird von Herstellern, Verbänden und Wissenschaftlern gern mit einem Sachzwang verknüpft, der für alle Beteiligten nur von Vorteil ist. Gern wird der „Sachzwang“ in Leitbilder der Techniknutzung gekleidet. Die Absicht wird zur scheinbaren „Nutzungslogik“ und alles, was dort nicht reinpasst, bleibt unerwähnt, wird zu „Nebenfolgen“, wohinter sich alles verbirgt, was betriebswirtschaftlich nicht relevant ist. Es sind soziale „Nebenfolgen“, die „leider bei technischen oder ökonomischen Innovationen anfallen und in Kauf zu nehmen sind“. Für diese fühlt man sich nicht verantwortlich. Sie sind von Beschäftigte oder der Gesellschaft zu tragen. Mit Leitbildern der Techniknutzung werden oft Orientierungen und Grundannahmen transportiert, die als einzige Wahrnehmung akzeptiert werden sollen. Entsprechende Leitbilder müssen unmittelbar einsichtig und auf den ersten Blick vernünftig sein, um sinnstiftend und handlungsleitend werden zu können. Von ihnen hängt es ab, wie man etwas sieht, interpretiert, bewertet oder übersieht. Leitbilder können inhaltliche Diskurse verhindern. Es ist immer anstrengend, eine andere Vorstellung gegen bereits verbreitete Leitbilder aufzubauen. Leitbilder werden selten als Sinnangebote oder Vermittlungshilfen verstanden, um Alternativen und Freiräume des Handelns zu entdecken. Wir werden im Folgenden die in jeder Phase neu auftretenden Leitbilder der Techniknutzung, die sich oft in der Metapher Vision verstecken, aufnehmen und darstellen, zugleich aber mit der Nutzungsrealität konfrontieren. Selbstorganisation und Modularisierung Wir befinden uns in den 1980er Jahren. Viele große Unternehmen setzen auf Standardsoftware, zunächst auf SAP R / 2, dann auf R / 3, die darauf ausgerichtet ist, viele Routineprozesse zu automatisieren und die Orga- Info ▼ ▲ <?page no="160"?> 161 d I e c o m p u t e r g e s t Ü t z t e o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation nisationen als integriertes System zu verstehen. Zentralistische Terminal / Mainframe-Rechnerkonzepte sind durch C / S-Architekturen abgelöst worden. Der Wechsel zur IT-gestützten Prozessorganisation eröffnet neue organisatorische Möglichkeiten. Viele, aufgrund der Arbeitsteilung schwerfällige, hierarchiegesteuerte Abteilungen können abgebaut und durch Arbeitsgruppen und Teams ersetzt werden, die eng an die neu entstandenen Geschäftsprozesse angebunden sind. Die „reine“ hierarchische Organisationsform erscheint unter dem Einfluss der Potentiale der Informationstechnik (IT) nicht mehr zeitgemäß. Neben diesen operativen Modulen werden für planende oder innovative Aufgaben innovative Projektmodule eingerichtet: ▶ Bei operativen Modulen wickeln die dort tätigen Akteure laufende Transaktionen entlang der Prozesse ab, z. B. im Rahmen der Auftragsabwicklung. ▶ Innovative Projekte sind typisch für zeitlich begrenzte Entwicklungsaufgaben, z. B. IT-Anwendungsprojekte, Planungsprojekte über neue Geschäftsstrategien, Bauvorhaben oder Marketingkampagnen (s. Abb. 12). Die Module sind für ihren Erfolg weitgehend allein verantwortlich. Anders als bei Taylor spielen hier Eigenschaften wie Reden, Kooperieren und die Teamfähigkeit der Akteure eine wichtige Rolle für eine reibungslose Zusammenarbeit. Beide Modulformen erhalten Zielbzw. Ergebnisvorgaben und können so weitgehend der Selbstorganisation überlassen werden. Diese Teilautonomie ist die Voraussetzung, um Gruppen und Mitarbeiter später, bei Vorhandensein entsprechender Technologien, in einem weiteren Schritt aus dem Unternehmen auszugliedern („Outsourcing“). | Abb 44 Die „reine“ hierarchische Organisationsform Info ▼ ▲ <?page no="161"?> 162 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation In Abbildung 45 blenden wir die Wechselwirkungen zum Kontext aus und schauen nur auf die neu entstandenen Organisationsformen, die eine Gemengelage aus Hierarchien, Prozessen, innovativen Projekten und operativen Modulen darstellen. Nach und nach sind in den Organisationen Mischformen anzutreffen: Die traditionellen Abteilungen werden zum Teil entlang der neu entstehenden Prozesse aufgelöst und durch oft kundenorientierte kleine operative Module wie Gruppen oder Teams ersetzt. Die Koordination dieser Module erfolgt zumeist weiterhin durch traditionelle hierarchische Weisungssysteme. Koordinations- und Bindungswirkungen entstehen zusätzlich durch IT-gestützte Informationssysteme. Diese Entwicklung wechselwirkt mit Forderungen von Beschäftigten, die mehr Partizipation fordern. Die kulturellen Leitbilder Selbstorganisation und Gruppenarbeit verbreiten sich, auch das Forschungsprogramm „Humanisierung der Arbeitswelt“ der Bundesregierung hinterlässt Wirkung in Betrieben und Wissenschaft. Prozessorganisation/ Workflow Automation Innovative Projekte Operative Module IT Abb 45 | Neu entstandene Organisationsformen Mischformen a. r olf (2008): MIKROPOLIS 2010 - Menschen, Computer, Internet in der globalen Gesellschaft, Marburg 2008 (http: / / edoc.sub.unihamburg.de/ informatik/ ergebnis.php)). S peKtrum der W iSSenSchaft , Heft 11 / 1982. K ieSer , a. (1996): Moden & Mythen des Organisierens, In: DBW 56, 1, S. 21 - 39. W ahoff , J an h. / p orto de a lBuquerque , J oao / r olf a rno (2011): The Mikropolis Model - A Framework for Transdisciplinary Research of Information Systems in Society. In: Dwivedi Y Wade MR Schneberger S. (Hrsg.): Information Systems Theory: Explaining and Predicting Our Digital Society, Vol. 2. London. Literatur <?page no="162"?> 163 p c u n d I n t e r n e t a l s w e r K z e u g u n d m e d I u m Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Personal Computer (PC) und Internet als Werkzeug und Medium für Organisationen und Lebenswelt ▶ Sie verstehen, weshalb neben der klassischen eine zweite Innovationsspirale außerhalb der Systemwelt von Organisationen durch Tüftler in der Lebenswelt entstehen konnte. ▶ Sie können die Einbindung von Personal Computer und Internet in Organisationen erklären. ▶ Sie können die Entwicklung vom „arbeitenden Kunden“ über den Freelancer zur „Schwarmintelligenz“ beschreiben und diesen Vorgang bewerten. Die bis heute bestehenden Legenden der Innovationen PC und Internet lassen einen deutlichen Unterschied zur bis dahin selbstverständlichen IT-Entwicklung von Großrechnern für die Business-Systemwelt erkennen. Der PC wurde demnach nicht von großen IT-Herstellern, sondern von jungen Tüftlern zunächst für ihre Zwecke in der Lebenswelt entwickelt und gebaut. Das Internet wurde eher „beiläufig“ von Wissenschaftlern der Schweizer Forschungseinrichtung CERN zum beschleunigten wissenschaftlichen Austausch entwickelt. Aus der Lebenswelt entwickelt sich eine zweite mächtige Innovationsspirale Es waren IT-affine junge Tüftler, die ihr Studium geschmissen hatten, um sich ganz der Entwicklung von Minirechnern widmen zu können. Sie probierten vieles aus, passten den Rechner an ihre Bedürfnisse an, programmierten und entwickelten immer neue Ideen für die Verwendung der neuen Maschine. Gleichzeitig wurde Software entwickelt, die nach und nach ihren Siegeszug sowohl im privaten Umfeld antrat als auch von Unternehmen übernommen wurde. Gerade die Loslösung von ökonomischen Zwecken förderte neue Kreativitätspotenziale. Der Computer trat mit dem PC über die Schwelle zur Lebenswelt. Mit der Verbreitung des Internets schließlich wuchs die Bedeutung des Computers als Informations- und Kommunikationsmedium. Eine zweite mächtige Innovationsspirale neben der zwischen Organisationen und IT-Herstellern war entstanden. Wenige Jahre später sollten daraus IT-Unternehmen entstehen, die die globalen Märkte und das gesamte Innovationsgeschehen beherrschen sollten. Es sind die Geschichten, die von Microsoft, Apple, Google, Facebook etc. geschrieben wurden. | 6.4 Lernziele ▼ ▲ Info ▼ | 6.4.1 ▲ <?page no="163"?> 164 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die im privaten Bereich neu entstehende Hard- und Software lieferte später auch immer wieder Anstöße für die Erschließung neuer Anwendungsfelder in der Welt der Organisationen. Vielfältige Kreuzungen und Übernahmen zwischen Business-System- und Lebenswelt prägen bis heute ein unübersichtliches Bild. Aus der Garagenfirma-Entwicklung PC ist längst ein globales ökonomisches Cluster geworden, das Open Source-Projekt Linux spielt in beiden Welten eine Rolle, Wikipedia scheint eine stabile Dienstleistung für die Lebenswelt geworden zu sein. Web 2.0 findet sein Pendant in der Metapher Enterprise 2.0. Sie werden zunehmend durch den Einfallsreichtum von Tüftlern mit hervorragenden Programmierkenntnissen vor Ort vorangetrieben, sie bezeichnen sich selber gern als Frickler. Sie haben ihre Kenntnisse häufig an Universitäten erworben und dann autodidaktisch weiterentwickelt. Sie versuchen ihre technischen Vorhaben mühsam und kleinteilig, oft auch in Internet-Communities und in Open Source-Projekten, mit großer Ausdauer und zuweilen auch großem ökonomischen Erfolg umzusetzen, wie wir an den Leitfiguren ▶ Bill Gates, ▶ Steve Jobs, ▶ Linus Torvaldts oder ▶ Marc Zuckerberg sehen können, die alle einmal so begannen. Die Frickler sind zu wichtigen Innovationsmotoren im Digitalen Zeitalter geworden. Viele der heutigen „Alltagstechnologien“ gehen auf einen einzelnen Frickler - oder auf ein Team - zurück. Der Kontext, in welchem sie zu „basteln“ begannen, lag oft irgendwo zwischen Universität, Wohnzimmer und Business. Sie wurden zunächst durch die Angebote ihrer Universitäten neugierig, sie haben dort rund um die Uhr üben können. Das Business wurde dann oft um diese Entwicklungen herum aufgebaut. Eine zentrale Frage ist, wie Computer und Internet als Teil des zukünftigen „Mobiliars“ der Lebenswelt zu etablieren sind, ohne dabei Handlungen einzuschränken, sie eher zu erweitern. Die Frage nach dem Anwender der Innovation stellt sich dann neu. Der Nutzer ist nicht mehr allein das Management oder der Mitarbeiter in Organisationen, sondern der Nutzer in der Lebenswelt. Während die klassischen Informationstechniken lange Zeit für betriebswirtschaftliche, zweckrationale Zielsetzungen in Organisationen entwickelt und eingesetzt wurden, wurden mit dem Aufkommen von PC und Internet die Akteure der Lebenswelt in ihrem kommunikativen Handeln unabhängig von Ort und Zeit. Der Kommunikations- und Verhandlungsraum konnte sich weltweit erweitern. Parallel dazu wurden diese Innovationen verlaufen von jetzt an kaum noch kontinuierlich, sie sind langfristig nicht mehr planbar. Merksatz ▼ Frickler <?page no="164"?> 165 p c u n d I n t e r n e t a l s w e r K z e u g u n d m e d I u m Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Techniken, angereichert durch eine fast unendliche, noch nicht an ihr Ende gekommene Zahl von kreativen Innovationen aus beiden Welten, auch in Organisationen genutzt, wo sie schnellere und produktivere Kommunikationsprozesse schufen. Durch die beschleunigte Entwicklung von Internet und IT spielen sich jetzt viele relevante Zukunftsfragen außerhalb der Wissenschaften und auch der anwendenden Organisationen ab, wechselwirken aber permanent mit Politik, Verbänden und Rechtsprechung. So wird heftig über Regulierungen in den Feldern Datenschutz, IT-Sicherheit, Urheber- und Leistungsschutzrechte, Digital Rights Management und Netzpolitik gestritten. Diese Themen bestimmen die Strukturen der Digitalen Gesellschaft. Der informationstechnische Fortschritt generiert unaufhörlich Regulierungslücken, die die Gesetzgebung permanent unter Druck setzt. PC und Internet in Organisationen und Lebenswelt Entwicklung und Verbreitung der Personal Computer wurden am Ende der 1970er Jahre euphorisch von vielen Nutzern als dezentraler Gegenentwurf zur Welt der Großrechner und der Management- Informationssysteme begrüßt. Zusammen mit dem Internet spannt sich seit den 1990er Jahren ein enges Netz über Rechner und Nutzer. Neue Dienstleistungen und Produktinnovationen werden möglich, bislang selbstverständliche überflüssig. Arbeit und Kultur verändern sich. Merksatz ▼ ▲ | 6.4.2 Büro Produktion Der Computer als Werkzeug und Medium Technik: zusätzlich: PC als Werkzeug, Software u.a. Office, client/ server Internet, u.a. W-LAN, Laptops Methoden: Überwälzen, Gruppenarbeit, Outsourcing, Crowdsourcing Kultur/ Leitbild/ Rechtssystem Informations- und Wissensgesellschaft, Urheberrechtskonflikte Akteure: Systementwickler Organisatoren Programmierer etc PC/ Internet Alltag Systemwelt Nutzungsformen: E-Business, E-Commerce Enterprise Resource Planning (ERP) Nutzungsformen E-Commerce Akteure: Tüftler Lebenswelt | Abb 46 Neben der klassischen ist eine zweite Innovationsspirale außerhalb der Systemwelt von Organisationen durch Tüftler in der Lebenswelt entstanden. Der Computer wird jetzt als Werkzeug und Medium sowohl in der Systemwelt der Organisationen als auch der Lebenswelt genutzt. Personal Computer <?page no="165"?> 166 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation In Organisationen sind die „unintelligenten“ Bildschirmterminals verschwunden. Rechnerleistung kann jetzt theoretisch an jedem Arbeitsplatz vorhanden sein. Nutzer können, sofern ihnen diese Freiräume zugestanden werden, den PC ungeplant und selbstorganisiert für ihre Zwecke nutzen; der PC wird zum Werkzeug in der Formalisierungslücke. Werkzeuge dienen der Erweiterung der Möglichkeiten und Fähigkeiten des Benutzers. Programme, wie Textverarbeitungs-, Tabellenkalkulations-, Präsentationssoftware etc. unterstützen diese neue Techniknutzungsform. Zugleich ist der PC mit dem Server verbunden und so in das System der Organisationstechnologie eingebunden. Verlängerung der Geschäftsprozesse zu den Konsumenten Lange Zeit spielt sich der IT-Einsatz bei der Prozessorientierung in den Grenzen von Organisationen ab. Mit dem Internet kann auf diese Architektur ein Netzwerk gelegt werden, das die mittlerweile Millionen Personal Computer in den Privathaushalten andockt. Die Prozesse der Unternehmen können so bis zu den Kunden verlängert werden. Das hat zwei Vorteile: ▶ Der Konsument kann sich über ein Webportal über das Waren- und Dienstleistungsangebot informieren und anschließend direkt bestellen (E-Commerce). ▶ Des Weiteren können Routinearbeit aus der Organisation ausgelagert und auf den Konsumenten überwälzt werden. (s. Abb. 47). Die Überwälzung auf den Kunden ist längst Alltag, z. B. durch Geldautomaten oder im Reisegeschäft. Der Kunde ist jetzt direkt an die Geschäftsprozesse des Unternehmens angebunden. Was dem Kunden als Komfortgewinn erscheint und für ihn mit zusätzlichem Aufwand verbunden sein kann, kann für die Beschäftigten die schleichende Rationalisierung ihrer ursprünglichen Aufgaben bedeuten. Voss / Rieger sehen in der Überwälzung eine neue Qualität, da jetzt nicht mehr durch Eingriffe in die betriebsinternen Strukturen rationalisiert wird, sondern durch Zugriff auf die Aktivitäten der Kunden. Die Grenzen des Betriebes werden überschritten (Voss / Rieger 2005, S. 121). Sie finden dafür die Metapher vom „arbeitenden Kunden“. Sie sehen das sehr kritisch und verorten die Anfänge in der Selbstbedienung und den endgültigen Durchbruch bei IKEA in den 1970er Jahren. „Inzwischen müssen die Kunden fast überall systematisch den Betrieben zuarbeiten - sie machen immer häufiger den Job, den bisher betriebliche Mitarbeiter hatten: Man kauft an unberechenbaren Automaten seine Fahrkarten und sucht mühsam nach Auskünften, man bucht im Internet die Flugtickets und die Übernachtung im Beispiel ▼ <?page no="166"?> 167 p c u n d I n t e r n e t a l s w e r K z e u g u n d m e d I u m Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Hotel, erledigt seine Bankgeschäfte online allein zu Hause, informiert sich über alles oder jedes im www. (weil man eine kompetente Beratung kaum mehr bekommt), die Steuererklärung geht nur noch online per ‚Elster‘, und demnächst konsultiert man den Arzt erst einmal online bevor man eine wirkliche Praxis aufsucht. Der Kunde ist heute einerseits selbstbestimmter, informierter, aktiver, er ist stärker Subjekt als vorher. Zugleich unterliegt er aber einer ganz neuen Qualität von Entfremdung und Ausbeutung. Er hat gar keine Wahl, selbst wenn es ihn überfordert oder er keine Lust hat, er muss ‚mitarbeiten‘, Beratung entfällt. Kein Wunder, wenn die einschlägige Managementliteratur den Kunden inzwischen zum ‚partial employee‘ erklärt, von einer ‚ Auslagerung von Arbeitsaufgaben auf den Kunden‘ spricht, den Konsumenten als ‚Teil der betrieblichen Wertschöpfungskette‘ sieht, dessen ‚Kundenleistung‘ es zu optimieren gelte ... und das oft auch noch ‚Kundenorientierung‘ nennt “ (Voss / Rieger 2005). Die Überwälzung auf den Kunden bringt für die Unternehmen viele Vorteile: Kostensenkungen durch Wegfall von Büroarbeit, Beschleunigung der Transaktionen, Zugriff auf Kundendaten und Kundenwünsche und stärkere Kundenbindung. Für die Konsumenten ist damit, nach Einarbeitung, oft ein Zugewinn an Bequemlichkeit verbunden, die dann nur wenig Zeit in Anspruch nimmt. Für alle, die noch ein persönliches Prozessorganisation/ Workflow Automation Callcenter Perspektive: Systemwelt Informationstechnik Organisationskontext: Automaten; operative Arbeitsgruppen & innovative Projekte; Outsourcing durch Callcenter | Abb 47 In dieser Grafik blenden wir wieder die Details der System- und Lebenswelt aus und zeigen nur die Überwälzung von Aufgaben auf den Kunden durch PC, Internet und Automaten (z. B. Geldautomaten, E-Commerce). Voraussetzung dafür ist, dass computergestützte Prozesse in den Organisationen vorliegen. ▲ <?page no="167"?> 168 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Gespräch erwarten oder sich nicht auf die Technik einlassen wollen, geht damit ein Verlust an Dienstleistungsqualität einher. Möglicherweise muss die gewohnte Beratung bezahlt oder durch Wartezeiten erkauft werden. Outsourcing von operativen Modulen und innovativen Projekten Die durch Modularisierung von operativen Arbeitsgruppen und innovativen Projekten geschaffene arbeitsorganisatorische Teilautonomie ist eine gute Voraussetzung, um die Arbeit von Teams und Mitarbeitern aus der Organisation auszulagern. In der Folge der Modularisierung können dann viele Aufgaben ausgelagert werden, so die heute verbreitete Managementauffassung (s. Abb. 48). Unsere Kontakte zu Versicherungen, Banken oder anderen Dienstleistungen wurden nach und nach aus Unternehmen in Call-Center ausgelagert. Die Call- Center-Agenten übernehmen Servicefunktionen, wie Kundenanfragen, Reklamationen, Bestellungen, Routineberatungen etc. Sie haben dabei Zugriff auf das Informationssystem des Unternehmens. Das Call-Center als Brücke vom Kunden zum Unternehmen ist durch weitere informationstechnische und organisatorische Innovationen immer in Gefahr, in seinen Aufgaben abgeschmolzen zu werden. Für operative Module bieten sich wie dargestellt Call-Center an. Beschäftigte in innovativen Modulen lassen sich, je nach Projektbedarf, durch Berater oder Start-ups auf Honorarbasis ersetzen. Die Organisation greift auf die Kompetenzen der Akteure zu und bezahlt sie nur, wenn sie tatsächlich benötigt werden. Internet und IT-Equipment können die Einbindung in die Arbeitsorganisation unkompliziert herstellen, so die Erwartungen. Ausgelagerte innovative Projektgruppen koordinieren sich zuweilen mit anderen Projekten. Auf diese Weise entstehen virtuelle Organisation, die nach außen eine Organisationseinheit bilden, sich nach Auftragsabwicklung wieder auflösen. Das Management betrachtet jetzt nicht mehr die real im Unternehmen vorhanden Personen mit ihren Kompetenzen, sondern die potenziell am Markt verfügbaren Kompetenzen. Die Organisation schmilzt Arbeit ab, sie ist aber virtuell, d. h. der Möglichkeit nach (hoffentlich) stets vorhanden. Auch anspruchsvolle Tätigkeiten, wie z. B. Aufgaben im Rechnungswesen oder in der Programmierung lassen sich in dieser Logik an externe Dienstleister vergeben oder in Billiglohnländer verlagern. Das Internet sorgt für die zeitnahe Informationslogistik. Der bisher beste Schutz vor Arbeitsplatzabbau, die Restriktionen Ort und Zeit, tragen im Zeitalter des Internet nicht mehr. Zur Gratwanderung wird diese Strategie allerdings, Größere Einsparpotenziale verspricht sich das Management durch Auslagerung ganzer Module ohne Beibehaltung des Angestelltenstatus der Beschäftigten. Merksatz ▼ Call-Center-Agenten verfügbare Kompetenzen Informationslogistik <?page no="168"?> 169 p c u n d I n t e r n e t a l s w e r K z e u g u n d m e d I u m Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation wenn es um das Outsourcing sogenannter Kernkompetenzen geht, also um die Kompetenzen, die eine Organisation unverwechselbar machen. Probleme können auch auftauchen, wenn der Arbeitsmarkt ausgelastet ist. Von diesen neuen Dienstleistern bzw. Selbständigen, noch uneinheitlich Freelancer, Solo-Unternehmer oder Arbeitskraft-Unternehmer (Pongratz / Voss 2003) genannt, wird ein hohes Maß an Fachexpertise, Flexibilität und Mobilität erwartet. Arbeitskraft-Unternehmertum gestattet den Akteuren ein hohes Maß an Freiheit, Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Selbstbestimmung - vermeintlich auch fern betrieblicher Hierarchien und Konflikte. Auf den ersten Blick liegen diese Vorzüge nah an den Vorstellungen zur Humanisierung der Arbeitswelt in den 1970er und 1980er Jahren, die damals von Gewerkschaften und vielen Arbeits- und Sozialwissenschaftlern gefordert wurden. Bei allem Reiz des Arbeitskraft- Unternehmertums, ist dies häufig kein freiwilliger Status. Er ist oft mit geringer Sicherheit und unzureichender Auslastung verbunden. Voß und Rieger verknüpfen den „arbeitenden Kunden“ mit dem Arbeitskraft-Unternehmer. Die gemeinsame Strategie bestehe darin, Leistung von Arbeitenden abzuschöpfen, indem man ihre Selbststeuerung aktiviert. „Obwohl gegensinnig konstruiert, basieren also beide Typen auf einer Prozessorganisation/ Workflow Automation Callcenter Perspektive: Systemwelt Informationstechnik Organisationskontext: ... Outsourcing operativer Module & innovativer Projekte und Mitarbeiter Freelancer & Firmengründungen | Abb 48 Automatisieren, Verlagern, Überwälzen: Aufgaben werden auf Kunden überwälzt. Operative und innovative Module werden zu Call- Centern, Freelancern, Start-ups oder virtuellen Organisationen. arbeitende Kunden <?page no="169"?> 170 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation erweiterten Selbst-Erledigung und Selbst-Steuerung von bisher betrieblich vollzogenen Vorgängen“ (Voss / Rieder 2005, S. 155). Ein kleine Fallstudie, die Leitbild und Theorie des Outsourcing mit der Realität konfrontiert, und die der Autor so erlebt hat: Virtuell alles im Griff Am Bahnhof Aschaffenburg endete unsere Mainradtour. Meine beiden Mitfahrer und ich wollten mit der Deutschen Bundesbahn nach Hamburg zurück, in der Hoffnung, dass unsere Räder mitgenommen werden. Ende September, so unsere Erwartung, ist ja keine Hochsaison. In den Zügen, die am Samstag und nachfolgenden Sonntag in Frage kommen, sind die Fahrradplätze ausgebucht. Daraus ergibt sich folgender Dialog mit dem Schalterbeschäftigten der Deutschen Bahn: „Können wir denn die Räder aufgeben? “ „Natürlich bietet die Bahn diesen Service an. Wir haben diese Dienstleistung allerdings outgesourct. Der Transport wird von unserem Partner, Humus Logistics, durchgeführt. Sagen Sie mir Ihre Adresse hier am Ort, wo Sie ihre Räder deponieren, damit der Fahrer sie abholen kann.“ „Wir haben keine Adresse hier und wollen doch heute nach Hamburg zurück.“ „ Ja, aber Humus Logistics muss die Räder doch irgendwo abholen können.“ „Na, hier am Bahnhof, Sie haben doch ein Lager.“ „Die Zeiten sind vorbei, wo Sie am Bahnhof Räder deponieren konnten. Bleiben Sie über Nacht, genießen Sie unsere schöne Stadt und lassen Sie die Räder im Hotel.“ „Wir möchten aber heute fahren.“ „Fragen Sie im Hotel Adler dort drüben; die nehmen die Räder vielleicht auch so.“ Wir gehen rüber zum Hotel Adler. Tatsächlich, gegen ein Trinkgeld ist die Dienst habende Rezeptionsdame bereit, die Räder für zwei Tage zu deponieren bis sie von der Humus Logistics abgeholt werden. Ich kehre mit den beiden Begleitern mit unserem schweren Radgepäck in der Hand zum Bahnhof zurück. Der Beamte tippt die notwendigen Informationen in seinen Computer ein, dabei erhält er gleichzeitig einige Abwicklungsinformationen aus dem Rechner. „Am Montag werden die Räder abgeholt und am Mittwoch bei ihnen Zuhause in Hamburg abgeliefert; das ist unser Service. Pro Rad kostet das 20 Euro.“ „Und zu welcher Uhrzeit am Mittwoch bitte? “ „Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, so zwischen 10 und 18 Uhr. Humus Logistics übergibt die Räder einem lokalen Spediteur, der die Route nach seinen Aufträgen festlegt; das werden Sie verstehen.“ Beispiel ▼ <?page no="170"?> 171 p c u n d I n t e r n e t a l s w e r K z e u g u n d m e d I u m Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation „Dann muss ich ja einen ganzen Tag Urlaub nehmen.“ „Das tut mir leid. Vielleicht ist ja ihr Nachbar da? “ Als am Mittwoch um 6 Uhr abends die Räder nicht in Hamburg angekommen sind, rufe ich bei Humus Logistics an. Ich lande in einem Call- Center. „Da schau ich mal gleich in meine Datenbank “, sagt eine freundliche Frauenstimme. „Tut mir leid. Die Räder sind noch in Aschaffenburg; der Fahrer war zweimal im Hotel Adler und keiner wusste Bescheid.“ „Das kann nicht wahr sein. Dann soll er gleich noch einmal fahren.“ „Das geht leider nicht. Nach zwei Fehlversuchen wird ein Auftrag storniert.“ „Aber ich habe doch bezahlt.“ „Nun rufen Sie erstmal im Hotel an und stellen Sie sicher, dass die Rezeptionskraft da ist. Dann wollen wir sehen, was sich machen lässt.“ Ich frage die Dame im Call- Center sicherheitshalber nach ihrem Namen - Frau Klein - und rufe im Hotel Adler an, informiere die Rezeption über das Gespräch mit Frau Klein, mache eine Zeit aus und rufe wieder bei Humus Logistics an und lande wieder im Call- Center. Es meldet sich eine Männerstimme. „Geben Sie mir bitte Frau Klein. Sie weiß über den Vorgang Bescheid.“ „Frau Klein? Wir sitzen hier mit 200 Leuten! Ich kenne keine Frau Klein.“ Schließlich erklärt sich der Mitarbeiter bereit, Frau Klein zu suchen. „Ich renn mal durch den Saal und rufe ihren Namen, vielleicht haben Sie ja Glück und Frau Klein ist nicht gerade zu Tisch. Sie ruinieren meine Jobrate für heute.“ Ich warte, denke an meine Handyrechnung und habe nach etwa zehn Minuten die freundliche Frau Klein am Telefon. „Ja, ich erinnere mich. Dann nehme ich den Vorgang neu auf. Aus Kulanzgründen müssen Sie nicht neu bezahlen. Die Fahrräder kommen am Freitag, ganz bestimmt.“ Sie kommen wirklich. Als ich den Mann mit dem Kleintransporter nach dem Spediteur frage, sagt er: „Ich arbeite für einen, von Humus Logistics beauftragten Kleinspediteur, bin aber selber selbständig. Muss hart arbeiten, um auf 7 Euro brutto zu kommen. Heute sourcen doch alle alles aus. Das muss der Kunde doch verstehen, wenn nicht alles sofort klappt. Aber der Computer hat doch alles im Griff.“ Laut Süddeutscher Zeitung (Christoph Gießen, Sybille Haas, Alexander Mühlhauer: Mut zur Wut, 22. 2. 13) bekommt ein Hermes-Paketfahrer pro Paket 50 Cent, sofern die Zustellung auch tatsächlich erfolgreich abge- ▲ <?page no="171"?> 172 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation wickelt wurde. Hermes-Generalunternehmer erhalten zwischen 1 und 1,50 Euro, davon gehen 50 Cent an den Fahrer, Rest für Steuern, Kfz, Miete etc. Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), 13.2.2013: Solo-Selbständigkeit: Freiheit oder Not? Immer mehr Menschen in Deutschland arbeiten als Solo-Selbständige, also auf eigene Rechnung und ohne Angestellte. Zwischen 2000 und 2011 ist die Zahl dieser Ein-Personen-Unternehmen einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zufolge um rund 40 Prozent auf etwa 2,6 Millionen angewachsen. Damit sind mittlerweile rund 57 Prozent aller Selbständigen in Deutschland Solo- Selbständige... Sie sind im Durchschnitt besser qualifiziert als die Gesamtheit der Erwerbstätigen, nicht aber besser verdienend. Rund ein Drittel von ihnen müsste dem Niedriglohnsektor zugerechnet werden, fand DIW-Arbeitsmarkt-Experte Karl Brenke heraus... Nach den Motiven für die Einzel-Selbständigkeit gefragt, waren die Wünsche „der eigene Chef zu sein“ und „neue Ideen umzusetzen“ häufige Antworten. Aber auch „nicht mehr arbeitslos sein“, „keine andere Anstellung gefunden“, „Benachteiligung am Arbeitsplatz“ und „von Anderen zur Gründung geraten“ waren oft genannte Motive. Ob sich der zweithäufigste genannte Wunsch - „mehr Geld verdienen“ - für die meisten erfüllt, bezweifelt DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke. „Ein erheblicher Teil der Solo-Selbständigen erzielt nur ein geringes Einkommen. Mehr als 30 Prozent von ihnen beziehen nur ein Einkommen pro Stunde, was den Einkommen der Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor entspricht... Und in Deutschland ist die Zunahme der Solo-Selbständigen nicht nur positiv zu sehen, denn es werden wohl auch Funktionen, die früher von Festangestellten wahrgenommen wurden, in die Selbständigkeit ausgelagert “, so Brenke. http: / / www.diw.de/ de/ diw_01.c.4157 16.de/ solo_selbstaendigkeit_freiheit_oder_ not.html Erweitung der „office work“ um „home work“ Die Teleheimarbeit war über zwei Jahrzehnte das Lieblingsthema vieler Trendforscher. Das Internet führt paradoxerweise dazu, dass sich die jetzt technisch realisierbare und von vielen gewünschte Teleheimarbeit im Angestelltenverhältnis kaum verbreitet. Die Unternehmen bevorzugen preiswertere Modelle. Die amerikanischen Sozialwissenschaftlerinnen Orlikowski und Barley haben in empirischen Untersuchungen nachgewiesen, dass das Vorhandensein von IT in Privathaushalten nicht im erwarteten Maß dazu geführt hat, Büroarbeit durch Teleheimarbeit zu ersetzen (substi- Info ▼ ▲ <?page no="172"?> 173 p c u n d I n t e r n e t a l s w e r K z e u g u n d m e d I u m Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation tute). Vielmehr verstärkt sich der Trend „office work“ über die Arbeitszeit hinaus auszuweiten, indem Arbeit mit nach Hause genommen wird. Arbeit wird auf die vorhandenen Schultern draufgesattelt (supplement). Private IT und Internet bieten dazu die notwendigen Voraussetzungen. IT trägt dazu bei, die Arbeitszeit zu verlängern. Die Bereitschaft dazu ist in Zeiten knapper Arbeitsplätze groß. Auch die Kunden erwarten Rund-umdie- Uhr-Präsenz. Viele Beschäftigte sind in Zeitzonen überschreitenden Geschäftsbeziehungen involviert (Orlikowski / Barley 2001, S. 145 - 165). Auch hierzu eine kritische Stimme: Ode an das Büro „Home Office ist eine Schimäre. Sie gaukelte uns Selbständigkeit vor und Unabhängigkeit, verschärfte dabei aber Isolation, Druck und Selbstausbeutung in einem Maß, das besorgniserregend geworden ist. Zugunsten der Arbeitgeber haben sich die Grenzen zwischen Job und Privatleben komplett aufgelöst. Wir sind permanent auf Empfang. Und dabei gaukeln wir uns auch noch vor, diese Art einer durchökonomisierten Ich- Gesellschaft sei ein Indiz für Modernität oder gar Freiheit.“ (Thomas Tuma, spiegel online, 28. 2. 2013) Abschöpfen von Innovationen durch „Schwarmintelligenz“ und Crowdsourcing Die Aktivierung der Selbststeuerung von Arbeitskraft-Unternehmern und mitarbeitenden Kunden, kann aus Sicht des Managements verstärkt werden, wenn Kunden freiwillig als kostenlose, qualifizierte, kreative und innovative Wissensarbeiter gewonnen werden können. Bei der Programmentwicklung großer Softwarekonzerne ist dieses Modell seit langem üblich. Sie setzen ihre noch fehlerhafte neue Programmversionen - sogenannte Betaversionen - in der Erwartung ins „Freiland“, dass begabte Programmierer dies als sportliche Herausforderung sehen, Programmfehler suchen und schnell an den Softwarehersteller zurückmelden. ▼ ▲ <?page no="173"?> 174 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Das kostenlose und freiwillige Abschöpfen von innovativer Kopfarbeit besitzt im Web 2.0 ein ideales interaktives Medium. Internet- Communities werden von Unternehmen häufig etabliert, um die Akzeptanz ihrer Produkte ohne aufwändige Marktforschung herauszufinden. In einem weiteren Schritt planen sie, ihre Konsumenten in die Produktentwicklung einzubeziehen. Die Strategie, etwas salopp ausgedrückt, ist: Warum viele Designer, Kreative, Ideengeber oder Programmierer beschäftigen, wenn die „Freaks“ weltweit auch freiwillig für ein „Vergelts Gott “, heute in der zeitgemäßen Form des Verleihens eines Awards oder einer Namensnennung auf dem mitentwickelten Produkt („Co-designed by Willi Müller“), tätig werden? Gute Talente sind offensichtlich über ihre positive Neugier und Leidenschaft zu kostenloser Mitarbeit zu gewinnen. Medien und einschlägige Wissenschaften nennen dies „Crowdsourcing“, „Schwarmintelligenz“ oder euphemistisch Wertschöpfungspartnerschaften bzw. Open und User-Innovation (Reichwald / Piller 2009). Die klassische Marktforschung sieht ihre Aufgabe bisher darin, Investitionsrisiken für Firmen zu reduzieren, indem sie von Kunden Bedürfnisinformationen abfragt. Open Innovation geht einen Schritt weiter: Sie betrachtet Wissen und Kreativität der Kunden als Quelle für die Abschöpfung von Lösungsinformationen. Open Innovation versteht Innovationsentwicklung Prozessorganisation/ Workflow Automation Callcenter Perspektive: Systemwelt Informationstechnik ... Internet: e-mail, Such- Maschinen ... Web 2.0: Wikis, Weblogs, Social Networks etc. Freelancer & Firmengründungen „Schwarm- Intelligienz“/ Open Innovation/ Crowdsourcing Abb 49 | Kostenloses Abschöpfen von Kopfarbeit durch Crowdsourcing und „Schwarmintelligenz“ Info ▼ ▲ <?page no="174"?> 175 p c u n d I n t e r n e t a l s w e r K z e u g u n d m e d I u m Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation nicht mehr als geschlossenen organisationsinternen Prozess, sondern als Möglichkeit, externe Innovations-Netzwerke zu etablieren. Der Innovationsauftrag wird jetzt an ein anonymes, unendlich großes Netzwerk als Aufruf zur Mitwirkung vergeben (Reichwald / Piller 2009). Aus Sicht des Managements bedeutet „interaktive Wertschöpfung“ in aller Konsequenz: Keine Marktforschung, keine internen Designer; aktive Integration der Kunden; Broadcasting von Problemen; geringe Allokation von Aufgaben an interne Aufgabenträger; offene Teilnahme und Selbstselektion der Akteure; effizienter Auswahlprozess durch die Kunden selbst. Es ist das Bemühen an „sticky informations“ zu kommen, an am Nutzer bzw. Kunden „klebende“ Informationen. Open bzw. User-Innovation sind nicht mit der Open-Source-Softwareentwicklung gleichzusetzen. Bei der Open-Source-Softwareentwicklung besteht die Idealvorstellung darin, dass die gemeinsamen Entwicklungen allen zur kostenlosen Nutzung zur Verfügung stehen. Die Kernidee ist zu verhindern, dass wenige den ganzen „Rahm abschöpfen“ können. Das Bild der weltweit verteilten Softwarewerker, die aus altruistischem Engagement in ihren Stuben kreative Dinge entwickeln, ist heute zumindest in Teilen idealistisch. Open Source ist auch ein Geschäft geworden, in dem große Softwarehersteller mitspielen, um ihre Entwicklungskosten zu reduzieren. „Interaktive Wertschöpfung“ legt es in vielen Fällen auf das „Rahmabschöpfen“ der Wenigen an. Kreative Arbeit durch interne Mitarbeiter soll durch neugierige Externe reduziert werden, die bei Erfolg dann zuweilen mit dem Appell „die Firma sucht den Superstar“ prämiert werden. Differenzierter sind Open Innovations zu betrachten, bei denen externe Experten in den Konstruktions- und Innovationsprozess eingebunden werden, und auf diese Weise das Produkt für die beteiligten User besser und billiger wird. Ein Beispiel ist das Kite-Surfing: Die Segelkonstruktion kommt nicht ohne die Einbindung erfahrener Surfer aus, die ihre Erfahrungen einbringen, um Produkte von hervorragender Qualität herstellen zu können und sie dadurch auch für die beteiligten Surfer kostengünstiger zu machen (vgl. Piller 2006, S. 86). Dies ist eher eine Ausnahme. Dennoch verbreitet sich immer mehr die Auffassung, dass Teilen per se in unserer Ökonomie positiv sei und sogar zur Überwindung vieler Ungerechtigkeit beitragen könne. Das mag in Einzelfällen so sein, aber auch das Risiko des Missbrauchs ist groß wie der Euphemismus „interaktive Wertschöpfung“ zeigt. Die IT-Hersteller haben mittlerweile erkannt, welches Innovationspotential in der „interaktiven Wertschöpfung“ für sie liegt. sticky informations Interaktive Wertschöpfung Open Source Beispiel ▼ ▲ <?page no="175"?> 176 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Dazu schreibt der ZEIT-Autor Marcus Rohwetter: „Die Cebit, die bedeutendste Computermesse der Welt, hat die Shareconomy in dieser Woche sogar zu ihrem Leitthema erklärt. Dabei dürften die eifrigsten Verfechter der Idee vor allem eines miteinander teilen: eine große Illusion. Denn Sharing funktioniert hauptsächlich in Nischen. Sobald es um wirklich relevante Themen des Lebens geht, ist Sharing weder populär noch antikapitalistisch, ja teilweise sogar gefährlich. Die Erwartungen an die Ökonomie des Teilens sind dabei dermaßen übersteigert, dass sie sich kaum erfüllen werden. Stärker als den Beginn einer neuen Wirtschaftsordnung symbolisiert der Sharing-Hype eine Reform der Realitätsflucht. ... Teilen wirkt selbstlos. Daraus zieht die Idee ihren Charme, das macht sie attraktiv für Kritiker des Kapitalismus. Andere teilhaben zu lassen an eigenen Gütern und Ideen etwa, klingt ja auch gut. Aber gibt es diese Selbstlosigkeit wirklich im großen Stil? (Reichwald / Piller 2006, S. 27) Globale Netzwerkorganisationen - Realitäten und Visionen In Organisationen sind mittlerweile viele Routinefunktionen automatisiert, aber es sind auch neue Restaufgaben entstanden, die auf Kunden überwälzt oder in Callcenter verlagert werden. Abteilungen werden durch operative Arbeitsgruppen und Projektgruppen abgelöst und zum Teil nach außerhalb verlagert und in die Selbstständigkeit entlassen. Standardsoftwaresysteme haben stabile Prozesse, Strukturen und Funktionen der Organisation übernommen. Sie koordinieren Aktivitäten und Module. Automatisieren, Überwälzen, Verlagern, Crowdsourcing sind die jetzt verfolgten Organisationsstrategien. Bislang standen die Wechselwirkungen in den Grenzen einer Organisation im Fokus. Dieses Bild ist unvollständig. Der Blick muss sich von der einzelnen Organisation hin zu ihrer Vernetzung mit anderen Organisationen und ihrer Einbettung in weltweite Produktions- und Dienstleistungsnetzwerke erweitern. Es werden interorganisationale Netzwerke V oSS , G. / r ieGer , K. (2005): Der arbeitende Kunde: wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden, Ffm. r olf , a. / m öller , a. / f unK , B. / n iemeyer , p. (2013): Freie Pizzawahl für Informatiker und Wirtschaftsinformatiker, In: Informatik Spektrum 1 / 2013. Literatur 6.5 | <?page no="176"?> 177 g l o b a l e n e t z w e r K o r g a n I s a t I o n e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation mit Organisationen und Akteuren als Knotenpunkte sichtbar, die über automatisierte Geschäftsprozesse und über PC und Internet ablaufende Kommunikationsprozesse verbunden sind. Von Sydow, der die Forschungen zu diesen Themen mitgeprägt hat, stammt die folgende Definition: Durch Netzwerke können Distanzen zeitlich wie örtlich durch die vorhandene Informationstechnik schnell überwunden werden. Sie haben offene Strukturen, können grenzenlos expandieren, neue Knoten einbeziehen und überflüssige rasch abschalten, je nach den Zielen, die vom jeweiligen Unternehmen, das sich die Position des Netzwerkführers erkämpft hat, unter strategischen Gesichtspunkten verfolgt wird. Zum Netzwerk eines weltweit agierenden Unternehmens zählen eine Reihe von global verstreuten Organisationen, z. B. Niederlassungen und Produktionsstätten, rechtlich unabhängige Firmen, z. B. Lieferanten, Logis- Ein Netzwerk als „Organisationsform ökonomischer Aktivitäten (...) beschreibt (...) die Kooperation in und / oder zwischen relativ autonomen, gleichwohl in ein Netz von Beziehungen eingebundene Organisation bzw. Unternehmen (oder Organisationseinheiten)“. Organisationen werden als Knoten, die Beziehungen als Kanten dargestellt (Sydow / Möllering 2004, S. 18). Definition ▼ Globale IT- Anbieter Leitbilder, Normen, Kultur, Gesetze Globale Netzwerkorganisationen Bürger Konsument Beschäftigte Politiker Informatiker Gesellschaftliche Auswirkungen: Datenschutz, Arbeitsmarkt, Umwelt | Abb 50 Netzwerk eines weltweit agierenden Unternehmens <?page no="177"?> 178 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation tikunternehmen, Kunden („einbinden“). Hierarchische Organisationsformen mischen sich mit teilautonomen Modulen. Prozessorganisation, Modularisierung und Netzwerkorganisation sind aktuelle Bausteine. Auch auf der Seite der Informationstechnik haben wir es mit globalen Netzwerkorganisationen (z. B. SAP, IBM, Microsoft) zu tun. Das Internet hat ein elektronisches Verkehrsnetz über die weltweit verteilten Rechner in Organisationen und Privathaushalte gelegt. Dies ist der Hintergrund für die Neuorganisation zahlreicher ökonomischer Beziehungen. Die Nutzer - Organisationen, private Nutzer, Verbraucher, Lieferanten oder staatliche Behörden - „arbeiten“ jetzt über das Internet zusammen, um Raum und Zeit zu überwinden und Transaktionskosten zu sparen; Leben und Arbeit werden in einem nie gekannten Ausmaß beschleunigt. In Netzwerkorganisationen haben einzelne Organisationen keine scharf umrissenen Grenzen mehr. Für das Management wird der „Rückzug auf die Kernkompetenzen“ profitabel, da Freelancer, Lieferanten und angebundene Produktionsstätten scheinbar nach Bedarf „abgerufen“ werden können. Manche Beziehungen sind dabei stabil, andere flüchtig. Die Herausforderung besteht jetzt im Organisieren und Koordinieren der externen Netzwerkpartner, der „human cloud“. Da vieles nicht mehr selbst entwickelt und hergestellt wird, sondern an Spezialisten im Netzwerk ausgelagert ist, muss man sich der Qualität der Arbeit und der Zuverlässigkeit des Netzwerkpartners sicher sein, was in der Managementliteratur oftmals leichter gesagt als in der Realität herzustellen ist. Das Leitbild des Netzwerkführers ist: Man muss theoretisch „alles können, aber nicht alles tun! “ (Sydow / Möllering 2006, s. 11-18). Bei den zahlreichen ineinandergreifenden Zahnrädern liegt jetzt das Hauptaugenmerk darauf, dass nicht ein einziges das gesamte System sprengt. In einer traditionellen Organisation ist dies schon eine Herausforderung, in einem globalen Netzwerk erhöht sich die Komplexität noch einmal deutlich. Das kann einen Koordinationsaufwand bedeuten, der kaum beherrschbar, geschweige denn kostengünstig ist. Diese Erfahrungen hat Joachim Niemeyer gemacht, früherer Geschäftsführer der T-Systems Multimedia Solutions GmbH: „Ein Softwareunternehmen greift frühzeitig die Chance auf, über das Internet räumlich getrennte Mitarbeiter aus verschiedenen rechtlich selbständigen Partnerunternehmen sowie als Freelancer an gemeinsamen Projekten arbeiten zu lassen. Die Projekte kommen aber in ein unruhiges Fahrwasser, die Fertigstellungstermine kommen ins Rutschen, die Fehlerquote steigt und es entstehen neue Nacharbeitszyklen. Der Druck auf die Mitarbeiter wächst, auslaufende Verträge werden als Chance gesehen, neue Projekte in anderen Konstellationen anzugehen. Die eigenen Mitarbeiter Netzwerkorganisationen Beispiel ▼ <?page no="178"?> 179 g l o b a l e n e t z w e r K o r g a n I s a t I o n e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation beklagen, dass sie jetzt nur noch die Fehler der früheren Partner suchen und beseitigen müssen und bedauern die damit verbundenen fehlenden Entwicklungsperspektiven. Die Kunden wollen ihre Anwendungen systematisch weiterentwickeln aber wichtige KnowhowTräger, die in der Vergangenheit als Freelancer eingebunden waren, sind aufgrund zwischenzeitlich anderer Verträge dazu nicht mehr verfügbar. Die Führungskräfte sind durch die virtuell ablaufende Zusammenarbeit überfordert. Ein Rettungsversuch wird unternommen: Durch den Einsatz einer neuen GroupwareTechnologie sollen die KnowhowTräger wieder mit eingebunden und die Arbeitsprozesse zukünftig konsequent gesteuert werden. Durch die hohe Reichweite der GroupwareLösung wird die Anzahl der einbezogenen Mitarbeiter deutlich und kontinuierlich erhöht. Dies führt zu einer zunehmenden Konfusion, wer in den Projekten welche Rolle hat und welche nicht. Obwohl das Know-how und die Kernkompetenzen vorhanden sind, gelingt es immer weniger, daraus fakturierbare Leistungen für die Kunden zu generieren. Die Integration von mehr und mehr Mitarbeitern wird immer teurer. Die vielen inhaltlichen Beiträge verursachen einen kommunikativen Albtraum, deren Integration in den Arbeitsprozess scheint aussichtslos. Das Management zieht die Reißleine und erklärt das Kapitel „Virtualisierung“ für beendet “ (Niemeier 2004, S. 14). Die „Herrscher“ von Netzwerken zeichnen sich dadurch aus, dass sie über Jahre eine „Marke“ weltweit etablieren konnten. Beispiele sind im Sportschuhbereich adidas, Puma, Nike, im Textilbereich Joop, H&M, in der Automobilindustrie BMW, Toyota oder Daimler. Ihre Hauptaktivitäten sind Markenpflege, Innovationsentwicklung, Design und Vertrieb. Dafür benötigen sie einen, in Relation zu ihrem Umsatz, überschaubaren eigenen Mitarbeiterstab. Andere Bereiche sind ausgelagert. Die Unternehmen siedeln Knoten dort an, wo die für sie nützlichen Leistungen vorhanden sind. Das können Kostengesichtspunkte sein, müssen es aber nicht. Dabei lassen sich mindestens vier Formen unterscheiden, die auch als Mischformen auftreten können: ▶ Contract Manufacturing Der Netzwerkherrscher hat die Produktion in Billiglohnländer verlagert („Fabriklose Produktion“), da die Lohnkosten dort gering, die sozialen und Umweltstandards oft asozial sind, die Fertigung hinsichtlich Qualifikationsanforderungen anspruchslos ist und die Transportkosten kaum ins Gewicht fallen. Es findet ein Offshoring statt. Die Kostenrationalisierung steht im Vordergrund. Beispiele: Fertigung von Sportschuhen und Textilien (adidas, Puma, Nike bzw. KIK, H&M etc.). ▶ Contract Engineering Das Engineering des Produktes steht im Vordergrund. Es geht um anspruchsvolle Ingenieurarbeit, auf die sich am Netzwerkverbund beteiligte Klein- und Mittel- ▲ Herrscher von Netzwerken Info ▼ <?page no="179"?> 180 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation betriebe (KMU) spezialisiert haben. Ihre Kernkompetenzen wollen sie innerhalb dieses Nearshoring-Netzwerkes sichern. Die KMUs sind aufgrund der technischen Expertise ihrer Mitarbeiter vorwiegend im Land angesiedelt. Beispiele finden sich im Maschinen- und Automobilbau. ▶ Contract Services Dienstleistungsunternehmen wie Banken oder Versicherungen verfolgen die Kombination verschiedener Strategien. Back-office-Prozesse wie Buchhhaltung, Lohnabrechnung oder anwendungsferne Programmieraufgaben unterliegen zunehmend dem Offshoring. Sie sind standardisierbar und einfach handhabbar. Geeignet dafür sind branchenunabhängige Prozesse ohne direkten Bezug zum Endkunden. Je höher der Grad der Spezifität und Komplexität der Prozesse, umso schwieriger sind die Prozesse auszulagern. Kundenkontakte dagegen werden „Nearshoring“ über Callcenter oder über Internet abgewickelt. Beratungsaufgaben, die über Routineberatung hinausgehen und einen rechenbaren Ertrag versprechen (u. a. Vermögens- und Unternehmensberatung) werden im Land der Kunden verbleiben müssen, diese werden dann von Unternehmensberatungen oder auch von Freelancern übernommen. ▶ Contract Alliances Hier handelt es sich um kollektive Dienstleistungen durch horizontale Vernetzung. Wettbewerb findet vorwiegend zwischen Netzwerken, Kooperation dagegen zwischen einzelnen Organisationen des jeweiligen Netzwerkes statt („Coopetition“). (Beispiel: Allianzen in der Luftfahrt, insbesondere Star Alliance) (Martin Scheidweiler, 9 / 2010). ▲ Nike Plus Code of Conduct Nike Marketing Management Fertigung Fertigung Fertigung Kontrolle Fertigung Fertigung Fertigung Siemens Logistikkette Buchhaltung Kundendienst NGOs Human Rights Labor-Rights Verbrauchergruppen Vertrieb Vertrieb Vertrieb Vertrieb Kritik Abb 51 | Die Grafik zeigt am Beispiel von adidas den Netzwerktypus Contract Manufacturing (Scheidweiler S. 50) <?page no="180"?> 181 g l o b a l e n e t z w e r K o r g a n I s a t I o n e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Was sind die Konsequenzen für die Organisationsforschung: Sie wird ihren Fokus über die Systemwelt einer einzigen Organisation erweitern und die (De-)Regulierungen, globalen Politiken und Strukturen in ihren wissenschaftlichen Interpretationen, also den gesellschaftlichen Kontext, verstärkt berücksichtigen müssen. Umgekehrt beeinflussen Netzwerkorganisationen die weitere IT-Entwicklung genauso wie die Qualifikationsentwicklung, auf die das Bildungssystem reagieren muss. Die notwendig werdende globale Perspektive schafft Unübersichtlichkeit und Unsicherheit für die Organisationen. Die Führungskräfte reagieren darauf mit dem Einkauf von Wissenschaftlern und Unternehmensberatern. Manche aber träumen von der Abschaffung der Gesellschaft, wie Richard J. Barnet und Ronald E. Müller es in ihrem Buch „Die Krisenmacher. Die Multinationalen und die Verwandlung des Kapitalismus“ beschreiben: „Die Manager der Erde glauben, sie machten den Planeten, indem sie ihn als integriertes System lenkten, ,kleiner und homogener’. Sie verwandelten die Welt in ein globales Einkaufszentrum - mit Folgen für das Selbstverständnis: Die Führungskräfte und Angestellten der globalen Konzerne „haben zu ihren Unternehmen und Berufszweigen eine Loyalität entwickelt, die ihnen weit wichtiger ist als die Loyalität zum eigenen Land.“ Der revolutionäre Aspekt des multinationalen Unternehmens sei tatsächlich nicht seine Größe, sondern seine globale Vision von der Überwindung des Nationalstaates, schreiben Barnet und Müller. Sie zitieren den Chef von Dow Chemical: „Ich habe lange davon geträumt, eine Insel zu kaufen, die keinem Staat gehört und auf dem wirklich neutralen Boden einer solchen Insel, wo ich keinem Staat und keiner Gesellschaft verpflichtet bin, die Weltzentrale von Dow zu gründen.“ Konsequenzen für die Organisationsforschung Info ▼ ▲ a rno , r olf (erscheint 2014): Zur Ökonomisierung der Digitalen Welt, Marburg 2014. c aStellS , m anuel (2001): Das Informationszeitalter I: Die Netzwerkgesellschaft, Leske und Budrich Opladen 2001. m artin S cheidWeiler (2010): Netzwerkorganisationen und IT, Bachelorarbeit Wirtschaftsinformatik, Uni HH, FB Informatik 9 / 2010. http: / / edoc.sub.uni-hamburg.de/ informatik/ volltexte/ 2011/ 165/ . Literatur <?page no="181"?> 182 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Durchdringung von Organisationen durch Smartphone, Tablet-PC und Soziale Netzwerke ▶ Sie sollen den Erfolg von Apps begründen können. ▶ Sie werden den Nutzen der Verlängerung der Geschäftsprozesse bis in die Hosentaschen der Nutzer verstehen. ▶ Sie sollen wichtige Nutzungsformen von Wikis, Facebook & Co in Organisationen kennenlernen. ▶ Sie können Dritten vermitteln, was die Gestalt der Digitalen Gesellschaft ausmacht. Mit der zunehmenden Verbreitung von Notebooks und Laptops etwa zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Nutzung von Rechnern auch unterwegs möglich. Mobilität, Miniaturisierung und Allgegenwärtigkeit von IT sind entscheidende Vehikel, damit die weitere Digitalisierung der Lebens- und Systemwelt möglich wird. 6.6 | Lernziele ▼ ▲ Globale IT- Anbieter Leitbilder, Normen, Kultur, Gesetze Globale Netzwerkorganisationen Bürger Konsument Beschäftigte Politiker Informatiker Bill Gates Zuckerberg etc. Tüftler Alltag IT: Internet etc. Frickler Systemwelt Lebenswelt digitale Gesellschaft Abb 52 | Smartphones und Tablets als Interfaces zur Welt des Internets und zum Eintritt in Soziale Netzwerke <?page no="182"?> 183 d I e d u r c h d r I n g u n g V o n o r g a n I s a t I o n e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Nutzer können bald an vielen Orten Zugriff auf das Internet über öffentliche W-L ANs, Hotspots oder Surfsticks haben, was in Wechselwirkung den Absatz von Laptops wiederum steigert. Die „tote Zeit “ ohne Rechner- und Internetzugang kann jetzt besser gefüllt werden. Der Weg zum Smartphone als ständiger Begleiter Bereits in den 1990er Jahren erfreuten sich persönliche digitale Assistenten (PDA) großer Beliebtheit. Mit ihnen konnten Kontakte, Adressen, Termine und Daten gespeichert und verwaltet werden. Sie waren programmierbar und ermöglichten mathematische Berechnungen. Für viele waren die PDAs ein nützliches Zweitgerät neben dem Handy (F. Krause, S. 42 ff.). Der große Erfolg der Smartphones ist wesentlich auf die Verknüpfung der beiden Konzepte Mobiltelefon und Personal Digital Assistant (PDA) zurückzuführen und weitere Dienste und die Touchfunktion zu integrieren. Smartphones haben ein eigenes Betriebssystem, der Nutzer kann über Mobilfunknetze telefonieren. Darüber hinaus existieren weitere Verbindungsmöglichkeiten zum Internet (Bluetooth, WL AN, Infrarot usw.). Es besitzt mindestens die Funktionalitäten des PDAs, enthält Kamerafunktion und Sensormöglichkeiten, wie z. B. GPS. Smartphones sind Multifunktionsgeräte, wobei die Einführung von Apples iPhone 2007 sicherlich den entscheidenden Beitrag zum Trend allgegenwärtige Techniknutzung gebracht hat, vor allem durch seine überzeugende Usability wie der Touchbedienung. Über Smartphones lassen sich mittlerweile nicht nur viele traditionelle Aufgaben des Alltags auf komfortable Weise abwickeln. Sie ermöglichen auch viele bisher ungeahnte Dienstleistungen. Informationen zu aktuellen Geschehnissen können abgefragt, Güter, Taxis und Fahrkarten bequem bestellt, die Freunde über die neuesten Ereignisse informiert oder die direkte Umgebung umfangreich erfasst werden. Lokalisationstechnologien ermöglichen die Erfassung des Kontexts. Das Smartphone ist in unglaublich kurzer Zeit zum universellen Informations- und Kommunikations-Werkzeug für die breite Masse geworden. Ein Smartphone wird nicht mehr als sperriges technisches Artefakt wahrgenommen. Touchpads und Sprachsteuerung unterstützen die Einfachheit der Bedienung. Man muss sich auch nicht mehr groß mit Gebrauchsanweisungen beschäftigen. Es schafft Beziehungen, ist Status- Beispiel ▼ Info ▼ ▲ ▲ | 6.6.1 PDA <?page no="183"?> 184 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation symbol und wird durch seine handliche Form nicht weiter als Störelement wahrgenommen. Die Kamerafunktion hilft bei der Erfassung des Kontexts, wenn Barcodes ausgelesen oder Apps genutzt werden sollen, die Objekte im Sichtfeld mit Kontextinformationen (Augmented Reality) versehen (F. Krause 2012, S. 43). Aus der Möglichkeit der Vernetzung über soziale Netzwerke entsteht das Bedürfnis vieler Menschen, Daten zu teilen, das eigene Leben zu digitalisieren, ohne dabei groß an datenschutzrechtliche Folgen zu denken. Apps als Fenster zur Welt des Internets Neben dem reichhaltigen Funktionsumfang des Allzweckgerätes Smartphone liegt das Erfolgsgeheimnis in der einfachen individuellen, wenn auch nicht grundsätzlich kostenlosen Erweiterbarkeit durch Apps, je nach den Interessen der Nutzer. Apps stellen vielfältige Hilfeleistungen im Alltag bereit. Der Einsatzbereich von Apps ist weit gefächert, er erstreckt sich von einfachen Anzeigeelementen wie Uhren, Wetteranzeigen, Nachrichtenticker über Unterhaltungsprogramme zum Abspielen von Video- und Audiodateien zu einfachen und komplexeren Videospielen. Es werden standortspezifische Dienste zum Auffinden eines Lokals oder von Verkaufsportalen bis hin zu Spielen angeboten. Die Funktionserweiterungen der Internetservices umfassen u. a. Anwendungen für das Online-Banking, Mobile Bezahlsysteme, Shopping-Apps diverser Internethändler oder Kommunikationswerkzeuge sozialer Netzwerke. Es gibt diverse Tools um die Telefonfunktionen zu überwachen, zu modifizieren oder zu optimieren. Apps unterscheiden sich von klassischen Computerprogrammen durch ihre Fokussierung auf einen bestimmten Zweck. Durch Reduzierung auf wenige Funktionalitäten bleibt die Anwendung übersichtlich und leicht verständlich (Stoll / Vlach, 2013) Der Nutzer muss sich eben nicht seine Interessen, die sehr variabel sein können, bereits beim Kauf ein für alle Mal definieren, sondern er kann sie spontan nach Lust und Laune ergänzen. Viele Anwendungen könnten zwar auch über ein oder zwei Extra-Klicks im Netz erreicht werden. Die App-Strategie setzt auf Bequemlichkeit der Nutzer, woraus letztendlich der große Erfolg resultiert. Augmented Reality 6.6.2 | App ist die Abkürzung von Application. Es sind entweder eigenständige Programme für Smartphones und / oder Tablet-PCs oder sie dienen als Funktionserweiterungen von Internetservices. Apple hat den Begriff App geprägt. Apps sind quasi die Fenster zur Welt des Internets. Sie können bereits vor dem Kauf durch den Hersteller oder nach dem Kauf über einen App- Store installiert werden. Definition ▼ App Mit Apps wird jederzeit die flexible Erweiterbarkeit des Endgerätes möglich. Merksatz ▼ <?page no="184"?> 185 d I e d u r c h d r I n g u n g V o n o r g a n I s a t I o n e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Hemmschwelle zu einem Kaufvorgang wird durch eine leicht zugängliche App gesenkt, der Webshop oder das Online-Auktionshaus häufiger besucht. Der Kunde kann jederzeit, z. B. während der Arbeit oder in der Freizeit, einen Kaufvorgang tätigen (Annika Stoll / Neele Vlach, 2013). Smartphones und Apps sind für viele zum ständigen Begleiter und Helfer in vielen Lebenslagen geworden. Dass die oft eingebaute GPS-Funktion, die Verbindung zum Internet und die Masse an Daten, die von Apps auf dem Gerät gesammelt werden, zu massiven Datenschutzproblemen und Verfolgungsmöglichkeiten führen können, wird angesichts der Vorteile für den Nutzer leicht übersehen. Die Konsumenten haben die Möglichkeit, direkt im Laden Preise von Artikeln zu vergleichen und Informationen zu ihrer Herkunft und Produktion in die Kaufentscheidung einfließen zu lassen. Einige Beispiele: ▶ Die kostenlosen Barcode-Scanner „Barcoo“ und „Codecheck “ können Hilfestellung beim nachhaltigen Einkauf geben. Mit der App und der Smartphone-Kamera kann der Strichcode des Produktes eingescannt werden. Der Server übermittelt dann Angaben zur Nachhaltigkeit des Produktes. Der Nachhaltigkeitsstatus der Ware wird durch rote, gelbe oder grüne Ampeln signalisiert. (http: / / www.barcoo.com/ de/ w und http: / / www.codecheck.info/ ) ▶ Die Gratis-App „Fair Fashion 2.0“ gibt Auskunft über große Modehersteller, wie zum Beispiel H&M, C&A, wie sie es mit der sozialen Verantwortung gegenüber den Beschäftigten ihrer Zulieferfirmen halten. Bei der Firmenbewertung zählen u. a. die Anerkennung der Arbeitsrechte und die Beschaffungspolitik (http: / / www. evb.ch/ fairfashion). Neue Organisationsformen durch „Mobile work“: Verlängerung der Geschäftsprozesse bis in die Hosentaschen der Nutzer Über Smartphones und Apps, so die Vision, kann von Beschäftigten wie von Konsumenten eine Verbindung zum Enterprise-Resource-Planning (ERP), zum Customer-Relationship-Management (CRM) oder zu Microsoft Outlook hergestellt werden. Es kann jetzt orts- und zeitunabhängig gearbeitet bzw. Arbeit auf den Konsumenten überwälzt werden. Der Zugriff auf Kalender, Postfächer oder Kontaktdaten der Organisation ist ebenfalls denkbar. Dieses Organisationskonzept stellt völlig neue Herausforderungen an die Datensicherheit des Unternehmens. Die Nutzung von Apps ist komfortabel und schnell. Apps verstärken die Kundenbindung zu einer Marke. Merksatz ▼ Beispiel ▼ ▲ | 6.6.3 Datensicherheit <?page no="185"?> 186 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Mit mobilen Endgeräten können die bestehenden Geschäftsprozesse bis in die Hosentaschen der Beschäftigten und Konsumenten verlängert werden. Die „Nebenfolgen“ für die Beschäftigten: der Büroraum kann um einen, 24-Stunden offenen virtuellen Arbeitsraum erweitert werden. War bislang nur die Ergänzung der „office work “ um „home work “ angesagt, so kann Arbeit jetzt auch in die „Poren der Freizeit “ eindringen. Arbeit und Privates verschwimmen weiter, E-Mails und Statusmeldungen können von überall und zu jeder Zeit bearbeitet werden. Für den Empfänger der Nachricht wird daraus eine Verpflichtung zum Reagieren, die Spirale der „Aufmerksamkeitsökonomie“ zu Lasten des Beschäftigten dreht sich weiter. Die Kommunikations- und Informationsprozesse vermehren und beschleunigen sich. Die Menge der zu erledigenden Arbeiten nimmt für die Beschäftigten ebenso zu wie der Druck sie umgehend erledigen zu müssen. Neben Büro- und Heimarbeitsplatz ist über Smartphone und Apps mit der „Mobile work“ unbemerkt ein dritter Arbeitsplatz entstanden. Durch Smartphones und Apps kann die in der Phase „Personal Computer und Internet als Werkzeug und Medium in Lebenswelt und Organisationen“ dargestellte zweite Innovationsspirale ausgeweitet und intensiviert werden. Die Möglichkeit überall und zu jeder Zeit mit dem Smartphone ins Internet zu gelangen und Informationen oder Nachrichten abrufen bzw. erhalten zu können, wird die Mitarbeit der Kunden und damit die Überwälzung von Arbeit vorantreiben. Freelancer sind jetzt noch mobiler und können von unterwegs arbeiten. Der Crowdsourcing-Anteil lässt sich weiter erhöhen, da Apps unkompliziert auf Ausschreibungen hinweisen können, möglicherweise verbunden mit attraktiven Prämien, die Smartpone- und App-Nutzer verführen, ihre Aufmerksamkeit „im Vorübergehen“ zu erlangen und sich zu beteiligen. So können, z. B. Wettbewerbe über Apps ausgerufen werden, was Teilnehmer schon wegen der Möglichkeit, ihre Ideen bequem und schnell zurückmelden zu können, zur Teilnahme animieren dürfte. Die Nutzung von Wikis, Facebook & Co in Organisationen Aus der Perspektive der Unternehmen lassen sich Soziale Netzwerke, wie Facebook, Wikis, Blogs, Twitter etc. produktiv nutzen. Die Kommunikation in Projekten, der Kontakt zu Außendienstmitarbeitern, zu Kunden, Start-ups, Lieferanten und Freelancern lässt sich hierüber unkompliziert abwickeln. Wikis sind sehr beliebt, um die Kommunikation in Projekten zu verbessern oder um eine gemeinsame Wissensbasis zu etablieren. 6.6.4 | Info ▼ Info ▼ ▲ ▲ <?page no="186"?> 187 d I e d u r c h d r I n g u n g V o n o r g a n I s a t I o n e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Stein u. a. bezeichnen Kooperationsplattformen als „kommunikative Schlagadern“. Neu hinzukommende Mitarbeiter können sich so schnell orientieren. Die Zusammenarbeit wird erleichtert. Deutlich erkennbar ist eine unterschiedliche Beteiligungsintensität: etwa 20 der Prozent Beteiligten sorgen für die meisten Texte. Es gibt unterschiedliche Autorentypen, wie den „Vielschreiber“, den „Gärtner“, der Artikel glättet, oder den „Troll“, der bewusst Beiträge beschädigt und Konflikte anheizt (Stein u. a.). Aber auch für externe Kontakte sind Soziale Netzwerke zu nutzen. Laut Dominik Ruisinger erhoffen sich Unternehmen so in den Dialog mit relevanten Zielgruppen zu kommen, der Marke ein modernes Image zu geben und den Bekanntheitsgrad zu steigern, für Marktforschung zu nutzen, über neue Supportangebote zu informieren, sich als Arbeitgeber zu präsentieren, durch Monitoring rechtzeitig Probleme zu erkennen und schnell Resonanz auf neue Produkte zu bekommen. Im Social Media Zeitalter gilt: „Every Company is a Media Company“ (Dominik Ruisinger, S. 328). Laut einer Bitkom-Studie haben über fünfzig Prozent der befragten Betriebe eine Facebook-Seite. Xing wird für die Personalrekrutierung eingesetzt (23). Blogs (36) und Youtube (28) sind weniger stark verbreitet, aber durchaus relevant. Sinn macht offensichtlich auch, Plattformen zu kombinieren. So kann eine Facebook-Seite mit einem Youtube-Account zur viralen Beschleunigung verknüpft werden, um eine junge Zielgruppe anzusprechen (www. Computerwoche.de). Weitgehend ungeklärt ist bislang, wie die damit notwendigerweise verbundene partizipative Unternehmenskultur und hierarchiefreie Kommunikation in eher traditionelle und auf unmittelbare Effizienz setzende Organisationen umgesetzt werden können (Back et al. 2009). Herausforderungen und „Nebenfolgen“ für Organisationen und Gesellschaft Apps sind Fenster bzw. Türen, durch die ein Blick in Organisationen bzw. durch die für Beschäftigte und Konsumenten der Zutritt zu ausgewählten Räumen gestattet ist. Damit sind eine Reihe von Herausforderungen für Organisationen verbunden. ▶ Die vielleicht größte: Es sind hochkomplexe informationstechnische Software- und Hardware-Architekturen zu etablieren, zu administrieren und unter Sicherheitsaspekten zu stabilisieren. Info ▼ Info ▼ ▲ ▲ Dialog mit relevanten Zielgruppen | 6.6.5 <?page no="187"?> 188 o r g a n I s at I o n e n a u f d e m w e g I n d a s d I g I ta l e z e I ta lt e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Eine weitere Herausforderung besteht in der Gestaltung und Beherrschung der „human cloud“ (Evegeny Kaganer, Erran Carmel, Rudy Hirschheim, Timothy Olsen, 2013, S. 23-32). Gemeint ist die Beherrschbarkeit der ausgelagerten Projekte und Freelancer sowie die Einbindung der Kunden in die Geschäftsprozesse. Dafür werden anspruchsvolle Netzwerkorganisationskonzepte erforderlich, die jetzt zusätzlich die Unzahl der mobilen Endgeräte integrieren müssen, um aus den komplexen weltweiten Beziehungen ein beherrschbares System formen zu können. ▶ Die dritte Herausforderung schließlich liegt in der absehbaren Zerstörung etablierter ökonomischer Branchenstrukturen, beschleunigt durch Smartphones und Apps. Ein Beispiel: Im Schuheinzelhandel scheint es schon üblich zu sein, Schuhe im Laden anzuprobieren, den Preisvergleich der passenden Marke über Smartphone zu machen und beim Versandhändler zu bestellen, der aufgrund kaum vorhandener Gemeinkosten und keiner Bindung an Mindestlöhne konkurrenzlos billig sein kann. Dieses Ausdünnen traditioneller Branchen und Märkte lässt sich auf andere übertragen (Textil, Möbel, Bücher). Auch im Verlags- und Musikbereich sind ähnliche Verwerfungen erkennbar. Das könnte zu wenigen, im Internet agierenden globalen Monopolisten führen, die sich heute mit Amazon, Google, Apple, Facebook andeuten. Sie haben rechtzeitig auf der Basis einer IT-Infrastruktur und mit viel Kapital die Smartphone-Nutzer mit ihren Apps gewinnen können. Aufgrund der Digitalisierung durchlaufen zur Zeit zahlreiche gesellschaftliche Bereiche ökonomische und kulturelle Transformationen, die wahrscheinlich stärker als bisher durch die Logik der Ökonomisierung und der globalen Märkte bestimmt sein werden. Abbildung 53 visualisiert das MIKROPOLIS-MODELL, das von einer Gruppe der Universität Hamburg, Fachbereich Informatik entwickelt wurde. Es macht ein Lösungsangebot für die eingangs formulierten Herausforderungen einer zukunftsfähigen Organisationsforschung. Der Kern ist die Auseinandersetzung mit möglichen Wechselwirkungen und „Nebenfolgen“. Der Ausgangspunkt bei der Analyse der Digitalen Gesellschaft liegt bei den Wechselwirkungen von IT-Innovationen und Organisationen. Die Organisationsforschung wird mit gesellschaftlichen Entwicklungen verknüpft. Digitalisierung und Globalisierung werden als Treiber organisatorischen Wandels begriffen. Die Organisationsforschung engt sich nicht mehr auf eine einzelne Disziplin ein, vielmehr steht sie für Transdisziplinarität. PCs, Laptops und Tablets bereiten gegenwärtig den Weg für die Allgegenwärtigkeit von Computersystemen vor. Sie gehören zum Nervensystem der Digitalen Gesellschaft. Sie haben zu einer weltweiten Vernetzung und Akzeptanz in der Gesellschaft beigetragen. Die zu beobachtende Rouhuman cloud globale Monopolisten <?page no="188"?> 189 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation d I e d u r c h d r I n g u n g V o n o r g a n I s a t I o n e n tine in der Techniknutzung zeugt von einer Technikaffinität und -neugier der Menschen, die den Weg der weiteren Digitalisierung ebnen wird (F. Krause 2012, S. 43). Anwendungs- Kontext Organisation Einfluss von Makrokontext: Leitbilder, Kultur, Gesetze auf Entwicklung z. B. Informatik, Uni HH Einfluss von Beschäftigten ... auf Anwendungskontext > Organisationen beobachten IT-Entwicklungen, kaufen ein, wenden an demand pull technology push < F & E beobachten IT- Bedarfe, entwickeln IT, bieten an Mikrokontext PC, Internet Alltag Tüftler Folgen für Leitbilder, Kultur, Gesetze Kunde digitale Gesellschaft Systemwelt Lebenswelt Entwicklungs- Kontext Auswirkungen auf Alltag, Arbeit ... auf Entwicklungskontext | Abb 53 MIKROPOLIS-MODELL r olf , a. / m öller , a. / f unK , B. / n iemeyer , p. (2013): Freie Pizzawahl für Informatiker und Wirtschaftsinformatiker - Didaktische Herausforderungen für Informatik und Wirtschaftsinformatik angesichts der digitalen Gesellschaft. Informatik Spektrum 36 (1): 90 - 98. K rauSe , f. (2012): Pervasive Computing, Universität Hamburg, Fachbereich Informatik. http: / / edoc.sub.uni-hamburg.de/ informatik/ volltexte/ 2013/ 181/ Literatur <?page no="189"?> 190 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollten exemplarisch darstellen können, welche Motive für eine ganzheitliche und kundenorientierte Prozessoptimierung sprechen. ▶ Sie sollten unterschiedliche Entwicklungslinien im Prozessmanagement aufzeigen können. ▶ Sie sollten Prozesse und Geschäftsprozessoptimierung inhaltlich abgrenzen können. ▶ Sie sollten zwischen Effizienz und Effektivität unterscheiden können und beide Zieloptionen unter Beachtung ihrer Wechselwirkung für eine GPO diskutieren können. ▶ Sie sollten die drei notwendigen Voraussetzungen für eine GPO kennen und beschreiben können. ▶ Sie sollten darstellen können, nach welchen zwei grundsätzlichen Ansätzen Prozesse verändert werden können. ▶ Sie sollten je nach erreichtem Prozessreifegrad unterschiedliche Phasenmodelle im Prozessmanagement kennen und aktuelle Managementansätze einordnen und abgrenzen können. Von der funktionalen zur kundenorientierten GPO (Prozessorganisation) am Beispiel der Baufinanzierung in Banken 7 | Inhalt 7.1 Motive und Entwicklungen im Prozessmanagement 7.2 Abgrenzungen zur Kundenorientierten Geschäftsprozessoptimierung 7.3 Gestaltungsparameter aus Kundensicht 7.4 Optimierungsansätze für Kundenorientierte Geschäftsprozesse 7.5 Integrative GPO-Konzepte Lernziele ▼ <?page no="190"?> 191 m o t I V e u n d e n t w I c K l u n g e n I m p r o z e s s m a n a g e m e n t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollten unterschiedliche Stellhebel für die Prozessverbesserung beschreiben und auf praktische Anwendungsbeispiele übertragen können. Motive und Entwicklungen im Prozessmanagement Praxisbezug Der Bankenmarkt befindet sich im Umbruch. Kreditfabriken, Fusionen, Multikanalvertrieb sind nur einige Stichworte. In Commodity-Märkten mit nahezu identischen Produkten sind Banken gefordert, ihre Geschäftsprozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu optimieren. Vor allem in der Privaten Baufinanzierung besteht weiterhin Optimierungsbedarf. Grund sind tradierte Abläufe - insbesondere in Kreditgenossenschaften, die es aufzubrechen gilt. 1 Kundenorientierte Prozesse 1 Vgl. Wilken, R. et al. (2008). ▲ Motive für kundenor. Prozessopt. in Banken Entwicklungen Schlussfolgerungen Prozesse GPO Def. Zusammenhang Effizienz/ Effektivität Erfolgsfaktoren (Gestaltungsparameter aus Kundensicht) 2 grds. Ansätze Prozessverbesserung (empirischer Ansatz) Prozesserneuerung (konzeptioneller Ansatz) Integrative Ansätze Motive Marktüberblick Beispiel ibo SW Vorgehensmodelle nach Reifegrad Prozessgestaltung Kontinuierliche Prozessoptimierung operative Stellhebel Voraussetzungen für GPO Strategie Strukturtransparenz Leistungstransparenz Kundenorientierte Prozessopt. in Banken Käufermarkt Fortschreitende IT-Technologie fallende Margen Dekonstruktion Wertschöpfungskette Marktreaktionen Bankenwelt funktionale Sicht prozessorientierte Sicht kundenorientierte Sicht Erträge Kosten Kunden im Blick Def. Typen Hierarchie Beispiel: Wertschöpfungsprozess | Abb 54 Inhalte des Kapitels | 7.1 Beispiel ▼ <?page no="191"?> 192 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation sind dabei die wichtigste Prozessart, über die sich Banken differenzieren können. Die Kreditwirtschaft steht vor der Herausforderung, ihre Prozesse sowohl aus interner als auch externer Sicht zu optimieren: Sie muss dazu Ansätze des Market Based View (MBV) 2 und des Resource Based View (RVB) 3 in ein Optimierungsmodell integrieren. Ziel ist die gleichzeitige Steigerung der Effektivität und der Effizienz von Prozessen. Der Anspruch liegt dabei klar in der Entwicklung durchgängiger Prozessketten, die Frontoffice- und Backoffice-Bereiche kundenorientiert aufeinander abstimmen. Entwicklungslinien im Prozessmanagement ( → QR-Glossar) Die Prozessentwicklung hat sich grundlegend von einer funktionalen zu einer prozessorientierten (kundenorientierten) Sicht gewandelt. Bei der traditionellen Organisationsentwicklung nach Nordsiek und Kosiol stand noch die Aufbauorganisation (Funktion) als zentrales Element im Mittelpunkt der Prozessentwicklung. Prozessentwicklung folgte dem Prinzip: Aufbauorganisation vor Ablauforganisation (process follows structure). Damit war eine Prozessoptimierung nur in den Grenzen bestehender Strukturen möglich. Marktdynamik und Umweltdiskontinuitäten haben seit den 90-iger Jahren verstärkt zu einer prozessorientierten (kundenorientierten) Sicht geführt, die der umgekehrten Logik: Ablauforganisation vor Aufbauorganisation folgt (structure follows process). Prozesse werden dabei von außen nach innen und nicht mehr wie bei der funktionalen Sicht von innen nach außen entwickelt. „Welche Leistungen in den Geschäftsprozessen erzeugt werden, bestimmen die Bedürfnisse und Erwartungen der externen Kunden“ (kundenorientierte Prozessentwicklung). 4 In den letzten Jahren hat sich zudem eine ganzheitliche Sicht durchgesetzt, die eine Entwicklung von Geschäftsprozessen ausgehend von der Unternehmensstrategie über die Planung, Verbesserung bis hin zur Steuerung fordert (structure follows process, process follows strategy). Dieser ganzheitliche Ansatz wird auch unter dem Begriff Prozessmanagement zusammengefasst. Motive für Kundenorientierte Geschäftsprozesse Die Kreditwirtschaft in Deutschland steht unter einem nachhaltigen Konsolidierungsdruck. Die Marktdynamik ändert sich stetig. Warum sollten Banken ihre Kreditprozesse stärker kundenorientiert ausrichten? 2 Vgl. Gaitainides, M. (2012), S. 112 ff. 3 Vgl. ebenda, S. 128 ff. 4 Vgl. Schmelzer, H. J. / Sesselmann, W. (2008), S. 75. ▲ Exkurs ▼ ▲ 7.1.1 | <?page no="192"?> 193 m o t I V e u n d e n t w I c K l u n g e n I m p r o z e s s m a n a g e m e n t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Steigende Kundenanforderungen: Der Bankenmarkt hat sich längst vom Verkäuferzum Käufermarkt gewandelt. 5 Die Marktransparenz ist gestiegen. Kunden hinterfragen kritischer Preis und Qualität der Bankdienstleistung. 6 Die Kundenloyalität sinkt. Banken müssen sich von ihrer historisch gewachsenen, funktionalen Prozessorientierung lösen und stärker kundenorientierte Geschäftsmodelle entwickeln. Nur so kann gleichzeitig ein Mehrwert für den Kunden und eine Differenzierung aus Banksicht generiert werden. 7 Fortschreitende IT-Technologie: Die IT-Entwicklung in Banken verläuft rasant. Sie durchzieht immer komplexere Bereiche, die sich sowohl auf Prozesse in der Produktion als auch im Kundenkontakt auswirken. 8 So wird die Kreditentscheidung z. B. über Score-Cards in IT-gestützten Kreditentscheidungssystemen abgebildet, um risikoadjustierte Preise in Form günstiger Kundenkonditionen zu ermitteln. IT unterstützt andererseits die Entwicklung durchgehender Prozessketten, die beim Kunden beginnen und dort auch wieder enden (End-to-End-Prozesse). Sie schafft deutliche Wettbewerbsvorteile durch Automatisierung und Standardisierung von Prozessen. Für eine effiziente und kundenorientierte Kreditbearbeitung müssen deshalb Frontofficemit Backoffice-Bereichen durch IT besser vernetzt werden. Fallende Zinsmargen: Die Ertragssituation in der Kreditwirtschaft ist weiterhin schwierig. Die Zinsmarge ist ein wichtiger Indikator. Wie Abbildung 1 zeigt, fielen von 2000 bis 2010 die Margen bei Kreditgenossenschaften und Sparkassen. Großbanken stagnierten im Verlauf der letzten Jahre auf niedrigem Niveau. Aktuell liegt die Zinsspanne unverändert im Durchschnitt bei niedrigen 1,14 Prozent. 9 Was heißt das für die Kreditwirtschaft? Kreditprozesse müssen an der Kunden-Nahtstelle neu gestaltet werden, um die Ertragssituation durch eine ansteigende Nachfrage nach Produkten zu verbessern. Ein wichtiger Aspekt ist die Prozessverlagerung aus dem Markt zur Schaffung zusätzlicher Vertriebskapazitäten. 5 Vgl. Moormann, J. / Möbus, D. (2004), S. 39. 6 Vgl. Kring, T. / Lister, M. (2011). 7 Vgl. Moormann, J. / Heckl, D. / Lieber-Braun, K. (2009), S. 6 ff. 8 Vgl. ebenda. 9 Vgl. Bundesbank (2011), statistisches Zahlenmaterial Bundesbank, September des jeweiligen Jahres. Steigende Kundenanforderungen Fortschreitende IT-Technologie Fallende Zinsmargen <?page no="193"?> 194 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Wettbewerber mit anderer Wertschöpfungsstruktur: Direktbanken und Vermittlerplattformen (z. B. EUROPACE) 10 setzen auf alternative Wertschöpfungsstrukturen. Die Zerlegung der Leistungskette bringt drei Typen innovativer Wertschöpfungsarchitekturen hervor (Verkäufer, Portfoliobank, Processing-Service-Provider), 11 die zur Ersparnis von Transaktionskosten führen und die Kostenführerschaft im Markt begünstigen. Produktionsbanken müssen hier ihre Wertschöpfungsstrukturen kritischer auf Effektivität ( → QR-Glossar) und Effizienz ( → QR-Glossar) hinterfragen. Insbesondere in der stark fragmentierten Privaten Baufinanzierung müssen Kreditprozesse effizient und kundenorientiert gestaltet werden, um im Wettbewerb mit steigenden Qualitätsanforderungen und fallender Kostentendenz konkurrenzfähig zu bleiben. Marktreaktionen aus Prozesssicht Mit Blick auf die gezeigten Entwicklungen stellt sich die Frage, was Banken tun, um ihre Geschäftsprozesse effizient am Kunden auszurichten. Die Studien „Bank & Zukunft“ des Fraunhofer IAO, die ADG-Trendstudien „Bankentrends 21“ und die PWC-Studie „Effizienz der Kreditprozesse in deutschen Kreditinstituten„ 12 belegen: Banken - insbesondere der Sektor der privaten Banken - setzen verstärkt auf Industrialisierung, Standardisierung, Auslagerung und Zentralisierung ihrer Prozesse. Zahlreiche genossenschaftliche Banken sehen neben der Kostenoptimierung vor allem in der Prozessgeschwindigkeit ein wesentliches Qualitätsmerkmal. Gelingt es, Prozesszeiten nach Kundenerwartungen zu optimieren, wer- 10 Vgl. Wilken, R. et al. (2008), S. 36. 11 Vgl. Ade, B. / Moormann, J. (2004), S. 153 ff. 12 Vgl. Wilken, R. et al. (2008). 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 in Jahr Vgl. Bundesbank (2011), statistisches Zahlenmaterial Bundesbank, September des jeweiligen Jahres (eigene Darstellung) 0,00 0,50 1,00 1,50 2,00 2,50 3,00 in % der durchschnittlichen Bilanzsumme Alle Bankengruppen Großbanken Sparkassen Kreditgenossenschaften Abb 55 | Zinsmarge nach Bankengruppen (eigene Darstellung) 7.1.2 | Wettbewerber mit anderer Wertschöpfungsstruktur <?page no="194"?> 195 m o t I V e u n d e n t w I c K l u n g e n I m p r o z e s s m a n a g e m e n t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation den sich nach außen wahrnehmbar Dienstleistungsqualität und Kostenstrukturen verbessern, so die Trendstudie der Volksbanken und Raiffeisenbanken. 13 Einerseits sind die Ertragsmöglichkeiten in Banken durch fallende Margen begrenzt. Andererseits steigen die Kosten durch wesentliche Treiber wie fortschreitende IT-Technologien. „In einem zunehmend härter werdenden Wettbewerb geht es folglich darum, den Bankkunden die geforderten Produkte und Dienstleistungen in guter Qualität, schnell und zu niedrigen Kosten bereitstellen zu können.“ 14 Dies gelingt jedoch nur, wenn aus Kundensicht ein Mehrwert entsteht. Dazu müssen kritische Faktoren wie Kosten, Qualität und Zeit berücksichtigt werden. Eine kundenorientierte Prozessgestaltung müsste die Funktionsgrenzen überschreiten und Frontoffice- / Backoffice- Bereiche miteinander verbinden. Entsprechend Abbildung 56 wären Erträge zu steigern und Kosten zu senken, 15 um höhere Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. 13 Vgl. Kring, T. / Lister, M.(2011), S. 132 f. 14 Vgl. Wilken, R. et al. (2008), S. 17. 15 Vgl. Habel, A.-M. (2006), S. 28. Zusammenfassung Neue Wettbewerber Globalisierung & Deregulierung Markttransparenz Kundenansprüche & Kundenverhalten Technologien in Produktion und Vertrieb Aufsichtsrechtliche Anforderungen Deckungsbeitrag aus dem Kreditgeschäft Erträge & Provisionen bzw. Kosten Optimierung Zeit | Abb 56 Schlussfolgerung zu Motiven und Marktreaktionen (Vgl. GenoConsult GmbH (2006), S. 5) <?page no="195"?> 196 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Abgrenzungen zur Kundenorientierten Geschäftsprozessoptimierung Geschäftsprozess Was unterscheidet Kundenorientierte Geschäftsprozesse von anderen Prozesstypen? Häufig werden in der Literatur Geschäftsprozess und Prozess synonym verwendet. Turowski weist allerdings darauf hin, dass Geschäftsprozesse eine Teilmenge von betrieblichen Prozessen darstellen. 16 Staud versteht den Geschäftsprozess als funktionsüberschreitende Abfolge von wertschöpfenden Tätigkeiten im Unternehmen, die zur Erreichung der strategischen Unternehmensziele dienen. Geschäftsprozesse unterscheiden sich demnach von betrieblichen Prozessen, da sie unmittelbar auf die Steigerung des Kundennutzens ausgerichtet sind. 17 Ähnlich argumentiert Moormann, der Geschäftsprozessen Eigenschaften wie funktions- und abteilungsübergreifende Zusammenfassung von Aufgaben, Kundenbezug und Zerlegbarkeit in Teilprozesse zuordnet. 18 Bokranz und Kasten weisen noch auf einen weiteren Aspekt hin: Bei Geschäftsprozessen kann es sich um Ist-Prozesse (Abweichungen) und Soll- Prozesse (Benchmarks) handeln. Ein typischer Geschäftsprozess ist die Antragsprüfung in der Privaten Baufinanzierung. Prozesselemente Geschäftsprozesse können dabei gemäß Abbildung 57 in mehrere Prozesselemente unterteilt werden. Welches Prozesselement bei einer Kundenorientierten Prozessoptimierung betrachtet wird, richtet sich nach der jeweiligen Gestaltungsrichtung. ▶ Input / Output: Als Input (syn. Trigger) wird das Startereignis bezeichnet, das einen Prozess auslöst. Die für den Kunden erzeugte Bankdienstleistung stellt anderseits den Output (syn. Ergebnis, Arbeitsergebnis) dar. Anders als bei Aufgaben sind Startereignisse und Ergebnisse aber Zustandsausprägungen eines Prozesses, die keine Kosten und Zeiten binden. 16 Vgl. Turowski, K. (1996), S. 211. 17 Vgl. Staud, J. (2002), S. 5. 18 Vgl. Moormann, J. / Möbus, D (2004), S. 291. 19 Vgl. Bokranz. R. / Kasten, L. (2003), S. 228. 7.2 | 7.2.1 | Ein Geschäftsprozess ist der zum Erstellen einer Dienst- oder Verwaltungsleistung erforderliche Input (Voraussetzungen), der zu erzielende Output (Ergebnisse), die geplante Aktionsfolge (Ablauf) sowie die dabei involvierten Aufgabenträger, Sachmittel und Informationen, die zum Erzielen des Outputs erforderlich sind. 19 Definition ▼ 7.2.2 | <?page no="196"?> 197 a b g r e n z u n g z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Aufgabenträger, Sachmittel, Informationen: Aufgabenträger sind Personen, die Bankprozesse durchführen. Sind Aufgabeninhalt und Prozesskostensätze mehrerer Stellen identisch, können Aufgabenträger vereinfacht zu Funktionen zusammengefasst werden. Sachmittel sind unterstützende Medien wie Kernbanksysteme oder Büromittel. Informationen stellen das Startereignis (Input) bzw. das Ergebnis (Output) von Prozessschritten dar. ▶ Aktionsfolge: Als Aktionsfolgen (syn. Ablauf, Transformation) werden Aufgaben mit logischen Folgebeziehungen bezeichnet, die sich auf die Grundprinzipien UND und ODER zurückführen lassen und zu den sechs möglichen Prozessstrukturen nach Abbildung 58 führen. Durchlaufzeit, Qualität und Kosten F1 F2 F3 F6 F4 F5 Output Prozessende Input Auslöser des Prozesses (Trigger) Trigger für Subprozess Weitere Geschäftsprozesse Organisationseinheiten Daten Informationstechnik Einsatzmittel: � Sachmittel � Informationen � Personen � Know How | Abb 57 Elemente des Geschäftsprozesses (Vgl. Koch, S. (2011), S. 4) UND- Verzweigung UND-Verknüpfung (nach UND-Verzweigung) ODER-Verzweigung ODER-Verknüpfung (nach ODER-Verzweigung) ODER- Rückkopplung Kette | Abb 58 Folgebeziehungen (Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 197) <?page no="197"?> 198 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Prozesstypen Die Ausrichtung von Geschäftsprozessen am Kunden führt in der Literatur schließlich zu einer Differenzierung in Abhängigkeit von der Nähe zum Kerngeschäft der Bank. Bokranz 20 unterscheidet zwischen Kundenorientierten Prozessen, Internen Serviceprozessen und Managementprozessen. Abbildung 59 zeigt zudem alternative Typologien. Kundenorientierte Prozesse (Geschäftsprozesse) sind in Anlehnung an Moormann unmittelbar an der Wertschöpfung beteiligt und leisten einen messbaren Kundennutzen. Die Leistung des Prozesstyps ist direkt und eindeutig einem externen Kunden zurechenbar. Sie bilden in maßgeblichem Umfang die Kernkompetenz der Bank ab, werden von Serviceprozessen unterstützt und von Managementprozessen geplant, gesteuert und kontrolliert. 21 Wertschöpfungsprozess Kreditbearbeitung Wie die Bank als Ganzes, besteht die Private Baufinanzierung aus einer Ansammlung wertschöpfender Aktivitäten. Ein typischer Lebenszyklus auf Leistungsebene in Primärbanken ist die Zerlegung in die fünf Phasen: Beratung, Antrag, Vertrag, Pflege und Auflösung und deren zugeordnete Teilprozesse (vgl. Abbildung 60). Die Phasen von der Produktberatung bis zur Vertragsbearbeitung umfassen dabei sämtliche Pro- 20 Vgl. Bokranz. R. / Kasten, L. (2003), S. 234. 21 Vgl. Moormann, J. / Möbus, D. (2004), S. 293. 7.2.3 | Österle 1995 Kunze, Sommerlatte 1997 Bokranz, Dieckhöner, Kasten 2003 Leistungsprozess: externe Leistungsempfänger Wertschöpfungsprozess: die Wertschöpfung umfassend und somit strategisch von entscheidender Bedeutung Kundenorientierter Prozess: die Leistung ist direkt und eindeutig einem externen Kunden zuzurechnen Unterstützungsprozess: der Ressourcen- und Produktpflege dienend Supportprozess: weist eine Unterstützungsfunktion aus, z.B. Qualitätssicherung, Instandhaltung Interner Serviceprozess: die Leistung ist nur mehreren externen Kunden eindeutig zuzurechnen Führungsprozess: managen von Leistungs- und Unterstützungsprozessen Managementprozess: betrifft die Führung und Steuerung der Institution, z.B. Budgetierung, Finanzplanung Managementprozess: die Leistung ist nur internen Kunden oder der Institution als juristischer Person zuzurechnen, es werden keine Erlöse generiert Kernprozess: in maßgeblichem Umfang Kernkompetenzen widerspiegelnd Erfolgskritischer Prozess: kritische Erfolgsfaktoren berührend/ einschließend Abb 59 | Sichtweisen zu Prozesstypen (Vgl. Bokranz, R. / Kasten, L. (2003), S. 234) Kundenorientierte Prozesse Beispiel ▼ <?page no="198"?> 199 a b g r e n z u n g z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation zesse für das Neugeschäft. Hier beschließt die Bank, ein Kreditengagement mit dem Kunden einzugehen. Erst danach folgen Prozesse rund um die Bestandsbetreuung (z. B. Prüfung der Rückzahlung, Vertragsauflösung des Darlehens). In der Praxis ist der Lebenszyklus jedoch nicht einheitlich und unterschiedlich komplex. Welche möglichen Gründe gibt es dafür? Einerseits unterscheiden Banken bei ihrer Abwicklung zwischen Neu- und Bestandskunden. Andererseits sind die Schnittstellen zwischen Markt und Marktfolge in Banken unterschiedlich. Die MaRisk sehen eine Trennung zwischen risikorelevanten und nicht-risikorelevanten Kreditgeschäften vor. Risikorelevante Fälle führen zu komplexeren Prozessen, da ein Zweitvotum in der Marktfolge erforderlich ist. Im Einzelfall entsteht dadurch ein mehrstufiger Eskalationsprozess. Auch müssen die Prozesse nicht sequenziell verlaufen. Vielmehr findet ein Zusammenspiel einzelner Prozesse - auch auf unterschiedlicher Granularitätsebene - statt. Prozessmodelle und Einordnung Wertschöpfungsprozess Kreditbearbeitung Kundenorientierte Geschäftsprozesse können zudem in Prozessmodellen nach hierarchischen Stufen nach einem Top-down-Ansatz bzw. Bottom-up-Ansatz gegliedert werden. So sieht die Prozesstypologie des genossenschaftlichen FinanzVerbundes für Kundenorientierte Prozesse eine weitreichende Strukturierung in die sechs Prozessebenen: Geschäftsprozesse (GP), Teilprozesse (TP), Arbeitsabläufe (AA), Teilarbeitsabläufe (TA), Unterarbeitsabläufe (UA) und Prozessaufgaben (A) vor. 22 Im Rahmen dieses Beitrags beziehen sich Kundenorientierte Geschäftsprozesse entsprechend auf die Leistungsebene und darunter. Hier findet die eigentliche Geschäftsprozessoptimierung statt. Die Prozesse zeichnen sich durch eine hohe Konkretisierung mit sequenziellen Verknüpfungen aus (vgl. Abbildung 61). 22 Vgl. BVR (2003), S. 17. Produkt beraten Antrag bearbeiten Vertrag bearbeiten Pflege leisten Vertrag auflösen Neugeschäft Bestandsgeschäft TA-Ebene: | Abb 60 Leistungsprozess Kreditbearbeitung in der Privaten Baufinanzierung (eigene Darstellung) ▲ Exkurs ▼ <?page no="199"?> 200 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Einordnung Kundenorientierte Prozesse (in Anlehnung an Bokranz / Kasten) 23 Geschäftsprozessoptimierung (GPO) ( → QR-Glossar) Was heißt eigentlich Geschäftsprozessoptimierung aus Kundensicht? Der Begriff GPO wird in der Literatur unterschiedlich interpretiert. Für Schmelzer bedeutet GPO, Leistungen kontinuierlich zu verbessern und / oder über radikale Erneuerungen sprunghaft zu steigern. Das Ziel der Prozessoptimierung besteht darin, die strategischen und operativen Ziele des Unternehmens zu erreichen. Sie setzt nach Schmelzer schon ein bestehendes Controllingsystem in Form eines Kennzahlensystems voraus. 24 Gadatsch ist dagegen der Auffassung, dass die Geschäftsprozessoptimierung von der radikalen Erneuerung streng zu trennen ist. Zielsetzung der Prozessoptimierung ist nach seiner Auffassung eine nachhaltige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens durch Ausrichtung aller wesentlichen Arbeitsabläufe an den Kundenanforderungen (Prozessverbesserungen). Das bedeutet eine Fokussierung der Bemühungen auf 23 Vgl. Bokranz, R. / Kasten, L. (2003), S. 233. 24 Vgl. Schmelzer, H. J. / Sesselmann, W. (2008), S. 455. Geschäftsspartenebene: bildet die unspezifizierte Leistungsnachfrage ab. Geschäftsprozesse bilden „Überschriften“ für eine Menge von Teilprozessen. Die Inhalte werden erst deutlich, wenn man in tiefere Ebene übergeht. Leistungsphasenebene: steht für eine der fünf Dienstleistungsphasen (Beratung, Antrag, Vertrag, Pflege, Auflösung). Mehrere Arbeitsabläufe sind miteinander verknüpft, d.h. ab hier liegen Ebenen mit verknüpften Prozessen vor. Teilleistungsphasenebene: steht für eine weitere Unterteilung einer Leistungsphase, wenn diese - das trifft insbesondere für die Pflegephase zu - nicht direkt aus Aufgaben gebildet wird. Aufgabenebene: steht für die kleinsten in Prozessen dokumentierten Aktivitäten und rangiert hierarchisch unterhalb der Teilungsphasenebene. Produkt-/ Dienstleistungs-/ Kundentypebene: besitzt noch keinen Produkt-, aber bereits einen allgemeinen Kundenbezug. Mehrere Teilprozesse sind nicht durch ihre Abläufe verknüpft. Teilprozesse bilden vorwiegend tiefergehende „Überschriften“ ab. Leistungsebene: steht für eine genau spezifizierte Leistungsnachfrage der Kunden und ein genau spezifiziertes Leistungsangebot, sie hat einen Produktbezug. Mehrere Arbeitsabläufe sind nicht miteinander verknüpft. ohne sequenzielle Verknüpfungen mit sequenziellen Verknüpfungen Beispiel Finanzierungsbedarf decken Objektfinanzierung Private Baufinanzierung Darlehensvertrag bearbeiten Valutierung Auszahlungsvoraussetzungen prüfen A-Ebene GP-Ebene T P-Ebene AA-Ebene TA-Ebene UA-Ebene Abb 61 | ▲ 7.2.4 | <?page no="200"?> 201 g e s t a l t u n g s p a r a m e t e r a u s K u n d e n s I c h t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation diejenigen Kernprozesse, die direkt durch Kundenreaktionen (z. B. Reklamationen) ausgelöst werden. 25 Rinker definiert schließlich GPO aus Banksicht als wertschöpfende Ausrichtung der Kernprozesse einer Bank an den Kundenbedürfnissen, die der Qualität aus Kundensicht entsprechen. Daneben müsse auch die Qualität aus Managementsicht (Qualität aus Innensicht) einbezogen werden - z. B. wegen der Einhaltung gesetzlicher Regelungen im Kreditgeschäft (Basel III, MaRisk). Beide Qualitätsdimensionen führen zum eigentlichen Ziel der GPO, der Effizienz von Prozessen. Prozesseffizienz bedeutet, „die Dinge richtig zu tun“, um die gesetzten Ziele wirtschaftlich zu erreichen. Effizienz grenzt sich somit ab von der Effektivität, die besagt, „die richtigen Dinge zu tun“, also die Ausgangsfrage stellt, was Kunden von Prozessen erwarten. 26 Für die Private Baufinanzierung zählt dazu die Bestimmung der kritischen Erfolgsfaktoren (Gestaltungsfaktoren) im Kreditgeschäft. Für die GPO sind drei Aspekte bei der Beurteilung von Prozessverbesserungen in Banken einzubeziehen: die Qualität aus Kundensicht, die Qualität aus Institutssicht und die eigentliche Effizienz (z. B. niedrige Prozesskosten). Rinker schließt die Effektivität und die Effizienz in die Optimierung ein. Die Effektivität ist Grundlage für die Optimierung von Prozessen. Effizienz führt andererseits zu effektiven Prozessen, womit sich eine gegenseitige Wechselwirkung von Effektivität und Effizienz erklärt (vgl. Abbildung 62). Gestaltungsparameter aus Kundensicht In einer weiteren Perspektive wird gefragt, ob es kritische Erfolgsfaktoren für die Optimierung Kundenorientierter Geschäftsprozesse im Kreditgeschäft gibt. 25 Vgl. Gadatsch, A. (2008), S. 21 ff. 26 Vgl. Rinker, A. / Tegeder, P. (2002), S. 655 f. Zusammenfassung Kundenerwartungen Frage der Effektivität (Zielsetzung) über kritische Erfolgsfaktoren (Gestaltungsfaktoren) Verbesserung der Effizienz (Zielumsetzung) über Leistungsindikatoren in den Prozessabläufen | Abb 62 Einordnung Effektivität und Effizienz in den GPO-Begriff | 7.3 <?page no="201"?> 202 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Kundenzufriedenheit Die Suche nach einer Antwort findet zunächst ihren Ausgangspunkt in der Frage der Kundenzufriedenheit. Nach Gaitanides ist die Kundenzufriedenheit zerlegbar in die Komponenten „Bedürfnisse und Wünsche der Kunden identifizieren“ und „identifizierte Wünsche und Belange der Kunden befriedigen“. 27 Kundenzufriedenheit bedeutet, keine Abweichungen von den identifizierten Kundenwünschen zuzulassen. Je höher die Übereinstimmung des tatsächlichen Prozessergebnisses mit der Outputspezifikation des Kunden ist, desto höher ist auch die Kundenzufriedenheit. 28 Entscheidend ist nicht, was die Bank als Output definiert, sondern was der Kunde tatsächlich verlangt. 29 Ein effizienter Prozess muss deshalb nicht zwangsläufig auch effektiv sein. Die Kundenzufriedenheit ist damit eng an den Qualitätsbegriff gebunden. Qualitätsdimensionen Bokranz unterscheidet für den einzelnen Bankkunden drei relevante Qualitätsdimensionen: Bankprodukt, Kontaktsphäre und Bankdienstleistungen (Prozesse). Bankprodukte tragen zur Kundenzufriedenheit bei, wenn sie Qualitätsmerkmale wie Liquidität, Sicherheit oder Rentabilität erfüllen. In der Kontaktsphäre spielen Gesichtpunkte wie Vertrauenswürdigkeit, Einsatzbereitschaft für Kundenbelange und Verlässlichkeit eine evidente Rolle. Bankprozesse stellen schließlich den Ergebnisablauf organisatorischer Gestaltung dar. „Sie sind das wichtigste und vom Kunden am intensivsten zu erfahrende Element der Bankorganisation“. 30 Scholz kommt deshalb zum Schluss, dass aus Prozesssicht nur die integrale Betrachtung der Leistungsparameter: Qualität, Kosten und Zeit die Kundenzufriedenheit nachhaltig sichern kann. 31 Daraus folgt zugleich die Forderung nach integrativen GPM-Modellen, die Geschäftsprozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette modellieren, analysieren und optimieren können (vgl. Abschnitt 7.5). Prozessqualität Wie aber ist Prozessqualität aus Kunden- und Banksicht definiert und wie sind beide Sichten miteinander verknüpft? Nach Bokranz ist Qualität das Verhältnis von Beschaffenheit und gestellten Qualitätsforderungen des Kun- 27 Vgl. Gaitanides, M. / Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994), S. 14. 28 Vgl. ebenda. 29 Vgl. ebenda, S. 2. 30 Vgl. Bokranz, R. / Kasten, L. (1994), S. 16. 31 Vgl. Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994a), S. 59. 7.3.1 | 7.3.2 | 7.3.3 | <?page no="202"?> 203 g e s t a l t u n g s p a r a m e t e r a u s K u n d e n s I c h t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation den gegenüber der angebotenen Bankdienstleistung. 32 Die Qualitätsforderungen betreffen einerseits das operative und inhaltliche Prozessergebnis, andererseits aber auch die kundenzugewandte und abwickelnde Leistungsphase analog des bereits skizzierten Leistungsprozesses in der Privaten Baufinanzierung (Beratung, Antragsbearbeitung, Vertragsbearbeitung, Pflege, Auflösung). Prozessqualität aus Kundensicht lässt sich somit verkürzen auf die Erfüllung von Kundenanforderungen sowohl an die Abwicklung (Transformation) als auch an das Ergebnis (Output) von Bankprozessen. In den Prozessergebnissen drücken sich die Bankdienstleistungen für den Kunden aus. Das heißt, aus Banksicht stellt das Prozessergebnis den kritischen Erfolgsfaktor dar, da dieser nur vom Kunden wahrgenommen wird. 33 Die kundenorientierte Abwicklung der Bankprozesse (Erstellungsprozess) liefert dagegen die Voraussetzung, um die Qualitätsanforderungen (Outputspezifikation) zu erfüllen. Sie ist der Kern der eigentlichen Prozessoptimierung. Alle Abweichungen der Outputnorm lassen sich nach Gaitanides ausnahmslos auf Fehler im Ablauf des Prozesses zurückführen. 34 Eine Vernetzung von kundenzugewandten und abwickelnden Leistungsphasen (Frontoffice / Backoffice) ist deshalb erforderlich, um entlang der gesamten Wertschöpfungskette eine durchgängig hohe Prozessqualität vom Bankkunden zum Bankkunden (End-to-End-Prozess) zu erzielen. Der Zusammenhang zwischen Kunden und Qualitätsanforderungen einerseits sowie Geschäftsprozess und Prozessergebnis (Output) wird aus Abbildung 63 ersichtlich. 32 Vgl. Bokranz, R. / Kasten, L. (1994), S. 17. 33 Vgl. Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994a), S. 68. 34 Vgl. ebenda, S. 58. Beurteilungsaspekt Entstehungsaspekt Anspruchsniveau Bankkunde Qualitätsanforderung an die Einheiten Beschaffenheit der Einheiten Soll-Zustand Prozess Prozessergebnis Ist-Zustand | Abb 63 Zusammenhang Prozess und Qualitätsbegriff (in Anlehnung an Bokranz / Kasten) (Vgl. Bokranz, R. / Kasten, K. (1994), S. 16) <?page no="203"?> 204 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Welche relevanten Gestaltungsparameter ergeben sich aus dieser Sichtweise für eine Optimierung Kundenorientierter Geschäftsprozesse im Kreditgeschäft? Der genossenschaftliche Finanzverbund hat beispielsweise folgende relevante Qualitätsmerkmale aus Kundensicht identifiziert (vgl. Abbildung 64). Die Bearbeitungszeit steht dabei für die Zeit, die der Kunde aufwenden muss, um einen Kredit zu erhalten. Die Durchlaufzeit umfasst den Zeitraum von der Äußerung des Kundenwunsches bis zur tatsächlichen Verfügung über die Bankdienstleistung. Auch die Zeitfreiheit, die ausdrückt, in welchem Zeitraum der Kunde die Bankdienstleistung erhält, spielt eine zentrale Rolle. Das Wissen, das der Kunde für sein Mitwirken im Geschäftsprozess braucht, spiegelt sich im Qualitätsmerkmal Fachliche Anforderung an den Kunden wider. Bei der Beratungsqualität ist die Summe der Produkte und Dienstleistungen (Produktzahl), die in den Auswahlprozess einfließen, entscheidend. Auch die Frage, wie viele kundenspezifische Wünsche und Bedingungen (Kundenwunschzahl) in den Auswahlprozess einfließen, ist dem Kunden offensichtlich wichtig. Schließlich legt der Kunde Wert auf die Objektivität bei der Produktauswahl. Das Qualitätsmerkmal drückt aus, dass die Bank dem Kunden das anbietet, was sie aus bankfachlicher Sicht und guten Gewissens vertreten kann. Prioritäten in der Privaten Baufinanzierung: Am Beispiel des Hypothekarkredits (ohne Grundschuldbearbeitung) wird deutlich, wie Bankkunden die einzelnen Qualitätsmerkmale bewerten. Zahl 1 steht für die höchste, Zahl 7 für die geringste Priorität (vgl. Abbildung 65). Bearbeitungszeit für den Kunden Durchlaufzeit Bankdienstleistung ZeitfreiheitKunde Fachliche Anforderungen Kunde Produktzahl Kundenspezifische Kriterien Objektivität Kundenorientierte Prozesse Prozessqualität Beratungsqualität Abb 64 | Gestaltungsfaktoren aus Kundensicht (Vgl. Bokranz, R. / Dieckhöner, B. / Kasten, L. (2003), S. 133 f.) Beispiel ▼ <?page no="204"?> 205 g e s t a l t u n g s p a r a m e t e r a u s K u n d e n s I c h t Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Messung kritischer Erfolgsfaktoren Wie können die Qualitätsmerkmale gemessen werden? Qualitätsindikatoren sind grundsätzlich so zu definieren, dass ein entsprechender Messwert hinsichtlich der Outputqualität vorliegt. Nach Scholz können drei Arten von Qualitätsindikatoren unterschieden werden. Erstens: Kriterien für Qualitätsanforderungen, die Bestandteil einer Leistungsvereinbarung (SLA) mit dem Kunden sind. Zweitens: Qualitätsaspekte, die sich nicht in einer Leistungsvereinbarung mit dem Kunden äußern, deren Prozessergebnis sich aber maßgeblich auf die Kundenzufriedenheit auswirkt. Hier wurde bereits auf die kundenabgewandten Prozesse (Produktionsprozesse) hingewiesen. Drittens: Qualitätsergebnisse, die primär interne Kunden betreffen, sich letztlich aber auch auf den Bankkunden auswirken. 35 Anforderungen an Messkriterien Als Orientierung für die Formulierung und Operationalisierung von Zielen (Führungsgrößen) lässt sich das SMART-Prinzip anführen. Es legt fest, welche Anforderungen Ziele erfüllen sollten, um die notwendige Zielklarheit zu erreichen. SMART steht für: ▶ S-pecific: eindeutige Zieldefinition formulieren ▶ M-easurable: Kriterien ableiten, mit denen die Zielerreichung messbar ist ▶ A-chievable: nur erreichbare Ziele festlegen ▶ R-elevant: nur Ziele mit hoher Bedeutung definieren ▶ T-imely: zu jeder Zielvorgabe eine klare Terminvorgabe treffen 36 35 Vgl. Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994a), S. 74. 36 Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 114. Geschäftssparte (GP) 1.1 Privaten Finanzierungsbedarf decken Prozessqualität Beratungsqualität Bankleistung (AA) Leistungsphasen (TA) 1.1.3.01 Hypothekarkredit (ohne Grundschuldbearbeitung) vergeben 1.1.3.01.1 Produkt beraten 1.1.3.01.2 Antrag bearbeiten 1.1.3.01.3 RZ: Vertrag bearbeiten 1.1.3.01.4 Pflege leisten 1.1.3.01.5 Vertrag auflösen Bearbeitungszeiten Kunde Durchlaufzeiten Kunde Zeitfreiheit Kunde Fachliche Anforderungen Produktzahl Kundenwunschzahl Objektivität 3 2 6 4 7 1 5 2 1 3 4 2 1 3 4 2 3 4 1 2 3 4 1 Typ (TP) 1.1.3 Private Objektfinanzierung vornehmen | Abb 65 Gestaltungsfaktoren zur Prozessqualität in der Privaten Objektfinanzierung (Baufinanzierung) (Vgl. Bokranz, R. / Dieckhöner, B. / Kasten, L. (2003), S. 299) ▲ | 7.3.4 Exkurs ▼ <?page no="205"?> 206 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Messung Zeiteffizienz Das Hauptanliegen bei der Optimierung Kundenorientierter Prozesse muss neben einer Kostenreduzierung darin bestehen, Transport- und Liegezeiten zu reduzieren. Denn beide Zeiten sind „Totzeiten, die keine Beiträge zur Wertschöpfung liefern.“ 37 Kritisch sind besonders Liegezeiten zu werten, da sie für Verschwendung und Prozessmängel stehen. Auch Bearbeitungszeiten enthalten oft nicht wertschöpfende Tätigkeiten wie mehrfache Kontroll- und Prüfungsfunktionen. In der Praxis wird deshalb häufig die Zeiteffizienz (ZE) bestimmt, die das Verhältnis aus der Summe der Bearbeitungszeit zur Durchlaufzeit wiedergibt. Sie liefert wichtige Hinweise zum Leistungsniveau des einzelnen Geschäftsprozesses. 38 Die Formel lautet: ZE = Summe der Bearbeitungszeiten _____     Durchlaufzeit Ein Darlehensabruf wird z. B. zum Zeitpunkt Null in der Filiale angenommen. Dort liegt er bis zur Weiterleitung an die Marktfolge im Mittel 4 Stunden. Die Kurierpost transportiert den Vorgang innerhalb von 12 Stunden an die Marktfolge, die dann im Durchschnitt nach 2 Tagen den Vorgang in 20 min bearbeitet. Somit: ZE = (20 min) / (240 min + 720 min + 2.880 min + 20 min) = 0,01. Das Ergebnis von 0,01 verdeutlicht das noch vorhandene enorme Potenzial an Wertschöpfung, die erst dann optimal wäre, wenn die Kenngröße dem Wert 1 entspräche. In der Praxis wird ein Verhältnis von 1 : 6 bis 1 : 10 als realistische Größe angesehen. 39 Die Betrachtung zu den Gestaltungsparametern in der Privaten Baufinanzierung zeigt, dass gleichzeitig mehrere Leistungsindikatoren innerhalb der Leistungskette zur Kundenzufriedenheit beitragen (vgl. Abbildung 66). Eine isolierte Analyse und Optimierung einzelner Erfolgsfaktoren wird deshalb einer ganzheitlichen Prozessgestaltung nicht gerecht. Sie führt möglicherweise sogar zu falschen Schlussfolgerungen. Alle drei Faktoren: Qualität, Zeit und Kosten müssen demnach in die Optimierungsaufgabe einbezogen werden. Nur eine ganzheitliche Betrachtung sämtlicher Indikatoren berücksichtigt alle vom Kunden wahrgenommenen Leistungsmerkmale und erfüllt damit die Voraussetzung zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen 37 Vgl. Schmelzer, H. / Sesselmann, W. (2008), S. 284. 38 Vgl. ebenda. 39 Vgl. Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994b), S. 106. ▲ Zusammenfassung <?page no="206"?> 207 o p t I m I e r u n g s a n s ä t z e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation durch Kundenorientierung. Einzelverfahren wie die Prozesskostenrechnung können deshalb nur Bestandteil eines ganzheitlichen Optimierungsmodells sein. Zu fordern sind integrative Modelle, die komplexe Prozessstrukturen entlang der Wertschöpfungskette unter Einbeziehung aller relevanten Leistungsindikatoren modellieren, analysieren und optimieren können. Optimierungsansätze für Kundenorientierte Geschäftsprozesse Wie können Kundenorientierte Geschäftsprozesse optimiert werden? (Teilsichten) Theoretische Ansätze Die Theorie unterscheidet zunächst bei der Optimierung von Geschäftsprozessen zwischen empirischem und konzeptionellem Ansatz. ▶ Der empirische Ansatz basiert auf dem Prinzip des Kaizen. Im Fokus steht eine Verbesserung der Prozesse in kleinen Schritten. Im Blickpunkt rückt die Optimierung des Ist-Zustandes, die von einer detaillierten Ana- P r o z e s s m a n a g e m e n t Pro zessstrukturtransparenz Pro zessleistungstransparenz K u n d e nz u f r i e d e n h e i t Kundenwünsche identifizieren fehlerfrei Qualität Fehler eliminieren kostengünstig Kosten Prozesskosten reduzieren rechtzeitig Zeit Durchlaufzeit reduzieren | Abb 66 Säulen der Geschäftsprozessoptimierung (Vgl. Gaitanides, M. / Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994), S. 16) | 7.4 | 7.4.1 <?page no="207"?> 208 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation lyse der bestehenden Geschäftsprozesse ausgeht. Kennzeichnend ist, dass Geschäftsprozesse nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, sondern an neuen und aktuellen Kundenanforderungen ausgerichtet werden. Der Ansatz zielt damit auf eine evolutionäre Veränderung von Prozessen. Moormann bringt diesen Ansatz mit Begriffen wie Geschäftsprozessoptimierung oder Business Process Improvement in Verbindung. 40 ▶ Der konzeptionelle Ansatz zielt dagegen auf eine grundlegende Neugestaltung der Geschäftsprozesse. Eine Ist-Analyse des Prozesses ist von untergeordneter Bedeutung. Es werden Idealprozesse nach dem Grüne- Wiese-Ansatz konzipiert, die sich von bestehenden Strukturen lösen und radikale Veränderungen anstreben (z. B. komplette Veränderung des Leistungsprozesses in der Privaten Baufinanzierung). Die Chance liegt in einer sprunghaften Verbesserung und Neuausrichtung bestehender Prozesse. Die Grundidee des Ansatzes geht auf die Arbeiten von Hammer und Champy zurück. 41 Moormann ordnet diesem Ansatz Begriffe wie Business Process Redesign, Geschäftsprozessredesign oder Business Process Reengineering (BPR) zu. 42 Häufig wird mit einem konzeptionellen Ansatz begonnen und nach der Implementierung eines neuen Prozesses mit einem empirischen Ansatz weitergearbeitet. 43 Dieses Vorgehen orientiert sich am Lebenszyklus eines Prozesses (Prozess entwickeln - verbessern - steuern). Grundsätzlich gilt, dass der Prozess schon nicht mehr wettbewerbsfähig ist, wenn die Outputspezifikation nicht (mehr) den aktuellen Kundenanforderungen entspricht. Bemerkt erst der Kunde die mangelnde Qualität der Bankdienstleistung, sinkt die Kundenzufriedenheit. 4 4 Zentral ist die Frage, ob sich die Verbesserung des Prozesses noch in kleinen Schritten, erreichen lässt. Weicht die Prozessleistung bereits dauerhaft und signifikant von den aktuellen Kundenwünschen ab, wird ein konzeptioneller Ansatz notwendig. 45 In diesem Fall ist das Optimierungsproblem über einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess nicht mehr zu lösen. Es muss ein Alternativprozess, losgelöst von bestehenden Abläufen, entwickelt werden. Entsprechend ergeben sich unterschiedliche Einstiegspunkte für die Prozessarbeit bei der Optimierung Kundenorientierter Prozesse (sogenannte Prozessreifegrade). 40 Vgl. Moormann, J. / Möbus, D. (2004), S. 300 f. 41 Vgl. Hammer, M. / Champy, J. (1994), S. 47. 42 Vgl. Moormann, J. / Möbus, D. (2004), S. 300 f. 43 Vgl. Bokranz, R. / Kasten, L. (2003), S. 316. 44 Vgl. Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994b), S. 104. 45 Vgl. ebenda, S. 120. Beispiel ▼ ▲ <?page no="208"?> 209 o p t I m I e r u n g s a n s ä t z e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Ansätze nach Reifegrad Gibt es Voraussetzungen, die zu erfüllen sind, um eine GPO durchführen zu können? Nach Scholz sind als notwendige Bedingung Kenntnisse sowohl zu strategischen Zielsetzungen als auch zur Prozessstrukturtransparenz und Prozessleistungstransparenz erforderlich. Erst dadurch wird Klarheit über den Gestaltungsgegenstand, die Gestaltungszielsetzungen und die Gestaltungswirkung erreicht. Dies wird in der Praxis häufig ignoriert. 46 ▶ Prozessstrukturtransparenz bedeutet, die Input- / Output-Beziehungen und die Sequenz der Leistungsbeziehungen genau zu kennen. Die relevanten Prozesselemente müssen demnach bekannt und modelliert sein. Dadurch lassen sich Problem, Umfang und Ausmaß der Schwachstellen abschätzen und der Prozess mit seinem Verbesserungspotenzial genau lokalisieren. Dies führt zu einem folgerichtigen Ansatzpunkt für eine Optimierung. 47 ▶ Prozessleistungstransparenz sorgt anderseits für einen genauen Überblick über die Leistungsfähigkeit des Prozesses. Die Leistungstransparenz zeigt aus dem Vergleich der Ist-Daten mit den vorgegebenen Zielwerten Prozessschwachstellen auf. Scholz fordert dazu im Sinne der dritten Voraussetzung eine aus der Strategie abgeleitete quantifizierbare Zielsetzung, die von einer integralen Betrachtung der Prozessparameter: Kosten, Zeit und Qualität ausgeht. 48 Allerdings erfüllen Banken die Voraussetzungen für eine durchgängige Prozessstrukturtransparenz und Prozessleistungstransparenz in der Regel nicht. Eine ibo Studie zeigt, dass nur eins von zehn Kreditinstituten Prozesskennzahlen für alle Kernprozesse definiert hat. 49 In Theorie und Praxis finden sich deshalb unterschiedliche GPO-Ansätze (Phasenmodelle) vor dem Hintergrund unterschiedlicher Prozess-Reifegrade. Fischermanns hat ein Konzept entwickelt, das die Einordnung und systematische Abwicklung der Geschäftspro- 46 Vgl. Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994b), S. 100. 47 Vgl. Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994b), S. 102. 48 Vgl. ebenda, S. 100. 49 Vgl. Fischermanns, G. / Völpel, M. (2006), S. 289. | 7.4.2 Prozesskennzahlen Change the process (Projekt) Run the process (Linie) 1. Konzept Strategische Prozessorganisation 2. Konzept Prozessgestaltung 4. Konzept Prozessmanagement 3. Konzept Kontinuierliche Prozessoptimierung Einzelprozesse Alle Prozesse | Abb 67 Prozessfenster unterschiedlicher GPO-Ansätze (Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 19) <?page no="209"?> 210 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation zessoptimierung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Reifegrade des Prozessmanagements plausibilisiert. Dazu verwendet er das folgende Prozessfenster in Abbildung 67. Er differenziert einerseits danach, ob Prozesse als Ganzes oder einzelne Prozesse betrachtet werden sollen. Anderseits unterteilt er Prozesse danach, ob sie einmalig im Rahmen eines Projektes oder fortlaufend verbessert werden sollen. Er ordnet schließlich den Reifegraden unterschiedliche Managementansätze zu und orientiert sich dabei an einer ganzheitlichen Prozessentwicklung (Prozesslebenszyklus), die bei der Strategischen Prozessorganisation beginnt, ihre Fortsetzung in den Konzepten: Prozessgestaltung und Kontinuierliche Prozessoptimierung findet und letztlich in ein ganzheitliches Prozessmanagement mündet. Relevante Ansätze für die Optimierung Kundenorientierter Einzelprozesse auf operativer Ebene mit hohem Detaillierungsgrad sind das Konzept der Prozessgestaltung und das Konzept der Kontinuierlichen Prozessoptimierung. ▶ Die Prozessgestaltung ist ein projektorientiertes Konzept, das den Projektablauf bei der grundsätzlichen Neuentwicklung und Verbesserung eines Einzelprozesses regelt. Die Vorgehensphasen bei Optimierungsprojekten entsprechen dem Dreiklang von Planung-Realisierung-Kontrolle (vgl. auch Deming-Kreis). 50 Die Prozesse werden zunächst im Ist-Zustand erhoben und modelliert und dann nach den Leistungsindikatoren Qualität, Kosten und Zeit analysiert. Anhand der Optimierungsziele werden in der Prozesswürdigung die Schwächen des Ablaufs identifiziert, die Ursachen systematisch ermittelt und im Prozessdesign durch Gestaltungsmaßnahmen verbessert. Im Anschluss wird der Erfolg der Maßnahmen bewertet und der optimierte Prozess eingeführt, wie Abbildung 68 zeigt. 51 ▶ Die Kontinuierliche Prozessoptimierung als linienorientiertes Konzept schließt im Gegensatz bereits alle Messungs-, Diagnose- und Steuerungsaktivitäten ein, die zu einer beständigen und empirischen Verbesserung der Geschäftsprozesse nach vordefinierten Prozesskennzahlen führen. Als Erstes sind richtige Kennzahlen für die jeweiligen Prozesse zu finden. Anschließend ist eine fortlaufende Kennzahlenmessung durchzuführen. In der Prozessleistungsdiagnose werden schließlich die Soll- / Ist-Abweichungen der Prozesskennzahlen festgestellt und die Ursachen- / Wirkungszusammenhänge ermittelt. Zu den ermittelten Ursachen werden geeignete Steuerungsmaßnahmen eingeleitet, um den 50 Vgl. Schmelzer, H. / Sesselmann, W. (2008), S. 377. 51 Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 23. <?page no="210"?> 21 1 o p t I m I e r u n g s a n s ä t z e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Prozess in kleinen Schritten zu optimieren. 52 Das Konzept wird im Kern über selbststeuernde Regelkreise unter Einsatz systematischer Methoden und Instrumente realisiert. Um Prozesse einem permanenten Verbesserungskreislauf zu unterziehen, werden bei Erreichen der Zielvorgaben neue Ziele definiert. Dieses „automatic target setting“ gewährleistet, dass jeder Prozess gleichermaßen an einer kontinuierlichen Verbesserung partizipiert. 53 Die einzelnen Phasen und die zugeordneten Managementkonzepte sind in Abbildung 69 dargestellt. 52 Vgl. Fischermanns, G. / Völpel, M. (2006), S. 286. 53 Vgl. Scholz, R. / Vrohlings, A. (1994b), S. 118 ff. Prozesswürdigung Prozessdesign Prozesserhebung/ -modellierung/ -analyse Prozessbewertung Prozessplanung Vorstudie Hauptstudie Prozessrealisierung Prozesseinführung Vorgehensmodell zugeordnete Managementkonzepte � Geschäftsprozessoptimierung (GPO) � Six Sigma � Prozess- Benchmarking � Prozesskostenrechnung | Abb 68 Konzept Prozessgestaltung (Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 23) Vorgehensmodell zugeordnete Managementkonzepte Prozessleistungsmessung Prozesskennzahlen Prozess Prozessleistungssteuerung Prozessleistungsdiagnose � Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) � Process Performance- Management � Kaizen � Workflowmanagement � Balance Scorecard (BSC) | Abb 69 Konzept Kontinuierliche Prozessoptimierung (Vgl. Fischermanns, G. / Völpel, M. (2006), S. 285) <?page no="211"?> 212 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Ein GPO-Ansatz muss sich sowohl nach dem erreichten Prozessentwicklungsstand als auch nach der geforderten Gestaltungsaufgabe richten. Ein universelles Phasenmodell für die Optimierung Kundenorientierter Prozesse kann es demnach nicht geben - insbesondere in der stark fragmentierten Privaten Baufinanzierung. Die gezeigten Ansätze liefern jedoch einen Orientierungsrahmen für die Ableitung eines eigenen Lösungsfeldes in der Praxis. Für die Gestaltung von Einzelprozessen empfehlen sich die Konzepte: KVP und Prozessgestaltung. Der KVP-Ansatz setzt allerdings bereits ein integriertes Kennzahlensystem voraus. Operative Stellhebel der Prozessverbesserung Die Industrialisierung, Standardisierung und Automatisierung von Geschäftsprozessen stehen im Fokus der Prozessentwicklung in Banken. Nachdem der Ist-Zustand des einzelnen Prozesses bekannt ist, steht der Schritt an, Lösungsvorschläge zu entwickeln, wie der Prozess neu gestaltet werden kann. Nach Fischermanns 54 entsprechen innovative Prozesslösungen nach dem konzeptionellen Ansatz dabei nicht der Wirklichkeit. Denn bei der Prozessgestaltung in der Privaten Baufinanzierung müssen beispielsweise auf bauorganisatorische und rechtliche Restriktionen beachtet werden. Außerdem sind bei einzelnen Prozessen der Gestaltungsbereich und die Schnittstellen zu anderen Prozessen fixiert. Nur in diesem Rahmen sind Lösungsansätze möglich, die aber durchaus kreativ und innovativ sein können. Über welche Stellhebel können Kundenorientierte Prozesse optimiert werden? Fischermanns unterteilt mögliche operative Stellhebel in die Kategorien: Prozessbefreiung, Prozesselemente, Dimension, Logik und Auf bauorganisation, denen er konkrete Ansätze gemäß Abbildung 70 zuordnet. Auszugsweise werden einige Ansätze für die Optimierung Kundenorientierter Prozesse diskutiert. Prozesselemente durch Streichung eliminieren Der Ansatz hinterfragt, ob bestimmte Prozesselemente (Aufgaben, Aufgabenträger, Sachmittel, Informationen) eliminiert werden können, bevor sie verbessert werden. Maßgeblich dafür ist die Frage nach ihrem Wertschöpfungsanteil. Ist das Prozesselement unbedingt erforderlich? Trägt es zur 54 Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 316 ff. Zusammenfassung 7.4.3 | 7.4.4 | <?page no="212"?> 213 o p t I m I e r u n g s a n s ä t z e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Kernkompetenz des Unternehmens bei? Beim empirischen Vorgehen handelt es sich hier z. B. um Aufgaben, die u. a. durch gewachsene Strukturen noch in den Banken ausgeführt werden. Bei diesen Aufgaben kann sich durch Abstraktion und Prüfung auf ihre Essenzialität herausstellen, dass diese unnötig sind. Dann sind diese Objekte und die sie betreffenden Aufgaben zu eliminieren. Andererseits besteht auch die Möglichkeit, dass zwar die Objekte notwendig sind, aber nicht sämtliche Verrichtungen zu deren Bearbeitung. In diesem Fall sind die entsprechenden Verrichtungen ebenfalls zu eliminieren. Beide Situationen führen zu Veränderungen bei den Prozessinhalten. Auch stellt sich die Frage, ob bestimmte Prozessschritte besser ausgelagert (outgesourct) werden, weil dadurch etwa eine höhere Kompetenz erreicht wird. 55 Abbildung 71 zeigt das Grundprinzip dieses Ansatzes. Im Kern unterstützt dieser Ansatz die Entwicklung schlankerer Prozesse und die Konzentration auf Kernkompetenzen nach dem Lean-Banking-Prinzip. 55 Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 320. Operative Stellhebel Prozesslogik Folgebeziehungen optimieren Prozesselemente optimieren Prozessbefreiung durch Konzentration auf essentielle Aufgaben Aufbauorganisation optimieren Prozessdimensionen optimieren (Raum, Zeit, Menge) Reduzierung Schnittstellen durch horizontale oder vertikale Arbeitsteilung Optimierung durch anderes Organisationsprinzip Optimierung der Kapazitäten Spezialisierung Prozessbearbeitung Dezentralisierung Prozessbearbeitung Anhebung der Kapazitäten (Stellen) Verringerung des Auslastungsgrades Bildung großer Gruppierungen gleichartiger Objekte Prozesselemente durch Streichung eliminieren (outsourcen) Prozesselemente hinzufügen, um Mehrwert für Bankkunden zu schaffen Prozesselemente auf ihre Optimierungspotenziale analysieren Reihenfolge optimieren Triage-Ansatz Objektgruppen optimieren Objektfolge synchronisieren Rückkopplungen verringern ODER-Verzweigung verringern | Abb 70 Stellhebel im Überblick Prozesselemente eliminieren/ outsourcen | Abb 71 Optimierungsansatz - Prozesselemente eliminieren / outsourcen (Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 342) <?page no="213"?> 214 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Prozesselemente hinzufügen, um Mehrwert für Bankkunden zu schaffen Es kann auch sinnvoll sein, bestimmte Prozesselemente hinzuzufügen. Dahinter steckt die Überlegung, durch zusätzliche Prozessaktivitäten einen Mehrwert für den Bankkunden zu schaffen. Oft kann durch diesen Zusatznutzen eine langfristige Kundenbindung aufgebaut werden. Der Bankkunde schätzt die zusätzlichen Leistungen und ist weniger bereit, die Bank zu wechseln. Ist er dann noch bereit, gegenüber anderen Konkurrenten einen höheren Preis zu zahlen, können sich die höheren Prozessaufwendungen sogar amortisieren. Ehemals outgesourcte Prozessaktivitäten könnten wieder in den Leistungsprozess eingesourct werden. 56 Der Gestaltungsansatz zielt klar auf eine Steigerung der Qualität (Outputspezifikation) gegenüber dem Bankkunden, der sich in einer höheren Kundenzufriedenheit niederschlagen kann (vgl. Abbildung 72). Reihenfolge optimieren Prozesse können zudem optimiert werden, indem die Reihenfolge der Aufgaben verändert wird. Dadurch kann das Objekt insgesamt schneller bearbeitet werden. Prüf- und Entscheidungsaufgaben sollten dazu möglichst früh in den Prozessablauf integriert werden, um eine zu späte Identifizierung von Fehlern und damit mehrfache Bearbeitungszeiten zu vermeiden. Prozessaufgaben mit entsprechender Wiederholhäufigkeit können anderseits standardisiert werden, so dass ein Rationalisierungseffekt entsteht. Die Standardisierung von Prozessen lässt sich realisieren, indem z. B. Workflow-Managementsysteme zur Vorgangssteuerung eingesetzt werden. Sie reduzieren zusätzlich Arbeitsvorbereitungs- und Einarbeitungszeiten. Schließlich ist es bei arbeitsteiligen Prozessen lohnenswert, Aufgabenträger und Sachmittel räumlich so anzuordnen, dass die Prozessaufgabenfolge stärker am Objekt durchgeführt wird. Angewandt wird dabei das UND-Nacheinander-Folgestrukturprinzip. Dieser Optimierungsansatz empfiehlt sich, wenn gleichartige Objekte mit vorhersehbaren Prozessaufgabenfolgen in hinreichender Häufigkeit auftreten. 57 56 Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 320 f. 57 Vgl. ebenda, S. 332 ff. 7.4.5 | 7.4.6 | Prozesselemente hinzufügen/ einsourcen IT-System Neu Abb 72 | Optimierungsansatz zu Prozesselementen (Vgl. ebenda, S. 342) <?page no="214"?> 215 o p t I m I e r u n g s a n s ä t z e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Triage-Ansatz entwickeln Führen verschiedene Objekte zu unterschiedlichen Prozessabläufen, ist es nicht zweckmäßig, die Objekte in einem gemeinsamen Prozess zu bearbeiten. Stattdessen lässt sich der Prozess optimieren, indem eine Triage (Differenzierung) gebildet wird, die in Abhängigkeit von der Objektbearbeitung zu jeweils gesonderten Prozessabläufen führt. 58 Der Standardisierungsgrad kann dadurch erhöht werden. Die Grundlogik des Prozesses bleibt unverändert. 59 So findet beispielsweise in der Privaten Baufinanzierung eine Unterscheidung zwischen Neu- und Bestandskunden mit jeweils unterschiedlichen Bearbeitungsfolgen statt. Reduzierung von Schnittstellen durch horizontale oder vertikale Arbeitsteilung ( → QR-Glossar): Bei einer Spezialisierung der Prozessaufgaben können zwar Personal- und Sachkosten reduziert werden. Allerdings entstehen auch zusätzliche Schnittstellen durch eine horizontale Arbeitsteilung, die zu längeren Durchlaufzeiten führt. Ein Optimierungsansatz besteht darin, die Prozessaufgaben von einer Stelle ganzheitlich bearbeiten zu lassen. Andererseits können Schnittstellen durch vertikale Arbeitsteilung entstehen, wenn Planungs-, Kontroll- und Entscheidungsaufgaben von Ausführungsaufgaben getrennt sind. Hohe Liegezeiten haben oft ihre Ursache in notwendigen Abstimmungen mit Entscheidungsträgern. Hier können 58 Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 339. 59 Vgl. Stöger, R. (2009), S. 131 f. Reihenfolge ändern | Abb 73 Optimierungsansatz zur Prozesslogik (Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 343) | 7.4.7 Triage- Ansatz | Abb 74 Optimierungsansatz zu Prozessdimensionen (Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 342) <?page no="215"?> 216 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Schnittstellen durch eine vertikale Aufgabenzusammenfassung beseitigt werden. Der Aufgabenträger wird zum case-worker. Ihm werden die Entscheidungsbefugnisse nach dem Arbeitsprinzip: Job Enrichment übertragen. 60 Die Reduzierung von Prozessschnittstellen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine kundenorientierte Prozessorganisation. 61 Das Grundprinzip beider Ansätze ist in Abbildung 75 zusammenfassend dargestellt. Die aufgezeigten operativen Stellhebel zeigen einige Ansätze zur Optimierung Kundenorientierter Prozesse. Es ist sinnvoll, zunächst die essenziellen Prozessaufgaben zu bestimmen, um unnötige Prozessschritte zu streichen. Danach können Prozesse hinsichtlich ihrer Elemente, ihrer Dimensionen und der Logik optimiert werden. Letztlich lassen sich Prozessverbesserungen auch durch die Optimierung der Aufbauorganisation erzielen, wie der Ansatz zu den Schnittstellen exemplarisch zeigt. Sollen Prozesse dabei nicht funktional sondern durchgängig am Kundennutzen (kundenorientiert) ausgerichtet werden, ist die Optimierung nach dem Prinzip structure follows process vorzunehmen. Integrative GPO-Konzepte Warum sind integrative GPM-Konzepte für die Optimierung Kundenorientierter Geschäftsprozesse notwendig? Zusammenfassend lassen sich folgende Motive anführen: 60 Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 340 f. 61 Vgl. Riekhof, H.-C. (1997), S. 79. horizontale Aufgabenteilung optimieren vertikale Aufgabenteilung optimieren unterstützen entscheiden in eine Stelle verschmelzen Abb 75 | Optimierungsansatz zur Aufbauorganisation (Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 342) Zusammenfassung 7.5 | <?page no="216"?> 217 I n t e g r a t I V e g p o - K o n z e p t e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Die Komplexität der Prozesselemente bei Kundenorientierten Prozessen auf operativer Ebene muss in Modellen auf die relevanten Informationen verdichtet werden. Nur so lässt sich Prozessstrukturtransparenz herstellen, die den richtigen Angriffspunkt für eine Geschäftsprozessoptimierung liefert. ▶ Einzelne Kundenorientierte Prozesse weisen Schnittstellen zu anderen Prozessen in der Wertschöpfungskette auf, die in ein Prozessmodell integriert werden müssen. Nur so werden strukturelle Beziehungen und Auswirkungen zu anderen Prozessen sichtbar. ▶ Die Betrachtung zu den Gestaltungsfaktoren aus Kundensicht hat gezeigt, dass für eine ganzheitliche Optimierung gleichzeitig mehrere Faktoren wie Qualität, Kosten und Zeit zu berücksichtigen sind. Andernfalls besteht die Gefahr, auf Einzelmaßnahmen (Suboptimierungen) zu setzen, die sich negativ auf die Kundenzufriedenheit auswirken können. ▶ Für eine fortlaufende Prozessverbesserung, ist eine Prozessmodellierung und Optimierung in IT-gestützten Systemen zu fordern. Erst dadurch ist es möglich, die Komplexität zu beherrschen und Prozessvarianten systematisch zu analysieren. Gleichzeitig werden dadurch die Voraussetzungen für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) geschaffen, der den Reifegrad in Banken nachhaltig steigern kann. Daraus resultierende komplexe Anforderungen an Prozessmodelle, die eine ganzheitliche Modellierung, Analyse und Optimierung Kundenorientierter Geschäftsprozesse beinhalten müssen, können mit Werkzeugen wie Geschäftsprozessmanagement-Software (GPM-Software) realisiert werden. Marktüberblick Welche GPM-Tools haben sich am Markt etabliert? Im deutschsprachigen Raum existieren etwa 160 verschiedene Tools. Es gibt nur wenige Produkte, die den vollständigen Lebenszyklus eines Prozesses von der Erstellung über eine technische Umsetzung bis hin zur vollständigen Optimierung unterstützen. Außerdem existiert kein einheitlicher Standard zu den Phasen eines Prozesslebenszyklus, weshalb die Tools unterschiedlichen Ausrichtungen und Anwendungszwecken folgen. 62 Eine Evaluierung des Fraunhofer IAO aus 2008 verweist auf mehrere Studien, die hier in Tabelle 1 für die 18 führenden GPM-Tools und die ibo Software dargestellt sind. 63 62 Vgl. Spath, D. / Weisbecker, A. (2008), S. 26 f. 63 Vgl. ebenda, S. 28 f. | 7.5.1 <?page no="217"?> 218 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Anbieter Produkt BARC 2007 GfP 2005 BVA 2005 BPTrends 2007 BPMT 2001 BPMT 2008 Agresso Nautilus x x x x binner-IMS Sycat x x x x Dr. Lürzer promol.NET x x EMPRISE BONAPART x x x x x Get Process Income x x x x ibo Software ibo Process-Designer x x ibo Software Prometheus x x IDS Scheer ARIS x x x x x x IMG / S&T SemTalk / Promet@work x Intellior AENEIS x x x x x Inubit inubit BPM x IPK MO 2 GO x MEGA MEGA Process x x x x x MID Innovator x x x x PAVONE Espresso Workflow x x Pulinco TopEASE x x x Semtation SemTalk x Soreco Xpert.ivy x Vicon ViFlow x x x x Die Wahl eines geeigneten GPO-Tools ist demnach von den Anforderungen abhängig, die sich aus dem geforderten Leistungsumfang für die notwendige Prozessarbeit in der jeweiligen Bank ergibt. Einige Anbieter bieten Testversionen an, über die sich Praktikabilität und Leistungsprofil abgleichen lassen. Studien zu ausgewählten GPM-Tools Tab. 1 | <?page no="218"?> 219 I n t e g r a t I V e g p o - K o n z e p t e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Anbieter GPM-Lösung Testmöglichkeiten Adresse BOC ADONIS kostenlose Edition http: / / www.adonis-community. com/ BizAgi BizAgi vollständig kostenlos http: / / www.bizagi.com/ Hasso-Plattner- Institut Oryx vollständig kostenlos http: / / bpt.hpi.uni-potsdam.de/ Oryx ibo Software Prometheus Testmöglichkeit auf Anfrage http: / / www.ibo.de/ software/ 55. html iGrafx diverse Tools Download Testversion http: / / www.igrafx.com/ resources/ trial-software intellior AENEIS Download Testversion http: / / www. intellior.ag/ software/ kennenlernen/ testversion/ inubit BPM-Suite Testmöglichkeit auf Anfrage https: / / www.inubit.com/ inubitsuite/ testversion.html itp commerce Process Modeler kostenlose Edition http: / / www.itp-commerce.com/ evaluation-login/ MID Innovator Download Testversion http: / / www.mid.de/ Soreco Xpert.Ivy Download Testversion http: / / www.sorecoweb.ch/ prozesse/ bpm-suite/ ViCon ViFlow Download Testversion http: / / www.viflow.biz/ testversion. html Beispiel ibo Software Genossenschaftsbanken und Sparkassen setzen verstärkt auf die GPM- Software Prometheus von ibo. Das ibo Systemhaus zeichnet sich durch einen modularen Aufbau aus, der Ablauf- und Aufbauorganisation über eine gemeinsame Datenplattform (Stammdaten-Manager) miteinander verbindet. Somit lässt sich die gesamte Unternehmensstruktur in einem Geschäftsmodell darstellen, wie es nach § 25a Abs. 1 KWG für Banken gefordert wird. Speziell für das operative Prozessmanagement bietet ibo mit dem Process-Designer und Process-Analyser zwei Module an, die eine Modellierung, Analyse und Optimierung von Kundenorientierten Prozessen unterstützen. Mit Hilfe der GPM-Software kann die Komplexität von Prozessen auf relevante Prozesselemente verdichtet werden. Außerdem kann ein Prozess über eine Vielzahl von Notationssymbolen detailgetreu abgebildet werden. Auch unterstützt ibo eine integrale Betrachtung der kundenrelevanten Gestaltungsfaktoren: Qualität (Zeit) und Kosten. Die vielseitigen Analysemöglichkeiten lassen eine sehr detaillierte Untersuchung nach Gesamtprozess, Teilstruktur und Prozessaufgabe zu. Die Analyse folgt dabei dem im Process-Designer modellierten Prozessfluss, | Abb 76 Anbieter von Testversionen (http: / / www.prozessworkflow.de/ bpmsoftware.html) <?page no="219"?> 220 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation also einem horizontalen Analyseansatz nach dem Kunde-Prozess-Kunde- Prinzip. Zudem können wichtige Parameter wie Schnittstellen, Informationsflüsse oder Kapazität ermittelt werden. In einem Simulationsmodus lassen sich Standardprozesse (Soll-Prozesse) gestalten, die im Process- Designer und Process-Analyser weiterentwickelt werden können. Somit unterstützt ibo einen ganzheitlichen Entwicklungsprozess von der Modellierung über die Analyse bis hin zur Optimierung. Notation Für die Modellierung der Prozesse nutzt ibo eine eigene Notation, die auch feine Details für komplexe Prozesse abbilden kann. Zusätzlich stehen vier verschiedene Sichten (Standardsicht, Prozesssicht, Datensicht, IT-Struktur-Sicht) zur Verfügung. In Abbildung 77 ist auszugsweise die Notation dargestellt, die zu den grafischen Modellierungsmethoden (Diagrammsprachen) in der Gruppe der kontrollflussorientierten Ansätze zählt. 64 Sie ermöglicht eine differenzierte Abbildung der Prozesselemente gemäß der Geschäftsprozessdefinition in Abschnitt 7.2. Wie aber können Kundenorientierte Geschäftsprozesse mit Hilfe der ibo Notation und bereitgestellten Sichten abgebildet werden? 64 Vgl. Gadatsch, A. (2008), S. 81. Exkurs ▼ Symbol Benennung Bedeutung Internes Element Externes Element Sachmittel Quelle/ Senke Quelle/ Senke Dateien Konventionelle Dateien Verzweigung Kontrollfluss Unterprozess/ Teilprozess Aufgaben oder Aufgabenträger innerhalb des Unternehmens, z.B. Personen oder Abteilungen Externe Aufgaben oder Aufgabenträger, z.B. Kunde, Lieferant, Berater Computerprogramme, Telefone, Fahrzeuge Prozessbeginn und -ende Prozessbeginn und -ende Elektronische Datenbestände, z.B. Kundendatenbanken Konventionelle Datenbestände, z.B. Kartei, Liste Verzweigungen im Kontrollfluss Zeitlich-logischer Zusammenhang der Ablaufstruktur Ausgliederung eines selbstständigen Teilprozesses in ein separates Diagramm Abb 77 | ibo Notation (Vgl. Gadatsch, A. (2008), S. 102) ▲ <?page no="220"?> 221 I n t e g r a t I V e g p o - K o n z e p t e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Folgestruktur Am Beispiel der Avalinanspruchnahme im Leistungsprozess: Pflege leisten (Private Baufinanzierung) wird in Abbildung 25 die Folgestruktur als mögliche Darstellungsform gezeigt. Sie basiert auf einer Prozessabbildung in getrennten Sichten. Im linken Teil der Darstellung wird der Geschäftsprozess mit Hilfe der zahlreichen Notationssymbole abgebildet. Daneben findet sich die Zuordnung der einzelnen Prozesselemente in Spaltenform, die im rechten Teil der Abbildung detailliert beschrieben werden. Aufgrund der Trennung zwischen grafischer Darstellung und erläuterndem Text wird eine deutliche Platzersparnis erreicht. Es wird Transparenz über große Prozessabschnitte für weitverzweigte Strukturen erreicht. Dies erleichtert auch die Diagnose des Ist-Zustandes und bringt Vorteile, wenn Lösungsentwürfe zunächst gestaltet und danach bewertet werden sollen. Außerdem sind Vollständigkeitsprüfungen und auch Plausibilitätskontrollen dadurch erheblich vereinfacht. Allerdings setzt die Darstellungsform ein gewisses Prozessverständnis voraus. 65 Wahlweise kann deshalb zu 65 Vgl. Fischermanns, G. (2006), S. 215. Beispiele ▼ 1 2 4 5 6 3 A B A A SB SB SB SB GL GL PC PC S T A1 20% A2 80% B1 90% B2 10% AT SM BD AG Beschreibender Text SB GL A T PC S A A1 A2 B B1 B2 1 23 4 5 6 Sachbearbeiter Akte Telefon Gruppenleiter Computer Scanner Inanspruchnahme prüfen Voraussetzung zur Inanspruchnahme gegeben? Nein Ja Urkunde einziehen Bürgschaftsnehmer informieren Zahlung leisten Inanspruchnahme ausbuchen Klärung möglich? Ja Nein | Abb 78 ibo Folgestruktur - Avalinanspruchnahme (eigene Darstellung) AT: Aufgabenträger SM: Sachmittel BD: Bedingung AG: Arbeitsgang (Prozessschritt) <?page no="221"?> 222 V o n d e r f u n K t I o n a l e n z u r K u n d e n o r I e n t I e r t e n g p o Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation alternativen Darstellungsformen wie dem Folgeplan gewechselt werden, der mehrere Sichten direkt in die Notationssymbole integriert. Wie detailliert können Prozesse analysiert werden? Teilstrukturanalyse nach Prozessvarianten Ein Objekt (z. B. Kreditantrag) kann mehrere Wege im Prozess durchlaufen. Jeder Weg steht dabei für eine Teilstruktur (Prozessvariante, Ast). Der Weg wird dabei durch die Ausgänge einer ODER-Verzweigung bestimmt. Mit ibo besteht nun die Möglichkeit, neben dem Gesamtprozess alle einzelnen Teilstrukturen des Prozesses zu Zeiten und Kosten auszuwerten. So können z. B. wichtige Rückschlüsse zu Funktionswechseln oder Zeitanteilen gezogen werden, die sich auf die Kundenzufriedenheit und Gestaltung Kundenorientierter Prozesse auswirken. Auch liefert die Teilstrukturanalyse wichtige Hinweise, ob Prozessvarianten unwirtschaftlich sind oder standardisiert werden sollten, um Skaleneffekte zu heben. Als Beispiel zeigt Abbildung 79 die Teilstrukturanalyse auszugsweise für die Kostenanalyse des Prozesses: Avalinanspruchnahme. Sind die Informationen noch zu ungenau, liefert ibo auch Auswertungen zu Zeiten und Kosten, die in einer Teilstruktur durch einzelne Aufgaben verursacht werden. Auch wenn die GPM-Tools die Optimierung hinsichtlich einer effizienten Realisierung von Qualitätssteigerungen, Zeit- und Kosteneinsparungen unterstützen, bemisst sich die Kundenzufriedenheit bei Bankprozessen letztlich an der Effektivität. Nur wenn es gelingt, nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch schwer imitierbare Bankdienstleistungen aufzubauen, lässt sich ein Zusatznutzen aus Kundensicht generieren. Dies leistet eine Software-Unterstützung über Abb 79 | Auszug aus ibo Analyse Teilstruktur Quelle: eigene Abbildung Zusammenfassung ▲ <?page no="222"?> 223 I n t e g r a t I V e g p o - K o n z e p t e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation GPM-Tools allein noch nicht. 66 Allerdings ermöglichen GPM-Tools eine Abbildung der Komplexität von operativen Geschäftsprozessen in Modellen nach dem Kunde-Prozess-Kunde-Prinzip. Auch ist über GPM-Tools eine integrale Prozessanalyse von Qualität, Kosten und Zeit möglich, die bei einigen Produkten bereits bis zur Steuerung von Leistungsparametern reicht. Damit lässt sich mit Hilfe von IT-basierten GPM-Tools die geforderte Prozessstruktur- und Prozessleistungstransparenz für eine systematische und ganzheitliche Optimierung Kundenorientierter Geschäftsprozesse herstellen. 1 Grenzen Sie den Begriff Prozess ab! Nennen Sie Merkmale von Kundenorientierten Geschäftsprozessen! 2 Erläutern Sie den Begriff Geschäftsprozessoptimierung! 3 Erklären Sie den Zusammenhang zwischen Effektivität und Effizienz! 4 Diskutieren Sie operative Stellhebel zur Prozessverbesserung an selbst gewählten Beispielen! Gehen Sie auf das Paradigma „structure follows process“ ein! 5 Zeigen Sie auf, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine GPO durchführen zu können! 6 Unterscheiden Sie entsprechend der Zielausrichtung und des erreichten Prozessreifegrades zwischen den grundsätzlichen Richtungen der GPO und nennen Sie jeweils 2 Managementansätze. 7 Diskutieren Sie den Nutzen integrativer Ansätze für eine kundenorientierte Geschäftsprozessoptimierung! 8 Erläutern Sie die Merkmale, die für die Messung von Zielkriterien erfüllt sein müssen! Die Antworten finden Sie auf unserer Web-Service-Seite zum Buch. 66 Vgl. Gaitanides, M. (2007), S. 168. Fragen ▼ ▲ B oKranz , r. / d iecKhöner , B. / K aSten , l. (2003): Geschäftsprozessoptimierung im genossenschaftlichen Finanzverbund, Wiesbaden. f iSchermannS , G. (2006): Praxishandbuch Prozessmanagement, 6. Aufl., Gießen. G adatSch , a. (2008): Grundkurs Geschäftsprozess- Management, 5. Aufl., Wiesbaden. K och , S. (2011): Einführung in das Management von Geschäftsprozessen, Berlin Heidelberg. m oormann , J. / m öBuS , d. (2004): Wertschöpfungsmanagement in Banken, 1. Aufl., Frankfurt am Main. S chmelzer , h. / S eSSelmann , W. (2008): Geschäftsprozessmanagement in der Praxis. Kunden zufrieden stellen - Produktivität steigern - Wert erhöhen, 6. Aufl., München. Literatur <?page no="223"?> 224 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollen ein Grundverständnis zur arbeitspsychologischen, sozialpsychologischen, soziologischen und verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung bzw. zum verhaltenswissenschaftlichen Change Management („Organizational Behavior“) entwickeln. ▶ Sie sollen wissen, dass die arbeitspsychologische und verhaltenswissenschaftliche Personal- und Organisationsentwicklung ihre Grundüberlegungen aus den Hawthorne-Experimente von 1927 - 1932 haben, sowie aus den Analyseebenen des Individuums, der Gruppe, Intergruppenbeziehungen, der Führung, der Kommunikation, der Macht und des Studiums des Verhaltens in Organisationen. ▶ Sie sollen verstehen, dass bei den Hawthorne-Experimenten die Mitarbeiter vor Ort einen „ungeplant Organisationswandel“ in Form von Job Rotation, Job Enlargement und teilautonomen Arbeitsgruppen in der Produktion betrieben haben. Seit den 1960er Jahren kommt in den USA und in Europa die Frage auf, ob man 67 Vgl. Teile aus MA Elise Rottstegge. Grundlagen zum verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatz 67 ( → QR-Glossar) 8 | Inhalt 8.1 Bilder bzw. Perspektiven zum Organisationsphänomen 8.2 Terminologische Grundlagen zur Organisationsentwicklung respektive Change Management 8.3 Ausgangsbasis und Zielsetzungen einer Organisationsentwicklung 8.4 Phasen der Organisationsentwicklung 8.5 Acht Schritte zum erfolgreichen, organisatorischen Wandel Lernziele ▼ <?page no="224"?> 225 b I l d e r b z w . p e r s p e K t I V e n z u m o r g a n I s a t I o n s p h ä n o m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation den ungeplanten organisatorischen Wandel zu einem geplanten Wandel gestalten kann. ▶ Sie müssen verstehen lernen, dass seit den 1940er Jahren bis heute in der Sozialpsychologie das verhaltenswissenschaftliche Gruppen- und Organisationsverhalten „wertfrei“ beschrieben, analysiert und gestaltet werden sollte. Beim Studium der psychologischen Gruppen- und Organisationsgestaltung kommt man aber schnell zu dem Vorwurf der Manipulation von Menschen, Gruppen und Führung. ▶ Sie sollten wissen, dass nur mit dem „Instrument “ der Aktionsforschung, als „wertfreie“ Organisationsentwicklung und Change Management, die Zielfindung der Organisationsgestaltung durch die Mitarbeiter vorgesehen ist, ansonsten kann man nur auf den politisch-rechtlichen Organisationsansatz verweisen. ▶ Sie sollen wissen, dass die moderne verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklung sich mit einer genauen Beschreibung und Erklärung der Gründe für das Scheitern des strukturellen, „Organisatorischen Wandels“, z. B. bei Innovations- und Mergers & Acquisitions-Projekten, auseinandersetzt. Das arbeitspsychologische unternehmenskulturelle und politisch-konfliktorientierte Change- Management können hier weitere Lösungsmechanismen darstellen. Ziel des Kapitels ist es, ein Grundverständnis zur arbeitspsychologischen und verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung zu entwickeln. In diesem Kapitel wird zunächst kurz auf den Inhalt und auf die Merkmale von Organisationen eingegangen, anschließend werden ausgewählte Modelle und deren Aspekte der verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung beschrieben sowie die damit verbundenen Ziele näher untersucht. Verhaltenswissenschaftliches Change Management dient seit den Hawthorne-Studien dazu, den strukturellen Wandel in der Auf bau- und Ablauforganisation zu begleiten, friktionsloser zu gestalten und die Mitarbeiter auch psychologisch mitzunehmen und zu begleiten. Phasen der verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung helfen Widerstände bei den Mitarbeitern, Gruppen und Führungskräften zu begegnen. Abschließend wird auf acht erfolgreiche Schritte im Wandel von Organisationen eingegangen Bilder bzw. Perspektiven zum Organisationsphänomen Zur Erläuterung der Organisationsentwicklung ist es notwendig, sich zunächst noch einmal den Begriff Organisation und den verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven zum Organisationsphänomen anzunähern. | 8.1 ▲ <?page no="225"?> 226 V e r h a lt e n s w I s s e n s c h a f t l I c h e r o r g a n I s at I o n s a n s at z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Der Begriff Organisation existiert seit dem 17. / 18. Jahrhundert im deutschen Sprachgebrauch und ist etymologisch auf das französische Wort ‚Organe‘ zu Deutsch ‚Organ, Werkzeug’ zurückzuführen. „Der ursprünglichen Bedeutung nach ist Organisation also ein Werkzeug zur Erreichung von Zielen“ (Glatz / Graf- Götz 2007, S. 16). Im soziologischen Sinn meint Organisation die Festlegung von Regelungen, die bestimmen, „... wie Menschen, Informationen und Sachmittel zusammenwirken, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen“ (Glatz / Graf-Götz 2007, S. 16). Organisationen sind zweck- und zielgerichtete, offene, umweltabhängige, produktive und soziale Systeme, die jeweils mit einer Verfassung ausgestattet sind (vgl. Glatz / Graf-Götz 2007, S. 16). Im Zentrum dieses Buches steht die Organisation im betriebswirtschaftlichen Sinne, die gestaltet werden soll. In der Betriebswirtschaft beschreibt der Organisationsbegriff den Zusammenhang zwischen Arbeitsteilung einerseits und Kooperation durch Koordination anderseits. Denn nur wenn jeder Einzelne innerhalb der Organisation mit einer gleichen und / oder anderen Teilaufgabe betraut ist, wird ein gemeinschaftliches, unternehmerisches Ziel verfolgt. Daher rührt die Notwendigkeit die Subsysteme auf möglichst sinnvolle Art und Weise als einen ganzheitlichen mechanistischen Organismus, wie eine Maschine, nach Max Webers Bürokratiemodell, zu strukturieren. Jede Organisation hat eine komplexe, eigene Struktur und einen eigenen Prozess Personalentwicklung und Organisationsentwicklung sind bei innovativen Industriebetrieben permanente Prozesse, wenn die Unternehmung als ein offenes, zielgerichtetes, soziotechnisches System verstanden werden möchte. Unternehmen werden hier als offene Systeme bezeichnet, da sie in Austauschbeziehungen mit ihrer Umwelt durch Innovationen stehen, die Ihre Existenz ermöglichen, begründen und fortschreiben. Die aus der Umwelt bezogenen betriebswirtschaftlichen Einsatzfaktoren werden in marktgerechte und absatzfähige Halbbzw. Fertigfabrikate transformiert. Aufgrund der ständigen Änderungen im Verbraucher- und Mitbewerberverhalten ist die Marktsituation auf der Beschaffungs- und Absatzseite für kein Unternehmen konstant. Soziotechnisch bringt zum Ausdruck, dass es sich im Falle der Unternehmung nicht nur um ein vom Menschen unbeeinflusstes rein technisches System handelt. Vielmehr kann die Unternehmung ihre Leistungen (wirtschaftliches Subsystem) im Wirtschaftsprozess nur erbringen, wenn Menschen miteinander (soziales Subsystem) und unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel (technisches Subsystem) zusammenarbeiten (vgl. Goerke 1981, S. 23). Definition ▼ ▲ Personalentwicklung und Organisationsentwicklung <?page no="226"?> 227 b I l d e r b z w . p e r s p e K t I V e n z u m o r g a n I s a t I o n s p h ä n o m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Wer für ein Unternehmen nur das Bild einer Maschine verwendet, das einzelne „… Organisationseinheiten in Form ineinander greifender Zahnräder, die über eine Kraftquelle in Bewegung gebracht, eine bestimmte Arbeitsleistung in einer gleichmäßigen und verlässlichen Form verrichten“ (Glatz / Graf-Götz 2007, S. 22) betrachtet, bei dem spielt Personalentwicklung durch Organisationsentwicklung keine Rolle. Manager mit dieser Sichtweise versuchen mit genauen Tätigkeitsbeschreibungen, Zielvorgaben, Stellenbeschreibungen und Organigrammen die Organisation zum Erfolg zu steuern (vgl. Glatz / Graf-Götz 2007, S. 23). Meist stellt sich unternehmerischer Erfolg nur bei nachträglich erheblich ausgeübten Druck oder besonderen Anstrengungen ein (vgl. Rosenstiel; Nerdinger 2011, S. 435). Das Bild der Organisation als Maschine wurde auf Grund der Folgen der Globalisierung und der rasanten technischen Entwicklung weitestgehend verworfen. Denn um wettbewerbsfähig zu sein, sind innovative Organisationen mit arbeitsfähigen und -willigen Mitarbeitern gefragt. In den Verhaltenswissenschaften werden Organisationen mit einem lebendigen Organismus verglichen, der mit seiner Umwelt in einem lebhaften Austausch steht, Lebensphasen aufweist und der Evolution unterliegt. Für eine erfolgreiche Organisationsentwicklung ist die noch komplexere Metapher des Gehirns von Bedeutung. Sie steht für die Selbst-Lernfähigkeit und Fähigkeit zur Selbstorganisation, für Flexibilität und Beweglichkeit von Organisationen. Eine Organisation wird hierbei nicht nur als informationsverarbeitendes Gehirn begriffen, sondern auch als holografisches System, wobei hier die Neurologie als Grundlage gedient hat. D. h. Fähigkeiten, die vom Ganzen „Organisationsorganismus“ gefordert werden, sind in ihren Teilen enthalten, so dass das System lernt, sich „Selbst“ zu organisieren, um die Funktion des Gesamtsystems aufrecht zu erhalten, selbst wenn bei bestimmten Teilen / Stellen Fehlfunktionen vorkommen oder Funktionen ausfallen (vgl. Glatz / Graf-Götz 2007, S. 24). Wenn die Organisation diesem Bild entspricht, kann die Organisation durch ihre Flexibilität und Beweglichkeit die Permanenz des Wandels durch Innovationen im Wettbewerb erfolgreich bewältigen. Alle relevanten Entscheidungen konzentrieren sich im Organisationsentwicklungsprozess bei der Unternehmensspitze und die Betroffenen werden vor vollendete Tatsachen gestellt. Dies führt in aller Regel bei den Mitarbeitern zu Verunsicherung oder sogar zum destruktiven Widerständen. Merksatz ▼ Info ▼ ▲ Organisationsorganismus <?page no="227"?> 228 V e r h a lt e n s w I s s e n s c h a f t l I c h e r o r g a n I s at I o n s a n s at z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Terminologische Grundlagen zur Organisationsentwicklung respektive Change Management ( → QR-Glossar) Organisationsentwicklung ist eine notwendige Konsequenz aus dem dynamischen Wandel im Wirtschafts- und Technologiebereich von Unternehmen, der immer schneller und komplexer stattfindet (vgl. Becker 2002, S. 420). Innovationen sind als einmalige, auf jeden Fall erstmalige Ergebnisse von einer gegebenen Organisationsstruktur nur schwer zu bewältigen. Industrieunternehmen sind in ihrer Auf bau- und Ablauforganisation auf häufig wiederkehrende Routineprozesse ausgerichtet, die schnell, sicher, zuverlässig, reibungsarm, qualitätsfördern, produktiv und kostengünstig zu bewältigen sind. Deshalb werden Innovationen oftmals als Störenfriede im wohl geordneten Regelwerk empfunden (vgl. Hausschildt / Salomo 2007, S. 46). Vergessen wird nur, dass alte Produkte ihren Lebenszyklus hatten und nicht mehr verkauft werden können, und dadurch auch die Arbeitsplätze der Mitarbeiter gefährdet sind. Nur Innovationen können Umsätze erhalten oder erhöhen, mit der Maßgabe, dass sich Arbeitsplätze verändern, aber die Mitarbeiter zumindest durch den organisatorischen Wandel neue Arbeitsplätze bekommen. Im Hinblick auf die Anpassung des Systems Unternehmung an innovative Veränderungen, wird im Konzept der Organisationsentwicklung die Chance gesehen, das Steuerungspotenzial und die Flexibilität der Organisationen zu sichern und zu erhöhen. Es verwundert deshalb nicht, dass in der Literatur anstatt von Organisationsentwicklung (OE) beispielsweise von Veränderungs-management oder Change Management berichtet wird (vgl. Becker 2002, S. 412 ff.). Der Begriff Organisationsentwicklung wurde vor etwa 60 Jahren im sozialpsychologischen Umfeld kreiert, und zwar als professionelles Instrumentarium zur Gestaltung von Veränderungsprozessen. Die Grundlagen der verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung bilden drei Forschungsmethoden, nämlich die ‚Laboratoriums- 8.2 | Unternehmen versuchen durch Innovationen ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Dabei erfordern Innovationen bisherige organisatorische Routineregelungen abzuschaffen und zu neuen Organisationsregeln zu kommen. Merksatz ▼ „Veränderungsprozesse im Sinne der OE sind dadurch charakterisiert, dass sie organisationsweit, partizipativ, problembezogen und systematisch sind“ (Schmeisser u. a. 2011, S.78). Verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklung ist kein kurzfristiges Krisenmanagement sondern ein umfassender und geplanter arbeitspsychologischer Entwicklungs- und Veränderungsprozess bei den Organisationsmitgliedern, die sich nicht nur technisch sondern auch arbeitsbezogen, wertorientiert und motivationsmäßig auf neue Aufgaben in der Organisation einstellen müssen (vgl. Schmeisser u. a. 2011, S. 78). Merksatz ▼ Change Management <?page no="228"?> 229 t e r m I n o l o g I s c h e g r u n d l a g e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation methode‘, der ‚Survey-feed-back-Ansatz‘ von Kurt Lewin und die Arbeiten des Londoner Tavistock-Institues of Human Relation (vgl. Kraus; Becker- Kolle / Fischer 2006, S. 28), die psychologisch den Organisationsmitgliedern und Gruppenmitgliedern helfen sollen mit Veränderungen besser fertig zu werden. Bei der Laboratriumsmethode geht es um das Verhalten der Mitglieder in der Gruppe, deren Zusammenarbeit bei der Gruppenarbeit, der Gruppendynamik ( → QR-Glossar) und den Gruppenergebnissen. (vgl. Hofstätter 1957, Comelli 1985, S. 53). Die Survey Feedback Methode (Daten-Rückkopplungsmethode) versucht mit Hilfe von Umfragen die Einstellung der Organisationsmitglieder zu Organisationsveränderungen festzustellen. Die Ergebnisse der Umfragen werden nach der Auf bereitung an die Befragten zurückgemeldet. Ziel ist es, dass diese Rückmeldung die Betroffenen aktiviert, selbst Verbesserungsvorschläge zum Veränderungsbedarf zu erarbeiten und diese zu implementieren. Alle drei Methoden ähneln sich in ihrem Grundsatz: die Probleme werden gemeinsam mit den Beteiligten erhoben und ausgehend von diesen Daten und zusätzlichen Hypothesen werden „gemeinsame“ Aktionen zur Veränderung entwickelt (vgl. Comelli 1985, S. 62). Für ein temporäres Projektmanagement und deren Prozessorganisation kann es vorteilhaft sein, sozialpsychologisch zu erfahren, welchen gruppendynamischen Entwicklungsverlauf temporäre Gruppen durchlaufen, wenn die Gruppe kurzfristig von der Fach- und Personalabteilung zusammengestellt werden und nach Erfüllung ihrer Projektaufgabe als Projektgruppe wieder aufgelöst wird. Nach Robbins (2001, S. 267 ff.) kann hier ein FÜNF-PHASEN-MODELL der Gruppenentwicklung beschrieben werden: ▶ „Forming: Das erste Stadium, Forming, ist geprägt von großer Unsicherheit hinsichtlich Zweck, Struktur und Führung der Gruppe. Die Mitglieder erproben, welches Verhalten akzeptabel ist. Diese Phase ist abgeschlossen, wenn die Mitglieder angefangen haben, sich selbst als Bestandteil der Gruppe zu begreifen. ▶ Storming: Das zweite Stadium, Storming, ist von Konflikten innerhalb der Gruppe geprägt. Die Mitglieder akzeptieren die Existenz der Gruppe, wehren sich aber gegen die Schranken, welche die Gruppe ihrer Individualität auferlegt. Außerdem entstehen Konflikte über die Kontrolle der Gruppe. Wenn dieses Stadium abgeschlossen ist, hat sich innerhalb der Gruppe eine relativ eindeutige Führungshierarchie herausgebildet. ▶ Norming: Im dritten Stadium entstehen enge Beziehungen und die Gruppe entwickelt Kohäsion. Nun besteht ein starkes Gefühl der Gruppenidentität und der Kameradschaft. Diese Phase, Norming, ist abgeschlossen, wenn sich die Gruppen- Laboratriumsmethode Info ▼ <?page no="229"?> 230 V e r h a lt e n s w I s s e n s c h a f t l I c h e r o r g a n I s at I o n s a n s at z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation struktur festigt und in der Gruppe gemeinsame Erwartungen entstanden sind, die das richtige Verhalten ihrer Mitglieder definieren. ▶ Performing: Im vierten Stadium, Performing, ist die Struktur funktional und wird von allen Mitgliedern akzeptiert. Nachdem sich die Mitglieder kennen gelernt und verständigt haben, wendet die Gruppe ihre Energie ganz der Aufgabenerfüllung zu. ▶ Adjourning: ( → QR-Glossar) Performing ist das letzte Entwicklungsstadium von ständigen Arbeitsgruppen. Temporäre Ausschüsse, Teams, Projektgruppen und ähnliche Gruppen, die nur begrenzte Aufgaben erfüllen, treten allerdings noch in das Stadium des Adjourning ein. Dabei bereitet die Gruppe ihre Auflösung vor. Oberste Priorität der Gruppe ist nicht länger die optimale Aufgabenerfüllung. Nun geht es um den Abschluss der Tätigkeiten. In dieser Phase reagieren die Gruppenmitglieder unterschiedlich. Manche sind in Hochstimmung und sonnen sich in den Leistungen der Gruppe. Andere sind bedrückt, weil die im Leben der Arbeitsgruppe entstandene Kameradschaft und Freundschaft wieder verloren geht. (Sie aber auch Angst haben, entlassen zu werden, und nicht wieder in die alte Organisationsstruktur zurückintegriert zu werden, der Verf.)“ ( Robbins, 2001, S. 267 f.) Die Organisation und ihre Mitglieder werden aktiviert und befähigt, sich mit den Anforderungen interner und externer Umwelten auseinander zu setzten, die das Unternehmen, deren Produkte und damit ihren bisherigen Arbeitsplatz gefährden. Die Antworten auf die Herausforderungen sollen von den Mitarbeitern selbst erarbeitet und umgesetzt werden (vgl. Kraus; Becker-Kolle; Fischer 2006, S. 28). Damit werden Betroffene zu Beteiligten eines Change Management-Prozesses. Die Planung, Durchführung und Evaluation des Veränderungsprozesses soll für alle Beteiligten transparent gestaltet bzw. von ihnen aktiv mitgestaltet werden, wie z. B. bei der Aktionsforschung (vgl. Schmeisser u. a. 2011, S. 79). Durch diese Transparenz erkennen Arbeitnehmer die Notwendigkeit, ihre Befähigung, ihr Wollen und Können an die auf sie zukommenden Anforderungen rechtzeitig und ausreichend anzupassen (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 3). Voraussetzung dafür ist ein Humanistisches Menschenbild, die Annahme sowohl lernfähiger und lernbereiter Individuen und Gruppen (vgl. Becker 1993, S. 299). Neben den Akteuren sind die Objekte der OE zu nennen, die als institutionelle Rahmenbedingungen die Leistungen und Zusammenarbeit mittels Konflikten und Kommunikationsinstrumenten ebenfalls mitbestimmen. Unter Objekten der OE Das Konzept der OE zielt darauf ab, das vorhandene Mitarbeiter-potenzial in der Organisation zu aktivieren und zu erweitern, um potentielle Widerstände zu erkennen und zu begegnen. Merksatz ▼ ▲ Transparenz <?page no="230"?> 231 t e r m I n o l o g I s c h e g r u n d l a g e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation sind Strukturen, Prozesse, die in formalen und informalen Beziehungen inkorporierte Macht, aber auch Technologie, Strategie, Werte und Werthaltung zu verstehen. Akteure können nur das realisieren, das auch durch Satzungen und Tradition positiv sanktioniert wird (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 1). Als Bindemitglied für Personen, Strukturen und Prozessen kommt der Beziehung eine zentrale Gestaltungsvariabel zu, wie in der Abbildung 80 dargestellt (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 3). Es geht laut Becker und Labucay immer darum, das System als Ganzes indirekt durch Gestaltungsaktivitäten in die Lage zu versetzten, notwendige Korrekturen an Strukturen, Prozessen, Personen und Beziehungen vorzunehmen (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 2). Deshalb definieren Sie OE wie folgt: „Organisationsentwicklung als ganzheitlicher, managementgeleiteter Prozess der Gestaltung und Veränderung von Organisationseinheiten und Organisationen umfasst alle Maßnahmen der direkten und indirekten zielorientierten Beeinflussung von Strukturen, Prozessen, Personen und Beziehungen, die eine Organisation systematisch, realisiert und evaluiert“ (Becker; Labucay 2012, S. 2). Folglich vollzieht sich Organisationsentwicklung von der Mikroebene (Individuen), über die Mesoebene (Gruppen) bis zur Makroebene (Organisation). Organisationsentwicklung ist als integrative Strategie der Veränderung zu verstehen, die alle „…zielbezogenen, strukturalen, prozessualen und personalen Maßnahmen zur Gestaltung, Erhaltung und Erneuerung von Organisationen betrachtet, die eine Organisation systematisch plant, realisiert und evaluiert“ (Becker 2002, S. 418). Merksatz ▼ Systematische Organisationsentwicklung Strukturen Beziehungen Personen Prozesse Planung Realisierung Evaluierung Veränderungsfähigkeit Veränderungsbereitschaft interne Dynamik Dynamik der Unternehmensumwelt | Abb 80 Modell integrierter Organisationsentwicklung (Becker; Labucay 2012, S. 4) Definition ▼ ▲ <?page no="231"?> 232 V e r h a lt e n s w I s s e n s c h a f t l I c h e r o r g a n I s at I o n s a n s at z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Wenn OE rechtzeitig notwendige Anpassungen der Strukturen, Prozesse, Personen und Beziehungen einleitet, können wirtschaftliche Verluste, die Gefährdung von Arbeitsplätzen und im Extremfall die Insolvenz des Unternehmens verhindert werden (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 15). Ausgangsbasis und Zielsetzungen einer Organisationsentwicklung ( → QR-Glossar) Aufgrund des enormen Wettbewerbsdrucks der auf Industrieunternehmen einwirkt, stehen Unternehmen heute vor widersprüchliche Anforderungen. Sie können nicht mehr längere „Auszeiten bzw. Erholungszeiten“ einlegen, in denen bewährte Verfahren lediglich repliziert werden, da Exploration (Erkundung neuen Wissens = Innovation ) und Exploitation (Ausbeutung bewährter Erfolgsmuster = Replikation) sich sequentiell ablösen. Sie sind gefordert gleichzeitig Stabilität und Flexibilität zu bewirken, d. h. Bewährtes beizubehalten und Veränderungen durchzusetzten. Durch diesen enormen Veränderungsdruck werden Unternehmen verstärkt zur ununterbrochenen Erneuerung von Strukturen, Personen, Prozessen und Beziehungen gezwungen (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 17). „Wandel und Stabilität, Veränderungen und Routine, wirtschaftliche Nutzung neuer Ideen und Perpetuierung technischer und organisationaler Standards sind gleichzeitig zu verfolgen“ (Becker; Labucay 2012, S. 19). Erfolgreiche OE trägt mit entsprechenden Maßnahmen und Instrumenten dazu bei, dass diese Dualität gelingt. Ziel ist es eine höhere Toleranz der Organisation gegenüber ‚Überraschungen‘ (z. B. unvorhergesehenen Änderungen der Kundenpräferenzen, Umweltkatastrophen) auf bauen zu können. Dies wird z. B. durch teilautonome Gruppen, Projektmanagement und task groups erreicht (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 19). In der Literatur werden die OE-Ziele oft in institutionelle und individuelle Ziele unterteilt, wie diese in Abbildung 81 vorgestellt sind. In einem harmonieorientieren Modell werden beide Ziele als gleichrangig und interdependent angesehen, die in einem Zielbündel vereinbart werden. Oft werden die individuellen Ziele der Selbstverwirklichung als ‚Mittel zum Zweck‘ oder als eine ‚Umwegproduktion‘ zur Effizienzsteigerung der Organisation betrachtet. Ob mehr Humanisierung zur mehr Leistung führt, lässt sich aber nicht eindeutig beantworten. Im Vordergrund der Ziele stehen die Fähigkeits- 8.3 | Institutionelle Ziele sind die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Organisation, mehr Flexibilität, Veränderungs- und Innovationsbereitschaft. Individuelle Ziele können z. B. die Humanisierung der Arbeit, Möglichkeiten von Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung sein (vgl. Becker 2002, S. 420). Merksatz ▼ <?page no="232"?> 233 p h a s e n d e r o r g a n I s a t I o n s e n t w I c K l u n g Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation potentiale und die Entwicklungsmöglichkeit zu einer „arbeitsfähigen und gesunden“ Organisation. Zielharmonie ist gegeben, wenn die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter ihren sozialen Ansprüchen gerecht wird. (vgl. Becker 2002, S. 421 ff.). Phasen der Organisationsentwicklung Anstehende Veränderungen werden von Menschen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, in verschiedene Richtungen und auf verschiedenen Ebenen bewältigt. Ganz gleich, ob es sich um eine Diagnose einer schweren Krankheit handelt oder die bevorstehende Veränderung am Arbeitsplatz. Dabei verlaufen die Schrittphasen der OE nicht in einem kontinuierlichen Prozess, sondern in einem Zickzack-Verlauf (vgl. Kraus / Becker-Kolle / Fischer 2006, S. 116). Dabei hat sich gezeigt, dass der Wandel in Organisationen sich nach einem bestimmten Muster vollzieht. Diese Phasen können in der Praxis als Orientierung dienen und helfen sich entsprechend auf den Veränderungsprozess vorzubereiten. Kein Phasenmodel kann alle in der Praxis möglicherweise auftretenden Fälle abbilden. Es genügt nie vollständig den Anforderungen eines aktuellen Falles, die permanent für eine gleichgewichtige Entwicklung des ganzen Unternehmens und seiner Teile an die Organisation zu stellen sind. Die folgende Abbildung zeigt einen typischen Verlauf einer Verände- Individuelle Ziele � Humanisierung der Arbeit � Persönlichkeitsentfaltung � Selbstverwirklichung Ziele der Organisationsentwicklung Institutionelle Ziele � Verbesserung der Leistungsfähigkeit � Erhöhung der Flexibilität � Erhöhung der Veränderungs- und � Innovationsbereitschaft | Abb 81 Ziele der Organisationsentwicklung (Becker 2002, S. 421) | 8.4 Grundlage vieler Phasenmodelle bildet immer noch das ‚Urmodell‘ von Kurt Lewin. In ihren Grundzügen widersprechen sich die einzelnen daraus abgeleiteten Modelle nicht, sondern ergänzen sich gegenseitig. Modelle dienen nicht dazu die Wirklichkeit abzubilden, sondern sie reduzieren die Komplexität der Wirklichkeit, um sie besser zu verstehen. Sie helfen die Wechselwirkung nachzuvollziehen, ohne das Unternehmen mit Details zu überfordern und schaffen damit Orientierung (vgl. Schichtel 2010, S.97 ff.). Merksatz ▼ <?page no="233"?> 234 V e r h a lt e n s w I s s e n s c h a f t l I c h e r o r g a n I s at I o n s a n s at z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation rungskurve und die zu erwartenden Reaktionen der von den Wandel Betroffenen (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 9 f.). Nach diesem Modell durchlaufen Veränderungsprojekte acht Phasen. Es wird das Auf und Ab der Organisationsentwicklung und die Veränderungsbereitschaft der Organisation zwischen Passivität und Aktivität dargestellt. Die einzelnen Phasen stellen die typische Abfolge der Reaktionen auf die Ankündigung einer Veränderung dar (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 9). Erste Phase: Unfreezing - Auftauen In der ersten Phase des Wandels, der meist durch Widerstand der Organisationsmitglieder geprägt ist, geht es darum, die bisherigen Vorstellungen und Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder ‚aufzutauen‘, um eine Bereitschaft für Veränderung zu erzeugen. Menschen ziehen prinzipiell Sicherheit, den Komfort und die Kontrolle der Ungewissheit einer Veränderung vor. Durch die Veränderung wird der stabile Zustand bedroht und erzeugt ein Unwohlsein, ein Abenteuer, auf das Menschen tendenziell lieber verzichten (vgl. Schichtel 2010, S.102). Nach dem Modell ist die erste Reaktion auf die Ankündigung einer Veränderung gekennzeichnet durch eine neutrale emotionale Haltung, gefolgt von einem Gefühl der Lähmung und der Hoffnungslosigkeit. „Widerstand kann, insbesondere wenn dieser nicht die Ablehnung konkreter Veränderungsinhalte beinhaltet, in Form von Ignoranz (3), Ärger oder Wut (4) zum Ausdruck kommen“ (Becker; 1. Unfreeze Ziele 2. Change Methoden 3. Refreeze Resultate aktiv passiv Reaktionsablauf Ankündigung der OE- Maßnahme Emotionale Reaktion 3-Phasen- Modell Neutralität Lähmung Hoffnungslosigkeit Widerstand Ignoranz Ärger, Wut Überdenken Passivität, Niedergeschlagenheit Erproben Akzeptanz Zeit 1 2 3 4 5 6 7 8 Abb 82 | Reaktionsspanne über die Dauer eines OE-Prozesses (Reaktionsablauf i. A. a. Verbeek 1998, zitiert n. vgl. Becker; Labucay, 2012, S. 9) Diese werden den drei Phasen ‚Unfreezing‘, ‚Changing‘ und ‚Refreezing‘ von Lewin zugeordnet: Merksatz ▼ <?page no="234"?> 235 p h a s e n d e r o r g a n I s a t I o n s e n t w I c K l u n g Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Labucay 2012, S.10). In dieser Phase ist es von Bedeutung, dass die Ursachen für den Widerspruch und Widerstand (2) durch Organisationsdiagnose (personell, strukturell, prozessual, relational) ermittelt werden. Ziel ist es, die Organisationsmitglieder auf die Veränderung rechtzeitig vorzubereiten und die Organisationsmitglieder von der Notwendigkeit der Veränderung des Wandels zu überzeugen (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 10). Zweite Phase: Changing - Verändern In der zweiten Phase geht es darum den ursprünglichen Organisationszustand neu zu gestalten. Deswegen wird diese Phase oft auch ‚Moving‘ oder ‚Transforming‘ genannt (vgl. Schichtel 2010, S. 102). Gelingt es den Unternehmen in dieser Phase, „… die unverhältnismäßigen, durch Unsicherheit verstärkten, Reaktionen der Mitarbeiter zu überstehen und für die weitere Umsetzung zu nutzen (z. B. durch steigenden Beteiligungsgrad und das Einspeisen von Prozesswissen der Mitarbeiter in späteren Phasen der Veränderung), dann beginnen die Mitarbeiter, ihre Meinung über die alte Arbeitsweise zu überdenken (5) und schrittweise Vorteile und Nutzen der Veränderung zu erkennen“ (Becker; Labucay 2012, S. 10). Diese Haltung ist nicht zwangsläufig von langer Dauer. Die Überzeugtheit bis hin teilweise sogar Veränderungseuphorie können wieder in eine passive, niedergeschlagene Haltung umschlagen (6). Dritte Phase: Refreeze - einfrieren Um dem gegenzusteuern, hat die dritte und letzte Phase das Ziel, den erreichten Wandel dauerhaft zu stabilisieren. Die Organisationsmitglieder nehmen das Unvermeidliche nicht nur hin, sondern erproben, gestalten es aktiv mit und setzten es um (7). Die Veränderungen aus der zweiten Phase werden als neue Norm bzw. Organisationsregel anerkannt und dauerhaft praktiziert (8) (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 10). Die Emotionen, die einer Phase zugeordnet sind, können die Empfindungen des überwiegenden Teils der Betroffenen widerspiegeln. In der Praxis verläuft die Kurve jedes einzelnen Mitarbeiters jedoch individuell. Nicht alle von einer Veränderung Betroffenen empfinden zum selben Zeitpunkt exakt das gleiche Demotivationspotential (vgl. Schichtel 2010, S. 116). Die im Model beschriebenen Ebenen und Phasen sind bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt. Jedes Organisationsmitglied bringt unterschiedliche Befähigungen mit, die ihm im Veränderungsprozess helfen oder hindern können. Neben den Persönlichkeitsaspekten spielen Erfahrungen mit einem organisatorischen Wandel eine ebenso bedeutende Rolle. Mitarbeiter, die beispielsweise schon missglückte Veränderungsprozesse erlebt haben, werden sich schwerer für neue Veränderungsprozesse begeistern lassen (vgl. Kraus; Becker-Kolle; Fischer 2006, S. 119). <?page no="235"?> 236 V e r h a lt e n s w I s s e n s c h a f t l I c h e r o r g a n I s at I o n s a n s at z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Eine Veränderungskurve hat daher viele unterschiedliche Startzeitpunkte. Je früher Betroffene von einer geplanten Veränderung erfahren, desto eher kann die Lernkurve bei den Betroffenen ihren Anfang nehmen. Durch die unterschiedlichen Startzeitpunkte kann es somit zu Phasenüberlagerungen kommen. Die Phasenüberlagerung ist ein ganz normales Phänomen. Beispielsweise ist das Top Management, also die Entscheidungsträger, als erste über die Veränderungen informiert und anschließend dann die Mitarbeiter. Diese Phasenüberlagerungen müssen im Veränderungsprozess bewusst gemacht werden, sonst besteht die Gefahr, dass an den Betroffen vorbeigeredet wird und die Dauer des Widerstandsprozesses unterschätzt wird. Die Gefahr des Auftretens von enormen Widerständen ist beispielsweise bei der Betriebsversammlung zu Betriebsstilllegungen besonders groß. Hier kommen alle Interessengruppen Mitarbeiter, Führungskräfte, Betriebsräte, Gewerkschafter, Unternehmensleitung usw. zusammen, stehen aber inhaltlich und emotional nicht am selben psychologischen Erkenntnisstand der Betroffenheit. Die einen sehen schon ganz klar, wo es für den Betrieb und für sie weitergehen soll, während sich andere noch im Schockzustand des potentiellen Arbeitsplatzverlustes befinden (vgl. Schichtel 2010, S. 115 f.). Bedeutsam ist es daher im Rahmen der verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung die unterschiedlichen Wahrnehmungen derselben Situation und Handlungsbereitschaften durch verschiedene Personengruppen bei Veränderungsprozessen zu analysieren und zu berücksichtigen. Acht Schritte zum erfolgreichen, organisatorischen Wandel Veränderungsprozesse erfolgreich zu praktizieren stellt eine große Herausforderung an Unternehmen dar. Deshalb ist es wichtig, dass der Wandel professionell vorbereitet wird und die Betroffenen frühzeitig eingebunden werden. Erfolgreiche Organisationsentwicklung sollte daher als ‚eigenständiges Projekt‘ im Rahmen der Ablauforganisation angesehen werden. In den letzten 20 Jahren setzte sich immer mehr die Forderung nach ‚permanenter Veränderung‘ durch, damit sich die Mitarbeiter an den Unternehmenswandel durch Mergers and Akquisitionsaktivitäten und durch Innovationen gewöhnen. Dieses permanente Veränderungsmanagement ist von der „einmaligen“ verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung abzugrenzen. OE ist subtiler und nicht direkt mit einem singulären Veränderungsbedarf gekoppelt. Permanente Veränderungsnotwendigkeiten wie ‚Kaizen‘ (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) oder ‚Lernende Organisation‘ in der Ablauforganisation im Veränderungskurve 8.5 | <?page no="236"?> 237 a c h t s c h r I t t e z u m w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Rahmen des Lean-Management tauchen in diesem Zusammenhang als Pendant auf (vgl. Kraus; Becker-Kolle; Fischer 2006, S. 19 f.). Solche stetigen Veränderungen sind dann nicht mehr in Form von einmaligen OE-Projekten zu bewältigen. Es handelt sich formal um im Ablauf logisch aufeinander aufgebauter ingenieurwissenschaftlicher, sozialpsychologischer und soziologischer Phasen. Diese Phasen-Modelle folgen einmal Schritt für Schritt meist eher einem ingenieurwissenschaftlichen Verständnis machbarer Veränderungen. Für die erfolgreiche Umsetzung des Modells, müssen dann alle einzelnen Phasen erfolgreich nacheinander durchlaufen werden (vgl. Becker; Labucay 2012, S. 39). Der Phasen-Aufbau von Cohen (siehe Abbildung 82) zeigt acht Schritte eines erfolgreichen Wandels. Das Auslassen einzelne Zwischenschritte, gefährdet die Fortschritte der nachfolgenden Stufe. Der Prozess ist dennoch nicht immer geradlinig. Es kann vorkommen, dass Phasen gleichzeitig und wiederholt ablaufen. Zum Beispiel die beiden Phasen 1. ‚Schaffung eines Bewusstseins für dringenden Veränderungsbedarf ‘ und Phase 3. ‚Kommunikation der Veränderungsvision‘ werden wiederholt benötigt, um die nötige Energie für den Veränderungsprozess immer wieder zu mobilisieren (vgl. Cohen 2005, S. 5). Durch das Bewusstsein für Phasenmodelle besteht die Möglichkeit bestehende Routinen in Frage zu stellen und bei Bedarf Anpassungen einzuleiten. Der klassische verhaltenswissenschaftliche OE-Wandel ist eine Abfolge von psychologischen und gruppendynamischen Ereignissen und erfolgt auf dem Verständnis des psychologischen Konstrukts Zeit als Spirale. Merksatz ▼ Implementing and sustaining the change Umsetzung und Absicherung der Veränderung Engaging and enabling the whole organization Einbezug und Befähigung der gesamten Organisation Creating a climate for change Veränderungsklima 8. Make it stick: Für Nachhaltigkeit sorgen 7. Don’t let up: Nicht nachlassen 6. Create short-term wins: Kurzfristige Erfolge ermöglichen 5. Enable action: Umsetzung ermöglichen 4. Communicate for buy-in: Kommunikation zur Gewinnung von Unterstützung 3. Get the vision right: Vermitteln der Vision 2. Build guiding teams: Bildung von Modell-Teams 1. Increase urgency: Dringlichkeit verdeutlichen | Abb 83 Acht Schritte zum erfolgreichen Wandel (vgl. Cohen 2005, S. 3) <?page no="237"?> 238 V e r h a lt e n s w I s s e n s c h a f t l I c h e r o r g a n I s at I o n s a n s at z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Im Folgenden werden die einzelnen Phasen kurz erläutert. Bei einem Veränderungsbedarf ist es in einem ersten Schritt notwendig ein Gefühl von Veränderungen zu erzeugen, indem der Wandlungsbedarf aufgezeigt wird, der Sinn für alle Beteiligten stiftet. Je klarer und stärker der Sinn für die Veränderung erkannt wird, desto stärker sind die Mitarbeiter engagiert und motiviert (vgl. Kraus; Becker-Kolle; Fischer 2006, S. 128). Ziel des zweiten Schrittes ist es, geeignete Schlüsselpersonen als Wandlungsträger zu mobilisieren (vgl. Cohen 2005, S. 3). Nur wenn sich eine bestimmte Gruppe an Mitarbeitern stark macht, haben Veränderungsprozesse die Chance zu gelingen. Durch ein richtungsweisendes Team mit dem Potenzial können die notwendigen Visionen (Schritt 3) im Sinne eines Wandlungskonzeptes entwickelt werden, die weit reichend kommuniziert werden können und somit eine Vielzahl von Mitarbeitern dazu bestärken, sich an den Aktionen zu beteiligen. Die Vision hilft, Widerstände zu brechen und die Richtung der Veränderungen anzuzeigen. Dies geschieht im Schritt vier. Eine Vision kann nur erfolgreich sein, wenn sie alle beteiligten Personen erreicht, von ihnen verstanden und gelebt wird. Im fünften Schritt geht es darum organisationale Voraussetzungen für die Umsetzung des Konzeptes zu schaffen, um Barrieren / Widerstände zu überwinden. Beispielsweise können formale Strukturen das Handeln verzögern oder es schwierig machen. Diese Barrieren halten viele Mitarbeiter davon ab, die notwendigen Veränderungen zu realisieren. Der sechste Schritt soll durch das Aufzeigen von kurzfristigen Erfolgen Belege schaffen, um die Effektivität der Maßnahmen darzustellen. Damit lassen sich skeptische Mitarbeiter von dem richtigen Kurs der Veränderung überzeugen und ihre Motivation aufrechterhalten Im siebten Schritt müssen die Vorteile abgesichert werden und die Veränderung weiter vorangetrieben werden. So wird ein Stillstand verhindert. Im letzten Schritt sollen die neuen Ansätze und Maßnahmen in der Unternehmenskultur verankert werden. Die erzielten Ergebnisse sollten abschließend evaluiert und der Zusammenhang zwischen dem Unternehmenserfolg klar herausgestellt werden (vgl. Kraus; Becker-Kolle; Fischer 2006, S. 130 ff.). 1 Worin unterscheidet sich der organisatorische Wandel von den Formen der Organisationsentwicklung bzw. des Change Managements? 2 Welche Anlässe und Ziele des verhaltenswissenschaftlichen Change Managements kennen Sie? 3 Beschreiben Sie das Fünf-Phasen-Modell der Gruppenentwicklung. Wandlungsträger Vision Fragen ▼ <?page no="238"?> 239 a c h t s c h r I t t e z u m w a n d e l Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 4 Beschreiben Sie grundsätzlich die Phasen der Organisationsentwicklung nach Becker / Labucay. 5 Beschreiben Sie das Modell von Lewin ausführlich. 6 Beschreiben Sie das Modell der acht Schritte für einen erfolgreichen und organisatorischen Wandel. Die Antworten finden Sie auf unserer Web-Service-Seite zum Buch. Internetquellen m andl , c. (1995): PPS und die lernende Organisation, URL: http: / / www.mlp.co.at/ fileadmin/ artikel/ PPS_lernendeOrg.pdf, Abruf am: 19. 05. 2013. ▲ B ecKer , m. (1993): Personalentwicklung. Die personalwirtschaftliche Herausforderung der Zukunft. Bad Homburg vor der Höhe: Verlag für Unternehmensführung Gehlen. B ecKer , m. (2002): Personalentwicklung. Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis. 3., überarb. und erw. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. B ecKer , m. u. l aBucay , i. (2012): Organisationsentwicklung. Konzepte, Methoden und Instrumente für ein modernes Change Management. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. c ohen , d. S. (2005): The heart of change field guide. Tolls and tactics for leading change in your organization. Bosten / Mass. c omelli , G. (1985): Training als Beitrag zur Organisationsentwicklung. München: Hanser Verlag. G latz , h. u. G raf -G ötz , f. (2007): Handbuch Organisation gestalten. Für Praktiker aus Profit- und Non-Profit-Unternehmen, Trainer und Berater. Weinheim / Basel: Beltz Verlag. G oerKe , W. (1981): Organisationsentwicklung als ganzheitliche Innovationsstrategie. Berlin / New York: de Gruyter. h auSchildt , J. u. S alomo , S. (2007): Innovationsmanagement, 4., erg. und aktualis. Aufl. Stuttgart: Vahlen. h ofStätter , p eter r. (1957): Gruppendynamik. Kritik der Massenpsychologie. Rowohlt-Verlag, Hamburg K rauS , G., B ecKer -K olle , c. u. f iScher , t. (2006): Handbuch Changemanagement. Steuerung von Veränderungsprozessen in Organisationen, Einflussfaktoren und Beteiligte, Konzepte, Instrumente und Methoden. 2. Aufl. Berlin: Cornelsen Verlag. r oBBinS , S tephen p. (2001): Organisation der Unternehmung, 9. Aufl., Pearson Verlag, München S chichtel , a. (2010): Change Management für Dummies. 1. Aufl. Weinheim: Wiley-Vch Verlag. S chmeiSSer , W. u. a. (2011): Modelle zur Humankapitalbewertung. Im Vergleich zum Berliner Humankapitalbewerungsmodell. In: Hummel, T. R. [Hrsg.] Schriften zum Internationalen Management. 2. Aufl. Mering: Rainer Hampp Verlag. r oSenStiel , l. Von u. n erdinGer , f. W. (2011): Grundlagen der Organisationsentwicklung. Basiswissen und Anwendungshinweise. 7. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. V erBeeK , t. (1998): Service product communications management. Veldhoven. Literatur <?page no="239"?> 240 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollten lernen, dass die klassischen, politischen Philosophien eine „gottgewollte Organisationsspitze“ voraussetzen, die selbst nicht mehr zu begründen und zu hinterfragen ist. In einer „autoritären“ Gesellschaft ist dies der König. In der betrieblichen Organisation geht man vom Unternehmer aus, wie dies auch das bürgerliche und das handelsrechtliche Gesetzbuch vorsehen. Der klassische rechtlichpolitische Ansatz möchte den Unternehmer, im Sinne des Gesellschaftsrechts, z. B. BGB, HGB, Aktiengesetz etc., Souveränität, Macht und Herrschaft in der Aufbauorganisation verleihen. Die klassische Lehrmeinung in den Rechtswissenschaften und der Betriebswirtschaft setzt den monarchisch agierenden Unternehmer als gegeben voraus, den sich die Mitarbeiter unterzuordnen haben. Der Unternehmer darf Recht sprechen, d. h. hier Unternehmens- und Organisationsregeln erlassen, um sein Direktionsrecht und seine unternehmerischen Ziele durchzusetzen. Grundsätzliches zum rechtlichpolitischen Organisationsansatz ( → QR-Glossar) 9 | Inhalt 9.1 Ziele, Macht, Konflikte und die Suche nach einem Konsens in der Organisation 9.2 Zum govermentalen Politikansatz bzw. „Politik der innovativen Organisationsgestaltung“ 9.3 Zum normativen Politikansatz bzw. zur Zielsetzungskonzeption in Organisationen 9.4 Zum konfliktorientierten Politikansatz: Strategien und Taktiken zur Zieldurchsetzungskonzeption und zur Zielsicherung von Organisations- und Koalitionszielen 9.5 Folgerungen und Konsequenzen aus dem politischen Ansatz für das organisatorische Innovationsverhalten in Unternehmen Lernziele ▼ <?page no="240"?> 241 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Es verwundert deshalb nicht, dass in den letzten 60 Jahren Themen wie Gerechtigkeit, Freiheit und Gemeinschaft in die politische Philosophie demokratischer Gesellschaften und der Organisationstheorie hervorgetreten sind, die bei Machiavelli (Der Zweck rechtfertigt die Mittel) und Max Weber (Bürokratiemodell mit legitimer, charismatischer oder herrschaftsbezogener Führung) noch keine Bedeutung hatten. ▶ Sie sollten lernen, dass die politischen Organisationsansätze Themen zu einer gerechten, freien, nicht „monarchistischen“ bzw. paternalistischen sondern mitbestimmten und guten unternehmerischen, institutionellen Organisation behandeln. Fragen dazu sind die Wahl nach einer adäquaten Rechtsform und einer guten Unternehmensführung im Sinne eines Corporate Governance-Ansatzes. ▶ Hintergrund sind mehrere Überlegungen zur moralischen Gleichheit im Rahmen der Gerechtigkeitstheorie, nämlich dass niemand grundsätzlich dem Willen anderer unterworfen ist, und das niemand als Eigentum (Sklave) oder Untertan eines anderen auf die Welt gekommen ist. Wir sind alle frei und gleich geboren, und sollten in keiner Gesellschaft oder Organisation „entfremdet “, unterdrückt oder ausgebeutet werden. ▶ Doch was spricht für Teamarbeit und Organisation aus politischer Organisationssicht? Eine politische Organisationsanalyse muss menschliches Wohl oder Nutzen nachweisen können, um ein Change Management bzw. Organisationswandel durch die Mitarbeiter einer Organisation zu erhalten. Die Organisationsanweisung durch die Unternehmensleitung und das Management einen gemeinsamen Organisationszweck zu erzielen, muss eine Maximierung eines bestimmten Nutzens garantieren, die jeder Person und jedem Team bei der Verteilung der Wertschöpfung und des Gewinns den gleichgewichtigen Anteil zugesteht. ▶ Die Utilitaristen fordern einfach, wie in der mikroökonomischen Marktlehre beschrieben, dass das Streben nach menschlichen Wohl oder Nutzen durch Angebote und Nachfrage für jedes Mitglied der Gesellschaft erfolgen soll. Der Kommunitarismus fordert den altruistische Gemeinschaftssinn in der Organisation, da der homo oeconomicus egoistisch allein nie Autos erforschen, entwickeln, produzieren, verkaufen und verwalten kann. Nur gemeinschaftlich schaffen alle Organisationsmitglieder die Verwirklichung eines Unternehmenszweckes, wie „Autos herstellen und verkaufen“. Beim unternehmerischen Erfolg, kann man dann den erzielten unternehmerischen Nutzen durch ein entsprechendes Entgeltmanagementsystem auf die Organisationsmitglieder gerecht verteilen. Organisationsmitglieder erkennen die Ansprüche anderer am Gewinn an, da nur eine gemeinsame Vision, Strategie und Unternehmenskultur gleiche Wertvorstellungen, Normen, Ziele der Unternehmung mit der Identifikation mit einer Politik des Gemeinwohls verbunden ist. ▶ Ein Unternehmen kann man, nach dem politischen Organisationsansatz, als eine gewisse Auswahl von Bedürfnisse, Interessen, Wünschen und Anliegen von Organisationsmitgliedern ansehen, die sich trotz differenzierender Interessen und <?page no="241"?> 242 r e c h t l I c h p o l I t I s c h e r o r g a n I s a t I o n s a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Zielen, unter einen gemeinsamen Zweck subsumieren, um den Ideal kooperativer, kreativer und produktiver Tätigkeiten nachzugehen, ganz im Sinne des strukturellen Organisationsansatzes. ▶ Konflikte und Konfliktlösungen wie ethische Grundsätze und Regeln, Organisationsvereinbarungen und Betriebsvereinbarungen, Verhandlungen, Streik, Tarifvertrag und Mediation gehören zum Instrumentenmix des politischen Ansatzes. ▶ Bei Innovationen existieren Konfliktlösungsmechanismen in Matrix- und Tensororganisation mit einer Kombination dynamischer Verrechnungs- und Transferpreisen, wenn klassische Organisationsanalysen und Optionen der Organisationsgestaltung der Primär- und Sekundärorganisation nicht mehr greifen. Begleiterscheinungen bei Organisation mittels politischen Change Management können Mobbing und Burn Outs bei den Mitarbeitern sein, organisatorische Phänomene, die der verhaltenswissenschaftliche Organisationsansatz thematisiert. ▶ Bei marktwirtschaftlich geprägten Formen der Matrixorganisation mit Transferpreisen, ist das Konfliktmanagement in die strukturelle Organisation zu implementieren, um z. B. den Shareholder Value zu steigern und Verteilungsprobleme bei Ressourcenineffizienz zu lösen. Ziele, Macht, Konflikte und die Suche nach einem Konsens in der Organisation Im politischen Ansatz wird von einer gegebenen, „lebendigen“ Organisation ausgegangen. Die Individuen oder Abteilungen / Teams werden als interne oder externe Satellitengruppen oder Koalitionen angesehen, die z. B. bei Innovationen im Unternehmen verschiedenartigste Interessen verfolgen. Herkömmliche Ansichten, die unterstellen, dass Organisationen klare, übereinstimmende, formal-rational abgeleitete Ziele haben, die von denjenigen Personen festgelegt werden, die über eine entsprechende gesellschaftsrechtliche und unternehmensverfassungsrechtliche Autorität verfügen, wie die Unternehmensleitung finden bei politischen Organisationsprozessen keine Entsprechung. 68 Die Vertreter der politischen Theorie gehen vielmehr davon aus, dass Organisationen Koalitionen mit divergierenden Interessen sind, die sich jeweils mit der Verlagerung des Machtgleichgewichts verändern werden. Da die Ziele erst durch das Handeln und Verhalten der Organisationsmitglieder mit der Absicht, eigene Vorteile z. B. durch Innovationen zu erhal- 68 Vgl. Rowe / Mason / Dickel 1982, S. 61; Ulrich / Fluri 1984, S. 15 ff. ▲ 9.1 | politische Theorie <?page no="242"?> 243 K o n s e n s I n e I n e r o r g a n I s a t I o n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ten, in einen politischen Prozess eingebracht werden, gibt es keine rationalen Ziele, die durch die Autoritätspersonen vorgegeben werden und gleichzeitig dem Allgemeinwohl der Organisation dienen. Für die Zielfindung, die Entscheidungsbeeinflussung des politischen Kernorgans im Unternehmen und die Zieldurchsetzung ist maßgebend, wie viel „Macht Organisationsmitglieder“ oder die Gruppe als Koalition gegenüber anderen „Parteien“ in der Organisation haben, um ihre Interessen durchzusetzen. Die stärkere Partei wird ihre Ziele daher besser durchsetzen können und das „Gleichgewicht der Macht“ der Koalitionen neu bestimmen. 69 Fünf Voraussetzungen (Prämissen) kennzeichnen den politischen Ansatz und damit die Interessen(-kollisionen) in Organisationen: 70 1) Die meisten relevanten Entscheidungen in einer Organisation betreffen die Zuteilung knapper Ressourcen auf Divisionen, Funktionen, Abteilungen und Personen (bzw. Koalitionen) und / oder Innovationsvorhaben (d. h. Entwicklung neuer Geschäfte). 2) In Organisationen gibt es Koalitionen, die sich aus Individuen mit ähnlichen Interessen und / oder Interessengruppen zusammensetzen. 3) Individuen und Interessengruppen unterscheiden sich machtbezogen u. a. in ihrer Bedeutung, in ihren Präferenzen, in der wahrgenommenen Information über die organisatorische Realität und in ihren Interessensperspektiven. 4) Organisatorische Ziele ( → QR-Glossar) und Entscheidungen entstehen aus politischen Prozessen des Handelns und Verhaltens der Mitglieder und Koalitionen, der Konflikte und deren Bewältigung zwischen den Koalitionen sowie aufgrund der vorhandenen knappen Ressourcen. 5) Interessendivergenzen sind demnach ein zentrales Merkmal der Organisation, die nur durch ein zu erreichendes Machtgleichgewicht zu überbrücken sind. Folgerichtig werden Organisationen nach Cyert und March 71 und Baldridge 72 als eine Gesamtheit von Koalitionen verschiedener Individuen und Interessengruppen verstanden. Gleichzeitig gibt das Koalitionsmodell von Cyert und March einen Erklärungsansatz ab, wie Ziele in der Unternehmung in einem Zielbildungsprozess gewonnen werden. 69 Vgl. Pfohl / Braun 1961, S. 23 ff., S. 288 ff., S. 457 ff., S. 474 ff.; Kirch 1968, S. 153. ff.; Fischer 1989, S. 112 ff. 70 Vgl. Bolmann / Deal 1987, S. 109. 71 Vgl. Cyert / March 1963, S. 23 ff. 72 Vgl. Baldridge 1971, S. 61 ff. Info ▼ ▲ <?page no="243"?> 244 r e c h t l I c h p o l I t I s c h e r o r g a n I s a t I o n s a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Als Koalitionsmitglieder kommen alle Personen und Personengruppen in Frage, die ein Interesse am Unternehmen haben und in ihr ein Instrument der persönlichen Zielerreichung sehen. Das sind nicht nur die im Unternehmen arbeitenden Personen wie Unternehmer, Manager und Mitarbeiter, sondern auch Unternehmenssexterne wie Kunden, Banken, Lieferanten, Gewerkschaften und, insbesondere bei Großunternehmen, der Staat und die „öffentliche Meinung“. Cyert und March bezeichnen sie als „interne und externe“ Koalitionsmitglieder. Den Zielbildungsprozess gestalten nur die aktiven Koalitionsteilnehmer, die passiven Mitglieder nehmen daran nicht teil, sondern richten ihr Verhalten an den ausgehandelten Zielen aus. Der Zielbildungsprozess stellt sich als umfassender Verhandlungsprozess dar, weil aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen bzw. Zielvorstellungen Konflikte entstehen, die zwar nicht lösbar sind, aber immerhin zu Quasi-Lösungen führen. Nach Cyert und March sind die Unternehmen trotz Inkonsistenz des Zielsystems handlungsfähig, da die Realisierung der Einzelziele nicht gleichzeitig, sondern nacheinander angestrebt wird und heute u. a. durch Wirtschaftsmediation gelöst werden können. Kirsch 73 weist darauf hin, dass sich die Mitglieder einer Organisation im Laufe des Aushandlungsprozesses auf einheitliche „Ziele der Unternehmung“ einigen können; die ausgehandelten Ziele werden dann als inhaltlicher Ausdruck der „Systemrationalität“ der Organisation bzw. der beschlossenen Unternehmenspolitik des Vorstandes angesehen. Diese Aushandlungsprozesse finden im „Politischen System“ der Unternehmung statt. Die Unternehmensleitung - als legitimes Kernorgan des Politischen Systems - „produziert“ bzw. verabschiedet autorisierte Entscheidungen nach den Aushandlungsprozessen über die „Ziele der Organisation“. Dies stimuliert bei den externen und internen Koalitionsmitgliedern bzw. Satellitengruppen (Bezugsgruppen der Unternehmung) des Politischen Systems entweder (neue) abweichende Forderungen in Form von „Zielen für die Organisation“ und damit für ihre Interessen oder Unterstützung bezüglich der getroffenen Zielentscheidung der Organisation. 73 Vgl. Kirsch 1971, Bd. 3, S. 121 ff. Cyert und March definieren die Unternehmung als eine „Koalition von Individuen“, von denen einige Unterkoalitionen bilden können. Definition ▼ Nach dem Koaltions-Ansatz verfügt die „Koalition“ Unternehmung nicht von vornherein über ein allgemein akzeptiertes Zielsystem. Vielmehr bringen die Individuen ihre persönlichen Zielvorstellungen in den Zielbildungsprozess ein und handeln allgemein akzeptierbare unternehmerische Ziele aus. Merksatz ▼ Zielbildungsprozess legitimes Kernorgan <?page no="244"?> 245 z u m g o V e r m e n t a l e n p o l I t I K a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Welche Forderungen bei den Entscheidungen erfüllt werden und damit für die „Zukunft“ in Unterstützung transformiert werden, ist abhängig von der Machtverteilung. Das von Cohen / March und March / Olsen 74 entwickelte „Carbage Can Model of Organizational Choice“, auch als Mülleimer-Entscheidungsprozess- Modell bekannt, zielt auf eine ähnliche nichtrationale Zielbildung im Unternehmen ab. Man geht dabei davon aus, dass das „Mülleimer Entscheidungsprozess-Modell“ in jeder Organisation zur Verfügung steht, sei es, dass es durch eine Verfassung vorgeschrieben wird, sei es, dass es ad hoc geschaffen wird und dann wieder verschwindet, je nach Machtkonstellation der Koalitionen. Jede Entscheidungsarena (Besprechung, Informationssitzung, Planungsgruppe etc.) kann als „Mülleimer“ (garbage can) aufgefasst werden. Die Teilnehmer an solchen Entscheidungsgelegenheiten werfen die unterschiedlichsten Probleme und damit „innovative Zielsetzungen für die Organisation“ auf und schlagen diverse Lösungsmöglichkeiten vor. Demnach ist Innovation im Unternehmen mehr oder weniger zufällig und von den aktuellen Machtkonstellationen abhängig. Zum govermentalen Politikansatz bzw. „Politik der innovativen Organisationsgestaltung“ Unter Organisationsplanung kann man die Gestaltung und Strukturierung von Organisationen im Sinne des „Strukturellen Organisationsansatzes“ verstehen, 75 wobei Prinzipien und Anweisungsempfehlungen des strukturalistischen Ansatzes (auch klassische, administrative, rationalistische oder traditionelle Organisationstheorien 76 genannt) am meisten Berücksichtigung finden. Der derzeit bekannteste Ansatz dieser Art ist die Kontingenztheorie. 77 Sie geht davon aus, dass es keinen besten Weg gibt, eine Organisation aufzubauen. Abhängige und unabhängige Variable bedingen sich in einer situativen Konstellation. Die „optimale“ Struktur ist kontingenttheoretisch abhängig von der Aufgabenstellung und der Umgebung (Umwelt bzw. Situation) der Organisation. Alle Ansätze der Kontingenztheorie 74 Vgl. Cohen / March 1974, S. 81 ff. und March / Olsen 1979, S. 24 ff. 75 Vgl. Krüger 1983, S. 13 ff. 76 Vgl. Hoffmann 1976, S. 70 ff.; Staehle 1985, S. 8 ff.; Welge 1987, S. 1 ff. 77 Vgl. Ulrich / Fluri 1984, S. 19 ff.; Staehle 1985, S. 493 ff.; Welge 1987, S. 76 ff. | 9.2 Definition ▼ ▲ Carbage Can Model of Organizational Choice <?page no="245"?> 246 r e c h t l I c h p o l I t I s c h e r o r g a n I s a t I o n s a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation sehen die „richtige“ Struktur dort im Unternehmen gegeben, wo das situative „Fit“, d. h. die Ziele der Organisation am besten erfüllt werden. Nimmt man bei den situativen Ansätzen das Gedankengut des Human-Ressources- Ansatzes mit auf, so müssen zwei weitere Prämissen hervorgehoben werden, die die politischen Ansätze negieren: 1) Ein Unabhängigkeitsmodell, das annimmt, dass die Gruppenmitglieder keinen Einfluss aufeinander ausüben, und 2) ein Rationalitätsmodell, das voraussetzt, dass alle Gruppenmitglieder stets eine demonstrierbar „richtige“ Lösung aus Sicht des politischen Kernorgans akzeptieren werden. Beide Prämissen lassen sich empirisch und damit praktisch nicht einlösen, und führen damit den Kontingenzansatz ad absurdum. Ein weiterer „fruchtbarer Ansatz“ als Pendent zum strukturalistischen Ansatzes der Organisationsplanung ist die Zufallstheorie (Spieltheorie) oder der ungeplante organisatorische Wandel 78 eines Change Managements. „Gewachsene Organisationsstrukturen sind Zufallsprodukte“, die auch die Prämissen des politischen Ansatzes wieder in Frage stellt. Daher muss die Struktur einer Organisation den gegebenen Verhältnissen politischen Situationen angepasst werden, mögen diese ungeplant oder geplant sein. Kontingenz tritt dabei aber niemals auf, was den „Kontingenzansatz der Organisationstheorie“ von Lawrence and Lorsch (1969), Fiedlersches Kontingenzmodell, Kieser / Kubicek (1992) der letzten 40 Jahre ebenfalls ad absurdum erklärt. Es handelt sich hier um eine Sackgasse der Organisationsforschung. Bereits Pfeffer 80 stellt die absolute Gültigkeit situativer, rationaler Aspekte bei der Organisationsplanung stark in Frage und schlägt ein politisches Konzept als Alternative vor. Für Pfeffer müssen Organisationen als Koalitionsbünde aufgefasst werden, wobei es dabei relevant ist, zu klären, wel- 78 Vgl. Bennis 1975, S. 82 ff.: Kirsch / Esser / Gabele 1979, S. 6 ff. 79 Vgl. Chandler 1962, S. 15 ff. 80 Vgl. Pfeffer 1978, S. 3 ff. Info ▼ ▲ Die Hypothese der Spieltheorie besagt, dass die Struktur, mit der am besten die Ziele einer Organisation verwirklicht werden können, die geeignete ist. Diese mehr tautologische Aussage ist nur begrenzt mit Chandlers 75 veröffentlichter Studie vereinbar, dass Organisationsstrukturen der Primärorganisation den Strategien (hier politischen Zielen) folgen. Merksatz ▼ Zufallstheorie <?page no="246"?> 247 z u m g o V e r m e n t a l e n p o l I t I K a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation che Präferenzen durch die Organisation erfüllt werden sollen. Die Anreiz- Beitrags-Theorie postuliert hier ein subjektives Gleichgewicht zwischen Individuum und Organisation, das auch gestört werden kann, blendet aber den Machtaspekt aus. Auch wird durch die verhaltenswissenschaftliche Anreiz-Beitrags-Theorie nicht beschrieben, wie Präferenzen, Ziele, Wertvorstellungen etc. in die unternehmerische Zielbildung (z. B. neues Geschäft, Innovation) gebildet und eingebracht werden; formal löst dies erst das Koalitionsmodell. Pfeffer 81 Man konstatiert deshalb, dass durch unterschiedliche Gruppen in einer Organisation auch unterschiedliche Interessen (Rationalisierungs-, Qualifikations-, Gehalts-, Status-, Zinsinteresse etc.) gegeben sind. Ähnliche Interessen, die daneben auch existieren können, vermeiden lang andauernde Konflikte; so stimmen die Gruppen z. B. auch Möglichkeiten der Machtaufteilung zu. Strukturen von Organisationen sind dann nichts anderes als das Ergebnis eines „Kampfes“ bzw. vorläufig erzielten „Gleichgewichts“ der Gruppen um Macht und Ressourcen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ähnlich sieht dies auch Blau, 82 wenn er die Meinung vertritt, dass Macht dann entsteht, wenn Austauschprozesse (wie bei der Anreiz-Beitrags-Theorie) dauerhaft ins Ungleichgewicht geraten - also positiv bewertete Mittel der Bedürfnisbefriedigung der Mitarbeiter oder Zielerreichungsaspekte der Unternehmung. Pfeffer 83 sagt damit zwar nicht, dass die Effizienz niemals für den Entwurf einer Primärorganisation relevant sein kann. Vielmehr kann die Effizienz, z. B. Return-on-Investmentanalysen beim Lean-Management in der Automobilindustrie, die Entscheidungsentstehung von Strukturen in der Primärorganisation dominieren. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass sich die Spitzengruppen im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft mehr um ihre eigenen Interessen, d. h. die Festigung der eigenen Positionen und des erreichten Status kümmern, als um die Effektivität der Organisation. Mit der damit einhergehenden „Bürokratisierung“ hören die Effizienz und die Flexibilität für Innovationen in der Organisation auf, als hauptsächliches Organisationsziel zu dienen. Nun bedarf es z. B. eines „politischen Impulses“ um einen organisatorischen Wandel in der Primärorganisation und ein Change Management auszulösen, wie beispielweise das organisatorische Konzept des Intrapreneurships mit einem innovativen Geschäftsfeld, um innovatives Verhalten in der bisherigen bürokratischen Unternehmensorganisation „neu zu implementieren“ und damit die Unternehmung wettbewerbsfähiger zu machen. 81 Vgl. Pfeffer 1981, S. 27 ff. 82 Vgl. Blau 1963, S. 18 ff. 83 Pfeffer 1981, S. 22 ff. Anreiz-Beitrags-Theorie <?page no="247"?> 248 r e c h t l I c h p o l I t I s c h e r o r g a n I s a t I o n s a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Der politische Ansatz sieht deshalb den Konflikt von Eigeninteresse, Gemeinwohl und Macht als grundsätzlichen Prozess der Veränderungen in einer Organisation positiv an. Ein bedeutsamer Wechsel der verabschiedeten Unternehmenszwecke und Strategien und damit der Ziele innerhalb einer Organisation ist demnach nur durch einen Machtwechsel in der Unternehmensspitze möglich. Im Sinne des organisatorischen Wandels ( → QR-Glossar) bedeutet dies zwei Hypothesen: 1) Organisationen verändern sich stetig bzw. evolutionär oder 2) Organisationen verändern sich niemals (Bürokratie). Es gibt nur Organisationsentwicklung und Organisations wandel im Sinne eines evolutionären Modells (Hypothese 1) für eine Unternehmung, durch einen ständigen Kampf um Positionen in der obersten Organisationsspitze, die durch Innovationen neu zu bestimmen sind, um damit Macht zu erwerben und um etwas verändern zu können. Die Intensität des Konflikts wird mit unterschiedlichen Formen der mobilisierten Macht ausgetragen. Extrema eines Kontinuums bei der Differenzierung in Autoritäten (bzw. „Machtlose“, sofern man dies überhaupt absolut sagen kann) beinhalten zwei grundsätzliche mögliche Veränderungsformen: 84 a) den Wechsel der Macht von unten nach oben (Buttom-Up-Ansatz) b) den Wechsel der Macht von oben nach unten (Top-Down-Ansatz) zu a): Seit dem 19. Jahrhundert kämpfen Belegschaften, Gewerkschaften und Betriebsräte in den Industriestaaten um die Existenz ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten bei der Einführung von Innovationen durch Rationalisierungsschutzabkommen und geforderte Weiterbildung im Betrieb. Sie stellen für Mitarbeiter und Gewerkschafter machtvolle Mittel dar, um Innovationen mit neuen Qualifikationen begegnen zu können. Beispiele für externe Satellitengruppen oder Koalitionen sind Bürgerinitiativen, Konsumentenzentrale des Staates in Deutschland und der Konsumerismus in Amerika. Ein weiteres Beispiel ist der „Arbeitnehmer-Erfinder“, der als Forschungsingenieur in einem Großunternehmen von unten ein neues Geschäft der bürokratischen Organisation als „Fachpromoter“ vermitteln möchte. 84 Auf differenzierte Strategien sei auf die Literatur zum Management des geplanten organisatorischen Wandels verwiesen. Vgl. Kirsch / Esser / Gabele 1979, S. 174 ff.; Hanak 1982, S. 59 ff. und S. 130 ff. Info ▼ ▲ Konflikt von Eigeninteresse, Gemeinwohl und Macht Veränderungsformen <?page no="248"?> 249 z u m n o r m a t I V e n p o l I t I K a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation zu b): Der Top-down-Ansatz geht davon aus, dass „Autoritätspersonen“ als Machtpromotoren die Relevanz der Erfindung zur Innovation erkennen, also das Top-Management, und ihren Untergebenen Änderungen akzeptabel vermitteln können. Konzepte, die eine Stimulierung des „Entrepreneurspirit“ im Sinne von Schumpeter und dessen Verankerung im Denken und Handeln der Mitarbeiter im Unternehmen anstreben, sind in diesem Zusammenhang zu nennen, auch wenn sie neuerdings unter den Stichwörtern „Intrapreneurship“ und „New Venture-Management“ diskutiert werden. Damit wird eine erfolgreiche Regeneration oder Revitalisierung des bürokratischen Unternehmens beabsichtigt bzw. muss als Prämisse zugrunde gelegt werden. Aber auch externe Satellitengruppen wie Banken, die in Aufsichtsräten durch ihre Mitglieder andere Machtverhältnisse in Unternehmen schaffen, initiieren Veränderungen, denkt man nur an Fusionen und Akquisitionen und die daraus erwachsenen Folgen für die zukünftige Organisations- und Führungsstruktur des neuen Konzernunternehmens. Zum normativen Politikansatz bzw. zur Zielsetzungskonzeption in Organisationen In der Betriebswirtschaftslehre war die Zielfindungs- und Zielsetzungsproblematik lange Zeit kein wirkliches Problem, da die „vorgefundene“ Zielsetzung „Gewinnmaximierung“ in der Regel aus dem übergreifenden marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungszusammenhang abgeleitet wurde. 85 Der Rationalitäts- und Legitimationsnachweis für das Ziel der Unternehmung wurde an die Volkswirtschaftstheorie verwiesen und damit abgetreten. Investitionskalküle und Unternehmensbewertungsmodelle des Shareholder Values bilden hier sicherlich die bekanntesten Modelle. Denn hier tritt die Frage nach den zugrundeliegenden Zielvorstellungen bzw. Normen nicht auf, die die Aktivitäten der Unternehmung steuern sollen; oder anders ausgedrückt, welche Interessen potentiell oder tatsächlich die Zielsetzung und damit die Politik der Unternehmung bestimmen sollen. 86 85 Vgl. Gutenberg (1951) 1973, S. 457 ff.; Kosiol 1962, S. 41; Heinen 1972, S. 93 ff. 86 Vgl. Schreyögg 1981, S. 105 ff. Entrepreneurspirit Intrapreneurship | 9.3 Insoweit sind Organisationsziele „Sollens-Aussagen“ und nicht empirische „Seins-Aussagen“. Weder die Findung noch die Verabschiedung der Ziele treten bei dieser Betrachtung in den Vordergrund. Normativ sind Organisationsziele auch dann, wenn sie im Rahmen einer allgemeinen Handlungsorientierung entscheidungsorientiert gesetzt werden und nur die rationale Bestimmung von Ressourcen und Maßnahmen zu ihrer Erreichung untersucht werden. Merksatz ▼ <?page no="249"?> 250 r e c h t l I c h p o l I t I s c h e r o r g a n I s a t I o n s a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Forderung des normativen Politikansatz („policy-making“) unterstreicht, dass die Setzung organisatorischer Grundziele nicht ohne den Input von Zielpräferenzen der verschiedenen Interessengruppen im Rahmen des Koalitionsmodells der Unternehmung erfolgen sollte, und deckt damit den politischen Problemgehalt organisatorischer Grundzielsetzungsprozesse auf. „Interpretiert man die am politischen System Eastons 87 orientierte Sichtweise von Kirsch / Esser / Gabele 88 , wird der strategische Grundzielsetzungsprozess durch seine Öffnung für den Input einer Fülle von zum Teil konfliktären Zielkriterien der Unternehmungsinteressenten zunehmend politisiert. Die Kerngruppe, normalerweise die Unternehmungsleitung, die das strategische Grundziel formuliert und dessen Akzeptanz fordert, trifft unter Berücksichtigung ihrer eigenen Zielkriterien und Präferenzen laufend politische Entscheidungen darüber, welche der Zielkriterien der Unternehmensinteressenten bei der Formulierung des strategischen Grundziels, der Unternehmensstrategie, Unternehmenspolitik und Primärorganisation berücksichtigt und welche ausgeschlossen werden. 89 Für Bolman / Deal 90 bedeutet dies nichts anderes, als dass die Machtverhältnisse in Organisationen einen entscheidenden Einfluss auf den Zielbildungsprozess ausüben. Die Vertreter der traditionellen - oder Strukturtheorie der Organisation - verstehen die Unternehmensleitung hauptsächlich als „Obrigkeitsautorität des Unternehmers“, der legitimiert ist, verbindliche Entscheidungen für andere zu treffen. Die Vertreter des Human-Ressources-Ansatzes beschäftigen sich als Pendant zum strukturellen Ansatz mit den Schwierigkeiten und Grenzen, die sich bei der Ausübung von Autorität auf die Motivation, die Führung und die Kommunikation ergeben, und wie gegebenenfalls durch Einflussnahme die Zusammenarbeit bei der Verabschiedung von Zielentscheidungen erhöht werden kann. Dagegen sieht der politische Ansatz Unternehmerautorität nur als eine von vielen denkbaren Machtformen an, um Innovationen zu implementieren. Der politische Ansatz legt, ausgehend von der Koalitionstheorie, seinen Schwerpunkt auf die Bildung von Koalitionen. Durch die Koalitionsbildung können Individuen und Interessengruppen ihre Verhandlungsposition im Konflikt um die Zielsetzung verbessern. Sowohl die Taktik des Verhandelns als auch die Koalitionsbildung gehen von der impliziten Prämisse aus, dass es immer Gewinner und Verlierer im Machtkampf gibt. 87 Vgl. Easton 1965, S. 108 ff. 88 Vgl. Kirsch / Esser / Gabele 1979, S. 26 ff. 89 Dorrow 1982, S. 56. 90 Vgl. Bolman / Deal 1987, S. 110. Info ▼ ▲ policy-making <?page no="250"?> 251 z u m n o r m a t I V e n p o l I t I K a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Diese Techniken gehören daher zu den wesentlichen Grundlagen des politischen Ansatzes. Die „Koalitionstheorie“ beschäftigt sich daher mit der Frage, warum sich Koalitionen bilden und wer diesen angehören wird. Gamson’s Hypothese 91 von den „minimalen Mitteln“ bei der Koalitionsbildung besagt folgendes: Durch den Vergleich des Human-Resources-Ansatzes mit dem politischen Ansatz wird beim Koalitionsmodell deutlich, dass die Vertreter des Human-Resources-Ansatzes von der Überwindbarkeit der Gegensätze durch „psychologische Spielchen“ ausgehen, unter der impliziten Annahme der Beibehaltung legitimierter, rechtlicher Interessen der Unternehmensleitung, und sie nur die psychologischen Lösungswege der Organisationsentwicklung in „bessere“ oder „schlechtere“ unterscheiden, wie dies insbesondere bei verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklungsmodellen zum Tragen kommt. Man geht davon aus, dass die Parteien durch einen „partizipativen Dialog“ zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung gelangen können. Dagegen geht der politische Ansatz vom Konflikt als natürliches Organisationsphänomen und nicht von Harmonievorstellungen der Arbeitspsychologie aus. Nur beim verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatz geht man davon aus, dass bei einem Streit um knappe Ressourcen in der Organisation eine zufriedenstellende Lösungen gefunden werden kann, und man zwischen „besseren“ und „schlechteren“ Organisationslösungen unterscheiden kann. Im politischen Organisationsansatz dagegen stellt sich vielmehr die Frage, wie jede Koalition am besten ihre normativen Vorstellungen verwirklichen kann und wie sie Macht für die Durchsetzung eigener Ideen, Interessen und Ziele erwerben kann. Gamson 92 legt bei seiner Analyse von politischen Prozessen zwei Parteien zugrunde, die organisatorischen Autoritäten und die „machtlosen“ Parteigänger. Nach seiner Auffassung besteht folgende Beziehung zwischen beiden Parteien: Autoritäten sind Empfänger oder Zielscheiben von Einflussmaßnahmen und gleichzeitig Ausübende bzw. Initiatoren von sozialen Kontrollmaßnahmen; Parteigänger sind umgekehrt Einflussnehmer und Empfänger von sozialen 91 Vgl. Gamson 1968, S. 21 ff. und S. 59 ff. 92 Vgl. Cyert / March 1963, S. 29 ff. und Gamson 1968, S. 21 ff. Koalitionen finden sich gerade nur in einer solchen Größe zusammen, um zu gewinnen. Es werden sich zwar z. B. bei einer Gruppe von drei Personen mit unterschiedlichen Charakterstärken wahrscheinlich nur die beiden Schwächsten zusammentun, da der Stärkere für weniger entgegenkommend gehalten wird. Er wird unter Umständen vom Stärksten zu viel erwartet, so dass eine Zusammenarbeit für diesen mit den Schwächsten unmöglich wird. Durch die Koalition der beiden Schwächeren verliert die Dominanz des Stärksten an Bedeutung. Merksatz ▼ Koalitionen Konflikt als natürliches Organisationsphänomen <?page no="251"?> 252 r e c h t l I c h p o l I t I s c h e r o r g a n I s a t I o n s a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Kontrollen. Z. B. werden Mitarbeiter (Einflussnehmer) versuchen, die Geschäftsleitung (Autoritäten) in ihrem Sinne zu beeinflussen, während die Geschäftsleitung durch soziale Kontrolle (unternehmenspolitische Richtlinien, organisatorische Richtlinien usw.) die Mitarbeiter lenken will. Durch soziale Organisationskontrollen in der Primärorganisation ist es den Autoritätspersonen im Management möglich, „richtige“ Zielentscheidungen im Sinne der Shareholder zu treffen. Wenn Entscheidungen das Vertrauen der Parteianhänger (hier Aktionäre) finden, wird die Autorität (Vorstand) unangefochten bleiben und sogar durch diese gegen äußere Einflüsse (externe Koalitionen) verteidigt. Bringen hingegen die Parteigänger (Mitarbeiter, Betriebsräte, Gewerkschaften) den Autoritäten (Aufsichtsrat, Vorstand) kein Vertrauen entgegen, führt dies zu einem Arbeitskampf gegen die Machtinhaber. Auch wenn die Parteianhänger keine Autorität besitzen, haben sie ein beträchtliches Potential an anderen Machtformen inne: ▶ Macht durch Information und Wissen, ▶ Macht, die sich aus persönlichen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften ergibt, ▶ Macht, die sich aus einer bestimmten Koalitionsbildungssituation, insbesondere mit externen Koalitionen, (Gewerkschaften, Politikern oder allgemeine Öffentlichkeit) ergibt, ▶ Macht durch Kontrolle über bestimmte Belohnungs- und Bestrafungsformen durch den Abschluss eines Tarifvertrages. 93 Diese Vielzahl von Machtformen, die die Parteigänger kennen und gezielt einsetzen, müssen beim Zielsetzungsprozess von den Autoritäten (Vorstand, Aufsichtsrat) bedacht werden. Es genügt nicht, sich allein auf die vorhandene, durch die Wirtschaftsordnung und das Gesellschaftsrecht legitimierte Institutionen des Corporate Governance Ansatzes zu verlassen, da sie leicht durch neue Einflussmöglichkeiten von Machtbasen externer Koalitionen in ihrer Stärke beeinträchtigt werden kann. Die politischen Zwänge variieren jedoch in ihrer Bedeutung mit der Macht der Autoritäten und der Zufriedenheit der Parteigänger, sprich Mitarbeiter in der Organisation. 93 Vgl. French / Raven 1959, S. 150 ff. soziale Organisationskontrollen Machtformen <?page no="252"?> 253 z u m K o n f l I K t o r I e n t I e r t e n p o l I t I K a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Zum konfliktorientierten Politikansatz: Strategien und Taktiken zur Zieldurchsetzungskonzeption und zur Zielsicherung von Organisations- und Koalitionszielen Personalwirtschaftliche und organisatorische Kontrollmaßnahmen zur Sicherung der „Normen der Organisationsrationalität“ im Sinne von Organisationsprinzipien der traditionellen Organisationslehre werden vom strukturellen Organisationsansatz ausdrücklich befürwortet. Wie im Bürokratiemodell von Max Webers beschrieben, ist die politische Spitze alleine für die Zielsetzung der Organisation verantwortlich. Konflikte stellen im strukturellen Ansatz nicht vorgesehene Probleme dar, die durch eine strukturelle Organisationsanalyse zu lösen sind, da die strukturellen Organisationsprobleme die Verwirklichung von organisatorischen Aufgaben in Frage stellen können. Um diesem Problem zu begegnen, wird eine Hierarchie von Autoritäten (Managementebenen) gefordert, deren Aufgabe darin besteht, die Durchsetzung der Ziele zu gewährleisten und die „bestehenden strukturellen Konflikte“ entweder durch das Direktionsrecht oder durch neue Stellenbeschreibungen und eine stimmige Aufbauorganisation zu lösen. Aus politischer Sicht ist dagegen der Konflikt nicht notwendigerweise ein „strukturelles Organisationsproblem“, sondern ein „natürliches“ Zielfindungsproblem und damit „unausweichlich“, wenn bei den Mitarbeitern kein Obrigkeitsdenken vorherrscht. Im politischen Organisationsansatz wird „keine Lösung“ des Konfliktes angestrebt, sondern am Ende des Konfliktes eine vorläufige Konsensfindung z. B. in der Form eines Tarifvertrages für ein Jahr. D. h. im politischen Ansatz wird vielmehr nach einer Strategie und Taktiken gesucht, im Rahmen von rechtlichen Institutionen, wie dem Tarifrecht, für den Umgang mit Konfliktsituationen bei der „gerechten“ Entgeltfindung von Organisationsmitgliedern. Ähnliche Überlegungen findet man beispielsweise auch in der Spieltheorie (Gefangenen-Dilemma) und bei der Verhandlungstheorie, beim entscheidungsorientierten Harvard-Kommunikationsansatz von Fisher / Ury. Die Entscheidungstheorie geht bei den spieltheoretischen Ansätzen 94 von der Grundvorstellung aus, dass eine einzige Koalition (individuell oder kollektiv Handelnder) versucht, die für sie günstigste Alternative gegen- 94 Vgl. von Neumann / Morgenstern 1961, S. 3; Crott 19979, S. 122 ff.; Rüttinger 1980, S. 112 ff. | 9.4 Die instrumentelle Organisation der Primärorganisation dient dazu das Direktionsrecht obrigkeitslegitimiert durchzusetzen, und die Organisationsmitglieder sind nur für die reibungslose Durchführung der Zielerfüllung zuständig, aber nicht für die Zielfindung. Merksatz ▼ Entscheidungstheorie <?page no="253"?> 254 r e c h t l I c h p o l I t I s c h e r o r g a n I s a t I o n s a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation über bestimmten Umweltproblemen zu finden. In der Konzentration auf zu analysierende Entscheidungsprobleme wurde dabei vernachlässigt, dass die eigenen Entscheidungen möglicherweise von einem Gegenspieler unterlaufen werden können, über dessen Präferenzen, Ziele und Mittel keine oder nur unzureichende Informationen vorliegen. Die Spieltheorie wendet sich nun genau diesem Aspekt zu. Sie setzt die Struktur der Entscheidungsprozesse als gegeben voraus und untersucht die Überlegungen und die Spielzüge von zwei (oder mehreren) Konkurrenten / Parteien, die mit „verdeckten Karten“ spielen. Die Spieltheorie beinhaltet Annahmen über eine beliebige Situation, in der die Entscheidungen einer Partei die Ziele, d. h. die Gewinne oder Verluste von anderen beeinflussen. Sie untersucht die Beziehung, in der die beiden Parteien zueinander stehen, unter folgenden Prämissen: ▶ A kennt die Wahlmöglichkeiten, die beiden, A und B, zur Verfügung stehen. ▶ A’s Schicksal hängt sowohl von A’s als auch von B’s Handlungen ab. ▶ A weiß nicht, was B tun wird. 95 Mit Hilfe einer Matrix lässt sich die Struktur einer Konfliktsituation aufzeigen und dadurch feststellen, welche der Entscheidungsmöglichkeiten zum größten Erfolg führen kann. Die Matrix liefert wertvolle Hinweise auf die Frage ▶ Wer sind die Parteien / Spieler? ▶ Welche Wahlmöglichkeiten haben sie? Die Spieltheorie erfordert stark vereinfachte Annahmen über die Spieler und deren Verhalten. Der Wert der Spieltheorie, die eigentlich eine Erklärungsstrategie darstellt, liegt darin, dass sie einiges zur „Problemfindung“ bzw. zur Erhellung der Grundstruktur von verschiedenen Konflikttypen beiträgt. In der Spieltheorie sind die zugrundeliegenden Annahmen deutlich herausgearbeitet worden; dabei stellt sich heraus, dass soziale Konflikte in der Regel gerade nicht als Nullsummenspiel zu interpretieren sind. Hinter dem scheinbar berechenbaren Spiel steht, wie Simmel 96 zeigt, letztlich doch das Bemühen um den Menschen, d. h., die Suche nach Einfluss, Ansehen, Über- und Unterordnung. 95 Vgl. Simmel 1958, S. 218. 96 Vgl. Simmel 1958, S. 218. ▲ Spieltheorie Matrix Merksatz ▼ <?page no="254"?> 255 z u m K o n f l I K t o r I e n t I e r t e n p o l I t I K a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Interessenskonflikte mit bewusster Kommunikation zwischen den Parteien sind als Aushandlungsprozesse (bargaining) oder Verhandlungsprozesse (negotiation) darstellbar. Voraussetzung der Verhandlungstheorie ist, dass es bei aller zugestandenen Gegensätzlichkeit der Interessen, Werte und Zielsetzungen die Möglichkeit zu einem Übereinkommen bzw. Kompromiss gibt, wonach jede Partei mehr erhält, jedenfalls nicht weniger, als wenn kein Übereinkommen erzielt würde. Charakteristische Merkmale des Verhandlungsprozesses sind: 97 1) Beide Parteien möchten Übereinstimmung erzielen, haben jedoch aufgrund ihrer Interessenlage unterschiedliche Vorstellungen davon. 2) Verhandlungen sind Prozesse der voneinander abhängigen (bedingten) Entscheidungen. 3) Grundsätzlich ist derjenige Spieler im Verhandlungsprozess mächtiger respektive im Vorteil, der den Grad der Unsicherheit bzw. Unwissenheit des Gegenspielers kennt. 4) Verhandlungen sind Prozesse, in denen Drohungen (Entlassungen, Kündigungen, Klage vor dem Arbeitsgericht), Falschinformationen (dazu liegt ein angebliches Urteil vor) und unkorrekte Argumente (Eine Behauptung, dass diese Organisation nicht wirtschaftlich sei) geschickt eingesetzt werden. Die Umsetzung von Sanktionen bzw. die tatsächliche Realisierung z. B. der Drohungen werden hier nicht behandelt. 5) Nichtglaubhafte Drohungen schwächen die eigene Position. Bei zu schwach formulierten Drohungen schwächt man die eigene Position; argumentiert man mit Übertreibungen, wirkt man unglaubwürdig. Die Verhandlungen können abgebrochen werden oder der Gegner antwortet entsprechend, so dass die Verhandlungen eskalieren. Der Wert der Verhandlungstheorie liegt darin, erstens aufzuzeigen, dass Verhandlungen bei Innovationen immer dann unumgänglich sind, wenn komplizierte Formen der Zusammenarbeit, wie sie im organisatorischen Innovationsprozess nötig sind, institutionalisiert werden müssen, und wenn es auf das ausdrückliche Einverständnis der anderen Parteien ankommt. Zweitens verdeutlich sie, dass aus einem Interessensgegensatz noch kein Konflikt resultiert muss, solange Kompromisse möglich erscheinen, die einerseits eine Kooperation erlauben und andererseits die Kosten eines Konfliktes ersparen. 97 Vgl. Bolman / Deal 1987, S. 123 f. Merksatz ▼ ▲ <?page no="255"?> 256 r e c h t l I c h p o l I t I s c h e r o r g a n I s a t I o n s a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Folgerungen und Konsequenzen aus dem politischen Ansatz für das organisatorische Innovationsverhalten in Unternehmen Macht und Politik sind wesentliche Phänomene in einer Organisation und dürfen bei einer Organisationsanalyse bzw. aktuellen organisatorischen Problemanalyse nicht unberücksichtigt bleiben, da sie die Triebkräfte von Konflikten darstellen. Zwar wird kritisiert, dass der Mensch in der politischen Theorie von Hobbes als „Raubtier“ gesehen wird, ohne Halt und Moral, der nur seine Eigeninteressen verfolgt und keine allgemeinen Werte und Normen besitzt, 98 doch wird dabei übersehen, dass hier nur der „konfliktorientierte Ansatz“ überspitzt dargestellt wird, und der notwendige Altruismus um komplexe Aufgabe zu lösen, wie eine Unternehmensaufgabe, übersehen wird. Der Mensch erzielt nur im Team bzw. in der Organisation die Bewältigung einer komplexen Unternehmensaufgabe. Ähnlich argumentiert auch die Biopsychologie, dass die Wölfe nur im Rudel, sprich im Team, ein Reh erlegen. Weiterhin wird nicht gesehen, dass sich der Mensch in einem kulturellen und verfassungsmäßigen Organisationsrahmen bewegt (institutioneller Organisationsbegriff), den er bei Interessenkonflikten so gut wie nicht überschreitet, z. B. bei Tarifverhandlungen. Schwer wiegt dabei das (zweite) Argument, dass die Organisation als politischer, uneingeschränkter Handlungs- und Entscheidungsraum zu interpretieren ist, der nicht nur durch die Umwelt, Technologie und die Aufgabenstruktur der Organisation geprägt wird, sondern der dem „freien“ Machtspiel ausgesetzt ist. Doch gelten hier die Prämissen des politischen Ansatzes, der nur eine Perspektive des Organisationsphänomens darstellt, unter bewusster Vernachlässigung aller anderer wichtigen Einflussgrößen (Vgl. die ceteris paribus-Annahme). 99 Ein dritter Kritikpunkt besagt, 100 dass der politische Ansatz zynisch und pessimistisch in seinem Menschenbild ist, da er beispielsweise die Unvermeidbarkeit von Konflikten erklärt, dabei aber die Potentiale von Zusammenarbeit und Kompromissfähigkeit, die im „konflikttheoretischen Ansatz“ für eine Effektivität der Organisation enthalten sind, unterschätzt. Dieser Kritikpunkt übersieht, dass auch das Streben nach Konsensus autoritär gegenüber Minderheiten sein kann, denn es führt zu einer sub- 98 Vgl. Bolman / Deal 1987, S. 144 f. 99 Vgl. Selznick 1957, S. 134 ff.; Gamson 1968, S. 185 ff. 100 Vgl. Schein 1980, S. 77 ff.: Schein erörtert hier typische Menschenbilder in den Wissenschaften. 9.5 | der Mensch als „Raubtier“ <?page no="256"?> 257 f o l g e r u n g e n u n d K o n s e q u e n z e n a u s d e m p o l I t I s c h e n a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation tilen und doch unausweichlichen Unterdrückung der freien Meinungsäußerung einer Koalition während der Laufzeit des Kompromisses, z. B. des Tarifvertrages. Konflikte artikulieren so erst die Interessenlagen der Parteien bzw. deren unterschiedliche Problemlösungsvorstellungen und garantieren über diesen Weg eine zukunftsorientierte, zeitlich befristete „friedlichere Zusammenarbeit“ unterschiedlicher Koalitionen in der Organisation. Des Weiteren ist der zu behandelnde „konfliktorientierte Ansatz“ nur ein Aspekt des „Politischen Ansatzes“. Festgehalten werden kann, trotz einiger Kritik, dass der politische Ansatz Fragestellungen bzw. Problemstellungen beleuchtet, die für den betriebswirtschaftlichen, organisatorischen Bereich trotz bisher fehlender Empirie ein Forschungsfeld mit folgenden Fragen eröffnet: ▶ Wie werden in kollektiven (innovativen) Entscheidungsprozessen Meinungen und Ziele herausgebildet, die später als Koalitionsauffassungen und / oder einheitliche Organisationsauffassungen zu betrachten sind? ▶ In welcher Form, Art und Intensität tritt soziale Macht oder Einfluss bei der Kommunikation, dem Informationsaustausch, dem Problemlösungs-, Entscheidungs- und Konfliktverhalten im Rahmen von sozialen, innovativen Interaktionen auf? ▶ Was ist ein sozialer Konflikt? Sind Konflikte vermeidbar? Sind Konflikte schädlich? Wie werden Konflikte im Innovationsprozess geführt? ▶ Wie erfolgen in Unternehmen innovative Grundzielkonzeptionen? ▶ Wie kann eine Zielsicherungskonzeption bzw. Innovationsimplementierung bei divergierenden Interessen im Unternehmen verfolgt werden? Der politische Ansatz kann eine kontroverse Perspektive innovativer Geschäftsfelder bei Organisationsanalysen und bei Organisationsproblemen bieten. Eine Befruchtung der „Organisationstheorie“ ist durch diesen Ansatz zu mindestens gegeben. Zusammenfassung <?page no="257"?> 258 r e c h t l I c h p o l I t I s c h e r o r g a n I s a t I o n s a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation 1 Warum und wie widerspricht der politisch-rechtliche Organisationsansatz a) den strukturellen Organisationsansatz der Primärorganisation? b) den verhaltenswissenschaftlichen-arbeitspsychologischen Organisationsansatz? 2 Welche Prämissen und welche Schwerpunkte der Organisationstheorie behandelt der rechtlich-politische Organisationsansatz. 3 Warum kann die Spieltheorie den politischen Organisationsansatz in der Betriebswirtschaftslehre nicht ersetzen? 4 Warum treten die Aspekte Macht, Herrschaftssicherung und Legitimität im neueren politischen Organisationsansatz in den Hintergrund? Die Antworten finden Sie auf unserer Web-Service-Seite zum Buch. Fragen ▼ ▲ B olman , l ee G. / d eal , t errence e. (1987): Modern Approaches to Understanding and Managing Organitations. Jossey-Bass Publishers. San Francisco, London. d oroW , W. (1982): Unternehmenspolitik. Kohlhammer, Stuttgart. K ymlicKa , W ill (1997): Politische Philosophie heute. Eine Einführung, WBG, Darmstadt. n itSchKe , p eter (2012): Einführung in die Politikwissenschaft, WBG, Darmstadt. S chmeiSSer , W. (1997): Zur Genese neuer Geschäfte in der Industrieunternehmung. Shaker, Aachen. S chmeiSSer , W. / K rimphoVe , d. / h artmann , m. / h entSchel , c. u. a. (2013): Handbuch Innovationsmanagement, UVK-Verlag, München. Literatur <?page no="258"?> 259 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ▶ Sie sollen lernen, was man unter Corporate Governance versteht und wie man sie nach dem Shareholder Ansatz und dem Stakeholderansatz definierten kann. ▶ Sie sollen mit dem Principal-Agent-Ansatz und der Stewardship Theorie die theoretischen Grundlagen der Corporate Governance Diskussion erklären können ▶ Sie sollen die deutsche Arbeitnehmermitbestimmung in ihren Grundlagen erläutern können. ▶ Sie sollen kurz beschreiben können, welche Regelungen der DCGK umfasst und erörtern können, inwiefern der Kodex zur Weiterentwicklung von Corporate Governance in Deutschland geführt hatte. ▶ Sie sollen die wesentlichen Unterschiede zwischen deutscher und US-amerikanischer Corporate Governance beschreiben können. Corporate Governance ( → QR-Glossar) 10.1 Terminologische Grundlagen 10.2 Principal-Agent-Theorie vs. Stewardship-Ansatz 10.3 Kontrollmöglichkeiten in Unternehmen 10.4 Mitbestimmung in Deutschland 10.5 Der deutsche Corporate Governance Kodex 10.6 Normative Entwicklung zur Corporate Governance in Deutschland 10.7 Vergleich der Corporate Governance zwischen Deutschland und den USA Inhalt | 10 Lernziele ▼ ▲ <?page no="259"?> 260 c o r p o r a t e g o V e r n a n c e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Terminologische Grundlagen Bei der Betrachtung von Corporate Governance können zwei Ansätze unterschieden werden: Der Shareholder- und der Stakeholder-Ansatz. Shareholder Ansatz ( → QR-Glossar) Der Shareholder Ansatz stellt den finanzwirtschaftlichen Ansatz dar. Er stellt die Aktionäre in den Mittelpunkt der Unternehmensführung, da das Unternehmen als deren Eigentum betrachtet wird. Das Ziel gemäß dem Shareholder-Ansatz besteht darin, den Shareholder Value zu erhöhen. Andere Interessengruppen werden dabei nicht beachtet. Der Shareholder-Ansatz führt zur engen Definition von Corporate Governance. Diese enge Definition konzentriert sich auf die Trennung von Eigentum und Kontrolle, sowie Regelungen, die sicherstellen sollen, dass Manager im Sinne der Aktionäre bzw. Eigentümer handeln. Der Shareholder Ansatz wird häufig mit dem anglo-amerikanischen Corporate Governance Verständnis in Zusammenhang gebracht, während der so genannte Stakeholder-Ansatz in Europa und Asien vorherrscht (vgl. Schwalbach / Schwerk 2006, S. 2): Stakeholder Ansatz ( → QR-Glossar) Der Stakeholder Ansatz stellt die Erweiterung des Shareholder Ansatzes dar. Dieser Ansatz besagt, dass die Führungskräfte ihre Ziele nicht nur an den Shareholdern, sondern auch an übrigen Interessengruppen festmachen sollten. Dabei wird Wert darauf gelegt, dass die Ziele der verschiedenen Stakeholder möglichst gleichzeitig befriedigt werden. Auf diese Weise sollen Interessenkonflikte offengelegt und Lösungswege aufgezeigt werden (vgl. Lattemann 2010, S. 39; vgl. Schwalbach / Schwerk 2006, S. 3). Diese weite Begriffsdefinition von Corporate Governance wird z. B. von der EU-Kommission verwendet: „Gestaltung der Gesamtheit der Beziehungen zwischen dem Management, dem Aufsichtsrat, den Anteilseignern und den anderen Stakeholdern eines Unternehmens. Die Corporate Governance gibt auch eine Struktur vor, in deren Rahmen die Unternehmensziele, die Mittel zur Erreichung dieser Ziele und die Überwachung der Unternehmensperformance festgelegt bzw. geregelt werden.“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001, S. 28). 10.1 | 10.1.1 | 10.1.2 | Trennung von Eigentum und Kontrolle, „Corporate Governance befasst sich damit, Herangehensweisen, Interessen und Ziele von Investoren und Managern zu koordinieren und sicherzustellen, dass Unternehmen im Interesse der Investoren gelenkt werden.“ (Mayer 2003, S. 84, eigene Übersetzung). Definition ▼ Definition ▼ ▲ <?page no="260"?> 261 p r I n c I p a l a g e n t t h e o r I e V s . s t e w a r d s h I p a n s a t z Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation In der Management-Literatur finden sich allerdings immer noch überwiegend Anhänger des Shareholder-Ansatzes, wobei als theoretische Grundlage immer häufiger der so genannte Stewardship-Ansatz dient (vgl. Donaldson / Davis 1991, S. 52; vgl. Schwalbach / Schwerk 2006, S. 3). Principal-Agent-Theorie vs. Stewardship-Ansatz Die Principal-Agent-Theorie ( → QR-Glossar) beschäftigt sich mit den Fragen, die sich aus der Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht ergeben. Die meisten kapitalmarktnotierten Unternehmen werden nicht von den Eigentümern (Prinzipal) geführt, sondern von den angestellten Führungskräften (Agenten) (vgl. Martens 2000, S. 34, vgl. Hoffmann 2009, S. 4). Probleme entstehen dadurch, dass die Prinzipale die Handlungen der Agenten nicht überprüfen können und zudem schwer ersichtlich ist, ob die Handlungen der Manager oder äußere Umstände für Erfolge oder Misserfolge verantwortlich sind. Es kann sogar dazu kommen, dass Agenten eigene Interessen verfolgen, die nicht mit den Interessen des Prinzipals übereinstimmen (moral hazard). (vgl. Picot / Dietl / Franck 2005, S. 72). Vor Vertragsabschluss sind die persönlichen Fähigkeiten des Managements zudem unbekannt (hidden characteristics) und die genauen Absichten lassen sich nicht überprüfen (hidden intentions), so dass in manchen Fällen ungeeignete Kandidaten ausgewählt werden (adverse selection) (vgl. Hoffmann 2009, S. 5). Wollen die Prinzipale sicherstellen, dass ihre Interessen vertreten werden, entstehen Kosten, die als „Agency Costs“ bezeichnet werden. Diese Kosten umfassen insbesondere Überwachungs- und Informationskosten (vgl. Klein 2000, S. 456 - 457). Der Principal-Agent-Ansatz wird in der Literatur allerdings auch kritisiert (vgl. z. B. Meinhövel 2004, S. 474 f.; vgl. Meier 2007, S. 40): ▶ Der Principal-Agent-Ansatz setzt den Fokus zu stark auf die möglichen Konfliktpunkte der Auftragsbeziehung, wobei die positiven Beiträge aus dieser Arbeitsteilung ignoriert werden. So kann sich der Prinzipal eben wegen des Wissensvorsprunges des Agenten dazu entschließen, Aufgaben an einen Spezialisten zu übertragen, wodurch „agency benefits“ entstehen würden. ▶ Außerdem geht die Principal-Agent-Theorie von der guten Fähigkeit des Prinzipals aus, Informationen zu beschaffen, wobei die Kosten der Informationsbeschaffung außer Acht gelassen werden. Der Stewardship-Ansatz ( → QR-Glossar) hingegen geht von einem anderen Menschenbild aus. Er besagt, dass die Interessen der Manager nicht | 10.2 Stewardship-Ansatz <?page no="261"?> 262 c o r p o r a t e g o V e r n a n c e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation unbedingt denen der Eigentümer entgegenstehen, da die Führungskräfte intrinsisch motiviert sind, ihre Arbeit gut zu verrichten um so Lob und Anerkennung zu bekommen (vgl. Donaldson / Davis 1991, S. 52; vgl. Schwalbach / Schwerk 2006, S. 3 vgl. Meier 2007, S. 42 f.). Dieser Ansatz stellt die Tatsache in den Vordergrund, dass der Einfluss des Kontexts und der firmeneigenen Rahmenbedingen auf den Erfolg der Führungskräfte groß ist und dass die Manager daher über einen Handlungsspielraum verfügen müssen, der es ihnen möglich macht, erfolgreich zu agieren (vgl. Meier 2007, S. 42). Stellt man beide Ansätze gegenüber so ergeben sich die folgenden Unterschiede: Agency-Theorie Stewardship-Theorie Grundannahmen Nimmt Zielkonflikte an, die auf den Eigeninteressen rationaler Akteure beruhen; misstraut Agenten; kontrollorientierte Managementphilosophie Nimmt Zielübereinstimmung an, die auf der Verpflichtung des Agenten gegenüber dem Prinzipal beruht; vertraut Agenten; einbezugsorientierte Managementphilosophie Handlungsanweisungen Einsatz von Anreizen und Sanktionen, um Zielübereinstimmung herbeizuführen: ▶ Risiko auf Agenten übertragen ▶ Überwachung festschreiben ▶ Belohnungssysteme einführen ▶ Reputation einsetzen Einsatz von Vertrauen, um Auftragnehmer zu ermächtigen: ▶ Verantwortung übertragen ▶ Autonomie zugestehen ▶ Gemeinsame Kultur und Normen entwickeln ▶ Einfluss und Vertrauen gewähren Anwendung ▶ Opportunistisches Verhalten unterdrücken ▶ Anreize und Sanktionen einsetzen, um Informationsasymmetrie zu verhindern ▶ Verträge so spezifizieren, dass „moral hazard“ eingeschränkt wird ▶ Reputation des Auftragnehmers als Anreiz einsetzen ▶ Zielübereinstimmung absichern ▶ Zielübereinstimmung dank gemeinsamen Zielen und Vertrauen ▶ Risiko von opportunistischem Verhalten, „moral hazard“ und Informationsasymmetrie reduzieren ▶ Übertragung von Verantwortung und Autonomie ▶ Durch Vertrauen die Abhängigkeit von rechtlichen Verträgen zur Durchsetzung von bestimmtem Verhalten verringern ▶ Auftragnehmer durch nichtmonetäre Mittel belohnen ▶ Reputation des Auftragnehmers als Anreiz einsetzen Abb 84 | Principal-Agentvs. Stewardship-Theorie Entnommen aus: Van Slyke 2007, S. 167. <?page no="262"?> 263 K o n t r o l l m ö g l I c h K e I t e n I n u n t e r n e h m e n Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Kontrollmöglichkeiten in Unternehmen In deutschen Aktiengesellschaften gibt es klare Regelungen hinsichtlich der Managementverpflichtungen: Vorstandsmitglieder müssen bei der Ausübung der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers anwenden (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Allerdings reicht allein der Zielerreichungsgrad von Aktiengesellschaften nicht aus, um die Ordnungsmäßigkeit des Managementhandelns festzustellen. Auf der anderen Seite stellt sich insbesondere in Krisenfällen die Frage nach einer Pflichtverletzung des Managements. Hier führt allerdings § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG in Verbindung mit DCGK, Tz. 3.8 folgende Generalnorm aus (vgl. dazu auch Graumann 2009, S. 12 f.): „Bei unternehmerischen Entscheidungen liegt keine Pflichtverletzung vor, wenn das Mitglied von Vorstand oder Aufsichtsrat vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“ (Business Judgement Rule). Voraussetzung für einen Verstoß ist nicht ein schlechtes Ergebnis, denn (vgl. Graumann 2009, S. 12 f.): 1) Management, das schlechte Ergebnisse erzielt, kann dennoch ordnungsgemäß sein 2) Management, das zu hohen Gewinnen führt, kann dennoch ordnungswidrig sein Aufsichtsräte sind im Allgemeinen aus Arbeitnehmer- und Kapitalvertretern zusammengesetzt und dienen den Eigentümern als Institution zur Kontrolle des Managements. Die Delegation der Kontrollaufgaben entlastet dabei die Eigentümer und aufgrund von Spezialisierungsvorteilen sinken die Kontrollkosten. Nachteilig an dieser Delegation der Kontrollaufgaben ist, dass sich Vertreter des Aufsichtsrates mit den Führungskräften gegen die Interessen der Eigentümer “verbünden” könnten (vgl. Martens 2000, S. 39 f.). Es kann also nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass die Überwachungsträger die Aktionärsinteressen verfolgen (vgl. Martens 2000, S. 39; vgl. Hoffmann 2009, S. 5). Stattdessen kann die Maximierung des eigenen Nutzens im Vordergrund stehen, so dass es evtl. zu einer nicht ordnungsgemäßen Durchführung der Überwachungsmaßnahmen kommt (vgl. Martens 2000, S. 39, vgl. Hoffmann 2009, S. 5). Im Fall des Aufsichtsrats ist der Überwachungsträger ein weiterer Agent, so dass es zu einer doppelstufigen Agency-Beziehung kommt. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrates führt dazu, dass die einzelnen Mitglieder verschiedene Kontrollanreize haben: Die Arbeitnehmervertreter haben auf der einen Seite ein Interesse am langfristigen Überleben des Unternehmens, auf der anderen Seite kann es sein, dass Arbeitnehmer und Management gemeinsam Maßnahmen ergreifen, die zu einer Umverteilung von den Eigentümern zu den Beschäftigten führt. Managementverpflichtungen | 10.3 Delegation der Kontrollaufgaben <?page no="263"?> 264 c o r p o r a t e g o V e r n a n c e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Die Kapitalvertreter haben zudem wenig Kontrollanreize: Selbst bei unterlassener Informationsbeschaffung können Aufsichtsratsmitglieder nur unter bestimmten Voraussetzungen haftbar gemacht werden. Zudem hat sich bisher eine erfolgsabhängige Vergütung der Aufsichtsräte nicht durchsetzen lassen. Lediglich der drohende Verlust des Aufsichtsratsmandates bei zu geringen Kontrollaktivitäten könnte einen gewissen Kontrollanreiz bieten (vgl. Frick 2010, S. 14). Mitbestimmung in Deutschland In Deutschland kann man im Wesentlichen drei verschiedene Systeme der Unternehmensmitbestimmung unterscheiden: die Drittelmitbestimmung in Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten nach dem Drittelbeteiligungsgesetz von 2004, die paritätische Mitbestimmung nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz von 1951 für Unternehmen im Bergbau und in der Eisen- und Stahlindustrie und die quasiparitätische Mitbestimmung ( → QR-Glossar) bei Unternehmen mit mindestens 2000 Beschäftigten. Man spricht von Drittelmitbestimmung ( → QR-Glossar), wenn die Arbeitnehmer ein Drittel der Sitze im Aufsichtsrat erhalten. Parität bedeutet, dass beide Seiten über gleich viele Aufsichtsratsmandate verfügen. Bei Parität wählen die aufgrund ihrer Stellung in den Aufsichtsrat gelangten Personen mit einfacher Mehrheit ein weiteres neutrales Mitglied, dessen Stimme bei unklaren Entscheidungen doppelt zählt. Von Quasi-Parität ist die Rede, wenn der Aufsichtsrat zwar zu gleichen Teilen aus Vertretern der Kapitalgeber- und der Arbeitnehmerseite besteht, aber die Stimme des Vorsitzenden auf der Kapitalgeberseite bei strittigen Fragen ausschlaggebend ist (vgl. Frick 2010, S. 5 f.). Das Mitbestimmungsgesetz 1976 gilt für alle Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften, wenn sie mehr als 2000 Beschäftige haben. Der Aufsichtsrat hat je nach der Zahl der Beschäftigen 12, 16 oder 20 Mitglieder, von denen jeweils die Hälfte aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen muss. Dabei gehören, je nach Größe des Aufsichtsrats zwei bis drei Gewerkschaftsvertreter sowie ein Repräsentant der „leitenden Angestellten“ zu den Arbeitnehmervertretern. Der Aufsichtsratsvorsitzende wird von den Anteilseignern gestellt. Er hat bei strittigen Fragen doppeltes Stimmrecht (quasi-paritätische Mitbestimmung) (vgl. Frick 2010, S. 5 f.). 10.4 | Mitbestimmungsgesetz Drittelmitbestimmung Kapitalvertreter Info ▼ ▲ <?page no="264"?> 265 m I t b e s t I m m u n g I n d e u t s c h l a n d Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Für kleinere Akteingesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit mit 500-2000 Mitarbeitern gelten die Bestimmungen des Drittelbeteiligungsgesetzes von 2004. Dabei muss ein Drittel der Aufsichtsratmitglieder aus Vertretern der Arbeiternehmer bestehen. Leitende Angestellte sind unter dem Drittelbeteiligungsgesetz vom aktiven Wahlrecht zum Aussichtsrat ausgeschlossen. Männer und Frauen sollen entsprechend ihrem Anteil an der Belegschaft im Aufsichtsrat vertreten sein (vgl. Frick 2010, S. 6). Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten, deren Hauptzweck der Bergbau oder die Stahl- oder Eisenerzeugung ist, unterliegen dem Montan- Mitbestimmungsgesetz von 1951. Der Aufsichtsrat besteht dabei zu gleichen Teilen aus Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer, sowie einem neutralen Mitglied, dessen Stimme bei strittigen Entscheidungen doppelt zählt (paritätische Mitbestimmung) (vgl. Frick 2010, S. 6). Die gesetzlichen Regelungen zur Mitbestimmung kommen immer wieder auf den Prüfstand. Folgende Tabelle stellt einige Kritikpunkte der Mitbestimmung, sowie die Gegenargumente dar (vgl. dazu ausführlich: Hans Böckler Stiftung 2004). Kritikpunkte Gegenargumente Eine globalisierte, dynamische Wirtschaftswelt macht es erforderlich, Personal flexibel einzusetzen. Beschäftigte aber fürchten Veränderungen und bremsen diese im Betriebsrat aus. Wirtschaftlich schädliche Folgen der Unternehmensmitbestimmung konnten wissenschaftlich bisher nicht nachgewiesen werden. Mitbestimmung der Arbeitnehmer schafft Vertrauen und erleichtert die notwendigen Anpassungen der Strategien an Innovationen. Unternehmen mit Mitbestimmung weisen eine niedrigere Fluktuationsrate und eine höhere Arbeitszeitflexibilität auf. Mitbestimmung führt zu Standortnachteilen für Deutschland, da Investoren davor zurückschrecken, dass Entscheidungen nicht nur nach Gesichtspunkten des wirtschaftlichen Erfolgs und der Wertsteigerung der Anteilseigner getroffen werden. Die Empirie zeigt, dass Mitbestimmung lediglich ein Gesichtspunkt unter vielen für Investitionsentscheidungen ist. Andere Faktoren wie Marktgröße, Marktdynamik oder Infrastrukturkosten sind wichtiger für die Entscheidungen. Außerdem hat sich gezeigt, dass diejenigen Unternehmen, die ihre Vorhaben eng mit dem Betriebsrat abstimmen, weniger anfällig für Krisen sind. Diese Zusammenarbeit wird durch die Beteiligung des Betriebsrats im Aufsichtsrat unterstützt, da er sich dort mit den Unternehmensstrategien sachlich auseinandersetzt. Unternehmensmitbestimmung schädigt die Interessen der Anteilseigner, da sich Unternehmensleitung und Arbeitnehmerseite gegen die Kapitaleigner verbünden. Dies wiederum führt zu sinkenden Aktienkursen. Es ist empirisch widerlegt, dass Mitbestimmung sich negativ auf den Aktienkurs auswirkt. Zudem schützt Mitbestimmung vor unangemessenen Managergehältern. Mitbestimmung bremst die Unternehmensentwicklung. Top-Manager vermeiden für die Arbeitsnehmerseite unpopuläre Entscheidungen, da sie durch den mitbestimmten Aufsichtsrat bestellt wurden. Auch Maßnahmen mit negativen Auswirkungen auf die Arbeitnehmerseite lassen sich in mitbestimmten Unternehmen durchsetzen (Personalabbauprogramme, Outsourcing-Projekte, Produktionsverlagerungen oder Arbeitszeiterhöhungen). Dabei muss es zwar häufig zu Kompromissen kommen, dies führt aber auch zu besser durchdachten, nachhaltigeren Strategien. <?page no="265"?> 266 c o r p o r a t e g o V e r n a n c e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Obwohl sich für jeden der oben dargestellten Kritikpunkte auch Gegenargumente finden lassen, heißt das nicht, dass das System der deutschen Mitbestimmung perfekt ist. Handlungsbedarf besteht z. B. bei der Einbindung ausländischer Beschäftigter in den Konzernaufsichtsrat. Auch an der Qualifizierung der Aufsichtsratsmitglieder muss stetig gearbeitet werden, insbesondere da die Anforderungen an die Mitglieder immer komplexer werden. In einer Zeit immer schnellerer Entwicklungen, muss die Entscheidungsfindung der Aufsichtsräte z. B. durch häufigere Sitzungen und unkompliziertere Abstimmungsverfahren beschleunigt werden. Auch das Verfahren der Aufsichtsratswahl muss verbessert werden, so dass die Aufsichtsräte demokratisch legitimiert sind (Hans Böckler Stiftung 2004, S. 20). Der deutsche Corporate Governance Kodex ( → QR-Glossar) Grundlagen Die erste Version des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) wurde im Februar 2002 verabschiedet. Der DCGK besitzt über die Entsprechungserklärung gemäß § 161 AktG eine gesetzliche Grundlage. In der Die Gremien im Aufsichtsrat sind zu groß und damit nicht arbeitsfähig. Ein nicht zu kleines Gremium erlaubt es, unterschiedliche Gruppen und damit auch unterschiedliche Sichtweisen in die Entscheidungsfindung zu integrieren. Die deutsche Mitbestimmung stellt eine internationale Besonderheit dar, die wirtschaftliche Kooperationen behindert. Die Beteiligung der Arbeitnehmer ist kein deutsches Sondermodell. Zwar ist es in Deutschland stärksten ausgeprägt, aber auch in Ländern müssen sich Investoren auf nationale Besonderheiten einstellen. Die deutsche Mitbestimmung behindert die grenzüberschreitende gesellschaftsrechtliche Harmonisierung. Die europäischen Instanzen haben die Verschiedenheiten der Unternehmensverfassungen akzeptiert. Bei der Bildung einer europäischen Aktiengesellschaft haben die Unternehmen die Wahl zwischen den verschiedenen Unternehmensverfassungen. Arbeitnehmer verfügen nicht über die notwendigen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, um effizient entscheiden zu können. Es werden häufig Maßnahmen ergriffen, um Arbeitnehmervertreter auf ihre Arbeit im Aufsichtsrat vorzubereiten. Zudem bringen sie erforderliches Wissen über Strategien und Zusammenhänge im Unternehmen ein. Problematischer für effiziente Entscheidungsfindungen im Aufsichtsrat sind die zahlreichen Überkreuzmandate, bei denen Manager eines Unternehmens Aufsichtsratsmitglieder eines anderen Unternehmens sind, dessen Manager wiederum über ein Aufsichtsratsmandat im ersten Unternehmen verfügen. Dies führt zu problematischen Interessenverflechtungen. Auch die Anzahl der möglichen Aufsichtsratsmandate kann als problematisch betrachtet werden, da es bei mehreren Mandaten schon allein zeitlich nicht möglich ist, sich intensiv mit den aktuellen Fragen zu beschäftigen. Gewerkschaftsvertreter vertreten nicht die Interessen des Unternehmens und tragen unternehmensfremde Aspekte in die Gremien hinein. Gewerkschaftsvertreter bringen unternehmensübergreifende Aspekte in die Verhandlungen des Aufsichtsrats ein und sind besonders über das Wettbewerbsumfeld des Unternehmens informiert. Dadurch können kurzfristige Unternehmensstrategien nachhaltiger gestaltet werden. 10.5 | 10.5.1 | <?page no="266"?> 267 d e r d e u t s c h e c o r p o r a t e g o V e r n a n c e K o d e x Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation aktuellsten Fassung kann der Kodex unter www.corporate-governancecode.de eingesehen werden. Er wird vor dem Hintergrund nationaler und internationaler Entwicklungen einmal jährlich überprüft und bei Bedarf angepasst (vgl. Graumann 2009, S. 8). Der Kodex lässt sich in ▶ Anregungen, ▶ Sollbestimmungen und ▶ Mussbestimmungen untergliedern, wobei lediglich die Mussbestimmungen Gesetzesrecht unterliegen. „Empfehlungen des Kodex sind im Text durch die Verwendung des Wortes „soll“ gekennzeichnet. Die Gesellschaften können hiervon abweichen, sind dann aber verpflichtet, dies jährlich offenzulegen und die Abweichungen zu begründen („comply or explain“).“ (Präambel, DCGK). Nach § 161 AktG müssen börsenorientierte Unternehmen angeben, ob sie den Empfehlungen des Corporate Governance Kodex folgen. Von den mit dem Wort sollte gekennzeichneten Anregungen des DCGK kann ohne Offenlegung abgewichen werden (vgl. Präambel, DCGK). Mit dem DCGK ( → QR-Glossar) sollen in Deutschland die Regeln für Unternehmensleitung und -überwachung für die Investoren offengelegt werden, um so das Vertrauen in die Unternehmensleitung deutscher Unternehmen zu stärken (vgl. Graumann 2009, S. 8; vgl. Welge / Eulerich 2012, S. 53 f., vgl. Präambel DCGK). Dabei hat der DCGK zum einen eine Kommunikationsfunktion und zum anderen eine Ordnungsfunktion. Die Kommunikationsfunktion soll Verständlichkeit fördern, während die Ordnungsfunktion die Qualität der Corporate Governance in deutschen Unternehmen steigern soll. Der Kodex verfolgt damit drei Hauptziele (vgl. Welge / Eulerich 2012, S. 54 f.): ▶ Geordnete Dokumentation der Governance Grundsätze ▶ Kodifizierung der Transparenz ▶ Flexibilisierung der Rahmengrundsätze Inhalt des deutschen Corporate Governance Kodex Der Kodex befasst sich dabei mit allen wesentlichen Kritikpunkten der deutschen Unternehmensverfassung (vgl. Graumann 2009, S. 8, vgl. Welge / Eulerich 2012, S. 53 f.): ▶ mangelnde Ausrichtung an Shareholder-Interessen ▶ Aufsichtsratmodell / duale Unternehmensverfassung ▶ mangelnde Transparenz der Unternehmensführung ▶ mangelnde Unabhängigkeit der deutschen Aufsichtsräte | 10.5.2 Regeln für Unternehmensleitung und -überwachung Kommunikationsfunktion <?page no="267"?> 268 c o r p o r a t e g o V e r n a n c e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Dabei ist der Inhalt des deutschen Corporate Governance Kodex ( → QR-Glossar) in sieben Themenkomplexe unterteilt (vgl. www.corporate-governance-code.de): Kapitel 1: Präambel Kapitel 2: Aktionäre und Hauptversammlung Kapitel 3: Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat Zum Vorstand enthält der Kodex dabei folgende Regelungen: Info ▼ ▲ Abb 85 | Vorstandsrelevante Regelungen des Deutschen Corporate Governance Kodex Komplex DCGK-Tz. Regelung Aufgaben 4.1.1 Unternehmensleitung in eigener Verantwortung mit dem Ziel einer nachhaltigen Steigerung des Unternehmenswerts („shareholder value”) 4.1.2 Entwicklung der strategischen Ausrichtung 4.1.3 Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und unternehmensinternen Richtlinien 4.1.4 Sorgfaltspflicht für angemessenes Risikomanagement und Risikocontrolling Zusammensetzung 4.2.1 Mehrere Personen mit einem Vorsitzenden oder Sprecher; Regelung der Geschäftsverteilung und Zusammenarbeit durch Geschäftsordnung Vergütung 4.2.2 Festlegung einer angemessenen, an äußere Umstände angepassten leistungsorientierten Vergütung durch den Aufsichtsrat 4.2.3 Vergütung beinhaltet fixe und variable (z. B. Aktienoptionen) Bestandteile, die variablen Bestandteile sind mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter auszustatten Interessenkonflikte 4.3.1 Umfassendes Wettbewerbsverbot für Vorstandsmitglieder 4.3.2 Verbot, im Zusammenhang mit der Vorstandstätigkeit für sich oder Dritte Vorteile zu fordern, entgegenzunehmen oder ungerechtfertigt zu gewähren 4.3.3 Absolute Priorität des Unternehmensinteresses bei unternehmensbezogenen Entscheidungen gegenüber persönlichen Interessen 4.3.4 Pflicht zur unverzüglichen Meldung von Interessenkonflikten an den Aufsichtsratsvorsitzenden und die Vorstandsmitglieder 4.3.4 Abwicklung von Geschäften zwischen Vorstandsmitgliedern sowie ihnen nahe stehenden Personen oder Unternehmen zu branchenüblichen Konditionen; für wesentliche Geschäfte wird die Zustimmung des Aufsichtsrats benötigt 4.3.5 Unternehmensfremde Nebentätigkeiten müssen vom Aufsichtsrat genehmigt werden, insbesondere Aufsichtsratsmandate Zusammenarbeit mit Aufsichtsrat 3.1 Enge Zusammenarbeit zum Wohle des Unternehmens 3.2 Abstimmung der strategischen Ausrichtung und des Stands der Strategieumsetzung 3.3 Festlegung von Zustimmungsvorbehalten in der Satzung 3.4 Sicherstellung der ausreichenden Informationsversorgung des Aufsichtsrats 3.5 Sicherstellung einer offenen Diskussion und von Vertraulichkeit Kapitel 4: Vorstand Kapitel 5: Aufsichtsrat Kapitel 6: Transparenz Kapitel 7: Rechnungslegung & Abschlussprüfung Entnommen aus: Graumann 2009, S. 9. <?page no="268"?> 269 n o r m a t I V e e n t w I c K l u n g z u r c o r p o r a t e g o V e r n a n c e I n d e u t s c h l a n d Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Beurteilung des deutschen Corporate Governance Kodex Selbst wenn die Empfehlungen des Deutsche Corporate Governance Kodex keine gesetzliche Verbindlichkeit haben, werden sie dennoch als Leitfaden in deutschen Konzernen verwendet. So akzeptierten zwischen 2004 und 2010 mehr als 95 % der im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie von Welge / Eulerich 2012 befragten Großunternehmen den DCGK (vgl. Welge / Eulerich 2012, S. 61 ff.). Oben genannte Studie ergab ebenfalls, dass die Akzeptanz des DCGK bei Unternehmen im Streubesitz größer ist als bei kleineren Unternehmen. Insgesamt weichen Unternehmen vor allem bei den Kapiteln Vorstand (Abschnitt 4) und Aufsichtsrat (Abschnitt 5) von den Empfehlungen des DCGK ab. Insbesondere bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrates ergeben sich Abweichungen. Im Rahmen der Verabschiedung des Kodex kam häufig die Frage auf, welchen Nutzen sich betroffene Unternehmen aus der Einführung des Kodex erwarten könnten. Ein Vorteil guter Corporate Governance ist, dass das Vertrauen in das jeweilige Unternehmen gestärkt wird. Je besser die Corporate Governance eines Unternehmens im Vergleich zu der der Mitbewerber ist, desto eher sind Anleger bereit, in das Unternehmen zu investieren (vgl. Dörner / Orth 2012, S. 13). Je schneller sich das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld ändert, desto mehr nimmt die Bedeutung von Corporate Governance zu (vgl. Dörner / Orth 2012, S. 12). Normative Entwicklung zur Corporate Governance in Deutschland Aufgrund zahlreicher Forderungen nach mehr Transparenz sind in Deutschland seit Ende der 90 Jahre zahlreiche Gesetze erlassen worden: Im Jahre 1994 wurde das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz erlassen. Dabei sind folgende Bereiche des Gesetzes besonders nennenswert: Die Insiderregelung, die bei Nichtbeachtung zivil- und strafrechtliche Folgen mit sich bringt. Außerdem müssen kursbeeinflussende Tatsachen sofort publiziert werden. Durch das Dritte und Vierte FMFG wurden weitere Regelungen geschaffen, die die Fortentwicklung und Verbesserung des Finanzplans in Deutschland unterstützen. Das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (KapAEG) von 1998 ist eine Reaktion auf die internationale Forderung nach Anpassung der deutschen Rechnungslegung an internationale Standards. Das Gesetz beinhaltet dabei eine Klausel, nach der sich börsennotierte Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen für ihren Konzernabschluss zwischen HGB | 10.5.3 | 10.6 Finanzmarktförderungsgesetz Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz <?page no="269"?> 270 c o r p o r a t e g o V e r n a n c e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation und IFRS-Rechnungslegung entscheiden können (vgl. Lentfer 2005, S. 48; vgl. Dutzi 2005, S. 56, Gabriel 2007, S. 9). Sowohl das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz (KonTraG) von 1998, als auch das Transparenz und Publizitätsgesetz (TransPuG) von 2002 haben zur Veränderung der Unternehmensverfassung beigetragen. Das KonTraG soll durch die Einführung eines Risikomanagements die frühzeitige Erkennung von Unternehmenskrisen erleichtern. Nach § 91 Abs. 1 AktG ist der Vorstand verpflichtet, ein Überwachungssystem einzurichten, so dass sich mögliche Gefahren im Voraus erkennen lassen. Im Bereich der Abschlussprüfung hat der Aufsichtsrat die Verantwortung für die Vergabe des Prüfungsauftrages und nach der Prüfung muss der Abschlussprüfer dem Aufsichtsrat den Bericht vorlegen. Außerdem führt das Gesetz die Abschaffung der Höchst- und Mehrfachstimmrechte ein und schränkt die Stimmrechtsausübung durch die Kreditinstitute ein (vgl. Gabriel 2007, S. 10). Vergleich der Corporate Governance zwischen Deutschland und den USA Gesetzesgrundlagen In den USA werden die Standards im Gesellschaftsrecht von den einzelnen Staaten gesetzt (vgl. Merkt / Göthel 2006, S. 135 ff.). Dies führt zuweilen zu einem „Race to the bottom“, da die einzelnen Staaten versuchen, möglichst das liberalste Gesellschaftsrecht einzuführen (vgl. Merkt / Göthel 2006, S. 55), um große Unternehmen anzulocken. Vor der Einführung des Sarbanes-Oxley Acts im Jahr 2002 gab es lediglich landesweite Corporate- Governance Regelungen zur Börsenzulassung, einige federal securities laws, sowie die Bilanzierung nach den United States-Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) (vgl. Merkt / Göthel 2006, 158 ff.). Viele Sections des Sarbanes-Oxley Acts stellen kein vollkommen neues Bundesgesetz dar, sondern ergänzen oder ändern bestehende Bundesgesetze, wie das Börsengesetz (Securities Exchange Act) und das Wertpapiergesetz (Securities Act) bzw. fordern die US-Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde SEC auf, neue Verordnungen zu erlassen und übergeben damit die Gesetzgebungskompetenz zum Teil an eine Bundesbehörde (vgl. Romano 2005, S. 1523). Mit Inkrafttreten des TransPuG weist ein HGB- Konzernabschluss dieselbe Zusammensetzung (Konzernbilanz und GuV, Segmentberichterstattung, Eigenkapitalspiel und Kapitalflussrechnung) auf, wie ein IFRS Abschluss. Hauptgegenstand des Gesetzes ist dabei die erweiterte und regelmäßige Berichterstattung des Aufsichtsrats (vgl. Gabriel 2007, S. 10). Merksatz ▼ 10.7 | 10.7.1 | Gesetz zur Kontrolle und Transparenz Sarbanes-Oxley Acts <?page no="270"?> 271 V e r g l e I c h z w I s c h e n d e u t s c h l a n d u n d d e n u s a Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation Andere Regelungen des SOA hingegen sind neu oder bieten bundesweite Regelungen zu bestehenden Best-Practice-Standards oder Verfahrensweisen der Börsennotierung im Zusammenhang mit SEC-Richtlinien. Durch die Einführung der SOA müssen an der NYSE notierte Unternehmen ausführlich über die Befolgung der Corporate Governance-Grundsätze und der Vorgaben der SEC berichten. In Deutschland hingegen sind die Regelungen zur Corporate Governance im Aktiengesetz und im Handelsgesetzbuch festhalten und dadurch bundesstaatlicher Natur (vgl. Schmidt 2000, S. 40). Auch der DCGK kann - ähnlich wie der SOA - als Weiterentwicklung bestehender Regelungen betrachtet werden, allerdings beschränkt sich die Bindungskraft des Gesetzes auf die Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung (vgl. Lutter 2009, S. 746). Verpflichtungen können durch Übernahme in die Gesellschaftssatzung oder mittelbar durch Sanktionen des Kapitalmarktes entstehen (vgl. Lutter 2009, S. 746). Monistisches vs. Dualistisches System Das Gesetz sieht für Deutsche Aktiengesellschaften ein duales Führungssystem ( → QR-Glossar) („two-tier system“) vor (vgl. Graumann 2009, S. 7, vgl. Präambel DCGK ): ▶ Der Vorstand (§§ 76 ff. AktG) leitet das Unternehmen eigenverantwortlich. Die Mitglieder des Vorstands tragen gemeinsam die Verantwortung für die Unternehmensführung. Der Vorstandsvorsitzende ist zuständig für die Koordination der Vorstandsmitglieder. ▶ Der Aufsichtsrat (§§ 95 ff. AktG) bestellt, überwacht und berät den Vorstand und ist in Entscheidungen, die von grundlegender Bedeutung für das Unternehmen sind, unmittelbar eingebunden. Der Aufsichtsratsvorsitzende koordiniert die Arbeit im Aufsichtsrat. Während in Deutschland der Aufsichtsrat als Kontrollorgan zwischen Unternehmensleitung und Anteilseignern steht, verfügen die USA über ein so genanntes monistisches System: d. h. Leitung und Kontrolle obliegen einem einzigen Organ: dem Board of Directors (vgl. Schewe 2010, S. 70). Allerdings steht es deutschen Kapitalgesellschaften offen, im Rahmen der Gründung einer Societas Europaea (SE) - ein monistisches Board einzurichten (vgl. Hommelhoff / Teichmann 2002, S. 8). Während im einstufigen Board per se gewährleistet ist, dass die notwendigen Informationen an alle Mitglieder weitergegeben werden, sind die deutschen Aufsichtsratsmitglieder weitgehend auf die Informationsversorgung durch den Vorstand angewiesen, was in der Vergangenheit zu einer starken Abhängigkeit von zu überwachenden Organ geführt hat. Als Reaktion verschärfte der Gesetzgeber die Berichts- und Informationspflichten des Vorstandes. Info ▼ ▲ | 10.7.2 <?page no="271"?> 272 c o r p o r a t e g o V e r n a n c e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation In Deutschland muss der Aufsichtsrat aus einer ausreichenden Anzahl unabhängiger Mitglieder bestehen. Diese Unabhängigkeit ist gegeben, wenn Aufsichtsratsmitglieder keine persönlichen oder geschäftlichen Beziehungen zur Gesellschaft oder deren Vorstand pflegen (vgl. DCGK Ziffer 5.4.2). Gelockert wird die Trennung von Leitung und Kontrolle durch die Pflicht zur engen Zusammenarbeit (vgl. DCGK Ziffer 3.1.) zwischen beiden Ämtern und die Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats bei wichtigen Geschäftsvorfällen (DCGK Ziffer 3.3). Das Board trifft sich in der Regel einmal jährlich. Daher werden die wichtigsten Managementaufgaben durch Executive Directors oder Inside Officers wahrgenommen. Somit haben die Non-Executive Directors oder Outside Directors in erster Linie die Aufgabe der Überwachung der Executive Officers. Es ist allerdings möglich, dass Executive Officers gleichzeitig auch Outside Director sind. Genau wie die Aufsichtsratsvorsitzenden in Deutschland müssen die Outside Directors nach Vorgaben des SOA mehrheitlich unabhängig sein (CalPERS 2010, S. 8) und an der NYSE gelistete Unternehmen müssen über ihre Unabhängigkeitsmaßstäbe Bericht erstatten. Die Aufgaben der outside-directors sind weitgehend identisch mit denen der Aufsichtsratsmitglieder. Die wichtigste Person im amerikanischen System ist der Chief Executive Officer (CEO), der vom Board bestellt wird, und mit der Geschäftsführung im Allgemeinen betraut ist. Der CEO schlägt auch die Executive Officers vor. Die oft geforderte Trennung von CEO und Chairman of the Board ist allerdings praktisch nicht vorzufinden, d. h. eine Person ist häufig zugleich Vorsitzender des operativen Geschäfts und der Kontrolle (vgl. Monks / Minow 2003, S. 175). Eine Aufgabenkumulierung ist in Deutschland ausgeschlossen, da laut § 105 AktG ein Aufsichtsratsmitglied nicht gleichzeitig Mitglied des Vorstands sein darf. Ein weiterer Unterschied zwischen dem amerikanischen Modell und dem deutschen ist, dass das US-amerikanische System keine Arbeitnehmervertretung in der Aufsicht beinhaltet (Schewe 2010, S. 70). Es lässt sich insgesamt feststellen, dass das monistische und das dualistische System sich annähern - einerseits aufgrund der Möglichkeit der Einsetzung eines monistischen Boards im Rahmen einer SE und andererseits durch die Ähnlichkeit der Managementüberwachung (vgl. DCGK Präambel). Managementvergütung In Deutschland unterliegt die Bestimmung der Vorstandsbezüge dem Aufsichtsrat und die Vergütung wird durch Beschluss der Hauptversammlung Info ▼ ▲ die wichtigsten Managementaufgaben Chief Executive Officer (CEO) 10.7.3 | <?page no="272"?> 273 V e r g l e I c h z w I s c h e n d e u t s c h l a n d u n d d e n u s a Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation oder in der Satzung festgelegt. In den USA hingegen wird die Entscheidung der Managementvergütung meist auf einen eigens eingerichteten Ausschuss übertragen. Für an der NYSE notierte Unternehmen ist die Einrichtung eines solchen compensation committees verpflichtend. Dieses Committee hat die Aufgabe ein diversifiziertes Vergütungsprogramm zu entwickeln, das die Verknüpfung zur langfristigen Unternehmensentwicklung herstellt (vgl. Business Roundtable 2010, S. 25). So haben Manager die Pflicht, Aktien oder Aktienoptionen während der Amtsdauer zu halten (vgl. Business Roundtable 2010, S. 24). In Deutschland wurde das Gesetz der Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) geschaffen, um langfristige Erfolgsfaktoren und Unternehmenskrisen gesetzlich zu berücksichtigen (vgl. Bosse 2009, S. 1651). Buchführung, Veröffentlichungspflicht und Buchprüfung Amerikanische Buchführungsstandards basieren nicht auf kodifizierte Recht, sondern auf den Generally Accepted Accounting Principles (GAAP). Diese Prinzipien orientieren sich an den Aktionären und sind unabhängig von steuerlichen Überlegungen (vgl. Bock, S. 15). Das Securities Exchance Act von 1934 verpflichtet Unternehmen, Finanzdaten regelmäßig zu aktualisieren. Die US Buchführungsstandards, Buchprüfungsregelungen und Veröffentlichungspflichten sollen Informationsasymmetrien zwischen Insidern und Außenstehenden reduzieren. So können sich auch kleine Investoren leicht über die finanzielle und wirtschaftliche Struktur der Gesellschaft informieren (Bock, S. 16.). In Deutschland basieren die Veröffentlichungs- und Abschlussprüfungsregelungen auf einem Buchführungssystem, das auf steuerlichen und kreditorientierten Überlegungen beruht. Die deutschen Buchführungsvorschriften sind im Handelsgesetzbuch und im Aktiengesetz gesetzlich festgelegt. Das deutsche Steuergesetz verbietet es Unternehmen, bestimmte Vermögensgegenstände im Übermaß nach dem HGB abzuwerten. Da die Steuerbilanz auf der Basis der Handelsbilanz erstellt werden muss, können Unternehmen nur von Bewertungsansätzen des Steuerrechts profitieren, wenn sie diese zuvor auch in der Handelsbilanz angewendet haben. D. h. Wertansätze in der Handelsbilanz sind meist durch steuerrechtliche Überlegungen geprägt. Häufig sind Vermögensgegenstände unterbewertet und Gewinn- und Verlustrechnungen spiegeln nicht unbedingt die wirtschaftliche Position eines Unternehmens wider (Bock, S. 15). Kapitalstrukturen Bei den Aktionärsstrukturen kann man zwischen den Extremfällen Streubesitz und Mehrheitsbesitz unterscheiden (vgl. Wymeersch 2003, S. 89). In Deutschland geht die Tendenz deutlich zur Existenz von Groß- | 10.7.4 Info ▼ ▲ | 10.7.5 GAAP <?page no="273"?> 274 c o r p o r a t e g o V e r n a n c e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation und Mehrheitsaktionären (vgl. Schmidt 2000, S. 250.). Damit ist ein hohes Maß an Eigentümerkontrolle verbunden, dem andererseits eine geringe Liquidität der Aktien der meisten Unternehmen gegenübersteht. Aufgrund der geringen Hauptversammlungspräsenzen genügt auch oft schon ein Stimmbesitz von unter 50 % zur Fassung von Mehrheitsbeschlüssen (vgl. Wackerbath 2005, S. 695). In den USA spielt die Beteiligungsfinanzierung eine deutlich größere Rolle als in Deutschland, wo immer noch ein Großteil der Finanzierung durch Fremdfinanzierung durch Hausbanken bestritten wird (vgl. Wackerbath 2005, S. 697). Haftungsregeln In Deutschland müssen Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters bzw. Aufsichtsratsmitglieds anwenden (vgl. Präambel DCGK). Dabei müssen sie die Interessen aller Stakeholder und auch das öffentliche Interesse in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Das US-amerikanische Board hingegen muss in erster Linie die Aktionärsinteressen beachten. Neben die Sorgfaltspflicht tritt die Treuepflicht, zu der das Wettbewerbsverbot und die Vermeidung von Interessenkollisionen gehören. Speziell durch das UMAG 2005 hat sich die Haftungssituation der deutschen Organe verschärft (vgl. Deutsche Rück 2010, S. 5). So wurden Verfahrenserleichterungen bei der persönlichen Haftbarmachung eingeführt. Außerdem ist seit Einführung des UMAG bei Hauptversammlungsbeschluss mit einfacher Mehrheit zwingend Anspruch gegen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder zu erheben. Durch das Inkrafttreten des UMAG ist die Grenze von 5 % des Grundkapitals, bzw. 500.000 € Börsen- oder Marktwerts, die im Zeitpunkt der Antragsstellung mindestens erreicht werden muss auf 1 %, bzw. einem Nominalwert von 100.000 € reduziert worden. Damit ist es fast jedem institutionellen Anleger oder größerem Privatanleger möglich geworden, Haftungsklage einzureichen. Gemäß §§ 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; 116 haften Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschaft gegenüber persönlich für Schäden, die aus der Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht entstehen. Allerdings verzichten Vorstand und Aufsichtsrat häufig darauf, den Anspruch der Gesellschaft auf Schadenersatz gegenseitig durchzusetzen (vgl. Schiessl 2002, S. 602). Außerdem liegt gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG keine Pflichtverletzung vor, wenn das Geschäftsleitungsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (Busi- 10.7.6 | Beteiligungsfinanzierung UMAG 2005 <?page no="274"?> 275 V e r g l e I c h z w I s c h e n d e u t s c h l a n d u n d d e n u s a Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation ness Judgment Rule). Dies gibt der Geschäftsleitung einen großen Handlungsspielraum auch risikoreiche Geschäfte einzugehen, ohne dafür persönlich zu haften. Allerdings gilt auch in den USA die Business Judgement Rule ( → QR-Glossar), die die Haftung der Boardmitglieder ausschließt, wenn Gerichte positiv festgestellt haben, dass die Entscheidung unter Verwendung aller verfügbaren Informationen getroffen wurde, im guten Glauben ergangen ist, und in der Absicht gefällt wurde, die Interessen der Gesellschaft bestmöglich zu wahren. Empirische Befunde zeigen, dass eine Vielzahl der Aktionärsklagen mit einem Vergleich endet und eher die Rechtsanwälte von den Klagen profitieren (vgl. Romano 1993, S. 171). Dennoch darf die abschreckende Wirkung der Verfahren in den USA nicht unterschätzt werden, da diese Verfahren langwierig und kostspielig sind (vgl. Schmidt 2000, S. 124 f.). Bei der Definition von Corporate Governance kann zwischen zwei Ansätzen unterschieden werden: dem Shareholder Ansatz und dem Stakeholder Ansatz. Während beim Shareholder-Ansatz vor allem sichergestellt werden soll, dass das Management im Sinne der Aktionäre handelt, geht es im Stakeholder-Ansatz um die Befriedung verschiedener Interessengruppen. Eine theoretische Basis für die Notwendigkeit von Corporate Governance bieten sowohl die Principal-Agent-Theorie, als auch der Stewardship Ansatz. Die Principal-Agent Theorie beschäftigt sich mit Fragen die aus der Trennung von Management und Eigentum entstehen, sowie Kontrollmöglichkeiten der Eigentümer. Dabei stehen die Konflikte, die sich durch die Aufgabenteilung ergeben im Vordergrund. Der Stewardship Ansatz hingegen geht davon aus, dass das Management intrinsisch motiviert ist, im Sinne des Unternehmens und damit der Eigentümer zu handeln - womit nur die geeigneten Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. In Deutschland dienen Aufsichtsräte, die aus Arbeitnehmer- und Kapitalvertretern bestehen als Institution der Kontrolle des Managements. Allerdings ist manchmal umstritten, ob die Kontrollanreize für die Aufsichtsratsmitglieder tatsächlich so groß sind, dass die Aufsichtsratsmitglieder die Aufsicht auch tatsächlich auch bestmöglich, ohne Berücksichtigung eigener Interessen ausüben. In den USA ist jeder Aktionär zur Klage im Namen der Gesellschaft berechtigt. Merksatz ▼ Zusammenfassung <?page no="275"?> 276 c o r p o r a t e g o V e r n a n c e Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation In Deutschland kann man im Wesentlichen drei verschiedene Systeme der Unternehmensmitbestimmung unterscheiden: die Drittelmitbestimmung in Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten, die paritätische Mitbestimmung für Unternehmen im Bergbau und in der Eisen- und Stahlindustrie und die quasi-paritätische Mitbestimmung bei Unternehmen mit mindestens 2000 Beschäftigten. Zwar gerät das deutsche Modell der Mitbestimmung immer wieder in die Kritik, insgesamt lassen sich aber für die meisten Kritikpunkte auch Gegenargumente finden. So muss z. B. noch mehr an der Qualifizierung der Arbeitnehmervertreter gearbeitet werden. 2002 wurde der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) verabschiedet, der durch §161 AktG eine gesetzliche Grundlage hat. Der Kodex lässt sich in Anregungen, Sollbestimmungen und Mussbestimmungen untergliedern, wobei lediglich die Mussbestimmungen Gesetzesrecht unterliegen. Der DCGK befasst sich dabei mit den wesentlichen Kritikpunkten der deutschen Corporate Governance: ▶ mangelnde Ausrichtung an Shareholder-Interessen ▶ Aufsichtsratmodell / duale Unternehmensverfassung ▶ mangelnde Transparenz der Unternehmensführung ▶ mangelnde Unabhängigkeit der deutschen Aufsichtsräte Neben den DCGK sind weitere Gesetze zur Corporate Governance insbesondere seit den 1990er Jahren erlassen worden - dazu zählen z. B. das Finanzmarktförderungsgesetz, das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz, das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz und das Transparenz und Publizitätsgesetz. In den USA werden die Grundlagen der Corporate Governance - anders als in Deutschland - meist von den einzelnen Staaten getroffen, was zu einem Wettbewerb um das liberalste Recht führt. Diese Situation wurde durch den Sarbanes Oxley Act etwas gemildert - allerdings stellt der SOA häufig auch nur eine Zusammenfassung bestehenden Rechts dar. Ähnlich stellt der Deutsche Corporate Governance Kodex ein Zusammenfassung und Erweiterung bestehender Regelungen dar. In den USA gibt es das so genannte monistische Führungssystem, d. h. Unternehmensleitung und Kontrolle unterliegen einem Organ - dem Board of Directors. Häufig gibt es aber eine Unterteilung in inside directors und outside directors. Der CEO ist die wichtigste Person im Unternehmen - allerdings ist er häufig auch Vorsitzender des Board of Directors. In Deutschland können Aufsichtsratsmitglieder hingegen nicht gleichzeitig Vorstandsmitglieder sein - d. h. es gibt eine <?page no="276"?> 277 V e r g l e I c h z w I s c h e n d e u t s c h l a n d u n d d e n u s a Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ organisation strikte Trennung zwischen Aufsicht und Kontrolle. Dafür kommt es in Deutschland häufig zu Problemen beim Informationsfluss zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. In Deutschland ist die Managementvergütung durch die Hauptversammlung oder in der Satzung festgelegt. In den USA wird die Vergütung durch ein eigenes Committee festgelegt, dass darauf achtet, dass die Vergütung langfristigen Unternehmensentwicklungen gerecht wird. In Deutschland soll dies durch die Einführung des Gesetzes der Angemessenheit der Vorstandsvergütung geschehen. Die den Generally Accepted Accounting Principles der USA orientieren sich an den Aktionärsinteressen, während in Deutschland die Buchführungsvorschriften im Handelsgesetzbuch und im Aktiengesetz auf steuerlichen und kreditorientierten Überlegungen beruhen. In Deutschland gibt es im Gegensatz zu den USA, wo sich mehr Aktien im Streubesitz befinden, mehr Groß- und Mehrheitsaktionäre. Zwar sind die Hürden für die Klageerhebung in Deutschland zunehmend tiefer gelegt worden, dennoch bleibt es in den USA einfacher Anspruch gegen Organvorsitzende zu erheben. Allerdings führt das gleichzeitig in den USA zu einer Flut von Klagen, die lediglich zu einem Vergleich führen. dcGK. Online verfügbar unter http: / / www. corporate-governance-code.de/ ger/ kodex/ 1.html. h anS B öcKler S tiftunG (2004): Zur aktuellen Kritik der Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Online verfügbar unter http: / / www.boeckler. de/ pdf/ mitbestimmung_2004.pdf, zuletzt geprüft am 01. 09. 2013. h ommelhoff , p eter ; h opt , K lauS J. J.; W erder , a Xel V . V . (Hrsg.) (2003): Handbuch Corporate Governance: Schäffer-Poeschel Verlag. S chWalBach , J oachim ; S chWerK , a nJa (2006): Corporate Governance und die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Hg. v. Humboldt Universität. Berlin. 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Ein ausführliches Literaturverzeichnis finden Sie auf der Web-Service-Seite des Buches. <?page no="280"?> 281 Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ personal Symbole 7K-Modell 109 A Ablauforganisation 24 Aktionäre 112 Anreiz-Beitragstheorie 50 App 184 Aufbauorganisation 24, 63 Augmented Reality 184 B befristete Aufgaben 131 Business Center 91 Business Units 21, 23 C Call-Center 168 Capabilities 80 Change Management 228 Change-Management-Ansatz 59 Client/ Server-Architekturen 157 Co-Creation 95 Competitor Intelligence 83 Co-Production 95 Corporate-Business-Center 92 Corporate Center 91 Corporate Governance 22, 259 Corporate Governance-Ansatz 27 Corporate Governance Kodex 22, 266, 268 D Deduktionsregeln 59 Direktionsrecht 24 Diversifikation 82, 103, 104, 127, 128 Diversifikationstypen 128 divisionale Organisation 85, 150 Divisionalisierung 127 Drittelmitbestimmung 264 Due Diligence 107 E Economies of Network 75 Economies of Scale 75, 78, 104 Economies of Scope 75, 78 Economies of Speed 75 Entrepreneurspirit 249 Erfahrungskurve 40 F Finanzholding 93 Finanzmarktförderungsgesetz 269 Fit-Performance-These 72 Fließband 28 Fluktuationsrate 146 Ford 143 Franchising 73 Frickler 164 funktionale Organisation 126 Funktion-Projekt-Matrixorganisation 90 G Gap-Analyse 83 Geschäftsbereichsorganisation 88 Geschäftsmodelle 72 Geschäftsprozessmodell 26 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz 270 Gruppendynamik 229 Gruppenfabrikation 147 H Hawthorne-Effekt 30, 148 Hierarchie 93 Holding-Typen 93 human cloud 188 Humankapital 80 I IKEA 166 Informationslogistik 168 intangible Ressourcen 80 Integration 78 Integrationsgrad 74 Intelligence 83 Interdependenzgrad 74 interorganisationale Netzwerke 176 Intrapreneurship 249 IT-Entwicklung 181 IT-Nutzung 154 J Job Enlargement 30 Job Enrichment 30 Job Rotation 30 Just-in-Time-Verfahren 38 Register <?page no="281"?> 282 r e g I s t e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ personal K Kant, Immanuel 58 Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz 269 Karrierewünsche 67 Kennzahlensystem 114 Kerngeschäft 123 Kernkompetenzen 123 klebende Informationen 175 Koalitionen 243 Kommunikations- und Informationsprozesse 186 Komplexitätsreduktion 96 Konfliktmanagement 86 Kontor 142 Kontorschreibtisch 141 Kontraktökonomie 86 Konzernsegmentbericht 22 Kostenführerschaft 61 L Laboratriumsmethode 229 Lean-Management 24 Lebenswelt 164 M Manufaktur 143 Market Based View 80 Markowitz 104 Marktdurchdringung 128 Marktentwicklung 128 Mass Customization 72 Massenproduktion 39, 40 Matrixorganisation 77 Matrix-Organisation 150 Mergers & Acquisitions 73, 101 Meta-Kompetenzen 80, 83 MIS 155 Mitbestimmungsgesetz 264 Montagekompetenzen 80 Montan-Mitbestimmungsgesetz 265 Mülleimer-Entscheidungsprozess- Modell 245 N Netzwerkorganisationen 178 O objektorientierte Organisation 88 Open Innovation 174 Open Source 175 Organisation -, arbeitspsychologische Perspektive der 51 -, divisionale 85, 150 -, funktionale 126 -, objektorientierte 88 -, verhaltenswissenschaftliche Perspektive der 51 Organisation als Theater von Visionen und Mythen 56 Organisationsanalyse 32, 66 Organisationsansatz -, rechtlich-politischer 46, 52, 240 -, struktureller 26, 31 -, symbolisch-kultureller 26, 56 -, unternehmenskultureller 46 -, verhaltenswissenschaftlicher 29, 224 Organisationsentwicklung 46, 228, 232 Organisationsgestaltung 33 Organisationslehre -, traditionelle 60 Organisationsprinzipien 59 Organisationstheorie 58 Organisationswandel 31, 66, 67 Organisationsziele 44 Outsourcing 73 Overlays 75 P PDA 183 Personal Computer 165 Phase 64 Portfolio 82 Portfolio-Management 84 Post Merger Integration 74, 107 Primärorganisation 122 Principal-Agent-Theorie 261 Produktentwicklung 128 Produkt-Markt-Strategien 81 Produktprogrammpalette 128 Produkt-Region-Matrix 90 Profitabilität 44 Profit-Center-Organisation 91 Projektaufgaben 131 Prozessmanagement 192 Prozessorganisation 157 Prozessstrukturtransparenz -, durchgängige 209 <?page no="282"?> 283 r e g I s t e r Web-Service: http: / / www.uvk-lucius.de/ personal Q Qualifikationsentwicklung 181 R Relational View 86 Resource Based View 80 Revitalierungsaktivitäten 132 S Segmentbericht 21 Self-Customizing 97 Service Center 91 Shareholder Ansatz 260 Spartenstruktur 23 Splits 73 Stakeholder Ansatz 260 strategisches Geschäftsfeld 72 Substitutionsgesetz 121 SWOT-Analyse 83 symbolischer Interaktionismus 46 T Target Costing 67 Taylor 143 U Überwälzung auf den Kunden 167 Unternehmensbewertung 107 Unternehmenskultur 46 Unternehmensspaltung 73 V Veränderungskurve 236 Verrichtung 64 Verrichtungsorganisation 126 virtuelle Communities 98 virtuelle Unternehmen 73 W Wertschöpfungskette 25 Wertschöpfungssystem 86 Wettbewerbsfähigkeit 200 Wettbewerbsstrategien 82 wissenschaftliche Betriebsführung 143 Z Zielbildungsprozess 244