eBooks

Preispolitik

Behavioral Pricing und Preissysteme

0813
2014
978-3-8385-3984-3
978-3-8252-3984-8
UTB 
Hans Pechtl

Ganz egal ob Smartphone, Haarschnitt oder Sandwich - alles hat einen Preis. Er stellt für Konsumenten ein wichtiges Entscheidungskriterium dar. Die unterschiedlichen Facetten der Preispolitik spielen deswegen auch eine zentrale Rolle im Marketing-Mix. Dieses Buch geht auf diese Facetten im Detail ein und erweitert dadurch die mikroökonomischen Grundlagen der Preistheorie. Der Fokus liegt hierbei auf dem Behavioral Pricing, den Preissystemen und Preispromotions. Darüber hinaus werden auch die Besonderheiten des Preismanagements im E-Commerce und im internationalen Marketing thematisiert. Zahlreiche Abbildungen und Beispiele illustrieren den Stoff. Übungsaufgaben mit Lösungen helfen dabei, das Gelernte schnell zu vertiefen. Das Buch richtet sich an Studierende des Marketings sowie an Berufspraktiker, die sich mit Fragen rund um den Preis beschäftigen.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Hans Pechtl Preispolitik 2., überarbeitete und erweiterte Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München Behavioral Pricing und Preissysteme <?page no="3"?> Prof. Dr. Hans Pechtl hat den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald inne. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014 Lektorat: Rainer Berger Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Coverbild: © FerkelRaggae, fotolia.com Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 2643 ISBN 978-3-8252-3984-8 <?page no="4"?> Vorwort Die zweite Auflage dieses Buches will aktuelles Marketingwissens zur unternehmerischen Preispolitik vermitteln. Inhaltliche Schwerpunkte sind die Einordnung der Preispolitik in das Marketing-Mix, verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Preiswahrnehmung und des Preisresponses der Nachfrager sowie Entscheidungsprobleme der Preisbestimmung, wobei die Darstellung von Preissystemen breiten Raum einnimmt. Ferner wird auf Preispromotions und das internationale Preismanagement sowie auf den juristischen Kontext der unternehmerischen Preispolitik eingegangen. Das Lehrbuch richtet sich an Studierende des Faches Marketing sowie an Praktiker, die sich mit preispolitischem Grundlagenwissen, Entscheidungsmodellen der Preisfindung und rechtlichen Rahmenbedingungen der Preispolitik vertraut machen wollen. Viele Rechenbeispiele illustrieren die behandelten Sachverhalte. Das Buch setzt keine spezifischen Marketingkenntnisse voraus, sondern will den Leser, der sich noch nicht mit der Materie „Preispolitik“ beschäftigt hat, einen kompakten Einstieg in dieses Themengebiet gewähren. Der Leser soll ein systematisches und theoretisch fundiertes Rüstzeug erhalten, praktische Planungsprobleme im Bereich der Preispolitik zu lösen. Für kritische Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge zu Inhalt und Stil des Buches bin ich den Lesern dankbar (pechtl@uni-greifswald.de). Solche Inputbeiträge verbinden nicht nur Leserschaft und Autor, sondern tragen dazu bei, das Thema der Preispolitik anwenderorientiert weiterzuentwickeln. Greifswald, im Mai 2014 Hans Pechtl <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort .........................................................................................................................5 1 Einleitung .................................................................................................. 13 1.1 Definition des Preises ................................................................................ 13 1.2 Rolle des Preises in Transaktionen........................................................... 16 1.2.1 Wohlfahrtsgewinn, Customer und Shareholder Value .......................... 16 1.2.2 Implikationen des Customer Valuefür die Preispolitik.......................... 17 1.2.3 Königsweg im Marketing........................................................................... 19 1.3 Rolle des Preises im Marketing-Mix......................................................... 21 1.4 Inhalt des Preismanagements.................................................................... 24 2 Behavioral Pricing .................................................................................. 31 2.1 Preisbewertung............................................................................................ 31 2.1.1 Prozessmodelle der Preiswahrnehmung und -verarbeitung.................. 31 2.1.2 Dimensionen der Preisbewertung ............................................................ 36 2.1.3 Referenzpreise ............................................................................................. 42 2.1.3.1 Charakteristik von Referenzpreisen ......................................................... 42 2.1.3.2 Referenzpreismodelle ..................................................................................44 2.1.3.3 Updating von Referenzpreisen ................................................................. 47 2.1.3.4 Multiple Referenzpreise ............................................................................. 50 2.1.4 Framingeffekte in der Preisbewertung..................................................... 51 2.1.4.1 Gains und Losses........................................................................................ 51 2.1.4.2 Akquisitions- und Transaktionsnutzen .................................................... 53 2.1.5 Preisschwellen ............................................................................................. 54 2.2 Preisimage .................................................................................................... 56 2.3 Preis-Qualitätsinferenz............................................................................... 60 2.4 Preisbewusstsein ......................................................................................... 64 2.5 Preiswissen................................................................................................... 68 2.5.1 Herausbildung des Preiswissens ............................................................... 68 2.5.2 Inhaltselemente des Preiswissens ............................................................. 70 <?page no="7"?> 8 2.5.2.1 Isomorphes Preiswissen............................................................................. 71 2.5.2.2 Inferentielles Preiswissen........................................................................... 75 2.5.2.3 Preisumfeldinformationen......................................................................... 77 2.5.3 Sicherheit des Preiswissens........................................................................ 77 2.5.4 Preiswissen als anwendungsbezogenes Wissen ...................................... 77 2.6 Framingeffekte in der Preispräsentation.................................................. 80 2.6.1 Partitionierte Preise .................................................................................... 80 2.6.2 Pennies a Day-Strategie.............................................................................. 83 2.6.3 Präsentationseffekte bei Preisen und Preisänderungen ......................... 84 2.7 Inzahlungnahme von gebrauchten Produkten........................................ 90 2.8 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preiswerbung............................... 92 2.8.1 Preispräsentation......................................................................................... 92 2.8.2 Preisvergleiche............................................................................................. 96 2.8.3 Vertikale Preisempfehlung......................................................................... 99 3 Preisresponse der Nachfrager ......................................................... 101 3.1 Preis-Absatz-Funktion und Preiselastizität ........................................... 101 3.2 Quantifizierung des Preisresponse ......................................................... 109 4 Grundmodelle der Preiskalkulation .............................................. 119 4.1 Übersicht.................................................................................................... 119 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation ......................................................... 120 4.2.1 Progressive Kalkulationsverfahren (Cost-plus-Pricing)....................... 120 4.2.2 Preiskalkulation bei a priori unbestimmten Leistungen ...................... 126 4.2.3 Preiskalkulation bei hoher Fixkostenintensität des Anbieters ............ 130 4.2.4 Preisänderungsklauseln ............................................................................ 132 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation.................................................... 136 4.3.1 Preisfindung bei diskreten Preis-Mengen-Kombinationen................. 136 4.3.2 Preiskalkulation bei stetig-differenzierbaren Preis-Absatz- und Kostenfunktionen..................................................................................... 143 4.3.2.1 Umsatzmaximierung als unternehmerische Zielsetzung ..................... 144 4.3.2.2 Gewinnmaximierung im statischen Ein-Produkt-Fall ......................... 148 4.3.3 Value Pricing ............................................................................................. 155 <?page no="8"?> 9 4.3.4 Partizipative Preisfindung........................................................................ 159 4.3.5 Freemium-Angebote ................................................................................ 164 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik......................................................... 165 4.4.1 Qualitative konkurrenzorientierte Preisstrategien ................................ 165 4.4.1.1 Einführende Bemerkungen ..................................................................... 165 4.4.1.2 Preislagenwahl ........................................................................................... 166 4.4.1.3 Unique Price Proposition ........................................................................ 168 4.4.1.4 Anpassungs- und Führungsstrategien .................................................... 170 4.4.2 Quantitative Kalkulation konkurrenzorientierter Preise ..................... 178 4.4.2.1 Einführende Bemerkungen ..................................................................... 178 4.4.2.2 Preisfindung bei spezifischen Preiskombinationen.............................. 179 4.4.2.3 Preisfindung mit expliziten Reaktionsfunktionen ................................ 186 4.5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preishöhe ................................... 194 4.5.1 Überhöhte Preise ...................................................................................... 194 4.5.2 Angebot unter Einstandspreis ................................................................ 197 4.5.3 Horizontale Preisabsprachen und vertikale Preisbindungen .............. 200 4.5.4 Predatory Pricing und Price Squeezing.................................................. 204 4.5.5 Preisgarantie .............................................................................................. 206 5 Preissysteme .......................................................................................... 209 5.1 Allgemeine Charakteristik von Preissystemen ...................................... 209 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme..................................................... 215 5.2.1 Preisbündelung.......................................................................................... 215 5.2.1.1 Charakteristik der Preisbündelung ......................................................... 215 5.2.1.2 Strategische Potenziale der Preisbündelung .......................................... 221 5.2.1.3 Preisbaukästen........................................................................................... 232 5.2.1.4 Rechtliche Würdigung der Preisbündelung........................................... 234 5.2.1.5 Preisbündelung als Preisstrategie ............................................................ 236 5.2.2 Preiskalkulation im Sortimentsverbund................................................. 239 5.2.3 Leistungsbezogene Preisdifferenzierung ............................................... 248 5.2.4 Produktlinien-Pricing ............................................................................... 252 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme....................................... 255 5.3.1 Personelle Preisdifferenzierung .............................................................. 255 <?page no="9"?> 10 5.3.1.1 Ausprägungen personeller Preisdifferenzierung................................... 255 5.3.1.2 Motive für eine personelle Preisdifferenzierung................................... 257 5.3.1.3 Anforderungen an eine personelle Preisdifferenzierung ..................... 263 5.3.2 Quantitative Preisdifferenzierung........................................................... 266 5.3.2.1 Ausprägungen der quantitativen Preisdifferenzierung......................... 266 5.3.2.2 Gewinnsteigerung durch quantitative Preisdifferenzierung und optimale Rabattstaffeln ............................................................................ 273 5.3.2.3 Kundenbindung durch quantitative Preisdifferenzierung ................... 278 5.3.2.4 Anforderungen an die quantitative Preisdifferenzierung .................... 279 5.3.3 Mehr-Personen-Preisbildung .................................................................. 281 5.3.4 Perfekte Preisdifferenzierung.................................................................. 288 5.3.5 Mehrteilige Tarife ..................................................................................... 289 5.3.6 Rechtliche Würdigung von nachfragerbezogen heterogenen Preissystemen ............................................................................................ 301 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme ................................................... 304 5.4.1 Vorbemerkungen ...................................................................................... 304 5.4.2 Periodenbezogene Amoroso-Robinson-Relation................................. 305 5.4.3 Berücksichtigung von Carry-over-Effekten .......................................... 306 5.4.3.1 Preisänderungseffekte .............................................................................. 306 5.4.3.2 Gewinnmaximierung bei Carry-over-Effekten ..................................... 310 5.4.3.3 Preis-Absatz-Funktionen mit zeitveränderlichen Referenzpreisen.... 313 5.4.4 Peak-Load-Pricing .................................................................................... 317 5.4.5 Yield-Management.................................................................................... 323 5.4.5.1 Rahmenbedingungen des Yield-Managements ..................................... 323 5.4.5.2 Instrumente des Yield-Managements..................................................... 326 5.4.5.3 Yield-Management als Preisstrategie ...................................................... 332 5.4.6 Preisstrategien im Lebenszyklus von Produkten .................................. 335 5.4.6.1 Generelle Problemstruktur ...................................................................... 335 5.4.6.2 Rahmenbedingungen für das Preismanagement im Lebenszyklus .... 337 5.4.6.3 Idealtypische Preisstrategien in der Markteinführung ......................... 342 5.4.6.4 Erweiterungen zu den Normstrategien.................................................. 349 6 Preispromotions ................................................................................... 353 6.1 Systematik von Preispromotions ............................................................ 353 <?page no="10"?> 11 6.2 Motivation von Händler-Preispromotions............................................ 356 6.3 Gestaltungsparameter von Händler-Preispromotions ......................... 360 6.4 Alternativen zu temporären Preisreduzierungen .................................. 364 6.5 Rechtliche Regelungen zur Ausgestaltung von Preispromotions....... 370 7 Internationales Preismanagement ................................................ 373 7.1 Spezifika des internationalen Preismanagements ................................. 373 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage .................................... 378 7.2.1 Charakteristik beider Phänomene........................................................... 378 7.2.2 Modelle zur Preisbestimmung ................................................................ 381 7.2.2.1 Keine Arbitrage......................................................................................... 381 7.2.2.2 Vollständige Arbitrage ............................................................................. 383 7.2.2.3 Unvollständige Arbitrage ......................................................................... 385 7.2.3 Praxisorientierte Ansätze ......................................................................... 391 7.2.4 Strategien zur Marktabschottung............................................................ 393 7.2.5 Strategische Reaktion auf Arbitrage ....................................................... 399 7.3 Handelsusancen ........................................................................................ 400 7.3.1 Einfluss von Wechselkursen ................................................................... 400 7.3.2 INCOTERMS........................................................................................... 403 7.3.3 Kompensationsgeschäfte ......................................................................... 404 7.4 Dumping .................................................................................................... 407 Literaturverzeichnis ............................................................................................ 411 Sachverzeichnis .................................................................................................... 441 <?page no="12"?> 1 Einleitung 1.1 Definition des Preises Im traditionellen Sinn definiert der Preis den von einem Käufer (Nachfrager; Kunden) zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Menge eines spezifischen Wirtschaftsguts an den Verkäufer (Anbieter; Unternehmen) zu zahlenden Geldbetrag (vgl. bspw. Diller 2008, S. 30; Siems 2009, S. 1). Aus Sicht des Anbieters handelt es sich um den Verkaufspreis, aus Sicht des Nachfragers um den Kaufpreis. Fokussiert man auf die Transaktion, d.h. den ökonomischen Austauschprozess („Ware gegen Geld“) zwischen Anbieter und Nachfrager, spricht man vom Transaktionspreis. In der Praxis tritt der Tatbestand des Preises allerdings auch in anderen Begriffen auf: Bei manchen Dienstleistungen handelt es sich um einen Tarif oder ein Honorar bei Non-Profit-Unternehmen oder der öffentlichen Hand um eine Gebühr oder bei der Überlassung von Nutzungsrechten wie Wohnraum um die Miete bzw. den Mietzins. Auf dem Arbeitsmarkt (Kapitalmarkt) spricht man anstelle des Preises vom Lohn bzw. Arbeitsentgelt (Zins). Berücksichtigt man die Umsatzsteuer, ist zwischen dem Brutto- und dem Nettopreis eines Produkts zu unterscheiden: So muss der Anbieter die im Verkaufspreis (Bruttopreis) enthaltene Umsatzsteuer abführen: In seiner Kalkulation verbleibt ihm damit nur der Nettopreis (Bruttopreis abzüglich Umsatzsteuer) als „tatsächlicher Erlös“ aus der Transaktion. Der Endverbraucher (Business-to- Consumer- [B2C-] Markt) muss hingegen den Bruttopreis als Ausgabe entrichten. Handelt es sich jedoch um einen gewerblichen Kunden (Business-to- Business- [B2B-] Markt), erhält er die im Verkaufspreis enthaltene Umsatzsteuer als Vorsteuer zurück. Für ihn ist deshalb der Nettopreis die entscheidungsrelevante monetäre Größe. Grundsätzlich muss es sich beim Preis nicht um eine monetäre Gegenleistung handeln: So legt jedes Tauschverhältnis zwischen zwei Wirtschaftsgütern den Preis fest, wie viele Mengeneinheiten von Tauschgut A ein Transaktionspartner für den Erhalt einer Mengeneinheit von Tauschgut B geben muss („5 Äpfel für 1 Orange“). Solche physischen Tauschgeschäfte bzw. Naturalpreise besitzen in der heute monetär geprägten Wirtschaftswelt keine sonderliche Bedeutung: Im internationalen Marketing bezahlt ein gewerblicher ausländischer Abnehmer bezogene Güter bisweilen mit einer Gegenlieferung von Waren oder Rohstoffen (Barterbzw. Kompensationsgeschäft), da dem Abnehmer, der in einem Entwicklungsland seinen Sitz hat, bspw. die notwendigen (harten) Devisen für die monetäre Begleichung des Kaufpreises fehlen. In Consumer-to-Consumer <?page no="13"?> 14 1 Einleitung (C2C-)Märkten gibt es - in manchen Regionen - Tauschringe (Tauschzirkel; Zeitbörse; Nachbarschaftshilfen; Local Exchange Trading System, LETS) für haushaltsnahe Dienstleistungen oder Secondhand-Produkte wie Kleidung oder Gebrauchsgegenstände (vgl. bspw. Hubert 2004): Technisch werden die von einer Person erbrachten Dienstleistungen im Umfang der aufgewandten Zeit in einer fiktiven „Zeitwährung“ des Tauschrings auf dem Mitgliedskonto gutgeschrieben (z.B. eine Dienstleistungsstunde = 20 „Talente“), in Anspruch genommene Dienstleistungen mit ihrem Zeitumfang abgebucht. Hierbei kann die „Qualität“ der Dienstleistung mit einem Gewichtungsfaktor berücksichtigt werden (z.B. 1 Stunde PC-Programmieren = 60 „Talente“, 1 Stunde Rasenmähen = 20 „Talente“) bzw. die Transaktionspartner handeln den Preis vor allem für Sachgüter frei aus (1 Kleiderschrank = 60 „Talente“). Geldflüsse finden in diesem Netzwerk nicht statt, die Verbuchung der Zeitleistungen führt eine Tauschbank bzw. ein entsprechendes Softwareprogramm durch. Aus Nachfragersicht sind Preise Kosten des Gütererwerbs (vgl. Diller 2008, S. 31), die der Nachfrager bei seiner Kaufentscheidung zu berücksichtigen hat. Die Definition des Preises als monetäre Gegenleistung greift aus entscheidungstheoretischer Sicht vor allem bei Investitions- und Gebrauchsgütern „zu kurz“, da dem Nachfrager mit dem Erwerb eines Produkts möglicherweise Zusatzkosten (Preisnebenleistungen) entstehen, die in Folgekosten, Transaktions- und Divergenzkosten unterteilt werden können. Folgekosten Dies sind bspw. Kosten für die Inbetriebnahme, aber auch laufende Unterhaltskosten wie Kosten des Energieverbrauchs für den Betrieb, Reparaturbzw. Wartungskosten oder Recyclingkosten (vgl. Diller 1997, S. 750f.). Erwägt der Nachfrager einen Weiterverkauf, tritt der Wiederverkaufspreis als „positiver“ Preisbestandteil an die Stelle der Recyclingkosten. Möglicherweise setzt der Anbieter mit dem Vertragsschluss auch eine „Abschlussgebühr“ oder andere (versteckte) Nebenkosten in Rechnung, die zum Verkaufspreis hinzukommen. Transaktions- und Divergenzkosten Konsumentenseitige Transaktionskosten erfassen alle Kosten, die der Nachfrager für die anbieterseitige Übertragung eines Gutes, d.h. für die Anbahnung, Durchführung und Abwicklung einer Transaktion, aufwenden muss (vgl. zum Konzept der Transaktionskosten bspw. Picot et al. 2009): Ex-ante Transaktionskosten umfassen Such-, Informations- und Vergleichskosten, die vor einer Transaktion anfallen (zu konsumentenseitigen Transaktionskostenarten vgl. bspw. Klein 2008). Vereinbarungskosten betreffen die Kosten im Zusammenhang mit der Aushandlung der Transaktionsbedingungen oder der Beurkundung des Kaufvertrags. Ex-post Transaktionskosten treten nach Vertragsschluss <?page no="14"?> 1.1 Definition des Preises 15 auf, wenn der Nachfrager bspw. prüft, ob der Anbieter vertragsgemäß seine Leistung erfüllt hat (Kontrollkosten). Darüber hinaus muss der Nachfrager das gekaufte Produkte physisch an seinen vorbestimmten Platz (z.B. nach Hause) bringen: Solche Beschaffungskosten (räumliche Divergenzkosten) bestehen nicht nur aus monetären Größen (z.B. eigene Fahrtkosten; Versandgebühr), sondern beinhalten auch die vom Nachfrager aufzuwendende Zeit und die physische Mühe des Transports. Ferner existieren zeitliche Divergenzkosten: Ihre Ursache ist darin zu sehen, dass Kauf und Konsum des Produkts zeitlich auseinanderfallen. Deshalb muss der Nachfrager das Produkt im Haushalt lagern, sofern er es nicht sofort vollständig aufbraucht (vgl. bspw. Pechtl 2000, S. 46-56). Solche Lagerhaltungskosten besitzen wiederum monetäre (z.B. Kosten für die Kühlung der Produkte) und nicht-monetäre Ausprägungen (z.B. Verzicht auf Wohnraum, der als Lager verwendet wird). Lagerhaltungskosten sind jedoch zumeist nur bei gewerblichen Nachfragern evident, die Rohstoffe, Teile oder Komponenten für ihren Produktionsprozess auf Vorrat erwerben. In entscheidungstheoretischem Sinn stellt die Summe aus monetär zu entrichtendem Verkaufspreis und Zusatzkosten die tatsächliche Leistung dar, die ein Nachfrager beim Kauf des Produkts aufzubringen hat. In einer breiteren Definition kann man daher den Preis als „…Summe aller mittelbar und unmittelbar mit dem Kauf eines Produkts verbundenen Ausgaben eines Käufers“ verstehen (Diller 2008, S. 32). Dies wird auch als Einkaufskosten oder Preisopfer bezeichnet (vgl. bspw. Darian 1987, S. 165; Esser 2002, S. 10). Es ist allerdings offen, ob und wie ein Nachfrager bei seiner Kaufentscheidung solche Zusatzkosten mit dem Kaufpreis verrechnet. So hängt die Quantifizierung der Folgekosten von der Spezifizierung des - möglicherweise noch unbekannten - zukünftigen Nutzungsverhaltens des Produkts ab. Zudem sind die in der Zukunft auftretenden Folgekosten auf den Kaufzeitpunkt zu diskontieren (Barwert der Folgekosten). Ferner haben insbesondere Beschaffungskosten Gemeinkostencharakter, wenn der Nachfrager mehrere Produkte in einem Einkaufsgang erwirbt (One-Stop-Shopping), weshalb eine Zuordnung zu einem einzelnen Produkt nicht mehr verursachungsgerecht möglich ist. Schließlich sind Zusatzkosten zu einem Zeitpunkt t nicht (mehr) entscheidungsrelevant und damit verkaufspreiserhöhend, wenn sie zu diesem Zeitpunkt bereits angefallen und dadurch irreversibel sind (sunk costs). Die Berücksichtigung von Folge-, Transaktions- oder Divergenzkosten ist letztendlich Ausdruck des - noch weitgehend unerforschten - individuellen Zusatzkostenbewusstseins der Nachfrager (vgl. Diller 2008, S. 102). In vielen Fällen dürften sie in der Kaufentscheidung nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil die Nachfrager einen pagatorischen Preisbegriff verwenden und sich in ihrer Kaufentscheidung auf die unmittelbaren monetären Verpflichtungen des Kaufes (Out-of-Pocket-Costs) konzentrieren (vgl. Diller 2008, S. 31). <?page no="15"?> 16 1 Einleitung 1.2 Rolle des Preises in Transaktionen 1.2.1 Wohlfahrtsgewinn, Customer und Shareholder Value Letztendliches Ziel des Nachfragers, ein Produkt zu kaufen, ist dessen Konsum bzw. Verwendung. Hieraus resultiert eine Nutzenstiftung, die das Produkt bewirkt. Mit jedem Produkt assoziiert der Nachfrager damit einen Bruttonutzen, den er sich beim Kauf von diesem Produkt erhofft. Dieser Bruttonutzen lässt sich zumindest konzeptionell mit demjenigen Preis bewerten, den der Nachfrager maximal für dieses Produkt zu zahlen bereit ist. Dies wird als maximale Zahlungsbereitschaft (Willingness-to-Pay) bzw. der betreffende Preis als Reservationspreis (oberer Grenzpreis) bezeichnet. Ist der vom Nachfrager zu zahlende Kaufpreis geringer als der Reservationspreis, zieht der Nachfrager einen Gewinn aus dem Zustandekommen der Transaktion: Er erhält ein Produkt zu einem geringeren Preis, als er hierfür maximal zu zahlen bereit ist. Diese Differenz wird traditionell als Konsumentenrente bezeichnet; sie ist umso höher, je geringer bei gegebenem Bruttonutzen der Verkaufspreis ist. Berücksichtigt man neben dem Verkaufspreis Transaktions- und Divergenzkosten, mindern diese noch die Konsumentenrente. Dieser „Residualgewinn“ bildet den Customer Value, den ein Nachfrager beim Kauf eines Produkts sieht. Stellt p ri den Reservationspreis für Produkt i dar, beträgt der Customer Value CV i bei einem Verkaufspreis von p i und Transaktionskosten in Höhe von TR i : (1.1-1) CV i = p ri p i - TR i, wobei der Term p ri p i die Konsumentenrente beinhaltet. Hat der Nachfrager unter mehreren Produktalternativen in einer Produktkategorie zu wählen, entscheidet er sich als rationaler Konsument für dasjenige Produkt mit dem höchsten Customer Value. Mitunter wird als Nettonutzen die Differenz von Bruttonutzen und Transaktions- und Divergenzkosten (p ri - TR i ) bezeichnet; dann ist vom Nettonutzen der Verkaufspreis (p i ) abzuziehen, um zum Customer Value (CV i ) zu gelangen. Aus Anbietersicht verursacht die Herstellung und Vermarktung eines Produkts Kosten. Anbieterseitige Transaktionskosten sind hierbei Bestandteil der Produktionskosten. Übersteigt der Verkaufspreis die Produktionskosten (auf Vollkostenbasis) für eine Produkteinheit, erzielt der Anbieter einen positiven Stückgewinn, der als Produzentenrente bezeichnet wird, aber sich - plakativ in sprachlicher Anlehnung an den Customer Value - als Shareholder Value (je verkaufter Produkteinheit) bezeichnen lässt. Die Differenz zwischen Reservationspreis eines Produkts aus Nachfragersicht und den betreffenden Produktionskosten beinhaltet den Wohlfahrtsgewinn einer Transaktion (Transaktionsgewinn). Folglich setzt sich der Wohlfahrtsgewinn einer Transaktion aus Produzenten- und Konsumentenrente bzw. Shareholder Value und Customer Value additiv zusammen (vgl. Abbildung 1.2-1). <?page no="16"?> 1.1 Definition des Preises 17 Abbildung 1.2-1: Aufteilung des Wohlfahrtsgewinns Der Zielkonflikt zwischen Anbieter und Nachfrager bei einer Transaktion besteht darin, dass der Nachfrager nach der Maximierung seines Customer Value (Konsumentenrente), der Anbieter nach der Maximierung des Shareholder Value (Produzentenrente) strebt, wobei ceteris paribus eine Steigerung des einen Zielkriteriums zulasten des anderen geht. Der Preis nimmt hierbei die Aufteilung des Wohlfahrtsgewinns vor: Je höher ceteris paribus in einer Transaktion der Verkaufspreis ist, desto kleiner (größer) ist der Customer Value (Shareholder Value). Mit steigendem Verkaufspreis wandelt der Anbieter die Konsumentenrente eines kaufenden Nachfragers in seine Produzentenrente um (Abschöpfen der Konsumentenrente). 1.2.2 Implikationen des Customer Value für die Preispolitik Aus dem Entscheidungskalkül eines Nachfragers, dasjenige Produkt zu präferieren, welches ihm den höchsten Customer Value bietet, leiten sich für das Preismanagement und das gesamte Marketing zwei zentrale Tatbestände ab: Alternative Kombinationen von Preis und Qualität Ausgangspunkt der Betrachtung in Abbildung 1.2-2 sind zwei Nachfrager (I; II), die sich drei Produktalternativen (Marken) A, B und C gegenübersehen. Marke B besitzt in Abbildung 1.2-2 eine höhere Produktqualität (Leistung) als Marke A oder C, was zu einer korrespondierenden Abstufung der Reservationspreise (p rB > p rA > p rC ) und Verkaufspreise (p B > p A > p C ) führt. Transaktionskosten sollen nicht auftreten. <?page no="17"?> 18 1 Einleitung Abbildung 1.2-2: Alternative Kombinationen von Preis und Qualität Nachfrager I ist ein qualitätsbewusster Konsument, weshalb die höhere Qualität von Marke B gegenüber A bzw. von A gegenüber C jeweils zu einem deutlich höheren Reservationspreis führt. Anhand des Entscheidungskalküls des Customer Value wählt Nachfrager I folglich Marke B. Nachfrager II ist demgegenüber wenig qualitätsbewusst, weshalb mit der höheren Produktqualität nur geringfügig höhere Reservationspreise einhergehen. Daher bietet für ihn Marke C den höchsten Customer Value. Da der Customer Value von der Nutzenstiftung und dem Verkaufspreis determiniert wird, lässt sich a priori keine Präferenz eines Nachfragers für eine bestimmte Preis-Qualitäts-Lage ableiten. Ferner können völlig unterschiedliche Preis-Qualitäts-Kombinationen bei verschiedenen Konsumenten bzw. sogar beim gleichen Nachfrager denselben Customer Value stiften. Customer Value Marke A Marke C Marke B Verkaufspreis Reservationspreis Verkaufspreis Reservationspreis Customer Value Customer Value Verkaufspreis Reservationspreis Nachfrager I Marke A Marke C Marke B Verkaufspreis Reservationspreis Verkaufspreis Reservationspreis Verkaufspreis Reservationspreis Nachfrager II p <?page no="18"?> 1.1 Definition des Preises 19 Wechselspiel von Zusatzkosten und Kaufpreis Betrachtet werden nunmehr in Abbildung 1.2-3 zwei Geschäftsstätten, welche eine identische Marke verkaufen: Anbieter A offeriert die Marke zu einem höheren Verkaufspreis als Anbieter B, der Nachfrager sieht bei Anbieter A aber deutlich geringere Transaktions- und Divergenzkosten: So mag die Geschäftsstätte des Händlers A für den Nachfrager räumlich leichter zu erreichen sein oder durch entsprechenden Service einen zeitlichen schnelleren Einkauf (z.B. ausreichende Parkplätze; geringe Wartezeiten an der Kasse) ermöglichen. Abbildung 1.2-3: Wechselspiel von Zusatzkosten und Kaufpreis Anhand des Customer Value als Entscheidungskalkül präferiert der Nachfrager in der obigen Abbildung Händler A, obwohl er für das Produkt einen höheren Kaufpreis als bei Händler B entrichten muss. Allgemein kann ein Anbieter für sein Produkt einen höheren Verkaufspreis durchsetzen und dennoch dem Nachfrager einen größeren Customer Value stiften, wenn die Nachfrager bei ihm nur geringe Zusatzkosten sehen: Umgekehrt muss ein Anbieter, mit dem die Nachfrager vergleichsweise hohe Zusatzkosten verbinden, Zugeständnisse im Verkaufspreis machen, um einen gleich hohen Customer Value wie sein Konkurrent zu bieten. 1.2.3 Königsweg im Marketing Der Konflikt in einer Transaktion dreht sich um die Aufteilung des Wohlfahrtsgewinns mit Hilfe des Preises: Eine Erleichterung dieses Konflikts besteht darin, wenn der Wohlfahrtsgewinn, d.h. die unter Anbieter und Nachfrager zu verteilende „Beute“, steigt (vgl. Abbildung 1.2-4): Verkaufspreis Reservationspreis Anbieter B Transaktions- und Divergenzkosten customer Value Verkaufspreis Reservationspreis Anbieter A Transaktions- und Divergenzkosten customer Value p <?page no="19"?> 20 1 Einleitung Abbildung 1.2-4: Königsweg in Marketing Verglichen mit der Situation I weist das Produkt in Situation II durch Aktivitäten des Anbieters eine höhere Nutzenstiftung auf: So hat er bspw. Marktforschung betrieben, um ein besser auf die Nachfragervorstellungen angepasstes Produkt zu schaffen oder er bietet ein qualitativ leistungsfähigeres Produkt an. Dadurch besitzt das Produkt zwar höhere Produktionskosten, aber auch der Reservationspreis des Nachfragers ist in Situation II höher als in Situation I. Steigt der Reservationspreis des Nachfragers dadurch stärker als die korrespondierenden Produktionskosten des Anbieters, ist der Wohlfahrtsgewinn größer. Daher können die Transaktionspartner einen höheren Preis vereinbaren, bei dem sowohl die Produzentenrente als auch die Konsumentenrente größer ist: Eine Erhöhung des Customer Value führt dann zu einer Steigerung des „Shareholder Value“. Dies ist ein konzeptionell einfacher, aber grundlegender Ansatz in der Preispolitik und im Marketing. p Produktionskosten maximale Zahlungsbereitschaft Preis Reservationspreis Produzentenrente Konsumentenrente Situation I Produktionskosten maximale Zahlungsbereitschaft Preis Reservationspreis Produzentenrente Konsumentenrente Situation II <?page no="20"?> 1.1 Definition des Preises 21 1.3 Rolle des Preises im Marketing-Mix Der Preis gilt als „…eine der schärfsten Marketingwaffen“ (Diller 2008, S. 21), was folgende Zitate unterstreichen: „ [ …] of all the tools available to the marketers, none is more powerful than price“ (Han et al. 2001, S. 435) und „[…] pricing decisions can make or break a company“ (Armstrong/ Kotler 2007, S. 262). In einer Befragung von amerikanischen und europäischen Führungskräften hinsichtlich des Problemdrucks nahm die Preisbestimmung die erste Stelle, vor der Produktdifferenzierung, der Neuprodukteinführung oder der Vertriebskostensenkung ein (vgl. Simon/ Dolan 1997, S. 15). Die Global Pricing Study 2012 mit 2713 Unternehmen ergab, dass 83 % der Befragten den Eindruck hatten, der Preisdruck in ihrer Branche nehme zu; 59 % wähnten sich in einem „Preiskrieg“ (vgl. o. V. 2014, S. 15). Der besondere Stellenwert des Preises im Marketing-Mix hat mehrere Ursachen (vgl. zu Einzelaspekten bspw. Böcker/ Helm 2003, S. 301f.; Diller 2008, S. 22f.; Siems 2009, S. 10f.): Starker Marktresponse auf Preisänderungen Der Preis stellt aus Nachfragersicht eine Sucheigenschaft eines Produkts dar, was einen unmittelbaren Vergleich der Produktpreise erlaubt; zudem handelt es sich beim Preis um eine leicht kommunizierbare Produkteigenschaft. Ferner trifft der Preis als unmittelbare Determinante des Customer Value auf das Interesse vieler Nachfrager bei der Kaufentscheidung bzw. die Bedeutung des Preises als Produkteigenschaft (Preisbewusstsein) ist bei vielen Nachfragern hoch („Geiz ist geil“-Mentalität). Deshalb fällt der Response der Nachfrager auf Preisveränderungen - operationalisiert bspw. im Konzept der Preiselastizität - stärker als bei vergleichbaren Niveauänderungen anderer Marketinginstrumente aus. So zeigen Studien, dass die Preiselastizität in Business-to-Consumer-Märkten bis zu zwanzigmal höher als die Werbeelastizität bzw. in Business-to-Business-Märkten bis zu achtmal höher als die Außendienstelastizität ist (vgl. Tellis 1988, S. 337; Simon/ Faßnacht 2009, S. 7). Absatz-, Umsatz-, Kosten- und Gewinntreiberwirkung des Preises Kernelement der Preistheorie und Preispolitik ist, dass Preiserhöhungen (Preissenkungen) den Absatz eines Unternehmens vermindern (erhöhen). Diese unmittelbare Absatztreiberwirkung des Preises hat Folgen für weitere betriebliche Tatbestände (vgl. Abbildung 1.3). Der Umsatz eines Unternehmens ist definiert als mathematisches Produkt von Absatzmenge und Verkaufspreis. Damit wirkt eine Preisänderung sowohl über die Absatzmenge als auch über den Preis auf den Umsatz ein (Umsatztreiberwirkung). Eine Veränderung der Absatzmenge beeinflusst zugleich die Produk- <?page no="21"?> 22 1 Einleitung tionskosten des Unternehmens. Erhöht sich (sinkt) die Absatzmenge aufgrund einer Preissenkung (Preiserhöhung), steigen (sinken) die variablen Kosten und damit die Gesamtkosten im Unternehmen (Kostentreiberwirkung). Auf den Gewinn eines Unternehmens, definiert als Differenz von Umsatz und Kosten, wirkt der Preis somit über beide Einflussgrößen ein (Gewinntreiberwirkung). Hierbei kann eine geringfügige Preisänderung einen überproportionalen Effekt auf Umsatz oder Gewinn ausüben. Dies wird als Hebelwirkung des Preises bezeichnet (vgl. zu den Treiberfunktionen des Preises auch Simon/ Dolan 1997, S. 28-36). Abbildung 1.3: Treiberwirkungen des Preises Fallbeispiel Ein Unternehmen erzielt bislang für ein Produkt mit einem Preis p = 100 eine Absatzmenge x = 1000. Die mengenvariablen Stückkosten der Herstellung betragen k v = 80, die Fixkosten K f = 10000. Folglich erhält das Unternehmen einen Umsatz von U = p x = 100 1000 = 100000, es fallen Gesamtkosten von K = K f + k v x = 10000 + 80 1000 = 90000 an. Der Gewinn als Differenz von Umsatz und Kosten beträgt folglich G = 10000. Das Unternehmen führt eine Preiserhöhung um 10 % durch, wodurch sich die Absatzmenge und damit die zu produzierende Menge um 20 % (Absatztreiberwirkung) vermindert. Die neue Preis-Mengen-Kombination beträgt damit p´ = 110 und x´ = 800, woraus ein Umsatz von U´ = 88000, Gesamtkosten in der Produktion von K´ = 10000 + 80 800 = 74000 und folglich ein Gewinn von G´ = 14000 resultieren. In diesem Szenario bewirkt eine Preiserhöhung von 10 % eine Umsatzverminderung von 12 % (Umsatztreiberwirkung), eine Kostenreduzierung aufgrund der zurückgegangenen Absatzbzw. Produktionsmenge von 17,78 % (Kostentreiberwirkung) und eine Gewinnerhöhung von 40 %. Preis Absatzmenge Preis Umsatz Produktionsmenge variable Kosten Fixkosten G e winn <?page no="22"?> 1.1 Definition des Preises 23 Das Ausgangsbeispiel mit der Preiserhöhung um 10 % bildet die „landläufige“ Argumentation ab, wonach ein Unternehmer durch Preiserhöhungen seinen Gewinn steigere. Gegeben sei nunmehr folgendes Szenario: K f = 300000, k v = 10, p = 320, x = 1000. Hieraus folgt für den Umsatz U = 320000 und G = 10000. Der Anbieter führt eine Preiserhöhung um 10 % durch, was zu einem Absatzrückgang von 10 % führt. Mit p´ = 352 und x´ = 900 resultiert als neuer Umsatz U´ = 316.800 und mit den neuen Gesamtkosten von K´ = 300000 + 10 900 = 309000 ergibt sich G´ = 7800. Die Preiserhöhung von 10 % führt zu einer Gewinnminderung um 22 %. Ohne genauere Kenntnisse der Höhe der Absatztreiberwirkung und der betrieblichen Produktionsverhältnisse lässt sich keine A-priori-Aussage treffen, welche Gewinnwirkung eine Preisveränderung besitzt. Dies macht Preisentscheidungen komplex. Intelligente Preispolitik als effizienter Gewinntreiber In vielen Unternehmen stoßen die Rationalisierungsprogramme an ihre Grenzen bzw. die Erschließung neuer Kostensenkungspotenziale zur Gewinnsteigerung erfordert hohe Investitionen in neue technologische betriebliche Infrastrukturen. Ferner ist es in gesättigten Märkten schwierig, eine Steigerung der Absatzmenge zu realisieren, da sich Konkurrenten vehement mit Gegenmaßnahmen in ihrem Marketing gegen eigene Marktanteilsverluste wehren. Demgegenüber sind in vielen Unternehmen Verbesserungspotenziale im Bereich der Preispolitik noch nicht „ausgereizt“ (vgl. Simon/ Faßnacht 2009, S. 8): Durch einen besser an Markt- und Konkurrenzbedingungen angepassten Preis (intelligente Preiskalkulation) oder intelligente Preissysteme lassen sich Gewinnsteigerungen realisieren. Die Erschließung von Ertragspotenzialen durch intelligente Preispolitik darf aber nicht dazu führen, dass ein Unternehmen deshalb die „Kostenfront“ vernachlässigt. Preis als taktisches und strategisches Instrument Im Gegensatz zur Änderung des kommunikationspolitischen Auftritts, der Durchführung von Produktvariationen oder Umstrukturierungen im Vertriebsnetz, benötigen preispolitische Aktivitäten (Preisänderungen) einen wesentlich geringeren zeitlichen Vorlauf. Der Preis kann von allen Marketingvariablen am schnellsten verändert werden (vgl. bspw. Siems 2009, S. 9; Mattmüller/ Tunder 2004, S. 260) und führt in der Regel zu sofortigen Absatzwirkungen. Möglicherweise muss in der Preisdatenbank nur die Preisziffer geändert werden und der betreffende Artikel besitzt auf dem elektronischen Preisschild im Handelsregal sofort den neuen Verkaufspreis. Zudem erfordern Preisänderungen keine Investitionen wie bspw. produkt- oder kommunikations-politische Maßnahmen (z.B. Änderungen im Produktionsprozess; Erstellen von Werbespots; Belegen von <?page no="23"?> 24 1 Einleitung Werbeplätzen). Daher ist die Preispolitik ein Marketinginstrument, das der Anbieter kurzfristig einsetzen kann. Allerdings vermögen auch Konkurrenten auf preispolitische Aktivitäten eines Unternehmens ohne nennenswerte Zeitverzögerung zu reagieren, zumal sie aufgrund der nachfragerbedingt starken Absatzwirkung des Preises die Folgen von Preisveränderungen ihrer Konkurrenten unmittelbar zu spüren bekommen. So zeigen Studien, dass die Reakionselastizität der Konkurrenten etwa doppelt so hoch wie diejenige bei Werbung ist (vgl. Simon 1992, S. 7). Aufgrund der geringen Vorlaufzeit und der bereits kurzfristig spürbaren Marktwirkungen handelt es sich bei der Preispolitik folglich um ein flexibles, taktisches Marketinginstrument, das auch kurzfristige Unternehmensinterne Dimensionen aufweist. So lässt sich durch Sonderangebote der Absatz des Produkts zumindest kurzfristig steigern, was dem Unternehmen Liquidität („Notverkäufe“) zuführt (finanzwirtschaftliche Dimension) oder Lagerbestände abbaut (logistische Dimension), um freie Lagerkapazitäten für neue Ware zu schaffen oder dem modischen bzw. technischen Verschleiß des Produkts zuvorzukommen. Dieser kurzfristige Wirkungscharakter birgt aber auch die Gefahr, dass auf festgestellte Absatzprobleme ohne exakte Ursachenanalyse möglicherweise vorschnell mit Preissenkungen reagiert wird. Die Preisstellung für ein Produkt besitzt ebenso langfristige (strategische) Wirkungen: Die in der Vergangenheit für ein Produkt gesetzten Preise können als Referenzpreise für die Bewertung aktueller Preise fungieren (vgl. Abschnitt 2.1). Dadurch entstehen Carry-over-Effekte in der Preispolitik. Analoges gilt für das Preisimage eines Produkts. Ferner lässt sich die einmal gewählte Positionierung eines Produkts mit einer spezifischen Preis-Qualitäts-Kombination (Preislage) nur langfristig verändern, da dies eine Umpositionierung im Produktmarktraum impliziert, die von den Nachfragern erst gelernt werden muss. Signalwirkung des Preises Das Setzen von Preisen besitzt ferner Signalwirkung für Konkurrenten: So mag ein hoher Preis ein attraktives Gewinnpotenzial in einer Branche suggerieren und damit neue Konkurrenten anlocken; umgekehrt signalisiert ein niedriger Preis in einem Geschäftsfeld, dass „hier offensichtlich nichts zu verdienen ist“. 1.4 Inhalt des Preismanagements Versteht man die Preispolitik als Gesamtheit der Strategien und operativen Entscheidungen, die sich mit der monetären Gegenleistung des Nachfragers beschäftigen, beinhaltet das Preismanagement die Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle der Preispolitik. Anstelle von Preispolitik finden sich auch <?page no="24"?> 1.1 Definition des Preises 25 die Begriffe der Entgeltpolitik oder Gegenleistungspolitik (vgl. bspw. Siems 2009, S. 4-5). In einer etwas weiter gefassten Definition rechnet das Preismanagement zur Kontrahierungspolitik bzw. Konditionenpolitik des Anbieters. Hierunter ist die Gesamtheit der Transaktionsbedingungen zu verstehen, die neben der Festlegung des Preises vor allem die Lieferungs- und Haftungsbedingungen (z.B. Lieferzeitpunkt; Gefahrenübergang; Garantien) umfassen (vgl. bspw. Bruhn, 2012, S. 165f.; Thommen/ Achleitner 2012, S. 211). Mehrere Aktionsbzw. Aufgabenbereiche der Preispolitik bzw. des Preismanagements sind hierbei abzugrenzen (vgl. Abbildung 1.4): Abbildung 1.4: Aktions- und Aufgabenbereiche des Preismanagements Im Zentrum des Preismanagements steht die Bestimmung der Höhe der monetären Gegenleistung, die ein Nachfrager zu erbringen hat (Preiskalkulation). In der Regel handelt es sich jedoch nicht nur um die Festlegung des Grund- oder Listenpreises für ein bestimmtes Produkt, sondern um die Ausgestaltung eines Preissystems, das mit Zu- oder Abschlägen (z.B. Rabatte) den Grundpreis in einer konkreten Transaktionsbeziehung modifiziert. Aus strategischer (langfristiger) Sicht beinhaltet die Bestimmung der Preishöhe die Preispositionierung bzw. die Wahl der Preislage, die das Produkt am Markt einnehmen soll. Die Preispositionierung ist hierbei nicht isoliert von dazu korrespondierenden pro- P r ei sma na gement Pricingprozesse Preiskalkulation Zahlungsbedingungen Bestimmung der Preishöhe: Konzeption von Preissystemen Preisadministration Preis-Controlling Preisorganisation Preisdurchsetzung Preispräsentation Preisverhandlungen „effektiver“ Preis <?page no="25"?> 26 1 Einleitung dukt- und kommunikationspolitischen Entscheidungen zu trennen. Ferner ist die Bestimmung der Preishöhe in die Wettbewerbsstrategie des Unternehmens eingebettet, da der Preis als eine sehr „scharfe Waffe“ im Wettbewerbsinstrumentarium gilt. Die Gestaltung der Zahlungsbedingungen (Zahlungskonditionen; vgl. bspw. Kailing 2006, S. 47-57) umfasst die Festlegung der Zahlungsform (Fakturierung), d.h. die Art der Zahlungsmittel, die der Anbieter als Gegenleistung akzeptiert, und das Einräumen von Zahlungszielen (Absatzkreditpolitik). Der erste Aspekt spielt vor allem im internationalen Marketing eine Rolle; der zweite Aspekt ist häufig in Business-to-Business-Märkten relevant; insbesondere bei industriellen Großprojekten stellt die Ausarbeitung eines Zahlungsbzw. Finanzierungskonzepts für den Kunden (Financial Engineering; vgl. bspw. Backhaus/ Voeth 2010, S. 359-376) einen wichtigen Bestandteil des komplexen Leistungsangebots (System Selling) des Anbieters dar. Ergebnis des Preissystems und der Zahlungsbedingungen ist der sog. effektive Preis für ein Produkt. Hierunter soll die tatsächliche Höhe der monetären Gegenleistung verstanden werden, zu der der Nachfrager eine Leistungseinheit des Anbieters erwirbt. Dies ist der Listenpreis, korrigiert um mögliche Zubzw. Abschläge, die das Preissystem definiert. Dieser effektive Preis verbleibt dem Anbieter dann als Umsatzerlös je verkaufter Mengeneinheit. In bestimmten Preissystemen lässt sich dieser effektive Preis hierbei erst nachträglich bestimmen. Bei Zahlungszielen besteht der effektive Preis aus dem Barwert des zeitlich später zu entrichtenden Verkaufspreises. Neben der Festlegung des Listenpreises bzw. der Ausgestaltung des Preissystems müssen die (kalkulierten) Preise gegenüber dem Nachfrager durchgesetzt werden. Als Zielpreis bezeichnet man hierbei den Preis, den der Anbieter am Markt realisieren will (vgl. Diller 2008, S. 351). Dies betrifft zum einen die Preispräsentation, um die Nachfrager über die jeweiligen Angebotspreise bzw. das Preissystem zu informieren, zum anderen aber auch, um die Preise aus Sicht der Nachfrager möglichst positiv darzustellen. Hier spielen psychologische Effekte der Wahrnehmung und Beurteilung von Preisstimuli eine zentrale Rolle. Dies ist ein Gegenstand des Behavioral Pricing“. Der Verkaufspreis, den ein Anbieter für seine Leistung nennt, ist lediglich ein „Preisvorschlag“. In vielen Branchen ist es „Gepflogenheit“, dass der Nachfrager entweder dieses Preisangebot akzeptiert oder ablehnt, indem er ein anderes Produkt erwirbt oder keinen Kauf tätigt. In manchen Branchen stellt das Aushandeln des effektiven Preises hingegen einen expliziten Gegenstand der Verkaufsverhandlungen zwischen Anbieter und Nachfrager dar (Preisverhandlungen). Auch im Business-to-Consumer-Bereich besteht die Möglichkeit, vor allem über die Gewährung von Rabatten mit dem Anbieter um den effektiven Preis zu „feilschen“ (Bargaining). Allgemein versucht der Anbieter in den <?page no="26"?> 1.1 Definition des Preises 27 Preisverhandlungen seine Preisvorstellung, die er in der Preiskalkulation erarbeitet hat, zu realisieren, wozu die Verhandlungsforschung und die Praxisliteratur eine Vielzahl von „Taktiken und Tricks“ kennen (vgl. bspw. Voeth/ Herbst 2011; Pepels 2006, S. 124f.). Preisverhandlungen verursachen Transaktionskosten, weshalb sie vor allem bei Individualtransaktionen mit kundenspezifischen Produkten oder Transaktionen mit hoher monetärer Dimension (Großeinkauf) auftreten. Allerdings mag aus Sicht mancher Nachfrager das Bargaining als Aktivität „an sich“ einen nutzenstiftenden Charakter aufweisen, weshalb er jede Gelegenheit nutzt, einen Preisnachlass „rauszuschlagen“. Die inhaltliche Ausgestaltung des Preismanagements konkretisiert sich in den Preisstrategien des Unternehmens: Dies sind bezogen auf die Aktionsinstrumente („Stellhebel“) in Preiskalkulation und Preisdurchsetzung „[…] aufeinander abgestimmte und an den langfristigen Unternehmenszielen ausgerichtete Ziel- und Handlungskonzepte der Preispolitik, die auf die Erschließung und Sicherung von Erlöspotenzialen für das Unternehmen abzielen“ (Diller 2008, S. 210). Die Preisadministration befasst sich mit der Unternehmensinternen Durchführung der Preiskalkulation und Preisdurchsetzung, um diese Pricingprozesse effizient zu gestalten. Dem Preiscontrolling obliegt hierbei die Informationsversorgung der Entscheidungsträger im Rahmen der Planung, aber auch bezogen auf die Überprüfung (Kontrolle) der getroffenen Preisentscheidungen (vgl. Diller 2008, S. 434-443; Florissen 2005; Reinecke/ Janz 2007, S. 205-238). Die Preisorganisation beinhaltet den aufbau- und ablauforganisatorischen Rahmen der Pricingprozesse (vgl. Diller 2008, S. 428-434): Dies sind Aufgaben der Stellenbildung (wer macht welche Aufgaben in den Pricingprozessen? ) und insbesondere der Kompetenzfestlegung, welche Stelle im Unternehmen bzw. Konzern die Entscheidungshoheit zur Bestimmung des Verkaufspreises hat (vgl. bspw. Simon/ Faßnacht 2009, S. 358-362): So mag die Preishoheit im Konzern beim Mutterunternehmen oder bei den einzelnen Tochtergesellschaften, innerhalb eines Unternehmens bei der Geschäftsführung, dem Marketingbereich, dem Vertriebsbereich oder einer eigenen Preisabteilung liegen. Eine solche Organisationseinheit innerhalb des Marketings, in der die Pricingprozesse gebündelt sind, bietet sich für Unternehmen mit großen Sortimenten und häufigen Preis(veränderungs-)entscheidungen an (vgl. Simon/ Faßnacht 2008, S. 364). Insbesondere bei Existenz eines Vertriebsaußendienstes ist es ferner relevant, welche Preisentscheidungskompetenz Außendienstmitarbeiter gegenüber dem Kunden besitzen (vgl. bspw. Hake/ Krafft 20011): So könnten Außendienstmitarbeiter in bestimmten Grenzen (z.B. bis zu 5 %) vom Listenpreis bzw. dem vom Management vorgegebenen (kalkulierten) Zielpreis abweichen und dem Kunden einen entsprechenden Preisnachlass gewähren. Sieht der Außendienstmitarbeiter die Notwendigkeit eines höheren Preisnachlasses, um einen Verkauf realisieren zu können, muss er sich vom Management erst hierfür „grünes <?page no="27"?> 28 1 Einleitung Licht“ geben lassen. Damit Außendienstmitarbeiter nicht vorschnell zum Verkaufsargument des Preisnachnachlasses gegenüber dem Kunden greifen, erhalten sie Preisdurchsetzungsprovisionen: Dies soll Außendienstmitarbeiter motivieren, in den Verkaufsverhandlungen möglichst wenig vom Zielpreis abzuweichen. Aus personeller Sicht werden multifunktionelle Pricingteams empfohlen (vgl. Diller 2008, S. 431), in denen Mitarbeiter aus verschiedenen Unternehmensbereichen (z.B. Marketing/ Preisabteilung; Produktion; Controlling; Rechnungswesen) bestimmte Aufgaben vor allem in der Preiskalkulation durchführen. Diese Pricingteams erhalten möglicherweise Verstärkung durch externe Berater (Preisberater), die in strategischen Fragen (z.B. Preislagenwahl für eine Innovation), aber auch im taktisch-operativen Bereich mit Preisanalysen (z.B. konkrete Preiskalkulation; Überprüfung eines Preisanpassungsbedarfs) ihr Know-how einfließen lassen. Ferner bildet sich das Berufsbild eines Preismanagers heraus (vgl. Diller 2008, S. 430; Simon/ Faßnacht 2009, S. 363), der Preisanalysen und Preiskalkulationen durchführt sowie die Pricingprozesse im Unternehmen koordiniert. Preispolitik und Preismanagement erfordern die Gewinnung, Analyse und Speicherung der hierfür benötigten Informationen, die in einer Preisdatenbank zusammengeführt werden (vgl. hierzu und im Folgenden Diller 2008, S. 444-454 und Diller/ Kossmann 2007): Diese Datenbank (Data Warehouse) ist die Informationsgrundlage für die preispolitischen Entscheidungen, wobei die Informationen aus dem Unternehmen selbst (z.B. Rechnungswesen; Absatzstatistik) stammen, von externen Quellen durch Primär- oder Sekundärmarktforschung bezogen oder aber auch durch Analyse des vorhandenen Datenpools (z.B. Datamining) gewonnen werden können. Ferner setzen Preisinformationssysteme als Werkzeuge (Tools) im Preismanagement auf der Preisdatenbank auf: Preisanalyse-Tools dienen der Gewinnung von Informationen über die aktuelle „Preissituation“ im Unternehmen und am Markt. So sollte ein solches Tool die Preisperformance des Unternehmens anzeigen (z.B. welche Umsätze oder Gewinne werden auf Transaktions-, Kunden- oder Geschäftsbereichsebene erzielt) oder die Notwendigkeit von Preisveränderungen und „Nachjustierungen“ in den Preissystemen signalisieren. Preismanager-Tools erhöhen die Transparenz preispolitischer Entscheidungen, indem sie bspw. anhand von Preisregeln (Kalkulationsalgorithmen) Preisvorschläge liefern oder den Preis sogar explizit bestimmen, Szenarien für Umsatz- und Gewinnwirkung von Preisänderungen durchspielen oder Preisbenchmarks wie Preisuntergrenzen bestimmen. Preisdurchsetzungs-Tools sollen die Preisdurchsetzung gegenüber dem Kunden in den Preisverhandlungen unterstützen und damit als Baustein des Computer Aided Selling-Systems (CAS) vor allem die Informationsposition des Außendiensts verbessern: So signalisiert ein solches Tool bspw. die Ertragswirkung der Veränderung verschiedener Preisparameter (Rabatt, Bonus, Zahlungsziel), zeigt <?page no="28"?> 1.1 Definition des Preises 29 das Unterschreiten von Preisbenchmarks an, gibt Informationen über anstehende Listenpreisänderungen oder informiert den Außendienstmitarbeiter über die in einem definierten Zeitraum mit einem Kunden realisierten Umsätze (Kundenstatistik). Die Aufgabenbereiche des Preismanagements in Abbildung 1.4 haben seit einiger Zeit eine Akzentverschiebung erfahren, da für viele Unternehmen Fragestellungen der Organisation der Preisbestimmung (z.B. Kompetenzen in der Preisfestlegung), der strukturellen Ausgestaltung eines Preissystems, der Preisdurchsetzung oder des Preis-Controllings eine größere Relevanz als die eigentliche numerische Preisoptimierung besitzen (vgl. Simon 2004, S. 1086-1088). Dies gilt vor allem im Business-to-Business-Bereich, im Verhältnis von Hersteller und Handel oder bei langfristigen Geschäftsbeziehungen. Die numerische Preisoptimierung erweist sich häufig aufgrund der Vielzahl von Artikeln, Marken, Produktlinien oder Geschäftsfeldern eines Anbieters als komplex in ihrer Durchführung; zudem liegen die hierfür benötigten Informationen (Preis-Absatz- Funktionen, Kostenfunktionen) meist nicht in der erforderlichen Quantifizierung in der Preisdatenbank vor oder die Preismanager haben die numerische Bestimmung des Verkaufspreises an das Preismanager-Tool oder externe Berater delegiert. Daher konzentrieren sich Unternehmen auf eine Verbesserung der Organisation und Kontrolle der Preisfindung und Preisdurchsetzung. Allerdings impliziert eine solche Verbesserung im Sinne eines Pricingprozesses immerhin ein „schrittweises Herantasten“ an den theoretisch-konzeptionell optimalen Preis. Die Entscheidungen des Preismanagements haben den rechtlichen Rahmen, den eine Vielzahl von Einzelgesetzen und Verordnungen abgrenzt (vgl. zu einer Übersicht bspw. Diller 2008, S. 66), zu beachten. Als rechtliche Grundlagen für das Preismanagement stehen vor allem das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB; Kartellgesetz) im Vordergrund. Wenngleich im Folgenden nicht beabsichtigt ist, ein juristisches Lehrbuch über das Preisrecht zu verfassen, müssen dennoch Rechtsfragen in der Preispolitik behandelt werden, da der geltende Rechtsrahmen die preispolitische Freiheit eines Unternehmers teilweise recht stark einengt; zudem sind juristische Streitfälle mit preispolitischem Hintergrund in der Marketingpraxis häufig. Ziel ist es daher, für rechtliche Sachverhalte im Bereich der Preispolitik zu sensibilisieren. <?page no="30"?> 2 Behavioral Pricing Die Preistheorie hat lange Zeit das idealisierende Paradigma des rational agierenden Nachfragers (Homo oeconomicus) als Verhaltensmodell unterstellt. Inzwischen etabliert sich eine stärker verhaltenswissenschaftliche, vor allem psychologisch orientierte Fundierung des preisbezogenen Nachfragerverhaltens (vgl. zu Übersichtsbeiträgen bspw. Diller 1999a, S. 49-52; Liu/ Soman 2008, S. 659- 681; Monroe/ Lee 1999; Wricke et al. 2000). Da sich dieser Forschungsbereich des Behavioral Pricing als sehr dynamisch darstellt, existiert kein in sich geschlossenes Erklärungsmodell, sondern es liegt eine Vielzahl von Theorien, Konzepten und empirischen Ergebnissen zu Einzelaspekten vor. Daher kann auch die folgende Darstellung nur ein „mosaikhaftes“ Bild des preisbezogenen Nachfragerverhaltens vermitteln. In einer engen Begriffsauffassung werden unter dem Behavioral Pricing Phänomene verstanden, die das Framing eines Preises das Nachfragerverhalten beeinflussen (vgl. Liu/ Soman 2008, S. 660). Framing bezeichnet hier Sachverhalte, wie der Verkaufspreis dem Nachfrager präsentiert wird, aber auch wie ein Nachfrager den Verkaufspreis wahrnimmt. Bei einer rational agierenden Person darf das bloße Framing eines Preises ohne Veränderung der Preishöhe ihr Entscheidungsverhalten nicht beeinflussen. Empirische Studien zeigen jedoch, dass Nachfrager in vielfältiger Weise diese sog. Beschreibungsinvarianz im Entscheidungsverhalten verletzen. In einer weiten Begriffsauffassung, der hier gefolgt wird, umfasst das Behavioral Pricing alle Aspekte der individuellen Wahrnehmung, Verarbeitung und Reaktion von Nachfragern auf den Stimulus-Preis. 2.1 Preisbewertung Unter einer Preisbewertung (Price Judgment) soll im Folgenden der subjektive Eindruck (Einstellung) des Nachfragers bezogen auf den Verkaufspreis eines Produkts (Preisstimulus) verstanden werden. Der zentrale Stellenwert der Preisbewertung liegt darin, dass ein solches „Preisurteil“ das Nachfragerverhalten gegenüber diesem Produkt beeinflusst; ferner mag der Nachfrager seine Preisbewertung anderen Konsumenten kommunizieren. 2.1.1 Prozessmodelle der Preiswahrnehmung und -verarbeitung In der Literatur sind mehrere Sequenzmodelle zur Darstellung der kognitiven Verarbeitung von Preisstimuli entworfen worden (vgl. bspw. Jacoby/ Olson 1977, S. 73-75 oder Dickson/ Sawyer 1990, S. 43). Abbildung 2.1-1 zeigt ein solches Modell. <?page no="31"?> 32 2 Behavioral Pricing Abbildung 2.1-1: Sequenzmodell der Preiswahrnehmung und -verarbeitung Die Encoding-Stufe umfasst die Transformation der objektiven Ausprägungen eines Preises (sog. O-Preis), den der Nachfrager bspw. in einem Geschäft physisch sieht, in einen subjektiven bzw. psychologischen (intrinsischen) Preisstimulus (sog. P-Preis), was auch als Preiswahrnehmung (Price Perception) bezeichnet wird (vgl. bspw. Lichtenstein et al. 1988, S. 243). Hierbei sind drei Teilschritte zu unterscheiden: Im Sensory Encoding erfolgt die konkrete physische Wahrnehmung des Stimulus (sog. kognizierter Preis; vgl. Müller 1996, S. 27). Im Lexical Encoding wird die Denotation (Hauptbedeutung) des Stimulus bestimmt, wodurch die sensorisch wahrgenommene Ziffernfolge auf einem Preisschild eine Bedeutung als monetäre Preishöhe des betreffenden Produkts erhält. Das Lexical Encoding stellt folglich eine - von Rundungsprozessen abgesehen - isomorphe Wahrnehmung des Preisstimulus dar. Eine hierbei häufig verwendete Rundungsstrategie beinhaltet, Ziffern, die kleiner als (größer gleich) 5 sind, auf den niedrigeren (höheren) 10-Betrag abzurunden (aufzurunden; vgl. Coulter 2007, S. 504) bzw. auf den nächstliegenden „glatten Betrag“ zu runden. Dies sind kognitive Vereinfachungsstrategien, um die Verarbeitung von Preisinformationen zu erleichtern. Eine Studie von Coulter (2007, S. 503f.) deutet hierbei an, dass die graphische Form einer Preisziffer, d.h. die sog. Zifferngerichtetheit eine Rolle bei Rundungstendenzen spielt: So gelten die Ziffern „5“ oder „6“ als „rechtsgerichtet“, die Ziffern 1, 2, 3, 4, 7 oder 9 als „linksgerichtet“, die Ziffer 8 als „neutral“. Setzt sich ein Preis aus Ziffern unterschiedlicher Zifferngerichtetheit zusammen, kann sich dies auf die (sehr kurzzeitige) sensorische Wahrnehmung der einzelnen Preisziffern auswirken: Preisziffern mit geringerer Wahrnehmungsaufmerksamkeit unterliegen dann einer größeren „Gefahr“, gerundet zu werden. Fraglich ist allerdings, ob sich solche äußerst „feingliedrigen“ Wahrnehmungseffekte außerhalb eines Laborexperiments mit studentischen Probanden bestätigen lassen. Im Gegensatz zum Lexical Enconding vollzieht sich im Categorial Encoding eine weitergehende Transformation des O-Preises, da hier die Konnotationen (Nebenbedeutungen) des Stimulus im Sinne von Bewertungen abgeleitet wer- Sensory Encoding Lexical Encoding Categorial Encoding Combination Response Encoding <?page no="32"?> 2.1 Preisbewertung 33 den: So nimmt ein Entscheider die Zifferfolge „2,59“ als Preis eines Produkts wahr (Sensory und Lexical Encoding) und weist ihm bspw. eine Kategorie „sehr hoch“ oder „recht preisgünstig“ zu (Categorial Encoding). Ein im Categorial Encoding bewerteter Preis erlaubt in der Combination- Stufe eine Aggregation mit der Einschätzung der anderen Eigenschaften des Produkts zu einem Gesamteindruck ( i ), den der Nachfrager von Produkt i besitzt, sofern alle Produkteigenschaften auf derselben Skala bewertet werden. Traditionell verwendet das Marketing hierfür das Konzept des Nutzens oder der Attraktivität. Demgemäß existiert im Categorial Encoding ein Teilnutzen bzw. Attraktivitätswert für alle Eigenschaftsausprägungen des Produkts ( ki ), einschließlich des Preises ( pi ) und möglicher Transaktionskosten ( TRi ). Berücksichtigt man ferner, dass die einzelnen Produkteigenschaften eine unterschiedliche Wichtigkeit (w) für den Nachfrager besitzen, lässt sich der Nutzen oder die Attraktivität von Produkt i ( i ) als multiattributives Modell abbilden (vgl. zu diesem Modelltyp bspw. Fischer 1995, S. 253; Weber/ Borcherding 1993, S. 2): (2.1-1) i = k=1 K w k ki + w p pi + w TR TRi , mit: k=1 K w k + w p + w TR = 1 In der obigen modelltheoretischen Formulierung sind die Teilnutzenwerte der Eigenschaftsausprägung der zu bewertenden Alternativen auf den Wertebereich 0 1 normiert. Bezogen auf den Preis erhält der höchste (niedrigste) Preis der betrachteten Alternativen folglich den Wert p. = 0 ( p. = 1). Je höher der Preis ist, desto geringer fällt der korrespondierende Teilnutzen aus. Bedingung (2.1-1) ist aus konzeptioneller Sicht äquivalent mit dem Customer Value aus Bedingung (1.1-1): Der Unterschied in beiden Darstellungsformen besteht lediglich darin, ob - wie in Bedingung (1.1-1) - eine monetäre Bewertung des Bruttonutzens, d.h. der Produkteigenschaften vorgenommen wird, oder - wie in Bedingung (2.1-1) - eine Nutzenbzw. Attraktivitätsbewertung des Kaufpreises und der Transaktionskosten erfolgt. In der Marketingpraxis ist neben bzw. anstelle des Customer Value oder der Nutzenbzw. Attraktivitätsbetrachtung eines Produkts das Konzept des Preis- Leistungs-Verhältnisses, formal exakt des Leistungs-Preis-Verhältnisses (LPV) eines Produkts, gebräuchlich. Die Leistung (L) eines Produkts verdichtet hierbei die nicht-preisbezogenen Eigenschaftsausprägungen eines Produkts zu einer einzigen Bewertungsgröße. Das Leistungs-Preis-Verhältnis gibt dann an, wie viel Leistung das Produkt i je zu zahlender Geldeinheit bietet: (2.1-2) LPV i = L i p i <?page no="33"?> 34 2 Behavioral Pricing Im Gegensatz zu Bedingung (2.1-1) erfordert das Leistungs-Preis-Verhältnis von Bedingung (2.1-2) kein Categorial Encoding des Preises, da der monetäre Preisstimulus des Lexical Encoding genügt. Konzeptionell offen bleibt in Bedingung (2.1-2) aber, wie die einzelnen nicht-preisbezogenen Eigenschaftsausprägungen eines Produkts zu dessen Leistung aggregiert werden. Zumindest in der „volkstümlichen“ Interpretation wird die Leistung eines Produkts häufig auf den Grundnutzenbereich (technisch-funktionale Eigenschaften) beschränkt, weshalb Zusatznutzenkomponenten außer Betracht bleiben. Ebenso bleiben die monetär aufzuwendenden Transaktionskosten aufgrund ihres oftmals nicht monetären Charakters im Leistungs-Preis-Verhältnis zumeist unberücksichtigt. Dann liefert das Entscheidungskalkül des Leistungs-Preis-Verhältnisses möglicherweise eine andere Aussage bezogen auf die Präferenz als Bedingung (1.1-1) und (2.1-1). In der Response-Stufe (vgl. Abbildung 2.1-1) kommt schließlich das sichtbare Ergebnis der Encoding- und Combination-Stufe zum Vorschein, was sich bspw. im Kauf oder Nicht-Kauf des betrachteten Produkts i konkretisiert. Ein rational handelnder Nachfrager wählt diejenige Alternative, die ihm den höchsten Nutzen (die größte Attraktivität), den höchsten Customer Value oder das beste Leistungs-Preis-Verhältnis gewährt. Ferner zählt zur Response-Stufe die verbale Wiedergabe der intrinsischen Bewertung des Preisstimulus ( p ), die ein Nachfrager bspw. im Rahmen einer Befragung oder der Kommunikation seines Preisurteils mit anderen Konsumenten äußert. Formal handelt es sich um eine Transformation des subjektiven P-Preises ( p ) in eine sprachliche Kategorie auf einer Antwortskala. Ein anders akzentuiertes Modell der Verarbeitung von Preisstimuli beinhaltet die Theorie des Mental Accounting (vgl. Thaler 1985, S. 199-204; Thaler 1999, S. 183-206; Liu/ Soman 2008, S. 660-670): Demnach wendet eine Person in Entscheidungs- und Bewertungsprozessen kognitiv (gedanklich) Prinzipien des kaufmännischen Rechnungswesens an, um Informationen im Zusammenhang mit einer Transaktion, wozu auch der Preis gehört, zu verarbeiten („verbuchen“). Hierzu bedient sich der Nachfrager Mental Accounts. Eine Anwendung solcher Mental Accounts beinhaltet die gedankliche Aufteilung des (monatlichen; wöchentlichen) Gesamtbudgets einer Person in Benefitspezifische Budgets (z.B. Lebensmittel; Bekleidung; Unterhaltung; Reisen). Jeder Kauf eines Produkts wird dem betreffenden spezifischen Budget zugeordnet bzw. belastet dieses. Da eine Person Gelder aus einem Budget nicht in ein anderes Budget transferiert („fehlende Fungibilität von Geld“), mag sie in einem Produktbereich entsprechende Käufe unterlassen, weil das spezifische Budget bereits ausgeschöpft ist, obwohl in anderen Budgets noch freie Gelder vorhanden sind (vgl. Heath/ Soll 1986, S. 41-43). Allerdings wendet eine Person durchaus Deklarierungstricks an, um durch einen Kauf ein bestimmtes, bereits knappes <?page no="34"?> 2.1 Preisbewertung 35 Budget nicht weiter zu belasten, sondern den Kauf in ein anderes, weniger ausgeschöpftes Budget zu verbuchen (vgl. Liu/ Soman 2008, S. 662). Hierbei kann auch der Anbieter bspw. im Verkaufsgespräch den Nachfrager auf alternative Budgetverbuchung bringen: So mag der Kauf eines Wintermantels nicht dem Budget „Bekleidung“ zugeordnet, sondern in das Budget „Gesundheitsvorsorge“ verbucht werden, weil der Verkäufer im Verkaufsgespräch die besonderen wärmenden Funktionen des Mantels hervorhebt. Eine weitere Ausprägung des Mental Accounting beinhaltet das Denken in Soll und Haben eines Kontos: Bei einer Transaktion stellt der Nachfrager den Kaufpreis dem erwarteten Nutzen gegenüber. Der Customer Value beinhaltet dann die Saldoposition dieses Mental Account. Fallen die Zahlung des Kaufpreises und der Konsum des Produkts zeitlich deutlich auseinander, verbucht die Person beide Sachverhalte möglicherweise nicht in den gleichen Mental Account (Transaction Decoupling): So werden bereits bezahlte Leistungen mit einem größeren „Erlebniswert“ (hedonischer Nutzen) verbunden als Leistungen, deren Preis erst noch zu entrichten ist (vgl. Prelec/ Lowenstein 1998): In der Vergangenheit geleistete Zahlungen sind bereits „ausgebucht“ bzw. „abgeschrieben“ (Payment Depreciation), während noch ausstehende Zahlungen mit dem betreffenden Nutzen des Produkts verrechnet werden: Bei bereits verbuchten Zahlungen tritt dann nur noch die Nutzenstiftung während des Konsums auf. Eine Implikation hiervon ist, dass ein Anbieter die Kundenzufriedenheit mit seinen Leistungen steigern kann, wenn er Vorauszahlungen von seinen Kunden erhält bzw. die Leistungserbringung von der Zahlung des Kaufpreises entkoppelt ist. Eine andere Form der Entkoppelung von Preis und Nutzenstiftung existiert bei Zahlungen, die in bestimmten Zeitintervallen (z.B. jährlich oder monatlich) geleistet werden, wobei die Person die (Dienst-)Leistung innerhalb eines Zeitintervalls in unterschiedlichem Umfang in Anspruch nehmen kann (z.B. Jahres- oder Monatsgebühr für die Mitgliedschaft in einem Fitnesscenter). Wie Studien zeigen (vgl. Gourville/ Soman 1998, 2002), ist bei einer Jahresgebühr in dem Monat, in dem die Zahlung geleistet wird, die Nutzungsintensität am höchsten und fällt in den darauffolgenden Monaten ab. Offensichtlich wollen Nachfrager für ihre Zahlung in ihrem Mental Account möglichst viel Leistung abrufen bzw. der Zahlung möglichst viel Nutzen gegenbuchen. In der darauf folgenden Zeit ist die Zahlung im Mental Account zunehmend „abgeschrieben“ und die Nutzungsintensität fällt. Im letzten Monat, in dem die Entscheidung über die Verlängerung der Mitgliedschaft entschieden wird, ist die Nutzung des Leistungsangebots relativ niedrig, was dazu führen kann, dass sich die Person gegen eine Verlängerung entscheidet. Bei einem monatlichen Mitgliedsbeitrag bleibt die Nutzungsintensität hingegen relativ konstant. Dies legt nahe, dass Anbieter ihre Kunden zu einer monatlichen Zahlung ihrer Beiträge bewegen sollten, um Kündigungen der Mitgliedschaft aufgrund zu geringer Nutzung des Leistungsangebots zu verhindern. <?page no="35"?> 36 2 Behavioral Pricing Mental Accounting beinhaltet ferner, welche Buchungssätze eine Person bei der Verarbeitung von (Preis-)Informationen anwendet. Der Nachfrager ist hierbei bestrebt, die Verbuchungen so vorzunehmen, dass sich ein möglichst erfreuliches Bilanzergebnis (Nutzenmaximierung) einstellt (Hedonic Editing). Hierbei kann auch der Anbieter durch entsprechende Preispräsentationen eine bestimmte Verbuchungsart fördern. Dies wird im Folgenden noch detaillierter gezeigt. 2.1.2 Dimensionen der Preisbewertung Ein Nachfrager kann hinsichtlich einer Vielzahl von Aspekten (Skalen; Dimensionen) einen Preis im „Categorial Encoding“ bewerten und in der Response- Stufe zum Ausdruck bringen. Typische Preisbewertungen sind hierbei: Preisgünstigkeit Der Nachfrager stuft hier einen Preis hinsichtlich der Höhe der monetären Gegenleistung ein. Bewertungskategorien sind bspw. günstig oder ungünstig bzw. niedrig oder hoch (vgl. bspw. Lenzen 1983, S. 952; Müller-Hagedorn 1983, S. 947), wobei sprachliche Abstufungen Differenzierung erlauben (z.B. überaus günstig, sehr günstig, günstig, weder günstig noch ungünstig, eher ungünstig, sehr ungünstig, überaus ungünstig). Äquivalent mit der Preisgünstigkeit sind Bewertungen der Expensiveness, der Perceived Savings oder der Attraktivität, die der Nachfrager mit einem Preis assoziiert. Preiswürdigkeit Während die Preisgünstigkeit nur auf den Preis eines Produkts fokussiert, setzt die Bewertung der Preiswürdigkeit den Preis in Relation zur Produktleistung. Es findet damit eine Bewertung des Leistungs-Preis-Verhältnisses gemäß Bedingung (2.1-2) statt (vgl. bspw. Monroe/ Petroshius 1981, S. 43; Müller-Hagedorn 1983, S. 950; Zeithaml 1984, S. 614). Vanhuele/ Drèze (2002, S. 76) haben die Einstufung eines Angebotspreises durch einen Probanden anhand des Kriteriums Deal Spotting operationalisiert: Der Konsument gibt bei dieser Bewertungsdimension an, ob er einen vorgelegten Angebotspreis als Good Deal, Normal Price oder Bad Deal einschätzt, was sowohl Aspekte der Preiswürdigkeit wie Preisgünstigkeit umfassen dürfte. Preisakzeptanz Hier bewertet der Konsument, ob er den Preis für das Produkt - gemessen an der vermuteten Produktleistung - als vernünftig bzw. akzeptabel ansieht, womit zugleich seine Bereitschaft zum Ausdruck kommt, für das Produkt den angesetzten Preis zu zahlen (vgl. Lichtenstein et al. 1988, S. 244; Urbany et al. 1988, S. 96). Häufig unterstellt man bei der Preisakzeptanz lediglich ein dichotomes Urteil: Entweder stuft der Nachfrager den Preis als akzeptabel oder nicht akzep- <?page no="36"?> 2.1 Preisbewertung 37 tabel ein, wobei im letzteren Fall ein Nicht-Kauf des betreffenden Produkts zu erwarten ist. Bei einer solchen dichotomen Bewertung existiert folglich eine Bandbreite von Preisen, die der Nachfrager - ohne weitere graduelle Abstufungen - als akzeptabel bewertet. Im Pricesensitivity-Meter (Preisbarometer) benennen Probanden selbst diejenigen Preise, ab denen ihnen das interessierende Produkt als zu teuer, als teuer, aber gerade noch vertretbar, als günstig oder als zu billig erscheint (vgl. Müller 2009, S. 172-174): Hieraus lassen durch Kumulierung der Nennungshäufigkeiten entlang der Preisachse vier Verteilungsfunktionen ableiten. Zwei Verteilungsfunktionen weisen ein mit steigendem Preis fallenden Verlauf auf: Die Verteilung für die zu billig-(noch günstig)-Preise gibt an, wie viel Prozent der Befragten bei einem bestimmten Preis, diesen Preis zu billig (noch günstig) einstufen; je höher der betrachtete Preis ist, desto kleiner ist der betreffende Prozentsatz. Einen steigenden Verlauf besitzen hingegen die relativ hoch-Verteilungsfunktion und die zu teuer-Verteilungsfunktion. Hier nimmt mit steigenden Preisen der Prozentsatz der Befragten zu, die eine Einschätzung relativ hoch bzw. zu teuer besitzen. Mit diesen vier Verteilungsfunktionen werden im Preisbarometer zwei Schnittpunkte bestimmt. Der Point of marginal Cheapness ist der Schnittpunkt zwischen der zu billig- und der relativ hoch-Verteilungsfunktion. Bei diesem Punkt sind gleich viele Befragte der Ansicht, der Preis sei zu billig bzw. relativ hoch. Der Point of marginal Expensiveness als Schnittpunkt der noch günstig- und der zu teuer-Verteilung gibt den Preis an, bei dem gleich viele Probanden der Ansicht sind, der Preis sei noch günstig bzw. zu teuer. Der Preisbereich zwischen beiden Schnittpunkten gilt als Bereich akzeptabler Preise (vgl. Diller 2008, S. 187f.): Eine zwingende Begründung für diese Spezifizierung des Bereichs akzeptabler Preise gibt es nicht. Preisfairness Diese Bewertungsdimension zielt darauf ab, ob sich der Nachfrager in einer Transaktion hinsichtlich der Höhe des zu zahlenden Preises „übervorteilt“ sieht (vgl. Sinha/ Batra 1999, S. 241; Xia et al. 2004). Ein allgemeines Erklärungsmodell für Fairness-Bewertungen bietet hierbei die sog. Equity-Theorie, die auf die distributive Gerechtigkeit in Austauschsituationen abstellt (vgl. bspw. Dickson/ Kalapurakal 1994, S. 429; Herrmann et al. 2000, S. 134; Martins/ Monroe 1994, S. 75): Demgemäß fokussiert das Fairness-Urteil auf die Relation von eigenen Opfern (Investments) zum Ertrag einer Transaktion verglichen mit der Opfer- Ertrag-Relation des Transaktionspartners. Als fair oder gerecht gilt, wenn beide Transaktionspartner die gleiche Opfer-Ertrag-Relation besitzen (Aristotelische Regel). Bezogen auf die Bewertung der Preisfairness mag als Ertrag des Nachfragers (Anbieters) der Bruttonutzen des Produkts (Verkaufspreis), als Opfer des Nachfragers (Anbieters) der zu zahlende Preis (die aufzuwendenden Produktionskosten) gesehen werden. Formal impliziert dies, dass derjenige Preis fair <?page no="37"?> 38 2 Behavioral Pricing ist, bei dem das Verhältnis von maximaler Zahlungsbereitschaft zum Preis gleich groß wie das Verhältnis des Preises zu den Produktionskosten ist. Eine andere Interpretation mag einen Preis konzeptionell als fair ansehen, wenn Konsumenten und Produzentenrente gleich groß sind. Da den Nachfragern jedoch in der Regel der Einblick in die Kosten- und Gewinnstruktur der Anbieter fehlt, müssen sie Ersatzgrößen für die Einschätzung der Opfer-Ertrag-Relation heranziehen. Das auf Kahneman et al. (1986) zurückgehende Dual Entitlement-Prinzip postuliert in diesem Zusammenhang (vgl. bspw. Bolton et al. 2003, S. 474; Kalapurakal et al. 1991, S. 788f.), dass in den Augen der Nachfrager der Anbieter einen Anspruch (Entitlement) auf einen angemessenen Gewinn, der Käufer einen Anspruch auf einen angemessenen Preis (Konsumentenrente) für das betreffende Produkt besitzen. Zur Beurteilung der Angemessenheit ziehen Nachfrager (Anbieter) einen Referenzpreis (Referenzgewinn) heran, der jeweils auf zurückliegenden Transaktionen, die implizit als fair gelten, und gesellschaftlichen Normen basiert. Die Dual Entitlement-Theorie fokussiert dann auf die Fairness- Bewertungen im Zusammenhang mit Veränderungen in den Parametern. Hierzu postuliert die Theorie, dass Nachfrager Preiserhöhungen als fairer beurteilen, wenn diese auf Kostensteigerungen im Produktionsprozess zurückgehen, verglichen mit einer gleich großen Preiserhöhung, die der Anbieter aufgrund gestiegener Nachfrage oder Marktmacht durchsetzt (vgl. bspw. Piron/ Fernandez 1995, S. 75; Martins/ Monroe 1994, S. 75). Im ersten Fall akzeptiert der Nachfrager, dass der Anbieter seinen ursprünglichen Gewinn (Referenzgewinn) erhalten will, im zweiten Fall erhöht der Anbieter seinen Gewinn über den Referenzgewinn, was der Nachfrager als unfair ansieht. Ein weiteres Postulat stellt auf den Fall ab, dass Kostensenkungen des Anbieters auftreten und der Verkaufspreis unverändert bleibt. Gemäß des Dual Entitlement-Prinzips beurteilen Nachfrager dies nicht als unfair, weil sich ihr Referenzpreis, d.h. der bisher gezahlte Preis, nicht geändert hat. Insbesondere dieses letzte Fairness-Postulat gilt aber empirisch als umstritten (vgl. bspw. Dickson/ Kalapurakal 1994, S. 431). Möglicherweise ist die Einschätzung der Fairness vom Konsumententyp abhängig oder kulturspezifisch ausgeprägt: „Neidorientierte“ Nachfrager mögen eine Beteiligung an den Kosteneinsparungen des Anbieters durch niedrigere Preise fordern, Konsumenten mit weniger Neidgefühlen gönnen es dem Anbieter, dass er durch eigene Anstrengungen aufgrund von Kostensenkungen seinen Gewinn erhöht. Eine andere Ausformung der Equity-Theorie unterscheidet zwei Dimensionen der Preisfairness (vgl. bspw. Herrmann et al. 2000, S. 133-137): In der ökonomischen Dimension interessiert den Konsumenten vor allem, ob er für sein Geld eine adäquate Gegenleistung erhält (Payment Equity), was mit der Preiswürdigkeit äquivalent sein dürfte. Ferner existiert eine soziale Dimension der Preisfairness: Dies sind bspw. Aspekte wie die Transparenz der Preisbildung, die Gleichbehandlung aller Käufer durch den Anbieter (keine Preisdiskriminierung) <?page no="38"?> 2.1 Preisbewertung 39 oder der Tatbestand, ob der Anbieter eine Notlage des Konsumenten mit einem hohen Preis „ausnutzt“. Neben der Höhe eines Preises kann auch die vom Anbieter verwendete Pricing Rule (wie kommt der Preis zustande? ) das Fairness-Urteil beeinflussen: Dies ist als prozedurale Preisfairness zu interpretieren: So zeigen empirische Studien (vgl. bspw. Dickson/ Kalapurakal 1994, S. 437), dass Probanden die Tatsache einer Preiserhöhung aufgrund von Nachfragesteigerungen als weniger fair als eine gleich große Preiserhöhung aufgrund eines Angebotsrückgangs beurteilen. Als vergleichsweise faire Preisermittlungsregel wird ein Kalkulationsschema angesehen, in der der Anbieter seinen Verkaufspreis anhand seiner Produktionskosten und einem Gewinnzuschlag festlegt, wobei er Veränderungen in der Kostenstruktur bei konstantem Gewinnzuschlag an die Nachfrager weitergibt (Costplus-Pricing). Campbell (1999, S. 189) betont in diesem Zusammenhang, dass die Begründung des Anbieters für seine Preiserhöhung ebenfalls das Preisfairnessurteil beeinflusst. In der neueren Forschungsliteratur werden Überlegungen des Nachfragers, zum Hintergrund von Preisstrategien oder Preissetzungstendenzen der Anbieter unter dem Konstrukt des Price Tactics Persuasion Knowledge zusammengefasst. Dieses Konstrukt bezieht sich auf die Kenntnis der Nachfrager über den (ökonomischen) Inhalt von Preisstrategien und Preistaktiken der Anbieter (was bedeutet ein Cost-plus-Pricing? ), aber auch über die Motive, die Nachfrager vermuten, warum ein Anbieter eine bestimmte Preisstrategie verfolgt (vgl. Hardesty et al. 2007, S. 200; Pillai/ Kumar 2012, S. 20f.): Ein zentraler Punkt hierbei ist, ob Nachfrager als Grund für ein bestimmtes Preisgebaren des Anbieters Gewinnsteigerungsmotive oder Gewinnerhaltungsmotive vermuten. Die Art des Price Tactics Persuasion Knowledge beeinflusst damit die wahrgenommen prozedurale Preisfairness. Eine positive Rolle für die (prozedurale) Preisfairness scheinen auch Preisgewohnheiten, die sich in einer Branche etabliert haben, zu besitzen (vgl. Heyman/ Mellers 2008, S. 691): Nachfrager haben sich offensichtlich an das preisbezogene Agieren der Anbieter gewöhnt und akzeptieren es, weshalb sie sich nicht unfair behandelt fühlen. Abweichungen vom Gewohnten können jedoch zu Unfairnessurteilen führen. Als Folge eines als unfair empfundenen Preises tritt eine erhöhte Bereitschaft zur Beschwerde gegenüber dem Anbieter, aber auch gegenüber anderen Nachfragern (negative Word-of-Mouth) auf (vgl. Dickson/ Kalapurakal 1994, S. 442). Ferner bewirkt insbesondere bei niedrigen Wechselkosten eine empfundene Preisunfairness eine erhöhte Tendenz zum Anbieter- oder Markenwechsel (vgl. bspw. Campbell 1999, S. 190). Schließlich zeigen experimentelle Studien, dass bei Preisunfairness Nachfrager mitunter bewusst eigene Nachteile in Kauf nehmen (z.B. hohe Wechselkosten), um am unfairen Anbieter „Rache“ zu nehmen (vgl. bspw. Piron/ Fernandez 1995, S. 91; Xia et al. 2004, S. 7f.). <?page no="39"?> 40 2 Behavioral Pricing Setzt ein Anbieter unterschiedliche Preise für ein Produkt an (Preisdiskriminierung), erhalten manche Nachfrager das betreffende Produkt zu einem niedrigeren Preis als andere Konsumenten. Wie die Studie von Gelbrich (2011) zeigt, kann eine solche für den Nachfrager vorteilhafte Preisbevorzugung (Advantaged Price Inequality) dennoch zu Unfairnessempfinden und negativen Emotionen wie Schuld, Bedauern oder Verärgerung führen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die preislich bevorzugte Person mit der benachteiligten Person enge (positive) persönliche Beziehungen besitzt oder der bevorzugte Nachfrager den niedrigeren Preis nicht seiner eigenen Leistung (z.B. größere Kaufmenge), sondern einer Entscheidung des Anbieters (Geschäftspolitik) zuschreibt. Ferner ist die Wahrnehmung von Preis(un-)fairness kulturspezifisch ausgeprägt (vgl. Bolton et al. 2010, S. 565f.): Personen aus kollektivistisch geprägten Kulturkreisen (z.B. China) reagieren in ihrem Preisfairnessurteil empfindlicher, wenn eine Person aus ihrem persönlichem Umfeld („Freund“) ein Produkt zu einem anderen Preis erhält, als man selbst dafür bezahlen muss, als wenn die Referenzperson ein „Fremder“ ist: Ein im Vergleich zur Referenzperson höherer (niedrigerer) Preis, den man entrichtet hat, führt zu größerer empfundener Preisunfairness (Preisfairness), wenn es sich im einen Freund handelt, als wenn es ein Fremder ist. Für Probanden aus individualistischen Kulturkreisen (z.B. USA) ist es hingegen für das Preisfairnessurteil relativ egal, ob die Referenzperson ein Freund oder Fremder ist. Eng mit der Preisfairness hängt das Konstrukt des Preisvertrauens zusammen: Hierunter ist die Einschätzung eines Nachfragers zu verstehen, dass sich der Anbieter in seiner Preisgestaltung nicht opportunistisch verhält, d.h. seinen Informationsvorsprung gegenüber dem Nachfrager nicht einseitig zu seinen eigenen Gunsten durch einen vergleichsweise hohen Preis ausnutzt (vgl. Diller 2008, S. 162-164). Preise von Anbietern, die ein hohes Preisvertrauen (Preisreputation) genießen, dürften daher als „fairer“ eingeschätzt werden als numerisch gleich hohe Preise eines Anbieters, dem die Nachfrager wenig Preisvertrauen entgegenbringen (vgl. zu einer solchen Moderatorrolle der Preisreputation auch Campell 1999). Preiszufriedenheit In dieser Bewertungsskala bringt der Konsument zum Ausdruck, wie zufrieden er mit der Preisstellung des Unternehmens ist (vgl. bspw. Diller 2008, S. 157- 162). Das Zufriedenheitsurteil ist hierbei als Ergebnis eines Vergleichsprozesses diesbezüglicher Preiserwartungen mit dem tatsächlichen Preisgebaren des Anbieters (Confirmation-/ Disconfirmation-Paradigma) zu sehen (vgl. bspw. Matzler et al. 2003, S. 147-150): Dieses Preisgebaren wiederum enthält Aspekte wie die Preistransparenz (wie leicht erfassbar ist die Preisstellung des Unternehmens? ), Preissicherheit (z.B. Preiskonstanz), Preisgünstigkeit bzw. -würdigkeit, Preiszuverlässigkeit (z.B. Vermeidung der Überschreitung von Preisen in <?page no="40"?> 2.1 Preisbewertung 41 Kostenvoranschlägen) und vor allem die Preisfairness. Die Preiszufriedenheit ihrerseits stellt wiederum eine Determinante der Zufriedenheit eines Nachfragers mit einer Geschäftsbeziehung dar (vgl. Matzler et al. 2003, S. 146) und reicht damit über den Raum des preisbezogenen Konsumentenverhaltens hinaus. Preisnutzen Diese Bewertungsdimension impliziert eine nutzenorientierte Bewertung des „Opfers“ der zu erbringenden monetären Gegenleistung. Diese Bewertungsdimension besitzt zweifellos den höchsten Abstraktheitsgrad der angeführten Skalen, weshalb eine valide Messung des Preisnutzens ( pi ) im Sinne eines Arguments der Nutzenfunktion der Bedingung (2.1-1) schwierig erscheint (vgl. auch Abschnitt 3.2). Preisbewertungen sind unmittelbare Argumente in der Präferenzbildung, wenn sie den „Gesamteindruck“ eines Produkts ( i ) beeinflussen. Preisbewertungen können aber auch Emotionen (Preiserlebnisse; Preisaffekt) bewirken: Preisfreude entsteht beim Kauf einer besonders günstigen Ware („Schnäppchen“), Preisstolz, wenn es dem Nachfrager gelungen ist, den Anbieter „kräftig“ im Preis herunterzuhandeln, Preisneid, wenn man sieht, dass andere Nachfrager das Produkt zu einem niedrigeren Preis als man selbst erhalten haben. Auch die Preiszufriedenheit lässt sich als Emotion interpretieren. Positive (negative) Preisüberraschungen treten auf, wenn die Preiserwartungen deutlich unterschritten (überschritten) wurden (vgl. Diller 2008, S. 96-99). Insbesondere Preisänderungen oder das Preisgebaren eines Anbieters sind Determinanten des Preisaffekts. In einem Strukturmodell haben Peine et al. (2009, S. 51-59) gezeigt, dass auch (kognitive) Preisbewertungen (z.B. Preiswürdigkeit; Preisfairness) den Preisaffekt beeinflussen. Ebenso wie die kognitiven Preisbewertungen besitzt der Preisaffekt seinerseits Verhaltensfolgen: So postuliert das Strukturmodell von Peine et al. (S. 51-59), dass der Preisaffekt die Kaufbereitschaft, aber auch die Neigung zur persönlichen Kommunikation (Mitteilung des Preiserlebnisses an andere) fördert. Ebenso nehmen Preisemotionen aufgrund ihres Aktivierungscharakters Einfluss auf die produktbezogene Informationsverarbeitung, wenn sich der Nachfrager mit Marken, die ein positives Preiserlebnis auslösen, intensiver als mit anderen Marken beschäftigt. Umgekehrt kann ein positives Preiserlebnis eine weitere Produktprüfung unterbinden und sich unmittelbar in einem (Impuls-)Kauf niederschlagen (vgl. Diller 2008, S. 100). Ferner ist Preiserlebnissen ein expliziter Nutzencharakter zuzusprechen, der dann als eigenständiges Argument in die Nutzenstiftung eines Produkts bzw. einer Transaktion eingeht. Damit lässt sich der emotional geprägte Preisaffekt konzeptionell in die Welt der Nutzenmodelle (z.B. Bedingung 2.1-1) integrieren oder im - um den Preisaffekt erweiterten - Preisnutzen ( pi ) abbilden. Ein positiver Preisaffekt vermindert dann den Miss- <?page no="41"?> 42 2 Behavioral Pricing nutzen des Preises, der aus der Bewertung des „Opfers“ der zu erbringenden monetären Gegenleistung resultiert. 2.1.3 Referenzpreise 2.1.3.1 Charakteristik von Referenzpreisen Im vorangegangenen Abschnitt klang bereits an, dass eine Preisbewertung in der Regel nicht isoliert bzw. absolut erfolgt. Vielmehr ergibt sich die Bewertung, die ein Nachfrager dem Preis von Produkt i (p it ) in der Periode t zuweist ( pit ), aus der Relation dieses Preises zu Referenzpreisen (p Rit ), die in dieser Periode gelten: (2.1-3) pit = (p it ; p Rit ) mit: pit > pit ´ für p Rit > p Rit ´ Ein solcher Referenzpreis dient als Urteilsanker, an dem der vorliegende Preisstimulus gemessen, d.h. bewertet wird (vgl. bspw. Diller 1988a, S. 18; Grewal et al. 1998, S. 47; Lichtenstein et al. 1990, S. 56). Ein numerisch identischer Preisstimulus erfährt eine unterschiedliche Bewertung, wenn der betreffende Referenzpreis verschieden ist. So fällt in Bedingung (2.1-3) die Bewertung des Preises p it ( pit ) ceteris paribus besser aus, wenn der Referenzpreis höher ist (p Rit > p Rit ´), weil der aktuelle Preisstimulus dann im Vergleich zu diesem Referenzpreis niedriger erscheint. Für das Preismanagement impliziert die Existenz von Referenzpreisen erhebliche „Unwägbarkeiten“, da die Preisbeurteilung durch einen Nachfrager nicht nur von der Preishöhe, sondern auch von Referenzpreisen abhängt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Anbieter den unterstellten Referenzpreis nicht beeinflussen kann oder überhaupt nicht kennt. Daher besitzen Erkenntnisse über Referenzpreise für das Verständnis des preisbezogenen Nachfragerverhaltens hohe Bedeutung. Analog zu den Dimensionen der Preisbewertung findet sich in der Literatur eine Vielzahl von Referenzpreisen, die ein Konsument bei der Preisbewertung möglicherweise heranzieht (zu Auflistungen vgl. bspw. Chandrashekaran/ Jagpal 1995, S. 230; Klein/ Oglethorpe 1987, S. 183; Shirai 2003, S. 258). So ist die Unterscheidung von externen und internen Referenzpreisen gebräuchlich (vgl. bspw. Kopalle/ Lindsey-Mullikin 2003, S. 226; Mayhew/ Winer 1992, S. 63): Externe (stimulus based) Referenzpreise liegen dem Nachfrager als physisch vorhandene Preisstimuli in der Bewertungssituation vor (z.B. Preis einer Konkurrenzmarke im Geschäft) bzw. werden vom Anbieter kommuniziert (z.B. Preisvergleiche). Interne (memory based) Referenzpreise stammen hingegen aus dem Gedächtnis des Nachfragers (Preiswissen) und werden in einer konkreten Bewertungssituation erinnert (z.B. zuletzt bezahlter Preis). <?page no="42"?> 2.1 Preisbewertung 43 Abbildung 2.1-2 erweitert diese Systematisierung: Eine erste Kategorie von Referenzpreisen fokussiert auf Preise, die der Nachfrager in der Vergangenheit wahrgenommen hat. Diese können sich auf das betrachtete Produkt in der gerade besuchten Geschäftsstätte beziehen, aber auch die Preise des Produkts in anderen Geschäften oder Preise von Konkurrenzprodukten beinhalten. Bei diesen Preiskontakten muss er nicht das Produkt auch jeweils erworben haben. Die einfachste Operationalisierung eines Referenzpreises stellt hierbei derjenige Preis dar, den der Nachfrager in der vergangenen Periode oder letzten Transaktion für das betreffende Produkt wahrgenommen bzw. bezahlt hat. Abbildung 2.1-2: Systematik zu Referenzpreisen Eine zweite Kategorie von Referenzpreisen umfasst aktuelle Preisstimuli, die zum Zeitpunkt t gelten. Dies können Preise von Konkurrenzprodukten im betrachteten Geschäft oder Preise des Produkts in anderen Einkaufsstätten sein. Hinsichtlich der Preise von Konkurrenzprodukten dürfte dem Marktführer in einer Produktkategorie eine herausgehobene Referenzfunktion zukommen. Denkbar ist aber auch, dass der Nachfrager den Preis derjenigen Marke, die sich gerade in einer Promotionaktion im Geschäft befindet, als Referenzpreis wählt. Aus den in der Vergangenheit wahrgenommenen Preisen kann ein Nachfrager im Sinne einer Prognose auch Preiserwartungen formulieren, die er dann als Referenzgröße (erwarteter Preis; Aspiration Price) zur Bewertung des aktuellen Angebotspreises heranzieht (zu formalen Modellen vgl. bspw. Boztug 2002, S. 34f.). Als erwarteter Preis im Sinne eines Referenzpreises mag aber auch derjenige Preis dienen, den der Nachfrager in einer Preiswerbung des Anbieters S e nsory E nc od ing Preise in der Vergangenheit intrinsische Referenzpreise aktuelle Preise des Produkts im betrachteten Geschäft des Produkts in anderen Geschäften von Konkurrenzprodukten des Produkts in anderen Geschäften von Konkurrenzprodukten Reservationspreis Budgetpreis Kostenpreis Normalpreis erwarteter Preis Preis mit mittlerem Skalenwert auf einer Bewertungsdimension <?page no="43"?> 44 2 Behavioral Pricing gesehen hat und jetzt als gültigen Verkaufspreis beim Besuch im Geschäft annimmt. Im Zusammenhang mit vergangenen bzw. aktuellen Preisstimuli hat sich der Normalpreis bzw. Standardpreis eines Produkts als weiterer häufig unterstellter Referenzpreis herausgebildet. Er charakterisiert, welche Preishöhe der Nachfrager für ein bestimmtes Produkt oder in der Produktkategorie als üblich, typisch oder durchschnittlich ansieht (vgl. bspw. Lichtenstein et al. 1991, S. 386), was sich auf eine Geschäftsstätte (geschäftsstättenspezifischer Normalpreis) beziehen kann, oder verschiedene Einkaufsstätten beinhaltet und dann den Normalpreis am Markt (Marktpreis) darstellt. Im Gegensatz zu zurückliegenden oder aktuellen Preisen, die der Nachfrager (lediglich) wahrnehmen muss, impliziert der erwartete Preis oder der Normalpreis zumeist eine Aggregation von Preisstimuli: Der Nachfrager verknüpft bestehende (Preis-)Informationen zu einer neuen Preisinformation (Referenzpreis), weshalb diese Kategorie als inferentielle Referenzpreise bezeichnet werden soll. Ferner zählt zu dieser Kategorie von Referenzpreisen der Reservationspreis („oberer Grenzpreis“), der die maximale Zahlungsbereitschaft des Nachfragers für das betreffende Produkt zum Ausdruck bringt. Der Budgetpreis gibt an, welchen Geldbetrag der Konsument für den Kauf dieses Produkts eingeplant hat (vgl. Mazumdar/ Jun 1992, S. 326). Dieser Betrag, der im Sinne eines Mental Account interpretiert werden kann, muss hierbei keineswegs die Höhe seiner maximalen Zahlungsbereitschaft erreichen. Speziell bezogen auf die Preisfairness ist ferner an einen Kostenpreis als Referenzpreis zu denken: Dies ist derjenige Preis, bei dem der Konsument annimmt, dass er für den Anbieter kostendeckend ist. Bei einem höheren Preis erzielt der Anbieter folglich - aus Sicht des Konsumenten - einen positiven Stück-Deckungsbeitrag. 2.1.3.2 Referenzpreismodelle Ebenso wie bei den verschiedenen Arten von Referenzpreisen offeriert die Literatur eine Fülle von Modellen, wie sich formal aus der Relation von Preisstimulus und Referenzpreis die Preisbewertung ergibt (eine Modellübersicht bietet bspw. Boztug 2002, S. 47f.). Einen im Marketing zumindest konzeptionell häufig verwendeten Ansatz stellt hierbei die Adaptionsniveau-Theorie von Helson (1964) dar. Im Rahmen dieser Theorie entspricht das Adaptionsniveau, das mit dem Referenzpreis identisch ist, derjenigen Stimulusausprägung bzw. dem Mittelwert an Stimulusausprägungen, der (denen) der Nachfrager auf einer Bewertungsskala die „mittlere“ Kategorie zuweist (vgl. Monroe/ Petroshius 1981, S. 49; Wedell/ Parducci 1985, S. 57). In einer etwas anderen Operationalisierung wird das Adaptionsniveau als (arithmetisches) Mittel aller relevanten Preisstimuli verstanden (vgl. bspw. Parducci 1995, S. 64) und als mittleres Preisempfinden bezeichnet (vgl. Diller <?page no="44"?> 2.1 Preisbewertung 45 1988a, S. 18). Dies dürfte äquivalent mit dem Normalpreis sein, den ein Nachfrager vom betreffenden Produkt als Referenzpreis hat. Als relevante Stimuli zur Bildung des Referenzbzw. Normalpreises in einer Bewertungssituation kommen bspw. Konkurrenzprodukte (j = 1,..,J) oder die vom Nachfrager in der Vergangenheit ( = 1,...,T) wahrgenommenen Preise des Produkts infrage. Die Bewertung eines Preisstimulus i ( pit ) erfolgt gemäß der Adaptionsniveau- Theorie dann proportional zur Differenz des Preisstimulus zum Referenzpreis p Rit (vgl. bspw. Niedrich et al. 2001, S. 339): (2.1-4) pit = b (p Rit p it ), mit: b > 0 und p Rit = 1 J j=1 J p jt oder p Rit = 1 T =1 T p it- Bedingung (2.1-4) stellt eine spezifische Ausgestaltung von Bedingung (2.1-3) dar. Eine solche Vorstellung, dass ein Nachfrager einen Preisstimulus anhand der (absoluten) Differenz zum Referenzpreis bewertet, lässt sich auf alle Referenzpreisarten übertragen. Eine Erweiterung des obigen Modells beinhaltet, dass die in den Referenzpreis einbezogenen aktuellen (Konkurrenzpreis)-Stimuli mit der Markenloyalität des Nachfragers gewichtet werden (vgl. bspw. Mazumdar/ Papatla 1995, S. 114), wodurch häufiger gekaufte Produkte ein größeres Gewicht bei der Referenzpreisbildung erhalten. Bildet sich der Normalpreis aus den Preisen der Vergangenheit, erscheint es plausibel, dass zeitlich weiter zurückliegende Preiskontakte den aktuellen Referenzpreis nicht so stark wie jüngere Preiswahrnehmungen beeinflussen (vgl. zu formalen Abbildungen bspw. Boztug 2002, S. 32-34). Andere Modellansätze berücksichtigen neben dem Mittelwert der zum Vergleich herangezogenen (aktuellen) Preisstimuli auch die Streuung dieser Preise (vgl. Büyükkurt 1986, S. 359), womit die Unsicherheit der Konsumenten bei der Preisbeurteilung erfasst werden soll (vgl. Müller 2001, S. 16). Eine zur Adaptionsniveau-Theorie strukturelle Modellalternative in der Preisbewertung beinhaltet die Range-Frequency-Theorie (vgl. zu dieser Theorie bspw. Parducci 1983; Wedell/ Pettibone 1996). Demnach setzt sich die Einschätzung des Preises von Produkt i ( pi ) aus einem Range-Wert (r i ) und einem Frequency-Wert (f i ) zusammen, die das Rangebzw. Frequency-Prinzip in der Bewertung eines Stimulus erfassen. Das Range-Prinzip postuliert, dass die Bewertung eines Stimulus von dessen Position relativ zur minimalen und maximalen Ausprägung der Stimuli innerhalb des relevanten Kontexts (p [min], p [max] ) abhängt: Die beiden Extremwerte (p [min], p [max] ) der zur Bewertung von p i zugrunde gelegten Preisstimuli (Kontextstimuli) bilden folglich die Referenzpreise im Range-Wert r i . r i = p [max] p i p [max] p [min] mit 0 r i 1 <?page no="45"?> 46 2 Behavioral Pricing Je weiter der zu bewertende Preis von Produkt i vom Maximalpreis im relevanten Kontext entfernt ist, desto höher ist der Range-Wert bzw. desto besser fällt die Preisbewertung aus. Ferner impliziert die obige Bedingung, dass der identische Preisstimulus in einem Kontext mit kleinerem Minimalpreis bzw. größerer Spannweite (p [max] p [min] ) - trotz gleichem Mittelwert der Preisstimuli - einen geringeren Range-Wert erhält. Das Frequency-Prinzip erfasst die ordinale Position des betrachteten Preisstimulus im relevanten Kontext, die anhand dessen Rangplatz (rank(p i )) gemessen wird. Unter Berücksichtigung der Gesamtzahl an Stimuli (J, i J) ergibt sich der Frequency-Wert für den Preis von Produkt i (f i ) als: f i = rank(p i ) - 1 J - 1 mit: 0 f i 1 und rank(p i ) = J für p i = p [min] Der Frequency-Wert von Preis p i ist ceteris paribus bei einer gegebenen Gesamtzahl an Stimuli (J) trotz identischen Ausprägungswerten und unveränderten Extremwerten umso höher, je mehr andere Preisstimuli im Kontext gegenüber p i unterlegen sind. Damit wird erfasst, dass ein bestimmter Preis - trotz eines beachtlichen Abstands zum Minimalpreis - noch als relativ gut eingeschätzt wird, wenn er niedriger als viele andere Preisstimuli im betrachteten Kontext ist. Die Bewertung von p i ( pi ) setzt sich dann additiv aus dem betreffenden Range- und Frequency-Wert zusammen: (2.1-5) pi = r i (1- ) f i , mit: 0 pi , 1, wobei der Parameter den Gewichtungsfaktor der beiden Prinzipien darstellt. Häufig wird = 0,5 unterstellt, was impliziert, dass Range- und Frequency- Prinzip gleichgewichtig die Bewertung beeinflussen. Die Range-Frequency-Theorie stellt eine Erweiterung der „älteren“ Range- Theorie dar, die lediglich das Range-Prinzip bei der Bewertung berücksichtigt, was im Sinne von Bedingung (2.1-5) =1 impliziert. In empirischen Studien zeigte sich die Rangebzw. Range-Frequency-Theorie der Adaptionsniveau- Theorie überlegen (vgl. Janiszewski/ Lichtenstein 1999, S. 365; Niedrich et al. 2001, S. 347); analysiert wurden allerdings Preisbewertungen, die Probanden auf einer Attraktivitätsskala abgaben, wobei alle Preisstimuli den Probanden zeitgleich vorgelegt wurden, was der Bewertung eines Preisstimulus „im Lichte“ aktueller, externer Preise entspricht. Einen von Bedingung (2.1-4) abweichenden Bewertungsverlauf unterstellt die Assimilations-Kontrast-Theorie (vgl. bspw. Monroe 1973, S. 77; Monroe/ Petroshius 1981, S. 51): Weicht der zu bewertende Preisstimulus nur wenig vom Referenzpreis ab, wird der Preisstimulus an den Referenzpreis angepasst (Assimilation). Der Preisstimulus erhält die gleiche Bewertung wie der Referenzpreis, <?page no="46"?> 2.1 Preisbewertung 47 was einen bewertungsinsensitiven Bereich konstituiert. Weicht der Preisstimulus stärker vom Referenzpreis ab, nimmt der Nachfrager die Abweichung des Preises von seinem Referenzpreis wahr: Er empfindet folglich einen Preis als günstiger oder teurer verglichen mit seinem Referenzpreis (Normalpreis). Bei einem solchen spürbaren, aber noch moderaten Unterschied zwischen Preisstimulus und Referenzpreis tritt - wie in der Adaptionsniveau-Theorie - eine zur Differenz proportionale Veränderung der Bewertung auf. Weicht der Preisstimulus hingegen sehr stark vom Referenzpreis ab, führt der Kontrasteffekt zu einer Übersteigerung des bewerteten Unterschieds zwischen Preisstimulus und Referenzpreis. Während der Assimilationseffekt folglich Bewertungsunterschiede nivelliert, verstärkt der Kontrasteffekt diese Unterschiede im Bewertungsurteil. Preispolitische Anwendung der Assimilations-Kontrast-Theorie ist, dass Preiserhöhungen in kleinen Schritten durchgeführt werden sollten, damit die Konsumenten die erhöhten Preise assimilieren. Preisreduzierungen müssen hingegen in größeren Beträgen vorgenommen werden, damit Nachfrager sie als Abweichung vom Referenzpreis wahrnehmen (vgl. Boztug 2002, S. 12) und zudem als überproportional günstig beurteilen. 2.1.3.3 Updating von Referenzpreisen Eine relevante Frage im Zusammenhang mit Referenzpreisen bezieht sich auf deren Veränderung im Zeitablauf: Als eines der allgemein akzeptierten Charakteristika des Referenzpreiskonzepts gilt hierbei, dass sich Referenzpreise im Zeitablauf ändern. Dies ist der Fall, wenn der Referenzpreis auf aktuellen, externen Preisstimuli basiert, die ihrerseits Veränderungen unterworfen sind, oder situationsspezifisch strukturierte Kontextsets an relevanten Preisstimuli vorliegen. Bedingung (2.1-6), das sog. Ankerpreismodell, bildet ein solches Updating des Referenzpreises, der in der Periode t + 1 gilt, durch den aktuellen Preisstimulus ab (vgl. bspw. Briesch et al. 1997, S. 206; Kucher 1987, S. 178-180; eine Auflistung alternativer Updating-Modelle des Referenzpreises findet sich bei Kopalle/ Lindsey-Mullikin 2003, S. 227): (2.1-6) p Rit+1 = p Rit + (1 - ) p it , mit: 0 1 Der Parameter bestimmt, wie stark sich der aktuelle Verkaufspreis (p it ) auf den Referenzpreis der nächsten Periode (p Rit+1 ) auswirkt, d.h. den aktuellen Referenzpreis (p Rit ) verändert: Der Referenzpreis bleibt lediglich bei = 1 unverändert (p Rit+1 = p Rit ). Ist der aktuelle Verkaufspreis (p it ) höher als der aktuelle Referenzpreis (p Rit ), steigt für < 1 der Referenzpreis der Folgeperiode (p Rit+1 ) an; analoges gilt, wenn der aktuelle Verkaufspreis niedriger als der aktuelle Referenzpreis ist. Der Referenzpreis vollzieht folglich mit Zeitverzögerung und unter Abschwächung ( < 1) die Änderung des Verkaufspreises nach. <?page no="47"?> 48 2 Behavioral Pricing Fallbeispiel: Updating von Referenzpreisen (I) Die Updating-Funktion des Referenzpreises lautet mit = 0,7: p Rit+1 = 0,7 p Rit + 0,3 p it , wobei in t = 0 p i0 = p Ri0 = 10 gilt. In t = 1 wird der Preis auf p i1 = 15 erhöht und in den folgenden Perioden beibehalten. Gesucht ist der Referenzpreis in der Periode t = 5. Zur Lösung ist aus dem aktuellen Referenzpreis und dem aktuellen Preisstimulus der in der nächsten Periode gültige Referenzpreis zu bestimmen (vgl. nachfolgende Tabelle): t p Rit p it p Rit+1 p Rit p it 0 10 10 10 0 1 10 15 11,50 -5 2 11,50 15 12,55 -3,50 3 12,55 15 13,29 -2,45 4 13,29 15 13,80 -1,71 Tabelle: Updating des Referenzpreises (I) Der Referenzpreis in der Periode t = 5 beträgt p Ri4+1 = 13,80. Ergänzung: Betrachtet man die Updating-Funktion p Rit+1 = p Rit + (1 - ) p it , gilt: p Rit = p Rit-1 + (1 - ) p it-1 bzw. p Rit-1 = p Rit-2 + (1 - ) p it-2. Geht man bis zur Periode = zurück, lässt sich der Ausdruck für p Rit+1 umformen zu: p Rit = (1 - ) =0 p it-1- Weiter zurückliegende Verkaufspreise haben auf die Höhe des aktuellen Referenzpreises aufgrund von mit < 1 einen schwächeren Einfluss als „jüngere“ Verkaufspreise. Wie das vorangegangene Beispiel zeigt, gleicht sich der Referenzpreis allmählich an den höheren Verkaufspreis an, weshalb die Differenz zwischen Verkaufspreis und Referenzpreis (p Ri p i ) im Zeitablauf immer kleiner wird. Die Nachfrager gewöhnen sich damit an das höhere Preisniveau und empfinden es allmählich als „normal“. Diese Tendenz gilt aber auch für Preissenkungen: Ein dauerhaft niedrigerer Verkaufspreis wird nur anfangs als „attraktiv“ empfunden. Da der Referenzpreis allmählich sinkt, wird der ursprüngliche Aktionspreis zum Normalpreis. <?page no="48"?> 2.1 Preisbewertung 49 Eine Dynamik im Referenzpreis entsteht ebenso durch eine einmalige Preisänderung. Hier nähert sich der Referenzpreis erst im Laufe der Zeit wieder dem ursprünglichen Niveau an: Fallbeispiel: Updating von Referenzpreisen (II) Der Anbieter senkt ausgehend von p i0 = p Ri0 = 10 in t = 1 den Preis auf p it = 8. In den Folgeperioden ( ) liegt der Preis wieder bei p i1+ = 10 (Normalpreis). Wie verändert sich durch dieses Sonderangebot in t = 1 der Referenzpreis bis t = 3, wenn folgende Updating-Funktion gilt: p Rit+1 = 0,7 p Rit + 0,3 p it ? Es ergibt sich folgende Entwicklung des Referenzpreises: t p Rit p it P Rit+1 p Rit p it 0 10 10 10 0 1 10 8 9,40 2,00 2 9,40 10 9,82 -0,60 3 9,82 10 9,94 -0,18 Durch die Sonderangebotsaktion ist der Referenzpreis gesunken, weshalb der Normalpreis in den darauffolgenden Perioden „überhöht“ wirkt, da der Referenzpreis niedriger ist. Diese Differenz wird im Laufe der Zeit kleiner, da sich der Referenzpreis wieder dem alten (Normal-)Preisniveau annähert. Ein Sonderangebot hat demnach hinsichtlich der Bewertung des nachfolgenden Normalpreises nachteilige Auswirkungen. Bedingung (2.1-6) impliziert, dass jeder Verkaufspreis in einer Periode den nachfolgenden Referenzpreis verändert. Dem widerspricht eine - allerdings etwas „großzügige“ - Interpretation der Assimilations-Kontrast-Theorie (vgl. bspw. Blattberg/ Neslin 1990, S. 45): Demnach führen nur solche Preisstimuli zu einer Veränderung (Assimilation) des Referenzpreises, wenn sie vom Referenzpreis nicht allzu weit abweichen. Unterscheidet sich ein Preisstimulus deutlich vom Referenzpreis, stufen ihn Nachfrager als einem anderen Kontext zugehörig ein: Sie kontrastieren den aktuellen Verkaufspreis, weshalb der Referenzpreis unverändert bleibt. Ein Updating des Referenzpreises vollzieht sich deshalb in kleinen Schritten, weil stark abweichende Preisstimuli zu keiner Veränderung führen. Auf den Einzelhandel übertragen legt ein solcher Assimilations-Kontrast-Effekt nahe, dass die Preisreduzierung in einem Sonderangebot kräftig ausfallen sollte, damit der Referenzpreis für das Produkt unverändert bleibt und die Bewertung der nachfolgenden Normalpreise nicht beeinträchtigt: Die Nachfrager müssen folglich die Aktion als „außergewöhnlich“ empfinden. <?page no="49"?> 50 2 Behavioral Pricing Bildet sich der Referenzpreis aus Preisen der Vergangenheit, nimmt das Preismanagement durch die Preissetzung „heute“ auf die Preisbewertung von „morgen“ Einfluss. So vermag der Anbieter in Bedingung (2.1-6) den Referenzpreis des Nachfragers - allerdings mit Zeit- und Wirkungsverzögerungen - durch seine Verkaufspreise zu steuern. Damit besitzt die Preissetzung in einer Periode eine zweifache, gegenläufige Wirkung: Ein niedriger Preis „heute“ wirkt kurzfristig (heute) absatzfördernd, erschwert aber langfristig (morgen) den Absatz, wenn dadurch der Referenzpreis gesunken ist. Solche Preisbewertungsstrukturen erfordern dann ein dynamisches Preismanagement, das die zeitlichen Ausstrahlungseffekte der Preissetzung (Carry-over-Effekte) beachtet (vgl. Abschnitt 4.3.3). 2.1.3.4 Multiple Referenzpreise Die Forschung im Behavioral Pricing geht inzwischen davon aus, dass Nachfrager für eine Preisbewertung durchaus mehrere Referenzpreis-Arten simultan heranziehen (vgl. bspw. Garbarino/ Slonim 2003, S. 228; Shirai 2003). Dies ist gegeben, wenn der Nachfrager bezogen auf ein Produkt einen intrinsischen Referenzpreis besitzt und im Geschäft bei einer Preisvergleichswerbung des Anbieters den Preis, den das Produkt in der Vorwoche aufgewiesen hat, wahrnimmt (externer Referenzpreis). Beide Referenzpreise mag der Nachfrager dann zu seiner Bewertung des aktuell geltenden Preisstimulus heranziehen. Büyükkurt (1986, S. 359) definiert als Referenzpreise für die Preisgünstigkeit eines zu bewertenden Preisstimulus den Mittelwert der Preise des Produkts in anderen Geschäften und einem erwarteten Preis, den der Nachfrager aus der Preisgeschichte des Produkts ableitet. Bolton et al. (2003, S. 475) unterstellen für Bewertungen der Preisfairness das Einwirken von vier Referenzpreisen: Die Preise, die der Nachfrager in früheren Transaktionen für das Produkt bezahlt hat, die aktuellen Preise des Produkts in anderen Geschäften, die vermutete (relative) Kostenstruktur des Anbieters (Kostenpreis) und die Preise, die andere Konsumenten für die Marke beim betrachteten Anbieter bezahlen. Ferner zeigen empirische Studien, dass Nachfrager markenspezifische Referenzpreise bilden (vgl. Briesch et al. 1997, S. 212; Winer 1986, S. 254): Innerhalb einer Produktkategorie existiert offensichtlich kein einheitlicher Referenzpreis für die Produkte. 2.1.4 Framingeffekte in der Preisbewertung 2.1.4.1 Gains und Losses Die Abweichung eines zu bewertenden Verkaufspreises vom Referenzpreis lässt sich als Gain (Loss) interpretieren, wenn der Verkaufspreis unter (über) dem Referenzpreis liegt. Der Referenzpreis besitzt hierbei die Rolle als Referenzpunkt (Reference Level) in einer Entscheidungsbzw. Bewertungssituation. Ein solcher Referenzpunkt, der weder mit Gains noch mit Losses verbunden ist, <?page no="50"?> 2.1 Preisbewertung 51 definiert allgemein die Ausgangsgröße (Status quo), die der Nachfrager der Bewertungssituation zugrunde legt. Der Nachfrager bildet aus Referenzpunkt und Preisstimulus hierbei einen Mental Account, der dann Grundlage der Bewertung ist. Je nachdem, welchen Referenzpunkt der Nachfrager in seinen Mental Account bucht, erhalten Preisstimuli ein unterschiedliches Framing. Gemäß der Prospect-Theorie von Kahneman/ Tverksy (1979) unterliegen hierbei in der sog. Wertfunktion Gains einer konkaven, Losses einer konvexen Nutzenbewertung (vgl. Abbildung 2.1-3): Abbildung 2.1-3: Wertfunktion der Prospect-Theorie Folge des Verlaufs dieser Wertfunktion ist der sog. „Losses loom larger“- Effekt: Geht man von einer - absolut gesehen - gleich großen Abweichung von Referenzpunkt und Preisstimulus aus, stiften - ebenfalls absolut gesehen - Gains einen geringeren Nutzen als Losses: (p Ri p i ) < | (p Ri p i ´)|, mit: p Ri p i = |p Ri p i ´| und p Ri p i > 0 Vereinfacht impliziert die Prospect-Theorie mit ihrer Wertfunktion für die Preisbewertung, dass positive Preiserlebnisse (Gains) weniger „Nutzenfolgen“ als negative Preiserlebnisse (Losses) besitzen. Damit postuliert die Prospect- Theorie einen anderen Bewertungsverlauf als die Adaptionsniveau-Theorie (proportional) oder die Assimilations-Kontrast-Theorie für die Differenz von Preisstimulus und Referenzpreis. Ferner zeigen empirische Untersuchungen (vgl. van Oest 2013; Mazumdar/ Papatla 2000), dass Nachfrager bei einer numerisch gleich großen (positiven) Differenz zwischen Verkaufspreis und Referenz- Gains Losses 0 + - Referenzpunkt <?page no="51"?> 52 2 Behavioral Pricing preis, einen größeren Loss empfinden, wenn sie - verglichen mit einem externen Referenzpreis - einen internen Referenzpreis als Preisanker (p Ri ) verwenden (Asymmmetric Loss Aversion). Die Prospect-Theorie stellt jedoch nicht nur ein weiteres Bewertungsmodell zur Differenz von Verkaufspreis und Referenzpreis dar, sondern beinhaltet interessante Implikationen für die Preispräsentation, wenn der Nachfrager mehrere Preiselemente (z.B. zwei Verkaufspreise; ursprünglicher Preis und Preiserhöhung; Verkaufspreis und Rabatt) zu bewerten hat (vgl. Herrmann/ Bauer 1996): Steht der Nachfrager vor der Entscheidung, zwei Produkte mit den Preisen p 1 und p 2 zu kaufen, legt die Prospect-Theorie nahe, beide Preise zu einem Gesamtpreis p 1 + p 2 zusammenzufassen (Preisbündelung). Der Nachfrager soll bezogen auf beide Preise nur einen Mental Account bilden, d.h. beide Preise aggregiert bewerten, da aufgrund der degressiven Bewertungsfunktion gilt (sog. Integrationsprinzip): (p 1 ) + (p 2 ) < (p 1 + p 2 ), mit: (p 1 ), (p 2 ), (p 1 + p 2 ) < 0 Besteht die Anbieterleistung aus einem Flug und einer Hotelunterbringung, löst das insgesamt gleich große Preisopfer weniger Missnutzen aus, wenn das Angebot als Pauschalreise (Nachfrager zahlt nur den Gesamtbetrag) offeriert wird, als wenn es mit den beiden Einzelpreisen präsentiert wird und der Nachfrager zwei Mental Accounts anlegt. Dies wird auch als Komplettpreiseffekt bezeichnet (vgl. Diller 2008, S. 142). Das Integrationsprinzip bezieht sich ferner auf den Fall, dass zwei Produkte jeweils eine Preiserhöhung ( 1 ; 2 ) erfahren, wobei der Nachfrager diese Preiserhöhungen als Loss gegenüber dem bisherigen Preisniveau interpretiert. ( 1 ) + ( 2 ) < ( 1 + 2 ), mit: ( 1 ), ( 2 ), ( 1 + 2 ) < 0 Es stiftet aus Nachfragersicht weniger Missnutzen, die Preiserhöhung als Gesamtbetrag auszuweisen, als beide Einzelbeträge aufzulisten. Gewährt der Anbieter auf zwei Produkte einen Rabatt (d), lässt sich dieser (absolute) Preisnachlass als Gain interpretieren, wobei der Anbieter beide Rabatte zu einem Gesamtrabatt (Gesamtsumme des Preisnachlasses) zusammenfassen (d 1 + d 2 ) oder die beiden Rabatte (d 1 ; d 2 ) isoliert ausweisen kann. Die Prospect- Theorie empfiehlt für diese Gains aufgrund der degressiven Bewertungsfunktion eine isolierte Präsentation bzw. eine Entbündelung (sog. Segregationsprinzip): (d 1 ) + (d 2 ) > (d 1 + d 2 ), mit: (d 1 ), (d 2 ), (d 1 + d 2 ) > 0 Die getrennte Ausweisung bzw. Gewährung von Rabatten anstelle eines Gesamtrabatts ist als Rabattsplittungseffekt bekannt (vgl. Diller 2008, S. 142). Hinsichtlich der Präsentation eines Listenpreises (p) und eines Rabatts (d) gilt ebenfalls das Segregationsprinzip: Es empfiehlt sich, beide Preiskomponenten <?page no="52"?> 2.1 Preisbewertung 53 separat anstelle des effektiven Preises (Listenpreis abzüglich Rabatt) zu präsentieren, da der Bruttobzw. Nettopreis als Loss, der Rabatt als Gain interpretiert werden. (p) + (d) > (p d), mit: (d) > 0, (p), (p d) < 0 und d << p Aufgrund der degressiven Wertfunktion reduziert die Angabe des effektiven Preises anstelle des Listenpreises den Missnutzen des zu erbringenden Preisopfers nur wenig, insbesondere, wenn sich die Bewertung der jeweiligen Losses des hohen Brutto bzw. Nettopreises bereits im relativ „flachen“ Teil der Wertfunktion vollzieht. Der Rabatt liegt hingegen im stark ansteigenden Abschnitt der Wertfunktion für Gains. Daher ist der Nutzengewinn des Rabatts als Gain größer als wenn er den Listenpreis und damit die Losses des Preisopfers reduziert. Eine analoge Wirkung wie ein Rabatt dürfte auch die Inzahlungnahme eines Altprodukts (Gains) durch den Händler beim Kauf eines Neuprodukts (Loss) besitzen. 2.1.4.2 Akquisitions- und Transaktionsnutzen Thaler (1985) hat das Konzept der Referenzpreise und die Vorstellungen der Prospect-Theorie in ein Nutzenmodell zur Bewertung von Transaktionen überführt, das ebenso als Bewertung eines Verkaufspreises interpretiert werden kann: Demgemäß bestimmt sich der „totale Nutzen“ (Value) einer Transaktion, d.h. der Nutzen des Kaufs von Produkt i zum Preis p i ( i ), aus zwei Mental Accounts, aus einem Akquisitions- und einem Transaktionsnutzen: Der Akquisitionsnutzen (Erwerbungsnutzen) entspricht hierbei der nutzenbewerteten Konsumentenrente, d.h. der Differenz zwischen dem Reservationspreis (p ri ) und dem Verkaufspreis; der Transaktionsnutzen erfasst hingegen die Differenz des Verkaufspreises zu einem Referenzpreis (p Ri ), den Thaler (1985, S. 205) als fairen Preis, andere Autoren als normalen oder erwarteten Preis (vgl. Monroe/ Chapman 1987, S. 194) definieren. Gains (Losses) treten auf, wenn die Konsumentenrente positiv (negativ) bzw. der Referenzpreis höher (niedriger) als der Verkaufspreis sind, wobei Gains und Losses eine der Prospect-Theorie entsprechende Nutzenbewertung erfahren: (2.1-7) i = (p ri p i ) + (p Ri p i ) Inhaltlich bringt der Transaktionsnutzen die Nutzenbewertung der „Freude“ (des „Missfallens“) zum Ausdruck, dass der Verkaufspreis niedriger (höher) als der vom Nachfrager unterlegte Referenzpreis ist (vgl. bspw. Grewal et al. 1998, S. 48f.; Lichtenstein et al. 1990, S. 56; Monroe/ Chapman 1987, S. 194). Der Transaktionsnutzen korrigiert folglich die bewertete Konsumentenrente nach oben bzw. unten. Dies vermag zu erklären, warum ein Nachfrager eine Marke, die ihm unter den betrachteten Alternativen die höchste Konsumentenrente (Akquisitionsnutzen) stiftet, dennoch nicht erwirbt, weil er bezogen auf den Verkaufspreis <?page no="53"?> 54 2 Behavioral Pricing relativ zu seinem Referenzpreis „enttäuscht“ ist (p Ri p i < 0) oder sich unfair behandelt sieht. Die empfundenen Losses im Transaktionsnutzen mindern dann den Gesamtnutzen des Kaufes von Produkt i ( i ), weshalb er eine andere Marke, die zwar einen geringeren Akquisitions-, dafür aber einen höheren Transaktionsnutzen aufweist, vorzieht. Aufgrund dieser „Korrekturwirkung“ gegenüber der Konsumentenrente kann man den Transaktionsnutzen als Pendant zu den Transaktionskosten interpretieren. Allgemein stellt das Nutzenmodell der Bedingung (2.1-7) ein zu den Bedingungen (1.1-1), (2.1-1) und (2.1-2) alternatives Entscheidungskalkül des Nachfragers dar. Hierbei lassen sich die nutzenbewerteten Transaktionskosten ( TRi ) durchaus als weiteren subtraktiven Term in Bedingung (2.1-7) einbauen. 2.1.5 Preisschwellen Glatte Preise (Even Prices) liegen vor, wenn die letzte Preisziffer eine „0“ aufweist (z.B. 2,00 oder 2,10); gebrochene Preise (Odd Prices) besitzen andere Endziffern, wobei im Einzelhandel die Zahlen „8“ und „9“ dominieren (z.B. 2,79 €; 23,98 €); bei mehrstelligen Euro-Beträgen bezieht sich die Unterscheidung dann auf die letzte(n) Euro-Ziffer(n) (z.B. 499 €). Ursprünglich dienten gebrochene Preise im Einzelhandel dazu, den Kunden Wechselgeld zurückzugeben und deshalb die Kasse öffnen zu müssen. Bei glatten Preisen fürchteten die Einzelhändler, dass ihre Angestellten manchen Geldschein (Münze) des Kunden „in die eigene Tasche“ stecken würden (vgl. Guéguen/ Legoherel 2004, S. 195). Inzwischen wird gebrochenen Preisen im Preismanagement auch eine Verhaltenswirkung zugeschrieben: So mag sich ein Konsument im Encoding des Preises von 2,99 auf die Euro-Ziffer „2“ konzentrieren und die letzte(n) Ziffer(n) „mental abschneiden“ (Abrundungshypothese; vgl. Coulter 2007, S. 502; Schindler/ Kirby 1997) und deshalb den Artikel mit 2,99 € als deutlich günstiger einschätzen, verglichen mit dem gleichen Artikel für 3,00 €. Ähnlich hierzu ist der Left-Digit-Effekt, der während des Transfers einer wahrgenommenen Preisziffer (Lexical Encoding) in eine Bewertung (Categorial Encoding) stattfindet und eine Wahrnehmungsverzerrung bewirkt (vgl. Thomas/ Morwitz 2005; Choi et al. 2012, S. 604): Demnach besitzen die links stehenden Ziffern in einer Zahl ein größeres Gewicht in der Einschätzung (Bewertung) der Größe einer Zahl als die rechts stehenden Ziffern der Zahl. Die Bewertung der Größenordnung des Preises von 2,99 (3,00) für den gleichen Artikel ist deshalb stärker von der Ziffer „2“ („3“) bestimmt als von den Ziffern „9“ („0“), weshalb der Unterschied zwischen den Preisen 3,00 zu 2,99 als größer eingeschätzt als zwischen den Preisen 2,58 und 2,57 wird, bzw. ein Preis von 2,99 (3,00) noch zum Bewertungsbereich „2 Euro“ (bereits zum Bewertungsbereich „3 Euro“) rechnet. <?page no="54"?> 2.1 Preisbewertung 55 Ferner suggerieren gebrochene Preise manchem Nachfrager eine „knallharte Kalkulation“ und damit ein preisgünstiges Angebot (vgl. Hamm/ Schäfer 1993, S. 74) bzw. sie haben die Erfahrung gemacht, dass Sonderangebote (Discount- Preise) häufig auf die Zahl „9“ endende Preisziffern besitzen und schlussfolgern von solchen Preisen, dass es sich um ein günstiges Angebot handeln müsse (vgl. Schindler/ Kibarian 2001). Die positive Verhaltenswirkung von auf die Ziffer „9“ oder „99“ endenden Preisen scheint durch eine spezifische Bewerbung des Angebots gefördert werden zu können: Choi et al. (2012) unterschieden zwischen einem sog. Gain-Frame und einem Loss-Frame in der Anzeigenbewerbung eines Produkts (z.B. Abonnement eines Kabelfernsehen-Anbieters): Im Gain-Frame wurde in der Anzeige durch einen Text der „Gewinncharakter“ des Angebots betont („Abonnieren Sie…, und Sie kommen in den Genuss unseres Premium- TV-Angebots), im Loss-Frame das Verlustrisiko hervorgehoben (Abonnieren Sie…, oder Sie verpassen den Genuss unseres Premium-TV-Angebots). Die Kaufintention der befragten Personen war im „Gain-Frame“ bei einem auf „9“ endenden Preis (29,99) signifikant höher als im Loss-Frame. Bei einem glatten Verkaufspreis (30,00) zeigten sich keine Unterschiede zwischen beiden Frames der Anzeige (vgl. Choi et al. 2012, S. 610). Als Begründung führen die Autoren an, dass ein auf die Ziffer „9“ endender Preis als Signal für ein günstiges Angebot besser zu einem Gain-Frame in der Anzeige „passt“ und dadurch die kognitive Verarbeitung der Informationen erleichtert, als ein Loss-Frame (vgl. Choi et al. 2012, S. 607). Eine Aussage zur offensichtlich kulturspezifischen Preiswahrnehmung von Preisziffern findet sich bei Suri et al. (2004, S. 60): In einem Vergleich von Probanden aus den USA und Polen bewerteten polnische Konsumenten einen auf die Ziffer „9“ endenden Preis häufiger als Loss bezogen auf den niedrigeren glatten Betrag, während US-Konsumenten die Differenz von einem Cent auf den höheren glatten Betrag häufiger als Gain empfanden. Allgemein bewirken Preisschwellen, dass in der Preisbewertung „Sprungstellen“ auftreten: Die Beurteilung der Höhe eines Preises verändert sich deutlich bei Überbzw. Unterschreiten einer Preisschwelle, während sie zwischen zwei Preisschwellen relativ konstant bleibt oder proportional zur Preishöhe ausgeprägt ist. Eine solche sich sprunghaft verändernde Preisbewertung kann sich unmittelbar auf den Marktresponse übertragen: Dann implizieren Preisschwellen, dass die Konsumenten bei einem Preis von 2,99 € den Artikel überproportional mehr als bei einem Preis von 3,00 € kaufen. Der empirische Nachweis von Preisschwellen bzw. der vorgelagerten Preisverarbeitungsprozesse ist trotz einer Vielzahl von Studien nicht eindeutig (vgl. hierzu bspw. Gedenk/ Sattler 1999, S. 35-38; Guéguen/ Legoherel 2004, S. 195-197). Dies mag darin begründet sein, dass Preisschwellen für ein Produkt unter den Nachfragern sehr heterogen ausgeprägt sind. Für das praktische Preismanagement ist die Frage, ob Preisschwellen existieren, jedoch zweitrangig: Wie Gedenk/ <?page no="55"?> 56 2 Behavioral Pricing Sattler (1999, S. 41-51) in Simulationsanalysen zeigen, fällt der Gewinnentgang, wenn ein Anbieter gebrochene Preise setzt, tatsächlich aber keine Preisschwellen existieren, gering aus, im Vergleich zum Fall, dass der Händler glatte Preise anbietet, Preisschwellen aber tatsächlich existieren. Der Einzelhändler sollte damit von Preisschwellen ausgehen. Zu lösen ist allerdings weiterhin, wo gebrochene Preise, d.h. im Marktresponse auffallende Preisschwellen für ein Produkt liegen (Magic Numbers). Die Diskussion um gebrochene Preise hat allerdings etwas an Brisanz verloren: Da auf die Zahl „8“ oder „9“ endende Preise im Einzelhandel üblich sind, erzielen ungewöhnliche Zahlenkombinationen für Preise (z.B. 7,77 €; 1,23 €) möglicherweise eine kurzfristig höhere Aufmerksamkeits- und Absatzwirkung als gebrochene Preise. Ferner stehen 1- und 2-Cent-Münzen in der Kritik, da deren Prägung kostenintensiv ist. Daher wird immer wieder erwogen, Preise nur auf die Ziffern „0“ oder „5“ enden zu lassen, wie dies in Finnland und den Niederlanden der Fall ist. 2.2 Preisimage Definiert man allgemein das Image als „Gesamtheit aller subjektiven Ansichten und Vorstellungen einer Person von einem Beurteilungsgegenstand“ (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 210), beinhaltet das Preisimage einer Einkaufsstätte oder eines (Teil-)Sortiments eines Anbieters die subjektiven Einschätzungen eines Nachfragers bezogen auf die Preise der offerierten Produkte (vgl. Hamilton/ Chernev 2013, S. 2). Das Preisimage stellt folglich eine Preisbewertung auf höherem Aggregationsniveau dar, wobei dem (Preis-)Image eine größere Stabilität als einer Einstellung (Preisbewertung eines Artikels) zugeschrieben wird (vgl. Müller 2003, S. 226). Häufig wird das Preisimage als ordinal skaliert angesehen (vgl. Hamilton/ Chernev 2013, S. 2): Nachfrager stufen einen Anbieter folglich als „teuer“ oder „preiswert“ ein, sie verbinden mit dem Preisimage aber - anders als bei einem Referenzpreis - keine monetäre (metrische) Bewertungsskala. Analog zu den unterschiedlichen Bewertungsdimensionen eines Einzelpreises versteht man das Preisimage in der Regel als mehrdimensionales Konstrukt (vgl. bspw. Gröppel-Klein 1998, S. 155; Diller/ Müller 2003, S. 13-24; Zielke 2006, S. 298), wobei die Dimensionen Preisgünstigkeit und Preiswürdigkeit im Vordergrund stehen. Sie werden in einigen Modellen um die Preisehrlichkeit oder die Preis-Kommunikation (Preiswerbung) als weitere Preisimagedimension ergänzt. Diese Dimensionen stellen nicht mehr unmittelbar auf die Höhe der Verkaufspreise ab, sondern beinhalten Aspekte des Preisgebarens (z.B. Preiskonstanz, Transparenz der Preisauszeichnung, Preisgarantien) des Anbieters. Aus konzeptioneller Sicht besteht bei einer solchen „weiten“ Interpretation des Preisimages die Gefahr, Bedeutungsinhalt des Konstrukts (was beinhaltet das <?page no="56"?> 2.2 Preisimage 57 Preisimage? ) mit dessen Determinanten (was beeinflusst das Preisimage? ) zu vermengen. Letztendlich ist die Frage nach den „richtigen“ Dimensionen des Preisimages nicht zu beantworten: Zum Preisimage zählt, was der Forscher hierunter definiert. Dies erschwert allerdings die Vergleichbarkeit von Forschungsergebnissen zum Preisimage. Für das Preismanagement ist die Frage relevant, welche Verhaltenswirkungen das Preisimage besitzt. Vier Bereiche lassen sich hierzu ausmachen: Insbesondere bei Waren des täglichen Bedarfs will ein Nachfrager in der Regel mehrere Produkte (Warenkorb) in einem Einkaufsgang beschaffen (One Stop Shopping), wofür er verschiedene Einkaufsstätten zur Auswahl hat. Um diese Geschäftsstättenwahl zu treffen, müsste er im strengen normativen Sinn die Einzelpreise der begehrten Artikel in einer Einkaufsstätte sowie die spezifischen Transaktions- und Divergenzkosten ermitteln, um dann das kostengünstigste Geschäft zu identifizieren. Ein solches Vorgehen ist Nachfragern als Cognitive Misers (vgl. bspw. Kardes/ Herr 1990, S. 544) jedoch zu aufwendig. Daher orientieren sie sich bei der Geschäftsstättenwahl für einen spezifischen Warenkorb möglicherweise am Preisimage, das sie von den Einkaufsstätten besitzen (vgl. Hamilton/ Chernev 2013, S. 1; Siems 2009, S. 242). Das Preisimage ist Teil des umfassenderen Geschäftsstättenimages, das sich ebenso als Kriterium für die Geschäftsstättenwahl eignet. In diesem Fall besteht zwischen Preisimage und Wahl der Einkaufsstätte lediglich ein indirekter Zusammenhang, da das Preisimage primär das Geschäftsstättenimage beeinflusst. Ein Nachfrager mag aus dem Preisimage durch Generalisierungsschlüsse die Preisbewertung eines einzelnen Artikels in diesem Geschäft ableiten (vgl. Baker et al. 2002, S. 123). Dies kann zur Folge haben, dass Nachfrager in einem Geschäft, mit dem sie ein niedriges (günstiges) Preisimage verbinden, weniger wahrscheinlich den Kauf eines Artikel verschieben (Deferral Choice) als in einem Geschäft mit Hochpreisimage (vgl. Hamilton/ Chernev 2010). Im ersten Geschäftstyp vermuten sie, dass sie das betreffende Produkt auch in anderen Geschäften nicht preisgünstiger erhalten werden, im Hochpreisimage-Geschäft hingegen haben sie Ehrgeiz bzw. Hoffnung, das betreffende Produkt in anderen Geschäften mit einem niedrigeren Verkaufspreis zu finden. Auch die Kaufmenge eines Produkts ist in einem Geschäft mit günstigem Preisimage höher als in Geschäften, die ein Hochpreisimage besitzen (vgl. Van Heerde et al. 2008). Das Preisimage dient ferner als Indikator für die Herleitung von Referenzpreisen, wenn der Nachfrager Verkaufspreise entsprechend seinem subjektiv wahrgenommenen Preisimage des Geschäfts erwartet (vgl. Bolton et al. 2003). Hier bildet der Nachfrager anhand seines (ordinalen) <?page no="57"?> 58 2 Behavioral Pricing Preisimages eine Vorstellung über den dazu korrespondierenden Referenzpreis für ein spezifisches Produkt (imagekonsistenter Referenzpreis). Findet er in einem Geschäft mit dem Image eines Hochpreisgeschäfts einen Artikel, dessen Preis niedriger als sein imagekonsistenter Referenzpreis hierfür ist, dürfte er einen positiven Transaktionsnutzen empfinden (ein „Schnäppchen im Luxusladen“). Umgekehrtes gilt möglicherweise für eine Einkaufsstätte, die ein Niedrigpreisimage besitzt und in dem der Nachfrager einen Artikel vorfindet, der „lediglich“ auf dem Marktpreisniveau liegt. In diesem Sinn stellt das Image, ein Geschäft mit günstigen Preisen zu sein, ein Hold up-Problem dar: Der Händler muss diese Preiserwartung der Nachfrager auch erfüllen, um nicht Preisunzufriedenheit zu erzeugen, selbst wenn keine höheren Preise als in anderen Geschäften vorliegen. Die Frage, welche Einflussgrößen das Preisimage bestimmen, gestaltet sich komplexer als in der Einzelpreisbewertung. Hierbei lassen sich preisbezogene Determinanten und allgemeine Geschäftsstättenmerkmale unterscheiden (vgl. Hamilton/ Chernev 2013, S. 4): Hinsichtlich der preisbezogenen Faktoren erscheint es wenig realistisch, dass der Nachfrager das Preisimage eines Geschäfts als Mittelwert der Preisbewertungen aller offerierten Artikel bildet. Dies verhindern bereits die schiere Größe von Einzelhandelssortimenten und die häufigen preispolitischen Aktionen des Anbieters insbesondere bei Waren des täglichen Bedarfs (vgl. Stassen et al. 1999). Vielmehr geht eine - vor allem aus Handelssicht - reizvolle Vorstellung davon aus, dass es bestimmte, nachfragerübergreifende Produkte (sog. Eck- oder Schlüsselartikel; Signpost-Items) gibt, die Nachfrager zur Bildung des Preisimages einer Einkaufsstätte heranziehen (vgl. bspw. Schindler 1998, S. 125-128; Hamilton/ Chernev 2013, S. 4). Dann könnte der Anbieter durch gezielte Preisgestaltung einiger (weniger) Preise seines Sortiments sein gesamtes Preisimage steuern: Ergebnisse von D´Andrea et al. (2006) deuten hierbei an, dass Nachfrager sogar nur drei bis fünf Artikel in einem Sortiment heranziehen, um hieraus das Preisimage des Anbieters abzuleiten. Andere empirische Untersuchungen treffen allerdings bislang eher enttäuschende Aussagen zur Identifizierung solcher Eckartikel in einem Sortiment. Häufiger gekaufte Produkte scheinen aber eine größere Rolle in der Bestimmung des Preisimages zu besitzen (vgl. bspw. Cox/ Cox 1990, S. 434; Müller 2003, S. 96); Sonderangebote sind hingegen nicht so imagebestimmend wie Produkte mit ihren Normalpreisen (vgl. Diller/ Müller 2003, S. 9; Lenzen 1984, S. 239f.). Zudem spielt die Häufigkeit von Sonderangeboten in einem Sortiment eine größere Rolle als die Höhe der Preisreduzierungen (vgl. Alba/ Marmorstein 1987, S. 21). Sonderangebote wirken möglicherweise sogar kontraproduktiv für das Preisimage, wenn Nachfrager bei Geschäften, die viele Sonderangebote platzieren, daraus schließen, dass das Normalangebot dann überteuert sein müsse, weil der Anbieter eine Mischkalkulation betreibe <?page no="58"?> 2.2 Preisimage 59 (vgl. Schindler 1998, S. 134-137). Möglicherweise bilden Nachfrager aber ein Preisimage für Normalpreise und ein Aktionspreisimage. Ferner sind Nachfrager offensichtlich in der Lage, teilsortimentsspezifische (warenkategoriespezifische) Preisimages bei einem Anbieter zu besitzen (vgl. Hamilton/ Chernev 2013, S. 5): So gelten bspw. die Fleisch- und Wurstabteilung eines Lebensmittelgeschäfts als „teuer“, die Backwaren hingegen als „preiswert“. Das Preisimage lässt sich ferner durch entsprechendes preispolitisches „Gebaren“ beeinflussen: Studien zeigen, dass Preisgarantien, die Akzeptanz einer Vielzahl von Kreditkarten, oder die Werbung mit Preisvergleichen (Comparative Pricing, vgl. Abschnitt 2.8.2) ebenfalls zur Einschätzung eines positiven (niedrigen) Preisimages eines Anbieters beitragen können (vgl. bspw. Kukar- Kinney/ Grewal 2007; Mazursky/ Jacoby 1986; Hamilton/ Chernev 2013, S. 6). Hinsichtlich der Wirkung der Preiswerbung auf das Preisimage ist allerdings die Reputation des Anbieters als wichtige Moderatorvariable zu berücksichtigen: Nachfrager müssen dem Anbieter vertrauen, dass die beworbenen Preise der Realität entsprechen (vgl. Anderson/ Simester 2009). Bezogen auf allgemeine Geschäftsstättenmerkmale, die das Preisimage beeinflussen können, lassen sich zwei Kategorien abgrenzen (vgl. Hamilton/ Chernev 2013, S. 6): Faktoren, die das (vermutete) Kostenniveau des Anbieters betreffen, wobei die Assoziation hoher Kosten mit einem ungünstigen Preisimage einhergeht, sowie Faktoren, die das Verkaufsvolumen indizieren, wobei ein hohes Verkaufsvolumen für ein vergleichsweise günstiges Preisimage steht: So belegen Studien, dass Geschäfte mit langen Öffnungszeiten, gediegen wirkender Einrichtung oder kleiner Verkaufsfläche als „teuer“ gelten (vgl. bspw. Baker et al. 2002, S. 131; Hamilton/ Chernev 2013, S. 6-8). Weitere solche Indikatoren sind der Standort oder Betriebstyp. Der Tatbestand, dass bei einem Anbieter Ware vergleichsweise häufig „ausverkauft ist“ (Stockouts), verleitet hingegen Nachfrager zur Schlussfolgerung, dass dieser Anbieter wohl recht preisgünstig sein müsse (vgl. Anderson et al. 2006). Besondere Dienstleistungen des Anbieters gegenüber dem Kunden, Großzügigkeit bei Rückgabe und Umtausch von Ware oder Cause-Related-Marketingmaßnahmen (z.B. soziales Engagement des Anbieters) mögen Nachfrager als „kostensteigernd“ interpretieren, weshalb sie meinen, dass der Anbieter diese Kosten auf den Verkaufspreis überwälzt, was wiederum die Wahrnehmung des Preisimage verschlechtern kann (vgl. Hamilton/ Chernev 2013, S. 8). Welches Gewicht preisbezogene und nicht-preisbezogene Faktoren in der Herausbildung des Preisimages eines Geschäfts besitzen, ist zweifellos unterschiedlich unter den Nachfragern ausgeprägt: So mögen Personen mit größerem Preisbewusstsein preisbezogenen Indikatoren größeren Stellenwert einräumen als Personen mit geringerem Preisbewusstsein. Analoges lässt sich für Personen mit höherer Need for Cognition, d.h. Bereitschaft sich mit dem Kauf kognitiv <?page no="59"?> 60 2 Behavioral Pricing auseinanderzusetzen, vermuten: Da es „vernünftig“ erscheint, dass preisbezogene Indikatoren „näher“ mit dem „wahren“ Preisniveau eines Geschäfts als nicht-preisbezogene Indikatoren korrelieren, geben sich Personen mit höherer Need for Cognition mehr Mühe, aus Preisinformationen das Preisimage eines Geschäfts zu erarbeiten. Nachfrager mit niedrigerer Need for Cognition wollen sich dieser Mühe nicht unterziehen und greifen auf die häufig einfacher festzustellenden nicht-preisbezogenen Indikatoren des Geschäfts zurück (vgl. Hamilton/ Chernev 2013, S. 8). Daher spielen nicht-preisbezogene Faktoren auch eine größere Rolle in der Einschätzung des Preisimages eines Geschäfts, wenn Nachfrager unter Zeitdruck stehen (vgl. Buyukkurt/ Buyukkurt 1986). Eine derartige indikatorgeleitete Bildung des Preisimages dürfte der Nachfrager ferner bei ihm zunächst unbekannten Einkaufsstätten durchführen; die alltägliche Einkaufspraxis in diesem Geschäft gestaltet dann - sehr schnell - diese allgemeinen Schemavorstellungen der Nachfrager geschäftsindividueller aus. 2.3 Preis-Qualitätsinferenz Interpretiert man den Preis als finanzielles Opfer, beeinflusst er die Kaufbereitschaft eines Nachfragers negativ, da mit steigendem Preis für ein Produkt ceteris paribus der Customer Value sinkt (Sacrifice Effect, Opfereffekt). Dem Preis kann aber auch ein präferenzfördernder Einfluss zugeschrieben werden, wenn der Nachfrager von der Höhe des Preises auf die Qualität des Produkts schließt (Informational Effect, Informationseffekt). Der Preis fungiert dann als Qualitätsindikator, wobei der Nachfrager mit steigendem (sinkendem) Preis des Produkts eine höhere (geringere) Qualität assoziiert (vgl. Brucks et al. 2000, S. 360-262; Cronley et al. 2005, S. 159-160; Völckner et al. 2012, S. 719-720), was wiederum ceteris paribus die Kaufbereitschaft erhöht (senkt). Allgemein handelt es sich bei dieser Preis-Qualitäts-Inferenz (Preis-Qualitäts-Hypothese) um eine Vereinfachungsstrategie (Heuristik) in der Qualitätsbeurteilung (vgl. bspw. Lichtenstein et al. 1993, S. 236; Suri/ Monroe 2001, S. 23), die allerdings eine Generalisierung von vielen Beobachtungen und Erfahrungen des Nachfragers mit Preis und Qualität von Produkten darstellt (vgl. Yan/ Sengupta 2011, S. 378): Die kognitiv aufwendige Einschätzung der Produktqualität wird durch die Feststellung des Verkaufspreises ersetzt bzw. Qualitätsunterschiede der Produkte am Markt werden auf Preisunterschiede reduziert. Da Opfer- und Informationseffekt des Preises gleichzeitig auftreten können und in ihrer Wirkung konträr zueinander sind, spricht man auch von der doppelten Rolle (Dual Role) des Preises hinsichtlich der Kaufbereitschaft. Als mögliche Rechtfertigung für die Preis-Qualitäts-Inferenz von Nachfragern lässt sich eine kostenorientierte Argumentation anführen, wonach „Qualität ihren Preis habe“: Gemäß dieses Denkschemas verursacht eine hohe fertigungs- <?page no="60"?> 2.3 Preis-Qualitätsinferenz 61 bezogene Qualität (z.B. gute Verarbeitung, Haltbarkeit, hochwertige Materialien etc.) dem Produzenten hohe Kosten, weshalb er einen hohen Preis fordert. Der sachlogische Zusammenhang zwischen Produktionskosten und Verkaufspreis ist zweifellos gegeben (vgl. bspw. Abschnitt 4.2), allerdings muss hinter einem hohen Preis nicht zwangsläufig eine hohe Qualität stehen. Dies gilt vor allem, wenn der Anbieter marktmächtig ist oder aufgrund günstiger Rahmenbedingungen einen hohen Preis für seine Marke durchzusetzen vermag. Tatsächlich zeigen empirische Studien in unterschiedlichen Produktbereichen nur vergleichsweise geringe positive Korrelationen zwischen der objektiven Qualität (z.B. Urteil der Stiftung Warentest) und dem Verkaufspreis der Produkte; der Zusammenhang wird für höherpreisige Produktkategorien allerdings enger (vgl. bspw. die Übersicht bei Diller 1988b). Zudem darf unter der Prämisse effizienter Marktmechanismen ein Nachfrager darauf setzen, dass sich ein „Bauernfängerangebot“ (hoher Preis und niedrige Qualität) langfristig nicht am Markt hält. Der Preis besitzt folglich zumindest einen gewissen Informationswert (Diagnostic Value) für die Produktqualität. Es ist allerdings fraglich, ob die Preis-Qualitäts-Inferenz den grundsätzlich negativen Zusammenhang zwischen Preis und Preisbewertung bzw. Kaufwahrscheinlichkeit umkehren kann. Auf den Marktresponse bezogen würde dies implizieren, dass mit höherem Preis die Absatzmenge ansteigt, was der intuitiven Vorstellung vom Gesetz der Nachfrage (höhere Preise führen zu sinkenden Absatzzahlen) widerspricht. Nachfrager besitzen jedoch möglicherweise einen unteren Grenzpreis: Dies ist ein Referenzpreis, unterhalb dessen sie einem Produkt eine Qualität, die nicht mehr ihrer Minimalanforderung entspricht, zuschreiben. Deshalb weist er dem Preis die Bewertung nicht akzeptabel zu bzw. seine Kaufwahrscheinlichkeit für das Produkt liegt bei null. In diesem Sinn kann auch die Preisreduzierung eines Produkts als Signal interpretiert werden, dass an der Qualität des Sonderangebots „etwas nicht stimmt“. Erst bei Überschreiten des unteren Grenzpreises besteht eine Kaufbereitschaft bzw. nur Preise über diesem Referenzpunkt führen zu Absätzen. Sind die unteren Grenzpreise der Nachfrager heterogen ausgeprägt, mag ein höherer Preis zunehmend mehr Nachfragern ihre Qualitätszweifel nehmen. Deshalb können in diesem (niedrigen) Preisbereich Preiserhöhungen tatsächlich zu Absatzsteigerungen führen, wenn die Steigerung des Bruttonutzens durch geringere Qualitätszweifel höher als der Anstieg des (bewerteten) Preisopfers ausfällt. Ab einem bestimmten Preisniveau bewirken höhere Preise aber keine nennenswerte Reduzierung der Qualitätszweifel mehr, bzw. die Anzahl an Nachfragern, bei denen der Verkaufspreis ihren unteren Reservationspreis überspringt, wird immer kleiner. Dann verbleibt ceteris paribus allein die negative Wirkung des Preises bezogen auf die Kaufwahrscheinlichkeit und Absatzmenge. Der empirische Nachweis, ob Nachfrager in ihren Kaufentscheidungen bzw. Produktbewertungen eine Preis-Qualitäts-Inferenz durchführen, ist schwierig: <?page no="61"?> 62 2 Behavioral Pricing Dieser Effekt ist vom Tatbestand zu trennen, dass Nachfrager deshalb höhere Preis-Qualitäts-Lagen in Produktkategorien bevorzugen, weil sie den betreffenden Produkten nach einer expliziten Qualitätsprüfung eine bessere Preiswürdigkeit oder höheren Customer Value als Artikeln in niedrigen Preis-Qualitäts- Lagen bescheinigen. Führen Nachfrager eine Preis-Qualitäts-Inferenz durch, was durch ein entsprechendes experimentelles Szenario gefördert werden kann, zeigen empirische Studien, dass sie dann qualitativ höherwertige und damit teurere Alternativen bevorzugen (vgl. Erdem et al. 2010). Ein methodischer Ansatz, den Informationseffekt des Preises in einem Experiment zu isolieren, verwendet ein Szenario, in dem die Probanden sich vorstellen sollen, aus mehreren Alternativen in einem Warenbereich eine Marke auswählen zu dürfen und diese vom Händler oder einer dritten Person als Geschenk zu erhalten. Die „normalen“ Verkaufspreise der Marken sind hierbei den Probanden bekannt. Die Probanden beurteilen dann die Qualität der Marken bzw. potenziellen Geschenke (vgl. Völckner et al. 2012, S. 723). In einer solchen Experimentsituation zeigt sich die Existenz des Informationseffekts. In realitätsnäheren Experimenten hat eine Überprüfung der Preis-Qualitäts-Hypothese hingegen zu keinen einheitlichen Ergebnissen geführt (vgl. zu diesbezüglichen Studien bspw. Müller 1996, S. 41). Allerdings zeichnen sich einige empirische Tendenzen ab: So ist eine Anwendung der Preis-Qualitätsinferenz wahrscheinlicher bzw. stärker ausgeprägt (vgl. bspw. O´Neill/ Lambert 2001, S. 221; Völckner/ Hoffmann 2007), wenn: die vermuteten Produktqualitäten der Kaufalternativen stark streuen und die Produktqualität für den Nachfrager wichtig ist, weshalb er ein hohes Qualitätsrisiko wahrnimmt; der Nachfrager nach Informationsvereinfachungen in der Kaufentscheidung strebt, weil er nur geringes Produktbzw. Kaufinvolvement besitzt, oder sich unter Zeitdruck befindet und deshalb eine explizite Qualitätsermittlung unterbleiben muss; der Nachfrager keine weiteren Informationen über das Produkt verfügt. Dies setzt voraus, dass er die Qualität bspw. aufgrund von Erfahrungs- oder Vertrauenseigenschaften a priori nicht beurteilen kann, keinerlei Kauferfahrungen in der Produktkategorie besitzt und solche Informationen auch aus seiner sozialen Umwelt nicht einholen kann; ferner sind ihm die Markennamen und/ oder Hersteller der Kaufalternativen unbekannt. Der Preis verbleibt dann als einziges Beurteilungskriterium. Eine solche Informationskonstellation, wie sie sog. Single Cue-Studien unterstellen, dürfte aber für viele Transaktionen nicht zutreffen. Allerdings zeigen die Studien, dass in Kaufentscheidungen mit großer sensorischer Distanz zum Produkt eine Preis-Qualitäts-Inferenz stärker als in Kaufentscheidungen mit geringer diesbezüglicher Distanz ausgeprägt ist (vgl. <?page no="62"?> 2.3 Preis-Qualitätsinferenz 63 Bornemann/ Homburg 2011, S. 493-496; Yan/ Sengupta 2011). Eine große sensorische Distanz liegt bspw. beim Kauf im Internet oder im Versandhandel vor, da hier der Nachfrager das Produkt nur anhand von Bilddarstellungen bzw. Textinformationen, dem Markennamen und dem Preis beurteilen kann. Bei Offline-Einkäufen kann der Käufer die Kaufalternativen physisch „in Augenschein nehmen“, was eine geringe sensorische Distanz zum Produkt bewirkt. Ein analoger Effekt lässt sich für eine zeitliche Distanz zwischen Kauf und späterem Konsum feststellen (vgl. Bornemann/ Homburg 2011, S. 487): Eine große zeitliche Distanz ist gegeben, wenn der Nachfrager ein Produkt erwirbt, das er erst Wochen/ Monate später gebrauchen wird (z.B. Wintermantel im Sommer kaufen). Als verhaltenstheoretische Begründung lässt sich die Construal Level-Theorie heranziehen: Demnach tendieren Personen dazu, psychologisch entfernte Objekte anhand generalisierender Schemata wahrzunehmen (vgl. Yan/ Sengupta 2001, S. 379), wobei die Preis-Qualitäts- Inferenz ein solches generalisierendes (abstraktes) Schema beinhaltet. Der Zusammenhang zwischen Preis und wahrgenommener (vermuteter) Produktqualität wird ferner von Moderatorvariablen beeinflusst: So zeigt eine Studie von Ofir (2004, S. 616-620) für Waren des täglichen Bedarfs, dass Probanden mit geringem Haushaltseinkommen keinen unteren Grenzpreis aufwiesen: Für diese sehr preisbewussten Probanden galt die Devise „je billiger, desto besser“. Unter Probanden mit höheren Haushaltseinkommen, die in der Tendenz mehr Wert auf Qualität legten, existierte hingegen ein Preis, unterhalb dessen sie einen Artikel aus der Produktkategorie als nicht mehr akzeptabel einstuften (unterer Grenzpreis). Zudem scheint die Preis-Qualitäts-Inferenz kulturspezifisch ausgeprägt zu sein: So gilt im internationalen Vergleich unter japanischen Käufern die Haltung, dass bei Produkten mit niedrigen Preisen die Qualität nicht stimme, als besonders ausgeprägt (vgl. Kauffmann 2004, S. 20). Ferner spielt das Produktwissen eine Rolle: Insbesondere verwenden Konsumenten mit geringem oder hohem Produktwissen diesen Inferenzschluss (vgl. Adaval/ Monroe 1995, S. 226; Rao/ Sieben 1992, S. 256f.): Der erste Personenkreis hat keine anderen Informationsmöglichkeiten, als vom Preis auf die Qualität zu schließen. Probanden mit hohem Produktwissen besitzen hingegen die Kauferfahrung, dass auf dem Markt in manchen Produktkategorien tatsächlich zumindest innerhalb eines Preisbereichs eine positive Beziehung zwischen Preis und Qualität existiert. Formal ergibt sich dann ein u-förmiger Zusammenhang: Mit steigendem Produktwissen sinkt die Neigung, vom Preis auf die Qualität zu schließen; ab einem bestimmten „Wissensstand“ kehrt sich diese Tendenz aber um und steigendes Produktwissen impliziert dann eine höhere Neigung, diesen Inferenzschluss durchzuführen. Wie Rao/ Monroe (1988, S. 259-261) zeigen, gilt dieser u-förmige Zusammenhang allerdings lediglich für Produktkategorien mit großen Qualitätsschwankungen. In Warenbereichen mit geringen Qualitätsunterschieden findet <?page no="63"?> 64 2 Behavioral Pricing sich hingegen eine monotone Tendenz, dass steigendes Produktwissen zu einer geringeren Neigung führt, vom Preis auf die Qualität zu schließen. In der Mikroökonomie ist unter dem sog. Veblen-Effekt ein zur Preis-/ Qualitäts-Inferenz sehr ähnliches Phänomen bekannt. Beim Veblen-Effekt vermittelt ein hoher Preis dem Produkt einen Prestigewert (soziale Qualität) und erhöht durch diesen Geltungsnutzen den Gesamtnutzen und damit die maximale Zahlungsbereitschaft gegenüber dem Produkt (vgl. bspw. Diller 2008, S. 150f.). Bei der Preis-/ Qualitäts-Inferenz reduziert ein hoher Preis die technisch-funktionalen Qualitätsunsicherheiten der Nachfrager und steigert dadurch den Grundnutzen des Produkts. 2.4 Preisbewusstsein Der Begriff Price Consciousness (Preisbewusstsein) wird in der Literatur für verschiedene Verhaltensausprägungen, die ein Nachfrager im Zusammenhang von Qualität und Preis von Produkten an den Tag legt, verwendet. Interpretationen wie “price consciousness reflects an individuals’ focus on obtaining a low price“ (O´Neill/ Lambert 2001, S. 220) oder „price consciousness may be defined by the degree to which the consumer uses prices in its negative role as a criterion“ (Lichtenstein et al. 1988, S. 245) umschreiben jedoch nur oberflächlich die komplexen Sachverhalte dieses Verhaltenskonstrukts. Synonym könnte man für Preisbewusstsein das Involvementkonstrukt heranziehen und von Preisinvolvement sprechen. Konsens in der Literatur ist, dass das Preisbewusstsein eine Persönlichkeitsvariable eines Nachfragers darstellt, das sich auf einem Verhaltenskontinuum von hoch (stark) bis niedrig (schwach) bewegt. Inhaltlich kann sich preisbewusstes Verhalten in mehreren, durchaus nicht äquivalenten Ausprägungsformen zeigen: Wichtigkeit des Preises Der Preis stellt gemäß Bedingung (2.1-1) eine Produkteigenschaft dar, die bei der Nutzenstiftung ein bestimmtes Gewicht (Wichtigkeit) besitzt. Erhöht sich der Preis um einen bestimmten Betrag, reduziert sich bei hoher Wichtigkeit des Preises, d.h. bei einem preisbewussten Verhalten, der Nutzen bzw. die Attraktivität ( i ) des betreffenden Produkts erheblich. Dies wiederum führt dazu, dass aus Sicht des Konsumenten eine andere Marke möglicherweise jetzt einen höheren Gesamtnutzen bietet. Nachfrager mit einem hohen Preisbewusstsein reagieren folglich sensibel auf Preisdifferenzen mit einer Änderung ihrer Präferenzen. Dies impliziert zugleich, dass dergestalt preisbewusste Nachfrager nur eine geringe Markentreue besitzen. <?page no="64"?> 2.4 Preisbewusstsein 65 Präferenz für niedrige Preis-Qualitäts-Lagen Gemäß dieser Interpretation tätigt ein preisbewusster Nachfrager in einer Produktkategorie für benötigte Artikel keine großen monetären Ausgaben. Dies mag exogen bedingt sein, weil das verfügbare Budget nur für den Erwerb geringpreisiger Marken in einer Produktkategorie ausreicht. Da ausgehend vom Konzept der Preis-Qualitäts-Lagen Marken, die eine vergleichsweise niedrige technisch-funktionale Produktqualität und/ oder ein schwaches Markenimage aufweisen, am Markt mit einem relativ niedrigen Preis offeriert werden, korrespondiert das preisbewusste Kaufverhalten mit einer Präferenz für Marken, die eher am unteren Ende der Qualitätsskala positioniert sind. Diese Qualitätspräferenz mag aber auch dadurch begründet sein, dass Nachfrager keine große zusätzliche Nutzenstiftung in einer höheren Produktqualität sehen, weshalb ihre maximale Zahlungsbereitschaft für höhere Qualitätslevel nur wenig ansteigt. Ein dergestalt preisbewusster Nachfrager erachtet Marken mit einer bestimmten Mindestqualität als ausreichend. Suche nach preiswürdigen Angeboten In dieser Interpretation handelt es sich beim Preisbewusstsein um Anstrengungen des Nachfragers, eine gute Produktqualität zu einem möglichst günstigen Preis zu erlangen. Dies impliziert zunächst, dass der Nachfrager ein Qualitätsbewusstsein besitzt, weshalb er bereit ist, ein größeres finanzielles Opfer zu tätigen, wenn er dadurch eine höhere Qualität erwirbt. Ausgehend von diesem Verhaltensparadigma konkretisiert sich preisbewusstes Verhalten dann in mehreren Verhaltensfacetten, die sich darin unterscheiden, worin die „Anstrengungen“ des preisbewussten Nachfragers liegen: Solche Anstrengungen sind bspw. hinsichtlich der Bewertung der Alternativen im Kaufentscheidungsprozess zu sehen: So hinterfragen preisbewusste Nachfrager kritisch, ob die zusätzlichen Qualitätsmerkmale oder Zusatzausstattungen einer Marke ihren höheren Preis tatsächlich wert sind. Der Nachfrager ist folglich bereit, in den Kaufentscheidungsprozess viel kognitive Energie zu investieren, um dasjenige Angebot aus dem Set von Alternativen mit dem besten Value (Konsumentenrente) zu identifizieren. Deshalb findet eine besonders gründliche Produktprüfung und Abwägung mit den zu zahlenden Preisen statt. Es handelt sich folglich bei diesen preisbewussten Nachfragern um preis-/ qualitätskritische Konsumenten. Eine andere Ausprägung dieses preisbewussten Verhaltens wird im Marketing mit dem schillernden Schlagwort des Smart Shopping belegt (vgl. zu den verschiedenen Begriffsinterpretationen Esser 2002, S. 12). Die Anstrengungen des Smart Shoppers bestehen hierbei darin, durch intensive Informationssuche (Preissuche) besonders preisgünstige Bezugsquellen für seine präferierten Marken aufzuspüren (Schnäppchenjäger). Zentrale Rollen spielen hierbei die Wahl <?page no="65"?> 66 2 Behavioral Pricing der Geschäftsstätte und des Einkaufszeitpunkts: Hinsichtlich der Einkaufsstätte ist er bereit, längere Einkaufswege zu machen, um die betreffende Marke entsprechend preisgünstig in einem Geschäft zu erwerben. Bei Waren des täglichen Bedarfs sucht er in einem Einkaufsgang durchaus mehrere Geschäftsstätten auf, um die dort jeweiligen preisgünstigen Artikel zu kaufen. Dieses zum One Stop Shopping konträre Verhaltensmuster wird auch als Cherry Picking bezeichnet (vgl. Walters/ Rinne 1986, S. 240). Ebenso nutzt der Smart Shopper zeitliche Preisdifferenzen am Markt aus, indem er versucht, die präferierten Marken dann in einem Geschäft zu erwerben, wenn sie dort gerade preisreduziert sind. Daher verschiebt er den Kauf, bis das betreffende Produkt „irgendwo“ im Sonderangebot auftritt, bzw. nimmt von einem Verbrauchsgut eine größere Menge mit, um einen ausreichenden Vorrat bis zum nächsten (erwarteten) Sonderangebot zu haben (Hortungslager). In einem allgemeinen ökonomischen Sinn versucht der Smart Shopper folglich, Preisunterschiede am Markt auszunutzen (Arbitrage), weil er seine Transaktions- und Divergenzkosten hierfür niedrig bewertet. Ein zum Smart Shopping sehr ähnliches Konzept stellt die Deal Proneness eines Nachfragers dar (vgl. zu diesem Konzept bspw. Blattberg/ Neslin 1990; Lichtenstein et al. 1997; Pechtl 2004): Charakteristik eines Deal prone-Nachfragers ist, dass der Kauf preisaktionierter Artikel sog. Smart Shopping Feelings auslöst (Schindler 1989, S. 447), die mit dem Transaktionsnutzen eines Kaufes vergleichbar sind. Der Deal prone-Nachfrager empfindet bei einer bestimmten Preisdifferenz oder allein durch den Tatbestand eines Sonderangebots einen höheren Transaktionsnutzen als ein Nachfrager, der weniger Deal prone ist. Um in den Genuss der Smart Shopping Feelings zu gelangen, ist der Deal prone- Nachfrager bereit, beträchtliche Energie (Zeit, Mühe) in seine Einkaufsgestaltung zu investieren, wobei aber die Suche nach Sonderangeboten für ihn bereits Unterhaltungswert und damit eine positive Nutzenstiftung besitzen mag. Ein komplexes Verhaltensmodell im Zusammenhang mit dem Preisbewusstsein hat Schmalen in seinem preishybriden Kaufverhalten (vgl. Schmalen 1994; Schmalen/ Lang 1998) vorgestellt: Der Begriff preishybrid kennzeichnet hierbei, dass ein Nachfrager in den einzelnen Produktkategorien ein unterschiedliches Preisbewusstsein zeigt („mit dem Porsche bei Aldi einkaufen“). Kernelemente des Modells sind die Markenorientierung und die Serviceorientierung, die sich wiederum aus der Wichtigkeit und der Risikowahrnehmung eines Produkts ergeben. Insgesamt lassen sich vier Kauftypen (vgl. auch Pechtl 2001, S. 502f.) abgrenzen (vgl. Abbildung 2.4-1): Stuft ein Nachfrager Produkte als wichtig oder risikobehaftet ein (hohes Produktinvolvement), bevorzugt er bekannte (starke) Marken (hohe Markenorientierung), da seinen Anforderungen nur eine hohe Produktleistung (Qualität) und/ oder Markenreputation genügen. Gleichzeitig führt das wahrgenommene <?page no="66"?> 2.4 Preisbewusstsein 67 Kaufrisiko (Kaufinvolvement) zu einer hohen Serviceorientierung: Der Nachfrager wünscht in einer Geschäftsstätte eine große Auswahl und Beratung und ist bereit, diesen Handelsservice durch einen Preisaufschlag auf die Produkte zu honorieren. Zusammen mit der Markenpräferenz liegt ein Teuerkauf vor, der in Fachgeschäften realisiert wird. Markenorientierung Serviceorientierung hoch niedrig hoch Teuerkauf markenloser Convenience-Kauf niedrig Schnäppchenkauf Billigkauf Abbildung 2.4-1: Preishybrides Kaufverhalten Ist hingegen das Produktinvolvement niedrig, was eine niedrige Markenorientierung impliziert (kein Bedarf an Markenqualität), und besteht aufgrund der geringen Risikowahrnehmung bei diesen Produkten auch kein Bedarf an risikoreduzierenden Handelsfunktionen, tritt bei diesen problemlosen Produkten ein Billigkauf auf: Dem Nachfrager genügt eine Mindestqualität, die er zu einem möglichst niedrigen Preis erwerben will. Diesem Konsumententyp kommt insbesondere der Discounter im Handel entgegen. Legt der Nachfrager in einer Warengruppe zwar Wert auf Markenprodukte, da er eine hohe Produktqualität fordert, ist der Kauf für ihn aber risikolos, weil er aufgrund seiner Konsumerfahrung genau weiß, was er will (niedrige Serviceorientierung), betätigt er sich als Schnäppchenjäger. Preisbewusstsein muss sich damit nicht in einer Präferenz für „billige“ Produkte niederschlagen, sondern impliziert im Falle des Schnäppchenjägers, dass der Nachfrager (Smart Shopper) „hohe Qualität möglichst preisgünstig“ erwerben will. Typische Geschäftsstätten hierfür sind Fachmärkte, Verkaufsstellen im Direktvertrieb der Hersteller (Fabrikladen; Factory-Outlet-Center) oder der Kauf im Internet. Fachgeschäfte sucht dieser Konsumententyp nur auf, wenn sie Markenware im Sonderangebot bieten. Als weiteren Konsumententyp beinhaltet Abbildung 2.4-1 den Convenience Shopper (vgl. Spannagel/ Trommsdorff 1999, S. 67; Zentes 1996, S. 230): Dieser Verhaltenstypus versucht, den Einkauf zum Erlebnis (Shopping als Freizeitbeschäftigung) werden zu lassen oder zumindest Mühen beim Einkauf zu vermeiden (bequemer Einkauf), was sich bspw. im Kauf von Lebensmitteln - außerhalb der Ladenöffnungszeiten - an der Tankstelle oder im One Stop Shopping äußert. Hinsichtlich der Produkte hat dieser Nachfrager keine ausgeprägten Markenpräferenzen, weshalb dieser Konsumententyp einen „(mar- <?page no="67"?> 68 2 Behavioral Pricing kenlosen) Convenience-Kauf“ tätigt. Analog zum Teuerkauf ist der Nachfrager bereit, die Handelsfunktion Convenience durch einen Preisaufschlag zu entlohnen oder einen längeren Anfahrtsweg in Kauf zu nehmen (z.B. Fahrt in ein Einkaufszentrum am Stadtrand für den „Großeinkauf“); hierzu zählt auch die Bereitschaft, bei Bestellungen von Waren über Internet oder Telefon die Kosten für einen Lieferservice (Home Delivery) zu tragen. Eine für das Preismanagement relevante Frage beinhaltet, Nachfragersegmente mit unterschiedlicher Preisbereitschaft soziodemographisch zu charakterisieren (wie sieht ein Smart Shopper aus? ). Die empirischen Ergebnisse insbesondere zur Deal Proneness zeigen aber keine einheitlichen Ergebnisse (vgl. bspw. Pechtl 2004, S. 225), wenngleich eine Studie von Mulhern et al. (1998) andeutet, dass Konsumenten mit höherem Einkommen eine höhere Preissensitivität (Preisbewusstsein) besitzen; diese Nachfrager können Sonderangebote durch größere Lagerhaltung (z.B. eigenes Haus mit großen Kellerräumen) besser ausnutzen. Wie das Modell des preishybriden Käufers ferner postuliert, beeinflussen die Preisbereitschaft vor allem psychologische Variablen (Markenpräferenz; Risikowahrnehmung; Involvement), die nicht unbedingt mit vordergründigen soziodemographischen Merkmalen wie Geschlecht, Alter, Einkommen, etc. korrelieren. Daher bietet die Preisbereitschaft zwar ein konzeptionell zentrales, empirisch aber nur schwer greifbares Segmentierungskriterium im Preismanagement. 2.5 Preiswissen 2.5.1 Herausbildung des Preiswissens In einer sehr allgemein gehaltenen Definition umfasst das Preiswissen alle preisbezogenen Informationen zu einem Objekt (z.B. Marke; Geschäftsstätte), einer Produktkategorie oder einem Markt, die der Konsument in seinem Gedächtnis gespeichert hat und dort auf Abruf zur Verfügung stehen (vgl. bspw. Bauer et al. 2003, S. 249). Analog zum Sequenzmodell der Abbildung 2.1-1 lassen sich bezogen auf das Preiswissen ebenfalls mehrere Verarbeitungsschritte abgrenzen (vgl. Abbildung 2.5-1). Die Herausbildung kognitiver Strukturen im (Langzeit-)Gedächtnis ist Gegenstand der Storage-Stufe. Dies beinhaltet das Lernen des enkodierten Preisstimulus, wobei zwei Arten zu unterscheiden sind (vgl. Biehal/ Chakravarti 1982, S. 431; Mazumdar/ Monroe 1990, S. 18; Monroe et al. 1986, S. 594-598): Beim sog. intentionalen Lernen hat der Konsument die Absicht, sich diesen Preisstimulus merken zu wollen, d.h. bewusst zu speichern, um ihn später aktiv rekapitulieren zu können. Das inzidentelle Lernen (incidential learning) beinhaltet hingegen, dass sich der Konsument zwar in einer Kaufentscheidung mit diesem Preisstimu- <?page no="68"?> 2.5 Preiswissen 69 Abbildung 2.5-1: Sequenzmodell zum Preiswissen lus beschäftigt, da er bspw. die Attraktivität eines Produkts bestimmen will, nicht aber die bewusste Speicherung des Preisstimulus beabsichtigt. Dennoch bewirkt diese kognitive Elaboration des Preisstimulus in einer Kaufsituation, dass dieser im Gedächtnis des Konsumenten haften bleibt. Dies dürfte vor allem gelten, wenn häufige Kontakte mit demselben Preisstimulus auftreten (Mere Exposure-Hypothese): So kann eine „kognitive Berieselung“ (Diller 2008, S. 135) des Nachfragers mit Preiswerbung oder visuellen Preishervorhebungen von Artikelpreisen durch Display-Aktionen inzidentelles Lernen von Preisstimuli bewirken. Durch Retrieval-Prozesse aktiviert der Konsument gespeicherte Preisinformationen. Ein solches „Rekapitulieren“ eines Preisstimulus (Preiserinnerung) wird zumeist durch einen äußeren Anlass ausgelöst: So benötigt der Nachfrager bspw. diese Preisinformation für die Bewertung eines aktuellen Verkaufspreises; möglicherweise wird er auch in einer Befragung zu einer Preisangabe aufgefordert oder in einem Gespräch mit Bekannten nach diesem Preisstimulus gefragt. Gedächtnispsychologische Phänomene wie Interferenzen oder der „Zerfall“ einer Gedächtnisspur bewirken jedoch, dass ursprünglich gespeicherte Preisinformationen nicht mehr aktiviert werden können (vgl. bspw. Monroe/ Petroshius 1981, S. 48; Turley/ Cabaniss 1995, S. 41). Ein Retrieval (Erinnern) des Preises fällt ceteris paribus umso schwerer, je weniger stark die kognitive Elaboration bei der Abspeicherung war. Ein solches Vergessen mag den gesamten Preis als „Zahlenkombination“, aber auch zunächst nur die weniger „bedeutsamen“ Stellen einer Preiszahl (Cent-Bereich) betreffen (vgl. Monroe/ Lee 1999, S. 219), wenn den Stellen „hinter dem Komma“ weniger Aufmerksamkeit in der Preisverarbeitung geschenkt wurde (vgl. Schindler/ Wiman 1989, S. 175). Das Versagen eines Retrieval-Prozesses kann aber auch daran liegen, dass Fehler in der Preiserinnerung auftreten: Die rekapitulierte Preisinformation ist falsch (False Recall), weil der wiedergegebene Preisstimulus einem anderen Objekt oder Zeitpunkt zugehörig ist. Fehler in der Preiserinnerung können schließlich bereits dadurch bedingt sein, dass der Nachfrager nur „glatte Beträge“ abspei- Encoding Combination Response Storage Retrieval Response <?page no="69"?> 70 2 Behavioral Pricing chert, weil diese kognitiv leichter zu verarbeiten sind (vgl. Monroe/ Lee 1999, S. 216). 2.5.2 Inhaltselemente des Preiswissens In einer Systematisierung der Inhalte lässt sich vor allem zwischen isomorphem und inferentiellem Preiswissen sowie Preisumfeldinformationen unterscheiden (vgl. Abbildung 2.5-2). Abbildung 2.5-2: Isomorphes und inferentielles Preiswissen Diese Inhaltselemente des Preiswissens werden im Folgenden näher vorgestellt. 2.5.2.1 Isomorphes Preiswissen Das isomorphe Preiswissen bezieht sich auf vom Nachfrager wahrgenommene Preisstimuli, die er ohne weitere Transformation (nur Lexical Encoding) im Gedächtnis ablegt. Isomorphes Preiswissen zeigt sich folglich darin, dass der Konsument einen bestimmten wahrgenommenen Preisstimulus mehr oder weniger genau hinsichtlich dessen numerischer Höhe wiedergibt. Hierbei kann es sich um Preise der Vergangenheit (historisches Preiswissen) oder aktuelle Preisstimuli handeln. Eine Vielzahl von empirischen Studien (vgl. bspw. Dickson/ Sawyer 1990; Estelami/ De Maeyer 2004; Gabor/ Granger 1961; Gaston- Brenton/ Raghubir 2013) hat sich mit der Güte des isomorphen, historischen Preiswissens bspw. anhand von Recall Errors (Preiserinnerungsfehler) und dessen Determinanten beschäftigt. isomorphes Preiswissen inferentielles Preiswissen Preisumfeldinformationen aggregiertes inferentielles Preiswissen kategoriales inferentielles Preiswissen originäres inferentielles Preiswissen inferentielle Referenzpreise Ergänzung isomorphen Preiswissens I nhaltselemente <?page no="70"?> 2.5 Preiswissen 71 Die Quantifizierung der Güte des Preiswissens beinhaltet hierbei eine methodisch „reizvolle“ Aufgabenstellung: Handelt es sich um numerische Preisangaben, die der Konsument frei formuliert, ist die Genauigkeit des Preiswissens umso höher, je weniger seine Preisangaben von den tatsächlichen Preisen abweichen. Bezeichnet p ir den vom Konsumenten genannten Preis für Produkt i und p i den dazu korrespondierenden tatsächlichen Preis, der im Geschäft angesetzt ist bzw. gegolten hat, dann lässt sich für die Genauigkeit des Preiswissens bezogen auf n zugrunde gelegte Produkte folgende Maßgröße (PAD, price absolute deviation; Preiserinnerungsfehler) formulieren (vgl. bspw. Conover 1986, S. 589; Dickson/ Sawyer 1990, S. 47): PAD = i=1 n |p ir p i | p i Die Maßgröße PAD ist invers mit der Genauigkeit des Preiswissens verbunden, d.h. je kleiner PAD ausfällt, desto höher ist die Genauigkeit des Preiswissens. Bezogen auf ein Produkt i, handelt es sich bei der obigen Messgröße um ein normiertes Maß, das anzeigt, wie viel Prozent der erinnerte Preis vom tatsächlichen Preis abweicht. Wird die Genauigkeit des Preiswissens für mehrere Produkte erhoben, stellt die Maßgröße PAD den summierten Fehler in der Preiserinnerung dar. Die Maßgröße PAD lässt sich für jeden Befragten individuell bestimmen. Aufgrund ihres metrischen Datencharakters können deshalb auch Mittelwerte und andere statistische Verteilungsmaße als Indikator für die Genauigkeit des Preiswissens von Konsumentensegmenten bestimmt werden. Nachteilig am obigen Maß ist, dass es die Richtung der Preisabweichung nicht enthält, d.h. nicht zwischen Preisüber- oder -unterschätzungen differenziert. Daher wird häufig als Parallelmaß erfasst, bei wie vielen Produkten je Befragter oder bei wie vielen Befragten bei einem spezifischen Produkt ein zu hoher oder ein zu niedriger Preis wiedergegeben wurde (vgl. bspw. Conover 1986, S. 590). Dies erlaubt dann Aufschlüsse darüber, ob eine systematische Verzerrung des isomorphen Preiswissens bei den Befragten vorliegt (Price Knowledge Bias, vgl. Dickson/ Sawyer 1990, S. 47). Methodisch problematisch ist die obige Maßgröße ferner, wenn ein Konsument eine unterschiedliche Anzahl von Preisangaben macht, weil bspw. der Forscher auf Produktkategorien abstellt, in denen der Konsument innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. letzte Woche) eingekauft hat. Hier existiert keine vorab spezifizierte Anzahl von Produkten, zu denen der Konsument dann numerische Preisangaben macht. Analoges gilt, wenn der Konsument so viele Preisangaben machen soll, wie ihm bezogen auf eine Produktkategorie einfallen: Je mehr Preisangaben ein Proband macht, desto höher wird ceteris paribus der summierte Preisfehler PAD. Daher ist es notwendig, die Produkte, für die die <?page no="71"?> 72 2 Behavioral Pricing Genauigkeit des Preiswissens gemessen werden soll, vorab zu spezifizieren und dem Probanden vorzugeben, um für alle Befragten gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen und damit die Maßgröße PAD interpersonell vergleichbar zu halten. Alternativ lässt sich der summierte Fehler in der Preiserinnerung durch die Anzahl der zugrunde gelegten Preisangaben dividieren; dann erhält man den durchschnittlichen Preisfehler im Preiswissen eines Probanden. Kann ein Konsument zu einem vorgegebenen Produkt keine numerische Preisangabe machen, liegen Missing Values vor. Aus statistischer Sicht lassen sich solche fehlenden Angaben bei der Berechnung der Messgröße PAD nicht berücksichtigen; dies führt aber dazu, dass Befragte mit vielen Missing Values ceteris paribus einen geringeren Wert für den summierten Preiserinnerungsfehler (PAD) aufweisen, was jedoch gemessen an der hohen Zahl ihrer Fehlantworten unsinnig ist. Daher werden in Befragungen die Konsumenten vielfach „gezwungen“ (Insistieren des Interviewers; vgl. bspw. Lichtenstein et al. 1993, S. 237), bei fehlender Preiserinnerung eine Schätzung bezogen auf den Preis abzugeben: Isomorphes Preiswissen wird dann durch aktuell erarbeitetes, inferentielles Preiswissen ersetzt. Anstelle einer freien Wiedergabe von Preisen (Recall-Test) können auch Recognition-Tests zur Messung der Genauigkeit des isomorphen Preiswissens verwendet werden (vgl. Monroe/ Lee 1999, S. 221). In der Regel setzt ein solcher Recognition-Test schwächere Anforderung an die Erinnerungsleistung bzw. erfordert geringere kognitive Anstrengungen (vgl. Schindler/ Wiman 1989, S. 176), da der Proband durch die Vorgabe von Preisen Hilfestellungen (Cues) für die Erinnerung erhält (vgl. Monroe/ Lee 1999, S. 214). Dadurch lassen sich Preisstimuli rekapitulieren, die der Konsument ohne solche Hilfestellung nicht mehr in seinem Gedächtnis aufgefunden hätte. Ein Recognition-Test eignet sich folglich für Preisstimuli, deren Gedächtnisspuren bzw. assoziative Verknüpfungen „schwach“ ausgeprägt sind, weil bspw. die vorgelagerte kognitive Elaboration der Preisstimuli gering war. Aus messmethodischer Sicht sind zwei Vorgehensweisen zur Ermittlung der Genauigkeit des Preiswissens mit Hilfe von Recognition-Tests zu unterscheiden: die sog. Single-Stimuli-Methode und der Forced-Choice-Ansatz (vgl. zum Folgenden Monroe et al. 1986, S. 595-596): Bei der Single-Stimuli-Methode muss der Proband für jeden vorgelegten Preisstimulus beurteilen, ob er „richtig“ oder „falsch“ ist. Implizite Vorstellung ist, dass ein Proband einen vorgelegten Preisstimulus anhand eines Kontinuums hinsichtlich seiner „Vertrautheit“ mit den Stimuli bewertet. Überschreitet ein Preisstimulus einen bestimmten Schwellenwert (Vertrautheitsgrad), klassifiziert ihn der Proband als „richtig“. Werden je Objekt m Preisstimuli vorgelegt und hat der Proband für n Objekte (Produkte) Preise wiederzuerkennen, gibt er insgesamt m n solcher Recognition-Urteile ab. <?page no="72"?> 2.5 Preiswissen 73 Ein Problem besteht hierbei in einem Antwortbias des Probanden: So könnte er für alle vorgelegten Stimuli die Klassifizierung „richtig“ abgeben, was eine Wiedererkennungsquote von 100 % impliziert, da er bei allen Objekten den jeweils richtigen Preisstimuli mit „richtig“ bezeichnet hat. Dies ist jedoch eine unsinnige Interpretation der Genauigkeit seines Preiswissens. Daher sind bei der Quantifizierung der Genauigkeit des Preiswissens auch „Falschantworten“ zu berücksichtigen, wobei insgesamt vier Antwortkategorien existieren: Hit: Der richtige Preisstimulus wird korrekt als „richtig“ wiedererkannt. Correct Rejection: Ein falscher Preisstimulus wird korrekt als „falsch“ wiedererkannt. False Alarm: Ein falscher Preisstimulus wird irrtümlich als „richtig“ benannt. Miss: Ein richtiger Preisstimulus wird irrtümlich als „falsch“ benannt. Aus den m n Recognition-Urteilen des Probanden lässt sich die prozentuale Verteilung der vier Antwortkategorien bestimmen, wobei „Hits“ und „Correct Rejections“ (False Alarm und Misses) richtige (falsche) Antworten beinhalten. Unterstellt man, dass die zugrunde gelegten Bewertungsfunktionen hinsichtlich der Vertrautheit eines vorgelegten Preisstimulus bzw. der Einstufung des Preisstimulus in eine der vier Antwortkategorien Normalverteilungen mit gleichen Varianzen unterliegen, lässt sich die standardnormalverteilte Zufallsvariable für den beobachteten Häufigkeitsanteil an Hits bzw. False Alarms [z(Hits); z(False Alarms] bilden und hieraus folgende Maßgröße für die Genauigkeit des Preiswissens auf Basis von Recognition-Tests ermitteln: d = z(Hits) - z(False Alarms) d = 0 signalisiert, dass der Proband zwischen richtigen und falschen Preisstimuli nicht diskriminieren kann bzw. sein Antwortmuster ein „reines Raten“ darstellt: Der Prozentsatz der „Hits“ entspricht dem Anteil an „False Alarms“. Bei d > 0 vermag der Proband hingegen, richtige und falsche Preisstimuli zu unterscheiden, wobei die Anzahl an Hits diejenige der False Alarms übersteigt: Je größer d ist, desto höher ist die Genauigkeit des Preiswissens. d < 0 lässt darauf schließen, dass der Proband bewusst Falschantworten gegeben hat oder ein Antwortmuster verfolgt, alle vorgelegten Preisstimuli mit „richtig“ zu bezeichnen; dies führt zu einem hohen Anteil an False Alarms. Da die Maßgröße d von der zugrunde liegenden Gesamtzahl an Klassifizierungen abstrahiert, ist diese Maßgröße über Studien bzw. Probanden mit unterschiedlicher Anzahl an Gesamturteilen vergleichbar. Der Forced-Choice-Ansatz impliziert, dass der Proband nur ein einziges Recognition-Urteil bezogen auf m vorgelegte Antwortalternativen eines Objekts abgibt: Er soll lediglich den richtigen Preisstimulus benennen. Diese Methodik erlaubt mehrere Auswertungsmöglichkeiten hinsichtlich der Genauigkeit des <?page no="73"?> 74 2 Behavioral Pricing Preiswissens: Zum einen kann der als „richtig“ gewählte Preisstimulus analog als numerische Preisangabe interpretiert und die absolute Preisabweichung (PAD) bestimmt werden. Zum anderen lässt sich - über n Objekte hinweg - der Anteil an richtig wiedererkannten Preisstimuli (Hits bzw. Recognition-Anteil r e ) bestimmen, was dann als Indikator für die Genauigkeit des Preiswissens gilt. Hat der Proband n´ richtige Preisangaben gemacht, gilt für r e = n´/ n. Allerdings ist zu beachten, dass ein Proband durch „reines Raten“ zufällig einen richtigen Preisstimulus angeben kann. Daher ist der wahre Recognition-Anteil r w möglicherweise niedriger als der gemessene Recognition-Anteil. Monroe et al. (1986, S. 596) empfehlen daher eine Korrektur von r e gemäß folgender Bedingung, wobei unterstellt ist, dass für jedes Objekt die gleiche Anzahl an Preisstimuli (m) dem Probanden vorgelegt wurde: r w = (m r e -1) / (m-1) Diese Bedingung bewirkt, dass vor allem bei einer kleinen Anzahl an Preisstimuli je Objekt (m) der „wahre“ Recognition-Anteil r w deutlich kleiner als der gemessene Recognition-Anteil r e ausfällt. Die Beantwortung der Frage der „richtigen“ Methode der Messung der Güte des Preiswissens einer Person ist schwierig: Deshalb schlagen Gaston-Brenton/ Raghubir (2013, S. 35) vor, auf Grundlage der Messansätze vier unterschiedliche Niveaus der Güte des Preiswissen von Personen in einer Stichprobe zu spezifizieren: a) weder im Recallnoch Recognition-Test wurden Preisangaben gemacht; b) sowohl im Recognitionwie im Recall-Test wurden falsche Preisangaben gemacht; c) nur im Recognition-Test wurden richtige Preisangaben gemacht; d) im Recall-Test wurden korrekte Preisangaben gemacht. Empirische Studien zur „Güte des Preiswissens“ sind aufgrund des unterschiedlichen Experimentaufbaus (z.B. Art und Anzahl der untersuchten Produkte) nur bedingt miteinander vergleichbar. Ferner fällt es schwer, einzuschätzen, ob eine bestimmte Fehlerquote als „halbvolles Glas“ (gutes Preiswissen) oder „halbleeres Glas“ (schlechtes Preiswissen) zu werten ist. Als einhellige Literaturmeinung gilt jedoch (vgl. bspw. Estelami et al. 2001, S. 350; McGoldrick/ Marks 1987, S. 73; Murthi/ Rao 2012, S. 34), dass sich die Güte des Preiswissens der Nachfrager in westlichen Industrienationen in den letzten Jahrzehnten verschlechtert hat. Als grundlegende verhaltenstheoretische Determinanten für die Güte des isomorphen, historischen Preiswissens postulieren Gaston-Brenton/ Raghubir (2013, S. 33) zwei Faktoren, die auf den Grad der kognitiven Elaboration einer Preisinformation einwirken: Die Motivation einer Personen, Preisinformationen zu verarbeiten und ihre (kognitiven) Fähigkeiten für eine Verarbeitung von Preisinformationen. Diese beiden Größen werden wiederum durch situative Umstände der Preiswahrnehmung beeinflusst: So löst eine (massive) unerwartete <?page no="74"?> 2.5 Preiswissen 75 Erhöhung des Verkaufspreises für ein Produkt eine größere Aufmerksamkeit und höhere Motivation der Preisverarbeitung aus. Ebenso besitzen Personen mit höherem Preisinvolvement eine größere Motivation. Demgegenüber erschwert eine ungewohnte bzw. neue Preiswahrnehmungssituation die Fähigkeit zur Preisverarbeitung. Dies ist bspw. bei einer Währungsumstellung gegeben (vgl. Gaston-Brenton/ Raghubir 2013, S. 37f.). In dieses Bild passen die Ergebnisse von Aalto-Setälä/ Raijas (2003, S. 187f.): Demnach ist die Güte des Preiswissens höher in Produktkategorien mit starken Marken verglichen mit schwachen Marken, was durch ein höheres Involvement der Nachfrager und damit eine größere Motivation zur Verarbeitung von Preisinformationen bei starken Marken bedingt sein dürfte. Umgekehrt fällt - nicht überraschend - das Preiswissen in Warenbereichen mit vielen Preisänderungen schlechter aus als in Warenbereichen mit wenigen Preisveränderungen, was zweifellos die Fähigkeit zur Preisverarbeitung beeinflusst. Gaston-Brenton/ Raghubir (2013, S. 36f.) fanden ferner soziodemographische Unterschiede in der Güte des Preiswissens, die sich allerdings in vorangegangenen Studien nicht so konsistent abzeichneten: So besitzen in dieser Studie jüngere Personen (Personen mit höheren Einkommen bzw. höherer Berufsqualifizierung) ein besseres Preiswissen als ältere Personen (Personen mit niedrigerem Einkommen bzw. geringerer Berufsqualifizierung). Unzweifelhaft beeinflusst das Alter hierbei die kognitiven Fähigkeiten, sich Preisinformationen zu „merken“. 2.5.2.2 Inferentielles Preiswissen Bei inferentiellem Preiswissen (vgl. Abbildung 2.5-2) handelt es sich nicht um die originale (isomorphe) Wiedergabe von Preisstimuli, sondern um die kognitive Erarbeitung von neuen Preisinformationen, die in dieser Form in der Umwelt des Konsumenten nicht gegeben waren. Drei Prozesse eines solchen „kreativen Akts“ der Schaffung von inferentiellen Preisinformationen lassen sich abgrenzen: Bei kategorialem inferentiellem Preiswissen handelt es sich um Preisbewertungen, die der Nachfrager gebildet und dann abgespeichert hat. Möglicherweise bleibt hierbei die Preisbewertung („in dem Lokal war das Essen überaus teuer“) länger im Gedächtnis haften als der numerische Preisstimulus. Aggregiertes inferentielles Preiswissen liegt vor, wenn der Konsument mehrere Preisstimuli zu einer eindimensionalen neuen Preisinformation verdichtet. Eine solche Aggregation von Preisinformationen darf als Vereinfachungsheuristik in der Informationsverarbeitung angesehen werden, wenn sich der Nachfrager anstelle einer Vielzahl von Preisinformationen lediglich eine Zentraltendenz (z.B. Durchschnittswert) merkt. Informationsökonomisch ausgerichtete Theorien unterstellen in diesem Zusammenhang, dass der Nachfrager zwar nicht die Einzelpreise des Produkts am Markt, wohl aber deren Mittelwert und Streuung der Preise kennt (vgl. bspw. Stigler 1961). Dies wird auch als abstraktes Preis- <?page no="75"?> 76 2 Behavioral Pricing wissen bezeichnet, da es sich auf keine(n) bestimmte(n) Marke (Anbieter) bezieht (vgl. Urbany 1986, S. 258). Eine andere Form des aggregierten inferentiellen Preiswissens liegt vor, wenn der Nachfrager von zwei Preisstimuli zugleich die absolute oder prozentuale Preisdifferenz (z.B. Preisersparnis bei einem Sonderangebot) als neue Preisinformation abspeichert (vgl. Bates/ Gabor 1986, S. 297; Diller 1988a, S. 19; Vanhuele/ Drèze 2002, S. 80). Möglicherweise kann sich hierbei der Konsument später nicht mehr an den Sonderangebotspreis, wohl aber an die (gerundete) Preisersparnis als numerische Information erinnern. Originäres inferentielles Preiswissen beschreibt schließlich den Fall, dass der Konsument einem Objekt hinsichtlich bestimmter Kriterien einen expliziten, eigenen Preis zuweist. Eine solche Preisbildung führt ebenfalls zu einer neu geschaffenen Preisinformation. Hierbei lassen sich zwei Fallgruppen unterscheiden: Die erste Fallgruppe umfasst die intrinsischen Referenzpreise gemäß Abbildung (2.1-2). In der zweiten Fallgruppe dient originäres inferentielles Preiswissen dazu, „Lücken“ im produktspezifischen isomorphen Preiswissen zu schließen. So vertreten Jacoby/ Olson (1977, S. 74) die Ansicht, dass Konsumenten, die einen historischen Preis in Retrieval-Prozessen nicht mehr aktivieren können, diesen Preis anhand anderer, gespeicherter Informationen durchaus rekonstruieren. „Lücken“ im isomorphen Preiswissen, die durch originäre inferentielle Preise geschlossen werden, bestehen ferner aufgrund von fehlender Preiserfahrung mit einem Objekt. Im Sinne der Frame-Theorie des Gedächtnisses (vgl. Lawson 2002) besitzt die kognitive Repräsentation (Frame) eines Produkts ein „Schubfach“ für Preisinformationen, da der Preis eines Produkts vielfach ein wesentliches Element der kognitiven Repräsentation des betreffenden Objekts bildet (vgl. bspw. Lawson 2002, S. 544f.). Folglich verbinden die Konsumenten mit einem Produkt häufig zugleich eine Preisvorstellung. Wenn sie keine Preiserfahrung besitzen, füllen sie dennoch das „Schubfach“ des Preises mit Inhalt, indem sie aus Indikatoren oder Erfahrungen in anderen Produktbereichen eine Preisvorstellung ableiten: So mag ein Konsument bei der Suche nach Übernachtungsangeboten für einen Urlaub im Gebirge a priori einer Übernachtung in einem Hotel mit dem Namen „Palace“ einen höheren Preis zuordnen als dem Hotelnamen „Bergblick“, ohne dass er beide Hotels gesehen oder Preisangebote studiert hat. Allein die semantische Anmutung der Namen genügt, um aus der Erfahrung heraus eine (ordinale) Preisvorstellung zu entwickeln. 2.5.2.3 Preisumfeldinformationen Neben isomorphen und inferentiellen Preisinformationen rechnen auch Preisumfeldinformationen zum Preiswissen einer Person: Solche Umfeldinformationsinhalte können vielgestaltig sein, da sie alle Rahmenbedingungen oder Umweltsituationen eines Verkaufspreises umfassen können: So weiß ein Konsument, wie häufig bzw. in welcher Zeitspanne ein Produkt in einem <?page no="76"?> 2.5 Preiswissen 77 Geschäft „normalerweise“ in einem Sonderangebot offeriert wird. Auch die ökonomischen Motive, die ein Nachfrager hinter der Preispolitik eines Anbieters vermutet (Price Tactics Persuasion Knowledge) lassen sich als Teil der Preisumfeldinformationen, die ein Konsument gespeichert hat, verstehen. 2.5.3 Sicherheit des Preiswissens Eine wichtige Begleitinformation zu Inhaltselementen im Preiswissen ist der subjektive Sicherheitsgrad (Certainty), den eine Person bezogen auf dieses Element des Preiswissens besitzt (vgl. bspw. McGoldrick et al. 1999, S. 191). Zur Messung des Sicherheitsgrads dienen in der Regel Ratingskalen, auf denen der Befragte eine Bewertung bspw. auf die Frage „Wie sicher sind Sie, dass der Preis, an den Sie sich erinnern, der Preis ist, den Sie tatsächlich bezahlt haben? “ formuliert. Bezogen auf isomorphe Inhaltselemente erscheint es hierbei a priori nicht unplausibel, dass eine größere Genauigkeit der Preiserinnerung mit einem höheren Sicherheitsgrad einhergeht. Allerdings muss eine solche enge Korrelation nicht bestehen, da der Sicherheitsgrad auch allgemeinere Verhaltensaspekte wie bspw. das Selbstbewusstsein des Konsumenten widerspiegelt (vgl. Rao/ Sieben 1992, S. 258): So mag sich ein selbstbewusster Konsument aufgrund seiner allgemeinen Verhaltensstruktur „ziemlich sicher“ sein, dass dieses Produkt X € kostet, dennoch aber mit seiner Einschätzung - aus welchen Gründen auch immer - falsch liegen. 2.5.4 Preiswissen als anwendungsbezogenes Wissen Das Preiswissen stellt ein anwendungsbezogenes Wissen dar, wenn der Nachfrager Preisstimuli bewusst speichert, weil sie für ihn bei Marken- oder Geschäftsstättenentscheidungen „von Wert“ sind. Aufgrund der Bedeutung von Preisbewertungen ist der Anwendungsbereich des Preiswissens vor allem in der Bereitstellung von Referenzpreisinformationen (interne Referenzpreise) zu sehen. Insbesondere in Branchen mit starken Preisänderungen besitzen einzelne zeitlich zurückliegende Preise als punktuelle Preisausprägungen keinen besonderen Aussagegehalt bezogen auf aktuelle Preisstimuli. Hier dürften Zentraltendenzen wie der Normalpreis (inferentielles Preiswissen) einen höheren Informationswert für den Nachfrager besitzen. Dies dürfte eine Erklärung sein, warum in vielen empirischen Untersuchungen das isomorphe, historische Preiswissen der Nachfrager relativ schwach ausgeprägt bzw. fehlerhaft ist. Nach der Aktualisierung des Referenzpreises (z.B. Normalpreis) durch den Preisstimulus (Updating) kann der Nachfrager diesen Preisstimulus „vergessen“. Damit erscheint das inferentielle Preiswissen deutlich bedeutsamer als das isomorphe Preiswissen. Auch dem Sicherheitsgrad im Preiswissen wird eine Verhaltenswirkung zugeschrieben (vgl. Vaidyanathan et al. 2000, S. 182): Denkbar ist hierbei, dass ein <?page no="77"?> 78 2 Behavioral Pricing Konsument, der sich bezogen auf sein Preiswissen unsicher ist, Bewertungen oder Kaufentscheidungen, zu denen er sein Preiswissen heranzieht, mit einem größeren Risiko assoziiert als ein Nachfrager mit höherem Sicherheitsgrad. Möglicherweise wendet bei geringem Sicherheitsgrad der Konsument sein Preiswissen überhaupt nicht an oder sucht stärker nach neuen Preisinformationen als ein Konsument mit hohem Sicherheitsgrad (vgl. Vaidyanathan et al. 2000, S. 186). Dadurch lässt sich der Konsument stärker von externen, d.h. vom Anbieter präsentierten Preisstimuli als durch sein intern gespeichertes Preiswissen beeinflussen (vgl. Mazumdar/ Monroe 1992, S. 67). Mazumdar/ Jun (1992, S. 327) stellten fest, dass mit sinkendem Sicherheitsgrad des Preiswissens der Budgetpreis sowie in der Akzeptanzskala der Schwellenwert für die Antwortkategorie „der Preis ist zu hoch“ ansteigt. Offensichtlich beinflusst der Sicherheitsgrad damit die Inhaltselemente mancher Informationsfelder des Preiswissens. Abbildung 2.5-3: Preiswissen und Preissuche Ein weiterer Verhaltensbezug des Preiswissens besteht hinsichtlich der Suche nach Preisinformationen. Drei Modelle (vgl. Kujala/ Johnson 1993, S. 252f.) postulieren hierbei unterschiedliche Beziehungen zwischen Preiswichtigkeit (Preisbewusstsein), Preissuche und Preiswissen (vgl. Abbildung 2.5-3). Im Economics of Information-Modell (vgl. Stigler 1961; Urbany 1986, S. 257f.) beeinflusst die Wichtigkeit des Preises die Preissuche, wobei der Nachfrager umso umfassender die Preise am Markt eruiert, je wichtiger der Preis für ihn ist. Der Nachfrager erhöht solange seine Preissuche, wie der zusätzliche Nutzen (Benefit) der Preissuche die zusätzlichen Kosten rechtfertigt. Die Benefits der Suche sind hierbei in der erwarteten Preiseinsparung zu sehen, die der Nachfra- E c onomic s o f I nformation L o w U nc ertainty A d apti ve R ationality Preiswichtigkeit Preissuche Preiswissen Preiswichtigkeit Preiswissen Preissuche Preiswichtigkeit Preiswissen Preissuche <?page no="78"?> 2.5 Preiswissen 79 ger erzielt, wenn er durch weitere Suche ein Geschäft entdeckt, welches das begehrte Produkt günstiger als die bisher geprüften Einkaufsstätten anbietet. Während die Grenzkosten konstant sind oder mit zunehmender Suche ansteigen, nimmt mit zunehmender Preissuche der Zuwachs an Benefits ab (degressiv steigende Nutzenfunktion). Das optimale Suchniveau ist erreicht, wenn sich Grenzkosten und Grenznutzen entsprechen. Mit höherer Wichtigkeit des Preises ist ceteris paribus der Grenznutzen der zusätzlichen Suche bei einem bestimmten Suchniveau höher. Folglich resultiert ein höheres optimales Suchniveau bei größerer Preiswichtigkeit. Durch die Preissuche steigt zugleich das Preiswissen, wenngleich der Wissenszuwachs durch umfangreichere Preissuche degressiv sein dürfte. Da die Nutzenbewertung der Preissuche von der Preiswichtigkeit abhängt und diese Größen sowie die Suchkosten individuell unterschiedlich sind, führen die Nachfrager unterschiedlich umfangreiche Suchaktivitäten bezogen auf den Preis durch und besitzen folglich ein unterschiedlich hohes Preiswissen. Das Low Uncertainty-Modell geht davon aus, dass die Preiswichtigkeit das Preiswissen positiv beeinflusst. Ursache ist, dass bei höherer Wichtigkeit des Preises die im Rahmen der Kaufprozesse wahrgenommenen Preisstimuli besser elaboriert und damit dauerhafter abgespeichert werden. Das Preiswissen dient hierbei als Substitut für die noch zu tätigende Preissuche: Je höher das Preiswissen des Nachfragers ist, desto weniger muss er für eine Kaufentscheidung noch „zusätzliche“ Informationen einholen. Zwischen Preiswissen und Preissuche besteht folglich ein negativer Zusammenhang, wobei auch die Kausalbeziehung zwischen beiden Konstrukten umgekehrt zum Economics of Information- Modell ausgeprägt ist. Das Adaptive Rationality-Modell postuliert keine kausale Beziehung zwischen Preissuche und Preiswissen: Je wichtiger der Preis für einen Nachfrager ist, desto besser fällt aufgrund der höheren kognitiven Elaboration der Preisstimuli sein Preiswissen aus. Zugleich bewirkt eine höhere Preiswichtigkeit, dass der Nachfrager mehr Benefits in der Preissuche sieht und deshalb eine umfangreichere Preissuche betreibt. Preiswissen und Preissuche sind in diesem Modell nur aufgrund der Hintergrundvariablen Preisbewusstsein positiv korreliert, sie stellen aber voneinander unabhängige Konstrukte dar. In einer empirischen Untersuchung fanden Kujala/ Johnson (1993, S. 262) heraus, dass ihre analysierten Daten am besten mit dem Adaptive Rationality-Modell erklärt werden konnten. In einer Studie von Urbany (1986, S. 269) zeigte sich das Low Uncertainty-Modell dem Economics of information-Modell überlegen. Auch aus konzeptionellen Überlegungen wirkt das Adaptive Rationality-Modell überzeugend: Das Preiswissen bildet den Fundus vor allem für inferentielle Referenzpreise; dieser Fundus ist umso größer, je wichtiger der Preis für den Nachfrager ist. Durch Preissuche will der Nachfrager hingegen ein möglichst <?page no="79"?> 80 2 Behavioral Pricing preisgünstiges Geschäft für das betreffende Produkt „entdecken“. Hierbei verhält er sich gemäß der Kosten-Nutzen-Überlegung, weshalb er bei höherer Preiswichtigkeit eine intensivere Preissuche betreibt. 2.6 Framingeffekte in der Preispräsentation 2.6.1 Partitionierte Preise Weist ein Anbieter für ein Produkt mehrere Preisbestandteile aus, die insgesamt dann den zu entrichtenden Gesamtpreis ergeben, spricht man von partitionierten Preisen (vgl. Morwitz et al. 1998, S. 453; Völckner et al. 2012, S. 720). Eine solche Situation ist gegeben, wenn der Nachfrager neben dem Verkaufspreis (Basispreis) Zusatzkosten zu tragen hat (z.B. Versandkosten; Aktivierungsgebühr für ein Handy, die zum Verkaufspreis hinzukommt), oder ein Produkt aus einer Hardware- und einer Dienstleistungskomponente, die jeweils eigene Preise besitzen, besteht (z.B. Ersatzteil bei einem Auto und Einbau des Teils). Die Zusatzkosten können auch als prozentualer Aufschlag zum Basispreis ausgewiesen sein. Anstelle mehrerer, additiver Preiskomponenten könnte der Anbieter auch nur den Gesamtpreis ausweisen (All-inclusive-Preis). Partitionierten Preisen wird unter bestimmten Rahmenbedingungen ein systematischer Einfluss auf die Präferenz des betreffenden Angebots gegenüber einem Angebot mit einem numerisch gleich hohen All-inclusive-Preis zugeschrieben: So legt die Prospect-Theorie nahe, dass der Nachfrager bei partitionierten Preisen für jede Komponente des Angebots, die einen expliziten (partitionierten) Preis aufweist, einen eigenen Mental Account anlegt. Da partitionierte Preise mehrere Losses implizieren, müsste ein betreffendes Angebot mit einem höheren gesamten Missnutzen assoziiert werden (Summe der in der Value-Funktion bewerteten Losses) als der Gesamtpreis (vgl. Liu/ Soman 2008, S. 663). In diesem Sinn stellten auch Völckner et al. (2012, S. 724-726) fest, dass partitionierte Preise den Opfer-Effekt (Sacrifice-Effekt) des Preises gegenüber dem All-inclusive-Preis fördern: Ihre Begründung ist, dass Probanden durch den getrennten Ausweis von Preiskomponenten der Produkteigenschaft Preis mehr Beachtung schenken, weshalb der Preis ein höheres Entscheidungsgewicht im Vergleich zum All-inclusive-Preis erhält: Dies impliziert, dass Nachfrager preissensibler gegenüber einem Angebot mit partitionierten Preisen als gegenüber einem All-inclusive-Angebot reagieren. Hamilton/ Srivastava (2008, S. 451) vermuten, dass Nachfrager bei partitionierten Preisen in ihren Mental Accounts Nutzen und Preise der einzelnen Komponenten gegenüberstellen und hieraus dann das Gesamtangebot bewerten: Dann bestimmt das wahrgenommene Preis- Leistungs-Verhältnis derjenigen Komponente, die dem Nachfrager wichtiger <?page no="80"?> 2.6 Framingeffekte in der Preispräsentation 81 erscheint, stärker den „Gesamteindruck“ des Angebots als Komponenten, die für den Nachfrager eine geringere Bedeutung besitzen. Es finden sich allerdings auch Studien, die einen präferenzfördernden Einfluss partitionierten Preise gegenüber einem All-inclusive-Preis postulieren. So interpretieren Morwitz et al. (1998, S. 453f.) das Ergebnis eines Experiments mit Auktionen dahingehend, dass partitionierte Preise - ohne Angabe des Gesamtpreises - zu einer höheren Nachfrage nach dem Produkt führen als ein numerisch gleich hoher Gesamtpreis. Als Ursachen vermuten sie Verzerrungseffekte in der Preiswahrnehmung bzw. Preisverarbeitung (vgl. Morwitz et al. 1998, S. 454f.): So verhalten sich Nachfrager nicht unbedingt als „Kopfrechner“, die Basispreis und Zusatzkosten mathematisch korrekt addieren. Vielmehr mögen sie den Basispreis als Anker verwenden und die Zusatzkosten nur unzureichend hinzuaddieren (Anchoring-Adjustment-Prozesse) oder sie ignorieren Zusatzkosten völlig (fehlendes Zusatzkostenbewusstsein). Dies führt dazu, dass Personen, die die beiden letztgenannten Verarbeitungsstrategien verwenden, für ein Angebot mit partitionierten Preisen einen niedrigen Gesamtpreis „konstruieren“ und erinnern als bei einem All-inclusive-Preis, bei dem keine „Zusammenführung“ von Preiselementen erforderlich ist. Analoges dürfte für die Preisbewertung gelten: Das Angebot mit partitionierten Preisen wird dann als günstiger empfunden als das Angebot mit dem Gesamtpreis. Wie ein weiteres Experiment von Morwitz et al. (1998, S. 459) zeigt, ist der Anteil an Probanden, die die Zusatzkosten ignorieren („Kopfrechner“ sind), signifikant höher (niedriger), wenn die Zusatzkosten als prozentualer Aufschlag auf den Basispreis ausgewiesen werden, verglichen mit der Situation, dass die Zusatzkosten in ihrer absoluten Höhe angegeben sind. Die positive Wirkung partitionierter Preise scheint ferner von der Markenpräferenz beeinflusst zu sein: Probanden mit einer hohen oder niedrigen Präferenz bezogen auf die offerierte Marke erinnern bei partitionierten Preisen einen niedrigeren Gesamtpreis als Probanden mit einer mittleren Markenpräferenz (vgl. Morwitz et al. 1998, S. 456). Als Ursache vermuten die Autoren, dass sich Personen mit niedriger oder hoher Markenpräferenz, verglichen mit Personen mit mittlerer Markenpräferenz, weniger die Mühe machen, den Gesamtpreis des Angebots aus partitionierten Preisen zu errechnen, sondern eher zu Vereinfachungsheuristiken greifen. Partitionierte Preise senken allerdings die Kaufbereitschaft gegenüber einem gleich hohen All-inclusive-Preis, wenn die Nachfrager eine hohe Need for Cognition besitzen und die Zusatzkosten ungewöhnlich hoch sind und/ oder der Verkäufer wenig Reputation genießt (vgl. Burman/ Biswas 2007; Cheema 2008): Hier fürchten Nachfrager offensichtlich, durch (unnötige) Zusatzkosten „übers Ohr gehauen zu werden“. Allgemein ermöglicht eine Aufspaltung des Gesamtangebots in mehrere Mental Accounts dem Anbieter eine systematische Beeinflussung der Nachfragerpräfe- <?page no="81"?> 82 2 Behavioral Pricing renz: So zeigen Experimente von Hamilton/ Srivastava (2008, S. 452-454), dass Probanden sensitiver gegenüber dem partitionierten Preis einer Komponente sind, bei der sie weniger Nutzen (Low Benefit-Komponente) sehen, verglichen mit Komponenten, die sie mit einem höheren Nutzen (High Benefit- Komponente) verbinden. Preiserhöhungen (Preissenkungen) sollten demnach bei partitionierten Preisen bei derjenigen Komponente durchgeführt werden, die für Nachfrager nutzenträchtiger (weniger nutzenhaltig) ist. Ferner präferieren Probanden - bei gleich hohem Gesamtpreis - ein Angebot, in dem die Low Benefit-Komponente einen niedrigeren partitionierten Preis und damit die High Benefit-Komponente einen höheren partitionierten Preis besitzen, gegenüber einem Angebot, in dem die Low Benefit-Komponente teurer bzw. die High Benefit-Komponente günstiger ist. Zusatzkosten sollten demnach möglichst niedrig ausgewiesen werden bzw. die Kosten des Anbieters für diese Leistung im Preis der High Benefit-Komponente versteckt sein (Mischkalkulation). In Weiterführung dieses Ergebnisses ist es empfehlenswert, etwaige Zusatzleistungen „kostenlos“ anzubieten („keine Versandkosten“), insbesondere wenn das Preiswissen und die Preisvergleichsmöglichkeiten der Nachfrager über die High- Benefit-Komponente gering sind. Eine mögliche inhaltliche Begründung der Ergebnisse von Hamilton/ Srivastava (2008) liefert die Studie von Völckner et al. (2012, S. 724-726), wonach partitionierte Preise den Informationseffekt des Preises gegenüber dem All-inclusive- Preis fördern: Probanden sehen demnach den partitionierten Preis der Basisleistung (Hauptleistung; High Benefit-Komponente) stärker als Qualitätsindikator als den All-inclusive-Preis an. Letzterer enthält mit den Zusatzkosten Komponenten, die nichts mit der Qualität des Produkts zu tun haben. Daher ist in der Preis-Qualitäts-Inferenz der Basispreis ein besserer Indikator für die Produktqualität als der All-inclusive-Preis. Folglich wirkt ein Angebot, in dem die High Benefit-Komponente (Basisleistung) einen höheren Preis besitzt, attraktiver als ein Angebot, das einen gleich hohen Gesamtpreis, aber eine niedrigpreisige High Benefit-Komponente aufweist. 2.6.2 Pennies a Day-Strategie Manche Dienstleistungen nimmt der Nachfrager über einen längeren Zeitraum in Anspruch (z.B. Versicherungsschutz, Mitgliedschaft in einem Fitnesscenter), wobei sich der Preis für die Dienstleistung auf eine bestimmte Zeitspanne bezieht (z.B. Jahresprämie; vierteljährlicher Preis). In einem solchen Fall ist denkbar, in der Preispräsentation durch Wahl einer kürzeren Zeiteinheit den Preis je Zeiteinheit (rechnerisch) zu verringern: Anstelle des Jahrespreises wird damit geworben, wie viel der Versicherungsschutz - auf einen Tag als Zeiteinheit bezogen - kostet („nur 10 Cent pro Tag für Ihren Versicherungsschutz“). Dies wird als sog. Pennies a Day-Strategie bezeichnet (vgl. Gourville 2003, <?page no="82"?> 2.6 Framingeffekte in der Preispräsentation 83 S. 125; Liu/ Soman 2008, S. 668); sie ist Ausdruck eines zeitbezogenen Framings des Verkaufspreises. Aus normativer Sicht dürfte der Umstand, dass der Verkaufspreis auf eine kürzere Zeitspanne heruntergerechnet wird, die Präferenz der Nachfrager für das betreffende Angebot nicht beeinflussen; im Lichte der Prospect-Theorie müsste die Pennies a Day-Strategie sogar eine negative Präferenzwirkung besitzen: Das Integrationsprinzip postuliert, dass Nachfrager mit dem Gesamtpreis (Jahrespreis) einen geringeren Missnutzen als mit der Summe der auf eine kürzere Zeitspanne bezogenen Verkaufspreise („Preis pro Tag“) assoziieren. Tatsächlich zeigen Studien (vgl. Gourville 1998, 2003) aber, dass eine Pennies a Day- Strategie in bestimmten Grenzen eine präferenzfördernde Wirkung besitzen kann: Offensichtlich muss für eine Präferenzförderung der Preis je Zeiteinheit einen sehr niedrigen numerischen Wert aufweisen, so dass er als unbedeutende, völlig zu vernachlässigende Ausgabe erscheint. Hierbei vergleichen Konsumenten die Höhe dieser Ausgaben mit anderen geringwertigen Produkten, die sie in Anspruch nehmen („kostet nur halb so viel wie eine Tasse Kaffee beim Bäcker“). Folge ist, dass der Verkaufspreis in der Kaufentscheidung an Gewicht verliert, verglichen mit der Situation, dass (nur) der Gesamtpreis betrachtet wird (vgl. Liu/ Soman 2008, S. 668). Im Rahmen der Prospect-Theorie könnte man argumentieren, dass die unbedeutende Ausgabe je Tag mit einen Loss von nahezu Null assoziiert wird, wobei sich der zu bewertende Gesamtpreis aus der Multiplikation dieses Pennies a Day-Loss mit der Anzahl an betreffenden Zeiteinheiten ergibt (z.B. Loss des Tagespreis multipliziert mit 365). Solche „mathematischen Berechnungen“ führen Nachfrager möglicherweise nur „überschlagsweise“ durch (z.B. Multiplikation mit dem Faktor 300) und verrechnen sich deshalb „nach unten“ (vgl. Estelami 2003, S. 325). Dann verursacht der zu zahlende Jahrespreis auf der Pennies a Day-Basis einen geringeren Loss. Estelami (2003, S. 325) vermutet ferner, dass bei einem Pennies a Day-Preis die Preissensitivität der Nachfrager, d.h. die Reaktionsempfindlichkeit auf Preiserhöhungen geringer als bei einem Jahrespreis ist: So wirkt eine Pennies a Day-Preiserhöhung von 10 Cent auf 12 Cent weniger „dramatisch“ und wird weniger negativ beurteilt als die Erhöhung des Jahrespreises von 36,50 € auf 43,80 €. Eine weitere Voraussetzung für eine positive Präferenzwirkung der Pennies a Day-Strategie ist, dass es sich um eine für die Nachfrager gewohnte Zeiteinheit (Preis pro Tag oder Woche) handeln muss (vgl. Gourville 2003, S. 134). 2.6.3 Präsentationseffekte bei Preisen und Preisänderungen Anbieter präsentieren ihren aktuellen Verkaufspreis (Sonderangebotspreis) häufig zusammen mit einem Vergleichspreis, der dann höher als der Verkaufspreis ist. Dies wird als Werbung mit Preisvergleichen (Comparative Pricing) bezeichnet. Der Vergleichspreis soll von den Nachfragern als (externer) Refe- <?page no="83"?> 84 2 Behavioral Pricing renzpreis bei der Beurteilung des Verkaufspreises verwendet werden, um eine bessere Preisbewertung des aktuellen Verkaufspreises als eine alleinige Präsentation des Verkaufspreises zu bewirken. Dies gilt vor allem dann, wenn Nachfrager in ihrem Preiswissen keine solchen Referenzpreise für ein Produkt besitzen bzw. diese Referenzpreise niedriger als der vom Anbieter präsentierte Vergleichspreis sind. Die (prinzipiell) positive Wirkung der Präsentation von Vergleichspreisen zum eigenen Angebotspreis ist im Marketing unumstritten und in empirischen Studien bestätigt (vgl. bspw. Grewal et al. 1998; Grewal/ Compeau 2007; Krishna et al. 2002, Monroe/ Chapman 1987; Mazumdar et al. 2005). Konzeptionell lässt sich die positive Wirkung der Präsentation von Vergleichspreisen mit dem Mental Account des Transaktionsnutzens begründen, der entsteht, wenn ein Nachfrager den aktuellen Verkaufspreis dem höheren Vergleichspreis (Referenzpreis) gegenüberstellt. Ferner zeigten Studien, dass Preisvergleiche auch die Wahrnehmung von internen Referenzpreisen, wie die Einschätzung der Höhe des „niedrigsten Preises“ oder des Normalpreises am Markt verändern, sowie die kognitive Verarbeitung von Preisinformationen erhöhen (vgl. zu einer Übersicht Blair et al. 2002, S. 176-179). Allerdings sind nicht alle Preise als Vergleichspreise geeignet: So zeigte sich in der Metastudie von Krisna et al. 2002, S. 114), dass - im Gegensatz zum Normalpreis - der „vom Hersteller empfohlene“ Preis (unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers) als Vergleichspreis wirkungslos ist. Im Zusammenhang mit der Verwendung von Vergleichspreisen unterscheidet man zwischen plausiblen und übertriebenen (exaggerated) Referenzpreisen. Im ersten Fall entspricht der Vergleichspreis in etwa der Preisvorstellung eines Nachfragers vom Normalpreis des betreffenden Produkts, im zweiten Fall ist der Vergleichspreis für den Nachfrager überraschend hoch (vgl. Krishnan et al. 2013, S. 105). Die Wirkung von übertrieben hohen Vergleichspreisen auf die Bewertung des Verkaufspreises bzw. auf die Kaufneigung ist differenziert zu sehen: Traditionell wird übertrieben hohen Vergleichspreisen eine positive, wenngleich zu plausiblen Referenzpreisen schwächere Wirkung zugeschrieben. Zweifel an der „Wahrheit“ (Glaubwürdigkeit) des angegebenen übertrieben hohen Vergleichspreisen führt dazu, dass Nachfrager ein Discounting des betreffenden Vergleichspreises vornehmen, ihn also der Höhe nach verringern, wenn sie ihn als Referenzpreis für die Bewertung des Verkaufspreises verwenden (vgl. Chandrashekaran/ Grewal 2003, S. 54; Lichtenstein/ Bearden 1989, S. 62-63; Urbany et al. 1988, S. 98). Ein solches Discounting muss aber nicht auftreten, insbesondere wenn es dem Anbieter durch Kommunikationsmaßnahmen oder Reputation gelingt, den Skeptizismus der Nachfrager bezogen auf die Höhe des Vergleichspreises zu zerstreuen. Krishnan et al. (2013, S. 108f.) zeigen ferner, dass die positive Wirkung übertrieben hoher Vergleichspreise ansteigt, wenn die Nachfrager ihre Preisbewertungen bzw. Kaufentscheidungen unter Zeitdruck treffen müssen. Umgekehrt zeigt ein plausibler Vergleichspreis keine fördernde <?page no="84"?> 2.6 Framingeffekte in der Preispräsentation 85 Wirkung, wenn die Preisdifferenz zum Verkaufspreis gering ist (vgl. Krisna et al. 2002, S. 114). Eine von Anbietern ebenfalls häufig praktizierte Methode der Präsentation von Sonderangeboten ist, neben dem Ausweis des aktuellen Verkaufspreises (Sonderangebotspreis) die prozentuale Preisreduzierung gegenüber dem zuvor geltenden Preis (Normalpreis) auszuweisen (Preisreduzierung um 25 %): Auch der Nachfrager kann die prozentuale Höhe der Preisreduzierung berechnen, wenn er den Sonderangebotspreis in Relation zum Normalpreis setzt. Im Modell des Homo oeconomicus ist die Information der prozentualen Höhe der Preisreduzierung eines Sonderangebots irrelevant, da sich der Nachfrager ausschließlich auf die Höhe des Verkaufspreises oder die absolute Höhe der Preisreduzierung konzentriert. Empirische Studien (vgl. bspw. Bonini/ Rumiati 2002, S. 203; Heath et al. 1995, S. 92-95) legen jedoch nahe, dass die prozentuale Höhe der Preisveränderung Verhaltenseinfluss besitzt: Eine gleich hohe Preisdifferenz verliert an Attraktivität, je höher der Ausgangspreis (Referenzpreis) ist: Beträgt der Sonderangebotspreis 10 € (110 €) und der Normalpreis 15 € (115 €), stellt die absolute Preisdifferenz von 5 € bei einem Ausgangspreis von 15 € eine höhere relative Differenz (33,33 % Preisnachlass) als bei einem Ausgangspreis von 115 € (4,34 % Preisnachlass) dar. Heath et al. (1995, S. 96) postulieren, dass der Nachfrager zwei Mental Accounts anlegt: In einem Mental Account wird der Verkaufspreis oder die absolute Preisdifferenz „verbucht“ und dann bewertet, im anderen Mental Account die prozentuale Preisreduzierung. Die Bewertung des Sonderangebotspreises („Preisnutzen“) setzt sich dann aus den beiden Mental Accounts zusammen. In einer Metastudie zu Preisframingeffekten stellten Krishna et al. (2002, S. 112) einen etwa achtfach höheren Impact der prozentualen Preisreduzierung gegenüber der absoluten Preisreduzierung auf die wahrgenommene Preisgünstigkeit eines Angebots fest. Die Existenz eines Mental Account bezogen auf den prozentualen Preisnachlass kann die Schnäppchenjagd von Nachfragern (mit-)erklären, selbst wenn die absoluten Geldeinsparungen gering sind und in keiner (vernünftigen) Relation zu den Beschaffungskosten stehen. Durch die eigenständige Bewertung des prozentualen Preisnachlasses erfährt der Sonderangebotspreis eine bessere Einschätzung als ohne diesen Mental Account. Ebenso lässt sich spekulieren, ob Preiserlebnisse (Preisaffekt) vor allem der Mental Account mit der prozentualen Preisreduzierung auslöst. Ferner wird der prozentualen Preisreduzierung eine große Aufmerksamkeitswirkung zugeschrieben, was die kognitive Beschäftigung eines Nachfragers mit dem Angebot steigert und dadurch möglicherweise auch die Wichtigkeit des Preises in der Kaufentscheidung erhöht (vgl. Heath et al. 1995, S. 96): Ein höherer Preisnutzen ( pi ), der zudem mehr Gewicht (w p ) in der Kaufentscheidung besitzt, steigert die Attraktivität ( i ) des Angebots gemäß Bedingung (2.1-1). <?page no="85"?> 86 2 Behavioral Pricing Generell impliziert ein solcher eigenständiger Mental Account für prozentuale Preisänderungen, dass ein Anbieter bei Preisnachlässen die prozentuale Preisreduzierungen explizit ausweisen sollte, um das Erstellen dieses Mental Accounts bei den Nachfrager zu fördern, wenn sein Sonderangebot eine hohe prozentuale Preisreduzierung beinhaltet. Der absolute Preisnachlass mag hierbei gering sein (0,59 Cent statt 0,79 Cent, Preisreduzierung um 36 %). Bei geringfügigen prozentualen Preisnachlässen - trotz hoher absoluter Preisabschläge - sollte hingegen auf den Ausweis der prozentualen Preisreduzierung verzichtet werden, um das Erstellen des prozentualen Mental Account zu erschweren, da hierfür der Nachfrager explizit die prozentuale Preisreduzierung berechnen müsste. Darüber hinaus vermuten Heath et al. (1995, S. 91), dass Nachfrager im Mental Account für die prozentualen Preisveränderungen bei mehreren Produkten die Prozentveränderungen addieren: Besteht ein Angebot aus zwei Komponenten (Preisbündelung) und reduziert der Anbieter eine Komponente um 12 %, die andere erhöht er im Preis um 3 %, verbucht dies der Nachfrager als prozentuale Preisreduzierung des Produktbündels um 9 %. Eine (zeitliche befristete) Preisreduzierung kann in verschiedenen sprachlichen Varianten kommuniziert werden: So mag eine Preisreduzierung von x € mit „Zahlen Sie x € weniger [Get x € off]“ oder mit „Sparen Sie x €“ ausgewiesen werden. Aus normativer Sicht beinhalten beide Formulierungen die identische Information und sollten deshalb keine Verhaltensunterschiede bewirken. Ramanathan/ Dhar (2010, S. 543) argumentieren allerdings, dass die Formulierung „Zahlen Sie x € weniger“ ein auf einen Gain fokussierter Ausweis des Preisnachlasses ist, während die Formulierung „Sparen Sie x €“ mit nicht erlittenen Losses assoziiert wird, da hier der zu zahlende Preis als Loss hervorgehoben ist. Daher hängt die Verhaltensreaktion auf die Preisreduzierung davon ab, welchen Regulatory Focus eine Person besitzt: Personen mit einer Promotion-Orientierung streben nach einer Maximierung von Gewinnen und sind vergleichsweise wenig Loss-avers. Personen mit einer Prevention-Orientierung wollen Losses in ihrem Verhalten vermeiden. In einem (Labor-)Experiment zeigte sich, dass Personen mit einer Promotion-Orientierung eine größere Anzahl des preisreduzierten Artikels erwarben, wenn das Sonderangebot mit „Zahlen Sie x € weniger“ (Gainframe) präsentiert wurde, verglichen mit der Formulierung „Sparen Sie x €“ (Loss-Frame). Umgekehrt fanden sich im Einkaufkorb von Personen mit einer Prevention-Orientierung im Loss-Frame mehr Einheiten des Sonderangebotsartikels als im Gain-Frame (vgl. Ramanathan/ Dhar 2010, S. 546). Die Kompatibilität des Regulatory Focus mit der „assoziativen Aussage“ der Sonderangebotsinformation fördert offensichtlich die Kaufneigung von Personen gegenüber dem Sonderangebotsartikel. Ferner zeigte diese Studie, dass bekannte Marken in der „Sparen Sie x €“-Präsentation stärker gekauft wurden, verglichen mit der „Zahlen Sie x € weniger“-Präsentation; unbekannte Marken verkauften sich <?page no="86"?> 2.6 Framingeffekte in der Preispräsentation 87 hingegen in der „Gain Frame“-Formulierung besser als in der Loss Frame- Formulierung (vgl. Ramanathan/ Dhar 2010, S. 546). Das Modell des Homo oeconomicus unterstellt, dass ein Nachfrager willens und kognitiv in der Lage ist, bei der Präsentation des aktuellen Verkaufspreises (Sonderangebotspreis) und des zuvor gültigen Preises (Normalpreis) die absolute Höhe der Preisreduzierung eines Sonderangebots zu berechnen; diese Preisdifferenz mag er dann im Sinne der Preisgünstigkeit des Angebots (Perceived Savings) bewerten. Experimente von Biswas et al. (2013, S. 52-62) zeigen jedoch, dass die Reihenfolge der Anordnung beider Preise Verhaltenseinfluss besitzen kann: Die für Personen gewohnte Reihenfolge (Rechtsanordnung) beinhaltet, dass bei Subtraktionsaufgaben der numerisch niedrigere Betrag rechts vom numerisch höheren Betrag steht (100 - 75 = ? ), d.h. der Sonderangebotspreis rechts vom Normalpreis präsentiert ist. Die umgekehrte Anordnung (Sonderangebotspreis links, Normalpreis rechts, Linksanordnung) macht für Nachfrager die Subtraktionsaufgabe „schwieriger“ (vgl. Biswas et al. 2013, S. 51f.), insbesondere wenn die mathematische Berechnung aufgrund der Einfachheit der Zahlen nicht sofort auf der Hand liegt („75 statt 100“ versus „5,53 statt 6,79“). Folge einer solch schwieriger wirkenden Subtraktionsaufgabe zur Bestimmung der absoluten Höhe der Preisdifferenz ist, dass manche Nachfrager die Berechnung unterlassen und Schemavorstellungen zur „üblichen“ Höhe einer Preisreduzierung heranziehen. Studien deuten an, dass in vielen Produktbereichen Nachfrager davon ausgehen, dass bei Sonderangeboten normalerweise eine Preisreduzierung „um die 10 % bis 12 %“ vorliegt (vgl. Biswas et al. 2013, S. 52). Daher treten in Experimenten Unterschiede in der Bewertung eines Sonderangebots auf, je nachdem, in welcher Anordnung Normal- und Sonderangebotspreis präsentiert sind und wie hoch die tatsächliche Preisreduzierung ausfällt: Ist die tatsächliche Preisreduzierung deutlich größer als die Schemavorstellung der Nachfrager, bewerten Probanden, die eine Rechtsanordnung von Normal- und Sonderangebotspreis wahrnehmen, das Sonderangebot besser als Personen, die beide Preise in der Linksanordnung sehen. Im letzteren Personenkreis führen (viele) Personen die Subtraktionsaufgabe nicht durch, sondern greifen auf ihre Schemavorstellung zurück, weshalb sie die Attraktivität des Sonderangebots unterschätzen. Ist die Preissenkung gering (unter 10 %), schätzen Personen mit der Rechtsanordnung beider Preise das Sonderangebot weniger attraktiv als Personen ein, die in der Linksanordnung beide Preise sehen. Letztere überschätzen das Sonderangebot aufgrund der nicht durchgeführten Subtraktionsaufgabe. Anbieter flankieren Preissenkungen häufig durch sprachlich und optisch auffallende Präsentationen des Verkaufspreises. So wird ein Preis als „Preishammer“, „totaler Tiefpreis“ oder „Preissensation“ beworben bzw. mit auffallenden optischen Gestaltungselementen kombiniert (z.B. ist der Preis auf einem Plakat bzw. Preisdisplay in einem grell-farbenen Blitz positioniert). Solche semantischen <?page no="87"?> 88 2 Behavioral Pricing Preisetikettierungen (Preisschlagwörter; Price Claims) bzw. optischen Gestaltungsmaßnahmen (Preisoptik) lösen mitunter Preisfärbungseffekte aus. Hierunter ist das Phänomen zu verstehen, dass die Art der sprachlichen oder optischen Preispräsentation auf die Bewertung der Attraktivität des Preises und damit möglicherweise sogar auf die Kaufbereitschaft Einfluss nimmt. So ließ sich in experimentell angelegten Studien nachweisen, dass allein eine unterschiedliche sprachliche bzw. numerische Etikettierung eines Angebots die Präferenz für das Angebot beeinflusste (vgl. bspw. Diamond/ Sanyal 1990; Krishna et al. 2002; Sinha/ Smith 2000); auch die Wirkung von Preisdisplays ist empirisch bestätigt (vgl. Günther et al. 1998, S. 264-278). Inman et al. (1997, S. 70-76) zeigen in Experimenten, dass sprachliche Formulierungen, die eine mengenmäßige Knappheit des Angebots suggerieren (z.B. „höchstens zwei Stück pro Kunde“) oder dessen zeitliche Beschränkung anzeigen (z.B. „Angebot gilt nur diese Woche“) sich positiv auf Kaufneigung und Bewertung des Angebots auswirken; dies gilt allerdings nur für Personen, die eine niedrige Need for Cognition besitzen und wenn hohe Preisnachlässe gewährt werden. Offensichtlich verleiht erst die Höhe der Preisreduzierung den Knappheitssignalen Glaubwürdigkeit, dass es sich um ein besonders gutes und daher knappes Angebot handelt. Konzeptionell lassen sich Preisfärbungseffekte mit einer Veränderung des Transaktionsnutzens eines Preises begründen. Vor allem sprachliche Preisetikettierungen können als (qualitative) Referenzpreise verstanden werden, die den Abstand des Verkaufspreises zum Preis des betreffenden Produkts bei Konkurrenten oder dem Normalverkaufspreis des Produkts signalisieren sollen. Je größer die Worthöhe der Formulierung ist („Preishammer“ versus „Superpreishammer“), desto größer ist der signalisierte und vom Nachfrager möglicherweise auch vermutete Preisvorteil des Angebots. Analoges gilt für die „Auffälligkeit“ in der Preisoptik. Zumindest mögen solche Preispräsentationselemente, zu denen auch die Sonderplatzierung eines Angebots in der Geschäftsstätte zählt, bewirken, dass der Nachfrager ein attraktives Angebot vermutet und den Mental Account zur Bestimmung eines Transaktionsnutzens überhaupt öffnet. Im Sinne der Preisverarbeitung erhöhen solche Gestaltungsmaßnahmen die Aufmerksamkeit gegenüber dem Verkaufspreis, weshalb er an Wichtigkeit in der Kaufentscheidung gewinnt. Stuft der Nachfrager den Preis dann als tatsächlich günstig ein, erhöht sich die Kaufwahrscheinlichkeit des betreffenden Produkts. Preisfärbungseffekte basieren ferner auf einer Self Fulfilling Prophecy. Die Konsumenten haben gelernt, dass Anbieter Artikel, die sie im Preis reduzieren, häufig mit semantischen Preisetikettierungen oder einer auffallenden Preisoptik präsentieren; dies gilt auch für die Sonderplatzierungen von preisreduzierten Produkten in der Einkaufsstätte. Deshalb generalisieren sie diese Preiserfahrung auf alle Artikel in solcher Platzierung oder mit einer solchen sprachlichen bzw. optischen Etikettierungen (vgl. Diller 2008, S. 131f.). <?page no="88"?> 2.7 Inzahlungnahme von gebrauchten Produkten 89 Gastwirte oder Internetanbieter präsentieren ihr Angebot in einer Produktkategorie bisweilen dergestalt, dass sie in einer Übersicht die Kaufalternativen (Marken) bezogen auf den Preis in einer aufsteigenden oder absteigenden Reihenfolge anordnen: Im ersten Fall steht das Produkt mit dem niedrigsten Preis auf der (Web-)Seite ganz oben, in den nächsten Zeilen folgen dann Alternativen mit einem immer höheren Preis; auf der Seite ganz unten ist das teuerste Produkt positioniert. Die absteigende Reihenfolge beginnt mit dem teuersten Produkt und endet mit der günstigsten Alternative. Aus normativer Sicht dürfte die Reihenfolge der präsentierten Alternativen keinen Präferenzeinfluss besitzen. Suk et al. (2012, S. 710-715) belegen jedoch einen preisbezogenen Reihenfolgeeffekt: In Experimenten mit tatsächlichen Kaufentscheidungen präferierten die Nachfrager in der aufsteigenden Reihenfolge der Preise im Durchschnitt preisgünstigere Alternativen, in der absteigenden Reihenfolge hingegen Alternativen mit höheren Preisen. Als Begründung dieses Reihenfolgeeffekts führen Suk et al. (2012, S. 709) die Loss Aversion von Personen an, wobei die Probanden der Preis-Qualitäts-Inferenz unterliegen müssen und als Referenz für die Bewertung des Angebots in einer Zeile das Angebot in der darüberstehenden Zeile verwenden. Dann impliziert in einer absteigenden Reihenfolge das Angebot in einer Zeile zwar einen günstigeren Preis (Gain), aber zugleich einen Qualitätsverzicht (Loss). Eine Alternative in der aufsteigenden Reihenfolge beinhaltet einen Qualitätsgewinn und einen Preisverlust. Da Verluste schwerer wiegen als Gewinne, erhält in der absteigenden Reihenfolge die Qualität ein vergleichsweise höheres Entscheidungsgewicht als der Preis, in der aufsteigenden Reihenfolge ist hingegen der Preis relativ gesehen wichtiger als die Qualität. Dies führt dazu, dass Nachfrager in der absteigenden Reihenfolge der Preise die qualitativ höherwertigen und damit teureren Produkte, in der aufsteigenden Reihenfolge hingegen die preisgünstigeren Alternativen bevorzugen. Dieser Reihenfolgeeffekt tritt jedoch nur auf, wenn Nachfrager die Preis-Qualitäts-Inferenz anwenden und zugleich nur geringes Wissen in der Produktkategorie besitzen (vgl. Suk et al. 2012, S. 713-715): „Experten“ in einer Produktkategorie lassen sich von der Preisreihenfolge nicht beeinflussen. 2.7 Inzahlungnahme von gebrauchten Produkten In manchen Branchen ist es üblich, dass der Anbieter eines Neuprodukts zugleich als Käufer von gebrauchten Produkten auftritt und dem Käufer eines Neuprodukts dessen gebrauchtes Produkt in Zahlung nimmt bzw. mit dem Neuproduktpreis verrechnet (vgl. bspw. Gierl/ Stumpp 2001). Dies ist im Automobilhandel sehr gebräuchlich. Der Kauf eines Neuprodukts besteht dann aus zwei Transaktionen bzw. zwei Preisen, weshalb Ähnlichkeiten zu partitionierten Preisen bestehen: Die erste Transaktion bezieht sich auf den Kauf des <?page no="89"?> 90 2 Behavioral Pricing Neuprodukts, die zweite Transaktion auf den Verkauf des gebrauchten Produkts. Der Nachfrager sieht sich hierbei in einer doppelten Rolle: einmal als Käufer (Neuprodukt) und einmal als Verkäufer (gebrauchtes Produkt). Der Allinclusive-Preis entspricht dem Nettopreis aus beiden Transaktionen, d.h. den Preis, den der Nachfrager für den Erhalt des Neuprodukts noch zu entrichten hat, nachdem der Anbieter sein gebrauchtes Produkt in Zahlung genommen hat. Die Inzahlungnahme von gebrauchten Produkten stellt eine Ausprägung des Financial Engineerings des Anbieters dar, da sie dem Nachfrager die Finanzierung des Neuproduktkaufs erleichtert. Zudem muss der Nachfrager keine Transaktionskosten aufwenden, die dann anfallen, wenn er das gebrauchte Produkt am Sekundärmarkt (Markt für gebrauchte Güter) selbst veräußern müsste. Ferner erleichtert die Inzahlungnahme von gebrauchten Produkten die Marktverbreitung des neuen Produkts. Da für das gebrauchte Produkt individuelle Inzahlungnahmepreise vereinbart werden können, führt dies bezogen auf den Nettopreis zu einer personellen Preisdifferenzierung (vgl. Kim et al. 2011, S. 158). Die Inzahlungnahme von gebrauchten Produkten eröffnet dem Anbieter darüber hinaus einen zusätzlichen Freiraum, durch ein entsprechendes Framing das Gesamtangebot aus beiden Transaktionen vorteilhaft zu gestalten. Besitzt ein Nachfrager Referenzpreise (z.B. Kenntnis über Marktpreise) für beide Komponenten, nimmt er für beide Transaktionen Gains bzw. Losses wahr, wenn die Preise für das Neuprodukt bzw. das gebrauchte Produkt von diesen Referenzpreisen abweichen. Es liegen zwei Mental Accounts vor, die der Nachfrager dann zur Attraktivität des Gesamtangebots aggregiert. Durch die Festsetzung der Preise in beiden Transaktionen vermag der Anbieter das Entstehen von Gains und Losses steuern: So postuliert das Silver Lining-Prinzip der Prospect-Theorie, dass ein relativ kleiner Gain bei einer Transaktion, weil der Anbieter das gebrauchte Produkt zu einem höheren Preis (z.B. 5.000 €) als den Referenzpreis (Marktpreis von 4.000 €) in Zahlung nimmt, den wahrgenommen Loss bei der anderen Transaktion (höherer Verkaufspreis für das Neuprodukt [z.B. 24.500 €] als im Marktniveau [22.000 €]) beachtlich reduzieren kann. Dies führt zu einer besseren Bewertung des Gesamtangebots, als wenn der Anbieter - bei gleich hohem Nettopreis (19.500 €) - die Preise in beiden Transaktionen so ansetzt, dass geringere Gains bzw. Losses bzw. nur Losses anfallen (z.B. Inzahlungnahme für 3.900 € und Neuproduktpreis für 23.400 €). Okada (2001, S. 434) verglich in einer Studie folgende Angebote mit gleichem Nettopreis: Im ersten Angebot nahm der Händler das gebrauchte Gerät in Zahlung und setzte das neue Produkt mit einem höheren Preis an. Im zweiten Angebot gewährte der Händler den Probanden einen Preisnachlass, nahm aber das gebrauchte Produkt nicht in Zahlung. Im mehreren Experimenten präferierte die Mehrzahl der Probanden das Angebot mit der Inzahlungnahme des ge- <?page no="90"?> 2.7 Inzahlungnahme von gebrauchten Produkten 91 brauchten Produkts gegenüber dem Preisnachlass. Diese Tendenz war besonders stark unter Probanden ausgeprägt, die schlechte Erfahrungen mit den alten Produkten hatten. Als Begründung führte Okada (2001, S. 445) an, dass die Nachfrager beim gebrauchten Produkt noch einen Mental Account offen hätten bzw. das alte Produkt noch nicht abgeschrieben sei. Beim Kauf des neuen Produkts wird das alte Produkt „nutzlos“, weshalb es im Mental Account abgeschrieben werden muss. Diesen Loss fürchten die Loss-aversen Nachfrager. Bei einer Inzahlungnahme erhalten sie hingegen für ihr noch nicht abgeschriebenes altes Produkt einen monetären Gegenwert. Daher wird das Angebot mit der Inzahlungnahme bevorzugt. Srivastava/ Chakravarti (2011, S. 913) zeigen, dass die meisten Probanden das Neuprodukt bzw. die Transaktion mit dem Neuprodukt als wichtiger als die Transaktion mit dem gebrauchten Produkt ansehen. Demnach besitzen Gains bzw. Losses bezogen auf das Neuprodukt und damit der betreffende Mental Account bei der Bewertung des Gesamtangebots (Nettopreis) ein stärkeres Gewicht als Gains bzw. Losses bezogen auf das gebrauchte Produkt. Diese Wichtigkeitsrelation lässt sich allerdings verändern (vgl. hierzu die Studien von Srivastava/ Chakravarti 2011, S. 914-916 und Zhu et al. 2008, S. 162-167): Wird bspw. im Verkaufsgespräch die (emotionale) Bedeutung des gebrauchten Produkts betont („mein erstes Auto“), kann dies dazu führen, dass Nachfrager die Inzahlungnahme als wichtigere Transaktion gegenüber dem Neuproduktkauf einstufen. Analoges gilt, wenn sich die Probanden durch entsprechende Vorab- Informationen oder Gestaltung des Verkaufsgesprächs in einer Verkäufer- Position anstelle einer Käufer-Position sehen, weil beispielswese die Transaktion bezogen auf das gebrauchte Produkt in den Vordergrund gestellt wird. Ferner zeigen Srivastava/ Chakravarti (2011, S. 916), dass Nachfrager beiden Transaktionen umso wahrscheinlicher eine unterschiedliche Wichtigkeit zuschreiben, je größer die Gains und Losses in beiden Transaktionen ausfallen. Kim et al. (2001, S.162-166) untersuchten analytisch und empirisch folgende Angebote mit identischem Nettopreis: Im ersten Angebot erhielt der Proband für sein altes Produkt einen höheren Preis, als das Produkt „wert“ war; dafür war auch das neue Produkt im Preis höher (Überzahlungsangebot); im zweiten Angebot war der Inzahlungnahmepreis niedriger, dafür auch das neue Produkt günstiger (Unterzahlungsangebot): Die Autoren zeigen, dass es auf die Relation von Inzahlungnahmepreis zu Neuproduktpreis ankommt, welches Angebot die Probanden präferieren: Macht der Inzahlungnahmepreis nur einen vergleichsweise geringen Anteil am Neuproduktpreis aus, bevorzugen die Probanden das Überzahlungsangebot. Ist der Inzahlungnahmepreis jedoch bedeutend im Vergleich zum Neuproduktpreis, präferieren die Probanden das Unterzahlungsangebot. Ferner hängt die Präferenz davon ab, welchen Regulatory Focus (Promotion- oder Prevention-Orientierung) eine Person besitzt: Personen mit einer Promotion-Orientierung bevorzugen das Überzahlungsangebot, weil sie <?page no="91"?> 92 2 Behavioral Pricing der Gain bei der Inzahlungnahme anlockt. Personen mit einer Prevention- Orientierung präferierten im Experiment das Unterzahlungangebot, da sie der Loss des „zu hohen“ Preises für das neue Produkt abschreckte (vgl. Kim et al. 2001, S. 166). Die Inzahlungnahme von gebrauchten Produkten setzt voraus, dass der Anbieter für die gebrauchten Produkte einen Verwendungszweck hat: So kann er sie - nach einer technischen Überarbeitung - auf dem Sekundärmarkt anbieten, oder im Receycling aus den Altgeräten wertvolle Rohstoffe bzw. Bauteile gewinnen. Aus konzeptioneller Sicht macht die Inzahlungnahme von gebrauchten Produkten die Preiskalkulation komplexer: In der Bestimmung des Verkaufspreises für das Neuprodukt sind der Inzahlungnahmepreis des gebrauchten Produkts als zusätzliche Kosten, aber auch Erlöse aus der Weiterveräußerung oder der Rohstoffgewinnung zu berücksichtigen. 2.8 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preiswerbung 2.8.1 Preispräsentation Die Wahrnehmung des Preises für ein Produkt durch den Nachfrager korrespondiert auf der Anbieterseite mit der Angabe dieses Preises im Geschäft oder in der Werbung. Als rechtlichen Rahmen für die Preispräsentation sind hierbei vor allem die Preisangabenverordnung (PAngV) und das Irreführungsverbot des §5 UWG zu beachten. Beide Regelungsbereiche wollen Preisklarheit und Preiswahrheit in der Preispräsentation sicherstellen (vgl. Völker 2002, S. 82): Preisklarheit impliziert hierbei Eindeutigkeit und Unmissverständlichkeit: Der Nachfrager muss den angegebenen Preis sofort und ohne weiteres Nachdenken („auf einen Blick“) verstehen. Dies erfordert, dass der Preis optisch eindeutig dem Produkt zuordenbar, deutlich lesbar oder sonst wahrnehmbar ist; aus der Preisklarheit folgt ferner die Angabe der Preise in Euro, was aber auch §3 WährG und §244 Abs. 1 BGB fordern. Preiswahrheit bezieht sich auf die inhaltliche Richtigkeit des angegebenen Preises, die eine Pflicht zur vollständigen Preisinformation einschließt. Die Preisangabenverordnung regelt die Preisauszeichnung in Transaktionen mit dem Endverbraucher: Gemäß §1 Abs. 1 S. 1 PAngV besteht bei einer Preisangabe die Pflicht zur Angabe des Endpreises. Der Endpreis ist hierbei der an der Kasse zu bezahlende Preis, der Umsatzsteuer und sonstige Preisbestandteile, die ohne Wahl des Kunden auf jeden Fall anfallen (z.B. Bearbeitungskosten; Nebenkosten) enthält. Versandkosten im Versandhandel fallen allerdings nicht hierunter, da sie sich nicht auf eine einzelne Ware, sondern auf die Versendung beziehen. Die Höhe von rückerstattbaren Sicherheiten (Pfand) ist neben dem Preis für die Ware oder Dienstleistung anzugeben (§1 Abs. 3 PAngV). Bestehen <?page no="92"?> 2.8 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preiswerbung 93 für Waren oder Leistungen Liefer- oder Leistungsfristen von mehr als vier Monaten, können Preise mit einem Änderungsvorbehalt unter Angabe der voraussichtlichen Lieferung versehen werden (§1 Abs. 4 PAngV). Auf die Bereitschaft, über den angegebenen Preis zu verhandeln, darf hingewiesen werden (§1 Abs. 1 Satz 3 PAnGV). Die weiteren Regelungen der PAngV konkretisieren die spezifischen Formen der Preisauszeichnung für bestimmte Branchen: Für den Handel regelt §4 PAngV, dass - mit wenigen in §9 PAngV aufgelisteten Ausnahmen (z.B. Kunstgegenstände; Antiquitäten) - alle Waren, die in Schaufenstern bzw. innerhalb und außerhalb des Verkaufsraumes sichtbar ausgestellt werden, durch Preisschilder oder Beschriftung der Ware auszuzeichnen sind. Bei vorgepackten oder frischen Waren mit unterschiedlicher Größe und Gewicht je Abpackung (z.B. Lebensmitteln) muss neben dem Endpreis ein Grundpreis (Unit Price) für bestimmte Standard-Mengeneinheiten (z.B. Preis je Kilogramm) angegeben werden (§2 PAngV). Diese Grundpreisangabe hat für Nachfrager an Informationswert gewonnen, seit Packungsgrößen für Produkte nicht mehr normiert sind (vgl. Jacobi 2010, S. 1219). Während der Handel verpflichtet ist, alle offerierten Artikel mit ihren Preisen auszuzeichnen, müssen bei Dienstleistungen Preise nur für die häufig in Anspruch genommenen Leistungen in einem Verzeichnis in der Geschäftsstätte ausgewiesen werden (§4 PAngV), wobei es sich auch um Stunden-, Kilometer- oder andere Verrechnungssätze handeln kann. Materialkosten dürfen hierbei in die Verrechnungssätze einbezogen werden (vgl. Völker 2002, S. 77). Einzige Ausnahme der Endpreisangabe ist der Kreditsektor, in dem der effektive Jahreszins als „Preis“ anzugeben ist (§6 PAngV); weitere Sonderregelungen gelten für Preisangaben bei Fernabsatzverträgen (Anhang 1 zu §1 PAngV), für Gaststätten- und Beherbergungsbetriebe (§7 PAngV) oder Tankstellen und Parkplätze (§8 PAngV). §1 Abs. 1 S. 1 PAngV regelt ferner, dass der Endpreis unabhängig von einer eventuellen Rabattgewährung anzugeben ist: Räumt der Anbieter bestimmten Personengruppen Preisnachlässe ein (Preisdifferenzierung), ist neben dem Rabatt stets auch derjenige Endpreis, den ein Kunde ohne Rabattgewährung zu bezahlen hat (Listenpreis), anzugeben. Dies soll es dem Nachfrager erleichtern, die Höhe der Preisreduzierung einzuschätzen. Räumt der Anbieter allen Kunden den Preisnachlass ein (Sonderangebot), handelt es sich um einen neuen Endpreis (vgl. allgemein hierzu Trube 2003). Die Verpflichtung zur Angabe des Endpreises bezieht sich auch auf die Produktwerbung (Massenmedien; Postwurfsendungen), wobei aber eine Verpflichtung des Händlers, in seiner Produktwerbung die Preise (überhaupt) anzugeben, nicht besteht. Die Angabe von Eckpreisen in der Werbung („ab-Preise“) und Preismargen („von-bis“-Preise) ist allerdings zulässig, wenn in allgemeiner <?page no="93"?> 94 2 Behavioral Pricing Form für eine bestimmte Warengattung geworben wird; „ca.-Preise“ sind hingegen grundsätzlich unzulässig (vgl. Völker 2002, S. 56f.). Wenngleich die Verpflichtung zur Angabe des Endpreises eindeutig ist, können vor allem im E-Commerce Unsicherheiten und Rechtsstreitigkeiten darüber bestehen, wann ein Nachfrager bei der Spezifizierung seines Angebots durch Anklicken der Optionen (z.B. Flugbuchung, Hotelreservierung) Kenntnis vom Endpreis erhalten muss. Ob der Anbieter seiner Pflicht zur Angabe des Endpreises nachgekommen ist, lässt sich nur im konkreten Einzelfall entscheiden. §5 UWG wendet sich gegen irreführende Preisangaben, wobei ein Verstoß gegen die Endpreisvorschrift „für sich“ bereits irreführend ist. Irreführung kann vor allem durch Preisbezeichnungen ausgelöst werden, die eine numerische Preisangabe flankieren und dem Preis eine günstige Einschätzung durch die Verbraucher verleihen sollen. Insbesondere Übertreibungen sind nur in Grenzen zulässig, da solche sprachlichen Etikettierungen (Preisschlagwörter) zu irreführenden Preisfärbungseffekten führen können (vgl. bspw. Nordemann et al. 2012, Rdnr. 270): Wird für Waren mit „Tiefpreisen“, „Preisknüllern“, „Spottpreisen“ oder „Preisleistungen“ geworben, müssen die Waren tatsächlich preisgünstiger als in anderen Geschäftsstätten des gleichen Betriebstyps angeboten werden. Eine Preispräsentation als „Ausnahmetag“ ist irreführend, wenn der normale Preis verlangt wird. Als ebenso irreführend gilt, wenn im Lebensmitteleinzelhandel ein Preis als „radikal reduziert“ beworben wird, aber bereits zwei Wochen zuvor dieser Preis galt. Eine Preispräsentation als „Inklusivpreis“ erweckt den Eindruck, dass auch vom Konsumenten wählbare Zusatzleistungen im ausgewiesenen Preis enthalten sind, tatsächlich aber „extra kosten“. Irreführung liegt auch vor, wenn ein Hersteller im Direktvertrieb ein Angebot als „Verkauf zum Fabrikpreis“ ankündigt, aber einen deutlich höheren Preis ansetzt, als er gewöhnlichen gewerblichen Weiterverkäufern abverlangt (vgl. Lindemann/ Bauer 2004, S. 46). Eine irreführende Preispräsentation mag auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer sehr kleinen Packungsgröße der Verkaufspreis für ein Produkt niedrig ist und der korrespondierende - deutlich weniger attraktiv wirkende - Grundpreis durch eine entsprechende optische Anordnung des Grundpreises in der Wahrnehmung der Nachfrager „untergeht“. Daher wird bspw. eine bestimmte graphische Größenrelation zwischen Verkaufs- und Grundpreis gefordert (vgl. Jacobi 2010). Eine Preispräsentation darf ferner nicht den Tatbestand eines Lockvogelangebots erfüllen (vgl. Nordemann et al. 2012, Rdnr. 278): Hierunter ist zu verstehen, dass mit der Preisbewerbung einzelner, preisreduzierter Artikel ein preisgünstiges Gesamtangebot, das tatsächlich nicht vorliegt, vorgetäuscht wird. Dies ist gegeben, wenn bspw. ein Einzelhändler nur einige Artikel aus seinem Sortiment im Preis reduziert, aber mit dem Slogan „kleine Auswahl unserer Preisschlager“ wirbt, wobei das restliche Sortiment nicht preisgünstiger als dasjenige der Kon- <?page no="94"?> 2.8 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preiswerbung 95 kurrenten ist. Die Preisbewerbung vermeidet den Eindruck des Lockvogels, wenn der Anbieter den Tatbestand, dass er nur einzelne, spezifische Waren preisreduziert hat, in der Präsentation (Werbung) deutlich erkennbar zum Ausdruck bringt. Die Feststellung einer irreführenden Preisangabe obliegt - wie grundsätzlich der Irreführungstatbestand des §5 UWG - dem Richterrecht und lässt sich nur am konkreten Fall treffen. Wesentlich ist, dass ein nicht unerheblicher Teil der Verkehrskreise, d.h. derjenigen Personen, an die sich das Produkt bzw. die Werbung wendet, einen von den objektiven Gegebenheiten unzutreffenden Eindruck erhält. Als Irreführungsquote genügen hierbei schon 10 % des relevanten Personenkreises. Verkehrskreise und Irreführungsquote lassen sich hierbei möglicherweise erst durch explizite Marktforschungsgutachten feststellen, wenngleich häufig die „Sachkunde des Gerichts“ diese Beurteilung trifft (vgl. Ackermann 1998, S. 246-255). Ferner ist für die Bewertung von Irreführung entscheidend, welches „Menschenbild“ unterlegt wird: Je mehr dem Konsumenten „zugetraut“ wird, desto geringer ist ceteris paribus die Irreführungsgefahr. Das in der Rechtsprechung in Deutschland lange Zeit unterstellte Bild des flüchtigen, hilflosen Verbrauchers ist inzwischen durch das europarechtliche Verbraucherleitbild des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers ersetzt (vgl. Berlit 2004, S. 1247). Die Gefahr irreführender Preisangaben ist deshalb deutlich gesunken. Irreführung gemäß §5 UWG stellt einen unlauteren Wettbewerb dar, der gemäß §3 UWG verboten ist. Rechtsfolge einer festgestellten Irreführung ist ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch, den die gemäß §8 Abs. 2 UWG klageberechtigten Personen und Institutionen (betroffene Wettbewerber; Verbraucherverbände; Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen; Industrie- und Handelsbzw. Handwerkskammern) besitzen. Irregeführte Konsumenten zählen nicht zu diesem Kreis. Dem geschädigten Wettbewerber steht ferner ein Schadenersatzanspruch zu, wenngleich die Quantifizierung eines solchen Schadens äußerst schwierig ist (vgl. Beater 2003, S. 766-785). In der Regel laufen wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten wie eine irreführende Preispräsentation nicht „vor Gericht auf“ (Erhebung einer gerichtlichen Unterlassungsklage), sondern werden durch Abmahnverfahren außerprozessual geregelt. Solche Abmahnungen können sog. Abmahnvereine, aber auch alle gemäß UWG klageberechtigten Personen und Einrichtungen aussprechen. Sieht das abgemahnte Unternehmen den Wettbewerbsverstoß ein, geht es eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung ein, d.h. es verzichtet im Weiteren auf diese Wettbewerbshandlung. Gibt es eine solche Verpflichtung jedoch nicht ab, weil es sein Handeln für zulässig erachtet, kann der Abmahner eine gerichtliche Klage anstrengen (vgl. bspw. Beater 2002, S. 807-812). <?page no="95"?> 96 2 Behavioral Pricing 2.8.2 Preisvergleiche Bei der Werbung mit Preisvergleichen (Comparative Pricing) stellt der Anbieter seinen aktuellen Verkaufspreis einem anderen externen Preisstimulus als Vergleichspreis gegenüber, wobei der aktuelle Verkaufspreis niedriger als der Vergleichspreis ist. Mehrere Arten solcher Preisvergleiche lassen sich hierbei unterscheiden: Eigenpreisvergleich: Als Vergleichspreis dient der Verkaufspreis, der vor dem aktuellen Verkaufspreis beim Anbieter für das betreffende Produkt gegolten hat. direkter Konkurrenzpreisvergleich: Der Anbieter stellt seinen eigenen Verkaufspreis dem Preis für vergleichbare Produkte eines oder mehrerer Konkurrenten gegenüber, wobei der Nachfrager eindeutig erkennen kann, um welche Konkurrenzangebote es sich handelt. So wird bspw. der (Marken-)Name der Konkurrenten explizit aufgeführt. pauschaler Konkurrenzpreisvergleich: Hier findet keine explizite Gegenüberstellung mit spezifischen Konkurrenten, sondern ein Vergleich mit dem Marktpreis bzw. dem Normalpreis in anderen Geschäften statt. anlehnender Konkurrenzpreisvergleich: Während in den oben genannten Fällen der aktuelle Verkaufspreis niedriger als der externe Referenzpreis ist, liegt in diesem Fall der Verkaufspreis „gleich auf“ mit einem Konkurrenten, der allerdings unter den Nachfragern als preisgünstig bekannt ist („Wir sind so günstig, wie ...“). Aus Sicht des Behavioral Pricing stellen Vergleichspreise (externe) Referenzpreise dar, die der Nachfrager in die Bewertung eines aktuellen Verkaufspreises einbeziehen kann bzw. aus Sicht des Anbieters einbeziehen sollte, da der (höhere) Vergleichspreis den eigenen (niedrigeren) Verkaufspreis in ein positives Licht rückt (vgl. bspw. Grewal et al. 1998, S. 46; Lichtenstein et al. 1991, S. 384). Ferner steigern Preisvergleiche die Markttransparenz, weil sie Informationen, die möglicherweise ansonsten bei der Kaufentscheidung fehlen, den Nachfragern zur Verfügung stellen; ebenso senken Preisvergleiche Transaktionskosten der Nachfrager, da sie die Vergleichspreise nicht selber durch eigene Informationsaktivitäten beschaffen müssen. Aufgrund des Verhaltenseinflusses bergen solche Preisvergleiche aber die Gefahr, Konsumenten zu täuschen, wenn überhöhte externe Referenzpreise verwendet werden. Aus rechtlicher Sicht betreffen Preisvergleiche vor allem zwei Regelungstatbestände: Für jede Art des Preisvergleichs darf hierbei kein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des §5 UWG vorliegen; ferner spezifiziert §6 Abs. 2 UWG einen Anforderungskatalog für vergleichende Werbung. Hieraus ist für Preisvergleiche vor allem relevant, dass es sich <?page no="96"?> 2.8 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preiswerbung 97 um Waren und Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung handelt (§6 Abs. 2 Nr. 1 UWG), sie nicht im geschäftlichen Verkehr zu Verwechslungen zwischen Werbendem und den Konkurrenten führen (§6 Abs. 2 Nr. 3 UWG), d.h. es muss klar sein, wer oder was Gegenstand des Vergleichs ist, und sie nicht in verunglimpfender oder herabsetzender Weise gestaltet sind (§6 Abs. 2 Nr. 5 UWG; Diffamierungsverbot). Die Konkurrenzpreise müssen ferner objektiv nachprüfbar sein (§6 Abs. 2 Nr. 2 UWG): Dies erfordert bspw. Testkäufe oder das Heranziehen von Verkaufsmaterial der Konkurrenz, um die betreffenden Konkurrenzpreise zu ermitteln. Im Einzelfall dürfte die Ermittlung eines durchschnittlichen Preises am Markt für einen pauschalen Konkurrenzpreisvergleich bei sich ständig verändernden Konkurrenzpreisen aber methodisch strittig sein; ferner sind der relevante Markt und die Wettbewerber abzugrenzen (vgl. Trube 2003, S. 1305). Alle Kriterien des §6 UWG sind erst im Einzelfall zu beurteilen: So darf bezogen auf §6 Abs. 2 Nr. 1 UWG der Anbieter den Verkaufspreis seines Produkts nur mit Konkurrenzprodukten vergleichen, die Substitute zu seinem eigenen Produkt darstellen, d.h. die gleiche sog. Primärfunktion aufweisen. Dieses Kriterium impliziert jedoch nicht, dass lediglich Preisvergleiche mit Konkurrenten gleicher Markenstärke möglich sind. Der BGH sieht die Vergleichbarkeit inzwischen „großzügig“ an: Demnach sind Preisvergleiche unterschiedlicher Qualitätslagen (z.B. No-Name-Produkt versus Markenartikel) zulässig, wenn hingewiesen wird, worin die Unterschiede bestehen (vgl. Saje 1998, S. 676); analoges gilt für Preisgegenüberstellungen desselben Produkts in verschiedenen Handelsbetriebsformen oder Vertriebskanälen (vgl. Eck/ Ikas 1999, S. 260f.; Scherer 2001, S. 91). Als zweifelhaft gilt hingegen der Preisvergleich eines Billigprodukts mit einem Luxusartikel (Billiguhr versus Rolex; vgl. Eck/ Ikas 1999, S. 262); hier ist aber zu vermuten, dass die Nachfrager den Verkaufspreis der Luxusmarke nicht als Referenzpreis für das Billigprodukt akzeptieren (Kontrasteffekt). Ein bloßer Hinweis auf einen „Listenpreis“ als Vergleichspreis ist nicht ausreichend, wenn sich für den Nachfrager nicht erkennen lässt, welcher Anbieter bzw. welche Anbieterkategorie (Hersteller, Großhändler; Konkurrent) den Listenpreis für das betreffende Produkt ansetzt (vgl. WRP 2012a, S. 236). Ferner mag ein solcher Preisvergleich gegen das Verbot der Rufausbeutung der Konkurrenzmarke, einem weiteren Anforderungskriterium in §6 Abs. 2 UWG für vergleichende Werbung, verstoßen. Das Diffamierungskriterium (§6 Abs. 2 Nr. 5 UWG) ist noch nicht erfüllt, wenn ein Preisvergleich in der werblichen Präsentation ironisch „aufgemacht“ ist oder wenn die ausgewiesene Preisdifferenz zwischen Verkaufspreis des Anbieters und Konkurrenzpreis außerordentlich hoch und damit zulasten des Konkurrenten ausfällt (vgl. WRP 2003a, S. 615). <?page no="97"?> 98 2 Behavioral Pricing Neben dem soeben skizzierten Anforderungskatalog des §6 Abs. 3 UWG ist bei Preisvergleichen ferner §6 Abs. 3 UWG zu beachten: Handelt es sich beim Verkaufspreis um ein zeitlich befristetes Sonderangebot, sind im Preisvergleich der zeitliche Beginn der Aktion, falls zum Zeitpunkt der Werbung der Sonderpreis noch nicht gilt, und der Zeitpunkt des Endes anzugeben. Gilt das Angebot nur solange, wie das Produkt verfügbar ist, muss auch hierauf im Preisvergleich hingewiesen werden. Der Irreführungstatbestand des §5 UWG impliziert, dass ein Preisvergleich keinen unzutreffenden Eindruck von der wirklichen Preisrelation vermitteln darf. Dies betrifft sowohl den Vergleich mit Konkurrenzpreisen wie mit früheren eigenen Preisen: So müssen die angeführten Konkurrenzpreise zum Zeitpunkt der Werbung tatsächlich gelten. Immerhin kann ein Konkurrent, der ohne seinen eigenen Willen in einem Preisvergleich genannt wird, verlangen, dass seine Angebotspreise zutreffend dargestellt werden (vgl. Bullinger/ Emmerich 2002, S. 609). Im Eigenpreisvergleich darf es sich beim früheren Preis, der als Vergleichsgröße dient, nicht um einen sog. Mondpreis handeln (Phantasiepreiswerbung). Ein solcher Mondpreis ist sehr hoch, um dadurch den aktuellen Verkaufspreis in besonders günstigem Licht erscheinen zu lassen. Der Tatbestand eines Mondpreises ist gegeben (vgl. Trube 2003, S. 1304), wenn er vom Anbieter nicht ernsthaft und/ oder über einen angemessenen Zeitraum gefordert wurde. Das erste Kriterium ist gegeben, wenn der Anbieter den (späteren) Vergleichspreis bewusst mit der Absicht ansetzt, in der bereits geplanten Preispromotionaktion (aktueller Verkaufspreis) eine kräftige Preissenkung ausweisen zu können. Als ernsthaft gilt ferner kein Preis, der so weit über dem Marktpreis liegt, dass kein Absatz zu erwarten ist. Das Kriterium der zeitlichen Angemessenheit muss branchenspezifisch (z.B. Zeitspanne zwischen Preisänderungen) definiert sein und lässt sich nicht mit einer bestimmten Frist fixieren. In einem Rechtsfall im Teppichhandel setzte ein Gericht eine Zeitdauer von mindestens drei Monaten an (vgl. WRP 2010a, S. 1426). Zweifellos handelt es sich aber um einen Mondpreis und damit einen irreführenden Preisvergleich, wenn ein Anbieter den Preis für ein Produkt erhöht (z.B. von 600 € auf 800 €) und zwei Tage später mit einer Herabsetzung von 800 € auf 600 € wirbt. Strittig kann im Eigenpreisvergleich ferner sein, welcher vergangene Preis relevant ist. Allgemein ist davon auszugehen, dass es sich um denjenigen Preis handelt, der unmittelbar vor der Preissenkung gefordert wurde. Hiervon werden aber Ausnahmen als zulässig erachtet (vgl. Trube 2003, S. 1310): So senkt ein Anbieter den Preis für eine Marke von 70 € auf 60 €. Einen Tag später unterbietet ihn sein Konkurrent mit einem Preis für die Marke von 55 €, worauf der betrachtete Anbieter am nächsten Tag den Preis auf jetzt 50 € senkt und mit einer Preisherabsetzung von 70 € auf 50 € wirbt. In einer solchen Konstellation wird der Preis von 70 € als zulässiger Vergleichspreis angesehen, obwohl er nicht den zuletzt geforderten Preis beinhaltet. <?page no="98"?> 2.8 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preiswerbung 99 Der Tatbestand, nur einzelne Konkurrenten in den Preisvergleich einzubeziehen, begründet noch keine Irreführung im Sinne des §5 UWG (vgl. Bullinger/ Emmerich 2002, S. 612), wenn der selektive Charakter der ausgewählten Konkurrenten deutlich zum Ausdruck kommt und nicht der Eindruck einer abschließenden Marktübersicht erweckt wird: Es kann nicht vom Werbenden verlangt werden, einen allumfassenden Überblick über das konkurrierende Angebot zu geben, was zudem einer kostenlosen Werbung für den Mitbewerber gleichkommen würde (vgl. Bullinger/ Emmerich 2002, S. 609). Allerdings darf ein günstigeres Angebot eines Konkurrenten, der in den Preisvergleich mit anderen - weniger attraktiven - Preisen aufgeführt ist, nicht im Preisvergleich unterschlagen werden (vgl. Bullinger/ Emmerich 2002, S. 609). Irreführend kann ferner sein, wenn die Berechnungsgrundlagen des Preisvergleichs nicht erkennbar sind: Dies gilt bspw. für unterschiedliche Mengengrößen oder Nutzungsumfänge, die den Preisen zugrunde liegen, aber auch für ein Verschweigen von Zusatzbedingungen, die mit einem bestimmten Preis verbunden sind. 2.8.3 Vertikale Preisempfehlung Vertreibt ein Lieferant (Hersteller oder Großhändler) seine Waren über den Handel als Absatzmittler, ist ihm rechtlich (Verbot der vertikalen Preisbindung) der direkte Einfluss auf die Verkaufspreise, die der Einzelhandel für die Produkte ansetzt, genommen. Dennoch besteht insbesondere beim Hersteller häufig das Interesse, im Rahmen seiner endverbraucherorientierten Produktwerbung auch das (günstige) Preisniveau seiner Marke herauszustellen. Hierfür bietet ihm die Preisempfehlung ein Instrument. Eine solche Preisempfehlung kann sich auch an den Einzelhandel richten, um ihm über diesen Weg einen bestimmten Verkaufspreis „nahezulegen“. Solche vertikalen Preisempfehlungen sind rechtlich zulässig, allerdings dürfen sie nicht zu einer (verbotenen) vertikalen Preisbindung gemäß Art. 101 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union) führen. Daher sind einige Qualifizierungserfordernisse zu erfüllen (vgl. Lettl 2011, S. 710-722; Nordemann et al. 2012, Rdnr. 273-274): Es darf nur ein einziger genau bestimmter Preis empfohlen werden, wobei es sich um die eigenen Produkte handeln muss. Andere Verkaufsbedingungen wie Rabatte dürfen nicht Gegenstand der Empfehlung sein. Der Zusatz „unverbindlich“ bei einer Preisempfehlung ist nicht notwendig. Zur Durchsetzung der Preisempfehlung darf kein wirtschaftlicher oder sonstiger Druck auf die Einzelhändler angewandt werden: So könnte der Hersteller bei Nicht-Einhaltung dem Händler Rabattkürzungen, die Streichung von Werbekostenzuschüssen oder einen Belieferungsstopp androhen. Auch mit der Gewährung von Anreizen, die ein Händler <?page no="99"?> 100 2 Behavioral Pricing erhält, wenn er die Hersteller-Preisempfehlung einhält, darf die Preisempfehlung nicht durchgesetzt werden. In beiden Fällen wandelt sich die Preisempfehlung dann in eine verbotene Preisbindung (vgl. Abschnitt 4.5.3). Faktisch hat eine Preisempfehlung den Charakter einer Höchstpreisbindung, da der Einzelhändler mit dem eigenen Verkaufspreis die kommunizierte Preisempfehlung des Herstellers nicht überschreiten will; ansonsten dürfte sein Verkaufsangebot als überteuert gelten. Der empfohlene Preis muss von der Mehrzahl der Einzelhändler tatsächlich gefordert werden. Eine rechtswidrige Mondpreisempfehlung liegt hierbei vor, wenn bei etwa 20 % der Händler der empfohlene Preis zwischen 15 % und 20 % unterschritten wird. Preisempfehlungen können zu Preismissbrauch führen, wenn sich die Händler an die Preisempfehlung halten, der empfohlene Preis aber zu erheblich überhöhten Handelsspannen und damit Endverbraucherpreisen führt (überhöhte Preise). Vertikale Preisempfehlungen haben aus Nachfragersicht den Charakter eines Referenzpreises: Unterschreitet der Verkaufspreis des Einzelhändlers die Herstellerpreisempfehlung, wirkt sein Angebot besonders preisgünstig. Die Verwendung einer Herstellerpreisempfehlung im Preisvergleich eines Händlers ist erlaubt. Allerdings besteht Irreführungsgefahr, wenn der Händler vom Hersteller Sondermodelle erhalten hat, auf die sich die handelsübliche Preisempfehlung nicht bezieht (vgl. WRP 2003b, S. 509). Ebenso wird eine Gegenüberstellung von eigenem Preis und Herstellerpreisempfehlung als Irreführung gewertet, wenn der Einzelhändler der einzige Vertreiber der Ware am Markt ist (vgl. WRP 2002, S. 1310). <?page no="100"?> 3 Preisresponse der Nachfrager 3.1 Preis-Absatz-Funktion und Preiselastizität Sichtbares Ergebnis der kognitiven Prozesse der Preisverarbeitung ist, ob der Nachfrager ein bestimmtes Produkt zu einem bestimmten Preis kauft oder nicht. Vor allem im Massengütermarketing interessiert im Preismanagement jedoch häufig weniger der individuelle Preisresponse eines Nachfragers, sondern die Absatzmenge eines Marktsegments oder des Gesamtmarkts. Hierbei stehen im Preismanagement vor allem zwei Fragen im Vordergrund: Welche Absatzmenge (x) lässt sich bei einem bestimmten Verkaufspreis (p) für das betrachtete Produkt erzielen? Welche Absatzmengenänderung ( x) tritt auf, wenn sich der Verkaufspreis um eine bestimmte Höhe ( p) verändert? Preiserhöhungen (Preissenkungen) sollten im Normalfall zu Absatzverminderungen (Absatzsteigerungen) führen (Gesetz der Nachfrage). Für beide Fragestellungen bietet die Preistheorie seit langer Zeit methodische Instrumente an: für die erste Fragestellung das Konzept der Preis-Absatz- Funktion, für die zweite Fragestellung das Konzept der Preiselastizität. Die Preis-Absatz-Funktion bildet ab, welche Absatzmenge (x) ein Anbieter am Markt bei einem spezifischen Preis (p) erzielt, was x = x(p) impliziert. In diesem Fall ist der Preis der Entscheidungsparameter des Anbieters und die Absatzmenge der Erwartungsparameter, die sich als Folge der preispolitischen Entscheidung einstellt: Der Markt reagiert auf einen bestimmten Verkaufspreis des Anbieters mit einer bestimmten Abnahmemenge. Diese realisierte Absatzmenge setzt sich aus den aggregierten (positiven) Kaufmengenentscheidungen aller Nachfrager zusammen, für die in einer Kaufentscheidungssituation das betreffende Produkt im Set aller Kaufalternativen den höchsten Customer Value aufweist, und die ferner über ein ausreichendes finanzielles Budget verfügen, den Kaufpreis bzw. den Rechnungsbetrag begleichen zu können. Vor allem volkswirtschaftliche Ansätze unterstellen, dass der Anbieter als Entscheidungsparameter die zu produzierende und damit abzusetzende Menge festlegt. In dieser Vorstellung, die formal p = p(x) impliziert, überlässt der Anbieter die Preisbildung dem Markt, der mit seiner „invisible hand“ einen solchen Preis ansetzt, dass eine Markträumung erfolgt, d.h. die vom Markt aufzunehmende Absatzmenge exakt „absorbiert“ wird. Der marketingbezogenen Auffassung der Preispolitik entspricht allerdings die Vorstellung, dass der Preis Entscheidungs- und die Menge Erwartungsparameter des Unternehmers sind. <?page no="101"?> 102 3 Preisresponse der Nachfrager Die Literatur kennt eine Vielzahl von Funktionsverläufen, die einen mit steigendem Preis fallenden Absatzverlauf abbilden. Aus didaktischer oder formaler Sicht sind hierbei vor allem drei Preis-Absatz-Funktionen interessant, deren graphische Form Abbildung 3-1 zeigt: lineare Preis-Absatz-Funktion (3.1-1) x = a b p, mit: a, b > 0 Abbildung 3-1: Formen von Preis-Absatz-Funktionen Die Parameter a und b der linearen Preis-Absatz-Funktion bilden den Preisresponse des unterstellten Markts ab. Der Parameter b zeigt hierbei an, um wie viele Mengeneinheiten der Absatz zurückgeht (steigt), wenn der Preis um eine Einheit erhöht (gesenkt) wird. Diese Mengenänderung im Umfang von b ist unabhängig von der Höhe des betrachteten Preises, d.h. auf der gesamten Preis- Absatz-Funktion, gleich groß. Eine lineare Preis-Absatz-Funktion besitzt zwei Extremwerte. Bei einem Preis von p = 0 tritt als Absatzmenge die sog. Sättigungsmenge mit x [Sätt] = a auf. Der Parameter a bringt folglich die maximal absetzbare Menge zum Ausdruck, die erreicht wird, wenn der Anbieter sein Produkt verschenkt. Für die Nachfrager ist der Erwerb des Produkts zum Preis von p = 0 aber nicht kostenlos, wenn sie Transaktionskosten hierfür aufwenden müssen. Zudem stiftet ein Überschreiten des optimalen Konsumlevels durch „zu viel“ Konsum des betreffenden Produkts einen negativen Grenznutzen; schließlich verhindern Informationsdefizite, dass alle Nachfrager von diesem Angebot erfahren. Deshalb ist es nicht unrealistisch, dass für x [Sätt] = a < gilt. Der zweite Extrempunkt in der linearen Preis-Absatz-Funktion bezieht sich auf den Fall, dass der Markt zusammenbricht, weil kein Nachfrager mehr bereit ist, eine Mengeneinheit des Produkts zu diesem Prohibitivpreis p [Prohib] zu erwer- Sättigungsmenge linear Cobb-Douglas Prohibitivpreis p x p p‘‘ p‘ x unterer polypolitischer Bereich monopolitischer Bereich oberer polypolitischer Bereich Gutenberg-Typ <?page no="102"?> 3.1 Preis-Absatz-Funktion und Preiselastizität 103 ben, was x = 0 bedeutet. Diese Absatzmenge ist bei einem Preis von p [Prohib] = a/ b erreicht. Da negative Mengen ökonomisch nicht sinnvoll sind, muss für p > a/ b die Relation x = 0 gesetzt werden. multiplikative Preis-Absatz-Funktion (Preis-Absatz-Funktion vom Cobb- Douglas-Typ) (3.1-2) x = a p -b , mit: a > 0, b > 1 Wiederum modellieren zwei Parameter, a und b, den Preisresponse der Nachfrager. Der Parameter a stellt eine (technische) Niveaukonstante dar, während der Parameter -b die Preisempfindlichkeit der Nachfrage kennzeichnet. Beide Parameter zusammen bestimmen, welche Mengenänderung eine Preisänderung um eine Einheit bewirkt. Anders als bei der linearen Preis-Absatz-Funktion fällt die Mengenänderung umso kleiner aus, je höher der Preis ist. Ferner existiert in der multiplikativen Preis-Absatz-Funktion keine Sättigungsmenge im endlichen Bereich, sondern es gilt für p = 0 x [Sätt] = ; ferner gibt es keinen expliziten Prohibitivpreis, da erst bei p = der Markt mit x = 0 zusammenbricht. Selbst bei sehr hohen Preisen für das Produkt finden sich daher noch Nachfrager, die es erwerben. Für das praktische Preismanagement sind allerdings diese extremen Bereiche der Preis-Absatz-Funktion nicht planungsrelevant. Andere formale Ausgestaltungen einer Preis-Absatz-Funktion der Form x = x(p) sind (vgl. zu einer Zusammenstellung Hruschka 1996, S. 126-145) eine exponentielle Form: x = e a b p , mit: a, b > 0, oder eine semilogarithmische Form: x = a b ln(p) mit: a, b > 0. Aus methodischer Sicht stellt die Preis-Absatz-Funktion ein Stimulus-Response (S-R)-Modell dar, da lediglich der Ausgangsstimulus „Preis“ und der aggregierte Response, d.h. die Absatzmenge, abgebildet sind; die zwischen beiden Variablen liegenden Preiswahrnehmungs- und Preisverarbeitungsprozesse bleiben ausgespart. Die Spezifizierung einer solchen funktionalen Beziehung zwischen dem Verkaufspreis und der resultierenden Absatzmenge in der Form x = x(p) impliziert eine Reihe von ceteris paribus-Prämissen: Außer dem Preis verändert der Anbieter keine anderen Aktionsparameter im Marketing-Mix (z.B. Werbung; Produktqualität): Die parametrische Ausgestaltung der Preis-Absatz-Funktion gilt somit nur für ein spezifisches, unverändertes „Rest-Marketing-Mix“. Erhöht der Anbieter bspw. seine Produktqualität, hat dies eine (Rechts-)Verschiebung der Lage der Preis-Absatz-Funktion zur Folge: Zum gleichen Preis lässt sich eine größere Absatzmenge realisieren. <?page no="103"?> 104 3 Preisresponse der Nachfrager Die Absatzmenge ist unabhängig von der Preissetzung des Anbieters für andere Produkte in seinem Sortiment. Es besteht damit kein Sortimentsverbund. Der Preis von „heute“ hat keine Auswirkungen auf die Absatzmenge von „morgen“. In einem solchen statischen Modell treten folglich keine zeitlichen (dynamischen) Carry-over-Effekte in der Preissetzung auf. Es wird von expliziten Konkurrenzreaktionen abstrahiert: In einer strengen Interpretation impliziert die Formulierung x = x(p), dass das betrachtete Unternehmen mit seinem Produkt als einziger Anbieter auf dem betreffenden Produktmarkt tätig ist, weshalb ex definitione keine Konkurrenzaktionen bzw. -reaktionen auf die eigenen Preisentscheidungen auftreten. Es liegt folglich die Marktform des Monopols vor. Es sind jedoch auch „flexiblere“ Interpretationen möglich: So mögen zwar Konkurrenten am Markt existieren, diese aber nicht auf die Preissetzung des betrachteten Anbieters reagieren. Ebenso lässt sich die Absatzmenge als langfristiges Marktergebnis sehen, das sich aus einer eigenen Preisaktion und den Konkurrenzreaktionen hierauf (letztendlich) ergibt. Konstanz weiterer Umfeldfaktoren, die direkt oder indirekt einen Einfluss auf den Preisresponse der Nachfrager besitzen. Dies beinhaltet auch, dass Konkurrenten keine maßgeblichen eigenen Preisaktionen am Markt starten. Bei fehlender Konstanz dieser Rahmenbedingungen ergibt sich bspw. für jede Planungsperiode eine neue Preis-Absatz-Funktion. Es handelt sich um standardisierte (Massen-)Produkte, was typisch für Business-to-Consumer-Märkte ist. In manchen Business-to-Business- Bereichen liegen jedoch sehr kundenindividuelle (hochspezifische) Angebotsleistungen vor, die zudem erst nach Abschluss der Transaktion erstellt werden können (Auftragsproduktion). In einer solchen Konstellation besitzt die Absatzmenge nur die Wertausprägungen x=0, d.h. es kommt keine Transaktion zustande, oder x=1, d.h. der Kunde gibt den Auftrag. Aufgrund der hohen Spezifität erstellt der Anbieter dieses Produkt (diese Leistung) nur einmal. Es liegt ein deterministisches Modell vor, da mit jedem Preis p eine mit Sicherheit eintretende Absatzmenge in Höhe von x korrespondiert. Eine Erweiterung der obigen Preis-Absatz-Funktionen stellt die doppelt geknickte Preis-Absatz-Funktion von Gutenberg (1984, S. 246-262) dar (vgl. Abbildung 3-1): Kern dieses Modells ist, dass der Anbieter über ein sog. akquisitorisches Potenzial verfügt. Aufgrund von Standort-, Produkt- oder Servicevorzügen, die manche Nachfrager bei diesem Anbieter bzw. dieser Marke im Vergleich zur Konkurrenz sehen, besitzt der Anbieter bei diesen Kunden einen Präferenzvorsprung: Die betreffenden Nachfrager sind als Stammkunden anzusehen, weil sie regelmäßig beim betreffenden Anbieter (die betreffende <?page no="104"?> 3.1 Preis-Absatz-Funktion und Preiselastizität 105 Marke) einkaufen. Ebenso besitzen auch die anderen Anbieter „ihre“ Stammkunden. Formales Charakteristikum der Gutenberg-Preis-Absatz-Funktion sind drei Funktionsabschnitte: Im monopolistischen Abschnitt führen Preisveränderungen aufgrund des akquisitorischen Potenzials des Anbieters zu relativ geringen Absatzveränderungen: Begründung hierfür ist, dass die Stammkunden des Produkts bei Preiserhöhungen lediglich ihre Kaufmenge reduzieren, nicht jedoch zu anderen Anbietern wechseln. Ebenso vermögen Preissenkungen im monopolistischen Abschnitt keine Stammkunden anderer Marken „abzuwerben“, weshalb der Absatzanstieg nur durch Kaufmengenerweiterungen der Stammkunden getragen wird. Anders stellen sich die Sachverhalte dar, wenn eine Preissetzung in einem der beiden polypolistischen Bereiche erfolgt: Bei einem sehr niedrigen Preisniveau (unterer polypolistischer Abschnitt) ist das betrachtete Produkt auch für Stammkäufer anderer Marken interessant. Sie werden zu Laufkunden der betrachteten Marke, die bei Preiserhöhungen aber wieder wegbleiben. Durch diese zur Kaufmengenänderung der Stammkunden zusätzlichen Laufkundenströme bewirkt eine Preisänderung im unteren polypolistischen Abschnitt größere Mengenänderungen ( x) als eine - absolut gesehen - gleich hohe Preisveränderung ( p) im monopolistischen Bereich. Eine ähnliche Argumentation gilt für den oberen polypolistischen Abschnitt: Bei diesem hohen Preisniveau gibt es keine Stammkunden der betrachteten Marke mehr; das akquisitorische Potenzial des Anbieters ist nicht stark genug, den Nachteil des hohen Preises zu kompensieren. Dadurch sind die ehemaligen Stammkunden des Anbieters nur noch Laufkunden, die mehr oder weniger sporadisch die Marke erwerben. Bei Preiserhöhungen im oberen polypolistischen Bereich bleiben aber auch diese Laufkunden zunehmend aus, bzw. bei Preissenkungen können lediglich mehr Laufkunden gewonnen werden. Es gelingt aber nicht, eine Markenbindung aufzubauen. Ebenso wie im unteren polypolistischen Bereich unterstellt das Modell, dass eine absolut gleich hohe Preisveränderung eine höhere Mengenwirkung besitzt ( x), wenn die Preisveränderung ( p) auf eine Nachfragerschaft, die nur noch Laufkundenstatus besitzt, trifft, verglichen mit einem Absatz an Stammkunden (monopolistischer Bereich). Für die formale Darstellung der Preis-Absatz-Funktion vom Gutenberg-Typ haben sich in der Literatur zwei Varianten herausgebildet. In der abschnittsweise linearen Form existieren zwei explizite „kritische“ Preise p´ und p´´, die den Übergang von einem Bereich in den anderen markieren: (3.1-3) a 1 b 1 p für p´ < p p [Prohib] (oberer polypolistischer Abschnitt) x(p) = a 2 b 2 p für p´´ p p´ (monopolistischer Abschnitt) a 3 b 3 p für 0 p < p´´ (unterer polypolistischer Abschnitt) <?page no="105"?> 106 3 Preisresponse der Nachfrager Albach (1973, S. 14) hat eine kontinuierliche Formulierung (doppelt gekrümmte Preis-Absatz-Funktion) mit Hilfe einer Sinus-Hyperbolicus-Funktion (sinh[ ]) vorgeschlagen: (3.1-4) x = a b p + c 1 sinh[c 2 (p R p)], mit: a, b, c 1 , c 2 > 0 und sinh[y] = 1 2 (e y e -y ) Der Parameter p R repräsentiert das durchschnittliche Konkurrenzpreisniveau: Je mehr der Anbieter mit seinem Preis von diesem durchschnittlichen Konkurrenzpreis (Referenzpreis) abweicht, desto stärker kommt es zu Laufkundenbewegungen, d.h. verstärkten Mengenreaktionen. Der Parameter c 1 bildet hierbei die „Beweglichkeit“ dieser Kundenströme ab. Bei c 1 = 0 gibt es keine solchen Nachfragebewegungen: Die Absatzänderungen aufgrund von Preisänderungen stammen allein aus Kaufmengenveränderungen der Stammkunden. Aufgrund der impliziten Berücksichtigung von Konkurrenz gilt die Preis- Absatz-Funktion vom Gutenberg-Typ als Abbildung der Preissetzung im heterogenen Polypol: In dieser Marktform treten viele - kapazitätsmäßig kleine Anbieter - mit differenzierten Produkten auf, wobei jeder Anbieter innerhalb gewisser Preisgrenzen seine Stammkundschaft besitzt. Die Laufkundenveränderungen, die die Preissetzung eines Anbieters auslöst, verteilen sich auf eine Vielzahl von Konkurrenten. Daher sind sie für einen einzelnen Konkurrenten nicht spürbar und eine explizite Preisreaktion unterbleibt. Ebenso bekommt der betrachtete Anbieter Preisaktionen eines einzelnen Konkurrenten nicht direkt zu spüren, wohl aber die Summe der Preisaktionen aller Konkurrenten, die in Bedingung (3.1-4) mit dem Parameter p R abgebildet ist. Bislang wurden die absolute Absatz- und die auslösende Preisveränderung parallel nebeneinander betrachtet: x = x 1 x 2 mit: x 1 = x(p 1 ), x 2 = x(p 2 ), p = p 1 p 2 Häufig ist es jedoch zweckdienlich, beide Veränderungen simultan in einer Kenngröße zu erfassen. Zudem erscheint es aussagekräftiger zur Beurteilung der Höhe einer Absatzbzw. Preisänderung, das Ausgangsniveau der Veränderung von Absatz bzw. Preis zu berücksichtigen, d.h. die relative anstelle der absoluten Absatzbzw. Preisänderung zu betrachten. Beide Anforderungen erfüllt das Konzept der Preiselastizität der Nachfrage ( p ), die als relative Mengenänderung im Verhältnis zur relativen Preisänderung definiert ist: Ist der Preis p 1 bzw. die Menge x 1 das Ausgangsniveau, gilt für die Preiselastizität der Nachfrage: (3.1-5) p x x 1 p p 1 = x p p 1 x 1 <?page no="106"?> 3.1 Preis-Absatz-Funktion und Preiselastizität 107 Vereinfacht bringt die Preiselastizität zum Ausdruck, um wie viel Prozent sich die Absatzmenge bei einer Preisänderung um einen gewissen Prozentsatz verändert. Formal korrekt stellt Bedingung (3.1-5) die sog. Bogen- oder Streckenelastizität dar. In vielen analytischen Fragestellungen interessiert hingegen die Punktelastizität (vgl. zu den Elastizitätskonzepten bspw. Olbrich/ Battenfeld 2007, S. 26f.). Sie ist dahingehend definiert, dass die Preisänderung marginal klein wird, d.h. p = (p 1 p 2 ) 0 geht. Aus dem Differenzenquotienten x/ p wird deshalb der Differentialquotient dx/ dp. Allgemein stellt der Term dx/ dp die Veränderung des Absatzes bei einer marginalen bzw. infinitesimal kleinen Änderung des Preises dar. Dies entspricht graphisch der Steigung der Preis-Absatz- Funktion. Die Punktelastizität für eine spezifische Preis-Mengen-Kombination lautet folglich: (3.1-6) p dx dp p x Da aufgrund des Gesetzes der Nachfrage mit einer Preiserhöhung (Preissenkung) eine Absatzverminderung (Absatzerhöhung) einhergeht, ist der Term dx/ dp < 0 und damit auch die Preiselastizität der Nachfrage negativ ( p < 0). Je „negativer“ der Wert für die Preiselastizität ausfällt, desto stärker ist die relative Mengenänderung zur relativen Preisänderung ausgeprägt. Traditionell verbindet man mit dem Begriff „steigende Preiselastizität der Nachfrage“, dass die Nachfrager empfindlicher auf den Preis reagieren. Diese sprachliche Formulierung stellt auf den mathematischen Betrag der Preiselastizität ab (| p | > 0). Liegt die Preiselastizität der Nachfrage im Bereich p < -1, bezeichnet man dies als preiselastische Nachfrage, da die Mengenänderung stärker als die auslösende Preisänderung ausfällt; im Wertebereich 0 > p -1, spricht man von einer preisunelastischen Nachfrage. In einer Metastudie, die über 1800 Preiselastizitätsschätzungen analysierte, fanden Bijmolt et al. (2005) für Verbrauchsgüter, dass in knapp 20 % der Fälle eine (preis-)unelastische Nachfrage gegeben war und in etwa 50 % der Fälle die Preiselastizität der Nachfrage im Wertebereich -1 > p > -3 lag (durchschnittlicher Wert der Preiselastizität p = -2,62). In einer ähnlichen Studie mit Gebrauchsgütern, Dienstleistungen und Investitionsgütern mit insgesamt 349 Produkten betrug die durchschnittliche Preiselastizität der Nachfrage p = -1,75 (vgl. Simon/ Fassnacht 2009, S. 105). Fallbeispiel Die Punktelastizität ist nur bestimmbar, wenn man die funktionale Form der Preis-Absatz-Funktion kennt. Für die lineare bzw. multiplikative Preis- Absatz-Funktion resultiert: <?page no="107"?> 108 3 Preisresponse der Nachfrager x = a b p mit: dx dp = -b und p dx dp p x = -b p a b p = -b p a b p = -a + a -b·p a b·p = 1 a a b·p = 1 a x x = a p -b mit: dx dp = -b a p 1+b und p dx dp p x = -b a p 1+b p a p -b = b Die multiplikative Preis-Absatz-Funktion weist eine von der Höhe des Preises unabhängige Preiselastizität auf. Die Preiselastizität ist damit auf allen Punkten der multiplikativen Preis-Absatz-Funktion gleich und entspricht dem Parameter -b. Diese Eigenschaft einer konstanten Preiselastizität macht die multiplikative Preis-Absatz-Funktion für viele analytische Anwendungen attraktiv. Bei einer linearen Preis-Absatz-Funktion nimmt die Preiselastizität - dem Betrage nach - zu, je höher der Preis bzw. geringer die Absatzmenge ist. Für den Prohibitivpreis, bei dem x = 0 gilt, hat die Preiselastizität den Wert p für den Preis p=0, der zur Sättigungsmenge x führt, den Wert p 0. Bogen- und Punktelastizität besitzen eine unterschiedliche inhaltliche Aussage: Während die Punktelastizität die Preiselastizität der Nachfrage bezogen auf einen spezifischen Punkt auf der Preis-Absatz-Funktion zum Ausdruck bringt, bildet die Bogenelastizität die (durchschnittliche) Preiselastizität über einen spezifischen Bereich der Preis-Absatz-Funktion ab. Ferner können Bogen- und Punktelastizität - je nach Art der Preis-Absatz- Funktion - in der Größenordnung voneinander abweichen: Gegeben sei eine Preis-Absatz-Funktion der Form x = 100.000 p -2 mit den beiden Preis- Mengen-Kombinationen p 1 = 4, x 1 = 6.250 und p 2 = 5, x 2 = 4.000. Die Punktelastizität beträgt p -2, unabhängig vom spezifischen Punkt auf der Preis- Absatz-Funktion. Die Bogenelastizität hat für den Fall einer Preiserhöhung von p 1 = 4 auf p 2 = 5 bzw. p = p 1 p 2 -1 mit x 1 6.250, x 2 = 4.000 bzw. x = x 1 x 2 = 2.250 den Wert p 2.250/ (-1) · 4/ 6.250 = -1,44. Betrachtet man die Preiselastizität für eine Preissenkung von p 1 = 5 auf p 2 = 4 mit x 1 = 4.000 als Ausgangsniveau, beträgt p -2.250/ 1 · 5/ 4.000 = -2,81. Die Höhe der Bogenelastizität hängt damit vom Ausgangsniveau der Preisbzw. Mengenänderung ab, selbst wenn der identische Abschnitt der Preis-Absatz- Funktion von der Preisänderung betroffen ist: Bei einer Preiserhöhung um 25 % (von p 1 = 4 auf p 2 = 5) sinkt die Menge um 36 %; eine Preissenkung um 20 % (von p 1 = 5 auf p 2 = 4) bewirkt eine Absatzsteigerung um 56,25 %. Bei einer linearen Preis-Absatz-Funktion sind Bogen- und Punktelastizität gleich groß, wenn man die Punktelastizität für das Ausgangsniveau von Preis und Absatzmenge (p 1 ; x 1 ) berechnet. <?page no="108"?> 3.2 Quantifizierung des Preisresponse 109 Die Frage nach der „richtigen“ Formulierung der Preis-Absatz-Funktion ist kaum zu beantworten. Zum einen lässt sich diese Frage nur empirisch lösen, was eine Quantifizierung der Parameter des Preisresponses voraussetzt. Zum anderen basiert die einfache Formulierung mit x = x(p) auf relativ restriktiven Annahmen, weshalb die empirische Validität zweifelhaft ist. Daher ist die Preis- Absatz-Funktion vor allem als analytisches Instrument zu sehen, das in modelltheoretischer Form Erkenntnisse über preispolitische Sachverhalte liefert. 3.2 Quantifizierung des Preisresponse Aufgrund des hohen Stellenwerts, den die Preis-Absatz-Funktion bei manchen Methoden der Preiskalkulation besitzt (vgl. Kapitel 4), ist man im Marketing und Preismanagement bemüht, Preis-Absatz-Funktionen zu quantifizieren. Letztendlich handelt es sich um den Versuch, das Gesetz der Nachfrage auf eine empirische Basis zu stellen. Mehrere Zugangswege lassen sich hierfür einschlagen: Ökonometrische Schätzung des Preisresponse Preise und Absatzmengen sind am Markt beobachtbare Größen. Diese ermittelten Preis-Mengen-Kombinationen dienen als Dateninput für statistische Verfahren wie die Regressionsanalyse: Unter Zugrundelegung eines bestimmten Typs der Preis-Absatz-Funktion (z.B. linear; Cobb-Douglas) werden die Parameter (a; b) so bestimmt, dass sich die geschätzte Funktion bestmöglich an die beobachteten Datenpunkte der Preis-Mengen-Kombinationen anpasst. Voraussetzung hierfür ist, dass der Forscher bereits eine Vorstellung über den Typ der Preis- Absatz-Funktion besitzt. Es lassen sich aber alternative Funktionsverläufe prüfen und dann diejenige Regressionsfunktion als „wahre“ Preis-Absatz-Funktion deklarieren, die hinsichtlich bestimmter statistischer Kenngrößen die beste Anpassung an die Datenpunkte (Fit) erzielt. Eine ökonometrische Schätzung der Preis-Absatz-Funktion ist nur für am Markt existierende Produkte möglich, für die Daten über Preis-Mengen-Kombinationen vorliegen, nicht hingegen für Produkte, die erst in den Markt eingeführt werden sollen (Innovationen). Das ökonometrische Vorgehen besitzt eine Reihe weiterer, methodischer Probleme: Hinsichtlich der Herkunft der Daten ist zwischen Längs- und Querschnittsdaten zu unterscheiden: Bei Längsschnittdaten bilden die Untersuchungseinheiten (Beobachtungswerte) in der Vergangenheit aufgetretene Preis- Mengen-Kombinationen. Hierbei ist es aber fraglich, ob die Rahmenbedingungen, denen die Untersuchungseinheiten in der Vergangenheit unterlegen waren, „heute“ noch Gültigkeit besitzen. Bei Querschnittsdaten stellen Teilmärkte (z.B. Absatzregionen; Filialen) die Beobachtungswerte dar, wobei Preis-Mengen- Kombinationen zumeist zum annähernd gleichen Zeitpunkt erhoben werden. <?page no="109"?> 110 3 Preisresponse der Nachfrager Auch hier muss sichergestellt sein, dass die Teilmärkte hinsichtlich der Rahmenbedingungen des Preisresponses der Nachfrager homogen sind. Dies ist sicherlich anzuzweifeln, wenn die Teilmärkte unterschiedliche Nachfragerstrukturen oder regionale Einzugsgebiete aufweisen. In solchen Konstellationen empfiehlt es sich, anstelle der absoluten Absatzmenge als „abhängige Variable“ den erzielten Marktanteil zu verwenden, der höher sein sollte, je niedriger der Preis in einem Teilmarkt ist. Grundsätzlich steigt bei heterogenen Untersuchungseinheiten die Varianz in den Schätzparametern, d.h. die Schätzung wird „ungenauer“ oder sogar systematisch verzerrt. Ferner liefern Querschnittsdaten nur Aussagen über den Preisresponse eines Teilmarkts. Interessiert im Preismanagement der gesamte Absatz am Markt, müssen die Absatzmengen - bezogen auf einen Teilmarkt - auf den Gesamtmarkt hochgerechnet werden. Dies setzt die Lösung der mitunter schwierigen Frage voraus, aus wie vielen solcher Teilmärkte der Gesamtmarkt besteht (Abgrenzung des relevanten Markts). Wird der Marktanteil als Response-Variable verwendet, ist eine Schätzung zwischen dem Marktanteil und der damit korresponierenden Absatzmenge auf dem Gesamtmarkt vorzunehmen. Häufig bewegen sich die empirisch festgestellten Preise für ein Produkt in relativ engen Grenzen. In statistischer Sicht besitzt die unabhängige Variable Preis dann eine geringe Varianz. Graphisch gesehen liegt eine konzentrierte Punktewolke vor, an die sich eine Vielzahl von Regressionsgeraden mit ähnlichen Fitkriterien anpassen lässt (sog. Propellereffekt): Die Schätzparameter werden dadurch wenig reliabel, weshalb kleine Änderungen in den unterlegten Preis- Mengen-Kombinationen zu großen Abweichungen insbesondere bei der Bestimmung von Extremwerten der Preis-Absatz-Funktion (z.B. Prohibitivpreis; Sättigungsmengen) führen können. Die Verkaufsmenge für ein Produkt ist das Ergebnis des Zusammenwirkens aller Marketingvariablen. Konzeptionell basiert die isolierte Schätzung des Preis- Mengen-Zusammenhangs aber auf der Prämisse der Konstanz der sonstigen Marketingvariablen. Dies ist nicht gegeben, wenn die Beobachtungswerte zugleich auf unterschiedlichen Werbeniveaus oder Promotionsaktionen basieren. Eine statistisch valide Schätzung des Preisresponses der Nachfrager ist daher nur möglich, wenn diese weiteren Einflussgrößen auf den Absatz explizit erfasst werden. Dies erfordert die Erweiterung der Preis-Absatz-Funktion zu einer wesentlich komplexeren Marketing-Response-Funktion (vgl. bspw. Hruschka 1996, S. 66; Homburg 2012, S. 910-917). Die Absatzmenge für das betrachtete Produkt ist ferner nicht unabhängig von den Preisen der Konkurrenzprodukte (Substitute) zu sehen. Daher müssten die Preise und weiteren Marketing-Mix-Maßnahmen von Konkurrenzprodukten ebenfalls als absatzbestimmende Determinanten und damit zu schätzende Regressionsparameter einbezogen werden, sofern man nicht von einer Konstanz <?page no="110"?> 3.2 Quantifizierung des Preisresponse 111 des Marketings der Konkurrenz ausgehen darf. Dies überfrachtet aber zumeist den Schätzansatz. Eine Lösungsmöglichkeit ist daher, einen Durchschnittspreis der Konkurrenten zu bestimmen und hierzu den eigenen Preises in Relation zu setzen. Dann bringt der Preisterm in der Regressionsfunktion die relative Veränderung des eigenen Preises zu den Konkurrenzpreisen zum Ausdruck. Die Problembereiche der Erfassung des eigenen restlichen Marketing-Mixes und des Konkurrenzmarketing sowie mangelnder Varianz im Preis beheben zumindest teilweise Testmärkte (vgl. Homburg 2012, S. 281-283), die bspw. von kommerziellen Marktforschungsgesellschaften betrieben werden (z.B. GfK [Gesellschaft für Konsumforschung]-BehaviorScan®). Testmärkte sind häufig ausgewählte Testgeschäfte (Storetest; (Mikro-)Testmarkt), in denen im Sinne eines experimentellen Untersuchungsdesigns die Aktionsparameter kontrolliert, aber auch extremere Preise als in der Realität getestet werden können. Hier lassen sich auch Innovationen bezogen auf den Preisresponse prüfen, sofern die Innovation in Kleinserien vorliegt, die im Testgeschäft angeboten werden. Einschränkend ist anzuführen, dass solche Testmärkte nicht repräsentativ für den Gesamtmarkt sein müssen, bzw. dass ein „Hochrechnungsproblem“ auf den Gesamtmarkt besteht. Direkte Erhebung der maximalen Zahlungsbereitschaft Da ein Nachfrager ein Produkt nur dann erwirbt, wenn der Preis niedriger als seine maximale Zahlungsbereitschaft ist, besteht ein vordergründig naheliegender Weg darin, Probanden nach ihrer Zahlungsbereitschaft (Preisbereitschaft) bezogen auf das interessierende Produkt direkt zu befragen (sog. monadische Preisabfrage oder Contingent Valuation Technique; vgl. Müller et al. 2010, S. 117-121). Dann lässt sich in einer Stichprobe mit Probanden „auszählen“, bei wie vielen Probanden ihre Zahlungsbereitschaft gleich groß oder größer als ein fiktiver Verkaufspreis ist, weshalb sie das Produkt kaufen würden. Diese Überlegung wird für eine Bandbreite alternativer Verkaufspreise durchgespielt und der korrespondierende Anteil an kaufwilligen Versuchsteilnehmern bestimmt. Vorteil dieser Erhebungstechnik ist, dass Probanden auch noch nicht am Markt befindliche Produkte oder Innovationskonzepte vorgelegt werden können, um den zu erwartenden Preisresponse hierauf abzuschätzen. In der Upgrading-Methode erhält ein Proband ein Basisprodukt zu einem Basispreis vorgelegt, kann aber für bestimmte Leistungsmerkmale des Produkts Upgrades (leistungsfähigere Varianten) erhalten, um zur von ihm gewünschten Produktkonfiguration zu gelangen. Hierbei muss der Proband angeben, wie viel er maximal für ein solches Upgrade als Aufschlag zum Basispreis zu zahlen bereit ist (vgl. Klarmann et al. 2011, S. 170). Es ist fraglich, ob Probanden in der Lage sind, ihre maximale Zahlungsbereitschaft für ein Produkt zu nennen. Immerhin sind Personen in der Realität nur <?page no="111"?> 112 3 Preisresponse der Nachfrager selten gefordert, ihre Zahlungsbereitschaft als monetären Betrag zu kennen, so dass dieses Informationselement des Preiswissens oftmals erst in der Befragungssituation erarbeitet werden muss (vgl. Völckner 2006, S. 40) und dann situativen Einflüssen unterliegt. Ferner muss bereits in der Frageformulierung spezifiziert werden, ob den Forscher die Zahlungsbereitschaft als monetäre Bewertung des Bruttonutzens oder die Zahlungsbereitschaft unter Berücksichtigung von Alternativen interessiert. Ansonsten mag ein Proband unter der (unspezifischen) Frage „Wie viel würden Sie für das vorliegende Produkt bezahlen? “ seinen Bruttonutzen monetär transformieren, ein anderer Versuchteilnehmer den Preis nennen, bei dem das betrachtete Produkt im Vergleich zu - ihm bekannten - Konkurrenzalternativen „gerade noch“ die höchste Konsumentenrente aufweist. Dies würde zu unterschiedlich hohen, aber auch inhaltlich voneinander abweichenden Zahlungsbereitschaften und damit Preis-Absatz-Funktionen führen. Im ersten Fall erhält man eine Preis-Absatz-Funktion, die von der Existenz von Kaufalternativen zum betrachteten Produkt abstrahiert, im zweiten Fall eine Preis-Absatz- Funktion, die Konkurrenzalternativen implizit berücksichtigt. Zweifellos ist diese zweite Variante der Preis-Absatz-Funktion für die Preispolitik relevanter. Um die Erarbeitung der Zahlungsbereitschaft zu erleichtern, erhält der Proband für das Produkt häufig verschiedene Preise vorgegeben und muss dann seine Akzeptanz bezogen auf diese Preise dahingehend angeben, ob er zu diesem Preis das Produkt kaufen würde (monadische Kaufabfrage bzw. Payment- Card-Frageformat); durch systematische Variation der vorgegebenen Preise lässt sich dann derjenige Preis identifizieren, bei dem er „gerade noch“ kaufen würde. Einen anderen methodischen Weg beschreitet der BASES Price Advisor von ACNielson (vgl. Balderjahn 2003, S. 392): Hier müssen Probanden die Günstigkeit von vorgelegten Preisen für ein interessierendes Produkt bewerten. Diesen Angaben werden Kaufwahrscheinlichkeiten zugeordnet, woraus sich dann der Response auf den spezifischen Preis aus der Aggregation der Einzelwahrscheinlichkeiten bestimmt. Probanden mögen in einem Experiment bewusst ihre maximale Zahlungsbereitschaft verschleiern, weil sie den Hintergrund des Versuchs „durchschauen“ und die Verkaufspreise dadurch niedrig halten wollen (vgl. Monroe 1990, S. 107-112). Für das Problem, dass Probanden - aus welchen Gründen auch immer - nicht ihre wahre maximale Zahlungsbereitschaft angeben wollen, sind sog. anreizkompatible Verfahren für die direkte Erhebung der maximalen Zahlungsbereitschaft vorgeschlagen worden (vgl. bspw. Klarmann et al. 2011, S. 169f.; Wertenbroch/ Skiera 2002, S. 228f.): Im sog. Becker/ DeGroot/ Marschak (BDM)-Verfahren geben Probanden zunächst ihre Zahlungsbereitschaft an. Dann wird aus einer Zufallsverteilung, die das reale Preisspektrum abdeckt, ein Zufallspreis gezogen: Ist der gezogene Zufallspreis niedriger als der vom Pro- <?page no="112"?> 3.2 Quantifizierung des Preisresponse 113 banden genannte Preis, müssen die Probanden das Produkt zu dem zufällig gezogenen Preis vom Experimentleiter erwerben. Ist der Zufallspreis höher, erhalten die Probanden das Produkt nicht. Wie sich formal zeigen lässt, ist es in diesem Experimentdesign die beste Bieterstrategie, die wahre maximale Zahlungsbereitschaft anzugeben (vgl. bspw. Tversky/ Thaler 1990, S. 204). Einen anderen anreizkompatiblen Ansatz zur Ermittlung der „wahren“ Preisbereitschaft beinhalten Vickrey-Auktionen (vgl. Backhaus/ Brzoska 2004, S. 40f.; Wertenbroch/ Skiera 2002, S. 229f.): Hier gibt jeder Proband im Experiment ein Preisgebot für das betreffende Produkt ab, wobei der höchste Bieter den Zuschlag erhält, aber nur den Preis des zweithöchsten Bieters entrichten muss. Die Teilnehmer kennen nicht die Gebote der anderen Probanden und können ihr Gebot nicht nachbessern oder verändern (sog. Sealed-Bid-Auction; vgl. Backhaus/ Brzoska 2004, S. 41). Auch bei diesem Verfahren sollte ein rational handelnder Teilnehmer seine wahre Zahlungsbereitschaft als beste Bieterstrategie angeben. Nachteilig an diesen beiden Verfahrensalternativen ist, dass sie sich nur für geringpreisige Produkte eignen, da der Proband eine tatsächliche Transaktion im Experiment tätigt. Ferner lassen sich keine Produkte im Konzeptstadium testen. Zudem entspricht der Auktionsmechanismus mit der Abgabe von Preisgeboten nicht den üblichen Kaufentscheidungsprozessen. Als grundsätzliches Problem einer direkten Erhebung des Preisresponse gilt, dass Probanden ihr Augenmerk zu sehr auf den Preis als alleiniges Produktmerkmal lenken, weshalb sie im Vergleich zum tatsächlichen Verhalten möglicherweise eine atypisch hohe maximale Zahlungsbereitschaft nennen oder aber sich übertrieben preisbewusst verhalten und deshalb eine „zu niedrige“ maximale Zahlungsbereitschaft angeben (vgl. bspw. Backhaus et al. 2005, S. 441f.). Zudem wird bei Auktionen eine systematische Verzerrung der maximalen Zahlungsbereitschaften vermutet, wenn man das Paradigma des rationalen Nachfragers aufgibt. So mag die Wettbewerbssituation unter den Bietern zu einem Overbidding (Bietrausch) führen, d.h. ihre Gebote liegen über ihrer (tatsächlichen) maximalen Zahlungsbereitschaft (vgl. Müller et al. 2010, S. 120; Sattler/ Nitschke 2003, S. 375). Ein weiteres grundlegendes Problem der direkten Erhebung besteht darin, dass sich die Angaben in der Regel nur auf eine Produkteinheit beziehen. In vielen Produktkategorien kann der Nachfrager aber durchaus mehrere Einheiten von einem Produkt erwerben. Dies würde erfordern, dass der Nachfrager maximale Zahlungsbereitschaften zu alternativen Kaufmengen abgeben muss, was die Befragung komplex und für den Probanden langweilig macht. Ein Verzicht auf den Mehrmengenfall unterschätzt aber dann die Absatzmenge bei einem bestimmten Preis. Die direkte Erhebung des Preisresponses basiert ferner auf einer Stichprobe. Um folglich aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen, muss es sich um eine für <?page no="113"?> 114 3 Preisresponse der Nachfrager den Markt repräsentative Stichprobe handeln. Dies setzt eine Antwort auf die schwierige Frage nach dem relevanten Markt für das betrachtete Produkt voraus. Nachteilig an der direkten Erhebung ist ferner, dass keine explizite Einbeziehung von Konkurrenzprodukten gegeben ist. So mag der Nachfrager gegenüber dem betrachteten Produkt eine hohe maximale Zahlungsbereitschaft besitzen, dennoch aber ein Konkurrenzprodukt bevorzugen, wenn letzteres ihm einen höheren Customer Value stiftet. Deshalb besteht die Gefahr, dass der tatsächliche Marktresponse überschätzt wird. Aus methodischer Sicht erhält man als Ergebnis der direkten Erhebung der maximalen Zahlungsbereitschaft für jeden Preis diejenige Anzahl an Probanden in der Stichprobe, die eine höhere maximale Zahlungsbereitschaft besitzen. Um eine Preis-Absatz-Funktion mit ihren Parametern zu quantifizieren, müssen deshalb in einem zweiten Schritt die statistischen Methoden der ökonometrischen Schätzung auf die Preis-Mengen-Kombinationen angewandt werden. Wie bei Querschnittsdaten ist zudem aus den Ergebnissen der Stichprobe auf die Absatzmenge des Gesamtmarkts hochzurechnen. Sammlung von Kaufgeboten in Markttransaktionen Ein zur direkten Erhebung der maximalen Zahlungsbereitschaft sehr ähnliches Verfahren eröffnet das Internet mit sog. Wunschpreisanbietern bzw. dem sog. Reverse Pricing (vgl. Chernev 2003, S. 51; Völckner 2006, S. 39): Hier können Nachfrager in einem üblichen Verkaufskatalog in verschiedenen Produktkategorien Waren/ Dienstleistungen (z.B. Flugreisen; Hotelunterkunft) auswählen und unverbindliche Kaufgebote abgeben: Bis zu diesem Preis sind sie bereit, das betreffende Produkt (unverbindlich) zu erwerben. Der Internetanbieter (E- Retailer) sammelt diese Kaufgebote innerhalb einer bestimmten Frist und legt seinen Verkaufspreis fest, zu dem die Nachfrager das Produkt dann (verbindlich) erwerben können. Für die Quantifizierung des Preisresponses liegt die gleiche Datenlage wie bei der direkten Erhebung der Zahlungsbereitschaft vor. Durch einfaches Auszählen lässt sich bestimmen, wie viele Nachfrager bei einem spezifischen Preis aufgrund ihrer Kaufgebote bereit sind (sein müssten), das betreffende Produkt zu erwerben. Vorteil dieser Methode ist, dass es sich um tatsächliche Markttransaktionen handelt, die sich an die Kaufgebote anschließen. Studien zum Reverse Pricing zeigen allerdings, dass vor allem Schnäppchenjäger die Kaufpreisangebotssteller auf den betreffenden Internetseiten sind (Bilstein/ Bieker 2000, S. 65). Folglich dürften die ermittelten Preis- Absatz-Funktionen nur für diesen spezifischen Vertriebsweg der betreffenden Produkte valide sein. <?page no="114"?> 3.2 Quantifizierung des Preisresponse 115 Conjoint-Measurement Das Conjoint-Measurement bzw. die Conjoint-Analyse (CONsidered JOINTly) stellt eine in der Marktforschung beliebte „Verfahrensfamilie“ zur Schätzung von individuellen Nutzenstrukturen gemäß Bedingung (2.1-1) dar, die sich zur Quantifizierung der maximalen Zahlungsbereitschaft einer Person und damit des Preisresponses heranziehen lässt (vgl. bspw. Balderjahn 1994; Klarmann et al. 2011, S. 166-169; Völckner 2006, S. 36-38). Die Verwendung des Conjoint- Measurements wird auch als indirekte Preisabfrage bzw. indirekte Methode zur Messung der Zahlungsbereitschaft bezeichnet. Ausgangspunkt ist, dass das interessierende Produkt ebenso wie Konkurrenzalternativen anhand mehrerer Eigenschaften mit den jeweiligen Eigenschaftsausprägungen beschrieben werden, wobei der Preis (spezifische Preishöhe) eine Eigenschaft (Eigenschaftsausprägung) darstellt. Neben verbalen Kurzbeschreibungen des jeweiligen Profils einer Alternative können auch akustische oder bildliche Darstellungen von einzelnen Produkteigenschaften verwendet werden (vgl. Ernst/ Sattler 2000, S. 164-166). Die Probanden erhalten die dergestalt „sezierten“ Alternativen als Produktprofile bspw. am Computer präsentiert und müssen ihre Präferenz gegenüber den vorgelegten Alternativen (Choice Set) äußern. In der traditionellen Conjoint Analyse (TCA) bewertet der Proband die Alternativen auf Ratingskalen hinsichtlich der Präferenzstärke oder Attraktivität. Bei der Choice- Based-Conjoint-Analyse (CBCA) muss der Proband aus einer Teilmenge der vorgelegten Alternativen diejenige auswählen, die ihm „am besten gefällt“, wobei er mehrere solche Teil-Choice Sets bearbeiten muss; hierbei ist auch die Nicht-Kauf-Alternative erlaubt, d.h. der Proband lehnt alle Alternativen des Choice Set ab (vgl. Völckner 2006, S. 37). Die Limit-Conjoint-Analyse (LCA) entspricht in ihrem ersten Schritt der traditionellen Conjoint-Analyse. Im Anschluss an die Bewertung der Alternativen werden die Alternativen entsprechend ihrer erhaltenen Bewertung gereiht und der Proband muss diejenige Alternative in der Rangreihung benennen, die er „als letzte“ noch kaufen würde. Er schiebt folglich eine imaginäre Limit-Karte zwischen diese Alternative und der in der Rangreihe nächst-niedrigeren Alternative, die er nicht mehr kaufen würde (vgl. Backhaus/ Brzoska 2004, S. 44). Inzwischen werden auch Conjoint- Methoden mit einer Incentivierung der Probanden verbunden (vgl. Ding 2007): In der incentive-aligned Choice-Based-Conjoint-Analyse (ICBC) ist der Proband verpflichtet, im Experiment einen tatsächlichen Kauf zu tätigen. Dies ist dann der Fall, wenn seine abgeleitete (indirekt gemessene) maximale Zahlungsbereitschaft größer als der aus einer Zufallsverteilung gezogene Preis für das betreffende Produkt ist. Unabhängig von der jeweiligen Methode erlauben statistische Verfahren (z.B. Regressionsanalyse) aus den Präferenzangaben die Teilnutzenwerte ( ) der Eigenschaftsausprägungen und Eigenschaftsgewichte (w) abzuleiten und hieraus den (fiktiven) Gesamtnutzenwert einer Alternative aus Sicht eines Probanden zu <?page no="115"?> 116 3 Preisresponse der Nachfrager berechnen sowie den Teilnutzenwertverlauf der Eigenschaftsausprägungen abzubilden. Die methodischen Erweiterungen der traditionellen Conjoint Analyse sollen hierbei die Teilnutzenwerte und Eigenschaftgewichte mit höherer Validität schätzen. Mit den gewonnenen Informationen ist es möglich, denjenigen Preis zu bestimmen, bei dem der Gesamtnutzenwert der betrachteten Alternative null wird (vgl. Backhaus et al. 2005, S. 443). Dies ist dann die maximale Zahlungsbereitschaft des Probanden bezogen auf den Bruttonutzen des Produkts. Die Zahlungsbereitschaft unter Berücksichtigung von Alternativen erhält man, wenn man zunächst bestimmt, in welcher Höhe eine Nutzendifferenz zwischen der betrachteten Alternative und derjenigen Alternative mit dem höchsten Gesamtnutzen im Choice Set besteht; sollte die interessierende Alternative an erster Stelle stehen, ist die Nutzendifferenz zur nächstbesten Alternative relevant. Damit kann man berechnen, welchen Preis die betrachtete Alternative bei einem Probanden höchstens aufweisen darf, damit sie „gerade noch“ den größten Gesamtnutzenwert aller vorgelegten Alternativen besitzt (vgl. Völckner 2006, S. 37). Die Aggregation der individuellen Zahlungsbereitschaften zu einem Marktresponse entspricht der direkten Erhebung der maximalen Zahlungsbereitschaft („Auszählen und Hochrechnen“). Eine Erweiterung des Conjoint-Measurements besteht darin, die Schätzung der Teilnutzenwerte mit Hilfe einer Latent-Class-Analyse durchzuführen (vgl. Albers et al. 2007, S. 12-17); dies erlaubt Nachfragersegmente mit relativ homogenen Zahlungsbereitschaften zu identifizieren, die im Sinne von Marktsegmenten oder Zielgruppen interpretiert werden können. Um einen Anreiz für die Probanden zu setzen, ihre „wahren“ Präferenzen zu offenbaren, kann auch im Conjoint-Measurement das BDM-Verfahren eingesetzt werden (vgl. Klarmann et al. 2011, S. 169f.): Probanden müssen das betreffende Produkt in einer tatsächlichen Transaktion zum Zufallspreis erwerben, wenn der Zufallspreis niedriger als ihre ermittelte maximale Zahlungsbereitschaft ist. Als Vorteil des Conjoint-Measurements gilt, dass es zu keiner Überbetonung des Preises kommt (vgl. Balderjahn 2003, S. 394f.): Vielmehr muss der Nachfrager bei der Formulierung seiner Präferenz den Preis und die weiteren vorgegebenen Eigenschaftsausprägungen des Produkts gegeneinander abwägen. Ferner sind im Experimentdesign die Konkurrenzalternativen zum betrachteten Produkt explizit einbezogen. Zudem können Neuprodukte, die noch nicht am Markt sind, analysiert werden, sofern zumindest ein Produktkonzept vorliegt. Allerdings treten auch im Conjoint-Measurement nicht zu unterschätzende methodische Probleme auf (vgl. bspw. Weiber/ Rosendahl 1997): Zum einen kann im Experimentdesign nur eine relativ begrenzte Anzahl an Eigenschaften und Ausprägungen je Eigenschaft unterstellt werden, da mit beiden Größen die Anzahl an notwendigen, verschiedenen Produktprofilen, die von den Probanden <?page no="116"?> 3.2 Quantifizierung des Preisresponse 117 zu bewerten sind, exponentiell ansteigt. Zum anderen erleben Nachfrager Produkte ganzheitlich und nicht nach einzelnen Eigenschaften „seziert“; zudem mag die artifizielle Befragungsumgebung (Laborexperiment) den tatsächlichen Preisresponse verzerren (Hypothetical Bias). Ferner bestehen methodeninterne Probleme, wie das Phänomen, dass eine Eigenschaft mit größerer Anzahl an Ausprägungen im Experiment ein höheres Bedeutungsgewicht w erhält (vgl. bspw. Wittink et al. 1982, S. 472f.). Eine weitere indirekte Methode zur Messung der Zahlungsbereitschaft, die auf Grundgedanken des Conjoint-Measurements beruht, stellt der Price Challenger der GfK dar (vgl. zu diesem Modell Wildner 2003, S. 14-21): Hier bekommen Probanden Marken mit alternativen Preisen vorgelegt, wobei sie lediglich entscheiden müssen, welche der Marken sie bei der jeweils vorgegebenen Preiskonstellation wählen. Im einfachsten Fall bewerten Probanden jeweils zwei Marken (Paarvergleich) zu alternativen Preiskonstellationen. Anhand dieser Daten lässt sich ein unterstelltes Kaufwahrscheinlichkeitsmodell für die Stichprobe kalibrieren, aus dem dann auch für nicht unterstellte Preise des betrachteten Produkts bestimmt werden kann, welche Kaufwahrscheinlichkeit das betreffende Produkt in der Stichprobe besitzt. Daraus lässt sich dann der Erwartungswert der Anzahl an Käufen für einen bestimmten Preis ableiten. Ferner ist die Ermittlung von Preisschwellen möglich. Eine Schätzung des Teilnutzens einzelner Eigenschaftsausprägungen findet nicht statt, sondern es wird lediglich der (durchschnittliche) Bruttonutzen einer Alternative in der Stichprobe ermittelt. Befragung von Experten Ein zu den bisher dargestellten Methoden abweichendes Vorgehen stellt die Befragung von Experten (z.B. Vertriebsmitarbeiter) dar (vgl. bspw. Simon/ Fassnacht 2009, S. 110-113). Aufgrund ihrer Erfahrung in Bezug auf Markt und Branche vermögen sie unter Umständen unmittelbar Parameterwerte in einer Preis-Absatz-Funktion (z.B. Preiselastizität) anzugeben oder zumindest verschiedene Preis-Mengen-Kombinationen zu spezifizieren. Dieses Vorgehen ist gegenüber expliziten Befragungen und Labortests in der Regel schneller und kostengünstiger durchführbar und auch auf noch nicht auf dem Markt befindliche Produkte anwendbar. Allerdings sollte die Validität von Expertenurteilen nicht überschätzt werden, da gemeinsam Fehleinschätzungen der Lage („Wunschdenken“) vorliegen können oder gruppeninterne Diskussionen die Irrtümer sogar noch verstärken. Möglicherweise sind aber auch die Angaben der Experten von eigenen Interessen geleitet: So befürchten die Vertriebsmitarbeiter, die zum Preisresponse der Nachfrager befragt werden, dass das Management aus dem Preisresponse hohe <?page no="117"?> 118 3 Preisresponse der Nachfrager Verkaufsziele für den Vertrieb ableitet. Daher geben sie eher pessimistische Schätzungen ab. Zusammenfassend zeigen empirische Studien (vgl. bspw. Backhaus et al. 2005; Sattler/ Nitschke 2003, Wertenbroch/ Skiera 2002), dass die (durchschnittlichen) Zahlungsbereitschaften in den dargestellten Verfahren signifikant voneinander abweichen können bzw. sich keines der Verfahren als eindeutig überlegen erweist (vgl. zusammenfassend Völckner 2006, S. 43-53). Als generelle Tendenz lässt sich aber erkennen, dass direkte Preisabfragen zu geringeren Zahlungsbereitschaften als Verfahren mit Kaufabfragen führen (vgl. Müller et al. 2010, S. 124) bzw. anreizkompatible Methoden die maximale Zahlungsbereitschaft der Probanden „drücken“. Ferner hängt die Geeignetheit der Erhebungsmethode von der Produktkategorie ab (vgl. Miller et al. 2011, S. 182): Indirekte Methoden wie das Conjoint-Measurement scheinen im Vergleich zur direkten Preisabfrage validere Ergebnisse für die aus der maximalen Zahlungsbereitschaft abgeleitete Preis-Absatz-Funktion zu liefern, wenn es sich um Produktkategorien handelt, in denen Nachfrager einen extensiven Kaufentscheidungsprozess durchlaufen, diese Produkte nur selten kaufen und explizit zwischen mehreren Kaufalternativen wählen. Umgekehrt ist die direkte Preisabfrage für häufig gekaufte Produkte geeignet, bei denen die Nachfrager stabile Präferenzen besitzen und ein eher habituelles Kaufverhalten an den Tag legen. Trotz der Methodenfülle bleibt die „wahre“ Zahlungsbereitschaft einer Person in einer konkreten Kaufsituation als hypothetisches Konstrukt des Käuferverhaltens dem Forscher verborgen bzw. ist möglicherweise der Person selbst nicht bewusst. Damit steht auch die Ableitung einer Preis-Absatz-Funktion auf „äußerst unsicheren Beinen“. Insgesamt unterstreichen die methodischen Probleme der Quantifizierung des „Gesetzes der Nachfrage“, dass die Preis-Absatz-Funktion ein analytisches Denkkonzept und weniger ein unmittelbar in der praktischen Preiskalkulation anwendbares Planungsinstrument darstellt. <?page no="118"?> 4 Grundmodelle der Preiskalkulation 4.1 Übersicht Traditionell existieren drei Ansatzpunkte der Preiskalkulation, die sich als „Magisches Dreieck“ der Preispolitik umschreiben lassen (vgl. Abbildung 4.1-1): Abbildung 4.1-1: Magisches Dreieck der Preispolitik Bei der kostenorientierten Preispolitik konzentriert sich die Preiskalkulation auf Art und Umfang der Erstellung der Anbieterleistung, wobei der Leistungserstellungsprozess monetär mit Kosten bewertet wird, die dann den konzeptionellen Startpunkt für die Preiskalkulation bilden. Die nachfrageorientierte Preispolitik fokussiert auf die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager gegenüber dem betrachteten Produkt, die sich in Massengütermärkten (z.B. Konsumgüter; Produkt- und Seriengeschäft) in einer aggregierten Mengenreaktion bezogen auf alternative Preise (Preis-Absatz-Funktion) abbilden lässt. Implizit verbindet man mit diesem Ansatz der Preispolitik, dass der Anbieter seinen Gewinn mit der „richtigen“ Preissetzung maximieren will. Nachfrageorientierte Preispolitik impliziert deshalb nicht, dass die Kostenseite unbeachtet bleibt. Vielmehr ermöglicht das Gewinnkalkül eine simultane Betrachtung von Absatzbzw. Umsatz- und Kostenwirkung eines spezifischen Preises. Die konkurrenzorientierte Preispolitik berücksichtigt explizit den Tatbestand des Wettbewerbs unter den Anbietern, die sich gegenseitig durch preispolitische Aktionen Kunden „abwerben“ können. Damit werden die spezifischen preispolitischen Aktio- Preiskalkulation Unternehmen Markt Kosten Konkurrenten Nachfrager <?page no="119"?> 120 4 Grundmodelle der Preiskalkulation nen und Reaktionen von Konkurrenten zu einer Determinante der Bestimmung des eigenen Preises. Aus methodischer Sicht impliziert die simultane Berücksichtigung aller drei Eckpunkte des „Magischen Dreiecks“ der Abbildung 4.1-1 den „besten“ Ansatz in der Preiskalkulation, da alle relevanten Faktoren in der Preisbestimmung erfasst werden. Allerdings ist der hierfür notwendige Informationsbedarf am größten. 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation 4.2.1 Progressive Kalkulationsverfahren (Cost-plus-Pricing) Charakteristikum der progressiven Kalkulationsverfahren im Rahmen der kostenorientierten Preiskalkulation ist, dass der Anbieter zunächst anhand der Daten aus der Kostenrechnung (Kostenträgerstückrechnung) bestimmt, „wie viel“ die Produktion einer Leistungseinheit kostet; auf diesen Sockelbetrag setzt er dann einen prozentualen Gewinnaufschlag (Cost-plus-Pricing) an. Hierbei sind Kalkulationsmethoden auf Vollkostenbzw. auf Teilkostenbasis zu unterscheiden. Bei der Preiskalkulation auf Vollkostenbasis dienen im Industriebereich die sog. Selbstkosten des Produkts als Sockelbetrag. Hierbei werden alle im Unternehmen anfallenden Kosten auf die Produkteinheiten verrechnet. Bei nur einem Produkt, das in der Menge x hergestellt wird und Gesamtkosten von K verursacht, lassen sich die Selbstkosten einer Produkteinheit (Stückkosten auf Vollkostenbasis bzw. gesamte Stückkosten, k) unmittelbar als k = K/ x bestimmen. Schwieriger ist hingegen die Bestimmung der Selbstkosten einer Produkteinheit, wenn das Unternehmen mehrere Produkte (Produktarten) herstellt, da dann Gemeinkosten anfallen, d.h. Kosten, die im Gegensatz zu Einzelkosten einem einzelnen Produkt (Kostenträger) nicht verursachungsgerecht zugerechnet werden können. Eine Reihe traditioneller Kostenkalkulationsverfahren (z.B. Zuschlagskalkulation; Prozesskosten) verteilen allerdings diese Gemeinkosten nach verschiedenen Prinzipien (vgl. bspw. Schweitzer/ Küpper 2011, S. 162-179; Stelling 2009, S. 128-153), so dass man Werte für die Selbstkosten eines Produkts bzw. bei Kenntnis der Produktionsmenge die Stückkosten erhält. Diese Informationen stammen traditionell aus dem internen Rechnungswesen. Die Kosten können hierbei auf Basis eines tatsächlich aufgetretenen Leistungserstellungsprozesses nachträglich bestimmt werden (Istkosten) und dann als Planungsgrundlage für die Preiskalkulation des nächsten Leistungserstellungsprozesses (Planungsperiode) verwendet werden, aber auch aus einer „reinen Planungsrechnung“ stammen, in der für eine geplante Produktionsmenge die dazu korrespondierenden Kosten bestimmt werden (Plankosten). <?page no="120"?> 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation 121 In Handelsbetrieben verwendet man anstelle der Selbstkosten der Produktion den Selbstkostenpreis für eine vom Hersteller bezogene und im Handelsregal stehende Einheit eines Artikels. Ausgangspunkt ist der (Netto-netto-)Einstandspreis, zu dem der Händler eine Produkteinheit effektiv bezieht. Dies ist der Listenpreis des Herstellers für den betreffenden Artikel, abzüglich der Umsatzsteuer und etwaiger Preisnachlässe (z.B. Rabatte, Boni), die der Hersteller dem Handelsbetrieb gewährt hat. Ähnlich wie bei der Verteilung der Gemeinkosten müssen durch Schlüsselungsverfahren diese Preisnachlässe auf die Artikel verteilt werden. Auf den derartig kalkulierten Einstandspreis wird eine Kalkulationsspanne als prozentualer Zuschlag aufgesetzt, womit die Gemeinkosten (Handlungsbzw. Betriebskosten) des Handels erfasst und den Artikeln zugerechnet werden (vgl. bspw. Barth et al. 2007, S. 385). Tabelle 4.2-1 skizziert das jeweilige Verfahrensprinzip: Industrie Handel Materialkosten (Einzelkosten direkt und Gemeinkosten anteilig durch Zuschlag) Listenpreis + Fertigungskosten (Einzelkosten direkt und Gemeinkosten anteilig durch Zuschlag) - Rabatte und sonstige Preisnachlässe = Herstellkosten = (Netto-netto-)Einstandspreis + Verwaltungs- und Vertriebskosten (Gemeinkosten anteilig durch Zuschlag) + Sondereinzelkosten Vertrieb + Betriebskosten: Verrechnung der Gemeinkosten durch die sog. Kalkulationsspanne = Selbstkosten = Selbstkostenpreis Tabelle 4.2-1: Ermittlung von Selbstkosten und Selbstkostenpreis Ausgehend von den Stückkosten auf Vollkostenbasis (k) bzw. dem Selbstkostenpreis einer Artikeleinheit ergibt sich mit einem Gewinnaufschlag von ( > 0) der Nettopreis bzw. bei einem Mehrwertsteuersatz von s (s > 0) der Bruttopreis als: (4.2-1) Nettopreis: p = k (1 + ) Bruttopreis: p = k (1 + ) (1 + s) Im Handel werden Kalkulationsspanne und Gewinnaufschlag häufig begrifflich zur Handelsspanne zusammengefasst. Dies ist dann ein prozentualer Zuschlagsatz, den der Händler unmittelbar auf den Einstandspreis ansetzt, um - bezogen auf eine Artikeleinheit - seine Betriebskosten abzudecken und einen beabsichtigten Gewinn zu erwirtschaften. Ähnlich zum Cost-plus-Pricing mit einem Gewinnaufschlag ist das Target- Return-Pricing angelegt: Hier gibt sich der Anbieter eine absolute Gewinn- <?page no="121"?> 122 4 Grundmodelle der Preiskalkulation größe (G p ) vor, die er mit einer bestimmten (geplanten) Produktionsmenge (x p ) erreichen will. Der kalkulierte Preis ergibt sich dann als: (4.2-2) p = k + G p x p Aufgrund der konzeptionellen Probleme einer Vollkostenrechnung sind sog. Teilkostenrechnungen entwickelt worden. Ein zentraler Ansatz basiert hierbei auf der Unterscheidung von (beschäftigungs-)fixen und (beschäftigungs-) variablen Kosten. Fixkosten (K f ) fallen im Unternehmen unabhängig davon an, wie viel Output (=Beschäftigung) produziert wird. Sie lassen sich allenfalls einsparen, wenn der Unternehmer von vornherein auf jegliche Produktionstätigkeit verzichtet. Variable Kosten (K v ) verändern sich mit der Produktionsmenge (x). Die Kostenfunktion eines Anbieters mit N Produkten lautet dann: K = K f + K v (x 1 ; ...; x i ; ...; x N ), mit: dK v dx i , dK dx i > 0 ( i N) Die Quantifizierung einer solchen Kostenfunktion setzt statistische bzw. organisatorische Analysen der Produktionsprozesse voraus, um den Produktionsmengeneinfluss auf die Kosten schätzen zu können. In diesem Sinne bestehen Parallelen zur Parametrisierung der Preis-Absatz-Funktion. Herrschen keine produktionstechnischen Kosteninterdependenzen zwischen den Produkten, vereinfacht sich die Kostenfunktion zu: K = K f + K v1 (x 1 ) + ... + K vi (x i ) + ... + K vN (x N ) Die variablen Stückkosten eines Produkts eignen sich wiederum als Sockelbetrag für die Preiskalkulation. Der Angebotspreis für ein Produkt i bestimmt sich dann im Cost-plus-Pricing als: (4.2-3) p i = K vi [x i ] x i (1 + ´) Da hier die Fixkosten nicht erfasst sind, muss der Gewinnaufschlag ( ´) größer als bei den Selbstkosten (Bedingung 4.2-1) sein. Ein sehr einfacher Kostenverlauf liegt vor, wenn ein linearer Zusammenhang zwischen den variablen Kosten und der Produktionsmenge besteht. Verursacht eine Produktionseinheit von Produkt i variable Stückkosten in Höhe von k vi , lautet die lineare Kostenfunktion: K = K f + k v1 x 1 + ... + k vi x i + ... + k vN x N Stellt das Unternehmen nur ein Produkt her, verkürzt sich die lineare Kostenfunktion auf: K = K f + k v x <?page no="122"?> 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation 123 Bezogen auf die Kostenfunktion besitzt ferner das Konzept der Grenzkosten (dK/ dx) eine große Bedeutung: Sie geben an, um wie viel sich die Gesamtkosten erhöhen, wenn die Produktionsmenge eines Produkts marginal, d.h. um eine Einheit ansteigt. Damit bilden die Grenzkosten auch entscheidungstheoretisch die von einer spezifischen Produkteinheit kausal verursachten Kosten ab. Formal sind die Grenzkosten als erste Ableitung der Kostenfunktion nach der Produktionsmenge bzw. graphisch als Steigung der Gesamtkostenfunktion definiert. Auch die Grenzkosten eignen sich als Sockelbetrag für die Preiskalkulation für ein Produkt i: (4.2-4) p i = dK dx i (1 + ´´) Bei einer linearen Kostenfunktion sind Grenzkosten (dK/ dx) und variable Stückkosten (k v = K v [x]/ x) identisch. Liegt keine lineare Kostenfunktion vor, verändern sich die Grenzkosten für jede zusätzlich produzierte Mengeneinheit: Bei einem konstanten Gewinnaufschlag resultiert damit für jede Produkteinheit ein spezifischer Verkaufspreis. Dies impliziert eine Preisdifferenzierung. Unabhängig davon, welcher Sockelbetrag für den Gewinnaufschlag Verwendung findet, besitzen die progressiven Kalkulationsverfahren in mehrfacher Hinsicht konzeptionelle Probleme: Sofern ein Unternehmen seine Kosten in einem Kostenrechnungssystem erfasst, lassen sich Werte für Selbstkosten relativ einfach ermitteln. Ihre Aussagekraft bzw. Eignung für die Preiskalkulation ist jedoch zweifelhaft: Bei einem Mehrproduktanbieter werden Gemeinkosten nur durch mehr oder weniger willkürliche Schlüsselungsgrößen den verschiedenen Produkten bzw. ihren Produkteinheiten zugerechnet. Häufig erhalten in solchen Bezugsgrößenrechnungen diejenigen Produkte höhere Gemeinkostenanteile zugewiesen, die in größeren Stückzahlen oder mit höheren Einzelkosten produziert werden. Da aber eine kausale Zurechnung von Gemeinkosten ex definitione nicht möglich ist, geben die Selbstkosten nicht die vom Produkt verursachten Kosten wieder. Insbesondere bei Dienstleistungen existiert ein großer Gemeinkostenblock, da aufgrund der Spezifika der Dienstleistungsproduktion nur geringe Einzelkosten existieren, was zu überaus hohen Zuschlagsätzen in der Gemeinkostenschlüsselung führt. Ähnliches gilt inzwischen für moderne Fertigungsstrukturen, da hier ebenfalls die Gemeinkosten dominieren. Aus Sicht des Marktresponses besteht bei der kostenorientierten Preiskalkulation das Problem, dass sich die vom Anbieter geplanten Preise und Mengen am Markt nicht realisieren lassen müssen: Der Marktresponse „durchkreuzt“ dann die Preis-Mengen-Planung: So mag „der Markt“ zum kalkulierten Verkaufspreis nicht so viele Mengeneinheiten abnehmen, wie der Anbieter in seiner Kostenkalkulation geplant hat. Sofern die Produkteinheiten bereits erstellt sind, hat der <?page no="123"?> 124 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Anbieter „auf Halde“ produziert. Umgekehrt hätte er aber auch zum betreffenden Preis mehr absetzen können; dann muss der Anbieter kaufwillige Nachfrager aufgrund seines leeren Lagers abweisen, was Verkaufschancen am Markt ungenutzt lässt. Alternativ muss der Anbieter mit erhöhtem Kosteneinsatz Waren nachproduzieren. Solche Planungsfehler verhindern damit eine (kosten-) effiziente Gestaltung der Produktionsprozesse (Verfehlen des Wirtschaftlichkeitsprinzips). Ferner muss die kalkulierte Preis-Mengen-Kombination, selbst wenn sie exakt dem Marktresponse entspricht, noch nicht die gewinnmaximierende Lösung sein. Kostenorientierte Preiskalkulation schöpft damit das Gewinnpotenzial eines Markts nicht aus. Eine Preiskalkulation auf Basis der Selbstkosten, kombiniert mit einem starren Gewinnaufschlag, birgt zudem die Gefahr, sich bei sinkender Nachfrage „aus dem Markt zu kalkulieren“: Erwartet ein Anbieter aufgrund von Nachfrageschwäche für die nächste Planungsperiode geringere Absatz- und damit Produktionszahlen als in dieser Periode, müssen die konstanten Fixkosten von einer geringeren Menge abgedeckt werden. Auf sinkende Nachfrage reagiert der Anbieter dann mit steigenden Preisen, was intuitiv nicht als „marktangepasste Preisstrategie“ erscheint. Die Gefahr eines „aus dem Markt“- Kalkulierens aufgrund der Fixkostenproportionalisierung vermeiden allerdings Sockelbeträge, die bei linearem Kostenverlauf auf variablen Stückkosten oder Grenzkosten basieren. Fallbeispiel Für die Kostenfunktion eines Anbieters gilt: K = 100 + 4 x. Er plant eine Produktionsmenge von x p = 400 mit einem Gewinnaufschlag von = 0,2 auf die Selbstkosten (Stückkosten auf Vollkostenbasis). Die dem Anbieter unbekannte oder nicht beachtete Preis-Absatz-Funktion lautet x = 300 - 5 p. Die Selbstkosten bei einer geplanten Produktionsmenge von x p = 400 betragen: K = (100 + 4 400)/ 400 = 4,25; der Verkaufspreis liegt also bei p = 4,25 (1 + 0,20) = 5,1. Setzt man p = 5,1 in die Preis-Absatz-Funktion ein, resultiert eine Absatzmenge am Markt von x M = 274,5. Der Anbieter bleibt damit auf (400 - 274,5) = 125,5 Einheiten seiner Produktionsmenge sitzen. Die geplante Produktionsmenge von x p = 400 ist auf diesem Markt unverkäuflich, da die Sättigungsmenge lediglich bei x [Sätt] = 300 liegt. Der Anbieter hat damit völlig „am Markt vorbei kalkuliert“. Unterstellt man, dass der Anbieter die geplante Produktionsmenge bereits erstellt hat, betragen seine Gesamtkosten K = 100 + 4 400 = 1700, sein Umsatz auf Basis der verkauften Mengeneinheiten beträgt U = 5,1 274,5 = 1399,95. Der Anbieter macht somit einen Verlust von G = -300,05. <?page no="124"?> 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation 125 Den konzeptionellen Einschränkungen der progressiven, kostenorientierten Preispolitik stehen einige pragmatische Gründe gegenüber, die den kostenorientierten Denkansatz bei der Preiskalkulation rechtfertigen: Zahlen für die Stückkosten können aus der Kostenrechnung relativ leicht bestimmt werden. Insofern ist der Informationsbedarf für den Preismanager gering, da er diese Informationen aus dem internen Rechnungswesen anfordern kann. Im Business-to-Business-Bereich sind oftmals weniger die Höhe des Gewinnzuschlags, sondern die Modalitäten der Bestimmung der Kosten ein Verhandlungsgegenstand: Oftmals fordern marktmächtige Abnehmer expliziten Einblick in die Kalkulationsgrundlagen des Anbieters (Zulieferunternehmen), geben ihm präzise Vorgaben der Kostenbestimmung und -verrechnung und definieren in längerfristigen Lieferbeziehungen Kostenziele (Umfang an Kostensenkungen bei bestimmten Positionen), die der Zulieferer durch effizientere Produktionsprozesse einzuhalten hat und - bei gleichem Gewinnzuschlag und sonstiger Kostenkonstanz - zu Preissenkungen für das betreffende Produkt führen. In einer solchen Konstellation ist der erzielbare Verkaufspreis gegenüber dem Abnehmer ausschließlich durch die eigenen Kostenstrukturen determiniert bzw. die Preiskalkulation „degeneriert“ zu einer Kostenbestimmung. Allerdings mag ein Anbieter den Verkaufspreis durch geschicktes Ausnutzen der Verrechnungsspielräume „gestaltbar“ machen; die Preiskalkulation wird dann durch eine vermeintlich kostenbezogene Preisherleitung flankiert. Die Höhe des Gewinnaufschlags kann sich an den Branchengepflogenheiten orientieren oder auf der Überlegung basieren, wie viel im Markt durchsetzbar erscheint. Insofern gehen in kostenorientierte Preiskalkulationen durchaus Markt- und Konkurrenzüberlegungen hinsichtlich der Höhe der anzusetzenden Gewinnspanne ein. Allerdings basiert die Höhe des Gewinnaufschlags auf dem „unternehmerischen Fingerspitzengefühl“ und nicht auf analytischen Marktüberlegungen, die ihrerseits einen sehr hohen Informationsbedarf (Quantifizierung der Preis-Absatz- Funktion und Kostenfunktion) erfordern. Ferner zeigt die Forschung zur Preisfairness, dass ein angemessener (branchenüblicher) Gewinnaufschlag bei vielen Nachfragern Verständnis findet; zudem kann ein Anbieter mit dem Verweis auf hohe Kosten (Kostensteigerungen) in Transaktionsverhandlungen seinen Verkaufspreis (Erhöhung seines Verkaufspreises) begründen oder mit dem Verweis auf die knappe Gewinnmarge Preisfeilschereien eindämmen. Aus strategischer Sicht stellen die Sockelbeträge für den Gewinnaufschlag Preisuntergrenzen dar: Sie geben den Mindestpreis vor, den ein Anbieter am Markt für sein Produkt erzielen muss ( = 0). Die Selbst- <?page no="125"?> 126 4 Grundmodelle der Preiskalkulation kosten (Bedingung 4.2-1) sind hierbei als langfristige Preisuntergrenze zu interpretieren, da ein Unternehmen auf lange Sicht auch seine Fixkosten abdecken muss. Unabhängig von der Gemeinkostenschlüsselung ist bei einem Mehrproduktanbieter langfristige Kostendeckung erreicht, wenn der Preis jeden Produkts über dessen kalkulierten Selbstkosten liegt, d.h. eine Gewinnspanne von > 0 sich am Markt durchsetzen lässt. Als kurzfristige Preisuntergrenze eignet sich der Sockelbetrag auf Basis der variablen Stückkosten (Bedingung 4.1-3) oder der Grenzkosten (Bedingung 4.1-4). Hinsichtlich des Wettbewerbs ist der progressiven Preiskalkulation eine „beruhigende Wirkung“ zuzuschreiben: Kalkulieren alle Anbieter einer Branche auf Basis ihrer Kosten und mit einem branchenüblichen Gewinnaufschlag, vermeidet dies ruinöse Preiskämpfe zwischen den Anbietern, sofern die Anbieter „in etwa“ die gleichen Kostenstrukturen aufweisen (vgl. Bliemel/ Adolphs 2003, S. 142). Diese Argumente belegen, dass zumindest Grundgedanken des kostenorientierten Ansatzes in der Preiskalkulation trotz der konzeptionellen Mängel in der Preispraxis relevant sind. 4.2.2 Preiskalkulation bei a priori unbestimmten Leistungen In manchen Produktbereichen wie Handwerkerleistungen (z.B. Autoreparatur) oder Bauprojekten lassen sich Umfang und Kosten der vom Anbieter zu erbringenden Leistungen im Voraus nicht genau bestimmen. Aufgrund dieser exogenen Unsicherheit besteht für den Anbieter ein Kalkulationsproblem, einen Preis anzusetzen, der seine Kosten deckt. In diesem Zusammenhang lassen sich bei der Preisbestimmung für a priori unbestimmte Leistungen mehrere Kalkulationsarten unterscheiden (vgl. hierzu bspw. Heiermann et al. 2011, A §5; Werners/ Slaghuis 2004). Pauschalpreis-Kalkulation Der Anbieter setzt - unter detaillierter Spezifizierung der Leistungsmerkmale - einen einzigen Preis (Pauschalpreis) für die gesamte Leistungserstellung an („schlüsselfertig für 280.000 €“), was auch als Festpreis oder Fixed Price- Vertrag bezeichnet wird. Bei einem Festpreis geht der Anbieter das Risiko ein, dass die tatsächliche Leistungserbringung aufgrund unvorhergesehener Schwierigkeiten zeitlich länger dauert oder mit einem höheren Materialeinsatz verbunden ist, als er bei der Preisvereinbarung ursprünglich geplant hat. Daher wird er bei der Angebotserstellung einen „Sicherheitszuschlag“ auf die Selbstkosten bzw. in seine Gewinnspanne eine Risikoprämie einkalkulieren (vgl. Werners/ Slaghuis 2004, S. 354). <?page no="126"?> 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation 127 Bei einer Pauschalpreis-Kalkulation ist ein Risikoausgleich denkbar, wenn der Anbieter bei einigen Leistungsbestandteilen des Festpreises unter den geplanten Kosten bleibt, weil die Leistung leichter als erwartet zu erbringen ist. In der Regel dürften die Risiken der Überschreitung der geplanten Kosten durch Unwägbarkeiten aber positiv miteinander korreliert sein, was einen solchen Risikoausgleich verhindert. Allerdings ist ein Risikoausgleich über mehrere Transaktionen hinweg möglich, wenn sich in einer längerfristigen Geschäftsbeziehung „Glück“ und „Pech“ in der Pauschalpreiskalkulation für Leistungen unter Umständen ausgleichen. Ein Risikoausgleich trifft ebenso bei gleichartigen Transaktionen mit unterschiedlichen Nachfragern zu. So offeriert ein Automobilhersteller seinen Kunden folgenden Servicevertrag: In Abhängigkeit von Fahrzeugtyp, jährlicher Fahrleistung und Vertragsdauer wird ein monatlicher Abonnementpreis festgelegt, der sämtliche Service- und Wartungsarbeiten während der Laufzeit abgilt (vgl. Possmeier 2000, S. 144). Aufgrund von Erfahrung weiß der Anbieter, welche Service- und Wartungsarbeiten über einen bestimmten Zeitraum hinweg in einer Fahrzeugflotte im Sinne von Erwartungswerten anfallen. Damit gleichen sich - analog zu einer Versicherung - die Individualleistungen über die Nachfrager hinweg aus (Risikoausgleich im Kollektiv). Gemäß der Prospect-Theorie wirkt bei einem Pauschalpreis das Integrationsprinzip bzw. der Komplettpreiseffekt: Demnach stiftet der Pauschalpreis, der alle Leistungen zusammenfasst, weniger Missnutzen als die Summe der betreffenden Einzelpreise, die der Anbieter isoliert in Rechnung setzt. Aus Sicht der Preistransparenz scheinen Pauschalpreise den Preisvergleich für die Nachfrager auf den ersten Blick zu erleichtern. Da es sich aber häufig um komplexe Leistungen handelt, ist die Preiswürdigkeit nur schwer festzustellen, wenn die Leistungskomponenten der Anbieter heterogen bzw. unterschiedliche Qualitätsniveaus aufweisen. Daher hat ein Anbieter, der ein höheres Qualitätsniveau in seinen Leistungskomponenten anbietet, ein Profilierungsproblem gegenüber einem Anbieter, der geringere Qualitätsniveaus zu einem niedrigen Festpreis offeriert („Fertighäuser schon ab 80.000 €“). Wesentlich ist dann, die Qualitätsunterschiede als Rechtfertigung für den höheren Preis zu verdeutlichen. Stundensatz-Kalkulation Hier erfolgt die Vergütung des Anbieters nach der geleisteten Arbeitszeit, die er für die Leistungserbringung aufgewendet hat. Je nach Qualifikationsgrad der eingesetzten Mitarbeiter gelten in der Regel unterschiedliche Stundenbzw. Tagessätze. Material, das der Anbieter für die Leistungserstellung benötigt, setzt er dem Kunden gesondert in Rechnung; dies gilt auch für Nebenleistungen (z.B. Anfahrt), die gemäß Preisangabenverordnung explizit ausgewiesen werden müssen. In den einzelnen Abrechnungskomponenten (Arbeitszeit; Material; Anfahrt) gehen zur Bestimmung der Preishöhe in der Regel Überlegungen der kostenorientierten Preisbildung ein: So stellt der Anbieter dem Kunden für das <?page no="127"?> 128 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Material sicherlich nicht den Listenpreis, zu dem er selbst das Material von einem Zulieferer oder Großhändler bezogen hat, in Rechnung, sondern setzt einen Kalkulations- und Gewinnzuschlag hierauf an. Ebenso beinhalten die Stundensätze neben dem kalkulatorischen Arbeitslohn einen Gewinnzuschlag. Bei der Bestimmung der Höhe der Zuschläge können wiederum nachfrage- und konkurrenzbezogene Überlegungen („Was gibt der Markt her? Was ist branchenüblich“? ) eingehen. Das Risiko für den Kunden besteht bei einer Stundensatz-Kalkulation darin, dass er häufig aufgrund der Komplexität der Leistungserbringung nicht überprüfen kann, ob sich der Anbieter „beeilt“, oder „Stunden schindet“. Möglicherweise räumt ein Anbieter mit günstigen Stundensätzen die Aufträge am Markt ab, benötigt aber für die Leistungserbringung mehr Zeit als seine Konkurrenten. Daher besteht für einen Anbieter, der zwar mit höheren Stundensätzen kalkuliert, aber wesentlich effizienter die Leistung erbringt, ein Marketingproblem, sich von solchen Konkurrenten glaubhaft abzugrenzen. Hierzu dienen sog. Spence-Signale, die weniger leistungsstarke Anbieter nicht auszusenden bereit sind, da es für sie zu kostenintensiv wäre. Denkbar ist in diesem Zusammenhang eine Zeitgarantie, mit der der Anbieter den Nachfragern ein zeitliches Höchstlimit für die Ausführung zusichert („Wir setzen höchstens 8 Stunden in Rechnung, wenn wir länger brauchen, kostet es Sie nichts zusätzlich“). Analog funktionieren Vertragsstrafen, die der Anbieter bei Zeitüberschreitungen zu tragen bereit ist. Ferner sind Anreizsysteme in die Vertragsgestaltung einbeziehbar, die eine frühzeitigere Fertigstellung in Form eines finanziellen Bonus an den Anbieter honorieren (vgl. Werners/ Slaghuis 2004, S. 354). Ein effizienter Anbieter kann daher einen vergleichsweise niedrigen Stundensatz offerieren, da er auf den Erhalt des Bonus setzt. Positions-Kalkulation (Einheitspreis-Vertrag) Bei dieser Kalkulationsart spezifiziert der Auftraggeber (z.B. öffentliche Hand oder Generalunternehmer für ein Bauprojekt) in den sog. Verdingungsunterlagen detailliert die einzelnen zu erbringenden Teilleistungen (Positionen). Diese Spezifizierungen erstrecken sich zugleich auf Art und Qualität der zu verwendenden Materialien. Die Komplexität bzw. die Unsicherheit der zu erbringenden Leistung darf damit nicht so hoch sein, dass die einzelnen notwendigen Teilleistungen (Module; Arbeitsschritte) der Gesamtleistung nicht detailliert aufgelistet werden könnten. Der Anbieter setzt dann einen spezifischen Preis für jede Einheit einer Leistungskomponente an (z.B. Aushub und Abtransport von 1 m 3 Erde zu 40 €). Die Entlohnung bzw. der Gesamtpreis des Projekts basieren auf der tatsächlich erbrachten Menge je Teilleistung (z.B. 120 m 3 Erde ausgehoben; 1352 m Kabel verlegt). Im Gegensatz zur Stundensatz-Kalkulation spielt es keine Rolle, wie lange der Anbieter hierfür benötigt; lediglich die erbrachte Leistungsmenge ist entscheidend. Der Einheitspreisver- <?page no="128"?> 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation 129 trag lässt sich hierbei mit dem Charakter des Pauschalpreises verbinden, indem eine Höchstsumme für das gesamte Projekt vereinbart wird. Wenn der Anbieter mehrere Teilleistungen erbringt, eröffnet dies einen Spielraum für eine Mischkalkulation: So kann er bei einer Teilleistung einen besonders günstigen Preis ansetzen, weil diese Leistungskomponente beim Auftraggeber hohe Aufmerksamkeit besitzt; dafür setzt er den Preis für eine weniger auffällige Teilleistung höher an. Selbstkostenerstattung Grundlage dieser Kalkulationsart sind die Selbstkosten des Anbieters für die Erstellung der Leistung, die er gegenüber dem Nachfrager detailliert dokumentiert. Verhandlungssache zwischen beiden Transaktionspartnern ist dann der Gewinnaufschlag. Aufgrund der Schlüsselungsproblematik der Gemeinkosten und der „Flexibilität“ der Kostenbestimmung in der Kostenrechnung läuft der Nachfrager Gefahr, mehr oder weniger „willkürliche Selbstkosten“ in Rechnung gestellt zu bekommen. Daher hat die öffentliche Hand bei Aufträgen im öffentlichen Bereich oder in bestimmten Sektoren (Energie-, Wasserwirtschaft) detaillierte Kalkulationsvorschriften (Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten, LSP) erlassen, ohne aber auf juristischem Weg das betriebswirtschaftliche Problem der „richtigen“ Ermittlung von Selbstkosten lösen zu können. Ferner ist bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen eine Selbstkostenerstattung nur in solchen Fällen abzuschließen, wenn aufgrund der Spezifität der Leistung kein Einheitspreis-Vertrag möglich ist. Auch Pauschalpreis- und Stundenlohnverträge dürfen zwischen Anbieter und öffentlicher Hand nur „im Ausnahmefall“ vereinbart werden, wenngleich sie der Selbstkostenerstattung vorzuziehen sind. Analog zu staatlich administrierten Kalkulationsvorschriften zur Preisbestimmung existieren in manchen Branchen auch im Geschäftsverkehr mit Privatkunden ähnliche Vorgaben zur Preisbestimmung. Hier sei exemplarisch auf die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) verwiesen, in der Mindest- und Höchsthonorarsätze für spezifische Leistungen („Bauphasen“) definiert sind. Pikanterweise bezieht sich das Honorar hierbei auf die Bausumme, womit ein ökonomischer Anreiz für den Anbieter besteht, die Bausumme in den Projektentwürfen „nach oben zu treiben“ („Carrara-Marmor statt Fliesen“). Zusammenfassend dominieren bei den dargestellten Verfahren der Preiskalkulation für a priori unbestimmte Leistungen Charakteristika, die der kostenorientierten Preispolitik entnommen sind. Allerdings basiert die „Feinsteuerung“ (z.B. Mischkalkulation im Einheitspreis-Vertrag) durchaus auf marktbezogenen Überlegungen. Offen bleibt bei den Verfahren der Preiskalkulation, wie der Anbieter auf den Einheitspreis, seinen Stundensatz, den Positionspreis oder den Hono- <?page no="129"?> 130 4 Grundmodelle der Preiskalkulation rarsatz innerhalb der erlaubten Preisspanne kommt. Insofern beinhalten diese Kalkulationsansätze nur Lösungen für den Umgang mit der unbekannten Leistungsmenge. 4.2.3 Preiskalkulation bei hoher Fixkostenintensität des Anbieters In manchen Branchen zeichnen sich Produktionsprozesse durch eine hohe Fixkostenintensität oder Vorleistungen (Investitionen) des Anbieters aus. Diese Konstellation hat in spezifischen preislichen Vertragssystemen ihren Niederschlag gefunden. Take-or-Pay-Verträge (vgl. Possmeier 2000, S. 96-99; Erdmann/ Zweifel 2008, S. 235-237) werden vor allem im internationalen Handel mit Ressourcen wie Erdöl oder Erdgas zwischen Energielieferanten und Großabnehmern abgeschlossen. Die Erschließung eines Erdöl-/ Erdgasfeldes erfordert hohe Fixkosten (Erschließungsinvestitionen), wobei eine solche Rohstoffquelle möglicherweise über viele Jahre hinweg fördert. Zudem wird die infrastrukturelle Erschließung des Energiefeldes häufig bereits auf die Anforderungen (z.B. Abnahmekapazitäten) des späteren Abnehmers ausgelegt, d.h. der Energieproduzent tätigt spezifische Investitionen (Dedicated Asset). In Take-or-Pay (ToP)-Verträgen verpflichtet sich der Abnehmer, über einen längeren Zeitraum hinweg (häufig bis zu 25 Jahren) aus diesem Ressourcenfeld spezifizierte (große) Mengen abzunehmen. Unterschreitet seine tatsächliche Abnahmemenge eine vereinbarte Bezugsuntergrenze, muss er dennoch bezogen auf diese Untergrenze Zahlungen - Mindestabnahmemenge zum Preis, der zu diesem Zeitpunkt gilt - leisten. Dies garantiert dem Anbieter - analog zu einer Grundgebühr - unabhängig von der tatsächlichen Abnahmemenge Mindesterlöse (Zahlungsgarantie). Wird ein Ressourcenfeld erst erschlossen und treten deshalb zunächst geringe Fördermengen auf, dienen diese sicheren Mindesterlöse zur Finanzierung der weiteren Erschließung. Zudem bewahren die festen Mindesterlöse den Energielieferanten vor Erlösausfällen, wenn aufgrund technischer Probleme die Energieförderung zum Erliegen kommen sollte. Es findet damit eine zumindest kurzfristige Risikoüberwälzung an den Abnehmer statt. Ferner könnte sich nach Tätigung der Erschließungsinvestitionen der Großabnehmer weigern, die ursprünglich erwarteten Mengen abzunehmen bzw. mit der Androhung einer Weigerung den Preis massiv drücken. Die sicheren Mindesterlöse reduzieren hierbei diese Hold-up-Situation des Energielieferanten aufgrund seiner spezifischen Erschließungsinvestitionen. Leistet der Abnehmer Zahlungen für die Bezugsuntergrenzen, obwohl er tatsächlich weniger Menge bezieht, gelten diese als Vorauszahlungen für spätere Bezugsmengen. Aufgrund der Langfristigkeit sind in Take-or-Pay-Verträgen bezogen auf einen ausgehandelten Startpreis Klauseln zur (regelmäßigen) Preis- <?page no="130"?> 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation 131 anpassung, Preiswiederverhandlungsklauseln oder Preisgleitklauseln eingebaut. Im letzteren Fall werden Preise für den betrachteten Energieträger häufig an die Preise alternativer (substitutiver) Energieträger gekoppelt (z.B. auf dem Wärmemarkt Erdgas an Erdöl, auf dem Strommarkt Erdgas an Kohle), weshalb der Preis für den betrachteten Energieträger der Preisentwicklung des konkurrierenden Energieträgers folgt. Dadurch trägt das Preisrisiko, aber auch die Preischance der Energielieferant. Im Bereich der Computerelektronik bzw. Softwareherstellung konzentrieren sich die Kosten im Wesentlichen auf Forschungs- und Entwicklungsaufgaben, wobei der Anbieter vor dem Risiko einer mangelnden Marktakzeptanz seiner Neuentwicklung steht. In diesem Szenario bietet sich ein sog. Optionspreisverkauf an (vgl. Possmeier 2000, S. 99-101): Hier erhält der Käufer mit der Zahlung des Optionspreises das Recht, innerhalb einer bestimmten Frist vom Anbieter die Lieferung der Innovation in bestimmter Menge zu einem vorab festgesetzten Preis zu erhalten. Nachfrager, die keine Option auf das Produkt besitzen, müssen zu einem höheren Preis das Produkt erwerben oder erhalten, solange die Produktionszahlen noch gering sind, die Leistung überhaupt nicht. Daher besteht aus Sicht des Nachfragers ein Anreiz, die Option zu erwerben, wenn sie von der Vorteilhaftigkeit der Neuentwicklung überzeugt sind. Der niedrigere Bezugspreis bzw. das Recht, das Produkt überhaupt zu erhalten, sind dann die Entschädigung für den Nachfrager, mit der Zahlung der Option in Vorleistung gegangen zu sein. Findet der Anbieter genügend Abnehmer, die bereit sind, eine solche Option vor Entwicklungsbeginn zu erwerben, ist es möglich, mit den Umsätzen aus dem Optionsverkauf zumindest einen Teil der Kosten der Neuentwicklung abzudecken. Ferner mag der Optionsverkauf als Testmarkt verstanden werden: Bei zu wenigen Optionskäufern unterbleibt die Neuentwicklung. Im Projektbzw. Anlagengeschäft (Großanlagen; Infrastrukturprojekte) bewegen sich die spezifischen Investitionen und Erstellungskosten des Auftragnehmers mitunter bis in den fünfstelligen Millionenbereich, wobei der wirtschaftliche Erfolg des Projekts aus Sicht des Auftraggebers zum Zeitpunkt der Erstellung häufig noch nicht abzusehen ist. Aufgrund der hohen Spezifität des Projekts stellt es ein Unikat dar, weshalb keine mengenvariablen Kosten existieren. Solche Projektgeschäfte, deren Realisierung eine enge, langfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Transaktionspartner erfordert, sind folglich ein „gemeinsames Abenteuer“ von Auftraggeber und -nehmer. Dieser Gedanke kommt auch in der Preisgestaltung zum Ausdruck: Ein Kostensockelpreis soll die Aufwendungen des Anbieters im Rahmen der Erstellung des Projekts abdecken. Als weiteres Preiselement findet ein sog. Nutzenpreis Anwendung, der eine Beteiligung des Anbieters an den Chancen und Risiken des wirtschaftlichen Erfolgs des Nachfragers impliziert. Er ist als prozentualer Zuschlag auf vorab spezifizierte Elemente des Kostensockelpreises definiert und fällt <?page no="131"?> 132 4 Grundmodelle der Preiskalkulation umso höher aus, je erfolgreicher aus Sicht des Nachfragers das Projekt ist; hierbei kann auch die individuelle Anwenderzufriedenheit durch einen Zufriedenheits-Bonus/ Malus eingehen (vgl. Possmeier 2000, S. 106-108). Stellt sich folglich das Projekt auf Nachfragerseite als Erfolg heraus, erhält der Anbieter zusätzlich zum Kostensockelpreis über den Nutzenpreis noch eine Erfolgsbeteiligungsprämie: So kann ein Auftragnehmer, der von seinem Leistungswillen und seiner Leistungsfähigkeit, aber auch vom Erfolg des Projekts überzeugt ist, Zugeständnisse beim Kostensockelpreis machen, weil er eine kräftige Erfolgsprämie (Nutzenpreis) erwartet. Allerdings sind die Festlegung der Bezugsgrundlagen für den Nutzenpreis und die Überprüfung, ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen, sicherlich nicht konfliktfrei zwischen Auftraggeber und -nehmer. Ein Anbieter muss oftmals in einem Ausschreibungswettbewerb zeitnah einen Preis für das Projekt abgeben, weshalb eine detaillierte Kostenkalkulation (z.B. Kostensockelpreis) zu aufwendig wäre, da zunächst dem Auftraggeber eine „Hausnummer“ für die zu erwartenden Kosten zu nennen ist. Solche Grobabschätzung der Kosten erlaubt die Kilokostenmethode: Hier werden anhand eines einfachen Indikators für den Leistungsumfang (z.B. Kubikmeter umbauter Raum; Brückenlänge) und eines - aus der Erfahrung ähnlicher Projekte bekannten - Kostensatzes für den Indikator (1 Meter Brücke kostet 250.000 Euro) die Kosten abgeschätzt. In der Einflussgrößenkalkulation werden mehrere solcher Indikatoren verwendet. Die Materialkostenmethode basiert darauf, zunächst die Materialkosten des Projekts zu bestimmen. Aus der Erfahrung mit ähnlichen Projekten weiß man, welche Relation zwischen den Materialkosten und den Lohn- und Fertigungskosten sowie sonstigen Kosten bestehen (z.B. Relation 1: 3,5). Anhand dieser Relation lassen sich dann die Gesamtkosten des Projekts abschätzen. Im Modifikationspreisansatz dient ein bereits realisiertes Projekt mit seinen angefallenen Gesamtkosten als Referenzgröße: Die Unterschiede zum vorliegenden Projekt werden dann durch Zu- oder Abschläge zu den Kosten des realisierten Projekts berücksichtigt und hieraus die Gesamtkosten abgeschätzt (vgl. zu den Methoden bspw. Backhaus/ Voeth 2010a, S. 336-338). Genauere Kostenabschätzungen ergeben sich dann in der Verhandlungsphase, wenn zusammen mit dem Auftraggeber das Projekt genau spezifiziert wird. 4.2.4 Preisänderungsklauseln Zwischen Vertragsabschluss (Preisbestimmung) und Leistungserbringung (Kostenentstehung) kann vor allem bei Dienstleistungen (Vermarktung vor Produktion) oder bei Werkverträgen (z.B. Bauprojekt; Investitionsgüter) eine lange Zeitspanne liegen, in der sich die Kostenstruktur des Anbieters verändert (erhöht). Daher besteht aus Sicht des Anbieters ein Interesse, nachträgliche Kostensteigerungen an die Nachfrager weiterzugeben. Ebenso mag sich in langfristigen Lieferverträgen die Produktionssituation wandeln, weshalb bspw. durch <?page no="132"?> 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation 133 Erfahrungskurveneffekte die Stückkosten sinken. Hier ist dann der Abnehmer interessiert, an den Kosteneinsparungen des Anbieters durch niedrigere Preise zu partizipieren. Lassen sich die Veränderungen der zukünftigen Kostensituation hinreichend genau in ihrem Eintritt und ihrer Höhe prognostizieren, können die Transaktionspartner Festpreise mit vereinbarten Terminen der Preisänderung vereinbaren (z.B. zu bestimmten Zeitpunkten fällt der Festpreis um einen bestimmten Prozentsatz). Zumeist lassen sich die Veränderungen in der Kostensituation jedoch nicht genau vorhersehen. Für diesen Fall eignen sich Preisänderungsklauseln (Clause Reserving Price), um den Vertragspreis auf die geänderte Kostensituation anzupassen (vgl. Melzer-Ridinger 2008, S. 99-108; Simon/ Fassnacht 2009, S. 467f.). Ausprägungen solcher Preisänderungsklauseln sind Preisgleitklauseln und Preisvorbehaltsklauseln. Bei Preisgleitklauseln vereinbaren die Transaktionspartner eine Formel, die ausgehend vom Basispreis den zukünftigen Preis in Abhängigkeit von der Veränderung der sog. Gleitgrößen bestimmt. Diese Gleitgrößen beziehen sich in der Regel auf Kostenkomponenten des Anbieters (z.B. Materialkosten) oder sind auf Preisindizes definiert, die die Kostenentwicklung abbilden. Das Risiko von Kostensteigerungen beim Anbieter wird durch Preisgleitklauseln auf den Käufer überwälzt (Preisänderungsrisiko). Allerdings mögen Nachfrager durchaus bereit sein, dieses Risiko einzugehen, weil sie dadurch beim Anbieter einen relativ niedrigen Basispreis aushandeln können und zudem - anders als der Anbieter - keine so großen Erhöhungen in den spezifizierten Gleitgrößen sehen. Preisgleitklauseln gelten ferner oft nur ab einer bestimmten Mindestveränderung (Bagatellklausel) der Gleitgrößen und bis zu einem Höchstbetrag des so ermittelten Verkaufspreises (Ceiling-Klausel). Dadurch wird das Preisrisiko des Kunden begrenzt (vgl. Diller 2008, S. 415). Fallbeispiel Die United Nations Economic Commission for Europe (ECE) empfiehlt eine Preisgleitklausel, die folgende Komponenten beinhaltet (vgl. Backhaus/ Voeth 2010b, S. 343f.): p 0 : Preis am Basisstichtag (z.B. Vertragsabschluss); p: tatsächlich zu zahlender Preis am Abrechnungsstichtag; M 0 : Materialkosten am Basisstichtag; M: Materialkosten am Abrechnungsstichtag; L 0 : Lohnkosten am Basisstichtag L: Lohnkosten am Abrechnungsstichtag; m: Materialkostenanteil am Preis; l: Lohnkostenanteil am Preis; a: nicht gleitender Bestandteil - „Gewinnanteil im Preis“; mit: 0 m, l, a 1, mit: m + l + a = 1 <?page no="133"?> 134 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Der zu zahlende Preis p am Abrechnungsstichtag ergibt sich als: p = p 0 a + m M M 0 + l L L 0 Der Verkaufspreis p erhöht sich im Umfang der gewichteten Kostensteigerung bei Lohn und Material. Während die Komponenten m und l aus der Kostenrechnung - zumindest prinzipiell - zu entnehmen sind, ist die Größenordnung für die Komponente a, den Gewinnanteil im Preis, Verhandlungssache zwischen Anbieter und Nachfrager. Führt man die Kostensteigerungen bei Lohn und Material auf Inflationstendenzen zurück, impliziert diese Preisanpassungsklausel, dass das Inflationsrisiko bei diesen beiden Komponenten der Nachfrager trägt, da die dadurch ausgelösten Kostensteigerungen auf ihn überwälzt werden. Der nominale Gewinn (a·p 0 ) bleibt konstant, der reale Gewinn geht durch die Inflation aber zurück. Der Anbieter trägt somit das Inflationsrisiko durch eine Verminderung seines realen Gewinns. Allgemein gilt in der obigen Preisgleitklausel, dass sich Inflationstendenzen in der Preisangleichung umso weniger auswirken, je größer der Parameter a ist. Daher müsste aus Anbietersicht auch der „Gewinnanteil im Preis“ (Komponente a) indexiert sein. In Preisvorbehaltsklauseln beinhaltet der Vertrag keine bezifferte Preisangabe („Preis freibleibend“) bzw. der angeführte Preis besitzt nur einen unverbindlichen Mindestpreischarakter bzw. keinen zeitlich dauerhaften Charakter, da der Anbieter den endgültigen Preis (erst) vor der Leistungserbringung festsetzt. So kann der Anbieter eigene Kostensteigerungen unmittelbar auf den Verkaufspreis überwälzen. Eine bekannte Form in langfristigen Lieferverträgen ist die Tagespreisklausel: Hier gelten die Listenpreise des Anbieters zum Zeitpunkt der Auslieferung der Ware als Verkaufspreis für die betreffende Lieferung. Da der Nachfrager bei solchen unbestimmten Preisvorbehaltsklauseln dem Preissetzungsdiktat des Anbieters ausgeliefert ist, wird er eine solche Preisanpassungsklausel nur akzeptieren, wenn im Vertrag die Bedingungen für Preisanpassungen genannt sind und der Anbieter Nachweise für das Vorliegen dieser Bedingungen liefert. Ebenso mag in langfristigen Lieferverträgen ein Höchstpreis, den der Anbieter nicht überschreiten darf, vereinbar sein, oder bei Überschreiten einer spezifizierten Preiserhöhung, dem Abnehmer das Recht eingeräumt werden, mit dem Anbieter in eine gänzlich neue Preisverhandlung einzutreten (Entschärfungsklausel). Die Forschung zur Preisfairness (vgl. Abschnitt 2.1.2) hat gezeigt, dass Nachfrager kostenbedingte Preiserhöhungen eher akzeptieren als Preiserhöhungen, die der Anbieter aufgrund von gestiegener Marktmacht durchführt. Wichtig hierfür ist, die Gründe für die Kostensteigerung und ihre Überwälzung auf den <?page no="134"?> 4.2 Kostenorientierte Preiskalkulation 135 Kunden detailliert und nachvollziehbar gegenüber dem Kunden zu belegen. Die beste Bewertung von den Kalkulationsregeln erhielt jedoch die sog. Buffer Rule (vgl. Kalapurakal et al. 1991, S. 790): Hier reagiert der Anbieter bei kleinen Kostenerhöhungen nicht mit Preisanpassungen, sondern absorbiert die Kostensteigerungen, weshalb er einen geringeren Gewinn erzielt. Allerdings billigen die Nachfrager dem Anbieter auch zu, dass er kleine Kostensenkungen durch einen konstanten Verkaufspreis als höheren Gewinn behalten darf. Aus rechtlicher Sicht steht es dem Nachfrager frei, Preisänderungsklauseln zu akzeptieren (vgl. zur folgenden rechtlichen Sichtweise bspw. Ulmer et al. 2001, S. 914-924). Häufig sind solche Klauseln Bestandteil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB); tückisch ist es daher für den Nachfrager, wenn er bei Vertragsabschluss diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen - meist ohne genauere Kenntnisnahme - akzeptiert und damit auch die Preisänderungsklauseln zum Vertragsbestandteil macht. Gemäß §309 Nr. 1 BGB sind Preissteigerungsklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (z.B. „Preisänderungen vorbehalten“) im Business-to-Consumer-Bereich jedoch zivilrechtlich unwirksam, wenn sie sich auf Waren oder Dienstleistungen beziehen, die innerhalb von vier Monaten nach Vertragsabschluss geliefert oder erbracht werden. Dies gilt auch, wenn sich innerhalb dieses Zeitfensters die Mehrwertsteuer erhöht. Preisänderungsklauseln, die den Kalkulationsirrtum erfassen („nachträgliche Preiserhöhungen, weil man sich verrechnet hat“), sind nicht zulässig. Bei einer längeren Laufzeit der Transaktion, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen (z.B. Versicherungsvertrag; Pflegevertrag im Altenheim) werden hingegen Preisänderungsklauseln in den AGB prinzipiell anerkannt. Sie müssen jedoch das Prinzip der Angemessenheit gemäß §307 Abs. 1 BGB erfüllen, um zu verhindern, dass der Anbieter jede beliebige Preiserhöhung vornehmen kann: So muss der Kunde bereits vor Vertragsschluss ersehen können, in welchem Umfang bzw. aufgrund welcher Ursachen Preiserhöhungen auf ihn zukommen können. Häufig gewähren die Gerichte ein Kündigungsrecht, wenn die geplante Preiserhöhung die allgemeine Steigerung der Lebenshaltungskosten nicht unerheblich überschreitet. Allerdings ist bei Dauerschuldverhältnissen der Nachfrager oftmals in einer Hold-up-Situation, da die Kündigung des Vertrages mit prohibitiv hohen Kosten verbunden ist („neuen Altenheimplatz für die Oma suchen“). Bei Transaktionen unter Kaufleuten sind auch für die ersten vier Monate nach Vertragsabschluss Preisänderungsklauseln wirksam, sofern sie nicht das Willkürverbot verletzen. Im Business-to-Business-Bereich geht der Gesetzgeber davon aus, dass Anbieter mit unbilligen Preisklauseln langfristig vom Markt verschwinden, weil sie keine Transaktionspartner finden bzw. der gewerbliche Kunde generell einen geringeren Schutz als der Privatkunde benötigt. <?page no="135"?> 136 4 Grundmodelle der Preiskalkulation 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation Das Konzept der nachfrageorientierten Preiskalkulation soll im Folgenden anhand der einfachsten Konstellation, dem statischen Ein-Produkt-Fall, dargestellt werden: Zeitliche Ausstrahlungseffekte der Preissetzung sind ebenso ausgeblendet wie preispolitische Reaktionen der Konkurrenz. Ferner berücksichtigt die Preiskalkulation nur ein einziges Produkt des Anbieters. 4.3.1 Preisfindung bei diskreten Preis-Mengen-Kombinationen Sieht sich der Anbieter nur einem einzigen Nachfrager gegenüber, der zudem nur eine Produkteinheit erwerben will, maximiert der Anbieter seinen Gewinn, wenn er einen Preis für dieses Produkt kalkuliert, der der maximalen Zahlungsbereitschaft des Nachfragers entspricht. Existieren keine Konkurrenten auf dem Markt, handelt es sich bei der maximalen Zahlungsbereitschaft um den monetär bewerteten Bruttonutzen des Produkts; gibt es Konkurrenzangebote, bezieht sich das Konzept der maximalen Zahlungsbereitschaft auf denjenigen Preis, bei dem das betrachtete Produkt für den Nachfrager im Vergleich zu den Konkurrenzangeboten „gerade noch“ den höchsten Customer Value aufweist. Die Kosten des Anbieters spielen „nur“ dahingehend eine Rolle, ob der Anbieter das Produkt überhaupt anbieten soll: Er wird dies machen, wenn die maximale Zahlungsbereitschaft des Nachfragers über den Grenzkosten liegt. Das Kalkül, denjenigen Preis anzusetzen, der der maximalen Zahlungsbereitschaft des Nachfragers entspricht, ist unmittelbar plausibel: Jeder niedrigere Preis würde - bei gleichen Kosten - einen niedrigen Gewinn implizieren. Bei einem Preis in Höhe der maximalen Zahlungsbereitschaft schöpft der Anbieter die Konsumentenrente des Nachfragers maximal ab. Der gewinnmaximale Preis ist in dieser Konstellation zudem zugleich der umsatzmaximale Preis, wobei der erzielte Umsatz dem Verkaufspreis entspricht. Diese preispolitische Konstellation, die im Grunde keine Preiskalkulation, sondern „lediglich“ eine präzise Marktforschung zur maximalen Zahlungsbereitschaft des Kunden erfordert, dürfte in der Realität kaum vorkommen: Denkbar ist sie bei sehr spezifischen Produkten, die der Anbieter als Unikate herstellt, oder auf einem Markt, auf dem keinerlei Markttransparenz vorliegt, weshalb die Verkaufspreise unter den Nachfragern unbekannt bleiben. Dies entspricht dann der Preisdifferenzierung ersten Grades, da jeder Nachfrager seinen „individuellen“ Verkaufspreis für das Produkt erhält. Möglicherweise ist sich der Anbieter hinsichtlich der Höhe der maximalen Zahlungsbereitschaft des Nachfragers nicht sicher, sondern vermag nur Wahrscheinlichkeiten (prob) für verschiedene Höhen der maximalen Zahlungsbereitschaft anzugeben. In dieser Konstellation stellt die Preiskalkulation einen An- <?page no="136"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 137 wendungsfall der Entscheidung unter Risiko dar: Die verschiedenen Höhen der maximalen Zahlungsbereitschaft stellen die Umweltzustände dar, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten dem Anbieter bekannt sind. Die Ergebnismatrix enthält dann den Gewinn, den der Anbieter bei einem bestimmten Verkaufspreis in einem Umweltzustand erzielt. Wiederum reduziert sich die Fülle möglicher Preisalternativen auf diejenigen Preise, die den verschiedenen maximalen Zahlungsbereitschaften der Nachfrager entsprechen. Preise, die von diesen maximalen Zahlungsbereitschaften abweichen, stellen keine zustandseffizienten Alternativen dar. Die Entscheidungstheorie bietet eine Vielzahl von Entscheidungsregeln (vgl. bspw. Bamberg et. al., 2008, S. 93-102; Klein/ Scholl 2011, S. 412-447; Laux et al., 2012, S. 106-163) zum Auffinden der besten Alternative (optimaler Preis) in der Ergebnismatrix; die Methoden unterscheiden sich in ihren Prämissen bezogen auf die Abbildung der Risikoeinstellung des Entscheiders (Anbieters). Unabhängig davon, wählt ein rationaler Entscheider (Anbieter) denjenigen Preis, der ihm den höchsten Präferenzwert liefert. Fallbeispiel Der Anbieter vermutet bei einem Nachfrager drei Ausprägungen der maximalen Zahlungsbereitschaft (ZB), denen er jeweils eine Eintrittswahrscheinlichkeit (prob, mit 0 prob 1 und prob = 1) zuordnen kann. Diese drei Wertepaare (ZB; prob) sind: (100; 0,2), (80; 0,5) und (70; 0,3). Die Kosten für das Produkt betragen K = 50. Eine Erstellung des Produkts findet erst statt, wenn es zu einer Transaktion kommt. Die verschiedenen maximalen Zahlungsbereitschaften stellen im Kontext der Entscheidungstheorie die Umweltzustände (S) dar. Die preispolitischen Alternativen (A) des Anbieters sind, einen Preis von 100, 80 oder 70 anzusetzen. Die folgende Ergebnismatrix stellt den Gewinn (G ik ) dar, den der Anbieter bei einem Verkaufspreis i im Umweltzustand k, d.h. bei der jeweiligen maximalen Zahlungsbereitschaft des Nachfragers erzielt. *) Bei einem Verkaufspreis von p=100 und Kosten von K=50 resultiert ein Gewinn von G 11 = 50. **) Setzt der Anbieter einen Preis von p=100, kommt es bei einer maximalen Zahlungsbereitschaft des Nachfragers von ZB=80 zu keiner Transaktion. Der Gewinn liegt deshalb bei G 12 = 0. S k S 1 (ZB=100) S 2 (ZB=80) S 3 (ZB=70) A i prob=0,2 prob=0,5 prob=0,3 A 1 (p 1 =100) 50 *) 0 **) 0 A 2 (p 2 =80) 30 ***) 30 0 A 3 (p 3 =70) 20 20 20 <?page no="137"?> 138 4 Grundmodelle der Preiskalkulation ***) Setzt der Anbieter einen Preis von p=80, kommt es bei einer maximalen Zahlungsbereitschaft des Nachfragers von ZB=100 zu einer Transaktion, was einen Gewinn von G 21 = 30 impliziert. Zieht der Anbieter das Erwartungswert-Kriterium ( -Kriterium) als Entscheidungsregel heran, wählt er denjenigen Preis, der ihm den höchsten Erwartungswert ( ) für den Gewinn als Präferenzwert ( ) liefert. Der Präferenzwert (Erwartungswert) für eine Preisalternative (A i ) berechnet sich als: (A i ) = (A i ) = k =1 K G ik prob k Für den obigen Fall weist der Preis von p=80, d.h. A 2 den höchsten Präferenzwert auf: A 1 : (p 1 ) = 0,2 · 50 + 0,5 · 0 + 0,3 · 0 =10 A 2 : (p 2 ) = 0,2 · 30 + 0,5 · 30 + 0,3 · 0 = 21 A 3 : (p 3 ) = 0,2 · 20 + 0,5 · 20 + 0,3 · 20 = 20 Das ( . )-Kriterium berücksichtigt neben dem Erwartungswert zusätzlich die Standardabweichung der Ergebnisse einer Alternative ( (A i )) im Präferenzwert, wobei ein Parameter q die Risikoeinstellung des Entscheiders erfasst. Ein Wert von q < 0 (q = 0; q > 0) gilt als Abbildung für Risikoscheu (Risikoneutralität; Risikofreude) des Entscheiders. Der Präferenzwert für eine Alternative i ( (A i )) im ( . )-Kriterium lautet allgemein: (A i )= (A i ) + q · (A i ), mit: (A i ) = k =1 K prob k ( (A i ) - G ik ) 2 Für q = -2 resultieren folgende Präferenzwerte: A 1 : (p 1 ) = 10 - 2 · 20 = -30, mit (A 1 ) = 20 A 2 : (p 2 ) = 21 - 2 · 14,73 = -8,46, mit (A 2 ) = 14,73 A 3 : (p 3 ) = 20 - 2 · 0 = 20, mit (A 3 ) = 0 Im ( . )-Kriterium ist der Preis p=70 optimal. Das Minimax-Prinzip blendet die Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Umweltzustände (maximale Zahlungsbereitschaften) aus und fokussiert auf das Ergebnis G ik [min], d.h. den Gewinn, der bei einer Alternative im jeweils - bezogen auf die Ergebnishöhe - schlechtesten Umweltzustand realisiert wird. Der Entscheider wählt diejenige Alternative, die im schlechtesten Fall (Worst-Case-Szenario) noch am besten abschneidet. Das Minimax-Prinzip gilt als Entscheidungsregel für einen risikoaversen Entscheider. In der vorliegenden Ergebnismatrix resultiert als Präferenzwert: <?page no="138"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 139 (p 1 ) = 0; (p 2 ) = 0 *) ; (p 3 ) = 20 *) Der Worst Case für die Alternative p=80 liegt vor, wenn die maximale Zahlungsbereitschaft des Nachfragers bei ZB = 70 liegt; für G ik [min] resultiert G ik [min]=0. Im Minimax-Prinzip wählt der Anbieter den Preis p=70. Minimax-Prinzip oder ( . )-Kriterium berücksichtigen die Risikoeinstellung des Entscheiders in der Ermittlung des Präferenzwerts nur indirekt bzw. sehr pauschal. Konzeptionell präzisere Abbildungen der Risikoeinstellung werden der Spezifizierung einer expliziten (Risiko-)Nutzenfunktion (Erwartungsnutzentheorie; Bernoulli-Prinzip) zugeschrieben (vgl. bspw. Bamberg et al. 2008, S. 114-120; Laux et al., 2012, S. 164-199). Hierauf soll jedoch im Weiteren nicht eingegangen werden, da die Bestimmung des - den Erwartungsnutzen maximierenden - Preises aus den Daten einer Ergebnismatrix kein spezifisches Problem der Preiskalkulation, sondern einen Anwendungsfall der Entscheidungstheorie darstellt. Ebenso beinhalten die dargestellten Entscheidungsregeln nur einen Ausschnitt aus dem Methodenrepertoire der Entscheidungstheorie. Ist der Anbieter in Vorleistungen gegenüber dem Nachfrager gegangen (z.B. Projektierungskosten), handelt es sich um Sunk Costs, wenn keine Transaktion zustande kommt. Daher sind in diesem Fall anstelle von G ik =0 für den Umstand, dass ein Umweltzustand keine Transaktion impliziert, für G ik die betreffenden Sunk Cost (G ik < 0) einzusetzen. Wenn die Sunk Costs für alle Preisalternativen gleich hoch sind, verändern sie allerdings in vielen Entscheidungsregeln die Relation der Präferenzwerte der Preisalternativen nicht. Ist die Anzahl der potenziellen Nachfrager für den Anbieter überschaubar, wobei der Anbieter die individuellen maximalen Zahlungsbereitschaften seiner Abnehmer kennt, lässt sich der gewinnmaximale Preis durch einfache Gewinnberechnung und Gewinnvergleich für alternative Preise bestimmen. Hierbei mag die maximale Zahlungsbereitschaft eines Nachfragers für eine Produkteinheit mit der Abnahmemenge variieren: Plausibel ist, dass die maximale Zahlungsbereitschaft für eine Produkteinheit mit höherer Abnahmemenge sinkt. Konzeptionell basiert die Preisfindung zunächst auf der Bestimmung, welche Verkaufsmengen der Anbieter bei einem bestimmten Preis unter seinen Abnehmern realisiert. Es kaufen alle Abnehmer, deren maximale Zahlungsbereitschaft höher als der Verkaufspreis ist. Graphisch ergibt sich eine mehrfach „geknickte“ bzw. „treppenförmige“ Preis-Absatz-Funktion, wobei für die Gewinnbestimmung nur die „Knickpunkte“ der Preis-Absatz-Funktion relevant sind. <?page no="139"?> 140 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Fallbeispiel Der Anbieter hat vier potenzielle Abnehmer (j=1,…,4), die jeweils unterschiedliche Mengen mit einer jeweils spezifischen maximalen Zahlungsbereitschaft pro Verkaufseinheit aufweisen. So hat Nachfrager j=1 bei einer Abnahmemenge von 1000 Einheiten eine maximale Zahlungsbereitschaft pro Stück von ZB=20, bei einer Menge von 800 von ZB=25 und bei einer Menge von 500 von ZB=28. Für die anderen drei Nachfrager gelten folgende Kombinationen aus Abnahmemenge (x) und korrespondierender maximaler Zahlungsbereitschaft pro Stück (ZB). Abnehmer i (x; ZB) 1 (1000; 20), (800; 25), (500; 28) 2 (300; 15), (200; 20) 3 (600; 20), (400; 24) 4 (700; 14), (400; 18), (200; 22) Anhand dieser Daten resultiert folgende „treppenförmige“ Preis-Absatz- Funktion, die aufgrund der diskreten Preis-Mengen-Kombinationen Sprungstellen aufweist: So nimmt bei einem Verkaufspreis von p=24 Nachfrager j=1 800 Einheiten des Produkts, Nachfrager j=2 0 Einheiten, Nachfrager j=3 400 Einheiten und Nachfrager j=4 0 Einheiten ab. Ein Preis von p=23 führt zu keiner Ausweitung der Verkaufsmenge; erst bei einem Verkaufspreis p=22 kommen weitere 200 Verkaufseinheiten hinzu, da nunmehr auch Nachfrager j=4 eine Menge von 200 erwirbt. Die variablen Stückkosten liegen bei 17,50 und sind unabhängig von der gesamten Produktionsmenge. Damit ergibt sich, dass Verkaufspreise mit 12 500 2000 1500 1000 30 14 16 18 20 22 24 26 28 2500 p x <?page no="140"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 141 p < 17,50 einen negativen Deckungsbeitrag aufweisen und deshalb hinsichtlich der Identifizierung des gewinnmaximierenden Preises nicht weiter berücksichtigt werden müssen. Potenzielle gewinnmaximierende Preise sind diejenigen, die an den „Eckpunkten“ der Preis-Absatz-Funktion liegen. Der Gewinn (G) berechnet sich aus dem Stück-Deckungsbeitrag (DB), d.h. der Differenz von Verkaufspreis und variablen Stückkosten, multipliziert mit der Verkaufsmenge (x). Für die alternativen Verkaufspreise (p) ist derjenige mit dem höchsten Gewinn (G) zu identifizieren. Die Ergebnisse zeigt die nachfolgende Tabelle: p DB x G 28 10,50 500 5250 25 7,50 800 6000 24 6,50 1200 7800 22 4,50 1400 6300 20 2,50 2000 5000 18 0,50 2200 1100 Bei einem Preis von p=24 erzielt der Anbieter den höchsten Gewinn. Der Anbieter mag verschiedene Preise als Alternativen betrachten, wobei er sich aber nicht sicher ist, welche Absatzmenge bei einem bestimmten Preis resultiert; er ist aber in der Lage, für verschiedene Absatzmengen bezogen auf einen Preis deren Eintrittswahrscheinlichkeiten zu beziffern. Diese Absatzmengen-Wahrscheinlichkeits-Paare (x; prob) für einen bestimmten Preis vermag der Anbieter unter Umständen nach verschiedenen Zielgruppen seines Produkts zu differenzieren. Auch in dieser Konstellation basiert das Auffinden des optimalen Preises darauf, zunächst eine Ergebnismatrix zu erstellen; sie enthält, welche - über die Zielgruppen - aggregierten Absatzmengen mit welchen Wahrscheinlichkeit bei einer bestimmten Preisalternative zu erwarten sind. Darauf aufbauend stellt die Entscheidungstheorie ihr Methodenrepertoire zur Verfügung, um den optimalen Preis aus der Menge der betrachteten Preisalternativen zu identifizieren. Fallbeispiel Der Anbieter unterscheidet zwei Zielgruppen (j=1; 2) und betrachtet zwei Preisalternativen (p 1 =90; p 2 =80); in beiden Zielgruppen vermutet er bezogen auf einen Preis unterschiedliche Absatzmengen-Wahrscheinlichkeits-Paare (x; prob): <?page no="141"?> 142 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Zielgruppe p 1 p 2 1 (700; 0,5) (500; 0,3) (300; 0,2) (1200; 0,6) (1000; 0,2) (900; 0,2) 2 (900; 0,2) (600; 0,7) (400; 0,1) (1400; 0,2) (1200; 0,6) (1100; 0,2) Aus diesen Daten ist zunächst die gesamte Absatzmenge zu bestimmen, die in beiden Zielgruppen realisiert wird: Hierzu sind für alle Wahrscheinlichkeitskombinationen die betreffenden Absatzmengen zu addieren (x= x 1 +x 2 ); diese Absatzmenge tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von prob = prob 1 prob 2 ein. Ergibt eine Wahrscheinlichkeitskombination die gleiche Absatzmenge, sind die betreffenden Eintrittswahrscheinlichkeiten zu addieren. Die folgende Tabelle fasst diesen Analyseschritt zusammen: p 1 p 2 x prob x prob 1600 0,10 2600 0,12 1400 0,06 2400 0,40 1300 0,35 2300 0,16 1200 0,04 2200 0,12 1100 *) 0,26 **) 2100 0,16 900 0,17 2000 0,04 700 0,02 *) Die Absatzmenge x=1100 resultiert aus der Kombination (×) folgender Absatzmengen-Wahrscheinlichkeits-Paare (x; prob): (700; 0,5) × (400; 0,1) mit prob = 0,05 und (500; 0,3) × (600; 0,7) mit prob = 0,21. **) Die Eintrittswahrscheinlichkeit der Absatzmenge x=1100 beträgt prob = 0,05 + 0,21 = 0,26. Jede der aggregierten Absatzmengen (x) der obigen Tabelle ist als Umweltzustand k für die spezifische Preisalternative i zu interpretieren; dieser Umweltzustand tritt mit der betreffenden Wahrscheinlichkeit (prob) ein. Liegen die variablen Stückkosten, die unabhängig von der gesamten Produktionsmenge sein sollen, bspw. bei k v = 65, kann für jeden Umweltzustand der bei- <?page no="142"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 143 den Preisalternativen der korrespondierende Gewinn (G ik ) in der Ergebnismatrix berechnet werden: Mit Hilfe des Methodenrepertoires der Entscheidungstheorie kann in der obigen Ergebnismatrix diejenige Preisalternative mit dem höchsten Präferenzwert ermittelt werden. Ist der Entscheider risikoneutral und verwendet deshalb das -Kriterium, resultiert: A 1 : (p 1 ) = 30000 A 2 : (p 2 ) = 37920. Der Anbieter wählt folglich den Preis p 2 =80. Da der Anbieter vorab lediglich zwei Preisalternativen betrachtet, ist nicht sichergestellt, dass p 2 =80 auch die beste Preisalternative im Markt ist. Hierfür müssten alle denkbaren Preisalternativen mit ihren jeweiligen Absatzmengen durchgerechnet werden. 4.3.2 Preiskalkulation bei stetig-differenzierbaren Preis-Absatz- und Kostenfunktionen Sieht sich der Anbieter einer Vielzahl von Nachfragern mit ihren heterogenen maximalen Zahlungsbereitschaften und möglicherweise unterschiedlichen Abnahmemengen gegenüber, verstetigt sich die „treppenförmige“ Preis-Absatz- Funktion des diskreten Preis-Mengen-Falls und man erhält Funktionsverläufe ohne „Knickstellen“. Dies soll im Folgenden für die Preis-Absatz-Funktion unterstellt sein. Betrachtet man keine „ungewöhnlichen“ Kostenverläufe ist auch die Kostenfunktion eine stetige Funktion. Anstelle eines enumerativen Durchrechnens der Ergebniswirkung alternativer Preise lassen sich nunmehr einfache mathematische Regeln anwenden, um den optimalen Preis unmittelbar zu finden. Die „formale Eleganz“ dieses mikroökonomischen Ansatzes der p 1 p 2 x prob G ik x prob G ik 1600 0,10 40000 2600 0,12 39000 1400 0,06 35000 2400 0,40 36000 1300 0,35 32500 2300 0,16 34500 1200 0,04 30000 2200 0,12 33000 1100 0,26 27500 2100 0,16 31500 900 0,17 22500 2000 0,04 30000 700 0,02 17500 <?page no="143"?> 144 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Preisbestimmung (Preistheorie) hat auch im Marketing immer noch ihren didaktischen Stellenwert, da sie wesentliche Charakterzüge der nachfrageorientierten Preiskalkulation aufzeigt. 4.3.2.1 Umsatzmaximierung als unternehmerische Zielsetzung Die Preis-Absatz-Funktion bringt zum Ausdruck, welche Absatzmenge (x) ein Anbieter bei einem spezifischen Preis (p) erzielt (x = x(p)) bzw. welcher Preis p sich am Markt einstellt, wenn er die Menge x absetzen will (p = p(x)). Multipliziert man die betreffende Absatzmenge mit dem korrespondierenden Preis, erhält man den Umsatz (U), den der Anbieter am Markt realisiert. Der Umsatz gibt folglich den monetären Markteffekt der Preiskalkulation bzw. Mengenbestimmung wieder. U = U(p) = x(p) p oder U = U(x) = p(x) x Die graphische Verlaufsform der Umsatzfunktion für eine lineare Preis-Absatz- Funktion zeigt Abbildung 4.3-1: Abbildung 4.3-1: Umsatz- und Grenzumsatzfunktion für eine lineare Preis-Absatz- Funktion Der Umsatz hat den Wert 0, wenn bei einem bestimmten Preis kein Absatz erzielt werden kann oder das Produkt zu einem Preis von 0 „verkauft“ wird. Folglich gilt für den Umsatz bei der Sättigungsmenge bzw. dem Prohibitivpreis: U = 0. Die Höhe des Umsatzes lässt sich graphisch auf zwei Arten zum Ausdruck bringen: Entweder interpretiert man die Gerade, die einen spezifischen Preis bzw. eine Menge auf der Abszisse mit dem betreffenden Punkt auf der Umsatzfunktion verbindet, als Umsatzhöhe oder man verwendet die korrespondierende Ux a x‘ U(p) p‘ p dU/ dp a/ b x ( p ) = a b p Up a‘ p‘ U(x) x‘ x dU/ dx a/ b p ( x ) = a ‘ b ‘ p <?page no="144"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 145 Fläche unter der Preis-Absatz-Funktion (in Abbildung 4.3-1 schraffiert dargestellt) als Ausdruck für den Umsatz. Zentral für die Preiskalkulation ist, welcher Umsatz sich bei alternativen Werten für den Entscheidungsparameter (Preis oder Menge) ergibt. Dies lässt sich graphisch in Abbildung 4.3-1 für die lineare Preis-Absatz-Funktion an der Höhe des Umsatzes bei verschiedenen Preisen bzw. Mengen ablesen. Betrachtet man ausgehend von der Sättigungsmenge, d.h. p = 0 bzw. x = a, wie sich der Umsatz bei Preiserhöhungen entwickelt, zeigt sich, dass Preiserhöhungen zu Umsatzsteigerungen führen, solange der Preis p < p´ ist, obwohl die Verkaufsmenge immer kleiner wird. Bei p´ besitzt die Umsatzfunktion ihr Maximum. Erhöht man den Preis über p´ hinaus (p > p´), wird mit Preissteigerungen der Umsatz geringer. Eine analoge Argumentation gilt, wenn die Absatzmenge der Entscheidungsparameter ist: Mengenerhöhungen führen zu Umsatzsteigerungen (Umsatzsenkungen), solange (wenn) x < x´ (x > x´) ist. Damit widerspricht die Umsatzentwicklung einer linearen Preis-Absatz-Funktion der landläufigen Vorstellung, höhere Preise bzw. größere Absatzmengen führten stets zu höherem Umsatz. Im Bereich p > p´ der linearen Preis-Absatz-Funktion bewirken vielmehr Preissenkungen Umsatzsteigerungen. Zur Analyse der preisbzw. mengeninduzierten Umsatzveränderung lässt sich konzeptionell die sog. Grenzumsatzfunktion heranziehen. Die Grenzumsatzfunktion stellt formal die erste Ableitung der Umsatzfunktion nach dem betreffenden Entscheidungsparameter dar (dU/ dp bzw. dU/ dx); sie entspricht damit der Steigung der Umsatzfunktion. Inhaltlich zeigt der Grenzumsatz die Umsatzveränderung bei einer marginalen Änderung des Entscheidungsparameters an. Ein positiver Grenzumsatz (dU/ dp > 0) signalisiert, dass eine marginale Preiserhöhung eine Umsatzsteigerung bewirkt, ein negativer Grenzumsatz (dU/ dp < 0), dass eine marginale Preiserhöhung den Umsatz senkt. Betrachtet man die Umsatzfunktion U(x) = p(x) x in ihrer allgemeinen Darstellungsform, kommt der Grenzumsatz - unter mathematischer Anwendung der sog. Produktregel - durch die Bedingung (4.3-1) dU dx = dp dx x + p, mit: dp dx < 0 zum Ausdruck. Bedingung (4.3-1) bildet ab, wie sich der Umsatz verändert, wenn eine marginale Mengeneinheit gegenüber dem Status quo mehr verkauft wird. Diese Umsatzveränderung setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Der Term (dp/ dx) zeigt an, welches Preiszugeständnis am Markt gemacht werden muss, um eine Mengeneinheit mehr verkaufen zu können. Dieses Preiszugeständnis muss allen Nachfragern, d.h. bezogen auf die gesamte Verkaufsmenge x gewährt werden. Damit stellt (dp/ dx) x den Umsatzverlust gegenüber dem Status quo dar, der entsteht, weil eine Preisreduzierung notwendig ist, um eine zusätzliche Mengen- <?page no="145"?> 146 4 Grundmodelle der Preiskalkulation einheit verkaufen zu können. Der Parameter p beinhaltet den zusätzlichen Umsatz, den man erzielt, weil man eine Mengeneinheit mehr zum Preis p verkauft. Beide Terme zusammen ergeben den Grenzumsatz, d.h. die Umsatzveränderung aufgrund einer mehr verkauften Produkteinheit. Solange folglich der Preis, der sich für die zusätzliche Mengeneinheit erzielen lässt, größer als der Umsatzverlust aufgrund der notwendigen Preisreduzierung ist, liegt ein positiver Grenzumsatz vor bzw. führt eine Mengenausweitung zu einer Umsatzsteigerung. Analog ergibt sich für die Umsatzfunktion U(p) = x(p) p als Grenzumsatz: (4.3-2) dU dp = dx dp p + x, mit: dx dp < 0 Der Term (dx/ dp) p zeigt den Umsatzverlust an, der dadurch entsteht, dass eine marginale Preiserhöhung zu Absatzrückgängen führt. Dieser Mengenverlust wird hierbei mit dem Verkaufspreis multipliziert. Der Term x enthält die - nach der marginalen Preiserhöhung - verbliebene Verkaufsmenge, die mit der marginalen Preiserhöhung (Erhöhung um eine Einheit, x 1) multipliziert wird. Dies ist folglich der zusätzliche Umsatz, der dadurch entsteht, dass ein marginal höherer Preis bezogen auf die Verkaufsmenge x angesetzt ist. Aus beiden Umsatzveränderungen ergibt sich dann additiv die gesamte Umsatzveränderung, die eine marginale Preiserhöhung bewirkt (Grenzumsatz). Ein denkbares unternehmerisches Ziel in der Preiskalkulation ist die Umsatzmaximierung: Eine Preiserhöhung führt dann zu Umsatzsteigerungen (Umsatzreduzierungen), wenn der Grenzumsatz positiv (negativ) ist. Formal wird folglich derjenige Preis gesucht, bei dem die Grenzumsatzfunktion den Wert 0 aufweist. Analoges gilt für die Absatzmenge als Entscheidungsparameter. Graphisch ist der umsatzmaximale Preis bzw. die umsatzmaximale Menge dort erreicht, wo die Grenzumsatzfunktion die Abszisse schneidet. In Abbildung 4.3-1 ist dies der Preis p´ bzw. die Menge x´. Fallbeispiel Aus der linearen Preis-Absatz-Funktion x = a b p ergibt sich die Umsatzfunktion U = U(p) = a p b p 2 , die maximiert werden soll. Die hierfür relevante Grenzumsatzfunktion lautet: dU dp = a - 2 b p = 0 p´ = a 2 b Die zu p´ korrespondierende Absatzmenge ergibt sich als: x´ = a b a 2 b = a 2 Der Umsatz beträgt damit: U = p´ x´= a 2 4 b <?page no="146"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 147 Aus formaler Sicht muss nach der Ermittlung der optimalen Größe des Entscheidungsparameters noch geprüft werden, ob es sich tatsächlich um die Maximierung der Zielfunktion handelt, da die erste Ableitung einer Funktion nur eine Extremwertbestimmung beinhaltet. Ein Maximum der Zielfunktion liegt vor, wenn die zweite Ableitung der Zielfunktion für den optimalen Wert des Parameters einen negativen Wert besitzt. Im obigen Fall ist dies mit d 2 U/ dp 2 = -2 b < 0 der Fall. In den weiteren Berechnungen wird die hinreichende Bedingung für einen Maximumwert stets als erfüllt angenommen. Die Grenzumsatzfunktion einer linearen Preis-Absatz-Funktion ist ebenfalls linear, wobei der Grenzumsatz mit steigendem Preis immer kleiner wird. Da bei x = a b p die Sättigungsmenge bei x [Sätt] = a liegt, entspricht die umsatzmaximale Menge x´ der halben Sättigungsmenge. Ferner beträgt bei einer linearen Preis-Absatz-Funktion der Prohibitivpreis p [Prohib] = a/ b; damit ist der umsatzmaximale Preis p´ halb so hoch wie der Prohibitivpreis. Diese Aussagen gelten analog für U = U(x). Abbildung 4.3-1 zeigt Umsatzbzw. Grenzumsatzfunktion für eine lineare Preis- Absatz-Funktion. Bei einer Cobb-Douglas-Funktion mit x = a p -b (mit b > 0) ergibt sich bezogen auf das Umsatzmaximum bzw. die Grenzumsatzfunktion eine Eigentümlichkeit. Die Umsatzbzw. Grenzumsatzfunktion beträgt: U = U(p) = a p 1-b bzw. dU dp = (1 b) a p -b Die Grenzumsatzfunktion weist keine Nullstelle auf: Eine Preis-Absatz-Funktion vom Cobb-Douglas-Typ besitzt deshalb kein Umsatzmaximum. Die Grenzumsatzfunktion ist für alle Preise p negativ, wenn b > 1 gilt: Der Umsatz ist folglich umso größer, je kleiner der Preis ist. Abbildung 4.3-2 zeigt den Verlauf einer Umsatzfunktion für eine Preis-Absatz-Funktion vom Cobb-Douglas-Typ mit b > 1: Abbildung 4.3-2: Umsatzfunktion für eine Preis-Absatz-Funktion vom Cobb- Douglas-Typ (b > 1) U (p) p <?page no="147"?> 148 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Da ein Unternehmen in der Regel nur über begrenzte Produktionskapazitäten verfügt, ergibt sich bei einer Preis-Absatz-Funktion vom Cobb-Douglas-Typ mit b > 1 derjenige Preis als umsatzmaximal, bei der der Absatz die Kapazität voll auslastet. Die Tendenz der Preissenkung, um den Umsatz zu erhöhen, endet damit an der Kapazitätsgrenze. Die Bedingung für den Grenzumsatz (4.3-2) lässt sich umformen, um zu erkennen, wie hoch die Preiselastizät der Nachfrage im Umsatzmaximum ist. dU dp = dx dp p + x = 0 dx dp p x x = x = -1 Das Umsatzmaximum ist dort erreicht, wo auf der Preis-Absatz-Funktion eine Preiserhöhung (Preissenkung) um 1 % einen Absatzrückgang (Absatzsteigerung) von 1 % auslöst ( = -1). In dieser Situation ist eine marginale Preisänderung mit keiner Umsatzveränderung verbunden. 4.3.2.2 Gewinnmaximierung im statischen Ein-Produkt-Fall Gewinn ist definiert als Differenz von Umsatz und Kosten. Die Gewinnfunktion führt somit die Markt- und Kostenwirkungen der Preissetzung bzw. Mengenbestimmung zusammen. Die Zielsetzung der Gewinnmaximierung (marktorientierte Preispolitik) erfordert dadurch einen weitaus anspruchsvolleren Dateninput als die kostenorientierte Preiskalkulation oder die Umsatzmaximierung, da sowohl betriebliche Kostenfunktion(en) als auch der Preisresponse am Markt (Preis-Absatz-Funktionen) bekannt sein müssen. Betrachtet man zunächst die Absatzmenge als Entscheidungsparameter (p = p(x)), ist die Gewinnfunktion definiert als: G(x) = p(x) x - K(x) max. Die Veränderung des Gewinns, bedingt durch eine marginale Mengenänderung, bringt der Grenzgewinn (dG/ dx) zum Ausdruck: dG dx = dp dx x + p dK dx dG dx > 0 für dp dx x + p > dK dx bzw. dG dx < 0 für dp dx x + p < dK dx Der Grenzgewinn ist positiv (negativ), d.h. der Gewinn steigt (fällt) durch eine zusätzlich produzierte und verkaufte Mengeneinheit, wenn der Umsatzzuwachs (Grenzumsatz) größer (kleiner) als die zusätzlichen Produktionskosten (Grenzkosten) ist. Das Gewinnmaximum ist folglich erreicht, wenn eine zusätzlich verkaufte Mengeneinheit den Gewinn nicht mehr zu steigern vermag, aber auch den Gewinn (noch) nicht senkt, d.h. der Grenzgewinn gemäß der obigen Bedingung für eine bestimmte Absatzmenge den Wert 0 aufweist: <?page no="148"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 149 G(x) = p(x) x - K(x) max. (4.3-3) dG dx = dp dx x + p dK dx = 0 dp dx x + p = dK dx Im Gewinnoptimum gilt damit die Bedingung: Es ist diejenige Menge gewinnmaximal, bei der der Grenzumsatz den Grenzkosten entspricht. Formt man diese Bedingung etwas um, lässt sich eine Aussage für den gewinnmaximalen Preis ableiten: (4.3-4) p* = dK dx dp dx x Ausgehend von einer kontinuierlichen Erhöhung der Absatzmenge ist der gewinnmaximale Preis dann erreicht, wenn der Verkaufspreis, der für diese zusätzliche (marginale) Mengeneinheit am Markt erzielt wird, so groß ist, wie die zusätzlichen Produktionskosten dieser Mengeneinheit zuzüglich des Umsatzverlustes (dp/ dx < 0), der dadurch entsteht, dass eine zusätzlich verkaufte Mengeneinheit mit einer Preisreduzierung am Markt verbunden ist. Die graphische Bestimmung der gewinnmaximalen Menge, aus der sich dann über die Preis-Absatz-Funktion der korrespondierende gewinnmaximale Preis ergibt, besitzt zwei Vorgehensweisen, die in Abbildung (4.3-3) für eine lineare Preis-Absatz-Funktion bzw. Kostenfunktion dargestellt sind: Abbildung 4.3-3: Gewinnmaximale Preis-Mengen-Kombination für p = p(x) Stellt man Umsatzfunktion und Kostenfunktion graphisch einander gegenüber, ist diejenige Menge gesucht, bei der die Differenz aus beiden Funktionen am größten ist. Dies entspricht formal der Überlegung, dass derjenige Punkt auf der Umsatzfunktion zu finden ist, der die gleiche Steigung wie die Kostenfunktion Up p* K(x) x* x dU/ dx p p* dK/ dx x* x U(x) p(x) B 2 B 1 K C dU/ dx p(x) dK/ dx C <?page no="149"?> 150 4 Grundmodelle der Preiskalkulation aufweist. Es wird folglich an die Umsatzfunktion eine Tangente mit der Steigung der Kostenfunktion gelegt. Dieser Tangentenpunkt auf der Umsatzfunktion korrespondiert mit dem Punkt C auf der Preis-Absatz-Funktion, woraus sich unmittelbar die betreffende gewinnmaximale Menge und der betreffende Preis ergeben. Der Punkt C auf der Preis-Absatz-Funktion ist in Anlehnung an den französischen Nationalökonom, Mathematiker und Philosoph Antoine Augustin Cournot (1801-1877) als Cournot-Punkt bzw. der korrespondierende gewinnmaximale Preis bzw. die Menge als Cournot-Preis bzw. Cournot-Menge bezeichnet. Die zweite graphische Möglichkeit der Bestimmung der gewinnmaximalen Preis-Mengen-Kombination besteht in der Zugrundelegung von Bedingung (4.3-3): Unter Verwendung von Grenzumsatz- und Grenzkostenfunktion ergibt sich die gewinnmaximale Menge bzw. der dazu korrespondierende Preis aus dem Schnittpunkt von Grenzumsatz- und Grenzkosten; dieser Schnittpunkt wird auf die Preis-Absatz-Funktion projiziert und liefert wiederum Punkt C. In Abbildung 4.3-3 sind noch die beiden Schnittpunkte von Umsatz- und Kostenfunktion (B 1 ; B 2 ) bedeutsam. Bei diesen Mengen bzw. Preisen entspricht der erzielte Umsatz den Gesamtkosten, der resultierende Gewinn ist folglich G(x) = 0. Es liegt demnach lediglich eine Kostendeckung vor. Diese Punkte werden auch als Break-Even-Punkte bzw. Gewinnschwelle bezeichnet, da bei einer höheren Absatzmenge als B l Gewinn entsteht bzw. bei einer größeren Menge als B 2 Verluste auftreten. Wählt man, was üblicherweise in der Preiskalkulation geschieht, den Preis als Entscheidungsparameter, lautet die Gewinnfunktion bzw. deren erste Ableitung: G(p) = x(p) p - K(x[p]) max. dG dp = dx dp p + x dK dx dx dp = 0 (4.3-5) dx dp p + x = dK dx dx dp p* = dK dx dp dx x Der Term (dG/ dp) bezeichnet wiederum den Grenzgewinn, diesmal in Abhängigkeit vom Preis. Der (preisbedingte) Grenzgewinn beinhaltet, um wie viel sich der Gewinn bei einer marginalen Preisänderung verändert. Der Term (dK/ dx) kennzeichnet die mengeninduzierten Grenzkosten, die im Falle des Preises als Entscheidungsparameter einen preisbedingten Auslöser (dx/ dp) besitzen. Der Term (dx/ dp) bestimmt, welche Absatz- und damit Produktionsmengenveränderung eine marginale Preisänderung auslöst. Beide Terme zusammen, d.h. (dK/ dx) (dx/ dp), zeigen folglich die Gesamtkostenwirkung einer marginalen Preisveränderung an. Da für (dx/ dp) < 0 gilt, ist auch (dK/ dx) (dx/ dp) < 0: Eine Preissenkung erhöht die Absatzmenge und damit die <?page no="150"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 151 Gesamtkosten, eine Preiserhöhung vermindert die Absatzmenge und folglich die Gesamtkosten. Der Ausdruck (dx/ dp) p + x in Bedingung (4.3-5) ist aus Bedingung (4.3-2) als (preisinduzierter) Grenzumsatz bekannt: Im Gewinnmaximum gilt somit wiederum, dass derjenige Preis optimal ist, bei dem sich preisinduzierter Grenzumsatz und preisinduzierte Grenzkosten entsprechen. Die graphische Bestimmung des Gewinnoptimums (vgl. Abbildung 4.3-4) folgt dem analogen Vorgehen zu Abbildung (4.3-3). Abbildung 4.3-4: Gewinnmaximale Preis-Mengen-Kombination für x = x(p) Stellt der Preis den Entscheidungsparameter dar, erhöhen sinkende Preise die Absatzbzw. Produktionsmenge, wodurch die Gesamtkosten ansteigen. Die Gesamtkostenfunktion besitzt deshalb einen anderen Verlauf als in Abbildung (4.3-3). Ebenso ist zu beachten, dass die preisbedingten Grenzkosten negativ sind. Die analytische Bestimmung der gewinnmaximalen Preis-Mengen-Kombination setzt die Parametrisierung der Preis-Absatz- und Kostenfunktion voraus. Je nach gewähltem Funktionstyp ist die mathematische Berechnung dann mehr oder weniger „anspruchsvoll“. Fallbeispiele Die lineare Preis-Absatz-Funktion lautet x = a b p, die Kostenfunktion K = c + d x. Als Gewinnfunktion bzw. Grenzgewinn resultieren: G(p) = (a b p) p c d (a b p) max. U K x* p* p x* x(p) K(x[p]) C dU/ dp p* x(p) C p x U Kx (dK/ dx)(dx/ dp) K f U(p) <?page no="151"?> 152 4 Grundmodelle der Preiskalkulation dG dp = a - 2 b p + d b = 0 p* = a 2 b + d 2 = a + d b 2 b x* = a b a + d b 2 b = a d b 2 Der gewinnmaximale Preis in der linearen Preis-Absatz-Funktion lässt sich auch umformen zu: p* = ½ ([a/ b] + d): Der gewinnmaximale Preis ist folglich der Durchschnitt aus dem Prohibitivpreis und den Grenzkosten. Überspitzt formuliert gehen in die Preiskalkulation bei linearer Preis-Absatz- und Kostenfunktion nur zwei Sachverhalte ein: Die Grenzkosten und die maximale Zahlungsbereitschaft desjenigen Nachfragers am Markt, der die höchste maximale Zahlungsbereitschaft besitzt. Ferner zeigt p* = ½ ([a/ b] + d), dass eine Erhöhung der Grenzkosten, die im Parameter d zum Ausdruck kommen, nur zur Hälfte an den Nachfrager in Form von höheren Preisen weitergegeben werden. Anbieter und Nachfrager „teilen sich“ folglich bei linearer Preis-Absatz- und Kostenfunktion eine Steigerung in den Grenzkosten. Das Fallbeispiel aus der kostenorientierten Preiskalkulation von Abschnitt 4.1.1 soll nochmals aufgegriffen werden: Die Ausgangsdaten waren: x = 300 - 5 p und K = 100 + 4 x. Der Anbieter machte bei einem kalkulierten Costplus-Preis von p = 5,1 auf Basis einer geplanten und produzierten Menge x p = 400 einen Verlust von G = -300,05, da er nur x M = 274,5 Einheiten absetzen konnte. In der marktorientierten Preiskalkulation liegt die gewinnmaximale Preis-Mengen-Kombination bei p* = 32 und x* = 140, was einen Gewinn von G = 3820 impliziert. Berücksichtigt man die Umsatzsteuer in der Preiskalkulation mit dem Umsatzsteuersatz s (0 < s < 1), verändert sich zunächst die Preis-Absatz- Funktion, da auf den Nettopreis p der Steuersatz aufgeschlagen wird. Der Nachfrager hat den Bruttopreis (p Brutto = p (1+s)) zu entrichten, weshalb der Marktresponse auf dem Bruttopreis basiert: x = a b p (1+s) Es resultiert für die Gewinnfunktion: G(p) = (a b p (1+s)) p c d (a b p (1+s)) max. Da dem Anbieter nur den Nettopreis als faktischer Umsatz verbleibt, setzt sich der erzielbare Umsatz aus der Absatzmenge zu Bruttopreisen multipliziert mit dem Nettopreis zusammen. Als Lösung für den gewinnoptimalen Nettopreis ergibt sich: dG dp = a - 2 b p - 2 b p s + d b + d b s = 0 p* = a 2 b (1+s) + d 2 <?page no="152"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 153 Der gewinnoptimale Nettopreis ist bei Existenz einer Mehrwertsteuer kleiner als in der Situation ohne Mehrwertsteuer (s=0). Der vom Nachfrager zu entrichtende Bruttopreis ist hingegen höher als im Fall ohne Mehrwertsteuer und beträgt: p Brutto = p* (1+s) = a 2 b + d (1+s) 2 Die Mehrwertsteuer erhöht folglich den vom Nachfrager zu bezahlenden Preis um d s/ 2. Bei einer linearen Preis-Absatz- und Kostenfunktion sind folglich die Grenzkosten (d) ausschlaggebend, um wie viel die Mehrwertsteuer den Bruttopreis nach oben treibt. Die Bedingung für den Grenzgewinn (4.3-5 ) lässt sich umformen, um zu erkennen, wie hoch die Preiselastizität der Nachfrage im Gewinnmaximum ist: dx dp p + x = dK dx dx dp p + dp dx x = dK dx dp dx x p = dK dx 1 p p p 1 = 1 p dK dx p = -p p dK dx < -1 für p > dK dx Allgemein gilt im Gewinnoptimum damit für die Preiselastizität der Nachfrage < - 1, d.h. der gewinnmaximale Preis liegt in einem Bereich der Preis-Absatz- Funktion bzw. des Marktresponses, für den < - 1 gilt. Interpretiert man den Term (p* dK/ dx) als Stückdeckungsbeitrag, entspricht im Gewinnoptimum das Verhältnis von Verkaufspreis zu Stückdeckungsbeitrag genau der (betragsmäßigen) Preiselastizität. Die Bedingung des Gewinnmaximums erlaubt eine weitere Umformung mit Hilfe der Preiselastizität der Nachfrage ( ): dx dp p + x = dK dx dx dp p + dp dx x = dK dx p + dp dx x p p = dK dx p + p 1 = dK dx p 1 + 1 = dK dx p 1+ = dK dx (4.3-6) p* = 1+ dK dx Bedingung (4.3-6) ist als Amoroso-Robinson-Relation bekannt. Auf den „ersten Blick“ stellt sie eine explizite Spezifizierung des gewinnoptimalen Preises dar; tatsächlich liegt aber - ebenso wie bei Bedingung (4.3-4) oder (4.3-5) - lediglich eine Umformulierung des Gewinnmaximierungskalküls vor. Bei einer <?page no="153"?> 154 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Preis-Absatz-Funktion, deren Preiselastizität unabhängig von der spezifischen Preis-Mengen-Kombination ist, liefert Bedingung (4.3-6) jedoch eine explizite Lösung: Daher spezifiziert die Amoroso-Robinson-Relation für eine Preis- Absatz-Funktion vom Cobb-Douglas-Typ unmittelbar den gewinnmaximalen Preis. Bei einer linearen Preis-Absatz-Funktion variiert hingegen die Höhe der Preiselastizität mit dem jeweiligen Punkt auf der Preis-Absatz-Funktion. Hier muss dann die Bestimmung des gewinnoptimalen Preises über eine explizite Berechnung erfolgen. Trotz dieser Einschränkung hinsichtlich einer expliziten Lösung bietet die Amoroso-Robinson-Relation eine formale Strukturbeschreibung des gewinnmaximalen Preises. Da im Gewinnmaximum für < -1 gilt, ist für den Ausdruck / (1+ ) > 0 gegeben. Inhaltlich kann der Term (1+ ) hierbei als optimaler Gewinnzuschlag auf die Grenzkosten als Sockelbetrag interpretiert werden. Der gewinnmaximale Preis liegt damit immer über den Grenzkosten. Ferner zeigt Bedingung (4.3-6), dass der gewinnmaximale Preis steigt, je höher die Grenzkosten sind. Die Fixkosten spielen bei der Bestimmung des gewinnmaximalen Preises keine Rolle. Bei diesem Preis bzw. der korrespondierenden Absatzmenge wird die höchstmögliche Fixkostendeckung erzielt. Die Preiselastizität ( ) bringt die Preissensibilität der Nachfrager zum Ausdruck: Die Preiselastizität ist hierbei - dem Betrage nach - umso höher, je preissensibler die Nachfrager reagieren. Hinsichtlich des gewinnmaximalen Preises hat dies zur Folge, dass sich mit steigender Preissensibilität der Nachfrage der Term (1+ ) immer mehr dem Wert 1 annähert, was in Bedingung (4.3-6) dann einen geringeren Preis impliziert. Im Extremfall sinkt der Preis bis auf die Höhe der Grenzkosten. Die Preiselastizität ( ) lässt sich in der Amoroso-Robinson-Relation als Indikator für mehrere preisrelevante Aspekte interpretieren: Veränderungen der Preiselastizität der Nachfrage gegenüber einem Produkt können in Änderungen der Präferenz- und Wertevorstellung der Kunden begründet sein; aber auch andere Marketing-Mix-Instrumente sind als Einflussfaktoren anzusehen: So mag eine Werbeaktion, die emotionale Aspekte (Image) des Produkts hervorhebt, die Preiselastizität - dem Betrage nach - vermindern, da die Nachfrager dann weniger auf den Preis achten, während eine Werbung, die auf rationale Aspekte wie bspw. den Preis abstellt, die Preiselastizität - dem Betrage nach - erhöht, weil das Preisbewusstsein der Kunden angesprochen wird. Die Preiselastizität dient ferner zur impliziten Abbildung der Konkurrenzbedingungen in einer Branche, wenn sich der Wettbewerbsdruck in der Höhe der Preiselastizität der Nachfrage niederschlägt: So ist plausibel, dass zunehmende Konkurrenz unter den Anbietern die Preiselastizität der Nachfrage erhöht, weil die Abnehmer aufgrund des Preiswettbewerbs preissensibler werden. Damit bewirkt steigender Wettbewerb gemäß der Amoroso-Robinson-Relation niedrigere gewinnoptimale Preise. <?page no="154"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 155 Fallen keine Grenzkosten an, treten in der Kostenfunktion lediglich Fixkosten auf. Diese Kostenstruktur ist z.B. typisch für bestimmte Dienstleistungen, bei denen - innerhalb eines festgelegten Kapazitätsbereichs - eine zusätzliche Leistungseinheit keine zusätzlichen Kosten verursacht. So löst bei einer Sportveranstaltung ein zusätzlicher Zuschauer im Stadion keine zusätzlichen Kosten aus, sofern für ihn noch ein freier Platz vorhanden ist. Hinsichtlich der Preiskalkulation entspricht bei fehlenden Grenzkosten das Kalkül der Gewinnmaximierung dann der Umsatzmaximierung. Die mit dem Umsatzmaximum korrespondierende Preiselastizität der Nachfrage liegt bei -1. Für diese Konstellation ist die Amoroso-Robinson-Relation allerdings nicht definiert, da dK/ dx = 0 und / (1 + ) = gelten. 4.3.3 Value Pricing Value Pricing (wertorientierte Preispolitik oder auch Value Based Pricing bzw. Price Customization) beinhaltet weniger einen quantitativen Kalkulationsansatz als vielmehr ein qualitatives Paradigma der Festlegung des Preis- Leistungs-Angebots im Rahmen der nachfrageorientierten Preispolitik: Da der Begriffsinhalt des Value Pricing in der Literatur (vgl. bspw. Bliemel/ Adolphs 2003, S. 146-151; Diller 1999, S. 40-44; Simon/ Dahlhoff 1999) noch nicht gefestigt erscheint, nimmt dieser Abschnitt eine breite Begriffsinterpretation vor, die das Value Pricing anhand mehrerer Dimensionen charakterisiert: Identifikation der Wertkomponenten und des Wertgewinns eines Produkts Ein Produkt lässt sich als Bündel von - aus Nachfragersicht - subjektiv wahrgenommenen Eigenschaftsausprägungen definieren. Diese Eigenschaftsausprägungen bewertet der Nachfrager bspw. anhand des jeweiligen Teilnutzens und aggregiert sie zum Bruttonutzen, aus dem er wiederum die maximale Zahlungsbereitschaft, im Value Pricing als Nutzenpreis bezeichnet, ableitet. Aus Anbietersicht ist es von Bedeutung, die Werthaltigkeit der Eigenschaftsausprägungen („Teilnutzenhöhe“) und den Bruttonutzen des gesamten Produkts zu erkennen. Anstelle des Nutzens lassen sich auch - möglicherweise einfacher zu messende - Größen wie die Kundenzufriedenheit oder die „strategische Bedeutung“ des Produkts für den Kunden verwenden (vgl. Burianek et al. 2008, S. 491). Konzeptionell ist eine Eigenschaftsausprägung eines Produkts umso werthaltiger, je mehr sie zur Steigerung des Bruttonutzens und damit der maximalen Zahlungsbereitschaft des Nachfragers beiträgt. Besonders werthaltige Eigenschaften bzw. Eigenschaftsausprägungen sind die Wertkomponenten des Produkts. Das Value Pricing fordert hierbei, dass sich der Preis für ein Produkt mit seinen spezifischen Eigenschaftsausprägungen am vom Nachfrager wahrgenommenen Wert (Nutzenpreis) ausrichten sollte (vgl. Kortge/ Okonowo 1993, S. 134), da die <?page no="155"?> 156 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Konsumentenrente bzw. der Customer Value, d.h. der sog. Wertgewinn, als entscheidender Kaufanreiz des Nachfragers erkannt wird. Die Orientierung der Preissetzung am Wertgewinn eines Produkts lässt sich allerdings auch als Erfolgsbeteiligung des Anbieters am Nutzen, den das Produkt für den Kunden hat, interpretieren (vgl. Hinterhuber 2004, S. 768). Der Denkansatz des Value Pricing greift damit tief in die Produkt(weiter)entwicklung ein: Bereits in dieser Phase muss sich das Marketing die Frage stellen, welche Auswirkung eine bestimmte Produkteigenschaft bzw. Produktkomponente (z.B. Ausstattungsmerkmal) oder eine Produktmodifikation (Veränderung der Eigenschaftsausprägungen) auf die maximale Zahlungsbereitschaft der Nachfrager besitzt (vgl. Wildner 2003, S. 23). Unter Einbeziehung des Wettbewerbs muss die offerierte Preis-Wertkomponenten-Kombination aus Sicht des Nachfragers einen höheren Customer Value als die Angebote der Konkurrenten besitzen. Ein ausreichend hoher Customer Value (Wertgewinn) lässt sich hierbei durch entsprechend „werthaltige“ Produkte und/ oder einen niedrigen Preis realisieren. Dieser wertorientierte Grundgedanke des Value Pricing findet sich auch in Preismodellen, die vor allem für (technische) Dienstleistungen entwickelt wurden (vgl. bspw. Burianek et al. 2008, S. 490-491): Im Usage Based Pricing bezahlt der Kunde in Abhängigkeit seines tatsächlichen Nutzungsverhaltens bzw. der Inanspruchnahme der Leistung einen vorab vereinbarten Betrag (Payper-Use-Tarif); im Performance Based Pricing orientiert sich die Preishöhe am erbrachten Leistungsniveau des Anbieters: Wird das versprochene Leistungsniveau eingehalten (die Ausfallzeiten eines technischen Systems liegen unter einem bestimmten Grenzwert), muss der Kunde den vereinbarten Betrag, möglicherweise zuzüglich eines Erfolgsbonus bezahlen; liegt die Anbieterleistung unter dem vereinbarten Niveau, kann es zu Abschlagszahlungen gegenüber dem vereinbarten Preis kommen. Gewinnanstelle von Absatzmengenorientierung Eine alleinige Orientierung des Marktangebots am Customer Value greift zu kurz, da die Kosten der Leistungserstellung unberücksichtigt bleiben. Eine Maximierung des Customer Value würde lediglich zur Absatzmengenmaximierung führen. Einen Ansatzpunkt zur Gewinnorientierung bietet aber wiederum die Analyse der Wertkomponenten des Produkts: Sie ermöglicht, solche Eigenschaften bzw. Eigenschaftsausprägungen („Features“) im Produkt zu identifizieren, die aus Nachfragersicht nur eine geringe Werthaltigkeit besitzen, aus Anbietersicht aber möglicherweise mit beachtlichen Produktionskosten verbunden sind. Das Angebot solcher Eigenschaften bzw. Eigenschaftsausprägungen in einem Produkt läuft deshalb dem Ziel der Gewinnerzielung zuwider. In diesem Fall ist ein „Abspecken“ des Produkts um vom Nachfrager nicht ausreichend wertgeschätzte Produktkomponenten erforderlich (Verhinderung eines Over- Engineerings). <?page no="156"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 157 Ziel des Value Pricing ist die Schaffung einer Win-win-Situation (vgl. Lauszus/ Sebastian 1997, S. 2): Es soll ein Leistungsangebot offeriert werden, das aus Nachfragersicht bei einem bestimmten Preis - auch gegenüber den Konkurrenzangeboten - einen ausreichend hohen Customer Value bietet und zugleich bei diesem Preis einen attraktiven Deckungsbeitrag (Produzentenrente) für den Anbieter abwirft. Der in Abbildung 1.2-3 dargestellte „Königsweg im Marketing“ beinhaltet folglich die Umsetzung dieses Leitgedankens des Value Pricing. In diesem Sinn lassen sich ferner konzeptionell einfache Entscheidungsregeln für das Preis-Wertkomponenten-Angebot ableiten: Ergibt sich für ein Produkt mit spezifischen Eigenschaftsausprägungen, dass nur bei einem solchen niedrigen Preis ein aus Nachfragersicht ausreichend hoher Customer Value erzielt wird, bei dem der Anbieter keine (positive) Produzentenrente mehr erzielt, sollte das Unternehmen ein solches Produkt nicht offerieren. Existieren alternative Preis-Wertkomponenten-Kombinationen, bei denen jeweils der Customer Value ausreichend groß ist und eine Produzentenrente erzielt werden kann, ist diejenige mit dem höchsten Gewinn optimal. Kundenorientierung Das Value Pricing diskutiert die Kundenorientierung im Preismanagement unter verschiedenen Aspekten: Die Einschätzung von Wertkomponenten eines Produkts bzw. dessen Nutzenpreis (maximale Zahlungsbereitschaft) sind unter den Nachfragern nicht homogen. Nachfrager mit ähnlichen Nutzenpreisen für ein Produkt lassen sich zu Marktsegmenten aggregieren bzw. der Gesamtmarkt in verschiedene solche Teilmärkte aufspalten. Für das Preismanagement eröffnet sich dadurch die Möglichkeit zur Preisdifferenzierung. Jedes Marktsegment erhält das Produkt zu einem Preis, der sich am jeweiligen Nutzenpreis bzw. dem Erreichen der Winwin-Situation orientiert. Im Idealfall des One-to-One-Marketings existiert ein individueller Preis, zu dem jedem Nachfrager das Produkt offeriert wird. Preissysteme, die auf eine Differenzierung der Preise abstellen (vgl. Kapitel 5), sind folglich als Ausdruck des Value Pricing zu interpretieren. Eine zweite Facette der Kundenorientierung im Value Pricing fokussiert auf den Gedanken der Geschäftsbeziehung mit einem Nachfrager anstelle eines Hitand-Run-Denkens, bei dem lediglich die optimale Ausgestaltung einer einzelnen Transaktion mit dem Nachfrager im Vordergrund steht. Eine Geschäftsbeziehung konstituiert sich als Summe von Transaktionen mit dem Nachfrager. Hierbei interessiert, welche „Werthaltigkeit“ eine Geschäftsbeziehung aus Anbietersicht besitzt bzw. welche Investitionen in die Geschäftsbeziehung getätigt werden sollten. Ein formales Konzept hierfür ist der Customer Lifetime Value (CLV), der den langfristigen monetären Wert eines Kunden (j) im Planungszeitraum (t = 0, …, T) erfasst (vgl. bspw. Homburg 2012, S. 1192-1194). <?page no="157"?> 158 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Bezeichnen x ijt die Menge, die der Kunde j von Produkt i in der Periode t erwirbt, (p it k vit ) den Deckungsbeitrag des Produkts i sowie A jt die kundenspezifischen Aufwendungen, d.h. bspw. Preisnachlässe gegenüber dem Listenpreis (p it ), die dem Nachfrager j gewährt werden (Auszahlungen), dann ist unter Berücksichtigung der Zeitpräferenz mit dem Kalkulationszinssatz r der Customer Lifetime Value definiert als Barwert der Einzahlungsüberschüsse, die mit dem Kunden erzielt werden: (4.3-7) CLV j = t=0 T i=1 N [x ijt (p it k vit ) - A jt ] (1+r) -t Aufgabenstellung des Value Pricing ist die Maximierung des Customer Lifetime Value: Hierbei verdeutlicht Bedingung (4.3-7) das „Einmaleins“ der Preispolitik, nämlich die Gewinntreiberwirkung des Preises zu beachten: So ist bei Preissenkungen oder kundenspezifischen Rabatten (A jt ) zu prüfen, ob diese durch entsprechend höhere Absatzmengen (x ijt ) multipliziert mit Verkaufspreis mindestens ausgeglichen werden, da ansonsten der Customer Lifetime Value nicht ansteigt. Umgekehrt dürfen Preiserhöhungen nicht durch einen überproportionalen Mengenrückgang konterkariert werden, da dies den Customer Lifetime Value verringert. Ferner sind kundenspezifische Rabatte (A jt ) als Investitionen in die Kundenbeziehung zu verstehen, wenn hierdurch in der Zukunft höhere Absatzmengen mit dem Kunden erzielt werden. Formal liegen dann zeitliche Ausstrahlungseffekte der Preissetzung (Carry-over-Effekte) in der Form dx ijt+1 / dA jt > 0 vor. Ferner zeigt Bedingung (4.3-7), dass in einer Geschäftsbeziehung nicht der kundenspezifische Deckungsbeitrag eines einzelnen Produkts zu maximieren ist; vielmehr bezieht sich der Customer Lifetime Value auf die Gesamtheit derjenigen Produkte, die der Nachfrager erwirbt. Diese beiden letztgenannten Aspekte des Value Pricing werden im Rahmen der Darstellung von Preissystemen intensiver aufgegriffen. Schwierig in der Anwendung des Customer Lifetime Value ist, dass er auf zukünftigen Größen basiert, weshalb die relevanten Daten prognostiziert werden müssen. Dies gilt auch für den Zusammenhang von Investitionen in die Kundenbeziehung und ihren Wirkungen (z.B. Erhöhung der Absatzmenge). Die für die Bestimmung des Customer Lifetime Value benötigten Informationen unterscheiden sich in gewisser Hinsicht von den Informationen für die Herleitung einer Preis-Absatz-Funktion. Die Preis-Absatz-Funktion muss zumindest implizit nur Gültigkeit für die unmittelbar anstehenden preispolitischen Entscheidungen besitzen. Für den Customer Lifetime Value sind hingegen Absatzzahlen für den gesamten Zeitraum der Geschäftsbeziehung unter Berücksichtigung alternativer Preise zu prognostizieren, um zu prüfen, ob eine preispolitische Entscheidung den Customer Lifetime Value erhöht. Allerdings dürften kundenspezifische Daten zumeist leichter als der aggregierte Marktresponse abzuschätzen sein. <?page no="158"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 159 Anstelle einer prognostischen Anwendung lässt sich der Customer Lifetime Value auch ex-post für eine Geschäftsbeziehung bestimmen, um im Sinne des Preis-Controlling getroffene preispolitische Entscheidungen in der Kundenbeziehung zu prüfen. Dies erlaubt möglicherweise, in der zukünftigen Ausgestaltung der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden die in der Vergangenheit gemachten Fehler zu vermeiden. Die Kundenorientierung im Zusammenhang mit einer Geschäftsbeziehung impliziert schließlich eine Berücksichtigung von preispsychologischen Aspekten wie der Preisfairness oder Preiszufriedenheit bei der Preisgestaltung. Diese Tatbestände stellen preispolitische Determinanten der Kundenbindung dar und tragen damit zum Fortbestand einer Geschäftsbeziehung und zum Erzielen eines positiven Customer Lifetime Value bei. Zusammenfassend beinhaltet das Value Pricing keine Innovation im Preismanagement, da es „altbekannte“ Marketingkonzepte unter der Fokussierung des Preises zusammenfasst. Allerdings finden Denkansätze des Value Pricing in Preissystemen, wie sie Abschnitt 5 darstellt, ihren Niederschlag. Damit stellt das Value Pricing zweifellos eine Verbesserung des Preismanagements gegenüber einer (preis-)undifferenzierten nachfrageorientierten Preispolitik dar. 4.3.4 Partizipative Preisfindung In der traditionellen Form der „Preissetzung“ kalkuliert der Anbieter seinen Verkaufspreis, den er kommuniziert (z.B. Verkaufsprospekt; Auszeichnung am Regal), wobei der Nachfrager diesen Verkaufspreis akzeptiert und das Produkt zu diesem Preis kauft, oder die Transaktion unterlässt. Dies wird als Posted Price-Modell der Preisfindung bezeichnet. Demgegenüber stehen partizipative Ansätze der Preisfindung (vgl. bspw. Chandran/ Morwitz 2005, S. 249f.): Hier übernimmt der Nachfrager eine aktive Rolle bei der Preisfestsetzung: Dies gilt für Preisverhandlungen (Bargaining), in denen Anbieter und Nachfrager vor allem um die Gewährung von Rabatten und Preisnachlässen gegenüber dem kalkulierten Listenpreis feilschen (interaktive Preisbildung). Vor allem das Internet hat darüber hinaus mit dem Reverse Pricing und der Durchführung von Verkäuferauktionen zwei weitere Ausprägungen einer partizipativen Preisbildung in Konsumgütermärkten etabliert. Ferner wenden Anbieter bisweilen das Konzept der Pay-What-You-Want-Preissetzung an. Hier hat der Nachfrager vollständig die Regie in der Preissetzung übernommen. In der Regel führt die partizipative Preisfindung zu unterschiedlichen Preisen für ein Produkt am Markt: Nicht alle Nachfrager bezahlen den gleichen Preis für das gleiche Produkt. Die partizipative Preisfindung stellt damit ein Instrument der Preisdifferenzierung dar. <?page no="159"?> 160 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Reverse Pricing Beim Reverse Pricing (vgl. bspw. Bernhardt et al. 2005, S. 104-105; Spann et al. 2005, S. 109-111) nennt der Kunde dem Anbieter den Preis, den er für das Produkt zu zahlen bereit ist (Wunschpreisanbieter). Alternativ zu dieser freien Angabe (Name Your Price) kann der Nachfrager aus einer vom Anbieter vorgegebenen Liste von Preisen einen auswählen (Select Your Price). Übersteigt dieses Preisgebot den Mindestpreis, den sich der Anbieter gesetzt hat, kommt es zur Transaktion zu diesem vom Kunden genannten Preis. Der Nachfrager kennt allerdings weder den Mindestpreis des Anbieters noch Preisgebote anderer Kunden zu diesem Produkt bzw. die letztendlichen Transaktionspreise, die andere Käufer dieser Ware bezahlen. Aus Sicht des Anbieters besteht die Preiskalkulation lediglich darin, diesen Mindestpreis zu bestimmen, der zweifellos noch einen gewissen positiven Stückdeckungsbeitrag aufweist. Liegt der vom Nachfrager genannte Preis unter dem Mindestpreis des Anbieters, kommt es zu keiner Transaktion. Manche Geschäftsmodelle erlauben dem Kunden aber dann die Abgabe eines neuerlichen Gebots, allerdings zu einer Gebühr. Dies soll verhindern, dass sich der Nachfrager schrittweise an den Mindestpreis des Anbieters herantastet. Teilweise versuchen Nachfrager den Anbieter auch dadurch „auszutricksen“, dass sie sich nacheinander mit verschiedenen „Identitäten“ (z.B. Kreditkartennummer) in das System einloggen und sequentiell steigende Preisgebote abgeben, um so ein möglichst nur wenig über dem Mindestpreis des Verkäufers liegendes Preisgebot zu erreichen. Allerdings ist es aus Anbietersicht durchaus rational, mehrere Preisgebote eines Nachfragers zuzulassen: Liegt das Preisgebot des Nachfragers unter seinem Mindestpreis, kann der Anbieter keinerlei Konsumentenrente abschöpfen und erzielt deshalb keinen Umsatz bzw. Gewinn. Grundsätzlich hat der rationale Nachfrager keine Motivation, ein sehr niedriges Preisgebot abzugeben, da er dann Gefahr läuft, dieses Produkt nicht zu erhalten. Liegen mehr über dem Mindestpreis des Verkäufers liegende Preisgebote von Nachfragern als Ware vor, kommen diejenigen Nachfrager zum Zug, die die höchsten Preisgebote abgegeben haben. Reverse Pricing wird vergleichsweise häufig bei der Vermarktung von Flugreisen, Urlaubsreisen oder Hotelnutzungen eingesetzt. Zielsetzung ist es, durch diese perfekte Preisdifferenzierung eine höhere Konsumentenrente abzuschöpfen. Allerdings mag der Anbieter auch darauf spekulieren, dass Nachfrager mit wenig Preiswissen den Marktpreis des Produkts überschätzen und deshalb höhere Preisgebote abgeben, als notwendig wäre. Zudem erspart sich der Anbieter eine eigene (aktive) Preiskalkulation, da er lediglich den Mindestpreis festlegen muss. Damit dominiert im Reverse Pricing für den Anbieter die kostenorientierte Preiskalkulation. <?page no="160"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 161 Empirische Studien zum Reverse Pricing zeigen, dass die Preisgebote der Nachfrager deutlich unter ihren maximalen Zahlungsbereitschaften für das betreffende Produkt liegen (vgl. Spann et al. 2005, S. 123f.): Damit lässt sich der Anbieter Konsumentenrente entgehen, die er mit einem Posted Price-Modell möglicherweise stärker abschöpfen könnte. Wie Chandran/ Morwitz (2005, S. 250-253) zeigen, spricht das Reverse Pricing Nachfrager mit spezifischem psychographischen Profil an: Hierfür betrachten sie das Verhaltenskonstrukt „wahrgenommene Kontrolle“, womit erfasst wird, wie stark eine Person meint, durch eigene Handlungen und Aktivitäten Ergebnisse beeinflussen zu können. Personen mit hoher „wahrgenommener Kontrolle“ besitzen - bei gleichem Preis für das betrachtete Produkt - im Reverse Pricing eine höhere Kaufwahrscheinlichkeit als Personen mit geringer „wahrgenommener Kontrolle“. Im Posted Price-Modell lagen keine solchen Unterschiede vor. Offensichtlich gefällt es dem ersten Personenkreis mit ihrem Wunsch nach Kontrolle, durch ihre Preisgebote in gewisser Hinsicht Kontrolle über den Verkaufspreis zu gewinnen. Haws/ Bearden (2006, S. 307f.) zeigen, dass Verkaufspreise, die sich im Reverse Pricing ergeben, als fairer als ein gleich hoher Verkaufspreis im Posted Price-Modell empfunden werden. Eine aus Anbietersicht gefährliche Strategie schlagen Nachfrager ein, wenn sie sich zunächst über Preisagenturen über den günstigsten Preis am Markt informieren und diesen Preis dann - mit einem Abschlag - als Preisgebot beim Wunschpreisanbieter nennen, um möglicherweise hier das Produkt noch günstiger zu bekommen. Daher dürften nur solche Produkte bei Wunschpreisanbietern erfolgreich vermarktet werden, die heterogen sind, was den Preisvergleich bei anderen Anbietern verhindert. Verkäuferauktionen Ähnlich zum Reverse Pricing sind Verkäuferauktionen zu sehen: Hier konkurrieren Nachfrager mit ihren Preisgeboten um den Erhalt eines Produkts, das vom Anbieter offeriert wird. Verkäuferauktionen können in mehreren Varianten durchgeführt werden (vgl. bspw. McAfee/ McMillan 1987, S. 702; Skiera/ Spann 2003, S. 628f.): Bei der englischen Auktion kann ein Nachfrager bis zum Ende der Auktionsfrist mehrere Angebote abgeben, um das gerade gültige höchste Preisgebot zu überbieten. Wenngleich der betreffende Bieter hierbei unbekannt bleiben kann, ist den Auktionsteilnehmern das jeweils höchste Gebot bekannt. Derjenige mit dem höchsten Gebot am Ende der Auktionsfrist bzw. bei dreimaligem Ausrufen des Höchstpreises (Offline-Markt) erhält den Zuschlag. Bei Auktionen im Internet mit mehrfacher Bietmöglichkeit kann der Nachfrager Bietagenten einsetzen; diese Softwareprogramme erhöhen das Preisgebot ihres Prinzipals jeweils um eine marginale Größe bis zu dessen fixiertem Höchstgebot, wenn das bisherige höchste Angebot des Nachfragers von einem anderen Auktionsteilnehmer überboten wurde. Der Bieter selbst muss die Auktion und <?page no="161"?> 162 4 Grundmodelle der Preiskalkulation die jeweiligen Preisgebote nicht verfolgen. In der Regel sind die Bietsysteme so programmiert, dass sie erst am Ende der Auktionsfrist mit dem Überbieten der jeweils aktuellen Preisgebote beginnen, um eine „Bietspirale nach oben“ zu verhindern. Diese Auktionsart wird als California Auktion bzw. japanische (kalifornische) Auktion bezeichnet und ist nach dem Sitz des Unternehmens eBay in Kalifornien benannt, das auf seiner Plattform die California Auktion als Preisfindungsmechanismus anbietet. Bei der holländischen Auktion (umgekehrte Versteigerung; Reverse Auction) legt der Auktionator zunächst einen Maximalpreis fest, der sich, falls niemand das Produkt zu diesem Preis nimmt, in festen Zeitintervallen um einen bestimmten Betrag reduziert. Wer als erster bei einem erreichten Preis eine „Meldung macht“, erhält das Produkt zu diesem Preis. Für den Teilnehmer stellt sich die Frage, ob er abwarten soll, um einen noch günstigeren Preis zu erlangen, wobei er aber Gefahr läuft, dass ein anderer Bieter ihm das Produkt „wegschnappt“. In einer Höchstpreisauktion geben die Bieter nur einmalig ein verdecktes Preisgebot ab; den Zuschlag erhält derjenige Bieter mit dem höchsten Gebot. In der Regel setzt der Anbieter einen Mindestverkaufspreis, der den Auktionsteilnehmern bekannt ist: Bietet niemand nicht einmal diese Preisuntergrenze, findet keine Transaktion statt. Bislang haben Verkäuferauktionen als Preisfindungsmechanismus nur in speziellen Situationen (Versteigerung von Objekten aus Insolvenzen), bei spezifischen Unikaten (z.B. Grundstücke; Kunstgegenstände), in bestimmten Märkten (z.B. öffentliche Aufträge) oder als Gesellschaftsspiel (Versteigerung des Brautschuhs) Anwendung gefunden. Die einfache mediale Zugänglichkeit des Internets hat den potenziellen Teilnehmerkreis an Auktionen, die im Internet auf virtuellen Marktplätzen stattfinden bzw. von Internetauktionshäusern (z.B. eBay) organisiert werden, maßgeblich erhöht. Hinzukommt, dass das Verfolgen und Mitbieten in einer Auktion für manche Nachfrager Unterhaltungswert oder einen Anreiz zur Schnäppchenjagd bietet. Auktionen finden nicht nur im B2B- Bereich auf Beschaffungsplattformen, sondern ebenso im B2C-Bereich statt, wenn Unternehmen Auktionen als Vertriebsweg bspw. für Restposten verwenden. Insbesondere führen Auktionen zwischen Nachfragern (C2C-Bereich), die Gebrauchsgüter aus ihrem Hausrat veräußern wollen, zu einer wachsenden Bedeutung von Sekundärmärkten. Hier treten Nachfrager durch den Weiterverkauf von gebrauchten oder neuwertigen Waren als Konkurrenten für Unternehmen auf, die in dieser Produktkategorie ihre Neuwaren offerieren. Hinsichtlich der Verkaufspreise auf einer Verkäuferauktion ist die Zielsetzung von Unternehmen, die Auktionsware offerieren, dass sich hierdurch höhere Preise als in alternativen Vertriebswegen (z.B. Offline-Verkauf) erzielen lassen. Dies ist nicht unrealistisch, da durch das Internet eine größere Zahl potenzieller Nachfrager erreicht werden kann. Zudem eröffnen der Auktionsmechanismus <?page no="162"?> 4.3 Nachfrageorientierte Preiskalkulation 163 (Nachfrager konkurrieren um ein Angebot) bzw. Bietergefechte kurz vor Ablauf der Auktionsfrist um die knapp erscheinende Ware eine Chance, dass Nachfrager näher an ihre maximale Zahlungsbereitschaft mit ihren Preisgeboten herangehen, oder diese sogar „im Eifer des Gefechts“ überbieten (sog. Overbidding; vgl. Sattler/ Nitzschke 2003, S. 377). Umgekehrt setzt der Nachfrager bei Einkäuferauktionen darauf, dass die Konkurrenz unter den potenziellen Anbietern zu niedrigeren Beschaffungspreisen führt. Ferner werden Auktionen als geeignet für Produkte angesehen (vgl. Fritz/ Wagner 2001, S. 651), bei denen aufgrund ihres Unikatcharakters der Anbieter Unsicherheiten über die Preisfestlegung besitzt oder nur eine sehr geringe Menge verfügbar ist (z.B. Lizenzen). Hier sollen die Nachfrager durch den Konkurrenzmechanismus dann den Preis festlegen. Pay-What-You-Want-Preissetzung Bei der Pay-What-You-Want-Preissetzung hat der Käufer die volle Kontrolle über den Preis. Er spezifiziert den Preis, zu dem er das Produkt erwerben will, und der Anbieter akzeptiert diesen Preis. Auch der Preis von Null ist hierbei „erlaubt“. Solche Preisbestimmungen, die über das Reverse Pricing hinausgehen, finden sich bspw. in der Gastronomie (Kunden zahlen für die gewählten Speisen den Preis, den sie entrichten wollen), Musikindustrie (Download von Musiktiteln, wobei die Fans selbst den Preis für das Downloaden festlegten), oder im Dienstleistungsbereich (z.B. Zuschauer legen selbst den Preis für die Eintrittskarte zu einem Fußballspiel fest). Wenngleich der Homo oeconomicus solche Pay-what-you-want-Angebote dahingehend ausnutzen würde, dass er einen Preis von Null ansetzt, zeigen empirische Ergebnisse, dass die Mehrzahl der Kunden sich nicht so verhält und einen Preis größer als Null bezahlt (vgl. Kim et al. 2009, S. 51). Zumeist liegen - im Durchschnitt - die vom Nachfrager entrichteten Preise allerdings deutlich unter den regulären Verkaufspreisen für das betreffende Produkt. In der Studie von Kim et al. (2009, S. 52) bezahlten die Probanden für das betreffende Produkt im Durchschnitt etwa zwei Drittel desjenigen Preises, den sie für den Normalpreis hielten. Die Begründungen, warum Nachfrager freiwillig für ein Produkt einen positiven Preis bezahlen, obwohl sie es zum Preis von Null mitnehmen könnten, sind unterschiedlich, wobei empirische Ergebnisse kein eindeutiges Bild über verschiedene Produktkategorien zeichnen (vgl. Kim et al. 2009, S.51-52): Fairnessüberlegungen oder die Furcht vor der Verletzung sozialer (Tausch-)Normen bewirken, dass Kunden einen positiven Preis für eine erhaltene Leistung zu entrichten bereit sind, insbesondere wenn sie damit zufrieden waren oder langjährige Kunden des Anbieters sind und die Geschäftsbeziehung fortsetzen wollen. Shampanier et al. (2007) argumentieren in diesem Zusammenhang, dass eine Transaktion durch den Tatbestand der nachfragerbestimmten Preissetzung nicht mehr ausschließlich einen ökonomischen, sondern auch einen sozialen Aus- <?page no="163"?> 164 4 Grundmodelle der Preiskalkulation tauschcharakter besitzt. Deshalb spielt die Einhaltung sozialer Austauschnormen eine große Rolle, was dazu führt, dass sich Nachfrager scheuen, dem Anbieter für sein Produkt nichts zu bezahlen bzw. einen Preis entrichten, den sie als fair für beide Seiten halten. Ist das Preiswissen der Kunden hinsichtlich dieser Leistung nicht hoch, bezahlen sie möglicherweise Preise, die über dem Marktpreisniveau liegen (vgl. Kim et al. 2009, S. 51). Die maximale Zahlungsbereitschaft der Nachfrager wird dann stärker abgeschöpft als durch einen vom Anbieter festgesetzten (Markt-)Preis. Das Kalkül, Pay-What-You-Want-Preise einzusetzen, besteht ferner darin, mit diesem ungewöhnlichen Preis Aufmerksamkeit am Markt zu wecken und damit Kunden zu gewinnen, die nicht nur Umsatz generieren, wenn sie einen Preis über Null bezahlen, sondern möglicherweise weitere Käufe im (normal bepreisten) Sortiment durchführen (Cross Selling). Der Pay-What-You-Want-Preis ist dann eine Investition, Kunden in sein Geschäft zu locken, bzw. Ausdruck einer Mischkalkulation des Anbieters. Dennoch bleibt für den Anbieter ein Pay-What- You-Want-Preis gefährlich. Selbst wenn Absatzmengensteigerungen eintreten, müssen dadurch der Umsatz und Gewinn nicht größer als bei einem Posted Price sein (vgl. Kim et al. 2009, S. 52-53), da der erzielte Durchschnittspreis unter dem regulären Posted Price liegt. Zudem zeigen die bisherigen Studien, dass es sich bei Pay-What-You-Want-Preisen um hedonistische Produkte bzw. Dienstleistungen gehandelt hat, die nicht weitergegeben (weiterveräußert) werden können. Würde es sich um Produkte handeln, die der Nachfrager auf einem Sekundärmarkt weiterverkaufen kann (z.B. Gebrauchsgüter), würden Arbitrageure sehr schnell dies erkennen und die Ware für einen Preis von Null beim Anbieter abholen und dann selber zu einem Preis über Null veräußern. Pay- What-You-Want-Preise sind folglich eine Promotionaktion mit großem Aufmerksamkeitswert, die sich für eine Geschäftseröffnung eignet und nach einer bestimmten Zeitspanne in ein Posted Price-Modell umgewandelt wird. 4.3.5 Freemium-Angebote Bei Pay-What-You-Want-Preisen mag ein Nachfrager den Verkaufspreis von Null vorschlagen. Vor allem in Internet finden sich Geschäftsmodelle, in denen der Anbieter ein Produkt zu einem Preis von Null offeriert: Bei Freemium- Angeboten ist die Basisdienstleistung für den Endnutzer kostenlos, er kann jedoch Zusatzfunktionen (Premium-Version) kostenpflichtig, d.h. zu einem Preis „über Null“ hinzubuchen (Upgrading): So bietet ein E-Mail-Dienst kostenlos das Senden und Empfangen von E-Mails mit einem bestimmten Höchstspeicherplatz an (Basisversion), die Premium-Version besitzt unbegrenzten Speicherplatz, erlaubt größere Dateianhänge zu versenden und bietet ein personalisiertes Postfach. In einem sozialen (Karriere-)Netzwerk ist das Einstellen eines persönlichen Profils und die Kontaktaufnahme mit anderen Netzwerkern kostenlos (Basisversion), die gezielte Suche nach bestimmten Personenprofilen <?page no="164"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 165 hingegen kostenpflichtig. Die Spielteilnahme an einem Online-Computerspiel ist kostenfrei, wer jedoch die eigene Spielfigur „optisch aufwerten“ und sich weitere Spielvorteile verschaffen will, benötigt die Premiumversion. Das Kalkül des Anbieters, Basisdienstleistungen kostenlos zu offerieren ist, dass es ihm gelingt, einen gewissen Teil der Basisnutzer zu Premiumnutzern zu „konvertieren“, weil diese nach dem Kennenlernen der Basisversion für die Premiumdienste eine hohe Präferenz besitzen. Das ist vor allem in sozialen Netzwerken der Fall, deren Attraktivität von der Anzahl der Teilnehmer abhängt. In Branchenkreisen geht man davon aus, dass eine Konversionsrate von 5 % bereits ausreicht, um durch die Premiumnutzer die Basisversion mitzutragen. Ein Angebot kann auch dann an den Endkunden kostenlos abgegeben werden, wenn eine dritte Partei eine Refinanzierung gewährt. Dies ist bei werbefinanzierten Medienangeboten der Fall: Eine Suchmaschine kann ihren Dienst gratis anbieten, weil sie einen Teil jeder Webseite als Werbeplatz an Werbekunden verkauft. Je mehr Personen das Medienangebot nutzen, desto höher ist der Preis, den Werbekunden für eine Webseitenpräsenz bezahlen. 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 4.4.1 Qualitative konkurrenzorientierte Preisstrategien 4.4.1.1 Einführende Bemerkungen Die Literatur zum Wettbewerbsverhalten von Unternehmen kennt eine Fülle von Strategien, die auf verschiedene Aspekte der Beziehung zu Konkurrenten abstellen. Für das Preismanagement erscheinen hieraus drei Ansatzpunkte von besonderem Interesse: die strategische Positionierungsentscheidung bezogen auf die Preislage des Produkts, die Etablierung der Unique Price Proposition (UPP) und die Unterscheidung, ob ein Anbieter in der Preispolitik gegenüber seinen Konkurrenten eine Führerschafts- oder Anpassungsstrategie verfolgt. Allgemein erfordert die Festlegung einer konkurrenzorientierten Strategie die Beantwortung mehrerer grundlegender Marketingfragen (vgl. Meffert 1988, S. 46): Wer sind die relevanten Konkurrenten im anvisierten Markt, hinsichtlich welcher Aspekte besitzt man gegenüber einem Konkurrenten Vorteile oder Nachteile, welche Strategien verfolgen die Konkurrenten mit welchem Erfolg und welche Strategien werden sie in der Zukunft bzw. als Reaktion auf eigene Marketingentscheidungen einschlagen? Hinsichtlich des Preismanagements fokussieren diese Fragen nicht nur auf den Aspekt des Preises: Das Konzept des Customer Value zeigt, dass preispolitische Entscheidungen nicht von den produktpolitischen Entscheidungen zu isolieren sind, was hinsichtlich der Preis- <?page no="165"?> 166 4 Grundmodelle der Preiskalkulation lagenwahl besonders deutlich wird. Ferner bestimmt sich der gewinnoptimale Preis aus nachfrager- und produktionskostenbedingten Sachverhalten. Folglich hat die konkurrenzorientierte Preiskalkulation neben der eigenen Marktstellung gegenüber den Nachfragern relativ zur Konkurrenz (akquisitorisches Potenzial) auch die eigene Kostenposition relativ zur Konkurrenz zu berücksichtigen. 4.4.1.2 Preislagenwahl Mit der strategischen Wahl der Preislage für ein Produkt legt der Anbieter das Spielfeld und die Gegner fest, mit denen er am Markt (primär) konkurriert. Allgemein definiert die Preislage eine spezifische Preis-Qualitäts-Kombination, wobei man traditionell drei Preislagen (Preisklassen) unterscheidet (vgl. bspw. Becker 2002, S. 71; Rudolph 2005, S. 82): Für den Bereich des Handels resultiert die Qualität des Angebots aus der Qualitätslage der Produkte im Sortiment und/ oder der Qualität der offerierten Handelsfunktionen (Convenience), die sich in Auswahl, Beratung, Service oder Einkaufsatmosphäre konkretisiert. Premiumklasse (höchste Preislage) Die Produkte weisen am Markt die vergleichsweise höchste Qualität in den Produktbzw. Ausstattungsmerkmalen auf und besitzen zugleich einen hohen Preis (Hochpreispositionierung). Ein hoher Bruttonutzen lässt sich ferner durch Produkte mit hoher Spezifität erreichen: Hier sind die Leistungen auf bestimmte, zahlenmäßig kleine Marktsegmente zugeschnitten. Vereinfacht besteht das Bestreben in der Premiumklasse darin, der leistungsbezogen „beste“ Anbieter zumindest bei bestimmten Zielgruppen zu sein. Den relativ hohen Stückdeckungsbeiträgen stehen aber in der Regel vergleichsweise geringe Absatzmengen gegenüber, da bei Weitem nicht alle Nachfrager auf einem Markt bereit sind, für eine hohe Produktqualität einen entsprechend hohen Preis zu bezahlen. Niedrigpreisklasse (niedrigste Preislage) Die Produkte besitzen eine relativ geringe Produktqualität (Mindestqualität) oder sind hinsichtlich der Ausstattungsmerkmale lediglich als Grundversion zu bezeichnen. Es dominiert bei diesen Produkten das Prinzip der Leistungsvereinfachung. Dafür werden die Produkte zu einem niedrigen Verkaufspreis offeriert. Verkürzt formuliert, besteht das Bestreben darin, der günstigste Anbieter am Markt zu sein: Eine solche Niedrigpreispositionierung erfordert auf der Kostenseite eine entsprechend günstige Kostenposition: So müssen durch Mengeneffekte und Standardisierung in der Produktion die Produktionskosten, durch deutliche Abstriche in der Qualität die Materialeinsatzkosten niedrig <?page no="166"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 167 gehalten werden. Dies erlaubt, trotz eines niedrigen Verkaufspreises einen positiven Stückdeckungsbeitrag zu erzielen. Häufig wird die Niedrigpreispositionierung mit dem Erzielen hoher Absatzzahlen gleichgesetzt, da diese notwendig sind, um in den Produktionsprozessen Mengeneffekte hinsichtlich der Kosten zu realisieren (vgl. Siems 2009, S. 20-21). Konsumpreisklasse (mittlere Preislage) Hier liegen die offerierten Preis-Qualitäts-Niveaus zwischen den beiden vorgenannten Preislagen (Mittelpreispositionierung). Eine solche mittlere Position ist auch gegeben, wenn ein Produkt hinsichtlich bestimmter Produkteigenschaften höhere Qualitätslevels aufweist, während es bei anderen Ausstattungsmerkmalen nur das Mindestniveau der Branche erfüllt. Die Differenzierung der Produkte besteht dann darin, dass sie spezifische Kombinationen an selektiv höherwertigen Leistungen aufweisen. Aus Sicht des Nachfragerverhaltens kommt eine mittlere Preis-Qualitäts-Lage denjenigen Konsumenten entgegen, die eine gewisse Produktqualität fordern, ohne aber zu hohe Ausgaben in der Produktkategorie tätigen zu wollen. Die beobachtete Polarisierung des Kaufverhaltens hat zu einem Ausdünnen des Mittelpreissegments, d.h. einer Abnahme des Kundensegments, das die Konsumpreisklasse bevorzugt, geführt (vgl. Simon/ Fassnacht 2009, S. 31): Nachfrager streben immer stärker entweder nach hoher Produktqualität, da bei ihnen das Qualitätsbewusstsein dominiert, oder sie geben sich mit Produktversionen zufrieden, die nur das wesentliche enthalten, weil sie in dieser Produktkategorie nur geringe Ausgaben tätigen wollen (Lean Consumption). Das Segment der Schnäppchenjäger ist hierbei nicht mit der Präferenz für eine mittlere Preis- Qualitäts-Lage gleichzusetzen: Diese Konsumenten suchen nach günstigen Bezugsquellen für hohe Produktqualität (Smart Consumption) und sind bereit, hierfür Suchkosten zu tragen oder Abstriche in der Convenience des Handels einzugehen. Handelsunternehmen, die Service, Beratung und Ladenatmosphäre einschränken oder sich auf bestimmte Herstellermarken spezialisieren und dadurch hohe Bestellmengen ordern, erzielen Kosteneinsparungen, die es ihnen erlauben, hochwertige Markenartikel zu einem günstigen Preis zu offerieren. In dieser Hinsicht stellt das Fokussieren auf die Schnäppchenjäger eine weitere strategische Option in der Preislagenwahl dar. Das Konzept des Customer Value impliziert, dass keine der drei idealtypischen Preislagen für einen Anbieter vorab uninteressant ist, da unterschiedliche Marktsegmente als Käufer hinter den Preislagen stehen. Entscheidend sind die spezifischen Fähigkeiten des Anbieters in Produktion und Marketing und die relative Stellung zu den Konkurrenten, in welchem der drei „Haifischbecken der Konkurrenz“ er sich die besten Chancen für sein Produkt ausrechnet. Hierbei ist analog zum Sortimentsverbund von asymmetrischen Wettbewerbsstrukturen <?page no="167"?> 168 4 Grundmodelle der Preiskalkulation auszugehen: Die Konkurrenz der Anbieter innerhalb einer Preislage ist intensiver als zwischen Unternehmen unterschiedlicher Preislagen. Ferner wirken sich preispolitische Aktionen eines Unternehmens stärker auf die Anbieter der niedrigeren Preislage als auf diejenigen der höheren Preislage aus. 4.4.1.3 Unique Price Proposition Mit Unique Price Proposition (UPP) sollen diejenigen Aspekte in der Preispolitik eines Anbieters bezeichnet werden, mit denen er sich bei den Nachfragern - auch gegenüber der Konkurrenz - profilieren will (vgl. Diller 2008, S. 257). Diese herausragenden Preismerkmale verleihen der Preislagenwahl eine mehr wettbewerbsstrategische Fokussierung bzw. gehen inhaltlich über die Preislagenwahl hinaus. Aus Sicht der Nachfrager stellt die Unique Price Proposition einen zentralen Teil des Preisimage dar. Mehrere Konzepte zur Erreichung einer Unique Price Proposition lassen sich abgrenzen (vgl. Diller 2008, S. 259- 265): Billigpreis-Konzept Die Unique Price Proposition besteht darin, Produkte in einer Warenkategorie zu einem sehr günstigen Preis zu offerieren, wobei Qualitätsaspekte eine untergeordnete Rolle besitzen. Häufig setzen Anbieter auf „magische Preisziffern“ (alle Artikel für 99 Cent) oder bieten Auslauf- oder Postenware („Rudis Reste Rampe“) bzw. Artikel II. Wahl an. Generika-Konzept Hier beschränkt sich der Anbieter auf die Grundfunktion des Produkts und verzichtet auf zusätzliche Ausstattungsmerkmale oder Zusatznutzenelemente (No Frills); lediglich die Funktionssicherheit der Ware ist gewährleistet. Häufig handelt es sich um Produkte, bei denen ein Patentrechtsschutz abgelaufen ist und die nunmehr kostengünstig nachgeahmt werden können (z.B. Pharmabereich); im Handelsbereich trifft dies für sog. No-Name-Marken zu. Discount-Konzept Das Discount-Konzept ist ebenfalls in der Niedrigpreisklasse positioniert und setzt auf eine Leistungsvereinfachung. Bei Dienstleistungen besteht dies bspw. darin, auf in der Branche sonst übliche Dienstleistungen zu verzichten (z.B. keine Umbuchungen eines Flugs möglich, kein Bordessen; der Käufer muss das Produkt selbst zusammenbauen). Hinzutreten die Elemente der Preisaggressivität und Preisehrlichkeit des Anbieters (vgl. Haas 2000, S. 46-50): Im ersten Aspekt kommt das kontinuierliche Streben des Anbieters zum Ausdruck, Konkurrenten im Preis für ein Produkt aus einer Warenkategorie unterbieten zu <?page no="168"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 169 wollen; Preisehrlichkeit richtet sich an den Nachfrager, dem transparente preisbezogene Informationen präsentiert werden sollen. Schnäppchen-Konzept Die Unique Price Proposition besteht darin, den Käufern besondere „Preisgelegenheiten“ in Form von Sonderangeboten, Preisdifferenzierung (z.B. Schlussverkauf, Last-Minute-Angebote) oder augenfälligen, besonders günstigen Preiskomponenten (z.B. „keine Grundgebühr“) zu offerieren. Der Gelegenheitscharakter des Preisangebots mag durch limitierte Verkaufsmengen, aggressive Preiswerbung oder besondere Warenpräsentation verstärkt werden. Damit soll vor allem das Segment der Schnäppchenjäger angezogen werden bzw. durch Schnäppchenangebote bei besonders auffälligen Artikeln (Eckartikel) ein positives Preisimage bei den Nachfragern geschaffen werden. Um das Segment der Schnäppchenjäger an den Anbieter zu binden, müssen solche Preisaktionen regelmäßig und mit wechselnden Produkten stattfinden. Der Erfolg des Konzepts hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, eine entsprechende Kostenposition zu erreichen. Im Handel wird oftmals das Konzept der Mischkalkulation eingesetzt: Der negative Stückdeckungsbeitrag des Schnäppchenangebots muss durch andere Artikel im Sortiment mit positivem Deckungsbeitrag ausgeglichen werden. Dann erfordert das Schnäppchen-Konzept, dass die Schnäppchenjäger bereit sind, bei ihrem „Beutezug“ im Geschäft auch Artikel mit Normalpreisen (One-Stop-Shopping) zu erwerben. Fairness-Konzept Die Nachfrager sehen die Preissetzung des Anbieters als fair an bzw. der Anbieter besitzt bei ihnen eine hohe Preisreputation bzw. ein hohes Preisvertrauen. Value-Konzepte Dieses Konzept kann mit der Realisierung des Value Pricing (vgl. Abschnitt 4.3.3) gleichgesetzt werden. Premium-Konzept Der Anbieter positioniert sich am obersten Ende der Premiumklasse (Luxusmarken; vgl. Meffert/ Lasslop 2004, S. 931-948), in der sich die hohe Produktqualität auch durch ausgefallene modische Elemente oder in Unikaten (auf einen einzelnen Kunden angepasstes Produkt) manifestiert. Häufig wird mit der Premiumklasse ein hoher Stückdeckungsbeitrag bei einem Produkt assoziiert, da die große Nutzenstiftung der Produkte zu einer hohen maximalen Zahlungsbereitschaft bei denjenigen Kunden führt, für die die Produktqualität einen hohen Stellenwert besitzt. Zudem erschweren die Produktspezifität und Differenzierungen in den Ausstattungsmerkmalen zwischen den Anbietern Preisvergleiche <?page no="169"?> 170 4 Grundmodelle der Preiskalkulation für die Nachfrager und mindern dadurch die Markttransparenz, was wiederum das Durchsetzen höherer Preise für die Anbieter ermöglicht. Den hohen Verkaufspreisen stehen jedoch nur geringe Absatzmengen gegenüber, wobei größere Absatzmengen das Image des Luxus und der Exklusivität zerstören würden. Deshalb restringieren Anbieter ihre Produktionsmengen (Limited Edition), betreiben bewussten De-Marketing („nicht jeder bekommt das Produkt“) oder erschweren durch lange Lieferzeiten (Vorbestellungen) den Bezug. Letztendlich liegt ein sog. Verkäufermarkt vor, auf dem die Nachfrager um den Erhalt der begehrten Waren konkurrieren und der Besitz einen hohen Symbolwert oder soziale Aufmerksamkeit (Geltungsnutzen) für diese Nachfrager besitzt (Veblen- Effekt). Der Preis spielt nur eine untergeordnete Rolle in der Kaufentscheidung bzw. die besonderen Produktleistungen erlauben die Durchsetzung eines Preisaufschlags (Premium), der über die funktionale Überlegenheit des Produkts gegenüber Konkurrenzangeboten hinausgeht. Eine generelle Aussage zur optimalen Unique Price Propostion lässt sich nicht treffen. Hierfür sind eine genaue Marktsegmentierung und Marktforschung ebenso notwendig wie eine kritische Analyse der eigenen Produktleistung und Kostenposition relativ zur Konkurrenz. 4.4.1.4 Anpassungs- und Führungsstrategien Zur deutlicheren Unterscheidung verschiedener Varianten von Führerschafts- oder Anpassungsstrategien sollen im Weiteren die Namen von bekannten Ökonomen in diesem Forschungsbereich als „Zusatz“ verwendet werden. Eine solche Personifizierung ist zumindest für einige Strategien in der Literatur üblich (vgl. bspw. Battenfeld 2003, S. 198f.; Pfähler/ Wiese 2008, S. 95-114; Ott 1989, S. 210-219). Die hier verwendete Begriffssystematisierung erhebt aber keinen Anspruch auf Verbindlichkeit. Ein Anbieter, der eine Preisanpassungsstrategie im Preiswettbewerb verfolgt, reagiert lediglich auf die Preisentscheidungen der Konkurrenten, wobei sich zwei Ausprägungen unterscheiden lassen: Cournot-Preisanpasser Dieser Anbieter nimmt zwar „fatalistisch“ hin, dass Konkurrenten einen Teil des Gesamtmarkts mit ihren Produkten abdecken. Im verbliebenen Restmarktpotenzial, das ihm die Konkurrenten aufgrund ihrer Preissetzung überlassen, versucht er aber, das „beste daraus zu machen“, d.h. den gewinnmaximalen Preis als Antwort auf die Konkurrenzpreise zu setzen. Implizit unterstellt der Cournot-Preisanpasser hierbei, dass seine eigenen Preisentscheidungen die Konkurrenz zu keiner Preisänderung veranlassen. Bezogen auf die Konkurrenzpreise mag der Cournot-Preisanpasser eine Preiserwartung formulieren oder den Konkurrenzpreis der vergangenen Periode als weiterhin gültig annehmen. In <?page no="170"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 171 beiden Fällen stellt dieser antizipierte Konkurrenzpreis die Rahmenbedingung dar, innerhalb der er dann seine eigene Preisbestimmung bestmöglich ausrichtet. Chamberlin-Preisanpasser Dieser Anbieter nimmt den Preis eines Konkurrenten als Orientierungsgröße für die eigene Preisbestimmung, indem er eine konstante absolute oder relative Preisrelation zwischen diesem Konkurrenz-Referenzpreis und dem eigenen Preis einhält. Als Orientierungsgröße mag der Verkaufspreis eines bestimmten Anbieters (z.B. Marktführer) oder der Durchschnittspreis der Konkurrenten am Markt dienen. So will der Chamberlin-Preisanpasser bspw. stets 10 % unter dem Durchschnittspreis der Konkurrenz bleiben, da er bspw. kein so starkes Markenimage besitzt und sich deshalb über einen günstigen Preis profilieren muss. Im Gegensatz zum Cournot-Preisanpasser verfolgt der Chamberlin-Preisanpasser eine starre Reaktion auf Veränderungen des Konkurrenzreferenzpreises. Allerdings erspart sich der Chamberlin-Preisanpasser dadurch eine eigene explizite Preiskalkulation; lediglich der Preisabstand ist festzulegen. Im Extremfall übernimmt der Chamberlin-Preisanpasser den Konkurrenz-Referenzpreis als eigenen Preis. Ein solcher Verzicht auf eine eigene Preiskalkulation mag darin begründet sein, dass er seinen Referenzkonkurrenten eine bessere Marktübersicht bzw. größeres Know-how in der Preisbestimmung zuschreibt, weshalb er sich als Trittbrettfahrer an deren Preistendenz anschließt. Bliemel/ Adolphs (2003, S. 142) bezeichnen dies als Vertrauen auf die „kollektive Weisheit der anderen Anbieter, den richtigen Preispunkt auf der Nachfragekurve gefunden zu haben.“ Allgemein ist die Differenz zwischen dem eigenen Preis und dem gewählten Preis der Konkurrenz bzw. damit der eigene preispolitische Spielraum davon abhängig, wie homogen die Produkte am Markt sind. Je weniger differenziert das eigene Produkt im Vergleich zu den Konkurrenzprodukten ist, desto weniger kann es sich ein Anbieter erlauben, vom Konkurrenzpreisniveau abzuweichen. Möglicherweise existiert für eine Produktkategorie aus sehr homogenen Waren sogar nur ein einheitliches Preisniveau am Markt (Marktpreis), wie dies für die idealtypischen Marktformen des homogenen Polypols oder homogenen Oligopols gilt. In Marktsituationen mit homogenen Präferenzen der Nachfrager gleicht der Cournoteinem Chamberlin-Preisanpasser: Es ist die bestmögliche Anpassung, den Marktpreis als eigenen Preis zu übernehmen. Folglich erübrigt sich faktisch eine eigenständige Preispolitik des Anbieters; vielmehr stellt sich die Frage, ob er gemessen an seinen Produktionskosten das Konkurrenzpreisniveau halten kann, um noch einen Gewinn zu erzielen. Allgemeines Charakteristikum der Preisführerschaftsstrategie ist, dass der betreffende Anbieter die Akzente im Preiswettbewerb der Branche setzt. Diese Rolle muss nicht zwangsläufig der „Branchenprimus“ einnehmen; ebenso mag ein Newcomer am Markt oder ein aggressiver, kleinerer Wettbewerber ver- <?page no="171"?> 172 4 Grundmodelle der Preiskalkulation suchen, durch Preisführerschaft in der Branche seine Marktposition zu verbessern. Inhaltlich lassen sich mehrere Ausprägungen einer Preisführerschaft abgrenzen. Stackelberg-Preisführer Dieser Anbieter verfolgt eine sog. Überlegenheitsstrategie gegenüber seinen Konkurrenten: Er rechnet damit, dass die Konkurrenten auf seine eigenen Preisaktionen reagieren und sich hierbei - aus ihrer Sicht - bestmöglich auf den Preis des Stackelberg-Preisführers mit ihren Preisen einstellen. Der Stackelberg- Preisführer geht folglich von Cournot-Preisanpassern aus. Für den Stackelberg- Preisführer ist damit die preisbezogene Verhaltensreaktion seiner Preisfolger, formal operationalisiert in einer sog. Reaktionsfunktion, antizipierbar. Kennzeichen der Überlegenheitsstrategie ist hierbei, dass diese Kenntnis dem Stackelberg-Preisführer ermöglicht, das Konkurrenzpreisverhalten explizit in seinem Gewinnmaximierungskalkül zu beachten: Es gilt für ihn die Devise: „Da ich weiß, wie sich mein Konkurrent verhalten wird, kann ich mich in meiner eigenen Preiskalkulation selbst bestmöglich darauf einstellen.“ Der Stackelberg-Preisführer steuert folglich die Preisreaktion seiner Konkurrenten bewusst zu seinem eigenen Vorteil, obwohl sich die Konkurrenten als Cournot-Preisanpasser bestmöglich auf die Preisaktion des Stackelberg-Preisführers einstellen. Chamberlin-Preisführer Dieser Anbieter antizipiert, dass sich seine Konkurrenten als Chamberlin-Preisanpasser verhalten und auf eigene Preisaktionen „synchron“ nachziehen, um den bisherigen Preisabstand einzuhalten. Dadurch sind die Reaktionen der Chamberlin-Preisanpasser für den Chamberlin-Preisführer antizipierbar. Ebenso wie der Stackelberg-Preisführer steuert er mit eigenen Preisentscheidungen folglich die Preisentscheidungen seiner Konkurrenten unter dem Kalkül des eigenen Vorteils. Im Vergleich zum Stackelberg-Preisführer rechnet der Chamberlin-Preisführer in seiner Überlegenheitsstrategie aber mit „leichteren“ Gegnern, da diese nach starrem Muster auf seine Preisvorgaben antworten. Kosten-/ Preisführer Die vor allem in der strategischen Marketingplanung übliche Interpretation der Kosten-/ Preisführerschaft, „billiger als die Konkurrenz sein zu wollen“, ist unscharf, da sich hierunter unterschiedliche Sachverhalte verstehen lassen. Auch der Tatbestand, dass Unternehmen Kosteneinsparungspotenziale nutzen (müssen), ist insofern kein Ausdruck der Kostenführerschaft, da ungenutzte Kosteneinsparungen - bei Wahrung der gleichen Produktqualität - eine Verletzung des Wirtschaftlichkeitsprinzips bedeuten, was sich zugleich in einem Verschenken von Gewinnpotenzial niederschlägt. Insofern besteht das Streben eines Anbie- <?page no="172"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 173 ters, Kosten unter Beibehaltung der Qualität einzusparen, unabhängig von der jeweiligen Preisposition am Markt. Dies gilt auch für die Forderung, dass ein Anbieter keine Produktkomponenten offerieren sollte, für die seine Zielgruppe keine ausreichende Zahlungsbereitschaft besitzt. Solche Binsenweisheiten konstituieren noch keine Kosten-Preisführerschafts-Strategie. Unstreitig ist, dass in einer kurzfristigen bzw. myopischen Betrachtung eine preisliche Unterbietung der Konkurrenten (Preisführerschaft) eine günstige Kostenposition (Kostenführerschaft) voraussetzt. Wie die Amoroso-Robinson-Relation (Bedingung 4.3-6) zeigt, reagiert der Anbieter bei niedrigeren Grenzkosten mit niedrigeren Preisen. Das Gewinnmaximierungskalkül bei sinkenden Grenzkosten liegt folglich darin, durch niedrigere Preise Mengengewinne zu erzielen, anstatt den bisherigen Preis beizubehalten und den - aufgrund der niedrigeren Stückkosten - höheren Stückdeckungsbeitrag zu „melken“. Eine Ursache des Kostenvorsprungs und damit der Kosten-/ Preisführerschaft ist, dass der Preisführer deshalb zu niedrigeren Kosten als die Konkurrenten sein Produkt erstellt, weil er Abstriche in Qualität und Service macht. In dieser Interpretation fällt die Kosten-/ Preisführerschaft mit dem Generika- oder Discount-Konzept zusammen. Hier befiehlt allerdings nicht (erst) die Amoroso-Robinson-Relation, sondern bereits der Markt, dass sich dieses qualitativ geringwertigere Produkt nur zu einem niedrigeren Preis verkaufen lässt. Ein anderer Ansatzpunkt, Kostenvorteile gegenüber Konkurrenten zu erzielen, ist darin zu sehen, hohe Stückzahlen des Produkts zu erstellen, um effiziente und damit kostensparende Produktionsprozesse zu ermöglichen. Ferner lassen sich durch größere Bestellvolumina günstigere Beschaffungspreise bei den Zulieferern erzielen. Eine solche standardisierte Produktion erfordert allerdings zumeist auch ein standardisiertes Produkt, das auf die Realisierung von Wünschen zahlenmäßig kleiner Marktsegmente (Kleinserienfertigung) verzichten muss. Vielmehr müssen hohe Produktionszahlen am Markt abgesetzt werden. Dies erfordert die Ansprache zahlenmäßig großer Marktsegmente bzw. die Konzeption eines Produkts, das für weite Teile des Gesamtmarktes akzeptabel ist (Massenware). In dieser Interpretation bildet die Kosten-/ Preisführerschaft somit das Gegenteil zur Differenzierungsbzw. Nischenstrategie. Der niedrigere Preis für das Produkt gegenüber der Konkurrenz ist damit als Anreiz bzw. Entschädigung für diejenigen Nachfrager zu sehen, die ein Produkt zu erwerben bereit sind, das aufgrund der Standardisierung nicht so sehr ihren individuellen Vorstellungen entspricht. Da aber das letztendliche Kaufentscheidungskriterium der Customer Value ist, vermag ein deutlich geringerer Kaufpreis den niedrigeren Bruttonutzen bei manchen Nachfragern unter Umständen mehr als auszugleichen. Eine weitere Ursache eines Kostenvorsprungs bei gleicher Produktqualität gegenüber Konkurrenten liegt in produktionstechnologischen Vorteilen. <?page no="173"?> 174 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Diese können in allen Preislagen existieren: Aufgrund des Einsatzes kostensparenderer Fertigungstechnologien vermag der Anbieter zu niedrigeren Grenzkosten zu produzieren. Hier kommt der kumulierten Produktionsmenge als Voraussetzung für das Erzielen von Erfahrungskurven- und Skaleneffekten (Economies of Scale) in der Produktion eine wichtige Rolle zu. Dieser Aspekt einer Kosten-/ Preisführerschaft wird im Zusammenhang mit der Preispolitik für Innovationen (vgl. Abschnitt 5.4.3) noch vertieft. Niedrigere Grenzkosten in der Produktion aufgrund von effizienteren Technologien bedeuten jedoch nicht automatisch höhere Gewinne. In der Regel führt der Einsatz modernerer Technologien zu einer höheren Fixkostenbelastung. Die erzielten Stückdeckungsbeiträge, d.h. die Differenz von Verkaufspreis und Grenzkosten, müssen dann einen größeren Fixkostenblock abdecken. Die zweifellos beste Kombination im Preismanagement stellt es dar, wenn der Anbieter eine höhere Produktqualität zu niedrigeren Kosten und damit zu einem günstigeren Preis als seine Konkurrenten offerieren kann. Eine solche Outpacing-Strategie dürfte jedoch nur selten zu verwirklichen sein: Zum einen muss es sich um „schwache“ Konkurrenten handeln, denen es nicht gelingt, Qualitäts- oder Kostenvorteile gegenüber dem betrachteten Anbieter zu erzielen. Zum anderen stehen hohe Qualität (Differenzierung) und niedrige Kosten (Standardisierung) prinzipiell gegensätzlich zueinander. Eine mögliche Realisierung der „Besser- und günstiger“-Strategie liegt jedoch darin, wann das betrachtete Unternehmen als erster Anbieter (Pionier-Anbieter) mit seinem Produkt den Markt betritt (revolutionäre Innovation): Dann besitzt er einen Zeitvorsprung, mit dem er einerseits sein Produkt weiterentwickeln kann, um seinen technologischen Vorsprung vor den Konkurrenten zu halten; andererseits vermag der Pionier-Anbieter Erfahrungskurven- und Skaleneffekte in der Produktion zu realisieren, um im Kostenniveau unter den Konkurrenten bleiben zu können (vgl. Abschnitt 5.4.3). Bowley-Preisführer Eine Motivation, „billiger als die Konkurrenz sein zu wollen“, kann aber auch darin gesehen werden, durch eine eigene Niedrigpreispolitik Konkurrenten aus dem Markt zu verdrängen (Predatory Pricing). Sie können mit diesem (Kampf-) Preisniveau nicht mehr mithalten und scheiden deshalb langfristig aus dem Markt aus. Hierbei mag der Bowley-Preisführer durchaus einen Cournot- Preisanpasser unterstellen, der auf den Bowley-Preis bestmöglich reagiert. Eine solche „Vernichtungsstrategie“ impliziert in der Regel für diesen Bowley- Preisführer eigene erhebliche Verluste (z.B. Verkauf unter Einstandspreis oder Grenzkosten), er fühlt sich jedoch aufgrund seiner finanziellen Ressourcen stark genug, diese Durststrecke durchzustehen, was er für (einige) seine(r) Konkurrenten nicht annimmt. Nach deren Ausscheiden vom Markt hofft der Bowley- Preisführer dann, seine gestärkte Marktstellung (Monopolstellung) zu Preiserhö- <?page no="174"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 175 hungen zu nutzen, um so die „Investitionen in die Konkurrenzeliminierung“ wieder hereinholen zu können (Recoupment). Eine ökonomische Voraussetzung dieser aggressiven Preisstrategie ist, dass es dem Bowley-Preisführer tatsächlich gelingt, mit eigener Preispolitik seine Konkurrenten in die Enge zu treiben. Ferner ist einerseits der Marktaustritt für bestehende Konkurrenten möglich, andererseits existieren Markteintrittsbarrieren, die den Eintritt von neuen Konkurrenten in der Recoupment-Phase verhindern. Zudem muss ein erhebliches Ressourcenungleichgewicht zwischen dem Bowley-Preisführer (z.B. marktmächtiges Unternehmen) und seinen Konkurrenten bestehen. In einer etwas weiter gefassten Definition muss die Bowley-Preisführschaft nicht die Konkurrenzverdrängung beinhalten: So mag der Bowley-Preisführer seine Konkurrenten lediglich „disziplinieren“ wollen, damit diese ein ihm „genehmes“ Verhalten an den Tag legen, wie bspw. eine Preiserhöhung durchzuführen, auf Preisaktionen zu verzichten oder einen Preisabstand einzuhalten. Hierfür genügt möglicherweise die glaubhafte Androhung eines Predatory Pricing gegenüber dem Konkurrenten. Zudem kann der Bowley-Preisführer seinem Konkurrenten einen Preis zu setzen androhen, bei dem dieser - trotz bestmöglicher Anpassung - nur einen Gewinn erzielt, der geringer als bei einem dem Bowley-Preisführer „genehmen“ Preis ausfällt. Barometrischer Preisführer Ausgangspunkt ist ein homogenes Oligopol: Hier existieren wenige Anbieter mit großen Produktionskapazitäten und gleichen Produktions- und Kostenstrukturen. Erhöht ein Oligopolist seinen Preis über das Preisniveau seiner Konkurrenten, verliert er seinen gesamten Absatz, da die Nachfrager zu seinen günstigeren Konkurrenten wechseln. Damit besteht keine Motivation, einseitig den Preis zu erhöhen. Umgekehrt erzielt ein Oligopolist, der im Preis günstiger als seine Konkurrenten ist, große Absatzgewinne, wobei die Absatzverluste für die anderen Oligopolisten spürbar sind. Deshalb müssen sie - wollen sie ihren Absatz behalten - ihre Preise senken. Der barometrische Preisführer tritt in einer Situation auf, in der es für alle Oligopolisten im Sinne der Gewinnmaximierung vorteilhaft ist, den Preis zu erhöhen, weil bspw. die Kosten für alle Oligopolisten gleichermaßen gestiegen sind. Derjenige Oligopolist, der als erster den Preis erhöht, ist der sog. barometrische Preisführer. Da alle Oligopolisten die Preiserhöhung als vorteilhaft empfinden, werden sie ebenfalls ihre Preise anheben: Sie folgen damit dem barometrischen Preisführer. Der barometrische Preisführer ermöglicht mit seiner Vorreiterrolle den anderen Oligopolisten, die neue gewinnmaximale Preis-Mengen- Kombination zu erreichen. Der barometrische Preisführer selbst kann sich hierbei sicher sein, dass ihm seine Konkurrenten mit nahezu identischen Preiserhöhungen folgen, da für sie der höhere Preis ebenfalls vorteilhaft ist. Allge- <?page no="175"?> 176 4 Grundmodelle der Preiskalkulation mein liegt in der Branche ein paralleles Preisverhalten der Anbieter vor, das vom barometrischen Preisführer initiiert wird. Aufgrund dieses Parallelverhaltens treten keine wesentlichen Käuferfluktuationen unter den Oligopolisten auf. Diese Konstellation gilt ebenso für das heterogene Oligopol, wenn die Preiserhöhung der Oligopolisten den monopolistischen Bereich der doppelt geknickten Preis-Absatz-Funktion verlässt. Da alle Oligopolisten dem barometrischen Preisführer folgen, kommt es zu einer Verschiebung der Preis-Absatz-Funktion eines Oligopolisten auf der sog. Stammnachfrage-Gleitkurve (vgl. Abbildung 4.4-1): Abbildung 4.4-1: Preisverhalten im heterogenen Oligopol Auf dieser Stammnachfrage-Gleitkurve bewegt sich der monopolistische Bereich der Preis-Absatz-Funktion. Haben die Oligopolisten bislang ihren Preis im monopolistischen Bereich (p 1 ; x 1 ) gesetzt und führt eine Kostenänderung zunächst zu einem neuen gewinnmaximalen Preis außerhalb des monopolistischen Bereichs (p 2 ; x 3 ), liegt der neue gewinnmaximale Preis nach Durchführung der parallelen Preisanpassungen der Oligopolisten an den barometrischen Preisführer wieder im monopolistischen Bereich (p 2 ; x 2 ): Keiner der Oligopolisten hat in nennenswertem Umfang seine Stammnachfrager trotz einer Preisveränderung über den ursprünglichen monopolistischen Bereich hinaus verloren (Preiserhöhungen). Die Absatzmenge ist zwar geringer, da die Stammkunden ihre Kaufmengen einschränken, der Absatzverlust fällt aber wesentlich geringer als beim Verlassen des monopolistischen Bereichs aus. Umgekehrt vermag der barometrische Preisführer durch Preissenkungen langfristig keine neuen Stammnachfrager zu gewinnen, da sich aufgrund des Parallelverhaltens der Konkurrenten dann der monopolistische Bereich ebenfalls auf der Stammnachfrage-Gleitkurve verschiebt. Stammnachfrage-Gleitkurve x p p 2 p 1 x 3 x 2 x 1 <?page no="176"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 177 Diese friedliche Lösung, ein höheres Preisniveau am Markt ohne nennenswerte Stammnachfragerverluste für einen Oligopolisten durch ein Parallelverhalten entsprechend dem barometrischen Preisführer zu erreichen, ist allerdings durch einen Außenseiter-Anbieter, der seinen Preis nicht erhöht, bedroht. Ein solcher Anbieter mag darauf setzen, durch seinen - relativ zu den Konkurrenten - niedrigeren Preis große Absatzzuwächse zu erzielen und aufgrund von produktionstechnischen Vorteilen (kostengünstigere Fertigung) seinen Gewinn zu steigern. In diesem Fall müssen die anderen Oligopolisten sowie der barometrische Preisführer ihre Preiserhöhung wieder zurücknehmen, wollen sie nicht massive Absatzeinbrüche erleiden. Ein solcher Außenseiter-Anbieter erfüllt dann nicht das Homogenitätserfordernis, das der barometrische Preisführer unter den Oligopolisten voraussetzt. Innovator für neue Preissysteme Dieser Preisführer wirft die bisherigen Branchengepflogenheiten in der Preispolitik (Transaktionsdesign) über den Haufen: So mag ein Anbieter von Finanzdienstleistungssoftware seine Produkte nicht mehr, wie es seine Konkurrenten pflegen, verkaufen, sondern seinen Kunden zu einem monatlichen Abonnementpreis, der Updates und Wartung einschließt, überlassen (vgl. Simon 2004, S. 1094). Ebenso bietet ein Händler die komplette Lösung eines Konsumproblems aus verschiedenen Artikeln (z.B. Herrenanzug mit Hemd, Krawatte und Socken), die er im Schaufenster präsentiert, zu einem Gesamtverkaufspreis (Preisbündelung) an, anstelle die Artikel, wie es seine Konkurrenten machen, einem Kunden mit ihren Einzelpreisen in Rechnung zu stellen. Ein solcher Preisführer ist der Innovator für neue Preissysteme in der Branche bzw. am Markt. Der Erfolg eines neuen Preissystems über das etablierte Transaktionsdesign hängt entscheidend von der Akzeptanz durch die Nachfrager ab. Ferner steht die Rechtsprechung neuen Preissystemen mitunter sehr reserviert gegenüber. Diese Barrieren muss der Preisführer überwinden. Stellt sich das neue Preissystem als gewinnsteigernd heraus, werden dem Innovator rasch die Konkurrenten folgen. Eine „Patentierbarkeit“ von Preissystemen, die eine alleinige Nutzung garantieren würde, ist nicht möglich. Solche Konstellationen bewirken, dass die „Innovationsfreude“ im Bereich der Preispolitik geringer als in anderen Marketingbereichen ausgeprägt ist. Kartellbildung Die bislang dargestellten Preisstrategien sind wettbewerbsorientierte (kompetitive) Antworten auf das Problem, dass Anbieter in einer Branche um die knappe Kaufkraft (Zahlungsbereitschaft) ihrer Abnehmer konkurrieren. Eine gänzlich andere, kooperative Antwort beinhaltet die Bildung eines (Preis-)Kartells: Hier findet eine Absprache der konkurrierenden Anbieter über die Höhe ihrer Ver- <?page no="177"?> 178 4 Grundmodelle der Preiskalkulation kaufspreise dahingehend statt, dass sie am Markt höhere Preis für ihre Produkte als unter Wettbewerbsbedingungen ansetzen. Dadurch erhoffen sie sich höhere Gewinne. Im Idealfall betreiben die Anbieter eine gemeinsame Gewinnmaximierung. Sie legen diejenigen Preise fest, bei denen der Gesamtgewinn am Markt, d.h. die Summe der Teilgewinne aller Anbieter, am größten ist und teilen sich diesen Gesamtgewinn dann nach einem vereinbarten Verteilungsschlüssel auf. Hierbei können Ausgleichzahlungen unter den Kartellmitgliedern anfallen, wenn ein Kartellmitglied - verglichen mit dem ihm „zustehenden“ Teil aus dem Gesamtgewinn - einen höheren (niedrigeren) Gewinn erzielt hat. Die Bildung eines Preiskartells führt dazu, dass am Markt eine geringere Gesamtproduktmenge zu höheren Preisen - verglichen mit der Wettbewerbslösung - angeboten wird. Mit Preiskartellen ist deshalb häufig auch eine Absprache über die Produktionsmengen verbunden, wobei geringere Produktionsmengen den Preis am Markt hoch halten sollen. Das Einhalten der Kartellpreislösung setzt den Verzicht auf opportunistisches Verhalten voraus bzw. erfordert die glaubhafte Signalisierung den anderen Anbietern gegenüber, sich an die Kartellabsprachen zu halten. Solche Konstellationen sind nur unter „freundschaftlich verbundenen“ Anbietern, nicht aber unter echten Wettbewerbern zu erwarten. Schert ein Kartellmitglied aus und offeriert seine Produkte zu niedrigeren Preisen als dem Kartellpreis, kann dieser Außenseiter einen höheren Gewinn als bei Verbleib im Kartell realisieren. Preiskartelle sind deshalb stets latent vom Zerfall bedroht. Allerdings können signalisierte „Vergeltungsmaßnahmen“ der anderen Kartellmitglieder (z.B. Bezugsblockaden, Wettbewerbsbehinderungen in Geschäftsbereichen), einen potenziellen Ausreißer bei der Stange halten. 4.4.2 Quantitative Kalkulation konkurrenzorientierter Preise 4.4.2.1 Einführende Bemerkungen Im Folgenden werden einige Lösungsansätze vorgestellt, die die Identifizierung eines optimalen Preises für einen Anbieter unter Berücksichtigung von preispolitischen Entscheidungen seiner Konkurrenten erlauben. Diese Ansätze sind aufgrund der hierfür notwendigen Informationen weniger für die Praxis geeignet, sondern besitzen dahingehend Bedeutung, gewisse Phänomene im Preiswettbewerb in einem Markt zu illustrieren. Aus didaktischen Gründen beschränken sich die Ausführungen auf einen Markt mit zwei Anbietern (Dyopol). Für die Ermittlung optimaler Preise bei mehreren Konkurrenten eignen sich bspw. Computersimulationen. <?page no="178"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 179 4.4.2.2 Preisfindung bei spezifischen Preiskombinationen In einem sequentiellen Spiel legt - bezogen auf die Preispolitik - Anbieter 1 seinen Preis fest, worauf Anbieter 2 seinen eigenen Preis bestimmt. Diese beiden Preisentscheidungen bilden eine Spielrunde. In der nächten Spielrunde antwortet Anbieter 1 auf die Preisentscheidung seines Konkurrenten, der wiederum die Preissetzung von Anbieter 1 mit seinem eigenen Preis kontert. Betrachtet man dieses Aktion-Reaktion-Spiel aus dem Blickwinkel von Anbieter 1, vermag dieser möglicherweise abzuschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Anbieter 2 einen bestimmten Preis auf seine eigene Preisentscheidung ansetzt; ferner ist Anbieter 1 in der Lage anzugeben, welchen Gewinn er am Ende einer Aktions-Reaktions-Kette (Endergebnis der letzten Spielrunde) erzielt. In dieser - zweifellos wenig realistischen - Informationslage lässt sich das sequentielle Spiel mit Hilfe eines Entscheidungsbaumes graphisch übersichtlich darstellen. Methodisch zu unterscheiden sind Entscheidungsknoten, die eine Preisentscheidung von Anbieter 1 symbolisieren, und Ereignisknoten, die die Preisaktion seines Konkurrenten abbilden (vgl. bspw. Bamberg et al. 2008, S. 190-193). Aus den Daten des Entscheidungsbaumes lässt sich dann mit Hilfe der traditionellen Entscheidungskriterien der Entscheidungstheorie der für Anbieter 1 optimale Preis identifizieren. Fallbeispiel Ein Anbieter (I) sieht sich einem Preis seines Konkurrenten (II) in Höhe von p=6 gegenüber. Dies ist der Start des folgenden sequentiellen Spiels. Bezogen auf diesen Preis überlegt Anbieter I entweder mit einem eigenen Preis von p I =7,50 oder p I =5 (Entscheidungsknoten) zu antworten. Setzt er den Preis auf p I =5, rechnet Anbieter I damit, dass sein Konkurrent mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,7 einen Preis von p II =4,50, mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,3 einen Preis von p II =6 setzen wird (Ereignisknoten). Setzt der Konkurrent den Preis auf p II =6, dann wählt Anbieter I als eigenen Preis entweder p I =5 oder p I =6 (Entscheidungsknoten). Wählt er den Preis p I =5, geht Anbieter I davon aus, dass sein Konkurrent mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,3 mit einem Preis von p II =4,50 und mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,7 mit einem Preis von p II =5,50 antworten wird (Ereignisknoten). <?page no="179"?> 180 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Der obenstehende Entscheidungsbaum stellt alle Entscheidungs- und Ereignisknoten dieses Spiels über zwei Runden dar. Ferner weiß Anbieter I, welche Gewinnwirkung jede Preissequenz (Astfolge) im Entscheidungsbaum am Ende des Spiels aufweist: So liefert die Preissequenz (p I =5, p II =4,50, p I =4, p II =4,50) einen Gewinn von G=350. Das Auffinden der optimalen Preisentscheidungen für Anbieter I basiert auf dem Roll-back-Verfahren: Zunächst müssen für die zweite Spielrunde die Preisentscheidungen von Anbieter I auf ihre Gewinnwirkung geprüft werden: Ist Anbieter I risikoneutral, eignet sich als Präferenzwert ( ) der Erwartungswert ( -Kriterium) der Gewinne: Für die Preisentscheidung p I =4 - als Antwort auf den Konkurrenzpreis p II =4,50 - resultiert als Erwartungswert: A 1 : (p I =4) = 0,8 · 350 + 0,2 · 370 = 354 Für die Preisentscheidung p I =5 - als Antwort auf den Konkurrenzpreis p II =4,50 - resultiert als Erwartungswert: A 2 : (p I =5) = 0,4 · 380 + 0,6 · 340 = 356 4,50 (0,7) 6 (0,3) 7,50 7(0,5) 8(0,5) 5 6 8,50 7,50 5,50 4 5 6 8 9 4 (0,2) 5 (0,4) 5,50 (0,6) 5,50 (0,7) 4,50 (0,3) 5 (0,6) 5,50 (0,4) 7,50 (0,5) 7 (0,5) 8 (0,8) 7,50 (0,2) 8,50 (0,6) 8 (0,4) 8,50 (0,6) 8 (0,4) 350 370 380 340 330 360 330 350 350 400 380 390 300 280 300 270 1. Runde 2. Runde Gewinne Ereignisknoten Entscheidungsknoten 4,50 (0,8) <?page no="180"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 181 Da (p I =5) > (p I =4) gilt, ist es für Anbieter I optimal, auf einen Konkurrenzpreis von p II =4,50 mit einem Preis von p I =5 zu antworten: Die Preisalternative p I =4 wird aufgrund des kleineren Präferenzwerts gegenüber p I =5 als ineffizienter Ast im Entscheidungsbaum bezeichnet und in der weiteren Betrachtung ausgeschlossen („der Ast wird abgeschnitten“). Diese Berechnung wird analog für alle Antworten (Preisentscheidungen) des Anbieters I auf die Preissetzungen seines Konkurrenten in der zweiten Spielrunde durchgeführt und die jeweils ineffizienten Äste im Entscheidungsbaum identifiziert. Die folgende Tabelle gibt die jeweiligen Präferenzwerte (Erwartungswerte) für die zweite Spielrunde wieder: Nachdem die effizienten Antworten von Anbieter I auf die Preise von Anbieter II in der zweiten Spielrunde feststehen, kann der optimale Preis in der ersten Spielrunde identifiziert werden: Aus der zweiten Spielrunde gehen nur die effizienten Äste des Entscheidungsbaums ein. Für die Preisentscheidung p I =5 - als Antwort auf den Konkurrenzpreis p II =6 - resultiert als Erwartungswert: A 1 : (p I =5) = 0,7 · 356 + 0,3 · 351 = 354,5 Für die Preisentscheidung p I =7,50 - als Antwort auf den Konkurrenzpreis p II =6 - resultiert als Erwartungswert: A 2 : (p I =7,50) = 0,5 · 388 + 0,5 · 294 = 341 Da (p I =5) > (p I =7,50) gilt, ist es für Anbieter I optimal, in der ersten Spielrunde mit einem Preis von p I =5zu starten. Sollte hierauf Anbieter II mit einem Preis von p II =6 (p II =4,50) reagieren, ist es für Anbieter I in der zweiten Spielrunde optimal, den Preis p I =5 (p I =5,50) zu setzen. Anbieter I bleibt damit in der zweiten Spielrunde flexibel und wählt erst seinen Preis, nachdem der Konkurrent auf die Preisentscheidung von Anbieter I in der ersten Spielrunde geantwortet hat. p II =4,50 p I =4 354 ineffizient p I =5,50 356 p II =6 p I =5 351 p I =6 342 ineffizient p II =7 p I =7,50 375 ineffizient p I =8 388 p II =8 p I =8,50 288 ineffizient p I =9 294 <?page no="181"?> 182 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Eine etwas veränderte Informationslage besitzen die beiden Anbieter in einfachen nicht-kooperativen Zwei-Personen-Spielen der Spieltheorie (vgl. bspw. Bamberg et al. 2008, S. 186-215); bezogen auf preispolitische Entscheidungen handelt es sich um sog. Wettbewerbsspiele der Spieltheorie: Die Anbieter haben verschiedene Preisalternativen (strategische Optionen; Strategie) und kennen zugleich die strategischen Optionen (bspw. Preise) ihres Konkurrenten. Das Spiel besteht aus strategischen Interaktionen beider Anbieter, d.h. der Kombination der von ihnen jeweils gewählten strategischen Option. Die Anbieter treffen gleichzeitig ihre Entscheidung. Den Anbietern ist ferner bekannt, welche Gewinnwirkung eine spezifische Strategiekombination aufweist. Diese Gewinnfolgen werden in der Auszahlungsmatrix (Ergebnismatrix) abgebildet. Ein Anbieter (Spieler 1) unterstellt, dass sich sein Konkurrent (Spieler 2) bestmöglich auf eine eigene strategische Option einstellen wird: Spieler 1 unterstellt folglich, dass Spieler 2 diejenige strategische Option wählt, bei der er sich gegenüber Spieler 1 in der Auszahlungsmatrix am besten stellt. Die analoge Überlegung stellt auch Spieler 2 bezogen auf die Wahl der strategischen Option durch Spieler 1 an. Beide Spieler verhalten sich damit rational. Allgemein implizieren diese Überlegungen der beiden Spieler, dass zu jeder eigenen Strategie eine aus Sicht des Konkurrenten optimale Gegenstrategie existiert, die der Konkurrent fährt. Fallbeispiel Anbieter 1 überlegt vier verschiedene Preisoptionen (A 11 , A 12 , A 13 , A 14 ), Anbieter 2 fünf verschiedene Preisoptionen (A 21 , A 22 , A 23 , A 24 , A 25 ). Beiden ist bekannt, welchen Gewinn sie bei den verschiedenen Kombinationen der Preisoptionen (Strategien) erzielen. So soll die Strategiekombination (A 11 , A 23 ) Anbieter 1 einen Gewinn von 1, Anbieter 2 von 9 bescheren, was in der nachstehenden Auszahlungsmatrix mit der Notation „1/ 9“ symbolisiert ist. Bei dem vorliegenden Spiel handelt es sich um ein Konstantsummenspiel, da die Gesamtsumme an Gewinnen, die beide Anbieter (Spieler) erzielen, in allen Strategiekombinationen gleich groß (im Beispiel 10) ist. Anbieter 1 unterstellt, dass sein Konkurrent eine solche Preisoption wählen wird, die für ihn die beste Antwort auf die Preisstrategie von Anbieter 1 darstellt. Wählt folglich Anbieter 1 die Preisoption A 13 , wird sein Konkurrent die Preisoption A 21 wählen, da Anbieter 2 dann einen Gewinn von 8 erzielt, der höher als bei allen anderen Strategien von Anbieter 2 bezogen auf A 13 ist. A 21 A 22 A 23 A 24 A 25 A 11 9/ 1 3/ 7 1/ 9 8/ 2 0/ 10 A 12 6/ 4 5/ 5 4/ 6 6/ 4 8/ 2 A 13 2/ 8 4/ 6 3/ 7 3/ 7 7/ 3 A 14 5/ 5 6/ 4 2/ 8 2/ 8 1/ 9 <?page no="182"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 183 Anbieter 1 erzielt deshalb nur einen Gewinn von 2. Unter dieser Maßgabe kann Anbieter 1 für alle seine Strategieoptionen den Gewinn ermitteln, den er erhält, wenn sein Konkurrent jeweils die für ihn beste Gegenstrategie einschlägt. Diese Gewinne zeigt die nachfolgende Tabelle: Es ist für Anbieter 1 rational, die Preisoption A 12 zu wählen, da ihm diese Preisoption den höchsten Gewinn liefert. Das Kalkül bzw. Vorgehensprinzip, das Anbieter 1 zur Identifizierung der optimalen Preisoption verwendet, wird auch als Maximin-Strategie bezeichnet (vgl. Bamberg et al. 2008, S. 201). Eine analoge Vorgehensweise führt Anbieter 2 durch: Er bestimmt ebenfalls die Höhe seiner Gewinne, wenn Anbieter 1 bezogen auf eine Preisoption die beste Gegenstrategie einschlägt: So wird Anbieter 1 auf die Preisoption A 24 mit der Strategie A 11 antworten, was Anbieter 2 einen Gewinn von 2 erzielen lässt. Die nachfolgende Tabelle zeigt die jeweiligen Gewinne von Anbieter 2. Anbieter 2 wählt die Preisoption A 23 . Bei einer gleichzeitigen Entscheidung resultiert folglich die Strategiekombination (A 12 , A 23 ), bei der Anbieter 1 (2) einen Gewinn von 4 (6) erzielt. Eine in der Spieltheorie zentrale Frage fokussiert darauf, ob die entstandene Strategiekombination stabil ist: Hierunter versteht man die Konstellation, dass Spieler 1 seine gewählte Strategie nicht revidiert, wenn er Kenntnis von der gewählten Strategie seines Konkurrenten (Spieler 2) hat; ebenso ändert Spieler 2 seine getroffene Entscheidung nicht ab, wenn er weiß, welche Strategie Spieler 1 gewählt hat. Dies bezeichnet man als Nash-Gleichgewicht (vgl. bspw. Varian 2011, S. 581): Übertragen auf preispolitische Problemstellungen impliziert dies, dass es nach den Preisentscheidungen der Anbieter am Markt zu keinen Preisänderungen (Wechsel der Strategieoption) kommt. Die Preispolitik beider Anbieter ist dahingehend stabil, dass keiner der beiden Anbieter einen Anreiz hat, seine gewählte Preisoption zu verändern: Mit keiner anderen als der gewählten preispolitischen Entscheidung kann er sich gegenüber seinem Wettbewerber besser stellen. A 11 A 12 A 13 A 14 0 4 2 1 A 21 A 22 A 23 A 24 A 25 1 4 6 2 2 <?page no="183"?> 184 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Fallbeispiel Im vorangegangenen Fallbeispiel haben die Entscheidungen der Anbieter zur Strategiekombination (A 12 , A 23 ) geführt. Unter Kenntnis der gewählten Preisoption von Anbieter 2 (A 23 ) würde Anbieter 1 wiederum die Strategieoption A 23 wählen, da dies die beste Antwort auf A 23 darstellt. Es tritt kein Strategiewechsel auf. Analoges gilt für Anbieter 2: Unter Kenntnis, dass Anbieter 1 die Strategieoption A 12 fährt, hätte Anbieter 2 ebenfalls die (ursprüngliche) Strategieoption A 23 gewählt. Das Spiel hat damit ein Nash-Gleichgewicht. Besitzen Spiele kein Nash-Gleichgewicht, ändert mindestens einer der beiden Spieler nach den getroffenen Entscheidungen - unter Kenntnisnahme der Strategieoption des Konkurrenten - seine ursprünglich gewählte Strategie. Möglicherweise erreichen beide Spieler über diese Strategieanpassungen nach einigen Spielrunden ein Nash-Gleichgewicht. Dieses Nash-Gleichgewicht muss sich aber nicht einstellen, weshalb dann Spiele mit unendlich vielen Strategieänderungen auftreten. Übertragen auf die Preispolitik impliziert dies permanente Preisänderungen der Anbieter am Markt. Eine andere Möglichkeit, ein Nash- Gleichgewicht in einem Spiel zu erreichen, besteht darin, dass die Spieler ihre Preisoptionen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit wählen. Dies bezeichnet man als gemischte Strategien, da der Spieler alle Preisoptionen mit einer spezifischen Wahrscheinlichkeit spielt. Die Wahrscheinlichkeiten werden mathematisch so bestimmt, dass sich das Nash-Gleichgewicht einstellt: Keiner der Spieler hat dann einen Anreiz, den Wahrscheinlichkeitsvektor seiner Preisoptionen zu ändern, wenn er den Wahrscheinlichkeitsvektor seines Konkurrenten kennt. Im Gegensatz zu gemischten Strategien stehen reine Strategien, wie sie im obigen Fallbeispiel vorliegen: Hier wählt der Spieler mit der Wahrscheinlichkeit von 1 nur eine Strategieoption (vgl. Varian, 2011, S. 583). Der Realitätsbezug von gemischten Strategien ist schwierig: Implizit unterstellt man, dass solche Spiele sehr oft wiederholt werden und in jeder Spielrunde ein Spieler gemäß seines Wahrscheinlichkeitsvektors zufällig eine Strategieoption wählt. Für preispolitische Entscheidungen bedeutet das, dass ein Anbieter ein Arsenal an preispolitischen Optionen hat (z.B. Sonderangebote in unterschiedlicher Höhe), das er ohne explizite Beachtung der Aktionen seines Wettbewerbers nach einem Zufallsplan (Zufallsvektor) im Laufe des Geschäftsjahres durchspielt. Eine besondere Konstellation innerhalb der Spieltheorie stellt das Gefangenendilemma dar (vgl. Varian, 2011, S. 584f.): Hierbei handelt es sich um ein Nash-Gleichgewicht, das aber nicht Pareto-effiziente Ergebnisse für beide Spieler beinhaltet. In einem solchen Spiel existiert folglich eine Strategiekombination, die für beide Spieler bessere Ergebnisse als das Nash-Gleichgewicht beinhaltet. Diese Pareto-effiziente Strategiekombination erreichen aber beide Spieler mit ihren Maximin-Strategien nicht. <?page no="184"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 185 Fallbeispiel Zwei Anbieter erwägen eine Preiserhöhung („Preis höher“) durchzuführen, oder den Preis auf dem bisherigen Niveau zu belassen („Preis gleich“). Die nachstehende Auszahlungsmatrix zeigt die Gewinne an. Wählt Anbieter 1 die Preiserhöhung, antwortet Anbieter 2 mit einem unveränderten Preis, was Anbieter 1 einen Gewinn von 300 einbringt. Lässt Anbieter 1 den Preis unverändert, antwortet Anbieter 2 ebenfalls mit einem unveränderten Preis, was Anbieter 1 einen Gewinn von 500 bringt. Folglich entscheidet sich Anbieter 1 für die Beibehaltung des Preises. Die analoge Überlegung führt auch Anbieter 2 zur Preisoption, den Preis unverändert zu lassen. Beide Anbieter erzielen einen Gewinn von jeweils 500; es liegt ein Nash- Gleichgewicht vor, da bei Kenntnis der Beibehaltung des Preises eines Spielers, der andere Spieler ebenfalls den Preis unverändert lässt, d.h. seine getroffene Entscheidung nicht revidiert. Würden sich beide Anbieter jedoch (gleichzeitig) dazu entscheiden, den Preis zu erhöhen, könnte jeder von ihnen einen Gewinn von 600 erzielen. Diese Strategiekombination ist Paretoeffizient gegenüber der gewählten Strategiekombination, die Preise unverändert zu lassen (Nash-Gleichgewicht). Dennoch erreichen beide Anbieter dieses Strategiekombination nicht: Würde ein Anbieter einseitig den Preis erhöhen, würde sein Konkurrent den Preis beibehalten und damit einen noch höheren Gewinn (in Höhe von 700) erzielen. Die Strategiekombination „Preise erhöhen“ ist nur dann realisierbar, wenn sich die Anbieter absprechen und gegenseitig so stark vertrauen, dass eine eigene Preiserhöhung der Konkurrent nicht mit dem Beibehalten seiner Preise hintergeht. Letztendlich müssen beide Anbieter ein Kartell gründen. Wird das Spiel mehrfach gespielt, d.h. ein längerer Planungszeitraum betrachtet, kann die sog. Tit-for-Tat- Strategie zum Erreichen der Pareto-effizienten Strategiekombination führen: In der ersten Spielrunde erhöht Anbieter 1 den Preis. Antwortet Anbieter 2 mit einer Beibehaltung seines Preises, nimmt Anbieter 1 seine Preiserhöhung zurück. Die Spieler landen wieder im Nash-Gleichgewicht, wobei sich der Verlust von Anbieter 1 in Grenzen hält: Er erzielt in der ersten Spielrunde anstelle eines (möglichen) Gewinns von 600 nur 300. Anbieter 2 kann in der zweiten Spielrunde seinen Gewinn in Spielrunde 1 nicht halten: Die Rücknahme der Preiserhöhung durch Anbieter 1 lässt ihn anstelle eines Gewinns von 700 auf einen Gewinn von 500 zurückfallen. Anbieter 1 rächt sich folg- Anbieter 2 Anbieter 1 Preis höher Preis gleich Preis höher 600/ 600 300/ 700 Preis gleich 700/ 300 500/ 500 <?page no="185"?> 186 4 Grundmodelle der Preiskalkulation lich an Anbieter 2 für dessen Hintergehen in Spielrunde 1. Diese Rache mag Anbieter 2 antizipieren und deshalb auf eine Preiserhöhung von Anbieter 1 ebenfalls mit einer Preiserhöhung reagieren. Einen Spezialfall eines Wettbewerbsspiels beinhaltet das Bertrand-Modell (vgl. Siems 2009, S. 152f.): In einem homogenen Dyopol haben die beiden Anbieter keine Kapazitätsrestriktionen, weshalb sie die gesamte Marktnachfrage abdecken können. Sie weisen ferner die identischen Grenzkosten auf. Alle Nachfrager kaufen bei demjenigen Anbieter, der den niedrigeren Preis bietet. In dieser Konstellation ist es für einen Anbieter gewinnmaximierend, den Konkurrenten jeweils knapp zu unterbieten, da er denn die gesamte Marktnachfrage auf sich vereint. Setzt einer der beiden Anbieter seinen Preis, antwortet sein Konkurrent mit einer kleinen Preisunterbietung, worauf der erste Anbieter - in der nächsten Preissetzungsrunde - wiederum knapp den Konkurrenzpreis unterbietet. Diese gegenseitige Preisunterbietung endet erst, wenn der Verkaufspreis auf die Grenzkosten der Anbieter abgesunken ist (Bertrand-Gleichgewicht). Erst dann besteht für die beiden Anbieter kein Anreiz mehr, den Preis zu verändern bzw. unterhalb der eigenen Grenzkosten anzusetzen. Antizipieren die Anbieter diese Konkurrenzreaktionen und die eigenen Aktionen in „fiktiven Spielrunden“, setzen beide sofort ihren Verkaufspreis in Höhe der Grenzkosten an. Das Nashbzw. Bertrand-Gleichgewicht stellt sich dann sofort ein. 4.4.2.3 Preisfindung mit expliziten Reaktionsfunktionen In einer linearen Preis-Absatz-Funktion ist die Sättigungsmenge x 1[Sätt] als diejenige Absatzmenge definiert, die Anbieter 1 bei einem Preis von p 1 = 0 erzielt. Die Absatzmenge ist kleiner als die Sättigungsmenge, wenn er p 1 > 0 setzt, wobei eine Preiserhöhung um eine Einheit die Absatzmenge um b 1 Einheiten reduziert. Bei Existenz von Konkurrenz gilt diese Sättigungsmenge unter der Annahme eines bestimmten Konkurrenzpreises (p 2 ). Ein möglicher Konkurrenzpreis ist hierbei der Prohibitivpreis (p 2[Prohib] ): Bei diesem Preis erwirbt kein Nachfrager mehr eine Produkteinheit von Anbieter 2. In dieser Konstellation muss die Sättigungsmenge von Anbieter 1 am größten sein, da keine Nachfrager das Produkt seines Konkurrenten erwerben. Diese maximal mögliche Sättigungsmenge von Anbieter 1 soll mit m 1 gekennzeichnet sein. Senkt Anbieter 2 seinen Preis unter den Prohibitivpreis, kaufen Nachfrager sein Produkt, die dann mit ihren Kaufmengen der Sättigungsmenge von Anbieter 1 verloren gehen, sofern zwischen beiden Produkten gewisse Substitutionsbeziehungen bestehen. Bei einer linearen Preis-Absatz-Funktion ist diese Absatzverminderung bei Anbieter 1 proportional zum Preis p 2 und beträgt je Preiseinheit b 12 Mengeneinheiten. Die bei einem bestimmten Preis p 1 zu realisierende Absatzmenge für Anbieter 1 unter Annahme des Konkurrenzpreises p2 beträgt demnach: <?page no="186"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 187 x1 = m1 b12 (p2[Prohib] p2) b1 p1 Der Ausdruck m1 b12 (p2[Prohib] p2) beinhaltet diejenige Sättigungsmenge, die Anbieter 1 bei einem Konkurrenzpreis p2 erzielt. Setzt man a1 = m1 b12 p2[Prohib], lautet die lineare Preis-Absatz-Funktion für Anbieter 1: (4.4-1a) x1 = a1 b1 p1 + b12 p2 Der Term a1 ist hierbei als Sättigungsmenge der Stammnachfrager von Anbieter 1 zu interpretieren: Dies ist diejenige Absatzmenge, die Anbieter 1 erzielt, wenn er den Preis p 1 = 0 und auch Anbieter 2 den Preis p 2 = 0 setzen. In wettbewerbsintensiven Märkten mit homogenen Produkten gilt m 1 = b 12 p 2[Prohib] bzw. a 1 = 0: Die maximal mögliche Absatzmenge für Anbieter 1 (m 1 ) entspricht dann dem maximal möglichen Absatzverlust von Anbieter 2 (b 12 p 2[Prohib] ), wenn letzterer den Prohibitivpreis ansetzt. Existieren Nachfrager, die Anbieter 1 bevorzugen, selbst wenn Anbieter 2 p 2 = 0 setzt, gilt m 1 > b 12 p 2[Prohib] bzw. a 1 > 0. Analog lautet die Preis-Absatz-Funktion für Anbieter 2: (4.4-1b) x 2 = a 2 b 2 p 2 + b 21 p 1 Im Folgenden soll anhand von linearen Preis-Absatz-Funktionen die Situation eines heterogenen Dyopols betrachtet werden. Hier offerieren beide Anbieter heterogene Produkte, weshalb sie in gewissem Umfang über Stammnachfrager verfügen. Es tritt aber ein Anbieterwechsel unter den Nachfragern aufgrund von Preisveränderungen auf: Ein Anbieter erhält ceteris paribus einen höheren (niedrigeren) Absatz, je höher (niedriger) der Preis seines Konkurrenten ist. Allerdings gehen die Nachfragefluktuationen nicht so weit, dass ein Anbieter seinen Absatz vollständig verliert, selbst wenn sein Konkurrent sein Produkt zum Preis von p = 0 „verkauft“. Für den Term a in der Preis-Absatz-Funktion (Bedingung 4.4-1a und 4.4-1b) gilt deshalb a 1 , a 2 > 0. Die im folgenden skizzierten Konstellationen („Wettbewerbsspiele“) sind weniger aus Sicht des Lösungswegs der Preisbestimmung relevant; vielmehr ist von Interesse, welche Preis-Mengen-Kombinationen und Gewinne resultieren, wenn spezifische Preisstrategien aufeinandertreffen. Hier gewinnt dann auch die Frage Bedeutung, ob eine solche Lösung am Markt stabil ist (Nash-Gleichgewicht). Die folgenden Darstellungen verwenden parametrisierte Preis-Absatz- und Kostenfunktionen, da sich damit die Spezifika des Preiswettbewerbs didaktisch deutlicher aufzeigen lassen. In einem Wettbewerbsspiel mit zwei Cournot-Preisanpassern verfolgen beide Anbieter die Strategie, dass sie den Preis des Konkurrenten als Datum sehen und sich dann bestmöglich hierauf mit ihrem eigenen Preis anpassen wollen. Für Anbieter 1 ist die Preis-Absatz-Funktion in Bedingung (4.4-1a) der Ausgangs- <?page no="187"?> 188 4 Grundmodelle der Preiskalkulation punkt. Bei einer Kostenfunktion K 1 = c 1 + d 1 x 1 lautet seine zu maximierende Gewinnfunktion bzw. die erste Ableitung G 1 = (a 1 b 1 p 1 + b 12 p 2 ) p 1 c 1 d 1 (a 1 b 1 p 1 + b 12 p 2 ) max. dG 1 dp 1 = a 1 - 2 b 1 p 1 + b 12 p 2 + d 1 b 1 = 0, woraus sich durch Umformung folgende Reaktionsfunktion des Anbieters 1 hinsichtlich seines eigenen Preises bezogen auf den Preis von Anbieter 2 ergibt: (4.4-2a) p 1 * = a 1 + b 12 p 2 + d 1 b 1 2 b 1 Analog existiert für Anbieter 2 mit dessen Preis-Absatz-Funktion (4.4-1b) bei einer Kostenfunktion K 2 = c 2 + d 2 x 2 eine Reaktionsfunktion: (4.4-2b) p 2 * = a 2 + b 21 p 1 + d 2 b 2 2 b 2 Die Bedingungen (4.4-2a) bzw. (4.4-2b) sind eine unmittelbare Lösung für den Angebotspreis von Anbieter 1 (2), wenn er eine Vorstellung über den Preis seines Konkurrenten besitzt. Hierbei ist der optimale Preis von Anbieter 1 (p 1 *) umso höher, je höher der Preis p 2 ist. Sollte Anbieter 2 - aus welchen Gründen auch immer - seinen Preis senken, muss Anbieter 1 ebenfalls mit einer eigenen Preissenkung nachziehen. Analoges gilt für Anbieter 2 mit seinem Preis (p 2 *) gegenüber dem Preis von Anbieter 1. Beide Anbieter antworten damit auf Preisreduzierungen des Konkurrenten mit eigenen Preisnachlässen. Umgekehrtes gilt bei der Preiserhöhung eines Anbieters. Der Preiswettbewerb beider Cournot-Preisanpasser besitzt ein (Cournot)- Nash-Gleichgewicht, wenn beide Anbieter keine Gewinnsteigerung durch eine erneute Anpassung an den Konkurrenzpreis mehr erzielen. Dies setzt voraus, dass der Konkurrenzpreis unverändert bleibt. Formal lässt sich dieses Gleichgewicht bestimmen, indem man die Reaktionsfunktion des einen Anbieters in die Reaktionsfunktion des anderen Anbieters einsetzt. Fallbeispiel Die Preis-Absatz-Funktionen und Kostenfunktionen für beide Anbieter lauten x 1 = 300 - 5 p 1 + 2 p 2 und x 2 = 400 - 4 p 2 + 2 p 1 bzw. K 1 = 5000 + 4 x 1 und K 2 = 6000 + 3 x 2 . Anbieter 1 geht davon aus, dass sein Konkurrent den Preis p 2 = 40 setzt, Anbieter 2 vermutet p 1 = 35. <?page no="188"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 189 Die beiden Reaktionsfunktionen (4.4-2a) bzw. (4.4-2b) können unmittelbar als Lösungsgleichungen verwendet werden: p 1 * = 320 + 2 p 2 10 mit p 2 = 40 bzw. p 2 * = 412 + 2 p 1 8 mit p 1 = 35. Hieraus resultiert in der ersten Periode p 1 * = 40 und p 2 * = 60,25. Das Ergebnis des Preiswettbewerbs in der ersten Periode ist nicht stabil, d.h. es liegt kein Nash-Gleichgewicht vor, da für Anbieter 1 bei einem Konkurrenzpreis von p 2 = 60,25 nicht p 1 = 40sondern p 1 * = 44,05 gewinnmaximierend ist. Daher verändert Anbieter 1 in der nächsten Spielrunde seinen Preis auf p 1 * = 44,05. Analoges gilt für Anbieter 2: Bei einem Konkurrenzpreis von p 1 = 40, ist nicht p 2 = 60,25, sondern p 2 * = 61,5 gewinnmaximierend, weshalb Anbieter 2 in der nächsten Spielrunde seinen Preis auf p 2 * = 61,5 setzt. Auch dies ist nicht das Nash-Gleichgewicht. Eine stabile Lösung ergibt sich, wenn der Lösungsterm für einen Anbieter in die Reaktionsfunktion des anderen Anbieters eingesetzt wird: p 1 = 320 + 2 p 2 10 = 32 + 0,2 p 2 , mit p 2 = 412 + 2 p 1 8 = 51,5 + 0,25 p 1 p 1 = 32 + 0,2 (51,5 + 0,25 p 1 ) p 1 * = 44,52. Hieraus folgt für p 2 * = 51,5 + 0,25 p 1 * = 62,63. Damit liegen die Absatzmengen mit x 1 * = 202,6 und x 2 * = 238,52 fest, woraus für die Gewinne folgt: G 1Cournot = 3211,78 bzw. G 2Cournot = 8222,95. Unabhängig davon, mit welcher Startpreis-Kombination die Anbieter beginnen, nähern sich beide Anbieter dem Nash-Gleichgewicht (p 1 * = 44,52; p 2 * = 62,63) im Laufe der Spielrunden immer mehr an. Ein Preiswettbewerb zwischen Cournot-Preisanpassern führt am Markt allmählich zu einer stabilen Lösung. In einem Preiswettbewerb mit einem Stackelberg-Preisführer und einem Cournot-Preisanpasser (Stackelberg-Preisfolger) verfolgt der Preisführer eine sog. Überlegenheitsstrategie, da er die Reaktionsfunktion seines Konkurrenten als expliziten Term in seine eigene Gewinnmaximierungsbedingung integriert. Dieses Szenario impliziert einen zweistufigen Wettbewerb. Erst setzt der Stackelberg-Preisführer seinen Preis, in der zweiten Stufe passt sich der Stackelberg-Preisfolger an, wobei der Stackelberg-Preisführer diese Preisanpassung bereits antizipiert hat. Fallbeispiel Die Preis-Absatz- und Kostenfunktionen für beide Anbieter lauten wiederum x 1 = 300 - 5 p 1 + 2 p 2 bzw. x 2 = 400 - 4 p 2 + 2 p 1 und K 1 = 5000 + 4 x 1 bzw. <?page no="189"?> 190 4 Grundmodelle der Preiskalkulation K 2 = 6000 + 3 x 2 . Anbieter 1 geht in die Position des Stackelberg-Preisführers, Anbieter 2 in diejenige des Stackelberg-Preisfolgers. Die Reaktionsfunktion von Anbieter 2 (Stackelberg-Preisfolger) lautet: p 2 * = 412 + 2 p 1 8 , die der Stackelberg-Preisführer in sein eigenes Gewinnmaximierungskalkül einbaut: G 1 = (300 - 5 p 1 + 2 p 2 *) p 1 - 5000 - 4 (300 - 5 p 1 + 2 p 2 *) = 300 - 5 p 1 + 2 412 + 2 p 1 8 p 1 - 5000 -4 300 - 5 p 1 +2 412 + 2 p 1 8 = 421 p 1 - 4,5 p 12 - 6612 max. dG 1 dp 1 = 421 - 9 p 1 = 0 p 1 * = 46,78 Damit lassen sich über die Reaktionsfunktion von Anbieter 2 unmittelbar dessen Preis und somit die beiden Mengen bestimmen: p 2 * = 63,20, x 1 * = 192,50, x 2 * = 240,76. Als Gewinn resultiert G 1Stackelberg [Führer] = 3235,15 und G 2Stackelberg [Folger] = 8493,75. Als Vergleichsmaßstab für dieses Wettbewerbsspiel dient die Lösung, dass sich beide als Cournot-Preisanpasser verhalten. Der Stackelberg-Preisführer vermag durch seine Überlegenheitsstrategie eine Gewinnverbesserung gegenüber der Situation als Cournot-Preisanpasser zu erzielen (G 1Cournot = 3211,78). Damit besteht ein ökonomischer Anreiz für Anbieter 1, anstelle der Cournot-Anpassung eine Überlegenheitsstrategie zu verfolgen. Interessant ist allerdings, dass sich der Stackelberg-Preisfolger (Anbieter 2) hierbei stärker als der Stackelberg-Preisführer im Gewinn verbessert (G 2Cournot = 8222,95). Ursache für die hier vorliegende Gewinnkonstellation ist, dass sich für den Stackelberg-Preisführer die eigene Absatzsituation nur verbessert, wenn der Stackelberg-Preisfolger den Preis erhöht. Folglich dient die eigene Preiserhöhung dazu, den bestmöglich sich anpassenden Stackelberg-Preisfolger zu einer Preiserhöhung zu bewegen. Hierbei ergibt sich anhand der gewinnoptimalen Preise, dass der Stackelberg-Preisfolger den Preis weniger stark als der Stackelberg-Preisführer anhebt. Aufgrund der gewählten Marktsituation und der Parameterwerte in den Preis-Absatz-Funktionen besitzt die Überlegenheitsstrategie kein so großes Gewinnpotenzial, da der Stackelberg-Preisführer seinen Konkurrenten nur zu einer kleinen Preiserhöhung bewegen kann. Die „Hebelwirkung“ der Überlegenheitsstrategie, durch den eigenen Preis den Konkurrenten zu passenden Preisänderungen zu veranlassen, um dadurch wiederum die eigene Absatzposition zu verbessern, ist im gewählten Beispiel <?page no="190"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 191 schwach. In anderen Konstellationen, wie dem homogenen Dyopol, in dem die Konkurrenten die Absatzmenge als Entscheidungsparameter verwenden und aufgrund der Homogenität des Produkts einander deutlich stärker in der Vermarktungssituation beeinflussen, verbessert sich - verglichen mit der Cournot-Lösung - der Stackelberg-Preisführer im Gewinn deutlich mehr als der Stackelberg-Preisfolger (vgl. bspw. Pfähler/ Wiese 2008, S. 110-113). Wenngleich die hier vorliegende Konstellation lediglich auf einem Zahlenbeispiel basiert, zeigt sich dennoch, dass eine Anpassungsstrategie im Preiswettbewerb vorteilhafter als eine Strategie sein kann, den Konkurrenten durch eigene Preisentscheidungen bewusst steuern zu wollen (Stackelberg-Preisführer). Unterstellt man streng rationale Anbieter, sind beide bestrebt, anstelle der Cournot-Lösung in die Stackelberg-Preisführerschaft zu kommen und den Konkurrenten in die Preisfolgerschaft zu drängen, da sie sich gegenüber der Cournot- Lösung im Gewinn verbessern. Beide Anbieter verfolgen daher diese Überlegenheitsstrategie. Diese Lösung muss aber nicht stabil sein: Verhält sich ein Anbieter als Stackelberg-Preisführer, ist es für seinen Konkurrenten - wie im obigen Fallbeispiel - möglicherweise besser, in die Rolle des Cournot-Preisanpassers zu schlüpfen, da er dann einen noch höheren Gewinn realisiert. Da sich in der vorliegenden Konstellation der Stackelberg-Preisfolger gegenüber dem Stackelberg-Preisführer im Gewinn stärker verbessert, kann man auch argumentieren, dass kein Anbieter bereit ist, in die Preisführerrolle zu gehen. Dann liegt ein typisches Gefangenendilemma vor: Jeder der Anbieter will seine Anpassungsstrategie beibehalten, was beide Anbieter aber schlechter stellt, als wenn einer die Rolle des Stackelberg-Preisführers übernimmt. Eine Lösung dieses Dilemmas ist in einer Kooperation beider Anbieter zu sehen: Sie müssen sich absprechen, wer den Stackelberg-Preisführer „macht“. Hierbei kann der im vorliegenden Beispiel stärker profitierende Stackelberg-Preisfolger dem Stackelberg-Preisführer einen Teil seines Gewinnzuwachses als Belohnung abtreten. Eine andere Lösung des Dilemmas besteht darin, dass einer der Anbieter den anderen aufgrund von Marktmacht unter Androhung der Bowley-Strategie zwingen kann, in die hier weniger vorteilhafte Stackelberg-Preisführerschaft zu gehen. Gelingt eine Lösung, in der ein Anbieter Preisführer, der andere Preisfolger ist, erweist sich der Preiswettbewerb zwischen einem Stackelberg-Preisführer und einem Cournot-Preisanpasser als stabil: Keiner der Anbieter hat einen Anreiz, seine Strategie zu wechseln; allerdings erreichen beide Konkurrenten diese Lösung nur unter Absprache oder Drohung. In einem Wettbewerbsspiel zwischen einem Chamberlin-Preisführer und einem Chamberlin-Preisfolger, folgt ein Anbieter (Chamberlin-Preisfolger) starr den preispolitischen Vorgaben des anderen Anbieters (Chamberlin-Preisführer). Dies ermöglicht dem Chamberlin-Preisführer eine überaus wirksame Überlegenheitsstrategie, wenn er die Preisreaktion seines Konkurrenten in seinem eigenen Gewinnmaximierungskalkül berücksichtigt. <?page no="191"?> 192 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Fallbeispiel Es gelten wiederum die Preis-Absatz- und Kostenfunktionen der vorausgegangenen Beispiele mit x 1 = 300 - 5 p 1 + 2 p 2 bzw. x 2 = 400 - 4 p 2 + 2 p 1 und K 1 = 5000 + 4 x 1 bzw. K 2 = 6000 + 3 x 2 . Anbieter 2 geht in die Position des Chamberlin-Preisführers, Anbieter 1 in diejenige des Chamberlin-Preisfolgers, der stets einen Preis setzt, der um 10 % unter demjenigen von Anbieter 2 liegt. Die starre Preisreaktion des Chamberlin-Preisfolgers (Anbieter 1) impliziert: p 1 = 0,9 p 2 . Damit lautet die Preis-Absatz-Funktion von Anbieter 2 unter Berücksichtigung der starren Preisreaktion von Anbieter 1: x 2 = 400 - 4 p 2 + 2 p 1 = 400 - 4 p 2 + 2 0,9 p 2 = 400 - 2,2 p 2 , was zu folgender Gewinnfunktion führt: G 2 = (400 - 2,2 p 2 ) p 2 - 6000 - 3 (400 - 2,2 p 2 ) max. dG 2 dp 2 = 406,6 - 4,4 p 2 = 0 p 2 * = 92,41. Damit liegen die anderen Ergebnisse fest mit: p 1 = 83,17, x 2 * = 196,7, x 1 = 68,97, G 2Chamberlin [Führer] = 11586,95 und G 1Chamberlin [Folger] = 460,35. Die starre Preisreaktion des Chamberlin-Preisfolgers stellt eine im Vergleich zur Cournot-Anpassung unvorteilhafte Preisreaktion dar, die vom Chamberlin-Preisführer zu einem deutlichen eigenen Vorteil (Gewinnsteigerung gegenüber dem Stackelberg-Modell) ausgenutzt werden kann. In einem Preiskartell betreiben beide Anbieter eine gemeinsame Gewinnmaximierung. Sie legen diejenigen Preise fest, bei denen der Gesamtgewinn am Markt, d.h. die Summe der Teilgewinne beider Anbieter, am größten ist. Fallbeispiel Die Preis-Absatz- und Kostenfunktionen für beide Anbieter lauten wieder x 1 = 300 -5 p 1 + 2 p 2 , x 2 = 400 - 4 p 2 + 2 p 1 und K 1 = 5000 + 4 x 1 , K 2 = 6000 + 3 x 2 . Die zu maximierende Gewinnfunktion faßt die Gewinne beider Anbieter zusammen: G = (300 - 5 p 1 + 2 p 2 ) p 1 + (400 - 4 p 2 + 2 p 1 ) p 2 - 5000 - 4 (300 - 5 p 1 + 2 p 2 ) - 6000 - 3 (400 - 4 p 2 + 2 p 1 ) max. Entscheidungsparameter sind die beiden Preise p 1 und p 2 . <?page no="192"?> 4.4 Konkurrenzorientierte Preispolitik 193 (i) dG dp 1 = 314 - 10 p 1 + 4 p 2 = 0 p 1 = 31,4 + 0,4 p 2 (ii) dG dp 1 = 404 - 8 p 2 + 4 p 1 = 0 (i) in (ii) ergibt: p 2 * = 82,75, p 1 * = 64,50. In die Preis-Absatz-Funktionen eingesetzt resultiert: x 1 * = 143, x 2 * = 198, woraus G 1[Kartell] = 3651,50 und G 2[Kartell] = 9790,50 folgt. Aus Sicht der Nachfrager ist das Preiskartell bspw. gegenüber der Cournot- Lösung nachteilig (vgl. Tabelle 4.4-1), da die Produkte zu höheren Preisen offeriert werden. Dieses Ergebnis läßt sich auch dahingehend interpretieren, dass die beiden Unternehmen im Preiskartell wie ein einheitlicher Anbieter auftreten: Aus einem Wettbewerbsmarkt (Cournot-Nash-Lösung) ist ein monopolistisch strukturierter Markt geworden. Die Preisabsprache liegt darin, dass die beiden Anbieter Preise (p 1 = 64,50; p 2 = 82,75) setzen, die sich auf Basis ihrer isolierten Gewinnfunktionen nicht ergeben. Hierfür müssen sie Transparenz bezogen auf ihre Preis-Absatz- und Kostenfunktionen schaffen, um eine Maximierung des Gesamtgewinns durchzuführen, und sich ferner verpflichten, diese Preise auch tatsächlich einzuhalten. Das Preiskartell mit den beiden Preisen p 1 = 64,50 und p 2 = 82,75 ist nicht stabil. So könnte Anbieter 1 aus der Preisabsprache ausscheren und sich als Cournot-Preisanpasser gegenüber dem Kartellpreis von Anbieter 2 (p 2 = 82,75) verhalten, was für Anbieter 1 einen Preis von p 1 = 48,55 mit x 1 = 222,75 und G 1[Cournot-Kartell] = 4923,51 impliziert. Aufgrund der Gewinnsteigerung besteht ein Anreiz für Anbieter 1, das Kartell zu verlassen. Schert Anbieter 1 aus dem Preiskartell aus, muss auch Anbieter 2 zur Cournot-Strategie zurückkehren, da er bei Beibehaltung des Kartellpreises und p 1 = 48,55 erhebliche Gewinneinbußen gegenüber der Cournot-Lösung erleidet (G 2[Kartell-Cournot] = 7246,48 < G 2[Cournot-Cournot] = 8222,95). Die analoge Überlegung gilt für Anbieter 2: Auch für ihn ist es vorteilhaft, wenn Anbieter 1 sich an die Kartellabsprache mit dem Preis p 1 = 64,50 halten würde und er selbst in die Cournot-Strategie überwechselt, was p 2 = 67,63, x 2 = 258,48 und G 2[Kartell-Cournot] = 10705,56 bedeutet. Verhalten sich im Kartell beide Anbieter opportunistisch, kehren sie jeweils zur Cournot-Strategie zurück: Diese Strategiekombination ist aber für beide Anbieter gegenüber der Kartellpreislösung schlechter. Damit liegt auch für das Preiskartell ein Gefangenendilemma vor: Keiner der Anbieter ist einseitig bereit, sich an die Kartellabsprache zu halten, weil der andere Anbieter dann durch Wechsel zur Cournot-Strategie einen einseitigen Vorteil erhält. Das Einhalten der Kartellpreislösung setzt den Verzicht auf opportunistisches Verhalten voraus bzw. erfordert die glaubhafte Signalisierung dem anderen <?page no="193"?> 194 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Anbieter gegenüber, sich an die Kartellabsprachen zu halten. Solche Konstellationen sind nur unter „freundschaftlich verbundenen“ Anbietern, nicht aber unter echten Wettbewerbern zu erwarten. 4.5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preishöhe Wenngleich die Preisfestsetzung zu den unternehmerischen Freiheiten gehört, existieren spezielle Rechtsvorschriften, die den preispolitischen Spielraum eines Anbieters einengen: Dies betrifft den Fall, dass ein Unternehmen „zu hohe“ Preise ansetzt, gilt aber auch für „zu niedrige“ Preise. In einigen Branchen nehmen der Staat oder Aufsichtsbehörden unmittelbaren Einfluss auf die Preisgestaltung (z.B. Landwirtschaft durch die EU-Marktordnung). Ferner sind Preisabsprachen, vertikale Preisbindungen oder das Predatory Pricing wettbewerbsrechtlich bedenkliche Preisstrategien. Einige dieser Themenbereiche werden im Folgenden skizziert. 4.5.1 Überhöhte Preise Ein Anbieter vermag vor allem dann hohe Preise gegenüber den Nachfragern auf einem Markt durchzusetzen, wenn er keiner oder kaum Konkurrenz ausgesetzt ist. Dann ist die Preiselastizität der Nachfrage - dem Betrage nach - niedriger als auf einem wettbewerbsintensiven Markt, weshalb sich in der Amoroso- Robinson-Relation ein höherer Preis ergibt. Aus juristischer Sicht spielt hierbei der Tatbestand „zu hoher“ Preise in zweifacher Hinsicht eine Rolle: Zum einen auf privatrechtlicher (vertraglicher) Ebene zwischen Anbieter und Nachfrager, zum anderen auf Wettbewerbsebene. Wenngleich Nachfrager hohe Preise umgangssprachlich gerne als Wucher bezeichnen, sind die juristischen Anforderungen hierfür wesentlich spezifischer ausgeprägt: Der Tatbestand des Wuchers setzt ein grobes Missverhältnis von Leistung und Preis sowie eine besondere psychische Situation des Nachfragers (Zwangslage; Unerfahrenheit), die der Anbieter in verwerflicher (sittenwidriger) Weise ausnutzt, voraus (vgl. bspw. Eisenhardt 2011, Rdnr. 237-239). Die Einstufung, ob in einer Transaktion die Kriterien des Wuchers gegeben sind, obliegt dem Richter. Folge der Einstufung einer wucherischen Preisfestsetzung ist, dass gemäß §138 Abs. 2 BGB das Rechtsgeschäft nichtig ist (vgl. bspw. Klunzinger 2011, S. 140). Streitfälle bezogen auf die Preishöhe können ferner bestehen, wenn der Nachfrager glaubt, für den zu zahlenden Preis keine äquivalente Gegenleistung erhalten zu haben. In diesen Streitfällen kommen die - hier nicht darzustellenden - privatrechtlichen Regelungen zu Anfechtung des Kaufvertrags, Schadenersatz, Rückgängigmachung des Kaufvertrags oder Minderung des Kaufpreises infrage. <?page no="194"?> 4.5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preishöhe 195 Im Falle der Minderung (Herabsetzung) des Kaufpreises (§441 BGB), weil die Ware mangelhaft ist, dienen als Vergleichsmaßstab der Marktpreis für die betreffende Ware in der vorliegenden Qualität bzw. ein (gutachterlicher) Schätzpreis. Bezeichnen p Kauf den Kaufpreis der Ware, p Mangel den Marktpreis der Ware mit dem betreffenden Mangel und p frei den Marktpreis der Ware, wenn sie nicht diesen Mangel aufweist, wobei p Kauf < p frei gelten kann, errechnet sich der geminderte Preis p Minder gemäß §441 Abs. 3 BGB als (vgl. bspw. Klunzinger 2001, S. 314): p Minder = p Mangel p frei p Kauf Der Käufer darf den Kaufpreis bis zu diesem geminderten Preis verringern. Der Kaufpreis wird folglich prozentual um den Grad der Minderung reduziert. Sofern der Kaufpreis der Ware höher als der Marktpreis der fehlerfreien Ware ist (p Kauf > p frei ), liegt der geminderte Preis ebenfalls über dem Marktpreis der mangelhaften Ware (p Minder > p Mangel ). Hat der Nachfrager folglich im Vergleich zum Marktpreis zu teuer gekauft, gilt dies auch noch nach Minderung des Kaufpreises. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht (vgl. bspw. Loewenheim et al. 2009, §19 Rdnr. 72-73) liegt ein sog. Ausbeutungsmissbrauch der Nachfragerschaft als Ganzes vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung Preise fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ ergeben würden (missbräuchliche Preise gemäß §19 Abs. 4 Nr. 2 GWB), oder die von Preisen abweichen, die das betreffende Unternehmen auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert (Preisspaltung gemäß §19 Abs. 4 Nr. 3 GWB). Eine solche Preissetzung kann von den Kartellbehörden untersagt werden (vgl. bspw. Langen/ Bunte 2006, §19 Rdnr. 176-184): Der Anbieter muss die betreffenden Preise senken (Preissenkungsverfügung). Zudem besteht die Möglichkeit zur Verhängung von Bußgeldern und einer Mehrerlösabschöpfung durch die Kartellbehörden. Betroffene Dritte können ebenfalls Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche geltend machen. Die Verträge zwischen dem Unternehmen, das überhöhte Preise setzt, und den betroffenen Kunden sind hierbei unter Umständen nach §134 BGB nichtig (vgl. Emmerich 2008, §11, Rdnr. 6). Der juristische und betriebswirtschaftliche Nachweis eines Ausbeutungsmissbrauchs ist jedoch schwierig: Dies gilt zum einen für die Operationalisierung, ob ein Unternehmen als marktbeherrschend anzusehen ist, und zum anderen in der Festlegung eines Vergleichspreises, der zur Beurteilung des beanstandeten Preises herangezogen werden kann. Voraussetzung für die Anwendung der Regelungen des Ausbeutungsmissbrauchs ist, dass es sich um ein marktbeherrschendes Unternehmen handelt. Damit können Unternehmen, die nicht marktbeherrschend sind, durch überhöhte Preise <?page no="195"?> 196 4 Grundmodelle der Preiskalkulation mit diesem wettbewerbsrechtlichen Tatbestand nicht in Konflikt geraten. Die Kriterien für Marktbeherrschung sind in §19 Abs. 2 GWB spezifiziert: Ein Unternehmen gilt unwiderlegbar als marktbeherrschend, wenn es ohne Wettbewerber ist oder eine im Vergleich zu den Wettbewerbern überragende Marktstellung besitzt, wofür Marketingmacht oder Unternehmensressourcen eine Rolle spielen. Über eine solche Marktstellung verfügen bspw. Netzanbieter in der Energieversorgung, im Eisenbahnwesen oder Telekommunikation, die Durchleitungs- oder Trassenpreise für ihr Netz ansetzen bzw. aufgrund ihrer Infrastruktur die einzigen Anbieter in einer Region sind (vgl. Gerstner 2002, S. 131). Widerlegbar wird eine Marktbeherrschung vermutet, wenn das Unternehmen einen Marktanteil von mindestens 40 % aufweist oder wenn drei oder weniger (fünf oder weniger) Unternehmen zusammen einen Marktanteil von mindestens 50 % (zwei Drittel) erreichen; im letzten Fall ist jeder der Oligopolisten dann widerlegbar marktbeherrschend (Oligopolvermutung). Die Bestimmung von Marktanteilen hängt entscheidend davon ab, wie weit der hierfür relevante Markt abgegrenzt wird: Je weiter der Markt definiert ist, desto geringer ist die Gefahr, als marktbeherrschend zu gelten. Allgemein lassen sich sachliche und räumliche Kriterien zur Marktabgrenzung heranziehen (Bedarfsmarktkonzept): Demnach gehören diejenigen Produkte zum (sachlich) relevanten Markt des Produkts des betrachteten Unternehmens, die der Nachfrager als austauschbar (Substitute) ansieht. Nach dem gleichen Kriterium ist die räumliche Abgrenzung des relevanten Marktes zu ziehen: So mag in einem Fall der relevante Markt europaweit zu sehen sein, weil die Nachfrager Substitute zum betrachteten Produkt auch aus anderen Ländern beziehen, im anderen Fall mag der relevante Markt auf ein regionales Absatzgebiet beschränkt sein. Die Widerlegung der Marktbeherrschung bzw. die Abgrenzung des relevanten Marktes obliegen hierbei dem Argumentationsgeschick des betroffenen Unternehmens. Hinsichtlich des Auffindens eines Vergleichspreises ist zwischen missbräuchlichen Preisen und der Preisspaltung zu unterscheiden (vgl. zum Folgenden bspw. Immenga/ Mestmäcker 2012, §19, Rdnr. 149-177): Zur Beurteilung, ob ein missbräuchlich überhöhter Preis gemäß §19 Abs. 4Nr. 2 GWB vorliegt, dienen als Vergleich die Preise von gleichartigen Unternehmen auf einem sachlich vergleichbaren, aber anderen räumlichen Markt mit wirksamem Wettbewerb (wettbewerbsanaloger Preis). Gilt es, die Preisgestaltung eines Anbieters für das Bundesgebiet zu beurteilen, muss auf Vergleichsmärkte im Ausland zurückgegriffen werden. Bei der Preisspaltung gemäß §19 Abs. 4 Nr. 3 GWB setzt das betroffene marktbeherrschende Unternehmen selbst den Vergleichspreis fest, den es auf anderen, vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern für das betreffende Produkt verlangt. Da aber niemals zwei identische Märkte bzw. völlig gleichartige Anbieter gegeben sind, werden bei dieser Vergleichsmarktmethode auf den Vergleichspreis noch Korrekturzuschläge angesetzt. Im Einzelfall kann auch ein Sicherheitszuschlag erforderlich sein, wenn Unsicherheiten <?page no="196"?> 4.5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preishöhe 197 über die Aussagekraft des herangezogenen Vergleichspreises bestehen. Ein missbräuchlich überhöhter Preis liegt erst dann vor, wenn eine erhebliche Überschreitung des (korrigierten) Vergleichspreises gegeben ist (Erheblichkeitszuschlag), was letztendlich dem richterlichen Ermessen überlassen ist. Aufgrund dieser Zuschläge auf den Vergleichspreis fällt das Beurteilungsverfahren in der Tendenz zugunsten des Unternehmens bzw. dessen preispolitischer Freiheit aus. Ferner liegt kein Ausbeutungsmissbrauch vor, wenn die Überschreitung des wettbewerbsanalogen Preises sachlich gerechtfertigt ist (vgl. Loewenheim et al. 2009, §19 Rdnr. 78). Die Begründung einer solchen Sonderstellung, die das Unternehmen auf dem betrachteten Markt hat und deshalb diese Preise rechtfertigen, hängt vom Argumentationsgeschick des Unternehmens ab. Umstritten ist hierbei, ob Verluste, die das Unternehmen mit diesem Produkt trotz des hohen Preises erzielt, eine sachliche Rechtfertigung darstellen. Immerhin erlaubt die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung durch entsprechende Schlüsselung von Gemeinkosten in erheblichem Umfang die Höhe des Deckungsbeitrags eines Produkts zu variieren. 4.5.2 Angebot unter Einstandspreis §20 Abs. 4 GWB, der den Verkauf unter Einstandspreis regelt, beinhaltet eine auf den ersten Blick schockierende Beschränkung der preispolitischen Freiheit eines Unternehmens: Hierbei sind alle Wertschöpfungsstufen erfasst (auch Hersteller und Großhändler), wenngleich diese Regelung vor allem den Einzelhandel betrifft. Gemäß §20 Abs. 4 S. 2 GWB ist es Unternehmen, die gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern eine überlegene Marktmacht besitzen, verboten, Waren oder gewerbliche Leistungen nicht nur gelegentlich unter Einstandspreis anzubieten, es sei denn, dies ist sachlich gerechtfertigt (vgl. ausführlich bspw. Lettl 2008, S. 1299-1306; Langen/ Bunte 2006, §20 Rdnr. 244-258). Für Lebensmittel gilt (derzeit) sogar, dass nicht einmal ein gelegentlicher Verkauf unter Einstandspreis erlaubt ist (§20 Abs. 3 Nr. 1 GWB). Das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen erfordert weder das Vorliegen einer Verdrängungsabsicht, die der marktstarke Anbieter verfolgt, noch den Nachweis der objektiven Marktfolgen im Sinne einer spürbaren Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse kleiner und mittlerer Unternehmen (vgl. Schneider 2004, S. 172). Definiert man vereinfacht den Verkauf unter Einstandspreis dahingehend, dass ein Anbieter die betreffende Ware zu einem niedrigeren Preis offeriert, als er sie selbst bezogen hat, scheint eine solche Preisstrategie dem Gewinnstreben eines Unternehmens zuwiderzulaufen. Preissysteme, die sich auf die Preiskalkulation im Sortimentsverbund beziehen (vgl. Kapitel 5), zeigen jedoch, dass es bei (komplementärem) Sortimentsverbund durchaus gewinnmaximierend sein kann, den Zugartikel sogar unter den Grenzkosten zu verkaufen (Loss-Leader- Promotions; vgl. Gedenk 2002, S. 62). Insoweit behindert das Verbot des Ver- <?page no="197"?> 198 4 Grundmodelle der Preiskalkulation kaufs unter Einstandspreis - konzeptionell - die Gewinnbestrebungen eines Anbieters; zugleich werden den Verbrauchern niedrige Preise vorenthalten. Obwohl die Verbraucherfeindlichkeit der Bestimmung gesehen wird (vgl. Gassner/ Dangelmeier 2003, S. 496), besitzt der Schutz kleiner und mittlerer Wettbewerber eine höhere Priorität (keine Mittelstandsbehinderung). Allerdings kann man auch argumentieren, dass ein Verschwinden kleiner Anbieter und ein Überleben lediglich großer Unternehmen langfristig das Leistungsangebot am Markt schmälert. Ferner soll durch das Verbot das „Verramschen“ von Lebensmittel verhindert werden, was eine ethische Rechtfertigung des Verbots beinhaltet. Eine Reihe von qualifizierenden Anforderungen muss erfüllt sein, um das Angebot einer Ware zu einem günstigen Preis zu einem verbotenen Verkauf unter Einstandspreis zu machen: Ein erstes Merkmal bezieht sich darauf, ab wann ein Verkaufspreis unter dem Einstandspreis vorliegt. Hierzu sieht die Rechtsprechung ein pragmatisches Berechnungsschema vor (vgl. Köhler 1999, S. 698): Für die Ermittlung des Einstandspreises ist der Zeitpunkt des Angebots der Ware relevant, nicht aber die tatsächlichen Einkaufskonditionen, die das Unternehmen zum Zeitpunkt der Beschaffung der Ware hatte und mit denen die Ware bspw. im Rechnungswesen des Unternehmens (z.B. Lifo- oder Fifo-Prinzip) erfasst wurde. Vom aktuellen Listenpreis des Zulieferers (Herstellers), der zum Angebotszeitpunkt der Ware gegenüber dem Nachfrager gilt, sind Preisnachlässe des Zulieferers abzuziehen, die er dem Händler bereits eingeräumt hat, sofern sie kaufabhängig (z.B. Rabatte; Skonti) anfallen. Beziehen sich die gewährten Preisnachlässe auf die Bestellung mehrerer Artikel (z.B. Sortimentsvergütung; Bonus), sind diese Preisnachlässe anteilig zur Bestellsumme der einzelnen Artikel aufzuteilen. Offeriert der Händler ein Produkt zu einem Preis, der geringer als dieser konstruierte Bezugspreis ist, liegt ein Angebot unter Einstandspreis vor. Angebote unter Einstandspreisen sind nur marktmächtigen Unternehmen verboten, wenn sie auf Märkten mit kleinen und mittleren Wettbewerbern tätig sind. Die Abgrenzung der überlegenen Marktmacht basiert unter Berücksichtigung des relevanten Markts auf einer Gesamtbetrachtung (Betriebsgröße, Finanzkraft, Angebotsumfang, Marktanteile). Eine überlegene Marktmacht erfordert allerdings geringere Voraussetzungen als die Marktbeherrschung gemäß §19 Abs. 2 GWB; deshalb können auf einem Markt mehrere Unternehmen eine solche überlegene Marktstellung gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern haben. Ob ein Anbieter zur Gruppe der kleinen und mittleren Wettbewerber auf dem relevanten Markt zählt, ist ebenfalls nur im konkreten Fall zu entscheiden; im Lebensmitteleinzelhandel gilt ein Unternehmen mit wengier als 250 Mio. € Jahresumsatz - widerlegbar - als kleiner bzw. mittlerer Wettbewerber (vgl. Lettl 2008, S. 1301). <?page no="198"?> 4.5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preishöhe 199 Selbst wenn kleine und mittlere Wettbewerber betroffen sind, dürfen Angebote unter Einstandspreis erfolgen, wenn sie nur gelegentlich anfallen (außer bei Lebensmitteln) oder sachlich gerechtfertigt sind. Als Faustregel des BGH gilt, dass Untereinstandsverkäufe bei einer Dauer von drei Wochen nicht mehr nur als „gelegentlich“ anzusehen sind (vgl. Gassner/ Dangelmeier 2003, S. 494). Bei einem stark saisonalen Produkt (z.B. Schulartikel) kann dieser Zeitkorridor auch enger gezogen werden (vgl. Schneider 2004, S. 173). Das Tatbestandsmerkmal „nicht nur gelegentlich“ ist ferner als erfüllt anzusehen, wenn ein solches Angebot eine mehr oder weniger regelmäßige Wiederkehr aufweist, so dass es einen systematischen Charakter besitzt (vgl. Köhler 1999, S. 699). Es spielt hierbei keine Rolle, ob dasselbe Produkt oder ständig wechselnde Produkte unter dem Einstandspreis verkauft werden, wenn dadurch die gleichen kleinen oder mittleren Wettbewerber betroffen sind (vgl. Köhler 1999, S. 699). Auch die Konkretisierung der sachlichen Rechtfertigung eines Angebots unter Einstandspreis ist schwierig: Unstrittig sind betriebswirtschaftliche Notlagen wie drohender Verderb oder anstehender Produktwechsel bei modischen bzw. technischen Erzeugnissen (vgl. Köhler 1999, S. 700), die es sachlich rechtfertigen, die betreffende Ware unter dem Einstandspreis zu offerieren. Geschäftseröffnungen sieht das Bundeskartellamt hingegen nur noch in begrenztem Umfang als Rechtfertigungsgrund an (vgl. Schneider 2004, S. 174). Ein Dilemma beinhaltet ferner das sog. Nachstoßen: Hier reagiert ein marktmächtiger Anbieter mit eigenen Preissenkungen unter den Einstandspreis auf Niedrigpreisstrategien von ebenfalls marktstarken Konkurrenten, welche ihrerseits möglicherweise Untereinstandspreise offerieren (vgl. Schneider 2004, S. 174): Der Eintritt in niedrige Wettbewerbspreise zur Konkurrenzabwehr stellt für sich allein noch keine sachliche Rechtfertigung dar; weist das betroffene (marktmächtige) Unternehmen aber nach, welchen Schaden es erleidet, wenn es nicht auf die niedrigeren Konkurrenzpreise heruntergeht, mag dies eine sachliche Rechtfertigung begründen. Allerdings ist eine umfassende Interessenabwägung vor allem bezogen auf die Wettbewerbssituation der kleinen und mittleren Unternehmen durchzuführen. Ein Angebot unter Einstandspreis kann auf zwei Arten eintreten: Ein Anbieter senkt seinen Verkaufspreis oder die Einstandspreise steigen, wobei der Anbieter seinen Angebotspreis unverändert lässt. Für den zweiten Fall bestimmt - dem BGH folgend - das Bundeskartellamt, dass der Anbieter seinen Angebotspreis soweit zu erhöhen hat, bis er den neuen Einstandspreis nicht mehr unterschreitet. Ein kurzfristiges Beibehalten des Angebotspreises kann aber dann als gerechtfertigt angesehen werden, wenn es erkennbar nur um die Überbrückung der Zwischenzeit bis zur Erschließung einer neuen (günstigeren) Bezugsquelle geht (vgl. Schneider 2004, S. 173f.). Hierbei hat der BGH eine Zeitdauer von zwei Monaten für den Aufbau einer neuen, günstigeren Lieferbeziehung als <?page no="199"?> 200 4 Grundmodelle der Preiskalkulation nicht unangemessen lang beurteilt (vgl. Gassner/ Dangelmeier 2003, S. 494). Gerechtfertigt ist ein Beibehalten der Verkaufspreise auch, wenn die Preise in einem gedruckten Katalog stehen, solange der Katalog seine Gültigkeit besitzt. Folge eines Verstoßes gegen §20 Abs. 4 S. 2 GWB ist ein kartellrechtliches Untersagungs- und Bußgeldverfahren, wobei kleine und mittlere Wettbewerber sowie Verbände im Sinne des §33 GWB klageberechtigt sind. Ein Problem ist allerdings, dass es für einen Wettbewerber zumeist nicht erkennbar ist, ob ein Konkurrent unter seinen Einstandspreisen anbietet, oder deshalb so günstig die Ware offeriert, weil er besonders gute Beschaffungskonditionen mit seinen Zulieferern ausgehandelt hat. Daher bleiben mögliche Verstöße gegen §20 Abs. 4 S. 2 GWB unentdeckt oder Konkurrenten behaupten „ins Blaue hinein“, dass rechtswidrige Untereinstandspreise angesetzt werden (vgl. Schneider 2004, S. 174). Die Rechtsgeschäfte, denen ein Verkaufspreis unter Einstandspreis zugrunde liegt, sind nicht nichtig (vgl. Lettl 2008, S. 1305). 4.5.3 Horizontale Preisabsprachen und vertikale Preisbindungen Bei horizontalen Preisabsprachen treffen Unternehmen einer Branche bzw. der gleichen Wertschöpfungsstufe Vereinbarungen über ihre Verkaufspreise, was häufig auch als horizontales (Preis-)Kartell bezeichnet wird. Vertikale Preisbindungen betreffen Unternehmen unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen, wobei ein vorgelagertes Unternehmen (z.B. Hersteller) einem Unternehmen der nachgelagerten Wertschöpfungsstufe (z.B. Handel) dessen Verkaufspreis der Produkte bestimmt. Eine solche Konstellation wird als Preisbindung der zweiten Hand oder vertikales (Preis-)Kartell bezeichnet. Beide Sachverhalte sind gemeinsam in §1 GWB geregelt. Horizontale Preisabsprachen können sich auf Mindestpreise, Höchstpreise, exakt fixierte Preise (Festpreisvereinbarungen), Preisrelationen im Sortiment, die Gewährung von Konditionen (Rabattkartell) oder Preisschutzklauseln (Absprache, in Absatzgebieten des Mitbewerbers keine Preisunterbietung vorzunehmen) beziehen (vgl. Immenga/ Mestmäcker 2012, §1, Rdnr. 210-222). Eine Sonderform ist das Submissionspreiskartell, das Ausschreibungen von Aufträgen vor allem der öffentlichen Hand betrifft. Hier schieben sich die Anbieter reihum die Aufträge zu, indem die verzichtenden Anbieter überhöhte Scheinangebote (Schutzangebote) abgeben, um einem Anbieter mit einem selbst überhöhten Preisgebot den Auftrag zukommen zu lassen. Innerhalb des Kartells herrscht das Gegenseitigkeitsprinzip, da ein verzichtender Anbieter erwartet, einen späteren Auftrag zu eigenen überhöhten Preisen durch die Scheinangebote der anderen Kartellmitglieder zu erhalten. Gemäß §1 GWB sind die oben angeführten Preisabsprachen als (Preis-)Kartell verboten. Ein analoges europäisches Kartellverbot findet sich für den gemeinsamen Markt in Art. 101 AEUV (vormals Art. 81 EGV). Das Verbot von Preis- <?page no="200"?> 4.5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preishöhe 201 absprachen betrifft nur Unternehmen; Privatpersonen dürfen bspw. bei Auktionen Bieterabsprachen treffen. Preiskartelle sind jedoch nur dann verboten, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken wollen. Die Unternehmen schränken sich dann absichtlich in ihrer preispolitischen Handlungsfreiheit ein, was zu spürbaren Wettbewerbsbeschränkungen führen muss (vgl. Langen/ Bunte 2010, §1, Rdnr. 212-248). Horizontale Preisabsprachen können vor allem auf drei Arten zustande kommen (vgl. Langen/ Bunte 2010, §1, Rdnr. 34-71): durch Vertrag, durch Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und durch aufeinander abgestimmtes Verhalten. Im Falle eines Vertrages treffen die Kartellmitglieder rechtsverbindliche Absprachen. Hierunter fällt auch das Gentlemans Agreement, das ohne expliziten schriftlichen Vertrag, aber aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung (Commitment) eine faktische Bindungswirkung besitzt. Ein Beispiel für Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen sind Branchenverbände, in denen die Mitglieder einem Gremium die Kompetenz für die Preisfestsetzung übertragen haben. Aufeinander abgestimmtes Verhalten impliziert eine bewusste, praktische Zusammenarbeit der Unternehmen, um anstelle des Preiswettbewerbs gemeinsam durch gegenseitigen Kontakt die Preisentwicklung am Markt zu beeinflussen. Dies mag bspw. darin bestehen, dass man seine Mitbewerber über das eigene Preisverhalten informiert oder sich auf die Preiskoordination durch einen Dritten verständigt. Insgesamt bildet das Konstrukt des aufeinander abgestimmten Verhaltens einen Auffangtatbestand, da sich die meisten Preisabsprachen über eine weite Auslegung des Gentlemans Agreement greifen lassen. Das aufeinander abgestimmte Verhalten ist allerdings vom bloßen Parallelverhalten (gleichförmiges Verhalten) von Unternehmen abzugrenzen, das nicht kartellrechtlich relevant ist (vgl. Bechtold et al. 2010, §1 Rdnr. 21-22): Bei einem bloßen Parallelverhalten reagieren die Unternehmen in ihren Preisentscheidungen lediglich ähnlich, weil sie sich an die - für alle gleichen - Marktgegebenheiten anpassen. So zeigen die Reaktionsfunktionen der Cournot-Preisanpasser, dass es das Gewinnmaximierungskalkül erfordert, auf Preiserhöhungen (Preissenkungen) des Konkurrenten ebenfalls mit Preiserhöhungen (Preissenkungen) zu reagieren. Selbst das bewusste Nachvollziehen der Preisentscheidungen anderer (Chamberlin-Preisfolger) stellt ein bloßes Parallelverhalten dar. Dies gilt auch für den Preisführer, der damit rechnet, dass sich seine Konkurrenten in bestimmter Weise anpassen (z.B. Stackelberg-Preisführer). Kartellrechtlich unbedenklich sind ferner Preismeldestellen: (vgl. Bechtold et al. 2010, §1 Rdnr. 85): Hier informieren die Anbieter in einer Branche eine Meldestelle darüber, zu welchen Preisen und Konditionen sie ihre Geschäfte abgeschlossen haben, wobei die Meldestelle hieraus Marktinformationen bildet und diese kommuniziert. <?page no="201"?> 202 4 Grundmodelle der Preiskalkulation Problematisch ist häufig der Nachweis eines horizontalen Preiskartells, da sich die beteiligten Unternehmen ihres Rechtsverstoßes bewusst sind und deshalb „sehr diskret“ agieren. Beweismittel sind Zeugenaussagen oder Dokumente, aber häufig auch Indizien (z.B. Zeitpunkte der Preiserhöhungen), die die Kartellbehörden heranziehen, wie bspw. eine gleichförmige Preiserhöhung der Unternehmen, die sich nicht mit marktspezifischen Zwängen plausibel erklären lässt. Ferner existiert eine Kronzeugenregelung, die durch eine Reduzierung der Strafzahlungen (Bonusregelung) einen Anreiz zur Mitwirkung bei der Aufklärung bzw. zum Aufdecken eines Kartells von innen heraus bieten soll (vgl. Immenga/ Mestmäcker 2012, §81, Rdnr. 378). Vertikale Preisbindungen stehen im gleichen Rang wie Preiskartelle (horizontale Preisbindung) und sind somit ebenfalls gemäß §1 GWB verboten. Eine vertikale Preisbindung ist weitergehend als eine bloße (erlaubte) Preisempfehlung: So schreibt bspw. ein Hersteller dem Handel vertraglich vor, zu welchem Preis oder welchen Konditionen (z.B. Rabatte) der Handel die Herstellerprodukte veräußern darf (Weiterveräußerungspreis). Eine solche Preisbindung mag ferner daher resultieren, dass sich Händler verpflichten, Ware zurückzugeben, wenn sie sich nicht an die Preisvorgaben des Herstellers halten wollen. Preisbindungen lassen sich aber auch mit wirtschaftlichem Druck durchsetzen, wenn Nachteile (z.B. Verlust von Rabatten oder anderen Vergünstigungen) aus der Verletzung der „vorgeschriebenen Preise“ drohen oder Anreize gesetzt werden, Fest- oder Mindestpreise einzuhalten (vgl. Emmerich 2008, §26 Rdnr. 8). Als wettbewerbsschädlich wird eine vertikale Preisbindung vor allem deshalb eingestuft, weil dadurch der Preiswettbewerb bezogen auf die Herstellermarke verhindert wird (Preisstarrheit). Allerdings gibt es auch Argumente, die einer vertikalen Preisbindung positive Wirkungen zuschreiben: So mag ein einheitliches Niveau für den Weiterveräußerungspreis die Bereitschaft des Handels zu herstellerspezifischen Investitionen (z.B. Werbung für das Herstellerprodukt) steigern, da es dann keine Trittbrettfahrer gibt; diese beteiligen sich nicht an solchen herstellerspezifischen Investitionen, profitieren aber davon und verkaufen die Herstellermarke dann - aufgrund der eingesparten Investitionen - zu niedrigen Preisen (vgl. Lettl 2011, S. 712). Hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Kartellverbot des §1 GWB sind die das Kartell begründenden Verträge und Beschlüsse zivilrechtlich nichtig, die Verträge der Kartellmitglieder mit Dritten, die auf der Preisabsprache basieren (sog. Folgeverträge), jedoch nicht (vgl. Bechtold et al. 2010, §1 Rdnr. 79-82). Es bestehen aber Schadenersatzansprüche Dritter (z.B. Abnehmer), wenn sich die Kartellvereinbarung gezielt gegen sie gewendet hat. Bei Submissionspreiskartellen besteht gegenüber dem geschädigten Auftraggeber eine Ersatzpflicht; ferner ist ein Submissionskartell strafrechtlich relevant (§823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§263, 298 StGB; vgl. Immenga/ Mestmäcker 2001, §33 GWB, Rdnr. 15). <?page no="202"?> 4.5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preishöhe 203 Verstöße gegen das Kartellverbot können von den Kartellbehörden mit Bußgeld belegt werden. Das Bußgeld soll hierbei einerseits die Zuwiderhandlung sanktionieren (Sanktionsanteil), andererseits den wirtschaftlichen Vorteil der Preisabsprache (Kartellrente) abschöpfen (Abschöpfungsanteil der Buße). Der Sanktionsanteil ist hierbei nicht steuerlich als Betriebsausgabe absetzbar, der Abschöpfungsanteil hingegen schon (vgl. Achenbach 1997, S. 397). Die Höhe des Bußgeldes richtet sich nach der Schwere des Verstoßes, wobei die deutschen wie europäischen Kartellbehörden kräftige Bußgelder verhängen. Es besteht bei der Verhängung der Buße allerdings ein Übermaßverbot; insbesondere sollte die Buße für die betroffenen Unternehmen nicht existenzgefährdend sein (vgl. Achenbach 1997, S. 397). Das generelle Kartellverbot des §1 GWB ist von einer Reihe von Ausnahmen durchbrochen: Eine Vereinbarung zwischen Unternehmen ist gemäß §2 Abs. 1 GWB vom Kartellverbot freigestellt, wenn sie folgende vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt (vgl. bspw. Langen/ Bunte 2010, §2 Rdnr. 26-54): (i) Die Vereinbarung muss zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen; (ii) die Verbraucher müssen eine angemessene Beteiligung an dem entstehenden Gewinn erhalten; (iii) die Beschränkungen müssen für die Verwirklichung der Ziele unerlässlich sein, und (iv) die Vereinbarung darf den Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Ob diese Kriterien erfüllt sind, müssen die beteiligten Unternehmen selbst beurteilen (Prinzip der Selbsteinschätzung). Einer Genehmigung durch das Kartellamt bedarf es nicht. Liegen diese Freistellungsvoraussetzungen nicht vor, drohen die kartellrechtlichen Konsequenzen (vgl. bspw. Langen/ Bunte 2010, §2 Rdnr. 55-58). Bezogen auf horizontale preisliche Absprachen ist kaum vorstellbar, dass diese Kriterien erfüllt sind; allenfalls mögen sie in bestimmten Fällen für vertikale Preisbindungen zutreffen. Eine Freistellung vom Kartellverbot haben ferner Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) auf europäischer Ebene: Allerdings zählen preisbezogene Vereinbarungen prinzipiell zu den Kernbeschränkungen des Wettbewerbs (Schwarze Klausel) gemäß Art. 101 AEUV und können daher vom Kartellverbot nicht freigestellt sein. Ausgenommen hiervon sind lediglich vertikale Preisvereinbarungen zu Höchstpreisen, sofern sich diese nicht durch Druck oder Gewährung von Anreizen wie Fest- oder Mindestpreise auswirken (Artikel 4 lit. a Vertikal GVO). Eine weitere Ausnahme vom Verbot der Preiskartelle ergibt sich für kleine und mittlere Unternehmen als Mittelstandskartelle (§3 GWB): Demnach dürfen Wirtschafts- oder Berufsverbände ihren Verbandsmitgliedern Kalkulationsempfehlungen (z.B. Kalkulationsschema) oder Hinweise für die Gestaltung von Preisaktionen (z.B. Zeitdauer von Sonderangeboten) geben. Es handelt sich hierbei aber nur um vorbereitende Maßnahmen der Preissetzung in den Unter- <?page no="203"?> 204 4 Grundmodelle der Preiskalkulation nehmen. Allerdings ist auch die Empfehlung eines existenzsichernden Preises (Preisuntergrenze) erlaubt. Voraussetzung für solche preisbezogenen Mittelstandsempfehlungen ist, dass dadurch die Leistungsfähigkeit und die Wettbewerbsbedingungen der betreffenden kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber den Großunternehmen steigen. Hierbei darf der Marktanteil der Vereinigung 10 % bis 15 % im relevanten Markt nicht übersteigen, wenn preisbezogene Sachverhalte betroffen sind. Ferner müssen die Mitglieder in ihrer Entscheidung über die Befolgung der Empfehlungen frei sein. Nicht erlaubt sind Preisempfehlungen, die ausschließlich Preiserhöhungen zum Inhalt haben (vgl. Bechtold et al. 2010, §3 Rdnr. 10-11). Eine Branchenausnahme für vertikale Preisbindungen stellen Bücher und Verlagserzeugnisse dar, für die eine Preisbindung gilt (§30 GWB). Bei Tabakwaren ergibt sich eine Preisbindung dadurch, dass nach dem Tabaksteuergesetz von dem auf der Steuerbanderole angegebenen Packungspreis nicht abgewichen werden darf. Faktische Preisbindungen resultieren ferner, wenn gesetzliche Regelungen den Preis administrieren. Eine weitere Ausnahme ist gegeben, wenn die vertikale Preisbindung aufgrund ihrer Kurzzeitigkeit kaum spürbar ist: So brachte ein Hersteller von Schokoriegeln, die üblicherweise in einer 10-Stück-Packung vertrieben werden, im Rahmen einer Promotionaktion eine 11-Stück-Packung mit dem Aufdruck und der Werbung „1 Riegel mehr drin, aber kostet nicht mehr“ auf den Markt. Der Bundesgerichtshof (BGH) sah hierin keine wettbewerbsbeschränkende vertikale Preisbindung, da die Preisgestaltungsfreiheit der Händler nur für kurze Zeit und praktisch nicht spürbar eingeschränkt war (vgl. WuW 2003, S. 771). Insgesamt besitzt der Hersteller in vielen Branchen keine Möglichkeit, den Handel auf einen bestimmten - vom Hersteller als vorteilhaft angesehenen - Endverbraucherpreis festzulegen. Allerdings bietet das vertikale Marketing mit dem Paradigma einer Kooperation zwischen Hersteller und Handel bei der Vermarktung der Herstellerprodukte beim Endverbraucher einen anderen konzeptionellen Ansatz (vgl. bspw. Homburg 2012, S. 868-872): Wenn es gelingt, durch Zusammenarbeit in Produktgestaltung, Warenwirtschaft oder Promotionpolitik (Category Management; Efficient Consumer Response) Abverkaufszahlen und Deckungsbeiträge der Herstellermarken zu steigern, nimmt das Bedürfnis des Herstellers, dem Handel die „richtigen Preise“ zu diktieren, zweifellos ab, sofern Handel und Hersteller den Kooperationsgewinn für beide Seiten zufriedenstellend aufteilen. 4.5.4 Predatory Pricing und Price Squeezing Unter dem ökonomischen Term des Predatory Pricing (Bowley-Preisführerschaft) wird juristisch eine sog. Kampfpreisunterbietungsstrategie verstanden, die entweder eine Vernichtungs-, bzw. Verdrängungsabsicht oder <?page no="204"?> 4.5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preishöhe 205 einen Disziplinierungszweck gegenüber einem Wettbewerber beinhaltet. In der Praxis aufgetretene Fälle eines Predatory Pricing waren bspw. ein großes Reiseunternehmen, das für einzelne touristische Zielgebiete weit unter seinen Kosten liegende Angebotspreise offerierte, um die auf dieses Gebiet spezialisierten, kleinen Reiseanbieter aus dem Markt zu drängen. Ebenso räumten große Verlage von überregionalen Zeitungen für bestimmte regionale Gebiete den werbetreibenden Unternehmen überaus günstige Anzeigenpreise ein, um den dortigen Lokalzeitungen das Wasser abzugraben. Sofern ein marktbeherrschendes Unternehmen eine solche Kampfpreisstrategie verfolgt, handelt es sich um einen Verstoß gegen §19 Abs. 4 GWB (Verbot des Behinderungsmissbrauchs), §20 Abs. 1 GWB (unbillige Wettbewerbsbehinderung) sowie §3 UWG (unlauterer Wettbewerb). Kampfpreisstrategien sind hierbei weitergehender als ein Angebot unter dem Einstandspreis definiert, wenngleich ein Angebot unter den Grenzkosten oder den langfristigen variablen Durchschnittskosten als ein Indiz hierfür gilt (vgl. bspw. Ewald 2003, S. 1167). Hinzukommen muss die Fokussierung der Strategie auf einen bestimmten Konkurrenten, der damit bewusst angegriffen und existentiell bedroht wird. Ein solcher Nachweis ist im Einzelfall sicherlich schwer zu führen. Das Verbot des Predatory Pricing ist nicht unumstritten (vgl. Ewald 2003, S. 1166); immerhin gehört es zum „Gesetz des Marktes“, dass schwächere Anbieter ausscheiden (ökonomische Evolution). Dies ist dann unproblematisch, wenn neue Anbieter auf den Markt kommen. Ferner könnten unter Umständen auch schwächere Maßnahmen als ein Verbot gleiche wettbewerbserhaltende Wirkung besitzen: So wird vorgeschlagen, dass das Unternehmen mit einem Predatory Pricing die Produktionsmenge nach Ausscheiden eines Wettbewerbers nicht erhöhen darf (vgl. Ewald 2003, S. 1166). Dies soll Platz für neue Konkurrenten schaffen. Im Falle eines Price Squeezing (Preis-Kosten-Schere) setzt ein Unternehmen, das sowohl an Endverbraucher wie an gewerbliche Weiterverkäufer seine Produkte verkauft, gegenüber dem gewerblichen Abnehmern höhere Preise als gegenüber den Endkunden an. Allgemein ist ein Unternehmen sowohl Lieferant von Vorprodukten für andere Endhersteller als auch selbst Endhersteller dieser Produkte. Dieses Unternehmen erhöht die Preise für die Vorprodukte und senkt gleichzeitig die Preise für die Fertigprodukte (vgl. Lettl 2008, S. 1304). Damit bringt das Unternehmen seine gewerblichen Abnehmer in eine Kosten-Preis- Schere, die deren wirtschaftliche Existenz bedroht. Fälle einer solchen Preisdifferenzierung sind bspw. auf dem Mineralölmarkt denkbar, wenn ein Mineralkonzern eigene Tankstellen betreibt, aber auch seine Mineralölprodukte an freie Tankstellen verkauft. Ebenso mag ein Netzanbieter im Telekommunikationsbereich niedrigere Vermittlungspreise für seine Privatkunden ansetzen, als er gegenüber gewerblichen Telefondienstleistungsanbietern, die über kein entspre- <?page no="205"?> 206 4 Grundmodelle der Preiskalkulation chendes Netz verfügen, verlangt. Ein solches Price Squeezing ist einem marktmächtigen Unternehmen gemäß §20 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 GWB als unbillige Behinderung verboten, wenn es sich bei den gewerblichen Abnehmern um kleine und mittlere Unternehmen handelt und diese Preisdifferenzierung sachlich nicht gerechtfertigt ist (vgl. Bechtold et al. 2010, §30 Rdnr. 95-97). 4.5.5 Preisgarantie Eine Preisgarantie liegt vor, wenn der Anbieter dem Nachfrager das Recht einräumt, den Kauf rückgängig zu machen oder die Preisdifferenz ausbezahlt zu bekommen, wenn Konkurrenten die erworbene Ware innerhalb einer bestimmten Frist zu günstigeren Preisen anbieten (vgl. Diller 2008, S. 416; Simon/ Fassnacht 2009, S. 388). Etwas „peppiger“ wird eine solche Preisgarantie auch als Best Price-Garantie oder Geld-zurück-Garantie kommuniziert. In einer besonders extremen Variante der Preisgarantie ist der Anbieter bereit, mehr als die Preisdifferenz dem Kunden zu erstatten („plus 10 %“), damit er den Konkurrenzpreis unterbietet (Price-Beating Garantee; vgl. McWilliams/ Gerstner 2006, S. 106). In der Regel muss der Nachfrager einen Nachweis gegenüber dem Anbieter erbringen, dass Konkurrenten das gleiche Produkt günstiger anbieten. Manche Anbieter bieten allerdings eine Aufwandsentschädigung oder Prämie für diesen Nachweis an (vgl. Diller 2008, S. 416). Ein wesentlicher Aspekt bei Preisgarantien ist die räumliche und sachliche Abgrenzung: Im ersten Fall spezifiziert der Anbieter, innerhalb welchen räumlichen Gebiets er den besten Preis garantiert (z.B. Stadt), im zweiten Fall, welche Konkurrenten unter seine Preisgarantie fallen: Häufig werden hierbei Internethändler oder Sonderverkäufe („Angebotsaktionen“) von Konkurrenten von der Preisgarantie ausgenommen. Von einer Preisgarantie ist der Garantiepreis abzugrenzen: Im letzteren Fall verpflichtet sich das Unternehmen, innerhalb einer bestimmten Frist seine Verkaufspreise nicht zu erhöhen. Die Zielsetzungen einer Preisgarantie liegen im Schaffen eines günstiges Preisimage sowie einer positiven Beeinflussung der Kundenzufriedenheit, da Nachfrager wissen, - zumindest beim Preis - vorteilhaftes Angebot zu erhalten; ebenso dürfte eine Preisgarantie die wahrgenommene Preisfairness erhöhen (vgl. bspw. Biswas et al. 2006; McConell et al. 2000; Srivastava/ Lurie 2004). Aus wettbewerbspolitischer Sicht gelten Preisgarantien in der Literatur - teilweise - als bedenklich (vgl. McWilliams/ Gerstner 2006, S. 106): Da Konkurrenten wissen, durch Preissenkungen den Anbieter, der eine Preisgarantie ausgesprochen hat, nicht unterbieten zu können, verzichten sie auf das Instrument des Preiswettbewerbs: Dies mag zu einem Verkaufspreis für das Produkt am Markt führen, der höher ist als in einem Markt, in dem kein Anbieter eine Preisgarantie gesetzt hat. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht ist eine Preisgarantie prinzipiell unbedenklich. Problematisch ist es allerdings, wenn die Preisgarantie auf eine Ware eingeräumt <?page no="206"?> 4.5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Preishöhe 207 wird, die nur vom betreffenden Anbieter geführt wird oder eine Ware betrifft, bei denen der Kunde große Schwierigkeiten besitzt, ein Vergleichsobjekt zu finden. In der ersten Fallgruppe könnte deshalb eine Irreführung gemäß §5 UWG, in der zweiten Fallgruppe eine unlautere Behinderung der Konkurrenz gemäß §4 Nr. 10 UWG bzw. §3 UWG vorliegen und damit wettbewerbswidrig sein (vgl. GRUR 1994, S. 57; WRP 2009, S. 432). Da eine Preisgarantie einen niedrigen Verkaufspreis auf dem Markt impliziert, könnte ferner ein Verkauf unter Einstandspreis vorliegen; richtet sich eine Preisgarantie speziell gegen einen bestimmten Konkurrenten, mag der Tatbestand des Predatory Pricing erfüllt sein. In diesen Fällen ist aber zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Wettbewerbswidrigkeit gegeben sind. <?page no="208"?> 5 Preissysteme 5.1 Allgemeine Charakteristik von Preissystemen Allgemein sind für die Beschreibung eines Systems die Relationen zwischen den Elementen dieses Systems und ihre Beziehungen zur Umwelt relevant (vgl. bspw. Schulte-Zurhausen 2010, S. 34f.; Vahs 2012, S. 38). Ein Preiselement eines Preissystems ist hierbei durch zwei Merkmale gekennzeichnet: Zum einen bezieht sich ein Preiselement auf spezifische Produkte bzw. Leistungseinheiten des Anbieters, wofür der Nachfrager die monetäre Gegenleistung zu erbringen hat. Dies definiert folglich die Beziehung des Preiselements zu seiner Umwelt. Zum anderen signalisiert ein Preiselement die Höhe der monetären Gegenleistung. Die Relationen zwischen den Preiselementen eines Preissystems kommen somit durch die jeweilige Höhe des Preises, der für unterschiedliche Produkte bzw. Leistungseinheiten oder für ein bestimmtes Produkt in unterschiedlichen Zeitperioden gilt, zum Ausdruck. Die Preiselemente bzw. das Preissystem sind geordnet, wenn die Abstufungen in der Preishöhe einem logischen Kalkül unterliegen. Die Beziehung eines Preiselements zu den Produkten bzw. Leistungseinheiten weist verschiedene Relationsstrukturen auf (vgl. Abbildung 5.1-1): Abbildung 5.1-1: Relationsstrukturen in Preissystemen F a ll 1 F a ll 2 F a ll 3 F a ll 4 Produkt Preiselement <?page no="209"?> 210 5 Preissysteme Fall 1 beinhaltet die einfachste Relation: Ein einziges Preiselement ist einer einzelnen, marktfähigen Leistungskomponente des Anbieters zugeordnet, wobei der Anbieter aber mehrere solcher Leistungskomponenten in seinem Angebot (Sortiment) haben kann. Ein Preissystem entsteht dadurch, dass in der Preiskalkulation für ein Produkt Ausstrahlungseffekte dieser Preissetzung berücksichtigt werden: Solche Ausstrahlungseffekte können sachlich bestehen, weil der Preis für ein Produkt nicht nur den eigenen Absatz, sondern auch den Absatz anderer Produkte im Sortiment beeinflusst (preisbedingte Sortimentsinterdependenzen). Zeitliche Ausstrahlungseffekte liegen vor, wenn die Preissetzung für ein Produkt in der Periode t Einfluss auf den Absatz dieses Produkts in späteren Perioden (z.B. t+1, t+2) nimmt (Carry-over-Effekte). In Fall 2 beziehen sich verschiedene Preiselemente auf das gleiche Produkt und sind gleichzeitig wirksam. Ein Produkt besitzt damit mehrere Preiskomponenten, die zusammen den effektiven Preis ergeben. Spiegelbildlich hierzu verhält sich Fall 3: Hier bezieht sich ein einziges Preiselement auf mehrere, durchaus eigenständige Produktangebote und fasst diese zu einer monetären Einheit zusammen. In Fall 4 enthält das Preissystem mehrere, alternative Relationen zwischen Preiselementen und einem Produkt. Im Gegensatz zu Fall 2 ist jedoch in einer konkreten Transaktion nur ein einziges Preiselement aus den alternativen Preiselementen gültig. Die Rahmenbedingungen der Transaktion entscheiden hierbei, welches spezifische Preiselement zutrifft. So kann es davon abhängen, welcher Nachfrager das Produkt kaufen will oder wie viele Mengeneinheiten er erwerben will, welches Preiselement für ihn relevant ist. In Weiterführung dieser zunächst noch abstrakten Charakterisierung lassen sich Preissysteme anhand von drei Dimensionen systematisieren (vgl. Abb. 5.1-2): Abbildung 5.1-2: Dimensionen von Preissystemen homogen heterogen isoliert leistungsübergreifend statisch dynamisch Sortiment Zeit N achfrager <?page no="210"?> 5.1 Allgemeine Charakteristik von Preissystemen 211 Ein Preissystem ist zeitbezogen dynamisch, wenn Preise für ein Produkt innerhalb eines Planungszeitraums eine systematische zeitliche Struktur aufweisen. Dies korrespondiert häufig mit einer Variation der Preishöhe des betreffenden Produkts im Zeitablauf. Ein dynamischer Charakter liegt ferner vor, wenn Carry-over-Effekte in der Preissetzung berücksichtigt werden. Ein zeitlich dynamisches Preissystem zeichnet sich folglich durch eine vorausschauende Preiskalkulation aus. Bei einem statischen Preissystem unterbleibt hingegen die Festlegung einer zeitlichen Struktur, da die Preiskalkulation nur auf die vorliegende Zeitperiode fokussiert ist. Ändern sich die Rahmenbedingungen der Preiskalkulation auf Nachfragerund/ oder Kostenseite in den einzelnen Zeitperioden, ergeben sich unter dem Kalkül der statischen Gewinnmaximierung zwar ebenfalls ex post unterschiedliche statisch gewinnoptimale Preise, sie sind aber nicht als dynamisches Preissystem bzw. dynamisches Preismanagement zu interpretieren. Hinsichtlich der Sortimentsdimension impliziert ein leistungsübergreifendes Preissystem, das die Bestimmung der Höhe eines Preiselements nicht nur auf die betreffende Leistungseinheit, sondern auch andere Produkte der Angebotspalette in die Kalkulation einbezieht. Ein leistungsbezogen isoliertes Preissystem lässt hingegen die Existenz anderer bzw. weiterer Produkte bei der Preiskalkulation einer Leistungseinheit außer Betracht. Gelten zu einem Zeitpunkt für Nachfrager des gleichen Produkts verschiedene Preise, liegt ein nachfragerbezogen heterogenes Preissystem vor. Erhalten alle Nachfrager das betreffende Produkt zu einem bestimmten Zeitpunkt zu identischen Preisen, ist das Preissystem nachfragerbezogen homogen. Die Ausformungen eines dynamischen bzw. leistungsübergreifenden oder nachfragerbezogen heterogenen Preissystems sind in der Praxis vielgestaltig (vgl. Abbildung 5.1-3). Gemeinsamkeit aller - im Folgenden dargestellten - Ausprägungen von Preissystemen ist jedoch, dass sich die Preiskalkulation an den differenzierten Zahlungsbereitschaften von Nachfragern orientiert, die zugleich in spezifischen Formen des Preisresponses (Preiselastizität) ihren Niederschlag findet. Damit basieren Preissysteme auf dem Prinzip des Value Pricing. Die Preissysteme in Abbildung 5.1-3 beinhalten vier Konstruktionsprinzipien: Berücksichtigung von Ausstrahlungseffekten der Preissetzung für ein Produkt; Preisbündelung; mehrbzw. zweiteilige Tarife; Preisdifferenzierung. <?page no="211"?> 212 5 Preissysteme Abbildung 5.1-3: Arten von Preissystemen Die Berücksichtigung von sachlichen oder zeitlichen Ausstrahlungseffekten der Preissetzung für ein Produkt, die sich unter Fall 1 oder Fall 4 in Abbildung 5.1-1 subsumieren lassen, impliziert eine Veränderung des Gewinnmaximierungskalküls: Gewinnmaximierend ist nicht mehr ein isoliert kalkulierter Preis, der diese Ausstrahlungseffekte negiert, sondern ein Preis, der diese Ausstrahlungseffekte explizit einbezieht, was wiederum entsprechende Erweiterungen der Preis- Absatz-Funktion als Grundlage der Preiskalkulation erfordert. Bei der Preisbündelung fasst der Anbieter mehrere eigenständig marktfähige Angebotsleistungen zusammen und offeriert dieses Produktbündel zu einem Gesamtpreis. Preisbündelung entspricht damit Fall 3 in Abbildung 5.1-1. Zweiteilige Tarife zeichnen sich dadurch aus, dass ein Grundpreis (Grundgebühr) existiert, den der Nachfrager für einen bestimmten Zeitraum zu entrichten hat, unabhängig davon, welche Leistungsmenge er beansprucht. Darüber hinaus fällt je Leistungseinheit, die der Nachfrager abruft, ein nutzungsabhängiger Preis an. Der Endpreis, den der Nachfrager somit innerhalb eines bestimmten Zeitraums für die Anbieterleistung bezahlt, setzt sich folglich additiv aus beiden Preiselementen, d.h. der Grundgebühr für diesen Zeitraum und der innerhalb des Zeitraums mit dem Preis pro Einheit multiplizierten Leistungsmenge zusammen. Zweiteilige Tarife sind folglich Ausdruck von Fall 2 in Abbildung 5.1-1. Das Konstruktionsprinzip der Preisdifferenzierung ist ebenfalls in Fall 4 der Abbildung 5.1-1 erfasst: Bei der personellen Preisdifferenzierung dienen P reiss ys teme leistungsübergreifend zeitbezogen heterogen nachfragerbezogen heterogen Produktlinien- Pricing Mehr-Personen- Preisbildung perfekte Preisdifferenzierung Zweiteilige Tarife Preisbündelung personelle Preisdifferenzierung zeitliche Preisdifferenzierung leistungsbezogene (sachliche) Preisdifferenzierung räumliche Preisdifferenzierung Yield-Management Preiskalkulation im Sortimentsverbund quantitative Preisdifferenzierung Preisstrategien für die Markteinführung von Innovationen <?page no="212"?> 5.1 Allgemeine Charakteristik von Preissystemen 213 spezifische Merkmale der Nachfrager als Grundlage für eine Segmentierung des Markts. Es existieren marktsegmentspezifische Preise für die gleiche Produktleistung: Je nachdem, welchem Marktsegment ein Nachfrager zugehörig ist, gilt für ihn der segmentspezifische Preis. Einen Spezialfall hierbei stellt die räumliche Preisdifferenzierung dar, da das Merkmal des Wohnorts des Nachfragers die Zugehörigkeit zum geographischen Marktsegment definiert. Inhalt der räumlichen Preisdifferenzierung ist, dass der Anbieter für einzelne geographische Absatzgebiete unterschiedliche Preise fordert. Bei der perfekten Preisdifferenzierung liegt die extremste Ausprägung einer personellen Preisdifferenzierung vor, da jeder Nachfrager sein „eigenes“ Segment bildet. Jedem Nachfrager wird dann ein individuelles Preiselement für das betreffende Produkt zugeordnet. In der quantitativen Preisdifferenzierung sinkt der effektive Preis für eine Produkteinheit, wenn der Abnehmer bestimmte Kriterien im Rahmen der Transaktion bzw. Geschäftsbeziehung erfüllt. Solche Kriterien korrespondieren - im weitesten Sinn - mit der Höhe der Absatzmenge, die ein Nachfrager in einer Transaktion oder über einen gewissen Zeitraum hinweg bei diesem Anbieter tätigt. Je nachdem, welche Absatzmenge der Nachfrager erzielt, ist ein spezifisches Preiselement gültig. Einen Sonderfall stellt die Mehr-Personen-Preisbildung dar: Hier macht der Anbieter den durchschnittlichen Preis pro Einheit eines Gutes von der Anzahl der Personen, die diese Leistung als Gruppe nachfragen, abhängig. Zeitliche Preisdifferenzierung liegt vor, wenn der Anbieter je nach Tageszeit, Wochentag oder Saison verschiedene Preise für sein Produkt ansetzt. Analoges gilt für Preisstrategien bei der Markteinführung von Innovationen, wenn sich der Preis für das Produkt im Zeitablauf, d.h. mit fortschreitendem Verbreitungsprozess des neuen Produkts im Markt (Diffusion) verändert. Der Preis, den der Nachfrager bei zeitlicher Preisdifferenzierung zu entrichten hat, hängt folglich von seinem Kaufzeitpunkt ab. Eine Ausnahme der Preisdifferenzierung, die nachfragerbezogen heterogene Preissysteme beinhaltet, stellt die leistungsbezogene (sachliche) Preisdifferenzierung dar: Hier variiert ein Produkt durch Ausgestaltung mit verschiedenen Zusatzleistungen im Ausstattungsniveau, wobei jedes Niveau ein eigenes Preiselement besitzt. Damit liegt Fall 1 in Abbildung 5.1-1 vor. Die Größenrelationen der Preiselemente für die Leistungsniveaus korrespondieren hierbei mit den Abstufungen der Ausstattungsniveaus. Handelt es sich bei den Leistungsniveaus um eigenständige Produkt-Markt-Kombinationen, spricht man allerdings nicht mehr von einer leistungsbezogenen Preisdifferenzierung, sondern von einem Preissystem für eine Produktlinie des Anbieters (Produktlinien-Pricing). Die verschiedenen Ausprägungen der Preisdifferenzierung lassen sich miteinander kombinieren: So kann ein Preissystem eine personelle und räumliche Preis- <?page no="213"?> 214 5 Preissysteme differenzierung, oder eine quantitative und eine zeitliche Preisdifferenzierung beinhalten. Dies führt dann zu einer mehrdimensionalen Preisdifferenzierung. Neben den oben skizzierten Arten der Preisdifferenzierung gehen auf Pigou (1960, S. 279) drei Grade der Preisdifferenzierung (vgl. bspw. Fassnacht 2003, S. 491f.; Tacke 1989, S. 12-16) zurück: Bei der Preisdifferenzierung ersten Grades erhält jeder Nachfrager für eine Produkteinheit einen individuellen Preis. Es liegt folglich perfekte Preisdifferenzierung vor. Bei der Preisdifferenzierung zweiten Grades legt der Anbieter für verschiedene Rahmenbedingungen des Angebots unterschiedliche Preise fest: So setzt der Anbieter höhere Preise für touristische Dienstleistungen in der Hauptsaison als in der Vorbzw. Nachsaison (zeitliche Preisdifferenzierung) an; ebenso sind die Eintrittskarten für eine Theateraufführung je nach Sitzplatzkategorie unterschiedlich (sachliche Preisdifferenzierung). Charakteristik dieses Typs der Preisdifferenzierung ist, dass der Nachfrager aufgrund seiner Nutzenstiftung oder seines Nutzungsverhaltens selbst das entsprechende Preiselement wählt (Selbstselektion). Allerdings fällt bisweilen aufgrund äußerer Restriktionen (z.B. Urlaub mit Kindern nur in der Ferienzeit, d.h. Hauptsaison) diese potenzielle Entscheidungsfreiheit des Nachfragers faktisch weg. Die Preisdifferenzierung dritten Grades impliziert die Existenz von Marktsegmenten, die sich durch beobachtbare Merkmale unterscheiden, wobei ein Nachfrager aufgrund seiner spezifischen Merkmalsausprägungen einem dieser Segmente angehört. Hierunter fallen die Ausprägungen der personellen oder räumlichen Preisdifferenzierung. Es existieren zwar wiederum alternative Relationen von Preiselementen und Produkt, im Gegensatz zur Preisdifferenzierung zweiten Grades können die Nachfrager die spezifische Preis-Produkt-Relation nicht selbst wählen, sondern sind aufgrund ihrer Segmentzugehörigkeit automatisch einem bestimmten Preiselement zugeordnet. In einer technisch orientierten Abgrenzung lässt sich zwischen agglomerativer und deglomerativer Preisdifferenzierung unterscheiden (vgl. Fehl/ Oberender 2002, S. 403): Im ersten Fall ist der Gesamtmarkt aufgrund exogener Faktoren in einzelne Teilmärkte aufgespalten. Deshalb setzt der Anbieter - dieser gegebenen Marktstruktur folgend - spezifische Preise für die Marktsegmente an (Differenzierungsstrategie) und fasst die Teilmärkte nicht zu einem Gesamtmarkt mit einem einheitlichen Preis (Standardisierungsstrategie) zusammen. Dies ist bspw. bei der räumlichen Preisdifferenzierung gegeben, wenn jedes Absatzgebiet den spezifischen - auf die dortigen Rahmenbedingungen angepassten - optimalen Preis erhält. Deglomerative Preisdifferenzierung impliziert hingegen, dass ein Gesamtmarkt erst durch Marktsegmentierung in verschiedene Teilmärkte aufgespalten wird (künstliche Marktspaltung). Dieser Fall liegt bspw. bei der personellen oder leistungsbezogenen Preisdifferenzierung vor, wenn der Anbieter aus <?page no="214"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 215 der vermeintlich homogenen Masse der Nachfrager einzelne Segmente herauslöst, und mit einem spezifischen - auf das Marktsegment ausgerichteten - Preis anspricht. Bei einem Preissystem basieren die Relationen zwischen den Preiselementen hinsichtlich der Preishöhe auf bewussten Kalkülen. Das Preissystem besitzt folglich eine Logik, wobei zwischen einer internen und einer externen Logik zu unterscheiden ist (vgl. Pechtl 2003b, S. 71f.). Ein Preissystem besitzt eine interne Logik, wenn es sinnhafte Begründungen für spezifische Relationen der Preiselemente untereinander gibt. Solche Relationen müssen sich nicht nur formal aus dem Gewinnmaximierungskalkül ergeben, sondern können auch auf marketingstrategischen Gesichtspunkten basieren. Neben der internen Logik muss ein Preissystem auch „extern logisch“ sein. Dieses Kriterium bezieht sich zum einen auf die Nachfrager: Sie müssen die Größenrelationen der Preiselemente als transparent und fair ansehen bzw. dürfen das Preissystem nicht durch opportunistisches Verhalten unterlaufen (Arbitrage). Ein Preissystem, das am Markt nicht akzeptiert wird, kann zwangsläufig seine intendierte Marketing- und Gewinnwirkung nicht entfalten. Die Ausgestaltung eines Preissystems muss zum anderen mit den rechtlichen Rahmenbedingungen in Einklang stehen; ansonsten wäre ein intern vielleicht durchaus logisches Preissystem wettbewerbswidrig. Die externe Logik eines Preissystems ist folglich eine notwendige Rahmenbedingung für die Ausgestaltung dessen interner Logik. 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 5.2.1 Preisbündelung 5.2.1.1 Charakteristik der Preisbündelung Offeriert ein Anbieter mehrere (mindestens) zwei heterogene Produkte (Sachgüter und/ oder Dienstleistungen) als akquisitorische Einheit (Leistungsbündel; Paket), stellt Preisbündelung (Bundling) die preisbezogene Umsetzung dieser Produktbündelung dar (vgl. Diller 2008, S. 240; Khan/ Dhar 2010, S. 1000): Die einzelnen Komponenten des Leistungsbündels sind häufig komplementärer Art (z.B. Grundprodukt und Zubehör oder Serviceleistungen), können aber auch substitutiv zueinander sein (z.B. mehrere Geschmacksvarianten einer Marke als Bündel), um dem Nachfrager die Möglichkeit der qualitativen Variation zu geben (vgl. Diller 1993, S. 271). Allerdings sind auch verwendungsneutrale (unrelated) Produkte bündelbar (z.B. Digitalkamera und Notebook als Bündel), wenn eine solche Bündelung auf bestimmte Nachfragersegmente abzielt (z.B. <?page no="215"?> 216 5 Preissysteme Technikfreaks bei Gebrauchsgütern); es liegt dann eine zielgruppenspezifische Affinität der gebündelten Komponenten vor. Die Preisbündelung stellt eine Alternative zur Einzelpreisstellung (Pure Component-Strategie) dar, in der die Komponenten ohne Bündelung zu ihren jeweiligen Einzelpreisen verkauft werden. Im Ergebnis gleich mit der Einzelpreisstrategie ist die Strategie der Entbündelung (Unbundling; Uncoupling): Hier zerlegt der Anbieter ein bisheriges Bündelangebot in einzelne Komponenten und offeriert diese zu Einzelpreisen. Insbesondere das Internet hat der Entbündelung einen Aufschwung verschafft (vgl. Elberse 2010; Venkatesh/ Chatterjee 2006): So bieten Musikverlage im Offline-Markt Alben von Künstlern auf entsprechenden Datenträgern an, im Internet können Nachfrager einzelne Titel aus dem Album kaufen. Ebenso lässt sich eine Tageszeitung oder Zeitschrift als Bündel von einzelnen (redaktionellen) Beiträgen und Fotos interpretieren, die im Offline-Markt in der Zeitungsbzw. Zeitschriftenausgabe angeboten werden. Im Internet kann ein Nachfrager einzelne redaktionelle Teile oder Fotos zu spezifischen Einzelpreisen herunterladen. Die Forschung zur Preisbündelung hat sich intensiv mit Rahmenbedingungen beschäftigt, in denen die Preisbündelung einer Einzelpreisstellung bzw. einer Entbündelung überlegen ist. Einige dieser Erkenntnisse werden im Folgenden näher dargestellt. Abbildung 5.2-1: Typen der Preisbündelung Preisbündelung bzw. Entbündelung eines Preisbündels in Einzelkomponenten weisen eine große Ähnlichkeit zum Konzept der All-inclusive-Preisstrategie bzw. partitionierten Preisen (vgl. Abschnitt 2.6.1) auf. Ein konzeptioneller Unterschied lässt sich allerdings ausmachen: Bei der Preisbündelung bzw. Entbündelung handelt es sich um Komponenten, die der Nachfrager als eigenständige Marktleistungen ansieht und auch isoliert konsumieren könnte, wie dies in der Entbündelung (Einzelpreisstrategie) dar Fall ist. Bei partionierten Preisen bildet erst die Summe aus den Einzelleistungen eine für den Nachfrager sinnvolle (verwendbare) Produktkonfiguration; die All-inclusive-Preisstrategie P r ei sbü ndelung Preisbündelung im engeren Sinn Kopplungsverkäufe Pure Bundling Tie in Sales Mixed Bundling Add-on Price Bundling Preisbaukasten „Follow the free“-System Mixed Leader Bundling <?page no="216"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 217 erspart dem Nachfrager lediglich das Aufaddieren der einzelnen Preise. Mehrere Gestaltungsvarianten der Preisbündelung lassen sich unterscheiden (vgl. Abbildung 5.2-1). Von Preisbündelung im engeren Sinn soll gesprochen werden, wenn der Anbieter ein Paket aus mehreren Einzelleistungen zu einem Gesamtpreis bzw. Bündelpreis („das Ganze zu X €“) anbietet (vgl. Diller 2008, S. 240; Wübker 1998, S. 12). In der Praxis finden sich hierfür Begriffe wie Paketpreis, Komplettpreis, Pauschalangebot, Abonnement, Systempreis, Kombipreis oder Menüpreis. Die vielfältigen Erscheinungsformen (vgl. Tabelle 5.2-1) beinhalten entweder eine reine Preisbündelung (Pure Bundling) oder eine gemischte Preisbündelung (Mixed Bundling). Preisbzw. Produktbündel Art der Preisbündelung Pauschalreise aus Flugticket, Hotelunterkunft und Hoteltransfer Pure Bundling Skibretter und Skibindungen aus dem Vorjahr werden nur zusammen verkauft Pure Bundling Essen aus drei Gängen zu einem Menüpreis Pure Bundling Hausratversicherung, die Schäden aus Feuer, Diebstahl, Leitungswasser und Naturereignissen abdeckt Pure Bundling Blockbuchung in der Filmindustrie: Verleiher bietet nicht einzelne Filme, sondern ein Paket aus attraktiven und weniger attraktiven Titeln an Pure Bundling Werkzeugkoffer mit auch einzeln erhältlichen Werkzeugen Mixed Bundling Handy und einjähriger Providervertrag Mixed Bundling Kosmetik-Set aus After-Shave & Deodorant & Duschgel Mixed Bundling Tabelle 5.2-1: Beispiele für reine und gemischte Preisbündelung Bei der reinen Preisbündelung offeriert das Unternehmen die Komponenten des Leistungsbündels nur als Komplettpaket, da die Leistungen bzw. Produkte nicht einzeln erhältlich sind bzw. keine Einzelpreise ausgewiesen werden. Aus Sicht des Käufers liegt eine „alles oder nichts“-Entscheidung vor, da er entweder das vorgegebene Leistungspaket akzeptiert oder auf den Kauf aller Leistungskomponenten verzichtet (vgl. Priemer 2003, S. 506). In der gemischten Preisbündelung offeriert das Unternehmen neben dem Gesamtpaket mit dem Bündelpreis auch einzelne oder alle Komponenten zu Einzelpreisen. Zielsetzung hierbei ist, zumindest einzelne Komponenten an diejenigen Nachfrager zu verkaufen, die zum Erwerb des gesamten Bündels nicht bereit sind. Bei Medienprodukten (z.B. Zeitungen) werden das Bündel zumeist als Printausgabe, einzelne Beiträge mit <?page no="217"?> 218 5 Preissysteme Einzelpreisen im Internet angeboten, da im Internet eine Aufspaltung der Gesamtausgabe in einzelne Komponenten (Artikel) technisch sehr einfach möglich ist (vgl. Venkatesh/ Chatterjee 2010, S. 28). Existieren für sämtliche Leistungskomponenten Einzelpreise, entweder im Geschäft des Anbieters oder bei Konkurrenzunternehmen, muss der Bündelpreis in der Regel niedriger als die Summe der betreffenden Einzelpreise sein (vgl. Guiltinan 1987, S. 82; Wilson 1993, S. 88); ansonsten würde der Nachfrager die Komponenten des Produktbündels einzeln (isoliert) erwerben (Self Bundling). Es liegt dann ein subadditives Bündel mit Preisnachlässen gegenüber der Summe der Einzelpreise vor (vgl. Diller 2008, S. 240). In bestimmten Fällen kann der Bündelpreis aber auch über der Summe der Einzelpreise liegen (vgl. Lewbel 1985, S. 103), wenn der Wert des Bündels in der relativ schwer realisierbaren Vollständigkeit (Seltenheit, Zeit-, Arbeitsaufwand der Beschaffung) liegt. Ein solcher Paketaufschlag wird als Premium Bundling (vgl. Cready 1991, S. 173) oder superadditives Bündel (vgl. Diller 2008, S. 240) bezeichnet, was bspw. für Sammlerstücke (Münzen) oder Kunstgegenstände zutreffen mag. Bei einem additiven Bündel entspricht der Bündelpreis der Summe der Einzelpreise. Allerdings ist für das Premium Bundling und ein additives Bündel zu unterstellen, dass dem Nachfrager bei der Beschaffung der Einzelstücke so hohe Transaktionsund/ oder Beschaffungskosten entstehen, dass der effektive Gesamtpreis der Einzelstücke höher als der (effektive) Bündelpreis ist. Subadditive Bündel weisen Parallelen zu Rabatten auf: So lässt sich die Differenz zwischen der Summe der Einzelpreise der Leistungskomponenten und dem niedrigeren Bündelpreis als Umsatzrabatt interpretieren, der dem Käufer gewährt wird. Ein Unterschied zum Mengenrabatt besteht dahingehend, dass es sich beim Bündelpreis um unterschiedliche Produkte bzw. Leistungen handelt, die der Nachfrager zu einem günstigeren Preis als bei der Einzelbeschaffung erhält (vgl. Fassnacht 2003, S. 496). Die Grenzen sind allerdings dort fließend, wo es sich um relativ homogene einzelne Leistungen handelt. So erhält der Käufer eines Theaterabonnements das Eintrittsrecht für eine bestimmte Anzahl definierter Aufführungen (z.B. Oper; Ballett) zu einem geringeren Abopreis, verglichen mit der Summe der einzelnen Eintrittskarten. Interpretiert man die verschiedenen Aufführungen als heterogene (homogene) Leistungen, liegt eine Preisbündelung (Mengenrabatt) vor. Bei Kopplungsverkäufen kann der Nachfrager eine Leistungskomponente nicht ohne den gleichzeitigen Kauf einer anderen Leistungskomponente erwerben. Durch diese Bindung erscheinen die betreffenden Leistungen dem Nachfrager als akquisitorische Einheit. Im Unterschied zur Preisbündelung im engeren Sinn haben die Einzelpreise bei Kopplungsverkäufen einen eigenständigeren Charakter, da sich der Gesamtpreis für das Kopplungsangebot aus der Summe der betreffenden Einzelpreise ergibt. Häufig grenzt man hierbei ein Hauptprodukt (Lead Product; Lead Service) von den Zusatzbzw. Nebenleistungen ab (vgl. Guiltinan 1987, S. 84), wobei diese Klassifizierung der Leistungskomponen- <?page no="218"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 219 ten aus Nachfragersicht vorgenommen werden sollte. Das Hauptprodukt lässt sich aber auch definitorisch als diejenige Komponente mit dem höheren Einzelpreis gegenüber den Nebenleistungen festlegen. Die Vielfalt an Ausprägungen von Kopplungsverkäufen in der Praxis (vgl. Tabelle 5.2-2) geht auf zwei Grundformen zurück: Preisbzw. Produktbündel Art der Preisbündelung Leasing einer gewerblichen Kaffeemaschine und gleichzeitiger Bezug des Rohkaffees über den Anbieter Tie in Sales Kauf einer Telefonanlage ist mit dem gleichzeitigen Abschluss eines 10-jährigen Wartungsvertrags verbunden Tie in Sales Anmietung eines Zimmers in einem Hotel ist nur zusammen mit einem Mittag- oder Abendessen (Halbpension) möglich Tie in Sales Angebot eines Handys zu 1 € bei Abschluss eines bestimmten Providervertrags Add-on Price Bundling 24-Stunden-Reparaturservice nur für eigene Geräte Add-on Price Bundling Innenraumreinigung eines Autos nur, wenn auch eine Autowäsche durchgeführt wird Add-on Price Bundling Verkauf eines PKW-Navigationssystems nur zusammen mit einer Klimaanlage Tie in Sales oder Add-on Price Bundling Tabelle 5.2-2: Beispiele für Kopplungsverkäufe Bei Tie in Sales verpflichtet sich der Käufer, mit dem Erwerb der Hauptleistung weitere Nebenleistungen des Unternehmens abzunehmen. Die Nebenleistungen selbst sind auch isoliert zu kaufen: So kann ein Gast in ein Hotel nur zum Essen (Nebenleistung) gehen, ein Zimmer (Hauptleistung) muss er jedoch zusammen mit einem Abend- oder Mittagessen (Halbpension) buchen. Analog erhält bei Tie in Sales der Nachfrager die aus seiner Sicht attraktive Hauptleistung nur, wenn er zuvor die weniger attraktiv erscheinende Nebenleistungen bereit war zu erwerben. Der Nachfrager muss hier eine spezifische Investition tätigen, um in den Genuss der Hauptleistung zu kommen. Im Add-on Price Bundling haben die Nebenleistungen aus Nachfragersicht einen hohen Stellenwert; diese erhält er jedoch nur zusammen mit der Hauptleistung. Die Nebenleistungen sollen folglich den Nachfrager zum Kauf der Hauptleistung motivieren, wobei die Hauptleistung selbst isoliert erhältlich ist. So bekommt ein Kunde an einer Tankstelle die Dienstleistung der Innenraumsäuberung seines Wagens (Nebenleistung) nur dann, wenn er gleichzeitig eine <?page no="219"?> 220 5 Preissysteme Autowäsche (Hauptleistung) ordert. Er kann aber dort auch sein Auto nur waschen lassen. Tie in sales und Add-on Price Bundling sind somit spiegelbildlich zueinander. Mitunter verschwimmt allerdings die Differenzierung, wenn es unklar ist, was als Hauptbzw. Nebenleistung bei einem Kopplungsangebot fungiert (z.B. Navigationssystem und Klimaanlage). Eine Sonderform der Kopplungsverkäufe stellt das Follow the free-System dar, das bspw. im Softwarebereich angewandt wird (vgl. Zerdick et al. 2001, S. 193): Zunächst soll eine kostenlose Abgabe eines Softwareprogramms eine hohe Kundenbasis aufbauen und durch Nutzung des Programms (technische Standards) eine hohe Kundengebzw. -verbundenheit schaffen. Dadurch lassen sich dann Komplementärleistungen oder leistungsfähigere neue Programmversionen entgeltlich verkaufen, um Erlöse zu generieren. Anders als bei Tie in Sales und im Add-on Price Bundling besteht bei einem follow the free-Preissystem kein vertraglicher Zwang: Bleibt die Kundengebzw. -verbundenheit schwach, sind viele Nachfrager nicht bereit, kostenpflichtige Angebote zu ihrem kostenlosen Einstiegsprodukt hinzu zu erwerben (vgl. Fritz/ Wagner 2001, S. 650). Add-on Price Bundling dient dazu, Trittbrettfahrer-Effekte bei der Inanspruchnahme von Nebenleistungen (z.B. Service-Dienstleistungen) auszuschließen, da nur derjenige die Nebenleistungen erhält, der auch die Hauptleistung erworben hat. Nachteilig an diesem Preissystem ist, dass sich das Unternehmen möglicherweise Verkäufe der Nebenleistung an diejenigen Nachfrager entgehen lässt, die nicht bereit sind, das Hauptprodukt zu kaufen. Daher ist ein Mixed Leader Bundling effizienter als das Add-on Price Bundling (vgl. Wübker 1998, S. 30): Im Mixed Leader Bundling werden die Nebenleistungen als eigenständige Angebote am Markt verkauft, wobei aber Nachfrager, die das Hauptprodukt (Leader) bei diesem Anbieter erworben haben, auf die Nebenleistungen einen Rabatt erhalten. Damit bleibt der Anreiz für den Kauf des Hauptprodukts erhalten, zugleich können die Nebenleistungen als eigenständige Produkte vermarktet werden. Diese Weiterentwicklung des Add-on Price Bundling entspricht dann im Kern der gemischten Preisbündelung. Aufgrund der Rabattgewährung ist ein subadditives Bündel gegeben. Die Preispräsentation stellt hierbei in der Regel explizit auf den Preisnachlass beim Kauf des Bündels ab (vgl. bspw. Khan/ Dhar 2010, S. 1000): „Sparen Sie 10 €, wenn Sie beim Kauf von Produkt X zum Preis von 50 € auch Produkt Y zum Preis von 70 € erwerben“. Produkt Y stellt das Hauptprodukt dar, das der Anbieter zum Normalpreis offeriert. Produkt Y ist das Nebenprodukt, auf das beim Kauf des Hauptprodukts ein Preisnachlass gewährt wird. Die sprachliche Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenprodukt ist aber mitunter irreführend, da Nachfrager durch die Gewährung des Preisnachlasses auf ein Produkt im Bündel zum Kauf des gesamten Bündels angeregt werden sollen. Insofern ist das preisreduzierte Produkt das Zugprodukt für den Kauf des Bündels. <?page no="220"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 221 Wie die Studie von Gilbride et al. (2008, S. 133) zeigt, sind Kopplungsverkäufe (Tie in Sales und Mixed-Leader-Bundling) dem Mixed Bundling hinsichtlich der Präferenz der Nachfrager unterlegen, da in einem Experiment - bei gleichen Bündelpreisen - das Mixed Bundling den höchsten Anteil an Käufern erzielte. Ursache hierfür war, dass beim Mixed Bundling im Vergleich zu den anderen Formen am wenigsten Probanden auf einen Kauf verzichteten. Das Mixed Bundling ist offensichtlich der aus Nachfragersicht attraktivere Preis-Frame im Vergleich zu Kopplungsverkäufen. 5.2.1.2 Strategische Potenziale der Preisbündelung Gegenüber der Einzelpreisstellung (Pure Component-Strategie) besitzt die Preisbündelung eine Reihe möglicher Vorteile (vgl. Abbildung 5.2-2): Abbildung 5.2-2: Strategische Potenziale der Preisbündelung Stärkeres Abschöpfen der Konsumentenrente Als eines der ersten Argumente für eine Preisbündelung wurde in der Literatur das stärkere Abschöpfen der Konsumentenrente hervorgehoben (vgl. Adams/ Yellen 1976; Simon 1992, S. 1220-1225). Die hieraus resultierenden Umsatzsteigerungen können zu einer Gewinnsteigerung der Preisbündelung gegenüber der Einzelpreisstellung führen. Hinsichtlich der Wirkung der Preisbündelung auf das Abschöpfen der Konsumentenrente lassen sich vier Effekte unterscheiden: Cross Selling: Nachfrager, die bei der Einzelpreisstellung nur eine (wenige) Leistungskomponente(n) in Anspruch nehmen, kaufen in der Preisbündelung das gesamte Paket. Diese Nachfrager besitzen für manche Leistungskomponenten eine ausreichend hohe (maximale) Zahlungsbereitschaft, weshalb sie diese Produkte auch in der Einzelpreisstellung erwerben; in Höhe des Verkaufspreises schöpft der Anbieter bei diesen Nachfragern ihre Konsumentenrente ab. Für andere Leistungskomponenten ist die maximale Zahlungsbereitschaft dieser Nachfrager str ategisc he P o tentiale stärkeres Abschöpfen der Konsumentenrente marketingstrategische Vorteile Kostenvorteile preisoptische Vorteile Ausnutzung von psychologischen Preisbeurteilungsprozessen <?page no="221"?> 222 5 Preissysteme zu gering, weshalb ein Kauf unterbleibt. Hier kann das Unternehmen keine Konsumentenrente abschöpfen. Bei einem Bündelpreis reicht hingegen die hohe Zahlungsbereitschaft für eine Komponente aus, um im Gesamtpaket auch die anderen, weniger wertgeschätzten Komponenten „mitzunehmen“. Bei Kopplungsverkäufen akzeptiert der Nachfrager den Erwerb einer weniger attraktiven Leistungskomponente, um in den Genuss der begehrten Bestandteile des Leistungsbündels zu kommen. In beiden Fällen gelingt es dem Anbieter, überschüssige Zahlungsbereitschaft bei einer Leistungskomponente auf eine andere Komponente, bei der die vorhandene Zahlungsbereitschaft eines Nachfragers nicht zum (isolierten) Kauf ausreicht, zu transferieren (vgl. Wübker 1998, S. 26). Das Unternehmen schöpft bei einem Nachfrager durch Preisbündelung aber nur dann mehr Konsumentenrente ab, wenn der Bündelpreis die Summe der Einzelpreise der Leistungskomponenten, die der Nachfrager auch in der Pure Component-Strategie erwirbt, übersteigt. Neukundenakquisition: Nachfrager, die bei der Einzelpreisstellung nicht kaufen, erwerben in der Preisbündelung das gesamte Paket. Bei ihnen liegen die Reservationspreise für die einzelnen Leistungskomponenten unter den jeweiligen Verkaufspreisen, weshalb sie in der Einzelpreisstellung keine Komponente erwerben; folglich kann bei ihnen der Anbieter in der Pure Component-Strategie auch keine Konsumentenrente abschöpfen. Da aber bei einem subadditiven Bündel der Bündelpreis unter der Summe der Einzelpreise liegt, ist die maximale Zahlungsbereitschaft für das Leistungspaket möglicherweise größer als der betreffende Bündelpreis. Die werbliche Herausstellung komplementärer Komponenten, die das Bündel umfasst (Bündelnutzen), mag hierbei fördern, dass der Nachfrager gegenüber dem Paketangebot einen Reservationspreis besitzt, der über dem Bündelpreis liegt. Dann erwerben diese Nachfrager das Leistungsbündel und das Unternehmen schöpft in Höhe des Bündelpreises die Konsumentenrente bei diesen Nachfragern ab. Verlust an Konsumentenrente bei den freiwilligen Paketkäufern: Ein negativer Effekt hinsichtlich des Abschöpfens der Konsumentenrente besteht bei denjenigen Nachfragern, die auch in der Einzelpreisstellung alle Leistungskomponenten erwerben (Kannibalisierungseffekt; vgl. Wübker/ Simon 2003, S. 676). Wenn der Bündelpreis niedriger als die Summe der Einzelpreise aller Leistungskomponenten ist, verliert der Anbieter in Höhe dieser Differenz Konsumentenrente bei diesem Nachfragersegment (vgl. Wübker 1998, S. 23). Verlust an Konsumentenrente bei den Nicht-Paketkäufern: Bei diesem Nachfragersegment reicht die maximale Zahlungsbereitschaft für bestimmte Komponenten des Pakets (gerade) aus, weshalb sie diese in der Einzelpreisstellung erwerben. Liegt aber ein relativ hoher Bündelpreis <?page no="222"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 223 vor und enthält das Leistungsbündel viele für den Nachfrager unattraktive Komponenten, liegt der Reservationspreis für das Paketangebot unter dessen Verkaufspreis. In Höhe der Summe der Einzelpreise derjenigen Komponenten, die diese Nachfrager in der Pure Component-Strategie kaufen, entgeht dem Unternehmen bei der Preisbündelung dann Konsumentenrente. Preisbündelung löst somit durch Cross Selling und Neukundenakquisition Absatzsteigerungen bei den Leistungskomponenten gegenüber der Einzelpreisstellung aus, woraus wiederum ein stärkeres Abschöpfen der Konsumentenrente und damit Umsatzsteigerungen resultieren können. Einbußen im Abschöpfen der Konsumentenrente, die jedoch keine Absatzrückgänge implizieren, müssen durch die Preisbündelung bei den „freiwilligen Paketkäufern“ hingenommen werden. Absatzrückgänge und eine geringere abgeschöpfte Konsumentenrente ist bei den Nicht-Paketkäufern gegeben. Ob Preisbündelung somit unter dem Strich Umsatzsteigerungen gegenüber der Einzelpreisstellung bewirkt, hängt von der Größenordnung dieser vier Effekte ab. Hinsichtlich der Gewinnwirkung der Preisbündelung ist zudem zu berücksichtigen, dass die (Netto-)Absatzsteigerung zur Erhöhung der Produktionsmenge und damit zu steigenden Gesamtkosten führt. Zwei Beispiele sollen im Folgenden die Funktionsweise der Preisbündelung hinsichtlich des Abschöpfens der Konsumentenrente und der Gewinnwirkung illustrieren: Fallbeispiel: Pure Bundling Betrachtet werden zwei Produkte (A, B) auf einem Markt mit fünf Nachfragern (i = 1, ..., 5), die folgende maximale Zahlungsbereitschaften für die Produkte A bzw. B und das Leistungsbündel aus A und B (A + B) besitzen: maximale Zahlungsbereitschaft abgeschöpfte Konsumentenrente (p A = 5; p B = 4; p A+B = 7) i A B A + B isoliert Bündel 1 6 2 7,5 5 7 2 3 5 8 4 7 3 5 4 9 9 7 4 3 2,5 5 0 0 5 4 3 7 0 7 Bei einigen Nachfragern (i = {1; 4}) ist die Preisbereitschaft für das Bündel niedriger als die Summe der maximalen Zahlungsbereitschaften bei der Ein- <?page no="223"?> 224 5 Preissysteme zelpreisstellung. Mögliche Gründe hierfür werden im Rahmen dieses Kapitels noch aufgeführt. Der Anbieter überlegt, entweder beide Produkte mit ihren Einzelpreisen (p A ; p B ) oder als Bündel (p A+B ) zu vermarkten (Pure Bundling). Die variablen Stückkosten von Produkt A (B) betragen k A = 2,5 (k B = 1,5), wobei die Preisbündelung keine Kostenwirkungen besitzt, d.h. k A+B = 4 gilt. Unter der Zielsetzung der Gewinnmaximierung sind die jeweils optimalen Preise sowie der Gesamtgewinn der Einzelpreisstellung bzw. der Preisbündelung zu bestimmen. Die Ermittlung der gewinnmaximalen Preise ergibt sich durch vollständige Enumeration (systematisches Ausprobieren) anhand folgender Überlegung: Ein Nachfrager erwirbt ein Produkt bzw. Bündel, wenn der Verkaufspreis nicht über seiner maximalen Zahlungsbereitschaft liegt. Daher ist für alternative Preise zu prüfen, für wie viele Nachfrager diese Konstellation zutrifft: So kaufen bei p B = 3 die Nachfrager i = {2; 3; 5} Produkt B. Hieraus ergibt sich der betreffende Gewinn von G B = (3 - 1,5) 3 = 4,5. Diese Gewinnbestimmung für alternative Preise muss analog z.B. der perfekten Preisdiskriminierung nur für Preise in Höhe der einzelnen individuellen maximalen Zahlungsbereitschaften durchgeführt werden: Für Produkt B sind folglich die Preise p B = {5; 4; 3; 2,5; 2} relevant. Die analoge Überlegung gilt hinsichtlich des Bündelpreises: Das Bündel zum Preis p A+B = 7,5 kaufen die Nachfrager i = {1; 2; 3}, woraus ein Gewinn von G A+B = (7,5 - 4) 3= 10,5 resultiert (vgl. nachfolgende Tabelle). Einzelpreise für A und B Bündelpreis p A i G A p B I G B p A+B i G A+B 6 1 3,5 5 2 3,5 9 3 5 5 1; 3 5 4 2; 3 5 8 2; 3 8 3 1; 2; 3; 4; 5 2,5 3 2; 3; 5 4,5 7,5 1; 2; 3 10,5 2,5 2; 3; 4; 5 4 7 1; 2; 3; 5 12 2 1; 2; 3; 4; 5 2,5 5 1; 2; 3; 4; 5 5 Anhand eines Gewinnvergleichs für die alternativen Preisstellungen ergeben sich für die optimalen Einzelpreise p A * = 5 mit G A * = 5, p B * = 4 mit G B * = 5 und G A * + G B * = 10; der optimale Bündelpreis liegt bei p A+B * = 7 mit G A+B * = 12. Eine reine Preisbündelung erhöht den Gewinn um 2 Einheiten gegenüber der Einzelpreisstellung. Ursache für diese Gewinnsteigerung ist das stärkere <?page no="224"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 225 Abschöpfen der Konsumentenrente im Pure Bundling verglichen mit der Einzelpreisstellung durch das Erzielen von Mehrabsätzen: Ein Cross Selling ist bei den Nachfragern i = {1; 2} gegeben; diese kaufen bei der Einzelpreisstellung nur jeweils eine Leistungskomponente (i = 1 erwirbt A, i = 2 B), zum Bündelpreis jedoch das gesamte Leistungspaket. Eine Neukundenakquisition liegt bei Nachfrager i = 5 vor. Bei Nachfrager i = 3 tritt hingegen ein Umsatzverlust auf: Dieser Nachfrager ist ein „freiwilliger Paketkäufer“, der bereits bei der Einzelpreisstellung beide Leistungskomponenten erwirbt. Aufgrund der Preisbündelung behält dieser Nachfrager 2 Einheiten mehr von seiner Konsumentenrente. Dennoch ergibt sich insgesamt, dass bei der Preisbündelung 28 Einheiten Konsumentenrente abgeschöpft werden, d.h. ein Umsatz von 28 erzielt wird, bei der Einzelpreisstellung sind dies für beide Leistungskomponenten nur 18 Einheiten. Hinter dieser Umsatzsteigerung steht eine Absatzerhöhung: Während in der Einzelpreisstellung von A und B jeweils nur 2 Einheiten abgesetzt werden, sind dies bei der Preisbündelung jeweils 4 Einheiten. Da die Kostensteigerung durch die höheren Absatzbzw. Produktionsmengen nur 8 Einheiten beträgt (K A = 5, K B = 3, K A+B = 16), resultiert eine Gewinnsteigerung von 2 Einheiten durch die Preisbündelung gegenüber der Einzelpreisstellung. Das stärkere Abschöpfen der Konsumentenrente im Pure Bundling muss jedoch nicht stets zu einer Gewinnsteigerung gegenüber der Einzelpreisstellung führen. Hätte Nachfrager i = 5 eine maximale Zahlungsbereitschaft für das Produktbündel von lediglich 6 Geldeinheiten, ergibt sich für das Pure Bundling als gewinnoptimaler Preis weiterhin p A+B * = 7. Nachfrager i = 5 kauft deshalb das Bündel nicht. Gemessen an der Konsumentenrente schöpft das Unternehmen in der Preisbündelung 21 Einheiten ab, was eine Umsatzsteigerung gegenüber der Einzelpreisstellung von 3 Einheiten impliziert; dennoch ist der Gewinn von G A+B * = 9 niedriger als bei der Einzelpreisstellung. Fallbeispiel: Mixed Bundling Das obige Beispiel wird dahingehend erweitert, dass der Anbieter neben der Preisbündelung auch Einzelpreise für die Produkte A und B ansetzt. Aufgrund des Produktcharakters soll ein subadditives Bündel unterstellt sein, weshalb der Bündelpreis kleiner als die Summe der Einzelpreise sein muss (p A+B < p A + p B ). Gesucht sind der gewinnoptimale Bündelpreis sowie die Einzelpreise. Allgemein kann der Gewinn im Mixed Bundling nicht geringer als im Pure Bundling ausfallen: Eine zulässige Lösung des Mixed Bundling beinhaltet, den gewinnoptimalen Preis des Produktbündels im Pure Bundling zu übernehmen und an die Nicht-Käufer des Produktbündels ein Einzelprodukt zu verkaufen. Sofern nur für einen Nachfrager dessen maximale Zahlungsbereit- <?page no="225"?> 226 5 Preissysteme schaft über den variablen Stückkosten liegt, erhöht sich der Gewinn gegenüber dem Pure Bundling. Das Auffinden der gewinnmaximalen Preise im Mixed Bundling beruht wiederum auf einem Ausprobieren alternativer Preiskombinationen. Ziel ist es, im Mixed Bundling einzelne Produkte an diejenigen Nachfrager zu verkaufen, die im Pure Bundling den Bündelpreis nach unten drücken. Daher ist die Lösung des Pure Bundling ein geeigneter Startwert: Betrachtet man ausgehend von den Daten im obigen Fallbeispiel zum Pure Bundling den Bündelpreis p A+B = 7, dann kann an Nachfrager i = 4 Produkt B zu einem Preis von p B = 2,5 verkauft werden. Dieser Nachfrager ist der einzige, für den ein Kauf von Einzelkomponenten infrage kommt, da alle anderen Nachfrager das Leistungsbündel erwerben. Logischerweise wird dann ein Preis für Produkt B in Höhe dessen maximaler Zahlungsbereitschaft angesetzt. Bei p B = 2,5 resultiert ein zusätzlicher Gewinn G B = 1 zum „Bündelgewinn“ (G A+B = 12). Um die Bedingung eines subadditiven Bündels einzuhalten (p A+B < p A + p B ), muss Produkt A entsprechend hoch bepreist werden: p A > (7 - 2,5) = 5,5. Insgesamt erbringt diese Preiskombination des Mixed Bundling einen Gesamtgewinn von G = G A+B + G B = 13. Bei einem Bündelpreis von p A+B = 8 kaufen nur die Nachfrager i = {2; 3}, was G A+B = 8 impliziert. Betrachtet man als möglichen Einzelpreis p A = 6, erwirbt Nachfrager i = 1 diese Komponente ( G A = 3,5); das subadditive Bündel erfordert dann p B > (8 - 6) = 2. Bei einem Preis p B = 2,5, der diese Relation einhält, kaufen die Nachfrager i = {4; 5} Komponente B; hieraus resultiert G B = 2. Insgesamt ergibt diese Preiskombination (p A+B = 8; p A = 6; p B = 2,5) damit einen Gesamtgewinn von G = G A+B + G A + G B = 13,5. Andere Preiskombinationen für alternative Einzelpreise zu p A+B = 8 wie p A = 3 mit p B > 5 oder p B = 3 mit p A > 5 bzw. p B = 2 mit p A > 6 erreichen keinen höheren Gesamtgewinn. Dies gilt auch für die Analyse des Bündelpreises p A+B = 7,5 mit den verschiedenen Einzelpreiskombinationen. Folglich ist es gewinnmaximal im Mixed Bundling das Bündel zu einem Preis von p A+B = 8 zu offerieren, was die Nachfrager i = {2; 3} zum Kauf bewegt, und Komponente A zu einem Einzelpreis von p A = 6 (i = 1 kauft) bzw. Komponente B zu einem Einzelpreis von p B = 2,5 (i = 4 und i = 5 kaufen) anzubieten. Gegenüber dem Pure Bundling steigt der Gesamtgewinn um 1,5 Einheiten. Zusammenfassend führt eine Preisbündelung zu einer Gewinnsteigerung gegenüber der Einzelpreisstellung (Pure Component-Strategie), wenn die Umsatzzuwächse aus Cross Selling und Neukundenakquisition höher als die Umsatzverluste bei den „freiwilligen Paketkäufern“ und Nicht-Paketkäufern sowie den gestiegenen Gesamtkosten der Produktion aufgrund der erhöhten (Netto-) Absatzbzw. Produktionsmenge sind. Einen Vorschlag zur Steigerung des Gewinns im Mixed Bundling hat Elberse (2010 S. 121) gemacht: Demnach soll- <?page no="226"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 227 ten zunächst nur das Produktbündel offeriert und nach Abarbeitung des Segments der Paketkäufer die Einzelkomponenten angeboten werden. Personen, die bei gleichzeitigem Angebot von Bündel und Einzelkomponenten, das Bündel ausschlagen und sich mit Einzelkomponenten begnügen, da sie hier einen höheren Customer Value sehen, wählen bei diesem schrittweisen Angebot möglicherweise das Produktbündel. Dies erhöht den Gewinn. Eine zentrale Determinante für die Gewinnwirkung der Preisbündelung ist die Höhe der maximalen Zahlungsbereitschaft für das Leistungsbündel. Befinden sich im Leistungspaket substitutive Komponenten oder empfindet der Käufer das Leistungsbündel als oversized, weil es aus seiner Sicht überflüssige Bestandteile enthält, liegt der Reservationspreis für das Paketangebot (deutlich) unter der Summe der betreffenden Einzelpreise (Subadditivität der Reservationspreise). Er nähert sich dann dem höchsten Reservationspreis für eine Komponente in der Einzelpreisstellung an. Wie Jedidi et al. (2003, S. 119) in einer empirischen Untersuchung zeigen, liegt die maximale Zahlungsbereitschaft für ein Produktbündel bis zu 40 % niedriger als die Summe der maximalen Zahlungsbereitschaften für die Einzelprodukte. Ferner mögen Nachfrager eine gewisse Anspruchshaltung an den Tag legen, (deutlich) weniger als die Summe der Einzelpreise bezahlen zu wollen, wenn sie das ganze Paket erwerben. Wübker (2002, S. 141) fand in einer experimentellen Untersuchung heraus, dass Sonderangebote für einzelne Komponenten eines Leistungsbündels die maximale Zahlungsbereitschaft für das Leistungsbündel senken, selbst wenn die Preisrelation des subadditiven Bündels eingehalten ist. Demnach sollten Komponenten eines Leistungsbündels, die auch einzeln offeriert werden, nicht zugleich ins Sonderangebot. Allgemein implizieren geringere Reservationspreise, dass bei gleichem Bündelpreis Umsatzzuwächse durch Cross Selling und Neukundenakquisition geringer bzw. die Umsatzverluste bei den Nicht-Paketkäufern gegenüber der Einzelpreisstellung höher ausfallen. Ergibt sich aufgrund des Absinkens der Reservationspreise zudem ein niedrigerer optimaler Bündelpreis, werden die Umsatzverluste bei den „freiwilligen Paketkäufern“ gegenüber der Einzelpreisstellung größer. Niedrigere Reservationspreise vermindern deshalb das Gewinnpotenzial der Preisbündelung gegenüber der Einzelpreisstellung. Das Umsatzbzw. Gewinnpotenzial der Preisbündelung ist ferner umso höher gegenüber der Einzelpreisstellung, je stärker die maximalen Zahlungsbereitschaften hinsichtlich der einzelnen Leistungskomponenten bei einem Nachfrager auseinanderklaffen. Eine solche Konstellation wird als asymmetrische Reservationspreise (vgl. Stremersch/ Tellis 2002, S. 61), Heterogenität der Reservationspreise (vgl. Jedidi et al. 2003, S. 124) oder negative Korrelation der Reservationspreise bezeichnet: Wenn ein Nachfrager gegenüber Komponente A eine hohe maximale Zahlungsbereitschaft besitzt, ist sein Reservationspreis gegenüber Komponente B niedrig (vice versa): Besitzt ein Nachfrager bei allen Komponenten hohe maxi- <?page no="227"?> 228 5 Preissysteme male Zahlungsbereitschaften, ist er ceteris paribus ein potenzieller „freiwilliger Paketkäufer“, der bei der Preisbündelung dann mehr Konsumentenrente als bei der Einzelpreisstellung behält. Ist die Zahlungsbereitschaft eines Nachfragers hingegen bei allen Komponenten niedrig, tritt durch Preisbündelung kaum eine Neukundenakquisition oder ein Cross Selling-Effekt auf. Es lässt sich bei ihm nicht mehr Konsumentenrente als bei der Einzelpreisstellung abschöpfen. Korrelieren die maximalen Zahlungsbereitschaften dagegen negativ miteinander, ist ein vergleichsweise mittlerer Reservationspreis für das Leistungsbündel zu erwarten. Dies erhöht die Chance auf eine Neukundenakquisition in der Preisbündelung. Ebenso ist dann möglicherweise genügend „überschüssige“ Zahlungsbereitschaft bei einer Komponente vorhanden, um sie auf eine andere Komponente zu transferieren und den Cross Selling-Effekt auszulösen. Dansby/ Conrad (1984, S. 380) zeigen allerdings, dass bei einem superadditiven Bündel die Reservationspreise der Nachfrager auch - in gewissem Umfang - positiv miteinander korrelieren dürfen, um zu einem höheren Gewinn als bei der Einzelpreisstellung zu führen. Salinger (1995) weist nach, dass bei hohen Kosteneinsparungen durch Preisbündelung ebenso die Reservationspreise positiv korreliert sein dürfen, damit dennoch die Preisbündelung der Pure Component-Strategie überlegen ist. Marketingstrategische Vorteile Mit der Preisbündelung eröffnet sich für ein Unternehmen die Möglichkeit, aus relativ homogenen Leistungskomponenten ein von der Konkurrenz differenziertes Leistungspaket zusammenzustellen (vgl. Simon 1992, S. 1219). Zudem erschweren von den Anbietern verschiedenartig zusammengesetzte Bündel für den Kunden den unmittelbaren Preisvergleich (vgl. Priemer 2003, S. 515), was die Markttransparenz senkt. Möglicherweise fungieren Preisbündel auch als Markteintrittsschranke, wenn potenzielle Konkurrenten zur Erstellung von Leistungspaketen große Kapazitäten oder Finanzkraft (z.B. Bündel aus verschiedenen Versicherungsleistungen) benötigen (vgl. Simon 1992, S. 1219). Ein Oligopolmodell mit preisbündelnden Unternehmen, das diese Effekte abbildet, haben Bakos/ Brynjolfsson (2000) vorgestellt. Ferner bewirkt die Absatzsteigerung der Preisbündelung ceteris paribus höhere Marktanteile in den betreffenden Produktbereichen. Hierbei vermag ein Unternehmen seine Marktstellung in einem Produktbereich durch einen Bündelpreis in eine andere Produktkategorie, in der es bislang weniger vertreten war, zu übertragen, da die Nachfrager bei einem Paketangebot die Komponenten aus beiden Produktbereichen erwerben (vgl. Wübker 1998, S. 189). Umgekehrt stellt eine Preisbündelung mit attraktiven Komponenten einen aufmerksamkeitswirksamen Weg des Markteintritts dar: So versuchen bspw. privatwirtschaftliche Energieversorger mit Add-on-Price-Bundling (z.B. befristeter Stromversorgungsvertrag und Handy zu 1 €) in den liberalisierten Strommarkt einzudringen <?page no="228"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 229 und private Endkunden zu gewinnen (vgl. Lange 2002, S. 10). Schließlich eignet sich Produktbündelung dazu, Innovationen in den Markt einzuführen, wenn das neue Produkt eine Komponente des Bündels ist, und die anderen Komponenten für Nachfrager eine hohe Attraktivität besitzen. Mitunter tragen Serviceleistungen erst dazu bei, die volle Leistungsfähigkeit des Hauptprodukts zu entfalten, bzw. schützen es vor technischem Versagen (vgl. Bauer et al. 1996, S. 86). Daher führt eine Preisbündelung, die den Nachfrager zum gleichzeitigen Erwerb der Komponenten zwingt, möglicherweise zu einer größeren Leistungsfähigkeit des Hauptprodukts, was wiederum die Kundenzufriedenheit positiv beeinflusst. Allerdings muss man einwenden, dass die fördernde Wirkung der Nebenleistungen anstelle einer Bündelung auch kommunikativ herausgestellt werden kann, so dass der Nachfrager diese Nebenleistungen auch ohne Kopplung, d.h. freiwillig erwirbt. Preisbündel schaffen ferner für den Nachfrager möglicherweise eine Lock in-Situation, wenn er nicht einzelne Komponenten eines Anbieters austauschen kann, sondern das gesamte Paket erwerben muss. Dies erhöht seine Wechselkosten und damit die Gebundenheit an das Unternehmen (vgl. Eppen et al. 1991, S. 10), allerdings mit der Gefahr einer geringen Kundenzufriedenheit. Diese letzten beiden marketingstrategischen Vorteile sind folglich „zweischneidig“. Kostenvorteile Potenzielle Kostenvorteile durch Preisbündelung bestehen in mehrfacher Hinsicht: Zum einen impliziert eine Bündelung von Leistungskomponenten zumeist eine begrenzte Anzahl von Variationen eines Gesamtpakets, weshalb sich die Kombinationsmöglichkeiten von Komponenten, die bei der Einzelpreisstellung bestehen, verringern. Hieraus resultieren eine mögliche Reduzierung der Komplexitätskosten (vgl. Eppen et al. 1991, S. 7f.) und Erhöhung der Produktqualität (vgl. Bauer et al. 1996, S. 86). Kostendegressionseffekte treten auf, wenn sich durch die Preisbündelung höhere Absatz- und damit Produktionsmengen der betreffenden Leistungskomponenten ergeben. Insbesondere wenn komplementäre Elemente gebündelt sind, verringert - aus Sicht eines Nachfragers - ein Paketangebot als Transaktionseinheit möglicherweise dessen Such- und Informationskosten, verglichen mit der Situation, dass der Nachfrager die Komponenten einzeln zusammensuchen muss (vgl. Wirtz/ Becker 2002, S. 147). Dies kommt dem bequemlichkeitsorientierten Käufer entgegen (vgl. Priemer 2000, S. 33). Zudem könnte durch Degressionseffekte die Durchführung einer „großen“ Transaktion (Bündel) geringere Transaktionskosten implizieren als der mehrmalige Abschluss „kleiner Transaktionen“ (Einzelpreisstellung). Zum anderen sind verkaufspsychologische Aspekte zu beachten: In einer Einzelpreis-Strategie stuft der Nachfrager vielleicht manche Komponenten, die er <?page no="229"?> 230 5 Preissysteme selbst zu einem Leistungspaket zusammenstellen will, als wenig preisgünstig ein. Deshalb versucht er in Preisverhandlungen den betreffenden Einzelpreis zu drücken. Bei der reinen Preisbündelung existieren aber keine Einzelpreise, an denen sich der Nachfrager „festbeißen“ kann, bzw. in der gemischten Preisbündelung ist der Bündelpreis geringer als die Summe der Einzelpreise. Dadurch ist die Neigung des Nachfragers, Preise herunterzuhandeln, unter Umständen geringer. Hinzukommt, dass Preisbündelung häufig den Charakter des außergewöhnlichen Angebots (Schnäppchen) hat. Aufgrund dieser Aspekte im Nachfragerverhalten könnte bei der Preisbündelung der Beratungsbedarf des Nachfragers und Zeitaufwand für den Abschluss der Transaktionen geringer sein, was dann für das Unternehmen die Marketingbzw. Transaktionskosten gegenüber der Einzelpreisstellung reduziert. Allerdings ist gegenzuhalten, dass ein Paketangebot eine größere Komplexität gegenüber der Einzelpreisstellung besitzen mag; dies impliziert dann einen höheren Beratungs- und Zeitaufwand für den Anbieter. Preisoptische Vorteile Allein eine große Menge an Bestandteilen, die ein Bündelangebot umfasst, kann bei einem Nachfrager bereits den Eindruck einer besonderen Preisgünstigkeit des Angebots hervorrufen. Analog konzentrieren sich bei Tie in Sales (Add-on Price Bundling) die Nachfrager möglicherweise auf den attraktiv gestalteten Preis der Hauptleistung (Nebenleistungen) und beachten die Preise der weiteren Komponenten in ihrer Kaufentscheidung nicht so stark. Dadurch wirkt das gesamte Leistungsbündel preisgünstig. Dies gilt umso mehr, wenn Haupt- und Nebenleistungen nur schwer miteinander zu einem Gesamtpreis aggregiert werden können (z.B. Kaufpreis für das Handy und Monatsrate des Providervertrags). Preisbündelung ermöglicht einem Unternehmen ferner, Preissteigerungen dahingehend akzeptabel darzustellen, indem es das bisherige Bündel um neue Leistungsbestandteile erweitert: So erhöht sich bspw. der Preis für eine Pauschalreise, gleichzeitig ist aber eine Ausflugsfahrt neu in das Angebot aufgenommen. Diese Leistungserweiterung senkt die Gefahr, dass die Preiserhöhung als unfair angesehen wird (vgl. Priemer 2003, S. 514). Ausnutzen psychologischer Preisbeurteilungsprozesse Wenn ein Nachfrager die Elemente eines Paketangebots einzeln erwirbt (Einzelpreisstellung), mag er den Kaufpreis jeder einzelnen Komponente (p j , mit j = 1, ..., J) als Loss empfinden ( (p j ) < 0). In einem Preisbündel nimmt er den Gesamtpreis als Loss wahr. Aufgrund des konvexen Verlaufs der Loss-Funktion in der Prospect-Theorie assoziiert der Nachfrager folglich mit dem Bündelpreis geringeren Missnutzen als bei der Summe der Einzelpreise (vgl. Wübker 1998, S. 89). Dieser Integrationseffekt wird durch die Tatsache eines subaddi- <?page no="230"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 231 tiven Bündels verstärkt, weil hier der Bündelpreis geringer als die Summe der Einzelpreise ist. Im Sinne des Mental Accounting lässt sich die Preisdifferenz zwischen dem Bündelpreis für ein subadditives Bündel und der Summe der Einzelpreise in der Pure Component-Strategie als Transaktionsnutzen interpretieren. Die Summe der Einzelpreise bildet folglich den Referenzpreis für die Bewertung des Bündelpreises. In der Einzelpreisstellung fällt diese Art des Transaktionsnutzens weg. Yadav/ Monroe (1993, S. 352-355) haben die Bildung des Transaktionsnutzens bei Preisbündelung noch erweitert: Hierzu gaben sie in einem Laborexperiment Probanden für ein Produktbündel den Bündelpreis vor; gleichzeitig erhielten die Probanden die Einzelpreise der Komponenten entweder als Normalpreis oder als Sonderangebotspreis zusammen mit den Normalpreisen, wobei der Bündelpreis niedriger als die Summe der Sonderangebotspreise war. Es zeigte sich, dass sich der Transaktionsnutzen des Bündelpreises sowohl aus der (bewerteten) Differenz zwischen Normal- und Sonderangebotspreisen als auch aus der Differenz des Bündelpreises zur Summe der Sonderangebotspreise zusammensetzte. In einem ähnlichen Untersuchungsaufbau, in dem die Probanden neben dem Bündelpreis für zwei Komponenten auch deren Einzelpreise kannten, zeigten Kaicker et al. (1995), dass die Referenzpreise (erwartete Preise) der Probanden für die Komponenten die wahrgenommenen Gains und Losses des Angebots bestimmen: Hieraus ergibt sich dann, ob eine Preisbündelung oder eine Einzelpreisstrategie empfehlenswert ist. In der Preisbündelung verrechnen Nachfrager Gains und Losses in einem einzigen Mental Account, weshalb die Bewertung des Angebots auf dem Nettogewinn bzw. Nettoverlust des Bündels basiert. In der Einzelpreisstellung bilden sie für jede Komponente einen Mental Account und addieren die Bewertungen (Values) für die entstandenen Gains bzw. Losses: Sehen die Probanden bei beiden Komponenten Gains, da der Referenzpreis höher als der Verkaufspreis der Komponenten ist, stufen sie die Preiswürdigkeit des Angebots der betreffenden Produkte in der Einzelpreisstellung besser als in der Preisbündelung ein. Ursache für diese Entbündelung ist das Segregationsprinzip im Mental Accounting. Liegen umgekehrt bei allen Komponenten Losses vor, da die Referenzpreise niedriger als die Verkaufspreise sind, erhält das Angebot in der Preisbündelung eine bessere Bewertung als in der Einzelpreisstellung. Dies ist das Integrationsprinzip. Treten bei einer Komponente Gains, bei der anderen Losses auf, ist die Preisbündelung der Einzelpreisstellung dann überlegen, wenn es sich jeweils um einen kleinen Loss bzw. Gain handelt: Aufgrund des steileren Anstiegs der Wertfunktion bei kleinen Losses verglichen mit kleinen Gains (vgl. Abbildung 2.1-3) erhält der Nettoverlust (Nettogewinn) des Bündelangebots eine bessere Bewertung (Preiswürdigkeit des Angebots) als die Summe der isolierten Bewertung von Gain bzw. Loss bei beiden Komponenten. Ergibt sich allerdings ein hoher Nettoverlust, da der Loss <?page no="231"?> 232 5 Preissysteme bei einer Komponente den Gain bei der anderen Komponente deutlich übersteigt, ist die Einzelpreisstellung vorteilhafter. Dies ist Ausdruck des Silberstreifen-Prinzips (Silver Lining) im Mental Accounting: Bei einer Preisbündelung würde die unmittelbare Verrechnung des Gain mit dem Loss nur eine geringfügige Verminderung des Nettoverlustes bewirken. Ein isoliert wahrgenommener und bewerteter Gain hingegen, der bei der Einzelpreisstellung auftritt, führt dazu, dass die Summe aus Loss und Gain, d.h. den beiden Mental Accounts, zu einer besseren Bewertung (Preiswürdigkeit) des Angebots als in der Preisbündelung führt. Einschränkend ist bei beiden Studien anzuführen, dass die Probanden neben dem Bündelpreis auch die Einzelpreise der Komponenten kannten, was im Pure Bundling in der Regel nicht der Fall ist. Soman/ Gourville (2001, S. 31-43) haben bei der Preisbündelung ferner eine psychologische Disassoziation (Decoupling) von Nutzen und Kosten des Bündels festgestellt. Da sich der Bündelpreis (Kosten) nicht einer Leistungskomponente zuordnen lässt, werden die Kosten in der Konsumsituation als weniger relevant wahrgenommen, als wenn der Nachfrager für diese Leistungskomponente einen eigenständigen Preis entrichtet. Die Nutzenstiftung ist hingegen einer Komponente eindeutig zuzuordnen. Dieses Auseinanderklaffen von Nutzen- und Kostenbewusstsein kann zu einem schnelleren Verbrauch bzw. höheren Konsumrate des betreffenden Produkts führen, aber auch bei Dienstleistungen den Verzicht auf Inanspruchnahme einer Bündelkomponente implizieren: So mag ein Theaterabonnementbesitzer nicht alle Aufführungen, zu denen er ein Eintrittsrecht hat, auch tatsächlich besuchen, verglichen mit der Situation, dass er für jede Aufführung jeweils eine eigene Karte erwirbt. Er empfindet geringere Kosten (Sunk Costs), wenn er eine Karte aus dem Preisbündel verfallen lässt, als wenn er diese explizit gekauft hat. Zudem ist er möglicherweise aus anderen Gründen am Besuch verhindert. Dies erlaubt dem Anbieter Überbuchungen anzunehmen, da nicht alle Abokartenbesitzer tatsächlich kommen. Dieser Aspekt findet im Zusammenhang mit dem Yield-Management (Abschnitt 5.4.2.1) noch Vertiefung. 5.2.1.3 Preisbaukästen Ein Bündelpreis für mehrere Leistungskomponenten hat sich bisweilen aus Wettbewerbsüberlegungen heraus entwickelt: Um die Attraktivität des Hauptprodukts zu steigern bzw. sich von Konkurrenzangeboten abzuheben, erweitern Anbieter das Hauptprodukt um Zusatzleistungen (z.B. Serviceleistungen), die im Preis für das Hauptprodukt enthalten sind (Zugaben). Sofern die Inanspruchnahme solcher Zugaben ohne Mühe möglich ist, nehmen Nachfrager diese Kostenlosangebote mit, obwohl ihre Preisbereitschaft hierfür niedrig ist. Das Unternehmen muss daher eine höhere Anzahl an Zugaben produzieren, als notwendig wäre, wenn die Nachfrager explizit einen Preis hierfür entrichten würden. <?page no="232"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 233 Ferner kann das Produktbündel aus Sicht eines Nachfragers viele uninteressante Leistungskomponenten enthalten, weshalb seine Preisbereitschaft, die nur aus wenigen für ihn attraktiven Leistungskomponenten resultiert, möglicherweise nicht für das Leistungsbündel ausreicht (Nicht-Paketkäufer). Zudem beinhalten Produktbündel eine - am durchschnittlichen Nachfrager - orientierte Zusammenstellung von Leistungen, die dem Individualisierungsanspruch eines Produktangebots nur wenig Rechnung trägt. Einen Ausweg bieten Preisbaukästen für komplementäre und zugleich standardisierte Teilleistungen (vgl. Diller 1993, S. 270f.): In diesem Preissystem stellt sich der Nachfrager - modular - sein Leistungspaket selbst zusammen: So offerieren Automobilhersteller verschiedene Gruppen von Zubehörangeboten, wobei der Nachfrager innerhalb jeder Zubehörgruppe Wahlmöglichkeit besitzt, welches spezifische Zubehörteil er bestellt. Für die Zubehörgruppe existiert zusammen mit der Hauptleistung ein Bündelpreis („Auto mit Teil aus Zubehörgruppe I zu X €“). Je mehr Zubehörgruppen der Nachfrager hinzunimmt, desto höher ist der betreffende Bündelpreis. Preisbaukästen führen damit zu individuellen Bündelpreisen, die eine geringere Gefahr von bloßen Mitnahmeeffekten beinhalten: Mehrleistungen, die ein Nachfrager in Anspruch nehmen will, stehen entsprechende Aufpreise (höhere Bündelpreise) gegenüber, weshalb die individuellen Leistungsbündel nur solche Komponenten enthalten, für die der Nachfrager eine gewisse Wertschätzung hat. Dadurch steigt der Reservationspreis für das Bündelangebot an, was das Gewinnpotenzial der Preisbündelung gegenüber der Einzelpreisstellung bzw. einem nicht-individualisierten Bündel erhöht. Die Standardisierung der einzelnen Leistungsmodule bewirkt zudem, dass auf Skaleneffekte in der Produktion der Komponenten nicht verzichtet werden muss. Ferner eröffnen die spezifischen Bündelpreise einen größeren preistaktischen Spielraum gegenüber einem Komplettpreissystem, das nur eine Preisveränderung des gesamten Leistungspakets erlaubt (vgl. Diller 1993, S. 275). Die Erstellung solcher individueller Bündelpreise erfordert allerdings eine leistungsfähige Preiskalkulation, insbesondere wenn keine vorab spezifizierten Produktbündel existieren. Dann muss der Anbieter bspw. im Verkaufsgespräch für ein individuell zusammengestelltes Leistungsmix jeweils den korrespondierenden Bündelpreis bestimmen („Wenn Sie diesen Anzug mit diesem Hemd und dieser Krawatte kaufen, bekommen Sie alles für X €“), wobei der Nachfrager möglicherweise mehrere Leistungsbündel „durchtestet“, bevor er sich für ein spezifisches Mix entscheidet. <?page no="233"?> 234 5 Preissysteme 5.2.1.4 Rechtliche Würdigung der Preisbündelung In mehreren Grundsatzurteilen zur Preisbündelung hat der BGH es als Freiheit des Wettbewerbs angesehen, ob ein Unternehmen seine Waren einzeln oder gebündelt verkauft. Auch Komponenten, die keinen Funktionszusammenhang aufweisen oder aus unterschiedlichen Warenbereichen stammen, sind wettbewerbsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. bspw. GRUR 2003, S. 538). Aus juristischer Sicht fällt Preisbündelung unter das Rechtsgebiet des Kopplungsgeschäfts (vgl. bspw. Boesche, 2011a, Rdnr. 337-341): Ein sog. offenes Kopplungsgeschäft liegt vor, wenn die Komponenten zu einem Bündelpreis offeriert werden, der der Summe ihrer Einzelpreise entspricht (additives Bündel bzw. Tie in Sales und Add-on Price Bundling). Ein sog. verdecktes Kopplungsgeschäft beinhaltet die reine und gemischte Preisbündelung, da hier das Paketangebot zu einem Gesamtpreis offeriert wird, der nicht der Summe der Einzelpreise, die zudem oft überhaupt nicht genannt werden, oder Scheinpreise wie im Mixed Bundling darstellen, entspricht. Add-on Price Bundling rechnet ferner unter den Tatbestand des sog. Vorspannangebots, da die sehr attraktiv erscheinende Nebenleistung als Vorspann (Lockvogel) für die Hauptleistung dient (vgl. Lange 2002, S. 13); damit fällt dieser Typ der Preisbündelung zugleich unter die sog. Wertreklame. In einem weiteren Sinn zählen aus juristischer Sicht zu Kopplungsangeboten auch Zugaben, die ein Nachfrager beim Kauf eines Produkts „oben drauf“ bekommt, und Preisausschreiben (Gewinnspiele), an denen ein Nachfrager beim Kauf eines bestimmten Produktes teilnehmen kann (vgl. Boesche 2011b; S. 1347): In beiden Fällen erhält er zusätzlich zum gekauften Produkt ein weiteres Produkt (Zugabe; Gewinnlos) zum Preis von Null, wobei der Tatbestand des Gratis-Angebots häufig werblich herausgestellt ist. Insgesamt sind vier rechtliche Problemfelder bei der Preisbündelung zu beachten (vgl. bspw. WRP 2003c, S. 743): Übertriebenes Anlocken Die Bündelung von Leistungskomponenten, bei denen eine Komponente wie im Add-on Price Bundling außerordentlich attraktiv bepreist ist oder gar nichts kostet (Zugabe), könnte einen Nachfrager in übergebührlichem Maße anlocken, weshalb er davon abgehalten wird, eine sachgerechte Prüfung des gesamten Angebots hinsichtlich (tatsächlicher) Preisgünstigkeit und Qualität durchzuführen. Es muss hierbei zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Kaufentscheidung im Sinne einer Rationalitätsausschaltung oder Überrumpelungssituation kommen (vgl. Boesche 2011, S. 1349). Dies könnte auch ein Warenberg auslösen, der als Paket verkauft wird. Preisbündelung ist dann wettbewerbswidriges Verhalten gemäß § 3 Abs. 2 UWG. Die neuere Rechtsprechung unter dem Leitbild des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers sieht eine <?page no="234"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 235 solche Gefahr überwiegend nicht mehr (vgl. Lange 2002, S. 11f.). Sie mag aber bestehen, wenn sich das Angebot an unerfahrene Kundenkreise (z.B. Kinder, alte Menschen) richtet. Preisverschleierung Preisbündelung erschwert vor Ort die Beurteilung der Preisgünstigkeit des Paketangebots. Hierfür bräuchte der Nachfrager die realistischen Einzelpreise der Leistungskomponenten oder Anhaltspunkte für deren Berechnung (vgl. GRUR 1996, S. 364). Im Pure Bundling existieren aber keine Einzelpreise im Geschäft, im Mixed Bundling haben manche Einzelpreise lediglich Scheincharakter, um ein subadditives Bündel zu gewährleisten. Bei Kopplungsverkäufen ist möglicherweise die Bestimmung eines Gesamtpreises schwierig, da die Einzelpreise nur schlecht zu verrechnen sind. Daher besteht die Gefahr, dass Preisbündelung die tatsächliche Preiswürdigkeit des Angebots verschleiert, was gemäß §5 UWG wettbewerbswidrig ist. Denkbar ist ein Irreführungstatbestand ferner in der gemischten Preisbündelung, wenn für eine Komponente ein außerordentlich hoher Einzelpreis (Mondpreis) angesetzt wird, um die Preisrelation des subadditiven Bündels einzuhalten und das Bündelangebot besonders vorteilhaft erscheinen zu lassen. Ob eine unlautere Preisverschleierung vorliegt, lässt sich nur im konkreten Einzelfall entscheiden. Allerdings hat der BGH in seinem Grundsatzurteil zur Preisbündelung unter dem Paradigma des preisvergleichsinteressierten Konsumenten festgestellt, dass von einem Nachfrager durchaus zu erwarten sei, dass er unter vertretbarem Aufwand Einzelpreise für Leistungskomponenten bspw. in anderen Geschäften ermittelt (vgl. GRUR 1996, S. 364-465). Auch der Umstand, dass die Feststellung von Einzelpreisen in einem Bündel schwierig ist, macht eine Preisbündelung nicht zu einer irreführenden und damit unlauteren Geschäftspraxis (vgl. GRUR 2003, S. 539). Irreführende Preisgestaltung Eine Preisverschleierung kann zugleich auch eine irreführende Preisgestaltung gemäß § 5a UWG implizieren, wenn der Anbieter Sachverhalte des Bündelangebots verschweigt (vgl. WRP 2012b, S. 363), deren Kenntnis den Wert der Leistung vermindert, oder die preisliche Zusatzbelastungen für den Nachfrager beinhalten (Aufklärungsgebot). Preisbündelung ist nicht aber schon deshalb irreführend und damit wettbewerbswidrig, wenn die Kunden irrtümlich annehmen, sie erhalten eine Ware wegen der Kopplung mit anderen Produkten besonders preisgünstig (vgl. Boesche 2011, S. 1347). Dies gilt vor allem dann, wenn der Bündelpreis die Summe der Einzelpreise nicht übersteigt. Explizit verboten gemäß Nr. 21 i.V. mit § 3 Abs. 3 UWG ist eine Preisbündelung in der Form, dass eine Bündelkomponente als „gratis“ bzw. „kostenlos“ beworben wird, der Bündelpreis aber höher als die Summe der Einzelpreise der Bündelkomponenten ist. In diesem Fall handelt es sich nur um eine vermeintlich kostenlose Zugabe. <?page no="235"?> 236 5 Preissysteme Missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht Durch Preisbündelung vermag ein Anbieter eine marktbeherrschende Stellung in einem Produktbereich (Primärmarkt) auf andere Märkte (Sekundärmärkte) auszudehnen, um dort ebenfalls eine starke Marktstellung zu erreichen. Dies ist wettbewerbsrechtlich problematisch, da eine Monopolisierung des Marktgeschehens begünstigt wird. Im deutschen Rechtsraum verstößt dies gegen § 19 Abs. 4 GWB (missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht), wobei es bereits genügt, wenn die Angebotskopplung die Wettbewerbslage auf dem Sekundärmarkt beeinflusst. Voraussetzung für die Anwendung des § 19 GWB ist, dass auf dem Primärmarkt ein marktbeherrschendes Unternehmen diese Preisbündelung durchführt, und die Kopplung sachlich nicht gerechtfertigt ist (vgl. Immenga/ Mestmäcker 2012, § 19 GWB, Rdnr. 133). Eine explizite Regelung findet sich für die Durchführung von Gewinnspielen im Zusammenhang mit einem Produktkauf: Gemäß § 4 Nr. 6 UWG ist die Kopplung der Gewinnspielteilnahme an einen Produktkauf nicht erlaubt. 5.2.1.5 Preisbündelung als Preisstrategie Bakos/ Brynjolfsson (2000, S. 64) sehen die Preisbündelung als Ausprägung der Economies of Aggregation, zu der auch die Economies of Scale oder Netzwerkexternalitäten (siehe Abschnitt 5.4.3.2) gehören. Tatsächlich beinhaltet Preisbündelung ein interessantes Preissystem, das unter günstigen Rahmenbedingungen gegenüber der Einzelpreisstellung zu höheren Umsätzen und Gewinnen führt. Dennoch darf die Preisbündelung nicht unreflektiert angewandt werden. Gefahr des Auftretens wahrgenommener Preisunfairness bzw. Preistransparenz und kognitiver Dissonanzen Bei der Preisbündelung ist ein Nachfrager gezwungen, mehrere Leistungskomponenten gemeinsam zu erwerben. Selbst wenn sein Reservationspreis für das Leistungsbündel höher als der angesetzte Bündelpreis ist und somit ein positiver Akquisitionsnutzen auftritt, mag er die Bündelung von Leistungskomponenten als Einengung seiner Entscheidungsfreiheit interpretieren; möglicherweise empfindet er die Transaktion als Ausnutzen einer „Notsituation“ und die Preisbündelung damit als unfair. Ferner kann die Verpflichtung, andere Leistungskomponenten, selbst wenn sie vorteilhaft erscheinen, gleichzeitig erwerben zu müssen, aus Sicht des Nachfragers ein „Handeln unter erzwungener Zustimmung“ (vgl. Kroeber-Riel et al. 2009, S. 232) beinhalten. Schließlich mag ein Preissystem mit Bündelpreisen und Einzelpreisen für einen Nachfrager wenig transparent erscheinen und eine Preisverschleierungstaktik des Unternehmens argwöhnen lassen. Aus diesen Gründen können kognitive Dissonanzen resultieren, die ihrerseits wiederum zu einer geringeren Loyalität des Nachfragers gegenüber dem Anbieter führen. Je attraktiver allerdings das Preisbündel aus Nachfrager- <?page no="236"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 237 sicht erscheint, desto geringer dürften diese Gefahren sein. Eine elegante Lösung stellen hierbei Preisbaukästen dar, da der Nachfrager zunächst von sich aus die jeweiligen Leistungskomponenten zu einem Bündel schnürt. Zusammenstellung der Leistungskomponenten Der Erfolg einer Preisbündelung ist daher sehr stark vom Geschick einer geeigneten Leistungszusammenstellung abhängig. Hierbei ist zu beachten, dass nutzen- oder imageschwache Leistungskomponenten die Attraktivität und damit die Reservationspreise des gesamten Bündels reduzieren (vgl. Priemer 2003, S. 518). Empirische Untersuchungen zeigen in diesem Zusammenhang, dass die Kaufabsicht gegenüber einem Produktbündel ansteigt, wenn die Leistungskomponenten stark verwendungskomplementär sind, verglichen mit nur schwach komplementären oder neutralen Bestandteilen (vgl. bspw. Simonin/ Ruth 1995, S. 222f.). Ebenso scheint die Kaufneigung zu steigen, wenn Leistungspakte aus einer überschaubaren Anzahl von Komponenten (z.B. fünf) bestehen und nicht relativ viele oder relativ wenige Bestandteile aufweisen (vgl. Hermann et al. 1999, S. 260-263). Wilson et al. (1990, S. 131) sind der Ansicht, dass sich vor allem Produkte, die der Nachfrager im One Stop Shopping erwirbt, für eine Bündelung eignen. Ferner könnte das Unternehmen Produkte, die einen Verwendungsverbund aufweisen, als Preisbündel offerieren, um Cross Selling-Käufe zu forcieren. Bestimmung optimaler Bündelpreise und Leistungsbündel Die angeführten Beispiele zur Preisbündelung sind sehr einfach gehalten, weshalb der optimale Bündelpreis durch vollständige Enumeration aller Preiskombinationen zu ermitteln ist. Diese Methode ist wenig elegant und nur bei kleinen Optimierungsproblemen mit vertretbarem Aufwand durchzuführen. In praxisnahen Problemstellungen (z.B. Automobilbereich) sind aber oft über viele Leistungskomponenten Entscheidungen zu Bündelpreisen zu treffen, wobei die Leistungsbündel selbst ebenfalls variabel in ihrer Zusammenstellung sind (vgl. Wübker 1998, S. 77). Für solche Problemstellungen ist die Preisbündelung als gemischt-ganzzahliges Optimierungsproblem zu formulieren (vgl. bspw. Fürderer et al. 1999, S. 64-69; Wübker 1998, S. 70-77), wofür Lösungsalgorithmen aus dem Operations Research zur Verfügung stehen (vgl. bspw. Fürderer/ Huchzermeier 1997, S. 124ff.). Hierbei lassen sich dann auch kontinuierliche Verteilungsfunktionen (z.B. Normalverteilung) für die Reservationspreise verschiedener Marktsegmente unterstellen. Voraussetzung für den praktischen Einsatz dieser Methoden ist die Kenntnis der Reservationspreise für spezifische Leistungsbündel; als methodisches Instrumentarium wird hierfür - analog zur Bestimmung der „Einzelnachfrage“ - die Conjoint Analyse empfohlen (vgl. Wübker/ Mahajan 1999, S. 160-170): Die den <?page no="237"?> 238 5 Preissysteme Probanden vorgelegten Stimuli beinhalten dabei die einzelnen Leistungskomponenten und verschiedenen Kombinationen hieraus mit ihren jeweiligen unterstellten Einzelbzw. Bündelpreisen. Als Ergebnis der Schätzung erhält man die Teilnutzenwerte für die Leistungskomponenten sowie die betreffenden Kombinationen und für die verschiedenen Preishöhen. Anhand dieser Informationen lassen sich die individuellen Reservationspreise für die unterstellten Produktbündel bestimmen: Ausgehend von der Nutzenstiftung (Summe der Teilnutzen), die eine bestimmte Leistungskombination bewirkt, ist derjenige Preis zu suchen, bei dem das betreffende Leistungspaket „gerade noch“ an die erste Präferenzstelle kommt, d.h. den größten Nutzenbetrag aller Stimuli aufweist. Dieser Preis gilt dann als Reservationspreis für das betreffende Leistungsbündel. Jedidi et al. (2003) haben einen Ansatz vorgestellt, der simultan die Reservationspreise bzw. deren Verteilung für ein Leistungsbündel und für die Einzelkomponenten in einem Marktsegment schätzt. Eine empirisch relativ häufig analysierte Problemstellung im Mixed Leader Bundling zielt darauf, ab, welches Produkt im Bündel mit einer Preisreduzierung ausgestattet sein soll: Janiszweski/ Cunha (2004, S. 538) schlagen vor, dasjenige Produkt preisreduziert beim Kauf des anderen Produkts (Hauptprodukts) anzubieten, bei dem zu erwarten ist, dass die unter den Nachfragern die größte (positive) Differenz zwischen Referenzpreis und Verkaufspreis besteht; Yadav (1995) argumentiert, dasjenige Produkt mit einer Preisreduzierung im Bündel auszuweisen, das für die Nachfrager das wichtigste Produkt im Bündel darstellt; diese Vermutung bestätigen auch die Ergebnisse von Gilbride et al. (2008, S. 134). Khan/ Dhar (2010) haben Produktbündel analysiert, die utilitaristische und hedonistische Komponenten (heterogene Produktbündel) enthielten. Bei utilitaristischen Produkten steht der Gebrauchsnutzen, bei hedonistischen (genussorientierten) Produkten der Erlebnisnutzen im Vordergrund. Wie die Ergebnisse zeigen, ist die Kaufwahrscheinlichkeit in einem heterogenen Produktbündel höher, wenn das hedonistische Produkt beim Kauf des utilitaristischen Produkts preisreduziert offeriert wird, verglichen mit einem preisreduzierten utilitaristischen Produkt im heterogenen Bündel. Als Begründung führen die Autoren an, dass Nachfrager beim Kauf hedonistischer Produkte eher das Gefühl eines „schlechten Gewissens“ haben. Dieses schlechte Gewissen wird durch die Preisreduzierung vermindert bzw. der Preisnachlass bietet eine „innere Rechtfertigung“ (Justification) für den Kauf. Bei homogenen Produktbündeln spielt es keine Rolle, welche Komponente die Preisreduzierung erhält (vgl. Khan/ Dhar 2010, S. 1092f.). Die bisherige Darstellung der Preisbündelung hat von Konkurrenzreaktionen abstrahiert. Analytisch-spieltheoretische Modelle (vgl. Matutes/ Regibeau 1992; Anderson/ Lermth 1993) zeigen, dass die Preisbündelung als Preisstrategie unter „scharfen“ Wettbewerbsbedingungen (Dyopol) der Einzelpreisstellung unterlegen ist. Allerdings ergreifen die Anbieter die Preisbündelung als Preisstrategie <?page no="238"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 239 gegenüber der Einzelpreisstellung, obwohl sie sich bei einem gemeinsamen Verzicht auf Preisbündelung besser stellen würden (Gefangenendilemma). Ursache ist, dass die Preisbündelung als leicht von den Konkurrenten zu beobachtende Preisstrategie zu einer aggressiveren Preisstellung der Konkurrenten führt, als dies für die heterogenere Einzelpreisstellungen gilt (vgl. Stremersch/ Tellis 2002, S. 67): Preisbündelung verschärft offensichtlich durch den Aggregationscharakter den Preiswettbewerb. Auch diese - modelltheoretische - Aussage unterstreicht, dass die Preisbündelung ein zweifellos schwierig zu steuerndes Preissystem beinhaltet. 5.2.2 Preiskalkulation im Sortimentsverbund Ein Anbieter offeriert in der Regel nicht nur ein Produkt am Markt, sondern sein Sortiment umfasst eine Vielzahl von Artikeln; dies gilt vor allem für Handelsunternehmen. Für jeden Artikel existiert dann konzeptionell eine individuelle Preis-Absatz-Funktion. Hierbei ist davon auszugehen, dass die Preissetzung für einen Artikel im Sortiment mit N - 1 weiteren Artikeln nicht nur den Absatz dieses Produkts beeinflusst, sondern sich auch auf den Absatz anderer Artikel im Sortiment auswirken kann. Es existiert dann ein sog. preisbedingter Sortimentsverbund. Formal erweitert sich die Preis-Absatz-Funktion eines Produkts i, da nicht nur der „eigene“ Preis (p i ), sondern auch die Preise anderer Artikel j (p j ; j = 1, …, N - 1) als Determinanten des Absatzes von Produkt i (x i ) auftreten: x i = x i (p i ; p 1 ; …; p j ; …; p N-1 ) Ebenso ist der Preis für Produkt i nicht nur Element in der „eigenen“ Preis- Absatz-Funktion, sondern tritt als Absatzdeterminante in den Preis-Absatz- Funktionen anderer Produkte j auf: x j = x j (p j ; p 1 ; …; p i ; …; p N-1 ) Zur Abbildung der Absatzreaktion eines Produkts eignet sich das Konzept der Preiselastizität, wobei begrifflich jetzt zwischen der Eigenpreiselastizität und Kreuzpreiselastizitäten zu differenzieren ist. Wie im Ein-Produkt-Fall ist die Eigenpreiselastizität ( ii ) als ii = dx i dp i . p i x i < 0 definiert. Die eigene Absatzwirkung einer Preisreduzierung ( x i / p i bzw. dx i / dp i ) wird als Primäreffekt bezeichnet. Eine Absatzsteigerung aufgrund einer Preisreduzierung lässt sich hierbei damit begründen, dass Stammkäufer dieses Geschäfts und dieser Marke ihre Konsumquote erhöhen und dadurch größere Kaufmengen bei einem Einkauf erwerben, andere Stammkunden des Geschäfts, die ansonsten die Marke j im Sortiment erwerben, zu Marke i wechseln (Markenwechsel), oder <?page no="239"?> 240 5 Preissysteme neue Kunden (Laufkunden), die ohne diese Preisreduzierung nicht in die Einkaufsstätte gekommen wären, das Geschäft aufsuchen und Artikel i kaufen (Frequenzeffekt). Absatzwirkungen, die die Preissetzung für Produkt i bei anderen Produkten im Sortiment auslöst, werden als Sekundäreffekte bezeichnet, die auf dem (preisbedingten) Sortimentsverbund der Artikel i und j beruhen. Allgemein umfasst der Sortimentsverbund substitutive und komplementäre Sortimentsbeziehungen (Substitutionseffekt und Verbundeffekt), die formal in der Kreuzpreiselastizität zum Ausdruck kommen: ji = dx j dp i . p i x j Ein preissubstitutiver (preiskomplementärer) Sortimentsverbund liegt vor, wenn eine Preissenkung für Produkt i den Absatz von Produkt j vermindert (erhöht), was ji > 0 ( ji < 0) impliziert. Ursache eines preissubstitutiven Sortimentsverbunds ist, dass aufgrund der Preisreduzierung von Produkt i ein Markenwechsel zwischen den Produkten j und i stattfindet: Bisherige Käufer von Marke j werden durch die Preissenkung zum Kauf von Marke i bewegt, was bei Produkt i einen Teil des Primäreffekts bildet. Die Artikel i und j stellen somit Substitutionsgüter dar, da sie der Nachfrager als austauschbar erachtet. Die Begründung eines komplementären Sortimentsverbunds gestaltet sich etwas differenzierter, da zwischen einem nachfrageimmanenten Sortimentsverbund, einem Frequenzeffekt und einem Spill-over-Effekt zu unterscheiden ist (vgl. Schmalen et al. 1996, S. 31-35): Bei einem nachfrageimmanenten Sortimentsverbund stehen die Artikel i und j in einem Verwendungsverbund, d.h. sie werden in den gleichen Konsumaktivitäten eingesetzt (z.B. Nudeln und Tomatensauce). Steigt der Absatz von Produkt i (Nudeln), benötigen die Konsumenten gleichzeitig auch eine größere Menge des Produkts j (Tomatensauce); dies führt zu einer Absatzsteigerung bei Produkt j. Häufig unterscheidet man hierbei zwischen dem Zugartikel (Hauptprodukt), der eine Preisreduzierung (Preiserhöhung) erfährt, und den Folgeartikeln, die aufgrund des nachfrageimmanenten Sortimentsverbunds dann ebenfalls verstärkt (weniger häufig) gekauft werden. Solche komplementären Sortimentsbeziehungen finden sich nicht nur bei Waren des täglichen Bedarfs, sondern auch bei technischen oder modischen Gebrauchsgütern, wenn ein aktioniertes Hauptprodukt den Absatz von Zusatzartikeln oder Accessoires fördert. Eine Preissenkung für Artikel i kann ferner eine Magnetwirkung besitzen, weshalb Laufkunden in das Geschäft gelockt werden, die ansonsten nicht dieses Geschäft besucht hätten (Geschäftsstättenwechsel). Durch diesen Frequenzeffekt erhöht sich die Kundenzahl (Store Traffic). Diese Laufkunden kaufen im Geschäft nicht nur den aktionierten Artikel (Primäreffekt), sondern erwerben vor allem bei Waren des täglichen Bedarfs häufig im One-Stop-Shopping noch <?page no="240"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 241 weitere Produkte, die sie gerade benötigen. Hierbei müssen diese Artikel (j) in keinem Verwendungsverbund mit dem aktionierten Artikel i stehen. Umgekehrt bewirkt der Frequenzeffekt, dass eine Preiserhöhung für Artikel i bisherige Laufkunden gänzlich vom Geschäft fernhält, weshalb nicht nur der Absatz des preiserhöhten Produkts i sinkt, sondern auch andere Artikel im Sortiment durch die Abwanderung der Laufkunden Absatzeinbußen erleiden. Ein Spill-over-Effekt erfasst den Tatbestand, dass eine Preissenkung für einen Artikel den gesamten Warenbereich stärker in das Bewusstsein des Nachfragers rücken mag. Der Nachfrager erinnert sich möglicherweise dadurch daran, dass er in dieser Warengruppe etwas benötigt (erinnerungsgesteuerter Impulskauf), oder er wird spontan zum Kauf in dieser Warengruppe angeregt (echter Impulskauf). Manche Nachfrager erwerben in diesem Impulskauf aber nicht den aktionierten Artikel i, sondern ihreStamm-Marke j, was dann bei dieser Marke zu Absatzsteigerungen führt, die ohne die Preisreduzierung, d.h. Aufmerksamkeitswirkung von Produkt i in der Warengruppe nicht aufgetreten wären. Ein analoger Spill-over-Effekt ist innerhalb einer Markenfamilie denkbar. Hinsichtlich der gegenseitigen preisbezogenen Absatzbeeinflussung von zwei Produkten muss - gemessen an der Kreuzpreiselastizität - keineswegs Symmetrie herrschen ( ji = ij ); vielmehr ist von asymmetrischem Sortimentsverbund auszugehen ( ji ij ). Dies gilt zum einen hinsichtlich der Substitutionsbeziehungen (vgl. bspw. Kumar/ Leone 1988, S. 182f.; Walters 1991, S. 24): So wird eine Asymmetrie zwischen Billigmarken und relativ teuren Marken (Nobelmarken) vermutet: Ist die Nobelmarke im Sonderangebot, sinkt der Absatz der Billigmarke, da (viele) Billigkäufer zur Nobelmarke wechseln. Die Billigmarke kann im Sonderangebot jedoch keine (nur wenige) Käufer der Nobelmarke gewinnen. Es kommt im substitutiven Sortimentsverbund demnach nur zum Switching up, kaum aber zu einem Switching down. Asymmetrische Substitution konnte ferner zwischen dem Marktführer und Produkten mit geringem Marktanteil oder zwischen Groß- und Kleinpackungen von Produkten nachgewiesen werden, wobei die jeweils letztgenannte Produktart der „Unterlegene“ in der Substitutionsbeziehung ist (vgl. bspw. auch Schmalen et al. 1996, S. 107). Ebenso ist von einer asymmetrischen Komplementaritätsbeziehung zwischen Zug- und Folgeartikeln auszugehen: Die Preissetzung des Hauptprodukts beeinflusst den Absatz der Zusatzartikel; dieser Einfluss ist umgekehrt wesentlich schwächer ausgeprägt. Besteht kein Sortimentsverbund zwischen den Produkten i und j, weist die Kreuzpreiselastizität den Wert 0 auf. Dadurch vereinfacht sich die produktspezifische Preis-Absatz-Funktion, weil der Preis des Produkts j nicht als Argument in der Preis-Absatz-Funktion von Produkt i auftritt. In diesem Sinn kann der Ein-Produkt-Fall als Spezialfall eines Mehrprodukt-Anbieters interpretiert werden, in dem kein Sortimentsverbund existiert. Dann darf jede produktspezifische Preis-Absatz-Funktion isoliert betrachtet werden: Die Maximierung der individuellen Gewinnfunktionen führt zum Gewinnmaximum im Gesamtsortiment. Dies gilt jedoch nicht mehr, wenn Sortimentsverbund besteht. Dann sind <?page no="241"?> 242 5 Preissysteme in die Preiskalkulation für ein Produkt i dessen preisbezogene Absatzwirkungen auf andere Produkte zu berücksichtigen. Bei einem System von N Preis-Absatz- Funktionen und unverbundenen Kostenfunktionen (keine produktionstechnischen Kosteninterdependenzen) lautet die Bedingung für die Maximierung des Gewinns im Gesamtsortiment: G = i=1 N x i (p 1 ; …; p N ) p i - K(x i [p 1 ; …; p N ] max. Die erste Ableitung der Gewinnfunktion nach dem Preis für das Produkt i führt zu: G p i = x i p i p i + x i - K x i x i p i + j=1 N-1 x j p i p j - K x j x j p i = 0 (mit j=/ i) Erweitert man die Bedingung mit p i / x i ergibt sich: x i p i p i x i p i + x i p i x i - K x i x i p i p i x i + j=1 N-1 p j - K x j x j p i p i x i = 0 In der obigen Beziehung sind Eigen- und Kreuzpreiselastizitäten zu erkennen bzw. durch Erweiterung zu „erreichen“, so dass gilt: ii p i + p i = K x i ii j=1 N-1 p j - K x j ji x j x i (mit j=/ i) Für den gewinnoptimalen Preis eines Produkts i im Sortiment (pi*) ergibt sich somit: (5.2-1) p i * = ii 1 + ii K x i - 1 1 + ii j=1 N-1 p j - K x j ji x j x i (mit j=/ i) Bedingung (5.2-1) ist als Niehans-Bedingung bekannt. Ihre Aussagekraft unterliegt aber einigen Einschränkungen: So beinhaltet sie analog zur Amoroso- Robinson-Relation keine explizite Lösung des gewinnoptimalen Preises für Produkt i, sondern stellt lediglich eine Umformung der Optimalitätsbedingung dar, da das Argument des Preises zugleich in der Eigenpreiselastizität ( ii ) enthalten ist. Nur wenn die Eigenpreiselastizität ( ii ) von der Höhe des Preises unabhängig ist (Cobb-Douglas-Funktion), bildet die Niehans-Bedingung eine expli- <?page no="242"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 243 zite Ausformulierung des gewinnoptimalen Preises. Ferner sind in Bedingung (5.2.-1) die Preise aller anderen Produkte j im Sortiment (p j ) bereits gewinnoptimal gesetzt bzw. bekannt. Das Problem der Preiskalkulation bezieht sich nur noch auf Produkt i. Trotz der beiden Einschränkungen erlaubt die Niehans- Bedingung aber gehaltvolle Aussagen für die Preiskalkulation bei Sortimentsverbund. Hierzu soll eine Preis-Absatz-Funktion vom Cobb-Douglas-Typ unterstellt sein. Inhaltlich erkennt man im ersten Teil der Niehans-Formel einen zur Amoroso- Robinson-Relation identischen Ausdruck: ii 1 + ii K x i = p i ´ Dieser Ausdruck bringt denjenigen - optimalen - Preis für Produkt i (p i ´) zum Ausdruck, der sich ergibt, wenn die Ausstrahlungswirkungen der Preissetzung für Produkt i auf andere Produkte im Sortiment nicht berücksichtigt werden (isoliert kalkuliert). p i ´ bildet folglich denjenigen Preis ab, der resultiert, wenn man lediglich den Primäreffekt einer Preissetzung für Produkt i betrachtet. Hinsichtlich des Vorzeichens von p i ´ ist zu beachten, dass im Gewinnmaximum einer isolierten (monopolistischen) Preiskalkulation die Eigenpreiselastizität eines Produkts ii < -1 ist, weshalb für [ ii / (1 + ii )] > 0 bzw. p i ´ > 0 gilt. Die restlichen Terme der Niehans-Bedingung beziehen sich auf den Sekundäreffekt der Preissetzung von Produkt i, die den isoliert kalkulierten Preis p i ´ korrigieren; hierbei weicht der sortimentsbezogen gewinnmaximale Preis p i * umso stärker von p i ´ ab, je größer der Deckungsbeitrag von Produkt j (p j - K/ x j ), stärker der Sortimentsverbund (| ji |) und bedeutsamer (mengenmäßig) Produkt j gegenüber Produkt i (x j / x i ) ist. Der Term (x j / x i ) fungiert als Gewichtungsfaktor, der die Absatzmengenrelation der beiden Produkte i und j abbildet. Der Sekundäreffekt, den Produkt i bei Produkt j auslöst, beeinflusst die Preiskalkulation von Produkt i vergleichsweise wenig (stark), wenn Produkt i gegenüber j im Absatz dominiert (unterlegen ist), d.h. der Quotient (x j / x i ) klein (groß) ist. Dieser Gewichtungsfaktor bringt eine Leader-Follower-Struktur in der Preiskalkulation bei Sortimentsverbund zum Ausdruck: Der Sekundäreffekt, den der Leader, d.h. das Produkt mit der deutlich größeren Absatzmenge, bei einem Follower auslöst, beeinflusst die Preiskalkulation des Leader vergleichsweise wenig, während umgekehrt der isoliert kalkulierte Preis eines Follower (p i ´) eine vergleichsweise große Korrektur durch den Sekundäreffekt, den seine Preissetzung beim Leader bewirkt, erfährt. <?page no="243"?> 244 5 Preissysteme Von Interesse ist, in welcher Richtung die Berücksichtigung des Sortimentsverbunds den isoliert kalkulierten Preis p i ´ verändert. Hierfür wird ein positiver Deckungsbeitrag für Produkt j ([p j - K/ x j ] > 0) und ii < -1 unterstellt; bei einem negativen Deckungsbeitrag kehren sich die folgenden Aussagen um. Wirkt der Preis von Produkt i auf Produkt j komplementär ( ji < 0), resultiert p i * < p i ´: Der im Vergleich zu p i ´ niedrigere Preis p i * soll Konsumenten verstärkt zum Kauf der - gemessen am Deckungsbeitrag - attraktiven Produkte j bewegen. Bei Produkt i verzichtet man zwar auf Gewinn dahingehend, dass man vom isoliert kalkulierten optimalen Preis p i ´ abweicht; durch diese Investition ins Restsortiment (p i * < p i ´) erhält man aber eine größere Verkaufsmenge bei Produkt j. Dies ist vor allem im Handel als Prinzip des kalkulatorischen Ausgleichs (Mischkalkulation) bekannt: Günstige Preise für ausgewählte Artikel sollen zum Kauf der komplementären Produkte anregen bzw. Kunden in das Geschäft locken, die dann im One-Stop-Shopping noch weitere Produkte mitnehmen. Wie Bedingung 5.3-1 zeigt, kann sich für den Preis des Zugartikels durchaus ein Wert ergeben, der unter dessen Grenzkosten liegt (Verkauf unter Einstandspreis). Wirkt der Preis von Produkt i auf Produkt j substitutiv ( ii > 0), folgt aus der Niehans-Bedingung p i * > p i ´. Der im Vergleich zu p i ´ höhere Preis p i * soll Substitutionsprozesse, d.h. den Markenwechsel zwischen i und j vermindern und die Nachfrager beim - gemessen am Deckungsbeitrag - attraktiven Produkt j halten. Auf den ersten Blick scheint die Niehans-Bedingung den Tatbestand des Sortimentsverbunds vollständig offenzulegen. Tatsächlich trifft sie aber lediglich eine Aussage, wie die Sekundäreffekte der Preissetzung den Preis p i ´, der sich ergibt, wenn die Preiskalkulation den Sortimentsverbund ignoriert, verändern. Die Eigenpreiselastizität ii enthält allerdings im Term p i ´ implizit den substitutiven Sortimentsverbund, da eine preisbedingte Absatzsteigerung von Produkt i (Primäreffekt) zum Teil auf Markenwechsel zurückzuführen ist. Der Summenterm der Niehans-Bedingung stellt lediglich auf die Absatzwirkung ab, die der Preis für Produkt i auf den Absatz von Produkt j im Sinne von Absatzverlusten ausübt. Der korrespondierende Absatzzuwachs bei Produkt i aufgrund dieses Markenwechsels ist in der Eigenpreiselastizität versteckt. Für das Marketing ist daher die Frage interessant, wie sich der gewinnmaximale Preis für ein Produkt i unter Berücksichtigung von Sortimentsverbund (p i *) vom gewinnmaximalen Preis (p i ´´) unterscheidet, der resultiert, wenn Produkt i im Sortiment unverbunden ist ( ji , ij = 0). Die diesbezügliche Analyse konzentriert sich hierzu auf die Aufgliederung der Eigenpreiselastizität, in der drei Marktsegmente unterschieden werden sollen. Der Term dx iK / dp i kennzeichnet diejenige preisbedingte Absatzveränderung von Produkt i, die darauf zurückzufüh- <?page no="244"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 245 ren ist, dass Stammkunden von Produkt i ihre Konsumquote variieren; der Term dx iF / dp i beinhaltet die preisbedingte Absatzwirkung bei den Laufkunden: Sie suchen wegen der Preissenkung von Produkt i das Geschäft auf bzw. meiden es bei Preiserhöhungen. Der Term dx iS / dp i erfasst schließlich die preisbedingte Absatzveränderung, die auf Markenwechsel (Substitution) zurückzuführen ist. Es gilt damit: dx i dp i = dx iK dp i + dx iF dp i + dx iS dp i Erweitert man diese Bedingung mit dem Term (p i / x i ), erhält man folgende Aufspaltung der Eigenpreiselastizität: dx i dp i p i x i = dx iK dp i p i x i x iK x iK + dx iF dp i p i x i x iF x iF + dx iS dp i p i x i x iS x iS (5.2-2) ii = iK x iK x i + iF x iF x i + iS x iS x i mit: x iK + x iF + x iS = x i , iK = dx iK dp i . p i x iK , iF = dx iF dp i . p i x iF , iS = dx iS dp i . p i x iS Die Eigenpreiselastizität von Produkt i ( ii ) stellt die hinsichtlich der Absatzbedeutung gewichtete Summe der Preiselastizität der drei Marktsegmente dar: den Stammkäufern von Produkt i (K), den Laufkunden (F) und den Markenwechslern (S). Bei einem unverbundenen Sortiment existiert nur das Marktsegment der Stammkäufer und Laufkunden, was x iS = 0 impliziert. Treten Markenwechsler auf, verändert dieses Marktsegment mit seiner spezifischen Preiselastizität die Eigenpreiselastizität von Produkt i. Sind Markenwechsler preissensibler als Stammkäufer und Laufkunden (| iS | > | iK |, | iF |), steigt die Eigenpreiselastizität - dem Betrage nach - an. Damit sinkt bezogen auf den Primäreffekt der Preis p i ´ im Vergleich zur Situation ohne Sortimentsverbund. Ob im Falle von substitutivem Sortimentsverbund der gewinnmaximale Preis für Produkt i (p i *) höher als im Falle von Unverbundenheit ist, hängt folglich davon ab, ob die preiserhöhend wirkenden Sekundäreffekte größer als die preissenkende Wirkung im Primäreffekt sind. Die Aussage der Niehans-Bedingung, wonach substitutiver Sortimentsverbund zu höheren Preisen führe, gilt damit nicht uneingeschränkt, wenn man den gewinnmaximalen Preis unter Sortimentsverbund mit dem gewinnmaximalen Preis bei Unverbundenheit vergleicht. Im Falle eines komplementären Sortimentsverbunds ( ji < 0) treten in der Eigenpreiselastizität ( ii ) keine Veränderungen im Vergleich zur Unverbundenheit auf, da sich der Primäreffekt der Preissetzung für Produkt i - bei Fehlen von Substitution - nur aus den Marktsegmenten der Stammkäufer und Laufkunden rekurriert. Daher bleibt die Aussage der Niehans-Bedingung, dass kom- <?page no="245"?> 246 5 Preissysteme plementärer Sortimentsverbund den gewinnoptimalen Preis für Produkt i senkt, gültig, wenn man den gewinnmaximalen Preis bei Sortimentsverbund mit demjenigen bei unverbundenem Sortiment vergleicht. Besteht das Sortiment eines Anbieters aus N Artikeln, erfordert die explizite Bestimmung der gewinnmaximalen Preise die simultane Lösung eines Systems aus N Gleichungen. Fallbeispiel Betrachtet wird ein Sortiment aus zwei Produkten (A, B) für die folgende lineare Preis-Absatz-Funktionen gelten: x A = 1000 - 50 p A + 15 p B ; x B = 800 - 10 p B + 5 p A . Es liegt ein substitutiver Sortimentsverbund zwischen beiden Produkten vor, da eine Preissenkung für Produkt A (B) den Absatz von Produkt B (A) vermindert (vice versa). Die Kostenfunktion lautet: K = 20 x A + 10 x B . Hieraus ergibt sich für die Gewinnfunktion bzw. die Grenzgewinnfunktionen: G(p 1 ; p 2 ) = (1000 - 50 p A + 15 p B ) p A + (800 - 10 p B + 5 p A ) p B - 20 (1000 - 50 p A + 15 p B ) - 10 (800 - 10 p B + 5 p A ) max. G p A = 1950 - 100 p A + 20 p B = 0 p A = 19,5 + 0,2 p B G p B = 600 - 20 p B + 20 p A = 0 Aus (i) in (ii) resultiert dann: p A * = 31,88 und p B * = 61,88 mit x A * = 334,2 und x B * = 340,6. Bei größeren Sortimenten und linearen Preis-Absatzbzw. Kostenfunktionen lassen sich die Bedingungen (erste Ableitungen) für die gewinnmaximalen Preise in Matrizenschreibweise anordnen. Bei N Artikeln (i = 1, ..., N) gilt für ein Produkt i hinsichtlich des Grenzgewinns: G p i = a i - 2b ii . p i + b i1 . p 1 +...+ b iN . p N + b 1i . p 1 +...+ b Ni . p N + d i .b ii d 1 .b 1i -...d N .b Ni = 0 Es sei: y i = a i + d i .b ii d 1 .b 1i -...d N .b Ni Bei N Produkten im Sortiment liegen N derartige lineare Bedingungen vor. Dieses Gleichungssystem lässt sich in Matrizenschreibweise formulieren als: <?page no="246"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 247 B P = Y, mit: B = 2 b 11 ... -(b 1i + b i1 ) ... -(b 1N + b N1 ) ... ... ... ... ... -(b i1 + b 1i ) ... 2 b ii ... -(b iN + b Ni ) ... ... ... ... ... -(b N1 + b 1N ) ... -(b Ni + b iN ) ... 2 b NN , P = p 1 ... p i ... p N , Y = y 1 ... y i ... y N Der Vektor P enthält die gesuchten gewinnoptimalen Preise für die Produkte im Sortiment. Für die Lösung dieses Gleichungssystems, d.h. für die Bestimmung der Elemente des Preisvektors P stehen in der Matrizenrechnung eine Reihe von Verfahren zur Verfügung, wie bspw. die Determinantenmethode (Cramer’sche Regel) oder der Gauß’sche Algorithmus (vgl. bspw. Jänich 1996, S. 158-165). Diese Lösungsmethoden eines linearen Gleichungssystems sind in mathematischen Softwareprogrammen implementiert und erlauben eine schnelle Bestimmung der gewinnoptimalen Preise auch für große Sortimente. Voraussetzung ist allerdings, dass die Parameter der (linearen) Preis-Absatz-Funktionen sowie der Kostenfunktionen bekannt sind. Hinsichtlich der Parametrisierung von Preis-Absatz-Funktionen mit Abbildung eines Sortimentsverbunds bieten sich die in Abschnitt 3 beschriebenen Methoden an. Die Quantifizierung einer Preis-Absatz-Funktion erreicht jedoch bei umfangreicheren, preisverbundenen Sortimenten aufgrund der großen Anzahl zu schätzender Parameter schnell ihre Kapazitätsgrenze: So müssten bei einem Sortiment mit N Artikeln - ohne Niveauparameter oder Sättigungsmenge - allein N² Parameter zur Abbildung der Preisresponse-Terme b geschätzt werden. Allerdings kann man viele Parameter a priori auf den Wert 0 setzen: So bestehen Substitutionsprozesse vor allem innerhalb der Artikel einer Warenbzw. Produktkategorie. Daher lassen sich zwischen Artikeln verwendungsfremder Produktkategorien (z.B. Milchprodukte und Glühbirnen) aufgrund von Plausibilität explizite Parameterschätzungen vermeiden bzw. die betreffenden Koeffizienten b auf 0 setzen. Hinsichtlich der Abgrenzung der Produkte, die in einem komplementären Sortimentsverbund stehen, helfen Warenkorbanalysen: Hierbei wird der Einkaufskorb, d.h. die Menge der bei einem Einkaufsgang von einem Kunden im Geschäft erworbenen Artikel auf Systematiken hin untersucht. In Warenkörben überzufällig häufig gemeinsam erworbene Artikel deuten einen komplementären Sortimentsverbund an (vgl. zu den Methoden der Warenkorbanalyse bspw. Hruschka 1991; Mild/ Reutterer 2003). Sind solche Strukturen identifiziert, lassen sich die Preisparameter dann gezielt schätzen. Trotz des großen methodischen Aufwands in diesem Forschungsbereich, der bspw. auch Verfahren des Data- <?page no="247"?> 248 5 Preissysteme mining oder neuronale Netze umfasst, erscheint es fraglich, ob artikelspezifische Preis-Absatz-Funktionen, die Ausstrahlungseffekte der Preissetzung (umfangreich) berücksichtigen, für große Sortimente (z.B. Einzelhandel) valide parametrisiert werden können. 5.2.3 Leistungsbezogene Preisdifferenzierung Ein solches Preissystem ist dadurch charakterisiert, dass ein Anbieter leistungsbezogene Varianten eines Produkts zu unterschiedlichen Preisen offeriert. In Abgrenzung zur Produktlinie sind die Leistungsunterschiede bspw. hinsichtlich der Produktqualität nicht derartig stark ausgeprägt, dass Nachfrager die Varianten als eigenständige Produkt-Markt-Kombinationen einstufen (vgl. Fassnacht 2003, S. 494; Homburg 2012, S. 713). Ferner unterscheiden sich die Leistungsvarianten in ihrem Preis wesentlich stärker als in ihren Produktionskosten (vgl. Tacke 1989, S. 21). Allerdings fällt in der Praxis die Abgrenzung zur Preisbildung in einer Produktlinie mitunter schwer. In einer pragmatischen Unterscheidung findet sich bei Dienstleistungen zumeist eine leistungsbezogene Preisdifferenzierung, bei Sachgütern das Produktlinien-Pricing. Häufig handelt es sich bei der leistungsbezogenen Preisdifferenzierung um Zusatzleistungen, die um eine Standardleistung gruppiert werden und damit zu unterschiedlichen Preis-Leistungs-Ausprägungen eines Produkts führen: So haben Bücher im Leineneinband einen höheren Preis als die betreffende Taschenbuchausgabe, da der Leineneinband qualitativ höherwertig als der Taschenbuchumschlag ist. In Cafés ist der Preis für Konditoreiwaren höher, wenn die Waren im Lokal verzehrt werden, verglichen mit dem Außer-Haus- Verkauf, da der Kunde im Laden gleichzeitig die Caféhaus-Atmosphäre und den Bedienungsservice erhält. Ebenso setzt ein Anzeigenblatt für gewerbliche Kleinanzeigen die Preise dahingehend differenziert an, ob die Anzeige in der Gesamtauflage oder nur in einer Stadtteilausgabe erscheinen soll, was eine unterschiedliche Reichweite der Anzeige impliziert. Weitere Beispiele für eine leistungsbezogene Preisdifferenzierung sind unterschiedlich ausgestaltete Hotelzimmer, Sitzplatzkategorien im Theater oder die Unterscheidung von 1. und 2. Klasse bei Bahnfahrten. Leistungsbezogene Preisdifferenzierung ist aber auch darin zu sehen, wenn Anbieter durch besondere Verpackungen dem Produkt einen ästhetischen Mehrwert verleihen, der sich in höheren Verkaufspreisen gegenüber der schlichten Version niederschlägt. In dieser Hinsicht stellen unterschiedliche Verkaufspreise für das gleiche Produkt in verschiedenen Handelsbetriebsformen (Discounter versus Fachgeschäft) ebenfalls Ausprägungen der leistungsbezogenen Preisdifferenzierung (auf Handelsebene) dar, da die handelsspezifischen Leistungen (Beratung; Service; Auswahl; Atmosphäre) in den Betriebstypen unterschiedlich sind. <?page no="248"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 249 Eine leistungsbezogene Preisdifferenzierung kann - ausgehend von der Standardleistung - in zwei Richtungen erfolgen: dem Upgrading und dem Downsizing. Die Logik der leistungsbezogenen Preisdifferenzierung basiert beim Upgrading darauf, dass die Zusatzbzw. Nebenleistungen aus Nachfragersicht einen hohen Nutzen stiften, weshalb die maximale Zahlungsbereitschaft bei Erhalt dieser Leistungen (stark) ansteigt: So ist der Kunstkenner bereit, einen um 20 % höheren Preis zu bezahlen, wenn er einige Sitzreihen näher an der Bühne Platz nehmen darf. Ebenso bevorzugt der bequemlichkeitsliebende Fluggast das First-Class-Ticket, bei dem er größere Freiheit im Sitzplatz und besseren Essenservice gegenüber der Economy Class erhält. Bei der leistungsbezogenen Preisdifferenzierung dürften auch soziale Geltungsmotive mitunter eine Rolle spielen: So verschafft bei einer Flugreise der exklusive Besuch der Vip- Lounge einer Person einen Geltungsnutzen, wenn Nachfrager, die eine niedrigere Leistungskategorie erworben haben, diese zusätzliche Serviceleistung nicht in Anspruch nehmen dürfen. Aus Sicht des Anbieters steigen hingegen die Produktionskosten zur Erstellung dieser Zusatzleistungen nur wenig oder gar nicht an. Abbildung 5.2-3 illustriert das ökonomische Kalkül des Upgrading durch leistungsbezogene Preisdifferenzierung: Abbildung 5.2-3: Leistungsbezogene Preisdifferenzierung - Upgrading Unterstellt ist, dass bislang allen Nachfragern Situation I mit dem Preis p offeriert wird. In Situation II ergänzt der Anbieter seine Standardleistung um eine Nebenleistung. Abgebildet ist ein Nachfrager, der diese Zusatzleistung recht hoch wertschätzt, weshalb seine maximale Zahlungsbereitschaft ansteigt, Stückkosten maximale Zahlungsbereitschaft Situation I Stückkosten maximale Zahlungsbereitschaft Situation II p Produzentenrente Konsumentenrente p <?page no="249"?> 250 5 Preissysteme wohingegen die zusätzlichen Kosten für die Erstellung einer Produkteinheit vergleichsweise wenig anwachsen. In Situation II lässt sich durch die Anreicherung der Standardleistung mit Zusatzleistungen ein höherer Preis durchsetzen, der dem Anbieter eine höhere Produzentenrente (Gewinn) pro Verkaufseinheit und dem Nachfrager zugleich eine höhere Konsumentenrente gewährt. Folglich ist es bezogen auf diesen Nachfrager vorteilhaft, ihm diese Zusatzleistung zu offerieren bzw. der Nachfrager wird diese Zusatzleistung in Anspruch nehmen, obwohl er einen höheren Preis für das Produkt bezahlen muss. In der Regel existieren für diejenigen Komponenten, die eine höherwertige Leistung konstituieren, keine Einzelpreise: Sie werden am Markt nicht isoliert angeboten, weil diese Zusatzleistungen untrennbar mit der Inanspruchnahme der Standardleistung verbunden sind. So ist die Ausstattung des Hotelzimmers als Zusatzleistung ohne die Standardleistung (Übernachtung) sinnlos. Damit weist die leistungsbezogene Preisdifferenzierung große Ähnlichkeiten mit der Preisbündelung (Pure Bundling) auf. Der Preis der Komponenten lässt sich nur rekursiv ermitteln, wenn man die Preiskategorie mit dieser Zusatzleistung derjenigen Preiskategorie, die - ansonsten identisch - diese Zusatzleistung nicht enthält, gegenüberstellt. Leistungsbezogene Preisdifferenzierung muss nicht nur - ausgehend von einer Grundversion - in Zusatzleistungen bestehen, sondern kann auch in Abstrichen in der Anbieterleistung begründet sein (Downsizing, vgl. Abbildung 5.2-4): Abbildung 5.2-4: Leistungsbezogene Preisdifferenzierung - Downsizing Stückkosten maximale Zahlungsbereitschaft Situation I Stückkosten maximale Zahlungsbereitschaft Situation II p Produzentenrente Konsumentenrente p <?page no="250"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 251 Im Downsizing führt der Nachfrager bestimmte Produktionsschritte selbst durch und erhält dafür - als Honorierung seiner eigenen Leistung - einen Preisnachlass: So gewähren Mietwagenfirmen einen niedrigeren Mietpreis, wenn der Nachfrager am Automaten die notwendigen Formalitäten erledigt, verglichen mit einer Bedienung am Schalter. Möbelstücke sind billiger, wenn der Käufer diese erst noch selbst zusammenbauen muss, verglichen mit einem bereits fertigen Möbel („Schrauben Sie noch, oder wohnen Sie schon? “). Ebenso lässt sich der Selbstabholerrabatt als leistungsbezogene Preisdifferenzierung interpretieren, da der Nachfrager einen Preisnachlass erhält, wenn er sich die Mühe macht, die Ware selbst beim Anbieter abzuholen. In Situation II der Abbildung 5.2-4 führt das „Abspecken“ des Leistungsumfangs bei diesem Nachfrager nur zu einer geringen Nutzeneinbuße, für den Anbieter aber zu einer beachtlichen Kostenreduzierung: Daher kann sich zwar ein niedrigerer Preis am Markt für die „schlanke Version“ ergeben, der aber eine größere Produzenten und Konsumentenrente als in Situation I erbringt. Zudem ermöglicht das Downsizing ein Abschöpfen der Konsumentenrente bei denjenigen Nachfragern, die sich die Normalversion nicht, wohl aber die abgespeckte Leistungsversion leisten wollen (können). Allgemein beruht die leistungsbezogene Preisdifferenzierung auf dem Prinzip der Benefit-Segmentierung der Nachfrager (vgl. bspw. Homburg 2012, S. 475). Leistungsunterschiede kommen hierbei dem Wunsch nach Individualisierung der Produkte nach, wobei der Nachfrager selbst das Leistungs- und damit Preisniveau gemäß seiner Preis-Leistungs-Vorstellung wählt (Selbstselektion). Für die Preisbestimmung der einzelnen Leistungsvarianten gehen die spezifischen Produktionskosten und der diesbezügliche Preisresponse der Nachfrager als Determinanten ein; allerdings dürfte die preisbedingte Nachfrage nach den Leistungsvarianten nicht isoliert voneinander sein, sondern substitutive Interdependenzen aufweisen: Analog zu Substitutionsprozessen zwischen High Quality/ High Price-Marken und Low Quality/ Low Price-Marken im Sortimentsverbund, ist ein asymmetrisch geprägter preisbedingter Wechsel zwischen den Leistungsklassen zu erwarten: So dürfte die Preisreduzierung einer qualitativ höheren Leistungsklasse, Kunden, die ansonsten eine geringere Leistungsklasse bevorzugen, in ihrer Nachfrage umlenken. Ob allerdings die Preissenkung einer niedrigeren Leistungsklasse Nachfrager, die bislang eine höhere Leistungsklasse präferiert haben, anzieht, lässt sich nur im spezifischen Produktfall beurteilen. Realistisch erscheint hingegen, dass Preiserhöhungen in einer höheren Leistungsklasse Nachfrager zum Wechsel in eine niedrigere Leistungsklasse bewegen, bevor sie gänzlich auf die Inanspruchnahme der Leistung (z.B. Konzertbesuch) verzichten. Aus formaler Sicht bildet aufgrund der preisbedingten Nachfrageinterdependenzen damit die Niehans-Bedingung (Bedingung 5.2-1) die gewinnoptimalen Preise der einzelnen Leistungsvarianten ab. <?page no="251"?> 252 5 Preissysteme Aus rechtlicher Sicht ist bei einer leistungsbezogenen Preisdifferenzierung die Preisangabenverordnung zu beachten, wonach klar zum Ausdruck kommen muss, welcher Leistung bzw. Leistungskategorie welcher Preis zugeordnet ist (vgl. Menke 2002, S. 342). Auch aus Sicht der Preisfairness erweist sich eine leistungsbezogene Preisdifferenzierung als wenig problematisch, sofern die Preisunterschiede durch nutzenstiftende Leistungsunterschiede des Anbieters gerechtfertigt wirken (vgl. Fassnacht 1996, S. 68) und Nachfrager die höheren Preiskategorien nicht als „Nepp“ empfinden, weil sie die zusätzlichen Leistungskomponenten nur wenig wertschätzen. Werden innerhalb der Leistungsvarianten Preisänderungen erforderlich, erscheint es empfehlenswert, die Preise aller Leistungsvarianten im etwa gleichen prozentualen Umfang zu verändern. Denkbar ist, dass sich Nachfrager einer Leistungsvariante, die besonders stark im Preis angehoben wird, diskriminiert fühlen und glauben, mit ihrem deutlich gestiegenen Preis andere Leistungsvarianten zu subventionieren. Dadurch entsteht Preisunzufriedenheit, die über den Sachverhalt der reinen Preiserhöhung hinausgeht. Eine gleichgerichtete Preisveränderung der Leistungsvarianten ist auch dadurch naheliegend, dass sich die preisbestimmenden Determinanten auf Nachfrage- und Kostenseite bei den Leistungsvarianten ähnlich verändern dürften. 5.2.4 Produktlinien-Pricing Als Produktlinie soll eine Gruppe von Produkten eines Anbieters aus einer Produktkategorie bezeichnet werden, die derartig ausgeprägte Preis-Qualitäts- Unterschiede aufweisen, dass die einzelnen Mitglieder der Produktlinie eigenständige Produkt-Markt-Kombinationen darstellen (vgl. bspw. Meffert et al. 2008, S. 401-405). Verbindende Klammer für die Mitglieder einer Produktlinie ist häufig der gemeinsame Markenname (Markenfamilie) oder zumindest ein für die Nachfrager erkennbarer gleicher Hersteller (gemeinsame Firmenmarke). Die Eigenständigkeit eines Mitglieds der Produktlinie bzw. Markenfamilie wird zumeist durch Zusatzbezeichnungen (z.B. Premium) oder technische Begriffe unterhalb der Ebene des Markennamens (hierarchisches Branding) geprägt. Die Mitglieder einer Produktlinie weisen das prinzipiell gleiche technische Konzept und äußere Erscheinungsbild auf (gemeinsame Plattform). Häufig bildet ein Basis- oder Grundmodell den unteren Endpunkt (Anfangsglied) der Produktlinie, auf das dann in Produktleistung und -qualität bis zur High End-Variante (Endglied) „aufgesattelt“ wird. Preispolitische Fragestellungen im Rahmen der Produktlinie beziehen sich auf zwei, allerdings interdependente Dimensionen: Welche Qualitäts- und damit korrespondierende Preislevel sollen die Mitglieder einer Produktfamilie besetzen („Preislagenpolitik“)? Dies <?page no="252"?> 5.2 Leistungsübergreifende Preissysteme 253 bestimmt wesentlich die Länge der Produktlinie (Zahl der Produktvarianten bzw. Programmtiefe). Welche Preise bzw. Preisabstände zwischen den Mitgliedern der Produktlinie sollen angesetzt werden (Preiskoordination)? Dies bestimmt das Ausmaß der Preisspreizung, d.h. die Preisdifferenz zwischen dem günstigsten und teuersten Mitglied der Produktlinie. Analog zur leistungsbezogenen Preisdifferenzierung decken die einzelnen Mitglieder der Produktfamilie unterschiedliche Ansprüche von Nachfragersegmenten ab. Die Preispolitik folgt dann den produktpolitischen Strategievorgaben zur Produktlinie (vgl. hierzu bspw. Putsis/ Bayus 2001; zu spieltheoretischen Modellen der Produktlinienpolitik unter Einbeziehung des Preises vgl. Klapper 2001). Für die Besetzung eines bestimmten Qualitätslevels bzw. einer spezifischen Produktkonzeption ist es erforderlich, dass abgrenzbare und ausreichend große Marktsegmente für eine Variante der Produktlinie existieren. Nur dann lohnt sich ein solches differenziertes Angebot. In vielen Branchen existieren explizite Price Points (vgl. Schmalen 1995, S. 78): Dies sind bestimmte Preisniveaus in einem Markt, zu denen der Anbieter ein Leistungsangebot offerieren sollte, da hier besonders große Marktsegmente gegeben sind, bzw. diese Price Points genießen hohe Aufmerksamkeit am Markt, weshalb man Konkurrenten die alleinige Besetzung solcher Price Points nicht überlassen will (z.B. ein Angebot im Preisbereich zwischen 79 € und 99 €). Ferner mag eine Produktlinie, deren Mitglieder in vielen Qualitätsniveaus vertreten sind, ein Kompetenzimage erringen. Allerdings gefährdet umgekehrt eine zu große Preisspreizung möglicherweise auch Imagekomponenten (vgl. Michael 2007, S. 29f.): So kann eine von der sonstigen Produktlinie abweichende Qualitätsvariante (z.B. Kleinwagen bei einem Limousinenhersteller in der Automobilbranche) das Qualitätsimage der gehobenen Mitglieder der Produktlinie verwässern. Hinsichtlich der Preiskalkulation in der Produktlinie ist von Interdependenzen zwischen den Mitgliedern der Produktlinie auszugehen. Damit bietet die Niehans-Bedingung (5.2-1) einen formalen Lösungsansatz; eine Anwendung dieser Bedingung auf das Produktlinien-Pricing findet sich bei Reibstein/ Gatignon (1984, S. 262). Analog zur leistungsbezogenen Preisdifferenzierung sind hierbei asymmetrische Substitutionsbeziehungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Leistungsniveaus zu vermuten. Anders als in der leistungsbezogenen Preisdifferenzierung dürften aber auch von einigen Mitgliedern komplementäre Interdependenzen in der Produktlinie ausgehen: So könnte ein herausgehobenes Mitglied durch den (sozial) sichtbaren Gebzw. Verbrauch (demonstrativer Konsum) die Bekanntheit der gesamten Produktlinie am Markt erhöhen. Ein solches herausgehobenes Mitglied dürfte nicht selten das Endglied der Produktlinie sein, mit der sich das Unternehmen in der Produktqualität (Technik) profiliert. Ein bezogen auf diese Preislage günstiger Preis für das Flaggschiff der <?page no="253"?> 254 5 Preissysteme Produktlinie („unser Premium-Angebot für 24.998 €“), wie dies ein komplementärer Sortimentsverbund fordert, fördert über den kommunikationsbezogenen Spill-over-Effekt die Marktchancen der anderen Varianten der Produktlinie. Ebenso mag das Basismodell für viele Nachfrager den Einstieg in die Produktlinie darstellen. Im Laufe ihrer Konsumerfahrungen mit der Produktkategorie wollen sie dann in ihren Leistungsanforderungen upgraden; wenn sie, positive Produkterfahrungen vorausgesetzt, der Produktlinie (Marke) treu bleiben, fungiert das Basismodell dann als Zugartikel für andere Mitglieder in der Produktlinie. Daher sollte das Basismodell einen niedrigeren Preis aufweisen, verglichen mit der Situation, dass solche komplementären Interdependenzen in der Produktlinie nicht existieren. Formal treten in der Niehans-Bedingung die (positiven) Deckungsbeiträge derjenigen Mitglieder der Produktlinie, die vom Zugartikel in den späteren Jahren durch das Upgraden der Nachfrager profitieren, allerdings nicht zeitgleich mit der Preissetzung für den Zugartikel auf. Deshalb müssten die erst in Zukunft zu erzielenden Deckungsbeiträge (p j - dK/ dx j ) in der Niehans-Bedingung diskontiert werden, was dann den Preissenkungseffekt des komplementären Sortimentsverbunds für den Zugartikel vermindert. Ein anderer Ansatz im Produktlinien-Pricing hat die Zielsetzung, die Preisdistanz zwischen den Mitgliedern der Produktfamilie gleich groß erscheinen zu lassen: Die Mitglieder der Produktlinie bilden dann eine sog. äquidistante Preislinie (vgl. Diller 2008, S. 288f.): Gemäß des Weber-Fechnerschen Gesetzes liegt eine logarithmisch transformierte Preiswahrnehmung vor. In einer Produktlinie, die insgesamt z + 2 Mitglieder aufweist und dem Anfangsglied („Low End“-Produkt) den Preis p u bzw. dem Endglied (High End-Produkt) den Preis p o zuweist, gilt für eine Preisdistanz D zwischen zwei Mitgliedern (vgl. Schmalen 1995, S. 79f.): ln(D) = ln(p o ) ln(p u ) z+1 Der i-te Preis der Preislinie ergibt sich dann als: ln(p i ) = ln(p u ) + (i - 1) ln(D) p i = p u D i-1 Soll eine Produktlinie vier Mitglieder umfassen (z + 2 = 4), wobei das Anfangsglied (Endglied) zu p u = 100 € (p o = 1.000 €) angesetzt wird, ergibt sich als psychologisch äquidistante Preislinie: p 1 = p u = 100 €, p 2 = 215 €, p 3 = 464 € und p 4 = p o = 1.000 €. Ob das Ziel einer psychologisch äquidistanten Preislinie sinnhaftig ist, muss bezweifelt werden. Wesentlich wichtiger erscheint es, zentrale Preis- und Qualitätslevel am Markt zu besetzen; diese müssen wahrnehmungspsychologisch nicht gleich über die Preisspanne verteilt sein. Einige qualitative Implikationen der obigen Preisformel sind jedoch von Bedeutung (vgl. Schmalen 1995, S. 80): Die Preisunterschiede zwischen den Produkten sollten so festgelegt sein, dass <?page no="254"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 255 sie den Käufern angesichts der wahrnehmbaren Qualitätsunterschiede gerechtfertigt erscheinen. Analog zur leistungsbezogenen Preisdifferenzierung mögen marginale Qualitätssteigerungen, kombiniert mit kräftigen Preiserhöhungen als unfair oder überhöht empfunden werden. Zudem folgt aus dem Paradigma der logarithmischen Wahrnehmung, dass mit zunehmenden Preis- und Qualitätsniveaus die Preis- und Qualitätsunterschiede größer ausfallen müssen, um als solche erkannt zu werden. Ferner vergleichen Nachfrager die Produktlinien verschiedener Hersteller häufig anhand ihres (billigsten) Anfangs- und (teuersten) Endgliedes. Für das Image der gesamten Produktlinie ist deshalb ein preiswertes (qualitativ exklusives) Anfangsglied (Endglied) vorteilhaft. Dies gilt umso mehr, wenn das Basismodell Zugwirkung in der gesamten Produktlinie hat. Allerdings darf die Preisspreizung nicht übertrieben werden, sonst stufen Nachfrager Anfangs- und Endglied als nicht mehr zu einer Produktlinie zusammengehörend ein. 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme zeichnen sich dadurch aus, dass für eine Produkteinheit am Markt kein einheitlicher Preis (Einheitspreis) existiert, sondern Nachfrager eine Leistungseinheit zu unterschiedlichen Preisen erwerben können. Fünf Ausprägungen solcher nachfragerbezogen heterogener Preissysteme lassen sich unterscheiden: personelle Preisdifferenzierung (segmentspezifische Preise); quantitative Preisdifferenzierung; perfekte Preisdifferenzierung; Mehr-Personen-Preisbildung; zweiteilige Tarife. Diese einzelnen Formen der Preisdifferenzierungen sind Gegenstand der folgenden Abschnitte. Den Abschluss dieses Kapitels bilden rechtliche Überlegungen zu diesen nachfragerbezogen heterogenen Preissystemen. 5.3.1 Personelle Preisdifferenzierung 5.3.1.1 Ausprägungen personeller Preisdifferenzierung Nachfrager besitzen in der Regel aufgrund ihrer individuellen Präferenzstrukturen heterogene maximale Zahlungsbereitschaften für ein Produkt. Lassen sich Kundengruppen mit einer ähnlichen Zahlungsbereitschaft anhand äußerer, z.B. soziodemographischer Merkmale identifizieren, eröffnet dies die Möglichkeit zur personenbezogenen Preisdifferenzierung (Selective Pricing). Für die defi- <?page no="255"?> 256 5 Preissysteme nierten Marktsegmente gelten dann unterschiedliche (segmentspezifische) Preise entsprechend ihrer jeweiligen maximalen Zahlungsbereitschaft bzw. - aggregiert - gemäß der Form ihrer segmentspezifischen Preis-Absatz-Funktion. Unterschiedliche Preise für einzelne Marktsegmente werden dadurch erreicht, dass entweder ein segmentspezifischer Listenpreis ausgewiesen ist oder - ausgehend von einem einheitlichen Listenpreis - segmentspezifische Ermäßigungen (Rabatte) gewährt werden. Tabelle 5.3-1 führt einige Beispiele für personelle Preisdifferenzierungen auf: Ausprägung Segmentierungskriterium Privatpatienten zahlen für die gleiche Leistung höhere Arzthonorare als gesetzlich Versicherte Einkommen Jugendliche, Studenten oder Senioren bezahlen für Eintrittskarten in Veranstaltungen niedrigere Preise als das Normalpublikum Alter bzw. Einkommen Softwarelizenzen für identische Programme sind für Studenten billiger als für Unternehmen Einkommen Frauen bezahlen für eine gleichartige Frisörleistung höhere Preise als Männer Geschlecht Textilien (z.B. Pullover) für Frauen weisen höhere Preise als gleichartige Textilien für Männer auf Geschlecht Wiederverkäufer erhalten günstigere Großhandelspreise als Endverbraucher Gewerbe Abonnementpreise von Fachzeitschriften sind für Bibliotheken höher als für Privatpersonen Gewerbe „Ethnic Fares“ bei Fluglinien: Personen mit Nationalität des Ziellandes eines Flugs (v.a. Asien) und festem Wohnsitz in Deutschland oder Österreich erhalten günstigere Flugtickets für einen Flug von Deutschland/ Österreich in dieses Land Nationalität Tabelle 5.3-1: Beispiele für personelle Preisdifferenzierung Die Abgrenzung zwischen personeller und leistungsorientierter Preisdifferenzierung ist mitunter fließend, da personelle Preisunterschiede auch dadurch bedingt sein können, dass Marktsegmente aufgrund unterschiedlicher Leistungsanforderungen unterschiedliche Produktionskosten verursachen. So erhalten Angehörige des öffentlichen Dienstes als „besonders gute Risikoklasse“ (vergleichsweise wenig Schadensfälle) Sonderversicherungstarife bei der Kfz- oder Haftpflichtversicherung. <?page no="256"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 257 5.3.1.2 Motive für eine personelle Preisdifferenzierung Mehrere Motive für eine personelle Preisdifferenzierung lassen sich abgrenzen: Gewinnsteigerung Weisen Segmente eines Gesamtmarkts unterschiedliche Preissensibilitäten (Preiselastizitäten) und/ oder Grenzkosten der Leistungserstellung auf, ist es unmittelbar plausibel, dass ein einheitlicher Preis für diese Marktsegmente nicht gewinnoptimal sein kann. Vielmehr führt eine differenzierte Preisgestaltung für jedes Marktsegment - gemäß dessen individueller Preis-Absatz-Funktion (x i = x i (p i )) und der möglicherweise segmentspezifischen Produktionskosten - zum maximalen Gesamtgewinn. Bei N Segmenten eines Gesamtmarkts (i = 1, ..., N) lautet das Optimierungsproblem des Anbieters folglich: G = i=1 N x i (p i ) p i - K f - K(x i ) max Bestehen keine Kosteninterdependenzen in der Produktion der Leistung (lineare Kostenfunktion), resultiert für die partielle Ableitung der Gewinnfunktion nach dem Preis für ein Marktsegment i: G p i = x i p i p i + x i - K x i x i p i = 0 x i p i p i + x i = K x i x i p i Im Gewinnoptimum ist für jedes Nachfragersegment der segmentspezifisch zu erzielende Grenzumsatz gleich den (segmentspezifischen) Grenzkosten. Dies führt zu einer segmentspezifischen Ausformung der Amoroso-Robinson- Relation: (5.3-1) p i * = i 1+ i K x i mit: e i = x i p i p i x i Betrachtet man die beiden Marktsegmente i = {1; 2} und entstehen in Segment i = 1 für die Erstellung einer Produkteinheit höhere Grenzkosten als in Segment i = 2 ( K/ x 1 > K/ x 2 ) bzw. reagiert i = 1 weniger preisempfindlich als i = 2 (| 1 | < | 2 |), ergibt sich für Marktsegment i = 1 ein höherer gewinnoptimaler Preis als für Marktsegment i = 2 (p 1 * > p 2 *): Ist bspw. davon auszugehen, dass berufstätige Personen weniger preissensibel hinsichtlich des Kaufs von Eintrittskarten für eine bestimmte Veranstaltung als Schüler sind, dann entspricht es dem Gewinnoptimierungskalkül, letzterem Personenkreis eine Preisermäßigung auf eine Eintrittskarte, d.h. einen niedrigeren Preis als den Erwachsenen zu gewähren. Ebenso erhalten gewerbliche Wiederverkäufer günstigere Verkaufspreise als Endverbraucher, da Wiederverkäufer (z.B. Einzelhändler) durch die höheren Abnahmemengen oder längeren Geschäftsbeziehungen niedrigere <?page no="257"?> 258 5 Preissysteme Grenzkosten verursachen. Zugleich fordern sie aufgrund ihrer Abnahmemengen vom Anbieter günstigere Preise bzw. sind eher bereit, alternative Bezugsquellen aufzusuchen oder die Preisangebote der verschiedenen Anbieter in Preisverhandlungen gegeneinander auszuspielen. Es liegt deshalb eine höhere Preissensibilität bzw. eine - dem Betrage nach - höhere Preiselastizität vor: Dadurch ist bei Wiederverkäufern ein niedrigerer Preis als bei Endverbrauchern gewinnoptimal. Der niedrigere gewinnoptimale Preis aufgrund von geringeren Grenzkosten, die ein bestimmtes Marktsegment dem Anbieter verursacht, lässt sich aber auch als Honorierung von Nachfragerleistungen interpretieren. So räumt mancher Anbieter Nachfragern, die den Kaufpreis in bar, d.h. sofort bezahlen, ein Skonto (Barzahlungsrabatt) ein: Wenn er bei seinen anderen Kundensegmenten bspw. aufgrund von Branchengepflogenheiten nur auf Ziel (z.B. zahlbar in 30 Tagen) verkauft, implizieren Barzahler niedrigere Grenzkosten (kein Kreditausfallrisiko, kein Zinsentgang). Honoriert der Anbieter bestimmte Leistungen des Kunden, die zu Kosteneinsparungen beim Anbieter führen, mit Preisnachlässen, spricht man im Allgemeinen von Funktionsrabatten (vgl. Siems 2009, S. 205). Insbesondere in der Geschäftsbeziehung zwischen Hersteller und Handel haben sich vielfältige Rabattformen, oft als Zuschüsse oder Vergütungen des Herstellers an den Handel bezeichnet, etabliert, die Leistungen des Handels im Zusammenhang mit der Vermarktung der Herstellerprodukte honorieren sollen (vgl. Gedenk 2002, S. 15-18; Steffenhagen 1995, S. 48-66). Diese Vergütungen werden zumeist in den Jahresgesprächen zwischen Hersteller und Handel ausgehandelt und mit den Rechnungsbeträgen der bestellten Waren im Abrechnungszeitraum verrechnet. Dadurch vermindert sich für den Handel der effektive Preis bzw. im Sinne einer Vollkostenrechnung der Einstandspreis, zu dem der Handel die Produkte vom Hersteller bezieht. Exemplarisch sollen im Folgenden einige dieser Rabatte vorgestellt werden: Werbekostenzuschüsse des Herstellers honorieren Verkaufsfördermaßnahmen des Handels für die Herstellermarken und reduzieren die Marketingkosten des Herstellers, da sie den Absatz seiner Produkte fördern oder dessen Bekanntheit (Image) erhöhen. Platzierungsrabatte (Zweitplatzierungsvergütungen) zahlt der Hersteller an den Handel, wenn seine Produkte in den Ladengeschäften eine besonders gute Regalplatzierung oder Sonderplatzierungen erhalten. Eine Listungsgebühr wird fällig, wenn der Handel bereit ist, neue Produkte des Herstellers in das Sortiment bzw. seinen Ordersatz aufzunehmen. Aktionsrabatte sollen den Händler zur Durchführung von Promotion-Aktionen für die betreffenden Herstellermarken veranlassen: Ebenso wie bei Werbekostenzuschüssen soll der Preisnachlass den Handel zur Abnahme einer größeren Menge der Herstellermarke bewegen, wobei der Handel diesen Lagerdruck dann durch verstärkte Verkaufsbemühungen gegenüber dem Endverbraucher reduziert. Neueröffnungsrabatte sind Investitionszuschüsse des Herstellers für den Händler, wenn dieser neue Filialen eröff- <?page no="258"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 259 net und dadurch den Herstellerprodukten zusätzliche Absatzmöglichkeiten eröffnet. Unter Logistikrabatte fallen eine Vielzahl von Vergütungen, mit denen der Hersteller die leichtere logistische Abwicklung der Transaktion durch den Handel belohnt: Ein Palettenabnehmerrabatt wird gewährt, wenn der Handel eine ganze Palette abnimmt, ein LKW-Rabatt für einen ganzen LKW mit sortenreinen Gebindegrößen. Solche händlerspezifischen Rabatte des Herstellers sind wesentlicher Teil seiner handelsgerichteten Verkaufsförderung (Handels-Promotion). Insbesondere auf Promotion-Aktionen des Händlers fokussierte Formen dieser personellen Preisdifferenzierung sind jedoch nicht unproblematisch für den Hersteller (vgl. Gedenk 2002, S. 15): So besteht die Gefahr des opportunistischen Verhaltens des Händlers, da der Hersteller die Promotionsbemühungen der Händler nicht ausreichend zu kontrollieren vermag. Deshalb verwendet der Händler bspw. die Werbekostenzuschüsse für Aktionen, die nicht im Sinne des Herstellers sind wie bspw. zur Finanzierung einer Niedrigpreisstrategie für die Herstellermarke. Ferner sind die vielfältigen Rabattformen ein Instrument des Handels, in den Preisverhandlungen mit dem Hersteller den Listenpreis „versteckt“ zu reduzieren. Aufgrund der großen Marktmacht des Händlers sieht sich ein Hersteller dann oftmals gezwungen, solche Preisnachlässe einem Handelsunternehmen einzuräumen, um die Geschäftsbeziehung erhalten zu können. Gibt es keine Unterschiede in den Grenzkosten ( K/ x 1 = K/ x 2 = dK/ dx), lässt sich ausgehend von der obigen Amoroso-Robinson-Bedingung (Bedingung 5.3-1) die Relation der gewinnoptimalen Preise in zwei Marktsegmenten i = {1; 2} mit unterschiedlicher Preiselastizität auch formulieren als (vgl. Schmalen 1995, S. 183): p 1 * 1+ 1 1 = dK dx bzw. p 2 * 1+ 2 2 = dK dx (5.3-2) p 1 * 1+ 1 1 = p 2 * 1+ 2 2 p 1 * p 2 * = 1+ 2 2 1+ 1 1 p 1 * > p 2 * für 1+ 2 2 > 1+ 1 1 bei | 2 | > | 1 | Das Verhältnis der gewinnoptimalen Preise in zwei Marktsegmenten ist invers zu den betragsmäßigen Preiselastizitäten. Allgemein kann die personelle Preisdifferenzierung keinen niedrigeren Gewinn als die Einheitspreisstellung am Gesamtmarkt (gleicher Preis für alle Marktseg- <?page no="259"?> 260 5 Preissysteme mente) liefern, da der Einheitspreis als Spezialfall in den segmentspezifischen Ausformungen der Amoroso-Robinson-Relation enthalten ist. Die Gewinnsteigerung der personellen Preisdifferenzierung gegenüber einem Einheitspreis am Gesamtmarkt basiert darauf, dass sich der Anbieter mit den differenzierten Preisen besser an die spezifischen Markt- und Kostenverhältnisse der Marktsegmente anpasst. Dies korrespondiert mit einem stärkeren Abschöpfen der Konsumentenrente auf dem Gesamtmarkt. Folgendes Beispiel illustriert diesen Sachverhalt: Fallbeispiel Am Gesamtmarkt lassen sich zwei Nachfragersegmente i = {1; 2} identifizieren, deren Preisresponse durch spezifische lineare Preis-Absatz-Funktionen und eine lineare Kostenfunktion zum Ausdruck kommt: x 1 = 300 - 5 p 1 und x 2 = 600 - 12 p 2 und K = 2000 + 4 (x 1 + x 2 ). Es interessieren die gewinnoptimalen Preis-Mengen-Kombinationen sowie die Umsätze und Gewinne für beide Segmente bei Preisdifferenzierung im Vergleich zur Situation, dass für beide Segmente der gleiche Preis (Einheitspreis) angesetzt wird. Die Gewinnfunktion des Anbieters bei personeller Preisdifferenzierung (PD) sowie die partiellen Ableitungen lauten: G = (300-5p 1PD ) p 1PD + (600-12p 1PD ) p 2PD - 2000 - 4 (300-5p 1PD + 600 - 12p 2PD ) max G p 1PD = 300 - 10 p 1PD + 20 = 0; p 1PD * = 32; x 1PD *= 140; U 1PD = 4480. G p 2PD = 600 - 24 p 2PD + 48 = 0; p 2PD * = 27; x 2PD *= 276; U 2PD = 7452. Der Gesamtumsatz bei Preisdifferenzierung beträgt U PD = 11932, der korrespondierende Gewinn ergibt sich als: G PD = 11932 - 2000 - 4 (140 + 276) = 8268. Setzt der Anbieter einen Einheitspreis (EP), gilt in beiden Segmenten der gleiche Preis (p EP ): Folglich lauten die Gewinnoptimierungsbedingung und die erste Ableitung: G = (300-5p EP ) p EP + (600-12p EP ) p EP - 2000 - 4 (300-5p EP + 600 - 12p EP ) max dG dp EP = 900 - 34 p EP + 68 = 0; p EP * = 28,47; x 1EP *= 157,64; x 2EP *= 258,36; <?page no="260"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 261 U EP = 11843,52; G EP = 8179,52. Der Einheitspreis verfehlt in beiden Segmenten zwangsläufig den jeweils gewinnoptimalen Preis: Für Segment i = 1 ist der Einheitspreis zu niedrig, für Segment i = 2 zu hoch. Preisdifferenzierung führt zu einer Gewinnsteigerung (G PD = 8268 > G EP = 8179,52), da sich die segmentspezifischen Preise besser an die jeweiligen Marktgegebenheiten anpassen. Das Argument des stärkeren Abschöpfens der Konsumentenrente durch personelle Preisdifferenzierung gilt nicht für beide Segmente. Vergleicht man die segmentspezifischen Umsätze bei Preisdifferenzierung mit denjenigen bei der Einheitspreisstellung in beiden Segmenten, resultiert: U 1EP = 4488,01 > U 1PD = 4480 und U 2EP = 7355,51 < U 2PD = 7452. Im Segment i = 1, in dem durch Preisdifferenzierung der Preis gegenüber der Einheitspreisstellung ansteigt (p 1PD * = 32 > p EP * = 28,47), ergibt sich somit eine Umsatzreduzierung, d.h. ein geringeres Abschöpfen der Konsumentenrente. Ursache hierfür ist, dass der Einheitspreis mit der korrespondierenden Menge von x 1EP = 157,64 in diesem Segment näher am Umsatzmaximum (umsatzmaximale Menge: x 1 = 150) als der gewinnoptimale Preis bei Preisdifferenzierung (x 1PD * = 140) liegt. Bei einer symmetrischen Umsatzfunktion, wie dies für eine lineare Preis-Absatz-Funktion gilt, besitzt diejenige Preis-Mengen-Kombination einen höheren Umsatz, die eine geringere Preisbzw. Mengendifferenz zur umsatzmaximalen Preis-Mengen-Kombination aufweist. Folglich fällt im Segment i = 1 der Umsatz bei der Einheitspreisstellung höher als beim gewinnoptimalen Preis der Preisdifferenzierung aus. Im Segment i = 2 hingegen ist der gewinnoptimale Preis bei Preisdifferenzierung (x 2PD * = 276) näher am Umsatzmaximum (umsatzmaximale Menge: x 2 = 300) als der Einheitspreis (x 2EP * = 258,36). Deshalb schöpft in diesem Segment die Preisdifferenzierung die Konsumentenrente stärker als die Einheitspreisstellung ab. Da die Umsatzsteigerung durch Preisdifferenzierung in Segment i = 2 größer als der Umsatzrückgang durch Preisdifferenzierung in Segment i = 1 ist, stellt sich insgesamt ein höherer Gesamtumsatz bei der Preisdifferenzierung gegenüber der Einheitspreisstellung ein. Allgemein gilt, dass sich durch Preisdifferenzierung kein niedrigerer Gewinn als in der Einheitspreisstellung ergeben kann: Die Lösung, für alle Marktsegmente den gleichen Preis anzusetzen (Einheitspreis), ist als Spezialfall im Ergebnisraum der partiellen Ableitungen enthalten. Bei linearen Preis-Absatz- Funktionen und linearen Kostenfunktionen gilt ferner die Eigentümlichkeit, das die gesamte Absatzmenge bei Einheitspreisstellung und bei Preisdifferenzierung unverändert bleibt: Preisdifferenzierung führt demnach nicht zu einer Absatzsteigerung oder -verminderung am Gesamtmarkt. Es wird lediglich die Gesamtabsatzmenge am Markt in beiden Segmenten anders aufgeteilt als bei der Einheitspreissetzung. <?page no="261"?> 262 5 Preissysteme Neukundenakquisition und Aufbau von Kundenbindung Preisnachlässe, die spezifischen Kundengruppen gewährt werden, lassen sich zur Neukundenakquisition und zum Aufbau einer Kundenbeziehung einsetzen (vgl. Siems 2009, S. 197): So sollen attraktive Preise im Anfangsstadium der Kundenbeziehung den - durchaus auch altersbezogen - jungen Nachfrager zu Transaktionen und Konsumaktivitäten mit den Anbieterprodukten bewegen. Kundenzufriedenheit vorausgesetzt, kann dies zu Markenbzw. Unternehmenstreue des Nachfragers führen. Ein loyaler Kunde (Stammkunde) erwirbt beim Anbieter mehr bzw. möglicherweise qualitativ anspruchsvollere, d.h. mit einem höheren Deckungsbeitrag versehene Produkte und verursacht geringe Marketingkosten als ein Neukunde. Daher ist die Gewinnträchtigkeit eines Stammkunden höher als diejenige eines Laufkunden (vgl. bspw. Homburg/ Bruhn 2000, S. 16f.). Das Preiszugeständnis, das speziell diesem Segment gewährt wird, ist somit nicht nur durch die möglicherweise zu Beginn der Kundenbeziehung höhere Preissensibilität dieser Nachfragergruppe bedingt, sondern auch als Investition in die Kundenbindung, die im Laufe der Geschäftsbeziehung wieder hereingeholt wird, zu sehen. Eine Variante der Neukundenakquisition durch personelle Preisdifferenzierung besteht darin, dass ein Anbieter den Mitgliedern oder Mitarbeitern von bestimmten Institutionen bzw. Organisationen Sonderkonditionen einräumt: So gewährten einige Anbieter von Urlaubsreisen, Mietwagen oder Versicherungen SPD-Parteimitgliedern bei Vorlage der sog. SPD-Card Sonderrabatte (vgl. Köhler 2001, S. 267). Motivation aus Anbietersicht ist die Erschließung eines solchen Marktsegments, das ansonsten zumeist Konkurrenzprodukte erwerben würde. Der gewährte Preisnachlass ist folglich analog zur altersbezogenen Preisdifferenzierung als Investition in die Kundengewinnung zu verstehen. Schließlich dient die personelle Preisdifferenzierung auch innerhalb einer Organisation als Instrument zur Mitgliederbindung: So erhalten Mitarbeiter von Unternehmen Vorzugskonditionen für den Erwerb der eigenen Produkte (z.B. Mitarbeiterrabatt bei Automobilherstellern). Motivation ist, für den Mitarbeiter einen zusätzlichen Anreiz zu schaffen, im Unternehmen zu verbleiben bzw. ein Commitment gegenüber dem Unternehmen aufzubauen. Ferner wird mit den günstigeren Preisen die Werbeleistung der Mitarbeiter zur Vermarktung der Produkte bspw. durch sichtbaren Produktkonsum oder positive Word-of- Mouth in ihrem sozialen Umfeld angeregt bzw. honoriert. Soziale Motive Neben den angeführten marketingstrategischen Überlegungen kann eine personelle Preisdifferenzierung auch durch soziale Motive begründet sein (vgl. Böcker/ Helm 2003, S. 327): So gewährt ein Anbieter von Kulturleistungen einkommensschwachen Segmenten (z.B. Jugendliche; Rentner) günstigere Eintrittspreise, um <?page no="262"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 263 auch diesen sozialen Gruppen einen Zugang zu Kultur zu ermöglichen. Bei einem höheren Preis würden diese Segmente weniger solche Kulturleistungen nachfragen, was gesellschaftlich nicht wünschenswert sein mag. 5.3.1.3 Anforderungen an eine personelle Preisdifferenzierung Die Durchführung der personellen Preisdifferenzierung erfordert zunächst, dass der Anbieter Nachfragersegmente im Gesamtmarkt zu identifizieren vermag, die unterschiedliche Preissensibilitäten (-elastizitäten) aufweisen. Zentrale individuelle Hintergrundvariablen hierfür sind das Produktbzw. Preisinvolvement und die finanzielle Situation (Einkommen) der Nachfrager. Häufig werden für die Abgrenzung von Nachfragersegmenten jedoch soziodemographische Merkmale (z.B. Alter) verwendet, mit deren Hilfe die Segmentzuordnung eines Nachfragers relativ eindeutig und leicht beobachtbar ist. Soziodemographische Segmente müssen sich aber in den Preisresponse-bestimmenden Faktoren nicht sonderlich stark unterscheiden. Selbst das Alter stellt nur einen eingeschränkt aussagekräftigen Indikator bspw. für die Einkommenssituation eines Nachfragers dar. Daher treten bei geringer preisbezogener Indikatorkraft von Segmentierungsvariablen Lucky Winners auf: Solche Nachfrager besitzen in „ihrem“ Marktsegment eine überdurchschnittlich hohe maximale Zahlungsbereitschaft für ein Produkt, erwerben es aber, weil das Marktsegment insgesamt relativ einkommensschwach und damit preissensibel ist, zu einem günstigeren Preis. Sie behalten dann mehr Konsumentenrente als bei der Einheitspreisstellung. Bei unzureichenden Kenntnissen über die segmentspezifische Preissensibilität besteht zudem die Gefahr, manchen Segmenten zu kräftige Preisermäßigungen zu gewähren: Es wird folglich die Gewinntreiberwirkung des Preises gegenüber der Absatzmenge unterschätzt: Bezeichnet x alt die Absatzmenge, die der Anbieter ohne Preisreduzierung zum Preis p in einem Segment absetzt und x neu die Absatzmenge, die er in diesem Segment durch eine Rabattgewährung im Umfang von d (0 < d < 1) erhält, dann ist die Rabattgewährung gewinnsteigernd, wenn die Relation (k v , variable Stückkosten) x neu (p (1-d) k v ) > x alt (p k v ) x neu x alt x alt > p k v p (1-d) k v - 1 erfüllt ist. Gilt p = 10 und k v = 7, muss bei einer Preisermäßigung von 10 % (d = 0,1), die dem betreffenden Marktsegment gewährt wird, die Absatzsteigerung in diesem Segment mindestens 50 % betragen, damit eine Gewinnerhöhung eintritt. Hat allerdings bislang noch niemand aus dem Marktsegment beim Anbieter gekauft, wirkt bereits ein einziger Nachfrager, der aufgrund der Preisvergünstigung in der personellen Preisdifferenzierung das Produkt erwirbt, gewinnsteigernd, sofern der Verkaufspreis über den variablen Kosten liegt (p (1 d) k v > 0). <?page no="263"?> 264 5 Preissysteme Aus Sicht der Preisfairness birgt jedes Preissystem, das auf ein stärkeres Abschöpfen der Konsumentenrente bzw. eine Gewinnsteigerung gegenüber einem Einheitspreis abstellt, die Gefahr, dass diejenigen Nachfrager, die höhere Preise zu entrichten haben, es als unfair empfinden. Allerdings scheint bei der personellen Preisdifferenzierung eine relativ große Akzeptanz dann zu bestehen, wenn segmentspezifische Preise auf Einkommensunterschieden basieren oder ein soziales Motiv erkennen lassen. Preisunzufriedenheit mag allerdings forciert werden, wenn Nachfrager auf Lucky Winner der Preisdifferenzierung aufmerksam werden. Hier hat der Einheitspreis zweifellos einen Gerechtigkeitsvorteil. Voraussetzung für die Durchführung personeller Preisdifferenzierung ist ferner, dass keine Arbitrage - in großem Umfang - auftritt: Eine solche Arbitrage liegt vor, wenn Nachfrager, die aufgrund ihrer tatsächlichen Segmentzugehörigkeit höhere Preise zu entrichten hätten, dennoch zu günstigeren Preisen die Leistungen erwerben, weil sie sich gegenüber dem Anbieter als einem anderen Segment zugehörig ausgeben: So nennt eine Person an der Theaterkasse nicht ihr wahres Alter, um die Karte zu einem niedrigeren Preis zu erhalten. Ebenso kann ein Nachfrager aus einem Segment, für das ein niedrigerer Preis gilt, dieses Produkt an einen Nachfrager weiterverkaufen, der beim Anbieter einen höheren Preis bezahlen müsste. Den Differenzbetrag zwischen den Verkaufspreisen für beide Segmente, d.h. den Arbitragegewinn, können sich beide dann teilen. Eine solche Nachfrageverlagerung in niedrigpreisige Segmente durch opportunistisches Verhalten der Nachfrager impliziert, dass der „schwindelnde“ Nachfrager mehr Konsumentenrente behält bzw. der Anbieter weniger Konsumentenrente abschöpft, als aufgrund des Preissystems vorgesehen ist. Tritt Arbitrage in großem Umfang auf, ergibt sich sogar ein niedrigerer Gewinn als bei Einheitspreisstellung. Um solche Arbitrageprozesse zu unterbinden, muss ein Preissystem mit segmentspezifischen Preisen von einem Monitoring- und möglicherweise einem Sanktionssystem flankiert sein, das Arbitrageure entdeckt und deren Verhalten unterbindet. Dadurch werden die Nachfragersegmente voneinander getrennt, d.h. ein opportunistisches Wechseln der Segmentzugehörigkeit durch Falschangaben verhindert. Instrumente sind bspw. Ausweiskontrollen, um das Alter der Nachfrager festzustellen, Mitglieds- oder Gewerbescheine, die vorgelegt werden müssen, oder das vertragliche Verbot auf Weiterveräußerung bzw. Übertragbarkeit (z.B. Eintrittskarten). Dennoch sollte der Anbieter die Phantasie und Energie der Nachfrager nicht unterschätzen, Mittel und Wege zu finden, die personelle Preisdifferenzierung durch Arbitrage zu unterlaufen. Aus ökonomischer Sicht verursacht die Etablierung eines segmentspezifischen Preissystems zusätzliche Kosten gegenüber der Einheitspreisstellung (vgl. Fassnacht 2003, S. 498ff.): Diese sind zum einen höhere Marktforschungskosten, um Segmente mit ihrer jeweiligen Preissensibilität zu identifizieren, Zusatzkosten für <?page no="264"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 265 das Erstellen differenzierter Preislisten oder generell höhere Marketingkosten, da eine Transaktion jetzt beratungsintensiver oder langwieriger ist. Hinzu kommen Kosten für Monitoring- und Sanktionssysteme, um Arbitrage zu unterbinden. Zudem stellt sich die Frage, ob im konkreten Fall ein solches Kontrollsystem überhaupt technisch realisierbar ist. Schließlich sind Umsatzeinbußen durch Nachfrager denkbar, die sich durch die personelle Preisdifferenzierung unfair behandelt fühlen und deshalb einen Anbieterwechsel vollziehen. Daher ist folglich zu prüfen, ob die (Roh-)Gewinnsteigerung durch segmentspezifische Preise (höhere Umsätze abzüglich gestiegener Produktionskosten) gegenüber der Einheitspreisstellung die höheren Kosten der Etablierung eines solchen nachfragerbezogen heterogenen Preissystems aufwiegt. Diese Frage lässt sich auch als Problem des optimalen Grads der personellen Preisdifferenzierung bzw. der optimalen Anzahl an segmentspezifischen Preisen (Preisbzw. Tarifklassen) formulieren (vgl. Abbildung 5.3-1). Abbildung 5.3-1: Optimaler Grad an personeller Preisdifferenzierung Mit steigender Anzahl an segmentspezifischen Preisen dürften sich die Rohgewinne und Kosten gegenüber der Einheitspreisstellung erhöhen. Während die Rohgewinne nur degressiv wachsen dürften, steigen die Kosten für das Durchsetzen und Aufrechterhalten der immer feineren Preisdifferenzierung mit Monitoring- und Sanktionssystemen dagegen progressiv an (vgl. Fassnacht 2003, S. 498ff.). Folglich existiert - zumindest theoretisch - ein optimaler Umfang der personellen Preisdifferenzierung. Möglicherweise sind aber bereits bei zwei segmentspezifischen Preisen die Zusatzkosten gegenüber der Einheitspreisstellung höher als der zusätzliche Gewinn. K G 5 1 2 3 4 Anzahl segmentspezifischer Preise zusätzlich Rohgewinn (G) zusätzliche Kosten (K) <?page no="265"?> 266 5 Preissysteme 5.3.2 Quantitative Preisdifferenzierung 5.3.2.1 Ausprägungen der quantitativen Preisdifferenzierung Merkmal der quantitativen Preisdifferenzierung ist, dass sich der (effektive) Preis bzw. Durchschnittspreis, zu dem ein Nachfrager eine Einheit der Produktleistung erhält, an Kriterien orientiert, die im Zusammenhang mit seiner Abnahmemenge bzw. dem betreffenden Umsatz stehen. Mehrere Ausprägungen lassen sich hierbei abgrenzen (vgl. Abbildung 5.3-2): Abbildung 5.3-2: Ausprägungen der quantitativen Preisdifferenzierung Mengenrabatte beinhalten Preisnachlässe, die beim Kauf bestimmter Mengen in einer Transaktion gewährt werden (vgl. Fassnacht 2003, S. 496; Tacke 1989, S. 31). Dies kann die Stückzahl der Verkaufseinheiten oder eine stellvertretende Größe (z.B. Gewicht oder Abgabemenge in Liter) sein. Mengenrabatte sind auch als Auftragsgrößenrabatte oder Partierabatte bekannt. Sie können im Handel ferner darin bestehen, dass der Nachfrager bei einer Mindestabnahmemenge einige Einheiten des betreffenden Produkts nicht in Rechnung gestellt bekommt, was als BOGOs („buy one get one free“) bezeichnet wird (vgl. Gedenk 2002, S. 22). Damit grenzt sich diese Variante eines nicht-monetären Mengenrabatts von der Zugabe ab, die andere Produkte als Dreingabe beim Erwerb einer bestimmten Mindestmenge von einem spezifischen Produkt beinhaltet. Bezieht sich die Rabattgewährung auf eine Transaktion, die mehrere, heterogene Produktbestellungen beinhaltet, ist der Umsatz (Rechnungsbetrag) die Bezugsgröße, auf die ein prozentualer Preisnachlass (Umsatzrabatt) gewährt wird. Im Business-to-Business-Bereich vereinbaren Lieferant und Abnehmer oftmals in Jahresgesprächen Zielumsatzrabatte, die der Abnehmer erhält, wenn er bestimmte, vereinbarte Umsatzziele beim Lieferanten erreicht. Einen Steigerungsrabatt gewährt der Lieferant, wenn sich im Vergleich zum Vorjahresumsatz der mit dem Abnehmer erzielte Umsatz in bestimmten Umfang erhöht hat. q ua ntitati ve P r ei sdifferenzierung Mengengrößen Umsatzgrößen Mengenrabatt Umsatzrabatt Blockpreis/ Blocktarife Boni Quantity Surcharges Kundenkarten-/ Kundenclubsysteme <?page no="266"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 267 Mengenbzw. Umsatzrabatte vermindern den Durchschnittspreis für eine Leistungseinheit. Der zu zahlende Rechnungsbetrag (Gesamtpreis) ist bezüglich der Abnahmemenge nicht-linear; daher rechnet die quantitative Preisdifferenzierung zur nicht-linearen Preisbildung (vgl. Tacke 1989, S. 25). Je höher Abnahmemenge bzw. Umsatz sind, desto höher fällt in der Regel der gewährte Rabattsatz aus. Dies wird in der sog. Rabattstaffel konkretisiert, die bestimmten Mengenbzw. Umsatzintervallen spezifische Rabattsätze zuordnet: So gewährt der Anbieter bspw. bei einer Abnahmemenge von mindestens 10 Einheiten einen Preisnachlass von 5 %, bei mindestens 20 Stück von 8 %, bei mehr als 50 Stück von 15 %, etc. Räumt der Anbieter auf alle Mengeneinheiten den gleichen Rabattsatz ein, liegt ein durchgerechneter Mengenrabatt (All Units Discount) vor; gilt ein spezifischer Rabattsatz nur für bestimmte, in der Rabattstaffel definierte Mengenbzw. Umsatzintervalle, ist ein angestoßener Mengenrabatt (Incremental Quantity Discount) gegeben (vgl. Dolan 1987, S. 2; Tacke 1989, S. 31). Bei einem durchgerechneten Mengenrabatt ergibt sich der Rechnungsbetrag (R) für die Kaufmenge x aus der Multiplikation der Kaufmenge mit dem Preis, der um den betreffenden Rabattsatz d i (0 < d i < 1) aus der Rabattstaffel reduziert ist. Bezeichnet x ri (x ri+1 ) die Untergrenze, ab dem der Rabattsatz d i (d i+1 ) gilt, resultiert für den Rechnungsbetrag der Abnahmemenge x: R = x p (1d i ) für x ri x < x ri+1 , mit: d i < d i+1 und x r0 = 0 . Der Durchschnittspreis einer Mengeneinheit beträgt R/ x = p (1 d i ); er ist umso niedriger, je höher der Rabattsatz d i ausfällt. Übersteigt die Abnahmemenge die Intervallgrenze x r1 nicht, erhält der Nachfrager keinen Rabatt (d 1 = 0). Bei einem angestoßenen Mengenrabatt ergibt sich der Rechnungsbetrag als Summe der Teilumsätze in den betreffenden Mengenbzw. Umsatzintervallen: Übersteigt die Kaufmenge x in der Rabattstaffel die Intervallgrenze x rn , nicht mehr aber x rn+1 , bestimmt sich der Rechnungsbetrag R für die Kaufmenge x = x rn + x´ als: R = i=1 n-1 (x ri x ri-1 ) p (1-d i ) + x´ p (1d n ), mit: d i < d i+1 , d 1 =0 und x r0 = 0 . Der Durchschnittspreis je Mengeneinheit (R/ x) nimmt analog zum durchgerechneten Mengenrabatt ab, je höher der erreichte Rabattsatz ist. Ein interessanter Unterschied besteht zwischen durchgerechnetem und angestoßenem Mengenrabatt hinsichtlich der Entwicklung des Rechnungsbetrags mit steigender Abnahmemenge: Bei einem durchgerechneten Mengenrabatt kann eine Kaufmenge, die knapp unter einer Intervallgrenze liegt, einen höheren Rechnungsbetrag verursachen als eine größere Kaufmenge, für die aber ein <?page no="267"?> 268 5 Preissysteme höherer Rabattsatz gilt. Es existiert damit ein ineffizienter Mengenbereich (vgl. Tacke 1989, S. 33), in dem es für den Nachfrager vorteilhaft ist, selbst wenn er nur die Menge x benötigt, eine größere Abnahmemenge zu erwerben, um in den Genuss eines günstigeren Rabattsatzes zu gelangen. Dies verdeutlicht Abbildung 5.3-3: Abbildung 5.3-3: Höhe des Rechnungsbetrags bei Mengenrabatten Der Funktionsverlauf des Rechnungsbetrags in Abhängigkeit von der Abnahmemenge weist beim durchgerechneten Mengenrabatt Sprungstellen auf, wenn die Abnahmemenge in ein neues (höheres) Rabattintervall fällt. Interessant ist folglich die kritische Abnahmemenge in einem Rabattintervall i, ab der es sich aus Nachfragersicht lohnt, eine größere Menge zu kaufen. Die höhere Abnahmemenge ist hierbei diejenige Menge, die gerade ausreicht, um in den Genuss des höheren Rabattsatzes (d i+1 ) zu kommen. Dies ist die Untergrenze der betreffenden Rabattstufe (x ri+1 ): x p (1d i ) x ri+1 p (1d i+1 ) x 1 d i+1 1 d i x ri+1 mit x < x ri Liegt die geplante Kaufmenge des Nachfragers im Rabattintervall i unter (über) der kritischen Menge [(1 d i+1 )/ (1 d i )] x ri+1 , ist es für den Nachfrager vorteildurchgerechneter Mengenrabtatt x r1 x r1 angestoßener Mengenrabtatt x r2 x r2 x r3 x r3 R R <?page no="268"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 269 haft, die geplante Kaufmenge x (die Menge x ri+1 ) zu erwerben. Innerhalb des ineffizienten Bereichs des durchgerechneten Mengenrabatts kann der Nachfrager folglich zu einem niedrigeren Gesamtpreis (Rechnungsbetrag) eine größere Menge erwerben. Ein solches aus Nachfragersicht vorteilhaftes Bestellverhalten ist bei einem durchgerechneten Mengenrabatt für den Anbieter gewinnmindernd, weil er bei gleichen variablen Stückkosten im höheren Rabattintervall einen geringeren Umsatz (niedrigeren Rechnungsbetrag) bei einer zugleich größeren Produktionsmenge erzielt. Dieses Problem vermeidet der angestoßene Mengenrabatt: Hier setzt der günstigere Rabattsatz auf der Summe der Teilumsätze in den niedrigeren Rabattklassen an, weshalb eine höhere Kaufmenge nicht zu einem niedrigeren Rechnungsbetrag führen kann (vgl. Abbildung 5.3-3). Umsatzrabatte sind relevant, wenn der Nachfrager verschiedene Produkte in einer Transaktion erwirbt und der Rabatt auf den gesamten Rechnungsbetrag gewährt wird („abzüglich 5 % vom Rechnungsbetrag“). Anders als beim Mengenrabatt kann der Preisnachlass bei einem Umsatzrabatt, der sich auf eine Transaktion mit mehreren Produkten bezieht, keinem einzelnen Produkt ursächlich (kausal) zugerechnet werden. Aus Sicht des (Mehrprodukt-)Anbieters handelt es sich beim Umsatzrabatt um Gemeinerlösschmälerungen (vgl. Schreckling 1998, S. 100). Ebenso lässt sich aus Sicht des Nachfragers kein (effektiver) Durchschnittspreis für eine Produkteinheit bestimmen, wenngleich er für die Gesamtheit der Produkte einen geringeren Rechnungsbetrag (Gesamtpreis) als ohne Umsatzrabatt entrichten muss. Blockpreise(-tarife) bzw. Preispunkte (vgl. Diller 2008, S. 244; Tacke 1989, S. 36f.) stellen eine Vereinfachung von Mengenrabatten dahingehend dar, dass bestimmte Mengeneinheiten (Gebindegrößen) von einem Produkt mit spezifischen Preisen angeboten werden, wobei mit steigender Gebindegröße der Preis je Mengeneinheit (Unit Price) sinkt: So kostet von einem Lebensmittelprodukt die 250 g Packung 1,79 € (Preis je 100 g: 0,716 €), die 500 g-Packung 3,49 € (Preis je 100 g: 0,698 €) und die 1000 g-Packung 4,99 € (Preis je 100 g: 0,499 €). Analoges gilt bei Dienstleistungen, wenn der Minutensatz für die Inanspruchnahme einer Dienstleistung mit längerer Dauer der Inanspruchnahme sinkt (z.B. 10 Minuten kosten 2 €, 30 Minuten 5 €), oder im öffentlichen Personennahverkehr ein 10er-Fahrschein einen niedrigeren Preis pro Fahrt als ein Einzelfahrschein aufweist. Im Unterschied zu Mengenrabatten ist kein expliziter Rabattsatz definiert, der einen Listenpreis reduziert, sondern es wird lediglich der Endpreis für eine spezifische Gebindegröße (Stückzahl; Zeitdauer) ausgewiesen. Gu/ Yang (2010, S. 1105-1107) stellten anhand eines formalen Nutzenmodells und eines empirischen Datensatzes fest, dass Nachfrager die Differenz im Unit Price zwischen den Gebindegrößen entweder mit einem positiven Transaktionsnutzen (Gain) assoziieren, wenn sie die größere Gebindegröße erwerben, <?page no="269"?> 270 5 Preissysteme oder mit dem Kauf einen negativen Transaktionsnutzen (Loss) verbinden, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - eine kleinere Gebindegröße erwerben. Es kommt hierbei auf den Konsumententyp an, ob ein Nachfrager die Gain- oder Loss-Sichtweise bei der Beurteilung eines Einkaufs einer spezifischen Gebindegröße verfolgt: So sieht der Loss-Käufertyp (Gain-Käufertyp) beim Kauf einer größeren (kleineren) Gebindegröße keinen positiven (negativen) Transaktionsnutzen, wohl einen negativen (positiven) Transaktionsnutzen, wenn er eine kleinere (größere) Gebindegröße erwirbt. Wenngleich im Sinne eines Mengenrabatts mit steigender Gebindegröße der Preis je Produkteinheit fällt, kennt die Einzelhandelspraxis auch den umgekehrten Zusammenhang. Bei sog. Quantity Surcharges ist der Unit Price bei kleineren Packungen niedriger als bei Großpackungen (vgl. bspw. Binkley/ Bejnarowicz 2003, S. 27). Studien zeigen, dass eine solche Konstellation auftritt, wenn kleinere Packungen eine deutlich größere Umschlaggeschwindigkeit bzw. einen höheren Umsatz aufweisen und einem härteren Preiswettbewerb als Großpackungen ausgesetzt sind. Handelsbetriebe, die sich ein positives Preisimage geben wollen, bieten diese „Rennerartikel“ sehr preisgünstig an und holen - im Sinne der Mischkalkulation - diese Investitionen in das Preisimage durch höhere Preise je Mengeneinheit bei größeren Packungseinheiten wieder herein (vgl. Scott et al. 2003, S. 34-46, Binkley/ Bejnarowicz (2003, S. 32f.) begründen die Existenz von Quantity Surcharges mit verschiedenen Nachfragersegmenten: Konsumenten mit ausgeprägtem Preisbewusstsein nehmen die höheren Unit Prices größerer Mengeneinheiten zur Kenntnis. Wenn sie genügend Zeit zum Einkaufen haben, präferieren sie deshalb die günstigeren kleineren Packungen, die zudem nicht so dem Risiko des Verderbens im Haushalt ausgesetzt sind. Nachfrager mit der Zielsetzung eines effizienten Einkaufs, die wenig Zeit zum Einkaufen haben, verwenden hingegen einfache Entscheidungsregeln, wie bspw. die Discount-Heuristik: Sie gehen deshalb davon aus, dass - gemäß der normalen Ausprägung der quantitativen Preisdifferenzierung - der Unit Price mit steigender Packungsgröße sinkt, ohne dies jedoch zu überprüfen. Zugleich präferieren sie aufgrund des Strebens nach Minimierung der Einkaufsmühe größere Packungseinheiten, um nicht so schnell wieder das Produkt einkaufen zu müssen. Überwiegen in einem Handelsgeschäft die Nachfrager mit der Discount- Heuristik, können sich quantity surcharges anstelle von Mengenrabatten als Preissystem zumindest kurzfristig durchsetzen. Einen „negativen“ Mengenrabatt stellen Mindermengenzuschläge dar (vgl. Possmeier 2000, S. 103): Hierbei setzt der Anbieter dem Nachfrager bei Unterschreiten bestimmter Auftragsbzw. Standardgrößen (Gebinde; Chargen) mengen- oder umsatzproportionale Mindermengenzuschläge in Rechnung. Begründung hierfür ist, dass dem Anbieter bei der Abwicklung solcher Kleinaufträge höhere Stückkosten als für einen Standardauftrag entstehen. Aus Sicht der Preispräsentation haben Mindermengenzuschläge den Vorteil, dass ein im Grunde <?page no="270"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 271 bereits rabattierter Preis als Grundpreis deklariert wird und dadurch das gesamte Preissystem ein günstigeres Preisimage erhält. Mengen- und Umsatzrabatte fokussieren auf eine einzelne Transaktion; demgegenüber stellen Boni (Jahresrabatte) nachträglich gewährte monetäre Leistungen (Gutschriften) dar, die dem Abnehmer auf Basis der innerhalb eines Zeitraums erworbenen Mengen bzw. Umsätze gewährt, d.h. ausbezahlt oder mit dem Kaufbetrag der nächsten Transaktion verrechnet werden (vgl. Diller 2008, S. 251; Krämer et al. 2003, S. 554). Bei Boni muss der Nachfrager folglich länger als bei Mengenrabatten warten, bis er den monetären Preisnachlass erhält, was für ihn einen Zinsverlust gegenüber Mengenrabatten impliziert. Analog zu Mengenrabatten sind Boni in der Regel höher, je größer der Jahresumsatz ausfällt, weshalb eine Subsumierung unter die quantitative Preisdifferenzierung zutreffend erscheint. Da in der Regel der Jahresumsatz eines Kunden bei einem Anbieter aus unterschiedlichen Produkten besteht, kann wiederum kein (effektiver) Preis bestimmt werden, zu dem der Nachfrager unter Berücksichtigung von Boni eine Artikeleinheit erwirbt. Bei Boni steht eine längerfristige (z.B. jährliche), kumulierte Betrachtung der Transaktionsbeziehungen zwischen Anbieter und Nachfrager im Vordergrund. Dies erlaubt eine genauere Beurteilung der Attraktivität des Kunden, als dies auf Basis einer einzelnen Transaktion möglich ist. Boni werden deshalb auch parallel zu transaktionsbezogenen Mengenbzw. Umsatzrabatten gewährt. Sie haben dann den Charakter eines Treuerabatts, mit dem ein Anbieter eine Kundenbeziehung, die über das Geschäftsjahr hinweg erfreulich verlaufen ist, belohnt. Überspitzt formuliert, stellen Boni aus Sicht der Wettbewerbsorientierung eines Anbieters ein Entgelt für den Verzicht des Abnehmers auf Kauf von Konkurrenzprodukten dar. Sehr ähnlich zu Boni sind Count-Recount-Rabatte (vgl. Gedenk 2002, S. 17): Hier wird der Bestand an Herstellerware beim Handel zu Beginn (Count) und zum Ende (Recount) des Abrechnungszeitraums oder einer Promotion-Aktion erfasst; da ferner bekannt ist, wie viel während des Zeitraums geliefert wurde, lässt sich exakt die vom Handel verkaufte Menge bestimmen, worauf dann der Preisnachlass gewährt wird. Bezugsgröße ist folglich nicht die gelieferte sondern die an den Endnachverbraucher abverkaufte Menge. Da im Handel die Verkaufsmengen in der Regel über Scannerkassen elektronisch erfasst werden, lassen sich inzwischen die tatsächlichen Abverkaufsmengen eines Herstellerprodukts direkt am Point-of-Sale bestimmen; Mengenrabatte auf dieser Datengrundlage werden als Scan-Downs oder Scan-Backs bezeichnet (vgl. Shimp 2000, S. 542f.). Das Konzept der Gewährung von Rabatten ist zentrales Element in vielen Kundenbindungsprogrammen (vgl. Lauer 2002, S. 98), die zumeist als Kundenkarten- oder Kundenclubsysteme organisiert sind (vgl. allgemein hierzu <?page no="271"?> 272 5 Preissysteme bspw. Butscher 1998 oder Müller 2006) und im Endverbraucherbereich die moderne Variante des früheren Rabattmarkenklebens darstellen. Solche Systeme kann ein Anbieter als Insellösung, d.h. nur bezogen auf sein eigenes Leistungsangebot, oder mit anderen Unternehmen zusammen als Rabattkooperation betreiben: Charakteristikum ist, dass ein Nachfrager Bonuspunkte entsprechend seiner Umsätze bei den Anbietern sammelt, die er dann - bei Erreichen eines bestimmten Punktestands auf seinem Punktekonto - in Vergünstigungen umwandelt. Im einfachsten Fall erhält er analog zu Boni eine monetäre Vergütung. Häufig bestehen in Kundenbindungsprogrammen die gewährten Vergünstigungen nicht mehr nur aus monetären Leistungen, sondern können auch Sachleistungen, das Recht zum verbilligten Bezug anderer Waren und Dienstleistungen, oder den Genuss bestimmter Privilegien bzw. ein Upgrading von Leistungen beinhalten. Ein solches Upgrading besteht bspw. im Luftfahrtbereich darin, dass ein Frequent Flyer bei einem Flug einen Platz in der Business Class erhält, obwohl er nur Economy Class bezahlt hat (vgl. Maluga 1996, S. 185). Insbesondere bei Gewährung von Sach- oder Dienstleistungsprämien weist ein solches Kundenkartensystem nicht mehr den unmittelbaren Charakter eines Preisnachlasses für das Erreichen von Mengen- oder Umsatzzielen auf, wie dies bspw. für einen Mengenrabatt gilt. Es liegt vielmehr ein Preissystem mit Combined Currency-Preisen (z.B. Kaufpreis von 390 € und Gutschrift von 16.000 Meilen) vor (vgl. Liu/ Soman 2008, S. 663) vor. Bewertet man jedoch die erhaltenen Prämien monetär, kann ein Betrag quantifiziert werden, den der Nachfrager als Rückerstattung für seine Transaktionen bei den betreffenden Anbietern erhält. Dieser (fiktive) Betrag lässt sich dann als rechnerische Preisreduzierung interpretieren, die umso höher ausfällt, je mehr Umsätze der Nachfrager bei den betreffenden Anbietern getätigt hat. Daher entsprechen Kundenkartenbzw. -bindungssysteme zumindest noch im Kern der quantitativen Preisdifferenzierung. Nunes/ Park (2003, S. 28) postulieren, dass Nachfrager Schwierigkeiten haben, den Wert des gewährten Bonus in Relation zum Kaufpreis oder der Nutzenstiftung des Produkts einzuschätzen, weshalb es sich um miteinander unvereinbare Währungen handelt. Dies fördert, dass Kaufpreis und Bonus in verschiedenen Mental Accounts verbucht und bewertet werden. Gemäß der Prospect-Theorie bewerten Personen die Kombination aus einem Loss (Kaufpreis) und einem kleinen Gain (Bonus) besser als die Konstellation, in der sie einen dem Bonus äquivalenten monetären Preisnachlass erhalten, da sie diesen Preisnachlass dann direkt mit dem Kaufpreis (Listenpreis) verrechnen. Ferner vermuten Nunes/ Park (2003, S. 34), dass ein nicht-monetärer Bonus weniger dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens als ein monetärer Bonus unterliegt. Drèze/ Nunes (2004) untersuchen Fälle, in denen Nachfrager ein Produkt ausschließlich mit Geld oder mit dem angesammelten Bonus oder aus einer Kombination von Geld und angesammelten Bonus bezahlen können. Da sich in den betreffenden Experimenten der Bonus monetär bewerten ließ, konnte in <?page no="272"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 273 allen Zahlungsmodalitäten ein gleich hoher Kaufpreis des Produkts sichergestellt werden. Hierbei stellen sie fest, dass Probanden bei einem niedrigen Kaufpreis des Produkts eine Kombination aus Geld und angesammeltem Bonus bevorzugen, bei hohem Kaufpreis hingegen „in nur einer Währung“ (Geld oder Bonus) bezahlen wollen (vgl. Drèze/ Nunes 2004, S. 66). Als eine Begründung führen die Autoren an, dass der angesammelte Bonus einer S-förmigen Bewertungsfunktion unterliegt („Missnutzen“ der Verringerung des Bonuskontos, da mit dem angesammelten Bonus bezahlt wird). Für die Bewertung des Bezahlens mit Geld gilt hingegen eine degressive Bewertung. Boni werden offensichtlich anders bewertet als „richtiges Geld“ (vgl. Diller 2008, S. 251). 5.3.2.2 Gewinnsteigerung durch quantitative Preisdifferenzierung und optimale Rabattstaffeln Als Begründung für eine Gewinnsteigerung durch quantitative Preisdifferenzierung lässt sich Bedingung 5.3-1 der personellen Preisdifferenzierung analog anwenden, wenn man Nachfragersegmente gemäß ihrer jeweiligen Kaufmenge definiert. Nachfrager, die große Mengen bei einem Anbieter erwerben wollen (Intensivkäufer; Heavy Buyers), fordern vom Anbieter aufgrund ihrer stärkeren Nachfragermacht niedrigere Preise bzw. Preisnachlässe gegenüber dem Listenpreis, verglichen mit Kleinmengenkäufern (Light Buyers). Intensivkäufer besitzen deshalb eine höhere Preissensibilität und verursachen möglicherweise dem Anbieter zugleich auch geringere (Grenz-)Kosten bspw. durch höhere Losgrößen in der Produktion. Eine andere Begründung für geringere Reservationspreise je Einheit bei höheren Nachfragemengen bietet das erste Gossensche Gesetz (vgl. Tacke 1989, S. 2): Zunehmende Kauf- und damit Konsummengen sind mit einem abnehmenden Grenznutzen je Einheit und damit einer sinkenden maximalen Zahlungsbereitschaft für eine zusätzliche Mengeneinheit verbunden. Segmentspezifische Rabattgewährungen, die den Preis einer Mengeneinheit an der jeweiligen Nachfragemenge ausrichten, passen sich folglich besser an die jeweilige Nachfrage- und Kostensituation eines Marktsegments als ein Einheitspreis, der für jeden Nachfrager unabhängig von seiner Nachfragemenge gilt, an. Zudem stellen Rabatte einen Anreiz für Nachfrager dar, ihre Kaufmengen auf diesen Anbieter zu konzentrieren, um einen höheren Rabatt zu erhalten. Eine solche sog. Sogwirkung ist gewinnsteigernd, wenn diese Nachfragemengen ansonsten nicht aufgetreten wären und der effektive Preis (Listenpreis abzüglich des Rabatts) über den variablen Stückkosten liegt bzw. der Preisnachlass durch die entsprechende Mengensteigerung überkompensiert wird. Aus Kostensicht des Anbieters sind Mengenrabatte ferner als Anreiz zu sehen, dass die Nachfrager anstelle vieler kleiner Bestellungen mehr Mengeneinheiten in einer Transaktion erwerben, was die vom Anbieter abzuwickelnde Anzahl an Bestellvor- <?page no="273"?> 274 5 Preissysteme gängen vermindert und diesbezügliche Fixkosten einspart (vgl. Büschken 1997, S. 21). Diese Kosteneinsparungen verschaffen Luft für Preisnachlässe. Allgemein ist ein Rabattsystem durch einen relativ hohen Listenpreis und kräftige Rabatte gekennzeichnet. Dies erlaubt, bei den Kleinmengenkäufern deren vergleichsweise hohe maximale Zahlungsbereitschaft für die ersten Mengeneinheiten abzuschöpfen und den Intensivkäufern mit deutlichen Preisnachlässen aufgrund ihrer höheren Preissensibilität bei den großen Kaufmengen entgegenzukommen (vgl. Tacke 1989, S. 147ff.). Trotz der konzeptionellen Ähnlichkeit bestehen bei der konkreten Bestimmung der gewinnoptimalen Preise aber wesentliche Unterschiede zwischen personeller und quantitativer Preisdifferenzierung: Bei der personellen Preisdifferenzierung offeriert der Anbieter einen einzigen Preis in einem Marktsegment. Dieses einzige Preisangebot hat er unter dem Gewinnmaximierungskalkül aus den alternativen Preis-Mengen-Kombinationen, die am Markt - repräsentiert durch die Preis-Absatz-Funktion - gelten, ausgewählt. Bei der quantitativen Preisdifferenzierung bietet er hingegen für alternative Abnahmemengen unterschiedliche Preise an. Es existieren daher verschiedene Preis-Mengen-Angebote am Markt, wobei sich der Nachfrager entscheidet, welches er wählt (Selbstselektion). Daher hat der Anbieter diese Entscheidungsfindung der Nachfrager zu antizipieren, und darauf aufbauend seine optimalen Preise, d.h. Rabattintervalle und Rabatthöhen (Rabattstaffel) zu kalkulieren. Hierbei ist unter dem Postulat des Homo oeconomicus davon auszugehen, dass der Nachfrager bei seiner Entscheidung, welches Rabattangebot er wählt, seine Konsumentenrente maximiert. Zwei Beispiele zum angestoßenen Mengenrabatt und zum durchgerechneten Mengenrabatt zeigen das Lösungsprinzip der Bestimmung gewinnoptimaler Rabattstaffeln. In beiden Fällen ist eine wesentliche ökonomische Komponente der Rabattpolitik, das Erzielen von Kosteneinsparungen auf Anbieterseite durch größere Bestellmengen der Nachfrager ausgeblendet. Die Gewinnsteigerung der Rabattpolitik basiert damit allein auf Nachfrageeffekten. Fallbeispiel: Gewinnsteigerung durch angestoßenen Mengenrabatt Die nachfolgende Tabelle zeigt die Preisbereitschaft der Nachfrager i = {1; 2; 3} für alternative Mengen. So ist der Nachfrager i = 2 bereit, für die dritte Mengeneinheit maximal einen Preis von p = 5 zu bezahlen, für die vierte Mengeneinheit nur noch maximal p = 4. Die variablen Stückkosten liegen bei k v = 2. Es ist die gewinnoptimale Rabattstaffel für einen angestoßenen Mengenrabatt sowie die Gewinnsteigerung gegenüber der Einheitspreisstellung zu bestimmen. <?page no="274"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 275 Analog zu den Beispielen der Preisbündelung basiert die Lösung auf einer einfachen vollständigen Enumeration. Zur Bestimmung des optimalen Einheitspreises (EP) werden für jeden alternativen Preis, der in der obigen Tabelle mit einem Wert der maximalen Preisbereitschaft eines Nachfragers korrespondiert, die abgesetzten Mengeneinheiten und der betreffende Gewinn bestimmt. Der optimale Preis liegt dann bei p EP = 6 mit x EP = 8, U EP = 48 und G EP = 32. Zur Ermittlung der gewinnmaximalen Rabattstaffel für den angestoßenen Mengenrabatt ist für jede alternative Mengeneinheit (j) der optimale Preis (p jPD *) zu ermitteln. So gilt für j = 2, dass bei einem Preis von p 2PD * = 6 der Gewinn in dieser Mengenkategorie am größten ist (G 2PD = 12). Mit Hilfe dieser Überlegung erhält man die jeweils optimalen Preise (vgl. obige Tabelle). Damit steht zugleich die optimale Rabattstaffel fest. Ausgehend vom Listenpreis p 1PD * = 9, erhält ein Nachfrager, der zwei Mengeneinheiten erwirbt, auf diese zweite Mengeneinheit einen Rabatt von d 2 = 0,3333 [(1 d 2 ) 9 = 6]. Für die dritte Mengeneinheit gilt ein Rabatt von d 3 = 0,4444 und für die vierte Mengeneinheit ein Rabatt von d 4 = 0,5555. Bezogen auf die fünfte Mengeneinheit ergibt sich ebenfalls ein Preis von p 5PD * = 4 als optimal. Deshalb lautet die Rabattstaffel, dass ab der vierten Mengeneinheit ein Rabatt von 55,55 % gilt. Dieses Rabattsystem bringt einen Absatz von x PD = 12 Mengeneinheiten, einen Umsatz von U PD = 72 und einen Gesamtgewinn von G PD = 48. Der angestoßene Mengenrabatt führt zu Absatz-, Umsatz- und Gewinnsteigerungen gegenüber der Einheitspreisstellung. In der Einheitspreisstellung (p EP = 6) behalten die drei Nachfrager für die erste Mengeneinheit insgesamt 13 Geldeinheiten (GE) an Konsumentenrente: Bei einem Listenpreis von p 1PD = 9 sind dies nur 3 GE an Konsumentenrente. Zudem erwirbt der Nachfrager i = 1 (i = 2; i = 3) durch die Rabattgewährung eine (zwei; eine) Mengeneinheit(en) zusätzlich (Sogwirkung). Da die Verkaufspreise trotz Menge Maximale Zahlungsbereitschaft Preisstruktur J i = 1 i = 2 i = 3 p jPD * G jPD d j 1 9 10 12 9 21 0 2 6 7 10 6 12 0,3333 3 5 5 8 5 9 0,4444 4 3 4 6 4 4 0,5555 5 1 2 4 4 2 0,5555 <?page no="275"?> 276 5 Preissysteme Rabattgewährung über den variablen Stückkosten liegen, ist dieser Mengeneffekt gewinnsteigernd. Die obige Rabattstaffel lässt ebenso als Bonussystem interpretieren, wenn die Nachfrager zunächst den Listenpreis von p = 9 zu bezahlen haben, ihnen aber in Aussicht gestellt wird, dass sie am Ende des Abrechnungszeitraums folgende Boni erhalten: Bei Abnahme von zwei (drei; vier; fünf) Mengeneinheiten erhalten sie einen Bonus von 3 (7; 12; 17) GE. Fallbeispiel: Gewinnsteigerung bei durchgerechnetem Mengenrabatt Die nachfolgende Tabelle zeigt die Preisbereitschaft eines Nachfragers für alternative Mengeneinheiten. Die variablen Stückkosten betragen k v = 2. Um wie viel lässt sich der Gewinn steigern, wenn anstelle einer (gewinnmaximierenden) Einheitspreisstellung ein durchgerechneter Mengenrabatt angeboten wird? In der Einheitspreisstellung ergibt sich ein optimaler Preis von p EP = 8 mit x EP = 2, U EP = 16 und G EP = 12. Bei einem durchgerechneten Mengenrabatt dient die maximale (kumulierte) Zahlungsbereitschaft eines Nachfragers für alternative Mengen als „Orientierungsgröße“ für die Preisbestimmung. Hieraus lässt sich der maximale Durchschnittspreis bestimmen, den der Nachfrager für eine Mengeneinheit zu zahlen bereit ist. Dieser Preis wird durch den spezifischen Rabattsatz auf den Listenpreis erreicht. Da der Listenpreis gilt, wenn kein Mengenrabatt gewährt wird, setzt die Bestimmung des Listenpreises bei der „geringstmöglichen“ Mengeneinheit an. Für die erste Mengeneinheit (j = 1) ergibt sich somit ein gewinnmaximaler Listenpreis von p 1PD = 12. Für zwei Mengeneinheiten ist der Nachfrager bereit, maximal 20 GE zu bezahlen, was mit Durchschnittspreisen je Mengeneinheit von p 2PD = 10 korrespondiert und einen Rabatt von d 2 = 16,67 % bezogen auf den Listenpreis impliziert. Zu prüfen ist aber noch, wie viele Mengeneinheiten der Nachfrager bei einem Rabattangebot „Listenpreis von 12 und 16,67 % Rabatt ab der zweiten Mengeneinheit“ mitnimmt. So könnte er mehr als zwei Mengeneinheiten zum Preis von p 2PD = 10 erwerben. Dies ist aber für ihn nicht vorteilhaft, da er bspw. bei drei Mengeneinheiten eine negative Konsumentenrente erzielt. Seine maximale Zahlungsbereitschaft für diese Menge liegt bei 25 GE, er müsste aber einen Rechnungsbetrag von 30 GE entrichten. Daher Menge j 1 2 3 4 5 maximale Zahlungsbereitschaft 12 8 5 3 1,5 <?page no="276"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 277 erwirbt er lediglich zwei Mengeneinheiten (x 2PD = 2), wobei seine Konsumentenrente vollständig abgeschöpft wird. Der Anbieter erzielt einen Gewinn von G 2PD = 16. Für drei Mengeneinheiten ist der Nachfrager bereit, maximal 25 GE zu bezahlen. Hieraus resultiert ein Durchschnittspreis je Mengeneinheit von p 3PD = 8,33 bzw. ein Rabatt von d 3 = 30,58 % bezogen auf den Listenpreis, eine Absatzmenge von x 3PD = 3 bzw. ein Gewinn von G 3PD = 19. Für die vierte Mengeneinheit ergibt sich: p 4PD = 7, d 4 = 41,67 %, x 4PD = 4 und G 4PD = 20. Für die fünfte Mengeneinheit resultiert: p 5PD = 5,9, d 5 = 50,83, x 5PD = 5 und G 5PD = 19,5. Damit steht die optimale Rabattstaffel mit einem durchgerechneten Mengenrabatt fest: Auf den Listenpreis von p 1PD = 12 wird ab der vierten Mengeneinheit ein Rabatt von 41,67 % gewährt. Bei dieser Ausgestaltung der Rabattstaffel ist der Gewinn des Anbieters am größten. Da im obigen Beispiel nur ein Nachfrager unterstellt ist, wird von der ersten bis zur vierten Mengeneinheit dessen Konsumentenrente vollständig abgeschöpft. Der betrachtete Nachfrager ist deshalb strenggenommen indifferent zwischen dem Kauf des Produkts von einer, zwei, drei oder vier Mengeneinheiten sowie dem Nichtkauf. Um ihn zu einem Kauf von vier Mengeneinheiten, bei denen der Gewinn des Anbieters am größten ist, zu bewegen, sollte man den Rabatt marginal erhöhen, um dem Nachfrager eine geringe Konsumentenrente zu gewähren. Dies erfüllt ein Durchschnittspreis von p 4PD = 6,99 bzw. ein Rabatt von d 4 = 41,75 % auf den Listenpreis: Dann erzielen der Anbieter einen Gewinn von G 4PD = 19,96 und der Nachfrager eine Konsumentenrente von 0,04 GE, was aber ausreicht, damit er sich zum Kauf der vier Mengeneinheiten entschließt. Im Vergleich zur Einheitspreisstellung erzielt der Anbieter mit dem durchgerechneten Mengenrabatt eine höhere Absatzmenge zu einem höheren Verkaufspreis, was zu einer Gewinnsteigerung um 8 (7,96) GE führt. Grund hierfür ist, dass es analog zur Preisbündelung gelingt, die hohe maximale Zahlungsbereitschaft für die erste Mengeneinheit auf die weiteren Mengeneinheiten zu übertragen. So erwirbt im obigen Beispiel der Nachfrager zu einem Durchschnittspreis von p = 7 bzw. einem Rabatt von 41,67 % auf den Listenpreis von p 1PD = 12 die dritte und vierte Mengeneinheit, obwohl seine maximale Zahlungsbereitschaft für diese Mengeneinheiten niedriger als der Preis ist. Dieses Verhalten ist rational, weil der Nachfrager für die erste (zweite) Mengeneinheit eine Konsumentenrente von 5 (1) GE erzielt. Diese kann er jedoch nur realisieren, wenn er vier Mengeneinheiten erwirbt. Die negative Konsumentenrente bei der dritten und vierten Mengeneinheit ist folglich als Investition des Nachfragers in die Realisierung einer hohen Konsumentenrente bei der ersten und zweiten Mengeneinheit zu sehen. <?page no="277"?> 278 5 Preissysteme Allgemein gilt, dass ein Mengenrabatt gegenüber einer Einheitspreisstellung besonders effektiv in einem Markt ist, auf dem die Kleinmengenkäufer wenig, die Intensivkäufer sehr preissensitiv sind (vgl. Tacke 1989, S. 147). 5.3.2.3 Kundenbindung durch quantitative Preisdifferenzierung Neben der kurzfristigen (statischen) Gewinnwirkung geht insbesondere von Bonussystemen auch eine längerfristige Kundenbindung aus: Wenn der Nachfrager erst am Ende des Abrechnungszeitraums bzw. erst nach einigen Transaktionen einen Bonus oder eine sachbezogene Vergünstigung erhält, sind die bis dahin aufgetretenen Käufe zu Normalpreisen als spezifische Investitionen des Nachfragers zu interpretieren. Würde der Nachfrager die Geschäftsbeziehung vorzeitig aufgeben, müsste er auf den Bonus verzichten. Dieser Verzicht kann auch im Sinne von Wechselkosten gesehen werden, die der Nachfrager bei einem Anbieterwechsel zu tragen hat. Will ein Konkurrent einen Nachfrager, der in einem Bonusprogramm eines Anbieters bereits viele Bonuspunkte gesammelt hat, abwerben, muss er ihm diese Wechselkosten durch besonders attraktive Konditionen entgelten. Eine solche Kundenabwerbung erfordert folglich hohe Investitionen des Konkurrenten (vgl. Simon et al. 2000, S. 323), weshalb solche Abwerbeaktionen womöglich völlig unterbleiben und ein Bonussystem den Charakter einer Markteintrittsbarriere besitzt. Systeme der quantitativen Preisdifferenzierung, die auf eine kumulative Betrachtung von Transaktionen für die Gewährung von Preisnachlässen abstellen, besitzen folglich eine Kundenbindungswirkung zumindest bis zum Ende des Abrechnungszeitraums. Insbesondere in Kundenkartensystemen liegt durch die Vielfalt, Bonuspunkte in alternative Sachleistungen umzuwandeln, für den Nachfrager kein „fest determinierter“ Ausstiegszeitpunkt fest. Dies erhöht die Bindungswirkung. Ferner bieten Kundenkartensysteme durch immaterielle Statusleistungen emotionale Ansätze zur Kundenbindung (vgl. Lauer 2002, S. 99). Aufgrund der spezifischen Investition bei einem Bonussystem gerät der Nachfrager allerdings auch in eine Hold upbzw. Lock in-Situation als Kehrseite der Kundenbindung: So könnte der Anbieter bspw. durch Verschlechterung des Services einen vorzeitigen Abbruch der Geschäftsbeziehung provozieren. Dies würde die Auszahlung eines Bonus verhindern, wenn der Nachfrager unter der hierfür kritischen Menge bleibt und viele Mengeneinheiten zum vergleichsweise hohen Listenpreis erworben hat. Daher muss der Nachfrager die Serviceverschlechterung tolerieren. Einer langfristigen Kundenbindung läuft ein solches opportunistisches Verhalten des Anbieters jedoch zuwider. <?page no="278"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 279 5.3.2.4 Anforderungen an die quantitative Preisdifferenzierung Verglichen mit der personellen Preisdifferenzierung besteht bei Mengenbzw. Umsatzrabatten und vor allem bei Bonussystemen eine deutlich geringere Gefahr, dass Nachfrager das Preissystem unterlaufen. Allerdings können sich Kleinmengenkäufer zu einer Einkaufsgemeinschaft bzw. Einkaufskooperation zusammenschließen und gemeinsam eine weitaus höhere Nachfragemenge ordern, um in den Genuss eines Rabatts zu kommen. So beteiligen sich bspw. viele kleine Einzelhändler oder Handwerker an solchen branchenspezifischen Einkaufsgemeinschaften, die häufig eine eigene Rechtsform (z.B. Genossenschaft) besitzen oder durch einen bestehenden Wirtschafts- oder Branchenverband getragen werden. Die Gewinnwirkung der Bildung solcher Einkaufsgemeinschaften bezogen auf den Anbieter ist differenziert zu sehen: Allgemein bewirkt jede Bündelung von vielen kleinen Nachfragemengen eine größere Marktmacht gegenüber dem Anbieter, die sich in der Gewährung von Preisvorteilen und sonstigen günstigeren Bezugskonditionen niederschlägt. Damit impliziert eine Rabattgewährung für eine Sammelbestellung zunächst eine Preisreduzierung gegenüber dem Normalpreis, den Kleinmengenkäufer ansonsten zu zahlen hätten. Allerdings mag eine aggregierte Abnahmemenge geringere Transaktions- oder Logistikkosten gegenüber vielen kleinen Bestellungen verursachen: Daher sind bspw. Heizölfirmen bereit, Nachbarschaftsbestellungen mit einem Rabatt zu honorieren, weil ein Tankfahrzeug auf einer Fuhre mehrere Kunden in unmittelbarer Nähe beliefert. Ein Teil der Rabattgewährung wird damit durch niedrigere Kosten wieder hereingeholt. Steht der Anbieter allerdings vor der Entscheidung, entweder die Einkaufsgemeinschaft mit einem spezifischen Preis zu beliefern, oder gänzlich auf diese Nachfrage zu verzichten, dann lohnen sich Transaktionen mit der Einkaufsgemeinschaft, solange sich ein Durchschnittspreis für die Produkte erzielen lässt, der über den variablen Stückkosten liegt. Die tatsächliche Gewinnwirkung einer Aggregation von Kleinmengenkäufern zu Einkaufsgemeinschaften lässt sich damit nicht pauschal beantworten. Allgemein impliziert eine quantitative Preisdifferenzierung Preissenkungen, die am Markt den Intensivkäufern gewährt werden: Denkbar ist aber, dass ein solches Rabattsystem die Preissensibilität der Nachfrager am gesamten Markt, d.h. auch diejenige der Kleinmengenkäufer erhöht (vgl. Krämer et al. 2003, S. 556ff.). Ferner mögen Gewöhnungseffekte mit der Rabattstaffel auftreten, die den Nachfrager dann höhere Rabatte fordern lässt: Der Listenpreis abzüglich der Rabatte wird dann als Normalpreis bzw. externer Referenzpreis empfunden. Rabattsysteme veranlassen aber auch möglicherweise Konkurrenten dazu, selbst weitergehende Preiszugeständnisse zu machen, um bspw. gebundene Kunden mit ihren Wechselkosten zu gewinnen. Dadurch droht in der Branche ein Preiskampf (vgl. Krämer et al. 2003, S. 556). Bonusprogramme wirken dem- <?page no="279"?> 280 5 Preissysteme gegenüber aufgrund ihrer nicht unmittelbar monetären Leistungen preislich intransparenter (vgl. Rao et al. 2000, S. 108), insbesondere wenn Bonuspunkte als eigene „Währung“ zwischen Nachfragemenge und Vergünstigung geschaltet sind. Dadurch gelten sie gegenüber reinen Rabattsystemen als „sanftes Signalling“ (Krämer et al. 2003, S. 556). Analog zur personellen Preisdifferenzierung verursacht die Etablierung eines Preissystems mit quantitativer Preisdifferenzierung Kosten. Dies gilt vor allem für den Aufbau und die Verwaltung von Kundenbindungsprogrammen, die eine große Anzahl von Nachfragern mit vielen Transaktionen zu bewältigen haben. Daher stellt sich die Frage, ob der Erfolg eines solchen Preissystems die Kosten hierfür rechtfertigt. Immerhin könnte ein Verzicht auf ein solches System Verwaltungskosten und die gewährten Rabatte einsparen, die dann in niedrigeren Preisen an alle Nachfrager weitergegeben werden. Vor allem komplexe Bonusprogramme wie Kundenkartensysteme, die auf die Kundenbindung fokussieren, erweisen sich daher als sehr schwer im Erfolg zu quantifizieren (vgl. Krämer et al. 2003, S. 569). Grundsätzlich besteht bei der quantitativen Preisdifferenzierung aus Praxissicht die Gefahr, die Gewinntreiberwirkung der Preisreduzierung gegenüber der Mengenwirkung eines Rabatts zu unterschätzen: Dies führt zu stark gespreizten Rabattstaffeln, d.h. vergleichsweise hohen Rabatten für große Mengen bzw. Umsätze: Trotz größerer Absatzmengen muss dies aber nicht zu einer Umsatzbzw. Gewinnsteigerung führen. Bei Umsatzrabatten ist zudem zu beachten, dass durch Preisinflation in der Branche Nachfrager in höhere Rabattstufen rücken, obwohl sie keine Mengensteigerung aufweisen. Ein Preissystem mit quantitativer Preisdifferenzierung muss daher regelmäßig auf seine adäquate Ausprägung hin überprüft und angepasst werden. Methodisch erfordert die Optimierung quantitativer Preisdifferenzierung die Kenntnis der Reservationspreise der Nachfrager für alternative Mengeneinheiten (Zahlungsbereitschaftsfunktionen). Hierzu stehen die in Kapitel 3 dargestellten Verfahren zur Erfassung der individuellen maximalen Zahlungsbereitschaften zur Verfügung. So werden in der Conjoint-Analyse den Probanden Stimuli mit unterschiedlichen Preis-Mengen-Verhältnissen vorgelegt, die sie hinsichtlich der Präferenz zu bewerten haben (vgl. bspw. Skiera 1999, S. 182-185). Als zusätzliche Eigenschaft ist in das Stimulusprofil folglich die Menge integriert. Um das Experimentdesign nicht zu überfrachten, muss in der Regel aber dann auf eine andere, die Produkte beschreibende Eigenschaft verzichtet werden, was möglicherweise den Realitätsgehalt des Experiments einschränkt. Ferner ist die Ermittlung insbesondere durchgerechneter gewinnmaximaler Rabattstaffeln komplex, wenn heterogene Zahlungsbereitschaftsfunktionen vorliegen. Daher werden hierfür Simulationsanalysen empfohlen (vgl. Diller 2008, S. 248). <?page no="280"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 281 Hinsichtlich der Akzeptanz eines Preissystems mit quantitativer Preisdifferenzierung dürfte es von den Nachfragern als fair empfunden werden, wenn Personen mit größeren Kaufmengen Preisnachlässe erhalten. Problematisch mag allerdings die Transparenz der Rabattstaffel sein, d.h. welche Rabatte mit welchen Mindestmengen korrespondieren. Insbesondere ein Kundenkartensystem wirkt durch die Umrechnung der Bonuspunkte in diverse Leistungen möglicherweise intransparent. Zudem könnte Unzufriedenheit aufkommen, wenn der Nachfrager hinter den Prämien keine adäquaten monetären Gegenwerte sieht oder für den Erhalt sogar noch Zuzahlungen leisten muss. 5.3.3 Mehr-Personen-Preisbildung Unter Mehr-Personen-Preisbildung versteht man, dass mehrere Personen als Gruppe identische Produktbzw. Leistungseinheiten zu einem aggregierten Preis (Gesamtpreis) erhalten. Im Vergleich zu dem Preis, zu dem eine einzelne Person eine Leistungseinheit erwirbt (Einzelpreis), ist der Durchschnittspreis, den ein Mitglied der Gruppe hierfür zu entrichten hat, niedriger. Zudem sinkt hierbei häufig dieser durchschnittliche Gruppenpreis mit wachsender Gruppengröße. In einer erweiterten Begriffsauffassung zählen zwei andere Formen der Preise für mehrere Personen ebenfalls zur Mehr-Personen-Preisbildung (vgl. Wilger 2004, S. 19f.): In der mengenvariablen Mehr-Personen-Preisbildung kann jeder Nachfrager eine individuelle Menge des betreffenden Produkts erwerben, wobei die Kaufmengen bspw. im Rahmen einer Sammelbestellung aggregiert werden. Dadurch ist der Anbieter bereit, eine Leistungseinheit zu einem niedrigeren Preis abzugeben bzw. einen entsprechenden Mengenrabatt zu gewähren. Dies entspricht dem Fall einer Einkaufsgemeinschaft bei der quantitativen Preisdifferenzierung. In der güteridentischen Mehr-Personen-Preisbildung erwerben mehrere Nachfrager ein Produkt, das sie dann gemeinsam nutzen. Typische Fälle sind das Car-Sharing oder Mehrnutzer-Lizenzen bei Software (vgl. Simon/ Fassnacht 2009, S. 278). Im Folgenden beschränken sich die Ausführungen auf die mengenidentische Mehr-Personen-Preisbildung: Jeder Nachfrager erwirbt die gleiche Mengeneinheit des Produkts. Beispiele hierfür finden sich vor allem im Dienstleistungsbereich (vgl. bspw. Simon/ Wübker 2000, S. 730): So bieten Fluglinien einen Ehepartner-Tarif an, bei dem einer der Ehepartner den vollen Flugpreis bezahlt, der zweite Ehepartner bspw. für 50 % des Flugpreises mitfliegen darf. Analog dazu offeriert die Deutsche Bahn AG Mitfahrerrabatte. Auch das Familien-Urlaubsangebot, bei dem nur die beiden Eltern den vollen Reisepreis zahlen, Kinder unter 12 Jahren aber kostenlos mitfahren, stellt eine Ausprägung der Mehr- Personen-Preisbildung dar. Im Tourismusbereich existiert mit der Gruppenreise eine seit jeher gebräuchliche Form der Mehr-Personen-Preisbildung. <?page no="281"?> 282 5 Preissysteme Wenngleich die Mehr-Personen-Preisbildung als eigenständige Form der Preisdifferenzierung interpretiert wird (vgl. Simon/ Wübker 2000, S. 729), basiert die interne Logik dieses Preissystems - zumindest teilweise - auf den Prinzipien der Preisbündelung, wobei das Marktergebnis dieses Preissystems der quantitativen Preisdifferenzierung gleicht (vgl. Wübker/ Simon 2003, S. 671): Es liegt eine auf die Personenzahl bezogene Rabattierung vor (vgl. Fassnacht 2003, S. 495), da die Bildung einer Gruppe von Nachfragern zu niedrigeren Durchschnittspreisen für eine Leistungseinheit gegenüber dem korrespondierenden Einzelpreis führt. Im Gegensatz zur quantitativen Preisdifferenzierung erwirbt jede Person eine Leistungseinheit, der gewährte Mengenrabatt bezieht sich aber auf die Gruppe der Personen. Ebenso wie bei der Preisbündelung lässt sich bei der Mehr-Personen-Preisbildung eine reine und eine gemischte Mehr-Personen-Preisbildung unterscheiden (vgl. Wübker/ Simon 2003, S. 678f.): Im ersten Fall wird das Angebot nur als Gruppenangebot offeriert, im zweiten Fall existiert neben dem Gruppenpreis auch ein Einzelpreis. Das inhaltliche Konzept der Preisbündelung in der Mehr-Personen-Preisbildung zeigt sich darin, dass es gelingt, analog zum Cross Selling-Effekt oder der Neukundenakquisition mehr Konsumentenrente abzuschöpfen bzw. einen höheren Gewinn als bei einer Einzelpreisstellung zu erzielen. Fallbeispiel: Mehr-Personen-Preisbildung Der Anbieter für eine Flugreise sieht sich 18 Nachfragern gegenüber. 10 Nachfrager sind Einzelpassagiere (Einzel), die - zur Vereinfachung - eine maximale Zahlungsbereitschaft von 2200 € aufweisen. Die restlichen Nachfrager bilden drei Gruppen (A; B; C). So handelt es sich bei Gruppe B und C um ein Ehepaar, bei dem einer der Ehepartner bspw. aus beruflichen Gründen diese Reise tätigen muss und deshalb eine vergleichsweise hohe maximale Zahlungsbereitschaft besitzt; der andere Ehepartner hingegen überlegt, ob er privat mitfliegen will; dessen Reservationspreis liegt deshalb deutlich niedriger. In Gruppe A erwägen vier Personen eine gemeinsame Reise. Die nachfolgende Tabelle führt die jeweiligen individuellen maximalen Zahlungsbereitschaften der potenziellen Gruppenreisenden auf; ferner ist die kumulierte maximale Zahlungsbereitschaft der Gruppe angegeben, die sich additiv aus den individuellen Reservationspreisen ergibt. In den individuellen Reservationspreisen ist hierbei der Tatbestand, die Reise zusammen mit der (den) anderen Person(en) der Gruppe zu machen, bereits erfasst. In Gruppe A sind zwei Gruppenreservationspreise angegeben. Der Reservationspreis von 5050 € (4900 €) bezieht sich auf den Fall, dass alle vier Personen (nur die Personen i=1 2, 3) die Reise antreten. <?page no="282"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 283 Es interessiert, welche Gewinnsteigerung sich erzielen lässt, wenn neben Einzeltickets auch ein Gruppenpreis angeboten wird. Die variablen Kosten der Erbringung einer Leistungseinheit betragen k v = 200 €. Zunächst ist der gewinnoptimale Einzelpreis (EP) für die Tickets bezogen auf die insgesamt 18 Reisenden zu bestimmen. Aufgrund der gegebenen Datenlage liegt dieser bei p EP = 2200 €, wobei insgesamt 14 Nachfrager die Reise buchen, was der Fluggesellschaft einen Gewinn von G EP = 28000 € erbringt. Bezogen auf die acht potenziellen Gruppenreisenden kaufen die Nachfrager i = 2, i = 3 und i = 4 aus Gruppe A und i = 2 aus Gruppe B das Ticket nicht. In Gruppe C buchen beide Nachfrager die Reise, da die maximale Zahlungsbereitschaft, als Gruppe zu reisen, ausreicht, um die beiden Tickets zu insgesamt 4400 € zu kaufen. In engen sozialen Primärgruppen ist zu erwarten, dass ein Gruppenmitglied (Ehepartner) seine höhere maximale Zahlungsbereitschaft freiwillig auf ein anderes Gruppenmitglied mit niedrigem Reservationspreis überträgt. Deshalb ist die maximale Zahlungsbereitschaft der gesamten Gruppe ausschlaggebend für die Nachfrage nach Einzeltickets. Dennoch vermag ein explizites Gruppenangebot den Gewinn des Anbieters zu steigern, wenn es gelingt, dadurch bisherige Nichtkäufer zum Kauf zu bewegen. Formal entspricht die Bestimmung des optimalen Gruppenpreises (MP) und der Einzelpreise dem Vorgehen im Mixed Price Bundling. Im Sinne eines Lösungsalgorithmus werden - ausgehend von der größten (möglichen) Gruppe - die Gruppenpreise in absteigender Reihenfolge der Gruppengröße bestimmt. A priori sind aber nur solche Nachfrager für einen Gruppenpreis aus Anbietersicht von Interesse, deren individuelle maximale Zahlungsbereitschaft über den variablen Stückkosten (Grenzkosten) liegt. Damit scheidet in Tabelle 5.3-4 Person i = 4 aus Gruppe A als potenzieller Nachfrager aus. Bezogen auf eine Gruppe von drei Personen wird bei einem Preis von p MP[3] = 4900 € die gesamte Konsumentenrente von Gruppe A abgeschöpft. Damit ist dies der aus Anbietersicht optimale Gruppenpreis für drei Personen; der durchschnittliche Preis eines Tickets der Dreiergruppe beträgt 1633,33 €. Hinsichtlich der Gruppenpreise für zwei Personen bilden die Datengrundlage alle Gruppen, die das Gruppenticket für drei Personen nicht erwerben, d.h. Maximale Zahlungsbereitschaft (in €) Gruppe i = 1 i = 2 i = 3 i = 4 Gruppe A 3000 1100 800 150 4900 (5050) B 2500 1500 4000 C 3000 1500 4500 Einzel 2200 <?page no="283"?> 284 5 Preissysteme im vorliegenden Fall die Gruppen B und C. Hierbei ergibt sich ein optimaler Gruppenpreis von p MP[2] = 4000 €, bei dem beide Gruppen die Tickets zu einem durchschnittlichen Preis von 2000 € erwerben. Schließlich sind diejenigen Nachfrager zu betrachten, die bislang nicht als Käufer von Gruppentickets aufgetreten sind. Dies sind die Einzelreisenden, für die aus Anbietersicht der Preis p MP[1] = 2200 € optimal ist. Insgesamt erwerben somit die Nachfrager der Gruppe A ein Dreier-Gruppenticket, diejenigen der Gruppe B und C ein Zweier-Gruppenticket und die 10 Einzelreisenden ein Einzelticket. Dieses Preissystem der gemischten Mehr-Personen-Preisbildung erzielt einen Gewinn von G MP = 31500 €. Die Gewinnsteigerung der gemischten Mehr-Personen-Preisbildung beruht darauf, dass durch den Gruppenpreis Nachfrager in den drei Gruppen zum Kauf eines Tickets bewegt werden, die zum Einzelpreis nicht kaufen. Die hohe maximale Zahlungsbereitschaft eines Gruppenmitglieds wird durch den Gruppenpreis folglich auf Nachfrager mit niedrigeren Reservationspreisen transferiert bzw. kaufentscheidendes Kriterium in der Gruppe ist die kumulierte maximale Zahlungsbereitschaft. Dies ist der zum Cross Selling in der Preisbündelung analoge Effekt. Ferner ist auch eine Neukundenakquisition möglich. Diese tritt auf, wenn kein Nachfrager in einer Gruppe eine so hohe maximale Zahlungsbereitschaft besitzt, ein Einzelticket zu erwerben. Als Gruppe liegt die kumulierte maximale Zahlungsbereitschaft jedoch über dem Gruppenpreis, der einen niedrigeren durchschnittlichen Ticketpreis impliziert. Ebenso wie bei der Preisbündelung existieren aber auch „freiwillige Paketkäufer“. Im obigen Beispiel sind dies die Nachfrager der Gruppe C, die beide zum höheren Einzelpreis das Ticket erwerben würden, aber zweifellos den Gruppenpreis von p MP[2] = 4000 € ausnutzen, da sie dadurch 400 € sparen. Dieser Kannibalisierungseffekt mindert das Gewinnpotenzial der Mehr- Personen-Preisbildung. Korrespondierend zur Preisbündelung muss damit die Mehr-Personen-Preisbildung der Einzelpreisbildung nicht überlegen sein. Im obigen Beispiel wurde Nachfrager i = 4 aus Gruppe A bei der Bestimmung des Gruppenpreises nicht berücksichtigt, da dessen Reservationspreis unter den variablen Stückkosten der Leistungserstellung liegt. Implizite Prämisse hierbei war, dass nicht nur die gesamte Gruppe, sondern auch Teile davon die Reise machen. Denkbar ist aber ebenso ein Gruppenverhalten, bei dem entweder die gesamte Gruppe oder niemand die Reise antritt. In diesem Fall ist ein Gruppenpreis für vier Personen von p MP[4] = 5050 € optimal. Der Anbieter erzielt bei dieser Gruppe immerhin noch einen Deckungsbeitrag von 4250 €, den er ansonsten verlieren würde, wenn er nicht die gesamte Gruppe als Käufer gewinnt. Dies rechtfertigt den Verkauf einer Leistungseinheit an einen Nachfrager, dessen Reservationspreis unter den variablen Stückkosten der Leistungseinheit liegt. Unter diesem Kalkül ist auch folgen- <?page no="284"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 285 des Restaurantangebot durchaus sinnvoll: „Die erste Person zahlt für ein Menü den vollen Preis, die zweite, dritte und vierte Person den halben Preis, jede weitere Person zahlt nichts“. Ein geringerer Preis für Gruppennachfrager, verglichen mit dem für Einzelnachfrager, lässt sich auch im Sinne der personellen Preisdifferenzierung begründen: So können Einzelnachfrager und Gruppennachfrager als zwei Marktsegmente interpretiert werden. Gruppennachfrager fordern - im Sinn eines Mengenrabatts - vom Anbieter aufgrund der großen Nachfragemenge, die sie bringen, einen günstigeren Preis als ihn Einzelnachfrager erhalten. Im formalen Sinn sind Gruppennachfrager deshalb als preissensibler als Einzelnachfrager einzustufen: Aufgrund ihrer - dem Betrage nach - höheren Preiselastizität resultiert deshalb in der Amoroso-Robinson-Relation ein niedrigerer optimaler (segmentspezifischer) Preis als für Einzelnachfrager. Das Gewinnpotenzial der Mehr-Personen-Preisbildung ist durch opportunistisches Verhalten der Nachfrager bedroht: So könnten sich im obigen Beispiel Einzelnachfrager gegenüber dem Anbieter als Gruppe (Arbitragegruppe) ausweisen, um dadurch in den Genuss der günstigeren Gruppentarife zu kommen. Aus rechtlicher Sicht ist die Verhinderung von Arbitragegruppen allerdings nicht so einfach möglich: Die Mehr-Personen-Preisbildung fällt in der Regel nicht unter das Kartellverbot, da es sich zumeist um Privatpersonen, die sich zu einer Gruppe zusammenschließen, handelt. Bessere Eingriffsmöglichkeiten, Arbitragegruppen zu verhindern, hat der Anbieter, wenn er spezifische Anforderungen an die Gruppe setzt: So erhalten bspw. nur Ehepaare oder Familien, die sich als solche legitimieren können, den Gruppenpreis. Auch organisatorische Maßnahmen können das Auftreten von Arbitragegruppen verhindern helfen: So muss bei der Deutschen Bahn AG die Gruppe einen einzigen Fahrschein noch vor Abfahrt des Zuges lösen (kein Verkauf im Zug), um den Mitfahrer-Rabatt in Anspruch nehmen zu können; damit soll verhindert werden, dass sich nachträglich Gruppen erst im Zug bilden. Aus ökonomischer Sicht erfordert die Mehr-Personen-Preisbildung damit ein Monitoring-System; dieses verursacht Kosten und setzt zudem Nachfrager, die eine „echte“ Gruppe bilden, zunächst dem Verdacht einer Arbitragegruppe aus. Ferner ist die kostenlose Abgabe von zusätzlichen Leistungseinheiten für eine steigende Gruppengröße („jede weitere Person zahlt nichts“) opportunistischem Verhalten ausgesetzt: So dürfte sich die Anzahl der Bekannten und Freunde in der Gruppe bedeutsam vergrößern, wenn diese „kostenlos“ ein Menü erhalten. Konzeptionell lässt sich dies dadurch verhindern, dass der Gruppenpreis in Höhe der maximalen Zahlungsbereitschaft des zusätzlichen Gruppenmitglieds ansteigt. In der Praxis impliziert dies aber eine häufig kaum durchführbare individuelle Gruppenpreisaushandlung des Anbieters mit den Gruppenmitgliedern, sofern er überhaupt die Reservationspreise der Gruppenmitglieder einzuschät- <?page no="285"?> 286 5 Preissysteme zen vermag. Daher kann sich der Anbieter vor Moral Hazard-bedingter Ausbeutung durch steigende Gruppengrößen nur schützen, indem er den Gruppenpreis mit jedem zusätzlichen Gruppenmitglied (mindestens) in Höhe seiner Grenzkosten ansteigen lässt. Das bislang vorgestellte Kalkül der Mehr-Personen-Preisbildung basiert auf einem stärkeren Abschöpfen der Konsumentenrente durch die Gewinnung von zusätzlichen Kunden, die zu Einzelpreisen diese Leistung nicht erwerben. Dies gelingt durch die Gewährung eines Preisnachlasses in Form von niedrigeren Durchschnittspreisen je Leistungseinheit verglichen mit dem Einzelpreis. Vermag aber der Anbieter seine Kapazitäten bereits mit Kunden, die zu höheren Einzelpreisen die Leistungseinheiten abnehmen, voll auszulasten, impliziert eine Mehr-Personen-Preisbildung, dass er Kapazitätseinheiten zu geringeren Preisen an Gruppenreisende verkauft, dafür aber lukrativere Einzelreisende aufgrund voller Kapazitäten abweisen muss. Daher ist eine Mehr-Personen-Preisbildung nur interessant, wenn der Anbieter nicht ausgelastete Kapazitäten hat und durch Rabattgewährung diese Kapazitätslücke schließen will. Neben dem Motiv des stärkeren Abschöpfens von Konsumentenrente besitzt eine Mehr-Personen-Preisbildung eine kostenorientierte Motivation: So resultieren Transaktionskosteneinsparungen für Gruppenreisende aufgrund einer geringeren „Interaktionsfrequenz“ mit dem Nachfrager (vgl. Wübker/ Simon 2003, S. 676): Der organisatorische Aufwand für die Abwicklung einer Gruppenreise dürfte zumeist geringer sein, wenn eine einzelne Person (Gruppenleiter) für die gesamte Gruppe diese Reise bucht, verglichen mit dem Aufwand, wenn die gleiche Anzahl an Reisen an Einzelreisende verkauft wird. Weiterhin sind Kosteneinsparungen durch Mehr-Personen-Preisbildung zu erwarten, wenn es durch den Anstieg der Verkaufsmenge produktionstechnisch zu Reduzierungen der variablen Kosten durch Economies of Scale kommt (vgl. Simon/ Wübker 2000, S. 737). Weiterhin lassen sich manche Dienstleistungen nur dann zu akzeptablen Kosten je Nachfrager erbringen, wenn mehrere Personen sie gleichzeitig erhalten. Durch die Aggregation von Nachfragern zu einer Gruppe ergibt sich dann ein Preis für eine Leistungseinheit, der niedrig genug ist, dass ihn die maximale Zahlungsbereitschaft von Nachfragern übersteigt. So erhält bspw. eine Stadtführerin je Führung 25 €. Zu diesem Preis dürften nur sehr wenige Nachfrager bereit sein, als Einzelkunden diese Leistung in Anspruch zu nehmen. Wird eine Stadtführung aber bei einer Gruppengröße von 10 Personen durchgeführt, beträgt die Preisuntergrenze für den Angebotspreis je Nachfrager nur noch 2,50 €. Es findet folglich eine Fixkostendegression statt. Dies setzt allgemein voraus, dass es sich um (Dienst-)Leistungen handelt, bei denen die Leistungserbringung und damit die Kosten zumindest innerhalb von Intervallgrenzen unabhängig von der Anzahl der Nachfrager sind. <?page no="286"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 287 Bezeichnen n(x) die Anzahl an notwendigen oder organisatorisch bedingten Wiederholungen eines Produktionsschritts bei der Leistungserbringung (z.B. Anzahl an Führungen), die von der gesamten Nachfragemenge x abhängen (0 < dn/ dx < 1) und k v die Kosten einer Durchführung des Produktionsschritts, betragen die Gesamtkosten (K) bzw. die Grenzkosten (dK/ dx) für die Leistungserbringung bei einer Einzelnachfrage (EN) K EN = n(x) k v mit: dn dx = 1 bzw. dK EN dx = k v , bei einer Gruppennachfrage bzw. Mehr-Personen-Preisbildung (MP) hingegen: K MP = n(x) k v mit: 0 < dn dx < 1 bzw. dK MP dx = dn dx k v Setzt man die jeweiligen Grenzkosten (dK MP / dx < dK EN / dx) in die Amoroso- Robinson-Relation ein, ergibt sich bei der Gruppennachfrage ein niedrigerer gewinnoptimaler Preis für eine Leistungseinheit als bei der Einzelnachfrage. Ein weiteres Motiv für eine Mehr-Personen-Preisbildung ist in einer möglichen Kundenbindungswirkung zu sehen (vgl. Wübker/ Simon 2003, S. 677): So mag das Abwerben einer ganzen Gruppe, sofern diese mit dem Leistungsangebot zufrieden ist, für einen Konkurrenten schwieriger als das Abwerben der gleichen Anzahl an Einzelkunden sein, zumal dann zumeist ein deutlich günstigerer Gruppentarif offeriert werden muss. Zusammenfassend findet sich eine Mehr-Personen-Preisbildung vor allem im Dienstleistungsbereich. Als Ursache hierfür wird das Uno-actu-Prinzip von Dienstleistungen genannt, wonach Dienstleistungsproduktion und -konsum zeitlich zusammenfallen. Dadurch kann kein Arbitragehandel der zum günstigeren Gruppenpreis erworbenen Leistungseinheiten an dritte Personen stattfinden (vgl. Simon/ Wübker 2000, S. 742). Als weiteres Argument für eine Mehr-Personen-Preisbildung im Dienstleistungsbereich erscheint, dass für manche Dienstleistungen (Reisen, Restaurantessen) der gemeinsame Konsum der Leistungseinheiten für die beteiligten Nachfrager charakteristisch und wichtig ist. Aufgrund eines solchen „gemeinsamen Konsumerlebnisses“ verstehen sich die beteiligten Nachfrager als Gruppe gegenüber dem Anbieter. 5.3.4 Perfekte Preisdifferenzierung Die Preisdifferenzierung ersten Grades beinhaltet einen Extremfall der personellen Preisdifferenzierung, da jeder Nachfrager das betreffende Produkt zu einem individuellen Preis erhält, der idealtypischerweise genau der Höhe seiner maximalen Zahlungsbereitschaft entspricht (perfekte Preisdifferenzierung). Dann schöpft der Anbieter die Konsumentenrente des Nachfragers vollständig ab. Perfekte Preisdifferenzierung bedeutet aber nicht, dass der Anbieter an alle <?page no="287"?> 288 5 Preissysteme Nachfrager das Produkt verkauft. Ein Verkauf unterbleibt bei denjenigen Nachfragern, deren maximale Zahlungsbereitschaft unter den Grenzkosten (variablen Stückkosten) der Produktion des Produkts liegt. In einer dynamischen Betrachtung, in der sich der Anbieter durch einen günstigen Preis „heute“ ein Mehrgeschäft „morgen“ mit diesem Kunden erwartet, mag es aber gerechtfertigt sein, das Produkt unter den variablen Stückkosten diesem Nachfrager zu offerieren. In der Praxis lässt sich perfekte Preisdifferenzierung zumeist nur in Ansätzen realisieren. Denkbar ist dies in individuellen Preisverhandlungen, in denen der Verkäufer die maximale Zahlungsbereitschaft eines Kunden im Verkaufsgespräch erahnt und dann mit einem Preisangebot auszureizen versucht (Basar). Perfekte Preisdiskriminierung findet sich bspw. an amerikanischen Universitäten, die Studierwilligen gemäß der Einkommenslage angepasste individuelle Stipendien oder subventionierte Kredite gewähren, wodurch jeder Studierende eine individuelle effektive (Netto-)Studiengebühr zu zahlen hat. Da die Universität Unterlagen über die Vermögenssituation des Kandidaten anfordert, vermag sie hieraus Vermutungen über dessen maximale Zahlungsbereitschaft anzustellen (vgl. Pindyck/ Rubinfeld 2005, S. 359). Auch individuelle Rabatte, d.h. Preisnachlässe, die bspw. im Einzelhandel Abnehmern bei Erfüllung bestimmter Kriterien im Vergleich zum Normalpreis gewährt werden, sind Ausdruck einer näherungsweisen Preisdifferenzierung ersten Grades. Dies gilt bspw. für den Treuerabatt, der einem Abnehmer gewährt wird, weil er wiederholt bei einem Anbieter eingekauft hat, eine bestimmte Anzahl von Jahren Kunde ist oder bei diesem Anbieter den gesamten oder einen hohen Anteil seines Produktbedarfs (Lieferquote) in einem Warenbereich deckt (vgl. Gedenk 2002, S. 22). Perfekte Preisdifferenzierung lässt sich mit der quantitativen Preisdifferenzierung kombinieren, wenn der Anbieter einem Nachfrager jede Absatzeinheit zu dessen jeweiligem individuellen Reservationspreis verkauft. Unterstellt man, dass die maximale Zahlungsbereitschaft für eine zusätzliche Mengeneinheit sinkt, erhält der Nachfrager eine weitere Mengeneinheit zu einem spezifischen Mengenrabatt, der so hoch ist, die maximale Zahlungsbereitschaft für diese Mengeneinheit vollständig abzuschöpfen. Allerdings erlaubt die Rabattpolitik ausgehend von einem einheitlichen Listenpreis nur eine Preisdifferenzierung „nach unten“: Um für alle Nachfrager individuelle Preise über Rabatte zu schaffen, müsste der Listenpreis dem Reservationspreis desjenigen Nachfragers mit der höchsten Zahlungsbereitschaft entsprechen. Ein solcher kommunizierter Preis würde dem Produkt aber ein katastrophales Preisimage verleihen und wäre zudem als sog. Mondpreis wettbewerbsrechtlich problematisch. Daher lässt sich eine solche mengenbezogene perfekte Preisdifferenzierung besser operationalisieren, wenn der Anbieter analog zur Mehr-Personen-Preisbildung den Gesamtpreis für eine bestimmte Stückzahl von Produkteinheiten im individuellen Verkaufsgespräch ausweist („5 Stück für 30 €“), wobei der Gesamtpreis dann der Summe der <?page no="288"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 289 Reservationspreise des Nachfragers für die einzelnen Mengeneinheiten entspricht. Die Preisdifferenzierung ersten Grades kann unter Hinzuziehung von Konzepten der leistungsbezogenen Preisdifferenzierung bzw. Preisbündelung, Direktwerbung und Marktforschung zu einem Customized Pricing (vgl. Chen/ Iyer 2002, S. 198) bzw. Selective Pricing (Selective Selling) erweitert werden: Durch verbesserte Informationstechnologien (z.B. Kundendatenbanken) lernt der Anbieter seine Nachfrager besser hinsichtlich ihrer Produktvorlieben, Produktanforderungen, aber auch Zahlungsbereitschaften kennen, verglichen mit dem anonymen Kunden auf Massenmärkten. Zugleich bietet die Direktwerbung einen Ansatz zur kundenindividuellen, persönlichen Ansprache (Consumer Addressability). Schließlich ermöglichen modulare Produktkonzepte oder flexible Fertigungstechnologien die Erstellung kundenindividueller Produkte bzw. Produktausgestaltungen (Customized Production). Fasst man alle drei Aspekte zusammen, besteht folglich die Chance, den Nachfragern speziell auf sie zugeschnittene Produkt- und Preisangebote zu unterbreiten. Dieses Customized Pricing erscheint als konsequenteste Ausprägung der perfekten Preisdifferenzierung. Voraussetzung für die Durchführbarkeit der perfekten Preisdifferenzierung ist, dass der Anbieter die individuellen Reservationspreise kennt, die Nachfrager keinerlei Preistransparenz besitzen oder es sich um derart (nachfrager-)spezifische Güter handelt, dass keine Markt- oder Vergleichspreise ähnlicher Produkte existieren. Letzterer Aspekt dürfte vor allem im Customized Pricing am besten erfüllt sein. Ferner darf der Nachfrager keine Marktmacht oder kein Involvement bzw. Zeit besitzen, seine Konsumentenrente zu „verteidigen“. Bereitschaft des Nachfragers, die komplette Konsumentenrente dem Anbieter zu überlassen, mag bestehen, wenn er bspw. situativ einen starken Kaufwunsch entwickelt, ein bestimmtes Produkt (z.B. Kunstgegenstand) „unbedingt haben zu wollen“ (impulsives Kaufverhalten). 5.3.5 Mehrteilige Tarife Bei mehrteiligen Tarifen, die sich vor allem bei Dienstleistungen finden, kennzeichnen mehrere Preiselemente den Gesamtpreis, den ein Nachfrager in einer bestimmten Zeitperiode bzw. Abrechnungsperiode (z.B. Monat; Quartal; Jahr) für die Inanspruchnahme einer spezifischen Leistungsmenge zu entrichten hat: Zum einen besteht eine Grundgebühr (Grundpreis; g), die innerhalb der Zeitperiode unabhängig von der Höhe der abgerufenen Leistungsmenge einmal anfällt. Zum anderen wird ein nutzungsabhängiger (marginaler) Preis (p) erhoben. Der nutzungsabhängige Preis kann hierbei proportional (linear) sein, aber auch mit steigendem Nutzungsvolumen je Leistungseinheit ansteigen oder - analog zu einer Rabattstaffel - bei bestimmten Mengengrenzen sinken. <?page no="289"?> 290 5 Preissysteme Besteht das Preissystem nur aus Grundgebühr und nutzungsabhängigen Preisen, spricht man von einem zweiteiligen Tarif. Mitunter gewährt der Anbieter eine gewisse Anzahl von Leistungseinheiten kostenlos (Freisprechminuten); erst bei Überschreiten dieser Freigrenze durch die Inanspruchnahme der Leistung fällt dann der nutzungsproportionale Preis für die diese Grenze übersteigenden Leistungseinheiten an. In diesem Fall liegt ein dreiteiliger Tarif vor. Die folgenden Darstellungen konzentrieren sich auf zweiteilige Tarife. Der Anbieter besitzt bei zweibzw. mehrteiligen Tarifen zwei Umsatzquellen: Er erzielt Erlöse aus der Grundgebühr, die sich auf die Anzahl an Nachfragern n, die bei ihm einen Vertrag abgeschlossen haben, bezieht, sowie Erlöse über den Verkauf von x Leistungseinheiten zum nutzungsproportionalen Preis p. Die am Markt insgesamt nachgefragte Menge an Leistungseinheiten (x) ergibt sich aus der Aggregation des individuellen Nutzungsumfangs der Nachfrager i = 1, ..., n. U = n g + x p, mit: x = i=1 n x i Der Rechnungsbetrag (R i ), den der Nachfrager i für die Inanspruchnahme einer bestimmten Leistungsmenge x i in der Abrechnungsperiode zu entrichten hat, beträgt: R i = g + x i p Der durchschnittliche Preis (p_) für eine Leistungseinheit, wenn er die Menge x i in Anspruch nimmt, beläuft sich dann auf: p_ = g x i + p, Die obige Bedingung zeigt, dass - bezogen auf den Durchschnittspreis - ein nachfragerbezogen heterogenes Preissystem vorliegt, da ein Abnehmer abhängig vom jeweiligen Nutzungsumfang (x i ) einen „individuellen“ Preis erhält; dieser folgt dem Prinzip der quantitativen Preisdifferenzierung: Der (effektive) Durchschnittspreis (p_) sinkt mit steigender Abnahmemenge, weil sich die fixe Grundgebühr auf mehr Mengeneinheiten verteilt. Intensivnutzer zahlen folglich einen niedrigeren Durchschnittspreis für eine Leistungseinheit als Nachfrager mit geringer Leistungsinanspruchnahme (vgl. Fassnacht 1996, S. 79). Eine Grundgebühr wird bspw. als monatliche Überlassungsgebühr von Infrastruktur durch den Anbieter begründet: So muss ein Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen ein Kommunikationsnetz aufbauen und zur Verfügung stellen, unabhängig davon, wie viele Telefongespräche er dann durchleitet. Insofern stellt die Grundgebühr das Umsatzpendant zu den Fixkosten dar und erfüllt damit die Vorstellung von Schmalenbach (1963), nach der Preisdifferenzierung in einen fixen und proportionalen Teil analog zur Kostenstruktur. Aus <?page no="290"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 291 Anbietersicht bildet eine Grundgebühr folglich einen sicheren Erlös, der unabhängig von der Leistungserbringung erzielt wird. Eine Grundgebühr kann aber auch den Charakter eines Optionsrechts, einer Eintrittskarte oder einer spezifischen Investition besitzen (vgl. Spremann/ Klinkhammer 1985, S. 790), wie dies bspw. für die Bahncard der Deutschen Bahn AG gilt: Von zusätzlichen Serviceleistungen abgesehen, berechtigt die Bahncard-50 den Kunden, innerhalb der Geltungszeit auf bestimmte Fahrpreise einen Rabatt von 50 % zu erhalten. Zweiteilige Preissysteme finden sich bspw. auch bei Vereinen (z.B. Fitnesscenter): Der Vereinsbeitrag stellt hierbei eine Grundgebühr dar, wobei die Vereinsmitglieder Dienstleistungen des Vereins zu günstigeren Preisen als Nicht-Vereinsmitglieder erhalten. In diesem Sinn bilden zweiteilige Tarife zugleich ein Instrument zur personellen Preisdifferenzierung. Neben dem Tatbestand der Degression der Grundgebühr mit steigendem Nutzungsumfang lässt sich in zweiteilige Tarife das Konzept der quantitativen Preisdifferenzierung unmittelbar integrieren, wenn mit steigender nachgefragter Menge die nutzungsproportionalen Preise (p) sinken. Damit lässt sich ein zweiteiliger Tarif auch als angestoßener Mengenrabatt interpretieren (vgl. Spremann/ Klinkhammer 1985, S. 816): Die Grundgebühr entspricht derjenigen Menge, multipliziert mit dem Preis, die ein Nachfrager benötigt, um in den Genuss eines spezifischen Rabattsatzes zu gelangen; der nutzungsproportionale Preis ist dann mit dem Listenpreis abzüglich des mengenspezifischen Rabattsatzes vergleichbar. In der Regel führt dies zu Preissystemen mit alternativen Kombinationen aus Grundgebühr und nutzungsproportionalen Preisen, wobei beide Preiselemente in einer spezifischen Größenrelation zueinander stehen: Je höher die Grundgebühr ist, desto niedriger sind die nutzungsproportionalen Preise bzw. umgekehrt. Mit Hilfe unterschiedlicher Kombinationen aus Grundgebühren und nutzungsproportionalen Preisen (Tarifklassen) können damit zweiteilige Tarife zu einem feingliedrig abgestimmten Preissystem mit quantitativer Preisdifferenzierung erweitert werden. Um ineffiziente Bereiche beim Übergang von einer Tarifklasse auf die andere zu vermeiden, orientiert sich die Relation von Grundgebühr und nutzungsproportionalem Preis bezogen auf zwei Tarifklassen (j, j´ mit j < j´) mit g j < g j ´ und p j > p j ´ daran, dass der Rechnungsbetrag für einen Nachfrager (Gesamtpreis) in Tarifklasse j mit dem korrespondierenden höchsten Nutzungsumfang (x max,j ) dem Rechnungsbetrag in Tarifklasse j´ mit dem hierzu korrespondierenden geringsten Nutzungsumfang (x min,j ´ ) entspricht: g j + x max,j p j = g j´ + x min,j´ p j´ und x max,j x min,j´ Tabelle 5.3-2 zeigt ein Praxisbeispiel einer solchen Kombination aus zweiteiligen Tarifen und quantitativer Preisdifferenzierung: <?page no="291"?> 292 5 Preissysteme Jahresverbrauch Kilowattstunde (kWh) Monatlicher Grundpreis (€) Preis pro kWh (€) Eichstätt-Single ( 1.300 kWh) 2,45 0,2455 Eichstätt-Privat (1.301 kWh < x i 16.080 kWh) 6,35 0,2095 Eichstätt-Profi (> 16.080 kWh) 9,70 0,2070 Tabelle 5.3-2: Beispiel für einen zweiteiligen Tarif mit quantitativer Preisdifferenzierung der Stadtwerke Eichstätt (Nettopreise ab 1. 1. 2013) Die Relationen aus Grundgebühr und nutzungsproportionalem Preis im obigen Beispiel ist dergestalt gewählt, dass der Durchschnittspreis (p _) mit steigender Menge keine Sprungstellen aufweist. Zweiteilige Tarife weisen zwei Extremausprägungen auf: Das eine Extrem ist ein einteiliger Tarif, der bei einer Grundgebühr in Höhe von g = 0 nur einen nutzungsproportionalen Preis kennt (Pay per Use-Tarif). Im anderen Extrem, ebenfalls einem einteiligen Tarif, besteht für Intensivnutzer nur noch eine Grundgebühr, der nutzungsabhängige Preis je Leistungseinheit liegt bei p = 0 (Flatrate). Im Tourismusbereich trifft dies auf All-Inclusive-Angebote zu, bei denen der Kunde bestimmte Leistungen (z.B. Getränke; Speisen) in der Hotelanlage unbegrenzt - ohne nutzungsvariables Entgelt - konsumieren kann (all you can eat-Flatrate). Ebenso muss im Internetbereich ein Nutzer bei einer Flatrate nur eine Grundgebühr an den Provider entrichten und darf dafür unbegrenzt lange surfen. Im Sinne der Maximierung seiner Konsumentenrente nimmt der Nachfrager bei einer Flatrate die Leistung bis zu seiner Sättigungsgrenze in Anspruch (vgl. Skiera 1999, S. 75). Allgemein resultiert ein Preissystem mit alternativen Kombinationen aus Grundgebühr und nutzungsproportionalen Preisen, wenn die Nachfrager heterogen bezogen auf ihre Reservationspreise für alternative Leistungsmengen (Nutzungslevel) sind. Für jedes Nachfragersegment existieren dann eine spezifische Grundgebühr und ein nutzungsproportionaler Preis. In einem solchen Preissystem mit mehreren Kombinationen aus Grundgebühr und nutzungsproportionalen Preisen entscheidet der Nachfrager zumeist selbst, welche Tarifkombination er - ausgehend von seinem erwarteten Nutzungsumfang - wählt. Ein Nachfrager mit geringer (hoher) Leistungsnutzung präferiert hierbei ceteris paribus ein Preissystem mit niedrigerer (höherer) Grundgebühr und höheren (niedrigeren) nutzungsproportionalen Preisen, da er in dieser Tarifklasse für seinen spezifischen Nutzungsumfang jeweils einen niedrigeren Rechnungsbetrag (R) zu entrichten hat (vgl. Abbildung 5.3-4). <?page no="292"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 293 Die kräftig hervorgehobene Linie in Abbildung 5.3-4 repräsentiert jeweils die zum betreffenden Nutzungsumfang x für den Nachfrager - gemessen am Rechnungsbetrag - kostengünstigste Kombination (Tarifklasse): So wählt ein Kunde, der die Leistung nur sporadisch zu nutzen erwartet (x i < x´ 1 ), Tarifklasse A, die auf eine Grundgebühr verzichtet. Für einen Kunden mit einem Nutzungslevel zwischen x´ 2 und x´ 3 erweist sich Tarifklasse C als am besten. Abbildung 5.3-4: Optimaler Nutzungsumfang bei zweiteiligen Tarifen Ist der Nutzungsumfang aus Sicht des Nachfragers variabel, postuliert das Erste Gossensche Gesetz, dass der Gesamtnutzen und damit der Reservationspreis (maximale Zahlungsbereitschaft) für steigende Nutzungslevel nur degressiv anwächst. Das Optimierungsproblem für den Nachfrager besteht somit darin, denjenigen Nutzungsumfang zu finden, bei dem die Konsumentenrente am größten ist: Graphisch ist für eine bestimmte Tarifklasse der diesbezüglich optimale Nutzungsumfang dort erreicht, wo die Steigung der Funktion der Reservationspreise gerade der Steigung des Rechnungsbetrags in dieser Tarifklasse entspricht. In der Regel dürften sich hierbei für mehrere Tarifklassen solche lokalen Optima ergeben. Dann hat der Nachfrager dasjenige Nutzungsniveau mit der höchsten absoluten Konsumentenrente (Differenz von Reservationspreis und Rechnungsbetrag) zu identifizieren. In Abbildung 5.3-5 wählt er folglich den Nutzungsumfang (x i *) und die dazu kostengünstigste Tarifklasse B. Ein Entx‘ 1 x‘ 2 x‘ 3 x i * A B C D Nutzungsumfang x Reservationspreis Rechnungsbetrag für Nutzungsumfang (R i ) g A = 0 < g B < g C < g D p A > p B > p C > p D = 0 <?page no="293"?> 294 5 Preissysteme scheidungsmodell mit Unsicherheit des Nachfragers hinsichtlich des Nutzungsumfangs hat Büschken (1997, S. 81-189) entwickelt. Weicht die tatsächliche Leistungsinanspruchnahme vom ursprünglich geplanten Nutzungsumfang ab, erlauben in der Praxis die Anbieter zumeist, dass der Nachfrager nachträglich in eine für ihn kostengünstigere Tarifklasse wechselt, bzw. der Anbieter nimmt diese Umklassifizierung selbständig vor (Best- Abrechnung). Zweiteilige Tarife weisen analog zur gesamten Preisdifferenzierung das ökonomische Motiv der Gewinnsteigerung auf, wobei als Vergleichskriterium der einteilige Tarif mit nur einem nutzungsproportionalen Preis und einer Grundgebühr von g = 0 fungiert. Ursache der Gewinnsteigerung ist das stärkere Abschöpfen der Konsumentenrente, was sich - im Analogieschluss - aus der Parallelität zweiteiliger Tarife mit der personellen Preisdifferenzierung bzw. dem angestoßenen Mengenrabatt ergibt. Ferner führen zweiteilige Tarife zu einem höheren individuellen Nutzungsumfang des Leistungsangebots: Bei einem zweiteiligen Tarif ist die Steigung des Rechnungsbetrags niedriger als bei einem einteiligen Tarif. Da sich der optimale Nutzungsumfang (x*) für einen Nachfrager dort ergibt, wo die Steigung der Funktion der Reservationspreise der Steigung des Rechnungsbetrags entspricht (vgl. Abbildung 5.3-5), liegt der optimale Nutzungsumfang des Nachfragers bei einem geringeren Grenznutzen als bei einem einteiligen Tarif. Unter Annahme des Ersten Gossenschen Gesetzes impliziert ein geringerer Grenznutzen wiederum einen größeren Nutzungsumfang. Damit führen zweiteilige Tarife gegenüber einem Preissystem mit nur einem nutzungsproportionalen Preis aufgrund des höheren individuellen Nutzungsumfangs zu einer größeren Absatzmenge und folglich zu einer besseren Kapazitätsauslastung. Dieses Argument setzt aber voraus, dass die Existenz einer Grundgebühr keinen Nachfrager von einem Vertragsabschluss „abschreckt“. Dessen maximale Zahlungsbereitschaft für lediglich eine Mengeneinheit muss größer sein als die Grundgebühr und der nutzungsvariable Preis für die erste Mengeneinheit. Aus formaler Sicht kann ein zweiteiliger Tarif keinen geringeren Gewinn als ein einteiliger Tarif bringen, da letzterer mit g = 0 bzw. p = 0 implizit im Lösungsraum des optimalen zweiteiligen Tarifs enthalten ist. Analoges gilt für die Überlegenheit eines dreiteiligen gegenüber einem zweiteiligen Tarif, da bei einem dreiteiligen Tarif die Anzahl der kostenlos abgegebenen Leistungseinheiten auch Null Einheiten betragen kann und dann mit einem zweiteiligen Tarif identisch ist. Die Herleitung einer Bedingung für den gewinnoptimalen nutzungsproportionalen Preis und für die Grundgebühr erfordert einige Erweiterungen der bisher verwendeten Nachfragefunktionen. Zur Vereinfachung soll im Folgenden lediglich ein einziger nutzungsproportionaler Preis p und eine Grundgebühr, d.h. keine Tarifstruktur aus verschiedenen Tarifklassen betrachtet werden. <?page no="294"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 295 Zunächst ist eine Nachfragefunktion für die Verträge des Anbieters, auf die sich die Grundgebühr bezieht, einzuführen. Hierbei spielen für die Überlegung, ob ein Nachfrager einen Nutzungsvertrag mit dem Anbieter abschließt, zweifellos die Höhe der Grundgebühr, aber auch der nutzungsproportionale Preis eine Rolle. Für die Anzahl an Nachfragern (n) mit Verträgen beim Anbieter gilt somit: n = n(p; g), mit: dn dg , dn dp < 0 und xp = dx dp p x Für die Menge an insgesamt nachgefragten Leistungseinheiten x ist zu berücksichtigen, dass diese ceteris paribus umso höher ausfällt, je mehr Nachfrager n einen Vertrag abschließen. Damit wirkt sich die Grundgebühr auf die Nachfragemenge x aus. Es gilt folglich: x = x(p; g), mit: dx dp , dx dg < 0 Neben den Produktionskosten für die Leistungserstellung K(x) fallen für den Abschluss eines Vertrags Kontraktkosten K(n) mit dK(n)/ dn > 0 an. Damit lautet das Optimierungsproblem des Anbieters (ähnlich Skiera 1999, S. 122-125; Spremann/ Klinkhammer 1985, S. 798): G = p x(p; g) + g n(p; g) - K f - K x (x[p; g]) - K n (n[p; g]) max Für die partielle Ableitung nach dem nutzungsproportionalen Preis (p) gilt: G p = x p p + x + n p g - K x x x p - K n n n p = 0 p + x p x = K x x + K n n n p p x n p p x g p 1 xp + 1 = K x x g - K n n n p p x Definiert man eine Elastizität der Nachfrage hinsichtlich der Vertragsabschlüsse in Abhängigkeit vom Preis ( np ) np = dn dp p n < 0, lässt sich die obige Bedingung umformen zu: (5.3-3) p* = xp 1+ xp K x x xp 1+ xp g - K n n np xp n x <?page no="295"?> 296 5 Preissysteme Bei der Interpretation von Bedingung (5.3-3) ist analog zur Niehans-Bedingung zu beachten, dass keine explizite Lösung, sondern lediglich eine Umformung der Gewinnmaximierungsbedingung vorliegt. So enthält Bedingung (5.3-3) die noch zu optimierende Grundgebühr g bzw. unterstellt, dass diese optimal ist (g = g*); ferner enthält Bedingung (5.3-3) die nachgefragte Menge x, die sich ihrerseits erst aus der Nachfragefunktion x = x(p*; g*) ergibt. Dennoch ist die Bedingung hinsichtlich ihrer strukturellen Aussage von Bedeutung. Die Existenz einer Grundgebühr (g, K n / n > 0) modifiziert die Amoroso- Robinson-Relation: Unterstellt man einen positiven Deckungsbeitrag für die Grundgebühr (g - [ K n / n] > 0), senkt diese den gewinnoptimalen nutzungsproportionalen Preis im Vergleich zu einem einteiligen Tarif; für letzteren gilt die traditionelle Amoroso-Robinson-Relation mit g, K/ n = 0. Die Preisreduzierung einer Grundgebühr lässt sich zum einen dahingehend erklären, dass der Anbieter einen Teil seines Umsatzes bzw. Gewinns nunmehr aus den Grundgebühren erzielt. Zum anderen mag der niedrigere nutzungsproportionale Preis als Entschädigung bzw. Anreiz für den Nachfrager gesehen werden, die spezifische Investition einer Grundgebühr zu tätigen. Wie stark die Reduzierung des nutzungsproportionalen Preises gegenüber dem einteiligen Tarif ausfällt, hängt von der Höhe des Deckungsbeitrags der Grundgebühr, aber auch von den Elastizitätsverhältnissen ab: Der gewinnoptimale nutzungsproportionale Preis p* ist umso niedriger gegenüber dem Preis beim einteiligen Tarif, je größer die Preiselastizität der Nachfrage gegenüber den Vertragsabschlüssen ( np ) im Vergleich zur Preiselastizität der Nachfrage bezogen auf den Nutzungsumfang ( xp ) ist. Dieses Elastizitätsverhältnis erfährt zudem eine Gewichtung durch das Verhältnis von Vertragsabschlüssen zur Nachfragemenge: Je größer die Anzahl an Verträgen (n) in Relation zum Nutzungsumfang (x) ist, desto niedriger ist der nutzungsproportionale Preis im Vergleich zum einteiligen Tarif. Formal legt Bedingung (5.3-3) sogar nahe, dass sich bei einer hohen Grundgebühr rechnerisch ein negativer nutzungsproportionaler Preis ergibt. Dies widerspricht jedoch dem Ziel der Gewinnmaximierung, da die Nachfrager bei einem solchen Preissystem eine unbegrenzte Menge in Anspruch nehmen würden. Daher ist in diesem Fall nur die Randlösung des Optimierungsproblems mit einer Flatrate (p = 0) adäquat. Allgemein kann sich jedoch - bei entsprechend hoher Grundgebühr - ein nutzungsproportionaler Preis ergeben, der unter den Grenzkosten für die Leistung liegt. Für die gewinnoptimale Höhe der Grundgebühr gilt anhand der obigen Gewinnfunktion: G g = p x g + g n g + n - K x x x g - K n n n g = 0 <?page no="296"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 297 g + n g n = K n n p - K x x x g g n Definiert man eine Elastizität der Nachfrage hinsichtlich des Nutzungsumfangs in Abhängigkeit von der Grundgebühr ( xg ) bzw. eine Elastizität der Nachfrage hinsichtlich der Vertragsabschlüsse in Abhängigkeit von der Grundgebühr ( ng ) xg = dx dg g x < 0 bzw. ng = dn dg g n < 0, lässt sich die obige Bedingung umformen zu: 1 ng + 1 g = K n n p - K x x x g g n (5.3-4) g* = ng 1+ ng K n n ng 1+ ng p - K x x xg ng x n Unterstellt man ng < -1, was der analogen Annahme für die Preiselastizität der Nachfrage im Gewinnoptimum ( xp < -1) entspricht, lässt sich an Bedingung (5.3-4) unmittelbar erkennen, dass die gewinnoptimale Grundgebühr umso niedriger ausfällt, je höher der nutzungsproportionale Preis p ist. Der Einfluss des Deckungsbeitrags aus dem Nutzungsumfang (p - [ K x / x]) auf die Höhe der Grundgebühr wird analog zu Bedingung (5.3-3) mit einem Elastizitätsverhältnis ( xg / ng ) sowie dem (durchschnittlichen) Nutzungsumfang je Nachfrager (x/ n) gewichtet: Je empfindlicher die Nachfrager hinsichtlich der Vertragsabschlüsse auf Veränderungen der Grundgebühr reagieren ( ng ) bzw. je geringer der Nutzungsumfang je Nachfrager ist, desto weniger beeinflusst der Deckungsbeitrag aus dem nutzungsproportionalen Preis die Höhe der Grundgebühr. Bei einem hohen positiven Deckungsbeitrag (p - [ K x / x]) und niedrigen Grenz-Kontraktkosten ( K n / n) kann sich formal in Bedingung (5.3-4) eine negative Grundgebühr ergeben. Die Nachfrager würden dann eine Geldzahlung für den Abschluss eines Vertrags erhalten, ohne Leistungen des Anbieters nachfragen zu müssen. Dies widerspricht der Zielsetzung der Gewinnmaximierung, da jeder Nachfrager einen solchen Vertrag schließen würde. Folglich ergibt sich wiederum die Randlösung mit g = 0 (Pay-per-Use-Tarif). In der Praxis existieren allerdings negative Grundgebühren: So erhält ein Nachfrager mitunter bei Abschluss eines Vertrags ein Guthaben bezogen auf seinen Leistungsumfang (z.B. Telekommunikationsbereich). Dies kann als negative Grundgebühr interpretiert werden (vgl. Büschken 1997, S. 10). Im Unterschied zum Modell der Bedingung (5.3-4) bekommt der Nachfrager diesen Betrag jedoch nicht ausbezahlt, sondern kann das Guthaben nur gegen seine nut- <?page no="297"?> 298 5 Preissysteme zungsabhängigen Ausgaben x i p verrechnen. Damit sich eine solche Investition in den Kunden jedoch - gegenüber einem einteiligen, vollständig nutzungsabhängigen Tarif - lohnt, muss er eine entsprechend größere Leistungsmenge abrufen. Dieses Guthaben bzw. eine solche negative Grundgebühr ist strukturell nicht mit den kostenlos abgegebenen Leistungseinheiten in einem dreiteiligen Tarif vergleichbar: Der Anbieter gibt zwar im Umfang der negativen Grundgebühr Leistungseinheiten kostenlos an den Nachfrager ab, das Guthaben des Nachfragers reduziert sich jedoch dadurch. Die kostenlosen Leistungseinheiten im dreiteiligen Tarif werden hingegen in jeder Abrechnungsperiode neu gewährt. Neben der Gewinnwirkung weisen zweiteilige Tarife analog zur quantitativen Preisdifferenzierung (Boni) eine Bindungswirkung des Kunden zumindest für die Vertragslaufzeit auf: Wollte ein Abnehmer den Anbieter wechseln, müsste er von neuem eine Grundgebühr entrichten. Die positive Grundgebühr besitzt folglich den Charakter einer spezifischen Investition des Nachfragers. Hinsichtlich der Preisoptik bestehen bei mehrteiligen Tarifen Parallelen zur Preisbündelung: So mag der Anbieter eine niedrige Grundgebühr (günstige nutzungsproportionale Preise) in der Preiswerbung besonders herausstellen, um Käufer anzulocken, während die korrespondierenden, vergleichsweise hohen nutzungsproportionalen Preise (Grundgebühr) nur im Hintergrund stehen. Dies ist eine Preistaktik, die bspw. Vergnügungsparks nutzen, indem sie niedrige Eintrittspreise offerieren (Grundgebühr), für viele Attraktionen oder die Gastronomie aber einen zusätzlichen (nutzungsabhängigen) Preis fordern. Bei einem dreiteiligen Tarif dienen die kostenlosen Leistungseinheiten als zugkräftiges Werbeargument für einen Anbieter (vgl. Ascarza et al. 2012, S. 897). Bei der Beurteilung der Akzeptanz eines mehrteiligen Tarifs ist davon auszugehen, dass eine Grundgebühr auf Verständnis der Nachfrager stößt, wenn sie mit nutzungsinvarianten (fixen) Vorleistungen des Anbieters, wie bspw. dem Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur begründet wird (vgl. Spremann/ Klinkhammer 1985, S. 791). Da solche Fixkosten die gewinnoptimale Grundgebühr nicht beeinflussen, stellt dies ein ökonomisch nicht sachlogisches Argument dar. Problematisch können zweiteilige Tarife hinsichtlich der Preistransparenz sein, da sie insbesondere bei alternativen Ausprägungen von Grundgebühr und nutzungsabhängigen Preisen aus Nachfragersicht komplex wirken (vgl. Spremann/ Klinkhammer 1985, S. 791). So zeigen Marktforschungsstudien, dass viele Nachfrager aufgrund der Komplexität des Tarifsystems ihre Mobilfunknutzung einschränkten und als „zu teuer“ empfanden. Daher erhoffen sich Anbieter durch die Abschaffung der Grundgebühr und ausschließlich nutzungsproportionaler Preise (Minutenpakete) eine höhere Netzauslastung vor allem durch Neukundengewinnung (vgl. Spree 2004, S. 19). <?page no="298"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 299 Hinsichtlich der Anforderungen, die ein Preissystem mit mehrteiligen Tarifen aus Anbietersicht stellt, ist zweifellos die numerische Optimierung von Grundgebühr und nutzungsproportionalen Preisen sowie des Umfangs etwaiger kostenloser Leistungseinheiten hervorzuheben. Dies setzt zum einen die Quantifizierung der Response-Funktionen x = x(p; g) und n = n(p; g) bzw. der vorgelagerten Nutzungsbzw. Zahlungsbereitschaftsfunktionen unter den Nachfragern voraus. Zum anderen sind exakte Lösungsverfahren zur Preisbestimmung nur bei einfachen Problemstrukturen möglich. Skiera (1999, S. 65-132) hat hierbei für spezifische Verteilungsfunktionen des Nutzungsverhaltens bzw. alternative Zahlungsbereitschaftsfunktionen gewinnoptimale Werte für Grundgebühr und nutzungsvariable Preise analytisch bestimmt. Bei Unterstellung nicht-linearer Response-Funktionen und alternativer Tarifklassen für heterogene Nachfragersegmente nimmt jedoch die Anzahl der zu berücksichtigenden Entscheidungsvariablen und Nebenbedingungen stark zu, weshalb dann Heuristiken (vgl. hierzu bspw. Skiera 1999, S. 136-138) oder Simulationstechniken (vgl. Büschken 1997) eingesetzt werden. Bezogen auf ein opportunistischen Unterlaufen eines Preissystems durch Nachfrager scheinen zweiteilige Tarife als relativ robust: Anders als bei Rabatten und Boni der quantitativen Preisdifferenzierung sind zweiteilige Tarife weniger anfällig, dass Light Buyers durch Abnahmegemeinschaften in den Genuss günstigerer nutzungsproportionaler Preise kommen und zugleich untereinander die Grundgebühr aufteilen. Häufig dürfte aufgrund technischer Gegebenheiten eine solche Nachfragerkooperation unpraktikabel sein (z.B. gemeinsamer Telefonanschluss, um in einen höheren Nutzungsumfang zu gelangen und die Grundgebühr zu teilen). In einem Preissystem mit mehrteiligen Tarifen kann der Nachfrager die aus seiner Sicht für ihn passende Tarifklasse wählen (z.B. Flatrate-Tarif, eine Kombination aus Grundgebühr und nutzungsabhängigen Preise oder nur nutzungsabhängige Preise). Eine Reihe von empirischen Studien hat sich mit dieser Entscheidung beschäftigt. Hierbei zeigen Studien (vgl. bspw. Della Vigna/ Malmendier 2006, Iyengar et al. 2006 oder Lambrecht et al. 2007) einen sog. Flatrate-Bias: Nachfrager präferieren in einem mehrteiligen Tarif die Flatrate, obwohl für sie hinsichtlich des Rechnungsbetrags - gemessen an ihrem tatsächlichen Nutzungsverhalten - ein zweiteiliger Tarif mit einer niedrigeren Grundgebühr und höheren nutzungsabhängigen Preisen günstiger wäre. Als Ursachen für einen solchen Flatrate-Bias konnten Lambrecht/ Skiera (2006, S. 213 und S. 221) identifizieren, dass Nachfrager keine ständigen Veränderungen im (monatlichen) Rechnungsbetrag, die nutzungsabhängige Preise verursachen, wünschen, oder das eigene Nutzungsverhalten überschätzen. Ein formales Lernmodell, das ein solches Überschätzen auch bei rationalem Verhalten erklärt, haben Goettler/ Clay (2011, S. 636-643) vorgestellt. Ferner lässt sich im Sinne des Mental Accountings argumentieren, dass eine Flatrate den Nutzen (Gain) der Leistungs- <?page no="299"?> 300 5 Preissysteme inanspruchnahme und den Loss des Bezahlens entkoppelt. Bei nutzungsabhängigen Preisen tritt hingegen der Taximeter-Effekt auf: Mit jeder konsumierten Leistungseinheit sieht der Nachfrager gedanklich seinen Rechnungsbetrag ansteigen, da er beide Größen in einem Mental Account zusammenfasst (vgl. Lambrecht/ Skiera 2006, S. 213). Daher stiftet für ihn ein Tarifsystem mit nutzungsvariablen Preisen weniger Nutzen als eine Flatrate. Die ökonomischen Folgen des Flatrate-Bias sind - langfristig - auch für den Anbieter negativ: Zum einen entstehen Kapazitätsprobleme: Bei Flatrates im Bereich Internet lassen Nachfrager ihren PC im Netz eingewählt, ohne aber das System ständig aktiv zu nutzen (Always on-Mentalität). Dies erfordert von den Anbietern den Aufbau von größer dimensionierten Netzkapazitäten und damit höhere Investitionen in die Infrastruktur, als es die tatsächliche Leistungsnutzung (Internetpräsenz) der Nachfrager erfordern würde. Pay-per-Use-Tarife senken demnach den notwendigen Investitionsaufwand. Zum anderen steigt die Gefahr der Vertragskündigung, wenn Nachfrager sehen, dass sie die Flatrate aufgrund ihrer Nutzungsinanspruchnahme nicht ausschöpfen und zudem zusätzliche Kosten für einen Tarifwechsel anfallen (vgl. Lambrecht/ Skiera 2006, S. 214). In einem formalen Model bilden Iyengar et al. (2007) Lernprozesse ab, in denen Nachfrager ihre anfängliche Überschätzung der Leistungsinanspruchnahme bzw. Unsicherheit bezogen auf die Produktqualität korrigieren und deshalb von der Flatrate auf ein Tarifsystem mit nutzungsvariablen Preisen wechseln. Anhand eines Datensatzes zeigen die Autoren, dass dies auch zum Vorteil des Anbieters ist (Win-win- Situation), da der Customer Lifetime Value eines Kunden im Durchschnitt um 35 % ansteigt. Grund hierfür ist, dass durch die Möglichkeit des Tarifwechsels die Gefahr der Vertragskündigung sinkt: Der Anbieter erzielt zwar weniger Erlös pro Periode, dafür aber diesen Erlös eine längere Zeitspanne als bei einem Flatrate-Tarif. Goettler/ Clay (2011, S. 649) ermitteln ihrem Datensatz eine Erlössteigerung um 20 %, wenn Nachfrager von einem (anfänglichen) Flatrate-Tarif auf einen zweiteiligen Tarif wechseln. Bei einem dreiteiligen Tarif erhalten Nachfrager im spezifizierten Umfang kostenlose Leistungseinheiten; dies scheint auf den ersten Blick für den Anbieter erlösmindernd, verglichen mit einem zweiteiligen Tarif, zumal Leistungen bei einem „Preis von Null“ in größerem Umfang als bei einem nutzungsabhängigen Preis nachgefragt werden. Ascarza et al. (2012, S. 888-896) zeigen jedoch anhand eines formalen Nutzenmodells und eines empirischen Datensatzes, dass die kostenlosen Leistungseinheiten die Gesamtwertschätzung des Angebots bzw. die empfundene Nutzenstiftung einer Leistungseinheit erhöhen. Möglicherweise bildet der Freemium-Teil des dreiteiligen Tarifs eine hohe Aufmerksamkeitswirkung für die Einschätzung des Angebots, wobei im betreffenden Mental Account der Nutzenstiftung der Dienstleistung (Gain) kein Loss eines zu zahlenden Preises gegenübersteht. Dieser hohe Nettonutzen führt zu einem größeren Nutzungsumfang („mehr telefonieren“), der bestehen bleibt, auch wenn der <?page no="300"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 301 Nachfrager die Freigrenze überschreitet. Die kostenlos abgegebenen Leistungseinheiten sind folglich eine Investition des Anbieters, um eine verstärkte Leistungsinanspruchnahme auszulösen, die er über der Freigrenze mit nutzungsabhängigen Preisen wieder hereinholt. 5.3.6 Rechtliche Würdigung von nachfragerbezogen heterogenen Preissystemen Grundsätzlich müssen Preissysteme mit einer nachfragerbezogenen Preisdifferenzierung Systemtransparenz und Diskriminierungsfreiheit aufweisen. Der erste Aspekt bezieht sich auf lauterkeitsrechtliche Anforderungen, die vor allem die Transparenz des Preissystems bzw. der Vorteilsgewährung betreffen. Der zweite Aspekt stellt auf wettbewerbsrechtliche Tatbestände ab, die relevant werden, wenn marktbeherrschende oder gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen marktstarke (unumgängliche) Unternehmen im Spiel sind; beide Arten sollen im weiteren als marktmächtige Unternehmen bezeichnet werden. Hinsichtlich der Präsentation von Art und Umfang der Vorteilsgewährung bei personeller oder quantitativer Preisdifferenzierung bestehen bezogen auf die Tatbestände der Preisverschleierung bzw. Irreführung große Parallelen zur Preisbündelung, weshalb auf die in Abschnitt 5.2.1.4 gemachten Ausführungen verwiesen werden darf. Kern der personellen und quantitativen Preisdifferenzierung ist die Diskriminierung von Nachfragern, da nicht jeder Abnehmer eine Produkteinheit zum gleichen effektiven Preis erhält (Rabattbzw. Konditionenspreizung). Gemäß der derzeitigen juristischen Auffassung impliziert Diskriminierungsfreiheit nicht, dass Unternehmen - von kartellrechtlichen Erfordernissen abgesehen - grundsätzlich gehalten sind, ihre Abnehmer gleich zu behandeln (vgl. bspw. Emmerich 2008, §29 Rdnr. 74-76; Loewenheim et al. 2009, §20 Rdnr. 99): Zweifellos gehört die Möglichkeit zur segmentspezifischen Preisdifferenzierung, die Gewährung von Mengenrabatten oder Bonuspunkten zur unternehmerischen Freiheit. Ein Verbot von niedrigeren Preisen für Nachfragersegmente mit höherer Preissensibilität oder niedrigeren Grenzkosten würde zum einen dem Recht auf Gewinnmaximierung widersprechen und zum anderen dem Verbraucherschutz zuwiderlaufen. Diskriminierungsfreiheit bezogen auf Kundenbindungssysteme kann deshalb nur bedeuten, dass jeder Nachfrager den gleichen Zugang (Chancengleichheit) zum Kundenbindungsprogramm hat (vgl. Fezer 2001, S. 1014). Auch eine Preisdifferenzierung ersten Grades, die dadurch entsteht, dass manche Nachfrager aufgrund einer „Geiz-ist-geil“-Mentalität besser als andere Nachfrager feilschen, und der Anbieter dem Feilscher deshalb das Produkt günstiger verkauft, stellt keine Diskriminierung dar (vgl. Heermann/ Ruess 2001, S. 886). <?page no="301"?> 302 5 Preissysteme Problematisch wird es allerdings, wenn bspw. rassistisch bedingte Preisdifferenzierungen, die ihrerseits anstößig sind, auftreten; hier muss die Rechtsordnung die lauterkeitsrechtliche Anerkennung verweigern (vgl. Heermann/ Ruess 2001, S. 885). Im Zeichen der gesellschaftlich als wünschenswert erachteten Gleichstellung von Mann und Frau steht auch die geschlechtsspezifische Preisdifferenzierung in der Kritik: So müssen seit Ende 2012 im EU-Binnenmarkt durch eine EU-Verordnung bei Versicherungsverträgen Männer und Frauen gleiche Versicherungstarife (Unisex-Tarife) erhalten, was dazu führt, dass bisher gegenüber Männern niedrigere Versicherungstarife für Frauen (z.B. Haftpflichtversicherung) ansteigen, höhere Versicherungstarife (z.B. Lebensversicherung) fallen. Diskriminierungstatbestände bei nachfragerbezogen heterogenen Preissystemen sind vor allem aus kartellrechtlicher Sicht relevant: Ein marktbeherrschendes Unternehmen darf gemäß § 20 Abs. 1 GWB bzw. ein gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen marktstarkes Unternehmen darf gemäß § 20 Abs. 2 GWB im Geschäftsverkehr gleichartige Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung nicht ungleich behandeln. Dies gilt auch für die Preisgestaltung: Hierbei kann ein marktmächtiges Unternehmen zum einen als Verkäufer auftreten und gleichartigen Abnehmern unterschiedliche Preise abverlangen (aktive Diskriminierung): Schwächere Abnehmer erhalten dann schlechtere Konditionen als stärkere Transaktionspartner. Ein marktmächtiges Unternehmen kann aber auch als Abnehmer von Leistungen auftreten und gegenüber seinen schwächeren (kleinen) Lieferanten Vorzugsbedingungen (z.B. höhere Rabattsätze) durchsetzen. Eine solche Lieferantenpreisdifferenzierung fällt unter den Tatbestand der passiven Diskriminierung und ist marktmächtigen Unternehmen analog zur aktiven Diskriminierung gemäß § 20 Abs. 3 GWB nicht erlaubt (vgl. Immenga/ Mestmäcker 2012, § 20 GWB, Rdnr. 249). Grund für das Verbot der aktiven bzw. passiven Preisdiskriminierung durch marktmächtige Unternehmen ist, den sog. Wasserbettbzw. Spiral-Effekt in einer Branche zu verhindern: Durch aktive bzw. passive Diskriminierung gewinnen in einer Branche große Akteure an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber kleineren Herstellern, da letztere mit höheren Einstandskosten kalkulieren müssen bzw. ihre Produkte nur zu schlechteren Konditionen verkaufen können: Große Akteure in der Branche werden dadurch immer stärker, kleine Akteure immer schwächer. Beides führt zu einem Verdrängungswettbewerb in der betreffenden Branche zulasten der kleinen Anbieter (Wasserbett-Effekt); dieser Verdrängungswettbewerb wird umso stärker, je größer das Machtungleichgewicht in einer Branche ist (Spiral-Effekt). Zu beachten ist, dass die kartellrechtlichen Diskriminierungsverbote nur für den geschäftlichen Verkehr zwischen Unternehmen, nicht jedoch für den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Privatpersonen gelten. Unterschiedliche Preise, die ein marktmächtiges Unternehmen fordert, sind jedoch nicht per se wettbewerbswidrig: So darf einem marktmächtigen Unternehmen zugestanden werden, dass es ein am Markt bereits vorhandenes Preis- <?page no="302"?> 5.3 Nachfragerbezogen heterogene Preissysteme 303 gefälle ausnutzt (vgl. WuW 2002, S. 387). Ebenso besteht keine Meistbegünstigungsverpflichtung dahingehend, dass ein marktmächtiges Unternehmen, das einem einzelnen Abnehmer bzw. Lieferanten günstigere Konditionen gewährt, allen anderen ebenfalls diese Vorzugsbedingungen anbieten muss (vgl. Immenga/ Mestmäcker 2012, § 20 GWB, Rdnr. 178). Als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ist es nur dann zu werten, wenn unterschiedliche Konditionen unbillig, d.h. ohne sachliche Rechtfertigung, gleichartigen Transaktionspartnern abverlangt werden. Gleichartigkeit liegt bezogen auf die passive Diskriminierung bspw. vor, wenn die Lieferanten gleiche Produktqualitäten oder gleiche logistische Leistungskraft besitzen; bei der aktiven Diskriminierung gehen die Abnehmer bspw. der gleichen unternehmerischen Tätigkeit (z.B. Einzelhandelsbetriebe) nach. Das Kriterium der sachlichen Rechtfertigung entzieht sich einer allgemeinen Festlegung und kann nur fallspezifisch beurteilt werden (vgl. Immenga/ Mestmäcker 2012, §20 GWB, Rdnr. 144). Als roter Faden in der Rechtsprechung gilt hierbei, ob eine diskriminierende Preissetzung leistungsbezogen (z.B. durch Kosten) bedingt und damit sachlich gerechtfertigt ist oder dem Bereich des Nichtleistungswettbewerbs (durch Marktmacht bedingt) zuzurechnen ist, was dann keine sachliche Rechtfertigung impliziert (vgl. Immenga/ Mestmäcker 2012, § 20 GWB, Rdnr. 138). Ferner müssen die Interessen der Beteiligten und die Beeinträchtigung der Freiheit des Wettbewerbs abgewogen werden. Die Erfassung von Verstößen gegen das passive Diskriminierungsverbot unterliegt dem sog. Ross-und-Reiter-Problem (vgl. Küpper 1997, S. 1107): Lieferanten, die sich gegen ungerechtfertigte Preisdiskriminierung gerichtlich beschweren wollen, laufen Gefahr, dass das marktmächtige Unternehmen die Transaktionsbeziehungen mit ihnen einstellt (Auslistung), da sich der Beschwerdeführer in einem solchen Verfahren kaum geheim halten lässt. Wenngleich § 33 Abs. 2 GWB eine Verbandsklage für rechtsfähige Vereine ermöglicht (vgl. Immenga/ Mestmäcker 2012, § 33 GWB, Rdnr. 57-59), setzt dies für den betroffenen Lieferanten Mitgliedschaft in diesem Verein und den Willen bzw. die Fähigkeit des Vereins, die Klage zu betreiben, voraus. Möglicherweise kommen dadurch Verstöße gegen das passive Diskriminierungsverbot nicht vor die Kartellbehörde. Auch Bonussysteme bzw. Kundenbindungsprogramme können wettbewerbsrechtlich kritisch sein: Ein wesentlicher marketingstrategischer Gesichtspunkt von Bonussystemen (Jahresrabatten) ist die Erhöhung der Absatzmenge, da Nachfrager ihre Bestellungen auf den betreffenden Anbieter konzentrieren, um in den Genuss der preislichen Vergünstigungen zu kommen. Diese Sogwirkung von Jahres- oder Treuerabatten ist nicht wettbewerbswidrig (vgl. Fezer 2001, S. 1013), kann jedoch bei marktmächtigen Unternehmen als Missbrauch ihrer Marktmacht gemäß § 19 Abs. 4 GWB angesehen werden. Die Abnehmer müssen sich für ein Jahr bei diesem Anbieter binden und relativ hohe Umsätze tätigen, um in den Genuss des Bonus zu gelangen. Eine solche Bezugskonzentration erschwert für Abnehmer den Lieferantenwechsel (hohe Wechselkosten) <?page no="303"?> 304 5 Preissysteme bzw. hat den Charakter einer Vertriebsbindung und behindert damit schwächere Konkurrenzanbieter bzw. verstärkt die Monopolisierung des Markts. Zudem dehnt der marktmächtige Anbieter analog zur Preisbündelung seine starke Marktstellung im Primärmarkt möglicherweise auf Sekundärmärkte aus, wenn deren Produkte ebenfalls der Bezugskonzentration unterworfen sind (vgl. Immenga/ Mestmäker 2012, § 20 GWB, Rdnr. 180). Kundenbindungssysteme, die von mehreren Unternehmen gemeinsam betrieben werden, laufen schließlich Gefahr, als Kartell (Rabattkartell) eingestuft zu werden (vgl. Fezer 2001, S. 105), wenn die beteiligten Partner eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bewirken (§ 1 GWB). Zur rechtlichen Wertung bzw. einer etwaigen Erlaubnis kann auf die Ausführungen zum Kartell in Abschnitt 4.5.3 verwiesen werden. Ferner hat ein freigestelltes Kundenbindungssystem das Diskriminierungsverbot des § 20 GWB zu beachten, weshalb kleine und mittlere Unternehmen, die nicht selbst Kundenbindungssysteme aufgebaut haben, einen kartellrechtlichen Anspruch auf Aufnahme in ein solches bestehendes Kundenbindungsprogramm haben dürften (vgl. Köhler 2001, S. 1162). 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 5.4.1 Vorbemerkungen Ein zeitlich heterogenes Preissystem impliziert ein (zeitlich) dynamisches Preismanagement: Der Anbieter setzt in verschiedenen Perioden seines Planungshorizonts unterschiedliche Preise für sein Produkt an, da er sich hiervon einen höheren Gesamtgewinn als bei einer Einheitspreis-Strategie, in der die Preise unverändert bleiben, verspricht. Zeitliche heterogene Preise können sich automatisch ergeben, wenn in jeder Planungsperiode die preisbestimmenden Einflussgrößen Veränderungen unterliegen, weshalb sich in jeder Periode ein neuer (periodenbezogen) gewinnoptimaler Preis ergibt. Dynamisches Preismanagement im engeren Sinn bedeutet jedoch, dass der Anbieter die Auswirkungen einer Preissetzung „heute“ auf den Absatz von „morgen“ beachtet, d.h. die zeitlichen Ausstrahlungswirkungen (indirekte Carry-over-Effekte) einer Preissetzung berücksichtigt. Allgemein kennzeichnen indirekte Carry-over- Effekte, dass sich die Wirkung einer preispolitischen Maßnahme über mehrere Zeitperioden verteilt, wobei die höchte Wirkung in der Regel im Zeitpunkt der Maßnahme auftritt und dann im Zeitverlauf schwächer wird (vgl. Siems 2009, S. 171f.). Zur Modellierung von Fragestellungen im dynamsichen Preismanagement bietet die Preisforschung mehrere methodische Zugänge, die im Folgenden dargestellt werden. <?page no="304"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 305 5.4.2 Periodenbezogene Amoroso-Robinson-Relation In manchen Branchen verläuft - bei gleichem Preis - die Nachfrage nach einem Produkt über einen bestimmten Zeitraum hinweg nicht konstant: Vielmehr treten in bestimmten Zeitperioden Nachfrager mit spezifischer maximaler Zahlungsbereitschaft gehäuft auf, weil die Inanspruchnahme einer Leistung in bestimmten Zeitfenstern unterschiedlichen Nutzen bewirkt: So stiftet das Urlaubsangebot „Baden am Meer“ im Sommer mehr Nutzen als in einer anderen Jahreszeit. Folglich fällt die maximale Zahlungsbereitschaft der Nachfrager für ein Badeurlaub-Angebot in der Sommersaison höher als in anderen Jahreszeiten aus. Hinzukommt, dass sich in dieser Jahreszeit viele Nachfrager für das Angebot interessieren, da sie aufgrund von Restriktionen (z.B. Schulferien der Kinder) nur in dieser Zeit in Urlaub fahren können/ wollen. Daher sind die Kapazitäten des Anbieters in dieser Zeitperiode stärker als in anderen Jahreszeiten ausgelastet. Zeitliche Preisdifferenzierung ist dann ein Reflex auf diese zeitlichen Variationen im Nachfrageverhalten. Auch zeitlich beschränkte Preisreduzierungen eines Produkts (Sonderangebote) beinhalten eine zeitliche Preisdifferenzierung, wobei hier die Zeitrestriktion („nur diese Woche günstig“) den Promotioncharakter der Preisaktion unterstreichen soll; hierunter fallen bspw. auch die Happy Hour in Gaststätten oder der Kinotag. Die Abgrenzung zur zeitlich differenzierten Nachfrage ist jedoch fließend: So lässt sich eine „Happy Hour“ ebenso dadurch begründen, dass am späten Nachmittag Gäste mit geringerer maximaler Zahlungsbereitschaft eine Bar aufsuchen, verglichen mit Gästen, die am Abend „einen Trinken gehen“. Lassen sich aus formaler Sicht über einen Planungszeitraum hinweg (t = 1, ..., T) zeitspezifische Nachfragebedingungen und Kostenfunktionen abgrenzen und bestehen weiterhin keine zeitlichen Interdependenzen auf Markt- und Kostenseite, was x t = x t (p t ) und K t = K f + K(x t ) impliziert, lautet die Gewinnfunktion ohne Berücksichtigung von Zinseffekten G = t=1 T x t (p t ) p t - K f - K t (x t ) max. Hieraus resultiert für den gewinnoptimalen Preis in einer Periode t (p t *) analog zur Herleitung der traditionellen Amoroso-Robinson-Relation: (5.4-1) p t * = t 1+ t K t x t mit: t = x t p t p t x t Reagieren in einer Periode des Planungszeitraums die Nachfrager weniger preisempfindlich, d.h. weisen sie eine - dem Betrage nach - geringere Preiselastizität auf, und/ oder verursacht das Angebot in dieser Periode höhere Grenzkosten, ist <?page no="305"?> 306 5 Preissysteme ein höherer Preis gewinnoptimal als in einer Zeitperiode, in der viele preisempfindliche Nachfrager auftreten und/ oder die Leistungserstellung zu geringeren Kosten möglich ist. So bieten Hotels seit jeher unterschiedliche Übernachtungspreise für Haupt- und Nebensaison an, Fluglinien offerieren einen Flug je nach Saison oder Wochentag zu unterschiedlichen Tarifen. Energieversorger differenzieren ihre Strompreise nach Tag- und Nachtstrom. Es liegt hierbei eine Preisdifferenzierung zweiten Grades vor, wenn ein Nachfrager durch eigene Entscheidung wählt, in welchem Zeitfenster er die Leistung in Anspruch nimmt. 5.4.3 Berücksichtigung von Carry-over-Effekten 5.4.3.1 Preisänderungseffekte Allgemein ist eine Steady-State-Preis-Mengen-Kombination (S t ) dadurch gekennzeichnet, dass mit einem konstanten Preis (p t-1 = p t = p t+1 ) ein konstanter Absatz (x t-1 = x t = x t+1 ) korrespondiert. Preisänderungseffekte (vgl. Diller 2008, S. 359-362) bzw. Carry-over-Effekte erfassen hierbei die Anpassungstendenzen im Absatz gegenüber einer Steady-State-Preis-Mengen-Kombination, nachdem eine Preisänderung aufgetreten ist. Hierbei lassen sich zwei Szenarien unterscheiden: Entweder wird in der Periode t der Preis nur kurzfristig verändert, weshalb in der nächsten Periode wieder der „alte“ Preis gilt (p t-1 = p t+1 p t ), oder der Preis wird in der Periode t dauerhaft angehoben bzw. gesenkt (p t+1 = p t p t-1 ). Preisänderungsbzw. Carry-over-Effekte liegen vor, wenn die alte Steady-State-Preis-Mengen-Kombination (erstes Szenario) bzw. die neue Steady- State-Preis-Mengen-Kombination (zweites Szenario) nicht sofort, sondern erst über mehrere Perioden hinweg durch Anpassungsprozesse des Absatzes erreicht wird. Hierbei können die Absatzreaktionen zunächst über oder unter der Steady-State-Preis-Mengen-Kombination liegen. Mehrere Verhaltensmuster solcher Anpassungsprozesse des Absatzes lassen sich unterscheiden. Abbildung 5.4-1 skizziert hierzu idealtypische Verlaufsformen (vgl. hierzu auch Kucher 1987, S. 177f.) Nachlauf- und Vorlauftal Aufgrund einer Preisreduzierung in der Periode t erwerben Nachfrager von diesem verbilligten Produkt mehr Mengeneinheiten als sie unmittelbar für ihre Konsumaktivitäten mit diesem Produkt benötigen, weil sie der Ansicht sind, dass die Preisreduzierung nicht von Dauer ist (Sonderangebot). Ebenso ziehen manche Nachfrager den Kauf des Produkts zeitlich vor, obwohl sie noch über ausreichende Mengeneinheiten des Produkts verfügen (Verkürzung des Wiederkaufintervalls): Ohne das Sonderangebot hätten sie erst später das Produkt wieder gekauft. In beiden Fällen legen die Nachfrager ein Hortungslager (For- <?page no="306"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 307 Abbildung 5.4-1: Carry-over-Effekte bei Preisänderungen ward Buying) an. Folge davon ist, dass in den nächsten Perioden, wenn das Produkt wieder den Normalpreis aufweist, der Absatz des betreffenden Produkts einige Zeit unter dem Absatzniveau vor der Preissenkung liegt. Es tritt ein sog. Nachlauftal auf (vgl. Glinz 1978, S. 60). Je länger der Sonderangebotszeitpunkt zurückliegt, desto kleiner ist dieses Nachlauftal, da sich im Laufe der Zeit das Hortungslager reduziert und so die alte Steady-State-Preis-Mengen-Kombination wieder erreicht wird (Fall a in Abbildung 5.4-1). Umgekehrt kann auch ein sog. Vorlauftal auftreten (vgl. Glinz 1978, S. 60; Schmalen et al. 1996, S. 29): In diesem Fall vermuten die Nachfrager aus dem Vorlauftal Nachlauftal x t P t x t P t P t x t t t P t x t Preissenkung Preiserhöhung Preiserhöhung Preissenkung x t P t t P t x t x t P t t P t x t F a ll a x t P t t P t x t x t P t t P t x t F a ll b F a ll c F a ll d F a ll e F a ll f steady-state (s t ) s t s t s t s t s t s t s t <?page no="307"?> 308 5 Preissysteme aktuellen Preissetzungsverhalten, dass demnächst ein Sonderangebot zu erwarten sei. Diese Vermutung mag im Preiswissen der Nachfrager begründet sein, wonach der Anbieter das Produkt in regelmäßigen Abständen ins Sonderangebot setzt, oder dass zu vorab definierten Terminen Preissenkungen in bestimmten Warenkategorien erfolgen (z.B. Sommerschlussverkauf). Aufgrund dieser Erwartung schieben Nachfrager die Käufe des Produkts zeitlich auf, weil sie das Sonderangebot abwarten. Damit geht vor der Preissenkung der Absatz des Produkts trotz unverändertem Preis zurück. Nachlauf- und Vorlauftal implizieren eine zeitbezogene Substitution des Produkts bei sich selbst. Empirische Untersuchungen im Einzelhandel liefern allerdings keinen klaren Nachweis der Existenz von Nachlauftälern (vgl. bspw. Grover/ Srinivasan 1992, S. 88; Walters/ Rinne 1986, S. 241; anders bspw. Dawes 2004, S. 307; Mace/ Neslin 2004, S. 341; van Heerde et al. 2000, S. 390). Ursache dürfte sein, dass die Absatzsteigerung eines Produkts (Primäreffekt) nur zu einem kleinen Teil auf Hortungskäufe zurückzuführen ist bzw. zum größeren Teil aus Markenwechsel oder dem Frequenzeffekt besteht. Daher überdecken zumeist exogene Faktoren im Absatzverlauf ein von vornherein relativ kleines Nachlauftal aufgrund von Hortung (vgl. Schmalen et al. 1996, S. 109). Preisimage-Effekte Wenn sich ein Nachfrager bei seinen Kaufentscheidungen nicht an den aktuellen Preisen, sondern am Preisimage des Produkts (Anbieters) orientiert, besitzt eine dauerhafte Preisänderung kurzfristig noch nicht die vollen Image- und damit Absatzwirkungen. Daher treten zunächst unterproportionale Absatzreaktionen auf und die neue Steady-State-Preis-Mengen-Kombination wird erst langfristig erreicht (Fall b in Abbildung 5.4-1). Inertia-Verhalten der Nachfrager Nachfrager mit geringem Preiswissen und niedrigem Involvement in einer Produktkategorie nehmen unter Umständen die zeitliche Dauer eines Sonderangebots nicht korrekt wahr. Sie erinnern sich aus der Vorwoche an eine Sonderangebotsaktion des betreffenden Produkts und halten das Produkt weiterhin für preisreduziert, obwohl die Preisreduzierung wieder aufgehoben ist. In einem solchen Fall von kognitiver Trägheit (Inertia-Verhalten) der Nachfrager verzeichnet ein Produkt auch nach dem Ende der Sonderangebotsaktion noch höhere Absatzzahlen, was ein Nachlauftal aufgrund von Hortungseffekten zunächst reduziert bzw. es erst später einsetzen lässt. Antizipierung von weiteren Preiserhöhungen Erhöht der Anbieter den Preis für sein Produkt in der Periode t, mögen Nachfrager dies als Startsignal von weiteren Preiserhöhungen des betreffenden Pro- <?page no="308"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 309 dukts in der Zukunft werten. Daher ziehen sie Käufe des Produkts, die sie erst in späteren Perioden geplant haben, vor, um noch zum - im Vergleich zu später - günstigeren Preis „heute“ das Produkt zu erwerben. Solche Vorsichtsbzw. Panikkäufe mögen sogar die zunächst paradoxe Konstellation bewirken, dass mit einer Preissteigerung eine Erhöhung der Absatzmenge einhergeht. Analog zu Hortungskäufen bei Sonderangeboten bewirkt die Antizipierung von weiteren Preiserhöhungen, dass in den späteren Perioden die vorgezogenen Käufe als Nachfrage ausfallen, weshalb die Absatzmenge zunächst stärker zurückgeht, als dies der neuen Steady-State-Preis-Mengen-Kombination entspricht (überproportionale Absatzreaktion, Fall e in Abbildung 5.4-1). Erwarten die Nachfrager keinen weiteren Preisanstieg, bauen sie ihr Hortungslager im Laufe der Zeit durch Konsum ab und stellen sich auf das neue Preisniveau ein; dadurch erreicht das Absatzniveau allmählich die neue Steady-State-Preis-Mengen-Kombination. Antizipierung von weiteren Preissenkungen Ebenso wie bei Preiserhöhungen mögen Nachfrager eine Preissenkung in der Periode t als Startschuss einer länger andauernden Preissenkungstendenz interpretieren. Daher halten sie sich in der Periode t mit Käufen zurück, weil sie auf noch günstigere Preise in der Zukunft spekulieren. Wiederum mag hierbei die paradoxe Konstellation eintreten, dass zum Zeitpunkt der Preisreduzierung der Absatz sogar zurückgeht. Generell fällt der Absatzanstieg aufgrund der Preissenkung zunächst zögerlich aus (unterproportionale Absatzreaktion, Fall b in Abbildung 5.4-1). Erst wenn die Nachfrager keine weiteren Preissenkungen mehr erwarten, ist die neue Steady-State-Preis-Mengen-Kombination erreicht. Antizipierung von kurzfristigen Preiserhöhungen Erwarten die Nachfrager, dass die Preiserhöhung eines Anbieters nur kurzfristig andauert, versuchen sie möglicherweise, den Kauf hinauszuschieben. Dadurch fällt der Absatz unter das Niveau, das sich als Steady-State-Absatzniveau bei dieser Preishöhe ergeben würde. Tritt die erwartete Preissenkung dann ein, realisieren die Nachfrager ihre „aufgestauten“ Kaufwünsche. Folglich ist der kurzfristig erzielte Absatz höher als das korrespondierende alte Steady-State-Absatzniveau. Bezogen auf die Preiserhöhung und die nachfolgende Preissenkung liegen jeweils überproportionale Absatzreaktionen vor (Fall f in Abbildung 5.4-1). Referenzpreiseffekte Eine schrittweise Annäherung an eine neue Steady-State-Preis-Mengen-Kombination (Fall c und d in Abbildung 5.4-1) tritt auch bei Preis-Absatz-Funktionen auf, die interne Referenzpreise als Absatzdeterminante enthalten, wobei die Referenzpreise ein Updating durch aktuelle Preisstimuli erfahren. Eine <?page no="309"?> 310 5 Preissysteme solche Preis-Absatz-Funktion führt Abschnitt 5.4.3.3 an. Eine Steady-State- Preis-Mengen-Kombination stellt sich ein, wenn sich der Referenzpreis durch das Updating nicht mehr verändert. Kennzeichen dieser schrittweisen Annäherung an die neue Steady-State-Preis-Mengen-Kombination ist, dass zu Beginn der Preisänderung die Absatzreaktionen stärker ausfallen (überproportionale Absatzreaktion) und dann im Zeitablauf abnehmen, um allmählich das geänderte Niveau zu erreichen. Zusammenfassend ist aufgrund von Carry-over-Effekten die kurzfristige Absatzwirkung einer Preisänderung nicht repräsentativ für die langfristige Wirkung anzusehen, weshalb eine kurzfristige Erfolgsbeurteilung für eine Preisänderung ein verzerrtes Bild vermittelt: So zeigen sich bei einer unterproportionalen Absatzreaktion auf eine Preisänderung erst langfristig die tatsächlichen Ausmaße der preisbedingten Absatzveränderung. Im Falle überproportionaler Absatzreaktionen darf sich der Anbieter bei Preissenkungen des anfänglich starken Absatzzuwachses längerfristig nicht sicher sein. Bei Hortungskäufen bezahlt er die Absatzsteigerungen zum Zeitpunkt der Preissenkung mit Absatzeinbußen im Nachlauftal oder hat sogar vor der Preissenkung Absatzrückgänge zu verzeichnen (Vorlauftal). Umgekehrt sollten ihn anfängliche Absatzeinbrüche bei Preiserhöhungen nicht entmutigen, weil sie - durch Anpassung des internen Referenzpreises - im Laufe der Zeit kleiner werden, wenngleich das Niveau der alten Steady-State-Preis-Mengen-Kombination nicht mehr erreicht werden dürfte. 5.4.3.2 Gewinnmaximierung bei Carry-over-Effekten Unterstellt man zeitliche Ausstrahlungswirkungen einer Preissetzung, liegt eine dynamische Preis-Absatz-Funktion vor: x t = x t (p t , p t-1 , p t-2 , ..., p t-T ) bzw. x t+1 = x t+1 (p t+1 , p t , p t-1 , ..., p t-T ) Wie die obigen Bedingungen zeigen, ist der in einer Periode erzielte Absatz die Folge des aktuell geltenden Preises und der Preisgeschichte, d.h. der in den vorausgegangenen Perioden angesetzten Preise. Carry-over-Effekte beinhalten dann, dass der Preis für ein Produkt in der Periode t nicht nur den Absatz in dieser Periode beeinflusst, sondern sich auch noch auf den Absatz von zukünftigen Perioden auswirkt, was in einer dynamischen Preiselastizität der Nachfrage zum Ausdruck kommt: t+ = dx t+ dp t p t x t+ 0 Bei t+ > 0 vermindert (erhöht) eine Preissenkung (Preissteigerung) in der Periode t die Absatzmenge in der Periode t + : Es findet eine zeitbezogene Substitution statt. Bei t+ < 0 bewirkt eine Preissenkung (Preiserhöhung) „heute“ hingegen einen Absatzzuwachs (Absatzverlust) in zukünftigen Perioden. Eine mögliche Ursache hierfür sind Preisimagebzw. Referenzpreiseffekte. <?page no="310"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 311 Die Höhe der dynamischen Preiselastizität bleibt über die Perioden hinweg keineswegs konstant. So ist analog zum „Updating“ eines Referenzpreises plausibel, dass der Einfluss eines Preises auf den zukünftigen Absatz abnimmt, je weiter zeitlich entfernt die betrachtete Periode ist (| t+ +1 | < | t+ |). Selbst das Vorzeichen der dynamischen Preiselastizität mag sich ändern: So kann Inertia- Verhalten der Nachfrager bei Sonderangeboten zunächst für einen länger andauernden Absatzzuwachs sorgen, in späteren Perioden tritt dann aber das Nachlauftal auf. Plant der Anbieter - ausgehend von „heute“ ( = 0) - seine Preise für insgesamt T Perioden, lautet unter Zugrundelegung der dynamischen Preis-Absatz- Funktion und eines Kalkulationszinssatzes r seine zu maximierende Zielfunktion: G = =0 T x t+ (p t+ ; p t+ ) p t+ - K(x t+ [p t+ ; p t+ )] (1+r) max. Von Interesse ist der gewinnmaximale Preis am Planungsbeginn ( = 0). Die Preiselastizität der Nachfrage in dieser Periode soll durch t = dx t dp t p t x t < 0 zum Ausdruck kommen. Da Entscheidungen nur für die Zukunft getroffen werden können, besitzt das Planungsproblem keine Vorgeschichte, weshalb x t = x t (p t ) gilt. In der nächsten, d.h. der ersten zukünftigen Periode, erweitert sich die Preis-Absatz-Funktion dann zu x t+1 = x t+1 (p t+1 ; p t ). Die Ableitung der Gewinnfunktion nach dem Preis in der ersten Planungsperiode ( = 0) lautet, wenn die Ausstrahlungswirkungen des Preises p t bis zum Planungshorizont T (x t+T ) erfasst werden: G p t = x t p t p t + x t - K x t x t p t + =1 T x t+ p t p t+ - K x t+ x t+ p t (1+r) - = 0 Die Parallelität zur Herleitung der Niehans-Bedingung (5.2-1) ist offensichtlich. Eine analoge Umformung führt zu Termen, die die dynamischen Preiselastizitäten t und t+ beinhalten, woraus sich dann für den gewinnmaximalen Preis p t ergibt: (5.4-2) p t * = t 1 + t K x t - 1 1 + t =1 T p t+ - K x t+ t+ x t+ x t (1+r) - <?page no="311"?> 312 5 Preissysteme Der erste Teil der Bedingung enthält die (statische) Amoroso-Robinson- Relation (Primäreffekt) mit t < -1; sie zeigt den gewinnmaximalen Preis an, der sich ergibt, wenn Carry-over-Effekte der Preissetzung in Periode t unberücksichtigt bleiben oder nicht existieren ( t+ = 0). Der zweite Term (Sekundäreffekt) erfasst die Ausstrahlungswirkungen des Preises p t , wobei 1/ (1 + t ) < 0 gilt. Analog zur Niehans-Bedingung unterstellt Bedingung (5.4-2), dass die Preise in der Zukunft (p t+ ) in ihrer gewinnoptimalen Ausprägung bekannt sind, was die praktische Anwendbarkeit von Bedingung (5.4-2) einschränkt. Die Carry-over-Effekte der Preissetzung beeinflussen den statisch-optimalen Preis um so stärker, je höher der Deckungsbeitrag des Produkts in der Zukunft ist (p t+ - K/ x t+ ), und je größer die zukünftigen Absatzzahlen (x t+ ) im Vergleich zum heutigen Absatz (x t ) sind. Die Diskontierung bewirkt allerdings, dass weiter in der Zukunft liegende Deckungsbeiträge mit einem geringeren Gewicht als zeitnahe Ergebnisse eingehen. Anders als im Sortimentsverbund ist bei Carry-over-Effekten zu berücksichtigen, dass sich das Vorzeichen der dynamischen Preiselastizität ( t+ ) im Zeitablauf ändern kann. Allgemein bedeutet eine Abweichung des dynamisch optimalen Preises (p t *) vom statisch optimalen Preis, dass auf kurzfristig erzielbaren Gewinn zugunsten höherer langfristiger Gewinne verzichtet wird. Dieser Trade-off zwischen kurz- und langfristigen Erträgen bildet einen Kernpunkt des dynamischen Preismanagements. Ist in der Mehrzahl der Perioden bzw. vor allem am Anfang des Planungszeitraums die dynamische Preiselastizität positiv, was zeitbezogene Substitution impliziert, liegt der dynamisch gewinnmaximale Preis über dem statisch optimalen Preis. Ebenso wie beim substitutiven Sortimentsverbund soll der höhere Preis „heute“ Hortungskäufe unterbinden, um den Absatz „morgen“ zu schonen. Im Falle von negativen dynamischen Preiselastizitäten kurbelt eine Preisreduzierung „heute“ auch „morgen“ den Absatz an. Der gegenüber dem statischen Preis niedrigere dynamische Preis ist als Investition des Anbieters bspw. in das Preisimage zu sehen, die ihm in der Zukunft höhere Absätze verschafft. Die explizite Preisbestimmung erfordert die Quantifizierung der dynamischen Preis-Absatz-Funktionen. Hier erscheint - wenn überhaupt - lediglich die ökonometrische Schätzung erfolgversprechend, da direkte Erhebungsmethoden oder das Conjoint Measurement nur Zahlungsbereitschaften, nicht aber Kaufzeitpunkte messen. Zur formalen Preisbestimmung ist bei einem Planungszeitraum von T Perioden ein System mit T Gleichungen simultan zu lösen, um die gesuchten periodenspezifischen Preise zu ermitteln. Im Falle linearer Preis- Absatz- und Kostenfunktionen bietet sich - analog zum Sortimentsverbund - die analytische Lösung des Gleichungssystems über die Matrizenrechnung an. <?page no="312"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 313 5.4.3.3 Preis-Absatz-Funktionen mit zeitveränderlichen Referenzpreisen Referenzpreismodelle implizieren ein zeitlich dynamisches Kaufverhalten, wenn ein vergangener Verkaufspreis den aktuellen internen Referenzpreis (p Rt ) beeinflusst und der Referenzpreis bzw. die Differenz zum aktuellen Preis (p t ) eine Absatzwirkung besitzt. Wenngleich Referenzpreismodelle in ökonometrischen Anwendungen zumeist zur Abbildung individueller Kaufwahrscheinlichkeiten herangezogen werden, lassen sie sich konzeptionell ebenso in deterministische Preis-Absatz-Funktionen integrieren (vgl. bspw. Kucher 1987, S. 178ff.; eine Übersicht über alternative Modellansätze findet sich bei Wricke et al. 2000). Eine mögliche formale Darstellung beinhalten die beiden folgenden Bedingungen: (5.4-3) x t = a b p Rt + (p Rt p t ) + ´ (p t-1 p t ), wobei das Updating des Referenzpreises Bedingung (2.1-6) folgt: (5.4-4) p Rt = p Rt-1 + (1 - ) p t-1 , mit: 0 1 Die Absatzmenge der Periode t (x t ) setzt sich in Bedingung (5.4-3) aus drei Komponenten zusammen: Zum einen wird der Absatz durch den Referenzpreis (p Rt ), der hier bspw. als Normalpreis (Preisimage) zu verstehen ist, unmittelbar beeinflusst. Zum anderen existieren zwei weitere Komponenten, die den Einfluss von Referenzpreisen auf den aktuellen Absatz abbilden. Liegt der aktuelle Preis (p t ) unter (über) dem Normalpreis (p Rt ), löst dies einen Absatzzuwachs (Absatzrückgang) gemäß (p Rt p t ) zur Normalpreis-Absatzmenge (x t = a b p Rt ) aus. Ebenso bewirkt eine absolute Preisveränderung zur Vorperiode einen Absatzschub ´ (p t-1 p t ), wenn der Preis „heute“ niedriger als in der Vorperiode ist (p t-1 p t < 0), bzw. einen zusätzlichen Absatzrückgang für p t-1 p t > 0. Hier bildet der Preis der Vorperiode somit einen zweiten Referenzpreis. In Bedingung (5.4-3) übt der aktuelle Verkaufspreis p t keinen unmittelbaren Einfluss auf den Absatz der betreffenden Periode aus, sondern er besitzt eine dreifache indirekte Wirkung: Zum Ersten über die Differenz zum Normalpreis (p Rt p t ), zum Zweiten durch die Aktualisierung des Referenzpreises in Bedingung (4.3-11) und zum Dritten über die Differenz zum Preis der Vorperiode (p t-1 p t ). Bedingung (5.4-3) bildet folglich eine Marktsituation ab, in der sich die Konsumenten bspw. aufgrund geringen Involvements oder habituellen Kaufverhaltens weniger vom aktuellen Preis, sondern mehr von ihrer Normalpreisvorstellung und von auffälligen Preisabweichungen im Kauf leiten lassen. Eine Modellerweiterung ergibt sich, wenn man - dem Gedanken der Prospect- Theorie folgend - eine asymmetrische Absatzwirkung der Preisdifferenzen abbildet: Preiserhöhungen bewirken einen größeren Absatzrückgang verglichen <?page no="313"?> 314 5 Preissysteme mit Preissenkungen in gleicher absoluter Höhe hinsichtlich ihrer Absatzsteigerung. Die Bedingungen (5.4-3) und (5.4-4) beinhalten ein komplexes dynamisches Wirkungsgeflecht, das eine Änderung des Verkaufspreises auslöst: Insbesondere liegt der in Abschnitt 2.1.3.1 skizzierte Verschleißeffekt von Preisreduzierungen vor, der ein Dilemma des dynamischen Preismanagements impliziert: Ein niedriger Verkaufspreis kurbelt zwar den aktuellen Absatz an, senkt aber den Referenzpreis für die Folgeperioden, was den Absatz des Produkts in der Zukunft zum Normalpreis erschwert. Da aber der Referenzpreis als Normalpreisempfinden den aktuellen Absatz ebenfalls beeinflusst, führen Preisreduzierungen dazu, dass sich das aktuelle Preisimage des Produkts verbessert, was den Absatz wiederum fördert. Welcher der beiden Effekte sich durchsetzt, hängt von der Größenordnung der Parameter b und in Bedingung (5.4-3) ab. Dies illustriert folgendes Beispiel: Fallbeispiel Es werden zwei Szenarien für die Bedingungen (5.4-3) und (5.4-4) unterschieden; zur Vereinfachung gilt in (5.4-3) ´ = 0. Im ersten Szenario (I) lautet die Preis-Absatz-Funktion: x t = 1000 - 50 p Rt + 100 (p Rt p t ); im zweiten Szenario (II): x t = 1000 - 50 p Rt + 10 (p Rt p t ). In Szenario II wird der Absatz wesentlich stärker vom Referenzpreisniveau (Preisimage) und weniger von der Differenz des aktuellen Verkaufspreises zum Referenzpreis bestimmt. Für die Updating-Funktion des Referenzpreises gilt jeweils: p Rt +1 = 0,7 p Rt + 0,3 p t . In der Periode t = 0 ist p 0 = p R0 = 10 gegeben. In jeder zweiten Periode beginnend mit t = 1 senkt der Anbieter den Preis auf p = 8, um ihn in der nächsten Periode wieder auf p = 10 zu erhöhen. Im Folgenden ist dargestellt, wie sich die Verkaufszahlen in den Perioden t = 0 bis t = 5 entwickeln und gegen welches Steady-State-Niveau die Absatzzahlen in der Sonderangebotsbzw. Normalpreisphase streben. Die Absatzentwicklung in den beiden Szenarien zeigt die folgende Tabelle. Es sind jeweils der aktuelle Referenzpreis einer Periode mit Hilfe der Updating-Funktion zu bestimmen und anhand der Parameter die Absatzmenge zu ermitteln. Hierbei treten in beiden Szenarien unterschiedliche Absatzzahlen auf: <?page no="314"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 315 Tabelle: Absatzmengen bei unterschiedlichen Referenzpreiswirkungen Das Steady-State-Absatzniveau in der Sonderangebotsbzw. Normalpreisphase ist erreicht, wenn der Referenzpreis den gleichen Wert in den aufeinanderfolgenden Sonderangebotsbzw. Normalpreisphasen aufweist; formal lässt sich dann auf das Zeitsubskript verzichten. Es gilt als Steady-State- Bedingung für die - Sonderangebotsphase: p R[Sonderang.] = 0,7 p R[Normal] + 0,3 10. - Normalpreisphase: p R[Normal] = 0,7 p R[Sonderang.] + 0,3 8 p R[Normal] = 0,49 p R[Normal] + 4,5. Hieraus resultiert: p R[Normal] = 8,82 und p R[Sonderang.] = 9,18. Für Szenario I ergibt sich als Steady-State-Absatzniveau in der Sonderangebotsbzw. Normalpreisphase: x steady[Normal] = 441 und x steady[Sonderang.] = 659. Analog gilt für Szenario II: x steady[Normal] = 547,2 und x steady[Sonderang.] = 552,8. Interpretation: In beiden Szenarien steigt die Preisdifferenz zwischen dem Verkaufspreis in der Normalpreisphase und dem jeweiligen Referenzpreis an (p Rt p t ) = {0; -0,60; -0,99} bzw. konvergiert gegen den Wert -1,18, während die Differenz des Sonderangebotspreises zum Referenzpreis (p Rt p t ) = {2; 1,58; 1,38} abnimmt und gegen den Wert 1,18 strebt. In Szenario I werden im Laufe der Zeit die Absatzgewinne im Sonderangebot verglichen mit dem ersten Sonderangebot in t = 2 kleiner x t = {700; 679; 669}, die Absatzverluste in der Normalpreisphase hingegen größer x t = {470; 445,5}, allerdings jeweils mit abnehmender Rate: Sie streben gegen x steady[Sonderang.] = 659 und x steady[Normal] = 441. In Szenario II erhöhen sich - mit abnehmender Rate - die Absatzgewinne im Sonderangebot x t = {520; 536,8; 544,8} und x steady [Sonderang.] = 552,8; Analoges gilt für den Absatz zum Normalpreis x t = {524; 534,6} und x steady[Normal] = 547,2. Allgemein treten in Szenario I bezogen auf den Sonderangebotspreis überproportionale Absatzreaktionen auf, da die t p t p Rt p Rt p t x t (bei I) x t (bei II) 0 10 10 0 500 500 1 8 10 2 700 520 2 10 9,40 -0,60 470 524 3 8 9,58 1,58 679 536,8 4 10 9,11 -0,99 445,5 534,6 5 8 9,38 1,38 669 544,8 <?page no="315"?> 316 5 Preissysteme Absatzmenge zunächst stärker ansteigt, als es der langfristigen Preis-Mengen- Kombination im Sonderangebot entspricht. Hinsichtlich des Normalpreises in Szenario I und in Szenario II liegen unterproportionale Absatzreaktionen vor, da die Absatzveränderungen erst allmählich auf das Steady-State-Niveau anwachsen. In Szenario I ist aufgrund der gegebenen Parameter der Absatzeffekt aus der Abweichung des aktuellen Verkaufspreises zum Referenzpreis wesentlich stärker als in Szenario II. Daher dominiert in Szenario I der Verschleißeffekt von Preisreduzierungen: In den Sonderangebotsphasen geht die Absatzsteigerung der Preisreduzierung zurück, weil die Differenz des Sonderangebotspreises zum Referenzpreis immer kleiner wird; in den Normalpreisphasen geht der Absatz zurück, weil der Referenzpreis aufgrund der Preisreduzierungen sinkt und der aktuelle Verkaufspreis dann immer mehr überhöht wirkt. In Szenario II bestimmt sich der Absatz hingegen vor allem aus dem aktuellen Referenzpreis, der in den jeweiligen Normalpreisperioden (10; 9,40; 9,11) ebenso wie in den Sonderangebotsphasen (10; 9,58; 9,38) durch die temporären Preisreduzierungen sinkt. Da die Differenz des Referenzpreises zum aktuellen Verkaufspreis in Szenario II nur eine vergleichsweise geringe Absatzwirkung besitzt, dominiert die positive Absatzwirkung aus dem kontinuierlichen Absinken des Referenzpreises. In Szenario II gelingt folglich eine dauerhafte Erhöhung des Absatzniveaus durch permanente Sonderangebote, in Szenario I schlägt diese Strategie fehl. Ergänzung: Eine Preis-Absatz-Funktion mit Integration von Referenzpreisen, die nur den Verschleißeffekt enthält, bietet die Formulierung: x t = a b p t + (p Rt p t ). Eine empirische Quantifizierung von Preis-Absatz-Funktionen mit Referenzpreisen bzw. Referenzpreiseffekten erfordert zunächst die Festlegung der funktionalen Form. Bedingung (5.4-3) beinhaltet nur eine Ausprägung einer Vielzahl von denkbaren Modellvarianten; hierbei lassen sich auch nichtlineare Absatzwirkungen für die Differenz von Referenzpreis und Verkaufspreis abbilden (vgl. bspw. Kopalle/ Lindsey-Mullikin 2003, S. 227). Zudem stellen Referenzpreise in empirisch beobachteten Preis-Mengen-Kombinationen keine direkt messbaren Größen dar. Deshalb unterstellen manche Modelle als Referenzpreis lediglich den Preis der Vorperiode oder einen Mittelwert aus vergangenen Preisen (vgl. bspw. Briesch et al. 1997, S. 205f.), da sich solche Referenzpreise unmittelbar aus den Marktdaten herleiten. Ferner ist die Nachfragerschaft möglicherweise heterogen bezogen auf Referenzpreise oder Referenzpreiseffekte, was eine zusätzliche Komplexität beinhaltet (vgl. zur Schätzung von Referenzpreismodellen mit Heterogenität der Konsumenten bspw. Boztug 2002). Bei Vorliegen von quantifizierten Preis-Absatz-Funktionen können aber dann Umsatzfunktionen und unter Hinzuziehung von Kostenfunktion Gewinnfunktionen gewonnen werden, <?page no="316"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 317 aus denen sich bspw. mit Hilfe von Simulationsanalysen optimale Preisstrategien (Höhe und Rhythmus von Preisreduzierungen) ableiten lassen. 5.4.4 Peak-Load-Pricing Insbesondere Dienstleistungen lassen sich aufgrund ihrer Immaterialität und dem Uno-actu-Prinzip von Produktion und Konsum nicht lagern; auch Produkte wie Strom kann ein Anbieter nicht auf Vorrat produzieren. Ist die Nachfrage nach solchen Produkten zeitlichen Schwankungen unterworfen (Tageszeit; Wochentag; Saison), läuft der Anbieter Gefahr, in Spitzenzeiten (Peak-Phase [PP]) Kunden aufgrund voll ausgelasteter Kapazitäten abweisen zu müssen, in nachfrageschwachen Zeiten (Flauten; Off-Peak-Phase [OP]) jedoch unausgelastete Kapazitäten zu haben. Höhere Preise für eine Leistungserbringung in Spitzenzeiten und niedrigere Preise in bislang nachfrageschwachen Zeitfenstern vermögen jedoch Nachfrage umzulenken (vgl. Nagle/ Holden 2002, S. 235). Dieses Peak-Load-Pricing beinhaltet damit ein zeitlich interdependentes, substitutives Nachfragesystem: Die Preissetzung in der Peak-Phase (Off-Peak-Phase) beeinflusst die Nachfrage in der Off-Peak-Phase (Peak-Phase): x PP = x PP (p PP ; p OP ), mit: PP/ PP = dx PP dp PP p PP x PP < 0; OP/ PP = dx OP dp PP p PP x OP > 0 x OP = x OP (p PP ; p OP ), mit: OP/ OP = dx OP dp OP p OP x OP < 0; PP/ OP = dx PP dp OP p OP x PP > 0 Analog zum substitutiven Sortimentsverbund dürfte zumeist eine asymmetrische zeitliche Substitution gegeben sein: Verteuert sich die Hauptsaison, dürften Urlaubswillige zunächst in die Nebensaison ausweichen, während bei einer Preiserhöhung in der Nebensaison vermutlich nur relativ wenige auf die teurere Hauptsaison umbuchen, sondern viele auf einen Urlaub an diesem Urlaubsort gänzlich verzichten. Ebenso dürften Preissenkungen in der Hauptsaison mehr Nebensaison-Urlauber anlocken als Preissenkungen in der Nebensaison Hauptsaison-Gäste umdisponieren lassen. Erweitert man die zeitliche Preisdifferenzierung der Bedingung (5.4-1) um Kapazitätsaspekte und zeitliche Nachfrageinterdependenzen, liegt ein Peak-Load- Pricing (zum Begriff vgl. Fassnacht 1996, S. 65) vor. Ziel eines solchen zeitbezogen dynamischen Preissystems ist, eine ausgeglichenere Kapazitätsauslastung und eine Ertragssteigerung durch ein stärkeres Abschöpfen der Konsumentenrente zu erreichen: Vergleichsbasis hierfür ist die Situation, dass der Anbieter über alle Phasen hinweg die Leistung zum gleichen Preis (Einheits- <?page no="317"?> 318 5 Preissysteme preis) offeriert. Im Peak-Load-Pricing entrichten Nachfrager für eine Leistung in der Spitzenzeit einen gegenüber dem Einheitspreis höheren Preis, während in der Flaute, in der der Preis unter dem Einheitspreis liegt, manche Nachfrager die Leistung in Anspruch nehmen, die sie ansonsten nicht gekauft hätten. Dies sind zum einen solche Nachfrager, die in der Spitzenzeit aufgrund der Kapazitätsüberlastung nicht zum Zug gekommen wären und zum höheren Einheitspreis in der Off-Peak-Phase die Leistung nicht gekauft hätten. Für diese Nachfrager stellt der niedrigere Preis (sog. Zeitrabatt) eine Entschädigung bzw. einen Anreiz dar, wenn sie die Leistung in einem Zeitfenster, für das sie keine so hohe Präferenz besitzen, in Anspruch nehmen. Zum anderen kann der niedrigere Preis in der Off-Peak-Phase solche Nachfrager gewinnen, die zum höheren Einheitspreis die Leistung überhaupt nicht erwerben würden (Neukundengewinnung): So mag sich mancher Kunde erst in der Nachsaison 14 Tage Urlaub auf einer Atlantikinsel leisten wollen/ können. Allerdings existieren im Peak-Load-Pricing auch Nachfrager, die zwar eine ausreichende Zahlungsbereitschaft für den Einheitspreis, aber keine ausgeprägte zeitliche Präferenz für die Inanspruchnahme dieser Leistung besitzen. Diese Lucky Winners profitieren davon, wenn sie in der Off-Peak-Phase die Leistung zu einem niedrigeren Preis erhalten. Dieses Nachfragersegment mindert folglich das Gewinnpotenzial des Peak-Load-Pricing gegenüber der Einheitspreisstellung. Preiserhöhungen in der Peak-Phase bzw. Preissenkungen in der Off-Peak-Phase gegenüber dem Einheitspreis lenken Nachfrage von der Spitzenzeit auf die Off- Peak-Phase um. Dadurch gelingt es dem Anbieter, seine Kapazitäten, die auf die Spitzenbelastung ausgelegt sind und in der Flaute brachliegen, gleichmäßiger auszulasten. Verursachen nicht ausgelastete Kapazitäten mengenvariable Leerkosten, bewirkt eine solche Nachfrageumlenkung zugleich eine Gewinnsteigerung durch Reduzierung von Leerkosten. Ein Peak-Load-Pricing führt allerdings nur dann zu einer Ertragssteigerung, wenn zum einen in anderen Zeitfenstern als der Spitzenzeit tatsächlich Bedarf nach dieser Dienstleistung besteht: Die Nutzeneinbuße der Nachfrager, außerhalb der Peak-Phase die Leistung in Anspruch zu nehmen, darf deshalb nicht zu groß ausfallen: Ansonsten müsste in der Off-Peak-Phase der Preis sehr stark gesenkt werden. Zum anderen müssen ausreichend viele Nachfrager trotz des höheren Preises bereit sein, die Dienstleistung in der Spitzenzeit nachzufragen. Insbesondere darf keine sog. Spitzenlast-Umkehr (Peak Reversal) auftreten (vgl. Nagle/ Holden 2002, S. 236): Hier wechseln viele Nachfrager von der Peak- Phase in das Zeitfenster mit dem günstigeren Preis: Dadurch sind die Kapazitäten zum günstigen Tarif überlastet, in der für den Anbieter ökonomisch attraktiven Spitzenzeit aber weitgehend frei. Aus formaler Sicht verbindet die Kalkulation der gewinnoptimalen Preise im Peak-Load-Pricing den Ansatz der (preis-)interdependenten Nachfrage (Nie- <?page no="318"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 319 hans-Bedingung) mit der Problemstellung von Kapazitätsengpässen. Skiera/ Spann (1998, S. 710f.) haben ein diesbezügliches Modell vorgestellt, das eine Peak-Phase mit t PP Perioden und eine Off-Peak-Phase mit t OP Perioden unterscheidet. Den Nachfragern sind zu Beginn des Planungszeitraums beide Preise bekannt, weshalb es keinen Einfluss hat, welche der beiden Phasen zuerst auftritt. C symbolisiert die Kapazität des Anbieters in jeder Periode, die nicht innerhalb des Planungszeitraums veränderbar ist. Der Aufbau der Kapazität hat Fixkostencharakter. Da in jeder Periode der Peakbzw. der Off-Peak-Phase die gleichen Preis-Mengen-Kombinationen gelten, vereinfacht sich die Zielfunktion mit Hilfe der bereits oben definierten Nachfragefunktionen x PP und x OP zu: G = p PP x PP (p PP ; p OP ) t PP + p OP x OP (p PP ; p OP ) t OP - K f - K(x PP t PP ; x OP t OP ) max. unter der Nebenbedingung der Einhaltung der Kapazitätsrestriktion: x PP (p PP ; p OP ) C und x OP (p PP ; p OP ) C Aufgrund der Nebenbedingungen ist die Gewinnfunktion in eine Lagrange- Funktion umzuformulieren: L = p PP x PP (p PP ; p OP ) t PP + p OP x OP (p PP ; p OP ) t OP - K f - K(x PP t PP ; x OP t OP ) - PP [x PP (p PP ; p OP ) - C] - OP [x OP (p PP ; p OP ) - C] max. Die Ableitung der Lagrange-Funktion ergibt für den optimalen Preis in der Peakbzw. Off-Peak-Phase (vgl. Skiera/ Spann 1998, S. 710): (5.4-2) p PP *= PP/ PP 1+ PP/ PP K x PP + PP t PP - 1 1+ PP/ PP p OP * - K x OP + OP t OP OP/ PP x OP t OP x PP t PP p OP *= OP/ OP 1+ OP/ OP K x OP + OP t OP - 1 1+ OP/ OP p PP * - K x PP + OP t OP PP/ OP x PP t PP x OP t OP Die formale Struktur des Peak-Load-Pricing und deren inhaltliche Aussagen ähneln sehr stark der traditionellen Niehans-Bedingung: Der erste Term der Bedingung (5.4-2), der Primäreffekt, bildet denjenigen Preis für eine Phase ab, der sich ergeben würde, wenn außer Acht gelassen wird, dass die Preissetzung in dieser Phase Auswirkungen auf den Absatz in der anderen Phase hat. Der zweite Term, der Sekundäreffekt, bringt dann die Korrekturwirkung der Berücksich- <?page no="319"?> 320 5 Preissysteme tigung dieser Interdependenz zum Ausdruck. Aufgrund des substitutiven Charakters ( OP/ PP , PP/ OP > 0) ist das Vorzeichen für den zweiten Term negativ ( PP , OP < -1), weshalb der Sekundärterm einen Preiszuschlag auf den ersten Term impliziert. Analog zur Niehans-Bedingung geht der Sekundäreffekt umso stärker in die Preiskalkulation einer Phase ein, je höher die Kreuzpreiselastizitäten ( OP/ PP , PP/ OP ) bzw. je größer der Deckungsbeitrag, der in der anderen Phase erzielt wird, sind. Ferner beeinflusst der Sekundäreffekt die Preiskalkulation der Peak-Phase vergleichsweise wenig, wenn der Gesamtabsatz in der Peak- Phase (x PP t PP ) bedeutsam im Vergleich zum Gesamtabsatz in der Off-Peak- Phase (x OP t OP ) ist. Umgekehrtes gilt für den Sekundäreffekt bei der Preiskalkulation der Off-Peak-Phase. Der Tatbestand von Kapazitätsengpässen kommt durch einen zusätzlichen Term des Primäreffekts zum Ausdruck, was eine Preiserhöhung gegenüber der Situation ohne Kapazitätsrestriktion impliziert. Da sich der Gewinn auf den gesamten Planungszeitraum bezieht, stellt der Term / t den Opportunitätsverlust des Verzichts auf eine zusätzliche (marginale) Leistungseinheit je Periode der betreffenden Phase dar. Analog zur Niehans-Bedingung im Sortimentsverbund beinhaltet Bedingung (5.4-2) keine explizite Lösung des Peak-Load-Pricing. Bei parametrisierten Funktionen ist folglich ein Mehrgleichungssystem simultan zu lösen, wobei das Vorzeichen der Lagrange-Parameter anzeigt, ob die Kapazität in einer Phase ausgeschöpft wird. Folgendes Vorgehen ist hierbei - ausgehend vom vollständigen Modell mit allen Kapazitätsengpässen - notwendig (vgl. Skiera/ Spann 1998, S. 711): Sind die Lagrange-Parameter in diesem Modell für beide Phasen positiv ( PP , OP > 0), ist die Optimallösung erreicht. Ist hingegen der Lagrange-Parameter für eine Phase negativ, muss eine erneute Optimierung des Modells ohne den betreffenden Lagrange- Parameter durchgeführt werden. In der Regel dürfte sich hierbei die Konstellation PP > 0, OP < 0 ergeben, weshalb in der neuerlichen Gewinnbestimmung dann OP = 0 gilt. Sollte nach dieser zweiten Optimierung auch für den anderen Lagrange- Parameter < 0 resultieren, ist die Optimierung nochmals mit = 0 zu wiederholen. In diesem Fall reichen die Kapazitäten in beiden Phasen für die Bedienung der gewinnmaximalen Nachfrage aus. Im Grunde verfügt der Anbieter dann über überdimensionierte Kapazitäten. Ein Beispiel soll die Methodik der Bestimmung gewinnoptimaler Preise im Peak-Load-Pricing illustrieren: <?page no="320"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 321 Fallbeispiel Die Nachfrage nach einer Dienstleistung (z.B. Hotelübernachtung) weist eine Hochsaison (PP) und eine Nebensaison (OP) auf, für die unterschiedliche Preis-Absatz-Funktionen gelten: x PP = 300 - 10 p PP + p OP bzw. x OP = 150 - 12 p OP + 2 p PP Die Dauer der Hochsaison beträgt t PP = 10, diejenige der Nebensaison t OP = 20 Perioden. Der Anbieter verfügt über eine nicht veränderbare Kapazität von C = 90 Einheiten je Periode. Die Kostenfunktion beträgt je Periode: K= 30 + 4 x, mit x = x PP , x OP Es interessiert, um wie viel das Peak-Load-Pricing den Gewinn gegenüber einer Einheitspreisstellung (EP), die zudem von Kapazitätsengpässen abstrahiert, steigern kann. Von Zinseffekten wird abgesehen. In der Einheitspreisstellung setzt der Anbieter in Hoch- und Nebensaison den gleichen Preis an (p EP = p PP = p OP ), weshalb die Zielfunktion lautet: G EP = (300 - 9 p EP ) p EP 10 + (150 - 10 p EP ) p EP 20 - 30 30 - 4 (300 - 9 p EP ) 10 - 4 (150 - 10 p EP ) 20 = 7160 p EP - 290 p EP 2 - 24900 max. Hieraus resultiert: G p EP = 7160 - 580 p EP = 0; p EP * = 12,34; x PP,EP = 188,94; x PP,EP = 90; x OP,EP = 26,6; G EP = 11042,8 Die Nachfragemenge von x PP,EP = 188,94 in der Hochsaison vermag der Anbieter aufgrund seiner Kapazitätsbeschränkung von 90 Einheiten nicht vollständig zu bedienen. Er muss 98,94 Mengeneinheiten ablehnen. In der Nebensaison ist seine Kapazität nicht ausgelastet; mit einer Nachfragemenge von x OP,EP = 26,6 erzielt er einen Auslastungsgrad von 29,6 % bezogen auf seine Kapazität. Bei der Bestimmung des Peak-Load-Pricing ist zunächst das vollständige Modell zu verwenden: L = (300 - 10 p PP + p OP ) p PP 10 + (150 - 12 p OP + 2 p PP ) p OP 20 - 30 30 - 4 (300 - 10 p PP + p OP ) 10 - 4 (150 - 12 p OP + 2 p PP ) 20 - PP (300 - 10 p PP + p OP - 90) - OP (150 - 12 p OP + 2 p PP - 90) max. Es sind die partiellen Ableitungen nach den vier Parametern p PP , p OP , PP und OP zu bilden: <?page no="321"?> 322 5 Preissysteme (i) L p PP = 3240 - 200 p PP + 50 p OP + 10 PP - 2 OP = 0 (ii) L p OP = 3920 - 480 p OP + 50 p PP + 12 OP - PP = 0 (iii) L PP = 300 - 10 p PP + p OP - 90 = 0 (iv) L PP = 150 - 12 p OP + 2 p PP - 90 = 0 Aus (iii) und (iv) resultiert als vorläufiges Ergebnis: p PP = 21,86 und p OP = 8,64. Setzt man beide Preise in (i) und (ii) ein, resultiert PP = 56,52 und OP = -67,44. Damit ist in der Nebensaison die Kapazität nicht auszulasten. Aufgrund von OP < 0, ist eine neuerliche Optimierung mit OP = 0 notwendig. In der dergestalt verkürzten Zielfunktion lauten die partiellen Ableitungen: (i) L p PP = 3240 - 200 p PP + 50 p OP + 10 PP = 0 (ii) L p OP = 3920 - 480 p OP + 50 p PP - PP = 0 (iii) L PP = 300 - 10 p PP + p OP - 90 = 0 Aus (ii) und (iii) lassen sich durch gegenseitiges Einsetzen die optimalen Preise ermitteln: p PP * = 22,03 und p OP * = 10,30, was in (i) zu PP = 65,1 führt. Damit ist die Optimallösung gefunden: Sie weist die Absatzmengen x PP * = 90 [Kapazitätsgrenze] und x OP * = 70,46 auf. Als Gewinn im Peak-Load- Pricing („PLP“) auf Basis der Kapazität von 90 Einheiten resultiert G PLP * = 24205,54. Die Kapazitätsauslastung in der Nebensaison steigt auf 78,3 %. Interpretation: Die Gewinnsteigerung des Peak-Load-Pricing gegenüber der Einheitspreisstellung ist zum einen dadurch begründet, dass die zeitphasenspezifischen Preise besser an die jeweils geltenden Marktbedingungen angepasst sind (zeitliche Preisdifferenzierung). Zudem führt die Einbeziehung der Kapazitätsrestriktion dazu, dass in der Peak-Phase (Hochsaison) ein höherer Preis angesetzt wird als ohne Beachtung der Kapazitätsrestriktion. Dies kommt gleichzeitig der Off-Peak-Phase (Nebensaion) zugute, da preisbedingt Nachfrager aus der Peakin die Off-Peak-Phase wechseln, zumal ihnen mit dem niedrigeren Preis ein Anreiz bzw. eine Entschädigung geboten wird, in dieser Phase die Leistung nachzufragen. <?page no="322"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 323 Hinsichtlich der Einschätzung der Preisfairness durch die Nachfrager ist die zeitliche Preisdifferenzierung bzw. das Peak-Load-Pricing nicht unproblematisch: So mag der Nachfrager Hochsaisonpreise als Ausnutzen einer Zwangslage interpretieren, wenn er keine Möglichkeit hat, in einer anderen Jahreszeit die Leistung in Anspruch zu nehmen. Daher empfiehlt es sich, das Peak-Load- Pricing durch eine leistungsbezogene Differenzierung zu flankieren: In der Hochsaison werden zusätzliche Leistungen geboten, die in der Nebensaison nicht laufen bzw. sich in dieser Zeit aufgrund der geringeren Nachfrage aus Kostensicht nicht lohnen. Häufig liegt allerdings bereits eine gewisse natürliche Differenzierung vor, da bspw. die klimatischen Rahmenbedingungen in der Hochsaison besser sind. In Weiterführung des Gedankens sind die Leistungen in den spezifischen Zeitfenstern - vor allem kommunikationspolitisch - als unterschiedliche, eigenständige Produkte zu vermarkten. Zeitliche Preisdifferenzierung geht dann vollständig in eine leistungsbezogene Preisdifferenzierung über. Auch dies dürfte dazu beitragen, dass Nachfrager den Hochsaison-Preisaufschlag bzw. die Preisdifferenz zur Nebensaison akzeptieren. 5.4.5 Yield-Management 5.4.5.1 Rahmenbedingungen des Yield-Managements Das Yield-Management (Yield-Pricing) beinhaltet eine Weiterentwicklung der Gedanken der zeitlichen Preisdifferenzierung und des Peak-Load-Pricing. Ziel ist es, auf Märkten, die sich durch spezifische Rahmenbedingungen der Leistungserstellung und des Nachfragerverhaltens auszeichnen, durch Festlegung differenzierter Preis- und Kapazitätsstrukturen (Preis-Kapazitäts- Steuerung) höhere Gewinne als bei einfachen Preissystemen zu erwirtschaften: Es soll der Ertrag je verfügbarer Kapazitätseinheit maximiert werden (vgl. Tscheulin/ Lindenmeier 2003, S. 630; Ferrell/ Hartline 2008, S. 233). Dies erklärt die ursprüngliche Wortbedeutung des Yield-Managements als Ertragsmanagement bzw. Revenue-Management. Abbildung 5.4-2: Rahmenbedingungen des Yield-Managements R a hm enbedingu ngen d e s Y i e ld - Mana gements inflexible Gesamtkapazität und virtuelle Kapazitätskontigente Marktsegmente mit spezifischer Preiselastizität und korrespondierendem Buchungsverhalten Verkauf/ Buchung vor Produktion <?page no="323"?> 324 5 Preissysteme Folgende Rahmenbedingungen sind für den Einsatz des Yield-Managements kennzeichnend (vgl. Abbildung 5.4-2). Zentrale Aspekte dieser Rahmenbedingungen finden sich auch bei Siems (2008, S. 301), Simon/ Fassnacht (2009, S. 433f.) oder Tscheulin/ Lindenmeier (2003, S. 630- 633) skizziert. Inflexible Gesamtkapazität und virtuelle Kapazitätskontingente Die Kapazität des Anbieters ist kurzfristig nicht veränderbar. Die Leistungen selbst sind nicht lagerbar, weshalb keine Produktion auf Vorrat möglich ist. Dies trifft typischerweise für Dienstleistungen zu. Die Leistungserstellung erfolgt zudem blockweise, d.h. zu einem bestimmten Zeitpunkt kann der Anbieter in Höhe seiner dann vorhandenen Kapazität Leistungseinheiten produzieren. Die Grenzkosten einer zusätzlichen Leistungseinheit unterhalb der Kapazitätsgrenze sind relativ gering: So fasst ein Flugzeug, das ein Anbieter auf einer bestimmten Flugstrecke an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Abflugzeit einsetzt, 300 Sitzplätze. Die Kostensteigerung, einen zusätzlichen Fluggast mitzunehmen, wenn die Kapazität noch nicht ausgelastet ist, fällt relativ gering aus. Wenngleich die Kapazität physisch unflexibel ist, lässt sich virtuell die Kapazität in verschiedene Kontingente (Buckets of Inventory; vgl. Friege 1996, S. 619; Klein 2001, S. 246-248) aufteilen, die spezifischen Marktsegmenten zugeordnet sind. So reserviert die Fluglinie von den 300 Sitzplätzen 100 Plätze für Frühbucher, die das Ticket zu einem Frühbucherrabatt erhalten, und 200 Sitzplätze für Normalbucher, die das Ticket zum Normalpreis erwerben. Kapazitätskontingente können aber auch leistungsbezogen und damit physisch wahrnehmbar differenziert sein: So weist die Fluglinie 80 Sitzplätze im betreffenden Flugzeug als Business Class und 220 als Economy Class aus, wobei eine Umgruppierung der Kontingentgrößen relativ einfach möglich ist. Durch Herausnahme einer Sitzreihe, um mehr Beinfreiheit im Flugzeug zu gewinnen und durch Ausgabe eines Premium-Menüs mit kostenlosem Alkoholausschank anstelle der normalen Bordverpflegung, werden ursprüngliche Economy Class-Sitzplätze im Flugzeug rasch und mit geringen Mehrkosten in Business Class-Sitzplätze umgewandelt. Verkauf / Buchung vor Produktion Der Nachfrager reserviert durch die Buchung bereits „heute“ die Leistungsinanspruchnahme, die er zu einem späteren Zeitpunkt (Flugtermin) abruft. Bei einem vordefinierten Leistungsumfang (z.B. Flugreise) entrichtet er im Gegenzug bei der Buchung bereits den Kaufpreis oder geht die betreffende Zahlungsverpflichtung ein. Aus Anbietersicht tritt die Umsatzerzielung deshalb zeitlich vor der Produktion auf; durch die Kumulierung der Buchungen in der Zeitspanne ab Buchungsbeginn bis zum Zeitpunkt der Leistungserstellung (Buchungsphase) <?page no="324"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 325 füllt sich die Kapazität virtuell auf, bevor sie dann faktisch in Anspruch genommen wird. Analoges gilt, wenn ein Hotelbesitzer (Gastwirt) Zimmerbuchungen (Tischreservierungen) für spätere Zeitpunkte vornimmt. Hier liegt in der Regel allerdings noch keine Vorausbezahlung der Leistungsinanspruchnahme vor. Manche Nachfrager reservieren zwar eine Leistung, treten aber vor der Inanspruchnahme der Leistung, d.h. während der Buchungsphase des Anbieters, wieder zurück (Stornierung) oder buchen die Leistung um; andere Nachfrager nehmen die Leistung zum vereinbarten Zeitpunkt nicht wahr: So erscheinen Passagiere mit gültigem Ticket nicht zum Abflugtermin, reservierte Zimmer (Tische) bleiben leer, weil der Gast nicht anreist. Solche faktischen Stornierungen zum Zeitpunkt der Leistungserstellung werden als No Shows bezeichnet (vgl. Friege 1996, S. 619). Aufgrund von No Shows unterliegt die tatsächliche Kapazitätsauslastung zum Zeitpunkt der Leistungserstellung Unsicherheiten bzw. bereits belegte Kapazitätseinheiten innerhalb der Buchungsphase werden durch Stornierungen und Umbuchungen wieder frei. Die preisbezogene Behandlung solcher zurückgegebener oder nicht in Anspruch genommener Leistungseinheiten ist Gegenstand des betreffenden Vertrags zwischen Anbieter und Nachfrager bzw. Ausfluss der Branchengepflogenheiten und Marktmacht des Anbieters: Im Extremfall hat der Nachfrager die reservierte Leistungseinheit bereits bezahlt, erhält aber bei Stornierungen oder No Shows nichts zurück, was dem Anbieter Umsätze ohne Kosten für die Erbringung dieser Leistungseinheit liefert. In der Regel erhält der Nachfrager allerdings den Kaufpreis zurück, der Anbieter setzt aber bei Stornierungen oder Umbuchungen vertraglich definierte Gebühren an, die ebenfalls Umsatzcharakter besitzen: Stornierungsbzw. Umbuchungsgebühren lassen sich damit begründen, dass es dem Anbieter nicht mehr möglich ist, die durch Stornierung oder Umbuchung frei gewordene Kapazitätseinheit aufgrund der knappen Zeit vor der Leistungserbringung an einen anderen Nachfrager zu verkaufen. Stornierungsgebühren sind dann eine Entschädigung des Anbieters für den entgangenen Gewinn einer freigebliebenen Kapazitätseinheit. Lassen sich keine Stornierungsgebühren durchsetzen, sind reservierte, aber später wieder zurückgegebene bzw. überhaupt nicht in Anspruch genommene und damit nicht bezahlte Leistungseinheiten Teil des allgemeinen Absatzrisikos eines Anbieters. Marktsegmente mit spezifischer Preiselastizität und dazu korrespondierendem Buchungsverhalten Zentrale Rahmenbedingung für das Yield-Management ist der Tatbestand, dass Marktsegmente mit unterschiedlicher maximaler Zahlungsbereitschaft bzw. Preiselastizität für die Leistung existieren und diese Marktsegmente zugleich ein zeitlich unterschiedliches Buchungsverhalten an den Tag legen: So lassen sich <?page no="325"?> 326 5 Preissysteme bspw. Hochpreiskäufer mit späten Buchungen (Late Arrivals) und Niedrigpreiskäufer mit früher Buchung (Early Arrivals) unterscheiden (vgl. bspw. Desiraju/ Shugan 1999, S. 46): Das zeitlich spätere Buchungsverhalten der Hochpreiskäufer lässt sich bspw. darin begründen, dass sie hohe Commitment-Kosten empfinden, wenn sie sich bereits lange im Voraus auf einen bestimmten Zeitpunkt der Leistungsinanspruchnahme (z.B. Flug) festlegen müssen. Zudem benötigen sie oft kurzfristig diese Leistung und sind daher bereit, für ihre Flexibilität dem Anbieter einen höheren Preis zu entrichten (z.B. Geschäftsreisende). Umgekehrt wissen Privatreisende bisweilen lange im Voraus, wann sie die Leistung in Anspruch nehmen; zugleich besitzen sie eine geringe maximale Zahlungsbereitschaft, weil sie bspw. aufgrund des größeren zeitlichen Vorlaufs vor der Leistungsinanspruchnahme mehr Möglichkeiten haben, nach alternativen, preisgünstigeren Reisemöglichkeiten Ausschau zu halten. 5.4.5.2 Instrumente des Yield-Managements Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen sind mehrere Instrumente des Yield-Managements zu unterscheiden (vgl. Abbildung 5.4-3): Abbildung 5.4-3: Instrumente des Yield-Managements Eine Diskussion darüber erscheint müßig, ob alle oder bereits einzelne Komponenten aus Abbildung 5.4-3 das Yield-Management konstituieren. Frühbucherrabatte Das Optimierungsproblem des Anbieters besteht darin, seine vorhandene Kapazität gewinnoptimal auf die Marktsegmente mit ihren spezifischen Preiselastizitäten aufzuteilen. Hierfür dient als Instrument der Preis. Bezeichnet x H (x N ) die Absatzmenge der Hochpreiskäufer (Niedrigpreiskäufer), die eine Leistungsein- I ns trumente strategische Instrumente Feinsteuerung Frühbucherrabatte Überbuchungen leistungsbezogene Kapazitätskategorien Last-minute-Angebote und Stand-by-Tickets Honorierung von Erleichterungen (Preisaufschläge für Erschwerungen) der Kapazitätsplanung geschachtelte Kapazitätskontingente <?page no="326"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 327 heit zum Preis p H (p N ) erhalten, lautet die formale Gewinnmaximierungsbedingung unter der Kapazitätsrestriktion von C Einheiten: L = x H (p H ) p H + x N (p N ) p N - K f - K(x H [p H ])- K(x N [p N ]) - (x H [p H ] + x N [p N ] - C) max. Aus den partiellen Ableitungen nach den beiden Preisen (i) L p H = x H p H p H + x H - K x H x H p H x H p H = 0 p H + x H p H x N - K x H = (ii) L p N = x N p N p N + x N - K x N x N p N x N p N = 0 p N + x N p N x N - K x N = folgt: (5.4-3) p H + x H p H x N - K x H = p N + x N p N x N - K x N mit: p i + x i p i x i als Grenzumsatz für i = H, N. Im Gewinnoptimum ist der Grenzgewinn einer zusätzlichen Mengeneinheit in beiden Kapazitätskategorien gleich groß. Eine explizite Bestimmung der Größe der Kapazitätskategorien erfordert allerdings eine Parametrisierung der Funktionen. Fallbeispiel Die Nachfrage der Hochbzw. Niedrigpreiskäufer (x H ; x N ) nach einem Flugticket für eine bestimmte Verbindung lautet: x H = 300 - 5 p H bzw. x N = 400 - 10 p N Für die Kostenfunktion des Anbieters, der über eine Kapazität von C = 150 Einheiten verfügt, gilt: K= 300 + 4 x, mit x = x H + x N <?page no="327"?> 328 5 Preissysteme Gesucht ist die gewinnoptimale Aufteilung der Kapazität in ein Kontingent für Niedrigpreiskäufer (Frühbucher; Economy Class) und Hochpreiskäufer (Normalbucher; Business Class). Aus der Zielfunktion L = (300 - 5 p H ) p H + (400 - 10 p N ) p N - 300 - 4 (300 - 5 p H ) - 4 (400 - 10 p N ) - (300 - 5 p H + 400 - 10 p N - 150) max. folgen die partiellen Ableitungen: (i) L p H = 320 - 10 p H + 5 = 0 (ii) L p N = 440 - 20 p N + 10 = 0 (iii) L = 300 - 5 p H + 400 - 10 p N - 150 = 0 p H = 110 - 2 p N Aus (i) und (ii) ergibt sich die Beziehung: p H = p N + 10. Hieraus resultiert dann in (iii) eingesetzt p H * = 43,33 mit x H * = 83,3 und p N * = 33,33 mit x N * = 66,7. Den Niedrigpreiskäufern wird ein Kapazitätskontingent von 66,7 Einheiten, den Hochpreiskäufern von 83,3 Einheiten eingeräumt. Würden die Marktsegmente der Hoch- und Niedrigpreiskäufer gleichzeitig die Leistungsinanspruchnahme buchen, dürfte der Anbieter die obige Preisdifferenzierung kaum durchzuführen vermögen. Wenn sich jedoch Niedrigpreiskäufer zeitlich früher als Hochpreiskäufer zur Buchung entschließen, definiert der Anbieter einen zeitlichen Korridor in der Buchungsphase, innerhalb dessen denjenigen Nachfragern, die dann die Leistung buchen, ein Rabatt (Frühbucherrabatt) eingeräumt wird. Dies sind im Wesentlichen die Niedrigpreiskäufer. Durch Vorgabe der Kapazitätskontingente - in Höhe von x N * - stellt der Anbieter dabei sicher, dass im Sinne der Gewinnmaximierung nicht zu viele Leistungseinheiten durch Frühbucherrabatte an die Niedrigpreiskäufer veräußert werden. Ist das Kapazitätskontingent x N * ausgeschöpft, wechselt er in die Normalpreisphase über. Zunächst spricht der Anbieter folglich mit den Frühbucherrabatten das Marktsegment der Niedrigpreiskäufer an, bevor er das Hochpreissegment abarbeitet. In diesem Sinn ist das Yield-Management Ausdruck der personellen Preisdifferenzierung, das mit „Zeitrabatten“ eine operationale Umsetzung erfährt. Frühbucherrabatte müssen hierbei nicht nur in monetären Leistungen bestehen, sie können auch in Kundenkartensysteme integriert sein: So schreibt eine Kreditkartenfirma ihren Kunden, die bei bestimmten Vertragspartnern bis zu einem bestimmten Termin eine Reise buchen, eine bestimmte Anzahl an Bonuspunkten gut. <?page no="328"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 329 Leistungsbezogene Kapazitätskategorien Eine gleichzeitige Buchung verschiedener Kapazitätskontingente ist möglich, wenn die Kapazität leistungsbezogen aufgeteilt wird. So lässt sich das obige Rechenbeispiel auch dahingehend interpretieren, dass von der Gesamtkapazität 66,7 Einheiten als Economy-Class-Plätze und 83,3 Einheiten als Business-Class- Plätze ausgewiesen werden (leistungsbezogene Kapazitätskategorien). Honorierung von Erleichterungen (Preisaufschläge für Erschwerungen) in der Kapazitätsplanung Ein Nachfrager, der lange vor der Leistungserstellung als Käufer auftritt, erleichtert dem Anbieter die Kapazitätsplanung bzw. vermindert dessen absatzpolitisches Risiko. In diesem Sinn lässt sich der Frühbucherrabatt als Honorierung dieser Abnehmerleistung interpretieren. Insbesondere bei Flugreisen sind weitere Preisvergünstigungen gebräuchlich, wenn sich der Nachfrager in seiner Wahlfreiheit einengt oder Buchungsrisiken übernimmt: So werden Preisnachlässe gewährt, wenn der Nachfrager ein festes Rückflugdatum eingeht, keine Änderung des Flugtickets mehr vornimmt oder bei No Shows auf eine Flugpreis-Rückerstattung verzichtet. Preisaufschläge werden hingegen vorgenommen, wenn er an bestimmten Tagen fliegen will (Wochenaufschlag), Stopovers einlegen will oder die maximale Zeitdauer zwischen Hin- und Rückflug überschreitet. Generell soll der günstigere Preis als Anreiz dienen, Restriktionen hinzunehmen, um dem Anbieter die Kapazitätsplanung zu erleichtern. Fraglich ist allerdings, ob die Kosteneinsparungen, die diese Abnehmerleistungen auslösen, die teilweise großen Preisreduzierungen rechtfertigen. Vielfach sind solche niedrigen Preiskategorien daher als werbewirksame Sonderangebote zu interpretieren, um bspw. dem gesamten Preissystem ein günstiges Image zu geben. Überbuchungen No Shows implizieren, dass ein Nachfrager die Leistung gebucht und möglicherweise bereits bezahlt hat, die Leistung aber nicht in Anspruch nimmt. Dadurch bleibt aus Sicht des Anbieters eine Kapazitätseinheit in einer Kapazitätskategorie leer, die er nochmals hätte verkaufen können. Aufgrund von No Shows ist die Inanspruchnahme der Kapazität geringer als die Summe der Buchungen. Analoges gilt für Stornierungen: Der Nachfrager hebt getätigte Buchungen später wieder auf, weshalb die vormals belegte Kapazitätseinheit wieder frei ist. In Weiterführung des Gedankens kann der Anbieter folglich mehr Buchungen akzeptieren als er Kapazität hat (Überbuchungen; Overbooking). Vorteil des Überbuchens ist, dass der Anbieter zusätzliche Erträge generiert, da er mehr Leistungseinheiten verkauft, wobei er für die No Shows keine Leistung erbringen und damit Kosten aufwenden muss. Ferner erzielt er durch <?page no="329"?> 330 5 Preissysteme Überbuchungen eine höhere Kapazitätsauslastung und reduziert dadurch mögliche Leerkosten. Risiko der Überbuchungsstrategie ist allerdings, dass mehr Nachfrager die Leistung tatsächlich in Anspruch nehmen wollen, als er Kapazität hat. Es müssen dann Nachfrager, die gebucht haben, „ausgeschlossen“ werden. Abgewiesene Buchungen werden als Spills bezeichnet und verursachen zusätzliche Kosten (z.B. Entschädigungen, kostenintensivere Ersatzleistungen) sowie zweifellos Imageverluste im Marketingbereich. Ist der Anbieter in der Lage, die Wahrscheinlichkeit von No Shows bzw. Stornierungen zu quantifizieren und die zusätzlichen Kosten von Überbuchungen abzuschätzen, lässt sich die optimale Anzahl an Überbuchungen bestimmen. Die Bestimmung der optimalen Überbuchung ist vielfach in der Literatur aufgegriffen worden; eine Übersicht zu diesbezüglichen Modellansätzen bieten Tscheulin/ Lindenmeier (2003, S. 640-649): Kalkuliert der Anbieter No Shows und Stornierungen explizit in seine Buchungspolitik ein, sind sie für ihn keine Überraschung mehr; vielmehr gleichen gezielte Überbuchungen diese Ausfälle aus. In dieser Interpretation gibt es keine ökonomische Rechtfertigung für Stornierungsgebühren: Sie sind zusätzliche Erträge, die der Anbieter aufgrund von Branchengewohnheiten oder Marktmacht den stornierenden Nachfragern abverlangt. Last-Minute-Angebote und Stand-by-Tickets Die virtuelle Aufteilung der Kapazität in Kontingente basiert auf einer Prognoserechnung über den Marktresponse. Der tatsächliche Buchungsverlauf muss jedoch nicht diesen Prognosen folgen, so dass kurz vor der Leistungserstellung noch unvorhergesehene freie Kapazitätseinheiten gegeben sein mögen. Jeder Verkauf einer Leistungseinheit, der über den Grenzkosten liegt, erhöht in dieser Situation den Gewinn. Ein solcher extrem niedriger Preis hilft dabei, kurzfristig noch Nachfrager vom Kauf dieser Leistung zu überzeugen. In dieser Interpretation sind solche Last-Minute-Angebote ein Reflex auf Differenzen zwischen dem geplanten und dem tatsächlichen Buchungsverlauf. In einer anderen Begründung lassen sich Last-Minute-Angebote segmentspezifisch interpretieren, wonach neben den beiden Segmenten der Niedrigpreis- und Hochpreiskäufer noch ein drittes, extrem preisempfindliches Segment (Last- Minute-Käufer) existiert. Wenn Niedrigpreis- und Hochpreiskäufer mit ihren gewinnoptimalen Mengen die Kapazität nicht auszulasten vermögen, schließen die Last-Minute-Käufer die noch vorhandene Kapazitätslücke. Da das Segment der Last-Minute-Käufer extrem preisempfindlich ist, liegt der gewinnoptimale Preis für dieses Segment sehr niedrig. Dieses Segment kann aber zeitlich erst angesprochen werden, wenn das Segment der Niedrig- und Hochpreiskäufer abgearbeitet ist: Die optimale Preisstrategie wechselt damit abrupt von der Normalbzw. Hochpreisphase in eine extreme Billigphase über. <?page no="330"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 331 Alternativ zu Last-Minute-Angeboten, die eher situativen Charakter haben, lässt sich ein Angebot zum Füllen von Kapazitätslücken auch explizit als Marke etablieren. Dadurch dürfte es gelingen, extrem preissensible Zielgruppen prägnanter anzusprechen. Ähnlich zu Last-Minute-Angeboten sind Stand-by-Tickets zu sehen: Hier hält ein Nachfrager ein Ticket für eine bestimmte Flugverbindung in Händen, kann aber nur dann mitfliegen, wenn noch ein Platz frei ist. Stand-by-Tickets sind preislich deutlich günstiger als Normaltickets. In der Kapazitätsinterpretation sind Nachfrager mit Stand-by-Tickets Manövriermasse des Anbieters, die sich kurzfristig auf freie Kapazitätseinheiten setzen lassen. In der Segmentinterpretation sind Nachfrager, die sich für Stand-by-Tickets interessieren, sehr preissensibel, was für dieses Marktsegment dann einen niedrigen gewinnoptimalen Preis impliziert. Organisatorisch wird eine Kapazitätseinheit jedoch nur dann mit einem sehr preisgünstigen Ticket besetzt, wenn es keinen Nachfrager mit einem höherpreisigen Ticket verdrängt. Dies ist erst kurz vor Abflug gegeben. Geschachtelte Kapazitätskontingente Die bisherige Darstellung hat implizit unterstellt, dass die Kapazitätskontingente gemäß der optimalen Preisbestimmung unveränderlich festgesetzt sind. Dies bezeichnet man als getrennte bzw. nicht-geschachtelte Kapazitätskontingente: Für jedes Marktsegment ist ein bestimmtes Kontingent vorgesehen, wobei ein Austausch von noch freien Kapazitäten zwischen den Kontingenten nicht stattfindet. Demgegenüber besteht bei geschachtelten Kapazitätskontingenten die Möglichkeit, bei höheren Preiskategorien die Kapazität um Einheiten auszudehnen, die in niedrigeren Preiskategorien noch nicht vergeben worden sind (vgl. Friege 1996, S. 619; Tscheulin/ Lindenmeier 2003, S. 633): Ist eine vom Verkaufspreis höherwertige Kapazitätskategorie bereits ausgeschöpft, in niedrigeren Kapazitätskategorien aber noch Platz, werden weiterhin Buchungen in der höherwertigen Kapazitätskategorie akzeptiert und die Anzahl der vorgesehenen Kapazitätseinheiten in niedrigeren Kapazitätskategorien entsprechend reduziert: So sind in einem Flugzeug mit drei Kapazitätskategorien 50 Sitze für die teurere Business Class vorgesehen, 80 für die Economy Class und 20 für den günstigen Holiday-Tarif vorgesehen. Alle (150) Sitze können jedoch zum höheren Business-Tarif gebucht werden, wobei zunächst das noch freie Kontingent für den Holiday-Tarif, danach die noch freien Plätze in der Economy Class reduziert werden. Für den Economy-Tarif sind bis zu 100 Plätze reserviert, wobei benötigte Kapazitätseinheiten von noch freien Einheiten des Holiday-Tarifs abgezogen werden. Für den sehr preisgünstigen Holiday- Tarif stehen folglich maximal 20 Sitzplätze zur Verfügung, sofern in den höheren Buchungsklassen keine Überschreitungen der vorgesehenen Kontingente auftreten. Geschachtelte Kapazitätskontingente verschaffen der personellen Preisdifferenzierung im Yield-Management somit eine größere Flexibilität als <?page no="331"?> 332 5 Preissysteme getrennte Kapazitätskontingente, da während des Buchungsverlaufs noch virtuelle Veränderungen in der Größenordnung der einzelnen Kapazitätskontingente möglich sind. Voraussetzung für die Anwendung geschachtelter Kapazitätskategorien ist eine leistungsbezogene Differenzierung der Kapazitätskontingente, da hier die Buchungen der einzelnen Leistungsklassen gleichzeitig erfolgen. 5.4.5.3 Yield-Management als Preisstrategie In der Praxis findet das Yield-Management vor allem bei Fluglinien, im Hotelbereich, bei Mietwagenfirmen, aber auch in medizinischen Einrichtungen oder der Buchung von Satelliten-Sendeleistungen Anwendung (vgl. Desiraju/ Shugan 1999, S. 44; Tscheulin/ Lindenmeier 2003, S. 651f.). Häufig stehen hinter dem Yield-Management komplexe Softwareprogramme, die die dargestellten Instrumente integriert und weiterentwickelt haben. Einen einfachen Planungsansatz beinhaltet in diesem Zusammenhang der Reservierungskorridor (vgl. Friege 1996, S. 618), den Abbildung (5.4-4) darstellt: Abbildung 5.4-4: Reservierungskorridor Auf Basis von Daten der Vergangenheit oder aufgrund von Expertensystemen weiß man, bis zu welchem Zeitpunkt vor der Leistungserbringung (Abflug der Maschine) wie viel der Kapazität gebucht sein muss, um am Tag der Leistungserstellung keine freie Kapazität in der betreffenden Kapazitätskategorie mehr zu haben. Bewegt sich die aktuelle Nachfrage innerhalb dieses Reservierungskorridors, braucht von der vorgegebenen Kapazitätsaufteilung nicht abgewichen zu werden. kommunikative Maßnahmen Anzahl Buchungen Zeit vor der Leistungserstellung 100% Auslastung Erhöhung des Kapazitätskontingents Buchungsverlauf Reservierungskorridor <?page no="332"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 333 Unterschreiten die eingegangenen Buchungen den Reservierungskorridor, wird versucht, mit zusätzlichen kommunikativen Maßnahmen Kunden zu gewinnen, um die drohende Kapazitätslücke zu schließen. Übersteigt der Buchungsverlauf den Reservierungskorridor, weist der Anbieter entweder Buchungen solange ab, bis der Buchungsverlauf wieder innerhalb des Korridors liegt, oder gruppiert - sofern möglich - Kapazitätskontingente aus niedrigeren Buchungsklassen in die betreffende höhere Buchungsklasse um. Der neue Reservierungskorridor verschiebt sich dann nach oben. Immer noch freie Kapazitäten unmittelbar vor der Leistungserbringung werden mit Last-Minute-Angeboten zu füllen versucht. Je weiter die Leistungserstellung vom Betrachtungszeitraum entfernt ist, desto größer ist der Reservierungskorridor, innerhalb dessen kein Handlungsbedarf besteht bzw. keine Anpassung in der ursprünglichen Aufteilung der Kapazitätskontingente vorgenommen wird. Im obigen Planungsansatz ist die Größe der Kapazitätskategorien aufgrund von Erfahrungswerten festgelegt. Eine explizite Optimierung der Größe der Kapazitätskategorien für - verglichen mit Bedingung (5.4-3) - komplexere, vor allem dynamische Szenarien ist in einer Reihe von Veröffentlichungen aufgegriffen worden; eine Übersicht hierzu geben Tscheulin/ Lindenmeier (2003, S. 634-638) oder Talluri/ van Ryzin (2004, S. 16-19). Neben der expliziten, a priori-Festlegung von Kapazitätskontingenten findet im Yield-Management das sog. Bid-Price-Verfahren Anwendung (vgl. Klophaus 1998, S. 150f.): Hier wird auf Grundlage einer Datenbank, die das aktuelle Buchungsverhalten, Buchungsverläufe der Vergangenheit und situative Rahmenbedingungen (z.B. Konkurrenzverhalten) enthält, ein aktueller Mindestpreis bestimmt, den eine Buchungsanfrage übersteigen muss. Im Kern handelt es sich bei diesem Mindestpreis um die Überlegung, zu welchem erwarteten Preis diese Kapazitätseinheit zu einem späteren Zeitpunkt noch verkauft werden kann (vgl. bspw. das Modell von Belobaba 1989, S. 183-186): Übersteigt der Preis der aktuellen Buchungsanfrage diesen Mindestpreis, wird die Buchung akzeptiert. Die konsequenteste Umsetzung dieses Gedankens wäre es zweifellos, den Nachfrager einen Preis nennen zu lassen und dann zu entscheiden, ob zu diesem Preis die Buchungsanfrage akzeptiert wird. Die Beurteilung des Yield-Managements aus Nachfragersicht fokussiert auf zwei Aspekte: die wahrgenommene Preisfairness bzw. Preiszufriedenheit und die wahrgenommene Komplexität des Preissystems. Sind die Kapazitätskontingente leistungsbezogen spezifiziert (z.B. Business, Economy, Holiday Class), lassen sich die diesbezüglichen Argumente zur leistungsbezogenen Preisdifferenzierung übernehmen. Im Falle von Zeitrabatten (Frühbucherrabatt) dürften es viele Nachfrager akzeptieren, dass man bei einer zeitlich näher an der Leistungserstellung liegenden Buchung (spätere Buchung) nicht mehr in den Genuss von Frühbucherrabatten kommt. Kritischer dürften hingegen Last-Minute-Angebote sein: Wenn in die Einschätzung der eigenen Transaktionsbedingungen auch die <?page no="333"?> 334 5 Preissysteme Wahrnehmung von Preisen anderer Nachfrager einfließt, könnten die Last- Minute-Käufer als Lucky Winners die Preisfairnessbzw. Preiszufriedenheitsurteile derjenigen, die zu Normalpreisen die Leistung erworben haben, schmälern. Eine Ursache für mögliche Unzufriedenheit ist ferner in der Größendimensionierung der preisgünstigen Kontingente zu sehen: So dürfte es zweifellos die Preiszufriedenheit mindern, wenn der Nachfrager in der Hoffnung, noch den Frühbucherrabatt zu erhalten, die betreffenden Kapazitätskontingente aber bereits ausgebucht erlebt. Möglicherweise empfindet er den Frühbucherrabatt dann als „Lockvogelangebot“, weil er bei - subjektiv empfundener - sehr früher Buchung diesen nicht erhält. Dies könnte abgewiesene Kunden derartig verärgern, dass die bei erneuten Bedarf an der Leistung von vorneherein einen anderen Anbieter wählen (vgl. Bruhn/ Georgi 2006, S. 345). Aus rechtlicher Sicht dürfte hierbei der Irreführungstatbestand gemäß § 5 UWG zweifellos vorliegen, wenn die Kapazitätskontingente für Frühbucher tatsächlich nicht existieren. Diese Probleme umgeht der Anbieter, wenn er bis zu einem fest fixierten Zeitpunkt einen Frühbucherrabatt gewährt. Dann gibt er aber den Vorteil des Yield- Managements, flexibel die Kapazitätskontingente festzulegen, auf. Frühbucherrabatte haben dann nur noch den Charakter einer Promotionaktion. Aus Sicht der Preistransparenz wirken Yield-Management-Preissysteme für einen Nachfrager möglicherweise komplex; daher können in der Vermarktung des Angebots Beratungsfehler auftreten. Auch bei einer fehlerfreien Beratung mögen die Akzeptanz des Preissystems und die Preiszufriedenheit hierbei bedroht sein, wenn der Nachfrager argwöhnt, nicht die tatsächlich günstigste Buchungsvariante erhalten zu haben. Zusammenfassend ist es das Ziel des Yield-Managements, die Leistungsabgabe so zu steuern, dass einerseits kein Gewinnverlust durch ungenutztes Leistungspotenzial entsteht, andererseits auch keine Gewinnverdrängung auftritt, da eine knappe Kapazitätseinheit zu niedrigeren Preisen, als zumindest für Teile der Kapazität am Markt erzielbar wären, verkauft wird (Friege 1996, S. 616). Wie formale Überlegungen von Desiraju/ Shugan (1999, S. 48) zeigen, führt Yield- Management aber nur dann zu einer Gewinnsteigerung gegenüber einer Einheitspreissetzung, wenn das Segment der Hochpreiskäufer nicht ausreichend groß ist, um die vorhandene Kapazität auszulasten, weshalb die Niedrigpreiskäufer zur Schließung der Kapazitätslücke dienen. Hierbei muss das Kontingent für die Niedrigpreiskäufer limitiert sein; ansonsten besteht die Gefahr, dass bereits mit Frühbuchern, d.h. mit niedrigeren Preisen ein Großteil der Gesamtkapazität belegt wird. Ferner zeigen Desiraju/ Shugan (1999, S. 52), dass Yield-Management keine Ertragssteigerung gegenüber einer Einheitspreisstrategie erbringt, wenn zwischen dem Buchungszeitpunkt und der maximalen Zahlungsbereitschaft (Preiselastizität) der Nachfrager keine Korrelation besteht. Allerdings kann das <?page no="334"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 335 Yield-Management dann immer noch auf einer leistungsorientierten Spezifizierung der Kapazitätskontingente basieren. Insgesamt erscheint das Yield-Management damit, auch unter Berücksichtigung der Beurteilung durch die Nachfrager, als zweischneidige Preisstrategie, die nur unter spezifischen Rahmenbedingungen eine Ertragssteigerung bewirkt. 5.4.6 Preisstrategien im Lebenszyklus von Produkten 5.4.6.1 Generelle Problemstruktur Traditionell unterstellt man, dass ein Produkt nach der Markteinführung mit zögerlichen Absatzerfolgen eine Phase des Absatzwachstums durchlebt, danach eine Reifephase mit den höchsten Absatzniveaus pro Periode erreicht und schließlich in eine Schrumpfungsbzw. Degenerationsphase mit kontinuierlichen Absatzrückgängen eintritt, bis es letztendlich vom Markt genommen wird. Solche Phasen des Produktlebenszyklus (vgl. allgemein hierzu bspw. Homburg 2012, S. 442-445) kennzeichnen unterschiedliche Rahmenbedingungen der Vermarktung des Produkts, die das Preismanagement bei der Bestimmung der Preise für einzelne Phasen bzw. bei der Konzeption von Preisstrategien zu beachten hat. Diese Sichtweise des Produktlebenszyklus ist jedoch in gewisser Hinsicht „unscharf“, da Preisentscheidungen ihrerseits die Verlaufsform des Lebenszyklus beeinflussen. Daher erscheint es prägnanter, im Sinne von Rahmenbedingungen für das Preismanagement drei etwas anders fokussierte Phasen im Lebenszyklus eines Produkts abzugrenzen: Markteinführungsphase: In dieser Phase sehen die Nachfrager das betrachtete Produkt auf dem Markt als Innovation an. Es finden vor allem Erstkäufe des neuen Produkts statt: Die Nachfrager stehen vor dem Problem, das neue Produkt zu kaufen, oder bei der anstehenden Kaufentscheidung auf die alten (bewährten) Produkte zurückzugreifen. Aus Marketingsicht müssen die Kunden in ihrem Kaufverhalten dazu bewegt werden, von etablierten Produkten auf dem Markt zum neuen Produkt überzuwechseln. Hierzu dient auch der Preis. Settlement-Phase: In dieser Phase gilt das Produkt unter den Nachfragern nicht mehr als Neuerung, weil es schon geraume Zeit am Markt präsent ist. Es treten vor allem Ersatz- und Wiederholungskäufe auf, wobei sich die Präferenzstrukturen der Nachfrager aufgrund von steigender eigener Produkterfahrung (Zufriedenheit; Markenbindung) verfestigen. In der Settlement-Phase verfügt das Produkt ceteris paribus über ein relativ konstantes Marktpotenzial. Substitutionsphase: In dieser Phase verliert das Produkt aufgrund seines technischen oder modischen Konzepts in zunehmendem Maße an Attraktivität unter den Nachfragern, weil Innovationen von Konkurren- <?page no="335"?> 336 5 Preissysteme ten oder eine neue Produktgeneration des Anbieters nachdrängen. Die Nachfrager stehen vor dem Problem, das betreffende Produkt in einer Kaufentscheidung (nochmals) zu erwerben, oder die Innovation eines Konkurrenten bzw. die Nachfolgegeneration des Anbieters zu kaufen. Allgemein basiert die Preispolitik über den Lebenszyklus eines Produkts auf dem Prinzip der langfristigen Gewinnmaximierung: G = t=1 ( ) p t x t - K t (1+r) -t max. mit: r = Zinssatz. Gesucht sind die jeweils optimalen Preise p t * für die einzelnen Perioden des Planungszeitraums, der mit der Markteinführung in t = 1 beginnt. Eine analytische Lösung ist kaum möglich: So müssten Nachfrager- und Konkurrenzreaktionen sowie Kostenfunktionen über alle Perioden des Planungszeitraums hinweg spezifiziert sein, wobei die Berücksichtigung von Carry-over-Effekten der Preissetzung zusätzliche intertemporale Komplexität in den unterstellten Funktionen bewirkt. Im Sinne einer rollierenden Planung muss aber nicht die gesamte Preisstrategie bereits zu Beginn verbindlich festgelegt sein (vgl. Voigt 2003, S. 695), sondern lediglich soweit betrachtet werden, wie man Carry-over-Wirkungen einer heutigen Entscheidung auf die folgenden Perioden erwartet. Hierbei kommt zweifellos der Bestimmung des Markteinstiegspreises und der Preisstrategie in der Markteinführungsphase zunächst die größte Bedeutung zu, da sie entscheidende Auswirkungen auf die weiteren Phasen des Lebenszyklus besitzt. Diese Phase steht deshalb auch in den folgenden Ausführungen im Vordergrund („Preispolitik für Innovationen“). Formal werden zur Lösung von Fragestellungen der Preiskalkulation bei der Markteinführung von Produkten spieltheoretische Ansätze oder Simulationsanalysen herangezogen (vgl. hierzu bspw. Krishnan et al. 1999; Schmalen 1989), die ihrerseits allerdings spezifische Vereinfachungen in der Modellierung der Problemstruktur vornehmen müssen. Ergebnis solcher Ansätze sind Preisstrategien, die im Sinne von Normstrategien eine bestimmte Preisgestaltung bzw. ordinale Abfolge von Preisen empfehlen. Drei solcher preisbezogenen Markteinführungsstrategien stellt Abschnitt 5.4.5.3 vor. Ein anderes, wenngleich nicht gewinnmaximierendes Handling der Problemstruktur beinhaltet die Aufstellung von myopischen Strategien: Auf Grundlage der zu einem bestimmten Zeitpunkt herrschenden Marktbedingung (Preiselastizität; Kostensituation) wird der für diese Periode optimale statische (Cournot-)Preis gemäß Bedingung (5.4-1) bestimmt. Ausgeblendet bleiben hierbei die Folgewirkungen der Preissetzung für Absatz und Kosten in den weiteren Perioden. Eine Preisstrategie besteht dann aus der Abfolge der isoliert voneinander resultierenden statischen Preise. <?page no="336"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 337 5.4.6.2 Rahmenbedingungen für das Preismanagement im Lebenszyklus Abbildung 5.4-5 zeigt Spezifika, die sich bei der Markteinführung eines Produkts stellen und als Rahmenbedingungen Rückwirkungen auf die Preiskalkulation besitzen. Die folgenden Ausführungen skizzieren diese Rahmenbedingungen. Abbildung 5.4-5: Rahmenbedingungen für das Preismanagement im Lebenszyklus Erfahrungs- und Skaleneffekte in der Produktion In Produktionsprozessen lässt sich häufig feststellen, dass Lernprozesse hinsichtlich der effizienten Erstellung eines Produkts auftreten, wodurch die variablen Stückkosten bzw. Grenzkosten sinken. Die Lernprozesse sind umso weiter fortgeschritten, je mehr Produkteinheiten die Fertigung bereits durchlaufen haben, d.h. je höher die kumulierte Produktionsmenge (X t ) ist. Analoge Lern- und damit Kosteneinsparungseffekte existieren möglicherweise in Beschaffung und Vermarktung. Dadurch fallen die variablen Stückkosten (k v ) mit steigender kumulierter Produktionsmenge, was in der sog. Erfahrungskurve (vgl. Abbildung 5.4-6) idealisiert zum Ausdruck kommt. Die Erfahrungskurve (vgl. hierzu bspw. Camphausen 2003, S. 72; Simon/ Fassnacht 2009, S. 320) impliziert, dass sich die variablen Stückkosten - bei unveränderter Prozesstechnologie - mit steigender kumulierter Produktionsmenge unterproportional verringern. Folglich tritt eine massive Reduzierung der variablen Stückkosten vor allem am Beginn des Produktionsprozesses der Innovation auf. Neben der Erfahrungskurve existiert ein zweiter, allerdings statischer Kosteneffekt, der als Betriebsgrößeneffekt (Economies of Scale) bekannt ist (vgl. Siems 2009, S. 163; Simon/ Fassnacht 2009, S. 320). Für ein Unternehmen rechnet es sich umso eher, Investitionen in leistungsfähige und damit kostengünstigere Fertigungssysteme zu tätigen, je größer das Produktionsvolumen ist. Versteht man den Marktanteil eines Unternehmens als Indikator für dessen Produkti- R a hmenbe dingungen Diffusionseffekte auf dem Markt Veränderung der Preiselastizität im Lebenszyklus Existenz von Vorgängerprodukten Erfahrungs- und Skaleneffekte in der Produktion <?page no="337"?> 338 5 Preissysteme Abbildung 5.4-6: Erfahrungskurve onsmenge relativ zur Konkurrenz, bewirkt dieser Skaleneffekt, dass das Unternehmen mit dem höheren Marktanteil kostengünstiger bezogen auf die variablen Stückkosten fertigen kann, verglichen mit einem Unternehmen mit geringerem Marktanteil. Erfahrungs- und Skaleneffekte modifizieren folglich die bislang einfache Interdependenz zwischen Preis und Kosten aus Abbildung 1.3-1, wonach der Preis die Absatz- und damit die Produktionsmenge bestimmt und dadurch auf die Gesamtkosten einwirkt. Bei Skaleneffekten beeinflusst der Preis durch die Festlegung des Produktionsvolumens zugleich die variablen Stückkosten. In der Erfahrungskurve bestimmen ferner Preisentscheidungen der Vergangenheit das heutige Kostenniveau mit, weil die Höhe der „heutigen“ variablen Stückkosten von der kumulierten Produktionsmenge, die wiederum Folge der „früheren“ Preisentscheidungen ist, abhängt. Diffusionseffekte auf dem Markt Die Verbreitung einer Innovation unter den Nachfragern wird häufig als (sozialer) Diffusionsprozess verstanden und mit Hilfe der Adoptions- und Diffusionstheorie erklärt (vgl. bspw. zu diesen Theorien Schmalen et al. 1993; Weiber 1993). Diese Erklärungsansätze, die vor allem auf den Tatbestand des Erstkaufs abstellen, unterscheiden hierbei zwischen zwei Segmenten von Nachfragern: den Imitatoren und den Innovatoren, wobei sich letztere ferner in die Konsumpioniere und Resistoren untergliedern lassen. In einem Markt wird das Segment der Imitatoren als zahlenmäßig deutlich größer als dasjenige der Innovatoren vermutet. Imitatoren sind solche Personen, die sich in ihrer Kaufentscheidung von anderen Personen in ihrer Umwelt (soziales System) beeinflussen lassen, indem sie k v x t = x t <?page no="338"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 339 deren Informationen, Meinungen oder Erfahrungen über die Innovation einholen und sich selbst mehr oder weniger stark zu Eigen machen. Weiterhin sind sie - abgestuft - risikoscheu, weshalb sie eine Neuerung erst dann erwerben, wenn sich diese in ihrem sozialen System bewährt hat, d.h. ein ausreichender Erfahrungsfundus vorliegt. Bei sozial auffälligen Neuerungen oder Innovationen, die für Referenzgruppen eine Gruppensymbolik besitzen, kann ferner ein sozialer Kaufdruck auftreten, dem die Imitatoren mehr oder weniger stark nachgeben. Innovatoren reagieren hingegen auf diese sozialen Einflüsse in ihren Kaufentscheidungen nicht. Als Konsumpioniere haben sie ein großes Interesse an Neuerungen und benötigen keine Hilfestellungen aus dem sozialen System, um sich für die Innovation zu entscheiden. Resistoren sind zwar ebenfalls unempfindlich gegenüber sozialem Einfluss, sie haben aber nur geringes Interesse an Neuem und lassen sich selbst dann nicht zum Kauf der Neuerung bewegen, wenn ihre gesamte Umwelt diese bereits verwendet. Konsumpioniere sind damit die ersten Käufer (Adopter) einer Innovation. Der Diffusionsprozess gewinnt jedoch durch die Imitatoren an endogener Dynamik. Die Stärke des sozialen Einflusses (Umfang an innovationsbezogenen Informationen; Höhe von Erfahrungsfundus und sozialem Druck) lässt sich hierbei im Marktverbreitungsgrad (Diffusionsgrad) der Innovation operationalisieren: Je weiter verbreitet die Neuerung im sozialen System ist, desto größer sind diese sozialen Einflüsse, was wiederum ceteris paribus die Kaufwahrscheinlichkeit eines Imitators, der die Neuerung noch nicht erworben hat, ansteigen lässt. Der soziale Einfluss, dem Imitatoren in ihren Kaufentscheidungen unterliegen, muss sich nicht nur auf den Tatbestand des Kaufes der Neuerung beziehen, sondern kann auch auf Anbieterpräferenzen (Marken) übertragen werden, wenn unterschiedliche Anbieter ihre Innovationen auf dem Markt offerieren. Hier übt eine Marke mit hohem Marktanteil bzw. Anteil an kumulierten Verkäufen einen stärkeren Kaufanreiz auf die Imitatoren aus als eine Marke mit kleinem Marktanteil. Unterstellt man, dass durch den Erstkauf die Möglichkeit zur Markenbindung bei den Nachfragern entsteht, beeinflusst der Absatz, den eine Marke unter den Erstkäufern erzielt, wesentlich den Absatz im späteren Wiederkaufverhalten dieser Nachfrager. Der Verkaufserfolg in der Neuigkeitsphase des Produkts wirkt folglich in die Settlement-Phase hinein. Eine analoge Eigendynamik des Verbreitungsprozesses besitzt eine Innovation, deren Nutzenstiftung durch die Anzahl der Nutzer (Käufer), d.h. durch die Höhe der installierten Basis determiniert wird (vgl. bspw. Schoder 1995, S. 18f.): In diesem Fall ist der Nutzen der betrachteten Neuheit (Netzgut) für einen Nachfrager größer, je mehr Nachfrager Mitglieder des Netzes bzw. Besitzer des Netzgutes sind (z.B. Telefonnetz). Daher steigt mit wachsender Diffusion der Innovation, d.h. mit wachsender Ausbreitung des Netzes die Kaufwahrscheinlichkeit der bisherigen Nicht-Käufer. <?page no="339"?> 340 5 Preissysteme In beiden Varianten der endogenen Dynamik eines Diffusionsprozesses existieren Mechanismen, die ein Ansteigen der Kaufwahrscheinlichkeit von Nachfragern ohne eigenes Zutun bewirken, wobei die Triebfeder hierfür in dem durch die Preissetzung beeinflussbaren Marktanteil bzw. der kumulierten Produktionsmenge liegt. Für das Preismanagement ist ferner von Bedeutung, ob sich die Segmente der Innovatoren und Imitatoren in ihrer Preiselastizität unterscheiden: Hierbei erscheint plausibel, dass die Konsumpioniere unter den Innovatoren verglichen mit den Imitatoren eine vergleichsweise - dem Betrage nach - geringe Preiselastizität aufweisen. Imitatoren reagieren umso empfindlicher auf den Preis, je mehr sie dem sozialen Einfluss nachgeben. Resistoren erscheinen überaus preisempfindlich. Damit lässt sich das Marktpotenzial an Erstkäufern einer Innovation in unterschiedlich preissensible Segmente differenzieren. Existenz von Vorgängergenerationen Ein neues Produkt eines Anbieters besitzt in der Regel bereits eine Vorgängergeneration, die auf dem Markt ist und durch die Innovation abgelöst wird. Danaher et al. (2001, S. 503) differenzieren in diesem Zusammenhang zwischen drei Marktsegmenten: Das erste Segment hat die Vorgängergeneration abgelehnt und betrachtet die zweite Produktgeneration als völlig neue Kaufalternative. Das zweite Marktsegment war bereits von der ersten Produktgeneration überzeugt, hat aber nicht gekauft, da sie das Erscheinen der zweiten Produktgeneration abwarten wollte, weil sie sich hiervon einen noch größeren Vorteil versprechen. Dieses Verhalten wird als Leap-Frogging bezeichnet. Das dritte Segment hat die erste Generation bereits erworben. Für das Preismanagement ist bedeutsam, dass diese drei Marktsegmente unterschiedliche Preiselastizitäten aufweisen dürften: In der Abstufung der Preiselastizität erscheinen Leap-Frogging-Konsumenten weniger preissensibel als Nachfrager, die die erste Produktgeneration abgelehnt haben. Bei beiden Marktsegmenten dürfte die maximale Zahlungsbereitschaft ansteigen, wenn die zweite Produktgeneration eine bessere Produktqualität als das Vorläufermodell aufweist. Stehen die Käufer der ersten Produktgeneration vor den notwendigen Ersatzbeschaffungen, weil die erste Generation verschlissen ist (Normal Replacements), dürften sie bereitwillig auf das Nachfolgemodell umsteigen, sofern sie mit der ersten Produktgeneration zufrieden waren. Dies korrespondiert mit einer vergleichsweise - dem Betrage nach - geringen Preiselastizität. Müssen hingegen die Käufer der ersten Produktionsgeneration zum Umsteigen auf die neue Produktgeneration bewegt werden, obwohl das Produkt der Vorgängergeneration noch funktionstüchtig ist (Discretionary Replacements), dürften sie in dieser Situation preissensibler als die anderen beiden Segmente sein, was einen vergleichsweise niedrigen Verkaufspreis für diese Kundengruppe impliziert: Der Anbieter muss diese Nachfrager folglich mit einem Preiszugeständnis zum vorzeitigen Wechsel bewegen. Dies ist gängige Verkaufspraxis bspw. im Kfz- <?page no="340"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 341 Bereich, wenn der Händler den Gebrauchtwagen bei Kauf eines Neuwagens zu einem „sehr guten Preis“ in Zahlung nimmt. Insgesamt bestimmt sich die Preiselastizität auf dem Markt und damit der statisch gewinnoptimale Preis in dieser Periode, in welchem Mischungsverhältnis diese drei Marktsegmente auftreten, sofern es nicht gelingt, durch Preisdifferenzierung die drei Gruppierungen isoliert voneinander anzusprechen. Mit der Existenz von Vorgängergenerationen erfährt das dynamische Preismanagement eine zusätzliche Komplexität, da nunmehr bei Preisentscheidungen für eine Modellgeneration zugleich mögliche Carry-Over-Effekte auf den Absatz des Nachfolgemodells auftreten; dies gilt insbesondere dann, wenn ein schneller Modellwechsel erfolgt, weshalb viele Nachfrager noch funktionstüchtige Vorgängerprodukte besitzen. Veränderung von Preiselastizitäten im Lebenszyklus Eine Reihe ökonometrischer Schätzungen hat gezeigt, dass die Preiselastizität der Nachfrage im Laufe des Lebenszyklus eines Produkts nicht konstant bleibt (vgl. Simon 1979, S. 449; Parker 1992, S. 365). Typischerweise fällt nach der Markteinführung die Preiselastizität - dem Betrage nach - und erreicht nach einiger Zeit ein Minimum; in den späteren Phasen des Lebenszyklus steigt die Preiselastizität dem Betrage nach wieder an. Danaher et al. (2001, S. 509) belegen diesen Effekt für zwei aufeinanderfolgende Innovationsgenerationen, wobei in der zweiten Generation die Veränderungen in der Höhe der Preiselastizität nicht mehr so groß wie in der ersten Generation ausfallen. Als Begründung für eine Variabilität der Preiselastizität im Lebenszyklus lässt sich anführen, dass mit steigender Marktverbreitung die Nachfrager Vertrauen in die Innovation gewinnen und deshalb keine so großen Risikoabschläge in der Bewertung mehr vornehmen. Dies gilt vor allem, wenn sie mit der Innovation zufrieden sind und Wiederholungskäufe tätigen. Steigt jedoch das Angebot an Substitutionsprodukten zur (ehemaligen) Innovation, weil möglicherweise bessere Innovationen von Konkurrenten nachdrängen (Substitutionsphase), sind die Käufer nicht mehr so zahlungsbereit, was sich in einer - dem Betrage nach - steigenden Preiselastizität niederschlägt. Wie eine empirische Studie von Parker/ Gatignon (1994, S. 35) zeigt, tritt der Effekt einer - dem Betrage nach - steigenden Preiselastizität bereits in der Neuheitsbzw. Markteinführungsphase auf, wenn die betrachtete Innovation in den Konkurrenzdruck von anderen Neuheiten gerät. 5.4.6.3 Idealtypische Preisstrategien in der Markteinführung Drei Preissysteme (vgl. Abbildung 5.4-7) werden im Rahmen der Markteinführung von Innovationen diskutiert (vgl. bspw. Simon/ Fassnacht 2009, S. 328-333; Siems 2009, S. 59f.): Die Skimming-Strategie impliziert in der Einführungs- <?page no="341"?> 342 5 Preissysteme Abbildung 5.4-7: Preissysteme für die Markteinführung von Innovationen phase des neuen Produkts einen relativ hohen Preis, der in den späteren Perioden gesenkt wird. In der Penetration-Strategie führt man das Produkt mit einem relativ niedrigen Preis in den Markt ein; in den späteren Perioden folgen dann möglicherweise Preiserhöhungen. Eine Extremform hierzu stellt die Strategie des äußerst niedrigen Anfangspreises dar. Diese unterbietet noch den Startpreis der Penetration-Strategie und behält diesen sehr niedrigen Preis bei. Wenngleich hier der Preis im Zeitablauf unverändert bleibt, darf dennoch von einem Preissystem gesprochen werden, da die Preise eine bewusste, zeitlich aufeinander abgestimmte Struktur besitzen. Die drei Preissysteme implizieren zu einem bestimmten Zeitpunkt nach der Markteinführung (t = ) - ceteris paribus - eine unterschiedliche Marktdurchdringung der Innovation: Die Penetration-Strategie besitzt in t = eine höhere kumulierte Absatzmenge als die Skimming-Strategie. Die Strategie des äußerst niedrigen Einführungspreises hat zu diesem Zeitpunkt das Marktpotenzial noch stärker „abgeräumt“. Dies wiederum hat Folgen für die Höhe der variablen Stückkosten (k v ), die Erfahrungs- und Skaleneffekten unterliegen. Daher weist in t = die Strategie des äußerst niedrigen Einführungspreises von allen drei Preissystemen die niedrigsten variablen Stückkosten auf (vgl. Abbildung 5.4-7). Skimming- und Penetration-Strategie besitzen unterschiedliche Ansatzpunkte ihrer internen Logik, die in Tabelle 5.4-1 im Sinne einer Argumentationsübersicht zusammengefasst sind. Skimming-Strategie Penetration-Strategie Preisbildung gemäß der fallenden Grenzkosten durch den Erfahrungskurveneffekt rasche Markterschließung mit „Mengenkonjunktur“ Unterstützung des Markenbzw. Generationswechsels p t k v t c b a c b a a: Skimming-Strategie b: Penetration-Strategie c: Strategie des äußerst niedrigen Anfangpreises t = <?page no="342"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 343 stärkeres Abschöpfen der Konsumentenrente durch personelle (segmentspezifische) oder sogar perfekte Preisdifferenzierung Gewinnrealisation durch Ausnutzen des monopolistischen Spielraums in der Einführungsphase Preis-Qualitäts-Zusammenhang positiver Referenzpreiseffekt Kalkulation auf der „sicheren Seite“ Erzielung kurzfristiger, d.h. wenig diskontierter Gewinne langsamer Kapazitätsaufbau möglich Reduzierung des Floprisikos Erreichen eines positiven Stückdeckungsbeitrags durch Mengenkonjunktur Erreichen eines Kostenvorsprungs gegenüber späteren Konkurrenten Abschrecken von potenziellen Konkurrenten vom Markt Penetration-Harvesting Aufbau von Markenbindung bei Imitatoren geringere Gefahr eines „Lead- Effekts“ Tabelle 5.4-1: Interne Logik von Skimming- und Penetration-Strategie Skimming-Strategie Stellt man auf die Erfahrungskurve ab, wonach mit steigender kumulierter Produktionsmenge die variablen Stückkosten bzw. Grenzkosten sinken, ergibt sich aus einer statischen (myopischen) Anwendung der Amoroso-Robinson- Relation in Bedingung (5.4-1) unmittelbar die Skimming-Strategie: Da die kumulierte Produktionsmenge im Zeitablauf steigt, sinken die Grenzkosten und damit die gewinnoptimalen Preise. Ferner lässt sich die Skimming-Strategie auf der Nachfrageseite durch personelle Preisdifferenzierung begründen, wobei zeitlich nacheinander - beginnend mit dem Marktsegment mit der dem Betrage nach geringsten Preiselastizität - die Marktsegmente entsprechend der Höhe ihrer Preiselastizität abgearbeitet werden. So ist denkbar, dass die Nachfrager die Innovation am Markt unterschiedlich bewerten: Für einige Konsumenten weist die Innovation eine große Verbesserung gegenüber dem Status quo auf bzw. sie schätzen den Tatbestand des „Neuen an sich“ hoch ein (z.B. modische Produkte), weshalb sie bereit sind, relativ viel auszugeben, wenn sie die Innovation früh besitzen bzw. konsumieren können. Andere Nachfrager sehen weniger Vorteile in der Innovation und besitzen daher niedrigere Reservationspreise. Die Skimming-Strategie mit dem vergleichsweise hohen Anfangspreis spricht deshalb zunächst die zahlungsbereiten Abnehmer an; die Erschließung von Nachfragern mit niedrigeren Reservationspreisen erfolgt zeitlich später mit einem geringeren Preis. So bietet im sog. Versioning, der Internetvariante der Skimming-Strategie, ein Informationsbroker seine Börseninformationen in Echtzeit zu einem deutlich höheren Preis an, um die hohe Zahlungsbereitschaft professioneller Anwender für aktuellste Informationen auszunutzen, verglichen mit dem Preis für die gleichen Informationen, die er mit einer gewissen Zeitverzögerung dann in einem Newsletter <?page no="343"?> 344 5 Preissysteme privaten Nutzern mit geringerer Zahlungsbereitschaft zur Verfügung stellt (vgl. Fritz/ Wagner 2001, S. 650f.). Auch die Innovator-Imitator-Struktur auf einem Markt korrespondiert mit der Skimming-Strategie bzw. ist ein Reflex hierauf: Start der Skimming-Strategie sind die Konsumpioniere unter den Innovatoren, da diese die - dem Betrage nach - geringste Preiselastizität aufweisen. Schrittweise erschließt die Skimming-Strategie dann die immer preissensibleren Imitatoren. Die Skimming-Strategie passt sich ebenso an die unterschiedlichen Preiselastizitäten von Marktsegmenten bezogen auf den Kauf der Vorgängergeneration an: Im Fokus stehen zunächst die wenig preissensiblen Abnehmer mit einem hohen Preis: Sie waren mit der Vorgängergeneration sehr zufrieden und müssen eine Ersatzbeschaffung tätigen. Nachfrager mit Leap-frogging-Verhalten, bisherige Nicht-Käufer und Besitzer noch funktionstüchtiger Vorgängerprodukte werden dann durch die folgenden Preissenkungen erschlossen. Die Skimming-Strategie bietet durch das schrittweise Absenken des Preises jedem Nachfrager die Innovation „irgendwann“ zu seinem Reservationspreis an: Im Idealfall schöpft der Anbieter die gesamte Konsumentenrente am Markt ab. In dieser Interpretation entspricht die Skimming-Strategie einer über die Zeit hinweg stattfindenden personellen Preisdifferenzierung, da zeitlich nacheinander die Marktsegmente entsprechend der Höhe ihrer Preiselastizität abgearbeitet werden. Hierbei unterstützt der Erfahrungskurveneffekt diese Markterschließungsstrategie mit schrittweisen Preisreduzierungen, da die Grenzkosten niedriger sind, wenn der Anbieter preissensiblere Marktsegmente anspricht. Dadurch sinkt der Stückdeckungsbeitrag weniger stark als der Preis. Interessant ist, dass die Skimming-Strategie die gegenteilige Markterschließungsstrategie zum Yield-Management, das zuerst die preissensiblen Nachfrager mit Frühbucherrabatten anspricht, darstellt. Die Skimming-Strategie mit einem relativ hohen Markteinstiegspreis lässt sich ferner mit der traditionellen Monopolpreistheorie begründen. Stellt das betrachtete Produkt die erste Ausprägung einer neuen Produktgeneration am Markt dar, besitzt es eine monopolartige Stellung. Konkurrenzbeziehungen zu den bislang am Markt existierenden Produkten müssen allerdings ausgeblendet werden; dies ist dann zulässig, wenn das neue Produkt eine radikale Innovation, die einen neuen Produkt-/ Marktraum eröffnet, darstellt. Im Laufe der Zeit rücken allerdings Konkurrenten mit ihren Neuerungen nach, so dass das betrachtete Produkt seine Monopolposition verliert und in einen Wettbewerbsmarkt eintritt. Da sich auf monopolistischen Märkten höhere Preise und Anbietergewinne als auf (echten) Wettbewerbsmärkten ergeben, sind die höheren Anfangspreise der Skimming-Strategie ein Reflex auf die Monopolstellung und die sukzessiven Preisreduzierungen eine Reaktion auf die sich verschärfende Konkurrenz. Die bisher genannten Begründungen der Skimming-Strategie basieren auf der myopischen (statischen) Anwendung der Amoroso-Robinson-Relation. Darüber hinaus weist die Skimming-Strategie noch weitere Ansatzpunkte für ihre interne <?page no="344"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 345 Logik auf: So mag bei Qualitätsunsicherheiten der Nachfrager ein hoher Preis bei der Produkteinführung eine hohe Produktqualität assoziieren (Preis-Qualitäts-Inferenz) und damit die Markteinführung erleichtern. Ferner ist ein positiver preispsychologischer Effekt eines relativ hohen Anfangspreises zu sehen, wenn dieser einen Referenzpunkt für alle späteren Preisbewertungen setzt. Weiterhin eröffnet die Skimming-Strategie eine Preiskalkulation auf der sicheren Seite: Der relativ hohe Anfangspreis, der erst allmählich gesenkt wird, erlaubt bereits früh im Produktlebenszyklus Kostendeckung zu erreichen bzw. sogar einen positiven Stückdeckungsbeitrag zu erwirtschaften. Dies erleichtert zweifellos die Argumentation des Marketing-Managements, ein Innovationsprojekt zu starten, wenn sehr schnell Gewinne geschrieben werden, die zudem nur wenig diskontiert sind. Sollten sich die Kosten in der Markteinführungsphase bspw. aufgrund von Preissteigerungen bei Zulieferprodukten erhöhen, hat der Anbieter bei der Skimming-Strategie ein Abfederungspotenzial; er kann durch den relativ hohen Verkaufspreis zumindest in Grenzen Kostensteigerungen abfangen und ist nicht zu eigenen Preiserhöhungen, die die Markteinführung möglicherweise gefährden würden, gezwungen. Umgekehrt besitzt der Anbieter bei der Skimming-Strategie Preisspielraum nach unten: Sollten Konkurrenten auftreten, kann er Preissenkungen durchführen, ohne einen negativen Deckungsbeitrag zu riskieren. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kosten entsprechend niedrig sind, damit ein relativ hoher Stückdeckungsbeitrag gegeben ist. Schließlich erfordert die Skimming-Strategie keinen so schnellen Kapazitätsaufbau, verglichen mit einem niedrigeren Preisniveau, da geringere Absatz- und Produktionsmengen auftreten bzw. diese sich erst schrittweise vergrößern. Dies schont die finanziellen Ressourcen bzw. die späteren Kapazitätserweiterungen können möglicherweise durch laufende Umsatzprozesse bzw. Gewinne mit der Innovation finanziert werden. Penetration-Strategie Der niedrige Preis bei der Markteinführung soll die Marktverbreitung der Innovation beschleunigen, wobei insbesondere dadurch die preissensiblen Imitatoren angesprochen werden. Der niedrige Preis gleicht hierbei den noch geringen Kaufdruck aus dem sozialen System aus. Zugleich erhöht die schnellere Marktverbreitung den Kaufdruck auf die restlichen Imitatoren, was die Diffusion der Innovation wiederum beschleunigt. Damit verfolgen Skimming- und Penetration-Strategie einen unterschiedlichen Ansatz, die Investition in die Innovation zu amortisieren: Während die Skimming-Strategie auf höhere Preise bei geringeren Mengen setzt, fokussiert die Penetration-Strategie auf hohe Absatzmengen bei niedrigeren Preisen. Welche Strategie zu einer schnelleren Amortisation führt bzw. zu einem bestimmten Zeitpunkt nach der Markteinführung mehr kumulierte Gewinne erzielt hat, hängt letztendlich von der Mengenbzw. Gewinn- <?page no="345"?> 346 5 Preissysteme treiberwirkung des Preises in der konkreten Vermarktungssituation ab. Zumindest erscheint hierbei die Penetration-Strategie als „waghalsigerer“ Weg, der „alles auf die Karte“ der Mengenkonjunktur setzt. Dies erfordert im produktionstechnischen Bereich entsprechende Kapazitäten bereits zu Beginn der Markteinführung. Ein niedriger Preis bei der Markteinführung ist auch dann erforderlich, wenn die Produktvorteile der Innovation nicht ausreichen, um die Nachfrager zu einem Markenbzw. Produktgenerationswechsel zu bewegen. Dies ist vor allem bei sog. inkrementalen Innovationen zu erwarten, die sich nur wenig von den etablierten Produkten abheben (geringer Neuigkeitsgrad). Mit einem höheren Preis könnte das neue Produkt auf dem Markt „nicht Fuß fassen“. Allgemein reduziert die Penetration-Strategie mit ihrem niedrigen Anfangspreis folglich das „Floprisiko“ einer Innovation. Hierzu trägt auch ein preispsychologischer Effekt bei: Wenn der Markteinstiegspreis das Preisimage des Produkts im gesamten Lebenszyklus oder zumindest in der Markteinführungs-Phase begründet, vermittelt die Penetration-Strategie ein positiveres Preisimage als die Skimming-Strategie. Erfahrungskurven- und Skaleneffekte, die bei der Penetration-Strategie stärker als bei der Skimming-Strategie auftreten, relativieren das Argument, dass in der Penetration-Strategie aufgrund des niedrigen Preises „lange Zeit“ keine positiven Stückdeckungsbeiträge erzielt werden. Ein schnelles „Herunterfahren“ der Kosten ermöglicht durchaus, „mittelfristig“ (z.B. in der späten Markteinführungsphase) die variablen Stückkosten unter den Penetration-Preis zu drücken. Insofern ist die Penetrationder Skimming-Strategie in der Chance, in „absehbarer Zeitspanne“ in die Gewinnzone zu kommen, nicht so stark unterlegen; allerdings beruht der positive Stückdeckungsbeitrag auf dem „schmalen Sims“ von niedrigem Preis und noch niedrigeren Kosten, die durch Mengenkonjunktur und produktionstechnische Effekte erreicht werden, während die Skimming- Strategie die Gewinne über das Abschöpfen der Konsumentenrente „einfährt“. Der niedrigere Preis der Penetration-Strategie in der Markteinführungsphase lässt sich ferner als Investition des Anbieters in die Schaffung einer zukünftig vorteilhaften Marktposition, in der diese Investitionen wieder hereingeholt werden (Recoupment), interpretieren. In diesem Sinn berücksichtigt die Penetration-Strategie - anders als die Skimming-Strategie - explizit Carry-over-Effekte in der Preissetzung. Eine vorteilhafte Marktposition in der Zukunft ist zum einen hinsichtlich der Kostenwirkung zu sehen: Aufgrund der hohen Absatzbzw. Produktionsmengen durch die Forcierung der Diffusion verschafft sich der Anbieter (Pionier) in seiner monopolistischen Phase einen Kostenvorsprung gegenüber später eintretenden Konkurrenten (Folger). Dadurch erzielt der Pionier bei Konkurrenzeintritt bei gleichbleibendem Penetration-Preis möglicherweise bereits positive <?page no="346"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 347 Deckungsbeiträge oder vermag sogar den Preis noch zu senken, während die Folger bei ihrem Markteintritt „drauflegen“ müssen. Daher wirkt der Kostenvorsprung des Pioniers als Markteintrittsbarriere, um potenzielle Konkurrenten vom Markt fernzuhalten. Demgegenüber „lockt“ die Skimming-Strategie mit ihrem hohen Anfangspreis potenzielle Konkurrenten möglicherweise an. Zum anderen besteht eine vorteilhafte zukünftige Marktposition aus diffusionstheoretischer Sicht: Für die Imitatoren signalisiert eine hohe kumulierte Produktionsmenge bzw. ein hoher Marktanteil Qualitätssicherheit und Reputation. Durch dieses akquisitorische Potenzial besitzt der Anbieter im „Kampf“ um das noch freie Marktpotenzial der Erstkäufer bei den Imitatoren einen strategischen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten mit geringeren Marktanteilen. Dies erlaubt, am Ende der Neuheits-Phase oder in der Settlement-Phase Preiserhöhungen unter den Imitatoren, ohne nennenswerte Absatzeinbußen hinnehmen zu müssen. Alternativ hierzu mag der Anbieter seinen Preis beibehalten, während Konkurrenten ihre Preise senken. Dann erhöht sich der relative Preis des Anbieters gegenüber den Konkurrenten. Dies wird auch als Penetration-Harvesting bezeichnet (vgl. Simon/ Fassnacht 2009, S. 355). Da der Anbieter in der Penetration-Strategie einen höheren Marktanteil unter den Erstkäufern als seine Konkurrenten besitzt, hat er in der Settlement-Phase ebenfalls einen strategischen Wettbewerbsvorteil, da er bei den Erstkäufern eine Markenbzw. Unternehmensbindung für die späteren Wiederholungskäufe aufbaut. Diese Kundenbindung fällt hierbei unter den Imitatoren vergleichsweise leicht, da sie sich in ihrem Kaufverhalten am Marktanteil der Anbieter orientieren. Schließlich vermeidet die Penetration-Strategie einen sog. Lead-Effekt (vgl. Doyle/ Saunders 1985, S. 55), der bei der Skimming-Strategie droht. Bei der Skimming-Strategie sinkt der Markteinführungspreis: Möglicherweise spekulieren Nachfrager auf diese Preissenkungen und warten deshalb mit ihrem Kauf, bis diese Preissenkung eingetreten ist, was dann die Diffusion der Innovation hemmt. Diese Problematik existiert bei der Penetration-Strategie nicht. Keine klare Einschätzung ergibt sich für beide Strategien hinsichtlich der Preiszufriedenheit bzw. Preisfairness: So könnte die Skimming-Strategie analog zu „Last-Minute“-Angeboten Preisunzufriedenheit auslösen, wenn ein Nachfrager zu einem höheren Preis die Innovation erworben hat, und kurze Zeit später das Produkt aufgrund von Preissenkungen zu einem günstigeren Preis offeriert wird. Allerdings mag auch das Penetration-Harvesting Preisunzufriedenheit auslösen, wenn die Nachfrager empfinden, dass ihre Konsumentenrente stärker abgeschöpft wird bzw. die Preiserhöhungen nicht durch Leistungssteigerungen der Innovation flankiert sind. Insofern macht die Penetration-Strategie den niedrigen Markteinführungspreis zum Referenzpreis, was dem Produkt zwar ein günstiges Preisimage verleiht, im Falle von Preiserhöhungen aber negativen Transaktionsnutzen bewirkt. <?page no="347"?> 348 5 Preissysteme Strategie des äußerst niedrigen Anfangspreises Die Strategie des äußerst niedrigen Anfangspreises ist als Extremform der Penetration-Strategie zu interpretieren, die auf die „Abschreckungswirkung“ niedriger Preise in einem Markt setzt: Der sehr niedrige Einstiegspreis soll Konkurrenten solange von einem Markteintritt abhalten, bis der Anbieter aufgrund seines Kostenvorsprungs und der Marktdominanz eine so hohe Markteintrittsbarriere aufgebaut hat, dass Konkurrenten auf einen Markteintritt verzichten. Der Anbieter behält damit seinen monopolistischen Spielraum, den er allerdings nicht zu Preiserhöhungen, sondern zu einem schnellen „Abräumen“ des Marktpotenzials (Mengenkonjunktur) nutzt. Die langfristige Gewinnerzielung wird dadurch zu erreichen gesucht, dass der Anbieter das Marktpotenzial weitgehend allein abarbeitet und Erfahrungskurven- und Skaleneffekte langfristig die Produktionskosten unter den Verkaufspreis drücken. Die Logik der Strategie des äußerst niedrigen Einführungspreises basiert auf dem Ausschluss der Konkurrenz; allerdings muss ein sehr niedriger Startpreis Konkurrenten nicht von einem Markt abhalten. Treten Konkurrenten auf, vermag der Anbieter aber seine deutlich bessere Kostenposition auszuspielen und die Preise auf ein für diese Konkurrenten kostenmäßig nicht tragbares Niveau zu senken (sog. Entry Limit Pricing, vgl. Diller 2008, S. 291), wenngleich er dadurch selbst Gewinneinbußen erleidet. Um Konkurrenten fernzuhalten, genügt jedoch möglicherweise bereits die glaubhafte Androhung eines solchen Kampfpreises. 5.4.6.4 Erweiterungen zu den Normstrategien Viele normative Studien empfehlen eine Skimming-Strategie für die Markterschließung (vgl. für eine Übersicht bspw. Mahajan et al. 1990, S. 17f.), während Simulationsstudien (vgl. bspw. Schmalen 1989, S. 223f.; Schmalen 1995, S. 135-137) eine Penetration-Strategie nahelegen oder hybride Strategien ausweisen: So folgt nach einer kurzen „scharfen“ Skimming-Phase eine langsame kontinuierliche Preissteigerung, ehe zum Ende des Planungshorizonts wieder ein Preisrückgang eintritt. Eine generelle Aussage, ob eine Skimming- oder Penetration-Strategie bzw. eine andere denkbare Preisstrategie den besten Preispfad in der Markteinführungsphase einer Innovation beinhaltet, lässt sich aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren nicht treffen. Hinzukommt, dass in der Praxis die Markteinführung ein Mix aus preis- und kommunikationspolitischen Aktivitäten beinhaltet, wobei die eingeschlagene Werbestrategie durchaus Rückkopplungen auf die Preisstrategie besitzt. Selbst in einfachen, lediglich preispolitischen Modellstrukturen treten bereits gegenläufige Wirkungstendenzen in einer Strategie auf: Während die endogene Diffusion den Kaufdruck auf die Imitatoren erhöht und damit ihre Preiselastizität verringert, was in der Skimming-Strategie die Tendenz <?page no="348"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 349 eines fallenden Preispfades abschwächt, forciert die Kostendegression fallende Preise. So zeigt ein Modell von Kalish (1983, S. 147) für ein einziges (homogenes) imitatives Marktsegment, dass nach der Markteinführung der gewinnoptimale Preis sogar kontinuierlich ansteigt, sofern keine Kostendynamik vorliegt; analoges ermitteln Mahajan et al. (1990, S. 18) für Netzwerkeffekte in der Nutzung der Innovation. Ferner hängt der optimale Preispfad davon ab, welche Planungsbedingungen unterstellt werden: So ist bei der Gegenüberstellung von Skimming- und Penetration-Strategie der Planungshorizont zu beachten: Die Skimming-Strategie benötigt eine deutlich größere Zeit, um das Marktpotenzial abzuarbeiten. Anders formuliert, basiert die Skimming-Strategie auf der Hoffnung, dass die aufgrund höherer Preise zunächst nicht befriedigte Nachfrage unangefochten von Konkurrenzprodukten und ohne Verärgerung der Kunden auf spätere Perioden verlagert und dann mit Preissenkungen abgearbeitet werden kann (vgl. Voigt 2003, S. 711). Ist der Planungshorizont bzw. der Marktzyklus der Innovation zeitlich begrenzt, so dass die Skimming-Strategie nur einen (geringen) Teil der Nachfragerschaft mit deren spezifischem Preis erreicht, empfiehlt sich eine Penetration-Strategie, da sie den Markt wesentlich schneller erschließt. Es muss allerdings genügend Zeit vorhanden sein, um in den späteren Planungsperioden ein „Recoupment“ der Investitionen in die Markterschließung zu erreichen. Ist der Marktzyklus der Innovation sehr kurz, erweist sich die Skimming-Strategie wieder überlegen (vgl. Schmalen 1995, S. 136), da die Penetration-Strategie ihre aufgebaute Marktposition aufgrund von Substitution nicht mehr ernten kann. Analoges gilt für die Zeitpräferenz des Anbieters. Setzt er aufgrund einer geringen Zeitpräferenz niedrige Diskontierungszinsen an, ergibt sich eher eine Strategie mit niedrigen Einführungspreisen, die auf spätere höhere Markterfolge setzt. Bei einem hohen Diskontierungszinssatz entspricht der optimale Preispfad dann eher einer Skimming-Strategie (vgl. Schmalen 1989, S. 224), die auf schnelle Gewinne setzt. Die Preiskalkulation im Lebenszyklus erfährt einen zusätzlichen Gestaltungsbzw. Komplexitätsparameter, wenn der Tatbestand des Auftretens von Konkurrenten am Markt nicht nur implizit über die Größe der Preiselastizität eine Berücksichtigung findet, sondern die Aktionen bzw. Reaktionen der Konkurrenten explizit modelliert bzw. von den Marktbeteiligten antizipiert werden. Hierbei steht das Szenario im Vordergrund, dass nach dem ersten Anbieter der Innovation (Pionier) mit einer bestimmten Zeitverzögerung Konkurrenten (Folger) mit ihren eigenen Innovationen auf den Markt kommen. Die vor allem spieltheoretischen Analyseansätze (vgl. bspw. Rao/ Bass 1985, S. 294; Eliashberg/ Jeuland 1986; Schmalen 1979) sind in ihren unterstellten Modellbedingungen allerdings nur wenig vergleichbar und liefern zumeist abstrakte Aussagen über Preisstrategien, die im Kern entweder Skimming- oder Penetration-Charakter besitzen. <?page no="349"?> 350 5 Preissysteme Ein interessantes preispolitisches Problem besteht ferner darin, die optimalen Preispfade für zwei Innovationsgenerationen zu bestimmen: So weist ein Modell von Bayus (1992, S. 256-258) eine Skimming-Strategie für die zweite Generation als optimalen Preispfad aus. Bei der ersten Innovationsgeneration hängt die Preisstrategie davon ab, wann die zweite Generation eingeführt wird, da dies wiederum bestimmt, ob die Käufer Ersatzkäufe tätigen oder vorzeitig wechseln müssen. Im ersten Fall ergibt sich für die erste Innovationsgeneration ebenfalls eine - im Vergleich zur Folgegeneration allerdings abgeschwächte - Skimming-Strategie als optimal, im zweiten Fall steigen die Preise für die erste Innovationsgeneration an, sobald die zweite Generation auf dem Markt ist. Dies soll den Wechsel auf die gewinnträchtigere zweite Innovationsgeneration fördern, die aufgrund der größeren Leistungsfähigkeit einen höheren Preis als ihre Vorgängergeneration aufweist. In der Praxis beginnt die Preispolitik für eine Innovation mitunter nicht erst mit der physischen Markteinführung. Vielmehr können Nachfrager durch Vorbestellungen das neue Produkt bereits vor der Markteinführung ordern. Solche Frühbesteller erhalten dann einen Rabatt auf den Listenpreis, der zur Markteinführung gilt. Damit startet eine Preisstrategie mit einem niedrigen „Vorverkaufspreis“, der dann zum Zeitpunkt der physischen Markteinführung auf den Einstiegspreis angehoben wird. Die Motivation für solche Zeitrabatte ist weniger darin zu sehen, analog zum Yield-Management preissensiblere Marktsegmente in ihren Bestellungen vorzuziehen, als vielmehr zum Marktstart bereits „ordentliche“ Absatzzahlen hinzulegen, um die Diffusion zu beschleunigen. Zugleich können die Vorbestellungen als letztmöglicher Markttest vor der physischen Markteinführung angesehen werden, um abzuschätzen, ob die Innovation erfolgreich sein wird und um gegebenenfalls noch Änderungen durchzuführen. Im Falle von Dienstleistungen (z.B. Konzerte; Kinofilme) unterbleibt dann möglicherweise sogar die Leistungserbringung, wenn der Vorverkauf ein „Flop“ war. Die Besteller erhalten dann ihr Geld zurück. Ferner muss der Anbieter die eigentlich intendierte Preisstrategie noch nicht sofort bei der Markteinführung einschlagen. Hier dienen zunächst relativ niedrige „Promotionpreise“ dazu, die „Inszenierung“ der Markteinführung in Kickoff-Veranstaltungen zu unterstützen. Nach Abschluss des Kick-off mag der Anbieter dann in den Preispfad der Skimming- oder Penetration-Strategie überwechseln; zweifellos ist hierbei aber ein Übergang in die Penetration-Strategie einfacher, da eine Skimming-Strategie erhebliche Preiserhöhungen impliziert, die sich aufgrund von Überlegungen zur Preiszufriedenheit oder Preisfairness am Markt vielleicht nicht realisieren lassen. Die bisherigen Ausführungen haben auf die Markteinführungsphase abgestellt: Hier reflektiert die Skimming-Strategie explizit nicht auf Ersatz- und Wieder- <?page no="350"?> 5.4 Zeitbezogen heterogene Preissysteme 351 holungskäufe, da sie sich auf die Abarbeitung der Marktsegmente bezogen auf den Erstkauf beschränkt. Daher lässt sich die Skimming-Strategie konzeptionell nur für Innovationen anwenden, bei denen nach ihrem technischen oder modischen Verschleiß andere Innovationsgenerationen nachrücken, was bspw. für langlebige Investitions- und Gebrauchsgüter gilt (vgl. Voigt 2003, S. 712). Demgegenüber weist die Penetration-Strategie mit dem Streben nach hohen Marktanteilen und einer vorteilhaften Kostenposition stärkeren Bezug zur späteren Settlement-Phase auf. In der Settlement-Phase verfügt der Anbieter jeweils über ein mehr oder weniger starkes akquisitorisches Potenzial bei den Nachfragern, die Ersatzbzw. Wiederholungskäufe tätigen. Strategische Gesichtspunkte wie der Aufbau einer vorteilhaften Kostenposition durch preispolitische Entscheidungen treten in den Hintergrund. Gerät das betrachtete Produkt allerdings unter Substitutionsdruck, da Konkurrenten mit ihren Innovationen verstärkt nachdrängen, steigt - dem Betrage nach - die Preiselastizität der Nachfrage an. Zudem ist das Kostensenkungspotenzial der Erfahrungskurven- und Skaleneffekte weitgehend ausgereizt, bzw. Leerkapazitäten und Leerkosten treten auf. Beide Faktoren bewirken, dass der Preis für das betrachtete Produkt sinkt. Preispolitische Zugeständnisse vermögen allerdings den Niedergang eines technologisch veralteten bzw. nicht mehr wettbewerbsfähigen Produkts langfristig nicht zu verhindern. Lässt sich kein Preis mehr durchsetzen, der über den variablen Stückkosten liegt bzw. ist der Absatz selbst bei einem Preis, der nur noch (knapp) über den Grenzkosten liegt, zusammengebrochen, lohnt sich kein weiteres Marktangebot. In der Regel dürfte die Entscheidung zur Marktelimination aber schon früher fallen, um die Ressourcen, die im betrachteten Produkt gebunden sind, anderweitig (gewinnbringender) einzusetzen. Dies gilt vor allem dann, wenn eine Nachfolgegeneration für das betrachtete Produkt zur Verfügung steht. <?page no="352"?> 6 Preispromotions 6.1 Systematik von Preispromotions Bei Preispromotions ist das vom Nachfrager zu entrichtende Entgelt für eine Einheit des betreffenden Artikels im Vergleich zur Nicht-Promotion-Situation reduziert. Allgemein rechnen Preispromotions zu Verkaufsfördermaßnahmen (Sales Promotions); als ein wesentlicher Charakter von Verkaufsfördermaßnahmen gilt hierbei deren zeitliche Begrenzung (vgl. zu Begriffsdefinitionen bspw. Blattberg/ Neslin 1990, S. 1; Gedenk 2002, S. 11f.). Ausgehend vom Initiator und der Zielgruppe von Preispromotions lassen sich drei Ebenen unterscheiden (vgl. Abbildung 6-1): Abbildung 6-1: Ebenen von Preispromotions Händler-Preispromotions sind Preisnachlässe des Einzelhändlers, um den Abverkauf von Artikeln im Sortiment zu fördern. Trade-Promotions (Handels- Preispromotions) setzt der Hersteller gegenüber dem Handel als Push-Strategie ein: Durch Gewährung „monetärer Anreize“ will er den Handel motivieren, seine Produkte zu listen bzw. in größeren Mengen zu ordern (Forward Buying). Im Gegenzug geht der Hersteller davon aus, dass der Handel diesen Verkaufsdruck an die Nachfrager weitergibt und seinerseits Händler-Promotions mit den betreffenden Herstellermarken startet, um die Produkte aus den Regalen und Lagern wieder „hinauszuverkaufen“. Somit sind Preisnachlässe, die der Hersteller dem Handel im Rahmen der Trade-Promotions gewährt, ein Beitrag zur Finanzierung der Händler-Preispromotions. Bei Verbraucher-Promotions wendet sich der Hersteller Händler Endverbraucher Verbraucher- Promotions Händler-Promotions Trade-Promotions <?page no="353"?> 354 6 Preispromotions Hersteller mit Aktionen direkt an den Endverbraucher, um eine Sogwirkung auf den Endverbrauchermarkt (Pull-Strategie) auszulösen, was den Handel wiederum zwingt, diese Marken ins Sortiment zu nehmen bzw. in größeren Mengen beim Hersteller zu bestellen (vgl. zu den Herstellerstrategien bspw. Müller-Hagedorn et al. 1999, S. 66; Tomczak/ Gussek 1992, S. 790). Da der Handel den Abverkaufspreis der Waren festlegt, sind die Möglichkeiten der preisbezogenen Verbraucher- Promotions allerdings eng begrenzt. In Erweiterung von Abbildung 6-1 lassen sich Händler- und Verbraucher-Promotions zu konsumentengerichteten Preispromotions zusammenfassen. Hinsichtlich der eingesetzten Instrumente (vgl. zu Klassifizierungen bspw. d´Astous/ Jacob 2002, S. 1286; Gedenk 2003, S. 600f.; Sinha/ Smith 2000, S. 258) dominieren bei Händler-Preispromotions kurzfristige Preisreduzierungen von Artikeln, die als Sonderangebote (neuer, niedrigerer Verkaufspreis) oder über Rabatte (Preisnachlass auf den Listenpreis) gewährt werden. Technisch realisiert sind bereits Lösungen, in denen ein Händler vorübergehenden Passanten auf ihr Smart Phone eine Meldung sendet, dass in seinem Geschäft bestimmte Sonderangebote vorrätig sind, oder eine Person ausgehend von ihrem aktuellen Standort sich Geschäfte mit Sonderangebotsaktionen anzeigen lässt. Ferner kommen bei Preispromotions zunehmend Coupons zum Einsatz. Diese gewähren dem Nachfrager - zeitlich befristet (Geltungsdauer) - bei Vorlage an der Kasse für das definierte Produkt bzw. das gesamte Sortiment eine absolute oder prozentuale Kaufpreisreduzierung. Multi Brand-Coupons beinhalten einen Preisnachlass, der sich auf mehrere Marken bezieht (vgl. Bawa/ Shoemaker 1987, S. 109). Coupons werden häufig über Zeitungen („free standing inserts“), das Internet, Direktwerbung oder im Geschäft (z.B. am Regal zum Mitnehmen, sog. On Shelf-Coupons) distribuiert. Inzwischen gibt es im Internet Gutscheinplattformen, auf denen der Plattformbetreiber (z.B. Groupon) Coupons der angeschlossenen Kooperationspartner zum Downloaden für Nachfrager bereitstellt. Der Plattformbetreiber erhält dann eine Provision vom Händler für jeden über diesen Distributionsweg verteilten und eingelösten Coupon. Alternativ können Coupons in oder auf der Produktverpackung enthalten sein (In Pack-, On Pack-Coupons). Insbesondere durch Direktwerbung oder ein explizites Verteilen im Geschäft besitzen Coupons die Möglichkeit, an bestimmte Kundensegmente zielgerichteter („personalisierte Coupons“) als Sonderangebote, die „für alle gelten“, ausgegeben zu werden (vgl. Gedenk 2003, S. 616). Gemäß der Amoroso-Robinson-Relation sollten solche Käufergruppen Coupons erhalten, die eine - dem Betrage nach - höhere Preiselastizität besitzen, was dann eine personelle Preisdifferenzierung impliziert. Die Ausgabe von Coupons steht auch dem Hersteller offen. Lösen Nachfrager die Hersteller-Coupons im Handel ein, muss der Hersteller diese dem Handel wieder vergüten. Allerdings existieren auch gemeinsame Aktionen: So verdoppelt bei Double Coupons der Händler den Preisnachlass, den ein Hersteller- <?page no="354"?> 6.1 Systematik von Preispromotions 355 Coupon gewährt. Eine Sonderform der Hersteller-Coupons stellen Rückvergütungen (Rebates) an den Endverbraucher dar: Hier muss der Nachfrager den Kaufbeleg beim Hersteller einsenden und bekommt dann von ihm eine monetäre Rückerstattung eines Teils des Kaufpreises, den er beim Händler bezahlt hat. Neben der Reduzierung des Kaufpreises lassen sich Preispromotions auch dahingehend ausgestalten, dass der Nachfrager „für das gleiche Geld“ eine größere Kaufmenge erhält (Bonus Packs): Realisationen sind bspw. Verpackungen, die einen größeren Mengeninhalt zum gleichen Preis besitzen („20 % mehr drin“), die Abgabe von kostenlosen zusätzlichen Produkteinheiten des gleichen Produkts (sog. BOGOs: „buy one, get one free“, vgl. Gedenk 2003, S. 600) bzw. anderer Zusatzprodukte (Zugaben; Give Aways) oder traditionelle Mengenrabatte für „Multi-Packs“. Die Ausgabe von Verpackungen mit größerem Füllinhalt oder die Zusammenstellung von „Multi-Packs“ setzen eine vertikale Kooperation zwischen Hersteller und Handel voraus, da diese Aktionsverpackungen produziert werden müssen. In einer weiter gefassten Interpretation lässt sich auch die Inzahlungnahme eines Altprodukts beim Kauf eines Neuprodukts (vgl. Abschnitt 2.7) als Preispromotion verstehen, da sich dadurch der effektiv vom Nachfrager zu zahlende Preis verringert, zumal solche Rückgabewochen häufig zeitlich beschränkt sind. Eine verhaltensorientierte Typisierung differenziert zwischen aktiven und passiven (Preis-)Promotionmaßnahmen (vgl. Schneider/ Currim 1991, S. 207f.). Die erste Kategorie erfordert eigene Aktivitäten des Nachfragers außerhalb des POS, um die Promotionmaßnahme auszunutzen: Bei Coupons muss der Nachfrager diese erst aus einer Zeitung oder der Verpackung ausschneiden, sammeln und dann in seiner Einkaufsplanung berücksichtigen. Passive Promotionmaßnahmen nimmt der Nachfrager ohne größere (eigene) Anstrengungen am „Point of Sale“ wahr (z.B. Sonderangebot). Ferner lassen sich Promotionmaßnahmen mit sofortigem Anreiz von sog. Treue-Promotions abgrenzen: Der letztere Fall liegt vor allem bei Rabatten oder Bonuspunktsystemen vor, bei denen der Nachfrager erst nach wiederholtem Kauf des Produkts bzw. Sammeln mehrerer Coupons oder Bonuspunkte in den Genuss der Preisvergünstigung kommt. Eine komplexe ökonomische Wertung besitzen Trade-Promotions. So existiert zum einen eine Vielzahl an Anlässen, wofür der Hersteller dem Handel „monetäre Belohnungen“ in Form von Rabatten, Prämien, Boni, Zuschüssen oder „Gebühren“ gewährt. Prinzipiell sollen hiermit Leistungen des Handels im Rahmen der Transaktionsbeziehung honoriert werden: Diese bestehen bspw. in der Abnahme spezifischer Mengen oder Produkte durch den Handel, in der Einräumung einer besseren Vermarktungsstellung der Herstellerprodukte am „Point of Sale“ oder in der Erleichterung finanzieller bzw. logistischer Prozesse des Herstellers. Eine keineswegs vollständige alphabethische Übersicht hierzu bietet Tabelle 6-1 (vgl. Kramer 1993, S. 356; Schulze 1998, S. 69-85): <?page no="355"?> 356 6 Preispromotions Aktionsrabatt Auftragsgrößenrabatt Ausschließlichkeitsprämie Chefbonus Denkanstoßprämie Disporabatt Einführungsrabatt Einrichtungszuschuss Erfüllungsbonus Frühbezugsrabatt Hausbonus Jahresbonus Jubiläumsrabatt Kartonrabatt Konzentrationsrabatt Listungsgebühr Mengenrabatt Messerabatt Naturalrabatt Paketbonus Palettenrabatt Regalmiete Regalpflegeprämie Quartalsbonus Rechnungsrabatt Saisonrabatt Schaufensterrabatt Servicepauschale Skonto Sofortskonto Sortimentserweiterungsrabatt Sortimentsprämie Statuserhaltungsprämie Stützpunkthändlerbonus Tertialbonus Totalmengenrabatt Treuerabatt Vorausrabatt Vollsortimentsrabatt Werbekostenzuschuss Zielerreichungsprämie Zweitplazierungsgebühr Zweitplatzierungsprämie Tabelle 6-1: Arten von Trade-Promotions Inzwischen haben Trade-Promotions aufgrund der Nachfragemacht des Handels in vielen Branchen allerdings ihre ursprüngliche Intention einer „Push- Strategie“, die der Hersteller aktiv gestaltet, verloren. Vielmehr liefern die Ausprägungsformen von Trade-Promotions (vgl. Tabelle 6-1) marktmächtigen Handelsunternehmen viele „Stellschrauben“, günstige Bezugspreise ihren Lieferanten abzuverlangen, wobei die wettbewerbsrechtliche Gefahr der Lieferantenpreisdifferenzierung (passive Diskriminierung gemäß § 20 Abs. 3 GWB) nicht von der Hand zu weisen ist. 6.2 Motivation von Händler-Preispromotions Kurzfristige Preisreduzierungen (Sonderangebote) von Artikeln, Artikelgruppen oder Sortimentsteilen sind im Einzelhandel „Alltag“. Dennoch lässt sich die „ketzerische“ Frage stellen, wieso es gewinnsteigernd sein sollte, temporär Preise für bestimmte Produkte zu senken. Mehrere Rechtfertigungsgründe für Preispromotions lassen sich anführen (vgl. zu einer Auflistung auch Gedenk 2002, S. 48-75): Sonderangebote erhöhen den „Store Traffic“ und locken damit Laufkunden in das Geschäft, die ansonsten nicht gekommen wären. Von diesem Frequenzeffekt profitieren auch andere Artikel im Sortiment, die diese Laufkunden im „One Stop Shopping“ mitnehmen. Ferner „kurbeln“ Sonderangebote bei nachfrageimmanentem Sortimentsverbund den Absatz komplementärer Sortimentsteile „an“. Eine Vielzahl von empirischen Studien hat versucht, „Gesetzmäßigkeiten“ in der Wirkung von Sonderangeboten zu identifizieren: Typischerweise liegt die (absolute) Preiselastizität für Preispromotions im Wertebereich zwischen 2 und 4; sie ist höher, d.h. Sonderangebote wirken stärker bei Produkten, die <?page no="356"?> 6.2 Motivation von Händler-Preispromotions 357 ein Nachfrager leicht zu Hause lagern kann, die häufiger gekauft werden oder die einen größeren Anteil des Haushaltsbudgets beanspruchen (vgl. bspw. Bijmolt et al. 2005, S. 150; Dawes 2012, S. 344; Fok et al. 2006, S. 454). Bei der Gesamtbeurteilung der Vorteilhaftigkeit eines schnelleren Abverkaufs des Promotionartikels ist jedoch nicht nur dessen Primäreffekt zu beachten: Ein Teil der Absatzsteigerung zum Sonderangebotszeitpunkt geht auf Markenwechsel oder temporäre Substitution (Nachlauftal) zurück; selbst innerhalb der Marke sind massive Kannibalisierungstendenzen zu beobachten, weil der Absatzanstieg des Sonderangebotsartikels teilweise auf Substitution anderer - nicht preisreduzierter - Packungsgrößen dieser Marke zurückgeht. Dawes (2012, S. 349) berichtet in seiner Studie von einem Umfang von etwa 20 %, d.h. etwa ein Fünftel des Absatzanstiegs des Promotionsartikels stammt aus Absatzverlusten der anderen Packungsgrößen der Marke. Aufgrund dieser negativen Sekundäreffekte ist es zweifelhaft, ob Sonderangebote „unter dem Strich“ gewinnfördernd sind. Zudem belegt die Niehans-Bedingung (5.2-1), dass es für die Preiskalkulation unter Berücksichtigung des Sekundäreffekts eine statische Optimallösung gibt. Ein temporärer Preiswechsel für das Ankurbeln von komplementärem Sortimentsverbund ist nicht erforderlich. Die Theorie des Updatings von Referenzpreisen hat gezeigt, dass Sonderangebote den subjektiv wahrgenommenen Referenzpreis vermindern. Ist - wie Abschnitt 5.4.3.3 demonstriert - der (positive) Preisimageeffekt stärker als der (negative) Einfluss der Abweichung des Normalpreises vom Referenzpreis, lässt sich ein dauerhafter Absatzzuwachs über temporäre Preisreduzierungen erzielen. Preispromotions stellen eine Form der zeitlichen Preisdifferenzierung dar. Hierbei lassen sich zwei unterschiedlich preissensible Nachfragersegmente, die sich ferner in ihren Präferenzen und Lagerhaltungskosten unterscheiden, abgrenzen: Die preisempfindlichen „Schnäppchenjäger“ erwerben von einem Produkt im Sonderangebot eine so große Menge, dass sie ihren Konsumbedarf bis zur nächsten Aktion abdecken können. Weniger preissensible Nachfrager weisen hingegen möglicherweise höhere Lagerhaltungskosten auf oder bevorzugen frische Ware, weshalb sie geringere Kaufmengen erwerben. Daher müssen sie auch zu Zeitpunkten, in denen das Produkt nicht aktioniert ist, einkaufen. Hier haben sie dann einen höheren Preis zu entrichten, der gemäß der Amoroso- Robinson-Relation an ihre - dem Betrage nach niedrigere Preiselastizität - besser als ein zeitbezogener Einheitspreis angepasst ist. Sonderangebote sind ein alltäglicher Bestandteil des Einkaufens: Daher formulieren Stammkunden eines Geschäfts Erwartungshaltungen, bei ihren Geschäftsbesuchen Sonderangebote vorzufinden (vgl. Hardesty/ <?page no="357"?> 358 6 Preispromotions Bearden 2003, S. 17), selbst wenn sie diese dann nicht ausnutzen. Sonderangebote stellen in dieser Interpretation ein defensives Wettbewerbsinstrument dar, die Stammkunden „bei der Stange zu halten“ (vgl. Schmalen et al. 1996, S. 246f.). Ähnlich hierzu ist die Argumentation, dass Sonderangebote die Nachfrager zu „Schnäppchenjägern“ erzogen hätten und deshalb der Handel diese Erwartungen nun weiterhin erfüllen muss (vgl. Sturm 2004, S .19). Unter Berücksichtigung der Häufigkeit und Höhe von Preisreduzierungen wird inzwischen von einer „Preisschlacht“ in vielen Einzelhandelsbranchen gesprochen (vgl. Sturm 2004, S. 19). Ein gemeinsames Zurückfahren der Preisaktionen würde - im Sinne einer Bewegung des monopolistischen Bereichs auf der Stammnachfrage-Gleitkurve - ein höheres Preisniveau bei wenig vermindertem Absatz implizieren. Hierzu ist jedoch einseitig kein Anbieter bereit, da seine Konkurrenten dies ausnutzen und bei Beibehaltung ihrer Sonderangebotsstrategie sich dann besser stellen würden. Die Anbieter sind daher in einem Gefangenendilemma und führen deshalb Sonderangebote weiter fort, weil auch die Konkurrenz nicht darauf verzichtet (vgl. Lal 1990, S. 248f.). Sonderangebote beschleunigen den Warenabsatz (Primäreffekt), weshalb sie zu einer schnelleren Lagerräumung beitragen, was zumindest Teile der Lagerbestände vor physischem Verderb bzw. technischer oder modischer Obsoleszenz bewahrt. Der Preisnachlass, der gewährt werden muss, um das Lager zu räumen, stellt dann die „Bestrafung“ des Anbieters dar, weil er die Marktnachfrage falsch eingeschätzt bzw. bislang einen zu hohen Preis angesetzt hatte. Händler-Preispromotions gehen - zumindest teilweise - auf Trade-Promotions der Hersteller zurück. In dieser Interpretation sind Sonderangebote dann ein Reflex des Handels auf das Preismanagement der Hersteller: So legt die Amoroso-Robinson-Relation nahe, niedrigere Grenzkosten aufgrund von Trade-Promotions durch niedrigere Verkaufspreise des Handels an den Endverbraucher weiterzugeben. Aus verhaltensorientierter Sicht können Preispromotions dahingehend gerechtfertigt werden, dass sie Anreize (Benefits) bieten, die Smart Shopping Feelings bei Nachfragern auslösen. Hierbei können sechs „Benefit“-Kategorien unterschieden werden, die sich in utilitaristische und hedonistische Anreize systematisieren lassen (vgl. Ailawadi et al. 2001, S. 72-76; Chandon et al. 2000, S. 66-69; Price et al. 1988, S. 354f.; Mano/ Elliott 1997): Utilitaristische Benefits beziehen sich auf den primären Produkterwerb (Savings; Quality; Convenience), hedonistische Benefits fokussieren auf die Aktivität des Einkaufens „unter Promotion-Bedingungen“ (Value Expression; Exploration; Entertainment): <?page no="358"?> 6.2 Motivation von Händler-Preispromotions 359 Savings: Durch Preispromotions spart der Nachfrager Geld beim Kauf des betreffenden Produkts gegenüber einem Einkauf des Artikels zu Normalpreisen. Diesen eingesparten Geldbetrag mag er über den „Grenznutzen des Geldes“ (vgl. hierzu bspw. Seel 1991, S. 87) bewerten oder im Sinne des Mental Accounting als (positiven) Transaktionsnutzen empfinden. Im letzteren Fall ist allerdings davon auszugehen, dass er die Preiseinsparung nicht absolut, sondern relativ zum Referenzpreis (Normalpreis) einschätzt. Quality: Aufgrund der Preisreduzierung gewinnt der Nachfrager „finanziellen Spielraum“, was ihm möglicherweise erlaubt, sich ein qualitativ höherwertiges Produkt leisten zu können, das er ansonsten nicht erworben hätte. Preispromotions ermöglichen damit ein Upgrading in der Produktqualität und führen folglich zu einem höheren Bruttonutzen. Dies dürfte vor allem bei gehobenen Gebrauchsgütern zu erwarten sein, bei denen Preisreduzierungen durchaus einen dreistelligen Euro-Betrag ausmachen können. Convenience: Preispromotions dienen möglicherweise als Entscheidungshilfe und führen dadurch zu einem kognitiv „bequemeren“ Einkaufen, was Such- und Entscheidungskosten reduziert. Dissonanztheoretisch vermögen sie hierbei einen Appetenz-Appetenz-Konflikt zu lösen: Wenn sich der Nachfrager unter mehreren, ihm attraktiv erscheinenden Marken nicht zu einer Entscheidung für eine Alternative durchringen kann, gibt eine Promotionmaßnahme möglicherweise den „letzten Anstoß“, die beworbene Marke zu wählen. Ferner gilt allgemein im Sinne eines Kosten-Nutzen-Kalküls, dass sich der Nachfrager mit einer zufriedenstellenden Lösung seines Entscheidungsproblems begnügen mag und deshalb dann auf weitere Aktivitäten zur Entscheidungsfindung verzichtet (Prinzip des „Satisficing“). Da sich der aktionierte Artikel im Vergleich zu den nicht reduzierten Marken im Preis-Leistungs-Verhältnis verbessert hat, könnte ein Nachfrager diesen Promotionartikel in einer Warengruppe als akzeptable Lösung bzw. „nicht schlechte Wahl“ ansehen und dadurch seinen Entscheidungsprozess verkürzen. Value Expression: Manche Nachfrager verfolgen in ihrem Einkaufsverhalten über den physischen Produkterwerb hinausgehende, persönlichkeitsbezogene Motive, die durch Preispromotions angesprochen werden können: So führt das Entdecken eines Sonderangebots zu Stolz, den Unternehmen „etwas abgeluchst“ zu haben. Ebenso mag das Ausnutzen einer Preispromotionmaßnahme ein Gefühl von Einkaufskompetenz vermitteln, ein gesetztes Selbstbild („vernünftiger Käufer“) erfüllen oder soziale Anerkennung stiften, wenn man günstig eingekauft hat. <?page no="359"?> 360 6 Preispromotions Exploration und Entertainment: Da Preispromotions in einem Geschäft häufig wechseln und eine relativ hohe Aufmerksamkeitswirkung besitzen, sprechen sie die Neugierde des Nachfragers und sein Bedürfnis nach Abwechslung im Einkaufsverhalten an. Ferner mag allein die Suche nach Sonderangeboten bei manchen den „Jagdtrieb“ befriedigen und dadurch Unterhaltungswert besitzen. 6.3 Gestaltungsparameter von Händler-Preispromotions Preispromotions weisen mehrere Gestaltungsparameter auf (vgl. Abbildung 6-2), wobei die konkrete Ausgestaltung im Einzelhandel häufig auf Erfahrungswissen basiert: Zudem ist die Preispromotionpolitik im Handel von den Trade- Promotions der Hersteller beeinflusst bzw. ausgelöst: Abbildung 6-2: Gestaltungsparameter von Händler-Preispromotions artikelbezogene Zusammenstellung Heuristische Auswahlkriterien für Preispromotionartikel sind bspw. ihr Einfluss auf das Preisimage (Eckartikel) des Geschäfts, ihre Eignung, Laufkunden in das Geschäft zu bringen (Frequenzeffekt), oder ihre Fähigkeit als Zugartikel zu fungieren. Hinsichtlich des Frequenzeffekts erscheint es naheliegend, einen Mix an Artikeln zu aktionieren, um vielen Laufkunden (zumindest) einige für sie attraktive Angebote, die sie zum Geschäftsstättenbesuch veranlassen, zu bieten. Hierbei zeichnet sich in einigen Einzelhandelsbranchen ein Trend ab, größere Sortimentsbereiche oder sogar das gesamte Sortiment preislich zu reduzieren. In anderen Branchen (z.B. Lebensmitteleinzelhandel) ist hingegen eine Homogenisierung der Preispromotionpolitik zu beobachten, da die Aktionswochen stereotype Produktkategorien mit lediglich wechselnden Marken aufweisen. Dann büßen Preispromotions zweifellos ihre Aufmerksamkeitswirkung ein. G e staltungsparameter v o n P reispromotions artikelbezogene Zusammenstellung Flankierung mit weiteren Maßnahmen Zeitrhythmus von Preispromotions Höhe der Preisreduzierung Zeitdauer der Preispromotion <?page no="360"?> 6.3 Gestaltungsparameter von Händler-Preispromotions 361 Flankierung mit weiteren Maßnahmen In der Regel ist eine Preispromotionmaßnahme durch ein Bündel von nichtpreislichen Instrumenten begleitet: So wird eine Preisreduzierung über lokale Handzettelwerbung bekannt gemacht und durch Sonderplatzierungen und Displays im Geschäft unterstützt. Hierbei kann sich auch der Hersteller mit eigenen Verbraucherpromotions, teilweise in der Geschäftsstätte, beteiligen (z.B. Gewinnspiele; Warenproben am Point of Sale; Aktionsverpackungen). Empirische Untersuchungen zeigen, dass eine Bündelung von Maßnahmen Synergieeffekte bewirkt (vgl. Gedenk 2003, S. 609): So erzielte eine alleinige Preissenkung von 15 % - im Durchschnitt über 164 Produktkategorien von Waren des täglichen Bedarfs - eine Absatzsteigerung (Primäreffekt) von 35 %, kombiniert mit einem Zeitungsinserat und Displaymaterial am Point of Sale hingegen von 545 %. Zeitdauer der Preispromotion Der zeitlich befristete Charakter einer Preispromotion kommt bereits in der definitorischen Abgrenzung zum Ausdruck. Tatsächlich zeigen empirische Untersuchungen, dass Restriktionen einer Preispromotion (zeitliche Beschränkung; mengenmäßige Kontingentierung; Angabe der noch vorhandenen Stückzahl des Artikels) die Bewertung des Sonderangebots und dessen Inanspruchnahme steigern, verglichen mit einer gleich hohen Preisreduzierung ohne solche Beschränkungen. Grund hierfür ist, dass Nachfrager die Restriktion als Indikator zur Bewertung des Value der Preispromotion heranziehen bzw. allgemein der Tatbestand der Knappheit die Wertschätzung gegenüber einem Objekt erhöht (vgl. Inman et al. 1997, S. 68-77). Hinsichtlich der zeitlichen Länge der Preispromotion sehen Nachfrager zu kurze Preispromotions möglicherweise als wenig „fair“ oder als „Lotteriespiel“ an, wenn sie bspw. aufgrund von Zeitbeschränkungen in diesem Zeitfenster das Geschäft nicht aufsuchen können. Ferner können Nachfrager bei zeitlich kurzen Aktionen beim Betreten einer Geschäftsstätte noch von der Gültigkeit der Preispromotionaktion, die der Händler aber bereits beendet hat, ausgehen. Aufgrund des erwarteten Sonderangebotspreises als Referenzpreis sind sie dann vom Normalpreis „enttäuscht“. In der Praxis ist die zeitliche Länge einer Preispromotion durch die Häufigkeit der Sonderangebote determiniert. So dürften Nachfrager zeitlich überlappende Preispromotionaktionen in den gleichen Warenbereichen als wenig preistransparent empfinden, weshalb der Start der neuen Aktion das späteste Ende der vorausgegangenen Aktion darstellt. Die Wirkung der (kommunizierten) Zeitdauer einer Sonderangebotsaktion scheint ferner vom Regulatory Focus einer Person abzuhängen: In einem Laborexperiment erwarben Personen mit einer Promotion-Orientierung eine größere Anzahl des preisreduzierten Artikels, wenn das Sonderangebot eine längere Gültigkeitsdauer (zwei Wochen) aufwies, verglichen mit einem Sonder- <?page no="361"?> 362 6 Preispromotions angebot, das nur einen Tag gültig war. Umgekehrt kauften Personen mit einer Prevention-Orientierung mehr vom Sonderangebotsartikel, wenn das Produkt nur diesen einen Tag preisreduziert war, verglichen mit einem Sonderangebot mit einer Laufzeit von zwei Wochen (vgl. Ramanathan/ Dhar 2010, S. 548; ähnlich Abendroth/ Diehl 2006). Höhe der Preisreduzierung Empirische Untersuchungen zur Höhe von Preisreduzierungen bei Sonderangeboten zeigen ein vordergründig widersprüchliches Bild: Zum einen sehen Nachfrager erst Preissenkungen von mindestens 15 % bezogen auf den Normalpreis als „substantiell“ an. Zum anderen antworten Nachfrager mit geringem Preiswissen und/ oder niedrigem Kaufbzw. Produktinvolvement (Low Need for Cognition) allein auf auffällige Preispräsentationen („Promotional Signal“), ohne dass tatsächlich eine Preisreduzierung vorliegt, mit einer Erhöhung der Kaufwahrscheinlichkeit (vgl. Inman et al. 1990, S. 76ff.). Die Nachfrager fordern für ein Sonderangebot offensichtlich einen „kräftigen“ Preisabschlag, vermögen aber - ohne Unterstützung durch externe Referenzpreise (Comparative Pricing) - nicht zu beurteilen, wie hoch die Preisreduzierung tatsächlich ausfällt. Mayhew/ Winer (1992, S. 63) konstatieren in diesem Zusammenhang, dass Nachfrager stärker auf die Anzahl von Sonderangeboten als auf deren Höhe reagieren. Demnach scheint die Höhe der Preisreduzierung aus Nachfragersicht keine so große Rolle zu spielen. Aus Anbietersicht fokussiert die Bemessung der Höhe der Preisreduzierung auf die Gewinntreiberwirkung des Preises: Dies betrifft zum einen die Frage, ob die Preisnachlässe, d.h. die Investitionen in Preispromotions, in ausreichendem Umfang zusätzlichen Absatz beim betreffenden Produkt bzw. bei komplementären Artikeln während der Promotionaktion auslösen (Primäreffekt; Verbundeffekt). Zum anderen ist relevant, „woher“ die Absatzsteigerung stammt, d.h. in welchem Umfang der Primäreffekt aus Markenwechsel oder zeitlicher Substitution besteht. Diese beiden Sekundäreffekte vermindern die Gewinnwirkung des Primäreffekts. Empirische Studien unter Waren des täglichen Bedarfs zeigen hierbei, dass Sonderangebote zwar kräftige Primäreffekte auslösen; in vielen Fällen stammt ein Großteil des Absatzzuwachses aber aus Markenwechsel und der Vorverlagerung von Kaufzeitpunkten (Akzeleration des Wiederkaufrhythmus). Frequenzeffekte oder Absatzsteigerungen verwendungskomplementärer Artikel im Sortiment lassen sich oft nur schwach ausgeprägt finden (vgl. bspw. Schmalen et al. 1996; Gedenk 2003, S. 609-614). Zeitrhythmus von Preispromotions Die Frage, wie häufig Preispromotions auftreten sollten, erübrigt sich in manchen Branchen, da die Anbieter in jeder Woche einige Preispromotions offerie- <?page no="362"?> 6.3 Gestaltungsparameter von Händler-Preispromotions 363 ren. Hier verschiebt sich dann die Frage dahingehend, wie häufig bzw. in welchem Zeitabstand eine bestimmte Marke aktioniert werden sollte. Eine zu rasche Folge von Preispromotions - so fürchten Markenmanager - führt möglicherweise zu einer Erosion von Markenstärke und Markenwert (vgl. Chandon et al. 2000, S. 65). Zudem bewirken häufigere und vor allem antizipierbare Preispromotions, dass es Nachfragern immer leichter gelingt, Normalpreisphasen der Marke zu überbrücken und nur im Sonderangebot das Produkt zu erwerben. Ferner besteht die Gefahr, dass zu häufige Sonderangebote einer Marke den Sonderangebotspreis zum Normalpreis werden lassen, Nachfrager „insensitiv“ gegenüber Preispromotions machen (vgl. Inman et al. 1990, S, 80) oder der ständigen Aktionen sogar überdrüssig werden (vgl. Suri et al. 2000, S. 193). Ein solcher „Gewöhnungseffekt“ erfordert dann kräftigere Preisreduzierungen, um noch „Response“ unter den Nachfragern zu erzeugen. Erhöhen häufige Preispromotions - dem Betrage nach - die Preiselastizität der Nachfrage, kommt es zu einem Rückgang der (gewinnoptimalen) Preise (sog. Preisverfallshypothese; vgl. Diller 1979, S. 9). Solche negativen Entwicklungen durch zu häufige Sonderangebote hat allerdings nicht (nur) ein einzelner Anbieter zu verantworten; sie sind vielmehr das Ergebnis eines übertriebenen Preispromotion-Gebahrens in seiner Branche oder sogar im gesamten Consumer-Bereich. Die Frage des Zeitrhythmus von Preispromotions lässt sich ferner analog zur pro- oder antizyklischen Werbung stellen, ob eine brummende Nachfrage mit Preispromotions zusätzlich angeheizt werden soll (z.B. Aktionen im Weihnachtsgeschäft), oder in Phasen mit Absatzproblemen Preispromotions verstärkt einzusetzen sind. Das letztere Argument ist marginalanalytisch begründbar, da eine - dem Betrage nach - höhere Preiselastizität, die möglicherweise in Flautenphasen herrscht, niedrigere Preise erfordert. Allerdings lassen sich auch Argumente für Preispromotions in Phasen mit hoher Kundenfrequenz finden: So kann in einer solchen Phase ein positiver Preisimage-Effekt von Preisreduzierungen bei besonders vielen Nachfragern ausgelöst werden. Zudem locken Preispromotions möglicherweise manche Nachfrager ins Geschäft, die dann im One Stop Shopping oder im Gefühl des Einkaufserlebnisses weitere Waren im Geschäft erwerben. Eine solche Verkaufsstrategie ist vor allem dann lohnend, wenn viele Nachfrager unterwegs sind. Ferner ist denkbar, dass in einer Zeitphase wie der Vorweihnachtszeit Nachfrager als potenzielle Käufer auftreten, die ansonsten in dieser Produktkategorie kaum etwas einkaufen. Diese Kunden weisen möglicherweise eine - dem Betrage nach - höhere Preiselastizität auf als Nachfrager, die in der betreffenden Produktkategorie das ganze Jahr über Käufe tätigen. Diesem preissensiblen Kundensegment kommen Preispromotions entgegen. Allerdings darf das Argument des Gefangenendilemmas nicht übersehen werden: Man ist gezwungen, in der Boom-Phase Preispromotions zu schalten, weil dies die Konkurrenz auch macht. Zusammenfassend erscheinen Preispromotions damit sowohl in Flautenwie in Boomphasen ein geeignetes Instru- <?page no="363"?> 364 6 Preispromotions ment der Absatzförderung zu sein. In Fortführung des Gedankens treten in den „gemäßigten Absatzphasen“ dann Preispromotions zurück. In der Literatur findet sich eine Reihe von Optimierungsmodellen zur Fragestellung, in welcher Höhe und Häufigkeit (Preis-)Promotionaktionen sowohl von Herstellern wie von Händlern zu schalten sind (vgl. zu einer Übersicht Gedenk 2002, S. 334 und S. 343): Ausgangspunkt sind zumeist die Spezifizierung und Parametrisierung von Reaktionsfunktionen, die die unmittelbare Absatzwirkung und die Carry-over-Struktur von Promotions abbilden. Unter Hinzuziehung von Kostenfunktionen, die bspw. die Lagerhaltungsprozesse der Promotionaktionen erfassen, lassen sich mit Methoden des Operations Research oder in Simulationsanalysen optimale Rhythmen und Sonderangebotspreise bestimmen. Die praktische Umsetzung der Modellergebnisse ist aber entscheidend davon bestimmt, wie valide Modellstruktur und Parameterwerte sind, wobei jedes Planungsmodell die komplexe Struktur der Realität mehr oder weniger stark vereinfachen muss (z.B. keine Abbildung von Sortimentsverbund). Eine Verbesserung der Preispromotionpolitik lässt sich aber auch dadurch erzielen, dass ein Preis-Controlling der durchgeführten Maßnahmen erfolgt: Hier bieten kommerzielle Marktforschungsinstitute mit Daten aus ihren Mikrotestmärkten unter Zugrundelegung von Kaufverhaltensmodellen oder aus ihren Scanner-Handelspanels Parameterschätzungen für den Erfolg von Promotionaktionen an (z.B. BehaviorScan; Promotionscan; vgl. Gedenk 2002, S. 146-160). 6.4 Alternativen zu temporären Preisreduzierungen Sonderangebote gelten in Marketingtheorie und Einzelhandelspraxis als nicht unumstritten (vgl. bspw. Dawes 2012, S. 344; Hoch et al. 1994, S. 16; Ortmeyer et al. 1991, S. 55): Neben dem grundlegenden Zweifel, ob sich Sonderangebote aufgrund von Kannibalisierung innerhalb alternativer Packungsgrößen, Markenwechsel oder temporärer Substitution gewinnsteigernd auswirken, sind weitere Problembereiche eine möglicherweise steigende Preissensibilität der Nachfrager, zunehmende Schwierigkeiten, aktionierte Produkte zum Normalpreis absetzen zu können, ein erhöhter Preispromotionwettbewerb in der Branche („Sonderangebotsschlacht“) oder denkbare negative Auswirkungen auf den Markenwert häufig aktionierter Artikel. Daher rücken alternative Promotion-Aktionen zum „klassischen Sonderangebot“ in den Vordergrund des Interesses von Wissenschaft und Praxis. Eine Alternative zur temporären Preisreduzierung stellen Bonus Packs dar: Chen et al. (2012, S. 65) interpretieren „Bonus Packs“ als Promotionaktion, in der Nachfrager im Sinne der Prospect-Theorie einen Gewinn (Gain) machen, da sie eine größere Menge (Zusatzeinheiten) des Produkts für den gleichen Preis erhal- <?page no="364"?> 6.4 Alternativen zu temporären Preisreduzierungen 365 ten. Preisreduzierungen stellen hingegen die Reduzierung von Verlusten dar, da der Nachfrager einen geringeren Preis bezahlen (geringeren Loss erleiden) muss. Berücksichtigt man die Verlaufsform der Wertfunktion in der Prospect-Theorie (vgl. Abbildung 2.1-3), kommt es darauf an, ob die Reduzierung des Missnutzens durch einen Preisnachlass größer ausfällt als der Nutzens eines Gains durch zusätzliche Mengeneinheiten, die der Nachfrager erhält. Ist die Reduzierung des Missnutzens größer als der bewertete Gain, müsste eine Person einen Preisnachlass gegenüber einem „Bonus Pack“ bevorzugen; bei der umgekehrten Relation empfindet eine Person „Bonus Packs“ als attraktiver. Der Sachverhalt der Bevorzugung (Attraktivität) impliziert hierbei, dass die Probanden bei ökonomisch gleichwertigen Angeboten (gleicher Verkaufspreis pro Stück bei der Preisreduzierung bzw. im „Bonus Pack“) die Offerte mit der Preisreduzierung bzw. dem „Bonus Pack“ wählen. In diesem Sinn fanden Smith/ Sinha (2000, S. 87), dass Nachfrager bei Produkten mit hoher Wertdimension (hoher Kaufpreis) Preisnachlässe gegenüber „Bonus Packs“ bevorzugten, bei geringpreisigen Produkten hingegen „Bonus Packs“. Nachfrager stufen numerisch „saftige Preisnachlässe“, wie sie bei teuren Waren möglich sind, offensichtlich als attraktiver ein, als zusätzliche Mengeneinheiten. Dies stellten auch Hardesty/ Bearden (2003, S. 19) fest. Umgekehrt sind anstelle von numerisch kleinen Preiseinsparungen zusätzliche Mengeneinheiten für Nachfrager interessanter. Im Gegensatz zu Smith/ Sinha (2000) konnten Hardesty/ Bearden (2003, S. 19) dies nicht bestätigen, da in ihrer Studie die Probanden indifferent zwischen kleinen Preisreduzierungen und „Bonus Packs“ waren. Mishra/ Mishra (2011, S. 198) analysierten für die Frage „Preisreduzierung oder Bonus Pack“ zwei Produkttypen: „Tugendprodukte“ (virtue products) sind ethisch unbedenklich, implizieren einen vernünftigen Konsum (utilitaristische Produkte) und schaffen beim Konsum dem Nachfrager ein „gutes Gewissen“, „Lasterprodukte“ (vice products; hedonistische Produkte) sind das Gegenteil davon. In dieser Studie wählte bei „Tugendprodukten“ die Mehrzahl der Probanden „Bonus Packs“, bei „Lasterprodukten“ hingegen Preisreduzierungen. Nachfrager assoziieren mit Kauf und Konsum von Lasterprodukten Schuldgefühle, die sie durch eine noch größere Menge im „Bonus Pack“ nicht noch erhöhen möchten, bzw. ein Preisnachlass liefert ihnen eine gewisse „Entschuldigung“ für Kauf und Konsum von „Lasterprodukten“. Chen et al. (2012, S. 66.) machen für die Überlegenheit von „Bonus Packs“ gegenüber Preisreduzierungen den Base-Value-Neglect-Effekt bei der Verarbeitung von prozentualen Informationen „verantwortlich“. Demnach ignorieren Personen das Ausgangsniveau einer prozentualen Änderung. In ihrem Markt-Experiment wurde ein Fruchtsaft entweder mit einer Preisreduzierung von 35 % oder einem BOGO von 50 % Mengenzuschlag angeboten, wobei die Preisreduzierung gemessen am Stückpreis ökonomisch sogar geringfügig attraktiver als der „Bonus Pack“ war. Dennoch erzielte der „Bonus Pack“ eine um 73 % höhere Verkaufsmenge (vgl. <?page no="365"?> 366 6 Preispromotions Chen et al. 2012, S. 68). In weiteren Laborexperimenten zeigte sich, dass die Präferenz für den „Bonus Pack“ gegenüber der ökonomisch äquivalenten Preisreduzierung sank, wenn den Probanden der numerische Vergleich beider Sonderangebotsformen durch einfacher „im Kopf“ zu berechnende Zahlenangaben erleichtert wurde, durch entsprechende Instruktionen mehr Aufmerksamkeit den Zahlenangaben geschenkt werden musste, oder der numerische Wert des Produkts höher war und sich deshalb die Probanden kognitiv intensiver mit der „tatsächlichen“ Attraktivität des Angebots befassten (vgl. Chen et al. (2012, S. 70f.). In diesen Fällen geht die Neigung von Personen zurück, das Ausgangsniveau einer prozentualen Änderung zu ignorieren. Wenngleich der Forschungssstand bislang noch gering ist, deuten insgesamt die Studien an, dass temporäre Preisreduzierungen gegenüber „Bonus Packs“ keinesfalls „out“, sondern in manchen Konstellation ihnen überlegen sind (z.B. höherpreisige Produkte). In Zeiten einer zunehmend von Stakeholder eingeforderten „Corporate Social Responsibility“ eines Unternehmens werden Cause-Related Marketing- Maßnahmen zu einer Alternative zu Sonderangeboten. In Cause-Related Marketing-Maßnahmen verpflichtet sich das Unternehmen, bei Kauf spezifizierter Produkte einen bestimmten Geldbetrag an ein soziales oder ökologisches Projekt oder eine gemeinnützige Hilfs-Organisation (z.B. UNICEF) zu spenden (vgl. bspw. Fries 2010). Dies wird auch als spendenbezogene Promotionaktion (vgl. Winterich/ Barone 2011, S. 856) oder Embedded Premium Promotion (vgl. Henderson/ Arora 2010, S. 41) bezeichnet. Bei Sonderangeboten erhält der Nachfrager ein unmittelbares ökonomischen Incentive in Form der Preisreduzierung, bei Cause-Related Marketing-Maßnahmen eine nicht-ökonomische, psychologische Belohnung in Form eines „Warm Glow“; dieser Zusatznutzen entsteht, weil der Nachfrager mit dem Kauf des betreffenden Cause-Produkts das Gefühl bekommt, „zu einer guten Sache etwas beitragen zu können“. Aus Anbietersicht ist es - von steuerlichen Aspekten abgesehen - „buchhalterisch egal“, ob er bei Kauf des betreffenden Produkts dem Nachfrager eine Preisreduzierung von 50 Cent gewährt oder 50 Cent spendet. Daher haben sich einige Autoren die Frage „Donations versus Discounts“ gestellt, d.h. ob Cause-Related-Marketing- Aktionen Sonderangeboten überlegen sind. Spendenbetrag pro verkaufter Einheit und Preisreduzierung sind hierbei numerisch gleich groß. In Laborexperimenten von Strahilevitz/ Myers (1998, S. 437-440) mussten Probanden zwischen Produkten mit Preisnachlass oder Spende wählen. In der Mehrzahl der untersuchten Produktkategorien bevorzugten die Probanden das Angebot mit der Spende gegenüber dem Preisnachlass, wobei die Präferenz für eine spendenbezogene Promotionaktion bei „Lasterprodukten“ deutlich höher als bei „Tugendprodukten“ ausfiel. Ein „Warm Glow“ beruhigt das schlechte Gewissen offensichtlich deutlich stärker als ein Preisnachlass. Konnten die <?page no="366"?> 6.4 Alternativen zu temporären Preisreduzierungen 367 Probanden jedoch auch die Alternative „kein Kauf“ wählen, erwies sich ein Preisnachlass als verkaufswirksamer als eine Spende (vgl. Strahilevitz/ Myers 1998, S. 443): In dem betreffenden Experiment lösten bei einem „Tugendprodukt“ 20 % (3 %) der Probanden einen Coupon mit Preisnachlass (Coupon, der eine Spende bewirkte) ein; bei einem „Lasterprodukt“ lag die Einlösung eines Coupons mit Preisnachlass (Coupon, der eine Spende bewirkte) bei 10 % (9 %). Ein ähnliches Ergebnis findet sich bei Henderson/ Arora (2010, S. 55): Wenngleich eine spendenbezogene Promotionaktion besser als ein Coupon mit Preisnachlass bewertet wird, erzielte das Promotionprodukt bei Coupons mit Preisnachlass höhere Markanteilsgewinne als bei der Spende. Die Autoren führten ferner Zahlen zu den Promotionkosten an; hier erwies sich eine spendenbezogene Promotionaktion pro verkaufter Einheit als deutlich kostengünstiger als Coupons. Dies führt dazu, dass in der Studie von Henderson/ Arora (2010, S. 56) die spendenbezogene Promotionaktion einen zweibis dreifach höheren „Return on Investment“ (RoI) als der Preisnachlass erzielte. Arora/ Henderson (2007) kommen in ihrer Studie zum Schluss, dass eine spendenbezogene Promotionaktion einer Preisreduzierung vor allem dann überlegen ist, wenn der betreffende Geldbetrag gering ausfällt („lieber 10 Cent spenden als selber einstecken“). Winterich/ Barone (2011, S. 858) differenzierten in der Frage „Donations versus Discounts“ zwischen zwei Nachfragertypen: Nicht sonderlich überraschend schneiden Preisnachlässe bei individualistischen (egoistisch geprägten) Nachfragern besser als spendenbezogene Promotionaktion ab; umgekehrt erhielten unter gemeinschaftsorientierten (altruistisch geprägten) Probanden spendenbezogene Promotionaktion eine bessere Bewertung als Preisnachlässe. Trotz mancher Vorteile dürften Cause-Related-Marketing-Maßnahmen insgesamt keinen gleichwertigen „Ersatz“ für Sonderangebote bieten (Warm Glow versus Smart Shopping Feelings): Insbesondere scheint es schwierig, die Aufmerksamkeit der Kunden für die Förderung sozialer oder ökologischer Projekte langfristig aufrechtzuerhalten („…immer Projekte für die Eisbären…“), wohingegen die Gewährung eines Preisnachlasses geringeren Abnutzungstendenzen unterliegen dürfte. Denkbar ist aber, dass eine singuläre spendenbezogene Promotionaktion in bestimmten Zeitfenstern des Jahres, in denen Nachfrager besonders sozial gestimmt sind (z.B. Weihnachten), größere Verkaufserfolge erzielt als „massenhafte“, stereotyp anmutende temporäre Preisreduzierungen von Artikeln im Sortiment, die im restlichen Jahr gefahren werden. Sonderangebote werden aufgrund ihrer temporären Preisreduzierung auch als High-Low- [HILO-]Preisstrategie bezeichnet. Eine Strategiealternative hierzu stellen Dauerniedrigpreise (sog. Every Day Low Price- [EDLP-]Preisstrategie) dar (vgl. bspw. Schindler 1999, S. 84; Ortmeyer et al. 1991). Hier bleibt ein niedriges Preisniveau für ausgewählte Produkte (preislagenbezogenes Teil- <?page no="367"?> 368 6 Preispromotions sortiment) über einen längeren Zeitraum hinweg konstant (vgl. Diller 1999b, S. 369; Hoch et al. 1994, S. 16). Gemessen am Preisniveau ist der Dauerniedrigpreis für ein Produkt niedriger als der Normalpreis des Produkts in einem Geschäft, das mit diesem Artikel Sonderangebote fährt; der Sonderangebotspreis unterschreitet aber den Dauerniedrigpreis. Beide Strategien stellen nicht nur unterschiedliche Preis(präsentations)formate bzw. Preissysteme dar (vgl. Suri et al. 2000, S. 194), sondern beinhalten verschiedene (preisbezogene) Marketingkonzepte im Einzelhandel (vgl. bspw. Lal/ Rao 1997, S. 61). Darüber hinaus werden in der Dauerniedrigpreisstrategie aus Handelssicht Einsparungen bei den Handling-, Personal- und Logistikkosten gegenüber der Sonderangebotsstrategie gesehen (vgl. Lal/ Rao 1997, S. 61; Ortmeyer et al. 1991, S. 56), da es zu keinen sprunghaften Unterschieden im Abverkauf der Produkte kommt. Hinsichtlich des Marketingkonzepts betont die Dauerniedrigpreisstrategie die Aspekte der Preiszuverlässigkeit, Preiskonstanz und Preistransparenz (sog. Fairness-Konzept), kombiniert mit der Hervorhebung des Preis-Leistungsverhältnisses bzw. der Preiswürdigkeit des Angebots (vgl. Diller 2008, S. 263). Im Fokus steht, dass der Konsument im Geschäft seinen gesamten Warenkorb zu günstigen Preisen erwerben kann und ihn nicht nur einzelne Artikel zu sehr günstigen Schnäppchenpreisen erwarten (vgl. Lal/ Rao 1997, S. 63). Die Sonderangebotsstrategie setzt hingegen auf das Auslösen der Smart Shopping Feelings“ durch die Offerierung einer „besonderen Preisgelegenheit“. Geht man einen Schritt weiter, sprechen beide Preisformate unterschiedliche Marktsegmente an: Hinsichtlich des Servicelevels zielt die Dauerniedrigpreisstrategie vor allem auf zeitknappe Konsumenten ab, die keine Zeit für Preisvergleiche aufbringen, sondern sicher sein wollen, ein preislich „gutes Angebot“ vorzufinden. Dieses Segment legt zudem Wert auf Handelsfunktionen, die ihnen einen (zeit-)effizienten Einkauf ermöglichen. Demgegenüber spricht die Sonderangebotspolitik das Segment der „Schnäppchenjäger“ an. In einer konzeptionellen Erweiterung hat Pechtl (2004, S. 224) das Konzept der Deal Proneness auf Einstellungen und Motive hinsichtlich der HILObzw. EDLP- Preisstrategie übertragen: Ein „HILO-prone“ Konsument entspricht hierbei dem Typus des „Smart Shopper“: Er empfindet Freude an der Jagd nach Sonderangeboten und ist bereit, hierfür entsprechende zeitliche und kognitive Ressourcen bereitzustellen. Ein „EDLP-prone“ Konsument legt hingegen Wert auf Preiskonstanz und effizienten (transaktionskostengünstigen) Einkauf seiner Produkte. In einer empirischen Untersuchung zeigte sich hierbei eine Kongruenz der „Deal Proneness“ mit der Geschäftsstättenwahl: „HILO-prone“ Konsumenten weisen eine höhere Besuchsfrequenz in Einkaufsstätten mit Sonderangebotsstrategien, „EDLP-prone“ Konsumenten in Dauerniedrigpreisgeschäften auf (vgl. Pechtl 2004, S. 229f.). Es findet folglich eine gewisse Selbstselektion der Nachfrager hinsichtlich der Preispromotion-Strategie statt. <?page no="368"?> 6.4 Alternativen zu temporären Preisreduzierungen 369 Beide Preissysteme führen ferner zu offensichtlich unterschiedlicher kognitiver Verarbeitung von Preisen: So stellen Suri et al. (2000, S. 197-200) fest, dass sich Nachfrager mit Sonderangebotspreisen kognitiv intensiver als mit Dauerniedrigpreisen beschäftigen. Daher empfinden sie einen Preis im „Sonderangebotsformat“ stärker als „Preisopfer“ als einen numerisch gleich hohen Preis im „Dauerniedrigpreisformat“. Dieses Ergebnis lässt sich zweifellos nicht mit den Vorstellungen eines Transaktionsnutzens vereinbaren, den Sonderangebote zusätzlich auslösen müssten. Möglicherweise ist dies Reflex darauf, dass „normale“ Sonderangebote aufgrund ihrer Häufung den Charakter des „besonderen Angebots“ weitgehend verloren haben. Zusammenfassend zeichnet sich derzeit keine eindeutige Überlegenheit eines der beiden Preisformate ab: Allerdings ist die „Euphorie“ für die Dauerniedrigpreisstrategie verflogen. Insbesondere der fehlende Aktionscharakter von Dauerniedrigpreisen und deren mangelnde Eignung, Laufkunden dadurch ins Geschäft zu holen (Frequenzeffekt), werden als nachteilig angesehen (vgl. Bell/ Lattin 1998, S. 67; Chandon et al. 2000, S. 65): Exemplarische Vergleichsrechnungen weisen zudem die Dauerniedrigpreisstrategie der Sonderangebotsstrategie hinsichtlich der Gewinnwirkung als unterlegen aus (vgl. Mulhern/ Leone 1990, S. 184f.; Hoch et al. 1994, S. 21). Möglicherweise stellt eine hybride Preispromotionform einen „goldenen Mittelweg“ dar: So schlagen Hoch et al. (1994, S. 25) eine Hyper-HILO-Strategie vor, bei der zwischen kräftigen Preisreduzierungen auf das HILO-Preisniveau mehrere dazwischenliegende kleinere Preisreduzierungen auf das EDLP-Preisniveau stattfinden. Ailawadi et al. (2001, S. 86) empfehlen, Sonderangebote für bekannte Markenartikel zu schalten, um Schnäppchenjäger und preissensible Stammkäufer anzusprechen, Handelsmarken hingegen in der Dauerniedrigpreisstrategie für geschäftsstättentreue Konsumenten zu offerieren. Ortmeyer et al. (1991, S. 59) warnen allerdings vor einer solchen Vermischung beider Strategien, da diese zur „Verwirrung“ der Konsumenten führe. Modelltheoretische Überlegungen zeigen ferner, dass es im Dyopol als Konkurrenzstrategie vorteilhaft sein kann, gegen einen Anbieter, der eine HILO-Strategie verfolgt, eine EDLP-Strategie zu setzen (vgl. Lal/ Rao 1997, S. 68). Ursache ist, dass beide Preisstrategien zu einer stärkeren Segmentierung des Marktes führen und damit den Preiswettbewerb mindern. Beide Preispromotion-Strategien haben demnach ihre Berechtigung am Markt. <?page no="369"?> 370 6 Preispromotions 6.5 Rechtliche Regelungen zur Ausgestaltung von Preispromotions Das Problempotenzial bei Preispromotions liegt einerseits in der Bewerbung des Angebots hinsichtlich einer möglichen Irreführung (§ 5 UWG) und andererseits in der Höhe der Preisreduzierung hinsichtlich eines Angebots unter Einstandspreis (§ 20 Abs. 4 GWB). Beide Sachverhalte wurden bereits in Kapitel 4 dargestellt. Darüber hinaus kann eine Preispromotion den Tatbestand eines Lockvogelangebots erfüllen und dadurch eine unzulässige geschäftliche Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 3 UWG begründen. Mehrere Ursachen für ein solches Lockvogelangebot lassen sich unterscheiden: Höhe des Warenvorrats (vgl. WRP 2011, S. 1088-1091): Ein Lockvogelangebot liegt vor, wenn der Anbieter bei der Bewerbung seiner Preispromotion keinen angemessenen Warenvorrat zur Befriedigung der zu erwartenden Nachfrage vorrätig hat und hierüber die Nachfrager nicht aufklärt. In diesem Fall ist eine unzulässige geschäftliche Handlung im Sinne von Nr. 5 der Black List i.V. m. § 3 Abs. 3 UWG gegeben. Anders als bei der Irreführung gemäß § 5 UWG kommt es nicht auf eine Spürbarkeit (Irreführungsquote) an; vielmehr ist ein derartiges Lockvogelangebote „von vorneherein“ unzulässig: Der Anbieter will damit Nachfrager „ins Geschäft“ bringen, die aber dann aufgrund des Ausverkaufs der Aktionsware ein anderes, nicht preisreduziertes Substitutionsprodukt erwerben sollen. Als Richtwert gibt Nr. 5 der Black List einen Vorrat für zwei Tage vor, sofern der Anbieter nicht Gründe für eine geringere Bevorratung nachweisen kann; analoges gilt für Dienstleistungen, die bei einer Bewerbung mindestens zwei Tage lang entsprechend preisgünstiger offeriert werden müssen. Die unerlaubte geschäftliche Handlung der Nr. 5 in Black List setzt voraus, dass der Anbieter die Nachfragerschaft nicht von seinem knappen Warenvorrat informiert. Daher kann der Anbieter mit Hinweisen wie „solange der Vorrat reicht“ oder „begrenzter Vorrat“ auf seine eingeschränkte Vorratsmenge hinweisen und damit den Tatbestand der unerlaubten geschäftlichen Handlung vermeiden. Erlaubt ist ferner, die Abgabemenge je Nachfrager mengenmäßig zu beschränken („Abgabe nur in haushaltsüblichen Mengen“), sofern hierauf in der Bewerbung der Preispromotion deutlich hingewiesen wird (vgl. WRP 1998, S. 1222). Vermag der Anbieter allerdings den Promotionartikel - trotz Kommunikation des begrenzten Warenvorrats - nur unangemessen kurz anzubieten, weil der begrenzte Warenvorrat „sofort“ abverkauft war, liegt eine Irreführung über die Verfügbarkeit der Ware gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG vor. In einem Praxisfall sah dies ein Gericht als gegeben an, als am ersten Angebotstag nach nicht einmal zwei Stunden der Promotionartikel (Speicherstick) bereits ausverkauft war (vgl. WRP 2010b, S. 301f.) Zeitliche Befristung: Bei der Konzeption einer Preispromotion ist denkbar, dass der Anbieter diese Aktion lediglich für einen Tag durchführen will <?page no="370"?> 6.5 Rechtliche Regelungen zur Ausgestaltung von Preispromotions 371 („nur heute günstiger“). Sofern die Beschränkung auf einen Tag in der Bewerbung der Preispromotion deutlich zum Ausdruck kommt, findet die Regelung mit der Befristung des Warenvorrats für zwei Tage keine Anwendung, da der Nachfrager erkennt, dass diese Aktion nur einen Tag dauert. Für den explizit ausgewiesenen Zeitraum ist folglich ein entsprechender Warenbestand vorzuhalten; dies gilt auch für Preispromotions, die in der Bewerbung zeitlich länger fixiert werden („Sonderangebotswochen zwischen dem 1. 4. und 28. 4.“). Generell formuliert das UWG keine zeitliche Mindestgrenze für eine Preispromotion, wenn der Zeitraum der Gültigkeit klar erkennbar ist. So sind bei der „Happy Hour“ in Gaststätten nur für bestimmte Stunden am Tag die Preise für Getränke reduziert. Denkbar ist allerdings, dass bei zeitlich zu kurzen Sonderangeboten der Anbieter einen Entscheidungsdruck auf den Nachfrager ausübt, so dass dessen Entscheidungsfreiheit in ungebührlichem Ausmaß eingeschränkt ist. Dann liegt eine unlautere geschäftliche Handlung gemäß § 4 Nr. 1 UWG i. V. m. § 3 Abs. 3 UWG vor. Ist die zeitliche Befristung des Angebots nur vorgetäuscht, weil der Anbieter den Nachfrager damit zu einer sofortigen Entscheidung veranlassen, will, ist der Tatbestand der Nr. 7 in der Black List i. V. m. § 3 Abs. 3 UWG gegeben. Verweigerung des Verkaufs der Aktionsware: Hier will der Anbieter mit der Preispromotion Nachfrager in das Geschäft locken, macht aber mit entsprechender Verkaufsberatung dem Nachfrager den Sonderangebotsartikel „madig“ oder verweigert gar die Transaktion, weil er die Absicht hat, stattdessen eine andere (nicht-preisreduzierte) Ware zu verkaufen. In diesem Fall ist Nr. 6 der Black List i. V. m. § 3 Abs. 3 UWG als unlautere geschäftliche Handlung erfüllt. Auswahl der Artikel in Preispromotions: Eine Preispromotion kann ferner den Tatbestand der Irreführung gemäß $ 5 UWG erfüllen, wenn ausschließlich Artikel Gegenstand der Aktion sind, die nicht zum Kernsortiment des Anbieters gehören: So wirbt ein Elektrofachgeschäft mit „Jubiläumsschnäppchen“, hat aber nur Kaffeesorten, die es in der Abteilung mit Kaffeemaschinen „nebenher“ anbietet, reduziert. Der durchschnittlich informierte Verbraucher darf davon ausgehen, dass bei einer Preispromotionaktion eines Elektrogeschäfts auch Elektroartikel preisreduziert sind. Wenngleich eine Reihe von Fallgruppen den Tatbestand eines Lockvogelangebots umschreiben, kann oft erst im Einzelfall vor Gericht beurteilt werden, ob die Ausgestaltung einer Preispromotion den Sachverhalt des Lockvogels erfüllt. <?page no="372"?> 7 Internationales Preismanagement 7.1 Spezifika des internationalen Preismanagements Im internationalen Preismanagement hat das Unternehmen die Preise für die betrachteten Produkte in den einzelnen bearbeiteten Ländermärkten festzulegen. Hinsichtlich der Preiskalkulation existieren prinzipiell zwei Preisstrategien (vgl. bspw. Büschken/ Hinzdorf 2002, S. 22): Bei der Preisstandardisierung setzt der Anbieter in allen Märkten den (nahezu) gleichen Verkaufspreis; bei der (vertikalen) räumlichen Preisdifferenzierung existieren hingegen spezifische Preise für zumindest einzelne Länder, da man sich an der Individualität und spezifischen Kostensituation der Ländermärkte in der Preiskalkulation orientiert. Preisregionen, d.h. Absatzgebiete mit einem einheitlichen Preis, müssen nicht zwangsläufig mit territorialen Grenzen zusammenfallen: So mag ein Anbieter mehrere benachbarte Länder als einheitlichen Absatzmarkt interpretieren und in dieser Absatzregion den gleichen Preis für die betreffenden Produkte ansetzen. Umgekehrt mag er in einem Land mit großen geographischen Strukturunterschieden regionale Teilmärkte mit spezifischen Preisen bilden. Wenngleich die in den Kapiteln 4 und 5 dargestellten Methoden und Modelle auch für die internationale Preispolitik gelten, stellen sich für das internationale Preismanagement einige spezifische Anforderungen: Länderspezifische Marktgegebenheiten Jeder Markt hat seine „eigenen Marktgesetze“, weshalb ein bestimmter Ländermarkt vom Heimatmarkt (Ursprungsland) oder anderen Exportmärkten mehr oder weniger stark abweicht. Länderspezifische Marktgegebenheiten sind zum einen in unterschiedlichen (durchschnittlichen) maximalen Zahlungsbereitschaften der Nachfrager für das betrachtete Produkt zu sehen, die bspw. in verschiedener Kaufkraft, Involvementstrukturen oder Kaufpräferenzen der Nachfrager begründet sind. Zum anderen können spezifische Wettbewerbsverhältnisse auf den Ländermärkten herrschen, die bspw. auf die Größe des Marktpotenzials, die Anzahl der Konkurrenten, ihre Wettbewerbsstärke oder Wettbewerbsaggressivität zurückgehen. Vertreibt der Anbieter in einem Ländermarkt seine Produkte über den Handel als Absatzmittler, sind primär die Preissensibilität bzw. Verhandlungsstärke der dortigen Handelsunternehmen entscheidungsrelevant: So mag die Nachfragerschaft in einem Auslandsmarkt wenig preissensibel sein, der Handelssektor aber nur wenige, sehr verhandlungsstarke Händler aufweisen, weshalb der Anbieter es hier mit preissensiblen Transaktionspartnern zu tun hat. <?page no="373"?> 374 7 Internationales Preismanagement Schließlich bestehen häufig länderspezifische Unterschiede bei Steuern, die sich auf die Transaktionen beziehen und vom Anbieter auf den Nettopreis aufgeschlagen werden bzw. von den Nachfragern zu tragen sind (z.B. Umsatzsteuer; Luxussteuer). Länderspezifische Unterschiede im Preisresponse sind aber nicht nur in „harten“ ökonomischen Rahmenbedingungen begründet. Suri et al. (2004, S. 58f.) differenzieren zwischen Bargaining und Nicht-Bargaining-Kulturen. In Bargaining-Kulturen dominiert die Vorstellung eines „Kampfes“ um den Wohlfahrtsgewinn einer Transaktion, in der jeder der beteiligten Transaktionspartner einen Vorteil erringen will. Sichtbares Zeichen ist das „Feilschen“ um den Preis. In Nicht-Bargaining-Kulturen sehen Anbieter und Nachfrager einander als gleichberechtigt an, weshalb das Misstrauen, dass der andere nur auf seinen Vorteil aus sei, geringer ist. Dies führt dazu, dass in einer Bargaining-Kultur (Polen) die Einschätzung eines fairen Preises niedriger als in einer Nicht-Bargaining-Kultur (USA) ausfällt (vgl. Suri et al. 2004, S. 67). Ebenso mögen die Assoziationen der Nachfrager mit einer Niedrigpreis-Strategie bzw. die Neigung, eine Preis-Qualitätsinferenz zu tätigen, länderbzw. kulturspezifisch ausgeprägt sein (vgl. Lowe et al. 2012). Beim Grenzübertritt muss die importierte Ware häufig - in der Regel durch den Importeur (Nachfrager) - verzollt werden (Importzölle), wobei Bezugsgrundlage (Zollwert) für den Zollsatz im Normalfall der Transaktionswert (Verkaufspreis) der eingeführten Ware ist. Hinzukommen weitere Bearbeitungs- oder Abfertigungsgebühren; möglicherweise muss der Importeur sogar Einfuhrlizenzen erwerben. Dann ist aus Sicht des exportierenden Unternehmens eine mengenmäßige Absatzbeschränkung gegeben. Wenngleich innerhalb der EU bzw. in Freihandelszonen zwischenstaatliche Zölle abgebaut sind und die WTO (World Trade Organization) in Verhandlungsrunden auf deren weltweite weitergehende Reduzierung drängt, können in manchen Produktbereichen erhebliche Importzölle auftreten, die vor allem der Protektion der heimischen Wirtschaft dienen sollen. Aus Sicht des Preismanagements eines Anbieters verteuern Steuern und Importzölle das Produkt für den Nachfrager; es handelt sich um Beschaffungsbzw. Transaktionskosten, die der Nachfrager zu tragen hat. Werden solche „Zwangsabgaben“ vom Anbieter getragen, erhöhen sich dadurch die Logistikbzw. Produktionskosten des betreffenden Produkts. Länderspezifische Kosten Bei der Bearbeitung von Auslandsmärkten fallen für den Anbieter - neben den bereits erwähnten Zöllen - zumeist weitere höhere Kosten gegenüber dem Heimatmarkt an. Hierbei lässt sich zwischen nachfragerspezifischen Kosten und Kosten zur Überwindung von Handelshemmnissen unterscheiden. <?page no="374"?> 7.1 Spezifika des internationalen Preismanagements 375 Zur ersten Kostengruppe zählen Transportkosten, um die räumliche Distanz zwischen Hersteller (Heimatmarkt) und Auslandsmarkt zu überwinden, wobei der Transport selbst möglicherweise spezielle zusätzliche logistische Anforderungen (z.B. Sonderverpackungen für den Transport per Schiff) setzt. Ebenso mag die Bearbeitung eines Auslandsmarkts allein aufgrund des Distanzfaktors (z.B. mentalitätsbedingte Unterschiede) zwischen dem Heimat- und dem Auslandsmarkt höhere Marketingbzw. Vertriebskosten je verkaufter Produkteinheit implizieren. So muss möglicherweise durch intensivere Werbung oder größeren Kundenservice erst eine Bekanntheit oder ein positives Image im Auslandsmarkt aufgebaut werden. Zudem erfordern manche Produkte eine länderspezifische Anpassung im Produktkern oder Design, um den jeweiligen „Landesgeschmack“ besser zu treffen oder die Produkte an die dortige Infrastruktur (z.B. Stromnetz; Klima) anzupassen. Hinzukommen eine mitunter größere Unsicherheit gegenüber dem ausländischen Transaktionspartner bezogen auf dessen opportunistisches Verhalten in der Transaktionsbeziehung bzw. größere „Rechtsunsicherheit“ bei der Durchsetzung von Forderungen. Dies hat im Bereich der Zahlungsmodalitäten zu komplexen und damit kostenintensiven Prozeduren der Risikoreduzierung (z.B. Dokumenteninkasso; Dokumentenakkreditiv) geführt (vgl. hierzu bspw. Berndt et al. 2010, S. 231-236). Ferner fallen im Zusammenhang mit dem Zahlungsverkehr länderspezifische Transaktionskosten an, wenn der Kunde in einer anderen Währung als derjenigen auf dem Heimatmarkt des Anbieters bezahlt (Fakturierung). Nicht zuletzt birgt ein Auslandsmarkt möglicherweise höhere güterwirtschaftliche Risiken (z.B. Produkthaftung; Transport- und Lagerrisiken) oder höhere finanzwirtschaftliche Risiken (z.B. Delkredererisiko; Inflationsrisiko), die entweder zu tragen oder über Versicherungen - kostenerhöhend - abzudecken sind. Kosten zur Überwindung von Handelshemmnissen werden durch behördliche Auflagen ausgelöst: So mögen hoheitliche Vorschriften auf dem Auslandsmarkt fordern, dass das Produkt bestimmte Normen (z.B. Sicherheitsvorschriften) einhält, was zusätzliche Produktionskosten verursacht. Hierzu zählen auch länderspezifische Qualitätsprüfungen oder Zertifikate, die erbracht werden müssen, um das Produkt überhaupt einführen zu dürfen (z.B. Arzneimittel). Möglicherweise hat der Anbieter ferner im Heimatland einen Exportzoll für die Ausfuhr seines Produkts in bestimmte Länder zu entrichten. Damit sollen aus wirtschaftspolitischen Gründen als wichtig erachtete Produkte der heimischen Nachfrage zugeführt werden. Aus entscheidungstheoretischer Sicht sind länderspezifische Kosten für die Preiskalkulation relevant, wenn sie mengenvariable Kosten darstellen und dadurch die Grenzkosten des Produkts erhöhen. Wie die Amoroso-Robinson- Relation zeigt, erhöht sich dann der gewinnmaximale Preis. Im Falle von Fixkosten bestimmen sie, ob sich eine Bearbeitung des Auslandsmarkts überhaupt lohnt. <?page no="375"?> 376 7 Internationales Preismanagement Koordinationsbedarf Zielsetzung eines Anbieters, der sich in mehreren Ländermärkten betätigt, ist nicht die isolierte Gewinnoptimierung eines einzelnen Ländermarkts, sondern die Gesamtgewinnmaximierung über alle Ländermärkte. Die Art der Koordination im internationalen Preismanagement hängt hierbei davon ab, welche Preisstrategie das Unternehmen verfolgt. Im Falle der Preisdifferenzierung setzt der Anbieter in den Ländermärkten spezifische Preise. Diese Preisdifferenzen bewirken möglicherweise Arbitrageprozesse zwischen den Ländern: Nachfrager aus einem „Hochpreisland“ erwerben das Produkt im „Niedrigpreisland“. Formal impliziert Arbitrage, dass die Preissetzung in einem Ländermarkt Rückkopplungen auf die Nachfrage in anderen Ländermärkten besitzt. Der Koordinationsbedarf besteht folglich darin, analog zur Gewinnmaximierung im Sortimentsverbund diese preislichen Ausstrahlungseffekte optimal bei der Preiskalkulation zu berücksichtigen. Alternativ hierzu kann der Anbieter versuchen, solche Arbitrageprozesse zu verhindern. Lassen sich die Ländermärkte perfekt isolieren, tritt keine Arbitrage auf; dann entspricht der optimale Preis bei einer länderspezifischen Gewinnmaximierung demjenigen bei der Gewinnmaximierung über das gesamte Länderportfolio. Den Gegenpol zur Differenzierung bildet die Standardisierung. Im Extremfall ist eine vollständige Harmonisierung der Produkte, Preise und Distributionsstrukturen gegeben, was ebenfalls Arbitrage eliminiert. Der Koordinationsbedarf besteht dann hinsichtlich der Einhaltung eines gleichen Preises in den Ländern. Ein Koordinationsbedarf entsteht bei internationalen Konzernen darüber hinaus im Zusammenhang mit der Verrechnung von konzerninternen Lieferungen und Leistungen. Ziel der Transferpreispolitik ist, das Konzernergebnis zu optimieren, wobei vor allem internationale Steuerunterschiede im Bereich der Ertragssteuern relevant sind. Größere Datenunsicherheit bezüglich der Parameter der Marktgegebenheiten In der Regel kennt der Anbieter ausländische Märkte weniger gut als seinen Heimatmarkt. Daher bestehen größere Unsicherheiten bzw. höhere Marktforschungskosten hinsichtlich der für die Preiskalkulation relevanten Informationen. Wenngleich diese Unsicherheit mit wachsender Erfahrung im Ländermarkt zurückgeht, sind im internationalen Preismanagement mehr preisrelevante Daten zu „verarbeiten“ bzw. auf deren Veränderung zu reagieren, als wenn nur der Heimatmarkt bearbeitet wird. Dies legt die Implementierung eines Preis- Informationssystems nahe, das alle notwendigen Informationen zu Nachfrager-, Wettbewerber- und Kostenstruktur der jeweils bearbeiteten Länder verwaltet (vgl. Schatz 2002, S. 218-223; Sebastian et al. 2002, S. 144f.). Ein solches Preis- Informationssystem macht die Märkte transparenter, dient aber auch dazu, <?page no="376"?> 7.1 Spezifika des internationalen Preismanagements 377 intern Preisstrategien (z.B. Harmonisierung der Preise) den betreffenden Unternehmensorganisationen zu verdeutlichen. Handelsusancen Unter Handelsusancen sollen die institutionellen Regelungen und Gepflogenheiten im internationalen Marketing verstanden werden. Ein Bezug zum internationalen Preismanagement liegt bspw. hinsichtlich der Frage vor, in welcher Währung die Rechnung des Kunden fakturiert ist. Dies ist nicht nur hinsichtlich möglicher Kosten für die Währungskonvertierung relevant, sondern der Wechselkurs selbst beeinflusst die Höhe des gewinnoptimalen Preises in einem Ländermarkt. Möglicherweise bezahlt der ausländische Abnehmer nicht in monetären Größen, sondern der Anbieter erhält Waren und/ oder Dienstleistungen des Abnehmers als Gegenleistung bzw. muss solche Leistungen als Gegengeschäfte akzeptieren, um überhaupt einen Vertragsabschluss zu erzielen (Kompensationsgeschäfte). Hinsichtlich der Vertragsgestaltung sind die INCOTERMS (International Commercial Terms) für das internationale Preismanagement relevant: Sie sind primär Musterverträge für die Regelung von Gefahren- und (Logistik-)Kostenübernahme in einer internationalen Transaktionsbeziehung: Ökonomisch senken sie die Transaktionskosten. Sie stellen zugleich ein Instrument der leistungsbezogenen Preisdifferenzierung dar, je nachdem welches Entgegenkommen der Anbieter bei der Gefahren- und (Logistik-)Kostenübernahme zeigt. Schließlich sind im internationalen Preismanagement die wettbewerbsrechtlichen Regelungen in den jeweiligen Ländermärkten zu beachten. Hier stellen sich bspw. mit Anti-Dumpingmaßnahmen für einen Anbieter, der einen Auslandsmarkt bearbeiten will, zusätzliche preispolitische Rahmenbedingungen. Die Art der Preisbestimmung folgt häufig der Grundorientierung eines Unternehmens im internationalen Marketing (vgl. Zentes et al. 2013, S. 422-444). In der Stammlandorientierung (ethnozentrische Orientierung) dominieren auch auf den Auslandsmärkten die Marketingstrategien, die das Unternehmen im Inland verfolgt: Hierzu passt eine Preisstandardisierung, die sich am Endverkaufspreis des Produkts im Inland orientiert und den Verkaufspreis des Produkts im Ausland - währungsumgerechnet - übernimmt. Eine Variante hierzu ist, einen einheitlichen Nettopreis „ab Fabrik“ zu verwenden, der dann um die länderspezifischen Kosten der Vermarktung und des Transports erhöht wird (vgl. Doole/ Lowe 2012, S. 362-365). Dadurch ergeben sich länderspezifische Verkaufspreise, die auf einem Auslandsmarkt kostenbedingt wesentlich höher sein können als im Inlandsmarkt (sog. Price Escalation; vgl. Kotabe/ Helsen 2011, S. 402). Auch in der globalen Orientierung steht die Standardisierung im Marketing im Vordergrund: Anders als bei der enthnozentrischen Orientierung wird ein - von Währungsumrechnungen abgesehen - standardisierter Verkaufs- <?page no="377"?> 378 7 Internationales Preismanagement preis so kalkuliert, dass er allen bearbeiteten Ländermärkten Rechnung trägt. Dies ist eine Einheitspreissetzung. Die polyzentrische Orientierung betont die Länderspezifika im Marketing. Die hierzu korrespondierende Preiskalkulation ist die räumliche (länderspezifische) Preisdifferenzierung. 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 7.2.1 Charakteristik beider Phänomene Unterschiedliche Marktgegebenheiten und länderspezifische Kosten bewirken, dass ein Anbieter für das identische Produkt in verschiedenen Ländern - wechselkursbereinigt - unterschiedliche (reale) Preise ansetzt. Dies ist Ausdruck der räumlichen Preisdifferenzierung. Ein bekanntes Beispiel für länderspezifische, wechselkursbereinigte Preisunterschiede ist der Big-Mac-Index (vgl. Tabelle 7.2-1), der in Dollar umgerechnet den Verkaufspreis eines BigMac einer bekannten US-amerikanischen Restaurantkette für verschiedene Länder angibt: Verkaufspreis Big Mac (USA 3,73$) Schweden 6,56 Kanada 4,00 Russland 2,33 Schweiz 6,19 Australien 3,84 Thailand 2,178 Euro-Gebiet 4,33 Mexiko 2,50 China 1,95 Tabelle 7.2-1: Big-Mac-Index (vgl. Wikipedia 2013) Die Aussage des Big-Mac-Index kann dahingehend gesehen werden, dass er ein Beispiel für den Preisreflex eines Anbieters auf länderspezifische Unterschiede in Einkommensniveaus, maximalen Zahlungsbereitschaften oder Konkurrenzsituationen in der betrachteten Branche darstellt. Die starken Preisdifferenzen für das identische Produkt zeigen, dass das Unternehmen eine sehr ausgeprägte räumliche Preisdifferenzierung verfolgt. Existieren auf verschiedenen Ländermärkten preisliche Unterschiede, ist davon auszugehen, dass Nachfrager oder Händler die Preisunterschiede zwischen den Ländern zu ihren Gunsten ausnutzen. Solche Arbitrageprozesse treten im internationalen Preismanagement in drei Ausprägungen auf: Reimporte: Im Exportland gilt ein niedrigerer Preis für das betreffende Produkt als im Ursprungsland (Heimatmarkt), d.h. dem Land, in dem das Produkt hergestellt wird: Nachfrager oder Händler aus dem Heimatmarkt erwerben das Produkt im Exportland und führen es ins Ursprungsland ein. Parallelimporte: Im Exportland wird ein höherer Preis für das betreffende Produkt als im Ursprungsland angesetzt. Nachfrager oder Händler <?page no="378"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 379 aus dem Exportland erwerben das Produkt im Ursprungsland und führen es ins Exportland ein. Laterale Importe: Zwischen zwei Exportmärkten (Ländermärkten) bestehen Preisunterschiede, die Nachfrager oder Händler entsprechend ausnutzen. Insbesondere die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarkts und Liberalisierungsverhandlungen der WTO haben zwischenstaatliche Handelshemmnisse teilweise weitgehend abgebaut und damit Arbitrageprozesse auf Gütermärkten erleichtert. Solche Arbitrageprozesse laufen aber der räumlichen Preisdifferenzierung des Anbieters zuwider, weshalb er versucht, Re-, Parallel- oder laterale Importe zu erschweren (vgl. Abschnitt 7.2.4). Dies wiederum erfordert „gewisse Kreativität“ bei den Arbitrageuren, diese Maßnahmen des Anbieters zu umgehen. „Arbitragenachfrager“ bzw. vor allem „Arbitragehändler“ führen dann dazu, dass das betreffende Produkt außerhalb der vom Hersteller bzw. Markeninhaber dafür vorgesehenen Distributionskanäle vertrieben wird: Deshalb setzt man diesen Arbitragehandel mit grauen Märkten gleich bzw. bezeichnet Arbitragehändler als graue Händler. Diese vermögen die re- oder parallelimportierte Ware dann günstiger als der autorisierte Handel im betreffenden Ländermarkt zu offerieren (vgl. Lutz/ Berndt 1995, S. 107). Zunehmend bietet auch das Internet einen leistungsfähigen Distributionskanal für graue Ware. Führen Nachfrager Arbitragegeschäfte durch, geht die räumliche Preisdifferenzierung, die eigentlich eine Preisdifferenzierung dritten Grades darstellt, in eine Preisdifferenzierung zweiten Grades über, da der Nachfrager entscheidet, in welchem Land (Ursprungs- oder Exportland) er das Produkt beschaffen will. Im Falle von Arbitrage erwerben Nachfrager bzw. Händler, die gemäß ihrer geographischen Segmentzugehörigkeit im „Hochpreisland“ angesiedelt sind, dann im „Niedrigpreisland“ das betreffende Produkt. Die intuitive Anwendung des Gesetzes von Angebot und Nachfrage legt hierbei nahe, dass durch Arbitrage die internationalen Preisdifferenzen ausgeglichen werden: Im Niedrigpreisland (Hochpreisland) nimmt durch Arbitrage die Nachfrage zu (ab), weshalb der Preis für das betreffende Produkt steigt (sinkt). Preisdifferenzierung wird aufgrund von Arbitrage durch eine stärkere Preisstandardisierung abgelöst. Aus rationaler Sicht betreibt ein Nachfrager aus dem Hochpreisland Arbitrage, wenn die Preisdifferenz zum Niedrigpreisland (p 1 > p 2 ) größer als die für Arbitrage aufzuwendenden Kosten (K A ) ist, d.h. ein Arbitragegewinn auftritt: p 1 p 2 > K A p 2 + K A < p 1 Ein Nachfrager aus dem Hochpreisland muss folglich auf Arbitrage trotz einer Preisdifferenz verzichten, wenn seine Arbitragekosten die Preisdifferenz übersteigen. Arbitragegeschäfte, die Nachfrager vornehmen, sind zumeist räumlich beschränkt, da ansonsten die Arbitragekosten stark ansteigen: Arbitragegeschäf- <?page no="379"?> 380 7 Internationales Preismanagement te der Endverbraucher treten deshalb vor allem als Einkaufs- oder Tanktourismus in Urlaubsgebieten oder grenznahen Regionen auf. Allerdings bietet das Internet inzwischen die Möglichkeit, auch bei geographisch weit entfernten Händlern im Niedrigpreisland Ware zu beschaffen. Arbitragekosten (K A ) sind im Wesentlichen auf Informations- und Transportkosten zurückzuführen, die der Nachfrager aufwenden muss, wenn er das Produkt über Re- oder Parallelimporte erwirbt. Wird das Produkt außerhalb der EU gekauft, fallen Zölle für die Einfuhr an. Kauft er das Produkt bei einem grauen Händler, können auch kalkulatorische Kosten für Qualitätsrisiken hinzukommen: So bieten graue Händler meist eine geringere Beratungs- oder Serviceleistung als der autorisierte (Fach-)Handel. Möglicherweise ist der Nachfrager, der auf dem grauen Markt das Produkt erwirbt, auch von Garantieleistungen oder Rückrufaktionen des Herstellers ausgeschlossen. Nach EU-Recht ist eine Verweigerung von Garantieleistungen für graue Ware jedoch unzulässig (vgl. Lutz/ Berndt 1995, S. 109f.). Ein formales Konzept zum „Umfang der Arbitrage“ in einem Ländermarkt ist die Arbitrageneigung der Nachfrager bzw. eines Marktsegments: Sie kennzeichnet die subjektive Neigung der Käufer, bei einer bestimmten Preisdifferenz für ein Produkt die Beschaffung über den grauen Markt dem Erwerb über den regulären Vertriebsweg des Herstellers vorzuziehen (ähnlich bspw. Backhaus/ Voeth 2010b, S. 234). Mehrere Funktionsverläufe der Arbitrageneigung, operationalisiert in der Anzahl an Arbitragekäufen, die bei einer bestimmten Preisdifferenz zwischen Hoch- und Niedrigpreisland auftreten, sind denkbar (vgl. Abbildung 7.2-1; ähnlich Backhaus/ Voeth 1999, S. 35). Der jeweilige Funktionsverlauf wird von der Verteilungsstruktur der Arbitragekosten unter den Nachfragern im Hochpreisland bestimmt. Abbildung 7.2-1: Arbitrageneigungs-Funktionen Preisdifferenz Anzahl an Arbitragekäufern A B E D C <?page no="380"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 381 Die Fälle B, C, D und E unterstellen, dass die Anzahl an Nachfragern, die anstelle des Hochpreislandes im Niedrigpreisland das Produkt beschaffen, kontinuierlich wächst, je höher die Preisdifferenz ausfällt. Mit steigender Preisdifferenz erzielen immer mehr Nachfrager im Hochpreisland einen Arbitragegewinn. Fall A bildet einen sehr einfach strukturierten Fall ab, der für alle Nachfrager gleiche Arbitragekosten im Hochpreisland impliziert: Sobald die Preisdifferenz zwischen den Ländermärkten größer als die Arbitragekosten ist, erwirbt kein Nachfrager mehr im Hochpreisland das Produkt, sondern alle beziehen es über das Niedrigpreisland. Dies wird auch als vollständige Arbitrage bezeichnet, während die Fälle B, C, D und E unvollständige Arbitrage erfassen: Hier verliert der autorisierte Handel im Hochpreisland sein akquisitorisches Potenzial erst allmählich durch die steigende Preisdifferenz zwischen Hoch- und Niedrigpreisland. 7.2.2 Modelle zur Preisbestimmung 7.2.2.1 Keine Arbitrage Lassen sich die Ländermärkte perfekt isolieren, tritt keine Arbitrage auf: Dann ist Bedingung (5.4-1) aus der personellen Preisdifferenzierung für die räumliche Preisdifferenzierung zu übernehmen. Anstelle der Marktsegmente i treten die Ländermärkte. Daher gelten analog die Aussagen zur Umsatz- und Gewinnwirkung der räumlichen Preisdifferenzierung gegenüber der Einheitspreissetzung (Preisstandardisierung). Als Spezifika des internationalen Preismanagements illustriert das folgende Beispiel deshalb den Fall von länderspezifischen Kosten, Steuern bzw. Importzöllen. Wie in den weiteren Gewinnbestimmungen in diesem Abschnitt werden wechselkursbereinigte Preise unterstellt. Fallbeispiel Das Unternehmen bearbeitet zwei Ländermärkte i = {1, 2}, deren Preisresponse durch die linearen Preis-Absatz-Funktionen x 1 = 300 - 5 p 1 und x 2 = 600 - 12 p 2 zum Ausdruck kommt. Die Kostenfunktion ist linear: K = 2000 + 4 x, wobei in Land i = 2 zusätzliche länderspezifische Kosten je produzierter Einheit von 2 GE hinzukommen. Es sind die gewinnoptimalen Preis-Mengen-Kombinationen in beiden Ländern zu bestimmen. Beide Ländermärkte lassen sich perfekt isolieren bzw. die Arbitragekosten sind prohibitiv hoch, weshalb keine Arbitrage auftritt. Die länderspezifischen Kosten führen zu einer Modifizierung der Kostenfunktion. Diese beträgt: K = 2000 + 4 x 1 + 6 x 2 . Die Gewinnfunktion des Anbieters bei räumlicher Preisdifferenzierung (PD) sowie die partiellen Ableitungen bzw. deren Lösungen lauten: <?page no="381"?> 382 7 Internationales Preismanagement G = (300 - 5 p 1PD ) p 1PD + (600 - 12 p 2PD ) p 2PD - 2000 - 4 (300 - 5 p 1PD ) - 6 (600 - 12 p 2PD ) max. G p 1PD = 300 - 10 p 1PD + 20 = 0; p 1PD * = 32; x 1PD * = 140. G p 2PD = 600 - 24 p 2PD + 72 = 0; p 2PD * = 28; x 2PD * = 264. Als Gesamtgewinn resultiert: G PD = 7728. Erweiterung: In Land i = 2 haben die Nachfrager eine Umsatzsteuer von 20 % bezogen auf den Verkaufspreis des Anbieters sowie einen spezifischen Importzoll von 1 GE je Einheit zu entrichten. Welche Folgen hat dies für die gewinnoptimale Preis-Mengen-Kombination in Land i = 2? Die Preis-Absatz-Funktion erfährt durch die Steuer- und Zollbelastung, die die Nachfrager trifft, eine Veränderung: x 2 = 600 - 12 ([p 2 1,2] + 1) = 588 - 14,4 p 2 . Für die Kaufentscheidung der Nachfrager sind die Einkaufskosten relevant, d.h. der dem Anbieter zu zahlende Preis zuzüglich der Steuer- und Zollbelastung. Für die Gewinnbestimmung des Anbieters ist hingegen der Nettopreis p 2 ausschlaggebend. Die Gewinnfunktion des Anbieters bei räumlicher Preisdifferenzierung (PD) sowie die partiellen Ableitungen für i=2 bzw. deren Lösung lauten: G = (300 - 5 p 1PD ) p 1PD + (588 - 14,4 p 2PD ) p 2PD - 2000 - 4 (300 - 5 p 1PD ) - 6 (588 - 14,4 p 2PD ) max. G p 2PD = 588 - 28,8 p 2PD + 86,4 = 0; p 2PD * = 23,42; x 2PD * = 250,75. Als Gesamtgewinn resultiert: G PD = 6288,07. Die länderspezifische Steuer- und Importzollbelastung der Nachfrager trifft den Anbieter vergleichsweise stärker als die Nachfrager. Hierzu dient das vorangegangene Beispiel ohne Steuer. Der optimale Nettoverkaufspreis sinkt aufgrund Steuer und Zoll auf p 2PD * = 23,42; der Bruttoverkaufspreis für die Nachfrager liegt hingegen bei p 2PD = 23,42 1,2 + 1 = 29,10. Ausgehend vom vorangegangenen Beispiel mit einem Verkaufspreis von p 2PD = 28 bewirken Steuer und Zoll für die Nachfrager folglich eine Preiserhöhung des Produkts um 1,10 GE, während der gewinnoptimale Nettoverkaufspreis für den Anbieter um 4,58 GE sinkt. Zugleich reduziert sich die Absatzmenge in Land i = 2 sowie der Gesamtgewinn. Steuern und Importzölle implizieren folglich <?page no="382"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 383 eine deutliche Verschlechterung der Vermarktungsbedingungen für den Anbieter. 7.2.2.2 Vollständige Arbitrage Tritt vollständige Arbitrage auf, wechseln alle Nachfrager aus dem Hochpreisland ins Niedrigpreisland, sobald die Preisdifferenz größer als ihre Arbitragekosten ist, wobei alle Nachfrager die gleichen Arbitragekosten aufweisen. Dadurch muss eine Preiskalkulation, die die Existenz von Arbitrage negiert, nur suboptimale Lösungen erbringen. Auf vollständige Arbitrage kann sich der Anbieter jedoch in zweifacher Weise einstellen: Im Falle der „Kapitulation vor Arbitrage“ setzt er in beiden Ländern den gleichen Preis; Preisdifferenzierung wird dann durch Preisstandardisierung (Einheitspreisstellung) abgelöst. Der Anbieter kann aber auch die Preisdifferenz zwischen beiden Ländern soweit vermindern, dass keine Arbitrage mehr auftritt, weil die Preisdifferenz kleiner als die Arbitragekosten ist. Diese „Vermeidung von Arbitrage“ erbringt einen höheren Gewinn als die Einheitspreisstellung. Fallbeispiel Das Szenario aus dem vorherigen Abschnitt bleibt dahingehend unverändert, dass x 1 = 300 - 5 p 1 und x 2 = 600 - 12 p 2 bzw. K = 2000 + 4 x 1 + 6 x 2 gelten. Die Nachfrager weisen aber Arbitragekosten in Höhe von K A = 2 auf. Kalkuliert der Anbieter weiterhin unter der Fiktion isolierter Ländermärkte, setzt er die Preise p 1PD = 32 und p 2PD = 28. Bei dieser Preisdifferenz kaufen jedoch alle Nachfrager des Hochpreislands i = 1 im Niedrigpreisland i = 2, da ihr Arbitragegewinn positiv ist. Welcher Gewinn lässt sich dann noch erzielen bzw. welches Ergebnis liefert die Einheitspreisstellung? Zur Lösung ist diejenige Nachfragemenge aus dem Hochpreisland zu bestimmen, die im Niedrigpreisland i = 2 auftritt. Für die Bestimmung dieser Nachfragemenge ist zu beachten, dass die Käufer aus dem Hochpreisland das Produkt zum Preis von p 2PD = 28 erwerben, aber noch zusätzlich 2 GE Arbitragekosten aufbringen müssen. Ihre Nachfrage beträgt damit: x 1PD = 300 - 5 (p 2PD + K A ) = 150. Insgesamt resultiert eine Gesamtnachfrage nach dem Produkt im Niedrigpreisland von x PD = 150 + 264 = 414 Mengeneinheiten. Hinsichtlich der Kostenfunktion ist zu beachten, dass alle verkauften Mengeneinheiten im Niedrigpreisland (i = 2) die zusätzlichen Transportkosten zu tragen haben. Der Gewinn beträgt G PD = 7108. Bei der Einheitspreisstellung gilt der gleiche Preis in beiden Ländern. Ausgehend von der Gewinnfunktion <?page no="383"?> 384 7 Internationales Preismanagement G = (300 - 5 p 1EH ) p 1EH + (600 - 12 p 2EH ) p 2EH - 2000 - 4 (300 - 5 p 1EH ) - 6 (600 - 12 p 2EH ) max. resultiert p EH = 29,19 mit x EH = x 1EH + x 2EH = 154,1 + 249,84 = 403,94 und G EH = 7671,49. Der Anbieter erzielt bei einer Preiskalkulation, die die Existenz von Arbitrage nicht beachtet, zwar einen Mengenzuwachs, da Nachfrager aus dem Hochpreisland i = 1 das Produkt im Niedrigpreisland i=2 günstiger erwerben können, was insgesamt eine Absatzsteigerung verursacht. Allerdings beschaffen sie das Produkt im Land i = 2, das für den Anbieter höhere Logistikkosten und einen geringeren Verkaufspreis aufweist. Diese Nichtbeachtung der Arbitrage in der Preiskalkulation führt zu einem niedrigeren Gewinn als die „Kapitulation vor Arbitrage“, bei der der Anbieter den gleichen Preis auf beiden Ländermärkten ansetzt. Ein höherer Gewinn der Preisstandardisierung gegenüber der Nichtbeachtung von Arbitrage basiert darauf, dass sich der Einheitspreis zumindest optimal an die „durchschnittlichen Marktverhältnisse“ beider Länder anpasst. Erweiterung: Liegt in diesem Beispiel die Preisdifferenz zwischen beiden Ländern unter 2 GE, unterbleibt Arbitrage. Folglich kommt ein mäßiger Preisunterschied, der Arbitrage nicht auftreten lässt, den spezifischen Markt- und Kostengegebenheiten beider Länder näher als die Einheitspreisstellung: Je größer - ausgehend vom Einheitspreis - der realisierbare Preisunterschied ist, desto höher ist der Gewinn. Aus formaler Sicht liegt eine Gewinnmaximierung unter der Nebenbedingung (p 1PD p 2PD ) 2 vor, was sich als Lagrange-Ansatz formulieren lässt: L = (300 - 5 p 1PD ) p 1PD + (600 - 12 p 2PD ) p 2PD - 2000 - 4 (300 - 5 p 1PD ) - 6 (600 - 12 p 2PD ) - (p 1PD p 2PD - 2) max. L p 1PD = 300 - 10 p 1PD + 20 - = 0 320 - 10 p 1PD = L p 2PD = 600 - 24 p 2PD + 72 + = 0 -672 + 24 p 2PD = L = p 1PD p 2PD - 2 = 0 p 1PD = p 2PD + 2 Aus den ersten beiden partiellen Ableitungen folgt: 320 - 10 p 1PD = -672 + 24 p 2PD , woraus aufgrund p 1PD = p 2PD + 2 resultiert: p 2PD * = 28,59, p 1PD * = 30,59 mit x 2PD * = 256,92 und x 1PD * = 147,09 bzw. G PD = 7713,88. Für den Lagrange-Multiplikator resultiert = 14,1. Würde sich in der Optimierung < 0 ergeben, zeigt dies an, dass die unterstellte <?page no="384"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 385 Nebenbedingung in der Optimallösung nicht relevant ist. In diesem Fall ist die Gewinnmaximierung mit = 0 zu wiederholen. Die Vorgabe eines solchen Preiskorridors verhindert zum einen das Auftreten von Arbitrage und lässt gleichzeitig noch Freiraum, zumindest „ansatzweise“ die länderspezifische Markt- und Kostensituation zu berücksichtigen. Daher ist der Gewinn höher als bei der Preisstandardisierung (G EH = 7671,49). Neben der absoluten Preisdifferenz, die höchstens den Arbitragekosten entsprechen darf, um Arbitrage zu verhindern, können auch prozentuale Preiskorridore vorgegeben werden (vgl. Simon/ Wiese 1992, S. 253). Hier vermutet der Anbieter, dass bei Preisdifferenzen von Prozent - bezogen auf das Hochpreisland - „gerade noch“ keine Arbitrage auftritt. Es gilt daher p 1PD = (1 + ) p 2PD in der Gewinnfunktion. 7.2.2.3 Unvollständige Arbitrage Geht man von unvollständiger Arbitrage aus, lässt sich das preispolitische Problem ähnlich zur Situation der Preisbestimmung bei Sortimentsverbund formulieren. Hierbei stellt sich der Anbieter explizit auf Arbitrage ein: Er lenkt mit den Preisen in beiden Ländern gezielt die arbitrageinduzierten Nachfrageströme, um - unter den gegebenen Rahmenbedingungen - das (Gesamt-)Gewinnmaximum über beide Länder zu erreichen. Im Folgenden interessiert vor allem, wie der gewinnoptimale Preis unter Berücksichtigung von unvollständiger Arbitrage gegenüber dem gewinnoptimalen Preis bei perfekter Isolierung beider Märkte (keine Arbitrage) abweicht. Hierzu sind mehrere Marktsegmente zu definieren: Mit x N1 = x N1 (p 1 ) wird die Nachfragemenge derjenigen Abnehmer in Land i = 1 (Hochpreisland) gekennzeichnet, die unabhängig vom Preis im Niedrigpreisland i = 2 keine Arbitrage betreiben, weil sie prohibitiv hohe Arbitragekosten besitzen oder der autorisierte Handel ein sehr starkes akquisitorisches Potenzial aufweist (Nicht-Arbitrageure, N). Auf Preiserhöhungen reagieren sie mit Verzicht auf Kauf oder Einschränkung der Kaufmenge. Daneben existiert im Hochpreisland ein Arbitragesegment (A), das zwei länderspezifische Nachfragemengen aufweist: x A1 = x A1 (p 1 ; p 2 ) kennzeichnet diejenige Nachfragemenge der Arbitrageure, die bei den Preisen p 1 und p 2 das Produkt weiterhin im Hochpreisland beschaffen, da die Preisdifferenz deren Arbitragekosten (noch) nicht übersteigt. Demgegenüber wechselt eine Nachfragemenge von x A2 = x A2 (p 1 ; p 2 ) bei den Preisen p 1 und p 2 vom Hochpreisins Niedrigpreisland. Schließlich gibt es das Segment der Bewohner im Niedrigpreisland i = 2, das eine Absatzmenge von x N2 aufweist. Aus dem Niedrigpreisland wechselt niemand in das Hochpreisland. Die gesam- <?page no="385"?> 386 7 Internationales Preismanagement ten Absatzmengen in i = 1 und i = 2 symbolisieren x 1 bzw. x 2 . In einer formalen Darstellung liegt somit folgendes Szenario vor: x 1 = x 1 (p 1 ; p 2 ) = x N1 (p 1 ) + x A1 (p 1 ; p 2 ), mit: x N1 p 1 < 0 , x A1 p 1 < 0, x A1 p 2 > 0 x 2 = x 2 (p 1 ; p 2 ) = x N2 (p 2 ) + x A2 (p 1 ; p 2 ), mit: x N2 p 2 , x A2 p 2 < 0, x A2 p 1 > 0 Zur leichteren Interpretation der Bedingungen sollen isoelastische Nachfragefunktionen unterstellt sein, weshalb die Preiselastizitäten unabhängig von der spezifischen Preis-Mengen-Kombination sind. Die nach p 1 und p 2 zu optimierende Gewinnfunktion des Anbieters lautet dann auf Grundlage der beiden Nachfragefunktionen: (7.2-1) G = x 1 (p 1 ; p 2 ) p 1 + x 2 (p 1 ; p 2 ) p 2 - K f - K(x 1 ) - K(x 2 ) max. Entwicklung des gewinnoptimalen Preises im Niedrigpreisland Für das Niedrigpreisland i = 2 resultiert aus der partiellen ersten Ableitung der Bedingung (7.2-1): G p 2 = x 2 p 2 p 2 + x 2 + x A1 p 2 p 1 - K x 2 x 2 p 2 - K x 1 x 1 x A1 x A1 p 2 = 0 Es gilt hierbei ( x 1 / x A1 ) = 1. Die Umformung der obigen Terme folgt dem Vorgehen zur Herleitung der Niehans-Bedingung. Neben der Preiselastizität der Nachfrage in i = 2 ( 2 ) 2 = x 2 p 2 p 2 x < 0 ist die „Arbitrageelastizität“ 2A1 hilfreich. Sie kennzeichnet den Einfluss des Preises im Niedrigpreisland auf die Nachfrage der Arbitragekäufer im Hochpreisland, die trotz Arbitragebereitschaft weiterhin im Hochpreisland kaufen: Steigt der Preis im Niedrigpreisland, verbleibt mehr Nachfrage aus diesem Segment im Hochpreisland. 2A1 = x A1 p 2 p 2 x A1 > 0 Damit resultiert für den optimalen Preis im Niedrigpreisland i = 2: (7.2-2) p 2 * = 2 1+ 2 K x 2 - 1 1+ 2 p 1 * - K x 1 2A1 x A1 x 2 , <?page no="386"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 387 mit: p 2 ´ = 2 1+ 2 K x 2 Der erste Term kennzeichnet den Primäreffekt der Preissetzung im Niedrigpreisland (i = 2). Der Primäreffekt gibt hierbei denjenigen Preis p 2 ´ an, der sich ergeben würde, wenn die Ausstrahlungswirkungen der Preissetzung im Niedrigpreisland auf den Absatz im Hochpreisland nicht beachtet werden. Der zweite Term erfasst die Ausstrahlungswirkung (Sekundäreffekt) dieser Preissetzung. Der Sekundäreffekt ist ceteris paribus umso größer, je höher der Deckungsbeitrag des Produkts im Hochpreisland und je höher die Preiselastizität der Arbitragekäufer ist. Der Sekundäreffekt ist umso kleiner, je mehr (potenzielle) Arbitragekäufer im Hochpreisland in Relation zur gesamten Absatzmenge, die im Niedrigpreisland erzielt wird, verbleiben. Für die Fragestellung, wie der gewinnmaximale Preis bei Arbitrage vom gewinnmaximalen Preis ohne Arbitrage abweicht, sind das Vorzeichen des Sekundäreffekts und die Veränderung der Preiselastizität der Nachfrage im Niedrigpreisland ( 2 ) zu analysieren. Unterstellt man für das Hochpreisland einen positiven Deckungsbeitrag, ist aufgrund von 2A1 > 0 und 2 -1 der gesamte Term für den Sekundäreffekt negativ, weshalb sich eine „Preiserhöhung“ zum Preis aus dem Primäreffekt (p 2 ´) ergibt. Analog zum substitutiven Sortimentsverbund soll der höhere Preis im Niedrigpreisland die Nachfrager im Hochpreisland „halten“ bzw. Arbitrage ökonomisch uninteressanter machen. Tritt keine Arbitrage auf, fällt der Sekundärterm in Bedingung (7.2-2) aufgrund von 2A1 = 0 „weg“ und es verbleibt p 2 * = p 2 ´. Für die Analyse der arbitragebedingten Veränderung der Preiselastizität der Nachfrage in i = 2 ( 2 ) sind zwei weitere Preiselastizitäten zu definieren: Zum einen diejenige der Bewohner des Niedrigpreislandes mit N2 = x N2 p 2 p 2 x N2 < 0 und die Preiselastizität der Arbitrageure bezogen auf den Preis im Niedrigpreisland hinsichtlich ihrer Kaufmenge im Niedrigpreisland: 2A2 = x A2 p 2 p 2 x A2 < 0 Die Absatzmenge in i = 2 beträgt x 2 = x N2 + x A2 ; also lässt sich 2 aufgliedern als: x 2 p 2 = N2 p 2 + x A2 p 2 x 2 p 2 p 2 x 2 = x N2 p 2 p 2 x 2 x N2 x N2 + x A2 p 2 p 2 x 2 x A2 x A2 <?page no="387"?> 388 7 Internationales Preismanagement 2 = N2 x N2 x 2 + 2A2 x A2 x 2 Das Mengenverhältnis x A2 / x 2 erfasst hierbei die sog. Leakage-Rate (vgl. Sander 1997b, S. 144): Sie gibt an, wieviel (Prozent) des Gesamtabsatzes im Niedrigpreisland aus Arbitrage aus dem Hochpreisland stammt. Ohne Arbitrage rekrutiert sich der Absatz in i = 2 nur aus den dortigen Bewohnern: Mit x A2 = 0 und x 2 = x N2 resultiert deshalb für die Preiselastizität der Nachfrage 2 = N2 . Im Falle von Arbitrage gilt | 2 | < | N2 |, sofern die Arbitrageure aus dem Hochpreisland weniger preissensibel als die Nachfrager des Niedrigpreislandes sind, was| 2A2 | < | N2 | impliziert. Bei der Relation | 2 | < | N2 | ist der aus dem Primäreffekt resultierende Preis (p 2 ´) höher, als wenn keine Arbitrage auftritt. Unter Berücksichtigung der Aussage zum Sekundäreffekt, führt Arbitrage im Niedrigpreisland dann zu einem Anstieg des gewinnoptimalen Preises. Die Relation | 2A2 | < | N2 | ist zu erwarten, wenn der niedrige Preis in i = 2 in der Preissensibilität der Nachfrager des Niedrigpreislandes ( N2 ) begründet ist und nicht auf besonders niedrige Grenzkosten zurückgeht. Trifft | 2A2 | < | N2 | zu, gehen Marktliberalisierungen, d.h. wachsende Möglichkeiten für Arbitrage, aus Sicht der Bewohner im Niedrigpreisland zu „ihren Lasten“, da sie für das betreffende Produkt jetzt höhere Preise bezahlen müssen. Ursache für die höheren Preise ist jedoch nicht die Nachfrageausweitung (x 2 > x N2 ), sondern der Tatbestand, dass durch Preissteigerungen die Arbitrageprozesse zwischen dem Hochpreis- und Niedrigpreisland eingedämmt werden sollen (Sekundäreffekt) bzw. die Arbitrageure aus dem Hochpreisland weniger preissensibel als die Bewohner im Niedrigpreisland sind (Primäreffekt). Sind die Arbitrageure aus dem Hochpreisland hingegen preissensibler als die Bewohner des Niedrigpreislandes (| 2A2 | > | N2 |), sinkt der aus dem Primäreffekt stammende Preis (p 2 ´) im Vergleich zur Situation ohne Arbitrage. Ob es insgesamt zu einem Preisanstieg kommt, hängt dann von der preiserhöhenden Wirkung des Sekundäreffekts ab. Damit gilt die Aussage, wonach Arbitrage den Preis im Niedrigpreisland erhöht, nicht uneingeschränkt. Entwicklung des gewinnoptimalen Preises im Hochpreisland Für das Hochpreisland i = 1 resultiert aus der partiellen ersten Ableitung der Gewinnfunktion in Bedingung (7.2-1): G p 1 = x 1 p 1 p 1 + x 1 + x A2 p 1 p 2 - K x 1 x 1 p 1 - K x 2 x 2 x A2 x A2 p 1 = 0 Wiederum ist ( x 2 / x A2 ) = 1. Die formale Darstellung erfordert eine weitere Arbitrageelastizität ( 1A2 ), die angibt, wie stark der Preis im Hochpreisland die <?page no="388"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 389 Nachfrage der Arbitrageure, die das Produkt im Niedrigpreisland beschaffen, beeinflusst: 1A2 = x A2 p 1 p 1 x A2 > 0 Hiermit resultiert folgender gewinnoptimaler Preis im Hochpreisland: (7.2.3) p 1 * = 1 1+ 1 K x 1 - 1 1+ 1 p 2 * - K x 2 1A2 x A2 x 1 mit: p 1 ´ = 1 1+ 1 K x 1 Der Sekundäreffekt korrigiert wiederum den Preis aus dem Primäreffekt (p 1 ´) um so stärker, je größer der Deckungsbeitrag im Niedrigpreisland ist, je größer die Leakage-Rate (x A2 / x 1 ), d.h. der Anteil an Arbitragenachfrage, die ins Niedrigpreisland abwandert, ausfällt, und je preissensibler die Arbitrageure auf Preiserhöhungen im Hochpreisland mit Kaufabwanderungen ins Niedrigpreisland reagieren ( 1A2 ). Um den Einfluss von Arbitrage auf den gewinnmaximalen Preis im Hochpreisland im Vergleich zum Nicht-Arbitragefall offenzulegen, sind die arbitragebedingte Veränderung der Preiselastizität der Nachfrage ( 1 ) und das Vorzeichen des Sekundäreffekts zu betrachten. Hinsichtlich der Aufspaltung der Preiselastizität der Nachfrage ( 1 ) in die einzelnen Marktsegmente ist eine weitere Arbitrageelastizität erforderlich ( 1A1 ): Sie gibt den Einfluss des Preises im Hochpreisland auf die Nachfrage der Arbitrageure, die im Hochpreisland verbleibt, an: 1A1 = x A1 p 1 p 1 x A1 < 0 Für die Preiselastizität 1 bei Arbitrage gilt dann folgende Aufgliederung: 1 = N1 x N1 x 1 + 1A1 x A1 x 1 mit: x 1 = x N1 + x A1 Hinsichtlich der segmentspezifischen Preiselastizität erscheint plausibel, dass das Arbitragesegment preissensibler als die Nicht-Arbitrageure ist (| 1A1 | > | N1 |). Lassen sich beide Märkte perfekt isolieren, existiert dennoch das Marktsegment der Arbitrageure, selbst wenn sie keine Arbitrage betreiben können: Bei Preiserhöhungen reagieren sie - ebenso wie die Nicht-Arbitrageure - mit einer Reduzierung der Kaufmenge. Daher ist die Aufgliederung der Preiselastizität der <?page no="389"?> 390 7 Internationales Preismanagement Nachfrage ( 1 ) nach Marktsegmenten im Fall ohne Arbitrage strukturgleich zum Arbitragefall: 1 = N1 x N1 x 1 + 1A1 x A1 x 1 mit: x 1 = x N1 + x A1 Offen ist allerdings, ob bzw. in welche „Richtung“ die Preiselastizität 1 im Arbitragefall von derjenigen im Nicht-Arbitragefall abweicht. Folgende Überlegung gilt hierbei: Bei Arbitrage ist bei einem bestimmten Preis p 1 die Nachfrage aus dem Arbitragesegment im Hochpreisland (x A1 ) geringer als im Fall ohne Arbitrage, da ein Teil dieser Nachfrager, die ansonsten im Hochpreisland kaufen würden, ins Niedrigpreisland abgewandert ist. Unterstellt man, dass die Nachfragemenge der Nicht-Arbitrageure unverändert bleibt, besitzt die segmentspezifische Preiselastizität der Arbitrageure (Nicht-Arbitrageure) im Arbitragefall ein geringeres (höheres) Gewicht x A1 / x 1 (x N1 / x 1 ) bei der Bildung der Preiselastizität 1 . Bei | 1A1 | > | N1 | ist im Arbitragefall die Preiselastizität 1 - dem Betrage nach - kleiner als im Nicht-Arbitragefall, weshalb der Preis p 1 ´ aus dem Primäreffekt von Bedingung (7.2-3) ansteigt. Allerdings ist zu erwarten, dass die Existenz von Arbitrage die beiden segmentspezifischen Preiselastizitäten - dem Betrage nach - erhöht: So könnte es unter den Nicht-Arbitrageuren eine Preisunzufriedenheit bewirken, wenn sie sehen, dass ein Arbitrageur (z.B. „Nachbar“), der im Niedrigpreisland das Produkt erworben hat, weniger für das Produkt ausgegeben hat, als sie selbst bezahlen. Folglich bringen sie den Preisforderungen des Anbieters im Hochpreisland mehr Widerstand entgegen, selbst wenn für sie Arbitrage nicht infrage kommt. Insbesondere die Preiselastizität der Arbitrageure dürfte im Arbitragefall - dem Betrage nach - ansteigen. Eine Preiserhöhung bewirkt in diesem Segment - im Arbitragefall - einen stärkeren Absatzrückgang im Hochpreisland als ohne Arbitrage, da die Arbitrageure nicht mehr nur mit einer Reduzierung der Kaufmenge „antworten“, sondern gänzlich ihre Bedarfsmenge des Produkts im Niedrigpreisland decken. Insgesamt ist dann zu erwarten, dass die Preiselastizität 1 im Falle von Arbitrage - dem Betrage nach - größer als im Nicht- Arbitragefall ist. Tritt ein solcher Anstieg der Preiselastizität ein, sinkt im Hochpreisland durch Arbitrage der Preis aus dem Primäreffekt (p 1 ´ in Bedingung 7.2-3) gegenüber dem Fall ohne Arbitrage. Betrachtet man den Sekundäreffekt im Hochpreisland und unterstellt man einen positiven Deckungsbeitrag im Niedrigpreisland, ist aufgrund von 1 < -1 und 1A2 , x A2 / x 1 > 0 der gesamte Ausdruck des Sekundäreffekts negativ. Es liegt damit bei Arbitrage eine Tendenz zur Preiserhöhung gegenüber dem Preis aus dem Primäreffekt (p 1 ´) vor. <?page no="390"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 391 Ob sich damit aufgrund von Arbitrage ein niedriger gewinnoptimaler Preis im Hochpreisland, verglichen mit der Situation ohne Arbitrage, einstellt, hängt von der Größenordnung von Primär- und Sekundäreffekt ab, wobei Arbitrage hinsichtlich des Preises aus dem Primäreffekt (p 1 ´) nicht zwangsläufig preissenkend wirken muss. Damit gilt die Aussage, dass Arbitrage zu einer Preissenkung im Hochpreisland führt, anhand der obigen Überlegungen nicht uneingeschränkt. 7.2.3 Praxisorientierte Ansätze Ein Präsentations- und Analyseinstrument, das den Umfang an internationaler Preisdifferenzierung in einem Unternehmen in Relation zur Nachfragestärke der Ländermärkte darstellt, beinhaltet die Preisspreizungs-Kurve (vgl. Macquet 2002, S. 242f.), die an das Konzept der Lorenzkurve angelehnt ist (vgl. Abbildung 7.2-2). Abbildung 7.2-2: Preisspreizungs-Kurve Zur Erstellung der Preisspreizungs-Kurve werden die einzelnen Verkäufe (Absatz oder Umsatz) nach aufsteigenden - wechselkursbereinigten - Einzelpreisen sortiert und kumuliert: So zeigt die Kurve in Abbildung 7.2-3 bspw. an, dass etwa 50 % des Gesamtabsatzes zu einem Preis von höchstens 24,67 abgesetzt werden. Zugleich lässt sich ablesen, wie bedeutend gemessen am Absatz Preise kumulierter Anteil des Gesamtabsatzes 100 % 17,38 19,32 23,56 23,89 24,16 24,67 25,07 28,45 28,56 29,13 <?page no="391"?> 392 7 Internationales Preismanagement bestimmte Länderpreise sind. Im obigen Beispiel besitzen die beiden Niedrigpreise (17,38 und 19,32) aus Sicht des Gesamtunternehmens nur eine geringfügige Absatzbedeutung. Gleichzeitig sind sie aber potenzielle Einfallstore für Arbitrage, wenn sich bspw. die Arbitragekosten von Nachfragern in Hochpreisländern verringern sollten. Daher ist zu überlegen, ob eine Preiserhöhung oder sogar ein Verzicht auf eine weitere Marktbearbeitung nicht vorteilhaft wäre, um Arbitragegefahren zu reduzieren. Mehrere Heuristiken greifen zumindest Grundgedanken der Preiskalkulation unter Berücksichtigung von Arbitrage auf: Im Lead-Country-Konzept (vgl. bspw. Backhaus/ Voeth 2010b, S. 182ff.; Zentes et al. 2013, S. 454f.) definiert der Anbieter bspw. anhand von Umsatz, Gewinn oder Marktanteil sog. „Lead Countries“, denen die Federführung innerhalb der Preispolitik zugewiesen wird. Die „Nonlead countries“ müssen ihre Preise dann so setzen, dass von ihnen keine Arbitragegefahr bezogen auf die „Lead Countries“ ausgeht. In der Regel dürften „Lead“ und „Nonlead countries“ der gleichen geographischen Region angehören, da hier Arbitrageprozesse besonders ausgeprägt auftreten. Lässt sich in etwa abschätzen, in welchem Land aufgrund der Rahmenbedingungen der höhere (niedrigere) Preis anzusetzen ist und welche Preisdifferenz maximal auftreten darf, um Arbitrage zwischen dem Lead-Country und den anderen Auslandsmärkten der Region in nennenswertem Umfang zu unterbinden, kann die Preisoptimierung unter Einhaltung einer Preisdifferenz zwischen Lead-Country und Nonlead-Country durchgeführt werden. Im Gegenstromverfahren (vgl. bspw. Sander 1997a, S. 287; Backhaus/ Voeth 2010b, S. 182) bestimmt die Tochtergesellschaft zunächst den für „ihren“ Markt optimalen Preis, wobei die Muttergesellschaft dann unter Berücksichtigung der Länderinterdependenzen mit mehr oder weniger Fingerspitzengefühl diesen Preis modifiziert. Das Preiskorridorverfahren versucht, länderspezifische Preisunterschiede auszunutzen und gleichzeitig Arbitrage zu reduzieren. Ansatzpunkt hierfür sind die Fixierung von Mindestbzw. Höchstpreisen, die von den Tochtergesellschaften nicht unterbzw. überschritten werden dürfen. Innerhalb des vorgegebenen Korridors können die Tochtergesellschaften dann die Preise gemäß der spezifischen Markt- und Kostenlage anpassen. Dieses Vorgehen lässt sich mit dem Lead-Country-Konzept verbinden, wenn sich der Preiskorridor der Nonleading Countries (Tochtergesellschaften) auf den Preis im Markt der Muttergesellschaft im Lead-Country bezieht. Entscheidend für den Erfolg des Preiskorridorverfahrens ist, zum einen die „optimalen“ Preisgrenzen zu bestimmen, aber auch die möglicherweise notwendigen Preisanpassungen bei den Tochtergesellschaften durchzusetzen. So dürfte die Implementierung des Preiskorridorverfahrens in der Regel eine Preisreduzierung und damit einen Margenverlust in den Hochpreisländern implizieren, wäh- <?page no="392"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 393 rend es in Niedrigpreisländern zu Preisanhebungen und damit zu einer Erschwerung der Vermarktungsbedingungen kommt. Beide Preisveränderungen dürften die Tochtergesellschaften - aus ihrer isolierten Sicht heraus - nicht „begrüßen“. Zudem werten sie die Vorgabe von Korridoren möglicherweise als Beschneidung der eigenen Preishoheit (vgl. Macquet 2002, S. 239). Ein organisatorischer Ansatzpunkt, einen Preiskorridor in der Unternehmensorganisation zu etablieren, sind deshalb Preisdurchsetzungsprovisionen, mit denen die Tochtergesellschaften das Erreichen bzw. Einhalten der vorgegebenen Zielpreise bzw. des Preiskorridors honoriert bekommen (vgl. Sebastian et al. 2002, S. 143f.). Eine indirekte Beeinflussung von Tochtergesellschaften zur Durchsetzung einer aus Sicht des Unternehmens optimalen länderspezifischen Preisstruktur besteht in der Festsetzung von Transferpreisen zwischen Zentrale und Tochtergesellschaft (vgl. Büschken/ Hinzdorf 2002, S. 23f.): Solche Transferpreise können relativ autonom von der Konzernzentrale fixiert werden und haben für die belieferten Tochtergesellschaften Kostencharakter. Damit beeinflussen sie die (vermeintlich) autonomen Preisentscheidungen der Tochtergesellschaften. Mit der Wahl eines adäquaten Transferpreises lässt sich damit der gewünschte Verkaufspreis der Tochtergesellschaft im betreffenden Land steuern. Allerdings sind bei der Festlegung von Transferpreisen auch steuerrechtliche Überlegungen einzubeziehen. Ein sog. proaktiver Ansatz in der internationalen Preispolitik beinhaltet, auf länderspezifische Preisunterschiede zu verzichten und vielmehr eine personelle Preisdifferenzierung durchzuführen (vgl. Büschken/ Hinzdorf 2002, S. 24). In diesem Ansatz gelten dann gleiche Preise für die gleichen Marktsegmente in unterschiedlichen Ländern. Allerdings lässt sich personelle und länderspezifische Preisdifferenzierung auch miteinander kombinieren. Ein solches komplexes Preissystem vermindert zweifellos die Preistransparenz und trägt auf diesem Weg zur Reduzierung von Arbitrage bei. 7.2.4 Strategien zur Marktabschottung In der Regel ist davon auszugehen, dass Arbitrage das Gewinnpotenzial des Herstellers und/ oder der autorisierten Händler vermindert; darüber hinaus hat Arbitrage weitere negative marketingbezogene Konsequenzen (vgl. bspw. Büschken/ Hinzdorf 2002, S. 17; Lutz/ Berndt 1995, S. 108f.): Graue Händler, d.h. Händler, die nicht zum autorisierten Vertriebssystems des Herstellers gehören, sind Free Rider bezogen auf Investitionen (z.B. Werbung), die Hersteller und autorisierter Handel in den Aufbau der Marke (Image; Bekanntheit) tätigen. Ein solches Trittbrettfahren ist auch gegeben, wenn der autorisierte Handel bestimmte Zusatzleistungen offeriert (z.B. Reparaturservice), die er im Sinne des kalkulatorischen Ausgleichs preisgünstig offeriert, aber auch von Nachfragern, die bei grauen Händlern gekauft haben, in Anspruch genommen werden. Eben- <?page no="393"?> 394 7 Internationales Preismanagement so müssen graue Händler nicht Systemstandards einhalten, zu denen autorisierte Händler - teilweise unter erheblichen eigenen finanziellen Beteiligungen - gezwungen sind. Daher sinkt die Bereitschaft der autorisierten Händler, in Aufbau und Pflege des Distributionssystems zu investieren. Graue Händler weisen ferner möglicherweise eine geringere Vermarktungsqualität in Bezug auf Beratung, Serviceleistungen, Einkaufserlebnis etc. als der autorisierte Handel auf, worunter das Image des Produkts leiden könnte. Schließlich verschlechtert sich die Kundenbeziehung, da der niedrigere Preis, zu dem graue Händler offerieren, die Preisbzw. Kundenzufriedenheit derjenigen Nachfrager, die weiterhin im autorisierten Handel das Produkt kaufen, mindern dürfte. Aus diesen Gründen ist es naheliegend, dass Hersteller und autorisierter Handel ein Interesse daran besitzen, Arbitrageprozesse im internationalen Marketing einzudämmen. Für eine solche Marktabschottung bieten sich drei Strategien an (vgl. Abbildung 7.2-3): Abbildung 7.2-3: Strategien der Marktabschottung zur Eindämmung von Arbitrage Erhöhung von Arbitragekosten Je höher die Kosten der Arbitrage für die Nachfrager sind, desto weniger tritt Arbitrage bei einer bestimmten Preisdifferenz zwischen zwei Ländern auf. Arbitragekosten sind hierbei zum einen in Informationskosten zu sehen: Je intransparenter ein Anbieter seine länderspezifische Preisstruktur gestaltet, weil er bspw. zusätzlich eine personelle Preisdifferenzierung heranzieht, desto schwerer bzw. kostenintensiver wird für potenzielle Arbitrageure der Preisvergleich (vgl. Büschken/ Hinzdorf 2002, S. 24). Allerdings dürfen hierbei die zu erwartenden negativen Auswirkungen einer erhöhten Intransparenz eines Preissystems auf die Nicht-Arbitrageure in den betreffenden Ländern nicht unberücksichtigt bleiben. Höhere Arbitragekosten für Nachfrager sind ferner produktpolitisch zu realisieren: Künstliche Produktdifferenzierungen implizieren länderspezifische Veränderungen (bspw. Gebindegrößen; Typenschilder; Gebrauchsanleitungen) und erschweren dadurch den Gebrauch eines Produkts, das in einem anderen Land erworben wurde, oder verursachen Umstellungskosten und tragen so zur Erhö- M a rktab schottung Erhöhung der Arbitragekosten Anwendung von Immaterialgüterrechten Verknappung der Arbitrageware <?page no="394"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 395 hung der Arbitragekosten für den Arbitrageur bei. Allerdings mindern solche artifiziellen Maßnahmen häufig die Attraktivität des Produkts, was sich dann in einer niedrigeren maximalen Zahlungsbereitschaft der gesamten Nachfragerschaft niederschlägt, bzw. erhöhen die Produktionskosten. Ein anderer Ansatz zielt daher darauf ab, mit kommunikationspolitischen Maßnahmen die Kundenloyalität (Commitment) gegenüber dem autorisierten Handel zu stärken und vor potenziellen Qualitätsrisiken beim Kauf grauer Ware zu warnen (vgl. Lutz/ Berndt 1995, S. 110f.): Immerhin mag durch die längeren Transportwege beim Reimport die Qualität der Ware leiden oder der Nachfrager trägt ein größeres „Beratungsrisiko“, wenn er bei einem ausländischen Händler kauft. Ein rationaler Käufer wird sich jedoch im Inland informieren und dann im Ausland oder im Internet nach der günstigsten Bezugsquelle suchen, so dass solche Kommunikationsstrategien bei den Arbitrageuren „ins Leere“ laufen dürften. Schließlich erhöhen sich die Arbitragekosten für den Nachfrager, wenn der Anbieter bspw. durch einseitige Erklärungen auf Verpackungen bzw. Gebrauchsanleitungen oder im Rahmen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Service- oder Garantieleistungen für denjenigen Fall einschränkt, dass ein Produkt außerhalb der autorisierten Vertriebswege erworben wurde. Dies ist im Rahmen eines selektiven - sofern kartellrechtlich zulässigen - Vertriebssystems möglich (vgl. Fezer 2011, §24 Rdnr. 69), eine vertragliche Abdingung von Produkthaftungsansprüchen jedoch nicht (vgl. Klunzinger 2011, S. 510). Zudem ist das Produkthaftungsrecht seit der EU-Produkthaftungsrichtlinie innerhalb der EU weitgehend vereinheitlicht. Erschwerung von Arbitragekäufen Eng mit der Erhöhung von Arbitragekosten ist ein zweiter Ansatz zur Eindämmung oder Unterbindung von Arbitrage verbunden, der darin besteht, Arbitrageuren den physischen Bezug der Ware zu verwehren oder zumindest zu erschweren: So könnten im Niedrigpreisland der Verkauf des Produkts an Kunden aus dem Hochpreisland verweigert, der Preis des Hochpreislandes verlangt oder die Lieferfristen hinausgezögert werden. Abgesehen davon, dass enttäuschte Arbitrageure im Hochpreisland dann eine andere Marke wählen und damit als Käufer vollständig ausfallen, lässt sich auch diese Strategie der Marktabschottung nur schwer realisieren: Zum einen dürfte es für einen Anbieter schwierig sein, im normalen Geschäftsverkehr die nationale Herkunft eines Kunden zu ermitteln, um dann einen Verkauf abzulehnen oder den betreffenden Preis im Hochpreisland anzusetzen. Fraglich ist zudem, ob höhere Preise für bestimmte ausländische Kunden überhaupt eine wettbewerbsrechtlich erlaubte personelle Preisdifferenzierung beinhalten. Zum anderen bestehen Probleme, graue Händler zu identifizieren, um <?page no="395"?> 396 7 Internationales Preismanagement diese nicht zu beliefern. Grundsätzlich ist im Niedrigpreisland auch im autorisierten Handel durchaus Bereitschaft gegeben, nicht nur an Endverbraucher des betreffenden Landes, sondern ebenso an Arbitrageure und graue Wiederverkäufer zu veräußern, da diese keine unmittelbare Konkurrenz für sie darstellen und zudem Umsatz- und Gewinnzuwächse bescheren. Zudem bestehen enge rechtliche Restriktionen: Prinzipiell könnte der Hersteller den autorisierten Handel im Niedrigpreisland vertraglich dazu verpflichten, nur an bestimmte Kunden die betreffenden Produkte zu verkaufen und andere Kundenkreise (Arbitrageure) vom Bezug auszuschließen. Ein Verstoß des Händlers gegen diese Vereinbarungen mag der Hersteller dann mit Sanktionen, wie der Verweigerung oder Reduzierung von Prämien, einer Beschränkung der Liefermenge oder der Androhung der Vertragskündigung ahnden. Eine solche Vertriebsbindung (Kundenkreisbeschränkung) innerhalb eines (selektiven) Vertriebssystems stellt jedoch eine vertikale Wettbewerbsbeschränkung dar, die den zwischenstaatlichen Handel in der EU beeinträchtigt und damit gegen Art. 101 AEUV (vormals Art. 81 EGV) verstößt (vgl. hierzu bspw. Martinek et al. 2010, S. 802f.). Auch eine Freistellung eines Vertriebssystems mit einer solchen Kundenkreisbeschränkung von Art. 101 AEUV durch die sog. Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO) scheidet aus, da eine Kundenkreisbeschränkung in Art. 4 Buchstabe b Vertikal-GVO zu den schwerwiegenden wettbewerbsschädigenden Beschränkungen (sog. Kernbeschränkungen) zählt, die von der Gruppenfreistellung auszuschließen ist: Demnach darf Mitgliedern (Händlern) eines selektiven Vertriebssystems, welche auf der Einzelhandelsstufe tätig sind, keine Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher auferlegt werden. Aktiver Verkauf impliziert hierbei die explizite „Marketingbearbeitung“ eines Kundensegments (z.B. durch Werbung), passiver Verkauf die bloße Annahme von Verkaufswünschen von Nachfragern (z.B. über Internet). Ferner dürfen Querlieferungen zwischen Händlern innerhalb des selektiven Vertriebssystems nicht verboten werden (vgl. Martinek et al. 2010, S. 824). Solche Querlieferungen liegen vor, wenn ein Händler aus dem Hochpreisland Ware bei einem ebenfalls zum Vertriebssystem gehörenden Händler im Niedrigpreisland - möglicherweise preisgünstiger als direkt vom Hersteller - bezieht. Eine Ausnahme hiervon enthält Art. 4 Buchstabe b Vertikal-GVO: Demnach ist es innerhalb von selektiven Vertriebssystemen erlaubt, den autorisierten Händlern zu untersagen, an nicht zum Vertriebssystem gehörende Händler zu verkaufen. Die Vertragsklausel „kein Verkauf an gewerbliche Wiederverkäufer“, sofern sie nicht zum Vertriebssystem gehören, rechnet nicht zu den Kernbeschränkungen des Art. 4 Vertikal-GVO und darf folglich zwischen Hersteller und den autorisierten Händlern vereinbart werden. Damit lässt sich zumindest vertraglich verhindern, dass graue Händler, die nicht zum Vertriebssystem gehö- <?page no="396"?> 7.2 Räumliche Preisdifferenzierung und Arbitrage 397 ren, Ware vom autorisierte