Medizinische Kommunikation
Grundlagen der ärztlichen Gesprächsführung
0917
2014
978-3-8385-4132-7
978-3-8252-4132-2
UTB
Sascha Bechmann
<?page no="0"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK/ Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Sascha Bechmann Medizinische Kommunikation Grundlagen der ärztlichen Gesprächsführung A. Francke Verlag Tübingen <?page no="3"?> Dr. phil. Sascha Bechmann, geb. 1977, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Düsseldorf und Lehrbeauftragter an der Universität Gießen. Zudem ist er als Dozent für Notfallmedizin tätig und unterrichtet seit vielen Jahren u. a. die Fächer Kommunikation und Gesprächsführung an Berufsfachschulen. Er ist examanierter Rettungsassistent und PR-Berater im Gesundheitswesen. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Pragmatik, Praktische und Historische Semantik, Sprach- und Bedeutungswandel sowie die Fachsprachenforschung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe Printed in Germany UTB-Band-Nr. 4132 ISBN 978-3-8252-4132-2 <?page no="4"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Hinweise zur Lektüre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Medizinische Kommunikation - was ist das eigentlich? . . . . . . . . . . . 1 1.2 Kann man Kommunizieren lernen? - Medizinische Kommunikation in der ärztlichen Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.3 Medizinische Kommunikation in der modernen Kommunikations- und Sprachwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.4 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Allgemeiner Teil: Grundbegriffe, Kommunikationsmodelle und -theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? . . . . . . . . . . . . 27 2.1 Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? . . . . . . . . . . . 27 2.1.1 Kommunikation im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.1.2 Kommunikation im weiteren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.2 Warum kommunizieren wir eigentlich? - Zur Funktion von Kommunikation im Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.3 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.1 Sprache - ein komplexes Zeichensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3.2 Fachchinesisch in der Medizinischen Kommunikation - Wozu brauchen wir eigentlich eine Fachsprache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 <?page no="5"?> 3.3 Was bedeutet das alles? - Zeichen im Alltag und in der Medizinischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.4 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4 Kommunikationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4.1 Das informationstheoretische Modell von C LAUDE S HANNON und W ARREN W EAVER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.2 Kommunikationspsychologische Modelle: K ARL B ÜHLER und F RIEDEMANN S CHULZ VON T HUN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4.2.1 Wahrnehmungen und Verhaltensmerkmale in der Arzt- Patienten-Kommunikation - das Johari-Fenster . . . . . . . . . . . . 92 4.3 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5 Kommunikationstheorien und -konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 5.1 Können wir durch Sprechen handeln? - Die Sprechakttheorie von J OHN L. A USTIN und J OHN R. S EARLE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5.2 Woran erkennen wir, was andere meinen? - Das Prinzip der Konversationsmaximen nach H ERBERT P AUL G RICE . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 5.3 Wertschätzende Kommunikation und Aktives Zuhören - die nondirektive Gesprächsführung nach C ARL R. R OGERS . . . . . . . . . . . . . 111 5.4 Wie schaffen wir im Gespräch Vertrauen? - Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation nach M ARSHALL B. R OSENBERG . . . . . . . 115 5.5 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Spezieller Teil: Arzt-Patienten-Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.1 Wer sind Sie - und wenn ja warum? - kommunikatives Rollenverhalten in der Arzt-Patienten-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6.1.1 Modelle der Arzt-Patienten-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 6.1.1.1 Das paternalistische Modell in der Arzt-Patienten- Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 6.1.1.2 Das informative Modell in der Arzt-Patienten- Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 VI Inhaltsverzeichnis <?page no="6"?> 6.1.1.3 Das interpretative Modell in der Arzt-Patienten- Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 6.1.1.4 Das abwägende Modell in der Arzt-Patienten- Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 6.1.1.5 Das Modell des shared decision making in der Arzt-Patienten-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 6.1.1.6 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 6.1.2 Informationsinteresse im Arzt-Patienten-Gespräch . . . . . . . . . 140 6.2 Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 6.2.1 Der Faktor Zeit im ärztlichen Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 6.2.1.1 Unterbrechungen im Arzt-Patienten-Gespräch . . . . 148 6.2.2 Medizinische Kommunikation als institutionalisierte Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 6.2.3 Akteure in der Medizinischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . 155 6.2.4 Personale Einflussfaktoren und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 6.3 Woran scheitern Gespräche? - Kommunikationskonflikte und Missverständnisse in der Arzt-Patienten-Kommunikation . . . . . . . . . 159 6.4 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 7 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation . . . . 169 7.1 Typologie ärztlicher Gespräche - Gibt es noch etwas neben der Anamnese? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 7.1.1 Das freie Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 7.1.2 Die Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 7.1.3 Die Exploration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 7.1.4 Das Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 7.1.5 Funktionen des Arzt-Patienten-Gesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 7.2 Wie geht ’ s uns denn? - Fragen und Fragetechniken in der Arzt-Patienten-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 7.2.1 Ärztliches Frageverhalten in Klinik und Praxis . . . . . . . . . . . . 182 7.2.2 Fragesatz und Fragehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 7.2.3 Typologie ärztlicher Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 7.3 Auf den Patienten kommt es an! - Merkmale und Phasenmodell patientenorientierter Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 7.3.1 Direktive vs. nicht-direktive Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . 195 7.3.2 Calgary-Cambridge-Guides - ein Phasenmodell patientenorientierter Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 7.4 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Inhaltsverzeichnis VII <?page no="7"?> 8 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten- Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 8.1 Jeder Jeck ist anders! - Gruppenspezifische und situationsgebundene Arzt-Patienten-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 8.1.1 Schwierige Patientengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8.1.1.1 Alte Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 8.1.1.2 Kinder und Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 8.1.1.3 Patienten aus anderen Kulturkreisen und Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 8.2 Kommunikative Deeskalationsstrategien in der Arzt-Patienten- Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 8.2.1 Bis hierher und nicht weiter - Nähe und Distanz in der Arzt-Patienten-Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 8.3 Das Spikes-Protokoll zur Übermittlung schlechter Nachrichten . . . . 232 8.4 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 VIII Inhaltsverzeichnis <?page no="8"?> Vorwort D ER ALTE A RZT SPRICHT LATEINISCH , DER JUNGE A RZT ENGLISCH . D ER GUTE A RZT SPRICHT DIE S PRACHE DES P ATIENTEN . U RSULA L EHR , EHEM . B UNDESMINISTERIN FÜR J UGEND , F RAUEN , F AMILIE U . G ESUNDHEIT Wie sag ich ’ s meinem Patienten? Nicht immer finden Ärzte auf diese Frage sofort eine passende Antwort. Häufig ringt man mit Mühe um das richtige Wort oder um den richtigen Satz - nicht selten erfolglos. Auch Patienten tun sich im Gespräch bisweilen schwer: Oftmals fallen ihnen wichtige Fragen erst im Nachhinein ein. Und bisweilen kann ein falscher Blick oder eine achtlose Geste schon zu Missverständnissen führen. Richtig verstanden zu werden, ist für die Beziehung zwischen Arzt und Patient aber von enormer Bedeutung. Missverständnisse und „ Kommunikationsfehler “ sind im medizinischen Bereich - anders als im täglichen Leben - nicht nur ärgerlich, sondern im Zweifel auch gefährlich. Manchmal können sie den Patienten das Leben kosten. Richtiges „ Patientisch “ zu sprechen, ist eine Kunst für sich. Eine Kunst, die man lernen kann. Jeder Mediziner weiß: Vor einer guten Therapie steht immer eine gute Diagnose. Das Befolgen bestimmter Regeln im Gespräch sichert dabei den Erfolg der gesamten Behandlung (mitunter auch den ökonomischen Erfolg mit Blick auf eine langfristige Patientenbindung). Ärzte und anverwandte Berufe müssen diese Regeln kennen, reflektieren und befolgen. Sie müssen mehr als andere Berufsgruppen ihr eigenes sprachliches Handeln bewusst wahrnehmen, situationsabhängig anpassen, stetig überprüfen und - wo nötig - verbessern können. Damit das möglich ist, müssen Mediziner lernen, dass Kommunikation ein bedeutender und aktiv zu steuernder Prozess ist; ein Prozess, der einstudiert und geprobt sein will. Es ist ein Irrglaube in den Köpfen vieler Menschen, dass man „ richtige “ Gesprächsführung nicht lernen kann. Zwar kann man - nach P AUL W ATZLAWICK - nicht nicht kommunizieren, aber das heißt keinesfalls, dass man nicht falsch kommunizieren könnte. Die Tatsache allein, dass wir alle ständig mit anderen Menschen sprechen, macht uns noch nicht zu Kommunikationsprofis. Betrachten <?page no="9"?> Sie die medizinische Kommunikation deswegen bitte nicht als ein hübsches modernes Beiwerk der medizinischen Ausbildung und erst recht nicht als etwas, das Sie durch learning by doing erwerben können; sie ist ein wichtiges Fach im Kanon der medizinischen Grundausbildung. Wenn man professionell mit Menschen spricht (und besonders, wenn dieses Gespräch Teil der ärztlichen Therapie ist), muss man die Regeln der Gesprächsführung gut kennen, sie verstehen, sie lernen und im Idealfall richtig und sicher anwenden können. Medizinische Kommunikation steht allein im Dienste des Patienten und dient dessen Heilung. Es ist keine Binsenweisheit, dass ein gutes Arzt-Patienten-Gespräch in vielen Fällen eine Spritze oder ein Medikament ersetzen kann. Oft helfen tröstende Worte und ein offenes Ohr mehr als ein Schmerz- oder Beruhigungsmittel. Mit der vorliegenden Einführung soll die Arzt-Patienten-Kommunikation näher beleuchtet werden - mit dem Ziel einer grundlegenden Verbesserung der Gesprächsführung in Klinik und Praxis. Dabei verfolgt dieses Buch einen interdisziplinären Ansatz zwischen Sprachwissenschaft und Medizin. Dieser Umstand bedarf der Erläuterung, denn von ihm hängt der besondere Wert dieses Buches ab: Sprachwissenschaftler analysieren Sprache in erster Linie auf der Basis sprachlichen Datenmaterials. Gespräche werden aufgezeichnet, transkribiert und ausgewertet. Insofern findet die Untersuchung medizinischer Kommunikationssituationen quasi unter linguistisch idealen Laborbedingungen statt und ist dabei meist isoliert von der sprachlichen Wirklichkeit. Mit dem Handwerkszeug des Linguisten sezieren Sprachwissenschaftler Diskurse zwischen Arzt und Patient und können dabei kaum auf die spezifischen Besonderheiten eingehen, die aus Sicht von Arzt und Patient den Diskurs bestimmen und die sich aus den Texten selbst nicht herauslesen lassen (z. B. nonverbales Verhalten der Gesprächspartner, sowie die nicht artikulierten Sorgen, Nöte und Ängste der Patienten oder die medizinischen Hintergründe, vor denen Ärzte ihre Fragen formulieren). Sprachwissenschaftler verfügen selbst nicht über Erfahrungen in der ärztlichen Gesprächsführung und können solche Gespräche nur von der Meta-Ebene aus betrachten. Insofern sind auch die sprachwissenschaftlichen Bemühungen, Leitfäden zur Patientenkommunikation zu entwickeln, aus medizinischer Sicht zu stark durch die linguistische Brille verzerrt. Dasselbe lässt sich für medizinische Studienbücher sagen, die meist zu einseitig die medizinischen Anforderungen und Besonderheiten solcher Gespräche beleuchten. Studienbüchern, die mit der Zielsetzung des maximalen Informationsgewinns im Patientengespräch für den Arzt geschrieben sind, fehlt oft das theoretische Fundament, auf dem sich die Empfehlungen zur Gesprächsführung gründen. Woran es ihnen ganz besonders mangelt, sind die Berück- X Vorwort <?page no="10"?> sichtigung der kommunikativen Absichten der Patienten und Hinweise dazu, wie man diese Absichten erkennen kann. So wie Sprach- und Kommunikationswissenschaftlern oftmals das Verständnis für medizinische Anforderungen im Arzt-Patienten-Gespräch fehlt, mangelt es Medizinern häufig am kommunikativen Rüstzeug, um gute Ratgeber zu verfassen. Das vorliegende Studienbuch versteht sich nun weder als eine rein linguistische Einführung noch als ein medizinisches Lehrbuch und es ist erst recht kein schlichter Ratgeber. Stattdessen soll dieses Buch zum einen in die Grundprinzipien menschlicher Kommunikation einführen und dabei die wesentlichen linguistischen Ansätze und Modelle anschaulich vermitteln. Zum anderen will diese Einführung die Erkenntnisse der Sprachwissenschaft mit den spezifischen Besonderheiten medizinischer Kommunikationssituationen verknüpfen. Das ist ein hohes Ziel. Dass ich als Autor selbst sowohl als Sprachwissenschaftler als auch durch meine langjährige Berufserfahrung im medizinischen Bereich über das notwendige Wissen und die praktische medizinische und kommunikative Erfahrung verfüge, stellt dieses Buch auf eine empirisch gefestigte Basis. Seit vielen Jahren unterrichte ich das Thema Kommunikation und Gesprächsführung an medizinischen Berufsfachschulen. Sowohl der Austausch mit Fachärzten, Klinikärzten, Notärzten, Krankenpflegern, Rettungsassistenten und anderen medizinischen Fachleuten als auch meine eigenen Beobachtungen aus vielen hundert z. T. sehr schwierigen Gesprächssituationen haben zum Gelingen dieses Buches und zu dessen Praxisbezug maßgeblich beigetragen. Diese Einführung richtet sich in erster Linie an Medizinstudenten und an bereits praktisch tätige Ärzte aller Fachrichtungen, sowie an medizinische Assistenzberufe. Als eine leicht lesbare Einführung soll dieses Studienbuch die Ausbildung angehender Ärzte und anderer medizinischer Fachberufe begleitend unterstützen. Dabei ist insbesondere ein klarer Bezug zur Praxis gewünscht. Durch praxisnahe Fallbeispiele und Übungen kann dieses Buch mühelos im Selbststudium erarbeitet werden, es eignet sich aber auch als Grundlage für die medizinische Aus- und Fortbildung. Dass die hier vermittelten Kommunikationsmodelle in der Praxis erprobt werden wollen, versteht sich von selbst; sie bilden in dieser Form lediglich den theoretischen Rahmen für die ärztliche Gesprächsführung. Auch für medizinische Kommunikation gilt grundlegend: Gelingende Kommunikation setzt immer den Willen und die Möglichkeit zur Kommunikation voraus. In diesem Sinne können weder die theoretischen Inhalte dieser Einführung noch die Fallbeispiele und Übungen über die zwingende Notwendigkeit einer intensiven praktischen Schulung hinwegtäu- Vorwort XI <?page no="11"?> schen: Wer in der Theorie weiß, wie man ein Fahrrad fährt, wird ohne Praxis nicht vom Fleck kommen. Dieses Buch, da es sich mit einem Teilbereich der angewandten Linguistik beschäftigt, wendet sich darüber hinaus auch an Sprachwissenschaftler und an Studierende verwandter Fächer. Insbesondere die Kapitel 4 und 5 sind mit der fachwissenschaftlichen Brille geschrieben, so dass Studierende der Germanistik und Kommunikationswissenschaft ihren Nutzen daraus ziehen können. Die Thematik Medizinische Kommunikation dürfte darüber hinaus auch für interessierte Laien von Wert sein. Denn: Zu einer gelingenden Arzt-Patienten- Kommunikation können wir alle ein Stückweit beitragen - sie nützt jedem von uns. Düsseldorf im April 2014 Sascha Bechmann XII Vorwort <?page no="12"?> Hinweise zur Lektüre Bevor wir uns dem eigentlichen Problembereich zuwenden können, möchte ich noch einige Informationen zur Lektüre und zum richtigen Umgang mit diesem Buch voranschicken. Dieses Studienbuch versteht sich als interdisziplinäres Arbeitsbuch und ist für das Selbststudium geschrieben. Es kann ohne jegliches Vorwissen gelesen werden. Selbstgesteuertes Lernen mithilfe dieses Buches soll dazu dienen, den Lernerfolg möglichst nachhaltig zu stärken. Die Leser sollen dazu befähigt werden, sich die wesentlichen Inhalte selbstständig anzueignen. Dazu werden die Inhalte anschaulich und unter weitgehendem Verzicht von Fachterminologie vermittelt. Wichtige Grundbegriffe sind im Text durch Fettdruck hervorgehoben. Die linguistischen Theorien und Modelle in diesem Buch sind an der konkreten sprachlichen Wirklichkeit in der medizinischen Kommunikation ausgerichtet. Anschauliche Fallbeispiele werden das Verständnis erleichtern. Fallbeispiele, die einen konkreten medizinischen Bezug haben, können Sie leicht daran erkennen, dass sie durch dieses Symbol gekennzeichnet sind und zudem in einem schattierten Kasten hervorgehoben sind. Alle Fallbeispiele in diesem Buch beruhen auf tatsächlichen Begebenheiten. Außerdem erkennen Sie auch Aussagen mit medizinischer Relevanz anhand dieses Zeichens. Zudem werden kommunikationstheoretische Kernthesen in diesem Buch optisch hervorgehoben. Präzise Merksätze erleichtern das Verständnis. Sie erkennen Merksätze daran, dass sie neben einer Schattierung hinter dem Text durch dieses Symbol verdeutlicht werden: . Jedes Kapitel beginnt mit dem Abschnitt „ Ziele und Warm up “ . Hier wird der Gegenstand des jeweiligen Kapitels kurz und knapp erläutert und dargelegt, was der Leser am Ende gelernt haben soll. Unter dem Aspekt Warm up sollen intuitiv zu beantwortende Impulsfragen zum ersten Nachdenken über die im dann Folgenden besprochene Thematik anregen. <?page no="13"?> Die Kapitel enden mit einer komprimierten Zusammenfassung in Form von Stichpunkten, so dass sie sich monothematisch und unabhängig von den anderen Kapiteln als jeweils eigenständige Einführung lesen lassen. Jedes Kapitel endet mit Übungsaufgaben, die der Selbstüberprüfung des Wissens dienen sollen. Die Aufgaben lassen sich nach Kenntnis der zuvor vermittelten Inhalte ohne weitere Hilfsmittel in angemessener Zeit beantworten. Auf Lösungen kann und soll bewusst verzichtet werden, da Standardlösungen und -antworten nicht gewünscht sind. Vielmehr sollen die Fragen der Beschäftigung mit dem vermittelten Stoff dienen und werden so konzipiert sein, dass sie eindeutig zu beantworten sind. Machen Sie sich ruhig die Mühe und beantworten die Fragen (oder zumindest einige davon) stichpunktartig auf einem Blatt Papier. Sie werden merken, wie gut sich die Informationen dadurch einprägen. Zudem können Sie rasch erkennen, wenn Sie etwas noch nicht verstanden haben. Die Aufgaben finden Sie unter diesem Symbol: . Die Übungsaufgaben eignen sich auch als Prüfungsfragen für Dozenten, sofern diese Einführung in der universitären Lehre oder der beruflichen Aus- und Fortbildung verwendet wird. Im Anschluss an die Übungsaufgaben runden Hinweise zu weiterführender Literatur zum Inhalt des vorangestellten Lehrstoffs jedes Kapitel ab. Dabei handelt es sich um eine Auswahl, die weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Exklusivität erhebt. In aller Regel werden hier diejenigen Werke empfohlen, die in einem unmittelbaren Bezug zu den Inhalten des Kapitels stehen. Erkennbar sind diese Literaturhinweise durch dieses Symbol: Für einen umfassenden Überblick über die Literatur zum Thema Medizinische Kommunikation sei auf das ausführliche Literaturverzeichnis verwiesen, das dem Textteil dieses Buches angefügt ist. Die dort verzeichnete Literatur enthält sowohl alle Quellen, die in dieser Einführung verwendet wurden, als auch zahlreiche Werke, die der Vorbereitung gedient haben. Insofern bildet das Literaturverzeichnis die Literatur zum Forschungsfeld Medizinische Kommunikation in weiten Teilen ab, erhebt aber ebenfalls keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Studienbuch enthält im Anhang ein Sachwortverzeichnis (Index), damit der Zugriff auf wichtige Begriffe vereinfacht wird. Dieses Verzeichnis dient dem raschen Auffinden wichtiger Textstellen, so dass dieses Buch auch als Nachschlagewerk dienen kann. XIV Hinweise zur Lektüre <?page no="14"?> Die systematische Gliederung des Studienbuches in a) kommunikationstheoretisches Grundlagenwissen im allgemeinen Teil und in b) praxisrelevantes Fachwissen zur Systematik der Arzt-Patienten-Interaktion im speziellen Teil dieses Buches ermöglicht es Lehrenden an medizinischen Fakultäten oder sprachwissenschaftlichen Instituten, das Studienbuch zur Grundlage eines einsemestrigen Seminars zu machen. Dabei kann (und soll) das theoretische Wissen durch praktische Übungen ergänzt werden. Die Inhalte der einzelnen Kapitel können im Hochschulunterricht in teilnehmerorientierten Sozialformen (Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Partnerarbeit, offene Moderation) anhand der präsentierten Themen erarbeitet werden. Im Sinne einer guten didaktischen Reduktion wurden die Inhalte lernziel- und zielgruppenorientiert aufbereitet, wobei die Formulierung der Lernziele in den jeweiligen Kapiteleinführungen zu einer besseren Transparenz beitragen soll. Die Übungsaufgaben am Schluss der Kapitel dienen zur zielgerichteten Überprüfung der Lernziele. Alle Kapitel dieses Buches lassen sich als unabhängige Einführungen in die jeweilige Thematik lesen und bearbeiten. Dennoch empfiehlt es sich, die Kapitel jeweils im Zusammenhang zu den anderen Kapiteln zu betrachten, um einen umfassenden Einblick in die Thematik gewinnen zu können. Insbesondere die verschiedenen Kommunikationsmodelle und -konzepte, die in Teil I vorgestellt werden, können zu einem besseren Verständnis kommunikativer Grundprinzipien beitragen und sollten möglichst zusammenhängend erarbeitet werden. Ungeachtet der aktuellen Gender-Diskussion werden der besseren Lesbarkeit halber in diesem Buch Personen- und Berufsbezeichnungen in der maskulinen Form genannt. Die jeweils weibliche Lesart bitte ich dabei gedanklich mitzulesen. In manchen Fällen verwende ich die weibliche Form für vornehmlich durch Frauen geprägte Berufsbilder (Arzthelferin etc.). Ich bitte darum, dies ebenfalls unter dem Aspekt der besseren Verständlichkeit zu verstehen. Hinweise zur Lektüre XV <?page no="16"?> 1 Einführung 1.1 Medizinische Kommunikation - was ist das eigentlich? Der Begriff Medizinische Kommunikation, der diesem Buch seinen Titel gegeben hat, vereint zwei auf den ersten Blick völlig unterschiedliche Forschungsfelder. Zum einen geht es bei der Medizinischen Kommunikation um Medizin im weitesten Sinne. Medizin ist - grob gesagt - die ärztliche Heilkunst und umfasst in erster Linie anatomisches, physiologisches und therapeutisches Wissen und Können. Zum anderen handelt dieses Buch von Kommunikation, also von einem sozialen Prozess der Informationsvermittlung im Gespräch. Daraus ergibt sich eine erste Annäherung an das Thema dieses Buches: Medizinische Kommunikation ist eine spezielle Form der Kommunikation, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit medizinischem Handeln steht. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Kommunikation und Medizin weit enger, als man gemeinhin annimmt. Worin dieser Zusammenhang besteht und welche systematischen Folgen sich daraus für das Gesprächsverhalten von Ärzten und Medizinern ergeben, davon handelt dieses Buch. Wenn man Sie fragen würde, wann genau medizinische Kommunikation stattfindet - also in welchen konkreten Situationen - und wer daran beteiligt ist, dann würden Sie sicher so etwas antworten wie: Medizinische Kommunikation findet immer dann statt, wenn Ärzte mit Patienten sprechen. Das ist zwar korrekt, aber wir werden feststellen, dass das, was wir Medizinische Kommunikation nennen wollen, sich in sprachlichem Handeln bei Weitem nicht erschöpft. Auch viele nonverbale Zeichen, die nichts mit Sprache im eigentlichen Sinn zu tun haben, können kommunikativ gedeutet werden. Sprechen ist nur eine mögliche Form der Kommunikation zwischen Arzt und Patient - und sie ist nicht unbedingt die wichtigste. . . <?page no="17"?> Medizinische Kommunikation findet also immer dann statt, wenn Mediziner und Patienten miteinander interagieren - sprachlich oder nicht-sprachlich. So gesehen ist jeder Kontakt zwischen Ärzten und Patienten eine Situation, die als medizinische Kommunikation gedeutet werden kann, weil durch den Kontakt bereits kommunikatives Handeln evoziert wird - auf beiden Seiten. So weit, so gut. So weit, so einfach? Worin liegen die Besonderheiten, die sich aus der Verknüpfung von Medizin und Kommunikation zwangsläufig ergeben? Ist medizinische Kommunikation nicht einfach ganz normale Kommunikation in einem eng umgrenzten beruflichen und sozialen Raum? Unterscheidet sich das Kommunizieren im medizinischen Sektor so sehr von demjenigen in anderen Bereichen, dass man dafür eigens ein Buch schreiben muss? Und: Gibt es so etwas wie die „ Medizinische Kommunikation “ im Sinne einer eigenen Form der Sprache und des Kommunizierens überhaupt? Beantworten wir zunächst die Frage nach den Unterschieden, bevor wir uns dem Phänomen der medizinischen Kommunikation im Detail zuwenden. Dort, wo Ärzte mit Patienten sprechen, gibt es sehr gravierende Unterschiede zu unserem alltäglichen kommunikativen Miteinander. Dass das so ist, wird sich ganz besonders im zweiten Teil dieser Einführung, dem speziellen Teil, zeigen. Dabei ist es nicht so, dass man medizinische Kommunikation auf ein oder zwei Besonderheiten reduzieren könnte. Die Merkmale, die das Gespräch zwischen Medizinern und Patienten von normalen Alltagsgesprächen unterscheiden, sind äußerst vielfältig und sehr speziell. Der wichtigste Unterschied zu unserer normalen Alltagskommunikation ist: Medizinische Kommunikation ist nicht nur kommunikatives, sondern in erster Linie medizinisches Handeln. Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten findet nicht nur in der medizinischen Sphäre statt, sie ist viel mehr zugleich Teil der medizinischen Behandlung. Mit gutem Recht kann man davon sprechen, dass Kommunikation medizinisch wirksam sein kann - und zwar nachweislich. Hier unterscheidet sich der kommunikative Rahmen, in dem medizinische Gespräche geführt werden, ganz entscheidend von demjenigen, in dem Sie morgens vielleicht Ihre Brötchen beim Bäcker bestellen. Wenn Sie dort an einem schönen Sonntagmorgen drei Brötchen ordern, dann kommunizieren Sie mit Ihrem Bäcker auf eine sehr einfache, aber zielführende Art und Weise. Dabei ist das Gespräch, das Sie miteinander führen, weder für den Bäcker noch für Sie von größerer Bedeutung. Das kommunikative Miteinander beschränkt sich auf die Aufgabe und Annahme einer Bestellung und darüber hinaus vielleicht auch noch . 2 Einführung <?page no="18"?> (aber nicht zwingend) auf den Austausch von Höflichkeiten. Der kommunikative Akt bewirkt dabei weder, dass die Brötchen überhaupt hergestellt werden, noch hat er Einfluss auf deren Qualität und Geschmack. Hinzu kommt, dass weder der Akt des Brötchenbestellens noch das Brötchen als Sache emotional aufgeladen sind - weder für Sie noch für den Bäcker. Sie könnten auch ohne Brötchen einen schönen Tag haben. In der ärztlichen Praxis ist das gänzlich anders. Hier hat das Gespräch entscheidenden Einfluss auf die Krankheit - schon allein, wenn es darum geht, die richtige Diagnose zu stellen. Hinzu kommt, dass jeder Patient, der sich in einem Gespräch über seine Krankheit einem Arzt gegenüber sieht, in mehrfacher Weise emotional betroffen ist. Zum einen beeinflusst den Patienten seine Krankheit physisch und psychisch in besonderer Weise: Bevor der Patient zum Arzt geht, hat er sich oftmals bereits einem langen Leidensdruck ausgesetzt. Vielleicht ist er durch seine Krankheit zudem stark beeinträchtigt und nervlich angeschlagen. Möglicherweise hat er auch Angst vor einer Verschlimmerung oder davor, dass die Diagnose unangenehme Folgen für sein Leben haben kann. Und in manchen Fällen ist ihm seine Krankheit schlichtweg peinlich. Der Schritt zum Arzt ist vielfach das letzte Mittel, wenn man sich selbst nicht zu helfen weiß. Ein leckeres Sonntagsbrötchen beim Bäcker kauft man aus purer Lust oder aus Appetit. Den Arzt sucht man auf, wenn es einem schlecht geht. Zum anderen stellt das Gespräch über die eigene Krankheit mit einem fremden Menschen eine besondere Hürde dar: Das subjektive Empfinden sowohl über die eigene kommunikative Rolle als auch über den Gesprächsrahmen und ganz entscheidend über den zu besprechenden (sehr persönlichen) Inhalt, führt auf Seiten des Patienten dazu, dass er dem Gespräch emotional aufgeladen gegenübersteht. Zudem ist der Patient häufig in der schwächeren Rolle: Während der Arzt gesund und wissend ist, ist er selbst krank und unwissend, was seine Krankheit und deren Folgen anbelangt. 1 Der Beruf des Arztes erfordert deswegen neben fundierten medizinischen Kenntnissen Fingerspitzengefühl und ein offenes Ohr für die Probleme und Belange der Patienten. Das betrifft nicht nur die Hausärzte. In erheblichem Maße sind nahezu alle ärztlichen Disziplinen durchdrungen von der Notwendigkeit, sowohl mit Patienten als auch mit deren Angehörigen, sowie mit ärztlichen und nichtärztlichen Kolleginnen und Kollegen in einen Dialog zu treten. Je nach Fachrichtung entfallen viele Stunden des Tages in der ärztlichen Praxis auf das 1 Selbst bei turnusmäßigen Routineuntersuchungen, wenn also keine akute Erkrankung vorliegt, ist man als Patient nicht frei von Sorgen, Ängsten und Nöten. Eine Vorsorgeuntersuchung etwa kann aufgrund des zu erwartenden Ergebnisses eine enorme psychische Belastung für den Patienten darstellen. Medizinische Kommunikation - was ist das eigentlich? 3 <?page no="19"?> Arzt-Patienten-Gespräch. 2 Die ärztliche Heilkunst tritt - was den zeitlichen Rahmen angeht - häufig hinter die Gesprächsführung zurück. Auch ist der Heilungserfolg vielfach untrennbar geknüpft an eine richtige und zielführende Diagnose, so dass insbesondere der Anamnese und der Befunderhebung maßgebliche Rollen in der Therapie vieler Erkrankungen zufallen. Trotz einer immer differenzierter werdenden Medizintechnik sollte nicht vergessen werden, dass das Gespräch zwischen Arzt und Patient zusammen mit den körperlichen Untersuchungen das wichtigste diagnostische Instrument darstellt, mit dessen Hilfe bis zu 90 Prozent aller Diagnosen richtig gestellt werden können. 3 Die Kosten, die volkswirtschaftlich durch mangelhafte Diagnosestellungen und damit durch falsche Therapieoptionen entstehen, sind neben dem oftmals hohen Leidensdruck für die Patienten ein wichtiger Grund, die ärztliche Gesprächsführung auf den Prüfstand zu stellen. Erfahrene Ärzte wissen: Eine gute ärztliche Behandlung ist ohne eine gelungene Gesprächsführung bisweilen schwierig und in manchen Fällen gar unmöglich. Diese Einschätzung entspringt nicht allein dem Empfinden vieler Mediziner und ist daher keine introspektive Erkenntnis, sondern wissenschaftlich belegt. Studien haben gezeigt, dass Patienten mit körperlichen Erkrankungen durch eine gute und angstnehmende Zuwendung des Arztes einen signifikant verkürzten Krankheitsverlauf und eine gesenkte Nebenwirkungsquote aufweisen. 4 Es konnte auch bewiesen werden, dass die Lebensqualität von Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen deutlich sinkt, wenn die Kommunikation zwischen Arzt und Patient mangelhaft ist, weil Ärzte den Patienten nicht als gleichberechtigten Partner in das Gespräch integrieren und dessen Sorgen und Nöte nicht ausreichend berücksichtigen. 5 Die Wirkung von Kommunikation im medizinischen Bereich ist also gut vergleichbar mit einer Waagschale: Gute Kommunikation kann Krankheiten lindern, schlechte Kommunikation kann Krankheitsverläufe und insbesondere das subjektive Krankheitsgefühl der Patienten negativ befördern. Zahlreiche 2 Der Arztreport 2010 der Barmer-GEK zur ambulanten Versorgung in Deutschland hat gezeigt, dass jeder Arzt im Durchschnitt 45 Patienten pro Arbeitstag versorgen muss. Auf ein ärztliches Berufsleben bezogen ergeben sich daraus etwa 150 000 Dialoge, die ein Arzt mit seinen Patienten führt. Die durchschnittliche Zeit, die einem Arzt in Deutschland für das Patientengespräch zur Verfügung steht, beträgt demnach etwa 8 Minuten und ist im internationalen Vergleich alarmierend kurz. 3 Vgl. M ARTINA 1997. 4 Vgl. D I B LASI et al. 2001: 757 - 762. 5 Vgl. K ERR et al. 2003: 421 - 427. . 4 Einführung <?page no="20"?> Studien belegen, dass eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation für die Genesung der meisten Patienten eine essentielle Basis darstellt: Ein erfolgreiches Gespräch wirkt sich also nachweislich äußerst positiv auf die Gesundheit der Patienten aus. 6 Daraus ergibt sich eine erste wesentliche Schlussfolgerung für die ärztliche Gesprächsführung: Ebenso wie ein gutes Gespräch den Krankheitsverlauf nachhaltig positiv beeinflussen kann, führt mangelhafte Kommunikation nachweislich zu einer Verschlechterung der Gesundheit der Patienten. Kommunikation ist damit ein wesentlicher Wirkungsfaktor in der medizinischen Therapie und außerdem ein wichtiges Instrument der Qualitätssicherung. Die medizinische Notwendigkeit einer optimalen Kommunikation zwischen Arzt und Patient entspricht zudem auch dem subjektiven Wunsch vieler Patienten: Der Wunsch nach einer umfassenden und vor allem verständlichen Informationsvermittlung durch den behandelnden Arzt wird von 93 Prozent aller Patienten als sehr wichtig eingestuft - wobei gerade einmal 30 Prozent der Ärzte diesem Anspruch in der Realität entsprechen. 7 Gerade in der hausärztlichen Praxis suchen die meisten Patienten in erster Linie das vertrauensvolle Gespräch, nur etwa jeder vierte Patient möchte mit einem Rezept in der Hand die Praxis verlassen. 8 Medizinische Kommunikation ist somit sowohl der Begriff für eine bestimmt Art des Kommunizierens als auch in der Sache selbst durch und durch medizinisch - so wie eine Lotion oder eine Salbe medizinisch sein können. Das ist das Besondere an Medizinischer Kommunikation: Sie ist Kommunikation und Medizin zugleich. Und weil dieser Umstand bemerkenswert ist, wurde das vorliegende Buch geschrieben - um die Besonderheiten der ärztlichen Gesprächsführung hervorzuheben und Ihnen Hilfsmittel an die Hand zu geben, Ihr eigenes kommunikatives Handeln als Arzt wirkungsvoll zu gestalten. Denn: Mit der intuitiven Gesprächskompetenz, die man für alltägliche Gespräche benötigt, kommt man als Mediziner allein oft nicht weit. Es erfordert ein geschultes Bewusstsein auf Seiten der Ärzte, um alle Facetten des Patientengesprächs richtig deuten zu können und um das Gespräch effektiv zu steuern. Medizinischer Kommunikation kommt innerhalb der Medizin eine Bedeutung zu, die sich auf den ersten Blick nicht unmittelbar offenbart; die Beson- 6 Vgl. M EAD / B OWER 2002 und S TEWART 2003. 7 Vgl. D IERKS 2001. 8 Vgl. L ITTLE et al 2001: 468 - 472. . Medizinische Kommunikation - was ist das eigentlich? 5 <?page no="21"?> derheiten Medizinischer Kommunikation sind nicht in jedem Fall sofort und klar erkennbar. So haben Verständigungsschwierigkeiten im medizinischen Bereich bisweilen Folgen, die sich über das Misslingen der Kommunikation hinaus auf die Gesundheit der Patienten auswirken können. Eine gute Compliance beispielsweise ist ganz wesentlich das Resultat einer erfolgreichen Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Leider ist es nun nicht so, dass sich dieses Thema gut und einfach greifen ließe. Weder aus medizinischer noch aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht kann man mit ein oder zwei Sätzen eine hinreichende Definition für diejenige Form der Kommunikation liefern, die man medizinisch nennt. Dafür gibt es gute Gründe: Die medizinische Kommunikation kann es allein deswegen schon nicht geben, weil es nicht den Arzt oder den Patienten gibt. Das ist auch der Grund, warum Sie mit diesem Buch keinen Ratgeber im klassischen Sinn in den Händen halten, der Ihnen 100 gute Tipps zum richtigen Umgang mit Ihren Patienten offenbart. Neben gänzlich unterschiedlichen Interessen und Wissensvorräten spielen nämlich sehr verschiedene kommunikative Kompetenzen oder subjektive Empfindungen in der Medizinischen Kommunikation eine bedeutende Rolle. Auf vielfältige Weise sind in den kommunikativen Prozess zahlreiche andere Menschen mit den ihnen jeweils speziellen kommunikativen Besonderheiten, Interessen, Wünschen und Eigenarten eingebunden: Pfleger, Angehörige, Arzthelferinnen oder ärztliche Kollegen. Somit ist jede Gesprächssituation in ein Netz wechselseitiger Kommunikationshandlungen eingebettet. So verschieden die therapeutischen Möglichkeiten, so unterschiedlich sind deswegen auch die kommunikativen Anforderungen an ein gutes Gespräch zwischen Arzt und Patient. Zudem suggeriert der Name Medizinische Kommunikation auch fälschlich, dass es sich um eine bestimmte Kommunikationsform handeln würde. Vielmehr fallen unter diesen Begriff unzählige verschiedene und sehr komplexe Gespräche, auch wenn der Kristallisationspunkt sicher das Arzt-Patienten-Gespräch darstellt. 9 Diese Sichtweise lässt außer Acht, dass der Prozess der medizinischen Kommunikation auf weit mehr Ebenen stattfindet. So gibt es neben dem Gespräch zwischen Ärzten und Patienten eine hochkomplexe und ausdifferenzierte Kommunikation zwischen den Personen im medizinischen Bereich sowie zwischen Ärzten und anderen medizinischen Dienstleistern, Kostenträgern, Verwaltungen u. v. m. Jedes Gespräch ist aus diesen Gründen auch ein wenig anders: Es ist in erster Linie ein singuläres Ereignis, dessen Erfolg oder Misserfolg sich unmittelbar auf 9 Vgl. S ATOR / S PRANZ -F OGASY 2011: 376. 6 Einführung <?page no="22"?> die Beziehung zwischen Arzt und Patient auswirkt. Insofern ist das ärztliche Gespräch zwar eine therapeutisch wirksame Konstante in der medizinischen Therapie, sie ist aber alles andere als statisch. Medizinische Kommunikation folgt keinem festgelegten Algorithmus. Sie generiert sich in jedem Patientengespräch neu. Deswegen muss man die versteckten Besonderheiten in medizinischen Kommunikationssituationen sehr genau kennen, um immer wieder neu und möglichst erfolgreich kommunizieren zu können. Allein das Ziel ist immer gleich: Medizinische Kommunikation dient dem Wohl des Patienten. Medizinische Kommunikation ist also in erster Linie ein diffuser Begriff mit unscharfen Grenzen. Im medizinischen Bereich wirken sehr viele Umstände auf den Erfolg des Gesprächs ein und können ihn maßgeblich beeinflussen. Denn: Wenn Ärzte und Patienten in Kontakt treten, dann findet Kommunikation auf mannigfache Weise statt. Allein Ihr Auftreten als Arzt, das Ihrer Mitarbeiter oder die Einrichtung der Behandlungsräume wird von Ihren Patienten gedeutet. Kommunikation z. B. nur auf den Aspekt der Sprache zu beziehen, würde solchen Tatsachen nicht gerecht. Es gibt also in Wirklichkeit nicht die medizinische Kommunikation, aber es gibt unzählige Feinheiten, die das Arzt-Patienten-Gespräch (sowohl medizinisch als auch kommunikationstheoretisch) zu etwas ganz Besonderem machen. Und eben diese Feinheiten sind Thema der Medizinischen Kommunikation und des vorliegenden Buches. Natürlich folgt das Kommunizieren auch im medizinischen Bereich nicht gänzlich anderen Regeln als denen, die auch für Gespräche im Alltag gelten. Zwar sind sowohl die Folgen als auch die Umstände, wie wir gerade angerissen haben, ganz besonders. Aber allgemeine Gesprächsmaximen oder Kommunikationsmodelle greifen natürlich auch hier. Der Unterschied zu unserem alltäglichen Gesprächshandeln besteht darin, dass man als Mediziner diese Hintergründe nicht nur intuitiv anwenden, sondern kennen muss, damit man mit ihrer Hilfe reflektiert kommunizieren kann. Denn: Durch die hohe Gefahr des Scheiterns und durch die damit verbundenen medizinischen Folgen darf das Arzt-Patienten-Gespräch nicht unreflektiert ablaufen; es muss durch den Arzt gesteuert und kontrolliert sein. Das bedeutet nicht, dass er immer kommunikativ aktiv sein sollte. Ganz im Gegenteil: Manchmal muss er besser schweigen als reden. Aber er muss wissen wann und warum. Und er muss sich der Wirkung der kommunikativen Zeichen, die er aussendet, stets bewusst sein. Deswegen beginnt dieses Buch nach dieser kurzen Einführung damit, die Kommunikationsmodelle und -theorien aufzuzeigen, die von der Wissenschaft bis heute entwickelt worden sind. Dieser Abschnitt trägt den Titel ‚ Allgemeiner Teil ‘ , weil hier die Grundlagen menschlicher Kommunikation vermittelt werden, die sich auf Gespräche aller Art anwenden lassen. Vieles von dem, was Sie dort Medizinische Kommunikation - was ist das eigentlich? 7 <?page no="23"?> kennen lernen, steckt bereits in Ihrem alltäglichen sprachlichen und nichtsprachlichen Handeln. Viele Regeln befolgt jeder von uns intuitiv, ohne dass wir diese Regeln überhaupt kennen. Das ist normalerweise auch gar nicht nötig. Man könnte sich sogar fragen, ob man denn nicht auch ohne die Kenntnis solcher Regeln oder Modelle anständig kommunizieren kann. Die hohe Erfolgsquote alltäglicher Kommunikationserlebnisse legt diesen Schluss nahe. Nur selten stehen wir vor dem Problem, dass wir mit unseren Gesprächen scheitern. Und noch seltener kommt im Alltag für die meisten Menschen der Wunsch auf, in die nächste Buchhandlung zu laufen und ein Buch über Kommunikationsmodelle oder kommunikative Strategien zu kaufen. Das ist auch ganz normal: Kaum jemand kommt auf die Idee, sich intensiver mit etwas zu beschäftigen, was für ihn selbst ganz natürlich und unreflektiert abläuft. Das ist gut vergleichbar mit der Grammatik unserer Sprache. Wir alle bilden täglich hunderte Sätze, ohne ganz genau zu wissen, welchen grammatischen Regeln wir dabei folgen. Und selbst in der Schule hat uns das eher wenig interessiert. Aber dort, wo Grammatik wichtig ist (z. B. bei Autoren, Redakteuren oder Redenschreibern), müssen sich die Akteure ihrer eigenen Grammatik quasi auf der Meta-Ebene sehr wohl bewusst sein. Ansonsten können sie ihre sprachlichen Mittel nicht wirkungsvoll einsetzen. So wie die Reflexion über die Grammatik einer Sprache in vielen Berufen wichtig ist, ist die Reflexion über Kommunikation in Berufen wichtig, deren Profession das Kommunizieren ist. Für den Alltag mag also gelten, dass man die Grundregeln von Kommunikation nicht kennen muss. Für das professionelle Gespräch mit Patienten und Angehörigen - gerade weil es elementarer Bestandteil der Behandlung ist - gilt das aber nicht. Gerade in der Medizin ist das Wissen um diese Regeln besonders wichtig. Als Mediziner müssen Sie die Wirkung Ihrer eigenen kommunikativen Zeichen kennen, um sie bewusst und absichtsvoll einsetzen zu können. Und Sie müssen sich die kommunikativen Bedürfnisse Ihrer Patienten klar machen, um gemeinsame Lösungen zu finden und eine vertrauensvolle Basis aufbauen zu können. Missverständnisse im Gespräch oder unabsichtlich ausgesendete Zeichen können hier gravierendere Folgen haben als wenn Sie beispielsweise Ihren Postboten nicht richtig verstehen. . 8 Einführung <?page no="24"?> Exkurs: Von der Sprache der Heiler zur heilenden Sprache - In welcher Tradition steht die Medizinische Kommunikation eigentlich? Mit der Medizinischen Kommunikation verhält es sich so, wie mit dem Sprechen über andere Dinge auch: Sobald eine Sache in der Welt ist, wird darüber geredet. Das Verständigen über medizinische Sachverhalte ist also so alt wie die Medizin selbst. Schon A NTIPHON VON A THEN (480 - 411 v. Chr.) sprach davon, dass man „ Kranke durch Worte heilen “ könne. Medizinische Kommunikation hat also eine Jahrtausende alte Geschichte, auch wenn man von einer patientenzentrierten ärztlichen Gesprächsführung in unserem heutigen Sinn natürlich erst sehr viel später sprechen kann. Dass Ärzte sich bemühen, interaktiv mit ihren Patienten zu kommunizieren, dürfte eine Entwicklung des späteren 20. Jahrhunderts sein und sie ist gegenwärtig noch nicht abgeschlossen. Noch unsere Großeltern- und Elterngeneration ist dem Arzt eher ängstlich und respektvoll als aufgeklärt und interessiert entgegen getreten. Erst seit den 1980er Jahren zeigt sich eine kommunikative Öffnung der Ärzteschaft für die Belange ihrer Patienten. Nachweislich sind auch erst seit dieser Zeit Publikationen zur „ richtigen “ Arzt-Patienten-Kommunikation erschienen und erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts liegen zahlreiche empirische Untersuchungen dazu vor. Von Medizinischer Kommunikation, wie sie uns beispielsweise in diesem Buch beschäftigt, kann man erst seit wenigen Jahrzehnten sprechen - ein erstaunlicher Umstand, denn Ärzte und Patienten gibt es schon sehr viel länger. Dass Patienten ihre Ärzte nicht verstehen und dass Ärzte nicht wissen, wie sie sich klar und verständlich ausdrücken sollen, ist der Tradition der medizinischen Fachsprache geschuldet. Medizinische Sprache ist zunächst und in erster Linie eine reine Wissenschaftssprache und wird seit der Antike dazu verwendet, als ein elaborierter Kode unter Gelehrten gesprochen und verstanden zu werden. Dabei ist die medizinische Fachsprache tief verwurzelt in der lateinischen und griechischen Sprache der Antike und bereits für das 5. Jahrhundert v. Chr. sind zahlreiche der noch heute gebräuchlichen Fachbegriffe (z. B. Apoplex) nachweisbar. Schon zu dieser Zeit waren medizinische Bezeichnungen, auch wenn sie den damaligen Verkehrssprachen entstammten, nicht in den Alltagssprachen der Menschen verhaftet und wiesen Spezialbedeutungen auf. Dies lässt den Schluss zu, dass schon in der Antike von einer Verständigung zwischen den gelehrten Heilern und ihren Patienten kaum die Rede sein kann. In erster Linie diente die medizinische Sprache der Antike und der darauffolgenden Jahrhunderte nicht der Kommunikation, sondern der Überlieferung und Verbreitung medizinischen Wissens. Dabei ist das Lateinische, auch wenn es heute die medizinische Fachsprache beherrscht, keineswegs von jeher die Sprache der Medizin gewesen. Vielmehr wurde das medizinische Wissen der Antike zunächst über das Griechische (die damalige Wissenschafts- und Hochsprache, selbst in Rom) und das Arabische verbreitet und wurde erst im Mittelalter durch Übersetzungen in das Lateinische transportiert. Insbesondere die frühen Schriften der hippokratischen Medizin (der Wanderarzt H IPPOKRATES und seine Schüler haben bereits im 5. und Medizinische Kommunikation - was ist das eigentlich? 9 <?page no="25"?> 4. vorchristlichen Jahrhundert medizinisches Wissen verschriftlicht) und die von den antiken Griechen entwickelte Viersäftelehre (Humoralpathologie) wurden im 2. Jahrhundert durch den griechischen Arzt und Naturforscher G ALENOS VON P ERGAMON weiterentwickelt. Seine im Griechischen verfassten Schriften gelangten in den folgenden acht Jahrhunderten und nach dem Niedergang des römischen Imperiums von Rom aus in den arabischen Raum, wo das antike Wissen und der galenische Schriftenkanon stetig fortentwickelt wurden. Die antiken Überlieferungen gelangten zunächst über das Oströmische Reich und Byzanz in den islamischen Kulturkreis und verbreitete sich dort v. a. an den syrischen und persischen Medizinschulen. Besonders der persische Arzt und Universalgelehrte A VICENNA trug maßgeblich zu der Fortentwicklung des medizinischen Wissens und der medizinischen Terminologie bei, indem er griechische, römische und persische Traditionen in seinem Kanon der Medizin zusammentrug und damit eine wesentliche Erweiterung und Systematisierung des damals bekannten Wissens entwarf. A VICENNA ist vielen Menschen heute bekannt durch N OAH G ORDON s Der Medicus: Die Figur des I BN S INA verkörpert den persischen Gelehrten, der unter seinem latinisierten Namen A VICENNA berühmt wurde. Erst seit dem Mittelalter, in dem die lateinische Sprache als verbindliche Verkehrs- und Wissenschaftssprache Bedeutung erlangte, ist die medizinische Fachsprache von lateinischen Ausdrücken bestimmt. Auch das medizinische und naturwissenschaftliche Wissen der arabischen Welt wurde über das Lateinische im Abendland bekannt. So übersetzte man seit dem frühen Mittelalter viele verloren geglaubte medizinische Schriften der Antike aus dem Arabischen, die mit der Ausbreitung der arabischen Herrschaft in den Mittelmeerraum gelangt waren, ins Lateinische. Bedeutende Zentren waren die um 900 n. Chr. gegründeten Übersetzerschulen in Salerno (Unteritalien) sowie in Toledo (Südspanien). Heute finden sich allerdings neben lateinischen und griechischen Begriffen in der medizinischen Fachsprache nur noch wenige Spuren des Arabischen. In der Renaissance wurde die antike Tradition wiederbelebt und bis ins 19. Jahrhundert hinein war das Lateinische in der universitären Ausbildung von Ärzten die verbreitete Sprache, in der medizinisches Wissen gelehrt und erlangt wurde. An der Berliner und der Münchner Universität etwa wurden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die klinischen Vorlesungen noch in Latein abgehalten. Medizinische Dissertationen wurden in Deutschland bis zu dieser Zeit in latienischer Sprache verfasst. Medizinstudenten mussten in dieser wiederbelebten antiken Tradition ihre praktische Eignung als Ärzte durch das Übersetzen von Textpassagen aus den galenischen oder hippokratischen Schriften unter Beweis stellen - ein Segen für heutige Studenten, dass von dieser Tradition Abstand genommen wurde. Stattdessen geraten etwa seit der Mitte des 20. Jahrhunderts der Patient und dessen Wünsche vermehrt in den Blick der Medizin. Der Sprachgebrauch der praktischen Ärzte hat sich seither stärker an der Alltagssprache der Patienten zu orientieren. Dass die medizinische Fachsprache in ihrer langen Tradition noch heute Züge der einstigen 10 Einführung <?page no="26"?> Wissenschaftssprachen aufweist, ist dabei für die kommunikative Praxis ein Hindernis. Während Medizin in der Antike und im Mittelalter in erster Linie den Rang einer Wissenschaft innehatte, ist die Medizin heute eine Dienstleistungsbranche, in der es entscheidend auf wechselseitige Verständigung ankommt. Hinzu kommt, dass gegenwärtig das Englische internationale Wissenschaftssprache ist, was einen unmittelbaren Einfluss auf die Medizinische Kommunikation ausübt: Viele Begriffe in der Medizin entstammen heute dem Englischen (z. B. Stroke-Unit, Stent oder Shunt). Die Geschichte der Medizinischen Kommunikation ist noch nicht an ihrem Ende. In dem Maß, in dem die kurative Kraft des ärztlichen Gesprächs stärker erkannt und gefördert wird, steht auch zu erwarten, dass die medizinische Sprache den neuen Anforderungen genügen wird. Eine funktionale medizinische Sprache zum Zweck der gegenseitigen Verständigung von Arzt und Patient könnte die traditionelle Wissenschaftssprache ablösen bzw. bereichern. Die Bemühungen um eine verständlichere Kommunikation an den deutschen Hochschulen sind ein erster Schritt dorthin. 1.2 Kann man Kommunizieren lernen? - Medizinische Kommunikation in der ärztlichen Ausbildung Das Gesprächsverhalten von Ärzten in Deutschland steht seit einigen Jahren intensiv auf dem Prüfstand und ist Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen, sowohl in der Soziologie, der Linguistik und der Psychologie als auch in der Medizin selbst. Die Ergebnisse, die zahlreiche Studien bislang hervorgebracht haben, werfen ein eher düsteres Bild auf die kommunikative Kompetenz von Ärzten und anderen Vertretern medizinischer Berufe. Im Ergebnis einer Metastudie sprechen M ENZ et al. von insgesamt 549 Studien zum Gesprächsverhalten von Medizinerinnen und Medizinern im deutschsprachigen Raum. 10 Dabei sind verschiedene Gesprächssorten empirisch untersucht und z. T. erschreckende, quantitative Ergebnisse zutage gefördert worden, die ein dominantes und problematisches Gesprächsverhalten deutscher Ärztinnen und Ärzte belegten. 11 Natürlich wäre es nun aber unzulässig, alle Ärzte dabei über einen Kamm zu scheren. Wir haben weiter oben bereits festgestellt, dass es den Arzt oder die Ärztin ebenso wenig gibt wie den Patienten oder die Patientin. Es gibt auf beiden Seiten wahre Kommunikationsprofis und es gibt zahlreiche Ärzte, die in vorbildlicher Weise mit ihren Patienten sprechen, deren Wünsche und Ängste berücksichtigen und die großen Wert auf eine interaktive Gleichberechtigung 10 M ENZ et. al. 2008: 129 - 163. 11 Vgl. u. a. L ALOUSCHEK et al. 1990 sowie P ETERS 2008. Kann man Kommunizieren lernen? 11 <?page no="27"?> legen. Das paternalistische Modell, nach dem Ärzte ihren Patienten aufdiktieren, wie sie sich zu verhalten haben, hat bei vielen Medizinern längst ausgedient. 12 Dennoch gibt es eine zwingende Notwendigkeit in der universitären Ausbildung, den angehenden Medizinern anschaulich und praxisnah zu vermitteln, welche Grundzüge gelingende Kommunikation aufweisen muss. Es darf in der Medizin nicht dem Zufall oder der Empathie eines Menschen überlassen werden, wie gut er in der Lage ist, Gespräche zu führen, zu lenken und zu reflektieren. Das wäre in etwa so, als würde man das Geschick für operative Eingriffe davon abhängig machen, wie gern und intensiv jemand in der Freizeit „ heimwerkelt “ . Kommunikationsstärke ist ebenso wie operatives Geschick lern- und trainierbar. Sowohl das eine als auch das andere muss Bestandteil der universitären Lehre sein bzw. werden. Die kommunikative Fähigkeit als integraler Bestandteil ärztlichen Handelns ist keine selbstverständliche Grundkompetenz, sondern sie muss „ ebenso wie andere professionelle klinische Kompetenzen erst angeeignet werden “ 13 . Viele Jahrzehnte standen technische Fähigkeiten im Medizinstudium und in der medizinischen Weiterbildung im Fokus und sie unterlagen einer guten und ständigen Qualitätskontrolle. 14 Dass das auch so bleibt, ist mehr als sinnvoll. Schließlich üben Ärzte ihre Tätigkeiten an Menschen aus - sei es eine Herzoperation, eine Magenspiegelung oder das Ziehen eines Zahns. Umso erstaunlicher ist es, dass das ärztliche Kommunikationsverhalten (das weit mehr als nur das Sprechen umfasst) eher selten überprüft wurde und bis heute ein eher stiefkindliches Dasein im Kanon der medizinischen Fächer fristet. Es ist deswegen so erstaunlich, weil - wie wir weiter oben gesehen haben - Kommunikation nicht nur eine der vielen Säulen der ärztlichen Behandlung bildet, sondern in erster Linie eine medizinische Handlung darstellt. So wie Blutdruck messen, Wunden säubern und verbinden oder einen Herzinfarkt behandeln ärztliche Maßnahmen sind, die den Krankheitsverlauf beeinflussen, ist auch das Gespräch therapeutisch wirksam. So wie ein falscher Schnitt bei einer Operation schwerwiegende Folgen für die Gesundheit eines Menschen haben kann, so kann ein falsches Wort oder eine unüberlegte Geste negative Folgen haben. Man könnte sagen: Das Wort eines Arztes ist ein ebenso gutes und wichtiges Instrument wie sein Skalpell oder sein Stethoskop. Deswegen muss die Ausbildung an den Hochschulen dazu beitragen, dass kommunikative Kompetenzen ebenso geschult werden wie rein fachpraktische ärztliche Fähigkeiten und Kenntnisse. Man könnte sogar fordern, dass die kommunikative Kompetenz 12 Vgl. dazu Kapitel 7. 13 S ATOR / S PRANZ -F OGASY 2011: 391. 14 Vgl. M ENZ 1991. 12 Einführung <?page no="28"?> zusammen mit der nicht unwesentlichen Organisationskompetenz (z. B. Zeit- oder Praxismanagement) Teil der ärztlichen Kompetenz sein sollte. Bezogen auf die Kommunikationskompetenz angehender Ärzte gilt: Eine gute, d. h. patientenzentrierte Kommunikation ist in der ärztlichen Praxis sowohl notwendig als auch in vielen Fällen hinreichend für den Heilungserfolg. Mit Blick auf die medizinische Ausbildung heißt das: Der Schulung kommunikativer Fähigkeiten muss weit mehr Raum gegeben werden, als das bislang der Fall gewesen ist. Ich möchte damit nicht sagen, dass Kommunizieren ebenso umfangreich geschult werden muss, wie andere ärztliche Fertigkeiten. Ich möchte aber dafür plädieren, dass Kommunizieren ebenso gut und valide geschult werden kann - und dass eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung in diesem Fach sowohl notwendig als auch äußerst sinnvoll ist. Eine defizitäre Ausbildung im Hinblick auf kommunikative Fähigkeiten wird nicht nur von Kritikern des Systems, sondern auch von den Studierenden selbst beklagt. 15 So hat sich gezeigt, dass von Seiten der Medizinstudenten das Interesse zu Beginn des Studiums an der psychosozialen Situation der Patienten enorm groß ist. Mit zunehmender Studiendauer sinkt dieses Interesse, was mit einem ansteigenden Verlust an kommunikativer und psychosozialer Kompetenz zugunsten rein biologischen bzw. medizinisch-fachlichen Wissens einhergeht. 16 Wissenschaftliche Objektivität steht im Zentrum der akademischen Ausbildung, die damit somatisch-, fakten- und leistungsorientiert daher kommt. Damit verbunden ist auch die gegenwärtig noch praktizierte Unterrichtssituation, die vorwiegend aus patientenfernem Frontalunterricht besteht und die theoretisch überfrachtet das medizinische Wissen unzusammenhängend in Fächern vermittelt. Dies erfordert auf Seiten der Universitäten und der Ministerien ein grundlegend neues Verständnis von Medizinischer Kommunikation im Fächerkanon der medizinischen Lehre. Aus der folgenden logischen Kausalkette ergibt sich die dringende Notwendigkeit, einen eigenen Ausbildungsbereich Medizinische Kommunikation in die medizinische Lehre als festen und unverzichtbaren Bestandteil des Medizinstudiums zu integrieren - und zwar interdisziplinär und kontinuierlich bis zum Examen: 1. Kommunikation ist ein Prozess der menschlichen Interaktion. 2. Der klinische Zugang zu Patienten wird v. a. kommunikativ vermittelt. 15 Vgl. A NDREAS et al. 2001. 16 Ärzte-Zeitung vom 30. 05. 2001: Studium: Patientengespräche immer unwichtiger. . Kann man Kommunizieren lernen? 13 <?page no="29"?> 3. Im medizinischen Bereich wird Kommunikation daher zielgerichtet eingesetzt. 4. Zielgerichtete Kommunikation ist nicht intuitiv. 5. Zielgerichtete Kommunikation, die nicht intuitiv ist, ist professionelle Kommunikation. 6. Professionelle Kommunikation erfordert Fachwissen. 7. Fachwissen muss wissenschaftlich fundiert sein und darf nicht auf Introspektion o. Ä. basieren. 8. Wissenschaftlich fundiertes Fachwissen erfordert eine fachdidaktische Vermittlung. 9. Fachdidaktische Vermittlung findet im universitären oder schulischen Bereich in Fächern und Kursen statt. 10. Medizinische Kommunikation ist ein Unterrichtsfach im Kanon medizinischer Fächer. 11. Medizinische Kommunikation muss von Fachwissenschaftlern unterrichtet werden. Kommunikation ist also kein intuitiver Prozess mehr, wenn er mit dem Ziel der medizinischen Wirksamkeit betrieben wird. Medizinische Kommunikation ist hochgradig professionelle Kommunikation, so dass sich daraus die Notwendigkeit eines eigenen Fachs im Kanon der medizinischen Fächer ergibt. Dabei muss dieses Fach interdisziplinär verwurzelt und mit den eher technischen oder biologischen Fächern dicht verwoben sein. Hier aber liegt der Hase im Pfeffer: Alle bisherigen Versuche, medizinische Kommunikationstechniken und -prinzipien in der universitären Ausbildung zu verankern, sind daran gescheitert, dass es in der Medizin wenig befriedigende Modelle zur Arzt-Patienten-Kommunikation gibt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass das medizinische Gespräch ganz häufig auf Improvisation beruht, die notwendig ist, um den Gesprächsraum für Patienten und Ärzte gleichermaßen offen zu halten. Dieser Umstand führt dazu, dass Algorithmen, wie sie in der Medizin sehr häufig üblich sind, für die Medizinische Kommunikation kaum sinnvoll zu entwickeln sind. Das ist auch der Grund, warum es zwar einige Ratgeber zu diesem Thema gibt, warum diese aber kaum hilfreich sein können: Es gibt keine immer gültige und auf jede Situation passende Checkliste für ein gutes Gespräch zwischen Arzt und Patient. Was es vielmehr gibt, sind grundlegende Kommunikationsprinzipien, deren Kenntnis das Improvisieren steuern und lenken kann. Deswegen liegt das Hauptaugenmerk dieser Einführung nicht auf simplen Tipps und Tricks, sondern auf eben solchen wissenschaftlich fundierten Grundlagen. Die universitäre Ausbildung angehender Mediziner 14 Einführung <?page no="30"?> sollte ebenfalls den Fokus auf kommunikationswissenschaftliche Modelle legen, denn sie sind die Basis für das ärztliche Gesprächshandeln. Oder kurz: Man muss erst einmal verstanden haben, was Sprache und Kommunikation überhaupt sind, um sich Gedanken über das richtige Kommunizieren machen zu können. Wenn sich also die Universitäten ihrer Rolle bewusst werden und die Notwendigkeit einer intensiveren Schulung von Medizinstudenten in diesem Bereich erkennen, sollten sie die Medizinische Kommunikation zu einer Fachwissenschaft erheben, in der sowohl Mediziner als auch Sprach- oder Kommunikationswissenschaftler gemeinsam Modelle entwickeln, die das kommunikative Verhalten von Ärzten verbessern können. Um die Situation in der ärztlichen Gesprächsführung nachhaltig zu verbessern, gewinnt das Thema Medizinische Kommunikation in der universitären Ausbildung angehender Ärzte in der Tat zunehmend an Gewichtung: Die Approbationsordnung für Mediziner (ÄAppO) sieht seit 2012 eine Prüfung im Fach Ärztliche Gesprächsführung verbindlich vor. Viele Universitäten entwickeln daher gegenwärtig Modellcurricula mit den entsprechenden Prüfungsinhalten (unter der Schirmherrschaft des Bundesgesundheitsministeriums) und tragen damit der außeruniversitären Notwendigkeit der Kenntnis kommunikativer Grundprinzipien in Kliniken und Arztpraxen Rechnung. In der Realität sieht es gegenwärtig so aus, dass einige Universitäten in Modellstudiengängen bereits begonnen haben, mit Hilfe von Simulationspatienten die Medizinische Kommunikation stärker zu schulen. Damit tragen die Fakultäten der außeruniversitären Wirklichkeit in den Kliniken und Praxen ein Stückweit Rechnung. Die Universität Witten/ Herdecke etwa hat bereits vor einiger Zeit neue, sogenannte Integrierte Curricula für den Studiengang Humanmedizin entwickelt, die sich aus den Teilbereichen Kommunikation, Wissenschaft, Ethik und Gesundheitsökonomie zusammensetzen und das Ziel verfolgen, eine umfassende, d. h. ganzheitliche Ausbildung zu ermöglichen. Im Zentrum steht dabei der Arzt als lernfähige Arztpersönlichkeit, der sich im ganzen Spektrum ärztlicher Kompetenzen orientieren kann. Sowohl die Geschichte der „ sprechenden Medizin “ als auch die anamnestische, diagnostische und informative Gesprächsführung sowie die professionelle Kommunikation unter ungünstigen Bedingungen sind Themen des Kompetenzfeldes Kommunikation innerhalb der Curricula. 17 Eine dicht verwobene Lehre, die verschiedene Kompetenzbereiche und Ausbildungsziele problemorientiert nebeneinander stellt und dabei der Kommunikation einen eigenen Raum zuweist, ist im Hinblick auf die Bedeutung Medizinischer Kommunikation 17 M ITZKAT et al. 2006: 2. Kann man Kommunizieren lernen? 15 <?page no="31"?> nachgerade vorbildlich und in der universitären Lehre modellhaft. Das gilt insbesondere dann, wenn das Fach Kommunikation an die (vor-)klinische Ausbildung gekoppelt ist und die Erfahrungen der Medizinstudenten im realen Versorgungskontext themenspezifisch reflektiert. Neben der Universität Witten/ Herdecke haben bereits zahlreiche Universitäten in Deutschland den Studienbereich „ Kommunikation in der Medizin “ unter verschiedenen Bezeichnungen etabliert, doch was in den meisten Fällen fehlt, ist ein tragfähiges Konzept, das interdisziplinär die medizinische Lehre mit der Sprachwissenschaft, der Psychologie und der Soziologie verknüpft. Bislang ist zwar die Notwendigkeit nach einer Reform der Lehre in diesem Bereich erkannt worden, es hapert aber an der Umsetzung, weil die medizinischen Fakultäten diesen Ausbildungsbereich nicht aus der Hand geben wollen. Dieses Studienbuch möchte auch einen Beitrag dazu leisten, die Leistungsfähigkeit linguistischer Theorien und Modelle für die medizinische Ausbildung aufzuzeigen und damit Brücken zu bauen zwischen den Geistes- und den Naturwissenschaften. Dass das dringend nötig ist, wird angesichts der defizitären kommunikativen Kompetenz vieler (angehender) Ärzte kaum jemand bestreiten. Aber: Nur mithilfe von instruierten Simulationspatienten allein wird kaum eine Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten zu erreichen sein. Vielmehr muss dieser integrierte Fachbereich Medizinische Kommunikation auf einem festen Fundament stehen und dieses Fundament wird nicht von Medizinern, sondern in erster Linie von Sprach- und Kommunikationswissenschaftlern zu gießen sein. Wenn die Basis für die Schulung kommunikativer Fähigkeiten Erfahrungswissen sein soll, das man dann der Beurteilung von konkreten Kommunikationssituationen zugrunde legt, dann fehlt der Ausbildung die wichtigste Säule: Die Vermittlung von (sprach)wissenschaftlichen Grundlagen menschlicher Kommunikation. Die Reflexion komplexer Kommunikationsstrukturen im Medizinstudium ist ohne die Kenntnis grundlegender Kommunikationsprinzipien nicht möglich. Das Fach Medizinische Kommunikation darf sich daher nicht allein auf Erfahrungswissen, Introspektion und Empirie stützen. Was für die universitäre Ausbildung angehender Ärztinnen und Ärzte im Speziellen gilt, hat seine Berechtigung natürlich auch im Allgemeinen. Jede Form der Interaktion zwischen kranken Menschen oder deren Angehörigen mit medizinischen Profis muss den zuvor entwickelten Anforderungen genügen. Daher erstreckt sich die Forderung nach einer umfassenderen Schulung kommunikativer Kompetenzen gleichermaßen auf medizinische Assistenzberufe. . 16 Einführung <?page no="32"?> Überall dort, wo Patienten mit der Welt der Medizin in Berührung kommt, findet Medizinische Kommunikation statt und überall dort sollten diejenigen, deren vermeintlich eigentliche Profession die Medizin ist, die Kommunikation ebenfalls zu ihrer Profession machen. Besonders in der außeruniversitären Schulung ist das Ausbildungsfach Kommunikation ein Desiderat, das dringend - analog zum Medizinstudium - erfüllt werden muss. Auch hierzu braucht es in erster Linie ein Verständnis und Bewusstsein der Ärzteschaft für die Notwendigkeit dieser Kompetenz in allen Bereichen medizinischen Handelns, damit auch auf die Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen der medizinischen Hilfsberufe künftig stärker Einfluss genommen wird. Bei aller Mühe um eine patientenzentrierte Gesprächsausbildung in den Berufen des Gesundheitswesens darf ein Aspekt nicht vergessen werden: es ist der Faktor Mensch. Die meisten Probleme, die sich in der Arzt-Patienten- Interaktion ergeben, sind menschliche Fehlleistungen von Ärzten. Geht man diesen nach, stellt sich i. d. R. heraus, dass unangemessenes ärztliches Verhalten in grundlegenden Dispositionen der Arztpersönlichkeit angelegt ist. Der Grundirrtum der universitären Lehre ist es, zu meinen, solche Mängel beheben zu können. Doch auf diesem Gebiet versagen sowohl die medizinische Lehre als auch jegliches Bemühen um mehr Gesprächskompetenz. Es handelt sich dabei nämlich überhaupt nicht um wissenschaftliche Fragen, sondern vielmehr um Fragen der Gesittetheit, des Taktes, der einfachen Höflichkeit und der Empathiefähigkeit im zwischenmenschlichen Umgang. Ein Mangel in diesem Bereich ist leider nicht zu beheben; menschliche Defizite in Einstellungen und Verhalten können durch kein Studium behoben werden. Die humane Kompetenz, die Voraussetzung zum bewussten Einsatz und zur zielgerichteten Verbesserung auch der kommunikativen Kompetenz ist, lernt man entweder im Leben - oder überhaupt nicht. Auch unter diesem Aspekt sind Mängel in der Arzt-Patienten-Kommunikation zu begreifen und wir erkennen darin zugleich die Grenzen der Medizinischen Kommunikation als Lernbereich in der ärztlichen Ausbildung. 1.3 Medizinische Kommunikation in der modernen Kommunikations- und Sprachwissenschaft Medizinische Kommunikation als anwendungsbezogener Teilbereich der Linguistik rückt besonders in den letzten Jahren vermehrt (und wieder) in den Fokus sprachwissenschaftlicher Diskussion. Fragestellungen der kommunikativ „ richtigen “ und insbesondere einer zielführenden Arzt-Patienten-Kommuni- Medizinische Kommunikation 17 <?page no="33"?> kation werden vermehrt auch außerhalb der medizinischen und medizinnahen Disziplinen diskutiert. So fand die 16. Arbeitstagung zur Gesprächsforschung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) im Jahr 2012 unter dem Rahmenthema „ Medizinische Kommunikation “ statt. Es steht mittlerweile innerhalb der Disziplin außer Frage, dass die „ [m]edizinische Kommunikation ein bedeutsames Thema der angewandten Linguistik und Gesprächsforschung “ 18 darstellt. Im Rahmen der IDS-Arbeitstagung deutscher Linguisten wurde außerdem festgestellt, dass sich „ professionelles medizinisches Handeln als in weiten Teilen kommunikativ organisiert, vielfach klar strukturiert und meist pointiert handlungsbezogen und zielorientiert “ 19 erweist. Im Bereich der Linguistik kann die Arzt-Patient-Kommunikationsforschung insgesamt bereits auf eine relativ lange Forschungstradition zurückblicken. Den theoretischen Rahmen bilden in der angewandten Linguistik vor allem die Theorie des sprachlichen Handelns mit Konzepten der Sprechakttheorie und der Konversationsanalyse sowie die Soziolinguistik, die nachgewiesen hat, dass soziologische Variablen wie Schichtzugehörigkeit, Geschlecht, Alter, Ausbildung und psychologische Variablen wie Erfahrung und Routine bei der Textproduktion eine wichtige Rolle spielen und auch bei der Analyse von sprachlichen Daten nicht vernachlässigt werden dürfen. Beide Richtungen beschäftigen sich zunehmend mehr mit Kommunikation in Institutionen. Aufgrund der Entwicklung in der Diskursanalyse hat die Linguistik einige wertvolle methodische Grundlagen für Gesprächsanalysen geschaffen. Dabei zeigt sich aber: Der Fokus liegt vornehmlich auf Gesprächen, was dem tatsächlichen kommunikativen Handeln in der Medizin bei Weitem nicht gerecht wird. Es ist ein Irrtum der Fachdisziplin, dass sie extrasprachliche Aspekte i. d. R. außen vor lässt, der sich aber mit einem Blick auf das methodische Vorgehen innerhalb der Linguistik und auf das Selbstverständnis des Faches erklären lässt. So befasste sich die Linguistik zunächst mit medizinischen Themen im Zusammenhang mit der Fachsprachenforschung. In dieser Tradition wurden zunächst Fachausdrücke semantisch analysiert, später Satzkonstruktionen und auf breiter Front Fachtexte (z. B. Beipackzettel). Die Germanistische Sprachwissenschaft beschäftigt sich mit Problemen der Medizinischen Kommunikation seit den 1970er Jahren in erster Linie unter dem Aspekt der linguistischen Gesprächsforschung und bedient sich dabei u. a. Methoden der Diskursanalyse. 20 Linguisten gehen also her und nehmen 18 Ankündigung des IDS zur 16. Arbeitstagung zur Gesprächsforschung, 21. - 23. März 2012 in Mannheim. 19 ebd. 20 Vgl. zur linguistisch-gesprächsanalytischen Forschung den Überblick bei L ÖNING 2001. 18 Einführung <?page no="34"?> konkrete Sprechsituationen unter die Lupe, um sie mit ihren Mitteln analysieren zu können. Zu diesem Zweck werden Gespräche meistens aufgezeichnet und dann in Text übertragen - ein Vorgang, den man Transkription nennt. So können Sprachwissenschaftler z. B. erforschen, wie bestimmte rhetorische Muster oder Stilmittel den Gesprächsverlauf beeinflussen können. Dazu ein Beispiel: Wenn ein Arzt sagt Sind Sie denn nicht auch der Meinung, dass der Eingriff sinnvoll ist? dann handelt es sich der Form nach um eine Frage, die er seinem Patienten stellt. In Wahrheit aber - und das zeigt eine Analyse der Satzstruktur - handelt es sich um eine rhetorische Frage, die eigentlich die lenkende Aussage Der Eingriff ist sinnvoll! enthält. Sprachwissenschaftler können die Rhetorizität der Frage anhand von bestimmten Merkmalen klar identifizieren (in diesem Fall ist das nicht in der Frage als sogenannte Negationspartikel ein rhetorizitätserzeugendes Merkmal). Man könnte sich nun als Linguist weiter ansehen, wie durch die rhetorische Frage in diesem konkreten Fall die Lenkung des weiteren Gesprächs abläuft und könnte dann eine mehr oder weniger valide Aussage zur gesprächsstrukturierenden Funktion rhetorischer Fragen in ärztlichen Beratungsgesprächen im Allgemeinen ableiten. Oder man untersucht als Sprachwissenschaftler sogenannte Idiolekte, das sind Sprachverhalten, Wortschatz, Ausdrucksweise und Aussprache von individuellen Sprechern. Dabei zeigt sich häufig, dass das Verstehen sprachlicher Ausdrücke u. a. an die Bildung eines Sprechers gekoppelt ist. Wenn man als Arzt beispielsweise von einem positiven Befund spricht, kann es sein, dass ein wenig gebildeter Patient die besondere Bedeutung von positiv im Zusammenhang mit Befunden nicht kennt und nicht versteht, dass ein positiver Befund (z. B. bei der Krebsuntersuchung) nicht positiv, sondern für ihn selbst äußerst negativ ist. Die Erkenntnisse solcher linguistischer Analysen sind für den Bereich der medizinischen Kommunikation äußerst wichtig, weil sich aus ihnen sehr leicht anwendungsbezogene Handlungsempfehlungen ableiten lassen. Leider sind sie aber nur selten einfach zu lesen und sie abstrahieren oftmals sehr stark. Aus diesem Grund sind sprachwissenschaftliche Untersuchungen zu Arzt-Patienten- Gesprächen für Mediziner selbst kaum greifbar; sie sind zu sehr in der geisteswissenschaftlichen Tradition der Deskription verhaftet und verlassen damit nur selten ihre fachwissenschaftliche Sphäre. Oder anders: Medizinische Kommunikation wird von Seiten der Linguistik oft bis an den Rand des Erträglichen theoretisiert, ohne dass sich daraus fruchtbares Wissen für die Medizin selbst schöpfen ließe. Warum das so ist, ist leicht erklärt: So wie die Medizin erst langsam erkennt, dass kommunikatives Handeln auch medizinisches Handeln bedeutet, erkennt die Sprachwissenschaft bislang nicht, dass die Analyse von kommunikativem Medizinische Kommunikation 19 <?page no="35"?> Handeln im medizinischen Kontext nicht der Linguistik, sondern der Medizin nützen muss. Es ist kein reiner Selbstzweck der Sprachwissenschaft, medizinische Diskurse zu erforschen und z. B. den Stellenwert von Metaphern (Ihr Mann hat uns leider verlassen statt Ihr Mann ist gestorben) in ärztlichen Gesprächen zu untersuchen. Vielmehr muss die Sprachwissenschaft, wenn sie die Medizinische Kommunikation ernsthaft als einen Teilbereich der angewandten Linguistik begreift, mit den von ihr vorgebrachten Daten in einen Austausch mit der Medizin als Naturwissenschaft treten und die Daten praxisbezogen und patientenzentriert aufarbeiten. Das geschieht bislang noch zu wenig. Kein Arzt oder Medizinstudent liest sich durch hunderte Seiten Transkriptionen von Arzt-Patienten-Gesprächen und belastet sich mit linguistischen Fachbegriffen, um daraus - über einen Umweg quasi - Wissen und Können für sein eigenes kommunikatives Handeln abzuleiten. Hier muss die Sprachwissenschaft weit tiefer von ihrer hohen Abstraktionsebene heruntersteigen und ihre Befunde klarer formulieren. Um es klar zu sagen: Im Gegensatz zu anderen Diskursen ist das medizinische Gespräch zugleich eine medizinische Handlung. Das schreibt ihm einen Sonderstatus zu, so dass man medizinische Diskurse methodisch und funktional nicht genauso untersuchen kann wie etwa politische Reden oder Diskurse in Talkshows. Vorrangiges Ziel sprachwissenschaftlicher Forschung, die sich mit Medizinischer Kommunikation beschäftigt, ist gegenwärtig in erster Linie die Herausstellung bestimmter Interaktionstypen und -muster und die linguistische Analyse von Interaktionsprozessen. Dabei lassen sich für die Praxis bisweilen anwendungsbezogene Richtlinien zur Gesprächsführung ableiten. Es ist aber gleichwohl festzustellen, dass die linguistische Analyse kaum dazu beitragen kann, angehenden Medizinern ein Rüstzeug an die Hand zu geben, das auf der Folie sprachwissenschaftlicher Forschung und kommunikationstheoretischer Erkenntnis die Besonderheiten medizinischer Kommunikation in den Blick nimmt. Aus diesem Grund taugen die vielen - sprachwissenschaftlich hervorragend geschriebenen - Bücher aus den Federn von Linguisten für die ärztliche Praxis und für die universitäre Ausbildung nicht viel. Dasselbe lässt sich auch für die Vielzahl medizinischer Fachbücher zu diesem Thema sagen, die eher als Ratgeber zu bezeichnen sind. Solche Bücher geben bisweilen für das ärztliche Gespräch klare Abfrageschemata vor und verkennen dabei z. B., dass Fragehandlungen bisweilen von der Satzart Frage isoliert sein können. So ist - wie wir gesehen haben - eine rhetorische Frage etwa nur der Form nach eine Frage, ohne dass durch ihre Äußerung der kommunikative Akt des Fragens vollzogen würde. Zudem sind die wissenschaftlichen Zusammen- 20 Einführung <?page no="36"?> hänge in diesen Ratgebern oftmals zu stark verkürzt dargestellt. Das kann aber auch niemanden wundern, wenn deren Autoren auf ein oder zwei Seiten beispielsweise sowohl alle möglichen Fragearten als auch das Thema verbale und nonverbale Kommunikation behandeln möchten. Ohne eine sprach- oder kommunikationswissenschaftliche Fundierung sind solche Bücher reine Augenwischerei. Die Linguistik als Wissenschaftsdisziplin kann und muss es zukünftig leisten, im Schulterschluss mit der Medizin valide Unterrichtskonzepte für angehende Ärzte zu entwickeln, die sowohl den medizinischen als auch den kommunikativen Anforderungen an eine moderne Behandlung genügen und die damit zu einer wesentlichen Verbesserung der medizinischen Ausbildung beitragen. Daraus ergibt sich die dringende Forderung an die Sprachwissenschaft, sich von ihren methodischen Handfesseln zu lösen und Hand in Hand mit Medizinern Konzepte für eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation zu entwickeln; Konzepte, die um den Ballast alles Theoretischen befreit als praxisnahe Ausbildungsmodelle taugen können. Die Sprachwissenschaft muss es leisten können, auf der einen Seite die Grundlagen menschlicher Sprache und Kommunikation wissenschaftlich fundiert zu präsentieren und andererseits diese Grundlagen für Mediziner auf das Wesentliche zu reduzieren. Nur dann können Mediziner an dem Wissen der Sprachwissenschaft sinnvoll partizipieren. Dabei muss die Sprachwissenschaft das Rad gar nicht neu erfinden. Ganz im Gegenteil: Die Medizinische Kommunikation - wie es derzeit der Fall ist - nur im Licht komplexer systemtheoretischer Überlegungen und diskursanalytischer Forschungen zu betrachten, schränkt die Linguistik in ihren Möglichkeiten stark ein und wird dem Phänomen selbst nicht gerecht. Vielmehr muss die Sprachwissenschaft es künftig zuvorderst leisten, bereits bekanntes Grundlagenwissen zu menschlichem Kommunikationsverhalten praxisnah, anschaulich und zweckgerichtet an die Anforderungen in der Medizin anzupassen und mit dieser Zielsetzung der medizinischen Ausbildung wissenschaftlich fundierte Impulse zu geben. Gerade weil im medizinischen Bereich kommunikatives Handeln mit medizinischem Handeln gleichzusetzen ist, ist es zwingend notwendig, angehenden Medizinern zu vermitteln, welche Grundprinzipien menschlicher Kommunikation existieren und wie sprachliches Handeln sich an eben diesen Grundprinzipien ausrichtet. Die Kenntnis solcher Grundlagen ist insofern von entscheidender Bedeutung, als dass das ärztliche Handeln zu einem Großteil . Medizinische Kommunikation 21 <?page no="37"?> aus kommunikativen Akten besteht. Um solche Akte zu verstehen und daraus Maximen für das eigene kommunikative Handeln abzuleiten, braucht man Grundlagenwissen und nicht etwa theoretisch überfrachtete semantische oder syntaktische Analysen realer oder fiktionaler Gesprächssituationen. Das vorliegende Buch hat sich zum Ziel gesetzt, die linguistischen Erkenntnisse zur Medizinischen Kommunikation von ihrer theoretischen und methodischen Last zu befreien und so zu präsentieren, dass sie für die praktische Anwendung taugen. Ich würde mir wünschen, dass die Sprachwissenschaft erkennt, dass die Medizinische Kommunikation nur so eine Daseinsberechtigung als eigenständiger Bereich der angewandten Linguistik erlangt. Angewandtes theoretisches Wissen im Bereich Medizinische Kommunikation muss sich in medizinisches Handeln überführen lassen. Ansonsten scheitert die Linguistik an ihrer eigenen methodischen Verhaftung und bleibt gefangen im starren Käfig der geisteswissenschaftlichen Praxisferne. 1.4 Kapitelzusammenfassung In dieser Hinführung zum Thema haben wir den Problembereich Medizinische Kommunikation erstmals eingegrenzt und aus verschiedenen Richtungen beleuchtet. Es stand die Frage im Raum, wie sich das Phänomen der Medizinischen Kommunikation im Spannungsfeld zwischen Medizin, Sprachwissenschaft, Soziologie und anderen verwandten Fächern verorten lässt und welche Forderungen sich daraus sowohl für die Wissenschaften als auch für die akademische Lehre ergeben. Im Wesentlichen lassen sich folgende Befunde aus den bisherigen Überlegungen ableiten: þ Medizinische Kommunikation findet in einem Spannungsfeld zwischen der Lebenswelt der Patienten und der professionell-wissenschaftlich orientierten Welt der Medizin statt. þ Medizinische Kommunikation ist keine einheitliche Kommunikationsform, sondern als Teil ärztlichen Handelns eine heterogene Erscheinung. þ Kommunikatives Handeln ist in der Medizin zugleich medizinisches Handeln; Medizinische Kommunikation ist medizinisch wirksam. þ Sowohl der Heilungserfolg als auch die Compliance/ Adhärenz werden durch medizinische Kommunikation maßgeblich beeinflusst. þ Neben der somatischen Befunderhebung ist die Medizinische Kommunikation das wichtigste diagnostische Mittel in der ärztlichen Praxis. . 22 Einführung <?page no="38"?> þ In der ärztlichen Gesprächsausbildung ist ein eklatanter Mangel an zielführenden und auf validen kommunikationstheoretischen Befunden basierenden Konzepten und Strategien zu beklagen. þ Medizinische Kommunikation fristet gegenwärtig ein Schattendasein hinter der technisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten akademischen Lehre. þ Im Kanon medizinischer Fächer bedarf es eines eigenen Lehr- und Forschungsbereichs zu ärztlicher Gesprächsführung. þ Medizinische Kommunikation ist lern- und trainierbar und darf sich in der akademischen Lehre nicht allein auf Erfahrungswissen und Tradition begründen. þ Aufgrund der Komplexität medizinischer Kommunikation bedarf es einer interdisziplinären Verflechtung von Medizin, Linguistik, Kommunikationswissenschaft, Sozialwissenschaft und Psychologie in der medizinischen Lehre. þ Medizinische Kommunikation wird in der Linguistik in erster Linie unter soziolinguistischen, gesprächsanalytischen bzw. diskursanalytischen Gesichtspunkten betrachtet. þ Die Linguistik als Fachwissenschaft muss sich stärker von ihrer praxisfernen, methodischen Verhaftung lösen und anwendungsbezogenes Wissen vermitteln. Übungsfragen und -aufgaben zu diesem Kapitel 1. Erklären Sie, in welchem Zusammenhang Medizinische Kommunikation mit medizinischem Handeln zu sehen ist und begründen Sie Ihre Erklärung! 2. Was verstehen Sie unter einer gelungenen Gesprächsführung im ärztlichen Gespräch? Was ist dafür nötig? 3. Skizzieren Sie kurz die Geschichte der medizinischen Kommunikation! In welcher Tradition steht die Sprache der Medizin? 4. Welche anderen Wissenschaften sind in den Prozess der medizinischen Kommunikation verwoben? Erläutern Sie stichpunktartig die Rollen, die diese Nachbarwissenschaften in diesem Prozess spielen! 5. Welche Forderungen stellen Patienten an die Gesprächskompetenz ihres Arztes? Welchen Stellenwert hat ein gutes Arzt-Patienten-Gespräch aus Sicht des Patienten? 6. Erklären Sie, warum kommunikatives Handeln in der universitären Medizinerausbildung vermittelt werden sollte! Woran hapert es dabei momentan? 7. Welche Forderungen muss man in diesem Zusammenhang an die Sprachwissenschaft stellen - und warum? Kapitelzusammenfassung 23 <?page no="39"?> Weiterführende Literatur zu diesem Kapitel Funktionen, Anforderungen und Optimierungsmöglichkeiten der Medizinischen Kommunikation lassen sich in M ENZ et al. 2008: 6 - 20 vertiefend nachlesen. Grundfragen zur Arzt-Patienten-Interaktion aus soziologischer Sicht, die in dieser Einführung leider nur angerissen werden können, werden bei B EGENAU et al. 2010: 7 - 34 ausführlich besprochen. Hier lohnt sich eine intensivere Beschäftigung. Das Thema Medizinische Kommunikation im Medizinstudium findet sich anschaulich und praxisnah beleuchtet bei Q UASEBARTH 1997. Die Darstellung ist zwar schon etwas älter, basiert aber auf Erfahrungswissen. Sie zeigt insbesondere die noch heute nachweisbaren Widersprüche zwischen theoretischem kommunikativen Wissen und praktischem Handeln in der Ausbildung (z. B. Lernanamnesen) auf und ist daher für das Verständnis noch immer sehr fruchtbar (zu Lernanamnesen vgl. auch M ENZ 1993). Eine gesprächsanalytisches Trainingskonzept für den ambulanten Bereich entwerfen M ENZ et al. 2008. Bei L ALOUSCHEK 2004 findet sich ein Konzept zum Selbst-Coaching für Klinikärzte. Aus linguistischer Sicht empfiehlt sich zur Einführung die Lektüre von S ATOR / S PRANZ - F OGASY 2011. Dort werden die sprachwissenschaftlichen Besonderheiten medizinischer Kommunikation kompakt beleuchtet. Einen umfassenden Überblick über die linguistische Forschungslandschaft bieten z. B. L ÖNING 2001 oder N OWAK 2010. Sollten Sie sich intensiver mit den gesprächslinguistischen Arbeitsweisen der Linguistik im Bereich der medizinischen Kommunikation befassen wollen, empfehle ich Ihnen die Lektüre von R EDDER / W IESE 1994. Dieses Buch vereint interdisziplinäre Beiträge. Auch für fachwissenschaftliche Laien ist sicher der eine oder andere Beitrag darin erhellend (z. B. Ausführungen zu einer patientenzentrierten Gesprächsausbildung). 24 Einführung <?page no="40"?> Allgemeiner Teil: Grundbegriffe, Kommunikationsmodelle und -theorien W ENN S IE WIRKLICH ZUHÖREN , DANN GESCHIEHT DABEI EIN W UNDER . D AS W UNDER BESTEHT DARIN , DASS S IE GANZ BEI DEM SIND , WAS GESAGT WIRD , UND GLEICHZEITIG I HREN EIGENEN R EAKTIONEN LAUSCHEN . J IDDU K RISHNAMURTI , INDISCHER P HILOSOPH <?page no="42"?> 2 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? W ENN EINER NICHT MEHR MIT DIR REDET , DANN WILL ER DAMIT ETWAS SAGEN . J OACHIM P ANTEN , DEUTSCHER A PHORISTIKER UND P UBLIZIST Ziele und Warm up Den Begriff Kommunikation verwenden wir alltäglich ebenso selbstverständlich wie das Wort Kaffeemaschine. Dabei ist bei näherem Hinsehen gar nicht immer so klar, was damit eigentlich gemeint ist. In diesem Kapitel wollen wir uns ansehen, was in einem streng linguistischen Sinne unter Kommunikation zu verstehen ist und wir werden uns der Frage zuwenden, inwiefern Kommunikation unser Handeln und Denken bestimmt - sowohl im täglichen Leben als auch beruflich im Umgang mit Patienten und Angehörigen. Dazu nähern wir uns diesem Begriff in einem ersten Schritt einmal rein intuitiv. Beantworten Sie bitte zum Einstieg die folgenden Fragen und machen Sie sich gerne auch stichwortartige Notizen dazu: Was haben Sie in Ihrer schulischen oder universitären Ausbildung bislang über Kommunikation gelernt? Kennen Sie bereits Kommunikationsmodelle? Schreiben Sie 5 Begriffe auf, in denen das Wort Kommunikation vorkommt. Worin unterscheiden sich diese Begriffe? Was haben sie gemeinsam? In welchen Zusammenhängen sprechen Sie im Alltag davon, dass Sie oder andere Menschen kommunizieren? Gibt es Situationen, in denen Sie über Ihr eigenes Kommunikationsverhalten nachgedacht haben? Welche Situationen waren das? 2.1 Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? Der Arztberuf ist ebenso wie die vielen medizinischen Assistenzberufe durch und durch kommunikativ: Als Arzt führen Sie tagtäglich dutzende Gespräche, <?page no="43"?> Sie schreiben Arztbriefe, Sie fertigen Protokolle an oder beantworten E-Mails, Sie telefonieren oder machen sich selbst Notizen, die Sie für Ihre Arbeit brauchen. All das tun Sie i. d. R., indem Sie sich Ihres sprachlichen Repertoires bedienen, sowohl mündlich als auch schriftlich. Welches Ziel verfolgen Sie, wenn Sie diese und ähnliche kommunikative Handlungen vollziehen? Vermutlich werden Sie jetzt antworten: Das Ziel dabei ist es (die Notizen für Sie selbst einmal ausgenommen), sich mit anderen Menschen (Patienten, Kollegen oder Mitarbeitern) auf unterschiedlichste Weise auszutauschen. Entweder möchten Sie jemandem etwas mitteilen (z. B. eine Diagnose) oder Sie möchten etwas von einem anderen Menschen erfahren (z. B. dessen Krankheitsgeschichte). Das ist - kurz gesagt - der Sinn und Zweck Ihrer sprachlichen Kommunikation. Kommunikation ist dieser Sichtweise entsprechend also Mittel zum Informations- und Erfahrungsaustausch und als Mensch verwenden Sie dazu Sprache und Schrift. Wenn das stimmt, dann dient Sprache also der Kommunikation zwischen Menschen und ihrem Umfeld. Aber ist das wirklich so einfach? Erschöpfen sich darin bereits die Funktion der Sprache und die der Kommunikation? Wir werden im Folgenden feststellen, dass eine solche Sichtweise für das Phänomen der menschlichen Kommunikation zu kurz greift. Denn: Kommunizieren ist ein viel komplexeres Unterfangen - und ein spannendes Phänomen. Wenn wir davon reden, miteinander zu kommunizieren, dann meinen wir meistens damit, dass wir uns in einem wechselseitigen Austausch mit einem anderen Menschen befinden. Wir Menschen sprechen miteinander - weil wir es können. Tieren oder Pflanzen ist diese Fähigkeit der absichtsvollen Lautbildung nicht gegeben. Dennoch steht es wohl außer Frage, dass auch Tiere und Pflanzen miteinander kommunizieren. Wale versenden Schallsignale, um sich über weite Strecken austauschen zu können und auch Pflanzen stehen mit anderen Pflanzen in Verbindung. Selbst völlig unbelebte Gegenstände können kommunizieren, weshalb man in der Physik etwa das Phänomen der kommunizierenden Röhren kennt, bei dem Gefäße oder Röhren miteinander so verbunden sind, dass sich eine darin befindliche Flüssigkeit hydrostatisch ausgleichen kann. 21 Aber was unterscheidet die Kommunikation des Menschen von derjenigen der Tiere oder der kommunizierenden Röhren? Nun, in erster Linie könnte man sagen, dass unsere menschliche Kommunikation sprachlich kodiert ist. Wenn Menschen miteinander kommunizieren, verwenden sie dazu Sprache und sprachsystemimmanente Zeichen (z. B. Gesten). Bei anderen Lebewesen werden zur Kommunikation chemische Stoffe abgesondert. Viele Organismen kom- 21 Vgl. hierzu auch S. 36. 28 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="44"?> munizieren über sogenannte Semiochemikalien miteinander, weshalb man in der Biologie in solchen Fällen auch von chemischer Kommunikation spricht. Tiere kommunizieren ebenfalls entweder über chemische Botenstoffe, über spezifische Laute oder über andere, sehr vielfältige Mechanismen miteinander. Kommunikation bei Bienen beispielsweise beruht in erster Linie auf komplizierten Tänzen. Sprache, so wie wir sie kennen, besitzen hingegen nur wir Menschen. Wenn man sich all diese belebten oder unbelebten Formen der Kommunikation ansieht, dann scheint im Grunde das Prinzip der Kommunikation immer dasselbe zu sein: Informationen werden zwischen Individuen oder Entitäten, die miteinander verbunden sind, ausgetauscht - lediglich der Weg unterscheidet sich. Da Menschen über eine differenzierte Sprache verfügen, nutzen sie diese zur Kommunikation und tauschen mit ihrer Hilfe Informationen aus. Deshalb scheint es auch plausibel zu sein, anzunehmen, dass Sprache bzw. Sprechen und Kommunizieren bei uns Menschen dasselbe ist. Und es scheint auch korrekt zu sein, dass unsere Kommunikation - wie bei allen anderen Lebewesen auch - einzig dem Informationsaustausch dient. Aber stimmt das? Ist menschliche Kommunikation wirklich nur auf den Austausch von Informationen beschränkt? Ist Kommunikation denn überhaupt Austausch? Und ist alles, was wir sprachlich äußern, tatsächlich so verstanden Kommunikation? Überprüfen wir die letzte Frage zunächst anhand eines Beispiels: Würden Sie Selbstgespräche als eine Form der Kommunikation bezeichnen? Wenn Sie mit sich selbst reden - sofern Sie das tun - , dann doch sicher nicht, um mit sich selbst eine Information auszutauschen. Selbstgespräche dienen einem anderen Zweck, sind aber gleichwohl sprachliche Phänomene. Auch, wenn Sie in Ihrem Kopf einen Gedanken entwickeln, denken Sie sicher sprachlich (bisweilen auch in Bildern). Würden Sie aber deswegen behaupten, dass die Sprache in Ihrem Kopf der Kommunikation dient? Die Vermutung, dass Sprache bzw. Sprechen dasselbe ist wie Kommunikation wird also hinfällig, wie wir an diesen sprachlichen Phänomenen erkennen können, die gerade nicht der Kommunikation dienen. Richtiger ist es daher, die Sprache als ein mögliches Werkzeug der menschlichen Kommunikation zu begreifen. Deutlich wird aber auch etwas anderes: Um kommunizieren zu können, benötigen wir wohl oder übel ein kommunikativ aktives Gegenüber. Kommunikation ist also mindestens ein duales System, in dem es Partner mit bisweilen unterschiedlichen kommunikativen Rollen geben muss. Ohne einen solchen Partner können wir nicht sinnvoll von Kommunikation sprechen (und die Bienen oder Blümchen im Übrigen auch nicht). Dem Wortsinne nach muss Kommunikation - zumindest wenn Sie auf Menschen bezogen ist - also als eine Sozialhandlung verstanden werden, was sich auch aus der ursprünglichen Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? 29 <?page no="45"?> Bedeutung des Begriffs selbst ablesen lässt: Das Wort Kommunikation stammt aus dem Lateinischen (communicare) und bedeutet so viel wie gemeinsam machen oder auch (mit)teilen. Gute Kommunikation ist daher immer dialogisch, damit alle Kommunikationspartner ihre Interessen einbringen können, auch wenn Sie natürlich Ihren Patienten im Gespräch einen Monolog halten können. Auch ein Monolog wäre eine Form des Kommunizierens, die allerdings ein sehr passives Gegenüber erfordert und damit den Aspekt der Gemeinsamkeit vermissen lässt. Wenn Kommunizieren also teilen oder mitteilen heißt, wie schaut es dann mit unserem intuitiven Verständnis von Kommunikation aus? Ist Kommunikation ein Mittel zum (teilenden) Austausch von Informationen? Wenn das stimmt, müsste sich die folgende Frage leicht beantworten lassen: Was teilen wir mit anderen, wenn wir kommunizieren? Oder anders: Was genau tauschen wir denn da eigentlich aus? Auf den ersten Blick scheint es plausibel zu sein, ganz allgemein von einem Informationsaustausch zu sprechen. Die Sprache, die wir sprechen, wenn wir kommunizieren, scheint uns ein geeignetes Transportmittel für unsere Informationen zu sein. Wie in einem Behälter oder einem Paket sind unsere Informationen in der Sprache verpackt und indem wir sprechen, versenden wir unsere Informationen und sie gelangen zu unserem Gegenüber. Aber stimmt das? Oft wird behauptet, dass Sprache eine Verpackung für Gedanken sei. Durch das Medium Sprache können wir angeblich unsere kognitiven Informationen verpacken und einem anderen Menschen, der dann der Empfänger unserer Nachricht ist, zusenden. Schauen wir uns einmal anhand zweier einfacher Beispiele aus dem täglichen Leben an, ob das so stimmen kann. Wenn Sie einem guten Freund in einer entfernten Stadt etwas schicken wollen (z. B. ein Buch), dann können Sie das Buch einpacken, zur Post bringen und losschicken. Wenn Sie Ihr Paket nun auf die Reise schicken, was passiert dann mit dem Inhalt, der sich darin befindet? In dem Moment, in dem Sie das Buch verpacken und verschicken, ist der Inhalt mitsamt der Verpackung weg. Das Buch, das vorher noch in Ihrem Regal stand, ist ein paar Tage später bei Ihrem Freund und in Ihrer Bücherwand klafft eine Lücke an der Stelle, an der es vorher seinen Platz hatte. Das Versenden hat also dazu geführt, dass das, was Sie versendet haben, nicht mehr bei Ihnen ist. Das Verpacken und Versenden von etwas führt also zum Verlust der Sache, die versendet wird. Auf einem Wochenmarkt passiert etwas Ähnliches: Wenn ein Obsthändler Ihnen für ein paar Euro ein Kilo Äpfel verkauft, übergibt er Ihnen seine Ware, Sie geben ihm im Gegenzug Geld. Während Sie mit Ihren Äpfeln nach Hause fahren, ist der Händler um seine Ware erleichtert. Das Geld, das Sie zuvor noch in Ihrem Besitz hatten, gehört nun dem Händler. Ein solcher Handel basiert auf dem Austausch von Zahlungsmittel 30 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="46"?> gegen Ware. Auch hier ist das, was Sie vorher noch besessen haben, für Sie verloren: Ihr Geld ist durch den Handel weg. Das ist aber weniger tragisch, denn im Gegensatz zum ersten Beispiel haben Sie nun etwas anderes im Austausch erhalten. Sie besitzen nun Äpfel. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Tausch Geld gegen Ware ein Prozess ist, in dem man zunächst etwas verliert, was man zuvor besessen hat. Was ich anhand dieser Beispiele beschreibe, ist ein Vorgang, den man klassischerweise als eine Tauschhandlung bezeichnen würde. Ist Kommunizieren streng genommen nun dasselbe? Sind Kommunikationshandlungen ebenfalls Tauschhandlungen? Offensichtlich kann das nicht stimmen, denn wie fatal wäre es, wenn beim Kommunizieren tatsächlich etwas Vergleichbares geschehen würde? Ihre wertvollen Informationen, die Sie als Arzt mühevoll im Studium, in Ihrer Weiterbildung zum Facharzt und in Ihrer täglichen Berufspraxis erlangt haben, würden Ihren Kopf verlassen und befänden sich dann im Kopf Ihres Patienten. Nach kurzer Zeit könnten Sie Ihre Praxis schließen und recht bald müssten Sie sich noch einmal für die Vorschule anmelden. Zugegeben, dieses Beispiel ist reichlich übertrieben, aber es soll Ihnen mit einem Augenzwinkern zeigen, dass beim Kommunizieren überhaupt nichts ausgetauscht wird; die Informationen, die Sie sprachlich Ihrem Gegenüber mitteilen, bleiben bei Ihnen. 22 Warum ist dieser Umstand ebenso banal wie wichtig - gerade für den Bereich der Medizinischen Kommunikation? Er zeigt deutlich, dass Sie sich beim Kommunizieren nie wirklich sicher sein können, ob das, was Sie Ihrem Patienten mitteilen wollen, auch tatsächlich bei ihm vollständig angekommen ist. Wenn Sie ein Paket verschicken, ist das anders. Sofern das Buch bei Ihrem Freund ankommt, können Sie sicher sein, dass er genau das Buch in der Hand hält, das Sie ihm geschickt haben. Beim Kommunizieren haben Sie diese Sicherheit nicht. Missverständnisse in der Arzt-Patienten- Kommunikation haben hier ihre Wurzel. Informationen mittels Sprache auszutauschen, ist ein riskantes Unterfangen, weil es niemals einen 1: 1-Austausch geben wird zwischen dem, was Sie mitteilen wollen, und dem, was Ihr Gesprächspartner aufnehmen kann. Es wird immer Informationslücken geben, die bisweilen das Verständnis erschweren. Dass Kommunikation nicht viel mit einem Austausch im klassischen Sinne (der eine gibt, der andere nimmt) zu tun haben kann, zeigen auch die berühmten kommunizierenden Röhren, die so gerne als das Grundmodell von Kommunikation ins Feld geführt werden: „ Auch wer von Physik keine Ahnung hat - das sogenannte Prinzip der kommunizierenden Röhren kennt jeder. Was diese Röhren zu kommunizierenden macht? Es findet zwischen ihnen ein Austausch bzw. ein 22 Vgl. K ELLER 2006: 7. Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? 31 <?page no="47"?> Transport statt; in diesem Fall der Austausch einer Flüssigkeit “ 23 . Zwar stehen die Röhren in diesem physikalischen Modell miteinander in Beziehung, aber einen Austausch zwischen der Flüssigkeit auf der einen Seite des Rohres und der anderen Seite kann ich nicht erkennen. Stattdessen gibt es eine wechselseitige Beziehung, aber mit Austausch hat das wenig zu tun. Die zuvor entwickelten Beispiele zeigen uns: Kommunikation ist kein Austausch von Informationen und Sprache ist keine Verpackung für Gedanken. Richtiger ist es, Kommunikation als die wechselseitige Verbindung (Interaktion) zwischen zwei oder mehr Menschen mit einem wechselseitigen Ziel bzw. mit einer wechselseitigen Wirkung zu definieren. Man könnte auch sagen: Kommunikation - auf Menschen bezogen - ist eine Art von sozialem Gesellschaftsspiel. Im Prozess des Kommunizierens selbst wird immer wieder und im Wechselspiel zwischen den Akteuren ein neuer Sinn erzeugt. Wie bei einem Tennismatch, bei dem man sich Tennisbälle hin und her spielt, entsteht das Spiel in dem Moment, in dem der Prozess beginnt - und der Prozess des Spielens ist viel mehr als nur das Hin und Her der Bälle. Das Fußballspiel etwa ist nicht nur der Moment der Ballabgabe durch den einen Spieler und der Augenblick der Ballannahme durch den Mitspieler. Vielmehr ist das Spiel selbst alles dazwischen (das Laufen, die Positionierung der Spieler auf dem Feld, die strategischen Züge uvm.) und auch alles, was im Umfeld des Spiels passiert (die Stimmung der Fans, das Wetter, das Stadion usw.). Das Spiel findet also nicht in jedem einzelnen Spieler statt und es erschöpft sich auch nicht im wechselseitigen Austausch von Bällen. Der kommunikative Gehalt eines Gesprächs oder einer einzelnen Äußerung in einem Gespräch wandert nicht vom Sprecher zum Hörer, er entsteht vielmehr im Raum dazwischen. Er ist in erster Linie dieser Zwischenraum. Und so erfolgt auch die Kommunikation zwischen Arzt und Patient im Raum zwischen beiden Akteuren und nicht etwa durch einen „ Austausch “ von Information vom einen zum anderen. Der Austausch oder die verlustfreie Weitergabe von Wissen oder Informationen stehen zudem oftmals gar auch nicht im Vordergrund, wenn Menschen miteinander reden. Kommunikation erfordert immer den Prozess des Interpretierens, damit Ihr Gesprächspartner versteht, was Sie ihm mitteilen wollen. Sprache ist für uns Menschen ein geeignetes Mitteilungsmittel, aber wir haben auch festgestellt, dass nicht alle sprachlichen Prozesse als Kommunikation zu werten sind. An diesen Gedanken schließt sich uns mit Blick auf die ärztliche Gesprächsführung eine elementare Erkenntnis an: 23 M EGGLE 1997: 14. . 32 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="48"?> Ebenso wenig wie alles Sprachliche der Kommunikation dient, ist alles, was wir tagtäglich kommunizieren, in Form von Sprache kodiert. Dieser Umstand ist besonders für die Arzt-Patienten-Kommunikation von Bedeutung, denn viele Patienten achten eher auf das, was Sie nicht sagen, als auf das, was Sie sagen. Machen Sie sich diese Schwierigkeit und das Risiko des kommunikativen Scheiterns in jedem Patientengespräch bewusst. Aus diesen Überlegungen folgen mehrere wichtige Erkenntnisse: 1. Sprache und Kommunikation sind nicht dasselbe! Sie können sprechen, ohne zu kommunizieren und kommunizieren ohne zu sprechen. 2. Kommunikation ist ein mindestens duales System und alle daran beteiligten Personen besetzen kommunikative Rollen. 3. Menschliche Kommunikation dient nicht der Lösung eines Transportproblems. Sprecher transportieren durch Kommunikation keine Informationen von a nach b. Denn: 4. Beim Kommunizieren wird streng genommen nichts ausgetauscht. Die Informationen bleiben in Ihrem Kopf. Daraus folgt: 5. Sie müssen beim Kommunizieren immer davon ausgehen, dass die Kommunikation nie verlustfrei gelingen kann. Sie müssen sich als Arzt im Gespräch ständig rückversichern und in Ihrer Rolle als Zuhörer gezielt nachfragen, wenn Sie etwas nicht verstehen oder etwas unklar ist. 6. Kommunikative Handlungen, insbesondere, wenn Sie nichtsprachlich kodiert sind, sind offen für Interpretationen. 7. Punkt 6 wäre nicht zutreffend, wenn Kommunikation tatsächlich ein 1: 1- Austausch von Informationen wäre. Missverständnisse wären dann ausgeschlossen, kommen in der Realität aber ständig vor. 8. Kommunikative Handlungen werden intentional vollzogen und sind immer interpretierbar. Ansonsten handelt es sich nicht um Kommunikationshandlungen. 9. Die Interpretation einer kommunikativen Handlung dient dem Verständnis. 10. Das Ziel von Kommunikation ist also gegenseitiges Verstehen. 2.1.1 Kommunikation im engeren Sinn Wir haben bereits festgestellt, dass eine klare und eindeutige Definition des Kommunikationsbegriffs gar nicht so einfach zu formulieren ist, wie man intuitiv vermutet. Das Phänomen Kommunikation ist äußerst vielschichtig und komplex - und die Sache wird noch schwieriger, wenn wir uns die Frage stellen: Wie ist das eigentlich mit dem Verstehen oder Missverstehen von . Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? 33 <?page no="49"?> kommunikativen Akten? Wovon hängt es ab, ob man uns richtig oder falsch versteht? Wenn Sie sich die Punkte neun und zehn unserer gerade entworfenen Thesen zu menschlicher Kommunikation genauer ansehen, dann stellen Sie fest, dass Kommunikation in der Realität problembehaftet ist. In der kommunikativen Wirklichkeit haben wir alle schon die Erfahrung gemacht, dass Kommunikation manchmal scheitert oder dass man uns oder unser Verhalten (einen unbedachten Blick oder eine bestimmte Gestik) bisweilen missversteht. Das liegt daran, dass das Verstehen einer kommunikativen Handlung, also die Interpretation dessen, was wir mitteilen, oft unabhängig davon geschieht, was wir tatsächlich kommunizieren wollen. Oder anders: Wir interpretieren oft viel mehr, als wir streng genommen mitgeteilt bekommen. Aber warum ist das so? Ist eigentlich alles, was sich interpretieren lässt, auch tatsächlich kommuniziert? Und: Wo liegen die Grenzen? Die Antwort lautet: Nicht alles, was interpretierbar ist, ist auch in jedem Fall eine kommunikative Handlung. Man muss deshalb bei der Frage danach, was Kommunikation überhaupt ist und wie diese interpretiert werden kann, streng zwischen einer Kommunikation im engeren und einer Kommunikation im weiteren Sinn unterscheiden. 24 Diese Unterscheidung, die ich im Folgenden mit Leben füllen werde, ist deshalb so wichtig, weil man oftmals viel mehr mitteilt, als man sagt - und damit oft kommuniziert, ohne bewusst zu kommunizieren. Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst klar machen, dass es sprachliche (= verbale, nonverbale) und nicht-sprachliche (= extraverbale) Kommunikation gibt, die von uns im Akt des Kommunizierens absichtsvoll betrieben wird. Wenn Sie kommunizieren, dann senden Sie (sprachliche oder nicht-sprachliche) Zeichen aus, die von Ihrem Gegenüber mit dem Ziel interpretiert werden sollen, den Sinn bzw. den kommunikativen Gehalt Ihrer Zeichen (Wörter, Sätze oder Gesten) zu erkennen. Man soll Sie also verstehen. Sprache eignet sich in diesem Prozess hervorragend als ein solches kommunikatives Zeichen: Wenn wir miteinander sprechen, dann ist das, was ich sage (oder schreibe), genau das, was ich Ihnen mitteilen möchte. Ich verwende meine sprachlichen Mittel in diesem Fall dazu, eine Aussage zu treffen. Wie wir bereits gesehen haben, bleiben meine Gedanken oder mein Wissen dabei in meinem 24 Vgl. K ELLER 2006: 3 ff. . 34 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="50"?> Kopf und Sie müssen aus dem, was ich sage, das erschließen, was ich damit meinen könnte. Diesen Schlussprozess vom Gesagten auf das Gemeinte nennt man allgemein Interpretieren. Nur ist das nicht so einfach, wie es sich anhört. Sie kennen sicher auch die Situation, dass Sie zwar verstanden haben, was jemand gesagt hat - also die Wörter und Sätze, die er verwendet hat - , nicht aber, was er damit gemeint haben könnte. Sie müssen dann nachfragen, um den Sinn der Äußerung zu erschließen. Vielleicht verstehen Sie Ihr Gegenüber trotzdem nicht richtig und es kommt zu Missverständnissen. Auszuschließen ist das nie, selbst dann nicht, wenn beide Gesprächspartner dieselbe Sprache sprechen. Das Missverstehen kann in solchen Fällen akustisch bedingt sein. Oder Sie kennen die Bedeutung der Wörter nicht, die Ihr Gesprächspartner verwendet. Bei Fachsprachen ist das oft der Fall. Oder aber, Ihr Gegenüber drückt sich einfach sehr unverständlich aus. In solchen Fällen können Sie den Inhalt dessen, was gesagt wird, kognitiv nicht erschließen, also nicht verstehen. Nun nehmen wir aber an, Sie haben akustisch gut verstanden, was Ihr Gesprächspartner geäußert hat. In diesem Fall können Sie genau das - und zwar streng genommen nur das - interpretieren (und im schlechtesten Fall missverstehen), was Ihr Gegenüber Ihnen tatsächlich gesagt hat. Der kommunikative Akt, den er beim Sprechen vollzogen hat, war rein sprachlich. Oder anders: Ihr Gesprächspartner hat Ihnen nichts anderes mitgeteilt - also kommuniziert - als das, was er wortwörtlich gesagt hat. Diesen Umstand bezeichne ich als Kommunikation im engeren Sinne: Alles, was ich sage, teile ich in der Hoffnung mit, dass Sie als mein Gesprächspartner es genau so verstehen, wie ich es gemeint habe. Und: Alles, was ich sage, sage ich in der Absicht, dass Sie es überhaupt interpretieren. Insofern ist die Äußerung eines Satzes wie Ich werde jetzt bei Ihnen den Blutdruck messen ein kommunikativer Akt. Kommunikation in diesem engeren Sinne ist also zum einen sehr eng an die Sprache (also an die Wahl meiner Wörter und an meine sprachliche Ausdrucksfähigkeit) gekoppelt und zum anderen ist sie davon abhängig, dass ich mich klar genug ausdrücke. Kommunikation im engeren Sinne ist jede Form der Kommunikation, die immer dann vorliegt, wenn Sie mit jemandem reden, also durch Wörter und Sätze sprachlich handeln. Die sprachliche Handlung bei der Kommunikation im engeren Sinn wird immer intentional vollzogen und dient allein dazu, interpretiert zu werden. Kommunikation im engeren Sinn bezeichnet man auch als verbale Kommunikation. Ein Gespräch am Telefon ist für Kommunikation im engeren Sinn ein gutes Beispiel, denn wenn Sie mit jemandem über das Telefon kommunizieren, sind . Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? 35 <?page no="51"?> äußere Faktoren weitestgehend ausgeschlossen: Ich als Ihr Gesprächspartner kann in diesem Fall nur das interpretieren, was Sie mir mit Ihren Worten und mit der Wahl dieser Wörter in genau der syntaktischen Anordnung, die Sie während des Sprechens treffen, mitteilen. Jedes Wort und jeder Satz von Ihnen wird von mir mit meinen eigenen sprachlichen Möglichkeiten interpretiert. Alles, was Sie sagen, kommunizieren Sie in diesem Fall; was Sie nicht sagen, das haben Sie streng genommen (und Kommunikation im engeren Sinne definiert Kommunikation nach diesen Kriterien) auch nicht kommuniziert. Dazu ein Beispiel: Wenn Sie am Telefon Ihrem Patienten sagen, er müsse rasch vorbeikommen, weil Sie mit ihm sprechen wollen, was genau haben Sie ihm dann mitgeteilt? Vielleicht war der Grund Ihres Anrufs, dass noch rasch am letzten Tag des Quartals die Versichertenkarte eingelesen werden muss. Wenn er nun völlig aufgeregt zu Ihnen kommt und vermutet, dass Sie eine schlechte Nachricht für ihn haben, haben Sie ihm das dann tatsächlich mitgeteilt? Vielleicht beschimpft er Sie, weil Sie ihn so in Angst versetzt haben. Aber streng genommen, haben Sie nichts weiter gesagt, als dass er rasch zu Ihnen kommen soll. Von einer schlechten Botschaft war nie die Rede. Und Sie können sich auch darauf beziehen, indem Sie sagen: Ich habe nichts von einer schlechten Nachricht gesagt, nur dass Sie schnell herkommen sollen. In der Realität passiert das häufig, dass man sich auf den kommunikativen Akt im engeren Sinn, so wie ich ihn gerade beschreibe, zurückzieht. Wie oft haben Sie schon bei einem Missverständnis die Frage gehört: Habe ich das etwa gesagt? Nun muss man vernünftigerweise einwerfen: Kommunikation erschöpft sich in der Realität natürlich nicht darin, allein das zu interpretieren, was Menschen einander sprachlich mitteilen (verbale Kommunikation). Auch am Telefon könnte ein Seufzen, eine längere Pause oder eine Veränderung der Stimmhöhe (paraverbale Kommunikation) durchaus kommunikativ gedeutet werden - und in Wirklichkeit passiert das auch so. Zudem kann selbst der Zeitpunkt Ihres Anrufs ein kommunikatives Zeichen sein: Wenn ein Patient beispielsweise in kritischem Zustand auf einer Intensivstation liegt, dann ist ein nächtlicher Anruf von Ihnen als Klinikarzt bei den Angehörigen allein schon ein sehr deutliches kommunikatives Zeichen, das in einer ganz bestimmten Weise gedeutet wird (extraverbale Kommunikation). Solche para- oder extraverbalen kommunikativen Zeichen sind in einem strengen Sinn aber nicht von Ihnen kommuniziert, auch wenn sie von Ihrem Gegenüber oft zweifelsfrei interpretiert werden. Diesem Umstand werden wir uns weiter unten noch näher zuwenden. Lassen Sie uns für den Moment noch daran festhalten: Kommunikation ist streng genommen allein das, was Sie mithilfe Ihrer sprachlichen Ausdrucksmittel hervorbringen und alles, was Sie nicht wortwörtlich sagen, das teilen Sie auch nicht mit. 36 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="52"?> Dabei ist ein Aspekt, der sich aus der Definition von Kommunikation im engeren Sinn ergibt, sehr wichtig: Damit ich das, was Sie mir mit Ihren Wörtern (also mithilfe der Sprache) am Telefon sagen wollen, auch verstehen kann, müssen Sie so sprechen, dass es mir auch möglich ist, Sie zu verstehen. Sie müssen also so sprechen, wie Sie glauben, dass ich Sie verstehen kann. Die sprachlichen Mittel, die Sie verwenden (Wörter und Sätze) müssen so beschaffen sein, dass ich als Ihr Gegenüber damit etwas anfangen kann. Nicht jeder Mensch ist in gleichem Maß begabt, Sätze zu bilden und zu interpretieren. Gerade im Gespräch mit Patienten und Angehörigen müssen Sie sich dies stets bewusst machen: Das Sprachvermögen Ihrer Gesprächspartner weicht oft mehr oder weniger von Ihrem eigenen ab. Daher ist besonders bei der verbalen Kommunikation darauf zu achten, möglichst klar und eindeutig in der Aussage sowie in der Wortwahl zu sein. Sie als Sprecher müssen sich klar und eindeutig ausdrücken. Damit das gelingt, müssen Sie genau wissen, was Sie überhaupt sagen wollen und Sie müssen wissen, mit welchen Mitteln (also wie) Sie Ihre Nachricht vermitteln wollen. Dazu müssen Sie sich immer auch klarmachen, über welches sprachliche Repertoire Ihr Gegenüber verfügt - und oft müssen Sie Ihre gesamte Kommunikation genau darauf abstimmen und sich stets rückversichern, richtig verstanden worden zu sein. Dies ist zwar mühevoll, aber ein lohnenswertes Unterfangen im Hinblick auf Patientenzufriedenheit und Qualitätssicherung der medizinischen Behandlung. Für Kommunikation im engeren Sinne ist der Begriff der Absicht von entscheidender Bedeutung: Wenn ich einen Satz äußere, dann überlege ich mir vorher, warum ich ihn äußere und was ich darin zu sagen beabsichtige. Mein Gegenüber darf dann mit Recht annehmen, dass alles, was ich durch mein Sprechen ausdrücke, auch absichtsvoll geäußert ist; er darf mein Gesagtes als direkte Kommunikation interpretieren. Je besser und klarer ich mich dabei ausdrücke, desto weniger Spielraum gebe ich meinem Gesprächspartner für mögliche (Fehl-)Interpretationen. Je unklarer meine Äußerung hingegen ist, desto eher kann mich mein Gegenüber falsch verstehen. Unklarheiten können z. B. durch einfache und kurze Sätze vermieden werden. Je länger und komplizierter ein Satz ist, desto unklarer wird er. Komplizierte Sätze mit vielen Fremdwörtern sind nur selten Ausdruck eines klaren Gedankens. Ganz im Gegenteil: Oft sind solche Äußerungen eher inhaltsleer. Ein von P EER S TEINBRÜCK gern verwendeter Beispielsatz aus der politischen Kommunikation zeigt dies sehr anschaulich: Eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine solide Basis. . Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? 37 <?page no="53"?> Ein solcher Satz enthält keinerlei Informationswert und ist damit ein Ausdruck eines unklaren Gedankens. Die Unklarheit wird gerne durch die Komplexität der Äußerung verschleiert. Bezogen auf das Arzt-Patienten-Gespräch ist ein klarer Ausdruck ganz besonders wichtig. Als Arzt müssen Sie sich ständig dessen bewusst sein, dass jeder Satz, den Sie sagen, von Ihren Patienten genau so, wie Sie ihn sagen, interpretiert wird. Und Sie müssen davon ausgehen, dass Ihnen Ihr Patient sehr aufmerksam zuhört und in gewisser Weise jedes Wort aus Ihrem Mund auf die Goldwaage legen wird. Schließlich geht es um ihn und seine Gesundheit, von der Sie reden. Die emotionale Betroffenheit macht Patienten äußerst gesprächssensibel. Der sprachliche Inhalt, der in Ihren Sätzen steckt, muss daher für Ihren Patienten immer nachvollziehbar sein. Dies ist trotz großer Komplexität medizinischer Zusammenhänge immer möglich, wenn Sie sich darum bemühen und sich Ihrer eigenen Sprache bewusst sind. Selbst komplizierte Zusammenhänge lassen sich einfach darstellen, wie der Philosoph L UDWIG W ITTGENSTEIN im Vorwort zu seinem Tractatus zutreffend geschrieben hat: „ Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen “ . Daraus folgt als ein wesentlicher Grundsatz der Kommunikation im engeren Sinn: Der unklare Ausdruck eines Gedankens ist immer Ausdruck eines unklaren Gedankens. Kommunikation im engeren Sinne ist direkt aus dem Gesagten interpretierbar. Missverständnisse können durch die richtige und reflektierte Sprachwahl in den meisten Fällen vermieden werden. Sprechen Sie daher klar und deutlich und treffen Sie verbindliche Aussagen. 2.1.2 Kommunikation im weiteren Sinn Während Kommunikation im engeren Sinne also allein das ist, was wir mittels unserer Sprache, also durch das Bilden lautlicher Ausdrücke, direkt verbalisieren, ist die Definition von Kommunikation im weiteren Sinne wesentlich offener. Deshalb schenke ich dieser Form der Kommunikation im Folgenden etwas mehr Raum - auch deswegen, weil sie für das Arzt-Patienten-Gespräch enorm bedeutsam ist. Sich der folgenden Zusammenhänge bewusst zu sein, kann in der Kommunikation mit Patienten und Angehörigen ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg sein. Wir haben bereits festgestellt, dass Sprache ein Mittel der Kommunikation sein kann. Wir haben auch gesehen, dass nicht alles, was wir sprachlich zum Ausdruck bringen, immer auch Kommunikation im Sinne eines kommunika- . 38 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="54"?> tiven Aktes ist (z. B. Selbstgespräche). Außerdem wissen wir bereits, dass nicht alles, was wir kommunizieren, sprachlich kodiert sein muss (nonverbale und extraverbale Kommunikation). Aber wo liegen dabei die Grenzen zwischen allgemeinem Verhalten und bewusster Kommunikation? Was macht Kommunikation intentional und interpretierbar, wenn sie nicht sprachlich kodiert ist? Ich kann Ihnen etwas sagen, Sie auf eine bestimmte Weise ansehen und vieles mehr, um Ihnen etwas Bestimmtes zu verstehen zu geben. Wenn ich Ihnen meine Botschaft verbal vermittele, dann ist das Kommunikation in einem engeren Sinn. Ich könnte aber auch im Gespräch auf die Uhr schauen und Ihnen damit etwas mitteilen, das ich gar nicht gesagt habe. Sie könnten z. B. annehmen, ich sei in Zeitnot und möchte das Gespräch rasch beenden. Und vielleicht möchte ich Ihnen mit meinem Blick auf die Uhr auch genau das mitteilen. Solche Formen von Kommunikation, die Botschaften enthalten, die Ihr Gegenüber als kommuniziert interpretiert, die Sie aber gar nicht ausgesprochen haben, nennt man Kommunikation im weiteren Sinne. Insbesondere solche Formen des Kommunizierens sind in der Medizinischen Kommunikation von besonderer Wichtigkeit. Um bei dem Beispiel mit der Uhr zu bleiben: Es kann ja auch gut sein kann, dass der Blick eher zufällig gewesen ist und dass ich Ihnen damit gar nichts zu verstehen geben wollte - und doch habe ich es unwillentlich getan. Kommunikation im weiteren Sinne ist alles, was für Ihr Gegenüber interpretierbar ist, unabhängig davon, ob Sie es mit Absicht kommuniziert haben. Darin unterscheidet sich diese Form des Kommunizierens grundlegend von Kommunikation im engeren Sinn, für die der Aspekt des absichtsvollen Handelns sehr zentral ist. Kommunikation im weiteren Sinn kann absichtsvoll erfolgen, sie geschieht aber bisweilen unbeabsichtigt. Kommunikation im weiteren Sinn basiert also auf der Aussendung von deutbaren außersprachlichen Zeichen. Ich kann Ihnen im Gespräch zu verstehen geben, dass mich Ihre Anwesenheit langweilt oder nervt, ohne Ihnen das direkt ins Gesicht sagen zu müssen oder zu wollen. Möglicherweise schaue ich ständig auf mein Handy, gähne sehr offensichtlich (und augenscheinlich gestellt) oder ich verdrehe bei jedem zweiten Satz von Ihnen die Augen. Diese Zeichen können Sie lesen, Sie interpretieren sie als bewussten kommunikativen Akt von mir und werden daraus dieselben Konsequenzen ziehen, als hätte ich Ihnen direkt gesagt, dass Sie mich langweilen. Der Clou ist: Wenn Sie mich darauf ansprechen, kann ich Ihren Eindruck vehement bestreiten, denn ich habe nichts dergleichen gesagt. Man kennt dieses Phänomen aus dem Strafrecht: Wenn Sie jemandem . Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? 39 <?page no="55"?> den Vogel oder einen „ Stinkefinger “ zeigen, dann kann er Sie deshalb wegen Beleidigung anzeigen. Vor Gericht können Sie zwar behaupten, man hätte Ihre Geste falsch verstanden. Sollte aber ein Zeuge Ihre Geste gesehen haben, dann haben Sie schlechte Karten: Ihre Geste wird ebenso als direkte Kommunikation gedeutet wie ein verbal ausgesprochenes Schimpfwort. Kommunikation im weiteren Sinn kann wie Kommunikation im engeren Sinn eine intentionale kommunikative Handlung sein, die interpretiert werden soll. Sie erfordert allerdings keine Worte und ist doch ebenso wirkungsvoll und oft eindeutig interpretierbar wie ein ausgesprochener Satz. Dazu ein paar weitere Beispiele: Wenn jemand auf der Straße einen Kaugummi auf den Gehweg spuckt, können Sie den Kopf darüber schütteln und signalisieren damit, dass Ihnen dieses Verhalten nicht gefällt. Und wenn Sie sich Ihre Praxis mit afrikanischer Kunst einrichten, dann kommunizieren Sie damit, dass Ihnen entweder diese Art der Kunst gefällt oder dass Sie eine emotionale Verbindung zum afrikanischen Kontinent haben. Möglicherweise dekorieren Sie Ihr Wartezimmer oder Ihren Behandlungsraum auch mit asiatischen Gegenständen. Ihre Patienten können auch dies interpretieren - und mit Ihrer Rolle als Arzt verknüpfen. In diesem Fall könnte man annehmen, dass Sie auf traditionelle chinesische Medizin spezialisiert sind. Das muss nicht unbedingt stimmen, aber falls es so ist, könnten Sie das auf diese Weise wirkungsvoll zum Ausdruck bringen. Solche Formen der Kommunikation im weiteren Sinn sind - wenn sie absichtsvoll verlaufen - nicht weniger direkt als ein gesprochenes Wort. Aber hier ist Vorsicht geboten, denn es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen dem, was Sie mit Absicht als interpretierbare Zeichen aussenden und dem, was unabsichtlich „ kommuniziert “ wird. Stellen Sie sich dazu die folgende Situation einmal vor: Sie halten einen wissenschaftlichen Vortrag über das Thema Palliativmedizin an der Universität oder in einer Klinik und alle Menschen im Auditorium schauen Sie bereits seit dem Betreten des Podiums und Ihrem ersten Wort mit einem Lächeln im Gesicht freudig an. Einige Zuhörer schmunzeln, andere kichern und wieder andere tuscheln sogar. Sie haben den Eindruck, dass Ihnen niemand so richtig zuhört. Sie denken vielleicht im ersten Moment: Das sind aber nette Leute und ein fröhliches Publikum. Aber irgendwie will die Reaktion Ihrer Zuhörer nicht zu dem passen, was Sie gerade referieren. Nach dem Vortrag gibt es einen kleinen Empfang und ein Kollege beglückwünscht Sie zu diesem tollen Referat. Ganz besonders gefallen hat ihm, dass Sie das doch eher ernste Thema aufgelockert . 40 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="56"?> haben - ein Meisterstück und äußerst mutig, wie er findet. Ihr Chef hingegen ist von Ihrem Vortrag gar nicht begeistert und fragt Sie, was Sie sich nur dabei gedacht haben, als Clown auf die Bühne zu kommen und das ernste Thema so sehr der Lächerlichkeit preiszugeben. Zunächst verstehen Sie nur Bahnhof, dann aber schauen Sie an sich herab und stellen fest, dass Sie deutlich sichtbar eine rote und eine grüne Socke tragen. In der Aufregung vor Ihrem großen Auftritt haben Sie das gar nicht bemerkt. Sie waren so sehr in die Vorbereitung Ihres Vortrags vertieft, dass Sie ohne hinzusehen in Ihre Sockenkiste gegriffen haben und das Ergebnis erkennen Sie erst jetzt. Unabsichtlich haben Sie ein deutliches Zeichen gesetzt; ein Zeichen, das von Ihren Mitmenschen interpretiert worden ist. Mit dem Sprachwissenschaftler R UDI K ELLER könnte man sagen: „ Es gibt kein Entrinnen aus der Interpretierbarkeit “ 25 . Was sich anhand dieses Beispiels aufzeigen lässt, ist die Tatsache, dass man kommunizieren kann, ohne etwas zu sagen und dass man ebenfalls vermeintlich (d. h. interpretativ) kommunizieren kann, ohne kommunizieren zu wollen. Dieser Umstand ist erstaunlich, denn streng genommen haben Sie mit der Aussendung von Zeichen, die Sie unbeabsichtigt setzen, nicht aktiv kommuniziert. Unreflektiertes Verhalten kann zwar interpretiert werden, da aber die kommunikative Absicht dahinter fehlt (anders als bei der Kommunikation im engeren Sinn), handelt es sich nicht um Kommunikation. Oder mit anderen Worten: Nicht alles, was interpretierbar ist, ist auch bewusst und absichtsvoll kommuniziert. Unreflektiertes Verhalten ist kein kommunikativer Akt, denn es ist weder intentional vollzogen noch dient es dazu, interpretiert zu werden. Die bunten Socken hatten Sie gänzlich unabsichtlich angezogen und erst recht wollten Sie nicht, dass man Ihre Socken als einen kommunikativen Akt deutet. Und doch ist genau das geschehen. Woran liegt das? In unserem Kulturkreis ist es so, dass Kleidung und die Wahl der Kleidungsstücke interpretierbar ist. Kleidung sagt etwas über uns selbst aus (die wenigsten Menschen ziehen sich völlig willkürlich an). Das gilt im Besonderen für öffentliche Veranstaltungen. Bei einem Vortrag vor Publikum ist es üblich, dass man als Mann einen Anzug und als Frau ein Kostüm, einen Hosenanzug o. Ä. trägt und es ist jedem Fall gänzlich unüblich, bunte Socken dazu anzuziehen. Wenn jemand dennoch eine grüne 25 K ELLER 1995: 15. . . Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? 41 <?page no="57"?> und eine rote Socke trägt, liegt der Schluss nahe, dass er oder sie das mit Absicht tut - und dass die Socken als Zeichen dienen sollen. Dieses Beispiel zeigt Ihnen, dass es kaum möglich ist, keine Zeichen auszusenden. Damit wird auch das Nicht-Kommunizieren im Prinzip unmöglich. Kommunikation im weiteren Sinne ist also alles, was (kulturell) interpretierbar ist (auch wenn es u. U. nicht kommuniziert wurde). Hier begegnen Sie einem kommunikationstheoretischen Paradoxon und einer Schwierigkeit: Auch wenn Sie nicht kommunizieren wollen und es Ihrem eigenen Empfinden nach auch nicht tun, kommunizieren Sie dennoch, weil Sie ständig interpretierbare Zeichen aussenden. Oder anders: Auch wenn Sie keine kommunikative Handlung vollziehen, kann Ihr Verhalten kommunikativ interpretiert werden. Sie dürfen daher nie davon ausgehen, dass allein Ihre Wörter und Sätze im Gespräch gedeutet werden. Richtiger ist, dass alles, was Sie tun und wie Sie es tun (ebenso wie alles, was Sie nicht tun und wie Sie es nicht tun), von Ihrem Gegenüber als Kommunikation gedeutet werden kann. Und auch Sie selbst können sich nicht davon freimachen, Zeichen jederzeit bei Ihren Gesprächspartnern zu suchen und als kommuniziert zu deuten. Mehr noch als bei der Kommunikation im engeren Sinn kann es bei der Kommunikation im weiteren Sinn zu Fehldeutungen und Missverständnissen kommen. Das Beispiel mit den farbigen Socken, das ich gewählt habe, führt Ihnen diesen Umstand vor Augen und ganz sicher kennen Sie ähnliche Beispiele aus Ihrem eigenen Leben. Umso wichtiger ist es, gerade als Arzt, das eigene Handeln und Auftreten, ebenso wie das kommunikative Umfeld (Ihre Praxisräume, Ihre Telefonzentrale, Ihre Mitarbeiter, Ihr corporate design etc.), ständig in das eigene Bewusstsein zu bringen und auf den kommunikativen Gehalt hin zu überprüfen. Wir können feststellen, dass die Interpretation von Kommunikation im weiteren Sinn oft zu Missverständnissen führt, weil sie wesentlich uneindeutiger ist als das, was wir direkt sagen. Gerade auf diese Form der Kommunikation müssen Sie im Patientengespräch stets achten und die Zeichen kontrollieren, damit Sie Ihrem Patienten nichts mitteilen, das Sie gar nicht ausdrücken wollen. Eine gute Arzt-Patienten- Beziehung beruht in erster Linie auf Zuwendung und Vertrauen. Durch unbewusste, bzw. unreflektierte Botschaften, die Sie im Gespräch oder im Gesprächsumfeld (kommunikative Rahmenbedingungen) kommunizieren und damit interpretierbar machen, können Gespräche scheitern und Sie verlieren das Vertrauen Ihrer Patienten. Dies ist nicht nur medizinisch bedeutsam, sondern kann auch wirtschaftliche Folgen für Sie haben. . 42 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="58"?> Natürlich hat auch die Kommunikation im weiteren Sinn ihre Grenzen und es wäre falsch, anzunehmen, dass jegliches Verhalten immer auch als Kommunikation gedeutet würde bzw. gedeutet werden müsse. Auch hierzu ein Beispiel: Sie kennen sicher den berühmten Loriot-Sketch mit der Nudel im Gesicht. Der Witz dieses Sketches besteht - kurz gesagt - darin, dass der Protagonist seiner Angebeteten in einem Restaurant seine Liebe gestehen möchte und dass ihm dabei von ihm selbst unbemerkt die ganze Zeit eine verirrte Nudel im Gesicht hängt. Die Konzentration der Geliebten (und der Zuschauer) ist allein auf diese Nudel gerichtet und stellt den Gehalt dessen, was der Schauspieler in dieser Rolle sagt, völlig in den Hintergrund. Aber ist die Nudel im Gesicht deswegen Kommunikation, weil man sie deuten kann und weil sie die Situation kommunikativ beherrscht? Möglicherweise kennen Sie auch die Situation, dass der Reißverschluss an der Hose Ihres Gesprächspartners versehentlich offen steht, oder dass ein Fleck auf Hemd oder Bluse Sie im Gespräch ablenkt. In diesen Fällen - die „ Nudel- Situation “ eingeschlossen - kann man sicher nicht davon sprechen, dass hier absichtsvoll etwas kommuniziert wird. Bei solchen Peinlichkeiten scheinen wir sehr genau unterscheiden zu können, ob eine Person absichtlich oder unabsichtlich ein Zeichen setzt. Toilettenpapier, das aus der Hose hängt, interpretieren wir sicher nicht als ein bewusst gesetztes Zeichen. Verschiedenfarbige Socken oder eine bestimmte Kleidung (z. B. einen Kittel) hingegen schon - auch wenn das bisweilen ein Fehlschluss ist. Die Grenzen sind hier fließend. Exkurs Von der Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren - Das Metakommunikative Axiom nach P AUL W ATZLAWICK Sie kennen sicher den berühmten Ausspruch: Man kann nicht nicht kommunizieren. Mit Blick auf das, was wir hier als Kommunikation im weitesten Sinn kennen gelernt haben, hat diese Feststellung auf den ersten Anschein ihre Berechtigung. Sie ist unmittelbar mit der Erkenntnis verknüpft, dass es keinen Ausweg aus der Interpretierbarkeit menschlicher Kommunikation gibt. Streng genommen aber, ist sie leider falsch. Die These, dass man nicht nicht kommunizieren kann, stammt von P AUL W ATZLAWICK , J ANET B EAVIN und D ON D. J ACKSON , wird aber in erster Linie mit dem Namen W ATZLAWICK in Verbindung gebracht. Auf der Grundlage der Erforschung menschlichen Verhaltens stellten sich die Psychologen die Frage, welche Wirkung menschliche Kommunikation auf das menschliche Verhalten hat. Sowohl das nonverbale als auch das verbale sprachliche Handeln fassten die Wissenschaftler als Formen des Kommunizieren und Sprechen - ist das nicht dasselbe? 43 <?page no="59"?> Verhaltens auf. Sie gingen davon aus, dass sowohl das Sprechen als auch alles andere, was in einer Kommunikationssituation passiert, dem menschlichen Verhalten zugeschrieben werden kann. Der interessante Schluss, dass man nun nicht nicht kommunizieren kann, entstammt dem Gedanken, dass man sich schließlich auch nicht nicht verhalten kann. Oder anders ausgedrückt: Verhalten hat kein Gegenteil. Bei W ATZLAWICK heißt das: „ Wenn man also akzeptiert, daß alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Mitteilungscharakter hat, d. h. Kommunikation ist, so folgt daraus, daß man, wie immer man es auch versuchen mag, nicht nicht kommunizieren kann “ 26 . Wenn nun Kommunizieren zugleich Verhalten ist und Verhalten kein Gegenteil kennt, weil man nicht in der Lage ist, sich nicht zu verhalten, dann folgt daraus, dass man auch nicht dazu fähig ist, nicht zu kommunizieren. Das wiederum bedeutet, dass im Beisein eines anderen Menschen jede Form des menschlichen Verhaltens als Kommunikation gedeutet werden kann. Dabei ist ein Umstand wichtig: Es kommt nicht so sehr (oder allein) darauf, ob man selbst nicht nicht kommunizieren kann. Denn ob eine menschliche Handlung als Kommunikation bewertet wird, hängt davon ab, ob der andere meine Handlung auch als Kommunikation interpretiert. Oder anders: Man kann ohne ein interpretierendes Gegenüber nicht kommunizieren. Insofern kann man durchaus auch nicht kommunizieren, nämlich dann, wenn niemand da ist, um das Verhalten auszuwerten. Erst dann, wenn die beobachtende Person meine Handlung interpretiert, wird mein Verhalten zu einer Information. Verhalten und Information sind also keinesfalls immer identisch. 27 Ohne eine solche Unterscheidung wäre jedes Niesen, jede Bewegung und jedes wahrnehmbare Äußere eine vermittelte Information und damit Kommunikation. In Wirklichkeit aber handelt es sich oft um Symptome oder Begleiterscheinungen anderer Handlungen. Dass Verhalten kein Gegenteil hat, lässt also noch lange nicht den Schluss zu, dass Kommunikation kein Gegenteil hat, auch wenn Kommunikation eine Form des Verhaltens ist. Denn: Jede Kommunikation ist Verhalten, aber nicht jedes Verhalten ist Kommunikation. Damit also der Spruch von der Unmöglichkeit zu Kommunizieren stimmt, müsste man ihn umformulieren. Er müsste lauten: Man kann nicht nicht kommunizieren, wenn man kommuniziert. Einen unsinnigeren Satz kann man sich aber wohl kaum vorstellen. Lassen Sie uns nun einmal gemeinsam überlegen, zu welchem Zweck wir überhaupt mit anderen Menschen kommunizieren und welche Mittel uns dafür prinzipiell zur Verfügung stehen. Oder anders gefragt: Kommunikation - was soll das Ganze überhaupt? 26 W ATZLAWICK et al. 1969: 51. Hervorhebung im Original. 27 Vgl. P LATE 2013: 20. 44 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="60"?> 2.2 Warum kommunizieren wir eigentlich? - Zur Funktion von Kommunikation im Alltag Wie vielfältig unser zwischenmenschliches Kommunizieren organisiert ist, haben uns die Beispiele in diesem Kapitel zeigen können und Ihnen sind dabei bereits einige Fallstricke begegnet, denen Sie in Ihrem ärztlichen Gesprächshandeln aus dem Weg gehen müssen. Genauer werden wir uns damit noch in den Kapiteln 4 und 5 befassen, in denen ich Ihnen einige wichtige Kommunikationsmodelle und -theorien vorstellen werde. Selbstverständlich werden uns diese Erkenntnisse auch im praktischen Teil weiter beschäftigen. Ein Befund, auf den wir uns sicher schon an dieser Stelle einigen können, lautet, dass Kommunizieren im Allgemeinen ein sehr riskantes Spiel ist, ganz besonders, weil wir es so leicht verlieren können. Dort, wo Menschen miteinander interagieren, kann es immer passieren, dass Zeichen falsch gedeutet werden. In der Geschichte sind einige große Kriege allein aus Missverständnissen entbrannt. Und auch so mancher Streit im Kleinen hat seine Wurzel in einem missverstandenen Wort oder einer unachtsamen Geste. Und dennoch bildet die Kommunikation eine wichtige Säule unseres sozialen Zusammenlebens, wenn nicht sogar die wichtigste. Dieser Umstand wirft die Frage auf: Zu welchem Zweck kommunizieren wir eigentlich miteinander? Nähern wir uns der Antwort einmal, indem wir uns ansehen, was passiert, wenn wir einfach nicht mehr an der Kommunikation mit anderen Menschen teilnehmen. Missverständnisse im täglichen Miteinander sind ärgerlich und zermürbend. Die einfachste Lösung, um solchen Problemen, die mit dem Kommunizieren einhergehen, aus dem Weg zu gehen, wäre es doch, sich der Kommunikation gänzlich zu verweigern. Sie könnten auf die Idee kommen und sagen: Ich mache das nicht mehr mit, ich will nicht, dass meine Zeichen ständig interpretiert werden! Wie wir bereits gesehen haben und an anderer Stelle noch klarer erkennen werden, ist eine solche Sichtweise sehr naiv. Denn: Aus der Interpretierbarkeit gibt es keinen Ausweg und somit gibt es auch keinen Ausweg aus der Kommunikation. Nun könnten Sie einwenden: Doch, den gibt es, ich rede einfach mit niemandem mehr ein Wort. Es steht Ihnen frei, das so zu leben, doch wird es Ihnen nicht viel Ruhe bringen. Indem Sie sich der Kommunikation nämlich entsagen, kommunizieren Sie damit Ihr Entsagen von der Kommunikation. Ihr Umfeld wird denken: Der will nicht mehr kommunizieren, denn der kommuniziert nicht mehr. Und auf diesem Weg haben Sie Ihr Nicht-Kommunizieren als interpretierbares Zeichen ausgesendet, mit dem Zweck, dass Ihr Umfeld erkennen möge, dass Sie nicht mehr kommunizieren wollen. Ihr Umfeld Warum kommunizieren wir eigentlich? - Zur Funktion von Kommunikation im Alltag 45 <?page no="61"?> wird auf dieses Zeichen irgendwie reagieren. Im schlimmsten Fall wird man Sie zwingen, eine Therapie zu machen, weil man an Ihrem Geisteszustand zweifelt. Gänzlich entziehen können Sie sich dem Kommunizieren nur dadurch, dass Sie Eremit in einer Höhle in Nepal werden. In einer auf Kommunikation basierenden Gesellschaftsform (und das sind alle menschlichen Sozialformen) wird es Ihnen nie möglich sein, sich dem Kommunizieren auf Dauer zu verweigern, denn jede Form der Interaktion ist Kommunikation. Was ich Ihnen damit verdeutlichen möchte, ist: Selbst das Nicht-Kommunizieren dient dem Zweck der Kommunikation. Nun zeigt dieses Beispiel noch etwas mehr und dieses „ etwas mehr “ bringt uns der Antwort näher, zu welchem Zweck Menschen kommunizieren. Das Beispiel zeigt, dass Sie mit der Aussendung von kommunikativen Zeichen etwas bei Ihrem Gegenüber bewirken können. Wenn Sie all Ihre kommunikativen Bemühungen einstellen, dann bringen Sie durch Ihr Schweigen oder durch Ihr abnormales kommunikatives Verhalten zum Ausdruck, dass Sie nicht mehr kommunizieren wollen - und Sie bewirken damit (im Idealfall), dass man Sie künftig in Ruhe lässt (oder eher: für verrückt hält). Ihr kommunikatives Verhalten (oder Nicht- Verhalten) übt also einen unmittelbaren Einfluss auf andere Menschen aus. Kommunikation, so lässt sich also vereinfacht sagen, ist in jedem Fall (und zwar auch dann, wenn Sie sich ihr verweigern) für uns ein Mittel der wechselseitigen Beeinflussung. Man nennt diese Absicht, mit der wir kommunizieren, auch Persuasion. Wechselseitige Beeinflussung ist der eigentliche Zweck menschlicher Kommunikation. Nun entspricht diese Einschätzung nicht unbedingt dem, was Sie wahrscheinlich bisher zur Funktion von Kommunikation gehört oder gelesen haben. Und sie bedarf sicher der Erklärung, denn es handelt sich um eine These, die Sie in anderen Einführungen zu diesem Thema vermutlich nicht finden werden. Dort lesen Sie vielmehr, dass Kommunikation dem wechselseitigen Austausch von Informationen dient. Auch ich habe ganz zu Beginn in der Einleitung eine solche Äußerung formuliert - wohl wissend, dass sie falsch ist. Sie diente mir als Einstieg, weil sie leicht verständlich ist und weil sie in etwa dem entspricht, was die meisten Menschen unter dem Begriff Kommunikation verstehen. Es ist sehr einfach und bildhaft, ein simples Transportmodell auf die Kommunikation zu adaptieren und es gibt einen erstaunlich breiten Konsens darüber, dass wir kommunizieren, um uns anderen Menschen mitzuteilen. Stellen Sie doch einmal in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis die Frage, warum Menschen miteinander kommunizieren. Sie werden fast immer zur Antwort bekommen: Damit man sich miteinander austauschen kann. . 46 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="62"?> Auch einige Sprachwissenschaftler sind der Ansicht, dass die Kommunikation der Lösung eines Transportproblems dienen soll. Im Lexikon der Sprachwissenschaft von H ADUMOD B U ß MANN , dem Standardwerk für Linguisten, können wir lesen, Kommunikation sei „ [j]ede Form von wechselseitiger Übermittlung von Information durch Zeichen/ Symbole zwischen Lebenwesen “ 28 oder „ [z]wischenmenschliche Verständigung mittels sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel “ 29 . Nun ist es aber ganz und gar nicht der Fall, dass Kommunikation einem solch technischen Prozess der Informationsvermittlung entspräche. Die Gründe dafür habe ich Ihnen bereits im Abschnitt zur Kommunikation im engen Sinn dargelegt und ich möchte sie nur noch einmal kurz wiederholen: Wenn wir mit anderen Menschen kommunizieren, dann kommt es dabei nicht in erster Linie zum Austausch von Informationen und erst recht wird keiner unserer Gedanken von unserem Kopf in den Kopf eines anderen transportiert. Auch zwischenmenschliche Verständigung muss gar nicht Ziel unserer Kommunikationsbemühungen sein. Manchmal kommunizieren wir auf eine bestimmte Weise, gerade damit wir nicht verstanden werden. Manche Ärzte drücken sich ja allein deswegen so unklar aus und involvieren in ihre Sätze die schwierigsten Fachvokabeln, damit ein Patient oder ein Angehöriger sie nicht verstehen kann. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang noch einmal das Beispiel aus der politischen Kommunikation präsentieren, mit dem P EER S TEINBRÜCK das Gesprächsverhalten vieler Politiker pointiert kritisiert. Der Satz lautet: Eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine solide Basis. Wenn Politiker solche Sätze äußern (z. B. in Interviews), dann dürften sie sich wohl bewusst sein, dass sie mit der Äußerung absolut keine Information an die Bürger weitergeben. Und es dürfte auch nicht ihr Ziel sein, durch einen solchen Satz Informationen wechselseitig zu übermitteln oder zu einer zwischenmenschlichen Verständigung beizutragen. Inhaltsleere Sätze wie unser Beispielsatz erfüllen einen ganz anderen Zweck: Solche Sätze sollen den Anschein erwecken, dass der Redner das Ruder fest in der Hand hat. Sie sollen über eine mangelnde Kompetenz durch einen gewissen Wohlklang hinwegtäuschen. Sie sollen den Hörer also in erster Linie beeinflussen. In der Medizinischen Kommunikation geht es ebenfalls in erster Linie darum, den anderen zu etwas Bestimmtem zu bewegen, ihn also in gewisser Weise zu beeinflussen. Dabei ist Persuasion als Ziel der Kommunikation gar nicht negativ zu verstehen, auch wenn das Beispiel aus der politischen Kommunikation vielleicht einen negativen Eindruck erweckt. Beeinflussung kann 28 B U ß MANN 2002: 354. 29 B U ß MANN 2002: 354. Warum kommunizieren wir eigentlich? - Zur Funktion von Kommunikation im Alltag 47 <?page no="63"?> auch schon bedeuten, dass ich mein Gegenüber dazu bringen möchte, mir einen bestimmten Sachverhalt zu glauben, den ich aufgrund meines Fachwissens besser beurteilen kann als er. Beeinflussung kann auch bedeuten, dass ich mein Gegenüber dahingehend lenken möchte, mir eine Tatsachenaussage als wahr abzunehmen - und dabei muss es sich gar nicht um eine Lüge handeln. In manchen Fällen geht es mir darum, er möge erkennen, dass ich ihn dazu bewegen möchte, eine Information von mir aufzunehmen. Das ist die einfachste - und unproblematischste - Form der Beeinflussung beim zwischenmenschlichen Kommunizieren. Das Wort „ Beeinflussung “ muss nicht unbedingt als etwas Schlechtes verstanden werden. Schon allein, wenn Sie Ihren Patienten beim Eintreten in Ihren Behandlungsraum mit den Worten Guten Tag, Herr Mayer begrüßen, möchten Sie ihn in dem hier vertretenen Sinn beeinflussen. Sie wollen ihn mit Ihrem Gruß dazu bringen, dass er erkennt, dass Sie ihm gegenüber aufgeschlossen sind, dass Sie ihn wertschätzen (deshalb nennen Sie ihn beim Namen) oder dass Sie jetzt bereit für das Gespräch mit ihm sind. In anderen Fällen geht es Ihnen vielleicht darum, er möge sich auf eine bestimmte Weise verhalten, einen bestimmten Eindruck von Ihnen bekommen oder sonstige Dinge. Wenn Sie als Arzt Ihrem Patienten sagen, er solle mehr Sport treiben, dann wollen Sie ihn dazu bringen, dass er sich mehr bewegt. Und wenn Sie in einem Vortrag eines Kollegen gähnen (und das Gähnen von Ihnen absichtsvoll als Zeichen ausgesendet wird), dann wollen Sie ihn dazu bringen, zu erkennen, dass er Sie langweilt. Was auch immer das Ziel Ihrer kommunikativen Handlung ist, in jedem Fall gilt: Wer kommuniziert, will den anderen zu etwas Bestimmtem bringen: „ Kommunikation soll jedes intentionale Verhalten genannt werden, das in der Absicht vollzogen wird, dem anderen auf offene Weise etwas zu erkennen zu geben. [. . .] Kommunikation ist Beeinflussung unter Respektierung der Entscheidungsfreiheit des anderen “ 30 . Dass die Entscheidungsfreiheit des anderen gerade in der Medizinischen Kommunikation bisweilen eingeschränkt ist, liegt in der Natur der Sache. Wenn Sie einen Patienten dazu bringen wollen, dass er sich einer für Ihn lebensnotwendigen Operation unterzieht, werden Sie ihn vermutlich durch Ihr Gesprächsverhalten sehr deutlich lenken - bisweilen so, dass er die Lenkung durch Sie gar nicht erkennt. Ein solches persuasives Gesprächsverhalten, das im Einzelfall den Entscheidungsspielraum des Patienten einschränkt, ist im medizinischen Bereich häufig unkritisch und manchmal sogar notwendig. Aber es sollte sich dabei um Einzelfälle und Ausnahmen handeln. 30 K ELLER 1995: 105. 48 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="64"?> Kommunikation darf zwischen Arzt und Patient nicht der Durchsetzung des Willens des Arztes dienen und in dieser Weise ist die Beeinflussungsfunktion auch nicht zu verstehen. Ansonsten würde sich die Äußerung des Satzes Gehen Sie doch bitte die Treppe herunter von einem Tritt, mit dem Sie Ihren Gesprächspartner die Treppe hinunter befördern, nur dadurch unterscheiden, dass die Beeinflussung im ersten Fall sprachlich erfolgt, im zweiten Fall hingegen physisch. In beiden Fällen wäre das Beeinflussungsziel dasselbe. Nur die Aufforderung, weil sie die Entscheidungsfreiheit des Gegenüber respektiert, ist Kommunikation - der Tritt mit dem selben Ziel ist eine Körperverletzung. Allgemein gesagt ist also die Funktion (und damit der Sinn) von Kommunikation, dass man einen anderen Menschen mittels kommunikativer Zeichen dazu bringen möchte, zu erkennen, dass man ihm a) etwas Bestimmtes zu verstehen geben möchte und b) was das sein soll. Oder anders: Mein Gegenüber soll etwas Bestimmtes erkennen, das ich ihm zu verstehen geben möchte und er soll darauf in bestimmter Weise reagieren. Gute Kommunikation lebt deshalb davon, dass mein Gesprächspartner möglichst genau erkennen kann, zu was ich ihn bringen möchte. Wenn es nicht gelingt, das Ziel der Beeinflussung im Gespräch kenntlich zu machen, kann Kommunikation scheitern. Oder anders ausgedrückt: Kommunikation scheitert immer dann, wenn das beabsichtigte Beeinflussungsziel nicht erreicht wird. Insbesondere, wenn der Partner nicht erkennt, wozu man ihn bringen möchte, kommt es regelmäßig zum Scheitern von Kommunikationshandlungen, woraus sich Fehl- und Missverständnisse ergeben können. Vorrangiges Ziel gelingender Kommunikation ist es also, dem Gesprächspartner das Ziel der Beeinflussung mit den jeweils im Kontext geeigneten kommunikativen Mitteln (Sprache, Mimik, Gestik etc.) deutlich zu machen. Klare Ausdrücke und unmissverständliche Zeichen sind dafür ebenso unerlässlich wie eine hohe Reflexionsfähigkeit für extrasprachliche Einflüsse (z. B. die Umgebung) auf Seiten des Arztes. Der Sprachwissenschaftler R UDI K ELLER stellt dazu fest: „ Kommunizieren ist also eine Handlung, die darin besteht, dem anderen Hinweise zu geben, um bei ihm einen Prozeß in Gang zu setzen (den des Interpretierens), der zum Ziel hat, das gewünschte Beeinflussungsziel herauszufinden, das heißt, die Handlung zu verstehen “ 31 . 31 K ELLER 1995: 106 . . Warum kommunizieren wir eigentlich? - Zur Funktion von Kommunikation im Alltag 49 <?page no="65"?> 2.3 Kapitelzusammenfassung Dieses Kapitel hat wesentliche Befunde zu Kommunikation im Allgemeinen hervorgebracht. Sehen wir uns diese Ergebnisse in der Zusammenfassung noch einmal an: þ Sprechen und Kommunizieren sind zwei Paar Schuhe. Man kann kommunizieren, ohne zu sprechen, und sprechen, ohne zu kommunizieren. þ Kommunikation ist ein riskantes Unterfangen und erfordert besonders von Ärzten ein gründliches Verständnis der dabei ablaufenden Prozesse. þ Missverständnisse entstehen durch mangelnde Reflexion des eigenen kommunikativen Handelns. þ Kommunikation ist immer eng verwoben mit Bedürfnissen. Gute Kommunikation auf Seiten des Arztes befriedigt das Bedürfnis der Patienten nach Zuwendung und schenkt Vertrauen. þ Kommunikation als diffuser Begriff lässt sich in Kommunikation im engeren Sinn und in Kommunikation im weiteren Sinn unterteilen. þ Kommunikation im engeren Sinn ist verbale Kommunikation. Sie erfordert Sprache und Sprachbewusstsein. þ Verbale Kommunikation ist unmittelbar an den Aspekt des absichtsvollen Wortgebrauchs gekoppelt. þ Verbale Kommunikation benötigt eine klare und deutliche Sprache. Unklare Ausdrücke führen in der Arzt-Patienten-Kommunikation zu Missverständnissen und Problemen. þ Kommunikation im weiteren Sinn ist alles, was als kommuniziert interpretiert werden kann. þ Die Interpretation von kommunikativen Handlungen und Zeichen ist kulturell determiniert. þ Es gibt keinen Ausweg aus der Interpretierbarkeit. þ Nicht alles, was interpretierbar ist, ist auch bewusst kommuniziert. Hier liegen Fallstricke in der Medizinischen Kommunikation. þ Kommunikation ist Mittel der wechselseitigen Beeinflussung und nicht die Lösung eines Transportproblems. þ Kommunikation ist ein duales System und folgt ähnlich einem Spiel bestimmten Regeln. þ Durch Kommunikation lassen sich Ziele erreichen. Man kann durch kommunikative Zeichen und Handlungen seinem Gegenüber zu erkennen geben, zu was man ihn bringen möchte. 50 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="66"?> þ Kommunikation ist ein gesteuerter Prozess und erfordert in der Medizinischen Kommunikation eine hohe Reflexionsfähigkeit auf Seiten des Arztes. þ Kommunikation darf nicht der Durchsetzung des Willens des Arztes dienen, sondern ist auch im medizinischen Bereich immer soziale Interaktion. Ein mögliches Mittel, mit dem es uns gelingt, einem anderen zu verstehen zu geben, zu was wir ihn bringen wollen, ist die Sprache. Oder besser: Es sind sprachliche Zeichen, mit deren Hilfe wir kommunizieren können. Aber was ist das eigentlich, die Sprache? Woher kommt sie und wozu dient sie uns Menschen? Wir haben uns in Ansätzen bereits diesen Fragen genähert. Im Folgenden wollen wir unser Wissen über sprachliche Zeichen vertiefen. Dabei müssen wir uns auch der Frage stellen, die viele Patienten beschäftigt: Warum reden Mediziner eigentlich so furchtbar kompliziert? Braucht man eine Fachsprache, wo wir doch eine so schöne und verständliche Alltagssprache haben? Übungsfragen und -aufgaben zu diesem Kapitel 1. Was versteht man unter Kommunikation im engeren Sinn? Nennen Sie Beispiele aus der ärztlichen Gesprächspraxis! 2. Erläutern Sie, an welchen Faktoren Kommunikation im engeren Sinn scheitern kann und wie Sie das Scheitern verhindern können! 3. Erklären Sie anhand von praxisnahen Beispielen den Unterschied zwischen Kommunikation im engeren Sinn und Kommunikation im weiteren Sinn! 4. Was versteht man unter dem Begriff „ duales System “ ? Erklären Sie das anhand der Spiel-Metapher! 5. Dient Kommunizieren dem Austausch von Informationen? Erklären Sie die Problematik hinter dieser Denkweise! 6. Was ist die Funktion von Kommunikation? Erläutern Sie in diesem Zusammenhang die Begriffe „ Persuasion “ und „ Interpretieren “ ! 7. Was verstehen Sie unter kommunikativem Scheitern? 8. Nennen Sie Beispiele für alltägliche Handlungen, die keine Kommunikation darstellen! Erklären Sie mit eigenen Worten, wie sich diese Handlungen von kommunikativen Handlungen unterscheiden! 9. Skizzieren Sie grob den Zusammenhang zwischen Sprechen und Kommunizieren! Kapitelzusammenfassung 51 <?page no="67"?> Weiterführende Literatur zu diesem Kapitel Die Literatur zum Themenbereich Kommunikation ist mehr als umfangreich. Neben diversen Ratgebern gibt es Einführungen in die zwischenmenschliche Kommunikation, Einführungen in die Kommunikationswissenschaft als Fachwissenschaft, Bücher zur Kommunikationspsychologie oder zur technischen Kommunikation (Maschinenkommunikation) und es gibt zahlreiche sprachwissenschaftliche Einführungen zu diesem Thema. Daher ist es nicht leicht, hier eine Empfehlung auszusprechen. Am ehesten eignet sich zur Vertiefung wohl P LATE 2013, der einen umfassenden Einblick liefert. Eine sprachwissenschaftliche Sichtweise von Kommunikation wird vertreten von K ELLER 1995. Die meisten der in diesem Kapitel vertretenen Positionen haben dort ihren Ursprung, insbesondere die Frage nach der Funktion von Kommunikation. Für einen Einblick in die Methodik und die Forschungsfelder der Kommunikationswissenschaft empfehle ich die Lektüre von K RALLMANN / Z IEMANN 2001. Weitere Literatur zum Thema werde ich in den Kapiteln 3 und 4 vorstellen, wenn insbesondere die prominenten verhaltenspsychologischen und sprachwissenschaftlichen Kommunikationsmodelle und -theorien in den Fokus rücken. 52 Was ist Kommunikation - und was passiert dabei? <?page no="68"?> 3 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? D IE G RENZEN MEINER S PRACHE BEDEUTEN DIE G RENZEN MEINER W ELT . L UDWIG W ITTGENSTEIN Ziele und Warm up Dass Sprechen und Kommunizieren nicht dasselbe ist, haben wir bereits festgestellt. Sprache ist nur eine von vielen Möglichkeiten des Kommunizierens und sie ist Mittel zum Zweck. Aber was genau ist das denn eigentlich - die Sprache? Gibt es Unterschiede zwischen unseren Lautäußerungen und denen der Tiere? Woher haben wir unsere Sprache? Und wozu dient sie uns genau? Warum sprechen wir anders, wenn wir mit Patienten reden, als wenn wir uns mit Freunden unterhalten? Wozu gibt es in der Medizin eine so schwierige Fachsprache und brauchen wir sie überhaupt? Solche Fragen sollen uns im Folgenden begleiten und wir werden versuchen, Antworten darauf zu finden und zu erklären, welche Tücken die menschliche Sprache - ganz besonders die Fachsprache - für die Kommunikation mit Patienten bereithält. Überlegen Sie sich zum Einstieg einmal, was Sie über die menschliche Sprache bereits wissen. Beantworten Sie dazu folgende Fragen und machen Sie sich gerne auch stichwortartige Notizen dazu: Haben Sie Haustiere? Können Ihre Tiere mit Ihnen sprechen? Wie unterscheidet sich die Sprache der Menschen von den Lauten der Tiere? Was ist die Funktion der menschlichen Sprache? Wozu verwenden Sie Ihre Sprache im Alltag? Woher wissen Sie, was ein Wort bedeutet? Finden Sie die medizinische Fachsprache einfach? Wozu brauchen Sie in Ihrem Beruf oder Studium medizinische Fachbegriffe? Kann man auch ganz ohne Sprache kommunizieren? Finden Sie Beispiele. <?page no="69"?> 3.1 Sprache - ein komplexes Zeichensystem Wenn Kommunikation in erster Linie dazu da ist, den anderen zu etwas Bestimmtem zu bewegen, dann dürfte auch die menschliche Sprache aus einem ähnlichen Grund in die Welt gekommen sein: Wir Menschen haben sie, um uns die Erfüllung unserer kommunikativen Ziele zu erleichtern. Dabei ist das Vorhandensein einer Sprache weder notwendig noch hinreichend für unsere menschliche Kommunikation: Wir können auch ohne Sprache kommunizieren und Sprache allein macht auch noch keine Kommunikation aus. Die im Folgenden vertretene These lautet daher: Die Fähigkeit zur Kommunikation ist eine Grundbedingung für den Besitz einer menschlichen Sprache. Oder anders ausgedrückt: Wenn wir Menschen nicht die Fähigkeit zur absichtsvollen Beeinflussung unserer Mitmenschen besäßen, dann hätten wir auch keine Sprache. Diesen Umstand, weil er für unsere kommunikativen Handlungsmöglichkeiten sehr zentral ist, möchte ich im Weiteren näher erläutern. Ich stelle dazu zunächst eine Behauptung auf und werde Ihnen dann zeigen, warum diese Sicht der Dinge angemessen ist: Sprache ist nicht die Bedingung für Kommunikation, sie ist vielmehr eine evolutionäre Folge unserer kommunikativen Bemühungen. Menschliche Sprache unterscheidet sich von tierischen Lauten dadurch, dass Lautäußerungen bei Tieren eher Ausdruck innerer Ereignisse sind und nicht der Kommunikation in unserem Sinn entsprechen dürften. Während unsere Sprache den Charakter der Zeichenhaftigkeit trägt - wir also mit sprachlichen Zeichen absichtsvoll kommunizieren, um andere Menschen in der von uns gewünschten Weise zu etwas zu bringen - , sind tierische Laute eher als Symptome zu deuten. Die Bedeutung sprachlicher Zeichen ist im Gegensatz zu Symptomen, die natürlich hervorgebracht werden, konventionell, also durch Übereinkunft definiert. Sprachliche Zeichen müssen daher bewusst oder unbewusst erlernt werden. Auch bei uns Menschen gibt es zahlreiche Symptome und ich möchte Ihnen diesen Unterschied zwischen Symptomen und Zeichen anhand von Beispielen aus der ärztlichen Praxis verdeutlichen: Wenn ein Patient zu Ihnen in die Sprechstunde kommt und über Schmerzen in der Brust klagt, dann sind die Schmerzen möglicherweise ein Hinweis auf eine koronare Erkrankung. Ein verzerrtes Gesicht, kalter Schweiß auf der Stirn und Gesichtsblässe sind für Sie als Arzt interpretierbare Symptome der Krankheit, die Sie nicht über das Gespräch gewinnen, sondern dem Patienten an seinem Aussehen ablesen können. Wenn . 54 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="70"?> Sie einem Angehörigen mitteilen müssen, dass sein geliebter Partner verstorben ist, dann wird er vielleicht mit Weinen und Schreien darauf reagieren. Und wenn Sie Zahnarzt sind, dann kennen Sie sicher den Schweiß auf der Stirn mancher Patienten (den Autor dieses Buches eingeschlossen), der als ein Symptom einer psychischen Erregung zu deuten ist. All diese Symptome unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von sprachlichen oder außersprachlichen Zeichen: Zwar können Sie als Mediziner solche Symptome ebenso deuten wie ein sprachliches Zeichen, aber Symptome dienen nicht der Kommunikation. Sie werden weder absichtsvoll hervorgebracht noch sollen sie der Beeinflussung dienen. „ Symptome können ähnliche Effekte hervorrufen wie sprachliche Zeichen “ 32 , aber sie sind keine sprachlichen Zeichen. Sprache, wie wir sie haben, ist ein System von Zeichen und sie dient uns zur absichtsvollen Kommunikation und es ist sehr plausibel anzunehmen, dass die Fähigkeit zur Kommunikation eine Bedingung war, damit Sprache sich überhaupt ausbilden konnte. Tierischen Lauten fehlt das Zeichenhafte, das unsere menschliche Sprache ausmacht. Tierische Kommunikation basiert auf Symptomen und selbst Hundebesitzer, die oftmals behaupten, ihr Tier „ spreche “ mit ihnen, werden einräumen müssen, dass ein Schwanzwedeln oder ein Knurren eher ein Symptom für einen inneren Vorgang in ihrem Hund als ein absichtsvoll ausgesendetes Zeichen zum Zweck der Beeinflussung ist - auch wenn viele Herrchen anders empfinden, weil sie menschliche Kommunikation auf die symptomischen Handlungen ihres Tieres projizieren. Der Linguist H EINZ V ATER schreibt: „ [Ein Hund] kann - nach einem Ausspruch von B ERTRAND R USSELL - nicht mitteilen, dass seine Eltern arm, aber ehrlich waren “ 33 . Exkurs: Karlheinz, der Affenmensch - oder: Wie sind wir überhaupt zur Sprache gekommen? 34 Vor rund 1 Mio. Jahren lebte in der Savanne Afrikas eine Horde Affenmenschen, also eine Gattung Lebewesen, die weder Mensch noch Affe war. Was diese Affenmenschen von den Menschen unterschied, war, dass sie keine Sprache hatten. Dennoch konnten sie sich untereinander verständigen, indem sie knurrten oder keiften, wenn sie verärgert waren oder indem sie wimmerten, wenn es ihnen schlecht ging. Diese Laute waren Ausdruck ihrer Gefühle. Wenn die Affenmenschen Angst hatten, dann schrien sie laut, auch um die anderen Familienmitglieder zu warnen. 32 K ELLER 2003: 38. 33 V ATER 1999: 17. 34 Dieses kleine Märchen stammt von R UDI K ELLER und wird hier nur verkürzt wiedergegeben (vgl. K ELLER 2003: 37 ff.). Sprache - ein komplexes Zeichensystem 55 <?page no="71"?> In der Horde lebte ein Affenmensch mit Namen Karlheinz. Karlheinz war ein eher schmächtiger Bursche und sein Rang in der Gruppe war niedrig. Dafür war Karlheinz ziemlich clever - und eigentlich immer hungrig. Jeden Abend, wenn die kleine Gruppe um ihr Feuer saß und die Beute des Tages verspeiste, war es Karlheinz, der stets als Letzter etwas zu fressen bekam. Die Lautesten und Stärksten in der Gruppe sicherten sich die leckersten Happen, so ging es tagein und tagaus. Karlheinz saß jedes Mal ein wenig abseits und wartete traurig darauf, die letzten Reste der Beute abzubekommen. Eines Abends, die Gruppe saß wieder am Futterplatz zusammen und verzehrte ihre Beute, erblickte Karlheinz einen Tiger im Gebüsch unweit des Platzes. Sofort stieß er einen lauten Angstschrei aus, woraufhin die restlichen Affenmenschen sogleich von ihrem Fressen abließen und das Weite suchten. Der Schrei, den Karlheinz ausgestoßen hatte, war ein Symptom der bloßen Angst. Wie versteinert blieb er an seinem Platz sitzen, unfähig, sich zu rühren. Da erschien aus dem Gebüsch nicht etwa ein gefährlicher Tiger, sondern ein harmloses kleines Schweinchen, das mehr Angst vor Karlheinz hatte als er vor ihm. Karlheinz hatte sich geirrt. Als Karlheinz nun sehr erleichtert sah, dass er jetzt der einzige am Futterplatz war, musste er grinsen. Das ganze schöne Fressen hatte er für sich allein, weit und breit war niemand zu sehen, der es ihm streitig machen konnte. Nachdem er sich den Bauch vollgeschlagen hatte, kam ihm eine zündende Idee: Warum sollte er das, was ihm versehentlich passiert war, nicht künftig willentlich tun? Als am nächsten Abend wieder einmal kein Platz für ihn an der Futterstelle frei war, packte ihn der Mut und er imitierte haargenau den Schrei des Vorabends und wieder flüchteten alle anderen Affenmenschen - Karlheinz konnte sich erneut in aller Seelenruhe vollfressen. Karlheinz fand Gefallen an seinem Trick und übertrieb. Eines Tages wurde einer der anderen Affenmenschen misstrauisch. Statt zu fliehen, blieb er sitzen und als er sah, dass keine Gefahr drohte, hatte er die Täuschung durchschaut. Immer mehr Affenmenschen kamen dem Trick mit dem Schrei auf die Schliche und so verbreitete er sich rasend schnell. Jeder, der ihn kannte, wollte es selbst einmal ausprobieren. Natürlich ging das nicht lange gut. Als die stärkeren Affenmenschen dahinter kamen, war das Spiel vorbei - und Karlheinz musste wieder hungern und um Almosen betteln. Eines Tages geschah etwas, was man als den ersten tatsächlich kommunikativen Akt im menschlichen Sinne bezeichnen kann: Einer der Chefs der Truppe, der es nie nötig gehabt hatte, den Angstschrei zu imitieren, um an Nahrung zu kommen, verwendete den Schrei, als ihm einer der Habenichtse zu nahe kam - nicht aber, um ihn zu täuschen, sondern um ihm ganz direkt zu verstehen zu geben, er solle schleunigst verschwinden. Dabei musste er den Schrei nicht einmal sonderlich gut imitieren. Ganz im Gegenteil: Es sollte erkennbar sein, dass es sich nicht um einen Schrei der Angst handelt, sondern um ein willentlich und absichtsvoll hervorgebrachtes Imitat. 56 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="72"?> Die Bedeutung dieses sehr rudimentären ersten menschlichen Wortes könnte man frei übersetzen mit: Hau bloß ab, sonst gibt es was mit der Keule auf die Mütze! Bei Fußballspielen u. ä. Veranstaltungen lässt sich diese sehr archaische menschliche Kommunikation noch heute bisweilen beobachten. Der Schrei war zu einem sprachlichen Zeichen geworden und die naturhafte Kommunikation hatte ihre Unschuld verloren. Der Schrei war nicht mehr länger Ausdruck, also ein Symptom von Angst, sondern zum Ausdruck eines Willens und damit zum Mittel einer kommunikativen Handlung geworden. Und so war es Karlheinz, der den Menschen über Umwege und aus Hunger die Sprache gebracht hat. Auch wenn es sich bei dieser Geschichte um ein Märchen handelt, das in einem wissenschaftlichen Sinn bei Weitem keinen Anspruch auf Korrektheit erhebt, können wir doch eines daraus lernen: Menschliche Kommunikation durch Sprache bedeutet, ein System konventioneller sprachlicher Zeichen mit einer bestimmten Syntax zu haben, mit dessen Hilfe man einem anderen Menschen zu erkennen geben kann, wozu man ihn bringen möchte. Die Entstehung von Sprache hängt also unmittelbar mit der Fähigkeit zu kommunizieren zusammen; und Letzteres ist die Voraussetzung für menschliche Sprache, wie wir sie heute kennen. Ob nun Karlheinz tatsächlich der Erfinder des ersten sprachlichen Zeichens war oder nicht, spielt dabei keine Rolle - aber es ist eine schöne Vorstellung. Die Tatsache, dass wir auch ohne Sprache kommunikativ handeln können (z. B. durch Gesten oder durch unsere Kleidung) zeigt, dass Sprache nicht die Voraussetzung für menschliche Kommunikation ist, sondern dass menschliche Kommunikationsfähigkeit eine Voraussetzung für menschliche Sprache (als kommunikatives Zeichensystem) darstellt: „ Kommunizieren unter Zuhilfenahme konventioneller Mittel, wie z. B. sprachlicher Zeichen, ist ein spezieller Fall von Kommunikation; wenngleich es heutzutage für uns die normale und überwiegend praktizierte Art und Weise zu kommunizieren ist “ 35 . Sprache erleichtert uns das Kommunizieren und für Kommunikation im engeren Sinn (vgl. Kapitel 2.1.1) ist Sprache auch zwingend notwendig. Nur durch ein absichtsvoll hervorgebrachtes Augenrollen oder durch Ihre Körpersprache können Sie keinem Patienten erklären, was Sie bei ihm diagnostiziert haben. Dafür benötigen Sie Sprache. Für Kommunikation im weiteren Sinn aber - und das ist die vielleicht wichtigere Form des Kommunizierens - können Sie 35 K ELLER 2003: 44. . Sprache - ein komplexes Zeichensystem 57 <?page no="73"?> auf Sprache gut verzichten. Die meisten Botschaften, die Sie kommunikativ aussenden, sind nonverbal und benötigen das sprachliche Zeichensystem überhaupt nicht. Auch diese Tatsache lässt vermuten, dass es sich mit der Sprache so verhält, dass zuerst die kognitive Fähigkeit zur Kommunikation und erst dann die Sprache in die Welt gekommen ist. Der Umstand, dass sich Sprache ständig wandelt, legt diesen Schluss ebenfalls nahe. Man kann sagen: Sprache ist für uns Menschen ein brauchbares Werkzeug, damit wir unsere kommunikativen Ziele erreichen können. Sprache ist für unsere spezielle Thematik von besonderer Bedeutung, denn die Vermittlung von Fachinformationen im ärztlichen Gespräch geschieht mithilfe sprachlicher Zeichen. Dabei besteht das Zeichensystem in erster Linie aus Wörtern, die bestimmte Bedeutungen tragen. So hat das Wort „ Krankheit “ in unserem Wortschatz eine Bedeutung, die sich in etwa so ausdrücken lässt: Verwende das Wort „ Krankheit “ , wenn Du von einem Zustand der körperlichen Beeinträchtigung sprechen willst. Viele Begriffe haben ähnliche Bedeutungen, doch kann man den Begriff „ Krankheit “ z. B. von den Wörtern „ Verletzung “ oder „ Behinderung “ abgrenzen. In aller Regel ist das für jeden Sprecher des Deutschen mühelos möglich, weil es sich um konventionelle Begriffe handelt, die jeder kennt. Oder ein wenig technischer ausgedrückt: Jeder Sprachbenutzer kennt die Regeln, die für den Gebrauch des Wortes „ Krankheit “ in unserer Sprachgesellschaft gelten - und er kennt damit die Bedeutung des Wortes. Nun ist es ganz entscheidend, wenn wir uns durch Sprache miteinander verständigen wollen, dass die Bedeutungen der Wörter, die wir als kommunikative Zeichen verwenden, unserem Gesprächspartner bekannt sind. Schon ein einziges unbekanntes Wort in einem Satz kann das Verständnis negativ beeinflussen. Dazu ein typischer Satz aus der ärztlichen Anamnese: Ist Ihr Stuhlgang regelrecht? Während die meisten Patienten sicher die Bedeutungen der Wörter „ Ist “ , „ Ihr “ und „ Stuhlgang “ kennen und auch syntaktisch schließen können, dass Sie eine Frage formuliert haben, ist die Bedeutung des Wortes „ regelrecht “ für viele Menschen eher nebulös. Selbst wenn ich die Bedeutung kenne (regelrecht = normal), weiß ich als Patient aber noch lange nicht, was Sie als Arzt unter normal verstehen: Was für mich als Patient an meinem Stuhlgang regelrecht ist, muss noch lange nicht im medizinischen Sinne regelrecht sein. Sie sehen: Sprache ist zwar ein wichtiges Hilfsmittel, damit wir z. B. Informationen in Erfahrung bringen können (und als Arzt sind Sie auf Informationen angewiesen), aber sprachliches Handeln muss reflektiert sein. Es gibt nämlich nicht die Sprache, die wir alle sprechen, sondern eine Vielzahl sozial oder regional bedingter sprachlicher Varietäten. 58 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="74"?> Eine solche sprachliche Varietät ist für die Medizinische Kommunikation von entscheidender Wichtigkeit: Es ist die (medizinische) Fachsprache. 3.2 Fachchinesisch in der Medizinischen Kommunikation - Wozu brauchen wir eigentlich eine Fachsprache? Sprachliche Mittel im Alltag dienen uns dazu, damit wir uns in der Gesamtgesellschaft, in der wir leben, miteinander verständigen können. Dazu verfügen alle Mitglieder der Gemeinschaft über (mehr oder weniger) dieselben Wörter. Als Linguist würde man sagen: Alle Sprachbenutzer können auf denselben gemeinsamen Zeichenvorrat zurückgreifen. Man nennt daher die gemeinsam gesprochene Sprache einer Sprachgemeinschaft auch Gemeinsprache. Dass es in Wirklichkeit gar nicht so etwas wie die Sprache gibt, die wir alle sprechen, wissen Sie sicher aus Ihrer eigenen Lebenserfahrung. Sie werden mit Ihrem Automechaniker anders sprechen müssen, als Sie das möglicherweise an der Universität mit Professoren Ihres Fachbereichs oder mit Kollegen für nötig halten: Das Variieren mit den Mitteln aus Ihrem sprachlichen Repertoire dient situationsbezogen der einfacheren und besseren Verständigung oder es dient sozialen Zwecken (z. B. dem Imponieren oder dem Vermitteln eines bestimmten Eindrucks von Ihrer Person). Das Sprachvermögen und insbesondere der Wortschatz der Menschen unterscheiden sich dabei je nach sozialer oder regionaler Herkunft und Bildung. Schätzungen zufolge umfasst die deutsche Sprache zwischen 300 000 und 500 000 Wörter - und sie wandelt sich ständig. Fast täglich gelangen neue Wörter in unsere Sprache und genauso rasch und häufig verschwinden Wörter, weil wir sie nicht mehr verwenden. Modewörter oder moderne Wortneuschöpfungen wie z. B. das im Jahr 2013 gewählte „ Unwort “ des Jahres Sozialtourismus sind solche transitorischen Erscheinungen. Unmöglich ist es, den gesamten Wortschatz der Gemeinsprache zu beherrschen. Auch wenn Sie noch so gebildet sind, werden Sie vermutlich nicht mehr als 100 000 Wörter kennen, wobei Sie noch lange nicht alle diese Wörter tatsächlich benutzen. Die Sprachwissenschaft geht davon aus, dass ein durchschnittlicher Erwachsener zwischen 8 000 und 16 000 Wörtern aktiv gebraucht; die große Mehrheit der Sprachbenutzer kommt wohl mit rund 5 000 Wörtern aus. Diese Daten zeigen Ihnen, dass Sie in Ihrer ärztlichen Tätigkeit vor dem Problem stehen werden, dass sich die Zahl der von Ihnen möglicherweise verwendeten Wörter und die Menge der von Ihren Patienten verstandenen Begriffe deutlich unterscheiden können. Die Sprache ist so komplex, dass Fachchinesisch in der Medizinischen Kommunikation 59 <?page no="75"?> Missverständnisse allein durch diesen Umstand kaum zu vermeiden sind. Für Ihr aktives sprachliches Handeln heißt das: Verwenden Sie Begriffe, die allgemein und leicht verständlich sind. Bereits vermeintlich landläufig bekannte Fremdwörter können von Ihrem Gegenüber im ungünstigen Fall nicht verstanden werden. Erschwert wird die sprachliche Kommunikation in der ärztlichen Praxis zudem dadurch, dass der Fachbereich Medizin mit einer sehr umfangreichen und für Laien nicht zu verstehenden Fachsprache aufwartet. Fachsprachen gehören wie beispielsweise Dialekte zu den Varietäten eines Sprachsystems und grenzen sich von der Gemeinsprache ab. Da nicht alle Sprecher einer Sprachgemeinschaft solche Fachsprachen verwenden und verstehen können, zählen Fachsprachen zu den sogenannten kontrollierten Sprachen. Zusammen mit der Gemeinsprache bilden die Fachsprachen und die Dialekte die Gesamtsprache. Dass man für Fachsprachen gerne (eher abwertende) Synonyme wie Fachchinesisch oder Fachlatein verwendet, unterstreicht das Problem der Unverständlichkeit für weite Teile der Sprachgemeinschaft. Dabei ist gerade die medizinische Fachsprache als Wissenschaftssprache (lingua franca) von lateinischen Fachbegriffen durchzogen, die sich auch mit größter Mühe mit dem Wortschatz des Deutschen nicht übersetzen oder verstehen lassen. Kein Patient, der nicht in der Schule Lateinunterricht genießen durfte, kann mit Begriffen wie morbus, intravenös oder toxisch etwas anfangen. Und auch jeder Medizinstudent weiß, dass sich die medizinische Fachsprache nicht intuitiv erschließt, sondern - ähnlich wie eine Fremdsprache - gelernt werden muss. Latein- oder Griechischkenntnisse erleichtern zwar das Lernen, aber die unzähligen anatomischen Bezeichnungen für Organe und Gewebe (anatomische Nomenklatur), für Erkrankungen (oft sogenannte Wortkomposita: z. B. myocard- und -itis) oder Lage- und Richtungsbezeichnungen (dorsal, lateral, mesial, distal etc.) müssen in aller Regel als neue Begriffe von angehenden Medizinern erlernt werden. Zudem zeichnet sich die medizinische Fachsprache durch besondere Gebrauchskonventionen aus, die sich von der Verwendung bestimmter Begriffe in der Gemeinsprache unterscheiden: Ein positiver Befund ist in der Medizin in aller Regel eher negativ, so wie der Herd (einer Erkrankung) in der Medizin etwas anderes bedeutet als im Elektrogeschäft. Besonders in der lateinischen (und bisweilen altgriechischen) Verwurzelung der medizinischen Fachbegriffe liegt ein großes Problem der Medizinischen Kommunikation: Während man mit einem fundierten Wortschatz und einem guten Sprachgefühl z. B. den wirtschaftswissenschaftlichen Begriff Finanztransaktionssteuer aus der Kenntnis der Wortbestandteile herleiten kann und versteht, dass es sich dabei offenbar um eine Steuer für Transaktionen (also Hin- und 60 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="76"?> Herbewegungen) auf dem Finanzmarkt handelt, lässt sich die Bedeutung eines malignen Karzinoms allein aus dem Sprachgefühl nicht herleiten. Selbst wenn ein Patient hervorragend die lateinische Sprache beherrscht und weiß, dass Katarakt übersetzt Wasserfall heißt, kann er daraus noch nicht schließen, dass dieser Begriff fachsprachlich eine Trübung der Linse im Auge bedeutet, die er vermutlich unter dem Namen Grauer Star kennt. Fachsprachen sind keine Erfindung elitärer Wissenschaftler, damit sie von der breiten Masse der Bevölkerung nicht verstanden werden. Vielmehr erfüllen Fachsprachen, wie auch die medizinsche Fachsprache, sowohl einen soziologischen als auch einen eher technischen (funktionalen) Zweck. Soziologisch ergibt sich durch die Abgrenzung der Fachsprache von der Gemeinsprache ein Raum, in dem sich die Mitglieder einer bestimmten Fachdisziplin in ihrem eigenen Gebiet austauschen können. Fachsprachen dienen also auf dieser Ebene dazu, den Sprechern ein Gefühl der Gemeinschaft zu vermitteln (scientific community). Sowohl innerhalb der Gemeinschaft der Fachsprachenbenutzer als auch in der Darstellungsfunktion nach außen erweckt die Verwendung von fachsprachlichen Ausdrücken den Eindruck besonderer Kompetenz. Zugleich weist sie den gruppenexternen Sprachmitgliedern eine devote Rolle zu. Die medizinische Fachsprache ist damit ein elaborierter Sprachcode, der sich nur Wissenden und medizinisch Gebildeten erschließen soll. In vielen Fachsprachen ist dieser Umstand unproblematisch, weil es kaum Berührungspunkte zwischen den Sprechern der fachlichen Sondersprache und der sprachlichen Sphäre der Gemeinsprachenbenutzer gibt. Informatiker z. B. bleiben in ihrer Disziplin unter sich, ebenso Ingenieure, Botaniker oder Meteorologen. In der Medizinischen Kommunikation ist das anders: Der Patient ist nicht nur Objekt der medizinischen Handlung, sondern in erster Linie auch daran aktiv beteiligt (und zudem emotional betroffen). Kommunikation verlässt also in der Medizin den Raum des Privaten und wird öffentlich. Hierin unterscheidet sich die medizinische Fachsprache z. B. von der Seemannssprache: Außerhalb der Gruppe der Seeleute ist es überhaupt nicht notwendig, dass Fachbegriffe verstanden werden. Welchen Nutzen hätte es, Wörter wie abentern (von einem Mast herunterklettern), Poop (hinterer Decksaufbau) oder Kurre (Schleppnetz) zu kennen, wenn man nicht zur See fährt? Solche Begriffe dienen rein der Verständigung zwischen Seeleuten auf einem Schiff - und sie verlassen das Schiff i. d. R. nicht. Bei medizinischen Fachtermini sieht das anders aus. Begriffe wie Sinusitis, Koloskopie oder Prophylaxe sind auch für Patienten relevant, z. B. dann, wenn sie auf einem Überweisungsschein vermerkt sind . Fachchinesisch in der Medizinischen Kommunikation 61 <?page no="77"?> oder wenn der Patient mit ihnen in einem Arztbrief in Berührung kommt - Dokumente, die Sie ihm als Arzt möglicherweise aushändigen werden. Eine verständliche Übersetzung von Fachbegriffen in Begriffe der Gemeinsprache ist in der Medizinischen Kommunikation in vielen Fällen zwingend notwendig. Dasselbe lässt sich auch für die Behandlungssituation selbst feststellen. Häufig befindet sich der Patient mit Ihnen im gleichen Raum, wenn Sie Diagnosen erstellen und die Befunde Ihrer Untersuchung z. B. Ihrer Helferin diktieren. Welche Schwierigkeiten sich daraus ergeben können, möchte ich Ihnen anhand zweier Beispiele verdeutlichen: Versetzen Sie sich einmal gedanklich in die Situation, dass Sie Ihr Auto zu einer Routineinspektion in eine Werkstatt bringen. Der Meister begutachtet Ihr Fahrzeug und diktiert einem Lehrjungen - nach prüfenden Blicken - für Sie unverständliche Wörter, die der Azubi in seinen Diagnosebogen schreibt: Er murmelt etwas von einer Zylinderkopfdichtung, von Hydrostößeln mit Ventilspiel und von Achsmanschetten. Irgendwann werden Sie nervös, denn Sie befürchten, dass sich hinter den Fachbegriffen teure Reparaturen verstecken - obwohl Ihnen das weder der Meister noch sein Geselle gesagt haben. Sie schließen das allein daraus, dass Begriffe verwendet werden, die Sie nicht kennen und die sich für Sie „ nicht gut “ anhören. Dass Sie nicht verstehen, worüber da in Ihrem Beisein gesprochen wird, macht Sie zumindest unsicher. Und nun stellen Sie sich einmal die folgende Situation vor: Fallbeispiel: Ein ganz normaler Befund! ? Ein älterer Mann ist in seiner Wohnung gestürzt und klagt über Schmerzen an der Hüfte und am Brustkorb. Mit dem Rettungswagen wird der Patient in die Notaufnahme gebracht, in der Sie an diesem Tag Dienst haben. Nachdem Sie den älteren Herrn von Kopf bis Fuß eingehend untersucht und sein Röntgenbild ausgewertet haben, rufen Sie in dessen Beisein Ihrer Arzthelferin zum Diktat zu: 85-jähriger Patient in reduziertem AZ und adipösen EZ (175 cm, 98 kg), voll orientiert, Sprache flüssig, kein Fötor, Haut und Schleimhäute regelrecht durchblutet, Abdomen palpatorisch o. B., Thorax symmetrisch, Gleichstand der Zwerchfelle in normaler Höhe, bilateral 4 cm atemverschieblich, sonorer Klopfschall, vesikuläres Atemgeräusch seitengleich, keine trockenen oder feuchten RG, Puls 65, Blutdruck systolisch 140, neurologisch o. B., keine pathologischen Reflexe, Pupillen mittelweit und isokor, auskultatorisch kein Befund, leichte Hämatome, Röntgen o. B., Kontusion der linken Hüfte. Sie bemerken plötzlich, wie der alte Mann kreidebleich wird und im nächsten Moment in ein heftiges Weinen ausbricht. Erst nach einer Viertelstunde können Sie . 62 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="78"?> ihn mithilfe Ihrer Krankenschwester so weit beruhigen, dass Sie mit ihm sprechen können. Auf Ihre Frage, was denn los sein, antwortet er Ihnen: Ich will nicht operiert werden, meine Frau ist letztes Jahr bei einer Hüft-OP gestorben. Hier in diesem Krankenhaus. Was war geschehen? Wie konnte es zu diesem Missverständnis kommen, das den alten Mann so sehr aus der Fassung gebracht hat? Ihr unkundiger Patient hat bei der Dichte der verwendeten Fachbegriffe angenommen, eine Verletzung zu haben, die vielleicht eine Operation nach sich ziehen wird oder die ihn womöglich ins Pflegeheim bringt. Durch seine Lebenserfahrung sind ihm Fälle bekannt, in denen sich nach einem Sturz das Leben der Betroffenen schlagartig verändert hat. Seine Ehefrau ist wegen eines Sturzes nicht mehr aus dem Krankenhaus zurückgekehrt. Die zahlreichen Fachbegriffe machen ihm Angst, weil er sie nicht zu deuten weiß. In Wirklichkeit sind alle von Ihnen erhobenen Befunde völlig normal und bis auf ein paar blaue Flecken fehlt dem Patienten überhaupt nichts. Ein vorangestellter Satz wie Ich habe keine Verletzungen bei Ihnen gefunden und diktiere meiner Helferin jetzt ein paar Werte, hätte ihm hier schon die Angst und Unsicherheit ein Stückweit nehmen können. Machen Sie sich deshalb immer bewusst, dass gerade die medizinische Fachsprache für Patienten, wenn sie an der Behandlung teilhaben und mit medizinischen Begriffen in Berührung kommen, von Ihnen möglichst einfach und verständlich in die Alltagssprache übersetzt werden muss. Dabei ist es gar nicht nötig, dass Sie Ihre Befunde Wort für Wort übersetzen. Viel wichtiger ist es, dass der Patient den für ihn wichtigen semantischen Kern Ihrer Befunde kennt und versteht. Denn ebenso, wie Sie sich vermutlich in der Autowerkstatt aufgrund der unbekannten Fachbegriffe unwohl fühlen, ergeht es auch Ihrem Patienten, wenn er Sie nicht verstehen kann. Die zweite Funktion von Fachsprachen, die natürlich auch für die medizinische Fachsprache gilt, ist eine eher technische Aufgabe: Mithilfe von standardisierten Fachsprachen können Missverständnisse zwischen den Benutzern der Fachsprache ausgeschlossen werden. Fachsprachliche Begriffe haben selten mehrfache Bedeutung und bezeichnen einen Sachverhalt klar und präzise. Insbesondere die anatomische Nomenklatur ist aus diesem Grund in hohem Maße vereinheitlicht, was auch der Verständigung über die Landesgrenzen hinaus dienen soll. Daher gibt es besondere Anforderungen an medizinische . Fachchinesisch in der Medizinischen Kommunikation 63 <?page no="79"?> Termini, die in einem streng technischen Sinn für eine eindeutige Verständigung notwendig sind und die zwingend erfüllt sein müssen: 36 Grundsätze für die Internationale Anatomische Nomenklatur 1. Jedes Organ soll nur durch einen Ausdruck bezeichnet werden (Eindeutigkeit). 2. Die Bezeichnungen sollen möglichst aus dem Lateinischen gebildet werden. 3. Es sollen keine Eigennamen (Eponyme) zur Bezeichnung anatomischer Strukturen verwendet werden. 4. Jeder Ausdruck soll kurz sein. 5. Die Ausdrücke sollen einprägsam, belehrend und beschreibend sein. 6. Organe mit einer engen topographischen Beziehung sollen ähnlich bezeichnet werden (Arteria femoralis - Vena femoralis). 7. Unterscheidende Beiwörter sollen sich gegensätzlich verhalten (größer - kleiner; oben - unten; vorne - hinten). Tabelle 1: Grundsätze für die Internationale Anatomische Nomenklatur Zudem gibt es in der anatomischen Nomenklatur weltweit bestimmte verbindliche Festlegungen für Schreibweisen und Abkürzungen, die einer möglichst hohen Standardisierung dienen sollen (z. B. A. für Arterie oder Lig. für Ligamentum) und die sich nicht intuitiv erschließen, sondern ebenfalls gelernt werden müssen. Genauso wie die deutsche Sprache als Gemeinsprache ist auch die medizinische Fachsprache als Varietät aus natürlichen Sprachen entstanden; es handelt sich also nicht um eine Kunstsprache (wie z. B. eine Computersprache), was die vielen v. a. lateinischen Wurzeln erklärt. Das Zeichensystem der medizinischen Fachsprache hat sich konventionell entwickelt und ebenso wie jede andere natürliche Sprache unterliegt auch die medizinische Fachsprache einem permanenten Wandel, der beispielsweise durch technische Neuerungen oder durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse befördert wird. Insofern handelt es sich auch bei Fachsprachen um konventionelle Zeichensysteme, die wie die Gemeinsprache veränderlich sind, wenn sich die Konventionen für den Zeichengebrauch ändern. Die Standardisierung medizinischer Fachsprache ist kommunikationswissenschaftlich von Bedeutung. Hatten wir festgestellt, dass Kommunikation in erster Linie ein Weg ist, einem anderen zu verstehen zu geben, zu was man ihn bringen möchte, dann lässt sich für medizinische Fachsprache sagen: 36 Vgl. dazu die Ausführungen zu den Grundsätzen für die internationale Nomina Anatomica (INA) im aktuellen Leitfaden für das Praktikum der medizinischen Terminologie der Berliner Charité. 64 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="80"?> Die hohe Standardisierung innerhalb der medizinischen Terminologie erleichtert in der Kommunikation zwischen Medizinern unterschiedlicher Disziplinen das Verständnis. Durch standardisierte Begriffe kann der medizinisch ausgebildete Gesprächspartner direkt und ohne Umwege erkennen, zu was der Sprecher ihn bringen möchte. Ein Schlussverfahren vom Gesagten auf das Gemeinte ist dadurch innerhalb der Sprecher einer Fachsprache nicht notwendig. ® Fachsprachliche Ausdrücke sind unmittelbar korrekt interpretierbar. Dass fachsprachliche Begriffe zur raschen Verständigung und zur präzisen Beschreibung von Befunden und Diagnosen innerhalb der medizinischen Fachwelt nahezu unentbehrlich sind, möchte ich Ihnen anhand der folgenden Gegenüberstellung verdeutlichen. Es handelt sich dabei um die Formulierung eines (hypothetischen) Befundes einer alltäglichen medizinischen Untersuchung, die aus der Fachsprache in die Alltagssprache übersetzt wurde. 37 Sie können daran ablesen, wie schwierig und umständlich es ist, auf medizinische Termini gänzlich zu verzichten und Sachverhalte so zu formulieren, dass sie auch von medizinischen Laien verstanden werden könnten - wobei die Interpretation des Gesagten allein durch eine Übersetzung in die Alltagssprache bei Weitem noch nicht gewährleistet ist: Verstehen sprachlicher Ausdrücke ist keinesfalls gleichzusetzen mit dem Verstehen des geäußerten Inhalts; ein Umstand, der medizinischer Fachsprache eine klare Legitimation als Verständigungsmittel innerhalb der Disziplin zuteilt. 38 37 Vgl. W ILMANNS / S CHMIDT (2002): 15. 38 Es gibt Internetportale, auf denen Mediziner unentgeltlich anbieten, medizinische Befunde in die Alltagssprache zu übersetzen (z. B. www.washabich.de). Daran zeigt sich, dass die Nachfrage nach besserer Information über die eigene Gesundheit auf Seiten der Patienten steigt und dass auch Ärzte für dieses Problem zunehmend sensibilisiert sind. Allerdings führt die reine Übersetzung fachsprachlicher Befunde in Alltagssprache noch nicht dazu, dass Patienten diese Ergebnisse auch semantisch richtig verstehen können. Damit sie abschätzen können, welche Folgen die Befunde für sie haben werden, sind das direkte Arzt- Patienten-Gespräch und die kommunikative Kompetenz der behandelnden Ärzte verstärkt gefordert. Dass es aber solche „ Übersetzungsportale “ überhaupt gibt, ist einmal mehr ein Zeichen dafür, dass Patienten ihre Ärzte nicht verstehen und dürfte mit gutem Grund als Ausdruck einer mangelhaften Patientenaufklärung in den Praxen und Kliniken gedeutet werden. . Fachchinesisch in der Medizinischen Kommunikation 65 <?page no="81"?> Fachsprache Alltagssprache Urosonographie-Befund - Solide, echoinhomogene Raumforderung im kranialen Drittel der re. Niere mit Entwicklung nach dorsal - Kaudaler Pol unauffällig - Re. paraaortale Lymphknoten (medial des re. Pyelon) - vergrößerte, ventrale Zyste an der re. Niere - contralaterale Niere unauffällig, keine Hydronephrose Ergebnis der Ultraschalluntersuchung der Niere - Feste Raumforderung mit uneinheitlichem Schallmuster im oberen Drittel der rechten Niere mit Entwicklung zur Rückseite - Unteres Nierenende unauffällig - Vergrößerte rechts neben der großen Hauptschlagader befindliche Lymphknoten (vom rechten Nierenbecken aus zur Mitte hin gelegen) - Flüssigkeitsgefüllte, blasige Struktur an der Vorderseite der rechten Niere - Gegenüberliegende Niere unauffällig, keine dauernde Nierenveränderung durch Rückstau von Urin ins Nierenbecken Tabelle 2: Beispielhafte Gegenüberstellung von Fach- und Alltagssprache Wir können nun aus diesem Beispiel einige Aspekte ablesen, die für Fachsprachen im Allgemeinen und für die medizinische Fachsprache im Speziellen kennzeichnend sind und deren Existenz als sprachliche Varietät begründen können: 1. Fachsprache ist als direktes und präzises Verständigungsmittel in der Medizin unentbehrlich. 2. Das Inventar der Alltagssprache ist nicht in der Lage, medizinische Phänomene ausreichend zu beschreiben, ohne sperrige und umständliche Formulierungen hervorzubringen. 3. Die Übersetzung von medizinischen Fachbegriffen in die Alltagssprache allein erleichtert Laien noch lange nicht das Verständnis der kommunizierten Sachverhalte. 4. Medizinische Fachsprache muss für Patienten nicht 1: 1 in Alltagssprache übersetzt, sondern mit Mitteln der Alltagssprache erklärt werden. Eine weitgehende Standardisierung der medizinischen Fachsprache ist auch aus einem anderen Grund von Bedeutung. Zwar ist es zutreffend, dass es sich bei der medizinischen Fachsprache um eine Varietät der deutschen Sprache handelt, aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Die Fachsprache der Mediziner dient nicht allein der Verständigung unter den Ärzten, Krankenpflegern und 66 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="82"?> Arzthelferinnen im deutschen Sprachraum, sondern sie ist darüber hinaus auch geeignet, in die internationale Wissenschaftssprache Englisch übersetzt zu werden, ohne dass es dabei zu allzu großen Verlusten von medizinischfachlichen Informationen kommen würde. Die Einführung der bereits erwähnten Internationalen Anatomischen Nomenklatur und die für dieses Zeichensystem festgelegten Grundprinzipien tragen entscheidend dazu bei, dass Studien und Befunde problemlos ins Englische übertragen werden können. Das folgende Beispiel eines Abstracts zu einer wissenschaftlichen Studie, das dem Deutschen Ärzteblatt (100; 21: A-1438) entstammt, soll Ihnen diesen Umstand vor Augen führen: Deutsches Abstract Englisches Abstract (in Übersetzung) Kurative endoskopische Therapie früher Adenokarzinome der Speiseröhre Die Karzinomentwicklung erfolgt auf dem Boden der Refluxkrankheit über die prämalignen Vorstufen der sogenannten Barrett-Metaplasie. Der bisherige Goldstandard der Therapie ist die radikale Ösophagusresektion. In der vorliegenden Arbeit wird über die akuten und Langzeitergebnisse der endoskopischen Behandlung früher Adenokarzinome mit kurativer Intention bei 115 Patienten berichtet. Schlüsselwörter: Barrett-Karzinom, Adenokarzinom der Speiseröhre, Refluxkrankheit, endoskopische Resektion, photodynamische Therapie Curative Endoscopic Therapy in early Adenocarcinoma of the Esophagus The cancer develops as a result of the reflux disease and its premalignant preliminary stages of the so called Barrett metaplasia. Up to now the radical esophagectomy has been the gold standard of therapy. The current article reports on the acute and long-term results of the endoscopic treatment of early adenocarcinomas with curative intention in 115 patients. Keywords: Barrett cancer, adenocarcinoma of the esophagus, reflux disease, endoscopic resection, photodynamic therapy Tabelle 3: Gegenüberstellung von deutscher und englischer Fachsprache So schwierig das Verständnis medizinischer Fachausdrücke für den Laien auch ist, sowohl soziologisch als auch technisch ist die Fachsprache für Mediziner von hoher Wichtigkeit und sie erfüllt innerhalb der Fachdisziplin auch kommunikationstheoretisch den Zweck, der ihr durch ihre Wertigkeit als sprachliche Zeichen in der menschlichen Kommunikation zukommt. Die medizinische Fachsprache ist dadurch voll und ganz über ihre Funktion innerhalb der Fachlandschaft legitimiert. Fachchinesisch in der Medizinischen Kommunikation 67 <?page no="83"?> Einen Aspekt sollten wir an dieser Stelle aber nicht verschweigen: Das Nichtverstehen sprachlicher Äußerungen kann durch den Arzt gewünscht sein. Die intentionale Verwendung von unverständlichen Begriffen führt zu einer Einschüchterung des Patienten: Das Nichtverstehen von Fachbegriffen deuten viele Patienten für sich als eine kommunikative Unterlegenheit und nehmen sich im Gespräch zurück. Die Folge ist, dass oftmals wichtige Informationen von Seiten des Patienten nicht zum Arzt durchfließen, da sich der Patient als Gesprächspartner unterlegen fühlt. Insofern ist diese „ Strategie “ kommunikationstheoretisch äußerst fragwürdig und entspringt einem Standesdenken, das auch innerhalb der Medizin kaum zeitgemäß ist. In der Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten sind es nicht nur sprachliche Zeichen, die der wechselseitigen Beeinflussung dienen und die in bestimmter Weise interpretiert werden. Auch außersprachliche Zeichen spielen in der Kommunikation mit Patienten sowie in unserer Alltagskommunikation eine entscheidende Rolle. Wir sind solchen Zeichen bereits begegnet, als wir uns über Kommunikation im weiteren Sinn verständigt haben. Das Beispiel mit den verschiedenfarbigen Socken hat Ihnen gezeigt, wie wichtig diese Zeichen für uns sind. Eben deshalb - und mit unserem frischen Wissen über das Wesen der Sprache und des Kommunizierens - werden wir uns nun dem Phänomen der Zeichen im Alltag und in der Medizinischen Kommunikation im Folgenden noch einmal näher zuwenden. Es soll (in aller Kürze) insbesondere gezeigt werden, was ein Zeichen überhaupt zu einem Zeichen werden lässt und Sie werden auch erfahren, welchen Anteil die unterschiedlichen Zeichen an der Gesamtkommunikation haben - eine zentrale Erkenntnis für weitere Gedanken. 3.3 Was bedeutet das alles? - Zeichen im Alltag und in der Medizinischen Kommunikation Wenn wir miteinander sprechen, dann bedienen wir uns einer sehr komplexen Sprache, die aus einem mehr oder weniger großen Vorrat sprachlicher Zeichen besteht. Ein sprachliches Zeichen (z. B. ein Wort) besteht - nach dem Schweizer Linguisten F ERDINAND DE S AUSSURE - aus einer Ausdrucks- und einer Inhaltsseite. Bei sprachlichen Zeichen unterscheidet man also, ähnlich wie bei den zwei Seiten einer Medaille oder eines Geldstücks, zwischen zwei Ebenen: Auf der einen Seite steht die Lautäußerung, auf der anderen Seite befindet sich der Inhalt, der kommuniziert werden soll. 68 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="84"?> Abb. 1: Das sprachliche Zeichen (nach DE S AUSSURE ) Dabei liegt die Bedeutung eines Wortes nicht in dem sprachlichen Zeichen selbst verborgen, sondern wird ihm durch den Gebrauch zugewiesen - ähnlich wie der Wert einer 2-Euro-Münze auch nicht in der Münze selbst steckt, sondern ihr durch eine Konvention zugewiesen wurde. Sprachliche Zeichen besitzen aus sich selbst heraus also keine Bedeutung, sie erlangen sie erst dadurch, dass man sie verwendet. Dieses Prinzip der Zuordnung sprachlicher Zeichen durch den Sprecher bezeichnet man als Arbitrarität. Natürlich bedeutet das nicht, dass jeder Sprecher jedes Wort willkürlich zur Bennennung einer Sache verwenden kann. Das sprachliche Zeichensystem ist ein mehr oder weniger festes Regelwerk, das man beherrschen muss, um sich sprachlich verständigen zu können. Grundsätzlich kann man beim Kommunizieren zwischen vier Ebenen der zeichenhaften Verständigung unterscheiden, die im Kommunikationsprozess selbst verschieden starke Gewichtungen haben: - verbale Zeichen - nonverbale Zeichen - paraverbale Zeichen - extraverbale Zeichen Über verbale Kommunikation und über paraverbale Anteile (Wörter, Intonationen etc.) ist bereits einiges gesagt worden, so dass wir diese Zeichensysteme für den Moment zurückstellen wollen. Widmen wir uns daher in diesem Abschnitt einmal kommunikativen Zeichen, die mit Sprache im engeren und im weiteren Sinn nichts zu tun haben, die aber sowohl interpretierbar (und damit kommunizierbar) als auch regelhaft sind. Solche Zeichen, da sie (im weitesten Sinn) nicht sprachlich, also weder verbal noch paraverbal oder nonverbal (Körpersprache) kommuniziert werden, nennt man extraverbale Zeichen. Extraverbale Zeichen haben mit Sprache also nichts zu tun und sie werden - im Gegensatz zu den anderen Zeichen, die ich hier den sprachlichen Zeichen zuordne - nicht durch den Menschen direkt hervorgebracht, sondern indirekt durch die Umgebung. Oder genauer: Sprachliche Zeichen sind in dieser Definition alles, was ein Mensch durch seine Stimme oder durch seinen Körper Was bedeutet das alles? - Zeichen im Alltag und in der Medizinischen Kommunikation 69 <?page no="85"?> zum Ausdruck bringt, wogegen extraverbale Zeichen außersprachlich bestimmt sind und die Sphäre der körperlichen Kommunikation nicht mehr berühren. Das entscheidende Merkmal, das solche Zeichen mit den bereits bekannten sprachlichen Zeichen verbindet, ist, dass es sich bei diesen Zeichenverwendungen um interpretierbare kommunikative Handlungen handelt. Jedes Zeichen kann also allein für sich und zusammen mit anderen gedeutet werden. Bevor ich Ihnen im Folgenden anhand einiger Beispiele aus dem Alltag und aus der medizinischen Praxis zeigen werde, welchen Stellenwert extraverbale Zeichen für unsere Kommunikation - insbesondere in der ärztlichen Praxis - haben, habe ich Ihnen in der nachfolgenden Übersicht die verschiedenen Zeichen, mit denen wir ständig kommunizieren, noch einmal zusammengestellt: Zeichen Hervorbringung Kommunikative Realisierung Anteil an der Gesamtkommunikation verbal physisch Wörter, Sätze (gesprochen oder geschrieben, Lautsprache) ca. 10 % paraverbal physisch Stimme: - Tonfall (aggressiv, flüsternd, schmeichelnd etc.) - Tonhöhe, Lautstärke - Sprechtempo - Melodie - Sprechpausen - absichtsvoll hervorgebrachte Laute (Schnauben, Lachen, Brummen etc.) - Füllwörter - Dialekt, Akzent, Soziolekt ca. 35 % nonverbal physisch Bewegungs- und Raumverhalten: - Körpersprache: Mimik, Gestik, Körperhaltung, Körperabstand, Positionierung - Berührungen ca. 55 % 70 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="86"?> Zeichen Hervorbringung Kommunikative Realisierung Anteil an der Gesamtkommunikation extraverbal = nichtsprachlich nicht physisch Kommunikationsrahmen: - Zeit und Ort - olfaktorische Gesprächsparameter (Geruch) - visuelle/ optische Gesprächsparameter (Helligkeit/ Dunkelheit, Farben (z. B. Wandfarbe), Schilder/ Piktogramme/ Bilder) - auditive/ akustische Gesprächsparameter (Musik, Warntöne, Lärm) - Anordnung von Stühlen - Anzahl der Gesprächspartner - Einrichtung/ Dekoration - Kleidung/ Aussehen additiv Tabelle 4: Zeichen und ihre kommunikativen Realisierungen Wie die Übersicht zeigt, besitzen wir Menschen einen sehr reichhaltigen Vorrat an kommunikativ nutzbaren Zeichen. Um aber überhaupt von einem Zeichen sprechen zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Die wichtigste Bedingung lautet: Zeichen müssen zeichenhaft sein. Aber was bedeutet das eigentlich? Es ist ein gravierender Unterschied, ob jemand absichtsvoll ein Wort äußert oder ob er durch ein reflektorisches Husten Laute hervorbringt. Das Wort ist ein sprachliches Zeichen, das Husten nicht. Dasselbe gilt auch für nonverbale Zeichen: Wenn jemand zum Ausdruck seiner Verärgerung das Gesicht verzieht, dann kommuniziert er auf diese Weise und gibt seinem Gegenüber zu verstehen, dass er wütend ist (und eine bestimmte Reaktion erwartet). Das Verziehen des Gesichts ist ein kommunikatives, sprachliches Zeichen. Ein vor echtem Schmerz verzerrtes Gesicht hingegen ist ein Symptom, aber kein Zeichen. Wenn jemand den Laut eines Gähnens imitiert, ist das ein absichtsvoll hervorgebrachtes sprachliches Zeichen. Echtes Gähnen hingegen ist ein Symptom für Müdigkeit. Und ein tropfender Wasserhahn ist Symptom einer defekten Wasserleitung, aber im Gegensatz zu einem akustischen Warnton kein auditives Zeichen. Das Tropfen des Wasserhahns will (sofern es sich um einen Defekt handelt) Was bedeutet das alles? - Zeichen im Alltag und in der Medizinischen Kommunikation 71 <?page no="87"?> niemanden zu einer bestimmten Handlung bewegen, das Auslösen einer Sirene hingegen schon. Die wesentliche Eigenschaft kommunikativ genutzter Zeichen ist es, dass wir sie in der Absicht nutzen, einem anderen etwas zu erkennen zu geben. Sie dienen damit der direkten Beeinflussung. Das gilt für alle Realisierungen sprachlicher Zeichen und ganz besonders auch für extrasprachliche Zeichen. Der Einfluss von extra- oder außersprachlichen Zeichen auf den Kommunikationsprozess ist bedeutend. Wie die Übersicht zeigt, wirken solche Zeichen additiv zu den verbalen und nonverbalen sprachlichen Zeichen und sie können den Verlauf einer Gesprächssituation ganz entscheidend beeinflussen. Negative Beeinflussung der Kommunikationssituation entsteht dann, wenn beispielsweise auditive, visuelle oder olfaktorische Parameter unreflektiert in das Gespräch Eingang finden. So können besonders Warntöne medizinisch-technischer Geräte bei einem Patienten den Eindruck erwecken, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist und Angst oder Unruhe hervorrufen. Der Warnton ist zwar in der medizinischen Behandlung ein kommunikatives Zeichen, aber es richtet sich an den Arzt, der es zu interpretieren hat, nicht aber an den Patienten. In solchen Fällen muss dem Patienten entweder das Zeichen selbst erklärt werden (z. B. ein harmloser Batteriealarm) oder das Zeichen muss für den Patienten verborgen werden; man muss es der Interpretierbarkeit durch den Laien entziehen. Außersprachliche Zeichen lassen sich kommunikativ in vielfältiger Weise nutzen. Wenn Sie Ihre Praxis beispielsweise mit unzähligen Fachbüchern dekorieren, erwecken Sie den Eindruck von Belesenheit - und damit von hoher fachlicher Kompetenz. Sie bringen Ihre Patienten durch solche Zeichen dazu, Sie für kompetent zu halten (egal, ob Sie es sind oder nicht). Das gilt auch für den Alltag: Wenn Menschen ihre Wohnzimmer mit Büchern und Kunst ausstatten, wollen Sie den Eindruck erwecken, besonders klug, reich oder stilvoll zu sein. Die Einrichtung eines Raums ist ebenso ein kommunikatives Zeichen, wie die Kleidung, die man trägt, das Auto, das man fährt, oder das Handy, das man besitzt. Außersprachliche Zeichen bestimmen unseren Alltag weit mehr, als wir oftmals glauben. Wenn Sie ein Auto fahren, ist das ebenso zeichenhaft, als wenn Sie mit dem Bus fahren oder ein Fahrrad besitzen. Wenn Sie Jeans und Turnschuhe tragen, zeigen Sie damit etwas anderes, als wenn Sie sich in Anzug und Lackschuhe kleiden. Eine randlose Brille ist ein Zeichen, ebenso wie eine dicke Hornbrille. Wenn Sie sich einen goldenen Porsche kaufen, setzen Sie damit ein anderes Zeichen, als wenn Sie einen grauen Nissan fahren. Und wenn Sie . 72 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="88"?> jeden Mittag Currywurst und Pommes essen, zeigen Sie damit, dass Ihnen Ernährung nicht sonderlich wichtig ist. Sie würden ein anderes Zeichen aussenden, wenn Sie sich nur von Salat und Obst ernähren. Ob Sie im Urlaub in die Karibik fliegen und es sich drei Wochen am Strand gut gehen lassen oder ob Sie zum Wandern ins Sauerland fahren, sagt etwas über Sie, Ihren Geldbeutel und Ihre Lebenseinstellung aus. Bungee-Jumping ist ein anderes Hobby als Briefmarken sammeln. Und eine Dauerwelle bei Männern ist ein Zeichen eines ganz speziellen Stilempfindens. Wie ein Zeichen im Allgemeinen interpretiert wird, hängt entscheidend von der Kultur ab, in der Sie leben. Zeichen erlangen ihre Bedeutung nicht aus sich selbst heraus, sondern durch die Verwendungskonventionen, die für sie gelten. Damit Sie ein Verkehrsschild richtig deuten können, müssen Sie irgendwo gelernt haben, was das Zeichen im Straßenverkehr bedeutet. Ikonografische Zeichen, also Zeichen, die aufgrund einer direkten Abbildfunktion auf etwas verweisen, verstehen wir meist intuitiv. Eine durchgestrichene Zigarette etwa können wir rasch und in jedem Kulturkreis als ein Zeichen für ein Rauchverbot interpretieren. Dass aber bei uns Verbotszeichen immer weiß, rund und von einem roten Kreis umschlossen sind, ist konventionell bestimmt; die Bedeutung von Form und Farbe eines Schildes muss man lernen. Ansonsten könnte die durchgestrichene Zigarette beispielsweise auch bedeuten, dass Sie keine Zigaretten kaufen können. Sie benötigen also kulturelles Weltwissen, um viele außersprachliche Zeichen richtig deuten zu können. Und dieses Wissen unterscheidet sich oftmals ganz erheblich je nach dem, wo Sie sich gerade in der Welt befinden. Wenn Sie beim Essen für gewöhnlich gerne rülpsen, schmatzen und schlürfen, sollten Sie Mitglied einer Rockerbande werden oder Ihre Mahlzeiten im stillen Kämmerlein genießen. In einem deutschen Restaurant oder auf einer Geburtstagsfeier werden Sie wahrscheinlich verächtlich von der Seite angesehen. Solche Lautäußerungen sind in unserer Kultur verpönt, sie gelten als vulgär. Sie können aber auch nach China auswandern, denn dort zeigen Sie mit diesem Verhalten Respekt für die Kochkünste Ihrer Gastgeber. Aber was in China als kommunikatives Zeichen gilt und akzeptiert ist, ist im benachbarten Japan schon wieder Ausdruck von Unzivilisiertheit. Ebenso wie das bei uns völlig unproblematische Naseputzen in der Öffentlichkeit, das in weiten Teilen Ostasiens als abstoßend empfunden wird. Während hierzulande der Akt des Naseputzens nicht zeichenhaft aufgeladen ist, ist er anderswo Gegenstand der Interpretation. Sie sehen: andere Länder, andere Sitten - und andere Gebrauchskonventionen für kommunikative Zeichen. Diese kleinen Ausflüge in die Welten der Zeichen im Alltag und der kulturell unterschiedlichen Verwendungskonventionen zeigen: Gerade außersprachliche Was bedeutet das alles? - Zeichen im Alltag und in der Medizinischen Kommunikation 73 <?page no="89"?> Zeichen sind im Alltag Gegenstand interpretativer Schlüsse und sie werden reichhaltig verwendet, um andere Menschen zu einem Urteil oder einer Handlung zu bewegen. In der ärztlichen Praxis können solche Zeichen gezielt eingesetzt werden, um das Gespräch positiv zu lenken. Helle, freundliche Farben etwa wirken auf die Befindlichkeit der Patienten. Leise, beruhigende Musik im Hintergrund kann ebenfalls als Zeichen verwendet werden, mit dem Sie Ihre Patienten dazu bringen, sich zu entspannen und Ihnen zu vertrauen. Der klassische Arztkittel wirkt eher einschüchternd als ein lockeres Poloshirt und durch eine moderne Praxiseinrichtung bringen Sie zum Ausdruck, dass Sie zeitgemäß sind. Sie erwecken dadurch den Eindruck, dass auch Ihr medizinisches Wissen frisch und aktuell ist. Und wenn Sie Ihre Patienten statt in einem fensterlosen dunklen Raum oder bei greller Neonbeleuchtung in einem offenen, hellen Raum warten lassen, zeigen Sie, dass sie sich bei Ihnen wohlfühlen sollen. Dabei erfüllen die vielfältigen außersprachlichen Zeichen weder im Alltag noch in der medizinischen Kommunikation einen reinen Selbstzweck: Wenn Sie durch ein Verkehrszeichen vor einer Gefahr gewarnt werden, hat das Zeichen eine wichtige Funktion für die Sicherheit im Straßenverkehr. Wenn Sie durch das Zurschaustellen von teurer Kunst in Ihrem Wohnzimmer Ihren Wohlstand zeigen wollen, dann erfüllen diese Zeichen eine soziale Funktion. Und wenn Sie durch ein parfümiertes Wartezimmer das Gefühl von Geborgenheit bei Ihren Patienten hervorrufen wollen, schafft das Vertrauen und baut Ängste ab (was medizinisch relevant ist) und ist darüber hinaus der Schlüssel für eine langfristige Patientenbindung (ökonomische Funktion). 3.4 Kapitelzusammenfassung In diesem Kapitel sind wir über Herleitungen und Beispiele aus Praxis und Alltag zu folgenden Ergebnissen gelangt: þ Sprache ist ein mögliches Mittel zu Kommunikation, aber nicht das einzige. þ Sprachfähigkeit setzt Kommunikationsfähigkeit zwingend voraus. þ Sprache ist ein komplexes Zeichensystem mit einer eigenen Syntax. þ Sprachliche Zeichen besitzen eine lautliche und eine begriffliche Seite. þ Mithilfe sprachlicher Zeichen im weitesten Sinne (Körpersprache eingeschlossen) lässt sich verbal, paraverbal und nonverbal kommunizieren. þ Extraverbale Zeichen haben additiven Anteil an der Gesamtkommunikation und sind für den Kommunikationsprozess von großer Wichtigkeit. 74 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="90"?> þ Durch die absichtsvolle Verwendung unterscheiden sich sprachliche Zeichen von Symptomen, die nicht der Kommunikation zugeschrieben werden können. þ Menschliche Sprache ist zeichenhaft, tierische Sprache beruht hingegen auf Symptomen. þ Kommunikative Zeichen erlangen ihre Zeichenhaftigkeit durch Konvention. þ Man unterscheidet bei der Sprache zwischen der Gesamtsprache, der Gemeinsprache, der Alltagssprache und den sprachlichen Varietäten. þ Fachsprache ist eine sprachliche Varietät. þ Fachsprache erfüllt soziologische und technische Funktionen innerhalb einer Gruppe. þ Medizinische Fachsprache lässt sich nicht leicht und verlustfrei in Alltagssprache überführen. þ Medizinische Fachsprache dient der verlustfreien Verständigung über die Grenzen der eigenen Sprache hinaus (Internationale Anatomische Nomenklatur). Nach diesen allgemeinen Grundüberlegungen zu Kommunikation und Sprache werden wir in den nächsten beiden Kapiteln den Blick auf einige sehr populäre Kommunikationstheorien und -modelle richten. Sie werden erfahren, welche theoretischen Konzepte zu Kommunikation im Allgemeinen von Bedeutung sind und daraus Schlüsse für Ihr eigenes kommunikatives Handeln ziehen können. Aus der Kenntnis der folgenden Modelle leiten sich unmittelbar Handlungsempfehlungen ab. Neben allgemeinen Kommunikationsmodellen werden auch einige handlungstheoretische Überlegungen der Linguistik vorgestellt, die dem Teilbereich der Pragmatik zuzuordnen sind. Insbesondere diese Theoreme werden für unsere Zielsetzung und mit Blick auf die Leserschaft auf die wesentlichen Erkenntnisse heruntergebrochen, was stellenweise zu einer starken Verkürzung in der Darstellung führen muss. Fachwissenschaftler werden daher an dieser Stelle bereits auf die Lektüre vertiefender Werke verwiesen (und können die folgenden beiden Kapitel gerne überspringen). Wir werden uns auch diesen z. T. sehr komplexen Theorien möglichst befreit von allem fachwissenschaftlichen Ballast nähern und die Konzepte eng an unserer eigentlichen Thematik diskutieren. Immer mit dem Ziel im Blick: Wie lässt sich ärztliches Gesprächshandeln effektiv lenken und nachhaltig verbessern. Das Credo für das folgende Kapitel lautet daher: Keine Angst vor (fach-) fremder Theorie! Gehen wir es gemeinsam an. Kapitelzusammenfassung 75 <?page no="91"?> Übungsfragen und -aufgaben zu diesem Kapitel 1. Was unterscheidet die Sprache des Menschen von tierischen Lauten? Erläutern Sie in diesem Zusammenhang die Begriffe „ Zeichen “ und „ Symptom “ ! 2. Geben Sie in eigenen Worten das Märchen von Karlheinz, dem Affenmenschen wieder. Erklären Sie daran, welche Funktionen sprachliche Zeichen haben! 3. Was war zuerst da - die Sprache oder die Kommunikation? Begründen Sie Ihre Antwort! 4. Was verstehen Sie unter dem Begriff „ Arbitrarität “ ? 5. Begründen Sie, warum Fachsprache im Allgemeinen und in der Medizinischen Kommunikation im Besonderen wichtig ist! Nennen Sie Beispiele! 6. Erläutern Sie den Unterschied zwischen „ Gesamtsprache “ , „ Gemeinsprache “ , „ Alltagssprache “ und „ Fachsprache “ und erklären Sie, was eine sprachliche Varietät ist. 7. Erläutern Sie den Zusammenhang zwischen extraverbalen Zeichen und Kommunikation im weiteren Sinn! 8. Nennen Sie Beispiele für extraverbale Zeichen in der Medizinischen Kommunikation! Welcher Stellenwert kommt solchen Zeichen zu? 9. Erklären Sie, was mit verbaler, nonverbaler und paraverbaler Kommunikation gemeint ist! Welchen Anteil haben diese Zeichensysteme an der Gesamtkommunikation? Weiterführende und vertiefende Literatur zu diesem Kapitel Als Einführung in das Forschungsfeld Sprache im Allgemeinen eignet sich M ÜLLER 2009: 19 ff., sowie M ÜLLER 2009: 223 ff. Wenn Sie sich intensiver mit der Frage nach dem Gegenstand der Sprachwissenschaft befassen möchten, lesen Sie V ATER 1999: 11 - 27 und ebenfalls M ÜLLER 2009: 33 ff. Um sich weiter mit dem Konzept von Zeichen im Alltag zu beschäftigen, empfiehlt sich die Lektüre von K ELLER 1995: 9 ff. Das Märchen von Karlheinz, dem Affenmenschen lässt sich nachlesen bei K ELLER 2003: 37 ff. Es wurde hier nur sehr verkürzt dargestellt. Bei K ELLER findet sich eine sehr viel detailliertere Herleitung, die sowohl geistreich als auch unterhaltsam geschrieben ist. Als Einführung in das Themenfeld Medizinische Fachsprache (und deren Geschichte) eignet sich die Lektüre von W ILMANNS / S CHMIDT 2002: 15 - 22. Lohnenswert ist auch ein Blick in G OLTZ 1969. Besonders empfehlenswert ist zu dieser Thematik auch die Lektüre von W INKELMANN 2009, der sich den Eigennamen in der medizinischen Fachsprache zuwendet. Auf solche Besonderheiten konnte hier leider nicht eingegangen werden. Eine 76 Was ist Sprache - und wozu haben wir sie? <?page no="92"?> weitergehende Beschäftigung mit den Besonderheiten der medizinischen Fachsprache rentiert sich für Medizinstudierende aber in jedem Fall. Zur Vertiefung der Thematik Fachsprache im Allgemeinen lohnt sich die Auseinandersetzung mit F LUCK 1996. Ebenso lesenswert ist R OELCHE 2005. Diese beiden Darstellungen sind allerdings sehr sprachwissenschaftlich geprägt und setzen Fachwissen voraus. Kapitelzusammenfassung 77 <?page no="93"?> 4 Kommunikationsmodelle S PRECHEN UND H ÖREN IST B EFRUCHTEN UND E MPFANGEN . N OVALIS , DT . D ICHTER Ziele und Warm up Kommunikationstheoretische Modelle spielen im Zusammenhang mit ärztlichem Handeln eine bedeutende Rolle. Der Modellcharakter vereinfacht es, komplizierte Zusammenhänge, die sich aus jeder Gesprächssituation ergeben und in die jedes kommunikative Handeln eingebettet ist, besser zu begreifen und anschaulicher darzustellen. Dabei sind die bekannten Kommunikationsmodelle in erster Linie auf den Aspekt des verbalen Kommunizierens ausgerichtet und vernachlässigen die für die Kommunikation so wichtigen non- und extraverbalen Gesprächsanteile. Für Kommunikation im engeren Sinn aber lassen sich aus vielen Modellen interessanten Erkenntnisse ableiten. Möglicherweise sind Sie in der Schule, im Studium oder im Beruf bereits mit solchen kommunikationstheoretischen Modellen in Berührung gekommen. In diesem Kapitel werden wir uns einige der Modelle näher ansehen und prüfen, inwiefern sie sich auf das Arzt-Patienten-Gespräch übertragen lassen. Da hier wahrscheinlich zu großen Teilen neues Wissen vermittelt wird, beschränkt sich unser Warm up zu diesem Kapitel auf diese Fragen: Welche Kommunikationsmodelle sind Ihnen bekannt? Was ist Ihnen noch in Erinnerung? Wissen Sie, wie das erste Telefon funktionierte? Was unterscheidet die Nachrichtenübermittlung über einen Draht von menschlicher Kommunikation? Was, außer einer Sachinformation, kann man mit einer Nachricht noch alles zum Ausdruck bringen? Warum fühlen Sie sich (vermutlich zu recht) angegriffen, wenn Ihr Beifahrer an der Ampel zu Ihnen sagt: Es ist grün! ? <?page no="94"?> Warum begreifen Sie die Äußerung Ihrer Partnerin oder Ihres Partners Der Mülleimer ist voll! als Aufforderung und nicht als Information? Können Sie das erklären? 4.1 Das informationstheoretische Modell von C LAUDE S HANNON und W ARREN W EAVER Vermutlich werden Sie als Kind ein tolles und spannendes Spiel kennen gelernt haben. Dabei ging es darum, mithilfe zweier leerer Joghurtbecher und einer Schnur eine Art Telefon zu bauen, mit dem man sich über eine gewisse Strecke verständigen kann. Tauglicher als dieses Konstrukt waren Funkgeräte, wie man sie auch für Kinder als Spielzeug kaufen kann, und möglicherweise haben Sie als Kind auch damit gespielt. Oder Sie haben das Morsealphabet eingeübt und mit Ihren Freunden Signale ausgetauscht, z. B. mit einer Taschenlampe. Zumindest werden Sie vermutlich bereits früh Erfahrungen mit etwas gemacht haben, das man als einfaches technisches Modell zur Informationsübermittlung bezeichnen kann. Ein solches Informationsmodell besteht aus einem Sender und einem Empfänger, weshalb man es auch unter dem Namen Sender-Empfänger-Modell kennt. Dabei können Sender und Empfänger etwas rein Technisches sein, z. B. ein Mikrofon und ein Lautsprecher. Oder - bei unserem Experiment aus Kindertagen - zwei Personen, die miteinander in Kontakt treten. Wenn Sie über den Becher Ihre Nachricht auf die Reise schicken wollten, wurde Ihre Stimme als Schallwellen über die Kordel zum Becher Ihres Freundes gesendet, d. h. sie wurde kodiert. Noch deutlicher wird dies, wenn Sie Morsesignale mit der Lampe versendet haben. Dann wurde Ihre Botschaft in Form von Lichtsignalen übertragen. Dazu musste das, was Sie sagen wollten, erst in Form von Morsesignalen verschlüsselt werden. Ihr Gegenüber konnte Ihre Signale dann entschlüsseln (dekodieren) und in Sprache übersetzen. In der Kommunikationswissenschaft meint man, wenn man vom Sender- Empfänger-Modell spricht, dass Nachrichten im Prozess des Kommunizierens von einem Sender verschickt und von einem Empfänger entschlüsselt werden. Der Weg vom Sender zum Empfänger wird beim Sprechen dadurch überbrückt, dass die Information in Form von Sprache kodiert wird und darüber, also über diesen Kanal, übertragen wird. Sprache ist demnach die Verpackung für Gedanken oder Gefühle und das Medium, durch das sich diese Informationen versenden lassen. Beim Kommunizieren verpacken Sie also Ihre Gedanken in Form von Sprache und schicken Sie durch das Sprechen Ihrem Gesprächspartner Das informationstheoretische Modell von C LAUDE S HANNON und W ARREN W EAVER 79 <?page no="95"?> über Schallwellen zu, damit der sie über sein Ohr aufnimmt, dekodiert und damit sich im Gehirn Ihres Gegenübers aus den Lauten wieder Gedanken formen können. Dieses, aus der Nachrichtentechnik übertragene simple Kommunikationsmodell lässt sich folgendermaßen darstellen: Abb. 2: Sender-Empfänger-Modell (nach S HANNON / W EAVER ) Beim Sprechen wird die Nachricht also über den Schall, der in der Abbildung das Medium darstellt, übertragen. Damit eine Dekodierung durch den Empfänger möglich ist, muss genügend Schall ausgesendet und empfangen werden. Das Maß an Signalen, dass dazu nötig ist, nennt man Signal-Negentropie. Gehen auf dem Weg vom Sender zum Empfänger Signale verloren (z. B. durch einen lauten Lastwagen, der gerade vorbeifährt), dann wird das Dekodieren erschwert. Der Hörer muss sich dann die Teile hinzudenken, die nicht übermittelt worden sind. Deswegen besitzt jede Nachricht ein Mehr an Signalen, als eigentlich zum Verständnis wichtig wäre. Man nennt dies Redundanz. Negative Redundanz gefährdet das Verständnis, zu viel Redundanz ist kommunikativ ebenfalls problematisch. Deshalb sind Sätze oft so beschaffen, dass sie eine möglichst optimale Signalstärke besitzen, also ein leichtes Maß an positiver Redundanz aufweisen. Sie können das einmal ausprobieren: Wenn Sie nur jedes dritte Wort eines Satzes aussprechen oder jede erste Silbe eines Wortes weglassen, wird man Sie schwer verstehen. Wenn Sie, wie der Komiker Piet Klocke, Ihre Sätze ständig abbrechen und sich nur mit Halbsätzen ausdrücken, wird man Sie ebenfalls nicht verstehen. Daher gilt: 80 Kommunikationsmodelle <?page no="96"?> Machen Sie Ihren Gesprächsbeitrag so verständlich wie möglich und so umfassend wie nötig. Sowohl ein Zuviel als auch ein Zuwenig an Signalen kann das Verständnis erschweren. Geistige Väter eines solchen Kommunikationsmodells sind C LAUDE S HANNON und W ARREN W EAVER . Viele Kommunikationsmodelle gründen auf diesem einfachen Informationsmodell, weshalb es hier vorgestellt wird. Vermutlich wird Ihnen dieses Modell bekannt vorkommen, denn es ist sehr prominent und erfreut sich seit den 1940er Jahren einer starken Beliebtheit in jedem Gespräch, das sich um Kommunikation dreht. Sie werden kaum ein Buch zu diesem Thema finden, das dieses Modell nicht aufführt. Kommunikationstheoretisch handelt es sich aber dabei - das dürfte Ihnen schon aufgefallen sein, wenn Sie Kapitel 2 gelesen haben - um eine sehr problematische Übertragung. Kommunikation ist nicht die Lösung eines Transportproblems und aus der Tatsache, dass Signalübertragung Kommunikation ist, kann nicht geschlossen werden, dass Kommunikation auch Signalübertragung ist. Kommunikation ist weit mehr als das, so dass wir das Sender-Empfänger-Modell als das sehen müssen, was es ist: ein Modell der Nachrichtentechnik, das sich nicht ohne Schwierigkeiten zu einem Modell zwischenmenschlicher Kommunikation umbiegen lässt. 39 Nur weil es so einfach ist, ist es für die Übertragung auf menschliche Kommunikation noch nicht geeignet: Zwischenmenschliche Kommunikationsprozesse sind keine Informationsübertragung zwischen Sender und Empfänger. Der eigentliche Nutzen für die Kommunikationsforschung liegt anderswo: Das Informationsmodell nach S HANNON / W EAVER wurde - besonders in der Kommunikationspsychologie - ständig und mit großem Erfolg weiterentwickelt und ist die Basis für interessante Modelle, die uns viel näher an die kommunikative Wirklichkeit führen. Ein solches Modell ist das Vier-Seiten-Modell nach F RIEDEMANN S CHULZ VON T HUN . Dieses kommunikationspsychologische Modell ist für unsere Arzt-Patienten-Kommunikation äußerst interessant, denn es taugt dazu, Missverständnisse aufzudecken, die durch die Beziehungsebene zwischen zwei Menschen entstehen können. Ein solches Modell ist nah an der kommunikativen Wirklichkeit und es gründet auf der Sprachtheorie des Arztes, Psychologen und Philosophen K ARL B ÜHLER . 39 Vgl. auch K RALLMANN / Z IEMANN 2001: 33. . . Das informationstheoretische Modell von C LAUDE S HANNON und W ARREN W EAVER 81 <?page no="97"?> 4.2 Kommunikationspsychologische Modelle: K ARL B ÜHLER und F RIEDEMANN S CHULZ VON T HUN Wenn Menschen miteinander kommunizieren, dann ist es so, dass nicht nur Informationen übertragen werden. Ganz im Gegenteil: Wir wollen mit jeder Botschaft viel mehr ausdrücken als das, was wir sagen. Der Sprachpsychologe K ARL B ÜHLER hat - aufbauend auf dem Informationsmodell - sein Organon- Modell entwickelt, das deswegen als erstes echtes Kommunikationsmodell taugt, weil es die kommunikative Funktion von Sprache in den Vordergrund rückt. In erster Linie ist B ÜHLER s Modell ein linguistisches Modell für Kommunikation, denn die Sprache steht auch im Zentrum dieser Betrachtung. Die Idee B ÜHLER s war es, das Sprachzeichen und die Sprache an sich in den Zusammenhang mit der konkreten Sprechhandlung zu setzen. Das Besondere daran: B ÜHLER betrachtet Sprache als ein Gebilde der Handlung, erkennt also, dass Sprechen immer auch gleichzeitig Handeln bedeutet. Aus diesem Grund nennt er sein Kommunikationsmodell in Anlehnung an P LATON s Dialog Kratylos das Organon- Modell (Organon = Werkzeug). 40 Die Sprache selbst ist für B ÜHLER ein Werkzeug, mit dessen Hilfe man einem anderen Menschen etwas über die Dinge der Welt mitteilen kann. 41 Auch B ÜHLER entwickelt sein Modell anhand des konkreten Schallphänomens. Das Organon-Modell geht ebenfalls von einer wechselseitigen Beziehung zwischen Sender und Empfänger aus. Hinzukommt aber, dass es in diesem Modell eine Verbindung zu den materiellen Gegenständen selbst gibt. Es gibt somit eine Relation des Schallphänomens zum Sprecher (Sender), eine Relation des Schallphänomens zum Hörer (Empfänger) und - das ist neu - eine Relation des Schallphänomens zu den Dingen oder Sachverhalten der Welt. Mit Sprache lassen sich in diesem Modell also Dinge und Sachverhalte darstellen. Und nun kommt der Clou: Das Schallphänomen ist für den Sprecher Ausdruck seines Erlebens und seiner Empfindungen, für die Gegenstände und Sachverhalte in der Welt eine symbolhafte Darstellung und für den Hörer ein Signal oder ein Appell, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten (und wenn es nur das Zuhören ist). Ausdruck, Darstellung und Appell sind somit die drei Funktionen, die sich für B ÜHLER in jedem konkreten Sprechereignis zeigen. Das Modell selbst lässt sich wie folgt darstellen: 40 In P LATON s Dialog bezeichnet Sokrates das Wort als Organon und bestimmt dadurch die Sprache insgesamt als ein Werkzeug, mit dessen Hilfe man sich anderen mitteilen kann. B ÜHLER entwickelt seine Theorie anhand dieses Vergleichs. 41 Vgl. B ÜHLER 1933: 74 f. und 1934: 24. 82 Kommunikationsmodelle <?page no="98"?> Abb. 3: Organon-Modell der Sprache (nach B ÜHLER ) Um das Zusammenwirken der Elemente in diesem Modell zu veranschaulichen, soll uns ein alltägliches Beispiel aus der Welt der medizinischen Gespräche dienen. Nehmen wir an, ein Arzt äußert seinem Patienten gegenüber folgenden Satz: Ihre Leber ist kaputt. Und nehmen wir weiterhin an, dass der Arzt bereits seit vielen Jahren den übermäßigen Alkoholkonsum seines Patienten anmahnt und kritisiert. Mit Blick auf B ÜHLER s Organon-Modell lässt sich diese Äußerung jetzt auf dreifache Weise verstehen: 1. Im Hinblick auf die Darstellungsfunktion beschreibt die Äußerung nicht mehr und nicht weniger als einen Sachverhalt, der sich aus der Auswertung der medizinischen Befunde ergibt; die medizinischen Fakten kommen zunächst einmal auf den Tisch. 2. Wenn man nun Parameter wie Stimme oder Tonfall mitbetrachtet (und sich die Vorgeschichte vergegenwärtigt), dann kann man die Äußerung als Ausdruck einer Haltung oder eines Gefühls interpretieren. Äußert der Kommunikationspsychologische Modelle 83 <?page no="99"?> Arzt seinen Satz vorwurfsvoll und mit ärgerlicher Stimme, dann kann man vermuten, dass der Satz nicht nur der Darstellung eines Sachverhalts dient, sondern in erster Linie Ausdruck der Verärgerung und Enttäuschung ist. Spricht der Arzt den Satz hingegen leise und ruhig, dann könnte die Äußerung ein Ausdruck von Traurigkeit, Mitleid oder Bedauern sein. Sie sehen: Das Wie entscheidet über die Ausdrucksfunktion. 3. Im Hinblick auf den Appell wirkt der Tonfall und die Vorgeschichte entweder als eine Bitte, das Trinken zu lassen oder als Aufforderung, das ungesunde Trinkverhalten zu erklären. Oder die Äußerung ist ein Zeichen, das den Patienten dazu bringen soll, über den eigenen Lebenswandel nachzudenken. In jedem Fall soll die Äußerung etwas beim Hörer auslösen. Das Organon-Modell beinhaltet also bereits, was wir als die wesentliche Funktion der Kommunikation erkannt haben: Mit der sprachlichen Handlung wird der Hörer dazu gebracht, sich in bestimmter Weise zu verhalten. Interessant ist, dass der Hörer dies aus dem Ausdruck des Sprechers unmittelbar schließen kann. Sowohl die Befindlichkeit als auch das Erleben des Sprechers findet sich in der Äußerung wieder. Damit erweitert B ÜHLER das einfache Kommunikationsmodell S HANNON s/ W EAVER s um psychologische Aspekte, die beim Kommunizieren immer eine Rolle spielen. Man kann sagen: Ein kommunikativer Akt sagt immer etwas über die Befindlichkeiten des Sprechers aus und wird beim Hörer eine Verhaltensweise provozieren. Ein sprachliches Zeichen also kann auf drei verschiedene Weisen verwendet werden, bzw. jedes sprachliche Handeln ist dreifach zeichenhaft. Somit geraten der Sprecher selbst, die Dinge außerhalb der Sprache und der Hörer in den Fokus und werden jeder oder jedes für sich in den Kommunikationsprozess eingebunden. Ging es bei S HANNON und W EAVER noch um die reine Signalübertragung, spielen jetzt auch die Innerlichkeit des Sprechers und die Wirkung auf den Hörer eine Rolle. Oder anders: Wenn wir kommunizieren, sagen wir immer etwas über die Welt, über uns und über unser Verhältnis zu einem anderen aus. Ein Kommunikationsmodell, das wahrlich diesen Namen verdient, basiert auf eben diesem Organon-Modell und auf dem Gedanken, dass es beim Kommunizieren eine Sachebene und eine Beziehungsebene gibt, die mit diesem Modell verknüpft sind. . . 84 Kommunikationsmodelle <?page no="100"?> In den 1980er Jahren entwickelte der Kommunikationspsychologe F RIEDE- MANN S CHULZ VON T HUN sein eigenes Modell und nannte es das Vier-Seiten-Modell oder Kommunikationsquadrat. In der Erweiterung von B ÜHLER s Idee, dass jede Äußerung eine Sachdarstellung, eine Selbstaussage sowie einen Appell enthält (eine Sichtweise, die auch W ATZLAWICK geteilt hat) 42 , entwirft er ein Modell, das noch etwas differenzierter ist. So geht S CHULZ VON T HUN davon aus, dass jede Botschaft auch immer etwas über die Beziehung zweier Menschen zueinander ausdrückt. Jede Kommunikationshandlung findet seiner Einschätzung nach also gleichzeitig auf vier Ebenen statt: 1. Sachebene 2. Beziehungsebene 3. Selbstoffenbarungsebene 4. Appellebene Die Äußerung selbst ist lediglich die lautliche Realisierung einer kommunikativen Handlung. Allerdings lässt sich dieses Modell auch auf Kommunikation im weiteren Sinn adaptieren (s. u.). Das Kommunikationsmodell S CHULZ VON T HUN s lässt sich in folgender Weise skizzieren: Abb. 4: Das Kommunikationsquadrat mit den vier Seiten einer Nachricht (nach S CHULZ VON T HUN ) 42 Bei W ATZLAWICK heißt es: „ Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, daß letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist “ (Zweites Axiom; W ATZLAWICK et al. 1969: 56. Kursivierung im Original). Kommunikationspsychologische Modelle 85 <?page no="101"?> Zum besseren Verständnis seines Modells spricht S CHULZ VON T HUN u. a. davon, dass man Kommunikation mit Musik vergleichen könne und bezeichnet die kommunikative Äußerung metaphorisch als einen „ Vierklang mit Ober- und Untertönen “ 43 . So gesehen gibt es in jeder Äußerung einen dominierenden Oberton und drei weitere aktive und hörbare Untertöne. Dazu ein Beispiel: Wenn Sie zu einem Patienten sagen Ich gebe Ihnen jetzt eine Spritze, dann überwiegt die Sachebene, denn Ihre Intention ist es, Ihren Patienten über eine anstehende Injektion zu informieren. Der Oberton bewegt sich dann auf der Sachebene. Die Selbstoffenbarung, die dabei mitschwingt, könnte lauten: Ich will, dass Sie wissen, was ich als nächstes tue, denn Sie sollen keine Angst haben. Oder aber: Ich bin der Arzt und weiß, was zu tun ist. Auf der Beziehungsebene kommt dann vielleicht bei Ihrem Patienten an: Wir sind Partner und entscheiden jeden Schritt gemeinsam. Oder aber: Ich (der Arzt) bin Dir überlegen, denn ich entscheide, was zu tun ist. Somit können auch auf der Appell-Ebene verschiedene Botschaften ankommen. Wenn die Beziehung zwischen Arzt und Patient gut ist, wird der Appell am ehesten lauten: Gib mir Deine Zustimmung zu meiner Maßnahme. Ist die Beziehung eher schlecht, kann die Botschaft auch Widersprich mir nicht lauten. Welcher Ton in diesem Quartett der Oberton ist und welche Töne als Untertöne mitschwingen, hängt davon ab, wie die Beziehung zwischen zwei Menschen ist. Je besser die Beziehung ist, desto eher wird eine Sachinformation auch als solche verstanden. Je schlechter die Beziehung hingegen ist, desto eher wird eine sachliche Äußerung als Appell oder Ausdruck der Beziehung empfunden - meistens als Kritik an der eigenen Person. Insofern kann man an der Reaktion seines Gegenübers gut ablesen, welcher Ton als Ober- und welche Töne als Untertöne bei ihm angekommen sind. Wenn Sie einen Patienten beispielsweise darum bitten, sein Hemd auszuziehen und dieser plötzlich darauf antwortet Sie haben mir gar nichts zu befehlen, dann ist das ein deutliches Zeichen, dass es ein Problem auf der Beziehungsebene gibt. Sie sehen also: Der Schwerpunkt, den Sie als Sprecher auf eine der vier Ebenen legen, muss noch lange nicht dem entsprechen, wie Ihr Gegenüber Ihre Äußerung aufnimmt. Man spricht umgangssprachlich gerne davon, dass jemand etwas in den falschen Hals gekriegt hat. In der Tabelle 5 sehen Sie Beispiele für Äußerungen, die aufgrund ihrer Formulierung recht eindeutig einer der vier Ebenen zugeordnet werden können. Dabei wird Ihnen aber auffallen, dass insbesondere die Äußerungen, die primär auf der Ebene der Selbstoffenbarung verhaftet sind, immer auch eine Wirkung 43 S CHULZ VON T HUN 2007: 17. 86 Kommunikationsmodelle <?page no="102"?> auf die Beziehungsebene haben. Dasselbe gilt auch für Äußerungen, die als Appell formuliert sind. Auch solche Botschaften wirken sich immer und unmittelbar auf die Beziehungsebene aus, so dass man sagen kann, dass die Beziehungsebene a) die kommunikativ wichtigste Ebene ist und b) in fast jeder Äußerung eine Rolle spielt. Sachinformationen lassen sich nicht zum Gegenstand von Kommunikation machen, wenn sich zwei Personen über ihre Beziehung nicht einig sind oder wenn eine Störung auf der Beziehungsebene vorliegt. Unser Beispiel mit der seltsamen Reaktion des Patienten auf die Bitte hin, sein Hemd zu öffnen, ist ein gutes Beispiel dafür, dass Sachinformationen bisweilen nicht nur falsch, sondern oft überhaupt nicht auf der Sachebene bearbeitet werden; entscheidend hängt dies von der Beziehungsebene ab. Für eine gute Kommunikation ist wichtig, dass Probleme auf der Beziehungsebene frühzeitig erkannt und geklärt werden. Bedenken Sie: Je nach dem, auf welcher Ebene eine Nachricht einen Hörer erreicht, kann Ihre Botschaft interpretiert werden. Haben Sie daher immer alle vier Seiten einer Botschaft im Blick und überprüfen Sie, wie Ihr Gegenüber Ihr Gesagtes aufnimmt bzw. aufnehmen könnte. Äußerung Kommunikationsebene - Nehmen Sie jeden Tag 3 Tabletten hiervon! - Hören Sie auf zu rauchen! - Schwester, geben Sie mir die Krankenakte! - Sie müssen Ihre Zähne besser putzen! Appellebene - Es tut mir leid,. . . (dass Ihr Mann verstorben ist). - Ich mag Ihre neue Frisur. - Ich freue mich, Sie zu sehen. - Ich habe leider keine Zeit. Selbstoffenbarungsebene - Ich mache mir Sorgen um Ihre Gesundheit. - Wir kriegen das schon hin. - Wir müssen darüber reden. - Sie sind mein liebster Patient. Beziehungsebene - Diabetes ist eine Volkskrankheit. - Unsere Praxis öffnet morgen um 7.00 Uhr. - Ihr Blutdruck ist normal. - Ich heiße Dr. Mustermann. Sachebene Tabelle 5: Äußerungen und ihre kommunikativen Wirkungen . Kommunikationspsychologische Modelle 87 <?page no="103"?> In der Arzt-Patienten-Kommunikation ergeben sich durch eine gestörte Beziehungsebene beispielsweise Compliance-Fehler oder Missachtungen ärztlicher Ratschläge und damit verbunden auch therapeutische Probleme. Das Kommunikationsquadrat eignet sich hervorragend, um Kommunikationsprobleme zu erkennen und zu analysieren: Sie kennen sicher auch das Phänomen, dass es im Gespräch bisweilen zu Problemen kommt, weil willentlich oder unbewusst Äußerungen als Obertöne gehört werden, die eigentlich Untertöne sein sollen (und umgekehrt). Meistens ist das dann ein Ausdruck eines Beziehungsproblems. Wenn Sie beispielsweise jemanden fragen Können Sie mir sagen, wie spät es ist? , dann werden Sie verwundert sein, wenn dieser antwortet Ja, das kann ich! . Der Oberton Ihrer Äußerung war ein in Ihrer Frage versteckter Appell, Ihr Gegenüber hat aber den Oberton auf der Sachebene gehört (oder hören wollen). Da wohl davon auszugehen ist, dass hier ganz bewusst Ihre Äußerung in das falsche der vier möglichen Ohren gelangt ist, steckt in der Äußerung Ja, das kann ich! in erster Linie eine Selbstoffenbarung (Ich will Dir nicht antworten) und eine deutliche Aussage über Ihre Beziehung (Sie mögen sich nicht, bzw. Ihr Gegenüber mag Sie nicht). Wenn man das Modell der vier Seiten einer Botschaft also aus Sicht des Hörers und dessen Wahrnehmung betrachtet, kann man auch von einem Vier-Ohren-Modell der Kommunikation sprechen. Dabei wird jede Botschaft mit vier unterschiedlichen Ohren gehört; je ein Ohr steht für die Deutung einer der vier Ebenen der Kommunikation. Exkurs: Ich-Botschaften und Du-Botschaften - was kommt wie an? In der Kommunikation ist die Wirkung des Gesagten immer auch abhängig von der Art und Weise, wie eine Botschaft verpackt wird. Auf der Beziehungsebene des Kommunikationsquadrates nach S CHULZ VON T HUN werden insbesondere ICH und WIR als Bezugsgrößen verortet. Über solche Botschaften stellt sich dar, wie der eine zum anderen steht ( ® So stehen wir zueinander/ Du gefällst mir nicht bzw. das halte ich von Dir). Insofern zeigt sich auf der Beziehungsebene zum einen, wie der Sprecher die Beziehung, also das Wir sieht und zum anderen, wie er den anderen, also das Du, wahrnimmt. In der Kommunikation spielen darüber hinaus auch sogenannte Ich-Botschaften (nach T HOMAS G ORDON ) eine besondere Rolle. In vielen Situationen ist es hilfreich, das eigene Empfinden und die eigene Person in der Vordergrund zu stellen. Statt beispielsweise zu sagen Sie sind zu fett, könnte man positiver formulieren Ich bin traurig, dass die Diät nicht funktioniert hat. In beiden Fällen teilen Sie mit, dass Sie von dem Verhalten des anderen (er/ sie hat nicht abgenommen) enttäuscht sind. Durch solche Ich-Botschaften können gewünschte Veränderungen und Verhaltensweisen bei Patienten wesentlich leichter erreicht werden, da Ich-Botschaften i. d. R. positiver auf die Beziehungsebene einzahlen. 88 Kommunikationsmodelle <?page no="104"?> Wie sich die kommunikative Wirkung von Du- und Ich-Botschaften darstellen lässt, können Sie anhand der folgenden Beispiele einmal erproben. Welche Formulierungen - für jeweils ein und denselben Sachverhalt - finden Sie besser? Du gehst mir ständig aus dem Weg vs. Ich würde gerne mehr mit Dir reden Du nervst mich vs. Ich fühle mich genervt Du lässt mich nie ausreden vs. Ich möchte gerne öfter etwas sagen Du kommst immer zu spät vs. Mich ärgert, dass Du immer zu spät kommst (denn ich muss dann auf Dich warten) Anhand der Beispiele können Sie die Vorteile von Ich-Botschaften in sensiblen Gesprächskontexten erkennen. Solche Botschaften sind neutraler, d. h. nicht bewertend und nicht verletzend. Durch die bewusste Verwendung von Ich-Botschaften kann die Beziehungsebene intakt bleiben, auch wenn eine Kritik oder ein Appell geäußert werden muss. Natürlich sind Du-Botschaften nicht grundsätzlich negativ behaftet. Wenn Sie Ihrem Kollegen ein Kompliment machen wollen, können Sie selbstverständlich sagen Du hast eine gute Arbeit geleistet. Ich-Botschaften bieten sich in erster Linie in problembehafteten und gesprächssensiblen Situationen an, bei denen insbesondere die Gefahr besteht, dass die Kritik an der Sache als Kritik an der Person verstanden wird. In solchen Gesprächskontexten können reine Du-Botschaften destruktiv wirken. Aber Vorsicht: Nicht jede Ich-Botschaft ist auch tatsächlich eine solche. Viele vermeintliche Ich-Botschaften sind versteckte Du-Botschaften. Ob Sie z. B. zu jemandem sagen Du bist ein Idiot oder Ich finde, dass Du ein Idiot bist, macht keinen Unterschied. Versteckte Du-Botschaften werden i. d. R. erkannt und können die Beziehungsebene gefährden. In der folgenden Übersicht können Sie anhand eines Beispiels erkennen, welche vier Botschaften in einer einfachen Nachricht versteckt sein können und wie sie bei einem imaginären Hörer von dessen vier Ohren aufgenommen werden könnten: Äußerung Guten Tag, Frau Meier, wie geht es Ihnen? Interpretation 1 Sach-Ohr Er/ sie wünscht mir einen guten Tag und fragt nach meinem Befinden. Interpretation 2 Selbstoffenbarungs-Ohr Er/ sie interessiert sich für mein Befinden. Interpretation 3 Beziehungs-Ohr Er/ sie mag mich. Interpretation 4 Appell-Ohr Ich soll mich ihm/ ihr anvertrauen. Tabelle 6: Die vier Seiten einer Nachricht in einer verbalen Kommunikationssituation Kommunikationspsychologische Modelle 89 <?page no="105"?> Dass man das Kommunikationsquadrat als ein echtes Kommunikationsmodell bezeichnen kann, liegt auch daran, dass es sich nicht nur auf verbale Kommunikation anwenden lässt. Auch extra- oder nonverbale Kommunikation lässt sich damit fassen, wie Ihnen das folgende konstruierte Beispiel verdeutlichen soll. In diesem Fall geht es nicht um eine Äußerung, die interpretiert werden soll, sondern um ein konkretes Verhalten, das jemand in einer Gesprächssituation an den Tag legt: Verhalten Der Arzt schaut während des Gesprächs ständig aus dem Fenster. Interpretation 1 Sach-Ohr Der Arzt schaut aus dem Fenster. Interpretation 2 Selbstoffenbarungs-Ohr Die Welt da draußen ist ihm wichtiger als das Gespräch hier drinnen. Interpretation 3 Beziehungs-Ohr Er interessiert sich nicht für mich, ich bin ihm egal. Interpretation 4 Appell-Ohr Ich soll ihn in Ruhe lassen und keine weiteren Fragen stellen. Tabelle 7: Die vier Seiten einer Nachricht in einer extraverbalen Kommunikationssituation Auch jegliches Verhalten kann also kommunikativ interpretiert werden, weil es über dieselben vier Ohren wahrgenommen und gedeutet wird. In diesem Beispiel ist es so, dass der Patient offenbar das Verhalten des Arztes in erster Linie als eine Botschaft auf der Beziehungsebene interpretiert - mit der Folge, dass er einen Appell daraus ableitet, der u. U. überhaupt gar nicht kommuniziert worden ist. Nicht nur jede Äußerung enthält vier Botschaften, die gedeutet werden können, auch jedes Verhalten wird auf dieselbe Weise einer Auslegung unterzogen. Es gibt also eine gleichzeitig ablaufende „ doppelte Vierheit “ 44 im Prozess des Kommunizierens. Während auf der einen Seite vier Botschaften in jeder Nachricht stecken, von denen eine den Hauptaspekt einer Äußerung (oder eines Verhaltens) ausmacht (z. B. Sachinformation), werden gleichzeitig auf der anderen Seite vier Botschaften über die vier Ohren des anderen wahrgenommen. Manchmal kommen in diesem Prozess beabsichtigte Aspekte nicht richtig an oder es werden Aspekte hineingehört, die eigentlich gar nicht beabsichtigter Teil der Botschaft waren. Durch diesen Simultancharakter beim Kommunizieren 44 P LATE 2013: 59. . 90 Kommunikationsmodelle <?page no="106"?> kommt es i. d. R. bei einer gestörten Beziehungsebene zu Kommunikationsproblemen. Will sagen: Der eine sagt etwas, der andere hört etwas völlig anderes. Exkurs: Explizite und implizite Kommunikation - etwas sagen und etwas anderes meinen Im Zusammenhang mit dem gerade skizzierten Kommunikationsquadrat spielt ein anderer Aspekt von Kommunikation eine entscheidende Rolle. Es kommt nicht nur darauf an, was ich kommuniziere (und was davon bei meinem Gesprächspartner ankommt), sondern auch, wie ich eine Botschaft aussende. So kann ich auf allen der vier erwähnten Ebenen durch eine sehr direkte Äußerung kundgeben, was ich zu sagen habe. Ich kann sagen Mir ist heiß oder ich kann äußern Bitte öffnen Sie das Fenster. Im ersten Fall habe ich etwas über mich selbst und mein Befinden ausgesagt (Selbstoffenbarung), im zweiten Fall handelt es sich um einen direkt ausgedrückten Appell. Kommunikation, bei der direkt aus dem Gesagten die jeweilige Funktion geschlossen werden kann, nennt man mit S CHULZ VON T HUN explizite Kommunikation. Explizite Kommunikation ist somit wortwörtliche Kommunikation. Es ist aber auch möglich, dass man Botschaften zwischen den Zeilen versteckt kommuniziert. So kann die Nachricht Mir ist heiß unter bestimmten Umständen nicht allein eine Selbstoffenbarung darstellen, sondern vielmehr als ein versteckter Appell gemeint sein, der einen anderen dazu bringen soll, das Fenster zu öffnen. Statt aber direkt zu sagen Mach mal das Fenster auf, verpacke ich meine Botschaft implizit. Der Grund dafür kann sein, dass ich aus Gründen der Höflichkeit keinen direkten Appell aussprechen möchte. Die am Tisch geäußerte Frage Kann ich mal das Salz haben? ist nichts anderes als eine implizite Aufforderung in der Verpackung einer expliziten Frage. Solche Formen der versteckten Botschaft, die zwischen den Zeilen gelesen werden muss, nennt man implizite Kommunikation. Implizite Botschaften lassen sich oft aus dem wortwörtlich Gesagten herauslesen, sind aber nicht identisch mit dem wortwörtlich Gesagten. Bei impliziten Äußerungen handelt es sich um Botschaften, die erst erschlossen werden müssen. Das Gesagte ist dabei nicht das Gemeinte. Dazu ein Beispiel: In der Äußerung Der Mülleimer ist voll steckt explizit eine Sachinformation. Implizit aber handelt es sich - wie Sie sofort erkannt haben werden - um einen Appell, den Mülleimer auszuleeren. Zudem handelt es sich um einen Vorwurf, der etwas über die Beziehungsebene verrät. Der Vorwurf lautet: Warum hast du den Mülleimer nicht längst schon leer gemacht. Die Selbstoffenbarung, die ebenfalls in dieser impliziten Aufforderung steckt, könnte man mit Mir gefällt nicht, dass du dich nicht um unseren Müll kümmerst verbalisieren. Implizite Botschaften können rein über den Kontext, also über den konkreten Zusammenhang, von expliziten Botschaften unterschieden werden. Wenn es für Kommunikationspsychologische Modelle 91 <?page no="107"?> beide Gesprächspartner offensichtlich ist, dass der Mülleimer voll ist, dann kann die Äußerung Der Mülleimer ist voll nicht der reinen Sachinformation dienen. Das sieht der andere nämlich selbst. Implizite Botschaften muss man also immer dann vermuten, wenn die Äußerung explizit gedeutet keinen Sinn ergibt. In der Arzt-Patienten-Kommunikation muss expliziten Äußerungen klar der Vorrang gegeben werden. Als Arzt sollten Sie Ihre eigentlichen kommunikativen Absichten nie verstecken, denn das birgt die Gefahr, dass Ihr Patient die eigentliche Botschaft aus dem, was Sie explizit sagen, nicht extrahieren kann. Daraus folgt: Wenn Sie Ihrem Patienten etwas Bestimmtes sagen wollen, dann drücken Sie sich explizit und damit klar und deutlich aus! Das gilt auch in der Kommunikation zwischen Ihnen und Ihrem medizinischen Personal, damit es nicht zu Missverständnissen kommt, die dem Patienten schaden können. Statt zu sagen Sport ist eine schöne Sache, formulieren Sie Machen Sie mehr Sport, wenn Sie genau das Ihrem Patienten mitteilen wollen. Statt während einer Operation zu sagen Ein Skalpell wäre jetzt nicht schlecht sagen Sie Geben Sie mir bitte das Skalpell. Denn: Etwas „ durch die Blume “ mitteilen kann zwar vermeintlich höflich sein, aber es ist nicht unmittelbar verständlich - und in der Medizinischen Kommunikation manchmal gefährlich. 4.2.1 Wahrnehmungen und Verhaltensmerkmale in der Arzt-Patienten- Kommunikation - das Johari-Fenster Wie wir erkannt haben, ist Kommunikation immer an den Aspekt der Selbstkundgabe gekoppelt: Jede Äußerung und jedes Verhalten sagt auch immer etwas über uns selbst aus. Bestimmte Verhaltensweisen, Reaktionen oder unser Äußeres sind für unser Gegenüber wahrnehmbar. Was man von sich preisgeben möchte, kann man in aller Regel selbst steuern. Will ich etwa kundtun, dass ich Fan eines Fußballvereins oder einer Rockband bin, kann ich mir ein T-Shirt kaufen, auf dem der Name des Vereins oder der Gruppe abgebildet ist. Ich mache meine Leidenschaft auf diese Weise öffentlich. Viele Merkmale an Ihnen oder Ihrem Verhalten sind für jedermann offen erkennbar. Man kann Ihnen ansehen, welche Haar- und Augenfarbe Sie haben, wie groß Sie in etwa sind, welches Gewicht Sie ungefähr haben, ob Sie männlich oder weiblich sind und vieles mehr. Wenn Sie ein Auto fahren, dann bewegen Sie sich damit im öffentlichen Raum und jeder kann das sehen. Ihre Kleidung tragen Sie sichtbar für Außenstehende und wenn Sie eine Brille haben, kann jeder erkennen, dass Sie nicht gut gucken können. 92 Kommunikationsmodelle <?page no="108"?> Wenn ein Patient in Ihre Praxis kommt, dann können Sie auf die gleiche Weise recht schnell all das erkennen, was er an solchen öffentlichen Botschaften aussendet. Sowohl er selbst als auch Sie als außenstehende Person haben über diese Parameter dasselbe Wissen. Wie jemand aussieht, was er für Kleidung trägt oder mit welchem Fahrzeug er sich fortbewegt, ist sowohl der Person selbst als auch allen anderen Menschen, die diese Dinge wahrnehmen können, bekannt. Weit mehr Informationen befinden sich auf der Ebene des Privaten. Unzählige Aspekte meiner eigenen Person kenne allein ich. Einiges davon teile ich mit anderen im kleinen Kreis, z. B. der Familie oder der Kollegen. So weiß meine Partnerin von mir beispielsweise, dass ich gerne Chili esse. Bis gerade handelte es sich bei dieser Information um eine private Angabe, die nicht jedem bekannt war und die man mir von außen auch nicht ansehen kann. Indem ich diese Information hier aufschreibe, wird sie öffentlich. Das ist unproblematisch, weil ich mich bewusst zur Preisgabe entschieden habe. 45 Sehr viel mehr andere private Informationen werde ich allerdings nicht öffentlich machen, sie bleiben privat. Im Gegensatz zu allen öffentlichen Parametern meiner Person, die sowohl mir als auch allen anderen bekannt sind (oder sein können), ist das Private nur mir bekannt, anderen Menschen hingegen nicht. Wenn Sie sich das Private und das Öffentliche als einen Eisberg vorstellen, dann ragt gerade mal eine kleine Spitze meiner Gesamtpersönlichkeit aus dem Wasser. Das ist die öffentliche Person. Der große Rest befindet sich unter der Oberfläche. In der Arzt-Patienten-Beziehung ist das Private von entscheidender Bedeutung. Zu dieser Sphäre gehören nämlich auch Gefühle, Ängste, Wünsche und Bedürfnisse. Außerdem befinden sich dort intime und geheime Informationen, z. B. über mein Sexualverhalten, über meinen Lebenswandel oder über meinen seelischen Zustand. Geheim ist außerdem vieles, was das Körperliche anbelangt: Kaum jemand wird einen Fußpilz oder eine Analfistel zu einer öffentlichen Information machen wollen. Dieser Umstand ist für die Arzt-Patienten-Kommunikation folgenreich: Zahlreiche Krankheiten werden erst deshalb so spät diagnostiziert, weil der Patient Informationen aus seinem privaten Raum im Austausch mit Ärzten öffentlich machen muss. Das folgende Beispiel kann Ihnen das Problem verdeutlichen: 45 Die sozialen Netzwerke befördern den Prozess des Öffentlichmachens, weil dort in erster Linie Privates zu öffentlich Bekanntem wird (mit teilweise problematischen Folgen). Kommunikationspsychologische Modelle 93 <?page no="109"?> Fallbeispiel: Viel Lärm um nichts Eine 22-Jährige Patientin wird in einer Allgemeinarztpraxis vorstellig und klagt über ausstrahlende starke Rückenschmerzen. Eine erste Untersuchung ergibt - auch röntgenologisch - keinen Befund. Über Wochen und Monate gibt die Patientin regelmäßig einen diffusen Schmerz an, der „ sich durch den ganzen Körper zieht “ . Die junge Studentin bekommt starke NSAR verordnet und wird später für ein Semester krank geschrieben, da sie aufgrund der Schmerzen enorm eingeschränkt ist. Zahlreiche z. T. kostspielige und aufwendige Untersuchungen folgen - jeweils immer ohne Befund. Erst einige Monate nach dem ersten Auftreten der Symptome wird einer der behandelnden Ärzte eher zufällig auf eine Beule in der Leistengegend aufmerksam und diagnostiziert eine Leistenhernie, die operativ behandelt wird. Es stellt sich heraus, dass diese Erkrankung bereits seit Monaten vorlag und Ursache für die diffusen Schmerzen war. Das wichtigste Leitsymptom (die Ausbeulung in der Leistengegend) hatte die Patientin aus Scham die ganze Zeit über verschwiegen. Außerdem war sie der folgenschweren Meinung, dass ein Leistenbruch bei Frauen nicht auftreten könne und wollte daher diese Information, die ihren physischen Intimbereich berührte, nicht preisgeben. Sie erkennen anhand dieser Patientengeschichte: Wenn der Bereich des Privaten berührt wird, haben viele Menschen eine große Scheu, sich zu öffnen. Rechtlich wird die Privatsphäre zwar durch die ärztliche Schweigepflicht geschützt, sie muss aber im Gespräch mit einem zunächst fremden Arzt erst aufgebrochen werden. Jedes ärztliche Gespräch ist der Versuch, unter die Oberfläche zu blicken und Informationen aus dem Raum des Privaten in den medizinischen Diskurs zu befördern. Je größer das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist, desto besser wird das gelingen. In vielen Fällen wird der Patient versuchen, das für den Arzt nicht Offensichtliche aktiv geheim zu halten. Immer dann, wenn der Patient sich z. B. seines Zustandes schämt oder ein Schuldgefühl hat, weil er eine Krankheit selbst herbeigeführt hat oder durch sein Verhalten zu einer Verschlechterung beigetragen hat, wird er bestrebt sein, dies zu verbergen. Als Arzt müssen Sie bei einem solchen Verdacht der Verschleierung medizinisch relevanter Informationen behutsam Vertrauen aufbauen, damit Sie an die wichtigen Informationen gelangen. . 94 Kommunikationsmodelle <?page no="110"?> Wie wichtig wechselseitiges Vertrauen in diesem Zusammenhang ist und wie folgenreich die Scham vor fremden Menschen aus medizinischer Sicht sein kann, zeigt Ihnen auch das nächste Fallbeispiel: Fallbeispiel: Ein Familienfest mit Folgen Sie werden mit dem Notarztwagen zur Schule gerufen, in der Sie ein aufgeregter junger Lehrer erwartet. Im Sportunterricht ist eine 13-jährige Schülerin zusammengebrochen. Alle Kreislaufparameter deuten auf einen massiven Schock hin. Zudem stellen Sie fest, dass das Mädchen eine recht starke gynäkologische Blutung aufweist. Auf Ihre Frage, ob es sein kann, dass die junge Patientin schwanger ist, verneint sie dies vehement und beginnt zu weinen. Aufgrund Ihrer Verdachtsdiagnose transportieren Sie die Patientin in die gynäkologische Abteilung eines Krankenhauses, wo man sehr rasch eine vorzeitige Placentaablösung diagnostiziert und innerhalb weniger Minuten den Kreißsaal für eine Schnittentbindung vorbereitet. Eine Stunde nach Ihrem Eintreffen in der Schule hat das Mädchen einen gesunden Sohn entbunden. Im Nachhinein erfahren Sie, dass das Mädchen bereits seit einigen Wochen mit diffusen Bauchschmerzen bei ihrem Hausarzt in Behandlung war, der aber aufgrund der Angaben seiner Patientin in seiner Diagnose nicht auf eine Schwangerschaft schließen konnte. Nichts sprach dafür, dass das Mädchen schwanger war. Erst nach der Entbindung - als sich der Umstand also nicht mehr geheim halten ließ - offenbarte sich das Mädchen seinem Hausarzt und lüftete das Geheimnis: Ein entfernter Verwandter hatte das Kind auf einer Familienfeier vergewaltigt. Aus Scham und Angst hatte sie ihre Schwangerschaft zwar erkannt, aber beim Arzt verschwiegen - mit beinahe lebensgefährlichen Folgen. Neben dem, was wir für alle erkennbar öffentlich machen und dem, was wir für uns geheim halten, gibt es noch zwei weitere Bezugsebenen der Selbstkundgabe. Die Sozialpsychologen J OSEPH L UFT und H ARRY I NGHAM haben dies in ihrem berühmten Johari-Fenster dargestellt. 46 Sie nennen die beiden anderen Bezugsebenen blinder Fleck und Unbekanntes. Beide Ebenen sind für die ärztliche Gesprächsführung von großer Wichtigkeit. Wenn Sie in der Mittagspause Ihr Hemd mit Ketchup beschmutzen und dies nicht bemerken, dann laufen Sie den Rest des Tages mit einem dreckigen Hemd durch die Gegend - und jeder außer Ihnen weiß das. Wenn Sie auf der Toilette vergessen, den Hosenreißverschluss zu schließen, wird das jeder sehen, mit dem 46 Falls Sie sich wundern: Der asiatisch anmutende Name für dieses Fenster zur Darstellung bewusster und unbewusster Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale basiert auf den Vornamen der beiden Wissenschaftler. Kommunikationspsychologische Modelle 95 <?page no="111"?> Sie danach in Kontakt treten. Jeder weiß etwas über Sie, das Sie selbst nicht wissen. Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen und ich nehme an, Sie werden in Ihrem Leben mehr als einmal in einer solchen Situation gewesen sein. L UFT und I NGHAM sprechen bei diesem Phänomen von einem blinden Fleck. Abb. 5: Johari-Fenster in der Arzt-Patienten-Kommunikation In der Arzt-Patienten-Kommunikation kommt es oft vor, dass Sie als Arzt etwas über Ihren Patienten wissen, das ihm selbst unbekannt ist. Sie stellen eine Diagnose und wissen etwas über den Zustand (und vielleicht auch über das Schicksal) Ihres Patienten, das er selbst nicht weiß. Möglicherweise erkennen Sie auch Verhaltensweisen, die dem Betroffenen selbst nicht bekannt sind (z. B. eine Depression). In jedem Fall wissen Sie oft mehr als er - und zwar über etwas für ihn elementar Wichtiges: über seine Gesundheit. Genauso wie es schwierig ist, seinen Chef auf Zahncreme im Gesicht hinzuweisen, ist es auch, einem Patienten etwas mitzuteilen, das er nicht kennt - und das darüber hinaus u. U. gravierende Folgen für ihn haben kann. Umso wichtiger aber ist es, den Patienten (wie auch den Chef ) über seinen blinden Fleck aufzuklären. Nicht ohne Grund spricht man bei ärztlichen Gesprächen von Aufklärungsgesprächen. Auf diese Weise wird das, was Sie als Fremder über Ihren Patienten wissen, zu einem gemeinsamen Wissen, auf dem sich eine Therapie aufbauen lässt. 96 Kommunikationsmodelle <?page no="112"?> Ziel des ärztlichen Aufklärungsgesprächs ist es immer, dem Patienten seinen blinden Fleck deutlich zu machen. Denn: Nur auf der Grundlage eines gemeinsamen Wissens über den Zustand des Patienten kann eine vertrauensvolle Zusammenarbeit - und damit eine erfolgreiche Behandlung - gesichert werden. Das Johari-Fenster beinhaltet als viertes Element noch das Unbekannte. Das Unbekannte spielt immer dann eine Rolle, wenn Sie selbst über sich sagen Ich weiß nicht, wie ich in dieser oder jener Situation reagieren würde und wenn auch niemand sonst Ihr Verhalten richtig einschätzen kann, falls es tatsächlich zu diesem oder jenem kommt. In diesem Teil des Johari-Fensters ist also im Prinzip alles möglich. Nicht selten kommt es vor, dass Menschen, die Sie gut kennen, in bestimmten Situationen völlig anders reagieren, als Sie und die Menschen selbst es gedacht hätten. Manche Menschen werden aus Affekten zu Mördern - weder sie selbst noch jeder andere aus dem näheren Umfeld hätte ihnen das zugetraut. In der Medizinischen Kommunikation werden Sie häufiger mit dem Unbekannten in Berührung kommen. Sie werden vor allem in Situationen, die für Patienten einen Ausnahmezustand darstellen, auf z. T. paradoxe Reaktionen stoßen. Wenn Sie beispielsweise jemandem die Mitteilung machen, dass er unheilbar an Krebs erkrankt ist oder einer jungen Frau ihre erste Schwangerschaft verkünden, dann wissen weder Ihr Patient bzw. Ihre Patientin noch Sie selbst im Voraus, wie er oder sie darauf reagieren wird. Zwischen Lachen, Weinen, Apathie und Agression ist alles möglich. In besonderen Situationen ist menschliches Verhalten nicht plan- oder einschätzbar. Seien Sie sich dessen als Therapeut immer bewusst und betrachten Sie das Unbekannte immer als Teil der Persönlichkeit Ihres Patienten. Das Unbekannte birgt aber nicht nur Gefahren. Ganz im Gegenteil: In der Psychotherapie (Eisbergmodell nach F REUD ) geht es gerade darum, das Unbekannte in Bekanntes und Bewusstes zu überführen. In der Medizin kann das Erkennen des Unbekannten bisweilen äußerst hilfreich sein. Aus dem Unbekannten können Sie durch Gespräche beispielsweise versteckte Ängste und Potenziale, die u. U. für die Therapie hilfreich sein können, in den Bereich des Bekannten befördern. Eine vertrauensvolle Basis ist auch hier zwingend notwendig. . . Kommunikationspsychologische Modelle 97 <?page no="113"?> 4.3 Kapitelzusammenfassung Dieses Kapitel hat wichtige Gedanken für unsere Fragestellung hervorgebracht: þ Kommunikationsmodelle dienen der Beschreibung kommunikativer Prozesse und involvieren die Akteure menschlicher Kommunikation sowie deren Absichten und die kommunikativen Folgen. þ Das Sender-Empfänger-Modell beschreibt Kommunikation als einen Prozess des Informationsaustauschs nach dem Prinzip der Nachrichtentechnik. þ Das Sender-Empfänger-Modell lässt sich allein auf verbale Kommunikation adaptieren und vernachlässigt wichtige weitere Bezugsebenen und insbesondere die Funktion von Kommunikation im Allgemeinen. þ Das Organon-Modell abstrahiert aus dem Sender-Empfänger-Modell weitere kommunikative Bezugsebenen. þ Das Organon-Modell zeigt, dass jede kommunikative Handlung sowohl eine Selbstaussage als auch einen Appell enthält und erweitert damit das Informationsmodell um kommunikationspsychologische Bezugsebenen. þ In der Erweiterung des Organon-Modells lassen sich zudem Aspekte der zwischenmenschlichen Beziehung anhand des Kommunikationsquadrats ablesen. þ Jedes kommunikative Handeln ist zugleich Selbstaussage und Lenkung. Beide Ebenen sind untrennbar mit Aspekten der zwischenmenschlichen Beziehung verknüpft. Die Sachinformation ist in diese Ebenen eingebettet und kann i. d. R. nicht isoliert betrachtet werden. þ Hier zeigt sich: Störungen auf der Beziehungsebene haben unmittelbaren Einfluss auf den kommunikativen Prozess (Verstehen und Missverstehen). þ Anhand des Kommunikationsquadrats lassen sich Missverständnisse und Kommunikationsprobleme erklären: Botschaften können auf unterschiedliche Weise gemeint und verstanden werden (doppelte Vierheit einer Botschaft). þ Aspekte der Selbstoffenbarung sind zugleich Aspekte der äußeren Wahrnehmung. Das Johari-Fenster zeigt die bewussten und unbewussten Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale auf, die in der Kommunikation eine Rolle spielen. þ Zentrale Aspekte für die ärztliche Gesprächsführung sind der Blinde Fleck und das Unbekannte. þ Für die Medizinische Kommunikation ist das Wissen um diese Zusammenhänge elementar. Beispiele haben dies gezeigt. 98 Kommunikationsmodelle <?page no="114"?> Übungsfragen und -aufgaben zu diesem Kapitel 1. Erklären Sie mit eigenen Worten, warum das Sender-Empfänger-Modell als Kommunikationsmodell eher ungeeignet ist! 2. Erklären Sie, was bei B ÜHLER mit Appell gemeint ist. Inwiefern schwingt dieser Aspekt in jeder kommunikativen Handlung mit? 3. Erproben Sie an dem Satz „ Ich fühle mich gerade genervt “ , welche vier Botschaften - gemäß dem Kommunikationsquadrat - damit vermittelt werden können! 4. Überlegen Sie, welche Wirkung der Satz „ Schön, dass Du Dich auch mal wieder meldest “ bei einem Gegenüber haben kann! Welche Ohren können welche Botschaften heraushören? 5. Erklären Sie, warum Ich-Botschaften in gewissen Situationen positiver wirken können. Welche Situationen sind das? 6. Was verstehen Sie unter der doppelten Vierheit in der Kommunikation? 7. Warum sind die Aspekte Blinder Fleck und Unbekanntes für die Arzt- Patienten-Kommunikation so wichtig? Was ist damit gemeint? 8. Erläutern Sie den Unterschied zwischen expliziten und impliziten Botschaften. Finden Sie Beispiele aus der ärztlichen Praxis dafür! Weiterführende und vertiefende Literatur zu diesem Kapitel Die hier beschriebenen Kommunikationsmodelle sind selbstverständlich von ihren „ Erfindern “ weit differenzierter ausformuliert worden. Hier finden Sie die Modelle ausführlich dargestellt: Wenn Sie sich mit dem Informationsmodell nach S HANNON / W EAVER intensiver befassen möchten, empfehle ich die Lektüre von S HANNON / W EAVER 1976 und S HANNON 1993 (dort besonders S. 173 - 176). Das Organon-Modell wird entwickelt in B ÜHLER 1933 und B ÜHLER 1934. Beide Kommunikationsmodelle werden auch bei K RALLMANN / Z IEMANN 2001 ausführlich besprochen. Wenn Sie sich näher mit dem Kommunikationsquadrat und dessen kommunikationstheoretischen Zusammenhängen befassen möchten, empfehle ich die Lektüre von S CHULZ VON T HUN 2007, sowie 2010 a und 2010 b. Insbesondere diese Lektüre ist sehr fruchtbar und zeitgemäß. Das Konzept des Johari-Fensters finden Sie bei L UFT 1971 und im Original bei L UFT / I NGHAM 1955. Kapitelzusammenfassung 99 <?page no="115"?> 5 Kommunikationstheorien und -konzepte W IE SPRECHEN M ENSCHEN MIT M ENSCHEN ? A NEINANDER VORBEI . K URT T UCHOLSKY Ziele und Warm up Neben den vorgestellten Kommunikationsmodellen, die kommunikatives Handeln als Interaktionsprozess beschreiben, gibt es einige wichtige Theorien und Konzepte, die ich Ihnen im Folgenden vorstellen möchte. Aus der linguistischen Forschung stammen die Theorie der Sprechakte von J OHN A USTIN und J OHN S EARLE sowie die Theorie der handlungstheoretischen Semantik und der Konversationsmaximen von H ERBERT P AUL G RICE . Diese Theorien werden Ihnen verdeutlichen, welche Formen der sprachlichen Äußerung man unterscheidet, wie man aus dem Gesagten das Gemeinte destilliert (indirekte Sprechakte) und nach welchen Prinzipien kooperative Kommunikation funktioniert. Beide Theorien verortet man in der Sprachwissenschaft im Bereich der Pragmatik, also der sprachlichen Handlungstheorie. Darüber hinaus werden wir uns mit zwei psychologischen Konzepten beschäftigen: mit der Idee des Wertschätzenden und Aktiven Zuhörens nach C ARL R. R OGERS und mit der Gewaltfreien Kommunikation nach M ARSHALL B. R OSENBERG . Alle im Folgenden vorgestellten Konzepte werden möglichst vereinfacht und mit Blick auf die Fragestellung dieses Buches entwickelt. Sie dienen Ihnen zum tieferen Verständnis von Kommunikationsprozessen und zur praktischen Anwendung in der ärztlichen Gesprächsführung. Zum Einstieg in dieses Kapitel beantworten Sie bitte die folgenden Fragen: Wo liegt für Sie der Unterschied zwischen folgenden Sätzen: Ich verordne Ihnen jetzt dieses Medikament und Ich empfehle Ihnen dieses Medikament? Was bezweckt ein Arzt mit folgender Aussage: Ich verspreche Ihnen, dass Sie auf diese Art nicht alt werden? Handelt es sich tatsächlich um ein Versprechen? <?page no="116"?> Was impliziert die folgende Frage: Wer will schon ewig leben? Handelt es sich dabei tatsächlich um eine Fragehandlung? Wo liegt der Unterschied? Sie kennen sicher das folgende Problem: Jemand sagt etwas völlig anderes, als er/ sie meint. Wie können Sie in solchen Fällen erkennen, dass das Gesagte nicht das Gemeinte ist? Kann man kommunizieren, indem man einfach nur zuhört? Was unterscheidet dabei aktives von passivem Zuhören? Kennen Sie Beispiele? Können Sie sich vorstellen, mit welchen Äußerungen man Gewalt auf sein Gegenüber ausüben kann? Schreiben Sie einige Sätze auf, die Ihrer Meinung nach zu psychischer oder physischer Gewalt beitragen können! 5.1 Können wir durch Sprechen handeln? - Die Sprechakttheorie von J OHN L. A USTIN und J OHN R. S EARLE Das Forschungsfeld der Sprachwissenschaft ist der Sache nach die Sprache selbst. Daher kann es kaum verwundern, dass Theorien, die sich mit zwischenmenschlicher Kommunikation befassen, aus diesem Blickwinkel in erster Linie sprachliches Handeln durchleuchten. Sprachliches Handeln bedeutet in der Linguistik zweierlei: Zum einen ist jede sprachliche Äußerung eine Handlung: Wenn man spricht, dann tut man etwas Bestimmtes (man bringt Laute hervor, bewegt die Lippen usw.). Zum anderen ist sprachliches Handeln in bestimmten Fällen auch zugleich Handeln im außersprachlichen Bereich. Denn: Mit einer sprachlichen Äußerung kann man nicht nur Sachverhalte beschreiben oder Tatsachen behaupten, sondern kommunikative Handlungen vollziehen, um damit direkten Einfluss auf die Umwelt auszuüben. Oder anders: Man vollzieht eine soziale Handlung, indem man etwas sagt. So kann man z. B. jemanden durch die Äußerung eines Satzes loben, beleidigen, verängstigen usw. Solche besonderen Handlungsformen bezeichnet man in der Linguistik als Sprechakte. Die Idee, dass Sprechen zugleich Handeln ist, haben die britischen Linguisten J OHN L. A USTIN und J OHN R. S EARLE in den 1950er und -60er Jahren entwickelt. Sie ist seither wegweisend für die Sprachwissenschaft. Man kennt sie unter dem Begriff Sprechakttheorie. Die erste Formulierung einer solchen Theorie basiert auf Aufzeichnungen einer Vorlesung A USTIN s, die den programmatischen Titel „ How to do things with words “ trägt. Der grundlegende Gedanke, der die Sprechakttheorie formuliert, lautet: Können wir durch Sprechen handeln? 101 <?page no="117"?> Man kann etwas tun, indem man etwas sagt und man tut etwas dadurch, dass man etwas sagt. 47 Dieser Theorie gemäß enthält jede sprachliche Äußerung neben einer Aussage über die Welt (Proposition) auch eine Intention des Sprechers und damit auch den Wunsch einer bestimmten Reaktion beim Hörer. Aufgrund dieser Ausrichtung ist die Sprechakttheorie ein sehr sprecherzentriertes Konzept, das den Hörer und dessen Wünsche und Bedürfnisse nicht berücksichtigt. Wenn wir davon ausgehen, dass verbale Kommunikation durch sprachliche, also lautlich hervorgebrachte, Äußerungen erfolgt, dann unterscheidet man gemäß der Sprechakttheorie zwischen a) Äußerungen, mit denen man durch den Vorgang des Sprechens selbst eine Handlung vollzieht, und b) Äußerungen, bei denen das nicht der Fall ist. Dazu zwei Beispiele aus der ärztlichen Gesprächsführung: Der Satz Ich verbiete Ihnen, dass Sie Alkohol trinken unterscheidet sich von der Äußerung Sie sollten keinen Alkohol mehr trinken dadurch, dass die Handlung des Etwas-Verbietens durch die Äußerung im ersten Satz direkt vollzogen wird. Indem Sie Ihrem Patienten sagen, dass Sie ihm etwas verbieten, verbieten Sie es auch. Die Satzäußerung besitzt also einen direkten Handlungscharakter. Für die zweite beispielhafte Äußerung gilt das nicht. Und: Der Akt des Etwas-Verbietens lässt sich einzig dadurch vollziehen, dass Sie den Satz äußern. Sie kennen dieses Phänomen auch aus anderen Bereichen. Wenn ein Kind getauft wird, ist dieser Prozess unmittelbar an die Äußerung des Satzes Ich taufe Dich (auf den Namen Horst) verbunden. Allein das Besprengen des Täuflings mit Weihwasser ist nicht hinreichend, um von einer Taufe zu sprechen. Wird der Satz nicht geäußert, findet die Taufe nicht statt. Man unterteilt daher Sprachäußerungen in zwei Klassen: Äußerungen, mit denen man eine Handlung vollzieht, nennt man performative Äußerungen und grenzt sie von konstativen Äußerungen ab, mit denen man „ nur “ etwas aussagt, aber nicht unmittelbar handelt. Häufig sind Äußerungen, mit denen eine direkte Handlung vollzogen wird, durch ein hiermit im Satz erkennbar (z. B. Hiermit ernenne ich Horst Mustermann zum Doktor der Medizin). Performativen Äußerungen kann zudem oft eine bestimmte Klasse von Verben zugeordnet werden. Es sind diese performativen Verben, die innerhalb des Satzes die Handlung auslösen. In der Medizinischen Kommunikation gibt es eine Reihe solcher Verben, mit denen die Äußerung eines Satzes einen performativen, also handelnden, Charakter zugeschrieben bekommt: 47 Vgl. A USTIN 1979: 112. . 102 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="118"?> Performatives Verb Beispiel aus der Arzt-Patienten-Kommunikation verbieten Ich verbiete Ihnen, in den nächsten drei Wochen zu rauchen oder Alkohol zu trinken. aufklären Ich kläre Sie nun über die Nebenwirkungen auf. empfehlen Ich empfehle Ihnen, regelmäßig Sport zu treiben und Stress zu vermeiden. belehren Ich belehre Sie nun über Ihre Pflichten. abraten Ich rate Ihnen von körperlicher Anstrengung ab. entlassen Ich entlasse Sie, Sie können nach Hause gehen. verordnen Ich verordne Ihnen Massagen und tägliche Spaziergänge. verschreiben Ich verschreibe Ihnen jetzt mal dieses Medikament. einweisen Ich muss Sie leider ins Krankenhaus einweisen. überweisen Ich überweise Sie zu einem Facharzt, der sich besser damit auskennt. aufnehmen Ich nehme Sie stationär hier auf. Tabelle 8: Performative Verben in der Arzt-Patienten-Kommunikation Damit Sprechakte erfolgreich vollzogen werden können, bedarf es der Einhaltung bestimmter Regeln, die man nach J OHN R. S EARLE , der die Theorie der Sprechakte weiterentwickelt hat, als Gelingensbedingungen bezeichnet. Als erstes muss der ausgedrückte Sachverhalt mit dem Zweck des Sprechaktes übereinstimmen. Wenn man sagt, dass man einen Patienten aufklären wird, dann muss auch eine tatsächliche Aufklärung stattfinden. So können Sie beispielsweise nicht sagen Ich kläre Sie jetzt darüber auf, wie Sie heißen. Der geäußerte Sachverhalt entspricht dann nicht dem Zweck Ihres Sprechaktes. Eine Aufklärung als kommunikativer Akt erfordert eine neue, unbekannte Sachinformation und nichts, was der andere schon weiß. Die Regel, die damit verbunden ist, nennt man Regel des propositionalen Gehalts (Proposition = Sachverhalt). Die zweite Regel, die erfüllt sein muss, damit sprachliches Handeln durch performative Äußerungen erfolgreich ist, nennt man die Einleitungsregel. Damit ist gemeint, dass bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen, Können wir durch Sprechen handeln? 103 <?page no="119"?> damit ein bestimmter Sprechakt überhaupt vollzogen werden kann. Bei einem Versprechen etwa ist es wesentlich, dass der andere auch wünscht, was er versprochen bekommt. Der Sprechakt muss also Sinn und Zweck haben. Zudem müssen auch die sozialen Rollen den Sprechakt zulassen. So kann mir ein Polizist verbieten, bei Rot über eine Ampel zu gehen, nicht aber ein Schreiner. Nur Ärzte können etwas verordnen, nicht aber Krankenschwestern. Die dritte Prämisse ist die Aufrichtigkeitsregel. Sie besagt, dass man das, was man mit dem Sprechakt vollziehen möchte, auch wirklich beabsichtigt und dass man zudem auch in der Lage ist, die Absichten des Sprechaktes zu erfüllen. So kann man keinem Patienten versprechen, dass er in einem Monat noch lebt oder eine Therapie verordnen, die es gar nicht gibt. Die vierte Regel gibt an, in welchen Situationen ein Sprechakt geäußert werden kann und bestimmt damit die Natur des Sprechaktes. Diese sogenannte Wesentliche Regel bezeichnet den Zweck des Sprechaktes. So sollte eine Verordnung nur dann ausgesprochen werden, wenn damit auch ein therapeutischer Nutzen verbunden ist. Als Arzt sollte man nur dann von etwas abraten, wenn man sicher ist, dass dies notwendig ist. Und wenn Sie ihrem Patienten versprechen, ihn anzurufen und über seine Laborwerte zu informieren, dann erfordert die Wesentliche Regel, dass Sie auch vorhaben, Ihr Versprechen einzulösen. Unterschiedliche Äußerungen können verschiedene kommunikative Funktionen erfüllen. So können Sie mit einer Äußerung etwas beschreiben wollen, Sie können sich auf ein bestimmtes Verhalten festlegen wollen, Ihre eigene Meinung zum Ausdruck bringen usw. Um erkennen zu können, um welche Funktion es sich handelt, wird in der Sprechakttheorie jeder Sprechakt in vier Teilakte aufgefächert: 1. Äußerungsakt 2. Propositionaler Akt 3. Illokutionärer Akt 4. Perlokutionärer Akt Die Akte 1 und 2 sind rasch erklärt: Jeder Sprechakt besteht aus Lauten, die geäußert werden (Äußerungsakt), und einem sachlichen Inhalt (propositionaler Akt). Der illokutionäre Akt ist nun der eigentliche Zweck einer sprachlichen Handlung und daher von besonderem Interesse. Wenn Sie sagen Ich rate Ihnen, mehr Sport zu treiben, dann vollziehen Sie den illokutionären Akt des Ratgebens. Der perlokutionäre Akt ist die Wirkung auf Ihr Gegenüber, die durch die Äußerung eintreten soll. Wenn Sie jemandem etwas raten, dann wollen Sie, dass derjenige Ihren Rat befolgt. Und wenn Sie jemandem etwas verbieten, möchten 104 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="120"?> Sie, dass der andere irgendetwas unterlässt. Tritt das ein, was Sie beabsichtigt haben, spricht man davon, dass der Sprechakt erfolgreich war. Erfolgreiche Sprechakte sind somit gelungene kommunikative Sprachhandlungen, weil sie der Erreichung eines Beeinflussungsziels gedient haben. Abzugrenzen vom perlokutionären Akt einer Äußerung ist der perlokutionäre Effekt. So kann es sein, dass Sie mit der Äußerung Sie sind ein Schwein jemanden beleidigen wollen. Wenn derjenige sich aber gar nicht beleidigt fühlt, ist der perlokutionäre Akt - und damit der gesamte Sprechakt - gescheitert, weil der perlokutionäre Effekt nicht dem perlokutionären Akt entsprochen hat. Wenn Sprechakte scheitern, liegt das oft daran, dass der kommunikative Effekt nicht der intendierten Wirkung des Sprechaktes entspricht. Für unsere spezielle Fragestellung ist die folgende Erkenntnis aus der Sprechakttheorie von besonderem Interesse: Es gibt sowohl direkte als auch indirekte Sprechakte. So können Sie beim Abendessen zu Ihrem Gegenüber sagen Gib mir mal (bitte) das Salz. Es handelt sich bei diesem direkten Sprechakt um den illokutionären Akt der Aufforderung. Sie könnten in der gleichen Situation aber auch äußern Die Suppe könnte mehr Salz vertragen. Hier handelt es sich nur in zweiter Linie bzw. der äußeren Gestalt nach um eine Feststellung (sekundäre Illokution). Der primäre illokutionäre Akt hingegen ist ebenfalls die Aufforderung, Ihnen das Salz zu reichen. Solche Äußerungen bezeichnet man als indirekte Sprechakte. In der folgenden Tabelle finden Sie einige Beispiele für indirekte Sprechakte aus dem Bereich der Medizinischen Kommunikation: Äußerung Ausgedrückter Sprechakt (= sekundäre Illokution) Indirekter Sprechakt (= primäre Illokution) Schwester, der Patient in Zimmer 3 hat sich im Bett erbrochen. Sachaussage Aufforderung Fräulein Müller, der Behandlungsraum 2 ist noch nicht aufgeräumt. Sachaussage Aufforderung Ich verspreche Ihnen, Sie werden nicht alt, wenn Sie so weiter machen. Versprechen Warnung/ Drohung . . Können wir durch Sprechen handeln? 105 <?page no="121"?> Äußerung Ausgedrückter Sprechakt (= sekundäre Illokution) Indirekter Sprechakt (= primäre Illokution) Können Sie sich mal frei machen? Frage Aufforderung Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst, oder? (rhetorische) Frage Entgegnung Ist das nicht ein gutes Gefühl? (rhetorische) Frage Aussage Bitte beruhigen Sie sich jetzt, sonst muss ich Ihnen etwas zur Beruhigung spritzen. Bitte Warnung Tabelle 9: Indirekte Sprechakte in der ärztlichen Praxis Solche Formen der impliziten Kommunikation sind uns bereits im Zusammenhang mit dem Kommunikationsquadrat von S CHULZ VON T HUN begegnet. Im Folgenden wollen wir überlegen, auf welche Weise solche impliziten Botschaften bzw. indirekten Sprechakte erschlossen werden können. Woran kann man indirekte Sprechakte erkennen? Und welchen Prinzipien folgen wir, wenn wir in Gesprächen vom Gesagten auf das Gemeinte schließen? 5.2 Woran erkennen wir, was andere meinen? - Das Prinzip der Konversationsmaximen nach H ERBERT P AUL G RICE In konkreten Kommunikationssituationen geht oft aus dem Gesprächszusammenhang hervor, welche Illokution, also welcher Zweck, mit einer Äußerung verfolgt wird. Dafür gibt es bestimmte Indikatoren wie etwa die Wortfolge, die Betonung oder die bekannten explizit performativen Verben (behaupten, befehlen, raten etc.). Allein die indirekten Sprechakte sind so einfach nicht zu verstehen, denn bei ihnen entspricht das Gesagte nicht dem Gemeinten. Eine Theorie, die erklären kann, wie wir aus dem, was jemand sagt, das heraushören können, was jemand meint, stammt von H ERBERT P AUL G RICE . G RICE erweitert zunächst die Sprechakttheorie um die Rolle des Hörers: Wenn jemand etwas sagt, dann zeigt er damit, was er meint. Der Hörer zeigt durch seine Reaktion, was er versteht. So geht G RICE davon aus, dass es aufgrund rationaler Prinzipien des Kommunizierens immer möglich sein muss, von dem Gesagten direkt auf das Gemeinte zu schließen. Wenn jemand plötzlich Hilfe ruft, dann beabsichtigt der Rufende, dass ihm jemand zu Hilfe eilt - und für gewöhnlich erkennen andere 106 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="122"?> den Hilferuf auch als solchen. Eine geistige Anstrengung ist damit nicht verbunden. Nun gibt es aber auch Äußerungen, bei denen das nicht so einfach ist. In der Sprechakttheorie sind das die erwähnten indirekte Sprechakte, bei G RICE heißen solche Phänomene konversationelle Implikaturen. Gemeint sind damit Äußerungen, die über einen kognitiven Prozess erschlossen, also jedes Mal aus dem jeweiligen Kontext heraus neu interpretiert werden müssen. Man könnte auch sagen: Es handelt sich um Äußerungen, über die man beim Hören oder Lesen gedanklich stolpert: Man merkt, dass ein Satz nicht so gemeint sein kann, wie er geäußert wurde. Sie kennen solche Fälle aus dem Alltag: Sie unterhalten sich und plötzlich wechselt Ihr Gesprächspartner das Thema. Oder Ihr Gegenüber äußert einen Satz, der im Gesprächszusammenhang gar keinen Sinn ergibt. In solchen Fällen muss irgendetwas anderes in der Äußerung stecken als das, was Sie aus dem Gesagten heraushören können. Solche Botschaften muss man durch ein bestimmtes Verfahren (pragmatisches Schlussverfahren) entschlüsseln können, sonst wäre Kommunikation per se zum Scheitern verurteilt. Dass unsere Kommunikation in einem hohen Maße zuverlässig ist, zeigt, dass wir alle beim Kommunizieren ein solches Verfahren (unbewusst) anwenden. Wenn Sie Ihren Patienten beispielsweise fragen Wie geht es Ihnen? und er antwortet darauf mit Ich bin ein alter Mann! , dann ist seine Äußerung nicht die passende Antwort auf Ihre Frage - und doch steckt darin ein kommunikativer Gehalt, den Sie korrekt verstehen. Die implizite Botschaft lautet sinngemäß: Weil ich so alt bin, kann es mir gar nicht gut gehen. In konversationellen Implikaturen ist das Gemeinte versteckt oder nur angedeutet, es wird nicht direkt ausgedrückt. Dadurch kann mehr kommuniziert werden, als die konkrete Äußerung eigentlich hergibt. Das wörtlich Gesagte ergibt dabei nur Sinn, wenn man gedanklich weitere Botschaften (Implikaturen) hinzufügt. Das Hinzufügen geschieht als Schlussprozess vom Gesagten auf das Gemeinte und basiert auf gemeinsamem Regelwissen. Damit man eine konversationelle Implikatur als solche erkennen und auflösen kann, geht G RICE davon aus, dass es ein allgemeines Prinzip beim menschlichen Kommunizieren gibt, das immer eingehalten wird: das Kooperationsprinzip. Es muss beim Kommunizieren davon ausgegangen werden, dass sich der Gesprächspartner grundsätzlich kooperativ verhält, also kommunizieren möchte. Diese Annahme gilt nur mit einer Einschränkung: Wenn zwei Fußballhooligans sich anschreien, beleidigen oder verächtlich aus dem Weg gehen, ist . Woran erkennen wir, was andere meinen? 107 <?page no="123"?> das selbstverständlich auch Kommunikation, auch wenn sich die Kontrahenten offensichtlich nicht kooperativ verhalten. Kooperation beim Kommunizieren ist also eher als eine rationale Handlung zu verstehen. Insofern gilt: Das Erreichenwollen eines kommunikativen Zwecks wird durch das Kooperationsprinzip vorausgesetzt, nicht aber zwingend ein partnerschaftliches Miteinander, so wie es der Begriff suggeriert. Wenn wir das Beispiel des alten Mannes betrachten, nehmen wir grundsätzlich an, dass er mit seiner (auf den ersten Blick unpassenden) Antwort nicht das Thema wechseln möchte oder die Kommunikation beenden will. Wenn wir ihm unterstellen, dass er das Kooperationsprinzip befolgt, dann muss seine Äußerung einen bestimmten Zweck erfüllen. Wenn der betagte Herr sich nun aber tatsächlich kooperativ verhält, dann verletzt er mit seiner Antwort offenbar Regeln des Kommunizierens. Solche Regeln leitet G RICE aus dem Kooperationsprinzip ab und nennt sie Konversationsmaximen 48 , nach denen man als Sprecher seinen Gesprächsbeitrag grundsätzlich bilden sollte: 49 1. Maxime der Quantität - Mache deinen Beitrag (für den Gesprächszweck) so informativ wie nötig. Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig. 2. Maxime der Qualität - Versuche, deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist. - Sage nichts, das du für falsch hältst. - Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen (was du nicht weißt). 3. Maxime der Relation - Sei relevant (= rede nicht um den heißen Brei herum). 4. Maxime der Modalität - Sei klar und deutlich. - Vermeide Unverständlichkeit. - Vermeide Mehrdeutigkeiten. - Sei kurz (= vermeide unnötige Weitschweifigkeit). - Der Reihe nach (= strukturiere deinen Gesprächsbeitrag)! Sprachliches Handeln wird durch diese Maximen als rationales Handeln erklärt. Insofern ist jede Verletzung einer oder mehrerer dieser Maximen ein rationales Vorgehen und wird damit absichtsvoll vollzogen. Oder anders: 48 In Anlehnung an K ANT s Kategorientafel, nach der Qualität, Quantität, Relation und Modalität die vier grundlegenden Urteilsfunktionen des menschlichen Verstandes darstellen. 49 Vgl. G RICE 1975: 249 ff. und G RICE 1967: 26 ff. 108 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="124"?> Indem ich gegen eine oder mehrere dieser Maximen verstoße, möchte ich meinen Gesprächspartner dazu bringen, aus dem, was ich sage, das, was ich meine, zu entschlüsseln. Verstöße gegen Konversationsmaximen sind ein Indikator dafür, dass es sich um eine implizite Botschaft handeln kann. Wenn einzelne oder mehrere Konversationsmaximen im Gespräch verletzt werden, sind mehrere Möglichkeiten denkbar, warum das geschieht. Möglicherweise will der Sprecher bewusst irreführen oder er will seinen Gesprächspartner ignorieren. In solchen Fällen wird aber das grundlegende Kooperationsprinzip verletzt - und die gesamte Kommunikation scheitert absichtsvoll. Eine andere Möglichkeit liegt vor, wenn Menschen sich grundsätzlich oder augenblicklich schwer tun, sprachlich zu kommunizieren, weil bei Ihnen beispielsweise das Sprachbewusstsein nicht besonders ausgeprägt ist, sie verwirrt sind oder weil sie gar eine andere Muttersprache haben. In der ärztlichen Gesprächsführung betrifft diese Möglichkeit oft Kinder oder ältere Menschen, die Probleme bei der strukturierten Formulierung ihrer Gedanken haben. Die grundsätzliche Kooperationsbereitschaft liegt hier vor, die Maximen werden unabsichtlich verletzt. Weit interessanter sind diejenigen Fälle, in denen - wie bei der Antwort des alten Mannes - die Maximen bewusst verletzt werden, um dem anderen etwas nahe zu legen, das im wörtlich Gesagten nicht direkt enthalten ist. In solchen Fällen setzt folgender Schlussprozess bei Ihnen als Hörer ein, den ich Ihnen an dem Beispiel verdeutlichen will: - Der alte Mann hat gegen die Maxime der Quantität und die der Relation verstoßen: Er hat mehr erzählt als nötig und zudem etwas Irrelevantes. - Wenn ich davon ausgehe, dass sich der alte Mann kooperativ verhält, weist das Verletzen der Maximen darauf hin, dass sein Gesagtes nicht das Gemeinte ist. - Wäre das anders, so wäre seine Äußerung unvernünftig und irrational. - Ich habe keinen Grund anzunehmen, dass der Mann etwas Unvernünftiges geäußert hat (er verhält sich insgesamt rational). - Die Äußerung des alten Mannes impliziert, dass er sich seinem Alter entsprechend fühlt. - Aus meinem Weltwissen und meiner beruflichen Erfahrung als Arzt ist mir bekannt, dass alte Menschen sich oft unwohl fühlen, Schmerzen haben etc. - Daraus schließe ich, dass mir der Patient mitteilen will, dass es ihm nicht gut geht. - Seine Äußerung ist also eine implizite Antwort auf meine Frage. . Woran erkennen wir, was andere meinen? 109 <?page no="125"?> - Ich kann nun in bestimmter Weise darauf reagieren und z. B. fragen Warum geht es Ihnen denn nicht gut? oder Welche Beschwerden haben Sie im Moment? - Die Kommunikation ist nicht gescheitert. Durch das Erkennen einer Verletzung einer oder mehrerer Konversationsmaximen bei Erfüllung des Kooperationsprinzips kann über das eigene Weltwissen, das Wissen über Sprachkonventionen und über den Gesprächshintergrund i. d. R. problemlos auf eine implizite Botschaft geschlossen werden. Dass die Konversationsmaximen und das Kooperationsprinzip tatsächlich rational beim Kommunizieren befolgt werden, zeigen Ihnen die folgenden Beispiele, in denen Sprecher explizit darauf hinweisen, dass sie gegen einzelne Maximen bewusst verstoßen werden - und damit zugleich aussagen, dass kein Schlussverfahren beim Hörer notwendig ist: 50 Äußerung Verstoß gegen Konversationsmaximen Es steht mir nicht frei, mehr zu sagen. Verletzung der Maxime der Quantität Ich muss das jetzt wahrscheinlich gar nicht sagen, aber. . .; Du weißt das sicher schon, aber. . . Verletzung der Maxime der Quantität Ich weiß nicht genau, ob es stimmt, aber. . . Verletzung der Maxime der Qualität Ich kann es zwar nicht beweisen, aber. . . Verletzung der Maxime der Qualität Nebenbei bemerkt . . .; apropos . . .; es passt zwar gerade nicht zum Thema, aber . . .; es wird dich vielleicht nicht interessieren, aber. . . Verletzung der Maxime der Relation Ich muss da weiter ausholen . . .; ich komme gleich zum Kern meiner Gedanken, aber vorher. . .; ich rede jetzt einfach mal drauf los . . .; das wird jetzt eine längere Geschichte . . . Verletzung der Maxime der Modalität Um es gleich vorweg zu nehmen . . . Verletzung der Maxime der Modalität Tabelle 10: Hinweise auf absichtliche Verletzungen von Konversationsmaximen in Alltagsgesprächen 50 Die Beispiele entstammen K RALLMANN / Z IEMANN 2001: 122 f. . 110 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="126"?> Für das Gespräch im medizinischen Kontext ist besonders die Maxime der Relation von Bedeutung. Bestimmte Frage, die Sie als Arzt zur Sicherung einer Diagnose stellen, erscheinen für Patienten als ein Verstoß gegen die Maxime der Relation, weil die Relevanz der Frage nicht unmittelbar erkennbar ist. Wenn Sie beispielsweise im Rahmen einer Routineuntersuchung bei einer jungen Frau einen erniedrigten Blutdruckwert messen und die Frage stellen Haben Sie gerade Ihre Tage? , dann kann diese Frage als ein Eingriff in die Intimsphäre der Frau verstanden werden, denn sie steht - für den medizinischen Laien - in keinem erkennbaren Zusammenhang mit Ihrer Untersuchung. Verwunderung oder gar eine beleidigte Antwort (etwa: Was geht Sie das an? ) können die Folge sein. Daher bedenken Sie stets: Ärztliches Fragen ist stets zielgerichtet. Die Ziele medizinisch relevanter Fragen ergeben sich nicht immer unmittelbar aus dem Gesprächskontext, weshalb bestimmte Fragen als eine Verletzung der Maxime der Relation verstanden werden können. In solchen Fällen muss die Relevanz der Frage zwingend erläutert werden, damit keine unnötigen und falschen Schlussprozesse beim Gegenüber in Gang gesetzt werden, die die Kommunikation gefährden können. 5.3 Wertschätzende Kommunikation und Aktives Zuhören - die nondirektive Gesprächsführung nach C ARL R. R OGERS Nach diesen linguistischen Theorien widmen wir uns im Folgenden zwei Kommunikationskonzepten, die in einem engen Zusammenhang mit der gesprächsinteraktiven Psychotherapie stehen und die auf der Folie psychologischer Erkenntnisse entwickelt wurden. Während sich die Sprachwissenschaft mit Fragen der kognitiven Prozesse beim Kommunizieren und mit den sprachsystemimmanenten Prozessen befasst und Gelingen oder Scheitern an solche Verfahren knüpft, wird hier der Blick auf die psychischen Besonderheiten der Kommunikation gelenkt. Ging G RICE mit seinem Kooperationsprinzip von einer abstrakten Kooperation auf sprachlicher Ebene aus, geht es in den psychologischen Kommunikationskonzepten um echte zwischenmenschliche Kommunikation. Der Psychotherapeut C ARL R. R OGERS hat mit seinem Konzept der nondirektiven Gesprächspsychotherapie einen wichtigen Grundstein gesetzt, der insbesondere für die Medizinische Kommunikation als klienten-/ patientenorientiertes Modell ein Fundament darstellt. Bei der Beschäftigung mit dem Kommunikationsquadrat von S CHULZ VON T HUN sind wir darauf gestoßen, dass . Wertschätzende Kommunikation und Aktives Zuhören 111 <?page no="127"?> Probleme beim Kommunizieren in erster Linie Ausdruck einer gestörten Beziehungsebene sind und wir konnten auch bei G RICE erkennen, dass Verstöße gegen das Kooperationsprinzip, die ebenfalls als Ausdruck einer gestörten Beziehungsebene gedeutet werden können, zum Scheitern von Kommunikation führen können. Damit Kommunikation überhaupt gelingen kann, muss man also auch kommunizieren wollen. Mit Gelingen ist in diesem Zusammenhang das Erreichen kommunikativer Ziele gemeint, so wie wir sie in Kapitel 2 entwickelt haben. Dort haben wir zudem festgestellt, dass gelingende Kommunikation als ein Prozess der wechselseitigen Interaktion gedacht werden muss. Mit uns selbst können wir nicht gewinnbringend kommunizieren. Damit Kommunikation, so wie wir sie bis hierher anhand unterschiedlicher Modelle und Theorien entwickelt haben, in der Gesprächspraxis auch auf fruchtbaren Boden stößt, bedarf es zwischen Arzt und Patient einer vertrauensvollen Beziehung. R OGERS geht davon aus, dass „ wirkliche Veränderung durch Erfahrung in einer Beziehung zustande kommt “ 51 . Das bedeutet für die Arzt- Patienten-Beziehung, dass sich der Patient soweit öffnen muss, dass der Arzt den Kern der Probleme erkennen kann. Außerdem geht R OGERS davon aus, dass eine Person, die von sich aus über Dinge spricht, sich selbst dabei besser verstehen lernt und dass Verhaltensänderungen auf diese Weise erreicht werden können. Erfolgreiches Kommunizieren in der ärztlichen Gesprächsführung setzt wechselseitig die Bereitschaft zum Kommunizieren voraus. Medizinische Kommunikation ist die existenzielle Begegnung von Arzt und Patient und basiert auf Wertschätzung, Empathie und Authentizität. Da Medizinische Kommunikation zugleich medizinisches Handeln bedeutet, ist eine heilsame und entwicklungsfördernde Beziehung 52 der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie. Mit anderen Worten: Damit Sie als Arzt überhaupt in der Lage sind, die Probleme Ihrer Patienten richtig zu erkennen und diese Informationen therapeutisch nutzen zu können, muss zwischen Ihnen und Ihren Patienten eine vertrauensvolle Beziehung bestehen. R OGERS geht davon aus, dass viele Probleme allein durch ein vertrauensvolles Gespräch gelöst werden können; der Wunsch vieler Patienten nach einer aktiveren Rolle innerhalb der Arzt-Patienten-Kommunikation bestätigt diese Vermutung. Die zahlreichen Studien zur Verbesserung der Lebensqualität und zur positiven Wirkung gelingender Kommunikation auf die Regression von Krankheiten belegen dies zudem. 53 51 R OGERS 1973: 46. 52 Vgl. P LATE 2013: 52. 53 Vgl. Kapitel 1 dieser Einführung. . 112 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="128"?> Für R OGERS ist die Beziehung zwischen Therapeut und Patient dann heilsam, wenn drei Faktoren auf Seiten des Therapeuten/ Arztes vorliegen: 54 Faktoren/ Grundhaltungen Auswirkungen Unbedingte Wertschätzung Akzeptanz, Respekt und Achtung vor dem Gesprächspartner bewirken ein wertfreies Miteinander, das die Fehler des anderen ausblendet und den Menschen als gleichberechtigten Interaktionspartner berücksichtigt. Authentizität/ Kongruenz Echtheit auf Seiten des Arztes bewirkt, dass sich der andere ebenfalls öffnen kann, statt sich hinter einer Fassade zu verstecken. Empathie Einfühlendes Verstehen bewirkt, dass sich der Patient mit seinen Sorgen, Nöten und Wünschen ernst genommen fühlt. Dabei ist einfühlendes Verstehen immer wertfrei. Empathie erfordert auf Seiten des Arztes die Fähigkeit, dieses Verständnis dem Patienten zu kommunizieren. Tabelle 11: Elemente der heilsamen Beziehung (nach R OGERS ) In der therapeutischen Anwendung betrachtet R OGERS den Therapeuten als einen passiven Gesprächspartner, was die eigenen Redeanteile anbelangt. Im Mittelpunkt der Gesprächstherapie steht der Patient mit seinen Gefühlen, Wünschen, Wertvorstellungen und Zielen. In der Übertragung auf das ärztliche Gespräch heißt das, dass der Arzt seine eigene Meinung nach Möglichkeit in den Hintergrund stellen soll und sowohl Ratschläge als auch Bewertungen vermeiden muss (nicht-direktives Gesprächsverhalten). Insbesondere bei Gesprächen, die keine unmittelbare medizinisch-therapeutische Handlung erfordern, lässt sich dieses Vorgehen umsetzen, um im Gespräch zu den (bisweilen auch versteckten bzw. unreflektierten) Problemen des Patienten vorzustoßen. Wir hatten im Zusammenhang mit dem Johari- Fenster beobachtet, dass insbesondere diejenigen Informationen, die das Selbst betreffen und die der Sphäre des Privaten zugeschrieben werden (dazu gehören auch intime Informationen über Leiden und Krankheiten), oft nur schwer an die Oberfläche gelangen. 54 R OGERS entwickelt sein Konzept der Klientenzentrierung zwar für den Bereich der Psychotherapie, aber dieses Konzept ist wegen der engen Verwandtschaft problemlos auf jede Form des ärztlichen Gesprächs anwendbar. Wertschätzende Kommunikation und Aktives Zuhören 113 <?page no="129"?> Um zu einem echten Verständnis dessen zu gelangen, was der Patient Ihnen als Arzt mitteilen möchte, müssen Sie ihm die Möglichkeit dazu geben, unterbrechungsfrei zu reden und Sie müssen die Botschaften Ihres Patienten mit eigenen Worten an ihn zurückspielen. Auf diese Weise zeigen Sie Empathie und ermuntern Ihr Gegenüber sich weiter zu öffnen und gesprächssensible Informationen preiszugeben. R OGERS prägt für diese Form der speziellen Rückkopplung beim Zuhören im Gespräch den Begriff Aktives Zuhören. Durch aktives Zuhören wird der Patient stetig in seine eigene Wahrnehmung geführt und der Arzt gelangt auf diese Weise an wichtige medizinische Informationen, die der Patient im Alltag nicht auszusprechen wagt oder derer er sich selbst gar nicht bewusst ist. Als Zuhörer müssen Sie empfänglich sein für die Botschaften, die Ihnen Ihr Patient aussendet. Sie müssen nach S CHULZ VON T HUN mit allen vier Ohren zuhören und insbesondere Ihr „ Selbstoffenbarungsohr “ muss gut geschult sein, denn damit können Sie heraushören, was der Patient an Botschaften aus dem Privaten vermittelt. Insbesondere dieses Ohr dient Ihnen zur gezielten Diagnostik. Dabei hilft das aktive Zuhören nicht allein dabei, einem Patienten möglichst viele Informationen zu entlocken, sondern es hat in erster Linie die Funktion, dass der andere sich selbst versteht. Insbesondere für die „ Selbstauslegung der Krankheit und die Krankheitsverarbeitung “ 55 ist dies wichtig und hilfreich. Aktives Zuhören dient in der Medizinischen Kommunikation der Bewusstmachung (Selbstexploration) und Hervorbringung sensibler Patienteninformationen, die für die Diagnose und Therapie von entscheidender Bedeutung sein können. Aktives Zuhören erfordert die ungeteilte Aufmerksamkeit des Arztes und zugleich aktive non-, para- oder verbale Rückmeldungen als Zeichen der Empathie. Rückmeldungen in diesem Sinn sind Spiegelungen dessen, was der Patient gesagt hat. Eine Rückmeldung sollte daher keine eigenen Wertungen oder Gedanken enthalten. Mit S IGMUND F REUD kann man sagen: „ Der Arzt soll undurchsichtig für den Analysierten sein und wie eine Spiegelplatte nichts anderes zeigen, als was ihm gezeigt wird “ 56 . Das Spiegeln kann in der Gesprächspraxis auf unterschiedliche Weise erfolgen. So können Sie im Gespräch beispielsweise durch Laute der Zustimmung (hm-hm, ja, ach so, wirklich etc.) oder durch Mimik und Gestik parabzw. nonverbal Ihre Aufmerksamkeit ausdrücken. Sie können auch das Gesagte Ihres Gegenübers mit eigenen Worten paraphrasieren, also in eigenen Worten 55 G EISLER 2003: 688. 56 F REUD 1912: 384. . 114 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="130"?> wiedergeben, was Sie verstanden haben (Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann . . .). Sie zeigen damit zum einen, was Sie verstanden haben (ggf. kann der andere Sie verbessern oder ergänzen, was Sie nicht richtig verstanden haben) und zum anderen, dass Sie zugehört haben. Eine effektive Möglichkeit, Patienten dabei zu helfen, mehr Klarheit über ihre eigene Gefühlswelt, ihre Wünsche und Ziele zu verschaffen, ist das Verbalisieren: Sie verbalisieren im Prozess des aktiven Zuhörens diejenigen Inhalte der Äußerungen Ihres Gegenübers, die er selbst nicht explizit ausgedrückt hat und derer er sich u. U. gar nicht bewusst ist. Besonders Emotionen eignen sich dazu, auf diese Weise gespiegelt verbalisiert zu werden (Ich höre aus dem, was Sie sagen, dass Sie momentan eher unglücklich sind oder Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen dabei sehr schlecht ging). Das Verbalisieren fördert die Selbstreflexion und ist damit für Sie als Arzt nicht nur ein diagnostisches, sondern auch ein therapeutisches Werkzeug: Nur bewusste Affekte oder Verhaltensweisen (z. B. ungesunde Lebensweisen) können von Patienten aktiv behoben werden. 57 Es ist grundsätzlich besser, dass ein Patient selbst auf bestimmte Probleme stößt, als wenn ein Arzt solche Schwierigkeiten anmahnt; die Akzeptanz ist dann deutlich höher. „ Aktives Zuhören ist das komplementäre Element zum Sprechen. Erst die Verflechtung von Sprechen und aktivem Zuhören ermöglicht ein verstehendes Gespräch. “ 58 Wichtig ist, dass Sie das aktive Zuhören nicht als eine reine Gesprächstechnik begreifen. Ihr Gegenüber wird rasch erkennen, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nur vortäuschen. In solchen Fällen führt das in aller Regel zu einem dauerhaften Scheitern der Kommunikation, weil die Beziehungsebene nachhaltig gestört wird. In der Medizinischen Kommunikation kann das dazu führen, dass Ihnen der Patient wichtige Informationen vorenthält und dadurch eine zielführende Diagnose und Behandlung erschwert wird. 5.4 Wie schaffen wir im Gespräch Vertrauen? - Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation nach M ARSHALL B. R OSENBERG Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation steht in der Tradition der nondirektiven Gesprächstherapie nach C ARL R. R OGERS . Es basiert auf R OGERS ’ Ideen, geht aber über den gesprächstherapeutischen Rahmen und das Prinzip des aktiven Zuhörens hinaus. 57 Vgl. W EBER 1996. 58 G EISLER 2003: 688. . Wie schaffen wir im Gespräch Vertrauen? 115 <?page no="131"?> R OSENBERG , der Begründer dieses Konzeptes, geht davon aus, dass jegliches Kommunizieren auf Empathie, Wertschätzung und Aufmerksamkeit beruht und dass unerfüllte Bedürfnisse beim Kommunizieren dazu führen, dass Gespräche destruktiv werden und scheitern. Er entwickelt zur Verdeutlichung das Bild von der positiven Giraffensprache, die einer aggressiven und zerstörenden Wolfssprache entgegensteht. Während die Sprache der Giraffen eine Sprache der Einfühlung und der Wertschätzung ist, stellt die Wolfssprache das genaue Gegenteil dar: Sie ist lebensentfremdend, weil sie die Beziehung zwischen Menschen stört und sowohl psychisch als auch physisch Gewalt ausübt. Während in der lebensentfremdenden Kommunikation die Bedürfnisse nach Zuneigung, Empathie, Wärme und Wertschätzung nicht erfüllt werden, steht die Erfüllung eben dieser Bedürfnisse im Zentrum der gewaltfreien Kommunikation. Für R OSENBERG ist nur durch die Berücksichtigung solcher Bedürfnisse eine gelingende Kommunikation möglich und er geht zudem davon aus, dass Empathie und Wertschätzung im Interesse eines jeden Menschen liegen. Daraus folgt: Schlechte bzw. misslingende Kommunikation ist Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses nach Empathie, Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Zuneigung und sie ist Ausdruck einer gestörten Beziehung. Die Basis für gelingende Kommunikation ist eine empathische und vorurteilsfreie Beziehung, die auf eben diese Bedürfnisse eingeht. Dass sich Menschen streiten und dabei bisweilen in körperliche Auseinandersetzungen geraten, liegt oft darin begründet, dass Störungen auf der Beziehungsebene vorliegen, die sich kommunikativ in Beschimpfungen oder Tätlichkeiten, also in psychischer oder physischer Gewalt entladen. Die zahlreichen Familienstreitigkeiten, die bisweilen dramatische Züge aufweisen, bestätigen diese These. Sie werden sicherlich auch schon die Erfahrung gemacht haben: Worte können ebenso verletzend sein wie Fäuste. Während körperliche Gewalt recht simpel zu definieren ist, entwirft R OSEN- BERG eine Definition von Formen lebensentfremdender Kommunikation, die wie folgt aussieht: 59 1. Moralische Urteile 2. Vergleiche 3. Leugnen der Verantwortung für die eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungen 4. Weitere Formen der entfremdenden Kommunikation. 59 Vgl. R OSENBERG 2001. . 116 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="132"?> In der nachstehenden Übersicht finden Sie Beispiele aus dem ärztlichen Alltag dazu, welche Äußerungen nach R OSENBERG als entfremdend empfunden werden können: Form der entfremdenden Kommunikation Äußerungen in der Arzt- Patienten-Kommunikation Beispiele (modifiziert nach R OSENBERG 60 ) Moralisches Urteil = Abwerten der Person Hätten Sie Ihre Zähne besser geputzt, wären sie jetzt nicht kaputt. Wenn Sie so viel trinken, sind Sie selbst schuld. Schuldzuweisungen, Beleidigungen, Niedermachen, in Schubladen stecken, Kritik, Diagnosen Vergleiche = Abwerten der Person Andere 30-jährige sind nicht so dick wie Sie. Andere sind schöner, klüger, gesünder, fitter, sportlicher, sauberer, umgänglicher, freundlicher etc. Leugnen von Verantwortung Das Gesundheitssystem lässt hier nicht viel Spielraum. Mein Chef will das so. Sie haben diese Behandlung doch selbst so gewollt. Unpersönliche Mächte, institutionelle Regeln und Vorschriften, soziale Rollen, Anordnungen, Gruppendruck, Vergleich mit der Handlung anderer, innere Zwänge Weitere Formen entfremdender Kommunikation Sie müssen abnehmen! Wenn Sie diese Therapie nicht machen, weise ich Sie in die Psychiatrie ein! Forderungen stellen, Machtausübung, Lob und Strafe aussprechen Tabelle 12: Formen entfremdender Kommunikation im ärztlichen Gespräch Solche wolfssprachlichen Äußerungen - auch unreflektiert vollzogen - können bewirken, dass ein Patient das Gespräch abbricht. In Extremfällen, wenn sich jemand zu sehr persönlich angegriffen fühlt, können unbedacht geäußerte Sätze dazu führen, dass sich andere gewalttätig verhält. Bei vielen Menschen ist die Fähigkeit, sich verbal zur Wehr zu setzen, nicht sonderlich ausgeprägt. Zudem verstärken Alkohol und Drogen bei bestimmten Patientengruppen das Aggressionspotenzial, so dass insbesondere moralische Urteile über einen anderen 60 R OSENBERG 2001: 33 ff. Wie schaffen wir im Gespräch Vertrauen? 117 <?page no="133"?> Menschen in der ärztlichen Gesprächsführung - auch aus Gründen des Eigenschutzes - unterlassen werden müssen. Je nach dem Bereich, in dem Sie medizinisch tätig sind, ist das bewusste Vermeiden bestimmter Äußerungen zwingend notwendig, damit verbale Gewalt keine physische Gewalt provoziert. Besonders in Notaufnahmen und im Notarztdienst gilt es, die Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation zu berücksichtigen und anzuwenden. Gewaltfreie Kommunikation nach R OSENBERG stützt sich auf vier Aspekte, die im Gespräch sowohl Empathie als auch Authentizität vermitteln sollen. Diese vier Bestandteile gewaltfreier Kommunikation sind: 1. Beobachten 2. Gefühle 3. Bedürfnisse 4. Bitten Jede gelingende Kommunikation basiert nach R OSENBERG auf folgendem Schema: Wenn ich A sehe/ feststelle, fühle ich (mich) B, weil ich C brauche/ weil mir C fehlt. Deshalb bitte ich dich jetzt um (die Erfüllung von) D. Der folgenden Tabelle können Sie diese Bestandteile gewaltfreier Kommunikation und die jeweiligen Erläuterungen dazu entnehmen. Beachten Sie bitte auch die rechte Spalte. Sie finden dort konkrete Beispiele aus dem Bereich der ärztlichen Gesprächsführung in der Gegenüberstellung von Wolfssprache (fett) und Giraffensprache (kursiv). Erkennen Sie den Unterschied? Bestandteile gewaltfreier Kommunikation Erläuterung Beispiel aus der ärztlichen Gesprächsführung Beobachtungen Eine konkrete Handlung (oder Unterlassung) wird beschrieben, wobei auf Wertungen verzichtet wird ( ® Wertungen lassen sich nicht beobachten! ). Sie nehmen Ihre Tabletten nie ordentlich ein! vs. Ich sehe, dass Sie einige Tabletten nicht genommen haben . . . . 118 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="134"?> Bestandteile gewaltfreier Kommunikation Erläuterung Beispiel aus der ärztlichen Gesprächsführung Gefühle Gefühle müssen unmittelbar mit dem in Verbindung stehen, was beobachtet wird. Das Offenlegen von Gefühlen befördert den zwischenmenschlichen Kontakt. 61 Wichtig ist es, dass es sich um echte Emotionen handelt, nicht um Bewertungen, die als Gefühl verpackt sind (Ich habe das Gefühl, dass Sie ein Idiot sind). Ich habe das Gefühl, dass Sie mich damit ärgern wollen! vs. . . .und das ärgert mich,. . . Bedürfnisse Das Erfüllen oder Nicht- Erfüllen von Bedürfnissen wird in der gewaltfreien Kommunikation als Ursache von Gefühlen gesehen. Ich will, dass Sie Ihre Medikamente nehmen! vs. . . .denn ich brauche Ihre Unterstützung, um Ihnen helfen zu können. Bitten Es wird um eine konkrete Handlung gebeten (im Gegensatz zum Befehl/ zur Forderung). Auch ein Nichterfüllen der Bitte zieht keine Sanktionen nach sich. Bitten sollten immer - positiv formuliert, - konkret und spezifisch sowie - realistisch ausführbar sein. 62 Wenn Sie nicht ab sofort regelmäßig Ihre Pillen nehmen, kommen Sie ins Heim! vs. Helfen Sie mir bitte zu verstehen, warum Sie Ihre Tabletten nicht nehmen. Sagen Sie mir bitte, wie ich Ihnen helfen kann. Tabelle 13: Bestandteile gewaltfreier Kommunikation in der ärztlichen Gesprächsführung 61 Zudem hilft es dabei, den anderen zu ermutigen, sich selbst im Gespräch zu offenbaren und Informationen aus dem Privaten mitzuteilen. Wir wissen inzwischen, dass das subjektive Krankheitsempfinden sowie Informationen über die eigene Erkrankung per se Gegenstände der privaten Sphäre sind und - gemäß dem Johari-Fenster - erst in den Bereich des Öffentlichen befördert werden müssen. 62 Vgl. P LATE 2013: 88. Wie schaffen wir im Gespräch Vertrauen? 119 <?page no="135"?> Exkurs: Positives Formulieren im ärztlichen Gespräch - geht nicht, gibt ’ s nicht! In der alltäglichen Kommunikation verwenden wir häufig Ausdrücke, die bei näherem Hinsehen an die Wolfssprache nach R OSENBERG erinnern. Wir neigen bisweilen unbewusst dazu, Sachverhalte so auszudrücken, dass sie negativ besetzte Begriffe enthalten - auch dann, wenn wir eigentlich etwas Positives formulieren wollen. So verwenden wir vielfach, wenn wir um etwas gebeten werden, die Floskel Kein Problem und meinen damit eigentlich Das mache ich gern. Erkennen Sie den Unterschied zwischen diesen beiden Formulierungen? Besonders Verneinungen im Gespräch bewirken oftmals, dass sich die gesamte Formulierung negativ anhört. In den allermeisten Fällen lassen sich negierte Satzaussagen allerdings problemlos durch positive Formulierungsalternativen ersetzen, ohne die Bedeutung der Aussage zu verändern: Wenn etwas nicht unmöglich ist, dann ist es gut möglich. Eine Sache, die gar nicht übel ist, ist vermutlich sogar ziemlich gut. Und wenn Sie etwas nicht versprechen können, dann können Sie immerhin versprechen, es zu versuchen. Dasselbe gilt auch für Sätze, in denen wir Begriffe verwenden, die in unserem Sprachsystem kraft Konvention eher mit negativen Gefühlen und Gedanken verknüpft sind. Der Satz Morgen regnet es den ganzen Tag weckt nur bei wenigen Menschen fröhliche Gefühle. Die Äußerung Morgen scheint die Sonne nur selten, drückt diesen Sachverhalt um Einiges freundlicher aus. Das liegt daran, dass die Begriffe Regen und Sonne in unserer Sprache gegensätzliche Gefühle erzeugen und semantisch zueinander in Opposition stehen: Das eine schließt das andere für gewöhnlich aus. Zahlreiche Begriffe unserer Alltagssprache lassen sich positiv umformulieren: Wenn jemand vor einem Problem (= negativ) steht, dann ist das zugleich für ihn eine Herausforderung (= positiv). Und wenn ein Mensch zu etwas unfähig ist, dann ist er sicher in etwas anderem begabt. In der Arzt-Patienten-Kommunikation ist es wichtig, möglichst positiv, eindeutig und verbindlich zu formulieren. Positive Formulierungen dienen der Festigung einer wertschätzenden und empathischen Arzt-Patienten-Beziehung. Die folgenden Beispiele zeigen Ihnen, wie sich Botschaften im ärztlichen Gespräch positiv umformulieren lassen. Die kommunikativen Schlüsselwörter sind jeweils hervorgehoben. Beachten Sie die Wirkung der Aussagen und vergleichen Sie die Unterschiede: Negativ: Nächste Woche habe ich keinen Termin mehr frei! Positiv: Nächste Woche kommen viele Patienten. In der übernächsten Woche habe ich Zeit für Sie. Negativ: Sie brauchen weniger Stress! Positiv: Gönnen Sie sich mehr Ruhe. 120 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="136"?> Negativ: Ihre Blutwerte machen mir Sorgen! Positiv: Ich möchte Ihre Blutwerte verbessern. Negativ: Sie müssen Ihre Zähne öfter putzen, Ihre Mundhygiene ist schlecht! Positiv: Ihre Zähne werden noch schöner/ gesünder, wenn Sie sie öfter putzen. Negativ: Ihre Kondition ist schlecht, Sie müssen mehr Sport treiben! Positiv: Entspannen Sie doch mal beim Sport, dann werden Sie noch leistungsfähiger. Positive Formulierungen sind nicht nur freundlicher, sie helfen auch dabei, Missverständnisse zu vermeiden. Denn: Kognitiv ist die Bedeutung einer positiv formulierten Aussage insgesamt leichter zu erschließen. Während man über die Negierung einer Aussage (etwas ist nicht schlecht) nur durch einen gedanklichen Umweg zur eigentlichen Bedeutung (etwas ist gut) gelangt, sind positive Formulierungen klarer und eindeutiger. Mit anderen Worten: Sagen Sie nicht, was eine Sache nicht ist, sondern sagen Sie klar, was sie ist. Nicht nur für das eigene sprachliche Handeln, auch für das aktive Zuhören empfiehlt es sich, die Grundsätze der gewaltfreien Kommunikation im ärztlichen Gespräch zu berücksichtigen: Wie jeder Sachinhalt auch gewaltfrei ausgedrückt werden kann, lässt sich auch gewaltfrei, d. h. empathisch zuhören. Die vier Aspekte Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten lassen sich in Form von paraphrasierenden Fragen spiegeln und dienen dann der Selbstoffenbarung bzw. Selbstexploration des Patienten: Beobachten: - Beziehen Sie sich gerade auf das, was ich Ihnen in unserem letzten Gespräch gesagt habe? - Meinen Sie damit das Gerät, das ich Ihnen gestern gezeigt habe? - Sie sprechen von der Untersuchung, die Ihr Nachbar letztes Jahr hatte? Gefühle/ Bedürfnisse: - Fühlen Sie sich verunsichert, weil Sie noch mehr Informationen zu dieser Operation brauchen? - Sie fühlen sich entmutigt, weil Ihnen eine sichere Diagnose fehlt? - Fühlen Sie sich ausgebrannt, weil Sie mehr Anerkennung brauchen? Bitten: - Möchten Sie gerne von mir hören, was ich über Ihren Zustand denke? - Möchten Sie, dass ich Ihnen Ihren Befund besser erkläre? - Wollen Sie gerne erfahren, warum ich Ihnen diese Operation empfehlen würde? Wie schaffen wir im Gespräch Vertrauen? 121 <?page no="137"?> Sowohl für das Konzept des aktiven Zuhörens nach R OGERS als auch für das Modell der gewaltfreien Kommunikation nach R OSENBERG gilt zu beachten, dass es sich nicht um Techniken des Kommunizierens handelt, die Routinen der Alltagskommunikation komplett ersetzen sollen. Vielmehr müssen diese Konzepte behutsam erprobt und situationsbezogen angewendet werden. Nicht in jeder Situation ist es möglich, seine Kommunikation nach den Grundsätzen von Empathie und einfühlsamer Verbindung auszurichten. Gerade in der ärztlichen Gesprächsführung kann es mitunter notwendig sein, statt Bitten klare Befehle zu formulieren und über die Wünsche und Bedürfnisse der Patienten hinweg zu entscheiden. Dennoch handelt es sich um wertvolle Konzepte, die das sprachliche Handeln im medizinischen Diskurs bereichern können. 5.5 Kapitelzusammenfassung In diesem Kapitel haben uns sprachwissenschaftliche und psychologische Theorien und Konzepte die Grundstruktur sprachlichen Handelns verdeutlicht. Anhand von Beispielen aus der Medizinischen Kommunikation sind wir zu folgenden Erkenntnissen gelangt: þ Sprachliches Handeln ist immer zugleich auch soziales Handeln. þ Mit sprachlichen Äußerungen vollziehen wir kommunikative Handlungen. þ Sprachliche Handlungsformen bezeichnet man in der Linguistik als Sprechakte. þ Sprachliche Äußerungen enthalten immer Aussagen über die Welt, eine Intention des Sprechers und den Wunsch nach bestimmten Reaktionen durch den Hörer. þ Äußerungen mit direktem Handlungscharakter bezeichnet man als performative Äußerungen. þ Explizit performative Äußerungen sind durch performative Verben gekennzeichnet. þ Damit Sprechakte erfolgreich vollzogen werden können, bedarf es bestimmter Gelingensbedingungen, die erfüllt sein müssen. þ Sprechakte bestehen aus vier Teilakten: Äußerungsakt, propositionaler Akt, illokutionärer Akt und perlokutionärer Akt. Gelingende Kommunikation setzt den Vollzug des perlokutionären Aktes voraus. þ Man unterscheidet direkte von indirekten Sprechakten. Indirekte Sprechakte sind eine Form der impliziten Kommunikation. Man nennt sie in der Linguistik auch konversationelle Implikaturen. 122 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="138"?> þ Implizite Botschaften entschlüsselt man durch ein pragmatisches Schlussverfahren, denn Kommunikation basiert auf rationalen Kommunikationsprinzipien. þ Implizite Botschaften lassen sich durch die bewusste Verletzungen einer oder mehrerer Konversationsmaximen bei Einhaltung des Kooperationsprinzips erkennen und verstehen. þ Aus gesprächspsychologischer Sicht basiert Kommunikation immer auf Empathie, Authentizität und Wertschätzung. Empathie ist dabei die Grundlage für gelingende Kommunikation. þ Probleme beim Kommunizieren sind häufig Ausdruck einer gestörten Beziehungsebene. þ Aktives Zuhören dient der Spiegelung der durch den anderen artikulierten Botschaften und ist insbesondere für die Selbstexploration und (in der Medizinischen Kommunikation) für die Krankheitsverarbeitung wichtig. þ Das Konzept der gewaltfreien Kommunikation berücksichtigt wertfrei die Bedürfnisse des Gegenübers und liefert Ansätze dazu, sich ehrlich und klar auszudrücken und empathisch zuzuhören. þ Die Konzepte des aktiven Zuhörens und der gewaltfreien Kommunikation sind keine Techniken des Kommunizierens, sondern dienen in erster Linie der Bewusstwerdung über die Möglichkeiten des empathischen Miteinanders. Übungsfragen und -aufgaben zu diesem Kapitel 1. Beschreiben Sie mit eigenen Worten, warum Sprechen zugleich auch Handeln ist! 2. Nennen Sie den Unterschied zwischen konstativen und performativen Äußerungen! Erklären Sie den Unterschied mithilfe performativer Verben aus dem Bereich der Medizinischen Kommunikation! 3. Welche Konversationsmaxime(n) wird/ werden in folgendem Dialog verletzt? Was wird implizit ausgedrückt? Begründen Sie Ihre Entscheidung! Arzt: Nehmen Sie die Tabletten, die ich Ihnen verschrieben habe? - Patient: Ach, ich fühle mich doch immer so schlecht in letzter Zeit. 4. Was verstehen Sie unter dem Kooperationsprinzip? 5. Was ist aktives Zuhören? Auf welchen drei Grundhaltungen basiert dieses Konzept? 6. Nennen Sie Möglichkeiten, mit denen Sie im Gespräch als aktiver Zuhörer das Gesagte spiegeln können! Kapitelzusammenfassung 123 <?page no="139"?> 7. Erklären Sie mit eigenen Worten das Konzept der gewaltfreien Kommunikation! Erläutern Sie dabei auch den Unterschied zwischen Wolfssprache und Giraffensprache! 8. Was sind die vier Bestandteile gewaltfreier Kommunikation und wie stehen sie zueinander in Beziehung? 9. Entscheiden Sie: Handelt es sich bei den folgenden Äußerungen um Giraffen- oder Wolfskommunikation? Versuchen Sie, die Ausdrücke aus der Wolfssprache in Giraffensprache zu übersetzen! Herr Müller, Sie sind ein vorbildlicher Patient. (Beobachtung? ) Sie haben ja schon wieder Ihre Versichertenkarte vergessen. (Beobachtung? ) Ich mache mir Sorgen um Ihre Gesundheit. (Gefühl? ) Sie machen nie, was ich Ihnen sage. (Beobachtung? ) Ich brauche Ihre Mithilfe. (Bedürfnis? ) Kommen Sie bitte Montag um 8.30 Uhr zur Blutabnahme. (Bitte? ) Weiterführende und vertiefende Literatur zu diesem Kapitel Das Konzept der Sprechakte können Sie ausführlich nachlesen in A USTIN 1979 und S EARLE 1971. Dort finden Sie diese Theorien im Original beschrieben. Aufgrund der Komplexität der Darstellung empfehle ich diese Lektüre eher Studierenden der Sprachwissenschaft. Fortgeschrittene Leser können auch zu H INDELANG 2004 greifen. Eine auch für Laien gut verständliche Skizzierung der Sprechakttheorie finden Sie bei K RALLMANN / Z IEMANN 2001. Das Konzept der konversationellen Implikaturen und der Konversationsmaximen finden Sie zum Nachlesen im Original bei Grice 1967/ 75. Auch hier empfehle ich für den interessierten Laien die gut verständliche Zusammenfassung bei K RALLMANN / Z IEMANN 2001. Weniger Mühe macht die Vertiefung der gesprächspsychologischen Konzepte von R OGERS und R OSENBERG im Original. Hier empfehle ich die gewinnbringende Lektüre von R OGERS 2010 und R OSENBERG 2001 (R OSENBERG 2001 liegt mittlerweile in der 11. Auflage 2013 vor). Gerade für das Konzept der gewaltfreien Kommunikation gibt es darüber hinaus aber auch zahlreiche Einführungen mit praktischem Bezug. Eine bestimmte Empfehlung möchte ich hier aber nicht aussprechen. 124 Kommunikationstheorien und -konzepte <?page no="140"?> Spezieller Teil: Arzt-Patienten-Interaktion Z UERST HEILE DURCH DAS W ORT , DANN DURCH DIE A RZNEI , UND ZUM S CHLUSS MIT DEM M ESSER . P ARACELSUS <?page no="142"?> 6 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität S CHWÄTZEN , SÜ ß REDEN IST DES M AULES A MT . H ELFEN ABER , NUTZ SEIN , IST DES H ERZENS A MT . I M H ERZEN WÄCHST DER A RZT . P ARACELSUS Ziele und Warm up In diesem Kapitel wollen wir uns zentralen Fragen der kommunikativen ärztlichen Praxis zuwenden und insbesondere klären, was die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten (als medizinischen Laien) so speziell - und bisweilen schwierig - macht. Wir werden prüfen, welches Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten besteht und aufzeigen, welche Folgen dies auf der Ebene der Kommunikation hat. Vor allem die Frage, wie sich Kommunikation im ärztlichen Alltag in der Realität darstellt und mit welchen Problemen hier zu rechnen ist, wird im Fokus der folgenden Ausführungen stehen. Dabei interessiert uns auch, wie sich durch ein bewusstes und zielgerichtetes Kommunikationsverhalten auf Seiten des Arztes das Gespräch als heilsames Element der medizinischen Therapie entwickeln und verbessern lässt. Unterschiedliche Modelle der Arzt-Patienten-Beziehung werden uns dazu dienen, Gedanken zu einer besseren und effektiveren Kommunikation zwischen Medizinern und Patienten zu entwickeln. Beantworten Sie zum Einstieg bitte zunächst die folgenden Fragen und berücksichtigen Sie dabei auch, was Sie im allgemeinen Teil dieses Buches schon gelernt haben. Wann waren Sie selbst zuletzt beim Arzt? Wie empfanden Sie dabei Ihre kommunikative Rolle als Patient? Beschreiben Sie bitte, wie Sie selbst die Beziehung zwischen Ärzten und Patienten sehen! Wie sind Ihre Erfahrungen dazu? Gibt es in Patientengesprächen unterschiedliche Interessen bei Arzt und Patient? Welche könnten das sein? <?page no="143"?> Kann schlechte oder falsche Kommunikation zwischen Arzt und Patient gefährlich sein? Kennen Sie Fälle? Kennen Sie Menschen in Ihrem Umfeld, die sich schon einmal darüber beklagt haben, dass ihr Hausarzt zu wenig Zeit für sie hat oder sie nicht ernst nimmt? Haben Sie das vielleicht selbst schon erlebt? Warum ist das Gespräch zwischen Arzt und Patient manchmal so schwierig? Nennen Sie fünf Gründe, die Ihnen spontan einfallen. 6.1 Wer sind Sie - und wenn ja warum? - kommunikatives Rollenverhalten in der Arzt-Patienten-Beziehung Die Medizin ist eine komplexe Fachwissenschaft mit eigenen sprachlichen Wissensbeständen. Die Sprache der Ärzte verlässt aber schon längst die Sphäre des Fachwissenschaftlichen; mehr und mehr überschneidet sich die medizinische Terminologie mit der normalen Alltagssprache. Viele Patienten sind durch Patientenbroschüren, Fernsehsendungen oder durch das Internet mehr oder weniger medizinisch aufgeklärt. Kaum je in der Geschichte hatten Menschen so viele Berührungspunkte mit sprachlichen Wissensbeständen, die ihre eigene Lebenswelt verlassen, wie heute. In Sekundenschnelle lassen sich selbst komplizierte medizinische Zusammenhänge auch von Laien erkunden - Google sei Dank. Das Problem dabei ist: Je nach Bildungsniveau und den spezifischen Interessen der Patienten ist die Kenntnis medizinischer Begriffe (insbesondere Krankheitsnamen) und Zusammenhänge bei Laien unterschiedlich ausgeprägt. Auch Vorerfahrungen (z. B. die eigene Patientenhistorie) spielen eine große Rolle; kaum ein Patient betritt die Praxis unvoreingenommen und ohne Erfahrungen, Ängste und Wünsche. Viele Patienten kommen durch die Möglichkeit der schnellen Informationsbeschaffung über das Internet bereits gut informiert in die Sprechstunde und stellen im Gespräch sehr detaillierte Fragen zu komplexen Zusammenhängen. Dass die neuen Medien mit ihrer Fülle an (bisweilen leider auch falschen) Informationen nicht selten zu Missverständnissen bei den Patienten führen, stellt den Arzt zudem vor eine besondere Herausforderung. Die Heterogenität in Bezug auf medizinisches Wissen in der Bevölkerung erfordert immer mehr, dass der Arzt durch seine Gesprächsführung diesem Umstand Rechnung trägt. 128 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="144"?> Die zunehmende Verbreitung medizinischen Wissens in der Bevölkerung führt dazu, dass Ärzte sensibel kommunizieren müssen. Patienten wollen stärker als bisher als gleichberechtigte Gesprächspartner akzeptiert und in das ärztliche Gespräch integriert werden. Dies hat Folgen für das Rollenverständnis von Arzt und Patient: Das Rollenbild auf beiden Seiten befindet sich gegenwärtig im Wandel. Den Patienten mehr und verantwortungsvoller in die Entscheidungen ärztlichen Handelns einzubeziehen, ist eine Notwendigkeit, die den geänderten Wissensbeständen auf Seiten des Patienten sowie den Prinzipien der wertschätzenden und empathischen Kommunikation (vgl. Kapitel 5) geschuldet ist. Gegenwärtig herrscht bei vielen Ärzten (wie auch auf Seiten vieler Patienten) ein anachronistisches Rollenverständnis vor, das sich auch auf die kommunikative Ausgestaltung des ärztlichen Gesprächs auswirkt. Dass sich Medizinische Kommunikation grundlegend von derjenigen Kommunikation unterscheidet, die das normale zwischenmenschliche Alltagsgeschehen bestimmt, stellt der Linguist K ONRAD E HLICH fest: „ Die Medizin im Schwerpunkt ihrer gegenwärtigen Ausprägungen dürfte das, was zwischen Arzt [. . .] und Patient [. . .] geschieht, kaum und jedenfalls nicht notwendig als Kommunikation verstehen “ 63 . Ferner wird der Patient nicht selten durch den Arzt als Objekt gesehen und so behandelt - eine Sichtweise, die ihren Ursprung in den „ l ’ homme machine “ -Konzeptionen hat, wie sie in der Philosophie der Aufklärung entwickelt worden sind. Den Patienten und dessen soziale wie auch kommunikative Bedürfnisse in den Fokus ärztlichen Handelns zu nehmen, erfordert, dass der Arzt sich von dieser antiquierten Konzeptualisierung löst; das Verstehen und Befolgen kommunikativer Prozesse ist dafür eine Grundvoraussetzung: „ Reduziert man die sprachlichen Äußerungen der Patienten nicht auf die einer ‚ sprechenden Maschine ‘ , sondern nimmt sie als Kommunikation ernst, so bezieht man auch die Subjekthaftigkeit der Patienten [. . .] ein. Dies ist von besonderer Bedeutung gerade für das zentrale Ziel ärztlichen Handelns, die Heilung “ 64 . Da die meisten Patienten im Vergleich zum Arzt ein Informations- und Wissensdefizit mitbringen, muss man in der Realität von sehr asymmetrischen Gesprächssituationen ausgehen: Der Arzt ist aufgrund seiner Ausbildung, seines medizinischen Wissens, seiner Erfahrung und nicht zuletzt aufgrund seines Status dem Patienten vielfach überlegen. 63 E HLICH 1993: 69 64 E HLICH 1993: 69 . Wer sind Sie - und wenn ja warum? 129 <?page no="145"?> Diese Überlegenheit manifestiert sich nicht nur auf der medizinisch-fachlichen Ebene. Es ist festzustellen, dass sich Patienten auch kommunikativ oft unterlegen fühlen. Da sie selbst medizinisch unkundig sind, wagen sie es häufig nicht, in einen gleichberechtigten Diskurs mit dem Arzt einzutreten. Die Frage- und Gesprächspraxis vieler Ärzte verstärkt dieses subjektive Empfinden. Medizinische Kommunikation vollzieht sich daher häufig unidirektional: Der Arzt befragt den Patienten über seinen Zustand, der Patient beantwortet die Fragen des Arztes - eine Rückkopplung findet kaum statt. Dieser Umstand ist kommunikativ und medizinisch problematisch. Häufig wird verkannt, dass der Patient im Gespräch derjenige ist, der über einen elementaren Wissensvorsprung verfügt: Er allein weiß, wie er sich fühlt und welches gesundheitliche Problem ihn quält. Diese Informationen sind häufig der Schlüssel zu einer optimalen Versorgung und Therapie. Während der Arzt das Fachwissen besitzt, um eine Therapie einzuleiten, verfügt der Patient über Informationen, die der Arzt zwingend benötigt. Dass der Patient aber nicht wissen kann, welche Informationen im Einzelnen für den Arzt relevant sind und welche nicht, erfordert umso mehr eine gezielte Frage und Gesprächskompetenz des Arztes. Dies ist notwendig, um die Asymmetrie der Gesprächssituation aufzulösen: Nur wenn diese aufgehoben und der Patient als gleichberechtigter Gesprächspartner vom Arzt erkannt und akzeptiert wird, ist das Arzt-Patienten-Gespräch für beide Seiten fruchtbar. Eine bidirektionale Kommunikation und damit eine vollständige Abkehr von der bisherigen Gesprächs- und Fragepraxis von Ärzten und medizinischem Personal sind sowohl kommunikationstheoretisch als auch medizinisch notwendig und sinnvoll. 6.1.1 Modelle der Arzt-Patienten-Beziehung Das jedem Patienten zustehende Recht, in den Prozess therapeutischen Handelns mit einbezogen zu werden, wird in der gängigen Praxis oft negiert. So groß der Wunsch vieler Patienten nach Selbstbestimmtheit und Mitwirkung an der eigenen Therapie, so niedrig das Verständnis vieler Mediziner für die Notwendigkeit, diesem Wunsch gerecht zu werden. Neben der Einsicht mangelt es zudem an einer Orientierung, wie die stärkere Einbeziehung des Patienten ausgestaltet werden kann. Und: Selbst wenn diese Notwendigkeit mittlerweile durch Erhebungen und Patientenstudien zur Zufriedenheit mit dem ärztlichen Kommunikationsverhalten unbestritten ist - an dem Problem der Asymmetrie der Arzt-Patienten-Beziehung ändert dies wenig. . 130 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="146"?> Rasante Fortschritte in der Medizin führen dazu, dass sich die Asymmetrie weiter verstärkt, neue Informationsquellen wie das Internet sorgen hingegen dafür, dass sich die Asymmetrie anderswo verringert. Dieser Umstand stellt den Mediziner vor ein Problem: Er muss auf der einen Seite in der Lage sein, den Anspruch vieler Patienten nach mehr Selbstbestimmtheit zu erfüllen, auf der anderen Seite aber zugleich vermeiden, den Patienten zu überfordern. Zudem muss er sich seiner Rolle als Fachmann bewusst sein und abwägend entscheiden, wie sehr und in welchen Situationen er sich stärker positioniert und wann (und in welchem Maß) er Verantwortung an seinen Patienten abgeben kann. Der Arzt muss gezielt beurteilen, welchen Patienten er in den Entscheidungsprozess einbeziehen kann und welchen nicht. Vor allem jüngere Patienten streben nach einer stärkeren Einbeziehung, wogegen ältere Patienten oftmals kein Interesse an mehr Partizipation zeigen. Diese Umstände wirken sich unmittelbar auf die Arzt-Patienten-Kommunikation aus, die auf diese Weise zu einem Spiegel der Arzt-Patienten-Beziehung wird. Die Beziehung zwischen Arzt und Patient manifestiert sich in der kommunikativen Interaktion - und sowohl die Beziehung als auch die kommunikative Interaktion bestimmen gemeinsam maßgeblich den weiteren Behandlungsverlauf. 65 Aber gibt es in dieser Frage so etwas wie den berühmten Königsweg? Welches Beziehungsmodell ist in unserer heutigen Informationsgesellschaft zu bevorzugen? Und auf welchen Überlegungen basiert ein solches Konzept? In der Wissenschaft unterscheidet man nach E MANUEL / E MANUEL vier Modelle der Arzt-Patienten-Interaktion, die man als Modelle der Patientenbeteiligung am Prozess der Diagnose und Therapie einstufen kann und die wir uns im Folgenden näher ansehen wollen. 66 6.1.1.1 Das paternalistische Modell in der Arzt-Patienten-Beziehung Das paternalistische Modell basiert auf dem hippokratischen Prinzip, nach dem jegliches ärztliches Handeln allein dem Wohle des Patienten dienen soll. Nach K OERFER , O BLIERS und K ÖHLE bezeichnet man dieses Modell auch als autoritären Paternalismus. 67 Aus der Überzeugung heraus, dass allein der Arzt aufgrund seiner Ausbildung und seiner Erfahrung in der Lage ist, Entscheidungen zum Wohle des Patienten zu treffen, wird dieser aus dem Prozess der Entscheidungsfindung autoritär ausgeschlossen. Kennzeichen eines solchen, bisweilen noch 65 Vgl. S CHWEICKHARDT / F RITZSCHE 2007: 26. 66 Vgl. E MANUEL / E MANUEL 1992: 2221 - 2226. 67 Vgl. K OERFER et al. 2005. Wer sind Sie - und wenn ja warum? 131 <?page no="147"?> sehr verbreiteten Beziehungsmodells sind Mitteilung, Verordnung und Kontrolle auf Seiten des Arztes, sowie Rezeption, Fügung und Duldung durch den Patienten. 68 Nach heutigen Maßstäben gilt dieses Modell als hoffnungslos veraltet. Nicht nur die medizinischen Folgen einer Missachtung der Autonomie des Patienten (schlechte Compliance, signifikant schlechtere Krankheitsverläufe), sondern auch die kommunikativen Schwierigkeiten eines solchen Modells liegen auf der Hand. Letztere ergeben sich aus den Kommunikationsmodellen und -theorien, die wir in den Kapiteln 4 und 5 besprochen haben. Dass sich durch eine Gesprächszentrierung, die allein nach somatischen Befunden anhand von standardisierten Fragen sucht, keine vertrauensvolle Beziehungsebene herstellen lässt, bedarf an dieser Stelle keiner vertieften Erklärung. Denken Sie zurück: Eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Beziehung ist die Grundlage für eine effektive Diagnose und Behandlung. Durch dieses autoritäre Modell wird eine partnerschaftliche und auf Empathie gestützte Beziehung im Keim erstickt. Kommunikativ ist dieses Modell an eine direktive Gesprächsführung gekoppelt, die zwar das Informationsbedürfnis des Arztes befriedigt, aber die Äußerungsmöglichkeiten des Patienten stark beschränkt und zudem die Gefahr der diagnostischen Einengung mit sich bringt. Autoritäres paternalistisches Gesprächsverhalten kann keine persönlichen Informationen aus der Welt des Krankheitserlebens des Patienten hervorbringen. Das paternalistische Interaktionsmodell eignet sich daher allenfalls für Arzt- Patienten-Beziehungen, die ohne Kommunikation auskommen müssen, weil die Patienten aufgrund ihrer Erkrankung oder ihres Zustandes nicht in der Lage dazu sind, zu interagieren oder Entscheidungen zu treffen. In solchen Fällen steht das ärztliche Expertenwissen, das sich an wissenschaftlichen Standards orientiert, daher im Vordergrund (z. B. in der Notfallmedizin, in der Palliativmedizin, in der Psychiatrie oder in der Gerontologie). Paternalistische Interaktionsformen widersprechen dem Wunsch und dem Streben vieler Patienten nach Autonomie und Partizipation und sind mit dem Konzept der wertschätzenden Kommunikation häufig unvereinbar. Zudem führt dieses Konzept häufig dazu, dass ärztliche Empfehlungen und Therapieentscheidungen nicht verstanden werden, was zur Folge hat, dass Patienten sich wenig kooperativ zeigen im Umgang mit diesen Empfehlungen. 68 Vgl. M ENZ et al. 2008: 16. . 132 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="148"?> Ein paternalistisches Rollen- und Kommunikationsverhalten des Arztes ist in vielen Fällen Ursache für Probleme mit Compliance und Adhärenz in der medizinischen Therapie. 6.1.1.2 Das informative Modell in der Arzt-Patienten-Beziehung Stärker an den Interessen der Patienten orientiert ist das informative Modell, das aufgrund seiner Ausrichtung auf medizinisches Handeln als Dienstleistung auch als Konsumentenmodell oder als Dienstleistungsmodell bekannt ist. 69 Dieses Modell stellt Medizin in einen ökonomischen Kontext und weist dem Patienten eine Konsumentenrolle zu. Der Arzt ist als Erbringer einer therapeutischen Dienstleistung in der Pflicht, den Patienten zum Zweck der Entscheidungsfindung zu informieren. Der Patient befindet sich in diesem Modell in einer aktiven Rolle: Er holt sich selbstständig Informationen ein und entscheidet aufgrund dieser Informationen über den weiteren Verlauf. Der Arzt füllt dabei die Rolle eines Experten aus, der als Verkäufer oder Berater eine Dienstleistung (in diesem Fall eine Therapie) anbietet bzw. empfiehlt, aber als untergeordneter Partner in diesem Beziehungskonstrukt agiert. In diesem Modell verlagert sich die Asymmetrie zugunsten des Patienten, da dieser der alleinige Entscheidungsträger ist. Wie jedes Dienstleistungsmodell ist auch das informative Modell durch Wettbewerb geprägt: Ist der Patient nicht zufrieden mit der angebotenen Dienstleistung des Arztes, kann er problemlos den Dienstleister wechseln. Aufgrund der Standardisierung der medizinischen Ausbildung in Deutschland ist ein solcher Arztwechsel auch schadlos möglich: Jeder Arzt verfügt im Grunde über dasselbe medizinisch-fachliche Wissen, so dass allein die Qualität der Beratung den Unterschied für den Patienten darstellt. Im Mittelpunkt steht die Zufriedenheit des Patienten. Das Dienstleistungsmodell hat insbesondere dann Vorteile, wenn der Wechsel des Arztes unkritisch ist und die Therapie gleichwertig durch einen anderen Arzt gewährleistet werden kann. In diesen Fällen bewirkt die freie Wahl des Arztes, dass sich Patienten in ihrem Wunsch nach Selbstbestimmtheit bestärkt fühlen. Kommunikativ ist dieses Modell von einer starken Klientenzentrierung geprägt, was insbesondere die sozialen Bedürfnisse nach Anerkennung und Wertschätzung befriedigt und sich in Form eines nondirektiven Gesprächs- 69 Vgl. M ENZ et al. 2008: 16 sowie S CHWEICKHARDT / F RITZSCHE 2007: 28 ff. . Wer sind Sie - und wenn ja warum? 133 <?page no="149"?> verhaltens manifestiert. 70 Insofern ist dieses Konzept von hohem kommunikativen Nutzen - sowohl für den Patienten als auch für den Arzt. Denn: Hat sich der Patient für die Behandlung durch einen Arzt entschieden, korrespondiert diese Entscheidung in aller Regel mit einer guten und vertrauensvollen Beziehung zwischen Arzt und Patient, was zu Therapieerfolgen beitragen kann. Zudem sichert die Konsumentenrolle des Patienten, dass der Arzt sich auch weiterhin bemüht, die Bedürfnisse seines Patienten (in diesem Modell: Kunden) langfristig zu befriedigen. Dieses Modell widerspricht allerdings vielfach dem Selbstverständnis des Arztes als Heiler und Helfer und dürfte daher in der Realität nur in bestimmten Situationen eine Rolle spielen. Fraglich ist auch, ob jedem Patienten ein hohes Maß an Verantwortlichkeit für die eigene Therapie zugeschrieben werden kann, weshalb dieses Konzept in der reinen Ausprägung allenfalls dann zum Tragen kommt, wenn Ärzte tatsächlich Dienstleistungen verkaufen. Zahlreiche IGeL- Leistungen oder auch zahnärztliche Privatleistungen (von der Zahnreinigung bis zum Implantat) folgen den Prinzipien des Marktes und erfordern - auch kommunikativ - ein Beziehungsmodell, das sich als informatives Dienstleistungsmodell darstellen lässt. Patienten treffen im informativen Modell aufgrund ihres introspektiven Erfahrungswissens und auf der Basis ärztlicher Ratschläge eigenständige Therapientscheidungen, so dass sich die Asymmetrie der Arzt-Patienten-Beziehung zugunsten des Patienten verschiebt. Bemerkenswert ist, dass dieses Autonomiekonzept ebenso zu Problemen auf Seiten des Patienten führen wird wie das autoritäre Beziehungsmodell: Patienten werden versucht sein, in der permanenten Erweiterung ihres Erfahrungshorizontes ärztliche Ratschläge ebenso wie Therapieempfehlungen ständig auf den Prüfstand zu stellen und z. B. mit neuen Studien und Informationen abzugleichen. In der Folge werden diese Patienten in ihrer Entscheidungsfindung eher verunsichert als autonom handeln können. Daher ist auch dieses absolute Modell der alleinigen „ Herrschaft “ innerhalb der Arzt-Patienten-Beziehung kritisch zu betrachten. 70 Vgl. dazu das klientenzentrierte Konzept der wertschätzenden Kommunikation nach R OGERS in Kapitel 5.3. . 134 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="150"?> 6.1.1.3 Das interpretative Modell in der Arzt-Patienten-Beziehung Das dritte Modell der Beziehungsinteraktion zwischen Ärzten und Patienten ist das interpretative Modell, bei dem der Arzt als Berater und Begleiter der Patienten fungiert. Im Gegensatz zum informativen Modell wird hierbei die Asymmetrie weitgehend ausgeglichen, indem der Arzt nicht nur alle nötigen Informationen liefert, sondern auch konkrete Maßnahmen vorschlägt und bewertet - und dies aufgrund eines zuvor evaluierten Vorwissens des Patienten. Der Patient kann aufgrund der Vorschläge des Arztes seine eigenen Vorstellungen und Ideen äußern. Die Aufgabe des Arztes in diesem Prozess ist es, die Vorstellungen des Patienten zu bewerten und Handlungsalternativen aufzuzeigen - in gegenseitiger Autonomie. Insofern vermittelt dieser Ansatz zwischen dem paternalistischen Modell und dem Konsumentenmodell, weil weder der Arzt als autoritärer Fachmann noch der Patient als allein entscheidender Konsument auftreten. Vielmehr ist ein solches Beziehungsmodell durch Konsens geprägt und dadurch aus kommunikativer Sicht - in der R OSENBERG schen Diktion - gewaltfrei. Diese Gewaltfreiheit bedeutet jedoch nicht, dass es sich hierbei um eine völlige Auflösung der Asymmetrie in der Arzt-Patienten- Beziehung handeln würde. Vielmehr wird sie zwar verringert, entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Therapie hat aber noch immer der Arzt, weil er als der beratende Experte seine Ratschläge auf der Folie seines Wissens und Könnens erteilt. Die Waagschale schlägt hierbei also tendenziell in Richtung Arzt aus, auch wenn die Entscheidung in letzter Konsequenz durch den Patienten getroffen wird. Da es sich hierbei um ein Beratungsmodell handelt, ist dieses Konzept eng mit der kommunikativen Technik des aktiven Zuhörens verbunden: Nur wenn der Arzt sich ein genaues Bild über die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten machen kann, wird er die richtigen Ratschläge erteilen können. Auf der Basis von Vorstellungen und Wertmaßstäben des Patienten hilft der Arzt seinem Patienten im interpretativen Modell dabei, selbstständige Entscheidungen zu treffen und sich über die eigenen Ideale und Wünsche bewusst zu werden. 71 Der Arzt fungiert dabei als „ Geburtshelfer “ der Patientenentscheidung. 6.1.1.4 Das abwägende Modell in der Arzt-Patienten-Beziehung Ergänzt wird dieses Modell nach E MANUEL / E MANUEL durch das abwägende Modell, bei dem der Arzt als Lehrer und Freund auftritt, der auf Augenhöhe mit seinem Patienten die bestmögliche Therapie bespricht. Dieses Konzept, das 71 Vgl. K LEMPERER 2005: 71 ff. . Wer sind Sie - und wenn ja warum? 135 <?page no="151"?> auch als partnerschaftliches Modell bekannt ist, basiert auf Zusammenarbeit und Ergänzung: Während der Arzt der medizinische Experte ist, besitzt der Patient das alleinige Wissen um seine Lebenswelt und seine Lebensumstände, das in die Therapie integriert werden muss. 72 Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist gleichberechtigt, wenn auch in speziellen Aspekten noch immer asymmetrisch. Der grundlegende Gedanke ist, dass allein aus dem medizinischfachlichen Wissen keine effektive Therapie abzuleiten ist. In erster Linie dient das Gespräch zwischen Arzt und Patient hier also der ärztlichen Entscheidungsfindung auf der Basis eines mehr oder weniger gemeinsamen Wissens. 73 Das abwägende Modell basiert auf dialogischer Entscheidungsfindung aufgrund einer partnerschaftlich angelegten Entscheidungsgrundlage. Sowohl das subjektive Krankheitsempfinden als auch der objektive somatische Befund sind in diesem Modell des wechselseitigen Informationsaustauschs verwoben und bestimmen den Entscheidungsprozess. 74 6.1.1.5 Das Modell des shared decision making in der Arzt-Patienten- Beziehung Auf der Folie des partnerschaftlichen Beziehungsmodells, das auf einem wechselseitigen Prozess der Berücksichtigung medizinischer und zugleich psychologischer Erfordernisse basiert, ist das Modell des shared decision making angelegt. Bieten bereits das informative und das abwägende Modell die Möglichkeit der Einbeziehung des Patienten und seiner Wünsche und Interessen, findet die Entscheidungsfindung in diesem Modell, das auch als Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) bekannt ist, allein durch den wechselseitigen Diskurs und Austausch von relevanten Informationen statt. Das Ziel dabei ist es, in einem mehrstufigen Prozess gemeinsam Therapieziele festzulegen und auch gemeinsam zu verantworten. Durch das Gespräch entsteht nach und nach eine gemeinschaftlich zu tragende Verantwortung für das medizinische Handeln. Da es sich hierbei um einen interaktiven Prozess handelt, bei dem auch Anpassungen und Änderungen von beiden Seiten im Verlauf der Behandlung möglich sind, wird - 72 Vgl. S CHWEICKHARDT / F RITZSCHE 2007: 31. 73 In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Rückgriff auf das Kommunikationsquadrat S CHULZ VON T HUN s: Insbesondere Botschaften aus der Sphäre des Privaten enthalten wesentliche therapierelevante Informationen, so dass ein modernes und (nach R OGERS ) wertschätzendes Kommunikationsverhalten des Arztes die Möglichkeit bereithalten muss, die Lebenswelt des Patienten in den Diagnose- und Therapieprozess mit einzubeziehen. 74 Vgl. K LEMPERER 2005 a: 71 ff. . 136 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="152"?> zumindest weitgehend - die asymmetrische Schieflage im Entscheidungs- und Verantwortungspotenzial aufgehoben. Damit der Patient unmittelbar an der Verantwortung beteiligt ist (und nicht nur an der Entscheidung wie im Konsumentenmodell), bedarf es hier der Bereitschaft des Patienten, wichtige Informationen zu teilen, Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen mit zu tragen. Eine vertrauensvolle Gesprächsbasis ist hierfür zwingend erforderlich. Sie ist in den Prinzipien der wertschätzenden Kommunikation nach R OGERS sowie den bekannten Kommunikationsmodellen verwurzelt. Das Modell des shared decision making ist ein schrittweise ablaufender Prozess des Informationsaustauschs im wechselseitigen Diskus mit gemeinsamer Verantwortung für die Ergebnisse, der wie folgt abläuft: - Arzt und Patient kommen überein, dass eine Behandlung ansteht und zeigen wechselseitig die Bereitschaft, ein gemeinsames Konzept zu entwickeln und zu tragen. - Es wird Übereinkunft darüber hergestellt, dass es sich bei der Therapie um eine partnerschaftliche Entscheidung handelt. Die Verantwortlichkeiten werden geklärt. - Der Arzt liefert grundlegende Informationen über die Erkrankung, über die Prognose, über Therapieoptionen (einschließlich Risiken) und über die möglichen bzw. absehbaren Konsequenzen. Im Idealfall sind diese Informationen evidenzbasiert. - Der Patient liefert Informationen über die eigenen Vorstellungen und teilt dem Arzt mit, was er selbst über die Erkrankung weiß (einschließlich seiner Wünsche und Gefühle). - Arzt und Patient versichern sich, nach dem Informationsaustausch über das gleiche Wissen zu verfügen (Rückfragen). - Arzt und Patient besprechen die möglichen Optionen auf der Folie des gemeinsamen Wissens und stellen ihre Präferenzen heraus. - Arzt und Patient legen verbindliche gemeinsame, partizipative Entscheidungen fest auf der Grundlage der Übereinkunft über die - möglicherweise zunächst unterschiedlichen - Präferenzen. Möglich ist auch die einseitige Entscheidung des Patienten gegen den Willen des Arztes (juristisches Selbstbestimmungsrecht). - Arzt und Patient erstellen einen Plan zu Umsetzung der Entscheidung und entwerfen eine (mündliche oder schriftliche) Selbstverpflichtungserklärung. - Der Therapieplan wird mit der Behandlungswirklichkeit abgeglichen und ggf. finden Korrekturen im Konsens statt. Wer sind Sie - und wenn ja warum? 137 <?page no="153"?> Dieses Modell spiegelt das heutige Selbstverständnis der meisten Patienten und auch Ärzte wider: Zum einen wünschen sich immer mehr Patienten eine stärkere Einbindung in den medizinischen Behandlungsprozess und zum anderen ermöglicht die Informationsgesellschaft bereits, dass das dafür erforderliche Wissen für Patienten verfügbar ist - und es wird aktiv abgerufen. Dieses Wissen in den Köpfen der Patienten als Ärzte auszublenden würde bedeuten, den Patienten allein auf seine Krankheit zu reduzieren und die Persönlichkeit des Patienten (mit seinem Wissen, seinen Ängsten, seinen Wünschen) auszublenden. Ein Beziehungs- und Kommunikationsmodell wie das Modell des shared decision making, das auf Partizipation basiert, wird zunehmend favorisiert und erweist sich in der Umsetzung als sinnvoll. Es berücksichtigt den Wunsch und den Anspruch vieler Patienten nach mehr Eigenverantwortung im medizinischen Prozess und verbessert nachweislich das Therapieergebnis. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein partizipatives Vorgehen in der Praxis Zeit kostet und auf Seiten des Arztes ein feines Gespür dafür erfordert, wie viel Eigenverantwortung einem Patienten zugetraut werden kann. Den Patienten so umfassend aufzuklären, dass der Arzt Verantwortung an ihn abgeben kann, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Kenntnis und Anwendung der Grundprinzipien zwischenmenschlicher Kommunikation, wie sie im allgemeinen Teil dieser Einführung entwickelt wurden, sind dafür zwingend notwendig. Beachten Sie aber, dass es sich um idealtypische Modelle handelt, die sowohl einen idealtypischen Arzt als auch einen solchen Patienten erfordern - in der Realität gibt es weder den einen noch den anderen. Insbesondere das Modell des shared decision making, das als Goldstandard in der Arzt-Patienten- Beziehung postuliert wird, erfordert auf beiden Seiten einen hohen Einsatz und eine hohe soziale sowie fachliche, kommunikative und emotionale Kompetenz. 6.1.1.6 Übersicht In der Praxis wird im Einzelfall abzuwägen sein, welchem der beschriebenen Modelle der Vorzug zu geben ist. Bisweilen sind Überschneidungen bzw. Mischformen sicher sinnvoll. So muss das gewählte Interaktionsmodell immer auf die Persönlichkeit des Patienten abgestimmt sein - und es sollte auch den kommunikativen Fähigkeiten von Arzt und Patient entsprechen. Nicht jeder Patient verfügt zudem über die kognitiven, psychosozialen und sprachlichen Möglichkeiten, um an der Behandlung partizipatorisch mitzuwirken und auch . 138 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="154"?> nicht jede Behandlungssituation lässt dies zu, so dass ärztliches Interaktionsverhalten (in der Anwendung der skizzierten Modelle) stets situations- und personenbezogen ist. Der folgenden Abbildung können Sie die Abstufungen des Entscheidungsspielraums von Arzt und Patient in den verschiedenen Modellen entnehmen: Abb. 6: Entscheidungsspielräume in der Arzt-Patienten-Interaktion Die unterschiedlichen Modelle der Arzt-Patienten-Interaktion lassen sich mit Blick auf die unterschiedlichen Rollen bzw. Verhaltensweisen von Arzt und Patient folgendermaßen zusammenfassend abbilden: Beziehungsmodell Rolle des Arztes Rolle des Patienten Paternalistisches Modell - autoritär/ dominant - fragend - verordnend - entscheidend - handelnd - mitteilend - kontrollierend - wissend - kompetent - nach somatischem Befund suchend - devot - antwortend - rezipierend - fügend - duldend - unwissend - inkompetent - nach Hilfe suchend Wer sind Sie - und wenn ja warum? 139 <?page no="155"?> Beziehungsmodell Rolle des Arztes Rolle des Patienten Informatives Modell/ Dienstleistungsmodell/ Konsumentenmodell Dienstleister/ Experte - beratend/ informierend - verkaufend - erfüllend Kunde/ Entscheider - entscheidend - misstrauend - informiert/ wissend - fordernd Interpretatives Modell - beratend - begleitend - (Informationen) liefernd - vorschlagend - bewertend - (Handlungsoptionen) aufzeigend - handelnd - verantwortlich - fragend - fordernd - (Wertvorstellungen) liefernd - abwägend - unterstützend - nicht verantwortlich Abwägendes Modell/ Partnerschaftliches Modell Ergänzend zum interpretativen Modell: - freundschaftlich - partnerschaftlich - besprechend - wissend (medizinischer Experte) Ergänzend zum interpretativen Modell: - freundschaftlich - partnerschaftlich - besprechend - wissend (psychischer Experte) Shared Decision Making/ Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) - informierend - liefernd - gesprächsoffen - gleichberechtigt - verantwortlich - handelnd - informierend - liefernd - gesprächsoffen - gleichberechtigt - verantwortlich - handelnd Tabelle 14: Modelle der Arzt-Patienten-Interaktion 6.1.2 Informationsinteresse im Arzt-Patienten-Gespräch Sowohl Ärzte als auch Patienten bringen ihre jeweils eigenen Interessen in das Gespräch mit ein. Studien, die sich mit Visitegesprächen befassen, kommen regelmäßig zu dem Ergebnis, dass die Interessenslagen ungleich verteilt sind. So zeigt ein Vergleich der Themen, die für Ärzte und Patienten im Gespräch als wichtig eingestuft werden, dass es nicht nur eine Asymmetrie auf der Beziehungsebene gibt, sondern zugleich auch im Hinblick auf die Interessen beider 140 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="156"?> Gesprächspartner ein Ungleichgewicht herrscht. 75 Dieser Befund ist kaum erstaunlich, bedenkt man, in welcher Situation sich die Gesprächspartner für gewöhnlich begegnen: Zum einen handelt es sich um eine formelle Zweckbeziehung, die - anders als ein freundschaftliches Treffen - auf Expertise (auf Seiten des Arztes) und Notwendigkeit (auf Seiten des Patienten) gebaut ist. Allein der institutionelle Rahmen, in dem Medizinische Kommunikation stattfindet (Praxisräume, Kliniken), unterstreicht diesen Charakter. Anders als in vielen anderen Gesprächssituationen im Alltag, bestimmt aus diesem Grund ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis per se die Beziehung zwischen Arzt und Patient: Kaum ein Patient geht zum Arzt, wenn es ihm gut geht oder wenn kein Grund für den Arztbesuch vorliegt. In aller Regel ist dieser Grund in einer Krankheits- oder gar Leidensgeschichte begründet. Insofern sind Patienten i. d. R. auf ärztliches Wissen und Können angewiesen, um eine Linderung ihrer Beschwerden oder die Heilung ihrer Erkrankung zu erfahren. Zum anderen stoßen in der Arzt-Patienten-Interaktion zwei emotionale Welten aufeinander. Während der Arzt seinen Beruf mit emotionalem Abstand und rationaler Distanz ausübt, ist das Arzt-Patienten-Gespräch aus Sicht des Patienten emotional aufgeladen. Im Gegensatz zum Arzt ist der Patient sowohl physisch als auch psychisch betroffen; der Gegenstand des Gesprächs ist in der Lebenswirklichkeit des Patienten verankert. Oder anders ausgedrückt: Während der Arzt am Abend die Praxistür schließt, den beruflichen Alltag hinter sich lässt und zum Privatmann wird, bleiben die Probleme des Patienten immer Teil seiner privaten Welt. Daher ist es wichtig, sich der Asymmetrie der Interessenslagen im ärztlichen Gespräch bewusst zu werden. Nur dann kann der Arzt als Lenker im Gespräch durch aktives Zuhören und gezielte Fragestellungen die Wünsche, Ängste und Bedürfnisse aus der Welt des Privaten in den Raum des Öffentlichen befördern. Im Sinne des shared decision making ist dies zwingend notwendig, um zu einer optimalen Diagnose und Therapie zu gelangen. Das Auseinanderklaffen der Sichtweisen und Interessenslagen von Arzt und Patient ist einer der häufigsten Gründe dafür, warum Beziehungen zwischen diesen beiden Partnern oft keinen fruchtbaren Boden finden. Betrachten wir im Folgenden, welche Interessen Ärzte und Patienten im Gespräch verfolgen und inwieweit sich diese Domänen unterscheiden können. Bemühen wir dazu ein Fallbeispiel aus der chirurgischen Klinik: 75 Vgl. dazu W ESTPHALE / K ÖHLE 1982. Wer sind Sie - und wenn ja warum? 141 <?page no="157"?> Fallbeispiel: Motorradunfall Ein 35-jähriger Mann verunfallt auf dem Weg zur Arbeit mit seinem Motorrad an einer Straßenkreuzung. Nach der Erstversorgung durch den Rettungsdienst wird der Mann in die chirurgische Ambulanz einer Klinik eingeliefert. Erste Untersuchungen ergeben, dass sich der Mann den Unterschenkel gebrochen hat und noch am selben Vormittag operiert werden soll. Im Gespräch mit dem behandelnden Unfallchirurgen kommt es zu folgendem Dialog: Patient: Was ist denn mit meinem Motorrad? Arzt: Darum kümmert sich die Polizei. Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein? Patient: Nein, aber weiß denn meine Frau schon Bescheid? Außerdem habe ich einen wichtigen Kundentermin. Den muss ich absagen. Arzt: Ja, da können wir später mal schauen. Können Sie sich an den Unfall noch erinnern? Patient: Ja, das ging ganz schnell. Hoffentlich ist das Motorrad nicht komplett Schrott. Arzt: Sowas geht schnell. Haben Sie Allergien? Patient: Nein, weiß ich nicht. Ja, das ging ganz schnell. Hoffentlich falle ich jetzt nicht zu lange aus. Ich bin selbstständig. Arzt: Wir machen jetzt noch ein Röntgenbild. Dann denke ich, werden wir Sie gleich operieren. Patient: Muss das sein? Arzt: Ja, leider. Also, wie ist das nun mit Ihren Allergien? Keine, oder? Dieses konstruierte Gesprächsbeispiel zeigt uns, wie unterschiedlich die Interessenslagen und Schwerpunkte im Gespräch verteilt sein können. Während der Arzt von einem Unfallopfer z. B. Hinweise zur Lokalisation von Schmerzen, zu Vorerkrankungen oder zu bestehender Medikation erwartet, die er zwingend für seine Diagnose und die Einleitung weiterer medizinischer Maßnahmen benötigt, kann es sein, dass den Verunfallten ganz andere Dinge beschäftigen, die er kommunizieren möchte. Fragen nach dem Verbleib des Unfallfahrzeugs, Sorgen um Angehörige oder auch berufliche Verpflichtungen und Zukunftsängste können das Denken des Patienten in solchen Gesprächen bestimmen und damit die Kommunikation auf beiden Seiten erschweren. Solche Gesprächssituationen bestimmen den Alltag in der ärztlichen Klinik und Praxis und prägen das Arzt-Patienten-Gespräch in höchst problematischer Weise. Während der Arzt in diesem Fallbeispiel allein nach Botschaften auf der Sachebene sucht, versucht der Patient, auf der Ebene der Selbstkundgabe zu kommunizieren. Da der Unfallchirurg für diese Botschaften kein offenes Ohr 142 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="158"?> hat, gerät die Kommunikation in Schieflage. Wichtige Informationen, die der Arzt benötigt, gehen hierdurch verloren (z. B. die konkrete Antwort auf die Frage nach der bestehenden Medikation oder nach Allergien). Hier hätte eine stärkere Berücksichtigung der Interessen des Patienten und eine Befriedigung seines offensichtlichen Wunsches nach besserer Aufklärung dazu beitragen können, einen Dialog zu führen, der für beide Seiten gewinnbringende Informationen bereithält. Ganz offensichtlich wurden vom Unfallopfer mehrfach Konversationsmaximen verletzt (z. B. bei der Antwort auf die Frage nach Medikamenten: Nein, aber weiß meine Frau schon Bescheid? ). Diese Regelverletzung hätte dem Arzt, wenn er gesprächssensibel zugehört hätte, einen deutlichen Hinweis auf versteckte Botschaften liefern können. Dieser Umstand ist wichtig. Denn: Erst dann, wenn alle persönlichen (und oft versteckten) Wünsche, Bedürfnisse und Sorgen auf Seiten des Patienten geklärt sind, wenn also das subjektive Informationsinteresse des Patienten befriedigt ist, ist eine objektive Befunderhebung durch den Arzt überhaupt möglich. Objektive medizinische Befunde lassen sich nur erheben, wenn das subjektive Empfinden des Patienten im Vorfeld ausreichend gewürdigt wird. Ansonsten bleiben wichtige Informationen für den Arzt hinter dem Krankheitsempfinden verborgen. Dazu bedarf es bei Ärzten einer ausgeprägten kommunikativen Kompetenz (Berücksichtigung der Konversationsmaximen und des pragmatischen Schlussverfahrens) und bisweilen der Technik des aktiven Zuhörens. Die folgende Gegenüberstellung zeigt anschaulich, welche Themen im ärztlichen Visitegespräch den Diskurs bestimmen. Sie erkennen mit Blick auf die Daten ein Missverhältnis: Während der Arzt in erster Linie an objektiven Kriterien interessiert ist, dominiert auf Seiten des Patienten - quasi diametral - das Interesse für subjektive Themen: 76 76 Die Rangfolge in Tabelle 15 bildet die prozentualen Mittelwerte der von Ärzten und Patienten eingebrachten Themen in das Arzt-Patienten-Gespräch während der Visite ab. Die Daten dienen hier allein der Verdeutlichung der Interessensschieflage und basieren auf Erhebungen von W ESTPHALE / K ÖHLE 1982. Die Rangfolge wurde hier im Vergleich zur Darstellung im Original aus Gründen der Anschaulichkeit auf die wesentlichen Themen zusammengekürzt. Für eine vollständige Übersicht verweise ich auf das Original. . Wer sind Sie - und wenn ja warum? 143 <?page no="159"?> Thema Arzt Patient Therapie 21,9 % 15,9 % Diagnose 21,6 % 18,3 % Befunde 14,4 % 7,8 % Krankheitserleben 8,3 % 24,8 % Tabelle 15: Themenschwerpunkte im Arzt-Patienten-Gespräch Ich möchte in diesem Zusammenhang von einem unterschiedlichen Informationsinteresse bei Arzt und Patient sprechen, das sich folgendermaßen darstellen lässt: Abb. 7: Informationsinteressen im Arzt-Patienten-Gespräch Der Arzt hat in aller Regel ein hohes Interesse daran, fachliche, d. h. objektive, somatische Informationen zu sammeln. Daher fragt er gezielt nach dem Sitz oder der Intensität von Schmerzen, nach anderen - für seine Diagnose relevanten - Symptomen, nach dem Beginn der Beschwerden oder nach Prädispositionen (bisweilen auch nach dem Lebenswandel des Patienten und nach intimen Details). Für den Patienten stehen aber oftmals eher persönliche (bzw. soziale) Informationen im Vordergrund, die Ausdruck seines subjektiven Krankheitsempfindens sind. Von hohem Wert ist für viele Patienten z. B. die Frage nach persönlichen oder beruflichen Konsequenzen, nach der voraussichtlichen Dauer der Erkrankung oder nach Folgen, die das soziale Leben betreffen können. Die Diskrepanz, die zwischen den beiden Informationsinteressen zu 144 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="160"?> beobachten ist, ist sowohl für den Arzt als auch für den Patienten problematisch. Zum einen fällt es dem Arzt schwer, die für ihn relevanten Informationen zu gewinnen, wenn der Patient sich gedanklich auf einer anderen Ebene befindet. Zum anderen ist für den Patienten das Gespräch oft unbefriedigend, weil er für ihn relevante Informationen häufig nur auf Nachfrage oder gar nicht erhält. Eine bewusste Aufmerksamkeit des Arztes für die Informationsbedürfnisse des Patienten verbessert nachweislich die Gesprächsqualität und führt zu einer hohen Patientenzufriedenheit. Gleichzeitig fördert sie die Effizienz der Befunderhebung und der Therapieentscheidung. Absichtsvolles Missachten des Informationsinteresses durch den Arzt ist Ausdruck eines paternalistischen Rollendenkens, widerspricht dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation und hat negative Folgen für den Arzt- Patienten-Dialog. Dazu ein persönliches Beispiel: Ich befinde mich momentan in zahnärztlicher Behandlung und musste kürzlich eine operative Weisheitszahnentfernung über mich ergehen lassen. Da ich medizinisch vorgebildet bin, wusste ich, dass mich diese Operation für kurze Zeit außer Gefecht setzen würde. So konnte ich im Vorfeld wichtige Termine, bei denen ich hätte sprechen müssen, absagen und verschieben. Meine primäre Sorge galt zunächst nicht so sehr den möglichen medizinischen Risiken des Eingriffs, sondern vielmehr den damit verbundenen Folgen für mein berufliches und soziales Leben in den nächsten Tagen. Im Aufklärungsgespräch wurde ich umfassend darüber befragt, welche Medikamente ich nehme oder ob ich Allergien habe - aus medizinischer Sicht sind dies relevante Informationen. Meine eigentliche Sorge aber, ob ich eine Woche später schmerzfrei würde sprechen können und wie langwierig - mit Konsequenzen für meine private und berufliche Planung - die Weiterbehandlung sein würde, fand im Arzt-Patienten-Gespräch keine Berücksichtigung und wurde auch auf Nachfrage nur sehr vage beantwortet. Meine kommunikativen Bedürfnisse als Patient wurden nicht oder nur unzureichend erfüllt, was in erster Linie darauf beruhte, dass der Arzt diese Bedürfnisse als für das Patientengespräch nicht relevant eingestuft hat. 6.2 Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch Stärker als viele andere Gesprächssituationen im Alltag ist das ärztliche Gespräch in einen festen Rahmen eingebettet, der kommunikativ bedeutsam ist und als integraler Bestandteil der Arzt-Patienten-Kommunikation begriffen und akzeptiert werden muss. Falsch verstandene Eile oder Störungen von außen etwa . Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch 145 <?page no="161"?> können das Gespräch negativ beeinflussen, weshalb solche flankierenden Gesprächsparameter an dieser Stelle exemplarisch beleuchtet werden müssen. Wir wollen uns daher im Folgenden zunächst ansehen, welche Besonderheiten das Gespräch in seinem institutionellen Rahmen prägen und welche Konsequenzen sich daraus ableiten lassen. Vor allem geht es um die Frage, mit welchem Bewusstsein sich Ärzte auf die speziellen Rahmenbedingungen einlassen und auf welche Weise sich durch reflektiertes kommunikatives Handeln der Gesprächsrahmen verbessern lässt. Mit anderen Worten: Jedes noch so schöne Bild wirkt blass und farblos, wenn man es in einen hässlichen Rahmen fügt. Damit das Gespräch zwischen Ärzten und Patienten ein leuchtendes Bild ergeben kann, ist die Auswahl des passenden Rahmens ebenso wichtig wie die Kunst des Malens. 6.2.1 Der Faktor Zeit im ärztlichen Gespräch Viele Mediziner klagen über einen enormen Zeitdruck in der ärztlichen Praxis. Auch auf Seiten der Patienten ist Zeitmangel ein häufiger Kritikpunkt: Die meisten Patienten wünschen sich neben einer höheren kommunikativen Kompetenz Ihres Arztes (z. B. ein offenes Ohr haben), dass ihnen im Gespräch mehr Zeit für ihre Belange eingeräumt wird. Nationale und internationale Studien belegen, dass der empfundene Zeitmangel kein rein subjektives Erlebnis und Phänomen ist: Im europäischen Vergleich weist Deutschland in der Tat die kürzeste ärztliche Gesprächsdauer auf und liegt im Mittel bei gerade einmal acht Minuten je Patient. 77 Zum Vergleich: In den skandinavischen Ländern dauern Gespräche zwischen Ärzten und Patienten in etwa doppelt so lang - mit positiven Auswirkungen auf die Patientenzufriedenheit. Da es sich bei Gesprächen zwischen Ärzten und Patienten in aller Regel nicht um den Austausch rein technischer Informationen handelt, sondern vielmehr um die wechselseitige Verständigung über sehr sensible und intime Informationen, ist ein Weniger an Zeit immer auch mit einem Weniger an empathischem Verständnis und emotionaler Zuwendung verbunden. Wir haben im allgemeinen Teil dieser Einführung festgestellt, dass eine vertrauensvolle Gesprächsbasis zwingend notwendig ist für einen guten Heilungserfolg und für eine langfristige Therapietreue durch den Patienten. Wenn wir nun davon ausgehen, dass ein Mangel an Zeit in vielen Fällen gleichbedeutend mit einem Mangel an Vertrauen und Zuwendung ist, dann lässt sich festhalten: 77 Vgl. D EVEUGELE et al. 2002: 472. 146 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="162"?> Der Faktor Zeit ist für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Arzt und Patient ein wesentlicher Schlüssel zu einer patientengerechten und gezielten Behandlung. Zudem lassen sich nur durch eine ausreichende Zeitinvestition diagnostische und therapeutische Sackgassen umgehen, was im Effekt zu einer deutlich verkürzten Behandlungsdauer führt. Viele Fehldiagnosen fußen auf einem Informationsdefizit, weil Patienten sich nicht ausreichend mitteilen können. Nur dann, wenn Ärzte ausreichend Zeit in das Gespräch mit ihren Patienten investieren, lassen sich im Verlauf der Therapie Zeit und Mühe einsparen - auf beiden Seiten. Ein effektiv behandelter Patient hat nicht nur einen deutlich geringeren Leidensdruck, sondern nimmt auch weniger Zeit in Anspruch, weil er die Praxis in der Folge nicht so häufig aufsuchen muss. Wenn Ärzte im ersten Gespräch durch ausreichend Zeit, ein offenes Ohr und durch gezielte Fragen eine sichere Diagnose stellen können, erübrigen sich häufig weitere diagnostische oder therapeutische Umwege. Auch aus ökonomischer Sicht ist das interessant: Kürzere Verweildauern in Arztpraxen im Rahmen der Therapie und die Vermeidung therapeutischer Umwege durch eine gezielte Zeitinvestition in den ersten Gesprächen senken Kosten im Gesundheitswesen und fördern zugleich die emotionale und ökonomische Bindung der Patienten an ihre Ärzte. Die Klagen über ein Zuwenig an Zeit auf Seiten der Ärzte und der Patienten sind - was die reine Behandlungszeit betrifft - berechtigt. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht sind sie hingegen völlig unnötig. Denn: Es erfordert weit weniger Zeit als gedacht, um sowohl eine zielgerichtete Diagnose zu erstellen und eine effektive Behandlung abzuleiten als auch um den Wunsch vieler Patienten nach einer aktiveren Rolle im Gespräch zu befriedigen. Es kommt nämlich nicht so sehr darauf an, wie lange ein Gespräch in der ärztlichen Praxis dauert, sondern wie es geführt wird: Im Vordergrund steht nicht die Dauer der Konsultation, sondern die Effektivität der Gesprächsführung durch den Arzt. 78 Wenige Minuten können häufig für Diagnosestellung und Behandlung ausreichen. Allzu oft wird diese knappe Zeit aber nicht sinnvoll ausgenutzt, wichtige Informationen gehen dann verloren oder werden nicht ausreichend vermittelt. Sehen wir uns daher an, mit welchen einfachen kommunikativen Mittel ein Maximum an Effektivität aus einem Minimum an Zeit geschöpft werden kann. 78 Vgl. O GDEN et al. 2004: 479 ff. sowie M ARTIN et al. 1999. . . Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch 147 <?page no="163"?> 6.2.1.1 Unterbrechungen im Arzt-Patienten-Gespräch In erster Linie müssen Patienten die Gelegenheit erhalten, ihre Anliegen unterbrechungsfrei vorzutragen. Sobald der Patient, für den in erster Linie sein eigenes Krankheitserleben kommunikativ von Bedeutung ist (vgl. Abschnitt 6.1.2), in seinem Redefluss unterbrochen wird, sieht er sich unmittelbar in eine passive und defensive Rolle gedrängt. Das Unterbrechen einer Botschaft bedeutet kommunikativ: Hör auf zu reden, mich interessiert das nicht. In dem Moment, in dem der Patient das Gefühl bekommt, dass sich der Arzt nicht für seine Belange interessiert, ist Kommunikation zum Scheitern verurteilt. Unterbrechungen der Gesprächsinitiative des Patienten durch den Arzt werden kommunikativ stets auf der Beziehungsebene interpretiert (vgl. das Kommunikationsquadrat S CHULZ VON T HUN s). Die Botschaft lautet: Deine Nachricht ist irrelevant, falsch oder unangemessen. Unterbrechungen weisen dem Unterbrochenen eine passive kommunikative Rolle zu und wirken deshalb destruktiv. Studien belegen, dass Patienten in ihrem Redefluss erschreckend häufig unterbrochen werden. Je nach Nation können Patienten nur in 23 bis 26 Prozent aller Fälle ihren Redebeitrag unterbrechungsfrei ausformulieren, zu knapp 70 Prozent greift bereits nach kurzer Zeit der Arzt in das Gespräch ein. 79 Viele Patienten bekommen nicht einmal die Gelegenheit, länger als 18 Sekunden frei zu sprechen. 80 In deutschen Hausarztpraxen liegt die durchschnittliche initiale Gesprächsdauer der Patienten bei elf bis 24 Sekunden, bevor das Gespräch durch den Arzt unterbrochen wird. 81 Da in solchen Fällen das subjektive Krankheitserleben der Patienten im weiteren Gespräch oft nicht mehr zur Sprache kommt, ist davon auszugehen, dass sehr viele wichtige Botschaften aus der Welt des Privaten für den Arzt im Verborgenen bleiben. Zudem führt eine frühzeitige Unterbrechung zur Einschüchterung der Patienten und verändert damit auch deren eigenes Frageverhalten: Verständnisprobleme auf Seiten des Patienten bleiben so unentdeckt, was fatale Auswirkungen auf die Compliance haben kann. Dass viele Ärzte dazu neigen, Patienten frühzeitig im Gespräch zu unterbrechen, lässt sich durch das unterschiedliche Informationsinteresse und das subjektive Gefühl der Zeitnot erklären. Dieses Verhalten ist aber nicht nur kommunikativ problematisch und kann medizinisch weitreichende Folgen 79 Vgl. B ECKMAN / F RANKEL 1984. 80 Vgl. B ECKMAN / F RANKEL 1984. 81 Vgl. W ILM et al. 2004. . 148 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="164"?> haben. Es ist vor allem unnötig. Es hat sich nämlich gezeigt, dass eine eher abwartende Haltung des Arztes und ein freigiebiges Gesprächsverhalten in den ersten Minuten der Eingangsrede des Patienten mit hoher Sicherheit zielführende anamnestische Informationen befördern. 82 Eine unterbrechungsfreie initiale Rede des Patienten dauert zudem nicht länger als anderthalb bis zwei Minuten. Kaum ein Patient tendiert dazu, länger zu reden. Den meisten Patienten ist bewusst, dass die Zeit für das ärztliche Gespräch begrenzt ist. Sie passen sich diesem Bewusstsein folgend mit ihren Gesprächsbeiträgen intuitiv den Zeitvorgaben an. Der Ablauf eines ärztlichen Gesprächs wird nicht signifikant verändert oder verlängert, wenn man Patienten die Möglichkeit einräumt, ihre Anliegen frei und ohne Unterbrechung zu formulieren. In der hausärztlichen Praxis dauert ein Eingangsmonolog, der bis zu 90 Prozent der relevanten diagnostischen Informationen bereithält, im Schnitt 30 - 90 Sekunden 83 , so dass kaum davon auszugehen ist, dass Unterbrechungen für den geordneten Praxisablauf notwendig oder gar hilfreich sind. Das Gegenteil ist der Fall: Unterbrechungsfreie Eingangsreden der Patienten in der medizinischen Praxis senken die durchschnittliche Verweildauer im Behandlungsraum, weil weniger nachgefragt werden muss und weil die sogenannten Türklinkenphänomene, bei denen Patienten Details und unausgesprochene Informationen zum Ende der Konsultation zwischen Tür und Angel loswerden wollen, 84 deutlich reduziert werden können. Durch unterbrechungsfreie Eingangsreden in der ärztlichen Praxis können sowohl die Patientenzufriedenheit (durch eine Patientenzentrierung im Sinne des shared decision making) nachhaltig verbessert als auch die Verweildauer spürbar verkürzt werden. Zeitdruck in der ärztlichen Praxis ist ein rein subjektives Gefühl, das nicht der Realität entspricht: Eine patientenzentrierte Zeitinvestition hilft sogar dabei, im Praxisalltag Zeit zu sparen. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass Arzt-Patienten- Gespräche zu großen Teilen durch extraverbale Kommunikation geprägt sind. Jedes außersprachliche Zeichen, das auf Zeitmangel hindeuten könnte, sollte nach Möglichkeit vermieden werden. So empfiehlt es sich, auch medizinisches 82 Vgl. W ILM et al. 2004. 83 Vgl. M ARVEL et al. 1999 sowie S TUNDER 2004. 84 Vgl. R ABINOWITZ et al. 2004. . . Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch 149 <?page no="165"?> Personal anzuweisen, darauf Rücksicht zu nehmen. Unterbrechungen im Gespräch z. B. durch Telefonanrufe oder Störungen durch Arzthelferinnen haben denselben Effekt wie eine direkte Unterbrechung durch den Arzt selbst. Manche Ärzte neigen dazu, im Gespräch kleinere Nebentätigkeiten zu verrichten (z. B. Ausfüllen von Formularen o. Ä.). Auch solche Handlungen signalisieren, dass der Arzt eigentlich andere Dinge zu tun hat und sie wirken aus diesem Grund ebenso destruktiv wie eine verbale Unterbrechung. Unterbrechungsfreies Zuhören in der Phase der initialen Rede des Patienten erfordert zugleich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Arztes. Störungen und Ablenkungen im Gespräch sind daher zwingend zu vermeiden. Auch tickende Uhren sollten aus dem Behandlungsraum verbannt werden, da sie durchaus das Gefühl von Getriebenheit vermitteln können. Lange Wartezeiten im Vorfeld erwecken ebenfalls den Eindruck, dass es in Ihrer Praxis an Zeit mangelt. Daher sollten zeitliche Verabredungen nach Möglichkeit eingehalten werden. In jedem Fall sollte dem Patienten in der Begrüßung vermittelt werden, dass ausreichend Zeit für das Gespräch zur Verfügung steht - ein ärztliches Gespräch darf nie durch Hektik oder Unruhe beeinflusst sein. Im Zweifel ist es besser, Gespräche zu verschieben als sie unter Zeitdruck zu führen. Auch dafür haben Patienten Verständnis. 6.2.2 Medizinische Kommunikation als institutionalisierte Kommunikation Aus soziolinguistischer Sicht handelt es sich bei Gesprächen zwischen Ärzten und Patienten um institutionalisierte Kommunikationsgefüge. Anders als im Privaten ist das Gespräch zwischen Medizinern und Patienten in einen formalen sozialen Rahmen eingebunden und folgt dementsprechend einer eigenen Logik und bestimmten Prinzipien, die solchen Gefügen eigen sind. Die ärztliche Praxis und das Krankenhaus sind ebenso öffentliche Orte wie ein Bahnhof oder eine Postfiliale. Zudem stehen sich Personen gegenüber, die über ein Dienstleistungsverhältnis miteinander verbunden sind. So wie der Postangestellte eine Briefmarke verkauft, bietet der Arzt seine medizinische Heilkunst als Dienstleistung an. So wie der Bahnreisende einen Anspruch auf Beförderung hat, erhebt der Patient den Anspruch auf Behandlung, d. h. Heilung oder zumindest Linderung seiner Beschwerden. In jedem Fall basiert das Arzt-Patienten- Gespräch zumindest auf dem Prinzip von Geben und Nehmen in einem mehr oder weniger öffentlichen Raum. . 150 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="166"?> Wenn hier von institutionalisierter Kommunikation gesprochen wird, dann ist damit gemeint, dass Gespräche in dieser Sphäre nicht spontan und informell ablaufen, sondern einer gewissen Struktur und Logik folgen und damit eher formell geprägt sind. Dieser Umstand ist auch darin begründet, dass die Gesprächspartner auf unterschiedlichen Ebenen im Kommunikationsprozess miteinander verwoben sind: Während der Arzt der medizinischen Heilkunde aus Profession nachgeht und die Praxis oder die Klinik zum Zweck der Erwerbstätigkeit aufsucht, treibt den Patienten ein gänzlich anderes Bestreben in die Praxis. Der Patient ist bestimmt von persönlichen und privaten Nöten und hat ein subjektives Bestreben nach Wunscherfüllung im Gespräch, das sich nicht mit dem des Arztes deckt. Aus dieser Institutionalisierung medizinischen Handelns ergibt sich ein kommunikatives Dilemma: Es ist sicher ein Unterschied, ob Sie sich privat mit einem Freund unterhalten oder ob Sie eine Aussage vor einem Gericht machen müssen. In aller Regel findet das Gespräch mit Ihren Freunden auf Augenhöhe und freiwillig, oft auch völlig ungeplant statt, wogegen ein Gerichtstermin selten spontan und noch seltener - zumindest im strengen Sinne - freiwillig, d. h. mit Vergnügen und aus eigenem Antrieb, wahrgenommen wird. Sie werden sich auch sicher sprachlich anders verhalten, wenn Sie einer Prüfungskommission in der Universität gegenübersitzen als wenn Sie beim Bäcker ein Brot bestellen. Ebenso nimmt sich das Gespräch zwischen Arzt und Patient aus: Arzt- Patienten-Gespräche sind genauso durch formelle Umstände geprägt wie Gespräche in anderen institutionalisierten Bereichen. Wenn sich ein Patient mit seinem Arzt über das eigene Krankheitserleben verständigt, unterscheidet sich dieser Dialog grundlegend von einem Gespräch über dasselbe Thema im Freundes- oder Familienkreis. Der Unterschied liegt nicht nur darin begründet, dass zwei fremde Menschen intime Details besprechen, auch der äußere Rahmen bestimmt maßgeblich den Zuschnitt eines solchen Gesprächs. So finden ärztliche Gespräche in aller Regel in Praxisräumen oder in einer Klinik statt - in einer stark institutionalisierten Sphäre also, die sich grundsätzlich von der Lebenswelt der Patienten unterscheidet und die per se das Gefühl von Distanz vermittelt. Anders dürfte es sich bei Hausbesuchen verhalten, da Ärzte dort mit der Lebenswirklichkeit der Patienten deutlich stärker konfrontiert sind. Hausbesuche verwischen den institutionellen Charakter auf für den Patienten angenehme Weise, auch wenn manche Patienten den Hausbesuch als Eindringen in die Privatsphäre empfinden können. Insbesondere bei ungeplanten Hausbesuchen (z. B. im Rahmen des ärztlichen Notdienstes oder der Notfallrettung) kann dieses unangenehme Gefühl entstehen. Rettungsdienstliche Bekleidung etwa verstärkt Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch 151 <?page no="167"?> in diesem Fall den institutionellen Charakter und führt zu einer größeren Distanz zwischen Arzt und Patient. Institutionalisierte Kommunikation ist als ein Gegensatz zur gewohnten und sicheren Alltagskommunikation zu begreifen, auch wenn es zweifelsohne Schnittmengen gibt. Daher spricht man in Behandlungssituationen, an denen ja in aller Regel mehrere Menschen (Ärzte, Patienten, Assistenzpersonal, Angehörige) gemeinsam beteiligt sind, in der Soziologie von formellen Gruppen, die man von informellen Gruppen unterscheidet. Auch für Sie als Arzt gilt diese Unterscheidung innerhalb Ihrer Institution und nicht nur in Bezug auf Ihr Verhältnis zum Patienten: Im Gegensatz zu Ihrem Freundeskreis bilden Sie mit Ihren Kollegen eine formelle Gruppe: Es gibt formale Strukturen, Hierarchien und verbindliche, festgelegte Ziele. Damit der Arzt seine Arbeit ausüben kann, ist er darauf angewiesen, dass sich der Patient kommunikativ öffnet, was - wie wir bereits festgestellt haben - auch bedeutet, dass er Informationen aus dem Privaten preisgibt. Diese Preisgabe findet nun in der Medizinischen Kommunikation in einem formalen Rahmen statt, der diese Öffnung häufig nicht befördert. Viele Parameter der Institution Medizin wirken nachgerade gesprächsblockierend, weil sie den institutionellen Charakter deutlich nach außen tragen. Uns ist im allgemeinen Teil bereits die medizinische Fachsprache als sprachliche Varietät begegnet, die sich klar als institutionelles Element einordnen lässt und die - wie wir festgestellt haben - kommunikativ eine Barriere darstellen kann. Daneben gibt es noch zahlreiche weitere Barrieren, die sich in der Gegenüberstellung von Alltagsgesprächssituationen und institutionalisierten Gesprächen feststellen lassen. Auf der sprachlichen Ebene etwa werden ärztliche Aufforderungen zu Anweisungen, Ratschläge werden zu Hinweisen und Erklärungen zu Belehrungen. Und wenn Sie sich mit Ihrem Zahnarzt etwa auf eine Behandlung verständigen, dann wird aus einem Versprechen im alltagssprachlichen Sinn (In Ordnung, das machen wir so! ) eine vertragliche Vereinbarung. Auch Raum und Ort der ärztlichen Gesprächsführung lassen sich auf dieser Folie betrachten. So ist die Arztpraxis in aller Regel kein intimer Raum wie etwa ein gemütliches Wohnzimmer. Für Kliniken gilt dies in noch weit stärkerem Maß, da sie häufig ähnlich steril, schmucklos und funktional strukturiert und gestaltet sind wie andere öffentliche Gebäude. Ob Sie sich in einem Krankenhausflur oder dem Flur eines Arbeitsamtes befinden, lässt sich oft durch Augenschein allein nicht feststellen. Für die Medizinische Kommunikation hat dieser institutionelle Charakter von Raum und Ort weitreichende Folgen: Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Arzt und Patient wird durch Sterilität (nicht im medizinischen Sinne) erschwert. 152 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="168"?> In Kliniken oder speziell in der Notfallmedizin ist der Gegensatz zwischen institutioneller und alltäglicher Kommunikation zusätzlich noch durch Uniformität bestimmt. Kittel, weiße Hose und Einsatzkleidung dienen zum einen der Identitäts- und Standeswahrung, sind aber zum anderen häufig auch juristisch verbindlich vorgeschrieben. Im direkten Kontakt mit Patienten hingegen wirken sie nicht selten distanzierend. Im Sinne des in 6.1 postulierten Konzepts des shared decision making als Rollenmodell für die Arzt-Patienten- Kommunikation müssen solche institutionalisierten Parameter aus diesem Grund immer auch als kommunikative Zeichen mit den verbundenen kommunikativen Interpretationsmöglichkeiten und den sich daraus unmittelbar ergebenden kommunikativen Folgen gedacht werden. Die Arzt-Patienten-Kommunikation wird in der Realität nicht allein durch Aspekte wie unterschiedliche Informationsinteressen auf Seiten von Arzt und Patient oder durch das Rollenverständnis des Arztes geprägt und beeinflusst, sondern immer auch durch den formellen Charakter der Institution Praxis oder Klinik selbst. Die kommunikative Herausforderung für den Arzt und für dessen medizinische Assistenten bzw. für alle weiteren im institutionellen Gefüge tätigen Personen besteht darin, den formellen Charakter im Gespräch im Sinne der im allgemeinen Teil dieses Buches skizzierten Kommunikationsgrundlagen aufzulösen. Daneben gilt es aber auch, sich des institutionellen Rahmens selbst überhaupt bewusst zu werden und - wo möglich - trennende Barrieren abzubauen. Denn: Wenn die kommunikativen Rahmenbedingungen nicht passend sind, lässt sich ein Gespräch nur schwer lenken. Fühlt sich ein Patient in Ihrem Behandlungsraum beispielsweise unwohl, weil er auf weiß gekachelte Wände schaut und der Raum zudem kein Fenster besitzt, dann wird eine Öffnung im Gespräch nur schwer möglich sein. Daher ist es notwendig, den institutionellen Charakter nach Möglichkeit für ein vertrauensvolles Beziehungsgefüge zwischen Arzt und Patient so gering bzw. für den Patienten so verborgen wie möglich zu halten. Viele Ärzte haben sich diese Forderung bereits zu eigen gemacht und bemühen sich, die Grenzen zwischen Institution und Alltag zu verwischen. Eine weitere Öffnung ist dort - wo es die gesetzlichen Vorgaben zulassen und es die Struktur hergibt - sinnvoll und notwendig. Nur dann, wenn der institutionelle Rahmen sich für die Lebenswelt des Patienten öffnet, lässt sich eine patientenzentrierte, partnerschaftliche Kommunikationssituation herstellen. Das formelle Beziehungsgefüge zwischen Arzt und Patient sollte nicht . . Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch 153 <?page no="169"?> unnötig durch einen zu starken institutionellen Charakter der kommunikativen Rahmenbedingungen verstärkt werden. Ein starker institutioneller Rahmen korrespondiert häufig mit einem paternalistischen Rollenmodell in der Arzt-Patienten-Beziehung und behindert den Aufbau einer symmetrischen Gesprächssituation. Sehen wir uns in der nachfolgenden Tabelle abschließend an, welche institutionellen Parameter in der Medizinischen Kommunikation den formalen Rahmen bilden können. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern führt nur einige der offensichtlichsten Parameter exemplarisch auf. Die wenigsten der hier abgebildeten Parameter führen zur Vertrauensbildung auf Seiten des Patienten oder wirken positiv auf sein Befinden. Ganz im Gegenteil: Die meisten dieser formellen Rahmenumstände schaffen Distanz, weshalb im Einzelfall ganz genau zu prüfen ist, ob sich der institutionelle Rahmen durch geeignete Maßnahmen aufbrechen lässt. Zahlreiche Parameter lassen sich dennoch kaum vermeiden; Medizinische Kommunikation ist und bleibt institutionalisierte Kommunikation. Hier gilt es vielmehr, im steten Bewusstsein über die kommunikativen Wirkungen sensibel das Gespräch zu suchen und ggf. einzelne Parameter gesprächsinteraktiv zu erklären, um die Distanz aufgrund der formellen Besonderheiten ein Stückweit zu überwinden. Das allerdings ist nur möglich, wenn sich Ärzte und ihre Mitarbeiter über die Tragweite der Institutionalisierung ihres Handelns bewusst sind. Institutionelle Parameter Beispiele aus Klinik und Praxis Personale Parameter - Kittel, Uniform - Hierarchien (Chefarzt, Oberarzt, Assistenzarzt) - Assistenzpersonal - Fachsprache Visuelle Parameter - Praxisschild - Visitenkarten, Überweisungsformulare, Terminerinnerungskarten etc. - funktionale Einrichtung - ggf. Fachbücher - med. Geräte und Instrumente - Krankenakten - Hinweisschilder - Werbematerial/ Modelle Auditive Parameter - Telefonläuten - Signaltöne med. Geräte - Lautsprecheraufrufe im Wartezimmer 154 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="170"?> Institutionelle Parameter Beispiele aus Klinik und Praxis Olfaktorische Parameter - Geruch nach Desinfektionsmitteln - Geruch nach Arzneimitteln/ Chemikalien Parameter von Zeit und Ort - Sprechstundenzeiten/ Öffnungszeiten/ Besuchszeiten - Terminvergabe/ Wartezeiten - Empfang/ Anmeldung/ Pförtner - Wartezimmer - Behandlungszimmer - Patientenzimmer - Stationen/ Abteilungen - EDV-Technik - ggf. Vorhandensein einer Kantine Tabelle 16: Institutionelle Parameter in Klinik und Praxis 6.2.3 Akteure in der Medizinischen Kommunikation Am Prozess des Kommunizierens in medizinischen Situationen sind nicht nur Ärzte und Patienten beteiligt. Medizinische Kommunikation basiert auf einem dichten Beziehungsnetz, das Ärzte, Patienten, Außenstehende und medizinische Assistenten gleichermaßen knüpfen und dessen Tragfähigkeit vom kommunikativen Handeln aller Beteiligten abhängt. Daher ist es notwendig, dass Ärzte sowohl externe Personen als für den Interaktionsprozess wichtig und notwendig erkennen, akzeptieren und in den Prozess mit einbeziehen als auch ihr kollegiales Umfeld entsprechend schulen und sensibilisieren. In den meisten Fällen findet der Erstkontakt im Rahmen der Institutionen Praxis oder Klinik nicht zwischen Ärzten und Patienten statt. Vielmehr sind in aller Regel andere Personen dem Arzt-Patienten-Gespräch vorgeschaltet - auch das unterstreicht den institutionellen Charakter medizinischen Handelns. Meistens handelt es sich dabei um Empfangsmitarbeiter, Pflegepersonal (in Kliniken) oder Arzthelferinnen (in Praxen). Zudem findet der Erstkontakt häufig nicht im direkten persönlichen Miteinander statt, sondern über eine unpersönliche, formelle Terminvergabe am Telefon, bisweilen auch auf elektronischem Weg. Diese Faktoren haben zur Folge, dass Patienten, wenn sie sich zum ersten Mal dem Arzt gegenüber sehen, bereits mit anderen Akteuren im System Klinik/ Praxis interagiert haben. Diese Interaktionen haben einen unmittelbaren Einfluss auf das subjektive Empfinden des Patienten und beeinflussen nachhaltig Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch 155 <?page no="171"?> den Eindruck, den der Patient von der Einrichtung selbst - und damit auch von Ihnen als Arzt - bekommt. Subjektive Erfahrungen und Erlebnisse mit anderen Akteuren in medizinischen Einrichtungen wirken sich unmittelbar auf die Beziehungsebene zwischen Arzt und Patient aus, da das Verhalten dieser Akteure immer zugleich als Spiegel des ärztlichen Verhaltens interpretiert wird. Wenn das ärztliche Gespräch ein Schlüssel zur Qualitätssicherung in der Medizin ist, dann müssen alle dem ärztlichen Gespräch vorausgehenden oder das Gespräch flankierenden Interaktionen mit Akteuren der medizinischen Versorgung denselben Regeln folgen wie das ärztliche Gespräch selbst. Bisweilen scheitern Arzt-Patienten-Interaktionen daran, dass andere Akteure im Prozess der wertschätzenden und patientenzentrierten Kommunikation in ihrer Wichtigkeit verkannt werden. Kein Patient fühlt sich gut und sicher aufgehoben, wenn er von einer unfreundlichen Empfangsdame „ begrüßt “ wird, die sofort die Versichertenkarte verlangt. Bisweilen kollidiert die oft sehr bürokratische Abfertigung im Vorfeld der ärztlichen Behandlung mit der Forderung der Patienten nach Partizipation am medizinischen Prozess und nach einer empathischen Wertschätzung. Da meist zwischen dem Erstkontakt mit nichtärztlichen Akteuren und dem ärztlichen Gespräch wenig Zeit vergeht, stehen viele Patienten im Arzt-Patienten-Gespräch noch unmittelbar unter dem Eindruck des vorausgegangenen Gesprächs. Wenn dieser Erstkontakt bereits zu einer Einschüchterung geführt hat (z. B. durch eine Rüge wegen eines vergessenen Röntgenbildes), dann ist es unwahrscheinlich, dass der Arzt einem Patienten gegenübersitzt, der sich bereitwillig öffnen und auf das Gespräch einlassen wird. Aus diesem Grund gilt es, wahrnehmbare Störungen auf der Beziehungsebene zwischen Arzt und Patient immer auch unter dem Licht der Störung auf der Beziehungsebene zu anderen Personen, die Beteiligte am institutionellen Prozess sind, zu reflektieren. Oftmals ist eine gestörte Beziehung zwischen Ärzten und Patienten Ausdruck einer gestörten Beziehung zwischen Patienten und anderen Akteuren im Umfeld des ärztlichen Gesprächs. Die Bedeutung dieser Akteure wird oft gering geschätzt, sowohl von den Beteiligten selbst als auch von Ärzten. Dabei finden häufig - in der R OSENBERGschen Diktion - lebensentfremdende Kommunikationssituationen vor der Tür des Behandlungsraumes statt, die zur Folge haben, dass im Behandlungsraum . . 156 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="172"?> selbst die Wogen nur schwer oder mitunter gar nicht zu glätten sind. Es ist also insbesondere Aufgabe der Ärzte, das kommunikative Verhalten ihrer Assistenten nicht nur zu kontrollieren, sondern auch stetig zu verbessern. Bedenken Sie in diesem Zusammenhang, dass viele Patienten die medizinische Kompetenz allein dem Arzt zuschreiben (bisweilen auch, weil ihnen nicht bewusst ist, in welcher Weise medizinische Assistenzberufe auch in medizinischen Handlungen ausgebildet sind). Manche Patienten etwa lassen sich nur ungern Blut von Arzthelferinnen oder Krankenschwestern abnehmen, weil sie ihnen diese Maßnahme nicht zutrauen. Zum anderen aber weisen Patienten die organisatorische Kompetenz rund um die Behandlung allein dem medizinischen Assistenzpersonal zu. Für viele Patienten sind Arzthelferinnen deswegen machtvolle Entscheider in der ärztlichen Praxis: Ob ein Patient zeitnah einen Termin bekommt oder ob er stundenlang im Wartezimmer sitzen muss, scheint oftmals allein an der willkürlichen Entscheidung der Dame am Empfang zu liegen. Dieser Eindruck entsteht sicher auch durch eine hohe Intransparenz organisatorischer Strukturen in Arztpraxen und Kliniken. Kommunikativ wirkt sich diese Wahrnehmung unmittelbar auf das Verhältnis zum Arzt aus: Da Patienten den Arzt meistens als den Hauptverantwortlichen in der Praxis ansehen, gehen sie von einer bewussten Duldung patientenunfreundlicher Verhaltensweisen aus - und projizieren dieses Verhalten auf das des Arztes selbst. Deswegen ist es wichtig, sowohl die nichtärztlichen Beteiligten über das Wirken ihres Verhaltens aufzuklären und sie kommunikativ zu schulen als auch für mehr Transparenz bei den organisatorischen Abläufen zu sorgen. Auch aus einer anderen Perspektive heraus muss der Arzt die nichtärztlichen Akteure im Blick haben: Ökonomischer Erfolg ist ebenso wie therapeutischer Erfolg in der Medizin eng an das kommunikative Verhalten aller Beteiligten geknüpft. Ein Patient, der sich unfreundlich behandelt fühlt, wird sicher kein zweites Mal die Praxis aufsuchen, auch wenn der Arzt noch so gesprächssensibel interagiert hat. Denn: Die Verweildauer im ärztlichen Gespräch macht oft - wie die Spitze eines Eisbergs - nur einen Bruchteil der Zeit aus, die der Patient sich in der Praxis aufhält. Oft nimmt das Gespräch mit nichtärztlichen Akteuren mehr Raum ein als das ärztliche Gespräch selbst: Terminabsprachen, Vorbereitungszeiten im Vorfeld ärztlicher Untersuchungen, Maßnahmen wie Blutdruckmessen oder Blutentnahmen durch Arzthelferinnen oder Besprechungen wegen fehlender Unterlagen finden meist zwischen Patient und Assistenzpersonal statt und sind immer auch medizinische Kommunikationssituationen, die man nie losgelöst von Medizinischer Kommunikation im Sinne der ärztlichen Gesprächsführung sehen darf. Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch 157 <?page no="173"?> Aus Sicht des Patienten sind alle Beteiligten am medizinischen Prozess zugleich Akteure in der Medizinischen Kommunikation - mit denselben Forderungen an deren Gesprächskompetenz und mit denselben Folgen, wenn Kommunikation scheitert. 6.2.4 Personale Einflussfaktoren und Übersicht Neben den erwähnten Faktoren Zeit, Institution und den unter 6.1.2 beschriebenen Informationsinteressen auf Seiten von Arzt (medizinisch-fachliches Interesse) und Patient (subjektives Krankheitserleben) gibt es noch einen weiteren Faktor, der die Arzt-Patienten-Interaktion determiniert: das subjektive, private Krankheitsmodell des Arztes selbst. 85 Die damit verbundenen Faktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch nenne ich personale Einflussfaktoren. Lassen Sie mich kurz erklären, was darunter zu verstehen ist. Es ist falsch anzunehmen, dass Gespräche arztseitig rein durch objektive, medizinisch-fachliche Faktoren bestimmt sind. Vielmehr findet in der Medizinischen Kommunikation die Interaktion immer zwischen Menschen mit teilweise völlig unterschiedlichen Wertvorstellungen statt. Darauf gründende Faktoren (wie etwa Sympathie und Antipathie oder Vorstellungen von der Struktur und den Aufgaben des Gesundheitssystems) im Gespräch auszublenden, ist Aufgabe des Arztes. Das ist in der Realität nicht leicht. Ob Sie als Arzt persönlich etwa der Meinung sind, dass man wegen eines leichten Schnupfens nicht unbedingt zum Arzt gehen muss (und das privat auch nicht tun würden), darf in der Behandlung Ihres Patienten, der genau deswegen zu Ihnen kommt, keine Rolle spielen. Personale Einflussfaktoren führen häufig zu einer Moralisierung des subjektiven Krankheitsmodells des Patienten durch den Arzt, die destruktiv auf die Arzt- Patienten-Beziehung wirkt und das wechselseitige Verständnis erschwert. Ihr eigenes Empfinden, d. h. Ihr privates Krankheitsmodell, muss sich nicht mit dem Ihres Patienten decken und Sie dürfen es auch nicht auf ihn anwenden. Personale Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch erfordern, dass Ärzte neben den fachlichen, sozialen und kommunikativen Kompetenzen auch personale Kompetenz im Umgang mit Kranken und Hilfsbedürftigen entwickeln. Kommunikativ wirkt sich das in einem Zurückstellen von Meinungen, Empfindungen und Wertvorstellungen im ärztlichen Gespräch aus. 85 Vgl. H OEFERT 2010: 175. . . 158 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="174"?> In der folgenden Übersicht finden Sie die hier diskutierten Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch noch einmal abgebildet: 86 Abb. 8: Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch 6.3 Woran scheitern Gespräche? - Kommunikationskonflikte und Missverständnisse in der Arzt-Patienten-Kommunikation Die bislang geschilderten Rahmenbedingungen sowie die unterschiedlichen Rollenkonzeptionen im Arzt-Patienten-Gespräch wirken sich auf den Gesamtprozess Medizinischer Kommunikation ebenso aus wie ein Mangel an sprachlicher Handlungskompetenz. Es wird seit vielen Jahren kritisiert, dass Missverständnisse und Konflikte in der ärztlichen Praxis an der Tagesordnung sind und dass diese Mängel bisweilen weder erkannt noch behoben werden. Sowohl Informationsdefizite als auch Unklarheiten in der verbalen, nonverbalen und extraverbalen Kommunikation, also die unreflektierte Aussendung von kommunikativen Botschaften oder die Fehlinterpretation dieser Nachrichten, führen zu nachhaltigen Problemen und Konflikten. 86 In Anlehnung an Abbildung 4 (Determinationsfaktoren der Arzt-Patienten-Beziehung) bei H OEFERT 2010: 175. Woran scheitern Gespräche? 159 <?page no="175"?> Das Missverstehen in der medizinischen Kommunikation beruht in erster Linie auf einem Nicht-Verstehen ärztlicher Anweisungen aufgrund komplexer Zusammenhänge und Fachterminologie und außerdem auf einem mangelnden Verständnis auf Seiten des Arztes für die Interessen seiner Patienten. Beide Aspekte sind kommunikativ eng miteinander verwoben. Missverständnisse in ärztlichen Gesprächen resultieren zudem aus einer fachwissenschaftlichen Fixierung an Objektivitätsidealen. 87 So neigen Ärzte häufig dazu, die Kommunikation mit Patienten an den Standards der medizinischen Disziplin zu orientieren und Diagnoseschemata sowie Leitlinien, von denen die Medizin als praktische Naturwissenschaft geprägt ist, auf das Gespräch zu projizieren. Das Problem dabei ist: Zwischenmenschliche Kommunikation folgt zwar bestimmten Prinzipien, ist aber nicht standardisierbar. Algorithmen für die Gesprächsführung zwischen Ärzten und Patienten sind kommunikativ nicht fruchtbar, da patientenzentriertes Verhalten im Sinne eines shared decision making weder planbar ist noch überindividuell stattfindet. Patientenzentrierte Kommunikation folgt keinen intersubjektiven Vorstellungen, sondern ist fallgebunden, d. h. sie findet immer wieder neu und anders statt. Insofern ergeben sich Kommunikationskonflikte in der Realität, weil Ärzte versuchen, das subjektive Empfinden des Patienten auf der Folie eines exakten, objektiven Kanons der Wissenschaft zu verstehen. Hieraus leitet sich ein weiteres Problem ab: Nicht nur der Arzt versteht seinen Patienten nicht, auch der Patient versteht in einer solchen wissenschaftlich geschulten Standardkommunikation nicht, was der Arzt ihm mitteilen möchte. Die nicht-individualisierte, standardisierte Wissenschaftssprache, die viele Ärzte auch im Gespräch mit Patienten verwenden, wirkt gesprächsdestruktiv und verschleiert mehr Informationen, als sie vermitteln könnte. Unmittelbar mit diesem Aspekt der Standardisierung des Gesprächsverhaltens auf ärztlicher Seite ist die Tatsache verbunden, dass auch Patienten - aufgrund des althergebrachten Rollenverständnisses als kommunikativ unterwürfiger Gesprächspartner - dazu neigen, ihre Sprache an den vermeintlich vorgegebenen Standards zu orientieren. So verkürzen viele Patienten ihre krankheitsbezogenen Botschaften aus der Angst heraus, sich ohnehin nicht klar (d. h. exakt) ausdrücken zu können. Hinzu kommt, dass viele Patienten wegen des Gefühls von Zeitmangel ihren Redebeitrag kürzer einschätzen als er in Wahrheit sein könnte - mit der Folge, dass Fragen nicht gestellt werden oder Informationen bewusst zurückgehalten werden. Hieraus ergibt sich ein grund- 87 Vgl. zu den folgenden Ausführungen auch H OEFERT 2010: 164 ff. . 160 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="176"?> legendes Problem: Eine nichtverstandene medizinische Information bleibt häufig für immer missverstanden, wenn nicht sofort eine Rückfrage stattfindet. Ärzte müssen den Aspekt des standardisierten Patientenverhaltens deshalb kennen und auch in denjenigen Fällen, in denen keine Nachfragen gestellt werden, immer davon ausgehen, dass Informationen noch nicht korrekt verstanden sind. Interessanterweise adaptieren viele Patienten das Informationsinteresse des Arztes, das sie bisweilen völlig falsch einschätzen, auf ihr eigenes sprachliches Verhalten. So gehen die meisten Patienten davon aus, dass Ärzte im Gespräch in erster Linie an somatischen Befunden interessiert sind und geben hauptsächlich physische Informationen aus der Welt ihres Krankheitserlebens preis. Informationen über das subjektive Krankheitsempfinden hingegen halten sie für medizinisch nicht relevant. Das Verbergen von für den Patienten im Kern wichtigen Botschaften aus der Welt des Privaten führt aber nicht zu einem besseren Verständnis, sondern im Gegenteil zu einer Verstärkung der Asymmetrie in der Arzt-Patienten-Interaktion. Für Ärzte als die medizinischen und kommunikativen Experten gilt daher: Ermutigen Sie Ihre Patienten dazu, subjektives Empfinden in das ärztliche Gespräch einzubringen. Von entscheidendem Einfluss auf das Verstehen oder Missverstehen im ärztlichen Gespräch ist auch die Sprachwelt, in der sich beide Gesprächspartner begegnen. So schwer sich Ärzte oftmals damit tun, sich klar und deutlich (und möglichst durch eine bildhafte Sprache), also an der Alltagssprache orientiert, auszudrücken, so sehr haben viele Patienten umgekehrt das Bedürfnis, sich in ihrem Krankheitserleben so wissenschaftlich wie möglich auszudrücken. Da sie einem wissenschaftlich geschulten Experten gegenüber sitzen, meinen sie häufig, dass ihre Alltagssprache in einem solchen Gespräch nicht angemessen sei. Nur selten ist es aber so, dass medizinische Laien mit fachsprachlichen Begriffen korrekt umgehen können. Fachsprache ist dazu da, damit sich Experten untereinander möglichst exakt verständigen können. Zu diesem Zweck hält die medizinische Terminologie sehr exakte Begriffe zur Bezeichnung von Krankheiten und Symptomen bereit (vgl. Kapitel 3.2). Verwendet ein Patient einen medizinischen Begriff falsch, so führt dies unmittelbar zu einem Missverständnis auf Seiten des Arztes. Wenn ein Patient - zu seinen Vorerkrankungen in der letzten Zeit befragt - beispielsweise von einer Grippe spricht, aber eigentlich eine Erkältung meint, dann liefert er dem Arzt eine falsche Information. Gravierender wird es, wenn der Patient beispielsweise behauptet, er leide . Woran scheitern Gespräche? 161 <?page no="177"?> seit Jahren unter einer Hypotonie, in Wahrheit aber eine Hypertonie meint. Aus solchen terminologisch falschen Angaben durch den Patienten können sich im schlechtesten Fall lebensbedrohliche Therapiefehler ergeben. Kommunikationsdefizite und -störungen führen aus den genannten Gründen nicht selten zu nachweislich schwerwiegenden medizinischen Effekten, die sich unmittelbar mit einem Versagen der Arzt-Patienten-Kommunikation begründen lassen. Dabei können sich Kommunikationsstörungen grundlegend auf drei Ebenen auswirken: 1. Compliance bzw. Adhärenz 2. Zufriedenheit 3. Informationsverständnis Dass sich durch ein schlechtes Kommunikationsverhalten (z. B. durch Missachtung der Konversationsmaximen oder durch ein paternalistisch geprägtes Gesprächsverständnis) Probleme auf der Beziehungsebene zwischen Arzt und Patient ergeben, ist allein schon schlimm genug. Ein gestörtes Vertrauensverhältnis führt in vielen Fällen zu einem Bruch der Arzt-Patienten-Beziehung und damit zum Arztwechsel. 88 Gravierender ist der Aspekt der mangelhaften Compliance: Mindestens jeder dritte Patient befolgt die ärztlichen Anweisungen nur teilweise oder überhaupt nicht, weil sie häufig mit einem Informationsdefizit aus der Sprechstunde kommen oder durch eine Flut nicht verstandener Informationen verunsichert sind. Ein Zuviel an Information wirkt sich ebenso schädlich auf die Compliance und die Patientenzufriedenheit aus wie ein Informationsdefizit (Verletzung der G RICE schen Maxime der Quantität) 89 . Neben der mangelhaften Compliance auf Seiten des Patienten, können Missverständnisse in der ärztlichen Praxis aber auch schwerwiegende gesundheitliche Folgen für Außenstehende haben. Dazu ein Beispiel: Sehr häufig kommt es in der Notfallmedizin zu Vergiftungsnotfällen aufgrund falsch dosierter Medikamente. Da viele Patienten multimorbid sind, also über diverse Leiden klagen, verschreiben Ärzte ihnen eine Vielzahl unterschiedlicher Medikamente, die oftmals nach strengen Vorgaben eingenommen werden müssen. Nur selten sind Patienten über die Wirkungen und vor allem über die Neben- und Wechselwirkungen ihrer Medikamente ausreichend aufgeklärt. Deswegen kommt es in 88 Vgl. G OEDHUYS / R ETHAN 2001. 89 Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 5.2. . 162 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="178"?> der Realität erschreckend oft dazu, dass Patienten die ihnen verordneten Arzneimittel beispielsweise an Freunde oder Angehörige weitergeben. Gerade ältere Menschen neigen dazu, nach Belieben aus einem oft reichhaltigen Vorrat an Arzneimitteln Medikamente bei vermeintlich ähnlichen Symptomen ihren Lebenspartnern „ zu verordnen “ - frei nach dem Motto: Was bei mir bei Schmerzen hilft, das kann auch für dich nicht schlecht sein. Dass dieser unreflektierte Umgang mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln äußerst gefährliche Folgen haben kann, soll Ihnen das folgende Fallbeispiel aus der notfallmedizinischen Praxis verdeutlichen: Fallbeispiel: Der alte Mann mit dem Hut Ein Notarztwagen wird zu einer bewusstlosen Person an einer Bahnhaltestelle gerufen. Beim Eintreffen an der Einsatzstelle findet der Notarzt eine bewusstlose junge Frau (Anfang 20) vor, die von einem älteren Herrn mit Hut betreut wird. Nach Herstellung der stabilen Seitenlage und Sicherung der Vitalfunktionen erhebt der Notarzt folgende Vitalwerte: Puls 140, BZ 137, RR systolisch 80 mmHg bei nicht messbarem diastolischen Wert. Nur durch eine gezielte Befragung des älteren Mannes an der Einsatzstelle ergibt sich folgende Ursache für die massive Kreislaufinsuffizienz der Patientin: Die junge Frau setzte sich kurz zuvor an die Haltestelle und fiel dem älteren Herrn dadurch auf, dass sie ein wenig blass im Gesicht war. Auf Anfrage sagte sie ihm, dass sie immer „ Probleme mit Ihrem Blutdruck “ hätte und dass es ihr momentan „ nicht gut “ gehe. Der hilfsbereite Mann befand sich seit vielen Jahren in hausärztlicher Behandlung und hatte von seinem Arzt „ ein Spray für den Blutdruck “ verschrieben bekommen, das er immer dann nehmen solle, wenn es ihm nicht gut ginge. In Anbetracht der Tatsache, dass die junge Frau ebenfalls unter einem Blutdruckproblem litt, verabreichte der ältere Herr 4 Mal 3 Hübe Nitrolingual-Spray unter die Zunge der Frau, die darauf mit einem massiven Absinken des Blutdrucks in einen lebensbedrohlichen Bereich reagierte. In der Klinik stellte sich heraus, dass die Patientin unter einer chronischen Hypotonie (niedriger Blutdruck) leidet, was auch die Ursache für die Eingangsbeschwerden an der Bushaltestelle war. Das Verabreichen des blutdrucksenkenden Medikaments durch den Ersthelfer hat dazu geführt, dass durch reflektorische Weitstellung der Blutgefäße der ohnehin erniedrigte Blutdruck der Patientin in einen kritischen Bereich abgesunken war. Was ist hier geschehen und wie hätte dieser Notfall durch eine gute Arzt- Patienten-Kommunikation im Vorfeld des Ereignisses vermieden werden können? Offenbar ist der ältere Herr, der mit seiner Erste-Hilfe-Leistung unbeabsichtigt einen lebensbedrohlichen Zustand herbeigeführt hatte, von seinem behandelnden Arzt weder über sein konkretes Blutdruckproblem aufgeklärt Woran scheitern Gespräche? 163 <?page no="179"?> worden (es steht zu vermuten, dass der Arzt das Nitrolingual-Spray aufgrund einer Hypertonie verschrieben hat) noch wurde der Patient ausreichend über die Wirkweise und die möglichen Nebenwirkungen seines Medikaments aufgeklärt - oder er hat diese wichtigen Informationen nicht verstanden. Der Arzt hätte sich rückversichern müssen, dass der alte Mann das notwendige Wissen mit aus der Praxis nimmt. Ärzte neigen häufig dazu, Patienten komplexe Zusammenhänge in Bezug auf die Erkrankung und die damit verbundene Therapie nicht ausreichend und oftmals nicht verständlich zu erklären, weil ihnen die (bisweilen weitreichenden) Folgen ihrer mangelhaften Patientenaufklärung nicht bewusst sind. Aufgrund ihres fachlichen Wissensvorsprungs sind sie aber die einzigen, die solche Folgen absehen können. Gezielte Fragen, die der Überprüfung des Verständnisses der medizinischen Informationen beim Gegenüber dienen, werden in der ärztlichen Praxis zu selten gestellt. Statt reine diagnose- oder therapierelevante Informationen vom Patienten abzufragen, müssen Ärzte viel stärker überprüfen, ob sie von ihren Patienten verstanden werden. Nur so lassen sich Missverständnisse vermeiden. Das Versagen der Kommunikation zwischen Arzt und Patient hat also im Wesentlichen sechs Ursachen: 1. Bei Arzt und Patient herrscht ein gegenläufiges Informationsinteresse. 2. Ärzte verwenden häufig Fragetechniken, die sehr einseitig (unidirektional) dem Erkenntnisgewinn für den Arzt dienen. 3. Patienten hinterfragen Verordnungen ihrer Ärzte oft nicht, da sie die Folge des Nichtwissens (z. B. Nebenwirkungen eines Medikaments) nicht selbst abschätzen können. 4. Ärzte sind oftmals nicht in der Lage, fachsprachliche Ausdrücke verständlich zu übersetzen oder zu vermeiden. 5. Ärzte verstehen ihr Gegenüber oft nicht als gleichberechtigten Gesprächspartner und binden es zu wenig in den Behandlungsprozess mit ein. 6. Gelingende Kommunikation im medizinischen Bereich benötigt Zeit - und Zeit wird in der ärztlichen Praxis falsch bemessen und oft falsch verwendet. Das Kernproblem medizinischer Kommunikation lässt sich klar formulieren: Ärzte müssen es leisten können, in der Kommunikation mit ihren Patienten verständlich zu sein und medizinische Begriffe, die sie in ihrer Arbeit benötigen, zu vermeiden. Zugleich müssen Ärzte zur Ausübung der Heilkunde medizinische Fachbegriffe zwingend kennen und verwenden. Sie greifen also in der konkreten Behandlungssituation gleichzeitig auf zwei sprachliche Wissensbestände zurück und müssen klar zwischen fachlicher und alltagssprachlicher 164 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="180"?> Terminologie unterscheiden - bei gleichzeitiger Anwendung beider sprachlicher Ebenen. Zur Sicherung seiner Diagnose stützt sich der Behandler auf die Formulierung für ihn zielgerichteter Fragen, die das ärztliche Wissen zudem für die Antworten der Patienten präformulieren (z. B. Ist Ihre Verdauung regelrecht? ) Zudem scheitert das ärztliche Gespräch nicht selten an einer paradoxen Kommunikation, bei der das gesprochene Wort nicht mit den nonverbalen oder außersprachlichen Zeichen übereinstimmt. Wenn Sie Ihrem Patienten beispielsweise sagen, dass er Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hat, Sie aber während des Gesprächs Nachrichten in Ihr Handy tippen, handelt es sich nicht um wertschätzende Kommunikation nach C ARL R OGERS , sondern um ein paradoxes Kommunikationsverhalten, das sich folgendermaßen abbilden lässt: Abb. 9: Paradoxe Kommunikation 6.4 Kapitelzusammenfassung Wir haben wesentliche Befunde aus der Realität der Medizinischen Kommunikation zusammengetragen, die unseren Blick weiten für die spezifischen kommunikativen Probleme im Beziehungsgeflecht zwischen Arzt und Patient. Im Einzelnen zeigte sich in diesem Kapitel: Kapitelzusammenfassung 165 <?page no="181"?> þ Die Arzt-Patienten-Beziehung ist in ihrem Kern asymmetrisch. þ Ärztliche Kommunikation vollzieht sich häufig unidirektional mit einer Dominanz des ärztlichen Redeanteils. þ Verschiedene Rollenmodelle prägen das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. þ Das paternalistische Rollenmodell basiert auf einem autoritären Selbstbild des Arztes als wissender Experte; der Patient befindet sich in einer devoten Rolle des (sozial und kommunikativ) Unterlegenen. þ Das paternalistische Beziehungsmodell ist arztzentriert und manifestiert sich in einer direktiven Gesprächsführung. þ Das informative Dienstleistungsmodell weist dem Arzt die Rolle des verkaufenden Beraters zu; der Patient beherrscht als allein entscheidender Konsument die Beziehung und wägt selbst ab, welche Behandlung für ihn die beste ist. þ Das interpretative Modell ist stärker patientenzentriert und nicht-direktiv. Der Arzt fungiert als beratender Begleiter; Patienteninteressen werden in den Entscheidungsprozess involviert. þ Das abwägende Modell basiert auf einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Es berücksichtigt das medizinische Expertenwissen auf der Seite des Arztes ebenso wie das individuelle psychosoziale Expertenwissen auf Seiten des Patienten. þ Das Modell des shared decision making baut auf dem Prinzip der Partnerschaftlichkeit auf und ermöglicht eine partizipative Entscheidungsfindung durch den wechselseitigen Austausch relevanter Informationen. þ Als stark patientenzentriertes Modell gilt das shared decision making als bevorzugtes Beziehungsmodell in der Medizinischen Kommunikation. Die medizinisch-therapeutischen Entscheidungen werden darin gemeinsam gefunden und gemeinsam verantwortet. þ In der Arzt-Patienten-Kommunikation herrscht eine Schieflage zwischen dem objektiven, somatisch bezogenen Interesse des Arztes und dem subjektiven, auf das Krankheitserleben konzentrierten Interesse des Patienten. þ Medizinische Kommunikation ist institutionalisierte Kommunikation und weist darüberhinaus Besonderheiten auf. þ Institutionelle Parameter wirken in der Medizinischen Kommunikation häufig distanzierend. þ Nichtärztliche Akteure bestimmen maßgeblich den kommunikativen Rahmen für ärztliche Gespräche und müssen als Einflussfaktoren erkannt werden. Probleme sind zu beheben. þ Kommunikationskonflikte haben weitreichenden Einfluss auf die Patientenzufriedenheit, auf die Compliance und auf das Informationsverständnis. 166 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="182"?> Übungsfragen und -aufgaben zu diesem Kapitel 1. Was versteht man unter einer asymmetrischen Kommunikationssituation? Inwiefern ist die Medizinische Kommunikation ein gutes Beispiel dafür? 2. Was meint der Begriff „ l ’ homme machine-Konzeption “ und inwiefern ist dieses Konzept prägend für die Medizinische Kommunikation? 3. Warum ist das Modell des shared decision making das bevorzugte Modell der Arzt-Patienten-Interaktion? Nennen Sie die Besonderheiten dieses Konzepts! 4. Erläutern Sie den Begriff Informationsinteresse und benennen Sie den Zusammenhang zwischen persönlichem und fachlichem Interesse aus Sicht von Arzt und Patient! Heben Sie die Unterschiede hervor! 5. Was ist unter unidirektionaler Gesprächsführung zu verstehen? In welchem Zusammenhang steht dieser Begriff mit dem Begriff des Wissensgefälles in der ärztlichen Gesprächsführung? Erläutern Sie problembewusst den Zusammenhang! 6. Erklären Sie mit eigenen Worten, warum die Arzt-Patienten-Kommunikation als institutionalisierte Kommunikation zu sehen ist! Welche kommunikativen Probleme ergeben sich aus der Institutionalisierung? 7. Nennen Sie mindestens fünf Gründe dafür, warum Medizinische Kommunikation misslingen kann! Zeigen Sie dabei die kommunikativen Rollen von Arzt und Patient auf und beschreiben Sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten! 8. Erklären Sie, inwiefern der Mann mit dem Hut aufgrund eines Kommunikationsfehlers gehandelt hat und welche Rolle dabei dem Hausarzt zufällt! Weiterführende und vertiefende Literatur zu diesem Kapitel Für eine Vertiefung der Modelle der Arzt-Patienten-Interaktion empfehle ich die Lektüre von E MANUEL / E MANUEL 2004 sowie K LEMPERER 2005 a. Letzter befasst sich im zweiten Teil seiner Serie auch mit den Auswirkungen des shared decision making auf die Behandlungsergebnisse und ist durchaus lesenswert (K LEMPERER 2005 b). Eine gelungene Zusammenfassung finden Sie auch bei H OEFERT 2010: 133 ff. Dort wird insbesondere der Prozess der Entscheidungsfindung in der Arzt-Patienten-Interaktion näher beleuchtet. Der Aspekt des Zeitmangels in der ärztlichen Praxis ist in einer medizinischen Dissertation der Berliner Universitätsmedizin von B ÄR 2009 ausführlich untersucht worden. Insbesondere die hervorragende Quellenlage zu empirischen Studien an dieser Arbeit ist hervorzuheben. Mit dem Aspekt der Kommunikation in Institutionen befasst sich K OERFER 2013 (Neuauflage einer Ausgabe von 1994). Die Lektüre dieses Buches ist aber in erster Linie aufgrund komplexer Fachterminologie für Sprach- und Kommunikationswissenschaftler fruchtbar. Kapitelzusammenfassung 167 <?page no="183"?> Für praxisrelevante Informationen (im Sinne von Hinweisen zur konkreten Umsetzung) zu den kommunikativen Rahmenbedingungen (insbesondere zur Strukturierung interner Abläufe und von Kommunikationsprozessen) verweise ich auf die Ausführungen bei S CHWEICKHARDT / F RITSCHE 2007: 237 ff. Das Thema Kommunikationskonflikte und -störungen ist für Mediziner gut und anschaulich aufbereitet in H OEFERT 2010. 168 Ärztliche Gesprächsführung - Besonderheiten, Probleme, Realität <?page no="184"?> 7 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten- Kommunikation V ERTRAUEN GIBT DEM G ESPRÄCH MEHR S TOFF ALS DER G EIST . F RANÇOIS DE L A R OCHEFOUCAULD Ziele und Warm up Wir werden uns in diesem Kapitel eingehend mit der Systematik des ärztlichen Gesprächs befassen und uns den Fragen zuwenden, welche besonderen Gesprächsformen man in der medizinischen Kommunikation unterscheiden kann, welchen Regeln diese Gespräche folgen und welche Wirkungen ein systematisches kommunikatives Handeln auf die Arzt-Patienten-Beziehung haben kann. Dabei werden wir uns intensiver einem mehrstufigen Phasenmodell für Medizinische Kommunikation (den Calgary-Cambridge Guides) zuwenden, das den Vorteil hat, strukturorientiertes Wissen über unterschiedliche ärztliche Gesprächsformen (Anamnesegespräch, Folgegespräch etc.) mit prozessorientiertem Wissen (theoretisches Wissen über Kommunikationsprozesse) zu verknüpfen. Ziel dieses Kapitels ist es also, die Trennung von inhaltlichem, strukturellem Wissen (dem Was des Gesprächs) und prozessorientiertem, kommunikativem Wissen (dem Wie des Gesprächs) aufzulösen. Dazu werden Sie im Folgenden auch Wissen zum Kommunikationsprozess (insbesondere zu unterschiedlichen Fragetechniken und -formen und deren Wirkungen) erwerben. Die folgenden Fragen dienen zur Aufwärmung: Welche Gesprächsformen in der medizinischen Kommunikation kennen Sie bereits? Haben Gespräche generell immer einen bestimmten Aufbau? Warum können Sie ein Gespräch nicht mit der Verabschiedung beginnen? Wissen Sie, was eine rhetorische Frage ist? Kennen Sie den Unterschied zwischen Fragesätzen und Fragehandlungen? <?page no="185"?> Kennen Sie den Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Fragen? Welche Funktionen erfüllt für Sie das ärztliche Gespräch? Was darf darin aus Ihrer Sicht keinesfalls fehlen? 7.1 Typologie ärztlicher Gespräche - Gibt es noch etwas neben der Anamnese? Wenn Sie sich mit einem Freund oder einer Freundin zum Plaudern in einem Café oder einer Kneipe verabreden, dann begegnen Sie sich dort auf Augenhöhe. Ihre Unterhaltung dient der sozialen Beziehungspflege: Sie erzählen etwas aus Ihrem Leben und Ihr Gesprächspartner lässt Sie an seiner Lebenswelt teilhaben. Es handelt sich um kongruente Gespräche, die ohne einen festen Rahmen ergebnisoffen sind. Im Idealfall haben Sie sich am Ende des Abends einfach nett unterhalten. Meistens gehen beide Partner mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch. Nur selten sind Alltagsgespräche auf einen bestimmten Zweck hin ausgerichtet. Ärztliche Gespräche folgen einem anderen Muster. Solche Dialoge verfolgen einen sehr viel differenzierteren Zweck, es handelt sich oft um rein funktionale Gespräche. Im Gegensatz zu Alltagsgesprächen basiert das ärztliche Gespräch auf einer Beziehung, die durch das Verhältnis von Abhängigkeit und Professionalität geprägt ist. Ärztliche Gespräche folgen also keinem Selbstzweck; sie sind keine Plauderei zwischen Vertrauten, sondern immer Mittel zum Zweck. Medizinische Kommunikation ist aber nicht nur funktional, sie ist auch ritualisiert. Die verschiedenen Gesprächsformen, auf die ich weiter unten eingehe, werden häufig nach einem bestimmten Standard geführt, der es Ärzten ermöglicht, rasch an medizinisch relevante Informationen zu gelangen. Dabei orientieren sich Ärzte häufig an medizinischen Algorithmen, die den Patienten aus dem Blick verlieren und die defizitär allein auf Faktenwissen und Standardabfolgen ausgerichtet sind. Gespräche, die auf diese Weise strukturiert sind, entsprechen der medizinischen Herangehensweise an Krankheitsbilder. Leider widerspricht dieses konventionelle Vorgehen aber der Idee einer ganzheitlichen Beschwerdeerfassung: Statt den Patienten in seiner Gesamtheit zu betrachten, zerlegen Ärzte Patientenäußerungen häufig in medizinisch relevante Einzelaspekte. Das Selbstbild des Patienten und dessen subjektives Krankheitsempfinden werden ausgeblendet, der Patient wird kommunikativ fragmentiert. 90 Auf diese Weise wird das Leiden des Patienten nur bruchstück- 90 Vgl. B ÖKER 2003. 170 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="186"?> haft erfasst, allein medizinische Daten werden extrahiert. Die Gesamtpersönlichkeit des Patienten gerät in den Hintergrund. Eine solche ärztliche Gesprächsführung vernachlässigt die Individualität des Kranken zugunsten einer bruchstückhaften Datenerhebung. 91 Die funktionale Ritualisierung ärztlichen Gesprächshandelns lässt außer Acht, dass medizinische Gespräche in erster Linie dazu dienen, eine vertrauensvolle, empathische - und damit effektive - Arzt-Patienten-Beziehung aufzubauen. Damit dies gewährleistet werden kann, ist (nach W ALTER B ÖKER ) eine bestimmte Abfolge von Annäherungen in der Arzt-Patienten-Interaktion notwendig: - Hinzutreten: Anamnese, Befunderhebung, körperliche Untersuchung und Sicherung rein technisch-medizinischer Daten. - Zurücktreten: Synoptische Erfassung der Gesamtpersönlichkeit des Patienten. - Neuerliche Zuwendung: Übermittlung der Befunde und Versuch der partnerschaftlichen Entscheidungsfindung über die weitere Therapie. 92 Damit also das ärztliche Gespräch gelingen kann, muss man es ent-ritualisieren und auf das Modell der partizipativen Entscheidungsfindung zurückführen. Insbesondere der synoptische Schritt der ganzheitlichen Betrachtung ist für das ärztliche Gespräch notwendig, damit die Persönlichkeit des Patienten nicht kontraproduktiv fragmentiert wird. Da Medizinische Kommunikation im Kern immer funktional ist, kann sie typologisiert werden: Je nach Zweck des Gesprächs, folgt es anderen Regeln. Ob jemand beispielsweise erstmalig beim Arzt vorstellig wird oder ob es sich um die Besprechung eines Untersuchungsergebnisses handelt, wird sich auf die Struktur des Gesprächs auswirken. So bedarf das medizinische Erstgespräch meist eines höheren Zeitaufwandes als ein turnusgemäßes Folgegespräch. Sie kennen dieses Phänomen aus dem Alltag: Einen Menschen kennenzulernen dauert wesentlich länger und erfordert mehr kommunikative Offenheit, als wenn Sie sich mit einem alten Bekannten über den neuesten Klatsch und Tratsch austauschen. Unter rein funktionalen Gesichtspunkten gibt es verschiedene Formen des ärztlichen Gesprächs, die sich in erster Linie in Inhalt und Dauer unterscheiden. So kann man Arzt-Patienten-Gespräche folgendermaßen typologisieren: 91 Vgl. G EISLER 2004: 5 f. 92 Vgl. B ÖKER 2003 und G EISLER 2004: 6. Typologie ärztlicher Gespräche - Gibt es noch etwas neben der Anamnese? 171 <?page no="187"?> Gesprächsform Besonderheiten/ Charakteristik Aufnahmegespräch - institutionalisiert (Klinik) - Feststellung der medizinischen Vorgeschichte, persönlicher und sozialer Informationen, der physischen und psychischen Verfassung und besonderer Gewohnheiten - Informationssammlung - geplant und zielgerichtet - wechselseitig: Patient erhält Informationen (z. B. über die Klinik) und Fragemöglichkeit Anamnesegespräch/ Erstgespräch - wie Aufnahmegespräch, aber in erster Linie auf somatische Befunde ausgerichtet - Feststellung der Behandlungsmotivation - zielgerichtet - oft unidirektional: i. d. R. durch ärztliches Fragen bestimmt (Interviewstil) - oft arztzentriert Aufklärungsgespräch/ Folgegespräch - basiert auf bereits erhobenen Befunden - dient der Entscheidungsfindung für eine Therapie - dient dem Wissenstransfer vom Arzt zum Patienten - erfordert Ruhe und kommunikative Kompetenz (Verständlichkeit) Visitegespräch - institutionalisiert/ ritualisiert (Klinik) - basiert ggf. auf veränderten Befunden (Abgleich und Neuausrichtung der Therapie) - kein intimer Gesprächsrahmen - oft durch Zeitmangel gestört - oft unidirektional und direktiv durch den Arzt geführt - meistens arztzentriert Beratungsgespräch - gleichberechtigter Dialog - intimer Gesprächsrahmen - partizipatives Gespräch - hoher Zeitbedarf - patientenzentriert 172 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="188"?> Gesprächsform Besonderheiten/ Charakteristik Entlassungsgespräch - institutionalisiert (Klinik) - dient dem Abschluss einer stationären Behandlung - meist kurze Verabschiedung mit Raum für Fragen des Patienten zur weiteren ambulanten Behandlung - Vermittlung von Informationen für die Weiterbehandlung (z. B. Hinweise zu Medikamenten) - i. d. R. durch Kurzbrief an den Hausarzt begleitet Tabelle 17: Medizinische Gesprächsformen anhand funktionaler Kriterien Wenn wir von funktionalen Aspekten absehen und das ärztliche Gespräch nur unter dem Licht der Unterscheidung zwischen krankheits- und patientenzentrierter Gesprächsführung betrachten, lassen sich vier Formen unterscheiden, die für uns interessant sind, weil sich kommunikative Besonderheiten feststellen lassen: - Das freie Gespräch - Die Anamnese - Die Exploration - Das Interview 7.1.1 Das freie Gespräch Freie Gespräche zwischen Arzt und Patient sind durch eine thematische Offenheit bestimmt. Hier geht es in erster Linie darum, ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen, so dass solche Gespräche den Prinzipien der wertschätzenden Kommunikation nach R OGERS entsprechen. Ärzte bestimmen den Dialog durch Empathie, die in der Technik des aktiven Zuhörens zum Ausdruck kommt. Nicht der Fluss von Informationen, sondern die Bildung gemeinsamer Werte und Ziele steht im Mittelpunkt. Freie Gespräche finden in der ärztlichen Praxis häufig nicht anlassbezogen statt und können sich selbstverständlich mit anderen Gesprächsformen überlagern. In der Realität muss man eher von freien Gesprächssequenzen ausgehen, die beispielsweise in die Anamnese eingebettet sein können. So dienen einleitende Fragen, die nicht zwingend erkennbaren Bezug zum Krankheitsgeschehen haben, dem Aufbau einer vertrauensvollen Gesprächsbasis, die für die folgenden Schritte auf dem Weg zu einer optimalen Versorgung und Therapie Typologie ärztlicher Gespräche - Gibt es noch etwas neben der Anamnese? 173 <?page no="189"?> tragfähig sind. Auch gewisse Botschaften der Selbstoffenbarung verstärken in diesen Sequenzen die emotionale Bindung zwischen Arzt und Patient. Im freien Gespräch geht es aber nicht allein um die Herstellung eines guten zwischenmenschlichen Kontaktes und einer Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient. Auch die Ermittlung von relevanten Daten über die Krankheits- und Lebensgeschichte des Patienten ist - quasi indirekt - Ziel freier Gespräche. So können hier vor allem in Folgegesprächen relevante medizinische Informationen für den Arzt hervorgehen: Indem der Arzt - auf der Basis eines breiten medizinischen Vorwissens über den Patienten - diesen einfach erzählen lässt, gelangt er z. B. an Informationen über die Compliance, über das seelische Befinden oder an Hinweise auf Therapiefehler. Das freie Gespräch ist ein wichtiges diagnostisches Mittel in der medizinischen Kommunikation, weil es Patienten dazu ermutigt, medizinisch relevante Informationen preiszugeben, ohne dabei vom Arzt (und von dessen Informationsinteresse) beeinflusst zu sein. Freie Gespräche bzw. Gesprächssequenzen sind patientenzentrierte Kommunikationsformen. 7.1.2 Die Anamnese Anamnesegespräche (in traditioneller Ausprägung) dienen in erster Linie dazu, somatische Informationen, medizinisch-therapeutisch relevantes Wissen über die Person sowie Kenntnis über die sozialen Faktoren des Patienten zu gewinnen. Daher sind sie in aller Regel an objektiven Kriterien ausgerichtet und entsprechend standardisiert. In medizinischer Hinsicht umfasst das Anamnesegespräch festgelegte, medizinisch determinierte thematische Bereiche und Fragestellungen und ist damit wesentlich geschlossener angelegt als das freie Gespräch: 93 - aktuelle Beschwerden - Kinderkrankheiten - frühere Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte und Operationen - chronische Erkrankungen, Allergien (insbesondere Diabetes, Bluthochdruck, Rheuma etc.) - Familienanamnese (vererbliche Krankheiten von Eltern und Geschwistern, Risikofaktoren) - Allgemeinanamnese (aktueller Gesundheitszustand (Appetit, Verdauung, Schlaf ), persönliche Daten (Alter, Größe, Gewicht), Alkohol- und Nikotin- 93 Vgl. z. B. S CHETTLER / N ÜSSEL 1984 oder H OPE et al. 1990. . 174 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="190"?> konsum, (bei Frauen) gynäkologische Anamnese, Geschlechtskrankheiten, Medikation, Sozialanamnese (Familienstand, Beruf, häusliche Versorgung etc.)) Häufig dienen auch standardisierte Patientenfragebögen der somatischen Anamnese, so dass das anschließende Anamnesegespräch dicht mit diesem Fragebogen und mit den möglichen Antworten verwoben ist. Die gegebenen Patientenantworten bestimmen zudem den Gesprächsverlauf und bilden dessen Kontext. Da sich an die Anamnese in aller Regel die körperliche Untersuchung anschließt, ist das Anamnesegespräch Bestandteil eines institutionellen, konventionellen Verfahrens - sowohl in der ärztlichen Praxis als auch in der Klinik. Kommunikativ befinden sich Arzt und Patient in der Anamnese im Modus der Befragung, wobei diese zielgerichtet und unidirektional vom Arzt ausgeht. Die effektive Erhebung somatischer Daten durch den Arzt hängt also entscheidend von dessen kommunikativer Kompetenz ab. Fragen dürfen beispielsweise nicht zur Verwirrung führen, müssen angemessen und beantwortbar gestellt werden und sollten jederzeit medizinische Relevanz erkennen lassen. Im Anamnesegespräch sind bei der Formulierung von Fragen bestimmte Grundsätze zu beachten. Ärztliche Fragen dürfen keine Verständigungsschwierigkeiten bereiten. Außerdem darf die Formulierung der Frage die Antwort nicht schon implizieren, da sonst die Gefahr der Suggestivwirkung besteht: In der Anamnese werden häufig Antworten durch die Frage selbst präformuliert (z. B. in der Frage nach regelrechtem Stuhlgang). Zudem muss darauf geachtet werden, dass das Gedächtnis- und Beobachtungsvermögen des Patienten nicht überfordert wird. Verstöße gegen derartige Regeln schaffen Fehlerquellen bei der Erhebung anamnestischer Daten, die das Ergebnis von vornherein erheblich beeinträchtigen bzw. verfälschen können. Weiter unten werden wir uns deshalb mit verschiedenen Fragetechniken beschäftigen, die für das ärztliche Gespräch - und insbesondere für die Anamnese - von Bedeutung sind. Exkurs: Das SAMPLER-Abfrageschema in der Notfallmedizin Während in der hausärztlichen Praxis Anamnesegesprächen häufig sowohl zeitlich als auch organisatorisch der nötige Raum geschenkt werden kann, um über das Gespräch zu diagnose- und therapierelevanten Informationen zu gelangen, sind Befunderhebungen in der Notfallmedizin und im Rettungsdienst schwieriger und v. a. zeitkritischer. Nicht erhobene Werte können in solchen Situationen ebenso zu lebens- . Typologie ärztlicher Gespräche - Gibt es noch etwas neben der Anamnese? 175 <?page no="191"?> bedrohlichen Komplikationen führen wie nicht oder unzureichend erfragte Daten und Sachverhalte. Daher hat sich für die präklinische Anamnese ein Standard etabliert, der eng an die notfallmedizinischen Algorithmen der Therapie angelehnt sind. In der Notfallrettung wird seit einiger Zeit das sogenannte SAMPLER-Abfrageschema verwendet, das die folgenden relevanten Informationen strukturiert und standardmäßig bei jedem (kritischen und nichtkritischen) Notfallpatienten abfragt: S ymptomatik (= Beschwerden, Lokalisation, Ausstrahlungen, Schmerzausprägung etc.) A llergien ( ® zur Vermeidung von allergischen Reaktionen auf Notfallmedikamente) M edikamente und Drogen ( ® Ausschluss von Neben- und Wechselwirkungen etc.) P atientengeschichte (= Vorerkrankungen, Lebensumstände etc.) L etztes Ereignis (z. B. letzte Nahrung, letzter Stuhlgang, letzte Periode mit Symptombezug) E reignisse mit Bezug auf den Notfall/ Unfall (= Begleitumstände, Unfallursache etc.) R isikofaktoren (= z. B. Blutungsneigung) Dieses strukturierte Abfrageschema, das in Notfalleinsätzen stets auf das akute Geschehen ausgerichtet wird, vermeidet Fehldiagnosen und dient dazu, Patienten einer geeigneten klinischen Behandlung zuführen zu können. Gerade Notfallpatienten sind aufgrund ihrer speziellen Lage häufig weder ausreichend auf das ärztliche Gespräch vorbereitet noch fähig, zielführend zu kommunizieren. Umso wichtiger ist die Fokussierung der Ärzte und des nichtärztlichen Personals auf eine geeignete Fragetechnik in Kombination mit einem Standardabfrageschema, um das Gespräch zu lenken - auch mit dem erweiterten Blick auf eine anschließende Hospitalisierung. 7.1.3 Die Exploration Unter Exploration versteht man ein ärztliches Gesprächsverhalten, das gezielt darauf ausgerichtet ist, auf der Basis der Anamnese weitere und ergänzende Informationen über den Patienten und dessen Krankheitserleben zu gewinnen. In gewisser Weise ist die Exploration die Weiterführung der Anamneseerhebung. Sie ist ebenso standardisiert wie die Anamnese selbst und basiert ebenfalls auf zielgerichteten Frage-Antwort-Sequenzen, die dem Patienten wenig Raum für Persönliches oder für den Ausdruck seines subjektiven Empfindens geben. Explorative Gespräche in der medizinischen Kommunikation sind durch den Arzt gelenkt und wenig interaktiv. Bei der standardisierten Exploration sind die ärztlichen Fragen, ihre Anordnung sowie das Verhalten des Arztes exakt festgelegt und durch medizinisch-technische Parameter determiniert. Charakteristisch ist die geschlossene Frage- . 176 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="192"?> form, die Patienten keinen Spielraum in der Formulierung der Antworten einräumt: Patienten müssen sich für festgelegte Antworten entscheiden. Ein Patient, der gefragt wird Rauchen Sie? , kann darauf mit ja, nein oder gelegentlich antworten. Er kann aber auf diese Weise etwa nicht erklären, dass er nur in Stresssituationen raucht oder aber heute viel weniger als noch vor einem Jahr - im Sinne einer ganzheitlichen Krankheitsbetrachtung sind das wichtige Informationen. Die Exploration ist - ebenso wie die ärztliche Anamnese - eine krankheitszentrierte Gesprächsführung, die den Patienten stark fragmentiert und auf somatische Daten und Befunde reduziert. Beide Gesprächsformen führen zu einer gesprächsinteraktiven Unbeweglichkeit und sind kommunikativ wenig elastisch. Hier muss angemerkt werden, dass sich Gesprächsformen in der Realität häufig überlagern, was zu einer weit positiveren Sichtweise auf Anamnese und Exploration im ärztlichen Gespräch führen kann: Durch die Kombination mit patientenzentrierten Gesprächsformen lassen sich die Exploration wie auch die Anamnese gesprächsinteraktiv nutzen. Die reine Datensammlung stellt in einer modernen patientenorientierten Gesprächskonzeption nur noch eine Gesprächsphase dar und gilt nicht mehr als eigenständige Gesprächsform. 7.1.4 Das Interview Im Gegensatz zu Anamnese und Exploration ist das Interview wesentlich stärker durch Motivation als durch Information bestimmt. Zudem ist das Interview nicht standardisiert. Die ungelenkte und freie Interaktion zwischen Arzt und Patient steht im Fokus dieser Gesprächsform. Insofern erweitert das Interview Anamnese und Exploration, verlässt aber die Sphäre des somatischen Befunds und der medizinisch-fachlichen Informationen. Persönliche Fragen, freies Formulieren und gezielte Nachfragen kennzeichnen diese Gesprächsform, die - anders als das freie Gespräch - durch den Arzt gelenkt wird. Während im freien Gespräch Asymmetrien weitgehend abgebaut sind, ist das Interview als eine offene Form der Befragung im Kern asymmetrisch (zugunsten des Arztes). Der Arzt stellt dabei weniger gezielte Fragen, die den Patienten zur Preisgabe von bestimmten Informationen veranlassen, als solche Fragen, die das Gespräch einleiten, fortführen und neue Themen befördern können. Aktive und passive Redeanteile des Arztes wechseln sich ab, der Patient kann stellenweise frei erzählen, was durch eine offene Fragegestaltung befördert wird. . Typologie ärztlicher Gespräche - Gibt es noch etwas neben der Anamnese? 177 <?page no="193"?> Das ärztliche Interview bildet in der modernen medizinischen Kommunikation den Rahmen, in dem sowohl patientenals auch krankheitszentrierte Informationen ausgetauscht werden können. 7.1.5 Funktionen des Arzt-Patienten-Gesprächs Das ärztliche Gespräch ist Mittel zum Zweck - sowohl für den Arzt als auch für den Patienten. Wie wir bereits erkannt haben, ist es ein fundamentales psychologisches Mittel sowohl in der Diagnose als auch in der medizinischen Therapie. Wenn man sich eingehender den Fragen zuwendet, auf welche Weise eine Patientenorientierung über den Diskurs zustande kommt und was ein Gespräch sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf den Kommunikationsprozess alles leisten können muss, lassen sich vier grundlegende Dimensionen ableiten, die als die Hauptaufgaben des ärztlichen Gesprächs einzustufen sind. 94 Wir werden in Kapitel 7.3.2 ein differenziertes Phasenmodell kennenlernen, das den Ablauf eines ärztlichen Gesprächs anhand dieser Funktionen beschreibt, dabei aber die Trennung von Inhalt bzw. Funktion (z. B. Anamnese, Diagnose, Aufklärung etc.) und Kommunikationsprozessen (z. B. bestimmte Frageformen, aktives Zuhören etc.) auflöst und dadurch für die praktische Anwendung brauchbar wird. Im Kern geht dieses Phasenmodell von folgenden vier grundsätzlichen Dimensionen eines ärztlichen Gesprächs aus, die weder scharf voneinander abgegrenzt noch konkret einzelnen Kommunikationstechniken zugeordnet werden können. Dimension des ärztlichen Gesprächs Funktionen/ Charakteristik Kommunikative Dimension Partnerschaftliche Beziehungsgestaltung - Berücksichtigung der psychosozialen Situation des Patienten Diagnostische Dimension Diagnostische Sammlung und Dokumentation krankheitsrelevanter Daten - Gewinnung objektiver und subjektiver Aspekte durch Beobachtung und Zuhören - Gewinnung von Daten über das Beziehungsangebot - Informationsvermittlung vom Patienten zum Arzt 94 Vgl. S PEIERER 1985. . 178 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="194"?> Dimension des ärztlichen Gesprächs Funktionen/ Charakteristik Informative Dimension Aufklärung über Ursache, Befund, Diagnose, Pathogenese, weitere diagnostische und therapeutische Schritte, (medizinische und soziale) Prognose, Therapieoptionen, Risiken und Wirkungen, Nebenwirkungen - Informationsvermittlung vom Arzt zum Patienten Beratende/ (psycho-)therapeutische Dimension Partizipative Entscheidungsfindung - Beratung und Rückversicherung durch den Arzt - Möglichkeit der Rückmeldung bzw. für Rückfragen durch den Patienten Tabelle 18: Funktionale Dimensionen ärztlicher Gespräche (nach S PEIERER ) Nach L AZARE et al. sind die Inhalte und Bezugspunkte ärztlicher Gespräche in drei funktionale Bereiche einzuordnen, die jeweils kommunikativ eng miteinander verbunden sind und die sich auch inhaltlich weitgehend überschneiden. 95 Diese Funktionsbereiche kommunikativen ärztlichen Handelns entsprechen inhaltlich den Dimensionen ärztlicher Konversationen nach S PEIERER und sollen hier nur ergänzend erwähnt werden: 1. Problembestimmung, Datenerhebung und Diagnose - Wissen über die Erkrankung des Patienten und über dessen Krankheitserleben erlangen. - psychosoziale Daten des Krankheitsverlaufs erheben. - biomedizinische, psychologische und soziale Daten des Patienten sammeln. - persönliche und krankheitsbezogene Daten zueinander in Beziehung setzen und verstehen. 2. Entwicklung und Pflege einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung - Die Beziehungsebene zwischen Arzt und Patient definieren. - professionelles Kommunizieren und zugleich Kommunizieren von Professionalität. - wertschätzend kommunizieren (Interesse, Respekt, Empathie, Kongruenz). - Kommunikationsstörungen erkennen und beheben. 95 Vgl. L AZARE et al. 1995 und M ÜLLER 2005: 61 ff. Typologie ärztlicher Gespräche - Gibt es noch etwas neben der Anamnese? 179 <?page no="195"?> 3. Aufklärung und Kontrolle - den Patienten umfassend medizinisch, therapeutisch und psychosozial aufklären und informieren. - partnerschaftlich Entscheidungen zu diagnostischen Verfahren und zu Therapieoptionen finden, festlegen und überwachen. - auf die Einhaltung des Therapieplans achten, Korrekturen vornehmen und Probleme erkennen und beheben. Die beschriebenen Dimensionen ärztlicher Gespräche und die darin verwobenen Bezugspunkte ärztlichen Kommunikationshandelns erfordern bestimmte, breit gefächerte kommunikative und soziale Kompetenzen: Funktionen ärztlicher Gespräche Kommunikative ärztliche Kompetenzen Erhebung der Krankengeschichte - Hervorbringen und Aufzeichnen von Daten - Einsatz grundlegender Fragetechniken - nach zusätzlichen Informationen forschen - unbeschwerter Umgang mit sensiblen Themen Ein diagnostisches Gespräch führen - Einsatz offener Fragetechniken - auf den Patienten, nicht nur auf die Krankheit konzentrieren - sich auf einen Dialog einlassen - Einsatz klinischer Expertise, um wichtige Informationen nicht zu verpassen - empathisches Zuhören Den Patienten informieren und bilden - relevante Informationen klar und verständlich präsentieren - Informationen kohärent organisieren - das Verständnis des Patienten sicherstellen Verantwortung für die Versorgung des Patienten übernehmen - eine umfassende Behandlung sicherstellen - auf die Sorgen des Patienten eingehen - Gefühle und Empfindungen besprechen - ein Gefühl von Teamarbeit fördern Zusammenarbeit mit dem Patienten - Kommunikationsfertigkeiten der Zusammenarbeit und Verhandlung einsetzen - die Bedürfnisse des Patienten einbeziehen Mit schwierigen Situationen und Personen umgehen - direkt kommunizieren anstatt zu vermeiden - Strategien für schwierige Patienten vorbereiten Tabelle 19: Kommunikative Kompetenzen im ärztlichen Gespräch nach W ESTON / L IPKIN (aus M ÜLLER 2005: 101) 180 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="196"?> 7.2 Wie geht ’ s uns denn? - Fragen und Fragetechniken in der Arzt-Patienten-Kommunikation Fragen spielen in der Arzt-Patienten-Kommunikation eine zentrale Rolle. Ihr Status ergibt sich aus den zuvor diskutierten Funktionen ärztlicher Gespräche. Stellen Sie sich einmal vor, wie Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten ablaufen würde, wenn weder Ärzte noch Patienten Fragen formulieren dürften bzw. könnten. Vermutlich wäre ein solches Gespräch für beide Seiten wenig fruchtbar. Fragen sind nicht allein ein Werkzeug einer krankheitsbzw. arztzentrierten Kommunikation, sondern ein wichtiges dialogisches Mittel der patientenorientierten Gesprächsführung. Ob also ärztliches Fragen zu einer starren, musterförmigen Konversation führt oder ob sich aus Fragehandlungen wechselseitige dialogische Strukturen ergeben, hängt entscheidend von der Fragetechnik ab und ist nicht an die Fragehandlung selbst gekoppelt: Es kommt nicht so sehr darauf an, ob und wie viel durch den Arzt gefragt wird, sondern ganz entscheidend wie gefragt wird. Aus kommunikationstheoretischer Sicht erfüllen Fragen im Arzt-Patienten- Gespräch entscheidende Funktionen. Fragen, die auf eine direkte Beantwortung hin ausgerichtet sind, dienen dazu, ein Informationsdefizit zu beheben - sie sind diagnostisch relevant. Solche Fragen bezeichnet man als inhaltsbezogene Fragen. Bestimmte Fragen (z. B. rhetorische Fragen oder Suggestivfragen) können dazu dienen, die innere Einstellung eines Patienten zu beeinflussen - in manchen Fällen haben Fragen damit eine therapeutische Relevanz. Und letztlich kann man, damit Gespräche überhaupt „ ins Rollen “ kommen, den Dialog über Fragen lenken, so dass Fragen ein wichtiges Strukturmerkmal ärztlicher Gespräche darstellen. Solche Fragen, die die Gesprächsführung regulieren und die das Gespräch kognitiv steuern, nennt man instrumentelle Fragen. Im Folgenden werden wir uns ansehen, welche Fragetypen man aus sprachwissenschaftlicher Sicht unterscheiden kann und welche kommunikativen Wirkungen mit einzelnen Frageformen verbunden sind. In einem ersten Schritt widmen wir uns der Frage: Welchem Muster folgen Ärzte, wenn sie Fragen als kommunikative sprachliche Mittel verwenden? . Wie geht ’ s uns denn? 181 <?page no="197"?> 7.2.1 Ärztliches Frageverhalten in Klinik und Praxis Häufig finden gerade in der ärztlichen Anamnese sehr strenge und an den starren Ablaufschemata der medizinischen Ausbildung orientierte Fragehandlungen statt, die den Patienten in unangemessener Weise einschränken. Gerade bei Anamnesegesprächen (die häufig als Interview geführt werden) spielen inhaltliche und organisatorische Routinen eine entscheidende Rolle; „ ihre Beherrschung ist als ein Teil des ärztlichen Fachwissens zu verstehen “ 96 . Als Arzt lernen Sie bereits in der Ausbildung, zielgerichtet nach Symptomen und Ursachen zu forschen. In der klinischen und ambulanten Routine folgen viele Ärzte einem sowohl inhaltlich (was muss ich wissen? ) als auch organisatorisch (wie muss ich fragen? ) streng geregelten Ablauf, um an diese Daten zu gelangen. 97 Nicht das freie und offene Gespräch, sondern die rasche und gerichtete Durchführung der Anamnese steht im Vordergrund. Die Anamnese ist zudem nicht nur medizinisch-fachlich, sondern häufig auch institutionell bestimmt und orientiert sich an bürokratischen Vorgaben (wenig Zeit, standardisierte Anamnesefragebögen etc.). Eine Gesprächsführung, die fachlichen und institutionellen Erfordernissen genügen will, führt zu sogenannten Standardanamnesen, die Patienten nach objektiven gesundheitsbezogenen Kriterien (vgl. Kapitel 7.1.2) fragmentieren. Auf diese Weise ergeben sich Frage-Antwort-Sequenzen, in denen der fragende Gesprächsanteil des Arztes häufig bei über 90 Prozent liegt. Patientenfragen machen bisweilen unter zehn Prozent an den Gesamtfragehandlungen im ärztlichen Gespräch aus: Die Frageaktivität in Arzt-Patienten-Gesprächen geht hauptsächlich vom Arzt aus, so dass kaum von einem symmetrischen Wechsel zwischen ärztlichen Fragen und Patientenfragen gesprochen werden kann. 98 Fragehandlungen im Arzt-Patienten-Gespräch sind damit erkennbar asymmetrisch strukturiert. 99 Ärzte besitzen aufgrund der Expertenrolle, die ihnen sowohl durch die Patienten als auch durch ihren eigenen Berufsstand zugeschrieben wird, Vor- 96 L ALOUSCHEK 2002: 156. 97 Vgl. L ALOUSCHEK 2002: 158 f. 98 Vgl. z. B. W EST 1984 und F EHLENBERG 1987. Es hat sich gezeigt, dass sich der Anteil bei Jugendlichen auf bis zu 100 Prozent erhöht. 99 Der Exkurs zum SAMPLER-Abfrageschema (vgl. 7.1.2) in der präklinischen Notfallmedizin zeigt aber auch, dass strukturierte Abfrageschemata bisweilen medizinisch hilfreich und wichtig sein können. Somit gelten die vorstehenden Ausführungen mit Einschränkung. 182 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="198"?> rechte für interaktive kommunikative Handlungen. 100 So sind viele Patienten auf die gängige Fragepraxis (durch die Erfahrungen bei früheren Arztbesuchen) vorbereitet und einige - insbesondere sehr junge und eher alte Menschen - wünschen sich auch explizit eine Lenkung durch den Arzt. Manche Patientenverbände legen sogar nahe, dass sich Patienten auf die ärztlichen Fragen im Vorfeld mithilfe von Fragebögen vorbereiten sollen, um der interaktiven Asymmetrie angemessen begegnen zu können. Fragen sind in der Realität nicht nur ein wesentliches Strukturmerkmal ärztlicher Gespräche, sondern vor allem ein Mittel der Informationsgewinnung durch den Arzt. Verstehen zwischen Arzt und Patient umfasst aber neben medizinisch-diagnostischen Daten vor allem Details der Interaktion, die über starre Frage-Antwort-Sequenzen nicht in den Kommunikationsprozess integriert werden können. Ärztliches Fragen muss daher zwingend offenes Fragen sein. In der Realität handelt es sich aber häufig um eine Aneinanderreihung von Fragen (sogenannte Fragecluster), die entweder eine bestimmte Antwort vorwegnehmen oder bestimmte Antwortmöglichkeiten bereits vorformulieren (= präformulieren), wodurch ein freies Mitteilen durch die Fragetechnik des Arztes von vornherein ausgeschlossen wird. 101 W EST nennt solche standardisierten ärztlichen Fragetechniken „ multiple-choice-questions “ 102 , die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie zwar etwas mehr als ja oder nein als Antwortmöglichkeiten zulassen, dieses etwas mehr aber zugleich limitieren. So ist die Expansionsmöglichkeit der Antwort oftmals durch die Frage selbst nur in einem engen, vorkonstruierten kommunikativen Rahmen möglich. 103 Die Frage Rauchen Sie denn nur ab und zu oder schon eher regelmäßig? beispielsweise lässt - obwohl sie eher offen formuliert ist (man kann sie nicht mit ja oder nein beantworten) - kaum Spiel für eine differenzierte Antwort. 104 100 Vgl. L ALOUSCHEK 2002: 161 f. 101 Vgl. R EHBEIN 1993: 313. 102 Vgl. W EST 1984. 103 Vgl. R EHBEIN 1993: 313. 104 Voraussetzung dafür, eine solche Frage überhaupt sinnvoll zu stellen, ist die wahrheitswerte Tatsache, dass der Patient tatsächlich raucht. Ansonsten würde es sich um eine sogenannte Präsupposition (= implizite Voraussetzung) handeln, mit der man Antworten kommunikativ steuern oder manipulieren kann. Präsuppositionen in Fragen spielen auch in der medizinischen Kommunikation eine Rolle. Sie können beispielsweise beim Verdacht auf ein Compliance-Problem folgende Frage formulieren: Nehmen Sie die Tabletten, die ich Ihnen verschrieben habe, morgens oder abends ein? Die Frage präsupponiert, dass der Patient die verordneten Pillen nimmt. Kommt er nun bei der Antwort in Erklärungsnot, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass er die Tabletten nicht wie gewünscht einnimmt. Viele solcher „ Fangfragen “ in der ärztlichen Gesprächsführung basieren auf dem Prinzip der Präsupposition (z. B. Haben Sie mit dem Trinken aufgehört? als Präsupposition mit der Wie geht ’ s uns denn? 183 <?page no="199"?> Kommunikation, die rein aus normierten Frage-Antwort-Sequenzen besteht, schränkt die sprachlichen Handlungsmöglichkeiten des Patienten ein und ist daher kritisch zu bewerten. Offene Fragen, die dem Patienten Spielraum im eigenen sprachlichen Handeln einräumen, fördern den Kommunikationsprozess und sind für die Medizinische Kommunikation von Bedeutung. Zudem sind Fragen in ärztlichen Gesprächen häufig stark konventionalisiert, so dass sie - obwohl offen formuliert - kaum zu einer wechselseitigen Kommunikation beitragen. Hierzu ein Beispiel: Die abschließenden Äußerungen Kann ich noch etwas für Sie tun? oder Sind wir dann jetzt durch? sollen Patienten - durch ihren semantischen Gehalt und durch die Frageform - erkennbar zu weiteren Fragen an den Arzt motivieren. Man kann sagen: Es handelt sich der Form und dem Inhalt nach um echte Informationsfragen. Dadurch aber, dass sie meist im Hinausgehen gestellt werden bzw. das Gesprächsende implizit oder explizit mit ausdrücken (Kann ich zum Abschluss noch etwas für Sie tun? ) oder bestimmte Worte enthalten, die eher einschüchtern als ermutigen (Sind wir dann jetzt durch? ® jetzt = endlich), erkennen Patienten darin rhetorische Floskeln und keine gesprächsinteraktiven Fragen (so wie in Alltagsgesprächen die Frage Wie geht es Dir? häufig ebenfalls nicht dem Informationsgewinn dient und somit nur der Form nach eine Frage ist). Sie sehen: Nicht jede Frage ist auch eine echte Frage. Oder linguistisch ausgedrückt: Fragesätze sind nicht zwingend Fragehandlungen! Wenden wir uns daher im Folgenden kurz einer Unterscheidung zu, die auch für ärztliches Fragen bedeutsam ist: der Differenzierung von Fragesatz und Fragehandlung. 7.2.2 Fragesatz und Fragehandlung Das gemeinsame und verbindende Kriterium bei allen Fragesätzen (Interrogativsätzen) im Deutschen ist - auf den ersten Blick - ein Umstand, den man mit Ich will etwas wissen, deshalb stelle ich eine Frage umschreiben kann. Fragesätze werden in aller Regel dann geäußert, wenn man an der Klärung eines Sachverhalts interessiert ist: Bei echten Fragen geht es um die Antwort und im Fokus Aussage Sie haben getrunken u. ä.). Die jeweiligen Antworten tragen dabei den eigentlichen kommunikativen Gehalt in sich und lassen für den Arzt mehr oder weniger konkrete Rückschlüsse zu. . . 184 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="200"?> steht der Informationsgewinn. 105 Insofern sind Fragen für gewöhnlich auf ihre Beantwortung hin ausgerichtet. Fragehandlungen sind ebenso an die Lösung von Fragesituationen geknüpft wie Fragesätze an die Realisierbarkeit von Fragehandlungen. Dazu ein greifbares Beispiel aus dem Alltag: Der Satz Wie spät ist es? dient in einem neutralen Kontext dazu, die aktuelle Uhrzeit zu erfragen. Man würde also annehmen, dass die Fragehandlung und der Fragesatz aneinander gekoppelt und identisch sind. Das ist aber nur auf den ersten Blick richtig und trifft nicht auf alle Frageformen zu. Mit der Äußerung Haben Sie eine Uhr? kann man beispielsweise genauso nach der Uhrzeit fragen - aber der Fragesatz entspricht nicht der eigentlichen Fragehandlung. Es wird in diesem Fall mit der Äußerung der Frage etwas anderes (explizit) ausgedrückt, als eigentlich (implizit) erfragt wird. Oder anders: Man kann mit einem Fragesatz etwas erfragen, das nicht in der Frage selbst, sondern im weiteren Gesprächszusammenhang angelegt ist. Fragesatz und Fragehandlung sind dabei entkoppelt. Weil das so ist, können Sie sogar Fragen stellen, ohne überhaupt einen Fragesatz zu bilden. Der Satz Also ich heiße Horst kann in einem bestimmten Kontext - z. B. bei einem ersten Kennenlernen - die Frage Und wie heißt du? ausdrücken: Der Form nach handelt es sich hier um einen Aussagesatz, der eine Frage impliziert. Sie kennen dieses Prinzip, bei dem sich eine Botschaft sprachlich gewissermaßen „ verkleidet “ , ganz sicher von einem anderen Phänomen: Rhetorische Fragen funktionieren kommunikativ ähnlich, wenn auch nach dem umgekehrten Prinzip: In rhetorischen Fragen steckt nun nicht in einer Aussage eine Frage und es verbirgt sich darin auch keine echte Frage, sondern eine Aussage ist in die äußere Form einer Frage gekleidet - ohne dass es sich um eine Frage handeln müsste bzw. könnte. 106 Dazu ein Beispiel aus der ärztlichen Gesprächsführung: Manche Patienten sprechen auf den sogenannten Placebo-Effekt besonders gut an, wenn sie kommunikativ in ihrem Glauben an die therapeutische Wirkung bestärkt werden. Wenn Sie beispielsweise einem aufgewühlten Patienten mit psychosomatisch bedingter Ruhedyspnoe über eine Nasensonde 2 Liter Sauerstoff zuführen, dann steht die therapeutische Wirkung oft hinter der beruhigenden Wirkung zurück. Mehr noch: Häufig haben solche Maßnahmen keinen signifikanten therapeutischen Nutzen, sie sind aber psychologisch von 105 Anders verhält es sich bei Prüfungsfragen, bei denen der Fragende zwar eine Antwort, aber nur selten einen Informationsgewinn erwartet bzw. erhofft. 106 Vgl. B ECHMANN 2010: 61 ff. . Wie geht ’ s uns denn? 185 <?page no="201"?> hohem Wert. Die Gabe eines Medikaments (auch ohne therapeutische Wirksamkeit) kann positive Effekte auf das Befinden eines Patienten haben. Kommunikativ können Sie diesen Placebo-Effekt, den Sie in unserem Beispiel mit der geringen Sauerstoffgabe bewirken wollen, beispielsweise durch die Äußerung der rhetorischen Fragen Jetzt bekommen Sie sicher besser Luft, oder? oder Fühlt sich das nicht schon deutlich besser an? unterstützen. In diesen Fällen werden Sie der grammatischen Form nach eine Frage an Ihren Patienten richten, aber anders als bei echten Informationsfragen kommt es Ihnen nicht auf die Beantwortung der Frage an. Stattdessen vermitteln Sie durch die Form der Frage eine bestimmte Botschaft. In unserem Beispiel könnten die Botschaften - in der Kombination mit einer für viele Patienten sehr eindrucksvoll wirkenden medizinischen Handlung (hier: der Sauerstoffgabe) - folgendermaßen lauten: Sie bekommen jetzt besser Luft und Es fühlt sich jetzt besser an. Da Sie zum einen der medizinische Experte sind und zum anderen eine vermeintliche medizinische Handlung vollzogen haben, wird Ihnen Ihr Patient wohl kaum widersprechen. Aufgrund seines eigenen sprachlichen Wissens erkennt Ihr Patient, dass Sie ihm Ihre Fragen nur rhetorisch gestellt haben. Die Antwort darauf wird also nicht der Beantwortung der gestellten Frage dienen, sondern vielmehr die Zustimmung zu Ihrer Behauptung sein - und genau diese Zustimmung haben Sie mit Ihrer Frage bezweckt. Selbstverständlich handelt es sich dabei um persuasive sprachliche Handlungen, die den Patienten in die Irre führen bzw. in eine bestimmte Richtung lenken sollen. Dies ist aber in vielen Fällen weit unkritischer, als es sich zunächst anhört: Bei einem Patienten, der somatisch ohne Befund und dessen Hauptproblem auf der psychisch-emotionalen Ebene zu vermuten ist, sind solche kombinierten Placebo-Rhetorik-Handlungen unkritisch und hilfreich. Hier zeigt sich einmal mehr, dass unsere Annahme aus dem allgemeinen Teil dieses Buches, dass Kommunikation ein Mittel der Beeinflussung ist, zutrifft. Durch die Formulierung von Fragesätzen können Sie ebenso wie durch Fragehandlungen Ihren Patienten kommunikativ lenken. Die Unterscheidung zwischen Fragesatz und Fragehandlung ist nicht nur für Ihr eigenes sprachliches Handeln wichtig, sondern auch notwendig, um Patientenfragen richtig zu verstehen. Ein Patient mit einer chronischen Erkrankung, der Sie fragt Ach Herr/ Frau Doktor, wer will schon ewig leben? vermittelt Ihnen eine ganz bestimmte Botschaft: Er sagt etwas über seine persönliche Einstellung zum Leben im Allgemeinen und zum eigenen Krankheitsempfinden aus (eine solche Äußerung kann u. U. ein Hinweis auf Resignation, Depression oder Hilflosigkeit sein, die Sie als psychische Störung identifizieren müssen). Ihr Patient stellt Ihnen aber keine Frage, die Sie ernsthaft 186 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="202"?> beantworten sollten. Insofern seien Sie sich über den Unterschied zwischen Fragesätzen und Fragehandlungen im Klaren und erkennen und identifizieren Sie über das aktive Zuhören die eigentliche Botschaft z. B. in rhetorischen Satzfragen. Zudem sind Patientenfragen häufig weniger darauf ausgerichtet, Informationen zu befördern, als vielmehr darauf, die Arzt-Patienten-Beziehung zu regulieren oder das eigene Krankheitsempfinden im Gespräch mit dem Arzt zu spiegeln und ggf. abzugleichen. 107 Sollten Sie als Arzt unsicher sein, welchen Zweck die Frage Ihres Patienten erfüllt, erkundigen Sie sich nach dem Fragehintergrund und passen Sie Ihre Antwort an Ihr inneres Modell der Arzt- Patienten-Beziehung an: Wenn Sie einem eher paternalistischen Beziehungsmodell folgen, können knappe informative Antworten angemessen sein, sie vermitteln aber zugleich auch den - vielfach negativen - Anschein einer klaren Hierarchie. In kooperativen Modellen der partizipativen Entscheidungsfindung werden Patientenfragen als „ Mittel der Absicherung eines gemeinsamen Wissens “ 108 betrachtet, so dass Sie - wenn Sie diesem Modell folgen - Zeit und Mühe sowohl in das Verständnis der Frage als auch in deren Beantwortung investieren sollten. 7.2.3 Typologie ärztlicher Fragen Mit ärztlichen Fragen verhält es sich im Grunde nicht anders als mit Fragen im Alltag: Sie dienen in erster Linie der Informationsgewinnung, auch wenn - wie wir im Abschnitt zuvor erkannt haben - andere kommunikative Handlungsmöglichkeiten vorhanden sind. Dabei ist Frage nicht gleich Frage. Sie können beispielsweise Ihren Patienten fragen Haben Sie Schmerzen? Diese Frage wird er mit ja oder nein beantworten können - oder mit der Einschränkung ein bisschen, was ebenfalls eine positive Antwort darstellt. Solche Fragen, die einen eher geringen Informationsgewinn bereithalten, weil sie die Antwortmöglichkeit sehr einschränken, nennt man geschlossene Fragen. Geschlossene Fragen - als eine mögliche Frageform - sind in ärztlichen Gesprächen häufig sinnvoll. Immer dann, wenn es Ihnen um die schnelle Beantwortung geht und Sie keine weiteren Informationen benötigen, können Sie problemlos geschlossen fragen. Für eine patientenzentrierte Kommunikation, bei der es auf Botschaften aus der Welt des Privaten ankommt, sind geschlossene Fragen hingegen hinderlich, denn sie blockieren den Kommunikationsprozess. Eine ärztliche Fragetechnik, die als Antwortmöglichkeiten nur ja oder nein oder 107 Vgl. auch H OEFERT 2010: 194. 108 H OEFERT 2010: 194. Wie geht ’ s uns denn? 187 <?page no="203"?> sogenannte Einwortsätze zulässt (z. B. Wie heißen Sie? - Müller), kann kaum diagnoserelevante Daten hervorbringen und sie fördert auch keine vetrauensvolle Gesprächsbasis. Daher empfiehlt es sich, möglichst viele offene Fragen im Arzt-Patienten-Gespräch zu stellen, insbesondere in der Eröffnungsphase. Durch die Formulierung offener Fragen wird Ihr Gegenüber zum Reden angeregt - mit dem positiven Effekt, dass viele ansonsten verborgen gebliebene Botschaften zum Vorschein kommen. Aus kommunikationstheoretischer Sicht ist das ebenso von Bedeutung wie aus medizinischer Sicht: Die meisten diagnose- und therapierelevanten Informationen verbergen sich - wie bei einem Eisberg - unter der Oberfläche und können einzig durch ein freies Reden, das durch eine entsprechende ärztliche Fragepraxis befördert wird, an die Oberfläche gebracht werden. Dabei eignen sich insbesondere offene W-Fragen dazu, das Gespräch patientenzentriert zu führen. Offene W-Fragen beginnen mit einem die Frage einleitenden W-Fragepronomen. Wenn Sie Ihr eigenes sprachliches Fragehandeln auf den Prüfstand stellen, werden Sie bei sich selbst viele solcher offenen W-Fragen feststellen, denn sie lassen sich a) leicht formulieren, sind b) offen genug für ein Gespräch und können c) zielführend formuliert werden. Die folgende Übersicht zeigt Ihnen, welche Formulierungen offene W-Fragen einleiten können: 109 Offene W-Fragen (in Auswahl) Wann? Warum? Was? Wogegen? Wem? Wer? Weshalb? Wessen? Weswegen? Wie? Wieso? Wie viel? Wieweit? Wo? Wodurch? Wofür? Wogegen? Woher? Wohin? Womit? Wonach? Woran? Worauf? Woraus? Worin? Worüber? Worum? Worunter? Wovon? Wovor? Wozu? Werden Sie? Wollen Sie? Wissen Sie? Würden Sie? Tabelle 20: Offene W-Fragen in der medizinischen Kommunikation 109 nach B ERGNER 2009: 73. 188 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="204"?> Neben offenen W-Fragen lassen sich in Gesprächen auch offene Fragen formulieren, die nicht über einleitende W-Fragepronomen oder andere W- Wörter gesteuert werden. Im Unterschied zu W-Fragen, die immer auch ein wenig den Eindruck eines Verhörs erwecken, wirken offene Fragen ohne W- Wörter wesentlich freier und eröffnen dem Gesprächspartner einen noch weiteren (d. h. offeneren) Gesprächsbzw. Antwortspielraum. Die Frage Möchten Sie noch etwas über diese Therapie wissen? ist wesentlich gesprächsoffener und wird als angenehmer empfunden als die inhaltlich kongruente Frage Was möchten Sie noch über die Therapie wissen? . Offene Nicht-W-Fragen sind grundsätzlich - in der R OSENBERG schen Diktion - gewaltfreier, aber zugleich auch schwieriger zu formulieren - sie erfordern eine höhere kommunikative Kompetenz. Aber sie sind wirkungsvoller: Der Satz Bislang hat also keine Therapie geholfen? ist weit offener formuliert als die Frage Welche Therapien haben Sie schon probiert? ; sie dürfte den Patienten - im Sinne einer patientenzentrierten Gesprächsführung - stärker in das Gespräch involvieren als die offene W-Frage mit demselben semantischen Gehalt. Nahezu jede geschlossene Frage lässt sich - besonders unter der Verwendung von einleitenden W-Wörtern - auch offen formulieren. So kann die Frage Haben Sie Schmerzen? auch als Wie sieht es denn bei Ihnen mit Schmerzen aus? o. ä. gestellt werden. Die Frage Geht es Ihnen gut? lautet offener formuliert Wie geht es Ihnen? und der Satz Was möchten Sie mir über Ihre Familienverhältnisse erzählen? lässt weit mehr Spielraum als die Frage Sind Sie verheiratet? Die Beispiele zeigen Ihnen: Offene Fragen sind kommunikativer als geschlossene Fragen. Offenen Fragen ist im ärztlichen Gespräch daher nach Möglichkeit der Vorrang vor geschlossenen Fragen zu geben. Dabei müssen wir diesen Befund mit zwei Einschränkungen versehen: In Notfallsituationen, in denen es häufig auf konkrete Sachinformationen ankommt und in Situationen, in denen Patienten nicht zur Beantwortung offener Fragen in der Lage sind (z. B. bei Schlaganfallpatienten), sollten Sie geschlossene Fragen wählen, die für Sie zielführend sind. Und: Auch offene Fragen dürfen nicht allzu weit formuliert sein. Wenn Sie beispielsweise die Frage stellen Was hat sich seit unserem letzten Termin getan? , kann es gut sein, dass Sie Dinge zu hören bekommen, die für Sie als Arzt nicht wichtig und nicht relevant sind. Dieselbe Frage mit einem Zusatz hingegen ist offen genug, um dem Patienten ein Maximum an Redefreiheit zu lassen und geschlossen genug, um für . Wie geht ’ s uns denn? 189 <?page no="205"?> Sie zielführend zu sein. Sie könnte lauten: Was hat sich seit unserem letzten Termin bei Ihren Rückenschmerzen getan? Neben der allgemeinen Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Fragen (Frageformen) gibt es bestimmte Fragetypen, die in ärztlichen Gesprächen eine Rolle spielen, weil sie unterschiedlichen kommunikativen Zwecken dienen können. Den folgenden Übersichten können Sie die in ärztlichen Gesprächen vorkommenden Fragetypen sowie die jeweiligen kommunikativen Besonderheiten entnehmen: 110 Inhaltsbezogener Fragetyp Kennzeichen Vorteile/ Nachteile Beispiel aus der Arzt-Patienten- Kommunikation Informationsfrage/ Interessensfrage Ermittlung relevanter Informationen für Diagnose und Therapie + faktenbasiert, objektiv, zielführend Wie fühlen Sie sich? Wissensfrage Ermittlung des Wissensstandes des Patienten + faktenbasiert, Weiterführung möglich Was wissen Sie über Neurodermitis? Einschätzungsfrage Ermittlung der subjektiven Haltung des Patienten + aktivierend - nicht faktenbasiert, ungesichert, subjektiv Wie schätzen Sie die Therapie selbst ein? Alternativfrage/ Entscheidungsfrage/ Präferenzfrage Ermittlung der relativen Relevanz für den Patienten + patientenzentriert - subjektiv Möchten Sie lieber Tabletten oder Tropfen verschrieben bekommen? Bewertungsfrage Erhebung einer (emotiven) Evaluation + patientenzentriert, objektbezogen - subjektiv Wie gefällt Ihnen meine neue Praxis? 110 Beachten Sie, dass nicht alle Fragetypen in der medizinischen Kommunikation gleichermaßen geeignet sind. In Tabelle 22 sind die ungeeigneten bzw. situationsabhängigen Fragetypen schattiert hervorgehoben. 190 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="206"?> Inhaltsbezogener Fragetyp Kennzeichen Vorteile/ Nachteile Beispiel aus der Arzt-Patienten- Kommunikation Stimmungsfrage Ermittlung der Stimmungslage des Patienten + patientenzentriert, persönlich Fühlen Sie sich durch unser Gespräch gerade eingeschüchtert? Meinungsfrage/ Einstellungsfrage Ermittlung normativer oder ethischmoralischer Einstellungen des Patienten + lässt Rückschlüsse auf mögliche therapierelevante Entscheidungen durch den Patienten zu ( ® PEF) Wie denken Sie über Abtreibung? Motivationsfrage Ermunterung/ Motivierung des Patienten in seinem Handeln, Denken oder Fühlen + signalisiert Zuspruch und Unterstützung, persönlich Dass Sie so viel abgenommen haben, macht Sie stolz, oder? Verhaltensfrage Ermittlung des Verhaltens des Patienten + lässt Rückschlüsse auf Compliance zu - kann als Vorhaltung/ Kritik interpretiert werden Haben Sie heute schon Ihre Pillen genommen? Absichtsfrage Ermittlung der (Behandlungs-)Absicht des Patienten + verbindlich Möchten Sie die Kur beantragen? Tabelle 21: Typologie ärztlicher Fragen I: inhaltsbezogene Fragen Wie geht ’ s uns denn? 191 <?page no="207"?> Instrumenteller Fragetyp Kennzeichen Vorteile/ Nachteile Beispiel aus der Arzt-Patienten- Kommunikation Impulsfrage Anregung zur Gesprächsaktivität durch den Arzt + dient der Weiterführung von Patientenaussagen, fördert Privates zu Tage - kann ausufern Das muss sich schmerzhaft angefühlt haben? / Und wie war das dann für Sie? Kontaktfrage Aktivierung der Beziehungsebene + persönlich, gesprächsaktivierend - kein relevanter Informationsgehalt Sind Sie bei dem Wetter mit dem Auto da? Eisbrecherfrage s. Kontaktfrage s. Kontaktfrage Also mir macht die Hitze schon zu schaffen. Wie ist das bei Ihnen? Indirekte Frage Spiegelung des Gesagten durch den Arzt + reflexiv, patientenzentriert, dient der Rückversicherung, vermeidet Missverständnisse, fördert aktives Zuhören Habe ich Sie richtig verstanden, dass . . .? Kettenfrage Kombination von mehreren Teilfragen in einer Gesamtfrage + zeitsparend - verwirrend, unstrukturiert Wann und weswegen waren Sie zuletzt im Krankenhaus, wo war das und wer hat Sie dort behandelt? 192 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="208"?> Instrumenteller Fragetyp Kennzeichen Vorteile/ Nachteile Beispiel aus der Arzt-Patienten- Kommunikation Suggestivfrage Persuasive Lenkung zu einem bestimmten Verhalten oder zu einer bestimmten Einstellung + bei zögerlichen Patienten anwendbar, wenn zeitkritische Entscheidungen nötig sind - arztzentriert, persuasiv Sie wollen doch sicher, dass es Ihnen bald besser geht? Rhetorische Frage Vorgabe einer bestimmten Antwort durch eine in der Frage versteckte Aussage + entscheidungslenkend, rhetorisch - irritierend, persuasiv, arztzentriert Ist das nicht ein tolles Medikament? Tabelle 22: Typologie ärztlicher Fragen II: instrumentelle Fragen 7.3 Auf den Patienten kommt es an! - Merkmale und Phasenmodell patientenorientierter Kommunikation Im Abschnitt 7.1.1 dieses Kapitels haben wir uns den Funktionen ärztlicher Gespräche näher zugewendet. Dabei konnten wir erkennen, dass neben der Beziehungsgestaltung insbesondere die Datensammlung sowie die Patientenaufklärung und -beratung von entscheidender Bedeutung sind. Die Aufgaben, die an ein ärztliches Gespräch zu stellen sind, können mittels einer patientenorientierten Haltung erfüllt werden. Unter Patientenorientierung ist dabei jegliches kommunikatives Verhalten zu verstehen, das auf die folgenden drei Aspekte hin angelegt ist: 1. Partnerschaft 2. Patienteninitiative und -partizipation 3. Aufklärung zum Zweck der Mitbestimmung, Mithilfe und Mitverantwortung Auf den Patienten kommt es an! 193 <?page no="209"?> Sehen wir uns in der Übersicht einmal an, welche kommunikativen Elemente nach S PEIERER zu einer Patientenorientierung in diesem Sinne beitragen können: 111 Partnerschaft ermöglichen Patienteninitiative erleichtern Durch Aufklärung Mitbestimmung, Mithilfe und Mitverantwortung fördern kommunikationserleichternde Situationsgestaltung durch: - Schutz der Patientendaten - Geringhaltung von Störungen - freundliche, wohnliche, ruhige Sprechzimmeratmosphäre nichtverbale Kommunikationsförderung durch: - angemessene Sprechweise - angenehme Stimmlage - angemessene Ausdrucksbewegungen (Mimik, Gestik, Motorik) - positive räumliche Beziehung (sich gegenübersitzen, zugeneigter Oberkörper, gleiche Sitzhöhe) - kongruente Kommunikation Dialog statt Befragung Zuhören und Schweigen Zuhören und ermutigende Signale setzen Signale verstärken „ Spiegeln “ Empathie zeigen gewaltfrei kommunizieren wertschätzend kommunizieren Bitten und Fragen formulieren Rückmeldungen geben: - aktives Zuhören - Aufgreifen und Ansprechen von Gefühlen - Empathie Verständlichkeit im Ausdruck durch: - einfache, deutliche und verbindliche Ausdrücke - Rückfragen - bildhafte (metaphorische) Sprache Förderung der Behaltbarkeit von Informationen durch: - Kürze - Strukturierung - Betonung - Wiederholung - ggf. Mitgabe schriftlicher Informationen Überzeugungskraft - Darlegung der Wichtigkeit, Notwendigkeit, Dringlichkeit etc. Förderung der Durchführbarkeit ärztlicher Maßnahmen durch - wenige Verordnungen - Einbeziehung der Lebensgewohnheiten - aktive Beteiligung der Patienten an der Planung und Durchführung Kontrollierbarkeit Tabelle 23: Elemente des patientenorientierten Gesprächs (nach S PEIERER 2004) 111 Vgl. S PEIERER 2004: 8 ff. 194 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="210"?> 7.3.1 Direktive vs. nicht-direktive Kommunikation Medizinische Kommunikation basiert darauf, dass sich innerhalb kurzer Zeit eine vertrauensvolle Gesprächsbasis entwickelt. Insofern bedeutet Patientenorientierung aus ärztlicher Sicht zunächst einmal, den Patienten und dessen Belange ernst zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass Ärzte geeignete Kommunikationsformen verwenden, die unmittelbar an den Aspekt der Patientenorientierung gekoppelt sind und die den Elementen der patientenorientierten Gesprächsführung aus Tabelle 23 entsprechen. Grundsätzlich unterscheidet man zwei gegensätzliche Gesprächsformen, die uns - dem Namen nach - bereits im allgemeinen Teil dieser Einführung begegnet sind und deren Verständnis für eine patientenorientierte Gesprächsführung notwendig ist: direktive und nicht-direktive Kommunikationsformen. Bei der direktiven Gesprächsführung steht die direkte kommunikative Einflussnahme im Vordergrund. Befehle oder Anweisungen sind klassische direktive Gesprächsformen, wobei der Begriff Gespräch dabei unangemessen gebeugt wird: Direktives Kommunikationsverhalten ist weder dialogisch noch gewaltfrei und muss daher auf situative Ausnahmefälle beschränkt bleiben. In all den Fällen, in denen es Ihnen darum geht, Ihren Patienten von etwas zu überzeugen oder ihn sprachlich zu manipulieren (z. B. durch Suggestivfragen), handeln Sie direktiv. Häufig ist das auch zwingend nötig, etwa dann, wenn Ihr Patient aus Ihrer Sicht über ein partnerschaftliches Gespräch Ihren Argumenten nicht zugänglich ist oder sich dem Gespräch verweigert. Auch in der Praxis- und Mitarbeiterführung kann ein direktives Gesprächsverhalten notwendig sein. Wichtig ist aber: Direktive Kommunikation kennzeichnet eine Kommunikationsform, die auf dem Verhältnis von Über- und Unterlegenheit basiert. Direktive Kommunikation ist somit ein Mittel der Dominanzausübung und gründet sich häufig auf subtilen sprachlichen und nicht-sprachlichen kommunikativen Signalen (z. B. bestimmte Gesten oder ausdrucksvolle Stimmlage). In der medizinischen Kommunikation ist direktive Kommunikation stets arztzentriert und damit i. d. R. ungeeignet bzw. situationsabhängig. Nicht-direktive Kommunikation ist hingegen in der R OSENBERG schen Vorstellung gewaltfrei, denn Gesprächspartner, die sich nicht-direktiv verhalten, verhelfen ihrem Gegenüber durch das Gespräch auf Augenhöhe zum eigenen Verständnis ihrer Probleme. So verstanden sind nicht-direktive Gespräche darauf ausgelegt, . Auf den Patienten kommt es an! 195 <?page no="211"?> den Kommunikationsprozess an sich zu befördern, indem man als Gesprächspartner Vertrauen, Interesse und Empathie vermittelt. 112 Patientenorientierte ärztliche Kommunikation und nicht-direktive Gesprächsführung bedingen einander und sind untrennbar miteinander verwoben. Man kann sagen: Das Prinzip der nicht-direktiven Kommunikation ist das Fundament, auf dem alle patientenorientierten Gespräche gebaut sind. Dabei finden die Elemente patientenorientierter Kommunikation aus Tabelle 23 im konkreten Gesprächsablauf, also innerhalb der Gesprächsstruktur, ihren Platz nach bestimmten kommunikativen und strukturellen Gesichtspunkten. Oder anders: Ärztliche Gespräche mit einem patientenorientierten Ansatz laufen nach einem speziellen Muster ab - man kann solche Gespräche aus struktureller und prozessualer Sicht in verschiedene Phasen unterteilen. 7.3.2 Calgary-Cambridge-Guides - ein Phasenmodell patientenorientierter Kommunikation Wenn wir uns nun dem konkreten ärztlichen Gespräch nähern, müssen wir beachten, dass diagnostische und therapeutische Dialoge sich nicht nur nach ihren inhaltlichen Funktionen unterscheiden lassen (Anamnese, Entlassungsgespräch etc.), sondern dass auch der Kommunikationsprozess selbst in Phasen unterteilt werden muss. Dies wird u. a. deutlich, wenn Sie einen Blick auf die verschiedenen Fragetypen werfen, die wir weiter oben diskutiert haben. Sie werden festgestellt haben, dass bislang zahlreiche Kommunikationsprozesse und Kommunikationstechniken (wie z. B. das Stellen offener oder geschlossener Fragen) unverbunden nebeneinander stehen. So wissen Sie zwar, welche Vor- und Nachteile bestimmte Fragetypen haben und Sie kennen das Prinzip des aktiven Zuhörens als ein Mittel der nicht-direktiven Gesprächsführung. Zudem kennen Sie die unterschiedlichen Typen ärztlicher Gespräche und können darüber den Gesprächsinhalt begründen. Wichtig ist es nun aber, sowohl die kommunikativen Prozesse als auch die inhaltlichen Ebenen (Struktur) ärztlicher Gespräche zusammenzuführen. Nun können Sie einwenden, dass die Gesprächsarten, die im Praxisalltag oder in der Klinik vorkommen, sich inhaltlich, zeitlich und organisatorisch unterscheiden. Natürlich macht es einen Unterschied, ob Sie nur fünf Minuten in ein kurzes Anamnesegespräch investieren können oder ob Sie eine Stunde Zeit 112 Vgl. dazu Kapitel 5.3. . 196 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="212"?> haben, ein ausführliches Beratungsgespräch zu führen. Dennoch gibt es in der medizinischen Kommunikation bestimmte Abläufe oder Phasen, die man als ein übergeordnetes Prinzip allen ärztlichen Gesprächen zu Grunde legen kann. Oder anders: Jedes ärztliche Gespräch besitzt einen strukturellen Aufbau, in dem Aufgaben, Inhalte und Kommunikationsanforderungen einzelnen Phasen zugeordnet werden können. In der bisherigen Gesprächsforschung zu medizinischer Kommunikation und in den Ratgebern, die der Markt zu diesem Thema bereithält, werden Struktur (Gesprächsinhalt und Gesprächsfunktion) und Prozess (kommunikative Handlungen) getrennt betrachtet. Dies ist problematisch, weil sich ärztliche Gespräche nur in der Gesamtheit verstehen lassen: Nur dann können Ärzte ihr kommunikatives Wissen mit den inhaltlichen Ebenen in Einklang bringen. Denn: Die inhaltlichen Modelle (das Was der ärztlichen Gesprächsführung) und die prozessorientierten Kommunikationsmodelle (das Wie des Kommunizierens) sind keine Alternativen, sie sind miteinander verbunden. Um das zu verstehen, sehen wir uns im Folgenden ein Modell an, das man als Phasenmodell eines patientenorientierten Gesprächs bezeichnen kann, weil es das Gespräch in verschiedene Phasen zerlegt, die den in Abschnitt 7.1.5 skizzierten Funktionen ärztlicher Gespräche entsprechen und weil es den einzelnen Phasen bestimmte kommunikative Prozesse zuordnet. Insofern ist dieses Phasenmodell anwendungsbezogen und praxisrelevant. 113 In gewisser Weise finden die bisherigen Ausführungen aus dem allgemeinen und speziellen Teil dieses Buches darin ihren Fluchtpunkt. Die Calgary-Cambridge-Guides sind ein - aus Kanada stammendes - fundiertes und patientenorientiertes umfassendes Kommunikationsmodell, das die traditionelle klinische Gesprächsführung, die auf der Erhebung medizinisch relevanter Daten und Fakten basiert, mit effektiven Kommunikationsprozessen verbindet. Die ärztliche Gesprächsführung nach diesen Gesprächsleitlinien ist sowohl evidenzbasiert als auch international erprobt und findet weltweit in der klinischen Ausbildung angehender Ärzte Anwendung. 114 Ziel 113 Es existieren daneben auch andere Modelle (z. B. das sogenannte 4-Phasen-Modell), die aber überwiegend inhaltlichen Bezug herstellen und den Kommunikationsprozess oft nur am Rande bzw. weniger evidenzbasiert berücksichtigen. 114 Vgl. K URTZ 2003: 804. . . Auf den Patienten kommt es an! 197 <?page no="213"?> dieser Richtlinien ist es, Studierenden und Ärzten nahezubringen, die bisherige (traditionelle) Perspektive auf somatische Befunde und Daten mit einer patientenorientierten Perspektive zu verknüpfen; diese berücksichtigt zudem die bekannten Kommunikationsmodelle und -prozesse, die sich aus rein kommunikationswissenschaftlichen Überlegungen ergeben. Es geht also um die Kombination von medizinisch relevantem strukturellen Vorgehen und patientenorientierter Gesprächsführung. Dabei haben die Guides mehr als 70 unterschiedliche Kommunikationsprozesse im Ablauf eines ärztlichen Gesprächs herausgearbeitet, die gesprächsphasenspezifisch zur Anwendung kommen sollten. Im Folgenden soll dieses Modell für unsere Zwecke greifbar - und daher verkürzt - dargestellt werden. Prinzipiell lässt sich jedes ärztliche Gespräch in fünf Phasen einteilen: 1. Gesprächsinitialisierung: Beziehungsaufbau und Kontaktaufnahme 2. Informationsakquise/ Informationssammlung/ Situationsanalyse 3. Körperliche Untersuchung 4. Befunderklärung und Planung der weiteren Schritte/ Partizipative Entscheidungsfindung 5. Gesprächsabschluss Die fünf Gesprächsphasen werden von zwei grundlegenden Prinzipien flankiert, die kommunikative Grundfunktionen ärztlicher Gespräche darstellen und die das Gespräch durchgängig begleiten: a) der Lenkung und Strukturierung des Gesprächs durch den Arzt sowie b) der Herstellung und Aufrechterhaltung der Arzt-Patienten-Beziehung. Demnach ist es die Aufgabe des Arztes, das Gespräch über die gesamte Dauer zu steuern, im Fluss zu halten und die Struktur des Gesprächs für den Patienten transparent zu machen (=Providing Structure). Daneben ist er derjenige, der durch sein sprachliches und nichtsprachliches Verhalten dafür Sorge trägt, dass sich ein vertrauensvolles und harmonisches Verhältnis entwickelt, indem er a) ein angemessenes nonverbales Verhalten zeigt, b) den Patienten in den Kommunikationsprozess involviert und c) die Beziehungsebene aufbaut und weiterentwickelt (=Building the Relationship). Kenntnisse der Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation nach R OSEN- BERG sind dazu ebenso nötig wie die Beherrschung der G RICE schen Konversationsmaximen und die bewusste Anwendung des Kommunikationsquadrats nach S CHULZ VON T HUN . 115 Diese beiden kommunikativen Grundfunktionen 115 Vgl. die Ausführungen zu den Kommunikationsmodellen und -theorien im allgemeinen Teil dieser Einführung. 198 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="214"?> erfordern vom Arzt also übergeordnete Kommunikationsfähigkeiten, die über das prozessuale Wissen hinausgehen. Im Folgenden werde ich die einzelnen Gesprächsphasen der Calgary-Cambridge-Guides kurz skizzieren und die jeweiligen medizinischen und kommunikativen Schwerpunkte aufzeigen. In Tabelle 24 am Schluss dieses Kapitels finden Sie die wichtigsten phasenspezifischen Kommunikationsprozesse den jeweiligen Phasen noch einmal anschaulich zugeordnet. Phase 1 der patientenorientierten Gesprächsführung besteht aus der Initialisierung des Gesprächs und beginnt bereits, bevor sich Arzt und Patient begegnen. In dieser Phase muss sich der Arzt auf seinen Patienten und dessen Situation einstellen, indem er z. B. vorhandene Patientendaten sichtet und auswertet. Wenn Sie sich innerlich bereits auf Ihren Patienten und auf dessen Anliegen vorbereitet haben, fühlt sich Ihr Patient wertgeschätzt und ernst genommen. In dieser Phase kommt es zudem entscheidend darauf an, die Gründe für die Konsultation in Erfahrung zu bringen und eine vertrauensvolle Beziehungsebene herzustellen. Insbesondere offene Fragen und aktives Zuhören kennzeichnen diese Gesprächsphase. Für den weiteren diagnostischen und therapeutischen Verlauf des Gesprächs ist Phase 2 von besonderer Bedeutung. In dieser Phase geht es darum, das Problem und den Bedarf zu erkennen und die eigene Situationsanalyse mit dem Patienten abzugleichen. Hier werden die Weichen für den weiteren Ablauf der Behandlung (auch perspektivisch über das Gespräch hinaus) gestellt. Werte- und Nutzenvorstellungen der Patienten zu identifizieren und Erkenntnisse über das subjektive Krankheitsempfinden zu gewinnen, ist die Grundlage für eine spätere partizipative Entscheidungsfindung. Diese Phase ist daher stark gesprächsinteraktiv, sie ist auf Kooperation ausgelegt und sie erfordert besondere kommunikative Fähigkeiten. Strukturell, d. h. inhaltlich, muss in dieser Gesprächsphase der Blick auf drei unterschiedliche Perspektiven gelenkt werden: auf die biomedizinische Perspektive (= Krankheitszeichen und Symptome), auf die Patientenperspektive (= Krankheitsempfinden und Erwartungen) und auf die funktionale Perspektive, die den klassischen objektiven Kriterien einer Anamnese (z. B. Allergien, Vorerkrankungen, Familiengeschichte) entspricht. Die Trennung der biomedizinischen Perspektive von der Patientenperspektive zeigt den patientenorientierten Ansatz dieses Modells: Die krankheitsbezogenen Daten und Fakten, um die es in der biomedizinischen Sichtweise des Arztes geht, sind nicht zwingend identisch mit dem Krankheitsempfinden, das in der Patientenperspektive zum Ausdruck kommt. . Auf den Patienten kommt es an! 199 <?page no="215"?> Diese klare Trennung ist im Sinne einer vertrauensvollen und auf den Abbau von Asymmetrien ausgerichteten Gesprächsführung zwingend notwendig und sollte sowohl strukturell (= Schritt für Schritt: Lassen Sie uns zunächst über Ihre Symptome sprechen, dann über Ihre Erwartungen) als auch prozessual vollzogen werden. So dürfen reine Informationsfragen, die objektive Kriterien der Anamnese hervorbringen sollen, eher eine geschlossene Form haben, wogegen Fragen, die sich auf das subjektive Krankheitserleben beziehen, eher offen formuliert sein sollten. Kommunikativ ist Phase 2 also insgesamt durch eine starke Ausrichtung auf den Redebeitrag des Patienten ausgerichtet. Die Technik des aktiven Zuhörens und das Verfahren des Spiegelns von Patientenaussagen sind ebenso Bestandteil des Kommunikationsprozesses wie ein weitgehend offenes Frageverhalten des Arztes. Im Gegensatz zu Phase 1 findet hier allerdings das sogenannte Trichterprinzip Anwendung: Während es in Phase 1 darauf ankommt, durch offene Fragen einen Gesprächszugang zu finden, werden in Phase 2 über einen offenen Gesprächsbeitrag zunächst Symptome und Patientenerwartungen ( ® offene Fragen) und gegen Ende dieser Phase faktisch-objektive Hintergrundinformationen (Allergien, Unverträglichkeiten, medizinische Patientenhistorie usw.) abgefragt ( ® geschlossene Fragen). Insofern gibt es hier eine Entwicklung des Fragestils von offenen Fragen (Phase 1 und Beginn Phase 2) hin zu geschlossenen Fragen (Ende Phase 2). Dieses Vorgehen ist auch aus zeitökonomischen Gründen sinnvoll: Der an die inhaltliche Gesprächsstruktur (vom Subjektiven/ Privaten zum Objektiven/ Faktischen) gekoppelte allmähliche Wechsel von offenen zu geschlossenen Fragen führt dazu, dass die Gesprächsdauer durch das veränderte Gesprächsverhalten automatisch limitiert wird. Zudem leitet die zunehmende Schließung der Fragen zu Phase 3 über, in der somatische Befunde erhoben werden und die daher naturgemäß weniger gesprächsinteraktiv gestaltet ist. Nachdem in den Phasen 1 und 2 zunächst das patientenzentrierte Gespräch im Vordergrund stand, kann in Phase 3 die körperliche Untersuchung stattfinden. Der Einstieg in Phase 1 über offene Fragen und die patientenorientierte Gesprächsführung mit unterbrechungsfreier Rede durch den Patienten und Ermunterung durch den Arzt sollte bis zum Ende von Phase 2 dazu geführt haben, dass sich der Patient in Phase 3 vertrauensvoll untersuchen lässt. Zudem verfügt der Arzt über die kommunikative Beförderung von Informationen aus der Welt des Privaten in die Welt des gemeinsamen Wissens durch z. B. aktives Zuhören (vgl. Johari-Fenster) über diagnostisch relevantes Wissen, das er nun mit den körperlichen Befunden in Einklang bringen kann. Oder anders ausgedrückt: 200 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="216"?> Nur dann, wenn Sie als Arzt in den Phasen 1 und 2 durch den von Ihnen gesteuerten Kommunikationsprozess die richtigen Informationen durch Wertschätzung (z. B. unterbrechungsfreie Rede), offene Fragen, aktives Zuhören und gezielte Rückfragen ermittelt haben, werden Sie die Befunde der körperlichen Untersuchung richtig deuten und die korrekte Diagnose stellen. Daher ist der patientenorientierte Kommunikationsprozess mit seinen phasenspezifischen Techniken, durch den die Phasen 1 und 2 gekennzeichnet sind, die Basis für alle weiteren diagnostischen und therapeutischen Schritte. Phase 4 dient dazu, die Befunde so für den Patienten aufzubereiten, dass er die Ursachen und Folgen seiner Erkrankung verstehen kann. Es kommt also entscheidend darauf an, dem Patienten möglichst klar und deutlich Hinweise zu geben, die zu einem gemeinsamen Verständnis zwischen Arzt und Patient beitragen. Dies ist deswegen wichtig, weil in einem zweiten Schritt in dieser Gesprächsphase eine gemeinsame Entscheidungsfindung stattfinden soll. Nur dann, wenn der Patient für ihn verständlich alle notwendigen Informationen zu seiner Erkrankung geliefert bekommt, kann er auch über den weiteren Verlauf mitentscheiden. Als Arzt ist es in dieser Phase daher Ihre Aufgabe, die von Ihnen erhobenen medizinischen Daten, Ihr eigenes medizinisch-fachliches Wissen und die subjektiven Informationen aus Phase 2 so zu verbinden und für Ihren Patienten aufzubereiten ( ® Reduktion), dass er handlungs- und entscheidungskompetent wird. Kommunikativ ist Phase 4 dadurch bestimmt, dass es zunächst einen einleitenden Redebeitrag des Arztes gibt, der sich streng an den G RICE schen Konversationsmaximen orientieren muss (vgl. Kapitel 5.2): Besonders die Maxime der Qualität (= sage nichts, was du für falsch hältst) muss zwingend erfüllt sein, weil der Patient sein Urteil auf der Basis Ihrer Informationen bildet. Zudem kommt es auf eine Stringenz der Argumentation an, auf eine klare, deutliche und verbindliche Sprache sowie auf das richtige Maß an Informationen; weder ein Zuviel noch ein Zuwenig an Informationen ist in dieser Phase zielführend. Gezielte Nachfragen und Erklärungen dienen dazu, das Verständnis des Patienten zu überprüfen. Den Kommunikationsprozess können Sie zudem durch visuelle Hilfsmittel (z. B. Zeichnungen, Fotos) unterstützen. Achten Sie aber darauf, dass Sie anatomische Zeichnungen u. Ä. stets gut erklären, denn nur dann dienen sie tatsächlich dem tieferen Verständnis. Fachausdrücke sollten in dieser Gesprächsphase ebenso vermieden werden wie Hast oder Zeitdruck: . Auf den Patienten kommt es an! 201 <?page no="217"?> Schnelle Zustimmungen und unreflektierte Patientenentscheidungen aufgrund mangelnden Verständnisses oder voreiliger Schlüsse führen zu Problemen in der weiteren Behandlung. Im Kern ist diese Gesprächsphase durch Kooperation und Gleichberechtigung geprägt. Insofern kommt es im zweiten Teil der Phase zu der partizipativen Entscheidungsfindung im Sinne des bekannten shared decision making. Allerdings können auch Lenkungen durch den Arzt nötig sein, die sich kommunikativ in persuasiven Gesprächstechniken wie etwa rhetorischen Fragen oder Suggestivfragen manifestieren. Solche Kommunikationsprozesse sollten situationsbezogen in Betracht gezogen werden, sind aber kein Element der patientenorientierten Kommunikation und finden sich demgemäß auch nicht in den Calgary-Camebridge-Guides wieder. Besser ist es, gezielt nach den Gründen für Einwände zu fragen, falls sich keine Einigung erzielen lässt. Gerade in diesen Fällen kann es wichtig sein, blinde Flecken (gemäß dem Johari-Fenster) durch das Gespräch hervorzubringen, denn oft verstecken sich hinter Therapieverweigerungen unbewusste Ängste und Probleme. Aufmerksames Zuhören und gezieltes offenes Fragen können dann hilfreich sein, zu einer gemeinsamen Therapiefindung und -vereinbarung zu gelangen. Phase 5 dient dem Gesprächsabschluss und ist nicht weniger wichtig als die vorherigen Phasen. Steht am Ende von Phase 4 die partnerschaftlich erarbeitete Entscheidung über das weitere Vorgehen, so muss diese Entscheidung in Phase 5 zwingend kommunikativ gefestigt werden, damit es in der Folge nicht zu Therapieabbrüchen oder zu Compliance-Problemen kommt. Daher sollten die Therapieziele noch einmal verbal formuliert werden - idealerweise vom Patienten selbst. Dies dient Ihnen als Arzt dazu, zu überprüfen, ob Ihr Patient alles richtig verstanden hat. In dieser Phase sollten Sie die Patientenentscheidung verbal durch positive Formulierungen bestärken (Ich finde das eine gute Entscheidung, so werden wir sicher Fortschritte machen). Hilfreich sind zudem schriftliche Festlegungen der Therapieziele, die Sie Ihrem Patienten mitgeben können. Dies ist deswegen wichtig, weil sich viele Patienten - insbesondere jüngere und ältere - oft im Nachhinein nicht mehr im Detail an alles erinnern können. Achten Sie aber bei der schriftlichen Festlegung ebenfalls auf eine angemessene Ausdrucksweise und vermeiden Sie Fachsprache. Der Abschluss eines patientenorientierten Gesprächs ist immer dann angemessen, wenn der Patient Ihre Praxis mit einem guten Gefühl verlässt. Dazu gehört auch, dass ein Gesprächsabschluss immer zwingend eine Perspektive enthält. Das kann die Vereinbarung eines Folgetermins ebenso sein wie der Hinweis, dass sich Ihr Patient jederzeit melden darf, wenn es Probleme gibt. Denn: . 202 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="218"?> Eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung nach dem Interaktionsmodell des shared decision making bleibt über das Gespräch hinaus bestehen. Das vorgestellte Phasenmodell patientenorientierter Gespräche lässt sich aus struktureller Sicht (mit Fokus auf die Gesprächsinhalte und auf den Gesprächsablauf) folgendermaßen darstellen: Abb. 10: Struktur ärztlicher Gespräche nach den Calgary-Cambridge-Guides (nach K URTZ 2003) Was in dieser Abbildung fehlt, ist die Gegenüberstellung bzw. Verknüpfung von Gesprächsinhalten mit den kommunikativen Prozessen. Die phasenspezifischen Kommunikationsprozesse sind daher in der nachfolgenden Tabelle abgebildet. Bitte beachten Sie dabei: In der ärztlichen Gesprächsführung gibt es keine Trennung zwischen Prozess und Inhalt, sondern phasenspezifische Prozess- Inhalt-Korrelationen. Diese Trennung ist hier nur der Übersichtlichkeit und der Art der Darstellung geschuldet. Verstehen Sie also die folgende Übersicht bitte als eine Ergänzung zu Abbildung 10 und nicht etwa als einen alternativen Gesprächsablauf. Mit anderen Worten: Den in Abbildung 10 skizzierten Inhalten eines ärztlichen Gesprächs lassen sich - für jede Phase - bestimmte kommunikative Handlungen und Prozesse zuordnen. In der folgenden Über- . Auf den Patienten kommt es an! 203 <?page no="219"?> sicht sind nur die wesentlichen Prozesse benannt, die Sie für Ihr ärztliches Kommunikationshandeln benötigen; die Calgary-Cambridge-Guides entwerfen eine sehr viel genauere Differenzierung, die allerdings an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde. Gesprächsphase und Inhalte Kommunikationsprozess/ kommunikative Handlung 1. Gesprächsinitialisierung - Gesprächsvorbereitung - Beziehungsaufbau - Erfragung Grund/ Gründe für Konsultation - Erste Informationsgewinnung durch Sichtung der Patientenakte - Organisatorische Vorbereitung (Raum, Zeitfenster etc.) - Namentliches Vorstellen - Erklärung von Rolle und Funktion (z. B. Ich bin der Chefarzt und werde Sie operieren) - Interesse bekunden - Offene Fragen stellen - Zugewandte Körpersprache - Intime Atmosphäre schaffen 2. Informationsakquise - Biomedizinische Perspektive (Symptome, Krankheitsverlauf, Krankheitsempfinden etc.) - Patientenperspektive (Ideen und Vorstellungen, Wünsche und Ängste, Erwartungen, Gefühle) - Hintergrundinformationen und Kontext (klassische anamnestische Daten) - Fragetechnik: von offen zu geschlossen - Patienten initial reden lassen - Keine Unterbrechungen - Aufmerksames und aktives Zuhören - Bestätigungsfragen, Spiegeln, das Verständnis fördernde Rückfrage - Zeitrahmen setzen - Zusammenfassungen des Gesagten - Angemessener Sprachgebrauch: keine Fachsprache, laut und deutlich sprechen - Nonverbale Kommunikation: Nicken, offene Mimik und Gestik, Zugewandtheit - Paraverbale Kommunikation: Zustimmende Laute 3. Körperliche Untersuchung - einfühlsames kommunikatives Verhalten - ggf. ablenkendes Gespräch über Wetter, Hobbys o. Ä. 204 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="220"?> Gesprächsphase und Inhalte Kommunikationsprozess/ kommunikative Handlung 4. Befunderklärung und Planung - Informationsvermittlung und Zusammenführung der ermittelten Daten und Fakten aus den Phasen 2 und 3 (unter Berücksichtigung der Patientenperspektive! ) - shared decision making - Reduktion der Informationen - Verbindliche Aussagen - Angemessener Sprachgebrauch: keine Fachsprache, laut und deutlich sprechen - Bildliche Sprache (Metaphern) - ggf. unterstützende Medien - Verständnisfragen stellen - Fachlich-medizinische Informationen durch den Patienten wiedergeben lassen (Verständnis prüfen durch Paraphrasierungen) - Wertschätzende und gewaltfreie Kommunikation - Beachtung der Konversationsmaximen - Keine persuasiven sprachlichen Handlungen (Suggestivfragen o. Ä.) - Einwände/ Unsicherheiten erkennen und aufgreifen - In der Phase der partnerschaftlichen Entscheidungsfindung: Ich-Botschaften zur Vermittlung von Interesse 5. Gesprächsabschluss - angemessen - offen/ perspektivisch - persönliche Verabschiedung - kurze Wiederholung der Therapieziele - Bestärkung der Patientenentscheidung durch positive Botschaften - Nächste Schritte planen (z. B. Wir besprechen uns dann in 3 Wochen noch einmal) Tabelle 24: Phasenspezifische Kommunikationsprozesse im ärztlichen Gespräch Auf den Patienten kommt es an! 205 <?page no="221"?> 7.4 Kapitelzusammenfassung In diesem Kapitel haben wir uns mit der Systematik ärztlicher Gespräche befasst und dabei folgende Aspekte ans Licht gebracht: þ Ärztliche Gespräche sind funktional und zweckorientiert. þ Klassische Anamneseabläufe widersprechen einer ganzheitlichen Beschwerdeerfassung, denn sie fragmentieren den Patienten durch ihre funktionale Ritualisierung. þ Nach funktionalen Gesichtspunkten kann man ärztliche Gespräche typologisieren. þ Es gibt sowohl krankheitsbezogene als auch patientenbezogene Formen ärztlicher Gespräche. Besonders Anamnesegespräche sind häufig Bestandteil institutionellen, konventionalisierten ärztlichen Handelns und damit eher krankheitszentriert. þ Kommunikation, Diagnose, Information und Beratung sind die vier grundlegenden Dimensionen ärztlicher Gespräche aus patientenorientierter Sicht. þ Aus den Dimensionen bzw. Funktionen ärztlicher Gespräche lassen sich kommunikative ärztliche Kompetenzen ableiten. þ Fragen sind ein dialogisches Mittel der patientenorientierten Gesprächsführung und zugleich ein wichtiges Strukturmerkmal ärztlicher Gespräche. þ Ärztliche Gespräche folgen oft starren Frage-Antwort-Sequenzen mit einer Asymmetrie im Frageverhalten zugunsten des Arztes. þ Fragesätze sind nicht zwingend Fragehandlungen. Diese Unterscheidung ist insbesondere im Hinblick auf persuasive Frageformen notwendig. þ In der patientenorientierten Gesprächsführung ist offenen Fragen der Vorzug vor geschlossenen Fragen zu geben; offene W-Fragen erleichtern das patientenorientierte Gespräch. þ Ärztliche Fragen kann man nach inhaltlichen und funktionalen Aspekten typologisieren. Inhaltsbezogene Fragen dienen dem Informationsgewinn, instrumentelle Fragen beeinflussen den Kommunikationsprozess. þ Patientenorientierte Gespräche erfordern eine nicht-direktive Kommunikationsform. þ Arzt-Patienten-Gespräche besitzen eine inhaltliche bzw. funktionale Seite und eine prozessuale Seite, die sich in Form kommunikativer Handlungen und Prinzipien manifestiert. þ Die Calgary-Cambridge-Guides sind ein Phasenmodell zur Verbindung der inhaltlichen Dimensionen ärztlicher Gespräche mit den darin ablaufenden Kommunikationsprozessen. 206 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="222"?> þ Inhalt (Struktur) und Prozess (kommunikative Handlungen) sind in patientenorientierten Gesprächen keine alternativen Konzepte der Gesprächsführung, sondern untrennbar miteinander verwoben; es gibt eine Prozess-Inhalt- Korrelation in patientenorientierten Gesprächen. þ Das Phasenmodell nach den Calgary-Cambridge-Guides ist evidenzbasiert und eignet sich daher für die universitäre Ausbildung. Übungsfragen und -aufgaben zu diesem Kapitel 1. Welche Funktionen erfüllen ärztliche Gespräche? Skizzieren Sie die kommunikativen Forderungen an ärztliche Gespräche! 2. Was versteht man unter einer patientenorientierten Gesprächsführung? Nennen Sie die wesentlichen Merkmale einer solchen Kommunikationsform! 3. Erklären Sie in Ihren Worten den Unterschied zwischen der Struktur und dem Prozess im ärztlichen Gespräch! Warum ist eine Trennung dieser beiden Ebenen in patientenorientierten Gesprächen nicht sinnvoll? 4. Worin liegt der Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Fragen? Erklären Sie, in welchen Situationen welche Frageform sinnvoll ist und begründen Sie Ihre Entscheidung! 5. Erläutern Sie den Unterschied zwischen Fragesatz und Fragehandlung! Warum ist diese Unterscheidung wichtig? 6. Nennen Sie jeweils fünf inhaltsbezogene und instrumentelle Fragetypen, die in ärztlichen Gesprächen vorkommen! 7. Worin liegt der Unterschied zwischen direktiver und nicht-direktiver Gesprächsführung? Welche Kommunikationsform ist aus Ihrer Sicht für das ärztliche Gespräch fruchtbarer? Begründen Sie Ihre Entscheidung! 8. Was sind die Calgary-Cambridge-Guides? Welche Phasen werden diesem Kommunikationsmodell unterschieden und wodurch sind sie gekennzeichnet? 9. Erklären Sie, was mit dem Begriff „ Trichterprinzip “ im Hinblick auf die Fragetechnik im ärztlichen Gespräch gemeint ist! In welcher Gesprächsphase findet dieses Prinzip Anwendung? Weiterführende Literatur zu diesem Kapitel Einen gewinnbringenden Überblick über die Struktur ärztlicher Gespräche liefern S CHWEICKHARDT / F RITZSCHE , allerdings mit dem Fokus auf Anamnesegesprächen. Mit dieser besonderen Gesprächsform im ärztlichen Interaktionsprozess befassen sich auch S CHETT- LER / N ÜSSEL 1984 und H OPE et al. 1990. Kapitelzusammenfassung 207 <?page no="223"?> Für einen tieferen Einblick in die Funktionen ärztlicher Gespräche empfehle ich die Lektüre von S PEIERER 1985. Eine weiterführende Beschäftigung mit Frage-Antwort-Sequenzen im ärztlichen Gespräch ermöglicht L ALOUSCHEK 2002. Wenn Sie mehr über Fragesätze und Fragehandlungen im Deutschen erfahren möchten, lege ich Ihnen die Lektüre von S CHECKER 1995 ans Herz. Im Zentrum dieses Kapitels stand die Skizzierung eines Modells der patientenorientierten Kommunikation. Für eine weitere Beschäftigung mit den Calgary-Cambridge-Guides empfehle ich die Lektüre der zusammenfassenden Originalarbeit bei K URTZ 2003. Eine psychotherapeutische Sichtweise und Wertung dieses Modells finden Sie in M EYER / L ÖWE 2010. 208 Gesprächssystematik in der Arzt-Patienten-Kommunikation <?page no="224"?> 8 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion U MS W ORT GEHT , WIE ICH DENKE , DER S TREIT , ÜBER DIE S ACHE BESTEHT E INIGKEIT . L UCIUS A NNAEUS S ENECA Ziele und Warm up Nicht jedes Gespräch zwischen Ärzten und Patienten lässt sich so einfach lenken, wie wir es im vorherigen Kapitel gelernt haben. Manche Situationen sind sowohl psychisch als auch physisch belastend und erfordern besondere Kompetenzen. Daher widmen wir uns im Folgenden besonderen (und z. T. schwierigen) Gesprächssituationen, die im ärztlichen Alltag vorkommen können. Wir werden uns dabei einigen ausgewählten Gesprächssituationen näher zuwenden und Gedanken dazu entwickeln, auf welche Weise man durch kommunikatives Handeln Konflikte entschärfen und Probleme lösen kann. Insbesondere die Überbringung schlechter Nachrichten gehört zu den Pflichten eines Arztes. Daher steht im Zentrum dieses Kapitels die Vorstellung eines evidenzbasierten Kommunikationsmodells, das bei dieser Aufgabe behilflich sein kann. Zum Einstieg in diese Thematik beantworten Sie bitte intuitiv die folgenden Fragen: Haben Sie in Ihrem Studium oder im Beruf bereits problematische Situationen mit Patienten oder Angehörigen erlebt? Welche Situationen waren das? Wie würden Sie sich verhalten, wenn man Sie persönlich beleidigt oder angreift? Was macht es so schwierig, Patienten oder Angehörigen schlechte Nachrichten mitzuteilen (z. B. über die eigene Krankheit oder den Tod eines Verwandten)? Welche Reaktionen sind bei diesen Menschen möglich? <?page no="225"?> Welche Patientengruppen würden Sie als „ problematisch “ einstufen? Warum? Haben Sie ein „ Händchen “ für schwierige Gesprächssituationen oder ziehen Sie sich lieber zurück? Haben Sie etwas in diesem Buch gelernt, das Sie in schwierigen Situationen anwenden könnten? 8.1 Jeder Jeck ist anders! - Gruppenspezifische und situationsgebundene Arzt-Patienten-Kommunikation Bevor wir uns der Frage zuwenden, mit welchen besonderen Gesprächssituationen Ärzte in ihrem Beruf konfrontiert sind, gilt es, einige Grundbegriffe zu klären, die sich aus einem soziolinguistischen Blickwinkel ergeben. Dies ist nötig, weil wir uns weiter unten bestimmten Patientengruppen zuwenden, die Ärzte vor kommunikative Herausforderungen stellen. Dazu müssen wir zunächst folgende Fragen beantworten: Was genau ist eine Gruppe? Wodurch zeichnet sich Gruppenzugehörigkeit aus? Und welchen Einfluss hat die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder gesellschaftlichen Klasse auf das Arzt-Patienten- Gespräch? Nähern wir uns den Antworten auf diese Fragen über eine Betrachtung dessen, was Medizinische Kommunikation (und ärztliches Kommunizieren) von Alltagssprache unterscheidet. Oder anders: Wie sprechen Ärzte und wie sprechen Patienten im funktional bestimmten Miteinander? Medizinische Kommunikation ist im Kern eine Form der institutionellen Kommunikation. Das bedeutet, dass Arzt-Patienten-Gespräche in einem bestimmten Umfeld stattfinden, das durch unterschiedliche Rollen gekennzeichnet ist. Die Sprache des Arztes bezeichnet man dabei als einen elaborierten Code, weil sie sich durch Fachsprachlichkeit, grammatikalische und syntaktische Korrektheit, Sprachkompetenz und Sprachgenauigkeit der Sprecher sowie durch Expertenwissen vom Sprachgebrauch anderer Menschen unterscheidet. Es ist nicht falsch zu sagen, dass sich Ärzte (ebenso wie andere Akademiker) sprachlich von Menschen anderer sozialer Schichten abheben. Den Sprachcode, der dem sprachlichen Verhalten der meisten Patienten ohne einen vergleichbaren Bildungshintergund entspricht, nennt man restringierter Code. Diese Unterscheidung, die sich aus soziolinguistischen Überlegungen ableitet, manifestiert sich besonders im Umgang mit Patienten, die bestimmten sozialen Gruppen zugeordnet werden können. Gruppenzugehörigkeit ist damit ein Faktor, der unmittelbar an das sprachliche Verhalten eines Menschen geknüpft ist. 210 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="226"?> Je nachdem, welcher sozialen Gruppe ein Patient angehört, verfügt er über ein mehr oder weniger umfangreiches Repertoire an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten: Je höher die kommunikative Kompetenz eines Sprechers ist, desto größer ist sein sprachliches Repertoire und damit auch seine Ausdrucksfähigkeit. Menschen mit geringer Bildung und niedrigem sozialen Status verfügen meist über geringere sprachliche Mittel als etwa Akademiker oder Menschen der sogenannten Mittelschicht. Oder wie man im Rheinland sagt: Jeder Jeck ist anders! Mit Blick auf unsere Fragstellung heißt das: Jeder Patient verhält sich sprachlich ein wenig anders. Das Sprach- und Kommunikationsverhalten ist abhängig von Bildung, Herkunft, Status, Rolle und der konkreten Situation. Das individuelle Sprachvermögen und die individuelle kommunikative Kompetenz eines Menschen bezeichnet man als dessen Idiolekt. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Varietät von Bedeutung. Dieser Ausdruck trägt der Tatsache Rechnung, dass wir alle unterschiedliches sprachliches Wissen und Können in unsere Kommunikation einbringen. Sie kennen dieses Phänomen aus Ihrem eigenen sprachlichen Handeln und aus Beobachtungen des Sprachhandelns anderer Menschen in Ihrem Umfeld: Jugendliche sprechen anders als alte Menschen und auch Männer und Frauen unterscheiden sich in der Wahl ihrer Wörter, in der Satzstellung oder in der Betonung von Wörtern und Sätzen. Je höher die kommunikative Kompetenz eines Menschen ausgebildet ist - und von Ärzten wird eine besondere sprachliche Fähigkeit erwartet - , desto mehr sprachliche Varietäten beherrscht er. Für die Medizinische Kommunikation ist dieser Umstand von hohem Interesse, denn die Sprache des Arztes stellt eine solche sprachliche Varietät innerhalb des Deutschen dar: Dadurch, dass Medizinische Kommunikation zugleich öffentlicher Sprachgebrauch ist (sie findet in Institutionen statt und nicht im privaten Raum), sind das ärztliche Sprachverhalten und das Gespräch zwischen Arzt und Patient durch die besondere Kommunikationssituation bestimmt. Mit anderen Worten: Allein dadurch, dass Sie als Arzt der Berufsgruppe der Mediziner angehören, besteht eine Diskrepanz zwischen Ihrem sprachlichen Handeln und dem Ihrer Patienten. In den allermeisten Fällen ist dieses Gefälle unproblematisch, weil sich Ärzte dem sprachlichen Repertoire ihrer Patienten anpassen, während Patienten versuchen, der besonderen Situation einer ärztlichen Konsultation sprachlich zu entsprechen. So ist es üblich, dass Patienten - unabhängig von ihrem normalen Alltagssprachverhalten - hochdeutsche bzw. standarddeutsche Begriffe wählen, auf Dialekt verzichten und dergleichen. Auf der anderen Seite nähern . Jeder Jeck ist anders! 211 <?page no="227"?> sich Ärzte der Sprache ihrer Patienten dadurch an, dass sie beispielsweise auf Fachbegriffe verzichten, Begriffe aus der Sprachwelt ihrer Patienten verwenden (z. B. bestimmte Floskeln oder Phrasen) oder sich - sofern ihnen das möglich ist - dem sogenannten Soziolekt ihrer Patienten sprachlich annähern. 116 Dafür müssen Ärzte über eine breite Palette sprachlicher Handlungsmöglichkeiten verfügen: Im Idealfall spricht ein Arzt nicht nur seine eigene Sprache, sondern auch die des Patienten. Sie werden also Ihr sprachliches Handeln nach Möglichkeit immer darauf ausrichten, dass es im Zusammenspiel mit Ihren Gesprächspartnern und der jeweiligen Situation angemessen ist. Ebenso verhalten sich die meisten Patienten, wenn sie das G RICE sche Kooperationsprinzip befolgen. Das ist aber in der ärztlichen Praxis nicht immer der Fall. Manche Patientengruppen legen kein angemessenes Sprachverhalten an den Tag; bisweilen verhalten sie sich - durch bestimmte soziale, persönliche, psychische oder physische Umstände bedingt - alles andere als kommunikativ. In diesen Fällen ist es wichtig, dass Sie als Arzt über das nötige kommunikative Rüstzeug verfügen, um solche schwierigen Gesprächssituationen und -konflikte lenken und lösen zu können. 8.1.1 Schwierige Patientengruppen Das Kommunikationsverhalten eines Menschen ist abhängig von dessen Gruppenzugehörigkeit. Dabei bedeutet Gruppe nicht zwingend, dass Menschen aus freiem Willen und durch bewusste Entscheidung einer Gemeinschaft beitreten, so wie Sie einem Fitnessclub oder dem ADAC beitreten können. Gruppenzugehörigkeit passiert in vielen Fällen ganz von selbst. So gehören Sie als Arzt einer bestimmten sozialen Gruppe an, die durch Bildung, Einkommen etc. gekennzeichnet ist. Dieser Umstand kann durchaus bewusst gesteuert sein, weil Sie sich nach der Schule für Ihr Studium entschieden haben. Sie sind aber - ob Sie es wollen oder nicht - zudem auch anderen Gruppen zugehörig: einer 116 Unter Soziolekt versteht man ganz allgemein eine durch soziale Parameter bestimmte sprachliche Varietät, die konkrete soziale Gruppen kennzeichnet. So sind etwa alle Fachsprachen Gruppensprachen. In einem engeren Sinn bezeichnet der Begriff Soziolekt aber auch bestimmte sprachliche Besonderheiten, die man aufgrund von Schicht- oder Klassenzugehörigkeit zuordnen kann. So gehört der Satz Ich mach Platte (= Ich schlafe auf der Straße) zum Sprachgebrauch vieler Obdachloser und wäre damit als Ausdruck eines bestimmten Soziolekts Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einer niedrigen sozialen Gruppe. Innerhalb der Linguistik ist die Zuordnung des Begriffs Soziolekt nicht eindeutig möglich. . 212 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="228"?> bestimmten Altersgruppe, einem Geschlecht oder einer sozialen Schicht bzw. Klasse, in die Sie u. U. hineingeboren wurden. Insofern ist Gruppenzugehörigkeit ein Gesellschaftsphänomen, dem man sich nicht entziehen kann. Als Arzt bringt es der Beruf mit sich, dass Sie mit vielen Patientengruppen kommunikativ interagieren müssen. Manche dieser Gruppen erweisen sich in der Interaktion aufgrund bestimmter Verhaltensweisen als schwierig. Dies kann sich auf unterschiedliche Weise darstellen: Patienten können sich anders verhalten, als es ihnen durch ihre Rolle zugeschrieben wird. Zudem können das Werte- und Moralempfinden sowie die affektive Einstellung zu Krankheit und Heilung von der des Arztes abweichen. In manchen Fällen behindern Patienten durch ihr gruppenspezifisches Verhalten den therapeutischen Prozess. Insofern kann man den schwierigen Patienten dadurch definieren, dass er „ die Routinen des Arztes unterbricht “ 117 - gewollt oder ungewollt. Die Beurteilung, ob ein Patient (oder eine ganze Patientengruppe) als problematisch einzustufen ist, ergibt sich aus dem Vergleich mit dem idealtypischen Patienten (von dem in diesem Buch nahezu immer die Rede war). Dieser Patient gehört einer sozialen Gruppe an, die durch ein gewisses Maß an Bildung gekennzeichnet ist, Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt und sich in die Rolle des Patienten kooperativ einfügt. Kennzeichen dieser Patientengruppe ist es, dass sie Verständnis für die Asymmetrie zwischen Arzt und Patient aufbringt, bewusst an der Angleichung im Sinne der partnerschaftlichen Entscheidungsfindung mitwirkt und aufgeklärt in das Arzt-Patienten- Gespräch hineingeht. Das Modell des shared decision making und auch das Kommunikationskonzept der Calgary-Cambridge-Guides gehen beide von einem solchen idealtypischen Patienten aus. Zu finden ist ein solcher Patient in der Mitte der Gesellschaft. Schwierige Patienten gehören im Gegensatz dazu oft bestimmten Gruppen an, deren Mitglieder sich entweder von der prototypischen Patientengruppe entfernt haben oder die ihr von vornherein nicht (oder noch nicht) zugehörig sind. Im Folgenden wenden wir uns einigen dieser Gruppen näher zu und beleuchten die kommunikativen Besonderheiten, die sich für das ärztliche Gespräch ergeben können. 8.1.1.1 Alte Patienten Ältere Menschen sind nicht nur medizinisch besonders (Multimorbidität, schlechte Compliance, chronische Erkrankungen, lange Leidensgeschichten usw.), sie verhalten sich auch oftmals kommunikativ auf eine bestimmte Weise, 117 H OEFERT 2010: 65. Jeder Jeck ist anders! 213 <?page no="229"?> die Ärzten das Gespräch erschwert. Ein Kennzeichen für diese Patientengruppe ist eine überproportional hohe Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen, aus der eine Vielzahl - z. T. divergierender - Diagnosen resultiert. Das Problem dabei: „ Durch vermehrte Diagnosen vergrößert sich die Wahrscheinlichkeit von Widersprüchen zwischen den Diagnosen “ 118 , was mitunter dazu führt, dass ältere Patienten das Vertrauen in die ärztliche Heilkunst verlieren. Aus diesem Grund stehen viele ältere Patienten ärztlichen Ratschlägen skeptisch und bisweilen ablehnend gegenüber; zu viele schlechte oder widersprüchliche Erfahrungen hinterlassen häufig Spuren. Im Zuge des demographischen Wandels ist damit zu rechnen, dass diese Patientengruppe weiter anwächst, so dass angehende Ärzte mit den kommunikativen Problemen dieser Gruppe vertraut sein sollten. Ein Hauptproblem bei der Behandlung älterer Patienten ist die Divergenz zwischen subjektiver und objektiver Gesundheitseinschätzung in dieser Patientengruppe: Patienten schätzen sowohl den Schweregrad ihrer Erkrankung oft falsch ein (als geringer) und zudem unterschätzen sie oftmals ihr eigenes Alter und die damit verbundenen Einschränkungen. 119 Dies zeigt sich insbesondere in Problemen der persönlichen Lebensführung oder in der defizitären Umsetzung therapeutischer Maßnahmen im eigenen Haushalt. M. a. W.: Viele ältere Menschen merken nicht, dass sie sich schlechter um ihre Gesundheit kümmern, als es nötig wäre - und das, obwohl sie weit häufiger Ärzte konsultieren als andere Patientengruppen. 120 Eng verbunden mit den bereits geschilderten Problemen innerhalb dieser Patientengruppe ist die Veränderung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Häufig sind diese Veränderungen miteinander verwoben, so dass sich in manchen Fällen ein gleichzeitiger Verlust beider Fähigkeiten feststellen lässt. Für die Arzt-Patienten-Kommunikation ist dieser Umstand von Bedeutung: Wenn ältere Patienten aufgrund altersbedingter physischer Beschwerden therapiebedürftig werden, steht oftmals neben dem rein physischen Problem die Schwierigkeit, dass Patienten die therapierelevanten Informationen schwer oder nur langsam verarbeiten können. Für den Kommunikationsprozess ist dies folgenreich: 118 H OEFERT 2010: 66. 119 Vgl. M AYER / B ALTES 1996 und L EHR / N IEDERFRANKE 1991. 120 Neuere Studien zeigen, dass die Gruppe der arbeitslosen männlichen Patienten mit geringem Bildungsabschluss die älteren Patienten überholt, was die Vernachlässigung der eigenen Gesundheit angeht (vgl. z. B. K OEKKOEK et al. 2006). Daher wird - je nach Definition - diese Gruppe eher als schwierige Patientengruppe angesehen als die alten und multimorbiden Patienten. Entscheidend für diese Einschätzung ist der Wille zur Heilung. 214 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="230"?> Sowohl die Aufnahmekapazität für neue Informationen als auch die Speicherfähigkeit ist im Alter herabgesetzt. Eine Reduktion der therapierelevanten Informationen ist daher ebenso notwendig wie die Schaffung des Bewusstseins für die Relevanz der Informationen. Gerade der zweite Aspekt ist von Bedeutung: Aufgrund einer Vielzahl an Informationen, die ältere Patienten in ihrem Leben (oft unfreiwillig) aufgenommen haben, ist ihre Wahrnehmung eher selektiv: Ältere Menschen brauchen einen Gesamtzusammenhang, in den sie neues Wissen einordnen können. 121 Damit ältere Patienten die Relevanz der medizinischen Informationen erkennen können, müssen ihnen die Fakten im Ganzen präsentiert werden. Der Arzt muss also in der Phase der Informationsvermittlung seine Äußerungen auf das Therapieziel ausrichten und Einsicht in die Notwendigkeit der Kooperation schaffen. Dies gelingt, indem er - möglichst ohne Unterbrechungen - den Sinn der Maßnahme und die Folgen der Therapie als Ganzes vermittelt. Ältere Patienten benötigen sinnstiftende und prägnante Informationen im Ganzen mit dem Fokus auf ihre Lebenswirklichkeit und auf das Therapieziel. Kurze und eindeutige Sätze mit einer klaren Satzstruktur sind hilfreich, um den Verstehensprozess in dieser Gruppe zu befördern. Neben diesen eher kognitiven Besonderheiten können auch körperliche Probleme die Kommunikation mit älteren Patienten erschweren, so dass auch hier bestimmte Grundsätze zu beachten sind. So ist beispielsweise auf das Hörvermögen, die Sehfähigkeit oder auf die (z. B. durch einen Schlaganfall bedingte) verbale Ausdrucksfähigkeit Rücksicht zu nehmen. Körperliche Probleme, die das Arzt-Patienten-Gespräch beeinflussen können (z. B. veränderte Mimik und Gestik aufgrund von Lähmungserscheinungen), müssen erkannt und berücksichtigt werden. Ältere Patienten neigen im Gespräch zum Monologisieren von Bekanntem. Dieses Phänomen, das Sie vielleicht aus dem Familienkreis kennen, lässt sich kommunikationstheoretisch begründen: Es erfordert weniger Mühe und kognitive Anstrengung, Wissen aus dem Langzeitgedächtnis zu befördern und ohne 121 Deshalb kommen viele ältere Menschen mit technischen Geräten nicht klar: Sie wollen nichts Neues mehr lernen (z. B. die Grundeinstellungen ihres Fernsehers), das für sie selbst nicht (oder nicht mehr) relevant ist. Stattdessen lassen sie sich lieber den neuen Fernseher von ihren Enkeln einstellen, die über solches Wissen verfügen. M. a. W.: Ältere Menschen lernen nur noch, was sie wollen und für wichtig halten. . . Jeder Jeck ist anders! 215 <?page no="231"?> die Beachtung der Reaktionen des Gegenübers wiederzugeben als wechselseitig kommunikativ zu interagieren. 122 Die kommunikative Interaktion als Wechselspiel zwischen Gesprächsbeiträgen und dem Hin und Her von Argumenten ist anstrengend und kräftezehrend. Aus diesem Grund ziehen sich ältere Patienten gerne aus dem Gespräch zurück und nehmen eine passive Rolle ein. Viele ältere Patienten bevorzugen aus diesem Grund einen eher arztzentrierten Gesprächsstil und eine paternalistische Arzt-Patienten-Beziehung. Andere Patienten dieser Gruppe verhalten sich kommunikativ genau entgegengesetzt: Sie ziehen das Gespräch durch Monologe und ein extremes Redebedürfnis (häufig ohne Struktur und erkennbaren informativen Gehalt) in die Länge (= Verbosität). Hier müssen Sie als Arzt die Antwortmöglichkeiten durch die Art der Frage (offen/ geschlossen) einschränken, um das Gespräch zielführend zu lenken. Nicht unerheblichen Einfluss auf das Arzt-Patienten-Gespräch hat zudem der Umstand, dass Ärzte meist erheblich jünger sind als ihre Patienten. Dies erschwert die Öffnung der Patienten für Botschaften aus der Sphäre des Privaten und kann insofern zu schwierigen Gesprächssituationen führen. Hier ist es wichtig, dass Ärzte nicht versuchen, eine künstliche Nähe herzustellen, die aufgrund des Altersunterschiedes de facto nicht gegeben ist. Es ist wesentlich förderlicher für die Beziehung, den Altersunterschied und die damit verbundene unterschiedliche Lebenswirklichkeit zwischen den Gesprächspartnern zu thematisieren, als diesen Unterschied unter den Teppich zu kehren. Das offene Zugeständnis Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, in Ihrem Alter zu sein, schafft viel eher eine vertrauensvolle Basis als eine unangemessene Solidarisierung: Wenn Sie erst 25 Jahre alt sind, ist es unpassend, mit einem 80jährigen über die Gebrechen des Alters oder über den Sinn des Lebens zu plaudern - Sie wissen nämlich nicht, wovon Sie reden. 8.1.1.2 Kinder und Jugendliche Im Gegensatz zu Erwachsenen haben Kinder und Jugendliche größere Berührungsängste, da ihnen ärztliche Untersuchungen sowie der gesamte institutionelle Rahmen nicht vertraut sind. Während Erwachsene auf eine Gesprächsroutine zurückgreifen können, fehlt Kindern und Jugendlichen diese Erfahrung. Umso wichtiger ist es, dass Ärzte das Gespräch behutsam lenken und möglichst viele Erklärungen in das Gespräch integrieren. 122 Vgl. H OEFERT 2010: 122. 216 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="232"?> Die Phase der Informationsvermittlung durch den Arzt ist bei Kindern und Jugendlichen gekennzeichnet durch Einfachheit, Bildhaftigkeit und Vermeidung komplexer Sachverhalte. Da Kinder und Jugendliche nur eingeschränkt Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen können, ist eine paternalistische Beziehungsgestaltung mit einer arztzentrierten Kommunikation sinnvoll und notwendig; das Modell des shared decision making lässt sich nicht bzw. nur sehr fragmentiert anlegen. Dennoch sollten Ärzte bemüht sein, zumindest die Eltern der Kinder in den Prozess der Entscheidungsfindung einzubeziehen. Gerade bei Kindern ist das ärztliche Gespräch zwingend im Beisein der Eltern zu führen. Dies ist nicht zuletzt wichtig, um Kindern die Angst vor der ungewohnten Situation zu nehmen. Aber beachten Sie: Störungen auf der Beziehungsebene zwischen Arzt und Eltern projizieren sich unmittelbar auf das Kind, so dass die Grundlage für eine gute Diagnostik die vertrauensvolle Basis zwischen Arzt und Mutter oder Vater ist. Und: Auch wenn die Entscheidungsfindung eher auf Seiten der Eltern liegt, steht das Kind - je nach Alter - medizinisch und kommunikativ im Mittelpunkt, so dass Sie sich bemühen sollten, in erster Linie mit dem Kind zu interagieren und erst in zweiter Linie mit dessen Eltern. Auch Kinder haben Bedürfnisse, die sich von denen ihrer Eltern unterscheiden können: Nur dann, wenn es zwingend nötig ist, wenden Sie sich im Gespräch an die Eltern, denn das, „ [w]as man einem Kind erklärt, wird ein Erwachsener auch verstehen - das Umgekehrte trifft jedoch nicht zu “ 123 . Bei Jugendlichen ist die partizipative Einbeziehung eher möglich, muss aber sensibel abgewogen werden, um die Jugendlichen weder zu unternoch zu überfordern. Zudem gilt es, einen direkten Zugang zu den Jugendlichen (z. B. über deren Sprache) 124 zu finden und vertrauliche Gespräche möglichst in 123 B UCKA -L ASSEN 2005 a: 137. 124 Jugendliche verfügen mit der Jugendsprache über einen sogenannten transitorischen Soziolekt, der sich in umgangssprachlichen und expressiven Ausdrucksweisen und in einem jargonhaften Wortschatz zeigt. Eine Adaption des Arztes an dieses Sprachverhalten kann bisweilen im Gespräch verbindend wirken, erfordert aber ein besonderes sprachliches Repertoire auf Seiten des Arztes (= sprachliches Register) und eine hohe kommunikative Kompetenz, damit die Adaption glaubhaft wirkt. Vgl. dazu auch Kapitel 8.2. . . Jeder Jeck ist anders! 217 <?page no="233"?> Abwesenheit der Eltern zu führen. 125 Viele Jugendliche vertrauen sich in der Phase der Pubertät einem fremden Arzt eher an als ihren Eltern. Von kommunikativer Bedeutung sind die kognitive und körperliche Entwicklung des Kindes bzw. des Jugendlichen. Kinder sind - je nach Alter und Entwicklungsstand - nicht in der Lage, Symptome zu beschreiben oder Fragen zielführend zu beantworten. Dies ist ein besonderes Problem für die ärztliche Gesprächsführung, das sich ebenso z. B. bei dementen Patienten, Pflegefällen, alkoholisierten Personen oder geistig behinderten Patienten ergibt: Wenn die kommunikative Kompetenz nicht vorhanden ist, können Sie kein sinnvolles Arzt-Patienten-Gespräch führen. In solchen Fällen sind Sie auf die somatischen Befunde und auf eine mögliche Fremdanamnese angewiesen. Bei Kleinkindern kann es zudem hilfreich sein, Schmerzen anhand einer Puppe oder eines Teddybären zeigen zu lassen, da Kleinkinder Schmerzen bei sich selbst nicht lokalisieren können. Neben der eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit können physische und psychische Faktoren Probleme bereiten. Gerade Jugendliche neigen häufig in der Phase der Pubertät zu einer Selbstüberschätzung, die sich darin äußern kann, dass vereinbarte Therapiepläne nicht eingehalten werden. Zudem sind Trotz und Aggressivität für diese Entwicklungsphase kennzeichnend, so dass sich manche Jugendliche uneinsichtig zeigen oder Ihnen als Arzt sogar aggressiv entgegentreten. Viele Jugendliche machen in dieser Phase erste Erfahrungen mit Alkohol und Rauschmitteln und haben noch nicht gelernt, sich selbst in solchen Situationen zu kontrollieren, was regelmäßig zu medizinischen Notfällen führt. Als diensthabender Arzt in einer Notaufnahme beispielsweise stehen Sie dann vor dem Problem, dass Jugendliche - ganz besonders, wenn sie in der Gruppe auftreten - verbal oder gar physisch gewalttätig werden. Auch dies ist eine gruppenspezifische Besonderheit im Umgang mit Jugendlichen und sie erfordert Deeskalationsstrategien auf Seiten des Arztes, mit denen wir uns weiter unten in Kapitel 8.2 beschäftigen werden. Grundsätzlich gebietet die Interaktion mit Kindern und Jugendlichen ein etwas anderes Vorgehen, als es für Erwachsene der Fall ist. Während Erwachsene und ältere Patienten im ärztlichen Gespräch eher das Ganze (einschließlich der sozialen, physischen und psychischen Folgen) im Blick haben, ist die Aufnahmekapazität und die kognitive Leistungsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen eher auf „ kleine Häppchen “ ausgerichtet. Daher sollte das ärztliche Gespräch weder zu viele Informationen enthalten noch allzu lang andauern. 125 Zudem gibt es eine ärztliche Schweigepflicht den Eltern gegenüber, wenn Kinder älter als 15 Jahre sind und ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse vorliegt. 218 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="234"?> Insbesondere Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang, der sie an der Aufnahme von kognitiven Informationen hindert. Besprechen Sie daher Details im Anschluss an die Untersuchung mit den Eltern und achten Sie bei Jugendlichen darauf, dass Sie den Kommunikationsprozess in Teile zerlegen; es ist sinnvoller, mit Jugendlichen öfter und selektiv über Probleme zu sprechen, als sie mit Informationen zu überfrachten. Jugendliche Patienten benötigen klare und verbindliche Informationen in Teilen. Die Arzt-Patienten-Kommunikation ist demnach schrittweise (d. h. prozesshaft) angelegt und sollte sowohl inhaltlich als auch sprachlich an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen ausgerichtet sein. Jugendliche sind empfänglich für Informationen, die kurzfristig relevant sind. Jugendliche interessieren sich naturgemäß nicht so sehr für die weitreichenden Folgen einer Behandlung, sondern für den raschen Erfolg; sie richten ihr gesamtes Tun im Allgemeinen an kurzfristigen Zielen aus. Hilfreich ist es daher gerade bei Jugendlichen, Vereinbarungen schriftlich zu fixieren und sie an Folgetermine zu erinnern. Bedenken Sie: In weit stärkerem Maß als bei Erwachsenen ist die Konsultation eines Arztes (z. B. aufgrund einer langfristigen allergologischen Hyposensibilisierung oder einer kieferorthopädischen Behandlung) eine Störung der Routine und nicht in der Lebenswelt der jugendlichen Patienten verankert. Gehört für ältere Menschen der Gang zum Arzt zum Alltag, ist er für Jugendliche und Kinder eine störende Unterbrechung der Abläufe in ihrer Lebenswelt. 8.1.1.3 Patienten aus anderen Kulturkreisen und Religionen Kulturelle oder religiöse Besonderheiten können die Arzt-Patienten-Kommunikation aufgrund einer sogenannten Paradigmendiversität beeinflussen und aus ärztlicher Sicht zu Problemen führen. 126 Zu verstehen ist darunter eine kulturell oder religiös bedingte Verschiedenheit der Gedanken, der Werte und Normen, der Glaubenssätze, Gewohnheiten und des Verhaltens. In aller Regel spielen unterschiedliche Werte- und Normvorstellungen im täglichen Miteinander in einer multikulturellen Gesellschaft kaum eine Rolle. Welchen Glauben ein anderer Mensch hat oder welchen kulturellen Gewohnheiten er folgt, ist in vielen Situationen des Alltags nicht von Bedeutung. Beziehen sich diese 126 Vgl. B UCKA -L ASSEN 2005 a: 143. . Jeder Jeck ist anders! 219 <?page no="235"?> Parameter aber auf die ärztliche Diagnose oder Behandlung, kommt es zu Konflikten, die im Regelfall kommunikativ ausgetragen werden. In der ärztlichen Gesprächsführung entstehen Kommunikationsprobleme, wenn der kulturelle oder religiöse Hintergrund der Patienten weit von dem des Arztes entfernt ist. Gerade für die große Zahl türkischstämmiger Migranten, die dem muslimischen Glauben angehören, ist - anders als bei Christen etwa - der Glauben keine Privatsache, sondern ein ständiger Begleiter, der nicht nur das Lebens-, sondern auch das Krankheitsverständnis der Menschen prägt. 127 Aus medizinischer Perspektive gibt es diagnostische und therapeutische Besonderheiten, die auf ein kulturelles oder religiöses Weltbild der Patienten zurückzuführen sind, das sich von unserem unterscheidet. So ist beispielsweise die externe Anwendung von Alkohol für Patienten muslimischen Glaubens erlaubt, die innere Anwendung ist verboten. Da insbesondere in dieser Patientengruppe - je nach Ausprägung des Glaubens - Krankheit als ein gottgegebenes Schicksal angesehen wird, kann der Wille der Mitwirkung am Heilungsprozess bisweilen gering bis gar nicht vorhanden sein. Auch bestimmte religiöse Vorgaben im Hinblick auf Untersuchungen durch andersgeschlechtliche Ärzte sowie auf den zwischengeschlechtlichen Kontakt im Allgemeinen können zu problematischen Behandlungssituationen führen. 128 Aus kommunikativer Sicht ist in erster Linie die für diese Gruppe typische Sprachbarriere für das ärztliche Gespräch hinderlich. Wenn man Sie nicht versteht, kann man Ihre Ratschläge nicht befolgen und auch Sie gelangen nur schwer an Informationen. In solchen Fällen ist möglicherweise ein Dolmetscher hilfreich, in jedem Fall aber eine deutliche und einfache Sprache. Gerade bei Patienten, deren Sprachkenntnisse nicht gut sind, müssen Sie auf Einfachheit und den Verzicht von Fachwörtern achten. Stellen Sie einfache Fragen, mit denen Sie das Verständnis überprüfen und deuten Sie eine zustimmende Haltung nicht zwingend als Einverständnis oder als Bereitschaft, Ihre Ratschläge zu befolgen. Diese Haltung basiert auf einer autoritativen Grundhaltung Ärzten gegenüber: Für Patienten, die dem Islam angehören, ist Respekt vor dem Arzt oberstes Gebot. 129 127 Vgl. H OEFERT 2010: 87. 128 Ich empfehle zur Vertiefung die Lektüre von H OEFERT 2010. Dort finden Sie zahlreiche Begründungen für religiös bedingte Verhaltensweisen (insbesondere bei türkisch-muslimischen Patienten) sowie Normen und Ratschläge für den Umgang in der ärztlichen Praxis. 129 Vgl. H OEFERT 2010: 102. 220 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="236"?> Muslimische Patienten äußern Ärzten gegenüber weder offenen Widerspruch noch ihre Bedenken. Eine respektvolle Haltung ist daher nicht zu verwechseln mit Akzeptanz und Zuspruch. Respektvolles Verhalten ist nicht gleichzusetzen mit einer vertrauensvollen Beziehungsebene! Im ärztlichen Gespräch gilt es daher, durch aktives Zuhören mit kurzen offenen W-Fragen und durch eine offene Grundhaltung den kulturellen und sprachlichen Besonderheiten gegenüber Vertrauen aufzubauen. Versuchen Sie, die Krankheitsvorstellungen des Patienten in Erfahrung zu bringen und zeigen Sie Respekt vor anderen Denk- und Verhaltensweisen. Formulieren Sie zudem Befunde klar und mit dem Fokus auf somatische Informationen, da diese bei ausländischen, namentlich türkischen Patienten eine hohe Akzeptanz besitzen; bewusst unklar gestellte und psychosomatische Diagnosen führen in dieser Patientengruppe signifikant häufiger zum Arztwechsel als in anderen Patientengruppen. Patienten dieser Gruppe sind schnell irritiert, wenn weitere Untersuchungen oder Überweisungen zu Fachärzten angewiesen werden, weil sie diese als Zeichen von Inkompetenz deuten können. Dieser Umstand ist kulturell bedingt: Die schnelle und unkomplizierte Diagnosestellung und die Verordnungskultur der Medizinsysteme ihrer Heimatländer bestimmen hier das Denken der Patienten. Oder anders: Gerade in südlichen Ländern wird wenig Wert auf umfassende Diagnose gelegt, so dass Patienten aus diesen Ländern und Kulturen die detaillierte und ganzheitliche medizinische Herangehensweise im deutschen Gesundheitssystem nicht gewohnt sind und diese Bemühungen falsch deuten. Zu den kommunikativen Besonderheiten islamischer und südeuropäischer Migrantengruppen gehört es zudem, sowohl das Empfinden ihrer Erkrankung als auch ihr Seelenempfinden besonders expressiv hervor zu bringen. Intensives Klagen und lautes Weinen sind kulturell bedingte Ausdrucksformen, die häufig schwierige Kommunikationssituationen auslösen, die sich in aggressiven Konflikten entladen können, wenn man ihnen falsch begegnet. Hier gilt es, Verständnis für die exzessive Emotionalität zu zeigen und diesem Verhalten keinesfalls durch (sprachliche oder körperliche) Gewalt Einhalt zu gebieten. Ein solches expressives Verhalten wird unter Medizinern gern despektierlich als „ morbus mediterraneus “ oder „ morbus bosporus “ bezeichnet, weil insbesondere südländische Patienten zu einer oft ungewöhnlich starken und globalen Schmerzäußerung neigen. Dabei handelt es sich im Kern um eine Stereotypisierung, die vermieden werden sollte, auch wenn Studien gezeigt haben, dass in der Tat eine erhöhte Somatisierungsneigung und Tendenz zur Somatisierung psychischer Störungen in dieser Patientengruppe nachweisbar ist: . Jeder Jeck ist anders! 221 <?page no="237"?> Neben einem als expressiv und aggraviert wahrgenommenen Schmerzausdruck und demonstrativen Krankheitsäußerungen, einer stärkeren Klagsamkeit steht vor allem die Schmerzausbreitung über den gesamten Körper bzw. eine diffuse Symptompräsentation im Blickpunkt der Symptomatik, die als „ Mittelmeer-Syndrom “ bezeichnet wird. Die globale Schmerzausbreitung fällt im medizinischen Alltag unter den Begriff „ Ganzkörper-Schmerz “ bzw. „ Ganzkörper-Syndrom “ . Neben der Schmerzsymptomatik zielt der Begriff des „ Mittelmeer-Syndroms “ vor allem auf eine vermeintliche erhöhte Somatisierungsneigung bei Personen aus dem Mittelmeerraum ab [. . .]. 130 Das Phänomen der Somatisierung ist kommunikativ von besonderem Interesse: So werden von Patienten dieser Gruppe nahezu ausschließlich körperliche Symptome benannt, auch wenn psychische Ursachen zugrunde liegen. Zudem bezieht sich der körperliche Schmerz in Akutsituationen häufig auf den gesamten Körper, eine Differenzierung ist kaum möglich. Fragen nach einer differenzierten Schmerzangabe werden nicht beantwortet oder zurückgewiesen. In der Phase der Informationssammlung durch den Arzt spielt dieses Phänomen eine deutlich größere Rolle als eine möglicherweise bestehende Sprachbarriere, weil die oft dramatische Schmerzäußerung und die globale Schmerzlokalisierung das Gespräch gänzlich unmöglich machen. Dieses Phänomen ist kulturell bedingt und darf keinesfalls als bloße Simulation von Krankheitszeichen durch den Arzt bagatellisiert werden: In südosteuropäischen und südamerikanischen Ländern ist der expressive Ausdruck von Schmerzen ein Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Problems. Während in westlichen Kulturen Schmerzen eher unterdrückt werden, ist die intensive und laute Schmerzäußerung in anderen Kulturkreisen Zeichen der Seriosität des Leidens gegenüber Ärzten. Dieses Verhalten ist ein normatives Sozialverhalten innerhalb einer bestimmten kulturellen Gruppe und zugleich institutionell im jeweiligen Gesundheitssystem des Heimatlandes verankert. Eng mit diesem Aspekt verbunden ist die Tatsache, dass manche Religionen (z. B. der Islam) eine Beistandspflicht im Krankheitsfall vorsehen, was regelmäßig dazu führt, dass ärztliche Gespräche durch eine Vielzahl von Angehörigen gestört werden. Teilweise bestehen die Familienmitglieder darauf, sowohl bei der Befunderhebung und beim Anamnesegespräch als auch bei der Behandlung anwesend zu sein, was darauf zurückzuführen ist, dass in manchen Kulturkreisen Krankheiten intersubjektiv nicht nur den Patienten selbst, sondern die ganze Familie betreffen. Hier gilt es, diesem Wunsch nach Möglichkeit zu entsprechen 130 B UNGE 2004: 69. . 222 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="238"?> oder sensibel zu erklären, aus welchen Gründen Patienten von Angehörigen zu trennen sind (z. B. institutionelle Vorgaben, Hygienebestimmungen o. Ä.). So ist es im Klinikablauf nicht möglich, zehn oder zwanzig Angehörigen beispielsweise Zutritt zur Notaufnahme oder zur Intensivstation zu gewähren. Eine verständliche Erklärung bei gleichzeitigem Respekt vor den religiösen Konventionen der Patienten wirkt hier deeskalierend. Nicht die unbedingte Erfüllung der Forderungen Angehöriger steht im Vordergrund, sondern die einfühlsame Erklärung der bei uns geltenden Normen und Konventionen. 8.2 Kommunikative Deeskalationsstrategien in der Arzt-Patienten-Interaktion Die Beschäftigung mit besonderen und z. T. schwierigen Patientengruppen in den vorangegangenen Abschnitten hat gezeigt, dass ein gesprächssensibles Verhalten in vielen Situationen Konflikte entschärfen oder Probleme lösen kann. Dazu gehört es auch, dass wir uns kommunikativ unserem Gegenüber annähern und uns durch Sprache mit unseren Gesprächspartnern verbinden. Eine mögliche Strategie, mit der wir es schaffen können, Vertrauen in schwierigen Gesprächssituationen herzustellen - und damit eine Konfliktlösung herbeizuführen - , besteht darin, dass wir uns sprachlich mit unserem Gegenüber solidarisieren, indem wir uns sprachlich auf dessen Ebene begeben. Ein solches strategisches Sprachhandeln ist situationsgebunden, weshalb man in der Sprachwissenschaft von einem situativen Soziolekt als einer diaphasischen sprachlichen Varietät spricht: Die diaphasische Varietät von Sprachen bezieht sich auf unterschiedliche Sprachstile, die in verschiedenen Kommunikationssituationen verwendet werden. Wenn Sie Ihr eigenes Sprachhandeln reflektieren, werden Sie feststellen, dass auch Sie situationsabhängig im Alltag ständig ein variierendes und damit heterogenes sprachliches Verhalten zeigen: Sicher werden Sie mit einem Kommilitonen, einem langjährigen Kollegen oder einem alten Freund anders sprechen als mit einem Vorgesetzen, mit einem Professor im wissenschaftlichen Diskurs oder mit Ihrem Bäcker. In der Soziolinguistik, einer Teildisziplin der Sprachwissenschaft, bezeichnet man diesen bewussten oder unbewussten Sprachwechsel, bei dem Sprecher von einer sprachlichen Varietät in eine andere umschalten (z. B. vom Dialekt in die Standardsprache oder von der Standardsprache in die Jugendsprache), als diskursives oder funktionales Code-Switching. Dieser Wechsel hat in der Arzt-Patienten-Kommunikation funktionale Gründe: Er dient der Beziehungs- Kommunikative Deeskalationsstrategien in der Arzt-Patienten-Interaktion 223 <?page no="239"?> pflege oder dem Abbau von Asymmetrien, indem sich Ärzte auf das sprachliche Niveau ihrer Patienten einlassen und damit Verbundenheit signalisieren. Hier gilt der Grundsatz: Gleiche Sprache (bzw. gleiche sprachliche Varietät) verbindet. Das können Sie bei sich selbst überprüfen: Wenn jemand mit Ihnen in genau der Sprache spricht, die Sie selbst verwenden (dieselben Ausdrücke, dieselbe Grammatik, dieselbe Intonation), werden Sie diesen Menschen als sympathischer und vertrauensvoller empfinden, als wenn das nicht der Fall ist. Sie werden annehmen, dass Ihr Gegenüber derselben Gruppe zugehörig ist wie Sie selbst. Code-Switching ist somit eine Möglichkeit, Gruppenzugehörigkeit durch die bewusste Verwendung sprachlicher Mittel zu signalisieren, die in der Realität nicht zwingend gegeben ist. In konfliktbehafteten Kommunikationssituationen oder schwierigen Gesprächslagen eignet sich der funktionale Sprachwechsel dazu, Spannungen abzubauen und Konflikte sprachlich zu entschärfen. Aggressive Patienten beispielsweise lassen sich allein dadurch oftmals beruhigen, dass sie sich im wahrsten Sinne des Wortes verstanden fühlen - sprachliche Anpassung vermittelt das Gefühl wechselseitigen Verstehens: Wenn Ihr Patient den Eindruck hat, dass Sie „ seine Sprache “ sprechen, schlussfolgert er daraus, dass Sie sein Denken teilen und sich in ihn und seine Situation hineinversetzen können. Allein dieses Empfinden von Solidarität und Verbundenheit kann deeskalierend und beruhigend wirken. Insofern ist die reflektierte Anpassung an das Sprachverhalten eines anderen Menschen ein funktionales sprachliches Mittel der kommunikativen Annäherung und Konfliktbewältigung. Das bewusste Code- Switching erfordert vom Sprecher allerdings eine hohe verbale Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit sowie ein Gespür für kommunikative Situationen und deren Erfordernisse. Verschiedene Gesprächssituationen erfordern unterschiedliches Sprachverhalten, so dass Sprachhandeln immer situationsgebunden ist. Das gilt insbesondere für institutionelle Kommunikation und damit auch für das ärztliche Gesprächsverhalten. Situativer Sprachwechsel als ein bewusstes Mittel der emotionalen Annäherung wirkt in der Arzt-Patienten-Kommunikation beruhigend und ist insbesondere in schwierigen Gesprächssituationen als Deeskalationsstrategie geeignet. Neben dem bewussten Sprachwechsel können auch andere sprachliche Strategien dazu dienen, schwierige Situationen in der Arzt-Patienten-Interaktion . . 224 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="240"?> gewaltfrei zu lösen, weshalb wir uns diesen kommunikationstaktischen Prinzipien im Folgenden näher zuwenden wollen. Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle: Ist das nicht nur ein Thema für Polizisten und Türsteher? Müssen Ärzte in ihrem Beruf überhaupt deeskalierend handeln und wenn ja, in welchen Situationen? Dass sich eine Beschäftigung mit Strategien der Konfliktlösung und der gewaltfreien Deeskalation tatsächlich auch für Sie lohnt, zeigt Ihnen das folgende reale Fallbeispiel aus dem Klinikalltag in einer Großstadt: Fallbeispiel: Falling down in der Uniklinik Am Ende eines langen und heißen Tages stürmt ein Mann, der zuvor wegen eines leichten Arbeitsunfalls vorstellig wurde, aus dem Wartebereich in die Notaufnahme und will sofort den diensthabenden Arzt sprechen. Der Mann ist völlig außer sich und schreit: Ich warte jetzt schon 4 Stunden vor der Tür und will endlich einen Arzt sehen. Der Stationspfleger erwidert - ebenfalls etwas lauter - , dass sich der Mann gefälligst zu gedulden habe, es gäbe wichtigere Notfälle, die zuerst behandelt werden müssten. Daraufhin erscheinen zwei weitere Pfleger, die ebenfalls lautstark in das Wortgefecht einfallen. Der immer aggressiver werdende Patient verlässt daraufhin die Notaufnahme unter lautem Protest. Nach weiteren 30 Minuten alarmieren andere Patienten die Pfleger, weil der Mann inzwischen begonnen hat, im Wartebereich Mülleimer und Stühle umzuwerfen. Auf Ansprache durch einen der Pfleger, der mehr schreit als sagt Benehmen Sie sich jetzt, sonst fliegen Sie hier raus, stürmt der Mann in das Büro der Notaufnahme und greift den Pfleger an. Dieser kann sich befreien und schließt den wütenden Patienten im Büro ein. Gleichzeitig wird die Polizei alarmiert. Beim Eintreffen der Beamten hat der Mann bereits begonnen, das Büro zu verwüsten, Computermonitore umzustoßen, Kabel aus der Wand zu reißen und Gegenstände durch den Raum zu werfen. Der Mann wird durch vier Polizisten in Gewahrsam genommen und abgeführt. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass der Mann als selbstständiger Handwerker durch den Arbeitsunfall und den unfreiwilligen Aufenthalt in der Klinik einen für ihn wichtigen Kundenauftrag nicht ausführen konnte. Der Mann stand massiv unter Zeitdruck und hatte das lange Warten als unzumutbare Belastung sowie das Auftreten der Pfleger als Provokation empfunden. Dieses Ereignis, das an den Kinofilm Falling down mit Michael Douglas erinnert, hat sich genau so vor einigen Jahren in der Uniklinik Düsseldorf zugetragen und es steht exemplarisch für zahlreiche Begebenheiten in Klinik oder Praxis, in denen die Interessen von Patienten denen von Ärzten oder medizinischem Personal entgegenstehen. Kommunikative Deeskalationsstrategien in der Arzt-Patienten-Interaktion 225 <?page no="241"?> Wenn solche Situationen eskalieren, dann handelt es sich in aller Regel in der Ursache um unerfüllte Bedürfnisse, die Gewalt auf Seiten der Patienten auslösen können. Unangenehme Wartesituationen können im medizinischen Alltag ebenso Auslöser für aggressives Verhalten sein wie schlimme Diagnosen oder subjektiv empfundene Defizite in der ärztlichen Behandlung. Besonders Patienten, die auf rasche Hilfe oder gar Heilung hoffen, können mit Wut oder Aggression reagieren, wenn diese Hoffnungen nicht erfüllt werden. Dies gilt insbesondere für südländische Migranten, die sehr schnell ein Unterlassen von Verordnungen oder eine abwägende Haltung in Bezug auf ärztliche Maßnahmen als ein Zeichen von Inkompetenz deuten und sich in solchen Situationen oft nicht ausreichend ernst genommen fühlen. Wenn Sie als Arzt sich mit solchen Situationen konfrontiert sehen, besteht die Kunst der Deeskalation darin, negative Botschaften in einer Art und Weise zu vermitteln, durch die sich der Zorn, die Wut und die Ohnmacht nicht gegen Sie oder Ihre Mitarbeiter richten, sondern vielmehr zu einer Bewusstwerdung der Emotionen beim „ Aggressor “ führen. Verbale Deeskalation bedeutet, so zu kommunizieren, dass der Patient zwar die negative Botschaft wahrnimmt, emotional aber durch deeskalierende Verhaltens- und Kommunikationsweisen bei der kognitiven und emotionalen Verarbeitung der subjektiv als negativ empfundenen Botschaft gestützt und begleitet wird. Im Fokus steht die Objektivierung der subjektiven Empfindung: Erklärungen wirken deeskalierend, während gewalttätiges sprachliches Verhalten immer auch Gegengewalt erzeugt. In unserem Fallbeispiel haben das sprachliche und nonverbale Verhalten der Pfleger sowie die personelle Übermacht dazu geführt, dass der Patient sich nur durch Aggression und physische Gewalt aus seiner emotionalen Zwangslage befreien konnte. Das Beispiel zeigt also, wie wichtig zum einen das richtige Sprachhandeln in konkreten oder potentiellen Gefährdungslagen und zum anderen kommunikative Strategien im Vorfeld eskalierender Situationen sein können. Zu den Maßnahmen, die in schwierigen Gesprächssituationen entschärfend und beruhigend wirken können, gehört zu vorderst, dass Sie problematische Kommunikationssituationen erst gar nicht entstehen lassen bzw. frühzeitig Störfaktoren bei sich und in Ihrem Umfeld erkennen, die zu schwierigen Situationen führen können. Bedenken Sie: Die Interaktion mit Patienten beginnt nicht erst im Gespräch, sondern schon weit vorher, so dass sich Spannungen aufbauen und im Gespräch entladen können, die völlig entkoppelt sind vom Gesprächsinhalt, dem Gesprächsrahmen oder -zeitpunkt oder von Ihnen als . 226 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="242"?> Gesprächspartner. Daher ist es wichtig, dass aggressionsauslösende Reize nach Möglichkeit bereits weit im Vorfeld identifiziert und vermieden werden. Ein gutes Praxismanagement (professionelle Terminorganisation, Zeit- und Raummanagement etc.) und kommunikativ geschultes medizinisches und administratives Personal sind wichtige Säulen der Reizvermeidung in der Arzt-Patienten-Interaktion. Sind die kommunikativen Rahmenbedingungen zudem nicht angemessen (z. B. zu lange Wartezeiten, unfreundliches Empfangspersonal o. Ä.), können sich Aggressionen im Gespräch mit Ihnen entladen, für die Sie selbst gar nicht verantwortlich sind. In Kapitel 4.2 haben Sie das Kommunikationsquadrat nach S CHULZ VON T HUN kennengelernt. Die Kenntnis dieses Modells ermöglicht es Ihnen, bereits zu Beginn einer eskalierenden Gesprächssituation erregte Verhaltensweisen zu erkennen und diesen frühzeitig kommunikativ gegenzusteuern. Bestimmte sprachliche Signale können Sie über dieses Modell identifizieren und daraus beginnende Störungen ableiten, auf die Sie angemessen reagieren können, bevor die Situation aus dem Ruder läuft. Wenn ein Patient z. B. aufgeregt in Ihren Behandlungsraum stürmt und Sie mit dem Satz Hier arbeiten ja nur Idioten! begrüßt, dann sollten Sie diese Botschaft nicht als Sachinformation werten und daraus auch keine Botschaft auf der Beziehungsebene heraushören (es geht ihm sicher nicht darum, Sie persönlich zu beleidigen und anzugreifen). In erster Linie ist der kommunikative Gehalt auf der Ebene der Selbstaussage und des Appells zu verorten: Ihr Patient ist durch irgendetwas aufgebracht und möchte, dass Sie sich nach den Gründen dafür erkundigen. Eine Erwiderung wie Sie sind ja gerade sehr aufgebracht. Erzählen Sie mir, was passiert ist, ich kümmere mich um Ihr Problem! ist in ihrer Wirkung eindeutig deeskalierend. Nur selten sind emotionale Affektäußerungen und Beschimpfungen Ausdruck einer Botschaft auf der persönlichen Beziehungsebene: Mit dem „ Beziehungsohr “ wahrgenommen, werten Sie solche Äußerungen als persönliche Beschimpfung und Beleidigung, werden ärgerlich oder wütend und werden vermutlich ohne Prüfung der Sachlage reagieren. Zurechtweisungen, Belehrungen oder die Androhung von Sanktionen bewirken eine unnötige Eskalation der Konfliktsituation. Um es gar nicht erst zu einem gewalttätigen Konflikt kommen zu lassen, müssen die Botschaften aufgebrachter Patienten oder Angehöriger richtig gedeutet werden. Je eher man über das „ Selbstoffenbarungsohr “ die Erregtheit, Verzweiflung oder Wut eines Patienten erkennt, desto früher und erfolgreicher kann man durch sprachliches Handeln (wie durch Code-Switching) die Situation in die . Kommunikative Deeskalationsstrategien in der Arzt-Patienten-Interaktion 227 <?page no="243"?> gewünschte Bahn lenken. Durch verbale Deeskalation kann die aggressive Spannung eines Patienten sehr schnell in eine situationsangemessene Erregung oder in andere Emotionen (z. B. Hilflosigkeit, Trauer etc.) verwandelt werden. Erst nach der Deeskalation sind Gespräche über sachliche Lösungen sinnvoll. Verbale Deeskalation besteht im Kern aus fünf Stufen, die in kurzer zeitlicher Abfolge zu einer Beruhigung des Patienten führen sollen. Wenn Sie sich diese Stufenabfolge ansehen, stellen Sie fest, dass das Vorgehen sehr dem bekannten Phasenmodell der patientenorientierten Gesprächsführung ähnelt. Im Wesentlichen sind die Abläufe in der Tat identisch, allerdings handelt es sich nicht um ein Gesprächsmodell, sondern um eine Technik sprachlicher Konfliktlösung. Deshalb sollten die einzelnen Schritte nicht als klar abgrenzbare Phasen verstanden werden. Vielmehr lassen Konfliktsituationen oft nur wenige Sekunden Zeit, die einzelnen Phasen zu durchlaufen. Wie Sie weiter unten sehen können, lassen sich die verbalen Deeskalationsstufen in wenigen Sätzen realisieren. Im Einzelnen besteht das Konzept der verbalen Deeskalation aus den folgenden Schritten: 1. Kontaktaufnahme 2. Beziehungsaufbau 3. Konkretisierung des Problems 4. Bedarfsklärung 5. Angebote machen Wenn wir diese Stufen verbaler Deeskalation auf unser Fallbeispiel des wütenden Mannes in der Notaufnahme anwenden, dann finden Sie dieses Vorgehen in folgendem konstruierten Dialog zwischen Patient und Pfleger wieder: Fallbeispiel: Es geht auch anders - verbale Deeskalation einer gefährlichen Situation Am Ende eines langen und heißen Tages stürmt ein Mann, der zuvor wegen eines leichten Arbeitsunfalls vorstellig wurde, aus dem Wartebereich in die Notaufnahme und will sofort den diensthabenden Arzt sprechen. Der Mann ist völlig außer sich und schreit: Ich warte jetzt schon 4 Stunden vor der Tür und will endlich einen Arzt sehen. Der Stationspfleger ruft mit lauter Stimme ein bestimmendes Stop! (Stufe 1), auf das der Mann plötzlich stehen bleibt. Mit ruhiger und einfühlsamer Stimme fährt der Pfleger fort: Ich merke gerade, dass Sie sehr wütend und aufgebracht sind und ich möchte Ihnen gerne helfen. Es fällt mir jedoch schwer, Ihnen zu helfen, wenn Sie mich anschreien und mir so nahe kommen. Das macht mir Angst. Ich helfe Ihnen wirklich gerne, bitte halten Sie jedoch Abstand. Bitte sagen Sie mir, was Sie so wütend macht, ich finde mit Ihnen gemeinsam eine Lösung. Was macht Sie so wütend? (Stufe 2+3). 228 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="244"?> Der Mann erklärt, noch immer aufgebracht, aber schon weniger laut, dass er dringend wieder in die Firma müsse, weil er sonst einen Kundenauftrag verliere, der ihn seine berufliche Existenz koste und dass er deswegen in einer extremen Zwangslage sei. Daraufhin bittet ihn der Pfleger, in einem der Behandlungsräume Platz zu nehmen und bietet ihm ein Glas Wasser an. Er erklärt dem Mann, dass momentan kein Arzt für ihn Zeit habe, dass er sich aber darum bemüht, einen Arzt aus einer anderen Station herzuholen, der sich die Verletzung ansehen kann: Ich weiß, wie Sie sich fühlen und ich werde mich jetzt um Ihr Problem kümmern. Ich hole einen Arzt von einer anderen Station, aber das kann bis zu 30 Minuten dauern. (Stufe 4) Sind Sie damit einverstanden? Wäre das eine Lösung für Sie, wenn ich Ihren Auftraggeber anrufe und ihm mitteile, dass Sie bei uns sind? (Stufe 5). Der Patient erklärt sich mit diesem Vorgehen einverstanden und verlässt nach der Untersuchung die Klinik. Durch die bewusste Verwendung von Ich-Botschaften (vgl. den Exkurs in Kapitel 4.2) konnte in diesem Gespräch frühzeitig Vertrauen aufgebaut werden, wodurch sich die Situation schnell entspannt hat. Die Konkretisierung des Problems (Was macht Sie so wütend? ) ist die Voraussetzung, um zum einen den Bedarf zu klären und zum anderen zu einer Lösung zu finden, die zu einer Entspannung der Situation führt. Wenn Sie das verbale Handeln des Pflegers in Beispiel 2 mit dem in Beispiel 1 vergleichen, können Sie erkennen, wie wichtig die Kenntnis grundlegender Kommunikationsprinzipien und -modelle besonders in schwierigen Interaktionslagen sein kann. Auch wenn Beispiel 2 konstruiert ist, verdeutlicht es doch die Wirkung verbaler, nonverbaler und parasprachlicher Mittel. Gerade für die verbale Deeskalation gilt zudem ein Grundsatz, den Sie sich merken sollten: Stimme macht Stimmung! Angemessenes sprachliches Verhalten, eine beruhigende Stimme, strategische Ich-Botschaften und funktionales Code-Switching sind kommunikative Maßnahmen, mit denen es gelingen kann, schwierige Gesprächssituationen gewaltfrei zu lösen und eine vertrauensvolle Beziehungsebene zu gründen. 8.2.1 Bis hierher und nicht weiter - Nähe und Distanz in der Arzt-Patienten-Interaktion Gerade in emotional aufgeladenen Gesprächssituationen spielt die nonverbale Kommunikation eine besondere Rolle. Ihre Mimik und Gestik ist ebenso zeichenhaft wie Ihre Körperhaltung, Ihre Körperspannung oder der Abstand, . Kommunikative Deeskalationsstrategien in der Arzt-Patienten-Interaktion 229 <?page no="245"?> der zwischen Ihnen und Ihrem Gegenüber besteht. Im Grundsatz gilt, dass ein angemessener physischer Abstand eingehalten werden sollte, da zu enger Körperkontakt in angespannten Situationen gefährlich sein kann. Verbale Deeskalation ist immer auch gekoppelt an ein bestimmtes Nähe- und Raumverhalten. In medizinischen Notfallsituationen fällt es häufig schwer, diesen Grundsatz umzusetzen. Wenn Sie beispielsweise im Notarztdienst oder in der unfallchirurgischen Ambulanz einen aggressiven Patienten untersuchen oder behandeln müssen, können Sie zur Verrichtung Ihrer medizinischen Maßnahmen kaum den nötigen Sicherheitsabstand einhalten. Umso wichtiger ist es, dass Sie durch Ihre Sprache dazu beitragen, dass sich der Patient Ihnen gegenüber friedlich verhält. Nähe und Distanz spielen aber nicht nur im Zusammenhang mit Deeskalationstechniken eine Rolle. Die sogenannte Proxemik (= Näheforschung) beschäftigt sich als ein Spezialgebiet der Kommunikationsforschung mit dem Raumverhalten von Menschen und untersucht somit einen wichtigen Bestandteil nonverbaler Kommunikation. Jeder Mensch empfindet es als unangenehm, wenn ihm ein Fremder zu nahe kommt. Dabei gibt es beim subjektiven Näheempfinden soziale und kulturelle Unterschiede: Während in Südamerika etwa die Distanzzonen geringer ausgeprägt sind als in Mitteleuropa und dort häufige Berührungen Mittel der Kommunikation sind, wird zu enger körperlicher Kontakt in Japan oder England als unangenehm empfunden. Daneben spielen soziale Faktoren eine Rolle: Eine körperliche Berührung durch einen Vorgesetzten wird eher toleriert, als wenn der Untergebene dem Chef auf die Schulter klopft. In der Proxemik werden bestimmte Kommunikationszonen definiert, die zumindest für unsere westeuropäischen Gesellschaften nahezu einheitlich als Maßstab für unser Nähe-Distanz-Verhältnis angelegt werden können. Sie können bei sich selbst und anderen beobachten, dass ein Abstand von weniger als 40 - 60 cm (das entspricht etwa einer Armlänge) zwischen zwei Menschen, die sich fremd sind, als unangenehm empfunden wird. Unterschreitet ein Fremder diesen Abstand ohne Grund (in öffentlichen Verkehrsmitteln etwa lässt sich dies häufig nicht vermeiden), dann versuchen sich Menschen durch ein Zurückweichen aus dieser ungewollten Nähe zu befreien. Das Eindringen in die Intimzone eines anderen bedarf für gewöhnlich der Zustimmung des Gegenübers. In ärztlichen Behandlungssituationen unterschreiten Ärzte regelmäßig den Mindestabstand der Intimzone ihrer Patienten, was als unkritisch empfunden . 230 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="246"?> wird, da Patienten die Notwendigkeit der Nähe bewusst ist. Zudem handelt es sich häufig nur um kurze Überschreitungen der intimen Grenzen - und sie müssen auch in jedem Fall auf die Dauer der Maßnahme beschränkt bleiben. Besonders ausgeprägt ist das medizinisch notwendige Eindringen in die Intimzone in zahnärztlichen oder kieferchirurgischen Behandlungssituationen, bei denen neben dem Arzt auch noch Hilfspersonal an der Behandlung beteiligt ist. Insbesondere dort gilt es, sehr sensibel auf das Verhalten des Patienten zu achten und die Behandlung möglichst häufig kurz zu unterbrechen und die Distanz wieder herzustellen. Für alle Behandlungssituationen gilt: Wenn Sie merken, dass Ihrem Patienten die Nähe zu viel wird, gehen Sie auf Abstand und verlassen Sie für einen kurzen Moment die Intimzone. In Phasen des Patientengesprächs, in denen es nicht notwendig ist, einen engen Körperkontakt herzustellen, ist ein Abstand zwischen 60 cm und 120 cm das richtige Maß. Diese Zone, die man als persönliche Zone bezeichnet, ist die normale Gesprächsdistanz. Sie reicht aus, um zum einen Verbundenheit auszudrücken und um sich akustisch gut zu verständigen (sie lässt auch leise Töne zu) und sie ist zum anderen weit genug, damit die Intimsphäre des Gegenübers gewahrt bleibt. In der Arzt-Patienten-Interaktion ist diese Zone immer dann geeignet, wenn bereits eine vertrauensvolle Gesprächsbasis besteht; es ist für gewöhnlich der Abstand, in dem sich Freunde miteinander unterhalten. Wenn Menschen in dieser Distanzzone miteinander sprechen, ist dies also Ausdruck von Sympathie und Bekanntheit. Zu Beginn empfiehlt sich in der ärztlichen Gesprächsführung ein etwas größerer Abstand zwischen Arzt und Patient, den man als soziale Zone bezeichnet: Sie umfasst 120 cm bis 300 cm. In diesem Abstand unterhalten wir uns für gewöhnlich mit Fremden. Diese Zone wird daher in unpersönlichen Gesprächssituationen gewahrt. Viele Amtszimmer in Behören etwa sind so eingerichtet, dass ein ausreichend großer Abstand eingehalten wird. In der Arzt- Patienten-Interaktion sollte diese Zone allerdings nicht das Normalmaß sein. Ärzte müssen bestrebt sein, durch gesprächssensibles Verhalten emotionale Nähe herzustellen, die sich auch in physische Nähe überführen lässt. Neben den beschriebenen Distanzzonen gibt es noch die öffentliche Zone, die ab einem Abstand von 300 cm beginnt. Diese Zone entspricht beispielsweise dem Abstand von Rednern zum Auditorium während eines Vortrags oder dem von Schauspielern zu ihrem Publikum. Eine wechselseitige Kommunikation ist bei . . Kommunikative Deeskalationsstrategien in der Arzt-Patienten-Interaktion 231 <?page no="247"?> diesem Abstand erschwert, weil sich kein persönliches Verhältnis aufbauen lässt. In Konfliktsituationen kann diese Zone der Gefahrenabwehr und dem Selbstschutz dienen. Im Zuge der verbalen Deeskalation gilt es, langsam und vorsichtig aus der öffentlichen Zone in die soziale Zone vorzudringen, um durch das Gespräch eine Beruhigung der Situation herbeizuführen. Zudem sollte der Rückzugsweg in den öffentlichen Raum nicht verstellt sein (z. B. durch Wände oder geschlossene Türen). 8.3 Das Spikes-Protokoll zur Übermittlung schlechter Nachrichten Schwierige Gesprächssituationen resultieren in vielen Fällen aus emotionalen und psychischen Ausnahmesituationen. Aggressives Verhalten kann in solchen Momenten Ausdruck von Hilflosigkeit, Kränkung, Demütigung oder von Stress und Frustration sein. Zudem spielen Emotionen wie Angst (z. B. um das Leben eines geliebten Menschen) oder Trauer in medizinischen Gesprächskontexten eine zentrale Rolle. Besonders dann, wenn Ärzte schlechte Nachrichten übermitteln müssen, können Gespräche eskalieren und unvorhergesehene Wendungen nehmen. Wenn Sie sich an das Johari-Fenster aus dem allgemeinen Teil dieses Buches zurückerinnern, dann spielen sich solche emotionalen Reaktionen auf schlechte Nachrichten auf der Ebene des Unbekannten ab: Weder Sie noch Ihr Gegenüber können vorhersehen, wie der Betroffene auf eine schlechte Nachricht (z. B. eine tödliche Diagnose) reagieren wird. Umso wichtiger ist es, dass Ärzte wissen, wie sie sich auf die Übermittlung solcher Botschaften vorbereiten können und welche kommunikativen Strategien in solchen Gesprächen zu befolgen sind. Daher werden wir uns im Folgenden mit dieser Frage näher beschäftigen und ein Modell kennenlernen, anhand dessen Ärzte die Übermittlung schlechter Nachrichten kommunikativ strukturieren und steuern können. Die Übermittlung von Botschaften, die für Patienten mit negativen Folgen verbunden sind, gehört zu den Berufspflichten von Ärzten. Wenn Diagnosen verifiziert sind, die einschneidende Veränderungen für die Lebenswelt des Patienten nach sich ziehen, endet häufig der fachwissenschaftliche Schutzwall, hinter dem sich Ärzte verstecken können. In solchen Situationen müssen verbindliche Nachrichten formuliert werden. Wenn Ärzte beispielsweise Todesnachrichten überbringen müssen, spielt medizinisches Fachwissen keine Rolle mehr. Dasselbe gilt für verhängnisvolle Diagnosen, die keine weitere Therapie zulassen. In diesen Fällen helfen keine Ausflüchte ins Unverbindliche. Auch geht es nicht um die Herbeiführung einer partnerschaftlichen Entscheidung, so dass 232 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="248"?> in solchen Gesprächssituationen entsprechend andere kommunikative Konzepte greifen müssen. Damit eine schlechte Nachricht nicht dazu führt, dass Patienten oder Angehörige die Kontrolle über sich und die Situation verlieren, müssen solche Gespräche gut strukturiert und vorbereitet sein. Es gilt zwingend, eine Eskalation zu vermeiden. Aus diesem Grund ist es notwendig, bestimmte kommunikative Grundsätze gemäß der G RICE schen Konversationsmaximen (vgl. Kapitel 5.2) bei der Übermittlung schlechter Nachrichten zu beachten: 1. Handeln Sie entsprechend der Maxime der Modalität: Stellen Sie sicher, dass Ihr Gegenüber Sie richtig verstanden hat. Dazu gehört es, dass Sie Ihre Botschaft klar, verständlich und verbindlich formulieren (keine Fachbegriffe, kein Konjunktiv, keine Füllwörter). 2. Handeln Sie entsprechend der Maxime der Relation: Sagen Sie nichts, das in dieser Situation nicht relevant ist - bringen Sie die Nachricht auf den Punkt. 3. Handeln Sie entsprechend der Maxime der Quantität: Bilden Sie kurze Sätze, reden Sie nicht um den „ heißen Brei “ herum und verschweigen Sie nichts. 4. Handeln Sie entsprechend der Maxime der Qualität: Sagen Sie die Wahrheit, auch wenn sie unangenehm ist oder weh tut. Da Sie nicht wissen können, wie sich Ihr Gegenüber nach der Übermittlung der Nachricht verhält, seien Sie zudem auf eine Eskalation der Lage vorbereitet. Ein Kommunikationsmodell, das speziell auf das sprachliche Handeln bei der Aufklärung über eine schwerwiegende Diagnose ausgerichtet ist, ist das aus der Krebsdiagnostik stammende Spikes-Protokoll nach W ALTER B AILE . 131 Im Kern dient dieses Protokoll dazu, die Überbringung schlechter Nachrichten kommunikativ zu strukturieren. Die kommunikativen Grundprinzipien, die wir durch die Calgary-Cambridge-Guides für ein patientenorientiertes Gespräch identifiziert haben (dort entsprechen diese Grundprinzipien der Prozessebene eines Gesprächs), gelten hierbei entsprechend, so dass ich im Folgenden lediglich auf die einzelnen Phasen der Gesprächsgestaltung näher eingehen werde. Der Name Spikes-Protokoll basiert ebenso wie das SAMPLER-Abfrageschema zur Anamneseerhebung in der Notfallrettung (vgl. Kapitel 7.1.2) auf Abkürzungen der einzelnen Stufen, die in diesem Modell durchlaufen werden. Das Spikes-Protokoll legt also sechs Schritte nahe, die dabei helfen können, ein Gespräch zur Vermittlung schlechter Nachrichten vorzubereiten, durchzuführen und zum Abschluss zu bringen. 131 Vgl. B AILE et al. 2000. In der deutschen Übersetzung findet sich dieses Modell als ein Sechs- Stufen-Leitfaden für die Überbringung schlechter Nachrichten in L ANGER / S CHNELL 2009. Das Spikes-Protokoll zur Übermittlung schlechter Nachrichten 233 <?page no="249"?> Großen Einfluss auf den Erfolg der Übermittlung hat der erste Schritt, in dem der Arzt den kommunikativen Rahmen festlegt und Überlegungen anstellt, welche weiteren Bezugspersonen mit einbezogen werden sollten und welche Daten und Informationen (Befunde etc.) für die Gesprächsführung notwendig sind (Setting up the interview). Zudem gilt es, den Zeitrahmen festzulegen und Sorge zu tragen, dass das Gespräch unterbrechungsfrei und ungestört ablaufen kann. Hier gilt: Schlechte Nachrichten müssen stets in einem angemessenen zeitlichen und örtlichen Rahmen übermittelt werden. Neben der organisatorischen ist auch die emotionale Vorbereitung in dieser ersten Phase von entscheidender Bedeutung. Im zweiten Schritt muss zunächst das Vorwissen des Patienten erfragt werden (assessing the patient ’ s Perception). Bei schwerwiegenden Diagnosen über unheilbare Krankheiten etwa muss der Arzt erfragen, was dem Patienten bisher bereits gesagt wurde und wie er selbst seine Situation wahrnimmt (z. B. für wie ernst er seine Erkrankung hält). Diese gezielte Abfrage ist notwendig, um erkennen zu können, inwiefern es sich bei der Nachricht, die es zu übermitteln gilt, tatsächlich um einen blinden Fleck des Patienten handelt, den man in gemeinsames Wissen überführen muss (vgl. Kapitel 4.2.1). Bisweilen hat der Patient bereits Kenntnis über seine Situation, so dass das Gespräch eine andere Wendung nehmen kann. Handeln Sie also nach dem Leitsatz: Bevor Sie reden, fragen Sie! Dieses Vorgehen vermeidet zum einen Missverständnisse und kann Ihnen zum anderen wertvolle Informationen über das subjektive Krankheitsempfinden des Patienten liefern. Sollte dieses gänzlich von der objektiven Realität abweichen, müssen Sie im Weiteren sensibel darauf reagieren. Der dritte Schritt ist für den Gesprächsverlauf von entscheidender Wichtigkeit. Nachdem die Patientenwahrnehmung eruiert wurde, gilt es nun, die Bereitschaft zur Aufnahme der schlechten Nachricht zu klären (obtaining the patient ’ s Invitation). Sie sollten möglichst gezielt erfragen, wie detailliert der Patient über seine Erkrankung und die Folgen informiert werden möchte. Hier liegt die Entscheidungsfreiheit auf der Seite des Patienten. Sollte er keine näheren Details von Ihnen wissen wollen, vertagen Sie die Übermittlung und konzentrieren Sie sich auf Informationen über die Therapie. In jedem Fall ist es notwendig, den Wunsch des Patienten zu akzeptieren, nicht näher auf die Erkrankung eingehen zu wollen. Sollte Ihr Patient Bereitschaft zur Informations- . . 234 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="250"?> aufnahme zeigen, warnen Sie ihn vor, dass Sie eine schlechte Nachricht zu überbringen haben und zeigen Sie durch Ihre Wortwahl, dass Ihnen diese Aufgabe nicht leicht fällt bzw. dass Sie sich in die Lage Ihres Patienten hineinversetzen können (Es tut mir sehr leid, aber ich muss Ihnen eine schlechte Nachricht überbringen). Die eigentliche Übermittlung der schlechten Nachricht erfolgt in Phase vier (giving Knowledge and information to the patient). Der wichtigste Grundsatz dabei lautet: Vermeiden Sie Unklarheiten und seien Sie in Ihren Aussagen verbindlich. Die Übermittlung eines folgenschweren Befunds muss klar und präzise erfolgen. Vermeiden Sie Weitschweifigkeit - kommen Sie sofort auf den Punkt! Nachdem die Botschaft in ein oder zwei kurzen und prägnanten Sätzen für den Patienten verständlich übermittelt wurde, gilt es zunächst, das Verständnis abzufragen. Haken Sie nach, ob der Patient (oder Angehörige) korrekt aufgefasst hat, was Sie ihm mitteilen wollten. 132 Um korrekt verstanden zu werden, orientieren Sie sich an den allgemeinen Konversationsmaximen und beachten Sie den Soziolekt Ihres Patienten. Funktionales Code-Switching kann das Verständnis für Ihren Patienten erleichtern. In Phase fünf (addressing the patient ’ s Emotions with empathic responses) steht der empathische Zugang zu den Emotionen des Patienten im Vordergrund. Dazu eignet sich die Technik des aktiven Zuhörens ebenso wie das bewusste Spiegeln von Patientenaussagen. Signalisieren Sie verbal und nonverbal Ihre Unterstützung und Ihr Verständnis und lassen Sie Gefühle zu. Hilfreich ist es zudem, die Gefühle zu benennen und Patienten Zeit und Raum zu geben, ihre Emotionen auszuleben (Ich weiß, dass Sie jetzt Angst haben, Sie dürfen ruhig weinen). Gerade in dieser Phase zeigt sich, wie wichtig eine gute Organisation der Gesprächssituation in Phase eins ist: Stehen Sie selbst unter Zeitdruck oder platzt die Arzthelferin in das Gespräch, ist eine emotionale Öffnung des Patienten nach der Übermittlung der für ihn lebensverändernden Diagnose nicht möglich - mit weitreichenden psychischen Folgen bei der Bewältigung der über ihn hereinbrechenden Wirklichkeit. 132 Das Vorgehen bei der Übermittlung von Todesnachrichten an Angehörige weicht ein wenig vom Spikes-Protokoll ab, aber auch hier gilt: Weitschweifigkeit im Ausdruck ist ebenso zu vermeiden wie euphemistische Umschreibungen. Wenn jemand gestorben ist, dann ist er tot und nicht eingeschlafen. Euphemistische Umschreibungen können dazu führen, dass Botschaften nicht ankommen. Eine schlechte Nachricht lässt sich nicht schönreden. . Das Spikes-Protokoll zur Übermittlung schlechter Nachrichten 235 <?page no="251"?> Das Spikes-Protokoll sieht im Anschluss eine sechste Gesprächsphase vor, die in Abhängigkeit vom Befinden und von der emotionalen Lage des Patienten mehr oder weniger fruchtbar sein kann. Da die meisten Menschen nach der Übermittlung einer schlechten Nachricht nicht mehr in der Lage sind, allzu viele Informationen aufzunehmen oder rationale Entscheidungen zu treffen, sollte in dieser Phase die Verabschiedung mit einigen wenigen Hinweisen auf das weitere Vorgehen (Konsultation eines Spezialisten, Umstellung der Medikation o. Ä.) im Vordergrund stehen (Strategy and summery). Eine weitere konstruktive Gesprächsführung ist akut oftmals kaum möglich, so dass in erster Linie weitere Gesprächsmöglichkeiten für einen späteren Zeitpunkt vereinbart werden sollten. Bei Patienten, die emotional gefasst sind, kann die Besprechung des weiteren Vorgehens auch direkt im Anschluss an die Übermittlung erfolgen. In diesen Fällen ist es wichtig, zunächst sensibel zu prüfen, ob die vermeintliche Gefasstheit nicht nur Ausdruck einer emotionalen Überforderung ist. In der folgenden Übersicht sind die Phasen des Spikes-Protokolls zusammenfassend dargestellt: Phase Abkürzung Inhalt/ Thema Kennzeichen 1 S Setting Bezugsperson einbeziehen, Störungen vermeiden, Zeitrahmen setzen, Informationen bereithalten 2 P Perception of condition Abfragen von Vorwissen, Patientenwahrnehmung erkunden, blinder Fleck? 3 I Invitation from the patient to give information Bereitschaft zur Aufnahme der Botschaft abfragen, Patientenentscheidung akzeptieren, ggf. weitere Gespräche anbieten 4 K Knowledge: giving medical facts Klare und deutliche Übermittlung der Botschaft, kurze Sätze, keine Fachwörter, Code-Switching, Verständnis abfragen 5 E Explore emotions and sympathize Aktives Zuhören und Spiegeln, Emotionen zulassen, Zeit und Raum geben, empathische Rückmeldungen 6 S Strategy and summary Aussichten klären und nächste Gespräche/ Schritte planen Tabelle 25: Das Spikes-Protokoll zur Übermittlung schlechter Nachrichten 236 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="252"?> 8.4 Kapitelzusammenfassung Dieses Kapitel stand im Licht besonderer Gesprächssituationen, mit denen Ärzte und medizinisches Personal im Berufsalltag konfrontiert sein können. Neben aus medizinischer und soziolinguistischer Sicht schwierigen Patientengruppen haben wir Strategien zur verbalen Deeskalation sowie ein Kommunikationsmodell zur Übermittlung schlechter Nachrichten kennengelernt. Im Wesentlichen haben sich die folgenden Befunde ergeben: þ In der ärztlichen Gesprächsführung kommen Ärzte in Kontakt mit vielfältigen und heterogenen Patientengruppen. Bestimmte Gesprächsgruppen gestalten sich in der Arzt-Patienten-Interaktion schwierig. Dazu gehören alte Patienten, Kinder und Jugendliche und Patienten aus anderen Kulturkreisen und Religionen. þ Innerhalb von Patientengruppen gibt es soziale Rollen und Verhaltensmuster, nach denen Patienten ihr gesamtes Kommunikationshandeln ausrichten. þ Bei alten Patienten besteht oft eine problematische Divergenz zwischen subjektiver und objektiver Gesundheitseinschätzung. Zudem müssen für diese Patientengruppe Informationen im Ganzen vermittelt werden und sinnstiftend sowie prägnant formuliert sein. þ Kinder und Jugendliche benötigen eine altersgerechte Informationsvermittlung in Teilen. Die Einbeziehung der Eltern ist alters- und situationsabhängig abzuwägen. þ Bei ausländischen Patientengruppen besteht häufig eine Paradigmendiversität wegen divergierender Normen- und Wertevorstellungen aufgrund von kulturellen oder religiösen Hintergründen. þ Neben der Sprachbarriere bestimmen bei einigen Migrantengruppen das Krankheitsempfinden und -verständnis sowie eine Tendenz zur Somatisierung psychischer Störungen, eine kulturell bedingte exzessive Emotionalität und Expressivität in der Schmerzäußerung häufig in problematischer Weise das Arzt-Patienten-Gespräch. þ Schwierige Gesprächssituationen können in physischer Gewalt eskalieren. Verbale Deeskalationsstrategien wie etwa das funktionale Code-Switching (= situativer Sprachwechsel) können beruhigend wirken und solche Situationen gewaltfrei entschärfen. þ Das Spikes-Protokoll zur Übermittlung schlechter Nachrichten dient der Gesprächsstrukturierung und ermöglicht bei Befolgung der allgemeinen Konversationsmaximen eine zielführende und empathische Vermittlung negativer Befunde. Kapitelzusammenfassung 237 <?page no="253"?> Übungsfragen und -aufgaben zu diesem Kapitel 1. Definieren Sie mit eigenen Worten, was unter schwierigen Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Kommunikation zu verstehen ist! 2. Erläutern Sie den Begriff der „ Gruppe “ aus kommunikationstheoretischer Sicht! Welche Patientengruppen sind in der ärztlichen Praxis problematisch und weshalb? 3. Was sind die Besonderheiten im Umgang mit älteren Patienten? Erklären Sie in diesem Zusammenhang den Begriff „ Verbosität “ ! 4. Warum müssen bei Kindern und Jugendlichen Informationen in Teilen vermittelt werden? 5. Was ist unter Paradigmendiversität im Umgang mit Migranten zu verstehen? 6. Welche Deeskalationsstrategien kennen Sie? Erläutern Sie mit eigenen Worten, was unter verbaler Deeskalation zu verstehen ist! 7. Erklären Sie den Begriff „ Code-Switching “ und erörtern Sie, inwiefern es sich um eine Strategie zur verbalen Deeskalation handelt! 8. Skizzieren Sie die Phasen des Spikes-Protokolls! Welche kommunikativen Elemente und Prinzipien sind in dieses Modell eingebunden? Weiterführende und vertiefende Literatur zu diesem Kapitel Das Themenfeld Schwierige Patientengruppen in der Arzt-Patienten-Interaktion konnte im Rahmen dieses Buches nur kurz angerissen werden. Für eine Vertiefung empfehle ich die Lektüre von H OEFERT 2010. Neben einem Überblick über weitere Gruppen (z. B. Patienten mit somatoformen Störungen) ist insbesondere die hervorragend ausgestaltete Darstellung der kulturellen und religiösen Hintergründe bei türkisch-muslimischen Patienten sehr gelungen und detailreich. Ebenfalls lesenswert zu diesem Themenkomplex ist die aktuelle Publikation von M ENZ 2013, die diskursanalytisch mit Gesprächsdaten arbeitet und daher in erster Linie für Linguisten interessant sein dürfte. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist die prägnante Einführung in die Soziolinguistik von L ÖFFLER 2010 geeignet, die sozialen Hintergründe sprachlichen Handelns näher zu beleuchten. Zu Deeskalationsstrategien empfehle ich die Studie zur Wirksamkeit des professionellen Deeskalationsmanagements im Gesundheitswesen von P ELLER 2010. Das Spikes-Protokoll als Phasenmodell zur Überbringung schlechter Nachrichten lässt sich im Original nachlesen bei B AILE 2000. Dieses Modell ist inzwischen bereits integraler Bestandteil zahlreicher Kurse der medizinischen Psychologie und Soziologie in der Gesprächsausbildung angehender Mediziner. 238 Besondere Gesprächssituationen in der Arzt-Patienten-Interaktion <?page no="254"?> Literaturverzeichnis A NDRES , Marc-Stefan/ G AIDE , Peter (2001): Kein Fleisch, kein Blut. Medizinstudenten klagen über zu wenig Praxis während der Ausbildung. Die Zeit, 52/ 2001, 19. Dezember 2001. A USTIN , John L. (1979): Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart. B AHRS , Ottmar/ S ZECSENYI , Joachim (1993): „ Patientensignale - Arztreaktionen. Analyse von Beratungsgesprächen in Allgemeinarztpraxen “ . In: L ÖNING , Petra/ R EHBEIN , Jochen (Hrsg.) (1993): Arzt-Patienten-Kommunikation. Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses. Berlin/ New York. B ÄR , Theresa (2009): Die spontane Gesprächszeit von Patienten zu Beginn des Arztgesprächs in der hausärztlichen Praxis. Medizinische Dissertation. Berlin. B AILE , Walter et al. (2000): SPIKES - A six step protocol for delivering bad news: application to the patient with cancer. In: The Oncologist 5 (2000): 302 - 311. B ALINT , Michael (1980): Der Arzt, sein Patient und die Krankheit. 5. Auflage. Stuttgart. B ECHMANN , Sascha (2010): Rhetorische Fragen. München. B ECKMAN , H. B./ F RANKEL , R. M. (1984): The effect of physician behavior on the collection of data. In: Ann. Intern. Med. 101 (5): 692 - 696. B EGENAU , Jutta et al. (Hrsg.) (2010): Die Arzt-Patient-Beziehung. Stuttgart. B ERGNER , Thomas M. H. (2009): Wie geht ’ s uns denn? Ärztliche Kommunikation optimieren. Stuttgart. B LIESENER , Thomas (1993): „ Beratung als ärztliche Aufgabe - Irrwege und Auswege. Mit einem Beispiel aus der ärztlichen Aidsberatung “ . In: L ÖNING , Petra/ R EHBEIN , Jochen (Hrsg.) (1993): Arzt-Patienten-Kommunikation. Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses. Berlin/ New York. B ÖKER , Walter (2003): „ Arzt-Patienten-Beziehung: Der fragmentierte Patient “ . In: Deutsches Ärzteblatt 100: A-24. B UCKA -L ASSEN , Edlef (2005 a): Das schwere Gespräch. Patientengerechte Vermittlung einschneidender Diagnosen. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Köln. B UCKA -L ASSEN , Edlef (2005 b): Das schwere Gespräch. Einschneidende Diagnosen menschlich vermitteln. Köln. B ÜHLER , Karl (1934): Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena. B ÜHLER , Karl (1933): „ Die Axiomatik der Sprachwissenschaft “ . In: Kant-Studien. Bd. 38: 19 - 90. B UNGE , Christiane (2004): Zum Mythos des „ Mittelmeer-Syndroms “ - zur Bedeutung von Kultur und Migration auf das Schmerzerleben und Schmerzverhalten. In: http: / / www. agem-ethnomedizin.de/ download/ Christiane_Bunge_Mittelmeersyndrom.pdf <?page no="255"?> B U ß MANN , Hadumod (2002): Lexikon der Sprachwissenschaft. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart. D ETER , Hans-Christian (Hrsg.) (2010): Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin. Göttingen. D EVEUGELE , M./ D ERESE , A./ V AN DEN B RINK -M UINEN , A./ B ENSING , J./ D E M AESENEER J. (2002): Consultation length in general practice: cross sectional study in six European countries. In: BMJ 325 (7362): 472. D I B LASI , Zelda et al. (2001): Influence of Context Effects on Health Outcomes: A Systematic Review. The Lancet 357: 757 - 762. D IERKS , Marie-Luise et al. (2001): Patientensouveränität - Der autonome Patient im Mittelpunkt. Arbeitsbericht Nr. 195 der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Stuttgart. E GGER , Josef W. (2000): Das ärztliche Gespräch. Aspekte der Arzt-Patienten-Kommunikation. In: Psychologische Medizin 11 (1): 45 - 51. E HLICH , Konrad (1993): „ Sprachliche Prozeduren in der Arzt-Patienten-Kommunikation “ . In: L ÖNING , Petra/ R EHBEIN , Jochen (Hrsg.) (1993): Arzt-Patienten-Kommunikation. Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses. Berlin/ New York. E HLICH , Konrad/ R EHBEIN , Jochen (1980): „ Sprache in Institutionen “ . In: A LTHAUS et al. (Hrsg.): Lexikon der Germanistischen Linguistik. Tübingen: 338 - 345. E MANUEL , Ezekiel J./ E MANUEL , Linda L. (2004): „ Vier Modelle der Arzt-Patienten- Beziehung “ . In: W IESING , Urban: Ethik in der Medizin. Ein Studienbuch. Stuttgart: 101 - 104. E MANUEL , Ezekiel J./ E MANUEL , Linda L. (1992): „ Four Models of the Physician-Patient Relationship “ . In: JAMA 267: 2221 - 2226. F EHLENBERG , Dirk (1987): Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Gesprächsstrukturen der psychosomatischen Krankenvisite. Bochum. F LUCK , Hans (1996): Fachsprachen. Tübingen. F REUD , Sigmund (1912): „ Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung “ . In: F REUD , Sigmund: Gesammelte Werke. Frankfurt a. M. G EISLER , Linus (2004): Das Arzt-Patient-Gespräch als Instrument der Qualitätssicherung. Vortrag anlässlich des 2. Kongresses „ Qualitätssicherung in ärztlicher Hand zum Wohle des Patienten “ am 26. Juni 2004 in Düsseldorf. In: http: / / www.linus-geisler.de/ vortraege/ 0406arzt-patient-gespraech_qualitätssicherung.html. G EISLER , Linus (2003): „ Wie kommunizieren Sie mit Ihren Patienten? “ . In: Frauenarzt 44 (6): 685 - 689. G OEDHUYS , J./ R ETHAN , J. J. (2001): On the relationship between the efficiency and the quality of the consultation. A validity study. Family Practice, 18 (6): 592 - 596. G OLTZ , Dietlinde (1969): Krankheit und Sprache. In: Sudhoffs Archiv 53 (3): 225 - 269. G RICE , Herbert P. (1989): Studies in the Way of Words. Cambridge, Mass./ London. G RICE , Herbert P. (1975): „ Logik und Konversation “ . In: M EGGLE , Georg (Hrsg.) (1994): Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Mit einem Anhang zur Taschenbuchausgabe. Frankfurt a. M.: 243 - 265. 240 Literaturverzeichnis <?page no="256"?> G RICE , Herbert P. (1967): „ Logic and Conversation “ . In: ders. (Hrsg.)(1989): 22 - 40. H INDELANG , Götz (2004): Einführung in die Sprechakttheorie. 4., unveränderte Auflage. Tübingen. H OEFERT , Hans-Wolfgang (2010): Psychologie in der Arztpraxis. Göttingen. H OPE , R. Anthony et al. (1990): Oxford Handbuch der klinischen Medizin. 3. überarbeitete Auflage. Bern. K ELLER , Rudi (2006): Unternehmenskommunikation und Vertrauen. In: http: / / www.philfak.uni-duesseldorf.de/ uploads/ media/ Unternehmenskommunikation_und_Vertrauen.pdf. K ELLER , Rudi (2003): Sprachwandel. 3., durchgesehene Auflage. Tübingen. K ELLER , Rudi (1995): Zeichentheorie. Tübingen. K ERR et al. (2003): Communication, quality of life and age: results of a 5-year prospective study in breast cancer patients. Annals of Oncology 14: 421 - 427. K LEMPERER , David (2005 a): Shared Decision Making und Patientenzentrierung - vom Paternalismus zur Partnerschaft in der Medizin. Teil 1: Modelle der Arzt-Patienten- Beziehung. In: Balint 6: 71 - 79. K LEMPERER , David (2005 b): Shared Decision Making und Patientenzentrierung - vom Paternalismus zur Partnerschaft in der Medizin. Teil 2: Risikokommunikation, Interessenkonflikte, Effekte von Patientenbeteiligung. In: Balint 6: 115 - 123. K OEKKOEK , Bauke et al. (2006): „ Difficult Patients “ in mental health care: a review. In: Psychiatric Services 57 (6): 795 - 802. K OERFER , Armin (2013): Institutionelle Kommunikation. Zur Methodologie und Empirie der Handlungsanalyse. Mannheim. K OERFER , A./ O BLIERS , R./ K ÖHLE , K. (2005): „ Der Entscheidungsdialog zwischen Arzt und Patient - Modelle der Beziehungsgestaltung “ . In: N EISES , M./ D ITZ , S./ S PRANZ -F OGASY , T. (Hrsg.): Psychosomatische Gesprächsführung in der Frauenheilkunde. Stuttgart: 137 - 160. K RALLMANN , Dieter/ Z IEMANN , Andreas (2001): Grundkurs Kommunikationswissenschaft. München. K RONES , Tanja/ R ICHTER , Gerd (2006): „ Die Arzt-Patient-Beziehung “ . In: S CHULZ , Stefan/ S TEIGLEGER , Klaus/ F ANGERAU , Heiner/ P AUL , Norbert W. (Hrsg.): Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Frankfurt a. M. K URTZ , Suzanne et al. (2003): Marrying content and process in clinical method teaching: enhancing the Calgary-Cambridge guides. In: Acad Med. 78 (8): 802 - 809. L ANGER , Thorsten/ S CHNELL , Martin (Hrsg.) (2009): Das Arzt-Patient-/ Patient-Arzt- Gespräch. Ein Leitfaden für Klinik und Praxis. München. L ALOUSCHEK , Johanna (2004): „ Kommunikatives Selbst-Coaching. Ein sprachwissenschaftliches Trainingskonzept am Beispiel der klinischen Gesprächsführung “ . In: B ECKER -M ROTZEK , M./ B RÜNNER , G. (Hrsg.): Analyse und Vermittlung von Gesprächskompetenz. Frankfurt a. M.: 133 - 156. L ALOUSCHEK , Johanna (2002): „ Frage-Antwort-Sequenzen im ärztlichen Gespräch “ . In: B RÜNNER , Gisela/ F IEHLER , Reinhard/ K INDT , Walther (Hrsg.): Angewandte Diskursforschung. Band 1: Grundlagen und Beispielanalysen. Radolfzell: 155 - 173. Literaturverzeichnis 241 <?page no="257"?> L ALOUSCHEK , Johanna (1993): „‚ Irgendwie hat man ja doch bißl Angst. ‘ Zur Bewältigung von Emotionen im psychosozialen ärztlichen Gespräch “ . In: L ÖNING , Petra/ R EHBEIN , Jochen (Hrsg.) (1993): Arzt-Patienten-Kommunikation. Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses. Berlin/ New York. L ALOUSCHEK , Johanna et al. (1990): Alltag in der Ambulanz. Gespräche zwischen Ärzten, Schwestern und Patienten. Tübingen. L AZARE , Aaron et al. (1985): „ Three functions of the medical interview “ . In: L IPKIN , Mack et al. (Hrsg.): The medical interview: Clinical Care, Teaching and Research. New York. L EHR , Ursula/ N IEDERFRANKE , Anette (1991): „ Altersbilder und Altersstereotype “ . In: O SWALD / H ERRMANN / K ANOWSKI / L EHR / T HOMAE (Hrsg.): Gerontologie. Stuttgart. L ITTLE et al. (2001): Preferences of Patients for Patient centred approach to consultation in primary care: observational study. In: BMJ 322: 468 - 472. L ÖFFLER , Heinrich (2010): Germanistische Soziolinguistik. 4., neu bearbeitete Auflage. Berlin. L ÖNING , Petra (2001): „ Gespräche in der Medizin “ . In: B RINKER et al. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Berlin: 1576 - 1588. L ÖNING , Petra/ R EHBEIN , Jochen (Hrsg.) (1993): Arzt-Patienten-Kommunikation. Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses. Berlin/ New York. L UFT , Joseph (1971): Einführung in die Gruppendynamik. Stuttgart. L UFT , Joseph/ I NGHAM , Harry (1955): The Johari Window, a graphic model for interpersonal relations. Western Training Laboratory in Group Development, August 1955; University of California at Los Angeles, Extension Office. M ARTIN , C. M. et al. (1999): Consultation length and chronic illness care in general practice: a qualitative study. In: Med J Aust 171 (2): 77 - 81. M ARTINA , Benedict (1997): First clinical judgment by primary care physicians distinguishes well between nonorganic and organic causes of abdominal or chest pain, J Gen Intern Med 12 (8): 459 - 465. M AYER , Karl U./ B ALTES , Paul (1996): Die Berliner Altersstudie. Berlin. M EAD , Nicola/ B OWER , Peter (2002): Patient-centred consultations and outcomes in primary care: a review of the literature. Patient.Educ.Couns. 48 [1]: 51 - 61. M EGGLE , Georg (1997): Grundbegriffe der Kommunikation. Berlin/ New York. M EGGLE , Georg (Hrsg.) (1994): Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Mit einem Anhang zur Taschenbuchausgabe. Frankfurt a. M. MENZ , Florian (2013): Migration und medizinische Kommunikation. Linguistische Verfahren der Patientenbeteiligung und Verständnissicherung in ärztlichen Gesprächen mit MigrantInnen. Göttingen. M ENZ , Florian et al. (2008): Effiziente ärztliche Gesprächsführung. Optimierung kommunikativer Kompetenz in der ambulanten medizinischen Versorgung. Ein gesprächsanalytisches Trainingskonzept. Wien. M ENZ , Florian (1993): „ Medizinische Ausbildung im Krankenhaus am Beispiel der Lehranamnese: Die institutionalisierte Verhinderung von Kommunikation “ . In: L ÖNING , Petra/ R EHBEIN , Jochen (Hrsg.) (1993): Arzt-Patienten-Kommunikation. Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses. Berlin/ New York. 242 Literaturverzeichnis <?page no="258"?> M ENZ , Florian (1991): Der geheime Dialog. Medizinische Ausbildung und institutionalisierte Verschleierung in der Arzt Patienten Kommunikation. Eine diskursanalytische Studie. Frankfurt a. M. M EYER , Björn/ L ÖWE , Bernd (2010): „ Dimensionen der Arzt-Patient-Kommunikation in der modernen Medizin “ . In: D ETER , Hans-Christian (Hrsg.) (2010): Die Arzt-Patient- Beziehung in der modernen Medizin. Göttingen: 19 - 34. M ITZKAT , Anika et al. (2006): „ Arzt im ganzen Spektrum “ . Die integrierten Curricula der Medizinerausbildung an der Universität Witten/ Herdecke - Rückblick auf sechs Jahre Lehre im Hinblick auf Praxisorientierung und theoretische Vorgaben. In: GMS Z Med Ausbild 23 (4): Doc 66: 1 - 6. M ÜLLER , Konstanze (2005): Kenntnisse und Einstellungen klinisch tätiger Ärzte zum Patientengespräch - eine Untersuchung zum ärztlichen Kommunikationsverhalten. Dissertation. Berlin. N OWAK , Peter (2010): Eine Systematik der Arzt-Patienten-Interaktion. Systemtheoretische Grundlagen, qualitative Synthesemethodik und diskursanalytische Ergebnisse zum sprachlichen Handeln von Ärztinnen und Ärzten. Frankfurt a. M. O GDEN , J. et al. (2004): „ I want more time with my doctor “ : a quantitative study of time and the consultation. In: Fam. Pract. 21 (5): 479 - 483. P ELLER , Anni (2010): ProDeMa® Evaluation 2009/ 2010: Studie zur Wirksamkeit des Professionellen Deeskalationsmanagements im Gesundheitswesen. München. P ETERS , Tim (2008): Macht im Kommunikationsgefälle. Der Arzt und sein Patient. (Forum für Fachsprachen-Forschung, 82). Berlin. P LATE , Markus (2013): Grundlagen der Kommunikation. Gespräche effektiv gestalten. Göttingen. Q UASEBARTH , Alexander (1997): Arzt-Patienten-Kommunikation in der medizinischen Ausbildung. Münster. R ABINOWITZ , I./ L UZZATI , R./ T AMIR , A./ R EIS , S. (2004): Length of patient's monologue, rate of completion, and relation to other components of the clinical encounter: observational intervention study in primary care. In: BMJ 328 (7438): 501 - 502. R EDDER , Angelika/ W IESE , Ingrid (1994) (Hrsg.): Medizinische Kommunikation. Diskurspraxis, Diskursethik, Diskursanalyse. Opladen. R EHBEIN , Jochen (1993): „ Ärztliches Fragen “ . In: L ÖNING , Petra/ R EHBEIN , Jochen (Hrsg.): Arzt-Patienten-Kommunikation. Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses. Berlin/ New York. R OELCKE , Thorsten (2005): Fachsprachen. Berlin. R OGERS , Carl R. (2010): Die nicht-direktive Beratung. Frankfurt a. M. R OGERS , Carl R. (Hrsg.) (1981): Der neue Mensch. 7. Auflage 2007. Stuttgart. R OGERS , Carl R. (1973): Entwicklung der Persönlichkeit. Stuttgart. R OSENBERG , Marshall B. (2001): Gewaltfreie Kommunikation. Paderborn. S ATOR , Marlene/ S PRANZ -F OGASY , Thomas (2011): „ Medizinische Kommunikation “ . In: K NAPP , Kalfried et al. (Hrsg.): Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen. S CHECKER , Michael (Hrsg.) (1995): Fragen und Fragesätze im Deutschen. Tübingen. Literaturverzeichnis 243 <?page no="259"?> S CHETTLER , Gotthard/ N ÜSSEL , Egbert (1984): „ Das ärztliche Gespräch und die Anamnese “ . In: S CHETTLER , Gotthard (Hrsg.): Innere Medizin. Ein kurzgefaßtes Lehrbuch. Bd. 1. Stuttgart: 1 - 12. S CHÖNE -S EIFERT , Bettina (2007): Grundlagen der Medizinethik. Stuttgart. S CHULZ VON T HUN , Friedemann (2010 a): Miteinander Reden 1. Störungen und Klärungen. Reinbek. S CHULZ VON T HUN , Friedemann (2010 b): Miteinander Reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Reinbek. S CHULZ VON T HUN , Friedemann (2007): Miteinander Reden: Fragen und Antworten. Reinbek. S CHULZ VON T HUN , Friedemann et al. (2003): „ Aktives Zuhören “ . In: Miteinander Reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. Reinbek. S CHULZ VON T HUN , Friedemann (1981): Miteinander reden: Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Reinbek. S CHWEICKHARDT , Axel/ F RITSCHE , Kurt (2007): Kursbuch ärztliche Kommunikation. Grundlagen und Fallbeispiele aus Klinik und Praxis. Köln. S HANNON , Claude (1993 a): Collected Papers. Edited by N. J. A. Sloane, Aaron D. Wyner. New York. S HANNON , Claude (1993 b): „ Communication Theory - Expositions of Fundamentals (1950) “ . In: ders. (Hrsg.)(1993 a): 173 - 176. S HANNON , Claude/ W EAVER , Warren (1976): Mathematische Grundlagen der Informationstheorie. München. S PEIERER , Gert-Walter (2004): Kursus der Medizinischen Psychologie. Das patientenorientierte Gespräch (POG) im Mittelpunkt einer personzentrierten Medizin. Kursheft. Universität Regensburg. S PEIERER , Gert-Walter (1985): Das patientenorientierte Gespräch. Baustein einer personenzentrierten Medizin. München. S TEWART , Moira (2003): „ Evidence for the patient-centered clinical method as a means of implementing the biopsychosocial approach “ . In: F RANKEL et al. (Hrsg.): The Biopsychosocial Approach: Past, Present, Future. Rochester, New York: 123 - 134. S TUNDER , Wolfgang (2004): Spontane Redezeit von Patienten zu Beginn der Konsultation in einer Hausarztpraxis. In: Z Allg Med 80: 1 - 4. T EN H AVE , Paul (1993): „ Fragen von Ärzten. Erste Bemerkungen “ . In: L ÖNING , Petra/ R EHBEIN , Jochen (Hrsg.) (1993): Arzt-Patienten-Kommunikation. Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses. Berlin/ New York. V ATER , Heinz (1999): Einführung in die Sprachwissenschaft. 3. Auflage. München. W ATZLAWICK , Paul et al. (1969): Menschliche Kommunikation. Bern. W EBER , Wilfried (1996): Wege zum helfenden Gespräch. Gesprächspsychotherapie in der Praxis. München. W EST , Candace (1984): Routine complications. Troubles with talk between doctors and patients. Bloomington, Indiana. W ESTPHALE , Claus/ K ÖHLE , Karl (1982): „ Gesprächssituation und Informationsaustausch während der Visite auf einer internistisch-psychosomatischen Krankenstation “ . In: 244 Literaturverzeichnis <?page no="260"?> K ÖHLE , Karl/ R ASPE , Hans-Heinrich (Hrsg.): Das Gespräch während der ärztlichen Visite. München. W ILM , S./ K NAUF , A./ P ETERS , T./ B AHRS , O. (2004): Wann unterbricht der Hausarzt seine Patienten zu Beginn der Konsultation? In: Z Allg Med 80: 53 - 57. W ILMANNS , Juliane C./ S CHMITT , Günther (2002): Die Medizin und ihre Sprache. Landsberg/ Lech. W INKELMANN , Andreas (2009): Von Achilles bis Zuckerkandl - Eigennamen in der medizinischen Fachsprache. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Bern. Literaturverzeichnis 245 <?page no="261"?> Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abb. 1 Das sprachliche Zeichen (nach DE S AUSSURE ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Abb. 2 Sender-Empfänger-Modell (nach S HANNON / W EAVER ) . . . . . . . . . . . . . . 80 Abb. 3 Organon-Modell der Sprache (nach B ÜHLER ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Abb. 4 Das Kommunikationsquadrat mit den vier Seiten einer Nachricht (nach S CHULZ VON T HUN ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Abb. 5 Johari-Fenster in der Arzt-Patienten-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . 96 Abb. 6 Entscheidungsspielräume in der Arzt-Patienten-Interaktion . . . . . . . 139 Abb. 7 Informationsinteressen im Arzt-Patienten-Gespräch . . . . . . . . . . . . . . 144 Abb. 8 Einflussfaktoren auf das Arzt-Patienten-Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Abb. 9 Paradoxe Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Abb. 10 Struktur ärztlicher Gespräche nach den Calgary-Cambridge-Guides (nach K URTZ 2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Tabelle 1: Grundsätze für die Internationale Anatomische Nomenklatur . . . . . 64 Tabelle 2: Beispielhafte Gegenüberstellung von Fach- und Alltagssprache . . . . 66 Tabelle 3: Gegenüberstellung von deutscher und englischer Fachsprache . . . . 67 Tabelle 4: Zeichen und ihre kommunikativen Realisierungen . . . . . . . . . . . . . . . 71 Tabelle 5: Äußerungen und ihre kommunikativen Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . 87 Tabelle 6: Die vier Seiten einer Nachricht in einer verbalen Kommunikationssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Tabelle 7: Die vier Seiten einer Nachricht in einer extraverbalen Kommunikationssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Tabelle 8: Performative Verben in der Arzt-Patienten-Kommunikation . . . . . . 103 Tabelle 9: Indirekte Sprechakte in der ärztlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Tabelle 10: Hinweise auf absichtliche Verletzungen von Konversationsmaximen in Alltagsgesprächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Tabelle 11: Elemente der heilsamen Beziehung (nach R OGERS ) . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Tabelle 12: Formen entfremdender Kommunikation im ärztlichen Gespräch . . 117 Tabelle 13: Bestandteile gewaltfreier Kommunikation in der ärztlichen Gesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Tabelle 14: Modelle der Arzt-Patienten-Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Tabelle 15: Themenschwerpunkte im Arzt-Patienten-Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . 144 Tabelle 16: Institutionelle Parameter in Klinik und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Tabelle 17: Medizinische Gesprächsformen anhand funktionaler Kriterien . . . . 173 Tabelle 18: Funktionale Dimensionen ärztlicher Gespräche (nach S PEIERER ) . . . 179 <?page no="262"?> Tabelle 19: Kommunikative Kompetenzen im ärztlichen Gespräch nach W ESTON / L IPKIN (aus M ÜLLER 2005: 101) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Tabelle 20: Offene W-Fragen in der medizinischen Kommunikation . . . . . . . . . . 188 Tabelle 21: Typologie ärztlicher Fragen I: inhaltsbezogene Fragen . . . . . . . . . . . . 191 Tabelle 22: Typologie ärztlicher Fragen II: instrumentelle Fragen . . . . . . . . . . . . . 193 Tabelle 23: Elemente des patientenorientierten Gesprächs (nach S PEIERER 2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Tabelle 24: Phasenspezifische Kommunikationsprozesse im ärztlichen Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Tabelle 25: Das Spikes-Protokoll zur Übermittlung schlechter Nachrichten . . . . 236 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 247 <?page no="264"?> Index Absicht 35, 37, 39 - 40, 42, 46, 48, 72, 98, 104, 191 - kommunikative 41, 92 Adhärenz 22, 133, 162 Akte, kommunikative 22, 34, 39, 104 Alltagssprache 9, 51, 63, 65 - 66, 75, 120, 128, 161, 210 Alter 18, 109, 174, 213 - 218 Anamnese 4, 58, 149, 170 - 171, 173 - 178, 182, 196, 199 - 200 - Fremdanamnese 218 Angst 3, 36, 55 - 57, 63, 72, 138, 160, 217, 228, 232 Annäherung 171, 224 - kommunikative 224 Appell 82, 84 - 91, 98 Approbationsordnung 15 Arbitrarität 69 Asymmetrie 130 - 131, 133 - 135, 140 - 141, 161, 177, 183, 200, 206, 213, 224 Ausdruck 19, 38, 40, 46, 55, 57, 64, 70 - 71, 73, 78, 82 - 84, 86, 123, 194, 202, 222 - Ausdrucksfähigkeit 35, 211, 215 - Ausdrucksmittel 36 Äußerung 20, 32, 35, 37, 46 - 47, 49, 68, 79, 83 - 92, 100 - 102, 104 - 110, 115, 117 - 118, 120, 122, 129, 184, 186, 215 - konstative 102 - performative 102 - 103, 106, 122 Bedeutung 35, 54, 57 - 58, 61, 63 - 64, 66, 69, 73, 120 Bedürfnis 8, 50, 93, 102, 116, 118 - 119, 121 - 123, 129, 133, 135, 141, 143, 145, 161, 180, 217, 226 Beeinflussung 46 - 50, 54 - 55, 68, 72, 105, 186 Befund 19 - 20, 22, 60, 62 - 63, 65 - 67, 83, 94, 121, 141, 143 - 144, 171, 179, 201, 221, 234, 237 - somatischer 132, 136, 139, 161, 172, 177, 186, 198, 200, 218 Beschwerdeerfassung 170, 206 Beziehung 7, 42, 64, 82, 85 - 88, 93, 98, 112, 116, 120, 127 - 128, 130 - 132, 134 - 136, 138, 141, 147, 152, 153, 156, 158, 162, 166, 169 - 171, 179, 187, 194, 198, 203, 216 - heilsame 112 - 113 Beziehungsebene 81, 84 - 91, 98, 112, 115 - 116, 123, 132, 140, 148, 156, 162, 179, 192, 198 - 199, 217, 221, 227, 229 Beziehungsmodell 131, 134 - 135, 139 - 140, 166, 187 - abwägendes 131, 135 - 136, 166 - informatives 134 - 136, 140, 166 - interpretatives 135, 140, 166 - paternalistisches 12, 131 - 135, 139, 145, 154, 162, 166, 187, 216 - 217 - shared decision making 136 - 138, 141, 149, 153, 160, 166, 202 - 203, 205, 213, 217 Botschaft 36, 39, 42, 58, 79, 82, 85 - 93, 98, 106 - 107, 109 - 110, 114, 120, 123, 142, 148, 159 - 161, 174, 185 - 187, 205, 216, 226 - 227, 232 - 233, 235 - 236 - Du-Botschaft 88 - 89 - Ich-Botschaft 88 - 89, 99, 205, 229 <?page no="265"?> Calgary-Cambridge-Guides (s. Phasenmodell) 169, 196 - 197, 199, 202 - 204, 206 - 208, 213, 233 Code - elaborierter 210 - restringierter 210 Code-Switching 224, 227, 235 - 237 - funktionales 223, 229 Compliance 6, 22, 88, 132 - 133, 148, 162, 166, 174, 191, 202, 213 Deeskalation 225 - 226, 228 - 230, 232 - Deeskalationsstrategie 218, 223 - 224, 237 Dialog 3, 82, 142 - 143, 145, 151, 170, 172 - 173, 180 - 181, 194, 196, 228 dialogisch 30, 181, 195, 206 Dimensionen, funktionale 178 - 180, 206 Einflussfaktoren 145, 158 - 159, 166 Empathie 12, 112 - 114, 116, 118, 122 - 123, 132, 173, 179, 194, 196 empathisch 120 - 121, 123, 129, 156, 180 Entscheidung 129, 131 - 132, 134 - 135, 137, 157, 166, 180, 191, 193, 202, 232, 236 Entscheidungsfindung 131, 133 - 134, 136, 140, 171 - 172, 179, 187, 198, 201 - 202, 205, 213, 217 - partizipative 166, 179, 187, 198 - 199, 202 Entscheidungsfreiheit 48 - 49, 234 Eskalation 227, 233 Exploration 173, 176 - 177 Fachsprache 9, 35, 51, 53, 59 - 61, 63 - 67, 75, 152, 154, 161, 202, 204 - 205 Fehldeutung 42 Fleck - blinder 95 - 98, 202, 234, 236 Frage - Frage-Antwort-Sequenz 176, 182 - 184, 206 - Frageform 178, 181, 184 - 185, 187, 190, 206 - Fragehandlung 20, 101, 169, 181 - 182, 184 - 186, 206 - Fragesatz 169, 184 - 186 - Fragetechnik 164, 169, 175, 180 - 181, 183, 187, 204 - geschlossene 170, 176, 187, 189 - 190, 196, 200, 206 - inhaltsbezogene 181, 191 - instrumentelle 181, 193, 206 - offene 177, 180, 183, 188 - 189, 199 - 202, 206 - Patientenfrage 182, 186 - 187 - rhetorische 19 - 20, 169, 181, 185, 202 - W-Fragen 188 - 189, 206, 221 Gehalt, kommunikativer 32, 34, 42 - 43, 107, 184, 189, 216, 227 Gelingensbedingungen 103, 122 Gemeinsprache 59 - 62, 64, 75 Gesamtsprache 60, 75 Gesellschaftsspiel, soziales 32 Gespräch - Anamnesegespräch 169, 172, 174 - 175, 182, 196, 222 - Aufklärungsgespräch 96 - 97, 145, 172 - Aufnahmegespräch 172 - Beratungsgespräch 19, 172, 197 - Entlassungsgespräch 173, 196 - Folgegespräch 169, 171 - 172, 174 - freies 173 - 174 - funktionales 170 - Gesprächssystematik 169 - Visitegespräch 140, 143, 172 Gesprächsführung 4, 9, 15, 20, 100, 102, 109, 112, 118 - 119, 122, 128, 147, 152, 157, 160, 166, 173, 181 - 182, 185, 189, 196 - 197, 200, 203, 207, 220, 231, 234, 236 - 237 - ärztliche XI, 4 - 5, 15, 23, 32, 95, 98, 127, 171, 197, 218 - direktive 132, 195 - krankheitszentrierte 177 250 Index <?page no="266"?> - nondirektive 111, 134, 195 - 196 - patientenorientierte 181, 195, 198 - 200, 206, 228 Gesprächsparameter 71 - flankierende 146 Gesprächssequenzen 174 - freie 173 Geste 12, 28, 34, 40, 45, 57, 195 Gestik 34, 49, 70, 114, 194, 204, 215, 229 Gesundheitseinschätzung - objektive 214, 237 - subjektive 214, 237 Giraffensprache 116, 118 Gruppe 55, 61, 75, 92, 210 - 216, 218, 220 - 222, 224 - formelle 152 - informelle 152 Handeln 1 - 2, 12, 17 - 19, 21 - 22, 27, 42, 78, 82, 98, 101, 112, 129 - 131, 133, 136, 151, 154 - 155, 179, 191, 206, 217, 229 - absichtsvolles 39 - kommunikatives 2, 5, 18 - 19, 21, 50, 75, 100, 146, 155, 169, 209 - sprachliches 1, 8, 18, 21, 43, 58, 60, 84, 101, 103, 108, 121 - 122, 184, 186, 211 - 212, 227, 233 Idiolekt 211 Implikatur, konversationelle 107, 122 Information, somatische 144, 174, 221 Informationsaustausch 29 - 30, 137 Informationsinteresse 140, 143 - 145, 148, 153, 158, 161, 164, 174 Informationslücke 31 Informationssammlung 172, 198, 222 Intention 67, 86, 102, 122 Interaktion 13, 16 - 17, 20, 32, 46, 51, 112, 131, 139 - 141, 155 - 156, 158, 161, 171, 177, 183, 209, 213, 216, 218, 223 - 224, 226, 229, 231, 237 Interpretation 33 - 34, 37, 42, 50, 65, 73, 89 - 90 Interpretierbarkeit 41, 43, 45, 50, 72 Interview 47, 173, 177 - 178, 182 Johari-Fenster 92, 95 - 98, 113, 200, 202, 232 Jugendliche 211, 216 - 219, 237 Kinder 79, 109, 216 - 219, 237 Kommunikation 14, 30 - 31, 46 - bidirektionale 130 - chemische 29 - explizite 91 - extrasprachliche 18 - extraverbale 36, 39, 90, 149, 159 - gewaltfreie 115 - 116, 118 - 119, 121 - 123, 145, 198, 205 - im engeren Sinn 33, 35 - 42, 50, 57, 78 - im weiteren Sinn 34, 38 - 40, 42 - 43, 50, 57, 68 - 69, 85 - implizite 91, 106, 122 - institutionalisierte 150 - 151, 154, 166 - nonverbale 21, 90, 229 - 230 - paradoxe 165 - parasprachliche 229 - paraverbale 36 - patientenorientierte 111 - patientenzentrierte 13, 174, 187, 201 - unidirektionale 130 - verbale 35 - 37, 50, 69, 89 - 90, 98, 102 Kommunikationsmodell 75, 80, 82, 84 - 85, 90, 100, 132, 137 - 138, 197, 233, 237 - Kommunikationsquadrat 85, 88, 90 - 91, 106, 111, 136, 148, 227 - Organon-Modell 82 - 84, 98 Kommunikationsprozess 69, 72, 74, 84, 100, 151, 169, 178, 183 - 184, 187, 196 - 198, 200 - 201, 204 - 206, 214, 219 - phasenspezifischer 198 - 199, 201, 203, 205 Kommunikationswissenschaft 23, 79 Kommunikationszone - intime 230 - öffentliche 231 - persönliche 231 Index 251 <?page no="267"?> - soziale 231 Kompetenzen 12, 15, 180, 206, 209 - kommunikative 6, 12, 158 Konflikt 159, 220 - 221, 227 - Konfliktbewältigung 224 Konversation 179, 181 Konversationsmaxime 100, 106, 108 - 110, 123, 143, 162, 198, 201, 205, 233, 235, 237 - der Modalität 108, 110, 233 - der Qualität 108, 201, 233 - der Quantität 108 - 110, 162, 233 - der Relation 108 - 111, 233 Kooperationsprinzip 107 - 112, 212 Krankheitsempfinden 136, 143, 161, 186 - 187, 199, 204, 234, 237 - subjektives 144, 170 Krankheitsverständnis 220 Kriterien 143, 174, 182, 199 - 200 - funktionale 173 Laut 53 - 55, 71, 80, 104 Linguistik 11, 17 - 23, 75, 101, 122 Maxime (s. Konversationsmaxime) 22, 108 - 111, 162, 201 Migranten 220, 226 Mimik 49, 70, 114, 194, 204, 215, 229 Missverständnis 35 - 36, 42, 45, 50, 63, 92, 128, 161 Mittelmeer-Syndrom 222 morbus bosporus (s. Mittelmeer- Syndrom) 221 morbus mediterraneus (s. Mittelmeer- Syndrom) 221 Nachricht 30, 37, 78 - 80, 85, 87, 89 - 91, 148, 159, 232 - 234 - schlechte 36, 209, 232 - 237 Nomenklatur, anatomische 60, 63 - 64, 67, 75 Paradigmendiversität 219, 237 Parameter 72, 83, 93, 152 - 155, 176, 220 - institutionelle 154 - 155, 166 Patientenfrage (s. Frage) 182, 186 - 187 Patientenfragebogen, standardisierter 175 Patientengruppe 117, 210, 212 - 214, 220 - 221, 237 - schwierige 223, 237 Persuasion 46 - 47 Phasenmodell 169, 178, 193, 196 - 197, 203, 206 - 207, 228 - Calgary-Cambridge-Guides 169, 196 - 197, 199, 202 - 204, 206 - 208, 213, 233 präformulieren 165, 175, 183 Pragmatik 75, 100 Proposition 102 - 103 Proxemik 230 Redundanz 80 Regel 7 - 8, 50, 103 - 104, 108, 117, 156, 169, 171 - Aufrichtigkeitsregel 104 - Regel des propositionalen Gehalts 103 - Wesentliche Regel 104 Repertoire, sprachliches 28, 37, 59, 211 Rolle 3, 29, 33, 40, 43, 61, 104, 106, 117, 127, 131, 133, 139 - 140, 147 - 148, 166, 204, 210 - 211, 213, 216, 237 - Rollenbild 129 - Rollendenken 145 - Rollenkonzeptionen 159 - Rollenverhalten 128 - Rollenverständnis 129, 153, 160 SAMPLER-Abfrageschema 175, 233 Scheitern, kommunikatives 7, 33, 42, 49, 51, 105, 107, 111 - 112, 115 - 116, 148, 159, 167 - 169 Schmerzäußerung 221 - 222, 237 Schweigen 46, 194 252 Index <?page no="268"?> Selbstgespräch 29, 39 Selbstoffenbarung 86, 88, 91, 98, 121, 174 Semiochemikalien 29 Sender-Empfänger-Modell 79 - 81, 98 Signal-Negentropie 80 Somatisierung 221 - 222, 237 Somatisierungsneigung 221 - 222 Sozialverhalten, normatives 222 Soziolekt 70, 212, 223, 235 - transitorischer 217 Spiegeln 114, 194, 200, 204, 235 - 236 Spikes-Protokoll 232 - 233, 236 - 237 Sprachbarriere 220, 222, 237 Sprachcode - elaborierter 61 - restringierter 210 Sprachgebrauch, öffentlicher 211 Sprachsystem 28, 57, 60, 111, 120 Sprachvermögen 37, 59, 211 Sprachwahl, reflektierte 38 Sprachwechsel (s. Code-Switching) 223 - 224, 237 Sprachwissenschaft 16 - 19, 21 - 22, 47, 59, 100 - 101, 111, 223 Sprechakt, indirekter 100 Sprechakt Akt - illokutionärer 104, 122 - indirekter 122 - perlokutionärer 104 - 105, 122 - propositionaler 104, 122 Standardabfrageschema 175 Strategie (s. Deeskalation) 8, 68, 180, 237 Symptom 54 - 57, 71, 75, 144, 161, 163, 182 System, duales 29, 33, 50 Systematik 169 - Gespräch 206 Tauschhandlung 31 Transkription 19 - 20 Trichterprinzip 200 Uniformität 153 Varietät - diaphasische 223 - sprachliche 58 - 59, 60, 64, 66, 75, 152, 211, 223 - 224 Verb - performatives 102 - 103, 106, 122 Verbalisieren 115 Verbosität 216 Verhalten 15, 17, 34, 39 - 44, 46, 48, 73, 88, 90, 92, 94, 97, 104, 148, 156 - 157, 160 - 161, 176, 191, 193, 198, 204, 210, 213, 219, 221 - 223, 226, 229, 231 - 232 Verständigung 9, 47, 59, 63, 65 - 66, 69, 75, 146 Verständnis 13, 30, 33, 50, 58, 65 - 67, 80 - 81, 86, 100, 113 - 114, 146, 158, 160 - 161, 164, 180, 187, 195, 201 - 202, 204 - 205, 213, 220 - 221, 235 - 236 Vertrauen 42, 50, 74, 94 - 95, 115, 146, 196, 214, 221, 223, 229 Vierheit, doppelte 90, 98 Wahrnehmung 88, 92, 98, 114, 157, 215 Wirkungsfaktor 5 Wissensbestände, sprachliche 128, 164 Wissenschaftssprache 9, 60, 67, 160 Wolfssprache 116, 118, 120 Zeichen 7 - 8, 28, 36, 40 - 43, 45 - 50, 54 - 55, 58, 68 - 73, 75, 84, 114, 153 - außersprachliches 39, 68, 72 - 74, 149, 165 - extraverbales 69 - 70, 74 - ikonografische 73 - nonverbales 1, 69, 71 - paraverbales 69 - sprachliches 34, 51, 54 - 55, 57 - 58, 67 - 69, 71 - 72, 74 - 75, 84 - verbales 69 Zeichenhaftigkeit 54, 75 Index 253 <?page no="269"?> Zeitmangel 146, 149, 160, 172 Zone (s. Kommunikationszone) 231 Zuhören 82, 100 - 101, 111, 114 - 115, 121, 150, 178, 180, 187, 194, 202, 236 - aktives 114 - 115, 122 - 123, 135, 141, 143, 173, 178, 192, 194, 196, 199 - 201, 204, 221, 235 Zuwendung 4, 42, 50, 146, 171 254 Index <?page no="271"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! Mark Galliker Sprachpsychologie UTB M 2013, Seiten, €[D] 22,99/ SFr 31,90 ISBN 978-3-8252-4020-2 Wie entstand die Sprache des Menschen? Wie entwickelt sich das Sprachvermögen bei Kindern? Welche Vorgänge laufen beim Lesen- und Schreiben lernen ab? Mit solchen sprachpsychologischen Fragen beschäftigt sich dieses Buch. Bisher behandelte die Psychologie der Sprache ihre Gegenstände, das Sprechen und Zuhören, das Schreiben und Lesen, weitgehend individualistisch-experimentell, ohne Berücksichtigung der Evolution, Kultur und Kommunikation. Im vorliegenden Lehrbuch werden diese drei Aspekte integriert und auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse psychologisch und auch neuropsychologisch ausdifferenziert. Die neuronale Aktivität wird nicht als eindimensionale Ursache des Sprachgebrauchs betrachtet, sondern als naturwissenschaftlich nachvollziehbarer Durchgang des kulturhistorisch aufgearbeiteten Gesamtprozesses. Unter Berücksichtigung aktueller Forschungsresultate vermittelt dieser Band das notwendige Wissen über die Sprachpsychologie in einem gut verständlichen Überblick. Register und ein umfangreiches Glossar mit Fachbegriffen runden den Band ab.