eBooks

Nachhaltiger Tourismus

0325
2015
978-3-8385-4196-9
UTB 
Hartmut Rein
Wolfgang Strasdas

In den 1980er Jahren fraßen sich Hotels und touristische Infrastruktur vielerorts in unberührte Natur. Heute gehen Destinationen einen anderen Weg. Sie setzen auf Nachhaltigkeit. Das Lehrbuch stellt das Konzept des nachhaltigen Tourismus vor. Es geht auf nachhaltige Tourismusentwicklung und Unternehmensführung sowie die Qualitätssicherung im Tourismus ein. Auch ökonomische und soziokulturelle Herausforderungen werden skizziert.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York utb 4196 <?page no="2"?> Hartmut Rein, Wolfgang Strasdas (Hrsg.) Nachhaltiger Tourismus Einführung unter Mitarbeit von M.Sc. Hannes Antonschmidt, M.A. Martin Balàš, M.A. Dörte Beyer, Dipl.-Biol./ M.A. Heike Dickhut, Dr. Mathias Feige, Dr. Anna Klein, Dr. Alexander Schuler UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> Prof. Dr. Hartmut Rein lehrt nachhaltiges Destinationsmanagement und Prof. Dr. Wolfgang Strasdas lehrt nachhaltigen Tourismus an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Lob und Kritik Wir freuen uns darüber, dass Sie sich für ein UTB-Lehrbuch entschieden haben, und hoffen, dass Sie dieses Buch in Ihrem Studium sinnvoll unterstützt. Für Lob und Kritik haben wir stets ein offenes Ohr: Schreiben Sie uns eine E-Mail an das Lektorat (wirtschaft@uvk.de). Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015 Lektorat: Rainer Berger Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: Fotolia.com © VRD Piktogramme im Buch: Kap. 2.4: Abb. 5 (Freepik, Situ Herrera (flaticon.com; Creative Commons BY 3.0)); Kap. 2.4: Abb. 5 (Freepik, Situ Herrera (flaticon.com)), Abb. 10 (Katzenbaer/ openclipart.org, OCHA, Freepik, Designmodo, Icomoon (flaticon.com)); Kap. 2.4: Abb. 11 (OCHA, Freepik, Scott de Jonge (flaticon.com; Creative Commons BY 3.0)) Druck und Bindung: fgb freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstraße 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 4196 ISBN 978-3-8252-4196-4 <?page no="4"?> Vorwort An der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) wurde als erster Bildungseinrichtung in Deutschland erkannt, dass eine spezifische Tourismusausbildung für einen an Nachhaltigkeitsprinzipien ausgerichteten Tourismus fehlt. Konsequenterweise wurde 2000 mit dem Aufbau eines Masterstudiengangs unter dem Namen „Nachhaltiger landschaftsbezogener Tourismus“ begonnen, der dann als Masterstudiengang „Nachhaltiger Tourismus“ bekannt und akkreditiert wurde und inzwischen entsprechend seiner managementorientierten Ausrichtung „Nachhaltiges Tourismusmanagement“ heißt. Eine enge Verbindung von Theorie und Praxis wurde durch die Berufung entsprechender Dozenten angestrebt. 2014 erfolgte die Re-Akkreditierung des Masterstudiengangs sowie die Gründung des Zentrums für Nachhaltigen Tourismus (ZENAT) an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde als Arbeitsgruppe von Dozentinnen und Dozenten sowie wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Forschungs- und Beratungsprojekte im nachhaltigen Tourismus. Das ZENAT dient im Sinne einer Denkfabrik der Erforschung des nachhaltigen Tourismus sowie der Entwicklung von Strategien und Konzepten zur Umsetzung in die Praxis. Durch die Präsentation von zukunftsrelevanten und innovativen Forschungs- und Entwicklungslösungen wird ein öffentlicher Diskurs angeregt und die Meinungsbildung unterstützt. Durch die Gründung des Zentrums wird der Masterstudiengang Nachhaltiges Tourismusmanagement sinnvoll ergänzt und in seiner Position gestärkt. Den inhaltlichen Schwerpunkt des Zentrums bildet das Themen- und Forschungsfeld Nachhaltiger Tourismus in allen Facetten, d.h. unter Berücksichtigung der ökologischen, sozialen sowie ökonomischen und institutionellen Nachhaltigkeit. Zu den derzeitigen Fachkompetenzen der Mitglieder der Arbeitsgruppe des Zentrums gehören: Klimaanpassung und Klimaschutz, Biodiversität (Schutzgebiete), nachhaltiges Unternehmens- und Destinationsmanagement, Mobilität, Erneuerbare Energien und regionalökonomische Effekte des Tourismus. Die besondere methodische Kompetenz des Zentrums liegt in der Verknüpfung von Methoden der empirischen Sozialforschung mit naturwissenschaftlich orientierten Forschungs- und Erhebungsmethoden. Das Zentrum fokussiert räumlich auf Deutschland mit Schwerpunkt auf das Land Brandenburg, die Europäische Union, die Transformationsländer Mittel- und Osteuropas sowie Entwicklungs- und Schwellenländer. <?page no="5"?> 6 Vorwort Die Entwicklung von Lehrmaterialien zum Thema Nachhaltiger Tourismus stellt einen weiteren wichtigen Arbeitsschwerpunkt des ZENAT dar. Das Fehlen eines umfassenden Lehrbuchs zu diesem Thema im deutschsprachigen Raum war Anlass für die UVK Verlagsgesellschaft zusammen mit den Herausgebern einen Versuch zu wagen, diese Lücke zu füllen. Angesichts der Fülle von Aspekten, die das Thema Nachhaltigkeit im Tourismus berühren, kann dieses Lehrbuch keine Vollständigkeit beanspruchen. Insbesondere der für das Reisen konstituierende Aspekt Mobilität konnte nur in den verschiedenen Themen des Buches angerissen werden. Für dieses Thema bietet es sich an, ein eigenes Lehrbuch zu erarbeiten. Dies gilt auch für einige andere Themen, die eine eigene Betrachtung verdienen, wie z.B. das Thema Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) für einen nachhaltigen Tourismus. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern eine erkenntnisreiche Lektüre und hoffen, mit diesem Buch einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des Tourismus zu leisten. Danksagung Bedanken möchten wir uns bei: Prof. Dr. Helmut Scharpf, der uns bereits als Studenten der Landespflege an der Universität Hannover an das Thema Erholung und „sanften“ Tourismus heranführte und später an der TU Berlin als seine wissenschaftlichen Mitarbeiter am Fachgebiet „Landschaftsplanung insbesondere regionale Naherholung und Tourismus“ durch eine Vielzahl von Forschungs- und Beratungsprojekten im Bereich Umweltschutz und ökologischen Fragen des Tourismus schon in den frühen 1990er Jahren mit Problemen und Anforderungen des Tourismus konfrontierte, Hannes Antonschmidt, Martin Balàš, Heike Dickhut, Dr. Mathias Feige, Dr. Anna Klein und Dr. Alexander Schuler für ihre Beiträge zu diesem Lehrbuch, der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde für die Unterstützung bei diesem Lehrbuchprojekt, Annemarie Zirkel und Lisa Waniek für die Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts, Herrn Rainer Berger von der UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz/ UVK Lucius, München für die Schlussredaktion und Ermutigung zu diesem Lehrbuch. Eberswalde, Februar 2015 Prof. Dr. Hartmut Rein Prof. Dr. Wolfgang Strasdas <?page no="6"?> Inhalt Vorwort ........................................................................................................... 5 1 Einführung Nachhaltiger Tourismus...............................................11 1.1 Warum nachhaltiger Tourismus? .............................................................. 11 1.1.1 Definition und Grundprinzipien nachhaltiger Entwicklung ................. 11 1.1.2 Wirtschaftliche Bedeutung und Ressourcen des Tourismus ................. 13 1.1.3 Auswirkungen des Tourismus ................................................................... 15 1.1.4 Zentrale Anforderungen an einen nachhaltigen Tourismus.................. 18 1.1.5 Das Konzept des Nachhaltigen Tourismus ............................................. 21 1.2 Sanft, öko und fair - Nachhaltiger Tourismus vom gesellschaftlichen Gegenentwurf bis zu den gegenwärtigen Herausforderungen durch Globalisierung und Klimawandel .............. 25 1.2.1 Die frühen Jahre - Massentourismus zwischen Verachtung, sozialer Errungenschaft und Kapitalismuskritik ..................................... 26 1.2.2 Die 1980er Jahre - Das Jahrzehnt des Sanften Tourismus als gesellschaftlicher Gegenentwurf................................................................ 27 1.2.3 Die 1990er Jahre - Pragmatismus und der Aufstieg des Ökotourismus ...................................................................................... 29 1.2.4 Das neue Jahrtausend - Nachhaltiger Tourismus im Zeichen der fortschreitenden Globalisierung ......................................................... 32 1.2.5 Paradigmenwechsel der Gegenwart - Der Klimawandel und die neuen Grenzen des Wachstums .................................................. 35 2 Herausforderungen an den nachhaltigen Tourismus....................39 2.1 Klimawandel, Energieeffizienz und Tourismus ...................................... 39 2.1.1 Grundlagen des Klimawandels .................................................................. 40 2.1.2 Umgang mit Unsicherheiten ...................................................................... 45 2.1.3 Internationale Klimapolitik ........................................................................ 48 2.1.4 Auswirkungen des Klimawandels auf den Tourismus ........................... 50 2.1.5 Beitrag des Tourismus zum Klimawandel ............................................... 59 <?page no="7"?> 8 Nachhaltiger Tourismus 2.1.6 Anpassungsstrategien des Tourismus an die Folgen des Klimawandels....................................................................................... 65 2.1.7 Klimaschutzstrategien................................................................................. 72 2.1.8 Kompensation von Treibhausgasen ......................................................... 81 2.2 Tourismus und Biodiversität...................................................................... 89 2.2.1 Grundlagen Biodiversität ........................................................................... 90 2.2.2 Wechselwirkungen zwischen Tourismus und Biodiversität .................. 99 2.2.3 Natur- und Ökotourismus ....................................................................... 104 2.2.4 Tourismusplanung und -management in Schutzgebieten .................... 110 2.2.5 Praktische Ansätze und Instrumente für den Tourismus als Beitrag zum Biodiversitätsschutz....................................................... 119 2.3 Ökonomische Nachhaltigkeit in der Tourismuswirtschaft.................. 127 2.3.1 Einleitung und theoretischer Hintergrund............................................. 127 2.3.2 Von der Balanced Scorecard zur Sustainability Balanced Scorecard .................................................................................................... 136 2.3.3 Erstellungsprozess der Sustainability Balanced Scorecard................... 145 2.4 Nachhaltiger Konsum und Tourismus................................................... 161 2.4.1 Nachhaltiger Konsum............................................................................... 162 2.4.2 Nachhaltigkeit als Stilisierungs- und Distinktionsmerkmal ................. 171 2.4.3 Nachhaltigkeitsaspekte entlang der touristischen Leistungskette aus der Sicht eines (nachhaltigkeitsbewussten) Konsumenten .......... 179 2.5 Soziale und kulturelle Herausforderungen im Tourismus .................. 195 2.5.1 Soziale Nachhaltigkeit............................................................................... 195 2.5.2 Soziale Nachhaltigkeit im Tourismus ..................................................... 201 2.5.3 Die Reisenden und die Bereisten - Stereotype, Akkulturation, ethische Aspekte ........................................................................................ 203 2.5.4 Die Reisenden und die Touristiker - der touristische Arbeitsmarkt und Arbeitsbedingungen .................................................................................. 217 2.5.5 Die Bereisten und die Touristiker - Landnutzungskonflikte und Sickerrate .................................................................................................... 219 2.5.6 Lösungsansätze im sozialen Bereich: ...................................................... 223 <?page no="8"?> Inhalt 9 3 Nachhaltiges Tourismusmanagement .........................................231 3.1 Corporate Social Responsibility und Nachhaltiges Unternehmensmanagement im Tourismus............................................ 231 3.1.1 Corporate Social Responsibility: Nachhaltigkeit im Unternehmensmanagement ..................................................................... 233 3.1.2 Umsetzung von Nachhaltigkeit in Tourismusunternehmen ............... 242 3.1.3 Nachhaltigkeits-Reporting im Tourismus .............................................. 258 3.1.4 Zertifizierung im Tourismus.................................................................... 260 3.1.5 Zusammenfassung Nachhaltigkeitsmanagement im Tourismus ....... 267 3.2 Nachhaltiges Destinationsmanagement ................................................. 273 3.2.1 Definition und Merkmale des Destinationsmanagements................... 273 3.2.2 Aufgaben für ein nachhaltiges Destinationsmanagement.................... 279 3.2.3 Handlungsebenen und Handlungsfelder für eine nachhaltige Destinationsentwicklung .......................................................................... 281 3.2.4 Steuerungsinstrumente für eine nachhaltige Destinationsentwicklung .......................................................................... 289 3.2.5 Nachhaltigkeitsbewertung und -messung von Destinationen............. 293 3.3 Institutionelle Nachhaltigkeit des Tourismus ........................................ 315 3.3.1 Begriffsklärung: Was sind Institutionen? ............................................... 316 3.3.2 Nachhaltiger Tourismus als Bestandteil der Tourismus- und Unternehmenspolitik ........................................................................ 317 3.3.3 Stakeholder: Funktion und Management ............................................... 322 3.3.4 Institutionelle Nachhaltigkeit und Destination Governance............... 327 3.3.5 Organisatorische Strukturierung einer DMO........................................ 329 Autorinnen und Autoren .............................................................................335 6 5 H Stichwortverzeichnis ...................................................................................339 <?page no="10"?> 1 Einführung Nachhaltiger Tourismus 1.1 Warum nachhaltiger Tourismus? von Prof. Dr. Wolfgang Strasdas Lernziele Welches sind die Grundprinzipien nachhaltiger Entwicklung? Welches ist die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus? Auf welche Ressourcen ist er dabei angewiesen? Welche positiven und negativen Auswirkungen kann Tourismus haben? Welchen zentralen Herausforderungen muss sich der nachhaltige Tourismus stellen? Was beinhaltet das Konzept des Nachhaltigen Tourismus? Welches sind grundlegende Definitionen, Prinzipien und Umsetzungsstrategien? 1.1.1 Definition und Grundprinzipien nachhaltiger Entwicklung Das Konzept des nachhaltigen Tourismus fußt auf dem weiter gefassten Ansatz der Nachhaltigkeit oder der nachhaltigen Entwicklung. 1 Dazu existiert eine Vielzahl von Definitionen, die in ihren wesentlichen Aussagen jedoch meist übereinstimmen. Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen Bundestags bspw. definierte Nachhaltigkeit 1998 folgendermaßen: „Nachhaltigkeit ist die Konzeption einer dauerhaft zukunftsfähigen Entwicklung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimension menschlicher Existenz. Diese drei Säulen der Nachhaltigkeit stehen miteinander in Wechselwirkung und bedürfen langfristig einer ausgewogenen Koordination.“ Dieses Prinzip wird auch als Triple Bottom Line bezeichnet. Das ursprüngliche 1 Im Rahmen dieses Lehrbuches kann das allgemeine Thema „Nachhaltigkeit“ nur angerissen werden, da es sonst den Rahmen sprengen würde. Für eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Thema wird auf das exzellente UTB-Buch „Nachhaltigkeit“ von Iris Pufé (2014) verwiesen. <?page no="11"?> 12 Nachhaltiger Tourismus Drei-Säulen-Modell wurde später teilweise modifiziert, weil es die Beziehungen zwischen den Säulen nicht hinreichend abbildet. Einige neuere Ansätze verwenden stattdessen ein gleichschenkliges Dreieck, dessen Eckpunkte Umwelt, Wirtschaft und Soziales darstellen. Deren Grundprinzipien fließen im Zentrum des Dreiecks zusammen, während zu den Rändern hin der eine oder andere Aspekt stärker ausgeprägt sein kann (PUFÉ 2014; siehe Abb. 1). Manche Autoren fügen den drei Grundprinzipien noch den Aspekt der institutionellen oder managementbezogenen Nachhaltigkeit hinzu, die notwendig ist, um nachhaltige Entwicklung überhaupt umsetzen zu können. Abb.1: Das Nachhaltigkeitsdreieck (Quelle: DIE BUNDESREGIERUNG 2012) Die Abbildung zeigt noch einen weiteren Aspekt, nämlich das Vorhandensein von absoluten Grenzen der Tragfähigkeit des Planeten Erde in Bezug auf die Sicherstellung der menschlichen Lebensgrundlagen. In dieser Sichtweise kommt der ökologischen Nachhaltigkeit die eigentlich tragende Rolle zu. Wenn man weiterhin argumentiert, dass sich Wirtschaft den Bedürfnissen der Menschen, also dem Sozialen unterordnen sollte und nicht umgekehrt, dann hätte man statt eines gleichberechtigten ein hierarchisches Modell der drei Nachhaltigkeitsaspekte. In diesem Zusammenhang soll abschließend noch auf die Begriffe Effizienz, Suffizienz und Konsistenz verwiesen werden (ebd.). Effizienz ist eine Nachhaltigkeitsstrategie, die zum Ziel hat, mit geringerem Ressourceneinsatz und weniger Umweltbelastung den gleichen Output zu produzieren und wird daher auch als „schwache Nachhaltigkeit“ bezeichnet. Ein Beispiel aus dem Tourismus wäre der Einsatz von erneuerbaren Energien in einem Luxushotel. Der Suffizienzansatz („starke Nachhaltigkeit“) geht hingegen davon aus, dass Selbstbeschränkung notwendig ist, um zu einer nachhaltigen Entwicklung zu <?page no="12"?> Einführung 13 gelangen. Dies könnte bspw. darin bestehen, auf eine luxuriöse Unterkunft zu verzichten und stattdessen in einer Jugendherberge zu übernachten. Das Konsistenzprinzip schließlich beinhaltet die Orientierung an natürlichen Prozessen und Kreisläufen, wie z.B. die Verwendung von Holz als Baumaterial oder die Kompostierung von Küchenabfällen. 1.1.2 Wirtschaftliche Bedeutung und Ressourcen des Tourismus Tourismus 2 ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen (siehe Abb. 2) und hat sich weltweit zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige entwickelt. Im Jahr 2012 überschritt die Zahl der internationalen Touristenankünfte erstmals die Milliardenmarke. Die dadurch erzielten Deviseneinnahmen betrugen 1,075 Milliarden US-Dollar (UNWTO 2013a/ 14). Diese Zahlen blenden jedoch den Inlandstourismus aus. Schätzungen gehen davon aus, dass dieser dem Volumen nach den internationalen Reiseverkehr um das Fünfbis Sechsfache übersteigt (UNWTO 2013b). Auch für Deutschland ist Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Er repräsentierte im Jahr 2010 direkt 4,4 % des Bruttoinlandsproduktes, bei Hinzurechnung der indirekten und induzierten Effekte 9,7 % (BMWI 2012). Betrachtet man den Tourismus von der Verbraucherseite her, dann ist festzustellen, dass Urlaubsreisen in den Industrieländern zu einem fast selbstverständlichen Konsumgut geworden sind, dem zudem eine hohe Priorität zugemessen wird (STIFTUNG FÜR ZUKUNFTSFRAGEN 2012). In Deutschland unternehmen seit den 1990er Jahren etwa 75 % der Bevölkerung jährlich eine Urlaubsreise von mindestens fünf Tagen Dauer (FUR 2012). Das waren im Jahr 2013 gut 70 Mio. Reisen, für die 64 Mrd. EUR ausgegeben wurden (FUR 2014). Hinzu kommen noch einmal so viele Kurzurlaubsreisen und 2,4 Mrd. freizeitorientierte Tagesausflüge (DWIF 2014). Der Tourismus hat sich mittlerweile in praktisch jedes Land der Erde verbreitet. Auch wenn hinsichtlich der absoluten Zahlen bei den touristischen Ankünften die Industrieländer weiterhin ganz oben stehen, finden sich doch zunehmend auch Schwellenländer wie die Türkei, China, Thailand oder Mexiko in der Spitzengruppe (UNWTO 2013a). In vielen kleinen Inselstaaten, insbesondere in der Karibik, und in Entwicklungsländern wie Marokko, Costa Rica, Tansania oder 2 Im Folgenden wird der Begriff Tourismus in Anlehnung an die UNWTO sehr weit gefasst als „[…] alle Aktivitäten von Personen, die an Orte außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen […] und dort nicht länger als ein Jahr verweilen.“ Diese Definition schließt sowohl mehrtägige Reisen mit Übernachtungen als auch Tagesausflüge ein. Sie umfasst außerdem Urlaubsreisen sowie Reisen aus anderen Motiven wie Gesundheitstourismus oder Geschäftsreisen (http: / / statistics.unwto.org/ content/ yearbook-tourismstatistics), während andere Organisationen unter „Tourismus“ nur Urlaubsreisen erfassen oder Tagesausflüge ausschließen (z.B. die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen). <?page no="13"?> 14 Nachhaltiger Tourismus Laos stellt Tourismus einen der wichtigsten Wirtschafszweige und häufig die bedeutendste Quelle von Deviseneinnahmen dar (Beyer et al. 2007). Die UNWTO geht davon aus, dass bereits knapp 50 % der internationalen Ankünfte auf Entwicklungs- und Schwellenländer entfallen und dass sich dieser Anteil noch erhöhen wird (Abb. 2, UNWTO 2013a). Hinzu kommt, dass sich Tourismus wegen der von ihm benötigten Ressourcen häufig in Küsten-, Gebirgs- oder generell ländlichen Regionen entwickelt, die sonst im Zuge der Globalisierung ökonomisch zunehmend ins Hintertreffen geraten. So gehören in Deutschland mit Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zwei Bundesländer zu den wichtigsten Urlaubsreiseregionen, die sonst wirtschaftlich weniger entwickelt sind (FUR 2014). Hinsichtlich der Quellgebiete ist weiterhin ein Übergewicht der Industrieländer festzustellen, doch treten auch hier in zunehmendem Maße Schwellenländer auf den Plan. China war 2012 erstmals das Land mit den höchsten absoluten Tourismusausgaben im Ausland und hat damit in dieser Hinsicht Deutschland als „Reiseweltmeister“ abgelöst, auch wenn die Pro-Kopf- Ausgaben immer noch sehr niedrig sind (UNWTO 2013a). Abb.2.: Entwicklung des Welttourismus und Anteile von Regionen ( Quelle: UNWTO 2012) Für die Auswirkungen und die potenzielle Nachhaltigkeit des Tourismus ist es wichtig, sich zunächst die Ressourcen und Rahmenbedingungen anzuschauen, auf die er angewiesen ist, um gedeihen zu können. FREYER (2011) spricht in diesem Zusammenhang vom ursprünglichen und vom abgeleiteten Angebot. Zum ursprünglichen Angebot gehören je nach Tourismussegment natürliche <?page no="14"?> Einführung 15 und kulturelle Ressourcen wie Klima, Gewässer, Landschaftsbild, eine intakte Umwelt und biologische Vielfalt bzw. architektonische Sehenswürdigkeiten, traditionelle oder „exotische“ Kulturen, künstlerische Veranstaltungen, eine gastfreundliche Bevölkerung oder auch eine interessante Alltagskultur in den Zielgebieten. Der Tourismus ist also in besonderem Maße auf ein funktionierendes Umfeld, sowohl im ökologischen als auch im gesellschaftlichen Sinne, angewiesen und kann nur in begrenztem Maße künstliche Attraktionen an beliebigen Standorten schaffen. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch eine gewisse Verletzlichkeit gegenüber Umweltschäden (z.B. Öltankerunglücke), verbauten Landschaften, den Folgen des Klimawandels, Sicherheitsproblemen (z.B. durch politische Unruhen) oder Gesundheitsrisiken. Intakte Ressourcen sind Teil der touristischen Produktqualität, was durch zahlreiche Reisendenbefragungen belegt wird (z.B. FUR 2013, STE 2005). Schließlich müssen auch die entsprechenden politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gegeben sein, um überhaupt Investitionen in touristische Infrastruktur und Dienstleistungen (das abgeleitete Angebot nach Freyer) tätigen zu können. Eine nachhaltige Entwicklung fördert generell den Erhalt touristischer Ressourcen und günstiger Rahmenbedingungen, woraus man ableiten kann, dass der Tourismus und die an ihm beteiligten Akteure ein inhärentes Interesse an nachhaltig gemanagten Zielgebieten haben müssten und darüber hinaus vielleicht sogar als aktive Bündnispartner für Umwelt- und Naturschutz, die Einhaltung von Menschenrechten usw. infrage kommen. 1.1.3 Auswirkungen des Tourismus Es ist unbestritten, dass Tourismus in ökonomischer, aber auch in sozialer und ökologischer Hinsicht zahlreiche positive Wirkungen hat, wie z.B. (BEYER et al. 2007): Schaffung von Arbeitsplätzen, die durch ihren Dienstleistungscharakter und ihre Standortgebundenheit weniger als industrielle Tätigkeiten mechanisiert oder verlagert werden können. So arbeiten in Deutschland 7 % der Beschäftigten im Tourismus; indirekt und induziert sind es sogar 12 % (BMWI 2012). Das ist höher als die jeweiligen Anteile am Bruttoinlandsprodukt. Tourismus ist also vergleichsweise arbeitsplatzintensiv. Da für die Ausübung touristischer Tätigkeiten oft keine besonderen Qualifikationen notwendig sind (z.B. Reinigungskräfte, Bedienungspersonal), haben auch weniger gut ausgebildete Personen eine Chance in diesem Arbeitssegment. Direkte und induzierte regionalwirtschaftliche Effekte (Multiplikatoreffekte) durch komplexe Wertschöpfungsketten, die beispielswiese in die Bauwirtschaft oder die Landwirtschaft hineinwirken können, falls kein Import aus anderen Regionen stattfindet (siehe Kapitel 2.3). <?page no="15"?> 16 Nachhaltiger Tourismus Beitrag zur Entwicklung sonst oft wirtschaftsschwacher ländlicher Regionen, falls diese für den Tourismus attraktive Ressourcen besitzen. Da die touristischen Ressourcen nur in sehr begrenztem Maße exportiert werden können und das touristische Produkt an Ort und Stelle konsumiert werden muss, erwächst hieraus ein Standortvorteil, der auch die „Weiterverarbeitung“ der ursprünglichen Ressourcen umfasst. In oft landwirtschaftlich geprägten ländlichen Regionen oder Entwicklungsländern kann der Tourismus zur Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur beitragen. Im Vergleich zu landwirtschaftlichen Exportprodukten bestehen im internationalen Tourismus zudem keine Handelsschranken seitens der Zielmärkte. Tourismus kann zum Erhalt traditioneller Kulturen beitragen, etwa durch die Inwertsetzung von Kunsthandwerk oder landestypischer Architektur und durch Beiträge zum Unterhalt von Denkmälern oder Museen. Indirekt können z.B. indigene Kulturen eine gesellschaftliche Aufwertung durch touristisches Interesse an ihnen erfahren. Weiterhin können regionaltypische Kulturen dadurch stabilisiert werden, dass Arbeitsplätze im Tourismus eine Abwanderung in Wirtschaftsmetropolen verhindern. Im ökologischen Bereich wird Tourismus zunächst nur mit Beeinträchtigungen in Verbindung gebracht, doch lassen sich auch positive Effekte durch die (Mit-)Finanzierung von Naturschutzgebieten und indirekt die Inwertsetzung von Natur und Landschaft nachweisen. Attraktive Schutzgebiete haben sich durch den Tourismus vielerorts zu bedeutenden Wirtschaftsfaktoren entwickelt. Zudem ermöglicht Tourismus eine anschaulichere Umweltbildung und persönliche Naturerlebnisse, von denen man annimmt, dass sie ein höheres Umweltbewusstsein hervorbringen (STRASDAS 2001). In Entwicklungsländern kann sorgfältig geplanter Tourismus die allgemeine Umweltsituation durch den Bau von Klärwerken, eine geregelte Abfallentsorgung usw. verbessern. Von einer verbesserten Transportinfrastruktur können auch Einheimische profitieren. Tourismus ist aber bei Weitem keine „weiße Industrie“, wie in den 1960er und 1970er Jahren oft behauptet wurde. Im Gegenteil steht er spätestens seit den 1980er Jahren im Kreuzfeuer der Kritik und wird von vielen, insbesondere von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, häufig ambivalent oder negativ beurteilt. Ebenso wie die positiven sind auch die negativen Auswirkungen des Tourismus ausführlich belegt worden. Seine wichtigsten Nachteile können folgendermaßen zusammengefasst werden (BEYER et al. 2007): Arbeitsplätze im Tourismus sind oft schlecht bezahlt und ohne ausreichende soziale Absicherung. Beschäftigungsverhältnisse sind häufig nur saisonal und in dieser Zeit von hohen Arbeitsspitzen geprägt. Formale Qualifizierungen <?page no="16"?> Einführung 17 und Weiterbildung finden nicht statt; der gewerkschaftliche Organisierungsgrad ist gering. In Entwicklungsländern kann dies bis hin zu Verstößen gegen Menschenrechte, wie z.B. Zwangsarbeit, reichen (EED 2011) (siehe Kap. 2.5). Arbeitsplätze, Einkommensmöglichkeiten und indirekte Nutzen aus dem Tourismus sind nicht unbedingt gleichmäßig verteilt, sondern fallen besonders denen zu, die ohnehin über größere Chancen verfügen. Insbesondere qualifizierte Arbeitskräfte werden nicht selten „importiert“. Dadurch können bestehende soziale Ungleichheiten noch verschärft werden. Viele Tourismuskritiker bezweifeln, ob Tourismus tatsächlich zur viel proklamierten Armutsminderung in Entwicklungsländern beiträgt (NFI/ RESPECT 2012). Die Entwicklung von Tourismus verläuft oft überhitzt, ohne längerfristige Planung, und kann zu krisenanfälligen Monostrukturen führen (Beispiele: Tunesien, Karibische Inseln). Das wirtschaftliche Potenzial des Tourismus kann in vielen Zielgebieten nicht ausgeschöpft werden, weil zu viele Güter importiert werden. Dadurch kommt es nur sehr begrenzt zu Multiplikatoreffekten, sondern stattdessen zu einem Abfluss von touristischen Bruttoeinnahmen aus dem eigentlichen Zielgebiet. Dieser sogenannte Sickereffekt (englisch: leakage) ist in kleineren, weniger entwickelten Ländern und in Inseldestinationen besonders ausgeprägt. Während im inländischen Tourismus typischerweise kleine und mittlere Unternehmen dominieren, wird der internationale Tourismus von transnationalen, integrierten Konzernen beherrscht, die über eine enorme Marktmacht verfügen und oft von der Buchung über den Transport bis hin zur Beherbergung die gesamte touristische Wertschöpfungskette kontrollieren. Hier ergeben sich für lokale Akteure meist nur geringe Einflussmöglichkeiten. Anstatt traditionelle Kulturen in Wert zu setzen, können sie durch Tourismus kommerzialisiert und ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt werden (Verlust von Authentizität). Insbesondere in Entwicklungsländern können durch die massenhafte Präsenz von Touristen aus anderen Kulturkreisen Akkulturationsprozesse beschleunigt werden und zu sozialer oder psychischer Destabilisierung führen. Symptome solcher Prozesse sind zunehmende Kriminalität oder Prostitution. Außerhalb von Städten konzentriert sich Tourismus auf Landschaftstypen, wie Meeresküsten und -inseln, Binnengewässer und Gebirge, die ökologisch besonders empfindlich sind und eine hohe Biodiversität aufweisen. In Deutschland zählen Tourismus und landschaftsbezogene Freizeitaktivitäten zu den wichtigen Verursachern des Verlustes von Tier- und Pflanzenarten. In diesen Regionen wird auch das Landschaftsbild oft durch touristische Bau- <?page no="17"?> 18 Nachhaltiger Tourismus werke und Infrastruktur beeinträchtigt. Flächen werden versiegelt oder stark verändert (ÖKO-INSTITUT 2002) (siehe Kapitel 2.2). Ferntourismus trägt durch Treibhausgasemissionen insbesondere des Flug- und motorisierten Individualverkehrs in erheblichem Maße zum anthropogenen Klimawandel bei (siehe Kapitel 2.1). Eine weitere durch Tourismus besonders stark in Mitleidenschaft gezogene Ressource ist das Wasser. Dies liegt zum einen daran, dass der direkte und indirekte Wasserverbrauch von Hotelgästen in den meisten Zielgebieten sehr viel höher als in privaten Haushalten ist. Dieses Problem wird noch dadurch verschärft, dass die touristische Hauptsaison in die regenarme Jahreszeit oft ohnehin arider Regionen fällt. Hinzu kommt die Belastung von Gewässern durch unzureichend geklärte Abwässer (TOURISM CONCERN 2012). In Deutschland stellt dies jedoch kein wesentliches Problem dar. 1.1.4 Zentrale Anforderungen an einen nachhaltigen Tourismus Die zentralen Anforderungen an einen nachhaltigen Tourismus leiten sich zum einen aus den Bedingungen ab, die Tourismusunternehmen und -destinationen erfüllen müssen, um selbst wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Zum anderen geht es darum, positive Wirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu verstärken und negative möglichst weitgehend zu reduzieren. Man kann argumentieren, dass auch Letzteres im Interesse des Tourismus selbst liegt, denn letztendlich ist jegliche wirtschaftliche Aktivität auf gesellschaftliche Legitimation angewiesen, d.h. sie muss demonstrieren, dass sie der Mehrheit der Gesellschaft nützt und nicht nur unternehmerischen Partikularinteressen dient. Die folgenden zwölf Hypothesen stellen dar, auf welche Herausforderungen der Nachhaltige Tourismus prioritär eine Antwort finden muss. Ökonomische Nachhaltigkeit Urlaubsreisen sind zwar ein Konsumgut, welches sich hoher Wertschätzung erfreut, doch besteht dafür keine unmittelbare Notwendigkeit. Es geht also um die Befriedigung immaterieller Bedürfnisse, die widersprüchlich und starken individuellen und gesellschaftlichen Schwankungen unterworfen sein können. Der „hybride“ Konsument ist für touristische Anbieter eine große Herausforderung, auch bzgl. seiner Nachhaltigkeitsorientierung, und erfordert eine hohe Flexibilität bei der Angebotsgestaltung sowie ausgeklügelte Marketing- und Kommunikationsstrategien (siehe Kapitel 2.4). Tourismus ist weltweit gesehen ein Käufermarkt, d.h. der Konsument kann aus einem tendenziell übergroßen Angebot auswählen, welches für ihn durch preisgünstigen Transport und effektive Informations- und Kommunikations- <?page no="18"?> Einführung 19 technologien leicht erreichbar ist. Dadurch entsteht ein hoher Preisund/ oder Qualitätsdruck auf die touristischen Anbieter. Qualitätsmanagement , insbesondere im Servicebereich, kann dazu beitragen, angemessenere Preise durchzusetzen und die Kundenbindung zu verbessern (STEI- NECKE 2013). Das Potenzial des Tourismus, in den Destinationen durch den Einkauf von regionalen Produkten und Dienstleistungen indirekte Einkommen und Arbeitsplätze zu schaffen, könnte noch stärker ausgeschöpft werden. Insbesondere in ländlichen Regionen und in Entwicklungsländern kann durch die Minderung von Importen ein wesentlicher Beitrag zur Regionalentwicklung geleistet werden. In Zeiten zunehmend globaler Warenströme kann konsequenter regionaler Einkauf jedoch eine große Herausforderung darstellen. In Entwicklungs- und Schwellenländern ist Armut immer noch weitverbreitet. Touristische Einkommen und Arbeitsplätze kommen jedoch nicht automatisch den Armen zugute. Es müssen gezielte Strategien umgesetzt werden, damit Tourismus substanziell zur Armutsminderung beitragen kann. Soziale Nachhaltigkeit (siehe Kapitel 2.5) Nachhaltiger Tourismus muss für faire Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung sorgen. Diversity am Arbeitsplatz sollte gefördert werden. Dadurch wird es auch leichter, Fachpersonal und produktive, engagierte Mitarbeiter zu finden. Insbesondere in Entwicklungsländern ist es notwendig, auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten, auch im Umfeld von Unternehmen und entlang der Lieferketten, um bspw. Zwangsarbeit zu verhindern oder den Zugang zu Wasser für die Einheimischen sicherzustellen. Gesellschaften und Kulturen sind dynamisch und vielerlei Einflüssen unterworfen, unter denen Tourismus nur einer ist. Durch sein besonderes Interesse an traditionellen und „fremden“ Kulturen und das Aufeinandertreffen in den Destinationen wohnt dem Tourismus jedoch ein besonderes Potenzial zu kulturellen Verwerfungen inne. Nachhaltiger Tourismus muss daher sensibel mit lokalen Sitten und Werten umgehen und das Selbstbestimmungsrecht der Einheimischen respektieren. Ökologische Nachhaltigkeit Der Klimawandel und seine Folgen können als eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angesehen werden. Nachhaltiger Tourismus muss daher ganz wesentlich auch klimaschonender Tourismus sein. <?page no="19"?> 20 Nachhaltiger Tourismus Energieeffizienz und Verkehrsmanagement sind die wichtigsten Bereiche, um dies sicherzustellen. Klimaschutz liegt auch im Eigeninteresse der Branche, da Tourismus einer der klimasensibelsten Wirtschaftszweige ist und den späteren Anpassungsbedarf verringert (siehe Kapitel 2.1). Der Verlust der globalen Biodiversität schreitet weiter voran. Tourismus ist dabei nur einer von mehreren Einflussfaktoren, spielt aber in bestimmten Ökosystemen, wie z.B. Meeresküsten, eine zentrale Rolle. Nachhaltiger Tourismus muss daher zum einen durch entsprechende Planung seine negativen Auswirkungen auf Natur und Landschaft möglichst weitgehend verringern. Zum anderen sollte er für den Naturschutz eine positive Kraft werden, z.B. durch Umweltbildung und eine angemessene Finanzierung der von ihm als Ressourcen genutzten Schutzgebiete (siehe Kap. 2.2). Sauberes, zum Trinken geeignetes (Süß-) Wasser ist eine weitere natürliche Ressource, deren Verknappung eine zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts darstellt. In einigen Regionen, insbesondere in ariden Küstengebieten, ist der Tourismus einer der wichtigsten Verursacher dieser Verknappung, die nicht nur eine ökologische Dimension hat, sondern auch sozialen Zündstoff birgt. In regenarmen Gebieten müssen Wassermanagement und Wassersparmaßnahmen daher ein integrales Element des nachhaltigen Tourismus darstellen (siehe Kapitel 2.5). Institutionelle Nachhaltigkeit Da das touristische Produkt in all seinen Facetten (einschl. des ursprünglichen Angebots) von einer Vielzahl von Akteuren hergestellt oder bereitgestellt wird, sind im Tourismus enorme Kooperationsanstrengungen vonnöten, um das Produkt „Destination“ erfolgreich zu gestalten und zu vermarkten. Dafür ist ein systematisches Destinationsmanagement erforderlich, welches i. Allg. von Destinationsmanagement-Organisationen (DMO) geleistet wird. Nachhaltiges Destinationsmanagement muss über die üblichen Aufgaben der Vermarktung und einer gewissen Angebotskoordination deutlich hinausgehen und die Interessen auch nicht-touristischer regionaler und evtl. überregionaler Akteure (Beispiele: Klimaschutz, Fairtrade) vertreten (siehe Kapitel 3.2). Ähnliches gilt auch für die Tourismuspolitik . Auch wenn es im internationalen Bereich eine Reihe von Großunternehmen gibt, die eine gewisse Marktdominanz erlangt haben, besteht Tourismus doch überwiegend aus kleinen und kleinsten Unternehmen mit den unterschiedlichsten Angeboten, wodurch die Branche sehr heterogen ist. Entsprechend schwer fällt es der Tourismusbranche als ganzer, gemeinsame Interessen effektiv in den politischen Prozess einzubringen. Nicht umsonst gibt es in den meisten Ländern <?page no="20"?> Einführung 21 keine eigenständigen Tourismusministerien. Eine nachhaltigkeitsorientierte Tourismuspolitik, die auch auf die Interessen nicht-touristischer, aber vom Tourismus betroffener Akteure (die „Bereisten“) eingehen möchte, steht dementsprechend vor einer noch komplexeren Aufgabe (siehe Kapitel 2.5). 1.1.5 Das Konzept des Nachhaltigen Tourismus In den zahlreichen Definitionen von nachhaltigem Tourismus finden sich die gleichen Nachhaltigkeitskomponenten wie im weiter gefassten Konzept der nachhaltigen Entwicklung, die manchmal mit tourismusspezifischen Ergänzungen versehen sind oder unterschiedliche Schwerpunktsetzungen aufweisen. So zeigt bspw. die Definition der deutschen Nichtregierungsorganisation Forum Umwelt und Entwicklung von 1999 eine Betonung sozialer und ökologischer Aspekte und einen eher bewahrenden Ansatz: „Nachhaltiger Tourismus muss soziale, kulturelle, ökologische und wirtschaftliche Verträglichkeitskriterien erfüllen. Er ist langfristig, d.h. in Bezug auf heutige wie auf zukünftige Generationen, ethisch und sozial gerecht und kulturell angepasst, ökologisch tragfähig sowie wirtschaftlich sinnvoll und ergiebig.“ (zit. in STRASDAS 2001). Bei der Welttourismusorganisation UNWTO treten dagegen wirtschaftliche Interessen stärker in den Vordergrund und man ahnt, dass im Umweltbereich auch Kompromisse möglich sind: „Nachhaltiger Tourismus erfüllt die Ansprüche sowohl von Touristen als auch der Bevölkerung der Zielgebiete, wobei außerdem zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten gesichert und verbessert werden sollen. Ressourcen werden so genutzt, dass ökonomische, soziale und ästhetische Bedürfnisse befriedigt und gleichzeitig kulturelle Integrität, wesentliche ökologische Prozesse, die biologische Artenvielfalt und lebenswichtige Systeme erhalten bleiben.“ (zit. in STRASDAS 2011). Außerdem werden die Ansprüche von Touristen gleichberechtigt neben die der Einheimischen gestellt - eine Abwägung der Freizeitinteressen meist wohlhabender Menschen gegen die Lebensinteressen oft marginalisierter Bevölkerungsgruppen in touristischen Zielgebieten, die nicht unproblematisch ist. Hiermit ist der Aspekt der Suffizienz angesprochen (siehe Kap. 1.1). Im Sinn eines nachhaltigen Konsums kann nämlich grundsätzlich die Frage gestellt werden, ob Urlaubsreisen als ein nicht lebensnotwendiges Konsumgut von Wohlstandsgesellschaften etwa mit Zielen des Klimaschutzes überhaupt vereinbar sind. Sieht man Tourismus dagegen in erster Linie als Wirtschaftszweig mit erheblichem Nutzen für periphere Regionen an, dann stellt sich die Situation wesentlich komplexer dar. Beispielsweise müsste in diesem Fall nach wirtschaftlichen Alternativen gefragt werden (mehr dazu in Kap. 2.1). In diesem Zusammenhang ist es auch interessant zu diskutieren, ob nachhaltiger Tourismus mit Massentourismus vereinbar ist oder ob es sich um eine alternative Nischenstrategie handelt. Frühere Ansätze betrachteten nachhaltigen Tou- <?page no="21"?> 22 Nachhaltiger Tourismus rismus auf der einen und Massentourismus auf der anderen Seite als komplette, nicht überbrückbare Gegensätze. Später herrschte eine Haltung vor, die ein Kontinuum und fließende Übergänge zwischen den beiden Polen sah (WEA- VER 2012). Derzeit wird Nachhaltigkeit eher als Entwicklungsrichtung denn als statischer Zustand gesehen. Zudem wurde deutlich, dass Massentourismus zwar konzentriert massive negative Auswirkungen haben kann, doch gilt dies auch für unkontrollierten Individualtourismus, der stärker in die Fläche geht. Massentourismus kann unter der Suffizienz-Perspektive als grundsätzlich problematisch angesehen werden, doch gibt es auch Stimmen, die es als soziale Errungenschaft ansehen, dass breite Bevölkerungsschichten es sich leisten können, zu verreisen. Nachhaltiger Massentourismus bedarf einer entschiedenen Steuerung und hat den Vorteil der räumlichen Konzentration. Gelingt dies, dann erzielt man damit eine größere Breitenwirkung als mit dem Agieren in kleinen Nischen. Letztere bieten jedoch den Vorteil, dass sie meist innovativer und von nachhaltigkeitsaffineren Akteuren geprägt sind. Letztlich erscheint eine Kombination beider Strategien als am effektivsten. Nachhaltigkeit findet sich heute in den Leitbildern vieler Tourismusorganisationen und -verbände. Den Anfang - von einigen Vorreitern abgesehen - machten die UNWTO und der World Travel & Tourism Council (WTTC) mit ihrer „Agenda 21 for the Travel & Tourism Industry“, aus der später der „Global Code of Ethics for Tourism“ hervorging. Die UNWTO hat auch zahlreiche Handreichungen zur Umsetzung eines nachhaltigen Tourismus herausgebracht, u.a. „Making Tourism more Sustainable - A Guide for Policy-makers“ (2005), welche alle zentralen Elemente von wirtschaftlicher Machbarkeit über lokale Partizipation bis hin zu Umweltschutz enthält. Anlässlich der Konferenz Rio +20 im Jahr 2012 wurden die Nachhaltigkeitsziele des Tourismus von der UNWTO und dem United Nations Environment Programme (UNEP) in Verbindung mit dem Leitbild der Green Economy gebracht. Es wurden zahlreiche Maßnahmen für verstärkte touristische Investitionen in Umwelttechnologien und zur Förderung regionaler Wertschöpfung vorgeschlagen. Zugrunde liegt die Idee eines nachhaltigen Wachstums, also ein „schwaches“ Nachhaltigkeitsverständnis. Weiterhin hat auf globaler Ebene der Global Sustainable Tourism Council (GSTC) Rahmenkriterien für Nachhaltigkeits-Zertifizierungen im Tourismus entwickelt (www.gstcouncil.org). Auch in Deutschland finden sich diverse Leitbilder für nachhaltigen Tourismus. Bereits 1997 wurde die „Umwelterklärung der Deutschen Tourismuswirtschaft“ mit zehn Leitsätzen veröffentlicht, die zum damaligen Zeitpunkt allerdings noch keine sozialen Nachhaltigkeitsgrundsätze enthielt. Aktueller ist das Positionspapier des Deutschen Tourismusverbandes „Tourismus und nachhaltige Entwicklung in Deutschland“ (DTV 2012). Darin definiert der DTV nachhaltigen Tou- <?page no="22"?> Einführung 23 rismus in Destinationen folgendermaßen: „Der Nachhaltigkeitsgedanke mit seinen drei Säulen - ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit - ist fest in entsprechenden Konzepten der Tourismusregion verankert und wird bereits angewendet. Es gilt, die Bedürfnisse der Gäste und der lokalen Bevölkerung mit denen des Natur- und Umweltschutzes zu verbinden und dabei eine langfristig wirtschaftliche sowie sozial verträgliche Entwicklung anzustreben. Nachhaltiger Tourismus trägt erheblich zu einer dauerhaften Wertschöpfung und zum Wohlstand der Bevölkerung bei. Er ist zugleich Impulsgeber für eine nachhaltige Regionalentwicklung im ländlichen Raum.“ Weniger ausgeprägt ist der Nachhaltigkeitsgedanke bei Verbänden von großen Reiseveranstaltern und Transportunternehmen, wie dem Deutschen Reiseverband (DRV) oder dem Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), die stärker im Konflikt mit Klimaschutzzielen und Ansprüchen lokaler Wertschöpfung und Mitbestimmung im globalen Kontext stehen (siehe Kapitel 2.1.7). Eine Ausnahme ist der Reiseveranstalterverband forum anders reisen, der mit der Verabschiedung eines umfassenden und auch sehr konkreten Nachhaltigkeits-Kriterienkatalogs im Jahr 1998 zu den Vorreitern eines nachhaltigen Tourismus gehörte. Alle Mitglieder sind verpflichtet, sich hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit zertifizieren zu lassen (www.forumandersreisen.de). Literatur Beyer, M., Häusler, N., Strasdas, W. (2007): Tourismus als Handlungsfeld der deutschen Entwicklungszusammenarbeit - Grundlagen, Handlungsbedarf und Strategieempfehlungen. Hg.: Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Eschborn. BMWI (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2012): The Economic Impact of Germany's Tourism Industry - Key figures from a high-revenue crosssectoral industry. Berlin. Die Bundesregierung (2012): Nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Fortschrittsbericht 2012. DTV (Deutscher Tourismusverband) (2012): Tourismus und nachhaltige Entwicklung in Deutschland. DWIF (Deutsches Wirtschaftswissenschaftliches Institut für Fremdenverkehr) (2014): Tagesreisen der Deutschen. Hg.: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Berlin. Stand: April 2014. EED (Evangelischer Entwicklungsdienst) (2011): Alles was Recht ist - Menschenrechte und Tourismus. Profil. Bonn. Freyer, W. (2011): Tourismus - Einführung in die Fremdenverkehrsökonomie. München/ Wien. <?page no="23"?> 24 Nachhaltiger Tourismus FUR (2014): Erste ausgewählte Ergebnisse der 44. Reiseanalyse zur ITB 2014. FUR (Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen) (2012): Erste ausgewählte Ergebnisse der 42. Reiseanalyse zur ITB 2012. FUR 2013: Erste ausgewählte Ergebnisse der 42. Reiseanalyse zur ITB 2013. NFI (Naturfreunde Internationale)/ respect (2012): Armutsminderung durch Tourismus - Kann Tourismus einen Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung leisten? Dossier. Wien. Öko-Institut (2002): Umwelt und Tourismus - Daten, Fakten, Perspektiven. Hg.: Umweltbundesamt. Berlin. Pufé, I. (2014): Nachhaltigkeit. München/ Konstanz. STE (Studienkreis für Tourismus und Entwicklung) (2005): Urlaubsreisen und Umwelt - Eine Untersuchung über die Ansprechbarkeit der Bundesbürger auf Umweltaspekte in Zusammenhang mit Urlaubsreisen. Ammerland. Steinecke, A. (2013): Destinationsmanagement. München/ Konstanz. Stiftung für Zukunftsfragen (2012): Deutsche Tourismusanalyse 2012. Hamburg. Strasdas, W. (2001): Ökotourismus in der Praxis - Zur Umsetzung der sozioökonomischen und naturschutzpolitischen Ziele eines anspruchsvollen Tourismuskonzeptes in Entwicklungsländern. Hg.: Studienkreis für Tourismus und Entwicklung, Ammerland Strasdas, W. (2011): „Nachhaltiger Tourismus“ oder „Ökotourismus“ - Licht im Begriffsdschungel. Natur und Landschaft 86. Tourism Concern (2012): Water Equity Report. A Human Right - A Global Responsibility. UNEP (United Nations Environment Programme)/ UNWTO (World Tourism Organnization) (2011): Green Economy and Tourism: Investing in Energy and Resource Efficiency. Paris/ Madrid. UNWTO (2013a): Tourism Highlights, 2013 edition, Madrid. UNWTO (2013b): Domestic Tourism in Asia and the Pacific. Madrid. UNWTO (2014): World Tourism Barometer. Vol. 12, January 2014. Madrid. UNWTO/ UNEP (2005): Making Tourism more Sustainable - A Guide for Policymakers. Madrid. Weaver, D. (2012): Organic, incremental and induced paths to sustainable mass tourism convergence. Tourism Management 33 (2012), S. 1030-1037. <?page no="24"?> 1.2 Sanft, öko und fair - Nachhaltiger Tourismus vom gesellschaftlichen Gegenentwurf bis zu den gegenwärtigen Herausforderungen durch Globalisierung und Klimawandel von Prof. Dr. Wolfgang Strasdas 3 Lernziele In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Was waren und sind die Hintergründe und Inhalte von Kritik am Tourismus? Welche Vorläuferkonzepte zum nachhaltigen Tourismus hat es gegeben? Wie haben sich dabei inhaltliche Schwerpunkte verschoben? Welche alternativen oder spezialisierten Konzepte für verträglichen Tourismus existieren parallel? 35 Jahre ist es her, dass der Philosoph Robert Jungk seine radikale Kritik am Tourismus formulierte und „Sanftes Reisen“ dem vorherrschenden „harten“ Tourismus gegenüberstellte. Tourismuskritik gibt es, seit dieser ein Massenphänomen geworden ist. Und fast immer sind alternative Konzepte formuliert worden, wie Tourismus zu einem positiven Entwicklungsfaktor statt zu einer zerstörerischen Kraft werden könnte. Das heutige Leitbild des nachhaltigen Tourismus ist eigentlich nichts Neues. Doch ist es vom Anspruch her so umfassend geworden - die Vereinbarkeit ökologischer, sozialer und ökonomischer Ziele -, dass daraus auch Beliebigkeit entstehen kann. Wie ist das Leitbild des nachhaltigen Tourismus entstanden? Welche „Vorläufer“ hat es gegeben? Welche Konzepte existieren ggf. parallel? Ziel dieses Kapitels ist es, in pointierter und manchmal auch polemischer Weise Aspekte und Entwicklungen aufzuzeigen und zur Diskussion zu stellen, die vom gesellschaftlichen Gegenentwurf der 1980er Jahre bis zu den gegenwärtigen Herausforderungen durch Globalisierung und Klimawandel reichen und die Idee des nachhaltigen Tourismus bis heute beeinflussen. 3 Dieses Kapitel erschien ursprünglich in „Nachhaltiger und naturverträglicher Tourismus - Strategien, Erfolgsfaktoren und Beispiele zur Umsetzung“ (Schriftenreihe Naturschutz und Biologische Vielfalt, Heft 79. Hg.: Bundesamt für Naturschutz, Bonn 2009) und wurde für dieses Lehrbuch leicht verändert, gekürzt und aktualisiert. <?page no="25"?> 26 Nachhaltiger Tourismus 1.2.1 Die frühen Jahre - Massentourismus zwischen Verachtung, sozialer Errungenschaft und Kapitalismuskritik Reisen ohne unmittelbare Notwendigkeit war über viele Jahrhunderte ein Privileg der gesellschaftlichen Oberschichten. Mit der Industrialisierung drängten aber zunehmend auch andere Bevölkerungsgruppen auf der Suche nach Erholung aus den überfüllten Städten in die umgebenden ländlichen Regionen und Naturgebiete. Während die einen dies als soziale Errungenschaft und als Beitrag zur Gesundheit betrachteten, kam vor allem von bürgerlicher Seite oft scharfe Kritik an den „Auswüchsen“ des massenhaften Ausflugsverkehrs, wobei zum einen die (sicherlich vorhandenen) negativen Auswirkungen auf die Natur in Form von Lärm, Abfällen usw. beklagt wurden, daneben aber auch milieuspezifische Erscheinungen, wie „ungezügeltes Benehmen“ oder „mangelndes Naturverständnis“. Es ist frappierend, wie sehr die damalige Auseinandersetzung, die nicht selten unverhohlene Verachtung zum Ausdruck brachte, der heutigen Kritik am Massentourismus ähnelt. Das Image von Touristen ist auch heute noch das einer tumben, fremdgesteuerten Masse. Offensichtlich war dem gebildeten Bürgertum daran gelegen, das verlorene Privileg des alleinigen Reisens dadurch zu kompensieren, dass man sich von den Massen „distinguierte“ und exklusivere Tourismusformen als moralisch überlegen und naturverträglicher deklarierte (FROHN 2009). Alternative Tourismuskonzepte, die einige der genannten Kritikpunkte aufgriffen, dabei aber Tourismus als soziale Errungenschaft fördern wollten, gab es auch schon Ende des 19. Jahrhunderts. Organisationen wie die Alpenvereine, die Naturfreunde oder in den USA der Sierra Club propagierten einen naturverbundenen Tourismus für verschiedene Gesellschaftsschichten, den man in einigen Aspekten durchaus als Vorläufer des modernen Ökotourismus ansehen kann. Ein Ergebnis dieser Tradition ist die erfolgreiche Popularisierung der Natur-Interpretation in nordamerikanischen Nationalparks, der es gelungen ist, Umweltbildung breiten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, ohne die ökologische Integrität größerer Schutzgebiete durch die hohen Besucherzahlen ernsthaft zu gefährden. Eine wahre „Demokratisierung des Reisens“ erfolgte nach dem 2. Weltkrieg. Während die sozialistischen Staaten mit ihrem Verschickungstourismus im eigenen Einflussbereich und damit einhergehenden Reiseverboten ins westliche Ausland vorübergehend einen Sonderweg einschlugen, reiste die Generation des Wirtschaftswunders in den westlichen Industrieländern zuerst mit der Bahn in einheimische Urlaubsgefilde, dann mit dem eigenen PKW in benachbarte Länder und schließlich mit dem Flugzeug in noch weiter entfernte „Traumdestinationen“. Die bis dahin noch in den Kinderschuhen befindliche Tourismuswirt- <?page no="26"?> Einführung 27 schaft entwickelte sich zu einer neuen Industrie, das Reisen wurde kommerzialisiert, Tourismus in vielen Ländern zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig. An diesem Punkt setzte ein zweiter Typus von Tourismuskritik ein, deren frühester Vertreter Hans-Magnus Enzensberger war. Seiner Ansicht nach war Reisen weit davon entfernt, dem persönlichen Wohl, geschweige denn der Bildung und persönlichen Entwicklung zu dienen. Vielmehr wurde Tourismus als Teil einer manipulierenden Warenwelt gesehen, die allein kapitalistischen Verwertungsinteressen unterworfen sei (ENZENSBERGER 1958). Enzensbergers grundlegende gesellschaftspolitische Kritik am Tourismus spielte noch bis in die 1980er Jahre eine gewisse Rolle, geriet dann aber in Vergessenheit und gilt seitdem als verstaubt. Spätestens seit den 1990er Jahren steht der selbstbestimmte Konsument im Mittelpunkt nachhaltiger Tourismusstrategien. Wer hier wen stärker beeinflusst, ist aber durchaus ungeklärt und von entscheidender Bedeutung für die Lenkung des Tourismus in Richtung Nachhaltigkeit. Mit der Bedrohung durch den Klimawandel hat Enzensbergers Theorie möglicherweise neue Aktualität erlangt, denn in der Klimadebatte zeigt sich, dass es mindestens ebenso sehr um wirtschaftliche Interessen wie um individuelle Lebens- und Reisestile geht. 1.2.2 Die 1980er Jahre - Das Jahrzehnt des Sanften Tourismus als gesellschaftlicher Gegenentwurf Es dauerte über zehn Jahre, bis die Gesellschaftskritik und Umweltbewegung der späten 1960er und 1970er Jahre auch den Tourismus erreichte. Die touristische Erschließung der Alpen, des nordwestlichen Mittelmeers und der deutschen Küsten hatte einen Höhepunkt erreicht. Die ersten Fernziele in der sog. Dritten Welt wurden erschlossen und es wurde nun deutlich, dass Tourismus keinesfalls eine „weiße Industrie“ war, sondern massive ökologische und soziale Auswirkungen hatte. Krippendorfs „Die Landschaftsfresser“ (1975) war ein früher Meilenstein der moderneren Tourismuskritik. 1980 folgte Jungks Gegenüberstellung des „harten“ mit der Vision eines anderen, besseren Tourismus. Da die 1970er und 1980er Jahre eine Zeit der gesellschaftlichen Gegenentwürfe waren, wurde nicht mehr nur Kritik formuliert (wie bei Enzensberger), sondern es wurden auch Steuerungsansätze und z.T. weitreichende Alternativen entwickelt. Das Konzept des „Sanften Tourismus“ war geboren (STRASDAS 1987). Nicht zufällig entstand der Sanfte Tourismus in den Alpenländern. Einerseits waren die Auswirkungen der touristischen Erschließung dort massiv. Andererseits waren vor allem die Schweizer und die Österreicher sowohl Reisende als auch Bereiste und kannten das Problem von beiden Seiten. Beeinträchtigt waren nicht nur die Landschaft und die ehedem eher beschauliche, wenn auch mühselige, Lebenswelt der Einheimischen auf dem Lande, sondern auch die Qualität <?page no="27"?> 28 Nachhaltiger Tourismus des touristischen Erlebens. Die Alpen waren damit ein Paradebeispiel für eine Entwicklung, wie sie der britische Tourismuswissenschaftler BUTLER (1980) quasi als Naturgesetz mit seinem Destinations-Zyklus-Modell formuliert hatte. Danach entwickeln sich touristische Zielgebiete zunächst langsam aufgrund einiger weniger „Entdecker“, dann boomartig, wenn die Einheimischen und/ oder die Tourismuswirtschaft das ökonomische Potenzial erkannt haben. In jedem Fall erfolgt aber praktisch keine Steuerung - bis zu einem Punkt, an dem die ökologischen und sozialen Auswirkungen so gravierend werden, dass die Qualität des touristischen Angebotes darunter leidet. Ab diesem Punkt gibt es zwei mögliche Entwicklungspfade: entweder setzt ein Niedergang ein oder aber eine konsequente Neuausrichtung und Planung führen zu einer Verjüngung und einem erneuten Aufschwung. Das Konzept des Sanften Tourismus war schon ähnlich umfassend wie später der Nachhaltige Tourismus. Selbst Elemente ökonomischer Nachhaltigkeit (Verknüpfung mit der regionalen Wirtschaft, Vermeidung touristischer Monostrukturen) wurden bereits als Ziele formuliert. Im Vordergrund standen aber ökologische, soziale, kulturelle und politische Aspekte. Der Sanfte Tourismus war vor allem eine Alternative zum „gewöhnlichen“ Reisen, bei der es um Partizipation und Selbstbestimmung, die Bewahrung gefährdeter traditioneller Kulturen wie auch um persönliches Wachstum und neue Formen des touristischen Erlebens ging. Die hier formulierten Ideale hatten vielfach Ähnlichkeit mit denjenigen eines elitären Bildungsbürgertums aus früheren Zeiten (Stichworte: Exklusivität, Lernorientierung, Authentizität). Erstmals spielten aber auch die in den 1980er Jahren entstehenden Trends des Hedonismus und der Genussorientierung eine wichtige Rolle (STRASDAS 1987). In der Folge kam der traditionelle Begriff des Fremdenverkehrs aus der Mode. Wie eigentlich alle anderen alternativen Tourismusströmungen auch, kam das Konzept des Sanften Tourismus nicht aus der Tourismuswirtschaft selbst, sondern wurde von außen in sie hineingetragen und dann bestenfalls in Nischen umgesetzt - auch wenn einige Vertreter des Sanften Tourismus bereits der Meinung waren, auch der Massentourismus müsse ökologisiert und letztendlich transformiert werden. Es erstaunt daher nicht, dass der Begriff Sanfter Tourismus gegen Ende der 1980er Jahre von anderen, eher pragmatischen Konzepten wie Qualitativer Fremdenverkehr oder Intelligenter Tourismus abgelöst wurde, bei denen grundsätzliche Fragen nicht mehr thematisiert wurden und wirtschaftliche Nachhaltigkeit im Vordergrund stand. Auffällig war weiterhin, dass die Diskussion um den Sanften Tourismus fast ausschließlich auf den deutschen Sprachraum beschränkt blieb. International spielte das Thema in den 1980er Jahren keine Rolle. Eine gewisse Ausnahme stellte die Kritik am Tourismus in Entwicklungsländern dar, die sich auf sozio- <?page no="28"?> Einführung 29 kulturelle und ökonomische Missstände konzentrierte. Dies allerdings zunächst mit unerwarteten und weitreichenden Konsequenzen: die meisten Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) stellten ihre bis dahin durchaus übliche, konventionelle Tourismusförderung fast gänzlich ein, weil sich die erhofften Armutsminderungseffekte kaum eingestellt hatten. Insbesondere die deutsche EZ war durch den Dalyan-Skandal „traumatisiert“: 1987 sollten mit deutschen Fördergeldern Hotels an der türkischen Dalyan-Bucht gebaut werden - einem der letzten Eierablageplätze von Meeresschildkröten am Mittelmeer. Nach Protesten von Umweltorganisationen und entsprechenden Medienberichten wurde das Projekt gestoppt, ein Imageschaden für die öffentlichen Geldgeber blieb jedoch (vgl. DEUTSCHER BUNDESTAG 1995). Alternative Tourismusansätze wurden nicht entwickelt. 1.2.3 Die 1990er Jahre - Pragmatismus und der Aufstieg des Ökotourismus Die vergleichsweise übersichtliche Welt der 1980er Jahre mit ihren klaren ideologischen Grenzziehungen geriet mit der deutschen Wiedervereinigung und dem europaweiten Fall des „Eisernen Vorhangs“ ins Wanken. Die 1990er Jahre brachten neue Dynamiken, einen massiven Globalisierungsschub und die Auflösung festgefügter Weltbilder. Gleichzeitig wurde das Bewusstsein von der Bedeutung und Fragilität der Umwelt Allgemeingut - zumindest in Deutschland. Die öffentliche Hand kannte noch keine knappen Kassen, was zu zahlreichen Umweltförderprogrammen und entsprechenden Stellen in Verwaltungen und Verbänden führte. Im Tourismus verabschiedete man sich endgültig von allzu weitreichenden Alternativmodellen, verzichtete zusehends auf staatliche Eingriffe und setzte stattdessen auf Freiwilligkeit. Man hatte erkannt, dass Umweltqualität in vielen Fällen auch Produktqualität bedeutete und dass die Urlauber saubere Strände, klares Wasser und intakte Landschaften erwarteten. Mit der Touristik Union International (TUI) ernannte der erste große Tourismuskonzern einen Umweltbeauftragten und füllte auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin ganze Säle mit entsprechenden Veranstaltungen. Verschiedene Forschungsvorhaben entwickelten Konzepte zur Harmonisierung von Tourismus- und Landschaftsplanung oder von Sport- und Naturschutzbelangen (u.a. SCHEMEL et al. 1992/ 2000). Hotels führten Umweltmanagementsysteme ein, unterstützt von diversen Wettbewerben und den ersten Umweltzertifizierungen. Tourismusprojekte in den neuen Bundesländern und Planungen für einen neuartigen Typus wetterunabhängiger Ferienzentren (Center Parcs) wurden von der Öffentlichkeit kritisch verfolgt (STRASDAS 1991). <?page no="29"?> 30 Nachhaltiger Tourismus Diese pragmatische Umsetzung von Ideen, die ursprünglich aus den 1980er Jahren stammten, hat die Umweltbilanz des Tourismus zumindest in Deutschland und in einigen anderen europäischen Feriengebieten (z.B. Mallorca) ohne Zweifel verbessert. Abgesehen von einigen regionalen Brennpunkten ist Tourismus in Deutschland als vergleichsweise umweltverträglich anzusehen (UBA 2002). Diese Entwicklungen haben jedoch nicht zu einer tiefgreifenden Ökologisierung geführt. Das Scheitern des „Grünen Koffers“, einer vor allem von Umweltverbänden getragenen Initiative zur Schaffung eines einheitlichen Umweltzertifizierungssystems, am Widerstand der Tourismuswirtschaft ist hierfür symptomatisch. Es wurde u.a. deutlich, dass die Deutschen als „Reiseweltmeister“ mit einem hohen Auslandsreiseanteil auch für Zielgebiete außerhalb Deutschlands Verantwortung tragen - eine wahrhafte große Herausforderung, der man sich in allen ihren Implikationen aber höchstens ansatzweise stellen wollte. Während man also in den deutschsprachigen Ländern - weitgehend unbemerkt von der internationalen Öffentlichkeit - einige Elemente des Sanften Tourismus weiterentwickelte und in die Praxis umsetzte, entdeckte die sich globalisierende Welt die nachhaltige Entwicklung und bald darauf auch den Nachhaltigen Tourismus. Die Schaffung des Zertifizierungssystems Green Globe (1995), die „Lanzarote Charter for Sustainable Tourism“ (1995) und die „Agenda 21 for the Travel & Tourism Industry“ (1996) der Welt-Tourismusorganisation UNWTO und des World Travel and Tourism Council (WTTC) waren erste Schritte in diese Richtung, blieben in ihrem Konkretisierungsgrad aber weit hinter dem zurück, was in einigen europäischen Ländern schon umgesetzt wurde. Zunächst stand jedoch für die gesamten 1990er Jahre eine Sonderform des Nachhaltigen Tourismus im Vordergrund: der Ökotourismus. Dieses Konzept wurde vor dem Hintergrund des weltweit dramatischen Verlustes an Biodiversität, insbesondere in den Tropen, entwickelt. Die Rio-Konferenz von 1992 stand vor allem im Zeichen des globalen Naturschutzes. Die dort ebenfalls verabschiedete UN-Klimarahmenkonvention und die UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung blieben in der politischen Prioritätensetzung und öffentlichen Wahrnehmung zunächst im Hintergrund. Der tropische Regenwald mit seiner enormen, bedrohten Artenvielfalt wurde zur Ikone der Umweltdiskussion der 1990er Jahre. Die Idee, die hinter dem Ökotourismus als nachhaltigem Tourismuskonzept steht, ist unmittelbar einleuchtend: Wenn dem Naturschutz in Entwicklungsländern in dramatischer Weise Gelder fehlen und internationale Touristen gleichzeitig Millionen ausgeben, um dort Natur zu erleben, dann sollte dieses ökonomische Potenzial genutzt werden, um den Naturschutz zu verbessern und gleichzeitig alternative Einkommensmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung zu <?page no="30"?> Einführung 31 schaffen. Ökologische Verträglichkeit des Tourismus selbst wird dabei vorausgesetzt. Das Konzept des Ökotourismus wurde vor allem von international tätigen Naturschutzorganisationen (wie etwa dem World Wildlife Fund) entwickelt. In diesem Umfeld entstand 1992 in den USA The International Ecotourism Society, eine der führenden Organisationen in diesem Segment (EPLER WOOD 2001) (siehe Kapitel 2.2). Der Fokus wird dabei auf Entwicklungsländer und ihre spezielle Problematik gelegt. Im Gegensatz zum Sanften Tourismus ist das Konzept des Ökotourismus stärker entwicklungsorientiert als restriktiv ausgerichtet. Ganz im Geiste der 1990er Jahre ist der Ansatz außerdem sehr pragmatisch: anstatt die Situation des Naturschutzes in Entwicklungsländern oder die Ambivalenz des Dritte- Welt-Tourismus zu beklagen und nach radikalen Lösungen zu rufen, akzeptiert der Ökotourismus grundlegende Widersprüche und setzt stattdessen auf die nachhaltige Steuerung des Tourismus innerhalb seiner systemischen Logik. Dies hat ihm wiederholte Angriffe von tourismuskritischen Organisationen wegen seines „neoliberalen“ Gesellschaftsbildes eingebracht. Auch in den meisten europäischen Ländern - mit ihren anders gelagerten Rahmenbedingungen und einer bereits vorhandenen Tradition eines nachhaltigen Tourismus - hat sich der Begriff Ökotourismus kaum durchsetzen können. Dagegen trat die Idee des Ökotourismus in vielen Entwicklungsländern geradezu einen Siegeszug an. In der Entwicklungszusammenarbeit ist das Konzept mittlerweile fest verankert und taucht als nachhaltige Nutzungsmöglichkeit von Natur und Landschaft in nahezu jedem Naturschutzprojekt auf. Nach einem Jahrzehnt fast vollständiger Tourismusabstinenz näherte man sich in der EZ seit Mitte der 1990er Jahre auf diesem Wege wieder dem Tourismus an, wenn auch immer noch zögerlich und ohne umfassendes Konzept (BEYER et al. 2007). Eine eindeutige Bilanz des Ökotourismus zu ziehen fällt schwer. Sicherlich ist der Begriff häufig missbraucht worden, und es ist auch nicht gelungen, das Problem der Naturschutz-Finanzierung auf diese Weise durchschlagend zu lösen. Demgegenüber stehen aber auch unbestreitbare Erfolge. In Kombination mit wirksamen Besucherlenkungssystemen trägt Ökotourismus in vielen lateinamerikanischen, ost- und südafrikanischen Ländern (wie Tansania, Südafrika, Namibia, Costa Rica, Belize, Ecuador) in erheblichem Maße zur Finanzierung von Schutzgebieten bei, ohne ernste Schäden zu verursachen. Die leer gewilderten Schutzgebiete im Westen des afrikanischen Kontinents zeigen, was einer Fauna ohne touristische Inwertsetzung widerfahren kann. Viele private Anbieter in diesem Segment haben innovative technische Lösungen und Managementsysteme entwickelt und betreiben dadurch umwelt- und sozial verträgliche Unterkünfte („Öko-Lodges“). Naturtourismus ist in nicht wenigen Ländern zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig aufgestiegen, der in puncto Nachhaltigkeit eine <?page no="31"?> 32 Nachhaltiger Tourismus Modellfunktion für den Tourismus generell übernehmen könnte (STRASDAS 2001). In Deutschland hat man sich mit dem Konzept des Ökotourismus schwer getan. De facto fallen jedoch viele Aktivitäten im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Natursport in diese Kategorie. Auch wenn Tourismus in Deutschland durch seine Flächenkonkurrenz mit dem Naturschutz, vor allem an den Meeresküsten, immer noch eine Belastung für die biologische Artenvielfalt darstellt, hat es doch viele Erfolgsgeschichten eines konstruktiven Miteinanders gegeben, bspw. im Kanutourismus oder beim Klettersport. Im neuen Jahrtausend haben sich in Deutschland die Synergien zwischen Tourismus und Naturschutz noch weiter im Sinne des Ökotourismus entwickelt. Als Beispiele seien hier die Marketinginitiative „Fahrtziel Natur“ für eine nachhaltige Mobilität in Deutschlands Großschutzgebieten oder die aktive Bewerbung der Nationalen Naturlandschaften als Motoren eines nachhaltigen Naturtourismus genannt. 1.2.4 Das neue Jahrtausend - Nachhaltiger Tourismus im Zeichen der fortschreitenden Globalisierung Mit der Globalisierung traten schon im Laufe der 1990er Jahre und verstärkt mit der Jahrtausendwende soziale und ökonomische Probleme in den Vordergrund und verdrängten die Umweltfrage in der Politik und in der öffentlichen Wahrnehmung von ihrem bisherigen Spitzenplatz. Fast konsterniert musste man im Tourismus feststellen, dass sich das in vielen Studien belegte hohe Umweltbewusstsein der Deutschen auf Reisen nicht in praktisches Handeln niederschlug. Vielmehr spielten für die Reiseentscheidung ganz andere Dinge eine Rolle, wie etwa Erlebniserwartungen, Qualität, Bequemlichkeit und natürlich das Preis- Leistungs-Verhältnis. Die TUI hatte ihren Umweltbeauftragten zu einem Zeitpunkt eingestellt, als 60 % der Deutschen Umweltschutz als eine vordringliche Aufgabe genannt hatten. Dieser Wert fiel bis 2002 auf unter 15 % (BMU 2006). Gleichzeitig zeigte sich mit dem Boom der Billigflieger, dass Umweltbewusstsein zumindest im Transportbereich nun überhaupt keine Rolle mehr zu spielen schien. Als klar wurde, dass die Nachfrage ein besonderes Engagement im Bereich Umweltschutz und Nachhaltigkeit nicht unmittelbar honorierte, „verabschiedeten“ sich die meisten Tourismusunternehmen de facto von diesem Leitbild - wenn sie es denn jemals aus anderen als opportunistischen Gründen vertreten hatten. Umweltbeauftragte fand man höchstens noch in den PR-Abteilungen der Unternehmen, wo sie zumeist eine dekorative Funktion innehatten. Viele der Initiativen, die Anfang 2000 auf den Weg gebracht wurden und eine Fortentwicklung der Initiativen der 1990er Jahre darstellten, wie beispielweise das deutsche Zertifizierungssystem Viabono für einen umweltfreundlichen Touris- <?page no="32"?> Einführung 33 mus, verzeichneten nur mäßige Erfolge - auch wenn theoretisch jeder dahinter stand. Dieses Schicksal teilt es mit den meisten anderen touristischen Öko- Labeln der Welt, die bis heute nur einen Bruchteil des touristischen Marktes abdecken und der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind (LASSEN/ BEIS- SERT 2012). Da staatliche Regulierung in Zeiten neoliberaler Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle auch im Tourismus keine politisch durchsetzbare Option darzustellen schien, setzte man jedoch weiterhin auf das freiwillige Engagement von Unternehmen und die Kaufentscheidungen aufgeklärter Konsumenten. Weil es sich als schwierig erwiesen hatte, umweltschonendes Reiseverhalten direkt einzufordern, versuchte man stattdessen, Umweltschutz mit anderen Vorteilen zu verbinden und ihn damit sozusagen en passant zu bewirken. Bei den touristischen Unternehmen und bei Destinationsmanagement-Organisationen (DMO) wird ökologische Nachhaltigkeit freiwillig vor allem dann umgesetzt, wenn sich damit gleichzeitig Kosten einsparen oder Betriebsabläufe optimieren lassen (z.B. in den Bereichen Energie, Wasser, Abfall) und/ oder wenn damit die Qualität des touristischen Angebotes erhöht wird, wie etwa durch Abwasserreinigung, Verkehrslenkung, die Einhaltung von Bauvorschriften oder Landschaftsschutz. Bei den DMO ist eine etwas größere Nachhaltigkeitsaffinität dadurch festzustellen, dass sie per definitionem ihre Heimatregionen nicht verlassen können, verschiedene Akteursansprüche befriedigen müssen und daher langfristig auf die Intaktheit ihrer Region angewiesen sind. Reiseveranstalter verfügen dagegen über eine größere Flexibilität und können bei Bedarf auf weniger belastete Destinationen ausweichen. Aufseiten der Nachfrage setzt man darauf, Nachhaltigkeit mit den primären Reisemotiven zu verbinden. Aspekte wie Naturerleben, Gesundheit, regionale Küche, Familienorientierung lassen sich bei geschicktem Management und mit entsprechendem Marketing mit Nachhaltigkeit in Verbindung bringen. Einige Nachfragesegmente (vor allem in den Bereichen Natur- und Kulturtourismus) lassen sich auch direkt in Richtung Nachhaltigkeit ansprechen, allerdings muss dieser im Kern ethische Aspekt mit anderen Vorteilen für den Konsumenten verbunden werden - Nachhaltigkeit als „Zusatznutzen“ (SCHMIED et al. 2009). So lässt sich Fahrradtourismus zunächst mit Gesundheits- und Erlebnisaspekten als eine Reiseform bewerben, welche außerdem auch noch umweltfreundlich ist. Wie schwierig es ist, Nachhaltigkeit als eigenständiges Reisemerkmal zu bewerben, zeigt die Geschichte der alternativen deutschen Reisemesse „Reisepavillon“. In den 1990er Jahren vielversprechend gestartet, konnte sie sich im fortschreitenden 21. Jahrhundert nicht als Endverbraucher-Messe behaupten. Parallel dazu sind im Zuge der Globalisierung und des weltweit wachsenden internationalen Tourismus dessen soziokulturellen und ökonomischen Auswir- <?page no="33"?> 34 Nachhaltiger Tourismus kungen wieder stärker ins Blickfeld nachhaltiger Tourismusstrategien geraten, vor allem in Entwicklungsländern, deren Volkswirtschaften zunehmend auf Tourismus angewiesen sind. Sozial und kulturell angepasstes Verhalten genießt unter international Reisenden eine hohe Akzeptanz (STE 2013) und erfordert im Vergleich zu umweltrelevantem Verhalten wenig Verzicht. Zahlreiche Skandale von wirtschaftlicher Ausbeutung, in die internationale Konzerne verwickelt waren, haben deutlich gemacht, dass in diesem Bereich ein hohes Image-Risiko besteht. Die glaubhafte Demonstration von Corporate Social Responsibility (CSR) ist daher von zunehmender Bedeutung, nach anfänglichem Zögern auch im Tourismus (siehe Kapitel 3.1). Die zunehmende soziale Orientierung der globalen Nachhaltigkeitsdebatte hat zu einer zurückgehenden Bedeutung des Ökotourismus im neuen Jahrtausend geführt. Auch wenn dieses Konzept ausdrücklich auch sozioökonomische Ziele enthält, ist es im Vergleich zu neueren Strategien wie dem gemeindebasierten Tourismus (Community-based Tourism - CBT) oder dem Pro-poor Tourism (PPT) etwas in den Hintergrund geraten. Das Internationale Jahr des Ökotourismus im Jahre 2002 stellte in dieser Hinsicht möglicherweise schon den Zenit für den Ökotourismus dar, denn soziale Fragen standen beim World Ecotourism Summit in Québec (Kanada) bereits im Mittelpunkt des Interesses. Dabei waren und sind Ökotourismus und CBT vor allem Nischenansätze. Ohne Zweifel lässt sich ökologische und soziokulturelle Nachhaltigkeit auf diese Weise am ehesten erreichen. Doch sobald man sich mit den weit gefassten Ansprüchen der Armutsbekämpfung und der Naturschutzfinanzierung durch Tourismus in Entwicklungsländern etwas näher beschäftigt, fällt auf, dass dies nur dann in nennenswertem Maße möglich ist, wenn substanzielle Einkommen durch Tourismus generiert werden. Dies geht nur in Teilbereichen durch exklusiven, hochpreisigen Tourismus - und schon gar nicht durch eine Handvoll Besucher pro Jahr, die zudem auch noch wenig Geld in den Gemeinden oder Schutzgebieten ausgeben. Das Konzept des PPT setzt hier an: den Massentourismus (also auch den dominierenden Strandtourismus) in Entwicklungsländern so zu transformieren, dass er den Armen auch tatsächlich messbare Vorteile bringt (PPT PARTNERSHIP 2004). Inwiefern dies vielleicht jetzt schon der Fall ist, wird kontrovers diskutiert. Diverse Studien weisen darauf hin, dass All- Inclusive-Resorts oder Großhotels ausländischer Investoren in Bezug auf Umweltstandards und Armutsminderung möglicherweise schon jetzt nachhaltiger sind als allgemein angenommen wird. Andere konstatieren das Gegenteil. Es herrscht aber auch Einigkeit darüber, dass noch wesentlich mehr getan werden <?page no="34"?> Einführung 35 muss, um bspw. den Devisenabfluss zu verringern, fairere Löhne zu zahlen und die ökologische Nachhaltigkeit zu verbessern ( NFI/ respect 2012). 1.2.5 Paradigmenwechsel der Gegenwart - Der Klimawandel und die neuen Grenzen des Wachstums Der weltweit Aufsehen erregende Bericht des Weltklimarates (IPCC) Anfang 2007 traf die Tourismusindustrie trotz früherer Deklamationen der UNWTO völlig unvorbereitet und löste einen Schock aus. Die kurz darauf stattfindende Internationale Tourismusbörse in Berlin war von Verunsicherung und Ratlosigkeit geprägt, wie eine Blitzumfrage der Hochschule Eberswalde unter den Ausstellern ergab. Nachhaltigkeit, noch vor Kurzem ein Unwort, war plötzlich wieder in aller Munde. Hinzu kam eine Renaissance des Ökologischen. Was man eigentlich schon immer wusste, oder hätte wissen können, war auf einmal unabweislich geworden. Mittlerweile ist auch in der Tourismusindustrie allgemein akzeptiert, dass der internationale Reiseverkehr, allen voran der Flugtourismus, ein Mitverursacher des Klimawandels ist - auch wenn immer wieder versucht wird, diesen Beitrag herunterzuspielen. In der Öffentlichkeit hat der Tourismus als Branche seitdem ein Imageproblem, denn im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen gibt es kein überzeugendes Konzept zur Reduzierung von Treibhausgasen (siehe Kap. 2.1). Die Debatte ist stark moralisch gefärbt und plötzlich werden wieder sehr grundsätzliche Fragen und Forderungen gestellt (z.B. „Urlaub auf Balkonien“). Ernüchtert muss man feststellen, dass selbst die bis dahin „gängigen“ Formen des Nachhaltigen Tourismus - insbesondere der Ökotourismus und der Pro-poor Tourism - keine überzeugende Antwort auf die Herausforderung Klimawandel haben, ganz einfach deshalb, weil sie sich bisher auf nachhaltige Entwicklung in den Destinationen und Beherbergungsbetrieben konzentriert und das Transportproblem weitgehend ausgeblendet haben. Die letzten Jahre sahen im Tourismus eine Vielzahl meist halbherziger Aktivitäten, das Klimaproblem innerhalb der touristischen Systemlogik in den Griff zu bekommen, das heißt ohne die enormen, u.a. von der UNWTO prognostizierten Wachstumsraten des internationalen Tourismus infrage zu stellen - Effizienz statt Suffizienz (siehe Kap. 2.1). Seit der gescheiterten UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen scheint in Bezug auf den Klimaschutz in der Politik und in der Bevölkerung eine gewisse Resignation eingetreten zu sein - trotz global weiter steigender Treibhausgasemissionen und sich verstärkender Anzeichen für den Klimawandel. Das von der Europäischen Union eingeführte - und zuvor von der Luftfahrtindustrie bekämpfte - Emissionshandelssystem für den Flugverkehr wurde nach Protesten mehrerer nicht-europäischer Länder wieder ausgesetzt und auch auf Verbraucherseite ist trotz eines hohen Klimabewusstseins keine Veränderung des <?page no="35"?> 36 Nachhaltiger Tourismus Mobilitätsverhaltens im Urlaub erkennbar. Selbst das Instrument der freiwilligen Kompensation von Flugemissionen wird kaum genutzt (LÜTTERS/ STRAS- DAS 2010). Die Vermutung liegt nahe, dass durchgreifende freiwillige Problemlösungen der Marktteilnehmer, zumindest in Bezug auf den Klimaschutz im Tourismus, nicht funktionieren. Staatliche Eingriffe scheinen unvermeidlich, erfordern aufgrund der globalen Verflechtungen des Tourismus aber wiederum supranationale Ansätze, für die Mehrheiten gesucht werden müssen - wie man sieht, eine höchst schwierige Aufgabe! Dennoch entwickeln sich auf Verbraucherseite neue Trends in Richtung Nachhaltigkeit, die auch den Tourismus zunehmend beeinflussen. Genannt seien hier der zunehmende Konsum von ökologischen Lebensmitteln und Fair Trade- Produkten (Verbraucherinitiative 2013), die Slow-Food-Bewegung und der Ansatz von Share Economy. Im Tourismus spiegelt sich dies wider in eher theoretischen Konzepten wie Slow Tourism (Dickinson et al. 2011) bis hin zu zertifizierten Anbietern von Fair Trade Reisen (www.fairtrade.travel), der halbkommerziellen Vermittlung von Privatunterkünften sowie einer mittlerweile weit verbreiten Wertschätzung regionaler Speisen im Tourismus (siehe Kapitel 2.4). Literatur Beyer, M., Häusler, N., Strasdas, W. (2007): Tourismus als Handlungsfeld der deutschen Entwicklungszusammenarbeit - Grundlagen, Handlungsbedarf und Strategieempfehlungen. Hg.: Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Eschborn. Bundesministerium für Umwelt , naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (2006): Umweltbewusstsein in Deutschland 2006. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Reihe Umweltpolitik. Butler, R. (1980): The concept of a tourist area cycle of evolution: Implications for management of resource. In: Canadian Geographer 24: S. 5-12. Deutscher Bundestag (1995): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Halo Saibold, Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Die Grünen -- Drucksache 13/ 2090 -- Verwendung deutscher Steuergelder zu Naturschutz-Zwecken im Dalyan-Delta in der Türkei. Drucksache 13/ 2146 vom 15.08.1995. Dickinson, J., Lumsdon, L., Robbins, D. (2011): Slow travel - Issues for tourism and climate change. Journal of Sustainable Tourism. Vol.19. Issue 3. S. 281-300. Enzensberger, H.M. (1958): Vergebliche Brandung der Ferne. Eine Theorie des Tourismus. In: Mercur, 12. Jg. S. 701-720. Epler Wood, M. (2001): Ecotourism - Principles, Practices and Policies for Sustainability. United Nations Environment Programme. Paris. <?page no="36"?> Einführung 37 Frohn, H.W. (2009): Sozialpolitischer Naturschutz und die Bemühungen um Erholungsvorsorge 1880 bis 1969. Vortrag bei der 9. Vilmer Sommerakademie. Internationale Naturschutzakademie. 12.-16.7.2009. Jungk, R. (1980): Wieviel Touristen pro Hektar Strand? In: Geo Nr. 10. Okt. 1980. Krippendorf, J. (1975): Die Landschaftsfresser. Bern/ Stuttgart. Lassen, K., Beissert, H. (2012): Umweltschutz- und Energiesparmaßnahmen in der deutschen Hotellerie - Evaluierung ausgewählter Ökolabel und EU- Förderprojekte. Masterarbeit an der HNE Eberswalde. Lütters, H. und Strasdas, W. (2010): Kompensation von Treibhausgasen. Studie im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Berlin. NFI (Naturfreunde Internationale) & respect (2012): Armutsminderung durch Tourismus - Kann Tourismus einen Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung leisten? Dossier. Wien. Pro-Poor Tourism Partnership (2004): Pro-poor Tourism Information Sheets. www.propoortourism.org.uk Schemel, H.J., Erbguth, W. (1992/ 2000): Handbuch Sport und Umwelt. Aachen. Schmied, M., Götz, K., Kreilkamp, E., Buchert, M., Hellwig, T. , Otten, S. (2009): Traumziel Nachhaltigkeit - Innovative Vermarktungskonzepte nachhaltiger Tourismusangebote für den Massenmarkt. Heidelberg. Strasdas, W. (1987): Der Sanfte Tourismus - Theorie und Praxis. Arbeitsmaterialien 8, Inst. für Landschaftspflege und Naturschutz.Universität Hannover. Strasdas, W. (1991): Ferienzentren der Zweiten Generation - Ökologische, soziale und ökonomische Auswirkungen. Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt. Naturschutz und Reaktorsicherheit. Strasdas, W. (2001): Ökotourismus in der Praxis - Zur Umsetzung der sozioökonomischen und naturschutzpolitischen Ziele eines anspruchvollen Tourismuskonzeptes in Entwicklungsländern. Hg.: Studienkreis für Tourismus und Entwicklung. Ammerland. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung (STE) (2013): Tourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer. Seefeld. Umweltbundesamt (Hg.) (2002): Umwelt und Tourismus - Daten, Fakten, Perspektiven. Berlin. Verbraucherinitiative(2013): Nachhaltiges Konsumverhalten. Vorlesung an der Hochschule Eberswalde, 1. November 2013. <?page no="38"?> 2 Herausforderungen an den nachhaltigen Tourismus Die vorherigen einführenden Kapitel haben den gesamtgesellschaftlichen und tourismusspezifischen Hintergrund kurz umrissen, der zur Notwendigkeit einer Orientierung an den Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung im Tourismus führte. Des Weiteren wurden die einzelnen Entwicklungsphasen der Tourismuskritik und die Entwicklungsschritte nachgezeichnet, die zum heutigen Stand des Konzeptes für einen nachhaltigen Tourismus führten. In den folgenden Kapiteln sollen nun die ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Herausforderungen, vor denen der Tourismus heute steht und zu deren Lösung der Tourismus durch eine nachhaltige Entwicklung einen wichtigen Beitrag leisten muss, detaillierter analysiert werden. 2.1 Klimawandel, Energieeffizienz und Tourismus von Prof. Dr. Wolfgang Strasdas Klima ist eine der wichtigsten Ressourcen des Tourismus und einer der Hauptgründe, warum Menschen im Urlaub verreisen. Mithin sind Veränderungen des Weltklimas, auch wenn die genauen Auswirkungen erst teilweise abzusehen sind, von besonderer Bedeutung für den Tourismus. Dabei ist das Verhältnis zwischen Tourismus und Klimawandel wechselseitig: Tourismus ist potenziell Betroffener, aber auch Mitverursacher der anthropogenen Erderwärmung. Eine diesbezügliche Vulnerabilität des Tourismus entsteht nicht nur durch direkte klimatische Veränderungen und Extremwetterereignisse, sondern auch indirekt durch ökologische und gesellschaftliche Folgewirkungen. Die Mitverantwortung des Tourismus am Klimawandel rührt vor allem von seinem Energieverbrauch her (Einsatz fossiler Brennstoffe). Innerhalb des Systems Tourismus ist dabei der Transport von zentraler Bedeutung, insbesondere der Flugverkehr. In Reaktion auf die skizzierten Herausforderungen sind vielfältige Lösungsansätze entwickelt worden, und zwar zum einen Anpassungsstrategien an die unvermeidlichen Folgen des Klimawandels, zum anderen Mitigations- oder Minderungsstrategien, die zum Ziel haben, den Klimafußabdruck des Tourismus zu reduzieren. Strategische Anpassung an den Klimawandel kann z.B. Veränderungs- und Risikomanagement umfassen. Mitigationsmaßnahmen beinhalten in erster Linie Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien sowie die Kompensation von Treibhausgasemissionen. Mit einer konsequenten Umsetzung beider Strategien durch Tourismusunternehmen und -destinationen hapert <?page no="39"?> 40 Nachhaltiger Tourismus es jedoch aus verschiedenen Gründen noch. Auf der anderen Seite stehen aber auch gute Beispiele gelungener Umsetzung. Lernziele In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Welches sind die Ursachen und Wirkungsweisen des Klimawandels und welche Folgen hat er (Grundlagenwissen)? Wie gehe ich mit Unsicherheiten bzgl. wissenschaftlicher Klimaprojektionen und aufgrund der eigenen begrenzten Expertise als Nicht- Klimaexperte um? Welches sind die Grundzüge internationaler Klimapolitik? Wie sind die Ergebnisse einzuschätzen? Wie können die Erkenntnisse der Klimaforschung auf den Tourismus übertragen werden? Wie verletzlich ist der Tourismus gegenüber dem Klimawandel? Welchen Beitrag leistet der Tourismus selbst zur Erderwärmung und welche Faktoren spielen dabei eine besondere Rolle? Wie kann sich der Tourismus an die Folgen des Klimawandels anpassen, sowohl auf Unternehmensals auch auf Destinationsebene? Wie sieht ein klimaschonender Tourismus im Grundsatz aus? Welche Klimaschutzstrategien können auch von Tourismusunternehmen und Destinationsmanagement-Organisationen umgesetzt werden? Wie funktioniert die Kompensation von Treibhausgasen und wie vertrauenswürdig ist sie? 2.1.1 Grundlagen des Klimawandels Mit den Begriffen „Wetter“ und „Klima“ werden meteorologische Phänomene bezeichnet, die auf den Parametern Temperatur, Niederschlag, Luftdruck, Bewölkungsgrad, Wind und Luftfeuchtigkeit beruhen. Wie sie sich unterscheiden, geht aus folgender Tabelle hervor. <?page no="40"?> Herausforderungen 41 Wetter Klima kurzfristiges Phänomen, Fluktuationen (tendenziell chaotisch) langfristige (Wetter-)Muster, relative Stabilität sehr begrenzte, höchstens kurzfristige Vorhersagbarkeit (wenige Tage) begrenzte Vorhersagbarkeit; längerfristige (bis zu 100 Jahren), eher großräumige Projektionen möglich direkt wahrnehmbare Bestimmungsgrößen abstrakte statistische Durchschnittswerte Tab.1: Unterschiede zwischen Wetter und Klima ( Quelle: STOCK 2009) Das Klima wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Dazu gehören neben Vorgängen in der Atmosphäre auch Veränderungen der Erdoberfläche, der Vegetation sowie der Ozeane. Eine besondere Rolle spielt die Eisbedeckung. Externe Einflüsse gehen von den Aktivitäten der Sonne, der Erdumlaufbahn sowie der Kontinentaldrift und von Vulkantätigkeiten aus (siehe Abb. 1). Abb.1: Wirkungsgefüge von Faktoren, die die Atmosphäre beeinflussen (Quelle: http: / / blogs.scientificamerican.com . In: STOCK 2014) <?page no="41"?> 42 Nachhaltiger Tourismus Eine zentrale Stellschraube für den Wärmehaushalt der Erde ist der sog. Treibhauseffekt. Dieser bewirkt, dass nur ein Teil der von der Sonne ausgesandten kurzwelligen Strahlung in Form von langwelliger Wärmestrahlung von der Erde in den Weltraum reflektiert wird. Ein Großteil des Treibhauseffektes ist natürlichen Ursprungs und vor allem auf das Vorhandensein der Treibhausgase Wasserdampf und Kohlendioxid (CO 2 ) zurückzuführen. Er bewirkt, dass auf der Erde eine Durchschnittstemperatur von ca. +15 ° C und nicht etwa Minusgrade herrschen. Der menschengemachte oder anthropogene Treibhauseffekt ist darauf zurückzuführen, dass zusätzliche Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen. Dies ist in erster Linie CO 2 , daneben aber auch Methan, Stickoxide sowie weitere Spurengase mit z.T. enormem Erwärmungspotenzial. Anthropogene Treibhausgase entstehen vor allem durch die Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle und Öl, aber auch durch Entwaldung, in der Landwirtschaft und durch bestimmte industrielle Prozesse. Das Abholzen und Verbrennen von Wäldern ist deshalb problematisch, weil dadurch der in ihnen gebundene Kohlenstoff in Form von CO 2 in die Atmosphäre gelangt. Über zwei Drittel des anthropogenen Treibhauseffektes sind auf den Energiebereich zurückzuführen, knapp ein weiteres Drittel auf die Änderung von Landnutzungen durch Land- und Holzwirtschaft (ALLIANZ UMWELTSTIFTUNG 2007). Die CO 2 -Konzentration in der Erdatmosphäre steigt seit dem letzten Jahrhundert stetig an und ist so hoch wie seit mindestens 800.000 Jahren nicht mehr (IPCC 2013). Abb.2: Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur (Quelle: www.de-ipcc.de) <?page no="42"?> Herausforderungen 43 Der dadurch verursachte Klimawandel hat bereits begonnen und lässt sich nicht mehr verhindern, bestenfalls noch mäßigen. Seit Beginn der Industrialisierung ist die durchschnittliche globale Temperatur in Bodennähe um etwa 0,85°C angestiegen, wobei sich das Tempo in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht hat (siehe Abb. 2). Zwar hat sich dieser Trend in den vergangenen Jahren wieder verlangsamt, doch wird dies darauf zurückgeführt, dass die Ozeane mehr Wärme aufgenommen haben und außerdem durch die zunehmende Luftverschmutzung die Sonneneinstrahlung vermindert wird (global dimming). In einigen Regionen der Welt, vor allem in der Arktis, sind die Temperaturerhöhungen deutlich überdurchschnittlich ausgefallen (IPCC 2013). Was zunächst als geringfügig erscheint, hat in Wirklichkeit weitreichende Folgen: häufigere Hitzeperioden, veränderte Regenmuster mit teils ausgeprägten Trockenzeiten, häufigere und intensivere Extremwetterereignisse (insbesondere Stürme und Starkregen mit Überschwemmungen), Ansteigen des Meeresspiegels, zunehmende Versauerung des Meerwassers, Gletscherschmelze, Abtauen von Meereis sowie Auswirkungen auf Pflanzenwachstum und Biodiversität sind Beispiele für die weit überwiegend negativen Effekte dauerhaft erhöhter globaler Temperaturen. Diese Auswirkungen sind bereits jetzt zu beobachten und werden sich - bei weiterhin ungebremstem Ausstoß von Treibhausgasen - weiter verstärken. Insbesondere das Abtauen des arktischen Meereises im Sommer hat drastische Ausmaße angenommen und auch der Meeresspiegelanstieg hat sich linear fortgesetzt (siehe Abb. 3 und 4, IPCC 2013). Abb.3: Anstieg des globalen Meeresspiegels ( Quelle: IPCC 2013) <?page no="43"?> 44 Nachhaltiger Tourismus Abb.4: Ausdehnung des arktischen Meereises im Sommer (Quelle: IPCC 2013) Wie sich das Klima weiterentwickelt, hängt davon ab, welchen Entwicklungspfad die globalisierte Gesellschaft einschlägt. Zentrale Variablen sind Wirtschaftswachstum, Einsatz von Technologien (insbesondere bzgl. Energieeffizienz und erneuerbarer Energien), Art der Wirtschaftsentwicklung (z.B. materielle versus immaterielle Produktion; Transportintensität), Bevölkerungswachstum, Konsummuster und die Umsetzung von Klimapolitik. Um die Bandbreite der Möglichkeiten abzudecken, hat der Weltklimarat (IPCC) in seinem letzten Sachstandsbericht von 2013 vier verschiedene Szenarien, sog. Repräsentative Konzentrationspfade (Representative Concentration Pathways - RCPs) zugrunde gelegt, die von einem relativ ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen (RCP 8.5) bis hin zur Umsetzung sehr ambitionierter Klimaschutzziele (RCP 2.6) reichen. Danach schwanken die Projektionen bzgl. der Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur je nach Szenario zwischen 0,9°C und 5,4°C bis zum Jahr 2100 gegenüber der vorindustriellen Zeit (siehe Abb. 5). Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass eine Erhöhung um global 2°C zu noch beherrschbaren Folgen für die Menschheit führen würde. Treten die pessimistischeren Szenarien ein, ist mittelbis langfristig mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen. Leider deuten jüngste Entwicklungen - im Jahr 2014 erreichte die weltweite CO 2 -Konzentration in der Atmosphäre mit über 400 ppm (parts per million) einen neuen Höchststand, während die internationalen Klimaverhandlungen weiter stagnieren - darauf hin, dass Letzteres der Fall sein könnte, falls nicht doch noch durchgreifend in Richtung emissionsärmere Lebens- und Wirtschaftsweisen umgesteuert wird (IPCC 2013). <?page no="44"?> Herausforderungen 45 Abb.5: Bandbreite möglicher Erwärmungsszenarien (Quelle: IPCC 2013) Weiterführende Lesetipps ALLIANZ UMWELTSTIFTUNG (2007): Informationen zum Thema „Klima“ - Grundlagen, Geschichte und Projektionen. IPCC (2013): Fünfter Sachstandsbericht des IPCC. Teilbericht I (Wissenschaftliche Grundlagen). 8.10.2013. 2.1.2 Umgang mit Unsicherheiten Klimawandel ist eine hochkomplexe Materie und als solche mit zahlreichen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten behaftet. Während Klimaänderungen seit Beginn der Industrialisierung durch Messungen weitgehend belegt werden konnten, herrschen z.T. widerstreitende Meinungen bzgl. der Ursachen des Klimawandels und seiner weiteren Entwicklung. Die sog. „Klimaskeptiker“ weisen auf Lücken und Fehler in der Klimaforschung hin und kommen zu dem Schluss, dass der Einfluss der anthropogenen Treibhausgase überschätzt werde, dass die derzeit beobachtbaren Veränderungen auf (vorübergehende) natürliche Ursa- <?page no="45"?> 46 Nachhaltiger Tourismus chen (wie z.B. den Einfluss der Sonne) zurückzuführen seien und dass es den anthropogenen Klimawandel womöglich gar nicht gebe. Unter anderem wird die derzeitige „Klimapause“ als Indiz dafür gesehen. Andere wenden ein, es habe schon immer klimatische Veränderungen in der Erdgeschichte gegeben, die keine katastrophalen Folgen gehabt hätten. Die meisten dieser Argumente werden von seriösen Klimaforschern widerlegt (vgl. u.a. AWI 2013). Für Nicht-Experten ist es jedoch schwierig, sich mit solchen Positionen, die in der Bevölkerung vieler Industrieländer wieder zunehmend Anklang finden (RATTER et al. 2012, DER SPIEGEL 2013), qualifiziert auseinanderzusetzen. Eine gewisse Orientierung kann man erstens in der Tatsache finden, dass eine überwältigende Mehrheit der Klimawissenschaftler und anderer Wissenschaftler von der Existenz des anthropogenen Klimawandels überzeugt ist, und zwar um so stärker, je mehr sie sich selbst beruflich mit dem Thema beschäftigen (BECKEN/ HAY 2012, STOCK 2014). Zweitens ist hier die Struktur des IPCC selbst zu nennen. Auch wenn immer wieder Kritik an einzelnen Aspekten der Arbeit des Weltklimarats geübt wird, handelt es sich hier doch um ein unabhängiges Gremium, welches aus Hunderten von ehrenamtlich tätigen Wissenschaftlern aus 38 Ländern besteht und damit sozusagen die Elite der Klimaforschung repräsentiert. Die Arbeit des IPCC besteht darin, Tausende von zuvor kritisch überprüften (Peer Review) Klimastudien auszuwerten. Die Ergebnisse werden dann zu den umfangreichen Sachstandsberichten zusammengefügt. Ein partizipativerer und auf gegenseitige Kontrolle ausgerichteter Ansatz ist kaum vorstellbar. Ein schwerwiegendes und grundlegendes Versagen eines solchen Systems ist sehr unwahrscheinlich oder nur mit weitreichenden Verschwörungstheorien erklärbar. Das Zustandekommen einzelner aufgedeckter Fehler wurde von unabhängigen Experten untersucht. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass dadurch die Qualität der Gesamtarbeit des IPCC nicht beeinträchtigt worden sei. Die wesentliche kürzere Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger schließlich wird im Konsens mit politischen Vertretern der beteiligten Länder erarbeitet, ohne dass dabei jedoch die wissenschaftlichen Grundaussagen verändert werden dürfen. Hier sind im Einzelfall politische Einflussnahmen hinsichtlich der (nicht-wissenschaftlichen) Schlussfolgerungen festzustellen, die jedoch eher eine Entschärfung als das Gegenteil bewirken (UMWELTBUNDESAMT 2014, AWI 2012). Weiterhin ist anzumerken, dass auch die Klimawissenschaftler des IPCC nicht behaupten, sich ihrer Sache hundertprozentig sicher zu sein. Der IPCC bezeichnet es jedoch als „äußerst wahrscheinlich“ (>90 %), dass der Klimawandel während des 20. Jahrhunderts größtenteils anthropogen ist. Auch sind die Klimamodelle seit dem letzten IPCC-Bericht solider geworden und werden z.T. durch aktuelle Messdaten bestätigt. Projektionen zukünftiger Klimaentwicklungen und <?page no="46"?> Herausforderungen 47 Klimafolgen sind szenarioabhängig und werden mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten oder Graden von Gewissheit (high/ medium/ low confidence) angegeben. Während Aussagen zur allgemeinen Erderwärmung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit getroffen werden, herrscht bzgl. der zu erwartenden Niederschlagsmuster meist eine größere Unsicherheit. Dies gilt noch mehr für Extremwetterereignisse, von denen man nur sagen kann, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit intensiver und häufiger werden, aber nicht wann und wo sie genau auftreten werden (IPCC 2013). Abb.6: Trägheit des Klimasystems (Quelle: ALLIANZ UMWELTSTIFUNG 2007) Die derzeitigen Klimamodelle sind auch nur ansatzweise in der Lage, verlässliche regionalspezifische Aussagen zu treffen. Man ist daher häufig gezwungen, mit Projektionen zu arbeiten, die geographische Großräume wie die Tropen, die gemäßigten Breiten oder die Polarregionen betreffen. Erschwerend kommt die zeitliche Verzögerung von Klimafolgen hinzu, die durch die große Trägheit bestimmter natürlicher Systeme bedingt ist. So führen erhöhte CO 2 -Emissionen nicht unmittelbar zu Temperaturerhöhungen in der Atmosphäre, da z.B. die Ozeane einen großen Teil dieses Gases und der resultierenden Erwärmung aufnehmen (STOCK 2014). Der Anstieg des Meeresspiegels durch schmelzende Gletscher und thermische Ausdehnung ist ein Prozess, der Jahrhunderte bis Jahrtausende in Anspruch nimmt (siehe Abb. 6). In der Konsequenz werden in der Gegenwart die Voraussetzungen für Klimaveränderungen und deren Folgen geschaffen, die vermutlich erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts oder später virulent werden, dann aber über lange Zeiträume nicht mehr rückgängig gemacht werden können (ALLIANZ UMWELTSTIFTUNG 2007). Darüber hinaus können im Klimasystem bestimmte Kipppunkte erreicht werden, die zu sich einander hochschaukelnden Erwärmungswirkungen führen. Ein Beispiel ist die Albedo-Abnahme in der Arktis: durch großflächig auftauendes Meereis <?page no="47"?> 48 Nachhaltiger Tourismus verdunkelt sich die Oberfläche, was zu einer geringeren Lichtabstrahlung (Albedo) führt. Dadurch erwärmt sich das Wasser im Sommer weiter, was wiederum zu stärkerem Eisabtauen führt … (GERMANWATCH 2006). Eine wesentliche Herausforderung beim Umgang mit dem Klimawandel und der Konzipierung von Anpassungsstrategien besteht also darin, mit dem Faktor Unsicherheit angemessen umzugehen. Unsicherheit ist ein begleitendes Merkmal praktisch aller komplexeren Prozesse und Projektionen, incl. wirtschaftlicher und finanzieller Prognosen wie zum Beispiel der Entwicklung von Aktienkursen. Entscheidungen müssen also sehr häufig unter Unsicherheit getroffen werden. Im Zusammenhang mit den möglichen Folgen des Klimawandels nimmt Unsicherheit mit steigender Komplexität von der globalen zur lokalen Ebene und tendenziell von naturwissenschaftlichen zu gesellschaftlichen Wirkungszusammenhängen zu. Unsicherheit kann sowohl Risiken als auch Potenziale beinhalten. Unter Risiken versteht man die Gefahr negativer Ereignisse, deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere halbwegs einschätzbar sind. Risiken kann mit dem Instrument des Risikomanagements begegnet werden. Unsicherheiten im engeren Sinne sind demgegenüber noch vager und verlangen eine allgemeine Anpassungskapazität und Flexibilität bzw. Widerstandsfähigkeit (Resilienz) (FREIMANN et al. 2014). Dies kann im Positiven auch Potenziale umfassen, die jedoch erkannt und systematisch genutzt werden müssen, um sich in Vorteile zu verwandeln (mehr dazu in Kapitel 2.1.6). 2.1.3 Internationale Klimapolitik Internationale Klimaschutzpolitik geschieht größtenteils auf Grundlage der in Rio de Janeiro 1992 von fast allen Staaten der Welt ratifizierten Klimarahmenkonvention (englisch: United Nation Framework Convention on Climate Change - UNFCCC). Oberziel dieser völkerrechtlichen Vereinbarung ist es, die Menge der weltweit emittierten sechs wichtigsten Treibhausgase zu reduzieren und damit eine gefährliche Beeinflussung des Erdklimas zu verhindern. Bezüglich der Verantwortlichkeiten gilt das Prinzip der „common but differentiated responsibilities and respective capacities“, d.h. alle Staaten sollen ihre Emissionen reduzieren, aber in dem Maße, wie sie selbst bisher zum Treibhauseffekt beigetragen haben und wie es ihre Fähigkeiten erlauben. Zentraler Parameter für diese Unterscheidung sind die Pro-Kopf-Emissionen, die in den Industrieländern typischerweise erheblich höher sind als in Entwicklungsländern, denen man das Recht auf nachholende wirtschaftliche Entwicklung zugesteht. Auch wird davon ausgegangen, dass Erstere über mehr technologische und wirtschaftliche Kapazitäten verfügen, um ihre Treibhausgase wirksam zu reduzieren, ohne gleichzeitig ihren Wohlstand zu gefährden (UMWELTBUNDESAMT 2013). <?page no="48"?> Herausforderungen 49 Die Ziele der UNFCCC versucht man über regelmäßige Konferenzen (Conferences of the Parties - COP) umzusetzen. Auf der dritten COP 1997 wurde das sog. Kyoto-Protokoll beschlossen und 2005 von den wichtigsten Emittenten von Treibhausgasen (mit Ausnahme der USA und Australiens) ratifiziert. Das Kyoto-Protokoll verpflichtete die sog. Annex-1-Staaten (Industrieländer einschl. Russlands und osteuropäischer Staaten) ihre jährlichen Emissionen im Zeitraum von 2008 bis 2012 um durchschnittlich 5,2 % zu senken (im Vergleich zum Basisjahr 1990). Die Europäische Union verpflichtete sich zu einer Minderung von 8 %, wobei auch hier je nach wirtschaftlichem Entwicklungsstand zwischen den EU-Mitgliedern unterschieden wurde (Deutschland: -21 %) (ebd.). Das Kyoto-Protokoll hat seine Ziele nur sehr bedingt erreicht. Anstatt zu sinken, stiegen die weltweiten Emissionen, vor allem aufgrund der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung in den Schwellenländern, allen voran China, das mittlerweile die USA bzgl. der Treibhausgasemissionen überholt hat. Aber auch einige Annex-1-Länder verfehlten ihre Reduktionsziele. Der Kyoto-Nachfolgeprozess hat bisher zu keinen greifbaren Vereinbarungen geführt. Die COP 2009 in Kopenhagen, die eigentlich ein Kyoto-Folgeabkommen beschließen sollte, führte zu einem Eklat, weil sich Industrie- und Schwellenländer, insbesondere die USA und China, gegenseitig blockierten und Zugeständnisse jeweils von Zugeständnissen der anderen Seite abhängig machten. 2010 im mexikanischen Cancún gelang es immerhin, sich auf das 2°C-Ziel zu einigen (HÖGELS- BERGER 2012). In den USA und China werden derzeit einerseits unabhängig von internationalen Vereinbarungen vermehrt Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt. Andererseits führen Regierungswechsel, wie etwa in Kanada und jüngst in Australien dazu, dass bereits beschlossene Klimaschutzprogramme wieder rückgängig gemacht werden. Um das 2°C-Ziel zu erreichen, sind wesentlich drastischere Maßnahmen notwendig. Es wird davon ausgegangen, dass die Industriestaaten ihre Emissionen bis 2050 durch Erhöhung der Energieeffizienz und den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien um ca. 90 % reduzieren müssen. In Deutschland ist dies auch offizielles Regierungsziel, muss aber durch zusätzliche Anstrengungen im Klimaschutz untermauert werden (BMUB 2014). Für den Tourismus wurden keine speziellen Reduktionsziele vereinbart. Er ist als Branche zu heterogen und geht über Kategorien wie „Gebäude“ oder „Verkehr“ indirekt in die nationalen Treibhausgasbilanzen ein. Touristische Emissionsminderungen sind dadurch z.T. Gegenstand nationaler Reduktionsziele und mithin weltweit unterschiedlich. Der World Travel and Tourism Council (WTTC) strebt eine freiwillige Reduktion tourismusbedingter Treibhausgasemissionen um 50 % bis 2035 (im Vergleich zu 2005) an, doch fehlen ihm die Mittel, dies in der Praxis durchzusetzen. Ein weiteres Problem stellen der internationale Flug- und Schiffsverkehr dar - abgesehen von Frachtbeförderung zentrale Be- <?page no="49"?> 50 Nachhaltiger Tourismus standteile des internationalen Tourismus. Aufgrund der komplizierten Zurechnung der entsprechenden Emissionen zu bestimmten Staaten wurden beide aus dem Kyoto-Protokoll ausgeklammert. Stattdessen werden internationale Regularien speziell für diese beiden Sektoren angestrebt. Die International Civil Aviation Organization (ICAO) wurde beauftragt, für den internationalen Flugverkehr ein entsprechendes Abkommen vorzubereiten, ist damit aber bisher an den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsländer gescheitert. Vereinbart wurden lediglich nicht-bindende Effizienzgewinnziele von 2 % pro Jahr und ein klimaneutrales Wachstum des Flugverkehrs ab 2020. Wie dies genau erreicht werden soll, bleibt jedoch offen (OECD/ UNEP 2011). In ähnlicher Weise ist es auch der International Maritime Organization (IMO) bisher nicht gelungen, ein generalisiertes und bindendes Klimaschutzabkommen für den wachsenden Schiffsverkehr (einschl. Kreuzfahrten) umzusetzen. Lediglich für neue Schiffe wurden Emissionsgrenzwerte für Schwefel, Stickoxide und Ruß sowie eine obligatorische energiesparende Bauweise beschlossen (BONILLA-PRIEGO et al. 2014). 2.1.4 Auswirkungen des Klimawandels auf den Tourismus Wie wenige andere Wirtschaftszweige ist der Tourismus auf intakte natürliche Ressourcen angewiesen. Dabei rangiert der Faktor Klima zusammen mit Gewässern sowie Natur und Landschaft an oberster Stelle (siehe u.a. FUR 2008). Wärmeres, trockeneres Klima in südlichen Breiten ist der Auslöser für die weltweit bedeutendsten Touristenströme von Nordeuropa an das Mittelmeer sowie von Nordamerika nach Mexiko und in die Karibik. Neben dem Badetourismus sind aber auch alle anderen Tourismusformen, die im Freien stattfinden, in besonderer Weise von meteorologischen Bedingungen abhängig. Die globale Erwärmung wirkt sich dabei nicht nur auf Temperaturen und Niederschlagsmuster, sondern indirekt auch auf andere natürliche Ressourcen des Tourismus aus. Hinzu kommen indirekte gesellschaftliche Folgen des Klimawandels, die wiederum den Tourismus beeinflussen. Die potenziellen Wirkungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen (siehe u.a. UNWTO/ UNEP 2008). Physische Auswirkungen Direkte physische Auswirkungen : Von zentraler Bedeutung für die Zufriedenheit der Touristen sind hierbei die gefühlten Lufttemperaturen, Niederschläge, die Zahl der Sonnenscheinstunden bzw. die Bewölkungsdichte, Windgeschwindigkeiten sowie die Sichtweite (z.B. Vorhandensein von Nebel) (DE FREITAS et al. 2008). Die Erderwärmung führt je nach Jahreszeit und Region entweder zu häufigerer angenehmer Wärme oder aber zu unerträglicher Hitze. Für den Wintertourismus ist dies aufgrund zurückgehender Schneesicherheit fast durchweg als nachteilig anzusehen. Seltenere und <?page no="50"?> Herausforderungen 51 geringere Niederschläge sind für das touristische Erleben i. Allg. positiv; häufigere und intensivere Regenfälle sowie höhere Luftfeuchtigkeit dagegen nicht. Die Klimaprojektionen bzgl. Niederschlägen variieren stark nach Regionen und sind zudem durch eine höhere Unsicherheit gekennzeichnet. Schließlich wird die prognostizierte Zunahme von Extremwetterereignissen den Tourismus vor neue Herausforderungen stellen, denn diese sind einerseits sicherheitsrelevant und führen andererseits zu Schäden an der touristischen Infrastruktur. Indirekte physische Auswirkungen des Klimawandels, insbesondere auf die tourismusrelevanten Ressourcen Wasser, Landschaft und Biodiversität: Welcher Art diese Auswirkungen sein werden, ist aufgrund der hohen Komplexität erst ansatzweise bekannt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Veränderungen für den Tourismus in Deutschland und den meisten anderen Ländern eher nachteilig sein werden. Wasser wird tendenziell knapp werden oder aber im Übermaß vorhanden sein. Im Zusammenspiel mit höheren Temperaturen ist außerdem häufiger mit einer schlechteren Wasserqualität zu rechnen. Das Landschaftsbild könnte u.a. durch Erosion oder häufigere Brände in Mitleidenschaft gezogen werden. In Bezug auf die Biodiversität ist eine Verschiebung von Lebensräumen zu erwarten, welche bei mangelnden Ausweichmöglichkeiten insbesondere bei spezialisierten Arten zu deren Verschwinden führen kann. Vor allem Korallenriffe, Feuchtgebiete, Hochgebirge und arktische Ökosysteme sind durch fortschreitenden Klimawandel bedroht. Dies würde auch für den Naturtourismus wichtige „charismatische“ Arten betreffen. Schließlich würde eine vermehrte Ausbreitung von übertragbaren Vektorkrankheiten (z.B. Malaria oder durch Zeckenbisse) die Gesundheit von Gästen und Mitarbeitern vor allem bei landschaftsbezogenen Tourismusformen gefährden (VOHLAND et al. 2012). Gesellschaftliche Auswirkungen Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen anderer Akteure , etwa der Wasser-, Land-, Forst- und Energiewirtschaft auf Natur und Landschaft: Beispiele dafür sind wasserbauliche Maßnahmen zur Wasserrückhaltung bzw. umgekehrt zum Hochwasserschutz. In der Land- und Forstwirtschaft werden bereits veränderte Anbaumethoden bzw. der Umbau von Wäldern erprobt. Die Auswirkungen auf den Tourismus fallen unterschiedlich aus. In der Forstwirtschaft werden artenreichere Wälder diskutiert und Wasserrückhaltung durch Schutz von Feuchtgebieten würde zur Entstehung neuer Biotope führen. Dagegen könnten wasserbauliche Maßnahmen wie die Erhöhung von Deichen oder ein massiverer Küstenschutz das Landschaftsbild negativ beeinträchtigen (VOHLAND et al. 2012, REYER et al. 2011). <?page no="51"?> 52 Nachhaltiger Tourismus Auswirkungen von Klimaschutzpolitik : Die Notwendigkeit, die Emission von Treibhausgasen durch Energieeinsparung und durch eine Abkehr von fossilen Energiequellen zu reduzieren, ist weltweit praktisch Konsens. Wird eine solche Politik tatsächlich konsequent umgesetzt, würde dies zu steigenden Preisen für fossile Energien und erhöhtem Investitionsbedarf führen. Das würde für den Tourismus vor allem im Transportbereich eine Mehrbelastung zur Folge haben. In der Energiewirtschaft sind außerdem die landschaftlichen Folgen des Ausbaus der erneuerbaren Energien (Windkraft, Photovoltaik, Energiepflanzen) für den Tourismus zu bedenken. Erhöhtes Klimabewusstsein in der Bevölkerung : Zahlreiche Studien zeigen, dass in vielen touristischen Quellgebieten, insbesondere auch in Deutschland, allgemein ein hohes Problembewusstsein in Bezug auf den Klimawandel besteht, welches auch das eigene Konsumverhalten einschließt (s. u.a. FUR 2013, GfK 2010, PROGNOS/ VZBV 2010). Auf das tatsächliche Reiseverhalten wirkt sich dies bisher jedoch nur wenig aus (s. u.a. ETI 2008, McKERCHERet al. 2010, BMU 2012) und, wie in Kapitel 2.1.2 dargelegt, nimmt die Sorge um die Folgen des Klimawandels in letzter Zeit sogar wieder ab. Dennoch liegt hier ein gewisses Veränderungspotenzial in Richtung klimafreundliches Reisen, welches zukünftig in Verbindung mit steigenden Transportkosten und Wirtschaftskrisen stärker zum Tragen kommen könnte. Es wird mithin deutlich, dass es zur Bestimmung der klimawandelbedingten Chancen und Risiken einer touristischen Destination nicht ausreicht, nur die möglichen Auswirkungen des Klimawandels vor Ort zu betrachten. Abgesehen davon, dass jede Region der Welt von globalen Entwicklungen beeinflusst wird, ist der Tourismus zum einen in besondere Weise von dem abhängig, was entlang seiner Wertschöpfungsketten und in seinen Absatzmärkten, d.h. den Quellgebieten der touristischen Nachfrage geschieht. Beispielsweise könnten häufigere und längere Hitzeperioden in Großstädten zu einem verstärkten Ausflugsverkehr in (kühlere) ländliche Regionen führen. Zum anderen ist auch von Bedeutung, wie sich die o.g. Folgen des Klimawandels auf konkurrierende Destinationen auswirken. So könnten Tourismusregionen mit nahen Quellmärkten von erhöhten Energie- und Transportkosten durchaus profitieren, wenn weiter entfernt gelegene Konkurrenten davon überproportional betroffen wären. Auch ist es durchaus möglich, dass länger anhaltende Hitzeperioden in den Mittelmeerländern in Deutschland zu einem erhöhten Inlandsreiseverkehr führen (siehe u.a. DB RESEARCH 2008), auch wenn diese Effekte zumindest kurz- und mittelfristig nicht überschätzt werden sollten (BECKEN/ HAY 2012). <?page no="52"?> Herausforderungen 53 Abb.7: Wirkungsgeflecht direkter und indirekter Folgen des Klimawandels für eine touristische Destination (Beispiel Brandenburg) (Quelle: ZEPPENFELD/ STRASDAS 2010) Die Komplexität der Analyse der klimawandelbedingten Risiken und Chancen einer touristischen Region wird noch dadurch erhöht, dass verschiedene Tourismussegmente in unterschiedlicher Weise betroffen sein können. Die Palette reicht von Geschäftsreisen, bei denen das Klima praktisch keine Rolle spielt, bis hin zu extrem klimaabhängigen Segmenten wie dem Wintersport oder Badetourismus, für die Wetter und Klima natürliche Ressourcen sind. Es liegt auf der Hand, dass Tourismusformen, die überwiegend oder ausschließlich im Freien stattfinden, klimasensibler sind als Aktivitäten in geschlossenen Räumen. Für ausgesprochenen Abenteuertourismus, der vorzugsweise abgelegene Natur- oder Wildnisgebiete zum Ziel hat, ist dieser Zusammenhang recht offensichtlich. Hinzu kommen in diesem Fall sicherheitsrelevante Herausforderungen (STRASDAS 2012). Bei Tourismusformen, die im Freien stattfinden, variiert die Bedeutung der einzelnen Klimaparameter (direkte physische Auswirkungen) je nach ausgeübter Aktivität. Es liegt auf der Hand, dass für den klassischen Badetourismus hohe Luft- und Wassertemperaturen, Trockenheit und Sonnenschein von Vorteil sind. Das Lufttemperaturoptimum liegt hier nach de Freitas et al. (2008) bei <?page no="53"?> 54 Nachhaltiger Tourismus 28°C, während bei Städtereisen und vor allem beim Wandern in den Bergen niedrigere Temperaturen präferiert werden (s. Abb. 8). Eine Umfrage unter Wassertouristen (Kanuten und Nutzer von Motor-/ Charterbooten) in Brandenburg ergab, dass die Witterung ein wesentlicher Attraktivitätsfaktor ist, wobei der ideale Temperaturbereich mehrheitlich zwischen 22 und 30 Grad liegt. Eine relativ große Minderheit, vor allem bei den Kanusportlern, präferiert jedoch niedrigere Temperaturen (15 bis 22 Grad) und eher wechselhaftes als stark sonniges Wetter. Höhere Wassertemperaturen werden ebenfalls vor allem von Motorbootfahrern, weniger von Kanuten geschätzt. Ein übermäßiger Wasserpflanzenbewuchs sowie unschöne (weil trocken gefallene) Ufer werden von beiden Gruppen überwiegend negativ beurteilt (RAUHÖFT 2010). Die Ergebnisse zeigen, dass sich eine starke Klimaerwärmung, verbunden mit den entsprechenden Auswirkungen auf Gewässer, selbst in gemäßigten Breiten sogar eher negativ auf den Bootstourismus auswirken könnte. Abb.8 : Temperaturpräferenzen in verschiedenen touristischen Segmenten (Quelle: DE FREITAS et al. 2008) Von allen Tourismusarten ist der Wintersport in Bezug auf den Klimawandel am besten erforscht. Dafür gibt es zwei naheliegende Gründe: Im Gegensatz zu den meisten anderen Tourismusformen ist Wintersport zentral von einer einzigen Ressource (Schnee) abhängig, bei der die Voraussetzungen für ihr Vorhandensein vergleichsweise exakt quantifizierbar und objektivierbar sind. Subjektive Präferenzbereiche für Temperaturen und andere Wetterbedingungen spielen hier kaum eine Rolle. Zudem sind die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wintertourismus weltweit bereits jetzt klar erkennbar und - mit Ausnahme <?page no="54"?> Herausforderungen 55 besonders hoch gelegener Skigebiete - als eindeutig negativ zu bezeichnen, sofern keine Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden. Skigebiete in den Mittelgebirgen und in tieferen Lagen der Alpen werden sich langfristig kaum halten können (siehe u.a. AGRAWALA 2007, STRASDAS/ GÖSSLING 2008). Tabelle 2 zeigt, dass sich der Klimawandel für die meisten Tourismussegmente in Deutschland mittelfristig eher positiv auswirken könnte, vor allem durch steigende Temperaturen, trockenere Sommer und angenehmere Übergangszeiten sowie ein höheres Klimabewusstsein und mögliche negative Effekte in den Sommermonaten in den konkurrierenden Badedestinationen am Mittelmeer. Insgesamt ist jedoch mit keinen drastischen Veränderungen zu rechnen, weder im Positiven noch im Negativen, da auch massivere Beeinträchtigungen der natürlichen Grundlagen erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zu erwarten sind (STOCK et al. 2009). Eine höhere Verletzlichkeit in dieser Hinsicht weisen jedoch - neben dem Wintertourismus - diejenigen Tourismusformen auf, die auf intakte Gewässer mit hoher Wasserqualität angewiesen sind, sowie der Naturtourismus im engeren Sinne (Naturbeobachtung). Mögliche Verlagerungseffekte im Bade- und Bootstourismus nach Deutschland könnten hierzulande zudem zu Mehrbelastungen von empfindlichen Gewässern und Konflikten mit dem Naturschutz führen (VOHLAND et al. 2012). Segment direkte Klimawirkung indirekte physische Wirkungen gesellschaftliche Auswirkungen Klimaveränderungen andernorts Wintersport - - - - 0 Küstentourismus 1 + - + + Tourismus an Binnengewässern + - + + Natursport 2 (landgebunden) + - + + Naturtourismus im engeren Sinne 3 + - + 0 Gesundheitstourismus - 0 0 0 Legende: + = überwiegend oder mäßig positiv, 0 = neutral, - = überwiegend oder mäßig negativ, - - = sehr negativ 1 = wassergebundene Aktivitäten; 2 = z.B. Wandern, Radfahren, Klettern; 3 = Naturerlebnisse, Pflanzen-/ Tierbeobachtung Tab.2: Zu erwartende mittelfristige Auswirkungen des Klimawandels auf verschiedene Tourismussegmente in Deutschland (Quelle: VOHLAND et al. 2012) <?page no="55"?> 56 Nachhaltiger Tourismus Abb.9: Hotspots der Verletzlichkeit des Tourismus gegenüber den Folgen des Klimawandels (Quelle: UNWTO/ UNEP 2008) <?page no="56"?> Herausforderungen 57 Eine Studie der Deutsche Bank Research (2008) über mögliche klimabedingte Verlagerungen von Touristenströmen kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass vor allem in höheren Breiten liegende Destinationen von den Folgen des Klimawandels profitieren werden, während praktisch alle anderen zu den Verlierern zählen werden. Auch wenn diese Studie wegen ihres vereinfachten Ansatzes und mangelnder Daten kritisiert worden ist, so zeigt sie doch plausible Tendenzen auf, die längerfristig wirksam werden könnten. Die UNWTO-Studie von 2008 identifizierte weltweit fünf regionale Hotspots, denen eine besonders hohe Verletzlichkeit des Tourismus gegenüber den Folgen des Klimawandels attestiert wurde. Es sind dies in erster Linie kleine Inselstaaten sowie die Mittelmeerregion und Australien. Neben einer Reihe von direkten Folgen des Klimawandels (Dürren, Stürme, Anstieg des Meeresspiegels) wurden hierfür steigende Transportkosten und eine besondere wirtschaftliche Abhängigkeit vom Tourismus verantwortlich gemacht (siehe Abb. 9). Wie sich Klimawandel potenziell auf eine bestimmte Aktivität, ein Ökosystem, eine gesellschaftliche Gruppe oder einen Wirtschaftszweig auswirkt, wird in der Klimaforschung mit dem Begriff der Vulnerabilität beschrieben. Diese Verletzlichkeit setzt sich aus drei Bestimmungsfaktoren zusammen (siehe Abb. 10): [1] Die Exposition eines Systems gegenüber dem Klimawandel, d.h. die Intensität, in der es von Änderungen wie Hitze, unregelmäßigen Regenfällen oder Extremereignissen betroffen ist. Darüber geben vor allem die Klimaszenarien für eine Region Auskunft. [2] Die Sensitivität oder Empfindlichkeit des betroffenen Systems gegenüber den klimatischen Auswirkungen. Diese kann bei gleicher Exposition durchaus unterschiedlich ausfallen. Beispielsweise ist die Aktivität „Golfspielen“ gegenüber der Klimawirkung „Wasserknappheit“ sehr viel sensibler als etwa die Aktivität „Radfahren“. [3] Die Anpassungsfähigkeit der betroffenen Systeme oder Akteure, welche darüber entscheiden kann, welche der potenziellen Wirkungen tatsächlich eintreten. Zum Beispiel ist ein Industrieland wie die Niederlande eher in der Lage, sich mithilfe von technischen Bauwerken gegen einen steigenden Meeresspiegel zu schützen als etwa Bangladesh. <?page no="57"?> 58 Nachhaltiger Tourismus Abb.10: Bestimmungsfaktoren der Vulnerabilität gegenüber dem Klimawandel (Quelle: eigene Darstellung, basierend u.a. auf STOCK et al. 2009 und MORENO/ BECKEN 2009) Der Begriff der Vulnerabilität impliziert, dass Auswirkungen des Klimawandels negativ sein werden. Dies ist zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich der Fall. Wie gezeigt, können steigende Temperaturen oder geringere Sommerniederschläge für den Tourismus in nördlichen Breiten sogar von Vorteil sein. Hoch gelegte Skiorte werden vom Wegfall der Konkurrenz in tieferen Lagen ebenfalls eher profitieren (AGRAWALA 2007). Deshalb ist es u.U. angebrachter, von Risiken und Chancen des Klimawandels zu sprechen, anstatt nur von Vulnerabilität. Unter dieser Perspektive kann Anpassungskapazität auch als die Fähigkeit interpretiert werden, sich durch den Klimawandel bietende Chancen systematisch zu nutzen, etwa durch explizite Vermarktung als klimafreundliche Tourismusregion (siehe Kapitel 2.1.7). Zusammenfassend kann man folgende Tourismusformen und Destinationen als besonders vulnerabel gegenüber den direkten und indirekten Folgen des Klimawandels ansehen: Wintersportorte in niedrigeren Höhenlagen (direkte Exposition gegenüber Schneemangel, erhöhte Sensitivität bei starker Ausrichtung auf Skifahren) Stranddestinationen und kleine Inselstaaten in (sub-)tropischen Breiten (Exposition gegenüber steigendem Meeressspiegel, häufigeren Stürmen, Korallensterben) mit hoher Abhängigkeit vom Tourismus und geringer Produktdifferenzierung (erhöhte Sensitivität; häufig im Verbund mit geringen Anpassungskapazitäten) <?page no="58"?> Herausforderungen 59 Natur- und Abenteuertourismus (Exposition gegenüber Artenverlust, Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und Extremwetterereignissen; erhöhte Sensitivität in abgelegenen, schwer erreichbaren Regionen) Ferndestinationen ohne einheimische oder regionale Quellmärkte (Sensitivität gegenüber steigenden Transportkosten durch globale Klimaschutzpolitik) Destinationen, die auf billigen Massentourismus setzen (überproportionale Sensitivität/ Anpassungsfähigkeit gegenüber klimaschutzinduzierten Kostensteigerungen im Energiebereich sowie gegenüber den Kosten für evtl. notwendige Anpassungsmaßnahmen) Länder mit hoher Abhängigkeit vom Tourismus und begrenzten wirtschaftlichen Alternativen (überproportionale Sensitivität gegenüber klimaschutzinduzierten Kostensteigerungen im Energiebereich sowie geringere Kapazitäten, die Kosten für Anpassungsmaßnahmen aufzubringen) Länder mit geringen Anpassungskapazitäten, insbesondere Entwicklungsländer. Weiterführende Lesetipps DEUTSCHE BANK (DB) RESEARCH(2008): Klimawandel und Tourismus: Wohin geht die Reise? www.dbresearch.de UNITED NATIONS WORLD TOURISM ORGANIZATION (UNWTO) & UNITED NATIONS ENVIRONMENT PROGRAMME (UNEP) (2008): Climate Change and Tourism - Responding to Global Challenges. Madrid/ Paris UNITED NATIONS WORLD TOURISM ORGANIZATION (UNWTO) & UNITED NATIONS ENVIRONMENT PROGRAMME (UNEP) & OXFORD UNIVERSITY (2008): Climate Change Adaptation and Mitigation in the Tourism Sector. Paris 2.1.5 Beitrag des Tourismus zum Klimawandel Nach einer umfassenden Studie der UNWTO/ UNEP (2008) ist Tourismus weltweit direkt für knapp 5 % der energiebedingten CO 2 -Emissionen verantwortlich. Dieser Anteil mag zunächst als gering erscheinen, doch entspricht er in etwa dem Emissionsanteil der Chemieindustrie (WRI 2005), einem Wirtschaftszweig, der gemeinhin viel eher mit Umweltverschmutzung in Verbindung gebracht wird. In einem Business-as-usual-Szenario wird mit einer Zunahme der tourismusbedingten Treibhausgasemissionen von derzeit 1,307 Mrd. Tonnen auf 3,059 Mrd. Tonnen bis zum Jahr 2035 gerechnet, also mehr als einer Ver- <?page no="59"?> 60 Nachhaltiger Tourismus dopplung (UNWTO/ UNEP 2008). Es ist klar, dass eine solche Entwicklung angesichts weltweiter Klimaschutzverpflichtungen und angestrebter Emissionsreduktionen völlig inakzeptabel wäre. Innerhalb des Systems Tourismus sind die Emissionen sehr unterschiedlich verteilt: 75 % entfallen auf den Verkehr, davon 40 % auf den Flugverkehr und 32 % auf Automobile (siehe Abb. 11). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Flugreisen einen erheblichen Teil der Gesamtemissionen ausmachen, obwohl ihr Anteil an der Zahl der weltweiten Reisen noch relativ gering ist. In Deutschland verursachen Flugreisen (gut ein Drittel aller Urlaubsreisen, die länger als vier Tage sind) etwa viermal so viele Emissionen wie alle anderen Reisen zusammen. Bei Fernreisen mit dem Flugzeug sind je nach Gesamtreisedauer bis zu über 90 % der Emissionen allein der An- und Abreise zuzurechnen (ÖKO- INSTITUT 2002). Abb.11: Anteile touristischer Teilsysteme am CO 2 -Ausstoß des Tourismus (Quelle: UNWTO/ UNEP 2008) Umgekehrt steht der Binnentourismus vergleichsweise gut da. In Deutschland verursachen Inlandsreisen nur 1,6 % der bundesweiten Treibhausgasemissionen. Der Transportanteil liegt hier bei etwa 63 %. Dadurch wird der Anteil des Beherbergungssektors mit 28 % vergleichsweise bedeutender (ÖKO-INSTITUT 2002). Dieser Wert variiert jedoch von Destination zu Destination: In Neuseeland (mit einem schlecht ausgebauten öffentlichen Verkehrssystem und einem hohen Fluganteil) entfallen selbst beim Binnentourismus 78 % der Emissionen auf den Verkehr (SIMMONS/ BECKEN 2004). In der Schweiz mit ihrem exzellenten öffentlichen Verkehrsangebot sind es nur 47 % (MÜLLER 2003). Hier schlagen wiederum die Unterkünfte (höherer Energieverbrauch durch Lage im Gebirge) vergleichsweise stärker zu Buche. In der Uckermark, einer Tourismus- <?page no="60"?> Herausforderungen 61 destination mit überwiegend nahen Quellmärkten, fallen im Schnitt lediglich 33,6 kg an direkten Treibhausgasmissionen pro Reisetag an (PFAUTH 2010) - im Vergleich zu etwa 60 kg pro Nacht bei einer durchschnittlichen Auslandsreise (UNWTO/ UNEP 2008). Der Emissionsanteil des Verkehrs beim Übernachtungstourismus in der Uckermark liegt dementsprechend nur bei ca. 50 %, steigt jedoch bei Tagesausflügen wegen der verbreiteten PKW-Nutzung auf etwa 90 % (PFAUTH 2010). Wenn es also darum geht, Tourismus insgesamt klimafreundlicher zu gestalten, muss in erster Linie beim Transport angesetzt werden. Dies beinhaltet zum einen die während einer Urlaubsreise zurückgelegten Entfernungen (auch in Relation zur Urlaubsdauer insgesamt), zum anderen die Wahl des Transportmittels. In Deutschland (als Quellmarkt) wurden 2012 47 % aller Reisen mit dem PKW zurückgelegt, 37 % mit dem Flugzeug, 8 % mit dem Bus und 6 % mit der Bahn (FUR 2013). Abbildung 12 zeigt die durchschnittlichen Emissionen für verschiedene Verkehrsmittel pro Personenkilometer (pkm) in Deutschland (Inlandsverkehr). Diese sind neben dem spezifischen Verbrauch und dem verwendeten Treibstoff sehr wesentlich auch von der durchschnittlichen Auslastung des jeweiligen Verkehrsmittels abhängig. Im Ergebnis zeichnen sich (gecharterte) Reisebusse und die Bahn (Fernverkehr) als die klimaverträglichsten Verkehrsmittel aus, während Flugzeug und PKW am schlechtesten abschneiden. Damit werden im Tourismus ausgerechnet diejenigen Verkehrsmittel bevorzugt, die dem Klima am meisten schaden. Hinzu kommen Belastungen durch Stickoxide und Feinstaub. Es muss allerdings angemerkt werden, dass das Flugzeug im Mittel- und Langstreckenbereich in Bezug auf die Emissionen pro pkm besser abschneidet und hier meist alternativlos ist (vgl. u.a. BECKEN/ HAY 2012). <?page no="61"?> 62 Nachhaltiger Tourismus Anmerkung: Zugrunde gelegte durchschnittliche Auslastungen: PKW: 1,5 Personen; Flugzeug: 73 %; Reisebus: 60 %; Bahn-Fernverkehr: 44 %; Linienbus/ Bahn-Nahverkehr: 21 %. Diese sind im Urlaubsreiseverkehr tendenziell höher. Abb.12: Vergleich der Emissionen einzelner Verkehrsträger im Personenverkehr (2010) (Quelle: UMWELTBUNDESAMT 2012) Bisher war in Bezug auf die Klimawirkung des Tourismus lediglich von CO 2 - Emissionen die Rede gewesen. Hinzu kommen jedoch Nicht-CO 2 -Emissionen, vor allem Stickoxide und Wasserdampf, die beim Flugverkehr in großer Höhe an der Grenze zur Stratosphäre entstehen und dort ebenfalls zum Treibhauseffekt beitragen. Die genaue Wirkungsweise dieser Treibhausgase ist noch wenig erforscht. Der größte Unsicherheitsfaktor dabei ist die Bildung von Cirruswolken aus Kondensstreifen, die zwar kurzlebig sind, aber lokal ein beträchtliches Erwärmungspotenzial besitzen. Die wenigen existierenden Studien dazu schätzen, dass die gesamte Treibhauswirkung des Flugverkehrs das 1,9bis 5,8-fache des reinen CO 2 -Effektes beträgt. Der IPCC hatte daraus zunächst einen bestmöglichen Schätzwert von 2,7 abgeleitet. Mindestens sollte ein Faktor von 2 verwendet werden (STOCKHOLM ENVIRONMENT INSTITUTE 2009; siehe auch Kapitel 2.1.8). Gemessen wird das Erwärmungspotenzial dann in CO 2 -Äquivalenten. Auf dieser Grundlage könnte der Anteil des Tourismus am anthropogenen Treibhauseffekt dann in Wirklichkeit bei 9 % liegen, wovon <?page no="62"?> Herausforderungen 63 zwei Drittel auf den Flugverkehr entfielen. Kritische Autoren gehen von einem noch höheren Anteil aus (ZIMMERMANN 2014). Der Flugverkehr wird damit zum zentralen kritischen Faktor in Bezug auf die Klimawirkung des Tourismus. Neben Energieeffizienz liegt das Hauptproblem in den großen Entfernungen, die durch das Flugzeug überhaupt erst zurückgelegt werden können, teilweise auf relativ kurzen Reisen. Aus Konsumentensicht „ruiniert“ ein Lebensstil mit häufigen Flugreisen individuelle Treibhausgasbilanzen von sonst vielleicht umweltbewusst lebenden Menschen. So emittiert ein einziger Hin- und Rückflug von Frankfurt/ Main nach Sydney in etwa so viel CO 2 -Äquivalente wie ein deutscher Durchschnittsbürger in einem ganzen Jahr. Wenn man davon ausgeht, dass jeder Erdenbürger die gleichen „Emissionsrechte“ haben sollte, dann wären maximal drei Tonnen pro Jahr kompatibel mit dem 2°C-Ziel. 4 Dass die Klimawirkungen des internationalen Tourismus derzeit noch vergleichsweise begrenzt sind, ist darauf zurückzuführen, dass weniger als 2 % der Weltbevölkerung pro Jahr Flugreisen unternehmen (HALL et al. 2010). Übernähme die Bevölkerung der Schwellenländer mit wachsendem Wohlstand ein ähnliches Reiseverhalten wie die entwickelten Industrieländer, dann wäre dies eine ganz und gar unnachhaltige Entwicklung. Zwar ist auch in Zukunft mit weiteren Energieeffizienzgewinnen im Flugverkehr zu rechnen, doch würden diese ohne weitere Maßnahmen, wie auch schon in der Vergangenheit, durch das erwartete Volumenwachstum wieder zunichte gemacht (PEETERS/ EIJGELAAR 2014). Ein verstärkter Einsatz von Biokraftstoffen ist denkbar, aber auch kritisch zu sehen, denn diese würden in großen Mengen benötigt und würden dadurch fast notwendigerweise in Konkurrenz zu anderen Landnutzungen (Anbau von Nahrungsmitteln, Naturschutz) treten. Zudem produzieren Anbau, Transport und Weiterverarbeitung von Energiepflanzen ihrerseits CO 2 -Emissionen, auch wenn zunehmend organische Abfallstoffe und innovative Anbaumethoden zum Einsatz kommen (ZIM- MERMANN 2014). Andere Verkehrsmittel, die im Urlaubsreiseverkehr in letzter Zeit verstärkt zum Einsatz kommen, sind in Bezug auf den Klimaschutz ebenfalls problematisch. Dazu zählen Wohnmobile, die bspw. in Neuseeland ähnliche hohe Emissionen pro pkm wie Inlandsflüge aufweisen, sowie Kreuzfahrtschiffe, deren Klimabelastung pro pkm um ein Vielfaches über dem von Flugreisen liegt (BECKEN/ HAY 2012). Überdurchschnittlich hohe Emissionen entstehen auch in einem Tourismussegment, von dem man es nicht auf Anhieb vermuten würde, dem Natur- und Abenteuertourismus. Dieser findet häufig in abgelegenen Regionen statt, die nur 4 Quellen: www.atmosfair.de und http: / / uba.klima-aktiv.de <?page no="63"?> 64 Nachhaltiger Tourismus mit längeren Flügen und vor Ort mit energieintensiven Fahrzeugen (Geländewagen, Kleinflugzeuge, Helikopter, Schnellboote) erreicht werden können, und ist weniger stationär als ein klassischer Badeurlaub. Safaritourismus in Namibia ist dafür ein Beispiel. Mit zu den energieintensivsten Urlaubsformen gehören Kreuzfahrten in der Arktis und Antarktis (STRASDAS 2012). Im Gegensatz zu Verkehrsmitteln, die weltweit relativ einheitlich und datenmäßig gut erfasst sind (insbesondere gilt dies für den Flugverkehr), sind touristische Unterkünfte von Land zu Land extrem heterogen und statistisch kaum einheitlich zu erfassen. In Deutschland bspw. wird durch eine durchschnittliche Hotelübernachtung kaum mehr Energie verbraucht als pro Tag in einem privaten Haushalt (ÖKO-INSTITUT 2002). Grundsätzlich hängt die Höhe des Energieverbrauchs und der Emissionen von touristischen Unterkünften von folgenden Variablen ab: Art und Ausstattung der Unterkunft : Es liegt auf der Hand, dass Hotels einen höheren Energieverbrauch pro Gästeübernachtung haben als Pensionen oder Campingplätze. In der Regel steigt der Energieverbrauch auch mit der Kategorie der Unterkünfte. Zusätzliche Ausstattungen wie Schwimmbäder oder Wellnesseinrichtungen führen ebenso zu erhöhtem Energieverbrauch. Der durchschnittliche Energiebedarf von Ferienwohnungen ist ähnlich hoch wie der von Hotels (UNWTO/ UNEP 2008). Gastronomie : Unterkünfte, die zusätzlich Speisen und Getränke anbieten, haben ebenfalls einen höheren Energieverbrauch pro Gästeübernachtung. Der Klimafußabdruck von Speisen variiert sehr stark in Abhängigkeit von ihrer Herstellung, Transport, Lagerung und Zubereitung. Eine klimafreundliche Küche bevorzugt pflanzliche, biologische und saisonale Lebensmittel aus der Region anstelle von Fleisch, Import-, Gewächshaus- oder Tiefkühlwaren. Energieeffiziente Küchen und die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung (z.B. bei Büffets oder überdimensionierten Speisekarten) sind weitere Elemente einer klimaschonenden Gastronomie (GÖSSLING et al. 2011). Lage und Verkehrsanbindung : Die Lage von Unterkünften im Gebirge oder in extrem kalten oder heißen Klimazonen führt zu erhöhtem Energiebedarf für Heizung bzw. Kühlung. Auch in Bezug auf den Mikrostandort kann eine günstige Lage (je nach Klimazone z.B. durch Beschattung oder Windschutz) den Energieverbrauch mindern. Eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel kann die Emissionen durch An- und Abreise erheblich reduzieren (GÖSSLING 2011). Auslastung : Unterkünfte mit einer höheren Auslastung haben einen niedrigeren Energieverbrauch pro Gästeübernachtung, da es einen nutzungsunabhängigen Grundenergiebedarf gibt, der dann auf mehr Übernachtungen umgelegt werden kann (ebd.). <?page no="64"?> Herausforderungen 65 Vorhandensein eines Umweltmanagementsystems (UMS): Ein UMS hilft Beherbergungsbetrieben u.a., ihren Energieverbrauch zu messen, zu analysieren und zu überwachen und auf diese Weise eine höhere Energieeffizienz zu erreichen. Eine Studie in verschiedenen europäischen Ländern kommt zu dem Ergebnis, dass Hotels höherer Kategorie aus Kostengründen häufiger über ein UMS verfügen und dadurch energieeffizienter werden können als einfachere Hotels (HAMELE/ ECKHARDT 2006). Anteil erneuerbarer Energiequellen : Jenseits von Energieeffizienz kann der Einsatz erneuerbarer Energiequellen für Strom (z.B. aus Wind-/ Wasserkraft oder Photovoltaik) und Wärmegewinnung (z.B. Erdwärme, Solarthermie oder Bioenergie) Treibhausgasemissionen erheblich reduzieren oder sogar gegen null führen (GÖSSLING 2011). Schaut man sich die einzelnen Betriebsteile an, so entfällt im Schnitt über die Hälfte des Energiebedarfs auf Raumwärme und Warmwasser. In tropischen Klimazonen verbraucht die Raumklimatisierung einen ähnlich hohen Anteil. Auch in Küchen und bei der Beleuchtung werden signifikante Energiemengen verbraucht (ebd.). Weiterführende Lesetipps UNITED NATIONS WORLD TOURISM ORGANIZATION (UNWTO) & UNITED NATIONS ENVIRONMENT PROGRAMME) (2008): Climate Change and Tourism - Responding to Global Challenges. Madrid/ Paris. GÖSSLING, S. (2011): Carbon Management in Tourism. Routledge, London. 2.1.6 Anpassungsstrategien des Tourismus an die Folgen des Klimawandels Anpassung oder Adaption wird definiert als „Anpassung natürlicher oder gesellschaftlicher Systeme in Reaktion auf aktuelle oder erwartete Klimawirkungen, wodurch Schäden minimiert und Potenziale genutzt werden sollen.“ (UNEP et al. 2008/ UNWTO 2008) Jede Anpassungsstrategie basiert auf der Einschätzung der Vulnerabilität des betroffenen Systems, welche neben der Exposition und Empfindlichkeit auch auf der Anpassungsfähigkeit der beteiligten Systeme und Akteure beruht (vgl. Kapitel 2.1.4). Adaption per se bekämpft nicht die Ursachen des Klimawandels, sondern nimmt ihn quasi als gegeben hin. <?page no="65"?> 66 Nachhaltiger Tourismus Dagegen setzen Strategien zur Minderung des Klimawandels an dessen anthropogenen Ursachen an, indem die Emission von Treibhausgasen möglichst weitgehend reduziert oder kompensiert wird. Dieser Ansatz wird als Mitigation bezeichnet (IPCC 2007) und kann auch synonym mit Klimaschutz verstanden werden (siehe Kap. 2.1.7). Der Begriff der Mitigation impliziert, dass der anthropogene Klimawandel nicht mehr verhindert, sondern nur noch gemäßigt werden kann. Effektiver Klimaschutz verringert jedoch die Notwendigkeit der Anpassung. Deshalb sollten beide Strategien idealerweise miteinander kombiniert werden, insbesondere dann, wenn es um die indirekten, gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels geht. In dieser Sichtweise kann Mitigation als vorausschauende Anpassung an staatliche Reglementierung, Kostensteigerungen und erhöhtes Klimabewusstsein bei den Konsumenten verstanden werden (ZEPPEN- FELD/ STRASDAS 2010). Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Anpassungsmaßnahmen einem Unternehmen oder Akteur im Bedarfsfall unmittelbar nützen, also quasi als „privates Gut“ anzusehen sind, während Mitigation per se der Gesellschaft insgesamt zugutekommt, dem Einzelnen jedoch zunächst Kosten verursacht, wenn dafür Investitionen getätigt werden müssen. Mitigationsmaßnahmen können daher auch als „öffentliches Gut“ aufgefasst werden (HECHT/ WERBECK 2014). Zudem sind Klimaschutzerfordernisse bekannt und müssen kurzfristig umgesetzt werden, während Anpassungsstrategien an die physischen Wirkungen des Klimawandels oft eher eine mittelbis langfristige Perspektive haben und ihre genaue Umsetzung aufgrund unsicherer lokaler Prognosen noch unklar ist. Eine umfassende, proaktive und längerfristige Anpassungsstrategie an die verschiedenen Facetten der Klimawirkungen wird also auch Klimaschutzziele enthalten, während reaktive, kurzfristig angelegte Adaption, die versucht den Status quo zu konservieren, durchaus auch im Gegensatz zum Mitigationsprinzip stehen kann (MAHAMMADZADEH et al. 2014). Ein Beispiel dafür ist die zunehmende Beschneiung von tiefer gelegenen Skigebieten, die durch ihren hohen Energieeinsatz die Treibhausgasemissionen des Wintersports weiter erhöhen. Anpassung an die Folgen des Klimawandels durch den Tourismus kann im Wesentlichen erfolgen durch: Unternehmen, Tourismusregionen bzw. die für ihr Management zuständigen Destinationsmanagement-Organisationen (DMOs) und Touristen selbst. Touristen passen sich im Wesentlichen individuell an und treffen dabei ggf. von Fall zu Fall andere Reiseentscheidungen. Sie können ihr Reiseverhalten aufgrund von Klimaänderungen aber auch langfristig ändern. Sie verfügen dabei von allen <?page no="66"?> Herausforderungen 67 Akteuren über die größte Flexibilität, weil sie als Konsumenten eines nicht lebensnotwendigen Guts frei entscheiden können, wann, wohin oder auch ob sie verreisen wollen. Tourismusunternehmen und -organisationen sind demgegenüber vom Tourismus wirtschaftlich abhängig und daher grundsätzlich vulnerabler. Sie können der Herausforderung Klimawandel aber auch strategischer begegnen und dadurch ihre Verletzlichkeit reduzieren sowie sich bietende Chancen besser nutzen. Die Flexibilität touristischer Anbieter steigt, je weniger sie räumlich gebunden sind. Dies gilt insbesondere für in den Quellgebieten ansässige Reiseveranstalter oder -mittler, die eine größere Palette von Reisearten oder Destinationen in ihrem Angebotsportfolio haben. Kleinere Anbieter sind demgegenüber eher von bestimmten Destinationen abhängig und können daher stärker von dort stattfindenden Klimaveränderungen betroffen sein. Die Vulnerabilität steigt sprunghaft an, sobald touristische Anbieter über feste Einrichtungen (Gebäude oder Infrastruktur) in betroffenen Zielgebieten verfügen. Für lokale Tourismusakteure und Destinationsmanagement-Organisationen muss Anpassung an den Klimawandel daher im Wesentlichen vor Ort geschehen. Umgekehrt ist die hohe Anpassungsflexibilität von Touristen und Reiseveranstaltern-/ mittlern eine zusätzliche Herausforderung, auf die reagiert werden muss (s. u.a. UNWTO/ UNEP 2008). Anpassungsstrategien sollten nicht separat umgesetzt, sondern in das sonstige Unternehmensbzw. Destinationsmanagement integriert werden, im Tourismus insbesondere auch in die Kommunikations- und Marketingstrategie. Eine strategische Anpassung wird auch als proaktive Anpassung bezeichnet. In diesem Fall stehen meist mehr Optionen zur Verfügung als bei rein reaktiver Anpassung der Betriebsabläufe, die kurzfristig erfolgt und i. Allg. auf Konservierung oder Wiederherstellung des Status quo abzielt. Zudem ist davon auszugehen, dass proaktive Anpassung, vor allem in Kombination mit Mitigationsmaßnahmen, zu langfristigen Kosteneinsparungen führt (DICKHUT/ ZEPPENFELD 2014). <?page no="67"?> 68 Nachhaltiger Tourismus Abb. 13: Strategisches Risiko-/ Krisenmanagement in Bezug auf Hochwasser in Brandenburg (Schwerpunkt Kommunikationsmaßnahmen) ( Quelle: CLUSTERMANAGEMENT TOURISMUS 2014) Wie in Kapitel 2.1.3 dargelegt, findet Anpassung an den Klimawandel notwendigerweise unter Unsicherheit statt. Allerdings gilt dies für den Tourismus angesichts globaler Konkurrenz und zunehmend schwerer kalkulierbarer Nachfragewünsche auch im umfassenderen Sinne. Angesichts von Unsicherheit sollten Unternehmen und Organisationen möglichst flexibel auf veränderte Situationen reagieren können. Dies systematisch umzusetzen, bezeichnet man generell als Adaptives Management. Zwei zentrale Bestandteile einer strategischen Anpassung an den Klimawandel sind ein entsprechendes Risikomanagement sowie ein Krisenmanagement im Falle von Extremereignissen. „Risikomanagement ist ein systematischer und kontinuierlicher Prozess für die Identifizierung, Analyse, Bewertung und Überwachung von Risiken sowie für die Planung und Umsetzung von geeigneten Maßnahmen zur Risikovermeidung und Schadensreduzierung.“ (DREYER et al. 2005, in: ebd.) Die Bewertung von Risiken besteht im Wesentlichen aus einer Einschätzung der Häufigkeit und der Schwere von Schadensereignissen. Ein Unternehmen oder eine Organisation setzt dann Maßnahmen um, um auf Risiken besser vorbereitet zu sein, z.B. mithilfe von Notfallplänen. Krisenmanagement greift dann, wenn ein Schadensereignis eingetre- <?page no="68"?> Herausforderungen 69 ten ist (z.B. Evakuierung von Touristen), umfasst aber auch Wiederherstellungsmaßnahmen nach dem Ende eines Schadensereignisses. Ein Beispiel für ein strategisches Risiko-/ Krisenmanagement zeigt die folgende Abbildung anhand von tourismusbezogenen Kommunikationsmaßnahmen in Bezug auf Hochwasser in Brandenburg. Die entsprechenden Managementprozesse unterscheiden sich von ihrem Ablauf her nicht wesentlich von anderen regionalen Planungsprozessen im Rahmen des Destinationsmanagements (siehe Kapitel 3.2). An erster Stelle steht die Beteiligung relevanter Akteure. Dem folgen eine Analyse der Empfindlichkeit gegenüber dem Klimawandel und der Anpassungskapazität. Im nächsten Schritt werden mögliche Handlungsoptionen identifiziert, bewertet und ausgewählt. Anschließend erfolgen Umsetzung und Monitoring. Risiken/ Chancen höhere Lufttemperaturen geringere Niederschläge Extremereignisse Auswirkugen Biodiversität Auswirkungen Gewässer Nachfrageverlagerungen mögliche Anpassungsstrategien Förderung Outdooraktivitäten Nutzung der Nebensaison Förderung Outdooraktivitäten Nutzung der Nebensaison Wasserrückhaltung Wassereinsparung Risikomanagement Hochwasserschutz Überschwemmungsflächen Resilienz Ökosysteme verstärken Ausweichräume/ Biotopverbünde schaffen dynamischer Naturschutz Wasserrückhaltung/ Renaturierung Selbstreinigungskraft stärken Nutzungskonflikte minimieren Schiffs-/ Motorentechnik neue Angebote Auslands- Marketing klimafrdl. Destination Energieeinsparung Umweltmanagement Verkehrsplanung Tab.3: Mögliche Anpassungsmaßnahmen an direkte und indirekte Folgen des Klimawandels Mögliche Anpassungsmaßnahmen, die Tourismusunternehmen, Destinationsmanagement-Organisationen oder auch nicht-touristische Akteure im Sinne des Tourismus umsetzen können, sind natürlich situationsabhängig. Einige Beispiele für Anpassungsmaßnahmen an bestimmte Klimarisiken und -chancen gehen aus Tabelle 3 hervor. Welche Maßnahmen sinnvoll und umsetzbar sind, muss im Einzelfall bewertet werden. Hierzu können Kriterien wie technische/ organisatorische Umsetzbarkeit, Effektivität, Kosten-Nutzen-Verhältnis, Nachhaltig- <?page no="69"?> 70 Nachhaltiger Tourismus keit sowie Akzeptanz bei anderen Akteuren herangezogen werden (UNEP et al. 2008/ UNWTO 2008). Aufgrund der eher kurzfristigen strategischen Ausrichtung vieler kleiner und mittlerer Tourismusunternehmen und eines von Verdrängung geprägten Umgangs mit dem Klimawandel sind Anpassungsstrategien im Tourismus bisher jedoch höchstens ansatzweise umgesetzt worden. In Brandenburg stießen Erprobungsangebote des INKA-BB-Projektes zur Anpassung an die physischen Folgen des Klimawandels bei den Tourismusakteuren auf wenig Interesse. Gegen eine proaktive Anpassung spricht angesichts unsicherer regionaler Klimaprognosen die - nicht unberechtigte - Befürchtung, knappe Ressourcen für Maßnahmen zu vergeuden, die derzeit noch nicht prioritär sind (DICKHUT/ ZEPPENFELD 2014). Die Schweiz hat als eines der wenigen europäischen Länder ein landesweites Anpassungskonzept für die Tourismuswirtschaft veröffentlicht, das jedoch recht allgemein gehalten ist und lediglich empfehlenden Charakter hat (SCHWEIZERISCHE EIDGENOSSENSCHAFT 2010). In Deutschland wird derzeit an der Deutschen Anpassungsstrategie (DAS) gearbeitet, die auch für den Tourismus die Vulnerabilität bewertet und entsprechende Indikatoren und Anpassungsstrategien entwickelt (www.umweltbundesamt.de). Inwiefern diese tatsächlich politik- und vor allem handlungsrelevant werden, ist momentan noch nicht abzusehen. Eine Ausnahme stellen Wintersportdestinationen dar, in denen die Folgen des Klimawandels bereits jetzt deutlich zutage treten. Hier sind zwei Formen von Adaption zu beobachten: Vorherrschend sind reaktive Maßnahmen zur Konservierung des Status quo (Dominanz des umsatzstarken Skisports im Wintertourismus), meist technische Anpassungsmaßnahmen gegen Schneeknappheit. Zudem steigt in den Alpen der Druck zur Erschließung neuer, höher gelegener Skigebiete. Diese Formen der Anpassung wirken sich auf Natur und Landschaft in der Regel negativ aus und gehen mit einem erhöhten Energieverbrauch einher (VOHLAND et al. 2012). Daneben gibt es aber auch zunehmend Beispiele aus den Alpen und Nordamerika, die konservierende Anpassung mit Mitigationsmaßnahmen (v.a. Einsatz erneuerbarer Energien) verbinden (MEURES 2011). In den Mittelgebirgen und den tiefer gelegenen Skigebieten in den Alpen wird jedoch davon ausgegangen, dass rein reaktive Strategien bei fortschreitender Erderwärmung mittelfristig an physische und betriebswirtschaftliche Grenzen stoßen werden (STRASDAS/ GÖSSLING 2008). Einige Tourismusregionen bereiten sich daher auf einen radikaleren Strategiewechsel vor, der darin besteht, im Winter ein breiteres touristisches Angebot zu schaffen (z.B. Winterwandern, Wellness) und wieder stärker auf den Sommertourismus zu setzen. Ein positiver Nebeneffekt dieser Anpassungsstrategie ist die stellenweise begonnene Renaturierung aufgegebener Skigebiete (ebd.). <?page no="70"?> Herausforderungen 71 Eine weitere Ausnahme sind Extremwetterereignisse. Diese treten auch in gemäßigten Breiten schon jetzt vermehrt auf, vor allem in Form von Unwettern, Starkregen und damit einhergehenden Überschwemmungen. England bspw. wurde in den letzten Jahren von mehreren schweren Überflutungen heimgesucht, die zu einer Reihe von technischen Schutzmaßnahmen (Versiegelung von Gebäuden in Flussnähe, Verbesserung der Entwässerung von Senken auf einem Festivalgelände usw.) auch im touristischen Bereich führten (CLIMATE SOUTH WEST/ SOUTH WEST TOURISM 2009). Auch in Brandenburg bewirkte das (erneute) Elbehochwasser des Jahres 2013 ein wieder erhöhtes Klimabewusstsein. Das Hochwasser trat zu Beginn der Hauptsaison auf und führte teils zu massiven Stornierungen und nicht realisierten Buchungen, auch in Gegenden, die vom Hochwasser gar nicht betroffen waren. Auch in außereuropäischen Regionen, die vom Klimawandel intensiver und auch schon kurzfristiger betroffen sind, wurden auf nationaler oder regionaler Ebene spezielle Anpassungsstrategien entwickelt. Beispiele sind Australien und die Karibik. Aber auch hier scheint es so zu sein, dass die entsprechenden Pläne nur ansatzweise umgesetzt wurden (BECKEN/ HAY 2012). Zwei Studien über „Abenteuer“-Reiseveranstalter im Himalaya sowie in der Arktis und Antarktis fanden bei den befragten Unternehmen keine besonderen Anpassungsstrategien, höchstens vereinzelte Maßnahmen im Bereich Risikomanagement, die aber schon traditionell eingesetzt wurden (PIOTROWSKI & XOLA CONSUL- TING 2010, SELTMANN 2006). Dies ist insofern erstaunlich, als diese Regionen und das Segment Abenteuertourismus eigentlich als besonders vulnerabel gegenüber dem Klimawandel anzusehen sind. Weiterführende Lesetipps BECKEN, S. & HAY, J. (2012): Climate Change and Tourism - From policy to practice. Tourism, Environment and Development Series. earthscan from Routledge: London/ New York. DICKHUT, H. & ZEPPENFELD, R. (2014): Erfolgs- und Hemmfaktoren der Klimawandelanpassung in Tourismusunternehmen - Ergebnisse eines Erprobungsprojektes in Brandenburg. In: MAHAMMADZADEH et al. 2014. UNITED NATIONS ENVIRONMENT PROGRAMME (UNEP), OXFORD UNIVERSITY, UNITED NATIONS WORLD TOURISM ORGANIZATION (UNWTO) (2008): Climate Change Adaptation and Mitigation in the Tourism Sector. Paris. <?page no="71"?> 72 Nachhaltiger Tourismus 2.1.7 Klimaschutzstrategien Klimaschutz oder Mitigation im Tourismus muss sich zum einen daran orientieren, welchen spezifischen Beitrag die Branche zum anthropogenen Klimawandel leistet (siehe Kapitel 2.1.5); zum anderen muss er sich in die weitere Klimaschutzpolitik einordnen (siehe Kapitel 2.1.3). Bezogen auf die touristischen Subsysteme muss Klimaschutz im Tourismus vor allem im Verkehrsbereich ansetzen, gefolgt vom Beherbergungssektor und schließlich bei den eigentlichen Freizeitaktivitäten der Touristen. Der Verkehrssektor ist generell ein „Sorgenkind“ des globalen Klimaschutzes, weil seine Emissionen - trotz erhöhter Effizienz - durch die weltweit enorm gestiegene Mobilität nicht gesenkt werden konnten, sondern im Gegenteil sogar anstiegen (ERHARD et al. 2014). Im Gegensatz zum Beherbergungssektor, wo neben Energieeffizienzmaßnahmen auch der Einsatz erneuerbarer Energien technisch ohne Weiteres möglich ist, steht deren verbreiteter Einsatz beim Automobil-, Flug- und Schiffsverkehr noch vor erheblichen technischen und/ oder Kostenproblemen, sodass auch über grundsätzlich andere Reisemuster bzw. -angebote nachgedacht werden muss. Klimaschutzstrategien im Tourismus können sowohl von den Anbietern als auch den Nachfragern verfolgt werden. Je nachdem, ob man bspw. eine Fernreise von einem Industriein ein Entwicklungsland unter Nachfrager- oder unter Anbieterperspektive betrachtet, kann man zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen: Aus Konsumentensicht können Fernreisen nur dann vergleichsweise klimaschonend sein, wenn sie seltener unternommen und mit einer längeren Aufenthaltsdauer vor Ort verbunden werden. Hier wären also Verhaltensänderungen gefordert, welche auch den Verzicht auf Fernreisen aus Klimaschutzgründen beinhalten können, vor allem wenn dafür nur wenig Zeit zur Verfügung steht. Falls möglich, können Touristen auch durch die Wahl klimafreundlicherer Verkehrsmittel, wie Bus und Bahn anstelle von Flugzeug oder PKW (modal shift), oder energieeffizienterer Unterkünfte klimaschonender reisen. Generell ist im Auge zu behalten, dass Reisen in Industrieländern heutzutage zwar ein selbstverständliches Konsumgut sind, auf das man ungern verzichtet, welches jedoch nicht lebensnotwendig ist. Sollen also persönliche Klimabilanzen verbessert werden, dann können veränderte Reisemuster, wie eine Bevorzugung nahe gelegener Reiseziele, ein wesentlicher Schritt in diese Richtung sein. Aus Anbietersicht ist (internationaler) Tourismus jedoch in erster Linie ein (exportorientierter) Wirtschaftszweig, der Einkommen, Arbeitsplätze und ggf. Deviseneinnahmen schafft und damit häufig zur ökonomischen Entwicklung von ländlichen Regionen und von Entwicklungsländern beiträgt, die sonst möglicherweise über nur wenige Alternativen verfügen. Wie in Kapitel 2.1.3 aufge- <?page no="72"?> Herausforderungen 73 zeigt, weisen Entwicklungsländer typischerweise geringe Pro-Kopf-Emissionen auf und haben daher ein Recht auf „nachholende“ wirtschaftliche Entwicklung, welche eben auch den Tourismus einschließen kann. In diese Richtung („Tourismus als Armutsbekämpfung“) argumentieren auch führende Interessenvertretungsorganisationen der internationalen Tourismuswirtschaft wie die UNWTO, wenn es darum geht, Klimaschutzforderungen an den Tourismus zu relativieren (UNWTO o.D.). Wie man zu differenzierten Lösungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung kommt, die Klimaschutz mit Klimagerechtigkeit verbindet, kann an dieser Stelle nicht vertieft werden. Doch sollte bedacht werden, dass dieses Dilemma in erster Linie Ferntourismus in sog. Least Developed Countries (also Länder mit einem besonders ausgeprägten Entwicklungsrückstand und sehr weitverbreiteter Armut) betrifft, welche nur einen geringen Teil des internationalen Tourismus insgesamt ausmachen (PEETERS/ EIJGELAAR 2014). Mehr noch als Konsumenten und Destinationen ist die internationale Tourismuswirtschaft gefragt, Klimaschutzstrategien umzusetzen. Diese ist jedoch - im Gegensatz zu anderen Branchen - äußerst heterogen und reicht von international agierenden Konzernen wie Fluggesellschaften, Reiseveranstaltern und Hotelketten bis hin zu einer unüberschaubaren Zahl von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) im Beherbergungsbereich und in der Gastronomie. Klimaschutz kann daher je nach Unternehmen sehr unterschiedlich aussehen. Generell lassen sich jedoch folgende Strategien unterscheiden (UNEP et al. 2008/ UNWTO 2008): Technologischer Klimaschutz umfasst Maßnahmen wie Energieeffizienz durch verbesserte Prozesse oder Wärmedämmung, den Einsatz erneuerbarer Energiequellen (wie Wind- oder Wasserkraft, Sonnenenergie, Biomasse) oder emissionsärmere Treibstoffe (wie z.B. Erdgas), Verbessertes Management , z.B. in Form von optimierter Logistik (im Transportwesen), Mitarbeiterschulung oder Gästeinformationen, Verkehrsmittelwahl (modal shift), also der Umstieg von klimaschädlicheren auf klimaschonendere Transportmittel, Verhaltensbzw. Angebotsänderungen, z.B. Verlängerung der Aufenthaltsdauer, Bevorzugung von Nahzielen, nicht-motorisierte Freizeitaktivitäten, Kompensation von Treibhausgasen (siehe Kap. 2.1.8), Einsatz von politischen Instrumenten (wie Emissionsnormen für Kraftfahrzeuge, Emissionshandelssysteme, Steuern und Anreize). <?page no="73"?> 74 Nachhaltiger Tourismus Eine Studie des World Economic Forum (2009) empfiehlt weltweit folgende prioritäre Strategien für einen klimafreundlicheren Tourismus: stärkere Verlagerung des touristischen Verkehrs vom motorisierten Individualverkehr zum öffentlichen Verkehr, verbesserte Energieeffizienz und emissionsärmere Treibstoffe bei Automobilen, verbessertes Flugverkehrs- und Flughafen-Management, treibstoffeffizientere Flugzeuge und Flottenerneuerung bei Fluggesellschaften, Einbeziehung des Flugverkehrs in eine weltweite Emissionsminderungspolitik, Erhöhung der Energieeffizienz und verstärkter Einsatz von erneuerbaren Energien im Beherbergungssektor, höhere Energieeffizienz bei Kreuzfahrtschiffen und Harmonisierung von Standards für Nachhaltigkeits-Reporting und -Zertifizierung. Vergleicht man diese Empfehlungen mit den zuvor genannten Ansätzen, dann wird deutlich, dass sie sich vor allem auf den Transport beziehen und eine Kombination von technischen und Managementstrategien enthalten. Es werden auch politische Steuerungsmaßnahmen sowohl verpflichtender als auch freiwilliger Natur genannt. Allerdings fehlen Strategien, die sich auf grundsätzliche Änderungen des Reiseverhaltens bzw. der entsprechenden Angebote beziehen. Die im Auftrag der UNWTO im Jahr 2008 durchgeführte Studie kommt jedoch zu dem Schluss, dass sich durch Verhaltensänderungen größere Emissionsreduktionen erzielen lassen als durch technische Einsparungen. Den Autoren zufolge lässt sich eine Senkung der tourismusinduzierten Treibhausgase unter das Niveau von 2005 nur dann erreichen, wenn beide Strategien miteinander kombiniert werden (UNWTO et al. 2008; siehe Abb. 14). Eine jüngere Studie der OECD („Climate Change and Tourism Policy in OECD Countries“) empfiehlt ebenfalls weitergehende regulatorische Eingriffe, wie etwa die Einführung eines Preissystems für die Emission von Treibhausgasen, strengere Bauvorschriften zur Energieeffizienz oder generell eine Steuerreform, die Energieverbrauch anstelle von Arbeit stärker besteuert (OECD 2011). <?page no="74"?> Herausforderungen 75 Abb.14 Szenarien für Emissionsreduktionen im Tourismus (Quelle: UNWTO 2008 et al.) Die systematische Entwicklung eines klimafreundlichen Unternehmens oder einer klimafreundlichen Destination, eventuell bis hin zur Klimaneutralität, umfasst die in Abb. 15 dargestellten Schritte. Dieser Prozess wird in der internationalen Literatur auch als Carbon Management bezeichnet (GÖSSLING 2011). Grundlage ist zunächst die systematische Erfassung aller Treibhausgasemissionen, wobei es hier am wichtigsten ist festzustellen, in welchen Betriebsteilen eines Unternehmens, durch welche Angebotsbestandteile oder in welchen Reisephasen am meisten Emissionen entstehen. Außerdem müssen auch die Systemgrenzen festgelegt werden (siehe Abb. 16): Sollen nur die Emissionen in der Destination selbst oder eines Hotels berechnet werden oder auch die An- und Abreise der Gäste? Letztere kann von den regionalen Akteuren nur indirekt beeinflusst werden, stellt aber, wie schon dargelegt, den größten Emissionsanteil einer Reise dar. Weiterhin stellt sich die Frage, ob nur direkte oder auch indirekte Emissionen durch tourismusbedingte Vorleistungen abgedeckt werden sollen, wie z.B. den Bau von Fahrzeugen oder von Einrichtungsgegenständen in Hotels. Letztere erschweren die Datenerhebung und -analyse erheblich, sind aber in einigen Bereichen nicht unbedeutend, vor allem in Bezug auf Herstellung und Transport von Lebensmitteln in der Gastronomie. Auch nachgelagerte Aktivitäten, wie z.B. das Freizeit- und Ausflugsverhalten von Hotelgästen, können eine Rolle spielen. <?page no="75"?> 76 Nachhaltiger Tourismus Abb.15: Schritte zur Klimaneutralität (Quelle: PFAUTH 2010) Abb.16: Systemgrenzen für die Berechnung des Klimafußabdrucks von touristischen Destinationen (Quelle: PFAUTH 2010) Für die Messung von Treibhausgasemissionen, auch Klimafußabdruck (in Bezug auf Unternehmen: Corporate Carbon Footprint = CCF) genannt, und die Berichterstattung darüber, sind eine Reihe von internationalen Standards entwickelt worden. Die wichtigsten sind das Greenhouse Gas Protocol und die ISO-Norm 14064. Beide definieren bestimmte Kriterien wie Relevanz, Genauigkeit, Transparenz und Vollständigkeit, nach denen gemessen und berichtet werden soll. Das Greenhouse Gas Protocol legt weiterhin fest, wie direkte und indirekte sowie vor- und nachgelagerte Treibhausgasemissionen (sog. Scopes) zu kategorisieren sind (WWF/ CDP 2014). Falls die Ressourcen dafür fehlen, z.B. wenn es um die Berechnung des Klimafußabdrucks einer ganzen Destination geht, empfiehlt Gössling (2009, zit. in: PFAUTH 2010), die direkten Emissionen mit einem Faktor 1,15 zu multiplizieren, um auch vor- und nachgelagerte Aktivitäten zu- <?page no="76"?> Herausforderungen 77 mindest annäherungsweise zu berücksichtigen. Das Carbon Disclosure Project (CDP) basiert ebenfalls auf den Reporting-Richtlinien des Greenhouse Gas Protocol und der ISO 14064, geht aber über die reine Bestandsaufnahme hinaus und verlangt von teilnehmenden Unternehmen strukturierte Angaben über deren Managementstrategien zur Reduktion von Treibhausgasemissionen und der mit dem Klimawandel einhergehenden Risiken. Am CDP nehmen weltweit hunderte von Großunternehmen teil, aus dem Tourismus u.a. die TUI Group (www.cdp.net). Nach der Inventarisierung von Treibhausgasemissionen beginnt der eigentliche Prozess der internen Emissionsminderung (siehe Abb. 15). Der erste Schritt besteht darin zu überlegen, ob bestimmte besonders energieintensive Angebote oder Aktivitäten nicht aus dem Programm genommen werden können oder bei zukünftigen Planungen ausgeschlossen werden sollten. Dazu gehören etwa motorisierte Freizeitaktivitäten, „tropische“ Erlebnisbäder, besonders luxuriöse Unterkünfte oder mit dem Flugzeug importierte Lebensmittel. Positiv gewendet sollten sich klimafreundliche Unternehmen oder Destinationen stärker in Richtung Radfahren, Wandern, Kanufahren, regionale Speisekarten usw. positionieren. Die nächsten Schritte bestehen in der Reduzierung des Energieeinsatzes und der sukzessiven Ersetzung (Substitution) fossiler durch erneuerbare Energiequellen bei gegebenem Angebot. Diese Maßnahmen sind vor allem technischer Natur, z.B. bei Gebäuden und Fahrzeugen. Weiterhin sind aber auch Maßnahmen im Bereich des Managements erforderlich, etwa ein auf touristische Bedürfnisse ausgerichtetes regionales Mobilitätskonzept oder die Einführung von Umweltmanagement auf Unternehmensebene (STRASDAS 2010). Erst nach Ausschöpfung aller (realistischen) Möglichkeiten in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien sollten die dann noch verbleibenden Restemissionen an anderer Stelle kompensiert werden. Dadurch kann ein Unternehmen oder (seltener) eine Destination klimaneutral werden, d.h. es findet in der Summe kein Beitrag zum anthropogenen Treibhauseffekt statt. Um auf dieser Grundlage eine Positionierung als klimafreundliche Destination oder Anbieter im Markt zu erreichen, ist abschließend die Kommunikation der durchgeführten Maßnahmen gegenüber den (potenziellen) Kunden und anderen relevanten gesellschaftlichen Anspruchsgruppen von zentraler Bedeutung. Inwiefern es im globalen Tourismus bisher zu einer nennenswerten Minderung der Emission von Klimagasen kam, lässt sich nicht belegen. Wie viele andere Experten konstatieren SCOTT/ BECKEN (2010) jedoch keine über Absichtserklärungen oder einzelne Aktionen hinausgehenden Maßnahmen der globalen Tourismuswirtschaft. In Deutschland bekennt sich z.B. der Deutsche Tourismusverband in seinem Positionspapier „Tourismus und nachhaltige Entwicklung in Deutschland“ ausdrücklich auch zum Klimaschutz (DTV 2013). Das <?page no="77"?> 78 Nachhaltiger Tourismus Sparkassen-Tourismusbarometer Deutschland kommt jedoch zu dem Schluss, dass in der Hotellerie vor allem Energieeffizienz aus Kostengründen eine gewisse Rolle spielt. Darüber hinaus werde nur wenig Klimaschutz betrieben (FDSGV 2010). Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) betreibt sogar aktives Lobbying gegen bindende Klimaschutzziele mit substanziellen Emissionsminderungen (www.btw.de). Während sich Fernreisedestinationen sowie die vom BTW vertretenen Fluggesellschaften und Reiseveranstalter in Bezug auf den Klimaschutz in einem nur schwer lösbaren Dilemma befinden, könnten sich Zielgebiete mit nahen Quellmärkten mit genau dem gleichen Thema sogar positionieren, denn eine Reise im Nahbereich ist schon per se vergleichsweise klimafreundlich und wird es in Verbindung mit konsequentem Klimaschutz in der Zielregion noch mehr. Dies trifft für viele der vom DTV vertretenen Reiseregionen in Deutschland zu. Beispiele für konsequent klimafreundlichen oder sogar klimaneutralen Tourismus finden sich daher vor allem in der Hotellerie, in bestimmten Destinationen sowie in einigen Tourismussegmenten, wie dem Ökotourismus oder im MICE- Segment. Genannt seien hier u.a. die von der Organisation Viabono zertifizierten „Klimahotels“ in Deutschland (www.klima-hotels.de). Es gibt jedoch keine einheitlichen Standards für klimaneutrale Hotels. Einige lassen sich von speziellen Agenturen bei der Umsetzung beraten und zertifizieren. In den meisten Fällen gehen Energieeffizienz und Klimaschutz in weiter gefasste Umwelt- oder Nachhaltigkeitsmanagementsysteme oder -zertifizierungen für Unterkünfte ein. Ein weiteres Beispiel dafür ist Ecotourism Australias „Climate Action Certification“ (www.ecotourism.org.au/ our-certification-programs/ eco-certification-3/ ). Weitverbreitet sind mittlerweile klimafreundliche oder -neutrale Veranstaltungen, für die zahlreiche Richtlinien - ebenfalls als Bestandteil umfassenderer Umweltschutzkonzepte - entwickelt wurden. Beispiele hierfür sind der „Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen (BMU/ UBA 2010), die Green-Meetings-Plattform des Berlin Convention Office (www.berlin-greenmeetings.com) oder die Green Music Initiative für nachhaltige Musikfestivals (www.greenmusicinitiative.de). Klimaschutz wird naturgemäß dann ambitionierter, wenn der touristische Verkehr sowie eine Vielzahl von Akteuren einbezogen werden müssen. Reiseveranstalter überlassen es aus Kostengründen meist ihren Kunden, den klimaschädlichsten Teil ihrer Reisen - die Flüge - zu kompensieren. Eine Ausnahme stellen einige Mitglieder des Verbandes forum anders reisen dar, die die Kompensationskosten seit Kurzem versuchsweise in den Reisepreis inkludieren. Eines der besten Beispiele für einen klimaschutzengagierten Reiseveranstalter ist wohl Intrepid Travel aus Australien. Auf Grundlage eines Carbon Management Plans ist das Unternehmen nach eigenen Angaben seit 2010 klimaneutral. Dies umfasst <?page no="78"?> Herausforderungen 79 die internen Abläufe sowie die Reisen in den Destinationen. Die Kompensation der Fernflüge wird auch hier den Kunden überlassen, doch scheint dieses Angebot von relativ vielen angenommen zu werden (www.intrepidtravel.com/ aboutintrepid/ responsible-business). 2013 wurde Intrepid Travel für sein Engagement mit dem Ecotrophea Nachhaltigkeitspreis des Deutsches Reiseverbandes ausgezeichnet (www.drv.de/ fachthemen/ nachhaltigkeit/ ecotrophea-2014) Klimaschutz in touristischen Destinationen hat vor allem in den Alpen Tradition, und zwar in erster Linie in Bezug auf den Verkehr. Hier verbindet sich das Interesse am Klimaschutz mit örtlich starken Belastungen durch Verkehrsemissionen in engen alpinen Tälern sowie mit schon spürbaren Auswirkungen des Klimawandels. In der Schweiz haben sich autofreie Tourismusorte schon frühzeitig zu einem Interessenverband zusammengeschlossen. Ein weiteres, aktuelles Beispiel sind die „Alpinen Perlen“, eine Kooperation von 29 Fremdenverkehrsgemeinden in sechs Alpenländern, die neben der Mobilität vor Ort auch die An- und Abreise der Gäste einbeziehen und teilweise klimaneutrale Urlaubspauschalen anbieten (www.alpine-pearls.com). Die derzeit bekanntesten klimafreundlichen Destinationen in Deutschland sind die autofreie Klimainsel Juist, welche im Beherbergungsbereich den Einsatz erneuerbarer Energien fördert und mittelfristig Klimaneutralität anstrebt (www.juist.de/ inselurlaub/ natur-umwelt/ klimainsel-juist), sowie die Uckermark, Gewinnerin des Bundeswettbewerbs „Nachhaltige Tourismusregion“ 2013 (siehe Kasten). Seit einigen Jahren zeichnet sich zudem ein Trend zum verstärkten Einsatz von Elektromobilität in deutschen Urlaubsregionen ab (SOM- MER 2011), insbesondere im Schwarzwald, wo auch klimaneutrale Reisepauschalen mit Elektroautos angeboten werden (BMU et al. 2013). Klimafreundliche Destination Uckermark Die Uckermark ist eine durch Natur- und Wassertourismus geprägte ländliche Region im Nordosten Berlins, die mit großen wirtschaftlichen und demographischen Herausforderungen konfrontiert ist. Die für das Tourismusmanagement des Landkreises zuständige Tourismus-Marketing Uckermark (tmu) begann mit der Hochschule Eberswalde im Jahr 2011 eine zweijährige Kooperation mit dem Ziel, sich als klimafreundliche Reiseregion zu positionieren. Die Uckermark bringt hierfür einige günstige Voraussetzungen mit: Die Region weist einen hohen Flächenanteil an Schutzgebieten auf und spricht ohnehin schon Zielgruppen an, die eine relativ hohe Affinität zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen haben. Die Quellmärkte befinden sich zum größten Teil im Nahbereich, sodass bei der An- und Abreise relativ geringe Emissionen entstehen. Im nichttouristischen Bereich ist hervorzuheben, dass die Uckermark als Region in <?page no="79"?> 80 Nachhaltiger Tourismus hohem Maße erneuerbare Energien (Windkraft und Biomasse) produziert, die den eigenen Bedarf deutlich übersteigen. Im Laufe des Projektes wurden folgende Maßnahmen umgesetzt: Bestandsaufnahme schon vorhandener klimafreundlicher Aktivitäten und Errechnung des Klimafußabdrucks des Tourismus in der Region Sensibilisierung und Beratung von touristischen Leistungsträgern und anderen relevanten Akteuren Betriebsinterne Energieberatung der tmu, Umsetzung von Effizienzmaßnahmen und Klimaneutralität durch Kompensation der verbliebenen Emissionen Identifizierung, Kooperationsförderung und Vermarktung von etwa 20 klimafreundlichen Tourismusanbietern Verleihung eines Klimasonderpreises für Leistungsträger Kooperation mit dem lokalen Projekt „MoorFutures“, welches durch Wiedervernässung eines Moores die Freisetzung von Treibhausgasen verhindert. Die Positionierung als klimafreundliche Destination war ein zentrales Element, das zum Gewinn des Bundeswettbewerbs „Nachhaltige Tourismusregionen“ führte (BMU et al. 2013). Die Uckermark gilt mittlerweile auch in Brandenburg als Vorreiterin für einen nachhaltigen Tourismus. Bisher skeptische Leistungsträger haben begonnen, sich für das Thema zu interessieren. Es bestehen aber auch unübersehbare Schwächen, vor allem im Verkehrsbereich. Der PKW ist immer noch das mit Abstand dominierend Verkehrsmittel bei der An- und Abreise der Gäste. Weiterführende Lesetipps GÖSSLING, S. (2011): Carbon Management in Tourism. Routledge, London. PFAUTH, E. (2010): Entwicklung eines Kriterienkatalogs zur Umsetzung von klimaneutralen Destinationen in Deutschland - Erarbeitung von Handlungsempfehlungen für die Reiseregion Uckermark. Masterarbeit an der HNE Eberswalde. UNITED NATIONS ENWIRONMENT PROGRAMME (UNEP), OXFORD UNIVERSITY, UNITED NATIONS WORLD TOURISM ORGANIZATION (UNWTO) (2008): Climate Change Adaptation and Mitigation in the Tourism Sector. Paris. <?page no="80"?> Herausforderungen 81 2.1.8 Kompensation von Treibhausgasen Verbliebene Treibhausgasemissionen können durch die Finanzierung von Kompensationsprojekten durch den Verursacher an anderer Stelle ausgeglichen werden, z.B. wenn eine Privatperson oder ein Unternehmen nicht in der Lage oder nicht willens ist (z.B. aus Kostengründen), seine Emissionen selbst zu reduzieren oder zu eliminieren. Da Treibhausgasemissionen weltweit wirken, ist es egal, wo Klimaschutz betrieben wird, so lange die Gesamtmenge an Emissionen verringert wird. Dieser sog. Emissionshandel unterliegt dem Rahmen des Kyoto-Protokolls und ist für einige Branchen in der Europäischen Union verpflichtend, kann aber auch freiwillig betrieben werden, z.B. aus Imagegründen oder einem genuinen Engagement heraus. Kompensationsprojekte werden meist von professionellen, gemeinnützigen oder kommerziellen Anbietern durchgeführt und vermarktet. Kompensationsprojekte befinden sich meist in Entwicklungsländern, zum einen aus Kostengründen, zum anderen weil sie dort einen Emissionminderungseffekt bewirken, zu dem es dort nach dem Kyoto-Protokoll keine politische Verpflichtung gibt. Es lassen sich drei Projekttypen unterscheiden (STRASDAS et al. 2010): Energieprojekte : Emissionsminderung durch Energieffizienzmaßnahmen, den Einsatz erneuerbarer Energien anstelle von fossilen Energien oder zumindest von emissionärmeren Energiequellen. Veränderte Produktions - oder Entsorgungsprozesse , z.B. Vermeidung klimaschädlicher Industriegase, Auffangen von Methan aus Mülldeponien oder Nutzung von Ernterückständen aus der Landwirtschaft. Senkenprojekte : Bindung von Kohlenstoff in Biomasse wie Wäldern oder Mooren, entweder durch Neupflanzung bzw. Renaturierung oder durch die Verhinderung von Abholzung bzw. Entwässerung. Kompensationsprojekte werden oft als „Ablasshandel“ kritisiert oder es wird bezweifelt, ob sie überhaupt einen Emissionsminderungseffekt haben. Deshalb ist es wichtig, folgende Grundsätze zu beachten (ebd.): [1] Kompensation sollte erst dann zum Einsatz kommen, wenn eigene Emissionsminderungsmaßnahmen (z.B. durch den Verzicht auf Kurzstreckenflüge) so weit wie vernünftigerweise möglich ausgeschöpft wurden. [2] Es muss sichergestellt werden, dass Emissionen durch das Projekt effektiv und dauerhaft eingespart werden. Hier muss besondere Sorgfalt walten, denn Kompensation ist ein fragiler Prozess, der in vielen Phasen scheitern kann. Ein erstes zentrales Kriterium für die Beurteilung der Effektivität von Kompensation ist die sog. „Zusätzlichkeit“ (englisch: additionality), die besagt, dass das Projekt ohne die Ausgleichszahlung nicht zustande gekommen wäre, z.B. auf- <?page no="81"?> 82 Nachhaltiger Tourismus grund finanzieller oder technologischer Barrieren. Beispielsweise kann die Anlage eines Windparks in der Karibik zusätzlich sein, nicht jedoch in Deutschland, wo eine soche Investition ohnehin rentabel wäre, u.a. aufgrund der öffentlichen Förderung. Zweitens muss eine realistische Berechnung der durch die Investition eingesparten Emissionen erfolgen. Wird etwa in einer Lodge ein Dieselgenerator durch Solarmodule ersetzt, dann ist die resultierende Emissionseinsparung die Differenz zwischen den faktischen (eher indirekten) Emissionen durch die Solarmodule und den (hypothetischen) Emissionen, hätte man die Dieselgeneratoren nicht ersetzt. Ein weiteres zentrales Qualitätsmerkmal von Kompensationsprojekten ist die Frage, ob sie eine permanente Wirkung entfalten. Dies ist insbesondere bei Senkenprojekten problematisch, denn wird ein angepflanzter Wald, auch nach vielen Jahren, durch ein Feuer vernichtet, dann entweicht der in ihm gebundene Kohlenstoff in Form von CO 2 wieder in die Atmosphäre (ebd.). Um die Qualität und die Nachhaltigkeit von Kompensationsprojekten als Außenstehender oder als Laie beurteilen zu können, ist es wichtig, dass die genannten Aspekte von unabhängigen Instanzen überprüft werden und die Prozesse transparent sind. Dazu gehört u.a., dass Emissionsminderungen erst dann bezahlt werden, wenn sie tatsächlich erfolgt sind. Dafür wurden international verschiedene Standards entwickelt, von denen der von verschiedenen Umweltorganisationen etablierte Gold Standard die höchsten Ansprüche stellt. Neben der eigentlichen Kompensation überprüft er auch die ökologische und soziale Nachhaltigkeit von Projekten (ebd.). Neben den Kompensationsprojekten selbst wurden diverse Studien durchgeführt, die Kompensationsanbieter vergleichend bewertet haben. Für den deutschen Markt wurde zuletzt im Jahr 2010 eine umfassende Studie im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes erstellt, die folgende Bewertungskategorien zugrunde legte (ebd.): realitätsnahe Emissionsberechnung, anspruchsvolle und nachvollziehbare Kompensation und transparente, auf klimaschonendes Verhalten zielende Kundenkommunikation und Verbraucherfreundlichkeit. Das Ergebnis war, dass die meisten Kompensationsanbieter recht hohen Standards folgen und dass es praktisch keine „schwarzen Schafe“ gab. Dennoch wird dieses Instrument nur von sehr wenigen Reisenden (vermutlich deutlich unter 5 %) in Anspruch genommen. Die Konsumenten misstrauen der Kompensation weiterhin bzw. verstehen deren Komplexität nur ansatzweise (LÜTTERS/ STRASDAS 2010). Hier muss also noch erhebliche Aufklärungsarbeit geleistet werden. <?page no="82"?> Herausforderungen 83 Weiterführende Lesetipps STRASDAS, W., GÖSSLING, S. und DICKHUT, H. (2010): Treibhausgas-Kompensationsanbieter in Deutschland. Studie im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Berlin. Literatur Agrawala, S. (2007): Klimawandel in den Alpen - Anpassungen des Wintertourismus und des Naturgefahrenmanagements. Studie i.A. der OECD. Allianz Umweltstiftung (2007): Informationen zum Thema „Klima“: Grundlagen, Geschichte und Projektionen. München. AWI (Alfred Wegener Institut) (2012): Interview zur Klimadebatte - Die Kritik geht an den Tatsachen vorbei. http: / / www.awi.de/ de/ aktuelles_und_presse/ im_fokus/ im_fokus_themen_201 2/ interview_zur_klimadebatte/ (Zugriff am 1.8.2014). Becken, S. & Hay, J. (2012): Climate Change and Tourism - From policy to practice. Tourism, Environment and Development Series. earthscan from Routledge. London/ New York. BMUB (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit) (2014): Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 - Eckpunkte des BMUB. Berlin, 29.4.2014. Bonilla-Priego, J., Font, X. & Pacheco-Olivares, R. (2014): Corporate sustainability reporting index and baseline data for the cruise industry. Tourism Management 44 (2014). Bundesumweltministerium (BMU) (2012): Umweltbewusstsein in Deutschland 2012 - Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Berlin. Bundesumweltministerium/ Umweltbundesamt (Hg.) (2010): Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen. November 2010. Bundesumweltministerium, Bundesamt für Naturschutz & Deutscher Tourismusverband (Hg.) (2013): Report Nachhaltigkeit - Modellregionen für einen nachhaltigen Tourismus. Climate SouthWest/ South West Tourism (2009): Changing Climate - Changing Business. Film. http: / / climatesouthwest.org/ casestudy/ tourism. Clustermanagement Tourismus (2014): Hochwasser in Brandenburg - Verbesserung der Krisenkommunikation im Tourismus. Beispielhaft an touristischen Vermarktungsorganisationen: TMB - Tourismusmarketing Brandeburg GmbH und Reiseregion Prignitz. Vortrag im Rahmen der E-Learning Weiterbildung „Sich mit dem Klima wandeln“, Hochschule Eberswalde. <?page no="83"?> 84 Nachhaltiger Tourismus De Freitas, C., McBoyle, G. & Scott, D. (2008): A second generation climate index for tourism (CIT) - Specification and verification. In: International Journal of Biometeorology. 52/ 5. S. 399-407. Der Spiegel (2013): Klima - Ratloses Orakel. Heft 39/ 2013. Deutsche Bank (DB) Research (2008): Klimawandel und Tourismus: Wohin geht die Reise? Unter: www.dbresearch.de. Dickhut, H. & Zeppenfeld, R. (2014): Erfolgs- und Hemmfaktoren der Klimawandelanpassung in Tourismusunternehmen - Ergebnisse eines Erprobungsprojektes in Brandenburg. In: Mahammadzadeh et al. 2014. DTV (Deutscher Tourismusverband) (2013): Positionspapier „Tourismus und nachhaltige Entwicklung in Deutschland“ Erhard, J., Reh, W., Treber, M., Oeliger, D., Rieger, D. & Müller-Görnert, M. (2014): Klimafreundlicher Verkehr in Deutschland - Weichenstellungen bis 2050. WWF Germany, BUND, Germanwatch, NABU, VCD. (Hrsg.) Finanzgruppe Deutscher Sparkassen- und Giroverband (FDSGV) (2010): Sparkassen-Tourismusbarometer Deutschland 2010. Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) (2008): Reiseanalyse 2008. Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) (2013): Reiseanalyse 2013. Freimann, J., Mauritz, C. & Walther, M. (2014): Ansatzpunkte für ein strategisches Klimaanpassungsmanagement. In: Mahammadzadeh et al. (2014). Germanwatch (2006): Kipp-Punkte im Klimasystem. Interview mit Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung. eins Entwicklungspolitik. Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) (2010): Corporate Social Responsibility in Tourism - Consumer demands and image of suppliers. Vortrag von W. Adlwarth auf der ITB Berlin. Gössling, S. (2009): Carbon-neutral destinations - A conceptual analysis. Journal of Sustainable Tourism. 17(1). S. 17-37. Gössling, S. (2011): Carbon Management in Tourism. London. Gössling, S., Garrod, B, Aall, C., Hille, J. & Peeters, P. (2011): Food Management in Tourism - Reducing tourism’s carbon „foodprint”. Tourism Management 32 (2011). S. 534-543. Hall, M., Scott, D. & Gössling, S. (2010): Tourism, Development and Climate Change. In: D’Mello, C., McKeown, J. & Minninger, S. (2010): Disaster Prevention in Tourism and Climate Justice. Publ. by Ecumenical Coalition on Tourism and EED Tourism Watch. Hamele, H. & Eckardt, S. (2006): Umweltleistungen europäischer Tourismusbetriebe - Instrumente, Kennzahlen und Praxisbeispiele. Ecotrans. Saarbrücken. <?page no="84"?> Herausforderungen 85 Högelsberger, H. (2012): Internationale Klimapolitik. LEAD for Climate Justice - Learning, Action, Dialogue. Online-Kurs. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) (2007): Klimaänderung 2007. Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger. Vierter Sachstandsbericht IPCC (2013): Fünfter Sachstandsbericht des IPCC. Teilbericht I (Wissenschaftliche Grundlagen). Kurzfassung. Lütters, H. & Strasdas, W. (2010): Kompensation von Treibhausgasen. Repräsentative Verbraucherbefragung i.A. des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Berlin. Mahammadzadeh, M., Bardt, H., Biebeler, H., Chrischilles, E. & Striebeck, J. (Hrsg.) (2014): Unternehmensstrategien zur Anpassung an den Klimawandel - Theoretische Zugänge und empirische Befunde. KLIMZUG - Klimawandel in Regionen zukunftsfähig gestalten. Band 4. München. McKercher, B., Prideaux, B., Cheung, C. & Law, R. (2010): Achieving voluntary reductions in the carbon footprint of tourism and climate change. Journal of Sustainable Tourism. iFirst. S. 1-21. Meures, J. (2011): Klimaneutralität in Wintersportdestinationen - Eine Analyse von Indikatorensystemen und Maßnahmen in Wintersportdestinationen zur Erreichung von Klimaneutralität. Masterarbeit, HNE Eberswalde. Moreno, A. & Becken, S. (2009): A climate change vulnerability assessment methodology for coastal tourism. In: Journal of Sustainable Tourism. Vol. 17. 4., S. 473-488. Müller, H. (2003): Tourismus und Ökologie - Wechselwirkungen und Handungsfelder. München. OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) / UNEP (United Nations Environment Programme) (2011): Climate Change and Tourism Policy in OECD Countries. Paris. Öko-Institut (2002): Umwelt und Tourismus - Daten, Fakten, Perspektiven. Umweltbundesamt (Hrsg.). Berlin. Peeters, P. & Eijgelaar E. (2014): Tourism’s Climate Mitigation Dilemma - Flying between rich and poor countries. Tourism Management 40. S. 15-26. Pfauth, E. (2010): Entwicklung eines Kriterienkatalogs zur Umsetzung von klimaneutralen Destinationen in Deutschland - Erarbeitung von Handlungsempfehlungen für die Reiseregion Uckermark. Masterarbeit an der HNE Eberswalde. Piotrowski, R. & Xola Consulting (2010): Adventure Tourism Companies and Climate Change. www.xolaconsulting.com. prognos/ vzbv (Verbraucherzentrale Bundesverband) (2010): Verbrauchermonitoring: Perspektiven der Verbraucher zum Klimaschutz - Mobilität & Ernährung. 12.01.2010. Berlin. <?page no="85"?> 86 Nachhaltiger Tourismus Ratter, B.M.W et al. (2012): Between hype and decline - Recent trends in public perception of climate change. Environmental Science & Policy. Vol. 18. April 2012. In: CSC News Scan 10. Rauhöft, U. (2010): Einfluss des Klimawandels auf die Nachfrage im Wassertourismus in Brandenburg. Masterarbeit an der HNE Eberswalde. Reyer, C., Bachinger, J., Bloch, R., Hattermann, F., Ibisch, P., Kreft, S., Lasch, P., Lucht, W., Nowicki, C., Spathelf, P., Stock, M. & Welp, M. (2011): Climate change adaptation and sustainable regional development - A case study for the Federal State of Brandenburg, Germany. In: Reg Environ Change. Schweizerische Eidgenossenschaft (2010): Strategie der Schweiz zur Anpassung an die Klimaänderung. Bern. Scott, D. & Becken, S. (2010): Adapting to climate change and climate policy: progress, problems and potentials (Editorial introduction). Journal of Sustainable Tourism. Vol. 18. No. S. 283-295. Seltmann, R. (2006): Tourismus und Klimawandel in der Arktis. Untersuchung zu Wahrnehmung und Anpassungsreaktionen bei Touristen und Tourismusunternehmen. Masterarbeit, FH Eberswalde. Simmons, D. & Becken, S. (2004): The cost of getting there. Impacts of travel to ecotourism destinations. In: Buckley, R. (Ed.): Environmental impacts of ecotourism. Wallingford (= Ecotourism Series No. 2). Sommer, L. (2011): Elektromobilität im Tourismus - Leitfaden für ein klimafreundliches und nachhaltiges Mobilitätskonzept in ländlichen Tourismusregionen. Masterarbeit an der HNE Eberswalde. Stiftung für Zukunftsfragen (2012): Deutsche Tourismusanalyse 2012. Hamburg. Stock, M. (2009): Vorlesungen im Modul „Tourism and Climate Change“, HNE Eberswalde. Stock, M. (2014): Vorlesungen im Modul „Tourismus und Klimawandel“, HNE Eberswalde. Stock, M., Kropp, J.P. & Walkenhorst, O. (2009): Risiken, Vulnerabilität und Anpassungserfordernisse für klimaverletzliche Regionen. In: Raumforschung und Raumordnung. 67. Jg. 2. S. 97-113. Stockholm Environment Institute (2009): Carbon Offsetting & Air Travel. Part 2: Non-CO 2 emissions calculation. SEI discussion paper by A. Kollmuss and A. Myers Crimmins. Strasdas, W. (2010): Carbon Management in Tourism - A smart strategy in response to climate change. In: Trends and Issues in Global Tourism 2010. ITB Convention Market Trends & Innovations 2010. Strasdas, W. (2012): Ecotourism and the Challenge of Climate Change - Vulnerability, Responsibility and Mitigation. In: Bricker, K. et al.: Ecotourism and Sustaina- <?page no="86"?> Herausforderungen 87 ble Tourism: Transitioning into the New Millennium. Jones and Bartlett Publishers. Boston/ Toronto. Strasdas, W. & Gössling, S. (2008): Klimawandel fordert Tourismuswandel - Risiken und Chancen für die biologische Vielfalt und den Tourismus in Deutschland. Konferenz-Reader zur gleichnamigen Konferenz am 27.11.2008 in Berlin. Strasdas, W., Gössling, S. & Dickhut, H. (2010): Treibhausgas- Kompensationsanbieter in Deutschland. Studie i.A. des Verbraucherzentrale- Bundesverbandes. Berlin. Strasdas, W. & Zeppenfeld, R. (2011): Tourismus: Anpassung und Mitigation - Zielkonflikte und Synergien mit Biodiversität und Naturschutzzielen. In: Vohland, K. et al. (2011): Klimawandel und Biodiversität. Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland. Umweltbundesamt (2012): Daten zum Verkehr. Ratgeber. Umweltbundesamt (2013): Kyoto-Protokoll. Themen. 25.07.2013. http: / / www.umweltbundesamt.de/ themen/ klima-energie/ internationale-euklimapolitik/ kyoto-protokoll. Umweltbundesamt (2014): Weltklimarat (IPCC). Themen, 21.02.2014. http: / / www.umweltbundesamt.de/ themen/ klimaenergie/ klimawandel/ weltklimarat-ipcc (Zugriff am 1.8.2014). United Nations World Tourism Organization (UNWTO) (o.D.): FAQ - Climate Change and Tourism. http: / / sdt.unwto.org/ content/ faq-climate-change-andtourism (Zugriff am 30.8.2014). United Nations World Tourism Organization (UNWTO) & United Nations Environment Programme (UNEP) (2008): Climate Change and Tourism - Responding to Global Challenges. Madrid/ Paris. United Nations Environment Programme (UNEP) & United Nations World Tourism Organization (UNWTO) (2008): Climate Change Adaptation and Mitigation in the Tourism Sector. Paris. Vohland, K., Schönberg, W., Jensen, K., Doyle, U., Ellwanger, G., Lüttger, A., Rottgardt, E., Runge, K., Schröder, E., Strasdas, W. & Zeppenfeld, R. (2012): Anpassung und Mitigation - Zielkonflikte und Synergien mit Biodiversität und Naturschutzzielen. In: Mosbrugger, V., Brasseur, G, Schaller, M. und Stribrny, B. (Hrsg.): Klimawandel und Biodiversiätt. Folgen für Deutschland. S. 343-371. World Economic Forum (2009): Towards a Low-Carbon Travel & Tourism Sector. Geneva. World Resources Institute (WRI) (2005): Navigating the Numbers - Greenhouse Gas Data and International Climate Policy. www.wri.org. <?page no="87"?> 88 Nachhaltiger Tourismus WWF (Worldwide Fund for Nature) / Carbon Disclosure Project (CDP) (Hrsg.) (2014): Vom Emissionsbericht zur Klimastrategie - Grundlagen für ein einheitliches Emissions- und Klimastrategieberichtswesen. Berlin. Zeppenfeld, R. (2013): Unsicherheit von Daten und Umgang damit. Vorlesung im Rahmen der E-Learning Weiterbildung „Sich mit dem Klima wandeln“. HNE Eberswalde. Zeppenfeld, R. & Strasdas, W. (2010): Touristisches Destinations- und Unternehmensmanagement im Zeichen des Klimawandels. Teil A: Literaturanalyse und Konzeptentwicklung. Forschungsbericht im Rahmen des BMBF-Projektes IN- KA-BB. Teilprojekt 17. Tourismus. HNE Eberswalde. Zimmermann, A. (2014): Aviation in Times of Climate Change. Agrofuels - boon or bane for future mobility? Tourism Watch/ Brot für die Welt. Berlin. <?page no="88"?> 2.2 Tourismus und Biodiversität von Dipl.-Biol. M.A. Heike Dickhut Biodiversität ist für die Menschen von großer Bedeutung, denn sie liefert ihnen wertvolle Ressourcen und stellt lebenswichtige Leistungen bereit. Sie ist überall auf der Welt zu finden, allerdings ist sie ungleich verteilt. Die höchste Vielfalt an Arten, Lebensräumen und genetischen Ressourcen befindet sich in den Tropen und Subtropen, in sogenannten Hotspots (Brennpunkten) der biologischen Vielfalt. Trotz ihres hohen Nutzwertes ist die biologische Vielfalt weltweit stark gefährdet, wesentliche Ursache dafür ist die übermäßige Beanspruchung natürlicher Ressourcen durch menschliche Aktivitäten. Tourismus und Biodiversität sind eng miteinander verknüpft. Unberührte Natur und attraktive Landschaften gehören zu den wichtigsten Bestandteilen touristischer Produkte. Sie bilden die zentrale Geschäftsgrundlage der Branche und die Voraussetzung für einen langfristigen ökonomischen Erfolg. Tourismus ist daher wie kaum eine andere Branche auf eine intakte Natur und die Vielfalt an Ökosystemen und Arten angewiesen. Schutzgebiete sind für den Tourismus in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung, da sie Arten und Ökosysteme bewahren und sich durch eine vergleichsweise hohe Biodiversität auszeichnen. Sie stellen damit wichtige Attraktionen und bevorzugte Ziele für den Tourismus, insbesondere den Naturtourismus, dar. Während Tourismus selbst zu erheblichen Belastungen von Natur und Umwelt in einer Destination führen kann, ist er gleichzeitig auch durch vielschichtige Auswirkungen anderer Wirtschaftszweige, z.B. Forst- und Landwirtschaft oder Bergbau, betroffen. Die Tourismuswirtschaft ist somit zugleich Verursacher und Betroffener von Naturzerstörungen. In diesem Zusammenhang kommt der Tourismusbranche eine wichtige Schlüsselrolle zu, denn sie kann dazu beitragen, Natur sowohl ideell als auch finanziell in Wert zu setzten, z.B. indem sie als Instrument zur Erschließung von Einnahmequellen genutzt wird, die sowohl dem Schutzgebietsmanagement als auch der lokalen Bevölkerung zugutekommen. Lernziele In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Was bedeutet biologische Vielfalt? Wo kommt sie vor? Und welchen Wert hat sie? <?page no="89"?> 90 Nachhaltiger Tourismus Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Tourismus und Biodiversität? Welche Auswirkungen hat der Tourismus auf die biologische Vielfalt und wie können diesbezügliche Gefährdungen abgeschätzt werden? Welchen potenziellen Nutzen hat der Tourismus für den Erhalt der Biodiversität und wie kann dieser durch entsprechende Maßnahmen maximiert werden, z.B. in Hinblick auf Finanzierung? Was steht hinter dem Konzept des Ökotourismus? Was sind die zentralen Ansätze für ein Tourismusmanagement in Schutzgebieten? Welche Maßnahmen können für ein gezieltes Besuchermanagement in Schutzgebieten eingesetzt werden, um negative Auswirkungen auf Arten und Ökosysteme zu vermeiden? Was sind die wichtigsten Mechanismen zur Finanzierung von Schutzgebieten durch den Tourismus? 2.2.1 Grundlagen Biodiversität Biodiversität oder biologische Vielfalt wird nach der UN-Biodiversitäts-Konvention folgendermaßen definiert: Definition Biologische Vielfalt Biologische Vielfalt bezeichnet „die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter u.a. Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören; dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme.“ (UNITED NATIONS 1992) Nach dieser Definition umfasst Biodiversität drei verschiedene Ebenen: Vielfalt von Ökosystemen, Vielfalt von Arten und genetische Vielfalt innerhalb der verschiedenen Arten (Tier- und Pflanzenarten). Diese drei Bereiche der biologischen Vielfalt sind eng miteinander verknüpft. Jede Art braucht genetische Vielfalt, um sich fortzupflanzen oder sich an Veränderungen ihrer Lebensbedingungen anpassen zu können. Die Artenvielfalt <?page no="90"?> Herausforderungen 91 wiederum repräsentiert das Spektrum der evolutionären und ökologischen Anpassung von Arten an bestimmte Lebensräume, während die Vielfalt auf der Ebene der Gemeinschaften und Ökosysteme die kollektive Reaktion von Arten auf verschiedene Umweltbedingungen (z.B. Boden-, Klima- oder Wasserverhältnisse) darstellt (PRIMACK 1995: 27 ff.). Brennpunkte der biologischen Vielfalt Biologische Vielfalt ist überall auf der Welt zu finden, jedoch ist sie aufgrund der jeweils vorherrschenden Klima- und Standortfaktoren ungleich verteilt. Die höchste Vielfalt an Arten, Lebensräumen sowie genetischen Ressourcen findet sich in den tropischen und subtropischen Regionen der Erde und damit vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern. Tendenziell nimmt Biodiversität in fast allen Organismengruppen vom Äquator hin zu den Polen ab, ebenso nimmt sie entlang von Höhengradienten vom Tiefland ins Gebirge hin ab (PRIMACK 1995: 63 ff.; BAUER 2010: 51). Solche Schwerpunkträume biologischer Vielfalt werden im Englischen als Biodiversity Hotspots, sogenannte Brennpunkte der Biodiversität, bezeichnet. Deren Bestimmung stellt einen internationalen Ansatz dar, um Prioritäten für Schutzmaßnahmen festzusetzen. Die internationale Naturschutzorganisation Conservation International definiert Biodiversity Hotspots als Regionen, die mindestens 1500 endemische Arten von Gefäßpflanzen beherbergen, die massiv durch menschliche Aktivitäten beansprucht wurden und die dadurch mindestens 70 % ihres ursprünglichen Lebensraums verloren haben. Als endemisch werden Tiere und Pflanzen bezeichnet, die nur in einem klar abgegrenzten Gebiet bzw. Raum natürlich vorkommen (CONSERVATION INTERNATIONAL 2014). Der Wert der biologischen Vielfalt Biodiversität ist eine der wichtigsten natürlichen Ressourcen, die dem Menschen und seiner Entwicklung eine Vielzahl an lebenswichtigen Produkten und Leistungen liefert. Die verschiedenen Leistungen der Natur und ihrer Ökosysteme werden auch als Ökosystem(dienst)leistungen bezeichnet. Definition Ökosystem(dienst)leistungen Ökosystemleistungen sind die Nutzenstiftungen, die Menschen aus der Natur beziehen, seien sie wirtschaftlich, materiell oder gesundheitlich. <?page no="91"?> 92 Nachhaltiger Tourismus Sie umfassen „bereitstellende Dienstleistungen“, wie die Produktion von Nahrung in der Natur (z.B. Pilze, Beeren, Fische) und die Bereitstellung von sauberer Luft und Wasser, „regulierende Dienstleistungen“ wie die Klimaregulation oder die Selbstreinigung von Gewässern, „unterstützende Dienstleistungen“, wie die Bodenbildung oder der Nährstoffkreislauf, und „kulturelle Dienstleistungen“, z.B. die durch die Biodiversität angebotenen Möglichkeiten zur Bildung, Erholung und Freizeitgestaltung (MILLENI- UM ECOSYSTEM ASSESSMENT 2003: 3). Der Begriff der Ökosystemleistung stammt aus der Umweltökonomie und stellt aus anthropozentrischer Sichtweise die Nutzbarkeit der Natur und ihrer Ökosysteme durch den Menschen in den Mittelpunkt. Er zielt alleine auf die „Dienstleistungen“ ab, die Menschen aus dem Gebrauch der natürlichen Ressourcen beziehen. Davon abzugrenzen ist der Begriff der Ökosystemfunktion. Als Ökosystemfunktion werden die hinter den Leistungen stehenden ökosystemaren Prozesse, Strukturen und Zustände bezeichnet (BAUR 2010: 59). Mit der Bereitstellung einer Vielfalt an Produkten und Leistungen bildet Biodiversität nicht nur die Grundlage unseres Wohlergehens, sondern auch für zahlreiche wirtschaftliche Aktivitäten. Etwa 40 % der Weltwirtschaft basiert auf natürlichen Produkten und Prozessen (COSTAS et al. 2003). Die Natur stellt also - im ökonomischen Sinne - eine Ressource bereit, deren Nutzung ökonomisch als unbezahlter Gewinn der Gesellschaft zufließt. Die folgende Darstellung gibt eine differenzierte Übersicht über den sogenannten ökonomischen Gesamtwert der biologischen Vielfalt: <?page no="92"?> Herausforderungen 93 Abb. 1: Ökonomischer Gesamtwert der Natur (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: PRIMACK 1995, WCPA/ IUCN 1998, NATURKAPITAL DEUTSCHLAND - TEEB DE 2012) Zunächst wird zwischen den nutzungsabhängigen und nutzenunabhängigen Werten der biologischen Vielfalt unterschieden. Bei den nutzungsabhängigen Werten wird weiterhin differenziert zwischen dem direkten und indirekten Nutzwert sowie dem sogenannten Optionswert, der sich auf den möglichen Nutzen von natürlichen Ressourcen für den Menschen in der Zukunft bezieht. Der direkte Nutzwert (= Warenwert) umfasst den Verbrauchswert und den Ertragswert. Der Verbrauchswert meint den Wert, den Naturgüter besitzen, die lokal an Ort und Stelle verbraucht und nicht auf Märkten gehandelt werden. Der Ertragswert hingegen bezieht sich auf Produkte, die der Natur entnommen und auf Märkten gehandelt, also kommerziell genutzt werden. Der indirekte Nutzwert (= Bestandswert) umfasst verschiedene ökologische Prozesse und Leistungen der Natur, die vom Menschen genutzt werden, ohne dass dabei Naturgüter verbraucht werden. Dazu zählen u.a.: Regulation der Wasservorräte und des Klimas, Schadstoffbeseitigung sowie Erholung und Naturtourismus. <?page no="93"?> 94 Nachhaltiger Tourismus Biodiversität besitzt aber auch nutzenunabhängige Werte, nämlich einen Existenzwert und einen Vermächtniswert. Der Existenzwert entspricht dem Betrag, den Menschen zu zahlen bereit sind, um Arten vor dem Aussterben zu retten oder Lebensgemeinschaften sowie Ökosysteme zu erhalten. Er spiegelt das ideelle Interesse des Menschen am Naturschutz wider. Der Vermächtniswert hingegen ist - dem Prinzip der Nachhaltigkeit folgend - der Wert der biologischen Vielfalt für zukünftige Generationen (PRIMACK 1995: 282 ff.). Neben dieser rein ökonomischen Betrachtungsweise der Biodiversität gibt es ethische Argumente, die biologische Vielfalt zu schützen. Jede Art besitzt nicht zuletzt auch einen Wert an sich, einen Eigenwert, der nicht von irgendwelchen menschlichen Bedürfnissen abhängt, und hat das Recht zu existieren. Infobox: Ökonomische Bewertung von Natur Die Natur und ihre Ökosystemleistungen sind in unserer Gesellschaft trotz ihrer Knappheit als öffentliches Gut frei verfügbar und können als solches überwiegend kostenlos genutzt werden. Ihre Inanspruchnahme und Nutzung wird daher oft als selbstverständlich angenommen. Ihre scheinbare grenzenlose Verfügbarkeit wird - trotz eines eigentlich besseren Wissens - bei vielen Entscheidungen außer Acht gelassen. Anders als bei anderen zur Verfügung stehenden Ressourcen, etwa Humankapital, bleibt ihr tatsächlicher ökonomischer Wert erst einmal unberücksichtigt, nicht zuletzt, weil dieser nur schwer quantifizierbar ist (NATURKAPI- TAL DEUTSCHLAND - TEEB DE 2012). Biologische Vielfalt ökonomisch zu bewerten und ihren Wert entsprechend zu quantifizieren, bedeutet, Arten, Lebensgemeinschafen und Ökosystemen inklusive ihrer Leistungen einen angemessenen Geldwert beizumessen. Es geht hierbei nicht darum, „Pflanzen und Tiere mit Preisschildern zu versehen oder eine einzelne Wertgröße für das Naturkapital zu berechnen“ (NATURKAPITAL DEUTSCHLAND - TEEB DE 2012). Vielmehr soll über eine ökonomische Bewertung der verborgene Wert biologischer Vielfalt sichtbar gemacht werden. Eine solche Bewertung liefert die Möglichkeit, den verstärkten Schutz von Arten und Lebensgemeinschaften nicht nur ethisch und ökologisch, sondern auch ökonomisch zu begründen. Gleichzeitig bedeutet das allerdings die grundsätzliche Anerkennung des gegenwärtigen Wirtschaftssystems (PRIMACK 1995). Die ökonomische Bewertung von Naturnutzung gewinnt zunehmend an Bedeutung und ist Anliegen der Disziplin der Umweltökonomie. Zur Berechnung des ökonomischen Wertes gibt es methodisch verschiedene Ansätze, ein allgemein akzeptiertes Konzept existiert bislang jedoch nicht. <?page no="94"?> Herausforderungen 95 Auf internationaler Ebene hat sich die Initiative „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB) diesem Thema angenommen. Ziel ihrer Arbeit ist es, den ökonomischen Wert der Naturleistungen besser einschätzen zu können, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Schädigung von Ökosystemen zu erfassen und auch die Kosten des Nicht-Handelns zu beziffern (TEEB 2014). Im Jahr 2007 initiierte Deutschland gemeinsam mit der EU-Kommission die Studie „Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität“ (BMU 2014). Über das Projekt „Naturkapital Deutschland - TEEB DE“ setzt Deutschland sein Engagement auf diesem Gebiet fort. Rückgang der biologischen Vielfalt Trotz ihres hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzens ist die biologische Vielfalt stark gefährdet und nimmt kontinuierlich ab. Weltweit sind zahlreiche Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht und verschwinden in einer alarmierenden Geschwindigkeit. Schätzungen zufolge sterben täglich ca. 130 Arten aus (DGVN 2014). Der Verlust des Lebensraums gehört dabei zu den wichtigsten Ursachen. Laut WWF (2014) haben sich in den letzten 50 Jahren ca. 60 % der weltweiten Ökosysteme verschlechtert. Besonders betroffen sind Korallenriffe, Mangrovenwälder und Feuchtgebiete. Die derzeit beobachtete, durch den Menschen bedingte Aussterberate liegt je nach Art und Schätzung etwa das 100bis 10.000-fache höher, als unter natürlichen Bedingungen zu erwarten wäre (SPEKTRUM.DE 2014). Außerdem wird angenommen, dass die Rate des Artensterbens zukünftig weiter ansteigen wird. Die zunehmende Geschwindigkeit des Artensterbens ist vor allem auf ein breites Spektrum an menschlichen Aktivitäten zurückzuführen. Zu den wesentlichsten Ursachen für den menschlich bedingten Schwund der biologischen Vielfalt gehören (WWF 2014, BAUR 2010): Habitatverlust und -zerstörung Zerstückelung der Lebensräume Ausdehnung der Siedlungsfläche Übernutzung von natürlichen Ressourcen Landumwandlung und veränderte Landnutzung globaler Klimawandel Verschmutzung natürlicher Ressourcen (wie Wasser, Luft, Boden) Einführung gebietsfremder, invasiver Arten <?page no="95"?> 96 Nachhaltiger Tourismus Naturschutz Dem Arten- und Lebensraumschwund entgegenzuwirken, ist zentrales Anliegen des Naturschutzes. Naturschutz umfasst alle Maßnahmen, die dem Erhalt, der Wiederherstellung, Pflege und Entwicklung von Natur und Landschaft dienen. Unter der generellen Prämisse, die Natur aufgrund ihres Eigenwertes sowie als Lebensgrundlage für den Menschen dauerhaft zu sichern, werden im Wesentlichen die folgenden Zielsetzungen verfolgt (BNatSchG §1): Erhalt der Vielfalt, Eigenart und Schönheit und des Erholungswerts von Natur und Landschaft, Erhalt der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts, Erhalt der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter und Erhalt der Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer Lebensstätten und Lebensräume. Gegenstand des Handelns sind also zum einen die Naturgüter selbst. Zu diesen zählen sowohl die biotischen Elemente wie wild lebende Pflanzen und Tiere einschließlich ihrer Lebensräume, als auch die abiotischen Elemente Boden, Wasser und Klima. Zum anderen geht es um den Naturhaushalt, d.h. das Wirkungsgefüge zwischen den genannten biotischen und abiotischen Faktoren, und dem Erhalt seiner Leistungsfähigkeit. Schutzobjekt ist außerdem die natürliche und naturnahe Landschaft und ihre sinnlich-ästhetischen wahrnehmbaren Landschaftsqualitäten (Vielfalt, Eigenart und Schönheit). Die Einrichtung und gesetzliche Ausweisung von Schutzgebieten stellt eine wichtige und international anerkannte Strategie zur praktischen Umsetzung von Naturschutz und für den Erhalt der biologischen Vielfalt dar. Diese Gebiete bewahren Lebensräume und schützen die darin lebenden Arten in ihrer natürlichen Umgebung (in situ) im Gegensatz zur Erhaltung von Arten unter künstlichen Bedingungen und unter menschlicher Aufsicht, wie z.B. in Zoos und Aquarien (ex situ). Definition Schutzgebiet Ein Schutzgebiet ist „ein klar definierter geografischer Raum, der aufgrund rechtlicher oder anderer wirksamer Mittel anerkannt und gemanagt wird und dem Erreichen eines langfristigen Schutzes und Erhalts der Natur sowie der darauf beruhenden Ökosystemleistungen und kulturellen Werte dient.“ (IUCN 1994) <?page no="96"?> Herausforderungen 97 Es handelt sich also um Gebiete, die aufgrund ihrer vorhandenen natürlichen Ressourcen speziell für Naturschutzzwecke ausgewiesen worden sind. Während allerdings Schutzgebiete in der Vergangenheit eher als eigene, separate Einheiten betrachtet wurden, besteht heute das Bestreben, sie in einem globalen Netzwerk zusammenzuführen und zu managen (WCPA/ IUCN 1998). Ob als einzelne Einheit oder als Verbund, in jedem Fall sind erhebliche politische Anstrengungen sowie finanzielle Mittel erforderlich, um sicherzustellen, dass Schutzgebiete nicht nur eingerichtet werden, sondern auch ihren Schutzzweck erfüllen und diesem entsprechend organisiert und betrieben werden. Schutzgebietskategorien Schutzgebiete können anhand ihrer vorrangigen Schutzziele, ihres Schutzzwecks und den sich daraus abzuleitenden Nutzungseinschränkungen unterschieden und kategorisiert werden. International verbreitet und anerkannt ist die von der Weltnaturschutzunion (IUCN - International Union for Conservation of Nature) entwickelte Klassifizierung verschiedener Schutzgebietstypen, deren Unterteilung in insgesamt sechs Kategorien auf den primären Managementzielen in den Gebieten basiert. Tabelle 1 gibt einen Überblick über diese Schutzgebietskategorien der IUCN, die damit ein einheitliches System zur Einteilung von Schutzgebieten mit weltweit vergleichbaren Kriterien geschaffen hat (IUCN 1994). Sie benennt zudem den jeweiligen Stellenwert des Tourismus je nach Schutzgebietstyp und verdeutlicht, dass Tourismus und Erholung - ausgenommen im strengen Naturschutzgebiet - in allen übrigen Kategorien in irgendeiner Form erlaubt sind und angestrebt werden. Neben den IUCN-Kategorien sind auch noch die zwei Schutzgebietskategorien der UNESCO aufgeführt: Biosphärenreservate und Weltnaturerbestätten. IUCN-Kategorie + Schutzgebietstyp Allgemeiner Schutzzweck Stellenwert von Tourismus I.a Strenges Naturschutzgebiet Strenger Naturschutz (Prozessschutz) nicht erlaubt I.b Wildnisgebiet Schutz der Wildnis (Prozessschutz) stark eingeschränkt II. Nationalpark Naturschutz, Erholung, Umweltbildung hohe Priorität III. Naturmonument, Naturerscheinung Schutz von besonderen Natur-/ Landschaftsbestandteilen hohe Priorität <?page no="97"?> 98 Nachhaltiger Tourismus IV Biotop-/ Artenschutzgebiet Aktives Management zum Schutz ausgewählter Arten und Ökosysteme potenziell möglich V. Geschützte Landschaft/ Geschützte Meeresregion Natur-/ Landschaftsschutz, Erholung hohe Priorität VI. Ressourcenschutzgebiet Nachhaltige Nutzung naturnaher Ökosysteme potenziell möglich Biosphärenreservat (UNESCO) Nachhaltige Nutzung naturnaher Kulturlandschaften mit Modellcharakter nachhaltiger Tourismus Weltnaturerbestätte (UNESCO) Schutz global herausragender Naturlandschaften hohe Priorität Tab. 1: IUCN- und UNESCO-Schutzgebietskategorien und ihr Stellenwert für den Tourismus (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an IUCN 1994 und STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008: 73) Internationale Abkommen zum Schutz der Biodiversität Auf zwischenstaatlicher Ebene gibt es verschiedene internationale Abkommen, um den Schutz der biologischen Vielfalt zu fördern. Eine Übersicht über die wichtigsten internationalen Übereinkommen zu verschiedenen Aspekten der Biodiversität ist in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Abkommen Bedeutung und Ziele Biodiversitäts-Konvention (CBD = Convention on Biological Diversity) Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt (1992) Ziel: Erhaltung der biologischen Vielfalt, Nachhaltigkeit der Nutzung, gerechte Aufteilung der Gewinne aus der Nutzung genetischer Ressourcen Bonner Konvention (CMS = Convention on Migratory Species of Wild Animals) Übereinkommen zur Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten (1979) Ziel: Schutz für wandernde Tierarten, insbesondere Vogelarten, in den Ländern ihres Verbreitungsgebietes <?page no="98"?> Herausforderungen 99 Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES = Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora) Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen (1973) Ziel: Regulierung und Überwachung des internationalen Handels mit bestimmten frei lebenden Tier- und Pflanzenarten und deren Schutz vor zerstörerischer Ausbeutung Welterbekonvention der UNESCO (WHC = World Heritage Convention) Konvention zum Schutz des Natur- und Kulturerbes der Welt (1972) Ziel: Schutz von einmaligen Natur- und Kulturlandschaften von internationaler Bedeutung UNESCO-Programm „Mensch und Biosphäre“ (MAB = UNESCO Man and Biosphere Program) Übereinkommen zum Schutz von Biosphärenreservaten (1971) Ziel: Einrichtung eines weltweiten Netzes von Biosphärenreservaten, die als Modellregionen zur Vereinbarung von Naturschutzbemühungen und nachhaltiger Entwicklung fungieren RAMSAR Konvention (Convention on Wetlands of International Importance especially as Waterfowl Habitat) Übereinkommen zum Schutz von Feuchtgebieten, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Wattvögel, von internationaler Bedeutung (1971) Ziel: Unterbindung der fortschreitenden Zerstörung von Feuchtgebieten und deren Schutz und Entwicklung als Lebensraum für überwinternde Wasser- und Wattvögel Tab. 2: Internationale Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an BfN 2014, BAUR 2010) Als eine internationale Richtlinie mit explizitem Bezug zum Tourismus sind in diesem Zusammenhang die Guidelines on Biodiversity and Tourism Development zu nennen, die im Rahmen der Biodiversitäts-Konvention entwickelt und im Jahr 2004 veröffentlicht wurden. Sie basieren auf Freiwilligkeit und stellen ein praxisorientiertes Instrument dar, das eine Reihe an Möglichkeiten aufzeigt, wie nachhaltiger Tourismus in sensiblen Ökosystemen entwickelt und gemanagt werden kann. (SCBD 2004) 2.2.2 Wechselwirkungen zwischen Tourismus und Biodiversität Tourismus und Biodiversität sind eng miteinander verknüpft. Tourismus ist wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig auf eine intakte, ursprüngliche Natur und Umwelt angewiesen. Unberührte Landschaften und eindrucksvolle Arten sind <?page no="99"?> 100 Nachhaltiger Tourismus das wichtigste Kapital der Branche und damit eine wesentliche Voraussetzung für einen langfristigen ökonomischen Erfolg. Das gilt insbesondere für die Marktsegmente Strand- und Erholungstourismus sowie für verschiedene Formen des Naturtourismus (STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008: 29). Der Erhalt und die Sicherung der natürlichen Gegebenheiten einer Destination sind daher für den Tourismus von größter Bedeutung. Obwohl Tourismus auf Natur angewiesen ist, trägt Tourismus einerseits in nicht unerheblichem Maße zur Naturzerstörung und zum Verlust von Biodiversität bei, z.B. durch den Bau von touristischer Infrastruktur sowie durch touristische Aktivitäten (siehe unten). Andererseits ist die Branche durch die Auswirkungen anderer Landnutzungen, z.B. Forst- und Landwirtschaft oder Bergbau, stark beeinträchtigt. Die Tourismusbranche ist also zugleich Verursacher als auch Betroffener der Naturzerstörung. Als Profiteur von Biodiversität sowie als Betroffener ihres Verlustes muss die Tourismusbranche ein großes eigenes Interesse am Erhalt der Natur und Landschaft haben. Diesbezüglich ergeben sich enge Synergien mit den Zielen des Natur- und Biodiversitätsschutzes. Der Tourismus kann sich hier als Verbündeter des Naturschutzes erweisen und in dieser Rolle einen wichtigen Beitrag zur Wertschätzung von Natur leisten (NIEKISCH 1998: 48). Negative Auswirkungen des Tourismus auf die biologische Vielfalt Die negativen Auswirkungen von Tourismus auf die Natur und Biodiversität sind vielfältig und nahezu bei jeder Form der Erholungsnutzung als eine Begleiterscheinung sichtbar. Die Auslöser für die tourismusbedingten Belastungen auf Arten und Ökosystemen ergeben sich aus den verschiedenen touristischen Teilsystemen. Die wichtigsten sind (BfN 1997: 49 ff): Tourismusaktivitäten vor Ort, touristische Einrichtungen des Aufenthalts (Beherbergung und Gastronomie), Freizeitinfrastruktur (Wege, Sportanlagen, Marinas, Seilbahnen etc.) und Basis-Infrastruktur (Ver- und Entsorgungseinrichtungen, Verkehrsinfrastruktur) Die schwerwiegendsten tourismusbedingten Auswirkungen auf Arten und Ökosysteme gehen von der Infrastruktur und den damit verbundenen baulichen Maßnahmen als von den unmittelbaren Freizeitaktivitäten aus. Das gilt insbesondere für den massiv entwickelten Küstentourismus (BFN 1997). <?page no="100"?> Herausforderungen 101 Die Belastungen von Arten und Ökosystemen durch den Tourismus treten im Wesentlichen in zweierlei Hinsicht auf (STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008: 71): durch eine hohe räumliche und zeitliche Konzentration von Besuchern und touristischen Einrichtungen und Freizeitinfrastruktur (= Belastungsfaktor Konzentration) durch Streuung touristischer Aktivitäten in der Fläche, z.B. durch Natursportarten oder der Suche nach „unberührter Natur“ (= Belastungsfaktor Streuung) In der folgenden Tabelle werden zusammenfassend die Wirkungen dargestellt, die Tourismus auf Arten und Ökosysteme haben kann. Die Systematisierung erfolgt anhand der auslösenden Faktoren und unterteilt sich hier in anlagebedingte und aktivitätsbedingte Auswirkungen. Belastung durch den Tourismus Auswirkungen auf die Biodiversität Bau von Anlagen Flächenverbrauch und -versiegelung (= Überbauung) Zerstörung/ Verlust von Ökosystemen (z.B. Trockenlegung von Feuchtgebieten), Zerschneidung/ Isolierung von Ökosystemen (z.B. durch Straßen und Wege), Dezimierung und Verlust von Tier- und Pflanzenarten Gewinnung von Baumaterialien, z.B. Sand, Holz, Kalk Erosion, Schädigung und Schwächung von Ökosystemen Aufkommen von Verkehr (Lärm- und Schadstoffemissionen) Verschmutzung von Lebensräumen, direkte Störung der Tierwelt, Straßentod von Tieren Betrieb von Anlagen Präsenz von Menschen (Lärm, Gerüche, Erschütterung) Störung/ Aufscheuchen wild lebender Tiere, Unterbrechung von Ruhephasen, der Nahrungssuche oder Brutpflege übermäßiger Ressourcenverbrauch (Wasser, Energie) Zerstörung von Ökosystemen durch Austrocknung (Grundwasserentnahme) oder Versalzung (Küste), Verschmutzung und Störeffekte durch Lärm und Abgase (Energieerzeugung) Schadstoffemissionen/ -einträge (Abwasser, Öl, Chemikalien, Abfall, Treibhausgase, Lärm) Verschmutzung von Ökosystemen (Eutrophierung), Verlust von Arten, Veränderung der Artenzusammensetzung, Gefährdung von Tieren durch z.B. Fressen von Plastik Tourismusaktivitäten (Wandern, Klettern, Kanu fahren, Segeln, Surfen, Tauchen, Drachen- und Gleitschirmfliegen etc.) physische Präsenz/ Bewegung Störung/ Vertreibung wild lebender Tiere, Unterbrechung von Ruhephasen, der Nahrungssuche oder Brutpflege, erhöhter Stress <?page no="101"?> 102 Nachhaltiger Tourismus mechanische Beanspruchungen, (Tritt, Boote, Flugkörper) Beschädigung der Vegetation, Erosion, Störung und Verletzung von Tieren (z.B. Wasservögel, Meeresschildkröten) Schadstoffemissionen/ -einträge (Öl- und Benzin, Abgase, Lärm, Abfall) Verschmutzung von Ökosystemen (Eutrophierung), Verlust von Arten, Veränderung der Artenzusammensetzung, erhöhter Stress Entnahme von Tieren durch Jagd Dezimierung von Arten, Veränderung der Artenzusammensetzung Anfahrt und Zugang zu „Einstiegs/ Ausstiegsstellen“ Schädigung der Vegetation, Störung von Tieren Tab. 3: Auswirkungen von Tourismus auf Arten und Ökosysteme (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an PLACHTER 1991, BfN 1997, BUCHWALD/ ENGELHARDT 1998, STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008) Das Ausmaß der Belastungen auf Natur und Landschaft hängt ganz wesentlich von der Art der touristischen Nutzung, der Nutzungsintensität und von der Empfindlichkeit des betroffenen Ökosystems und den darin vorkommenden Umweltgütern ab (BUCHWALD/ ENGELHARDT 1998: 57). Auswirkungen von touristischen Anlagen ergeben sich vor allem durch die Standortwahl und ihr Management. Die Auswirkungen personenbezogener Störungen hängen von der Anzahl der Besucher, aber auch von ihrem Verhalten ab. Möchte man zu einer fundierten Einschätzung der zu erwartenden Auswirkungen kommen, muss der Grad der Beeinträchtigung im Einzelfall überprüft werden (BfN 1997: 57). Zu den vom Tourismus besonders belastenden Ökosystemen gehören Küstenökosysteme (Dünen, Seemarschen, Korallenriffe, Mangrovenwälder und Lagunen), Binnengewässer (Quellen, naturnahe Fließ- und Stillgewässer), Gebirgsökosysteme (Hochgebirge, Felsen, Hanglagen, Bergwälder, oligotrophe Gebirgsgewässer) und Hoch- und Niedermoore (BfN 1997: 61). Nutzungskonflikte Tourismus und Naturschutz Konflikte zwischen Tourismus und Naturschutz treten vor allem dann auf, wenn die Tourismusentwicklung rasant und ohne strategische Planung verläuft, der Grad der Beeinträchtigung hoch ist und wenn Naturschutzvorhaben durch den Tourismus verhindert werden. Ein grundsätzliches Konfliktpotenzial besteht darin, dass Tourismus bevorzugt in solchen Regionen und Gebieten stattfindet, die ökologisch wertvoll und empfindlich sind. <?page no="102"?> Herausforderungen 103 Die Konflikte zwischen Tourismus und Naturschutz liegen vor allem in den folgenden Bereichen (STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008): Flächenkonkurrenz: Tourismus und Naturschutz konkurrieren in erster Linie um attraktive Landschaften, die wertvoll für den Naturschutz sind. Dazu gehören Landschaftstypen, wie z.B. Meeresküsten, Binnengewässer, Gebirge oder auch tierreiche Schutzgebiete. Standortfindung: Standortwahl, Ausgestaltung und Betrieb von Anlagen können massive Umweltschäden verursachen. Die Anwendung eines Umweltmanagements kann die durch Anlagenbau und Betrieb verursachten Auswirkungen begrenzen. Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) helfen zur Konfliktvermeidung bei der Standortwahl. Nutzungsintensität/ -frequenz/ -zeitraum: Die Beanspruchung von Naturräumen und Ökosystemen sollte nicht zu deren Zerstörung führen. Tourismus sollte daher zeitlich wie räumlich gesteuert werden, der Natur auch Zeiten zur Regeneration geben und entsprechende Forderungen des Naturschutzes berücksichtigen. Ein unkontrolliertes Wachstum touristischer Aktivitäten kann dazu führen, Tragfähigkeit und Kapazitätsgrenzen der beanspruchten Naturräume und Ökosysteme zu überschreiten. Verhalten von Touristen: Personenbezogene Störungen sind wesentlich vom Verhalten der Besucher abhängig. Ein gutes Management kann hier steuernd eingreifen und Auswirkungen gering halten. Schutz und Inwertsetzung von Biodiversität durch den Tourismus Positive Effekte für den Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt werden erzielt, wenn die Tourismusbranche durch die Förderung und Umsetzung nachhaltiger Nutzungskonzepte dazu beiträgt, Natur ideell und finanziell in Wert zu setzten. Eine ökonomische Inwertsetzung von Natur und Landschaft durch den Tourismus erfolgt dann, wenn der „Naturnutzung“ ein finanzieller Gegenwert gegenübersteht, bspw. wenn Touristen Geld in eine Region bringen, um unter Schutz gestellte Natur zu erleben. Der damit verbundene Bedarf an Transport, Unterkunft, Verpflegung, Führungen und Souvenirs trägt ebenfalls zur Wertschöpfung bei und schafft Arbeitsplätze und Einkommen. Durch die Erzeugung von Einkommensalternativen kann Tourismus Anreize schaffen, den Raubbau an natürlichen Ressourcen zu reduzieren und Gebiete vor der Umwandlung in nicht-nachhaltige, schädlichere Landnutzungen zu bewahren. <?page no="103"?> 104 Nachhaltiger Tourismus Im Vergleich zu vielen anderen Landnutzungsformen haben touristische Aktivitäten den Vorteil, dass sie nicht konsumtiv sind, d.h. Tourismus der Natur in der Regel keine Güter entnimmt. Tourismus bringt damit die besten Voraussetzungen für die Realisierung des Konzeptes einer nachhaltigen Nutzung mit sich. Damit es funktioniert, muss dieses Konzept jedoch sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Tourismusakteuren verankert sein. Der Tourismus trägt vor allem dann zum Erhalt bei, wenn die unter Schutz gestellten natürlichen Ressourcen finanziell einen dauerhaft höheren Wert darstellen und gewinnbringender sind als die Zerstörung von Ressourcen und damit von Arten. Ein Beispiel dafür ist das Whale-Watching, das im Verhältnis deutlich mehr Einnahmen einbringt als der Walfang. Ein anderes Beispiel sind die Berggorillas in Ruanda. Ihr Schutz fand erst die Akzeptanz, als durch den Tourismus eine wichtige Einnahmequelle für die lokale Bevölkerung und das gesamte Land generiert wurde (NIEKISCH 1998: 48). Die Möglichkeit einer direkten finanziellen Unterstützung von Naturschutz bietet sich vor allem in Schutzgebieten an, da diese für den Tourismus in der Regel besonders attraktiv sind (NIEKISCH 1998: 50). Gerade für Entwicklungsländer, die ein hohes Vorkommen an Biodiversität aufweisen und deren Schutzgebiete chronisch unterfinanziert sind, bietet der Tourismus zusätzliche Finanzierungquellen. Durch „emotionale“ Naturerlebnisse, Umweltbildung und Naturinterpretation kann Tourismus einen Beitrag leisten, bei Reisenden ein Bewusstsein für den Wert der Natur zu schaffen und sie bezüglich der Naturschutzbelange zu sensibilisieren. Durch das Interesse der Besucher an der Natur einer Region kann widerum auch die einheimische Bevölkerung die Bedeutung der natürlichen Gegebenheiten erfahren und ihren Wert schätzen lernen. Vor allem in Entwicklungsländern liefert der Tourismus für die Regierungen oft ein wichtiges ökonomisches Argument, um die Ausweisung neuer Schutzgebiete und damit den Erhalt der Landschaften zu rechtfertigen, da gerade diese Gebiete in besonderem Maße Besucher anziehen. Ohne das internationale Interesse hätten die Schutzgebiete politisch auch auf nationaler Ebene einen geringeren Stellenwert (NIEKISCH 1998: 50). 2.2.3 Natur- und Ökotourismus Natur- und Ökotourismus stellen Nutzungsformen dar, die bei einem nachhaltigen Management ein vergleichsweise harmonisches Miteinander zwischen Tourismus und Naturschutz gewährleisten können. Der Begriff Ökotourismus ist in den 1990er Jahren im Zuge der Naturschutzbewegung und der internationalen Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung in <?page no="104"?> Herausforderungen 105 den USA entstanden. Mit der Idee, einen Beitrag zum internationalen Naturschutz zu leisten, wurde Ökotourismus ursprünglich als ein Konzept und Entwicklungsinstrument entwickelt. Hintergrund war die prekäre Situation der vielen unterfinanzierten und schlecht ausgestatteten Schutzgebiete vor allem in Entwicklungsländern, die, von zahlreichen Beeinträchtigungen betroffen, oftmals nur als sogenannte „paper parks“ auf dem Papier existierten. Hinzu kam die weitverbreitete Armut in diesen Ländern und der Umstand, dass die lokale Bevölkerung bei der Ausweisung von Schutzgebieten in der Regel nicht berücksichtigt und für die auferlegten Nutzungseinschränkungen selten entschädigt wurde. Die ständig steigende Nachfrage nach naturbezogenem Tourismus beförderte die Diskussion weiter (STRASDAS 2001: 3 ff.). Seitdem ist der Begriff auf dem Tourismusmarkt verbreitet, leider mit einem uneinheitlichen Verständnis über seine tatsächliche Bedeutung und einem inflationären Gebrauch. Vor allem der touristische Privatsektor neigt dazu, Ökotourismus als Schlagwort zu nutzen, unter dem naturbezogene Reiseangebote aller Art werbewirksam verkauft werden. Das macht es umso notwendiger, den Begriff Ökotourismus eindeutig zu definieren. Definition und Prinzipien Von der The International Ecotourism Asscociation (TIES) stammt eine der ersten und weltweit anerkanntesten Definitionen von Ökotourismus: Definition Ökotourismus „Ökotourismus ist verantwortungsvolles Reisen in naturnahe Gebiete, welches zum Schutz der Umwelt beiträgt und von Nutzen für die einheimische Bevölkerung ist.“ (TIES 1993) Eine spezifischere Definition liefert Strasdas (2001: 6), nach der das Konzept des Ökotourismus als eine verantwortungsvolle Form des Reisens durch die folgenden Merkmale charakterisiert wird: Minimierung negativer ökologischer und soziokultureller Auswirkungen Generierung von finanzieller Unterstützung für Schutzgebiete sowie Naturschutzvorhaben Erzeugung von Nutzen (benefits) in Form von möglichst breitenwirksamen Einkommen für die lokale Bevölkerung Erhöhung des Umweltbewusstseins und der Naturschutzakzeptanz unter allen beteiligten Akteuren <?page no="105"?> 106 Nachhaltiger Tourismus Im Gegensatz zu Ökotourismus wird Naturtourismus folgendermaßen definiert: Definition Naturtourismus „Naturtourismus ist eine Form des Reisens in naturnahe Gebiete, bei der das Erleben von Natur und Naturphänomenen im Vordergrund steht und die Hauptmotivation für den Besuch dieser Gebiete darstellt.“ (STRAS- DAS 2001: 6) Der wesentliche Unterschied zum Ökotourismus liegt also darin, dass Ökotourismus im Sinne eines Konzepts eine Reihe an Nutzeneffekten und erwünschten Wirkungen anstrebt und erst anhand seiner Auswirkungen identifizierbar ist, während Naturtourismus lediglich konkrete Nachfragesegmente und Angebotsformen beschreibt. Die Auswirkungen spielen beim Naturtourismus keine Rolle und können sowohl positiv oder negativ sein. Ein Schutz und Erhaltungsziel ist ebenfalls nicht impliziert (BfN 2014). Überdies erhebt Naturtourismus nicht den Anspruch, nachhaltig zu sein, während Ökotourismus per definitionem immer nachhaltig ist, wobei er sich mit seinem Nachhaltigkeitsanspruch nur auf naturbezogene Tourismusarten bezieht. Ökotourismus ist also eine nachhaltige Form von Naturtourismus und als solche ein Teilsegment von diesem. Im Gegensatz zum Abenteuertourismus, der eine andere Form des Naturtourismus darstellt, ist Ökotourismus stärker mit ländlichem Tourismus und Kulturtourismus verbunden (siehe Abb. 2). Abb. 2: Ökotourismus als Marktsegment (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an EPPLER-WOOD 2002: 11) <?page no="106"?> Herausforderungen 107 Nachfragestrukturen des Natur- und Ökotourismus Angenehmes Klima, schöne Strände, spektakuläre Gebirgszüge oder tropische Regenwälder - es ist in erster Linie die natürliche Ausstattung, die wesentlich zur Attraktivität einer Reiseregion beiträgt. Ihr Erleben und ihr Genuss gehören zu den wichtigsten Reisemotiven von Touristen und sind ein wichtiger Grund, warum sich Menschen weltweit überhaupt auf Reisen begeben. Das erklärt auch, warum Naturtourismus zu den am stärksten wachsenden Tourismussegmenten zählt (EPPLER-WOOD 2002). Bezüglich der Touristen, die in ihrem Urlaub Natur suchen, konnten einige gemeinsame, soziodemografische Merkmale identifiziert werden. Demnach handelt sich um Einzelpersonen oder Paare (weniger Familien) in mittleren bis älteren Altersgruppen (ca. 35-60 Jahre) mit einem überdurchschnittlich hohen Bildungsniveau. Ihr Ausgabeverhalten entspricht dem Durchschnitt, kann aber je nach Art der gebuchten Reise stark variieren. Wert wird auf eine hohe Qualität, Authentizität von Naturerlebnissen und Exklusivität gelegt. Naturtouristen sind außerdem sehr reiseerfahren. Sie buchen dennoch häufig und gern organisierte Reisen, weil die meist abgelegenen Zielgebiete sich nur schwer auf eigene Faust erkunden lassen und oft nur unter erheblichem Aufwand zu erreichen sind. (STRASDAS 2001: 116 ff.) Neben diesen Gemeinsamkeiten bestehen bei der Nachfrage im Naturtourismus aufgrund des sehr breiten Spektrums an ausgeübten Aktivtäten und dem Grad des Interesses an der Natur erhebliche Unterschiede. Die folgende Tabelle zeigt die verschiedenen Typen an Naturtouristen (STRASDAS 2002: 13). Typ Charakteristische Merkmale (Motive, Bedeutung intakter Natur, Komfortwünsche) Nachfragepotenzial (quantitativ) Der „engagierte“ Naturtourist „Klassischer Ökotourist“ Erleben unberührter Natur ist Hauptmotiv spezielle ökologische Interessen, z.B. Vogelbeobachtung, außerdem interessiert an Naturschutz geringe Komfortansprüche eher gering Der „interessierte“ Naturtourist Erleben unberührter Natur von großer Bedeutung Interesse an ökologischen Zusammenhängen hoher Bedarf nach Naturerlebnissen niedrig bis hohe Komfortansprüche eher mäßig <?page no="107"?> 108 Nachhaltiger Tourismus Der „beiläufige“ Naturtourist wenig bis kein Interesse an Natur leicht zugängliche, „offensichtliche“ Naturattraktionen sind gefragt, z.B. spektakuläre Kulissen oder Wildtiere gehobene Komfortansprüche (komfortable Unterkunft, bequemer Transport) hoch Der Naturtourist mit speziellem Kulturinteresse Natur- und Kulturerfahrung sind gleichermaßen von Bedeutung und Hauptmotiv für Reisen Komfortansprüche variieren von gering bis mäßig eher mäßig Der Natursport-/ Abenteuertourist interessiert an Natursport und Outdooraktivitäten Schwerpunkt liegt auf Aktivität: körperliche Selbsterfahrung und Herausforderung sind Hauptmotive Natur wichtig als Kulisse für Aktivitätsausübung niedrige Komfortansprüche werden in Kauf genommen abhängig von Aktivität Der Jagd-/ Angeltourist konsumtive „Naturnutzung“ steht im Vordergrund des Interesses, z.B. Jagd oder Angeln Schwerpunkt liegt auf der Aktivität Natur lediglich als Kulisse von Bedeutung niedrige Komfortansprüche werden in Kauf genommen gering Tab. 4: Nachfragesegmente des Natur-/ Ökotourismus (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an STRASDAS 2002: 13) Naturtourismus umfasst also sowohl den naturbezogenen Massentouristen, der Natur als sekundäre Erfahrung in seine Reise integriert, als auch den sogenannten engagierten Naturtouristen, das ist der „klassische Ökotourist“, bei dem intensive Naturerlebnisse im Vordergrund stehen. Natur- und ökotouristische Angebotsformen Die Vielfalt der naturtouristischen Nachfrage bedingt ein Spektrum an naturbzw. ökotouristischen Angeboten. Im Mittelpunkt des naturtouristischen Interesses stehen die natürlichen Gegebenheiten und Attraktionen eines Zielgebietes. Von besonders großer Bedeutung für die touristische Attraktivität von Naturgebieten sind die folgenden Kriterien: eine hohe Artenvielfalt, das Vorhandensein von Großtierarten, leichte Sichtbarkeit von Tieren und ein vielfältiges Landschaftsbild. Darüber hinaus spielen interessante Vegetationsformen, z.B. tropischer Regenwald, das Element Wasser sowie die Möglichkeit zur Ausübung natürlicher Sport- <?page no="108"?> Herausforderungen 109 möglichkeiten eine Rolle. (STRASDAS 2001: 125) Da von der Nachfrageseite meist naturnahe Landschaften und möglichst intakte Natur erwartet werden, sind Schutzgebiete bei der Angebotsentwicklung, vor allem für Ökotourismus- Angebote, von besonderer Bedeutung (STRASDAS 2001: 123), denn Schutzgebiete sind häufig der beste Garant dafür, dass die gewünschten touristischen Qualitäten erhalten bleiben und langfristig zur Verfügung stehen. „Auch der Schutzstatus selbst kann ein Anziehungsmerkmal sein, da er in gewisser Weise als Qualitätsversprechen gewertet wird.“ (STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008: 68) Jedoch reicht das naturtouristische Potenzial eines Zielgebietes alleine nicht aus, um ein Natur-/ Ökotourismus-Produkt zu entwickeln und erfolgreich zu vermarkten. Neben den natürlichen Gegebenheiten hängt der Erfolg von weiteren Rahmenbedingungen ab. Dazu gehören: Die Erreichbarkeit und Zugänglichkeit von Gebieten, das Vorhandensein von zusätzlichen Attraktionen, eine vorhandene Infrastruktur, das Klima und die politischen und sozialen Rahmenbedingungen einer Destination. Auch das Vorhandensein und die Qualität der verschiedenen Elemente der touristischen Dienstleistungskette spielen bei der Entwicklung von Natur-/ Ökotourismus-Angeboten eine wichtige Rolle. Dazu gehören bspw. Transporteinrichtungen (An- und Abreise, Transport vor Ort), Einrichtungen des Aufenthalts (Beherbergung, Verpflegung) und der Vermittlung (Reisebüros, Reiseveranstalter). Allerdings unterscheiden sich diese Komponenten der Reisekette im Natur-/ Ökotourismus nicht wesentlich von denen anderer Reiseformen und können gemeinsam genutzt werden, z.B. Flugverbindungen. (STRASDAS 2001: 123 ff.) Zieht man die gerade genannten Kriterien in Betracht, sind bestimmte Zielgebiete für den Ökotourismus besonders interessant. In Europa spielen als naturtouristische Destinationen vor allem die skandinavischen Länder sowie die Alpenländer eine Rolle, ansatzweise auch Osteuropa. Europaweit haben die Europarc Federation und die PanParks Foundation Schutzgebiete für ihr nachhaltiges Tourismusmanagement ausgezeichnet. Außerhalb Europas sind vor allem die USA, Kanada, Australien und Neuseeland mit ihren großartigen Naturlandschaften und den etablierten Nationalparksystemen Zielgebiete des Öko- oder Naturtourismus. Gut entwickelte Öko-/ Naturtourismus-Destinationen sind auch die Länder des östlichen Afrika (vor allem Kenia und Tansania) und des südlichen Afrika (vor allem die Republik Südafrika, Namibia, Botswana). Der Tourismus stellt in diesen Ländern einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar, der auch finanziell zum Erhalt der Schutzgebiete beiträgt. In Lateinamerika haben sich in erster Linie Costa Rica, Ecuador und Belize mit ihren artenreichen tropischen Wäldern und zahlreichen Naturschutzprojekten als Ökotourismus-Länder positioniert. <?page no="109"?> 110 Nachhaltiger Tourismus Naturtourismus spielt außerdem eine wichtige Rolle in den Himalaya-Staaten, Südostasien, Teilen Chinas und Indiens sowie in Zentralasien (STRASDAS 2001: 126). Als Anbieter von naturtouristischen Angeboten kommen sowohl Reiseveranstalter in den Quellländern (Outbound) als auch Incoming-Agenturen (Inbound) in den Zielländern in Betracht. Darüber hinaus können aber auch Lodge- Betreiber, Naturführer oder Schutzgebietsverwaltungen als Anbieter agieren. Verstärkt treten auch gemeinnützige Organisationen, wie z.B. Naturschutzorganisationen, als Veranstalter von Naturtourismus auf. (STRASDAS 2001: 128 ff.) 2.2.4 Tourismusplanung und -management in Schutzgebieten Die Erlebbarkeit von Natur und das Bedürfnis, sich in der Natur zu erholen, sind die wichtigsten Urlaubsmotive von Touristen. Schutzgebiete erfüllen diese Nachfrage nach unberührter Natur ausgezeichnet. Als klar abgegrenzte Gebiete mit einer überdurchschnittlich hohen Biodiversität stellen sie wichtige Attraktionen und bevorzugte Ziele für den Tourismus, insbesondere den Naturtourismus, dar. Bezüglich des Managements und der Steuerung von Tourismus in Schutzgebieten können drei grundlegende Ansätze unterschieden werden (STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008: 73 ff.): Beim restriktiven Ansatz geht es darum, die touristische Nutzung und die damit verbundenen negativen Umweltauswirkungen soweit es geht zu minimieren. Maßnahmen zur Umwelterziehung der Touristen stehen hierbei im Vordergrund. Der aktive Ansatz strebt an, dem Besucher die natürlichen Besonderheiten des Gebiets zu zeigen, näherzubringen und für ihn erlebbar zu machen. Dafür werden innerhalb des Schutzgebietes gezielt Erholungs- und Erlebnisangebote sowie Angebote zur Naturinterpretation bereitgestellt. Der fördernde Ansatz sieht Schutzgebiete als einen Teil der sie umgebenden Region an. Hiermit wird eine nachhaltige Tourismusentwicklung in Kooperation mit der lokalen Bevölkerung angestrebt. Während der restriktive Ansatz auf einem traditionellen Naturschutzverständnis beruht und versucht, Schutzgebiete möglichst von ihrer Umgebung abzuschotten, ist der aktive Ansatz bestrebt, Naturschutz und Erholungsnutzung miteinander zu verbinden. Der fördernde Ansatz geht noch einen Schritt weiter, indem Schutzgebieten - bei entsprechender Attraktivität - die Rolle eines Wirtschaftsfaktors zukommt. Sie sollen der nachhaltigen Regionalentwicklung dienen und als Finanzierungsquelle für Naturschutzmaßnahmen fungieren (STRAS- DAS/ ZEPPENFELD 2008). <?page no="110"?> Herausforderungen 111 In Bezug auf die Praxis liegt die Herausforderung insbesondere darin, eine gute, auf die örtlichen Gegebenheiten angepasste Mischung aus Schutz und touristischer Nutzung zu erlangen, d.h. zum einen die Natur vor Beeinträchtigungen zu schützen, zum anderen aber auch der Allgemeinheit die Erlebbarkeit der Natur zu ermöglichen und qualitativ hochwertige Erholung zu gewährleisten. Hier setzt Besuchermanagement und -lenkung an. Besuchermanagement und -lenkung in Schutzgebieten Ziel von Besuchermanagement ist es, tourismusbedingte Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft durch eine sinnvolle Lenkung der Nutzung zu begrenzen und möglichst zu minimieren. Dies geschieht, indem z.B. Besucherströme von empfindlichen in unempfindlichere Lebensräume gelenkt werden. Im Idealfall sollte Besuchermanagement - im Sinne des Vorsorgeprinzips - negative touristische Auswirkungen verhindern, bevor sie überhaupt auftreten. Mit einem passenden Lenkungskonzept können im betreffenden Gebiet das Nebeneinander von Naturschutz und Tourismus ermöglicht werden. Die Grundlage für ein Besuchermanagement bildet die Formulierung des gewünschten Zielzustandes hinsichtlich Schutz und Erholung in dem Gebiet. Eine Orientierung bei der Erstellung von Besuchermanagementkonzepten in einer Destination kann das Konzept der Tragfähigkeit von Naturräumen (Englisch: Carrying Capacity) liefern. Die touristische Tragfähigkeit gibt Auskunft darüber, wie viel an touristischer Nutzung ein Landschaftsraum maximal verträgt, ohne irreparable Schäden aufzuweisen, und legt entsprechende Belastungsgrenzen fest. Die Belastungs- oder auch Kapazitätsgrenze bezeichnet dabei „die maximale Anzahl an Personen, die ein Gebiet nutzen können, ohne inakzeptable Veränderungen in der Umwelt zu verursachen und die Qualität der von den Urlaubern erlebten Erfahrungen zu mindern“ (FREYER 2009: 512). Wesentliche Indikatoren zur Bestimmung der Belastungsgrenzen sind Besucherdruck und Besucherintensität, die Zahl der gefährdeten Arten und Lebensräume sowie der Schutzgrad eines Gebietes (FREYER 2009: 512). Da die Carrying Capacity von Naturgebieten von vielen Einflussfaktoren abhängt, lässt sie sich wissenschaftlich objektiv nur äußerst schwer bestimmen. Darüber hinaus ist fraglich, ob die Festlegung eines einzelnen Wertes der maximal zulässigen Besucher ausreichend ist, um die Belastungsgrenze zu bestimmen. Letztlich ist es nicht alleine die Anzahl der Besucher, die sich negativ auf die Natur auswirkt, sondern vielmehr der Belastungsgrad und das Ausmaß der Gebietsveränderung (RIEKENS 1996: 43 ff.). <?page no="111"?> 112 Nachhaltiger Tourismus Im Schutzgebietsmanagement ist man daher weitgehend von dem ursprünglichen Konzept der Tragfähigkeit abgekommen und verfolgt verstärkt qualitativ orientierte Ansätze zur Bestimmung der Belastbarkeit von Gebieten. Eines der bekanntesten und meist verbreiteten Konzepte ist das „Limits of Acceptable Change“ (LAC), das bislang vor allem in den USA und Kanada Anwendung findet. Es basiert auf vier Grundsätzen: Festlegung akzeptabler und erreichbarer Standards bezüglich des Zustandes der Ökosysteme, Feststellung von Diskrepanzen zwischen den gewünschten und tatsächlichen Bedingungen, Identifizierung und vergleichende Bewertung von möglichen Managementinstrumenten und Monitoring und Evaluierung der Wirksamkeit der gewählten Managementstrategie (STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008: 77). Des Weiteren kann in diesem Zusammenhang auf zahlreiche andere internationale Planungskonzepte zum Besuchermanagement verwiesen werden. Zu nennen wären hier: Visitor Impact Management (VIM), Visitor Experience and Resource Protection (VERP), Visitor Activity Management Process (VAMP), The Recreation Opportunity Spectrum (ROS), Tourism Optimization Management Model (TOMM) und das Protected Area Visitor Impact Management (PAVIM). Strategische Ansatzpunkte und Maßnahmen der Besucherlenkung Besucherlenkung im engeren Sinne bezieht sich auf die Aktivitäten der Besucher selbst und umfasst Maßnahmen zur Beeinflussung von deren räumlicher, zeitlicher oder quantitativer Verteilung (FREYER 2010: 513). Hierbei ist zwischen planerischen Vorleistungen und (besucherbezogenen) Einzelmaßnahmen während des Betriebs zu unterscheiden. Planerische Vorleistungen sind z.B. die Ausweisung von bestimmten Zonen (Zonierung) und der gezielte Auf- und Rückbau freizeitorientierter Infrastruktur. Einzelmaßnahmen sind auf die Besucher und deren Aktivitäten ausgerichtet (objektbezogene Lenkungsmaßnahmen) (siehe auch Abb. 3). <?page no="112"?> Herausforderungen 113 Abb. 3: Übersicht Besucherlenkungsstrategien und -maßnahmen (eigene Darstellung in Anlehnung an JOB 1993 in SCHARPF 1998: 73) Zonierung Im Rahmen der Zonierung wird in einem abgestuften Zonierungskonzept planerisch festgelegt, welche Räume innerhalb des Schutzgebietes touristisch genutzt und entwickelt und welche vorrangig geschützt werden sollen. Durch die differenzierte räumliche Aufteilung wird den definierten Zonen jeweils eine spezifische Intensität von Nutzung einerseits und Naturschutz andererseits zugeordnet. Die Festlegung orientiert sich in erster Linie an den Managementzielen und den natürlichen Gegebenheiten wie der Empfindlichkeit und Schutzwürdigkeit der vorkommenden Arten und Ökosysteme. Überdies muss die Nachfrage nach Erholungsnutzung und touristischen Dienstleistungen berücksichtigt werden. Hierdurch wird versucht, eine angemessene Kombination aus Verdichtung und Zerstreuung der Erholungsnutzung zu erreichen. In einem Zonierungsplan werden die Zonen entsprechend ihres Schutzbzw. Nutzenzieles ausgewiesen. Die Einteilung reicht von Zonen mit intensiver menschlicher Aktivität (z.B. Besucherzentren) bis hin zu Totalreservaten, in denen keinerlei Nutzung erlaubt ist (PRIMACK 1995). <?page no="113"?> 114 Nachhaltiger Tourismus Lenkung der Besucher in Schutzgebieten Der Erfolg eines nachhaltigen Tourismusmanagements in Schutzgebieten setzt die Umsetzung geeigneter Maßnahmen zur Besucherlenkung voraus. Mithilfe von Maßnahmen zur Besucherlenkung kann sowohl die Anzahl der Besucher (quantitativer Aspekt) reguliert bzw. reduziert als auch ihr Verhalten (qualitativer Aspekt) positiv in Richtung der Managementziele beeinflusst werden. Hinsichtlich der Einzelmaßnahmen zur Besucherlenkung können sogenannte harte und sanfte Maßnahmen voneinander unterschieden werden. Während die harten Maßnahmen in erster Linie Vorschriften und Regeln, z.B. Ge- und Verbote, umfassen und damit die individuelle Entscheidungsfreiheit stark einschränken, setzen Letztere auf Verständnis und Einsicht der Besucher und ihr freiwilliges Mitwirken am Schutz der Natur. In diesem Sinne versuchen sanfte Maßnahmen durch gezielte Informationen und Aufklärung, z.B. in Form von Vorträgen, bewusste Verhaltensänderungen hervorzurufen. Zu den sanften Maßnahmen zählen auch alle Versuche, das Verhalten der Besucher indirekt und unauffällig zu beeinflussen, z.B. durch Anreiz- oder Abschreckungsmittel, die dem Besucher den Zugang zu bestimmten Bereichen des Gebiets entweder erleichtern oder erschweren. Solche Maßnahmen machen sich die Neigung des Menschen zunutze, unangenehme Dinge, z.B. die Überwindung großer räumlicher Distanzen oder die Benutzung ungepflegter Wege, möglichst zu vermeiden und stattdessen die bequemere Alternative zu wählen. Eine differenzierte Übersicht harter und sanfter Besucherlenkungsmaßnahmen findet sich in der folgenden Tabelle. Reduzierung von Besucherzahlen Beeinflussung von Besucherverhalten Harte Maßnahmen Begrenzung von Gruppengrößen Festsetzung von Limitierungen, z.B. für bestimmte Zonen, Wanderwege, Campingplätze Beschränkung der Aufenthaltsdauer saisonale oder tageszeitliche Sperrung von Wegen oder Zonen, z.B. während der Brunft- und Brutzeit Reservierungspflicht Absperrungen, z.B. Zäune Ge- und Verbote, z.B. Wege zu verlassen oder bestimmte Aktivitäten zu unterlassen obligatorische Begleitung durch einen Guide Präsenz von Rangern Bußgelder bei Fehlverhalten Umweltabgaben für Nutzer <?page no="114"?> Herausforderungen 115 Sanfte Maßnahmen Ablenkung/ Abschreckung: Erschwerung des Zugangs zu empfindlichen Gebieten durch natürliche Barrieren, z.B. Gräben, Bepflanzung, Aufschüttungen, Holzbarrieren oder die Gestaltung von Wegen, z.B. schlechte Wegebeschaffenheit Anreize: Schaffung von Attraktion und gut gemanagten Standorten, z.B. Aussichtspunkte, Picknickplätze, befestigte Wege, Beschilderung und gezielte Wegweisung („Honigtopf-Prinzip“) differenzierte Preisgestaltung: Erhebung erhöhter Eintrittsgebühren in der Hauptsaison oder für überlaufene Zonen Besucherinformation und Umweltbildung: Vorträge, Ausstellungen, Hinweisschilder, Lehrpfade Erläuterung von Verhaltenkodizes Empfehlung zur Mitnahme eines Guides zur Naturinterpretation gezielte Angebote von naturverträglichen Handlungsalternativen, z.B. Aussichtsplattformen, Bohlenwege durch Feuchtgebiete fehlende Erschließung oder lange Anmarschwege zu ökologisch sensiblen Gebieten Werbung bzw. Nicht- Bewerbung bestimmter Gebiete Tab. 5: Übersicht über harte und weiche Besucherlenkungsmaßnahmen (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008, RIECKENS 1996, FREYER 2010) Besuchermonitoring Ein effektives Besuchermanagement erfordert Kenntnisse über die Anzahl der Besucher, deren Aktivitäten, Verhalten und Motive. Mithilfe des Besuchermonitoring können die Besucher kontinuierlich analysiert und ihre Einflüsse auf die Natur identifiziert und quantifiziert werden. Zentrale Maßnahmen des Besuchermonitoring umfassen: die Erfassung der Besucherzahlen, der Besucherstruktur und der Besucherbedürfnisse, des Ausgabeverhaltens und der räumlichen Verteilung der Besucher im Gebiet. Die erhobenen Daten können Auskunft über die Wirksamkeit von Managementmaßnahmen geben und als Entscheidungsgrundlage für den Einsatz neuer Besuchermanagementmaßnahmen dienen (GIZ 2014: 61). Finanzierung von Schutzgebieten durch den Tourismus Sowohl die Einrichtung als auch die ständige Unterhaltung von Schutzgebieten müssen finanziert werden. Laufende Kosten umfassen Verwaltungs- und Personalkosten, die Instandhaltung von Gerätschaften und Fahrzeugen, die techni- <?page no="115"?> 116 Nachhaltiger Tourismus sche Überwachung des Gebietes und das Monitoring. Da viele Schutzgebiete nach ihrer Einrichtung kaum Einnahmen generieren, können sie die anfallenden Folge- und Betriebskosten des Schutzgebietsmanagements in der Regel nicht selbst tragen (LOFT 2009). Die Einrichtung und Unterhaltung von Schutzgebieten liegt in vielen Ländern in staatlicher Hand und wird dementsprechend durch öffentliche Mittel finanziert. In Entwicklungsländern spielt bei der Finanzierung von Schutzgebieten außerdem die finanzielle Unterstützung durch internationale Geberinstitutionen, z.B. die Weltbank, eine wichtige Rolle (EMMERTON et al. 2006: 9 ff.). Obwohl es die Aufgabe des Staates wäre, eine kontinuierliche Finanzierung für das Management von Schutzgebieten sicherzustellen, reichen die zur Verfügung gestellten Mittel oft nicht aus. Viele Schutzgebiete, selbst touristisch attraktive Gebiete, leiden unter einem Finanzierungsengpass, sind unterfinanziert und werden es unter den derzeitigen Rahmenbedingungen auch bleiben. Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern sind viele Regierungen nicht bzw. kaum in der Lage, den Schutz und das Management der Gebiete, geschweige denn die nötige Infrastruktur zu bezahlen, selbst wenn sie gewillt sind, die biologische Vielfalt ihres Landes zu bewahren. Das trifft aber zunehmend auch für Schutzgebiete in Industrieländern zu (EMMERTON et al 2006: 79). Der Finanzbedarf für ein effektives Management des weltweiten Netzes an Schutzgebieten und die Einrichtung neuer Schutzgebiete in den nächsten zehn Jahren wird auf 13 bis 16 Mrd. US-Dollar geschätzt (LOFT 2009: 27). Grund für die Finanzierungsengpässe sind konkurrierende staatliche Aufgabenerfüllungen, denen eine größere Priorität eingeräumt wird. Das gilt insbesondere für Entwicklungsländer, die mit anderen gravierenden Entwicklungsaufgaben, wie z.B. Armutsbekämpfung oder Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung, konfrontiert sind. Auch stehen in Entwicklungsländern aufgrund eines Prioritätenwechsels internationaler Entwicklungspolitik weniger internationale Mittel zur Verfügung. Während also der Finanzbedarf von Schutzgebieten infolge eines enormen Zuwachses an geschützter Fläche steigt, ist eine Stagnation der zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel zu verzeichnen. (LOFT 2009) Die Folge dieser Finanzierungslücke ist, dass viele Schutzgebiete ihre Schutzziele nicht oder nur unzureichend realisieren können. Ohne ein effektives Management kann es wiederum zu einem Verlust an wertvollen Ökosystemen und Arten kommen und die touristische Infrastruktur Schaden nehmen. Um die schlechte finanzielle Lage vieler Schutzgebiete langfristig und nachhaltige zu verbessern und eine wirkungsvolle Sicherung der biologischen Vielfalt zu gewährleisten, sind daher zusätzlich zu den bestehenden Mitteln alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen. Dem Privatsektor kommt <?page no="116"?> Herausforderungen 117 hierbei eine Schlüsselrolle zu. Vor allem der Tourismus wird aufgrund seines Eigeninteresses am Erhalt der Biodiversität als eine vielversprechende Einkommensquelle für Schutzgebiete angesehen. Der Tourismus bietet zahlreiche Möglichkeiten, um Einnahmen für Schutzgebiete und deren Management zu generieren. Das Spektrum reicht von freiwilligen Zuwendungen und Gebühren über Nutzungsvereinbarungen mit Tourismusunternehmen bis hin zu kommerziellen Aktivitäten. Eine Übersicht über die wichtigsten tourismusbezogenen Einnahmequellen für Schutzgebiete findet sich in folgender Tabelle. Möglichkeiten zur Finanzierung von Schutzgebieten durch den Tourismus Erhebung von Gebühren Eintrittsgebühren: Gebühr für den Eintritt/ Zugang zum Schutzgebiet Nutzungsgebühren: Gebühren für die Nutzung touristischer Einrichtungen oder die Ausübung von touristischen Aktivitäten im Schutzgebiet Vertragliche Nutzungsvereinbarungen Konzessionen: Vergabe eines Nutzungsrechtes einer öffentlichen Sache an Dritte gegen eine Gebühr oder die Beteiligung am Gewinn Lizenzen: Berechtigung von Dritten zur langfristigen Ausübung von Aktivitäten im Schutzgebiet, z.B. Führungen Pacht: Berechtigung zur Nutzung eines Grundstückes oder Gebäudes für einen bestimmten Zweck über einen festgelegten Zeitraum Einkünfte aus kommerziellen Aktivitäten Verkauf von Waren z.B. Souvenirs, Merchandising-Produkte, Lebensmittel, Informationsmaterial, entweder direkt durch das Schutzgebiet oder durch Händler mit prozentualer Beteiligung des Schutzgebiets Verkauf touristischer Dienstleistungen z.B. Beherbergung, Gastronomie, Führungen, Verleih von Ausrüstungsgegenständen Freiwillige Zuwendungen/ Unterstützung Spenden Gelder, z.T. auch Sachmittel oder Dienstleistungen, die von Tourismusbetrieben oder Touristen freiwillig zur Verfügung gestellt werden Sponsoring Bereitstellung finanzieller Mittel durch Unternehmen für spezielle Projekte in Gegenleistung für die Nennung ihres Namens <?page no="117"?> 118 Nachhaltiger Tourismus Landankauf durch den Erwerb von Landflächen können diese unter Schutz gestellt und vor nicht nachhaltigen Landnutzungsformen bewahrt werden Patenschaftsprogramme Übernahme von Patenschaften für bestimmte Arten oder Ökosysteme durch Touristen oder Tourismusbetriebe CO 2 -Kompensationsprogramme Ausgleichszahlungen für Treibhausgasemissionen können z.B. in Waldschutz- oder Wiederaufforstungsmaßnahmen gesteckt werden, die wiederum zum Biodiversitätsschutz beitragen Freiwilligenarbeit ehrenamtliche Helfer engagieren sich in Schutzgebieten (Volunteer-Tourism) Tab. 6: Mögliche Einnahmequellen von Schutzgebieten durch den Tourismus (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an DICKHUT 2009, GIZ 2014, WCPA 1998) Eintritts- und Nutzungsgebühren sind momentan die am weitesten verbreiteten Instrumente, um Einkommen für Schutzgebiete zu generieren. Durch die Erhebung von Gebühren können die Gebiete direkt von Touristen kontinuierliche Einnahmen erzielen (GIZ 2014: 62). In Gebieten, in denen die Besucherzahlen und auch die Eintrittsgebühren hoch sind, z.B. auf den Galapagosinseln, bieten diese Instrumente eine gute Möglichkeit, finanzielle Mittel für das Schutzgebietsmanagement bereitzustellen. In der Regel tragen die durch Eintritts- und Nutzungsgebühren erwirtschafteten Einnahmen jedoch nur zu einem geringen Teil zur Unterhaltung des Schutzgebiets bei. Es hat sich allerdings gezeigt, dass viele Schutzgebiete weltweit, vor allem in Entwicklungsländern, entweder keine oder zu niedrige Gebühren für Besucher erheben, obwohl seitens der Besucher eigentlich die Bereitschaft bestünde, höhere Preise zu zahlen (DRUMM 2007: 191 ff.). Neben Eintritts- und Nutzungsgebühren können auch Erträge aus vertraglichen Nutzungsvereinbarungen finanzielle Mittel zur Finanzierung bereitstellen. Als solche kommen vor allem Erträge aus der Vergabe von Lizenzen und Konzessionen in Betracht. Beide beruhen darauf, dass vertragliche Nutzungsrechte an Dritte vergeben werden, sei es an einer öffentlichen Sache, z.B. einer Beherbergungseinrichtung (Konzession), oder zur langfristigen Ausübung von Aktivitäten (Lizenzen). Neben der Erhebung von Gebühren und der Vergabe von Lizenzen und Konzessionen können auch kommerzielle Aktivitäten dem Schutzgebiet als Einnahmequelle dienen. Hier wären sowohl der Verkauf von Waren, z.B. Souvenirs oder Merchandising-Produkte, als auch der Verkauf von Dienstleistungen durch das Schutzgebiet, z.B. Beherbergung, Gastronomie, Verleih von Ausrüstungsgegenständen, zu nennen. <?page no="118"?> Herausforderungen 119 Eine weitere Finanzierungsquelle, die sich aus dem Tourismus ergibt, sind freiwillige Zuwendungen . Diese umfassen: Geldund/ oder Sachspenden von Touristen oder Unternehmen, Sponsoring, Landankauf, CO 2 -Kompensationsprogramme, Patenschaftsprogramme und Freiwilligenarbeit. Freiwillige Zuwendungen können den Schutzgebieten als ergänzende finanzielle Unterstützung dienen. Ihre Wirkung zur langfristigen finanziellen Unterstützung von Schutzgebieten bleibt jedoch beschränkt. Sie machen nur einen kleinen Anteil von dem aus, was notwendig wäre, um den Finanzbedarf der Gebiete zu decken und den Erhalt der Schutzgebiete zu sichern. Erschwerend kommt hinzu, dass solche freiwilligen Zuwendungen häufig zielgerichtet zu verwenden sind, weil sie z.B. an ein bestimmtes Projekte gebunden sind und einen flexiblen Einsatz der Mittel an Stellen, an denen sie dringender gebraucht würden, verhindern. (DICKHUT 2008: 85) 2.2.5 Praktische Ansätze und Instrumente für den Tourismus als Beitrag zum Biodiversitätsschutz Im Folgenden werden beispielhaft Instrumente vorgestellt, mit denen der Schutz von Biodiversität sowohl auf Destinationsals auch auf Unternehmensebene in der Tourismuspraxis verankert werden kann. Unternehmensebene Zertifizierungen Fast alle Zertifizierungssysteme für nachhaltigen Tourismus enthalten in unterschiedlichem Maße auch Kriterien zum Schutz der Biodiversität. Die Zertifizierungen berücksichtigen einerseits Kriterien, die generell den Erhalt der Biodiversität, die Kompensation negativer Auswirkungen und die Sensibilisierung von Gästen zu diesem Thema fordern. Andererseits werden spezifische, betriebsbezogene Anforderungen gestellt, bspw. die Verwendung einheimischer Pflanzen in Grünanlagen, der Verzicht auf das Angebot bestimmter Produkte, z.B. Delfin- und Orca-Shows oder das Verbot des Kaufs und der Verarbeitung von Produkten, die aus artenschutzrechtlicher Sicht bedenklich sind. Anerkannte Zertifizierungen für Anbieter nachhaltiger Tourismusprodukte sind z.B. das Global Sustainable Tourism Council (GSTC), TourCert für Reiseveranstalter und Reisebüros, viabono für Hotels und Gaststätten sowie Ecocamping für Campingplätze (siehe auch Kapitel 3.1.4). Eine spezielle Zertifizierung für touristische Unternehmen, die zum Schutz der Biodiversität beiträgt, existiert bislang jedoch nicht. <?page no="119"?> 120 Nachhaltiger Tourismus European Business & Biodiversity Campaign (Europa) Die European Business & Biodiversity Campaign hat zum Ziel, die Wirtschaft für einen aktiven Schutz von Biodiversität zu gewinnen und Unternehmen bei der Umsetzung eines nachhaltigen Biodiversitätsmanagements zu unterstützen. Die Kampagne zeigt Möglichkeiten auf, wie das Thema Biodiversitätsschutz effektiv in Unternehmensstrategie und Betrieb integriert werden kann. Mit verschiedenen Maßnahmen wirkt sie darauf hin, dem Natur- und Artenschutz innerhalb bereits existierender Zertifizierungssysteme mehr Gewicht zu verleihen. Als praktisches Handwerkszeug wurde ein Biodiversitäts-Check für Unternehmen entwickelt, dem sich auch Tourismusunternehmen unterziehen können. Dieser Check bietet Unternehmen die Möglichkeit, die Auswirkungen einzelner Unternehmensbereiche auf die biologische Vielfalt zu überprüfen und diesbezüglich potenzielle Chancen und Risiken aufzuzeigen. Er kann ihnen als eine erste Orientierung dienen, wie sie bezüglich des Themas Biodiversitätsschutz aufgestellt sind. Auf der Kampagnen-Website finden sich branchenbezogene Informationsblätter zum Download. Die Kampagne bietet auch branchenspezifische Seminare an und zertifiziert naturnah gestaltete Firmengelände. Sie ist bestrebt, auf lokaler und europäischer Ebene Kooperationen zwischen NGOs und Unternehmen zum Biodiversitätsschutz zu entwickeln. Die Kampagne wurde von einem Konsortium aus europäischen Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen unter der Federführung der Naturschutzorganisation Global Natur Fund initiiert (BUSINESS & BIODIVERSI- TY CAMPAIGN 2014). Partner der Nationalen Naturlandschaften (Deutschland) Die Initiative Partner der Nationalen Naturlandschaften wurde 2006 durch Europarc Deutschland e.V. ins Leben gerufen. Bei der Initiative handelt sich um ein Programm zum Aufbau von Kooperationen zwischen den Nationalen Naturlandschaften, also Naturparks, Nationalparks und Biosphärenreservaten, und regional ansässigen Betrieben, die in Großschutzgebieten oder in deren Umfeld natur- und umweltverträglich wirtschaften und Schutzgebietsverwaltungen bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit unterstützen. Die Auswahl und Auszeichnung der Partnerbetriebe basiert auf bundesweit einheitlichen Mindestanforderungen, welche die folgenden Themenbereiche umfassen: Identifikation mit dem Gebiet, Umweltorientierung & Regionalität sowie Qualität und Service der angebotenen Leistungen. Diese Mindestkriterien werden durch gebietsspezifische Anforderungen für die lokalen Partnerbetriebe ergänzt. Das Programm sieht vor, den Schutz der Gebiete und den Erhalt ihrer Biodiversität mit einer nachhaltigen Nutzung, u.a. durch den Tourismus, in Einklang zu bringen. Derzeit sind circa 800 Partnerbetriebe in 21 Schutzgebieten an <?page no="120"?> Herausforderungen 121 dem Programm beteiligt, die Tendenz ist steigend (PARTNER NATIONALE NATURLANDSCHAFTEN 2014). Destinationsebene Bundeswettbewerb Nachhaltige Tourismusregionen Im Rahmen des Bundeswettbewerbs Nachhaltige Tourismusregionen werden deutsche Tourismusregionen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsperformance bewertet. Bei der Bewertung der Regionen wird besonderer Wert darauf gelegt, dass nachhaltige Reiseregionen effizient mit ihren natürlichen Ressourcen umgehen und sich dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt und dem Erhalt des Natur- und Kulturerbes besonders verpflichtet haben. Die Auslobung eines „Sonderpreises Biodiversität“ unterstützt diese Schwerpunktsetzung. Der Bundeswettbewerb ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) und dem Deutschen Tourismusverband (DTV), an dem sich alle Tourismusregionen in Deutschland beteiligen können. Detaillierte Ausführungen zum Bundeswettbewerb sind in Kapitel 3.2 dargestellt (BUN- DESWETTBEWERB NACHHALTIGE TOURISMUSREGIONEN 2014). Europäische Charta für nachhaltigen Tourismus in Schutzgebieten Die Europäische Charta für nachhaltigen Tourismus in Schutzgebieten wird von der Föderation EUROPARC vergeben. Sie ist eine Auszeichnung europäischer Großschutzgebiete, also Nationalparks, Naturparks und Biosphärenreservate, die sich für einen nachhaltigen Tourismus in ihren Gebieten engagieren. Die Charta umfasst insgesamt zehn Prinzipien, auf deren Basis die Schutzgebiete einen nachhaltigen Tourismus entwickeln und umsetzen können. Im Sinne eines praktischen Managementinstrumentes liegt der Schwerpunkt der Charta auf der Bewertung des Prozesses vom Ist-Zustand hin zu einem nachhaltigen Tourismus und nicht, wie bei den herkömmlichen Gütesiegeln, auf der Einhaltung eines Status quo anhand festgeschriebener Kriterien. Die Charta sieht außerdem die Zusammenarbeit mit Tourismusunternehmen vor, die sich als sogenannte Partnerbetriebe haben zertifizieren lassen. Mehr Informationen zur Europäischen Charta für nachhaltigen Tourismus und ihrer Prinzipien sind in Kapitel 3.2 zu finden (EUROPARC FEDERATION 2014). Fahrtziel Natur Fahrtziel Natur ist eine gemeinsame Initiative der drei Umweltverbände Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) e.V., Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V. und Allgemeiner Deutscher Fahrradclub (ADFC) e.V. in Koope- <?page no="121"?> 122 Nachhaltiger Tourismus ration mit der Deutschen Bahn. Sie bietet Reisen in ausgewählte Großschutzgebiete in Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Hierbei wird angestrebt, in diesen Gebieten einen naturnahen und umweltverträglichen Tourismus aktiv zu fördern und dadurch zu einer langfristigen Sicherung des Naturerbes und des Erhalts der Artenvielfalt beizutragen. Gleichzeitig sollen Großschutzgebiete als attraktive und umweltfreundlich erreichbare Reiseziele in der Öffentlichkeit bekannter gemacht werden. Die Reisen zeichnen sich durch eine umweltverträgliche An- und Abreise mit der Bahn, umweltfreundliche Unterkunftsmöglichkeiten, nachhaltige Mobilitätsangebote vor Ort sowie durch Schutzgebietsführungen und die Besichtigung regionaler Besonderheiten aus. Mit dem Fahrtziel-Natur-Award werden besonders innovative Projekte in Fahrtziel-Natur-Gebieten ausgezeichnet, die einen herausragenden Beitrag zur Vernetzung und Verbesserung nachhaltiger touristischer Angebote und Mobilitätslösungen leisten. Der Award soll einen Anreiz schaffen, das Engagement für nachhaltige touristische Angebote weiter zu fördern und bestehende Angebote bekannt zu machen (VCD 2014). Weiterführende Lesetipps BfN - BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ (2009) [Hrsg.]: Nachhaltiger und naturverträglicher Tourismus - Strategien, Erfolgsfaktoren und Beispiele zur Umsetzung. Naturschutz und Biologische Vielfalt Heft 79. Bonn - Bad Godesberg. BUCHWALD.K./ ENGELHARDT, W. (1998) [Hrsg.]: Freizeit, Tourismus und Umwelt. Reihe Umweltschutz - Grundlagen und Praxis, Band 11. Bonn. NATURKAPITAL DEUTSCHLAND - TEEB.DE (2012): Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft - Eine Einführung. Ifuplan. München. LeHelmholz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ: Leipzig. Bundesamt für Naturschutz: Bonn. HONEY, M. (2008): Ecotourism - Who owns paradise? 2nd Edition. STRASDAS, W. (2002): The Ecotourism Training Manual for Protected Area Managers. German Foundation for International Development (DSE). Zschortau. TAPPER, R./ COCHRANE, J. (2005): Forging Links between Protected Areas and the Tourism Sector - How tourism can benefit conservation. UNEP. Paris, France. Verfügbar unter: http: / / www.unep.fr/ shared/ publications/ pdf/ DTIx0591xPA- ForgingLinks.pdf <?page no="122"?> Herausforderungen 123 WWF - WORLD WILDLIFE FUND DEUTSCHLAND (2014) [Hrsg.]: Reisen und Schützen - Wie kann Tourismus finanziell zum Schutz des Wattenmeeres beitragen? Berlin, Deutschland. Verfügbar unter: http: / / www.prowad.org/ system/ files/ Fi- Studie_DE_online.pdf Literatur Bauer, B. (2010): Biodiversität. Bern/ Stuttgart/ Wien. BfN - Bundesamt für Naturschutz [Hrsg.] (1997): Biodiversität und Tourismus. Konflikte und Lösungsansätze an den Küsten und Weltmeeren. Berlin/ Heidelberg. Buchwald, K. & Engelhardt, W. (1998) [Hrsg.]: Freizeit, Tourismus und Umwelt. Reihe Umweltschutz - Grundlagen und Praxis. Band 11. Bonn. CBD & UNEP - Convention on biological Diversity and United Nations Environment Program [Hrsg.] (2004): Protected Areas and Biodiversity. An overview of key issues. Montreal, Canada and Cambridge, UK. Verfügbar unter: www.unepwcmc.org/ resources/ publications/ pa_biodiv/ protected_areas_bioreport.pdf [Zugriff am 04.08.2014] Costas, C., Hillel, O., Matus, S. & Sweeting, J. (2003): Tourism and Biodiversity - Mapping Tourism’s Global Footprint. Published by Conservation International and United Nations Environment Programme. Washington D.C., USA and Paris, France. Verfügbar unter: http: / / www.unep.org/ PDF/ Tourism-and-biodiversity.pdf [Zugriff am: 04.08.2014] Dickhut, H. (2008): Tourism and biodiversity conservation: - Financing opportunities for tour operators to voluntarily contribute to protected areas in developing countries. Masterarbeit im Studiengang Nachhaltiges Tourismusmanagement der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. unveröffentlicht. Dickhut, H. (2009): Tourismus und Schutz der Biodiversität - Möglichkeiten von Reiseveranstaltern zur freiwilligen Finanzierung von Schutzgebieten in Entwicklungsländern. In: BfN - Bundesamt für Naturschutz [Hrsg.]: Nachhaltiger und naturverträglicher Tourismus - Strategien, Erfolgsfaktoren und Beispiele zur Umsetzung. Naturschutz und Biologische Vielfalt Heft 79. Bonn - Bad Godesberg. Drumm, A. (2007): Tourism-based Revenue Generation for Conservation. In: Bushell, R. and Eagles, P.F.J. [Hrsg.]: Tourism and Protected Areas - Benefits beyond Boundaries. CAB International. Oxfordshire, UK and Cambridge, USA. <?page no="123"?> 124 Nachhaltiger Tourismus Emerton, L., Bishop, J. & Thomas, L. (2006): Sustainable Financing of Protected Areas: A global review of challenges and options. Best Practice Protected Area Guidelines Series No. 13. Series Editor: Peter Valentine, IUCN, Gland, Switzerland and Cambridge, UK. Verfügbar unter: http: / / www.conservationfinance.org/ Documents/ CF_related_ papers/ sustainable-financing-23feb.pdf [Zugriff am: 14.08.2014] Eppler Wood (2002): Ecotourism - Principles, Practices & Policies for Sustainability. United Nations Environment Programme (UNEP), Paris/ The International Ecosystem Society (TIES). Burlington, USA. Verfügbar unter: http: / / www.unep.fr/ shared/ publications/ other/ WEBx0137xPA/ part-one.pdf [Zugriff am: 20.08.2014] Freyer, W. (2009): Tourismus - Einführung in die Fremdenverkehrsökonomie. München/ Wien. GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH (2014) [Hrsg.]: Handbuch Entwicklungsplanung in der Entwicklungszusammenarbeit - Herausforderungen, Beratungsansätze, Praxisbeispiele, Instrumente. Sektorvorhaben Nachhaltige Entwicklung durch Tourismus. Eschborn. Verfügbar unter: http: / / www.giz.de/ fachexpertise/ downloads/ giz2014-detourismus-handbuch.pdf [Zugriff am: 14.08.2014] IUCN - International Union for Conservation of Nature (1994): Richtlinien für Management-Kategorien von Schutzgebieten. Nationalparkkommission mit Unterstützung des WCMC, IUCN. Gland, Schweiz und Cambridge, Großbritannien, FONAD, Grafenau, Deutschland. X + 23 Seiten. Verfügbar unter: http: / / data.iucn.org/ dbtw-wpd/ edocs/ 1994-007-De.pdf [Zugriff am: 04.08.2014] Loft, L. (2009): Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt - Synergien zwischen internationalem Biodiversitäts- und Klimaschutzrecht. Schriftenreihe Naturschutz und Recht, Band 12. [Hrsg.] Louis, H.W. & Schumacher, J. Berlin/ Heidelberg. Millenium Ecosystem Assessment (2003) [Hrsg.]: Ecosystems and Human Well- Being: A Framework for Assessment. Washington D.C., USA. Müller, H. (2007): Tourismus und Ökologie - Wechselwirkungen und Handlungsfelder. München, Germany and Wien, Austria. Naturkapital Deutschland - TEEB DE (2012): Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft - Eine Einführung. München, ifuplan. Leipzig, Helmholz- Zentrum für Umweltforschung - UFZ; Bonn, Bundesamt für Naturschutz. Niekisch, M. (1998): Erhalt von Schutzgebieten durch den Tourismus. In: Rauschelbach, B. [Hrsg.]: (Öko)-Tourismus: Instrument für eine nachhaltige Entwicklung? Plachter, H. (1991): Naturschutz. Stuttgart/ Jena. <?page no="124"?> Herausforderungen 125 Primack, R. B. (1995): Naturschutzbiologie. Heidelberg/ Berlin, Deutschland und Oxford, Großbritannien. Riekens, S. (1996): Besucherlenkung im naturnahen Raum. Lösungsansätze für den Konflikt Erholung - Naturschutz. Rüsselsheim. SCBD - Secretariat of the Convention on Biological Diversity (2004): Guidelines on Biodiversity and Tourism Development. Secretariat of the Convention on Biological Diversity, Montreal, Canada. Verfügbar unter: http: / / www.cbd.int/ doc/ publications/ tou-gdl-en.pdf [Zugriff am: 27.08.2014] Scharpf, H. (1998): Tourismus in Großschutzgebieten. In: Buchwald, K. & Engelhardt, W. [Hrsg.]: Freizeit, Tourismus und Umwelt. Reihe Umweltschutz - Grundlagen und Praxis. Bonn. Strasdas, W. (2001): Ökotourismus in der Praxis. Zur Umsetzung der sozioökonomischen und naturschutz-politischen Ziele eines anspruchsvollen Entwicklungskonzeptes in Entwicklungsländern. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V., Amerland, Deutschland. Strasdas, W. (2002): The Ecotourism Training Manual for Protected Area Managers. German Foundation for International Development (DSE).- Zschortau. Strasdas, W. & Zeppenfeld, R. (2008): Nachhaltiger Tourismus. Studienbrief. Fernstudium Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit. Technische Universität Kaiserslautern. TIES - The International Ecotourism Society (1993): Ecotourism - A Guide for Planers and Managers, Volume 1. Lindberg, K. & Hawkins, D. [Hrsg.], North Bennington, Vermont, USA. United Nations (1992): Convention on Biological Diversity. Verfügbar unter: https: / / www.cbd.int/ doc/ legal/ cbd-en.pdf [Zugriff am 04.08.2014] WCPA - Task force on economic benefits of protected areas of the World commission on Protected Areas (WCPA) of IUCN, in collaboration with the economics service unit of IUCN (1998): Economic Values of Protected Areas: Guidelines for Protected Area Managers. Best Practice Protected Area Guidelines Series No. 2. Series Editor: Adrian Philips, IUCN, Gland, Switzerland and Cambridge, UK. Verfügbar unter: http: / / www.undp.org/ bpsp/ thematic_links/ IUCN7.pdf [Zugriff am: 04.08.2014] Internet BfN - Bundesamt für Naturschutz (2014) http: / / www.bfn.de/ BMU - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2014): http: / / www.bmu.de/ naturschutz_biologische_vielfalt/ teeb/ doc/ 43001.php <?page no="125"?> 126 Nachhaltiger Tourismus Bundeswettbewerb Nachhaltige Tourismusregionen (2014): http: / / www.bundeswettbewerb-tourismusregionen.de/ Business & Biodiversity Campaign (2014): http: / / www.business-biodiversity.eu Conservation International (2014): http: / / www.conservation.org/ How/ Pages/ Hotspots.aspx DGVN - Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (2014): http: / / www.dgvn.de/ themenschwerpunkte/ biodiversitaet/ Europarc Federation (2014): http: / / www.europarc.org European Wilderness Societey (2014): http: / / wilderness-society.org/ Partner Nationale Naturlandschaften (2014): http: / / partner.nationale-naturlandschaften.de/ Spektrum.de (2014) http: / / www.spektrum.de/ lexikon/ biologie/ artensterben/ 5204 TEEB - The Economics of Ecosystem and Biodiversity (2014): http: / / www.teebweb.org/ VCD - Verkehrsclub Deutschland e.V. (2014) http: / / www.vcd.org/ WWF - World Wildlife Fund for Nature (2014): http: / / www.wwf.de/ themen-projekte/ biologische-vielfalt/ reichtum-dernatur/ der-wert-der-vielfalt/ <?page no="126"?> 2.3 Ökonomische Nachhaltigkeit in der Tourismuswirtschaft von Dr. Mathias Feige, MSc Hannes Antonschmidt Lernziele In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Welche Kritikpunkte ergeben sich aus den traditionellen Ansätzen der Betriebswirtschaft? Wie lauten die wesentlichen Grundsätze nachhaltiger Betriebswirtschaft? Welche Instrumente stehen zur Nachhaltigkeitssteuerung auf betrieblicher Ebene zur Verfügung? Was sind die Besonderheiten des Tourismus unter ökonomischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten? Wie lassen sich ökonomische, ökologische und soziale Aspekte mit der Sustainability Balanced Scorecard systematisieren und messen? 2.3.1 Einleitung und theoretischer Hintergrund Wurden Unternehmen in der Vergangenheit in der Regel auf ihre Funktion als Produzenten von Waren und Dienstleistungen reduziert, rückt spätestens seit dem viel beachteten vierten Sachstandsbericht „Klimaänderung 2007“ des Weltklimarates (IPCC) nun ihre soziale und ökologische Rolle stärker in den Fokus. Denn tatsächlich stehen Unternehmen seit jeher mit ihrer Umgebung in komplexen Austauschbeziehungen, die über rein ökonomische Prozesse hinausgehen. Umwelt- und soziale Aspekte sind für Unternehmen schon immer relevant gewesen, bspw. über die Nutzung natürlicher Ressourcen oder die Anstellung von Mitarbeitern. Allerdings veränderten sich im Laufe der Zeit die Dimensionen: So ging die enorme Steigerung der Produktivität seit der Industrialisierung mit einer ebenso rasanten Steigerung des Ressourcenverbrauchs einher, die die Frage nach deren Endlichkeit schnell akut werden ließ. Gleichzeitig warfen die besagten Produktivitätssteigerungen Fragen nach der Verteilung des erwirtschafteten Wohlstands bzw. der zur Erwirtschaftung notwendigen Lasten auf. Beide Entwicklungen führten zu einem gesteigerten Interesse der Wirtschaftswissenschaften und insbesondere der Betriebswirtschaftslehre, sich mit der theoreti- <?page no="127"?> 128 Nachhaltiger Tourismus schen Einordnung ökologischer und sozialer Aspekte stärker als bisher auseinanderzusetzen und praktische Ansätze zu deren Bewältigung zu entwickeln. Traditionelle Ansätze der Betriebswirtschaft An dieser Stelle sollen aus den zahlreichen betriebswirtschaftlichen Theorien zwei wesentliche Denkansätze vorgestellt werden, die die Sichtweise auf die Rolle des einzelnen Betriebes im Wirtschaftssystem und damit die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft entscheidend beeinflusst haben: der faktortheoretische Ansatz Erich Gutenbergs sowie der Shareholder-Value-Ansatz Alfred Rappaports. Ein wesentlicher traditioneller Ansatz der Betriebswirtschaft in Deutschland geht auf den Wirtschaftswissenschaftler Erich Gutenberg (1897-1984) zurück. Dieser systematisierte die bestehenden, häufig aus der Praxis entwickelten Modelle und untersetzte sie mit einem theoretischen Fundament. Gutenberg interpretierte die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft der Beziehung zwischen den einzelnen betrieblichen Produktionsfaktoren. Dazu zählen Betriebsmittel (Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Zahlungsmittel) und Werkstoffe (Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe) ebenso wie der Faktor Arbeit, der sich in dispositive (Leitungsfunktionen wie Planung, Organisation, Kontrolle) und objektbezogene Arbeit (ausführende Arbeit am Produkt) unterteilt. Ziel des betrieblichen Wirtschaftens ist es demnach, diejenige Kombination der Produktionsfaktoren zu finden, die den monetären Gewinn maximiert. Das Unternehmen steht dabei im Mittelpunkt einer Input-Output-Beziehung (vgl. GUTENBERG 1951). Abb. 1: Der Betrieb als Input-Output-Modell (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an GUTENBERG 1951) Kerngedanke der Theorie ist, dass das Unternehmen ein ausschließlich rationaler Akteur ist. Die innerbetrieblichen Abläufe folgen damit ebenso wie die Handlungen des Unternehmens im Wettbewerbsumfeld dem Prinzip der Nutzen- oder Gewinnoptimierung. Daraus folgt die Entwicklung rational-logischer, <?page no="128"?> Herausforderungen 129 mathematisch exakter Modelle zur Optimierung innerbetrieblicher Teilbereiche und ihrer Kombination (vgl. ERNST 2013). Ein Ergebnis funktionalen Optimierungsstrebens ist die Trennung zwischen Arbeit und Kapital. Daraus resultiert die Aktiengesellschaft als heute dominierende Organisationsform bei Großunternehmen. Die Anteilseigner (Aktionäre) greifen dabei nicht direkt in das Unternehmenshandeln ein. Dies führt dazu, dass sich die Beziehung zwischen Aktionären und Unternehmen weitgehend anonymisiert hat und auf finanzielle Austauschprozesse reduziert ist: Als Kapitalgeber sind die Aktionäre i.d.R. hauptsächlich an ihrer Vergütung durch Gewinnausschüttungen (Dividenden) und/ oder Kurssteigerungen der Aktien interessiert. Aufbauend auf der zentralen Bedeutung der Aktionäre für das Unternehmen entwickelten die US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Alfred Rappaport und Joel Stern den sog. Shareholder-Value-Ansatz. Die Befriedigung der Ansprüche der Aktionäre steht dabei im Mittelpunkt und wird oberstes Ziel des betrieblichen Wirtschaftens. Der Shareholder-Value (dt. Aktionärswert) ergibt sich dabei aus den zu erwartenden Gewinnen des Unternehmens, die den Marktwert des Eigenkapitals bestimmen. Er bestimmt damit auch den Aktienwert eines Unternehmens. In der Praxis führt eine Orientierung am Shareholder-Value-Konzept, vereinfacht gesprochen, zu einer Nutzung des Aktienkurses als Indikator für die Qualität des Unternehmenshandelns: Erfolgreiches Unternehmenshandeln erhöht den Aktienkurs, erfolgloses senkt ihn (vgl. RAPPA- PORT 1986). Von der traditionellen zur nachhaltigen Betriebswirtschaft Die Ansätze nachhaltiger Betriebswirtschaft sind Reaktionen auf die Wesensmerkmale der traditionellen Betriebswirtschaft. Ansatzpunkte für Kritik und den Ruf nach Reformen sind vor allem [1] die streng rationale Sicht auf das Unternehmen und daraus folgend das einseitige Verhältnis zwischen Unternehmen und Umwelt bzw. Gesellschaft. Deutlich wird diese Sichtweise anhand eines berühmten Zitats des amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman (1912-2006) schon im Jahr 1970: „The social responsibility of business is to increase its profits.“ (Dt.: „Die soziale Verantwortung der Wirtschaft ist es, ihre Profite zu vergrößern.“ The New York Times Magazine, 13. September 1970), [2] die Annahme unbegrenzten Wachstumspotenzials, das sich aus der unbegrenzten Verfügbarkeit der Input-Güter, der unbegrenzten Absetzbarkeit der Output-Güter sowie der unendlichen Steigerbarkeit des Input-Output- Verhältnisses durch Produktivitätsverbesserungen ableitet, <?page no="129"?> 130 Nachhaltiger Tourismus [3] die Bevorzugung der Aktionäre gegenüber anderen Anspruchsgruppen sowie die nahezu ausschließliche Orientierung an der Aktienkursentwicklung zur Beurteilung des Unternehmenserfolgs und damit der Einnahme einer kurzfristigen Perspektive, z.B. durch die Orientierung an den Ergebnissen jeweils eines Geschäftsjahres. Ambivalenz unternehmerischer Entscheidungen Kurzfristig können auch ethisch zweifelhafte und langfristig schädliche Entscheidungen den Aktienkurs nach oben treiben. Beispiele hierfür sind die Entlassung von Mitarbeitern oder die Verwendung minderwertiger Materialien. Beide Maßnahmen können Kosten senken und die Gewinne und damit den Kurs kurzfristig steigern. Die Folgen, die durch den Verlust an Wissen sowie Qualitätsmängel entstehen, können das Unternehmen aber langfristig gefährden. Die resultierenden ökonomischen Nachteile können die kurzfristigen Vorteile dabei deutlich übertreffen. Da Aktionäre ihre Investments in dynamischen Kapitalmärkten jedoch schnell und einfach verkaufen können, können sie sich diesem Risiko relativ mühelos entziehen (vgl. SCHITTENHELM 2013). Eine Analogie aus dem Bereich Tourismus ist die Baleareninsel Mallorca. Günstige Pauschalangebote führten dazu, dass Teile der Insel von zahlreichen Partytouristen bevölkert wurden, die Geld in die Kassen spülten. Gleichzeitig erwarb sich Mallorca allerdings ein zweifelhaftes Image rund um Alkoholkonsum und schlechtes Benehmen. Der daraus folgende Reputationsverlust muss heute mit teuren Prestigeprojekten, Re-Investitionsprogrammen, Qualitätsinitiativen und Imagekampagnen kompensiert werden. Aus den genannten Wesensmerkmalen folgt als fundamentaler Kritikpunkt, dass soziale oder ökologische Belastungen, die das Unternehmen hervorruft, dieses aber nicht direkt bzw. außerhalb bestimmter Zeiträume betreffen, keine Beachtung finden. Durch das Unternehmen verursachte Probleme in diesen Bereichen werden externalisiert, d.h. die Verantwortung dafür an Dritte (z.B. den Staat bzw. die Bürger) delegiert, die diese in Form von Kosten bzw. meist finanzieller Entschädigungen tragen oder eine Verschlechterung ihrer Lebensqualität hinnehmen müssen (PINDYCK/ RUBINFELD 2009). <?page no="130"?> Herausforderungen 131 Definition Externalität Als Externalität bezeichnet man die „Auswirkung wirtschaftlicher Aktivitäten auf Dritte“ (SPRINGER GABLER VERLAG 2014). Externalitäten können sowohl positiv als auch negativ sein. Sie entstehen, wenn zwischen Verursacher und Betroffenem einer Handlung keine Verbindung über den Markt-, Preis- oder einen sonstigen Mechanismus existiert. Der Verursacher (z.B. ein Unternehmen) bezieht die Externalitäten daher nicht in seine Entscheidungsfindung ein (vgl. ebd.). Aus dieser „Entstehungsgeschichte“ der Forderung nach Ansätzen einer nachhaltigen Betriebswirtschaft wird deutlich, dass diese in der Regel als Reformen, die auf den Grundprinzipien der modernen Marktwirtschaft und ihrer Wirtschaftsordnung aufbauen, und nicht als radikale Neuerfindungen zu verstehen sind. Auch wenn es keine einheitliche Begriffsbestimmung nachhaltiger Betriebswirtschaft gibt, lässt sich in Anlehnung an die vielzitierte Definition der Nachhaltigkeit der Brundtland-Kommission der „reformierte“ Zweck der Betriebswirtschaftslehre folgendermaßen umschreiben: Nachhaltige Betriebswirtschaftslehre Eine nachhaltige Betriebswirtschaftslehre muss Unternehmen in die Lage versetzen, Entscheidungen zu treffen, die geeignet sind, die Bedürfnisse der heutigen Generationen zu befriedigen, ohne die Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung zukünftiger Generationen einzuschränken (vgl. UNWCED 1987). Dies bedeutet, dass Betriebe neben den ökonomischen auch die ökologischen und sozialen Konsequenzen ihres Handelns bei der Entscheidungsfindung einbeziehen müssen. Aus dieser groben Zweckformulierung sowie der skizzierten „Reform-Agenda“ lassen sich einige Grundprinzipien nachhaltiger Betriebswirtschaftslehre ableiten, die im Folgenden erklärt werden. Grundprinzipien nachhaltiger Wirtschaftsweise von Betrieben Langfristigkeit Auch nachhaltige Betriebe wollen finanzielle Überschüsse (sprich: Gewinn) generieren. Der Zeithorizont für ihre Erwirtschaftung ist jedoch längerfristig ausgelegt. Bei ihren Entscheidungen beachten nachhaltige Betriebe sowohl die langfristigen ökonomischen, als auch die ökologischen und sozialen Folgen ihres <?page no="131"?> 132 Nachhaltiger Tourismus Handelns. Der typische Anlagehorizont einer Aktienanlage (5 bis 10 Jahre) wird dabei deutlich überschritten: Auf Grundlage der Generationengerechtigkeit ergibt sich ein zu betrachtender Zeitabschnitt von mindestens 30 Jahren. Zusätzlich wird die Betrachtung von Unternehmensrisiken auf die Nachhaltigkeitsdimensionen Ökologie und Soziales ausgeweitet (vgl. SCHITTENHELM 2013). Vom Shareholder-Value zum Stakeholder-Value Nach dem Shareholder-Value-Ansatz stehen privatwirtschaftliche Betriebe ausschließlich ihren Eignern gegenüber in der Verantwortung und versuchen, die Gewinnerwartungen der Aktionäre zu befriedigen. Nachhaltige Unternehmen erweitern dagegen das Spektrum ihrer Anspruchsgruppen (engl. Stakeholder). Definition Stakeholder „Alle internen und externen Personengruppen, die von den unternehmerischen Tätigkeiten gegenwärtig oder in Zukunft direkt oder indirekt betroffen sind“ (SPRINGER GABLER VERLAG 2014). Stakeholder-Theorie Nach der Stakeholder-Theorie entsteht ein sozialer Aspekt aus Unternehmenssicht erst dann, wenn ein Stakeholder seinen Anspruch an das Unternehmen geltend macht. Ob dieser Anspruch für das Unternehmen auch relevant ist, hängt wiederum von der Machtposition des Stakeholders ab. Zu den Stakeholdern zählen neben den Aktionären u.a. auch Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Regierung und Verwaltung, die Medien sowie (potenziell) die gesamte Bevölkerung in der Umgebung des Unternehmens. Nachhaltige Unternehmen versuchen, mit allen Anspruchsgruppen einen gleichberechtigten Dialog zu führen und einen Ausgleich zwischen den Interessen herzustellen (vgl. SCHITTENHELM 2013). Eine grobe Systematisierung unterscheidet direkte und indirekte Stakeholder: Direkte Stakeholder sind für das Unternehmen essentiell. Ohne ihre Unterstützung droht dem Unternehmen schwerer Schaden. Zu dieser Gruppe zählen u.a. Aktionäre, Investoren, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten sowie Regierung und Verwaltung. Indirekte Stakeholder dagegen stehen nicht in unmittelbarem Austauschprozess mit dem Unternehmen und sind für dessen Fortbestand nicht unbedingt notwendig. Häufig übernehmen indirekte Stakeholder die Funktion von Vetogruppen, die in den Wi- <?page no="132"?> Herausforderungen 133 derstand gegen das Unternehmen treten können. Beispiele für indirekte Stakeholder sind die Medien oder Organisationen, die Partikularinteressen vertreten (vgl. CLARKSON 1995). Schonung natürlicher Ressourcen Wie andere Unternehmen verarbeiten auch viele nachhaltige Betriebe Rohstoffe zu Produkten bzw. verbrauchen Rohstoffe im Rahmen des Leistungserstellungsprozesses. Nachhaltige Unternehmen versuchen jedoch, den Input an Rohstoffen durch Produktivitätsverbesserungen so gering wie möglich zu halten und nach Möglichkeit kontinuierlich zu reduzieren. Ganzheitliche Nutzung des Humankapitals Nachhaltige Betriebe betrachten den traditionellen Produktionsfaktor Arbeit nicht als beliebig austauschbar. Vielmehr versuchen sie, durch die Berücksichtigung der Ansprüche der Mitarbeiter und die kontinuierliche Weiterentwicklung der personellen Ressourcen, die Wissensbasis des Unternehmens zu halten und auszubauen. Das Engagement nachhaltiger Betriebe für die Mitarbeiter beschränkt sich dabei nicht nur auf die Managementebene (vgl. ERNST 2013). Exkurs: Postwachstumsökonomie Traditionell sind Unternehmen an Gewinnmaximierung interessiert. In der Praxis heißt das, dass die Gewinne möglichst Jahr für Jahr steigen sollen. Lässt man die Produktionsweise unverändert, können höhere Gewinne aber nur mit höherem Ressourcenverbrauch erreicht werden. Die auf diese Art von Wachstum ausgelegte Wirtschaftsweise ruft seit Langem viele Kritiker auf den Plan, die auf die „Grenzen des Wachstums“ verweisen. Diese Grenzen können sozialer, ökologischer, physikalischer oder ökonomischer Natur sein und umfassen u.a. die begrenzten natürlichen Ressourcen der Erde sowie die endlichen Konsumbedürfnisse ihrer Bewohner. Auch Wirtschaftskrisen, die eine globale Ökonomie produziert, setzen dem Wachstum Grenzen, indem sie Teile des zuvor erzeugten Wohlstands vernichten (vgl. PENNEKAMP 2011). Die zahlreichen Ansätze zur Veränderung der wachstumsorientierten Wirtschaftsweise lassen sich unter dem Begriff „Postwachstumsökonomie“ zusammenfassen. Deren drei vorherrschende Strömungen unterscheiden sich darin, inwiefern und in welchem Maße sie Wachstum weiterhin zulassen. Während einige Ansätze Wirtschaftswachstum grundsätz- <?page no="133"?> 134 Nachhaltiger Tourismus lich zulassen, jedoch reduzieren wollen, streben andere nach Nullwachstum, also einer Beibehaltung des Status quo. Verfechter des Degrowth- Ansatzes halten dagegen eine kontrollierte Verringerung der Wirtschaftsleistung für angemessen (vgl. PENNEKAMP 2011). Exkurs: Gemeinwohlökonomie Unter Rückgriff auf Erkenntnisse unterschiedlichster Disziplinen (u.a. Soziologie, Psychologie, Neurophysiologie) verfolgt der Ansatz der Gemeinwohlökonomie das Ziel, eine neue Wirtschaftsethik zu etablieren, die das Gemeinwohl gegenüber dem Wohl des Einzelnen stärker gewichtet. Das Gemeinwohl soll vom „zufälligen Nebeneffekt individuellen Vorteilsstrebens […] zum intendierten privatwirtschaftlichen Zweck“ (PUFÉ 2014: 284) werden. Damit einher gehen neue Formen der betrieblichen Erfolgsrechnung: So könnte bspw. eine „Gemeinwohl-Bilanz“ die bisherigen finanzwirtschaftlich orientierten Instrumente des externen Rechnungswesens ersetzen. Folgerichtig wären diejenigen Betriebe für ihren Erfolg zu belohnen, deren Beitrag zum Gemeinwohl besonders groß ist (vgl. ebd.). Problem der Operationalisierung Die beschriebenen Ansätze und die abgeleiteten Grundprinzipien einer nachhaltigen Betriebswirtschaft legen den Fokus zwar auf den einzelnen Betrieb, sind jedoch übergeordnete, teils strategische Zielvorstellungen. Die Operationalisierung, also das Herunterbrechen von Strategien auf Teilziele und Handlungsempfehlungen, ist ein bekanntes Problem innerbetrieblicher Steuerung. Allein schon aufgrund der Mehrdimensionalität der Strategie „Nachhaltigkeit“ dürften die Schwierigkeiten bei der Umsetzung auch hier vorherrschen. Soll die praktische Umsetzung durch die Betriebe erfolgreich sein, bedarf es daher wirksamer Steuerungsinstrumente, die Entscheidungsunterstützung für das Management bieten. In den letzten Jahren hat sich eine Vielzahl von Ansätzen entwickelt. Häufig handelt es sich dabei um Modifikationen des bestehenden Instrumentariums der Betriebswirtschaftslehre. Beispiele für die Nutzung betriebswirtschaftlicher Instrumente zur Nachhaltigkeitssteuerung in Unternehmen sind: Kosten-Nutzen-Analyse Dieser häufig für Nachhaltigkeitsprojekte angewendete Ansatz vergleicht die positiven (Nutzen) und negativen (Kosten) Auswirkungen eines Projektes. Der <?page no="134"?> Herausforderungen 135 Vergleich erfolgt auf finanzieller Basis. Herausforderungen bestehen darin, den Untersuchungsbereich und -zeitraum sinnvoll abzugrenzen und geeignete Modelle für die finanzielle Bewertung insbesondere der ökologischen und sozialen Auswirkungen zu finden (vgl. BELL/ MORSE 2008). Produkt-Lebenszyklus-Analyse Bei dieser Methode steht das einzelne Produkt bzw. die einzelne Dienstleistung im Mittelpunkt. Die Auswirkungen auf verschiedene Umwelt- und Sozialbereiche werden über den kompletten Zeitraum von der Herstellung über die Nutzung bis zur Verwertung des Produkts/ der Dienstleistung systematisch erfasst und bewertet (vgl. UNEP 2014). ABC-Analyse Die ABC-Analyse dient dazu, Unternehmensentscheidungen z.B. zu Produkten oder Kunden zu erleichtern, indem diese nach ihrem jeweiligen Erfolgsbeitrag kategorisiert werden. Eine typische Einteilung lautet bspw.: A-Kunden tragen 80 % zum Unternehmensumsatz bei, B-Kunden 15 % und C-Kunden 5 %. Eine daraus abgeleitet Entscheidungsregel könnte besagen, dass die A-Kunden mit Vorrang zu bedienen sind. Es liegt nahe, mit demselben Verfahren auch den relativen Nachhaltigkeitsbeitrag einzelner Maßnahmen einzuschätzen (vgl. COLSMAN 2013). Balanced Scorecard Die BSC ist ein Instrument des Strategischen Managements, das die Strategieumsetzung im Unternehmen mess- und steuerbar machen soll. Sie unterscheidet vier miteinander verbundene Bereiche (Perspektiven), die für die Erreichung strategischer Ziele maßgeblich sind. Diese lauten in hierarchischer Reihenfolge von oben nach unten: Finanz-Perspektive, Kunden-Perspektive, Interne-Prozess-Perspektive, Lern- und Entwicklungs-Perspektive (vgl. KAPLAN/ NOR- TON 1996). Im Folgenden wird der Ansatz der Balanced Scorecard vorgestellt, da er aufgrund seiner Ganzheitlichkeit besonders gut zur Operationalisierung eines so umfassenden Konzepts wie Nachhaltigkeit geeignet scheint. Betrachtet wird als modifizierte Form die Sustainability Balanced Scorecard (SBSC). Die Leitfrage lautet dabei: Kann die SBSC das Operationalisierungsproblem überwinden und die Unternehmenssteuerung so verbessern, dass ökonomische, ökologische und soziale Ziele gleichzeitig erreicht werden können? <?page no="135"?> 136 Nachhaltiger Tourismus Weiterführende Lesetipps ERNST, D./ SAILER, U. (2013): Nachhaltige Betriebswirtschaftslehre. Konstanz. Das Lehrbuch beurteilt die bestehenden Konzepte der einzelnen betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen aus der Perspektive der Nachhaltigkeit und bietet damit einen Überblick über aktuelle Forschungsfelder und -probleme. GUTENBERG, E. (1951): Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Erster Band. Die Produktion. Berlin. Neben der erstaunlichen Aktualität ist das Werk auch wirtschaftsgeschichtlich von Interesse, da es die Veränderungen der Betriebswirtschaftslehre von einer produktionsorientierten zu einer stärker marktorientierten Ausrichtung deutlich werden lässt. KAPLAN, R./ NORTON, D. (1996): The Balanced Scorecard: Translating Strategy into Action. Boston. Das Originalwerk bietet vertiefte Hintergründe zur Entstehung des Konzepts der Balanced Scorecard und verdeutlich dessen Anwendung anhand zahlreicher Anwendungsbeispiele. RAPPAPORT, A. (1986): Creating Shareholder Value. The New Standard for Business Performance. New York. Das originäre Werk bietet die Möglichkeit, den viel kritisierten Shareholder-Value- Ansatz unverfälscht in seinen Grundzügen nachzuvollziehen. WÖHE, G./ DÖRING, U. (2013): Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. München. Ein Standardwerk der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, das das ganze Fachgebiet abdeckt und grundlegende betriebliche Entscheidungsprobleme in verständlicher Sprache erklärt. 2.3.2 Von der Balanced Scorecard zur Sustainability Balanced Scorecard Um den Strategieumsetzungsprozess zu verbessern, entwickelten die Amerikaner Robert S. Kaplan und David P. Norton Anfang der 1990er Jahre die sogenannte Balanced Scorecard (BSC). Die vor der Entwicklung der BSC häufig anzutreffende Praxis, bei der strategischen Unternehmenssteuerung lediglich die Finanzperspektive als Indikator für Ad-hoc-Veränderungen in einzelnen Unternehmensbereichen zu nutzen, wurde den sich wandelnden Erfordernissen des beginnenden Informationszeitalters kaum noch gerecht (vgl. KAPLAN/ NOR- <?page no="136"?> Herausforderungen 137 TON 1996). Als Reaktion darauf gab eine Gruppe amerikanischer Großunternehmen (darunter u.a. Apple, General Electric, Hewlett-Packard) eine wissenschaftlich gestützte Studie in Auftrag, die neue Ansätze zur Unternehmenssteuerung liefern sollte. Abb. 2: Grundstruktur einer Balanced Scorecard (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an KAPLAN/ NORTON 1992: 72) <?page no="137"?> 138 Nachhaltiger Tourismus Die Innovation der BSC besteht darin, alle Unternehmensressourcen in die strategische Steuerung einzubeziehen und vor allem neben finanziellen auch nicht-finanzielle Erfolgsfaktoren des Strategieumsetzungsprozesses zu berücksichtigen. Dies entsprach zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung einer fundamentalen Veränderung des traditionellen Verständnisses der Betriebswirtschaftslehre. Kerngedanke ist, dass es einen kausalen, hierarchischen Zusammenhang zwischen der Zielerreichung innerhalb der Perspektiven und der Verwirklichung der Strategie gibt. Das Oberziel, die Wertschöpfung, vollzieht sich demnach über mehrstufige Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen den Ressourcen des Unternehmens. Weiteres wichtiges Grundprinzip ist die Messung der Zielerreichung, denn es gilt: „Was man nicht messen kann, kann man auch nicht steuern.“ Schon der systematische Prozess der Erstellung einer BSC leistet einen Beitrag zur Strategieorientierung des Unternehmens. Die BSC kann damit als Führungsinstrument bezeichnet werden, welches das ganze Unternehmen auf seine strategische Positionierung im Wettbewerb ausrichtet (vgl. KAPLAN/ NORTON 1992). Der Tourismus als Anwendungsfeld der Sustainability Balanced Scorecard Wie ihr Name bereits verrät, ist die SBSC eine Weiterentwicklung der BSC. Als solche versucht sie, auch Umwelt- und Sozialaspekte über Ursache-Wirkungs- Beziehungen mit der Unternehmensstrategie zu verbinden. Als Instrument des Strategischen Nachhaltigkeitsmanagements ist die SBSC dabei ebenfalls am Prinzip der Nutzenmaximierung für das Unternehmen orientiert. Grundannahme einer SBSC ist analog zur BSC, dass monetäre und nicht-monetäre Ziele sich gegenseitig unterstützen oder zumindest nicht widersprechen. Um wirksam zu sein, muss eine SBSC dabei nicht nur die Besonderheiten des Wirtschaftszweigs, für den sie genutzt werden soll, berücksichtigen, sondern gleichzeitig in einem zweiten Schritt betriebsspezifisch angepasst werden. Als Beispielunternehmen aus dem Beherbergungsgewerbe dienen dabei die Jugendherbergen des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH). Beispielunternehmen: Die DJH-Jugendherbergen Das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) ist bundesweit in 14 Landesverbänden organisiert. Die Landesverbände sind selbstständige, gemeinnützige Vereine und erfüllen in ihrem Bereich die Aufgaben des Deutschen Jugendherbergswerkes wie Bau und Betrieb von Jugendherbergen und das Erstellen von Programmangeboten. Deutschlandweit werden insgesamt 513 DJH-Jugendherbergen betrieben (DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, HAUPTVER- BAND FÜR JUGENDWANDERN UND JUGENDHERBERGEN E.V 2014). <?page no="138"?> Herausforderungen 139 Merkmal Anzahl Jugendherbergen 513 Betten 75.435 Übernachtungen 10.104.832 Mitglieder 2.315.590 Mitarbeiter 5.859 Tab. 1: Kennzahlen der Jugendherbergen 2013 (Quelle: DEUTSCHES JUGENDHER- BERGSWERK, HAUPTVERBAND FÜR JUGENDWANDERN UND JUGENDHERBERGEN E.V. 2014: 28) Branchenspezifika Der Tourismus und das Beherbergungsgewerbe als einer seiner Teilbereiche sind Dienstleistungsbranchen. Dienstleistungen lassen sich im Gegensatz zur Industrie kaum in einem einfachen Input-Output-Modell fassen. Es gelten insbesondere folgende Besonderheiten (vgl. KOTLER ET AL. 2007): Dienstleistungen sind nicht lagerfähig, d.h. sie müssen ad hoc bereitgestellt werden, wenn die Nachfrage auftritt. Für den Tourismus typisch ist ferner die oft starke Saisonalität der Nachfrage, die hohe Ansprüche an die Flexibilität der Leistungserbringung und insbesondere die Mitarbeiter stellt. Die Produktion und der Konsum von Dienstleistungen erfolgen (nahezu) gleichzeitig. Als Beispiel kann der Bedienvorgang im Restaurant angeführt werden: Der Kellner bringt die Getränke an den Sitzplatz und produziert damit die Dienstleistung, die der Kunde zeitgleich in Anspruch nimmt. Der Kunde ist Teil des Wertschöpfungsprozesses. Seine Interaktion mit dem Mitarbeiter ist Voraussetzung für die Erbringung der Dienstleistung. Beispiel Restaurant: Der Kellner kann seine Dienstleistungen nicht erbringen, wenn kein Gast im Speissaal sitzt. Für die Formulierung der SBSC spielen ferner insbesondere folgende Aspekte touristischer Betriebe eine Rolle: Umweltaspekte Jedes Unternehmen greift kraft seiner Existenz in seine natürliche Umwelt ein. Die physikalisch-chemischen Einwirkungen des Leistungserstellungsprozesses erzeugen dabei fast zwangsläufig ökologische Belastungen. Akute Bedeutung für <?page no="139"?> 140 Nachhaltiger Tourismus einen Betrieb erlangen diese Auswirkungen dann, wenn in der Gesellschaft ein entsprechendes Bewusstsein für Umweltprobleme vorherrscht, es also Personen(gruppen) gibt, die Ansprüche an das Unternehmen hinsichtlich seines Umgangs mit der Umwelt stellen. Wie weit dessen Verantwortung reicht, hängt ebenfalls von den Erwartungen der Anspruchsgruppen ab. In der Regel wird dem Unternehmen die Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus seiner Produkte zugerechnet. Als klassische Umwelt-Problemfelder des Tourismus gelten Primärenergieverbrauch, Flächennutzung, Verlust an Biodiversität, Abfall, Wasserverbrauch und Lärmbelästigung (vgl. ÖKO-INSTITUT E.V. 2001). Über ihr Angebot erhalten und erhöhen Tourismusbetriebe die Lebensqualität in den Zielgebieten, tragen - vor allem in ländlichen Gebieten - zur Einkommens- und Beschäftigungssicherung bei. Trotz dieser eindeutigen sozialen Funktion erscheint es kaum möglich, eine vollständige Liste mit Sozialaspekten zu formulieren, denn ähnlich wie Umweltansprüche werden auch soziale Ansprüche an Unternehmen durch Interaktion und Kommunikation der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Akteure konstruiert. Die Ansprüche sind inhaltlich vielfältig und abhängig von Wertschätzungen und Präferenzen der Akteure. Folglich wird die Messung der sozialen Auswirkungen des Unternehmenshandelns als ungleich schwieriger als die Messung von Umweltauswirkungen beurteilt (vgl. HAHN ET AL. 2002). Ein Instrument zur Systematisierung zumindest der wesentlichen Sozialaspekte ist die Stakeholder-Theorie. Sie legt den Fokus auf die Akteure, deren Ansprüche ständigem Wandel unterliegen. Tab. 2 gibt einen Überblick über die relevanten Anspruchsgruppen der Jugendherbergen. Position direkte Stakeholder indirekte Stakeholder mögliche Ansprüche intern Mitarbeiter Ehrenamtliche, Aufsichtsorgane Beschäftigungsqualität, Entlohnung entlang der Wertschöpfungskette Zulieferer, Gäste, Körperschaften als Mitglieder Zulieferer und Beschäftigte von Zulieferern Angebotsqualität, stabile Beziehungen im lokalen Umfeld Gemeinde Nachbarschaft, Gemeinde Steuereinnahmen, soziales Engagement <?page no="140"?> Herausforderungen 141 gesellschaftlich Staat Staat, Bildungsträger, Verbände, Elternvereinigungen, Medien Steuereinnahmen, Übernahme von Leistungen, Kooperationen Tab. 2: Stakeholder der Jugendherbergen (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an HAHN ET AL. 2002) Wettbewerbsaspekte Niedrige Markteintrittsbarrieren (z.B. vergleichsweise geringe formale Auflagen zur Eröffnung eines gastgewerblichen Betriebes, relativ geringer Kapitalbedarf insbesondere bei gepachteten Objekten) sowie das umfangreiche globale Angebot an Tourismusdienstleistungen tragen zu einer anspruchsvollen Wettbewerbssituation bei. Insbesondere die im Tourismus relativ hohe Personalintensität führt in den hochentwickelten Ländern zu einer hohen Kostenbelastung der Betriebe. Die Folge ist ein dynamischer Markt, der durch zahlreiche Ein- und Austritte gekennzeichnet ist. Als Indikator für die hohe Wettbewerbsintensität können die Gewerbeanzeigen herangezogen werden. Mit jeweils rund 60.000 Gewerbeanmeldungen und Gewerbeabmeldungen (2012) rangiert das Gastgewerbe hier auf dem 6. Platz von 18 betrachteten Wirtschaftszweigen. Setzt man die Anzahl der Gewerbeanmeldungen ins Verhältnis zur Zahl der umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen, so ergibt sich im Gastgewerbe eine Quote von über 25 % „neuen“ Unternehmen pro Jahr. Im Durchschnitt aller Branchen lag dieser Wert lediglich bei rund 13 % (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 2014a; STATISTISCHES BUN- DESAMT 2014b). Strukturelle Aspekte Großunternehmen sind in der Tourismusbranche selten zu finden. Insbesondere das Gastgewerbe ist von (sehr) kleinen und mittelständischen Unternehmen dominiert. Schon der Durchschnittsumsatz gastgewerblicher Betriebe in Deutschland (2012: knapp 307.000 Euro) macht die kleinteilige Struktur deutlich. Von den 18 durch das Statistische Bundesamt ausgewiesenen privatwirtschaftlichen Branchen liegt das Gastgewerbe beim durchschnittlichen Umsatz auf dem 16. Platz (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 2014a). 98,5 % der gastgewerblichen Unternehmen in Deutschland zählen mit einem Umsatz von unter 2 Mio. Euro nach der Definition der Europäischen Kommission zu den Kleinstunternehmen. Der Anteil der mittleren und großen Unternehmen in allen Wirtschaftszweigen liegt fast zehnmal höher als im Gastgewerbe (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 2014a). <?page no="141"?> 142 Nachhaltiger Tourismus Analog zum Umsatz verhält sich die Beschäftigungsstruktur: Im Durchschnitt arbeiten in jedem gastgewerblichen Betrieb acht Mitarbeiter (vgl. STATISTI- SCHE ÄMTER DES BUNDES UND DER LÄNDER 2014). Leistungserstellungsprozess Fremdenverkehrsleistungen sind zu einem großen Teil nichtmateriell und abstrakt, denn „der Kunde kauft […] nicht primär Transport, Beherbergung, Verpflegung, sondern in erster Linie „Urlaubsglück“, den Urlaub als Gegenalltag. Er sucht Erholung, Kontakte, Bildung, Erlebnisse usw., also Inhalte, die in den Urlaubsmotivationen ihren Niederschlag finden“ (BERNKOPF 1983, S. 63). Wesentliche Determinanten des angesprochenen „Urlaubsglücks“ sind qualifizierte Mitarbeiter. Das Personal gehört damit zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren im Gastgewerbe. Erst durch persönliche Services (z.B. Bedienung, Fremdenführung, Unterhaltung, Betreuung) nimmt der Gast die verschiedenen Dienstleistungen als Gesamtpaket wahr und ist in der Regel dann entsprechend zahlungsbereit, wenn er die Leistung als besonders gut empfindet. Der Ersatz der Services durch Technologien ist allenfalls partiell möglich und sinnvoll. Der Mensch steht damit, allen technologischen Fortschritts zum Trotz, nach wie vor im Mittelpunkt der Wertschöpfung touristischer Unternehmen, die Personalintensität ist folglich höher als in anderen Wirtschaftszweigen (vgl. OSTDEUT- SCHER SPARKASSENVERBAND 2014). Betriebsspezifika Da die SBSC ein Instrument zur strategischen Unternehmenssteuerung ist, werden an dieser Stelle einleitend die wesentlichen strategiebestimmenden Elemente der Jugendherbergen vorgestellt. Leitbild Die Idee „Jugendherberge“ stammt aus dem Jahr 1909. Gründervater war der Lehrer Richard Schirrmann, der das Ziel verfolgte, preisgünstige Unterkünfte für mehrtägige Schulwanderungen zu schaffen, die im Abstand eines Tagesmarsches liegen sollten. Das Angebot war als Ausgleich zum schulischen Alltag gedacht und richtete sich insbesondere an Kinder aus Industriestädten, die gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt waren. Aus dieser Gründungsgeschichte werden bereits wesentliche Komponenten des Jugendherbergsleitbilds deutlich, die auch heute noch gelten: hohe Verfügbarkeit: Die derzeit (2014) über 500 DJH-Jugendherbergen in Deutschland konzentrieren sich nicht in einzelnen Urlaubsregionen, sondern sind deutschlandweit verteilt (vgl. DEUTSCHES JUGENDHER- <?page no="142"?> Herausforderungen 143 BERGSWERK, HAUPTVERBAND FÜR JUGENDWANDERN UND JUGENDHERBERGEN E.V. 2014b). Die Standorte von Jugendherbergen sind vielfältig und reichen von Burgen und Schlössern über Stadthäuser bis hin zu Almen. Hauptargument für die Standortwahl ist die Maxime, den Gästen die Natur und Kultur Deutschlands näherzubringen. Preisgünstigkeit: 2013 kostete eine Übernachtung in einer Jugendherberge inkl. Frühstück und Bettwäsche durchschnittlich zwischen 14 und 30 Euro (vgl. DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, HAUPTVERBAND FÜR JUGENDWANDERN UND JUGENDHERBERGEN E.V. 2014a). Gesundheits- und Sportorientierung: Unter den insgesamt über 500 Herbergen befinden sich mehr als 400, die ein überdurchschnittlich großes Aktiv-Angebot für Kinder, Familien, Schulklassen und Sportgruppen bieten (vgl. DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, HAUPTVERBAND FÜR JUGENDWANDERN UND JUGEND-HERBERGEN E.V. 2014d). Orientierung an sozialen Zielen: Schon der erwähnte „Gründungsmythos“ fußte auf dem Anspruch, mit dem Jugendherbergsangebot aktuellen gesellschaftlichen Problemen zu begegnen. Dieser Anspruch ist bis heute erhalten. So heißt es im aktuellen Leitbild eines Landesverbandes: „Wir bieten unseren Gästen Gemeinschaft. Sie treffen Andere und entdecken Neues. Wir schaffen eine Atmosphäre aus Toleranz, aus Lernen, aus Erholung und Erlebnissen, in der sie sich wohlfühlen.“ (vgl. DEUTSCHES JUGENDHER- BERGSWERK, LANDESVERBAND UNTERWESER-EMS E.V. 2014b) Bildungsauftrag: 20 Herbergen tragen das Zertifikat Umwelt-Jugendherberge, das sie als Einrichtungen für Umweltpädagogik ausweist (vgl. DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, HAUPTVERBAND FÜR JUGENDWANDERN UND JUGENDHERBERGEN E.V. 2014e). Internationalität: Das Prädikat „Jugendherberge|International“ symbolisiert das Ziel der Jugendherbergen, Toleranz und Völkerverständigung junger Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund zu fördern (vgl. DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, HAUPTVERBAND FÜR JUGENDWANDERN UND JUGENDHERBERGEN E.V. 2014c). Inklusion: Ein Teil der Jugendherbergen fungiert als Integrationsbetrieb: Jugendliche oder junge Erwachsene mit Behinderung nehmen hier entsprechend ihrer Fähigkeiten am Arbeitsalltag der Jugendherbergen teil (vgl. DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, LANDESVERBAND UN- TERWESER-EMS E.V. 2012). Nachhaltigkeit: Das bereits erwähnte Leitbild eines Landesverbandes greift auch den Nachhaltigkeitsgedanken auf: „Wir stehen in der Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen, der Umwelt und nachfolgenden Generationen und haben es uns zum Ziel gesetzt, wirtschaftliche, soziale und <?page no="143"?> 144 Nachhaltiger Tourismus ökologische Verantwortung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu bringen.“ (vgl. DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, LAN- DESVERBAND UNTERWESER-EMS E.V. 2014b). Angebotsportfolio Der DEHOGA Bundesverband definiert Jugendherbergen als „Beherbergungsbetrieb[e], in […] [denen] in erster Linie junge Leute […] aufgenommen und in […] [denen] Speisen und Getränke nur an Hausgäste abgegeben werden. Jugendherbergen bieten Programme und Aktivitäten für zwangslose pädagogische oder der Erholung dienende Zwecke an.“ (vgl. DEUTSCHER HOTEL- UND GASTSTÄTTENVERBAND E.V. 2014). Der Service- und Ausstattungsgrad der Jugendherbergen liegt in der Regel unterhalb der Hotellerie. Jugendherbergen haben Gemeinschaftsräume, teilweise auch Freizeitinfrastruktur und Lehrgangs-/ Tagungskapazitäten. Zu den aus der Definition ersichtlichen Zusatzangeboten gehören Freizeit-, Sport- und Kulturangebote (z.B. Musik) sowie Kurse. Das jeweilige Angebot der Jugendherbergen richtet sich dabei auch nach ihrem Profil (vgl. DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, HAUPTVERBAND FÜR JUGENDWANDERN UND JUGENDHERBERGEN E.V. 2012: 14 f.). Die Marken im Einzelnen: Familien|Jugendherberge Sport|Jugendherberge Graslöwen (Nachhaltigkeit für Kinder) GUT DRAUF (Gesundheit) Jugendherberge|International Kultur|Jugendherberge (Multimedia, Tanz, Musik, Theater) Umwelt|Jugendherberge (Umweltbildung) CO 2 -neutrale Jugendherbergen Viabono (Ressourcenschonung, Natur- und Landschaftsschutz, Wohlbefinden der Gäste) Zielgruppen Die Hauptzielgruppen der Jugendherbergen sind Touristengruppen. Diese machten 2013 knapp 70 % der Besucher aus. Schüler stellen mit rund 38 % die größte Einzelgruppe, gefolgt von Lehrgangs- und Tagungsteilnehmern (knapp 14 %), Wandergruppen (knapp 18 %). <?page no="144"?> Herausforderungen 145 Die gut 30 % weiteren Gäste setzen sich zusammen aus Familien (knapp 20 %), Einzelgästen bis 26 Jahre (rund 5 %) und Einzelgäste über 27 Jahre (knapp 6 %) (DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, HAUPTVERBAND FÜR JU- GENDWANDERN UND JUGENDHERBERGEN E.V. 2014: 31). Zwischenfazit Der Tourismus ist durch viele kleine Unternehmen an unterschiedlichsten Standorten geprägt. Für die SBSC gilt damit, dass sie vor allem einfach zu erstellen und zu benutzen sein muss. Dadurch wird die für kleine Unternehmen essentielle Kosteneffizienz gewährleistet und der Zusatzaufwand für das Personal minimiert. Ferner sind die Standortspezifika des Unternehmens zu beachten. Für städtische Betriebe wird bspw. die Frage der Flächennutzung weniger entscheidend sein als für Betriebe in schützenswerten Naturräumen. Eigen ist touristischen Betrieben zudem, dass der Mensch im Mittelpunkt des Wertschöpfungsprozesses steht. Er bringt seine Arbeitskraft nicht (wie in vielen Industriezweigen) in einen kapital- und technologieintensiven Apparat ein, sondern ist insbesondere im Bereich Service der entscheidende Werttreiber für das Erlebnis, für das der Gast bezahlt. Daher sollte eine SBSC im Tourismus den sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit besonders betonen. Für die Jugendherbergen bleibt festzuhalten, dass für sie grundsätzlich die gleichen Umwelt- und Sozialaspekte zutreffen wie für andere Beherbergungsbetriebe auch. Jedoch dürften die Erwartungen der Stakeholder an die Leistung der Jugendherbergen in den genannten Bereichen differenzierter und teilweise höher sein als bei rein privatwirtschaftlich orientierten Betrieben. Das anspruchsvolle Leitbild der Jugendherbergen spiegelt dies bereits wider. Es bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte und identifiziert wesentliche Steuerungsbereiche für eine SBSC. Deren Gestaltung muss darauf aufbauend die bereits bestehenden Ansätze weiterentwickeln und in den strategischen (betriebswirtschaftlichen) Kontext rücken. 2.3.3 Erstellungsprozess der Sustainability Balanced Scorecard Für die SBSC gilt, dass sowohl Umweltals auch Sozialaspekte des Unternehmens erfasst und in das Scorecard-System eingebettet werden müssen. Dabei lassen sich die unterschiedlichen Perspektiven nur teilweise getrennt betrachten, was auf den Charakter des Prinzips der Nachhaltigkeit als integrierendem Gesamtansatz zurückzuführen ist. <?page no="145"?> 146 Nachhaltiger Tourismus Zieldifferenzierung entlang der fünf Perspektiven Finanzielle Perspektive Ökonomische Aspekte: Angesichts der relativ geringen Übernachtungspreise, die sich in einem wettbewerbsintensiven Markt mit aufstrebenden Konkurrenten aus der Budget-Hotellerie (Ibis Budget, Motel One etc.) nur in begrenztem Umfang steigern lassen dürften, ist Kosteneffizienz für die Jugendherbergen besonders wichtig. Umwelt- und Sozialaspekte: In der Regel können ökologische bzw. soziale Aspekte einen indirekten Beitrag zur Erreichung finanzwirtschaftlicher Ziele leisten. Für die Jugendherbergen zeigt sich jedoch exemplarisch, dass auch Nachhaltigkeitsgesichtspunkte die finanziellen Ziele beeinflussen können: Jugendherbergen müssen zur Wahrung ihres Auftrags ihre Gemeinnützigkeit sicherstellen. Daraus folgt, dass sie keine Gewinne erwirtschaften dürfen und mögliche Überschüsse demnach komplett reinvestieren müssen. Damit steht nicht mehr die kurzfristige Gewinnmaximierung als Oberziel im Mittelpunkt, sondern langfristige Bemühungen zum Erhalt des Unternehmenswertes insgesamt. Kundenperspektive Ökonomische Aspekte: Leistungstreiber aus der Kundenperspektive ist letztlich das Wertangebot, das dem Gast unterbreitet wird. Wie bereits angesprochen, ist im Tourismus insbesondere die im Rahmen des Dienstleistungsprozesses einzugehende Beziehung zum Gast von zentraler Bedeutung, denn diese determiniert letztlich seine Zahlungsbereitschaft. Umwelt- und Sozialaspekte: Der Gästemix der Jugendherbergen ist gegenüber anderen Betriebsarten im Beherbergungsgewerbe insgesamt jünger und weist einen wesentlich geringeren Anteil an Individualtouristen auf. Insbesondere für (Schüler-)Gruppen gilt, dass sich das Bewusstsein für ökonomische, ökologische und soziale Zusammenhänge erst entwickelt. Aus strategischer Sicht stellen Schüler die nächste Kundengeneration dar. Daher spielt der Bereich Nachhaltigkeitskommunikation hier eine Hauptrolle: Die Jugendherbergen müssen besonderes Gewicht auf die Erreichung eines positiven Unternehmensimages legen. Interne Prozesse Ökonomische Aspekte: Die Standardisierung der betrieblichen Abläufe ist eine wesentliche Maßnahme zur Erreichung von Kosteneffizienz. Im Beherbergungsgewerbe betrifft dies vor allem die innerbetrieblichen Abläufe <?page no="146"?> Herausforderungen 147 wie Check-in/ Check-out, Bedienen, Reinigung etc. Da ihr Verlauf nur schwer vorherzusagen ist, sind die Interaktionsprozesse mit dem Gast dagegen nur in deutlich geringerem Maße standardisierbar. Umweltaspekte: Über die Energie-, Wasser- und Materialeffizienz haben interne Prozesse eine ausgeprägte ökologische Komponente. Wird der Lebensmitteleinkauf bspw. mit lokalen Lieferanten sichergestellt, spart dies Transportwege und damit CO 2 ein. Sozialaspekte: Ein lokal orientierter Einkauf unterstützt auch die Gemeinschaft vor Ort und wird dadurch zum Sozialaspekt. Für die Mitarbeiter dagegen prägen Aufbau- und Ablauforganisation den Arbeitsalltag. Die angesprochenen Standardisierungsmaßnahmen können sich dabei sowohl positiv (Selbstsicherheit in den Abläufen) als auch negativ (Gleichförmigkeit) auf Arbeitszufriedenheit und -motivation auswirken. Hier gilt es, eine Balance zwischen ökonomischer Rationalität und sozialer Verträglichkeit zu finden, denn langfristig werden nur zufriedene und motivierte Mitarbeiter gute Serviceleistungen erbringen können (vgl. Lern- und Entwicklungsperspektive). Lern- und Entwicklungsperspektive Der Lern- und Entwicklungsperspektive kommt eine entscheidende Rolle innerhalb der SBSC zu, denn der Mensch steht im Mittelpunkt des touristischen Wertschöpfungsprozesses. Der Mitarbeiterstamm der Jugendherbergen wird neben den regulären Beschäftigten durch zwei weitere Gruppen geprägt: So beschäftigen Jugendherbergen Bundesfreiwilligendienstleistende (BUFDIs) und werden häufig von ehrenamtlichen Helfern unterstützt. Aus der Perspektive der Nachhaltigkeit bedeutet dies, dass der Personalentwicklung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Das im gesamten Gastgewerbe auftretende Problem des Fachkräftemangels dürfte für die Jugendherbergen angesichts der Abschaffung der Wehrpflicht eine noch größere Rolle spielen, insbesondere in ländlichen Gebieten. Nicht-Markt-Perspektive Die Existenzberechtigung der Jugendherbergen ergibt sich aus ihrem übergeordneten, gesellschaftlichen Auftrag. Eine ausschließliche Orientierung an den Prinzipien von Markt und Wettbewerb wird diesem Auftrag kaum gerecht. Das Konzept der SBSC sieht für diesen Fall die Ergänzung durch eine Nicht-Markt- Perspektive vor (vgl. HAHN ET AL. 2002). Wie bei den anderen Perspektiven auch, sollen damit auch strategische Ziele verfolgt werden. Es gilt dabei proaktiv zu prüfen, inwieweit der gesellschaftliche Auftrag der Jugendherbergen erfüllt wird. Zentral für die Gewährleistung der unternehmerischen Handlungsautonomie sind die Sicherung der Akzeptanz der Jugendherbergsidee bei den Stake- <?page no="147"?> 148 Nachhaltiger Tourismus holdern (Legitimität) sowie die Einhaltung rechtlicher Vorschriften (Legalität) (vgl. HAHN ET AL. 2002). Dazu muss die Passfähigkeit der Jugendherbergsidee mit der konkreten Angebotsgestaltung kontinuierlich überprüft werden. Weiterhin sind die Auswirkungen des Unternehmenshandelns stärker als bei anderen Beherbergungsunternehmen in den gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Formulierung von Zielen und Erfassung von Kausalitäten im Rahmen einer Strategy Map Die Gliederung der wesentlichen strategischen Ziele und ihrer Leistungstreiber sowie die Erfassung der Kausalitäten können in Form einer Strategy Map erfolgen. Definition Strategy Map Unter einer Strategy Map versteht man ein hierarchisches Netzwerk aus Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, welches die strategisch relevanten Erfolgsfaktoren eines Unternehmens verbindet (vgl. FIGGE ET AL. 2002). Es wird deutlich, dass es zwischen und innerhalb der Perspektiven zahlreiche Interdependenzen gibt. Auch wenn längst nicht alle Beziehungen erfasst werden können, liegt der Vorteil der Strategy Map darin, dass die wesentlichen Stellschrauben, an denen das Unternehmen drehen kann, benannt und in ihrer Wirkung grob beschrieben werden. Allein die Systematik des Erstellungsprozesses führt zu einer Auseinandersetzung mit der Unternehmensstrategie und deckt Fehlentwicklungen und Inkonsistenzen auf. <?page no="148"?> Herausforderungen 149 Abb. 3: Strategy Map der Jugendherbergen (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an FIGGE ET AL. 2002, S. 282) Die Strategy Map verdeutlicht einmal mehr die Zentralität der „weichen“ Faktoren wie Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit oder Qualität. Auffällig ist auch die starke Verzahnung zwischen Kundenperspektive und der Perspektive interner Prozesse, die sich aus der Integration des Kunden in den Wertschöpfungsprozess ergibt. Technische Lösungen (z.B. zur Energie-, Wasser-, Materialeffizienz) spielen innerhalb der Strategy Map zwar ebenfalls eine wichtige Rolle, haben gegenüber den „weichen“ Faktoren aber eher begleitenden Charakter. Kausalitäten Idealtypisch geht das Konzept der SBSC davon aus, dass zwischen den einzelnen Werttreibern komplementäre Zielbeziehungen vorherrschen (Erreichung eines Ziels führt zur Erreichung eines anderen Ziels). In der Praxis können die Beziehungen jedoch auch konkurrierend (Erreichung eines Ziels wirkt sich negativ auf die Erreichung eines anderen Ziels aus), antinomisch (Erreichung eines Ziels schließt die Erreichung eines anderen Ziels aus) oder indifferent (Zielerreichung ist unabhängig voneinander) <?page no="149"?> 150 Nachhaltiger Tourismus sein (vgl. ERDMANN/ POPP 2006). Daher sind bei der Erstellung einer Strategy Map die Wechselwirkungen innerhalb des Zielsystems zu beachten. Die Erreichung eines ausschließlich komplementären Zielsystems ist zwar unrealistisch, jedoch muss gelten, dass sich die Aktivitäten in ihrer Gesamtheit positiv auf das Oberziel, die Steigerung des Unternehmenswertes, auswirken. Daraus ergeben sich unterschiedliche Strategien im Umgang mit den Zielbeziehungen. Bei konkurrierenden Zielen ist zu prüfen, wie sich der Grad der Konkurrenz verringern bzw. unter Umständen in ein indifferentes oder komplementäres Verhältnis umwandeln lässt. Gleiches gilt (bei geringerer Priorität) für indifferente Ziele. Antinomische Ziele gilt es, ggf. durch eine Umformulierung der Unternehmensstrategie und ihrer Teilziele, möglichst zu vermeiden. Auswahl geeigneter Indikatoren Um aus einer Strategy Map eine schlagkräftige SBSC zu machen, bedarf es der Messung des Grades der Zielerreichung. Diese erfolgt über Indikatoren, bei deren Auswahl eine Reihe von Aspekten zu beachten ist (vgl. WANICZEK/ WERDERITS 2006): Formalisierung: Inwiefern basiert der Indikator auf quantitativ erfassbaren Zusammenhängen? Liegt eine entsprechende Dokumentation der Messwerte vor? Verfügbarkeit: Wurden die benötigten Daten bereits für andere Zwecke erhoben oder muss eine Neuerhebung durchgeführt werden? Wie gestaltet sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Neuerhebung? Implementierung: Inwiefern kann der Erhebungsprozess in die bestehenden Betriebsprozesse integriert werden? Sensibilität: Ist der Indikator beeinflussbar? Kann die Beeinflussbarkeit im Unternehmen einzelnen Einheiten bzw. handelnden Personen zugerechnet werden? Ferner gilt für Kennzahlen die sogenannte SMART-Regel. Kennzahlen sollten demnach: S pecific (spezifisch) M easurable (messbar) A vailable (verfügbar) R eliable (verlässlich) T imely (aktuell) sein (vgl. WANICZEK/ WERDERITS 2006). <?page no="150"?> Herausforderungen 151 Kennzahlen-Pool Zur Auswahl relevanter Umwelt- und Sozialkennzahlen steht mittlerweile eine Reihe von Quellen zur Verfügung. Zur Erstellung der Scorecard für die Jugendherbergen wird zurückgegriffen auf: Global Reporting Initiative (GRI): Die Global Reporting Initiative hat Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen geschaffen. Wollen die teilnehmenden Unternehmen das GRI-Siegel (das in unterschiedlichen Kategorien vergeben wird) erhalten, müssen sie verschiedene Indikatoren aus den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales ausweisen (vgl. GLOBAL REPORTING INITIATIVE 2014). Obwohl der ursprüngliche Zweck der Indikatoren in der externen Kommunikation liegt, eignen sich viele von ihnen (z.B. „Gesamter Materialverbrauch nach Volumen oder Gewicht“) auch zur internen Steuerung. Ziel- oder Orientierungswerte gibt die GRI allerdings nicht vor, da der Zweck der Berichterstattung in der Transparenz und nur mittelbar in der Optimierung der ausgewiesenen Bereiche liegt. TourCert: TourCert ist eine gemeinnützige Gesellschaft für die Zertifizierung im Tourismus. Sie vergibt das CSR-Siegel an Reiseveranstalter, Reisebüros, Hotels, Incoming-Agenturen und Destinationen. Die Vergabe hängt ab von der Erfüllung diverser Management-, Berichts- und Leistungsanforderungen, die auch den Ausweis spezifischer Nachhaltigkeitsindikatoren beinhalten (vgl. TOURCERT 2014). Best Environmental Management Practice in the Tourism Sector (BEMP): Neben einer Beschreibung von Best-Practice-Beispielen für die wichtigsten touristischen Akteure (Destinationen, Reiseveranstalter, Gastgewerbe) enthält der Leitfaden der EU auch tourismusspezifische Indikatoren und nennt deren Grenzwerte (vgl. STYLES ET AL. 2013). Zusätzlich haben die Jugendherbergen selbst ein Indikatorensystem im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickelt, den sogenannten Nachhaltigkeitsindex , der Kennzahlen aus den Bereichen Gästezufriedenheit, soziales Engagement, Wirtschaftlichkeit, Ökologie und Bildung sowie deren Entwicklung umfasst (vgl. DEUTSCHES JUGENDHERBERGS- WERK, LANDESVERBAND UNTERWESER-EMS E.V. 2014). Eine Orientierung an den oben genannten Kriterien für Kennzahlen unter besonderer Beachtung des Kosten-Nutzen-Aspekts, der Charakteristika der Jugendherbergen sowie der strategischen Einsatzmöglichkeiten (mittelbare oder unmittelbare Auswirkung auf die Finanzperspektive) im Rahmen der Strategy Map erlaubt eine Auswahl der Indikatoren (sogenanntes Screening) (vgl. Tab. 3). <?page no="151"?> 152 Nachhaltiger Tourismus Indikator Ermittlung 5 Nachhaltigkeitsbereich Zuordnung SBSC Personalumschlag Personalabgänge durchschnittlicher Personalbestand Soziales Lern-u.- Entwicklungsperspektive Personalqualifizierung Teilnahmetage an Fortbildungen je Vollzeitmitarbeiter Soziales Lern-u.- Entwicklungsperspektive Mitarbeiterzufriedenheit Prozentsatz der Zufriedenheitsangaben Soziales Lern-u.- Entwicklungsperspektive Krankenstand Z a h l k ra n k h e itsb e d . A u s fa llta g e 1 0 0 Ja h re sm e n g e Soziales Lern-u.- Entwicklungsperspektive Personalaufwandsquote Personalaufwand ×100 Umsatz Soziales/ Ökonomie Interne- Prozessperspektive Wasserverbrauch W a s s e rv e rb ra u c h g e s a m t p ro Ja h r A n z a h l d e r Ü b e rn a c h tu n g e n p ro Ja h r Umwelt Interne Prozessperspektive Abfallaufkommen A b fa lla ufk o m m e n in k g p ro Ja h r A n z a h l d e r Ü b e rn a c h tu n g e n p ro Ja h r Umwelt Interne Prozessperspektive Energieverbrauch E n e rg ie v e rb ra u c h in k W h p ro Ja h r A n z a h l d e r Ü b e rn a c h tu n g e n p ro Ja h r Umwelt Interne Prozessperspektive CO 2 -Fußabdruck 2 C O -E m is sio n e n in k g p ro Ja h r A n z a h l d e r Ü b e rn a c h tu n g e n p ro Ja h r Umwelt Interne Prozessperspektive Auslastung Bettenkapazität Anzahl der Übernachtungen ×100 Anzahl der Betten ×365 Ökonomie Interne Prozessperspektive Aufenthaltsdauer Anzahl Übernachtungen pro Jahr ×100 Anzahl Ankünfte pro Jahr Ökonomie Interne Prozessperspektive 5 Vereinfachte Darstellung. <?page no="152"?> Herausforderungen 153 relativer Preis Eigener Preis ×100 Durchschnittspreis der Wettbewerber Ökonomie Kundenperspektive Marktanteil ÜN Jugendherbergen im Reisegebiet ×100 ÜN Reisegebiet insgesamt Ökonomie Kundenperspektive Marketingaufwandsquote Marketingaufwand ×100 Umsatz Ökonomie Kundenperspektive Kundenbindung Ankünfte Wiederholungsgäste ×100 Ankünfte Gäste gesamt Ökonomie Kundenperspektive Kundenzufriedenheit Prozentsatz der Zufriedenheitsangaben Ökonomie Kundenperspektive Beschwerdequote A n z a h l B e sc h w e rd e n p ro J a h r × 1 0 0 A n z a h l A n k ü n fte p ro J a h r Ökonomie Kundenperspektive Gesamtkostenquote G esam tko sten × 100 U m satz Ökonomie Finanzperspektive Cashflow- Rate C ash-Flow × 100 U m satz Ökonomie Finanzperspektive Investitionsquote Investitionen ×100 Umsatz Ökonomie Finanzperspektive Wareneinsatzquote W a re n a ufw a n d fü r L e b e n sm itte l u n d G e trä n k e × 1 0 U m s a tz m it S p e is e n u n d G e trä n k e n Ökonomie Finanzperspektive Materialaufwandsquote Materialaufwand ×100 Umsatz Ökonomie Finanzperspektive gesellschaftliches Image Imagewerte aus Befragungen Soziales Nicht-Markt- Perspektive gesellschaftliches Image Positive Pressemeldungen Negative Pressemeldungen Soziales Nicht-Markt- Perspektive Tab. 3: Entlang der Scorecard-Perspektiven zusammengestelltes Indikatoren-Set (Quelle: eigene Darstellung nach GLOBAL REPORTING INITIATIVE 2014, TOURCERT 2014, STYLES ET AL. 2013, DEUTSCHES JUGENDHERBERGSWERK, LANDESVERBAND UNTERWESER-EMS E.V. 2014) <?page no="153"?> 154 Nachhaltiger Tourismus Die Indikatoren werden den einzelnen Perspektiven der SBSC bzw. den strategischen Erfolgsfaktoren zugeordnet. Im Ergebnis steht der Entwurf einer Sustainability Balanced Scorecard (vgl. Abb. 4). Abb. 4: Entwurf einer SBSC für die Jugendherbergen (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an FIGGE ET AL. 2002: 282) Implementierung Als nächster Schritt steht die Einführung der SBSC in das Unternehmen an. Da diese noch nicht vollzogen worden ist, sollen dazu einige theoretische Überlegungen ausreichen. Für die Einführung der SBSC bietet sich eine Pilotphase an, in der ihre Praktikabilität getestet wird. Die Pilotphase fungiert als Lackmustest: Verbessern sich die Ergebnisse entlang der Nachhaltigkeitsdimensionen, stimmt die Kausalkette und ist die Unternehmensstrategie konsistent? Treten keine oder nur partielle Verbesserungen auf, müssen Kausalitäten bzw. Strategie kritisch hinterfragt werden. Während die Erfassung bzw. das Berichtswesen operative Aufgaben sind, fallen die Interpretation der Ergebnisse und vor allem daraus abgeleitete Entscheidungen in die Verantwortung des oberen Managements bzw. der Un- <?page no="154"?> Herausforderungen 155 ternehmensführung. Daher können auch falsche Managemententscheidungen auf Basis der SBSC-Ergebnisse für eine schlechte Performance verantwortlich sein. Fazit Der marktliche Wettbewerb, dem auch die Jugendherbergen ausgesetzt sind, führt dazu, dass der grundsätzliche Bedarf für Instrumente des strategischen Managements gegeben ist. Die aus der Entstehungsgeschichte der Jugendherbergen resultierende Offenheit gegenüber Umwelt- und Sozialaspekten macht insbesondere den Ansatz der SBSC attraktiv. Die wesentlichen Elemente des Systems Unternehmen können durch die Einnahme der ökologischen bzw. der sozialen Perspektive umfassender und damit realitätsnäher erfasst werden als zuvor. Gleichwohl ist die Differenzierung zwischen den Bereichen Ökonomie, Umwelt und Soziales nicht immer trennscharf möglich. Grundsätzlich lässt sich der Leistungserstellungsprozess touristischer Unternehmen mithilfe der Balanced-Scorecard-Perspektiven sinngemäß abbilden. Das Angebot an verschiedenen Indikatoren ermöglicht eine differenzierte Leistungsmessung entlang der Perspektiven. Valide Instrumente zur Messung von Indikatoren wie Kundenzufriedenheit oder Qualität zu entwickeln, ist allerdings aufwändig, wodurch wiederum die Wirtschaftlichkeit des Instruments SBSC verringert wird. Schwierigkeiten dürfte auch die Einordnung der zu messenden Werte bereiten. Ohne betriebstypenspezifische Vergleichs- und Zielwerte bleibt die SBSC „zahnlos“, d.h. sie kann nicht auf Schwachstellen hinweisen und das Verhalten der Akteure im Unternehmen damit auch kaum beeinflussen. Der BEMP-Ansatz deutet hier in die richtige Richtung, müsste allerdings noch genauer auf die einzelnen Betriebstypen im Beherbergungsgewerbe zugeschnitten sein. Ferner darf insbesondere im Tourismus kein „Silo-Denken“ einsetzen, bei dem die einzelnen Perspektiven getrennt betrachtet werden. Vielmehr gilt es, die für den Dienstleistungsbereich charakteristische Gleichzeitigkeit zwischen Produktion und Konsum im Zusammenspiel mit dem Kunden zu berücksichtigen. Entscheidend sind also die kausalen Verknüpfungen zwischen den Perspektiven, deren Richtung und Stärke es systematisch zu erfassen gilt. Gleichwohl darf die SBSC keinen „Rückfall“ in eine rationalistisch-mechanistische Sichtweise des Unternehmens bedeuten. An der prinzipiellen Unmöglichkeit, insbesondere im Dienstleistungsbereich alle betrieblichen Abläufe in ihren Auswirkungen auf die Wertschöpfung ganz genau vorhersagen zu können, kann auch die SBSC nichts ändern. <?page no="155"?> 156 Nachhaltiger Tourismus Kritisch zu hinterfragen ist der Neuigkeitsgrad des Ansatzes: So sie strategisch relevant sind, spielten Umwelt- und Sozialaspekte für Unternehmen schließlich schon immer eine Rolle. Eine strategische Bewertung von Umwelt- und Sozialaspekten müsste bei entsprechender Gründlichkeit bei Strategieformulierung und -umsetzungsprozess daher auch schon im Rahmen der traditionellen BSC stattgefunden haben. Zudem steht auch bei der SBSC die finanzielle Perspektive ganz oben in der unternehmensinternen Zielhierarchie. Wenn Umwelt- und Sozialaspekte damit einen Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswertes leisten, wird hier der Shareholder-Value-Ansatz lediglich in leicht abgewandelter Form weiterverfolgt. Darüber hinaus bleibt ein Grundkonflikt weitgehend bestehen: Eine ausschließlich strategische Orientierung aus Unternehmenssicht löst das Problem der gesamtökonomischen, -ökologischen und -sozialen Auswirkungen einzelbetrieblicher Entscheidungen nicht. Die etwas unklare Nicht-Markt-Perspektive kann hier nur teilweise Abhilfe schaffen, da sie letztlich lediglich auf den gegebenen rechtlichen wie gesellschaftlichen Rahmen reagiert, statt ihn im Sinne wirklich nachhaltiger Entwicklung aktiv mitzugestalten. Auf eben jenen politisch-gesellschaftlichen Rahmen kommt es an, wenn es darum geht, ob nachhaltige Unternehmensleistungen in Zukunft gefördert bzw. durch die Kunden aktiv nachgefragt werden oder nicht. Der Trend zum nachhaltigen Reisen und die generelle Mehrpreisbereitschaft der Gäste sprechen dafür, dass derzeit grundsätzlich günstige Bedingungen für Nachhaltigkeitsinitiativen touristischer Unternehmen vorherrschen (vgl. OSTDEUTSCHER SPAR- KASSENVERBAND 2014). Dennoch muss sich die SBSC im betrieblichen Alltag erst bewähren. Hier könnten neben den bereits erwähnten auch „kulturelle“ Schwierigkeiten auftreten, denn die SBSC stellt hohe Anforderungen an ein „ausbalanciertes“ Management. Angesichts der Tatsache, dass viele Unternehmer im Gastgewerbe insbesondere in den Bereichen Strategie und betriebswirtschaftliche Steuerung Defizite aufweisen und sich in der Regel wenig Zeit für Weiterbildungsmaßnahmen nehmen, ist es fraglich, ob die Betriebe diese Anforderungen erfüllen können (vgl. OSTDEUTSCHER SPARKASSENVERBAND 2014). Überzeugungsarbeit können Pionierbetriebe leisten: Wenn diese den Nachweis erbringen, dass die SBSC entlang aller drei Dimensionen der Nachhaltigkeit zu besseren Ergebnisse führt, ist die Chance groß, dass weitere Betriebe dem Beispiel folgen und dem Konzept dadurch zum Durchbruch verhelfen. In diesem Zusammenhang ist die Durchführung einer entsprechenden wissenschaftlich gestützten Studie wünschenswert. Diese könnte auch für die notwendige Datenbasis an Vergleichs- und Zielwerten sorgen. <?page no="156"?> Herausforderungen 157 Zusammenfassung Umwelt- und soziale Aspekte waren für Unternehmen schon immer relevant. In letzter Zeit werden aber angesichts der zunehmend sichtbaren Probleme verstärkte Anstrengungen unternommen, diese Aspekte umfassend und systematisch zu erfassen und zu steuern. Die Kritik an den traditionellen Ansätzen der Betriebswirtschaft führte zu Reformbestrebungen, die sich unter dem Schlagwort „Nachhaltige Betriebswirtschaftslehre“ zusammenfassen lassen. Ein wesentliches Problem bleibt die Operationalisierung des Prinzips Nachhaltigkeit. Ein Lösungsansatz der „Nachhaltigen Betriebswirtschaftslehre“ besteht darin, das Instrumentarium der traditionellen Betriebswirtschaftslehre zu nutzen und entsprechend zu modifizieren. Bei der Anwendung von betrieblichen Steuerungsinstrumenten im Tourismus bzw. im Beherbergungsgewerbe sind einige Besonderheiten zu beachten: So ist die Branche durch viele kleine Unternehmen und einen wettbewerbsintensiven Markt gekennzeichnet. Im Gegensatz zur Industrie erfolgt ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung im Tourismus nicht durch die Güterverarbeitung in technologieintensiven Maschinen, sondern durch die Interaktion der Mitarbeiter mit dem Gast. Ein wichtiges Steuerungsinstrument ist die Sustainability Balanced Scorecard, die die betrieblichen Erfolgsfaktoren miteinander in Beziehung setzt und dabei auch ökologische und soziale Aspekte in die strategische Steuerung einbezieht. Wesentliche Voraussetzung für die strategische Steuerung mit der Sustainability Balanced Scorecard ist die Messung der Unternehmensleistung in den Bereichen der Nachhaltigkeit. Dazu steht mittlerweile eine breite Palette von Indikatoren aus einer Reihe von Quellen zur Verfügung. Die Anwendbarkeit der Sustainability Balanced Scorecard im Beherbergungsgewerbe scheint grundsätzlich gegeben, wenngleich ihr tatsächlicher Beitrag zum betrieblichen Erfolg noch zu ermitteln ist. Weiterführende Lesetipps COLSMAN, B. (2013): Nachhaltigkeitscontrolling. Strategien, Ziele, Umsetzung. Wiesbaden: Springer Gabler <?page no="157"?> 158 Nachhaltiger Tourismus Ein praxisorientiertes Lehrbuch, das unterschiedliche Instrumente zur Nachhaltigkeitssteuerung vorstellt und mit allgemeiner Controlling-Theorie in Verbindung setzt. SCHALTEGGER, S. (2002): Nachhaltig managen mit der Balanced Scorecard. Konzept und Fallstudien. Wiesbaden: Gabler Verlag Zahlreiche Fallbeispiele zeigen die Anwendungsmöglichkeiten der Sustainability Balanced Scorecard in Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen. WEBER, J./ SCHÄFFER, U. (2014): Einführung in das Controlling. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag Das Grundlagenwerk stellt das Konzept des Controlling als wertorientierte Unternehmenssteuerung anschaulich dar. Literatur Bell, S./ Morse, S. (2008): Sustainability Indicators. Measuring the Immeasurable? London. Bernkopf, G. (1983): Marktrisiken mit Markenstrategien begegnen. In: Absatzwirtschaft. Sonderheft 10. S. 58-64. Clarkson, M. (1995): A Stakeholder Framework for Analyzing and Evaluating Corporate Social Performance. In: The Academy of Management Review. Vol. 20. No. 1. S. 92-117. Colsman, B. (2013): Nachhaltigkeitscontrolling. Strategien, Ziele, Umsetzung. Wiesbaden: Springer Gabler. Deutsches Jugendherbergswerk, Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V. (2014): Die Jugendherbergen. Jahresbericht 2013. Detmold. Deutsches Jugendherbergswerk, Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V. (2014): www.jugendherberge.de/ de-DE/ FAQ/ Jugendherbergen. Deutsches Jugendherbergswerk, Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V. (2014): http: / / www.jugendherberge.de/ de-DE/ ueberuns/ Marke- Jugendherberge. Deutsches Jugendherbergswerk, Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V. (2014): http: / / www.jugendherberge.de/ de-DE/ inspiration/ Profil- International. Deutsches Jugendherbergswerk, Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V. (2014): http: / / www.jugendherberge.de/ de-DE/ inspiration/ Profil- Sport. Deutsches Jugendherbergswerk, Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V. (2014): http: / / www.jugendherberge.de/ de-DE/ inspiration/ Profil- Umwelt. <?page no="158"?> Herausforderungen 159 Deutsches Jugendherbergswerk, Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V. (2012): Typisch Jugendherberge. Wir sind ein Gemeinschaftswerk. Detmold. Deutsches Jugendherbergswerk, Landesverband Unterweser-Ems e.V. (2012): Blickpunkt. Das Jahr 2011. Bremen. Deutsches Jugendherbergswerk, Landesverband Unterweser-Ems e.V. (2014): Nachhaltigkeitsbericht. Bremen. Deutsches Jugendherbergswerk, Landesverband Unterweser-Ems e.V. (2014): http: / / nordwesten.jugendherberge.de/ de-DE/ Ueber%20Uns/ Struktur/ gGmbH. Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e.V. (DEHOGA Bundesverband) (2014): www.dehoga-bundesverband.de/ daten-fakten-trends/ betriebsarten/ . Erdmann, G./ Popp, H. (2006): Betriebswirtschaft/ Volkswirtschaft. Karlsruhe. Ernst, D. (2013): Nachhaltige Betriebswirtschaftslehre, in: Ernst, D./ Sailer, U. (Hrsg.): Nachhaltige Betriebswirtschaftslehre. Konstanz. Figge, F. et al. (2002): The Sustainability Balanced Scorecard - Linking Sustainability Management to Business Strategy. In: Business Strategy and the Environment (11). S. 269-284. Global Reporting Initiative (2014): www.globalreporting.org/ information/ aboutgri/ what-is-GRI/ Pages/ default.aspx. Gutenberg, E. (1951): Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Erster Band. Die Produktion. Berlin. Hahn, T. et al. (2002): Wertorientiertes Nachhaltigkeitsmanagement mit einer Sustainability Balanced Scorecard, in: Schaltegger, S., Dyllick, T. (Hrsg.): Nachhaltig managen mit der Balanced Scorecard. Konzept und Fallstudien. Wiesbaden. Kaplan, R.S./ Norton, D.P. (1992): The Balanced Scorecard - Measures That Drive Performance. Harvard Business Review 70(1). S. 71-79. Kaplan, R.S./ Norton, D.P. (1996): The Balanced Scorecard: Translating Strategy into Action. Boston. Kotler, P. et al. (2007): Marketing-Management. Strategien für wertschaffendes Handeln. München. Öko-Institut e.V. (2001): Umwelt und Tourismus: Grundlagen für einen Bericht der Bundesregierung. Ostdeutscher Sparkassenverband (2014): Sparkassen-Tourismusbarometer. Jahresbericht 2014. Berlin. Pennekamp, J. (2011): Wohlstand ohne Wachstum. Ein Literaturüberblick. MPIfG, Vol. 11, No.1: S. 4-43. <?page no="159"?> 160 Nachhaltiger Tourismus Pindyck, R./ Rubinfeld, D. (2009): Mikroökonomie. 7., aktualisierte Auflage. München. Pufé, I. (2014): Nachhaltigkeit. Konstanz. Rappaport, A. (1986): Creating Shareholder Value. The New Standard for Business Performance. New York. Schittenhelm, F.A. (2013): Finanzmanagement und Nachhaltigkeit, in: Ernst, D./ Sailer, U. (Hrsg.): Nachhaltige Betriebswirtschaftslehre. Konstanz. Springer Gabler Verlag (2014): Gabler Wirtschaftslexikon: http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ Archiv/ 1202/ anspruchsgruppen-v6.html. Springer Gabler Verlag (2014): Gabler Wirtschaftslexikon: http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ Archiv/ 611/ externer-effekt-v8.html. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2014): Erwerbstätigenrechnung: Erwerbstätige in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland 1991 bis 2013. Wiesbaden. Statistisches Bundesamt (2014): Finanzen und Steuern. Umsatzsteuerstatistik (Voranmeldungen). Fachserie 14. Reihe 8.1. Statistisches Bundesamt (2014): Unternehmen und Arbeitsstätten. Gewerbeanzeigen. Fachserie 2. Reihe 5. Styles, D. et al. (2013): Best Environmental Management Practice in the Tourism Sector. Luxembourg. TourCert GbR (2014): www.tourcert.org/ de/ ueber-tourcert.html. United Nations Environment Programme (UNEP) (2014): http: / / www.unep.org/ resourceefficiency/ Consumption/ StandardsandLabels/ MeasuringSustainability/ LifeCycleAssessment/ tabid/ 101348/ Default.aspx. United Nations World Commission on Environment and Development (UNWCED) (1987). Our Common Future (Brundtland Report). Oxford. Waniczek, M./ Werderits, E. (2006): Sustainability Balanced Scorecard. Nachhaltigkeit in der Praxis erfolgreich managen - mit umfangreichem Fallbeispiel. Wien. <?page no="160"?> 2.4 Nachhaltiger Konsum und Tourismus von Dr. Anna Klein Lernziele In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Wie definiert man den nachhaltigen Konsum und welche Formen des nachhaltigen Konsumverhaltens gibt es? Wie hat sich die Nachhaltigkeit als Stilisierungs- und Distinktionsmerkmal im Laufe der Jahrzehnte verändert? Was versteht man unter den Lifestyles of Health and Sustainability? Welche Möglichkeiten stehen dem Konsumenten bei einer nachhaltig(er)en Gestaltung seiner Reise zur Verfügung? Wie verreisen die nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten? Für die Erreichung des Ziels der nachhaltigen Entwicklung im Tourismus ist die Analyse des Reisens aus dem Blickwinkel der Reisenden unabdingbar. Dafür muss der Tourismus in einem breiteren Kontext des gesamten Konsums betrachtet werden. Die Auseinandersetzung mit dem Konzept des nachhaltigen Konsums hilft zu verstehen, warum die geäußerten Handlungsabsichten nicht immer zum entsprechenden Verhalten führen. Die Analyse des Potenzials der Nachhaltigkeit als Stilisierungs- und Distinktionsmerkmal liefert wichtige Hintergrundinformationen, wie sich die Nachhaltigkeitsthemen und deren Bedeutung im Verlauf der Jahrzehnte geändert hat. Insbesondere der Blick auf andere Märkte, wie bspw. Lebensmittelmarkt mit Bio- und Fairtradezertifizierten Produkten, zeigt, in welche Richtung „die Reise geht“ und wie groß das Gesamtpotenzial ist. Und nicht zuletzt kann mit einer genaueren Betrachtung der Nachhaltigkeitsaspekte entlang der touristischen Leistungskette eruiert werden, wie die Touristen zu einem nachhaltigeren Reiseverhalten bewegt werden können. Hier spielen die nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten eine besonders wichtige Rolle - die Betrachtung ihres Reiseverhaltens kann Hinweise auf deren Bedürfnisse und Motivation liefern, die bei einer zielgruppengerechten Entwicklung von touristischen Produkten hilfreich sein können. <?page no="161"?> 162 Nachhaltiger Tourismus 2.4.1 Nachhaltiger Konsum Definition Eine an die Nachhaltigkeitsdimensionen angelehnte Definition des nachhaltigen Konsums beschreibt ihn als Konsumhandlungen, „die ökologisch, sozial und ökonomisch vernünftig sind“ (BILHARZ 2009: 53). Was ist aber damit konkret gemeint? Als Hilfestellung für die Konkretisierung dieser allgemeinen Definition kann ein Set von Kriterien herangezogen werden: Sparsamkeit, Regionalorientierung, gemeinsame Nutzung, Langlebigkeit und Orientierung an ökologisch und sozial verträglich hergestellten Gütern (vgl. KLEIN 2014: 38). An diesen Kriterien können sich Konsumenten orientieren, für die die Nachhaltigkeit ein wichtiges Kriterium ihrer Kaufentscheidungen ist. DDefinition nachhaltiger Konsum Als nachhaltiger Konsum werden Konsumhandlungen beschrieben, die ökologisch, sozial und ökonomisch vernünftig sind. Bei der Betrachtung des nachhaltigen Konsums wird zwischen zwei Stufen unterschieden. In der ersten Stufe - dem nachhaltiger Konsum im weiteren Sinne - geht es um Konsumhandlungen, die „die mit Produktion und Konsum einhergehenden sozialökologischen Probleme im Vergleich zu konventionellem Konsum verringern, ohne den individuellen Nutzen ‚über Gebühr‘ zu senken“ (BELZ/ BILHARZ 2008: 27). Darunter wird bspw. der Kauf von Bioprodukten, die Nutzung von Elektroautos oder das Wohnen in einem Passivhaus verstanden. Solche Konsumhandlungen bedeuten eine relative Verbesserung des Status quo. Sie sind nachhaltiger als ihre Alternative (Kauf von nicht bio-zertifizierten Produkten, Fahren mit Benzinautos mit einem hohen Treibstoffverbrauch, Wohnen in einem konventionellen Haus). Sollten sie allerdings von allen Erdenbewohnern übernommen werden, würden sie nicht zur Erreichung des Ziels der nachhaltigen Entwicklung beitragen. Die zweite Stufe - nachhaltiger Konsum im engeren Sinne - bedeutet einen Konsum, der verallgemeinerbar für alle Menschen ist - einkommens-, länder- und generationenübergreifend (vgl. ebd.: 28). Mit anderen Worten - hier geht es um Konsumhandlungen, die von Armen und Reichen, von Menschen im Süden und im Norden sowie heute und in der Zukunft ausgeführt werden können, ohne dass das Ziel der Nachhaltigkeit in Gefahr gebracht wird. <?page no="162"?> Herausforderungen 163 DDefinition nachhaltiger Konsum im weiteren und engeren Sinne Nachhaltiger Konsum im weiteren Sinne bedeutet Konsumhandlungen, die nachhaltiger sind als ihre Alternativen und zu einer relativen Verbesserung des Status quo führen. Als nachhaltiger Konsum im engeren Sinne werden Konsumhandlungen definiert, die verallgemeinerbar für alle Menschen sind. Zur Feststellung, wie stark man vom Ziel des nachhaltigen Konsums entfernt ist bzw. inwieweit man sich ihm genähert hat, kann der sog. ökologische Fußabdruck genutzt werden. Darunter verbirgt sich ein Werkzeug zur Bilanzierung des Naturverbrauchs durch den Menschen. Unter der Anwendung eines „globalen Hektars“ - einer Messeinheit, die unterschiedliche Fruchtbarkeit von Böden auf einen gemeinsamen Nenner bringt, wird die biologisch produktive Land- und Wasserfläche gemessen. Darunter wird die Fläche verstanden, die benötigt wird, um alle konsumierten Ressourcen zu produzieren bzw. um den produzierten Müll aufzunehmen. Diese wird mit der verfügbaren Land- und Wasserfläche verglichen. Das Ergebnis zeigt, ob ein ökologisches Defizit oder Reserve besteht, wobei die Messung sowohl für die gesamte Menschheit als auch für eine Region oder einen einzelnen Menschen erfolgen kann (vgl. www.footprintnetwork.org). Abb. 5: Ökologischer Fußabdruck (Quelle: eigene Darstellung) Im Zusammenhang mit dem Konzept des nachhaltigen Konsums spricht man von sogenannten Bedarfsfeldern . Diese sind als Konsumbereiche privater Haushalte zu verstehen und werden nach ihrem Einfluss auf den Umweltverbrauch differenziert. Zu den prioritären Bedarfsfeldern mit der höchsten Umweltwirkung gehören Bauen und Wohnen, Mobilität einschließlich Freizeit und Reisen sowie Ernährung (vgl. SPANGENBERG/ LOREK 2001: 26). <?page no="163"?> 164 Nachhaltiger Tourismus Der Begriff nachhaltiger Konsum weist einige Schnittmengen mit weiteren Bezeichnungen auf. Zu nennen ist insbesondere der Terminus „ politischer Konsum “. Dieser kann als zielgerichtetes Konsumverhalten zur Veränderung der institutionellen bzw. wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bezeichnet werden (vgl. MICHELETTI et al. 2004: xiv). Zur Unterscheidung zwischen dem nachhaltigen und dem politischen Konsum können drei Merkmale herangezogen werden: Bewusstsein, Regelmäßigkeit und Motivation (vgl. STOLLE/ HOOGHE 2004: 280-285). Am Beispiel von Fairtrade-zertifizierten Produkten heißt das, dass deren Kauf dann als politischer Konsum gilt, wenn er bewusst, regelmäßig und aus einer bestimmten Motivation heraus betätigt wird. Wie aus der obigen Darstellung sichtbar, können viele Konsumhandlungen sowohl dem nachhaltigen als auch dem politischen Konsum zugeordnet werden. Es gibt allerdings auch Beispiele für politische Anliegen der Konsumenten, die nicht dem Leitbild der Nachhaltigkeit entsprechen. Beispiel: Myanmar Mynamar (auch Birma oder Burma) war bis 2011 eine Militärdiktatur, in der die Bevölkerung unter massiven Menschenrechtverletzungen litt. Nach dem Aufruf zum Boykott des Landes durch die Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyis wurden zahlreiche Burma-Boykott-Kampagnen durch Menschenrechtorganisationen und tourismuskritische Vereinigungen initiiert. Damit sollte keine Unterstützung des Militärregimes, das an vielen Tourismusunternehmen beteiligt war, durch Reisen in das Land erfolgen. Der Boykott wurde allerdings nicht von allen Reisenden als eine sinnvolle Maßnahme erachtet. Die Boykott-Gegner argumentierten, dass die touristischen Einnahmen nicht nur der Militär zugutekamen, sondern vor allem der lokalen Bevölkerung. Darüber hinaus konnte durch den Tourismus die öffentliche Aufmerksamkeit für das Land gesichert werden. Zu den weiteren Begriffen, die im Zusammenhang mit dem nachhaltigen oder aber auch dem politischen Konsum genannt werden, gehören die Bezeichnungen „verantwortlicher“, „ethischer“, „moralischer“ oder „strategischer“ Konsum. Sie beziehen sich immer nur auf bestimmte Aspekte der beiden Konzepte, sodass sie nicht mit ihnen gleichzusetzen, sondern als deren besondere Formen zu betrachten sind (vgl. KLEIN 2014: 33-35). <?page no="164"?> Herausforderungen 165 DDefinition Politischer Konsum Politischer Konsum kann als zielgerichtetes Konsumverhalten zur Veränderung der institutionellen bzw. wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bezeichnet werden. Die Kriterien zu seiner Identifizierung sind Bewusstsein, Regelmäßigkeit und Motivation. Geteilte Verantwortung Beim nachhaltigen Konsum kann grundsätzlich zwischen drei wichtigen Akteuren unterschieden werden: Regierung/ Politik, Unternehmen und Gesellschaft/ Konsumenten. Deren Einbeziehung wird als notwendige Voraussetzung für die Realisierung nachhaltigen Konsums betrachtet. In diesem Zusammenhang spricht man auch vom Prinzip der geteilten Verantwortung (vgl. BELZ/ BILHARZ 2008: 38) bzw. von triangle of change. Die letztgenannte Formulierung wurde durch den Bericht der UK Sustainable Consumer Council und Sustainable Development Commission geprägt, in dem sie auch als “I will if you will”-Regel umschrieben und wie folgt definiert wird: „The relationship between people as individuals and communities, businesses, and government, indicating their shared responsibilities in taking action for sustainable consumption. The groups at each corner lead at different times by doing what they can do best. Co-ordinated actions can lead to profound change.“ (NCC/ SDC 2006: 63). <?page no="165"?> 166 Nachhaltiger Tourismus Abb. 6: Triangle of change (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an NCC/ SDC 2006: 7) Alle Akteure verfügen über unterschiedliche Möglichkeiten in Bezug auf die Realisierung nachhaltigen Konsums. Die Gesellschaft kann dies durch ein nachhaltige(re)s Konsumverhalten erreichen. Der Beitrag der Politik liegt in der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen. Und die Wirtschaft kann ihren Anteil durch die Corporate Social Responsibility (CSR) beisteuern sowie zusammen mit der Politik durch entsprechende Kennzeichnung der Produkte sowie sogenanntes „choice editing“. Damit ist eine bewusste Auswahl der verfügbaren Produkte und Services zugunsten der nachhaltigen Alternativen gemeint (vgl. ebd.: 63). In diesem Kapitel werden die Möglichkeiten der Konsumenten dargestellt, die anderen Akteure werden in Kapitel 3.1 (Wirtschaft) und 3.3 (Politik) näher betrachtet. Formen des nachhaltigen Konsumverhaltens Einem Verbraucher stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, sein Konsumverhalten nachhaltig zu gestalten. 6 Eine Möglichkeit wäre, auf den Konsum vollständig zu verzichten bzw. den Konsum einzuschränken (VERZICHT). Bezogen auf das Bedarfsfeld Mobilität würde es bedeuten, dass man den Urlaub nur noch zu Hause verbringen würde („Urlaub auf Balkonien“). Zu nennen ist 6 Die folgende Darstellung basiert auf der Kategorisierung von Konsumverhaltensweisen von BALDERJAHN 1986. <?page no="166"?> Herausforderungen 167 ebenfalls das Recycling , also die fachgerechte Trennung der Abfälle (RE- CYCLING). Eine weitere Form des nachhaltigen Konsumverhaltens ist die Nutzung von eigentumsersetzenden Dienstleistungen wie Car-Sharing, Tauschbörsen oder Leihservices (TEILEN statt BESITZEN). Diese energieeffizienteren bzw. ressourcenleichteren Alternativen können ebenfalls unter dem Begriff Share Economy zusammengefasst werden. Beispiel: Airbnb Als 2007 die Studenten Nathan Blecharczyk, Brian Chesky und Joe Gebbia auf die Idee kamen, eine Übernachtung auf Luftmatratzen in ihrer Wohnung in San Francisco anzubieten, ahnten sie nicht, dass daraus ein Unternehmen entstehen wird, das einige Jahre später zu einem der wichtigsten touristischen Akteure weltweit aufsteigen wird. Seitdem haben über die Plattform Airbnb (Abkürzung von airbed and breakfast - Luftmatratze und Frühstück) laut eigenen Angaben mehr als 17 Mio. Reisende in einer von über 800.000 Unterkünften in 190 Ländern übernachtet. Airbnb gehört damit zu den größten Unternehmen der Share Economy, die gerade dabei ist, unter dem Motto „Teilen statt Besitzen“ die bisherigen Marktspielregeln außer Kraft zu setzen. Die Konsumenten sind begeistert, weniger dafür die konventionelle Hotellerie, die Umsatzeinbußen fürchtet und unfairen Wettbewerb bemängelt (mehr zu Airbnb auf www.airbnb.de). Die nächste Möglichkeit ist ein Kauf von nachhaltige(re)n Produkten bzw. Dienstleistungen (KAUF). Im Tourismusbereich wären das bspw. Übernachtung in einem klimaneutralen Hotel oder Verpflegung mit regionalen, saisonalen und bio-zertifizierten Lebensmitteln. Eine besondere Kaufvariante, die an dieser Stelle genannt werden soll, ist ein sogenannter Carrotmob. Bei Carrotmob tätigen die Konsumenten in einer kurzen Zeitspanne ihre Einkäufe bei einem bestimmten Unternehmen. Ein festgelegter Prozentsatz der während dieser Zeit erzielten Einnahmen wird für die energiesparenden Investitionen aufgewendet. Somit können die Verbraucher die Umweltbemühungen des Unternehmens unterstützen. <?page no="167"?> 168 Nachhaltiger Tourismus Beispiel: Carrotmob in San Francisco Die Carrotmob-Idee geht auf ein Ereignis vom 29. März 2008 zurück, als hunderte von nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten den kleinen K&D Market in San Francisco stürmten, um innerhalb von einigen Stunden für über 9.000 $ einzukaufen. Der Markteigentümer hatte sich im Gegenzug verpflichtet, 22 % der Tageseinnahmen in die energiesparende Beleuchtung zu investieren. Der Erfinder von Carrotmob ist Brent Schulkin - ehemaliger Google-Mitarbeiter und Aktivist aus San Francisco, der an die Macht der Konsumenten zur Weltveränderung glaubt (vgl. CAPLAN 2009). Ein Gegenentwurf zu der vorher genannten Möglichkeit ist ein aktives Vorgehen gegen nicht nachhaltige Unternehmen (PROTESTVERHALTEN). Dies kann durch einen bewussten Boykott ihrer Produkte oder Verfassen von Beschwerden erfolgen. Durch das Protestverhalten bestrafen die Konsumenten eine umweltschädliche bzw. unethische Unternehmenspolitik und versuchen auf diese Art und Weise, Einfluss auf die Wirtschaft zu nehmen. Beispiel: Delfinarium Dubai Nach einem Bericht über die grausamen Umstände des Delfinimports und die hohe Todesrate der Delfine im Dolphin Bay-Delfinarium in Dubai unterschrieben mehr als 8.000 entrüstete Reisende eine Petition gegen das Bewerben des Delfinariums. Daraufhin entferten alle großen Reiseveranstalter wie DER Touristik, TUI und FTI sämtliche Onlineangebote und Offerten aus den neuen Katalogen und wiesen die Incoming-Agenturen vor Ort an, das Delfinarium nicht mehr anzubieten (vgl. www.wdsf.eu/ index.php/ delfinarien/ delfinarium-dubai-dolphin-bay). In der folgenden Graphik werden die unterschiedlichen Formen des nachhaltigen Konsums zusammenfassend dargestellt. <?page no="168"?> Herausforderungen 169 Abb. 7: Formen des nachhaltigen Konsumverhaltens (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an KLEIN 2014: 38; ergänzt und leicht verändert) Aus den obigen Ausführungen wird ersichtlich, dass nachhaltiger Konsum nicht zwangsläufig weniger Konsum oder gar Konsumverzicht, sondern einen anderen Konsum bedeutet (vgl. ebd.: 36). Entscheidend ist also die Frage, WIE und WAS konsumiert wird. Durch die gemeinsame Verwendung von Produkten, bspw. beim Car Sharing, können die bestehenden Ressourcen besser genutzt werden. Digital vorliegende Produkte wie mp3-Songs oder Livestream-Filme verursachen in der Regel geringere Umweltschäden als ihre materiellen Gegenstücke (vgl. ebd.). <?page no="169"?> 170 Nachhaltiger Tourismus Value-action-gap Das Umweltbewusstsein in Deutschland steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich (vgl. u.a. BMU/ UBA 2013), genauso wie die Kenntnisse des Konzeptes der Nachhaltigkeit (vgl. BMU)/ UBA 2010: 40). Trotzdem ist die Anzahl der Leute, die deklarieren, nachhaltig handeln zu wollen, nicht deckungsgleich mit denen, die es tatsächlich tun. Woran liegt es? Warum folgen den Absichten nicht die Taten? Und warum gibt es Bereiche, wo die guten Vorsätze keine oder kaum Umsetzung finden und Bereiche, in denen die Konsumenten deutlich konsequenter vorgehen? Die Inkonsistenzen zwischen den Einstellungen und dem Verhalten wurden bereits in den 1970er Jahren entdeckt und beschrieben. 7 In Deutschland unternahmen in den 1990er Jahren die Soziologen Diekmann und Preisendörfer (vgl. 1998; 1992) mit der High-Cost/ Low-Cost-Hypothese einen Versuch, diese Lücke - auch Value-action-gap genannt (vgl. BLAKE 1999: 264) - zu analysieren und zu erklären. Demnach wirkt sich das Umweltbewusstsein auf das Umweltverhalten nur dann aus, wenn das ökologische Handeln in sog. Niedrigkostensituationen stattfindet (vgl. DIEKMANN/ PREISENDÖRFER 1992: 243). Diese können im Bereich des nachhaltigen Konsums als solche definiert werden, in denen die Opportunitätskosten einer nachhaltigeren Alternative bei vielen Personen klein bzw. nahe null sind. Übertragen auf den Tourismusbereich wären Niedrigkostensituationen bspw. der Verzicht auf einen täglichen Wäschewechsel oder aber der Boykott von bestimmten Reisezielen aus Gründen der Umweltverschmutzung zu nennen. Die Opportunitätskosten, die in einem Verzicht auf ein frisches Handtuch am nächsten Tag bzw. dem Bereisen von anderen Regionen bestehen würden, können in beiden Fällen für die allermeisten Touristen als sehr gering eingeschätzt werden. Als eine Möglichkeit, die Konsumenten zu einem nachhaltig(er)en Verhalten zu bewegen, ist die Nutzung von sogenannten Motivallianzen . Darunter wird die Verknüpfung von umweltbezogenen und sozialen Anforderungen mit den traditionellen Bedürfnissen und Motiven der Konsumenten verstanden (vgl. (KIRCHGEORG/ GREVEN 2008: 50). Motivallianzen bei der Wahl eines Hotels mit einem Nachhaltigkeitssiegel könnten bspw. klimaneutrale Bauweise und Verpflegung mit bio-zertifizierten Lebensmitteln aus der Region, verbunden mit einer Design-Architektur, guter Lage und einem kostenlosen W-LAN sein. 7 Als Forschungspioniere in diesem Bereich gelten die amerikanischen Psychologen Martin Fishbein und Icek Ajzen, die ein sogenanntes Einstellungsmodell von Fishbein zur Vorhersage von Verhalten im Zusammenhang mit Einstellungen entwickelt haben (vgl. FISHBEIN/ AJZEN 1975). <?page no="170"?> Herausforderungen 171 2.4.2 Nachhaltigkeit als Stilisierungs- und Distinktionsmerkmal Von den Ökoaktivisten bis zu LOHAS Die Nachhaltigkeitsdebatte hatte nicht nur Auswirkungen auf der politischen Ebene (vgl. dazu BEYER und STRASDAS in diesem Buch) - sondern fand auch Eingang in die Lebensstile der Gesellschaft. Das normative Leitbild der Nachhaltigkeit wird bereits seit den 1960er Jahren von bestimmten Bevölkerungsgruppen als ein Instrument zur Stilisierung und aktiven Inszenierung ihres Lebensstils bzw. zur Abhebung von anderen Bevölkerungsgruppen genutzt. Als ein besonders wichtiger Teilbereich ist hier der Konsum hervorzuheben, wobei dessen Verständnis sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt hat. Die Betrachtung des Konsums und seiner Bedeutung für das Ziel der nachhaltigen Entwicklung kann dabei in Deutschland in drei Phasen aufgeteilt werden: die Phase der alternativen Lebensstile der 1960er, 1970er und 1980er Jahre, die Phase der nachhaltigen Lebensstile der 1990er Jahre und die Lifestyles of Health and Sustainability seit der Mitte der 2000er Jahre. In der Phase der alternativen Lebensstile in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren wurde Nachhaltigkeit bzw. Umweltschutz mit Konsumverzicht assoziiert. Die konsumfeindliche Haltung war als eine politische Botschaft gedacht und richtete sich gegen die westliche Lebensweise. Die sog. „Ökoaktivisten der ersten Stunde“ predigten einen einfachen, an Grundbedürfnissen orientierten Lebensstil. 8 Der Einkauf von nachhaltige(re)n Produkten war nur in ausgewählten, speziellen Läden wie Reformhäuser oder auf Bio-Bauernhöfen möglich. Darüber hinaus war er mit deutlich höheren Kosten, Qualitätsmängeln in der Kernleistung (z.B. schlechterem Geschmack) sowie einer geringen Sortimentbreite und -tiefe verbunden. Dabei war die Beschäftigung mit den Nachhaltigkeitsthemen einer kleinen, homogenen und radikal denkenden Bevölkerungsgruppe vorenthalten. In den 1990er Jahren verlor die Nachhaltigkeitsdebatte ihre ideologische Komponente und kam in der Mitte der Gesellschaft an. Ökologie und Konsum wurden nicht mehr als Gegensätze verstanden, sondern miteinander in Verbindung gebracht. Die Phase der nachhaltigen Lebensstile zeichnete sich durch die Lust am Wohlstand und pragmatische Vorgehensweise. Nachhaltig leben sollte Spaß machen und nicht zwangsläufig zum Verzicht auf Annehmlichkeiten führen (vgl. RINK 2002: 12). Dabei wurden die ökologischen Themen - im Gegensatz zu früher - von sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgrup- 8 Für die Anhänger eines einfachen, konsumkritischen Lebensstils wird gelegentlich der Begriff LOVOS (Lifestyle of Voluntary Simplicity) genutzt. <?page no="171"?> 172 Nachhaltiger Tourismus pen als Distinktionsmerkmal ergriffen und - zum Teil - sehr unterschiedlich interpretiert. Seit der Mitte der 2000er Jahre zeichnet sich in Deutschland eine neue Dimension der bisherigen Betrachtung der Nachhaltigkeit als Distinktionsmerkmal ab. In den Vordergrund rückt der Klimawandel , sodass der Konsum vor allem in Hinblick auf seine Klimawirkung betrachtet wird. Diese Verlagerung der öffentlichen Wahrnehmung wird vordergründig mit zwei Ereignissen in Verbindung gebracht: dem Film „Die unbequeme Wahrheit“ aus dem Jahr 2006 von Al Gore, dem ehemaligen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten und dem Bericht des Weltklimarates 9 von 2007, die den Konsumenten die Konsequenzen der Erderwärmung vor Augen führten (vgl. KLEIN 2014: 59). Darüber hinaus wurde eine stärkere Sensibilisierung der Konsumenten auf die Fragen der Herkunft von Produkten beobachtet. Hier spielten zahlreiche Lebensmittel- und Produktionsskandale eine große Rolle, die in Deutschland in den 2000er Jahren öffentlich wirksam wurden. Sie haben die Schwachstellen der industriellen Nahrungsproduktion aufgedeckt und so die Konsumenten zu einer verstärkten Einflussnahme auf das Marktgeschehen bewegt. In Summe führte das zur Entstehung einer neuen Bewegung von nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten, für deren Bezeichnung sich der Begriff Lifestyles of Health and Sustainability (LOHAS) 10 etabliert hat. Auf diese wird im nächsten Unterkapitel näher eingegangen. Beispiel: Clubhotels Wie sich die Erwartungen der Reisenden an das Angebotsniveau im Verlauf der Jahrzehnte geändert haben, kann gut am Beispiel von Clubhotels beobachtet werden. Das erste Club-Med-Dorf, das in 1950er Jahren auf Mallorca entstand, bestand aus 200 Armeezelten, die am Strand aufgebaut wurden. Die Schlichtheit gehörte zum Programm des zuerst als gemeinnützige Organisation agierenden Reiseveranstalters (vgl. RUMPF 2010). Heutzutage warten auf die Gäste von Club Med Unterkünfte auf gehobenem Niveau und Gourmetküche (mehr zu Club Med auf www. clubmed.de). 9 Vierter Sachstandbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) 10 Beide Begriffe - Lifestyles of Health and Sustainability bzw. LOHAS und nachhaltigkeitsbewusste Konsumenten - werden im Folgenden als synonym betrachtet. <?page no="172"?> Herausforderungen 173 Lifestyles of Health and Sustainability (LOHAS) Unter den Lifestyles of Health and Sustainability wird eine gesellschaftliche Bewegung verstanden, die seit Anfang/ Mitte der 2000er Jahre in Deutschland, aber auch in weiten Teilen Europas und Ostasiens, Nordamerikas sowie Australiens und Neuseelands beobachtet werden kann. Hervorzuheben an dieser Stelle ist die Tatsache, dass es sich bei LOHAS nicht um eine Subkultur, einen Konsumstil oder einen (nachhaltigen) Lebensstil handelt, sondern um unterschiedliche Lebensstile, deren Gemeinsamkeit vor allem im hohen Stellenwert von Gesundheit und Nachhaltigkeit besteht (vgl. KLEIN 2014: 64; 155-157). 11 Die beiden Werte spielen eine sehr wichtige Rolle bei den Konsumentscheidungen der LOHAS - insbesondere beim Erwerb von Lebensmitteln, aber auch beim Kauf von Hygiene- und Textilartikeln, bei der Wahl des Stromanbieters oder bei der Gestaltung des Mobilitätsverhaltens. Bezeichnend für die LOHAS ist ebenfalls ein hohes gesellschaftliches Engagement . Die nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten: sind Mitglied in bzw. spenden Geld für eine Organisation im Nachhaltigkeitsbereich und/ oder unterstützen Petitionen für nachhaltige Anliegen und/ oder boykottieren Produkte von Firmen, die sich nachweislich umweltschädigend oder sozial bzw. ethisch nicht korrekt verhalten. Eine weitere Eigenschaft der LOHAS ist die Bereitschaft , für ihre Überzeugungen Einschränkungen hinzunehmen bzw. Verzicht auszuüben . Hierzu gehört bspw. die Akzeptanz von höheren Steuern, wenn sie für den Umweltschutz aufgewendet werden, oder von Einschränkungen im Lebensstandard, wenn dadurch die Umwelt geschützt werden kann. Als ein wichtiges Merkmal der nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten ist ebenfalls deren stark ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein zu nennen, das aus einem ganzheitlichen, holistischen Denken resultiert (vgl. KIRIG/ WEN- ZEL 2009: 118). LOHAS betrachten die Welt in ihren gesamten Zusammenhängen und versuchen, die einzelnen Informationen zu einem Gesamtbild - „the big picture“ (RAY/ ANDERSON 2000: 11) zusammenzufügen. Daraus folgt die Überzeugung, dass nicht nur die Regierung und Industrie, sondern auch jeder Einzelne für die Lösung der Umweltprobleme verantwortlich ist. 11 Die Darstellung der Eigenschaften der LOHAS basiert auf einer Untersuchung zu nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten, die im Rahmen einer Doktorarbeit an der Universität Hohenheim (vgl. KLEIN 2014) durchgeführt wurde. <?page no="173"?> 174 Nachhaltiger Tourismus Als letzte, wichtige Eigenschaft der LOHAS ist die Betrachtung des Konsums als Gestaltungmittel zu nennen. Die nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten glauben, dass Sie durch ihr Konsumverhalten das Marktgeschehen beeinflussen können - bspw. zu mehr Verbreitung von Biolebensmitteln oder zur Beeinflussung des Warenangebots beitragen können. Die bisher genannten Eigenschaften der LOHAS werden in der folgenden Definition zusammenfassend dargestellt. Definition LOHAS Lifestyles of Health and Sustainability (LOHAS) werden als eine gesellschaftliche Bewegung von unterschiedlichen Lebensstilen verstanden, die die Werte Gesundheit und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt. Sie zeichnen sich durch ein werteorientiertes Konsumverhalten , das sie als die Möglichkeit betrachten, das Marktgeschehen in Richtung mehr Nachhaltigkeit zu beeinflussen. Darüber hinaus verfügen sie über ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein , zeigen ein überdurchschnittliches gesellschaftliches Engagement und sind bereit, für ihre Überzeugungen Einschränkungen hinzunehmen bzw. Verzicht auszuüben . Lifestyles of Health and Sustainability wurden zum ersten Mal durch das amerikanische Psychologenpaar Paul Ray und Sherry Ruth Anderson in ihrem Buch „The Cultural Creatives. How 50 million people are changing the world“ (2000) beschrieben. In Deutschland wurde die Debatte über die LOHAS durch das Zukunftsinstitut in Kelkheim und ihre Studie „Zielgruppe Lohas. Wie der grüne Lifestyle die Märkte erobert“ (KIRIG et al. 2007) maßgeblich geprägt. <?page no="174"?> Herausforderungen 175 Abb. 8: Eigenschaften der LOHAS (Quelle: eigene Darstellung) Wie aus der obigen Darstellung sichtbar wird, sind für die Charakteristik der Lifestyles of Health and Sustainability psychographische Merkmale wie Werte, Einstellungen, Überzeugungen und Persönlichkeitsmerkmale besser geeignet als soziodemografische Faktoren. Die LOHAS können zwar als eher weiblich, höher verdienend, älter und besser gebildet als ein durchschnittlicher deutscher Bürger bezeichnet werden, sind aber letztendlich in allen Bevölkerungsschichten, geschlechter-, einkommens-, bildungs- und altersübergreifend zu finden. Deren Anteil an der gesamten Bevölkerung in Deutschland ab 14 Jahre wird - je nach Untersuchung - auf zwischen 6 bis sogar 44 % geschätzt, eine Quote von 20 bis 25 % kann als realistisch betrachtet werden (vgl. KLEIN 2014: 75). Von <?page no="175"?> 176 Nachhaltiger Tourismus ähnlichen Zahlen kann für andere westliche Länder wie die USA oder Australien ausgegangen werden. Im Rahmen der INVENT-Studie wurden zielgruppenspezifische nachhaltige Reiseangebote für den Massenmarkt entwickelt. Dabei wurden drei Reisetypen als direkt auf Nachhaltigkeit ansprechbar identifiziert: unkonventionelle Entdecker, anspruchsvolle Kulturreisende sowie Natur- und Outdoor-Urlauber. Deren Gesamtanteil an der deutschen Bevölkerung wurde auf 39 % geschätzt (vgl. GÖTZ/ SELTMANN 2005). Märkte mit Relevanz für LOHAS Die Entstehung der gesellschaftlichen Bewegung der LOHAS kann nicht nur anhand von Konsumentenbefragungen belegt werden, sondern wird auch durch die Betrachtung der Marktentwicklung sichtbar. Dazu gehören u.a. die Veränderungen der Vertriebskanäle - waren es in den 1990er Jahren fast ausschließlich Reformhäuser, Bio-Bauernhöfe oder ausgewählte Spezialläden, die bio- oder Fairtrade-zertifizierte Produkte verkauft haben, sind heutzutage nachhaltig(er)e Produkte in allen Vertriebskanälen zu finden. Verbessert hat sich nicht nur die Verfügbarkeit der Produkte, sondern auch deren Sortimentbreite und -tiefe - die Wahl zwischen unterschiedlichen Produktvarianten und -differenzierungen ist deutlich größer geworden. Eine besonders wichtige Veränderung betrifft das gesamte Marktvolumen der nachhaltig(er)en Produkte sowie deren Anteile in den einzelnen Märkten. Dabei sind folgende Märkte als relevant für die LOHAS zu nennen: Lebensmittelmarkt mit bio- und Fairtrade-zertifizierten Produkten Mobilität mit Elektrobzw. Hybridautos Energieversorgung mit Ökostrom Gesundheit/ Wellness mit Naturkosmetik Tourismus mit nachhaltigen Reisen Kleidung mit Textilien aus Bio-Baumwolle Finanzmärkte mit nachhaltigen Geldanlagen Wohnen/ Bauen mit Passivbzw. Niedrigenergiehäusern Unter den oben genannten Märkten spielt der Kauf von Lebensmitteln eine überragende Rolle. Die Umsätze mit den bio-zertifizierten Produkten sind innerhalb von zehn Jahren um das 2,5-fache gewachsen und lagen 2013 mit 4,3 % <?page no="176"?> Herausforderungen 177 am Umsatz der gesamten Lebensmittelindustrie 12 schon ziemlich nah an der 5 %-Grenze. Einen noch stärkeren Zuwachs verzeichneten die Fairtrade-zertifizierten Produkte, deren Umsätze in den Jahren 2003-2013 um das 13-fache gestiegen sind. Diese starken Zuwachsraten decken sich mit einem sehr hohen Bekanntheitsgrad der beiden Labels - Fairtrade- und Bio-Gütesiegel sind den allermeisten Verbrauchern in Deutschland geläufig (vgl. FAIRTRADE INTER- NATIONAL 2013 und DR. GRIEGER & CIE. MARKTFORSCHUNG 2013). Die Betrachtung der Entwicklung der weiteren Märkte mit der Relevanz für LOHAS (siehe folgende Abbildung mit einer grafischen Darstellung von ausgewählten Märkten bzw. Produkten) zeigt, dass die Bedeutung der nachhaltig(er)en Angebote im jeweiligen Bereich deutlich gewachsen ist. Ob Anzahl der Haushalte, die Ökostrom beziehen, oder Volumen der Investitionen in nachhaltige Investmentfonds - die Zahlen zeigen nur in eine Richtung: nach oben. Differenzierter gestaltet sich die Situation in Bezug auf den nachhaltigen Tourismus. Hier gibt es auf der einen Seite Entwicklungen, die auf steigende Nachfrage nach nachhaltig(er)en Tourismusangeboten deuten. Auf der anderen Seite gehört Tourismus zu den Bedarfsfeldern, wo auch nachhaltigkeitsbewusste Konsumenten weniger geneigt sind, Abstriche zu machen bzw. Verzicht zu üben. Auf diesen Zwiespalt wird im Folgenden eingegangen. 12 Gesamte Umsätze der Ernährungsindustrie betrugen 175,2 Mrd. Euro im Jahr 2013 (vgl. BVE 2014: 4). <?page no="177"?> 178 Nachhaltiger Tourismus Abb. 9: Entwicklung der Märkte/ Produkte mit Relevanz für LOHAS 13 13 Die Darstellung basiert auf folgenden Quellen: nachhaltige Investmentfonds: Umsätze 2003 und 2013 - SBI (Sustainable Business Institut) www.nachhaltiges-investment.org, Anteil am Gesamtmarkt 2013 - eigene Einschätzung; Biolebensmittel: BÖLW 2014, 2011; <?page no="178"?> Herausforderungen 179 2.4.3 Nachhaltigkeitsaspekte entlang der touristischen Leistungskette aus der Sicht eines (nachhaltigkeitsbewussten) Konsumenten Die Ergebnisse der neuesten Reiseanalyse zeigen, dass sich 40 % der Bevölkerung einen umweltverträglichen Urlaub wünscht, im Hinblick auf die Sozialverträglichkeit des Urlaubs sind es sogar 46 % (vgl. LOHMANN 2013: 6). Die Fragen, die sich angesichts dieser hohen Zahlen stellen, sind zum einem, inwieweit sich diese Erwartungen im tatsächlichen Verhalten widerspiegeln, und zum anderen, welche Möglichkeiten ein nachhaltigkeitsbewusster Bürger hat, um seinen Urlaub umweltbzw. sozialverträglich zu gestalten. Die Antworten kann die Betrachtung der Nachhaltigkeitsaspekte entlang der touristischen Leistungskette liefern: Vorbereitung, An- und Abreise, Reiseziel, Unterkunft und Verpflegung sowie Mobilität und Aktivitäten vor Ort. 14 Naturkosmetik: 2013 - NATURKOSMETIK E.DAMBACHER UG (HAFTUNGS- BESCHRÄNKT) 2014), 2003 - eigene Einschätzung; Fairtrade-Produkte: TRANSFAIR E.V./ RUGMARK 2007, TRANSFAIR E.V. o.J.; Ökostrom: 2012 - BUNDESNETZ- AGENTUR/ BUNDESKARTELLAMT 2014, 2003 - eigene Einschätzung. 14 Auf die Nachbereitung - die letzte Stufe der Reisekette - wird nicht eingegangen, da sie vor allem Maßnahmen der Tourismuswirtschaft wie Befragung der Gäste oder Finanzierung von sozialen/ ökologischen Projekten vor Ort beinhaltet (vgl. (WWF DEUTSCHLAND et al. o.J.: 9). <?page no="179"?> 180 Nachhaltiger Tourismus Abb. 10: Touristische Leistungskette (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an KLEIN 2014: Titelseite) Hervorzuheben ist an dieser Stelle vor allem, dass ein Reisender zwar in jeder Stufe der Reisekette eine nachhaltigere Alternative wählen kann, allerdings sind die Klimafolgen seiner Wahl sehr unterschiedlich. Die klimawirksamsten Entscheidungen gehören dabei gleichzeitig zu denen, wo die Bereitschaft der Bevölkerung - auch der nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten - nachhaltigere Alternativen zu wählen, am geringsten ist. Beispiel: Reisekompass des WWF Die Naturschutzorganisation WWF hat einen Reisekompass ausgearbeitet, in dem jeder Reisende mithilfe eines Fragebogens überprüfen kann, wie nachhaltig seine Reise war. Anhand der Fragen zu einzelnen Bausteinen der touristischen Leistungskette wird der Nachhaltigkeitsgrad einer Reise ermittelt - von einer bewussten über annehmbare, bedenkliche bis hin zu einer sehr bedenklichen Reise. (Der Fragebogen kann unter www.wwf.de heruntergeladen werden). Vorbereitung Die nachhaltige Gestaltung einer Reise setzt voraus, dass man sich als Reisender Gedanken über ihre Auswirkungen macht. Und bereits hier setzen die ersten Probleme ein. Zum einen ist das Konzept des nachhaltigen Tourismus den <?page no="180"?> Herausforderungen 181 meisten Konsumenten unbekannt (vgl. u.a. TUI TRAVEL PLC 2010: 20). Zum anderen wird von vielen Reisenden die Suche nach Informationen zu nachhaltigeren Reisealternativen als schwierig empfunden (vgl. ebd.: 23). An dieser Stelle heben sich die nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten sowohl durch eine größere Vertrautheit mit dem Konzept als auch durch die gezielte Suche nach Angeboten zum nachhaltigen Tourismus ab (vgl. KLEIN 2014: 278-279). Zur Vorbereitung einer Reise gehört ebenfalls die Entscheidung hinsichtlich der Organisationsform . Hier zeichnen sich LOHAS durch ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einer flexiblen, individuellen Gestaltung ihres Urlaubs aus. Damit verbunden ist eine geringere Nachfrage nach Pauschalreisen und hier insbesondere Kreuzschifffahrten bzw. All-inclusive-Angeboten (vgl. u.a. ebd.: 263; KLADE et al. 2010; RAY/ ANDERSON 2000: 37). Als eine Möglichkeit zur Bewertung der Nachhaltigkeit einer Reise sind die CSR-Maßnahmen und Kennzeichnungen des jeweiligen Unternehmens bzw. Produkts zu betrachten (zu detaillierten Informationen in Bezug auf CSR im Tourismus vgl. BALAS und STRASDAS in diesem Buch). Allerdings bietet sich hier dem Konsumenten ein zwiespältiges Bild. Auf der einen Seite gibt es einige Initiativen wie CSR-Tourism-certified oder forum anders reisen 15 , die als Hilfestellung bei der Suche nach nachhaltig(er)en Tourismusunternehmen genutzt werden können. Zugleich gibt es zahlreiche Siegel zur Kennzeichnung von nachhaltig(er)en touristischen Produkten. Auf der anderen Seite handelt es sich hier letztendlich um einige wenige Anbieter - bspw. generieren die Mitglieder von forum anders reisen weniger als 1 % der Umsätze des gesamten Reiseveranstaltermarktes. 16 Darüber hinaus schlägt sich die Vielfalt der unterschiedlichen Nachhaltigkeitslabel nicht in einer nennenswerten Marktabdeckung nieder und trägt eher zur Verwirrung als zur Orientierung bei. Demzufolge sind die touristischen Nachhaltigkeitsbzw. Umweltlabel der Mehrheit der Reisenden unbekannt und werden bei der Reiseplanung unberücksichtigt (vgl. LOH- MANN 2006: 17; HAMELE 2002: 1). Damit geht auch eine geringe explizite Nachfrage nach umweltverträglichen Reisen einher - laut der Untersuchung der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen sowie WWF Deutschland von 2009 haben nur 5 % der Befragten angegeben, ihren Urlaub bei Reiseveranstaltern zu buchen, die umweltverträgliche Reisen im Programm haben (vgl. F.U.R. 2009 zitiert nach: WWF Deutschland 2009: 7). 15 forum anders reisen: Zusammenschluss von nachhaltig agierenden Reiseveranstaltern. 16 Die Mitglieder des Verbandes forum anders reisen erreichten 2013 einen Umsatz in Höhe von 181,1 Mio. Euro (vgl. FORUM ANDERS REISEN E.V. 2014). Der gesamte Umsatz der deutschen Reiseveranstalter 2013 betrug 25,3 Mrd. Euro (vgl. DRV 2014: 17). <?page no="181"?> 182 Nachhaltiger Tourismus Man kann davon ausgehen, dass ebenfalls an dieser Stelle Unterschiede zwischen einem „Otto-Normalverbraucher“ und einem LOHAS bestehen und dass die nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten über einen höheren Bekanntheitsgrad von touristischen Gütesiegeln verfügen, sie häufiger bei der Reiseentscheidung berücksichtigen und häufiger nachhaltig(er)e Reiseangebote bzw. bei nachhaltig(er)en Reiseveranstaltern buchen (vgl. u.a. KLEIN 2014: 275-277; 284-286; WEHRLI et al. 2011: 35). Hervorzuheben ist insbesondere die Bedeutung der Nachhaltigkeitssiegel im Beherbergungsbereich - die Kennzeichnung mit einem Gütesiegel für nachhaltigen Tourismus gehört zu den wichtigsten Kriterien bei der Wahl einer Unterkunft durch die LOHAS (vgl. KLEIN 2014: 283). An- und Abreise Die Wahl des Verkehrsmittels für die An- und Abreise gehört zu den folgenschwersten Entscheidungen für die Umweltbilanz einer Reise. Je nach Transportmittel ergeben sich unterschiedliche Mengen an Schadstoffemissionen. Hier fallen insbesondere Flugreisen ins Gewicht, die einen vielfach höheren Schadstoffausstoß ausweisen als Reisen mit sonstigen Verkehrsträgern. Wie der folgenden Abbildung entnommen werden kann, gehören Bus und Bahn mit einem vergleichsweise geringen CO 2 -Ausstoß zu den nachhaltigeren Verkehrsalternativen, wobei die genauen Schadstoffemissionen pro Person von der jeweiligen Auslastung stark abhängig sind. Abb. 11: CO 2 -Emissionen unterschiedlicher Verkehrsträger in Gramm pro Personenkilometer (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an KOLODZIEJ 2009: 31) <?page no="182"?> Herausforderungen 183 WWF Deutschland hat die Schadstoffemissionen typischer Beispielurlaube der Deutschen berechnet und sie miteinander verglichen. Die bildhafte Darstellung der Fußabdrücke der einzelnen Urlaube zeigt deutlich, dass die durch eine Fernreise verursachten Emissionen ein „Jahres-CO 2 -Budget“ eines Reisenden ausschöpfen 17 . Dabei fällt der Großteil der Gesamtemissionen auf die An- und Abreise mit dem Flugzeug. Das bedeutet, dass auch bei der Wahl eines umweltfreundlichen Hotels vor Ort und einer umweltverträglichen Gestaltung der Aktivitäten vor Ort die Klimabilanz einer solchen Reise extrem schlecht ist. Abb. 12: Touristischer Fußabdruck einer zweiwöchigen Reise nach Mexico (München- Cancun) und an die Ostsee (Düsseldorf-Rügen) (Quelle: WWF Deutschland 2009: 12 f.) Die Wahl des Verkehrsmittels gehört nicht nur zu den folgenschwersten Entscheidungen für die Umweltbilanz einer Reise, sondern auch zu den Entscheidungen mit der höchsten Inkonsistenz zwischen den deklarierten Absichten/ Einstellungen und dem tatsächlichen Verhalten. Der Grund dafür liegt u.a. in den hohen Opportunitätskosten . Beim Verzicht auf den Flug als Verkehrsmittel bei einer Fernreise entstehen die Alternativkosten in Form von einem sehr großen Zeitaufwand für die Anreise mit einem Bus/ Zug/ Schiff oder aber in Form von der Wahl eines alternativen Nahreiseziels. Beides bedeutet einen sehr großen Nachteil für den Reisenden - einen deutlich höheren als dies bei der Entscheidung für nachhaltigere Alternativen in Bezug auf Unterkunft oder Verpflegung der Fall ist. Darüber hinaus kann der Verzicht auf einen Flug bei Fernreisen aus Nachhaltigkeitsgründen nur bedingt mit weiteren persönlichen Motiven zu Motivallianzen gebündelt werden. Anders als bspw. beim Kauf 17 Die verträglichen CO 2 -Emissionen werden auf rund 2,5 Tonnen pro Person/ Jahr geschätzt (vgl. Umweltbundesamt: http: / / uba.klimaktiv-co2-rechner.de/ de_DE/ popup/ ? cat=start). <?page no="183"?> 184 Nachhaltiger Tourismus von bio-zertifizierten Lebensmitteln, wo der ökologische Aspekt mit gesundheitlichen Vorteilen (keine Pestizide) bzw. einem besseren Geschmack verbunden werden kann, wird von nur wenigen Konsumenten der Flugverzicht mit anderen Gründen wie Flugangst oder Vorliebe für Bahnfahrten verknüpft. Die ursprünglich sehr hohen Kosten einer Flugreise haben durch die kontinuierlich sinkenden Flugpreise als ein wichtiges Motiv für die Nutzung nachhaltigerer Reisealternativen z.T. an Bedeutung verloren. Die oben genannten Hintergründe können also mitentscheidend dafür sein, dass an dieser Stelle LOHAS kein durchgängig umweltfreundliches Verhalten zeigen. Bei Handlungen mit niedrigen Opportunitätskosten nutzen sie häufiger nachhaltigere Alternativen, bei Reiseentscheidungen mit hohen Opportunitätskosten verhalten sie sich genauso wie der Rest der Bevölkerung. Das bedeutet, dass sie nicht auf die Flugreisen verzichten, gleichzeitig aber stärker umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Bus, Bahn oder Autos mit alternativem Antrieb nutzen. Und wenn sie fliegen, leisten sie Kompensationszahlungen - jedenfalls häufiger als weniger umweltbewusste Reisende (vgl. u.a. KLEIN 2014: 267; ADLWARTH 2009: 5) (detaillierte Informationen zu Kompensation von CO 2 -Emissionen vgl. BALAS und STRASDAS in diesem Buch). Reiseziel Im Hinblick auf die Wahl des Reiseziels zeigt sich deutlich die Problematik der angestrebten Gleichwertigkeit aller Nachhaltigkeitsdimensionen . Die weit entfernten Reiseziele sind nur mit einem Flug zu erreichen, sodass deren Besuch mit einem hohen Schadstoffausstoß verbunden ist. Der Verzicht auf Fernreisen würde allerdings zu einem großen ökonomischen Schaden für die betroffenen Länder führen, in denen der Tourismus oft einen erheblichen Anteil am gesamten Bruttoinlandsprodukt hat und zahlreiche Arbeitsplätze sichert. Mit anderen Worten - die Berücksichtigung der ökologischen Dimension würde zur Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Säulen der Nachhaltigkeit führen. Ein - wenn auch kein optimaler - Ausweg aus dieser Zwickmühle besteht in einem angemessenen Verhältnis zwischen der Reisedauer und dem Reiseziel . Der Verband forum anders reisen (http: / / forumandersreisen. de/ mitglieder_kriterienkatalog.php) gibt diesbezüglich folgende Empfehlungen, die als Hilfestellung für eine nachhaltigere Gestaltung einer Reise herangezogen werden können: keine Flüge in Zielgebiete unter einer Entfernung von 700 km, Zielgebiete über 700 km bis 2.000 km: eine Aufenthaltsdauer von mindestens 8 Tagen, Flugreisen über 2.000 km: Aufenthalt mindestens 14 Tage. <?page no="184"?> Herausforderungen 185 Eine weitere Möglichkeit besteht in der Einbeziehung von CO 2 -Effizienzklassen der Fluggesellschaften in den Entscheidungsprozess während einer Flugbuchung. Je nach Flugzeugmodel und Auslastung der Flotte einer Fluggesellschaft kann der Treibstoffverbrauch auf der gleichen Strecke doppelt so hoch sein wie bei einer anderen Fluggesellschaft (vgl. ATMOSFAIR 2013: 2). Als Entscheidungsgrundlage bietet sich bspw. der atmosfair Airline Index, der jährlich von der Kompensationsgesellschaft erstellt wird und in dem ca. 92 % des gesamten Weltluftverkehrs erfasst werden (vgl. ebd.). Bei der Wahl des Reiseziels durch die LOHAS kann anhand von Studienergebnissen davon ausgegangen werden, dass sie mindestens genauso oft (vgl. KLEIN 2014: 258) oder sogar häufiger (vgl. GÖSSLING et al. 2009) als Durchschnittsbürger Fernreisen unternehmen. Bei der Wahl der Reiseziele in Europa bevorzugen sie eher klassische Destinationen in Westeuropa und zeigen weniger Interesse an preiswerten Strandzielen im Süden (vgl. u.a. KLEIN 2014: 258- 260; ADLWARTH 2009: 6). Nachhaltigkeitsbewusste Konsumenten zeigen ebenfalls eine bestimmte Affinität für Reisen im eigenen Land und in die Nachbarländer (vgl. u.a. KLEIN 2014: 258-260; SCHOBER INFORMATION GROUP DEUTSCHLAND GMBH 2010: 9). Mobilität vor Ort Zu einer nachhaltig(er)en Reise gehört ebenfalls eine umweltfreundliche Fortbewegung vor Ort. Hier gilt es, die Reisenden von einer Nutzung der örtlichen ÖPNV-Angebote bzw. anderer umweltverträglicher Fortbewegungsmittel zu überzeugen. Die Verfügbarkeit von attraktiven Mobilitätskonzepten vor Ort gehört dabei zu einer wichtigen Voraussetzung; sie kann ebenfalls dazu beitragen, dass sich die Reisenden bei nahgelegenen Destinationen für die Anreise mit Bahn oder Bus entscheiden. Eine weitere wichtige Bedingung ist die entsprechende Vermarktung des jeweiligen Mobilitätskonzeptes. Die Besucher sollten sich möglichst unkompliziert bereits während der Reiseplanung über die Verkehrsangebote in der Region informieren können. Die Palette der möglichen Lösungen auf einer Destinationsebene ist sehr breit und reicht von einem vollständigen Verzicht auf motorisierten Individualverkehr, über Bereitstellung von Elektroautos durch die Beherbergungsbetriebe oder kostenlose Nutzung der ÖPNV-Angebote bis hin zur Umstellung der Verkehrsflotte auf Gas-, Hybrid- oder Elektrofahrzeuge. Das Ziel soll die Entwicklung einer intramodalen Mobilitätskette sein, die sicherstellt, dass nach einer Anreise mit Bahn oder Bus ein Umstieg auf andere umweltfreundliche Verkehrsmittel wie ÖPNV oder Elektroautos möglich ist. Mit solchen Angeboten erreicht man insbesondere die LOHAS, die am Urlaubsort verstärkt umwelt- <?page no="185"?> 186 Nachhaltiger Tourismus freundliche Fortbewegungsmittel in Anspruch nehmen (vgl. u.a. KLEIN 2014: 269; KIRIG et al. 2007: 76). Praxisbeispiele für nachhaltige Mobilitätskonzepte Die kleine Nordseeinsel Spiekerook hat sich für eine besondere Variante der Steuerung vom Verkehrsaufkommen entschieden - das Autofahren ist auf der Insel verboten. Dabei kommt den Einwohnern und den Besuchern die Tatsache zugute, dass die gesamte Insel problemlos zu Fuß erkundet werden kann. Und falls etwas transportiert werden muss oder es schnell gehen soll, dann leisten die kleinen Elektroautos die Arbeit - für die gilt kein Fahrverbot (mehr zu der Insel auf www.spiekeroog.de). Eine andere Destination, ein anderes Konzept: in Ruhpolding kommen alle Übernachtungsgäste in den Genuss einer eXtraKarte. Mit ihr können die Besucher die wichtigsten Freizeiteinrichtungen, Bergbahnen, Museen und ÖPNV-Angebote in der Region kostenlos oder vergünstigt nutzen (mehr zur eXtra Karte auf www.ruhpolding.de/ xtra). E-Mobilität im Allgäu : Im Rahmen eines Forschungsprojektes der Hochschule Kempten wurden im Allgäu mehrere Hotels und Tourismusinformationen mit Elektroautos ausgestattet, die dann an die Gäste für die Ausflüge in der Region vermietet wurden. Darüber hinaus gab es elektrisch betriebene Taxen, mit denen die Besucher vom Bahnhof zu ihrer Unterkunft kommen konnten (mehr zum Projekt auf www.ee-tour.de). Aktivitäten vor Ort Aus der Nachhaltigkeitssicht sind Aktivitäten zu bevorzugen, die: einen möglichst geringen CO 2 -Ausstoß verursachen, die Biodiversität nicht gefährden, im Einklang mit der Natur erfolgen, einen Kontakt zu der lokalen Bevölkerung herstellen, ohne deren kulturelle Vielfalt und Traditionen zu gefährden, den Bewohnern in der Region als Einkommensquelle zugutekommen. Dabei müssen immer die jeweiligen Rahmenbedingungen vor Ort berücksichtigt werden. Die gleiche Aktivität kann als annehmbar oder aber als äußerst bedenklich bewertet werden. Das Kanufahren bei extrem niedrigem Wasserpegel des Flusses kann zur Zerstörung des fragilen Flussbodens und somit zur Gefähr- <?page no="186"?> Herausforderungen 187 dung seltener Muschelarten führen; die gleiche Aktivität zu einer anderen Jahreszeit verursacht deutlich weniger Umweltauswirkungen. Zu den von nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten bevorzugten Aktivitäten gehört vor allem das Naturerleben (vgl. u.a. KLEIN 2014: 273; KLADE et al. 2010). Eine wichtige Rolle spielt ebenfalls die Entdeckung der regionalen Kultur, darunter das Ausprobieren von landestypischem Essen mit Produkten aus der Region sowie Kontakt mit der lokalen Bevölkerung (vgl. KLEIN 2014: 121). Damit sind LOHAS prädestinierte Kunden von Studienreisen, also „Urlaubsreisen, die sich […] vertieft mit Kulturen, Natur, Landschaften, Historie, Archäologie, Politik und anderen Themen von Ländern auseinandersetzen und dabei Sightseeing und Entspannung miteinander kombinieren.“ (DÖRNBERG et al. 2013: 18). Beispiel: Studiosus Der Münchner Studienreisespezialist Studiosus, der seine Angebote mit „Begegnen Sie Menschen und ihrer Kultur“ bewirbt, gehört zu den Pionieren des nachhaltigen Tourismus. Bereits 1998 ließ das Unternehmen als erster europäischer Reiseveranstalter sein Umweltmanagementsystem nach EMAS und DIN EN ISO 14001 zertifizieren. Alle Reisen werden so konzipiert, dass deren Umweltbelastungen möglichst gering sind; ein großer Wert wird ebenfalls auf sozial verantwortliches Reisen gelegt. Dafür werden bspw. Maßnahmen in das Reiseprogramm integriert, die zum Erhalt der Kultur einer Region im besonderen Maße beitragen, wie Essen mit Einheimischen oder Besuch von Schulen und Bildungseinrichtungen. Die Nachhaltigkeitsbemühungen des Unternehmens kommen bei Kunden gut an - Studiosus ist ein unangefochtener Marktführer in Deutschland im Bereich der Studienreisen (mehr zu Studiosus auf www.studiosus.com). Unterkunft/ Verpflegung Im Hinblick auf die Wahl einer Unterkunft zeigen sich am deutlichsten die Unterschiede zwischen den LOHAS und den weniger nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten. Es kann davon ausgegangen werden, dass für sie die Nachhaltigkeitsaspekte eine deutlich größere Rolle bei der Entscheidung für eine bestimmte Unterkunft spielen, als dies bei sonstigen Bürgern der Fall ist. Hier ist es vor allem die Verpflegung mit bio-zertifizierten, regionalen und saisonalen Gerichten, die von LOHAS erwartet bzw. gesucht wird (vgl. KLEIN 2014: 283-284). Zu nennen sind ebenfalls die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln <?page no="187"?> 188 Nachhaltiger Tourismus und die Kennzeichnung mit Nachhaltigkeitssiegeln, die als wichtige Kriterien in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden (vgl. ebd.). Bei der Suche nach entsprechenden Angeboten werden die LOHAS allerdings nur selten fündig. Die Anzahl der Unterkünfte mit einem Nachhaltigkeitslabel ist sehr gering - die Zahlen von 2004 gehen von weniger als 1 % der Unterkünfte in Europa aus (vgl. ECEAT/ ECOTRANS 2004). Darüber hinaus konzentrieren sich die neuentstehenden nachhaltig(er)en Betriebe auf den 4- und 5-Sterne- Bereich mit einem umfassenden Wellnessangebot. Es fehlen preiswertere Unterkünfte, die vielleicht auf bestimmte Annehmlichkeiten wie Kühlschrank im Zimmer oder eigener Pool verzichten, dafür aber eine Verpflegung in Bioqualität anbieten. Die unzureichende Anzahl von entsprechenden Hotelangeboten könnte einer der Gründe für die Bevorzugung von Ferienwohnungen und -häusern durch die LOHAS sein (vgl. KLEIN 2014: 270). Diese Unterkunftsart bietet zum einen die Möglichkeit der Selbstverpflegung, die dann mit Bio-, regionalen und saisonalen Lebensmitteln erfolgen kann, und zum anderen auch eine höhere Flexibilität und individuelle Gestaltung des Urlaubs. Beispiel: BIO HOTELS BIO HOTELS sind laut Eigenwerbung der größte Zusammenschluss ökologischer Hotels. Die zu der Vereinigung gehörenden Betriebe setzen konsequent auf Nachhaltigkeit, u.a. durch die Bio-Standards für Lebensmittel, Kosmetika und Textilien, Bevorzugung von regionalen Produkten und Versorgung mit Ökostrom. Damit treffen sie genau die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe: „Für knapp zwei Drittel der Besucher war das Bio- Konzept der ausschlaggebende Grund zur Buchung.“ (KIRIG et al. 2007: 77). Zusammenfassung Nachhaltiger Konsum wird definiert als Konsumhandlungen, die ökologisch, sozial und ökonomisch vernünftig sind. Dabei wird zwischen zwei Stufen unterschieden: nachhaltiger Konsum im weiteren und engeren Sinne. Unter geteilter Verantwortung wird die Einbeziehung der Regierung/ Politik, Unternehmen und Gesellschaft/ Konsumenten für die Realisierung nachhaltigen Konsums verstanden. <?page no="188"?> Herausforderungen 189 Es kann zwischen folgenden Formen des nachhaltigen Konsumverhaltens unterschieden werden: Verzicht, Kaufverhalten (Teilen statt Besitzen und Kauf), Protestverhalten und Recycling. Unter Value-action-gap werden die Inkonsistenzen zwischen den Einstellungen und dem Verhalten verstanden. Diese treten in sog. Niedrigkostensituationen deutlich seltener auf. Lifestyles of Health and Sustainability (LOHAS) sind eine gesellschaftliche Bewegung von unterschiedlichen Lebensstilen, die die Werte Gesundheit und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt. Weitere wichtige Eigenschaften der LOHAS sind werteorientiertes Konsumverhalten, ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein, überdurchschnittliches gesellschaftliches Engagement und die Bereitschaft, für ihre Überzeugungen Einschränkungen hinzunehmen bzw. Verzicht auszuüben. Im Vergleich zu weniger nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten kann eine LOHAS-Reise wie folgt beschrieben werden: Sie findet eher in Deutschland bzw. in Nachbarländern bzw. eher in Westeuropa als in preiswerten Strandregionen in Südeuropa statt. Die An- und Abreise sowie Mobilität vor Ort erfolgen häufiger mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln wie Bus, Bahn oder Autos mit alternativem Antrieb. Das Natur- und Kulturerleben steht im Vordergrund der Reise. Die größten Unterschiede bestehen in Bezug auf die Kriterien für die Wahl einer Unterkunft - hier sind die Verpflegung mit bio-zertifizierten Lebensmitteln, Erreichbarkeit mit ÖPNV und Auszeichnung mit einem Nachhaltigkeitssiegel deutlich wichtiger. Zu bevorzugten Unterkunftsarten gehören Ferienhäuser und -wohnungen. Weiterführende Lesetipps BELZ et al. (Hrsg.; 2008): Nachhaltiger Konsum und Verbraucherpolitik im 21. Jahrhundert. Marburg. Eine gute Einführung in das Thema Nachhaltiger Konsum. BELZ/ PEATTIE (2009): Sustainability marketing. A global perspective. Chichester. <?page no="189"?> 190 Nachhaltiger Tourismus Eine verständliche Darstellung des Themas Nachhaltigkeitsmarketing mit vielen praktischen Beispielen. RAY/ ANDERSON (2000): The cultural creatives. How 50 million people are changing the world. New York. Das erste Werk über die Lifestyles of Health and Sustainability - hier als die Kulturell Kreativen bezeichnet. KIRIG et al. (2007): Zielgruppe Lohas. Wie der grüne Lifestyle die Märkte erobert. Kelkheim. Das erste Buch über die LOHAS auf dem deutschen Markt. KLEIN (2014): Lifestyles of Health and Sustainability: Gestaltung touristischer Angebote unter Berücksichtigung der LOHAS. Hamburg. Eine Dissertation zum Thema Reiseverhalten und Reisepräferenzen der nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten. GÖTZ/ SELTANN (2005): Urlaubs- und Reisestile - ein Zielgruppenmodell für nachhaltige Tourismusangebote. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung zu Urlaubsorientierungen und Reiseverhalten im Rahmen des Forschungsprojekts INVENT (Innovative Vermarktungskonzepte nachhaltiger Reiseangebote). Frankfurt am Main (ISOE-Studientexte, 12). Das Projekt INVENT mit Vermarktungskonzepten nachhaltiger Reiseangebote. Literatur Adlwarth, W. (2009): Corporate Social Responsibility. Kundenerwartungen und - Verhalten Im Bereich Tourismus. (Vortrag am 12. März 2009 auf der Internationalen Tourismus-Börse ). (http: / / www.nfi.at/ dmdocuments/ GfK_Handout_CSR_ITB_09.pdf vom 01.12.2012). atmosfair (Hrsg.; 2013): atmosfair Klimaranking der weltweit größten Fluggesellschaften. Fluggesellschaften werden effizienter - CO2-Emissionen steigen dennoch so stark wie in kaum einer anderen Industrie. (https: / / www.atmosfair.de/ portal/ documents/ 10184/ 43549/ Pressemitteilung_ AirlineIndex_DE_2013.pdf/ 7e584f96-09bf-47a4-bf69-a211cf369e37 vom 26.08.2014). Balderjahn, I. (1986): Das umweltbewußte Konsumentenverhalten. Eine empirische Studie. Berlin. <?page no="190"?> Herausforderungen 191 Belz, F.-M.; Bilharz, M. (2008): Nachhaltiger Konsum, geteilte Verantwortung und Verbraucherpolitik: Grundlagen. In: F.-M. Belz et al. (Hrsg.): Nachhaltiger Konsum und Verbraucherpolitik im 21. Jahrhundert. Marburg. S. 21-52. Bilharz, M. (2009): „Key Points“ nachhaltigen Konsums. Ein strukturpolitisch fundierter Strategieansatz für die Nachhaltigkeitskommunikation im Kontext aktivierender Verbraucherpolitik. Marburg. Blake, J. (1999): Overcoming the ‘value-action gap‘ in environmental policy: Tensions between national policy and local experience. - In: Local Environment. 4. Jg., 3, S. 257-278. BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit); UBA (Umweltbundesamt) (Hrsg.; 2010): Umweltbewusstsein in Deutschland 2010. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage (http: / / www.umweltdaten.de/ publikationen/ fpdf-l/ 4045.pdf vom 30.01.2013). BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit); UBA (Umweltbundesamt) (Hrsg.; 2013): Umweltbewusstsein in Deutschland 2012. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage (http: / / www.umweltdaten.de/ publikationen/ fpdf-l/ 4396.pdf vom 29.01.2013). BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V.) (Hrsg.; 2011): Zahlen, Daten, Fakten: Die Bio-Branche 2011 (http: / / www.boelw.de/ uploads/ media/ pdf/ Dokumentation/ Zahlen__Daten__ Fakten/ ZDF2011.pdf vom 02.09.2011). BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V.) (Hrsg.; 2014): Zahlen • Daten • Fakten. Die Bio-Branche 2014 (http: / / www.boelw.de/ uploads/ media/ pdf/ Dokumentation/ Zahlen__Daten__ Fakten/ ZDF_2014_BOELW_Web.pdf vom 31.08.2014). Bundesnetzagentur (Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen); Bundeskartellamt (Hrsg.; 2014): Monitoringbericht 2013 (http: / / www.bundesnetzagentur.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Allgemeines/ Bundesnetzagentur/ Publikationen/ Berichte/ 2013/ 131217_ Monitoringbericht2013.pdf? __blob=publicationFile&v=15 vom 31.08.2014). BVE (Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V.) (Hrsg.; 2014): Ernährungsindustrie. 2014 (http: / / www.bve-online.de/ download/ jahresbericht- 2014 vom 20.08.2014). Caplan, J. (2009): Going Green. Shoppers, Unite! Carrotmobs Are Cooler than Boycotts. - In: TIME (http: / / www.time.com/ time/ magazine/ article/ 0,9171,1901467,00.html vom 29.09.2011). <?page no="191"?> 192 Nachhaltiger Tourismus Diekmann, A.; Preisendörfer, P. (1992): Persönliches Umweltverhalten. Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. - In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44. Jg., 2, S. 226-251. Diekmann, A.; Preisendörfer, P. (1998): Umweltbewußstsein und Umweltverhalten in Low- und High-Cost-Situationen. Eine empirische Überprüfung der Low- Cost-Hypothese. - In: Zeitschrift für Soziologie. 27. Jg., 6, S. 438-453. Dörnberg, A. v. et al. (2013): Reiseveranstalter-Management. Funktionen, Strukturen, Management. München. Dr. Grieger & Cie. Marktforschung (Hrsg.; 2013): Beurteilung des Bio-Siegels durch Verbraucher (http: / / www.zahlendatenfakten.de/ statistiken/ tag/ Gütesiegel.html vom 21.08.2014). DRV (Deutscher ReiseVerband) (Hrsg.; 2014): Fakten und Zahlen 2013 zum deutschen Reisemarkt. Eine Übersicht zusammengestellt vom Branchenverband der Touristik (http: / / www.drv.de/ fileadmin/ user_upload/ Fachbereiche/ Statistik_und_Markt forschung/ Fakten_und_Zahlen/ 14-3-11_DRV_Zahlen_Fakten2013.pdf vom 12.03.2014). ECEAT; ECOTRANS (Hrsg.; 2004): Die Visit Initiative. Umweltzeichen für Tourismus in Europa - Veränderung des Marktes in Richtung Nachhaltigkeit (http: / / www.ecotrans.org/ visit/ docs/ pdf/ visit_de.pdf vom 23.11.2011). F.U.R. (Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen) (Hrsg.; 2009): Reiseanalyse 2009, Erste Ergebnisse, ITB 2009. Kiel. Fairtrade International (Hrsg.; 2013): Consumers Favour Fairtrade as Ethical Label of Choice. Fairtrade International releases 2012-13 annual report on „Unlocking the Power” (http: / / www.fairtrade.net/ fileadmin/ user_upload/ content/ 2009/ news/ releases_ statements/ 2013-09-03_ConsumersFavourFairtrade_Media_release_ FairtradeIntl.pdf vom 20.08.2014). Fishbein, M.; Ajzen, I. (1975): Belief, Attitude, Intention and Behavior: An Introduction to Theory and Research. Reading, Massachusetts (Addison-Wesley Series in Social Psychology). forum anders reisen e.V. (Hrsg.; 2014): Das forum anders reisen auf Wachstumskurs. (http: / / forumandersreisen.de/ aktuelles.php? id=6617 vom 24.08.2014). Gössling, S. et al. (2009): Sustainable tourism futures. Perspectives on systems, restructuring and innovations. New York. Götz, K.; Seltmann, G. (2005): Urlaubs- und Reisestile - ein Zielgruppenmodell für nachhaltige Tourismusangebote. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung zu Urlaubsorientierungen und Reiseverhalten im Rahmen des Forschungsprojekts INVENT (Innovative Vermarktungskonzepte nachhaltiger Reiseangebote). Frankfurt am Main (ISOE-Studientexte, 12). <?page no="192"?> Herausforderungen 193 Hamele, H. (2002): Urlaub 2002: Deutsche Urlauber erwarten Umweltqualität! (http: / / www.eco-tip.org/ Umweltaz/ presse-270302-de.pdf vom 23.11.2011). Kirchgeorg, M.; Greven, G. (2008): Motivallianzen als Treiber des nachhaltigen Konsums. - In: Marketing Review St. Gallen, 4, S. 50-55. Kirig, A. et al. (2007): Zielgruppe Lohas. Wie der grüne Lifestyle die Märkte erobert. Kelkheim. Kirig, A.; Wenzel, E. (2009): LOHAS. Bewusst grün - alles über die neuen Lebenswelten. München. Klade, M. et al. (2010): LOHAS in Österreich. Ergebnisse der ersten österreichischen Studie zu LOHAS und nachhaltigem Tourismus (http: / / www.ifz.tugraz.at/ Projekte/ Oekologische-Produktpolitik/ Abgeschlossene-Projekte/ Nachhaltige-Trendsetter/ CD-Rom-LOHAS-in- Oesterreich-und-Berichte2 vom 06.12.2011). Klein, A. (2014): Lifestyles of Health and Sustainability: Gestaltung touristischer Angebote unter Berücksichtigung der LOHAS. Hamburg. Kolodziej, A. (2009): Daten zum Verkehr. Ausgabe 2009. Hrsg. v. Umweltbundesamt. Berlin. Lohmann, M. (2006): Aktuelle Urlaubsreisetrends - Reisen wie die Weltmeister? - (http: / / www.wissen.dsftberlin.de/ medien/ MAR/ mar_mafo_aktuelle_urlaubsreisetrends_fur.pdf vom 26.11.2011). Lohmann, M. (2013): Nachhaltige Nachfrage im Tourismus - wie wichtig sind den Deutschen Ökologie und Sozialverträglichkeit von Urlaubsprodukten? Ergebnisse der Reiseanalyse 2013 (http: / / www.fur.de/ fileadmin/ user_upload/ Newsletter/ Newsletter_Jun2013/ R A_NL_Jun2013_Nachhaltigkeit.pdf vom 24.08.2014). Micheletti, M. et al. (2004): Introduction. In: M. Micheletti, A. Follesdal und D. Stolle (Hrsg.): Politics, products, and markets. Exploring Political Consumerism Past and Present. New Brunswick. S. ix-xxvi. naturkosmetikverlag e.dambacher UG (haftungsbeschränkt) (Hrsg.; 2014): Naturkosmetik Jahrbuch 2014. Leseprobe (http: / / www.naturkosmetik-verlag.de/ downloads/ Leseprobe_JB2014.pdf vom 31.08.2014). NCC (National Consumer Council); SDC (Sustainable Development Commission) (Hrsg.; 2006): I will If you will. Towards sustainable consumption (http: / / www.sd-commission.org.uk/ data/ files/ publications/ I_Will_If_You_ Will.pdf vom 08.02.2013). Ray, P. H.; Anderson, S. R. (2000): The cultural creatives. How 50 million people are changing the world. New York. <?page no="193"?> 194 Nachhaltiger Tourismus Rink, D. (2002): Lebensweise, Lebensstile und Lebensführung. Soziologische Konzepte zur Untersuchung von nachhaltigem Leben. In: D. Rink (Hrsg.): Lebensstile und Nachhaltigkeit. Konzepte, Befunde und Potentiale. Opladen: Leske + Budrich (Reihe „Soziologie und Ökologie“, 7), S. 27-52. Rumpf, F. (2010): Cluburlaub - wie Brot und Spiele, nur in Badehose. - In: Die Welt (http: / / www.welt.de/ 7483768 vom 21.02.2014). Schober Information Group Deutschland GmbH (Hrsg.; 2010): Schober Lifestyle- Report. LOHAS - Lifestyle of Health and Sustainability: neue Einblicke in den neo-ökologischen Lifestyle. Spangenberg, J. H.; Lorek, S. (2001): Sozio-ökonomische Aspekte nachhaltigkeitsorientierten Konsumwandels. - In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 24. Jg., S. 23- 29. Stolle, D.; Hooghe, M. (2004): Consumers as Political Participants? Shifts in Political Action Repertoires in Western Societies. In: M. Micheletti et al. (Hrsg.): Politics, products, and markets. Exploring Political Consumerism Past and Present. New Brunswick. S. 265-288. TransFair e.V. (Hrsg.; o.J.): TransFair. Jahresbericht 2013/ 2014 (http: / / www.fairtrade-deutschland.de/ fileadmin/ user_upload/ materialien/ allgemein/ transfair_jahresbericht_2013_2014.pdf vom 31.08.2014). TransFair e.V.; (RugMark) (Hrsg.; 2007): Jahresbericht 2006 - Ausblick 2007 (http: / / www.fairtrade-deutschland.de/ fileadmin/ user_upload/ materialien/ download/ download_jahresbericht0607.pdf vom 31.08.2014). TUI Travel PLC (Group Marketing TUI Travel International Consumer Research) (Hrsg.; 2010): TUI Travel Sustainability Survey 2010 (http: / / www.tuitravelplc.com/ system/ files/ susrep/ TUITravelSustainability Survey.pdf vom 08.04.2013). Wehrli, R. et al. (2011): Is there Demand for Sustainable Tourism? Study for the World Tourism Forum Lucerne 2011. First draft of the long version, April, 5, 2011. Hrsg. v. Lucerne University of Applied Sciences and Arts. Luzern (ITW Working Paper Series, 01/ 2011). WWF (World Wide Fund For Nature Deutschland) (Hrsg.; 2009): Der touristische Klima-Fußabdruck. Neuauflage 2009. Frankfurt am Main. WWF (World Wide Fund for Nature Deutschland) et al. (Hrsg.; o.J.): Einkaufsführer. Bewusst reisen (http: / / www.reisekompass-online.de/ pdf/ 1.pdf vom 11.07.2009) <?page no="194"?> 2.5 Soziale und kulturelle Herausforderungen im Tourismus von M.A. Dörte Beyer Bei der ganzheitlichen Betrachtung von Nachhaltigkeit ist neben den ökologischen und ökonomischen Herausforderungen die soziale Komponente von großer Bedeutung und sie findet zunehmend Beachtung. Bei der Gestaltung eines nachhaltigen Tourismus kommt es darauf an, sozialgesellschaftliche, ökologische und ökonomische Fragen zu verbinden. Dabei sind die sozialen Aspekte äußerst komplex und aufgrund zahlreicher Wechselwirkungen in den drei Bereichen schwer voneinander abgrenzbar und bewertbar. Soziokulturelle Änderungen lassen sich nicht direkt monetär messen und es gibt keine einheitliche Methode der Erfassung soziokultureller Auswirkungen, weshalb derartige Fragestellungen bislang wenig in ökonomische Untersuchungen einbezogen wurden. Im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen und einer gestiegenen Sensibilität, insbesondere in den Entsendeländern gegenüber negativen Folgen von Tourismus, rückten die sozialen und außerökonomischen Aspekte mehr in den Vordergrund des Interesses (vgl. FREYER 2001: 365 ff.). Lernziele In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Was ist soziale Nachhaltigkeit und wie kann man sie beschreiben? Welche soziokulturellen und sozioökonomischen Auswirkungen hat der Tourismus? Welche Vorteile und welche Probleme ergeben sich aus den Begegnungen von Touristen, Einheimischen und Touristikern in sozialer Hinsicht? Wie lassen sich Vorteile effektiv nutzen und Probleme mindern oder idealerweise ganz vermeiden? 2.5.1 Soziale Nachhaltigkeit Auslöser der Nachhaltigkeitsdebatte waren zunehmende und nicht mehr übersehbare Umweltprobleme in den 1960er und 70er Jahren. Im Zuge der Globalisierung wurde deutlich, dass Umweltpolitik im Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik und damit mit sozialen Belangen betrachtet werden muss. Seit dem Ende der 1980er Jahre werden Umweltprobleme als globale Herausforde- <?page no="195"?> 196 Nachhaltiger Tourismus rung gesehen und in Zusammenhang mit sozialen und ökonomischen Fragestellungen gebracht (LITTIG, GRIESSLER 2004). Im Brundtland-Bericht von 1987 werden vier zentrale globale Problembereiche benannt, darunter drei mit sozialem Bezug: die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, die wachsende Armut, die Bedrohung von Frieden und Sicherheit (WCED 1987). Das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit oder auch Verteilungsgerechtigkeit ist seitdem wichtiger Bestandteil der nachhaltigen Entwicklung. In der auf der UN-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 verabschiedeten Agenda 21 finden sich Themenschwerpunkte zu sozioökonomischen Fragestellungen wie Armutsbekämpfung, Konsumgewohnheiten, Bevölkerung und Gesundheit sowie zur Rolle wichtiger Akteursgruppen wie z.B. Frauen, Kinder und Jugendliche, indigene Völker und Einheimische sowie Arbeitnehmer*innen. Zentrales Ziel ist die Bekämpfung der Armut: Alle Menschen sollen die Möglichkeit haben, die eigene Existenz nachhaltig zu sichern (UNEP o.J.). Von diesem Ziel ist man noch weit entfernt: Mehr als eine Milliarde Menschen leben in extremer Armut, ca. 30.000 Menschen sterben täglich (! ) an Ursachen, die mit Armut, vor allem mit der daraus resultierenden Mangelernährung in Verbindung gebracht werden (WORLD VISION INSTITUT FÜR FOR- SCHUNG UND INNOVATION 2008). Definition absolute/ extreme Armut Von absoluter oder extremer Armut spricht man nach einer Definition der Weltbank, wenn eine Person pro Tag nur ungefähr einen US- Dollar zum Leben zur Verfügung hat. Von extremer Armut spricht man vor allem im Zusammenhang mit Entwicklungsländern, jedoch findet sich auch in den Industrieländern Armut. <?page no="196"?> Herausforderungen 197 Definition relative Armut Die relative Armut findet man in Wohlstandsgesellschaften. Angehörige einer relativ armen „Unterschicht“ müssen mit weniger als der Hälfte des in diesem Land üblichen Durchschnittseinkommens leben. Aber auch in Entwicklungsländern spricht man von relativer Armut, wenn das absolute Einkommen für den einzelnen zwar steigt, die Verteilung innerhalb der Gesellschaft und die Stellung der Personen jedoch weiterhin ungleich sind bzw. die Unterschiede sogar zunehmen (ADERHOLD et al. 2013). Neben der extremen und relativen Armut, die jeweils monetär am Einkommen gemessen wird, gibt es die „gefühlte oder auch soziokulturelle“ Armut. Menschen, die sich aufgrund bestimmter Umstände von der Gesellschaft ausgegrenzt oder diskriminiert fühlen, betrachten sich selbst als „arm“ bzw. fürchten, dass sich ihre wirtschaftliche Lage verschlechtern wird und sie in Armut leben müssen (WORLD VISION INSTITUT FÜR FORSCHUNG UND INNO- VATION 2008). Tourismus kann unter Umständen Armut verringern. Schwierig ist eine Definition von sozialer Nachhaltigkeit . So wird dieser Begriff je nach Kontext unterschiedlich verwendet und interpretiert. Durch die Erweiterung „soziokulturell“ oder „sozioökonomisch“ werden verschiedene Schwerpunkte gesetzt. Definition soziale Nachhaltigkeit Ausgehend vom Brundtland-Bericht wird soziale Nachhaltigkeit als Prinzip verstanden, in der Gegenwart keine irreversiblen Änderungen zuzulassen, die für zukünftige Generationen schlechtere Lebensbedingungen zur Folge haben (Stichwort: intergenerationelle Verteilungsgerechtigkeit). Das Peco-Institut fordert auf seiner Internetseite zum Projekt Solidarisch Einkaufen bezüglich der sozialen Nachhaltigkeit: „[…] sozial/ gesellschaftlich so zu handeln, dass alle Menschen an der gesellschaftlichen Entwicklung nicht nur teilhaben, sondern sie auch mitgestalten können, das heißt zum Beispiel: gute Lebens- und Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung der Arbeitnehmer*innen im Betrieb und in der Gesellschaft (in der Gemeinde, Vereinen etc.), […]“ (vgl. PECO-INSTITUT 2014). <?page no="197"?> 198 Nachhaltiger Tourismus Abb.1: Dimensionen der Nachhaltigkeit (Quelle: PECO-INSTITUT 2014 nach GRAFFENRIED 2009) Die Möglichkeit zum Teilhaben und Mitgestalten aller Mitglieder einer Gesellschaft als Grundvoraussetzung für eine gerechte und lebenswerte Welt ist hier der Schlüssel zur sozialen Nachhaltigkeit. Themen und Indikatoren zur sozialen Nachhaltigkeit Das Beschreiben oder auch Messen sozialer Nachhaltigkeit ist schwierig, da unterschiedliche Ideologien und Wertevorstellungen in den einzelnen Kulturen sowie subjektive Ansichten des Einzelnen eine objektive und international vergleichbare Betrachtung der Gegebenheiten fast unmöglich machen. Zudem lassen sich viele Sachverhalte nicht zielführend quantifizieren oder sinnvolle Schwellenwerte festlegen. Hilfreich zur Annäherung an den Begriff der sozialen Nachhaltigkeit ist ein Blick auf das von der United Nations Conference on Sustainable Development (UNCSD) entwickelte Indikatorsystem zur Messung der nachhaltigen Entwicklung. <?page no="198"?> Herausforderungen 199 Unter der Beteiligung von rund 100 internationalen Fachleuten war in einem fünf Jahre währenden Prozess zwischen 1995 und 2000 ein Indikatorensystem entwickelt worden, das nach Tests in 22 Ländern und daraus resultierenden Änderungen und Weiterentwicklungen 58 zentrale Indikatoren enthält, wovon 19 den sozialen Bereich charakterisieren (LITTIG, GRIESSLER 2004: 33). Basierend auf diesem System hat die Europäische Kommission 2001 ein auf europäische Verhältnisse angepasstes Indikatorensystem mit wenigen Änderungen aufgestellt. Hier finden sich die Kernthemen wie Gleichheit und Gerechtigkeit, Gesundheit und Ausbildung und nicht zuletzt Wohnen und Sicherheit als Grundvoraussetzungen für eine lebenswerte und gerechte Welt wieder. Diese Themen entsprechen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEdMR), die bereits 1948 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde und jedem Menschen auf der Welt u.a. das Recht auf Freizügigkeit und Meinungsfreiheit, das Recht auf Nahrung und Wohnung, auf Arbeit und faire Arbeitsbedingungen oder auf Bildung und Gesundheit zuspricht. Auf alle diese Bereiche hat der Tourismus mehr oder weniger direkt Einfluss. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über gemeinsame Themen, Subthemen und Indikatoren der UNCSD und EU im Bereich soziale Nachhaltigkeit. Die von der EU für Europa veränderten Indikatoren sind kursiv gekennzeichnet. Thema Subthema Indikatoren UNCSD und Eurostat Gleichheit Armut Bevölkerungsanteil unter der Armutsgrenze, Gini- Index für Einkommensungleichheit, Arbeitslosenrate, Jugendarbeitslosenrate, Sozialleistungen pro Kopf Geschlechtergerechtigkeit Verhältnis Durchschnittseinkommen von Frauen zu dem von Männern Wohlfahrt für Kinder Wohlfahrt für Kinder Gesundheit Ernährungsstatus Ernährungsstatus der Bevölkerung Mortalität Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt, Mortalitätsrate von Unter-5-Jährigen (nur UNCSD), Säuglingssterblichkeit Krankheit Mortalität aufgrund ausgewählter Schlüsselkrankheiten Kanalisation Bevölkerungsanteil mit adäquaten Abwasserentsorgungseinrichtungen (nur UNCSD) bzw. Anschluss an Kanalisation <?page no="199"?> 200 Nachhaltiger Tourismus Trinkwasser (UNCSD) Bevölkerung mit Zugang zu sauberem Trinkwasser Gesundheitsversorgung Bevölkerungsanteil mit Zugang zu Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung, Impfraten gegen Infektionskrankheiten im Kindesalter, Verbreitungsraten von Verhütungsmethoden (alle nur UNCSD), nationale Gesundheitsausgaben, Impfung gegen Kinderkrankheiten Bildung Ausbildungsstand bzw. Ausbildungsgrad Kinder mit abgeschlossener 5. Klasse der Grundschule, abgeschlossene Ausbildung der Sekundärstufe von Erwachsenen (alle nur UNCSD), Grad der erreichten Ausbildung Lese- und Schreibfähigkeit Rate der Lese- und Schreibfähigkeit bei Erwachsenen (nur UNCSD), niedriger Ausbildungsstand Wohnung Lebensbedingungen bzw. -verhältnisse Quadratmeter pro Person (nur UNCSD), Anzahl der Räume pro Kopf, Haushaltszusammensetzung Sicherheit Kriminalität Anzahl gemeldeter Verbrechen Bevölkerung Bevölkerungsveränderungen bzw. demographischer Wandel Wachstumsrate der Bevölkerung, Bevölkerung in urbanen formalen und informalen Siedlungen (letztes nur UNCSD), Bevölkerungsdichte und Nettomigrationsrate Tabelle 1: UNCSD und EU-Indikatoren für soziale Nachhaltigkeit (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an LITTIG, GRIESSLER 2004: 34 und 43 Kursiv: nur EU Indikator) Zusammenfassung Soziale Nachhaltigkeit definiert sich über den Erfüllungsgrad der Grundbedürfnisse der Menschen zur Sicherung einer Lebensqualität - dazu zählen Gesundheit und Bildung, menschenwürdige Unterkünfte und Sicherheit sowie ein existenzsicherndes Einkommen, die Partizipation bzw. die Möglichkeit zur Mitgestaltung der Entwicklung und Teilhabe an der Gesellschaft, die Chancengleichheit unabhängig von der sozialen oder geographischen Herkunft, vom Geschlecht, Alter, sexuellen Neigungen oder körperlichen Beeinträchtigungen, <?page no="200"?> Herausforderungen 201 eine gerechte Verteilung der Ressourcen innerhalb einer Generation und generationsübergreifend. 2.5.2 Soziale Nachhaltigkeit im Tourismus Entsprechend dem Verständnis von Nachhaltigkeit zielt ein sozial nachhaltiger Tourismus darauf, zur Steigerung der Lebensqualität und zur Befriedigung materieller und immaterieller Bedürfnisse, sowohl für die Gesamtgesellschaft als auch für das Individuum, beizutragen (vgl. BREIDENBACH 2002: 165 ff.). Hierbei ist zu beachten, dass dabei die Lebensqualität aller Beteiligten, die sich im Tourismus begegnen, zu berücksichtigen ist. „Beteiligte“ im Tourismus sind hauptsächlich drei Personengruppen, die sich hier mehr oder weniger konfliktfrei begegnen und damit auf unterschiedliche Weise von diesem beeinflusst werden und Einfluss nehmen (können): die Reisenden, die Bereisten, die Touristiker. Die Reisenden , auch als Gäste, Fremde, Urlauber, Traveller, Weltenbummler, Globetrotter oder Touristen bezeichnet, sind nach OECD-Definition „Personen, die sich mindestens 24 Stunden außerhalb ihres Wohnorts aufhalten zu beruflichen, vergnüglichen oder anderen Zwecken.“ (FREYER 2001: 70). Dies gilt nicht für Aufenthalte im Rahmen der regulären Arbeit, im Studium oder bei Daueraufenthalt. Vor, während und nach der Reise haben sie Kontakt zu den im Tourismus Arbeitenden - in der Regel in Form von „König Kunde“ zum „Dienstleister“. Im Urlaub ergeben sich mehr oder weniger direkt, geplant oder zufällig Begegnungen mit Einheimischen und deren Kultur im Urlaubsgebiet. Erwartungen der Reisenden Dienstleistung, Rundum-sorglos-Versorgung, Service, Freundlichkeit Sicherheit, Ehrlichkeit, Authentizität gutes Preis-Leistungs-Verhältnis Berücksichtigung individueller Bedürfnisse Erlebnisse, Entspannung, Abstand vom Alltag, Erholung Die Bereisten sind die Einheimischen in den Zielgebieten, die die Reisenden und deren Verhalten für eine lange Saison „ertragen“ müssen, ohne sich dem <?page no="201"?> 202 Nachhaltiger Tourismus immer entziehen zu können. Tourismus kann von den Bereisten als Fluch oder Segen empfunden werden. Gar keine Begegnungen entstehen beim sogenannten Cluburlaub oder Urlaub in Ferienresorts, wo der Urlauber in abgeschirmten und abgesperrten Ferienwelten den gesamten Urlaub verbringt und dort rund um die Uhr mit Essen und Aktivitäten versorgt wird. Die Einheimischen sind bis auf die Angestellten in der Regel von diesen Flächen ausgegrenzt und haben kaum Möglichkeiten, finanziell von den Reisenden zu profitieren. Erwartungen der Bereisten bzw. Einheimischen finanzieller Benefit durch Tourismus Verbesserung der Lebensqualität, verbesserte Infrastruktur durch touristische Investitionen Respekt vor der eigenen Kultur, Religion, Lebensweise, Alltagsleben Privatsphäre, Ruhe vor Touristen, wenn gewünscht Kontrolle über die touristische Entwicklung, Partizipation bei Planung und Umsetzung keine Ausgrenzung oder Verdrängung durch Tourismus aufgrund und Boden sowie bei der Verteilung der Ressourcen (z.B. Wasser) Die Touristiker , die im Tourismus Arbeitenden, sind einheimische oder nicht einheimische Anbieter und deren Beschäftigten in den Tourismusunternehmen, im Regionalmanagement, in Tourismus-Consultingbüros und nicht zuletzt in staatlichen Planungsbehörden. Tourismusunternehmen wollen die Heimat der „Bereisten“ für den Tourismus nutzen und mitunter umgestalten. Nicht immer werden diese in die Planung und Umsetzung einbezogen. Vor allem in den Entwicklungsländern sind die touristischen Anlagen oft im Besitz ausländischer Investoren und die Gewinne fließen ins Ausland ab. Den Tourismus prägen sehr viele Klein- und mittelständische Unternehmen. In kleinen Unternehmen müssen oft wenige Beschäftigte viele Funktionen und Aufgaben - und das über eine normale 40-Stunden-Woche hinaus - übernehmen. Erwartungen der Touristiker bzw. Angestellten: sinnerfüllende und zufriedenstellende Arbeit Gewinne bzw. Einkommen, faire Bezahlung, ausreichend zur Existenzsicherung Ausbildung und persönliche Entwicklung, Karriere <?page no="202"?> Herausforderungen 203 Respekt und Wertschätzung der Arbeit durch die Gäste Im Idealfall - sozial nachhaltig - bestätigen sich die Erwartungen aller Beteiligten. In der Realität jedoch bleiben viele Erwartungen unerfüllt, woraus die Konflikte resultieren. 2.5.3 Die Reisenden und die Bereisten - Stereotype, Akkulturation, ethische Aspekte Die Zahl der Reisenden ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und wird Prognosen von Tourismusexperten zufolge weiter steigen. Spiegel online meldete im Januar 2014 - und beruft sich dabei auf Zahlen der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) -: „Das Wachstum übertraf die Erwartungen der Branche deutlich: Im Jahr 2013 stieg die Touristenzahl weltweit auf fast 1,1 Milliarden. Ein deutliches Plus verbuchte Europa - speziell einige Länder, die stark von der Wirtschaftskrise betroffen sind.“ (SPIEGEL 2014) Diese hohen Touristenzahlen und vor allem deren rasante Entwicklung innerhalb weniger Jahrzehnte lassen ahnen, dass ökologische als auch soziokulturelle und sozioökonomische Auswirkungen nicht ausbleiben. Dabei darf nicht vergessen werden, dass bislang erst ein Bruchteil, ca. 3 bis 5 % der auf der Erde lebenden Menschen verreist. Mit zunehmendem Wohlstand in den Schwellen- und Entwicklungsländern wird auch hier die Reiseintensität zunehmen. Aufgrund dieser Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass Touristen gern mit dem Bild einer „Heuschreckenplage“ verglichen werden. Der Andrang vieler einzelner Touristen kann nur „bewältigt“ werden, wenn man sie „in Serie“ und in großen Einrichtungen abfertigt. Sie werden nur noch als einheitliche Masse und nicht als Individuen wahrgenommen und somit wird das Bild der Schafherde heraufbeschworen. Das beobachtete Verhalten einzelner, durch Unwissenheit oder Unsicherheit bedingte Fehltritte werden verallgemeinert auf alle Touristen übertragen. International durchgesetzt hat sich der Begriff Tourist. Dabei ist auffallend, dass dieser Begriff bei vielen Menschen eher negative Assoziationen auslöst und kein Reisender sich gern als Tourist bezeichnet. Schon in den 1980er Jahren hielt Krippendorf sinngemäß fest: Touristen marschieren im bunten Hemd und Tennissocken, mit Sonnenbrille und Kamera vor dem Bauch durch die Gegend und fotografieren alles. Sie sind weiß oder sonnenverbrannt und meist fett. Touristen bewegen sich in Herden und Rudeln - wie dumme Schafe. Ohne Reiseleiter sind sie verloren. Touristen kann man gut übers Ohr hauen. <?page no="203"?> 204 Nachhaltiger Tourismus Touristen wollen deutsches Essen und bewegen sich nur zwischen Hotel und Strand - das Gastgeberland interessiert sie nicht. Touristen fallen wie eine Insektenplage über die Gegend her, sind laut und rücksichtslos. Sie führen sich auf, als gehöre die Welt ihnen und tun Dinge, die sie zu Hause nie tun würden. Touristen erholen sich auf Kosten fremder Menschen und Kulturen und profitieren von der Armut. Sie selbst können sich alles leisten und lassen sich gern wie die Fürsten bedienen. Es steht in jedem Reiseführer, dass man sich nicht wie ein Tourist benehmen soll (verändert nach KRIPPENDORF 1984). In den Medien finden sich Aufstellungen zu den dümmsten Touristenfragen, den dümmsten Urlaubspannen oder den lustigsten Urlaubsbeschwerden. So beschweren sich Touristen, wenn im „Süßwasserpool“ das Wasser nicht süß schmeckt, im Hotel am Meer das Meer die ganze Nacht rauscht, im Gebirge die Wege bergauf führen oder beim Tagesausflug in die Wüste keine Möglichkeit zum Baden vorhanden ist (aus SCHOLZ 1990). Karikaturisten und Autoren nehmen dieses Klischee gern auf und verarbeiten - in der Regel in bissigen Satiren -, was sie selbst erlebt und beobachtet oder in Sekundärquellen gefunden haben. Satirischen Betrachtungen der Spezies „Tourist“ im Film Hotel very welcome - fünf westeuropäische Rucksacktouristen in Asien auf Sinnsuche Das Fest des Huhns - eine afrikanische Forschergruppe beobachtet und interpretiert auf ihre Weise das Verhalten der „Eingeborenen“ in Österreich Man spricht deutsch! - Eine typisch (? ) deutsche Familie am letzten Urlaubstag am Strand der italienischen Adria Aber sind alle Touristen wirklich so? Wie entstehen diese Stereotype? Definition Stereotype Stereotype sind vereinfachte, undifferenzierte Zuschreibungen und beinhalten Urteile zu Verhaltensweisen, Gewohnheiten, Fähigkeiten oder Erwartungen gegenüber anderen. Sie werden auf alle Mitglieder einer Gruppe übertragen, ungeachtet von deren Individualität und den sozialen Kontexten, aus denen heraus sie entstanden sind (vgl. CZOLLEK, PERKO, WEINBACH, 2012: 77). <?page no="204"?> Herausforderungen 205 Angehörige der Gruppe, für die diese Zuschreibungen gelten, können das als sehr verletzend empfinden. Manche Zuschreibungen haben punktuell einen Realitätsbezug, ohne dass der historische Kontext dabei berücksichtigt wird (vgl. CZOLLEK, PERKO, WEINBACH, 2012: 77). Die Realität wird verzerrt dargestellt, da nur subjektiv gewählte Ausschnitte einbezogen oder oberflächlich beobachtete Phänomene mit eigenen Wertvorstellungen interpretiert werden. Wie bei einem Eisberg sieht man „über dem Wasser“ nur konkrete Handlungen, Verhaltensweisen, die Körpersprache oder Äußerungen. Deren Grundlagen - die Gefühle, traditionellen Werte, Ideologien, Einstellungen oder Motive - sind „unter dem Wasser“ nicht sichtbar und vom Gegenüber nicht ohne Weiteres erkennbar. Sigmund Freud zog dieses Sinnbild des Eisbergs zur Erklärung der menschlichen Persönlichkeit heran (vgl. EGLE 2012). Auch Reisende und Bereiste sehen voneinander nur die „Spitze des Eisbergs“, woraus viele Missverständnisse, Fehlinterpretationen, Vorurteile und Stereotype und nicht zuletzt Konflikte resultieren. Stereotype werden durch die Familie und Freunde, durch die Medien, durch die Schule und andere Multiplikatoren geprägt und innerhalb von Generationen und generationsübergreifend weiter gegeben. Sie sind deswegen meist sehr langlebig, aber veränderbar. „Reisen veredelt den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf“, stellt Oscar Wilde schon vor mehr als 100 Jahren fest. „Der Tourist ist ein Kind des 20. Jahrhunderts, das nur reist, um seine Vorurteile bestätigt zu finden“, hält Joaquin Luna dagegen. Beide Zitate haben sicher ihre Berechtigung. Aber nicht nur „der typische Tourist“ ist ein Stereotyp, auch von den „Bereisten“ haben die Besucher meist ein stereotypes Bild im Kopf. Die Erwartung der Touristen, im Zielland ihre Klischeevorstellung bestätigt zu sehen, spielt im Tourismusmarketing eine große Rolle. In den Reiseprospekten wird mit Stereotypen in Bild und Wort geworben. Italien und Dolce Vita gehören dabei genauso zusammen wie Brasilien und Temperament oder Bayern und die Lederhose. Wo die Realität nicht zu den Erwartungen passt, wird nachgeholfen und das gewünschte Bild inszeniert - aus traditioneller Kultur wird so Folklore. Am Schloss Neuschwanstein z.B. trägt das männliche Museumspersonal Lederhosen, weil insbesondere amerikanische Touristen erwarten, dass jeder Deutsche Lederhosen trägt. Die Touristen als Problem zu empfinden, begannen die Einheimischen, als das Reisen zum Massenphänomen wurde. Während der einzelne Tourist nur zwei bis drei Wochen bleibt, zieht sich für die Bereisten die Anwesenheit von Touristen über eine ganze Saison, mitunter auch durch das ganze Jahr. <?page no="205"?> 206 Nachhaltiger Tourismus Jedoch lehnen die Einheimischen die Touristen nicht grundsätzlich ab. Viele Bereiste leben von den Touristen, ohne direkt in der Tourismusbranche angestellt zu sein. Sie verkaufen handwerkliche oder landwirtschaftliche Produkte, Speisen und Getränke, verdienen als Taxifahrer, Vermieter, Kofferträger u.ä oder auch durch (organisiertes) Betteln oder Stehlen ihren Lebensunterhalt. Kontakte zwischen Touristen und Einheimische können für beide Seiten sehr bereichernd sein - nicht nur in materieller Hinsicht. So können die Begegnungen mit andere Kulturen bei jedem einzelnen dazu beitragen, dass andere Lebensweisen kennen und schätzen gelernt werden, eine Offenheit und Toleranz gegenüber unterschiedlichen Kulturen geprägt wird und nicht zuletzt die Persönlichkeit sich weiter entwickelt. Tourismus kann Motor für gesellschaftliche Veränderungen sein, wie es z.B. die veränderte Rolle der Frauen in Entwicklungsländern durch deren Einbindung als Arbeitskräfte zeigt. Das Verhalten der einzelnen Reisenden vor, während und nach der Reise spielt eine maßgebliche Rolle bei der sozialen Verträglichkeit des Tourismus. Reisemotive und Verhalten von Touristen Menschen sind verschieden, haben unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Ansprüche. Reisemotive haben sich in den letzten Jahrzehnten geändert. Als der überwiegende Teil der Bevölkerung in den 1950er und 1960er Jahren noch körperlich schwer arbeitete, war das Nichtstun im Urlaub die beliebteste Alternative zum Alltag. Mit Zunahme der sitzenden Tätigkeiten an Schreibtisch und Computer finden immer mehr Aktivangebote eine Nachfrage. Zudem ist man immer auf der Suche nach völlig neuen Reisezielen, wo die breite Masse noch nicht war oder nach dem besonderen Kick bei den Aktivitäten. Häufig geht es bei der Wahl der Destination nicht konkret um das Zielgebiet, sondern vordergründig um „Hauptsache weg von hier“. Wem egal ist, ob er „Sonne, Meer und Strand“ in Tunesien oder Griechenland gebucht hat, wird sich vor und während der Reise wenig mit seinem Reiseland, der Kultur, den Sitten und Gebräuchen beschäftigen. Das unsympathische Bild des Touristen entsteht durch das mitunter merkwürdige Verhalten einzelner Vertreter*innen im Urlaub, das Krippendorf schon 1984 in seinem zum Klassiker gewordenen Buch „Die Ferienmenschen“ so beschrieb: Im Urlaub erleben wir die merkwürdigen Verhaltensänderungen von zivilisierten Mitmenschen als „manchmal aggressive, rücksichtlose und kolonialistische Erscheinung“ (vgl. KRIPPENDORF 1984: 76). Fern der Heimat und anonym unter Fremden könne man sich endlich mal austoben, sich kleiden wie man will, sich so verhalten, wie man es zu Hause oder am Arbeitsplatz nie tun würde. Ausgebrochen aus dem Alltag fühlt man sich als „Ausnahmemensch“ und ist darum weniger bereit, sich wieder anderen Normen zu unterwerfen, wie <?page no="206"?> Herausforderungen 207 sie im besuchten Land gelten. „Die Have-a-good-time-Ideologie und Morgensind-wir-schon-wieder-fort-Haltung beherrschen die Szene.“ (KRIPPENDORF 1984: 81). Diese von Krippendorf damals provokant und drastisch formulierte „Beurteilung“ von Touristen beruht auf Beobachtungen und Erlebtem und traf und trifft auf einige Zeitgenossen zu. Jedoch lassen sich auch andere Reisemotive und ehrliches Bemühen um angepasstes Verhalten von Reisenden nachweisen. Krippendorf selbst schrieb schon 1986 versöhnlich: Der neue Tourist ist einsichtig, konsumkritisch, genügsam und anpassungswillig, rücksichtsvoll, innengeleitet, selbstbeschränkt reisend, experimentierfreudig, kreativ und lernbereit (vgl. KRIPPENDORF et al. 1986: 153 ff.). Im Zusammenhang mit verantwortungsbewusstem Konsum wird das Akronym LOHAS gern genannt. LOHAS steht für „Lifestyles of Health and Sustainability“ und bezeichnet eine Personengruppe, deren Lebensstil auf einen bewusst nachhaltigen Konsum ausgerichtet ist. Ökologisch und fair produzierte und gehandelte Angebote werden von LOHAS bewusst gewählt, das gilt auch bei der Entscheidung für ein Urlaubsziel, eine Unterkunft und die Aktivitäten vor Ort. Im Kapitel 2.4 ist das Phänomen LOHAS ausführlich dargestellt. Akkulturation Dem Tourismus wird oft vorgeworfen, zum kulturellen Wandel in den touristischen Zielgebieten beizutragen. Wenn Touristen aus den Industrieländern ihren Lebensstil, Verhaltensweisen, ihre Kleidung, Ess- und Trinkgewohnheiten im Urlaubsgebiet ausleben, werden sie so oft zum Vorbild der jungen Generation, die diesem „westlichen“, in der Regel nicht nachhaltigen Lebensstil nacheifern. Definition Akkulturation Akkulturation ist die Bezeichnung für den Kulturwandel in Entwicklungsländern, der beim Aufeinandertreffen mit Industrieländerkulturen auftritt. Der Kontakt mit einer fremdartigen Kultur vollzieht sich durch Nachahmung und Übernahme ursprünglich fremder Kulturelemente in die eigene Kultur, die evtl. tief greifende Wandlungen durchmacht. Im Kolonialismus erfolgte sie gewaltsam. Freiwillige Verarbeitung der Kultureinflüsse und Anpassung an die eigenen Bedürfnisse fördert die Entwicklungsmöglichkeiten durch größere Offenheit gegenüber neuen Technologien, Werthaltungen oder Organisationsformen (KLEIN in Springer Gabler Verlag, Wirtschaftslexikon, o. J.). <?page no="207"?> 208 Nachhaltiger Tourismus Die soziokulturellen Auswirkungen werden von den einzelnen Einwohnern unterschiedlich bewertet. Ein Teil der Bevölkerung begrüßt den Wandel der Kultur als Fortschritt, ein anderer lehnt ihn ab, wieder andere nehmen ihn gar nicht wahr. Daraus ergeben sich Konflikte, meist mit der älteren Generation, die ihre Traditionen und Werte in Gefahr sehen. Zudem fehlt den Einheimischen meist das Geld für diesen westlichen Lebensstil, was zu Minderwertigkeitsgefühlen und Neid oder Kriminalität und Prostitution führen kann. Strittig ist, wie hoch der Anteil des Tourismus am Kulturwandel ist, denn Kulturen waren und sind ständig einem Wandlungsprozess unterworfen. Neben dem Tourismus tragen Industrialisierung, Verstädterung und eine verbesserte Schulbildung ebenso zum Kulturwandel bei wie die Entwicklung der Kommunikations- und Informationstechnologie. Überall auf der Welt haben die Menschen über die Medien (Fernsehen, Internet) Einblick in andere Lebensweisen. Amerikanische Spielfilme und „westliche“ Programme sind auch in vermeintlich von Zivilisation und Tourismus unberührten Gebieten zu finden (vgl. VORLAU- FER, 1996: 203). Problematisch ist die Einseitigkeit dieses Prozesses im Tourismus - dessen Entwicklung wird meist von der Tourismusindustrie bestimmt und die Einheimischen haben meist wenig Kontrolle darüber (vgl. STRASDAS, ZEPPEN- FELD 2008). Genauso problematisch wäre es zu verlangen, dass andere Kulturen sich nicht wandeln und auf niedrigem Niveau stehen bleiben, weil die Touristen das „romantisch“ finden und als Kulisse für ihren Urlaub erwarten. Sozial nachhaltig ist es, allen Gesellschaften die Entscheidung und die Möglichkeiten selbst zu überlassen, ob und wie sie sich weiterentwickeln wollen. Beim Thema „kulturelle Differenzen“ ist meist von „Verwestlichung“ die Rede, verliefen Reiserouten in den vergangenen Jahrzehnten doch in der Regel vom „Westen“ in den globalen Osten oder Süden. Doch mit zunehmendem Wohlstand einer Mittelschicht in den Schwellenländern stehen vermehrt Reisende aus diesen Ländern vor den Türen westlicher Gemeinden und irritieren dort die Einheimischen durch Begegnungen mit der ihnen fremden Kultur. Beispiel: Indische Touristen in der Schweiz Die seit den 1970er Jahren in der Schweiz gedrehten Bollywood-Filme haben dort zu einem regelrechten Ansturm indischer Gäste geführt. Kleinstädte wie Engelberg haben sich auf die Bedürfnisse der indischen Reisen- <?page no="208"?> Herausforderungen 209 den eingestellt und die touristische Infrastruktur angepasst. Jedoch gibt es beim direkten Kontakt der exotischen Gäste mit den Engelbergern zahlreiche Probleme: Wenn die Inder*innen im Dorf einkaufen, wollen sie gern wie gewohnt um den Preis feilschen. Das in der Schweiz gut ausgebildete und anerkannte Verkaufs- und Servicepersonal wird von den relativ wohlhabenden Inder*innen in ihrem Kastendenken häufig herablassend wie Dienerschaft behandelt. Zudem beklagen die Schweizer, dass die weit gereisten Touristen gar nicht an der traditionellen Kultur und Identität des Ortes interessiert seien, sondern nur die Filmkulisse ihrer beliebten Bollywood-Filme suchen. Sie bevorzugen auch in der Schweiz indische Gerichte und indische Köche übernehmen von Mai bis September die Küche im Terrace-Hotel, das für nicht-indische Gäste in dieser Zeit geschlossen bleibt. Die Schweizer fühlen sich verdrängt und ihre Traditionen in Gefahr (Quelle: FRANK 2012: 221 ff.). Ethische Aspekte „Ethik und Moral“ werden oft in einem Atemzug genannt und im allgemeinen Sprachgebrauch oft gleichgesetzt. Definition Ethik Genau genommen ist Ethik „die Lehre bzw. Theorie vom Handeln gemäß der Unterscheidung von „gut“ und „böse“. Gegenstand der Ethik ist die Moral.“ (Springer Gabler Verlag, Gabler Wirtschaftslexikon 2014) Die Moral in einer Gesellschaft beinhaltet Regeln, die als „richtig“ empfunden werden, um „gut“ zu handeln. Diese Regeln werden innerhalb der Gruppe geprägt und durch Erziehung weitergegeben. Im Laufe des Lebens, aufgrund von Erfahrungen beginnt (fast) jeder Mensch, diese Regeln und die Wertung, was „gut“ und was „böse“ ist, für sich persönlich zu reflektieren und gegebenenfalls infrage zu stellen. Im Tourismus treffen durch die Begegnungen von Menschen mit unterschiedlichen Prägungen sehr häufig Moralvorstellungen aufeinander, die sich unterscheiden, ja komplett gegensätzlich sein können. Am Beispiel von Volunteer Tourism und Dark Tourism sollen ethische Aspekte und die Schwierigkeit der Zuordnung zu „gut“ oder „böse“ verdeutlicht werden. Häufig gibt es zu jedem vermeintlich positiven Aspekt eine Kehrseite und umgekehrt. <?page no="209"?> 210 Nachhaltiger Tourismus Eine qualitativ neue Stufe erreicht seit ca. der Jahrtausendwende der sogenannte kommunikative Tourismus oder auch New Tourism, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Touristen sich bewusst für eine bestimmte Destination entscheiden und bereit sind, sich schon vor Reiseantritt mit dem Urlaubsland auseinanderzusetzen. Sie zeigen großes Interesse, Land und Leute wirklich und ohne Inszenierungen kennenzulernen. Besonders intensiv können diese Begegnungen durch Freiwilligenarbeit im Urlaubsgebiet sein. Im sogenannten Volunteer Tourismus nutzen Reisende ganz bewusst den Urlaub, um nach ihren Moralvorstellungen „Gutes“ zu tun, in dem sie im Zielgebiet an Projekten mitarbeiten und dabei meist direkt mit Einheimischen in Kontakt treten. Touristen bezahlen dafür, um im Urlaub in wissenschaftlichen, sozialen oder ökologischen Projekten mitarbeiten zu dürfen - das klingt absurd angesichts des Hauptreisemotivs, im Urlaub Abstand von der Arbeit zu finden. Jedoch lassen sich viele Vorteile für die Reisenden selbst wie für die Projekte herausstellen. Mit dem Geld der Touristen und deren konkreter Mitarbeit können einerseits die Projekte direkt unterstützt werden und mitunter finanzielle und personelle Engpässe ausgeglichen werden. Andererseits berichten Volunteers, dass anderen zu helfen und „Gutes zu tun“, ihnen sehr viel für die eigene Persönlichkeitsentwicklung zurückgibt und ein guter Kontrast zum Alltag ist. Eine Studie in den USA von (KELLIKER 2008) zeigt, dass derzeit unter College-Studenten ein Trend erkennbar ist, die Ferien für eine humanitäre, gemeinnützige Arbeit in einer Hilfsorganisation zu nutzen. „Volunteering has even become hip.“, stellt Kellicker fest und führt Forschungsergebnisse verschiedener empirischer Studien auf, die die Vorteile für die Volunteers deutlich nachweisen: Anderen zu helfen, trägt zum eigenen Wohlbefinden bei, es macht glücklich, zufrieden mit dem Leben, steigert das Selbstwertgefühl, reduziert Depressionen und begünstigt somit auch die physische Gesundheit der Volunteers (vgl. KELLICKER 2008, o. S. in SCHIEKEL 2008). Zudem seien sie eher bereit, die vor der Reise verfestigten Ansichten und Vorurteile zu korrigieren (vgl. BROWN 2005 in SCHIEKEL 2008). Die Motive der freiwilligen Helfer*innen sind zum einen altruistisch geprägt - gekennzeichnet durch das selbstlose Bedürfnis, Gutes zu tun, wobei oft religiöse oder politische Beweggründe eine große Rolle spielen. Altruistische Motivationen geraten jedoch im Rahmen von Volunteer Tourismus zunehmend in den Hintergrund. Eine egozentrische Motivation wird in der wissenschaftlichen Diskussion eher als Ursache für die zunehmende Nachfrage nach <?page no="210"?> Herausforderungen 211 Volunteer-Tourismus-Angeboten gesehen. Die Reisenden suchen nach einem neuen Sinn ihres Lebens, möchten eigene Fähigkeiten ausprobieren und den Horizont erweitern. Sie suchen soziale Kontakte zu Gleichgesinnten und nicht zuletzt auch Abenteuer und Spaß (vgl. SCHIEKEL 2008 und 2009). Neu ist die Idee nicht, zu reisen, um in einem anderen Land freiwillig zu arbeiten. Die Geschichte der Missionare geht bis ins Alte Rom zurück. Ein Beispiel aus der modernen Zeit ist die 1970 gegründete internationale Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“. Neu sind die zunehmende Nachfrage und entsprechende buchbare Pauschalangebote der Tourismusindustrie für „jedermann/ frau“. Dabei lassen sich in der Intensität der Begegnung von Reisenden und Bereisten sehr unterschiedliche Angebote finden: Projekttourismus: Die Anbieter von Studienreisen planen den Besuch von Projekten, meist im Rahmen von Entwicklungshilfe, in den Reiseablauf mit ein. Die Touristen besichtigen lediglich diese Projekte. Sie zahlen eine Aufwandsentschädigung für die besuchte Organisation und kaufen mitunter dort produzierte landwirtschaftliche oder kunsthandwerkliche Waren ein, was dem Projekt direkt zugutekommt. VolunTourism: Touristen arbeiten im an sich konventionellen Urlaub eine kurze Zeit (i.d.R. wenige Stunden bis wenige Tage) in einem gemeinnützigen Projekt in der Urlaubsregion mit. Hauptmotiv für die Reise bleiben eher traditionelle Urlaubsaktivitäten wie Sonnen am Strand und Relaxen. Volunteer Tourism: Die Freiwilligenarbeit ist Anlass und Hauptbestandteil der Urlaubsreise. Touristen arbeiten direkt den ganzen oder überwiegenden Teil der Reise in den sozialen oder ökologischen Projekten unentgeltlich mit (vgl. SCHIEKEL 2008). Wie bei jeder ursprünglich gut gemeinten Idee finden sich auch beim Volunteer- Tourismus fragwürdige Entwicklungen und Angebote. Zum einen untergräbt das kommerzielle Interesse von Reiseveranstaltern, die Volunteer Tourismus anbieten und damit Profit machen, die Grundidee der gemeinnützigen Freiwilligenarbeit. Zum anderen eignen sich nicht alle Projekte, ständig wechselnde Volunteers sinnvoll einzusetzen. Beispiel: Tourism Concern So ruft z.B. die britische NGO Tourism Concern in einer Petition vom März 2014 Reiseveranstalter auf, keine Touristenbesuche und Freiwilligeneinsätze mehr in Waisenhäusern anzubieten. „Kinder dürfen nicht dazu benutzt werden, um Urlaubsangebote zu verkaufen.“ (o. A., TOURISM <?page no="211"?> 212 Nachhaltiger Tourismus WATCH Nr. 74/ 2014). Am Beispiel Kambodscha weist die NGO auf folgende Fehlentwicklungen hin: In Kambodscha haben 90 % der Kinder in den Waisenhäusern mindestens ein Elternteil. Kinder werden regelrecht „gemietet“, um die Waisenhäuser zu füllen und zahlungskräftigen und hilfsbereiten Reisenden genug „Aktionsfläche“ zu bieten. Zudem ist es für die Entwicklung der Kinder nicht förderlich, von ständig wechselnden Helfern betreut zu werden. Kinder brauchen Stabilität und Bezugspersonen, wie sie nur qualifizierte einheimische Vollzeitkräfte bieten können. Die kurze Dauer der im Rahmen einer Urlaubsreise geleisteten Freiwilligenarbeit steht auch in anderem Zusammenhang in der Kritik: Die nötige Einarbeitung ständig wechselnder, mehr oder weniger fähiger Arbeitskräfte bindet Personal, das für die eigentliche Projektarbeit nicht genug Zeit findet. „Kurzzeitfreiwillige können in das Geschehen, das ‚Drum-Herum‘ und ‚Hinter-Dem-Vorhang‘ nicht integriert werden, sie planschen ein wenig an der Oberfläche herum, ohne zu erfahren, was sich alles unter ihnen bewegt“, zitiert Reitz in ihrem Beitrag eine „Freiwillige“ zum Thema Freiwilligenarbeit im Urlaub (REITZ 2009). Volunteer Tourismus ist im Rahmen von sozialer Nachhaltigkeit sicher ein richtiger Ansatz. Die konkreten Angebote und Anbieter sollte jeder Freiwillige jedoch im Vorfeld kritisch prüfen. Beispiel: Service Civil International (SCI) Der Service Civil International (SCI) vermittelt Jugendliche und Erwachsene in zweibis dreiwöchige internationale Workcamps in der ganzen Welt. Die Freiwilligen können in kulturellen Projekten, in der Kinder- und Jugendarbeit oder im Naturschutz eingesetzt werden. Freiwillige können hier eine sinnvolle gemeinnützige Arbeit leisten und dabei eng mit der einheimischen Bevölkerung zusammenarbeiten. Sie zahlen eine Vermittlungsgebühr und die Reisekosten (Informationen unter www.sci-d.de). Eine andere Form der Partizipation der Reisenden im Urlaubsland - außerhalb einer gemeinnützigen Arbeit - ist, wenn diese selbst Teil des touristischen Angebotes werden. Beispiel: Insel Bornholm Ein Beispiel für die gelungene Partizipation von Reisenden in das touristische Angebot ist das Mittelalterzentrum der dänischen Ostseeinsel Born- <?page no="212"?> Herausforderungen 213 holm: Hier können Touristen ihren Urlaub im Mittelalterzentrum selbst verbringen und den bäuerlichen Alltag im 14./ 15. Jahrhundert leben - immer unter den Augen der Besucher des Zentrums. Sie wohnen in mittelalterlichen Häusern, kleiden sich, kochen, schlafen und arbeiten wie ihre Vorfahren vor mehr als 500 Jahren und werden damit selbst zum lebendigen Teil der mittelalterlichen Kulisse und der touristischen Attraktion. Lediglich beim Sanitärbereich gibt es ein Zugeständnis an die moderne Zeit. So unterstützen die Touristen direkt mit ihrem Geld dieses Freiluftmuseum und kommen mit anderen Gästen und Tagesbesuchern der Einrichtung in Kontakt (Informationen unter www.bornholmsmiddelalder center.dk). Sehr diskussionswürdig und ethisch umstritten sind Angebote im sogenannten Dark Tourism . Unter diesem Begriff wird ein makabres Phänomen beschrieben, das in den letzten 25 Jahren an Aufmerksamkeit (und Nachfrage) gewonnen hat. Definition Dark Tourism Dark Tourism: das Reisen an Orte, die in irgendeiner Weise mit Tragödien und Katastrophen, und damit mit Leid und Tod, in Zusammenhang gebracht werden. Auch dieses Phänomen ist in der Geschichte der Menschheit nicht neu: Hinrichtungen und Gladiatorenkämpfe fanden in der Vergangenheit ein begeistertes Publikum. Viel zitiert ist das Beispiel der Schlacht von Waterloo: Noch während der Schlacht eilten Schaulustige an den Ort des Geschehens. Nach der Schlacht entwickelte sich der Ort als beliebtes Ausflugsziel, schon Thomas Cook bot Reisen nach Waterloo an (vgl. SEATON 1999 in SCHICHLER 2012). Die Motivationen für derartige Reisen, die sich dem Dark Tourism zuordnen lassen, sind sehr verschieden und reichen von ehrendem Gedenken, Lernen und der Auseinandersetzung mit der Geschichte bis zu Sensationsgier, Schadenfreude und einer gewissen Faszination am Tod und Leid anderer (vgl. SCHICHLER 2012). Dabei lässt sich bei den Angeboten nicht immer klar in „gut“ und „schlecht“ unterscheiden. Ein Beispiel: Der boomende Tourismus in Slums und Armutsviertel (auch Poverty Tourism genannt) wird sehr kontrovers diskutiert. „Voyeurismus oder Entwicklungshilfe? “, fragt der Tagesspiegel im November 2013 in einem Artikel zum Thema Slumtourismus. Kritiker vergleichen dieses Angebot mit einem Zoobesuch, bei <?page no="213"?> 214 Nachhaltiger Tourismus dem Touristen wie Voyeure in diese andere Welt eintauchen, die Armut besichtigen und fotografieren, Bonbons an die „armen Kinder“ verteilen und dann wieder in ihre Welt zurückkehren. Moralische Zweifel sind in der Tat angebracht, doch ist „Wegschauen besser als hinzusehen? “ (STEINBRINK in UCHTMANN 2013). Seriöse Anbieter versprechen den Touristen einen authentischen, ungeschönten Einblick in eine ganz andere Welt sowie einen Teil der Einnahmen zu spenden. Touristen lernen die Bewohner als freundliche und lebenstüchtige Personen kennen und räumen mit ihren Vorurteilen auf. Auch hier kommt es wieder auf das „Wie“ der Durchführung der Tour und das sensible Verhalten der Touristen an. Ideal ist, wenn ein Slumbewohner selbst die Besuchergruppe, möglichst nie mehr als 10 Teilnehmer gleichzeitig, durch sein Viertel führt. Fotografieren sollte unterbleiben. Die Einnahmen können in soziale Projekte im Viertel fließen (UCHTMANN 2013). Sextourismus Im Zusammenhang mit Ethik und Moral im Tourismus ist ein Thema ganz besonders heikel: Sextourismus. Reisende aus dem wohlhabenden Westeuropa, Nordamerika oder Japan fahren nach Asien, Osteuropa oder Afrika, um sexuellen Kontakt zu Einheimischen aufzunehmen, weil Sex dort billiger und leichter zu haben ist. Allein aus Deutschland reisen jährlich schätzungsweise 400.000 Männer in den „Erotikurlaub“, bevorzugt nach Asien, wo sie für wenig Geld gefügige und anspruchslose Frauen „kaufen“ können. „In südostasiatischen Staaten wie den Philippinen sind nach Schätzungen der USA etwa vierzig Prozent der ausländischen Urlauber zugleich Sextouristen.“ (LÖFFLER 2012, o.S.). Aber nicht nur Männer sind als Sextouristen unterwegs. Zunehmend entdecken (ältere) Frauen afrikanische Länder wie Kenia, Gambia und Madagaskar als Reiseziel, wo sie von den „Boyfriends“ heiß umworben und verwöhnt werden, was sie in den Herkunftsländern schon seit Jahren nicht mehr erfahren haben. Die „Sugarmamas“ versorgen so mitunter ganze Familien in Afrika. Dabei entstehen mitunter regelrechte „Patenschaften“ - Männer und Frauen aus reichen Industrieländern fahren jährlich in die gleiche Region und führen oft über Jahre hinweg mit der gleichen Person im Urlaub eine „Ehe auf Zeit“. Häufig wird auch aus der Heimat mit kleinen und größeren Geldbeiträgen diese Person unterstützt. Eine fragwürdige Entwicklungshilfe, bei der man nicht sagen kann, wer hier wen ausnützt. <?page no="214"?> Herausforderungen 215 Besonders drastisch ist dieses Thema im österreichischen Film Liebe der Trilogie Paradies von Ulrich Seibl 2012 umgesetzt. Eine österreichische ältere Touristin, die den gängigen Schönheitsidealen unserer Zeit schon lange nicht mehr entspricht, sucht im Urlaub in Afrika vergeblich nach „Liebe“. Ohne Frage verwerflich ist es, wenn Kinder zu Opfern von Sextouristen und -touristinnen werden. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) schätzt, dass weltweit rund 150 Millionen Mädchen und 73 Millionen Jungen zum Sex gezwungen werden. Allein auf den Philippinen müssen sich zwischen 60.000 und 100.000 Kinder prostituieren, die meist von Schleppern mit falschen Versprechen in die Hauptstadt gelockt und dann an Bordelle verkauft werden. In Bangladesch liegt das Durchschnittsalter von minderjährigen Prostituierten laut dem UNICEF-Bericht bei 13 Jahren (LÖFFLER 2012). Neben den psychischen Schäden, die die Kinder davontragen, ist die Ausbreitung von Krankheiten wie Geschlechtskrankheiten oder auch AIDS ein großes Gesundheitsrisiko für die Prostituierten wie für die Touristen und Touristinnen. Beispiel: ECPAT Die internationale Kinderrechtsorganisation ECPAT International setzt sich dafür ein, dass die UN-Konvention über die Rechte der Kinder eingehalten wird und Missstände, zu denen klar die kommerzielle Ausnutzung und der sexuelle Missbrauch der Kinder gehört, verfolgt und beseitigt werden. ECPAT Deutschland e.V. ist Mitglied in dieser Organisation. Informationen zu deren Aktivitäten und Vorhaben sind unter www.ecpat. de zu finden. Sozialfall Tourist? Nicht zuletzt muss unter dem Gesichtspunkt „soziale Nachhaltigkeit im Tourismus“ die soziale Situation der Reisenden selbst näher betrachtet werden. Der so oft gescholtene Massentourismus führte in der Geschichte des Reisens immerhin dazu, dass Reisen nicht mehr nur für die privilegierte Oberschicht möglich war. So wie die Nähmaschine, der Fernseher oder das Auto sich durch Serienproduktion vom Luxusgegenstand zum allgemeinen Konsumgut für eine breite Bevölkerungsschicht entwickelt haben, so wurden Urlaubsreisen ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für Arbeiter*innen und Angestellte erschwinglich, weil zum einen Verkehrsmittel für viele Menschen, auch für weite <?page no="215"?> 216 Nachhaltiger Tourismus Strecken, nutzbar wurden und zum andren nicht individuelle Tourismusangebote als „Serienproduktion“ auf den Markt kamen. Wirtschaftskrisen, verbunden mit Arbeitslosigkeit oder Teilzeitbeschäftigung, Inflation und steigende Lebenshaltungskosten oder eine lückenhafte Altersversorgung führen auch in den reichen Industrieländern zu einer sehr unterschiedlichen Verteilung des Wohlstands in der Bevölkerung. Die Reiseanalyse der FUR formuliert 2010 auf der ITB deutlich: „Stabilität - aber nicht für jeden.“ Die Nachfrage nach Urlaubsreisen ist in Deutschland unvermindert hoch, ein Teil der Bevölkerung muss sich jedoch in puncto Reisen sehr einschränken. „Besonders auffällig ist die Entwicklung in den unterschiedlichen Einkommensgruppen: Während bei Personen mit geringerem Einkommen ein deutlicher Rückgang der Reiseaktivität festgestellt werden kann, fuhren Menschen mit höheren Einkommen noch mehr in den Urlaub. Die ‚soziale Schere‘ klafft auch im Tourismus immer weiter auseinander.“ (FUR Reiseanalyse 2010: 1). Der Kurzurlaub ersetzt mitunter den Haupturlaub. Der Gesellschaftswissenschaftler H. Opaschowski bestätigt in seinem Buch „Deutschland 2030“: Der Lebensstandard der Deutschen sinkt, die Deutschen werden ärmer (OPASCHOWSKI 2009: 25). Das macht sich auch auf dem Reisemarkt bemerkbar: „Die Urlauber verreisen kürzer und auch billiger. Aber: Weniger bezahlt heißt nicht weniger gereist.“ (OPASCHOWSKI 2009: 350). Hier offenbaren sich zwei zunehmende soziale Probleme im Bereich Tourismus: Zum einen kann sich eine zunehmende Bevölkerungsschicht die lange Urlaubsreise als Grundbedürfnis nicht mehr leisten. Zum anderen zahlt eine hohe Anzahl an Reisenden weniger für den Urlaub. Das bedeutet: Die Einnahmen im Tourismus sinken bei gleich hoher Besucherzahl, der Preisdruck auf die Anbieter wird immer höher, was sich in der Regel beim Lohnniveau und bei der Arbeitsbelastung für die Angestellten im Tourismus zu deren Ungunsten auswirkt. Stichwort Barrierefreiheit : Nicht nur die finanzielle Situation beschränkt die Reisemöglichkeiten. Physische Beeinträchtigungen wie eine eingeschränkte Mobilität, Seh- oder Hörbehinderungen beeinflusst die Reiseintensität der Betroffenen. Der Reisemarkt reagiert langsam. Mittlerweile gibt es einige barrierefreie und/ oder altersgerechte Tourismusangebote, sodass die gleichberechtigte Teilhabe dieser Personengruppen und ihrer Angehörigen verbessert werden konnte, wenn auch noch viel Unkenntnis und Vorurteile bei den Anbietern zu dieser Zielgruppe herrschen. <?page no="216"?> Herausforderungen 217 2.5.4 Die Reisenden und die Touristiker - der touristische Arbeitsmarkt und Arbeitsbedingungen „Arbeiten, wo andere Urlaub machen! “ Damit wirbt die Tourismusindustrie um Arbeitskräfte und Auszubildende. Beim genaueren Hinsehen müsste man jedoch sagen: „Arbeiten, wenn andere Urlaub machen.“ Denn das Arbeiten im Tourismus ist alles andere als ein Urlaubstrip. Auch hier gibt es Licht- und Schattenseiten. Gut und wahr ist: Es gibt zahlreiche Jobs im Tourismus. Insbesondere in der Hotellerie und Gastronomie sind viele Helfer*innen nötig. Besonders groß ist der Bedarf bei unqualifizierten Arbeiten wie Putzen, Wäsche wechseln, Abwaschen, Aufräumen, Küchenarbeiten u.ä. Gerade in Entwicklungsländern bieten sich so Verdienstmöglichkeiten für ungelernte Arbeitskräfte, vor allem für Frauen, falls sie dort noch traditionell eher keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Auch Studierende, Hausfrauen oder Schüler*innen in Europa nutzen häufig diese Nebenverdienstmöglichkeit. Nicht zuletzt ermöglicht eine Arbeit im Tourismusbereich mitunter einen längeren Auslandsaufenthalt, wo vor allem junge Menschen internationale Erfahrungen sammeln, ihre Sprachkenntnisse verbessern und Abenteuer erleben können. Um die einheimischen Arbeitskräfte für den Tourismus fit zu machen, sorgen die Investoren für Ausbildungen, z.B. in Fremdsprachen, zum Führen von Gästen, zu den Erwartungen westlicher Touristen an Unterkunft und Essen hinsichtlich Ausstattung und Hygiene und zu einfachen Verwaltungsaufgaben wie Kalkulation und Buchführung. Die Arbeit kann abwechslungsreich, eigenverantwortlich und spannend sein, der Kontakt zu interessanten Gästen als Bereicherung empfunden werden. Im Tourismus arbeitende Frauen berichten von einer tiefen Befriedigung, wenn die Gäste zufrieden und dankbar sind und diese Wertschätzung den Mitarbeiter*innen gegenüber auch äußern (LUND-DURLACHER et al. 2010). Kritisch zu sehen sind die in der Regel prekären Arbeitsverhältnisse, gekennzeichnet durch oft geringen Lohn ohne Tarifvertrag, Befristung für die Saison, Überstunden, Nacht- und Wochenendarbeit und geringe Aufstiegschancen. In der Saison übersteigt die Wochenarbeitszeit oft das gesetzlich erlaubte Höchstmaß und Ruhezeiten zur Regeneration werden nicht eingehalten. Hinzu kommt das oft herablassende oder fordernde Verhalten von Touristen den „Bediensteten“ gegenüber, das von diesen als verletzend und frustrierend empfunden wird. Das Image der Berufe insbesondere im Beherbergungs- und Gastgewerbe ist nicht besonders gut, die darin auszuführenden, meist niederen Tätigkeiten werden mitunter sogar als „anrüchig“ angesehen. Besonders belastend sind sexuelle <?page no="217"?> 218 Nachhaltiger Tourismus Belästigungen durch Gäste oder Angehörige des Unternehmens (vgl. LUND- DURLACHER et al. 2010). Der Tagesspiegel berichtet in einem Artikel am 21.01.2014 vom Umgang mit Putzkräften in Luxushotels: Um den Mindestlohn zu umgehen, werden die meist in Leiharbeit beschäftigten Frauen pro Hotelzimmer statt pro Stunde bezahlt. Wenn die Putzkraft pro Hotelzimmer 3-5 EUR erhält, zum Reinigen eines Luxus-Doppelzimmers aber oft eine Stunde benötigt, reicht der Lohn am Ende nicht zum Leben und sie müssen „aufstocken“, also Geld vom Sozialamt beantragen. Der Steuerzahler finanziert so indirekt das Reinigen teurer Hotelzimmer mit (FETSCHER 2014). Der touristische Arbeitsmarkt wird vor allem in Entwicklungsländern ergänzt durch eine Vielzahl von informellen Jobs und auch Kinderarbeit. Als Straßenverkäufer, Kofferträger, Blumenmädchen, Kellner oder Küchenkräfte verdienen Einheimische als „Selbständige“ am Tourismus mit - ohne eine soziale Absicherung zu haben. Kinder werden für ihre Arbeit noch schlechter entlohnt als die Erwachsenen. Die Arbeit beeinträchtigt ihre Gesundheit und Entwicklung - häufig besuchen sie keine Schule mehr. Frauen im Tourismus In Europa arbeiten im Tourismus überdurchschnittlich viele Frauen, obwohl die Arbeitsbedingungen alles andere als familienbzw. frauenfreundlich sind. „Generell wird die touristische Arbeitswelt von Frauen dominiert.“ (STEINECKE 2010: 194) In Europa liegt der durchschnittliche Frauenanteil in der Hotellerie und Gastronomie bei 56 %. Spitzenreiter ist Estland mit 84 %, in Deutschland liegt der Frauenanteil über dem Durchschnitt bei 69 % (DEMUNTER 2008 in: STEI- NECKE 2010: 194). Tätigkeiten wie „sich um andere kümmern“, „Gastgeberin sein“ oder auch Hausarbeiten wie Putzen und Kochen, wie Frauen sie in den Familien leisten, werden im Tourismus in Erwerbstätigkeiten umgewandelt. Weiblich konnotierte Eigenschaften und Fähigkeiten wie Einfühlsamkeit, Wärme und Freundlichkeit, Vielseitigkeit und Organisation sind im Tourismus gefragt. Vor allem in kleinen Familienbetrieben, wie sie im Tourismus häufig zu finden sind, sind die Übergänge zwischen privatem Haushalt und Gewerbe fließend und Frauen dort besonders belastet. <?page no="218"?> Herausforderungen 219 „Allerdings erweist sich die Tourismuswirtschaft, die zunächst als Tür zur bunten, weiten Reisewelt erscheint, häufig als berufliche Sackgasse - speziell für Frauen.“ (Steinecke 2010, S. 194) Trotz des hohen Frauenanteils machen mehr Männer Karriere im Tourismus und besetzen höhere Positionen. Selbst bei gleicher Position verdienen Frauen im Durchschnitt brutto weniger als ihre männlichen Kollegen (DEMUNTER 2008 in: STEINECKE 2010: 194). Aufstiegsbarrieren für Frauen sind in allen Branchen oft familiäre Verpflichtungen, durch die sie weniger flexibel und mobil sind und meist nur in Teilzeit arbeiten können. Aber auch die sogenannte „gläserne Decke“ hindert Frauen am Aufstieg. Die gläserne Decke ist eine Metapher für das Phänomen, dass qualifizierte Frauen nicht in hohe Führungspositionen aufsteigen, weil aufgrund von Vorurteilen Frauen diese Tätigkeiten nicht zugetraut werden und/ oder Frauen keinen Zugang zu den von Männern dominierten Netzwerken erhalten. Attraktivität ist im Tourismus ganz wichtig. Junge hübsche Frauen werden bevorzugt eingesetzt, wo die Touristen und Gäste direkt angesprochen werden. Ältere und/ oder weniger attraktive Frauen fühlen sich diskriminiert. Besonders belastend sind sexuelle Übergriffe. Ein „erotisches Geschäker“ wird von den Mitarbeiterinnen regelrecht erwartet, um es dem Gast so angenehm wie möglich zu machen (MADÖRIN in: GRÜTTER/ PLÜSS 1996: 143). 2.5.5 Die Bereisten und die Touristiker - Landnutzungskonflikte und Sickerrate Touristische Unternehmer und Investoren beanspruchen in der Regel landschaftlich besonders attraktive Gebiete, die zuvor meist land- oder forstwirtschaftlich genutzt wurden oder bislang völlig unberührt waren und damit aus naturschutzfachlicher Sicht besonders wertvoll sind. Besonders prekär ist die Situation, wenn die Einheimischen bei der Entwicklung ihrer Heimat zu einer touristischen Region in keiner Weise einbezogen werden, sondern von den Plänen der Investoren einfach überrollt werden. Das Interesse der Investoren lässt die Bodenpreise steigen, sodass einheimische Bauern die Pacht für landwirtschaftliche Flächen nicht mehr aufbringen können. Hotelanlagen verbrauchen viel Wasser für Pools, Grünanlagen und Bäder, das der Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung steht. Die verlockenden höheren Einkommen im Tourismus lassen so manchen Bauern die mühselige Landwirtschaft aufgeben und eine neue berufliche Perspektive im Tourismus suchen. Die Ursachen für eine schrittweise Verdrängung ursprünglicher Landnutzungsformen sind vielfältig und komplex. <?page no="219"?> 220 Nachhaltiger Tourismus Beispiel: Sansibar und Philippinen Ein Luxushotel auf Sansibar (Tansania) verbraucht rund 3.200 Liter Wasser pro Tag und Zimmer für Swimmingpool, Rasenfläche und Wasserversorgung der Gäste. Lokale Durchschnittshaushalte können dagegen nur 93 Liter pro Tag verbrauchen. Ein 18-Loch-Golfplatz auf den Philippinen benötigt pro Tag durchschnittlich 2,3 Mio. Liter Wasser. Diese Menge könnten je nach Verbrauch 46.000-115.000 Menschen zum Leben verbrauchen (BROT FÜR DIE WELT, EED - TOURISM WATCH 2013: 82). Beispiel: Berlin In Berlin werden schätzungsweise 15.000 Mietwohnungen als Ferienwohnungen dauerhaft vermietet. Neben den Lärmbelästigungen durch die Touristen im Haus führt diese Zweckentfremdung von Wohnraum zu weiterem Anstieg der Mieten und damit zur Verdrängung der Einwohner aus den attraktiven Bezirken im Zentrum der Stadt. Das Verwaltungsgericht Berlin hat daher im Februar 2014 das dauerhafte Vermieten von Wohnraum an Touristen verboten (ZEIT Online vom 27.02.2014). Sickerrate Um den Ansprüchen der Reisenden aus den Industrieländern gerecht zu werden, müssen viele Länder in die Infrastruktur investieren, wobei dieses Geld dann fehlt, um für die Bevölkerung die Lebensbedingungen zu verbessern. Verstärkt wird das Problem, wenn die Einnahmen aus dem Tourismus nicht im Land bleiben. Definition Sickerrate In der Tourismusforschung spricht man von der Sickerrate (engl. Leagake), wenn die Einnahmen aus dem Tourismus zum mehr oder weniger großen Teil ins Ausland abfließen. Die Gründe für Sickerraten sind: der Import von ausländischen Konsumgütern und Dienstleistungen, die den Qualitätsansprüchen der Touristen entsprechen und im Zielland nicht selbst <?page no="220"?> Herausforderungen 221 angeboten werden können. Lebensmittel und Getränke werden häufig importiert, weil diese im Gastland gar nicht oder nicht in der entsprechenden Qualität oder Menge produziert werden. Die Einnahmen aus dem Tourismus werden z.T. für diesen Einkauf verwendet. ausländische Unternehmen oder multinationale Konzerne, die im Gastland investieren. Gewinne gehen so ins Ausland. Ausländische Investoren sind meist als einzige in der Lage, in wenig entwickelten Ländern die für den Tourismus benötigte Infrastruktur aufzubauen. Damit befindet sich jedoch ein großer Teil der touristischen Anlagen in Entwicklungsländern in ausländischem Besitz. Änderung des Konsumverhaltens der einheimischen Bevölkerung durch erhöhtes Einkommen aus dem Tourismus und/ oder den Einfluss der Touristen. Die Nachfrage nach importierten Gütern kann sich bei den Einheimischen durch das Vorbild der Touristen erhöhen, was die Sickerrate erhöht (UNEP a o.J. ). Je besser und differenzierter die Wirtschaftsstruktur im Reiseland entwickelt ist, desto weniger müssen die benötigten Produkte und Dienstleistungen aus dem Ausland importiert werden und desto geringer ist die Sickerrate. In Thailand bleiben geschätzt 70 % der Einnahmen aus dem Tourismus nicht im Land, sondern gehen an ausländische Reiseveranstalter, Airlines, Hotels und nötige Importe. In den Dritte-Welt-Ländern gibt es Sickerraten von 40 % in Indien bis zu 80 % in der Karibik (UNEP a o.J.). Im Vergleich zu anderen Exportproduktionen sind im Tourismus die Netto- Deviseneffekte jedoch noch relativ gut, da die Unternehmen versuchen, wo immer möglich, auf lokale Ressourcen wie Baumaterialien, regionale landwirtschaftliche Produkte oder handwerkliche Dienstleistungen zurückzugreifen (VORLAUFER 1996). Weitere soziale Aspekte Infrastruktur, die für die Touristen geschaffen wurde, kann auch für die Bereisten von Vorteil sein: So profitieren die Einheimischen unter Umständen von ausgebauten Straßen und Autobahnen, Radwegen, Anlagen zur Versorgung mit Trinkwasser und zur Schmutzwasseraufbereitung, Energieversorgung, Einkaufsmöglichkeiten und medizinischen Einrichtungen. Durch den Tourismus kann die ursprüngliche Landnutzung wieder rentabel werden, z.B. als Zusatzeinkommen durch Urlaub auf dem Bauernhof in der Landwirtschaft oder Fischerei, durch eine höhere Nachfrage an landwirtschaftlichen und kunsthandwerklichen Produkten durch Touristen. Mitunter trägt Tourismus so zum Erhalt traditionellen Handwerks bzw. Wirtschaftsweisen bei. <?page no="221"?> 222 Nachhaltiger Tourismus Zusammenfassung: soziokulturelle Auswirkungen des Tourismus Positive Effekte: Arbeitsplätze und direkte Einnahmen durch Tourismus sowie Einkommensmöglichkeiten bei Zulieferern von landwirtschaftlichen Produkten oder handwerklichen Leistungen für Tourismusunternehmen traditionelle Wirtschaftsweisen wie Landwirtschaft, Fischerei oder Handwerk können stabilisiert oder sogar wiederbelebt werden durch Zusatzeinkommen aus dem Tourismus Ausbildung und Weiterbildung, Weiterentwicklung der Persönlichkeit (Touristen und Touristiker) Austausch, gegenseitiges Kennenlernen, Verständnis für andere Kulturen, Religionen etc., Abbau von Vorurteilen Wertschätzung und dadurch Erhalt von Kulturen, von traditionellem Handwerk, von Brauchtum Investitionen in Infrastruktur (Straßen, Wasser- und Energieversorgung, Sportanlagen, Radwege u.ä.), die auch von den Einheimischen genutzt werden können Verhinderung der Abwanderung aus ländlichen Gebieten durch Bieten einer beruflichen Perspektive im Tourismus Negative Effekte: Akkulturation, Kulturwandel, „Verwestlichung“, Degradation historischer oder religiöser Stätten durch touristische Übernutzung, kulturelles Erbe wird zur „touristischen Attraktion“ Konflikte durch unterschiedliche Moral- und Wertevorstellungen von Touristen und Einheimischen Förderung von Sozialneid, Kriminalität, Prostitution, Korruption Verbreitung von Krankheiten Landnutzungskonflikte, Ressourcenkonflikte, damit Verdrängung traditioneller Wirtschaftsweisen Preissteigerungen bei Boden, regionalen Produkten und Dienstleistungen durch erhöhte Nachfrage zahlungskräftiger Touristen oder Unternehmen Abfluss des Geldes ins Ausland durch nötige Importe oder ausländische Tourismusunternehmen <?page no="222"?> Herausforderungen 223 möglich: Ausschluss der Einheimischen bei Planung und Umsetzung touristischer Angebote Verhältnis „Diener und Bediente“, Respektlosigkeit, sexuelle Belästigungen prekäre Arbeitsverhältnisse, z.T. niedrige Löhne, Überstunden, Saisonarbeit, unqualifizierte oder informelle Jobs ohne soziale Absicherung, Kinderarbeit 2.5.6 Lösungsansätze im sozialen Bereich: Auf individueller Ebene Eine hohe Anzahl von Reisenden ist nicht allein ausschlaggebend für die Art der Auswirkungen in der Destination. Entscheidend im ökologischen wie im soziokulturellen Bereich ist vor allem das Verhalten des Einzelnen. Hier kann jeder und jede Reisende Verantwortung übernehmen. Durch Respekt und Rücksicht auf die Sitten und Traditionen, Religion und gesellschaftliche Umgangsformen lassen sich Konflikte vermeiden. Wer sich gut auf seine Reise vorbereitet und sich über die „Dos and Don’ts“ im Gastland informiert, kann die Fettnäpfchen vermeiden. Weiterführende Lesetipps Für jeden Reisenden mit praktischen und leicht umsetzbaren Hinweisen zum „fair Reisen“ sind: BROT FÜR DIE WELT-EVEANGELISCHER ENTWICKLUNGS- DIENST TOURISM WATCH (Hrsg.): Broschüre „Fair Reisen mit Herz und Verstand“ FRIEDL (2002): Respektvoll Reisen. Reise Know How Rump GmbH STUDIENKREIS FÜR TOURISMUS UND ENTWICKLUNG e.V. (Hrsg.): SympathieMagazine zu (fast) jedem Reiseland mit Informationen zu den Menschen und deren Alltagsleben Für den Kunden heißt das, nicht die „Geiz-ist-geil“-Mentalität ist gefragt, sondern die Bereitschaft, faire Preise für gute Produkte zu zahlen. Wie jeder einzelne Konsument eine ökologisch und sozial verträgliche Reise unternehmen kann, wird im Kapitel 2.4 im vorliegenden Buch ausführlich beschrieben. <?page no="223"?> 224 Nachhaltiger Tourismus Bei der Auswahl der Destination, der Unterkunft, der Verkehrsmittel und der Anbieter kann jeder Reisende auf ökologische und soziale Kriterien achten. Dabei helfen Zertifizierungen. Ausführliche Informationen zu Zertifizierungen sind im Kapitel 3.1.4 aufgeführt. Wichtig ist zudem Zivilcourage und Verantwortungsbewusstsein, z.B. bei beobachtetem Missbrauch von Kindern. Missstände müssen den örtlichen Behörden gemeldet werden. In Deutschland kann man sich auch an die Organisation ECPAT wenden. Wichtige Internetadressen www.vertraeglich-reisen.de Themen zum nachhaltigen Tourismus, Öko-Labels, Unterkünften, Ausrüstung etc. www.csr-tourism.de bzw. www.tourcert.org Seite der gemeinnützigen Gesellschaft für Zertifizierung im Tourismus, Informationen zur Corporate Social Responsibility - CSR www.forumandersreisen.de Seite des forumandersreisen mit Informationen zu den Unternehmen, der Vereinsphilosophie , den Kriterien und nicht zuletzt mit konkreten Reiseangeboten der Mitglieder www.sympathiemagazine.de hier kann man die SympathieMagazine bestellen und findet Informationen zu aktuellen Themen im Bereich Tourismus www.tourism-watch.de Seite des Evangelischen Entwicklungsdiensts EED mit interessanten Beiträgen zu verschiedenen Themen im Bereich nachhaltiger Tourismus www.ecpat.de Seite der deutschen Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung Auf Unternehmensebene Die Reiseunternehmen haben eine zentrale Rolle und Verantwortung bei der Gestaltung von sozial verträglichem Tourismus. Sowohl bei der Angebotsgestaltung, der Wahl der Geschäftspartner, der Information der Reisenden und beim Umgang mit den eigenen Angestellten lassen sich die Prinzipien des nachhaltigen Tourismus berücksichtigen und umsetzen. Der nachhaltigen Unternehmensführung mit zahlreichen Lösungsansätzen ist in diesem Buch das Kapitel 3.1 gewidmet. <?page no="224"?> Herausforderungen 225 Der Deutsche Reiseverband (DRV) unterzeichnete 2001 einen Verhaltenskodex zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung. In einer gemeinsamen Initiative von ECPAT, UNICEF, der WTO und der Europäischen Kommission war um die Jahrtausendwende dieser Kodex entwickelt worden. Seriöse Reiseveranstalter können nun nicht mehr „von Junggesellen bevorzugte“ Hotels im Katalog anpreisen - eine Umschreibung für Prostitution. Der DRV arbeitet mit den Behörden der betroffenen Länder sowie mit dem Bundeskriminalamt zusammen und hat ein Faltblatt für deutsche Urlauber herausgegeben, in dem er vor sexueller Gewalt und Ausbeutung warnt. „Nicht wegsehen - aktiv werden! “, fordert er die deutschen Urlauber auf. Eine umfangreiche Übersicht über eine Reihe von Kodizes für Tourismusunternehmen ist im Kapitel 3.1.2 in diesem Buch beschrieben. Auf Destinationsebene Durch eine Partizipation der lokalen Bevölkerung in die Planung von Tourismusvorhaben und Entscheidungsmöglichkeiten lassen sich soziale Konflikte frühzeitig erkennen und bestenfalls vermeiden. In Deutschland sind Bürgerbeteiligungsverfahren bei Großprojekten vorgeschrieben. Ein Besuchermanagement regionaler Tourismusverantwortlicher, das sowohl die Anzahl als auch die Aufenthaltsorte und -zeiten der Besucher kontrolliert und steuert, kann viel Konfliktpotenzial mit der einheimischen Bevölkerung vermeiden. Ein besonderer Ansatz zur Lösung sozialer Probleme durch Tourismus ist in Entwicklungsländern das Modell des Community Based Tourism (CBT). Das Wesen des Community Based Tourism ist, dass die einheimische Bevölkerung einer Gemeinde selbst entscheidet, ob und wenn, wie sie in ihrem Ort touristische Angebote entwickeln will. In touristisch attraktiven Gemeinden werden meist mithilfe externer Berater im Rahmen von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit das touristische Potenzial herausgestellt, die Infrastruktur verbessert und entsprechende Angebote kreiert. Die Gemeindemitglieder werden geschult, die Ansprüche der westlichen Touristen zu erfüllen und die Angebote im Ort selbständig zu managen. So behalten sie stets die Kontrolle über die Tourismusentwicklung im Ort und sind direkt am Betrieb beteiligt. Die Einnahmen bleiben überwiegend in der lokalen Wirtschaft. Im Idealfall haben alle Gemeindemitglieder eine Aufgabe und ein Einkommen durch den Tourismus. In der Praxis kann es zu sozialen Spannungen im Ort kommen, wenn sich einzelne Mitglieder ausgeschlossen oder übervorteilt fühlen oder durch Korruption und Vetternwirtschaft die Gelder „versickern“. Auch ist nicht jede Gemeinde attraktiv genug für Touristen oder mangels Straßen gut erreichbar. Trotzdem ist der Ansatz der Partizipation der richtige, um Tourismus sozial nachhaltig zu gestalten. <?page no="225"?> 226 Nachhaltiger Tourismus Ein nachhaltiges Destinationsmanagement zielt zudem auf die Stärkung der kulturellen Identität einer Region. Lösungsansätze für ein ökologisch und sozial verträgliches und ökonomisch erfolgreiches Destinationsmanagement sind ausführlich im Thema im Kapitel 3.2 Nachhaltiges Destinationsmanagement beschrieben. Weiterführende Lesetipps Zu Entwicklungsländern: ADERHOLD. et al. (2013): Tourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. BEYER (2003): Partizipation als Herausforderung für Tourismusprojekte in der Entwicklungszusammenarbeit. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung. SCHNEPEL et al. (2013): Kultur all inclusive. Identität, Tradition und Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus. transcript Verlag. SCHNIEKEL (2008): Volunteer-Tourismus. Instrument einer nachhaltigen Tourismusentwicklung in Südafrika? Diplomarbeit am Fachbereich IV Geographie/ Geowissenschaften der Universität Trier. VORLAUFER (1996): Tourismus in Entwicklungsländern. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt. Zu Arbeitsbedingungen im Tourismus: ASENSTORFER (2009): Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen von Saisonbeschäftigten im Tourismus. Tectum Verlag. Zu Dark Tourism: LENNON/ FOLEY (2010): Dark tourism. The attraction of death and disaster. London. Allgemeine Empfehlungen zur verschiedenen Themen: STEINECKE. (2010): Populäre Irrtümer über Reisen und Tourismus. Oldenbourg Verlag. TOURISM WATCH - Informationsdienst Dritte Welt-Tourismus. EED (erscheint viermal im Jahr, auch Online). <?page no="226"?> Herausforderungen 227 Literatur Aderhold, P., Kösterke, A., Laßberg, A.v., Steck, B., Vielhaber, A.(2013): Tourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. Asenstorfer, E. (2009): Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen von Saisonbeschäftigten im Tourismus. Beyer, M. (2003): Partizipation als Herausforderung für Tourismusprojekte in der Entwicklungszusammenarbeit. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung. Breidenbach, R. (2002): Freizeitwirtschaft und Tourismus. Wiesbaden. Brot für die Welt (Hrsg.) (2013): Fair Reisen mit Herz und Verstand. EED. Brown, S. (2005): Travelling with a Purpose: Understanding the Motives and Benefits of Volunteer Vacationers, In: Current Issues in Tourism. Bd. 8, Nr. 6, S. 479-496. Czollek, L., Perko, G., Weinbach, H. (2012): Praxishandbuch Social Justice und Diversity. Weinheim. Demunter; C. (2008): The Tourist Accommodation Sector employs 2,3 million in the European Union. Luxemburg. (Statistics in Fokus; 90). Egle, G. (2012): Persönlichkeitstheorie von Sigmund Freud. Das Eisbergmodell des Bewusstseins. Download unter: http: / / www.teachsam.de/ psy/ psy_pers/ psy_pers_freud/ psy_pers_freud_5.htm, aktualisiert 29.04.2012, besucht am 04.08.2014 Fetscher, C. (2014): Steuerzahler putzen Luxushotels. Tagesspiegel Nr. 21934 vom 21.01.2014. Frank, S. (2012): When „the Rest“ enters „the West“: Indischer Tourismus in der Zentralschweiz. In: TW Zeitschrift für Tourismuswissenschaft (Lucius & Lucius) Jg. 4 (2012).Heft 2, S. 221-229. Freyer, W. (2001): Tourismus. Einführung in die Fremdenverkehrsökonomie. Friedl, H. (2005): Respektvoll Reisen, Reise Know-How. FUR Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (2010): Reiseanalyse 2010. Kurzdarstellung auf der ITB 2010. verfügbar als pdf-Datei unter: http: / / www.fur.de/ fileadmin/ user_upload/ RA_Zentrale_Ergebnisse/ FUR_ Reiseanalyse_RA2010_Erste_Ergebnisse.pdf Graffenried, A.v. (2009): Wirtschaftskrise als Chance für die Nachhaltigkeit. In: Hitech (Magazin der Berner Fachhochschule) 2/ 2009. Grütter, K., Plüss, C. (Hrsg.) (1996): Herrliche Aussichten. Frauen im Tourismus, Kleine Reihe Tourismus und Entwicklung. <?page no="227"?> 228 Nachhaltiger Tourismus Kellicker, P. (2014): Volunteer Vacations: The Health Benefits of Helping Others. http: / / www.beliefnet.com/ healthandhealing/ getcontent.aspx? cid=78992, 2008, besucht am 10.07.2014. Krippendorf, Kramer, Müller (1986): Freizeit und Tourismus. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Bern. Krippendorf, J. (1984): Die Ferienmenschen. Für ein neues Verständnis von Freizeit und Reisen. Zürich. Lennon, J.; Foley, M. (2010): Dark tourism. The attraction of death and disaster. London. Littig, B., Grießler, E. (2004): Soziale Nachhaltigkeit. Informationen zur Umweltpolitik; Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte. Löffler, K. (2012): Gefügige Frauen, befriedigte Egos, In: Cicero - Magazin für politische Kultur vom 15. Juni 2012. Lund-Durlacher, D., Bauernfeind, U., Hergesell, A. (2010): Der touristische Arbeitsmarkt als Chance für Frauen - Status quo und Zukunftsperspektiven. MODUL Universität Wien. unveröffentlicht. o.A. (2014): Boom in der Reisebranche: Zahl der Europa-Touristen steigt um fünf Prozent. In: Spiegel vom 21.01.2014 http: / / www.spiegel.de/ reise/ aktuell/ reisebranche-zahl-der-touristen-steigt-umfuenf-prozent-a-944661.html besucht am 04.07.2014. o.A. (2014): Berliner Gericht verbietet Wohnungsvermietung an Feriengäste. In: http: / / www.zeit.de/ politik/ deutschland/ 2014-02/ berlin-ferienwohnunggerichtsurteil vom 27. Februar 2014. besucht am 30.08.2014. Opaschowski, H. W. (2009): Deutschland 2030 - Wie wir in Zukunft leben. PECO-Institut (2014): Einstieg in die nachhaltige Entwicklung. http: / / www.solidarisch-einkaufen.de/ index.php? content=Nachhaltigkeit. besucht am 10.07.2014. Reitz, A. (2009): Mehr als Planschen an der Oberfläche. Junge Freiwillige in Guatemala. In: Tourism Watch. Heft Nr. 55. Schichler, K. (2012): Motivation für Dark Tourism - Dargestellt am Beispiel der Besucher der Gedenkstätte Sachsenhausen. Masterarbeit im Studiengang Nachhaltiges Tourismusmanagement der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. unveröffentlicht. Schiekel, N. (2008): Volunteer-Tourismus. Instrument einer nachhaltigen Tourismusentwicklung in Südafrika? Diplomarbeit am Fachbereich IV Geographie/ Geowissenschaften der Universität Trier. S. 149 Download unter: http: / / www.tourism-watch.de/ files/ volunteer_tourismus_1.pdf Schiekel, N. (2009): Volunteer-Tourismus: Chancen und Risiken. In: Tourism-Watch Nr. 55/ 2009. <?page no="228"?> Herausforderungen 229 Schnepel, B., Girke, F., Knoll, E.-M. (2013): Kultur all inclusive. Identität, Tradition und Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus. Scholz, H. (1990): …und fordere mein Geld zurück. So beschweren sich Touristen. München. Seaton, A.: War and thanatourism (1999): Waterloo 1815 -1914. In: Annals of Tourism Research. Vol. 26, No.1, S. 130-158. http: / / www.sciencedirect.com/ science/ article/ pii/ S0160738398000577 Springer Gabler Verlag (Hrsg) (2014): Gabler Wirtschaftslexikon http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ Archiv/ 2794/ ethik-v9.html o.J. http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ Archiv/ 1253/ akkulturation-v7.html o.J. besucht am 10.07.2014. Steinecke, A. (2010): Populäre Irrtümer über Reisen und Tourismus Strasdas, W., Zeppenfeld (2008): Nachhaltiger Tourismus. Studienbrief der Technischen Universität Kaiserslautern. unveröffentlicht. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. (o.J.): SympathieMagazine www.studienkreis.org. Tourism Watch - Informationsdienst Dritte Welt-Tourismus (2014): Tourism Concern Petition gegen Waisenhaustourismus. Heft 74/ 2014. Tourism Watch - Informationsdienst Dritte Welt-Tourismus www.tourismwatch.de, erscheint viermal im Jahr. Uchtmann, J. (2013): Slumtourismus. Der Ort des Anderen, In: Tagesspiegel Online vom 18.11.2013. UNEP (o.J.): Agenda 21, 1992 http: / / www.unep.org/ Documents.Multilingual/ Default.asp? DocumentID=52. besucht am 10.07.2014. UNEP (2014): Negative Economic Impacts of Tourism, http: / / www.unep.org/ resourceefficiency/ Business/ SectoralActivities/ Tourism/ FactsandFiguresaboutTourism/ ImpactsofTourism/ EconomicImpactsofTourism / NegativeEconomicImpactsofTourism/ tabid/ 78784/ Default.aspx. besucht am 10.07.2014. Vorlaufer, K. (1996): Tourismus in Entwicklungsländern. Darmstadt. WCED: Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future 1987. http: / / www.un-documents.net/ wced-ocf.htm. besucht am 10.07.2014. World Vision Institut für Forschung und Innovation (2014): Armut geht uns alle an. In: www.armut.de. besucht am 08.08.2014. <?page no="230"?> 3 Nachhaltiges Tourismusmanagement 3.1 Corporate Social Responsibility und Nachhaltiges Unternehmensmanagement im Tourismus von M.A. Martin Balàš, Prof. Dr. Wolfgang Strasdas Lernziele In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit im Unternehmensmanagement und wie lässt sich das Prinzip von CSR erklären? Wie kann man Nachhaltigkeit in Tourismusunternehmen implementieren? Welche Merkmale sollte Nachhaltigkeitsberichterstattung im Tourismus haben? Welche Rolle spielen Nachhaltigkeitszertifizierungen für Tourismusunternehmen? Die Umsetzung der Prinzipien von Nachhaltigkeit in das unternehmerische Umfeld wird seit geraumer Zeit lebhaft in der Öffentlichkeit diskutiert. Dabei ist Unternehmensverantwortung durchaus kein neues Phänomen. So übt ein Unternehmen neben der betrieblichen Komponente, dem unternehmerischen Gewinnstreben (business case), auch immer eine gesellschaftliche Funktion aus, indem es einen Mehrwert für die Gesellschaft (social case) schafft. So zeigt die Geschichte, dass Unternehmer in Zeiten des Wandels stets ein Interesse an gesellschaftlicher Stabilität hatten, nicht zuletzt um deren ökonomische Vorteile zu sichern. Bereits das berühmte italienische Handbuch „Practica della Mercatura“ aus dem Jahr 1340 gab klare Handlungsanweisungen an den Ehrbaren Kaufmann, „[...] immer gerecht [zu] handeln, große Weitsichtigkeit [zu] besitzen und immer seine Versprechen ein[zu]halten“ (SCHWALBACH/ KLINK 2012: 224). Die Etablierung eines gesellschaftsorientierten und somit ehrbaren Verhaltens von Kaufleuten wurde ebenso in der nordeuropäischen Hanse gefestigt, indem im Jahr 1517 die Versammlung „Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“ gegründet wurde, die bis heute besteht. Bestimmend waren hierbei insbe- <?page no="231"?> 232 Nachhaltiger Tourismus sondere ein Bündel von Tugenden und Verhaltensweisen und die Sicherung des guten Rufs in der Öffentlichkeit. Die Idee der „Gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen“ und die hierzu gehörigen Begrifflichkeiten haben in den vergangenen Jahrhunderten einen stetigen Wandel erfahren. Dies resultierte insbesondere aus der Entwicklung, dass seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Wirtschaft das Leben der Bürger in vielen Bereichen zunehmend beeinflusste. Konzerne mit erheblicher Machtkonzentration entstanden, kleine regionale Betriebe nahmen ab. Es entstand ein Wandel, der in der Öffentlichkeit unmittelbar mit Fragen zur gesellschaftlichen Verantwortung verbunden war. Die Eigentümer der Konzerne sahen sich in der Pflicht, diesen Forderungen nachzukommen und sich an die Erwartungen und Werte der Gesellschaft anzupassen (LOEW/ ANKELE 2004). Folgende Faktoren beschleunigten diese Entwicklung bis in die heutige Zeit (vgl. LOTTER & BRAUN 2010): Globalisierung internationale Wertschöpfung steigender Wettbewerbsdruck Zunahme (regelungsbedürftiger) Kooperations- und Konfliktmöglichkeiten Informations-und Kommunikationsbedingungen enorme Leistungssteigerung bei gleichzeitig sinkenden Kosten potenzielle permanente Transparenz Risiken von Aufdeckung schädlichen Verhaltens mit Folgen der Sanktionierung Kritischere Öffentlichkeit Zweifel an der moralischen Qualität der Marktwirtschaft Unternehmensskandale Sensibilisierung und Aktivierung der Verbraucher Steigende Ansprüche und Erwartungen der Verbraucher und Mitarbeiter steigende Anforderungsprofile Ausweitung von Handlungsspielräumen Grenzen zentraler Steuerung Kapitalmärkte, steigende Erwartungen des Finanzmarktes kurzfristige Gewinnstrategien forcieren wachsender Markt für nachhaltige Geldanleihen Anreize von Kapitalmärken für verantwortliches Handeln <?page no="232"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 233 Heutzutage sehen sich Unternehmen mit neuen Bedingungen des wirtschaftlichen Agierens konfrontiert. Zunehmend steht nicht mehr der reine ökonomische Erfolg im Zentrum des Interesses der kritischen Öffentlichkeit, sondern vor allem die Art und Weise, wie dieser erwirtschaftet wird. Unternehmen werden aufgefordert, sich als Bestandteil einer globalen und regionalen Zivilgesellschaft zu verstehen und dabei ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten, also ihre ökologische, ökonomische und soziale Verantwortung aktiv wahrzunehmen. 3.1.1 Corporate Social Responsibility: Nachhaltigkeit im Unternehmensmanagement Das Konzept Corporate Social Responsibility Die Forderung nach zunehmender gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen und die Diskussion darüber, wie nachhaltiges Wirtschaften zur Lösung der gegenwärtigen globalen Herausforderungen beitragen kann, wird in Europa seit Anfang der Jahrtausendwende unter dem Schlagwort Corporate Social Responsibility (CSR) geführt. Eine allgemein gültige Definition des Begriffs und ein universell anerkanntes Konzept existieren in der Literatur bislang noch nicht. „Das Konzept CSR blieb bis heute unpräzise, was falsche Erwartungen und damit Enttäuschungen - sowohl auf Seiten der Unternehmen, die CSR implementieren, als auch in der Zivilgesellschaft - hervorruft.“ (SCHNEIDER & SCHMIDTPETER 2012: 18) CSR befindet sich inhaltlich in einem beständigen Weiterentwicklungsprozess. Viele Autoren bzw. Organisationen erarbeiten für ihre Publikationen eigene Definitionen von CSR oder grenzen Merkmale mit weiteren Begrifflichkeiten oder Kürzeln ab (vgl. hierzu SCHNEIDER/ SCHMIDTPETER 2012). Ausgangsbasis jedoch sind oftmals die Definitionen der Europäischen Kommission aus den Jahren 2001 und 2002. Die erste grundlegende Publikation der EU war das sogenannte Grünbuch Promoting a European Framework for Corporate Social Responsibility mit der offiziellen deutschen Übersetzung Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen. <?page no="233"?> 234 Nachhaltiger Tourismus In diesem Dokument wird Corporate Social Responsibility als ein Konzept verstanden, „das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren“ (ebd.). Unternehmen sind laut diesem Verständnis gesellschaftlich verantwortungsbewusst, wenn sie über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus in Humankapital, in die Umwelt und in die Beziehungen zu anderen Stakeholdern investieren. Im Rahmen des Grünbuchs wurde vor allem die Freiwilligkeit betont und darüber hinaus die soziale und ökologische Dimension der Nachhaltigkeit hervorgehoben. Mit einer zunehmend dynamischen Debatte zu weiteren Inhalten und Abgrenzungen von CSR erweiterte die Europäische Kommission ihre Mitteilung zu CSR und schuf im Jahr 2011 eine weitaus detailliertere Erläuterung zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen: „Damit die Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung in vollem Umfang gerecht werden, sollten sie auf ein Verfahren zurückgreifen können, mit dem soziale, ökologische, ethische, Menschenrechts- und Verbraucherbelange in enger Zusammenarbeit mit den Stakeholdern in die Betriebsführung und in ihre Kernstrategie integriert werden. Auf diese Weise soll die Schaffung gemeinsamer Werte für die Eigentümer/ Aktionäre der Unternehmen sowie die übrigen Stakeholder und die gesamte Gesellschaft optimiert werden; sollen etwaige negative Auswirkungen aufgezeigt, verhindert und abgefedert werden.“ (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2011: 5) CSR wird als ein Konzept verstanden, das gesellschaftliche, ökologische und ethische Themen sowie Fragen der Menschenrechte in die Geschäftstätigkeit von Unternehmen integriert. Betont werden die Einbindung der Wertschöpfungskette und die Verpflichtung des Unternehmens zu einem Dialog mit sämtlichen Anspruchsgruppen. Dadurch soll ein Einklang zwischen Mitarbeitern, Stakeholdern und der Wertschöpfungskette entstehen, mit dem Ziel, eine kontinuierliche Verbesserung in Bezug zu Nachhaltigkeit zu fördern und dieses im Unternehmen aktiv zu leben. <?page no="234"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 235 Zusammenfassend ist CSR geprägt von folgenden zentralen Prinzipien: Freiwilligkeitsprinzip: CSR beginnt, wenn die Aktivitäten des Unternehmens über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen („beyond legal compliance“). CSR wird somit zu einer proaktiven Selbstverpflichtung, die im Ermessen des Unternehmens liegt und motivationsgetrieben ist. Dennoch heißt dies nicht, dass CSR beliebig oder unverbindlich ist - vielmehr hat das Unternehmen diese Freiwilligkeit nachzuweisen, nicht zuletzt aufgrund einer erhöhten Beobachtung durch die Gesellschaft, NGOs sowie Mitbewerber. Managementorientierung: Eine erfolgreiche Umsetzung von CSR im Unternehmen gelingt nur dann, wenn es als ganzheitlicher Managementansatz verstanden wird. Das heißt, es muss eine einheitliche Unternehmenskultur geschaffen werden, die in der Gänze das Thema Nachhaltigkeit berücksichtigt. Dies fängt bei der Unternehmensleitung an und führt weiter durch sämtliche Bereiche der Organisation. Konkret sollten dafür auch entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen freigestellt werden. Wertschöpfungsorientierung: „CSR ist nicht etwas, was dem Kerngeschäft von Unternehmen aufgepfropft wird“ (Europäische Kommission 2002: 6). Vielmehr geht es um die Gestaltung der unternehmerischen Aktivitäten nach nachhaltigen Gesichtspunkten. CSR verlangt somit eine konsequente Integration von Nachhaltigkeitsaspekten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Hierbei kann es durchaus zu einer Neuorientierung/ Eliminierung und parallel dazu Umstellung und Erweiterung von wertschöpfenden Aktivitäten im Unternehmen kommen. Insofern ist eine nachhaltige Ausrichtung der Wertschöpfung auch mit Innovationsprozessen und einer Marktdifferenzierung verbunden. Stakeholderorientierung: Ein Unternehmen als „guter Bürger“ (corporate citizen) (HABISCH/ SCHWARZ 2012) trägt Verantwortung für sämtliche Anspruchsgruppen, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit in irgendeiner Art und Weise beeinflusst werden. Somit verlangt CSR die Berücksichtigung der Interessen von internen (z.B. Mitarbeitende) und externen Stakeholdern (z.B. lokale Bevölkerung), indem sie in das Wirkungsfeld der unternehmerischen Aktivitäten eingebunden werden. Dementsprechend hat ein nachhaltiges Unternehmen in einen aktiven Dialog mit seinen direkten und indirekten Stakeholdern zu treten. Triple-Bottom-Line: CSR fordert die Ausrichtung und Bewertung der Leistung von Organisationen nach den drei Nachhaltigkeitsdimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales. Mit dem Begriff Triple Bottom Line wird ausgedrückt, dass die Bilanz einer Organisation am Ende des Jahres nicht nur ökonomisch bewertet werden sollte, sondern auch eine Bilanz der ökologi- <?page no="235"?> 236 Nachhaltiger Tourismus schen und sozialen Auswirkungen des unternehmerischen Handelns gezogen werden sollte (ELKINGTON 2004). Prozessorientierung: CSR ist als ein für jede Organisation individueller Prozess zu verstehen. Im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) stellt sich das Unternehmen hierbei als Treiber einer langfristigen nachhaltigen Entwicklung dar. „Nachhaltigkeit und CSR sind vom Grundprinzip her entwicklungs-, lern- und innovationsorientierte Ansätze“, die erfordern, dass die Verantwortlichen über den üblichen Handlungs- und Werterahmen hinaus denken und handeln (GRIESHUBER 2012: 375). Es gilt: Ein absolut nachhaltiges Unternehmen kann es nicht geben. Aber Unternehmen können daran arbeiten, nachhaltiger zu werden. Transparenz: Eine freiwillige Selbstverpflichtung bedarf einer Darstellung der sich verpflichteten Inhalte. Insofern kann die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens mit CSR-Anspruch nur erfüllt werden, wenn sämtliche Aktivitäten in diesem Bereich transparent gemacht werden, indem sie der Öffentlichkeit zugänglich sind. „Unternehmen, die glaubwürdig über die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen ihres wirtschaftlichen Handelns berichten, sichern sich nicht zuletzt damit Vertrauen bei ihren Anspruchsgruppen - eine notwendige Voraussetzung für zukünftigen Geschäftserfolg.“ (JASCH 2012). Dimensionen von Corporate Social Responsibility Eine Reihe von Maßnahmen und strategische Weichenstellungen sind notwendig, um CSR als langfristiges Handlungsmodell etablieren zu können. Das CSR- Reifegradmodell von SCHNEIDER (2012) beschreibt verschiedene Stufen des Engagements von CSR im Unternehmen und veranschaulicht den Grad der Einbindung von CSR-Aktivitäten. Abb. 1: CSR-Reifegrade (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an SCHNEIDER 2012: 29 ff.) <?page no="236"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 237 Eine passive, rein aus ökonomischen Zielsetzungen bedingte gesellschaftliche Verantwortung wird im Reifegradmodell zwar als CSR 0.0 angeführt, ist im strengen Sinne jedoch kein CSR. Es handelt sich eher um Aktivitäten unter Einhaltung von Gesetzen oder Bereiche, die zufällig auch eine gesellschaftliche Wirkung entfalten. Das Engagement hat jedoch weder eine konkrete Systematik, noch ist es in einem Managementansatz verankert. Ein Beispiel wären technische Optimierungen zur Verringerung des Kerosinverbrauchs bei Airlines wie die Installation der Winglets an den Flugzeugtragflächen (vgl. Kapitel 2.1.7). Die tatsächlich erste Stufe von CSR-Aktivitäten ( CSR 1.0 ) umfasst unternehmensfremde philanthropische Maßnahmen, die zwar das eigene unternehmerische Kerngeschäft nicht betreffen, jedoch die Motivation beinhalten, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen. Dies geschieht oftmals in Form von Partnerschaften im Rahmen eines bürgerschaftlichen Engagements, indem bspw. Schutz- und Entwicklungsprojekte finanziell unterstützt werden, Unternehmensstiftungen gegründet werden, lokale Vereine gesponsert werden oder die zeitlich begrenzte ehrenamtliche Arbeit der Mitarbeiter unterstützt wird. Ein weiterer Aspekt in dieser Ebene sind unsystematische CSR-Maßnahmen, die entweder eine Dimension von Nachhaltigkeit abbilden (z.B. ökologische Maßnahmen wie der punktuelle Einsatz erneuerbarer Energien) oder eher losgelöst vom tatsächlichen Kerngeschäft des Unternehmens sind (z.B. Büroökologie bei Reiseveranstaltern). Dementsprechend bringt dieses CSR-Engagement dem Unternehmen keinen direkten wirtschaftlichen Nutzen und reagiert vielmehr auf eine bestehende nachträgliche Verantwortung. Es wird auch von einer „responsive CSR“ gesprochen (PORTER/ KRAMER 2006: 9), die zumeist initiiert wird, wenn bedenkliche unternehmerische Praktiken oder gesellschaftlich wahrgenommene Missstände schon existieren. In einer nächsten Stufe ( CSR 2.0 ) wird CSR als Konzept zur bewussten und sorgfältigen Planung von Aktivitäten in einem kontinuierlichen Dialog mit den Anspruchsgruppen genutzt. Hier etabliert sich bereits ein strategisches Managementkonzept mit Führungs- und Gestaltungsauftrag. Damit ist sowohl die inhaltliche Ausgestaltung von CSR anhand von konkreten Maßnahmen und CSR-Aktivitäten als auch die strategische Ausrichtung in Form der Geschäftsstrategie inbegriffen. Das CSR-Verständnis in dieser Ebene geht bereits so weit, dass Nachhaltigkeit „in die DNA eines Unternehmens eingepflanzt wird“ (SCHNEIDER 2012: 33) und ein Teil der Unternehmenskultur und des -alltags wird. Indem CSR fester Bestandteil der Unternehmensstrategie wird, soll verhindert werden, dass CSR als austauschbar bzw. als Kostenfaktor gilt. Der Schlüsselfaktor in dieser Stufe besteht darin, dass CSR als Werkzeug zur eigentlichen Verhaltensänderung und zur Schaffung eines nachhaltigen Wandels verstanden wird, indem nicht die Symptome der gesellschaftlichen Herausforde- <?page no="237"?> 238 Nachhaltiger Tourismus rungen angegangen werden, sondern eine konsequente Ursachenbekämpfung erfolgt, indem hauptsächlich in der Wertschöpfung auf Nachhaltigkeit gesetzt wird. Nachhaltigkeit und auch CSR sind als Entwicklungsprozesse zu verstehen, die weder einen Nullpunkt noch einen endgültigen Erfüllungsgrad haben. Schlussfolgernd kann es kein „nachhaltiges“ oder „unnachhaltiges“ Unternehmen geben; vielmehr sind die Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Entwicklung stets an die aktuellen regionalen und globalen Herausforderungen und die Auswirkungen für Umwelt und Gesellschaft anzupassen. Unter diesem Blickwinkel sollte auch ein bereits konsequent nachhaltig ausgerichtetes Unternehmensmanagement in letzter Instanz ( CSR 3.0 ) als wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischer Gestalter gesellschaftlicher Herausforderungen im Rahmen der Einflussmöglichkeiten auftreten. Mit diesem Verständnis wird ein Unternehmen vom innovativen Marktteilnehmer zum Treiber neuer Marktstrukturen und vom regulierten Prozessmanager zum regulierenden „Game-Changer“. In dieser Rolle kann von Unternehmen ein weitreichender gesellschaftlicher Impuls entstehen, der über den unmittelbaren Einflussbereich und Gestaltungshorizont eines Unternehmens hinausgeht. Beispielsweise werden ausgehend von engagierten Reiseveranstaltern im „Roundtable Menschenrechte im Tourismus“ gesellschaftliche Herausforderungen angesprochen, die nicht im unmittelbaren Sinne die Unternehmenstätigkeit beeinflussen, aber durchaus die ganzheitliche gesellschaftliche Wertschöpfung und langfristig auch Mehrwerte für die gesamte Tourismusbranche generieren können (BAUMGARTNER et al. 2013). Mit solchen Aktivitäten im Bereich des „Soft Law“, bei denen sich mehrere Unternehmen mit dem Ziel einer quasi-staatlichen Selbstregulierung zusammenschließen, entstehen Prozesse, die einerseits Verantwortung als gemeinschaftliche Unternehmensaufgabe in den Fokus stellen, andererseits Unternehmen zu politischen Gestaltern werden lassen und gesellschaftliches Agendasetting vorantreiben. Corporate Social Responsibility und Nachhaltigkeit Das Konzept und die Umsetzung von CSR in Unternehmen impliziert stets die Einbeziehung der Merkmale einer nachhaltigen Entwicklung. In den letzten Jahren entstand jedoch nicht nur eine Begriffsvielfalt zur Abgrenzung diverser Eigenschaften von CSR, sondern auch eine Debatte zur Unterscheidung zwischen CSR und Nachhaltigkeitsmanagement insgesamt (LOEW/ ROHDE 2013, SCHALTEGGER 2012 u.a.). Diese Debatte wurde weitestgehend angetrieben von wissenschaftlichen Abhandlungen und theoretischen Modellierungen. In der Praxis führt diese Begriffsinflation vielmehr zu Verwirrung und verhindert eine komplementäre Annäherung der Modelle zueinander. Generell sollten CSR und Nachhaltigkeit auf unternehmerischer Ebene als Corporate Sustainability <?page no="238"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 239 verstanden werden und untrennbar miteinander verbunden sein. Denn CSR umfasst auch die drei Säulen der Nachhaltigkeit und gibt der vierten Säule, der institutionellen Nachhaltigkeit, ihren Rahmen anhand von konkreten Handlungsanweisungen. CSR auf makroökonomischer Ebene entspricht dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung und bezieht sich nicht mehr auf einzelne Unternehmen, sondern auf die Interrelationen des gesamten Geschäfts- und Gesellschaftsgefüges zueinander. CSR auf mikroökonomischer Ebene hingegen entspricht im deutschen Sprachgebrauch dem Konzept der nachhaltigen Unternehmensführung und dem Nachhaltigkeitsmanagement insgesamt (LOEW/ ROHDE 2013). In der Fachdiskussion zu CSR werden Begriffe wie Corporate Responsibility (CR), Corporate Governance und Corporate Citizenship oft synonym mit dem Begriff CSR verwendet. Die Begrifflichkeiten geben jedoch durchaus Unterschiede wieder und präsentieren wichtige Dimensionen von CSR. Der am weitesten gefasste Begriff ist der Ausdruck Corporate Responsibility, der mit Corporate Sustainability gleichgesetzt werden kann und die allgemeine Verantwortung für eine nachhaltige Unternehmensführung beschreibt. Unter ihm lassen sich sowohl der Begriff CSR als auch die Ausdrücke Corporate Governance und Corporate Citizenship unterordnen. Die institutionelle Voraussetzung für ein ernsthaft gemeintes CSR-Engagement in Unternehmen erfolgt im Rahmen des Corporate Governance (CG). Corporate Governance bedeutet dabei soviel wie „Grundsätze verantwortungsvoller Unternehmensführung“ und umfasst Entscheidungsmaßstäbe und Verhaltenspflichten für Unternehmensorgane für die Umsetzung von CSR in Unternehmensstrukturen und die aktive Kommunikation der Unternehmen mit ihren Aktionären und Stakeholdern (Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 2012). Corporate Governance und CSR stehen somit in unmittelbarem Bezug zueinander. Mit Corporate Citizenship ist hingegen das rein gesellschaftliche Engagement von Unternehmen bzw. Organisationen gemeint. Hierunter fallen wohltätige Aktivitäten, die keinen direkten Bezug zur Organisationszielsetzung bzw. zu deren Aktivitäten haben (siehe CSR 1.0). <?page no="239"?> 240 Nachhaltiger Tourismus Abb. 2: Dimensionen Corporate Responsibility/ Corporate Sustainability und Nachhaltige Entwicklung (Quelle: eigene Darstellung in Anlehung an ERNST & YOUNG o.D. aus SCHNEIDER/ SCHMIDTPETER 2012: 41) ISO 26.000: Normierung von Nachhaltigkeitsmanagement Aufgrund aufkommender Bedenken bzgl. der Umsetzung von gesellschaftlicher Verantwortung in Unternehmen und der Vielfalt an unterschiedlichen Ansätzen und Begrifflichkeiten wurde ausgehend vom verbraucherpolitischen Komitee der ISO (International Organization for Standardization) ein langjähriger Prozess zur Erarbeitung von Prinzipien und Kernfeldern von CSR in Gang gesetzt. Nach einem einzigartigen Verfahren mit mehr als 400 Experten aus 99 Ländern wurde im November 2010 schließlich der „Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung von Organisationen“ - die ISO 26.000 veröffentlicht. Im Gegensatz zu anderen ISO-Normen ist die ISO 26.000 kein Zertifizierungssystem, sondern ein Orientierungsrahmen in Form eines Leitfadens - ohne anschließende Validierung oder Begutachtung. Die Norm gibt vielmehr Hilfestellungen, wie Organisationen gesellschaftlich verantwortliches Verhalten in vorhandene Strategien und Systeme einbinden können, und bietet damit einen weltweit allgemeingültigen Rahmen zur Umsetzung von CSR. Ziel dieser internationalen Norm ist es, alle Arten von Organisationen 18 , unabhängig von ihrer 18 ISO 26.000 verwendet nicht den Begriff Corporate Social Responsibility (CSR), sondern Social Responsibility (SR), um keine Organisationsform auszuschließen. Dennoch führt diese Begrifflichkeit wiederum zu erneuter Verwirrung, da sie eine weitere Abgren- <?page no="240"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 241 Größe, Standort und Zugehörigkeit, einzubeziehen und darüber hinaus Handlungsempfehlungen unabhängig der bereits vorhandenen Erfahrung mit CSR bereitzuhalten. Als Fundament für die Wahrnehmung von gesellschaftlicher Verantwortung werden sieben Grundsätze festgehalten, an die sich jede Organisation zu halten hat (BMAS 2012). Sie gelten als Rahmenbedingungen für die Umsetzung von CSR in einer Organisation. Konkreter formuliert die ISO-Norm weitere Kernthemen und dazugehörige Handlungsfelder, welche die Hauptbereiche gesellschaftlicher Verantwortung abbilden. Das Kernthema Organisationsführung bildet den organisatorischen Rahmen, denn nur eine von der Managementebene gelebte Führung und Steuerung der Nachhaltigkeitsaspekte schafft die Voraussetzung zur Umsetzung der sechs anderen inhaltlich orientierten Kernthemen. Außerdem sollte die Leitung der Organisation selbst dafür sorgen, dass sie sich gesellschaftlich verantwortlich verhält und dass eine entsprechende nachhaltige Organisationskultur entsteht. Neben der Berücksichtigung von Handlungsfeldern geht die ISO 26.000 auch auf die Art der Umsetzung des Nachhaltigkeitsmanagements ein, indem Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden. So soll die Organisation zunächst eine sorgfältige Prüfung ihrer Aktivitäten und deren Tragweite auf Anspruchsgruppen und Auswirkungen durchführen und diese bewerten (due diligence). Danach ist der Einflussbereich der Organisation zu bestimmen, indem bspw. die wirtschaftlichen Beziehungen und Befugnisse reflektiert werden. Anschließend gilt es, Prioritäten zu bestimmen und Ziele festzulegen. Dies verlangt auch eine intensive interne und externe Kommunikation der Aktivitäten mit unterschiedlichen Stakeholdern. Die Art der Kommunikation ist so zu wählen, dass das Erreichen der gesteckten Ziele realistisch, nachprüfbar und damit nicht nur intern, sondern ggf. auch für Dritte nachvollziehbar wird. Letztendlich soll die Organisation Methoden entwickeln, die eine kontinuierliche Verbesserung anstreben. Hierbei werden vor allem eine Bewertung des Erreichten, eine Entwicklung von Kennzahlen und Messgrößen und eine konsequente Nachverfolgung sowie Bewertung der Fortschritte empfohlen. Die ISO 26.000 erhebt somit einen Anspruch auf das eigendynamische Engagement von Organisationen und lässt dabei viele Freiheiten, insbesondere bei der Umsetzung der definierten Handlungsfelder. Schlussendlich wird durch die Festlegung von Prinzipien, Kernthemen und Durchführungsstrategien eine globale und inhaltlich ausgerichtete Grundlage zur Umsetzung von CSR geschaffen. zung zu CSR schafft und im Deutschen oftmals irreführend mit „Soziale Verantwortung“ falsch übersetzt wird. <?page no="241"?> 242 Nachhaltiger Tourismus 3.1.2 Umsetzung von Nachhaltigkeit in Tourismusunternehmen Das Thema Nachhaltigkeit im Tourismus ist durchaus kein neues Phänomen - verschiedene Aspekte und die historische Entwicklung wurden in diesem Buch bereits ausführlich erläutert (siehe Kap. 1). Doch wie verhält es sich mit der konkreten Einbindung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Unternehmensführung? Betrachtet man das touristische Produkt en détail, wird deutlich, wie relevant unternehmerische Verantwortung in der Tourismuswirtschaft sein sollte: Der Dienstleistungscharakter setzt stets einen hohen Personalfaktor voraus, der im Tourismus oftmals von prekären Beschäftigungsverhältnissen, saisonaler Beschäftigung und niedrigen Aus- und Weiterbildungsniveaus geprägt ist. Tourismusprodukte als Leistungsbündel bestehen aus Produktbausteinen, bei denen eine Vielzahl an Akteuren beteiligt ist. Somit sind Zulieferer- und Wertschöpfungsketten im Tourismus von besonders hoher Relevanz, da sie vergleichsweise lang und komplex sind und eine sehr hohe indirekte Wertschöpfung erzeugen. Hieraus resultiert eine Verantwortung und evtl. auch eine Machtposition gegenüber verschiedenen an der Erstellung des touristischen Produktes beteiligten Anspruchsgruppen. Die Produkteigenschaften im Tourismus sind stark umfeldabhängig . So ist eine intakte Natur Grundvoraussetzung für die Attraktivität des touristischen Produktes, ebenso wie Aspekte der kulturellen Vielfalt und regionalen Identität. Touristische Unternehmen nutzen nicht nur diese „öffentlichen Güter“, sondern beeinflussen diese auch direkt (bspw. Eingriffe in die Natur oder Inszenierung von Brauchtum). Vor allem politisch schwache Bevölkerungsgruppen wie Kinder, Frauen und ethnische Minderheiten sind dabei oft nur unzureichend geschützt. Soziale und ökologische Auswirkungen des Tourismus treten nicht nur am Unternehmensstandort (z.B. beim Reiseveranstalter), sondern überwiegend am Konsumstandort auf (in den Destinationen). Insofern tragen Tourismusunternehmen eine große Verantwortung in den Gebieten des Konsums, die sie für ihre Unternehmenstätigkeit nutzen (externe CSR). Die Konsumenten von touristischen Produkten sind fester Bestandteil des Produktionszyklus (kundenpräsenzbedingte Dienstleistung) - sie befinden sich vor Ort im Reisegebiet und sind quasi „Co-Produzenten“ des touristischen Produktes . Somit ist deren Verhalten in den Zielgebieten überaus nachhaltigkeitsrelevant. Touristische Unternehmen haben diesem Zustand entsprechend Rechnung zu tragen. <?page no="242"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 243 Das touristische Produkt ist stark mobilitätsabhängig . Die Überwindung großer Distanzen ist oftmals mit hohen Umweltbelastungen verbunden. Die Notwendigkeit, das touristische Angebot nachhaltiger zu gestalten, wurde 2007 von der Europäischen Kommission durch die Etablierung der Tourism Sustainability Group (TSG) festgehalten. Die Arbeitsgruppe erarbeitete acht zentrale Herausforderungen zur Sicherung einer nachhaltigen Tourismusentwicklung: Reduzierung der Saisonalität in der touristischen Nachfrage Berücksichtigung der Auswirkungen durch den touristischen Verkehr Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Tourismus Sicherung und Erhöhung der Lebensqualität und Wohlfahrt von Gemeinden, angesichts anstehender Veränderungen Minimierung des Ressourcenverbrauchs und des Abfallaufkommens Erhalt und Inwertsetzung des natürlichen und kulturellen Erbes Urlaub für alle (Barrierefreiheit) Tourismus als Instrument für eine globale nachhaltige Entwicklung Weiterhin konstatierte der Bericht ein bestehendes Defizit bei der Einbindung von CSR in kleineren und mittleren Tourismusbetrieben: „Whereas most large companies have formal policies towards CSR and cover these activities in their reporting, this tends not to be the case with small companies. This is a particular challenge for the tourism sector, given the predominance of small and micro sized businesses.“ (Europäische Kommission 2007: 22) Die TSG beschrieb in ihrem Report die Notwendigkeit, Tourismusunternehmen stärker in die Pflicht einer nachhaltigen Entwicklung zu nehmen, insbesondere durch einen intensiveren Ausbau des CSR-Engagements touristischer Betriebe. Insgesamt befindet sich der Tourismus im Bereich CSR noch in einer Anfangsphase, die allerdings weiter Schwung aufnimmt. Das Interesse an CSR als umfassenden Managementansatz gewinnt durchaus an Bedeutung: Einerseits werden informelle bzw. eigene Systeme innerhalb der Unternehmen geschaffen, andererseits steigt das Interesse der Unternehmen an Zertifizierungssystemen im Tourismus. Angetrieben wird diese Entwicklung durch Nachfragetrends im Bereich der Nachhaltigkeit, einen zunehmenden externen Druck der Öffentlichkeit sowie sich verändernde Wettbewerbsbedingungen mit einem steigenden Bedürfnis der klaren Differenzierung und Positionierung von Unternehmen. <?page no="243"?> 244 Nachhaltiger Tourismus Richtlinien und Verhaltenskodizes im Tourismus Im Zuge der CSR-Entwicklung haben sich zahlreiche Initiativen gebildet, die sich mit dem Gedanken der Unternehmensverantwortung beschäftigen und sich für die Umsetzung von Richtlinien und Kodizes in der Unternehmensführung engagieren. Auch der Tourismus hat hier Handlungsbedarf - denn diese Grundsätze bilden die Voraussetzung für eine verantwortliche Unternehmensführung, deren Einhaltung kann als Pflicht verstanden werden kann, von der ausgehend erst ein ernst gemeintes CSR-Engagement beginnt. Richtlinie / Verhaltenskodex Inhalte Global Compact der Vereinten Nationen (branchenübergreifend) Bei der freiwilligen Erklärung zum Global Compact verpflichten sich Unternehmen, ihre Geschäftstätigkeiten und Strategien an zehn universell anerkannten Prinzipien aus den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung auszurichten (UN GLOBAL COMPACT 2014: https: / / www.unglobalcompact.org/ ). Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) (branchenübergreifend) zehn Kapitel zu folgenden Themen: Allgemeine Grundsätze, Offenlegung von Informationen, Menschenrechte, Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern, Umwelt, Bekämpfung von Bestechung, Bestechungsgeldforderungen und Schmiergelderpressung; Verbraucherinteressen, Wissenschaft und Technologie; Wettbewerb, Besteuerung (OECD PUBLISHING 2014: http: / / www.oecd.org/ daf/ inv/ mne/ ) Global Code of Ethics for Tourism zehn Leitartikel für einen nachhaltigen Tourismus: Tourismus zum gegenseitigen Verständnis und Respekt zwischen Völkern und Gesellschaften; T. als möglicher Weg zu individueller und kollektiver Erfüllung; T. als Faktor für eine nachhaltige Entwicklung; T. als Nutzer des Kulturerbes der Menschheit und Beitrag zu dessen Pflege; T. als Aktivität, die für das Gastland und seine Bevölkerungsgruppen förderlich ist; Pflichten der an der touristischen Entwicklung beteiligten Anspruchsgruppen; das Recht auf Tourismus; touristische Freizügigkeit; die Rechte der Beschäftigten und Unternehmer in der Tourismusindustrie; Umsetzung der Grundsätze Ethikkodexes (UNWTO 2014: http: / / ethics.unwto.org/ en/ content/ global-code-ethicstourism) Tourismus- Kinderschutzkodex „The Code“ international anerkannte freiwillige Selbstverpflichtung für Tourismusunternehmen zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung jeglicher Art (ECPAT 2014: www.thecode.org) <?page no="244"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 245 Global Sustainable Tourism Council Kriterienkatalog mit vier Themenfeldern: Nachhaltigkeitsmanagement, sozialer und ökonomischer Nutzen für lokale Gemeinden, Schutz des kulturellen Erbes und Reduzierung negativer Umwelteinflüsse (GSTC 2014: http: / / www.gstcouncil.org/ Initiative „Climate Change and Tourism“ der UNWTO Anforderungen an Träger der internationalen Tourismuswirtschaft, um der touristischen Verantwortung gegenüber des Klimawandels gerecht zu werden (UNWTO 2014: http: / / www.unwto.org/ climate/ index.php) (siehe Kap. 2.1.1) Tab. 1: Richtlinien und Verhaltenskodizes im Tourismus Die hier nur ansatzweise dargestellte Vielzahl der Richtlinien 19 im Tourismus verdeutlicht die Kehrseite der Medaille des Freiwilligkeitsprinzips von CSR. Tourismusunternehmen können zwar deren Geschäftsmodelle an Leitfäden koppeln und sich eventuell auch an thematischen Präferenzen orientieren (bspw. Fokus auf Klimawandel oder Fokus auf ethische Aspekte), sie treffen aber oftmals sehr schnell an die Grenze der Umsetzbarkeit und Ausgestaltung der Richtlinien. Umso wichtiger erscheint es deshalb, ein zentrales CSR-Managements als Steuerungseinheit innerhalb des touristischen Unternehmens zu etablieren, von dem aus klare CSR-Themen geplant und umgesetzt werden. CSR-Handlungsfelder im Tourismus Das junge Konzept von CSR befindet sich auch im Tourismus heutzutage noch in einer Entwicklungs- und Durchdringungsphase. Bislang hat sich keine einheitliche Sichtweise von CSR bzw. Nachhaltigkeitsmanagement im Tourismus herausgebildet. Weitestgehend etabliert hat sich jedoch die Tatsache, dass CSR- Maßnahmen (vgl. GATE E.V. 2008 & 2009): entlang der Wertschöpfungskette umgesetzt werden, die drei Nachhaltigkeitsdimensionen Ökologie, Soziales und Ökonomie berücksichtigen, Interessen und Konfliktpotenziale von Stakeholdern im unternehmensinternen und-externen Umfeld berücksichtigen, die Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit auf das Umfeld berücksichtigen und 19 Auf die Darstellung weiterer Initiativen wie Wettbewerbe, Preise oder Standards wurde hier bereits verzichtet. Diese zu erläutern, würde zu einer kompletten Überfrachtung des Kapitels mit Regelwerken führen. <?page no="245"?> 246 Nachhaltiger Tourismus von der Unternehmensleitung getragen und geführt werden (Corporate Governance). Trotz des Prozesscharakters von CSR und der unterschiedlichen Umsetzungsstufen sollten insbesondere aus der Unternehmenssicht klare Handlungsfelder benannt werden, die einen allgemeingültigen Charakter für alle Tourismusbereiche besitzen und als generelle Leitlinie für die Umsetzung eines Nachhaltigkeitsmanagements dienen. Dies schafft einen strukturierten Handlungsrahmen und erleichtert eine Konkretisierung des CSR-Engagements. Daher wird hier dafür plädiert, die folgenden CSR-Handlungsfelder bei der CSR-Ausgestaltung zu berücksichtigen, nicht zuletzt, weil sie auch von den wichtigsten Leitfäden und Grundlagenpapieren in ähnlicher Art und Weise gefordert werden. Abb. 3: CSR-Handlungsfelder (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an LOEW/ ROHDE 2013: 13) <?page no="246"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 247 CSR bei Reiseveranstaltern Reiseveranstalter nehmen eine zentrale Rolle in der touristischen Wertschöpfungskette ein. Allein in Deutschland existieren ca. 2.500 Reiseveranstalter, die einen Gesamtumsatz von über 25 Milliarden Euro generieren und fast 30 Millionen Pauschalurlaubsreisen durchführen (DRV, 2013). Sie entwerfen das touristische Produkt, indem sie touristische Dienstleistungen in großen Mengen einkaufen, sie zu Reisepaketen bündeln und diese zu günstigen Preisen verkaufen. Sie fungieren als Bindeglied zwischen der touristischen Nachfrage und dem Angebot in den Destinationen. Sie wählen sowohl die verschiedenen touristischen Anbieter, als auch die Destinationen insgesamt aus. Damit nehmen sie eine zentrale Machtposition im touristischen Gesamtgefüge ein und üben anhand der Reisezusammenstellung Einfluss auf Zulieferer und Touristen gleichermaßen aus. Bei integrierten Konzernen sind große Teile der Wertschöpfungskette überdies direkt oder über Beteiligungen und Franchise-Verträge unter der Kontrolle von Reiseveranstaltern. Diese Großunternehmen können die Reiseentscheidung der Kunden sowie die Aktivitäten der Zulieferer und die touristische Entwicklung von Destinationen beeinflussen. Ebenso tragen sie Verantwortung für das Verhalten ihrer Partner und sollten sie kontinuierlich zu nachhaltigem Verhalten ermuntern und bei der Umsetzung ihrer Praktiken unterstützen. Insgesamt können Reiseveranstalter ihren Einfluss nutzen, um die Nachhaltigkeitsperformance aller Akteure zu fördern und negative Einflüsse auf die natürliche Umwelt und die Gesellschaft zu minimieren. Nachhaltigkeitsmanagement bei Reiseveranstaltern setzt in folgenden Dimensionen an: [1] im normativen und strategischen Management des Unternehmens anhand von unternehmensinternen Entscheidungen, [2] in der nachhaltigen Ausgestaltung der Zuliefererkette durch Produktoptimierungen und -anpassungen und [3] im externen/ äußeren Umfeld der lokalen Gemeinschaft und der Konsumenten durch Fördermodelle und Kommunikationsmaßnahmen. Innerhalb dieser drei Dimensionen haben Reiseveranstalter verschiedene Handlungsspielräume für die Umsetzung eines nachhaltigen Unternehmensmanagements (vgl. TOUR OPERATORS' INITIATIVE FOR SUSTAINABLE TOU- RISM DEVELOPMENT 2004). Internes Management CSR als ganzheitlicher Betriebsprozess verlangt eine Verankerung des Nachhaltigkeitsgedanken in der gesamten Unternehmensstruktur. Schlüsselelement hierfür ist ein Unternehmensleitbild , das die Bestrebungen des Unterneh- <?page no="247"?> 248 Nachhaltiger Tourismus mens hin zu einem verantwortungsvollen Tourismus normativ beschreibt und gleichzeitig bereits Verpflichtungen und Ziele festlegt, indem bspw. ein Handlungskodex skizziert wird, der Managementpraktiken für die Umsetzung im Betrieb darstellt. Eine operative Sicherstellung des CSR-Engagements sollte ebenso anhand einer klaren personellen Verankerung im Unternehmen erfolgen, indem ein/ e CSR-/ Nachhaltigkeitsbeauftragte/ r benannt wird. Diese Person sollte Weisungsbefugnis haben, im Unternehmen anerkannt sein und entsprechende zeitliche und evtl. auch finanzielle Ressourcen zur Verfügung haben. Die Zuständigkeiten sollten dabei klar geregelt sein - d.h., die Stelle sollte auch im Organigramm verankert sein. Als wenig erfolgsversprechend haben sich die Verankerung dieser Position in der PR-/ Marketingabteilung oder anhand einer externen Abteilung erwiesen. Die Umsetzung von betrieblicher Nachhaltigkeit ist trotz der Ferne zum Kerngeschäft auch bei Reiseveranstaltern eine wichtige Komponente von CSR. Zumeist sind Maßnahmen in diesem Bereich relativ schnell umsetzbar, sie entfalten eine sofortige Wirkung und schaffen eine Mitarbeitersensibilisierung und -motivation. Darüber hinaus muss ein ernst gemeintes Nachhaltigkeitsmanagement beim Unternehmen beginnen, schon allein aus Legitimationsgründen. Ein Schwerpunkt bei innerbetrieblichem CSR-Management ist die Büro- und Gebäudeökologie . 20 Eine intelligente Planung im Büro lohnt sich allerdings nicht nur für die Umwelt, sondern kann auch zur Kosteneinsparung führen und die Gesundheit der Mitarbeitenden verbessern. So werden im Bürobereich ca. 25 % und in den Haushalten ca. 15 % des elektrischen Energieverbrauchs von Geräten im Leerlauf verbraucht (BUNDESAMT FÜR ENERGIE 2001). Ein weiterer relevanter Aspekt bei Reiseveranstaltern ist der Papierverbrauch , insbesondere bei der Katalogerstellung. Allein 8,2 Millionen Kataloge werden jedes Jahr für die DER Touristik Köln produziert (MARX 2014). Bei TUI werden jährlich 40 verschiedene Kataloge gedruckt. Kataloge gelten für die Veranstalter als Medium der Informationsvermittlung, als Inspirationsquelle für Reisende und natürlich Vertriebsmedium für Reisebüros. Es gilt den Dreiklang „Reduce - Reuse - Recycle“ anzustreben, um den Papierverbrauch pro Reisenden insgesamt zu reduzieren. Ein weiterer zu beeinflussender Faktor im internen Management sind Geschäftsreisen und der Berufsverkehr. So kann bspw. eine umweltfreundliche Anreise der Mitarbeitenden durch den Veranstalter gefördert werden (z.B. durch ÖPNV-Tickets), eine auf Minderung abzielende Regelung für Dienstreisen geschaffen sowie nicht vermeidbare Geschäftsreisen kompensiert werden. Der 20 Dies gilt übrigens nicht nur für Reiseveranstalter, sondern für sämtliche Betriebsarten. <?page no="248"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 249 Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat hierfür hilfreiche Tipps in diversen Broschüren zusammengestellt. 21 Nachhaltige Produktentwicklung Die Produktgestaltung bei Reiseveranstaltern ist der Kernbestandteil, welcher im Rahmen eines Nachhaltigkeitsmanagements einer detaillierten Reflexion bedarf. Hier gilt es zunächst, die Produktbausteine kritisch anhand einer Bestandsaufnahme zu überprüfen und schließlich Einfluss auf bestimmte bedenkenwürdige Produktmerkmale zu nehmen. Die Reflexion der Produkte kann mithilfe eines Abgleichs durch offizielle Richtlinien und Standards, konkrete Messgrößen und Indikatoren oder im Rahmen eines Zertifizierungsprozesses erfolgen. Für eine nachhaltige Angebotserstellung sollte der Reiseveranstalter auf die Relation zwischen Reisedauer, Reisegebietsentfernung und genutzten Verkehrsmitteln achten, indem umweltverträgliche Transportmittel ausgewählt werden, die Reisedauer in Abhängigkeit von der Reiseentfernung nach ökologischen Gesichtspunkten ausgewählt wird sowie Flüge erst ab einer bestimmten Entfernung angeboten werden 22 (vgl. auch Kap. 2.1.1.7). Ökologisch und kulturell sensible bzw. problematische Gebiete sollten vermieden oder die Gruppen durch unabhängige und kompetente Experten (wie Naturschutzführer) begleitet werden. Außerdem sollten Unterkünfte sorgfältig ausgewählt, im besten Falle anhand klarer Nachhaltigkeitskriterien, und lokale, eigentümergeführte Unterkünfte bevorzugt werden. Umweltschädigende bzw. moralisch bedenkliche Aktivitäten, wie Off-Road-Touren im Dschungel, Schnorcheln in gefährdeten Riffen oder Elefantenreiten gilt es aus dem Angebot zu eliminieren und wenn es geht, durch nachhaltigere Angebote zu ersetzen. 23 Touristen sollten auch nicht dazu angehalten werden, übermäßige Luxus- oder Importprodukte, vor allem in ökologisch sensiblen Gebieten wie Inseln, zu konsumieren. Reiseveranstalter und insbesondere die Reiseleiter vor Ort können darauf achten, dass den Touristen auch einheimische (hochwertige) Produkte angeboten werden. 21 Weitere hilfreiche Empfehlungen zu umweltfreundlichen Geschäftsreisen sind in einer Broschüre vom VCD zusammengefasst: http: / / 60plus.vcd.org/ fileadmin/ user_upload/ 60plus/ versorgen/ 2008_VCD-Leitfaden_Geschaeftsreisen.pdf 22 Der Kriterienkatalog des forumandersreisen fordert bspw. ein Verzicht auf Flügen bis zu einer Entfernung von 800km. 23 Für maritime Angebote ist die Broschüre „A practical guide to good practice“ von der Tour Operators’ Initiative zu empfehlen: http: / / www.toinitiative.org/ fileadmin/ docs/ publications/ MarineRecreationGuide.pdf <?page no="249"?> 250 Nachhaltiger Tourismus Bei neuen Produktentwicklungen können Reiseveranstalter eine sorgfältige Auswahl der Destinationen treffen, indem sie z.B. auf Tourismusstrategien oder Auszeichnungen, Labels und Gütesiegel der Reisegebiete und der touristischen Anbieter achten. Damit können sie ihre Kunden in bestimmte Destinationen lenken und sensible Gebiete meiden und sie verleihen ihren Produktbündeln einen weiteren Qualitätswert durch die sorgfältige Auswahl der Leistungsbausteine. In bestimmten Gebieten lässt es sich zudem nicht immer vermeiden, Touristengruppengrößen zu begrenzen oder zu steuern, um eine ökologische Überlastung in sensiblen Gebieten zu verhindern. Supply Chain Management Um die Produktbündel anbieten zu können, arbeiten Reiseveranstalter mit einer Vielzahl an Partnern zusammen, die wiederum unterschiedlichste touristische Teilleistungen durchführen. Die Zuliefererkette der Reiseveranstalter besteht im engeren Sinne aus all den direkten Vertragspartnern wie Beherbergungsbetriebe, Transportunternehmen, Transferunternehmen und Exkursionsanbieter. Im weiteren Sinne sollten auch indirekte Vertragspartner wie bspw. die Lebensmittellieferanten eines Vertragshotels und nicht vertraglich gebundene Leistungsträger wie Restaurants und Bars, Souvenirshops, Kunsthandwerkshersteller gezählt werden. Im Rahmen eines nachhaltigen Supply Chain Management (SCM) hat der Reiseveranstalter dafür zu sorgen, dass möglichst alle Partner der Lieferkette ökologische, soziale und ökonomische Anforderungen erfüllen, also in den gesamten Nachhaltigkeitsprozess des Unternehmens integriert werden. Hierfür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Reiseveranstalter und seinen Partnern unabdingbar. Mithilfe des nachhaltigen Supply Chain Managements gewährleistet der Reiseveranstalter konstante Umwelt- und Arbeitsbedingungen und stellt das Wohlergehen von Angestellten und Kunden in den Zieldestinationen sicher. Wichtig ist, dass Reiseveranstalter in ihrem Lieferantensystem auch eine Strategie für Nachhaltigkeitskriterien entwickeln. Die Einkäufer bzw. Produktmanager sollten die Partner nach ökologischen und soziokulturellen Kriterien anhand einer Bestandsaufnahme (bspw. durch Checklisten) bewerten und mit ihnen mögliche Maßnahmen zur Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien besprechen. Dabei sollte auch klargestellt werden, dass Vertragspartner, die bereits die Nachhaltigkeitsanforderungen des Reiseveranstalters erfüllen, bevorzugt werden, und Lieferanten, die grundlegende Anforderungen nicht einhalten können, aussortiert werden können. Begleitend sollten die Verantwortlichen für die Zielgebiete alle Zulieferer der Destinationen über die Nachhaltigkeitsanforderungen des Reiseveranstalters informieren und bei deren Umsetzung inhaltlich und ggf. organisatorisch zur Seite stehen. Hier sollte der Reiseveranstalter eine aktive Zusammenarbeit mit den Tourismusverantwortlichen vor Ort anstreben und <?page no="250"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 251 unterstützend tätig sein. Die Marketingabteilungen der Veranstalter sollten die Maßnahmen prominent kommunizieren und Anreize für die Steigerung der Nachhaltigkeitsperformance von Partnern entwickeln. Ein konsequentes Supply Chain Management bedarf auch einer Bewertung der Nachhaltigkeitsperformance der Leistungsträger. Dafür sollten Nachhaltigkeitsdaten der Partner kontinuierlich erfasst und ausgewertet werden. Reiseveranstalter können entweder eigene Messsysteme entwickeln oder auf Zertifizierungssysteme zurückgreifen, die Datenerhebungen vornehmen. 24 Letztendlich sind etablierte und für den Prozess relevante Nachhaltigkeitsstandards in die Verträge zu integrieren und sukzessive mit den Partnern abzuschließen. Ein regelmäßiges Monitoring sollte auch zur Evaluierung der Vertragspartner und letztendlich der Qualitätssicherung dienen. Hier sei darauf hingewiesen, dass eine Überprüfung aller Partner insbesondere für große Reiseveranstalter schwierig ist. Daher bietet es sich an, mit den Hauptlieferanten zu beginnen und darüber hinaus Schwerpunkte bei der Lieferantenkette festzulegen (bspw. Schwerpunkt bei den Vertragshotels), die dann sukzessive erweitert werden. Kommunikation und Marketing Reiseveranstalter begleiten oftmals die Reisenden entlang der gesamten touristischen Wertschöpfungskette und nehmen daher auch eine wichtige kommunikative Rolle in der nachhaltigen Ausgestaltung des touristischen Prozesses ein. Es gilt der Grundsatz eines ernst gemeinten CSR-Ansatzes: „Tue Gutes, und rede darüber.“ Reiseveranstalter sollten daher ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten nach innen und außen kommunizieren. Das CSR-Verständnis verlangt einen transparenten Informationsfluss, um die Legitimation für unternehmerische Verantwortung vor der Öffentlichkeit zu wahren. Generell empfiehlt es sich, eine aktive offene Kommunikation zu führen. Das Engagement kann durch Informationsbroschüren oder Handbücher gesteigert werden. Darüber hinaus sollte auch im Informationsteil der Reisekataloge und auf der Homepage des Reiseveranstalters über Nachhaltigkeitsaktivitäten informiert werden. In den Reiseunterlagen können weiterführende Informationen zur Aufklärung über Biodiversität, zu kulturellen Besonderheiten im Zielgebiet oder zu umweltfreundlichen Transportmitteln sowie Aktivitäten vor Ort gegeben werden. Besonders nachhaltige Reiseangebote bzw. nachhaltige Reisebestandteile sollten mit Piktogrammen/ Kennzeich- 24 TourCert erhebt bspw. Daten der Leistungsträger in den Zielgebieten anhand von Selbstauskünften. <?page no="251"?> 252 Nachhaltiger Tourismus nungen hervorgehoben werden. Die Kunden sollten erkennen, welche Reisen besonders „sorgfältig“ entwickelt wurden. Das schafft einen qualitativen Mehrwert und ermöglicht eine emotionale Vermarktung von Reisen als besonders hochwertiges nachhaltiges Erlebnis. Kooperationen mit Destinationen Ein Reiseveranstalter übt zwar Einfluss auf die touristischen Anbieter in den Zielregionen aus, jedoch ist die Nachhaltigkeitsperformance insgesamt auch in starkem Maße vom Engagement in den Destinationen abhängig. Die Tourismusverantwortlichen vor Ort haben enge Verbindungen zu den Anbietern, lokale Behörden treffen lokale touristische Entscheidungen und die Bevölkerung möchte auch in Prozesse mit eingebunden werden. Insgesamt können somit durch eine gute partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Destinationen tiefere Impulse für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus erreicht werden. Zunächst sollten Reiseveranstalter die Situation vor Ort genau prüfen und in einem Multi-Stakeholder-Dialog die unterschiedlichen Ansichten und Interessen der lokalen Anspruchsgruppen erfassen. Zusammen mit den wichtigsten Vertretern können gemeinschaftlich nachhaltige Ziele erfasst werden und die Rollen der jeweiligen Akteure geklärt werden. Es ist von Vorteil, wenn Reiseveranstalter sich in bereits bestehende Prozesse einbinden lassen, anstatt auf eigene Faust Projekte anzukurbeln. Eine Kooperation sollte nicht nur durch ein Schriftstück besiegelt werden, sondern mit einem praktischen Handlungsprogramm unterlegt sein. Außerdem geht es nicht nur um eine philanthropische Unterstützung, sondern um handfeste Maßnahmen, die die Nachhaltigkeitsperformance und die Wertschöpfung in der Region steigern. Hier sind auch kleine und mittelständische Betriebe mit einzubeziehen, die einen fairen Zugang zu den Touristen haben wollen, um Einnahmen aus dem Tourismus erzielen zu können, die dem lokalen Wirtschaftskreislauf zugutekommen. Reiseveranstalter sollten sich in der Kooperation mit den Destinationen offen der Frage stellen, welche direkten positiven Effekte durch die Touristenströme für die lokale Bevölkerung und die Regionalentwicklung erzeugt werden. Als positives Beispiel wäre hier der Studiosus Foundation e.V. von Studiosus Reisen zu nennen, mit dem seit 2005 Projekte zur Verbesserung der Lebensverhältnisse, zum Schutz der Natur und zum Erhalt des kulturellen Erbes in den Gastgeberländern unterstützt und umgesetzt werden. Fast alle dieser Projekte, bei denen der Verein Hilfsmaßnahmen finanziert, können auf Urlaubsreisen von Studiosus besucht werden. <?page no="252"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 253 CSR im Hotel- und Gastgewerbe Das Hotel- und Gastgewerbe 25 erbringt mit der Unterkunft und Gastronomie zwei zentrale Kernleistungen des Tourismus. Es generiert die höchsten Einkünfte für die Tourismuswirtschaft und schafft den Großteil der Beschäftigung im Tourismus. So werden bspw. in der Bundesrepublik Deutschland über 87 Milliarden Euro Umsatz durch das Hotel- und Gastgewerbe erwirtschaftet und ca. 75 % der im Tourismus Beschäftigten sind in diesem Sektor tätig (BUN- DESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND TECHNOLOGIE (BMWi) 2012). Doch das Gastgewerbe ist ebenso stark fragmentiert. Es reicht von einfachen privat geführten Ferienwohnungen, über Campingplätze bis hin zu multinationalen Konzernen. Allein in Deutschland gibt es über 230.000 gastgewerbliche Betriebe unterschiedlichster Couleur. Diese Vielfalt erzeugt ein durchaus heterogenes Beschäftigungsbild, das nicht selten durch saisonale Beschäftigung, eine hohe Fluktuation und lange Arbeitszeiten bestimmt wird. Das Kerngeschäft im Gastgewerbe ist aufgrund der Erstellung der Leistung vor Ort hauptsächlich nach innen und auf das direkte Umfeld ausgerichtet. Danach sollten sich Nachhaltigkeitsthemen auch entsprechend richten, die im Folgenden aufgeführt werden (vgl. CENTER FOR ENVIRONMENTAL LEADERSHIP/ TOUR OPERATOR’S INITIATIVE o.D.; ECOTRANS 2006; INTERNA- TIONAL TOURISM PARTNERSHIP o.D.). Architektur und Bauplanung Die Errichtung eines Beherbergungsbetriebes ist für das lokale Umfeld mit Chancen und Risiken behaftet. Insbesondere große Anlagen können das Landschaftsbild einer Gemeinde prägen und den Charakter eines Dorfes oder Kleinstadt stark verändern. Darüber hinaus kann durch einen exzessiven touristischen Neubau die Artenvielfalt erheblich beeinträchtigt werden und ganze Ökosysteme zerstört werden. Man denke nur an das ehemalige Fischerdorf Benidorm in Spanien, welches sich durch einen enormen Hotelboom in den Sechziger und Siebziger Jahren zu einer Bettenburg entwickelte, die den Charme der Kleinstadt und die landschaftliche Attraktivität radikal veränderte. Bei der Bauplanung eines Beherbergungskomplexes sollten daher im Rahmen der Standortfindung neben wirtschaftlichen Aspekten auch ökologische Kriterien eine Rolle spielen. Für größere touristische Bauvorhaben sind in Deutschland und der Europäischen Union Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) vorge- 25 Im Folgenden wird von ‚Gastgewerbe‘ gesprochen mit dem Fokus auf Beherbergungsbetriebe mit gastronomischen Service. Details zu Begrifflichkeiten sind in Freyer (2011: 140) nachzulesen. <?page no="253"?> 254 Nachhaltiger Tourismus schrieben. Grundsätzlich sollten Unternehmer in enger Absprache mit regionalen Tourismusverbänden und den Baubehörden stehen. Bei der Standortwahl kann bevorzugt auf ökologisch belastbare oder bereits versiegelte Flächen (Flächenrecycling) geachtet werden oder bereits vorhandene Bausubstanz genutzt werden. Lokale Besitz- und Nutzungsverhältnisse sind zu klären und Konflikte müssen ggf. durch öffentliche Stakeholderdialoge gelöst werden. Die Gebäude sollten auch gewisse Maximalhöhen und Mindestabstände einhalten, um eine visuelle Überformung und Dominanz zu vermeiden. Ebenso wichtig ist die Anbindung oder eventuell der Anschluss der Gebäude an öffentliche Verkehrsnetze, um optimalerweise eine Anreise mit dem ÖPNV zu gewährleisten. Die Architektur des Gebäudes sollte sich an das Ortsbild anpassen und in Harmonie zu dem vorherrschenden Landschaftsbild stehen. Dabei ist auch auf die Nutzung heimischer Materialien zu achten, ebenso wie die Art der Konstruktion, die sich an das heimische Klima anpassen sollte und einen energetisch vorteilhaften Betrieb gewährleisten sollte. Während des Baus ist selbstverständlich auf die Sicherheit der Arbeiter zu achten, vor allem im Bezug auf die Nutzung sicherer und funktionaler Baumaschinen und der Lagerung von Baumaterialien und -stoffen. Auch wenn das grundsätzlich zur gesetzlichen Pflicht des Bauherrn gehören sollte, geschehen insbesondere in Entwicklungsländern während des Baus Unfälle und es kann zu ökologischen Beeinträchtigungen des Umfelds bspw. durch Ausflüsse oder eine nicht korrekte Entsorgung der Baustoffe kommen. Bei der Beauftragung der Handwerker sollte bevorzugt auf lokale Bauunternehmen zurückgegriffen werden, um eine regionale Wertschöpfung noch vor Inbetriebnahme zu schaffen. Energiemanagement Betriebe des Gastgewerbes sind aufgrund der genutzten Infrastruktur wie Küchen, Aufenthaltsräume, Wellnessbereiche, Schwimmbäder, Klimaanlagen etc. sehr energieintensiv. Allein in Deutschland wird davon ausgegangen, dass das Gastgewerbe ca. 15 Millionen Tonnen CO 2 verursacht (DEHOGA BUNDES- VERBAND 2011). Gleichzeitig werden Energiekosten als ein Hauptproblemfeld in der Hotellerie angesehen. Ein effizientes Energiemanagement ist für das Gastgewerbe daher einer der wirkungsvollsten Treiber für die Einführung eines Nachhaltigkeitsmanagements. Zunächst sollte ein Betrieb daher den genauen Verbrauch und die Schwachstellen im Energieverbrauch anhand einer Energiebuchhaltung feststellen. Dies <?page no="254"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 255 kann bspw. durch die Beauftragung eines Energieberaters erfolgen oder durch die Durchführung eines sogenannten „Ecomapping“. 26 Neben der technischen Einsparung von Energie sollte konsequenterweise auch der ressourcensparende Umgang insgesamt vorangetrieben werden durch einen Umstieg auf erneuerbare Energien, der Einführung von Richtlinien bei der Beschaffung von Lebensmitteln und Maßnahmen im Bereich der Gäste- und Mitarbeitermobilität. Energiekampagne Gastgewerbe Im Jahre 2006 hat das Bundesumweltministerium gemeinsam mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) die „Energiekampagne Gastgewerbe“ gestartet. Die Kampagne soll dazu beitragen, den Energieverbrauch und damit auch die Energiekosten in den Betrieben zu senken. Bis 2014 konnten fast 4.000 Betriebe für die Kampagne gewonnen werden. Die Betriebe erhalten im Rahmen der Kampagne Hilfestellungen und Anregungen rund um das Thema Energiesparen. Ein über die Internetseite abrufbares Energiesparprogramm stellt jedem Unternehmen ein individuelles Energiesparkonto bereit. Damit können Betriebe die Entwicklung des Energieverbrauchs ermitteln und konkrete Energiesparempfehlungen erhalten. Die Teilnehmer bekommen zusätzlich vierteljährlich kostenfrei zwei Energie-Sparblätter mit dazugehörigen Checklisten, in die sie ihre Daten eintragen können, und so von einer Analyse zur Kosteneinsparung profitieren. Darüber hinaus können sie bis zu sechs Mal im Jahr telefonischen Kontakt zu Energieberatern aufnehmen und Herausforderungen sowie Möglichkeiten zur weiteren Energieeinsparung besprechen. Quelle: BMUB 2014, http: / / www.bmub.bund.de/ P511/ ; DEHOGA 2014, http: / / energiekampagne-gastgewerbe.de Wassermanagement Der Wasserverbrauch ist im Gastgewerbe in der Regel sehr hoch. Vor allem in Hotelzimmern wird deutlich mehr Wasser durch Duschen und Baden verbraucht als in Privathaushalten. Hotelbäder gelten als wichtiger Bestandteil des Komforts und Gäste denken hier nur selten ans Wassersparen. Für die Betriebe kann der Wasserverbrauch zu einem nicht unwesentlichen Kostenfaktor werden. Sie tragen aber auch eine Verantwortung der Region gegenüber, denn für 26 Weitere Informationen zum Prozedere des Ecomapping unter http: / / www.ecomapping.de/ <?page no="255"?> 256 Nachhaltiger Tourismus die Destinationen, insbesondere in wasserarmen Regionen, kann der enorme Wasserverbrauch durch den Tourismus zu Konfliktpotenzialen mit der Bevölkerung führen. Die Reduzierung des Wasserverbrauchs und der Erhalt einer hohen Wasserqualität sind daher wichtige Maßnahmen im Gastgewerbe. Grundsätzlich sollte neben der Wassereinsparung Wert auf Qualität und Langlebigkeit von technischen Vorrichtungen gelegt werden, um Wassereffizienz und gleichzeitig geringere Betriebskosten zu gewährleisten. Ein konsequentes Wassermanagement sollte auch den Umgang mit Abwasser einbeziehen. Verunreinigtes Grund- und Oberflächenwasser durch fehlende Abwasserreinigung oder das einfache Ableiten in offene Gewässer sind klassische „Umweltsünden“ in diesem Bereich. Da, wo es kein geregeltes Abwassersystem gibt, sollte der Abwasser produzierende Betrieb einen besonderen Fokus auf das Abwassermanagement legen. Das bezieht sich in erster Linie auf die Verwendung des Wassers. Beispielweise sollten ökologisch abbaubare Wasch- und Reinigungsmittel verwendet werden, Fett- und Ölabscheider zum Einsatz kommen, chemisch unbedenkliche Mittel zur Poolreinigung verwendet werden und ein Grauwassersystem eingerichtet werden. Wenn die öffentliche Kanalisation und Abwasserbehandlung unzureichend ist, sollten ggf. auch eigene Klärwerke gebaut werden, die eine effektive und natürliche Abwasserbehandlung ermöglichen. Abfallmanagement Der Umgang mit Abfall ist im Gastgewerbe wiederum sowohl Nachhaltigkeitsthema und Kostenfaktor gleichermaßen. Vor allem auf Inseln und in Ländern ohne effektive Abfallentsorgungssysteme ist vonseiten des Gastgewerbes Verantwortung zu tragen. Oberste Prämisse ist die Abfallvermeidung, gefolgt von einer adäquaten Abfallentsorgung. Abfallmanagement heißt auch Informationsmanagement, denn oftmals produzieren Mitarbeitende und Gäste eine Vielzahl an Abfällen. Hier sollte eine proaktive Kommunikation und Motivation der Gäste und Mitarbeitenden erfolgen und die Ziele des Betriebs zur Abfallreduzierung klar benannt werden. Arten- und Biotopschutz Die Artenvielfalt steht in der heutigen Zeit stark unter Druck. Die aktuelle Aussterberate bei Vögeln liegt bspw. etwa 100 bis 200 Mal über der langfristigen, natürlichen Aussterberate (BfN 2013). Das Gastgewerbe profitiert einerseits von intakter Natur und artenreichen Lebensräumen und ist andererseits auch Mitverursacher eines ansteigenden Artenverlustes. Daher muss eine Sensibilisierung und Maßnahmenergreifung in Hinblick auf den Erhalt der Artenvielfalt Thema eines Nachhaltigkeitsmanagements im Gastgewerbe sein (vgl. IUCN 2008). <?page no="256"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 257 Der Schutz der Artenvielfalt ist eine noch nicht ausreichend beachtete Problematik im Tourismus, weshalb diesem Thema bereits ein gesondertes Kapitel gewidmet war, unter dem detaillierte Informationen zu finden sind (Kapitel 2.2). Arbeitsbedingungen und Lebensqualität Das Gastgewerbe übt einen großen Einfluss auf die Lebensbedingungen und Wirtschaftskraft der touristischen Zielgebiete aus. Die Betriebe tragen in erster Linie eine Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitenden, aber auch gegenüber der lokalen Gemeinschaft insgesamt. Für die lokale Wertschöpfung können die Unternehmen u.a. lokale Arbeitskräfte einstellen, lokale Produkte einkaufen und Fair-Trade-Praktiken bei allen Einkäufen berücksichtigen, mit lokalen Dienstleistern kooperieren, sich aktiv zum Schutz von Minderheiten und Ausbeutung jeglicher Art bekennen und soziale Projekte in der Region unterstützen. Die Angestellten des Gastgewerbes stehen ebenso im Mittelpunkt von CSR- Aktivitäten. Hier liegen Schwerpunkte in den Bereichen faire und sichere Arbeitsbedingungen, gleiche und faire Bezahlung, Motivation, Qualifizierung und Weiterbildung der Angestellten, Personalfluktuation und Aufstiegsmöglichkeiten, Gleichbehandlung und Schutz von Minderheiten und der Verbot von Kinderarbeit und sexueller Belästigung. Good Practice bei Hotelketten: PLANET 21 von Accor Das Nachhaltigkeitsprogramm „PLANET 21“ von Accor versucht, ökologische, soziale und gesellschaftliche Themen unter einem Dach der Unternehmensgruppe zu vereinen. In insgesamt sieben Kategorien will der internationale Hotelkonzern, zu dem Marken wie Sofitel, Novotel, Mercure und ibis gehören, die Entwicklung und das Wachstum des Unternehmens nachhaltig ausgestalten. Die sieben Säulen sind jeweils mit drei Maßnahmen und konkreten Zielen bis 2015 ausgestaltet. Zum Bereich Natur gehört bspw. die Reduktion des Wasserverbrauchs pro Übernachtung um 15 % zwischen 2011 und 2015, die Mülltrennung in 85 % der konzerneigenen Hotels und der Schutz der Artenvielfalt, indem 60 % der Hotels am unternehmenseigenen Waldaufforstungsprojekt teilnehmen. Weitere Informationen unter: http: / / www.accorplantsfortheplanet.com/ de/ programme_planet-21_de.html <?page no="257"?> 258 Nachhaltiger Tourismus 3.1.3 Nachhaltigkeits-Reporting im Tourismus Das Engagement eines Unternehmens für seine Produkte und seine geschäftlichen Auswirkungen wird für die Öffentlichkeit erst nachvollziehbar, wenn es in einem adäquaten Maße nach innen und außen kommuniziert und unabhängig überprüft wird. Erst durch eine transparente und offene Darstellung der Aktivitäten im Bereich Nachhaltigkeit wird eine Basis für Vertrauen und einen zukunftsgerichteten Dialog mit der Öffentlichkeit geschaffen. Die immer kritischer werdende Öffentlichkeit verlangt heutzutage eine korrekte und nachvollziehbare Darstellung der CSR-Aktivitäten vonseiten des Unternehmens. Eine nicht selbstkritische Kommunikation wird hierbei eher negativ bewertet, wie bspw. bei Apple, wo im Rahmen der CSR-Kommunikation eine Arbeitswoche von 60 Stunden bei fast allen Zulieferern als CSR-Erfolg gefeiert wurde, was in der Öffentlichkeit und auch bei Behörden für Empörung sorgte, nicht zuletzt weil selbst im chinesischen Arbeitsgesetz eine 48-Stunden-Woche vorgeschrieben ist. Ein ernst gemeintes Nachhaltigkeitsmanagement ist stets mit einer transparenten und ehrlichen Berichterstattung verbunden. So heißt es etwa in einer Empfehlung des Bundesumweltministeriums, dass „Nachhaltigkeitsberichterstattung als zentrales Element einer konsequenten Unternehmensstrategie zur Umsetzung der gesellschaftlichen Verantwortung gelten kann“ (BUNDESUMWELT- MINISTERIUM 2007). Eine CSR-Berichterstattung gibt den aktuellen Entwicklungsstand des nachhaltigen Engagements eines Unternehmens wieder. Es geht in erster Linie um die Transparenz der Geschäftstätigkeit, die als Gradmesser für die Nachhaltigkeitsperformance dient. Dennoch heißt dies im Umkehrschluss nicht, dass ein Unternehmen automatisch „nachhaltig“ ist, nur weil es einen Nachhaltigkeitsbericht verfasst. Seit April 2014 müssen sämtliche europäischen Unternehmen, die über 500 Mitarbeitende haben und von öffentlichem Interesse sind - also bspw. Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften etc. - neben ihren Geschäftsberichten auch einen CSR-Bericht vorlegen. Damit etabliert das EU-Parlament ein neues Berichtssystem, welches sich auf die Unternehmensverantwortung stützt. Die Unternehmen müssen in diesem Lagebericht nicht-finanzielle Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen, Achtung der Menschrechte, Bekämpfung von Korruption und Bestechung sowie Folgen des jeweiligen Geschäftsmodells für Umwelt und Gesellschaft bereitstellen. Hinzu kommt die Pflicht zu begründen, nach welchen Kriterien Kandidaten für Unternehmensführung und Aufsichtsrat ausgewählt werden. <?page no="258"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 259 In dieser Erklärung müssen die Firmen auch Stellung beziehen zu ihrem Geschäftsmodell, ihrer verfolgten Strategie und deren unternehmerischen Risiken sowie den Verfahren, wie diese Risiken gemanagt werden. Von der Berichtspflicht sind in etwa 6000 Unternehmen in Europa betroffen. Weitere Informationen: http: / / ec.europa.eu/ internal_market/ accounting/ nonfinancial_reporting/ Die Mehrheit der Unternehmen orientiert sich am Leitfaden für Nachhaltigkeitskennzahlen und -berichte der Global Reporting Initiative - GRI . Die Kriterien wurden in einem umfangreichen Stakeholder-Prozess entwickelt und sind mit dem UN Global Compact abgestimmt. Im Jahr 2013 ist die vierte Version des Leitfadens verabschiedet worden, mit der neue Impulse der Berichterstattung gesetzt wurden. Neben Standarddaten zum Unternehmen wie Name, Produkte bzw. Dienstleistungen, Struktur, Hauptsitz, Eigentümerstruktur, Rechtsform, Größe und Ansprechpartner, sollen nach der GRI folgende Punkte berücksichtigt werden: Ökonomische Leistungsindikatoren Ökologische Leistungsindikatoren Gesellschaftliche Leistungsindikatoren (Arbeitspraktiken & menschenwürdige Beschäftigung, Menschenrechte, Gesellschaft, Produktverantwortung) GRI verlangt von Unternehmen zunächst die Durchführung einer Wesentlichkeitsanalyse. Dabei liegt der Fokus auf den Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit auf die ganze Wertschöpfungskette. Dies kann bspw. bedeuten, dass ein Unternehmen aufgrund der Beziehungen zu Lieferanten Kinderarbeit als einen wesentlichen Aspekt betrachten muss, auch wenn dieses Thema im eigenen Unternehmen nicht relevant ist, jedoch außerhalb der Organisation eine große Rolle spielt. Gemäß des Leitfadens müssen Unternehmen in ihrem Nachhaltigkeitsbericht über das Verfahren zur Festlegung der wesentlichen Themen, einschließlich des Einbezugs der Stakeholder in diesen Prozess, informieren und ihre Auswahl der relevanten Themen transparent machen. Der Leitfaden bietet zwei Optionen für die Erstellung des Nachhaltigkeitsberichtes an. <?page no="259"?> 260 Nachhaltiger Tourismus Bericht über Kernaspekte (Core) - Der Bericht beinhaltet wesentliche Elemente, die einen Hintergrund für die Nachhaltigkeitsberichterstattung bieten, und Umfassender Bericht (Comprehensive) - Der Bericht beinhaltet zusätzliche Standardangaben zu Strategie und Analyse, Unternehmensführung, Ethik und Integrität sowie umfassendere Kommunikationsleistungen. Die Leitlinien des GRI sind kostenlos und unter www.globalreporting.org abrufbar. Sie werden durch branchenspezifische und nationale Anhänge ergänzt. Für den Tourismus wurden eigene Branchenanhänge für Reiseveranstalter (Tour Operators’ Supplement) und für generelle touristische Leistungen (Supplement for Hotels, Restaurants and Leisure, and Tourism Services) veröffentlicht, die eine Vielzahl an zusätzlichen Details zur Ausgestaltung der Leitlinien bieten. Guidelines der GRI Die Guidelines der GRI stellen ein äußerst umfangreiches Verfahren dar, das vor allem für größere Unternehmen geeignet ist. Für kleinere touristische Betriebe sind neben den Verfahren und Kriterien des GRI die inhaltlichen Aspekte des nachhaltigen Handelns relevant. Grundsätzlich wird empfohlen, folgende Faktoren in einem Nachhaltigkeitsbericht zu berücksichtigen: glaubwürdige und transparente Darstellung, mit Fakten und Beispielen hinterlegt, nachvollziehbare auditierungsfähige Aussagen, ausgewogene Darstellung von Nachhaltigkeitsbereichen mit dem Fokus auf wesentliche Faktoren, praktizierte Managementsysteme, belegte Kennzahlen der Aktivitäten, quantitative Ziele und Optimierungen für die Zukunft, allgemeine Sinnhaftigkeit und inhaltliche Tiefe der dargestellten Aspekte. 3.1.4 Zertifizierung im Tourismus Neben der reinen Berichterstattung wird im Tourismus vor allem die Bewertung und Messung der tatsächlichen Nachhaltigkeitsleistung anhand von Zertifizierungssystemen bevorzugt. <?page no="260"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 261 Für Organisationen hat eine Zertifizierung den grundsätzlichen Reiz, die Anstrengungen mithilfe von Indikatoren anschaulich und extern überprüfbar zu machen. Mithilfe eines Zertifikats erhält das Unternehmen die externe Bestätigung, dass das Handeln in Bezug auf vorher festgelegte Ziele effizient und effektiv war. Weiterhin können Zertifizierungen auch eine bedeutende Kommunikationswirkung für den Betrieb entfalten, indem sie die Richtung und Qualität einer Entwicklung darstellen und somit den Erfolg des verantwortlichen Handelns transparent machen. Damit erhält das Unternehmen nicht nur einen erheblichen Imagezuwachs bei den Konsumenten, die Zertifikate gern als Orientierungshilfe nutzen (siehe Kapitel 2.2.2), sondern es positioniert sich auch im Hinblick auf Geschäftspartner, Geldgeber und die Branche insgesamt. Merkmale von Zertifizierungen Begriffe wie Zertifizierung, Award, Label werden in der Praxis oft synonym verwendet, was nicht selten zu Verwirrungen führt. Zertifizierung ist ein Verfahren, mit dessen Hilfe die Einhaltung bestimmter Anforderungen nachgewiesen wird. Zertifizierungen werden oft zeitlich befristet von unabhängigen Zertifizierungsstellen wie z.B. DQS (Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen), TÜV (Technischer Überwachungsverein) oder DEKRA (Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein) vergeben und hinsichtlich der Standards unabhängig oder proprietär kontrolliert. Unter einer Auszeichnung oder einem Award wird eine Ehrung oder Würdigung verstanden, die eine Person, Gruppe oder Organisation für herausragende Leistungen in einem bestimmten Bereich erhält. Die Auszeichnungen umfassen Preise (engl. Award) aller Art, Ehrenzeichen und Orden, Titel oder andere Würdigungen. Das Label ist die Verleihung eines Zeichens oder Symbols, welches in der Außenkommunikation zur Darstellung und Kenntlichmachung eines zertifizierten oder ausgezeichneten Objektes genutzt wird. Eine Zertifizierung zeichnet sich durch verschiedene Merkmale aus, die einen Prozess der Etablierung und letztendlich Situierung von Produkt- oder Unternehmensmerkmalen widerspiegeln. Dabei durchläuft das Zertifizierungssystem bestimmte Stufen dieses Merkmalsprozesses (vgl. COMPLOI 2010): <?page no="261"?> 262 Nachhaltiger Tourismus Abb. 4: Prozess und Bestandteile eine Zertifizierungssystems (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an HONEY 2002: 79 in: COMPLOI 2010: 44) Standards geben das Anspruchsniveau der Zertifizierung wieder. Es handelt sich dabei um eine Gratwanderung, da der Schwierigkeitsgrad der Erlangung des Siegels unmittelbar mit der Durchdringung der Zertifizierung verbunden ist. Ein hohes Niveau schränkt die Anzahl der zertifizierbaren Objekte ein; ein niedriges Niveau kann das System insgesamt verwässern. Hier gilt die Faustregel, dass maximal 30 % der Produkte am Markt ein Zertifikat erlangen sollten; danach sollten die Standards wieder erhöht werden (vgl. TOTH in HONEY 2002). Das Assessment gibt wieder, wie die Beurteilung des Zertifikats erfolgt: Das First-party Assessment deklariert der Bewerber selbst, dass er die Standards erfüllt. In diesem Fall basiert die Beurteilung ausschließlich auf Daten und Statements, die vom Betrieb selbst abgegeben werden. Beim Second-party Assessment überprüft eine Vertretung der Zertifizierungsstelle oder ein interessierter Geschäftspartner den Bewerber (z.B. ein Reiseveranstalter ein Vertragshotel). Das Third-party Assessment wird von einer unabhängigen Organisation durchgeführt, d.h. es besteht kein wie auch immer gelagertes Interesse an den Ergebnissen der Überprüfung. Die Zertifizierung/ Certification bestätigt letztendlich die erfolgreiche Beurteilung des Kandidaten, indem das Siegel oder das Label ausgehändigt wird. <?page no="262"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 263 Nicht immer sind Zertifizierungen glaubwürdig oder es existiert eine Fülle an unterschiedlichen Labels, die eine Sicherung der Qualität behindern. Dann ist eine Akkreditierung/ Accreditation der Zertifizierung hilfreich. Es wird also der Zertifizierer selbst bewertet und zertifiziert. Dies erfolgt durch eine unabhängige Organisation. Zertifizierungen sollten in der Branche akzeptiert werden. Die Recognition erfolgt zumeist von NGOs oder politischen Institutionen, die offiziell eine bestimmte Zertifizierung bewerten und dadurch deren Vertrauenswürdigkeit bestätigen. Eine Zertifizierung erhält erst dann ihren Sinn, wenn sie am Markt bzw. bei den relevanten Zielgruppen akzeptiert wird und in die Konsum- und Entscheidungsroutine miteinbezogen wird. Aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen bleiben die Marketinganstrengungen oftmals ineffektiv und die Zertifizierung bleibt weitestgehend unbekannt. Hier liegt ein grundsätzliches Problem vieler Systeme. Durch viel zu geringe Marketingbudgets werden Zertifizierungen am Markt nicht wahrgenommen und bewirken kaum Veränderungen bei Kaufentscheidungen. Dadurch wird wiederum der Anreiz für Unternehmen geringer, Produkte und Dienstleistungen zertifizieren zu lassen, auch weil kein positiver wirtschaftlicher Effekt mehr darin gesehen wird. Der Bundesverband Die Verbraucherinitiative e.V. führt seit dem Jahr 2000 das Internetportal www.label-online.de. Anhand von Bewertungen und Hintergrundinformationen lässt sich dort erfassen, welches Zeichen was bedeutet und welche Qualität dahintersteckt. Wer ein Label seiner Wahl aufruft, erhält ein kurzes Profil mit allen wichtigen Informationen zu den Trägern, Zielen und Vergabeverfahren. Darüber hinaus wird die Aussagekraft eines Labels oder Zertifikats von zugrunde gelegten Standards und Prüfkriterien bewertet. Unterschiede bei Zertifizierungen existieren vor allem beim Bewertungsverfahren von Kriterien. Man unterscheidet zwischen Prozess- und Performanceorientierung. Bei prozessorientierten Zertifizierungen steht ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess im Mittelpunkt, d.h. es wird über die Einführung bestimmter Prozessabläufe bzw. -merkmale eine Optimierung der Produkt- oder Unternehmensmerkmale postuliert. Dieser Ansatz vereinigt den Gedanken von CSR, da das Unternehmen die Art der Zielerreichung selbst festlegt und somit eine Flexibilität ermöglicht. Jedoch erschwert es eine Leistungsbewertung insgesamt. Bei <?page no="263"?> 264 Nachhaltiger Tourismus performanceorientierten Zertifizierungen hingegen wird die Erfüllung meist quantitativer Standards vorausgesetzt, die anhand von Leistungskriterien erfasst werden. Das Unternehmen muss also Kriterien erfüllen, die für alle gleich definiert sind. Diese festgelegten Zielwerte ermöglichen eine Evaluierung der tatsächlichen Verbesserung, indem eine Quantifizierung erfolgt. In der Praxis zeigt sich, dass oft ein Mix aus beiden Ansätzen angewendet wird, oftmals auch unter Einbeziehung weiterer präskriptiver Mindeststandards wie bspw. die ausschließliche Verwendung von Biolebensmitteln oder der Bezug von Ökostrom. Touristische Zertifizierungssysteme Zertifizierungssysteme sind seit den 1990er Jahren im Tourismus fest verankert. Als „Pionier“ gilt die Blaue Flagge, ein touristisches Gütesiegel, welches jährlich bereits an über 3.000 Badeorte und Bootshäfen in europäischen Ländern vergeben wird. Das rein auf Strandgebiete begrenzte Siegel ist das Aushängeschild vieler touristischer Regionen und wird mit einem sehr hohen Standard der Sauberkeit des Badewassers und der umliegenden Natur verbunden - auch wenn die Vergabekriterien relativ leicht zu erfüllen sind. Mit dem Grünen Koffer wurde Anfang der 1990er Jahre der erste Versuch unternommen, ein für alle Tourismusbereiche geltendes Zertifizierungssystem in Deutschland zu entwickeln und bereits bestehende kleinere Siegel unter einem Dach zu vereinen. Die damals bereits sehr hohen Anforderungen für die Unternehmen führten vor allem bei der Tourismusindustrie, aber auch bei politischen Interessensgruppen zu Widerständen, die letztendlich das Scheitern der Einführung dieses Zertifizierungssystems zur Folge hatten. Daraufhin entstand das Siegel Viabono, welches in einem aufwendigen Prozess von über 20 Verbänden sowie dem Bundesumweltministerium entwickelt wurde. Der Entstehungsprozess versprach ein einheitliches Ökolabel für ganz Deutschland, welches als Dachmarke für alle anderen Umweltgütesiegel gelten sollte. Relativ leichte Muss-Kriterien und strengere Kann-Kriterien erleichtern einen Einstieg in das System, das 2011 erneuert wurde und nun vier inhaltliche Kriterienschwerpunkte beinhaltet. Der Schwerpunkt der Dachmarke liegt in der zertifizierten Garantie von Umweltqualität, ohne dass die Gäste Komforteinbußen hinnehmen müssen. Damit verfolgt Viabono einen neuen Zertifizierungsansatz, der grundsätzlich nachfrageorientiert ist und eine große Marktpenetration ermöglichen soll. Dennoch ist die Anzahl der Lizenznehmer in den letzten Jahren auf stagnierendem Niveau mit einer leicht abnehmenden Tendenz - trotz größerer Bemühungen, die Dachmarke für weitere Zielgruppen zu erweitern und neue Themen zu entwickeln wie bspw. mit dem Klimafußabdruck für das Gastgewerbe. <?page no="264"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 265 Dies liegt sicherlich auch daran, dass es in den letzten zwei Jahrzehnten eher noch eine Zunahme an Zertifizierungssystemen, Gütesiegeln und weiteren Auszeichnungen gegeben hat, die eine Konzentration auf bestimmte Systeme eher ausgebremst und verhindert hat. Laut ECOTRANS (2014: vgl. www.destinet.eu) gibt es heutzutage über 150 Nachhaltigkeitslabels im Tourismus weltweit, wovon ein Großteil auf Beherbergungsbetriebe ausgerichtet ist. Im Vordergrund stehen hier zumeist ökologische Effizienzmaßnahmen, die auch mit Kosteneinsparungen verbunden sind. Soziokulturelle Maßnahmen spielen immer noch eine eher untergeordnete Rolle (LUND-DURLACHER 2012). Derzeit ist die Situation von touristischen Zertifizierungen geprägt von folgenden Herausforderungen: zentrale Nachhaltigkeitsaspekte und wichtige Akteure werden nur teilweise berücksichtigt: vor allem die Einbeziehung wichtiger Stakeholder, die Rolle der Reiseveranstalter, soziokulturelle Maßnahmen, Klimagasemissionen etc., rein prozessorientierte Zertifizierungen können zur Verwässerung der Nachhaltigkeitsaspekte führen, da sie keine Mindestanforderungen voraussetzen, der Zertifizierungsdschungel führt zu Verunsicherung bei Kunden, die Anzahl der zertifizierten Tourismusbetriebe ist noch viel zu gering, um eine Marktrelevanz zu haben: weniger als 1 % sämtlicher touristischer Unternehmen in Europa sind in irgendeiner Weise zertifiziert, die Systeme und deren Inhalte sind bei Kunden weitestgehend unbekannt; eine Veränderung der Kaufprozesse kann somit nicht gewährleistet werden, Zertifizierungssysteme sind oftmals abhängig von öffentlichen Zuschüssen und Fördermitteln, was zu fragilen Systemen und begrenzten Handlungsspielräumen führt. Trotz der Herausforderungen präsentieren jüngere Studien und Fallbeispiele unternehmerische Vorteile bei einer erfolgreichen Zertifizierung: die Nachhaltigkeitsperformance fällt bei zertifizierten Unternehmen deutlich besser aus im Vergleich zu nicht zertifizierten Unternehmen, Zertifizierungen bewirken zusätzliche Effekte bei betrieblichen Prozessen: interne Abläufe werden optimiert, Kosteneinsparungen werden erzielt, die Produktqualität erhöht sich, das Unternehmen erwirbt neue Kompetenzen und erlangt klarere Managementstrukturen, die Mitarbeitermotivation wird erhöht, brancheninterne Kooperationen werden gefördert, zertifizierte Betriebe erhalten stärkere Aufmerksamkeit in der (Fach)Presse, <?page no="265"?> 266 Nachhaltiger Tourismus die Positionierung anhand einer Zertifizierung wird von Kunden honoriert, das Unternehmen verbessert sein Image. TourCert - CSR-Zertifizierung im Tourismus Als gemeinnützige Gesellschaft zertifiziert TourCert vor allem Reiseveranstalter, aber auch Hotels, Reisebüros und Destinationen im Bereich CSR. Um das CSR-Siegel zu erhalten, müssen die Betriebe ihre Geschäftstätigkeiten anhand eines aufwendigen Verfahrens prüfen lassen, indem Daten zur Verantwortung des Unternehmens im Hinblick auf die Kunden, die Umwelt, die Mitarbeitenden, Daten zur Öffentlichkeit sowie der Produktverantwortung erhoben werden. Das System ist stark prozessorientiert und wird durch Beratungs- und Coachingangebote begleitet. Anforderungen sind bspw. die Erstellung eines CSR-Leitbildes, die Ernennung eines CSR-Beauftragten und die Erarbeitung eines CSR-Verbesserungsprogrammes. Belegt wird das CSR-Engagement des Unternehmens durch die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts. Das Audit-Verfahren erfolgt durch externe Gutachter, die keine Verbindung zum Unternehmen haben (third-party assessment). Ein unabhängiger Zertifizierungsrat überprüft das Gutachten und bestätigt die Zertifizierung. Das CSR-System basiert auf internationalen Standards wie den GSTC, dem GRI und orientiert sich stark an der ISO 26.000 und dem EMAS-Verfahren. Die Nachhaltigkeitsbewertung im Rahmen einer Zertifizierung ist stets eine Gratwanderung zwischen der Praktikabilität (geringer Aufwand für die Datenbeschaffung und großer Aussagewert für das Unternehmen) und der Reliabilität (aussagekräftige Indikatoren und umfassende Bewertung der relevanten Themenbereiche). Zum einen stehen also die Einfachheit und der geringe Aufwand der Nachhaltigkeitsbewertung im Vordergrund, gekoppelt mit einem klaren Nutzen für das zu zertifizierende Unternehmen; zum anderen müssen aber auch die wichtigsten Facetten der nachhaltigen Unternehmenspraxis abgedeckt werden, um als Zertifizierung glaubwürdig zu sein. Abwägungen, die getroffen werden müssen, sind: strenge Kriterien vs. Praktikabilität, Breitenwirkung hohe Ansprüche vs. breite Akzeptanz Vielfalt (lokal) vs. globale Vereinheitlichung <?page no="266"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 267 Prüf-/ Kontrollmechanismen vs. Kosten Marketingaufwendungen vs. Beiträge für die Zertifizierung Zusammenfassend sollte ein seriöses und erfolgversprechendes Zertifizierungssystem folgende zehn Grundsätze erfüllen: [1] Mischung von Leistungs- und Prozesskriterien [2] Kriterien in den Bereichen Umwelt, Soziales, Qualität [3] Anspruchsvolle Kriterien inklusive Muss- und Mindestkriterien [4] Transparenz/ Nachvollziehbarkeit der Kriterien durch Offenlegung und Erläuterungen [5] Unabhängige externe Überprüfung (3 rd party) des Erfüllungsgrades (am besten vor Ort) [6] Glaubwürdige Trägerorganisation/ Beirat [7] Regelmäßige Überprüfung in klaren Intervallen [8] Vermarktung/ Bekanntheitsgrad des Zertifizierungssystems [9] Ausreichende Anzahl und Verbreitung der zertifizierten Betriebe [10] GSTC approved/ recognized 3.1.5 Zusammenfassung Nachhaltigkeitsmanagement im Tourismus Die Diskussion um gesellschaftliche Verantwortung, verbunden mit dem Schlagwort CSR, ist auch im Tourismus angekommen. Nach einem eher zögerlichen Anfang sind in den letzten beiden Jahrzehnten diverse theoretische Abhandlungen zur Einbindung von CSR in Tourismus und praktische Umsetzungsbeispiele entstanden. Bislang spricht man im touristischen Umfeld eher von nachhaltigem Unternehmensmanagement, die Formulierung „Corporate Social Responsibility“ wird eher von größeren touristischen Konzernen angewendet. In den 1990er Jahren wurden von internationalen touristischen Gremien und Verbänden vor allem Richtlinien und Verhaltenskodizes entwickelt, die den Unternehmen eine Einbindung nachhaltiger Aspekte in die Unternehmenstätigkeit erleichtern sollten. Parallel dazu entstand ein regelrechter Boom von Zertifizierungssystemen, der sich jedoch nicht mit der Nachfrage nach solchen Mechanismen deckte. Heutzutage hat sich die Debatte der Unternehmensverantwortung in einen nüchternen und sehr praktisch orientierten Prozess gewandelt. Getragen wird eine Weiterentwicklung der CSR-Orientierung vor allem durch Nachfragetrends und dem Positionierungsdruck von touristischen Betrie- <?page no="267"?> 268 Nachhaltiger Tourismus ben aufgrund des weiter steigenden Wettbewerbs. Das führt auch zu einer noch sensibleren Kostenorientierung, von der CSR durchaus profitiert - denn insbesondere erste Maßnahmen im ökologischen Bereich bewirken nicht selten bemerkenswerte Kosteneinsparungen. Das eine rein kostengetriebene und opportunistische Motivation für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Nachhaltigkeitsthema nicht ausreicht, ist jedenfalls vielen Autoren und Theoretikern klar. Auch politische Entscheidungsträger sind noch auf den Freiwilligkeitsgedanken gepolt und greifen zumindest mittels aufwendiger öffentlicher Förderprogramme wie dem „CSR-made in Germany“ vom Bundesarbeitsministerium lenkend ein. Ob dies ein ausreichender Schritt hin zu einem „nachhaltigen Wirtschaftsstandort Deutschland“ ist, bleibt abzuwarten. Die Europäische Union geht hier bereits weiter und fordert immerhin von großen Finanzkonzernen einen CSR-Bericht mit fundierten Nachhaltigkeitsdaten. Der Tourismus ist hiervon nicht „betroffen“. Doch das Signal dringt auch bis dorthin vor und sollte vom touristischen Gewerbe ernst genommen werden. Nachhaltigkeitsmanagement ist nicht mehr nur Pionierarbeit, sondern etabliert sich vermehrt zur Legitimationsfrage des wirtschaftlichen Handelns insgesamt. In Zukunft wird die Umsetzung von Nachhaltigkeit im Unternehmen nicht mehr nur als purer Zusatznutzen gelten und einen überschaubaren Nachfrageeffekt erzeugen. Vielmehr sollten Unternehmer ohne ein Nachhaltigkeitsmanagement mit einem erhöhten politischen Druck durch verschärfte Steuerungsinstrumente rechnen, der sich auch in einer finanziellen bzw. fiskalischen Kostensteigerung äußern könnte. Hält die Nachfragesituation in der heutigen Form an, wird auch der öffentliche Druck in Bezug auf verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln steigen und die Betriebe zum Umdenken drängen. Es gilt das Gebot der Stunde: Lieber jetzt freiwillig innovativ handeln, als in Zukunft von Politik und der Nachfrage dazu gezwungen zu werden und den unternehmerischen Erfolg aufs Spiel zu setzen. Weiterführende Lesetipps SCHNEIDER, A., SCHMIDTPETER, R. (2012): Corporate Social Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis. Berlin/ Heidelberg. THOMAS LOEW, K. A. (2004): Bedeutung der CSR-Diskussion fur Nachhaltigkeit und die Anforderungen an Unternehmen. (f. e. (IÖW), Hrsg.) München/ Berlin. TOUR OPERATORS’ INITIATIVE FOR SUSTAINABLE TOURISM DEVELOPMENT (2003): Sustinable Tourism: The Tour Operators' Contribution. Paris. <?page no="268"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 269 ABTEILUNG FUR INTERNATIONALE TOURISMUSANGE- LEGENHEITEN IM BUNDESMINISTERIUM FUR WIRTSCHAFT, FAMILIE UND JUGEND (BMWFJ) (2012): Erfolgreich mit Corporate Social Responsibility - Ein Leitfaden für den Tourismus. Wien. Literatur Ankele, K. (2004): Nachhaltigkeitsmanagement in Deutschland und Europa. Veranstaltung: Sustainable Churches Erste Konvoi-Tagung. Kloster Schlehdorf. Baumgartner, C., Fuchs, H., Giraldo, A. et al. (2013): (arbeitskreis für tourismus & entwicklung, Hrsg.) Basel. BfN (2013): Reisen in die Vielfalt. Ergebnisse des Projektes „Biodiversität all inclusive“ - Ein Dialog mit Vertretern der Tourismuswirtschaft zum Thema Biodiversität und Tourismus in Deutschland. (W. Deutschland, Hrsg.) Hamburg. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2012): Die DIN ISO 26000 - Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung von Organisationen. Abgerufen am 8.. Oktober 2012 von http: / / www.csr-indeutschland.de/ fileadmin/ user_upload/ Downloads/ ueber_csr/ Die_DIN_ISO_26000_ _Leitfaden_zur_gesellschaftlichen_Vera.pdf Bundesamt für Energie (2001): Energieeffizienz bei Elektrogeräten - Wirkung der Instrumente und Massnahmen . Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) (2012): Erfolgreich mit Corporate Social Responsibility - Ein Leitfaden für den Tourismus. Wien. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (2012): Wirtschaftsfaktor Tourismus Deutschland - Kennzahlen einer umsatzstarken Querschnittsbranche. Berlin. Bundesumweltministerium (2007): Nachhaltigkeitsberichterstattung: Empfehlungen fur eine gute Unternehmenspraxis. Berlin. Caroll, A. B. (1991): The Pyramid of Corporate Social Responsibility: Toward the Moral Management of Organizational Stakeholders. (Bde. 34, 4,). Business Horizons. Center for Environmental / Tour Operator´s Initiative (o.D.): A practical guide to good practice. Managing environmental and social issues in the accommodations sector. Washington. Comploi, K. (2010): Fünf Nachhaltigkeitssterne für Tourismusdestinationen? Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart und deren Implikationen für die zu- <?page no="269"?> 270 Nachhaltiger Tourismus künftige Entwicklung eines regionalen NachhaltigkeitsLabels. Dissertation an der Universität für Bodenkultur Wien, Wien. Dehoga Bundesverband (2011): Energiesparen leicht gemacht. Die wichtigsten Tipps für Hotellerie und Gastronomie. DRV (2013): http: / / www.drv.de/ fileadmin/ user_upload/ Fachbereiche/ Statistik_ und_Marktforschung/ Fakten_und_Zahlen/ 14-03-17_DRV_Zahlen_ Fakten2013_V2.pdf ECOTRANS (2006): Umweltleistungen europäischer Tourismusbetriebe. Instrumente, Kennzahlen und Praxisbeispiele. Ein Beitrag zur nachhaltigen Tourismusentwicklung in Europa. Saarbrücken. ECPAT (2014): Code of Conduct for the Protection of Children from Sexual Exploitation in Travel and Tourism. Background and Implementation Examples. Abgerufen von The Code: http: / / www.childtrafficking.com/ Docs/ ecpat_ code_child_engl_0408.pdf Elkington, J. (2004): Enter the Triple Bottom Line. The Triple Bottom Line: Does it all add up, S. 1-16. Europäische Kommission (2007): Action for more sustainable European tourism - Report of the Tourism Sustainability Group, S. 22. Europäische Kommission (2011): Eine neue EU-Strategie (2011-14) für die soziale Verantwortung der Unternehmen, S. 5. Freyer, W. (2011): Tourismus - Einführung in die Fremdenverkehrsökonomie. München: Oldenbourg Verlag. GATE e.V. (2008): Corporate Social Responsibility im Tourismus. Dokumentation des Symposiums. Hamburg. GATE e.V. 2009: Nachhaltigkeit auf der ganzen Linie? Dokumentation des Symposiums. Hamburg. Global Reporting Initiative (2006): Leitfaden zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Version 3.0). Abgerufen am 9. März 2013 von https: / / www.globalreporting. org/ resourcelibrary/ German-G3-Reporting-Guidelines.pdf Grasl, R. (2007): Corporate Social Responsibility - Aspekte von CSR-Aktivitäten und ihre Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg. Wien. Grieshuber, E. (2012): CSR als Hebel für hanzheitliche Innovation. In R. S. Andreas Schneider, Corporate Social Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis, S. 375, Springer Gabler. Habisch, A., Schwarz, C. (2012): CSR als Investition in Human- und Soziallapital. Honey, M. 2002: Ecotourism and certification: setting standards in practice. (I. Press, Hrsg.) Washington. <?page no="270"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 271 International Tourism Partnership (o. D.): Going Green. Minimum standards toward a Sustainable Hotel. London. International Union for Conservation of Nature (IUCN) (2008): Biodiversity: My hotel in action. A guide to sustainable use of biological resources. Gland, Switzerland. Jasch, C. (2012): CSR und Berichterstattung. In: Schneider, A., Schmidtpeter, R. (Hrsg.): Corporate Social Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis. Loew, T., Rohde, F. (2013): CSR und Nachhaltigkeitsmanagement Definitionen, Ansätze und organisatorische Umsetzung im Unternehmen. Berlin: Institute for Sustianability. Lotter, D., Braun, J. (2010): Der CSR-Manager. Unternehmensverantwortung in der Praxis. Altop Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH; 1. Aufl. Loew, T., Ankele, K. 2004: Bedeutung der CSR-Diskussion fur Nachhaltigkeit und die Anforderungen an Unternehmen. (f. e. (IÖW), Hrsg.) München/ Berlin. Lund-Durlacher, D. (2012): CSR und nachhaltiger Tourimsus. In: Corporate Social Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Schneider, A., Schmidtpeter, R. (Hrsg.): Theorie und Praxis. Berlin/ Heidelberg. Marx, F. (2014): Newsroom. Abgerufen am 20.082014 von: http: / / www.newsroom.de/ news/ detail/ 816772/ reisekataloge_in_millionenauflage_wird_es_auch_in_zehn_jahren_noch_geben_- _trotz_internet OECD Publishing. (o.D.). OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. (OECD, Produzent) Abgerufen am 31.08.2014 von http: / / www.dx.doi.org/ 10.1787/ 9789264122352-de Porter, M., Kramer, M. (2006): Corporate Social Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis. Harvard Business Review. Respact Austria (2009): CSR Leitfaden für Ein-Personen-Unternehmen - Erfogsfaktor FAIRantwortung. Abgerufen am 9. November 2012 von http: / / www.csrleitfaden.at/ site/ angebote/ toolsinstrumente/ csrumsetzung/ article/ 4749.html Respact Austria (2013): respACT - Über uns. Abgerufen am 11. April 2013 von (Website hinzufügen) Schaltegger, S. (2012): Die Beziehung zwischen CSR und Corporate Sustainability. In Schneider, A., Schmidtpeter, R. (Hrsg.): Corporate Social Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis. Berlin/ Heidelberg. <?page no="271"?> 272 Nachhaltiger Tourismus Schneider, A. (2012): Reifegradmodell CSR - eine Begriffserklärung und -abgrenzung. In Schneider, A., Schmidtpeter, R. (Hrsg.): Corporate Social Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis (S. 26 ff.). Berlin/ Heidelberg. Schneider, A., Schmidtpeter, R. (2012): Corporate Social Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis. Berlin/ Heidelberg. Schwalbach, J., Klink, D. (2013): Der Ehrbare Kaufmann als individuelle Verantwortungskategorie der CSR-Forschung. In Schneider, A., Schmidtpeter, R. Corporate Social Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis (S. 224). Sustainable Tourism International (2013): Rapid Sustainable Destination Diagnostic. Abgerufen am 9. April 2013 von http: / / sustainabletravel.org/ program/ rapidsustainable-destination-diagnostic/ Tour Operators' Initiative for Sustainable Tourism Development. (2004). SUPPLY CHAIN ENGAGEMENT FOR TOUR OPERATORS - Three Steps Toward Sustainability . Tour Operators Initiative for Sustainable Tourism Development (2003): Sustinable Tourism: The Tour Operators' Contribution. Paris. UN Global Compact (2014): Global Compact. https: / / www.unglobalcompact.org/ languages/ german/ (aufgerufen am 31.08.2014) UNWTO (2014): Global Code of Ethics for Tourism. Santiago, Chile. <?page no="272"?> 3.2 Nachhaltiges Destinationsmanagement von Prof. Dr. Hartmut Rein, MA Martin Balàš Lernziele In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Wie ist Destinationsmanagement definiert und was sind die speziellen Aufgaben, wenn es um nachhaltiges Destinationsmanagement geht? Wie kann man Nachhaltigkeit im Destinationsmanagement implementieren? Wie lässt sich Nachhaltigkeit in Destinationen messen? Was sind Erfolgs- und Hemmfaktoren für nachhaltiges Destinationsmanagement? 3.2.1 Definition und Merkmale des Destinationsmanagements Zum Thema Destinationsmanagement existiert inzwischen eine ganze Reihe von Fachbüchern auf dem deutschsprachigen Markt. Hervorzuheben sind z.B. die Standardwerke von STEINECKE 2013; BIEGER/ BERTELLI 2012; EI- SENSTEIN 2010 und LUFT 2007. Die Inhalte dieser Fachbücher vermitteln das gesamte Spektrum der Aufgaben des Destinationsmanagements mit seinen klassischen Inhalten von der Management-, Marketing- und Planungsbis zur Interessenvertretungsfunktion. Nur wenig Beachtung finden der Aspekt der Nachhaltigkeit und die Aufgaben und Verantwortungen, die das Destinationsmanagement für die Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus übernehmen kann und sollte. Hier liegt der Schwerpunkt dieses Kapitels. Die Gestaltung eines nachhaltigen Tourismus ist ein Ziel, das heute auf allen touristischen Ebenen als Leitvorstellung angestrebt wird. Dies reicht von der globalen Ebene mit den Vereinten Nationen (UN) und der Welttourismusorganisation (UNWTO) bis zur Europäischen Union (EU) und den nationalen Regierungen und Tourismusorganisationen. Werden auf globaler und internationaler Ebene vornehmlich strategische Handlungsrahmen gesetzt, wie bspw. mit dem Leitfaden der UNWTO „Sustainable Tourism for Development“ (2013), so gehen nationale und regionale Initiativen detaillierter auf Implementierungsmöglichkeiten von Nachhaltigkeit in touristischen Unternehmen ein. <?page no="273"?> 274 Nachhaltiger Tourismus „Moreover, sustainable tourism should not be taken to imply a finite state of tourism. In fact, it is often argued that tourism may never be totally sustainable - sustainable tourism is a continuous process of improvement.“ (UNEP & UNWTO 2005: 12) Konkrete Konzepte und Maßnahmen sind vor allem auf betrieblicher und kommunaler Ebene in den letzten Jahrzehnten entwickelt worden, die vor allem für die Umweltaspekte der Nachhaltigkeit vielfältige Lösungsansätze gebracht haben (vgl. z.B. KIRSTGES 2003, VIEGAS 1998, HOPFENBECK, ZIMMER 1993) und durch eine Vielzahl von Labels und Zertifizierungen die Umweltorientierung des Unternehmens für den Kunden sichtbar machen. Für die umfassende Verwirklichung des Prinzips der Nachhaltigkeit auf der Ebene der Tourismusdestination gibt es inzwischen eine Reihe theoretischer Konzepte, allerdings bis heute kaum praktikable, umsetzungsorientierte Beispiele für die Umsetzung eines umfassenden Nachhaltigkeitsansatzes. Dies ist vor allem durch die Komplexität der Strukturen, Anforderungen und Verantwortlichkeiten auf der Ebene der Destination begründet. Gleichwohl findet sich auf der Destinationsebene eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, mit denen in unterschiedlichen Bereichen eine nachhaltige Tourismusentwicklung angestrebt wird. Für die weiteren Ausführungen ist zuerst eine Klärung des Begriffs Destination erforderlich, da dieser heute zunehmend die bisher gebräuchlichen Bezeichnungen - Reisegebiet, Feriengebiet, Reiseziel und Tourismusregion - ersetzt hat. Vor allem wird der Begriff im Zusammenhang mit der Einführung moderner Managementmethoden und dem Begriff Destinationsmanagement verwendet. Definition Destination Destinationen können als wahrgenommene räumliche Konstrukte betrachtet werden, die von den Urlaubern in Abhängigkeit von ihren Reiseplänen, kulturellen Hintergründen, dem Grund der Reise und ihren bisherigen Reiseerfahrungen subjektiv bewertet werden (vgl. BECHER 2007: 8). BIEGER (2008: 56) definiert Destination als „[g]eographische[n] Raum (Ort, Region, Weiler), den der jeweilige Gast (oder ein Gästesegment) als Reiseziel auswählt. Sie enthält sämtliche für einen Aufenthalt notwendige Einrichtungen für Beherbergung, Verpflegung, Unterhaltung/ Beschäftigung. Sie ist damit die Wettbewerbseinheit im Incoming Tourismus, die als strategische Geschäftseinheit geführt werden muss.“ <?page no="274"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 275 Ausgangspunkt der Definition ist die Sicht des Gastes. Ausschlaggebend ist, welche Urlaubsbedürfnisse einen Gast zur Reise motivieren. Generell kann gesagt werden: Je weiter entfernt ein Reiseziel ist, desto großräumiger ist die Region, die als Destination bezeichnet wird (vgl. Abb. 5 und 6) und je enger eingegrenzt der Reisezweck definiert ist, umso räumlich und zeitlich eingegrenzter wird die Destination (BIEGER 2008). Abb. 5: Begriff Destination (Quelle: eigene Darstelung in Anlehnung an BIEGER 2008: 57) Abb. 6: Bedeutung der Distanz für die Destinationswahrnehmung (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an BIEGER 2008: 57) Praktisch bedeutet dies, dass z.B. für einen Berliner die Insel Usedom die Destination darstellen kann, für einen Süddeutschen die Destination Mecklenburg- Vorpommern und für einen Amerikaner Deutschland oder Europa (vgl. Abb. 6). Dabei spielen allerdings auch konkrete Präferenzen und Wertfaktoren der Gäste eine Rolle, die eine grundsätzliche Abgrenzung der Destination nach Entfernung erschweren bzw. verwässern (BECKER 2006: 8). Die Destination stellt als Bündel verschiedener touristischer Leistungen für den Gast das eigentliche Produkt dar. Dabei kann sie verschiedene Kernprodukte und Nutzen für entsprechende Gästegruppen generieren. <?page no="275"?> 276 Nachhaltiger Tourismus Hier setzt das sich in Erprobung befindliche St. Galler Modell für Destinationsmanagement ein (sogenanntes Destinationsmanagement der 3. Generation), bei dem Reiseströme als Grundlage für strategische Geschäftsfelder und Planungseinheiten dienen (vgl. BERITELLI u.a. 2013). Destinationen befinden sich nicht nur in einem nationalen, sondern auch internationalen Wettbewerb untereinander. Um in diesem Umfeld erfolgreich bestehen zu können, wird eine strategische Steuerung - ein Management - der Destination als erforderlich angesehen. Definition Management Management [englisch: to manage > handhaben<, >leiten<]: Bezeichnung für die Führung von Institutionen jeder Art (z.B. Unternehmen, Verbände, Parteien) sowie für die Gesamtheit der Personen, die diese Funktion ausüben. (MEYERS LEXIKON ONLINE) Destinationen brauchen eine institutionelle Ebene, die dauerhafte und aktive Gestaltungsaufgaben übernimmt und eine langfristige handlungs- und wettbewerbsfähige Einheit schafft. Dabei geht es nicht um eine hierarchische Steuerung, sondern vielmehr um ein unternehmensübergreifendes Managementverständnis, welches die Beziehungen zwischen dem Tourismus und seinen Anspruchsgruppen in den Mittelpunkt stellt und einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen mit Hinblick auf einen strategischen Handlungsrahmen anstrebt. Destinationsmanagement kann dabei verstanden werden als die Planung und Steuerung der gemeinsamen Entwicklung, Organisation und Vermarktung des touristischen Angebotes einer Region, die sich um einen Ausgleich der Interessen der verschiedenen Anspruchsgruppen bemüht und als strategische, flexible und marktorientiert agierende Interessensgemeinschaft auftritt (vgl. BRATL/ SCHMIDT 1998: 11 ff.; HAEDRICH 1998: 33). Betrachtet man Destinationen als touristische Wettbewerbseinheiten im Incoming-Tourismus, besteht die Notwendigkeit einer Planung und Koordination der zu erfüllenden Funktionen. Die Gründe seien hier noch einmal zusammengefasst (vgl. BIEGER 2006: 93 ff.; BECHER 2007: 10 ff.; LUFT 2005: 64 ff.): Das touristische Angebot wird von verschiedenen selbständigen Unternehmen erbracht, muss aber als Gesamtleistung gestaltet werden bzw. sollte in einer Destination als Leistungsbündel betrachtet werden. <?page no="276"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 277 Die Destination bzw. der durch lokale Angebote touristisch in Wert gesetzte Raum ist als eine profilierte Einheit nach außen informativ zu begründen, um eine Nachfrage zu bewirken. Sie muss in klare Tourismuswerte „eingekleidet“ werden, um eine touristische Attraktivität zu bewirken. Das Zusammenspiel von verschiedenen Steuerungsstrukturen (Politik, Wirtschaft, Umwelt, Gesellschaft) erfordert einen Koordinationsbedarf, um Kompetenzprobleme und -unsicherheiten zu vermeiden. Unklare Zuständigkeiten für touristische Aufgaben können zur Nichtwahrnehmung von Aufgaben führen oder Doppelarbeiten verursachen. Vielfältige touristische Planungen und Projekte sollten sich ergänzen und nicht gegenseitig beeinträchtigen. Es bedarf damit eines Querschnittmanagements der verschiedenen Planungen mit dem Ziel, eine optimale touristische Gesamtentwicklung zu realisieren. Verschiedene Anspruchsgruppen tragen zu touristischen Effekten bei oder sind von ihnen betroffen. Es entstehen damit direkte und indirekte Austauschprozesse innerhalb der Destination, die es zu koordinieren gilt (Stakeholder-Ansatz). Das Leistungsprogramm der Destination muss sich am Markt, im Wettbewerb und an Veränderungsprozessen der Nachfrage richten. Dies bedarf Anpassungsfähigkeit und Innovation. Kommunen ziehen sich vermehrt aufgrund von zunehmenden Kompetenz- und Ressourcenengpässen aus der Verwaltung von touristischen Aufgaben zurück. Eine koordinierte Erwirtschaftung von Eigenmitteln wird für Destinationen damit immer wichtiger. Im Hinblick auf das Management von Destinationen findet derzeit in Deutschland ein Umstrukturierungs- und Professionalisierungsprozess der oftmals nicht mehr zeitgemäßen Strukturen der Tourismusorganisation statt. Dessen Ziel ist die Bildung neuer „schlagkräftiger“ kooperativer Tourismusorganisationen auf Ebene der Destination, sogenannter Destinationsmanagement-Organisationen (DMO) mit einer klaren strategischen Ausrichtung. Die DMO übernimmt dabei verschiedene Steuerungs- und Kooperationsfunktionen. Zu diesen Funktionen gehören: eine Leitbild- und Planungsfunktion; eine Angebotsfunktion, indem bestimmte touristische Leistungen durch die DMO erbracht werden und Einfluss genommen wird auf das Leistungsbündel einer Destination insgesamt; eine Marketingfunktion, insbesondere auch durch Sicherung der Marktpräsenz; <?page no="277"?> 278 Nachhaltiger Tourismus und eine Interessenvertretungsfunktion im Sinne einer Tourismuslobby mit der Wahrnehmung der Brancheninteressen. (BIEGER/ BERITELLI 2013: 68ff.) Im Hinblick auf die strategische Steuerung von Destinationen gibt es vielerorts Defizite, da touristische Organisationen in Deutschland oft noch primär aus Sicht ihrer Mitglieder bzw. Mittelgeber agieren und nicht den Blickwinkel des Gastes einnehmen. Zudem orientieren sich die Organisationsstrukturen im Tourismus noch überwiegend an Verwaltungseinheiten und nicht an der Raumwahrnehmung des Gastes. Ihre Struktur und ihr Handeln sind somit nicht ausreichend markt- und nachfrageorientiert und strategisch ausgerichtet. Zur strategischen Ausrichtung einer DMO gehört nach STEINECKE (2013) eine realistische Einschätzung der eigenen Potenziale und Kompetenzen durch eine Bestandsaufnahme und die Formulierung von mittelbis langfristigen Zielvorstellungen. Dabei sollten nach STEINECKE (2013: 59) die folgenden Fragen beantwortet werden: Wie verstehen wir uns als Destination insgesamt und speziell als DMO? Welche Ziele wollen wir mit unserer Arbeit erreichen? Wie wollen wir uns auf dem touristischen Markt positionieren? Welche Märkte und Besuchergruppen wollen wir ansprechen? In welche Richtung wollen wir uns zukünftig entwickeln? Die Ergebnisse des strategischen Managements dienen als Grundlage für das operative Management, bei dem die Auswahl und der Einsatz der Instrumente des Marketingmix (Leistung, Preis, Distribution, Kommunikation) sowie die Fragen der Organisation, Koordination und Erfolgskontrolle im Mittelpunkt stehen (ebd.). Zentrale Voraussetzung für ein erfolgreiches strategisches Management einer Destination ist eine adäquate finanzielle und personelle Ausstattung der DMO. Auch für die Umsetzung eines nachhaltigen Tourismus ist eine strategische Steuerung der Destination durch eine DMO eine wichtige Voraussetzung. Wo eine Vielzahl von touristischen Einzelakteuren weitgehend ohne Abstimmung und Koordination in einer Region agiert, lässt sich ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept nicht verwirklichen. <?page no="278"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 279 Weiterführende Lesetipps BIEGER, T./ BERITELLI, P. (2013): Management von Destinationen, 8. aktualisierte und überarbeitete Auflage. München. EISENSTEIN, B. (2013): Grundlagen des Destinationsmanagements, 2. Auflage. München. LUFT, H. (2007): Destination Management in Theorie und Praxis. Organisation und Vermarktung von Tourismusorten und Tourismusregionen. Meßkirch. STEINECKE, A. (2013): Destinationsmanagement. München. 3.2.2 Aufgaben für ein nachhaltiges Destinationsmanagement Definition Nachhaltiger Tourismus „Nachhaltiger Tourismus erfüllt die Ansprüche sowohl von Touristen als auch der lokalen Bevölkerung der Zielgebiete, wobei außerdem zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten gesichert und verbessert werden. Ressourcen werden so genutzt, dass ökonomische, soziale und ästhetische Bedürfnisse befriedigt und gleichzeitig kulturelle Integrität, wesentliche ökologische Prozesse, die biologische Artenvielfalt und lebenswichtige Systeme erhalten bleiben.“ (UNWTO/ WTTC 1992) Entsprechend dieser Definition von Nachhaltigem Tourismus von UNWTO/ WTTC sind damit vier zentrale Anforderungen für eine Nachhaltigkeit im Tourismus verbunden (BAUMGARTNER/ RÖHRER 1998): Ökologische Dimension: wirtschaftliches und soziales Handeln unter Rücksichtnahme auf die Grenzen der Natur; Ökonomische Dimension: Wirtschaften orientiert an gesellschaftlichen und sozialen Bedürfnissen; Soziokulturelle Dimension: Demokratisierung gesellschaftlicher Entwicklung, Verteilungsgerechtigkeit weltweit, Erhaltung selbstbestimmter kultureller Dynamik; Institutionelle Dimension: Zugang zu Informationen und Partizipation an Entscheidungsstrukturen. <?page no="279"?> 280 Nachhaltiger Tourismus Hauptziel des nachhaltigen Destinationsmanagements ist die Konzeption einer dauerhaft handlungsfähigen Wettbewerbseinheit, indem durch eine Einbeziehung der touristischen Akteure die Wertschöpfung der Destination gesichert wird und gleichzeitig ökologische und soziokulturelle Auswirkungen minimiert werden. Ein erfolgreiches nachhaltiges Destinationsmanagement hat somit den Anspruch zu erfüllen, eine Balance der Dimensionen herzustellen, was gleichzeitig als Hauptziel einer nachhaltigen Entwicklung gilt (UNCED 1992). Nachhaltiges Destinationsmanagement verlangt eine Erweiterung, klare Abgrenzung und enge Vernetzung wichtiger Aufgabenbereiche in der touristischen Marktbearbeitung. In diesem Zusammenhang verlieren die reine Vermarktung und Absatzorientierung einer Reiseregion ihre übermäßig dominierende Stellung. Nachhaltiges Destinationsmanagement hat vielmehr den Anspruch, sich zu einem dauerhaft selbst organisierten, flexiblen und effizienten Kommunikations-, Kooperations- und Steuerungsinstrument in der Destination zu entwickeln. Nachhaltiges Destinationsmanagement greift eine gesamträumliche Perspektive auf, in die aufgrund der Steuerungsfunktion von ökologischen und soziokulturellen Auswirkungen neben den touristischen Akteuren auf Destinationsebene, auch vor- und nachgelagerte touristische Strukturen in die strategischen Überlegungen der DMO integriert werden sollten. Die nachfolgende Abbildung (Abb. 7) verdeutlicht diese Zusammenhänge zwischen Tourismus und Nachhaltigkeit. <?page no="280"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 281 Abb. 7: Tourismus und Nachhaltigkeit - Balance der Dimension (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an STRASDAS 2011: 37) Um diese generellen Anforderungen erfüllen zu können, sind die Handlungsebenen und Handlungsfelder einer Tourismusdestination zu definieren und geeignete Steuerungsinstrumente erforderlich, mit denen sich das Prinzip der Nachhaltigkeit praktisch umsetzen lässt. 3.2.3 Handlungsebenen und Handlungsfelder für eine nachhaltige Destinationsentwicklung Im Mittelpunkt des Destinationsmanagements steht die Ebene der Destination. Sie ist in der Regel auf der regionalen bzw. überörtlichen Ebene lokalisiert. Dies trifft vor allem für Reiseziele in ländlich strukturierten Urlaubslandschaften zu, da dort der Gast im Sinne der Definition von BIEGER (2008) in der Regel nur in einem regionalen Umfeld alle für seinen Aufenthalt notwendigen Angebote und Leistungen vorfindet (Großstädte, Urlaubsresorts, Kreuzfahrtschiffe etc. bleiben hier unberücksichtigt). Für die erfolgreiche Entwicklung und das Management der Destination sind darüber hinaus auch die örtliche, die überregionale und die Ebene des Bundeslandes sowie die nationale Ebene von Bedeutung. Eine klare Aufteilung der Aufgaben und Verantwortungen zwischen den Ebenen ist die Voraussetzung für ein effektives Tourismusmanagement und besonders für den effektiven Einsatz der finanziellen Ressourcen. Nachfolgende Abbildung (Abb. 8) zeigt eine modellhafte Aufgabenverteilung zwischen verschiede- <?page no="281"?> 282 Nachhaltiger Tourismus nen touristischen Organisationen und Akteuren auf den verschiedenen Ebenen eines Bundeslandes, aufgeteilt nach Aufgaben, die nach innen auf der jeweiligen Ebene und nach außen in die jeweiligen Märkte von der Tourismusorganisation bzw. DMO wahrgenommen werden. Abb. 8: Beispielhafte Aufgabenteilung in der touristischen Organisationsstruktur eines Bundeslandes (Quelle: SCHULER, REIN 2011) Deutlich wird, dass die Destination nach innen die Verantwortung für die Produkt- und Markenkoordination und -entwicklung trägt und nach außen für das Marketing und die Neukundengewinnung in den Kernmärkten der Destination, während die lokale Ebene mit den örtlichen Leistungsträgern Produkte und die touristische Infrastruktur entwickelt und sich im Marketing auf Stamm- und Tagesgäste konzentriert. Die Destinationsebene ist damit ideal für die Entwicklung und Kommunikation eines am Prinzip der Nachhaltigkeit ausgerichteten Tourismus. Dabei erfüllt die DMO eine Doppelfunktion. Einerseits ist sie als Unternehmen für sich selbst als Einheit verantwortlich, andererseits muss sie zudem die Organisation für das betriebsinterne und betriebsexterne Management der Destination übernehmen (Destination als virtuelles Unternehmen). Sie besitzt somit nicht nur die Verantwortung über die nachhaltige Entwicklung der eigenen Unter- <?page no="282"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 283 nehmung, sondern ebenso für die Überwachung und Analyse der Destination als Produkt bzw. Unternehmen. Dieses Verständnis verlangt eine Legitimation im soziopolitischen Umfeld, da hier wirtschaftspolitische Interessen verfolgt werden, die nicht mehr in der alleinigen Aufgabenbefugnis der DMO liegen. Um diese Interessenswahrnehmung erfolgreich im Sinne einer nachhaltigen Tourismusentwicklung umsetzen zu können, sollte eine „Nachhaltigkeitsstrategie“ für die Destinationen entwickelt werden. Deren Entwicklung, Steuerung und die Koordination der Implementierung ist Aufgabe der Destination bzw. DMO und sollte unter einer gleichzeitigen Einbindung aller touristischen Akteure und Leistungsträger auf der regionalen, örtlichen und betrieblichen Ebene erfolgen, da dies von zentraler Bedeutung für den Erfolg und die breite Umsetzung in der Destination ist. Das Konzept einer Nachhaltigkeitsstrategie geht bereits bis auf den Brundtland- Bericht mit dem Titel „Unsere gemeinsame Zukunft“ (1987) hervor, in dem es heißt: „Die Welt muss bald Strategien entwerfen, die den Ländern erlauben, aus ihren gegenwärtigen, oft destruktiven Wachstums- und Entwicklungsprozessen zu nachhaltigen Entwicklungswegen überzuwechseln.“ Grundsätzlich bettet sich eine touristische Nachhaltigkeitsstrategie in regionale Entwicklungsstrategien ein und beinhaltet eine Vision und Leitsätze mit konkreten Zielen, ein Entwicklungsbzw. Aktionsprogramm mit Maßnahmen und einen dynamischen Managementzyklus für die Umsetzung, welche zur Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität der Destination führen. Ziel ist es, die am besten geeignete Strategie für die Zukunftsfähigkeit der Destination zu entwickeln, umzusetzen, fortzuschreiben und regelmäßig anhand eines Monitoring- Konzeptes zu überprüfen. Insgesamt formuliert die Nachhaltigkeitsstrategie die strategische Ausrichtung der Destination innerhalb der vier Nachhaltigkeitsdimensionen. Dabei müssen alle touristisch relevanten Angebotsbausteine der Destination in die Nachhaltigkeitsstrategie einbezogen werden. Denn eine Reise bzw. ein Urlaubsaufenthalt setzt sich aus unterschiedlichen Leistungen bzw. Angeboten zusammen, die in ihrer Gesamtheit ein Produktbündel bilden, das sich aus Einzelleistungen entlang der Dienstleistungskette zusammensetzt. Umso wichtiger ist es, die für die Destination relevanten Leistungserbringer zu definieren und die sich daraus ergebenden Nachhaltigkeitsschwerpunkte abzuleiten. Die folgende Tabelle stellt eine Übersicht über Teilleistungen des Produktbündels „Reise“ und den damit verbundenen Akteursgruppen und entsprechenden Nachhaltigkeitsthemen dar. <?page no="283"?> 284 Nachhaltiger Tourismus Touristische Leistung Akteure Nachhaltigkeitsthemen (Beispiele) Vorbereiten, Informieren und Buchen Reisemittler, Reiseveranstalter, DMO Nachhaltigkeitskommunikation und -marketing, touristische Profilierung, Produkttransparenz, nachhaltige Produktentwicklung, Produktzertifizierungen An- und Abreise Transportunternehmen nachhaltige Mobilitätsanbindung Ankommen und Orientieren Gemeinde, Tourist-Info, Beherbergungsbetriebe Informations- & Leitsysteme, Mobilitätskonzeption, Besucherlenkung Wohnen und Schlafen Beherbergungsbetriebe Mitarbeiterführung, Servicequalität, Beschaffung, Umwelt- & Klimaschutz, Zertifizierungen, Barrierefreiheit Essen und Trinken Gastronomiebetriebe Mitarbeiterführung, Servicequalität, Beschaffung, Umwelt- & Klimaschutz, Zertifizierungen, Barrierefreiheit Freizeit und Sport Freizeiteinrichtungen und -infrastruktur, Bäderwesen, touristischer Schiffsverkehr, Sportbetriebe, Gemeinden regionale Wertschöpfung, Biodiversität, Flächenkonkurrenz, Saisonalität Unterhaltung und Kultur Kultureinrichtungen, Vergnügungsparks, Veranstaltungsbranche, Vereine und Verbände, Gemeinden regionale Identität & Kulturerbe, regionale Wertschöpfung, rouristische Entscheidungsprozesse, Brauchtum & Tradition, Menschenrechte <?page no="284"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 285 Ausflug und Shopping Handel und Gewerbe, Schutzgebiete, Gemeinden Biodiversität, Natur- & Umweltschutz, regionale Wertschöpfung Service und Assistenz lokale und regionale Tourist-Info, DMO, Beherbergungsbetriebe, mobile Dienste Servicequalität, Zertifizierungen, Kundeninformation, Nachhaltigkeitskommunikation Erinnern und Bestätigung finden Gast, DMO Kundenzufriedenheit & -bindung, Nachhaltigkeitsmarketing Tab.1: Übersicht über Teilleistungen des Produktbündels „Reise“ (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an ADAC 1991) Eine Vielzahl an Nachhaltigkeitsthemen ist nur in koordinierter und kooperativer Form umzusetzen. Für das Destinationsmanagement bedeutet das eine Festlegung von Handlungsschwerpunkten im Interesse einer ganzheitlichen nachhaltigen Entwicklung. Mithilfe dieser Schwerpunkte können die verschiedenen Akteursgruppen integriert werden und, ausgehend von der DMO, Maßnahmen koordiniert umgesetzt werden. Folgende Handlungsbereiche und Nachhaltigkeitsthemen lassen sich hierfür nutzen. Angebotsentwicklung und -qualität Für den Tourismus ist ein intaktes natürliches Angebot - Natur, Landschaft, Wasser und Luft - von zentraler Bedeutung. Hier sind die Erwartungen und Anforderungen der Gäste an natur- und sozialverträgliche Angebote zu erfüllen. Neben der natürlichen Ausstattung gelten Qualitätsaspekte als Voraussetzung für ein stimmiges und intaktes Tourismusangebot. Nachhaltigkeitsthemen Tourismusentwicklungskonzept mit eindeutiger Ausrichtung der Region auf eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus Servicequalität bei Dienstleistungsunternehmen Kampagnen zur Zertifizierung und Qualifizierung des touristischen Angebots Instrumente zur Ermittlung und Dokumentation der Kundenzufriedenheit einheitliche touristische Informations- und Leitsysteme Barrierefreiheit von touristischen Angeboten in der Tourismusregion touristische zielgruppenbezogene Profilierung Kommunikation von intakter Naturausstattung <?page no="285"?> 286 Nachhaltiger Tourismus Ökonomische Nachhaltigkeit Tourismus ist eine wesentliche Komponente eines Wirtschafts- und Branchen- Clusters eines Standortes (BIEGER/ BERITELLI 2013: 36). Es existiert eine Vielzahl an vertikalen und horizontalen Verflechtungen mit Akteuren, die von touristischen Aktivitäten profitieren. Da touristische Einnahmen immer mit primären Umsätzen verbunden sind - sie werden als Exportdienstleistungen angesehen - und dementsprechend eine zusätzliche Wertschöpfung am Standort kreieren, haben sie für die Wirtschaft einer Region eine ganz besondere Bedeutung. Neben der materiellen Bedeutung kann Tourismus für die Destination noch weitere immaterielle, ökonomische Vorteile schaffen (ebd.): Infrastruktureffekte: Der Tourismus trägt bei zur Entwicklung und zum Erhalt wesentlicher Infrastrukturen für Wirtschaft und Bevölkerung wie Freizeiteinrichtungen, Verkehrsinfrastrukturen, Kongress- und Übernachtungseinrichtungen. Imageeffekte: Das touristische Image ist oft eine wesentliche Komponente des wahrgenommenen Gesamtauftrittes einer Region. Vernetzungseffekte: Der Tourismus trägt zur Vernetzung eines Standortes im Bereich persönlicher Netzwerke, Verkehrsnetzwerke oder Informationsnetzwerke bei. Kompetenzeffekte: Durch den Tourismus kann an einem Standort spezifisches Wissen wie bspw. im Bereich persönlicher Dienstleistungen erworben werden. Um diese ökonomischen Effekte im Rahmen eines qualitativen Wachstums langfristig zu erhalten, sollte die Tourismusregion Strategien und Konzepte erarbeiten, die auf den Nachhaltigkeitsprinzipien beruhen und zum langfristigen wirtschaftlichen Erfolg beitragen. Nachhaltigkeitsthemen Messung des wirtschaftlichen Erfolges einer Destination Strategien und Maßnahmen zur Sicherung des Angebotsportfolios Investitionsstrategien Effizienzsteigerungen in touristischen Betrieben Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe Maßnahmen zur Reduzierung von Auswirkungen saisonaler Schwankungen <?page no="286"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 287 Ökologische Nachhaltigkeit Die Schutzbedürftigkeit von Natur und Landschaft als elementare Ressource für einen erfolgreichen Tourismus wird mittlerweile von der Tourismusbranche kaum mehr bestritten. Dennoch sind die ökologischen Wirkungen und der Druck auf Ökosysteme in den Destinationen weiterhin sehr hoch und langfristige Strategien zur natur- und umweltverträglichen Steuerung der touristischen Entwicklung noch längst nicht überall festzustellen. Oft können die mittelbis langfristigen ökologischen Folgen in den Regionen in der Wahrnehmung der Bevölkerung und der Touristen nur schwer beurteilt werden und auch die vielfältigen Wechselwirkungen von Beeinträchtigungen sind nur schwer abschätzbar. Gleichzeitig wird der Erhalt von Natur und Umwelt in der deutschen Bevölkerung als eines der wichtigsten Themen erachtet und die Nachfrage nach natur- und umweltverträglichen Angeboten nimmt bereits seit Jahren kontinuierlich zu (vgl. F.U.R 2013; BMUB 2012). Umso wichtiger erscheint eine konsequente Positionierung der Destinationen zu Natur-, Umwelt- und Klimaschutz. Das Destinationsmanagement hat hierfür einen Beitrag zu leisten, indem wichtige touristische Akteure zum Schutz von Umwelt, Natur und Landschaft sensibilisiert werden. Eine Abstimmung mit Natur- und Umweltschutzakteuren und die Einführung eines konsequenten Visitor-Managements sind hier beispielhaft zu nennen. Darüber hinaus stehen der DMO zahlreiche Maßnahmen zur Förderung von Aktivitäten der touristischen Anbieter in den Bereichen Umweltschutz, Klimaschutz, Biodiversität und Mobilität zur Verfügung. Nachhaltigkeitsthemen Schutz von Natur und Landschaft Kooperationen und Projekte mit Natur- und Umweltschutzverbänden/ -akteuren, Schutzgebietsverwaltungen, Natur- und Umweltschutzbehörden Visitor-Management Kampagnen zum regionalen Angebot Teilnahme an Zertifizierungssystemen mit Schwerpunkt Umweltschutz bzw. Nachhaltigkeit Maßnahmen zur Wassereinsparung, Reduktion der Abwasserbelastung, Abfallvermeidung/ -reduzierung Reduktion von Lärmquellen/ -belastungen durch touristische Aktivitäten nachhaltige und/ oder klimafreundliche Durchführung von Veranstaltungen <?page no="287"?> 288 Nachhaltiger Tourismus Klimaschutz Einbindung in Regionalentwicklungsprozesse regionale Aktivitäten zum Klimaschutz bzw. zur Anpassung an den Klimawandel Beitrag zur CO 2 -Reduktion Besucherlenkungskonzepte Biodiversität Standortwahl für touristische Infrastruktur und bei touristischen Aktivitäten Reduzierung des Flächenverbrauchs Einsatz heimischer/ regionaler Materialien bei touristischen Bauaktivitäten Reinvestition von Einnahmen aus dem naturbezogenen Tourismus Biodiversität als Teil des Reiseerlebnisses Mobilität multimodale Mobilitätskonzepte Anreisemöglichkeiten mit dem ÖV/ ÖPNV nachhaltige Mobilität vor Ort Soziale Nachhaltigkeit Durch den Tourismus treffen die Kultur der Quellregion und deren Ferienkultur (Lebensstil und Normen der Gäste in der Ferienzeit) mit der Kultur der Zielregion (der Bereisten) und deren Dienstleistungskultur (Lebensstil, Normen der im Tourismus Beschäftigten) zusammen (vgl. THIEM 1994). Diese Kulturen beeinflussen sich gegenseitig und prägen einander und es entstehen gesellschaftliche Wirkungen auf die Kultur der Bereisten. Im Rahmen des Destinationsmanagements gilt es deshalb, das touristische Angebot so auszugestalten, dass es die regionale Kultur und Identität innerhalb der Destination stärkt. Darüber hinaus sollte die Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von touristischen Betrieben gefördert werden, indem bspw. Referenten engagiert und eigene Seminare angeboten werden. Auch die lokale Bevölkerung als gesellschaftliche Instanz der Destination sollte Gelegenheit haben, sich an touristischen Entwicklungsprozessen, z.B. durch öffentliche Workshops und Diskussionsrunden, zu beteiligen. <?page no="288"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 289 Nachhaltigkeitsthemen Stärkung der regionalen Identität und Sicherung und Entfaltung der regionalen Kultur bzw. des Brauchtums Fort- und Weiterbildung von Beschäftigten zur Integration von Nachhaltigkeitsthemen Bewusstseinsbildung für Nachhaltigkeit Partizipation an regionalen touristischen Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen Maßnahmen zur ganzjährigen Beschäftigung in touristischen Betrieben Umfassende Ausführungen zum Thema soziale Nachhaltigkeit siehe im Beitrag von BEYER in Kapitel 2.5. 3.2.4 Steuerungsinstrumente für eine nachhaltige Destinationsentwicklung Ein Destinationsmanagement, das sich am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung orientiert, ist eine komplexe Aufgabe, die die Zusammenarbeit verschiedener vom Tourismus profitierender oder betroffener Akteure bedarf (siehe dazu auch den Beitrag von SCHULER in Kapitel 3.3). Die DMO übernimmt dabei eine zentrale Rolle als Koordinator und Vermittler. Da Tourismusorganisationen jedoch in der Regel keine rechtlichen Steuerungsmaßnahmen durchsetzen können, sind sie in ihrer Arbeit auf andere Steuerungsinstrumente angewiesen. Dabei unterscheidet man zwischen harten und weichen Steuerungsinstrumenten. Zu den harten Steuerungsinstrumenten zählen nach STRASDAS/ ZEPPEN- FELD (2008: 43) Mittel, die allein von staatlichen Akteuren eingesetzt werden können und die eine unmittelbare bindende Wirkung haben, wie z.B. Lenkungs- und Kontrollinstrumente wie Gesetze und Verordnungen, sowie fiskalische Instrumente wie Steuern und Abgaben. Im Gegensatz dazu können weiche Steuerungsinstrumente von allen Akteuren und damit auch vonseiten der DMO eingesetzt werden. Dabei handelt es sich vor allem um Informations- und Weiterbildungsmaßnahmen, um freiwillige Selbstverpflichtungen sowie um Mess- und Indikatorensysteme, die auch als „unterstützende Instrumente“ bezeichnet werden (ebd.). Die nachfolgende Tabelle gibt einen generellen Überblick über verschiedene Steuerungsinstrumente und dazugehörige beispielhafte Maßnahmen. <?page no="289"?> 290 Nachhaltiger Tourismus Steuerungsinstrument Maßnahmen Messinstrumente Nachhaltigkeitsindikatoren und Monitoring Definition von Grenzen der Tourismusentwicklung (Carrying Capacity, Limits of Acceptable Change) Lenkungs- und Kontrollinstrumente Gesetze, Verordnungen, Lizenzen planerische Instrumente und Entwicklungskontrollen Raum- und Landschaftsplanung Zonierung Umweltverträglichkeitsprüfung ökonomische, fiskalische Instrumente Steuern und Abgaben Gewerbesteuern Touristensteuern Steuern auf ausgewählte Inputs und Outputs Steuern für die Nutzung von Infrastruktur und Einrichtungen finanzielle Anreize und Vereinbarungen freiwillige Selbstverpflichtungen Richtlinien und Verhaltenskodizes freiwillige Rechenschaftsberichte und Auditierungen freiwillige Beiträge unterstützende Instrumente Infrastrukturausstattungen, -management Verkehrsinfrastrukturentwicklung öffentliche Einrichtungen und Dienstleistungen Sicherheits- und Notfalleinrichtungen Capacity building/ Weiterbildung, Hilfe zur Selbsthilfe Marketing und Informationsservice Tab. 2: Steuerungsinstrumente im Tourismus (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an STRASDAS/ ZEPPENFELD 2008: 44) Die konsequente Umsetzung ganzheitlicher Nachhaltigkeitsansätze stößt auf eine Reihe von Schwierigkeiten. Einerseits resultieren diese aus dem komplexen Gefüge einer Destination und den unterschiedlichen Funktionen der DMO. Dadurch entstehen u.a. folgende systemische Hürden für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsansätzen (vgl. BIEGER/ BERITELLI 2013: 41): <?page no="290"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 291 Kurzfristige Erfolgsorientierung der Entscheidungsträger; resp. fehlende Informationen und eine kurzfristige Optik verleiten die einzelnen Akteure und Organisationen zu eigennützigem Verhalten. Kollektive Handlungen und Trittbrettfahrerverhalten in Gemeinschaften können zu einer geringen Akzeptanz von Veränderungsprozessen führen und zu einer Innovationsbremse werden (es wird einfacher, sich hinter der Masse zu verstecken). Unberechenbare Rückkopplungen über die Nutzung verschiedener Umweltbereiche und fehlende Kompetenz zur Einschränkung der Nutzung von Natur und Umwelt (Tragik der Allmende). Fehlender Kooperationswille in der Destination. Explizite Kooperationsbereitschaft (d.h. geäußerte) widerspricht oft implizierter (echt gelebter). Die Eigendynamik der Nachfrage . Andererseits wird die Rolle regionaler Tourismusorganisationen für eine nachhaltige Entwicklung einer Destination aufgrund ihrer begrenzten Durchsetzungsfähigkeit auch überschätzt (vgl. z.B. ZAHRA 2012, HALL 2012). Wichtige Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Tourismusentwicklung haben, werden in politischen Ressorts/ Gremien oder in Behörden getroffen, die die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf den Tourismus oftmals nicht ausreichend überschauen oder auch aus eigenen bzw. parteipolitischen Interessen für die weitere touristische Entwicklung nicht förderlich sind (vgl. BRAMWELL 2012). Darüber hinaus wird der Erfolg von Tourismusorganisationen bis heute in erster Linie an kurzfristigen ökonomischen Kennwerten (z.B. Übernachtungszahlen, Gästeausgaben) gemessen. Nachhaltigkeitsindikatoren der ökologischen und der soziokulturellen Dimension werden von den meisten Destinationen nicht erfasst. Die Neuausrichtung der EU-Förderprogramme für die Periode 2014- 2020 auf die Themen Nachhaltigkeit und Innovation wird hier ein Umdenken erforderlich machen. Eine Destinationsmanagement-Organisation (DMO) bildet trotz der genannten Hürden die zentrale Schnittstelle für alle Akteure, indem sie die Kommunikation und Kooperation der Akteure fördert und Nachhaltigkeitsaktivitäten aller Ebenen aufgreift und diese auf der Ebene der Destination bündelt. Sie kann damit als zentraler Impulsgeber für alle Nachhaltigkeitsaktivitäten auf der Destinationsebene wirken. Entscheidend für den Erfolg aller Ansätze für eine nachhaltige Tourismusentwicklung in einer Destination bleibt jedoch die Kooperation der tourismusrelevanten Akteure. Vorreiter für einen nachhaltigen Tourismus auf der Ebene der Destination sind eine Reihe von europäischen National- und Naturparks, mit der 1995 von der Föderation EUROPARC initiierten Europäischen Charta für einen <?page no="291"?> 292 Nachhaltiger Tourismus nachhaltigen Tourismus in Schutzgebieten . Im Rahmen dieser Initiative werden Schutzgebiete ausgezeichnet, die sich in besonderer Weise für einen nachhaltigen Tourismus engagieren, indem sie möglichst viele relevante Akteure in den Prozess der Tourismusentwicklung einbeziehen und ein gemeinsam erarbeitetes regionales Tourismuskonzept einschließlich eines Maßnahmenplans entwickeln, welches sich an der Philosophie der Nachhaltigkeit orientiert und die in der Europäischen Charta aufgeführten Kernpunkte nachhaltiger Tourismusentwicklung berücksichtigt. Derzeit wurden bereits 103 europäische Natur- und Nationalparks aus 13 Ländern mit der Auszeichnung honoriert (Stand Oktober 2013; EUROPARC 2014). Prinzipien der Europäischen Charta für einen nachhaltigen Tourismus Alle Personen, die vom Tourismus im Schutzgebiet und seiner Umgebung betroffen sind, an der Entwicklung und am Management beteiligen. Eine Strategie und einen Aktionsplan für nachhaltigen Tourismus im Schutzgebiet vorbereiten und umsetzen. Das natürliche und kulturelle Erbe des Gebietes für und durch den Tourismus schützen und aufwerten und zugleich vor einer übermäßigen touristischen Entwicklung bewahren. Allen Besucherinnen und Besuchern während ihres Aufenthaltes in jeder Hinsicht hochwertige Erfahrungen bieten. Besucherinnen und Besuchern die besonderen Werte des Gebietes erfolgreich vermitteln. Dazu ermutigen, besondere touristische Angebote zu entwickeln, die die Entdeckung und das Verständnis des Gebietes ermöglichen. Das Wissen über das Schutzgebiet und Fragen der Nachhaltigkeit bei allen, die mit Tourismus zu tun haben, erweitern. Sicherstellen, dass der Tourismus die Lebensqualität der Ortsansässigen nicht mindert, sondern fördert. Den Nutzen des Tourismus für die örtliche Wirtschaft erhöhen. Negative Auswirkungen verringern, indem man Besucherströme überwacht und lenkt. (EUROPARC 2010, European Charter for Sustainable Tourism in Protected Areas, The Charter, S. 22) <?page no="292"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 293 Weiterführender Lesetipp RICHIE, J. R. BRENT, CROUCH, G. I. (2003): The Competitive Destination. A Sustainable Tourism Perspective. CABI Publishing, Oxon, UK 3.2.5 Nachhaltigkeitsbewertung und -messung von Destinationen Ein am Prinzip der Nachhaltigkeit orientierter Tourismus ist nur umsetzbar, wenn es auch überprüfbare Messwerte gibt, anhand derer die DMO und alle anderen touristischen Akteure analysieren können, inwieweit die unterschiedlichen Dimensionen der Nachhaltigkeit aktuell erfüllt sind und in welche Richtung sie sich entwickeln. Die bekannte Managementregel „You cannot manage, what you cannot measure“ (SARAPH et al. 1989) drückt genau diesen Umstand aus. Hierzu wurden seit den 1990er Jahren diverse Ansätze entwickelt, die jedoch primär auf die Unternehmensebene (für Hotels, Gastronomiebetriebe, Campingplätze, Reiseveranstalter) abzielten. Für die Ebene der Destination gab es hier bislang nur wenige Ansätze (z.B. SEILER 1989, UBA 2001, BAUM- GARTNER 2000, HOFFMANN et al. 2006). Indikatorensysteme für Destinationen Indikatoren werden heutzutage als das beste Instrument wahrgenommen, nachhaltige Entwicklung auch auf der Ebene von Tourismusdestinationen zu messen und zu bewerten. Dies liegt u.a. daran, dass Nachhaltigkeitsindikatoren auf unterschiedlichen Ebenen einer Destination als vergleichendes Bewertungsinstrument eingesetzt werden können, z.B. im Rahmen eines Zertifizierungsprozesses (COMPLOI 2010). „The development and use of indicators is increasingly viewed as a fundamental part of overall destination planning and management, and an integral element in efforts to promote sustainable development for the tourism sector at all scales.“ (World Tourism Organization (UNWTO) (2004: 8f): Indicators of Sustainable Development for Tourism Destinations. A Handbook; Madrid) <?page no="293"?> 294 Nachhaltiger Tourismus Nachhaltigkeitsindikatoren können unterschiedliche Funktionen erfüllen (vgl. LIEPACH et al. 2003: 13 ff.): Operationalisierungsfunktion: Operationalisierung der Nachhaltigkeitsstrategie. Analytische Funktion: Warnfunktion, Identifizieren von Handlungsfeldern und -bedarf, Monitoring und Erfolgskontrolle, Einbindung in das kommunale Planungs- und Managementsystem, Versachlichung der Diskussion. Kommunikations- und Informationsfunktion: Sensibilisierung und damit Initiierung von gesellschaftlicher Diskussion. Koordinationsfunktion: Austausch zwischen den Akteuren durch/ während der Erhebung der Indikatoren. Vergleichsfunktion: intrakommunal, wenn z.B. ein Indikator über einen festgelegten Zeitraum beobachtet wird; interkommunal, wenn mehrere Kommunen auf der Basis gleicher Datenerhebung verglichen werden. Darüber hinaus ermöglichen Indikatoren auch eine Komplexitätsreduzierung, indem Zusammenhänge durch relevante Indikatoren abgebildet werden. Indikatoren werden in Form einer Informationsverdichtung dargestellt, die im Wesentlichen auf zwei Vorgängen beruht (ebd.): Aggregation: Verdichtung von Einzelindikatoren zu Gesamtindikatoren und Selektion: Auswahl bestimmter relevanter bzw. aussagekräftiger Indikatoren. Die Erfassung der Nachhaltigkeitsindikatoren sollte auf wissenschaftlicher Basis erfolgen und als Ergebnis die wichtigsten relevanten Eigenschaften und Prozesse des Tourismus-Umwelt-Gefüges abbilden, mit dem Ziel, diese in deren Funktionsfähigkeit bewerten zu können. Für die Umsetzung eines Nachhaltigkeits-Indikatorensystems spielt neben der Datenqualität auch der Aufwand für die Erhebung neuer Daten eine wichtige Rolle. Die Möglichkeit der Datenerhebung entscheidet oftmals über die Realisierbarkeit von Indikatorensystemen, denn die zeitlichen und finanziellen Ressourcen sind in den DMO häufig knapp und eine langwierige und kostspielige Datenerhebung wird zumeist als nicht umsetzbar empfunden. Daher gilt es, wesentliche Bereiche im Rahmen des Nachhaltigkeitsprozesses zu betrachten, wenn möglich unter Verwendung bestehender Datenquellen. Inzwischen existiert eine Vielzahl von Indikatorenmodellen für einen nachhaltigen Tourismus, die auf globaler, europäischer und nationaler Ebene für Destinationen entwickelt wurden und von denen die für Destinationen wichtigsten nachfolgend vorgestellt werden. <?page no="294"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 295 Global Sustainable Tourism Criteria for Destinations (GSTC-D) Auf globaler Ebene wurden die Global Sustainable Tourism Criteria (GSTC, dt: Globale Kriterien für einen nachhaltigen Tourismus) entwickelt, die als Basis für ein weltweites gemeinsames Verständnis von nachhaltigem Tourismus dienen sollen und die Mindestvorgaben, die jede Tourismusorganisation zu erreichen bestrebt sein sollte, repräsentieren. Sie wurden auf Initiative der Welttourismusorganisation (UNWTO) gemeinsam mit der Rainforest Alliance und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) in einem weltweiten Stakeholder-Dialog entwickelt und werden heute vom Global Sustainable Tourism Council repräsentiert. Dessen Aufgabe besteht in der Förderung eines wachsenden Wissens und Verständnisses für nachhaltige Tourismuspraktiken und der Werbung für die Verwendung der GSTC-Prinzipien sowie einer Nachfrage nach nachhaltigen Reisen (vgl. www.gstcouncil.org). Die GSTC-Kriterien sind Teil der Reaktion der weltweiten Tourismusbranche auf die globalen Herausforderungen der Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Die Verringerung der Armut und eine umweltbezogene Nachhaltigkeit - auch in Hinblick auf den Klimawandel - sind die wichtigsten Querschnittsthemen, die durch die Kriterien in Angriff genommen werden. Für Destinationen wurden spezielle Kriterien entwickelt, die GSTC-D. Die Erarbeitung der Global Sustainable Tourism Criteria for Destinations (GSTC-D) erfolgte auf Basis von mehr als 40 weitverbreiteten und anerkannten Prinzipien und Leitlinien, Zertifizierungskriterien und -indikatoren für einen nachhaltigen Tourismus. Sie spiegeln touristische Zertifizierungsstandards, Indikatoren, Kriterien und Best Practices aus unterschiedlichsten kulturellen und geopolitischen Regionen der Welt wider. Mögliche Indikatoren wurden im Hinblick auf ihre Relevanz und Praktikabilität sowie ihre Anwendbarkeit für unterschiedlichste Destinationstypen untersucht und weltweit getestet. Die Kriterien sollen Tourismusmanagement-Organisationen für folgende Zwecke dienen (vgl. www.gstcouncil.org): als grundsätzliche Leitlinien für Destinationen, die nachhaltiger werden wollen; als Hilfe für Konsumenten, um nachhaltige Tourismusdestinationen identifizieren zu können; als gemeinsamer Nenner für Informationsmedien, um nachhaltige Destinationen zu erkennen und die Öffentlichkeit über ihre Nachhaltigkeit zu informieren; als Hilfe für Zertifizierungen und andere freiwillige Nachhaltigkeitsprogramme auf Destinationsebene, um sicherzustellen, dass die Standards breit akzeptierten Grundlagen entsprechen; <?page no="295"?> 296 Nachhaltiger Tourismus als Ausgangspunkt für staatliche, nicht-staatliche und Programme des privaten Tourismussektors für die Entwicklung von Anforderungen für einen nachhaltigen Tourismus und als grundsätzliche Leitlinie für Bildungs- und Schulungseinrichtungen, wie z.B. Hotelfachschulen und Universitäten. Zur Erfüllung der Kriterien für einen nachhaltigen Tourismus müssen Destinationen einen interdisziplinären, ganzheitlichen und integrativen Ansatz verfolgen, der vier Hauptzielstellungen für die Tourismusentwicklung beinhaltet: Demonstrierung eines nachhaltigen Destinationsmanagements, Maximierung des sozialen und ökonomischen Nutzens des Tourismus für die Destination und Minimierung negativer Auswirkungen, Maximierung des Nutzens des Tourismus für Einwohner, Besucher sowie die Maximierung des kulturellen Erbes und Minimierung der Belastungen durch Tourismus und Maximierung des Nutzens des Tourismus für die Umwelt und Minimierung negativer Auswirkungen des Tourismus für die Umwelt. Diese vier übergeordneten Zielstellungen werden durch 41 Handlungsfelder und -themen mit insgesamt 105 Indikatoren untersetzt, die als global anwendbare Grundlage für eine nachhaltige Tourismusentwicklung in allen Arten und Größen von Destinationen dienen sollen - siehe folgende Tabelle. Teil 1: Nachhaltiges Destinationsmanagement demonstrieren A1 Nachhaltige Destinationsstrategie A2 Destinationsmanagement-Organisation (DMO) A3 Monitoring A4 Management von Saisonalität A5 Adaption an den Klimawandel A6 Erfassung und Analyse der touristischen Angebote und Attraktionen A7 Planungsvorschriften/ -gesetze A8 Tourismus für alle/ barrierefreier Tourismus A9 Geregelter Landerwerb A10 Gästezufriedenheit, Besucherbefragungen A11 Nachhaltigkeitsstandards <?page no="296"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 297 A12 Schutz und Sicherheit A13 Krisen- und Notfallmanagement A14 Werbung Teil 2: Ökonomischen Nutzen für die Destination maximieren und negative Auswirkungen minimieren B1 Ökonomisches Monitoring (Beitrag des Tourismus zur regionalen Wertschöpfung) B2 Lokale Beschäftigungsmöglichkeiten (im Tourismus) B3 Öffentlichkeitsbeteiligung (bei der Tourismusentwicklung) B4 Öffentliche Meinung (zum Destinationsmanagement) B5 Öffentlicher Zugang (zu Natur- und Kulturstätten) B6 Tourismuswahrnehmung/ -akzeptanz und -bildung B7 Verhinderung von Ausbeutung (kommerzielle, sexuelle oder andere Formen der Ausbeutung von Kindern, Jugendlichen, Frauen und Minoritäten) B8 Unterstützung von Gemeinde- und Nachhaltigkeitsinitiativen Teil 3: Nutzen des Tourismus für Einwohner, Besucher sowie das kulturelle Erbe maximieren und Belastungen durch Tourismus minimieren C1 Schutz von Attraktionen (natürlichen und kulturellen) C2 Besuchermanagement C3 Besucherverhalten (Leitlinien für angepasstes Besucherverhalten) C4 Schutz des kulturellen Erbes C5 Besucherinformation (an natürlichen und kulturellen Attraktionen) C6 Schutz geistigen Eigentums Teil 4: Nutzen des Tourismus für die Umwelt maximieren und negative Auswirkungen minimieren D1 Umweltrisiken D2 Schutz sensibler Lebensräume D3 Artenschutz/ Biodiversitätsschutz D4 Emission von Treibhausgasen D5 Energiesparen <?page no="297"?> 298 Nachhaltiger Tourismus D6 Wassermanagement D7 Trinkwasserschutz D8 Trink- und Badewasserqualität D9 Abwassermanagement D10 Abfallreduktion D11 Licht- und Lärmverschmutzung D12 Low-impact transport (Öffentlicher Verkehr, Langsamverkehr) Tab. 3: Handlungsfelder und -themen der GSCT-D (Quelle: www.gstcouncil.org, eigene Übersetzung und Erläuterung) Insgesamt hat das System GSTC-D einen Schwerpunkt im Bereich Destination Governance und Ökologie. Das System arbeitet vor allem mit offenen Antworten und soll damit Prozesse in der Destination anstoßen. European Tourism Indicator System (ETIS) for Sustainable Management at Destination Level Während der Global Sustainable Tourism Council mit den GSTC-D ein Kriterienset als global gültigen Mindeststandard für nachhaltige Destinationen bereitstellt, hat sich die Europäische Kommission mit dem European Tourism Indicator System (ETIS) das Ziel gesetzt, ein Instrument zur Messung und stetigen Verbesserung der nachhaltigen Entwicklung einer Destination zur Verfügung zu stellen. Dazu wurde ein umfangreicher Kriterienkatalog entwickelt, der sich an den GSTC-D orientiert und mit Indikatoren und Messgrößen untersetzt wurde. Die Europäische Kommission erhofft sich mithilfe dieses einfach anwendbaren Systems eine bessere Transparenz und Vergleichbarkeit der Leistungen von europäischen Destinationen in Bezug auf ihr Nachhaltigkeitshandeln. Das System soll von den Destinationen auch für das langfristige Monitoring ihrer Destination genutzt werden und den Erfahrungsaustausch unter den Destinationen befördern. Das System beruht weitestgehend auf Messindikatoren (Performanceorientierung) und basiert auf der Auswertung einer Vielzahl derzeit weltweit verfügbarer Destinationskriteriensysteme. Als Basis dienten die Tourism Sustainability Group (TSG) indicators. Die ETIS-Kriterien eignen sich für die Analyse einer Destination, enthalten aber keine organisationsinternen Kriterien für die DMOs. Die ETIS-Kriterien decken alle Felder von nachhaltiger Entwicklung ab und bestehen insgesamt aus 27 Kern- und 40 optionalen Indikatoren (EUROPÄI- SCHE KOMMISSION 2013): <?page no="298"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 299 Themenfeld Kriterien Kernindikatoren optionale Indikatoren Destinationsmanagement Öffentliche Politik für nachhaltigen Tourismus 1 2 Nachhaltiges Tourismusmanagement in Tourismusunternehmen 1 1 Kundenzufriedenheit 1 1 Information und Kommunikation 1 1 Wirtschaftlicher Wert Tourismusvolumen & Wertschöpfung in der Destination 2 3 Leistung der/ des Tourismusunternehmen/ s 2 3 Quantität und Qualität der Arbeitsplätze 1 2 Gesundheit und Sicherheit 1 1 Lieferkette im Tourismus 1 2 Soziale und kulturelle Auswirkungen Auswirkungen auf die Gesellschaft/ Gemeinschaft 1 3 Gleichstellung der Geschlechter 1 2 Gleichstellung/ Barrierefreiheit 2 2 Erhaltung und Aufwertung des kulturellen Erbes sowie der lokalen Identität und Kulturgüter 1 2 <?page no="299"?> 300 Nachhaltiger Tourismus Umweltauswirkungen Reduzierung der Verkehrsauswirkungen 2 2 Klimawandel 1 2 Abfallwirtschaft 2 1 Abwasserbehandlung 1 1 Wasserwirtschaft 1 3 Energieverbrauch 1 2 Schutz der Landschaft und der biologischen Vielfalt 1 2 Badewasserqualität 1 1 Tab.4: ETIS-Kriterien zur Analyse einer Destination (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an EUROPÄISCHE KOMMISSION 2013: 18 ff.) Neben dem Indikatorenset wird ein Leitfaden und eine Datenmappe zur Verfügung gestellt, sodass jede Destination ohne spezifische Schulung das System übernehmen und umsetzen kann. Damit soll dem Grundprinzip von ETIS Rechnung getragen werden, welches eine Eigenverantwortung aller Beteiligten und die Einbeziehung von Nachhaltigkeit in Entscheidungsprozesse vorsieht. Für die Anwendung des Indikatorensystems ist ein Prozess in sieben Schritten zu etablieren, der von der Bewusstseinsbildung, der Erstellung eines Destinationsprofils, der Bildung einer Arbeitsgruppe der Akteure, der Festlegung von Rollen und Zuständigkeiten über die Sammlung und Aufzeichnung von Daten, die Analyse der Ergebnisse zur laufenden Entwicklung und ständigen Verbesserung führt. Weiterführende Lesetipps GLOBAL SUSTAINABLE TOURISM COUNCIL (2013): Global Sustainable Tourism Criteria for Destinations (GSTC-D). Online unter: http: / / www.gstcouncil.org EUROPÄISCHE KOMMISSION (2013): European Tourism Indicator System. Toolkit For Sustainable Destinations. Luxemburg Zertifizierungssysteme für Destinationen Nachhaltigkeitszertifizierungen im Tourismus sind hauptsächlich auf Unternehmensebene angesiedelt. Im Kapitel 3.1 wird auf Typisierungen, Merkmale <?page no="300"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 301 und Prozesse detailliert eingegangen. Die Zertifizierung von Destinationen ist bislang relativ wenig verbreitet. Laut einer UNWTO-Studie, in der 59 touristische Zertifizierungen untersucht wurden, waren 68 % der Labels auf Unterkünfte spezialisiert und lediglich 18 % bezogen sich auf Destinationen (definiert als ‚local communities‘ und ‚protected areas‘; vgl. UNWTO 2002: 60). Zunehmend rücken jedoch auch Destinationen in den Fokus von Zertifizierungen, nicht zuletzt weil ein großer Teil der Touristen ihre Kaufentscheidung in erster Linie auf der Ebene der Destination trifft. „[…] research shows that tourists select a hotel not primarily for its internal environmental management practices but for the environmental quality of the destination as a whole. Tourists are therefore more likely to make holiday choices on a basis of, say, environmental quality of beaches, national parks, and rural landscapes, than on the basis of energy or water savings in a hotel.“ (HONEY 2002: 212) Dennoch konnte sich bislang noch kein Zertifizierungssystem für Destinationen ausreichend durchsetzen, um am touristischen Markt wahrgenommen zu werden. Dies liegt insbesondere an der weiter oben beschriebenen Komplexität des Destinationsgefüges, der Festlegung von geeigneten und anwenderfreundlichen Bewertungsindikatoren, der flexiblen und doch überprüfbaren Beschaffenheit des Zertifizierungsprozesses (Performancevs. Prozessorientierung) und letztendlich an der Akzeptanz des Instruments in der Tourismusbranche. Aufgrund dieser Vielzahl an Hürden für die Einführung eines ganzheitlichen Zertifizierungssystems fokussieren sich Destinationslabels mehrheitlich auf ökologische Aspekte (vgl. COMPLOI 2010: 20). Diese Ecolabels berücksichtigen zwar oftmals auch soziale und/ oder ökonomische Aspekte, jedoch kann nicht von einer angemessenen Integration dieser Bereiche im Sinne der Nachhaltigen Entwicklung gesprochen werden. Eine Nachhaltigkeitszertifizierung auf Destinationsebene muss neben den klassischen Kriterien einer Zertifizierung vor allem Aspekte der tatsächlichen Leistungsverbesserung, im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung integrieren, wichtige Themenbereiche einer Destination gänzlich und fundiert abdecken und eine Vergleichbarkeit der Themen und Ausgestaltungen mit anderen Destinationen gewährleisten. Dies bedarf einer klar strukturierten Bewertungsgrundlage. Es geht darum, ob eine Zielerfüllung festgestellt werden kann. Diese accountability wird bei Zertifizierungssystemen zumeist durch drei Arten abgedeckt (ebd.): <?page no="301"?> 302 Nachhaltiger Tourismus Art der Bewertung Bedeutung Bezug zu Destinationen Goal Accountability Sind die gesetzten Ziele begründet und angemessen? Bewertung enthält Themenbereiche bzw. Indikatoren, die sich entweder auf lokale Spezifika beziehen oder definieren den Zielerreichungsgrad für jede Destination einzeln (z.B. bei mittelfristigen Zielen im Verkehrsbereich). Process Accountability Sind angemessene Verfahren festgelegt und implementiert worden, um diese Ziele zu erreichen? Bewertung orientiert sich an Prozessen in der Destination, wenn z.B. Umsetzungsgremien für den Zertifizierungsprozess etabliert werden sollen; bspw. wenn lokale Stakeholder eine Gruppe vor Ort bilden, um den Zertifizierungsprozess zu koordinieren und umzusetzen. Outcome Accountability Inwieweit sind die Ziele erreicht worden? Die Bewertung ermittelt anhand eines Kriteriums, ob ein oder mehrere vorher definierte Ziele der Destination erreicht worden sind oder nicht. Tab.5: Verfahren zur Bewertung von Zertifizierungsmerkmalen (vgl. COMPLOI 2010: 20) Beispielhaft sollen zwei Zertifizierungssysteme für Destinationen kurz dargestellt werden. Zertifizierungssystem DESTINATION 21 Als Buttom-up-Ansatz gilt DESTINATION 21 als Pionierprojekt für nachhaltige Zertifizierungen von Tourismusregionen. Es handelte sich um ein dänisches Label, welches sowohl aus Mindestanforderungen besteht als auch Prozesse innerhalb der Destinationen in Gang setzen sollte. Zunächst mussten insgesamt 21 Kriterien erfüllt und parallel dazu Ziele von lokalen Stakeholdern der Destination formuliert werden. Dadurch sollte zum einen ein bestimmter Standard in allen Destinationen durchgesetzt werden und zum anderen eine möglichst große Autonomie in Bezug auf die Destinationsstrategie erhalten bleiben. Allgemein bestand der Zertifizierungsprozess aus drei Phasen: der Vorqualifizierungsphase, der Qualifizierungsphase und der operativen Phase. Als ersten Schritt musste ein lokales Gremium bestehend aus den wichtigsten Stakeholdern gebildet werden. In der Qualifizierungsphase mussten dann Daten <?page no="302"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 303 erhoben, eine SWOT-Analyse durchgeführt und die Grundvoraussetzungen bzw. Nachhaltigkeitsindikatoren erfüllt werden. Auch die regionalen Zielsetzungen wurden in dieser Phase festgelegt; diese galten für drei Jahre der operationalen Phase und sollten in jährlichen Berichten festgehalten werden. Es sollten hierbei auch andere relevante Industrien miteinbezogen werden, um ein ganzheitliches Bild der Region zu erhalten. Die Verleihung des Logos fand nach Ende der Qualifikationsphase statt. Nach den drei operationalen Jahren sollte die Destination den Prozess erneut mit der Qualifikationsphase durchlaufen. Abb.9: Zertifizierungsprozess DESTINATION 21 (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an COMPLOI 2010: 121) Aufgrund des dänischen Regierungswechsels im Jahr 2001, der darauffolgenden Streichung der Projektmittel sowie struktureller und organisatorischer Mängel wurde das System im Jahr 2003 eingestellt. <?page no="303"?> 304 Nachhaltiger Tourismus Dennoch leistete DESTINATION 21 Pionierarbeit und gilt als Wegbereiter für weitere regionale Zertifizierungen. Klar wurde jedoch auch, dass das System zu komplex ausgestaltet war: Viele Indikatoren waren mit einem hohen Arbeitsaufwand in Bezug auf Erhebung bzw. Ausformulierung verbunden. Das ist in den meist unter Zeitknappheit leidenden DMOs auf die Dauer nicht tragbar und führte zu vielen Frustrationen. Nachhaltigkeitscheck von Destinationen in Baden-Württemberg Mit dem Ziel, die Positionierung baden-württembergischer Tourismusziele im nationalen und internationalen Wettbewerb zu stärken, hat das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) im Jahr 2012 die Nachhaltigkeitszertifizierung von Tourismusdestinationen initiiert. Das neue Zertifizierungsverfahren soll bewirken, dass sich der Tourismus im Land insgesamt verstärkt mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst. Das prozessorientierte System berücksichtigt die unterschiedlichen Leistungsebenen einer Destination und baut sich dreistufig auf. Zunächst agiert die DMO als Ansprechpartner für alle lokalen Partner und koordiniert den gemeinsamen Zertifizierungsprozess. Sie muss darüber hinaus als Unternehmen eigene Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Die wichtigsten Leistungsträger der Destination (Unterkünfte, Gastgewerbe, Kultureinrichtungen, Transportunternehmen, Thermen, Bäder etc.) sind von der DMO in das Verfahren als Partnerbetriebe mit einzubeziehen. Dafür müssen die Unternehmen an speziellen Schulungen teilnehmen, ein nachhaltiges Leitbild vorweisen, eine Bestandsaufnahme zur Bewertung ihrer Nachhaltigkeitsleistung anhand von Checks, Verbrauchsdaten und Indikatoren durchführen, ein Verbesserungsprogramm erarbeiten, Verantwortlichkeiten festlegen und über die wichtigsten Indikatoren und Entwicklungen regelmäßig berichten. Auf der Ebene der Destination wird ein/ e Nachhaltigkeitsbeauftragte/ r ernannt und ein Nachhaltigkeitsrat der wichtigsten Partnerbetriebe und Stakeholder aus der Destination einberufen. Diese Gremien entscheiden zusammen über Nachhaltigkeitsziele, ein zu entwickelndes Verbesserungsprogramm und die Umsetzung durch konkrete Maßnahmen. Darüber hinaus ist anhand eines Nachhaltigkeitsberichts über den Prozess der Destination zu berichten. Die Kriterien werden zu Destinationsindikatoren aggregiert sowie als Benchmarks und Good Practices in den Nachhaltigkeitsbericht der Destination integriert. Begleitet wird der Prozess durch ein aufwendiges Coaching mit diversen Veranstaltungen und Workshops sowie mithilfe einer onlinebasierten Software als Dateneingabetool für die Erhebungen in den Destinationen. Der gesamte Zertifizierungsprozess wird von einer bzw. einem AutorIn (extern und unabhängig) begutachtet und bewertet. Aufgrund der Empfehlung entscheidet ein unabhängiger Zertifizierungsrat darüber, ob das Label verliehen werden kann. <?page no="304"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 305 Abb. 10: Nachhaltigkeitscheck Baden-Württemberg (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an TOURCERT 2014) In einer aufwendigen Testphase wurden zunächst vier unterschiedliche Destinationen ausgesucht und das Verfahren getestet. Im Anschluss fanden eine erste Evaluierung des Verfahrens und ein Erfahrungsaustausch statt. In einer zweiten Phase lassen sich derzeit weitere Destinationen zertifizieren. Das Verfahren befindet sich somit zum Zeitpunkt dieser Publikation noch in Erprobung. Wettbewerbe für Destinationen Wettbewerbe dienen dazu, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen zu lenken, als Motivations- und Unterstützungsinstrumente sowie zur Identifikation von Best-Practice-Beispielen. Auszeichnungen im Rahmen von Wettbewerben erfreuen sich im Tourismus immer größerer Beliebtheit. Dabei handelt es sich um eine zumeist regelmäßig stattfindende Bewertung der Leistungsfähigkeit von <?page no="305"?> 306 Nachhaltiger Tourismus touristischen Produkten im Rahmen eines offenen Vergleichs. Als Best Practices bieten die Ausgezeichneten eines Wettbewerbs eine Benchmark für andere Marktteilnehmer bzw. Destinationen. Allerdings ist die Neutralität im Vergleich zu Indikatoren- und Zertifizierungssystemen nur beschränkt vorhanden. Oftmals werden Wettbewerbe von Verbänden oder anderen politischen Instanzen auch zur Imagesteigerung und in einem wirtschaftlichen Interesse ins Leben gerufen (vgl. FREYER/ DREYER 2003 in WEIERMAIR 2004: 84). Umso wichtiger erscheint eine unabhängige Instanz als wettbewerbsaufrufende Organisation. In Deutschland wurde 2009/ 10 der themenbezogene europäische Wettbewerb European Destinations of Excellence (EDEN-Award) erstmals durchgeführt. Der EDEN-Award gilt als wirkungsvolles Instrument zur Darstellung nachhaltiger und eher unbekannter Destinationen über die Landesgrenzen hinaus und wird bereits seit 2007 in Europa durchgeführt. Nationale Destinationen mit herausragenden Tourismuskonzepten können sich so einem internationalen Publikum präsentieren und Netzwerke bilden. Unter dem Motto „Aquatic Tourism“ wurden 2010 deutsche wassertouristische Reiseregionen gesucht, die innovative Konzepte für Wassertourismusangebote fördern und eine ökologische, soziale und kulturelle Nachhaltigkeit beachten. Darüber hinaus sollte die Reiseregion großes Potenzial aufweisen, sich international als touristische Marke zu etablieren. Bewerben konnten sich Tourismusregionen zusammen mit einem oder mehreren wassertouristischen Produkten (oder vice versa), die bestimmte Mindestkriterien in Bezug auf die Tourismusregion und das Produkt erfüllten. Abb. 11: EDEN-Logo und Logo des Aquatic Tourism Eden Award (Quelle: BTE 2010 (für Aquatic Tourism Eden Award)) Anhand eines Fragenkataloges mit unterschiedlichen Kategorien wurden die Bewerberdestinationen anhand eines Punktsystems beurteilt. Eine Jury prüfte die Endauswahl und ermittelte die Siegerregion. Siegerregion war die Vorpommersche Flusslandschaft mit der Kanureise „Auf dem Amazonas des Nordens“. <?page no="306"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 307 Siegerregion EDEN-Award 2010: Vorpommersche Flusslandschaft Die Vorpommersche Flusslandschaft erstreckt sich von der Ostseeküste bis zur Mecklenburgischen Seenplatte. Die Region mit dem Fluss Peene ist wegen ihrer Ursprünglichkeit und der Artenvielfalt als „Amazonas des Nordens“ bekannt und bietet eine einzigartige Flusslandschaft in Europa. Mit großer Achtung vor dem Wert der Naturreichtümer bemüht sich die Region mit ausgefeiltem Qualitätsmanagement darum, die eigene Umgebung zu schützen und gleichzeitig ihren Gästen einen unvergesslichen Aufenthalt zu ermöglichen. Abb. 12: Flusslandschaft Peene (Quelle: Büro für Medien und Tourismus, Incomingagentur Antje Enke) Durch zahlreiche Gästebefragungen und durch Tourbetreuer, die für das Wohlbefinden des Gastes verantwortlich sind, wird eine hohe Kundenzufriedenheit garantiert. Das Engagement lokaler Akteure äußert sich in zukunftweisenden Projekten wie Peenesolar (Einsatz von solarbetriebenen Elektromotoren) und MiLaN (Unternehmerverbund mit dem Ziel der Wiederbelebung und Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe, steigender Erwerbstätigkeit sowie Lebensqualität im ländlichen Raum: www.milaninfo.de) und treibt die nachhaltige Entwicklung der Region voran. Die achttägige Kanureise „Auf dem Amazonas des Nordens“ entlang der Peene garantiert ein Naturerlebnis der besonderen Art. Fernab von Straßenlärm und Massentourismus kann man mit dem Boot Niedermoore, Bruchwälder und Flussauen entdecken. Unterwegs erzählen Reste slawi- <?page no="307"?> 308 Nachhaltiger Tourismus scher Burgen, Dorfkirchen und Klosterruinen von der wechselvollen Geschichte des Landstrichs. Die Tour eignet sich sowohl für den erfahrenen Paddler als auch für Anfänger und Familien mit Kindern, da es keine Schleusen gibt und die Strömung sehr gering ist. Die Gäste bestimmen ihren Tagesplan selbst, ebenso wie die Art der Übernachtung (Zelt oder Hotel). Die An- und Abreise kann bequem per Bahn erfolgen; ein Transfer zum Fluss ist täglich möglich. (DTV/ BMU/ BfN 2010) Der Bundeswettbewerb Nachhaltige Tourismusregionen 2012/ 13 gilt als der bislang relevanteste und wirksamste Wettbewerb zu Nachhaltigkeit in deutschen Destinationen. Er wurde in gemeinsamer Initiative des Deutschen Tourismusverbandes (DTV), des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) sowie des Bundesamts für Naturschutz (BfN) ins Leben gerufen. Der Wettbewerb setzte sich zum Ziel, das Engagement der Tourismusverantwortlichen und der Unternehmen in den Destinationen für einen nachhaltigen und naturverträglichen Tourismus zu stärken und die besten bereits existierenden Initiativen einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Es wurden deutsche Tourismusregionen gesucht, die bereits ein beispielhaftes nachhaltiges Tourismusangebot entwickelt und umgesetzt haben. Dabei sollten diese nachhaltigen Tourismusregionen besonders effizient mit den natürlichen Ressourcen umgehen und sich dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt sowie dem Erhalt des kulturellen Erbes verpflichtet fühlen. Der Nachhaltigkeitsgedanke mit sämtlichen Aspekten sollte fest im Handeln der Tourismusregion verankert und bereits angewendet werden. Diese Destinationen sollten in der Lage sein, die Bedürfnisse der Gäste und der lokalen Bevölkerung mit denen des Natur- und Umweltschutzes zu verbinden und dabei parallel eine langfristig wirtschaftliche sowie sozial verträgliche Entwicklung anstreben. Die Beurteilung der Bewerberregionen erfolgte anhand eines Fragenkatalogs und auf der Grundlage eines Bewertungsschemas mit insgesamt 50 Indikatoren nach einer festgelegten Punktevergabe. Die fünf Bewerberregionen mit der höchsten Gesamtpunktzahl wurden von einer externen Expertenjury aus verschiedenen Institutionen besucht und erneut beurteilt. Abschließend erfolgte die Festlegung der Siegerregion. Mit einer Teilnehmerzahl von 34 Destinationen aus zwölf Bundesländern ist der Bundeswettbewerb Nachhaltige Tourismusregionen als wichtiger Impulsgeber für weitere Initiativen für einen nachhaltigen Tourismus in Deutschland einzustufen. <?page no="308"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 309 Siegerregion Bundeswettbewerb Nachhaltige Tourismusregionen 2012/ 13: Uckermark Als eines der am dünnsten besiedelten Gebiete Deutschlands bietet die Uckermark beste Bedingungen für Ruhe und Erholung. In der Uckermark steht das Erleben von Natur im Vordergrund. Über 60 % der Fläche sind als „Nationale Naturlandschaften“ geschützt. Abb. 13: Eselwandern in der Uckermark (Quelle: Tourismus Marketing Uckermark GmbH) Die Tourismus Marketing Uckermark GmbH setzt bei ihren Aktivitäten auf eine Vernetzung von touristischen Anbietern mit Nachhaltigkeitsbewusstsein. Die Initiative „Klimafreundliche Uckermark“ bündelt nachhaltig agierende Tourismusakteure in der Uckermark. Anhand konkreter Daten beweisen Anbieter, dass sie den Nachhaltigkeitsgedanken in ihrer Unternehmensphilosophie verankert haben. Dazu zählen bspw. Mitarbeiterschulungen zum Klimaschutz, die Nutzung von Ökostrom oder eine eigene Energieerzeugung, die Motivation der Gäste zu einer autofreien Anreise sowie die Verarbeitung regionaler Produkte und Lebensmittel. Ein weiteres Netz von Unternehmen bildet die Regionalmarke UCKERMARK, welche die Uckermark als starken Lebens-, Wirtschafts-, Kultur- und Naturraum präsentiert. <?page no="309"?> 310 Nachhaltiger Tourismus Zusätzlich zur Regionalmarke bestehen enge Kooperationen zwischen Akteuren des Tourismus und Naturschutzes. In Beiräten werden touristische Projekte abgestimmt und die Naturschutzbelange berücksichtigt. Dieser Schulterschluss schafft eine enge Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Interessengruppen und ermöglicht eine kooperative Ergebnisfindung. Die Uckermark setzt auf ein breit aufgestelltes Mobilitätskonzept. Das UckermarkShuttle verbindet die Städte und Dörfer der Uckermark. Die Mobilitätsangebote motivieren Gäste, auf das Auto zu verzichten und den Nahverkehr zu nutzen. Optimalerweise findet in diesem Sinne bereits eine An- und Abreise mit der Bahn, z.B. im Rahmen des Angebots „Fahrtziel Natur“, statt. Das Leuchtturm-Angebot „Eselwandern in der Uckermark“ bietet Entschleunigung und Naturnähe pur. Während einer dreitägigen Reise wird die Natur mit einem Esel als Begleiter erkundet. Die Touren beinhalten den Esel inklusive Tragegeschirr, Informationsmaterialien über die Route und Picknickutensilien. Auf einen Tourenführer wird hierbei bewusst verzichtet. Übernachtungen erfolgen in familiengeführten Unterkünften mit Halbpension und einer Verpflegung aus vorwiegend regionalen Speisen und Getränken. (DTV/ BMU/ BfN 2013) Zusammenfassung Auf Ebene der Destination ist die DMO die geeignete Organisation, um eine nachhaltige Tourismusentwicklung zu initiieren und zu gewährleisten, insbesondere wenn sie eine aktive strategische Steuerung der Destination wahrnimmt. DMO müssen durch ihre Kommunikations-, Koordinations- und Kooperationsaktivitäten zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen und die diesbezügliche Beteiligung und Zusammenarbeit der tourismusrelevanten Akteure in der Destination forcieren (Stakeholder-Partizipation). Handlungsfelder für eine nachhaltige Destinationsentwicklung sind alle Angebotsbausteine bzw. touristischen Leistungen der Destination sowie die An- und Abreise der Gäste. Bislang war Nachhaltigkeitsmanagement insbesondere auf Unternehmensebene angesiedelt. Mit einer erweiterten Aufgabenstruktur und Funktionserfüllung einer DMO nimmt auch die Erkenntnis zu, dass eine DMO <?page no="310"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 311 zentraler Impulsgeber für eine nachhaltige touristische Entwicklung sein kann. Die Komplexität des Destinationsgefüges (Vielzahl an touristischen Akteuren, diverse Interessen, Gebundenheit an öffentliche Fördermittel) erschwert eine Umsetzung von Nachhaltigkeit auf Destinationsebene. Nachhaltigkeit im Destinationsmanagement erfordert geeignete Indikatoren, um den Erfolg der Nachhaltigkeitsaktivitäten zu überprüfen und Benchmarks erstellen zu können. Sie sollten zu einer tatsächlichen Leistungsverbesserung im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung beitragen. Nachhaltigkeitsindikatoren sollten alle Handlungsfelder einer nachhaltigen Tourismusentwicklung abdecken und ökonomische, ökologische und soziokulturelle Handlungsfelder und den institutionellen Rahmen ausgewogen abbilden. Handhabbare Nachhaltigkeitszertifizierungen für Destinationen sind notwendig. Kriteriensets wie die der GSTC-D oder ETIS bilden die Grundlage für die sich in Deutschland und in anderen Ländern in der Diskussion befindlichen Zertifizierungsansätze. Nachhaltigkeitswettbewerbe motivieren und geben einen Überblick über bisher Erreichtes und helfen dabei, Best-Practice-Beispiele zu identifizieren. Ohne nachhaltige touristische Betriebe keine nachhaltige Destination: Die Förderung von Nachhaltigkeitsmanagement/ CSR in Betrieben ist unmittelbar mit einer nachhaltigen Destinationsentwicklung verbunden. Die DMO sollte hier als gutes Beispiel vorangehen und ein eigenes Nachhaltigkeitsmanagement einführen, um Legitimation bei Anbietern zu erhalten und Skepsis abzubauen. Der Nachhaltigkeitscheck von Baden-Württemberg übernimmt hier eine Vorreiterrolle im Hinblick auf die Verknüpfung von CSR-Management und nachhaltigem Destinationsmanagement. Fazit: Aktuell ist eine dynamische Entwicklung zu beobachten. Nachhaltigkeitszertifizierungen für Destinationen etablieren sich auf regionaler aber auch internationaler Ebene. Initiator sind diesmal nicht vor allem NGOs und Tourismuskritiker, sondern politische Instanzen und Tourismusverbände. Mit einer auf Nachhaltigkeit orientierten Destinationsstrategie erhofft man sich Wettbewerbsvorteile im immer globaler werdenden Tourismusmarkt und einen Innovationsschub vonseiten der touristischen Anbieter. Nachfragetrends bestätigen ein Bedürfnis nach klaren nachhaltig ausgerichteten Angeboten. <?page no="311"?> 312 Nachhaltiger Tourismus Literatur ADAC (1991): Mehr wissen - mehr handeln: Bausteine für eine umweltverträgliche Tourismusentwicklung. München. Baumgartner, C. (2000): Nachhaltigkeit im Österreichischen Tourismus. Grundlagen und Bestandaufnahme. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (Hrsg.). Wien. Baumgartner, C., Röhrer, C. (1998): Nachhaltigkeit im Tourismus: Umsetzungsperspektiven auf regionaler Ebene. Wien. Becher, M. (2007): Entwicklung eines Kennzahlensystems zur Vermarktung touristischer Destinationen, Wiesbaden. Becker, Chr. (2006): Neuere Überlegungen zur Abgrenzung von Destinationen: Die Faktoren zum Bestimmen von Destinationen, in: Becker, Chr. / Quack, H.-D. (2006) (Hrsg.): Ansätze und Erfahrungen im Destinationsmanagement, Trier. Becker, Chr., Quack, H.-D. (2006): Ansätze und Erfahrungen im Destinationsmanagement, Trier. Beritelli, P., Laesser, C., Reinhold, S., Kappler, A. (2013): Das St. Galler Modell für Destinationsmanagement. Geschäftsfeldinnovationen in Netzwerken. St. Gallen. Bieger, T. (2008): Management von Destinationen. München. Bieger, T., Bieger, T., Bertelli, P. (2013): Management von Destinationen. München. Branwell, B., Lane, B. (2012): Critical research on the governance of tourism and sustainability. In Bramwell, B., Lane, B. (Hrsg.), Tourism Governance - Critical Perspectives on Governance and Sustainability, S. 1-11. London, New York. Bratl, H., Schmidt, F. (1998): Destination Management: Ein Weg für starke Tourismusregionen mit dem Mut wie „ein Unternehmen“ zu werden, Wien. BTE Tourismus- und Regionalberatung (2011): Organisation des Tourismus in der Destination Sächsisches Burgen- und Heideland. Unveröffentlichte Studie. Berlin. Bundesumweltministerium (2007): Nachhaltigkeitsberichterstattung: Empfehlungen für eine gute Unternehmenspraxis. Berlin. Bundesumweltministerium, Bundesamt für Naturschutz, Deutscher Tourismusverband (2010): EDEN-Award. Abgerufen am 01.08.2010 von www.deutschertourismusverband.de Ceron, J.-P., Dubois, G. (2003): Tourism and Sustainable Development Indicators: The Gap between Theoretical Demands and Practical Achievements. Current Issues in Tourism , 6 (1), S. 54-75. Comploi, K. (2010): Fünf Nachhaltigkeitssterne für Tourismusdestinationen? Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart und deren Implikationen für die zukünftige Entwicklung eines regionalen Nachhaltigkeits Labels. Dissertation an der Universität für Bodenkultur Wien, Wien. <?page no="312"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 313 Deutscher Tourismusverband e.V. (2012): Bundeswettbewerb Nachhaltige Tourismusregionen - Überblick. Abgerufen am 22. März 2013 von http: / / www.bundeswettbewerb-tourismusregionen.de/ wettbewerb/ ueberblick Eisenstein, B. (2010): Grundlagen des Destinationsmanagements. München. Europäische Kommission (2013): European Tourism Indicator System. Toolkit For Sustainable Destinations. Luxemburg. Europäische Kommission (2013): European Tourism Indicator System. Toolkit for Sustainable Destinations. Luxemburg. Europarc (2014): http: / / www.europarc.org/ home/ (aufgerufen am 08. 20 2014) F.U.R Reiseanalyse (2013): Erste Ausgewählte Ergebnisse der 43. Reiseanalyse zur ITB 2013. Berlin. Freyer, W., Dreyer, A. (2004): Qualitätszeichen im Tourismus - Begriife und Typen. In: Weiermair, K., Pikkemaat, B. (2004): Qualitätszeichen im Tourismus (Hrsg.). Berlin. Fuchs, M., Peters, M., Weiermair, K. (2002): Tourism Sustainability Through Destination Benchmarking Indicator Systems: The Case of Alpine Tourism. Tourism Recreation Research , 27 (3), S. 21-33. Global Sustainable Tourism Council (2013): Global Sustainable Tourism Criteria for Destinations (GSTC-D). Online unter: http: / / www.gstcouncil.org. Haederich, G. (1998): Destination Marketing - Überlegungen zur Abgrenzung, Positionierung und Profilierung von Destinationen. In: Zeitschrift für Fremdenverkehr 53, Nr. 4, S. 6-12. Hall, C. (2012): A typology of governance and its implication for tourism policy analysis. In Bramwell, B, Lane, B. (Hrsg.). London, New York. Hoffmann, F., Wulff, J., Dorsch, P. (2006): Nachhaltiger Tourismus - Informiert mit System. Ergebnisse eines Modellprojektes in der Prignitz. In: Fachbeiträge des Landesumweltamtes, Titelreihe, Heft-Nr. 102. Potsdam. Honey, M. (2002): Ecotourism and certification: setting standards in practice. Washington. Hopfenbeck, W., Zimmer, P. (1993): Umweltorientiertes Tourismusmanagement: Strategien, Checklisten, Fallstudien. Landsberg/ Lech. Kirstges, T. (2003): Sanfter Tourismus: Chancen und Risiken der Realisierung eines ökologieorientierten und sozialverträglichen Tourismus durch deutsche Reiseveranstalter. München. Liepach, K., Sixt, J. (2003): Kommunale Nachhaltigkeitsindikatoren. Wuppertal: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH. Luft, H. (2007): Destination Management in Theorie und Praxis. Organisation und Vermarktung von Tourismusorten und Tourismusregionen. Meßkirch. <?page no="313"?> 314 Nachhaltiger Tourismus OECD (2002): Sustainable Development Strategies - A Resource Book. Earthscan Publications Ltd. Rein, H., Strasdas, W., Zeppenfeld, R., Balas, M. (2012): DSFT-Seminarreihe CSR in Destinationen. Berlin. Saraph, J. V., Benson, P. G., Schroeder, R. G. (1998): An Instrument for Measuring the Critical Factors of Quality Management. Decision Sciences , 20 (4). Schuler, A.; Rein, H. (2011): Die Bedeutung von Fremd- und Eigenwahrnehmung der Bekanntheit von Tourismusregionen im Destinationsentwicklungsprozess. In: Gronau, W. (Hrsg.): Zukunftsfähiger Tourismus - Innovation und Kooperation. Studien zur Freizeit- und Tourismusforschung, Bd. 6 Mannheim 2011, S. 173-186. Seiler, B. (1989): Kennziffern einer harmonischen Entwicklung. Sanfter Tourismus in Zahlen. Berner Studien zu Freizeit und Entwicklung. Bern. Steinecke, A. (2013): Destinationsmanagement. München. Strasdas, W. (2011): Ressourcenverbrauch im Tourismus - Beherbergung und Gastronomie. Vorlesungsmaterial. Modul: Tourismus, Umwelt und Gesellschaft. Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Eberswalde Strasdas, W., Zeppenfeld, R. (2008): Nachhaltiger Tourismus. Studienbrief EZ0900. Fernstudium Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit. Technische Universität Kaiserslautern. Kaiserslautern. Thiem (1994): Tourismus und kulturelle Identität. Bern/ Hamburg. Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.) (2001): Indikatoren für die Entwicklung von nachhaltigem Tourismus im Ostseeraum. Autoren: Danielsen, J.; Günther, W.; Koch, A.; Lohmann, M.; Schumacher, M.; Sonntag, U.; Volmert, E.; Ziesemer, K., UBA Texte 67/ 01. Dessau. UNFCED (1992): Rio Declaration on Environment and Development - Annex I. Rio de Janeiro. United Nations Environment Programme (UNEP), World Tourism Organization (UNWTO) (2005): Making Tourism More Sustainable: A Guide for Policy Makers. Abgerufen am 20.08.2014 von http: / / www.unep.fr/ shared/ publications/ pdf/ DTIx0592xPA- TourismPolicyEN.pdf Viegas, A. 1998: Ökomanagement im Tourismus. München. Weiermair , K., Pikkemaat, B. (Hrsg.) (2004): Qualitätszeichen im Tourismus. Berlin. Zahra, A. (2012): Rethinking regional tourism governance: the principal of subsidiarity. In: Bramwell, B., Lane, B. (Hrsg.): Tourism Governance - Critical Perspectives on Governance and Sustainability, S. 125-142. <?page no="314"?> 3.3 Institutionelle Nachhaltigkeit des Tourismus von Dr. Alexander Schuler Lernziele In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Was bedeutet Institution und institutionelle Nachhaltigkeit? Welche Rolle spielt die Tourismuspolitik? Stakeholder: Wer sind sie und welche Rolle haben sie? Was bedeutet institutionelle Nachhaltigkeit für die Organisation und das Management einer Destination und Destinationsmanagement- Organisation (DMO)? Eine nähere Betrachtung der aktuellen Fachliteratur und zahlreicher Handlungsleitfäden auf regionaler, Landes-, Bundes- und internationaler Ebene zeigt sehr schnell: So richtig eindeutig wird mit dem Begriff Institutionelle Nachhaltigkeit im Tourismus nicht umgegangen: Manchmal ist damit eine eigene Dimension des Nachhaltigen Tourismus gemeint (neben ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Nachhaltigkeit). Manchmal wird die institutionelle Nachhaltigkeit als Rahmenbedingung oder Fundament der drei Dimensionen betrachtet (STRASDAS 2011: 37). Manchmal wird, anstatt von institutioneller Nachhaltigkeit, von der Dimension der „Politik“ im Nachhaltigen Tourismus gesprochen (RITCHIE/ CROUCH 2003), aber es ist quasi dasselbe gemeint. Schließlich wird in der praktischen Anwendung des theoretischen Konstruktes des Nachhaltigen Tourismus nicht mehr von den drei Dimensionen, sondern von fünf Säulen als Kernthemen eines Nachhaltigen Tourismus gesprochen (UNWTO 2013). Dabei wird die erste Säule als ‚ Tourismuspolitik und Governance‘ überschrieben. 27 27 Die anderen vier Säulen sind: (2) Economic performance investment and competiveness, (3) Employment, decent work and human capital, (4) Poverty reduction and social inclusion, (5) Sustainability of the natural and cultural environment, wobei auch hier die Säule 1 als grundlegende Säule zu betrachten ist und alle zwölf Ziele eines Nachhaltigen Tourismus adressiert (UNWTO 2013: 22). <?page no="315"?> 316 Nachhaltiger Tourismus Insbesondere die aktuelle Sichtweise der UNWTO (2013) hinsichtlich der fünf Säulen macht Folgendes in Bezug auf eine institutionelle Nachhaltigkeit im Tourismus deutlich. Sie betrachtet: die Anerkennung des Tourismus in den Politiken einer nachhaltigen Entwicklung, das Vorhandensein und die Implementierung einer Tourismusstrategie unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsprinzipien, die Governancestrukturen des Tourismus und deren Schnittstellen zu anderen Fachbereichen (interministerielle Zusammenarbeit) und das Vorhandensein von Strukturen und Mechanismen zur Partizipation der verschiedenen Interessengruppen (Bevölkerung, öffentliche und private Tourismusorganisationen etc., vgl. Ausführungen zu Stakeholder unten). Institutionelle Nachhaltigkeit ist deshalb vielschichtig. Aus dieser Problemstellung erwächst das Bedürfnis, im nachfolgenden Fachbeitrag ein wenig „Licht ins Dunkel“ zu bringen und damit einen klärenden Überblick zu liefern. 3.3.1 Begriffsklärung: Was sind Institutionen? Wenn von institutioneller Nachhaltigkeit im Tourismus gesprochen wird, sollte zunächst der Begriff der Institution geklärt werden. Weder die Agenda 21 noch die institutionellen Indikatoren der Kommission für Nachhaltige Entwicklung (UN 1996) noch der bereits zitierte Handlungsleitfaden der UNWTO (2013) definieren den Begriff der Institution. Institutionen sind mehr als Organisationen (PHAHL 2005). Sie sind umfassender zu betrachten und beziehen auch soziale Normen und Regeln mit ein. So definiert KEOHANE et al. (1993: 4) Institutionalisierung als: Definition Institutionalisierung „persistent and connected sets of rules and practices that prescribe behavioural roles, constrain activity and shape expectations. They may take the form of bureaucratic organisations, regimes (rule-structures that do not necessarily have organisations attached), or conventions (informal practices).“ <?page no="316"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 317 Nach dieser Definition ist es möglich, eine gewisse organisatorische Hierarchie der Institutionalisierung aufzustellen (PHAHL 2005: 83): „Organisationen (Rechtspersönlichkeit), Regelsystem (verbindende Zusammenstellung an Regeln, Übereinkünften in speziellen Themengebieten), Mechanismen, soziale Normen, Traditionen (informelle Regeln, Eigentums-/ Schutzrechte, Werte, normative Orientierung).“ So gesehen kann die Spannbreite einer engen Sicht auf Institutionen im Sinne der Organisationen und einer weiten Sicht im Sinne der eher informellen Regeln und Normen betrachtet werden. Institutionelle Nachhaltigkeit berührt nach der engen bis weiten Sichtweise nachfolgende Betrachtungsebenen, die auch die weitere Strukturierung dieses Artikels darstellen: Nachhaltiger Tourismus als Bestandteil der Tourismus- und Unternehmenspolitik, Tourismus- und Unternehmensstrategien und legislative Regelungen, Stakeholderpartizipation an Entscheidungsprozessen und Ausgleich an Interessen, institutionelle Nachhaltigkeit und Destination Governance und organisatorische Strukturierung einer DMO im Sinne der Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. 3.3.2 Nachhaltiger Tourismus als Bestandteil der Tourismus- und Unternehmenspolitik Nachhaltiger Tourismus als Bestandteil der politischen Leitlinien Tourismus ist in vielen Ländern ein wichtiger, manchmal der wichtigste, Wirtschaftsfaktor. Er beeinflusst die ökonomische und soziale Entwicklung eines Landes. Insbesondere in den LDCs (Least Developed Countries) und anderen Entwicklungsländern kann der Sektor als Treiber und Instrument für die Entwicklung betrachtet werden (UNDP 2011). Diese Bedeutung sollte sich demnach auch in den nationalen Entwicklungszielen des betreffenden Landes unter Beachtung der Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung wiederfinden. Diese werden definiert als: <?page no="317"?> 318 Nachhaltiger Tourismus Definition Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung „tourism that takes full account of its current and future economic, social and environmental impacts, addressing the needs of visitors, the industry, the environment and host communities“. (UNWTO 2013: 47) Darüber hinaus sollten auch die Handlungsfelder und Richtlinien der verschiedenen Ministerien innerhalb der Regierung dies berücksichtigen. Der Tourismus als Querschnittsdisziplin berührt nicht nur die Wirtschaftspolitik, sondern auch z.B. die Infrastruktur-, Arbeits- und Außenpolitik. Je mehr sich die Ministerien der Bedeutung des Tourismus in ihrem Interessenfeld bewusst sind, desto stärker fällt zumeist auch die Unterstützung für den Tourismus im jeweiligen Land aus. Internationale Organisationen wie die Welttourismusorganisation UNWTO oder die UNDP können die Länder in der Bereitstellung von Marktforschungsinformationen unterstützen, um die jeweilige Bedeutung zu ermitteln. Innerhalb der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland sind in erster Linie das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) für Fragen der nachhaltigen Tourismusentwicklung zuständig. Untergeordnete Behörden, aber auch weitere Ministerien beschäftigen sich jeweils mit Teilbereichen der Tourismuspolitik. Auf Bundesebene bestimmt der Vollausschuss für Tourismus des Deutschen Bundestages die Politik der Bundesregierung mit. Die Mitgliedstaaten der UNWTO haben auf ihrer Generalversammlung 1999 den Globalen Ethikkodex für Tourismus beschlossen. Der Kodex stellt in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Vereinten Nationen Regeln für einen vernünftigen und positiv ausgerichteten Tourismus auf. Sie richten sich sowohl an Regierungen, an die Tourismuswirtschaften und Gastländer als auch an die Reisenden selbst. Die Bundesregierung Deutschland bekennt sich zum Globalen Ethikkodex und ermutigt alle Akteure im Tourismus, die Grundsätze des Kodex in ihrer Arbeit zu berücksichtigen. Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) und der Deutsche ReiseVerband (DRV) sowie führende Reiseveranstalter und Fluggesellschaften haben 2012 den Globalen Ethikkodex für Tourismus unterschrieben. Schwerpunkte des Kodex sind u.a. (BMWI 2014): „der Beitrag des Tourismus zum gegenseitigen Verständnis und Respekt zwischen Völkern und Gesellschaften, die Nutzung des Tourismus als Faktor für eine nachhaltige Entwicklung, die Verbindung von Tourismus und Kulturerbe der Menschheit und dessen Pflege, <?page no="318"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 319 Tourismus als Aktivität, die für das Gastland und seine Bevölkerungsgruppen förderlich ist, die Pflichten der an der touristischen Entwicklung beteiligten Akteure, die Umsetzung des Rechts auf Tourismus, touristische Freizügigkeit und Teilhabe aller am Tourismus, die Rechte der Beschäftigten und Unternehmer in der Tourismusindustrie.“ Darüber hinaus unterstützen viele Industrieländer - wie auch Deutschland - die Entwicklungsländer über spezielle Budgets und Projekte in einer nachhaltigen Tourismusentwicklung. Für die Umsetzung der Projekte werden Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH oder der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) beauftragt. Neben der Bedeutung des Tourismus in Entwicklungsländern als Zielgebiete spielt auch die Tourismuspolitik in den Quellmärkten eine wichtige Rolle. Für die Sensibilisierung der Touristen zeichnen sich vielfach Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verantwortlich, wie die Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung (ECPAT). Im Herbst 2010 hat bspw. Deutschland gemeinsam mit Österreich und der Schweiz eine trilaterale Kampagne gestartet, die den Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus weiter intensiviert. Das Engagement der Tourismusbranche wird in dem Verhaltenskodex zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung im Tourismus (Code of Conduct) dokumentiert. Nachhaltiger Tourismus als Bestandteil der Unternehmenspolitik Viele Unternehmen sehen seit jeher neben ihrer ökonomischen auch eine soziale oder gesellschaftliche Verantwortung für ihren Betrieb. Siehe hierzu auch den Globalen Ethikkodex für Tourismus in Kap. 3.1. Hier greift der CSR-Ansatz. Der Begriff CSR bedeutet Corporate Social Responsibility und beschreibt die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt sowie den freiwilligen Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung. Dazu müssen die Unternehmen - als Selbstverpflichtung, über die gesetzlichen Forderungen (Compliance) hinaus - soziale (Arbeitsplatzgestaltung, Human- Ressource-Management) und ökologische Anforderungen (Umwelt) in ihrem Kerngeschäft erfüllen sowie Aussagen zum Austausch mit den relevanten Anspruchs- und Interessengruppen (Stakeholdern) machen. Um Dopplungen zu vermeiden, wird an dieser Stelle auf den ausführlichen Artikel zu diesem Thema in dieser Publikation verwiesen (vgl. CSR: Kapitel 3.1 und vgl. Zertifizierungen/ Labels: Kapitel 3.1.4). <?page no="319"?> 320 Nachhaltiger Tourismus Tourismus- und Unternehmensstrategien sowie Förderinstrumente Eine Tourismusstrategie übersetzt die Tourismuspolitik eines Landes, einer Region oder die Unternehmenspolitik eines Unternehmens in Handlungen und Maßnahmen zur Verfolgung der tourismuspolitischen Zielstellungen. In der Regel sind diese mit Strategie, Konzept oder Masterplan überschrieben und beinhalten folgende Gliederung: Analyse, Ziele, Strategie und Maßnahmen sowie Controllinginstrumente. In Deutschland haben bspw. zahlreiche Bundesländer bereits die Nachhaltigkeit als eine Zielsetzung in ihre Tourismusstrategien und Masterpläne übernommen. Dies liegt u.a. daran, dass sie sich auch weiterhin europäische Fördermittel von der Europäischen Union (EU) zur Entwicklung ihrer Tourismusregionen und Klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) erhoffen. Auch die EU fördert nämlich bestimmte Regionen, Städte und die Realwirtschaft in den Mitgliedsländern. Als zentrales Investitionsinstrument der EU werden zur Verwirklichung der Europa-2020-Ziele, wie Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen, Bekämpfung des Klimawandels und der Energieabhängigkeit sowie Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung, in der aktuellen Förderperiode 2014-2020 bis zu 960 Mrd. Euro investiert. Tourismus und Nachhaltigkeit sind als Querschnittsthemen in diversen transnationalen Kooperationsprogrammen enthalten, auf die die Tourismusstrategien der Bundeländer mit der expliziten Benennung der Nachhaltigkeit in der Landestourismusstrategie abzielen. Hier einige Beispiele: Forschungsprogramm „Horizont 2020“: u.a. Machbarkeitsstudien für ressourcenschonende, klimafreundliche Lösungen für KMU (z.B. Hotels, Modellierung von Kulturerbe). Programm zur Förderung des kulturellen Austausches „Creative Europe“. Denkbar bspw.: europaweiter Künstleraustausch als Angebotsbaustein für kulturtouristisch geprägte Destinationen oder die Förderung von Kulturstraßen. Programm „Life+“ fokussiert auf Natur und Biodiversität. Ein vorheriges Projekt war z.B. „Naturparke in Europa: Charta für nachhaltigen Tourismus“. Neben der Betrachtung des Tourismus als Querschnittsthema und einer eher impliziten Nennung, wird der nachhaltige Tourismus aber auch explizit als zentrales Thema benannt und zwar im Programm „COSME“. „COSME“ soll die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen steigern. Dafür wird der Zugang von KMU zu Finanzmitteln und zu Märkten innerhalb sowie außerhalb der EU erleichtert. Vorherige Projekte umfassten bspw. Pilotprojekte und vorbereitende Maßnahmen wie die European Destinations of Excellence (EDEN, Wettbewerb <?page no="320"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 321 nachhaltiger Destinationen) und das Netzwerk European Network of Accessible Tourism (ENAT, Netzwerk für barrierefreien Tourismus). Der Verankerung der Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung in den Leitlinien der verschiedenen Politikfelder inkl. des Tourismus sollten bestimmte Gesetzgebungen und andere Maßnahmen und Instrumente folgen. Nachfolgend werden einige Beispiele mit direktem oder indirektem Bezug zum Tourismus genannt: Aufbau, Entwicklung und Förderung von Tourismusorganisationen Visaregelungen und Sicherheitsbestimmungen Förderung der Ausweisung und Erhalt von Schutzgebieten gezielte Strukturförderung: z.B. touristische Infrastrukturen oder KMU Flugbenzinbesteuerung Mehrwertsteuerregelung Praxisbeispiel: Vision 2020 und Tourismusstrategie von Marokko Marokko hat sich in seiner aktuellen Vision und Tourismusstrategie fünf Ziele gesetzt (vgl. ROUDIES 2013): [1] Building on the achievements of Vision 2010 [2] Moving forward to a more integrated form of territorial improvement [3] Making the most of the county’s great variety of ressources by responding to the demands ot the most promising markets [4] Remedying the industry’s persistent structural weaknesses [5] Putting sustainable development at the heart of our strategy. Mit der Vision 2020 wird der Wunsch verbunden, ein Tourismusmodell zu entwickeln, in dem ein nachhaltiges Wachstum mit einem verantwortlichen Schutz der Umwelt und dem Respekt für ein authentisches soziales und kulturelles Leben verbunden wird. Das Gerüst zur Umsetzung der Vision besteht aus drei Säulen: Politik und Handlungsweisen zur Verbesserung des touristischen Angebotes und der Gästeansprache: Dies beinhaltet u.a. die Bildung von acht regionalen Destinationen und ein Programm zur Förderung einer differenzierten Produktpalette. Nachhaltige Entwicklung als Wettbewerbsvorteil: Ziel Marokkos ist es, die sich noch in der Entwicklung befindliche Destination von Anbeginn nachhaltig aufzubauen. Hierfür sollen der Reichtum an natürlichen und kulturellen Ressourcen ökonomisch in Wert gesetzt werden. Gleichzeitig geht es darum, diese Ressourcen zu schützen und <?page no="321"?> 322 Nachhaltiger Tourismus deren Erschließung in einer sozialen und ökologischen Weise zu garantieren. Analysen und Instrumente für jede regionale Destination sollen dies unterstützen. Verstärkte Institutionalisierung der Nachhaltigkeit: Entwicklung und Einsatz spezieller Indikatoren und Instrumente zur Evaluierung der nachhaltigen touristischen Entwicklung. Den Instrumenten hinterlegt sind wiederum Regeln und Normen orientiert an den Prinzipien und Zielen eines nachhaltigen Tourismus. Speziell dem Ökotourismus, verstanden als nachhaltiger Tourismus in Schutzgebieten, wird in der Vision und der Tourismusstrategie eine hervorgehobene Bedeutung zugeschrieben. Marokko verfügt über zehn Nationalparke und 160 Standorte von besonderer ökologischer und biologischer Bedeutung. 3.3.3 Stakeholder: Funktion und Management Der Tourismus als Querschnittsdisziplin ist ein komplexer Wirtschaftssektor. Entsprechend viele Akteure sind daran beteiligt. Gerade in der internationalen Literatur wird von „Stakeholdern“ gesprochen anstatt von Akteuren oder Interessengruppen. Dies liegt daran, dass die zuletzt genannten in der Übersetzung vom Englischen ins Deutsche nicht so gut die umfassendere Bezeichnung der Stakeholder treffen. Nachfolgend wird deshalb - auch weil in der englischen Literatur immer von diesen gesprochen wird - der Begriff der Stakeholder eingeführt und erläutert im Kontext der institutionellen Nachhaltigkeit und des nachhaltigen Managements von Destinationen. Stakeholder werden seit FREEMAN (1984: 46) definiert als Definition Stakeholder „any group or individual who can affect or is affected by the achievement of the organizations objectives.“ Ein erfolgreiches Stakeholder-Management besteht nach DE LOPEZ (2001 In: BYRD 2007: 7) darin, das Verhalten und Handeln der Akteure sowie die unterschiedlichen Strategien der Akteure zu verstehen und vorherzusagen und ethisch wie effektiv damit umzugehen. Im Kontext der Nachhaltigkeitsagenda werden oftmals auch Aspekte der Ethik berührt. An dieser Stelle kann nur für weiterführende Recherchen auf den Global Code of Ethics for Tourism (UNWTO, 1999) verwiesen werden (siehe auch Kap. 3.1). <?page no="322"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 323 Der konsensorientierte Umgang und das Management der Stakeholder hat nach BRAMWELL/ SHARMAN (1999: 392 f.) folgende drei potenzielle Vorteile: „Zum einen könnten die Kosten für zu lösende Konflikte zwischen den „Stakeholdern“ eingespart werden. Zum zweiten würde es gemeinsame Aktionen legitimieren, wenn die Stakeholder in die Entscheidungsprozesse integriert wären, die auch ihre Aktivitäten mit betreffen. Zum dritten könnte der Wille zur Kooperation auch die Koordination der Instrumente und der damit verbundenen Aktivitäten verbessern.“ Dieser partizipative Bottom-up-Ansatz benötigt oftmals jedoch auch seine Zeit. Sollten die Entscheidungsprozesse zu lange dauern und deshalb eine spätere Implementierung erschweren oder behindern, ist der Erfolg gleichfalls infrage zu stellen (vgl. BYRD 2007, S. 8). Die Stakeholder müssen deshalb die Vorteile in der Entwicklung einer kooperativen Identität und gemeinsamen strategischen Orientierung erkennen (vgl. JAMAL/ GETZ 1995: 187). Vor allem die privaten Stakeholder benötigen messbare Ziele, an denen sie sich orientieren können. DE LOPEZ (2001) erklärt, dass: Definition Stakeholdermanagement „stakeholder management essentially consists of understanding and predicting the behavior and actions of stakeholders and devising strategies to ethically and effectively deal with them.“ (zitiert nach BYRD 2007: 7) Stakeholder-Partizipation muss demnach fair sein. Jedoch ist zu bedenken, dass Fairness zwar wichtig ist, jedoch muss die Effizienz für die erfolgreiche Umsetzung oder strategische Entwicklung ebenfalls berücksichtigt werden. Sollten die Entscheidungsprozesse und Verhandlungen zu lange dauern oder zu viele Ressourcen (finanzieller oder personeller Art) verschlingen, ist der Prozess als nicht erfolgreich zu bewerten (vgl. BYRD 2007: 8). Aus diesem Grund sind Abwägungsprozesse und -entscheidungen notwendig. Für diesen Abwägungsprozess liefern Donaldson & Preston (vgl. BYRD 2007: 7) verschiedene Prämissen, um die Auswirkungen auf den Prozess der Entwicklung und Umsetzung von Angeboten zu berücksichtigen: „Die Öffentlichkeit ist informiert und unterrichtet über Fragestellungen und Themen. Öffentliche Werte und Meinungen werden in den Meinungsprozess aufgenommen. <?page no="323"?> 324 Nachhaltiger Tourismus Die Qualität und Rechtmäßigkeit/ Zustimmung der Entscheidungen wird erhöht. Neue Ideen werden generiert. Es kommt zu einer Steigerung des Vertrauens zwischen allen Parteien als auch einer Reduktion von Konflikten und Klagen/ Gerichtsverfahren. Einen vermehrt effektiven Prozess hinsichtlich der Kosten. Die Beförderung/ Unterstützung von geteilter Verantwortlichkeit.“ Das grundlegende Verständnis besteht darin, dass durch das kooperative Management sowie durch gemeinsame organisatorische und vermarktungstechnische Aktivitäten in der Destination die Effektivität verbessert werden kann und hiervon jeder einzelne Stakeholder profitiert (vgl. BAGGIO et al. 2010: 51). Die Zusammenarbeit der KMU untereinander hat somit den Vorteil, dass die eigene Marktposition zusammen mit den Kooperationspartnern verbessert werden kann, ohne die Selbständigkeit aufgeben zu müssen (siehe PECHLANER 2003). In das strategische Management sind vor allem die tragenden Stakeholder (Leitbetriebe) einzubinden, um dem Problem der divergierenden und gegensätzlichen Interessenlagen entgegenzuwirken (vgl. JAMAL/ GETZ 1995: 191). Die Meinung der Hauptakteure hat in der Destination „Gewicht“. Sind diese in die strategische Planung und Umsetzung involviert und tragen die Entscheidungen und Maßnahmen mit, können sie als Multiplikatoren dienen und die Vielzahl der Meinungen und Interessen einfangen. BAUMGARTNER (2008) ist der Auffassung, dass die Partizipation und Selbstorganisation der Stakeholder die Organisation und Realisierung touristischer Planungen und Entscheidungen erleichtert. Gleichfalls hilft die Partizipation in der Reduzierung der Politikverdrossenheit. Er benennt folgende mögliche Maßnahmen (2008: 159 f.): Einrichtung beratender Foren (Runde Tische, Arbeitskreise, Ausschüsse etc.) zur direkten Politikberatung: Ausgestaltung der Gremien und Besetzung orientieren sich an einer konkreten Aufgabenstellung. Lokale Agenda 21: Möglichkeit der Regionalpolitik über Bereitstellung von Räumlichkeiten und Informationen sowie des bekennenden Willens der Umsetzung der Ergebnisse, die Bevölkerung für eine Beteiligung an regionalen Entwicklungsprozessen zu gewinnen. Institutionalisierte Beteiligungsverfahren: Planungszellen, Runde Tische, Bürgergutachten als Instrumente zur Beteiligung der Bevölkerung an touristischen Planungsprozessen. <?page no="324"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 325 Selbstverpflichtungen der Tourismuswirtschaft: Neben der Möglichkeit der Klassifizierung oder Zertifizierung mit touristischen Gütesiegeln (vgl. Kapitel 3.1.4) besteht die Möglichkeit der Selbstverpflichtung von Unternehmen wie Branchenvereinbarungen oder Selbstbeschränkungen mit Mindeststandards. (Siehe hierzu auch den Artikel zur Corporate Social Responsibility (CSR) in dieser Publikation (vgl. Kapitel 3.1).) Die UNWTO (2013) bietet in ihrem Handlungsleitfaden eine aktuelle und umfassende Übersicht über die verschiedenen Stakeholder und ihrer Rolle für die Umsetzung eines nachhaltigen Tourismus (vgl. Tab. 1). Stakeholder type Role in delivering sustainable tourism International development assistance agencies Multilateral agencies and programmes Bilateral agencies Integrating tourism in development policies and agreements Financial and technical assistance to sustainable tourism and individual programmes and projects National Government Tourism Ministry Other Ministries Tourism agencies, e.g. Tourist Board Other government delivery agencies Resource management bodies e.g. National Parks Service Tourism policy and strategy development and implementation Relating tourism to wider policies and strategies Legislation, standards and regulation relating to the sector Infrastructure planning and development Resource management Communication, information and marketing Local Government and destination bodies Regional government Local authorities e.g. District Councils Destination management organisations, e.g. public-private Local strategic direction and planning Implementation of policy and regulations Local infrastructure development and management Stakeholder engagement, coordination and support Private sector businesses Tourism trade associations, national and local Tourism service providers. e.g. hotel businesses Tour operators - international and incoming Suppliers to the sector, e.g. food producers Investors - international and domestic Representation of, and influence on, the tourism sector Operation of tourism services Link to domestic and international markets Product development, investment and improvement Employment creation and generating local income <?page no="325"?> 326 Nachhaltiger Tourismus Reflecting economic, social and environmental sustainability issues in development and operations Employees and related bodies Labour unions Individual workers in the sector Representing interests of employees Human resources planning and development Provision of a reliable service in return for income NGOs - International, national and local Sustainable development NGOs Environment, conservation and cultural NGOs Social and community NGOs Representing different stakeholder interests Engaging in strategic planning and development Stakeholder coordination and supporting implementation Capacity building and provision of expertise Education and training bodies Universities, colleges and teaching bodies Research institutions Technical experts and advisory bodies Knowledge gathering and dissemination Supporting policy and strategy development Capacity building and training Specific advice and expertise Local community Community councils and representative bodies Traditional structures - e.g. tribal chiefs/ bodies Organised groups, e.g. women, youth Local formal and informal traders Individual households Engaging in planning and decisions on tourism at a local level Representing and communicating local community interests Pursuing equitable benefit sharing within communities Interacting with tourists to mutual benefit Receiving income from tourist spending Consumers/ tourists Individual tourists Consumer networks, clubs and societies Travel media and social media users Providing the main source of income to the sector Behaving responsibly towards the environment and local communities in travel choice and actions Communicating information and opinions on destinations and sustainability issues accurately and fairly Tab. 1: Stakeholder und ihre Rolle für die Umsetzung eines nachhaltigen Tourismus (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an UNWTO 2013: 19 f.) <?page no="326"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 327 3.3.4 Institutionelle Nachhaltigkeit und Destination Governance Die Koordination und das Management der Stakeholder in der Destination und in der Zusammenarbeit mit der Destinationsmanagement-Organisation (DMO) erfordert geeignete Strategien und Instrumente. Hier setzt der Ansatz der Destination Governance an, welcher inhaltlich auf dem Stakeholder-Ansatz aufbaut. BERITELLI et al. (2007: 96) definieren Destination Governance wie folgt: Definition Destination Governance „the concept of governance applied to tourist destinations consists of setting and developing rules and mechanisms for a policy, as well as business strategies, by involving all the institutions and individuals.“ Ersichtlich wird, dass auch hier die Rede ist von Regeln, Mechanismen und Instrumenten wie auch Institutionen. Auf diese geht RAICH (2006: 199) in ihrer Definition näher ein, indem sie die Governance von Destinationen betrachtet als: Definition Destination Governance „Kombination von öffentlicher Steuerung und privater Selbstorganisation, wobei es einen regen Austausch zwischen diesen beiden Formen braucht und eine gegenseitige Beeinflussung sowie Befruchtung als möglich erachtet wird.“ RAICH unterscheidet demnach zwischen Aufgaben im institutionellen Kontext und der Selbstverantwortung der Akteure einer Destination. Es stellt sich die Frage, wann öffentliche Steuerung notwendig ist und wie sich die Stakeholder der Destination selbst organisieren können. Dies ist von Fall zu Fall unterschiedlich und im Kontext der Rahmenbedingungen einer jeden Destination zu entscheiden. Weiterführende Lesetipps BERITELLI et al. (2007): Destination Governance: Using Corportate Governance Theories as a Foundation for Effektive Destination Management. Journal of Travel Research. Überblick zum Thema, den dahinter liegenden Theorien und Unterscheidung zwischen integrierten und kommunalbasierten Destinationen. <?page no="327"?> 328 Nachhaltiger Tourismus RAICH (2006): Governance räumlicher Wettbewerbseinheiten: Ein Ansatz für die Tourismus-Destinationen. Universität Eichstädt-Ingolstadt, Wiesbaden. Umfassende und grundlegende Dissertation. SCHULER (2014): Management der Bildung und Veränderung von Destinationen - Ein prozessorientierter Ansatz im Tourismus, Dr. Kovac, Hamburg. U.a. Diskussion der Bedeutung der Destination Governance für den Veränderungsprozess von Destinationen. Es ist zwar richtig und wichtig, die verschiedenen Stakeholder-Gruppen am touristischen Entwicklungs- und Planungsprozess eines Landes, einer Region oder Ortes zu beteiligen. Nach der Diskussion müssen allerdings auch Entscheidungen getroffen werden. In diesem Zusammenhang plädieren SVENS- SON et al. (2005: 33) mit dem Ziel einer funktionierenden Governance für die Formulierung von Bedingungen wie accountability und coherence. Unter accountability verstehen die Autoren die Frage nach der Verantwortlichkeit bei Entscheidungen und in der Führung, insbesondere in der öffentlich-privaten Partnerschaft einer Destination. Diskutiert werden die Konflikte zwischen den gewählten politischen Volksvertretern mit ihren parallelen Funktionen in den Tourismusorganisationen auf der einen Seite und den privaten Akteuren auf der anderen Seite und den damit entstehenden Interessenkonflikten. Eine Voraussetzung ist es deshalb, die Aufgaben und Funktionen der politischen Steuerung des Ortes/ der Region von der Führung der Destination zu trennen und klare Verantwortlichkeiten zu benennen. Mit coherence meinen SVENSSON et al. (ebd.) die Fähigkeit, Geschlossenheit hinsichtlich der Situationsbeurteilung, der Zielfindung, der Mobilisierung von gemeinsamen Ressourcen und die Implementierung von Maßnahmen in der Destinationsentwicklung herzustellen. Die konsequente Ausrichtung an den genannten Faktoren hat nach den Autoren einen positiven Einfluss auf die Innovationsfähigkeit der Destination auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene. In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Anzahl und Zusammensetzung der Stakeholder zu diskutieren, welche in die Governance, Planung und Marketingtätigkeiten involviert werden (vgl. SHEEHAN/ RITCHIE 2005: 713). In nachhaltigen Destinationsentwicklungsprozessen wird demnach die Notwendigkeit der Beteiligung der öffentlichen und privaten Akteure immer wieder betont, um eine Einigkeit bei den strategischen Konzepten herzustellen, die sowohl unternehmensorientiert sein sollen als auch die strukturellen Besonderheiten des <?page no="328"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 329 Tourismus respektive des Landes/ der Region berücksichtigen (siehe: BRAM- WELL/ LANE 2000 und JAMAL/ GETZ 1995). Gleichzeitig wird der Bedarf an Leadership deutlich, um die bottom-up-orientierten Beteiligungsprozesse zu moderieren und letztlich auch Entscheidungen zu treffen. Hinweis HINTERHUBER (2000) unterscheidet die Begriffe Management, Leadership und Führung. Nach HINTERHUBER (2000: 94) bedeutet Leadership: „neue Möglichkeiten entdecken und nutzen sowie die Veränderungsprozesse so gestalten, dass in erster Linie die Kunden zufriedengestellt, aber auch Werte für alle anderen Stakeholder geschaffen werden. (…) Management heißt dagegen, Probleme auf kreative Weise lösen.“ 3.3.5 Organisatorische Strukturierung einer DMO Den Regeln, Regelsystemen, Instrumenten und zu beachtenden sozialen Normen wurde sich im Kapitel 3.3.4 gewidmet. Ferner wurde festgestellt, dass auf nationaler Ebene die Institutionen den Nachhaltigen Tourismus in ihren Zielen, Strategien und Maßnahmen interministeriell beachten müssen. Stellt sich nun noch die Frage, wie eigentlich organisatorisch eine Destinationsmanagement- Organisation (DMO) im Sinne der Nachhaltigkeit strukturiert sein sollte. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Aus diesem Grund finden sich weiter unten weitere Literaturhinweise. Nachfolgend einige zusammenfassende Überlegungen und Ideen zur nachhaltigen und zukunftsfähigen Strukturierung einer DMO: Natürlich sollte sie über ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen verfügen, um die gestellten Aufgaben (vgl. Kapitel 2.3) wahrnehmen zu können. Absolute Budgetgrößen sind schwer zu benennen, auch wenn sich in praktischen Handlungsleitfäden und der Fachliteratur hierzu Empfehlungen finden. Diese unterscheiden sich bspw. in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr stark und rangieren zwischen 1 und 4,5 Mio. Euro Gesamtbudget oder auch nur Marketingbudget für die DMO. Nach einer weniger starren, an festen Budgetgrößen orientierten Sichtweise hängt die Höhe der finanziellen Ressourcen viel stärker von der Anzahl der zu managenden strategischen Geschäftsfelder ab. Durch eine enge Kooperation und Aufgabenteilung der Netzwerkpartner in der Destination (Gastgeber, Freizeiteinrichtungen, Schutzgebiete, Kommunen etc.) wie mit Netzwerken und Marktkennern außerhalb (Onlineplattformen, Reiseveranstaltern, Bloggern etc.) lassen sich die Budgets der Partner gezielter und effizienter <?page no="329"?> 330 Nachhaltiger Tourismus einsetzen und miteinander kombinieren. Notwendig ist dafür ein detailliertes Wissen über den Customer Journey zur Identifikation der Geschäftsfelder und eine Orientierung der DMO mit ihren Aufgaben nicht nur nach außen, sondern auch nach innen (siehe unten). Sie sollte sich bestmöglich auch vom reinen Destinationshin zum integrierten Destinations- und Standortmanagement entwickeln. Tourismus als Querschnittsdisziplin kann nicht losgelöst von regionalen Entwicklungsprozessen und Themen wie regionale Produkte, Kultur, Architektur, Standortentwicklung, Fachkräfte etc. betrachtet werden. Eine inhaltliche und organisatorische Verzahnung ist deshalb angebracht, auch angesichts einer sinkenden öffentlichen Budgetverfügbarkeit der kommunalen Haushalte. Tirol und Südtirol auf Landesebene oder das Allgäu auf regionaler Ebene sind gute Beispiele für diese Entwicklung. Definition Strategisches Geschäftsfeld „Ein strategisches Geschäftsfeld (SGF) ist ein durch regelmäßige Gästeströme generiertes Betätigungsfeld, welches Geschäft generiert und strategische Bedeutung hat.“ (BERITELLI et. al. 2013, S. 6) Destinationsentwicklung ist immer als dynamischer Prozess zu verstehen. Erstens verändern sich die Rahmenbedingungen (Klima, verfügbare öffentliche Budgets, Demografie, technische Möglichkeiten etc.) kontinuierlich. Zweitens sind auch die Kundenwünsche dynamisch. Drittens sind eine Destination und seine Infrastruktur selten als vollständig entwickelte Angebote zu verstehen. Es gibt gästeorientierte Angebote, die bereits am Markt erfolgreich positioniert werden können und den Kunden im Rahmen des gesamten Customer Journeys zufriedenstellen. Aber auch diese Angebote haben einen Lebenszyklus, der irgendwann unweigerlich in die Stagnation führt und die Angebote innoviert werden müssen. Ferner gibt es auch immer Teilräume und Anbieter, die noch Unterstützung in der Entwicklung und Qualifizierung benötigen, bevor ihr Angebot Marktreife besitzt. Eine DMO hat im Rahmen eines nachhaltigen Verständnisses und der Aufgabenwahrnehmung immer diese beiden „Geschwindigkeiten“ zu beherzigen. Im Prozess sind mithin verschiedene Stakeholder zu partizipieren. Abgleitet aus dieser dynamischen Sicht erwächst die Notwendigkeit für einen Paradigmenwechsel der Aufgabenorientierung. In der Verantwortlichkeit der DMO liegt nicht nur die Vermarktung von Angeboten der Orte und Unternehmen nach außen - praktisch als reine Vermarktungsplattform. Auch <?page no="330"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 331 wenn viele DMOs noch immer so arbeiten, liegt die Zukunft und damit das Verständnis eines nachhaltigen, zukunftsfähigen Destinationsmanagements in einer nach außen wie nach innen gerichteten Orientierung (siehe oben die Argumentation zur Orientierung an strategischen Geschäftsfeldern). Nach innen verfolgt die DMO einen strategischen Ansatz zur Entwicklung der Destination entlang der zwei Geschwindigkeiten inkl. der kooperativen Entwicklung der strategischen Geschäftsfelder (Stichwort Innenmarketing). Nach außen geht es um die gästeorientierte Kommunikation und den Vertrieb der SGFs in eigenen Medien oder vermittelt über Netzwerkpartner und Marktkenner. Definition Innenmarketing „Ansatz, der eine geplante und nach innen gerichtete Nutzung von Marketingtechniken und -instrumenten vorsieht, um eine effektive Implementierung der Strategie für den organisatorischen Wandel zu unterstützen, damit einerseits die Stakeholder der Destination die Veränderung mit tragen und der Gast andererseits hierdurch die Destination als ein am customer journey orientiertes Bündel an integrierten Dienstleistungsketten wahrnimmt.“ (SCHULER 2014: 234) Das Management und die Partizipation der Stakeholder in der Entwicklung einer Destination sind deshalb zentrale Aufgaben. Die DMO-Manager treten hierbei verstärkt als Moderatoren auf. Fähigkeiten als „Leader“ sind gefragt (siehe oben die Unterscheidung zwischen Management und Leadership). Sie sollten sich immer als Interessenvertreter der Leistungsträger und des Natur- und Kulturraumes verstehen, die auf der einen Seite zu einer Stärkung des Wirtschaftsfaktors Tourismus beitragen sollen, aber auf der anderen Seite auch dafür Sorge tragen müssen, dass es nicht zu einem „Ausverkauf“ der sozialen, ökologischen und kulturellen Ressourcen kommt. Weiterführende Lesetipps RITCHIE/ CROUCH (2004): The Competetive Destination: A Sustainable Tourism Perspective. Wallingford/ Cambridge: Cabi Publications. Grundlegendes Werk zur Wettbewerbsfähigkeit von Destinationen u.a. mit Diskussion der Aufgaben, Struktur und Nachhaltigkeit. <?page no="331"?> 332 Nachhaltiger Tourismus BERITELLI et. al (2013): Das St.Galler Modell für Destinationsmanagement - Geschäftsfeldinnovationen in Netzwerken, Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG) St.Gallen. Neuer Ansatz und Leitfaden für das Management von Destinationen und die Entwicklung von strategischen Geschäftsfeldern in Netzwerken. SCHULER (2014): Management der Bildung und Veränderung von Destinationen - Ein prozessorientierter Ansatz im Tourismus, Dr. Kovac, Hamburg. Dissertation zum Change Management von Destinationen mit Fokus auf dem Prozess der Veränderung. Verdeutlichung am Fallbeispiel des Sauerlandes. Literatur Baggio, R., Scott, N., Cooper, C. (2010): Improving tourism destination governance: a complexity science approach. Tourism Review, 65(4), S. 51-60. Baumgartner, C. (2008): Nachhaltigkeit im Tourismus - Von 10 Jahren Umsetzungsversuchen zu einem Bewertungssystem. Innsbruck. Beritelli, P., Bieger, T., Laesser, C. (2007): Destination Governance: Using Corportate Governance Theories as a Foundation for Effektive Destination Management. Journal of Travel Research. 46. S. 96-107. Beritelli, P., Laesser, C., Reinhold, S., Kappler, A. (2013): Das St.Galler Modell für Destinationsmanagement - Geschäftsfeldinnovationen in Netzwerken. Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG). St.Gallen. Bramwell, B., Sharman, A. (1999): Collaboration in local tourism policymaking. Annals of tourism research. 26(2). S. 392-415. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI, 2014): Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung. In: www.bmwi.de/ DE/ Themen/ Tourismus/ Tourismuspolitik/ Schwerpunkte/ nach haltigkeit-und-soziale-verantwortung.html (30.08.2014). Bramwell, B., Lane, B. (2000): Collaboration and Partnerships in Tourism Planning. In B. Bramwell & B. Lane (Eds.), Tourism Collaboration and Partnerships: Politics, Practice and Sustainability. (1-19). Channel View Publications. Byrd, E. T. (2007): Stakeholders in Sustainable Tourism Development and their Roles.: Applying Stakeholder Theory to Sustainable Tourism Development. Tourism Review. 62(2). S. 6-13. De Lopez, T. T. (2001): Stakeholder management for conservation projects.: A case study of Ream National Park, Cambodia. Environmental Management, 28(1). S. 47-60. <?page no="332"?> Nachhaltiges Tourismusmanagement 333 Freeman, R. E. (1984): Strategic management: A stakeholder approach. Boston. Hinterhuber, H. H. (2000): Maßstäbe für die Unternehmer und Führungskräfte von morgen.: Mit Leadership neue Pionierphasen einleiten. In H. H. Hinterhuber, S. A. Friedrich, A. Al-Ani, & G. Handlbauer (Eds.): Das Neue Strategische Management: Perspektiven und Elemente einer zeitgemäßen Unternehmensführung. S. 91-122. Wiesbaden. Jamal, T. B., Getz, D. (1995): Collaboration theory and community tourism planning. Annals of tourism research. 22(1). S. 186-204. Keohane, R. O., Haas, P. M., Levy, M. A. (1993): Institutions for the Earth. Sources of Effective International Environmental Protection. Cambridge. Pechlaner, H. (2003): Tourismus-Destinationen im Wettbewerb. Wiesbaden. Pfahl, S. (2005): Institutional sustainability. in: International Journal Sustainable Development. Vol. 8. Nos. 1/ 2. S. 80-96. Raich, F. (2006): Governance räumlicher Wettbewerbseinheiten: Ein Ansatz für die Tourismus-Destinationen. Universität Eichstädt-Ingolstadt. Wiesbaden. Ritchie, J. R. B., Crouch, G. I. (2003): The Competetive Destination: A Sustainable Tourism Perspective. Wallingford/ Cambridge. Roudies, N. (2013): Vision 2020 for tourism in Marocco - Focus on Sustainability and Ecotourism. in: Vortrag auf dem UN- Expert Group meeting on Sustainable Tourism: Ecotourism, Poverty Reduction and Environmental Protection, 30.10.2013. New York. Schuler, A. ( 2014): Management der Bildung und Veränderung von Destinationen - Ein prozessorientierter Ansatz im Tourismus. Hamburg. Sheehan, L. R., Ritchie, J. R. B. (2005): Destination Stakeholders - Exploring Identity and Salience. Annals of tourism research. 32(3). S. 71-734. Svensson, B., Nordin, S., Flagestad, A. (2005): A Governance Perspective on Destination Development - Exploring Partnerships. Clusters and Innovation Systems. Tourism Review. 60(2). S. 32-37. UN (1992): Agenda 21. United Nations. New York. UNDP (2011): Discussion Paper - Tourism and Poverty Reduction Strategies in the Integrated Framework for Least Developed Countries. A report based on collaboration with the UN Steering Committee on Tourism for Development (SCTD). UNWTO (2013): Sustainable Tourism for Development Guidebook - Enhancing capacities for Sustainable Tourism for development in developing countries. Madrid. UNWTO (1999): Global Code of Ethics for Tourism. Madrid. <?page no="334"?> Autorinnen und Autoren Hannes Antonschmidt ist Master of Science in Management Accounting (dt. Controlling) und Bachelor of Science der Betriebswirtschaftslehre, Politik und Verwaltung. Er studierte an der Universität Potsdam und an der University of Abertay Dundee (Schottland). Seit März 2013 ist er Consultant der dwif-Consulting GmbH Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen betriebswirtschaftliche Vergleiche für Hotels, Gastgewerbe, Kurortunternehmungen und Camping, Wirtschaftlichkeits- und Ertragswertanalysen, Standortbewertungen sowie das Controlling touristischer Projekte. Martin Balàš ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (FH) sowie ZENAT-Mitglied und besitzt mehrjährige Berufserfahrung in der Tourismusberatung, Lehre und in der touristischen Praxis. Seine Schwerpunktthemen sind Nachhaltiges Destinationsmanagement, Corporate Social Responsibility, Marketingmanagement im Tourismus sowie Radtourismus und Gästeführung. Herr Balàš war u.a. Projektleiter des Bundeswettbewerbs Nachhaltige Tourismusregionen 2012/ 13 und ist für TourCert als CSR-Coach im Rahmen der Nachhaltigkeitszertifizierung tätig. Dörte Beyer studierte Rehabilitationspädagogik, Landschaftsnutzung und Naturschutz sowie Nachhaltiges Tourismusmanagement in Berlin und Eberswalde. Sie arbeitet seit 1997 an der Fachhochschule Eberswalde als wissenschaftliche Mitarbeiterin in verschiedenen Projekten. Seit 2002 ist sie als Lehrkraft im Masterstudiengang Nachhaltiges Tourismusmanagement tätig und nun Mitglied im ZENAT (Zentrum für Nachhaltigen Tourismus) mit dem Forschungsschwerpunkt Soziale Nachhaltigkeit, insbesondere zum Genderaspekt. <?page no="335"?> 336 Nachhaltiger Tourismus Heike Dickhut ist Diplom Biologin und hat einen Master- Abschluss im Nachhaltigen Tourismus. Seit 2010 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Nachhaltiges Tourismusmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNE) Eberswalde (FH) tätig und ist Mitglied des dort ansässigen Zentrums für Nachhaltigen Tourismus (ZENAT). Daneben arbeitet sie selbständig als Tourismusberaterin. Ihre gegenwärtigen Forschungs- und Interessensschwerpunkte sind: Nachhaltige Destinationsentwicklung, Tourismus und Biodiversitätsschutz, Tourismusmanagement in Schutzgebieten/ Ökotourismus (Besuchermanagement, Finanzierungsmechanismen etc.) sowie Klimaanpassung und Klimaschutz in touristischen Unternehmen und Destinationen. Dr. Mathias Feige studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, Geographie und Soziologie in München und Trier. 1990 promovierte er zum Dr. oec. publ. an der Universität München. Von 2006 bis 2014 war er Honorarprofessor für touristische Standortentwicklung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Seit 1984 ist er für den DWIF tätig. Von 1995 bis 2002 war er für den Aufbau und die Leitung des DWIF-Büros Berlin zuständig. Seit 2003 ist er Geschäftsführer der dwif-Consulting GmbH, Berlin und seit 2009 geschäftsführender Gesellschafter am selbigen Standort. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen Politik-, Struktur- und Organisationsberatung; regionalwirtschaftliche Analysen, Projektstudien, Sachverständigengutachten; Tagestourismus und Freizeitwirtschaft; Prozesssteuerung; nachhaltiger Tourismus sowie Moderationen und Vortragstätigkeiten. Dr. Anna Klein hat eine Professur für Tourismuswirtschaft an der IUBH Duales Studium in München inne. Gleichzeitig ist sie als Tourismusberaterin bei BTE Tourismus- und Regionalberatung tätig. Sie hat zum Thema Reisepräferenzen der nachhaltigkeitsbewussten Konsumenten an der Universität Hohenheim promoviert. Sie forscht insbesondere im Bereich des nachhaltigen Tourismus, weitere Schwerpunkte sind Osteuropa- und internationaler Tourismus, Destinations- und Regionalentwicklung, Tourismusmarketing, Tourismus in Großschutzgebieten und Special Interest Tourism. <?page no="336"?> Autorinnen und Autoren 337 Prof. Dr. Hartmut Rein ist Professor für Nachhaltiges Destinationsmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und Studiengangleiter Masterstudiengang Nachhaltiges Tourismusmanagement und zugleich Mitglied des ZENAT, Zentrum für Nachhaltigen Tourismus der HNEE. Seit 1995 ist er geschäftsführender Gesellschafter von BTE Tourismus- und Regionalberatung (www.bte-tourismus.de). Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Destinationsentwicklung, Tourismus im ländlichen Raum und Regionalentwicklung, Nachhaltiger Tourismus, Tourismus in Schutzgebieten, Wassertourismus und Nachhaltigkeit im Kulturtourismus. Dr. Alexander Schuler ist geschäftsführender Gesellschafter der BTE Tourismus- und Regionalberatung und Büroleiter am Standort Berlin. Er absolvierte ein Studium der Wirtschafts- und Sozialgeografie, Soziologie und Umweltwissenschaften in Potsdam und Berlin mit Schwerpunkt Regionalentwicklung & Tourismusgeografie. Er promovierte im Strategischen Management an der Leuphana Universität Lüneburg. Dr. Schuler ist Lehrbeauftragter an der Hochschule Harz (Wernigerode). Seine Schwerpunkte sind Destinationsentwicklung, Change-Management, Marketing, Nachhaltigkeit, Marktforschung, Moderation und Coaching. Prof. Dr. Wolfgang Strasdas studierte Landschaftsplanung in Hannover und Seattle. 2001 promovierte er an der TU Berlin zum Thema „Ökotourismus in Entwicklungsländern“. Seit 2002 ist er Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (FH) und dort Mitbegründer des Zentrums für Nachhaltigen Tourismus (ZENAT). Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Schutzgebietsmanagement, Tourismus und Klimawandel, Nachhaltigkeitszertifizierungen sowie Tourismus in Entwicklungsländern. Neben seiner Tätigkeit an der HNE Eberswalde arbeitet Prof. Strasdas als freier Tourismusberater und vertritt die Hochschule als Gesellschafterin von TourCert, dem CSR-Zertifizierungssystem für Tourismus. <?page no="338"?> Stichwortverzeichnis A ABC-Analyse 135 Abenteuertourismus 106 Abfallmanagement 256 Ablasshandel 81 Accountability 328 Agenda 21 316, 324 Akkreditierung 263 Akkulturation 207 alternative Lebensstile 171 altruistisch 210 Angebotsänderungen 73 Anpassung 39 Anpassungsfähigkeit 57 Anpassungsstrategien 65 anthropogen 39 Arbeitsbedingungen 217, 257 Arbeitsmarkt 217 Arbeitsverhältnisse prekäre 217 Armut 196 Artensterben 95 Artenvielfalt 90 Assessment 262 Auslastung 64 Awards 261 B Balanced Scorecard 135, 136 Barrierefreiheit 216 Bedarfsfelder 163, 177 Bereiste 201 Best Environmental Management Practice in the Tourism Sector 151 Besucherlenkung 112 Besucherlenkungsmaßnahmen 114 Besuchermanagement 111 Besuchermonitoring 115 Besucherströme 111 Biodiversität 20, 89, 90, 99, 101 Biodiversitäts-Konvention 98 Biologische Vielfalt 90 Blaue Flagge 264 Bonner Konvention 98 Boykott 168 Büroökologie 248 Bundeswettbewerb Nachhaltige Tourismusregionen 308 C Carbon Management 75 Carrotmob 167-168 Carrying Capacity 111 Climate Change and Tourism der UNWTO 245 Coherence 328 Community Based Tourism 34, 225 Corporate Citizenship 239 Corporate Governance 239 Corporate Responsibility 239 Corporate Social Responsibility 233, 319, 325 Handlungsfelder 246 Nachhaltigkeitsbeauftragte/ r 248 responsive 237 Zertifizierung 266 Corporate Sustainability 238 CSR-Maßnahmen 181 Customer Journey 330 D Dark Tourism 209, 213 Destination 274 DESTINATION 21 302 Entwicklung 281 Governance 317, 327 Nachhaltigkeitscheck 304 Destinationsmanagement 20, 273, 276, 299 Organisationen 277, 327 <?page no="339"?> 340 Nachhaltiger Tourismus E EDEN-Award 306 Effizienz 12 egozentrische Motivation 210 Ehrbarer Kaufmann 231 Eintrittsgebühren 117 Energieeffizienz 44 Energiemanagement 254 Energieprojekte 81 Energiequellen 65 Entwicklungsländer 16, 317 Erholungsnutzung 110 Erneuerbare Energien 77 Ethik 209 Europa-2020-Ziele 320 Europäische Charta für einen nachhaltigen Tourismus in Schutzgebieten 292 European Destinations of Excellence 306 European Tourism Indicator System 298 Exposition 57 Externalität 131 F Fairtrade 36, 176-178 Flugverkehr 50 Förderperiode 2014-2020 320 Frauen im Tourismus 218 Freiwilligenarbeit 210 Freiwilligkeitsprinzip 235 Fußabdrücke 183 G Gastgewerbe 253 Gastronomie 64 Gebäudeökologie 248 Gemeinwohlökonomie 134 Geschäftsfelder 330 geteilte Verantwortung 165 Global Code of Ethics for Tourism 244 Global Compact 244 Global Reporting Initiative 151, 259 Global Sustainable Tourism Council 119, 245 Global Sustainable Tourism Criteria 295 Globalisierung 232 Grünbuch 233 grünen Koffer 264 Guidelines on Biodiversity and Tourism Development 99 Gutenberg, Erich 128 H High-Cost/ Low-Cost-Hypothese 170 Hotelgewerbe 253 Humankapital 133 I Imageeffekte 286 Indikatoren 150, 152 Systeme 293 Infrastruktureffekte 286 Innenmarketing 331 Institutionalisierung 316 interministerielle Zusammenarbeit 316 Internationale Abkommen 99 Inwertsetzung 16, 103 ISO 26.000 240 J Jugendherbergen 142 K Kausalitäten 149 Kennzahlen 151 Klima 41 Klimabewusstsein 52 Klimafußabdruck 76 Klimaneutralität 76 Klimapolitik 44, 48 Klimaprojektionen 51 Klimaschutz technologischer 73 Klimaschutzmaßnahmen 51 Klimaschutzpolitik 52 Klimaschutzstrategien 72 <?page no="340"?> Stichwortverzeichnis 341 Klimawandel 19, 35, 39, 40, 43, 50, 55, 58, 59, 172 KMU 320 Kodizes 244 Kommunikation 251 Kompensationszahlungen 39, 81-82, 184 Kompetenzeffekte 286 Konsistenz 12 Konzessionen 117 Kosten-Nutzen-Analyse 134 Kulturwandel 208 L Labels 261 Lage 64 Landnutzungskonflikte 219 Langfristigkeit 131 Leadership 329 Lebensmittel biozertifiziert 184 Lebensstil nachhaltiger 171 Leistungskette 179 Lifestyles of Health and Sustainability 172-178 Limits of Acceptable Change 112 Lizenzen 117 LOHAS 172-178 M Management 276 Managementmaßnahmen 115 Managementorientierung 235 Marktkenner 331 Marokko 321 Massentourismus 21 Mechanismen 317 Menschenrechte 19, 199 Mitigation 66 Mobilitätskonzepte 185 nachhaltige 186 Moral 209 Motivallianzen 170, 183 N Nachfragestrukturen 107 Nachhaltige Betriebswirtschaftslehre 131 nachhaltige Nutzung 104 nachhaltige Produktentwicklung 249 nachhaltiger Konsum 161, 162 Formen 166-169 im engeren Sinne 162 im weiteren Sinne 162 Nachhaltigkeit 11 Bewertung 293 institutionelle 20 Messung 293 ökologische 19, 287 ökonomische 18, 127, 286 Prinzipien 316 soziale 19, 195, 288 Nachhaltigkeitsbewertung 266 nachhaltigkeitsbewusste Konsumenten 172-178 Nachhaltigkeitsdimensionen 184 Nachhaltigkeitsindex 151 Nachhaltigkeitsindikatoren 291 Nachhaltigkeitsmanagement 240, 267 Nachhaltigkeits-Reporting 258 Nachhaltigkeitssiegel 182, 188 natürliche Ressourcen 91 Natur ökonomische Bewertung 94 Naturerlebnisse 104 Naturinterpretation 104 Naturkapital 94 Naturnutzung 103 Naturschutz 96 Naturtourismus 106 Nachfrage 107 Naturtourismusdestinationen 109 Netzwerkpartner 331 Niedrigkostensituationen 170 Nutzungsgebühren 117 Nutzungsintensität 102 Nutzungskonflikte 102 <?page no="341"?> 342 Nachhaltiger Tourismus O objektbezogene Lenkungsmaßnahmen 112 OECD 244 Ökoaktivisten der ersten Stunde 171 ökologischer Fußabdruck 76, 163, 183 ökonomischer Gesamtwert 92 Ökosysteme 91 Ökosystemfunktion 92 Ökosystemleistungen 91 Ökotourismus 30, 104, 105 Ökotourismusdestinationen 109 ökotouristisches Angebot 108 Operationalisierungsproblem 134 Opportunitätskosten 170, 183 Organisationsführung 241 P Paper Parks 105 planerische Vorleistungen 112 politischer Konsum 164 Postwachstumsökonomie 133 Poverty Tourism 213 Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung 318 Produkt-Lebenszyklus-Analyse 135 Projekttourismus 211 Pro-poor Tourism 34 Prozessorientierung 236 Q Qualitätsmanagement 19 Querschnittsdisziplin 318 R RAMSAR Konvention 99 Regelsystem 317 Regionalentwicklung 19, 23 Reisemotive 206 Reiseveranstalter 247 Richtlinien 244, 318 S Sanfter Tourismus 28 Schutzgebiet 96 Besuchermanagement 111 Finanzierung 116 Kategorien 97 Selbstverpflichtung 325 Senkenprojekte 81 Sensitivität 57 Sextourismus 214 sexuelle Belästigungen 218 Share Economy 167 Shareholder-Value 129, 132 Sickerrate 220 Slumtourismus 213 soziale Normen 317 Spenden 117 Sponsoring 117 Stakeholder 132, 235, 316, 322, 325 Gruppen 328 Management 323 Partizipation 317 Stakeholder-Theorie 132 Stakeholder-Value 132 Standards 262 Standortmanagement 330 Stereotype 204 Steuerungsinstrumente 289 Strategy Map 148 Strukturierung 317 Suffizienz 12 Supply Chain Management 250 Sustainability Balanced Scorecard 136, 145 T TourCert 151 Tourism Sustainability Group 243 Tourismus 13 tourismusbedingte Belastungen 100 Tourismus-Kinderschutzkodex „The Code“ 244 Tourismuskritik 17 Tourismusmanagement 110, 231 Tourismusplanung 110 Tourismuspolitik 20, 320 Tourismusstrategie 320, 321 Touristen 201 Touristiker 202 <?page no="342"?> Stichwortverzeichnis 343 touristische Leistungskette 179 Transparenz 236 Treibhauseffekt 42 Treibhausgase 42, 43, 81 Treibhausgasemissionen Kompensation 39 Triangle of Change 165 Triple Bottom Line 11, 235 U Umweltauswirkungen 110 Umweltbildung 104 Umweltmanagementsystem 65 UNDP 318 UNESCO-Programm „Mensch und Biosphäre“ 99 Unsicherheit 45, 68 Unterkunft 64 Unternehmensleitbild 247 Unternehmenspolitik 319, 320 UNWTO 318 V Value Action Gap 170 Verhalten von Touristen 206 Verkehrsanbindung 64 Verkehrsmittelwahl 73 Vernetzungseffekte 286 Verpflegung 187 Viabono 264 Volunteer Tourism 209, 211 VolunTourism 211 Vulnerabilität 39, 57, 58 W Washingtoner Artenschutzabkommen 99 Wasser 20 Wassermanagement 255 Welterbekonvention der UNESCO 99 Wertschöpfung 235 Wetter 41 Wirtschaftsfaktor 13, 331 WWF-Reisekompass 180 Z Zertifizierung 119, 260, 261 Destinationen 300 Zertifizierungssysteme 264 Zonierung 113 Zusätzlichkeit 81 <?page no="343"?> Kostenloser Versand innerhalb Deutschlands ab 10,00 € Bestellwert 2 Wochen Rückgaberecht Schnelle Retourenabwicklung © erikreis iStockphoto LP Alles unter www.utb-shop.de Studienliteratur - wie und wann ich will gedruckte Lernmedien von Lernbüchern bis Lernposter aus über 30 Fachbereichen Online-Zugang Bücher in digitaler Form online lesen und nutzen ePUB das Format für mobile End- und Lesegeräte Apps & Downloads Lernhilfen zur Wissensvertiefung kostenloses Zusatzmaterial frei verfügbare Zusatzmaterialien zu über 500 Titeln online