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Journalismusforschung

0325
2015
978-3-8385-4261-4
978-3-8252-4261-9
UTB 

Heinz Pürer vermittelt anhand der Ergebnisse zahlreicher empirischer Studien einen Überblick über wichtige Bereiche der Kommunikatorforschung mit dem Schwerpunkt auf der Journalismusforschung. Dazu gehören die journalistische Berufsforschung einschließlich der Berufsgeschichte, Ausbildung und Sozialisation im Journalismus, Berufsbild, Berufsstruktur sowie das Image von Journalisten. Weitere Inhalte sind u. a. Theorien zur journalistischen Nachrichtenauswahl sowie zum Verhältnis von Journalismus und Public Relations. Ebenso kommen Themen wie Qualität im Journalismus, Medienethik, Onlinejournalismus oder auch Boulevardjournalismus zur Sprache. Unterschiedliche theoretische Konzepte der vielfältig ausgeprägten Journalismusforschung runden das Buch ab.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York utb 4261 <?page no="2"?> Heinz Pürer Journalismusforschung UVK Verlagsgesellschft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> Prof. Dr. Heinz Pürer lehrte 1986-2012 Kommunikationswissenschaft an der Universität München. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Im Buch werden bei Berufsbezeichnungen nur die männlichen Formen verwendet. Selbstverständlich sind die weiblichen Formen jeweils mit gemeint. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015 Einband: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandfoto: wellphoto/ Shutterstock.com Satz: Klose Textmanagement, Berlin Druck: fgb . freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 4261 ISBN 978-3-8252-4261-9 <?page no="4"?> 5 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2 Journalistische Berufsforschung . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.1 Berufsgeschichte des Journalismus . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2 Journalismus und politisches System . . . . . . . . . . . . 23 2.3 Ausbildung und Sozialisation im Journalismus . . . . 26 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.5 Zum Image von Journalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3 Journalisten und Medieninhalte . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.1 Theorien zur Nachrichtenauswahl . . . . . . . . . . . . . . 58 3.2 Nachrichtenauswahl als »instrumentelle Aktualisierung« . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.3 Journalismus und Public Relations . . . . . . . . . . . . . 72 4 Weitere Themen der Journalismusforschung . . . . . 79 4.1 Qualität im Journalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.2 Redaktionelles Marketing und Journalismus . . . . . . 85 4.3 Ethik und Journalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4.4 Onlinejournalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4.5 Boulevardjournalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 <?page no="5"?> Inhalt 6 5 Theoretische Konzepte der Journalismusforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Personenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Sachindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 <?page no="6"?> 7 Vorwort Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hat einen umfassenden Gegenstand: Sie befasst sich als Sozialwissenschaft primär mit allen Formen öffentlicher Kommunikation, insbesondere mit klassischer Massenkommunikation (Print, Radio, Fernsehen) sowie mit öffentlicher und teil-öffentlicher Kommunikation in und mittels Onlinemedien. Im Zentrum des Lehr- und Forschungsfeldes stehen, dem Ablauf publizistischer bzw. massenkommunikativer Prozesse folgend, die Kommunikatorbzw. Journalismusforschung, die Aussagen-, die Medien(struktur)sowie die Rezipienten- und Wirkungsforschung. Diesen Feldern kann man sich aus unterschiedlichen Fachperspektiven nähern wie etwa der politologischen, der psychologischen und der soziologischen Perspektive. Zur Klärung wissenschaftlicher Fragestellungen bedient sich das Fach weitgehend quantitativer und qualitativer empirischer Forschungstechniken. In meinem 2003 erstmals publizierten sowie 2014 umfassend überarbeiteten und erweiterten Lehrbuch »Publizistik- und Kommunikationswissenschaft« habe ich versucht, das Lehr- und Forschungsfeld dieser Disziplin inhaltlich zu strukturieren und möglichst umfassend aufzubereiten. Es erscheint nun, neu konfektioniert, auch in Teilbänden. Der vorliegende Band enthält, wie sein Titel sagt, den Abschnitt über »Journalismusforschung«. Eingangs beschäftige ich mich mit Themen der journalistischen Berufsforschung, mit der Berufsgeschichte, dem Berufsbild und der Berufsstruktur sowie mit dem Image von Journalisten. Ausführungen zur Nachrichtenauswahl sowie zum Verhältnis von Journalismus und Public Relations schließen daran an. Gegenstand des Buches sind auch Themen wie Qualität im Journalismus, redaktionelles Marketing, Ethik und Journalismus, Onlinejournalismus und Boulevardjournalismus. Ein kompakt gehaltener Überblick <?page no="7"?> Vorwort 8 über theoretische Konzepte der Journalismusforschung rundet den Band ab. Zahlreiche Hinweise auf weiterführende Literatur in allen Kapiteln sollen Leserinnen und Lesern dabei helfen, einzelne Themen zu vertiefen. Neben zahlreichen Hinweisen im Text sowie im Literaturverzeichnis ist dem Anhang eine Linkliste ausgewählter Institutionen beigefügt, deren Websites aktuelle Informationen über und für den journalistischen Beruf sowie andere Medien- und Kommunikationsberufe zu entnehmen sind. Weitere Teilbände sind den Medien in Deutschland (Presse, Rundfunk, Online), der Rezipientenforschung mit ihren Teilgebieten Mediennutzung, Medienrezeption und Medienwirkung sowie der Kommunikationswissenschaft als interdisziplinäre Sozialwissenschaft gewidmet. Ebenso gibt es einen Band zu den Grundbegriffen im Fach und dessen empirischen Forschungsmethoden. Die Bände erscheinen auch als E-Books. Mit diesem Publikationsprogramm sollen Interessenten angesprochen werden, die sich ein Teilgebiet der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft erschließen wollen. Ich danke Rüdiger Steiner, dem Verlagslektor von UVK, für die gute Zusammenarbeit bei der Entstehung des vorliegenden Buches. München, im Februar 2015 Heinz Pürer <?page no="8"?> 9 1 Einführung Bezogen auf öffentliche Kommunikation versteht man unter dem Kommunikator eine Person, eine Gruppe von Personen oder eine Institution, die originärpublizistisch oder über ein Massenmedium Aussagen an eine (im Prinzip) unbegrenzte Zahl von Rezipienten mitteilt. Es ist dies ein sehr weit gefasstes Verständnis vom Kommunikator, das z. B. sich an die Öffentlichkeit wendende Politiker, Wirtschaftskapitäne und Gewerkschaftsfunktionäre ebenso einschließt wie predigende Priester, Public Relations-Referenten, Werbeagenten, Autoren, Journalisten, Onlinepublizisten u. a. m. Bezogen auf Prozesse der Massenkommunikation, und darum geht es hier im Wesentlichen, stellt der Begriff Kommunikator eine Sammelbezeichnung für alle Personen dar, die - in welcher Form auch immer - an der Produktion und Publikation von Medieninhalten beteiligt sind. Die Kommunikatorforschung bezieht in ihr Untersuchungsfeld daher Personen ein, die durch Vorarbeiten, durch Auswahl, Schreiben und Redigieren, durch Gestalten und Präsentieren, aber auch durch Einwirken auf die technische Herstellung sowie nicht zuletzt durch Organisation und Kontrolle an der Entstehung und Verbreitung publizistischer Aussagen mitwirken. Solche Personen sind - ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber um wenigstens einige Beispiele zu nennen - bei Zeitung, Zeitschrift, Hörfunk und Fernsehen, Onlinemedien sowie in Nachrichtenagenturen und Mediendiensten: • bei den Vorarbeiten: Rechercheure, Archivare, Dokumentatoren, Programm- und Sendungsplaner etc.; • bei Auswahl, Schreiben und Redigieren: Reporter, Fotoreporter, Redakteure, Hörspiel- oder Drehbuchautoren sowie Literaten etc.; • beim Gestalten und Präsentieren: Layouter, Grafiker, Producer, Moderatoren und Präsentatoren etc.; <?page no="9"?> 1 Einführung 10 • bei der Einwirkung auf die technische Herstellung: Texterfasser, Drucker, Cutter, Bild- und Toningenieure, Kameraleute etc.; • bei Organisation und Kontrolle: Chefredakteure, Ressortleiter, Chefs vom Dienst, Herausgeber, Verleger, Programmdirektoren, Intendanten etc. Kommunikatoren sind zudem alle jene ›elektronischen Publizisten‹, die bei Multimedia, bei Onlinemedien bzw. in der Onlinekommunikation professionell mit der Produktion von ›Content‹ befasst sind wie Onlineredakteure, Multimedia-Autoren, -Konzepter, -Producer, Webmaster und -designer, Videoreporter, Information-Broker u. a. m. Zu Kommunikatoren zählen z. B. aber auch Bürgerjournalisten, Leserreporter, Videojournalisten, Blogger und weitere Akteure, die sich der Onlinemedien oder ihrer Möglichkeiten bedienen, um Aussagen in die Öffentlichkeit oder in Teilöffentlichkeiten zu transportieren. Vor allem Blogger sind (von Ausnahmen abgesehen) meist keine professionellen Kommunikatoren, für die professionelle Regeln der Recherche, Produktion und Publikation sowie ethische Standards und Mindestvoraussetzungen an Kompetenz gelten (vgl. Donsbach et al. 2009, S. 120). Zur Gruppe der Kommunikatoren zählen z. B. jedoch auch Personen, die als Texter oder Gestalter in der Werbung, als Public-Relations-Manager in der Öffentlichkeitsarbeit oder als Medienreferenten in der Organisationskommunikation tätig sind. Die Kommunikatorforschung widmet sich also allen Personen oder Gruppen, die im Zentrum oder an der Peripherie publizistischer Aussagenproduktion wirken. Die deutschsprachige Kommunikationswissenschaft hat sich im Bereich der Kommunikatorforschung lange Zeit in starkem Maße auf den Bereich des (Informations-)Journalismus in Zeitung, Zeitschrift, Hörfunk und Fernsehen konzentriert. Auskunft darüber gibt für den Zeitraum von 1945 bis 1990 Frank Böckelmann in der 1993 erschienenen Publikation »Journalismus als Beruf«. Sie enthält eine Bilanz der Kommunikatorforschung, in der sämtliche Studien und Publikationen aus dieser Zeitspanne systematisch - medienübergreifende sowie nach Mediengattungen geordnete Journalistenstu- <?page no="10"?> 1 Einführung 11 dien - verzeichnet und kommentiert sind (Böckelmann 1993). Auch von Donsbach (1999a, 1999b) und Pürer (1997) gibt es Überblicksbeiträge. Neben vielen anderen (kleineren oder größeren) empirischen Arbeiten sind für die beiden zurückliegenden Jahrzehnte - 1990 bis 2010 - (oft) repräsentative quantitative Studien über Journalisten in Deutschland erschienen wie Weischenberg et al.: Journalismus in Deutschland, 1993 und 1994; Schneider et al.: Sozialenquete über die Journalisten in der Bundesrepublik Deutschland (1993, 1994a und 1994b); Weischenberg et al.: Die Souffleure der Mediengesellschaft (2006a und 2006b) sowie Studien z. B. über Journalisten/ Journalismus in den Ressorts Politik (Lünenborg/ Berghofer 2010), Lokales (Grimme 1990), Sport (Görner 1995; Schaffrath 2006, 2007, 2010), Wissenschaft (Hömberg 1989; Lublinski 2004), Medien (Ruß-Mohl/ Fengler 2000; Malik 2004; Beuthner/ Weichert 2005) und auch Sensationsjournalismus (Dulinski 2003). Dem Thema »Journalismus und Unterhaltung« ist u. a. ein von Armin Scholl et al. (2007) herausgegebener Sammelband gewidmet. Auch wird Frauen im Journalismus zunehmend Aufmerksamkeit zuteil (u. a. Fröhlich/ Holtz-Bacha 1995; Lünenborg 1997; Schwenk 2006; Koch 2007). Ebenso liegen über deutsche Auslandskorrespondenten Arbeiten vor (u. a. Hahn et al. 2008). Über den Onlinejournalismus gibt es ebenfalls zahlreiche empirische Studien, darunter z. B. die Arbeiten von Löffelholz et al. (2003), Meyer (2005), Quandt (2002, 2005), Neuberger et al. (2009). Mit crossmedialem Journalismus befasste sich u. a. Meier (2007b, 2010a), mit mobilem Journalismus Wolf/ Hohlfeld (2010) und Wolf (2010). Dem Image der Journalisten sind u. a. Lieske (2008) und Donsbach et al. (2009) auf den Grund gegangen, ein Vergleich des Journalistenbildes in literarischen Bestsellern mit Befunden der empirischen Kommunikatorforschung, »Journalismus in Fiktion und Wirklichkeit«, so der Titel, stammt von Evelin Engesser (2005). Von Meyen/ Riesmeyer (2009) gibt es eine bundesweit durchgeführte qualitative Studie über Journalisten in Deutschland, von Meyen/ Springer (2009) eine über freie Journalisten. International vergleichende Journalismusforschung stammt u. a. von Hanitzsch/ Seethaler (2009) und Hanitzsch (2013), der Thematik ist <?page no="11"?> 1 Einführung 12 auch der Sonderband von Medien und Kommunikationswissenschaft »Grenzüberschreitende Medienkommunikation« (Wessler/ Averbeck-Lietz 2012) gewidmet. Eine Erkenntnistheorie der Journalistik legte 2006 Bernhard Pörksen mit der Publikation »Die Beobachtung des Beobachters« vor (Pörksen 2006). Journalistischem Handeln zwischen kommunikativer Vernunft und mediensystemischem Zwang ist Carsten Brosdas »Diskursiver Journalismus« gewidmet (Brosda 2008). Einen Sammelband zu aktuellem Stand und Perspektiven der Journalismusforschung mit zahlreichen Beiträgen haben Anfang 2013 Klaus Meier und Christoph Neuberger (2013) vorgelegt. Das Thema »Objektivität im Journalismus» mit Beiträgen von Ulrich Saxer (2012), Philomen Schönhagen (2012), Detlef Schröter (2012) und Hans Wagner (2012b) ist Gegenstand eines von Hans Wagner herausgegebenen Sammelbandes (Wagner 2012a). Einem bislang wenig bekannten Kommunikationsberuf, den Lektoren - den ›Gatekeepern‹ der Buchverlage - ist Walter Hömberg in einer für Deutschland repräsentativen Studie auf den Grund gegangen (Hömberg 2011). Mit »Büchermenschen«, d. h. mit der beruflichen Situation und den Bedingungen beruflicher Karrieren im Deutschen Buchhandel, hat sich Romy Fröhlich befasst (Fröhlich 2011). Auf mehrere der hier erwähnten Studien wird im Laufe der Ausführungen noch näher eingegangen. Kommunikatorforschung ist, bezogen auf die Massenmedien, weitgehend also immer noch Journalismusforschung. Kommunikatoren z. B., die im weiten Feld der Unterhaltungsmedien tätig sind wie Talk- und Showmaster in Hörfunk und Fernsehen, Präsentatoren von Radio- und TV-Sendungen etc. oder Personen, die in eher künstlerischer und bildnerischer Weise in Presse und Rundfunk wirken, fanden durch die deutsche Kommunikationswissenschaft bislang nur wenig Beachtung. Verweisen kann man u. a. z. B. auf den bereits erwähnten Sammelband »Journalismus und Unterhaltung» von Armin Scholl et al. (2007) sowie auf Louis Bosshart et al. (1994) »Medienlust und Mediennutz«. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, das Lehr- und Forschungsfeld Kommunikator-/ Journalismusforschung zu strukturieren (vgl. u. a.: Jarren 1994; Donsbach 1994; Blöbaum 1994; <?page no="12"?> 1 Einführung 13 Weischenberg 1992, 1995; Esser 1998; Merten 1999; Kunczik/ Zipfl 2001). Hier werden die folgenden Themenkomplexe erörtert: wichtige Aspekte der journalistischen Berufsforschung; der Themenkreis Journalisten und Medieninhalte; weitere aktuelle Themen der Journalismusforschung sowie neuere Theorien zur Journalismusforschung. Kompakte Überblicke zu »Journalismus« und »Journalisten« vermitteln u. a. Weischenberg (2005a, S. 132ff) und Donsbach (2009). <?page no="14"?> 15 2 Journalistische Berufsforschung Die journalistische Berufsforschung hat eine lange Tradition. Sie begann bereits im 19. Jahrhundert, als in die medienkundliche Geschichtsschreibung berufsgeschichtliche Überlegungen zum Journalismus einflossen (vgl. Prutz 1845). Die deutschsprachige Zeitungswissenschaft und die frühe Publizistikwissenschaft haben sich vorwiegend historisch und personenzentriert (und weitgehend auch normativ) mit herausragenden journalistischen Persönlichkeiten sowie mit dem Wesen des Journalismus befasst. Im Mittelpunkt standen in aller Regel Einzelpersonen und deren Biografie (vgl. etwa Spael 1928) oder auf das praktische Handwerk bezogene Überlegungen (vgl. Dovifat 1931; Groth 1928ff). Daneben gab es bereits auch (meist kleinere) empirische Studien, die sich mit der sozialen und ökonomischen Lage oder etwa auch der Ausbildung der Journalisten befassten. »Sämtliche empirische Studien zielen auf die Verbesserung der Existenzbedingungen und des Ansehens des journalistischen Berufsstandes bzw. suchen zu erklären, warum Lage und Ansehen so schlecht sind, wie sie sind. Unter ihnen befinden sich einige Studien von Berufsverbänden, einige volkswirtschaftliche Lageberichte und einige Pressedissertationen« (Böckelmann 1993, S. 33). Die Titel dieser Studien und zusätzliche Angaben über ihre Inhalte sind der Synopse von Frank Böckelmann zu entnehmen (Böckelmann 1993, S. 33ff). Nach 1945 setzten allmählich Studien ein, die sich traditionellen Fragen des journalistischen Berufes widmeten und ihren Gegenstand von den Printauf die Funkmedien ausweiteten. Ermittelt wurden demographische Daten und Tätigkeitsmerkmale, ansatzweise auch die soziale Lage der Journalisten. Es entstanden im Weiteren berufsstatistische Erhebungen, und Fragen der Einstellung der Journa- <?page no="15"?> 2 Journalistische Berufsforschung 16 listen zu ihrem Beruf und Berufsverständnis (Selbstbild) gewannen an Bedeutung. Ab etwa 1965 entfaltet sich eine empirische Berufsforschung, in der Fragestellungen im Vordergrund stehen, aus denen berufsstrukturelle Merkmale über Journalisten ermittelt, Berufsauffassungen festgestellt sowie ein allfälliger Wandel des Berufs-»Bildes« erschlossen werden können. Es sind dies etwa Fragen nach • demographischen und anderen berufsrelevanten Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, soziale Herkunft; • Berufserwartungen und -vorstellungen sowie Motiven der Berufswahl; • Berufsausbildung und Berufsanforderungen; • Berufsweg und Karriereverlauf; • Berufs- und Berufsrollenverständnis, Selbstbild und Fremdbild; • Selbsteinschätzung von sozialem Status und gesellschaftlichem Ansehen; • Berufsweg, Berufszufriedenheit, Karriereverlauf; • Berufsmobilität; • Einstellungen zu berufspolitischen, parteipolitischen und anderen gesellschaftlich relevanten Fragen sowie zur Parteizugehörigkeit; • Berufsethik. Die meisten Kommunikator-Studien sind folglich auch Versuche, die Wirklichkeit journalistischer Berufe empirisch zu fassen und daraus Merkmale für ein Berufsbild abzuleiten. Mit neuen empirischen Forschungskonzepten, die in den ausgehenden 1960er-Jahren entstehen, setzt auch ein Paradigmenwechsel in der Journalismusforschung ein. Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch, dass es aus den 1950er-Jahren vergleichsweise umfassende empirische Sozialenqueten gibt: nämlich jene von Walter Haseloff 1954 in Berlin (Haseloff 1954) sowie die von Walter Hagemann 1956 in Nordrhein- Westfalen durchgeführten Journalistenstudien (Hagemann 1956; Wirth 1956). »Die Sozialenqueten in der Mitte der 1950er-Jahre werden wie ihre Vorläufer zu Beginn des [20.] Jahrhunderts und nach dem Ersten Weltkrieg von der akuten Notlage eines großen <?page no="16"?> 2.1 Berufsgeschichte des Journalismus 17 Teils der Journalisten veranlasst. Im selben Maß, in dem sich die ökonomische Lage der Journalisten bessert, treten in den Berufsverbänden die Fragen der beruflichen Ausbildung und der (Mitsprache-)Rechte im Medienbetrieb in den Vordergrund« (Böckelmann 1993, S. 41). 2.1 Berufsgeschichte des Journalismus Vorformen dessen, was wir heute als Journalismus bezeichnen, gehen im deutschen Sprachraum bis ins 14. Jahrhundert zurück. Die Berufsgeschichte des Journalismus umfasst somit eine Zeitspanne von mehr als 600 Jahren. Dementsprechend vielfältig sind wissenschaftliche Bemühungen, sie zu erforschen. Es ist hier daher nicht möglich, die Berufsgeschichte des Journalismus von ihren Anfängen bis zur unmittelbaren Gegenwart im Detail nachzuzeichnen. Vielmehr soll in groben Konturen auf einige wichtige Etappen der Entstehung und Entwicklung dieses Berufes verwiesen und damit wenigstens ein grober Überblick geboten werden. Dabei ist vorab festzuhalten, dass die Berufsgeschichte des Journalismus untrennbar mit der Geschichte des Nachrichtenwesens (Zulieferung von Informationen an die Korrespondentennetze der großen Handelshäuser, Errichtung von Postlinien), der gedruckten Medien (Zeitung, Zeitschrift), später der elektrischen bzw. der elektronischen Medien (Hörfunk, Fernsehen) sowie schließlich der digitalen Medien (Onlinemedien) verbunden ist. Zur Geschichte des Journalismus liegen Periodisierungsversuche vor, von denen jene von Dieter Paul Baumert (1928, 2013) sowie Thomas Birkner (2011, 2012) nachfolgend kurz dargestellt werden. In dem von Dieter Paul Baumert 1928 vorgelegten Werk »Die Entstehung des deutschen Journalismus« ist die erste, im eigentlichen Sinn des Wortes zu verstehende Journalismusgeschichte des deutschen Sprachraumes zu sehen. Ihrer kohärenten Systematik, die naturgemäß um seither eingetretene Entwicklungen zu ergänzen ist, kann man auch heute noch folgen. Im Hinblick auf die <?page no="17"?> 2 Journalistische Berufsforschung 18 Zeitspanne von den ersten Anfängen bis zur Vollendung des journalistischen Berufsbildungsprozesses unterscheidet Baumert zwischen vier Phasen bzw. Perioden (vgl. Baumert 1928, 2013): • In der präjournalistischen Periode (bis zum Ausgang des Mittelalters) sind Nachrichtenüberbringer u. a. in Sendboten, wandernden Spielleuten und berufsmäßigen Dichtern und Sängern zu sehen, die Neuigkeiten in die Öffentlichkeit trugen - aber auch in Historiographen, fürstlichen Sekretären und Chronisten, die von Amts wegen ihnen zugängliche Quellen als (Nachrichten-)Material benutzten. • In der Periode des korrespondierenden Journalismus (frühe Neuzeit) belieferten Handelsleute, Konsulats- und Stadtschreiber, Beamte und Diplomaten, aber auch Angehörige gebildeter Schichten und politisch Interessierte Informationen an die ab 1600 aufkommenden »Avisenblätter« sowie an Postmeister und Drucker. Die »Zeitungsbzw. Nachrichtensammler« (das Wort »Zeitung« hatte damals die Bedeutung von »Nachricht«) waren auf zuverlässige Korrespondenten angewiesen. Innerhalb der Zeitungen selbst übten diese allerdings keine »journalistische« Tätigkeit aus. • Ab Mitte des 18. Jahrhunderts entstand nicht zuletzt im Gefolge der Aufklärung der schriftstellerische (und politische) Journalismus; daher spricht man von der Periode des schriftstellerischen Journalismus. Er fand seine Ausdrucksform zuerst in der Zeitschriftenliteratur, floss im Weiteren aber in die Zeitungen ein und trug zur literarischen Veredelung der Zeitung bei (Cotta, Allgemeine Zeitung). Protagonisten des politischliterarischen Journalismus waren u. a. Joseph Görres (Rheinischer Merkur) sowie der junge Karl Marx (Rheinische Zeitung). • Der redaktionelle Journalismus, wie wir ihn auch heute noch kennen, entstand um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Aufhebung der Zensur, die ein rapides Ansteigen des Nachrichtenaufkommens zur Folge hatte. Die Aufgaben des Redakteurs bestanden (und bestehen) aus dem selbstständigen Referieren über Tagesereignisse (korrespondierende Leistung), aus <?page no="18"?> 2.1 Berufsgeschichte des Journalismus 19 dem Selektieren, Prüfen, Sichten, Kürzen etc. eintreffender Nachrichten (redigierende Leistung) sowie aus tagesliterarischem Schaffen (schriftstellerische Funktion). Redakteure arbeiten seither in stets komplexer werdenden Medienorganisationen. Von Walter Hömberg wurde die Leistung Baumerts jüngst neu gewürdigt (Hömberg 2012) und dessen 1928 erschienene Sozialgeschichte des Journalismus in einer Neuauflage herausgebracht (Baumert 2013). Die Vollendung des journalistischen Berufsbildungsprozesses im 19. Jahrhundert wurde von Jörg Requate detailreich und international vergleichend aufgearbeitet (vgl. Requate 1995). In der Periode des redaktionellen Journalismus entfaltete sich die journalistische Tätigkeit zum Ganztagesberuf, der nun hauptberuflich ausgeübt wurde. Er ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts u. a. gekennzeichnet von der Herausbildung der Zeitungsressorts (Politik, Lokales, Wirtschaft, Feuilleton, Sport), vom Aufkommen der Telegrafenbzw. Nachrichtenbüros, von der Nutzbarmachung der Telegrafie für den Zeitungsnachrichtendienst sowie vom organisierten Pressestellenjournalismus. 1904 gab es im Deutschen Reich rund 4.600 Journalisten. Bemühungen, sich gleichsam im Sinne einer Profession in Berufsverbänden zu organisieren, gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts. 1895 wurde der »Verband deutscher Journalisten- und Schriftstellervereine« gegründet, 1909 folgte der »Bund deutscher Redakteure« und 1910 der »Reichsverband der Deutschen Presse« (RdP), »der erstmals explizit journalistische Interessen vertrat« (Weischenberg 2010, S. 42; Hervorhebung i. Orig.). In ihm »gingen der 1902 in Berlin gegründete ›Verein Deutscher Redakteure‹, der 1909 in Berlin gegründete ›Bund Deutscher Redakteure‹ sowie der ›Verband der Deutschen Journalisten- und Schriftstellervereine‹ auf« (Weischenberg 2010, S.-42f ). Gewerkschaftliche Zielsetzungen wurden erst 1919 durch die Delegiertenversammlung des RdP festgeschrieben (Weischenberg 2010, S. 43). Damit »war die Grundlage gelegt, über tarifliche Verhandlungen die schlechte materielle Lage der Journalisten zu <?page no="19"?> 2 Journalistische Berufsforschung 20 verbessern« (ebd.). Im April 1922 erfolgte nach langen Verhandlungen mit dem »Verein Deutscher Zeitungsverleger« die Bildung der sozialpartnerschaftlich angelegten »Reichsarbeitsgemeinschaft Deutsche Presse« (ebd.). Der RdP wurde 1933 von den Nationalsozialisten »geschlossen in den NS-Staat« übergeführt, die »Indienstnahme« war mit Inkrafttreten des Schriftleitergesetzes (Oktober 1933) am 1. Januar 1934 vollzogen (ebd.). Nachfolger des »Reichsverbandes der deutschen Presse« war nach dem Ende der Nazidiktatur der 1949 gegründete »Deutsche Journalisten-Verband« (DJV) (Weischenberg 2010, S. 44). Eine im Vergleich zu Baumert etwas andere Phaseneinteilung der Geschichte des Journalismus hat Thomas Birkner 2011 vorgelegt (Birkner 2011, 2012). Im Unterschied zu Baumert, dessen Einteilung »anhand der jeweils dominierend handelnden Personen« wie Korrespondenten, Schriftstellern und Redakteuren erfolgt, möchte Birkner auch »endogene Faktoren« einbeziehen, also »Texte sowie die Organisationen, in deren Strukturen diese entstehen und in denen Journalisten arbeiten« (Birkner 2011, S.- 345). Zu berücksichtigen sind jeweils zeitliche Kontexte wie Sozialstruktur und Kultur (Bevölkerungswachstum, Alphabetisierung), die wirtschaftliche und technologische Dimension (Ökonomisierung des Pressewesens, technologische Weiterentwicklung) sowie schließlich die Dimension Politik und Recht (Zensur, zensurfreie Presseunfreiheit, Pressefreiheit) (vgl. Birkner 2011, S. 346). Birkner sieht die Entwicklung des Journalismus komplementär zu Baumert in vier Phasen: Genese, Formierung, Ausdifferenzierung sowie Durchbruch des modernen Journalismus (vgl. Birkner 2011, S. 347ff): 1) In der Phase der Genese (1605-1848) des Journalismus entstehen Zeitungen und Zeitschriften, aus dem Buchdruckerwesen entwickelt sich allmählich das Zeitungsgewerbe mit seinem publizistischen und ökonomischen Zweigen. Es bildet sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine journalistische Avantgarde (Allgemeine Zeitung; Johann Friedrich Cotta, Heinrich Heine, z. B. aber auch Joseph Görres) heraus, deren Repräsentanten noch (eher) Schriftsteller sind. Retardierende Wirkung für eine Ausdifferenzierung des Journalismus hat das »Unter- <?page no="20"?> 2.1 Berufsgeschichte des Journalismus 21 drückungssystem der Karlsbader Beschlüsse« von 1819 (Wiedereinführung der Zensur), die »fast dreißigjährige Polizeiaktion […] gegen die Presse« (Birkner 2011, S. 347 mit Bezugnahme auf Schneider 1966). Gleichwohl »war die Presse wesentlicher Bestandteil der Revolution von 1848« (Birkner 2011, S.- 348). Erste organisatorische und redaktionelle Strukturen bilden sich heraus. 2) Für die Phase der Formierung (1849-1873) des Journalismus ist die »symbiotische Entstehung von Parteien und Parteizeitungen« wichtigstes Element, prägend sind auch wirtschaftlicher Aufschwung und industrielle Entwicklung, die Erfindung der Telegrafie (rasche Nachrichtenübermittlung aus vielen Teilen des Kontinents und der Welt) sowie das für Zeitungen und Zeitschriften populär werdende Anzeigengeschäft (Birkner 2011, S. 348). Die Zeitung wird endgültig zum Wirtschaftsprodukt, Bevölkerungswachstum und sich ausbreitende Bildung erhöhten die Lesefähigkeit: »Das deutsche Bildungssystem brachte zunehmend die Produzenten wie Konsumenten journalistischer Produkte hervor« (Birkner 2011, S. 349). 3) Für die Phase der Ausdifferenzierung (1874-1900) des Journalismus ist »das Zusammenspiel der gesamtgesellschaftlichen Großtrends von Urbanisierung und Alphabetisierung von Bedeutung, ebenso die Beschleunigung des Nachrichtenverkehrs. Das Reichspressegesetz von 1874 »bot einen rechtlich nicht besonders liberalen, aber doch stabilen Rahmen«, der sich positiv auf die Entfaltung des Pressewesens auswirkte. Die »neu auftretende Generalanzeigerpresse verkörperte […] den starken Einfluss des Wirtschaftssytems«, zwischen Gesinnungspresse (Parteilichkeit) und Generalanzeigerpresse (unterstellte Parteilosigkeit) »wurde langsam, aber sicher eine Unbzw. Überparteilichkeit möglich« (Birkner 2011, S. 349). Mit dem Ende der Sozialistengesetze (Einschränkung der sozialdemokratischen Presse) sowie der Ära Bismark kann von einer »faktischen - jedoch stets fragilen - Pressefreiheit gesprochen werden« (Birkner 2011, S.-350). Politik ist zunehmend dem Einfluss der Medien ausgesetzt und muss sich dem »Urteil der Öffentlichkeit« stellen (ebd.). <?page no="21"?> 2 Journalistische Berufsforschung 22 4) Für die Phase des Durchbruchs (1900-1914) wird der Journalismus integraler Bestandteil der vor dem 1. Weltkrieg entstehenden und sich ausbreitenden Massenkultur, der Journalismus wird »integraler Bestandteil der ›Entfesselung der Massenkommunikation‹« (Birkner 2011, S. 350 mit Bezugnahme auf Wilke 2000). Die Selbstfindung des journalistischen Berufs wird u. a. auch im Kontext des Entstehens journalistischer Praktikerliteratur gesehen (Birkner 2011, S. 350f, mit Bezugnahme auf Groth 1948). In der boomenden Zeit des Pressewesens der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts (Ansteigen der Zeitschriften von 5.632 (1902) auf 6.689 (1913), Anwachsen der Zeitungstitel von 3.405 (1897) auf 4.221 (1914)) bilden sich auch moderne journalistische Institutionen heraus, vollzieht sich die Ausdifferenzierung der Redaktionen in Ressorts, wachsen moderne journalistische Akteure heran und entstehen moderne journalistische Aussagen mit sich ausdifferenzierenden Textstrukturen heraus (Birkner 2011, S. 352-354). »Die Modernität des deutschen Journalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist bislang unterschätzt worden. Zu dominant erschienen die Zwänge der politischrechtlichen Dimension in den vorherigen Epochen und zu glatt ließen sich diese mit der Zensur im Ersten Weltkrieg, der Polarisierung in der Weimarer Republik und der Totalität im Nationalsozialismus zu einer unendlichen Geschichte eines vormodernen Journalismus verknüpfen. Doch auch in Deutschland begann um 1900 das ›Jahrhundert des Journalismus‹« (Birkner 2011, S. 355 mit Bezugnahme auf Birkner 2010). Mit dem Aufkommen des öffentlichen Radios (in Deutschland ab 1923) entfalten sich auch erste Formen des Radiojournalismus. Er differenziert sich ebenso bald vielfältig aus wie dreißig Jahre später der Fernsehjournalismus im Gefolge der raschen Ausbreitung dieses audiovisuellen Mediums ab Mitte der 50er-Jahre des 20.-Jahrhunderts. Eine große Fülle journalistischer Berufe in Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk, Fernsehen und Nachrichtenagenturen entsteht. Die jüngste, vermutlich noch geraume Zeit nicht <?page no="22"?> 2.2 Journalismus und politisches System 23 abgeschlossene Entwicklung betrifft den Journalismus in Onlinemedien (vgl. Kap. 4.4). Obwohl technische Innovationen das Berufsbild von Journalisten stets verändert und mitgeprägt haben, blieben im Printwie im Funkjournalismus redaktionelle Aufgaben einerseits und technische Aufgaben andererseits bis weit in die zweite Hälfte des 20.-Jahrhunderts weitgehend getrennt. Ab Mitte der 1970er-Jahre ändert sich dies jedoch grundlegend, als elektronische Produktionssysteme im Medienbereich Einzug halten. Dies gilt zunächst in besonderer Weise für den Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus in der Folge der Implementation von Redaktionselektronik in den Zeitungsverlagshäusern (vgl. Weischenberg 1978; Mast 1984; Pürer 1985). Denn dadurch wurden technische Aufgaben wie Texterfassung und Textgestaltung, die zuvor von Setzern und Metteuren vorgenommen wurden, aus den Setzereien weitgehend in die Redaktionen verlagert und müssen dort nun von den Journalisten weitgehend selbst durchgeführt werden. Ähnliches vollzog sich durch sog. elektronisches Broadcasting sowie durch die Einführung der digitalen Technik (z. B. elektronisches Schneiden) in den Radio- und Fernsehredaktionen. Ein weiterer Technologieschub, der für Journalisten nicht ohne Folgen bleibt, ist in den multimedialen Möglichkeiten des Onlinejournalismus zu sehen, die Text, Ton, Bild, Video und Grafik vereinen (siehe Kap. 4.4). Nicht zu Unrecht wurde daher zunächst vom »redaktionstechnischen Journalismus« (Pürer 1985) gesprochen und konnte man im Weiteren besser (und eleganter) vom »elektronischen Publizisten« sprechen, der sowohl redaktionelle (Inhalt) wie auch zunehmend technische Aufgaben (Form, Gestaltung) integriert. 2.2 Journalismus und politisches System Für den Journalismus in Deutschland gilt, dass Möglichkeiten seiner mehr oder weniger ungehinderten Ausübung von Anfang an eng mit dem jeweils herrschenden politischen System verbunden <?page no="23"?> 2 Journalistische Berufsforschung 24 waren. Dies geht aus dem langen Kampf um die Pressefreiheit in Deutschland hervor (vgl. u. a. Fischer 1982; Wilke 1984a). Es gibt sie - trotz Aufhebung der Zensur im Jahre 1848 - uneingeschränkt de facto erst seit 1949 mit dem In-Kraft-Treten des Grundgesetzes in Westdeutschland, in Ostdeutschland erst seit der 1990 erfolgten Wiedervereinigung. Davor wurden deutsche Journalisten »in den absoluten Fürstenstaaten politisch verfolgt, durch Bismarcks Sozialistengesetz kaltgestellt, in Weimar für ideologische Ziele missbraucht, in Nazideutschland ins Konzentrationslager geworfen und in der DDR als Funktionäre des Klassenkampfes eingesetzt, wobei jede dieser Zeiten sich durchaus nicht nur auf eine Repressalie beschränkte« (Donsbach 1999a, S.-492). In pluralistischen demokratischen Systemen wie der Bundesrepublik Deutschland werden den Massenmedien aus einer idealistischen normativen Sicht wichtige Funktionen zugewiesen: Sie sollen eine demokratiepolitisch wichtige Aufgabe erfüllen, indem sie nicht nur Öffentlichkeit über gesellschaftlich relevante Vorgänge in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur herstellen, sondern v. a. auch Kritik- und Kontrollaufgaben wahrnehmen, indem sie auf die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien bei Gesetzgebung (Legislative), Gesetzesvollzug (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) sorgfältig achten. Sie sind idealiter in das Prinzip der Gewaltenteilung eingebunden. Gleichwohl stellen Medien und Journalismus keine »Vierte Gewalt« (Publikative) dar: Weder sieht dies das Grundgesetz vor, noch verfügt die Mehrheit der Journalisten über die dazu erforderlichen Kompetenzen und Qualifikationen. Nicht zu übersehen ist in diesem Kontext zudem, dass große Medienbetriebe selbst mächtige Institutionen darstellen und Interessen verfolgen, sich damit also die Frage nach der »Kontrolle der Kontrolleure« stellt. In den meisten pluralistischen Demokratien westlichen Typs ist in der Ausübung des journalistischen Berufs ein Jedermannsrecht zu sehen. Dies ist auch in Deutschland der Fall. Daher ist hier die Berufsbezeichnung Journalist auch nicht geschützt. Begründet wird dies mit Art. 5 des Grundgesetzes, wonach »jeder […] das Recht (hat), seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu <?page no="24"?> 2.2 Journalismus und politisches System 25 äußern und zu verbreiten […]«. Folgerichtig ist der Zugang zum Beruf im Prinzip auch nicht an spezielle Voraussetzungen oder Ausbildungsgänge gebunden. (Dies schließt freilich nicht aus, dass sich Journalisten angesichts zunehmender Komplexität von Vorgängen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur mehr denn je eine besonders qualifizierte Ausbildung angedeihen lassen sollten - vgl. Kap. 2.3). In Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes ist auch die wichtigste Rechtsgrundlage der journalistischen Arbeit zu sehen. Er verbürgt einerseits die Pressefreiheit als individuelles (Abwehr-) Recht für jeden einzelnen Bürger und garantiert andererseits die Freiheit der Medien von jeglicher staatlichen Einflussnahme. Weitere relevante Rechtsgrundlagen für den Journalismus sind (nicht zuletzt auf Grund der föderativen Struktur Deutschlands) u. a. in den Landesverfassungen und Landespressegesetzen, in medienrelevanten zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen sowie in zahlreichen anderen Rechtsmaterien zu sehen (vgl. Pürer/ Raabe 2007, S. 331ff). Zu erwähnen ist in diesem Kontext, dass die Journalisten zur Erfüllung ihrer öffentlichen und dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe einerseits mit Sonderrechten ausgestattet sind, ihnen andererseits aber auch besondere Pflichten auferlegt werden. Zu den Sonderrechten (vgl. Pürer/ Raabe 2007, S. 354ff) gehören z. B. der besondere Auskunftsanspruch gegenüber Behörden, das Zeugnisverweigerungsrecht (Informantenschutz) sowie die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses (Beschlagnahmeverbot von eigenbeschafften Unterlagen, Durchsuchungsverbot). Zu den besonderen Pflichten zählen u. a. die Verpflichtung zur Berichtigung falscher Nachrichten sowie die Sorgfaltspflicht: Sie hält Journalisten an, alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung genau auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. <?page no="25"?> 2 Journalistische Berufsforschung 26 2.3 Ausbildung und Sozialisation im Journalismus Da, wie erwähnt, Pressefreiheit ein Jedermannsrecht ist, ist der Berufszugang in den Journalismus prinzipiell offen und nach wie vor nicht an eine formalisierte Ausbildung gebunden. (»Eine staatliche Ausbildung wäre […] nur für den Fall zulässig, in dem Journalisten unzureichend ihre öffentliche Aufgabe erfüllen würden und damit die Pressefreiheit selbst gefährdet wäre« - Donsbach 2009, S. 98). In die Qualifikation von Journalisten wurde seitens der Medienbetriebe für lange Zeit (unverständlicherweise) nur wenig Aufwand und Mühe investiert, dem klassischen, einer Lehre vergleichbaren Volontariat nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Für lange Zeit galt der Journalismus v. a. unter Medienpraktikern gar als »Begabungsberuf«, der nicht erlernbar sei. Diese befremdende und überholte Auffassung (um nicht zu sagen: Ideologie) ist heute nur noch selten vorzufinden. Im Gegenteil: Da 1) zunehmend viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens einer wissenschaftlichen Durchdringung unterliegen, 2) zahlreiche Vorgänge in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur infolge ihrer hohen Komplexität nur noch schwer zu durchschauen sind und 3) immer größer werdende Informationsmengen zu bewältigen sind, hat sich weithin die Einsicht durchgesetzt, dass (nicht nur - aber v. a.) im Informationsjournalismus tätige Personen über eine gute Ausbildung verfügen sollten. Die Forderung nach qualifiziert ausgebildeten Journalisten kam Anfang der 1970er-Jahre auf. Damals konnte in einer bundesweit unter Zeitungsvolontären durchgeführten Umfrage empirisch nachgewiesen werden, dass die redaktionelle Ausbildung den Anforderungen an einen modernen Journalismus weitgehend nicht entsprach (vgl. Kieslich 1971, 1974). In einem vom Deutschen Presserat initiierten und (zunächst 1971 und dann 1973) von Verlegern, Journalisten und Wissenschaftlern erarbeiteten »Memorandum zur Journalistenausbildung« (siehe Aufermann/ Elitz 1975, S. 286ff) wurden Empfehlungen zur Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten <?page no="26"?> 2.3 Ausbildung und Sozialisation im Journalismus 27 von Journalisten festgehalten. Es entfaltete sich daraufhin in weiten Bereichen des Medienwesens eine heftige Ausbildungsdebatte, die in der Kommunikationswissenschaft in eine Diskussion über die Professionalisierung des Journalismus mündete (vgl. Publizistik 19: 1974 Heft 3-4 sowie Publizistik 20: 1975, Heft 1-2; vgl. Aufermann/ Elitz 1975). Ihr ursprünglich aus den USA stammender Grundgedanke war, angesichts gestiegener Berufsanforderungen für den Journalismus u. a. ähnliche Ausbildungs- und Zugangsregeln zu schaffen wie sie etwa für klassische Professionen (Lehrer, Ärzte, Rechtsanwälte etc.) gelten und die Journalisten auf verantwortungsethisches Handeln zu verpflichten. Zu einer solchen - allgemein verbindlichen - Professionalisierung des journalistischen Berufs kam es aber aus mehreren Gründen nicht: So wurde sie mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht für vereinbar gehalten. Außerdem wurde eingewendet, eine vereinheitlichte Journalistenausbildung könnte zu einer Homogenisierung der Weltsicht der Journalisten führen, was die Vielfalt der Meinungen beeinträchtigen könnte. Auch wurde befürchtet, dass die Professionalisierung des Journalismus zu einer Abschirmung der Journalisten vom Publikum führt. Last but not least wurde argumentiert, dass der Journalist der Wahrheit verpflichtet sei und somit auch gesinnungsethisch handeln müsse; ihm könne und dürfe - nicht zuletzt infolge unzureichender Kenntnisse der Medienwirkungsforschung - (ausschließlich) verantwortungsethisches, also an den vermeintlichen oder wirklichen Folgen orientiertes Handeln, nicht abverlangt werden (vgl. Kepplinger/ Vohl 1976; Kunczik, 1977, 1988). Gleichwohl gingen von dieser Ausbildungsdebatte zahlreiche Impulse und Initiativen für die Verbesserung der Ausbildung von Journalisten aus. So wurden in der Folge an mehreren Universitäten Diplomstudiengänge für Journalistik errichtet, universitäre und außeruniversitäre studien- und berufsbegleitende Ausbildungseinrichtungen geschaffen, neue Journalistenschulen etabliert und auch dem Volontariat mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Ausbildungsvertrag zwischen Verleger- und Journalistenverbänden, der das zweijährige Volontariat in Zeitungsverlagshäusern <?page no="27"?> 2 Journalistische Berufsforschung 28 inhaltlich regelt, kam allerdings erst viele Jahre später, nämlich 1990 zu Stande. Mindestvoraussetzung, um heute im Journalismus tätig zu sein, ist der Nachweis des Abiturs. In zahlreichen Zeitungs- und Rundfunkredaktionen ist für den Einstieg in den Journalismus ein abgeschlossenes (Fach-)Studium unabdingbar. Es gibt auch mehrere Wege, die in den Journalismus (Print-, Funk-, Onlinemedien) führen. Zu erwähnen sind insbesondere folgende: • Das klassische Volontariat: Es dauert in den Zeitungsverlagshäusern zwei Jahre, führt den Volontär durch mehrere Ressorts und vermittelt in aller Regel eine gute praktisch-handwerkliche Ausbildung. • Freie Journalistenschulen: Die Ausbildung findet in Kompaktkursen statt, die 18 bis 24 Monate dauern und neben einer soliden, teils mehrmedialen praktisch-handwerklichen Ausbildung (Print, Funk, Online) auch medien- und berufskundliche Inhalte vermitteln. • Universitäre Ausbildungsgänge in Form von Bachelor- und Masterstudiengängen Journalismus: Sie integrieren eine crossmediale praktisch-handwerkliche Ausbildung mit einer theoretisch-kommunikationswissenschaftlichen. Es gibt darunter Masterstudiengänge, deren Studierende ein Bachelor- oder Masterstudium in einem anderen Fach (Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Literaturwissenschaft etc.) abgeschlossen haben, sodass viele von ihnen über inhaltliche Voraussetzungen für die Tätigkeit in einem Ressort verfügen. • Das Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft: Es vermittelt in seinen BA- und MA-Studiengängen, wie sein Name sagt, eine primär theoretische bzw. wissenschaftliche Ausbildung und versucht, Einblicke in die breite Palette der Kommunikationsberufe (Journalismus, Public Relations, Werbung, Medienmanagement, Onlinekommunikation etc.) zu bieten. (Pflicht-)Praktika ergänzen in aller Regel ihr Lehrprogramm. • Fachhochschulstudiengänge: Sie leisten eine ressortbezogene Grundausbildung, vermitteln gleichzeitig eine (in aller Regel <?page no="28"?> 2.3 Ausbildung und Sozialisation im Journalismus 29 mehrmediale) praktisch-handwerkliche Ausbildung (Print, Funk, Online) sowie medien- und berufskundliches Wissen. • Studienbegleitende Akademien: Sie vermitteln Studierenden aller Studienrichtungen begleitend zum Studium (vorwiegend in der vorlesungsfreien Zeit) eine intensive praktisch-handwerkliche (Print oder Funk oder Online) sowie medien- und berufskundliche Ausbildung in Form von mehrwöchigen bzw. mehrmonatigen Kompaktkursen und ergänzenden (Wochenend-) Seminaren. • Berufsbegleitende Akademien: Sie bieten für bereits im Beruf stehende Journalisten (v. a. für Jungjournalisten) und sog. Seiteneinsteiger mehrmonatige bzw. mehrwöchige, vorwiegend praktisch-handwerkliche Ausbildungskurse (Print, Funk, Online) sowie mehrtägige medien-, berufs- oder ressortkundliche Fortbildungsseminare. • Journalistenschulen in Medienbetrieben: Sie leisten (meist) eine crossmediale praktisch-handwerkliche Ausbildung, die durch medien- und berufskundliche Ausbildungsinhalte (darunter auch Medienökonomie) ergänzt wird. Überblicke über die Ausbildungslandschaft im deutschen Sprachraum und deren Entwicklung in den zurückliegenden drei Jahrzehnten vermittelt Walter Hömberg (2005). Er spricht von einer »Expansion« (Zunahme an Ausbildungsofferten) sowie von einer zunehmenden »Differenzierung« (Universitäten, Fachhochschulen, private Einrichtungen etc.). Auch der sog. Bologna-Prozess, die Einführung zweigliedriger Studiengänge mit den Abschlüssen Bachelor und Master, spielt(e) eine Rolle (Hömberg 2005, S. 16ff; Hömberg/ Hackel-de Latour 2005; Altmeppen/ Hömberg 2002). Was die Ausbildungsinhalte betrifft, so besteht Übereinkunft darüber, dass Journalisten - v. a. jene, die bei den klassischen Medien im Informationsbereich arbeiten - über eine möglichst umfassende und breit angelegte Ausbildung verfügen sollten. Fünf Gebiete sind anzusprechen (vgl. Pürer 1996b, S.-402f ): 1) Eine solide, nach Möglichkeit mehrmediale praktisch-handwerkliche Ausbildung; also die Kenntnis der journalistischen <?page no="29"?> 2 Journalistische Berufsforschung 30 Tätigkeiten, Darstellungsformen und Gestaltungstechniken. Eine mehrmediale Ausbildung (Print, Funk, Fernsehen, Online) erhöht die Berufsmobilität zwischen den Medien. 2) Ein fundiertes, allgemeines gesellschaftliches Grundlagenwissen mit Kenntnissen über Staat, Politik, Recht, Gesellschaft und Kultur. Es ermöglicht im Bedarfsfall den Einsatz des Journalisten in mehreren Ressorts. 3) Ein umfassendes Ressortwissen in Politik oder Wirtschaft oder Kultur oder Sport oder Sozialem etc. Es ist unerlässlich für jenes Ressort, in welchem man vorwiegend arbeitet und für das man ohne Spezialwissen nicht mehr auskommt. 4) Die Grundlagen der Methoden und Techniken der Sozial- und Medienforschung. Journalisten sind oft mit empirischem Datenmaterial konfrontiert, dessen Entstehung und Qualität sie unbedingt beurteilen können sollten. 5) Eine gute Kenntnis des Medien- und Berufswissens, um über eigene Rechte und Pflichten genau Bescheid zu wissen. Zu ergänzen ist dieser Katalog um Ausbildungsinhalte, die aus dem Vorhandensein neuer Kommunikations- und Medienangebote in Onlinemedien wie Blogs, soziale Gemeinschaften, Kurznachrichtendienste, Kommentarfunktionen und andere Kommunikationsanwendungen und -möglichkeiten resultieren. Aus diesem Ausbildungskatalog ergeben sich Kompetenzen, über die Journalisten verfügen sollten. Weischenberg hat 1990 auf drei Schlüsselkompetenzen hingewiesen (Weischenberg 1990): die Fach- und Organisationskompetenz (das Handwerk und das Medienwissen), die Sachkompetenz (das Ressortwissen) sowie die Vermittlungskompetenz (die mediengerechte Artikulationsfähigkeit). Claus Eurich spricht die folgenden Kompetenzen an: die Selektionskompetenz (Herstellung und Wahrung des Blicks auf und für das Wesentliche); die Recherchekompetenz (Auffinden und Prüfen der Seriosität von Quellen, systematisches Gegenrecherchieren etc.); die Kontextkompetenz (ereignisbezogen Schnittstellendimensionen freilegen, neue Themenfolgen erschließen etc.); die Vermittlungskompetenz (Sprachkompetenz, Kompetenz der <?page no="30"?> 2.3 Ausbildung und Sozialisation im Journalismus 31 Stilformen, Kompetenz der Visualisierung etc.); die Reflexionskompetenz (Berücksichtigung sozialer Prozesse und ontologischer Komponenten) und die Sozialkompetenz (Bedachtnahme auf den Umstand, dass durch die Folgen journalistischer Tätigkeit im weitesten Sinne die Herstellung und Verstärkung von gesellschaftlichem Sinn und Eigensinn erfolgt) (vgl. Eurich 1998, S.-16). Die European Journalism Training Organisation (EJTA) hat 2006 mit Blick auf die Veränderungen, durch die der Journalismus infolge des Internets gekennzeichnet ist, den nachfolgend genannten Kompetenzenkatalog entwickelt (hier in Übernahme von Steffen Burkhardt 2009, S.-10-12): • Reflexionskompetenz: Kenntnis der gesellschaftlichen Grundwerte, Entwicklung des Mediensystems sowie der Zielgruppen journalistischer Produkte. Bedeutung des Journalismus in modernen Gesellschaften, seine Verantwortung, seinen Einfluss. »Journalisten müssen die Werte, die durch ihre professionellen Entscheidungen zum Ausdruck gebracht werden, erkennen, benennen und begründen können« (Burkhardt 2009, S. 10). • Vermittlungskompetenz: Öffentlichkeitswirksame Inhalte identifizieren, sie mediengerecht für spezifische Zielgruppen aufbereiten, analytischer Zugang zu aktuellen Ereignissen, Kenntnisse der Nachrichtenfaktoren, Verständnis der Gestaltungsmöglichkeiten und -grenzen von Medien, Medieninstitutionen und Medienprodukten. »Nur wer Ereignisse für spezifische Zielgruppen selektieren kann, ist journalistisch in der Lage, öffentliche Diskurse, Diskussionen und Debatten reflektiert zu gestalten« (Burkhardt 2009, S. 11). • Planungs- und Organisationskompetenz: realistische Arbeitspläne erstellen und umsetzen können. »Journalistinnen und Journalisten sollten dabei trotz Außendrucks zielführend arbeiten können und flexibel genug sein, spontan auf unerwartete Entwicklungen angemessen zu reagieren« (ebd.). • Informationskompetenz: Informationen nachrichtlich erfassen und verarbeiten können, Kenntnis von Informationsquellen/ Informanten, Referenzpublikationen, Datenbanken, Nach- <?page no="31"?> 2 Journalistische Berufsforschung 32 richtenagenturen, Fähigkeit; Quellen zu hinterfragen, Beiträge durch (Double-)Checks objektivieren. »Vor allem durch die neuen Medien wird Informationskompetenz auch als Basis für einen Interaktionsprozess verstanden und in einem weiteren Sinn als Fähigkeit gesehen, mit der Gesellschaft informierend zu interagieren« (ebd.). • Selektionskompetenz: Zwischen relevanten und weniger relevanten Aspekten unterscheiden können, richtig gewichten; Informationen korrekt, akkurat, zuverlässig und vollständig verarbeiten und sie in den richtigen Kontext setzen können. »Bei der Selektion müssen sie Informationen für ein spezifisches Medium verarbeiten und die Folgen ihrer Auswahl für die Zielgruppe, die Gesellschaft (zunehmend auch aus interkultureller Perspektive), die Informanten, die Betroffenen und sich selbst abwägen« (Burkhardt 2009, S. 11f ). • Strukturierungskompetenz: Kenntnis der Darstellungsformen, für spezifische Inhalte angemessene Form wählen, auf Erzählstrukturen achten »und die Strukturen der Informationsaufbereitung auf die Bedürfnisse eines Medienprodukts abzustimmen« (Burkhartd 2009, S. 12). • Präsentationskompetenz: Sich schriftliche und mündliche Sprachfertigkeit aneignen, Informationen möglichst auch crossmedial aufbereiten können (durch Verknüpfung von Texten, Bildern, Tönen, Videosequenzen); sich Genre-, Technik und Layoutkenntnisse aneignen. »Ziel ist dabei nicht, alles zu können, sondern eine Koordinationsfähigkeit für die Arbeit im Team zu entwickeln und z. B. Techniker in Hinblick auf eine sinnvolle Präsentation von Themen anzuleiten« (ebd.). • Evaluationskompetenz: Eigene Arbeit und die anderer auf Basis von Qualitätskriterien bewerten können. Die Evaluationskompetenz »erfordert eine Offenheit für kritische Selbst- und Fremdevaluation als konstruktiver Voraussetzung zu Weiterentwicklung der journalistischen Arbeit und die Bereitschaft, Verantwortung für die Folgen von Veröffentlichungen zu übernehmen« (ebd.). <?page no="32"?> 2.3 Ausbildung und Sozialisation im Journalismus 33 • Soziale Kompetenz: Sozial akzeptierte Umgangsformen, Engagement und Initiative in der Teamarbeit, Erkennen und Beachten von hierarchischen Beziehungen. Die soziale Kompetenz »setzt die Kenntnis der beruflichen Aufgabe, persönlicher Stärken und Schwächen und die Reflexion von Kolleginnen und Kollegen voraus« (ebd.). Im Zusammenhang mit dem Thema Ausbildung sei noch kurz die Frage angesprochen, welche Stadien ein Journalist durchschreitet, wenn er im Zuge des Eintritts in eine Redaktion gleichsam schrittweise die journalistische Berufsrolle übernimmt. Es handelt sich dabei um einen Vorgang, der allgemein als berufliche Sozialisation bezeichnet wird und den es in allen anderen Berufen auch gibt. Sie geht im Wesentlichen in drei Etappen vor sich (vgl. Rühl 1971, Langenbucher 1971; Gruber 1976, Gottschlich 1980): In der Rekrutierungsphase (unmittelbar vor Berufseintritt) sind die soziale Herkunft des Journalisten, v. a. aber seine Vorstellungen über den Beruf, seine Erwartungen an den Beruf sowie seine Motivation von Bedeutung. Es konnte festgestellt werden, dass Journalisten eher der Mittel- und Oberschicht entstammen, sie den Beruf ergreifen, weil sie sich ein hohes Maß an Selbstverwirklichung erwarten und mit dem Beruf oftmals idealistische Erwartungen verbunden sind (die Welt verbessern, Macht ausüben können, anderen helfen). In der Konkretisierungsphase, also während der redaktionellen Ausbildung, erhält der in die Redaktion Eintretende vielfältige An- und Unterweisungen, lernt Sanktionsmöglichkeiten (Lob, Tadel) kennen und erfährt bei Bewährung auch berufliche Förderung. In dieser Phase übernimmt oder antizipiert er bewusst oder unbewusst Verhaltensregeln, verinnerlicht allmählich die in der Redaktion geltenden Werte, passt sich an und übt vielleicht auch Selbstzensur. Kurz: Er lernt die Diskrepanz zwischen Berufsvorstellungen und -erwartungen einerseits und der Berufswirklichkeit andererseits kennen. In der Konsolidierungsphase, nach dem Ende der Ausbildung, kommen die Ergebnisse beruflicher Sozialisation zum Tragen: Die redaktionellen Mitgliedsregeln und die Berufsethik werden übernommen, es bildet sich das persönliche Berufsverständnis <?page no="33"?> 2 Journalistische Berufsforschung 34 heraus. Die Grundmuster berufsspezifischer Vorstellungsbilder wie berufliche Autonomie, moralische Integrität sowie das Gefühl persönlicher Kompetenz verfestigen sich. 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur Wie erwähnt, ist die Berufsbezeichnung Journalist in Deutschland und zahlreichen anderen demokratischen Ländern westlicher Prägung nicht geschützt: Rein rechtlich kann sich jeder als Journalist bezeichnen. Es gibt daher auch kein allgemein verbindliches Berufsbild. Und angesichts der Fülle journalistischer Berufe mit je unterschiedlichen Arbeitsfeldern und Tätigkeitsmerkmalen verwundert es folglich nicht, dass neuere Definitionen von »Journalist« bzw. »Journalismus« in aller Regel eher allgemein gehalten sind. So definiert z. B. Manfred Rühl Journalismus (aus systemtheoretischer Sicht) als »Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunikation« (Rühl 1980, S.-319), wobei das Kennzeichen der Themen, die der Journalismus bereitstellt, das Aktualitätsprinzip ist. Gleichwohl haben »seit jeher die Strukturdefinitionen im Berufsbild des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) eine starke normative Kraft ausgeübt« (Donsbach 1999a, S.- 489) und zumindest in der Praxis weithin Anerkennung gefunden. Vergleicht man die Berufsbilder des 1949 gegründeten DJV von den Anfangsjahren bis zur Gegenwart, so hat sich der Journalismus entlang dreier Dimensionen bis heute verändert, wie Donsbach festhält: So ist 1) ein Wandel vom Journalismus als Begabungsberuf zum Ausbildungs- und Qualifikationsberuf feststellbar; wird 2) der sog. »subsidiäre Journalismus«, also Tätigkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit, in das Berufsbild integriert; und schließlich werden 3) Tätigkeitsmerkmale und Arbeitsformen an die technischen und wirtschaftlichen Veränderungen in der Medienwelt angepasst (vgl. Donsbach 1999a, S.-490). Die derzeit gültige Definition des Berufsbildes des DJV lautet (DJV 2012): <?page no="34"?> 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur 35 »Journalistin/ Journalist ist, wer nach folgenden Kriterien hauptberuflich an der Erarbeitung bzw. Verbreitung von Informationen, Meinungen und Unterhaltung durch Medien mittels Wort, Bild, Ton oder Kombinationen dieser Darstellungsmittel beteiligt ist: 1) Journalistinnen und Journalisten sind fest angestellt oder freiberuflich tätig für Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften, Anzeigenblätter oder aktuelle Verlagsproduktionen), Rundfunksender (Hörfunk und Fernsehen), digitale Medien, soweit sie an publizistischen Ansprüchen orientierte Angebote und Dienstleistungen schaffen, Nachrichtenagenturen, Pressedienste, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Wirtschaft, Verwaltung und Organisationen sowie in der medienbezogenen Bildungsarbeit und Beratung. 2) Zu journalistischen Leistungen gehören vornehmlich die Erarbeitung von Wort und Bildinformationen durch Recherchieren (Sammeln und Prüfen) sowie Auswählen und Bearbeiten der Informationsinhalte, deren eigenschöpferische medienspezifische Aufbereitung (Berichterstattung und Kommentierung), Gestaltung und Vermittlung, ferner disponierende Tätigkeiten im Bereich von Organisation, Technik und Personal. 3) Journalistinnen und Journalisten üben ihren Beruf aus als freiberuflich Tätige oder als Angestellte eines Medienunternehmens bzw. im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Wirtschaftsunternehmens, einer Verwaltung oder einer Organisation. Freie Journalistinnen und freie Journalisten sind tätig • regelmäßig für einen oder mehrere Auftraggeber auf der Grundlage individueller Vereinbarungen oder tariflicher Verträge, • für ein oder mehrere Unternehmen auf der Grundlage von Vereinbarungen im Einzelfall oder ohne Auftrag, indem sie journalistische Beiträge erarbeiten und den Medien anbieten. Freie Journalistin/ freier Journalist ist auch, wer Inhaber oder Anteilseigner eines Medienbüros ist oder im Zusammenschluss mit anderen freien Journalistinnen oder Journalisten arbeitet, sofern die <?page no="35"?> 2 Journalistische Berufsforschung 36 journalistische Tätigkeit dabei im Vordergrund steht. Angestellte Journalistinnen und Journalisten arbeiten auf der Basis des geltenden Arbeitsrechts und bestehender Tarifverträge.« Aus der sehr detaillierten Beschreibung geht hervor, dass das Berufsbild im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis (fest angestellt oder freiberuflich), auf die Medien (Presse, Rundfunk, Online-, Offlinemedien, Öffentlichkeitsarbeit etc.), auf die Tätigkeitsmerkmale (Recherchieren, Auswählen, Aufbereiten, Gestalten etc.) und auf die Unternehmensart (Medienunternehmen, Wirtschaftsunternehmen, Verwaltung, Organisation) konkretisiert wird. Es bezieht damit einen möglichst umfassenden Kreis von Personen ein, die in Kommunikationsberufen tätig sind. Dies ist nicht zuletzt berufspolitisch für die Verbände selbst (hohe Mitgliederzahlen) sowie für die jeweils Betroffenen (Tarifverträge) von besonderer Bedeutung. Es ist wiederholt versucht worden, Daten zu Berufsbild, Berufsstruktur, Selbstbild und Fremdbild der Journalisten in Deutschland zu ergründen. Es ist dies forschungstechnisch gar nicht so einfach zu bewerkstelligen: So liegen keine Berufslisten oder Berufsverzeichnisse vor, in die Einsicht genommen werden könnte. Und auch die Berufsverbände sind aus Gründen des Datenschutzes in aller Regel nicht bereit, die Namen ihrer Mitglieder bekannt zu geben. Daher sind Journalismusforscher weitgehend auf die Bereitschaft von Medienbetrieben angewiesen, wenn sie Informationen über die Anzahl der journalistisch Beschäftigten erhalten oder sich für Zwecke wissenschaftlicher Befragungen (mittelbaren oder unmittelbaren) Zugang zu Journalisten verschaffen wollen. Nicht selten stößt man dabei unter den Journalisten auch auf eine beträchtliche Zahl von Antwortverweigerern. Es verwundert dies bei einer Berufsgruppe, die anderen Personengruppen - berufsbedingt natürlich - sehr gerne auf die Finger, unter den Teppich (und mitunter sogar in die Betten) schaut. Möglicherweise ist aber ein Grund auch darin zu sehen, dass zahlreiche Fragebögen - nicht zuletzt von Studierenden der Journalistik oder Kommunikationswissenschaft - auf den Schreibtischen der Journalisten landen, deren Bearbeitung oftmals viel Zeitaufwand bedeutet. <?page no="36"?> 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur 37 Unter den zahlreichen empirischen Studien, die es über Journalisten in Deutschland seit Ende der 1960erbzw. Anfang der 1970er- Jahre gibt, seien hier aus Platzgründen jene herausgehoben, die medienübergreifende Gesamtdarstellungen umfass(t)en. Es sind dies Mitte der 1970er-Jahre vorgelegte Studien, Anfang der 1990er- Jahre (nach der Wiedervereinigung) erstellte Studien sowie zwischen 2005 und 2009 entstandene Journalistenbefragungen. Dazu im Einzelnen: Journalistenenquete 1974, Synopse »Journalismus als Beruf« 1977 1974 erarbeitete die Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung (AfK) München eine - leider nicht veröffentlichte, sondern nur als vervielfältigter Forschungsbericht vorliegende - repräsentative »Journalistenenquete« (vgl. Böckelmann 1993, S. 56ff). 1977 folgte - ebenfalls von der AfK München - die Forschungssynopse »Journalismus als Beruf« (vgl. Böckelmann 1993, S 58ff). Auch sie liegt nur als vervielfältigtes Manuskript vor. Bei ihr handelte es sich u. a. auch um eine Auswertung von Kernstudien, deren Datenmaterial zugänglich und einigermaßen vergleichbar war (vgl. ebd.). Damals gab es in der Bundesrepublik (also nur Westdeutschland) »etwa 25.000 Journalisten«, unter ihnen mehr als 4.500 freie Journalisten und etwas mehr als 1.500 Volontäre und Praktikanten (ebd.). Die meisten von ihnen arbeiteten bei Tages- und Wochenzeitungen (6.500). »Etwa 3.000 Journalisten waren beim Rundfunk [damals nur öffentlich-rechtlicher Rundfunk - H. P.] und sonstigen AV-Medien tätig« (Böckelmann 1993, S. 59). Die Befragten hielten mehrheitlich (»zwischen der Hälfte und zwei Dritteln«) den Journalismus »für einen ›Beruf für Idealisten‹«, Beziehungen wurden für Karrieren als wesentlich erachtet (Böckelmann 1983, S. 60). Im Rollenverständnis der Befragten dominierte die Auffassung, »politische und gesellschaftliche Prozesse kritisch zu kommentieren und zu kontrollieren« (ebd.), daneben gab es noch »die Rollenvorstellung vom Journalisten als Anwalt unterprivilegierter […] Bevöl- <?page no="37"?> 2 Journalistische Berufsforschung 38 kerungsgruppen« (ebd.). Das Berufsbild befand sich damals infolge »zunehmender Rationalisierung und Technisierung der journalistischen Berufstätigkeit« im Umbruch (ebd.). Zur Erklärung: Die Einführung elektronischer Systeme der Zeitungsproduktion - und damit die Verlagerung technischer Arbeiten aus dem Bereich Satzherstellung in die Redaktion - stand damals bevor. Journalismus in Deutschland [I], Sozialenquete 1992 Weiters zu erwähnen sind die 1992 entstandenen Berufsstudien über »Journalismus in Deutschland[I]« (Weischenberg et al. 1993f; 1.500 schriftlich Befragte) sowie die »Sozialenquete über die Journalisten in der Bundesrepublik Deutschland« (Schneider et al. 1993f; 1.500 Telefoninterviews). Beide Studien beanspruchten Repräsentativität, gelangten aber infolge unterschiedlicher methodischer Designs zu mitunter mehr oder weniger voneinander abweichenden Ergebnissen. 1992 gab es im wiedervereinten Deutschland 32.000 (Sozialenquete) bzw. 36.000 (Journalismus in Deutschland) hauptberuflich tätige Journalisten, hinzu kamen rund 18.000 bis 20.000 freie Mitarbeiter. In der Summe ergab dies etwa 52.000 bis 55.000 Journalisten. Größter Arbeitgeber waren die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, gefolgt von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie vom privaten Rundfunk (Radio, TV). Die zumindest tendenziell vergleichbaren Ergebnisse der beiden Studien lassen sich wie folgt zusammenfassen: Im Jahr 1992 waren Journalisten eine relativ junge Berufsgruppe mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren. Der Anteil der Frauen lag im Bundesdurchschnitt bei 30 Prozent (in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland). Das monatliche Durchschnittseinkommen betrug damals rund 2.045 Euro netto. Die Berufszufriedenheit war hoch, besonders geschätzt wurde die berufliche Autonomie. Mit Blick auf Berufsverständnis bzw. Rollenbild stand die Informationsfunktion an erster Stelle, gefolgt von Kritik- und Kontrollaufgaben. Die Befragten verfügten über ein recht positives Publikumsbild (»aufgeschlossen«, »gut informiert«, »politisch interessiert«), <?page no="38"?> 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur 39 bei politischen Präferenzen wurde von den Befragten die SPD besser bewertet als andere Parteien. Was ethische Fragen betraf, so standen die ostdeutschen Journalisten unfairen Methoden der Informationsbeschaffung deutlich zurückhaltender gegenüber als die westdeutschen. Junge Journalisten standen der Berufsethik unbekümmerter gegenüber als ältere. Wichtigste Orientierungsmedien der Journalisten waren Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung sowie Tagesthemen (ARD) und Tagesschau (ARD). Die Arbeitszeit betrug im Wochendurchschnitt 46 Stunden und stieg mit höherer Berufsposition. Den größten Zeitaufwand nahm bei Printjournalisten die Recherche, bei Funkmedien die technisch aufwändigere Produktion ein. Bei den journalistischen Ausbildungswegen dominierte mit Abstand das Volontariat. In der Summe waren die Journalisten damals eine relativ homogene Berufsgruppe, eine ausgeprägte Tendenz zur »Selbstreferenz« war nicht zu übersehen: Externe Einflüsse wurden gering bewertet, hohe Beachtung kam der Kollegenorientierung zu. Journalismus in Deutschland [II] Mit der 2006 als Buchpublikation veröffentlichen Studie »Die Souffleure der Mediengesellschaft« legten Siegfried Weischenberg, Maja Malik und Armin Scholl einen umfassenden »Report über die Journalisten in Deutschland« vor (Weischenberg et al. 2006b). Kernbefunde der Studie wurden 2006 auch als Aufsatz vorab publiziert (Weischenberg et al. 2006a). Das Design des Journalistenreports 2006 entsprach weitestgehend jenem der 1993 publizierten Studie »Journalismus in Deutschland« (Weischenberg et al. 1993ff). Die Resultate der umfangreichen quantitativen und repräsentativen Erhebung beruhen auf den Antworten von 1.536 repräsentativ im Frühjahr 2005 telefonisch (mittels CATI) befragten, festangestellten oder freien Journalistinnen und Journalisten aus Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen, Anzeigenblättern, Hörfunk- und Fernsehsendern, Onlinemedien, Nachrichtenagenturen und Mediendiensten. Als Journalisten werden den Autoren der Studie zufolge <?page no="39"?> 2 Journalistische Berufsforschung 40 (relativ eng) diejenigen Personen bezeichnet, »die hauptberuflich und hauptsächlich damit beschäftigt sind, aktuelle, auf Tatsachen bezogene und (für ihr Publikum) relevante Informationen zu sammeln, zu beschreiben und in journalistischen Medien zu veröffentlichen« (Weischenberg et al. 2006b, S. 31). 2005 gab es in Deutschland hochgerechnet etwa 48.000 hauptberuflich tätige Journalisten - festangestellt oder als hauptberuflich Freie. Gegenüber 1993 (damals rund 54.000) sind dies immerhin rund 6.000 weniger, wobei das Minus hauptsächlich auf die rückläufige Zahl von hauptberuflichen Freien - insgesamt stellen diese 12.000 bzw. ein Viertel - zurückzuführen ist (vermutlich aber auch auf die relativ eng gehaltene Definition von Journalist). Die Zahl der festangestellten Redakteure dagegen ist mit rund 36.000 gegenüber 1993 stabil geblieben (vgl. Weischenberg et al. 2006b, S.-36f ). (Die mehr als 7.000 Journalisten, die bei der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2005 als arbeitslos gemeldet waren, sind in der Statistik nicht enthalten). Die Autoren eruierten Befunde zu klassischen Fragen der journalistischen Berufsforschung, u. a. also: in welchen Medien und Ressorts die Journalisten arbeiten; welche Merkmale und Einstellungen sie aufweisen; wie es um ihre Berufszufriedenheit bestellt ist; über welches Rollenbild sie verfügen; wie sie sich informieren und welche ihre Leitmedien sind; wonach sie sich richten und wie es um ihre Moral bestellt ist. Holzschnittartig - und damit naturgemäß verkürzt - lässt sich der deutsche Journalist kompakt wie folgt beschreiben: Er ist männlich (63 Prozent), knapp 41 Jahre alt (1993: 37 Jahre), entstammt der Mittelschicht, verfügt über einen Hochschulabschluss (69 Prozent) und hat ein Volontariat absolviert (63 Prozent). Er arbeitet bei einem Printmedium (61 Prozent), verdient ca. 2.300 Euro netto monatlich (1993: umgerechnet 2.000 Euro), lebt in einer festen Partnerschaft (71 Prozent) und ist kinderlos (57 Prozent). Er positioniert sich weltanschaulich »eher links von der Mitte« und sieht sein Medium »mehr oder weniger rechts von der Mitte« (Weischenberg et al. 2006b, S. 70). Sein berufliches Selbstverständnis ist vom Informationsjournalismus geprägt (vgl. Wei- <?page no="40"?> 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur 41 schenberg et al. 2006b, S. 102ff). Wichtige Orientierungsmedien sind für ihn die Süddeutsche Zeitung (35 Prozent) und Der Spiegel (34-Prozent) sowie die ARD-Tagesschau (19 Prozent) und weitere andere, aber weniger regelmäßig genutzte Medien (vgl. S. 132ff). Weitere Resultate sind: Frauen: Der Anteil der Frauen im Journalismus macht 37 Prozent aus (1993 waren es knapp ein Drittel, in den 70er-Jahren 20 Prozent); unter den Berufsanfängern stellen sie erfreulicher Weise bereits die Hälfte (50,3 Prozent). Frauen nehmen insgesamt nur zu gut einem Fünftel (22 Prozent) leitende Posten ein und verdienen im Durchschnitt immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen. Vier von fünf Chefredakteuren sind männlich (vgl. S. 45ff). Auf der mittleren Führungsebene hat indessen »etwas mehr Bewegung stattgefunden« (ebd): knapp 29 Prozent der Ressortleiter und Chefs vom Dienst sind weiblich (1993: 20 Prozent). Journalistinnen sind überwiegend in Ressorts bzw. für Themen wie Mode, Wellness, Lifestyle, Gesundheit, Familie, Kinder, Soziales tätig. Diese Verteilung spiegelt »weitgehend altbekannte Rollenmuster wider« (Weischenberg et al. 2006b, S. 48), wenngleich »die Geschlechtergrenzen in den zentralen Ressorts des Journalismus langsam aufzuweichen [scheinen]« (ebd.) und Frauen »nicht mehr nur in den vermeintlichen Randbereichen des Journalismus vertreten [sind]« (Weischenberg et al. 2006b, S. 49). Vom Segment der Zeitungen abgesehen sind Frauen »in den zentralen Ressorts und zentralen Medien mindestens entsprechend dem Frauenanteil im Journalismus insgesamt repräsentiert« (ebd.). Ausbildung: Bezüglich weiterer Ergebnisse sei erwähnt, dass z. B. der Ausbildungsweg der Journalisten bislang »keinerlei Einfluss auf ihre spätere berufliche Position und nur wenig Einfluss auf ihr Gehalt« hat (S. 68). Unter den journalistischen Ausbildungswegen stehen Praktikum (69 Prozent) und Volontariat (62 Prozent) unangefochten an der Spitze, ein Studium der Journalistik weisen 14 Prozent der Befragten auf, jenes der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 17 Prozent. Unter den universitären Studienrichtungen stehen Germanisitik/ Literatur- und Sprachwissenschaften mit 25 Prozent an der Spitze (Weischenberg et al. 2006b, S. 67f ). <?page no="41"?> 2 Journalistische Berufsforschung 42 Medientyp: Innerhalb der Medienbereiche hat es seit 1993 Verschiebungen gegeben (vgl. Weischenberg et al. 2006b, S. 37ff): So sind bei Fernsehen und Hörfunk sowie allgemein bei Zeitschriften prozentuell vergleichsweise mehr Journalisten tätig als 1993; bei Zeitungen, Anzeigenblättern, Agenturen und Mediendiensten prozentuell weniger. Bei Onlinemedien arbeiten 5- Prozent, unter ihnen eine beträchtliche Anzahl fester Freier. Auf diese Gruppe, die Freien, greifen nun in vergleichsweise stärkerem Ausmaß auch Fernsehen und Hörfunk zurück (vgl. Weischenberg et-al. 2006b, S. 40). Rollenbild: »Größte Zustimmung von den Journalisten erhalten […] Rollenbilder, die auf Information und Vermittlung gerichtet sind« (S. 102): »das Publikum neutral und präzise informieren« (89 Prozent); »komplexe Sachverhalte erklären und vermitteln« (79- Prozent); »dem Publikum möglichst schnell Informationen vermitteln« (74 Prozent); »Realität genau so abbilden, wie sie ist« (74 Prozent). Wichtig erscheint den Journalisten aber auch, Kritik an Missständen zu üben (58 Prozent), den Menschen Gehör zu verschaffen (34 Prozent), sich für Benachteiligte in der Bevölkerung einzusetzen (29 Prozent), Bereiche wie Politik und Gesellschaft zu kontrollieren (24 Prozent). Dagegen wollen nur 14 Prozent »die politische Tagesordnung beeinflussen und Themen auf die politische Agenda setzen« (Weischenberg et al. 2006b, S. 106f ). Absicht und Rollenumsetzung (tatsächliche Handlungsrelevanz) weichen jedoch voneinander ab, wobei es auch mediale Unterschiede (Medientyp) gibt (Weischenberg et al. 2006b, S. 107ff). Tätigkeiten: Die Wochenarbeitszeit beträgt den Angaben der Befragten zufolge 45 Stunden (und ist damit um eine Stunde weniger als 1993). Der tägliche zeitliche Aufwand für die Recherche beträgt 117 Minuten, jener für das Auswählen 33 Minuten, für das Redigieren des Informationsmaterials 33 Minuten, für das Redigieren der Texte von Kollegen und Mitarbeitern 55 Minuten. »Gleich geblieben ist mit zwei Stunden auch die Zeit, die für das Texten und Verfassen von Beiträgen aufgebracht wird […] wohingegen die Moderation (nur bei Rundfunkjournalisten) deutlich an Bedeutung verloren hat« (28 Minuten; 1993: 46 Minuten) (Wei- <?page no="42"?> 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur 43 schenberg 2006b, S. 80f ). Neu hinzugekommen sind Internettätigkeiten (Kommunikation und Recherche, 122 Minuten), E-Mail- Kontakte und Kommunikation mit dem Publikum (44 Minuten). Das Mitte der 1990er-Jahre neu hinzu gekommene Internet blieb für die Arbeit der Journalisten also nicht ohne Folgen. Arbeitszufriedenheit: Die Arbeitsbzw. Berufszufriedenheit ist relativ hoch. Geschätzt wird v. a. das Verhältnis zu Mitarbeitern (93 Prozent), Arbeitskollegen (88 Prozent) und Vorgesetzten (74 Prozent). Hohe Wertschätzung genießt auch die Möglichkeit, sich die Arbeit selbst einzuteilen (79 Prozent) und mit der politischen und weltanschaulichen Linie des Medienbetriebs gut zurecht zu kommen. Auch mit der Qualität der Ausbildung sind die Befragten zufrieden (72 Prozent), die Fernsehjournalisten besonders. Mit der Höhe der Bezahlung sind 54 Prozent zufrieden, mit der beruflichen Sicherheit immerhin die Hälfte (50 Prozent). Aufstiegsmöglichkeiten werden von Chefredakteuren (56 Prozent) und Ressortleitern (46 Prozent) naturgemäß höher eingeschätzt als von Redakteuren (26 Prozent Zufriedene) oder Volontären (33 Prozent Zufriedene). Ähnlich sind die Verhältnisse bezüglich der beruflichen Absicherung (Weischenberg et al. 2006b, S. 89ff). Arbeitsklima, Ethik, Publikumsbild: Das Arbeitsklima wird durchweg als gut bezeichnet, mit der Arbeitsbelastung am wenigsten zufrieden sind die Zeitungsjournalisten, »deren Redaktionen personell am meisten von der Medienkrise betroffen sind« (Weischenberg et al. 2006b, S. 93). Gegenüber der Legitimität umstrittener Recherchemethoden herrscht noch stärkere Zurückhaltung vor als 1993, jüngere Journalisten sind vergleichsweise weniger zurückhaltend (vgl. Weischenberg et al. 2006b, S.-174ff). Das Publikumsbild ist differenziert; im Durchschnitt wird es für politisch interessiert und gebildet, an Informationen noch mehr interessiert gehalten als an Unterhaltung und politisch überwiegend der Mitte zugeordnet (vgl. Weischenberg et al. 2006b, S. 157ff). Parteipräferenzen: Was die Parteipräferenzen der Befragten betrifft, so gaben 36 Prozent der Befragten an, eine Neigung für Bündnis 90/ Die Grünen zu haben, gefolgt von 26 Prozent der Respondenten mit Neigung zur SPD, neun Prozent mit Neigung <?page no="43"?> 2 Journalistische Berufsforschung 44 zu CDU/ CSU, sechs Prozent mit Neigung zur FDP und ein Prozent zur PDS (heute: Die Linke). Weitere 20 Prozent geben an, ohne Parteineigung zu sein. Gegenüber 1993 finden die Grünen fast doppelt so viel Zuspruch (plus 19 Prozent), in der Altersgruppe der 36bis 45-Jährigen ist er mit 42 Prozent am höchsten. Bei den hier dargestellten Befunden handelt es sich nur um einige wenige (notgedrungen relativ undifferenziert wiedergegebene) Ergebnissplitter, vorwiegend nackte Daten. Die Studie enthält eine große Fülle von Erklärungen und Interpretationen dieser und weiterer Daten und Fakten, die ein differenziertes und facettenreiches Bild über die Berufsgruppe der Journalisten in Deutschland vermitteln. Die Autoren gelangen gegenüber 1993 zu einem Berufsbild, das auch die Folgen der Digitalisierung und der Wirtschaftskrise im Mediensektor zu spüren bekam; das Berufsfeld selbst hat sich u. a. durch Fachmedien und spezielle Themengebiete sowie durch das Internet ausdifferenziert. Der Berufsstand franst seit geraumer Zeit bekanntlich an seinen Rändern aus, so etwa auch im Onlinejournalismus. »Man lernt, wie schwer es geworden ist zu entscheiden, ob jemand nun ein Journalist ist oder nicht. Diese Identifizierungsprobleme werden im Online-Zeitalter immer größer« (Weischenberg et al. 2006b, S. 20). Die Studie wirft auch einen Blick auf die Wertschätzung von Berufen in der Bevölkerung, die für Journalisten laut Allensbacher Umfrage von 2005 mit 10 Prozent der Befragten sehr gering ist. Mittlerweile weist diese Wertschätzung wieder etwas bessere Ergebnisse auf (vgl. w. u.). In dem Band wird auch das Thema der sog. »Alphatiere« (z. B. Sabine Christiansen, Anne Will, Günther Jauch, Johannes B. Kerner, Hans-Ulrich Jörges, Sandra Maischberger etc.) im Journalismus angesprochen, teilweise konkretisiert an kontinuierlich gesammelten, veröffentlichten Äußerungen der Protagonisten bzw. betroffenen Medienstars selbst (Weischenberg et al. 2006b, S. 52-53). Mit Journalisten in Deutschland befasst sich auch eine 2009 veröffentliche, qualitative Studie (Meyen/ Riesmeyer 2009). Befragt wurden mittels Leitfadeninterviews 501 nach dem Prinzip der theoretischen Sättigung ausgewählte deutsche Journalisten (vgl. Meyen/ Riesmeyer 2009, S. 49ff). Die Studie erhebt keinen Anspruch auf <?page no="44"?> 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur 45 Repräsentativität, Verallgemeinerungen lässt sie infolge der relativ großen Zahl von Befragten tendenziell jedoch zu. Theoretisch basiert die Studie auf Bourdieus Konzept von Feld, Kapital und Habitus, aus welchem die Autoren eine Theorie des journalistischen Feldes herleiten (Meyen/ Riesmeyer 2009, S. 25ff). Dieses Feld, dessen Subfelder (die Ressorts) und dessen Rand werden auf Basis der ermittelten Resultate aufbereitet. Eine Typologie des Selbstverständnisses rundet die Ausführungen ab. Die Autoren finden u. a. heraus, dass sich viele Befragte dem Publikum verpflichtet fühlen, was Meyen/ Riesmeyer dazu verleitet, von einer »Diktatur des Publikums« (so der Titel der Untersuchung) zu sprechen (vgl. Meyen/ Riesmeyer 2009, S. 16ff). Eine empirische Studie über »Freie Journalisten in Deutschland« wurde 2009 von Michael Meyen und Nina Springer vorgelegt (Meyen/ Springer 2009). Es handelt sich dabei um eine Onlinebefragung von 1.543 freien Journalisten, ergänzt um 82 Tiefeninterviews (vgl. Meyen/ Springer 2009, S. 12). Dieser »Report« gibt u. a. Aufschluss über die Berufsstruktur, den Arbeitsalltag, das Selbstverständnis, die Auftragslage und die Berufszufriedenheit von freien Journalisten in Deutschland. Außerdem nahmen die Autoren eine Typenbildung vor. Durchgeführt wurde die Studie im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes (DFJV). Im Zusammenhang mit dem Berufsbild Journalismus ist schließlich auch auf Berufsauffassungen bzw. Berufsverständnisse zu verweisen, die im Journalismus vorzufinden sind. Dabei ist es nicht unproblematisch, journalistisches Handeln typischen beruflichen Rollenmustern zuzuordnen, zumal Journalisten nicht oder nur selten »ausschließlich einem einzigen Rollenmuster folgen. Vielmehr wechseln sie zwischen verschiedenen Rollen, wie es ihre Aufgabenstellungen eben von Fall zu Fall erfordern« (vgl. Haas/ Pürer 1996, S.-355). Auch ist darauf hinzuweisen, dass für die Ausprägung journalistischer Berufsauffassungen individuelle wie mediensystemische Faktoren eine Rolle spielen. Dazu gehören u. a. persönliche Lebensläufe der Journalisten, ihre Bildungs- und Ausbildungswege sowie Erwartungen und Ansprüche an den Beruf. Zu erwähnen sind auch Erfahrungen der beruflichen Sozialisation, Sachzwänge des medienspezifischen Umfeldes und der konkreten Arbeitsbedin- <?page no="45"?> 2 Journalistische Berufsforschung 46 gungen sowie Funktion und Position eines Journalisten innerhalb des Medienbetriebes selbst. Nicht zuletzt spielen für die Ausprägung des Berufsverständnisses aber auch Haltungen eines Journalisten zu den politischen und sozialen Funktionen des Journalismus und der Massenmedien eine Rolle (vgl. Haas/ Pürer 1996, ebd.). Auf folgende, mehr oder weniger typische und auch empirisch vorfindbare journalistische Berufsauffassungen (Haas/ Pürer 1996; Haas 1999) bzw. Journalismus-Konzeptionen (vgl. Bonfadelli/ Wyss 1998; Haller 2004) ist zu verweisen (die hier nicht in ihren einzelnen Details beschrieben, sondern nur im kurz gerafften Überblick vorgestellt werden): • Objektive Vermittlung: Journalismus als neutrale Vermittlungsaufgabe bedeutenden Geschehens in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur; der Journalist als unparteiischer Vermittler, der Nachrichten möglichst faktengetreu und unverfälscht weitergibt; verzichtet auf Wertung und Bewertung, will Bürger unvoreingenommen informieren. Die Problematik ist folgende: Kann zum Verlautbarungsjournalismus abdriften, wenn er Hintergründe und Ursachen ausklammert, auf kritische Wachsamkeit verzichtet und an der Oberfläche bleibt (wird verkürzt gelegentlich auch »Informationsjournalismus« genannt). • Kritik und Kontrolle: Journalismus als Aufgabe der Meinungsbildung und des Wächters der Demokratie; Kritikfunktion findet Ausdruck in prüfenden und kritisch bewertenden Beiträgen (wie Glossen, Kommentaren, Leitartikeln etc.); Kontrollfunktion in aufdeckend-enthüllenden Beiträgen. Dabei ergibt sich die Problematik, dass das Berufsverständnis mitunter getragen wird von der Auffassung, wonach Medien neben Legislative, Exekutive und Judikative eine »Vierte Gewalt« sein sollen; Journalismus und Medien sind dazu jedoch nicht legitimiert. • Interpretativer Journalismus: Begnügt sich nicht damit, Fakten zu sammeln und zu referieren, sondern integriert sie in größere Zusammenhänge, recherchiert Hintergründe und bietet Analysen an; nicht die Weitergabe von Nachrichten ist wichtig, sondern besonders deren Bewertung; will Interpretationsweisen und Zusammenhangseinschätzungen von Wirklichkeit anbie- <?page no="46"?> 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur 47 ten. Die Problematik dieser Berufsauffassung ist, dass sie mitunter einer individuellen, subjektiven Wirklichkeitssicht verfällt und sich als Hüter der Wahrheit zu gerieren (vorwiegend im Magazin-Journalismus vorfindbar) droht. • Anwaltschaftlicher Journalismus: Ist geprägt von parteiischer (nicht parteipolitischer) Subjektivität und versteht sich als Advokat von Personen oder Gruppen, die selbst keinen Zugang zu Medien und Interessenvertretungen haben; versucht eher »von unten nach oben« zu vermitteln (für die Schwachen und gegen die Starken, für die Ohnmächtigen gegen die Mächtigen); sieht sich als »Kommunikationshelfer«: will dem sprachlosen Bürger Gehör in der Öffentlichkeit verschaffen; verzichtet durch parteiische Stellungnahme auf Sachlichkeit und Objektivität. Problematik: Kann Gefahr laufen, sich für unredliche Zwecke missbrauchen zu lassen oder aus Fanatismus sich in deren Dienst zu stellen. • Investigativer Journalismus: Will der Öffentlichkeit vorenthaltene oder verschwiegene, gesellschaftlich aber relevante Informationen bekannt machen, Missstände und Machtmissbrauch aufdecken (to investigate = aufspüren) bzw. öffentlich machen; bedarf einer äußerst gründlichen Recherche (Tiefenrecherche) und entsprechenden Beweisführung (und wird auch »nachforschender Journalismus« oder - missverständlich - »Recherche- Journalismus« genannt); recherchiert (zunächst) nicht selten in verdeckter Form, also ohne dass dem Informanten das Ziel der Recherche bekannt ist; ergreift mitunter Partei und verzichtet auf Objektivität; der Journalist strebt mit prononciertem Standpunkt eine authentische Darstellung seiner Wirklichkeitssicht an. Das Problem ist, dass er dadurch einseitig berichten und unvollständig informieren kann. Fließender Übergang zum Enthüllungsjournalismus, dem Gefahr droht, dass Insider »aus dem Apparat« den Journalismus instrumentalisieren, indem sie Informationen für eigene Zwecke weitergeben. • Präzisionsjournalismus: Möchte dem Vorwurf der Oberflächlichkeit begegnen und macht die Instrumente und Validitätskriterien der empirischen Sozialforschung zur Basis der journali- <?page no="47"?> 2 Journalistische Berufsforschung 48 stischen Recherche; Vorbild des Journalisten ist der (empirische) Forscher, der versucht, seine Themen umfassend und mittels sozialwissenschaftlicher Verfahren zu ergründen. Problem: Kann Gefahr laufen, in dilettierende (Pseudo-)Wissenschaft zu entarten und die Grenzen zwischen Journalismus und Wissenschaft zu verwischen. • New Journalism: Versucht, unter Rückgriff auf literarische Formen und Stilmittel Realität (oft aus der Sicht der Betroffenen) wiederzugeben, wobei der ästhetischen Ausdruckskraft des Journalisten Priorität zukommt; verzichtet bewusst auf die Trennung von Nachricht und Meinung sowie von Fiction und Nonfiction, mischt Fakten und Erfundenes; bedient sich dialogischer Formen und innerer Monologe. Stammt aus der Studentenbewegung und Hippie-Kultur der 60er-Jahre in den USA (Tom Wolfe, Truman Capote), fand und findet im deutschen Sprachraum sein Forum in Zeitgeist-Zeitschriften. • Marketingjournalismus: Versteht als stark publikumsorientiertes Konzept den Journalisten als Dienstleister und den Rezipienten als Kunden und berücksichtigt dessen Bedürfnisse bei der Produktion journalistischer Angebote; Ziel ist die langfristige Zufriedenstellung der kommunikativen Bedürfnisse des Rezipienten. Läuft dabei jedoch Gefahr, in Kommerz-Journalismus abzudriften und rein ökonomischem Kalkül zu folgen (d. h. möglichst kostengünstig bei der Werbewirtschaft nachgefragte Publika als Waren abzusetzen). • Public Journalism: Aus den USA kommend wird in jüngerer Zeit auch im deutschen Sprachraum auf den Public Journalism verwiesen: »Public Journalism nimmt fair an den gesellschaftlichen Diskursen in der demokratischen Gemeinschaft teil. Er fördert demokratische Lösungen gesellschaftlicher Probleme, ohne sich einseitig zum Anwalt für spezifische Lösungsvorschläge zu machen, und ist verantwortlich für die Resultate seiner Berichterstattung« (Forster 2007, S. 4; siehe auch Forster 2006). <?page no="48"?> 2.4 Berufsbild und Berufsstruktur 49 Die hier dargestellten Journalismus-Konzeptionen finden sich in unterschiedlichen Ausprägungen in Presse und Rundfunk (und teilweise auch in Onlinemedien) wieder und sind in aller Regel auch theoretisch begründet (vgl. Haas 1999). Sie sind nicht zu verwechseln mit zumeist negativ beurteilten Erscheinungen im Journalismus wie dem »Sensationsjournalismus«, dem »Scheckbuchjournalismus«, dem »erschlichenen Journalismus«, dem »Katastrophenjournalismus« u. a. m. Der Sensationsjournalismus übertreibt. Der Scheckbuchjournalismus monopolisiert Information gegen Geld. Der erschlichene Journalismus täuscht bisweilen lautere Ziele vor. Der Katastrophenjournalismus arbeitet voyeuristisch mit den Gefühlen, Ängsten und Nöten sowohl seiner Objekte als auch des Publikums. Aus einer normativen, journalismus-kritischen Sicht manifestieren sich in diesen Journalismen Fehlleistungen eines nur noch auf Gewinn hin orientierten Mediensystems, in welchem der ökonomische Erfolg (Auflage, Reichweite) gleichsam die journalistische Ethik diktiert. Auch der partizipative Journalismus, im Zusammenhang mit Bürgerjournalismus und Nutzerbeteiligung bei Onlinemedien oftmals genannt, gehört (weitgehend) nicht zu den klassischprofessionellen Berufsauffassungen im Journalismus. Simone Ehmig ist - im weiteren und allgemeineren Sinne des Wortes - journalistischen Berufsverständnissen deutscher Journalisten auf den Grund gegangen. Sie meint einen Generationswechsel im deutschen Journalismus festzustellen, und zwar unter dem Einfluss historischer Ereignisse auf das journalistische Selbstverständnis. So hätten zeitgeschichtliche Ereignisse das Selbstverständnis des deutschen Journalismus in drei Generationen geprägt: die »Berichterstatter« der Nachkriegszeit; den »Anwaltstypus« der 1970er und 1980er-Jahre; sowie den »Nachrichtenjäger« der 1990er-Jahre (vgl. Ehmig 2000). Mit dem journalistischen Selbstverständnis - bzw. besser: mit Paradoxien im journalistischen Selbstverständnis - befasst sich Wolfgang Donsbach in seinem Beitrag »Im Bermuda-Dreieck« (Donsbach 2008). Für ihn umfasst das Rollen- oder Aufgabenverständnis von Journalisten »all jene Verhaltenserwartungen an den journalistischen Beruf, die von den Berufsangehörigen innerhalb einer Kul- <?page no="49"?> 2 Journalistische Berufsforschung 50 tur als legitim erachtet und als Richtlinien für das eigene Handeln akzeptiert werden, sodass sie sich letztlich auch im journalistischen Arbeitsprodukt niederschlagen […]« (Donsbach 2008, S.- 147). In demokratischen Gesellschaften speise sich das journalistische Selbstverständnis aus drei Traditionen, nämlich (Donsbach 2008, S. 147ff): als individualrechtliche bzw. subjektive Tradition (Journalismus als »subjektives Menschenrecht, das der Selbstverwirklichung des frei geborenen Individuums« dient); als Tradition der sozialen und politischen Dienstleistung (»öffentliche Aufgabe«); und der Tradition des wirtschaftlichen Primats (»Geld verdienen und bestimmte gesellschaftspolitische Zwecke verfolgen«). Die drei Traditionen werden von Donsbach im Detail beschrieben. 2.5 Zum Image von Journalisten Zu Image, Prestige, Ansehen, Vertrauen in und Glaubwürdigkeit von Journalisten liegen mehrere aktuelle Studien vor. Teils handelt es sich um schlichte Berufsrankings anhand vorgegebener Berufslisten wie etwa der Allensbacher Berufsprestigeskala oder dem GfK- Vertrauensindex, teils um wissenschaftliche Arbeiten wie jener von Sandra Lieske (2008) oder Wolfgang Donsbach et al. (2009). Allgemein wird von Imagestudien gesprochen, aus wissenschaftlicher Sicht ist mit genaueren Begriffen zu arbeiten. Das Image ist ein komplexes Konstrukt, um das herum Begriffe wie Prestige und Ansehen, v. a. aber Vertrauen und Glaubwürdigkeit konfigurieren. Es ist hier nicht möglich, auf sie im Einzelnen umfassend einzugehen, sie sollen aber wenigstens kurz umrissen werden (vgl. Pürer 2012). Beim Image handelt es sich um »ein Fremdbild, eine Bündelung von Vorstellungen, Bewertungen, Ideen und Gefühlen, die mit einem Objekt [hier mit einem Beruf ] verbunden werden« (Dernbach 2005, S. 145). Als Prestige »wird ausschließlich die gesellschaftlich typische Bewertung der unpersönlichen sozialen Positionen und Merkmale von Menschen bezeichnet« (Hradil 2001, S.- 277), von Bedeutung <?page no="50"?> 2.5 Zum Image von Journalisten 51 sind berufliche Positionen (S. 278). Ansehen meint »die Bewertung von Menschen aufgrund ihrer persönlichen Merkmale und Eigenschaften« (S. 277) wie Fleiß, Anständigkeit, fachliche Fähigkeit und Tüchtigkeit. Mit Vertrauen ist »eine gefühlsbeladene, Sicherheit verleihende Erwartungshaltung eines Menschen oder einer Mehrzahl von Personen […] hinsichtlich eines aufrichtigen, normgerechten und fairen Handelns anderer Individuen oder kollektiver Akteure« gemeint (Hillmann 2007, S. 940). Glaubwürdigkeit ist Teil des komplexen Mechanismus Vertrauen. Sie lässt sich mit Bentele »bestimmen als eine Eigenschaft, die Menschen, Institutionen oder deren kommunikativen Produkten (mündliche und schriftliche Texte, audiovisuelle Darstellungen) von jemandem in bezug auf etwas (Ereignisse, Sachverhalte etc.) zugeschrieben wird« (Bentele 1988, S. 408). Images bilden sich beim Beobachter erst im Laufe der Zeit. Zur Entstehung von Images haben Maximilian Gottschlich und Fritz Karmasin (1979) sechs Kriterien ausfindig gemacht, die für »die soziale Positionierung von Berufen relevant sein dürften«: 1) eine vorstellbare Aufgabenbeschreibung; 2) das Wissen über den Werdegang dieser Personengruppe; 3) damit verbunden die Beschreibbarkeit des Tätigkeitsbereiches; 4) unmittelbare Kontaktmöglichkeit; 5) Vorstellungen über Berufs- und Verhaltenskodex sowie 6) »eine adäquate Einschätzung seiner sozialen Funktionen, d. h. die Wichtigkeit für die Gesellschaft« (Gottschlich/ Karmasin 1979, S.- 42). Für die Einschätzung eines Berufes ist bedeutsam, je eindeutiger ihm die genannten Kriterien zugeordnet werden können (vgl. ebd.). Dies gilt auch für Journalisten. Für die Entstehung von Personenimages sind weiter Bilder von Bedeutung, die wir uns von einem Gegenüber, hier also von Journalisten, machen. Dafür stehen Evelin Engesser zufolge mehrere Quellen zur Verfügung (Engesser 2005, S. 31ff): 1) direkte Beobachtungen und Erfahrungen (persönliche Kontakte); 2) indirekte Beobachtungen wie a) mediale Darstellungen von Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes; b) personale Darstellungen wie Biografien und Autobiografien; c) fiktionale Darstellungen von Journalisten in Film, Fernsehen, Literatur; d) Produkte journalistischer Arbeit, <?page no="51"?> 2 Journalistische Berufsforschung 52 aus denen wir auf Journalisten schließen. 3) Auf der imaginären Ebene können es Erwartungen, Vorannahmen und Vorurteile sein, auch Para-Feedback-Prozesse (vgl. Pürer 2012, S. 263, Abb. 1). Im Weiteren sollen kurz Ergebnisse einiger aktueller Studien vorgestellt werden, die sich mit Prestige, Ansehen und Image von sowie Vertrauen in Journalisten befassen. Berufsrankings Der seit 1966 durchgeführten Allensbacher Berufsprestigeskala mit 18 gelisteten Berufen liegt der Journalist der Befragung von 2013 zufolge (1.570 repräsentativ Befragte) mit 13 Prozent Zustimmung an 12. Stelle, der Fernsehmoderator mit nur 3 Prozent Zustimmung gar an vorletzter Stelle. An der Spitze standen und stehen seit vielen Jahren Ärzte, Krankenschwestern, Lehrer etc. (Institut für Demoskopie Allensbach 2013). Dem seit 2003 von der Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung (GfK) ermittelten GfK- Vertrauensindex mit 20 gelisteten Berufen rangiert der Umfrage von Herbst 2013 zufolge der Beruf Journalist in Deutschland mit 37-Prozent der Befragten auf Platz 17. An der Spitze lagen Feuerwehrleute, Sanitäter und Krankenpfleger (GfK-Vertrauensindex 2014). Weitere Umfragen zum Thema liegen in der Studie Journalismus 2009 der Makromedia-Hochschule (Journalismus 2009) und einer Imagestudie der Akademie für Publizistik Hamburg aus 2010 vor (Imagestudie 2010). Beide Studien vermitteln ein recht ambivalentes Bild der Berufsgruppe der Journalisten sowie in das Vertrauen zu den Medien. Zu den nur über Berufsskalen ermittelten Ergebnissen über Prestige, Ansehen von oder Vertrauen in Berufe ist mehreres festzuhalten: 1) In den zur Beantwortung vorgelegten Fragebögen wird meist nicht definiert, was jeweils mit Prestige, Ansehen oder Vertrauen gemeint ist. 2) Es ist unmöglich, in die Berufslisten alle Berufe aufzunehmen; die Auswahl bzw. das Umfeld der gelisteten Berufe kann für die Resultate von Bedeutung sein. (vgl. Donsbach et al. 2009, S. 39; siehe auch Kunczik/ Zipfel 2001, S. 151). 3) Die <?page no="52"?> 2.5 Zum Image von Journalisten 53 Befragten vermögen sich nicht über alle Berufe ein zuverlässiges Bild zu machen, am ehesten über Berufe, mit deren Vertretern man persönlich zu tun hat (wie etwa Verkäufer, Lehrer, Apotheker, Arzt etc.). 4) Das Urteil der Befragten kann auch vom Zeitpunkt der Umfrage beeinflusst sein: Sollte er zufällig mit öffentlich bekannt gewordenen Fehlleistungen einer Berufsgruppe, also etwa auch des Journalismus, zusammenfallen, sind die Befragten möglicherweise voreingenommen. Wissenschaftliche Studien Sandra Lieske untersuchte in ihrer Dissertation mittels qualitativer Leitfadeninterviews (24 Befragte, nicht repräsentativ) das Image von Journalisten (Lieske 2008). Dieses umfasst für sie aus der Sicht des Rezipienten »das objektiv richtige und falsche Wissen sowie subjektive, d. h. von der Persönlichkeit und den Erfahrungen des Einzelnen geprägte Vorstellungen, Einstellungen und Gefühle gegenüber Journalisten. Es wandelt sich im Laufe der Zeit, ist mit empirischen Methoden messbar und besitzt Handlungsrelevanz, da es das Verhalten des Einzelnen gegenüber Journalisten und Medieneinhalten steuert« (Lieske 2008, S. 25). Sie ermittelte neben vielem anderen (absolut auch Positivem für die Einschätzung des Berufs Journalist) zwei Typen von Journalisten, den ›seriösen‹ und den ›unseriösen‹ (Lieske 2008, S. 242ff, 287-291), wobei sie einräumt, und dies erscheint wichtig (! ), dass die Reduzierung auf ein Zwei-Kategorien-Schema »zu kurz [greift]« (vgl. Lieske 290ff). Die Aussagekraft der Ergebnisse ist daher nur sehr begrenzt. Dem seriösen Journalist wird Berufserfahrung und hohe Allgemeinbildung zugesprochen, er ist u. a. vertrauensvoll, sympathisch, verantwortungsbewusst und interessiert an ausgewogener Berichterstattung; er informiert sachlich und äußert seine Meinung in erkennbarer Form. Er wird mit öffentlich-rechtlichem Fernsehen sowie mit Qualitätsjournalismus in Printmedien (wie Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit etc.) in Verbindung gebracht. Anders der unseriöse Journalist, der jung <?page no="53"?> 2 Journalistische Berufsforschung 54 und dynamisch eingeschätzt, aber u. a. als aufdringlich charakterisiert sowie teils mit unsachlicher Berichterstattung in Verbindung gebracht wird. Er hält sich nicht an journalistische Normen (u. a. illegitime Methoden der Informationsbeschaffung), verletzt die Privatsphäre leichter, hat einen schlechten Leumund, wird gar als »Schmierfink« (Lieske 2008, S. 289) gesehen. Er wird nicht ausschließlich, aber oft mit Boulevard- und Sensationsjournalismus in Verbindung gebracht, insbesondere mit der Bild-Zeitung (ebd.). Für dieses Bild des unseriösen Journalismus liefert die Verfasserin einen »Erklärungsversuch« (siehe dazu Lieske 2008, S. 278ff). Es empfiehlt sich, einen Blick auf die zahlreichen anderen Resultate der Studie im Einzelnen zu werfen. Wolfgang Donsbach et al. wollten in ihrer quantitativen Studie (1.054 telefonisch repräsentativ Befragte) mit dem Titel »Entzauberung eines Berufs« (2009) u. a. ergründen, wie es um Ansehen und Vertrauen im Journalismus bestellt ist. Das öffentliche Ansehen eines Berufs wird in der Studie als Frage der Wertschätzung gesehen »und berührt das Sozialprestige« einer Profession (Donsbach et al. 2009, S. 62f ). Vertrauen in den Journalismus »ist für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft […] wichtig« (Donsbach et al. 2009, S. 64). Anhand einer Liste von zehn vorgegebenen, breit gestreuten Berufen gaben 61 Prozent der Befragten an, dass sie Journalisten »eher schätzen«. Bei der Vertrauensfrage erhalten Journalisten nur 35 Prozent Zustimmung. Alle gelisteten Berufe werden mehr geschätzt als ihnen vertraut wird, bei keinem anderen klafft zwischen Wertschätzung/ Ansehen und Vertrauen jedoch eine so große Lücke wie bei Journalisten, nämlich 26 Prozentpunkte. Es scheint, so die Autoren, als werde aus der Sicht der Bürger »der Journalismus seiner gesellschaftlichen Rolle nicht hinreichend gerecht und enttäuscht die Bevölkerung in ihren Erwartungen erheblich« (Donsbach et al. 2009, S. 66). Auch für diese Studie scheint es angeraten, die zahlreichen weiteren Resultate zu betrachten. <?page no="54"?> 2.5 Zum Image von Journalisten 55 Mögliche Ursachen Worin könn(t)en Ursachen für das negative, aber auch ambivalente Bild der Journalisten in der Bevölkerung liegen? In der Literatur finden sich u. a. die folgenden Gründe: • unklare Vorstellungen in der Bevölkerung vom weitgesteckten Tätigkeitsbereich der Journalisten, über ihren Werdegang und ihre Ausbildung (Gottschlich/ Karmasin 1979, S. 43f ); • Alltagserfahrungen der Menschen, dass »Informationen über [in den Medien berichtete - Ergänzung H. P.] Ereignisse […] nicht immer mit den Ereignissen selbst überein[stimmen]« (Bentele 1988, S. 407); • Medienskandale bzw. lange Zeit zurückliegende negative Ereignisse wie etwa der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher (Lieske 2008, S. 287); • neben Medienskandalen u. a. auch die Entschleierung der kommerziellen Basis der Medien sowie etwa auch Negativismus in der Nachrichtenauswahl (Donsbach et al. 2009, S. 13ff); • negative fiktionale Journalistenbilder in Filmen (vgl. Lieske 2008, S. 296) und, so darf man vermutlich ergänzen, auch in TV-Serien und Romanen (vgl. Engesser 2005). Für Horst Pöttker sind Skandalisierung und Negativismus des Journalismus und der Medien nicht a priori schlecht: Beides resultiere aus der »grundlegenden Pflicht zum Veröffentlichen«, insbesondere über (tabuisierte) Missstände und Fehlleistungen, »die der Öffentlichkeit bedürfen, um bearbeitet und korrigiert zu werden« (Pöttker 1997, S. 89). Das Image der Journalisten ist also durchaus ambivalent: Einerseits werden sie geschätzt als Nachrichtenboten, Aufklärer und Welterklärer, andererseits sieht man in ihnen manchmal auch profilsüchtige Skandalproduzenten. Auffällig ist die - auch empirisch bestätigte - hohe Arbeitszufriedenheit unter den Journalisten (Weischenberg et al. 2006b, S. 89-92). Beruht sie möglicherweise nicht zum Teil auch an einem »Defizit an selbstkritischem Vermögen« (Roegele 2000, S. 159) dieser Berufsgruppe? Mit dem Image <?page no="55"?> 2 Journalistische Berufsforschung 56 von und Erwarungen an Journalisten befassen sich jüngst auch Magdalena Obermaier et al. (2012) am Beispiel eines »online-affinen« Publikums. Schaubild 1 - 2 - Frage: " © IfD-Allensbach Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 11007 Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre Die Allensbacher Berufsprestige-Skala Hier sind einige Berufe aufgeschrieben. Könnten Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Achtung haben? " (Vorlage einer Liste) Arzt Krankenschwester Polizist Lehrer Handwerker Pfarrer, Geistlicher Hochschulprofessor Ingenieur Rechtsanwalt Apotheker Unternehmer Journalist Spitzensportler Offizier Buchhändler Politiker Fernsehmoderator Banker, Bankangestellter 76 63 49 41 38 29 26 26 24 22 21 13 12 9 7 6 3 3 % Abb. 1: Die Allensbacher Berufsprestige-Skala 2013 Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre; Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 11007 © IfD-Allensbach   <?page no="56"?> 57 3 Journalisten und Medieninhalte In der Kommunikationswissenschaft wird seit langem der Frage nachgegangen, wie Medieninhalte zu Stande kommen und welche Rolle dabei u. a. auch die Journalisten spielen. Es geht also um die Entstehungsbedingungen journalistischer Aussagen(produktion). Es sind mehrere Themenkreise anzusprechen, nämlich: 1) die Theorien zur Nachrichtenauswahl, insbesondere die Gatekeeper- und Nachrichtenwertforschung; 2) die Problematik der instrumentellen Aktualisierung sowie 3) das Verhältnis Public Relations und Journalismus. Was das Zustandekommen von Medieninhalten betrifft, so ist zunächst auf eine Erkenntnis zu verweisen, die ursprünglich auf Östgaard (1965) zurückgeht, inzwischen aber zum Allgemeingut kommunikationswissenschaftlicher Forschung und Lehre gehört, nämlich dass exogene und endogene Faktoren für den allgemeinen Nachrichtenfluss von Bedeutung sind (vgl. Schulz 2009, S.- 386). Exogene Faktoren, solche also, die außerhalb der Medien liegen, sind in politisch-rechtlichen Bestimmungen und Maßnahmen, in ökonomischen Bedingungen, in »Behinderungen der Tätigkeiten von Journalisten, etwa ausländischen Korrespondenten (…) Besonders der internationale Nachrichtenaustausch ist in starkem Maße von politischen und wirtschaftlichen Bedingungen abhängig« (Schulz 2009, S. 386f ). Endogene Faktoren sind dagegen solche, die im Nachrichtenfluss und im Journalismus selbst angelegt sind, also »vom Ereignis über Agentur und Medium bis zum Rezipienten« (Schulz 2009, S. 386). <?page no="57"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 58 3.1 Theorien zur Nachrichtenauswahl Theorien zur Nachrichtenauswahl versuchen zu erklären, warum Journalisten in den Medien über bestimmte Themen und Ereignisse berichten und über andere nicht. Auch wird versucht herauszufinden, warum Rezipienten bestimmte Themen in den Medien konsumieren und andere nicht (ein Forschungsbereich, der also eher in das Feld der Rezipientenforschung gehört, gleichwohl aber hier abgehandelt werden soll) (Ruhrmann 1989; Eilders 1997; Fretwurst 2008). Zu den klassischen Forschungsrichtungen, die sich mit Nachrichtenauswahl von Journalisten befassen, gehören die Gatekeeper-Forschung (einschließlich der News-Bias-Forschung), organisationstheoretische Studien sowie die Nachrichtenwerttheorie. Die in den 1950er-Jahren in den USA aufkommende Gatekeeper-Forschung stellte den Journalisten in den Mittelpunkt ihrer Forschungsbemühungen. Dieser Forschungszweig geht ursprünglich auf sozialpsychologische Studien Kurt Lewins über das Einkaufsverhalten von Hausfrauen am Beispiel der Auswahl von Lebensmitteln zurück. Das Konzept wurde 1950 von David M. White auf den Journalismus übertragen. In einer kleinen amerikanischen Zeitungsredaktion wurde ergründet, welche aus dem Fernschreiber stammenden Nachrichten vom Nachrichtenredakteur »Mr. Gates« (gatekeeper = der Türhüter, Pförtner) für die Zeitung verwendet bzw. nicht verwendet wurden. Die Gatekeeper-Forschung ging anfangs davon aus, dass die Nachrichtenauswahl nach mehr oder weniger subjektiven Kriterien des einzelnen Journalisten sowie nach professionellen Auswahlkriterien eher passiv erfolgt (vgl. White 1950; Gieber 1956). Die News-Bias-Forschung legt(e) ihren Schwerpunkt v. a. auf die persönlichen Überzeugungen von Journalisten und deren Einfluss auf die Nachrichtenauswahl (vgl. Klein/ Maccoby 1954; Carter 1959; Flegel/ Chaffee 1971). Dieser Persönlichkeitsansatz stützt(e) sich einseitig auf eine Persönlichkeitspsychologie ab und geht beim Gatekeeper von einer individualistischen Entscheidungssituation aus, »die auf der <?page no="58"?> 3.1 Theorien zur Nachrichtenauswahl 59 Annahme basiert, der Journalist arbeite mehr oder weniger allein« (Bonfadelli/ Wyss 1998, S.-25). In weiterführenden Gatekeeper-Studien wurde erkannt, dass bei der Nachrichtenauswahl auch sozialpsychologische (der Gatekeeper als Träger einer Berufsrolle) und soziologische Aspekte (Strukturen und Funktionen einer Gesamtredaktion) eine Rolle spielen. So fand z. B. Warren Breed die Bedeutung der beruflichen Sozialisation heraus, in deren Verlauf Journalisten Normen und Werte (z. B. Blattlinie, Blattpolitik, »Rotstift« des Chefredakteurs etc.) der Redaktion kennen lernen (vgl. Breed 1955, 1973; Kunczik 1977, S. 80ff). Weiterhin wurde herausgefunden, dass handwerkliche Kriterien, Produktionszwänge (wie Zeitdruck und Platzvorgaben, insbesondere Platzmangel, Redaktionsschluss), politische und ideologische Orientierungen (z. B. Grundrichtung einer Zeitung, redaktionelle Gruppennormen) sowie Wertorientierungen der Berufsgruppe die Nachrichtenauswahl mitbestimmen (vgl. Shoemaker/ Reese 1991). Solche organisationstheoretische Studien berücksichtigen, »dass Gatekeeper keine isolierten Individuen sind, sondern in bürokratisch organisierte Institutionen integriert sind« (Bonfadelli/ Wyss 1998, S.-25). Die von der amerikanischen Soziologin Gaye Tuchman entwickelte und im deutschen Sprachraum von Ulrich Saxer aufgenommene Theorie der redaktionellen Entscheidungsprogramme/ Routinen kann als Weiterführung und Modifikation des organisationstheoretischen Ansatzes betrachtet werden, wie Schanne und Schulz (1993) ausführen. Ausgangsthese ist folgende Annahme (Bonfadelli/ Wyss 1998 in Anlehnung an Schanne/ Schulz 1993): »Journalismus als Massenproduktion von Unikaten unter hohem Zeitdruck setzt ausgewählte Gesichtspunkte der Wirklichkeit in Szene, und zwar auf Grund redaktioneller Entscheidungsroutinen« (Bonfadelli/ Wyss 1998, S. 26). Das bedeutet in der Konsequenz: Zunächst muss auf Grund struktureller Kriterien wie Zugänglichkeit der Informationsquellen, Beschaffungsaufwand, Zeit-/ Platzmangel etc. die Zahl der berichtenswerten Themen und Ereignisse eingeschränkt werden. Sodann sind die Themen und Ereignisse bestimmten Ressorts bzw. Rubriken im Medium zuzuordnen. Schließlich drittens müssen die Ereignisse »bestimmten journalistischen Kriterien <?page no="59"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 60 genügen, d. h. sie müssen Nachrichtenwerte verkörpern« (Bonfadelli/ Wyss 1998, S.-26). Hier kann man die Brücke zur Nachrichtenwerttheorie schlagen. Die Nachrichtenwert-Forschung konzentriert sich auf Merkmale von Ereignissen, über die berichtet wird. Das Konzept der Nachrichtenwerttheorie geht ursprünglich auf Walter Lippmann zurück. Er identifizierte spezifische Ereignismerkmale, sog. »news values«, von denen er annahm, dass sie die Publikationswahrscheinlichkeit erhöhen (vgl. Lippmann 1922). Der Nachrichtenwert wird einer Nachricht durch entsprechende Nachrichtenfaktoren verliehen. Im Kern geht die Nachrichtenwerttheorie davon aus, dass Ereignisse, auf die mehrere Nachrichtenfaktoren in hohem Maße zutreffen, eher zur Veröffentlichung ausgewählt werden als Ereignisse mit niedrigem Nachrichtenwert. Im Laufe der Zeit entwickelten verschiedene Kommunikationsforscher anhand theoretischer Überlegungen und empirischer Studien ein immer differenzierteres Spektrum von Nachrichtenfaktoren. Anhand einer Analyse von zehn Titelgeschichten in amerikanischen Tageszeitungen ergründete Carl Merz (1925) Merkmale wie Personalisierung, Prominenz, Spannung und Konflikt. In den 1950er-Jahren wurde in den USA ein relativ stabiler Katalog von sechs Faktoren entwickelt, die als Definitionskriterien für Nachrichten in Lehrbüchern für Journalisten aufscheinen, wie Aktualität, Fortschritt, Gefühl, Konflikt, Unmittelbarkeit, Nähe, Prominenz, Ungewöhnlichkeit und Bedeutung (vgl. Warren 1953; Staab 1990, S. 42ff). In Europa trug Einar Östgaard verschiedene Ergebnisse empirischer Forschung zusammen und kam zu dem Schluss, dass in erster Linie die Faktorendimensionen Vereinfachung, Identifikation und Sensationalismus die Zeitungsinhalte bestimmen (vgl. Östgard 1965; Schulz 1976, S. 13f; Schmidt/ Zurstiege 2000, S.-134): Mit Vereinfachung ist gemeint, »dass die Medien einfache Nachrichten gegenüber komplexer strukturierten bevorzugen«. Mit dem Faktorkomplex Identifikation wird zum Ausdruck gebracht, »dass Nachrichten, sollen sie ihr Publikum erreichen, nicht nur verständlich, sondern darüber hinaus auch relevant für das Publikum sein müssen«. Dabei erhalten kulturell nahe liegende Themen eine Bevorzugung gegenüber kulturell entfernteren Themen. »Mit dem Faktorenkom- <?page no="60"?> 3.1 Theorien zur Nachrichtenauswahl 61 plex Sensationalismus beschrieb Östgaard seine Beobachtung, dass die Nachrichtenmedien die Aufmerksamkeit ihres Publikums v. a. durch Berichte über dramatische und emotional aufgeladene Ereignisse zu gewinnen versuchen. Aus diesem Grund dominieren Nachrichten über Krisen, Konflikte und Auseinandersetzungen in der Berichterstattung der Medien« (Schmidt/ Zurstiege 2000, S.- 134; Staab 1990, S. 56f; Kunczik/ Zipfel 2001, S. 247). Aufbauend auf den Überlegungen Östgaards entwickelten die ebenfalls norwegischen Friedensforscher Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge die Nachrichtenwerttheorien theoretisch weiter. Galtung und Ruge formulierten zwölf Auswahlregeln, die sie als Nachrichtenfaktoren bezeichneten; deren empirisch-inhaltsanalytische Überprüfung nahmen sie allerdings nur anhand eines kleinen Ausschnittes, nämlich an der Auslandsberichterstattung (Kongo, Kuba, Zypern-Krise) von vier Tageszeitungen vor. Es sind dies die Faktoren Frequenz, Schwellenfaktor, Eindeutigkeit, Bedeutsamkeit, Konsonanz, Überraschung, Kontinuität, Variation/ Kompensation, Elite-Nationen, Elite-Personen, Personalisierung sowie Negativismus. Aus den nachfolgenden Ausführungen geht hervor, was inhaltlich jeweils gemeint ist (vgl. Abb. 1, S. 63f ). In den Faktoren 1 bis 8 sind kulturunabhängige Faktoren zu sehen, in den Faktoren 9 bis 12 kulturabhängige. Wie Siegfried J.-Schmidt und Guido Zurstiege (2000 , S. 137f ) schreiben, haben Galtung und Ruge versucht, »das Zusammenwirken der einzelnen Nachrichtenfaktoren im gesamten Prozess der Nachrichtenselektion näher zu bestimmen. In fünf Hypothesen konkretisierten Galtung und Ruge die Ergebnisse ihrer theoretischen Überlegungen: 1) Selektionshypothese: Je stärker die Nachrichtenfaktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto wahrscheinlicher ist es, dass darüber berichtet wird. 2) Verzerrungshypothese: Die Merkmale, die den Nachrichtenwert eines Ereignisses bestimmen, werden in der Berichterstattung akzentuiert. Dies hat zur Folge, dass das Bild, das die Nachrichtenmedien von den berichteten Ereignissen vermitteln, in Richtung auf Nachrichtenfaktoren verzerrt ist. <?page no="61"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 62 3) Wiederholungshypthese: Weil Prozesse der Selektivität und der Verzerrung auf allen Stufen der Nachrichtenproduktion ablaufen, verstärken sich die Verzerrungseffekte, je mehr Selektionsstufen im Prozess der Nachrichtenproduktion überwunden werden müssen. Gerade im Rahmen der Auslandsberichterstattung müssen lange Selektionsketten überwunden werden, was zur Folge hat, dass Auslandsmeldungen stärker in Richtung auf die Nachrichtenfaktoren verzerrt sind als Inlandsmeldungen. 4) Additivitätshypothese: Je mehr Nachrichtenfaktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto wahrscheinlicher ist es, dass über dieses Ereignis berichtet wird. 5) Komplementaritätshypothese: Die Nachrichtenfaktoren verhalten sich komplementär zueinander, das Fehlen eines Faktors kann also durch einen anderen ausgeglichen werden« (Schmidt/ Zurstiege 2000, S.-137f; vgl. Kunczik/ Zipfel 2001, S. 249). Der Faktorenkatalog von Galtung/ Ruge wurde von deutschen Kommunikationswissenschaftlern wie Winfried Schulz (1976), Joachim F. Staab (1990), Christiane Eilders (1997), Georg Ruhrmann et al. (2003), Benjamin Fretwurst (2008) überarbeitet, erweitert und in meist breit angelegten Forschungsarbeiten (Medieninhaltsanalysen, Befragungen von Mediennutzern und auch Journalisten) empirisch überprüft. Während z. B. Schulz und Staab in ihren Forschungen mittels Inhaltsanalyse kommunikatorientiert arbeiteten, sind z. B. Eilders, Fretwurst und auch Ruhrmann et al. mittels Befragungen auch rezipientenorientiert. Die Faktoren von Schulz (1976) und Staab (1990) lassen sich dabei wie folgt gegenüber stellen (vgl. Abb. 2, S. 64), wobei erkennbar ist, dass zahlreiche Faktoren übereinstimmen, teils aber etwas anders benannt werden. Eilders (1997) fügte die Faktoren Sex/ Erotik sowie Emotion hinzu, Fretwurst in seiner Systematik (2008, S. 112f sowie S. 130) den Faktor Kuriosität. Ruhrmann et al. (2003) ermittelten u. a. den Faktor Visualisierung (vgl. Maier 2003; Dielmann 2003). Die Studien von Fretwurst (2008) sowie Michaela Maier et al. (2009) »basieren auf 19 bzw. 22 Nachrichtenfaktoren« (Maier et al. 2010, S.-97). Die Entwicklung des Kataloges der Nachrichtenfaktoren von <?page no="62"?> 3.1 Theorien zur Nachrichtenauswahl 63 F1: Frequenz Je mehr der zeitliche Ablauf eines Ereignisses der Erscheinungsperiodik der Medien entspricht, desto wahrscheinlicher wird das Ereignis zur Nachricht. F2: Schwellenfaktor (absolute Intensität, Intensitätszunahme) Es gibt einen bestimmten Schwellenwert der Auffälligkeit, den ein Ereignis überschreiten muss, damit es registriert wird. F3: Eindeutigkeit Je eindeutiger und überschaubarer ein Ereignis ist, desto eher wird es zur Nachricht. F4: Bedeutsamkeit (kulturelle Nähe, Betroffenheit, Relevanz) Je größer die Tragweite eines Ereignisses, je mehr es persönliche Betroffenheit auslöst, desto eher wird es zur Nachricht. F5: Konsonanz (Erwartung, Wünschbarkeit) Je mehr ein Ereignis mit den vorhandenen Vorstellungen und Erwartungen übereinstimmt, desto eher wird es zur Nachricht. F6: Überraschung (Unvorhersehbarkeit, Seltenheit) Überraschendes (Unvorhersehbares, Seltenes) hat die größte Chance, zur Nachricht zu werden, allerdings nur dann, wenn es im Rahmen der Erwartungen überraschend ist. F7: Kontinuität Ein Ereignis, das bereits als Nachricht definiert ist, hat eine hohe Chance, von den Medien auch weiterhin beachtet zu werden. F8: Variation Der Schwellenwert für die Beachtung eines Ereignisses ist niedriger, wenn es zur Ausbalancierung und Variation des gesamten Nachrichtenbildes beiträgt. F9: Bezug auf Elite-Nation Ereignisse, die Elite-Nationen betreffen (wirtschaftlich oder militärisch mächtige Nationen), haben einen überproportional hohen Nachrichtenwert. F10: Bezug auf Elite-Personen Entsprechendes gilt für Elite-Personen, d. h. prominente und/ oder mächtige, einflussreiche Personen. F11: Personalisierung Je stärker ein Ereignis personalisiert ist, sich im Handeln oder Schicksal von Personen darstellt, desto eher wird es zur Nachricht. F12: Negativismus Je »negativer« ein Ereignis, je mehr es auf Konflikt, Kontroverse, Aggression, Zerstörung oder Tod bezogen ist, desto stärker wird es von den Medien beachtet. Schulz, Winfried: Nachricht. In: Noelle-Neumann, Elisabeth et al. (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik/ Massenkommunikation 2009, S.-391) Abb. 2: Nachrichtenfaktoren nach J. Galtung und M. H. Ruge (1965) <?page no="63"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 64 Ostgaard (1965) bis Ruhrmann et al. (2003) ist dem Lehrbuch »Nachrichtenwerttheorie« von Maier et al. (2010, S. 80-84) zu entnehmen. (Schulz, Winfried (1976): Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Freiburg/ München. Staab, Joachim Friedrich (1990): Nachrichtenwerttheorie. Formale Struktur und empirischer Gehalt. Freiburg/ München. Vgl. auch Maier et al. 2010, S. 80ff.) Abb. 3: Nachrichtenfaktoren nach W. Schulz (1976) und J. F. Staab (1990) Nachrichtenfaktoren Schulz (1976) Nachrichtenfaktoren Staab (1990) Persönlicher Einfluss Status der Ereignisnation Prominenz Status der Ereignisregion Erfolg Institutioneller Einfluss Zeitliche Ausdehnung/ Dauer Persönlicher Einfluss Räumliche Nähe Prominenz Politische Nähe Politische Nähe Kulturelle Nähe Räumliche Nähe Struktur/ Eindeutigkeit Wirtschaftliche Nähe Relevanz Kulturelle Nähe Ethnozentrismus Tatsächlicher Nutzen/ Erfolg Überraschung Möglicher Nutzen/ Erfolg Thematisierung Tatsächlicher Schaden/ Misserfolg Nationale Zentralität Möglicher Schaden/ Misserfolg Personalisierung Personalisierung Konflikt Überraschung Kriminalität Zusammenhang von Themen Schaden Etablierung der Themen Regionale Zentralität Faktizität Intensität Reichweite Kontroverse Aggression Demonstration <?page no="64"?> 3.1 Theorien zur Nachrichtenauswahl 65 Schulz hat seine 1976 (und dann 1982 etwas modifiziert) hergeleiteten Nachrichtenfaktoren zu sechs Faktorendimensionen gebündelt. Hier die aus 1982 stammende Bündelung bzw. Zuordnung: Faktorendimension Konsonanz: Thema, Vorhersehbarkeit, Stereotypen; Dimension Status: Elitenation, Eliteperson, Eliteinstitution; Dimension Dynamik: Unvorhersehbarkeit, Aktualität, Unsicherheit; Dimension Valenz: Kontroverse, Erfolg, Aggression, Werte; Dimension Identifikation: Personalisierung, Ethnozentrismus, Nähe, Emotionen; Dimension Relevanz: Konsequenzen, Betroffenheit (vgl. Maier et al. 2010, S. 99 mit Bezugnahme auf Schulz 1982). Als problematisch erweist sich, wenn Journalismus und Massenmedien, und dies ist bei Presse, Hörfunk, Fernsehen (und auch in Onlinemedien) weitgehend der Fall, sich ausschließlich an Nachrichtenfaktoren orientieren und ihr Selektionsverhalten danach ausrichten. Es kommt dann nämlich zu einer verzerrten Berichterstattung, die Realität und Medienrealität auseinanderklaffen lässt. Winfried Schulz, der sich, wie dargelegt, intensiv mit Nachrichtenwerten beschäftigt hat, »sieht - wie schon Lippmann (1922) - in den Nachrichtenfaktoren weniger Merkmale von Ereignissen, als vielmehr journalistische Hypothesen von Wirklichkeit, d. h. Annahmen der Journalisten über Inhalt und Struktur von Ereignissen, die ihnen zu einer als sinnvoll angenommenen Interpretation von Realität dienen« (Schulz 1994, S.-332). Konsequent weitergedacht würde dies bedeuten, dass Journalisten nur noch Konstrukte von Wirklichkeit liefern bzw. dass Wirklichkeit die Folge der Medien sei - ein Grundgedanke, von dem der Konstruktivismus, bzw. der radikale Konstruktivismus, ausgeht. Dem (Kausal-)Modell, das Nachrichtenfaktoren als Determinanten der Auswahl versteht (Orientierung der Journalisten an Nachrichtenwerten - entsprechendes Selektions- und Publikationsverhalten als Folge), wird von Joachim F. Staab und Hans Mathias Kepplinger ein sog. »Finalmodell« (Staab 1990) gegenübergestellt. »Es verweist auf die Möglichkeit der Instrumentalisierung von Nachrichtenfaktoren. Demzufolge spielen bei der Nachrichtenselektion politische Einstellungen der Journalisten eine <?page no="65"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 66 wichtige Rolle; Nachrichten sind bloß Nebenprodukt oder Legitimation der letztlich durch politische Absichten (der Journalisten - Ergänzung H. P.) gesteuerten Auswahlprozesse« (Schulz 1994, S.-332; vgl. Kap. 3.2). Eine vergleichende Darstellung von Kausal- und Finalmodell ist Maier et al. (2010, S. 20) zu entnehmen. Von Kepplinger wurde diese Sichtweise 1998 in einem Zwei-Komponenten-Modell der Nachrichtenauswahl präzisiert. Die eine Komponente im Modell sind die Nachrichtenfaktoren als Merkmale von Ereignissen; die zweite sind variierende Selektionsbzw. Auswahlkriterien der Journalisten, die mit den Nachrichtenfaktoren die Auswahl, Platzierung und den Umfang der Berichterstattung bestimmen (Kepplinger 1998; siehe auch Kepplinger/ Ehmig 2006, Maurer/ Reinemann 2006, S. 102f; Schulz 2009, S.- 390; Maier et al. 2010, S.-104ff, sowie Kepplinger/ Bastian 2000). Aus den zurückliegenden 10 bis 15 Jahren liegen zahlreiche, größere oder kleinere Studien zum Thema Nachrichtenfaktoren vor. Einige dieser Arbeiten seien hier stellvertretend für andere erwähnt. Christiane Eilders (1997 und 1999) z. B. übernimmt weitgehend die Nachrichtenfaktoren von Staab und überträgt das ursprünglich kommunikatororientierte Konzept der Nachrichtenwerttheorie auf die Nachrichtenrezeption. Neu fügt sie die Faktoren Emotion sowie den bereits bei Emmerich 1984 genannten Faktor Sex/ Erotik hinzu. Ihre Untersuchungen beschäftigen sich mit der Frage, ob die in der bisherigen Nachrichtenwertforschung überwiegend zu journalistischen Auswahlkriterien reduzierten Nachrichtenfaktoren auch die Rezeption von Nachrichten durch das Publikum beeinflussen, und zwar sowohl die Hinwendung zu als auch die Erinnerung an bestimmte Nachrichten (vgl. Eilders 1997 und 1999). Empirisch wurde diese Fragestellung überprüft, indem Medienbeiträge und deren Rezeption in Bezug auf ihre Orientierung an Nachrichtenfaktoren verglichen wurden. Eilders konnte das auf die Rezeption erweiterte Nachrichtenwertkonzept im Wesentlichen bestätigen, d. h. Nachrichtenfaktoren steuern sowohl die journalistische Verarbeitung wie auch Interesse und Rezeption durch Nachrichtenrezipienten. Als besonders bedeutsam stuften Rezipienten dabei v. a. die Faktoren Etablierung, Kontroverse, Überraschung, Einfluss/ Prominenz, Personalisierung und <?page no="66"?> 3.1 Theorien zur Nachrichtenauswahl 67 Schaden ein, während die Faktoren Nutzen, Faktizität und Reichweite für Rezipienten offenbar keine besonderen Kriterien darstellen (vgl. Eilders 1997, S. 266; vgl. auch Eilders/ Wirth 1999). EinerechtumfangreicheForschungsarbeitzurNachrichten(wert) theorie haben Georg Ruhrmann, Jens Wölke, Michaela Maier und Nicole Dielmann (Ruhrmann et al. 2003) mit der Monografie »Der Wert von Nachrichten im deutschen Fernsehen« vorgelegt. Es handelt sich dabei um eine Analyse von Nachrichtensendungen zweier öffentlich-rechtlicher (ARD, ZDF) und sechs privater Programmveranstalter (SAT.1, RTL, ProSieben, RTL 2, VOX, Kabel- 1) im Deutschen Fernsehen anhand von 22 Nachrichtenfaktoren über den Zeitraum von 1992 bis 2001 (konkret Nachrichtensendungen aus den Jahren 1992, 1995, 1998 und 2001) sowie weiteren empirischen Studien: Das gesamte Datenmaterial der umfassenden Untersuchung basiert 1) auf Inhaltsanalysen der Fernsehnachrichtensendungen (2.427 Beiträge; Maier in Ruhrmann et al. 2003, S.-61ff); 2) auf zwölf Leitfadeninterviews mit TV-Nachrichtenjournalisten (vgl. Dielmann in Ruhrmann et al. 2003, S. 99ff); sowie 3) auf einer Analyse der Rezeptionsmuster der Zuschauer anhand von Erinnerungs- und Bewertungsfragen (315 Befragte; vgl. Woelke in Ruhrmann et al. 2003, S. 163ff). Eine Typologisierung der Fernsehzuschauer rundet die mehrmethodisch angelegte Untersuchung ab (Ruhrmann in Ruhrmann et al. 2003, S. 201ff). Hier nur holzschnittartig einige Ergebnissplitter: 1) Inhaltsanalyse (vgl. Maier 2003, S. 96ff): Die Nachrichtenfaktoren Faktizität und Einfluss (einflussreiche Personen) prägten die Nachrichtenauswahl. In Berichten über deutsche Außenpolitik gewannen Kontroverse und Aggression an Bedeutung. Zugelegt haben auch Visualisierung und bildliche Darstellung von Emotionen. (Eine zunehmende Visualisierung der Fernsehnachrichten bestätigen auch nachfolgende Studien - vgl. Maier et al. 2010, S. 107ff). Unpolitische Meldungen nahmen an Bedeutung zu. 2) Befragung TV-Nachrichtenjournalisten (vgl. Dielmann 2003, S.- 141ff): Visualisierung von Nachrichten mittels Bildern und <?page no="67"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 68 Filmen ist den Journalisten sehr wichtig (vgl. o.). Wachsender Konkurrenzdruck zwingt zu mehr Aktualität. Relevant sind Themen, die die Nation und viele Menschen betreffen (und über die gutes Bildmaterial vorliegt). Wichtig ist den Befragten auch Zuschauer- und Serviceorientierung. Wesentliche Gatekeeper in TV-Nachrichtenredaktionen sind Chefredaktion, der Chef vom Dienst und Planungsredakteure. 3) Befragung TV-Nachrichtennutzer (vgl. Woelke 2003, S. 194ff): Hauptabendnachrichtensendungen werden seitens deren (Zuschauer entlang der nutzungsbezogenen Eigenschaften Relevanz, Referenz, Ereignisstruktur und Güte ähnlich bewertet. Zuschauer von ARD (Tagesschau) und ZDF (heute) sind - übrigens auch den GfK-Daten zufolge - »deutlich älter« als Zuschauer der RTL-2-News oder von ProSieben-Nachrichten. Themenetablierung, Prominenz oder Personalisierung erhöhten die Zuwendungschance. Nachrichtenfaktoren wie etwa Aggression und Kontroverse wirkten je nach Sendung differenziell, ebenso der Faktor Ortsstatus. Bilder (und damit Visualität) werden als ein wichtiger Rezeptionsgrund begriffen. Benjamin Fretwurst konzentrierte sich in einer Studie über Fernsehnachrichten Ende 2005 auf die Erinnerung und Einschätzung dieser Nachrichten durch die Rezipienten. Er kombinierte eine Inhaltsanalyse (677 Beiträge) mit einer Onlinebefragung von 1.584 Rezipienten. Der empirische Teil enthält sehr detailliert dargelegte Ergebnisse (es gibt eine Vorschau auf S. 6f ). Im Fazit (S. 229ff) verweist der Autor auf die thematische Bündelung von Nachrichtenfaktoren und die Abbildung einer Nachrichtenwertfunktion (Beziehung zwischen Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwert, S. 230, 144f ). »Danach setzt sich der Nachrichtenwert eines Ereignisses aus der Summe der Nachrichtenfaktoren zusammen, die je nach Ereignis in unterschiedlicher Intensität zutreffen oder eben nicht« (S. 230f ). Fretwurst diskutiert Resultate und methodisch-statistische Vorgehensweisen mit Blick auf den Forschungsstand, so u. a. (S. 231): »Auf dem Feld der politischen Kommunikation weichen die Zusammenhänge zwischen den journalistischen Auswahlentscheidungen und Selektionsvorgängen bei den Zuschau- <?page no="68"?> 3.1 Theorien zur Nachrichtenauswahl 69 ern nur geringfügig voneinander ab« (ebd.) und es besteht Übereinkunft zwischen Journalisten und Rezipienten bezüglich kontrovers diskutierter Themen der Zeit. »Die Differenzen beginnen beim Negativismus. ›Gewalt‹, ›Schaden‹, ›Kriminalität‹ ohne politische Relevanz senkt die Beachtung der Rezipienten scheinbar. Tatsächlich erhöht der negative Charakter von Ereignissen die Beachtung in den Fernsehnachrichten. […] Die Ereignisse ohne gesellschaftliche Relevanz, die aufgrund ihres negativen Charakters in die Nachrichten gelangen, werden von den Rezipienten seltener als wichtigste Meldungen genannt oder erinnert« (ebd.; weitere Resultate siehe S.-231ff). Fretwurst zeichnete die Entwicklung der Nachrichtenwerttheorie detailliert nach und nahm auch eine Neubestimmung der Nachrichtenwerttheorie vor, er hat diese »aber nicht auf den Kopf gestellt« (Fretwurst 2008, S. 232; vgl. auch dessen Abbildungen 2.1, S. 113 sowie Abb. 4.5, S.-217). Neu ist der Faktor »Kurioses« (vgl. dazu Maier et al. 2010, S. 102). Die Entwicklung des Katalogs der Nachrichtenfaktoren enthält in einer anschaulichen Darstellung Maier et al. 2010, S. 80-84. In ihrem Beitrag »Wir werden diese Bilder nie vergessen« berichten Michaela Maier und Karin Stengel (2007) über die von ihnen untersuchte enorme Bedeutung des Faktors Visualität für die Nachrichtenberichterstattung über internationale Krisen (Maier/ Stengel 2007). Ines Engelmann legte 2012 eine Studie über »Nachrichtenfaktoren und die organisationsspezifische Nachrichtenselektion« vor. Es handelt sich dabei um eine Erweiterung der Nachrichtenwerttheorie um die Meso- Ebene journalistischer Organisationen (Engelmann 2012). Von Ingrid Andrea Uhlmann (2012) liegt eine Studie zur Auswahlwahrscheinlichkeit von Nachrichten vor. Nach wie vor lesenswert - nicht nur, aber v. a. - für pressegeschichtlich Interessierte ist Jürgen Wilkes bereits 1984 publizierte Studie »Nachrichtenauswahl und Medienrealität in vier Jahrhunderten«, die vom 17. bis ins 20. Jahrhundert reicht (Wilke 1984b). Kommentierte Literaturempfehlungen zum Thema Nachrichtenwerttheorie sind dem bereits erwähnten Lehrbuch von Maier et al. »Nachrichtenwerttheorie« zu entnehmen (Maier et al. 2010, S.-135-138), ebenso auch Erläuterungen der Nachrichtenfaktoren (Maier et al. 2010, S. 139-141). <?page no="69"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 70 3.2 Nachrichtenauswahl als »instrumentelle Aktualisierung« Die Theorie der instrumentellen Aktualisierung geht im deutschen Sprachraum v. a. auf Hans Mathias Kepplinger zurück. Mit dieser Journalismus-Theorie erweitert Kepplinger die in den klassischen Gatekeeper-Forschungen vertretenen Nachrichtenselektionsmodelle um eine weitere Dimension (vgl. Kepplinger 1989a, 1989b). Dabei unterscheidet er Selektions-, Inszenierungs- und Aktualisierungsmodelle und das jeweilige Verhältnis von Realität und Realitätsdarstellung in diesen Modellen (vgl. Kepplinger 1989a, b, 1990 mit Abbildungen; 1992, S. 46ff): • Im Selektionsmodell agieren Journalisten bei der Nachrichtenselektion als weitgehend passive, apolitische, neutrale und nichtzweckorientierte Vermittler, die auf sog. »Realitätsreize« (d. h. mehr oder weniger berichtenswerte Ereignisse) nur reagieren. Die Berichterstattung wird als kausale Kette aus Ursache und Wirkung angesehen: Ereignisse mit bestimmtem Charakter und von öffentlichem Interesse gelten als Ursache für die darauf folgende Berichterstattung von Journalisten (vgl. u. a. Kepplinger 1990, S. 39f ). • In Inszenierungsmodellen ist die Berichterstattung Folge geschickter Inszenierungen (Kampagnen) durch politische, wirtschaftliche oder kulturelle »Akteure«, durch Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Kultur also, die gezielt »Pseudo-Ereignisse« (wie Pressemitteilungen, Produktvorstellungen, Bilanzpressekonferenzen u. Ä.) schaffen mit dem Ziel, dass darüber in den Medien berichtet wird (vgl. u. a. Kepplinger 1990, S. 42f ). • Im Aktualisierungsmodell werden bereits geschehene Ereignisse durch Journalisten gezielt und zweckgerichtet genutzt. Dabei steht am Anfang die Überlegung des Journalisten, welche Wirkung er mit einer Publikation verfolgt. Diese Überlegung entscheidet über die Art der Berichterstattung (vgl. u. a. Kepplinger 1990, S. 43ff). (Kepplinger erörtert die Modelle ausführlich und entwickelt auch ein ›integriertes Modell‹ - vgl. u. a. Kepplinger 1990.) <?page no="70"?> 3.2 »Instrumentelle Aktualisierung« 71 Dem Aktualisierungsmodell zufolge selektieren Journalisten also nicht nur als Reaktion auf Schlüsselreize (Ereignisse), sondern sie berichten vielmehr über bestimmte Themenaspekte oder Ereignisse, um bestimmte Ziele zu unterstützen (oder auch auf Grund der zu erwartenden Folgen). Dabei machen sie sich - je nach persönlicher Zustimmung oder Ablehnung eines Ereignisses - v. a. Argumente von außermedialen Experten zu Eigen, die ihre persönlichen Ansichten stützen; umgekehrt blenden sie Aspekte aus, die nicht ihre persönliche Problemsicht fördern. Diese Form der Informationsbzw. Nachrichtenauswahl bezeichnet Kepplinger als »instrumentelle Aktualisierung von Ereignissen« (Kepplinger 1989a, b; 1990; 1992). Nachrichtenfaktoren sind in seinem Verständnis nicht nur Ursachen, sondern auch Folgen der Entscheidung von Journalisten, etwas zu publizieren oder nicht. Instrumentelle Aktualisierung ist Kepplinger zufolge v. a. bei sog. publizistischen Konflikten zu beobachten - bei Konflikten also, die zwischen zwei (oder mehr) Kontrahenten in der Öffentlichkeit über die Massenmedien ausgetragen werden (vgl. Kepplinger 1989b). Dabei spielen Journalisten bewusst bestimmte Ansichten hoch oder herunter - je nachdem, welche Argumentation sie sich zu Eigen machen wollen - um entsprechend ihrer persönlichen Problemsicht Entwicklungen bewusst zu fördern (oder bewusst nicht zu fördern). Kepplinger hat seine Theorie wiederholt empirisch belegt, u. a. am Beispiel Kernenergie: So hätten deutsche Tageszeitungen, deren Journalisten sich überwiegend für die Kernenergie aussprachen, in den 1980er-Jahren v. a. positive Expertenurteile über Kernenergie veröffentlicht, während atomkritische Zeitungen genau umgekehrt verfahren seien (vgl. Kepplinger 1988, 1989a, b, 1990). Teils verwandte Ansätze zur Nachrichtenauswahl sind in Gatekeeping (vgl. w. o.), News Bias, Agenda Setting und Framing zu sehen (vgl. dazu Maier et al. 2010, S. 116ff, vgl. auch Kunczik/ Zipfel 2001, S. 266ff). Bei der News-Bias-Forschung »interessiert speziell, ob und inwieweit Medien oder Journalisten mit ihrer Nachrichtenauswahl eine bestimmte politische Linie unterstützen« (Maier et al. 2010, S. 122) und damit eine (bewusste? ) Verzerrung der Berichterstattung verbunden ist. Dies kann z. B. <?page no="71"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 72 durch die Heranziehung »opportuner Zeugen« geschehen. In diesem Kontext ist z. B. von einer »Synchronisation« (Schönbach) von Nachricht und Meinung die Rede: »Nicht die Kommentare [interpretieren] die Fakten, sondern die Fakten [werden] so ausgewählt, dass sie die Kommentare bzw. die redaktionelle Linie stützen« (Kunczik/ Zipfel 2001, S. 268f; vgl. Schönbach 1977). Der Agenda-Setting-Ansatz untersucht, »welchen Einfluss die Medien auf die Bedeutung von Themen bei der öffentlichen Meinungsbildung und Diskussion haben«, zumal die öffentliche Wahrnehmung von Themen »vonderArtundWeise ihrermedialen Präsentation ab[hängt]« (Maier et al. 2010, S. 124; vgl. auch Eichhorn 1996, Rössler 1997; Maurer 2010). Frames wieder »sind »Interpretationsrahmen, die als kognitive Strukturen im Bewusstsein verankert sind - bei Journalisten wie beim Publikum. Erfahrungen werden gespeichert und als Rahmen benutzt, um spätere Erfahrungen sinnvoll und schnell interpretieren, einsortieren und wieder vergessen zu können. Diese Bezugsrahmen strukturieren ein Thema und steuern damit die Informationsverarbeitung. Wesentliches Kennzeichen von Frames ist, dass sie Bewertungen enthalten. Sie können insofern auch als ›Deutungsmuster‹ bezeichnet werden« (Meier 2007a, S. 195; vgl. Entman 1993). Framing ermöglicht den Journalisten, »das Hauptaugenmerk nur auf bestimmte, vom Journalisten ausgewählte Aspekte« zu lenken. Den Rezipienten ermöglichen sie »die Einordnung des berichteten Ereignisses oder Themas in bereits bekannte Muster«, sie »vereinfachen so das Verstehen und die Interpretation des rezipierten Inhalts« (Maier et al. 2010, S. 128). Matthias Potthoff (2012) stellt dar, wie Medienframes entstehen. 3.3 Journalismus und Public Relations Seit geraumer Zeit - etwa seit Mitte der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts - nimmt Öffentlichkeitsarbeit rapide zu, spielen Public Relations für öffentliche Kommunikation eine immer größere Rolle. Offensichtlich haben viele ›Akteure‹ in Politik, Wirtschaft, Kul- <?page no="72"?> 3.3 Journalismus und Public Relations 73 tur und Verwaltung erkannt, dass man Journalismus und Massenmedien für eigene Zwecke nutzen bzw. instrumentalisieren kann. Die Entwicklung ist auch aus der Mitgliederzahl der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) ersichtlich: Waren es Anfang der 1980er-Jahre noch 500, so waren es zur Jahrtausendwende weit mehr als 2000 Mitglieder, derzeit (2013) sind es rund 2.500. Wenn, was unbestritten zu sein scheint, die »hohe Schule« der PR darin besteht, Einfluss auf das Mediensystem zu nehmen und Wirklichkeit so geschickt zu inszenieren, dass sie nicht als Konstrukt, sondern als reale Wirklichkeit erscheint (vgl. Merten 1999, S.-269), stellt sich verständlicherweise die Frage nach dem Verhältnis von Journalismus und Public Relations: Sind Öffentlichkeitsarbeiter bzw. PR-Manager mithilfe von Pressemitteilungen, Veranstaltungen, Events, Pressekonferenzen etc. in der Lage, wesentlich auf Journalismus und Medienberichterstattung Einfluss zu nehmen (zumal Überzeugung eine basale Funktion von PR darstellt)? Sind sich Journalisten dieser Einflussversuche bewusst und erliegen sie der Flut jener von PR-Beratern gezielt gesteuerten Informationen nicht, die täglich die Schreibtische der Journalisten überschwemmen? Theoretische Beschreibungen des Verhältnisses zwischen Public Relations und Journalismus finden sich zumindest in drei Forschungskontexten: in der Forschung zur politischen Kommunikation, in der medienrelevanten Forschungstradition des Agenda- Setting-Ansatzes sowie in der Kommunikationswissenschaft als Beziehung zwischen den Tätigkeitsbereichen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Diese drei Forschungskontexte können hier nicht im Einzelnen erörtert werden. Nur so viel sei zu den beiden ersten angemerkt: Im Forschungskontext Politische Kommunikation stellt sich die Frage, ob das politische System mit seinen öffentlichkeitswirksamen Akteuren das Mediensystem nach eigenen Bedürfnissen steuert (Konzept der ohnmächtigen Medien) oder ob das Mediensystem durch die eigene Medienlogik Voraussetzungen und Formen der Kommunikation politischer Akteure bestimmt (Konzept der mächtigen Medien)? Als zwischen diesen beiden Auffassungen <?page no="73"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 74 vermittelnde Position ist jene zu sehen, die das Verhältnis zwischen politischem System und Mediensystem als »Symbiose« (vgl. Sarcinelli 1987, S.- 213) bzw. als »komplexe Interaktion zwischen zwei Gruppen von wechselseitig abhängigen und daher anpassungsbereiten Akteuren (vgl. Schmidt-Beck/ Pfetsch 1994, S.- 215) sieht. Diese Position kommt der kommunikationswissenschaftlichen Theorie der Intereffikation von Public Relations und Journalismus nahe (s. u.). In der Forschungstradition des medienbezogenen Agenda-Setting-Ansatzes stellt sich die Frage nach dem Entstehungsprozess öffentlicher Themen: Bezogen auf Public Relations meint dies, ob Public Relations Themen in die Öffentlichkeit streuen, die von den Medien aufgegriffen und thematisiert werden oder ob umgekehrt Themen in der Gesellschaft vorhanden sind, die durch Public Relations und Medien öffentliche Bedeutung erfahren (vgl. u. a. Brosius/ Weimann 1995; Eichhorn 1996; Rössler 1997; Maurer 2010). In der kommunikationswissenschaftlichen Forschungstradition wird das Verhältnis zwischen Journalismus und PR als Verhältnis von Berufsfeldern gesehen. Es konkurrieren in diesem Forschungsfeld im Wesentlichen zwei theoretische Zugänge: die These von der Determination des Journalismus durch Public Relations sowie die These von der Intereffikation von Public Relations und Journalismus. Was ist damit gemeint? Die Determinationsthese geht auf eine empirische Studie von Barbara Baerns (1985) zurück, wurde von ihr selbst aber nicht so genannt (vgl. Raupp 2005). In ihrer Studie untersuchte Baerns die Verwendung von Pressemitteilungen bei Landespressekonferenzen Nordrhein-Westfalens durch die Medien. Sie fand heraus, dass Öffentlichkeitsarbeit die Informationsleistung tagesbezogener Medienberichterstattung wesentlich bestimme: Öffentlichkeitsarbeit, so Baerns damals, habe die Themen der Medienberichterstattung und das Timing unter Kontrolle (vgl. Baerns 1985, S.- 98). Beide Systeme, Public Relations und Journalismus, werden von Baerns als um Macht konkurrierende Systeme verstanden (wobei sie nur den Einfluss vonseiten der PR auf den Journalismus untersuchte). Unter Bezugnahme auf die Feststellung (Bestimmen von <?page no="74"?> 3.3 Journalismus und Public Relations 75 Themen und Timing) wurde in der Rezeption der Studie von Baerns »der Begriff ›Determinationsthese‹ geprägt« (Raupp 2005, S.-192), wobei es sich jedoch nicht um eine verifizierbare oder falsifizierbare These handelt, sondern eher um den »Status eines ›heuristischen Paradigmas‹«, das die kommunikationswissenschaftliche Forschung »nachhaltig beeinflusst« hat (ebd.). Zur Determinationsthese liegt auch eine empirische Studie von Claudia Riesmeyer (2007) vor. Anders formulierte es René Grossenbacher, der Öffentlichkeitsarbeit als »Hilfssystem« der Medien bezeichnet und feststellt, dass Medien sich »offensichtlich auf Leistungen von Öffentlichkeitsarbeit verlassen« (Grossenbacher 1989, S.-90). Informationen würden zunehmend weniger durch Journalismus produziert als vielmehr durch PR, beide Systeme seien aber im Sinne von Komplementarität voneinander abhängig. Journalismus sei um Objektivität bemüht und diene der Allgemeinheit; Aufgabe der Public Relations sei es, Informationen in die Öffentlichkeit zu bringen, die den Interessen bestimmter Institutionen nützen. Es gibt auch Studien, die die These von der Determination des Journalismus durch PR dahingehend modifizieren, dass als intervenierende Variablen Nachrichtenwert und Krisensituation eingeführt werden. Dabei zeigte sich mehrfach, dass der Einfluss von PR auf Medieninhalte dann relativ groß ist, wenn PR für die Medien ein Ereignis inszeniert, das nicht aus einer Krisensituation resultiert. Hingegen ist der Einfluss von PR auf Medieninhalte dann deutlich geringer, wenn PR in einer Krisen- oder Konfliktsituation an das Mediensystem herantritt (vgl. Barth/ Donsbach 1992, S. 163). Auf Grund der Erfahrungen aus dem praktischen Journalismus und der praktischen PR kann übrigens angenommen werden, dass es auch Einflüsse des Mediensystems in Richtung PR gibt. So sind PR-Praktiker gezwungen, sich an zeitliche Abläufe und Routinen des Journalismus anzupassen oder sich bei der Selektionsentscheidung der dem Mediensystem zu präsentierenden Themen an Nachrichtenfaktoren (Aktualität, Relevanz, Prominenz etc.) zu orientieren, wenn sie erfolgreich agieren wollen. <?page no="75"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 76 Aus dieser Überlegung heraus kann nach Günter Bentele u. a. festgehalten werden, dass ein differenziertes Modell notwendig erscheint, um die gegenseitigen Einflussbeziehungen zwischen Journalismus und Public Relations zu untersuchen. Bentele und seine Mitarbeiter entwickelten daher das Intereffikationsmodell (efficare = ermöglichen), das »aus einem empirischen Projekt heraus erwachsen« ist (Bentele 2005, S. 209). Bentele spricht ausdrücklich von einem Modell, nicht von einer Theorie (siehe Bentele 2005, S. 210). Das Modell beschreibt das Verhältnis zwischen PR-System und journalistischem System als »komplexes Verhältnis eines gegenseitig vorhandenen Einflusses, einer gegenseitigen Orientierung und einer gegenseitigen Abhängigkeit zwischen zwei relativ autonomen Systeme[n] […] Die Kommunikationsleistungen jeder Seite sind nur möglich, weil die jeweils andere Seite existiert und mehr oder weniger bereitwillig ›mitspielt‹« (Bentele et al. 1997, S.-240, Hervorhebung i. Orig.). Das PR-System mit seinen Akteuren kann die jeweiligen Kommunikationsziele i. d. R. nur mithilfe des Mediensystems und dessen Akteuren erreichen. Umgekehrt ist die Existenz des Mediensystems von der Zuliefer- und Kommunikationsbereitschaft des PR-Systems abhängig. »Weil die Kommunikationsleistungen jeder Seite nur dadurch möglich werden, dass die Leistungen der anderen Seite vorhanden sind, ergibt sich die Feststellung, dass jede Seite so die Leistungen der anderen Seite erst ermöglicht« - daher der Begriff Intereffikation (vgl. Bentele et al. 1997, S.-240; Bentele 2005, S. 210ff). Innerhalb der Intereffikationsbeziehungen kann man zwischen kommunikativen Induktionen und Adaptionen unterscheiden (vgl. Bentele et al. 1997, S.-241 ff; Bentele 2005, S.-211f ). Induktionen sind intendierte, gerichtete Kommunikationsanregungen oder -einflüsse, die beobachtbare Wirkungen im jeweils anderen System haben. Adaptionen lassen sich als kommunikatives und organisatorisches Anpassungshandeln definieren, das sich bewusst an verschiedenen sozialen Gegebenheiten (wie organisatorischen oder zeitlichen Routinen) der jeweils anderen Seite orientiert, um den Kommunikationserfolg der eigenen Seite zu optimieren. Gegenseitige Adaption ist die Voraussetzung für gelingende Interaktion (Bentele 2005, S. 211). <?page no="76"?> 3.3 Journalismus und Public Relations 77 Zu den Induktionsleistungen des PR-Systems (in Richtung auf das journalistische System) gehört die Themensetzung bzw. Themengenerierung (Issue Building, Agenda Building), die Bestimmung über den Zeitpunkt der Information (Timing), aber auch die Bewertung von Sachverhalten, Personen, Ereignissen etc. Zu den Adaptionen des PR-Systems gehören Anpassungen an zeitliche, sachliche und soziale (z. B. redaktionelle) Regeln und Routinen des Journalismus (wie Anpassungen an die Zeiten des Redaktionsschlusses). Vonseiten des Journalismus sind Induktionsleistungen v. a. durch die Selektion der Informationsangebote, in der Entscheidung über Platzierung und Gewichtung der Information, in der journalistischen Bewertung der Information, in der Veränderung sowie in der journalistischen Informationsgenerierung vorhanden. Journalistische Adaptionsprozesse finden statt durch die Orientierung an organisatorischen, sachlich-thematischen und zeitlichen Vorgaben des PR-Systems. Das Intereffikationsmodell will also v. a. einen Beitrag zum Verständnis des komplexen Prozesses der Themengenerierung und Themengestaltung auf Kommunikatorseite leisten (vgl. Bentele et al., ebd.). Beide Systeme, das der Public Relations und das des Journalismus, können sich weder dem Einfluss noch der Abhängigkeit vom jeweils anderen entziehen. Auch muss es nicht zu einem »Nullsummenspiel« zwischen beiden kommen; vielmehr sind auch »Win-Win-Situationen« (vgl. Szyszka 1997, S.-222) denkbar. So ist Journalismus (nicht zuletzt unter ökonomischen Zwängen) darauf angewiesen, Öffentlichkeitsarbeit als leicht zugängliche Quelle zu nutzen. Die Public Relations wieder müssen daran interessiert sein, dass ihre Informationen von funktionierenden journalistischen Medien geprüft und einer Weitervermittlung für wert befunden werden, denn: Journalistische Information gilt in den Augen des Publikums als glaubwürdiger als erkennbar partikulare Organisationsmeinung einer PR-Abteilung (vgl. Szyszka 1997, S.-223). Das Beziehungsgeflecht zwischen Journalismus und Public Relations wird auch von Merten (vgl. Merten 1999, S.-256-292) dargestellt. Allgemeine Theorieansätze sowie spezielle Ansätze mittlerer Reichweite zu Public Relations, dies sei hier ergänzt, sind dem <?page no="77"?> 3 Journalisten und Medieninhalte 78 »Handbuch der Public Relations« zu entnehmen (Bentele et al. 2005), darunter u. a. systemtheoretisch-gesellschaftsorientierte, konstruktivistische, kritische Ansätze oder etwa über verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit. Das Handbuch enthält weiters disziplinäre Perspektiven (u. a. kommunikationswissenschaftliche, organisationssoziologische, sozialpsychgologische, wirtschaftswissenschaftliche und politikwissenschaftliche), Definitionen und Praktikertheorien, Schlüsselbegriffe und Bezugsgrößen, Ausführungen über Öffentlichkeitsarbeit und berufliches Handeln, Beiträge über Berufsrollen in und Berufsfelder der PR, über Kommunikationshandeln in den PR sowie nicht zuletzt auch über normative Grundlagen rechtlicher und ethischer Natur. Über »Theorien der Public Relations« liegt ferner ein von Ulrike Röttger herausgegebener Sammelband vor (Röttger 2009). Von ihr stammt auch eine gemeinsam mit Joachim Preusse und Jana Schmitt verfasste Einführung in die »Grundlagen der Public Relations« (Röttger et al. 2011). Ein Band über »Journalismus und Public Relations: ein Theorieentwurf der Intersystembeziehungen in sozialen Konflikten« stammt von Olaf Hoffjann (2007). Mit »strategischem Framing« als PR-Strategie, also mit der Platzierung von »Situationsdeutungen bzw. Frames in den Medien, um darüber Sichtweisen der Rezipienten zu beeinflussen«, befasste sich Tabea Böcking (2009, hier S. 92). Am Beispiel der Diskussion über embryonale Stammzellforschung in Deutschland untersuchte sie den Einfluss gesellschaftlicher Akteure (wie DFG, BMBF, Wissenschaftler, Ärzteorganisationen und gemeinwohlorientierte Gruppen wie die beiden christlichen Kirchen) auf die mediale Debatte mittels PR-Materialien in den beiden überregional verbreiteten, weltanschaulich unterschiedlich positionierten Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung. Einschlägige empirische Studien zum Beruf Public Relations liegen vor von Romy Fröhlich et al. (2005) sowie Peter Szyszka et al. (2009). »Das Bild der Public Relations in der Qualitätspresse« (so der Titel) haben Romy Fröhlich und Katharina Kerl (2012) ermittelt. Wie Journalisten mit PR (und Werbung) umgehen sollten, ist u. a. bei Steffen Burkhardt dargestellt (Burkhardt 2009, S. 87). <?page no="78"?> 79 4 Weitere Themen der Journalismusforschung Wie in anderen Feldern der Kommunikationswissenschaft auch, gibt es ebenso in der Kommunikatorbzw. Journalismusforschung Themenkontinuität und Themenwandel. Der Wandel in den Forschungsperspektiven ergibt sich nicht zuletzt dadurch, dass auch das Mediensystem permanent einem Wandel unterliegt. Besonders deutlich wird dies z. B. an jenen Veränderungen, denen weite Bereiche des Journalismus durch Multimedia und Onlinekommunikation unterliegen. Es ist dies eines jener Themen, die nachfolgend neben anderen abgehandelt werden sollen wie etwa die Thematik Qualität im Journalismus, Ethik im Journalismus, redaktionelles Marketing sowie Boulevardjournalismus, also das, was man im Fach auch »Populären Journalismus« nennt. 4.1 Qualität im Journalismus Das Thema Qualität in Journalismus und Massenmedien ist, wie ein Blick in die kommunikationswissenschaftlichen Forschungstraditionen zeigt, nicht neu, verliert sich dann jedoch immer wieder (vgl. Arnold 2009, S. 24-79). Angesichts der Tatsache, dass beträchtliche Teile des Journalismus und der Massenmedien in immer noch zunehmendem Maße ökonomischen Zwängen unterliegen, stellt sich sowohl für kritisch reflektierende Medienpraktiker wie auch für die Kommunikationswissenschaft mehr denn je die Frage, was journalistische Qualität ist und wie Qualität im Journalismus gesichert werden kann. Dabei ist wichtig zu erkennen, »dass das Bemühen um Qualität und Qualitätssicherung im <?page no="79"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 80 Journalismus nicht nur als eine Frage der individuellen Verantwortung (des Journalisten, H.- P.) zu betrachten ist, sondern die vielfältigen Einflüsse gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, des Mediensystems, der Medienunternehmen etc. jeweils zu berücksichtigen sind« (Fabris 1997, S.- 71). So wird denn auch die Diskussion über journalistische Qualität »von ganz unterschiedlichen Akteurskategorien mit unterschiedlichen Interessen am Journalismus und aus unterschiedlichen Perspektiven bestritten« (Bonfadelli/ Wyss 1998, S.-39). Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei journalistischen Produkten - abgesehen von deren technisch-materieller Qualität - vorwiegend um geistig-kulturelle Güter handelt. Deren Qualität ist bekanntlich schwerer zu bestimmen als etwa jene rein materieller Güter. Auch hängt das Qualitätsurteil vielfach vom subjektiven Gesichtspunkt des Betrachters bzw. der Anspruchsträger ab: So wird ein leidenschaftlicher und ausschließlicher Leser der Bild- Zeitung etwas anderes unter journalistischer Qualität verstehen als etwa ein langjähriger Abonnent der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. (Deren Wirtschaftsteile sind z. B. für Geschäftsleute und Manager äußerst wichtig und qualitativ gehaltvoll, können aber wegen ihrer oftmals sehr speziellen Themen und ihrer relativ unverständlichen Fachsprache für den Normalverbraucher möglicherweise irrelevant und wertlos sein). Und auch der Werbekunde, der auf das redaktionelle Umfeld seiner Anzeige sowie v. a. auch auf deren Druckqualität achtet, wird mit Qualität anderes verbinden als etwa ein Linguist, für den die gute Verständlichkeit der Texte einer Zeitung ein besonderes Qualitätsmerkmal darstellt - vom Juristen ganz zu schweigen, für den Qualität im Journalismus nicht zuletzt darin besteht, dass er inhaltlich nicht gegen Gesetze verstößt. Die Zahl der Beispiele ließe sich fortsetzen, und der Berliner Journalismusforscher Stephan Ruß-Mohl meinte Anfang der 1990er-Jahre nicht ganz zu Unrecht, Qualität im Journalismus definieren zu wollen gleiche »dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln« (Ruß-Mohl 1992, S.-85). Gleichwohl ist es Ruß-Mohl im deutschen Sprachraum als einem der Ersten gelungen, Mehrdimensionalität und Multiperspektivi- <?page no="80"?> 4.1 Qualität im Journalismus 81 tät von Qualität im Journalismus aufgezeigt zu haben. Er definierte Qualität als abhängige Variable und machte deutlich, dass Qualitätsmaßstäbe abhängig sind vom jeweiligen Medium, seiner Periodizität, dem einzelnen journalistischen Genre, der angestrebten Zielgruppe und der erwarteten Funktion des Mediums sowie vom Selbstverständnis der Medienschaffenden (vgl Ruß- Mohl 1992, S.- 85). Weiter verweist Ruß-Mohl auf innerredaktionelle und außerredaktionelle Infrastrukturen (sog. »I-Faktor«), die für Qualität im Journalismus relevant sind (Ruß-Mohl 1994a). An anderen Versuchen, journalistische Qualität zu bestimmen, hat es nicht gefehlt (vgl. z. B. Rosengren et al. 1991; McQuail 1992; Göpfert 1993; Wallisch 1995; Meier/ Bonfadelli 1994; Ruß-Mohl 1994a, Ruß-Mohl 1994b; Hagen 1995; Themenheft »Qualitätssicherung im Mediensystem« der Zeitschrift Medienjournal 23: 1999). Aus ihnen geht in je unterschiedlicher Weise hervor, dass sich Beschreibungsversuche von Qualität im Journalismus orientieren an 1) verschiedenen Anspruchsträgern (Leser, Hörer, Zuschauer, Werbewirtschaft, Rechtsgrundlagen, journalistische Berufskultur etc.); 2) sozialen Bezugssystemen (Gesellschaft, Interessengruppen, Publikum etc.) sowie 3) worauf die Qualitätsbeurteilung jeweils fokussiert: auf das Gesamtsystem, auf das journalistische Handeln, auf bestimmte Produktionsprozesse (Auswahl, Recherche etc.) sowie auf das Produkt, z. B. einen einzelnen Beitrag oder die Gesamtausgabe (vgl. Bonfadelli/ Wyss 1998, S.-40). Von Siegfried Weischenberg stammt ein Kreismodell (Weischenberg 2006, S. 13), welches mit Blick auf Einflussfaktoren bezüglich Qualität im Journalismus unterscheidet zwischen Mediensystemen (Qualitätsnormen wie Rechtmäßigkeit, Vielfalt etc.), Medieninstitutionen (Qualitätsmanagement innerhalb der Medienbetriebe wie Ausbildung, Total Quality Management), Medienaussagen (Qualitätsmaßstäbe, wie Aktualität, ›Objektivität‹, Vielfalt) und Medienakteuren (Qualitätsbewusstsein, Standards, Arbeitsmethoden). Mit Total Quality Management ist ein Qualitätsmanagement gemeint, das alle Unternehmensbereiche (einschließlich ihrer Mitarbeiter) umfasst bzw. betrifft, um mit optimalen Produkten - im Medienbereich <?page no="81"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 82 also möglichst mit allen dargebotenen Inhalten - am Medienmarkt konkurrieren zu können. Nach diesen allgemein gehaltenen Ausführungen sollen im Folgenden konkrete Kriterien genannt werden, die für Forschungszwecke mehr oder weniger pragmatisch und als Postulate an den Journalismus mehr oder weniger normativ entwickelt wurden. Sie beziehen sich nicht ausschließlich, aber weitgehend auf (empirisch zu messende oder zu beurteilende) journalistische Produkte. Der Dortmunder Journalistikprofessor Günther Rager z. B. nennt für Printmedien die vier Qualitätsdimensionen Aktualität, Relevanz, Richtigkeit und Vermittlung (vgl. Rager 1994a und 1994b). Stefan Schirmer fügte mit Bezugnahme auf den Deutschen Pressekodex den Faktor ethische Angemessenheit hinzu (vgl. Schirmer 2001). Die Kommunikationswissenschaftler Heribert Schatz (Duisburg) und Winfried Schulz (Nürnberg) ziehen zur Bestimmung von Qualitätskriterien für Fernsehprogramme das deutsche Rundfunkrecht heran und benennen fünf Anforderungen: das Gebot der inhaltlichen Vielfalt, das Gebot der Relevanz, das Gebot der Professionalität, das Gebot der Rechtmäßigkeit sowie Publikumsakzeptanz. (vgl. Schatz/ Schulz 1992; Schulz 1996). Ein weiteres Konzept zur Qualitätsbewertung von Rundfunkangeboten stammt von den Medienforschern Michael Buß und Harald Gumbl (vgl. Buß/ Gumbl 2000). Ein Versuch, Qualitätskontrolle im Rundfunk zu realisieren, ist von Marianne Blumers erarbeitet worden (vgl. Blumers 2000); mit Qualitätssteuerung im Fernsehen haben sich auch Jan Metzger und Ekkehardt Oehmichen befasst (vgl. Metzger/ Oehmichen 2000). Der Dortmunder Kommunikationswissenschaftler Horst Pöttker sieht 1) vier auf Journalismus bzw. Medienprodukte bezogene Qualitäten in den Kriterien Richtigkeit, Vollständigkeit, Wahrhaftigkeit und Verschiedenartigkeit; 2) vier mehr zum Publikum hin gewandte Qualitäten in den Kriterien Unabhängigkeit, Zeitigkeit bzw. Aktualität, Verständlichkeit und Unterhaltsamkeit; sowie 3) zwei kommunikatorbezogene Kriterien in Wechselseitigkeit und Sorgfalt beim Abwägen (Pöttker 2000, S.-382ff). Klaus Arnold (2009) entwickelte ein integratives Qualitätskonzept, wobei er zwischen drei Ebenen unter- <?page no="82"?> 4.1 Qualität im Journalismus 83 scheidet, nämlich: zwischen 1) funktional-systemorientierter Ebene mit den Kriterien Vielfalt, Aktualität, Relevanz, Glaubwürdigkeit, Unabhängigkeit, Recherche, Kritik, Zugänglichkeit, Hintergrundberichterstattung und regionaler/ lokaler Bezug; 2) normativdemokratieorientierter Ebene mit den Kriterien Ausgewogenheit, Neutralität/ Trennung von Nachricht und Meinung, Achtung der Persönlichkeit; sowie 3) nutzerbezogen-handlungsorientierter Ebene mit den Kriterien Anwendbarkeit, Unterhaltsamkeit und Gestaltung (Arnold 2009, S. 134-241; siehe auch Zusammenfassung bei Arnold 2009, S. 229-238). Für die Qualität von Nachrichtenagenturen hat Lutz M. Hagen die folgenden Kriterien theoretisch erarbeitet und empirisch überprüft: Menge der Information, Relevanz, Richtigkeit, Transparenz, Sachgerechtigkeit, Ausgewogenheit, Vielfalt, Aktualität und Verständlichkeit (Hagen 1995). Eine kleine Studie über die Qualität von Nachrichtenagenturen aus der Sicht von Kunden in Deutschland hat Felix Grüll vorgelegt (Grüll 2009). Bewerten konnten die befragten Nachrichtenjournalisten in leitenden Funktionen aus Printmedien, Radio, TV und Onlinemedien die Kriterien Objektivität, Zuverlässigkeit, Schnelligkeit, Sprache und Textaufbau (auf Textebene); Selektion, Übersichtlichkeit und Feature-Anteil (auf Dienstebene) sowie Kooperationsbereitschaft und Korrespondentennetz (auf Unternehmensebene). Versucht man die in den hier vorgestellten (aber auch noch anderen) Katalogen vorhandenen Kriterien zu vergleichen, so sind die sehr oft genannten Kriterien Aktualität (bzw. Zeitigkeit), Vielfalt (bzw. Verschiedenartigkeit), Relevanz (Bedeutung) sowie Richtigkeit (bzw. Verlässlichkeit) (vgl. dazu auch Beck et al. 2010, S.-24-25); den einen Maßstab zur Beurteilung von Medienqualität gibt es freilich nicht. (Selbstverständlich haben die hier genannten Autoren ihre Kriterien jeweils auch definiert und entsprechend operationalisiert; aus Platzgründen muss hier jedoch auf deren nähere Erläuterung verzichtet werden.) Über die Beurteilung von Medienqualität aus Nutzersicht liegen u. a. Studien von Günther Rager (1993) und Klaus Arnold (2009) für die Zeitung, von Jens Wolling für Fernsehnachrich- <?page no="83"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 84 ten (2002), von Gerhard Vowe und Jens Wolling für den Hörfunk (2004), von Patrick Rössler (2004) und Urs Dahinden et al. (2004) für Onlinemedien vor. Es ist hier - u. a. wegen ihrer unterschiedlichen und teils komplexen Designs - nicht möglich, auf sie einzugehen. Nur so viel zu Print: Was Zeitungsleser betrifft, so beurteilen diese Günter Rager (1993) zufolge die Qualität nach Themen, die sie interessieren und legen u. a. Wert auf Aktualität, Vollständigkeit, Kürze und sprachliche Verständlichkeit (Rager 1993). Klaus Arnold (2009) fand u. a. heraus, dass allgemeine wichtige Kriterien für Zeitungsqualität »klassische« Kriterien wie Vielfalt, Glaubwürdigkeit, Zugänglichkeit/ Verständlichkeit, Neutralität und Ausgewogenheit sind (Arnold 2009, S. 382). Zeitungen sollen respektvoll im Umgang mit Menschen, unabhängig und mutig sein sowie ausgewogen und neutral berichten. Ein Kriterium, das als sehr wichtig eingeschätzt wurde, ist »neben der Aktualität die Zugänglichkeit: Eine Zeitung soll viele kurze Berichte enthalten, übersichtlich und angenehm zu lesen sein« […] und »über wichtige Themen aber auch ausführlich berichten« (ebd.). Im Zusammenhang mit Medienqualität kommt man nicht umhin, wenigsten kurz auch Möglichkeiten der Qualitätssicherung anzusprechen. Stephan Ruß-Mohl nennt redaktionelle und infrastrukturelle Bedingungen (i-Faktor) der Medienbetriebe (Ruß- Mohl 1994a sowie 2003, S. 341), Vinzenz Wyss setzt auf das »Total Quality Management - TQM« (2002, 2003, 2013). Von Michael Haller wieder stammt der Benchmarking-Ansatz (Haller 2003; siehe auch Rau 2007, S. 205-248). Es lohnt sich, diese Ansätze, die hier aus Platzgründen nicht erörtert werden können, im Einzelnen in der erwähnten Literatur nachzulesen. Zahlreiche Beiträge, v. a. empirische Studien und deren Ergebnisse zum Thema Medienqualität in Print, Radio, Fernsehen und Internet, sowie zahlreiche weitere Literaturhinweise sind dem Sammelband »Medien-Qualitäten. Öffentliche Kommunikation zwischen ökonomischem Kalkül und Sozialverantwortung« zu entnehmen (Weischenberg et al. 2006). Überblicke über Qualitätsdebatte und Qualitätsforschung vermitteln auch Stephan Ruß-Mohl (2005), Klaus Arnold (2009) sowie Klaus Beck et al. (2010). Zur Qualität von Fernsehnachrich- <?page no="84"?> 4.2 Redaktionelles Marketing 85 ten liegen u. a. (Fall-)Studien von Andreas Fahr (2001) und Bernd Vehlow (2006) vor. Zur »Definition und Messung publizistischer Qualität im Internet« hat Christoph Neuberger im Zusammenhang mit dem Drei-Stufen-Test eine Studie erarbeitet (Neuberger 2011). Mit Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien und deren Unentbehrlichkeit für die öffentliche Kommunikation befasst sich der von Roger Blum et al. 2011 herausgegebene Sammelband »Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation« (Blum et al. 2011). So schwierig es auch sein mag, Qualität in Journalismus und Massenmedien zu ergründen, zu begründen und - vielleicht - auch durchzusetzen: Eine ständige Auseinandersetzung mit dem Thema in Wissenschaft und Praxis erscheint schon deshalb wichtig, als in einer nachweislich und zunehmend von den Massenmedien geprägten Zeit die Qualität des politischen Diskurses u. a. auch von der Qualität des Mediendiskurses abhängt (vgl. Fabris 1997, S. 74). 4.2 Redaktionelles Marketing und Journalismus Nicht nur, aber auch im Zusammenhang mit journalistischer Qualität wird seit geraumer Zeit das Thema »Redaktionelles Marketing« angesprochen. Gemeint sind damit - im weitesten Sinne des Wortes - systematische Bemühungen von Medienredaktionen, Wünsche, Interessen und Bedürfnisse von Zeitungslesern, Radiohörern und TV-Zuschauern zu ergründen und die publizistischen Produkte daran zu orientieren (nicht aber bedingungslos anzupassen). Marketing als Maßnahme der Markterschließung kommt ursprünglich aus der Nationalökonomie. Der Begriff gilt als Bezeichnung für einen bedarfsorientierten Denk- und Führungsstil von Unternehmen, der gedanklich bereits vor dem Produktionsprozess ansetzt und Planung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen umfasst, also Marktschaffung, Marktausweitung <?page no="85"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 86 und Markterhaltung eines Unternehmens. Der Marketinggedanke impliziert folglich eine stark kundenorientierte Sichtweise, und Marketing gilt als bewusst marktorientierte Führung von Unternehmen (vgl. Meffert 1986). Marketing ist für alle Mediengattungen wichtig. Es gilt besonders im Zeitungswesen bereits seit längerem als Ansatz für die Zukunftssicherung der von den anderen Medien bedrängten Tageszeitung. Für lange Zeit wurde im Marketing eine genuin verlegerische Aufgabe gesehen - v. a. als Anzeigen- und Vertriebsmarketing. Da die Zeitung jedoch auf einem »interdependenten Doppelmarkt« (Möllmann 1998) auftritt, mit einer publizistischen Dienstleistung (Mediennutzer) und einer Werbedienstleistung (Anzeigenkunden), wird Zeitungsmarketing in zunehmendem Maße auch als Aufgabe der Redaktionen gesehen. Zeitungsmarketing allgemein umfasst daher eine differenzierte Ausrichtung des Verlages am Markt (Leser, Inserenten), an der Branche (intra- und intermediäre Konkurrenz bzw. Wettbewerber) sowie an der Umwelt (soziopolitische Rahmenbedingungen) (vgl. Wolf/ Wehrli 1990). Unter redaktionellem Marketing im Besonderen versteht man einerseits die konsequente Ausrichtung der redaktionellen Arbeit auf die Bedürfnisse und Interessen der Leserschaft (vgl. Schaefer- Dieterle 1993, 1994). Es stellt »ein Instrument dar, redaktionellen Anspruch und Marktnotwendigkeiten zu vereinbaren« (Möllmann 1998, S.-51) oder, wie der Dortmunder Journalistikprofessor Günther Rager meint, einen wichtigen Beitrag »im Ensemble aller Anstrengungen des Verlags, mit der Zeitung die Leserschaft besser zu bedienen, sie konsequent an Bedürfnissen, Interessen und Erwartungen der Leserinnen und Leser auszurichten« (Rager 1994c, S.-8). Andererseits herrscht aber auch Übereinstimmung darüber, dass Zeitungsmarketing nicht nur ein auf kommerzielle Erwägungen abgestelltes, strategisches Handeln sein darf (vgl. Möllmann 1998, S.-51). Auch bedeutet redaktionelles Marketing nicht, den journalistischen Anspruch einer Zeitungsredaktion und ihre gesellschaftliche Verantwortung aufzugeben. »Es bleibt der Spagat zwischen publizistischem Anspruch, journalistischer Qualitätssi- <?page no="86"?> 4.2 Redaktionelles Marketing 87 cherung und redaktioneller Eigenständigkeit auf der einen Seite, Sicherung der Ertragskraft und Rentabilitätsdenken auf der anderen Seite« (Schaefer-Dieterle 1994, S.-53). An diesem Spagat setzt immer wieder journalistische Kritik ein. Die Forderung nach der Einbindung der Redaktionen in die Marketingaktivitäten stieß (und stößt) nicht selten auf den Widerstand der Journalisten: »Sie fürchten um ihre Autonomie und um ihre Rolle als ›Watchdogs‹, vermuten hinter redaktionellem Marketing eine drohende Kommerzialisierung des Mediums und bezichtigen redaktionelles Marketing allzu rasch der einseitigen Ausrichtung an möglichen Auflagensteigerungen und dabei der eilfertigen Anpassung an den Massengeschmack« (Pürer/ Raabe 1996a, S.-520). Gleichwohl ist aber unbestritten, dass in Zeiten der Ausdifferenzierung des Medienangebotes und der ständigen Veränderungen der Leserinteressen in forciertem Zeitungsmarketing eine unabdingbare Möglichkeit gesehen wird, den Leser als Kunden zu verstehen und das Produkt »Zeitung« an den Leserbedürfnissen zu orientieren. Keineswegs ist damit die kritiklose Anpassung am Durchschnittsleser zu verstehen. Vielmehr ist ein problem- und prozessorientiertes Denken und Handeln gemeint, »das auf ein situatives Eingehen auf Publikumswünsche und die Berücksichtigung der Veränderung von Umweltbedingungen angelegt ist« (Pürer/ Raabe 1996a, S.-520). Modernes Zeitungsmarketing ist von ganzheitlichen Strategien gekennzeichnet, in das die wichtigsten Abteilungen des Zeitungsverlagshauses, bzw. Anzeigen- und Vertriebsabteilung, Werbeabteilung und Leserservice sowie auch die Redaktion eingebunden sein müssen. Es erfordert nicht zuletzt eine wissenschaftlich abgesicherte Leserschaftsforschung, deren Ergebnisse auch die Redaktion erreichen müssen. Bernhard Möllmann hat empirisch nachgewiesen, dass - ungeachtet einer nach wie vor beobachtbaren, gesunden Skepsis - redaktionelles Marketing in weiten Teilen des bundesdeutschen Zeitungswesens Fuß gefasst hat. Es erfordert nicht zuletzt auch geeignete redaktionelle Strukturen und ein besonders qualifiziertes Redaktionsmanagement (vgl. Möllmann 1998). Harald Rau schlägt in einer 2000 erschienenen Publikation »Redaktionsmarketing. Journalismus als Planungsfaktor in <?page no="87"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 88 der Positionierung regionaler Tageszeitungen« die Brücke von den Wirtschaftswissenschaften hin zur Publizistik (Rau 2000, S.-VII). In einer Folgepublikation verbindet er eine Ökonomie der Publizistik mit Überlegungen zu Qualität, Marketing und Benchmarking (Rau 2007). 4.3 Ethik und Journalismus Ähnlich wie dem Thema Qualität wird seit geraumer Zeit auch dem Thema Ethik und Journalismus zunehmend Aufmerksamkeit zuteil (vgl. Boventer 1988 und 1989; Erbring/ Ruß-Mohl 1988; Pürer 1991/ 1992; Haller/ Holzhey 1992; Holderegger 1999; Wilke 1996; Wunden 1989 und 1994; Wiegerling 1998; Debatin 1997; Stapf 2006; Pohla 2006; Funiok 2007; Raabe 2009; Schweiger/ Beck 2010 u. a. m.). Es sind nicht nur die Aufsehen erregenden, großen Fehlleistungen des Journalismus, die die Thematik in den Vordergrund journalismuspraktischer wie medienwissenschaftlicher Reflexion rücken (Beispiele: Hitler-Tagebücher, Barschel-Engholm-Affäre, Geiseldrama Gladbeck/ Köln, Grubenunglücke Borken und Lassing, Paparazzi-Fotojagden, Schmuddel-Talkshows, Fälschungen von Michael Born und Tom Kummer, Prominentenprozesse wie der Fall Kachelmann etc.). Auch die beinahe täglich erfolgenden Verletzungen des Persönlichkeitsschutzes und der Unschuldsvermutung in der lokalen Kriminal- und Unfallberichterstattung lassen Fragen aufkommen, z. B.: Wie steht es um Moral, Ethik und Verantwortung im Journalismus? Sind Journalisten persönlich und alleine verantwortlich dafür, was sich im Mediensystem tut oder gibt es noch eine Reihe anderer Verantwortlichkeiten? Liegt - nicht zuletzt im Sinne einer Medienökologie - nicht auch Verantwortung beim Publikum, bei den Zeitungslesern, Radiohörern, Fernsehzuschauern und Internetsurfern? Diese und ähnliche Fragen sollen im Folgenden angesprochen und erörtert werden. Zunächst kurz zur Klärung von Begriffen: Mit Moral (lat. mos = Gewohnheit, Sitte, Brauch) ist jenes uns anerzogene Werte-, Sit- <?page no="88"?> 4.3 Ethik und Journalismus 89 ten- und Normengeflecht gemeint, auf dessen Basis wir täglich bewusst oder unbewusst unsere Handlungen vollziehen. Unter Ethik versteht man die Lehre von den sittlichen Werten und Forderungen, eine Morallehre, die einer »praktischen Philosophie« vergleichbar ist. Ethik meint also das Nachdenken über unsere (moralisch bedingten und moralisch zu bewertenden) Handlungen. Und ethische Prinzipien sollen, auch und insbesondere im Journalismus, »den Spielraum des rechtlich nicht Verbotenen auf das moralisch Verantwortbare eingrenzen« (Wilke 1998, S.- 292; Hervorhebung H. P.). Das Gewissen wieder ist das Mitwissen um die von uns getätigten Handlungen. Medienethik befasst sich folglich mit moralischen Prinzipien des Journalismus, nicht zuletzt also damit, wie Journalisten auf der Basis demokratischer Werte und anderer allgemeiner gesellschaftlicher Übereinkünfte handeln sollen. In einer wertepluralen Gesellschaft, deren gemeinsame Wertebasis immer schmäler wird, ist dies eine nicht einfach zu beantwortende Frage. Auch die Begriffe Recht bzw. Gesetz sollen hier noch kurz erwähnt werden. Sie sind Sammelbegriffe für Ordnungssysteme mit dem Ziel, das Zusammenleben in einer Gesellschaft verbindlich für alle Gesellschaftsmitglieder zu regeln, um Konflikte möglichst zu vermeiden - ein denkbar schwieriges Unterfangen. Beide - Moral/ Ethik sowie Recht/ Gesetz - stellen gesellschaftliche Steuerungssysteme dar, und dies ist auch in Journalismus und Massenmedien der Fall. Bei Verstößen gegen Normen, seien dies nun verbindliche Gesetze oder auf freiwilliger Basis eingehaltene Berufskodizes, stellt sich in aller Regel auch die Frage nach der Verantwortung. Daher sei hier auch der Schlüsselbegriff Verantwortung angesprochen. »Verantwortung bedeutet, dass wir für etwas eintreten und die Folgen tragen, dass wir unser Handeln vor anderen rechtfertigen müssen. Die anderen, das können Justiz, die Gesellschaft oder einzelne Mitmenschen sein - und auch wir selbst. Erweist sich bei unserer Rechtfertigung das Handeln als nicht korrekt, können wir dafür belangt werden« (Hömberg/ Klenk 2010, S. 41f ). Verantwortliches Handeln schließt 1) Freiwilligkeit ein, meint 2) dass es Handlungs- <?page no="89"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 90 alternativen gab bzw. gibt und postuliert 3), dass die Folgen einer Handlung absehbar sind. Dies ist im Journalismus nicht immer der Fall und tangiert, was v. a. gesellschaftliche Folgen journalistischen Handelns betrifft, komplexe Fragen der Medienwirkungen. Mit dem Thema Verantwortung im Journalismus haben sich u. a. Bernhard Debatin (1998a) und Rüdiger Funiok (2007) befasst. In der Kommunikationswissenschaft gibt es unterschiedliche theoretische Denkmodelle darüber, wer im Journalismus Verantwortung trägt. Erste Synopsen individualethischer, mediensystemethischer und publikumsethischer Überlegungen legte Anfang der 1990er-Jahre Heinz Pürer vor (Pürer 1991, 1992). Im medienethischen Diskurs der zurückliegenden Jahre haben sich neben mehreren anderen (vgl. Schicha/ Brosda 2010) Perspektiven herausgebildet, die hier erörtert werden: die individualethische, die professionsethische, die institutionenethische sowie die publikumsethische. Die journalistische Individualethik weist, wie ihr Name sagt, die Verantwortung für journalistisches Handeln dem einzelnen Journalisten persönlich zu und fordert von ihm ein hohes Maß an Moral, Ethik und Verantwortungsbewusstsein. Der Publizistikwissenschaftler Emil Dovifat z. B. sprach von der begabten publizistischen Persönlichkeit, die durch Studium und Erfahrung zur Entfaltung gebracht werden könne (Dovifat 1967, S. 33). Der Journalist und Wissenschaftler Otto Groth forderte Charaktereigenschaften wie Gewissenhaftigkeit, Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Einsatzbereitschaft, Takt und Ton (Groth 1962, S. 387ff). Für den langjährigen Journalisten und bekennenden Ethiker Hermann Boventer hat im Journalismus Wahrhaftigkeit besondere Bedeutung. Er postuliert darunter folgende Maximen: Ehrlichkeit im Beobachten, Sorgfalt beim Recherchieren sowie Unabhängigkeit im Urteil, Fähigkeit zur Kritik und v. a. auch zur Selbstkritik (Boventer 1989, S. 131ff). Orientierung für ethisches Handeln findet der einzelne Journalist (wie erwähnt) neben gesetzlichen Bestimmungen insbesondere auch in journalistischen Berufskodizes wie etwa dem Kodex des Deutschen Presserates, also der Professionsethik (s. u.). <?page no="90"?> 4.3 Ethik und Journalismus 91 Im Zusammenhang mit dem Aspekt Verantwortung sei hier - in Anlehnung an Max Weber - auf die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik hingewiesen (siehe dazu Möller 1983, Wilke 1987, Wilke 1996; Kunczik/ Zipfel 2001, Kepplinger/ Knirsch 2000). Der gesinnungsethisch Handelnde fühlt sich der Wahrheit verpflichtet und achtet nicht auf die Folgen seines Handelns. Der verantwortungsethisch Agierende hat auch die Folgen seines Handelns im Auge. Journalisten handeln stets im Spannungsfeld zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Sie sollten daher stets auf die Verhältnismäßigkeit der angewendeten Mittel achten (d. h. z. B., auf den kleinen Ladendieb nicht mit ›journalistischen Kanonen‹ schießen). Für Hermann Boventer spielt das Prinzip Verantwortung eine wichtige Rolle. Sie sei »eine Funktion von Macht und Wissen« und begründe die »Vorbildfunktion des Journalisten« (Stapf 2006, S. 120, mit Bezugnahme auf Boventer 1989, S. 46). Stapf ordnet die Thematik Gesinnungs-/ Verantwortungsethik der Professionsethik zu (Stapf 2006, S. 138). Der individualethische Ansatz enthält zweifellos wichtige ethische Anhaltspunkte für das Wirken im Journalismus, »vernachlässigt allerdings die praktischen Gegebenheiten auf politischer, institutioneller und mediensystemischer Ebene« (Stapf 2006, S.-123), denen der einzelne Journalist bei seiner Arbeit unterliegt. Der Wiener Kommunikationswissenschaftler Maximilian Gottschlich wendete bereits 1980 ein, dass eine verbindliche Beurteilungsgrundlage journalistischen Handelns die Berufswirklichkeit idealisiere, berufliche Abhängigkeitsverhältnisse verschleiere und auch das Problem ethischer Divergenz in einer pluralistischen Gesellschaft aufwerfe. Außerdem seien ethische Normierungen schwer zu operationalisieren. Dies gelte v. a. auch für die Pressekodizes, die die Berufswirklichkeit idealisierten. Solche Kodizes (vgl. w. u.) würden Werte absolut setzen, die für moderne, bzw. pluralistische Gesellschaften nur relative Wertigkeit besitzen (vgl. Gottschlich 1980, S.-146ff; siehe dazu auch Pörksen 2005, S. 218). Die journalistische Professionsethik verfolgt im Wesentlichen folgende Ziele: die Erstellung von Richtlinien für die journalistische Arbeit sowie »die Vermeidung von Fremdkontrolle« durch Selbst- <?page no="91"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 92 kontrolle (vgl. Stapf 2006, S. 138). Dazu im Einzelnen: Richtlinien für die journalistische Arbeit sind in nationalen und internationalen Pressekodizes zu sehen, die in aller Regel von der Profession, also von Berufsverbänden (Journalistengewerkschaften, oft in Zusammenarbeit mit Verlegerverbänden) und Presseräten erarbeitet werden. Solche Kodizes sollen dem Berufsstand der Journalisten Orientierungsmöglichkeiten für ethisch möglichst nicht konfligierendes journalistisches Handeln liefern; sie sollen Berechenbarkeit stiften und Standards sowie Regeln für die tägliche Arbeit in einem Medienunternehmen vermitteln (vgl. Pörksen 2005, S. 217). Solche Regeln sind: • allgemeine Appelle an das Verantwortungsbewusstsein des Journalisten bei der Erfüllung seiner öffentlichen und dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe; • Achtung vor der Wahrheit und Streben nach Wahrhaftigkeit; • Appelle zur Wahrung journalistischer Unabhängigkeit; • korrekte Beschaffung und Wiedergabe von Information; • Richtigstellung unzutreffender Mitteilungen; • Wahrung der Vertraulichkeit, des journalistischen Berufsgeheimnisses und des Zeugnisverweigerungsrechts; • Respektierung des Privatlebens und der Intimsphäre von Betroffenen der Berichterstattung; • Eintreten für Menschenrechte und Frieden; • keine Verherrlichung von Gewalt, Brutalität und Unmoral; • keine Veröffentlichungen in Wort und Bild, die das sittliche Empfinden (v. a. Jugendlicher) verletzen könnten; • keine Diskriminierung rassischer, religiöser und nationaler Gruppen; • Zurückhaltung in ermittelnden und schwebenden Gerichtsverfahren; • die Unvereinbarkeit des journalistischen Berufs mit Geschenkannahme oder Gewährung von Vorteilen; • u. a. m. Der Kodex des Deutschen Presserates beispielsweise, der für Print- und Onlinezeitungen gleichermaßen gilt, ist dessen Onlineauftritt <?page no="92"?> 4.3 Ethik und Journalismus 93 www.presserat.de zu entnehmen. Das Selbstkontrollorgan Deutscher Presserat dokumentiert sein Wirken und seine Spruchpraxis sowohl online wie auch in den von ihm publizierten Jahrbüchern genau und entwickelt seine Richtlinien auch ständig weiter. Es lohnt sich, darin Einsicht zu nehmen.Solche Berufskodizes sind unter Medienpraktikern in aller Regel kaum umstritten, und Journalisten können sich bei ihrer Arbeit im Prinzip gut an ihnen orientieren. Allerdings unterliegen sie aufgrund ihrer doch recht allgemeinen Formulierungen in starkem Ausmaß der persönlichen Interpretation durch die Journalisten und greifen im Berufsalltag daher oft nur in eingeschränkter Weise. Für die Professionsethik zentral ist aber auch - und damit ist ihr zweites Ziel angesprochen - die Idee der Selbstkontrolle, die nur durch die Profession selbst erfolgen soll. »Freiwillige Medien-Selbstkontrolle gilt als die Gesamtheit der Regeln und Verfahrensweisen, die sich die Presse freiwillig auferlegt und anerkennt, um den Machtmissbrauch einzelner Presseorgane zu verhindern und der Verantwortung einer freien Presse gegenüber dem Gemeinwohl gerecht zu werden« (Stapf 2006, S. 139, Hervorhebung i. Orig.). Daher sind es auch die Presseräte, die für behauptete Verletzungen von Berufsgrundsätzen in Print- und Onlinezeitungen zuständig sind. Ihre Sanktionsmöglichkeiten sind in aller Regel aber eher gering: Der Deutsche Presserat z. B. kann Hinweise, Missbilligungen, öffentliche und nichtöffentliche Rügen an betroffene Medien aussprechen. In den Pressekodizes kommt auch zum Ausdruck, dass die Profession (der Journalisten) »zwischen der Ideal- und Praxisebene vermittelt« (Stapf 2006, S. 142; Hervorhebung i. Orig.). Nicht zuletzt sei erwähnt, dass Selbstkontrolle im Journalismus staatlicher Kontrolle zuvorkommen soll. Die für Journalismus und Medien (an-)gedachte Konzeption der Institutionenethik (auch Organisationsethik, Unternehmensethik, vgl. Stapf 2006, S. 124) basiert auf systemtheorethischen Überlegungen. Deren prominente Vertreter, Manfred Rühl und Ulrich Saxer, lehnen eine individualethische Betrachtung von Verantwortung im System Journalismus ab (Rühl/ Saxer 1981). In der Annahme, Journalismus sei allein an Personen festzumachen, wird eine Verkürzung der Diskussion über EthikundVerantwortung im Journalismus gesehen. Sittliche Prin- <?page no="93"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 94 zipien, wie sie u.a. in journalistischen Berufskodizes festgeschrieben sind, stellen nur ein Steuerungssystem unter vielen anderen dar. Der Journalist wird aus dieser Perspektive als sozialer Akteur mit zugewiesenen Berufs- und Arbeitsrollen gesehen, der in eine (Medien-)Institution eingebunden ist, von der er abhängig ist. (Manfred Rühl (1969) spricht von der Zeitungsredaktion als organisiertem Sozialsystem.) Drei (ethik-)relevante Strukturen sind es, die Ulrich Saxer zufolge journalistisches Handeln in Medieninstitutionen beeinflussen, nämlich (Saxer 1992, S. 109ff; vgl. Stapf 2006, S. 127): 1) institutionelle Rahmenbedingungen wie Recht (als verbindliche Regelungssysteme), Markt (ökonomische Zwänge und Konkurrenzdruck, die journalistische Zielsetzungen mitprägen) sowie Politik (die allgemeine Rahmenbedingungen schafft) (vgl. Saxer 1992, S. 109-113); 2) die Medien-Organisationsrationalität des Medienunternehmens selbst, d.h. »maximal leistungsfähige Strukturen für das Überleben und möglicherweise Prosperieren in publizistischer und wirtschaftlicher Hinsicht«: u.a. taugliches Personal, genügend Stoff für Sendungen und Artikel, bedürfnisdeckende Finanzmittel, ausreichender Absatz, zweckdienliche Arbeitsabläufe, Handlungsbedingungen der Mitarbeiter, Unternehmenskultur und Anpassung der Mitarbeiter (Saxer 1992, S. 113-117); sowie 3) journalistische Routinen als »zentrale Strukturen der journalistischen Berufskultur«: Rechercheroutinen, Selektionsroutinen, Präsentationsroutinen u.a.m. (Saxer 1992, S. 117-123). Heinz Pürer sieht innerhalb der Medieninstitutionen im publizistischen Bereich unterschiedliche, hierarchisch bedingte - und damit gestufte - Rollen-/ Funktionsverantwortlichkeiten. Sie beginnen beim Medieninhaber, der die inhaltliche Linie bestimmt und setzen sich fort bei Intendanten und Herausgebern, die auf die Einhaltung dieser Linien achten. Unterschiedliche weitere Verantwortlichkeiten liegen bei Chefredakteuren und Programmdirektoren, Programmabteilungs- und Ressortleitern, Chefs vom Dienst, fest angestellten und freien Journalisten (vgl. Pürer 1992, S.-315). Die Institutionenethik hat das Medienunternehmen im Blick. Eine der Kernfragen ist, »wie die kommerzielle Ausrichtung mit <?page no="94"?> 4.3 Ethik und Journalismus 95 dem Ideal der Sozialverantwortung verknüpft werden kann und wie sich ökonomische Rationalität unter marktwirtschaftlichen Bedingungen verbinden lassen« (Pörksen 2005, S.- 217). Die von Rühl und Saxer vertretene Konzeption der Mediensystembzw. Institutionenethik hebt die Verantwortung der Medieninstitutionen hervor. Zentrale Kategorie ist die mitmenschliche Achtung, die als moralischer Indikator für eine allgemeine Kommunikationsethik gilt (vgl. Rühl/ Saxer 1981, S. 487; Scholl 2010, S.- 70f.). Von Barbara Thomaß wurde die Leitkategorie Achtung mit Blick auf Beziehungen, die Journalisten eingehen (Individual- und Professionsethik), spezifiziert (Thomaß 2003): Achtung vor den Informanten (Informanten-/ Quellenschutz), vor den Objekten der Berichterstattung (Persönlichkeitsschutz), vor den Rezipienten (Fairness und Sorgfaltspflicht), vor der Öffentlichkeit (Anwendung angemessener Methoden der Recherche) sowie vor den Kollegen/ Peers (Vermeidung von Interessenskonflikten). Auch der Ansatz der Institutionenethik blieb von Kritik nicht verschont. Will Teichert zufolge handelt sich der Ansatz den Vorwurf ein, »er reduziere die Verantwortung auf die jeweils vorfindbare Praxis« (Teichert 2005, S. 824). Ingrid Stapf wendet ein, allein Medienunternehmen Verantwortung zuzuschreiben, erscheine begrenzt. »Zwar haben Organisations- und Unternehmensstrukturen, -rationalitäten und -routinen Einfluss auf die darin arbeitenden Individuen, doch fragt sich, was die Unternehmen letztlich dazu motiviert, tatsächlich ein Unternehmensklima zu schaffen« (Stapf 2006, S. 130). Zu klären sei auch die Frage, »wie und ob Unternehmen überhaupt Verantwortung zugeschrieben werden kann bzw. nach welchen Maßgaben diese Zuschreibung und ihre Sanktionen im Rahmen der Ethik, und nicht arbeitsrechtlich erfolgen« (ebd.). Schließlich lässt sich mit Blick auf die Eingebundenheit des Journalisten in eine Organisation, in vor- und nachgelagerte Instanzen wie Politik, Wirtschaft, Werbung und Publikum noch der Gedanke der »gestuften Verantwortung« (Spaemann 1977) einbringen, demzufolge eine Ethik des Mediensystems mit verschiedenen Teilethiken zu entwickeln wäre (in Ansätzen dazu Pürer 1996a, S. 373-375; siehe auch Stapf 2006, S. 183-188, Abb.-13, <?page no="95"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 96 S.-187). Lesenswert erscheinen in diesem Kontext u. a. der Beitrag von Armin Scholl (2010) mit einem guten Überblick über den systemtheoretischen Zugang zum Thema sowie jener von Klaus Meier (2010b) über die Redaktion als Institution der Medienethik. Meier verweist darin u. a. auf die korporative Verantwortung von Redaktionen sowie auf Beispiele redaktionell institutionalisierter Ethik. Moral und Ethik - und damit auch journalistische Moral und Ethik - haben eine gleichwohl normative Komponente. Ihr verbindliches Normensystem, auf dessen Basis Journalisten in Ausübung ihres Berufes agieren, finden sie zunächst - wie jeder Bürger - in verfassungsmäßig gewährten Grundrechten sowie in den allgemeinen Vorschriften und Gesetzen. Von besonderer Bedeutung sind für Journalisten aber neben anderen Gesetzesmaterien v. a. Verfassungsbestimmungen (die sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit beziehen), Medien-, Presse- und Rundfunkgesetze sowie medienrelevante zivil- und strafrechtliche Bestimmungen (vgl. Weischenberg 1992, S.- 136). An ihnen können bzw. müssen Journalisten ihr Handeln orientieren, um mit Recht und Gesetz nicht in Konflikt zu geraten. Weiterhin finden Journalisten für ihre Arbeit gute Orientierungsmöglichkeiten in sog. Pressekodizes (vgl. Deutscher Presserat 2011, S. 133-157). Das sind freiwillige, auf internationaler oder nationaler Ebene festgehaltene Übereinkünfte von Journalisten- und Verlegerverbänden, Presse- und Medienräten (vgl. w.v.). Die u. a. von dem US-amerikanischen Kommunikationsforscher Clifford Christians (Illinois) stammende Theorie der Publikumsethik sieht eine kollektive Verantwortung für das, was sich in Journalismus und Massenkommunikation tut, insbesondere auch bei den Mediennutzern. Christians versteht unter »kollektiver Verantwortung« oder »Verantwortung des Gemeinwesens« (communal responsibility) eine »umfassende moralische Pflicht der Öffentlichkeit, soziale Prozesse wie die gesellschaftliche Kommunikation zu überwachen« (Christians 1989, S.- 258). Christians meint, dass wir als kulturell Handelnde die gemeinsame Verantwortung für die Lebensfähigkeit unserer Kultur tragen. Er beruft sich u. a. auf den Philosophen <?page no="96"?> 4.3 Ethik und Journalismus 97 Hans Jonas und dessen Ethik der Voraussicht und der Fernverantwortung (vgl. Jonas 1979). Verantwortung versteht Jonas als Pflicht des Zu-Tuenden: Als Publikum, so Christians, unterliegen wir dem kategorischen Imperativ, unser Schicksal als Medienrezipienten selbst in die Hand zu nehmen und für eine künftige Journalismus-Kultur Sorge zu tragen, zumal wir gleichsam jene Medienkost erhalten, die wir verdienen. Christians unterbreitet keine Vorschläge, wie sein Ansatz in der Praxis umzusetzen ist. In seinen Ausführungen scheint aber die Idee der Medienverweigerung anzuklingen. Gemeint scheint nicht eine Flucht vor den Medien zu sein, sondern die Idee der Medienverweigerung in Form der bewussten Zurückweisung von Medienangeboten - die Kauf- oder Konsumverweigerung gewisser Medienprodukte als Akt des kollektiven Widerstandes gegen minderwertigen Journalismus und überflüssige Programmangebote (d. h.: was nicht gekauft bzw. konsumiert wird, kann sich am Markt auch nicht durchsetzen bzw. halten). Was den von Clifford Christians vertretenen Aspekt der kollektiven Verantwortung betrifft, stellt sich für den klassischen Ethiker die Frage, ob undifferenzierte Größen wie ein Publikum für etwas verantwortlich gemacht werden können. Christians lässt sich aber von dem Gedanken leiten, dass Gesellschaften keine Größen ohne Moral sind (Christians 1989, S.- 256 und 265). Nur das ethische Konzept einer von allen geteilten Verantwortung sei der Macht der technologisch hoch entwickelten Medien von heute gewachsen. So gesehen versteht er sein Konzept auch als ein medienökologisches. Der Ansatz Christians‹ geht zweifellos von einem sehr aufgeklärten und emanzipierten Publikum aus. Dabei stellt sich auch die Frage, wie in pluralistischen Gesellschaften so etwas wie kollektive Gesinnung überhaupt herstellbar ist. Rüdiger Funiok bringt mit verantwortlicher Mediennutzung auch das wichtige Thema Medienkompetenz ein (Funiok 2007, S.-173-176, mit zahlreichen Hinweisen auf weiterführende Literatur). Dies sei sowohl Aufgabe der familiären Medienerziehung wie auch der Medienpädagogik in Schule und Erwachsenenbildung. Aus einer verantwortungsethischen Perspektive verweist Funiok auf »drei typische[n] Rollen oder lebensweltliche Beziehungen, in <?page no="97"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 98 welchen wir uns als Rezipienten befinden« (Funiok 2010, S. 235): als Staatsbürger, als Gestalter unserer Freizeit sowie als Erziehende. Als Staatsbürger »tragen wir eine soziale Mitverantwortung für das Funktionieren demokratischer Institutionen und damit auch der Medienordnung« (Funiok 2010, S. 235). Dies könne erfolgen in Form der Beteiligung am öffentlichen Diskurs über Medienfreiheit, Qualität der Medienprodukte sowie gemeinsame Verantwortung von Medienproduzenten und -nutzern. Mit Blick auf Gestalter unserer Freizeit spricht Funiok »die Fähigkeit und Bereitschaft des Einzelnen [an]«, Medienangebote bewusst auszuwählen, diese Angebote kritisch zu beurteilen sowie bei der Medienauswahl bedürfnisorientiert voranzugehen - »u. a. auch um eine eigene Identität, individuelle Erlebnisformen und eine bewusste Lebenskultur auch über die Mediennutzung zu entwickeln« (Funiok 2010, S.-236). Mit der Verantwortung als Erziehende sind Funiok zufolge Eltern, Betreuer im Kindergarten, Lehrer in der Schule besonders angesprochen. »Als Eltern wie als professionelle Erzieher tragen wir Verantwortung für ihre [Kinder, Jugendliche - Erg. H.P.] Entwicklung. Medien beeinflussen den Alltag von Jugendlichen, bieten Material für deren Abgrenzung gegenüber Eltern und für eine neue Beziehung zu ihnen, für Freundschaftsbeziehungen, für erotisch-sexuelle Erfahrungen, für die Arbeit am geschlechtsspezifischen Selbstbild« (Funiok 2010, S.-237). Für die Identitätsarbeit Heranwachsender spielen Medien »eine kaum zu überschätzende Rolle (…), im produktiven Umgang mit Medieninhalten entwickeln sie ihr Selbstbild und ihre Konzepte von Mann- oder Frausein, von gelingenden und befriedigenden Beziehungen« (ebd.). Auch »Gleichaltrige als Interpreten und Helfer bei der Verarbeitung von Medienerfahrungen [sind] gefragt« (ebd.). Medienkompetenz sei eine »Schlüsselqualifikation für die Informations- oder Wissensgesellschaft« (Funiok 2007, S. 173). Die Frage der Verantwortung in Journalismus und Massenkommunikation umfasst ein weites Feld. Der Schweizerische Medienforscher Matthias Loretan (1999) verweist in Anlehnung an die Diskursethik von Jürgen Habermas (u. a. 1981, 1983 sowie 1991) auf sechs verschiedene Ebenen unterschiedlicher Reichweite, auf <?page no="98"?> 4.3 Ethik und Journalismus 99 denen das Thema mit Blick auf Verantwortung inhaltlich zu diskutieren sei (Loretan 1999, S. 180-183; siehe auch Thomaß 2007a, b): • die metaethische Ebene (Prinzipien der Medienethik, verständigungsorientiertes Handeln, Öffentlichkeit des Zugangs, gleichberechtigte Teilnahme u. a. m.); • die gesellschaftspolitische Ebene: Konkretisierung der Prinzipien, rechtsstaatliche Garantie von Grundrechten wie freie Meinungsäußerung und -bildung, Ordnungsrahmen für gesellschaftliche Kommunikation etc.; • die medienpolitische Ebene: Medienfreiheit als abgeleitete Freiheit, Inpflichtnahme der Medien in Bezug auf die öffentliche Meinungsbildung des Publikums; Rechtsetzung und Rechtsprechung etc.; • die berufspolitische Ebene: Interpretation der öffentlichen Aufgabe durch die publizistischen Rollenträger, Diskursverfahren zur Klärung normativer Fragen der journalistischen Praxis, Berufskodices und ihre Anwendung etc. • die Ebene organisatorischen Handelns: die Medienunternehmen, das Recht der Medienbetreiber bzw. Veranstalter als Subjekte der Pressefreiheit, Festlegung der publizistischen Tendenz, Beschaffung der Ressourcen, innere Medienfreiheit etc.; • die personale(n) Ebene(n): Journalist und Rezipient sowie deren kommunikative und moralische Kompetenz; die erforderlichen Kompetenzen der Medienschaffenden, reflexive Standards moralischer Selbstverpflichtung etc. (vgl. Loretan 1999, S. 181ff). Das Thema Ethik hat v. a. in der jüngeren Kommunikationswissenschaft mehr denn je Konjunktur (vgl. u. a. Kunczik/ Zipfel 2001, S.- 198ff; Thomaß 2000; Stapf 2006; Schicha/ Brosda 2010) und tangiert verständlicherweise auch die Ethik des Bildes/ Fotos in den Massenmedien (Leifert 2007), Internet, Onlinekommunikation (vgl. u. a. Debatin 1998b; Wiegerling 1999; Debatin 2001; Schwenk 2002; Hausmanninger/ Capurro 2002; Beck 2010) sowie Ethik in Computerspielen (Nagenborg 2010). Der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Debatin sieht in der Ethik-Debatte eine Steuerungsfunktion im Hinblick auf Medienschaffende und <?page no="99"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 100 Medieninstitutionen und eine Reflexionsfunktion für Gesellschaft und politisches System (vgl. Debatin 1997). Wenn der Journalismus, bzw. die Journalisten und andere Berufskommunikatoren, dennoch immer wieder ins Zentrum der Ethik-Debatte rücken, so deshalb, weil sie als Berufsrollenträger im System Massenkommunikation eine Schlüsselrolle einnehmen und das Grundrecht auf Pressefreiheit, in welcher spezifischen Berufsrolle auch immer, in hohem Maße und trotz Internet stellvertretend und treuhänderisch für die Bürger wahrnehmen (vgl. Stolte 1988). In jedem Fall trägt der einzelne Journalist die Verantwortung für die (auch an ethischen Kriterien zu messende) Qualität des von ihm persönlich geschaffenen Produkts, nicht jedoch für alle Eventualitäten und möglichen Wirkungen, die er mit seinem Beitrag auslöst. Auch kann kein Journalist unbedingt dafür haftbar gemacht werden, was etwa das Publikum aus dem macht, was er publiziert (vgl. Pörksen/ Weischenberg 2000, S.-144). Michael Kunczik und Astrid Zipfel (2001) weisen auf Entscheidungsdilemmata der Journalisten und Konsequenzen für die Berichterstattung hin (Kunczik/ Zipfel 2001, S. 229-240). Journalisten müssen Risiken einer Publikationsentscheidung abwägen gegenüber dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit, ohne eine sichere Entscheidungsgrundlage zu besitzen. Bei Berichterstattung über kriminelles Verhalten und reale menschliche Gewalt z. B. kann die Gefahr von Nachahmungstaten bestehen (vgl. Kunzcik/ Zipfel 2001, S. 230f ), bei der Darstellung von Opfern von Gewalttaten besteht die Gefahr der sekundären Viktimisierung, also dass das Opfer eines Verbrechens durch Art und Weise der Veröffentlichung ein zweites Mal Opfer werden kann (vgl. Kunczik/ Zipfel 2001, S.- 237). Auch Negativstereotype von Minderheiten und degradierende Darstellungen gesellschaftlicher Gruppen können ein Problem sein (vgl. Kunczik/ Zipfel 2001, S. 238). Schließlich stellt sich auch die Frage, ob es verantwortbar sein kann, über ein Ereignis (ausnahmsweise) nicht zu berichten (Kunczik/ Zipfel 2001, S. 239). Hier wird deutlich, dass an Journalisten neben professionellen auch hohe ethische Anforderungen gestellt sind. Weischenberg et al. (2006b) haben in ihrer Repräsentativbefragung <?page no="100"?> 4.4 Onlinejournalismus 101 herausgefunden, dass im internationalen Vergleich die deutschen Journalisten bezüglich ihrer Einstellungen zum Einsatz umstrittener Recherchemethoden vergleichsweise zurückhaltend sind (vgl. Weischenberg et al. 2006b, S. 174ff). Zum Themenkomplex Journalismus-/ Medienethik liegt mittlerweile zahlreiche Literatur, verteilt auf viele Quellen, vor. Ingrid Stapf strukturiert in ihrer Monografie »Medienselbstkontrolle. Ethik und Institutionalisierung« (2006) den Themenkomplex weit über Medienselbstkontrolleinrichtungen hinaus. Sie stellt u. a. auch die Verbindung des Themas ›Ethik im Journalismus‹ mit dem Thema ›Qualität im Journalismus‹ her, wobei ihre Ausführungen tendenziell eher auf den Printjournalismus bezogen sind. Medienselbstkontrolle mit Blick auf Film, elektronische Medien und Onlinemedien sind der Linkliste im Anhang zu entnehmen (S. 167f ). Im Zusammenhang mit dem Fall Kachelmann ist in Deutschland etwas allgemeiner bekannt geworden, was auch rechtlich wie ethisch bei Gerichtsprozessen von hohem Interesse ist: »Litigation-PR«, also strategische Rechtskommunikation. Auskunft darüber erteilt u. a. ein von Lars Rademacher und Alexander Schmidt-Geiger (2012) herausgegebener Sammelband. Einen guten Überblick über relevante ethische Fragen und Themen im Journalismus verschafft das von Christian Schicha und Carsten Brosda herausgegebene »Handbuch Medienethik« (Schicha/ Brosda 2010). Es enthält auch eine kommentierte Auswahlbibliografie. 4.4 Onlinejournalismus Mit dem Aufkommen des Internets und der Onlinemedien sieht sich auch der Journalismus neuen Herausforderungen und Aufgaben gegenüber. Zahlreiche klassische Medien, ob Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk- oder Fernsehveranstalter, engagieren sich mit eigenen Onlineauftritten im World Wide Web und ergänzen ihr <?page no="101"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 102 publizistisches Angebot auch mit E-Papers und Applikationen. Es braucht daher auch Personen, die diese Angebote mit Inhalt füllen - mit »Content«, wie das häufig strapazierte Zauberwort heißt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es wenig sinnvoll ist, die in den klassischen Medien publizierten Inhalte eins zu eins ins Web zu übertragen: Zum einen hat auch das Internet, ebenso wie alle anderen Medien, seine - großteils technisch bedingten - medienspezifischen Eigengesetzlichkeiten; diese wirken auf Art und Weise der Aufbereitung und Präsentation der Inhalte zurück und sind von den Onlinejournalisten daher zu berücksichtigen. Zum Zweiten: In den Angeboten der »alten« Medien und in ihren neuen Onlineangeboten sind einander ergänzende Medienangebote zu sehen, die seitens des Publikums auch komplementär genutzt werden (vgl. ARD/ ZDF-Onlinestudie 2014). Es gibt zahlreiche Versuche, Merkmale und Charakteristika von Onlinemedien aufzuzeigen, die das Internet bzw. die Onlinemedien auszeichnen und von den klassischen Medien abgrenzen bzw. unterscheiden (vgl. Meier 1998; Bolter 1997; Sandbothe 1997; Riefler 1997a, 1997b; Wagner 1998; Mrazek 1998; Friedrichsen et al. 1999; Trappel 2007). Jene wichtigen Merkmale, die unmittelbar auch auf den Journalismus zurückwirken, sind: Aktualität/ Schnelligkeit, Hypertextualität-/ Vernetzung, Interaktivität, Multimedialität, Globalität, unbegrenzte Speicherkapazität, Digitalisierung, Technikgebundenheit, einfache Publikationsmöglichkeiten und Anonymität. Im Hinblick auf Herausforderungen, Chancen und Gefahren für den Journalismus lassen sie sich wie folgt beschreiben: Aktualität: In keinem anderen Medium kann - noch dazu bei vergleichsweise wenig Aufwand - so schnell publiziert und seitens des Journalisten aktuell reagiert werden wie im Internet. Aktualität prägt im Netz stärker als jede andere Norm die Arbeit der Journalisten. Der Onlinejournalist muss daher lernen, mit der kürzeren Verfallszeit seines Produkts umzugehen. Überholte Information muss er löschen, zeitlose Information (möglicherweise über einen Link) in ein Archiv umleiten, aktuelle mit latent aktueller Information vernetzen. Dadurch kann Hintergrund hergestellt und angeboten, können Themen gut eingeordnet, kann analysiert und kommentiert werden. Fehler können im Internet sehr leicht korrigiert <?page no="102"?> 4.4 Onlinejournalismus 103 werden. Gleichzeitig darf der Journalist nicht der Gefahr unterliegen, der Aktualität bedingungslos zu erliegen. Recherche und Überprüfung der Richtigkeit top-aktueller Informationen sind weiterhin unabdingbar erforderlich (vgl. z. B. Meier 1998b). Hypertextualität/ Vernetzung: Hypertextualität ermöglicht es, verschiedene Textelemente durch »Verlinkung« vielfältig zu verknüpfen. Komplexe Themen können »modular« aufbereitet und durch Links mit anderen vernetzt werden. Dadurch erhalten sie allerdings eine nichtlineare Struktur. Bezüglich der Verlinkung lässt sich Josef Trappel (2007, S. 41f ) zufolge unterscheiden zwischen verweisenden Hyperlinks (Links zu den Websites der in einem Beitrag genannten Akteure), vertiefenden Hyperlinks (Vertiefung von im Text referierten Sachverhalten) und vernetzenden Hyperlinks (Verweise auf verwendete Quellen im Text). Weiters kann man unterscheiden zwischen internen Links (eigene Redaktion) und externen Links (außerhalb der Redaktion). Der Journalist muss um die Wirkung der Hypertextualität und nichtlinearer Erzählstrukturen Bescheid wissen und sich immer die Frage stellen, ob es überhaupt sinnvoll ist, einen Text hypertextuell zu zerhacken (vgl. Meier 1998a, S.-42ff). Auch ist immer zu prüfen, wie tief man einen Text verlinkt (wie tief man Links staffelt), wo und wie viele Links man einsetzt und welche Navigationshilfen man dem User anbietet (vgl. Mrazek 1998, S.- 42) - schließlich soll der Onlineleser im Cyberspace nicht verloren gehen. Durch das Anlegen von Dossiers und von Archiven z. B. kann Information hypertextuell perfekt nach Tiefe gestaffelt werden. Über Links ist es auch möglich, auf weiter(führend)e Aspekte eines Themas/ einer Information zu verweisen. Freilich muss der Journalist Inhalt und Glaubwürdigkeit jener Information, auf die seine Links verweisen, ständig überprüfen (vgl. Meier 1998b, S.-85). In der Hypertextualität liegen freilich auch Gefahren: Sie kann Unübersichtlichkeit zur Folge haben, Links als Selbstzweck können zu Orientierungsverlust, unsinnige Links zu Glaubwürdigkeitsverlust beim User bzw. Leser führen. Zudem können im Dickicht von Hypertex- <?page no="103"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 104 ten hierarchische Strukturen einer Information (was ist wichtig, was nicht) verloren gehen. Interaktivität: Mit Interaktivität ist die Möglichkeit des Rezipienten gemeint, Einfluss auf den Kommunikationsvorgang zu nehmen und spontan zum Kommunikator zurück zu reagieren. Im Internet ist es also möglich, den User »nicht nur lesen, hören und sehen, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen« (Meier 1998a, S.-95). Interaktion vollzieht sich über verschiedene Rückkanäle wie E-Mails, Chats, Teilnahme an Umfragen und Newsgroups etc. Für Onlinejournalisten eröffnet sich hier ein neues Aufgabenfeld. Sie müssen offen für die Interessen ihrer User sein und (mitunter zeitaufwändige) Kommunikation mit dem Onlineleser managen können. Über Onlineumfragen kann der Journalist z. B. aber auch Informationen über die Interessen seiner Leser einholen und so erforderlichenfalls seine Zielgruppe besser bedienen. Umgekehrt soll sich journalistisches Handeln in der Onlinezeitung nicht ausschließlich etwa aus Nutzer-Profilen (User-Logfiles) und Artikelrankings herleiten (vgl. Mast 1997, S. 149). Multimedialität: Unter Multimedialität versteht man die Kombination und Integration verschiedener Medienanwendungen wie Text, Ton (Sound), Bild, Film bzw. Video und Grafik. Möglich ist dies durch die Technik der Digitalisierung, die in der technischen Auflösung keine Unterschiede zwischen unterschiedlichen »Daten« (Text-, Ton-, Bilddaten) macht. Multimedialität setzt beim Journalisten voraus, dass er unterschiedliche Medienanwendungen (z. B. Ton oder Video neben Text und Grafik) nicht nur zur Verfügung hat, sondern technisch auch handhaben und im Onlineprodukt praktisch-handwerklich umsetzen kann. Infolge ihrer (bisherigen) Spezialisierung auf oftmals nur ein Medium war dies bei vielen Journalisten aber nicht der Fall. Hinzu kommt, dass auch im Internet das geschriebene Wort die grundlegende Medienanwendung bleibt, weil Texte harte und knappe Information immer noch am besten transportieren können. Gleichwohl ist die Beherrschung multimedialer Gestaltungstechniken eine wichtige Voraussetzung für Onlinejournalisten, zumal die technische Konvergenz <?page no="104"?> 4.4 Onlinejournalismus 105 inhaltliche Konvergenz zur Folge hat und dadurch Synergien für Mehrfachverwertungen erzielt werden können (vgl. w. u.). Umgekehrt ist die Problematik nicht zu übersehen, dass durch den hohen technischen Aufwand von Multimedialität die eigentlichen journalistischen Tätigkeiten, insbesondere gründliche Recherche und Selektion, in den Hintergrund gedrängt werden könnten und möglicherweise ein oberflächlicheres Produkt entsteht. Unbegrenzte Speicherkapazität: Der »riesige Speicher« (Meier 1998a, 1998b) der vielen Internetserver hebt die quantitative Umfangsbeschränkung (Raum wie Zeit) aller bisherigen Medien auf - im Internet spielen Zeitungsumfänge oder die Länge der Sendezeit (Hörfunk, Fernsehen) etc. keine Rolle. Das digitale Netz bietet über Datenbanken nahezu unbeschränkte Möglichkeiten, Vergangenheit im Heute festzuhalten. Das WWW wird gewissermaßen zum Medium mit Gedächtnis. Den einen erscheint es als Informationsparadies, den anderen als (Informations-)Weltmüllhalde. Dies tangiert klassische journalistische Qualifikationen wie 1) die Fähigkeit, rasch und präzise aus der unübersehbaren Fülle von Informationen die richtigen und wichtigen zu schöpfen (also wissen, wo); 2) die Fähigkeit, die gefundene Information, ihre Qualität und Güte, richtig einzuschätzen und zu bewerten (wissen, von wem und von wann); sowie 3) Entscheidungen darüber zu treffen, welche Informationen gespeichert, verlinkt und archiviert werden sollen (wissen, wohin). Im Internet wird der Journalist zum Wissensmanager, dem Datenbanken zur Verfügung stehen und der Datenbanken wiederum beliefert. Digitalisierung der Information: Durch Digitalisierung ist dreierlei möglich: 1) die weltweit einheitliche Verbreitung von Daten (und damit deren globale Verfügbarkeit und Abrufbarkeit); 2) die technisch identische, einfache Übermittlung von Daten (z. B. über das TCP/ IP-Protokoll des Internets), bei deren Kopieren es keinen Qualitätsverlust gibt; sowie 3) der jederzeit mögliche Zugriff auf Daten, die ebenso jederzeit aktualisiert, korrigiert, aber auch manipuliert werden können (vgl. Federrath 2000). Digitalisierte journalistische Inhalte sind also austauschbar, kopierbar und modifizierbar, stellen »Content« und damit Ware dar. Es liegt an den Online- <?page no="105"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 106 journalisten, digitalisiert vorliegende Information richtig und ggf. mehrfach sowie differenziert für verschiedene Onlinemedien bzw. -Ausgaben zu verwerten (Meldung, Newsletter, Artikel, Analyse, Dossier, Archivstück). Digitalisierung intensiviert im Internet auch intermediären Wettbewerb: Onlinezeitungen bringen neben Texten Ton und Bild; Onlineangebote von Hörfunk- und Fernsehstationen bieten neben Ton und Bild vielfältige Textangebote an. Digitalisierung ermöglicht infolge leichter Kopierbarkeit von Daten deren Plagiat und damit die Verletzung von Urheberrechten (vgl. Bolter 1997, S.- 48ff; Prantl 2008). Digitalisierung begünstigt die Automatisierung journalistischer Arbeit, bzw. journalistischer Selektion, wenn Software-Programme nach Angaben des Users Informationsbzw. Datenpakete zusammenstellen und automatisch an den Endverbraucher übermitteln. Dies ist z. B. beim »Daily Me« der Fall (vgl. Riefler 1999). Es ist dies ein inhaltlich nach persönlichen Wünschen des Users zusammengestellter Informationsdienst, eine Art für den persönlichen Bedarf zusammengestellte Zeitung, die über ein Endgerät beim User ausgedruckt werden kann. Einfache Publikationsmöglichkeit/ Anonymität: Das Internet als digitale Plattform für Content-Darbietungen vielfältiger Art ermöglicht jeder Person, die mit Computern umgehen kann, die Verwirklichung des Grundrechtes auf Pressefreiheit. Die dazu erforderliche technische Ausstattung ist wesentlich weniger aufwändig als bei klassischen Medien, deren technischer, personeller und materieller Aufwand für den Durchschnittsbürger in der Startphase in aller Regel unfinanzierbar ist. Im Internet kann jeder Empfänger (User bzw. Konsument) zum Sender (Produzenten) werden (und dies übrigens auch anonym) und (s)ein Angebot ins Netz stellen. Die Fülle dieser Onlineangebote ist seit Jahren nicht mehr überschaubar, täglich kommen weltweit tausende neu hinzu. Selbst technisch hoch entwickelte Internetsuchmaschinen sind nicht oder nur selten in der Lage, diese ungeheure Fülle zu bewältigen, sodass immer noch leistungsfähigere Selektionsprogramme entwickelt werden. Umso mehr erfordert die Fülle der vorhandenen Angebote vom Onlinejournalisten ein hohes Maß an Recherchekompetenz und die Bereitschaft und Verpflichtung zu Quellenverifika- <?page no="106"?> 4.4 Onlinejournalismus 107 tion und Glaubwürdigkeitsüberprüfung (vgl. Meier 1998a, b). Dies gilt auch im Hinblick auf die vielfältigen Webangebote professioneller Onlineanbieter, bei deren Onlineauftritt sich Information, Public Relations und Werbung oftmals ununterscheidbar vermengen. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die technisch einfachen, aber weltweit wirksamen Publikationsmöglichkeiten im Internet auch als Chancen für Meinungsfreiheit und publizistische Vielfalt in autoritären Systemen begriffen werden können, in denen traditionelles Publizieren für regimekritische Personen und Gruppen kaum oder nur unter sehr schwierigen Bedingungen möglich ist. Technikgebundenheit: Onlinemedien sind in hohem Maße technikgebunden. Als Eingabe- und Empfangsmedium dienen neben Internethandys, Smartphones, Tablets etc. in aller Regel immer noch vorwiegend Computer und Laptops mit rapide wachsender technischer Leistungsfähigkeit. Professionelle Handhabung und komplexe Bedienung erfordern Computerliteracy, die im Medienbereich nicht nur Onlinejournalisten beherrschen müssen. Dies gilt auch im Hinblick auf Kenntnisse um die Beschränkungen des Mediums, insbesondere, was den Bildschirm betrifft: Er ist ein in aller Regel kleines Ausgabemedium; der Platz auf einer Bildschirmseite ist beschränkt. Lesen am Bildschirm, besonders das Lesen langer Texte, ist für den User anstrengend und mühsam (Onliner lesen, wenn überhaupt, anders). Der »Unbegrenztheit der Informationsmenge steht die Enge des Bildschirms gegenüber, die eine Entwicklung neuer Präsentationsformen quasi erzwingt« (Friedrichsen et al. 1999, S.- 140). Die Folge ist oftmals Häppchenjournalismus mit kurzen, zerhackten Texten. Dieses Szenario verkennt die Möglichkeiten des Meta-Mediums Internet. So sind lange Texte z. B. als Download oder in einer ausdruckbaren Print-Version möglich und nützlich. Globalität: Nicht zuletzt ist auf die Globalität des Internets zu verweisen. Sofern die technischen Voraussetzungen erfüllt sind (technisches Equipment wie Computer, Onlinezugang, mobile Eingabe- und Empfangsgeräte wie Smartphones etc.), kann man weltweit von allen Orten aus auf einzelne Seiten anderer oder allgemein auf Angebote des Internets zugreifen oder z. B. via E-Mail <?page no="107"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 108 auch weltweit kommunizieren. Dies bedeutet auch die Möglichkeit, das eigene Angebot weltweit zugänglich und verfügbar zu machen (sofern infolge von Internetzensur, die es in manchen totalitären Staaten gibt, bestimmte Seiten oder Server nicht gesperrt sind). Journalismus in Onlinemedien unterscheidet sich also in vieler Hinsicht vom Journalismus in klassischen Medien. Festzustehen scheint, dass sich im Onlinejournalismus die klassische Gatekeeper- Rolle zum Informationsmanager weiterentwickelt (vgl. Kramers 1997). Aufgabe des Journalisten im Netz ist nicht mehr nur die Selektion, sondern v. a. - angesichts ihrer Überfülle - die Verknüpfung von Information zu Wissen. Wissen ist verknüpfte, vernetzte, relevante, subjektgebundene und zweckorientierte Information (vgl. Stehr 1994), die sich in Beziehung zur Umwelt setzt. Nicht abstrakte und punktuelle Information, erst Wissen befähigt zu sozialem Handeln. Auf der Weltinformationsmüllhalde, wie das Internet mitunter abfällig bezeichnet wird, ist der Journalist daher besonders gefordert: Er ist weniger der Chronist; er hat vielmehr die Aufgabe, die Materialflut zu bändigen, sie zu nutzenbringendem Wissen umzubauen und zusammenzufassen und damit die Chance, sich von zahllosen anderen Quellen des Internets nutzergerecht zu unterscheiden (vgl. Meier 1998a, S.- 39). Er hat die Aufgabe, den Informationsstrom zu managen und durch Links isolierte Informationswelten spezialisierter Anbieter einzuordnen und zu verknüpfen. Gleichzeitig muss er sich mit einem Machtverlust gegenüber dem User abfinden, der i. a. R. über das Netz zu den gleichen Informationsquellen Zugang hat und selbst Informationen ins Netz stellen kann (vgl. Zender 1998, S.-187ff). Im Übrigen verlief die Entwicklung des Onlinejournalismus im deutschen Sprachraum in drei Phasen (vgl. Mrazek 1998, S.- 29): Ab 1993/ 94 kann man zunächst vom Einzelkämpfertum sprechen, als einzelne Technikfans in Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen mit dem neuen Medium mehr oder weniger kreativ spielten (Phase 1). Ab 1995 entstanden erste Webpräsenzen von Zeitungen und Zeitschriften. Die damaligen Webjournalisten waren Programmierer, Texter, Layouter, Grafiker, Anzeigenakquisiteur, Mar- <?page no="108"?> 4.4 Onlinejournalismus 109 keting- und Vertriebsleiter, Nutzerbetreuer (und manchmal auch Service-Techniker) in einer Person (Dernbach 1998, S.- 60). Die Webauftritte bestanden aus PR-Teilen in eigener Sache sowie in der mehr oder weniger gelungenen Umsetzung der Inhalte des gedruckten Mediums ins Netz (Phase 2). Ab 1997/ 1998 kann man von professionell arbeitenden Onlineredaktionen sprechen, mit eigenen Redaktionsstrukturen und -systemen sowie mit erweiterten und inhaltlich gegenüber dem Ursprungsmedium modifizierten Webpräsenzen (Phase 3). Den klassischen, nicht primär onlinetätigen Journalisten wird es wohl auch in Zukunft geben. Um Synergien auszuschöpfen, werden aber beide - Online- und Offlinejournalisten - einander gegenseitig zuarbeiten. Wichtige Aspekte zum Thema Onlinejournalismus lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Onlinejournalismus ist Geschwindigkeits-Journalismus, der unter dem Diktat bzw. Zwang zur Aktualität steht. Die Frage ist, ob darunter die Sorgfalt leidet. • Onlinejournalismus ist multimedialer Journalismus, der die dem Medium Internet inhärenten technischen Möglichkeiten der multimedialen Aufbereitung und Präsentation (Integration von Text, Ton, Bild, Film, Grafik, Animation) ausschöpft. • Onlinejournalismus ist vernetzender und vernetzter Journalismus, der Themen und Texte sinnvoll verknüpft bzw. verlinkt und dadurch ein hohes Maß an Informationstiefe erbringen kann. • Online-Journalismus ist Kommunikationsmanagement, das auf den interaktiv reagierenden User Rücksicht nimmt und ihn durch Zielgruppen-Journalismus (noch) besser bedienen kann. • Onlinejournalismus ist in hohem Maße technikgebundener Journalismus, der die Gestaltungsmöglichkeiten des Internets ausschöpft, Onlineangebote selbst aktiv als Arbeitsmittel (z. B. Recherche) nutzt, aber auch die Grenzen des Mediums (Gestaltungszwänge auf Grund der Enge des Bildschirms) berücksichtigt. <?page no="109"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 110 • Onlinejournalismus ist Informations- und Wissensmanagement, das Informationen für den User zu nutzenbringendem Wissen verknüpft und mehrmedial verwertet. • Onlinejournalismus und Offlinejournalismus kooperieren, um vielfältige Synergien für Online- und Offlinemedien auszuschöpfen und Kosten sparend zu nutzen. • Onlinejournalismus ist Ganzheits- und Schnittstellen-Journalismus, der Arbeits- und Kompetenzgrenzen des klassischen Journalismus weitgehend aufhebt. • Onlinejournalismus verdrängt den klassischen Journalismus nicht, (neue) Online- und (alte) Offlinemedien sind einander ergänzende Medien, die komplementär genutzt werden. Über den Journalismus in einer digital vernetzten Gesellschaft lässt sich Folgendes sagen: Jeder Journalist wird online sein und das Netz vielfältig für Recherche- und Kommunikationszwecke nutzen. Nicht jeder Journalist aber wird Onlinejournalist sein, zumal in den klassischen Medien vorerst immer noch der vergleichsweise größere Arbeitsmarkt für Journalisten zu sehen ist. Onlinejournalisten in Deutschland - empirische Befunde Kommunikationswissenschaftliche Bemühungen, die Bedeutung des Internets für klassische Medien, bzw. für Printmedien und für Onlinejournalismus wissenschaftlich zu ergründen, haben bereits in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre eingesetzt. Beiträge unterschiedlicher Art dazu enthalten z. B. u. a. die Sammelbände von Christoph Neuberger und Jan Tonnemacher (1999, Neuauflage 2003) sowie Klaus-Dieter Altmeppen et al. (2000). Zahlreiche weitere, größere und kleinere Studien sind gefolgt. Auch Lehrbücher für den Onlinejournalismus waren relativ rasch zur Stelle (Meier 1998a, seither Neuauflagen; Hooffacker 2001, inzwischen ebenfalls Neuauflagen). <?page no="110"?> 4.4 Onlinejournalismus 111 Eine erste Repräsentativbefragung über die Gruppe der Onlinejournalisten in Deutschland liegt in der Untersuchung von Löffelholz et al. vor (2003). Es handelt sich um eine 2002 durchgeführte Erhebung zu Berufsstruktur und Tätigkeitsmerkmalen von Journalisten in Onlineredaktionen. Die Forscher konnten in Vorarbeiten eine Gesamtzahl von 1150 redaktionellen Einheiten ermitteln, die journalistische Onlinemedien produzieren und in denen rund 7.800 Onlinejournalisten, darunter mehr als 4.400 fest angestellte, tätig sind. Die Resultate der Studie basieren auf 461 Interviews mit Onlinejournalisten und -journalistinnen in Deutschland. Anhand der Kriterien 1) Einkommen aus journalistischer Tätigkeit sowie 2) Gesamtarbeitszeit konnten drei Gruppen von Journalisten ermittelt werden: der Kern (13 Prozent, hauptberufliche Tätigkeit, gesamte Arbeitszeit in Onlinemedien, 583 festangestellte), der innere Rand (82 Prozent, hauptberuflich, nur Teil der Tätigkeit in Onlinemedien, 3619 fest angestellte) sowie der äußere Rand (5 Prozent, nebenberuflich, nur Teil der Tätigkeit in Onlinemedien, 212 Personen). Zu ihren Basismerkmalen: Der Onlinejournalist ist 35 Jahre alt, männlich, technikaffin, verfügt über einen Universitätsabschluss und hat eine etwas geringere Berufserfahrung als Journalisten in klassischen Medien. Er verfügt über ein Volontariat, ist besonders gut ausgebildet (trifft v. a. auf den Kern zu) und hat onlinespezifische Qualifikationen durch »learning by doing« erworben. Er ist in hohem Ausmaß mit Schreiben, Recherchieren (vorwiegend online) und Auswahl von Nachrichten befasst, ebenso mit Einpflegen bzw. Einkopieren von Websites. Er versteht sich in erster Linie als Informationsvermittler und möchte sein Publikum möglichst schnell informieren. Ähnlich wie im Journalismus in Redaktionen von Nachrichtenagenturen ist er in relativ hohem Maße mit Selektieren und Redigieren befasst. »Onlinejournalisten, die hauptberuflich tätig sind und mit ihrer gesamten Arbeitszeit für Onlinemedien arbeiten (also der ›Kern‹), sehen ihre Aufgaben häufiger im Bereich des klassischen Informationsjournalismus. In etwas geringerem Maße gilt das für Personen, die den inneren Rand des Onlinejournalismus bilden. Auch sie wollen - deutlich intensiver als ihre Kollegen vom äußeren Rand - das <?page no="111"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 112 Publikum neutral und präzise informieren, komplexe Sachverhalte erklären sowie Nachrichten für ein weitest mögliches Publikum vermitteln« (Löffelholz et al. 2003, S. 484). Nebenberuflich tätige, zum äußeren Rand zugehörige Personen »beabsichtigen häufiger als die hauptberuflich tätigen Onlinejournalisten, ihren Rezipienten eigene Ansichten zu präsentieren. Diese Gruppe sieht sich vermehrt als Ratgeber, die dem Publikum Lebenshilfe bieten wollen« (ebd.). Aufs Ganze gesehen gibt es nur geringe Unterschiede zum traditionellen Journalismus, von »einem völlig neuen Journalismustyp zu sprechen, erscheint […] waghalsig« (Löffelholz et al. 2003, S. 485). Was die Tätigkeitsmerkmale wie Recherchieren und Selektieren betrifft, so kommt Kathrin Meyer (2005) in ihrer Befragung (Datenerhebung 2003) über crossmediale Zusammenarbeit von Print- und Onlineredaktionen bei Tageszeitungen in Deutschland zu teils ähnlichen Ergebnissen (Meyer 2005). Ein weiteres ihrer Resultate ist u. a., dass Onlinejournalisten wenig zum eigenen Schreiben (v. a. längerer Beiträge) kommen. Die allgemeine Zusammenarbeit Print- Online ist Meyer zufolge in den Ressorts Politik, Wirtschaft und Regionales/ Lokales stärker ausgeprägt als in anderen Ressorts. Von den von Michael Brüggemann (2002) mittels Intensivinterviews in Zeitungsredaktionen ermittelten drei Möglichkeiten crossmedialer Zusammenarbeit Print-Online, nämlich Autonomie, Mehrfachverwertung und Komplementarität, ist jene der Komplementarität »mit Abstand am häufigsten vorzufinden« (Meyer 2005, S. 305). Von Thorsten Quandt (2002, 2005) stammen auf Basis einer Netzwerktheorie journalistischen Handelns Redaktionsbeobachtungen in fünf deutschen Onlineredaktionen (Netzeitung, Faz.net, SVZonline, tagesschau.de und Spiegel Online; Datenerhebung 2001). Er findet »verbindende Muster im Handeln der Redakteure, die darauf schließen lassen, dass sich Handlungregeln und -strukturen des Online-Journalismus herauskristallisieren« (so die Inhaltsangebote der umfangreichen und sehr ins Detail gehenden Studie in deren Einband). Die Studien liegen allesamt zehn Jahre zurück. <?page no="112"?> 4.4 Onlinejournalismus 113 Wandel des Journalismus - Wandel der Öffentlichkeit Der Journalismus allgemein, insbesondere aber der Onlinejournalismus - bzw. richtiger: der Journalismus im Internet - unterliegt zudem einem Wandel. Zum einen: Es ist im Internet auch anderen Anbietern wie Politikern und politischen Parteien, Unternehmen und Institutionen, PR-Agenturen und der werbungtreibenden Wirtschaft, de facto allen, die über das (relativ einfache) erforderliche technische Know-how verfügen, möglich, Informationen zu publizieren. Dadurch verliert der professionelle Journalismus sein Informationsmonopol, das Internet erweitert »den Kreis der potenziellen Kommunikatoren« (Neuberger/ Quandt 2010 S.- 59), der Journalismus »ist nicht mehr jene zentrale Filterinstanz, die jede publizierte Nachricht passiert haben muss« (ebd.). Zum anderen: Wegen der im Internet gegebenen Möglichkeiten für die Nutzer bzw. User, über E-Mails, Kommentarfunktionen etc. interaktiv zu werden, sind Journalisten v. a. in Onlineredaktionen in deutlich stärkerem Maße Rückkoppelungsmöglichkeiten der Mediennutzer ausgesetzt. »Das Internet vereinfacht nun den kommunikativen Zugang zur Öffentlichkeit« und »technische, ökonomische, kognitive und rechtliche Barrieren [sind] für das Publikum niedriger […] als in Presse und Rundfunk« (Neuberger/ Quandt 2010, S. 67). Es kommt zu einem »Entwicklungsschub in der öffentlichen Kommunikation: Die Inklusion des Publikums erweitert sich über die Rezeption hinaus auf die Kommunikation. Dadurch verschiebt sich das Verhältnis zwischen Leistungs- und Publikumsrollen im Öffentlichkeitssystem: Die einflussreiche Rolle des professionellen Journalismus als ›Gatekeeper‹, der bislang alleine über den Zugang zur aktuellen Öffentlichkeit entschieden hat, ist damit [z.T. zumindest - Ergänzung H. P.] in Frage gestellt« (Neuberger/ Quandt 2010, S. 67f ). Genutzt wird diese Möglichkeit, wie aus der ARD/ ZDF-Onlinestudie 2009 hervorgeht, von vergleichsweise wenig Personen (Busemann/ Gscheidle 2009). »Gleichwohl besitzt das Internet das technische Potenzial, dass sich die öffentliche Kommunikation von einer sozial selektiven, linearen und einseitigen zu <?page no="113"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 114 einer partizipativen, netzartigen und interaktiven Kommunikation verändert« (Neuberger/ Quandt 2010, S. 68). Diesem Partizipationsgewinn stehen Folgeprobleme sowohl aufseiten der Kommunikatoren wie der Rezipienten gegenüber: »die quantitative und qualitative Überforderung der Rezipienten sowie - als Kehrseite - die Schwierigkeit von Kommunikatoren, Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit zu gewinnen« (Neuberger/ Quandt 2010, S. 69). Indem sich im Prinzip »jeder öffentlich zu Wort melden kann, schwillt die ›Informationsflut‹ weiter an«, Überlastung, Aufmerksamkeits- und Verarbeitungskapazitäten sind die Folge (vgl. ebd.). Es fehlt eine »flächendeckende Qualitätssicherung (›Informationsmüll‹)«, es herrscht »Knappheit an Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen auf Seiten der Rezipienten« (ebd.). Gleichwohl werden Journalisten als Mediatoren im Internet nicht überflüssig, es wandeln sich aber, wie Neuberger/ Quandt schreiben, »die spezifischen Vermittlungsleistungen« (Neuberger/ Quandt 2010, S. 69f ): 1) Anstelle des Gatekeeping (Entscheidungen über Publikation oder Nicht-publikation von Informationen) ist ein ›Gatewatching‹ (Bruns 2009, S. 11-19) erforderlich: Orientierung wird im Internetjournalismus zu einer wichtigen Leistung. 2) Der Journalismus im Internet »kann förderliche Bedingungen für die Kommunikation von Nutzern schaffen, indem er sie organisiert und moderiert« (Neuberger/ Quandt 2010, S. 70). Und 3): Gatekeeping »außerhalb des Internets ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung«, weil relevante Informationen im Internet auch künftig »überwiegend aus den klassischen Medien stammen [dürften]« (ebd.). Vermittlungsleistungen im Internet werden nicht mehr nur durch professionelle Kommunikatoren (Journalisten) erbracht, sondern auch durch partizipativen Journalismus. Das können »sowohl Nutzerplattformen zu journalistischen Themen sein« (wie Wikinews, Shortnews, Webnews etc.) »als auch Individualformate wie Weblogs, Videoblogs und Podcasts, die i. d. R. nur von einer Person betrieben werden, untereinander aber oft vernetzt sind (Blogosphäre)«. Deren Qualität wird in aller Regel erst <?page no="114"?> 4.4 Onlinejournalismus 115 »nach der Publikation von Nutzern öffentlich geprüft«, wohingegen »im traditionellen Journalismus die Qualitätssicherung weitgehend eine interne Angelegenheit von Profession und Redaktion ist« (Neuberger/ Quandt 2010, S. 71) und die Kontrolle der Richtigkeit der Inhalte vor deren Veröffentlichung erfolgt. Technische Vermittlungsleistungen »kommen von Suchmaschinen (wie Google News), Agenten und sonstigen Aggregatoren […], die Nachrichten automatisch recherchieren, selektieren und aggregieren […]. Sie verschaffen damit den Zugang zu einer Vielzahl journalistischer Angebote, ohne allerdings selbst Nachrichten beizusteuern« (ebd.). Freilich ist zu prüfen, »inwieweit durch Partizipation und Technik tatsächlich journalistische Vermittlungsleistungen erbracht werden« (ebd.). Über Weblogs vorliegende empirische Befunde »lassen vermuten, dass partizipative Angebote kaum in der Lage sind, gleichwertige Leistungen wie der professionelle Journalismus zu erbringen, sieht man von einzelnen Blogs ab, die von Profijournalisten betrieben werden« (Neuberger/ Quandt 2010, S. 71, mit Bezugnahme auf Neuberger et al. 2007, 2009). Was weitere Beziehungen zwischen professionellem Journalismus und anderen Anbietern im Internet betrifft, so gibt es komplementäre Beziehungen. Gemeint sind Laienkommunikatoren wie Blogger, die für Journalisten als Quelle für die Recherche dienen oder als Rezipienten für Anschlusskommunikation sorgen. Weblogs stellen damit Resonanzräume der Massenmedien dar (Neuberger/ Quandt 2010, S. 72). Auch Nachrichtensuchmaschinen erbringen komplementäre Leistungen, wenn Journalisten darin recherchieren. Klassischer und Onlinejournalismus integrieren professionelle, partizipative und technisch gestützte Kommunikation durch Nutzerbeteiligung, wenn z. B. Leserreporter in die Vermittlerrolle schlüpfen und Informationen an Redaktionen liefern (vgl. Vetter 2007). In aller Regel müssen diese Informationen freilich durch professionelle Journalisten auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden. Leserreporter, die oftmals v. a. wertvolle Informationen aus dem lokalen und sublokalen Bereich liefern, sind für die Redaktionen damit - überspitzt formuliert - Segen (Informationszulieferung) und Fluch (Erfordernis der Informationsüber- <?page no="115"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 116 prüfung) zugleich (vgl. Vetter 2007; Kopp/ Schönhagen 2008; Singer et al. 2011). Crossmedialer Journalismus Viele Zeitungen und andere Medienbetriebe produzieren neben klassischen Medien wie Zeitungen und Zeitschriften inzwischen auch Applikationen für mobile Endgeräte und bedienen damit neben Onlinezeitungen und E-Papers (1: 1-Wiedergabe gedruckter Zeitungen am Computerbildschirm) weitere Ausspielwege für Informationen vielfältiger Art. Möglich ist dies, weil die meisten Informationen, seien dies nun Texte, (bewegte) Bilder, Töne, (animierte) Grafiken etc. infolge der Digitalisierung ›konvergent‹ vielseitig verwenbar vorliegen. Mittels gemeinsamer Newsrooms und -desks, die es in zahlreichen Zeitungsverlagshäusern gibt (und über die auch angeschlossene Radio- oder Fernsehredaktionen bedient werden können), ist dies gut zu bewältigen (vgl. Meier 2010a, S.- 100ff). Der Newsroom stellt ein (auch architektonisches) Konzept dar, welches das ressort- und medienübergreifende Planen und Arbeiten unterstützen soll, meist ohne trennende Wände zwischen den Ressorts. Der sich darin befindende Newsdesk ist eine »Koordinations- und Produktionszentrale«, in der alles zusammenläuft, was eine Redaktion an Material bekommt (ebd.). Bei Tageszeitungen sind dies die Orte, an denen die Seiten verschiedener Ressorts oder Lokalredaktionen koordiniert und produziert werden. Wenn von solchen Newsrooms und Newsdesks aus von Journalisten mehrere Ausspielkanäle bzw. Medienkanäle gleichzeitig bedient werden, ist von »crossmedialem Journalismus« die Rede (Meier 2006, 2007b, 2010a). Dies bedeutet jedoch nicht, dass etwa eine Person alle diese Ausspielkanäle zugleich mit einem Produkt bedienen kann. Nach wie vor gibt es »unterschiedliche Produktionsweisen und differierende journalistische Kulturen«, die integriert werden müssen (Neuberger/ Quandt 2010, S. 66). Es sind dies u. a. auch Eigengesetzlichkeiten und Zwänge, die für die gedruckten Zeitungen, fürs Radio und Fernsehen, für Onlinezeitungen, für E-Paper-Aus- <?page no="116"?> 4.4 Onlinejournalismus 117 gaben, für Applikationen und andere elektronische Dienste zum Empfang auf mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Tabletcomputern zu beachten sind und Personal erfordern. Daher sollten Journalisten, um erforderlichenfalls prinzipiell flexibel für mehrere Ausspielkanäle tätig sein zu können, möglichst über eine crossmediale, journalistisch-handwerkliche Ausbildung verfügen - eine unabdingbare Voraussetzung, um professionellen Journalismus künftig zu bewältigen. Ziele der Arbeit in neuen Redaktionsstrukturen sind u. a.: Durch gemeinsames Arbeiten in einem Raum und an einem Desk sollen Ressortgrenzen und -egoismen überwunden werden. Im Team soll das Bewusstsein für das Produkt gestärkt werden, Redakteure sollen Themen möglichst ressortübergreifend bearbeiten. Die Welt wird nicht weiter in feste Sektionen unterteilt, gleichzeitig sollen Themendopplungen vermieden werden. Wege sind kürzer, Entscheidungen fallen schneller, redaktionelle Abkäufe sollen optimiert, Strukturen flexibilisiert werden (vgl. Meier 2010a, S.-101f; Meier 2006, S. 204; Kansky 2010, S. 289f ). Bernd Blöbaum et al. (2011) haben in einer Untersuchung von 15 Redaktionen deutscher Nachrichtenmedien u. a. herausgefunden, dass der journalistische Alltag in crossmedial arbeitenden Redaktionen von einer zunehmenden Beschleunigung gekennzeichnet ist: Die Arbeit am Desk sei durch eine dichtere Abfolge von Handlungen gekennzeichnet. Außerdem hätten sich die Schwerpunkte verlagert: In Newsdesk-Redaktionen nehme die Planung und Selektion von Themen vergleichsweise mehr Raum ein (vgl. Blöbaum et al. 2011, S. 50ff). Im Internet ist, dies sei ergänzend hier erwähnt, auch eine Flexibilisierung der Zeit- und Raumbezüge zu beobachten (Kretzschmar 2009). Auch ermöglicht das Internet »z. B. sowohl eine Beschleunigung als auch eine langfristige Archivierung; es besitzt eine globale Verbreitung, erlaubt aber auch eine Nahraumberichterstattung« (Neuberger/ Quandt 2010, S. 65). Themen, die hier nicht mehr erörtert werden konnten, sind ›Datenjournalismus‹ (Milz 2014; Weinacht/ Spiller 2014), ›Digitaler Journalismus‹ (Lilienthal et al. 2014) sowie ›Social Media und Journalismus‹ (Neuberger et al. 2014). <?page no="117"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 118 4.5 Boulevardjournalismus Obwohl Boulevardbzw. Straßenverkaufszeitungen das mediale Erscheinungsbild in den Straßen von Städten, aber auch Landgemeinden und Dörfern bestimmen, wurde dem Boulevardjournalismus in der Kommunikationswissenschaft für lange Zeit nur wenig Beachtung zuteil. Erst in jüngerer Zeit gewinnt die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm an Bedeutung - in allen seinen Erscheinungsformen in Printwie Funkmedien. Unter Boulevardjournalismus wird (v. a. aus der Perspektive eines sich kritisch verstehenden Aufklärungsjournalismus) »ein von oben nach unten abfallender Prozess bezeichnet: der scheinbare Niedergang von einem den Qualitätsnormen der Objektivität und der Vermittlung von Wahrheit verpflichteten, hoch stehenden Informationsjournalismus zu einem sich an die Begierden und Unterhaltungswünsche des Publikums anbiedernden, minderwertigen Sensationsjournalismus« (Renger 1998, S.-28). Der Boulevardjournalismus hat seinen Ursprung übrigens nicht erst in der jüngeren Vergangenheit. Er reicht vielmehr ins 19. Jahrhundert zurück, als zunächst in Amerika und England die »Penny Press« und kurz darauf in Frankreich die »petite presse« entstanden. Es waren dies (z.T. kleinformatige) billige Boulevardprodukte mit bereits damals hohem Anzeigenaufkommen und vergleichsweise hohen Auflagen. Dieser Medientyp stellt also auch die Anfänge der Massenpresse dar (vgl. Bollinger 1996). In Deutschland gab es vergleichbare Produkte erstmals an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert - so z. B. den Berliner Lokalanzeiger (ab 1883) sowie die BZ am Mittag (ab 1904). Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, dass bereits in den sog. »Newen Zeitungen« des 16. Jahrhunderts, aber auch später in den periodisch erscheinenden Zeitungen (ab Beginn des 17. Jahrhunderts) von Anfang an Unglücksfälle, Krieg, Mord und andere Verbrechen durchaus regelmäßig Bestandteil der Berichterstattung waren. Neu ist das Phänomen also nicht, relativ neu ist vielmehr die intensivere Beschäftigung mit ihm. Im Boulevardjournalismus wird ein an kommerziellen Interessen orientierter Journalismus gesehen, der Nachrichten auf Reizef- <?page no="118"?> 4.5 Boulevardjournalismus 119 fekte reduziert und auf ihre Vermarktung hin ausrichtet. Er ist nicht nur in den Boulevardbzw. Straßenverkaufszeitungen vorzufinden, sondern auch in zahlreichen Magazinen und Talkshows des Fernsehens. Auch in vielen Hörfunkprogrammen gibt es ihn. Sein besonderes Kennzeichen ist, dass Information - für die Medienmacher wie für das Publikum - »nur interessant ist, wenn sie unterhaltsam ist« (Renger 1998, S.- 28). Die aus Wien stammende Kulturjournalistin Sigrid Löffler, bekannt geworden v. a. durch ihre langjährige Mitwirkung an der ZDF-Sendung »Literarisches Quartett«, sieht im Boulevardjournalismus einen »Journalismus light«, der als »Vehikel der Unterhaltung« dient und »nicht als Instrument ernst gemeinter Information. Seine politische Haltung orientiert sich an den Markterfordernissen. Politische Inhalte sind transformiert zur Markt-Veranstaltung« (Löffler 1997, S.-22). Der sog. U-Journalismus versteht sich laut Löffler nicht mehr als »Transporteur von Meldungen«, sondern »ausschließlich als Mittler zwischen Konsum und Konsument. Er ist ein Marktschreier, er ist ein Entertainer, ein fröhlicher Kumpel jedweder Prominenz und zugleich deren Verlautbarungsorgan« (Löffler 1997, ebd.). Dieser Journalismus-Typ, so Löffler, zeichnet sich v. a. dadurch aus, dass er »öffentliche Meinung bloß noch kopiert und simuliert«, dass er »schreibt, was gefällt - nicht, was geschah« (Löffler 1997, S.-23). Ähnlich sehen dies die Verfasser des »Berichtes zur Lage des Journalismus. Erhebungsjahr 1997« (in Österreich). Der Boulevard- und Infotainment-Journalismus präsentiere sich als Showbusiness. Dabei werde Kritik und Kontrolle gegenüber den Regierenden und Mächtigen vorwiegend durch Entertainment mit stark fiktionalen Elementen ersetzt. Der Hamburger Journalistik-Professor Siegfried Weischenberg nennt diese Entwicklung in Anspielung an eine langjährig tätige Moderatorin im deutschen Fernsehen recht treffend die »Schreinemakerisierung« der Medienwelt (Weischenberg 1997). Journalismus dieser Art »wird als permanente Seifenoper verkauft, der keine Fakten mehr vermittelt, sondern lediglich »das Gefühl, dass die Menschen […] auf dem Laufenden gehalten werden« (Weischenberg 1997, S.-11). <?page no="119"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 120 Auf der Suche nach Besonderheiten des Boulevardjournalismus (und damit der Boulevardmedien) können Merkmale ausfindig gemacht werden, die sich im Hinblick auf seine Themen, seine grafische Gestaltung, seine Sprache und seiner diskursiven Strategien wie folgt zusammenfassen lassen (hier in Anlehnung an Schirmer 2001, Bruck/ Stocker 1996; Bürgi 1994 und Renger 1998): Themen Bei der Themenauswahl rangiert in Boulevardmedien das Kriterium Publikumsinteresse weit vor dem Faktor Bedeutung: • Hohen Stellenwert haben Themen aus der Sparte »Sex and Crime«. Verbrechen aller Art, Skandale, Katastrophen, Klatsch und Sensationen nehmen in Boulevardmedien ebenso breiten wie formal hervorgehobenen Raum ein. • Personalisierung und der Attraktivitätsfaktor Prominenz spielen dabei eine wichtige Rolle. • Dem Sport wird mehr Raum geschenkt als der Politik. Sport eignet sich besonders dazu, mit seinen ewig wiederkehrenden Geschichten von Siegen und Niederlagen der Alltagswelt Spannung zu verleihen sowie dem Ablenkungs- und Unterhaltungsbedürfnis entgegenzukommen. • Boulevardmedien betonen »Human Interest« vergleichsweise wesentlich mehr als etwa das Wirtschaftsleben; und Boulevardjournalismus konzentriert sich stark auf Individuen und weniger auf Institutionen. • Ebenso beschäftigen sich Boulevardmedien mehr mit dem Lokalen und Unmittelbaren - und weniger mit internationalen und langfristigen Themen. • Generell orientiert er sich an Alltagsthemen, und er hält - zugegebenermaßen - auch zahlreiche Service-Angebote (nach Möglichkeit für viele Zielgruppen) bereit. <?page no="120"?> 4.5 Boulevardjournalismus 121 Grafische Gestaltung Boulevardzeitungen weisen eine attraktive, schnell und leicht konsumierbare Gestaltung auf, oftmals reißerisch und plakativ: • In einem Platz verschlingenden Layout wird Typografie und Farbe großflächig eingesetzt. • Überdimensionierte Schriften sowie farbige (meist rote) Raster und Linien dienen als Blickfang. • Eine ausführliche Bebilderung mit großen, ausdrucksvollen (und oftmals freigestellten) Fotos heischt um Aufmerksamkeit. • Der Lesestoff wird nach Eindrücklichkeit und optischer Opulenz aufgeteilt und eingeordnet. • Der Leser wird nicht über den Verstand, sondern über das Auge mit Gefühlen angesprochen; Emotionalisierung findet in Bild und Text statt. • Die grafische Gestaltung wird an den Lesemodus des raschen Überfliegens angepasst; ermöglicht wird dies durch einen übersichtlichen Aufbau der Seiten sowie durch leicht fassbare, prägnante Überschriften. Sprache Die Sprache ist in Boulevardzeitungen einfach, die Sätze sind kurz, der Sprachduktus ist an die Umgangssprache angelehnt. • Boulevardmedien arbeiten sprachlich mit Simplifizierung und Alltagsnähe, mit Bemühen um maximale Verständlichkeit. • Es herrscht ein ebenso vertrautes wie reizstarkes Vokabular vor, eine alltagsweltliche Sprache. • Boulevardmedien bemühen sich um hohe Verständlichkeit und vielfältige emotionalisierende Aussageweisen (Text wie Bild). <?page no="121"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 122 Diskursive Strategien Um den Leser anzusprechen (und ihn auch »bei der Stange zu halten«), kultivieren Boulevardmedien, wie Stefan Schirmer sagt, »bestimmte Erfahrungswelten, die sich auf die ständige Aktualisierung und Variation narrativer (also erzählender - Ergänzung H.-P.) Ur- und Grundmuster zurückführen lassen« (Schirmer 2001, S.-10). Oder, wie Peter Bruck und Günther Stocker es ausdrücken: »Simplifizierung, die Konstruktion von übersichtlichen Weltbildern und die Reduktion komplexer, unpersönlicher gesellschaftlicher Vorgänge auf das Handeln einzelner Personen, die dann der moralischen Bewertung durch die Zeitung unterliegen, sind zentrale diskursive Strategien« (Bruck/ Stocker 1996, S.- 25). Folgende »Techniken« kommen zum Einsatz (hier nach Schirmer 2001, Bruck/ Stocker 1996; Bürgi 1994 und Renger 1998): • Das Eindampfen von Sachverhalten auf das Einfache, Konkrete und Vertraute soll sicherstellen, dass Boulevardzeitungen ihren Leser nicht kognitiv überfordern. Vielmehr sollen boulevardeske Erzählstrukturen seine emotionale Anteilnahme (von Freude bis tragische Erregung) provozieren, ihm erlebnisstarke Gefühlswelten vermitteln. • Boulevardjournalismus bemüht sich um die Herstellung emotionaler Adäquanz. Sachverhalte werden in einer Weise interpretiert, die Wertkonflikte zwischen Medium und Leser vermeiden und eine eindeutige Urteilsbildung erleichtern soll - nicht zuletzt durch eine Darstellung nach Schwarz-Weiß-Schemata. • Boulevardjournalismus nimmt die Perspektive der kleinen, machtlosen Leute ein, stützt sich - in populistischer Weise - auf die vermutete Meinung der Bevölkerungsmehrheit und inszeniert publizistisch das »gesunde Volksempfinden«. Politikberichterstattung in Boulevardmedien z. B. reduziert komplexe Sachverhalte auf Schlagwortlosungen und Schlagwortlösungen; über »Sex and Crime« wird aus der Perspektive der Augenzeugen berichtet und gibt damit Live-Charakter vor. • Unter den Gefühlen, die Boulevardmedien herzustellen versuchen, spielt neben Effekten wie Jubel und Angst die Emo- <?page no="122"?> 4.5 Boulevardjournalismus 123 tionsfärbung Empörung eine zentrale Rolle. Im Gefühl der Empörung dreht sich nämlich die soziale Rangordnung der individuell erfahrenen Lebenswelt um: Der Mediennutzer fühlt sich (scheinbar) im Besitz der Macht, indem die Zeitung für ihn die Mächtigen verurteilt oder straft. • Ein Mittel zur Integration des einzelnen Nutzers in die große Nutzergemeinschaft von Boulevardmedien (und damit etwa zur Vertiefung der Leser-Blatt-Bindung) ist die Ab- und Ausgrenzung von »den Anderen«. Dies erfolgt, indem ein »Wir-Gefühl« erzeugt wird, etwa in Form der häufigen Verwendung von Personalpronomen in der 1. Person Plural (wie »Nein, Kanzler, da machen wir nicht mit! « oder »Gen-Test sagt Krebs voraus - Wollen wir das? «). Dazu gehört auch, den sozialen Abstand zu statushöheren (prominenten) Menschen zu verringern, sie als »Menschen wie du und ich« zu präsentieren, indem deren Vor- oder Kosenamen verwendet werden (wie »Boris, du bist der Größte« oder »Danke, Gorbi, alles klar«). • Eine weitere diskursive Strategie ist die Einbettung öffentlicher Themen in Unmittelbarkeit und Totalität. Nähe wird dabei dadurch erreicht, dass an persönliche Erfahrungen des Lesers oder Zuschauers apelliert wird. Die populäre Konzeption des Persönlichen wird zum Erklärungsrahmen, innerhalb dessen die soziale Ordnung transparent dargestellt wird. Schließlich ist auch noch zu verweisen auf Techniken der Emotionalisierung in einer gefühlsärmer werdenden Welt; auf jene der vielfältigen Unterhaltung in einer sonst (scheinbar) spannungsarmen Welt; sowie auf jene der Befriedigung eines basalen Informationsbedürfnisses im Sinne der Vermittlung des (trügerischen) Gefühls, über wichtige (freilich nur verkürzt abgehandelte) politische Themen informiert zu sein. Was im deutschen Sprachraum seit langem als Boulevardjournalismus bezeichnet wird, trägt in der angloamerikanischen Kommunikationswissenschaft die wertfreie Bezeichnung »populärer Journalismus« und geht über das Verständnis von Boulevardjournalismus noch hinaus. Der österreichische Kommunikationswis- <?page no="123"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 124 senschaftler Rudi Renger widmet sich speziell diesem Phänomen aus der Perspektive der sog. Cultural Studies (vgl. Renger 2000b). Diese sehen die Massenmedien und den Journalismus als die dominanten Systeme der Bedeutungs- und Kulturproduktion, der öffentlichen Orientierung und sozialen Konstruktion von Wirklichkeit - Systeme, die die bestehenden gesellschaftlichen Machtstrukturen und die dahinter stehende Ideologie legitimieren und verfestigen. Im populären Journalismus sieht Renger »journalistische Spielarten, die in den Boulevardzeitungen, den bunten Illustrierten, den Life-Style- und Special Interest-Magazinen oder im sog. Tabloid- TV den Großteil der Bevölkerung mit Orientierungswissen, Service-Informationen und vergnüglichen Geschichten versorgen und dabei eine dramatisierte, sensationalisierte und fiktionale Weltsicht vermitteln, die, in das Gewand der scheinbar objektiven Berichterstattung gekleidet, entweder für wahr gehalten oder aus - durchaus legitimen - Entspannungs- und Unterhaltungsgründen konsumiert wird« (Renger 2000a, S.-15). Dabei ist eine allgemeine und markante »Tendenz zum Drama« sowie der Vorzug von Skandalisierung gegenüber Orientierung nicht zu übersehen (vgl. Nitz 1998, S.- 12; Scholl/ Weischenberg 1998, S.- 262). Die im Weiteren spürbaren Trends zur Technisierung und Kommerzialisierung tragen dazu bei, dass inzwischen selbst Mainstream- und angesehene Newsformate mehr und mehr die Methoden und Darstellungsweisen des Unterhaltungs- und Sensationsjournalismus übernehmen. Der populäre Journalismus wird von Renger als Journalismus gesehen, der mit vergleichsweise geringen journalistischen Mitteln massenhafte Auflagen, große Reichweiten und damit maximalen unternehmerischen Profit erreicht. Sein markantes Kennzeichen, so Renger, ist die operative Verknüpfung von bestimmten Informationsinhalten (›news to use‹) mit unterhaltsamen und gefühlsbetonten Gestaltungsmerkmalen (vgl. Renger 2000b, S.-13ff). Diese inzwischen weit um sich greifende Verknüpfung von Information (information) und Unterhaltung (entertainment) hat unter der Bezeichnung bzw. Wortkreuzung »Infotainment« Eingang in die kommunikationswissenschaftliche Terminologie und Diskussion gefunden. <?page no="124"?> 4.5 Boulevardjournalismus 125 Populärer Journalismus stellt also einen stark differenzierten Gegenstand dar, der weniger an einem bestimmten Medientypus fixiert ist, sondern bestimmte »Formate« präferiert (vgl. Renger 2000a, S.-18 in Anlehnung an Bruck/ Stocker 1996, S.-11ff). In seiner printmedialen Variante ist er, wie erwähnt, sowohl in Tageszeitungen wie auch in Publikumszeitschriften und Magazinen vorzufinden. Dabei werden in den Zeitschriften eng abgesteckte Themenkreise in immer neuer Form wiederholt und sog. »Easy reading-Pakete« angeboten, die vorwiegend aus Prominentenstorys, Ratgeberrubriken, Fortsetzungsromanen, Witzen und Rätseln bestehen und mit pseudoaktuellen Aufmacherthemen den Leser locken. Boulevardzeitungen wiederum präsentieren eine dramatisierte, sensationalisierte und nicht selten fiktionalisierte Weltsicht, wobei, wie erwähnt, Schwerpunkte des journalistischen Angebots auf den Themen Lokales, Human interest und Sport liegen. Politik nimmt eine eher nachrangige Stelle ein. Populärer Journalismus dient hier primär als Zeitvertreib und Alltagsspaß; er operiert als Diskurs- und Erzählmaschine und zielt auf Vermarktbarkeit ab (vgl. Renger 2000b, S.-492ff). Aus den USA kommend, gibt es den populären Journalismus im Fernsehen des deutschen Sprachraumes seit den 1970er-Jahren (sowie v. a. mit der Einführung privaten Fernsehens Mitte der 1980er-Jahre). Sein Kennzeichen ist - in Talkshows, News-Shows, TV-Magazinen etc. - das »Happy talk-Format« von »Augenzeugen- und Action-Nachrichten«: Mithilfe ihrer (Pseudo-)Aktualität vermittelnden Bilder, ihrer Klänge und Geräusche »erzählen populäre Nachrichten eine Story, wobei das Hier mittels lokaler Bezüge und das Jetzt in Begriffen von Unmittelbarkeit und Gegenwärtigkeit definiert wird. […] Dem Infotainment verpflichtete populärjournalistische Sendungen rechnen in der Grundeinheit des immer und überall bedrohten Opfers. Normativ für das Publikum wirkt beim Boulevardfernsehen ein abstraktes und universales System von schneller und leichter Wiedererkennung, das v. a. durch die Darstellung einer Scheibchen-Aktualität bzw. - zynisch formuliert - durch einen Fetzenjournalismus begünstigt wird. Das Weltverständnis erfolgt in diesem Zusammenhang weniger im Kopf als aus <?page no="125"?> 4 Weitere Themen der Journalismusforschung 126 dem Bauch heraus« (Langer 1998, S.- 34). Vier Erzähltypen herrschen im populären Journalismus des Fernsehens vor: 1) besonders bemerkenswerte Ereignisse (vorwiegend aus der Prominentenwelt); 2) tragische Opfer des Alltagslebens; 3) die bedrohte Sozialgemeinschaft; und 4) Traditionen bzw. große Taten der Vergangenheit (vgl. Langer 1998, S.-34f ). Aus der hier dargelegten Sichtweise lassen sich die Produkte des populären Journalismus‹ nicht über einen Kamm scheren. Vielmehr reicht er - je nach Mischung von Information und Unterhaltung - vom billigen Massenboulevard bis zu jenen journalistischen Produkten in Print und Funk, die Sigrid Löffler als »Journalismus light« bezeichnet (vgl. Löffler 1997). Dem »billigen Massenboulevard« prophezeit Uwe Zimmer, langjähriger Chefredakteur der Münchner Abendzeitung, übrigens keine Zukunft: »Nur mit Sensationen, Emotionen, mit Manipulation und Erektion lässt sich keine Zeitung der Zukunft machen« (Zimmer 1999, S.- 61). Information als Aufklärung, Unterhaltung als positives lebensbejahendes Element und v. a. auch Service (»news you can use«) seien die Bestandteile jeder guten Zeitung. Mit dem österreichischen Boulevardmedium Kronen Zeitung befasste sich Stefan Weber (1995). Zum Thema Boulevardjournalismus liegt u. a. auch ein Beitrag von Margreth Lünenborg (2012) vor. <?page no="126"?> 127 5 Theoretische Konzepte der Journalismusforschung Die Kommunikatorbzw. die Journalismusforschung hat im Laufe ihrer noch relativ jungen Geschichte mehrere (theoretische) Konzepte hervorgebracht. Martin Löffelholz stellte 2002 einen »neuen Ordnungsrahmen« für diese Konzepte vor (Löffelholz 2002; vgl. auch Löffelholz 2003, 2004). Er ordnet die Ansätze nach ihren Ähnlichkeiten in Entstehungskontext, theoretischer Herangehensweise, Untersuchungsfokus, Komplexität und Ertrag für die empirische Forschung und findet acht verschiedene Journalismuskonzepte. Es sind dies: der Normative Individualismus, die Materialistischen Medientheorie, der Analytische Empirismus, der Legitimistische Empirismus, die (kritischen) Handlungstheorien, die Funktionalistischen Systemtheorien, die Integrativen Sozialtheorien und die Cultural Studies (vgl. zur Übersicht: Löffelholz 2002, S. 37, Tab. 1; ebenso Löffelholz 2004, S. 62). Löffelholz betont, dass die Konzepte »keinen in sich geschlossenen Ansatz« bezeichnen (Löffelholz 2002, S.-36) und auch, dass nicht ein Konzept ein anderes verdrängt, sondern die Konzepte teils aufeinander aufbauen, nebeneinander existieren oder mitunter ineinander integriert werden (können). Um sie sich gut zu erschließen, ist ihre Lektüre unabdingbar. Nachfolgend werden sie in kurzen Zusammenfassungen lediglich grob umrissen: Normativer Individualismus: Unter dem Begriff des Normativen Individualismus (Löffelholz 2002, S. 38) werden Überlegungen aus der frühen Journalismusforschung (Anfang 20. Jahrhundert) subsumiert, die an einer zu dieser Zeit verbreiteten utilitaristisch gestützten, individuellen Weltanschauung orientiert und daher normativ, subjektivistisch und praktizistisch ausgerichtet waren. Die Theorien konzentrierten sich auf Begabung (»Begabungsideo- <?page no="127"?> 5 Theoretische Konzepte 128 logie«) und Gesinnung (»Gesinnungspublizistik«) einzelner Journalisten, weshalb ihr empirischer Ertrag und ihre theoretische Komplexität als niedrig eingeschätzt werden. In Verbindung mit dem Normativen Individualismus verweist Löffelholz einerseits auf dessen Verwendung unter nationalsozialistischer Herrschaft, andererseits auf dessen nachwirkenden Einfluss auf Berufspraxis und wissenschaftliche Theoriebildung im Journalismus. Als typische Vertreter werden u. a. Otto Groth, Karl Bücher, Karl Jaeger, Emil Dovifat und Hans A. Münster genannt. Materialistische Medientheorie: Die Materialistische Medientheorie (Löffelholz 2002, S. 39), die nach Löffelholz theoretische Ähnlichkeiten zu der etwa zeitgleich in der DDR erfolgreichen »sozialistischen Journalistik« aufweist, begreift Journalismus als »Produktionsprozess von Medienaussagen, der ›klassenabhängig‹ sei sowie den Bedingungen der ›Kapitalverwertung‹ und der Entwicklung der ›Produktivkräfte‹ unterliege (Löffelholz 2002, S. 39f mit Bezugnahme auf Hund/ Kirchhoff-Hund 1980). Damit erscheinen Medien als ökonomisch bestimmte Produktionsunternehmen und Nachrichten als Waren. Fachvertreter wie Horst Holzer, Wulf D. Hund und Bärbel Kirchhoff-Hund fristeten Löffelholz zufolge schon in den 70er- und 80er-Jahren ein »Nischendasein«. Gegenwärtig orientiere sich die wissenschaftliche Debatte kaum noch an diesem Konzept, wohl auch, weil empirischer Ertrag und Komplexität aufgrund der ökonomistischen und ideologischen Ausrichtung als gering eingeschätzt werden (vgl. dazu Scheu 2012). Eine Ausnahme stellt der Hinweis auf die Kommerzialisierung des Journalismus dar, »der zum Standardrepertoire empirischer Journalismusanalysen gehört« (Löffelholz 2002, S. 40). Analytischer Empirismus: Der Analytische Empirismus (ebd.) dagegen stellt nach Löffelholz das herrschende Paradigma der aktuellen Journalismusforschung dar: Die analytisch-empirische Philosophie, intersubjektive Überprüfbarkeit sowie Entwicklung und empirische Prüfung einer aus mindestens zwei Variablen bestehenden Theorie in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses zu stellen, stellte nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst in den USA, dann auch in Deutschland einen Wendepunkt der Journalismus- <?page no="128"?> 5 Theoretische Konzepte 129 forschung »von der Vermutungs- und Behauptungswissenschaft zur Beschreibungs- und Erklärungswissenschaft« dar (Löffelholz 2002, S. 42). Theorien dieses Konzeptes verzichten weitgehend auf normative Weltbilder, sind i. d. R. von mittlerer Reichweite und Komplexität und konzentrieren sich auf spezifische Problemfelder (z. B. berufliche Einstellungen von Journalisten, Professionalisierung, Berufssituation von weiblichen Journalisten u. Ä.). Als typisch hierfür nennt Löffelholz den Gatekeeping- oder den Agendasetting-Ansatz; (erste) bekannte Vertreter des Konzeptes waren bzw. sind u. a. Kurt Lewin, David M. White oder Manfred Rühl (1969, 1979). Aufgrund der thematischen Vielfalt der Theorien und der Übernahme der methodischen Prämissen des Analytischen Empirismus in anderen Journalismuskonzepten sei es schwierig, dieses Konzept »als eigenständig zu formulieren« (ebd.). Legitimistischer Empirismus: Auf empirisch-analytische Ergebnisse stützt sich auch das Konzept des Legitimistischen Empirismus (ebd.): Es begreift die Kommunikatorbzw. Journalismusforschung als Teil der Medienwirkungsforschung und fragt, wie journalistische Berufseinstellungen und Einflussnahmen legitimiert sind. Kommunikationspolitische Normen werden mit empirischen Befunden in Beziehung gesetzt. Ermittelt und als handlungsrelevant erachtet werden das journalistische Selbstverständnis, die Motive und die politischen Einstellungen von Journalisten, ihre Publikums- und Kollegensicht. Kritiker merken an, dass strukturelle Bedingungen der Medienproduktion außer Acht gelassen und dass Schlussfolgerungen von Befragungsdaten auf Inhalte bzw. von Inhalten auf Einstellungen von Journalisten oft nur Vermutungen bleiben (vgl. Löffelholz 2002, S. 43). Als Vertreter des Legitimistischen Empirismus werden mit Bezugnahme auf Baum (1994) Elisabeth Noelle- Neumann, Hans Mathias Kepplinger, Renate Köcher und Wolfgang Donsbach genannt (Löffelholz 2002, S. 42). (Kritische) Handlungstheorien: Kennzeichnend für die (kritischen) Handlungstheorien (Löffelholz 2002, S. 44), an denen sich sowohl empirischer als auch analytischer Empirismus orientieren, ist die Konzentration auf handelnde Akteure sowie Sinn und sozial geformte Regeln ihrer Handlungen (den soziologischen <?page no="129"?> 5 Theoretische Konzepte 130 Überlegungen von Max Weber, Alfred Schütz und Thomas Luckmann folgend). Handlungstheoretische Journalismusforschung zielt in erster Linie auf Beschreibung und Typologisierung ab, elaborierte Theorien haben Löffelholz zufolge nur wenige Fachvertreter (auf Basis des kritisch-theoretischen Ansatzes von Habermas) entwickelt: Er nennt hier die am lebensweltlichen Kontext der Journalisten orientierte Kritik der Kommunikatorforschung von Achim Baum (1994), die an Jürgen Habermas angelehnten, verständigungsortientierten Überlegungen zur Rolle des Journalismus im gesellschaftlichen Diskurs von Maximilian Gottschlich (1980) sowie den Ansatz von Hans-Jürgen Bucher (2000), der journalistische Handlungen als komplexe soziale Ereignisse versteht und die Dynamik der Kommunikation in den Mittelpunkt rückt. Funktionalistische Systemtheorien: Pionierstudie der Funktionalistischen Systemtheorien (Löffelholz 2002, S. 45) war Manfred Rühls »Die Zeitungsredaktion als soziales System« (1969) sowie dessen Habilitationsschrift »Journalismus und Gesellschaft« (1980): Gefordert wird eine Abkehr von normativer und individualistischer Journalismusforschung zugunsten des Verständnisses von Journalismus als von seiner Umwelt abgegrenztes Sozialsystem mit eigenen Strukturen, dem eine spezifische Funktion in der Gesellschaft zugeschrieben wird. Der Systembegriff bzw. die systemische Einbindung wird in den unter diesem Konzept subsumierten Theorien dabei unterschiedlich verwendet: »Handelt es sich beim Journalismus um ein Funktionssystem in der Gesellschaft, wie Rühl (1980) oder Scholl/ Weischenberg (1998) annehmen? Oder operiert der Journalismus als Bestandteil, als organisiertes Leistungssystem, in einem Funktionssystem wie Öffentlichkeit, Publizistik oder Massenmedien? « (Löffelholz 2002, S. 47; Hervorhebung i. Orig.). Kritiker der Systemtheorien monieren u. a. eine Unterschätzung der Relevanz journalistischer Subjekte und ihrer Handlungen oder z. B. auch der Wechselbeziehungen zwischen ökonomischen und journalistischen Prozeduren. Integrative Sozialtheorien: Die Integrativen Sozialtheorien (Löffelholz 2002, S. 47) versuchen, System und Subjekt, Struktur und Handlung in einer Theorie zu integrieren und sind daher meist <?page no="130"?> 5 Theoretische Konzepte 131 hoch komplex. Beispiele für solche Theorien sind etwa die Akteurs- Struktur-Dynamiken von Uwe Schimank, die von Christoph Neuberger (2000) auf die Journalismusforschung übertragen worden sind, oder die von Klaus-Dieter Altmeppen (2000) und Thorsten Quandt (2002) für die empirische Untersuchung journalistischen Handelns verwendete Strukturationstheorie von Anthony Giddens. Ebenfalls integrativen Anspruch hat das »Zwiebelmodell« von Weischenberg (1992) bzw. Scholl und Weischenberg (1998); es verordnet die Journalistik auf Ebenen des Normen-, Struktur-, Funktions- und Rollenkontextes. Löffelholz zufolge stehen die Versuche, Makro-, Meso- und Mikro-Perspektive in einer Theorie zu vereinen, noch am Anfang. Integrationspotenzial räumt er in diesem Zusammenhang auch dem »soziokulturellen Konstruktivismus« (vgl. Schmidt 1996) ein, der Zusammenhänge zwischen Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur erforscht. Cultural Studies: Das Forschungsinteresse der Cultural Studies (Löffelholz 2002, S. 49) schließlich stützt sich auf Überlegungen aus dem Marxismus, der Kritischen Theorie sowie der Semiotik, Linguistik und Handlungstheorien und fokussiert auf die kontextuelle Erforschung und Veränderung des Verhältnisses von Kultur, Medien und Macht. John Hartley (1996), Stuart Allan (1999) und Rudi Renger (1999) wenden dieses Prinzip auf die Journalismusforschung an: Sie begreifen Journalismus als kulturellen Diskurs und Teil der Populärkultur und untersuchen ihn weitgehend aus der Rezipientenperspektive. Löffelholz betont, dass die Cultural Studies aufgrund ihrer vielfältigen Wurzeln und ihrer theoretischen Offenheit keinen geschlossenen theoretischen Ansatz darstellen, der Kulturbegriff aufgrund der voranschreitenden Globalisierung jedoch an Bedeutung in der Journalismusforschung zunimmt (vgl. Löffelholz 2002, S. 50). Mehrere der hier nur kurz erörterten Konzepte des Journalismus haben seither eine weitere Ausdifferenzierung und teils auch Erweiterungen erfahren. Auskunft darüber erteilen zahlreiche Beiträge aus Sammelbänden, die in den zurückliegenden Jahren entstanden sind. Dazu gehören u. a. der 2004 von Martin Löffelholz (in zweiter, vollständig überarbeiteter und erweiterter Auflage) <?page no="131"?> 5 Theoretische Konzepte 132 herausgegebene Sammelband »Theorien des Journalismus« (Löffelholz 2004) oder auch die 2007 von Klaus-Dieter Altmeppen et al. publizierte Aufsatzsammlung »Journalismustheorie: Next Generation« (Altmeppen et al. 2007). Unter anderem zu erwähnen sind Milieu- und Lebensstilkonzepte (u. a. Hradil 2007; Raabe 2007) sowie insbesondere das Kapital-Feld-Habitus-Konzept von Pierre Bourdieu (u. a. Bourdieu 1983). Es wurde auch von deutschen Wissenschaftlern für die Journalismusforschung theoretisch (Willems 2007; Hanitzsch 2007) wie empirisch (u. a. Meyen/ Riesmeyer 2009) fruchtbar gemacht. Anfang 2013 hat Armin Scholl einen Beitrag über »Theorien des Journalismus im Vergleich« publiziert (Scholl 2013), der hier nicht mehr erörtert werden kann, dessen Lektüre und Studium jedoch angeraten erscheint. <?page no="132"?> 133 Abbildungen Abb. 1: Die Allensbacher Berufsprestige-Skala . . . . . . . . . . . . 56 Abb. 2: Nachrichtenfaktoren nach J. Galtung und M. H. Ruge (1965) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Abb. 3: Nachrichtenfaktoren nach W. Schulz (1976) und J. F. Staab (1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 <?page no="133"?> 134 Literatur Allan, Stuart (1999): News Culture. Buckingham/ Philadelphia. Altmeppen, Klaus-Dieter (2000): Entscheidungen und Koordinationen. Dimensionen journalistischen Handelns. In: Löffelholz, Martin (Hrsg.): Theorien des Journalismus. Wiesbaden, S. 293-310. Altmeppen, Klaus-Dieter et al. (Hrsg.) (2000): Online-Journalismus. Perspektiven für Wissenschaft und Praxis. 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Allgemein Bundesverband Deutscher Pressesprecher www.bdp-net.de Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de Deutscher Fachjournalisten-Verband www.dfjv.de Deutsche Gesellschaft für Public Relations DPRG www.dprg.de Deutsche Journalisten- und Journalistinnen-Union in ver.di www.dju.verdi.de Deutscher Journalisten-Verband (DJV) www.djv.de mit Landesverbänden in den Bundesländern, z. B. Bayerischer Journalistenverband www.bjv.de <?page no="165"?> Links 166 Deutscher Journalistinnenbund www.journalistinnen.de European Journalism Training Association (EJTA) www.ejta.eu Initiative Nachrichtenaufklärung www.derblindefleck.de IQ - Initiative Qualität [im Journalismus] www.initiative-qualitaet.de Journalist. Medienmagazin des Deutschen Journalisten-Verbandes www.journalist.de Journalistenpreise - Das Portal für preisgekrönten Journalismus www.journalistenpreise.de/ ? id=preis&pid=630 M - Menschen Machen Medien. Medienpolitische ver.di-Zeitschrift www.mmm.verdi.de Message - Internationale Zeitschrift für Journalismus www.message-online.com Netzwerk Medienethik www.netzwerk-medienethik.de Netzwerk Recherche www.netzwerkrecherche.org Newsroom - Nachrichten für Journalisten www.newsroom.de <?page no="166"?> Links 167 Vocer - Verein für Medien- und Journalismuskritik www.vocer.org Einrichtungen der Selbstkontrolle für Kommunikationsberufe Deutscher Presserat www.presserat.de Deutscher Rat für Public Relations (DRPR) www.drpr-online.de Deutscher Werberat www.werberat.de Die DT-Control - Interessengemeinschaft Selbstkontrolle elektronischer Datenträger im Pressevertrieb www.dt-control.de Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) www.fsf.de Freiwillige Selbstkontrolle Filmwirtschaft (FSK) www.fsk.de Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia Diensteanbieter (FSM) www.fsm.de Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) www.usk.de/ Jugendschutz www.jugendschutz.net <?page no="167"?> Links 168 Kommission Jugendmedienschutz (KJM) www.kjm-online.de Verein zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle (FPS) www.publizistische-selbstkontrolle.de Siehe dazu auch: Baum, Achim; Langenbucher, Wolfgang; Pöttker, Horst; Schicha, Christian (Hrsg.)(2005): Handbuch Medienselbstkontrolle. Wiesbaden. <?page no="168"?> 169 Personenindex A Allan, Stuart 131 Altmeppen, Klaus-Dieter 110, 131, 132 Arnold, Klaus 82, 83, 84 B Baum, Achim 130 Baumert, Dieter Paul 17, 19 Beck, Klaus 84 Bentele, Günter 76 Birkner, Thomas 17, 20 Blöbaum, Bernd 117 Blumers, Marianne 82 Blum, Roger 85 Böckelmann, Frank 10, 15 Böcking, Tabea 78 Born, Michael 88 Bourdieu, Pierre 45, 132 Boventer, Hermann 90, 91 Breed, Warren 59 Brosda, Carsten 12, 101 Bruck, Peter 122 Brüggemann, Michael 112 Bucher, Hans-Jürgen 130 Bücher, Karl 128 Buß, Michael 82 C Christians, Clifford 96 Christiansen, Sabine 44 Cotta, Johann Friedrich 20 D Dahinden, Urs 84 Debatin, Bernhard 90, 99 Donsbach, Wolfgang 49, 50, 54, 129 Dovifat, Emil 90, 128 E Ehmig, Simone 49 Eilders, Christiane 62 Engelmann, Ines 69 Engesser, Evelin 11, 51 F Fahr, Andreas 85 Fretwurst, Benjamin 62, 68 Fröhlich, Romy 12, 78 Funiok, Rüdiger 90, 97 G Galtung, Johan 61 Giddens, Anthony 131 Görres, Joseph 18, 20 Gottschlich, Maximilian 51, 91, 130 <?page no="169"?> Personenindex 170 Grossenbacher, René 75 Groth, Otto 90, 128 Grüll, Felix 83 Gumbl, Harald 82 H Habermas, Jürgen 98, 130 Hagemann, Walter 16 Hagen, Lutz M. 83 Haller, Michael 84 Hartley, John 131 Haseloff, Walter 16 Heine, Heinrich 20 Hoffjann, Olaf 78 Holzer, Horst 128 Hömberg, Walter 12, 19 Hund, Wulf D. 128 J Jaeger, Karl 128 Jauch, Günther 44 Jonas, Hans 97 Jörges, Hans-Ulrich 44 K Karmasin, Fritz 51 Karmasin, Matthias 96 Kepplinger, Hans Mathias 65, 70, 129 Kerner, Johannes B. 44 Kirchhoff-Hund, Bärbel 128 Köcher, Renate 129 Kummer, Tom 88 Kunczik, Michael 100 L Lewin, Kurt 58, 129 Lieske, Sandra 50, 53 Lippmann, Walter 60 Löffelholz, Martin 127, 131 Löffler, Sigrid 119 Loretan, Matthias 98 Luckmann, Thomas 130 M Maier, Michaela 64, 69 Maischberger, Sandra 44 Malik, Maja 39 Marx, Karl 18 Meier, Klaus 12, 96 Merz, Carl 60 Metzger, Jan 82 Meyer, Kathrin 112 Möllmann, Bernhard 87 Münster, Hans Amandus 128 N Neuberger, Christoph 12, 110, 131 Noelle-Neumann, Elisabeth 129 O Oehmichen, Ekkehardt 82 Östgaard, Einar 60 P Pörksen, Bernhard 12 Pöttker, Horst 55, 82 Pürer, Heinz 90, 94 <?page no="170"?> Personenindex 171 Q Quandt, Thorsten 112, 131 R Rademacher, Lars 101 Rager, Günther 82, 83, 86 Rau, Harald 87 Renger, Rudi 124, 131 Requate, Jörg 19 Riesmeyer, Claudia 75 Rössler, Patrick 84 Ruge, Mari Holmboe 61 Rühl, Manfred 34, 93, 129, 130 Ruhrmann, Georg 62, 67 Ruß-Mohl, Stephan 80, 84 S Saxer, Ulrich 12, 93 Schatz, Heribert 82 Schicha, Christian 101 Schimank, Uwe 131 Schirmer, Stefan 82, 122 Schmidt-Geiger, Alexander 101 Schmidt, Siegfried J. 61 Scholl, Armin 11, 39, 132 Schönhagen, Philomen 12 Schröter, Detlef 12 Schulz, Winfried 62, 65, 82 Schütz, Alfred 130 Staab, Joachim F. 62, 65 Stapf, Ingrid 95, 101 Stengel, Karin 69 Stocker, Günther 122 Szyszka, Peter 78 T Teichert, Will 95 Thomaß, Barbara 95 Tonnemacher, Jan 110 Trappel, Josef 103 Tuchman, Gaye 59 V Vehlow, Bernd 85 Vowe, Gerhard 84 W Wagner, Hans 12 Weber, Max 91, 130 Weischenberg, Siegfried 39, 81, 119 White, David M. 58, 129 Wilke, Jürgen 69 Will, Anne 44 Wolling, Jens 83 Wyss, Vinzenz 84 Z Zimmer, Uwe 126 Zipfel, Astrid 100 Zurstiege, Guido 61 <?page no="171"?> 172 Sachindex A Agenda Building 77 Agenda Setting 71, 73 Aktualität 102 Alphabetisierung 21 analytischer Empirismus 128 Applikationen 116 Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung (AfK) 37 ARD/ ZDF-Onlinestudie 113 Auslandskorrespondent 11 B Bachelor- und Masterstudiengänge 28 Begabungsideologie 128 Berichterstattung Auslandsberichterstattung 61 Blog 114 Blogger 10, 115 Blogosphäre 114 Boulevardmedien 120, 121 Bundesrepublik Deutschland 24 Bürger 46, 54 Bürgerjournalist 10 C Chat 104 Computer 107 Cultural Studies 124, 131 D DDR 24, 128 Determinationsthese 74 Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) 73 Deutscher Journalisten- Verband (DJV) 20, 34 Deutscher Presserat 26, 90, 92 digitale Technik 23 Digitalisierung 104, 105 Diskursethik 98 diskursive Strategien 122 E elektronische Produktionssysteme 23 elektronischer Publizist 10, 23 elektronisches Broadcasting 23 E-Mail 104, 113 Emotionalisierung 123 Erster Weltkrieg 22 Ethik 89 Berufsethik 33 Gesinnungsethik 27, 91 Institutionenethik 93, 94 journalistische 49, 96 Publikumsethik 96 <?page no="172"?> Sachindex 173 Reflexionsfunktion 100 Steuerungsfunktion 99 Verantwortungsethik 27, 91 F Fachhochschulstudiengänge 28 Fernsehjournalismus 22 Framing 71 strategisches 78 freiwillige Selbstkontrolle 93 G Gatekeeper 58, 108, 113 Gatekeeper-Forschung 58 Gatekeeping 71, 114 Gatewatching 114 Generalanzeigerpresse 21 Gesinnungspresse 21 Gesinnungspublizistik 128 Gewaltenteilung 24 Glaubwürdigkeit 103 Glaubwürdigkeitsverlust 103 Grundgesetz 24, 25 H Happy talk-Format 125 Hyperlink 103 Hypertextualität 103 I I-Faktor 81 Informationsbeschaffung 39 Infotainment 124 instrumentelle Aktualisierung 57, 71 Integration 123 integrative Sozialtheorien 130 Interaktion gelingende 76 Interaktivität 104 Intereffikation 74 Intereffikationsmodell 76 Internet 106 Issue Building 77 J Journalismus Akademien für 29 anwaltschaftlicher 47 Ausbildung 26, 41 Ausbildungsdebatte 27 Ausbildungsinhalte 29 Ausdifferenzierung des 21 Boulevardjournalismus 54, 118 crossmedialer 11, 116 Diplomstudiengänge 27 Durchbruch des 22 Enthüllungsjournalismus 47 erschlichener 49 Fehlleistungen des 88 Formierung des 21 -forschung 127 Frauen im 41 Genese des 20 Geschichte des 17 Häppchenjournalismus 107 in Deutschland (Studie) 39 Informationsjournalismus 46, 118 interpretativer 46 investigativer 47 <?page no="173"?> Sachindex 174 journalistische Individualethik 90 journalistische Professionsethik 91 Katastrophenjournalismus 49 Kompetenzen 31 korrespondierender 18 Kritik- und Kontrollaufgaben des 24, 38, 46 Marketingjournalismus 48 mobiler 11 New Journalism 48 Objektivität im 12 partizipativer 114 populärer Journalismus 124 Präzisionsjournalismus 47 Professionalisierung des 27 Public Journalism 48 Qualität 79, 80 Qualitätskriterien 83 Rechtsgrundlage 25 redaktioneller 18 Scheckbuchjournalismus 49 schriftstellerischer 18 Sensationsjournalismus 11, 49, 54, 118 Studium 41 theoretische Konzepte 127 U-Journalismus 119 und Unterhaltung 12 und Verantwortung 89 Verhältnis zu PR 72, 73, 74 Vertrauen in den 54 Wandel des 113 Journalist 35 Ausbildung 26, 27, 33 Begabungsberuf 26, 34 berufliche Sozialisation 33, 59 Berufsbezeichnung 24, 34 Berufsbild 16, 34, 36, 45 Berufsforschung 15 Berufsgeschichte 17 Berufsranking 52 Berufsrolle 100 Berufsverständnis 33, 45, 46, 49 Berufswirklichkeit 33, 91 Berufszufriedenheit 38, 40, 43 Berufszugang 26 freier 11, 35, 45 Fremdbild 36 Generationswechsel 49 Image 11, 50, 53 -innen 41 Orientierungsmedien des 39 Parteipräferenzen 43 Rollenverständnis 37, 38, 40, 42, 49 Selbstbild 15, 36, 49 Sonderrechte 25 Sorgfaltspflicht 25 soziale Lage 15 Journalistenenquete 37 Journalistenschule 28 Journalistenstudien 11, 16, 37 K Karlsbader Beschlüsse 21 Kernenergie 71 <?page no="174"?> Sachindex 175 Kommunikation Massenkommunikation 22 öffentliche 72, 113 Kommunikator 9, 113, 114 Kommunikatorforschung 9, 10, 12, 16, 127 Konvergenz inhaltliche 105 technische 104 kritische Handlungstheorien 129 Kritische Theorie 131 L Laienkommunikatoren 115 Landespressegesetze 25 Landesverfassungen 25 legitimistischer Empirismus 129 Lektor 12 Leserbedürfnisse 87 Leserreporter 10, 115 Linguistik 131 Litigation-PR 101 M Marketing 85 redaktionelles 85, 86, 87 Zeitungsmarketing 86, 87 Marxismus-Leninismus 131 Massenpresse 118 materialistische Medientheorie 128 Medien Konzept der mächtigen 73 Konzept der ohnmächtigen 73 Vierte Gewalt 24, 46 -anwendung 104 -inhalte 57 -kompetenz 98 -nutzer 113, 123 -ökologie 88 -qualität 84 -selbstkontrolle 101 -verweigerung 97 Meinungsfreiheit 107 Memorandum zur Journalistenausbildung 26 mobile Endgeräte 116 Moral 88 Multimedialität 104 N Nachkriegszeit 49 Nachrichtenagentur 83 Nachrichtenauswahl 57, 58, 59 Aktualisierungsmodell 70 Finalmodell 65 Inszenierungsmodell 70 Kausalmodell 65 Selektionsmodell 70 Zwei-Komponenten-Modell 66 Nachrichtenbüro 19 Nachrichtenfaktoren 60, 63, 64 Additivitätshypothese 62 Faktorendimensionen 65 Komplementaritätshypothese 62 kulturabhängige 61 kulturunabhängige 61 Selektionshypothese 61 Verzerrungshypothese 61 <?page no="175"?> Sachindex 176 Wiederholungshypthese 62 Nachrichtenrezeption 66 Nachrichtenselektion 61 Nachrichtenwert 60 Nachrichtenwerttheorie 58, 60, 66 Nachrichtenwesen Geschichte 17 Nationalsozialismus 20, 22, 24 News Bias 71 News-Bias-Forschung 58 Newsdesk 116 Newsroom 116 News Values 60 normativer Individualismus 127 Nutzerbeteiligung 115 O Objektivität 47 öffentliche Meinung 119 Öffentlichkeit 24, 113 Öffentlichkeitsarbeit 74 öffentlich-rechtlicher Rundfunk 38, 53 Onlineangebote 106 Onlinejournalismus 11, 23, 101 Onlinejournalisten 106 in Deutschland (Studien) 110 Onlinemedien 36, 108 Charakteristika 102 Ostdeutschland 24 P Parteizeitung 21 Partizipationsgewinn 114 Penny Press 118 Personalisierung 60, 63, 65, 120 Persönlichkeitsschutz 88 politische Kommunikation 73 Pressefreiheit 24, 25, 26, 106 Pressekodex 82, 92, 96 PR-System 76 Pseudo-Ereignis 70 Public Relations (PR) 72, 107 Publikationsentscheidung 100 Publikationsmöglichkeit Internet 106 Publikumsbild 38, 43 Publikumsinteresse 120 publizistischer Konflikt 71 publizistische Vielfalt 107 Q Qualitätssicherung 84, 115 R radikaler Konstruktivismus 65 Radio 22 Radiojournalismus 22 Realität 65, 70 Darstellung von 70 Interpretation von 65 Medienrealität 65 Recht 89 Redaktion 117 Ausdifferenzierung 22 redaktionelles Marketing 85 Redaktionselektronik 23 Redaktionsgeheimnis 25 Reichspressegesetz 1874 21 Reichsverband der Deutschen Presse 19 <?page no="176"?> Sachindex 177 S sekundäre Viktimisierung 100 Selektionsentscheidung 75 Selektionskette 62 Selektionskompetenz 30 Selektionsprogramm 106 Selektionsverhalten 65 Semiotik 131 Smartphone 107 Sozialenquete 16, 38 Sozialistengesetze 21, 24 Speicherkapazität 105 Studium 28, 41 Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 28, 41 Suchmaschine 115 System politisches 23 Systemtheorie funktionalistische Systemtheorien 130 T Tablet 107 Technikgebundenheit 107 Telegrafie 19, 21 Total Quality Management 81, 84 U Unterhaltung 119, 123 Urbanisierung 21 Urheberrecht 106 USA 125 User 113 V Validität Validitätskriterien 47 Verantwortung 97 Videojournalist 10 Volontariat 26, 28, 39, 41, 111 W Weimarer Republik 22, 24 Westdeutschland 24 Wiedervereinigung 24 Wirklichkeit 46, 59, 73 Hypothesen von 65 Inszenierung von 73 Konstruktion von 73, 124 Z Zeitschrift 22 Zeitung 86 Zeitungsqualität 84 Zeitungsressort 19 Zeitungstitel 22 Zeitungswesen 86 Zeugnisverweigerungsrecht 25 <?page no="177"?> Klicken + Blättern Leseproben und Inhaltsverzeichnisse unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.utb.de Klaus Beck Kommunikationswissenschaft 3., überarbeitete Auflage 2013, 254 Seiten 20 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2964 ISBN 978-3-8252-3928-2 Andrea Beyer, Petra Carl Einführung in die Medienökonomie 3., überarbeitete Auflage 2012, 278 Seiten 80 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2574 ISBN 978-3-8252-3846-9 Helena Bilandzic, Holger Schramm, Jörg Matthes Medienrezeptionsforschung 2015, 280 Seiten, flex. Einb. UTB 4003 ISBN 978-3-8252-4003-5 Heinz Bonfadelli, Thomas N. Friemel Medienwirkungsforschung 5. überarbeitete Auflage 2015, 352 Seiten 90 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 4247 ISBN 978-3-8252-4247-3 Nils Borstnar, Eckhard Pabst, Hans Jürgen Wulff Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft 2., überarbeitete Auflage 2008 250 Seiten, 25 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2362 ISBN 978-3-8252-2362-5 Anja Ebersbach, Markus Glaser, Richard Heigl Social Web 3., überarbeitete Auflage ca. 04-2015, 320 Seiten ca. 70 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 3065 ISBN 978-3-8252-3933-6 Gerlinde Frey-Vor, Gabriele Siegert, Hans-Jörg Stiehler Mediaforschung 2008, 412 Seiten 80 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2882 ISBN 978-3-8252-2882-8 Werner Früh Inhaltsanalyse Theorie und Praxis 7., überarbeite Auflage 2011, 306 Seiten, 15 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2501 ISBN 978-3-8252-39-6 Weiterlesen bei utb. <?page no="178"?> Klicken + Blättern Leseproben und Inhaltsverzeichnisse unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de Weiterlesen bei utb. Sven Grampp Marshall McLuhan Eine Einführung 2011, 234 Seiten, flex. Einb. UTB 3570 ISBN 978-3-8252-3570-3 Andreas Hepp Transkulturelle Kommunikation 2., völlig überarbeitete Auflage 2014, 294 Seiten 20 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2746 ISBN 978-3-8252-4035-6 Helmut Küchenhoff et al. Statistik für Kommunikationswissenschaftler 2., überarbeitete Auflage 2006, 384 Seiten 60 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2832 ISBN 978-3-8252-2832-3 Tobias Kurwinkel, Philipp Schmerheim Kinder- und Jugendfilmanalyse 2013, 320 Seiten 19 s/ w und 101 farb. Abb., flex. Einb. UTB 3885 ISBN 978-3-8252-3885-8 Margreth Lünenborg, Tanja Maier Gender Media Studies Eine Einführung 2013, 224 Seiten, 15 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 3872 ISBN 978-3-8252-3872-8 Oliver Marchart Cultural Studies 2008, 278 Seiten, 10 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2883 ISBN 978-3-8252-2883-5 Claudia Mast Unternehmenskommunikation Ein Leitfaden 5., überarbeitete Aufl. 2012, 516 Seiten, flex. Einb. UTB 2308 ISBN 978-3-8252-3825-4 Klaus Meier Journalistik 3., überarbeitete Auflage 2013, 290 Seiten, 50 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2958 ISBN 978-3-8252-3923-7 Lothar Mikos Film- und Fernsehanalyse 2., überarbeitete Auflage 2008 396 Seiten, 55 s/ w Abb., flex. Einb. UTB 2415 ISBN 978-3-8252-2415-8 <?page no="179"?> Klicken + Blättern Leseproben und Inhaltsverzeichnisse unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de Weiterlesen bei utb. Heinz Pürer Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2., völlig überarb. u. erweiterte Auflage 2014, 632 Seiten 30 s/ w Abb., fester Einband ISBN 978-3-8252-8533-3 Heinz Pürer umreißt in seinem Lehr- und Handbuch umfassend und verständlich den Gegenstandsbereich der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Er beschreibt zunächst die Fachgeschichte und führt in wichtige Grundbegriffe ein. Im Zentrum des Interesses stehen die wichtigsten Lehr- und Forschungsfelder: die Kommunikatorforschung, die Medieninhaltsforschung, die Medien(struktur)forschung sowie die Rezipientenforschung. Schließlich wird das Fach innerhalb der Sozialwissenschaften - neben Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie - kontextualisiert. Abschließend gibt der Autor einen Überblick über die wichtigsten Methoden der empirischen Kommunikationsforschung wie Befragung, Inhaltsanalyse, Beobachtung und Experiment. »Dieses Handbuch ist kundig aufgebaut, flüssig zu lesen und bietet reichhaltige Literaturhinweise. Es empfiehlt sich für die Studierenden und als Nachschlagewerk für die Lehrenden. Es ist ein Handbuch für Lektürezwecke. Hier liegt der richtig, der sich mit einem Buch in der Hand auf eine Tour d'horizon durch das gesamte Fach begeben will.« Medien + Kommunikationswissenschaft