Die Kelten
Geschichte, Kultur und Sprache
0422
2015
978-3-8385-4354-3
978-3-8252-4354-8
UTB
Bernhard Maier
Unter den zahlreichen, teilweise üppig bebilderten, neueren Büchern über die Kelten fehlt bislang ein Studienbuch, das den gegenwärtigen Stand der internationalen keltologischen Forschung prägnant, gut verständlich und mit ausführlichen Hinweisen auf weiterführende Literatur zusammenfassend darstellt. Der vorliegende Band leistet eben dies. Er richtet sich nicht nur an Keltologen, sondern auch an Vertreter benachbarter Fächer wie etwa der Archäologie, Geschichts-, Sprach- und Literaturwissenschaft, Theologie, Religionswissenschaft und Europäischen Ethnologie. Darüber hinaus bietet er allen an der keltischen Kultur Interessierten eine Fülle zum Teil schwer zugänglicher Informationen und vielfältige Anregungen.
<?page no="0"?> Bernhard Maier Die Kelten Geschichte, Kultur und Sprache <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York utb 4354 <?page no="3"?> Bernhard Maier Die Kelten Geschichte, Kultur und Sprache A. Francke Verlag Tübingen <?page no="4"?> Prof. Dr. Bernhard Maier ist Professor für Religionswissenschaft an der Universität Tübingen. Umschlagabbildung: Grabplatte (ca. 86 46 cm) aus dem 8./ 9. Jahrhundert mit einer Inschrift in irischer Sprache (OR[OIT] DO THUATHAL SAER, „ein Gebet für den Handwerker Tuathal“), jetzt im Visitor Centre von Clonmacnoise (Aufnahme des Verfassers). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb. de abrufbar. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen www.francke.de · info@francke.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: Informationsdesign D. Fratzke, Kirchentellinsfurt Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe Printed in Germany UTB-Nr. 4354 ISBN 978-3-8252-4354-8 <?page no="5"?> Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einleitung: Geschichte und Stand der keltologischen Forschung . . . . . . . . . 3 1 Archäologie 1.1 Die vorrömischen Kelten Mitteleuropas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2 Die vorrömischen Kelten der Britischen Inseln . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.3 Die Kelten im vorgeschichtlichen Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.4 Archäologie und Sozialstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.5 Die Kelten in der Kunst des Mittelmeerraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.6 Archäologie, Ethnos und Keltenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2 Geschichte 2.1 Vorrömische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.2 Römische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.3 Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.4 Schottland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.5 Wales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.6 Die Bretagne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3 Sprachwissenschaft 3.1 Die festlandkeltischen Sprachen der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.2 Irisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.3 Schottisch-Gälisch und Manx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.4 Walisisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.5 Bretonisch und Kornisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.6 Keltisch-außerkeltische Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4 Literaturwissenschaft 4.1 Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.2 Schottland und die Insel Man . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4.3 Wales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4.4 Die Bretagne und Cornwall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.5 Keltische Adaptionen auswärtiger Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.6 Europäische Adaptionen keltischer Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 <?page no="6"?> VI Inhalt 5 Theologie und Religionswissenschaft 5.1 Vorchristliche Riten und Kulte nach archäologischen Quellen . . . . 117 5.2 Weltbild und Mythologie nach dem Zeugnis der Schriftquellen . . . 122 5.3 Christianisierung und „keltisches Christentum“ . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5.4 Religionsgeschichte der keltischen Länder: Mittelalter . . . . . . . . . . . 132 5.5 Religionsgeschichte der keltischen Länder: Neuzeit. . . . . . . . . . . . . . 136 5.6 Neuheidentum und moderne Keltenideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 6 Europäische Ethnologie 6.1 Erzählforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 6.2 Musik und Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 6.3 Volksglaube und Brauchtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.4 Sprichwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 6.5 Materielle Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 6.6 Folklorismus und Imagologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Anhang 1. Verzeichnis neuerer keltologischer Festschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Verzeichnis keltologischer Fachzeitschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Liste der im Internet verfügbaren Hilfsmittel für das Studium (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Register Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 <?page no="7"?> Vorwort Im Unterschied zu vielen anderen europäischen Philologien wie etwa der Germanistik, Romanistik oder Slavistik ist die Keltologie als eigenes Universitätsfach bzw. eigener Studiengang fast nur noch in den Ländern vertreten, in denen noch immer keltische Sprachen gesprochen werden. Dies steht gerade im deutschsprachigen Raum in einem augenfälligen Gegensatz nicht nur zu dem lebhaften Interesse, das eine breite Öffentlichkeit den Kelten und ihrer Kultur entgegenbringt, sondern auch zu den vielfältigen methodischen Berührungspunkten und inhaltlichen Schnittmengen, welche die Keltologie mit anderen geisteswissenschaftlichen Fächern wie etwa der Frühgeschichtlichen und Provinzialrömischen Archäologie, Geschichtswissenschaft, Vergleichenden Sprach- und Literaturwissenschaft, Anglistik, Romanistik, Theologie, Religionswissenschaft und Europäischen Ethnologie verbindet. Wer sich jedoch als Studierende(r) oder Lehrende(r) eines dieser Nachbarfächer über die gesamte Keltologie oder einen ihrer Teilbereiche rasch und zuverlässig orientieren will, tut sich keineswegs leicht, denn die weitaus meisten neueren Veröffentlichungen sind in englischer, französischer, irischer und kymrischer (walisischer) Sprache gehalten und oftmals nur in wenigen großen Bibliotheken greif bar. Auch das Internet kann hier nur in sehr beschränktem Umfang Abhilfe leisten, da die Trennung der Spreu vom Weizen gerade dem Unerfahrenen häufig schwerfällt und die Zuverlässigkeit und Aktualität vieler Informationen mitunter kaum abzuschätzen ist. Das vorliegende Buch bietet Studierenden und Vertretern der oben genannten Fächer, aber auch allen anderen am Gegenstand interessierten Lesern eine verlässliche Einführung in den gegenwärtigen Stand der Keltologie, eine Übersicht über ihre vielfältigen Beziehungen zu verschiedenen Nachbarfächern sowie ausführliche Angaben über die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel. Zu diesem Zweck orientiert zunächst eine Einleitung über die Geschichte und den derzeitigen Stand der keltologischen Forschung. Die darauf folgenden sechs Kapitel behandeln der Reihe nach archäologische, historische, sprach- und literaturwissenschaftliche, theologische und religionswissenschaftliche sowie ethnologische Aspekte der Keltologie. Dabei besteht jedes Kapitel aus sechs Abschnitten, die jeweils grundlegende Informationen sowie im Anschluss daran Hinweise auf weiterführende Literatur enthalten. Ein Anhang mit zwei Verzeichnissen neuerer keltologischer Festschriften und wichtiger keltologischer Fachzeitschriften, Angaben zu den wichtigsten im Internet verfügbaren Hilfsmitteln für das Studium sowie einem ausführlichen Personen- und Sachregister runden das Werk ab. <?page no="9"?> Einleitung: Geschichte und Stand der keltologischen Forschung Die Geschichte der Keltologie beginnt im 6./ 5. Jahrhundert- v.- Chr. mit den Berichten antiker Historiker und Ethnographen über jene Völker, welche die Griechen Keltoí oder Galátai, die Römer Celtae, Galatae oder Galli nannten. Dabei bezog sich die Bezeichnung Galátai / Galatae im Unterschied zum modernen Sprachgebrauch keineswegs ausschließlich oder auch nur in erster Linie auf die Galater oder Kelten Kleinasiens, sondern war weitgehend bedeutungsgleich mit den Bezeichnungen Keltoí / Celtae und Galli, bezeichnete also die Kelten im Allgemeinen. Mit Bezug auf die Iberische Halbinsel sprechen die antiken Autoren von Keltiberern (Keltíbēres / Celtiberi), während man für die kleinasiatischen Galater die Bezeichnungen Hellēnogalátai bzw. Gallograeci findet. Die Bewohner der Britischen Inseln und Irlands wurden von den antiken Autoren demgegenüber niemals als Kelten bezeichnet, sondern werden erst seit der Frühen Neuzeit zusammen mit den schon in der Antike als Kelten bezeichneten Völker des europäischen Festlands unter diesem Namen zusammengefasst. Zur sprachlichen Ableitung des Keltennamens kommen in erster Linie die indogermanischen Wurzeln *kel- „erheben“, *kel- „schlagen, hauen“ und *kel- „verbergen“ in Betracht, wobei die genaue Bedeutung des Namens letztlich unklar bleibt. Unbekannt ist auch die Etymologie der Bezeichnungen Galli und Galátai / Galatae. Erstmals erscheint der Name der Kelten vielleicht schon in der (uns nicht erhaltenen) Erdbeschreibung des Hekataios von Milet im 6. Jahrhundert v.- Chr., mit Sicherheit aber im 5. Jahrhundert- v.- Chr. bei Herodot von Halikarnassos, der ihn augenscheinlich bereits als seinen Lesern wohlbekannt voraussetzt (Historien 2,33,3-4). Die ausführlichsten und historisch wertvollsten Keltenschilderungen des folgenden halben Jahrtausends bis zur Romanisierung der festlandkeltischen Völker findet man bei Polybios von Megalopolis (um 200 - um 120- v.- Chr.), Poseidonios von Apameia (um 135 - um 50-v.-Chr.), bei den auf Poseidonios fußenden Autoren Strabo von Amaseia (um 63- v.- Chr.- - um 23 n. Chr.) und Diodor von Sizilien (1. Jahrhundert- v.- Chr.) sowie bei Gaius Iulius Caesar (100-44-v.-Chr.). Charakteristisch für alle diese antiken Nachrichten über die Kelten ist die Eigenart der antiken Ethnographie, kleinere Volksgruppen oder Stämme unter einem oft willkürlich gewählten Namen zu größeren Einheiten zusammenzufassen, so dass die betreffenden Autoren die Bezeichnung „Kelten“ als Oberbegriff einer Vielzahl unterschiedlicher Völkerschaften verwenden, ohne sie nach Zeit und Raum zu differenzieren. Charakteristisch ist ferner eine zumeist implizit, gelegentlich auch explizit <?page no="10"?> 4 Einleitung ethnozentrische Sichtweise, die den Mittelmeerraum als Mittel- und Höhepunkt der kulturellen Entwicklung und die „Barbaren“ als Bewohner einer rückständigen Peripherie begreift. Unklar bleiben häufig die genaue Herkunft einer Information sowie der Einfluss literarischer Vorbilder und stereotyper Wandermotive. Innere Stimmigkeit und Präzision der Keltenschilderungen spielten jedoch allem Anschein nach eine eher untergeordnete Rolle, so dass die griechischen und römischen Beobachter literarische Versatzstücke unterschiedlicher Herkunft nach Gutdünken miteinander kombinieren konnten. Dabei rückten sie zur Steigerung des Unterhaltungswertes ihrer Darstellungen gerne das Verblüffende und Ungewöhnliche in den Vordergrund und kolportierten mitunter auch offenkundig Widersinniges. Durch die Romanisierung der ehemals keltischsprachigen Regionen auf dem europäischen Festland ging die Kenntnis der keltischen Sprache dort überall spätestens bis zum Ausgang der Antike verloren. Nach wie vor gesprochen wurden keltische Sprachen dagegen in Irland, auf den Britischen Inseln sowie in der Bretagne, wo Einwanderer aus dem Südwesten der Britischen Hauptinsel ihre keltische Sprache seit der Spätantike heimisch gemacht hatten. Dass die Iren, Schotten, Waliser und Bretonen eine Sprache verwendeten, die stark der Sprache der antiken Kelten ähnelte, fand vor der Neuzeit jedoch kaum Beachtung, da die von der griechisch-römischen und christlichen Kultur geprägte Gelehrsamkeit des Mittelalters den Ursprung der Volkssprachen unter Rückgriff auf die alttestamentliche und klassisch-antike Überlieferung und damit im Anschluss an die Urgeschichte der Bibel (1 Mose / Genesis 10) oder die Aeneis Vergils zu deuten suchte. Erst im späten 16. Jahrhundert entdeckte der schottische Humanist George Buchanan (1506-1582) die Zusammengehörigkeit der antiken festlandkeltischen Sprachen mit den noch lebenden inselkeltischen Idiomen. Als „Keltisch“ bezeichnete man alle diese Sprachen jedoch erst seit dem 18. Jahrhundert, in dessen Verlauf sich diese Bezeichnung in allen europäischen Sprachen als Oberbegriff für die Sprache der antiken Kelten und jene der - zuvor nie als „Kelten“ bezeichneten - antiken Bewohner der Britischen Inseln und Irlands sowie ihrer Nachfahren in Irland, Schottland, Wales und der Bretagne allgemein durchsetzte. Maßgeblichen Anteil an der Etablierung der Bezeichnung „Keltisch“ in diesem neuen, sprachwissenschaftlichen Sinn, hatte zum einen der walisische Natur- und Sprachforscher Edward Lhuyd (um 1660-1709), zum anderen der aus der Bretagne stammende Historiker Dom Paul Yves Pezron (1639-1706). Starken Auftrieb erfuhr die Beschäftigung mit den keltischen Sprachen seit dem frühen 19. Jahrhundert mit der Entdeckung der indogermanischen Spracheinheit durch William Jones (1746-1794). Der schlüssige Nachweis der indogermanischen Herkunft des Keltischen gelang unabhängig voneinander dem Arzt und Anthropologen James Cowles Prichard (1786-1848), dem Sprachwissenschaftler Adolphe Pictet (1799-1875) und dem Begründer der Vergleichenden Sprachwissenschaft, Franz Bopp (1791-1867). Zum eigentli- <?page no="11"?> Einleitung 5 chen Begründer der Keltologie als sprachwissenschaftlicher und philologischer Disziplin wurde indessen Johann Kaspar Zeuss (1806-1856), dessen Grammatica Celtica (1851) die Grundlage aller weiteren Forschung bildete und erst im frühen 20. Jahrhundert durch das Handbuch des Altirischen (1909) von Rudolf Thurneysen (1857-1940) und die Vergleichende Grammatik der keltischen Sprachen (1909-1913) von Holger Pedersen (1867-1953) ersetzt wurde. Als erste Fachorgane der Keltologie entstanden in Frankreich die Revue celtique (1870-1934, seit 1936 Études celtiques) und in Deutschland die Zeitschrift für celtische Philologie (seit 1897), nachdem zuvor viele keltologische Beiträge in der 1862 von Adalbert Kuhn (1812-1881) begründeten Zeitschrift Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung auf dem Gebiet der arischen, keltischen und slawischen Sprachen erschienen waren. Die ersten Lehrstühle für Keltologie hatten in Oxford (seit 1877) der walisische Philologe John Rhŷs (1840-1915), in Paris (seit 1882) der Historiker Henri d’Arbois de Jubainville (1827-1910), in Edinburgh (seit 1882) der Philologe Donald MacKinnon (1839-1914) und in Berlin (seit 1901) der Vergleichende Sprachwissenschaftler und Indologe Heinrich Zimmer (1851-1910) inne. 1903 entstand auf eine Initiative des zu jener Zeit in Liverpool tätigen deutschen Sprachwissenschaftlers Kuno Meyer (1858- 1919) hin als erste Forschungs- und Ausbildungsstätte für irische Keltologen in Dublin die School of Irish Learning, ein Vorläufer der 1940 gegründeten School of Celtic Studies. Ihr walisisches Pendant ist das 1919 gegründete Board of Celtic Studies mit den Unterabteilungen Sprache und Literatur, Geschichte und Recht, Archäologie und Kunst sowie (seit 1969) Sozialwissenschaften. Wie alle so genannten kleinen Fächer mit einem weiten Gegenstandsbereich und einem anspruchsvollen Programm ist auch die Keltologie in den vergangenen Jahrzehnten weltweit von den wiederholten Kürzungen öffentlicher Mittel, der Verlagerung des universitären Schwerpunkts von den Geistesauf die Naturwissenschaften, dem Wandel des Bildungssystems und der damit verbundenen Verkürzung der Studienzeiten stark in Mitleidenschaft gezogen worden. In Deutschland kann das Fach derzeit nur an der Philipps-Universität Marburg studiert werden. Zu den wichtigsten keltologischen Zentren des europäischen Auslands zählen gegenwärtig Cambridge, Aberystwyth, Edinburgh, Glasgow, Dublin und Cork. Da das allgemeine Interesse an den Kelten gerade im deutschsprachigen Raum oft weniger von der Sprache und Literatur als vielmehr von der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie ausgeht, sind an dieser Stelle noch einige klärende Worte zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Kelten aus historischer oder archäologischer Perspektive anzufügen. Die Anfänge einer keltischen Altertumskunde fallen ebenfalls in die Zeit des Humanismus und sind zunächst eng verbunden mit der Wiederentdeckung der antiken Literatur und dem Studium des Griechischen. Eine wichtige Rolle spielte dabei das aus der theologischen Exegese und christlichen Geschichtsdeutung übernommene Verfahren der Typologie, mit dessen Hilfe man Gegenwart und Vergangenheit <?page no="12"?> 6 Einleitung in der Weise aufeinander bezog, dass man die keltische Vergangenheit als unvollkommene Vorwegnahme gegenwärtiger Verhältnisse betrachtete bzw. die Gegenwart als Vollendung bereits in der schriftlosen Vorzeit angelegter Tendenzen ansah. Tatsächliche oder auch nur vermeintliche Kontinuitäten deutete man in Übereinstimmung mit biblischen und antiken Denkmustern gerne als das Ergebnis einer biologischen Kontinuität der Bevölkerung, wobei man die Völker Europas bzw. deren fiktive Stammväter in lückenloser Folge auf die in der so genannten Völkertafel (1 Mose / Genesis 10) erwähnten Nachkommen von Noahs Sohn Japhet zurückführte. Erst gegen Ende des 17.- Jahrhunderts begann sich allmählich die Auffassung durchzusetzen, dass Bodendenkmäler sowie planmäßig oder zufällig gewonnene archäologische Funde nicht nur zur Veranschaulichung der antiken Literaturwerke dienen, sondern einen selbständigen Beitrag zur Erhellung der schriftlosen Vorgeschichte Mittel- und Nordeuropas leisten könnten. Da man zu jener Zeit jedoch noch allgemein davon ausging, dass die Welt nur wenige tausend Jahre alt und Europa erst nach der Sintflut von den Nachkommen Japhets bevölkert worden sei, schrieb man - vor allem in Frankreich und Großbritannien - unterschiedslos sämtliche Bodendenkmäler der vorrömischen Zeit den aus der antiken Literatur bekannten Kelten zu. In einigen populären Vorstellungen wie etwa der von Stonehenge als einem „keltischen“ Heiligtum wirkt diese Auffassung bis heute nach. Die Anfänge einer differenzierten und kritisch reflektierten Verwendung der Bezeichnungen „Kelten“ und „keltisch“ in der Archäologie stehen im Zusammenhang mit der von Christian Jürgensen Thomsen (1788-1865) in den 1820er und 1830er Jahren entwickelten Unterscheidung einer Stein-, Bronze- und Eisenzeit. In ihrem Gefolge beschränkte man die Verwendung des Namens der Kelten seit der zweiten Hälfte des 19.- Jahrhunderts weitgehend auf die Eisenzeit und jedenfalls auf das erste Jahrtausend- v.- Chr. Von weit reichender Bedeutung für die archäologische Begriffsbildung erwiesen sich in diesem Zusammenhang Ausgrabungen, die man seit 1846 in Hallstatt im österreichischen Salzkammergut und seit 1857 an der unter dem Namen La Tène bekannten Untiefe bei Marin-Epagnier an der Nordostspitze des Neuenburger Sees in der Schweiz durchführte. Ausgehend von den dort gemachten Funden unterteilte der schwedische Kulturhistoriker und Archäologe Hans Hildebrand (1842-1913) bereits 1874 die vorrömische Eisenzeit in eine ältere Hallstatt- und eine jüngere Latèneperiode. Davon ausgehend entwickelten Otto Tischler (1843-1891) und Paul Reinecke (1872-1958) unter Berücksichtigung typologischer Beobachtungen vor allem an Fibeln und Schwertern eine weitergehende Periodisierung (Hallstatt A-D bzw. La Tène A-D), während Georg Kossack (1923-2004) die begriffliche Unterscheidung zwischen einem Westhallstattkreis (Nordostfrankreich, Mittelrheingebiet, Süddeutschland, Böhmen und Oberösterreich) und einem Osthallstattkreis (Mähren, Niederösterreich, Steiermark, Westungarn, Slowenien und das nördliche Kroatien) <?page no="13"?> Einleitung 7 etablierte. Bereits 1871 hatte Gabriel de Mortillet (1821-1898) auf dem Internationalen Kongress für Anthropologie und Prähistorische Archäologie in Bologna Funde aus Marzabotto und Bologna mit dem Hinweis auf genaue Entsprechungen in Regionen nördlich der Alpen mit den antiken Nachrichten über die Einwanderung keltischer Scharen in Oberitalien in Verbindung gebracht und so eine Brücke von der frühen literarischen Überlieferung zur schriftlosen Vorgeschichte geschlagen. Als umfassende Synthese dieser Forschungen zur Archäologie der Kelten in Mitteleuropa erschien am Vorabend des Ersten Weltkriegs das Manuel d’archéologie préhistorique, celtique et gallo-romaine von Joseph Déchelette (1862-1914). Aus dem zeitlichen Abstand eines- Jahrhunderts betrachtet, lassen die hier umrissenen grundlegenden Forschungen zur Archäologie der Kelten in Mitteleuropa vielfach Denkmuster und Prämissen erkennen, die seither kritisch hinterfragt worden sind. Dies gilt insbesondere für den von der Geologie und Biologie inspirierten Evolutionismus des 19.- Jahrhunderts, der in der Vorgeschichtsforschung zu teilweise stark übertriebenen Vorstellungen von der Primitivität noch der bronze- und eisenzeitlichen Kulturen führte, sowie für die zentrale Rolle des Erklärungsmusters der Diffusion, infolge dessen man das Ausmaß, die Komplexität und die Dynamik eigenständiger kultureller und gesellschaftlicher Entwicklungen im vorgeschichtlichen Mittel-, Nordwest- und Nordeuropa lange Zeit unterschätzte und zugunsten des Postulats einer bloßen Übernahme oder Imitation von Neuerungen aus dem Vorderen Orient in den Hintergrund rückte. Kritisch sieht man heute auch den Nationalismus des 19.- Jahrhunderts, der vielerorts an die im 18.- Jahrhunderts entstandene romantische Vorstellung von einem einheitlichen „Volksgeist“ anknüpfte. Dies begünstigte die - von antiken Ethnographen unter ganz anderen Voraussetzungen initiierte - verallgemeinernde Rede von „den“ Kelten, so dass man nunmehr archäologische Funde der vorrömischen Eisenzeit - ohne Rücksicht auf chronologische oder geographische Distanzen, doch mit dem (expliziten oder impliziten) Hinweis auf ihren „keltischen“ Charakter - mit Hilfe von Nachrichten antiker Autoren oder gar den phantasievollen Schilderungen der mittelalterlichen irischen Literatur zu interpretieren suchte. Gerade im deutschsprachigen Raum ist die moderne Sicht der Kelten und ihrer Kultur bis heute stark von den archäologischen Funden der (spezifisch mitteleuropäischen) Hallstatt- und Latènekultur geprägt. Dies liegt zum einen an der extensiven Ausgrabungstätigkeit gerade in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Frankreich, zum anderen an der Vereinnahmung der vor- und frühgeschichtlichen Bewohner dieser Regionen zur Fundamentierung moderner Identitäten. Dabei brachte es das weitgehende Fehlen umfänglicher eigenständiger Schriftzeugnisse in den Regionen nördlich der Alpen mit sich, dass-- gerade in populärwissenschaftlichen Darstellungen - Schlussfolgerungen aus diesen Funden in unzulässiger Weise verallgemeinert oder aber in methodisch fragwürdiger Weise durch Nachrichten antiker Autoren, archäolo- <?page no="14"?> 8 Einleitung gische Funde aus dem römischen Gallien oder mittelalterlichen Schilderungen der vorchristlichen irischen Kultur ausgeschmückt und ergänzt wurden. Weitgehend ausgeblendet wurden und werden demgegenüber vielfach noch immer archäologische Funde und Befunde aus den - nur aus mitteleuropäischer Sicht randständigen - Siedlungsgebieten der Kelten in Irland, auf der Iberischen Halbinsel, in Ost- und Südosteuropa, in Oberitalien und in Kleinasien. Wenig bekannt waren und sind aber gerade hierzulande auch die inselkeltischen Sprachen und Literaturen, deren Darstellung daher im vorliegenden Buch breiten Raum einnimmt. Neuere Monographien zum Keltenbegriff und Keltenbild der Antike bieten Marco Martin, Posidonio d’Apamea e i Celti (Rom 2011), Gerhard Dobesch, Das europäische „Barbaricum“ und die Zone der Mediterrankultur (Wien 1995), Martina Jantz, Das Fremdenbild in der Literatur der Römischen Republik und der Augusteischen Zeit (Frankfurt/ Main 1995) und Bernhard Kremer, Das Bild der Kelten bis in augusteische Zeit (Stuttgart 1994). Umfangreiche Sammlungen klassischer Texte aus der Geschichte der modernen Keltologie bieten Raimund Karl und David Stifter (Hrsg.), The Celtic World: critical concepts in historical studies, 4 Bde. (London 2007) sowie Daniel R. Davis (Hrsg.), The Development of Celtic Linguistics, 1850-1900, 6 Bde. (London 2002). Aspekte der neuzeitlichen Keltenrezeption behandeln Chris Manias, Race, Science, and the Nation: reconstructing the ancient past in Britain, France and Germany (London 2013), Jean-Louis Brunaux, Nos ancêtres les Gaulois (Paris 2012), Ludivine Péchoux (Hrsg.), Les Gaulois et leurs représentations dans l’art et la littérature depuis la Renaissance (Paris 2011), Anne de Mathan (Hrsg.), Jacques Cambry (1749-1807) (Brest 2008), Helmut Birkhan, Nachantike Keltenrezeption (Wien 2009), Eva-Maria Winkler, Kelten heute (Wien 2006), Christine Gallant, Keats and Romantic Celticism (New York 2005), Gerard Carruthers u. Alan Rawes (Hrsg.), English Romanticism and the Celtic World (Cambridge 2003), David Boyd Haycock, William Stukeley: science, religion, and archaeology in eighteenth-century England (Woodbridge 2002), Murray G. H. Pittock, Celtic Identity and the British Image (Manchester 1999) und Terence Brown (Hrsg.), Celticism (Amsterdam 1996). Neuere monographische Studien zur Geschichte des Keltenbegriffs und dessen Kritik in der Geschichtswissenschaft und Archäologie bieten Kim McCone, The Celtic Question (Dublin 2008), Michael A. Morse, How the Celts came to Britain (Stroud 2005) und John Collis, The Celts: origins, myths, inventions (Stroud 2003). <?page no="15"?> 1 Archäologie Da die Keltologie traditionell philologisch und sprachwissenschaftlich ausgerichtet ist, liegen die von der Archäologie erforschten Kulturen der vorrömischen Kelten, auf die sich die antiken Keltenschilderungen beziehen, weitgehend außerhalb der Grenzen des Fachs. Gleichwohl ist dieser Bereich für die Keltologie durchaus relevant, da keltische Sprachen zweifellos bereits lange vor dem Einsetzen der ältesten Schriftzeugnisse gesprochen wurden und kulturelle Kontinuitäten von der Vorgeschichte bis zu den geschichtlichen Epochen zwar nicht ohne weiteres vorauszusetzen sind, mitunter aber doch als Möglichkeit in Betracht kommen. Aus eben diesem Grund sind umgekehrt auch die Ergebnisse der philologisch-sprachwissenschaftlichen Forschung für die Archäologie von Interesse, zumal - insbesondere in der Vergangenheit - Rückschlüsse aus den Verhältnissen in den mittelalterlichen keltischsprachigen Kulturen bzw. aus den Schilderungen in inselkeltischen Literaturwerken immer wieder zur Deutung vorgeschichtlicher Funde und Denkmäler herangezogen wurden. 1.1 Die vorrömischen Kelten Mitteleuropas Im Allgemeinen spricht man heute frühestens im Hinblick auf den Zeitraum zwischen 650 und 600- v.- Chr. von Kelten. Begründet wird dies zum einen mit dem Einsetzen der antiken Schriftquellen um diese Zeit, zum anderen mit der Beobachtung markanter Unterschiede an dem auf diese Zeit datierten Übergang von der dritten Periode der Hallstattkultur (Ha C) zur vierten und letzten (Ha D). Eine augenfällige Zäsur bildete bereits um 800- v.- Chr. der Übergang von der bronzezeitlichen Kulturstufe Ha B zur eisenzeitlichen Kulturstufe Ha-C. In die zweite Hälfte des 7.-Jahrhunderts-v.-Chr. werden von archäologischer Seite eine Reihe weiterer Neuerungen datiert, die gleichzeitig mehrere Bereiche der Kultur betreffen und Entwicklungen einleiten, wie man sie noch für die historisch bezeugten Kelten der unmittelbar vorrömischen Zeit für charakteristisch hält. Eine wesentliche Voraussetzung dafür bildete allem Anschein nach die Ausweitung der Eisenproduktion. Da Eisen lokal gewonnen, verhüttet und weiter verarbeitet werden konnte, dürften die weiträumigen, auf den Handel mit Zinn und Kupfer gegründeten Verkehrsverbindungen der Bronzezeit mitsamt den Eliten, die diese Handelswege beherrschten und machtpolitisch nutzten, immer mehr an Bedeutung verloren haben. Anzeichen für die Ausbildung neuer Eliten in der Späthallstattzeit sieht man in der Anlage aufwendig gestalteter und befestigter Höhensiedlungen, wie sie <?page no="16"?> 10 Archäologie vor allem in Ostfrankreich, Teilen der Schweiz und in der Südhälfte Deutschlands nachgewiesen und archäologisch erforscht wurden. Im Zusammenhang damit steht die Anlage monumentaler Hügelgräber, welche die Annahme einer beträchtlichen sozialen Differenzierung nahe legen und durch die Beigabe prestigeträchtiger Luxusgüter aus dem Mittelmeerraum auf weit verzweigte Handelskontakte und / oder diplomatische Beziehungen schließen lassen. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang die um 600- v.- Chr. gegründete phokäische Kolonie von Massalia (Marseille), deren Einfluss sich über das Tal der Rhone bis weit nach Norden erstreckte. Möglicherweise führte die Niederlage der Griechen gegen die miteinander verbündeten Karthager und Etrusker in der Seeschlacht von Alalia / Aléria auf Korsika (zwischen 540 und 535-v.-Chr.) dazu, dass die Griechen von diesem Zeitpunkt an Landverbindungen ins innere Gallien intensiver nutzten, um trotz der karthagischen Seehoheit im westlichen Mittelmeerraum nach wie vor mit dem zur Bronzeherstellung notwendigen Zinn aus Britannien beliefert zu werden. Die Ursachen und Bedingungen des Wandels, der im 5. Jahrhundert-v.-Chr. allenthalben zur Ablösung der Westlichen Späthallstattkultur durch die Latènekultur führten, sind nach wie vor weitgehend unklar. Festzustellen ist, dass die alten Zentralsiedlungen mit ihren reich ausgestatteten Gräbern innerhalb von wenigen Jahrzehnten aufgegeben wurden und an den Rändern des Westhallstattkreises neue Machtzentren entstanden. Im Zusammenhang damit steht die Ausbildung eines eigenständigen, von mediterranen Vorbildern inspirierten neuen Kunststils, der als „Latène-Kunst“ häufig, wenn auch unzutreffend, als „keltische Kunst“ wahrgenommen wird. Was dem modernen Betrachter an dieser Kunst wohl als erstes auffällt, ist das weitgehende Fehlen von Ausdrucksmitteln, die sowohl in der mittelalterlichen als auch in der griechisch-römischen und altorientalischen Kunst eine große Rolle spielen. So etwa gibt es keine monumentale Steinarchitektur und nur wenige Beispiele großplastischer Darstellungen aus Holz, Stein oder Metall. Weitgehend ungenutzt blieben auch die Möglichkeiten einer szenischen Darstellung von Handlungs- oder Bewegungsabläufen und der individuellen realistischen Porträtierung von Menschen oder Tieren. Vielmehr sind die weitaus meisten Werke der keltischen Kunst Erzeugnisse einer handwerklichen Kleinkunst, deren Schöpfer Schmuck, Waffen und Gebrauchsgegenstände aller Art mit großer Liebe zum Detail und technischer Perfektion gestalteten. Dabei bedienten sich die Künstler einer ausgefeilten Ornamentik, die sich durch Abstraktion und Vieldeutigkeit auszeichnet. Oft können einzelne Muster sowohl positiv als auch negativ „gelesen“ werden, so dass geradezu der Eindruck eines Vexierbilds entseht. War die Kunst der Späthallstattzeit noch durch starre, geometrische Muster gekennzeichnet, so bevorzugt die Kunst der Latènezeit weiche und fließende Formen, wobei pflanzliche Motive sowie Darstellungen von Tieren, Fabelwesen und menschlichen Gesichtern in die Ornamentik miteinbezogen werden. Eine wichtige Rolle spielen geometrische Muster, die auf teilweise <?page no="17"?> Die vorrömischen Kelten Mitteleuropas 11 komplizierten Zirkelkonstruktionen aufgebaut sind. Dass diese neue Kunst auch Wandlungen im Weltbild und neue religiöse Vorstellungen widerspiegeln dürfte, steht zu vermuten. Es ist bisher jedoch noch nicht gelungen, die Bildersprache der Latènekunst zu entschlüsseln oder in überzeugender Weise mit inschriftlichen oder literarischen Quellen zu korrelieren. Wurde die Entstehung der keltischen Kunst durch Anregungen aus dem Mittelmeerraum und namentlich aus Etrurien angestoßen, so gibt es für die Annahme erheblicher Migrationen oder Bevölkerungsverschiebungen zu Beginn der Frühlatènezeit keine ausreichenden Anhaltspunkte. Auch sind keine durchgreifenden Änderungen der Wirtschaftsformen als unmittelbare Grundlage der kulturellen Neuerungen ersichtlich. Tatsächlich dürften die archäologisch nachweisbaren Neuerungen auch gar nicht alle Bereiche der Gesellschaft in gleicher Weise erfasst haben, zumal viele Siedlungen außerhalb der Zentralorte über das Ende der Hallstattzeit hinaus bewohnt blieben und erst später aufgegeben wurden. Einmal mehr ist daher auch hier zu vermuten, dass der Niedergang der alten Machtzentren im Zusammenhang mit weiträumigen Änderungen im Netz der Fernhandelswege steht. Keltische Sprachzeugnisse sind aus dieser frühen Zeit bis jetzt jedoch nur in Oberitalien zutage gekommen, während die inschriftliche Überlieferung in Mittel- und Westeuropa (wie auch auf der Iberischen Halbinsel) deutlich später einsetzt. In der zweiten Hälfte der Frühen Latènezeit, vom 4. bis zum frühen 3. Jahrhundert- v.- Chr., ist im Unterschied zu früheren Zeiträumen von erheblichen Migrationen mutmaßlich keltischsprachiger Bevölkerungsgrupen auszugehen. Fassbar werden sie archäologisch durch die Ausbreitung der Latènekultur etwa von Ostfrankreich nach Westen, historisch durch die Nachrichten griechischer Historiker wie etwa Polybios. Das Ausmaß sowie die Ursachen und Bedingungen der keltischen Wanderungen sind jedoch kaum zu ermitteln, da Änderungen im Fundgut oft auch auf Diffusion bzw. Akkulturation seitens einer alteingesessenen Bevölkerung beruhen können, während die Darstellungen der antiken Historiker ausgesprochen schematisch wirken und überdies in der uns vorliegenden Form erst lange nach den geschilderten Ereignissen aufgezeichnet wurden. Als unmittelbare Ursachen der keltischen Migrationen in Richtung des Mittelmeerraums vermutet man eine vorübergehende Verschlechterung des mitteleuropäischen Klimas, soziale und ethnische Spannungen aufgrund von Übervölkerung sowie die aus langen Kulturkontakten erwachsene Vertrautheit mit den materiellen Anreizen der südlichen Regionen. Wie zahlreiche archäologische Funde belegen, bildete die Landwirtschaft die wichtigste Grundlage der keltischen Kultur. Sie diente durch den Anbau von Nutzpflanzen und die Haltung von Nutztieren zum einen der Nahrungsmittelproduktion, zum anderen der Gewinnung von Rohstoffen etwa zur Herstellung von Bekleidung. Darüber hinaus ermöglichte sie durch die Erzeugung von Überschüssen das Funktionieren einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung war auch der Abbau von Eisenerz- <?page no="18"?> 12 Archäologie vorkommen, der nicht nur eine wesentliche Grundlage der handwerklichen Produktion darstellte, sondern auch weit reichende Auswirkungen auf das Siedlungswesen, den Handel und die Struktur der Gesellschaft hatte. Von ähnlich hoher wirtschaftlicher Bedeutung war der vor allem in Hallstatt und am Dürrnberg bei Hallein bezeugte Salzabbau, da man Salz in großen Mengen zur Ernährung, zur Konservierung von Lebensmitteln sowie in der Metall- und Lederverarbeitung benötigte. Unsere Kenntnis des Siedlungswesens der vorrömischen Kelten Mittel- und Westeuropas beruht fast ausschließlich auf den Ergebnissen der archäologischen Forschung, da die antiken Quellen dazu nur sehr allgemeine und teilweise geradezu irreführende Aussagen treffen. Dabei ergibt sich eine gewisse Verzerrung des Bildes allerdings dadurch, dass historisch besonders prominente Orte sehr viel besser erforscht sind als der Durchschnitt und daher in der Vergangenheit zu Verallgemeinerungen Anlass gaben, die heute auf der Grundlage einer breiteren Materialbasis wieder in Frage gestellt werden. Auch sind Siedlungen mit zentralörtlicher Funktion insgesamt weit besser erforscht als die an sich sehr viel häufigeren kleineren Dörfer und Gehöfte, deren große Bedeutung für das Siedlungswesen vielfach erst in der jüngsten Vergangenheit durch den Einsatz neuer naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden gewürdigt werden konnte. Für die Zentralsiedlungen der Späthallstattzeit hat sich weithin die Bezeichnung „Fürstensitze“ eingebürgert, obschon sowohl die damit suggerierte Einheitlichkeit dieser Anlagen als auch deren politische Funktion gerade neuerdings wieder kontrovers diskutiert werden. Zu den bekanntesten und zugleich am besten erforschten dieser Anlagen zählen der Mont Lassois in Burgund, die Heuneburg an der oberen Donau und der Ipf bei Bopfingen. In die Frühlatènezeit datiert die großflächige Anlage auf dem Glauberg ca. 30 km nordöstlich von Frankfurt am Main, die man als Überreste eines Zentralheiligtums interpretiert. Sehr wahrscheinlich wurde der Prozess der Zentralisierung und Urbanisierung bei den vorrömischen Kelten Mittel- und Westeuropas von ähnlichen Entwicklungen im Mittelmeerraum angestoßen, wobei die Entstehungsbedingungen und Geschichte der keltischen Siedlungen jedoch insgesamt und in vielen Einzelheiten nach wie vor kontrovers beurteilt werden. Dies liegt nicht zuletzt an unserem höchst uneinheitlichen Forschungs- und Kenntnisstand, denn während manche Anlagen seit Jahrzehnten planmäßig untersucht werden, sind andere fast gar nicht erforscht bzw. wegen späterer Überbauungen auch gar nicht systematisch erforschbar. Klar ist auch, dass die von neuen naturwissenschaftlichen Methoden geprägten archäologischen Untersuchungen der beiden vergangen Jahrzehnte in mehreren Fällen unseren Kenntnisstand so stark erweitert haben, dass die Vorläufigkeit jeder Beurteilung wenig erforschter Anlagen nachdrücklich hervorzuheben ist. Ungeachtet dieser Vorbehalte zeichnet es sich ab, dass die genannten Anlagen in vielen Fällen auf einer älteren bronzezeitlichen Besiedlung auf bauen, diese an Intensität und <?page no="19"?> Die vorrömischen Kelten Mitteleuropas 13 Ausdehnung jedoch oft übertreffen. Ausschlaggebend für ihre zentralörtliche Funktion war augenscheinlich ihre Lage an Schnittpunkten bedeutender Fernhandelswege, welche die keltischen Regionen Mittel- und Westeuropas mit den Zentren der mediterranen Kulturen in Südfrankreich und Oberitalien verbanden. Neben einer verkehrs- und handelspolitisch beherrschenden Lage sind außerdem in mehreren Fällen die intensive Nutzung eines landwirtschaftlich ertragreichen Hinterlands und der Abbau von Bodenschätzen wie z. B. Salz oder Eisen nachgewiesen, die wiederum die Existenz eines spezialisierten Handwerks nach sich zogen. Eine zweite Welle der Urbanisierung der vorrömischen Kelten ist in der Spätlatènezeit zu beobachten. Charakteristisch dafür sind die so genannten Oppida (Singular: Oppidum). So nennt die moderne Archäologie - im Unterschied zu dem weit weniger spezifischen antiken Sprachgebrauch etwa bei Caesar - die stadtähnlichen Anlagen mittel- und westeuropäischer Kelten des 2. und 1.-Jahrhunderts-v.-Chr. Sie wurden wie schon die Mehrzahl der späthallstattzeitlichen Zentralorte zumeist auf Höhenzügen, in Flussbiegungen oder in anderweitig geschützter Lage angelegt, unterscheiden sich jedoch von Anlagen früherer und späterer Jahrhunderte durch ihre gewaltige Ausdehnung, die in einigen Fällen mehrer hundert Hektar beträgt. Teilweise auf bereits in früheren Zeiten befestigtem Gelände errichtet, dienten Oppida in Kriegszeiten als Fluchtburgen für die umliegende Bevölkerung und im Frieden als Zentren für Handwerk und Handel. Bei der Wahl des Standorts spielten daher neben einer zur Verteidigung günstigen Lage auch das Vorkommen von Bodenschätzen sowie die Beherrschung bedeutender Fernhandelswege eine wichtige Rolle. Zu den am besten erforschten Oppida zählen Bibracte ca. 20 km westlich von Autun in Burgund und Manching ca. 8 km südlich von Ingolstadt. Mit dem Ende der Oppida-Kultur im Gefolge der römischen Eroberung Galliens durch Caesar endete die Zeit der keltischen Selbständigkeit in Kontinentaleuropa. Neuere regionale Übersichten zu den archäologischen Funden der Späthallstatt- und Latènekultur bieten François Malrain und Matthieu Poux (Hrsg.), Qui étaient les Gaulois? (Paris 2011), Martin Schönfelder (Hrsg.), Kelten? Kelten! Keltische Spuren in Italien (Mainz 2010), Patrice Brun und Pascal Ruby, L’Age du Fer en France: premières villes, premiers états celtiques (Paris 2008), Felix Müller und Geneviève Lüscher (Hrsg.), Die Kelten in der Schweiz (Stuttgart 2004), Andres Furger, Die Helvetier: Kulturgeschichte eines Keltenvolkes, 6.- Aufl. (Zürich 2003), Virginie Defente, Les Celtes en Italie du Nord (Rom 2003) sowie Sabine Rieckhoff und Jörg Biel, Die Kelten in Deutschland (Stuttgart 2001). Eine kurzgefasste Gesamtdarstellung der Latènekunst bietet Felix Müller, Die Kunst der Kelten (München 2012). Ausführlicher Ders., Kunst der Kelten: 700-v.-Chr. - 700 n. Chr. (Stuttgart 2009). Vgl. ferner Luc Baray, Les mercenaires <?page no="20"?> 14 Archäologie celtes et la culture de La Tène: critères archéologiques et positions sociologiques (Dijon 2014), Chris Gosden (Hrsg.), Celtic Art in Europe: making connections (Oxford 2014), Duncan Garrow und Chris Gosden, Technologies of Enchantment? Exploring Celtic Art: 400 BC to AD 100 (Oxford 2012), Dennis W. Harding, The Archaeology of Celtic Art (London 2007) sowie Ruth und Vincent Megaw, Celtic Art (London 2001). Neuere zusammenfassende Darstellungen der vorrömischen keltischen Wirtschaftsformen bieten François Malrain, Véronique Matterne u. Patrice Méniel, Les Paysans gaulois (Paris 2002) und Patrice Méniel, Les Gaulois et les animaux (Paris 2001). Vgl. ferner die Beiträge in Claus Dobiat, Susanne Sievers und Thomas Stöllner (Hrsg.), Dürrnberg und Manching: Wirtschaftsarchäologie im ostkeltischen Raum (Bonn 2001). Zur Eisenerzverhüttung vgl. Pierre-Yves Milcent (Hrsg.), L’ économie du fer protohistorique (Aquitania Supplément 14/ 2, 2007) sowie Guntram Gassmann u. a., Forschungen zur keltischen Eisenerzverhüttung in Südwestdeutschland (Stuttgart 2005). Zur Salzgewinnung vgl. Iris Ott u. Egon Wamers (Hrsg.), Das weiße Gold der Kelten (Frankfurt/ Main 2008), Marie-Yvane Daire, Le sel des Gaulois (Paris 2003) sowie Thomas Stöllner u. a., Der prähistorische Salzbergbau am Dürrnberg bei Hallein, 2 Bde. (Rahden/ Westf. 1999-2002). Neuere regionale Studien zum Siedlungswesen der Kelten Mitteleuropas bieten Patrice Brun u. Pascal Ruby, L’age du fer en France: premières villes, premiers états celtiques (Paris 2008) und Miloslav Chytráček u. Milan Metlička, Die Höhensiedlungen der Hallstatt-, und Latènezeit in Westböhmen (Prag 2004). Die späthallstattzeitlichen Zentralorte behandeln die Beiträge in Dirk Krausse (Hrsg.), „Fürstensitze“ und Zentralorte der frühen Kelten, 2 Bde. (Stuttgart 2010). Zum Ipf vgl. Rüdiger Krause (Hrsg.), Neue Forschungen zum frühkeltischen Fürstensitz auf dem Ipf (Bonn 2014). Zum Glauberg vgl. Holger Baitinger, Der Glauberg: ein Fürstensitzder Späthallstatt- / Frühlatènezeit in Hessen (Wiesbaden 2010) und den Sammelband Der Glauberg in keltischer Zeit (Wiesbaden 2008). Zu den Oppida vgl. Irena Benková (Hrsg.), Gestion et présentation des oppida (Glux-en-Glenne 2008) und Stephan Fichtl, La ville celtique, 2.- überarbeitete u. erweiterte- Aufl. (Paris 2005). Zu Bibracte bzw. Manching vgl. Anne-Marie Romero u. Antoine Maillier, Bibracte (Glux-en-Glenne 2006) und Susanne Sievers, Manching, 2. aktualisierte-Aufl. (Stuttgart 2007). 1.2 Die vorrömischen Kelten der Britischen Inseln Im Unterschied zu Mittel- und Westeuropa, Oberitalien, der Iberischen Halbinsel und Kleinasien gelten die Britischen Inseln nicht schon in der Antike als Siedlungsgebiete der Kelten, da antike Autoren die Bezeichnung Keltoi / Celtae grundsätzlich nicht auf diese Inseln anwenden. Als „keltisch“ gelten die betref- <?page no="21"?> Die vorrömischen Kelten der Britischen Inseln 15 fenden Länder daher erst seit dem 18. Jahrhundert, und zwar zunächst im Hinblick auf ihre Sprache. Wann und unter welchen Umständen das Keltische nach Britannien und Irland gelangte und alle vorher dort verbreiteten Sprachen verdrängte, ist jedoch bis heute ungeklärt. Dass eine oder mehrere Wellen von Einwanderern aus dem europäischen Festland dafür verantwortlich sein müssten, galt bis in die 1960er Jahre als ausgemacht, wird seitdem jedoch zunehmend in Zweifel gezogen, da man keine eindeutigen archäologischen Hinweise auf solche Wanderungsbewegungen hat und man auf den Britischen Inseln wie auch in Irland eine ausgeprägte Kontinuität von der Bronzezur Eisenzeit feststellen kann. Archäologische Hinweise auf die Einwanderung geschlossener Gruppen bieten lediglich die Gräber der nach dem Gräberfeld von Arras in East Yorkshire so genannten Arras-Kultur aus der Mittleren Latènezeit, deren einzige Parallelen nicht in Britannien, sondern in Nordgallien zu finden sind. Selbst in diesem Fall ist es jedoch umstritten, ob die Übereinstimmungen im Bestattungsbrauch auf den Zustrom größerer Bevölkerungsteile, auf die Einwanderung einer kleinen Elite oder gar überhaupt nur auf kulturelle Konvergenzen ohne eine wirkliche Migration zurückzuführen sind. Die Anfänge der Bronzeverarbeitung in Britannien fallen in die Zeit um 2100-v.-Chr. Zwischen 2100 und 1500-v.-Chr. datiert man die Frühe Bronzezeit, zwischen 1500 und 1100-v.-Chr. die Mittlere und zwischen 1100 und 800-v.-Chr. die Späten Bronzezeit, die jeweils anhand charakteristischer Fundgruppen in weitere Phasen unterteilt werden. Aus dem 8./ 7. Jahrhundert-v.-Chr. stammen die ältesten Funde eiserner Waffen und Werkzeuge vom Typ Hallstatt C, die zu Beginn des 20.- Jahrhunderts im See von Llyn Fawr in Südwales sowie seither auch an anderen Fundorten vor allem im Südwesten Britanniens gefunden wurden. Die darauf folgende Periode Hallstatt D, aus der man auf dem europäischen Festland die gemeinhin als frühkeltisch angesehenen Fürstengräber kennt, ist in Britannien ebenfalls durch einzelne Funde vertreten, wobei einige davon importiert, andere dagegen vor Ort hergestellt worden sein dürften und jedenfalls die Kontinuität der kulturellen Beziehungen zwischen Britannien und dem europäischen Festland bezeugen. Im Hinblick auf die Wirtschaftsformen der britannischen Kelten ist davon auszugehen, dass die Insel im ersten Jahrtausend- v.- Chr. keine naturräumliche Einheit darstellte, sondern ganz im Gegenteil große, durch Relief, geographische Lage und Klima bedingte Unterschiede aufwies. Entsprechend unterschiedlich sind in den einzelnen Regionen das Ausmaß der landwirtschaftlichen Nutzung des Bodens und der jeweilige Anteil des Ackerbaus und der Viehzucht. Insgesamt ist die Eisenzeit in Britannien durch eine Intensivierung der Landwirtschaft gekennzeichnet. Stark ausgeprägte Unterschiede in der Häufigkeit des Vorkommens von Keramik lassen darauf schließen, dass in einigen Regionen Britanniens (wie auch ganz allgemein in Irland) Gefäße und Behälter vielfach aus Holz oder anderen organischen Materialen gefertigt wurden, jedoch nur ausnahmsweise erhalten blieben. <?page no="22"?> 16 Archäologie Während Siedlungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert nur selten ausgegraben wurden, hat ihre archäologische Untersuchung in den vergangenen 50 Jahren so stark zugenommen, dass für das Siedlungswesen im eisenzeitlichen Britannien mehr Daten zur Verfügung stehen als in allen anderen von den Kelten bewohnten Gebieten. Gleichwohl ist die Quellenlage sehr unterschiedlich, da sich die weitaus meisten gut erforschten Anlagen in Süd- und Südostengland befinden, während das Siedlungswesen in Wales, Nordengland und auf dem Schottischen Festland (im Unterschied zu den in dieser Hinsicht wiederum besser erforschten Hebriden sowie Orkney- und Shetland-Inseln) sehr viel unzureichender erschlossen ist. Darüber hinaus bringen es die große Menge der vorhandenen Daten, aber auch die großen naturräumlich bedingten Unterschiede mit sich, dass man nur wenige allgemein gültige Aussagen treffen kann. So etwa kennt man viele Hundert kleine, teils offene und teils leicht befestigte Siedlungen oder Gehöfte sowohl aus dem Südwesten (Cornwall) als auch aus dem Süden und Südosten Britanniens. Große Hügelfestungen mit einer Fläche über 6 ha sind jedoch in Cornwall sehr viel seltener als in den weiter östlich gelegenen Regionen. Es steht zu vermuten, dass das Fehlen großer Hügelfestungen in vielen Gegenden Cornwalls einen geringeren Grad der politischen Zentralisierung widerspiegelt. Dies wiederum könnte mit den insgesamt weniger günstigen Umweltbedingungen und der relativ größeren Bedeutung der Viehzucht gegenüber dem Ackerbau zusammenhängen, da die geringere Mobilität von Ackerbauern die Etablierung ortsfester politischer Zentren begünstigt haben dürfte. Dazu passt der Umstand, dass man über 6-ha große Hügelfestungen in Wales vor allem im Osten entlang der späteren walisisch-englischen Grenze findet, während der Südwesten nur relativ kleine Hügelfestungen und der Nordwesten überhaupt nur wenige solcher Anlagen aufweist. Ein augenfälliges Kennzeichen der kleineren Siedlungen im Westen von Wales ist andererseits ihre lange Nutzungsdauer, da kleinere Gehöfte und Siedlungen in Westwales allem Anschein nach oft sehr viel länger bewohnt waren, als dies in dem durch gesellschaftliche Umbrüche und Umschichtungen gekennzeichneten Verhältnissen im Südosten Britanniens der Fall war. Wiederum andere Bedingungen findet man in Schottland, wo insbesondere entlang der Westküste, auf den Hebriden, im äußersten Norden sowie auf den Orkney- und Shetland-Inseln kleinere Siedlungen und Gehöfte in massiver Trockensteinbauweise, die so genannten brochs und duns, begegnen. Charakteristisch für den Westen Schottlands sind ferner die so genannten crannogs, die auf künstlichen Inseln in der Nähe von Seeufern angelegt wurden. Großflächige Hügelfestungen, die einen fortgeschrittenen Grad der Zentralisierung widerspiegeln, findet man demgegenüber vor allem in der Osthälfte Schottlands. Über die großen Hügelfestungen (hillforts) mit mutmaßlich zentralörtlicher Funktion liegt eine umfangreiche Literatur vor, die sich jedoch nur auf relativ wenige großflächige Grabungen stützen kann und daher teilweise spe- <?page no="23"?> Die vorrömischen Kelten der Britischen Inseln 17 kulativ bleibt. Klar ist, dass die großen eisenzeitlichen Hügelfestungen in einer längeren, bis in die Bronzezeit zurückreichenden Tradition stehen und trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten im Hinblick auf ihre topographische Lage und Befestigungsweise durchaus unterschiedlichen Zwecken gedient haben können, die sich erst bei großflächigen Ausgrabungen erschließen würden. Klar ist auch, dass jede Anlage eine individuelle Geschichte hat, die sich nicht zuletzt in ihrer Nutzungsdauer und im Verhältnis zu benachbarten Anlagen widerspiegelt. Namentlich in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends- v.- Chr. ist dabei mit einer Hierarchie von Anlagen zu rechnen, deren relative Bedeutung man nicht nur aus Unterschieden der Größe und Besiedlungsdichte, sondern auch solchen des Aufwands beim Bau repräsentativer Wall- und Toranlagen erschließen kann. Zu den am intensivsten erforschten eisenzeitlichen Hügelfestungen Englands gehört Danebury ca. 20 km nordwestlich von Winchester. Im 7./ 6. Jahrhundert- v.- Chr. angelegt und um 100- v.- Chr. aufgegeben, wurde der Ort von 1969 bis 1988 in zwanzig Grabungskampagnen erforscht, wobei man knapp über die Hälfte der Fläche freilegte. Wie sich dabei herausstellte, wurden die Befestigungs- und Toranlagen mehrfach erweitert, während gleichzeitig die Besiedlungsdichte im Innern beständig zunahm. Die Aufgabe der Siedlung erfolgte wohl im Zusammenhang mit Kampfhandlungen, wie die Zerstörung des Haupttors durch Feuer und Funde zahlreicher Skelette mit Hieb- und Stichverletzungen vermuten lassen. Ungefähr zur gleichen Zeit wie Danebury entstand auch die Hügelfestung Maiden Castle ca. 2,5 km südwestlich von Dorchester. Mit einer Fläche von ca. 6,4 ha nahm sie in den beiden ersten Jahrhunderten ihres Bestehens noch keine herausragende Stellung ein, doch wurden die Befestigungen zwischen 400 und 300- v.- Chr. erheblich verstärkt und die befestigte Fläche auf 19 ha ausgedehnt. Im Gefolge dieser Erweiterung nahm auch die Besiedlungsdichte im Innern der Anlage zu, während gleichzeitig zwei deutlich kleinere Hügelfestungen in der näheren Umgebung aufgegeben wurden. Im 2. Jahrhundert-v.-Chr. erreichte die Anlage ihre größte Blüte, verlor bald darauf jedoch zunehmend an Bedeutung und wurde im Gefolge der Römischen Invasion des Jahres 43 ganz aufgegeben. Die Archäologie der Kelten Britanniens und Irlands im Rahmen einer umfassenden Geschichte vom Spätpaläolithikum bis zur Ankunft der Normannen schildert Barry Cunliffe, Britain Begins (Oxford 2012). Neuere Gesamtdarstellungen bieten ferner Richard Bradley, The Prehistory of Britain and Ireland (Cambridge 2007) und Barry Cunliffe, Iron Age Communities in Britain, 4.-Aufl. (London 2005). Zu neueren Forschungsansätzen vgl. ferner die Beiträge in Niall M. Sharples, Oliver Davis u. Kate Waddington (Hrsg.), Changing Perspectives on the First Millennium BC (Oxford 2008), Colin Haselgrove u. Rachel Pope (Hrsg.), The Earlier Iron Age in Britain and in the near Continent (Oxford 2007) sowie Colin Haselgrove u. Tom Moore (Hrsg.), The Later Iron <?page no="24"?> 18 Archäologie Age in Britain and Beyond (Oxford 2007). Zum Bau- und Befestigungswesen der britannischen Kelten vgl. Tanja Romankiewicz, The Complex Roundhouses of the Scottish Iron Age (Oxford 2011), Graeme Cavers, Crannogs and Later Prehistoric Settlements in Western Scotland (Oxford 2010), Dennis W. Harding, The Iron-Age Round-House (Oxford 2009), Ian Brown, Beacons in the Landscape: the hillforts of Ireland and Wales (Oxford 2009) und Ian Ralston, Celtic Fortifications (Stroud 2006). Die Zeugnisse der Latènekunst auf den Britischen Inseln behandelt ausführlich Edward Martyn Jope, Early Celtic Art in the British Isles, 2 Bde. (Oxford 2000). 1.3 Die Kelten im vorgeschichtlichen Irland Die ältesten Spuren der Anwesenheit des Menschen in Irland stammen aus der Mittleren Steinzeit (ca. 7000-4000- v.- Chr.), als die Insel noch dicht mit Eichen-, Ulmen- und Birkenwäldern bestanden war und sich durch großen Wildreichtum auszeichnete. Bei den Zeugnissen aus dieser frühen Zeit handelt es sich vor allem um Überreste steinerner Waffen und Werkzeuge, die auf das Vorhandensein kleiner Gruppen von Jägern und Sammlern schließen lassen. Im Gefolge der zunehmenden Erwärmung nach der Eiszeit stieg der Meeresspiegel beständig an, bis er um 3000-v.-Chr. seinen Höhepunkt erreichte, weshalb einige der ältesten Lagerplätze heute unterhalb des Meeresspiegels liegen dürften. Seit der ersten Hälfte des 4. Jahrtausends-v.-Chr. findet man sesshafte Gemeinschaften, die in runden oder rechteckigen Häusern aus Holz und Flechtwerk wohnten, verschiedene Getreidesorten anbauten, Steinwerkzeuge und Keramik herstellten, Haustiere wie Rinder, Schafe und Ziegen hielten und ihre Toten in gemeinschaftlich genutzten Megalithgräbern beisetzten. Es steht zu vermuten, dass die Verbreitung dieser Kenntnisse und Fertigkeiten mit der Ankunft neuer Bevölkerungsgruppen aus England und vom europäischen Festland in Zusammenhang steht. Seit der Mitte des 3. Jahrtausendes- v.- Chr. breitete sich die Kenntnis der Metallverarbeitung aus, wie Spuren des Kupferabbaus und Funde verschiedener Waffen und Werkzeuge aus Kupfer bezeugen. In die Jahrhunderte zwischen 2000 und 500- v.- Chr. datiert man die Bronzezeit, die üblicherweise in eine Frühe (2000-1400- v.- Chr.), Mittlere (1400-1200- v.- Chr.) und Späte Phase (1200-500- v.- Chr.) unterteilt wird. Aus der Frühen und Mittleren Bronzezeit stammen die in großer Zahl gefundenen Objekte aus gehämmertem Gold, darunter Lunulae, Sonnenscheiben und Ohrringe. In der Späten Bronzezeit begegnen, entstanden wohl unter auswärtigem Einfluss, sowohl neue Arten von Bronzewerkzeugen als auch neue Formen des Goldschmucks und der Goldverarbeitung. Die Anfänge der Eisenverarbeitung in Irland sind vielleicht noch in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends-v.-Chr. zu suchen, doch kann man ähnlich wie in Britannien eine ausgeprägte Kontinuität von Bronze- und Eisenzeit <?page no="25"?> Die Kelten im vorgeschichtlichen Irland 19 beobachten. Objekte, wie sie auf dem europäischen Festland für die Hallstattkultur charakteristisch sind, kommen in Irland nur selten vor. Aus dem 4. Jahrhundert- v.- Chr. stammen die frühesten Zeugnisse der Latènekunst im Norden Irlands. Insgesamt handelt es sich dabei um über 70 Metallgegenstände, darunter eiserne Schwerter und Speerspitzen sowie Schmuck und Trachtbestandteile aus Bronze. Ob diese Funde im Zusammenhang mit einem Kultplatz stehen und möglicherweise als Weihegaben anzusehen sind, ist unklar. Aus den letzten drei Jahrhunderten- v.- Chr. sind Zeugnisse der Latènekunst zwar auch aus anderen Landesteilen bekannt, doch ist ihre Zahl insgesamt so gering, dass man darin kaum Hinweise auf die Zuwanderung größerer Bevölkerungsgruppen etwa aus England oder Kontinentaleuropa sehen kann. Darüber hinaus waren sie möglicherweise überhaupt nur für einen kleinen Teil der eisenzeitlichen Bevölkerung charakteristisch, zumal sie gerade im Süden und Südwesten der Insel großflächig fehlen. Eine zusätzliche Schwierigkeit der Interpretation ergibt sich daraus, dass viele der in Irland gefundenen Latèneobjekte im Vergleich zu kontinentaleuropäischen Vergleichsstücken regionale Besonderheiten aufweisen und daher nicht genau datiert werden können. Wie in Kontinentaleuropa bildeten auch in Irland Ackerbau und Viehzucht die Grundlage der Wirtschaft. Die große Bedeutung des Getreideanbaus für die Nahrungsversorgung bezeugen dabei insbesondere die in großer Zahl gefundenen kreisrunden, scheiben- oder bienenstockförmigen Handmühlen. Durch Knochenfunde unmittelbar bezeugt sind die Haustiere Rind, Schaf, Ziege, Schwein und Hund. Die ältesten Hinweise auf Pferdehaltung in Irland stammen bereits aus der Frühen Bronzezeit. Hinweise auf die Nutzung des Pferdes als Zug- und Reittier findet man in der Eisenzeit in Form eiserner Gebiss-Stangen, die einzeln und paarweise vorkommen. Wie schon in der Bronzezeit liegen auch in eisenzeitlichen Fundzusammenhängen Hinweise auf den Verzehr von Pferdefleisch vor. Ob dies in rituellen Zusammenhängen geschah, ist wiederum unklar. Die Jagd auf Hoch- und Niederwild dürfte, ähnlich wie auf dem europäischen Festland, vor allem zum Vergnügen betrieben worden sein, wie die geringe Menge von Wildtierknochen in Siedlungen nahe legt, doch kam der Fischerei sowohl an den Küsten als auch im Landesinneren eine relativ große wirtschaftliche Bedeutung zu. Eisenerzvorkommen wurden vor allem in Antrim und Wicklow ausgebeutet. Im Unterschied zu den in großer Zahl erhaltenen früh- und hochmittelalterlichen Erdwerken (raths), Ringwällen (ring forts) und auf künstlichen Inseln errichteten Siedlungen (crannogs), sind die eisenzeitlichen Siedlungsformen der Jahrhunderte vor der Christianisierung weitgehend unbekannt. Eine der wenigen Ausnahmen ist die ländliche Siedlung von Feerwore (Galway), bei deren archäologischer Untersuchung sowohl Tierknochen als auch Latène- Objekte zutage kamen, über deren Gebäude und mögliche Befestigung jedoch nichts bekannt ist. Einen Ursprung in den Jahrhunderten um Christi Geburt vermutet man für einige der großen Hügelfestungen, deren heutige Kenntnis <?page no="26"?> 20 Archäologie jedoch kaum jemals auf Ausgrabungen, sondern fast ausschließlich auf Rückschlüssen aus ihren im Gelände sichtbaren Überresten beruht. Die meisten Anlagen mit einer einzigen Verteidigungslinie sind 2 bis 9-ha groß, doch gibt es auch Hügelfestungen mit mehreren, in größeren Abständen hintereinander gestaffelten Verteidigungslinien, die bis zu 20 ha einnehmen. Von besonderen topographischen Bedingungen abhängig und daher insgesamt seltener sind Hügelfestungen, die auf steil abfallenden Bergvorsprüngen angelegt wurden und daher nur auf einer Seite eine oder mehrere dicht hintereinander liegende Befestigungen aufweisen. Sehr viel häufiger sind solche Hügelfestungen auf Bergvorsprüngen, den Möglichkeiten des Geländes entsprechend, an den Küsten, wo über 200 solcher Anlagen bekannt sind. Zu den bekanntesten und zugleich eindrucksvollsten dieser Küstenfestungen zählt Dún Aengus auf Inishmore, der größten der Aran-Inseln vor der Irischen Westküste. Dort findet man neben den Überresten von insgesamt vier bis zu 4 m hohen und an der Basis bis zu 4-m dicken Steinmauern als zusätzliche Verteidigungseinrichtung einen 10 bis 23-m breiten Streifen mit zahlreichen, senkrecht oder schräg in den harten Untergrund eingegrabenen Steinen von 1 bis 1,7- m Höhe, die wohl als eine Art von Spanischen Reitern (chevaux-de-frise) eine Erstürmung erschweren sollten. Solche steinernen chevaux-de-frise kennt man in Irland nur aus vier vor- oder frühgeschichtlichen Befestigungen, die alle im Westen der Insel in Küstennähe zu finden sind. Einer möglichen Theorie zufolge handelt es sich dabei um eine fortifikatorische Neuerung, die in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends-v.-Chr. von der Iberischen Halbinsel (wo sie besonders häufig vorkommt) nach Irland gelangte. Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang drei in mehrerer Hinsicht ungewöhnliche Stätten, bei denen die Anlage eines tiefen Grabens hinter der Einfriedung, also im Inneren der Anlage, die Annahme ihres fortifikatorischen Charakters in Frage stellt und eine hauptsächlich rituelle oder zeremonielle Nutzung vermuten lässt. Die erste davon ist das auf einem Hügel westlich der Altstadt von Armagh gelegene Navan Fort. Erste Hinweise darauf, dass dort Menschen lebten, stammen noch aus der späten Bronzezeit, in der zunächst ein einzelnes, von einer Palisade umgebenes und wenigstens achtmal erneuertes Haus auf der Kuppe des Hügels stand. In die Zeit um 100- v.- Chr. datiert man eine sehr viel aufwendigere Anlage, die aus einer kreisrunden Palisade von 40- m Durchmesser und fünf konzentrischen Ringen mit Pfostenlöchern bestand. Da die gesamte Anlage nach ihrer Zerstörung mit einer Steinpackung überdeckt wurde, diente sie vermutlich rituellen Zwecken. Eine rituellen Hintergrund vermutet man auch für die zwischen 300-v.-Chr. und 300 n. Chr. genutzte Anlage Dún Ailinne (Knockaulin), die mit einer Ausdehnung von 16 ha das größte vorgeschichliche Denkmal in Leinster darstellt. Wie die archäologische Untersuchung eines Areals von ca. 3500- m 2 ergab, wurde der Ort bereits in der Jungsteinzeit von Menschen genutzt. In der Eisenzeit errichtete man dort zunächst eine kreisrunde Palisade von 22- m Durch- <?page no="27"?> Die Kelten im vorgeschichtlichen Irland 21 messer, die später zu einer Einfriedung von 36 m Durchmesser mit einer Art Anbau auf der Südseite und einer aufwendig gestalteten Toranlage erweitert wurde. In der dritten und letzten Ausbauphase hatte diese Einfriedung einen Durchmesser von 42 m, mit einem kreisrunden, vermutlich turmähnlichen Einbau in der Mitte. Der Fund zahlreicher Rinder- und Schweineknochen lässt vermuten, dass in Dún Ailinne umfangreiche Schlachtungen stattfanden, was die Annahme einer rituellen oder zeremoniellen Nutzung der Anlage nahelegt. Von der Jungsteinzeit bis in die ersten Jahrhunderte n. Chr. genutzt wurde nach Ausweis der Archäologie die bekannteste vorgeschichtliche Stätte Irlands, Tara. Angelegt auf einem von Südosten nach Nordwesten verlaufenden Hügelrücken, besteht Tara aus ca. 24 verschiedenen Einfriedungen, Erdaufschüttungen und künstlich errichteten Tumuli. Nur wenige von ihnen wurden bislang ausgegraben, und einige sind überhaupt nur dank der Luftbildarchäologie bekannt. Eine wichtige Rolle spielte nach Ausweis der Größe und Lage die knapp 6- ha große, als Ráth na Ríogh (Festung der Könige) bekannte Einfriedung, die ebenso wie Navan Fort und Dún Ailinne einen Graben auf der Innenseite aufweist. Ausgrabungen in den 1950er Jahren erbrachten den Nachweis, dass der V-förmige Graben ursprünglich 3 m tief war und sich gleich hinter dem inneren Rand eine Palisade befand. Im Inneren der Einfriedung findet man den „Hügel der Geiseln“ (Mound of the Hostages / Dumha na nGiall), bei dem es sich, wie die archäologische Untersuchung ergab, um eine jungsteinzeitliche Grabanlage handelt, sowie zwei weitere kreisförmige Einfriedungen. In einer von ihnen steht der als Lia Fáil bekannte, mutmaßlich eisenzeitliche unverzierte Steinpfeiler, der mittelalterlichen Texten zufolge aufschrie, wenn der rechtmäßige König Irlands seine Herrschaft antrat. Nördlich und südlich des Ráth na Ríogh befinden sich weitere Erdaufschüttungen, darunter der so genannte Ráth na Seanaid („Festung der Versammlungen“), wo neben Siedlungs- und Gräberspuren auch Objekte römischer Herkunft zutage kamen, sowie der Teach Miodhchuarta („Haus des Festes“), der aus zwei ca. 180- m langen, in einem Abstand von 30- m parallel zueinander angelegten Wällen besteht, deren ursprüngliche Funktion unbekannt ist. Die große Bedeutung von Navan Fort, Dún Ailinne und Tara erhellt nicht zuletzt der Umstand, dass alle drei Anlagen in der mittelalterlichen irischen Literatur eine wichtige Rolle spielen. Galt Navan Fort (unter dem irischen Namen Emain Macha) als Sitz der Könige des Volks der Ulaid (Ulster), so sah man in Dún Ailinne den Sitz der Könige der Laigin (Leinster), während Tara (irisch Temair) in der Literatur als Sitz und Inaugurationsort der (mythischen oder sagenhaften) Hochkönige von Irland erscheint. Eine vergleichbare Rolle in der (pseudo)historischen Literatur des irischen Mittelalters spielt Rathcroghan (irisch Cruachain) als Sitz der westirischen Connachta, doch ist von dort keine ähnlich aufwendige Anlage bekannt. <?page no="28"?> 22 Archäologie Die gesamte Vorgeschichte Irlands behandelt ausführlich John Waddell, The Prehistoric Archaeology of Ireland, 3. überarb.- Aufl. (Dublin 2010). Auf die Eisenzeit beschränkt ist Barry Raftery, Pagan Celtic Ireland (London 1994). Zum Verhältnis von archäologischer Forschung und literarischer Überlieferung vgl. John Waddell, Archaeology and Celtic Myth (Dublin 2014), die Beiträge in Roseanne Schot, Conor Newman u. Edel Bhreathnach (Hrsg.), Landscapes of Cult and Kingship (Dublin 2011), Susan Ann Johnston u. Bernard Wailes, Dún Ailinne (Philadelphia 2007), Edel Bhreathnach (Hrsg.), The Kingship and Landscape of Tara (Dublin 2005), Christopher J. Lynn, Navan Fort -(Dublin 2003) und Conor Newman, Tara (Dublin 1997). Die Geschichte der Archäologie in Irland erzählt John Waddell, Foundation Myths: the beginnings of Irish archaeology (Bray, Wicklow 2005). 1.4 Archäologie und Sozialstruktur Über die Sozialstrukturen der vorrömischen Eisenzeit Mittel- und Westeuropas ist nur wenig Gesichertes bekannt, da die antiken Schriftquellen hier nur wenige und relativ schematische Aussagen treffen, die sich überdies zumeist auf die den Mittelmeerkulturen zunächst benachbarten Regionen und auf die unmittelbar vorrömische Zeit beziehen. Welche Schlüsse man für andere Zeiten und Räume aus archäologischen Funden ziehen kann, ist in vielen Punkten umstritten, zumal die Quellenlage und der Forschungsstand höchst uneinheitlich sind. Eine allgemeine Charakterisierung „der“ keltischen Gesellschaft im vorrömischen Mittel- und Westeuropa ist daher ebenso unmöglich wie ein Abriss ihrer historischen Entwicklung. Vielmehr bieten die Bodenfunde, gelegentlich im Verein mit den Schriftquellen, Anhaltspunkte für einzelne Beobachtungen, die man zwar unter bestimmten übergeordneten Gesichtspunkten zusammenstellen kann, die jedoch keinesfalls verallgemeinert werden dürfen und nur in wenigen Fällen miteinander kombiniert werden können. Als überall vorhandene, wenn auch unterschiedlich strukturierte, Grundeinheiten der keltischen Gesellschaft sind vermutlich einerseits der Familienverband im Sinne der realen Abstammungsgemeinschaft, andererseits die Wohneinheit im Sinne des Einzelgehöfts oder Dorfes anzusehen. Für beides sind mehrere altkeltische Bezeichnungen überliefert bzw. als zweifellos altkeltisch rekonstruierbar. Die Vermutung, dass Blutsverwandte oft auch gemeinsam bestattet wurden, liegt nahe und konnte in Einzelfällen durch DNA-Analysen wahrscheinlich gemacht werden. Abgesehen von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Familienverband hing die gesellschaftliche Stellung einer Person auch von ihrem Geschlecht und ihrem Lebensalter ab. Dies schließt man, abgesehen von nahe liegenden Analogien etwa im frühmittelalterlichen Irland, vor allem aus dem eisenzeitlichen Grab- und Totenbrauchtum, wobei jedoch viele Einzelheiten der Interpretation umstritten sind und überdies mit <?page no="29"?> Archäologie und Sozialstruktur 23 großen, zeitlich und räumlich bedingten Unterschieden zu rechnen ist. Für die Späthallstattzeit wurde vermutet, dass eine Person besonders dann mit großem Aufwand bestattet wurde, wenn sie im Alter von etwa 20 bis 40 Jahren verstarb. War sie jünger (oder aber älter und weiblich), so fielen die Größe der Grabkammer und die Beigabenausstattung deutlich kleiner aus. War eine Person dagegen älter und männlich, so konnte sie zu der Personengruppe gehören, die die größten Kammern und die wertvollsten Beigaben erhielt. Grundsätzlich zog ein höheres Alter also keineswegs zwangsläufig eine höhere gesellschaftliche Stellung nach sich, sondern konnte auch einen sozialen Abstieg und eine Verminderung des gesellschaftlichen Einflusses mit sich bringen. Schwierig zu beurteilen ist die gesellschaftliche Stellung von Kindern. Auffällig ist der relativ geringe Anteil von Kindergräbern, der in keinem Verhältnis zur hohen Kindersterblichkeitsrate steht und die Vermutung nahe legt, dass Säuglinge und Kleinkinder oftmals außerhalb der für Erwachsene bestimmten Begräbnisplätze ohne besondere Formalitäten verscharrt wurden. Auch hier ist jedoch mit großen zeitlichen und räumlichen Unterschieden zu rechnen. Im Übrigen konnte der soziale Status von Kindern augenscheinlich nicht nur durch ihr Alter, sondern auch durch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen bestimmt sein. Die Stellung der Frau im Verhältnis zum Mann lässt sich anhand der Grabbeigaben nur schwer bestimmen, da viele Beigaben geschlechtsspezifisch sind und der absolute Wert einzelner Objekte in der Regel unbekannt ist. Wie reich ausgestattete Frauengräber zeigen, konnten Frauen durchaus eine hohe gesellschaftliche Stellung einnehmen, doch wissen wir nicht, ob diese durch eine besondere Funktion, ererbten Reichtum, Abstammung oder Heirat erworben wurde. Wenig ergiebig sind in dieser Hinsicht die insgesamt spärlichen Nachrichten antiker Autoren, da sie aufgrund ihres beiläufigen Charakters und unserer Unkenntnis der gesellschaftlichen Verhältnisse oftmals nicht sicher zu interpretieren sind und häufig Ausnahmen (aus der gesellschaftlich führenden Schicht) in den Blick nehmen. Darüber hinaus ist auch stets damit zu rechnen, dass objektive Beobachtungen in moralisierender oder propagandistischer Absicht übertrieben bzw. in unzulässiger Weise verallgemeinert worden sein können. Eine wichtige Rolle für die Gesellschaftsstruktur spielte die Arbeitsteiligkeit. Antike Schriftquellen berichten im Hinblick darauf vor allem über die Schicht der (adligen) Krieger, die auch von archäologischer Seite anhand der Gräber erschlossen wird. Vor allem durch ihre hochwertigen Erzeugnisse greif bar ist demgegenüber die Schicht der spezialisierten Handwerker, deren Nachweis anhand von Grabausstattungen problematisch ist. Eine hierarchische Gliederung der Gesellschaft erschließt man zum einen aus Hinweisen der antiken Autoren, zum anderen aus großen Unterschieden der Grabausstattung. Über die Art und Weise, in der Herrschaft legitimiert und weitergegeben wurde, kann man für die gesamte vorrömische Zeit nur Vermutungen anstellen. Anhaltspunkte für eine sakrale Herrschaftslegitimation sehen einige <?page no="30"?> 24 Archäologie Autoren in den reich ausgestatteten Fürstengräbern der Späthallstatt- und Frühlatènezeit, zumal man Funde wie etwa die Fragmente dreier lebensgroßer Sandsteinskulpturen am Glauberg oder zweier Kalksteinfiguren im Eingangsbereich eines Kultbezirks nahe dem Grab von Vix als Indizien für einen Ahnen- oder Heroenkult werten könnte. Eindeutige Hinweise auf die Beigabe von Kultgerät oder priesterlichen Insignien sind in den frühkeltischen Fürstengräbern jedoch nicht zutage gekommen, wie denn auch rituelle oder kultische Funktionen der in diesen Gräbern beigesetzten Personen zwar denkbar, aber keineswegs zwingend erwiesen sind. Der Umstand, dass die frühkeltischen „Fürsten“ bei der äußerlichen Darstellung ihrer Macht und ihres Reichtums mit traditionellen einheimischen Repräsentationsformen brachen und in starkem Maße mediterrane Vorbilder imitierten, könnte dafür sprechen, dass auch Vorstellungen von einer religiösen Fundierung der Herrschaft aus dem Mittelmeerraum übernommen wurden. Gleichwohl dürfte es sich dabei um eine vorübergehende Erscheinung gehandelt haben, da entsprechend reich ausgestattete Gräber für die Mittlere und Späte Latènezeit fehlen. Im Zusammenhang mit dem Gefolgschaftswesen ist die Übernahme der mediterranen Tradition des Symposions zu sehen, wie sie in den Nachrichten antiker Autoren und in der Grabausstattung der Führungsschicht von der Späthallstattbis zur Spätlatènezeit zum Ausdruck kommt. Über das kriegerische Gefolgschaftswesen berichten antike Autoren wie Poseidonios und Iulius Caesar vor allem im Zusammenhang mit den Kriegen zwischen Kelten und Römern, wobei die relativ wenigen Zeugnisse darauf schließen lassen, dass die enge Bindung der Gefolgsleute an ihren Herrn nicht nur sozial, sondern auch religiös fundiert war. Eine zusammenfassende Darstellung aufgrund archäologischer und literarischer Quellen bietet Raimund Karl, Altkeltische Sozialstrukturen (Budapest 2006). Neuere regional begrenzte Untersuchungen auf der Grundlage von Gräberanalysen bieten Ralf Gleser, Studien zu sozialen Strukturen der historischen Kelten in Mitteleuropa aufgrund der Gräberanalyse (Bonn 2005) und Stefan Burmeister, Geschlecht, Alter und Herrschaft in der Späthallstattzeit Württembergs (Münster 2000). Weitgehend an den Schriftquellen des 1.- Jahrhunderts- v.- Chr. orientiert ist Holger A. Müller, Herrschaft in Gallien (Gutenberg 2013). 1.5 Die Kelten in der Kunst des Mittelmeerraums Neben den Keltenschilderungen der antiken Ethnographie stehen die Keltendarstellungen der griechischen, etruskischen und römischen Kunst. Zu den frühesten dieser Darstellungen gehört die Abbildung eines Kampfes zwischen italischen und keltischen Kriegern auf einer bauchigen, zweihenkligen Vase aus dem südlichen Etrurien, die man ins erste Viertel des 4.- Jahrhunderts- v.- Chr. datiert. Eine vergleichbare Kampfszene zeigt eine ungefähr zeitgenössische <?page no="31"?> Die Kelten in der Kunst des Mittelmeerraums 25 etruskische Grabstele aus Bologna. Die bekanntesten Keltendarstellungen der Antike stammen indessen aus Kleinasien, wo die Könige Attalos I. und Eumenes II. von Pergamon nach ihren Siegen über die Galater ihrem Triumph durch überlebensgroße Bronzeskulpturen der Unterlegenen Denkmäler setzten. Ursprünglich auf der Akropolis von Pergamon aufgestellt, sind uns nur einige wenige Figuren dieser Gruppen in Marmorkopien aus der römischen Kaiserzeit erhalten geblieben. Zu ihnen zählt der berühmte „Sterbende Gallier“ aus dem Kapitolinischen Museum in Rom. Dabei handelt es sich um die Darstellung eines tödlich verwundeten keltischen Kriegers, der über seinem Schild und seiner Kriegstrompete zu Boden gesunken ist und sich noch mit der Linken abstützt, ohne wieder aufstehen zu können. Eine weitere Figurengruppe, die jetzt im römischen Thermenmuseum zu besichtigende „Keltengruppe Ludovisi“, zeigt einen keltischen Krieger mit seiner Frau, die nach dem Kampf auf der Flucht von ihren Verfolgern eingeholt werden und nun Selbstmord begehen, um nicht in Gefangenschaft zu geraten. Dabei stützt der nur mit einem kurzen Umhang bekleidete Krieger mit der Linken seine zu Boden sinkende Frau, während er sich mit über die Schulter gewendetem Blick zurück auf die Verfolger mit der Rechten das Schwert in die Halsschlagader neben dem linken Schlüsselbein stößt. Wohl unter dem Einfluss der pergamenischen Keltendarstellungen steht ein 1896 entdeckter Terracottafries, der nach den römischen Siegen über die Boier in Oberitalien und Galater in Kleinasien einen um 160- v.- Chr. in Civitalba bei Sassoferrato erbauten Tempel zierte. Er zeigt eine Gruppe keltischer Krieger, die bei der Plünderung eines mediterranen Heiligtums von den dort anwesenden Schutzgöttern in die Flucht geschlagen werden. Insgesamt beruhen die Keltendarstellungen der antiken Kunst - ähnlich wie die Schilderungen der antiken Ethnographie - weder auf dem Blickwinkel des unvoreingeommenen Beobachters noch auf der Absicht einer realistischen Wiedergabe. Vielmehr spiegelt sich in ihnen eine unverhohlen propagandistische Intention, die den Aspekt des Wilden und Kriegerischen stark betont und weder an individuellen Besonderheiten noch am Selbstverständnis der Dargestellten Interesse zeigt. Ihre auch für spätere Zeiten maßgebliche Ausprägung erfuhr diese künstlerische Tradition allem Anschein nach in der hellenistischen Kunst des Königreichs von Pergamon, deren Keltendarstellungen vielleicht auch die Beschreibungen keltischer Krieger durch spätere Ethnographen wie etwa Poseidonios beeinflusst haben. Dabei zeigt eine differenzierte Betrachtung, dass die antiken Keltendarstellungen je nach Aussageabsicht jeweils unterschiedliche Aspekte des Keltentums bzw. der Barbarei in den Vordergrund rücken, um daran die Normen und Werte bestimmter Schichten innerhalb der hellenistischen Gesellschaft zu veranschaulichen. An erster Stelle ist in diesem Kontext die Funktionalisierung der Kelten unter dem Aspekt der Verherrlichung militärischer Tüchtigkeit hellenistischer Könige zu erwähnen. Da die Kelten aufgrund ihrer Kampfstärke, rücksichtslosen Kriegführung und fremdartigen Kriegsbräuche als besonders furchter- <?page no="32"?> 26 Archäologie regende Gegner galten, eigneten sich militärische Erfolge über die Kelten in besonderer Weise dazu, den siegreichen Herrscher als überragenden Feldherrn und charismatischen Retter zu feiern. Charakteristisch für die künstlerische Dämonisierung der Kelten als ebenso bedrohliche wie fremdartige Kriegsgegner ist ihre Angleichung an Wesen der griechischen Mythologie. An erster Stelle stehen dabei die Satyrn, mit deren Aussehen auch Diodor (5,28,1-5) die Kelten aufgrund ihrer Haartracht unmittelbar zusammenstellte. Vergleicht man die von Diodor beschriebene Haartracht schon seit langem mit der des „Sterbenden Galliers“, so zeigen andere antike Keltenbilder unverkennbar satyreske Züge wie etwa fleischige Lippen, eine Stups- oder Sattelnase, hohe Backenknochen und buschige Augenbrauen. Sehr wahrscheinlich steht diese ikonographische Stilisierung im Zusammenhang mit der literarischen Charakterisierung der Kelten durch ihre Disziplinlosigkeit, ihren Übermut, der auch vor Sakrilegien nicht zurückscheut, sowie ihre mitunter bis zur Raserei gesteigerte Wildheit. Satyreske Züge tragen ferner die keltische Vorliebe für unvermischten Wein sowie ihre sexuelle Devianz, da die Kelten einerseits als homosexuell, andererseits aber auch als lüsterne Frauenräuber geschildert werden. Neben der ikonographischen Stilisierung der Kelten als halb tierische Satyrn steht ihre Angleichung an die unzivilisierten Kyklopen, wie sie sich auch literarisch vom Hellenismus bis in die römische Kaiserzeit nachweisen lässt. Charakteristisch dafür ist das Schweigen der antiken Quellen über jegliches keltisches (Kunst)Handwerk, aber auch die immer wiederkehrenden Hinweise auf das Fehlen gesellschaftlicher Organisationsformen sowie der Vorwurf der Gott- und Gesetzlosigkeit, der mitunter bis zu dem Vorwurf der Leichenschändung und des Kannibalismus gesteigert wird. Ikonographisch ist dieses Klischee vor allem in der Darstellung gigantengleicher Kelten als Tempelräuber, die von den (griechischen bzw. italischen) Göttern als den Wahrern des Rechts und der Ordnung in die Flucht geschlagen werden. In einem gewissen Gegensatz zu den Belegen für eine solche dämionisierend-abwertende Ikonographie stehen vereinzelte Beispiele für eine Darstellung der Kelten als „edle Wilde“, wie sie literarisch vor allem in der Parallelisierung zwischen der keltischen und der heroischen Welt Homers fassbar wird. In der bildenden Kunst galten lange Zeit vor allem der bekannte „Sterbende Gallier“ und die „Keltengruppe Ludovisi“ als Belege dafür, dass man die Leistung des Siegers durch eine solche Heroisierung des unterlegenen Gegners besonders betont habe. In den vergangenen Jahrzehnten wurde diese Deutung unter Berufung auf die auch literarisch vorherrschende Abwertung der Kelten wiederholt in Zweifel gezogen, doch hat man sich in jüngerer Zeit - nicht zuletzt unter Hinweis auf die antike Sicht keltischer Fürsten als Nachkommen des Herakles - wieder dafür ausgesprochen. Besonderes Interesse verdient diese Diskussion nicht zuletzt deswegen, weil sie nicht nur die Vielschichtigkeit des antiken Keltenbilds veranschaulicht, sondern auch die Problematik <?page no="33"?> Archäologie, Ethnos und Keltenbegriff 27 aller Versuche, einzelne ikonographische und literarische Belege zutreffend zu interpretieren. Hervorgehoben sei schließlich auch, dass man von einer komplexen Wechselwirkung zwischen faktischer Wahrnehmung einerseits sowie literarischer und künstlerischer Stilisierung andererseits ausgehen muss, ohne dass man die Richtung und das Ausmaß der Beeinflussung im einzelnen näher bestimmen könnte. Eine umfassende Gesamtdarstellung und Interpretation der antiken Keltendarstellungen bietet Erich Kistler, Funktionalisierte Keltenbilder (Berlin 2009). Vgl. ferner François Queyrel, L’autel de Pergame (Paris 2005) und mehrere Beiträge in Hans-Ulrich Cain und Sabine Rieckhoff (Hrsg.), Fromm, fremd barbarisch - Die Religion der Kelten (Mainz 2002). 1.6 Archäologie, Ethnos und Keltenbegriff Wie aus dem bisher Gesagten deutlich geworden sein dürfte, ist die Vorstellung von einem „Volk der Kelten“ eine Fiktion der antiken Ethnographie, die mit den Erkenntnissen der modernen Archäologie und Sprachwissenschaft zwar eine gewisse Schnittmenge aufweist, jedoch nicht vollständig mit ihnen in Einklang zu bringen ist. Sie sollte auch nicht dazu verleiten, allein aus der Sprache oder punktuellen Übereinstimmungen in der materiellen Kultur Rückschlüsse auf das Selbstverständnis vorgeschichtlicher Personengruppen zu ziehen. Die Frage nach der „Ethnogenese der Kelten“ ist infolgedessen bereits im Ansatz falsch gestellt und nicht zu beantworten, denn die Entstehung der Späthallstattkultur ist weder mit der Entstehung oder Ausbreitung der keltischen Sprachen noch mit der Ausbildung oder Durchsetzung eines flächendeckenden Gefühls der Zusammengehörigkeit gleichzusetzen. So wird denn auch gerade neuerdings eine Entstehung der Späthallstattkultur allein durch Diffusions- und Akkulturationsprozesse für möglich gehalten. Dabei rechnet man insbesondere im Hinblick auf die Rolle der befestigten Höhensiedlungen mit lokal und regional gesteuerten Prozessen der Integration und Zentralisierung, die vermutlich im Austausch mit den mediterranen Kulturen von zeitlich vorausgehenden ähnlichen Entwicklungen im Mittelmeerraum angeregt wurden. Keinesfalls überschätzen sollte man in diesem Zusammenhang das Ausmaß bzw. die Intensität der durch Funde aus Gräbern und Zentralsiedlungen suggerierten Einheitlichkeit: Rechnet man mit einer Verbreitung entsprechender Merkmale durch Diffusion und Akkulturation infolge von „Netzwerken“ lokaler Eliten, dann betraf diese Einheitlichkeit vielleicht nur einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung, so dass man auch gar nicht von einer „Kultur“ im landläufigen Sinn dieses Wortes sprechen sollte. Keineswegs unproblematisch ist im Übrigen auch die räumliche Abgrenzung. So etwa ist es weithin üblich, einen von Ostfrankreich, Teilen der Schweiz, Südwestdeutschland und Teilen Bayerns reichenden Westhallstatt- <?page no="34"?> 28 Archäologie kreis und einen sich über Teile Bayerns, Österreich und Slowenien bis nach Westungarn erstreckenden Osthallstattkreis zu unterscheiden. Augenfällige Unterschiede betreffen vor allem das Bestattungsbrauchtum besonders reich ausgestatteter Gräber, da typische Beigaben des Westhallstattkreises wie etwa ein goldener Halsring, ein kurzer Dolch und ein vierrädriger Wagen im Osthallstattkreis fehlen, während man dort umgekehrt Angriffs- und Verteidigungswaffen wie Beile, Helme und Schilde, mitunter auch einen Panzer aus Bronzeblech sowie aus Bronze getriebene und mit figürlichen Bildfriesen verzierte kübelähnliche Gefäße (Situlen) findet. In Anlehnung an die antike Terminologie, aber keineswegs in genauer Übereinstimmung damit, war es lange Zeit üblich, die Träger des Westhallstattkreises mit den Kelten, die des Osthallstattkreises dagegen mit den Illyrern zu identifizieren. Ungeachtet der oben skizzierten Unterschiede im Fundgut können die Träger der osthallstattzeitlichen Kulturen jedoch durchaus zumindest teilweise „keltisch“ (im Sinne von „keltischsprachig“) gewesen sein, da wir über das Verbreitungsgebiet des Keltischen in dieser frühen Zeit nicht sicher orientiert sind und die Sprache der Illyrer überhaupt nur schwer fassbar ist. Dagegen ist der Umstand, dass Herodot (wohl unter Verwendung von Quellen des 6.-Jahrhunderts-v.-Chr.) die Kelten an den Quellen der Donau lokalisiert, für eine ethnische Interpretation des Westhallstattkreises wohl kaum relevant, da Herodots Vorstellung von der Lokalisierung der Donauquellen möglicherweise ganz unscharf war und jedenfalls nicht näher bestimmt werden kann. Ähnliche Probleme wie bei der Späthallstattkutur stellen sich auch bei dem Versuch, die Kelten als Träger der darauf folgenden Latènekultur zu identifizieren. In der Tat überschneidet sich in Mitteleuropa das Verbreitungsgebiet der Latènekunst sowohl zeitlich als auch räumlich mit dem aus Orts-, Gewässer- und Völkernamen erschließbaren Verbreitungsgebiet der keltischen Sprache und mit den historischen Nachrichten antiker Autoren über Kelten. Gleichwohl sollte man auch daraus keine Rückschlüsse auf das Selbstverständnis der beteiligten Personengruppen ziehen und nicht vergessen, dass keltische Sprachen auch in Regionen gebräuchlich waren, in denen die Latènekunst keine oder kaum eine Rolle spielte. Dass man in der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie ungeachtet aller dieser Vorbehalte immer noch von Kelten redet, hat indesen seine guten Gründe. So wäre zwar die Beschränkung der Begriffe „Kelten“ und „keltisch“ auf den Sprachgebrauch der antiken Ethnographie oder der modernen Sprachwissenschaft leicht und konsequent durchzuführen, doch würde eine solche Verengung zahlreiche objektiv nachweisbaren Querverbindungen und Kontinuitäten zugunsten einer letztlich ebenso willkürlichen wie dem Selbstverständnis der so bezeichneten Personen fremden Definition außer Acht lassen. Ausdrücklich hervorgehoben sei jedoch, dass die bloße Beibehaltung der Bezeichnungen „Kelten“ und „keltisch“ keineswegs als Plädoyer für die unreflektierte Übernahme obsoleter Prämissen und überholter Forschungsparadigmen, sondern ganz im Gegenteil als Ansporn und <?page no="35"?> Archäologie, Ethnos und Keltenbegriff 29 Verpflichtung zu deren differenzierter Aufarbeitung angesehen werden sollte. So etwa versteht es sich nach dem oben Gesagten von selbst, dass die Vorstellung von einem „Untergang“ der Kelten ebenso verkehrt wäre wie die von ihrer „Ethnogenese“: Aus der Geschichte verschwunden ist nicht das „Volk der Kelten“ (das es so nie gegeben hat), sondern die von den Griechen und Römern gepflegte Gewohnheit, eine Vielzahl unterschiedlicher Personengruppen mit diesem wenig reflektierten Sammelnamen zu bezeichnen. Die Kontinuität mit der Vorgeschichte belegen am eindrucksvollsten die noch heute lebendigen keltischen Sprachen, die - wenn auch zunächst nur ansatzweise - erstmals durch den Kontakt mit Griechen und Römern am Beginn der geschichtlichen Epoche zur Aufzeichnung gelangten. Über neuere Diskussionen zur Problematik der ethnischen Interpretation vorgeschichtlicher Funde orientieren Martin Trachsel, Ur- und Frühgeschichte: Quellen, Methoden, Ziele (Stuttgart 2008) sowie die Beiträge in Sabine Rieckhoff u. Ulrike Sommer (Hrsg.), Auf der Suche nach Identitäten: Volk - Stamm - Kultur - Ethnos (London 2007). Vgl. ferner Peter S. Wells, Die Barbaren sprechen: Kelten, Germanen und das römische Europa (Stuttgart 2007). <?page no="37"?> 2 Geschichte Die Geschichte der keltischen Völker beginnt mit dem Einsetzen der schriftlichen Überlieferung. Dies geschieht in einigen dem Mittelmeerraum benachbarten Gebieten bereits um die Mitte des ersten Jahrtausends- v.- Chr., doch bleibt unsere Kenntnis wegen der Spärlichkeit der griechischen und lateinischen Aufzeichnungen bis ins 1. Jahrhundert- v.- Chr. über weite Strecken oberflächlich und lückenhaft. Erst in der unmittelbar vorrömischen und römischen Zeit fließen die Quellen reichlicher, doch ist die Romanisierung auf dem europäischen Festland bereits verbunden mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, dem Verlust der politischen Selbständigkeit und dem Sprachwechsel vom Keltischen zum Lateinischen. In der nachrömischen Zeit beschränkt sich die Geschichte der keltischsprachigen Völker daher auf die Britischen Inseln und Irland sowie auf die vom Südwesten Britanniens aus besiedelte Bretagne. Da sich die keltischsprachigen Regionen sowohl sprachlich als auch hinsichtlich ihrer naturräumlichen und politischen Verhältnisse erheblich voneinander unterscheiden, liegt es nahe, Irland, Schottland, Wales und die Bretagne getrennt voneinander zu behandeln. Dabei liegt der Schwerpunkt der folgenden Darstellung auf der politischen Geschichte, da die Sprach-, Literatur- und Religionsgeschichte im Anschluss daran in eigenen Kapiteln zur Sprache kommt. 2.1 Vorrömische Zeit Für das 6. und 5. Jahrhundet-v.-Chr. ist von einem weitgehend guten Einvernehmen zwischen den Kelten und den Kulturen des Mittelmeerraums auszugehen. Als „Griechenfreunde“ (Philhéllēnes) bezeichnete dementsprechend noch im 4.-Jahrhundert-v.-Chr. der Historiker Ephoros von Kyme die Kelten (überliefert bei Strabo, 4,4,6). In den beiden darauf folgenden Jahrhunderten wandelte sich das Keltenbild der Griechen jedoch grundlegend, was teils auf die Angriffskriege der Kelten auf dem Balkan und in Griechenland, teils auf den Einsatz keltischer Söldner in den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Völkern des Mittelmeerraums zurückzuführen ist. Schon im 4. Jahrhundert-v.-Chr. waren keltische Völkerschaften in den Siedlungsraum venetischer und illyrischer Stämme an der oberen Adria und auf dem Balkan vorgestoßen. Ihrer Unterstützung bediente sich der Tyrann Dionysios I. von Syrakus, als er während seines Krieges mit Karthago 386-v.-Chr. gegen die reichen italischen Handelsstädte an der oberen Adria Krieg führte. Als Dionysios 369-v.-Chr. den <?page no="38"?> 32 Geschichte Spartanern im Krieg gegen Theben mit seinen Truppen zu Hilfe kam, befanden sich darunter auch keltische Söldner. Sie spielten in den Kriegen zwischen Karthago und Syrakus für beide Konfliktparteien eine wichtige Rolle und wurden von dem Tyrannen Agathokles von Syrakus bei seiner Invasion Nordafrikas in den Jahren von 310 bis 307- v.-Chr. erstmals auch gegen die Stadt Karthago selbst eingesetzt. Wie Strabo (7,3,8) berichtet, war auch Alexander der Große während seines Balkanfeldzuges 335-v.-Chr. darum bemüht, ein gutes Einvernehmen mit den Kelten jener Region herzustellen. Nach dem Tod Alexanders 323-v.-Chr. kam es jedoch immer häufiger zu Angriffen der Kelten auf einzelne Gebiete seines zerfallenden Riesenreichs. Nachdem die Kelten um 280-v.-Chr. in Thrakien, Makedonien und Illyrien eingefallen waren, griffen sie nur wenig später auch Griechenland selbst an. Nur mit Mühe gelang es den Griechen, das Heiligtum des Apollon von Delphi vor der Plünderung zu bewahren, bis der Einbruch des Winters die Angreifer zum Rückzug zwang. Nach verlustreichen Gefechten zogen sich die Kelten daraufhin auf Dauer aus Griechenland und Makedonien zurück und ließen sich in verschiedenen Regionen des nördlichen Balkans nieder. Ungeachtet dieser Niederlage wurden die Kelten jedoch auch weiterhin als Söldner im Mittelmeerraum eingesetzt. So etwa benutzte sie der Makedonenkönig Antigonos Gonatas im Kampf gegen seinen Rivalen Pyrrhos, der seinerseits ebenfalls keltische Krieger in Sold nahm. Für den Krieg gegen seinen Bruder Magas lieh König Antigonos Gonatas dem ägyptischen König Ptolemaios II. Philadelphos mehrere tausend keltische Söldner, die nach einem Aufstand auf einer Insel im Nil gefangen gesetzt wurden und dort umkamen. Erst im 2. Jahrhundert-v.-Chr. endete mit dem Aufstieg Roms zur beherrschenden Macht im Mittelmeerraum auch das keltische Söldnerwesen. Eine unmittelbare Folge dieser militärischen Präsenz war die Einwanderung der Kelten in Kleinasien. Sie begann bald nach der Etablierung des Königreichs Bithynien zu Beginn des 3.- Jahrhunderts- v.- Chr., als keltische Söldner zunächst die an Bithynien grenzenden Regionen unsicher machten, nach und nach jedoch in Anatolien sesshaft wurden. 275- v.-Chr. griffen diese von den Griechen als Galater bezeichneten Kelten mit Billigung des Königreichs Pontos und der griechischen Städte am Schwarzen Meer das Reich der Seleukiden an, dessen Herrscher Antiochos I. ihnen jedoch eine vernichtende Niederlage zufügte. Das Reich der Seleukiden regierte nach dem Tod Antiochos’ I. 261- v.-Chr. sein Sohn Antiochos II. Nach dessen Tod 246- v.-Chr. ging die Herrschaft auf Seleukos II. Kallinikos über, der jedoch um 240 gegen seinen mit den Galatern verbündeten jüngeren Bruder Antiochos Hierax unterlag. Dieser geriet alsbald in Konflikt mit Attalos I. von Pergamon, der nach einem Sieg über die Galater an den Quellen des Flusses Kaïkos (heute Bakır Çay) 238/ 37- v.- Chr. als erster pergamenischer Herrscher den Königstitel angenommen hatte. Attalos I. besiegte Antiochos Hierax und die mit ihm verbündeten Galater in mehreren Schlachten und errichtete zur Erinnerung daran Siegesdenkmäler im Heiligtum der Athene von Pergamon, darunter die bekannten <?page no="39"?> Vorrömische Zeit 33 „Großen Gallier“. Nachdem der Seleukidenherrscher Antiochos III. der Große (242-187-v.-Chr., König seit 223-v.-Chr.) zu Beginn des 2.-Jahrhunderts-v.-Chr. weite Teile Kleinasiens erobert und auch Thrakien unterworfen hatte, intervenierten die Römer zugunsten der griechischen Städte in Kleinasien. 190-v.-Chr. unterlag Antiochos in der Schlacht von Magnesia den mit Pergamon verbündeten Römern und verzichtete zwei Jahre später im Frieden von Apameia auf alle Gebiete, die er in Kleinasien erobert hatte. Da bei Magnesia auch Galater gegen die Römer gekämpft hatten, unternahm der römische Oberbefehlshaber Gnaeus Manlius Vulso 189- v.- Chr. eine Strafexpedition gegen sie, bei der die wichtigsten galatischen Festungen auf dem Berg Olympos und dem Berg Magaba östlich von Ankyra von den Römern erstürmt wurden. Nutznießer des Friedens von Apameia war Eumenes II. von Pergamon (221-158- v.- Chr.), der dadurch fast das gesamte seleukidische Kleinasien hinzugewann und auch in dem darauffolgenden Krieg gegen die mit Prusias I. von Bithynien und Pharnakes I. von Pontos verbündeten Galater die Oberhand behielt. Vermutlich in den letzten Lebensjahren des Königs entstand der Pergamonaltar, der die Siege Eumenes’ II. über Makedonen, Galater und Seleukiden verherrlichen sollte. 133-v.-Chr. gelangte das Reich von Pergamon dann durch eine testamentarische Verfügung des letzten Königs Attalos III. an Rom, das seinen neuen Besitz 129-v.-Chr. in die Provinz Asia umwandelte. In der Auseinandersetzung zwischen den Römern und König Mithradates VI. von Pontos verbündeten sich die Galater zunächst mit den Römern gegen Mithradates, erkannten dann aber dessen Oberhoheit an und stellten zahlreiche Mitglieder des Adels als Geiseln. Nach dem ersten bedeutenden Sieg der Römer bei Chaironeia ließ Mithradates eines Großteil des galatischen Adels ermorden, musste dann jedoch im Frieden von Dardanos 85- v.- Chr. förmlich auf Galatien verzichten. Als Mithradates starb, setzte Pompeius im Zuge der politischen Neuordnung Kleinasiens die Könige Deiotaros, dessen Schwiegersohn Brogitaros sowie Kastor Tarkondarios als Herrscher über die Galater ein. Im Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius unterstützte Deiotarus zunächst Pompeius, später jedoch dessen Kontrahenten Caesar. Nach der Ermordung Kastors 44- v.- Chr. herrschte Deiotaros über ganz Galatien. Ihm folgte nach seinem Tod 40-v.-Chr. sein ebenfalls Kastor genannter Enkel und nach dessen Tod 36- v.- Chr. sein früherer Staatsschreiber Amyntas. Als dieser dann 25- v.- Chr. starb, wandelte Octavian den galatischen Klientelstaat in die römische Provinz Galatia um. In ihrer Kultur weitgehend hellenisiert, hielten die kleinasiatischen Galater an ihrer keltischen Sprache möglicherweise bis in die Spätantike fest. Im Unterschied zur Einwanderung der Kelten in Kleinasien liegen die Ursachen und der Verlauf der keltischen Besiedlung Oberitaliens weitgehend im Dunkeln. Wahrscheinlich bildeten die Keltenwanderungen der Zeit um 400-v.-Chr., die Archäologen in den Erzeugnissen des Latène-Kunsthandwerks wiederfinden, nur den Höhepunkt eines sehr viel längeren und komplexen Infiltrationsprozesses. Nur wenige Jahre, nachdem die Kelten die Etrusker <?page no="40"?> 34 Geschichte aus der Poebene verdrängt hatten, stießen sie um 390- v.- Chr. gegen Rom vor, besiegten an der Allia ein römisches Heer und eroberten die Stadt am Tiber. Wie die legendenhaft ausgeschmückte und das volle Ausmaß der Katastrophe abmildernde spätere Überlieferung berichtet, gelang es den Römern angeblich, das Kapitol gegen alle Angriffe zu verteidigen und gegen Zahlung eines gewaltigen Lösegelds den Abzug der Belagerer zu erkaufen. In der Folgezeit spielten die Kelten immer wieder eine wichtige Rolle in den inneritalischen Auseinandersetzungen. Bereits 295- v.- Chr. unterlagen die mit den Umbrern, Samniten und Etruskern verbündeten Senonen in der Nähe der umbrischen Stadt Sentinum erstmals den Römern. Nachdem es ihnen 285-v.-Chr. beim Angriff auf die mit Rom verbündete Stadt Arretium (Arezzo) noch einmal gelungen war, ein römisches Heer zu schlagen, erlitten sie im Jahr darauf eine entscheidende Niederlage gegen die Römer, die dann 283 und 268-v.-Chr. an der Adriaküste nördlich von Ancona die Kolonien Sena Gallica (Senigallia) und Ariminum (Rimini) gründeten. 283-v.-Chr. behielten die Römer in der Schlacht am Vadimonischen See bei Bomarzo auch die Oberhand über die verbündeten Etrusker und Boier. Schon bald nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges (264- 241- v.-Chr.) kam es indessen erneut zu Spannungen zwischen der Römischen Republik und ihren keltischen Nachbarn. Nachdem Rom 232-v.-Chr. das Land der Senonen konfisziert hatte, verbündeten sich die Boier und Insubrer gegen die Römer, die ihrerseits eine Allianz mit den Venetern, Samniten, Etruskern und Cenomanern bildeten. 225-v.-Chr. erlitten die Boier und Insubrer bei der etruskischen Stadt Telamon eine vernichtende Niederlage, worauf sich die Boier ein Jahr später den Römern unterwarfen. 222-v.-Chr. besiegten die Römer in der Schlacht von Clastidium (Casteggio) abermals die Insubrer, eroberten ihren Hauptort Mediolanum und gründeten 218-v.-Chr. auf keltischem Gebiet die Kolonien Placentia (Piacenza) und Cremona. Nach dem Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges (218-201- v.- Chr.) kämpften sowohl Keltiberer als auch Boier und Insubrer im Heer Hannibals, der nach seinem Übergang über die Alpen den Römern in drei Schlachten an der Trebbia (218-v.-Chr.), am Trasimenischen See (217-v.-Chr.) und bei Cannae (216-v.-Chr.) schwere Niederlagen beibrachte. Danach wendete sich das Kriegsglück jedoch zugunsten der Römer, die nach der endgültigen Niederlage der Karthager bei Zama (202- v.- Chr.) energisch gegen die Kelten Oberitaliens vorgingen. 197 bis 194- v.- Chr. schlugen sie die Insubrer und 193- v.- Chr. die Boier, deren Überlebende daraufhin Oberitalien verließen. 190 bis 189-v.-Chr. legten die Römer mit der Entsendung neuer Kolonisten nach Placentia und Cremona und der Gründung einer weiteren Kolonie in Bononia die Grundlage für die Romanisierung der keltischen Gebiete Oberitaliens. Im Zusammenhang mit den Kriegen Roms gegen Karthago steht auch die Unterwerfung der keltischen Stämme auf der Iberischen Halbinsel. Seit der Mitte des 6.- Jahrhunderts-v.-Chr. hatten die Karthager ihren Einfluss auf den Süden und Südosten der Iberischen Halbinsel beständig ausgedehnt und nach <?page no="41"?> Vorrömische Zeit 35 dem Ende des Ersten Punischen Krieges (264-241-v.-Chr.) versucht, durch eine verstärkte Präsenz auf der Iberischen Halbinsel verlorenen Boden wieder gut zu machen. 227-v.-Chr. gründeten sie an der Stelle der früheren iberischen Stadt Massia als neue Machtbasis das von den Römern später so genannte Carthago Nova (Cartagena) und grenzten im Ebro-Vertrag mit den Römern ihre jeweiligen Interessensphären ab. Bereits 218-v.-Chr. kam es jedoch zum Zweiten Punischen Krieg, an dessen Ende die Karthager 201-v.-Chr. alle Besitzungen auf der Iberischen Halbinsel an die Römer abtreten mussten. Sie wurden 197- v.- Chr. in die beiden Provinzen Hispania citerior (im Osten) und Hispania ulterior (im Westen) aufgeteilt. 180-v.-Chr. eroberte Tiberius Sempronius Gracchus als Statthalter der Provinz Hispania citerior mehrere keltiberische Siedlungen, legte den von ihm besiegten Völkerschaften Tributzahlungen auf und verbot ihnen die Anlage neuer befestigter Siedlungen. Als der Stamm der Beller 154- v.- Chr. entgegen diesen Abmachungen seinen Hauptort Segeda mit einer neuen großen Stadtmauer umgab, kam es darüber zum Krieg mit den Römern, an dem sich nicht nur die keltiberischen Stämme, sondern auch die benachbarten Vakkäer im mittleren Tal des Duero, die Vettonen im Gebiet zwischen Tajo und Duero und die Lusitanier beteiligten. Den Oberbefehl im Krieg gegen die Römer übernahm 147- v.-Chr. der Lusitanier Viriatus, der durch eine wendige Guerillastrategie beträchtliche militärische Erfolge erzielte. Noch im ersten Kriegsjahr eroberte er das Tal des Guadalquivir, fügte den Römern mehrere schwere Niederlagen zu und erzwang schließlich 140- v.- Chr. die Kapitulation des römischen Prokonsuls Quintus Fabius Maximus Servilianus. Bereits ein Jahr später jedoch wurde der Friedensvertrag, der Viriatus als Herrscher der in Südspanien eroberten Gebiete bestätigte und ihn zum „Freund des römischen Volkes“ erklärte, vom römischen Senat für nichtig erklärt. Nach dem Ausbruch erneuter Kämpfe wurde Viriatus noch im selben Jahr auf Veranlassung des römischen Prokonsuls Quintus Servilius Caepio von seinen eigenen Landsleuten ermordet. Danach ging die Führung des Widerstands der einheimischen Stämme gegen Rom auf die Arevaker über, die bereits 154-v.-Chr. die aus Segeda geflohenen Beller bei sich aufgenommen hatten. Ihr östlicher Vorposten Numantia am Zusammenfluss von Duero und Merdancho auf der Hochebene Altkastiliens wurde dadurch zum Zentrum und Inbegriff dieses Widerstands, dem erst Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus 133-v.-Chr. nach einer mehrmonatigen Belagerung mit der Einnahme und Zerstörung der Stadt ein Ende setzen konnte. Zwischen den ehemals keltisch dominierten, nunmehr von den Römern eroberten Regionen in Oberitalien und auf der Iberischen Halbinsel lag Gallien. Bereits 154- v.- Chr. hatten die Römer erstmals zugunsten der griechischen Kolonie Massalia in Südgallien militärisch eingegriffen. Ab 125-v.-Chr. führten sie erneut Kriege gegen die Nachbarn Massalias, wobei sie 122-v.-Chr. dem Volk der Salluvier eine entscheidende Niederlage zufügten, seinen Hauptort Entremont zerstörten und die Stadt Aquae Sextiae, das heutige Aix-en-Provence, <?page no="42"?> 36 Geschichte gründeten. Als einige Anführer der Salluvier daraufhin zu den benachbarten Allobrogern flohen, bot deren Weigerung, die Flüchtlinge auszuliefern, den Römern einen Anlass zur Fortführung und Ausweitung des Krieges. Im August 121- v.- Chr. unterlagen die Allobroger den Römern, die nun ihren Einflussbereich auf ganz Südgallien von den Pyrenäen bis zum Genfer See ausdehnten und in Narbo, dem heutigen Narbonne, eine römische Kolonie gründeten. Im letzten Jahrzehnt des 2.- Jahrhunderts- v.- Chr. bedrohten die germanischen Kimbern sowie die mit ihnen verbündeten Teutonen und Tiguriner Südgallien, doch konnte Gaius Marius durch entscheidende Siege bei Aquae Sextiae und Vercellae die römischen Besitzungen jenseits der Alpen erfolgreich verteidigen. Das Ende dieser Epoche zeichnete sich jedoch ab, als 58- v.- Chr. Gaius Iulius Caesar zum Statthalter der keltischen Gebiete Oberitaliens und der südgallischen Provinz Gallia Narbonensis berufen wurde. Bereits um 70- v.- Chr. hatten Germanen unter der Führung ihres Herrschers Ariovist den Rhein überschritten und sich mit den Sequanern gegen die mit Rom befreundeten Haeduer verbündet. 61- v.- Chr. warb der Haeduer Diviciacus beim römischen Senat um Unterstützung gegen die Sequaner und ihren Verbündeten Ariovist, der jedoch seinerseits zwei Jahre später mit Rom einen Freundschaftspakt schloss und dabei auf Antrag Caesars den Ehrentitel „Freund des römischen Volkes“ erhielt. Die Lage änderte sich indessen, als die keltischen Helvetier 58- v.- Chr. unter zunehmendem germanischen Druck aus ihren Siedlungsgebieten auszuwandern und dabei die römische Provinz zu durchqueren versuchten. Unter Hinweis auf einen Hilferuf der mit ihm verbündeten Haeduer stellte sich Caesar den Auswanderern entgegen, besiegte sie und zwang die Überlebenden zur Rückkehr in ihre Heimat. Ein erneutes Hilfegesuch der Haeduer führte nunmehr auch zum Konflikt mit Ariovist, der von Caesar noch im Herbst desselben Jahres in einer offenen Feldschlacht in der Nähe von Mühlhausen geschlagen wurde und sich daraufhin auf rechtsrheinisches Gebiet zurückziehen musste. Bereits nach dem ersten Kriegsjahr in Gallien erhöhte Caesar die Zahl der Legionen unter seinem Kommando von vier auf sechs und in den darauf folgenden Jahren auf insgesamt zehn. Von seiner Machtbasis im südöstlichen Gallien aus unternahm er in den Jahren 57 und 56-v.-Chr. militärische Vorstöße gegen die Belger im Nordosten Galliens, unterwarf die Küstenbewohner im Gebiet der heutigen Bretagne und führte erfolgreich Feldzüge gegen die aquitanischen Stämme im Südwesten von Gallien. Zur Sicherung seiner militärischen Erfolge und zur Demonstration römischer Stärke überquerte Caesar 55-v.-Chr. im Gebiet der mit Rom befreundeten Ubier erstmals den Rhein und unternahm kurz darauf zwei Expeditionen nach Britannien. 52- v.- Chr. kam es zum letzten allgemeinen Aufstand der Völker Galliens. Ihre Führung übernahm der Arverner Vercingetorix, der den römischen Truppen durch eine Taktik der verbrannten Erde die Existenzgrundlage zu entziehen versuchte. Nach der Eroberung des zäh verteidigten Oppidums Avaricum durch die Römer zog sich Vercingetorix in seine Heimatstadt <?page no="43"?> Römische Zeit 37 Gergovia zurück, brachte den angreifenden Römern eine schwere Niederlage bei und zwang Caesar dadurch zum Rückzug. Bald danach wurde Vercingetorix jedoch mit seinem Heer im Oppidum Alesia (auf dem Mont Auxois bei der heutigen Stadt Alise-Sainte-Reine) eingeschlossen und musste sich nach dem Scheitern mehrerer Ausbruchsversuche und Entsatzangriffe den Truppen Caesars ergeben. 51-v.-Chr. fiel mit der Eroberung des Ortes Uxellodunum durch die Römer die letzte Bastion des gallischen Widerstands. Vercingetorix wurde sechs Jahre gefangen gehalten, 46-v.-Chr. von Caesar im Triumph durch Rom geführt und vermutlich bald darauf hingerichtet. Eine nützliche zweisprachige Sammlung der antiken literarischen Quellen zur Expansion der Kelten bietet Kurt Tomaschitz, Die Wanderungen der Kelten in der antiken literarischen Überlieferung (Wien 2002). Vgl. ferner zu den einzelnen Regionen: Murat Arslan, Galater (Scheidegg 2004), Karl Strobel, Die Galater (Berlin 1996), Stephen Mitchell, Anatolia: Land, Men and Gods in Asia Minor I. The Celts in Anatolia and the impact of Roman rule (Oxford 1993), James H. Richardson, The Fabii and the Gauls (Stuttgart 2012), Jean-Michel David, La Romanisation de l’Italie (Paris 2010), Giuseppe Zecchini, Le guerre galliche di Roma (Rom 2009), Maria Teresa Grassi, La romanizzazione degli Insubri (Mailand 1995), Manuel Salinas de Frías, Los pueblos prerromanos de la peninsula Ibérica (Madrid 2006), Alberto J. Lorrio, Los Celtíberos, 2., erw. u. aktual.-Aufl. (Madrid 2005), Enrique García Riaza, Celtíberos y Lusitanos frente a Roma (Vitoria 2002), Francisco Burillo Mozota, Los Celtíberos (Barcelona 1998), Christian Goudineau, Le dossier Vercingétorix (Arles 2009), Matthieu Poux (Hrsg.), Sur les traces de César (Glux-en-Glenne 2008), Michel Reddé, Alesia (Mainz 2006), Andrew Riggsby, War in Words: Cesar in Gaul and Rome (Austin 2006), Bert Freyberger, Südgallien im 1. Jahrhundert- v.- Chr. (Wiesbaden 1999). 2.2 Römische Zeit Ebenso unterschiedlich wie die Eroberung durch die Römer verlief die weitere Geschichte der ehemals keltischsprachigen Gebiete innerhalb des Römischen Reichs. Nach der Einrichtung der beiden Provinzen Hispania citerior und Hispania ulterior 197- v.- Chr. war der Nordwesten der Pyrenäenhalbinsel zunächst unabhängig geblieben und wurde erst nach der Unterwerfung der dort ansässigen Völker zur Zeit Caesars in die Provinz Hispania citerior eingegliedert. Zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz vor der Zeitenwende veranlasste dann Augustus eine Neuorganisation der hispanischen Provinzen, <?page no="44"?> 38 Geschichte indem er Hispania citerior in eine kaiserliche Provinz umwandelte, die nach dem Sitz des Statthalters in Tarraco (Tarragona in Katalonien) Hispania Tarraconensis genannt wurde. Gleichzeitig wurde die Provinz Hispania ulterior in die Provinzen Baetica und Lusitania zweigeteilt. Im Gefolge der 284 bis 289 durchgeführten Reformen Diokletians wurde die gesamte Pyrenäenhalbinsel zusammen mit Teilen Nordwestafrikas in die Verwaltungseinheit der Dioecesis Hispaniae (als Teil der Praefectura Galliae) zusammengefasst. Zu Beginn des 5.-Jahrhunderts überschritten Sueben, Alanen und Vandalen die Pyrenäen und wurden in verschiedenen Regionen der Iberischen Halbinsel von den Römern als Foederaten angesiedelt. Bald nach der Mitte des 5.- Jahrhunderts fielen die Westgoten in Nordostspanien ein, von wo aus sie ihr Territorium in den folgenden anderthalb Jahrhunderten auf die gesamte Pyrenäenhalbinsel ausdehnten und mit der Gründung des Toledanischen Reichs, das bis zum Einfall der Araber 711 Bestand hatte, die Römische Herrschaft beendeten. Ihre Sprache hatten die iberischen Kelten wohl schon zu Beginn der Römerherrschaft zugunsten des Lateinischen aufgegeben. In Gallien wurden die von Caesar eroberten Gebiete 27- v.- Chr. in drei Provinzen eingeteilt: westlich und südlich der Loire die Provinz Aquitania mit ihrer Hauptstadt Burdigala (Bordeaux), östlich der Seine und Marne die Provinz Belgica mit ihrer Hauptstadt Durocortorum (Reims), dazwischen die Provinz Lugdunensis mit der Hauptstadt Lugudunum (Lyon). Wie reich ausgestattete Gräber schon aus augusteischer Zeit bezeugen, hatten sich die Römer gleich in den ersten Jahrzehnten nach der Eroberung Galliens mit Erfolg darum bemüht, die gallische Oberschicht durch großzügige Verleihungen des römischen Bürgerrechts den neuen Machthabern gefügig zu machen. In Fortsetzung dieser Politik setzte Kaiser Claudius 48 n. Chr. gegen den Widerstand der stadtrömischen und italischen Aristokratie im Senat die Gewährung des vollen Bürgerrechts für den gesamten gallischen Adel durch. Ungeachtet der rasch fortschreitenden Romanisierung kam es gleichwohl immer wieder zu regionalen Unruhen und Aufständen. So etwa erlitt 16- v.- Chr. der römische Statthalter Marcus Lollius eine schwere Niederlage gegen die miteinander verbündeten Sugambrer, Usipeter und Tenkterer. 21 n. Chr. brachen gleichzeitig Aufstände bei den Treverern und Haeduern aus, die erst durch das Eingreifen der in Obergermanien stationierten Legionen niedergeschlagen werden konnten. Zu neuerlichen Unruhen kam es 68 n. Chr., als der aquitanische Adlige Iulius Vindex einen Aufstand gegen Nero unternahm und dafür die Unterstützung zahlreicher gallischer Völkerschaften gewann. Als er vom Befehlshaber des obergermanischen Heeres besiegt wurde und sich daraufhin das Leben nahm, brach der Aufstand zusammen. Die Unruhen setzten sich gleichwohl fort, da nun der römische Offizier Iulius Civilis vom germanischen Volk der Bataver in den Wirren nach Neros Tod gemeinsam mit den Treverern Iulius Classicus und Iulius Tutor sowie dem Lingonen Iulius Sabinus eine Erhebung organisierte. Nach wechselvollen Kämpfen entlang der Rheingrenze wurde der <?page no="45"?> Römische Zeit 39 Bataveraufstand 70 n. Chr. unter Vespasian durch römische Truppen niedergeschlagen. Im Anschluss daran wurde unter Kaiser Domitian die Grenze zu Germanien durch die Anlage eines Limes rechts des Rheins gesichert, während entlang des linken Rheinufers die beiden Provinzen Ober- und Untergermanien entstanden. Während der ersten Hälfte des 2.- Jahrhunderts blieb es in den gallischen Provinzen weitgehend ruhig, doch musste Kaiser Marc Aurel 166 einen Einfall der germanischen Chatten abwehren. 197 war Gallien erneut Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Septimius Severus und seinem Rivalen Clodius Albinus, in deren Gefolge die Provinzhauptstadt Lugudunum eingeäschert und geplündert wurde. 233/ 34 durchbrachen erstmals die Alemannen die römischen Grenzbefestigungen und stießen im Gebiet des heutigen Saarlands und des Unterelsass bis nach Gallien vor. Von Kaiser Maximinus Thrax zurückgeworfen, eroberten sie 260 erneut die römischen Gebiete rechts des Rheins und stießen durch die Burgundische Pforte ins untere Rhônetal vor, während gleichzeitig die Franken am Niederrhein nach Gallien eindrangen. Als Reaktion auf diese Kriegszüge wurde 259 der Truppenführer Postumus nach einem Sieg über die Franken vom Heer zum Kaiser ausgerufen. Nach der Eroberung Kölns 260 schuf er aus den germanischen und gallischen Provinzen ein Sonderreich, das später auch Hispanien und Britannien umfasste und bis 273 Bestand hatte. 284 gelangte Diokletian auf den Kaiserthron, der sogleich eine umfassende Reorganisation des Römischen Reichs in Angriff nahm. Zu diesem Zweck ernannte er 286 seinen Waffengefährten Maximian zum Mitkaiser. Ihm fiel die Aufgabe zu, in Gallien die so genannten Bagauden zu bekämpfen - verarmte Landarbeiter, Bauern und Hirten, die aus wirtschaftlicher Not ihre Zuflucht zu bewaffneten Aufständen genommen hatten. 293 adoptierten Diokletian und Maximian ihre Gardepräfekten Galerius und Constantius und ernannten sie zu Nachfolgern und Mitregenten. Dabei fiel die Herrschaft über Gallien, Spanien und Britannien an Constantius, der Trier zu seiner Hauptstadt machte. Im Zuge der territorialen Neuordnung der Verwaltung entstanden aus den ursprünglich drei gallischen Provinzen die Dioecesis Galliarum mit acht Provinzen und die Viennensis Dioecesis mit fünf Provinzen. Nach mehrjährigen Auseinandersetzungen im Gefolge der Abdankung Diokletians herrschte Constantius’ Sohn Constantin nach 312 über den Westen und nach 324 über das gesamte Römische Reich. Nach seinem Tod 337 kam es erneut zu Thronwirren, in deren Gefolge germanische Völker bis weit ins Innere Galliens vordrangen. Durch einen Sieg über die Alemannen bei Argentorate (Straßburg) stellte Constantins Neffe Iulian 357 die Rheingrenze vorübergehend wieder her, doch überquerten 406 Vandalen, Alanen und Sueben erneut in großer Zahl bei Mainz den Rhein, während gleichzeitig im Norden die Franken und im Süden die Burgunden in Gallien einfielen. Da keine Aussicht bestand, die Eindringlinge zurückzuwerfen oder auf Dauer fernzuhalten, ging man nun verstärkt dazu über, sie auf vertraglicher Grundlage innerhalb der Grenzen des Römischen Reichs anzusiedeln und <?page no="46"?> 40 Geschichte als Foederaten in das römische Heerwesen zu integrieren. Politisch am erfolgreichsten waren dabei die Franken, die in der zweiten Hälfte des 5.- Jahrhunderts nach der Eroberung alemannischer und westgotischer Gebiete zur führenden Macht in Gallien aufstiegen und dort die Reste römischer Herrschaft beseitigten. Britannien war erstmals um die Mitte des 1.- Jahrhunderts- v.- Chr. im Gefolge der römischen Eroberung Galliens und der beiden Expeditionen Caesars unter römischen Einfluss geraten. Namentlich im Süden bestanden seit jener Zeit Klientelstaaten, deren Herrscher miteinander um die Vormacht in der Region rivalisierten. Nachdem bereits Augustus und Caligula mehrfach Vorbereitungen zur Unterwerfung Britanniens getroffen hatten, unternahm schließlich Claudius 43 n. Chr. eine groß angelegte Invasion der Insel. Nach der Eroberung des Südostens rückten die Römer bereits um die Mitte des 1.- Jahrhunderts nach Wales und Mittelengland vor. Während der römische Oberbefehlshaber Suetonius Paulinus in Nordwestwales Krieg führte, kam es unter Führung der ikenischen Königin Boudicca 60 oder 61 n. Chr. zum Aufstand mehrerer Stämme, der erst nach der Zerstörung der römischen Städte Camulodunum (Colchester), Londinium (London) und Verulamium (St. Albans) niedergeschlagen werden konnte. Von 78 bis 84 gelang es dem Statthalter Gnaeus Iulius Agricola, bis in den Nordosten Schottlands vorzustoßen und mit der römischen Flotte die Nordspitze Britanniens zu umsegeln. Nach der Abberufung Agricolas als Statthalter zogen sich die Römer jedoch aus dem Norden Schottlands zurück. Funde mediterranen Ursprungs belegen die Präsenz der Römer im Schottischen Tiefland, doch wurde die dauerhafte Grenze unter Kaiser Hadrian um 120 sehr viel weiter südlich, etwa zwischen Carlisle und Newcastle, gezogen. Um 140 wurde die Grenze unter Antoninus Pius noch einmal weiter nördlich bis zu einer Linie vom Firth of Clyde zum Firth of Forth vorgeschoben, jedoch bereits nach wenigen Jahrzehnten wieder aufgegeben. Kurz vor dem Ende des 2.-Jahrhunderts wurde das römische Herrschaftsgebiet in Britannien in eine südliche Provinz Britannia Superior mit der Hauptstadt Londinium und eine nördliche Provinz Britannia Inferior mit der Hauptstadt Eburacum (York) aufgeteilt. Nach der Mitte des 3.- Jahrhunderts wurde die römische Herrschaft in zunehmendem Maße durch militärische Vorstöße unabhängig gebliebener Stämme aus dem Norden sowie durch Überfälle germanischer und irischer Seeräuber im Osten bzw. Westen der Insel bedroht. Zu Beginn des 5.- Jahrhunderts zogen die Römer ihre Truppen endgültig aus Britannien ab und überließen die romanisierte Bevölkerung sich selbst, woraufhin sich in der ehemaligen römischen Provinz Britannia zahlreiche einheimische keltische Fürstentümer bildeten. Paul Reynolds, Hispania and the Roman Mediterranean, AD 100-700 (London 2010), Leonard Curchin, The Romanization of Central Spain (London 2004), Geza Alföldy, Provincia Hispania Superior (Heidelberg 2000). <?page no="47"?> Irland 41 Michel Reddé u. a. (Hrsg.), Aspects de la romanisation dans l’Est de la Gaule (Glux-en-Glenne 2011), Alain Ferdière, La Gaule Lyonnaise (Paris 2011), Pierre Gros, La Gaule Narbonnaise (Paris 2008), Yann Le Bohec, La province romaine de Gaule Lyonnaise (Dijon 2008), Martial Monteil u. Laurence Tranoy, La France gallo-romaine (Paris 2008), Gérard Coulon, Les Gallo-Romains (Paris 2006), Helga Botermann, Wie aus Galliern Römer wurden (Stuttgart 2005), Alain Ferdière, Les Gaules (Paris 2005), Greg Woolf, Becoming Roman (Cambridge 2000), Ralf Urban, Gallia rebellis (Stuttgart 1999). Roger White, Britannia Prima (Stroud 2007), David J. Mattingly, An Imperial Possession: Britain in the Roman Empire, 54 BC - AD 409 (London 2006), Anthony R. Birley, The Roman Government of Britain (Oxford 2005), Malcolm Todd (Hrsg.), A Companion to Roman Britain (Maldon, Mass. 2004), Martin Henig, The Heirs of King Verica: culture and politics in Roman Britain (Stroud 2002). 2.3 Irland Die Wende von der Vorgeschichte zur Geschichte fällt in Irland mit der Einführung der lateinischen Schriftkultur im Gefolge der Christianisierung am Ausgang der Spätantike zusammen. Zu jener Zeit trug die irische Gesellschaft noch einen ausgeprägt ländlichen Charakter. Die Wirtschaft beruhte weitgehend auf dem Ackerbau und der Viehzucht, der überregionale Tauschhandel spielte nur eine untergeordnete Rolle, und stadtähnliche Siedlungen entwickelten sich nur vereinzelt im Umfeld der großen Klöster. Jeder Ire gehörte zu einem Familienverband oder einer Sippe (fine) sowie zu einem Stammes- oder Kleinkönigreich (túath). Insgesamt gab es vielleicht um 150 solcher Kleinkönigreiche, die man insgesamt fünf „Provinzen“ oder wörtlich „Fünfteln“ (cóiced, Plural cóiceda) zuordnete. Im Westen lag die Provinz Connacht, im Norden die nach dem Volk der Ulaid benannte Provinz Ulster, im Osten Leinster, im Süden Munster und dazwischen die Provinz Mide mit dem als Mittelpunkt Irlands geltenden Hügel von Uisnech. Immer wieder erhoben Vertreter mächtiger Herrscherdynastien Anspruch auf den Rang eines „Hochkönigs“ (ardrí) oder Königs von Irland mit Sitz in Tara (Temair), der jedoch praktisch kaum eine Rolle spielte. Eine deutliche Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse in Irland ergab sich seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert durch das Auftreten norwegischer Wikinger. Sie überfielen erstmals 795 Klöster an der irischen Westküste, dehnten ihre Raubzüge jedoch bald auf die gesamte Küstenlinie aus. Seit der Mitte des 9.- Jahrhunderts legten sie an der Küste dauerhafte Stützpunkte an, so etwa in Dublin, Waterford und Limerick. Sie verbündeten und verschwägerten sich immer öfter mit den alteingesessenen Iren und nahmen mitunter auch deren christlichen Glauben an. In die zweite Hälfte des 10.-Jahrhunderts <?page no="48"?> 42 Geschichte datiert der Aufstieg der aus Munster stammenden Dynastie der Dál Cais, deren bedeutendster Herrscher Brian Boru (um 940-1014) nach 1002 über fast ganz Irland herrschte. 1014 errang er in der Schlacht von Clontarf gegen die mit dem König von Leinster verbündeten Wikinger einen entscheidenden Sieg, fand dabei jedoch selbst den Tod. Danach unternahmen Könige der einzelnen irischen Provinzen immer wieder Versuche, ein nationales Königtum zu errichten, darunter der seit 1106 über Connacht herrschende Toirdelbach Ua Conchobair (Turlough O’Connor, 1088-1156). Sein Sohn Ruaidrí Ua Conchobair erhob 1166 Anspruch auf die Hochkönigswürde, woraufhin sein Gegner Diarmait Mac Murchada (Dermot Mac Murrough, 1110-1171) von Leinster nach England floh. Dort verbündete er sich mit anglonormannischen Adligen unter der Führung des auch als Strongbow bekannten Grafen von Pembroke, Richard Fitz Gilbert (um 1035 - um 1090), der 1170 an der Spitze eines Expeditionsheeres nach Irland übersetzte, sich dort mit Diamaits Tochter Aoife vermählte und nach Diarmaits Tod im Frühsommer 1171 unter Berufung auf eine frühere Zusage seines Verbündeten Anspruch auf die die Königswürde von Leinster erhob. Dies erweckte den Argwohn des englischen Königs Heinrich II. (1133-1189), der nun zur Sicherung seines Einflusses ebenfalls mit einem Heer in Irland einfiel, nachdem Papst Hadrian IV. ihn 1155 in der Bulle Laudabiliter zur Eroberung Irlands ermächtigt hatte. Auf der Synode von Cashel 1172 erkannten etliche anglonormannische und irische Herrscher die Oberhoheit Heinrichs II. an, der daraufhin das Gebiet um Dublin unmittelbar der englischen Krone unterstellte und die Provinzen Leinster und Meath an Richard Fitz Gilbert und Hugh de Lacy (um 1125-1186) als Lehen vergab. 1177 schuf Heinrich II. außerdem mit der Ernennung seines jüngsten Sohnes Johann (1167-1216) zum Lord oder Herrn von Irland die Lordschaft Irland. Von ihren Stützpunkten im Osten dehnten die Anglonormannen ihren Einfluss vor allem nach Süden und Westen immer weiter aus, bis sie schließlich fast zwei Drittel der Insel beherschten. In den eroberten Gebieten erbauten sie Burgen, gründeten Städte, vergaben Lehen an ihre Gefolgsleute und etablierten so das anglonormannische Herrschafts-, Recht- und Verwaltungssystem. Gleichwohl musste der englische König immer wieder feststellen, dass viele anglonormannische Adlige entweder ihre irischen Ländereien zugunsten anderer Besitzungen in England, Wales und Frankreich vernachlässigten oder aber, wenn sie sich auf Dauer in Irland niederließen, sich in ihrer Lebensweise, Tracht und Sprache immer mehr an die einheimischen Iren anglichen. Im 14. und 15. Jahrhundert schritt dieser Assimilationsprozess trotz restriktiver Gegenmaßnahmen in den 1366 verabschiedeten Statuten von Kilkenny immer weiter voran, während gleichzeitig die nach ihren Grenzpfählen als Pale bekannte englische Lordschaft im Osten der Insel zunehmend an Bedeutung verlor. 1541 hob Heinrich VIII. (1491-1547) in seinem Bemühen um die Schaffung eines zentralistischen Staates daher die Lordschaft auf und nahm selbst den Titel eines Königs von Irland an. Gleichzeitig suchte er durch die <?page no="49"?> Irland 43 Verleihung englischer Adelstitel auch alle einheimischen irischen Herrscher in das englische Rechtssystem einzugliedern. Nach Heinrichs Tod gab die englische Krone dieses System der „Unterwerfung und Belehnung“ (surrender and regrant) jedoch wieder auf und setzte in zunehmendem Maße auf eine Politik der Kolonisierung, indem man aufständische Iren und Anglo-Iren durch Zwangsansiedlungen (plantations) systematisch gegen loyale englische oder schottische Siedler austauschte. Zur wichtigsten Machtbasis der einheimischen irischen Herrscher wurde nunmehr Ulster, wo Hugh O’Neill, Graf von Tyrone (um 1550-1616), zusammen mit seinem Verbündeten Hugh Roe O’Donnell (1572-1602) 1595 einen Aufstand gegen die englische Herrschaft unternahm, 1601 in der Schlacht von Kinsale jedoch vernichtend geschlagen wurde. Als Hugh O’Neill und seine Verbündeten 1607 in der „Flucht der Grafen“ (Flight of the Earls) für immer Irland verließen, verlor die aus dem Mittelalter überkommene irische Rechts- und Gesellschaftsordnung ihren letzten namhaften Stützpunkt. Die enteigneten Ländereien erhielten teils verdiente Gefolgsleute des englischen Königs, teils englische und schottische Unternehmer, die durch weitere Zwangsansiedlungen den Anteil englischer und schottischer Protestanten im Norden Irlands stark ansteigen ließen. 1641 entluden sich die daraus resultierenden Spannungen in einem Aufstand, in dessen Verlauf Tausende von Kolonisten ihr Leben verloren. Als kurz darauf in England der Bürgerkrieg zwischen König Karl I. (1600-1649) und dem Parlament ausbrach, kämpften die Iren gegen das von den Puritanern beherrschte Parlament, wurden jedoch 1649/ 50 von Oliver Cromwell (1599-1658) vernichtend geschlagen. Der endgültigen Niederschlagung des irischen Aufstands folgten weitere Enteignungen, so dass nunmehr der größte Teil der Insel in den Besitz von Protestanten überging. 1660 gelangte mit der Restauration der Monarchie Karl II. (1630-1685) auf den englischen Thron. Als sein jüngerer Bruder und Nachfolger Jakob II. (1633-1701) nach seinem Herrschaftsantritt die Wiederherstellung des Katholizismus in England betrieb, trug das Parlament 1688 seinem Schwiegersohn, dem Statthalter der Niederlande Wilhelm von Oranien (1650-1702) die Krone an, woraufhin Jakob nach Frankreich floh. Bei dem Versuch, von Irland aus den Thron zurückzugewinnen, wurde er mit seinem aus Iren und Franzosen zusammengesetzten Heer am 11. Juli 1690 in der Schlacht an der Boyne vernichtend geschlagen. Ein Jahr später wurde die schon bestehende politische, rechtliche und wirtschaftliche Benachteiligung der irischen Katholiken im Vertrag von Limerick durch umfangreiche Strafgesetze (penal laws) noch einmal deutlich verschärft. Das 18. Jahrhundert stand dementsprechend ganz im Zeichen der protesantischen Vorherrschaft (Protestant ascendancy), die zwar eine gewisse politische Stabilität, aber auch eine allgemeine wirtschaftliche Stagnation und die Verelendung weiter Bevölkerungseile mit sich brachte. 1798 kam es abermals zu bewaffneten Aufständen, die jedoch trotz der Landung eines französischen Expeditionsheeres innerhalb weniger Monate von <?page no="50"?> 44 Geschichte englischen Truppen niedergeschlagen wurden. Um Irland stärker an England anzubinden, setzte der englische Premierminiser William Pitt der Jüngere (1759-1806) 1800 die Vereinigung des irischen Parlaments mit dem englischen durch, doch scheiterte die von ihm angestrebte bürgerliche Gleichstellung der katholischen Bevölkerung Irlands am Widerstand König Georgs III. (1738- 1820). Die politische Führung der irischen Katholiken übernahm nunmehr der Anwalt Daniel O’Connell (1775-1849), der durch die Mobilisierung der katholischen Bevölkerungsmehrheit 1829 mit der Verabschiedung der Katholischen Emanzipationsakte die Zulassung der Katholiken zum Parlament und zu öffentlichen Ämtern durchsetzte. Danach ging die Vorherrschaft der Protestanten immer weiter zurück, während sich das irische Nationalbewusstsein immer mehr mit der Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Konfession verband und politisch-wirtschaftlich motivierte Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten deutlich zunahmen. Um die Mitte des 19.-Jahrhunderts lebte der weitaus größte Teil der irischen Katholiken von der Landwirtschaft, insbesondere vom Kartoffelanbau, während leistungsfähige Industrien fast nur im protestantisch geprägten Nordosten der Insel bestanden. Dort fürchtete man ebenso wie bei den protestantischen Landbesitzern die wirtschaftlichen Folgen einer Auflösung der Union mit England, wie sie die Anhänger des „Jungen Irland“ (Young Ireland) forderten. In dieser Situation wurde Irland 1845-48 durch den mehrjährigen Ausfall eines Großteils der Kartoffelernte von einer gewaltigen Hungersnot (The Great Famine) heimgesucht. Man vermutet, dass bis zu einer Million Menschen umkamen und ebensoviele nach Amerika auswanderten, während gleichzeitig unter dem Diktat des herrschenden Wirtschaftsliberalismus Lebensmittel aus Irland exportiert wurden und die Regierung kaum Hilfsmaßnahmen ergriff. Als sich das Land von den Folgen der Hungersnot zu erholen begann, wurde daher die Forderung nach Selbstverwaltung (home rule) immer lauter. Eine der revolutionären Ideologie des „Jungen Irland“ verwandte Stoßrichtung vertraten nunmehr die 1858 gegründete „Irisch-Republikanische Bruderschaft“ (Irish Republican Brotherhood) und ihr von irischen Emigranten getragener amerikanischer Flügel, die „Bruderschaft der Fenier“ (Fenian Brotherhood). Eine eher gemäßigte Linie verfolgte die 1870 von dem Rechtsanwalt Isaac Butt (1813-1879) gegründete Home Government Association (später umbenannt in Home Rule League), welche die Interessen von Konservativen und Liberalen, Protestanten wie Katholiken, miteinander zu vereinigen suchte. Unter der Federführung von Butts Nachfolger Charles Stewart Parnell (1846-1891) wurde 1886 ein erster Gesetzesantrag auf Selbstverwaltung für Irland ins britische Parlament eingebracht, scheiterte jedoch am Widerstand der Konservativen. Als das Unterhaus schließlich 1912 eine Selbstverwaltungsakte verabschiedete, verhinderte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs deren politische Umsetzung, woraufhin der radikale Flügel der irischen Nationalisten am Ostermontag 1916 in einem bewaffneten Aufstand die Irische Republik <?page no="51"?> Irland 45 ausrief. Zwar wurde der Aufstand innerhalb weniger Wochen von britischen Truppen niedergeschlagen, doch wuchs eben dadurch die Zustimmung breiter Bevölkerungsteile zur Forderung einer weitgehenden Unabhängigkeit von England. Unter der Führung von Eamon de Valera (1882-1975) erreichte die 1907 gegründete nationalistische Partei Sinn Féin („Wir selbst“) nach ihrem deutlichen Wahlsieg im Januar 1919 die Einrichtung eines irischen Parlaments, der Dáil Éireann, und 1921 mit dem Abschluss des Anglo-Irischen Vertrags die Gründung des Irischen Freistaats (Saorstát Éireann). Dadurch erhielt der größte Teil der Insel den Status eines Dominions im Rahmen des Britischen Weltreichs, doch blieben sechs der insgesamt neun Grafschaften von Ulster Teil des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland. Unmittelbar nach dem Abzug der britischen Truppen kam es darüber zum Bürgerkrieg, den die Befürworter des anglo-irischen Vertrags erst im Mai 1923 für sich entscheiden konnten. Als erklärter Gegner einer Teilung Irlands verließ Éamon de Valera 1926 die Partei Sinn Féin und gründete eine neue Partei, Fianna Fáil, die bereits 1932 zur stärksten politischen Kraft wurde. 1937 wurde der Irische Freistaat unter der neuen Regierung de Valeras nach einer entsprechenden Verfassungsänderung in Éire umbenannt und das neue Amt des Präsidenten von Irland geschaffen. 1949 erklärte sich Irland durch ein Gesetz des irischen Parlaments zur Republik mit dem Präsidenten als Staatsoberhaupt und verließ damit den Commonwealth. Im Zuge der Ersten Norderweiterung trat die Republik Irland 1973 zusammen mit dem Vereinigten Königreich und Dänemark der Europäischen Gemeinschaft bei, wodurch dem Land umfangreiche Finanzmittel zur Modernisierung der Infrastruktur und der Wirtschaft zur Verfügung gestellt wurden. Der dadurch eingeleitete, später unter dem Stichwort „Keltischer Tiger“ bekannte wirtschaftliche Aufschwung setzte sich auch nach dem Beitritt Irlands zur Eurozone 2002 fort, erlitt fünf Jahre später jedoch infolge der Finanzkrise einen empfindlichen Rückschlag, dessen Folgen noch immer spürbar sind. Die einst beherrschende Stellung der Römisch-Katholischen Kirche in Irland wurde insbesondere in den vergangenen beiden Jahrzehnten durch die Aufdeckung und Aufarbeitung zahlreicher Missbrauchsskandale deutlich geschwächt. Gleichzeitig entspannte sich indessen das Verhältnis zu Großbritannien, nachdem Irland im Karfreitagsabkommen von 1998 durch eine entsprechende Verfassungsänderung seinen Anspruch auf Nordirland aufgegeben hatte. Die Geschichte Irlands von den Anfängen bis zur Gegenwart behandeln die neun Bände der „New History of Ireland“: (1) Dáibhí Ó Cróinín (Hrsg.), Prehistoric and Early Ireland (Oxford 2005), (2) Art Cosgrove (Hrsg.), Medieval Ireland: 1169-1534 (Oxford 1987), (3) T. W. Moody (Hrsg.), Early Modern Ireland: 1534-1691 (Oxford 1976), (4) T. W. Moody (Hrsg.), Eighteenth-century Ireland: 1691-1800 (Oxford 1986), (5) W. E. Vaughan (Hrsg.), Ireland under the Union,1: <?page no="52"?> 46 Geschichte 1801-1870 (Oxford 1989), (6) W. E. Vaughan (Hrsg.), Ireland under the Union,2: 1870-1921 (Oxford 1996), (7) J. R. Hill (Hrsg.), Ireland, 1921-84 (Oxford 2003), (8) A Chronology of Irish History to 1976 (Oxford 1982) und (9) Maps, Genealogies, Lists (Oxford 1989). Neuere ausführliche Darstellungen in einem Band bieten Kenneth L. Campbell, Ireland’s History: prehistory to the present (London 2014) und Thomas Bartlett, Ireland: a history (Cambridge 2010). Als einbändiges Nachschlagewerk dient Seán J. Connolly (Hrsg.), The Oxford Companion to Irish History (Oxford 1998). Zur mittelalterlichen Geschichte Irlands im internationalen Kontext vgl. Edel Bhreathnach, Ireland in the Medieval World, AD 400-1000 (Dublin 2014), Jón Viðar Sigurðsson u. Timothy Bolton (Hrsg.), Celtic-Norse Relationships in the Irish Sea in the Middle Ages 800-1200 (Leiden 2014), John Sheehan u. Donnchadh Ó Corráin (Hrsg.), The Viking Age (Dublin 2010), Pauline Stafford (Hrsg.), A Companion to the Early Middle Ages: Britain and Ireland, c. 500-1100 (Malden, Mass. 2009), Mary A. Valante, The Vikings in Ireland (Dublin 2008), Benjamin T. Hudson, Viking Pirates and Christian Princes: dynasty, religion, and empire in the North Atlantic (New York 2005), Thomas M. Charles- Edwards, Early Christian Ireland (Cambridge 2000) und Dáibhí Ó Cróinín, Early Medieval Ireland 400-1200 (London 1995). Neuere Darstellungen der irischen Geschichte seit der frühen Neuzeit bieten Hilary Larkin, A History of Ireland, 1800-1922 (New York 2014), Mark Williamson u. Stephen Paul Forrest (Hrsg.), Constructing the Past: writing Irish history, 1600-1800 (Woodbridge 2010), Sean J. Connolly, Divided Kingdom: Ireland 1630-1800 (Oxford 2008), Sean J. Connolly, Contested Island: Ireland 1460-1630 (Oxford 2007) und Emmett O’Byrne, War, Politics, and the Irish of Leinster, 1156-1606 (Dublin 2003). 2.4 Schottland In Schottland beginnt die geschichtliche Epoche mit der Ankunft der Römer in der zweiten Hälfte des 1.- Jahrhunderts n. Chr. Im Unterschied zu England und Wales gehörten viele Regionen Schottlands jedoch nur vorübergehend oder überhaupt niemals zum Römischen Reich, so dass der kulturelle Einfluss Roms eng begrenzt blieb. Über die ethnische Zusammensetzung der keltischen Bevölkerung Schottlands zur Zeit der römischen Besetzung Britanniens geben die wenigen zeitgenössischen Schriftquellen nur unzureichend Auskunft. Die Römer bezeichneten die Bewohner Schottlands mit dem Namen Caledones, womit in einigen Fällen ein Stamm oder Stammesverband im Schottischen Hochland, in anderen Fällen jedoch ganz allgemein die Bewohner der Regionen nördlich des Hadrianswall als Grenze der römischen Provinz Britannia gemeint sein dürften. Nördlich des Firth of Forth und Firth of Clyde bestanden <?page no="53"?> Schottland 47 im Frühen Mittelalter zwei rivalisierende Königreiche, in denen man später den eigentlichen Ursprung des Königreichs Schottland und seiner kulturellen Identität sah. Dies waren im Westen das eng mit dem Nordosten Irlands verbundene Königreich von Dál Riada, im Osten das Königreich der Pikten. Die Träger des Reichs von Dál Riada waren die - ursprünglich von ihren britannischen Nachbarn so bezeichneten - Gälen, die in lateinischen Quellen mit dem (etymologisch ungeklärten) Namen Scoti oder Scotti bezeichnet werden. Ihre auch in Irland vorherrschende gälische Sprache war zwar mit den Idiomen der britannischen Kelten verwandt, in der nachrömischen Zeit jedoch bereits deutlich von ihnen verschieden. Nordöstlich von Dál Riada lag das Reich der Pikten, deren Name erstmals in lateinischen Quellen aus der Zeit um 300 als eine Sammelbezeichnung der Völker nördlich des Hadrianswalls genannt wird. Seit der Antike verstand man Picti als einen lateinischen Namen mit der Bedeutung „die Bemalten“, doch dürfte es sich tatsächlich um eine Selbstbezeichnung handeln, die man auch in der ersten Silbe von mutmaßlich piktischen Ortsnamen wie Pitlochry und Pitmedden findet. Irische Quellen bezeichnen die Pikten als Cruithin, was man auf Qritani, eine Variante von Pritani, zurückführt. Dabei handelt es sich um die alte keltische Bezeichnung der (von den Römern Britanni genannten) Britannier. Die Sprache der Pikten, die man vor allem aus Orts-, Personen- und Völkernamen kennt, war vermutlich mit der keltischen Sprache der Britannier südlich des Firth of Clyde und Firth of Forth eng verwandt. In frühmittelalterlichen Quellen erscheinen das Reich von Dál Riada und das in irischen Texten auch Fortriu genannte Reich der Pikten mitunter als gleichberechtigte Nachbarn, doch mit dem Auftreten der Wikinger gegen Ende des 8.- Jahrhunderts änderten sich die politischen Kräfteverhältnisse. Im Laufe des 9.-Jahrhunderts gewann die gälische Sprache in den östlichen und nördlichen Regionen Schottlands immer weiter an Boden, und aus den Reichen der Pikten und Skoten / Gälen entstand ein einheitliches Königreich Schottland (gälisch Alba) mit einem politischen Schwerpunkt in der Region um Perth. Instabil waren in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens die Grenzen des Königreichs Schottland. Im Südwesten bestand nach wie vor das Königreich von Strathclyde, das seine Selbständigkeit erst im Laufe des 11.-Jahrhunderts endgültig verlor. Östlich davon lag das Königreich Nordhumbrien, das zunächst unter die Oberhoheit der Wikinger von York und 954 unter die des aufstrebenden Königreichs England geriet. Seine Grenze mit dem Königreich Schottland wurde erst 1237 im Vertrag von York in ihrem - in der Hauptsache noch heute gültigen - Verlauf zwischen dem Solway Firth im Westen und dem Fluss Tweed im Osten endgültig festgelegt. Darüber hinaus bestand ein starker skandinavischer Einfluss auf den Shetland- und Orkney-Inseln, im äußersten Norden des schottischen Festlands sowie auf den Äußeren und Inneren Hebriden. Politisches Gewicht besaßen im Mittelalter insbesondere der „König der Hebriden“ (gälisch Rì Innse Gall) oder „Herr der Inseln“ (lateinisch Dominus <?page no="54"?> 48 Geschichte Insularum, englisch Lord of the Isles) sowie der „Graf “ (altnordisch Iarl) der Orkney-Inseln, die beide enge Beziehungen zu Norwegen pflegten. Vom späten 13. Jahrhundert bis um die Mitte des 14.- Jahrhunderts musste Schottland seine Unabhängigkeit von England in langwierigen Kriegen behaupten, bis schließlich 1371 mit Robert II. Stewart (1316-1390) der erste Herrscher einer neuen Dynastie auf den schottischen Thron gelangte. Mit dem Gewinn der Orkney- und Shetland-Inseln infolge der Heirat Jakobs- III. (1451-1488) mit Margarete von Dänemark 1469 und der Ausweitung der Herrschaft Jakobs-IV. (1473-1513) auf die bis dahin vom „Lord of the Isles“ beherrschten Hebriden 1493 erhielt Schottland immer mehr seine noch heute gültigen Grenzen. 1503 heiratete Jakob IV. Margaret Tudor, eine Tochter Heinrichs-VII. von England, und schuf damit die Grundlage für die 1603 vollzogene Personalunion zwischen England und Schottland. Schon in den 1530er Jahren gewann das Gedankengut der protestantischen Reformatoren insbesondere bei den schottischen Kritikern einer engen Bindung an Frankreich und den Befürwortern eines Ausgleichs mit England zunehmend an Boden. Unter der Federführung des calvinistischen Theologen John Knox (1514-1572) verabschiedete das schottische Parlament 1560 ein neues Glaubensbekenntnis, erklärte die Autorität des Papstes für nichtig, verbot die Feier der katholischen Messe und traf Vorkehrungen für eine Neuordnung der Kirche. Die schottische Königin Maria Stuart (1542-1587) wurde 1567 gezwungen, zugunsten ihres protestantisch erzogenen Sohnes Jakob-VI. (1566-1625) abzudanken und floh daraufhin nach England, wo ihre Rivalin Elisabeth-I. (1533-1603) sie wegen Hochverrats hinrichten ließ. Als Elisabeth-I. von England jedoch 1603 kinderlos starb, trat Jakob- VI. von Schottland ihre Nachfolge an und regierte fortan als „König von Großbritannien und Irland“. Ihm folgte nach seinem Tod 1625 sein Sohn Karl-I. (1600-1649), dessen absolutistischer Herrschaftsstil schon bald zu Spannungen mit dem Parlament führte, die sich auch nach dem Englischen Bürgerkrieg (1642-1649) unter seinem Sohn Karl- II. (1630-1685) und dessen Nachfolger Jakob- II. (1633-1701) fortsetzten. In der „Glorreichen Revolution“ von 1688 wurde Jakob- II. vertrieben und durch seine Tochter Maria II. (1662-1694) und deren Ehemann Wilhelm von Oranien (1650-1702) ersetzt. Ihnen folgte 1702 Marias jüngere Schwester Anne (1665-1714), deren einziger Sohn zwei Jahre zuvor verstorben war. Um eine Rückkehr des Herrscherhauses zum Katholizismus zu verhindern, hatte das englische Parlament bereits 1701 ohne Absprache mit den Schotten ein Gesetz verabschiedet, demzufolge die Krone Englands und Irlands nach Wilhelms und Annes Tod auf die protestantische Kurfürstin Sophia von Hannover, eine Nichte Karls I., bzw. deren protestantische Nachkommen übergehen sollte. Dementsprechend trat Georg Ludwig I. von Hannover (1660-1727) nach Annes Tod als König Georg I. ihre Nachfolge an. Bereits sieben Jahre zuvor, 1707, hatte die Verbindung von wirtschaftlichem, politischem und finanziellem Druck aus England zur Union von England und Schottland, der Bildung <?page no="55"?> Schottland 49 des Vereinigten Königreichs und der Schaffung eines gemeinsamen britischen Parlaments geführt. Die Unzufriedenheit, mit der die Vereinigung des relativ armen Königreichs Schottland mit seinem sehr viel reicheren südlichen Nachbarn in weiten Kreisen der schottischen Bevölkerung aufgenommen wurde, begünstigte die politischen Umtriebe all jener, die noch immer ihre Hoffnungen auf eine Rückkehr der Stuart-Dynastie setzten. Schon 1701 hatte Ludwig XIV. von Frankreich (1638-1715) nach dem Tod Jakobs II. seinen Sohn James Edward Francis Stuart (1688-1766) als rechtmäßigen König von England, Schottland und Irland anerkannt. 1708 unternahm der Thronprätendent erstmals den Versuch einer Landung französischer Invasionstruppen an der Küste des Firth of Forth, der jedoch scheiterte. 1715 kam es erneut zu einem Jakobitenaufstand, der von Schottland auch auf Nordengland übergriff, nach wenigen Monaten jedoch ebenfalls niedergeschlagen wurde. Im Februar 1716 floh der Thronprätendent nach Frankreich, woraufhin sich das Heer der Jakobiten auflöste, das Parlament die Entwaffnung des Schottischen Hochlands anordnete und britische Regierungstruppen in den aufständischen Regionen ein Netz aus Garnisonen und Militärstraßen anlegten. 1745 kam es erneut zu einem Aufstand unter der Führung von Karl Eduard Stuart (1720-1788), des ältesten Sohnes des Thronprätendenten, doch erlitt das Heer der Jakobiten 1746 in der Schlacht von Culloden bei Inverness eine vernichtende Niederlage, von der es sich nicht mehr erholen sollte. Für das Schottische Hochland begann nach der Niederschlagung des Aufstands eine Zeit politischer, wirtschaftlicher und kultureller Repressionen. Bereits 1746 verabschiedete das britische Parlament Gesetze, die den Besitz von Waffen und das Tragen der traditionellen Hochlandkleidung unter Strafe stellte und die traditionellen Privilegien der Clan-Führer auf königliche Beamte übertrug, wodurch der aus dem Mittelalter überkommenen Gesellschaftsordnung des Hochlands und der Hebriden die rechtliche Grundlage entzogen wurde. Leidtragende waren die Pächter, die immer öfter von ihrem Land verdrängt wurden, um Platz für die wirtschaftlich einträglichere Schafzucht zu schaffen. Ihren leidvollen Höhepunkt erreichten diese Highland Clearances im frühen 19. Jahrhundert, als zahllose Weiler und Dörfer gewaltsam geräumt wurden, die Bevölkerungsdichte dramatisch zurückging, die Emigration ein bis dahin unbekanntes Ausmaß annahm und viele Regionen des Hochlands und der Hebriden ihr noch heute charakteristisches Aussehen erhielten. Dramatisch verschärft wurde die Krise der gälischsprachigen Regionen, als in den Jahren 1846-1852 die Kartoffelernte infolge einer neuartigen Pilzerkrankung weitgehend oder vollständig ausfiel, was die ärmere Bevölkerung vieler Regionen an den Rand einer Hungersnot brachte. Immer wieder kam es daher unter den nahezu rechtlosen Kleinpächtern (crofters) und besitzlosen Kleinbauern (cottars) zu Unruhen. Eine substantielle Verbesserung der Lage erzielte erst die 1886 verabschiedete Crofters’ Holdings Scotland Act, die den <?page no="56"?> 50 Geschichte Kleinpächtern Rechtssicherheit gab und die Festsetzung der Pachthöhe in die Hände einer eigens eingesetzten Kommission legte. Gleichwohl blieb die Lage der Kleinpächter in den strukturschwachen Gebieten nach wie vor prekär und verbesserte sich erst allmählich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, wozu nicht nur ein verändertes politisches Klima, sondern auch neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen maßgeblich beitrugen. Die Koordination der staatlichen Förderung übernahm 1965 das Highlands and Islands Development Board, das 1991 in Highlands and Islands Enterprise umbenannt wurde. Den ausführlichsten Überblick über die schottische Geschichte bietet die auf zehn Bände angelegte Reihe „The New Edinburgh History of Scotland“, von der bislang sieben Bände erschienen sind: (1) James E. Fraser, From Caledonia to Pictland: Scotland to 795 (Edinburgh 2009), (2) Alex Woolf, From Pictland to Alba: 789-1070 (Edinburgh 2007), (3) Richard Oram, Domination and Lordship: Scotland 1070-1230 (Edinburgh 2011), (4) Michael Brown, The Wars of Scotland, 1214-1371 (Edinburgh 2004), (6) Jane Dawson, Scotland Re-formed, 1487-1588 (Edinburgh 2007), (8) Ned C. Landsman, Nation, State and Empire: Scotland, 1690-1790 (Edinburgh 2014), (10) Ewen A. Cameron Empaled Upon a Thistle: Scotland since 1880 (Edinburgh 2010). Kultursoziologisch orientiert ist die vierbändige Reihe „A History of Everyday Life in Scotland“: (1) Edwad J. Cowan u. Lizanne Henderson (Hrsg.), Medieval Scotland 1000-1600 (Edinburgh 2011), (2) Elizabeth A. Foyster u. Christopher A. Whatley (Hrsg.), 1600 to 1800 (Edinburgh 2010), (3) Trevor Griffiths u. Graeme Morton (Hrsg.), 1800-1900 (Edinburgh 2010), (4) Lynn Abrams u. Callum G. Brown (Hrsg.), Twentieth-Century Scotland (Edinburgh 2010). Als Nachschlagewerke dienen T.M. Devine u. Jenny Wormald (Hsg.), The Oxford Handbook of Modern Scottish History (Oxford 2012), Ian Donnachie u. George Hewitt (Hrsg.), The Birlinn Companion to Scottish History (Edinburgh 2007) und Michael Lynch (Hrsg.), The Oxford Companion to Scottish History (New York 2001). Neuere Studien zum keltischen Schottland bis zum Ausgang des Mittelalters bieten David Clarke, Alice Blackwell u. Martin Goldberg, Early Medieval Scotland (Edinburgh 2012), Tim Clarkson, The Men of the North: the Britons of southern Scotland (Edinburgh 2010), William A. Cummins, The Age of the Picts (Stroud 2009), Tim Clarkson, The Picts: a history (Stroud 2008), Wilson McLeod, Divided Gaels (Oxford 2004), Stephen T. Driscoll, Alba: the Gaelic kingdom of Scotland, AD 800-1124 (Edinburgh 2002), Edward J. Cowan u. R.- Andrew McDonald (Hrsg.), Alba: Celtic Scotland in the middle ages (East Linton 2000). Neuere Studien zur Geschichte des Hochlands und der Hebriden seit der Frühen Neuzeit bieten Fredrik Albritton Jonsson, Enlightenment’s Frontier: the Scottish Highlands and the origins of environmentalism (New Haven, Conn. 2013), John MacAskill (Hrsg.), The Highland Destitution of 1837 (Woodbridge 2013), Eric <?page no="57"?> Wales 51 Richards, The Highland Clearances, new ed. (Edinburgh 2008), Ders. Debating the Highland Clearances (Edinburgh 2007), Kenneth MacNeil, Scotland, Britain, Empire: writing the Highlands, 1760-1860 (Columbus, Ohio 2007), Stana Nenadic, Lairds and Luxury: the Highland gentry in eighteenth century Scotland (Edinburgh 2007), T. M. Devine, Clearance and Improvement (Edinburgh 2006). 2.5 Wales Ebenso wie in Schottland beginnt auch in Wales die historische Epoche mit der Ankunft der Römer, die das Land von der zweiten Hälfte des 1.- Jahrhunderts bis zum Beginn des 5.-Jahrhunderts besetzt hielten. Nach dem Abzug der römischen Truppen ließen sich germanische Neuansiedler in größerer Zahl und auf Dauer in Britannien nieder. Im Westen der Insel bestanden jedoch nach wie vor keltische Königreiche und Fürstentümer, über deren territoriale Ausdehnung und innere Organisation wir allerdings mangels zeitgenössischer Schriftquellen nur unzureichend unterrichtet sind. Im Südwesten, im Gebiet der heutigen Grafschaften Cornwall und Devon, lag das Königreich Dumnonia. Unmittelbar nördlich davon, also im Süden des späteren Wales, erstreckte sich im Westen das Königreich Dyfed und im Osten das Königreich Brycheiniog. Den Nordwesten von Wales beherrschte das Königreich Gwynedd, während im Nordosten und in der Mitte das Königreich Powys entstand. Keltische Reiche bestanden daüber hinaus in Nordengland und Südschottland, darunter im Westen die Königreiche von Rheged und Strathclyde und östlich davon das Reich der Gododdin mit seinem Hauptort Dyn Eidyn, dem späteren Edinburgh. Nach ihrem Sieg über mehrere britannische Könige in der Schlacht von Deorham (wohl Dyrham in der Nähe von Bath) 577 eroberten die nach Westen vordringenden Sachsen das Tal der Severn mit den Städten Gloucester, Cirencester und Bath, wodurch die Landverbindung zwischen der keltischsprachigen Bevölkerung von Wales und ihren weiter südlich beheimateten Landsleuten in Cornwall und Devon dauerhaft unterbrochen wurde. Ein weiterer Vorstoß im Nordosten von Wales gelang zu Beginn des 7.- Jahrhunderts den nordhumbrischen Angeln, die unter der Führung ihres Königs Æthelfrith in der Schlacht von Chester den König von Powys besiegten. Bereits 638 hatten die Angeln das britannische Königreich der Gododdin mit seiner wichtigen Festung Din Eidyn erobert, während das südwestlich davon gelegene Königreich Rheged vielleicht durch eine dynastische Heirat unter die Oberhoheit Nordhumbriens geriet. Von den alten britannischen Königreichen außerhalb von Wales konnte daher nur das Reich von Strathclyde seine Unabhängigkeit noch bis ins 11. Jahrhundert behaupten. In Wales war bereits um die Mitte des 7.-Jahrhunderts der Osten des Königreichs Powys von dem angrenzenden anglischen Königreich Mercia annektiert <?page no="58"?> 52 Geschichte worden, wohingegen das Königreich Gwynedd im Nordwesten von Wales seine Vormachtstellung weiter festigen konnte. Als Ahnherr der Könige von Gwynedd galt einer frühmittelalterlichen Überlieferung zufolge der nordbritannische Fürst Cunedda, von dem es hieß, er sei im 5. Jahrhundert aus dem Land der Gododdin nach Wales gerufen worden, um das Land gegen Angreifer aus Irland zu verteidigen. Weithin bekannt wurde Cuneddas Urenkel Maelgwn Gwynedd, der in der ersten Hälfte des 6.- Jahrhunderts von seinem Hof in Degannwy bei Conwy aus herrschte. Bedeutende Erfolge im Kampf gegen die Angeln erzielte in der ersten Hälfte des 7.- Jahrhunderts sein Nachkomme Cadwallon ap Cadfan, der 633 in der Schlacht von Heathfield König Edwin von Nordhumbrien besiegte, bevor er selbst im Kampf gegen König Oswald von Bernicia den Tod fand. Zur Sicherung der walisischen Grenze und wohl auch als Machtdemonstration ließ König Offa von Mercien (757-796) einen fast 300 km langen Wall mit vorgelagertem Graben (Offa’s Dyke) anlegen, der-bis-heute den ungefähren Verlauf der englisch-walisischen Grenze bezeichnet. In der zweiten Hälfte des 9.-Jahrhunderts gelang es König Rhodri dem Großen (um 820-878) erstmals, seine Herrschaft von Gwynedd auch auf andere Teile von Wales auszudehnen, doch wurde sein Reich nach seinem Tod wieder unter seinen Söhnen aufgeteilt. Als bedeutendster walisischer Herrscher des 10.- Jahrhunderts gilt Rhodris Enkel Hywel ap Cadell, genannt „der Gute“ (Hywel Dda, um 880-950). Er vereinigte die beiden südwalisischen Königreiche von Dyfed und Seisyllwg zu dem neugeschaffenen Königreich Deheubarth und errang 942 auch noch die Herrschaft über Gwynedd. Durch eine Politik der Verständigung mit seinen angelsächsischen Nachbarn festige er seine Macht, ließ als erster walisischer Herrscher Münzen prägen und veranlasste eine Sammlung von Gesetzen, die später nach ihm benannt wurde. Nach seinem Tod wurde Wales von rivalisierenden Fürsten beherrscht, die sowohl untereinander als auch mit Wikingern und Engländern Kriege führten. Erst Gruffydd ap Llywelyn (um 1007-1063) brachte um 1055 ganz Wales unter seine Herrschaft, doch fiel er bereits acht Jahre später im Kampf gegen König Harald Godwinsson von England, der seinerseits nur drei Jahre später in der Schlacht von Hastings gegen Wilhelm I. ums Leben kam. Nach seiner Krönung zum König von England am Weihnachtsfest 1066 belehnte Wilhelm I. (um 1028-1087) einige seiner treuesten normannischen Gefolgsleute mit Markgrafschaften entlang der walisischen Grenze rings um die Städte Chester, Shrewsbury und Hereford. Von diesem „Walisischen Grenzland“ (lateinisch Marchia Walliae, englisch Welsh Marches) aus unternahmen die Normannen in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Vorstöße in „das eigentliche Wales“ (Pura Wallia), also in die noch bestehenden walisischen Reiche von Gwynedd, Powys und Deheubarth. Besonders erfolgreich waren sie dabei im Süden, wo ihnen schon vor dem Ende des 11.- Jahrhunderts die Eroberung weiter Landstriche an der Küste gelang. Ihre Eroberungen sicherten <?page no="59"?> Wales 53 die normannischen Adligen durch den Bau von Burgen, aber auch durch die Anlage ummauerter Städte, in denen sich rechtlich privilegierte ausländische Händler und Handwerker ansiedelten, während auf den ausgedehnten Rittergütern besonders im Osten und Süden von Wales neue Formen der Landwirtschaft heimisch wurden. Von den noch bestehenden walisischen Fürstentümern war Gwynedd langfristig am erfolgreichsten, so dass sein Herrscher Llywelyn ap Iorwerth (1173-1240) zu dem mit Abstand mächtigsten walisischen Fürsten seiner Zeit aufstieg und deswegen den Beinamen „der Große“ (Llywelyn Fawr) erhielt. Sein Enkel Llywelyn ap Gruffudd (um 1225-1282) musste 1267 die Oberhoheit des englischen Königs anerkennen, wurde jedoch nach der Thronbesteigung Eduards I. (1239-1307) im Jahr 1272 in kriegerische Auseinandersetzungen mit England hineingezogen, bei denen er 1282 ums Leben kam. Daraufhin verfügte Eduard I. die territoriale Neuordnung von Wales, das in eine nördliche und eine südliche Hälfte mit Verwaltungszentren in Caernarfon und Carmarthen aufgeteilt wurde. Noch in den beiden letzten Jahrzehnten des 13.-Jahrhunderts begann Eduard I. zur Sicherung seiner Herrschaft über Wales mit dem Bau der königlichen Burgen von Caernarfon, Conwy, Harlech und Beaumaris. 1301 übertrug der König die Herrschaft über das Fürstentum Wales formal seinem vermutlich in Caernarfon geborenen Sohn, Eduard II. (1284-1327), und begründete damit die noch heute lebendige Tradition, derzufolge der britische Thronfolger den Titel eines Prince of Wales trägt. Gleichwohl kam es immer wieder zu Aufständen, wobei die Unzufriedenheit mit der englischen Herrschaft in der zweiten Hälfte des 14.- Jahrhunderts nicht zuletzt infolge einer dramatischen Verschlechterung der Lebensbedingungen infolge der großen Pestepidemie von 1348 stark zunahm. 1400 unternahm Owain Glyndŵr (um 1350 - um 1415), der seine Abkunft auf die Könige von Deheubarth und Powys zurückführte, den bis dahin erfolgreichsten Aufstand gegen den englischen König Heinrich IV. (1366-1413). Nach der Eroberung der Burgen von Harlech und Aberystwyth berief Owain Glyndŵr 1404 in Machynlleth ein walisisches Parlament ein und ließ sich im Beisein französischer, schottischer und kastilischer Abgesandter zum Fürsten von Wales krönen. Schon wenige Jahre später wurde der Aufstand jedoch vollständig niedergeschlagen und Owain Glyndŵr verstarb zu einem unbekannten Zeitpunkt an einem unbekannten Ort. Eine wichtige Rolle spielten walisische Adlige und ihre Gefolgsleute nach 1455 in den als Rosenkriege bekannten Thronstreitigkeiten zwischen den Häusern Lancaster und York. An ihrem Ende wurde nach der Schlacht von Bosworth Field 1485 mit Henry Tudor (Harri Tudur, 1457-1509) erstmals ein Waliser als Heinrich VII. König von England. Da der neue Herrscher viele seiner walisischen Gefolgsleute nach London berief oder mit Ländereien in England für ihre Dienste belohnte, verlagerte sich der politische Schwerpunkt des walisischen Adels in der Folgezeit zunehmend nach London. Zwischen 1536 <?page no="60"?> 54 Geschichte und 1543 wurde auf Veranlassung Heinrichs VIII. (1491-1547) die Jahrhunderte alte Trennung zwischen dem Fürstentum Wales und dem Walisischen Grenzland endgültig aufgehoben und ganz Wales in zwölf Grafschaften mit entsprechender Vertretung im englischen Parlament aufgeteilt. Als einzige Sprache der Verwaltung wie auch der Gerichte galt fortan das Englische, wie auch das englische Recht nunmehr für ganz Wales verbindlich wurde. Dabei begünstigte die fortschreitende Angleichung an England zwar die Anglisierung des niedrigen Adels, doch führte sie andererseits zu wachsender politischer und rechtlicher Stabilität, was zu einem anhaltenden Aufschwung der Wirtschaft und Wachstum der Bevölkerung führte. Eine wichtige Rolle für die überwiegend agrarisch geprägte Wirtschaft spielte insbesondere die Schaf- und Rinderzucht, wobei man die Schafwolle vielfach bereits vor Ort für die Herstellung grober Tuche nutzte, die Rinder jedoch in großer Zahl nach England ausführte. Schon seit dem 16. Jahrhundert hatte man in einigen Gegenden von Südwales Kohle abgebaut und Eisen verhüttet. Mit dem Aufschwung der Industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 18.- Jahrhunderts entwickelte sich insbesondere der Ort Merthyr Tydfil knapp 40 km nördlich von Cardiff zu einem Zentrum der Eisenproduktion. Nicht zuletzt infolge des Zustroms von Arbeitern aus England und Irland nahm die Bevölkerung stark zu, so dass Merthyr Tydfil um die Mitte des 19.- Jahrhunderts mehr Einwohner hatte als jede andere walisische Stadt. Mit der Verbesserung der Dampfmaschine und ihrem zunehmenden Einsatz im Schiff bau und Eisenbahnwesen stieg seit dem frühen 19. Jahrhundert auch die Nachfrage nach Kohle, so dass in einigen zuvor nur schwach besiedelten Tälern in Glamorgan und Monmouthshire nunmehr ebenfalls bevölkerungsreiche Industriestandorte entstanden. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bot das südwalisische Kohlerevier Arbeitsplätze für einen Großteil der walisischen Bevölkerung und deckte einen erheblichen Anteil des Energiebedarfs der Industrienationen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs folgte darauf jedoch eine tiefgreifende wirtschaftliche Depression, in deren Gefolge die walisische Schwerindustrie und die großen Exporthäfen in Südwales dramatisch an Bedeutung verloren, Armut und Langzeitarbeitslosigkeit zunahmen und viele Waliser infolgedessen in die Industrienzentren Englands abwanderten. War das britische Zweiparteiensystem der Zeit um 1900 noch vom Gegensatz zwischen Liberalen und Konservativen geprägt gewesen, so gewann seit den 1920er Jahren die Arbeiterpartei zunehmend an Einfluss. Für mehr Autonomie, gegen die zunehmende Anglisierung und für die Rückbesinnung auf das walisische kulturelle Erbe kämpfte die 1925 gegründete Walisische Nationalpartei (Plaid Genedlaethol Cymru, später umbenannt in Plaid Cymru), die jedoch erst seit 1936 größeren Zuspruch fand. Damals plante die britische Regierung in Penyberth auf der walisischen Halbinsel Llŷn in einer kulturgeschichtlich bedeutenden Region ungeachtet aller walisischen Proteste die <?page no="61"?> Wales 55 Anlage eines Luftwaffenstützpunkts mit Bombenabwurfplatz, worauf drei führende Parteimitglieder, David John Williams (1885-1970), Lewis Valentine (1893-1986) und Saunders Lewis (1893-1985) ihrem Widerstand mit einem symbolischen Akt der Brandstiftung Nachdruck verliehen. Politisches Gewicht gewann Plaid Cymru jedoch erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Vorsitz von Gwynfor Evans (1912-2005), der 1966 als erstes Parteimitglied ins britische Parlament gewählt wurde. In dem dadurch angestoßenen Prozess der Dezentralisierung erfolgte 1998 schließlich die Einrichtung eines walisischen Regionalparlaments (engl. The National Assembly for Wales, wal. Cynulliad Cenedlaethol Cymru), das 2011 erstmals weitreichende gesetzgebende Befugnisse erhielt. Eine ausführliche Gesamtdarstellung bieten die bislang fünf der auf insgesamt sechs Bände angelegten „History of Wales“: (1) Thomas M. Charles-Edwards, Wales and the Britons 350-1064 (Oxford 2013), (2) Robert R. Davies, Conquest, Coexistence and Change: Wales 1063-1416 (Oxford 1987), (3) Glanmor Williams, Recovery, Reorientation and Reform: Wales c. 1415-1642 (Oxford 1987), (4) Geraint H. Jenkins, The Foundations of Modern Wales: Wales 1642-1780 (Oxford 1987), (6) Kenneth O. Morgan, Rebirth of a Nation: Wales 1880-1980 (Oxford 1980). Eine Reihe von Aufsätzen zur walisischen Geschichte enthält H. V. Bowen (Hrsg.), A New History of Wales (Llandysul 2011); neuere einbändige Geamtdarstellungen bieten Jon Gower, The Story of Wales (London 2012) und Geraint H. Jenkins, A Concise History of Wales (Cambridge 2007). Als Nachschlagewerk dient John Davies (Hrsg.), Encyclopaedia of Wales (Cardiff 2008). Neuere Studien zur Geschichte von Wales im Mittelalter bieten Michael Livingston u. John K. Bollard (Hrsg), Owain Glyndŵr. A casebook (Livepool 2013), Roger Turvey, Owain Gwynedd (Talybont 2013), Susan M. Johns, Gender, Nation and Conquest in the High Middle Ages: Nest of Deheubarth (Manchester 2013), David Stephenson, Political Power in Medieval Gwynedd (Carmarthen 2013), Helen Fulton (Hrsg.), Urban Culture in Medieval Wales (Cardiff 2012) und Max Lieberman, The Medieval March of Wales (Cambridge 2010). Zur Geschichte von Wales von der Frühen Neuzeit bis zum Ersten Weltkrieg vgl. Russell Davies, Secret Sins: sex, violence and society in Carmarthenshire, 1870-1920 (Cardiff 2012), Paul O’Leary, Claiming the Streets: processions and urban culture in South Wales, c. 1830-1880 (Cardiff 2012), Stewart Mottram u. Sarah Prescott (Hrsg.), Writing Wales, from the Renaissance to Romanticism (Farnham 2012), Kathryn J. Cooper, Exodus from Cardiganshire: rural-urban migration in Victorian Britain (Cadiff 2011), James Edward Thomas, Social Disorder in Brtain, 1750-1850: the power of the gentry, radicalism and religion in Wales (London 2011), Lloyd Bowen, The Politics of the Principality: Wales, c.-1603-1642 (Cardiff 2007), Russell Davies, Hope and Heartbreak: a social history of Wales and the Welsh, 1776-1871 (Cardiff 2005). <?page no="62"?> 56 Geschichte Neuere Studien zur Geschichte von Wales seit dem frühen 20. Jahrhundert bieten Neil Evans u. Huw Pryce (Hrsg.), Writing a Small Nation’s Past: Wales in comparative perspective, 1850-1950 (Farnham 2013), Wyn Thomas, Hands off Wales: nationhood and militancy (Cardiff 2013), Martin Johnes, Wales since 1939 (Manchester 2012), Hywel Davies, The Welsh Nationalist Party, 1924-1945 (Cardiff 2009), John Gilbert Evans, Devolution in Wales: claims and responses, 1937-1979 (Cardiff 2006) und D. Gareth Evans, A History of Wales, 1906-2000 (Cardiff 2000). 2.6 Die Bretagne Wohl schon im späten 3. und 4. Jahrhundert hatten die Römer zur Verteidigung der Küstenregionen im Nordwesten Galliens Kelten aus Britannien dort angesiedelt. Unter dem Druck irischer und angelsächsischer Überfälle wichen dann im 5. und 6. Jahrhundert weitere Gruppen britannischer Kelten auf das Festland aus und machten dort ihre Sprache heimisch. Nach ihrer früheren Heimat nannte man die Region deswegen seit dem 6. Jahrhundert Britannia (minor) oder „(Klein-)Britannien“. Frühe Ortsnamen mit den charakteristischen Bestandteilen Plou- (vgl. kymrisch plwyf „Kirchspiel“ aus lateinisch plebem), Tre- (vgl. kymrisch tref „Dorf “) und Lan- (vgl. kymrisch llan „Kloster“) bezeugen die geographische Ausdehnung früher Kirchengründungen in der Bretagne, die in dieser frühen Zeit aus den vier Fürstentümern Léon (im Nordwesten), Domnoné (im Norden), Cornouaille (im Südwesten) und Vannetais (im Südosten) bestand. Östlich der Bretagne regierten die fränkischen Merowingerkönige, deren Oberhoheit die bretonischen Fürsten zwar formell anerkannten, über deren Autorität sie sich jedoch bei internen Konflikten und Grenzstreitigkeiten immer wieder hinwegsetzten. Wie Gregor von Tours (um 538-594) in seinen Zehn Bücher Geschichten berichtet, eroberte der bretonische Fürst Waroc in der zweiten Hälfte des 6.-Jahrhunderts Vannes und brandschatzte die Gebiete um Rennes und Nantes. Über mehr als sporadische Informationen zu den fränkisch-bretonischen Beziehungen verfügen wir jedoch erst seit der Karolingerzeit. Für das Jahr 778 erwähnt der Chronist Einhard (um 770-840) in seiner Biographie Karls des Großen erstmals die „Bretonische Mark“, wie man das Gebiet der drei fränkischen Grafschaften von Nantes, Rennes und Vannes damals nante. 831 setzte Ludwig der Fromme (778-840) den bretonischen Adligen Nominoë zum Grafen von Vannes ein und ernannte ihn zum kaiserlichen Beauftragten für die gesamte Bretagne. Nach seinem Tod 851 herrschte Nominoës Sohn Erispoë mit Billigung des westfränkischen Königs über die gesamte Bretagne einschließlich der Grafschaften Rennes und Nantes und des Gebiets um Retz südlich der Loiremündung. Als Erispoë 857 von seinem Vetter Salomon ermordet wurde, erkannte Karl der Kahle (823-877) den Machtwechsel notgedrungen an und belehnte den <?page no="63"?> Die Bretagne 57 neuen Herrscher mit weiteren Ländereien zwischen den Flüsen Mayenne und Sarthe. Einen neuen Machtfaktor bildeten seit der Mitte des 9.- Jahrhunderts Wikinger aus Dänemark, die bereits 843 Nantes überfallen und sich danach an der Loiremündung festgesetzt hatten. 890 errangen die Bretonen unter ihrem Fürsten Alain I. dem Großen einen entscheidenden Sieg über die Normannen. 911 jedoch, vier Jahre nach Alains Tod, wurde der Normanne Rollo oder Hrolf (846-931) von Karl III. dem Einfältigen (879-929) mit der Normandie belehnt, wodurch sich der Druck auf die Bretagne wieder verstärkte. Erst 937 gelang es Alain II. Schief bart, einem Enkel Alains I., die Normannen zu vertreiben und dadurch das bretonische Herzogtum zu begründen. In den folgenden Jahrhunderten kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den bretonischen Fürstenhäusern von Nantes, Rennes und Cornouaille sowie zu Streitigkeiten mit mächtigen Grenznachbarn wie etwa den Herzögen der Normandie und den Grafen von Blois und Anjou. In der zweiten Hälfte de 12.- Jahrhunderts geriet die Bretagne in den Machtbereich Heinrichs II. von Engand (1133-1189), doch erlangte 1213 mit Peter von Dreux (genannt Mauclerc, um 1190-1250) ein französischer Prinz aus dem Haus der Kapetinger die Herzogswürde, die bis 1341 bei seinen Nachkommen verblieb. In dieser Zeit wurden die Verwaltung, das Recht und die Wirtschaft modernisiert und die Verbindungen mit Frankreich weiter ausgebaut. Nach dem Übergang der Herzogswürde an das Haus Montfort 1364 erlebte die Bretagne eine Periode des politischen Aufstiegs und der wirtschaftlichen Blüte, doch kam es nach dem Regierungsantritt Ludwigs XI. (1423-1483) im Jahr 1461 zu vermehrten Spannungen zwischen dem französischen König und Herzog Franz II. (1435-1488), der 1477 mit dem Tod Herzog Karls des Kühnen von Burgund seinen mächtigsten Verbündeten verlor. Nach der vernichtenden Niederlage der Bretonen in der Schlacht von Saint- Aubin-du-Cormier und dem Tod ihres Herzogs 1488 vermählte sich Franz’ Tochter Anna mit dem französischen König Karl VIII. (1470-1498) und ein Jahr nach dessen frühem Tod mit seinem Nachfolger Ludwig XII. (1462-1515). Ihre Tochter Claudia heiratete 1514 Franz von Angoulême (1494-1547), der ein Jahr später als Franz I. den französischen Thron bestieg und nach Claudias Tod 1532 im Edikt von Nantes die „immerwährende Vereinigung“ der Bretagne mit Frankreich proklamierte. In wirtschaftlicher Hinsicht führte die Umwandlung der Bretagne in eine Provinz des Königreichs Frankreich zu einem Aufschwung, den die Region vor allem dem Seehandel, der Landwirtschaft und der Textilindustrie verdankte. Dies lag zum einen an der geographischen Lage der Bretagne auf halbem Weg zwischen der Iberischen Halbinsel, England und Flandern, zum anderen an den zahlreichen natürlichen Häfen seiner zerklüfteten Küste, die günstige Bedingungen sowohl für die Ausfuhr heimischer Produkte als auch für den Umschlag auswärtiger Waren ins Binnenland boten. Seit dem späten 17. Jahrhundert wurde die Wirtschaft der Bretagne jedoch durch langwierige <?page no="64"?> 58 Geschichte militärische Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und England stark in Mitleidenschaft gezogen, da der bretonische Seehandel stark zurückging und den heimischen Industrien nunmehr wichtige Absatzmärkte fehlten. Eine wichtige Rolle für die französische Wirtschaft spielten indessen nach wie vor der Hafen von Lorient als Sitz der unter Ludwig XIV. 1664 gegründeten Französische Ostindienkompanie, die das Handelsmonopol für weite Regionen Afrikas, Indiens und Ostasiens innehatte, sowie der Hafen von Nantes, dem als zweitgrößter Umschlaghafen nach Bordeaux eine Schlüsselstellung im Sklavenhandel zwischen Frankreich, Afrika und Amerika zukam. 1789 verlor die Bretagne im Gefolge der Französischen Revolution sowohl ihre Autonomie als auch zahlreiche seit der Vereinigung mit Frankreich bestehende Privilegien und wurde in fünf Verwaltungseinheiten (départements) aufgeteilt. Infolge der Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten mit diesen Neuerungen, aber auch wegen des zunehmend antiklerikalen Charakters der Revolution kam es seit 1793 zur Chouannerie, einer Gegenrevolution der als Chouans bezeichneten königstreuen Bretonen, deren Guerillatruppen vereinzelt noch bis 1815 gegen die Pariser Zentralregierung vorgingen. Auch nach dem endgültigen Sturz Napoleons und der Restauration der Bourbonenmonarchie 1815 blieb die Bretagne auf lange Zeit politisch gespalten zwischen den königstreuen „Weißen“, die ihren Rückhalt vor allem bei den Großgrundbesitzern, im Adel und in der Kirche hatten, und den radikal-demokratisch und antiklerikal gesinnten „Blauen“, die sich vor allem auf die bürgerlichen Intellektuellen und Kaufleute der bretonischen Städte stützten. Den wichtigsten Erwerbszweig der Bretagne bildete nunmehr die Landwirtschaft, da die altertümlichen, nur mit Holzkohle arbeitenden bretonischen Schmieden gegenüber der mit Steinkohle betriebenen britischen Schwerindustrie nicht mehr konkurrenzfähig waren und die traditionellen bretonischen Leinentuche zunehmend von den preiswerteren Baumwollstoffen verdrängt wurden. Eine wichtige Rolle spielte die Bretagne eben deswegen für die französischen Romantiker, die in ihrem Unbehagen angesichts rasanter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen im Gefolge der Industrialisierung und Urbanisierung die Bretagne mit ihren farbenfrohen Festtagstrachten, Märkten, Wallfahrten und religiösen Festen als eine Art Rückzugsraum für sich entdeckten. Einen deutlichen Modernisierungsschub für die wirtschaftliche Entwicklung der Bretagne brachte in den 1850er und 1860er Jahren der Bau der beiden Eisenbahnlinien zwischen Rennes und Brest sowie zwischen Nantes und Quimper. Davon profitierten insbesondere die küstennahen Gebiete, da die Eisenbahn den Transport von Fischereiprodukten in den Großraum Paris verbilligte und beschleunigte und zugleich die Attraktivität der bretonischen Badeorte für die Städter erhöhte. In der Zentralbretagne führte der Mangel an Arbeitsplätzen dagegen zu einer zunehmenden Abwanderung der Bevölkerung. Tiefgreifende Veränderungen brachte sodann der Erste Weltkrieg, in dessen Verlauf die bretonischen Regimenter - ähnlich wie auf britischer <?page no="65"?> Die Bretagne 59 Seite die schottischen - überdurchschnittlich hohe Verluste zu verzeichnen hatten und das verstörende Kriegserlebnis viele Überlebende veranlasste, die durch Schule und Kirche vermittelten traditionellen Werte in Frage zu stellen. Schon 1911 hatten Kritiker einer engen Bindung der Bretagne an Frankreich die Bretonische Nationalistische Partei (Parti Nationaliste Breton) gegründet, die jedoch nur bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs Bestand hatte. Auf sie folgte 1927 die Bretonische Autonomistische Partei (Parti Autonomiste Breton), die sich jedoch bereits 1931 in die föderalistisch orientierte Ligue fédéraliste de Bretagne und die separatistisch ausgerichtete Bretonische Nationalpartei (Parti Nationaliste Breton) aufspaltete. Unter der Führung des militanten Nationalisten Célestin Lainé (1908-1983) verübten bretonische Separatisten im August 1932 in Rennes einen Sprengstoffanschlag auf das 1911 eingeweihte Denkmal zur Erinnerung an die Union zwischen Frankreich und der Bretagne. 1936 bildeten sie nach dem Vorbild der Irisch-Republikanischen Armee eine eigene paramilitärische Einheit, aus der später auch der als Bezen Perrot bekannte bretonische Verband der Waffen-SS hervorging. Nach dem Ende der deutschen Besetzung Frankreichs diskreditiert, formierten sich bretonische Separatisten 1963 erneut in der Bretonischen Befreiungsfront (Front de Libération de la Bretagne), als deren bewaffneter Arm seit 1971 die Revolutionäre Bretonische Armee (Armée Revolutionnaire Bretonne) mehrere Anschläge verübte. Eine zunehmend wichtige Rolle für die bretonische Wirtschaft spielt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Tourismus, der indessen durch die Havarien der Öltanker Amoco Cadiz und Erika (1978 bzw. 1999) schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. 1982 erhielt die Bretagne ebenso wie die anderen Regionen Frankreichs den Status einer Gebietskörperschaft mit vier Départements, deren Grenzen gemäß der im Juli 2014 vom französischen Parlament beschlossenen Fusion der Regionen auch nach dem 1. Januar 2016 fortbestehen sollen. Eine kurzgefasste Geschichte der Bretagne bietet Gwenno Piette, Brittany: a concise history (Cardiff 2008). Vgl. dazu Philippe Jouët u. Kilian Delorme, Atlas historique des pays et terroirs de Bretagne (Morlaix 2007). Zur Geschichte der Bretagne im Mittelalter vgl. Pierre-Yves Laffont (Hrsg.), Les élites et leurs résidences en Bretagne au Moyen Âge (Rennes 2014), Eric Borgnis Desbordes, Pierre Ier de Bretagne, 1213-1237: Pierre de Dreux, un Capétien sur le trône ducal (Fouesnant 2013), Ders., Arthur de Bretagne: 1187-1203; l’espoir breton assassiné (Fouesnant 2012), Wendy Davies, Brittany in the Early Middle Ages (Farnham 2009), Jean-Luc Deuffic (Hrsg.), La Bretagne carolingienne (Saint- Denis 2008), Joëlle Quaghebeur u. Bernard Merdrignac (Hrsg.), Bretons et Normands au Moyen Âge (Rennes 2008), Joëlle Quaghebeur, La Cornouaille du IXe au XIIe siècle (Rennes 2002) und Judith Everard, Brittany and the Angevins (Cambridge 2000). Neuere Studien zur Geschichte der Bretagne im 20. Jahrhundert bieten Michel Denis u. Claude Geslin, Histoire d’un siècle, Bretagne <?page no="66"?> 60 Geschichte 1901-2000 (Morlaix 2010) und Yann Fournis, Les régionalismes en Bretagne (Bruxelles 2006). Zur Geschichte des bretonischen Nationalismus und Separatismus vgl. ferner Lionel Henry, Dictionnaire biographique du mouvement breton: XXe-XXIe siècles (Fouesnant 2013), Georges Cadiou, L’ hermine et la croix gammée: le mouvement breton et la collaboration (Rennes 2006) und Kristian Hamon, Le Bezen Perrot: 1944, des nationalistes bretons sous l’uniforme allemand (Fouesnant 2004). Als umfassendes Nachschlagewerk dient Alain Croix u. Jean-Yves Veillard, Dictionnaire du patrimoine breton (Rennes 2013). <?page no="67"?> 3 Sprachwissenschaft Größere inhaltliche und methodische Schnittmengen zwischen Keltologie und Linguistik bestehen sowohl im Hinblick auf die Historisch-Vergeichende als auch die Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft. Traditionell besonders eng ist - insbesondere im deutschsprachigen Raum - der Bezug der Keltologie zur Vergleichenden Indogermanischen Sprachwissenschaft, die sich der Erforschung des Keltischen als Zweig der indogermanischen oder indoeuropäischen Sprachfamilie sowie der Geschichte des Keltischen und der verschiedenen keltischen Einzelsprachen widmet. Eine eher untergeordnete Rolle spielen demgegenüber von jeher Vergleiche des Keltischen oder der keltischen Einzelsprachen vom Standpunkt der Sprachtypologie, wobei vor allem die geographisch unmittelbar benachbarten germanischen und romanischen Sprachen, aber auch die typologisch ähnlichen hamitosemitischen Sprachen Nordafrikas und des Vorderen Orients herangezogen worden sind. Teilbereiche der Allgemeinen Sprachwissenschaft wie etwa die Laut- und Formenlehre (Phonetik, Phonologie und Morphologie), Bedeutungslehre (Semantik) und Satzbau (Syntax) spielen vor allem für die Erforschung der keltischen Einzelsprachen eine Rolle, wobei einige dieser Bereiche infolge der trümmerhaften Überlieferung der älteren Sprachstufen nur für die jüngere Vergangenheit und Gegenwart relevant sind. Weitgehend darauf beschränkt sind auch die Berührungspunkte zwischen der Keltologie und der Angewandten Sprachwissenschaft, die in erster Linie die Soziolinguistik, die Sprachlehr- und Sprachlernforschung und die Sprachplanung betreffen. Eine neuere ausführliche Übersicht über sämtliche keltische Sprachen bieten die Beiträge in Martin J. Ball u. Nicole Müller (Hrsg.), The Celtic Languages, 2nd ed. (London 2009). Etymologie und Sprachgeschichte behandeln Nicholas Zair, The Reflexes of the Proto-Indo-European Laryngeals in Celtic (Leiden 2012), Ranko Matasović, Etymological Dictionary of Proto-Celtic (Leiden 2009) und Stefan Schumacher, Die keltischen Primärverben: ein vergleichendes, etymologisches und morphologisches Lexikon (Innsbruck 2004). Neuere Studien zur Geschichte der inselkeltischen Sprachen bieten Elmar Ternes (Hrsg.), Brythonic Celtic: from medieval British to modern Breton (Bremen 2011), Graham R. Isaac, Studies in Celtic Sound Changes and their Chronology (Innsbruck 2007), Frederik Kortlandt, Italo-Celtic Origins and Prehistoric Development of the Irish Language (Amsterdam 2007) und Kim McCone, The Origins and Development of the Insular Celtic Verbal Complex (Maynooth 2006). <?page no="68"?> 62 Sprachwissenschaft 3.1 Die festlandkeltischen Sprachen der Antike Wie ein Vergleich der antiken keltischen Sprachzeugnisse untereinander zeigt, kann man alle altkeltischen Sprachen auf eine gemeinsame Grundform zurückführen. Über den Zeitraum und die Art und Weise, wie sich dieses hypothetisch rekonstruierte Altkeltische innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie mit seinen charakteristischen Eigenheiten herausbildete und andere, vorindogermanische Sprachen in Mittel- und Westeuropa verdrängte bzw. ersetzte, werden jedoch bis heute gegensätzliche Auffassungen vertreten. Da die Vergleichende Sprachwissenschaft davon ausgeht, dass gemeinsame Neuerungen für eine engere Verwandtschaft mit anderen indogermanischen Idiomen sprechen, vermutet man die Entstehung des Keltischen in unmittelbarer Nachbarschaft mit jenen Sprachen, die in späterer Zeit aus Italien bezeugt sind. Zu diesen so genannten italo-keltischen Parallelen gehören die thematischen Genitive auf -ī, der so genannte ā-Konjunktiv, der Zusammenfall des indogermanischen Aorists und des indogermanischen Perfekts zu einer einzigen Vergangenheitsform, eine neue Art der Superlativbildung und der (dem keltischen Schwund des p vorausgehende) Wandel von anlautendem p-zu k w vor einem darauf folgendem k w (vgl. lateinisch quinque und irisch cóic gegenüber altindisch pañca „fünf “). In jüngster Vergangenheit wurde mit sprachwissenschaftlichen und archäologischen Argumenten die Auffassung vorgetragen, das Keltische sei als eine überregionale Verkehrssprache an den Atlantikküsten entstanden und habe sich von dort nach Osten ausgebreitet. Von sprachwissenschaftlicher Seite wird diese Ansicht jedoch mehrheitlich abgelehnt, da sich die engen Übereinstimmungen zwischen dem Altkeltischen und den Sprachen Altitaliens mit diesem Modell nicht erklären lassen. In der Regel unterscheidet man beim Altkeltischen die drei Sprachformen Gallisch (vorwiegend auf dem Gebiet des heutigen Frankreich und in Oberitalien), Lepontisch (in Oberitalien) und Keltiberisch (in Zentralspanien). Das fast nur aus Namen in Inschriften und antiken Literaturwerken bekannte Galatische in Kleinasien betrachtet man der mitteleuropäischen Herkunft der Galater entsprechend als eine Variante des Gallischen. Während sich diese so genannten festlandkeltischen Sprachen von den seit dem frühen Mittelalter bezeugten inselkeltischen Sprachen deutlich unterscheiden, ähneln sie in phonologischer, morphologischer und - soweit bekannt - wohl auch syntaktischer Hinsicht den anderen altindogermanischen Sprachen Europas wie z. B. dem Lateinischen oder dem Griechischen. In phonologischer Hinsicht besonders bemerkenswert sind der Schwund des p im Anlaut und zwischen Vokalen, der Wandel von g w zu b und der Übergang von ē zu ī. Die Entwicklung des Labiovelars k w stellt sich uneinheitlich dar: Im Gallischen (und ebenso im Britannischen) findet man mehrheitlich p, im Keltiberischen jedoch (und ebenso im ältesten Irischen) k w . Die früher weit verbreitete Einteilung in „P-Keltisch“ und „Q-Keltisch“ spielt heute gleichwohl keine Rolle mehr, da die Bewahrung des <?page no="69"?> Die festlandkeltischen Sprachen der Antike 63 velaren bzw. labialen Bestandteils des (von Natur aus instabilen) Labiovelars k w nicht wirklich signifikant ist und eine Unterscheidung von Sprachen oder Sprachgruppen allein aufgrund dieses Merkmals willkürlich erscheint. Unterschiedliche Schreibungen identischer Lautfolgen in den Inschriften sowie regional unterschiedliche Entwicklungen altkeltischer Namen lassen die Existenz von Dialekten vermuten, für deren genauere Kenntnis die wenigen erhaltenen Sprachzeugnisse jedoch kaum Anhaltspunkte liefern. In morphologischer Hinsicht findet man im Gallischen die auch aus anderen altindogermanischen Sprachen bekannten Gesetzmäßigkeiten der Wortbildung, die es vielfach erlauben, altkeltische Wörter auf indogermanische Wurzeln zurückzuführen und identische Stamm- und Wortbildungselemente zu identifizieren. Vergleichsweise gut kennt man die Nominalflexion, wo drei Genera (Maskulin, Feminin, Neutrum), zwei oder drei Numeri (Singular und Plural, vielleicht auch Dual) sowie sieben Fälle (Nominativ, Vokativ, Akkusativ, Genitiv, Dativ, Lokativ und Instrumental) bezeugt sind oder doch mit Hilfe des Sprachvergleichs rekonstruiert werden können. Sehr viel weniger wissen wir über die Verbalflexion (Konjugation), die wie das Lateinische und Griechische mehrere Tempora und Modi unterschied, wobei die Bestimmung und Zuordnung einzelner Formen jedoch vielfach umstritten ist und viele Verbalformen wegen der Kürze und Formelhaftigkeit der Inschriften gar nicht belegt sind. Auffällig ist die Bewahrung vieler Flexionsendungen, die im Inselkeltischen nicht mehr erhalten sind. Im Hinblick auf den Satzbau ist unsere Kenntnis des Gallischen wegen der Spärlichkeit der Quellen zwar eng begrenzt, doch zeigen die Inschriften im allgemeinen die Wortstellung Subjekt - Objekt - Prädikat oder Subjekt - Prädikat - Objekt. Die im Inselkeltischen (ebenso wie in vielen semitischen Sprachen) übliche Stellung des Verbs am Satzanfang ist im Altkeltischen nicht bezeugt. Zu den ältesten keltischen Sprachzeugnissen in Gallien zählen einige mit griechischen Buchstaben geschriebenen Inschriften, die jedoch nur wenige Worte umfassen. Aus den ersten hundert Jahren nach der römischen Eroberung Galliens durch Caesar stammt ferner eine Reihe von zumeist kurzen gallischen Inschriften, die im lateinischen Alphabet geschrieben sind. Aus dem römischen Gallien sind auch einige umfangreichere gallische Sprachzeugnisse überliefert, deren Interpretation jedoch wegen unserer unzureichenden Kenntnis des Wortschatzes und der Grammatik nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Das am längsten bekannte dieser Sprachdenkmäler ist der Kalender von Coligny. Dabei handelt es sich um ca. 150 Bruchstücke einer mit lateinischen Buchstaben beschriebenen, ursprünglich 148 x 90 cm großen Bronzetafel, die im November 1897 zusammen mit den Überresten einer gallorömischen Bronzestatue des Gottes Mars in dem südostfranzösischen Ort Coligny im Département Ain gefunden wurde. Bei der wohl im späten 2. Jahrhundert n. Chr., doch vielleicht nach einer älteren Vorlage hergestellten Tafel handelt es sich um einen Kalender, der einen Zeitraum von fünf Sonnenjahren <?page no="70"?> 64 Sprachwissenschaft darstellte, wobei ein Mondjahr aus zwölf unterschiedlich langen Monaten mit insgesamt (7 x 30 + 5 x 29 =) 355 Tagen die Grundlage der Zeiteinteilung bildete. Die Abweichung gegenüber dem Sonnenjahr glich man dadurch aus, dass man alle zweieinhalb Jahre, also nach jeweils 30 Monaten, einen 30tägigen Schaltmonat einschob. Der auf der Bronzetafel in sechzehn Spalten dargestellte Fünfjahreszyklus umfasst dementsprechend 62 Monate, von denen jeder in zwei Hälften aus 15 + 15 oder 15 + 14 Tage unterteilt war. Eine weitere umfangreiche keltische Inschrift wurde im Januar 1971 bei einer Rettungsgrabung im gallorömischen Quellheiligtum von Chamalières im Département Puy-de-Dôme gefunden. Dabei handelt es sich um ein 4- x- 6- cm großes Bleitäfelchen mit einer zwölfzeiligen, in römischer Kursive geschriebenen Inschrift, die man in die erste Hälfte des 1.-Jahrhunderts n. Chr. datiert. Trotz der guten Lesbarkeit des vollständig erhaltenen Textes ist bisher jedoch auch dafür noch keine allgemein anerkannte Übersetzung vorgelegt worden, und selbst im Hinblick auf einzelne Wörter, deren grammatische Funktion und Etymologie man zu kennen glaubt, bestehen vielfach divergierende Auffassungen. Gesichert erscheint die Interpretation des Wortes uediíumi in der ersten Zeile als „Ich rufe an“, worauf sich das Gesamtverständnis des Textes als eines Gebetes oder einer Beschwörung gründet. Auf die Anrufung des Gottes folgt in den Zeilen 3 bis 8 vermutlich der Wunsch des Bittenden, der nicht sicher gedeutet werden kann, jedoch offensichtlich mehrere lateinische Namen (jeweils im Akkusativ Singular) enthält. Als gesichert gilt die Etymologie (nicht aber die grammatische Funktion) von brixtia, das im Hinblick auf die beiden mutmaßlich gleichbedeutenden Wörter altirisch bricht und walisisch lledfrith mit „Zauber“ zu übersetzen ist. Zwölfeinhalb Jahre nach der Entdeckung der Bleitafel von Chamalières fand man im August 1983 als den bis heute längsten fortlaufenden Text in gallischer Sprache die Inschrift von L’Hospitalet du Larzac. Sie befindet sich auf zwei beidseitig in lateinischer Kursivschrift beschriebenen Bruchstücken einer 0,9 bis 1,3 mm starken Bleitafel, die (übereinander gelegt) als Verschluss der Öffnung einer Aschenurne in einem gallorömischen Gräberfeld dienten. Das betreffende Grab war nach Ausweis der Beigaben in der Zeit um 100 n. Chr. angelegt worden. Als Schlüsselwort zum Verständnis des Textes gilt bricto(m), das - ähnlich wie die Form brixtia in der Inschrift von Chamalières - als „Zauber“ gedeutet wird. Für die Annahme einer Verwendung des Textes im Rahmen einer magischen Handlung spricht nicht zuletzt der archäologische Kontext, insbesondere die Wahl einer Bleitafel als Schreibuntergrund, deren wohl rituelle Zerstörung und schließlich die Niederlegung der Bruchstücke auf einer Aschenurne in einem Gräberfeld. Die bislang jüngste längere Inschrift in gallischer Sprache wurde 1997 bei der archäologischen Untersuchung eines gallorömischen Brunnens in Châteaubleau ca. 70 km südöstlich von Paris gefunden. Dabei handelt es sich um eine elfzeilige Inschrift auf einem 36 x 29 cm großen Ziegel, vermutlich eine <?page no="71"?> Die festlandkeltischen Sprachen der Antike 65 rituelle Verfluchung, die nach Ausweis der verwendeten Kursivschrift aus dem späten 2. Jahrhundert stammt. Wann die gallische Sprache in den einzelnen Regionen Galliens außer Gebrauch kam, entzieht sich unserer Kenntnis, doch wurde sie im ländlichen Raum vielleicht noch bis in die Spätantike gesprochen. Einige gallische Wörter und Ausdrücke enthält noch das Rezeptbuch De medicamentis des Marcellus Empiricus aus dem 4./ 5. Jahrhundert. Eine kleine, unter dem Namen ihres ersten Herausgebers, des österreichischen Sprachwissenschaftlers Stephan Ladislaus Endlicher (1804-1849), als „Endlichers Glossar“ bekannte Liste gallischer Wörter mit (teilweise unzutreffenden) lateinischen Entsprechungen stammt vermutlich aus dem 5. Jahrhundert. Abgesehen von der Südhälfte Frankreichs, sind keltische Inschriften auch aus Italien bekannt. Von besonderer Bedeutung sind dort ca. 140, in einer Variante des nordetruskischen Alphabets geschriebene so genannte lepontische Inschriften aus der Gegend von Lugano, da es sich bei den ältesten von ihnen um die ältesten keltischen Inschriften überhaupt handelt. Die Frage, ob es sich bei dem Lepontischen um eine eigenständige keltische Sprache oder um eine frühe Form des Gallischen handelt, wird in der Forschung kontrovers beurteilt und ist wegen der geringen Anzahl der Sprachzeugnisse und der Unsicherheiten der verwendeten Schrift nicht sicher zu entscheiden. Die wohl jüngste gallische Inschrift aus Italien ist die lateinisch-keltische Bilingue von Todi, die - unter unklaren Umständen aufgefunden - erstmals im Jahr 1839 erwähnt und heute im Museo Gregoriano Etrusco im Vatikan auf bewahrt wird. Eingraviert auf der Vorder- und Rückseite einer 63 x 59 x 20 cm großen Steintafel, bietet die Inschrift auf beiden Seiten des Steins fast genau den gleichen Text einer Grabinschrift, jeweils zuerst in lateinischer und dann in keltischer Sprache. Auf der Iberischen Halbinsel wurden vor der römischen Eroberung mehrere indogermanische und nicht-indogermanische Sprachen gesprochen, deren Beziehungen zueinander jedoch vielfach unklar sind und deren Verbreitungsgebiet man oft nur annäherungsweise anhand von Ortsnamen und Inschriftenfunden bestimmen kann. Im Pyrenäengebiet am Golf von Biskaya wurde eine frühe Form des Baskischen (Euskara) gesprochen, die durch Personen- und Götternamen in lateinischen Inschriften auch aus Aquitanien bekannt ist. Im Osten und Südosten der Iberischen Halbinsel sowie entlang der südwestfranzösischen Mittelmeerküste war dagegen die iberische Sprache verbreitet. Aus den letzten vier Jahrhunderten- v.- Chr. kennt man über 2000 zumeist kurze Inschriften, von denen die meisten in der Iberischen Silbenschrift geschrieben sind. Obschon diese Schrift entziffert ist, weiß man über die grammatische Struktur der Sprache dennoch nur wenig, so dass Vermutungen über einen Zusammenhang des Iberischen mit dem Baskischen oder mit den Berbersprachen Nordafrikas nicht erhärtet werden können. In seiner Stellung innerhalb des indogermanischen Sprachzweigs umstritten ist das im Westen der Iberischen Halbinsel zwischen Douro und Tajo beheimatete Lusitanische, das man aus insgesamt fünf im lateinischen Alphabet geschriebene <?page no="72"?> 66 Sprachwissenschaft Inschriften sowie aus einigen Orts-, Personen- und Götternamen kennt. Nach diesem Sprachgut zu urteilen, hatte das Lusitanische eine starke Ähnlichkeit mit dem Keltischen, zeigt jedoch am Wortanfang noch den im Keltischen in dieser Stellung geschwundenen Laut p (vgl. lusitanisch porcom „Schwein“ gegenüber altirisch orc). Die Zugehörigkeit des Lusitanischen zum keltischen Sprachzweig ist daher umstritten, zumal die Sprache auch Lautentwicklungen zeigt, die für das Keltische untypisch sind. Keltische Namen begegnen darüber hinaus jedoch auch nördlich des Douro im Gebiet des Volks der Callaici, das im Wesentlichen der heutigen Region Galicia entspricht. Keltischsprachig waren wohl auch die Celtici, die sowohl die Küste im äußersten Nordwesten der Iberischen Halbinsel als auch Landstriche im Südwesten Hispaniens bewohnten. Südlich des Lusitanischen, in Südportugal und im westlichen Andalusien, findet man das Tartessische. Das Hauptverbreitungsgebiet der Sprache wird in der Region um Huelva zwischen Guadiana und Guadalquivir vermutet, doch wurden viele der insgesamt knapp hundert, in einer Variante der Iberischen Silbenschrift aufgezeichneten Inschriften aus dem 7. bis 5. Jahrhundert-v.-Chr. außerhalb dieser Region im Ausstrahlungsbereich des Kerngebiets gefunden. Einiges in den Inschriften lässt sich möglicherweise aus dem Keltischen deuten, doch besteht Unklarheit darüber, ob es sich bei dem Tartessischen um eine nichtindogermanische oder indogermanische Sprache mit keltischem Lehngut oder womöglich sogar um eine bis dahin unbekannte Variante des Keltischen handelt. Unzweifelhaft keltisch ist das mitunter auch als „Hispanokeltisch“ bezeichnete Keltiberische, das westlich des Ebro im Quellgebiet der Flüsse Douro, Tajo, Júcar und Turia gesprochen wurde. Eine Hauptquelle für unsere Kenntnis des Keltiberischen sind knapp zweihundert Inschriften aus dem 2. und 1. Jahrhundert- v.- Chr., die größtenteils in einer nordöstlichen Variante der Iberischen Silbenschrift und zu einem kleinen Teil im lateinischen Alphabet geschrieben sind. Bei ersteren wird die Interpretation namentlich dadurch erschwert, dass die Iberische Silbenschrift keinen Unterschied zwischen stimmhaften und stimmlosen Verschlusslauten macht, Nasallaute am Silbenende oft unbezeichnet bleiben und Konsonantenverbindungen nur als eine Folge offener Silben, bestehend aus Konsonant und Vokal, dargestellt werden können. Zu den umfangreichsten keltiberischen Inschriften gehören die insgesamt vier Bronzetafeln von Botorrita in der Provinz Saragossa, die zwischen 1970 und 1994 bei archäologischen Ausgrabungen in der keltiberischen Siedlung Contrebia Belaisca gefunden wurden. Die erste, ca. 40 x 10 cm große, 1970 gefundene Tafel aus der Zeit um 100- v.- Chr. ist auf beiden Seiten in der Iberischen Silbenschrift beschrieben, wobei die Vorderseite vermutlich eine Sammlung religiöser Rechtsvorschriften und die Rückseite allem Anschein nach eine Aufzählung von Personen mit Herkunfts- und Amtsbezeichnung enthält. Die zweite, 1979 gefundene und durch die Bezeichnung der zur Zeit ihrer Abfassung amtierenden römischen Konsuln auf das Jahr 87- v.- Chr. <?page no="73"?> Die festlandkeltischen Sprachen der Antike 67 datierbare Inschrift ist in lateinischer Sprache und Schrift aufgezeichnet und für unsere Kenntnis des Keltiberischen nur insofern relevant, als man daraus Rückschlüsse auf die Verwaltung der Siedlung Contrebia Belaisca und ihr Umfeld ziehen kann. Bei der dritten, 1992 gefundenen Inschrift handelt es sich um den bislang längsten keltiberischen Text, der jedoch aus einer Aufzählung von Eigennamen besteht und infolgedessen zur Kenntnis der Keltiberischen nur wenig beiträgt. Die vierte, 1994 entdeckte Bronzetafel stammt vermutlich aus der gleichen Zeit wie die erste und enthält möglicherweise ebenfalls sakrale Rechtsvorschriften. Sie ist jedoch bedeutend schlechter erhalten, so dass keine Übersetzung möglich ist. Ein wesentliches Kriterium für die Ermittlung der Grenzen des altkeltischen Sprachraums und zugleich eine wichtige Quelle für unsere Kenntnis des keltischen Wortschatzes sind Ortsnamen, die aus der Antike vor allem in latiniserter, seltener gräzisierter Form auf uns gekommen sind. Besonders zahlreich und weit verbreitet sind hier insbesondere Ableitungen von Personennamen mit Hilfe des Suffixes *-āko-, das den damit bezeichneten Ort einer bestimmten Person zuordnete. Solche Namen wurden auch nach der römischen Eroberung Galliens bis in die Völkerwanderungszeit immer wieder neu gebildet, so dass man neben Ableitungen von keltischen Personennamen auch solche von römischen und germanischen findet. Die noch heute lebendigen Formen dieser Ortsnamen enden im Deutschen häufig auf -ach oder -ich, im Französischen oft auf -ac, -ay, -é, -ey oder -y (vgl. z. B. Andernach aus Antunnacum, Jülich aus Iuliacum, Argancy aus Argentiacum und Orly aus Aureliacum). Häufig sind auch zweigliedrige Ortsnamen, deren Hinterglied aus einem der Wörter für „Feld“ (-magus), „(befestigte) Anhöhe“ (-briga), „Festung“ (-dunum oder -durum), „Furt“ (-rita oder -ritum), „Brücke“ (-briva) oder „Heiligtum“ (-nemetum) besteht, während das Vorderglied den Bezug zu einer Person oder zur Topographie des Ortes herstellt. Einschlägige Beispiele sind Caesaromagus (jetzt Beauvais), Vindobriga („Weißenburg“, jetzt Vendeuvre), Moridunum („Meeresfestung“, jetzt Carmarthen), Autessiodurum (jetzt Auxerre), Camboritum („Flussbiegungsfurt“, jetzt Chambord), Samarobriva („Somme-Brücke“, jetzt Amiens) und Augustonemetum (jetzt Clermont-Ferrand). In Frankreich kamen zahlreiche lateinische oder latinisierte keltische Ortsnamen in der Spätantike außer Gebrauch und wurden durch die Namen der in der Umgegend ansässigen Stämme oder Völkerschaften ersetzt. Charakteristische Bespiele sind Amiens (aus Ambianis „bei den Ambianern“), Beauvais (aus Bellovacis „bei den Bellovakern“) und Reims (aus Remis „bei den Remern“). Eine Übersicht über unsere Kenntnis des Gallischen bietet Pierre-Yves Lambert, La langue gauloise, nouv. éd. (Paris 2002). Zum Wortschatz vgl. Xavier Delamarre, Dictionnaire de la langue gauloise, 2e éd. rev. et augm. (Paris 2003) sowie die drei thematisch orientierten Studien von Jacques Lacroix, La Gaule des dieux (Paris 2007), La Gaule des activités économiques (Paris 2005) und La <?page no="74"?> 68 Sprachwissenschaft Gaule des combats (Paris 2003). Über neuere Forschungen orientieren die Beiträge in Juan Luis García Alonso (Hrsg.), Continental Celtic Word Formation: the onomastic data (Salamanca 2013) und Pierre-Yves Lambert und Georges- Jean Pinault (Hrsg.), Gaulois et celtique continental (Genf 2007). Eine umfassende kommentierte Ausgabe der keltischen Inschriften Italiens bieten Paolo Piana Agostinetti u. Alessandro Morandi, Celti d’Italia (Rom 2004). Zum Galatischen vgl. Philip Freeman, The Galatian Language (Lewiston, N. Y. 2001). Einen Überblick über die Sprachen der vorrömischen Iberischen Halbinsel ermöglicht Martín Almagro-Gorbea, Literatura hispana prerromana (Madrid 2013). Eine Gesamtdarstellung des Keltiberischen bietet Carlos Jordán Cólera, Celtibérico (Zaragoza 2004). Zum keltiberischen Wortschatz vgl. Dagmar S. Wodtko, Wörterbuch der keltiberischen Inschiften (Wiesbaden 2001). Zum Tartessischen vgl. John T. Koch, Tartessian, 2 Bde. (Aberystwyth 2009-2011). Zur Ortsnamenkunde vgl. Alexander Falileyev, In Search of the Eastern Celts: studies in geographical names, their distribution and morphology (Budapest 2014), Ders., The Celtic Balkans (Aberystwyth 2013), Xavier Delamarre, Noms de lieux celtiques de l’Europe ancienne (-500 / +500): dictionnaire (Paris 2012), Alexander Falileyev, Dictionary of Continental Celtic Place-Names (Aberystwyth 2010) und Patrick Sims-Williams, Ancient Celtic Place-Names in Europe and Asia Minor (Oxford 2006). 3.2 Irisch Die keltische Sprache Irlands wird in der Landessprache Gaeilge, in der Keltologie zumeist Irisch (englisch Irish, französisch Irlandais) genannt. Sehr viel weniger gebräuchlich ist die Bezeichnung Gälisch (englisch Gaelic), die sich sowohl auf das Irische als auch auf das von Irland nach Schottland verpflanzte Schottisch-Gälische (Scottish Gaelic) und auf die Sprache der Insel Man (Manx Gaelic) beziehen kann. Der Ausdruck Irish Gaelic wird daher - namentlich in der englischsprachigen Fachliteratur - vor allem im Kontext des Sprachvergleichs zwischen Irland, Schottland und der Insel Man benutzt. Sowohl irisch Gaeilge als auch englisch Gaelic gehen zurück auf die altirische Bezeichnung des Irischen als Goídelc, was in der eingedeutschten Form Goidelisch mitunter als Bezeichnung jener frühen Sprachstufe dient, aus der sich die historisch bezeugten Varianten in Irland, Schottland und der Insel Man nach Ausweis der vielfältigen Übereinstimmungen entwickelt haben. Die in Irland gebräuchliche Form des Englischen, die in Wortschatz, Grammatik und Aussprache mehr oder weniger stark vom Irischen beeinflusst ist, nennt man demgegenüber „irisches Englisch“ (englisch Irish English oder Hiberno-English). Die älteste uns bekannte Form des Irischen nennt man Uririsch oder Archaisches Irisch (englisch Primitive Irish oder Archaic Irish). Man findet sie <?page no="75"?> Irisch 69 in zahlreichen zumeist kurzen Inschriften in der so genannten Ogam-Schrift, die in der ältesten uns bekannten Form die Laute des Irischen mit Hilfe von Punkten und Strichen auf einer fortlaufenden geraden Linie wiedergibt. Dabei handelt es sich trotz des fremdartigen Aussehens jedoch um keine rein irische Erfindung, da das System eine Kenntnis der sprachlichen Analyse des lateinischen Alphabets von seiten der antiken Grammatiker voraussetzt und also letztlich auf die lateinische Schrift zurückgeht. Die ältesten Ogam-Inschriften, die aus sprachgeschichtlichen Gründen wohl ins 5. und 6. Jahrhundert zu datieren sind, bilden ungefähr 300 Aufzeichnungen auf Stein, die vor allem in Irland, aber auch in Wales, Devon, Cornwall und auf der Insel Man gefunden wurden. Hoch- und spätmittelalterlicher Überlieferung zufolge gebrauchte man die Ogam-Schrift auch zur Aufzeichnung von Mitteilungen auf Holz und für verschiedene Formen der Magie, doch spiegeln diese Hinweise vielleicht nur zeitgenössische Vorstellungen in die ferne Vergangenheit zurück, denn obwohl die Kenntnis des Lautwerts der Schriftzeichen in Irland bis in die frühe Neuzeit lebendig blieb, wurde die Ogam-Schrift im Gefolge der Christianisierung bald weitgehend vom lateinischen Alphabet verdrängt. In die Zeit zwischen ca. 600 und ca. 900 datiert man das mit einer Variante der Lateinschrift aufgezeichnete Altirische (englisch Old Irish). Dabei handelt es sich um die älteste keltische Sprache, die man aus so vielen Texten kennt, dass man eine regelrechte Grammatik schreiben kann. Die wichtigste zeitgenössische Quelle bilden erklärende Zusätze (sogenannte Glossen) zwischen den Zeilen oder am Rand lateinischer Handschriften, von denen die meisten nicht in Irland selbst, sondern vor allem in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien und Frankreich erhalten geblieben sind. Sprachgeschichtlich wichtig sind insbesondere die Würzburger Glossen zu den Briefen des Apostels Paulus, die Mailänder Glossen zu einem Psalmenkommentar und die St. Galler Glossen zum Werk des lateinischen Grammatikers Priscian. Zu den ältesten fortlaufenden Prosatexten in altirischer Sprache zählt die nach dem Auf bewahrungsort der einzigen bekannten Handschrift so genannte Homilie von Cambrai aus der Zeit um 700. Von vergleichbar hohem Alter sind die ältesten irischen Texte in jener Handschrift aus der Zeit um 800, die nach ihrem früheren Auf bewahrungsort als „Buch von Armagh“ bekannt ist. Viele andere altirische Texte sind in einer mehr oder weniger modernisierten Form in Handschriften aus späterer Zeit auf uns gekommen. Aus sprachvergleichender Perspektive zeigt das Altirische zahlreiche Eigenheiten, die man über das Archaische Irische und das Altkeltische bis auf die indogermanische Grundsprache zurückführen kann. Dazu gehören etwa ein komplexes Verbalsystem mit entsprechenden primären und sekundären Endungen für drei Personen, zwei Numeri, drei Modi (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ) und vier Tempora (Präsens, Futur, Präteritum, Imperfekt) sowie eine Nominalflexion mit drei Genera (Maskulin, Feminin, Neutrum), drei Numeri (Singular, Plural und Dual) und fünf Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ und Vokativ). <?page no="76"?> 70 Sprachwissenschaft Davon abgesehen zeigt das Altirische jedoch erstmals eine Reihe von Merkmalen, die noch für die irische Sprache der Gegenwart charakteristisch sind, die man jedoch in dem ihm vorausgegangenen Archaischen Irischen ebenso wie in den festlandkeltischen Sprachen des Altertums vergeblich sucht. Dazu gehören etwa der weitgehende Verlust der aus der indogermanischen Grundsprache ererbten nominalen Flexionsendungen, der vollständige Umbau des Konsonantenbestandes mit einer von nun an grundlegenden Unterscheidung zwischen „velaren“ und „palatalen“ Varianten, die (auch in den hamitosemitischen Sprachen verbreitete) Stellung des Verbs am Satzanfang, die (ebenfalls im Hamitosemitischen weithin übliche) Verwendung konjugierter Präpositionen und die (in der altirischen Orthographie nicht immer zum Ausdruck gebrachten) Anlautmutationen, bei denen sich der anlautende Konsonant eines Wortes unter dem Einfluss des vorausgehenden Wortes bzw. dessen - im Altirischen oft gar nicht mehr vorhandener - Endung in unterschiedlicher Weise verändern kann. Als Mittelirisch (englisch Middle Irish) bezeichnet man die irische Sprache des 10. bis 12.- Jahrhunderts, in der zahlreiche mittelalterliche irische Literaturwerke abgefasst ist. Charakteristisch für das Mittelirische ist etwa die - schon im Altirischen anzutreffende - Verwechslung der Diphthonge ai und oi (neuirisch ao), vereinzelte Konsonantenangleichungen (z. B. mittelirisch clann gegegenüber altirisch cland „Kinder, Nachwuchs“), der Verlust der Kategorie „Neutrum“, die Verwechslung von Nominativ und Akkusativ in Teilen der Nominalflexion, die Reduktion der flektierten Formen einiger Numeralia und umfangreiche Neuerungen im Verbalsystem. Wie das vereinzelte Auftreten dieser typisch mittelirischen Eigenarten etwa in den Würzburger und Mailänder Glossen vermuten lässt, hatte sich die gesprochene Sprache tatsächlich bereits vor 900 in Richtung auf das Mittelirische weiterentwickelt, doch fanden die entsprechenden Formen erst allmählich Eingang in die Literatursprache. Als Frühneuirisch (englisch Early Modern Irish) oder Klassisches Irisch (englisch Classical Irish) nennt man jene stark formalisierte überregionale Literatursprache, die in Irland vom 13. bis zum 17. gepflegt wurde und in der ein Großteil der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bardischen Dichtung abgefasst ist. Sie war vom 13. bis zum 18. Jahrhundert auch in den gälischsprachigen Regionen Schottlands die allgemein übliche Literatursprache. In die Mitte des 19.- Jahrhunderts fällt dann jedoch der einschneidende Rückgang der irischsprachigen Bevölkerung Irlands im Gefolge der Großen Hungersnot, so dass aus der Sprache der Bevölkerungsmehrheit allmählich eine nur noch in Enklaven innerhalb des englischen Sprachraums verbreitete Minderheitensprache wurde. An die Stelle der Klassischen Literatursprache traten nunmehr die verschiedenen regionalen Dialekte, die vielfach kaum oder gar nicht geschrieben wurden. Mit der zunehmenden Anglisierung Irlands wuchs indessen auch das romantisch-nationalistische und wissenschaftliche Interesse am Irischen. Zu den frühen Pionieren der irischen Philologie zählen Eugene <?page no="77"?> Irisch 71 O’Curry (1794-1862) und John O’Donovan (1806-1861), die sich vor allem um die Erforschung irischer Ortsnamen und Altertümer verdient machten. Auf die Gründung der vor allem an mittelalterlicher Literatur interessierten Ossianic Society 1853 folgte 1877 die Gründung einer Society for the Preservation of the Irish Language und 1893 die Gründung der Gaelic League (irisch Conradh na Gaeilge). Zu ihren wichtigsten Protagonisten zählten Douglas Hyde (1860-1949), Eugene O’Growney (1863-1899) und Eoin MacNeill (1867-1945), die auch die zweisprachigen Zeitschriften The Gaelic Journal / Irisleabhar na Gaeilge und An Claidheamh Soluis („Das Lichtschwert“) herausgaben. Uneinigkeit bestand lange Zeit hinsichtlich der Bemühungen um die Schaffung einer neuirischen Schriftsprache: Hielten manche Autoren den der Klassischen Literatursprache des 18.- Jahrhunderts besonders nahe stehenden Dialekt von Munster für einen idealen Kandidaten, so bevorzugten andere eine Art Kunstsprache, die Eigenheiten verschiedener regionaler Mundarten miteinander verbinden sollte. In ihrem Bemühen, das Überleben des Irischen als Umgangssprache zu sichern, setzte die irische Regierung bereits in den ersten Jahren nach der Gründung des Irischen Freistaats 1922 eine Kommission ein, um die überwiegend oder wenigstens teilweise irischsprachigen Gebiete (irisch Gaeltachtaí, Sg. Gaeltacht) zu ermitteln. Eine weitere Kommission definierte in den 1950er Jahren erstmals klare Kriterien und Grenzen dieser Regionen, während eine dritte Kommission 2002 zu dem Schluss kam, dass die Rolle des Irischen als Umgangssprache stark zugunsten des Englischen zurückgegangen war und die Grenzen dementsprechend neu zu ziehen seien. Deutlich gewachsen ist indessen die Zahl derer, die außerhalb der Gaeltachtaí leben und sich das Irische als Zweitsprache mit Hilfe der überwiegend städtischen Bildungsangebote angeeignet haben. Als eine Folge des 1998 von den Regierungen Großbritanniens und Irlands verabschiedeten Karfreitagsabkommens liegt die Pflege der irischen Sprache seit Dezember 1999 übergreifend für ganz Irland in den Händen des Nordsüdlichen Ministerrats (North/ South Ministerial Council), der über die Nordsüdliche Sprachbehörde (North/ South Language Body) sowohl die Interessen des Irischen als auch die der als Ullans oder Ulster Scots bezeichneten schottischen Dialekte Nordirlands vertritt. Während letztere von der Ulster-Scots Agency mit Sitz in Belfast betreut werden, liegen erstere in der Obhut der Körperschaft Foras na Gaeilge (mit Sitz in Dublin und Belfast), die damit die Stelle der bis dahin in der Republik Irland für das Irische zuständigen Sprachbehörde Bord na Gaeilge und dem regierungseigenen Verlag An Gúm einnimmt. 2003 verabschiedete das irische Parlament die Official Languages Act 2003 (irisch Acht na dTeangacha Oifigiúla 2003), die eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung des Irischen vorsieht und deren Umsetzung durch einen vom Präsidenten ernannten Sprachbeauftragten überwachen lässt. Ein 2006 vorgelegtes Strategiepapier der Regierung bekennt sich zu dem Ziel einer vollständigen Zweisprachigkeit <?page no="78"?> 72 Sprachwissenschaft innerhalb von zwanzig Jahren. Seit 2007 ist das Irische gemäß einem Beschluss aus dem Jahr 2005 auch eine offizielle Sprache der Europäischen Union. Zum Bau, zu den Dialekten und zur Geschichte des Irischen vgl. Raymond Hickey, The Sound Structure of Modern Irish (Berlin 2014), Brian Nolan, The Structure of Modern Irish: a functional account (Sheffield 2012), Raymond Hickey, The Dialects of Irish (Berlin 2011), Caoilfhionn Nic Pháidín u. Seán Ó Cearnaigh (Hrsg.), A New View of the Irish Language (Dublin 2008), Caoimhghin Ó Craoidheáin, Language from Below: the Irish language, ideology and power in 20th-century Ireland (Oxford 2006), Tony Crowley, Wars of Words: the politics of language in Ireland, 1537-2004 (Oxford 2005), Aidan Doyle, Irish (München 2001), Adrian Kelly, Compulsory Irish: language and education in Ireland 1870’s - 1970’s (Dublin 2002) und Edward Purdon, The Story of the Irish Language (Cork 1999). Zur Ortsnamenkunde vgl. Donna Thornton u. Kevin Murray (Hrsg.), Bibliography of Publications on Irish Placenames (London 2011) und Kevin Murray u. Pádraig Ó Riain (Hrsg.), Edmund Hogan’s Onomasticon Goedelicum: reconsiderations (London 2011). Ein Historical Dictionary of Gaelic Placenames (London 2003ff.) publiziert die Irish Texts Society (bisher 5-Faszikel A-C). Zum Verhältnis zwischen Irisch und Englisch seit der Neuzeit vgl. Feargal Mac Ionnrachtaigh, Language, Resistance and Revival: republican prisoners and the Irish language in the north of Ireland (London 2013), Olaf Zenker, Irish/ ness is all around us: language revivalism and the culture of ethnic identity in Northern Ireland (New York 2013), James Kelly und Ciarán Mac Murchaidh (Hrsg.), Irish and English (Dublin 2012), Diarmait Mac Giolla Chriost, Jailtacht: the Irish language, symbolic power and political violence in Northern Ireland, 1972-2008 (Cardiff 2012), Raymond Hickey (Hrsg.), Researching the Languages of Ireland (Uppsala 2011), John Walsh, Contests and Contexts: the Irish language and Ireland’s socio-economic development (Oxford 2011), Helen Ó Murchú (Hrsg.), Reflections: Irish language communities in action (Dublin 2006) sowie Michael Cronin u. Cormac Ó Cuilleanáin (Hrsg.), The Languages of Ireland (Dublin 2003). Neuere Hilfsmittel zum Erlernen des Alt- und Mittelirischen bieten Ranke de Vries, A Student’s Companion to Old Irish Grammar (Utrecht 2013), David Stifter, Sengoídelc: Old Irish for beginners (Syracuse, N.Y. 2006), Wim Tigges, An Old Irish Primer (Nijmegen 2006) und Kim McCone, A First Old Irish Grammar and Reader, including an introduction to Middle Irish (Maynooth 2005). <?page no="79"?> Schottisch-Gälisch und Manx 73 3.3 Schottisch-Gälisch und Manx Als Schottisch-Gälisch (englisch Scottish Gaelic) bezeichnet man gemeinhin die von ihren Sprechern selbst Gàidhlig genannte keltische Sprache Schottlands, die sich seit dem Spätmittelalter aus dem Alt- und Mittelirischen entwickelte. Namentlich in englischen Quellen der Frühen Neuzeit begegnet wegen der großen Ähnlichkeit insbesondere der Schriftsprache mit dem Irischen auch die Bezeichnung Erse, wohingegen sich der Name Scots seit dieser Zeit auf die im Mittelalter noch als Inglis bezeichnete Variante der englischen Sprache in Schottland bezieht. Als älteste Zeugnisse der schottisch-gälischen Sprache gelten einige Einträge in dem nach seinem früheren Auf bewahrungsort als Book of Deer bekannten Evangeliar, die aus dem frühen 12. Jahrhundert stammen dürften. Obwohl sich das Gälische mit dem Aufstieg des mittelalterlichen Königreichs Schottland über weite Teile des Landes ausbreitete und andere keltische Sprachen wie etwa das Kumbrische im Süden und das Piktische im Osten vollständig verdrängte, war sein Geltungsbereich infolge der Verlagerung des politischen Schwerpunkts erst nach Edinburgh und später nach London schon im 18. Jahrhundert weitgehend auf das Schottische Hochland und die Hebriden beschränkt. Die vorherrschende Umgangssprache ganzer Landstriche ist Schottisch-Gälisch heute nur noch in einigen Regionen der Hebriden, obschon auch dort durchweg Zweisprachigkeit vorherrscht und die Zahl der Sprecher namentlich unter den Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen ist. Ursprünglich bildeten die Dialekte des Irischen und des Schottisch-Gälischen ein Kontinuum, das sich von Südirland bis Nordschottland erstreckte, durch das Vordringen des Englischen jedoch in einzelne unzusammenhängende Sprachinseln aufgelöst wurde. Dabei sind die Dialekte im Norden von Ulster den Dialekten in Argyll und Islay am ähnlichsten, so etwa im Gebrauch der Negation cha (aus mittelirisch nichon) anstelle der ansonsten in Irland üblichen Negation ní. Zu den augenfälligsten Unterschieden in der Aussprache des Irischen und Schottisch-Gälischen gehören das Vorhandensein bzw. Fehlen der historisch bedingten nasalen Anlautmutation (vgl. irisch seacht mbliana „sieben Jahre“ gegenüber schottisch-gälisch seachd bliadhna) sowie die auf das Schottisch-Gälische beschränkte so genannte Präaspiration der stimmlosen Verschlusslaute (vgl. schottisch gälisch [maxk] „Sohn“ gegenüber irisch [mak], beide geschrieben mac), die man auf skandinavischen Einfluss zurückführt. Charakteristisch für das Verbalsystem ist der Rückgang flektierter Formen zugunsten periphrastischer Konstruktionen mit Hilfe des Verbalnomens (vgl. schottisch gälisch Tha mi a’ dol „ich gehe (w. bin am Gehen)“ gegenüber irisch téim). Daneben findet man zahlreiche, je nach Dialekt unterschiedlich ausgeprägte Unterschiede im Wortschatz wie z. B. irisch madra „Hund“ gegenüber schottisch-gälisch cú, irisch sliabh „Berg“ gegenüber schottisch-gälisch beinn oder irisch crann „Baum“ gegenüber schottisch-gälisch craobh. <?page no="80"?> 74 Sprachwissenschaft Die wissenschaftliche Erforschung des Schottisch-Gälischen wurde vor allem in Schottland vorangetrieben, wo bereits 1882 auf Betreiben des Edinburgher Professors für Klassische Philologie, John Stuart Blackie (1809-1895), ein Lehrstuhl mit entsprechendem Schwerpunkt eingerichtet wurde. Sein erster Inhaber war der aus Colonsay gebürtige Donald MacKinnon (1839-1914), gefogt von William John Watson (1865-1948). Die Universität Glasgow besaß lange Zeit nur eine lectureship in Keltologie, die der Reihe nach von Magnus MacLean (1857-1937), Kuno Meyer (1858-1919), George Henderson (1866- 1912) und George Calder (1859-1941) wahrgenommen wurde. Als erster Professor für Keltologie in Glasgow wurde 1956 Angus Matheson (1912-1962) berufen. Zur Förderung der schottisch-gälischen Sprache und Kultur war bereits 1891 die Gesellschaft An Comunn Gàidhealach (The Gaelic Association) gegründet worden. Sie organisiert seit 1892 nach dem Vorbild der walisischen Eisteddfod Genedlaethol (National Eisteddfod) das alljährlich im Oktober an verschiedenen Orten in Schottland gefeierte Kulturfestival Am Mòd Nàiseanta Rìoghail (The Royal National Mod). 1984 entstand auf Veranlassung des Scottish Office die in Edinburgh, Glasgow und verschiedenen Orten des Hochlands und der Hebriden mit einer ähnlichen Zielsetzung präsente Organisation Comunn na Gàidhlig (CnaG). Eine förmliche Anerkennung als offizielle Sprache Schottlands erhielt das Schottisch-Gälische erstmals im Zuge der politischen Dezentralisierung Großbritanniens (Devolution) mit der vom Schottischen Parlament verabschiedeten Gaelic Language (Scotland) Act 2005, deren Umsetzung der schon 2003 gegründeten Sprachbehörde Bòrd na Gàidhlig anvertraut wurde. Seit 2012 gilt ein National Gaelic Language Plan, der unter anderem eine Erhöhung der Zahl der Sprecher durch entsprechende Bildungsangebote, verbesserte Möglichkeiten für den Gebrauch des Schottisch- Gälischen für die Sprecher sowie die Stärkung der Sprache in allen Sparten des Kulturbereichs vorsieht. Im Rundfunk ist Schottisch-Gälisch seit 1985 mit mehreren Stunden täglich im Programm von BBC Radio nan Gàidheal präsent. Ein mehrstündiges tägliches Fernsehprogramm in schottisch-gälischer Sprache wird seit 2008 von BBC Alba ausgestrahlt. Mit den irischen Dialekten im Norden von Ulster und den schottisch-gälischen Dialekten auf den südlichen Inseln der Inneren Hebriden eng verwandt ist die ebenfalls aus dem Alt- und Mittelirischen entstandene Sprache der Insel Man, die im Englischen und Deutschen üblicherweise Manx (aus altnordisch Mannisk „von der Insel Man“), von ihren Sprechern jedoch Gaelg oder Gailck genannt wird. Den Charakter einer eigenständigen, vom Irischen und Schottisch-Gälischen verschiedenen Sprache nahm Manx erst im Späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit an, als das Englische die alteingesessene Sprache bereits zunehmend zu verdrängen begann. Insbesondere im 19. Jahrhundert gingen die Kenntnis und der Gebrauch des Manx stark zurück; als letzter Sprecher, der den Dialekt noch als Kind vor oder gleichzeitig mit dem Englischen gelernt hatte, gilt der Fischer Edward „Ned“ Maddrell (1877-1974). <?page no="81"?> Schottisch-Gälisch und Manx 75 Da die Zahl der Sprecher nie groß und der Markt für Druckwerke dementsprechend gering war, blieb der Gebrauch des Manx weitgehend auf das Mündliche beschränkt. Für geschriebene Texte setzte sich - ebenso wie in einigen frühen Handschriften des Schottisch-Gälischen - eine an die Schreibweise des Englischen angelehnte Orthographie durch, so dass sich das Schriftbild der Sprache von dem des Irischen und Schottisch-Gälischen ungeachtet der oftmals ähnlichen Aussprache stark unterscheidet. Bereits 1899 hatten sprachbewusste Bewohner der Insel unter der Führung des Sprach- und Altertumsforschers Arthur William Moore (1853-1909) unter dem Motto Gyn Chengey, gyn cheer („Ohne Sprache, ohne Land“) den Kulturverein Yn Cheshaght Ghailekagh gegründet, der später als Manx Language Society bekannt wurde. Frühe Tonaufzeichnungen der letzten Sprecher des Manx verdankt die Forschung dem norwegischen Sprachwissenschaftler Carl Marstrander (1883-1965) und der Irish Folklore Commission. Anstrengungen zur Wiederbelebung der Sprache führten seit den 1970er Jahren zu einer verstärkten Präsenz des Manx in der Öffentlichkeit und 1982 zur Gründung der Manx Heritage Foundation, die 2014 in Culture Vannin umbenannt wurde. Als erste Grundschule mit Manx als Unterrichtssprache entstand 2001 in dem Ort St. John’s Bunscoill Ghaelgagh. Als fakultative Zweitsprache wird Manx auch an allen Grund- und weiterführenden Schulen der Insel angeboten. Über alle Aspekte der schottisch-gälischen Sprache informieren knapp zusammenfassend die Beiträge in Moray Watson und Michelle Macleod (Hrsg.), The Edinburgh Companion to the Gaelic Language (Edinburgh 2010). Eine kurzgefasste sprachwissenschaftliche Beschreibung liefert William Lamb, Scottish Gaelic (München 2001). Über die ältesten Sprachzeugnisse im Book of Deer informieren mehrere Beiträge in Katherine Forsyth (Hrsg.), Studies on the Book of Deer (Dublin 2008). Zum gegenwärtigen Verhältnis zwischen Schottisch-Gälisch und Englisch vgl. die gesammelten Aufsätze von Nancy C. Dorian, Small-Language Fates and Prospects: lessons of persistence and change from endangered languages (Leiden 2014), Wendy Anderson (Hrsg.), Language in Scotland: corpus-based studies (Amsterdam 2013), William Lamb, Scottish Gaelic Speech and Writing: register variation in an endangered language (Belfast 2008), Wilson McLeod (Hrsg.), Revitalising Gaelic in Scotland (Edinburgh 2006), Roger Hutchinson, A Waxing Moon: the Modern Gaelic Revival (Edinburgh 2005) und Martina Müller, Sprachkontakt und Sprachwandel auf der Insel Skye (Berlin 2003). Zur Sprache der Insel Man vgl. John Grimson, The Isle of Man: portrait of a nation (London 2009), George Broderick, A Dictionary of Manx Place-Names (Nottingham 2006), John D. Phillips, Manx (München 2004) und George Broderick, Placenames of the Isle of Man, 7 Bde. (Tübingen 1994-2005). <?page no="82"?> 76 Sprachwissenschaft 3.4 Walisisch Die keltische Sprache von Wales wird in der Landessprache Cymraeg, im Englischen zumeist Welsh und im Deutschen, insbesondere in der keltologischen Fachsprache, Kymrisch genannt. Sie entwickelte sich im 6. Jahrhundert aus dem Britannischen, aus dem um dieselbe Zeit auch das Bretonische, das Kornische und das (schon im Mittelalter ausgestorbene und nur bruchstückhaft überlieferte) Kumbrische in Nordengland hervorgingen. Die ältesten Sprachzeugnisse aus dem 7. und 8. Jahrhundert werden einer Sprachstufe zugeordnet, die man zumeist als „Urkymrisch“ oder „Archaisches Kymrisch“ (englisch Primitive Welsh oder Archaic Welsh) bezeichnet. Vom 9. bis zum 11. Jahrhundert erstreckt sich die Periode des Altkymrischen, aus der die ersten, durchweg nur sehr kurzen zusammenhängenden Texte überliefert sind. Sehr viel besser kennt man die Sprachform des Mittelkymrischen (Middle Welsh), die den Zeitraum vom 12. bis zum 14. Jahrhundert umfasst und in der auch einige vermutlich in älterer Zeit entstandene Texte überliefert sind. In die erste Hälfte des 15.-Jahrhunderts datiert man die Anfänge des Frühneukymrischen (Early Modern Welsh), aus dem in der zweiten Hälfte des 15.- Jahrhunderts mit der walisischen Übersetzung der Bibel (1567-1588) das Neukymrische (Modern Welsh) hervorgeht. In phonologischer Hinsicht zeichnet sich die walisische Sprache durch eine Reihe von Lauten aus, die im Deutschen fehlen und auch in anderen europäischen Sprachen äußerst selten sind, darunter insbesondere ll [ ]. Der erste Eindruck der Fremdheit, den namentlich das Schriftbild vermittelt, mindert sich indessen, wenn man berücksichtigt, dass w für den Vokal [u] und y - je nach Stellung im Wort - für die Vokale [ә] und [i] steht. Wie alle inselkeltischen Sprachen bringt auch das Walisische grammatische Beziehungen durch ein System von Anlautmutationen zum Ausdruck, das jedoch anderen als den im Irischen oder Schottisch-Gälischen geltenden Regeln folgt. Wie das moderne Irische und Schottisch-Gälische unterscheidet auch das Walisische bei den Substantiven zwischen Maskulin und Feminin sowie Singular und Plural, hat die Unterscheidung verschiedener Kasusformen jedoch vollständig aufgegeben. Ähnlich wie das Schottisch-Gälische bevorzugt auch das Walisische periphrastische Konstruktionen unter Verwendung des Verbalnomens anstelle der im Irischen häufiger benutzten flektierten Verbformen. Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen einer nördlichen und einer südlichen Variante des Walisischen, die beide wiederum aus mehreren Dialekten bestehen. Ausgeprägte Unterschiede bestehen jedoch vor allem zwischen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache. Hatte das Walisische seine traditionelle Funktion als Sprache der Verwaltung und des Rechts schon um die Mitte des 16.-Jahrhunderts nahezu vollständig eingebüßt, so gewann es auf dem Feld der humanistischen Gelehrsamkeit nicht zuletzt infolge der walisischen Bibelübersetzung eine bis dahin unbe- <?page no="83"?> Walisisch 77 kannte Bedeutung, die sich im 18. und 19. Jahrhundert mit der Hinwendung weiter Teile der walisischen Bevölkerung zu einer evangelikal-biblizistischen Religiosität noch verstärkte. Aus dem Geist des Humanismus entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert auch die gelehrte Beschäftigung mit dem Walisischen, wie sie in den Werken von Willliam Salesbury (um 1520 - um 1584), Gruffydd Robert (vor 1532 - nach 1598), Siôn Dafydd Rhys (1534 - um 1619) und John Davies aus Mallwyd (um 1567-1644) zum Ausdruck kommt. Der erfolgreichste Handschriftensammler jener Zeit war der Altertumsforscher Robert Vaughan (um 1592-1667), dessen über 500 Stücke zählende Sammlung sich heute in der Walisischen Nationalbibliothek in Aberystwyth befindet. Die Hinwendung zur Altertumskunde am Vorabend der Romantik spiegelt sich in der Gründung gelehrter Gesellschaften wie etwa der Honourable Society of Cymmrodorion (1751) und Gwyneddigion Society (1770) und in der Sammler- und Herausgebertätigkeit von walisischen Gelehrten wie etwa William Owen Pughe (1759-1835) und Owen Jones (Owain Myfyr, 1741-1814). Prägenden Einfluss auf die viktorianische Sicht der walisischen Sprache und Kultur gewannen einerseits der Dichter, Altertumsforscher und Fälscher Edward Williams (Iolo Morganwg, 1747-1826), andererseits die Herausgeberin und Übersetzerin Lady Charlotte Guest (1812-1895). Eine Schlüsselrolle für die Etablierung des Walisischen als Bildungssprache spielte Owen Morgan Edwards (1858-1920). Bereits 1925 hatte die neu gegründete Walisische Nationalpartei (Plaid Genedlaethol Cymru, später Plaid Cymru) die Bewahrung und Stärkung der walisischen Sprache in den Mittelpunkt ihrer politischen Forderungen gestellt. Gleichwohl gingen die Kenntnis und der Gebrauch des Walisischen auch in der Folgezeit immer weiter zurück, bis 1962 mit der Gründung der Welsh Language Society (Cymdeithas yr Iaith Gymraeg) ein Bewusstseinswechsel eintrat. Weitgehend gewaltfreie Proteste und Demonstrationen erreichten zunächst die Aufstellung zweisprachiger Verkehrsschilder, 1977 die Einrichtung des walisischen Rundfunksenders BBC Radio Cymru und 1982 die Gründung des walisischen Fernsehkanals Sianel Pedwar Cymru (S4C). Seit 1990 (bzw. 1999) ist die walisische Sprache auch an englischsprachigen Schulen in Wales für alle Schüler unter 14 (bzw. 16) Jahren ein Pflichtfach. Im Übrigen besucht inzwischen ungefähr ein Viertel aller Schüler in Wales eine walisischsprachige Schule. Um die Förderung des Walisischen für Kinder im Vorschulalter bemüht sich seit 1971 die auf ehrenamtliches Engagement gegründete Bewegung Mudiad Ysgolion Meithrin (2011 umbenannt in Mudiad Meithrin). Nachdem die Welsh Language Act 1967 bereits die seit Jahrhunderten praktisch kaum mögliche Verwendung des Walisischen vor Gericht erheblich erleichtert hatte, erfolgte mit der Welsh Language Act 1993 die Gleichstellung des Walisischen mit dem Englischen innerhalb des gesamten öffentlichen Dienstes. Seit der Verabschiedung der Welsh Language (Wales) Measure 2011 liegt die Förderung des Walisischen in der Obhut eines Welsh Language Commissioner. Im Walisischen Regionalparlament ist das Walisische seit der Verabschiedung der <?page no="84"?> 78 Sprachwissenschaft National Assembly for Wales (Official Languages) Act 2012 gleichberechtigt mit dem Englischen. Eine erste Übersicht über den Bau und die Geschichte des Walisischen bieten Janet Davies, The Welsh Language: a history (Cardiff 2014) und Henry Lewis, Die kymrische Sprache: Grundzüge ihrer geschichtlichen Entwicklung, 2. rev.-Aufl. (Innsbruck 2008). Über walisische Ortsnamen orientieren Hywel Wyn Owen u. Richard Morgan, Dictionary of the Place-Names of Wales (Llandysul 2007). Vgl. ferner Stephen J. Hannahs, The Phonology of Welsh (Oxford 2013), Simon Rodway, Dating Medieval Welsh Literature: evidence from the verbal system (Aberystwyth 2013), Robert D. Borsley, Maggie Tallerman u. David Willis, The Syntax of Welsh (Cambridge 2007), Geraint H. Jenkins (Hrsg.), The Welsh Language and its Social Domains, 1801-1911 (Cardiff 2000), Geraint H. Jenkins (Hrsg.), Language and Community in the Nineteenth Century (Cardiff 1998) und Geraint H. Jenkins (Hrsg.), The Welsh Language before the Industrial Revolution (Cardiff 1997). Zur gegenwärtigen Sprachsituation in Wales vgl. Hywel M. Jones, A Statistical Overview of the Welsh Language (Cardiff 2012), Colin H. Williams (Hrsg.), Language Revitalization: policy and planning in Wales (Cardiff 2000) sowie Glyn Williams u. Delyth Morris, Language Planning and Languge Use: Wesh in a global age (Cardiff 2000). 3.5 Bretonisch und Kornisch Bretonisch (Eigenbezeichnung Brezhoneg) ist die Sprache der Bretagne (Breiz) bzw. deren westlicher Hälfte (Basse Bretagne), während in der östlichen Hälfte (Haute Bretagne) der romanische Dialekt Gallo gesprochen wird bzw. wurde. Einer Theorie des Sprachwissenschaftlers François Falc’hun (1901-1991) zufolge geht das Bretonische, insbesondere der Dialekt der Region um Vannes, auf das Gallische zurück und ist lediglich in unterschiedlich hohem Maße durch die Sprache von Zuwanderern aus dem Südwesten Britanniens beeinflusst worden. Ganz allgemein geht man jedoch davon aus, dass das Bretonische tatsächlich auf die südwestbritannische Sprache dieser Zuwanderer zurückgeht und allenfalls Spuren der Beeinflussung von seiten des Gallischen aufweist. Bretonisch gilt dementsprechend als eine inselkeltische Sprache, die zunächst mit dem Kornischen in Cornwall und sodann mit dem Walisischen näher verwandt ist. Vom 6. bis zum 11. Jahrhundert erstreckt sich die Periode des Altbretonischen, die man fast ausschließlich durch Ortsnamen sowie erklärende Zusätze (Glossen) zu lateinischen Texten kennt. Zu den wichtigsten Quellen zählen Zusammenstellungen von Urkundenabschriften (Kopialbücher oder Chartularien), wie man sie etwa aus den Klöstern von Redon und Landévennec kennt. Zusammenhängende Texte sind aus dieser Zeit jedoch nicht erhalten geblieben, was teils die Bevorzugung des Lateinischen als Schriftsprache, teils <?page no="85"?> Bretonisch und Kornisch 79 den kulturellen Niedergang der Region im Gefolge der Normanneneinfälle widerspiegeln dürfte. Vom 11. bis zum 17. Jahrhundert dauert die Periode des Mittelbretonischen, aus der erstmals fortlaufende Texte überwiegend religiösen Inhalts auf uns gekommen sind. Aus dieser Zeit stammt auch das erste Wörterbuch des Bretonischen, das der Geistliche Jehan Lagadeuc unter dem Titel Catholicon in der Form eines dreisprachigen Lexikons Bretonisch- Französisch-Latein als Hilfsmittel für das Erlernen des Lateinischen durch bretonische Priester zusammenstellte. 1464 vollendet, wurde das Wörterbuch erstmals 1499 in Tréguier gedruckt. Die Anfänge der Sprachperiode des Neubretonischen bezeichnet das von dem Jesuitenpater Julien Maunoir (1606-1683) verfasste und erstmals 1659 in Quimper gedruckte Buch Sacré Collège de Jésus, divisé en cinq classes, ein bretonisch geschriebener Katechismus mit Wörterbuch und Grammatik. Dabei lag der Unterschied zum Mittelbretonischen jedoch weniger in der Aussprache oder in der Grammatik als vielmehr in der Schreibweise, indem man nun eine Anzahl nicht mehr gesprochener Buchstaben wegließ und die für alle inselkeltischen Sprachen charakteristischen Anlautmutationen konsequent auch in der Schreibung berücksichtigte. Um die Verständigung zwischen den noch überwiegend einsprachigen Bretonen und ihren französischen Nachbarn zu erleichtern, erschienen nun auch verstärkt zweisprachige Wörter- und Konversationsbücher, die man als Colloques bezeichnete. Ein etymologisches Wörterbuch der bretonischen Sprache aus der Feder des Benediktiners Dom Louis Le Pelletier (1663-1733) erschien nach dem Tod des Verfassers 1752 in Paris. Gegen Ende des 18.- Jahrhunderts erhielt das Interesse an keltischen Sprachen und Kulturen neuen Auftrieb durch die Begeisterung Napoleons für die vermeintlich keltische Ossian-Dichtung James Macphersons, woraufhin der Altertumsforscher Jacques Cambry (1749-1807) 1804 in Paris die Académie celtique zur Erforschung und Dokumentation des nationalen keltischen Erbe Frankreichs gründete. Eines ihrer bedeutendsten Mitglieder war der aus Conquet (Finistère) gebürtige Jean-François Le Gonidec (1775-1838), der durch die Abfassung einer bretonischen Grammatik (Grammaire celto-bretonne, 1807) und eines Wörterbuchs (Dictionnaire celto-breton, 1821) auf der Basis des Dialekts von Léon die Grundlage für eine einheitliche bretonische Literatursprache zu legen suchte. Weitreichenden Einfluss erzielte in der ersten Hälfte des 20.- Jahrhunderts François (Fañch) Vallée (1860-1949) mit seinem erstmals 1909 erschienen und oft nachgedruckten Lehrbuch La langue bretonne en 40 leçons. Zusammen mit Meven Mordiern (René le Roux 1878-1949) suchte er nach dem Vorbild des Esperanto durch Neologismen auf bretonischer Grundlage das Bretonische den Bedürfnissen der modernen Kommunikation anzupassen. Eine Vielzahl didaktischer Hilfsmittel, grammatischer und lexikalischer Studien sowie kritischer Ausgaben bretonischer Texte veröffentlichte der Sprachwissenschaftler und Schriftsteller Roparz Hemon (Louis-Paul Némo, 1900-1978). Zwischen 1941 und 1944 entfalteten bretonische Nationa- <?page no="86"?> 80 Sprachwissenschaft listen unter dem Schutz der deutschen Besatzungsmacht bis dahin unbekannte kultur- und bildungspolitische Aktivitäten, die jedoch mit der militärischen Niederlage des Deutschen Reichs ein jähes Ende fanden. Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ist die Zahl der Bretonisch Sprechenden kontinuierlich zurückgegangen, wodurch die Bedeutung der traditionellen Dialekte von Cornouaille (Kerneveg), Léon (Leoneg) und Trégor (Tregerieg) sowie des etwas ferner stehenden Dialekts der Region Vannes (Gwenedeg) stark abgenommen hat. Deutlich zugenommen hat namentlich in den letzten Jahren die Zahl derjenigen, die Bretonisch als eine Zweitsprache erlernen oder erlernt haben, doch unterscheidet sich ihre Sprache sowohl in der Aussprache als auch im Satzbau und im Wortschatz teilweise erheblich von jener der Muttersprachler. Seit 1999 bemüht sich ein Office public de la langue bretonne (Ofis publik ar Brezhoneg) durch die Einrichtung von Sprachkursen und die Veröffentlichung geigneter Unterrichtsmaterialien um den Erhalt des Bretonischen. Seit 2008 bekräftigt Artikel 75-1 der französischen Verfassung („Les langues régionales appartiennent au patrimoine de la France“) erstmals die kulturelle Bedeutung der Regionalsprachen und damit auch des Bretonischen für Frankreich. Als Kornisch (Eigenbezeichnung Kernowek oder Kernewek) bezeichnet man die dem Bretonischen und Walisischen zunächst verwandte Sprache von Cornwall. Auf das Frühkornische (7./ 8. Jahrhundert) folgt vom 9. bis zum 12. Jahrhundert die Periode des Altkornischen, die man vor allem durch Glossen und ein kornisch-lateinisches Glossar aus der Zeit um 1100, das sogenannte Vocabularium Cornicum, kennt. Vom 13. bis zum 16. Jahrhundert erstreckt sich die Periode des Mittelkornischen, in der zahlreiche geistliche und erbauliche Texte zur religiösen Unterweisung entstanden. Die darauf folgende Periode des zunehmenden Verfalls der Sprache im 17. und 18. Jahrhundert bezeichnet man üblicherweise als Spätkornisch. Als letzte Person, welche das Kornische fließend sprach, gilt Dolly Pentreath (1692-1777), doch hielt sich eine bruchstückhafte Kenntnis der Sprache vereinzelt noch bis in die zweite Hälfte des 19.-Jahrhunderts. Nachdem das Kornische bereits im 17. und 18. Jahrhundert auf reges altertumskundliches Interesse gestoßen war, begründete Henry Jenner (1848-1934) 1904 mit der Veröffentlichung seines Handbook of the Cornish Language die auch als Cornish Revival bekannte moderne Bewegung zur Wiederbelebung des Kornischen. Im Unterschied zu Jenner, der sich dabei am Spätkornischen des 18.-Jahrhunderts orientierte, setzte Robert Morton Nance (1873-1959) auf eine Wiederbelebung des besser bezeugten Mittelkornischen, wobei er sein Unified Cornish oder Kernewek Unys genanntes Neukornisch mit Anleihen aus dem Wortschatz des Walisischen und Bretonischen anreicherte. Lange Zeit führend, konkurrierte Unified Cornish seit den 1980er bzw. 1990er Jahren mit den alternativen Sprachformen Common Cornish oder Kernewek Kemmyn, Unified Cornish Revised und Revived Late Cornish, bis man sich 2008 unter der Federführung der 2005 gegründeten Cornish Language Partnership (Kes- <?page no="87"?> Keltisch-außerkeltische Beziehungen 81 kowethyans an Taves Kernewek) auf eine gemeinsame, 2013 revidierte Standard Written Form (Furv Skrifys Savonek) verständigte. Seit 2002 ist Kornisch als regionale Minderheitensprache offiziell anerkannt. Infolgedessen zählt auch die UNESCO das Kornische seit 2009 nicht mehr zu den ausgestorbenen, sondern zu den extrem gefährdeten Sprachen. Zur Geschichte des Bretonischen vgl. Albert Deshayes, Histoire de la langue bretonne (Ploudalmézeau 2013) und Serge Plenier, La langue betonne des origines à nos jours (Rennes 2010). Über die Dialekte des Bretonischen orientieren Iwan Wmffre, Breton Orthographies and Dialects, 2 Bde. (Oxford 2007) und Jean Le Dû, Nouvel atlas linguistique de la Basse-Bretagne (Brest 2001). Zur gegenwärtigen Sprachsoziologie vgl. Michael Hornsby (Hrsg.), Breton: the postvernacular challenge (Berlin 1913). Kurzgefasste sprachwissenschaftliche Beschreibungen liefern Ian Press, Standard Breton (München 2004) und Iwan Wmffre, Central Breton (München 1998). Zur gegenwärtigen Situation des Bretonischen vgl. David P. Winterstein, Media and Power on the Margins of Europe: the public negotiation of the Breton language and cultural identity (Cresskill, N. J. 2010), Wolfgang Köhler, Bretonisch und Französisch im Süd-Finistère (Rangendingen 2009), Frañses Favereau, Babel & baragouin: le breton dans la mondialisation (Morlaix 2006) und Rachel Hoare, L’ identité linguistique des jeunes en Bretagne (Brest 2003). Zum Kornischen vgl. Peter W. Thomas u. Derek R. Williams (Hrsg.), Setting Cornwall on its Feet: Robert Morton Nance, 1873-1959 (London 2007), Nicholas Williams, Writings on Revived Cornish (Westport, Co. Mayo 2006), Derek R. Williams (Hrsg.), Henry and Katharine Jenner (London 2004) und Iwan Wmffre, Late Cornish (München 1998). 3.6 Keltisch-außerkeltische Beziehungen Keltisch-außerkeltische Sprachkontakte sind sowohl im Wortschatz der keltischen Idiome als auch in dem der Nachbarsprachen feststellbar. Kulturgeschichtlich aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang insbesondere die z. T. noch vorgeschichtlichen Kontakte zwischen dem Keltischen und Germanischen, die Beziehungen zwischen dem Festlandkeltischen und Lateinischen sowie die umfangreichen Entlehnungen der inselkeltischen Sprachen aus dem Lateinischen im Gefolge der Christianisierung. Zeitlich jünger sind die Kontakte zwischen den inselkeltischen Sprachen und dem Altnordischen sowie die - in neuerer Zeit besonders tiefgreifenden - Beziehungen zum Englischen und Französischen. Auswirkungen dieser Sprachkontakte zeigen sich in unterschiedlichen Bereichen und auf mehreren Ebenen. So etwa schreibt man die für mehrere südirische Mundarten charakteristische Endsilbenbetonung dem in dieser Region Irlands besonders früh nachweisbaren Einfluss des <?page no="88"?> 82 Sprachwissenschaft Anglonormannischen zu, während man einige Besonderheiten der schottischgälischen Phonologie, darunter die sogenannte Präaspiration, auf den Einfluss westnorwegischer Mundarten zurückführt oder die für mehrere bretonische Dialekte typische, im Inselkeltischen insgesamt jedoch unübliche, Stellung des Subjekts am Satzanfang mit dem Vorbild des Französischen erklärt. Besonders leicht nachzuvollziehen sind die Auswirkungen keltisch-außerkeltischer Beziehungen im Wortschatz der betreffenden Sprachen, was im Folgenden anhand einiger charakteristischer Beispiele veranschaulicht sei. Die frühe geographische Nachbarschaft des Keltischen und Germanischen spiegelt sich in einer Reihe gemeinsamer Neuerungen im Wortschatz, durch die sich diese beiden Zweige des Indogermanischen von anderen, geographisch weiter entfernten indogermanischen Sprachen unterscheiden. Dazu gehört z. B. das Wort Eid (altirisch oeth, gotisch aiþs), das bei den Kelten wie auch den Germanen (nicht aber sonst) von einer sprachlichen Wurzel mit der Grundbedeutung „gehen“ abgeleitet ist und sich ursprünglich wohl auf den „Eidgang“ im Sinne des Vortretens zur Eidesleistung oder zu einem Gottesurteil bezog. Eine ähnliche Parallele bietet das keltische und germanische Wort für „Erbe“ (vgl. irisch com-arbe und gotisch ga-arbja, „Mit-Erbe“), dessen nächste Entsprechungen in anderen indogermanischen Sprachen nicht „Erbe“ sondern „Waise“ bedeuten. Nur keltisch und germanisch bezeugt ist ferner das Wort *rūno-, aus dem sich irisch rún und walisisch rhin, „Geheimnis“ sowie gotisch runa als Äquivalent des griechischen Wortes mystērion entwickelt haben. Eine frühe Entlehnung aus dem Keltischen ins Germanische sieht man demgegenüber in deutsch Amt, das über mittelhochdeutsch ambet / ammet und althochdeutsch ampaht auf ein germanisches Wort *ambahtja, „Gefolgsmann“ (entlehnt aus keltisch *ambaktos), zurückgeht. Um ein Lehnwort aus dem Keltischen handelt es sich im Hinblick auf mittelirisch lúaide, „Blei“, vielleicht auch bei germanisch *lauda (woraus deutsch Lot, „Senkblei“, und englisch lead, „Blei“). Für ein keltisches Lehnwort hält man ferner Eisen (irisch iarann, walisisch haearn), das vermutlich im Zusammenhang mit der Technik der Eisenverarbeitung zu einem frühen Zeitpunkt ins Germanische übernommen wurde. Unklar ist demgegenüber das Verhältnis von keltisch *brākā, „Hose“, und dem gleichbedeutenden germanischen Wort *brōka- (woraus althochdeutsch bruoh, altenglisch brōc und neuenglisch breeches), da hier sowohl eine Entlehnung vom Keltischen ins Germanische als auch umgekehrt denkbar erscheint. Eine Reihe keltischer Lehnwörter im Lateinischen betrifft die Bereiche des Kriegswesens und der Wagenbautechnik, in denen die Römer allem Anschein nach die Schüler der Kelten waren. Ein keltisches Lehnwort sah man bereits in der Antike in der Bezeichnung des römischen Soldatenmantels, der bei lateinischsprachigen Autoren sagum, bei griechischsprachigen sagon oder sagos heißt. Keltischer Herkunft ist ferner lateinisch lancea (woraus italienisch lancia, französisch lance und deutsch Lanze), das man von einem keltischen Wort für „werfen“ herleitet. Dazu passt, dass die Kelten nach der Darstellung <?page no="89"?> Keltisch-außerkeltische Beziehungen 83 des Historikers Diodor von Sizilien (5,30,4) diese Waffe nicht zum Stoß, sondern zum Wurf benutzten. Ein keltisches Wort für „Schwert“ war *kladijo- (woraus irisch claidheamh und walisisch cleddyf ), das in der Form gladius ins Lateinische übernommen wurde und dort das alte Erbwort ensis weitgehend verdrängte. In ähnlicher Weise verdrängte auch das aus keltisch *karros, „Wagen“, übernommene Lehnwort carrus (woraus französisch char und englisch car) das gleichbedeutende lateinische Erbwort currus. Den zweirädrigen, gewöhnlich von zwei Pferden gezogenen keltischen Streitwagen, den man aus frühlatènezeitlichen Gräbern und Caesars Darstellung seiner Feldzüge in Britannien kennt, bezeichneten die Römer mit einem ebenfalls keltischen Wort als essedum. Alternative lateinische Bezeichnungen dafür waren die Wörter carpentum und covinnus, für die man im Hinblick auf augenfällige irische Parallelen (vgl. altirisch carpat, „Steitwagen“, und fén, „Wagen“) ebenfalls keltische Herkunft annimmt. Weniger offensichtlich ist der keltische Ursprung des lateinischen Wortes epiraedium als Bezeichnung des Zugseils einer Kutsche, das von keltisch *epo-rēdo-, „Gespann“ (altirisch echrad) abgeleitet ist. Keltischer Herkunft ist schließlich auch deutsch Pferd, das auf mittellateinisch paraverēdus, „Postpferd zum Dienst auf Nebenlinien“, zurückgeht. Dabei handelt es sich um eine Zusammensetzung aus der griechischen Präposition pará, „bei, neben“, und dem keltischen Wort *wo-rēdos / *we-rēdos, das über die lateinische Zwischenform verēdus sogar ins Arabische und Persische (barīd, „Post“) entlehnt wurde. Eine Ableitung von keltisch *betu-, „Birke“, sieht man in lateinisch bitumen, „Pech“, das heute auch den Asphalt bezeichnet, zumal Plinius der Ältere (Historia naturalis 16,74-75) ausdrücklich vermerkt, dass die Gallier das Harz junger Birken zu Pech verarbeiteten. Etliche keltische Wörter, die im Zuge der Romanisierung in das auf ehemals keltischsprachigem Boden gesprochene Latein eingingen, sind nur in älteren Sprachstufen oder bestimmten Regionalsprachen erhalten geblieben. So etwa kann man provençalisch agreno und katalanisch aranyo, „Pflaume“, auf gallisch *agran(i)o-, eine Ableitung aus dem altkeltischen (und indogermanischen) Wort *agro-, „Acker“, zurückführen. Altfranzösisch bièvre, „Biber“, geht ebenfalls über das Lateinische auf das Keltische zurück (vgl. die gallischen Ortsnamen Bibracte und Bibrax), während sich im modernen Französischen dafür das lateinische Lehnwort castor durchgesetzt hat. Ebenfalls nur altfranzösisch bezeugt ist das Wort cervoise, „Bier“ (aus gallolateinisch cervisia), das darüber hinaus in spanisch cerveza weiterlebt. Insgesamt sind Wörter keltischen Ursprungs im modernen Französischen vergleichsweise selten. Dazu gehört z. B. arpent, „Morgen“ (als Feldmaß), das auf lateinisch arepennis / arependis (aus *are, „vor“, und *penno-, „Kopf “) zurückgeht und in altirisch airchinn, „Kopfende, Schmalseite eines Rechtecks“, eine genaue Entsprechung findet. Gallolateinisch vidubium, „Hippe“ (eigentlich „Baum-Schneider“), das in altirisch fidba und kymrisch gwddif genaue Entsprechungen findet, lebt bis heute weiter in dem gleichbedeutenden französischen Wort vouge. Die nach <?page no="90"?> 84 Sprachwissenschaft ihrem auffälligen Federschopf benannte Haubenlerche hieß bei den Kelten alaudā (so Sueton, Caesar 24). Das Wort hat sich in den inselkeltischen Sprachen nicht erhalten, lebt jedoch fort in verschiedenen romanischen Bezeichnungen des Vogels, darunter französisch alouette und italienisch allodola. Den Römern soll das Wort dadurch bekannt geworden sein, dass Caesar während des Gallischen Kriegs ohne Zustimmung des Senats und auf eigene Rechnung gallische Truppen ausrüstete, die dann in Anspielung auf die Federbüsche ihrer Helme Alaudae genannt wurden. In ähnlicher Weise begegnet alausa, „Alse“, die altkeltische Bezeichnung eines mitteleuropäischen Herings, in dieser Form bereits bei dem spätantiken lateinischen Dichter Ausonius (Mosella 127) und gelangte über das Lateinischen in mehrere romanische Sprachen (französisch alose, italienisch und spanisch alosa). Infolge der Romanisierung weiter Teile Britanniens gelangten zahlreiche lateinische Kulturwörter ins Walisische, darunter solche aus den Bereichen des Militärwesens (wie z. B. lleng aus legio, „Legion“, llurig aus lōrīca, „Brustpanzer“, saeth aus sagitta, „Pfeil“, und ymherawdr aus imperātor, „Befehlshaber“), der Landwirtschaft (wie z. B. asyn aus asinus, „Esel“, caws aus cāseus, „Käse“, ffa aus faba, „Bohne“, ffrwyth aus fructus, „Frucht“, gwin aus vīnum, „Wein“, llin aus līnum, „Flachs“, melin aus molīna, „Mühle“, mul aus mūlus, „Maultier“, olew aus oleum, „Öl“ und sach aus saccus, „Sack“), der Bautechnik (wie z. B. castell aus castellum, „Burg, Festung“, cell aus cella, „Zelle“, colofn aus columna, „Säule“, ffenestr aus fenestra, „Fenster“, gwydr aus vitrum, „Glas“, plwm aus plumbum, „Blei“ und porth aus porta, „Tür“) und des Bildungswesens (wie z. B. egwyddor aus abecēdārium, „Alphabet“, erthygl aus articulus, „Artikel“, llin aus līnea, „Zeile“, llythyr aus littera, „Buchstabe“, nifer aus numerus, „Zahl“ und ysgol aus schola, „Schule“). Lateinischer Herkunft sind ferner zahlreiche walisische Wörter aus dem Bereich der christlichen Religion, darunter abostol aus apostolus, „Apostel“, angel aus angelus, „Engel“, bendith aus benedictio, „Segen“, cyffes aus confessio, „Bekenntnis“, disgybl aus discipulus, „Jünger“, efengyl aus evangelium, „Evangelium“, eglwys aus ecclēsia, „Kirche“, esgob aus episcopus, „Bischof “, melltith aus maledictio, „Fluch“, mynach aus monacus, „Mönch“, paradwys aus paradīsus, „Paradies“, pechod aus peccātum, „Sünde“, pererin aus peregrīnus, „Pilger“, uffern aus infernum, „Hölle“ und ysbryd aus spiritus, „Geist“. Im Unterschied zu Wales, das über 300 Jahre lang zur römischen Provinz Britannia gehörte, fand die lateinische Sprache in Irland erst im Gefolge der Christianisierung Eingang, weshalb die meisten frühen Lehnwörter dem kirchlichen Bereich angehören. Bei den ältesten von ihnen wurde der im ältesten Irischen fehlende Laut p noch durch k (geschrieben c) ersetzt (wie z. B. in Cothraige aus Patricius, cruimther aus presbyter, corcur aus purpura, clúm aus plūma, casc aus Pascha, fescor aus vesper und caille aus pallium), während das ursprüngliche p in späteren Entlehnungen erhalten blieb (so z. B. in purgatóir aus purgatōrium, popul aus populus und póc, „Kuss“, aus osculum pācis, „Frie- <?page no="91"?> Keltisch-außerkeltische Beziehungen 85 denskuss“). Die Mehrzahl der während der Wikingerzeit aus dem Altnordischen ins Irische entlehnten Wörter entstammt demgegenüber den Bereichen der Seefahrt, des Handels und des Kriegswesens, so etwa bát aus bátr, „Boot“, cnairr aus knørr, „(Handels-)Schiff “, acaire aus akkeri, „Anker“, margad aus markaðr, „Markt“, mangaire aus mangari, „Händler“, att aus hattr, „Kopf bedeckung, Helm“, boga aus bogi, „Bogen“ und scellbolg aus skjaldborg, „Schildwall“. Frühe keltische Lehnwörter im Englischen, darunter brock „Dachs“ (vgl. irisch broc und walisisch broch), sind insgesamt selten. Seit dem 16. Jahrhundert im Englischen bezeugt ist das Wort slogan, „Kriegsruf “, das auf das gleichbedeutende schottisch-gälische Wort sluagh-ghairm zurückgeht. Zu den gelehrten neuzeitlichen Entlehnungen aus dem Altkeltischen zählt das deutsche Wort Barde (aus altkeltisch bardos, „Dichter“), das man vor der Etablierung der Keltologie und Vergleichenden Sprachwissenschaft in der zweiten Hälfte des 19.- Jahrhunderts gerne mit dem von Tacitus (Germania 3,1) als barditus oder barritus bezeichneten Schlachtgesang der Germanen verglich, weshalb Autoren wie Klopstock oder Kleist auch die frühen germanischen Dichter als „Barden“ bezeichneten. Ursprünglich aus dem Lateinischen kommt demgegenüber das nur scheinbar keltische Fremdwort Clan, das über englisch clan auf irisch clann (ältere Form: cland) zurückgeht, was wiederum in der walisischen Pluralform plant, „Kinder“ (Singular: plentyn) eine genaue Entsprechung findet. Beide Formen gehen letztlich auf lateinisch planta, „Pflanze“, zurück, das in der gesprochenenen lateinischen Sprache Britanniens vermutlich neben „Setzling“ auch soviel wie „Sprössling“ oder „Nachwuchs“ bedeuten konnte und in dieser Bedeutung ins Inselkeltische entlehnt wurde. Zu keltisch-außerkeltischen Sprachkontakten im Altertum vgl. Alex Mullen, Southern Gaul and the Mediterranean: multilingualism and multiple identities in the Iron Age and Roman periods (Cambridge 2013) sowie die Beiträge in Juan Luis Garcia Alonso (Hrsg.), Celtic and Other Languages in Ancient Europe (Salamanca 2008). Über keltisch-außerkeltische Sprachkontakte zur Wikingerzeit orientieren Diarmaid Ó Muirithe, From the Viking Word-Hoard: a dictionary of Scandinavian words in the languages of Britain and Ireland (Dublin 2010), Paul Cavill u. George Broderick (Hrsg.), Language Contact in the Place-Names of Britain and Ireland (Nottingham 2007) und Susanne Kries, Skandinavisch-schottische Sprachbeziehungen im Mittelalter (Odense 2003). Zum keltischen Element in verschiedenen Varianten des Englischen vgl. die Beiträge in Hildegard L. C. Tristram (Hrsg.), The Celtic Englishes IV: the interface between English and the Celtic languages (Potsdam 2005), Terence Patrick Dolan, A Dictionary of Hiberno-English, 2 nd ed. (Dublin 2004), Hildegard L. C. Tristram (Hrsg.), The Celtic Englishes III (Heidelberg 2003), Dies. (Hrsg.), The Celtic Englishes II (Heidelberg 2000), Diarmaid Ó Muirithe, A Dictionary of <?page no="92"?> 86 Sprachwissenschaft Anglo-Irish: words and phrases from Gaelic in the English of Ireland (Dublin 2000), Markku Filppula, The Grammar of Irish English (London 1999). Zur gegenwärtigen Situation der keltischen Sprachen aus gesamteuropäischer Perspektive vgl. Wesley Hutchinson u. Clíona Ní Ríordáin (Hrsg.), Language Issues: Ireland, France and Spain (Bruxelles 2010), Colin H. Williams, Linguistic Minorities in a Democratic Context (Basingstoke 2008) und Konstanze Glaser, Minority Languages and Cultural Diversity in Europe: Gaelic and Sorbian perspectives (Clevedon 2007). <?page no="93"?> 4 Literaturwissenschaft Der Ausdruck „keltische Literaturen“ dient üblicherweise als zusammenfassende Bezeichnung der Literaturen von Irland, Schottland, Wales, Cornwall und der Bretagne, sofern die betreffenden Werke in einer der dort gesprochenen inselkeltischen Sprachen abgefasst sind. Texte, die ursprünglich nur mündlich überliefert wurden und ihre Aufzeichnung einem primär volks- oder altertumskundlichen Interesse verdanken, bilden im Allgemeinen keinen Gegenstand der Literaturwissenschaft, sondern der Europäischen Ethnologie und sind dementsprechend in einem anderen Zusammenhang zu erörtern (s. u. 6.). Signifikante Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen keltischen Literaturen erklären sich teils durch das Weiterleben altkeltischer Dichtungstraditionen, teils aus dem überregional wirksamen Einfluss der antiken Schriftkultur und des Christentums, teils aus Entlehnungen von einer keltischen Literatur in die andere und teils aus der gesamtkeltisch wirksamen Rezeption auswärtiger literarischer Stoffe, Themen und Motive. Im Allgemeinen bilden die inselkeltischen Literaturen jedoch ebensowenig ein homogenes Kontinuum wie die inselkeltischen Sprachen, so dass sie ungeachtet aller historischer Parallelen getrennt voneinander zu behandeln sind. Die Entstehung und frühe Geschichte der inselkeltischen Literaturen behandeln mehrere Beiträge in Richard Gameson (Hrsg.), The Cambridge History of the Book in Britain, Volume I: c. 400-1100 (Cambridge 2012) sowie in Alastair Minnis und Ian Johnson (Hrsg.), The Cambridge History of Literary Criticism, Vol. II: The Middle Ages (Cambridge 2009). Vgl. ferner Helen Fulton (Hrsg.), Medieval Celtic Literature and Society (Dublin 2005) und Huw Pryce (Hrsg.), Literacy in Medieval Celtic Societies (Cambridge 1998). 4.1 Irland Die Entstehung der irischen Literatur hängt eng zusammen mit der Einführung der lateinischen Schriftkultur im Gefolge der Christianisierung und mit der Pflege des Lateinischen als Sprache der Kirche und der Wissenschaften. Intensiv studiert wurden sowohl die Schriften der Kirchenväter als auch die Bibel, wie die vor allem in Kontinentaleuropa erhaltenen irischen Glossen zum lateinischen Bibeltext deutlich machen. Dabei findet man auf frei gebliebenen Stellen der Handschriften mit geistlichem und gelehrtem Inhalt auch lyrische Verse, die etwa die Vorzüge des geistlichen Lebens im Kloster und die Schönheit der göttlichen Schöpfung, aber auch Themen wie den Konflikt zwischen <?page no="94"?> 88 Literaturwissenschaft weltlicher Lebensfreude und asketischen Idealen behandeln. Bereits um 600 verfasste der Dichter Dallán Forgaill Amra Choluim Chille, ein Preisgedicht auf den Missionar und Klostergründer Columba, und wohl noch im 8. Jahrhundert entstanden die allegorischen Erzählungen Immram Brain („Brans Seefahrt“) und Echtrae Chonnlai („Connlaes Wunderbare Fahrt“). Weitere Belege für die inhaltliche und stilistische Vielfalt des mittelalterlichen geistlichen Schrifttums bieten die Verse des Dichters Bláthmac mac Con Brettan über das Leben Christi, der versifizierte Heiligenkalender des Mönchs Oengus mac Oengobann (Félire Oenguso) und die anonym überliferte Erzählung Fís Adamnán („Adamnáns Vision“), die eine Reise des Titelhelden durch die verschiedenen Regionen des Jenseits schildert. Die weitaus meisten volkssprachlichen Literaturwerke sind uns erst in Handschriften des 12.-14.-Jahrhunderts überliefert. An erster Stelle steht dabei das Lebor na hUidre („Buch der Dunklen Kuh“), das vermutlich im späten 11.-Jahrhundert im Kloster Clonmacnoise entstand. Es zählt heute noch 67-teilweise unvollständig erhaltene Pergamentblätter und befindet sich seit 1844 in der Bibliothek der Royal Irish Academy in Dublin. Aus der Zeit um 1130 stammt die nach ihrer Signatur in der Bodleian Library in Oxford so genannte Handschrift Rawlinson B 502. Die mit Abstand umfangreichste der älteren irischen Sammelhandschriften ist das Book of Leinster (Lebor Laignech), das früher auch Lebor na Núachongbála („Buch von Nuachongbáil/ Oughaval“) genannt wurde. Es zählt heute noch 187 Pergamentblätter, von denen zehn in der Bibliothek der Franziskaner in Killiney und die übrigen in der Bibliothek des Trinity College in Dublin auf bewahrt werden. Aus dem 14. Jahrhundert stammen das Book of Ballymote (Leabhar Bhaile an Mhóta, seit 1785 in der Bibliothek der Royal Irish Academy), das Book of Lecan (Leabhar Leacáin, heute in den Bibliotheken des Trinity College, Dublin, und der Royal Irish Academy) und das Yellow Book of Lecan (Leabhar Buidhe Leacáin, heute in der Bibliothek des Trinity College, Dublin). Seit dem 19. Jahrhundert weithin üblich ist die Einteilung eines Großteils der alt- und mittelirischen Prosaliteratur in Stoffkreise oder „Zyklen“, wobei man üblicherweise einen Ulster-, Finn- oder Ossianischen und Mythologischen Zyklus unterscheidet. Den Ulster-Zyklus bildet eine Gruppe von Erzählungen, deren Handlung in der heidnischen Zeit um Christi Geburt angesiedelt ist. Der Name bezieht sich auf die Protagonisten dieser Geschichten, die aus der Provinz Ulster im Norden Irlands stammen. Zu den Haupthelden zählen König Conchobor mac Nessa und sein Neffe Cú Chulainn, als deren Gegenspieler das Königspaar Ailill und Medb aus der Provinz Connacht auftreten. Die längste und bedeutendste Erzählung dieses Zyklus ist die „Geschichte des Rinderraubs von Cuailnge/ Cooley“ (Táin Bó Cuailnge), die von einem großen Heereszug der Connachter gegen die Provinz Ulster erzählt. Zum Finn- oder Ossianischen Zyklus, dessen Handlung im 3. Jahrhundert n. Chr. spielt, gehören die Erzählungen um die Abenteuer der Fianna, einer wilden Kriegerschar unter der Füh- <?page no="95"?> Irland 89 rung des Fi(o)nn mac Cum(h)aill, zu denen auch Finns Sohn Oisín und dessen Sohn Oscar gehören. Die umfangreichste dieser Erzählungen ist „Die Unterredung mit den Alten“ (Acallam na Senórach), die von einer Begegnung des greisen Helden Oisín und seines Neffen Caílte mit dem heiligen Patrick berichtet. Im Unterschied zu den bereits genannten Zyklen, deren Erzählungen durch die jeweiligen Hauptfiguren relativ eng miteinander zusammenhängen, handelt es sich bei den Geschichten des Königs- oder Historischen Zyklus eher um eine ganze Sammlung von Zyklen, in deren Mittelpunkt Herrscher aus der Zeit vom 3. bis zum 11. Jahrhundert n. Chr. stehen. Zu den bedeutendsten dieser Könige zählen Conn Cétchathach („mit den hundert Schlachten“) und sein Enkel Cormac mac Airt, die der mittelalterlichen Überlieferung zufolge im 2. und 3.-Jahrhundert n. Chr. über ganz Irland herrschten. Abweichend von allen bisher genannten Zyklen stehen in den Geschichten des Mythologischen Zyklus nicht gewöhnliche Menschen, sondern übernatürliche Wesen im Mittelpunkt des Geschehens. Im Irischen werden sie oft fir / mná / áes síde „Männer / Frauen / Leute des síd“ oder auch einfach síde genannt, da man vorgeschichtliche Grabhügel (síd) als ihre Wohnstätten ansah. Manche Erzählungen setzen die áes síde mit den Túatha Dé Danann gleich. Diese galten den mittelalterlichen Iren als eine vor langer Zeit aus Asien eingewanderte Vorbevölkerung, doch handelt es sich dabei wohl zumindest teilweise um historisierte Gestalten der vorchristlichen Mythologie. Die bedeutendste Erzählung des Mythologischen Zyklus ist die Erzählung der sogenannten „Zweiten Schlacht von Mag Tuired“ (Cath Maige Tuired), die vom Kampf der Túatha Dé Danann mit den dämonischen Fomoire erzählt. Keine im engeren Sinn literarischen Texte, doch eine wertvolle Quelle unserer Kenntnis der Gesellschaft im frühmittelalterlichen Irland sind schließlich die volkssprachlichen Rechtstexte. Die ältesten von ihnen wurden bereits im 7. und 8. Jahrhundert aufgezeichnet, sind uns jedoch erst in Handschriften des 14.-16.- Jahrhunderts mit zahlreichen späteren Einschüben, Erläuterungen und Randbemerkungen überliefert. Ursprünglich war das auch als fénechas bezeichnete traditionelle irische Recht nur mündlich überliefert worden, so dass man in der schriftlichen Fixierung wohl eine Reaktion der einheimischen Rechtsgelehrten (Plural brithemain, anglisiert brehon) auf den Einfluss des lateinischen Kirchenrechts sehen darf. Im Zusammenhang mit der alljährlich wechselnden Berechnung des Ostertermins entstanden Aufzeichnungen über den Regierungsantritt und den Tod bedeutender Herrscher, die Gründung und Zerstörung von Klöstern, Kriege, Missernten und ähnlich markante Ereignisse. Aus ihnen stellte man im Laufe der Zeit umfangreiche, historisch wertvolle Annalen zusammen, die wiederum zu fortlaufenden Geschichtsdarstellungen Anlass gaben. Am bekanntesten ist die wohl im 11. Jahrhundert entstandene, als Lebor Gabála Érenn („Das Buch von der Einnahme Irlands“) bekannte Darstellung, die mit der Weltschöpfung beginnt und die Geschichte Irlands und seiner Bevölkerung von der Entde- <?page no="96"?> 90 Literaturwissenschaft ckung durch eine Enkelin Noahs bis zur Gegenwart erzählt. Breiten Raum nimmt die Schilderung von sechs aufeinander folgenden Einwanderungswellen ein, wobei die Iren als Nachkommen der zuletzt von der Iberischen Halbinsel nach Irland eingewanderten „Söhne des Mil“ gelten. Seit dem 12. Jahrhundert wurde die irische Literatur von bedeutenden Gelehrtenfamilien gepflegt, die sich auf bestimmte Bereiche der historischen und literarischen Überlieferung spezialisierten. Zu den beliebtesten einheimischen Stoffen gehörten nunmehr die Erzählungen um Fi(o)nn mac Cum(h)aill und sein Gefolge, deren märchenhafter Charakter dem vom Aufschwung der Höfischen Literatur geprägten Zeitgeschmack entgegenkam, nachdem die vor der normannischen Eroberung populären Erzählungen des Ulster- und Königszyklus ihre politische und gesellschaftliche Relevanz weitgehend verloren hatten. Weite Verbreitung gewannen seit dem Spätmittelalter die Balladen um Fi(o)nn und seine Fianna, von denen rund 70 aus dem 12.-17. Jahrhundert in einer Handschrift des frühen 17.- Jahrhunderts, dem „Liederbuch Finns“ (Duanaire Finn) erhalten geblieben sind. Eine wichtige Rolle spielten bis in die Frühe Neuzeit auch die so genannten Bardischen Dichter, die unter dem Patronat lokaler Herrscher in einer konservativen Literatursprache und nach komplizierten metrischen Regeln zu offiziellen Anlässen Gedichte verfassten und vortrugen. Im 16. und 17. Jahrhundert ging die gesellschaftliche Bedeutung der alteingesessenen Gelehrtenfamilien und der von ihnen gepflegten Literatur im Gefolge der englischen Eroberungen immer weiter zurück. Wie die Bardischen Dichter einst den Adel als Garanten der rechtmäßigen politischen Ordnung gefeiert hatten, so flüchteten sie sich nunmehr in Zukunftshoffnungen und politisches Wunschdenken. Den Tenor der politischen Dichtung nach der endgültigen Niederlage Jakobs II. kennzeichnet die Gattung des Traumgesichts (aisling). Sie schildert die visionäre Begegnung des Dichters mit einer überirdisch schönen Frau, die sich im Gespräch mit ihm als die personifizierte Insel Irland zu erkennen gibt, die Abwesenheit des verbannten Königs als ihres rechtmäßigen Gatten bitter beklagt und schließlich die erfolgreiche Rückkehr des legitimen Herrschers prophezeit. Eine zunehmend wichtige Rolle für die Pflege der irischen Literatur spielten nunmehr katholische Bildungseinrichtungen auf dem Festland, darunter vor allem das 1606 gegründete franziskanische Collegium des heiligen Antonius von Padua in Löwen (Louvain), wo im Laufe des 17.-Jahrhunderts zahlreiche geistliche Schriften sowie Ausgaben kirchengeschichtlich wichtiger irischer und lateinischer Texte veröffentlicht wurden. Die bekannteste Darstellung der irischen Geschichte von den Anfängen bis zur Ankunft der Normannen verfasste um 1630 der katholische Geistliche Geoffrey Keating (irisch Seathrún Céitinn, um 1570-1650) mit seinem Werk Foras Feasa ar Éirinn („Grundlage der Kenntnis Irlands“). Im 18. und frühen 19. Jahrhundert waren die Möglichkeiten für den Druck und die Verbreitung irischer Literatur aufgrund der restriktiven Gesetzgebung stark eingeschränkt. Mit der zunehmenden politischen Emanzipation der iri- <?page no="97"?> Irland 91 schen Katholiken gewannen dann jedoch auch die Bemühungen um die Schaffung einer neuirischen Literatur immer mehr an Bedeutung. Ein Pionier auf diesem Gebiet war John MacHale (1791-1881), seit 1834 Erzbischof von Tuam, der nicht nur eigene Gedichte und geistliche Schriften verfasste, sondern auch Übersetzungen des Pentateuch und der Ilias veröffentlichte. Weitreichenden Einfluss auf den Literaturbetrieb gewann die 1893 von Douglas Hyde (1860- 1949) gegründete „Gälische Liga“ (Gaelic League / Conradh na Gaeilge), die seit 1900 irische Bücher in einem eigenen Verlag drucken ließ. Zu den produktivsten von ihr geförderten Autoren gehört Peadar Ó Laoghaire (Peter O’Leary, 1839-1920), der neben eigenen Erzählungen auch Bearbeitungen älterer Literaturwerke, Übersetzungen, den Roman Séadna (1904) und eine Autobiographie Mo Sgéal Féin („Meine eigene Geschichte“, 1915) verfasste. Aus heutiger Sicht moderner wirken die Erzählungen von Pádraic Ó Conaire (1882-1928), dessen zahlreiche Kurzgeschichten ebenso wie der 1910 erschienene düstere Kurzroman Deoraíocht („Exil“) unter dem Einfluss des französischen Naturalismus entstanden. Zeitgenössischen ausländischen Vorbildern verpflichtet ist auch das literarische Werk des Pädagogen und Revolutionärs Pádraig Mac Piarais (Patrick Henry Pearse, 1879-1916), der in An Claidheamh Soluis („Das Lichtschwert“), der von ihm heausgegebenen Zeitschrift der Gälischen Liga, zahlreiche Gedichte und Kurzgeschichten veröffentlichte. Im Gefolge der Gründung des irischen Freistaats wurde 1925 mit An Gúm („Der Plan“) auch ein staatlicher Verlag zur Förderung der irischen Literatur und Bereitstellung irischsprachiger Unterrichtsmittel geschffen. Dabei erwies sich jedoch die ausgeprägt konservative Verlagspolitik gerade für moderne und experimentelle Werke immer wieder als hinderlich. Konventionelle fiktive Darstellungen des irischen Landlebens verfasste (unter dem Pseudonym „Máire“) Séamus Ó Grianna (1889-1969), dessen Bruder Seosamh Mac Grianna (1901-1990) neben Erzählungen und liteaturwissenschaftlichen Studien auch Übersetzungen ausländischer Literaturwerke verfasste. Über die Grenzen Irlands hinaus bekannt wurden mehrere Autobiographien aus dem ländlichen Raum im Westen und Südwesten Irlands, darunter An tOileánach („Der Inselbewohner“, 1929) von Tomás Ó Criomhthain (1856-1937), Fiche Bliain ag Fás („Zwanzigjähriges Heranwachsen“, 1933) von Muiris Ó Súilleabháin (1904- 1950), Peig (1933) und Machtnamh Seana-Mhná („Gedanken einer alten Frau“, 1939) von Peig Sayers (1873-1958) sowie Rotha Mór an tSaoil („Das große Rad des Lebens“) von Micí Mac Gabhann (1865-1948). Eine glänzende Satire auf die Tradition der irischen Autobiographie und die naive Begeisterung der städtischen Mittel- und Oberschicht für das harte Leben auf dem Lande und die Vorzüge einer versunkenen Zeit erschien bereits 1941 mit An Béal Bocht (wörtlich „Der arme Mund“) von Brian O’Nolan (alias Flann O’Brien alias Myles na gCopaleen, 1911-1966). Zu den Autoren, die nach dem Zweiten Weltkrieg, zum Teil in bewusster Abkehr von der als bieder empfundenen Literatur der vorausgegangen Jahrzehnte, mit neuen Inhalten <?page no="98"?> 92 Literaturwissenschaft und Ausdrucksmitteln experimentierten, gehören der Erzähler Máirtín Ó Cadhain (1906-1970), der Dichter, Romancier und Dramatiker Eoghan Ó Tuairisc (Eugene Rutherford Watters, 1919-1982) sowie die Dichter Máirtín Ó Díreáin (1910-1988) und Seán Ó Ríordáin (1916-1977). Als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhundert gilt Máire Mhac an tSaoi (*1922). Zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart zählen Tomás Mac Síomóin (1938), Nuala Ní Dhomhnaill (*1952), Cathal Ó Searcaigh (*1956), Louis de Paor (*1961) und Doirean Ní Ghríofa (*1981). Die gesamte irische und englischsprachige Literatur Irlands behandeln Julia M. Wright (Hrsg.), A Companion to Irish Literature, 2 Bde. (Malden, Mass. 2010) sowie Margaret Kelleher und Philip O’Leary (Hrsg.), The Cambridge History of Irish Literature, 2 Bde. (Cambridge 2006). Ein neueres Nachschlagewerk zur literarischen und volkskundlichen Überlieferung bietet Dáithí Ó hÓgáin, The Lore of Ireland: an encyclopedia of myth, legend and romance (Rochester, N.Y. 2006). Eine erste Einführung in die mittelalterliche Literatur bietet Muireann Ní Bhrolcháin, An introduction to Early Irish literature (Dublin 2009). Einzelaspekte daraus behandeln die Beiträge in Jan Erik Rekdal u. Erich Poppe (Hrsg.), Medieval Irish Perspectives on Cultural Memory (Münster 2014), Elizabeth Boyle u. Deborah Hayden (Hrsg.), Authorities and Adaptations: the reworking and transmission of textual sources in medieval Ireland (Dublin 2014), Maxim Fomin, Instructions for Kings: secular and clerical images of kingship in early Ireland and ancient India (Heidelberg 2013), Elva Johnston, Literacy and Identity in Early Medieval Ireland (Woodbridge 2013), Ralph O’Connor, The Destruction of Da Derga’s Hostel: kingship and narrative artistry in a medieval Irish saga (Oxford 2013), Sarah Sheehan u. Ann Dooley (Hrsg.), Constructing Gender in Medieval Ireland (New York 2013), Sharon J. Arbuthnot u. Geraldine Parsons (Hrsg.), The Gaelic Finn Tradition (Dublin 2012), Leonie Duignan, The Echtrae as an Early Irish Literary Genre (Rahden/ Westf. 2011), Dagmar Schlüter, History or Fable? The Book of Leinster as a document of cultural memory in twelfth-century Ireland (Münster 2010), Roisin McLaughlin, Early Irish Satire (Dublin 2008), Dan M. Wiley (Hrsg.), Essays on the Early Irish King Tales (Dublin 2008) und Ann Dooley, Playing the Hero: reading the Irish saga Táin Bó Cuailnge (Toronto 2006). Vgl. ferner die von Matthieu Boyd (Hrsg.) gesammelten Aufsätze von Tomás Ó Cathasaigh, Coire Sois, The Cauldron of Knowledge: a companion to early Irish saga (Notre Dame, Indiana 2014). Zur alt- und mittelirischen religiösen Literatur vgl. John Carey, Emma Nic Carthaigh und Caitriona Ó Dochartaigh (Hrsg.), The End and Beyond: medieval Irish eschatology (Aberystwyth 2014), John Carey, Apocrypha Hiberniae 2, Apocalyptica 1. In tenga bith-nua: the ever-new tongue (Turnhout 2010), Martin McNamara (Hrsg.), Apocalyptic and Eschatological Heritage: The Middle East and Celtic Realms (Dublin 2003) sowie die Anthologie von John Carey, King of Mysteries: Early Irish Religious Writings, rev. ed. (Dublin 2000). <?page no="99"?> Irland 93 Zur Bardischen Dichtung vgl. Eoin Mac Cárthaigh, The Art of Bardic Poetry: a new edition of Irish Grammatical Tracts I (Dublin 2014), Damian McManus u. Eoghan Ó Raghallaigh (Hrsg.), A Bardic Miscellany (Dublin 2010), Margo Griffin-Wilson (Hrsg.), The Wedding Poems of Dáibhí Ó Bruadair (Dublin 2010), Sarah E. McKibben, Endangered Masculinities in Irish Poetry: 1540-1780 (Dublin 2010), Michelle O Riordan, Irish Bardic Poetry and Rhetorical Reality (Cork 2007) und Peter J. Smith (Hrsg.), Three Historical Poems Ascribed to Gilla Cóemáin (Münster 2007). Unterschiedliche Aspekte der irischen Rechtstexte behandeln Anders Ahlqvist u. Pamela O’Neill (Hrsg.), Medieval Irish Law: text and context (Sydney 2013), Charlene M. Eska, Cáin Lánamna: an Old Irish tract on marriage and divorce law (Leiden 2010), Fergus Kelly, A Guide to Early Irish Law, rev. ed. (Dublin 2009), Robin Chapman Stacey, Dark Speech: the performance of law in early Ireland (Philadelphia 2007). Zur mittelalterlichen irischen Geschichtsschreibung vgl. Nicholas Evans, The Present and the Past in Medieval Irish Chronicles (Woodbridge 2010), Bernadette Cunningham, The Annals of the Four Masters (Dublin 2009), Daniel P. McCarthy, The Irish annals: their genesis, evolution and history (Dublin 2008) und Dáibhí Ó Cróinín, Early Irish History and Chronology (Dublin 2003). Neuere Ausgaben alt- und mittelirischer Texte mit ausführlicher Einführung, sprachlichen Anmerkungen, Übersetzung und Glossar bieten die Bände der Reihe „Maynooth Medieval Irish Texts“: Bettina Kimpton (Hrsg.), The Death of Cú Chulainn (Maynooth 2009), Nora White (Hrsg.), Compert Mongáin and Three Other Early Mongán Tales (Maynooth 2006), Caoimhín Ó Dónaill (Hrsg.), Talland Étair (Maynooth 2005), Kaarina Hollo (Hrsg.), Fled Bricrenn ocus Loinges mac nDúil Dermait (Maynooth 2005), Kim McCone (Hrsg.), Echtrae Chonnlai and the Beginnings of Vernacular Narrative Writing in Ireland (Maynooth 2000). Neuere zweisprachige Ausgaben der Irish Texts Society bieten: Ranke de Vries, Two Texts on Loch n-Echach: De causis tori Corc’ Óche and Aided Echach mac Maireda (London 2012), Meidhbhín Ní Úrdail (Hrsg.), Cath Cluana Tarbh: The Battle of Clontarf (London 2011), Diarmuid Ó Murchadha (Hrsg.), Lige Guill The Grave of Goll: A Fenian Poem from the Book of Leinster (London 2009), Gregory Toner (Hrsg.), Bruiden Da Choca: The Hostel of Da Coca (London 2007), Sharon Arbuthnot (Hrsg.), Cóir Anmann: a late Middle Irish treatise on personal names, 2 Bde. (London 2005-2006), Kevin Murray (Hrsg.), Baile in Scáil: The Phantom’s Frenzy (London 2004). Neuere Sammlungen von Studien zu klassischen, von der Irish Texts Society edierten Texten bieten: Kevin Murray (Hrsg.), Lebor na cert (London 2013), Liam P. Ó Murchú (Hrsg.), Caithréim Thoirdhealbhaigh (London 2012), Pádraigín Riggs (Hrsg.), Tadhg Dall Ó hUiginn: his historical and literary con- <?page no="100"?> 94 Literaturwissenschaft text (London 2010), John Carey (Hrsg.), Lebor Gabála Érenn: textual history and pseudohistory (Dublin 2009), Pádraig Ó Riain (Hrsg.), Geoffrey Keating’s Foras Feasa ar Éirinn (London 2008), Liam P. Ó Murchú (Hrsg.), Amhráin Chearbhalláin / The Poems of Carolan (London 2007), Kevin Murray (Hrsg.), Translations from Classical Literature: Imtheachta Aeniasa and Stair Ercuil ocus a bás (London 2006), John Carey (Hrsg.), Duanaire Finn (London 2003), Pádraig Ó Riain (Hrsg.), Beatha Aodha Ruaidh: the life of Red Hugh O’Donnell (London 2002), Pádraigín Riggs (Hrsg.), Dáibhí Ó Bruadair (London 2001), Pádraig Ó Riain (Hrsg.), Fled Bricrenn (London 2000). Neuere Studien zur irischen Literatur seit der Frühen Neuzeit bieten Philip O’Leary, Writing Beyond the Revival: facing the future in Gaelic prose, 1940- 1951 (Dublin 2011), Ders., Irish Interior: keeping faith with the past in Gaelic prose, 1940-1951 (Dublin 2010), Timothy G. McMahon, Grand Opportunity: the Gaelic revival and Irish society, 1893-1910 (Syracuse, N.Y. 2008), Philip O’Leary, Gaelic Prose in the Irish Free State, 1922-1939 (University Park, Penna. 2004), Bernadette Cunningham u. Raymond Gillespie, Stories from Gaelic Ireland: microhistories from the sixteenth-century Irish annals (Dublin 2003) und Meidhbhín Ní Úrdail, The Scribe in Eighteenth and Nineteenth-Century Ireland (Münster 2000). 4.2 Schottland und die Insel Man Die Geschichte der schottisch-gälischen Literatur hängt - namentlich in den ersten Jahrhunderten - eng mit der irischen zusammen, da ein Großteil der frühen Dichtung in einer konservativen, in Irland und Schottland gleichermaßen kultivierten Literatursprache abgefasst ist. Erst seit dem 17. und 18. Jahrhundert findet man im Schottischen Hochland und auf den Hebriden auch Texte, die sich grammatisch und stilistisch stärker an die gesprochene Sprache anlehnen und dementsprechend die noch heute für das Schottisch-Gälische charakteristischen Eigenheiten aufweisen. Mit die ältesten Zeugnisse der schottisch-gälischen Literatur bietet das Book of the Dean of Lismore („Buch des Dekans von Lismore“), das heute in der Schottischen Nationalbibliothek in Edinburgh auf bewahrt wird. Es enthält eine handschriftliche Sammlung von Gedichten vor allem aus Perthshire und Argyllshire, die größtenteils zwischen 1512 und 1526 von dem Geistlichen James MacGregor und seinem Bruder Duncan zusammengestellt wurden. Dabei folgt die Orthographie der Handschrift nicht dem ansonsten und noch heute üblichen Vorbild des Irischen, sondern orientiert sich - ähnlich wie noch heute die Orthographie des Manx - an den im Englischen geltenden Regeln. Bei vielen Gedichten im Buch des Dekans von Lismore handelt es sich um Erzeugnisse der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bardischen Dichtung, wie man sie auch aus Irland kennt. Die betreffenden Werke stammen also von Berufsdichtern, die <?page no="101"?> Schottland und die Insel Man 95 ihre Aufgabe darin sahen, die Angehörigen der Herrscherfamilien in weithin konventionellen und traditionellen Formen zu verherrlichen. Da hier wie in manchen anderen, ähnlich spezialisierten Berufen das Amt des Dichters des öfteren vom Vater auf den Sohn überging, entstanden immer wieder regelrechte Dichterfamilien. So etwa führten die Dichter des Namens MacMhuirich ihre Abkunft auf den angeblich um 1215 von Irland nach Schottland geflohenen Dichter Muireadhach Albanach („der Schotte“) Ó Dálaigh zurück. Sein um die Mitte des 18.- Jahrhunderts verstorbener Nachfahre Dòmhnall MacMhuirich gilt als letzter schottischer Vertreter des Standes der Berufsdichter, der in Irland wegen der früheren Entmachtung der irischsprachigen Herrscherfamilien bereits ein Jahrhundert zuvor seine Bedeutung verloren hatte. Den auch in Schottland zu beobachtenden gesellschaftlichen Wandel im Gefolge der zunehmenden Anglisierung und Zentralisierung spiegeln einige weniger formelle, ebenfalls im Buch des Dekans von Lismore enthaltenen Dichtungen, darunter die ursprünglich aus Irland stammenden, doch auch in Schottland überaus populären Balladen um Fi(o)nn mac Cum(h)aill und seine Fianna. Von den meisten Dichterinnen und Dichtern des frühneuzeitlichen Hochlands und der Hebriden kennen wir wenig mehr als den Namen. Nur selten kann man aus dem Inhalt ihrer Gedichte, aus zufällig erhaltenen zeitgenössischen Dokumenten oder aus einer später aufgezeichneten mündlichen Überlieferung von der einzelnen Dichterpersönlichkeit und ihrem Leben eine genauere Vorstellung gewinnen. Als ein eminent politischer Dichter erscheint Iain Lom (John MacDonald, um 1625 - nach 1707), der als Angehöriger des Clans der MacDonald von Keppoch seine Herkunft auf den ersten Lord der Inseln zurückführte. In politischer Hinsicht ein glühender Katholik, schildert er den Bürgerkrieg zwischen Karl I. und dem Parlament in erster Linie als Konfrontation zwischen dem heroischen Clan MacDonald unter ihrem Anführer Alasdair MacColla und den mit ihnen verfeindeten Campbells von Argyll. Zufriedenheit äußert der Dichter über die Restauration der Stuart- Dynastie 1660, Wut und Trauer dagegen über die Revolution von 1688. Noch 1707 spottet Iain Lom in einer bitteren Satire über jene Angehörigen des schottischen Adels, die sich der Vereinigung des schottischen und englischen Parlaments und damit dem Verlust der politischen Unabhängigkeit Schottlands nicht widersetzten. Ein jüngerer Zeitgenosse Iain Loms war Roderick Morison (Ruaidhri MacMhuirich, um 1656 - um 1714), auch bekannt als An Clársair Dall („Der blinde Harfner“), weil er als einer der letzten Berufsdichter wie viele seiner Vorgänger auch das Harfenspiel beherrschte. Geboren auf der Insel Lewis als ältestes von sechs Kindern eines wohlhabenden Pächters, erhielt er seine musikalische Ausbildung in Irland und wurde 1681 Harfner bei Iain Breac, dem Oberhaupt des Clans MacLeod auf Schloss Dunvegan im Norden der Insel Skye. Sein bekanntestes Gedicht, „das Große Lied für MacLeod“ (Óran Mór MhicLeòid) verbindet die wehmütige Erinnerung an den Glanz im Haus des 1693 verstorbenen Iain Breac mit einer scharfen Kritik an dessen <?page no="102"?> 96 Literaturwissenschaft Sohn Ruaidhri, dem der Dichter Verschwendungssucht und die Missachtung der Familientradition vorwirft. Als der bedeutendste schottisch-gälische Dichter des 18.-Jahrhunderts und einer der bedeutendsten überhaupt gilt Alasdair Mac Mhaighstir Alasdair (Alexander MacDonald, um 1695 - um 1770). Sohn eines Geistlichen, besuchte er in seiner Jugend die Universität Glasgow und war danach eine Zeit lang als Lehrer und Katechet für die 1709 im Dienst der Reformation gegründete „Gesellschaft in Schottland für die Verbreitung christlicher Bildung“ (Society in Scotland for Propagating Christian Knowledge, kurz SSPCK) tätig. Zu Beginn des Jakobitenaufstands 1745 konvertierte er zum Katholizismus und schloss sich als Offizier der Armee des Thronprätendenten Charles Edward Stuart an. 1751 veröffentlichte Alasdair Mac Mhaighstir Alasdair als erster schottischgälischer Dichter eine gedruckte Sammlung seiner Werke, die sich durch inhaltliche und stilistische Vielseitigkeit, technische Perfektion und kreative Neuerungen durch die Adaption auswärtiger Einflüsse auszeichnen. Berühmt sind zwei von dem schottischen Dichter Thomson inspirierte Naturgedichte über Sommer und Winter, das erotisch freizügige „Lob Mòrags“ (Moladh Mòraig) und die wohl von Catulls Elegie auf Lesbias Sperling angeregte „Elegie auf eine zahme Taube“ (Marbhrann do Pheata Coluim). Als Meisterwerk des Dichters gilt das über 550 Zeilen zählende Gedicht „Die Barke Clanranalds“ (Birlinn Chlann Raghnaill) mit seiner eindrücklichen Schilderung eines Bootes, seiner Mannschaft und der stürmischen Überfahrt von der Insel Uist nach Irland. Seit der zweiten Hälfte des 18.- Jahrhunderts trat in zunehmendem Maße der Dichter aus Neigung und Gelegenheit an die Stelle des Berufsdichters. Ein Beispiel dafür bietet Iain (John) MacCodrum (1693-1779), der noch 1763 zum offiziellen Barden des Adligen Sir James MacDonald von Sleat auf der Insel Skye ernannt wurde. Ein scharfer Beobachter seiner Umgebung, verdankt er seinen Ruhm weniger seinen konventionellen Preisgedichten als vielmehr jenen Versen, in denen er ein satirisch gefärbtes Bild der Gesellschaft seiner Zeit zeichnete. Mit ihm zu vergleichen ist Rob Donn (1714-1778), dessen Gedichte Personen und Ereignisse seiner Heimatregion Strathnaver in Sutherland zum Gegenstand haben. Als Wildhüter arbeitete der in Glen Orchy geborene Donnchadh Bàn Mac an t-Saoir (Duncan Bàn Macintyre, 1724-1812), der unter dem Einfluss Alasdairs Mac Mhaighstir Alasdair in den Gedichten Òran Coire a’ Cheathaich (Lied auf das Tal Misty Corrie) und Moladh Beinn Dòbhrain (Lob des Bergs Ben Dorain) ein ebenso präzises wie farbiges Bild der ihn umgebenden Landschaft und ihrer Tiere entwarf. Zunehmende Bedeutung gewannen seit der zweiten Hälfte des 19.-Jahrhunderts auch geistliche Dichter evangelikaler Prägung, darunter der Lehrer, Katechet und Prediger Dugald Buchanan (Dùghall Bochanan, 1716-1768), der unter dem Einfluss des englischen Liederdichters Isaac Watts (1674-1748) eine Reihe überaus populärer geistlicher Lieder (Dàin Spioradail) verfasste. Erbauliche Prosatexte verfasste <?page no="103"?> Schottland und die Insel Man 97 der Geistliche Norman MacLeod (1783-1862), dessen Pionierarbeit auf diesem Gebiet ihm den Beinamen Caraid nan Gaidheal („Freund der Gälen“) eintrug. Bis zum frühen 20. Jahrhundert spielte die Prosa im Gegensatz zur Dichtung als literarische Kunstform außerhalb des religiösen Sektors kaum eine Rolle. Dies lag am Fehlen allgemein anerkannter stilistischer Vorbilder, aber auch an einer gewissen Geringschätzung fiktionaler Texte von seiten des kirchlich geprägten Bildungsbetriebs. Gedruckt wurden daher zumeist nur erbauliche, homiletische oder lehrhafte Schriften, bei denen es sich oft um Übersetzungen oder Bearbeitungen fremdsprachiger Vorlagen handelte. Eine gewisse Renaissance erlebt die schottisch-gälische Literatur seit dem zweiten Drittel des 20.-Jahrhunderts. Als der bedeutendste Dichter dieser Zeit, der eine Vielzahl auswärtiger Anregungen aufgriff und sich auch mit den Philosophien, politischen Ideologien und sozialen Problemen der Gegenwart auseinandersetzte, gilt der auf der Insel Raasay geborene Sorley MacLean (Somhairle MacGill-Eain, 1911-1996). Zu seinen bedeutendsten Werken zählen Dàin do Eimhir, ein Zyklus von Liebesgedichten, sowie das Gedicht Hallaig, das die Auswirkungen der Highland Clearances auf seine Heimatinsel Raasay behandelt. Eigene Gedichte sowie Übersetzungen aus einer Vielzahl moderner europäischer Sprachen verfasste George Campbell Hay (Deòrsa Mac Iain Dhèorsa, 1915-1984), dessen Erfahrungen als Soldat in Nordafrika während des Zweiten Weltkriegs sich in seinem epischen Gedicht Mochtàr is Dùghall widerspiegeln. Als Dichter, langjähriger Professor der Keltologie an der Universität Glasgow sowie Begründer und Herausgeber der Kulturzeitschrift Gairm wirkte der aus Lewis gebürtige Derick Thomson (Ruairidh MacThòmais, 1921-2012), während der in Glasgow geborene, doch ebenfalls in Lewis aufgewachsene Iain Crichton Smith (Iain Mac a’ Ghobhainn, 1928-1998) neben Gedichten in englischer und schottisch-gälischer Sprache auch zahlreiche Kurzgeschichten und einige Romane verfasste. Ebenfalls in Glasgow geboren, doch bei gälischsprachigen Verwandten in Lochaber und auf den Äußeren Hebriden aufgewachsen, ist Tormod MacGill-Eain, *1936), der neben Gedichten und Romanen auch eine Autobiographie in englischer Sprache veröffentlichte. Zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart zählen der aus South Uist stammende, von Italo Calvino und Jorge Luis Borges beeinflusste Angus Peter Campbell (Aonghas Pàdraig Caimbeul, *1952), der Gedichte, Erzählungen und Romane in englischer und schottisch-gälischer Sprache verfasste, sowie die als Lyrikerin und Übersetzerin frühneuzeitlicher schottisch-gälischer Gedichte bekannt gewordene Meg Bateman (*1959) aus Edinburgh. Ein Forum für jüngere Autoren von Romanen und Kurzgeschichten bietet seit 2003 der unter der Schirmherrschaft des Scottish Books Council gegründete Verlag Ùr-Sgeul. Im Unterschied zu den benachbarten keltischen Literaturen in Irland, Wales und Schottland konnte sich auf der Insel Man vor allem aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte sowie ungünstiger politischer und wirtschaftlicher Voraussetzungen lange Zeit keine eigenständige Literatur entwickeln. Als <?page no="104"?> 98 Literaturwissenschaft mutmaßlich ältester Text, vielleicht aus dem frühen 16. Jahrhundert, gilt die sogenannte Traditionary Ballad, eine versifizierte Chronik der Insel Man, die jedoch erst in Handschriften des 18.-Jahrhunderts bezeugt ist. Darüber hinaus kennt man aus dem späten 18. und 19. Jahrhundert zahlreiche Predigten und geistliche Lieder, sogenannte carvals. Als einer der letzten muttersprachigen Autoren gilt Neddy Beg Hom Ruy (Edward Faragher, 1831-1908), der neben Gedichten und Lebenserinnerungen auch eine Übersetzung ausgewählter Fabeln Äsops veröffentlichte und darüber hinaus als Sammler volkstümlicher Sagen und Bräuche hervortrat. Die neueste ausführliche Übersicht über die Geschichte der schottisch-gälischen Literatur bieten die entsprechenden Beiträge in Ian Brown, Thomas Owen Clancy, Susan Manning und Murray Pittock (Hrsg.), The Edinburgh History of Scottish Literature I-III (Edinburgh 2007). Neuere zweisprachige Anthologien bieten Wilson McLeod und Meg Bateman (Hrsg.), Duanaire na Sracaire: Songbook of the Pillagers. Anthology of Scotland’s Gaelic Verse to 1600 (Edinburgh 2007), Colm Ó Baoill (Hrsg.) und Meg Bateman (Übers.), Gàir nan Clàrsach - The Harps’ Cry: an anthology of 17 th century Gaelic Poetry (Edinburgh 1994), Ronald Black (Hrsg.), An Lasair: anthology of 18 th Century Scottish Gaelic Verse (Edinburgh 2001), Dòmhnall E. Meek (Hrsg.), Caran an t-Saoghail / The Wiles of the World: anthology of 19 th century Scottish Gaelic Verse (Edinburgh 2003) und Ronald Black (Hsg.), An Tuil: anthology of 20 th century Scottish Gaelic verse (Edinburgh 1999). Neuere monographische Darstellungen und Untersuchungen zu Einzelaspekten der schottisch-gälischen Literatur bieten M. Pia Coira, By Poetic Authority. The Rhetoric of Panegyric in Gaelic Poetry of Scotland to c. 1700 (Edinburgh 2012), Emma Dymock, The Poetry of Sorley MacLean (Glasgow 2011), Emma Dymock und Wilson McLeod (Hrsg.), Lainnir a’ Bhùirn - The Gleaming Water: essays on modern Gaelic literature (Edinburgh 2011), Moray Watson, An Introduction to Gaelic Fiction (Edinburgh 2011), Peter Mackay, Sorley MacLean (Aberdeen 2010) und Ian Grimble, The World of Rob Donn, 2nd edition (Edinburgh 1999). Eine Sammlung wertvoller Aufsätze zu verschiedenen Aspekten der gesamten schottische-gälischen Literatur bietet Michael Newton (Hrsg.), Dùthchas nan Gàidheal: selected essays of John MacInnes (Edinburgh 2006). Einen Einblick in die Welt und das Weltbild der vielen oftmals nur in ihrer Heimatregion bekannten sogenannten village bards enthalten die autobiographischen Beiträge in dem von Timothy Neat und John Macinnes herausgegebenen Sammelband, The Voice of the Bard: Living Poets and Ancient Tradition in the Highlands and Islands of Scotland (Edinburgh 1999). Eine Anthologie von Texten aus der Insel Man in englischer Übersetzung bietet Robert Corteen Carswell (Hrsg.), Manannan’s Cloak: an anthology of Manx literature (London 2010). <?page no="105"?> Wales 99 4.3 Wales Die ältesten Zeugnisse der walisischen Literatur sind größtenteils in mehreren umfangreichen Sammelhandschriften des 13.-15.- Jahrhunderts überliefert, darunter dem Black Book of Carmarthen (Llyfr Du Caerfyrddin), dem Book of Aneirin (Llyfr Aneirin), dem Book of Taliesin (Llyfr Taliesin), dem White Book of Rhydderch (Llyfr Gwyn Rhydderch) und dem Red Book of Hergest (Llyfr Coch Hergest). Diese entstanden zwar in Wales, doch nehmen einige möglicherweise sehr alte Texte Bezug auf Ereignisse und Personen aus der frühmittelalterlichen Geschichte einiger sehr viel weiter nördlich gelegener, ursprünglich ebenfalls keltischsprachiger, Regionen im Süden Schottlands. Die Anfänge der walisischen Literatur sieht man traditionell in den Werken der so genannten „Frühen Dichter“ (Cynfeirdd) Aneirin und Taliesin, die der lateinischen Historia Brittonum zufolge im späten 6. Jahrhundert im Gebiet des Volks der Gododdin in der Nähe von Edinburgh bzw. in dem westlich davon gelegenen Fürstentum Rheged lebten. Den Dichter Aneirin bezeichnet das nach ihm benannte „Buch Aneirins“ als Autor des strophischen Gedichts Y Gododdin, das in zwei Fassungen mit insgesamt über 1400 Zeilen vom Untergang einer ausgewählten Schar berittener Kämpfer aus dem Volk der Gododdin bei einem Kriegszug gegen den Ort Catraeth, vielleicht das heutige Catterick in Yorkshire, erzählt. Aneirins Zeitgenosse Taliesin galt im mittelalterlichen Wales als Verfasser einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Gedichte, doch kann man aus inhaltlichen und sprachlichen Gründen allenfalls elf Preisgedichte sowie eine Totenklage dem Dichter Taliesin als einem Autor des ausgehenden 6.-Jahrhunderts zuschreiben. Alle anderen unter dem Namen Taliesins überlieferten Verse setzen demgegenüber bereits die Stilisierung des Dichters zu einem sagenumwobenen Weisen oder Magier voraus und sind wohl nicht vor dem 10., vielleicht überhaupt erst im 12. Jahrhundert entstanden. Gerade in der jüngsten Vergangenheit sind indessen vermehrt Zweifel laut geworden, ob nicht vielleicht doch alle unter dem Namen Aneirins und Taliesins überlieferten Gedichte in Wahrheit erst nach ihrem Tod entstanden sind. Mit einiger Sicherheit ist diese Frage kaum zu entscheiden, zumal man die walisische Sprache bis zum Ende des 8.-Jahrhunderts nur unzureichend aus Namen in Inschriften und lateinischen Texten kennt und die uns erhaltenen Texte der oben genannten Dichter, falls authentisch, in späterer Zeit überarbeitet worden sein müssen. Von der Dichtung der altkymrischen Sprachperiode, also aus dem Zeitraum vom späten 8. bis um die Mitte des 12.- Jahrhunderts, sind in einer zeitgenössischen Handschrift (und damit ohne spätere Umformung) nur die so genannten Juvencus-Englynion auf uns gekommen. Dabei handelt es sich um zwei anonym überlieferte Gedichte mit drei bzw. neun Strophen, die in einem Manuskript mit der Evangeliendichtung des spätlateinischen Dichters Juvencus aufgezeichnet wurden. Einige weitere Gedichte, die vermutlich in demselben Zeitraum entstanden, sind allerdings in jüngeren Handschriften <?page no="106"?> 100 Literaturwissenschaft in einer modernisierten Sprachform erhalten geblieben. Ins späte 9. Jahrhundert datiert man das Gedicht Edmyg Dinbych Penfro, das in sieben Strophen den Lobpreis der Festung Tenby in Pembroke mit der Klage um den Tod des dort ansässigen Herrschers verbindet. Ein bemerkenswertes Zeugnis der Auseinandersetzungen zwischen Kelten und Angelsachsen ist das wohl um 930 entstandene Gedicht Armes Prydein, das in der Form einer Prophezeiung die Vision eines Bündnisses der Waliser mit Cornwall, der Bretagne, den Iren und den Wikingern von Dublin zur Vertreibung der Angelsachsen aus Britannien entwirft. Aus dem 9. oder 10. Jahrhundert stammen vermutlich zwei Verszyklen um die Sagengestalten Llywarch Hen und Heledd, die - ähnlich wie Balladen-- in Form von Dialogen und Monologen die dramatischen Höhepunkte uns ansonsten unbekannter Erzählungen gestalten. Die mittelkymrische Sprachperiode vom 12.-15. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch eine bis dahin unbekannte Vielfalt von Literaturwerken, die nicht zuletzt der Zunahme ausländischer Einflüsse im Gefolge der normannischen Eroberungen zu verdanken ist. In der Dichtung beginnt bald nach 1100 mit dem Wiedererstarken des Königreichs Gwynedd unter Gruffudd ap Cynan die Zeit der „Fürstendichter“ (Beirdd y Tywysogion), die ähnlich wie die Bardischen Dichter Irlands und Schottlands in einer gesucht altertümlichen Sprache den lebenden Herrscher verherrlichten und den toten beklagten, mitunter aber auch persönliche Verse hinterließen. Zur Abgrenzung von den „frühen Dichtern“ Aneirin und Taliesin bezeichnet man die Fürstendichter auch als „recht frühe Dichter“ (Gogynfeirdd). Diese Bezeichnung wird auch noch für jene Dichter verwendet, die nach dem Tod des letzten walisischen Fürsten 1282 bis zum Ende des 14.-Jahrhunderts ihre Gedichte in den traditionellen Metren und sprachlichen Formen abfassten. Als bedeutendster Fürstendichter gilt Cynddelw Brydydd Mawr, der in seinen Gedichten nicht nur die Herrscher seiner Heimatregion Powys, sondern auch die Fürsten von Gwynedd und Deheubarth feierte. Als letzter bedeutender Vertreter gilt Gruffudd ap Maredudd ap Dafydd, der in der zweiten Hälfte des 14.- Jahrhunderts Preisgedichte für die Familie der Tudor von Penmynydd auf Anglesey verfasste. Auf die Fürstendichter folgten seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert die sogenannten „Landadelsdichter“ (Beirdd yr Uchelwyr), die ortsungebunden für mehrere Patrone tätig waren und im Unterschied zu der bis dahin in der Preisdichtung üblichen Form des awdl die neue Form des cywydd bevorzugten. Charakteristisch für diese silbenzählende Form ist ein ausgeklügeltes System von Konsonantenentsprechungen, der sogenannte cynghanedd. Als bedeutendster Dichter dieser Epoche, der vielfach als der walisische Nationaldichter schlechthin angesehen wird, gilt der aus Südwales stammende Dafydd ap Gwilym (um 1320 - um 1350 oder 1370). Spross einer alten Adelsfamilie, verschmolz er in auch formal virtuosen Liebesgedichten Bestandteile der einheimischen walisischen und der anglonormannischen Literatur zu einer neuen Einheit. Unter dem Einfluss höfischer Dichtungsformen wie etwa dem <?page no="107"?> Wales 101 Tagelied, der Serenade und der Pastorelle erweiterte Dafydd ap Gwilym den Wortschatz der traditionellen walisischen Dichtersprache um zahlreiche neue Lehnwörter aus dem Französischen und erweiterte gleichzeitig ihren Gegenstandsbereich. Einer seiner Zeitgenossen war Iolo Goch (um 1320 - um 1400), der neben Preisgedichten für verschiedene walisische Adlige auch ein cywydd auf den englischen König Eduard III. verfasste. Zu den bedeutendsten Landadelsdichtern des 15.- Jahrhunderts zählen der vor allem für seine religiösen Verse bekannte Siôn Cent (um 1400 - um 1430), die beiden während der Rosenkriege aktiven Dichter Guto’r Glyn (um 1412 - um 1493) und Lewys Glyn Cothi (um 1420-1490) sowie der vor allem wegen seiner Liebes- und Naturgedichte geschätzte Dafydd ab Edmwnd (um 1450 - um 1497). Ein Schüler Dafydds war Tudur Aled (um 1465-1525), nach dessen Tod die walisische Tradition der Preisdichtung infolge der zunehmenden Hinwendung des Adels zur englischen Sprache und Kultur allmählich verfiel. Von deutlich geringerem Umfang als die walisische Dichtung des Mittelalters ist die mittelkymrische Prosaliteratur. Bei einem Großteil der erhaltenen Texte handelt es sich um geistliche Schriften, von denen viele im „Buch des Anachoreten“ (Book of the Anchorite / Llyfr Ancr Llanddewibrefi), einer Sammelhandschrift aus der Zeit um 1350, auf uns gekommen sind. Bekannt sind Heiligenleben, Visionsberichte, Abhandlungen zur Exegese sowie Übersetzungen biblischer, apokrypher und pseudepigraphischer Texte. Eine der relativ wenigen geistlichen Texte, die ohne erkennbare fremdsprachige Vorlage in kymrischer Sprache geschrieben wurde, ist die mystische Schrift Ymborth yr Enaid („Die Nahrung der Seele“), die um 1250 ein unbekanntes Mitglied des Dominikanerordens verfasste. Im Unterschied zu Irland, wo die reiche handschriftliche Überlieferung eine Fülle einheimischer Prosaerzählungen eher weltlichen Charakters bewahrt hat, kennt man aus Wales nur etwa ein Dutzend solcher Prosatexte. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Erzählungen, die man seit ihrer Veröffentlichung und Übersetzung durch Lady Charlotte Guest (1812-1895) in den Jahren 1838-1849 gemeinhin unter dem Namen Die Mabinogion (Plural) kennt. Streng genommen handelt es sich dabei allerdings um eine Fehlbenennung, da das - in seiner ursprünglichen Bedeutung umstrittene - Wort mabinogi in der Pluralform mabinogion nur ein einziges Mal handschriftlich bezeugt ist und diese Form allem Anschein nach auf einem Schreibfehler beruht. Der Singular mabinogi wiederum bezieht sich nach Ausweis der Texte selbst nur auf vier Geschichten, die vollständig und in derselben Reihenfolge sowohl im White Book of Rhydderch als auch im Red Book of Hergest enthalten sind. Dabei handelt es sich um die Erzählungen von Pwyll, dem Fürsten von Dyfed (Pwyll Pendefig Dyfed), Branwen, der Tochter Llŷrs (Branwen ferch Lŷr), Manawydan, dem Sohn Llŷrs (Manawydan fab Llŷr) und Math, dem Sohn Mathonwys (Math fab Mathonwy). Da jede dieser Geschichten am Ende vom Erzähler als „ein Zweig des mabinogi“ bezeichnet wird, hat sich für die gesamte Gruppe die Bezeichnung „Die Vier Zweige des <?page no="108"?> 102 Literaturwissenschaft Mabinogi“ (Pedair Cainc y Mabinogi) eingebürgert, doch sind die einzelnen Geschichten nur lose miteinander verknüpft und es muss letztlich offen bleiben, ob es noch mehr „Zweige des Mabinogi“ als die uns überlieferten vier gegeben hat. In der uns bekannten Form sind die Erzählungen vermutlich das Werk eines einzigen Autors, wahrscheinlich eines Geistlichen, der sie im 12. oder 13. Jahrhundert wohl in Nordwales unter Verwendung traditioneller Stoffe und Motive aus Märchen, Sagen und vorchristlichen Mythen als Geschichten zur Unterhaltung und Belehrung eines mittelaterlichen adligen Publikums zusammengestellt hat. Angesiedelt in einer nicht genau bezeichneten vorchristlichen Vergangenheit, erzählen die Geschichten von den Abenteuern und wunderbaren Erlebnissen einer relativ großen Zahl von Personen, wobei die Handlung an namentlich bezeichneten und teilweise gut bekannten Orten vor allem in Südwest- und Nordwales spielt. Zu den Mabinogion zählen außer den „Vier Zweigen des Mabinogi“ noch die im vorrömischen Britannien angesiedelte „Geschichte von Lludd und Llefelys“ (Cyfranc Lludd a Llefelys), in welcher der britannische König Lludd mit Hilfe seines Bruders Llefelys sein Land von drei unbesiegbar scheinenden Plagen befreit, die Geschichte vom „Traum des Macsen“ (Breuddwyd Macsen Wledig), die von der Werbung des römischen Kaisers Macsen um die britannische Prinzessin Elen erzählt, sowie fünf Erzählungen aus dem Sagenkreis um „Kaiser Arthur“, der walisischen Entsprechung des Königs Artus der Höfischen Literatur. Von der Werbung des Titelhelden Culhwch um Olwen, die Tochter des Riesen Ysbadadden Bencawr, handelt die in vieler Hinsicht altertümlich wirkende Erzählung von „Culhwch und Olwen“ (Culhwch ac Olwen). Sie zeichnet Arthur als Anführer einer Schar unerschrockener Krieger und Vetter Culhwchs, dem seine Stiefmutter das Schicksal bestimmt hat, niemand anderen als die Riesentochter Olwen zur Frau zu nehmen. Gemeinsam mit Arthur und seinem Gefolge begibt sich Culhwch zur Festung Ysbadaddens und erringt schließlich nach der Erfüllung einer Vielzahl schier unlösbarer Aufgaben die Hand Olwens. In einem ganz anderen Ton gehalten ist demgegenüber die satirische Erzählung „Der Traum Rhonabwys“ (Breuddwyd Rhonabwy), deren Erzähler den Titelhelden Rhonabwy des Nachts im Traum aus einer ärmlichen und schmutzigen Herberge in das glanzvolle Heerlager Arthurs versetzt. Der Höfischen Artus-Literatur am nächsten kommen indessen die drei Erzählungen Owain oder Iarlles y Ffynnawn, Peredur fab Efrawg und Geraint fab Erbin, die man dementsprechend gerne unter der Bezeichnung „die Drei Romanzen“ (Y Tair Rhamant) zusammenfasst. Gleichzeitig mit dem Niedergang der traditionellen Preisdichtung wurde Wales von dem aus Kontinentaleuropa ausstrahlenden Humanismus erfasst. Einer der ersten und bedeutendsten walisischen Vertreter dieser geistigen Strömung war der katholische Geistliche Gruffydd Robert (vor 1532 - nach 1598), der sich nach dem Regierungsantritt Elisabeths I. nach Italien ins Exil begab und unter dem Einfluss italienischer Gelehrter 1567 den ersten Teil <?page no="109"?> Wales 103 einer Grammatik des Walisischen in walisischer Sprache veröffentlichte. Ihr folgte 1621 die in lateinischer Sprache verfasste Darstellung der walisischen Grammatik durch den anglikanischen Geistlichen John Davies aus Mallwyd (um 1567-1644), der mit Rückgriff auf Vorarbeiten des Lexikographen Thomas Wiliems (1545-1622) 1632 unter dem Titel Dictionarium Duplex auch ein walisisch-lateinisches und lateinisch-walisisches Wörterbuch veröffentlichte. Als die bedeutendste und langfristig folgenreichste Leistung der walisischen Humanisten erwies sich indessen die durch die Reformation und Gründung der Anglikanischen Kirche veranlasste Übersetzung der Bibel aus dem Hebräischen, Aramäischen und Griechischen ins Walisische. Bereits 1551 hatte der aus Nordwales stammende und in Oxford philologisch geschulte William Salesbury (um 1520 - um 1584) unter dem Titel Kynniver Llith a Ban die in dem englischen Book of Common Prayer enthaltenen Passagen aus dem Neuen Testament ins Walisische übersetzt. Nachdem das englische Parlament 1563 formal den Beschluss zur Übersetzung der gesamten Bibel ins Walisische gefasst hatte, erschien 1567 die erste Ausgabe des Neuen Testaments in der Übersetzung von William Salesbury und Bischof Richard Davies (um 1501-1588), 1588 die erste Ausgabe der gesamten Bibel in der Übersetzung von William Morgan (1545-1604). Eine verbesserte zweite Ausgabe besorgten 1620 Bischof Richard Parry (1560-1623) und John Davies aus Mallwyd. Viele literarische Werke des 16., 17. und frühen 18.- Jahrhunderts sind geprägt von zeitgenössischen theologischen Kontroversen. Auf katholischer Seite zählt dazu die erbauliche Schrift Y Drych Cristionogawl („Der christliche Spiegel“), die als das erste heimlich in Wales gedruckte Buch 1586/ 87 anonym erschien. Als ihr Verfasser galt früher der Humanist Gruffydd Robert, doch hält man heute aus stilistischen Gründen eher den katholischen Priester Robert Gwyn (um 1540 - um 1604) für den Verfasser. Als bedeutendster Schriftsteller unter den puritanischen Theologen gilt der Mystiker Morgan Llwyd (1619-1659), der 1653 mit seinem allegorisch-millenaristischen Werk Llyfr y Tri Aderyn („Buch der drei Vögel“) die Waliser auf die unmittelbar bevorstehende Herabkunft des Gottesreiches vorzubereiten suchte. Puritanisch beeinflusst war auch Charles Edwards (1628 - um 1690), dessen erstmals 1667 erschienenes, 1671 und 1677 erweitertes Werk Y Ffydd Ddi-ffuant („Der aufrechte Glaube“) eine Geschichte des Christentums und seiner Bedeutung für die walisische Kultur bot. Zahl- und einflussreicher waren indessen Werke aus der Feder anglikanischer Autoren. So etwa verfasste der anglikanische Geistliche Ellis Wynne (1671-1734) 1703 das visionäre Werk Gweledigaethau y Bardd Cwsc („Die Traumgesichte des schlafenden Dichters“), die walisische Bearbeitung einer freien englischen Übertragung des bereits 1627 erschienenen Buches Sueños y Discursos de Verdades von Francisco de Quevedo. Weithin bekannt wurde auch der anglikanische Geistliche Theophilus Evans (1693-1767) mit seinem erstmals 1716 veröffentlichten und 1740 neu aufgelegten historischen Werk Drych y Prif Oesoedd („Der Spiegel der frühen Jahr- <?page no="110"?> 104 Literaturwissenschaft hunderte“), eine patriotische Darstellung der Geschichte Britanniens von der Römerzeit bis zur Christianisierung. In die zweite Hälfte des 18.- Jahrhunderts fällt der Aufstieg des calvinistisch geprägten Methodismus in Wales, der auch die walisische Literatur nachhaltig beeinflusste. Zu den bedeutendsten geistlichen Schriftstellern des frühen Methodismus zählen der Prediger und Hymnendichter William Williams (genannt Pantycelyn, 1717-1791) und die Mystikerin Ann Griffiths (1776-1805). Zu den wichtigsten methodistischen Autoren des Viktorianischen Zeitalters gehören der Publizist Lewis Edwards (1809-1887), Mitbegründer und Herausgeber der einflussreichen Zeitschrift Y Traethodydd, der unter dem Pseudonym Islwyn bekannte Dichter William Thomas (1832-1878) und der für seine satirisch-ironischen Gesellschaftsschilderungen bekannte Romancier Daniel Owen (1836-1895). Zu einem Vordenker des modernen walisischen Nationalismus entwickelte sich der Literaturkritiker Robert Ambrose Jones (Emrys ap Iwan, 1851-1906). Nicht zuletzt infolge der Abneigung des Methodismus und anderer Formen des religiösen Nonkonformismus gegen Dramen und Romane blieb die Dichtung bis ins frühe 20. Jahrhundert das vorherrschende Ausdrucksmittel in der walisischen Literatur. Eine wichtige Rolle spielten dabei die als eisteddfodau (Singular: eisteddfod) bezeichneten regionalen Dichterwettbewerbe, aus denen sich nach 1860 das noch heute alljährlich in der ersten Augustwoche an unterschiedlichen Orten in Wales begangene Kulturfestival der „Nationalen Eisteddfod“ (Eisteddfod Genedlaethol) entwickelte. Der wohl populärste Lyriker jener Zeit war der unter dem Pseudonym Ceiriog bekannte John Hughes (1832-1887), der zu zahlreichen traditionellen walisischen Melodien dem Zeitgeschmack entsprechende neue Texte dichtete. Bereits gegen Ende des 19.-Jahrhunderts regte sich jedoch namentlich bei jüngeren Autoren zunehmender Widerstand gegen die oberflächliche Sentimentalität eines Großteils der zeitgenössischen Lyrik und die moralisierende Verblasenheit vieler Eisteddfod- Gedichte. Zu ihrem Wortführer wurde der Philologe und Literaturkritiker John Jones (später Sir John Morris-Jones, 1864-1929), der mit seiner Forderung nach einer Erneuerung und Hebung des literarischen Niveaus auf jüngere Autoren wie Thomas Gwynn Jones (1871-1949), William John Gruffydd (1881-1954) und Robert Williams Parry (1884-1956) einen weitreichenden Einfluss ausübte. Eine Zäsur bezeichneten der Erste Weltkrieg und die darauf folgenden Jahre der wirtschaftlichen Depression, auf die der Dichter und Essayist Thomas Herbert Parry-Williams (1887-1975) mit Skepsis gegenüber den traditionellen Werten und einer Tendenz zum Agnostizismus reagierte. Als bedeutendste Erzählerin des 20.- Jahrhunderts gilt Kate Roberts (1891-1985), deren Romane und Kurzgeschichten sich die Lebenswelt der vom Methodismus geprägten nordwalisischen Industriekultur widerspiegelt. Der wohl vielseitigste walisische Autor des 20.-Jahrhunderts war indessen der Dramatiker, Dichter <?page no="111"?> Wales 105 und Literaturkritiker Saunders Lewis (1893-1985), der in zahlreichen Studien zur Geschichte der walisischen Literatur besonders die Werke der spätmittelalterlichen Dichter aus ihren religiösen und gesellschaftlichen Voraussetzungen deutete und in über zwanzig Dramen sowohl Stoffe aus der walisischen Geschichte und Sage als auch solche aus der modernen Politik gestaltete. Zu den populärsten Autoren der Nachkriegszeit zählen der Schriftsteller und Übersetzer Pennar Davies (1911-1996), der Dichter und Romanautor Rhydwen Williams (1916-1997), die Romanautorin Marion Eames (1921-2007) und der Romancier Islwyn Ffowc Ellis (1924-2004). Die erste Frau, die jemals bei einer Nationalen Eisteddfod mit der cadair (englisch chair) ausgezeichnet wurde, war 2001 die Lyrikerin Mererid Hopwood (*1964). Über die gesamte walisische Literatur orientieren knapp und präzise die Beiträge in Meic Stephens (Hrsg.), The New Companion to the Literature of Wales (Cardiff 1998). Eine kurzgefasste Gesamtdarstellunng der walisischen Literaturgeschichte unter Einschluss der anglo-walisischen Literatur bietet Dafydd Johnston, The Literature of Wales (Cardiff 1994). Ausführlichere Informationen enthalten die sechs Bände der Reihe „A Guide to Welsh Literature“: (1) A. O. H. Jarman (Hrsg.), A Guide to Welsh Literature, Volume 1, revised edition (Cardiff 1992), (2) A. O. H. Jarman und Gwilym Rees Hughes (Hrsg.), A Guide to Welsh Literature 1282 - c. 1550, revised by Dafydd Johnston (Cardiff 1997), (3) R. Geraint Gruffydd (Hrsg.), A Guide to Welsh Literature c. 1530-1700 (Cardiff 1997), (4) Branwen Jarvis (Hrsg.), A Guide to Welsh Literature c. 1700-1800 (Cardiff 2000), (5) Hywel Teifi Edwards (Hrsg.), A Guide to Welsh Literature c. 1800-1900 (Cardiff 2000) und (6) Dafydd Johnton (Hrsg.), A Guide to Welsh Literature c. 1900-1996 (Cardiff 1998). Neuere Studien und Ausgaben von Texten der mittelalterlichen walisischen Literatur bieten Alex Woolf (Hrsg.), Beyond the Gododdin: Dark Age Scotland in Medieval Wales (St. Andrews 2013), Aled Llion Jones, Darogan: prophecy, lament and absent heroes in medieval Welsh literature (Cardiff 2013), Marged Maycock (Hrsg.), Prophecies from the Book of Taliesin (Aberystwyth 2013), Patrick Sims-Williams, Irish Influence on medieval Welsh literature (Oxford 2010), Marged Haycock (Hrsg.), Legendary poems from the Book of Taliesin (Aberystwyth 2007), Sarah Elin Roberts (Hrsg.), The Legal Triads of Medieval Wales (Cardiff 2007) und Daniel Huws, Medieval Welsh Manuscripts (Cardiff 2000). Neuere kommentiere und mit einem Wörterverzeichnis versehene Ausgaben für Studierende bietet die Reihe „Library of Medieval Welsh Literature“: Jenny Rowland (Hrsg.), A Selection of Early Welsh Saga Poems (London 2014), Nicholas Jacobs (Hrsg.), Early Welsh Gnomic and Nature Poetry (London 2012), Patricia Williams (Hrsg.), Historical Texts from Medieval Wales (London 2012) und Rhian M. Andrews (Hrsg.), Welsh Court Poems (Cardiff 2007). <?page no="112"?> 106 Literaturwissenschaft 4.4 Die Bretagne und Cornwall Die Literatur der altbretonischen Sprachperiode wurde allem Anschein nach hauptsächlich mündlich überliefert. Sie ist uns infolgedessen nicht erhalten geblieben, und ihre Existenz kann nur ansatzweise aus außerkeltischen Bearbeitungen bretonischer Stoffe erschlossen werden. Erst aus der Mitte des 14.- Jahrhunderts kennt man einige wenige Zeilen eines Liebesgedichts, das uns ein bretonische Schreiber namens Ivonet Omnes am Rand einer lateinischen Handschrift hinterlassen hat: An guen heguen am louenas / An hegarat an lacat glas („Das blonde Mädchen mit der freundlichen Miene machte mich froh, / das liebliche mit den blauen Augen“). Ob sich Ivonet Omnes hier selbst als Dichter versuchte oder ob er aus einem volkstümlichen Lied seiner Zeit zitierte, ist indessen unbekannt. Von der weltlichen Dichtung der mittelbretonischen Sprachperiode kennen wir außerdem noch einen knapp 250 Zeilen zählenden Versdialog zwischen König Arthur und dem Weisen Guinglaff (An dialogue etre Arzur, roe d’an Bretounet ha Guynclaff ), doch besteht der größte Teil der bretonischen Literatur ansonsten bis ins 19. Jahrhundert aus explizit religiösen, liturgischen oder didaktisch-erbaulichen Texten. Dazu gehören fragmentarisch erhaltene religiöse Dramen über die Zerstörung Jerusalems und über das Leben des heiligen Guénolé, zwei vollständig erhaltene Mysterienspiele über das Leben der heiligen Nonn und der heiligen Barbara, ein Katechismus (Doctrin an Christenien) sowie Sammlungen von Chorälen (Cantiquou spirituel, 1642) und Weihnachtsliedern (Nouelou ancien ha devot, 1650). Nur bruchstückhaft überliefert ist die Burleske Amourousted eun den coz („Die Amouren eines Greises“), ein bretonischer Schwank aus dem 17. Jahrhundert. Die Anfänge der modernen bretonischen Literatur liegen in der ersten Hälfte des 19.- Jahrhunderts, als Théodore Hersart de la Villemarqué (1815- 1895) 1839 mit seiner monumentalen zweisprachigen Ausgabe Barzaz Breiz („Die Dichtung der Bretagne“) erstmals das Interesse literarisch gebildeter französischsprachiger Kreise auf die bis dahin fast ausschließlich mündlich überlieferten bretonischen Balladen, Lieder und Hymnen lenkte. Wenig später veröffentlichte der französische Dichter Auguste Brizeux (1803-1858) auch eigene Gedichte in bretonischer Sprache (Telenn Arvor, 1844) und eine Sprichwortsammlung (Furnez Breiz, 1845). Die ersten bretonischen Prosaerzählungen mit literarischem Anspruch stammen aus der zweiten Hälfte des 19.- Jahrhunderts, so etwa der 1877-1878 veröffentlichte historische Roman Emgann Kergidu ha traou-all c’ hoarvezet e Breiz-Izel epad dispac’ h 1793 („Die Schlacht von Kergidu und andere Ereignisse in der Niederbretagne während der Revolution von 1793“) aus der Feder des katholischen Geistlichen Alain- Marie Inisan (1826-1891). Zu den bedeutendsten Lyrikern des frühen 20.- Jahrhunderts zählt der als Sohn eines Fischers auf der Insel Groix geborene Jean-Pierre Calloc’h (1888-1917), während Tanguy Malmanche 1875-1953) vor allem als Dramati- <?page no="113"?> Die Bretagne und Cornwall 107 ker hervortrat. Romane und Erzählungen verfassten François Eliès (Abeozen, 1896-1963), Youann Drézen (1899-1972), Jakez Riou (1899-1939) und Roparz Hemon (1900-1978), der während des Zweiten Weltkriegs mit der deutschen Besatzungsmacht zusammenarbeitete und daher 1945 nach Irland ins Exil ging. Zu den bedeutendsten Autoren der Nachkriegszeit zählen der Journalist, Dramatiker und Lyriker und Romancier Pêr-Jakez Hélias (1914-1995), Verfasser der 1980 von Claude Chabrol verfilmten Autobiographie Le cheval d’orgueil (1975), und die Lyrikerin Anjela Duval (1905-1981). Erzähler der Gegenwart sind Yann Gerven (Yvon Gourmelon, *1946) und Mikael Madeg (*1950). Zu den ältesten erhaltenen Resten der kornischen Literatur zählt das knapp 260 Zeilen umfassende religiöse Gedicht Pascon agan Arluth („Das Leiden unseres Herrn“), das vermutlich aus der zweiten Hälfte des 14.- Jahrhunderts stammt. Wohl um dieselbe Zeit entstand vermutlich auch die zumeist als Ordinalia bekannte Sammlung von drei Mysterienspielen, die in zusammen fast 9000 Versen die Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zur Auferstehung und Himmelfahrt Christi behandeln. Zwei weitere Mysterienspiele aus dem 16. Jahrhundert, Beunans Ke und Beunans Meriasek, behandeln die Lebensgeschichte der Heiligen Kea / Ke und Meriasek / Meriadoc. Seit der Mitte des 19.- Jahrhunderts findet Kornisch auch immer wieder für moderne Lyrik und Prosa Verwendung, so etwa im Werk des Keltologen Nicholas Willliams (*1942), des derzeit führenden Experten der kornischen Sprache. Neuere Studien zur bretonischen Literatur bietet Yves Le Berre, Entre le riche et le pauvre: la littérature du breton entre 1450 et 1650 (Brest 2012) und Ders., Qu’est-ce que la littérature bretonne? essais de critique littéraire, XVe-XXe siècles (Rennes 2006). Eine umfangreiche Anthologie bretonischer Literatur in englischen Übersetzungen bietet Jacqueline Gibson u. Gwyn Griffiths (Hrsg.), The Turn of the Ermine (London 2006). Eine Auswahl bretonischer Autoren des 20.- Jahrhunderts mit Einführungen zu Leben und Werk versammelt Francis Favereau (Hrsg.), Anthologie de la littérature de langue bretonne au XXe siècle, 3 Bde. (Morlaix-Montroulez 2002-2008). Neuere Ausgaben frühneuzeitlicher bretonischer Texte bieten Hervé Le Bihan (Hrsg.), An dialog etre Arzur Roe d’an Bretounet ha Guynglaff: „le dialogue entre Arthur roi des Bretons et Guynglaff; texte prophétique breton en vers (1450) (Rennes 2013), Paul Widmer (Hrsg.), Buhez sante Barba - Vie de sainte Barbe de 1608 (Rennes 2013), Paul Widmer u. Anders Richardt Jørgensen (Hrsg.), An buhez sant Gwenôlé (Wien 2011), Yves Le Berre (Hrsg.), La Passion et la Résurrection bretonnes de 1530 (Brest 2011). Zu Hersart de la Villemarqué vgl. Nelly Blanchard, Barzaz-Breiz: une fiction pour s’ inventer (Rennes 2006). Neuere Studien zu Autoren des 20.-Jahrhunderts bieten Roger Laouénan, Anjela Duval: Bretons témoins de leur temps (Fouesnant 2012), Jean Peytard, Écouter, lire Pierre-Jakez Hélias (Limoges 2012) und Mannaig Thomas, Pierre-Jakez Hélias et Le cheval d’orgueil (Brest 2010). <?page no="114"?> 108 Literaturwissenschaft Zur kornischen Literatur vgl. Graham Thomas u. Nicholas Williams (Hrsg.), Bewnans Ke (Exeter 2007), Tim Saunders (Hrsg.), Nothing Broken: recent poetry in Cornish (London 2006), Alan M. Kent, The Literature of Cornwall: continuity, identity, difference, 1000-2000 (Bristol 2000), Alan M. Kent u. Tim Saunders (Hrsg.), Looking at the Mermaid: a reader in Cornish literature 900-1900 (London 2000), Amy Hale, Alan M. Kent u. Tim Saunders (Hrsg.), Inside Merlin’s Cave: a Cornish Arthurian reader 1000-2000 (London 2000) und Tim Saunders (Hrsg.), The Wheel: an anthology of modern poetry in Cornish 1850-1980 (London 1999). 4.5 Keltische Adaptionen auswärtiger Stoffe Die Einführung der lateinischen Schrift im Gefolge der Übernahme des kirchlichen Bildungswesens führte schon im Frühmittelalter zu vielfätigen Adaptionen biblischer, apokrypher und antiker literarischer Stoffe. Zu den von der Bibel und apokryphen frühchristlichen Texten inspirierten irischen Literaturwerken zählt das wohl im 10. Jahrhundert entstandene, über 150 Strophen zählende Gedicht Saltair na Rann („Der Strophenpsalter“), das die gesamte Heilgeschichte von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht behandelt. Vermutlich ebenfalls im 10. Jahrhundert entstanden unter Rückgriff auf das Geschichtswerk Historiae adversus paganos des Orosius eine irische Geschichte Alexanders des Großen (Scéla Alaxandair) sowie unter dem Titel Togail Troí („Die Zerstörung von Troia“) eine irische Bearbeitung des lateinischen Troia- Romans. Vermutlich aus dem 12. Jahrhundert stammt die als „Irrfahrten des Aeneas“ (Imtheachta Aeniasa) bekannte irische Prosa-Bearbeitung der Aeneis Vergils, während man von dem auch als Pharsalia bekannten Vers-Epos Bellum Civile des Dichters Lucan eine freie irische Prosa.Bearbeitung unter dem Titel In Cath Catharda („Der Bürgerkrieg“) anfertigte. Im Gefolge der anglonormannischen Eroberungen machten sich seit dem 12./ 13. Jahrhundert verstärkt kontinentale Einflüsse in Irland und Wales bemerkbar. In diesem Zusammenhang stehen die walisischen Neubearbeitungen ursprünglich keltischer, doch in Frankreich an den Zeitgeschmack der Höfischen Literatur angepassten Sagen um Arthur / Artus, die man in den sogenannten „Drei Romanzen“ (Tair Rhamant) findet. In das 13./ 14. Jahrhundert datiert man die walisischen Bearbeitungen der altfranzösischen Geste de Boun de Hamtoun (Ystorya Bown de Hamtwn), der Geschichte von den sieben weisen Meistern (Chwedleu Seith Doethon Rufein), der Fabeln und Anekdoten des Predigers Odo von Cheriton (Chwedleu Odo), der Heldenerzählungen um Karl den Großen (Ystorya de Carolo Magno) und der Gralssage (Ystoryaeu Seint Greal). Mit der Übernahme der irischen Sprache und Kultur durch die Anglo-Iren und der allmählichen Feudalisierung der alteingesessenen irischen Adelsfamilien fand seit dem 14. Jahrhundert auch das Gesellschaftsideal der <?page no="115"?> Europäische Adaptionen keltischer Stoffe 109 Höfischen Liebe (amour courtois) Eingang in die irische Dichtung. Frühe Beispiele für die davon inspirierten Liebesgedichte (dánta grádha) findet man im Werk des Grafen Gerald Fitzgerald (Gearóid Iarla, 1338-1398), des ersten namentlich bekannten irischen Dichters anglonormannischer Herkunft. Die ältesten dem Höfischen ideal verpflichteten Liebesgedichte der walisischen Literatur verfasste der Dichter Hywel ab Owain Gwynedd (gest. 1170). Sehr viel deutlicher ausgeprägt ist der kontinentale Einfluss indessen bei späteren Autoren wie etwa Dafydd ap Gwilym. Weitreichende Bedeutung erlangten mit dem Aufschwung der Reformation im 16. Jahrhundert die volkssprachlichen Übersetzungen der Bibel und des englischen Book of Common Prayer. Am stärksten davon geprägt wurde Wales, wo bereits 1588 eine vollständige Übersetzung der gesamten Bibel vorlag. Demgegenüber erschien die erste Übersetzung des Neuen Testaments ins Irische erst 1602, die erste Übersetzung des Alten Testaments sogar erst 1680. In Schottland erschien eine Übersetzung des Book of Common Prayer aus der Feder des Geistlichen John Carswell (um 1522-1572) zwar bereits 1567 unter dem Titel Foirm na n-Urrnuidheadh, doch wurde eine vollständige Übersetzung der Bibel ins Schottisch-Gälische erst 1801 veröffentlicht. Auf der Insel Man vollendete Bischof John Phillips (um 1555-1633) bereits 1610 eine Übersetzung des Book of Common Prayer und der Psalmen, die jedoch zunächst nur handschriftlich vorlag. Als erstes gedrucktes Buch erschien 1707 eine Übersetzung der Principles and Duties of Christianity des damaligen anglikanischen Bischofs der Insel Man, Thomas Wilson (1663-1755). Unter Wilsons Nachfolger Mark Hildesley oder Hiddesley (1698-1772) erschienen dann die ersten Übersetzungen der Evangelien und der Apostelgeschichte (1763), des Book of Common Prayer (1765) und des Alten Testaments (1771-1773). Zum Einfluss biblischer und apokrypher Texte auf die keltischen Literaturen s. u. die Literaturhinweise zu den Abschnitten 5.3-5.5. Vgl. ferner Ralph O’Connor (Hrsg.), Classical Learning and Literature in Medieval Ireland (Woodbridge 2014), Brent Miles, Heroic Saga and Classical Epic in Medieval Ireland (Cambridge 2011), Ceri Davies (Hrsg.), The Renaissance in the Celtic Countries (Oxford 2004) und Huw Meirion Edwards, Dafydd ap Gwilym: influences and analogues (Oxford 1996). 4.6 Europäische Adaptionen keltischer Stoffe Zu den frühesten außerkeltischen Adaptionen von Erzählstoffen aus dem keltischsprachigen Raum zählt die seit dem 9./ 10. Jahrhundert in weiten Teilen Europas verbreitete Legende um den irischen Abt und Klostergründer Brendanus (irisch Brénaind) und seine wunderbare Seereise (Navigatio Sancti Brendani) zu einer Paradiesinsel (Terra repromissionis sanctorum) im Atlantik. Sie beruht auf der irischen Textgattung der Wunderbaren Seefahrt (irisch <?page no="116"?> 110 Literaturwissenschaft immram; Plural: immrama), wie man sie unter anderem in den Erzählungen von der Seefahrt Brans (Immram Brain), der Fahrt des Bootes von Mael Dúin (Immram Curaig Maíle Dúin) und der Seefahrt von Snédgus und Mac Riagla (Immram Snédgusa ocus Maic Riagla) findet, doch ist auch der Einfluss biblischer, apokrypher und spätantiker hagiographischer Texte nachweisbar. Die erste volkssprachliche Fassung der Navigatio Sancti Brendani ist eine anglonormannische Versdichtung aus der ersten Hälfte des 12.- Jahrhunderts; verschiedene mittelniederländische, mittelniederdeutsche und mittelhochdeutsche Fasssungen kennt man seit dem 14./ 15. Jahrhundert. Zu den international erfolgreichsten und am weitesten verbreiteten mittelalterlichen literarischen Stoffen keltischer Herkunft gehören die Erzählungen um den Sagenhelden Arthur (lateinisch Arturus, davon abgeleitet französisch und deutsch Artus). Sie gehen zurück auf walisische und bretonische Erzählungen des 7.-12.-Jahrhunderts, in denen sich die Erinnerung an historische Personen des 5. und 6.-Jahrhunderts mit Motiven des Märchens und Namen aus der vorchristlichen Mythologie und Sage verband. Bereits in der ersten Hälfte des 9.-Jahrhunderts erscheint Arthur in der - früher einem Autor namens Nennius zugeschriebenen - Geschichtswerk Historia Brittonum als siegreicher Heerführer (dux bellorum) im Kampf gegen die immer weiter nach Westen vordringenden Sachsen. Diese relativ wenigen historischen Konturen wurden in der walisischen Überlieferung jedoch schon bald mit sagen- und märchenhaften Elementen weitgehend überdeckt. Als Anführer einer Schar kühner Krieger mit allerlei wunderbaren Fähigkeiten und Eigenschaften erscheint Arthur in der bereits erwähnten Geschichte von Culhwch und Olwen sowie in den beiden kurzen und teilweise schwer verständlichen Gedichten Pa wr yw’r Porthawr? („Wer ist der Torwächter“) und Preiddeu Annwfn („Die Beraubung der Anderen Welt“). Ein völlig neues Bild Arthurs und seines Gefolges entwarf demgegenüber um 1136 der Geistliche Geoffrey von Monmouth (um 1100 - um 1154) in seiner Historia Regum Britanniae („Geschichte der Könige Britanniens“). Mit Rückgriff auf das Geschichtswerk De excidio Britanniae des Mönchs Gildas (um 500 - um 570), die Historia ecclesiastica gentis Anglorum („Kirchengeschichte des englischen Volkes“) von Beda Venerabilis (um 673-735), die Historia Brittonum und mündliche Erzählungen aus Wales und der Bretagne, verfasste Geoffrey eine umfassende Geschichte der Könige Britanniens von den Anfängen bis zur Eroberung der Insel durch die Angelsachsen - wohl vor allem, um dem Machtanspruch der anglonormannischen Könige seiner eigenen Zeit eine quasi-historische Legitimation zu verleihen. Als mythischer Ahnherr aller Könige Britanniens erscheint bei Geoffrey in Anlehnung an die Aeneis Vergils der Troianer Brutus, ein Urenkel des Aeneas, der nach abenteuerlichen Irrfahrten im Mittelmeerraum mit einigen Anhängern die später nach ihm benannte Insel Britannien erreichte. Der eindrucksvollste Held des Werks ist indessen Arthur, den Geoffrey als idealen Herrscher, mächtigen Feudalherrn und ebenbürtigen Gegner des Römischen Reiches beschreibt. <?page no="117"?> Europäische Adaptionen keltischer Stoffe 111 Obwohl Geoffrey bereits von einigen nur wenig jüngeren Historikern wie etwa William von Newburgh (um 1136 - um 1198) wegen seiner phantasievollen Ausschmückung des wirklichen Geschehens scharf angegriffen wurde, fand seine Darstellung einer glanzvollenden Vergangenheit des englischen Königtums in vor-angelsächsischer Zeit gerade bei der anglonormannischen Oberschicht doch weithin Anklang. Um 1155 schuf der von der Kanalinsel Jersey stammende anglonormannische Dichter Wace (um 1110 - nach 1174) auf ihrer Grundlage sein historisches Versepos Roman de Brut, das seinerseits im frühen 13. Jahrhundert von dem Geistlichen Layamon in alliterierende englische Verse übertragen wurde. Zum eigentlichen Begründer der höfischen Artus-Literatur wurde in der zweiten Hälfte des 12.- Jahrhunderts der altfranzösische Dichter Chrétien de Troyes, über dessen Leben indessen fast nichts bekannt ist. Er verfasste zwischen 1160 und 1190 im Dialekt der Champagne die Versromane Erec et Enide, Lancelot ou Le chevalier de la charette, Yvain ou Le chevalier au lion sowie den unvollendeten Perceval ou Le conte del graal. Dabei löste er im Unterschied zu seinen Vorgängern die Figuren fast vollständig von den bekannten historischen und geographischen Bezügen und versetzte sie in eine gleichsam märchenhafte, glanzvolle höfische Welt. Auch stellte er in seinen Erzählungen nicht mehr Arthur / Artus selbst, sondern jeweils einen einzelnen Ritter seines Hofes in den Mittelpunkt des Geschehens, wobei er das traditionelle Erzählgut durch die Verarbeitung zeitgenössischer philosophischer und gesellschaftlicher Diskussionen in geschickter Weise aktualisierte und an den Publikumsgeschmack anpasste. Neben den antiken Sagen (Matière de Rome) und den Erzählungen um Karl den Großen (Matière de France) bildeten die Geschichten um Arthur / Artus von da an als Matière de Bretagne einen integralen Bestandteil der Höfischen Literatur, mit dessen Hilfe die Dichter alle Wunsch- und Idealvorstellungen der höfischen Gesellschaft ihrer Zeit in eine märchenhafte Vergangenheit zurückspiegeln und ihnen dadurch eine quasi-historische Rechtfertigung verleihen konnten. Mündlich überlieferte keltische Vorbilder vermutet man auch für die als Lais bekannten Versnovellen von Marie de France (um 1135 - um 1200), der ersten namentlich bekannten Autorin der französischen Literatur, die am englischen Hof Heinrichs II. lebte und sich in ihren im anglonormannischen Dialekt verfassten Werken mehrfach auf bretonische Vorlagen beruft. Bretonischer Herkunft ist daher wohl auch die Gattungsbezeichnung lai (Plural: lais), die man im Hinblick auf irisch laíd, „Lied“, als Bezeichnung der strophisch gegliederten Lieder bretonischer Spielleute (jongleurs) ansieht. Im deutschen Sprachraum wurden die Erzählungen um Arthur / Artus bereits gegen Ende des 12.- Jahrhunderts bekannt. Zwischen 1180 und 1205 übertrug Hartmann von Aue die beiden Dichtungen Erec et Enide und Yvain in mittelhochdeutsche Verse, wobei er sich in seinem Iwein eng an die altfranzösische Vorlage anschloss, in seinem Erec jedoch den gleichnamigen Versroman Chrétiens erheblich erweiterte und in Einzelheiten veränderte. Wohl um 1200 <?page no="118"?> 112 Literaturwissenschaft führte Wolfram von Eschenbach mit seiner umfangreichen, nur teilweise an Chrétiens Perceval orientierten Versdichtung Parzival die Sage vom Gral in die deutsche Literatur ein, während die Erzählung von Tristan und Isolde erstmals um 1180 durch Eilhart von Oberge und dann erneut um 1200 von Gottfried von Straßburg gestaltet wurde. In der frühen Neuzeit weitgehend vergessen bzw. aus der Mode gekommen, erlebte die Artus-Literatur seit dem frühen 19. Jahrhundert eine bis heute andauernde Renaissance. Im Zuge der romantischen Rückbesinnung auf das Mittelalter und die nationalen volkssprachlichen Literaturen entstanden seitdem zahllose Nacherzählungen, Tondichtungen, Gemälde, Filme und Parodien. Gleichzeitig begann mit dem Aufschwung der Germanistik, Romanistik, Anglistik und Keltologie die wissenschaftliche, historisch-philologische Erforschung der mittelalterlichen Literaturen, in der die Untersuchung des keltischen Hintergrunds der Artus-Romane von Anfang an eine wichtige Rolle spielte. Wie sich dabei herausstellte, hatten die englischen, französischen und deutschen Dichter in der Regel nur Namen und Motive, nicht aber ganze Erzählungen aus der mündlichen Überlieferung der keltischen Länder entlehnt. Als Quelle dienten ihnen vermutlich sowohl walisische als auch bretonische Erzählungen, die den französischen bzw. normannischen Autoren durch zweisprachige Vermittler bekannt wurden. Da von der mündlichen walisischen und bretonischen Literatur jener Zeit jedoch kaum etwas erhalten geblieben ist, findet man dort oft nur die Namen der Helden des arthurischen Sagenkreises, während charakteristische Erzählmotive nur in der besser erhaltenen irischen Literatur des Mittelalters nachweisbar sind. In der Neuzeit ging der gewichtigste Einfluss auf die außerkeltischen Literaturen von Schottland aus, von wo aus sich im letzten Drittel des 18.- Jahrhunderts der Ruhm der sogenannten „Werke Ossians“ über ganz Europa verbreitete. Ihr Urheber war der aus Ruthven bei Kingussie gebürtige James Macpherson (1736-1796), der nach Studien in Aberdeen und Edinburgh zunächst als Schullehrer in seinem Heimatort und später als Hauslehrer in Edinburgh tätig war. 1759 lernte er den Dramatiker John Home (1722-1808) und dessen Freund Alexander Carlyle (1722-1805) kennen, die beide ihm gegenüber ihr Interesse an der Literatur des schottischen Hochlands bekundeten. Daraufhin zeigte ihnen Macpherson 16 kurze Texte mit dem Hinweis, er habe sie selbst aus dem Schottisch-Gälischen ins Englische übersetzt. Durch Homes Vermittlung wurde der Literaturkritiker Hugh Blair (1718-1800), Professor für Poetik und Rhetorik an der Universität Edinburgh, auf diese Texte aufmerksam, und auf seine Empfehlung hin wurden sie im Juli 1760 zunächst anonym unter dem Titel Fragments of Ancient Poetry gedruckt. Ermutigt durch die positive Aufnahme des Buchs, veröffentlichte Macpherson daraufhin die beiden Bände Fingal (1762) und Temora (1763), als deren Verfasser er nunmehr einen greisen Dichter namens Ossian benannte, der seinen Angaben zufolge im 3. Jahrhundert n. Chr. gelebt hatte. Alle drei Bücher erschienen 1765 zusam- <?page no="119"?> Europäische Adaptionen keltischer Stoffe 113 men mit einer „kritischen Abhandlung“ von Hugh Blair unter dem Titel The Works of Ossian, The Son of Fingal in einer zweibändigen Gesamtausgabe. Als Gegenentwurf zum Klassizismus und Rationalismus der Aufklärung wurden die Werke Ossians alsbald in ganz Europa begeistert aufgenommen, immer wieder neu übersetzt und von Epigonen nachgeahmt. Zu ihren bedeutendsten Bewunderern in Deutschland zählen Herder, der ihre Vorzüge in seinem Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker (1773) behandelte, sowie der junge Goethe, der seine eigene Übersetzung einiger ossianischer Texte in seinem erstmals 1774 erschienenen Roman Die Leiden des jungen Werthers verwendete. Zwar war Macpherson in der gefühlsbetonten Behandlung des Stoffs weitgehend dem Publikumsgeschmack seiner Zeit gefolgt und in seiner - mit allerlei Anachronismen belasteten - Darstellung der vorchristlichen Kultur eigentümlich farblos und unbestimmt geblieben, doch hielten viele Zeitgenossen die „Werke Ossians“ dennoch für - wenn auch unzulängliche - Übersetzungen authentischer schottisch-gälischer Gedichte aus der Zeit unmittelbar vor der Christianisierung. Tatsächlich hatte Macpherson jedoch die von ihm herausgegebenen Texte unter Rückgriff auf Namen, Episoden und Motive verschiedener, ursprünglich aus Irland stammender Sagenkreise weitgehend selbst verfasst. Bei der auf Drängen seiner Kritiker erstmals 1807 veröffentlichten schottisch-gälischen Fassung handelte es sich dementsprechend nicht um das von ihm reklamierte Original, sondern um eine nachträgliche, nicht immer idiomatische Übersetzung seiner eigenen englischen Texte. Gerade in Schottland wurde eine unvoreingenommene Beurteilung des Sachverhalts jedoch durch außerwissenschaftliche Gesichtspunkte und eine weit verbreitete Unkenntnis authentischer schottisch-gälischer Literaturwerke auf lange Zeit erheblich erschwert. In Deutschland publizierten der Literaturwissenschaftler Wilhelm Ahlwardt (1760-1830) und der Theologe August Ebrard (1818-1888) immerhin noch 1811 bzw. 1868 metrische Übersetzungen der vermeintlichen schottisch-gälischen Urfassung, die erst in den beiden letzten Jahrzehnten des 19.- Jahrhunderts endgültig als Fälschung erwiesen wurde. Für die Entstehung des Sturm und Drang und der Romantik, aber auch für die weitere Geschichte der schottisch-gälischen Literatur und die Entwicklung der keltischen Philologie ist die Bedeutung der „Werke Ossians“ kaum zu überschätzen. Im letzten Drittel des 19.- Jahrhunderts war die Ossian-Begeisterung ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung jener als Celtic Revival bezeichneten Bewegung, die neben Schottland auch Irland und in geringerem Maße Wales, Cornwall und die Bretagne erfasste. Einer ihrer wichtigsten wissenschaftlichen Wegbereiter in Schottland war der Jurist und Historiker William Forbes Skene (1809-1892), der außer zahlreichen Ausgaben historisch bedeutender Texte auch das fünf bändige Geschichtswerk Celtic Scotland: a history of Ancient Alban (1876-1880) veröffentlichte. „Keltische“ Motive in der Kunst jener Zeit findet man unter anderem in den Gemälden von John Duncan (1866-1945), <?page no="120"?> 114 Literaturwissenschaft während die mit Duncan befreundete Sängerin und Komponistin Marjory Kennedy-Fraser (1857-1930) in ihrer dreibändigen Sammlung Songs of the Hebrides (1909-1921) das traditionelle Liedgut der Hebriden dem zeitgenössischen Publikumsgeschmack anzupassen suchte. Pseudo-keltische und aus heutiger Sicht überaus schwülstige Literaturwerke in englischer Sprache veröffentlichte unter dem Pseudonym Fiona Macleod der aus Paisley gebürtige Schriftsteller William Sharp (1855-1905). In Irland war das Celtic Revival vielfach eng verbunden mit dem Streben nach politischer Autonomie oder der vollständigen Unabhängigkeit von Großbritannien. Zu seinen wichtigsten literarischen Wegbereitern gehören der Dichter und Altertumsforscher Samuel Ferguson (1810-1886), Verfasser zahlreicher englischer Nachdichtungen irischer Gedichte, und der Jurist Standish James O’Grady (1846-1928), Autor einer zweibändigen Geschichte Irlands und zahlreicher Nacherzählungen irischer Sagen in englischer Sprache. International erfolgreich war insbesondere der Lyriker und Dramatiker William Butler Yeats (1865-1939), der sich zusammen mit Lady Augusta Gregory (1852-1932) um die Schaffung eines irischen Theaters bemühte und in seinen Werken vor allem die Erzählungen des Ulster- und Finn-Zyklus neu gestaltete. Neue englische Prosafassungen dieser Erzählungen verfassten außerdem die anglo-irischen Schriftsteller James Stephens (um 1880-1950) und Austin Clarke (1896-1974). Das Ausmaß des Einflusses keltischer Mythen und Sagen im literarischen Werk John Ronald Reuel Tolkiens (1892-1973) - The Lord of the Rings, The Hobbit und The Silmarillion - ist umstritten, doch spielt die altnordische Mythologie bzw. deren neuzeitliche Rezeption darin eine ungleich größere Rolle. Von keltischer Seite ist neben der Ableitung einiger Namen aus dem Walisischen insbesondere auf irische Elemente in der Beschreibung der Elfen sowie auf Motiventsprechungen zu Erzählungen aus dem Sagenkreis um Arthur / Artus hinzuweisen. Zu den verschiedenen europäischen Versionen der Brendanus-Legende vgl. Jude S. Mackley, The Legend of St Brendan: a comparative study of the Latin and Anglo-Norman versions (Leiden 2008), Glyn S. Burgess u. Clara Strijbosch (Hrsg.), The Brendan Legend: texts and versions (Leiden 2006), W. R. J. Barron u. Glyn S. Burgess (Hrsg.), The Voyage of St. Brendan: representative versions of the legend in English translation, with indexes of themes and motifs from the stories (Exeter 2002), Glyn S. Burgess u. Clara Strijbosch, The Legend of St Brendan: a critical bibliography (Dublin 2000) sowie Clara Strijbosch, The Seafaring Saint: sources and analogues of the twelfth-century voyage of Saint Brendan (Dublin 2000). Als umfassende Nachschlagewerke zur europäischen Artus-Literatur dienen Helen Fulton (Hrsg.), A Companion to Arthurian Literature (Malden, Mass. 2009) und Alan Lupack (Hrsg.), The Oxford Guide to Arthurian Literature and Legend (Oxford 2007). Den keltischen Hintergrund der Höfischen Artus- <?page no="121"?> Europäische Adaptionen keltischer Stoffe 115 Literatur behandeln ausführlich Oliver J. Padel, Arthur in Medieval Welsh Literature (Cardiff 2013), Rachel Bromwich, A. O. H. Jarman u. Brynley F. Roberts (Hrsg.), The Arthur of the Welsh, 2 nd ed. (Cardiff 2008), John Carey, Ireland and the Grail (Aberystwyth 2007), Stefan Zimmer, Die keltischen Wurzeln der Artussage (Heidelberg 2006), Kristen Lee Over, Kingship, Conquest, and Patria: literary and cultural identities in medieval French and Welsh Arthurian romances (New York 2005) und Ceridwen Lloyd-Morgan (Hrsg.), Arthurian Literature XXI: Celtic Arthurian material (Cambridge 2004). Zu Marie de France vgl. Sharon Kinoshita u. Peggy McCracken, Marie de France: a critical companion (Cambridge 2012). Zur europäischen Rezeption der Ossian-Dichtung vgl. Gerald Bär u. Howard Gaskill (Hrsg.), Ossian and National Epic (Frankfurt/ Main 2012), Howard Gaskill (Hrsg.), The Reception of Ossian in Europe (London 2005), Dafydd Moore (Hrsg.), Ossian and Ossianism, 4 Bde. (London 2004), Ders., Enlightenment and Romance in James Macpherson’s The Poems of Ossian (Aldershot 2003), Wolf Gerhard Schmidt, „Homer des Nordens“ und „Mutter der Romantik“: James Macphersons Ossian und seine Rezeption in der deutschsprachigen Literatur (Berlin 2003) sowie Fiona Stafford und Howard Gaskill (Hrsg.), From Gaelic to Romantic: Ossianic Translations (Amsterdam 1998). Zum Celtic Revival in der anglo-irischen Literatur vgl. George Cusack, The Politics of Identity in Irish Drama: W. B. Yeats, Augusta Gregory and J. M. Synge (London 2011), Ronald Schuchard, The Last Minstrels: Yeats and the revival of the bardic arts (Oxford 2008), Sinéad Garrigan Mattar, Primitivism, Science, and the Irish Revival (Oxford 2004), P. J. Mathews, Revival: the Abbey Theatre, Sinn Féin, the Gaelic League and the Co-operative Movement (Cork 2003), Gregory Castle, Modernism and the Celtic Revival (Cambridge 2001), Yug Mohit Chaudhry, Yeats, the Irish Literary Revival, and the Politics of Print (Cork 2001). Zur Rezeption keltischer Literatur und Mythologie bei J. R. R. Tolkien vgl. Carl Phelpstead, Tolkien and Wales (Cardiff 2011), und Marjorie Burns, Perilous Realms: Celtic and Norse in Tolkien’s Middle-Earth (Toronto 2005). <?page no="123"?> 5 Theologie und Religionswissenschaft Für die Vergleichende Religionswissenschaft sind zunächst die Ergebnisse keltologischer Studien zur vorchristlichen Religion der Kelten von Interesse, da diese ebenso wie die vorchristliche Religion der Germanen einen integralen, seit der frühen Neuzeit immer wieder intensiv rezipierten Bestandteil der alteuropäischen Religionsgeschichte bildet. Dabei wird unser Verständnis keltischer Riten und Kulte weitgehend von den Ergebnissen der Archäologie, unsere Kenntnis des religiösen Weltbilds und der Mythologie hingegen vor allem von inschriftlichen und literarischen Quellen bestimmt. Der an die vorchristliche Epoche anschließende Zeitraum von der Christianisierung der Inselkelten im Frühmittelalter bis zur gegenwärtigen Säkularisierung ist sowohl für die Religionswissenschaft bzw. Religionsgeschichte als auch für die Kirchengeschichte als Teildisziplin der Theologie von Belang. Relevant für einige Aspekte der Systematischen und Praktischen Theologie sind schließlich die neuzeitliche Rezeption des mitunter so genannten „keltischen Christentums“ sowie das keltisch inspirierte Neuheidentum, das wiederum auch für die Religionswissenschaft und Religionssoziologie der Gegenwart von Interesse ist. 5.1 Vorchristliche Riten und Kulte nach archäologischen Quellen Die vorchristlichen Riten und Kulte der Kelten Mittel- und Westeuropas kennen wir vor allem aus archäologischen Funden, die vor allem seit dem 19.- Jahrhundert zu Tage gekommen sind. Dabei haben neuere archäologische Ausgrabungen aufgrund der beständig verfeinerten naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden das traditionelle Bild der keltischen Religion gerade in den letzten Jahrzehnten erheblich modifiziert. Die in der Regel sehr schematischen Nachrichten der antiken Autoren über die Religion der Kelten können dieses Bild zwar punktuell erweitern, bleiben in ihrer Aussagekraft und Zuverlässigkeit jedoch zumeist weit hinter den Aussagen der modernen Archäologie zurück. Überdies beziehen sich die erhaltenen Schriftquellen größtenteils auf die Verhältnisse in Gallien während des 1.-Jahrhunderts-v.-Chr., die man weder in frühere Zeiten zurückspiegeln noch ohne weiteres auf andere Regionen übertragen darf. Lange Zeit galt der unberührte, allenfalls mit einem Altar versehene heilige Hain oder Wald als charakteristische Kultstätte der Kelten. Wie neuere archäologische Funde zeigen, dürften die antiken Hinweise auf unberührte heilige <?page no="124"?> 118 Theologie und Religionswissenschaft Haine der Kelten wie auch der Germanen jedoch eher ein literarisches Klischee als konkrete und zuverlässige Beobachtungen widerspiegeln. Im Übrigen ist mit zahlreichen regional und zeitlich begrenzten Sonderformen von Kultstätten zu rechnen. Vor allem in den Alpen und im nördlichen Alpenvorland weit verbreitet sind die sogenannten Brandopferplätze. Dabei handelt es sich um weitgehend naturbelassene, allenfalls durch Steinkreise oder Steinsetzungen von der Umgebung abgegrenzte Opferstätten. Teils in der Ebene, teils in exponierten Höhenlagen angelegt, zeichnen sie sich durch große Mengen kalzinierter Haustierknochen und Tonscherben aus, die man als Überreste kontinuierlich über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführter gemeinschaftlicher Opfermahlzeiten interpretiert. Sie sind schon in der Bronzezeit nachgewiesen und waren teilweise bis in die römische Zeit in Gebrauch. Auf einer vorkeltischen Tradition beruht auch die Nutzung von Höhlen und Felsspalten für Opferhandlungen, die sich während der gesamten vorrömischen Eisenzeit nachweisen lässt. Ebenfalls schon in der Bronzezeit nachweisbar ist die Niederlegung von Opfergaben in Flüssen, Seen und an Quellen. Dass bereits die Kelten der vorrömischen Zeit architektonisch gestaltete Kultplätze kannten, weiß man erst seit ca. 40 Jahren infolge der Ausgrabungen in den sogenannten nordfranzösischen Heiligtümern oder Kultstätten vom type picard. An erster Stelle ist dabei der Kultplatz von Gournay-sur-Aronde zu nennen, der 1977 entdeckt und in den darauf folgenden Jahren als erster vollständig ausgegraben wurde. Wie Funde von Tongefäßen in einer quadratischen Grube auf einem nahegelegenen kleinen Hügel vermuten lassen, diente der Ort bereits im 4. Jahrhundert-v.-Chr. als Kultplatz. Zu jener Zeit wurde das Heiligtum als 45 x 38 m lange Einfriedung mit einem Graben und einem einzigen Eingang in der Mitte der Ostseite angelegt. Am Anfang des 3.- Jahrhunderts-v.-Chr. errichtete man vor diesem Graben eine hohe Palisade mit einem Toreinbau und davor einen weiteren Graben, und im 2. Jahrhundert- v.- Chr. erbaute man über den Opferstellen im Zentrum der Einfriedung einen hölzernen Tempel sowie über dem Eingang einen monumentalen, mit menschlichen Schädeln geschmückten Portalvorbau. Waffenfunde im östlichen inneren Graben lassen vermuten, dass hier Trophäen gefallener Krieger eine weitere symbolische Begrenzung des Kultareals bildeten. Zahlreiche Tierknochenfunde belegen umfangreiche rituelle Schlachtungen. Neben durchweg sehr alten Rindern, die offenbar insgesamt den Göttern dargebracht wurden, opferte man vor allem Schweine und Schafe, deren Fleisch bei gemeinsamen Opfermahlzeiten verzehrt wurde. Gegen Ende des 2.-Jahrhunderts-v.-Chr. wurde das Heiligtum dann planmäßig geräumt und nach der Romanisierung an gleicher Stelle ein gallorömischer Tempel errichtet. Eine vergleichbare Kontinuität ist bei dem ca. 50 km nordöstlich von Gournay-sur-Aronde gelegenen Heiligtum von Ribemont-sur-Ancre zu beobachten, dessen Anfänge auf das 3. Jahrhundert v.- Chr. zurückgehen. Seinen Mittelpunkt bildete eine quadratische Einfriedung von ca. 40 m Seitenlänge mit einem knapp 3-m tiefen und ca. 3 m <?page no="125"?> Vorchristliche Riten und Kulte nach archäologischen Quellen 119 breiten umlaufenden Graben und einer wohl über 3 m hohen Palisade. Außerhalb und entlang dieser Einfriedung entdeckte man zum einen die Spuren eines monumentalen, mit menschlichen Schädeln geschmückten Eingangsportals, zum anderen eine Fläche mit über 10000 menschlichen Knochen (ohne Schädel) und mehreren hundert Waffen. Man vermutet, dass sie von gefallenen feindlichen Kriegern stammen, die man dort nach ihrer Enthauptung durch Lufttrocknung mumifiziert und danach auf einem Podest zur Schau gestellt hatte. Wie in Gournay-sur-Aronde entstand auch in Ribemont unmittelbar nach der Romanisierung ein bedeutendes gallorömisches Heiligtum, dessen Grundriss die vorrömischen Strukturen fortsetzte. Mit den nordfranzösischen Heiligtümern vom type picard in mancher Hinsicht vergleichbar erscheint eine Kultstätte, die 2002 bei der seit 1995 archäologisch untersuchten latènezeitlichen Siedlung von Roseldorf am Südhang des Sandberges in Niederösterreich zutage kam. Wie in Nordfrankreich fand man auch hier ein Grabenquadrat mit zentraler Opfergrube, das von der späten Frühlatènezeit bis zum Beginn der Spätlatènezeit genutzt wurde. Geopfert wurden nach Ausweis der Funde neben anderen Metallgegenständen insbesondere Waffen. Sehr viel seltener, als es die zahlreichen Hinweise griechischer und römischer Autoren vermuten lassen würden, sind Überreste von Menschenopfern. Eindeutige Hinweise darauf entdeckte man jedoch im Heiligtum des gallischen Dorfes von Acy-Romance in den französischen Ardennen. Dort lassen Knochenfunde auf einem weitläufigen, von einer Palisade begrenzten Kultplatz auf Schlachtungen von Rindern und Pferden schließen, deren Fleisch anschließend gemeinschaftlich verzehrt wurde. Außerhalb der Palisade verlief in süd-nördlicher Richtung eine Reihe von Gebäuden, von denen das größte am Nordende eine Grundfläche von 110 m 2 erreichte und allem Anschein nach kultischen Zwecken diente. Auf einem freien Platz vor diesem Gebäude fand man die Skelette von 19 jungen Männern, die dort in stark gekrümmter Haltung mit dem Kopf zwischen den Beinen in kreisförmigen flachen Gruben beigesetzt hatte. Obschon der schlechte Erhaltungszustand der Knochen eine Feststellung der Todesursache unmöglich machte, lässt die fehlende oder jedenfalls nur spärliche Bekleidung der Leichen sowie das Fehlen von Grabbeigaben oder persönlichen Habseligkeiten darauf schließen, dass hier keine gewöhnlichen Bestattungen, sondern die Überreste von Opferhandlungen vorliegen. Dass auch in den großen Oppida trotz des Schweigens der Schriftquellen mit Heiligtümern zu rechnen sei, galt lange als wahrscheinlich und konnte in den vergangenen Jahrzehnten anhand archäologischer Funde bestätigt werden. Seit den frühen 1990er Jahren erforscht wird das Heiligtum im Oppidum von Corent. Es bestand ursprünglich aus einem 43 x 45- m großen Platz, der zunächst von einer Palisade, später durch eine monumentale, 6- m breite und nur nach innen offenen Säulenhalle von der Umgebung abgegrenzt war. Im Inneren der Anlage fand man einen Altarstein zum Vollzug der Schlachtopfer <?page no="126"?> 120 Theologie und Religionswissenschaft sowie zahlreiche Überreste von Opfermahlzeiten, darunter Tierknochen, Amphorenscherben sowie unbrauchbar gemachte Waffen und Trachtbestandteile. Anhaltspunkte für Kultstätten kennt man ferner aus den Oppida Bibracte, Titelberg, Martberg, Donnersberg und Manching. Lange Zeit kontrovers beurteilt wurde die Frage einer kultischen oder profanen (d. h. landwirtschaftlichen) Nutzung im Falle jener Anlagen, die man irreführenderweise als Viereckschanzen bezeichnet. Dabei handelt es um quadratische oder rechteckige Einfriedungen aus Wall und Graben mit zumeist nur einer Toröffnung, die in einer breiten bandförmigen Zone von der französischen Atlantikküste bis nach Böhmen verbreitet sind und besonders häufig in Süddeutschland zwischen Rhein, Main und Inn vorkommen. Ihre Lage im Gelände ist uneinheitlich, doch begegnen sie kaum jemals an ausgesprochen exponierter oder militärstrategisch günstiger Stelle, was die früher angenommene (und in der Bezeichnung Viereckschanzen angedeutete) Funktion als Befestigungsanlagen äußerst unwahrscheinlich macht. Nachdem man die Viereckschanzen seit dem 19. Jahrhundert wechselweise für römische Marschlager, vorrömische Gutshöfe, Fluchtburgen oder Viehpferche gehalten hatte, verschaffte 1931 ein Aufsatz des Archäologen Friedrich Drexel (1885-1930) ihrer Deutung als Kultanlagen zum Durchbruch. Eine Bestätigung dieser Auffassung sah man in den Untersuchungen der Viereckschanzen von Holzhausen im Landkreis München und Tomerdingen bei Dornstadt im Alb-Donau-Kreis, wo um 1960 Schächte mit Spuren von organischen Substanzen nachgewiesen wurden. Kaum zwanzig Jahre später führten Ausgrabungen in der Viereckschanze von Fellbach-Schmiden bei Stuttgart jedoch dazu, dass man für diese Schächte auch eine Deutung als Brunnen in Erwägung zog, während weitere Forschungen im Umfeld der Viereckschanzen von Bopfingen-Flochberg im Ostalbkreis und Riedlingen im Landkreis Biberach erneut Argumente für die fast vergessene frühere Deutung der Anlagen als Mittelpunkte dörflicher Siedlungen lieferten. Die in Holzhausen und Tomerdingen gefundenen hölzernen Stangen deutete man dementsprechend nicht mehr als „Kultpfähle“, sondern als Bestandteil hölzerner Schöpfvorrichtungen. Zu den spektakulärsten Funden der Viereckschanze von Fellbach-Schmiden zählen die drei Holzfiguren eines sich auf bäumenden Hirsches und zweier einander gegenüberstehender Steinböcke, die - nach einem religionsgeschichtlich weit verbreiteten und sehr alten Schema - ursprünglich eine menschliche Gestalt flankierten. Dies spricht dafür, dass sich innerhalb oder in der Nähe der Viereckschanze von Fellbach-Schmiden ein vorrömisches Heiligtum befand, was aber natürlich nicht auf eine kultische Funktion der gesamten Anlage schließen lässt. Eine weitere oft zitierte Quelle unserer Kenntnis der vorrömischen keltischen Religion sind Grabfunde. Darin spiegelt sich zum einen der hohe Anteil von Gräbern als Gegenstand archäologischer Untersuchungen, zum anderen jedoch auch ein spezifisch neuzeitlich-europäisches, durch das Christentum geprägte Religionsverständnis, das Vorstellungen von einem individuellen <?page no="127"?> Vorchristliche Riten und Kulte nach archäologischen Quellen 121 Weiterleben nach dem Tod als integralen Bestandteil der Religion auch in anderen Kulturen als gleichsam selbstverständlich voraussetzt. Tatsächlich kann man aus den Ergebnissen der archäologischen Untersuchung von Gräbern jedoch nur wenige gesicherte oder zumindest wahrscheinliche Rückschlüsse auf religiöse Vorstellungen ziehen. Als erstes ist hier auf die für viele frühe Religionen charakteristische Uniformität der Gräber innerhalb einer Region und Epoche hinzuweisen, die auf kollektiv tradierte und allgemein respektierte Vorstellungen und Normen sowie rituelle Formen des Umgangs mit dem Tod schließen lässt. Beachtlich ist dabei auch die zeitliche Kontinuität bei der Nutzung von Grabfeldern, die sich in einigen Fällen über viele Jahrhunderte erstreckt. Vorgegeben waren in der Regel der Personenkreis, dem eine Bestattung zustand, die Wahl des Ortes, an dem die Bestattung erfolgte, die Entscheidung zwischen Brand- und Körperbestattung, die Auswahl und der Umfang der Grabbeigaben sowie - im Falle der Körperbestattung - die Lage und Orientierung des Leichnams. Signifikante alters-, geschlechts- und schichtspezifische Unterschiede in den Beigaben lassen vermuten, dass man den im Leben gültigen gesellschaftlichen Ordnungen eine Verbindlichkeit über den Tod hinaus einräumte. Dabei spricht das breite Spektrum unterschiedlicher Beigaben in Verbindung mit unterschiedlichen Formen der Behandlung des Leichnams dafür, dass man einerseits von einem Schutz- und Versorgungsbedürfnis der Toten, zumindest in manchen Fällen aber auch von ihrer potentiellen Gefährlichkeit für die Lebenden ausging. So etwa könnte die Abtrennung einzelner Glieder des Leichnams dafür sprechen, dass man den Toten daran hindern wollte, sein Grab wieder zu verlassen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass entsprechende Vorstellungen von einer Art Wiedergängertum aus der keltischen Antike nicht überliefert sind und auch bei den germanischen Nachbarn der Kelten erst nach der Christianisierung auftreten. Abschließend ist auch noch auf die Begrenztheit des Aussagewerts dieser Quellengruppe insgesamt hinzuweisen, denn alle Grabfunde zusammen geben nur über die Bestattungsformen relativ weniger Individuen Auskunft und können folglich nicht auf die Gesamtbevölkerung einer Region bzw. einer Epoche übertragen werden. Neuere monographische Darstellungen der vorrömischen Riten und Kulte nach archäologischen Zeugnissen bieten Jean-Louis Brunaux, Guerre et religion en Gaule (Paris 2004), Felix Müller, Götter, Gaben, Rituale (Mainz 2002), Bernhard Maier, Die Religion der Kelten (München 2001) und Jean-Louis Brunaux, Les religions gauloises (Ve-Ier siècles av. J.-C.) (Paris 2000). Zu neueren archäologischen Forschungen vgl. die Beiträge in C. Eggl u. a. (Hrsg.), Ritus und Religion in der Eisenzeit (Langenweißbach 2008) und Sabine Rieckhoff (Hrsg.), Beiträge zur Religion der Kelten (Leipzig 2008). Neuere Studien zum Grabbrauchtum bieten Philippe Barral (Hrsg.), Gestes funéraires en Gaule au Second Age du Fer (Besançon 2011) und Luc Baray (Hrsg.), Archéologie des pra- <?page no="128"?> 122 Theologie und Religionswissenschaft tiques funéraires (Glux-en-Glenne 2004). Zum Problem der Viereckschanzen vgl. Petra Neumann-Eisele (Hrsg.), Viereckschanzen (Kelheim 2005) und Günther Wieland (Hrsg.), Keltische Viereckschanzen (Stuttgart 1999). 5.2 Weltbild und Mythologie nach dem Zeugnis der Schriftquellen Die Spärlichkeit des Schriftgebrauchs bei den vorchristlichen Kelten bringt es mit sich, dass unsere Kenntnis des altkeltischen Wortschatzes und damit auch des keltischen Weltbilds große Lücken aufweist. Einige Anhaltspunkte für die Rekonstruktion des vorchristlichen Weltbilds liefert allerdings die Vergleichende Sprachwissenschaft, deren Ergebnisse in besonders günstigen Fällen die Geschichte weltanschaulicher Konzepte von der indogermanischen Grundsprache bis zum Altkeltischen zumindest in Umrissen erhellen. Von einer Wurzel mit der Bedeutung „leben“ abgeleitet ist das noch heute in Wales gebräuchliches Wort für „Welt“, byd, das in der älteren Form *bitubereits in der Antike im zusammengesetzten Stammesnamen der Bituriges (im Gebiet der nach diesem Stamm benannten Stadt Bourges) bezeugt ist. Neben keltisch *bitukennt man ferner zwei weitere altkeltische Wörter für „Welt“, *albio- (daraus walisisch elfydd) und *dumno- (daraus altirisch domun), in denen man wegen ihres sprachgeschichtlichen Zusammenhangs mit lateinisch albus „weiß“ bzw. gotisch diups „tief “ zwei ursprünglich komplementäre Bezeichnungen einer „lichten“ Oberwelt und einer „tiefen“ Unterwelt sehen kann (vgl. neben dem Stammesnamen der Bituriges die genau gleich gebildeten Personennamen Albiorix und Dumnorix). Dabei ist allerdings zu beachten, dass eine solche komplementäre Verwendung der Begriffe in den uns überlieferten Texten bereits nicht mehr ersichtlich ist. Einen Fingerzeig auf die keltische Anthropologie gibt die Etymologie der Wörter für „Mensch“, da altkeltisch *gdonios (sprachverwandt mit irisch duine „Person“ und walisisch dyn „Mann“) den Menschen als „Erdling“ (parallel zu griechisch chthōn „Erde“ und chthonios „irdisch“) bezeichnet, während ihn das altirische Wort doín als „Sterblichen“ (vgl. altnordisch deyja und gotisch diwan „sterben“) charakterisiert. Ein Überbleibsel vorchristlicher Vorstellungen sieht man ferner in walisisch enaid „Seele“, das im Hinblick auf altirisch anál und walisisch anadl „Atem“ ebenso wie lateinisch anima „Seele“ ursprünglich soviel wie „Lebenshauch“ bedeutet haben könnte. Auch in diesem Fall wird jedoch ein ursprünglich vorchristlicher Begriff in den uns überlieferten Texten ausschließlich in einem späteren, christlichen Sinn verwendet. Ein geschlossenes, in sich stimmiges Welt- und Menschenbild kann man aus solchen sprachgeschichtlichen Beobachtungen daher nicht rekonstruieren, zumal sich der Bedeutungsinhalt einzelner Begriff nur selten präzise bestimmen lässt. Hinweise auf das keltische Weltbild bieten zwar auch die Keltenschilderungen der antiken Autoren, doch sind deren Informationen <?page no="129"?> Weltbild und Mythologie nach dem Zeugnis der Schriftquellen 123 in mehrerer Hinsicht problematisch. Dies lässt sich beispielhaft durch eine Erörterung der antiken Aussagen über eine angeblich keltische Seelenwanderunslehre veranschaulichen. Hier findet man bereits bei Diodor von Sizilien (5,28,5-6) den Hinweis, die Kelten folgten der Lehre des Pythagoras, dass die Seelen der Menschen unsterblich seien und nach einer bestimmten Zahl von Jahren noch einmal lebten, wobei die Seele in einen anderen Körper eingehe. Mit einer etwas anderen Akzentuierung und ohne den Hinweis auf Pythagoras erklärt es ungefähr gleichzeitig auch Caesar zu einer Lehre der Druiden, dass die Seelen nicht vergehen, sondern nach dem Tod von den einen auf die anderen übergehen, und dass sie glaubten, dass dies ganz besonders zur Tapferkeit ansporne, weil die Furcht vor dem Tode entfalle (De Bello Gallico 6,14,5). Nun könnte ein Vergleich dieser beiden Zeugnisse zwar in der Tat die Vermutung nahelegen, bei den Kelten der unmittelbar vorrömischen Zeit habe eine Seelenwanderungslehre ähnlich der des Pythagoras bestanden, doch stellen sich bei näherer Betrachtung erhebliche Zweifel an dieser These ein. Gegen die Annahme einer keltischen Wiedergeburtslehre spricht zunächst der Umstand, dass die zitierten Autoren nicht - oder jedenfalls nicht notwendigerweise - selbständig und unabhängig voneinander geschrieben haben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Strabo und Diodor ihre Informationen darüber aus dem heute verlorenen Geschichtswerk des Poseidonios bezogen haben, dass diese Quelle auch Caesar zumindest bekannt war und dass auch spätere Autoren, die sich dazu äußern, lediglich Lesefrüchte ohne irgend eine nähere und selbständige Kenntnis des Gegenstands bieten. Gegen die Zuverlässigkeit der Aussagen unserer Texte spricht jedoch schon der Umstand, dass eine Wiedergeburtslehre bei den Kelten außerhalb dieser Traditionslinie nirgends nachzuweisen ist. Zwar findet man in einigen mittelalterlichen irischen Erzählungen das Motiv, dass ein Mensch in mehreren aufeinander folgenden Existenzen die Gestalt verschiedener Tiere annimmt, doch wird dies nirgends als eine vorchristliche religiöse Vorstellung bezeichnet und bildet in den uns erhaltenen Texten augenscheinlich nur einen Kunstgriff des Erzählers, um den Bogen der Handlung über mehrere Generationen hinweg spannen zu können. Weder die mittelalterliche kirchliche Aberglaubenskritik noch die Sammlungen neuzeitlicher Volkskundler bieten irgendwelche Hinweise auf eine Wiedergeburtslehre als Bestandteil keltischer religiöser Vorstellungen. Davon abgesehen ist zu bedenken, dass die Pythagoreer nach Ausweis der antiken Autoren von der Möglichkeit einer Wiedergeburt in tierischer Gestalt überzeugt und deshalb Vegetarier waren. Die Kelten dagegen verzehrten - nach dem Zeugnis der antiken Beobachter wie auch der archäologischen Funde - in großem Umfang Haus- und Wildtiere, die sie darüber hinaus als Opfer- und Grabbeigaben benutzten. Angemerkt sei schließlich auch, dass die aus dem Hinduismus und Buddhismus bekannte Wiedergeburtslehre in den ältesten uns bekannten indischen Texten noch fehlt und allem Anschein nach auch den Sprechern der indogermanischen Grundsprache fremd war. Dass Poseidonios den Kelten <?page no="130"?> 124 Theologie und Religionswissenschaft eine Wiedergeburtslehre gleichsam irrtümlich und ohne jeden triftigen Grund zuschrieb, ist zwar kaum anzunehmen, doch lässt sich dieser Umstand eben in ganz unterschiedlicher Weise erklären. Da Poseidonios die griechische Kolonie Massalia als Ausgangspunkt seiner Forschungen bei den Kelten nutzte, könnten seine Bemerkungen auf die Beobachtung religiöser Vorstellungen zurückgehen, die vielleicht nur dort verbreitet waren und tatsächlich auf griechische Einflüsse zurückzuführen sind. Denkbar ist indessen auch, dass die von Poseidonios beobachteten keltischen Vorstellungen denen des Pythagoras nicht wirklich genau entsprachen, sondern den philosophisch gebildeten Griechen lediglich in der einen oder anderen Hinsicht daran erinnerten. Neue Nahrung fanden Spekulationen über mögliche Einflüsse der Pythagoräer auf die Druiden in der jüngsten Vergangenheit dadurch, dass man bei den vorrömischen Kelten Galliens ein weiteres Element der pythagoräischen Überlieferung nachweisen zu können glaubte. Dabei handelt es sich um den bekannten „Satz des Pythagoras“, demzufolge in einem ebenen rechtwinklingen Dreieck die Summe der Flächeninhalte der beiden Kathetenquadrate gleich dem Flächeninhalt des Hypotenusenquadrats ist (a 2 + b 2 = c 2 ). Eine praktische Anwendung dieses Satzes findet man etwa in der Konstruktion eines Wasserbeckens, das bei der archäologischen Untersuchung des gallischen Oppidums Bibracte auf dem Mont Beuvray ca. 20 km westlich von Autun zutage kam. Hier ist jedoch zu bedenken, dass der „Satz des Pythagoras“ lediglich die abstrakte, theoretische Formulierung einer praktischen Anwendung darstellt, die auch im alten Ägypten und im alten China bekannt war. Dort erzielte man nämlich die für die Monumentalarchitektur zwingend erforderlichen rechten Winkel dadurch, dass man zwölf gleich lange Teile eines Seils durch Knoten im Verhältnis 5 : 3 : 4 unterteilte und dann aus dem Seil mit Hilfe von Pflöcken ein Dreieck bildete. Ob man jedoch aus der bloßen Kenntnis des „Satzes des Pythagoras“ bzw. aus dessen praktischer Anwendung bei den Kelten auf weitergehende Einflüsse von seiten der Pythagoräer schließen darf, erscheint durchaus fraglich. Im Hinblick auf unsere Kenntnis der Mythologie ist zunächst festzustellen, dass keltische Erzählungen über die Götter sowie über die Entstehung der Welt und des Menschen in vorchristlicher Zeit augenscheinlich nur mündlich im Umlauf waren und infolgedessen nicht erhalten geblieben sind. Dass Götter und Göttinnen in der keltischen Religion aber von Anfang an eine wichtige Rolle spielten, zeigt bereits das mit lateinisch deus und altindisch deva sprachverwandte, aus der indogermanischen Grundsprache ererbte keltische Wort *dēvos / *dēvā „Gott / Göttin“. Es begegnet im Irischen zunächst zur Bezeichnung der vielen heidnischen Götter und später des einen christlichen Gottes in der Form día sowie im Walisischen in der Form duw. Über die Götter und Göttinnen der vorrömischen Eisenzeit bieten jedoch die antiken Autoren nur wenige und zumeist sehr allgemein gehaltene Aussagen. Eine zusammenfassende Beschreibung der gesamten keltischen Götterwelt bietet erstmals Caesar (De Bello Gallico 6,17,1-2), demzufolge die Kelten an erster Stelle den Mercu- <?page no="131"?> Weltbild und Mythologie nach dem Zeugnis der Schriftquellen 125 rius verehrten und danach Apollo, Mars, Iuppiter und Minerva, von denen sie ungefähr dieselbe Vorstellung hätten wie andere Völker. Diese Aussage steht jedoch so sehr im Gegensatz zur regionalen Vielfalt, welche die nur wenig späteren gallorömischen Inschriften widerspiegeln, dass man hier vermutlich eine besondere Darstellungsabsicht Caesars in Rechnung stellen muss. Möglicherweise wollte Caesar mit dieser Darstellung vor allem die Assimilationsfähigkeit der Gallier an die griechisch-römische Zivilisation in ein besonders helles Licht rücken. Charakteristisch für den Kult der einheimischen Götter in den keltischsprachigen Regionen des Römischen Reichs ist die nach Tacitus (Germania 43) als interpretatio Romana bezeichnete Gleichsetzung keltischer und griechischrömischer Götter. Dabei fällt zunächst die Vielzahl der Namen ins Auge, denn die Inschriften erwähnen nicht etwa nur - was man nach der oben mitgeteilten Darstellung Caesars vermuten sollte - ein knappes halbes Dutzend, sondern vielmehr mehrere hundert verschiedene Götter, von denen jedoch die meisten nur einen relativ kleinen Verehrerkreis besaßen. So begegnen zahlreiche Götternamen in jeweils nur einer einzigen Inschrift, während andere zwar durch mehrere Inschriften bezeugt sind, wegen der geringen räumlichen Streuung dieser Weihungen jedoch ebenfalls auf eine lokale oder regionale Bedeutung der betreffenden Kulte schließen lassen. In einigen Fällen könnte man bei oberflächlicher Betrachtung vermuten, dass die große räumliche Entfernung zwischen zwei oder mehreren Weihungen für eine Gottheit von überregionaler Bedeutung spreche. Tatsächlich waren viele keltische Götternamen aber wohl überhaupt nur schmückende Beinamen, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten immer wieder neu gebildet werden konnten. Dafür spricht nicht zuletzt auch der Umstand, dass auffallend viele Namen - anders als im griechisch-römischen Kulturraum - sowohl als Personenwie auch als Götternamen bezeugt sind. Festzuhalten ist, dass man die weitaus meisten keltischen Gottheiten nur aus formelhaften Weihinschriften in lateinischer Sprache kennt und über ihre Geschichte, ihre Funktionen, ihre Beziehungen zu anderen Gottheiten und die Zusammensetzung ihres Verehrerkreises nur in seltenen Fällen Aussagen treffen kann. Auch bildliche Darstellungen aus der römischen Kaiserzeit helfen hier kaum weiter, da sie in den weitaus meisten Fällen der Ikonographie der Klassischen Antike verpflichtet sind und das einheimische keltische Element dahinter ganz zurücktritt. Was man - insbesondere in Irland - nach der Christianisierung über die einstigen Götter erzählte, beruht durchweg auf dem im christlichen Mittelalter weit verbreiteten sogenannten Euhemerismus, der die Götter der vorchristlichen Zeit als Menschen einer fernen Vergangenheit interpretierte. Entsprechende Erzählungen sind daher durchweg vom christlichen Weltbild geprägt und können in der uns- vorliegenden Form keinesfalls für die vorchristliche Zeit vorausgesetzt werden. <?page no="132"?> 126 Theologie und Religionswissenschaft Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang die antiken und mittelalterlichen Berichte über die als Druiden bezeichneten keltischen Priester, deren Wissen und politischer Einfluss in den Keltenschilderungen der Griechen und Römer eine große Rolle spielen. „Manche behaupten, die Beschäftigung mit der Philosophie habe ihren Anfang bei den Barbaren genommen. Es habe nämlich bei den Persern die Magier, bei den Babyloniern und Assyrern die Chaldäer, bei den Indern die Gymnosophisten und bei den Kelten die so genannten Druiden gegeben“, schrieb wohl um die Mitte des 3.- Jahrhunderts n. Chr. Diogenes Laertios im Vorwort seines Buches über Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Wie so oft im Falle der Druiden, haben wir es jedoch auch hier mit einer Nachricht aus zweiter Hand zu tun, deren Herkunft unsicher bleibt. Jedenfalls wurden die Druiden spätestens seit dem 1. Jahrhundert- v.- Chr. als eine Art von keltischen Philosophen bei Griechen und Römern bekannt und geschätzt. Eine der ältesten Beschreibungen der druidischen Weltanschauung stammt aus der Feder Caesars (De Bello Gallico 6,14,6): „Viel disputieren sie über die Gestirne und ihren Lauf, die Größe der Welt und der Erde, die Natur der Dinge und das Walten und die Macht der unsterblichen Götter, und geben das dann an die Jugend weiter.“ Betont wurde ferner ihre bedeutende Rolle bei Opferhandlungen und Riten zur Erkundung des göttlichen Willens. So etwa schreibt Diodor (5,31,4): „Es ist Sitte bei ihnen, kein Opfer ohne einen Philosophen zu vollziehen, denn sie sagen, man müsse den Göttern Dankopfer darbringen mit Hilfe von Personen, die des göttlichen Wesens kundig seien und gleichsam dieselbe Sprache sprächen, und mit deren Hilfe, so glauben sie, müsse man auch die guten Dinge erbitten.“ In ähnlicher Weise lesen wir bei Caesar über die Druiden (De Bello Gallico 6,13,4): „Sie gestalten den Götterkult, besorgen die öffentlichen und die privaten Opfer und legen die religiösen Vorschriften aus.“ Gleichwohl ist zu betonen, dass alle Vermutungen über eine herausragende Rolle der Druiden für die Religion der Kelten allein auf den Hinweisen einiger weniger antiker Autoren beruhen, die durch archäologische Funden keine unmittelbare Bestätigung finden. Was die spätere irische Überlieferung von den Druiden berichtet, ist zumindest teilweise christlichen Ursprungs und stimmt nur in großen Zügen, nicht aber in den Einzelheiten zu den Informationen der griechischen und römischen Autoren. Zu keltischen Götternamen und dem Problem der interpretatio Romana vgl. Andreas Hofeneder und Patrizia de Bernardo Stempel (Hrsg.), Théonymie celtique, cultes, interpretatio (Wien 2013), Wolfgang Spickermann (Hrsg.), Keltische Götternamen als individuelle Option? (Rahden, Westf. 2013) und Jacques Lacroix, Les noms d’origine gauloise: la Gaule des dieux (Paris 2007), Manfred Hainzmann (Hrsg.), Auf den Spuren keltischer Götterverehrung (Wien 2007) sowie Wolfgang Spickermann und Rainer Wiegels (Hrsg.), Keltische Götter im Römischen Reich (Möhnesee 2005). Zu den Druiden vgl. Ronald Hutton, Blood and Mistletoe: the history of the druids in Britain (New Haven 2011), Miranda <?page no="133"?> Christianisierung und „keltisches Christentum“ 127 Aldhouse-Green, Caesar’s Druids: story of an ancient priesthood (New Haven 2010), Barry W. Cunliffe, Druids: a very short introduction (Oxford 2010), Bernhard Maier, Die Druiden (München 2009), Jean-Louis Brunaux, Druiden - die Weisheit der Kelten (Stuttgart 2009) und Ronald Hutton, The Druids (London 2007). 5.3 Christianisierung und „keltisches Christentum“ Zu den ältesten Zeugnissen der Christianisierung der Kelten zählt möglicherweise der vermutlich um 55 n. Chr. von dem Apostel Paulus verfasste „Brief an die Galater“, doch kann man die ethnische Zugehörigkeit der Adressaten nicht mit Sicherheit bestimmen. Bereits im 2./ 3. Jahrhundert verbreitete sich das Christentum in den ehemals und teilweise noch immer keltischsprachigen Regionen des Römischen Reichs und gelangte vermutlich von dort aus zumindest in Einzelfällen auch nach Irland. Durch Schriftquellen fassbar wird die Christianisierung der Inselkelten jedoch erst in der Spätantike und im Frühen Mittelalter, wobei die Quellen auf lange Zeit nur spärlich fließen und oft nur einzelne Regionen gleichsam schlaglichtartig beleuchten. Die Geschichte der Christianisierung Irlands beginnt mit dem Hinweis des Chronisten Prosper von Aquitanien, im Jahr 431 habe Papst Coelestin „zu den Iren, die an Christus glauben“ den Bischof Palladius entstandt. Wieviele Iren zu jener Zeit sich selbst als Christen verstanden, in welchen Regionen der Insel sie lebten und wie sich der Wechsel von der alten zur neuen Religion vollzogen hatte, wissen wir nicht. Es steht jedoch zu vermuten, dass nach Irland verschleppte britannische Kriegsgefangene immer wieder auch ihren neuen Glauben mit nach Irland brachten. Auch könnten irische Neuansiedler das Christentum im Südwesten des späteren Wales kennengelernt und diese Kenntnis durch den fortdauernden Austausch mit ihrer irischen Heimat dort verbreitet haben. Über das weitere Schicksal des Bischofs Palladius und den Erfolg oder Misserfolg seiner Mission geben historische Quellen keine Auskunft. Vielmehr schreibt die spätere Überlieferung die Christianisierung Irlands in erster Linie dem - ursprünglich als Sklave aus Britannien nach Irland verschleppten - heiligen Patrick zu. Von Patrick selbst in lateinischer Sprache verfasst wurden zwei Schriften, die als Confessio („Bekenntnis“) und Epistula ad Coroticum („Brief an Coroticus“) bekannt sind. Dabei handelt es sich um eine autobiographisch gefärbte Bekenntnisschrift, die Patrick vermutlich in fortgeschrittenem Alter zur Rechtfertigung seiner Missionstätigkeit schrieb, und um einen offenen Brief, in dem Patrick als Bischof der Iren den Britannier Coroticus wegen der Verschleppung irischer Christen in die Sklaverei anklagt. Die spätere Legendenbildung bezeichnen zwei um 670 von den geistlichen Muirchú und Tírechán verfasste lateinische Schriften über Patrick und die um 900 größtenteils auf <?page no="134"?> 128 Theologie und Religionswissenschaft Irisch geschriebene Biographie Bethu Phátraic (Das Leben Patricks), die wegen ihres dreiteiligen Auf baus auch oft Vita Tripartita genannt wird. Der Confessio zufolge war Patrick ein romanisierter britannischer Kelte, der als Jugendlicher nach Irland in die Sklaverei verschleppt wurde, nach sechs Jahren von dort floh und später als Missionar auf die Insel zurückkehrte. Man vermutet, dass Patrick im 5. Jahrhundert lebte und wirkte, doch sind sein genaues Todes- und Geburtsjahr unbekannt. Unklarheit besteht auch im Hinblick auf den Ort seiner Gefangenschaft in Irland, den Zweck und die Dauer eines möglichen Aufenthalts auf dem Festland und den Umfang seiner Missionstätigkeit. Die spätere Anschauung, Patrick habe auf ausgedehnten Reisen gleichsam im Alleingang nahezu ganz Irland bekehrt, spiegelt zweifellos eine anachronistische Sichtweise wider, in der die realen Vorgänge teleskopartig verkürzt und im Lichte späterer kirchengeschichtlicher Entwicklungen verklärt wurden. Wie auf dem Festland war auch die Kirche in Irland ursprünglich in Bistümer eingeteilt, von denen auf lange Sicht Armagh die größte Bedeutung erlangen sollte. Überagende Bedeutung gewannen seit dem 6. und 7. Jahrhundert jedoch auch die großen irischen Klöster, die zugleich als Wirtschaftszentren und kulturelle Mittelpunkte fungierten. Namentlich bekannt, doch als historische Personen kaum fassbar, sind der um 520 verstorbene Búithe als Gründer des nach ihm benannten Klosters Monasterboice (Mainistir Búithe), die um 525 verstorbene Brigit als Gründerin des Doppelklosters Kildare, der um 550 verstobene Ciarán als Gründer des Klosters Clonmacnoise, der 597 verstorbene Columba oder Colum Cille als Gründer der Klöster Derry, Durrow und Iona in Schottland sowie der um 618 verstorbene Kevin (Coemgen) als Gründer des Klosters Glendalough. Von späteren Legenden stark überformt wurde insbesondere das Leben der heiligen Brigit, deren Verehrung sich später ähnlich wie die des heiligen Patrick über ganz Irland verbreitete und durch die Vermittlung irischer Geistlicher auch in Kontinentaleuropa Fuß fasste. Sehr wahrscheinlich war jedoch schon um die Mitte des 7. Jahrhunderts in Kildare keine genauere Erinnerung mehr an die historische Brigit vorhanden, da ihre um diese Zeit von dem Geistlichen Cogitosus in lateinischer Sprache verfasste Lebensbeschreibung kaum verwertbare Informationen enthält und Züge einer gleichnamigen keltischen Göttin möglicherweise in das Bild der Heiligen übernommen wurden. Über die strenge Disziplin der frühen irischen Klöster orientieren lateinisch geschriebene Bußbücher oder Pönitentialien, die nach dem Verfahren der so genannten Tarif buße ausführliche Angaben über mögliche Verfehlungen und Vorschriften zu deren Sühnung enthalten. Gleichwohl findet man bereits im 8. Jahrhundert Indizien für eine gewisse Verweltlichung der Klöster, die in der Verzahnung geistlicher und politischer Interessen und der Einbindung der Klöster in kriegerische Auseinandersetzungen zum Ausdruck kam. Dies lag nicht zuletzt daran, dass die großen Klöster in der Regel an wichtigen Verkehrsknotenpunkten gelegen waren und ihre Äbte aufgrund von Schenkungen <?page no="135"?> Christianisierung und „keltisches Christentum“ 129 bedeutender Ländereien zugleich Grundherren über eine Vielzahl abhängiger Bauern waren. Der Reform der alten mönchischen Ideale verschrieb sich die Bewegung der Céli Dé („Vasallen Gottes“, anglisiert Culdees), die im 8. und 9.-Jahrhundert weite Teile Irlands erfasste und sich neben der Stärkung asketischer Bestrebungen auch die Pflege der Gelehrsamkeit zum Ziel setzte. In Schottland bestanden vereinzelte christliche Gemeinden zumindest seit dem 5. Jahrhundert. Dies bezeugen ein um 450 aufgestellter Stein mit dem Chi- Rho-Symbol und der lateinischen Inschrift „TE DOMINUM LAVDAMVS“, „Dich, Herr, preisen wir“, der um 1890 in Whithorn (Galloway) gefunden wurde, sowie ein ebenfalls noch im 5. Jahrhundert errichteter Stein mit christlicher Inschrift in lateinischer Sprache, der beim Bau einer Kapelle in Kirkmadrine südwestlich von Sandhead (Galloway) zutage kam. Wie sich das Christentum in den Jahrhunderten nach dem Abzug der Römer in Schottland weiter entwickelte und möglicherweise auch ausbreitete, liegt indessen mangels zeitgenössischer Schriftquellen weitgehend im Dunkeln. Sehr wahrscheinlich bestand eine enge Verbindung zwischen der Ausübung politischer Macht und dem Auf bau kirchlicher Strukturen, so dass für Schottland sowohl mit Einflüssen aus dem weiter südlich gelegenen anglischen Königreich Northumbria als auch mit solchen aus Irland bzw. dem irisch geprägten Königreich von Dál Riada an der Westküste Schottlands zu rechnen ist. Als einer der ersten christlichen Missionare erscheint der heilige Ninian, der im frühen 5. Jahrhundert gelebt haben soll. Ihm werden in Bedas Darstellung der englischen Kirchengeschichte (731) der Bau einer Steinkirche in Whithorn und die Bekehrung der südlichen Pikten zugeschrieben. Als Apostel der britannischen Kelten im Reich von Strathclyde und Schutzpatron der Stadt Glasgow begegnet der heilige Mungo, der in England und Wales auch unter seinem Geburtsnamen Kentigern bzw. walisisch Cyndeyrn bekannt ist. Seiner allerdings erst im 12. Jahrhundert verfassten Lebensbeschreibung zufolge war Mungo der Sohn einer britannischen Königstochter, der in Fife aufwuchs und später in der Nachfolge des heiligen Ninian in der Gegend um Glasgow missionierte. Im Zuge einer Christenverfolgung von dort vertrieben, habe er sich nach Wales begeben und von dort aus eine Wallfahrt nach Rom unternommen, sei dann jedoch nach Strathclyde zurückgekehrt, wo er vor seinem Tod um 614 noch von dem heiligen Columba besucht worden sei. In welchem Umfang hier lokale Überlieferungen des 6. und 7.- Jahrhunderts mit jüngeren, kirchenpolitisch motivierten Erfindungen und hagiographischen Wandermotiven verschmolzen worden sind, bleibt unklar. Der in diesem Zusammenhang erwähnte irische Heilige Columba, den man zur Unterscheidung von dem gleichnamigen und nur wenig jüngeren Gründer der Klöster Luxeuil und Bobbio auch Columba von Iona, Columba den Älteren oder mit seinem irischen Namen Colm Cille („Taube der Kirche“) nennt, verkörpert jedenfalls wie kein Zweiter den irischen Einfluss auf die Christianisierung Schottlands. Um 521 in eine vornehme irische Familie geboren, hatte Columba als Schüler des heiligen <?page no="136"?> 130 Theologie und Religionswissenschaft Finnian von Clonard um die Mitte des 6.-Jahrhunderts bereits mehrere Klöster in Irland gegründet, als er 563 nach Schottland reiste und dort die Mission der nördlichen Pikten organisierte. Auf der Hebrideninsel Iona gründete er ein Kloster, das schon bald hohes Ansehen genoss und eine Zeit lang als Krönungs- und Begräbnisstätte der schottischen Könige diente. 597 in Iona verstorben, wurde Columba schon bald nach seinem Tod von dem Dichter Dallán Forgaill in dem Preisgedicht Amra Choluimb Chille, einem der ältesten Werke der irischen Literatur, verherrlicht. Eine ausführliche lateinische Lebensbeschreibung verfasste 100 Jahre später unter Verwendung lokaler mündlicher Überlieferungen Adamnán, der neunte Abt des Klosters Iona. In späterer Zeit galt Columba als Verfasser zahlreicher lateinischer und irischer Hymnen und Gedichte, von denen die meisten jedoch erst nach seinem Tod entstanden sein dürften. In Wales hatte das Christentum bereits im Gefolge der Eingliederung des Landes in die römische Provinz Britannia Eingang gefunden und in einem schwer abzuschätzenden Umfang das Ende der römischen Besatzung im frühen 5. Jahrhundert überdauert. Als „Zeitalter der Heiligen“ gilt das 5. und 6.- Jahrhundert, dessen Akteure jedoch oftmals erst in den Heiligenviten der anglonormannischen Zeit näher beschrieben werden. Ein wichtiges Indiz für den Aktionsradius der frühen Missionare und Klostergründer sind die oft noch heute gebräuchlichen Ortsnamen, die aus dem Element Llanals Bezeichnung einer klösterlichen Einfriedung und dem Namen des jeweiligen Klostergründers zusammengesetzt sind. Zu den frühesten walisischen Heiligen zählt Dubricius (Dyfrig), der besonders in Südostwales verehrt wurde und als Lehrer der Heiligen Teilo und Samson gilt. Mit Südostwales verbunden ist auch die Verehrung des heiligen Cadog mit dem Beinamen „der Weise“ (Cattwg Ddoeth), dem man die Gründung des Klosters Llancarfan zuschrieb, sowie der heilige Illtud, der als Schüler des Bischofs Germanus (Garmon) von Auxerre und Gründer des Klosters Llanilltud Fawr (englisch Llantwit Major) gilt. Mit Südwestwales verbunden ist demgegenüber die Erinnerung an den heiligen Teilo und den späteren walisischen Nationalheiligen David (Dewi Sant). Ihm schrieb man die Gründung des nach ihm benannten Klosters St. David’s (Tŷ Ddewi) an der Südwestspitze von Wales zu, das später zum Bischofssitz aufstieg und seit dem 12. Jahrhundert zahlreiche Pilger anzog. Mit Nordwales verbunden ist dagegen die Verehrung der Heiligen Beuno und Deiniol. Seit dem 20. Jahrhundert finden die Zeugnisse des frühen irischen, schottischen und walisischen Christentums als Belege für ein spezifisch „keltisches“ Christentum oder eine spezifisch „keltische“ Spiritualität verstärkt Beachtung. In der Tat zeigt das frühmittelalterliche Christentum in Schottland, Wales und Irland manche Züge, die auf dem europäischen Festland zu dieser Zeit so nicht vorkommen, darunter eine abweichende Form der Berechnung des Ostertermins, eine andere Art der mönchischen Tonsur, unterschiedliche Bußpraktiken und besondere Formen der Frömmigkeit wie etwa das freiwillig gewählte <?page no="137"?> Christianisierung und „keltisches Christentum“ 131 Exil um Christi willlen (peregrinatio pro Christo). Zu einem kirchenpolitischen Streit führte insbesondere die vom lateinischsprachigen Europa abweichende Berechnung des Ostertermins, der erst 664 auf der von König Oswiu von Northumbria einberufenen Synode vin Whitby beigelegt wurde. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass das frühmittelalterliche religiöse Leben insgesamt eine breite Vielfalt aufwies, derer sich heute oft nur noch Fachleute bewusst sind, und dass manche der oben genannten Gemeinsamkeiten eher aus geographischer Nachbarschaft als aus gemeinsamen „keltischen“ (und das heißt: vorchristlichen) Wurzeln zu erklären sind, wie überhaupt das Verhältnis des frühen insularen Christentums zur vorchristlichen Religion in vieler Hinsicht unklar ist. Darüber hinaus beruht die neuzeitliche Wahrnehmung eines frühmittelalterlichen „keltischen“ Christentums häufig auf einer sehr selektiven Auswertung der Quellen, die Schriftzeugnisse aus verschiedenen Epochen in eklektischer und z. T. unhistorischer Weise miteinander kombiniert. Zur Christianisierung der Britischen Inseln und Irlands vgl. Malcolm Lambert, Christians and Pagans: the conversion of Britain from Alban to Bede (New Haven, Conn. 2010). Einen ersten Überblick über die materielle Hinterlassenschaft der frühen irischen Kirche ermöglichen die Beiträge in Breandan Leahy und Salvador Ryan (Hrsg.), Treasures of Irish Christianity, 2 Bde. (Dublin 2012- 13). Unterschiedliche Aspekte der neueren Forschung beleuchten Rob Meens, Penance in Medieval Europe, 600-1200 (Cambridge 2014), die Beiträge in Juliet Mullins (Hrsg.), Envisioning Christ on the Cross: Ireland and the early medieval West (Dublin 2013), Karen Eileen Overbey, Sacred Geographies: saints, shrines, and territory in mediaeval Ireland (Turnhout 2012), die Beiträge in dem Sammelband L’Irlanda e gli Irlandesi nell’alto medioevo (Spoleto 2010), David H. Jenkins, ,Holy, holier, holiest‘: the sacred topography of the early medieval Irish church (Turnhout 2010), Westley Follett, Céli Dé in Ireland: monastic writing and identity in the early Middle Ages (Woodbridge 2006), Tadhg O’Keeffe, Ireland’s Round Towers: buildings, rituals and landscapes of the early Irish church (Stroud 2004), Christina Harrington, Women in a Celtic Church: Ireland, 450-1150 (Oxford 2002). Zum frühen Christentum in Schottland vgl. Brian Lacey, Saint Columba: his life and legacy (Blackrock 2013), Jonathan Wooding (Hrsg.), Adomnán of Iona (Dublin 2010), Megan Meredith-Lobay, A Contextual Landscape Study of the Early Christian Churches of Argyll (Oxford 2009) sowie Dauvit Broun und Thomas Owen Clancy (Hrsg.), Spes Scotorum, Hope of Scots - Saint Columba, Iona, and Scotland (Edinburgh 1999). Das frühe Christentum in Wales und Cornwall behandeln John F. Potter, Searching for Early Welsh Churches: a study in ecclesiastical geology (Oxford 2013), Thomas O’Loughlin, Gildas and the Scriptures. Observing the World through a Biblical Lens (Turnhout 2012), Karen George, Gildas’s „De excidio <?page no="138"?> 132 Theologie und Religionswissenschaft Britonum“ and the early British church (Woodbridge 2009), Nicholas Orme, Cornwall and the Cross: Christianity, 500-1560 (Chichester 2007), J. Wyn Evans und Jonathan M. Wooding, St. David of Wales: cult, church, and nation (Woodbridge 2007), Oliver Davies, Celtic Christianity in early medieval Wales: the origins of the Welsh spiritual tradition (1996). Speziell zur Hagiographie vgl. Pádraig Ó Riain, Four Tipperary Saints (Dublin 2014), Ders., A Dictionary of Irish Saints (Dublin 2011), Katja Ritari, Saints and Sinners in Early Christian Ireland: moral theology in the lives of Saints Brigit and Columba (Turnhout 2009), Steve Boardman, John Reuben Davies und Eila Williamson (Hrsg.), Saints’ Cults in the Celtic World (Woodbridge 2009), Joseph-Claude Poulin, L’ hagiographie bretonne du haut Moyen Age: repertoire raisonné (Ostfildern 2009), Lisa M. Bitel, Landscape with two saints: how Genovefa of Paris and Brigit of Kildare built Christianity in Barbarian Europe (New York 2008), Pádraig Ó Riain, Feastdays of the Saints: a history of Irish martyrologies (Bruxelles 2006), David Howlett, Muirchu Moccu Macthéni’s Vita Sancti Patricii (Dublin 2006), Jane Cartwright (Hrsg.), Celtic Hagiography and Saints’ Cults (Cardiff 2003), Alan Thacker und Richard Sharpe (Hrsg.), Local Saints and Local Churches in the Early Medieval West (Oxford 2002). Überregionale „keltische“ Gemeinsamkeiten behandeln Michael W. Herren und Shirley Ann Brown, Christ in Celtic Christianity: Britain and Ireland from the fifth to the tenth century (Woodbridge 2002) und Caitlin Corning, The Celtic and Roman traditions: conflict and consensus in the early medieval church (New York 2006) und Oliver Davies (Hrsg.), Celtic Spirituality (New York 1999). Zur Kritik am Konzept eines spezifisch „keltischen“ Christentums vgl. Donald E. Meek, The Quest for Celtic Christianity (Edinburgh 2000) und Ian C. Bradley, Celtic Christianity: making myths and chasing dreams (Edinburgh 1999). 5.4 Religionsgeschichte der keltischen Länder: Mittelalter Zu den bemerkenswertesten Zügen des insularen Christentums im Frühen Mittelalter gehört seine Wirksamkeit auf dem europäischen Festland. Schon im späten 6. Jahrhundert war als einer der ersten irischen Missionare auf dem Kontinent der um 543 in Leinster geborene Columbanus im Frankenreich tätig. In den Vogesen gründete er unter dem Schutz des Merowingerkönigs Childebert II. (570-596) von Burgund und Austrasien in den Ruinen der römischen Festung Anagrates (Annegrey) sein erstes Kloster, dem bald darauf eine zweite Gründung in dem nahegelegenen Ort Luxovium (Luxeuil) nachfolgte. Für die Mönche verfasste Columbanus in lateinischer Sprache eine Regel und ein Bußbuch, doch sind auch Briefe, Predigten sowie einige, zum Teil in ihrer Echtheit umstrittene, Gedichte aus seiner Feder überliefert. Nach <?page no="139"?> Religionsgeschichte der keltischen Länder: Mittelalter 133 Childeberts Tod von dessen Sohn und Nachfolger verbannt, begab sich Columbanus zunächst an den Hof des Königs von Neustrien, von dort nach Metz, rheinaufwärts an den Bodensee und schließlich nach Italien. Dort gründete er auf Einladung des Langobardenkönigs in den Apenninen das später wegen seiner Bibliothek berühmte Kloster Bobbio, in dem er 615 starb. Ein Schüler des Columbanus war Gallus, der mit ihm zusammen um 600 in den Bodenseeraum gelangte, wo er sich an der oberen Steinach als Einsiedler niederließ. Nach seinem Tod entwickelte sich sein Grab zu einem Wallfahrtsort, an dem 719 der alemannische Geistliche Otmar das Kloster St. Gallen gründete. Als Missionar in Ostfranken und Thüringen wirkten hingegen die Iren Kilian, Kolonat und Totnan, die um 689 bei Würzburg das Martyrium erlitten. Der Verehrung Kilians und seiner Gefährten als Heilige verdankt Würzburg vermutlich die berühmte, mit altirischen Glossen versehene lateinische Handschrift mit dem Text der Paulusbriefe, die wahrscheinlich mit irischen Pilgern in die Stadt gelangte. Ein weiterer bedeutender Missionar aus Irland war der im Kloster Iona ausgebildete Virgil (irisch Feirgil), der nach 745 von Herzog Odilo von Bayern mit der Verwaltung des Bistums Salzburg betraut wurde, von dort aus die Mission in Kärnten organisierte und 774 den ersten Salzburger Dom erbauen ließ. Infolge der zunehmenden Plünderungen irischer und schottischer Klöster durch die Wikinger, vor allem aber im Zuge der Bildungsreformen unter Karl dem Großen wirkten auch im 9. Jahrhundert zahlreiche bedeutende Gelehrte aus Irland auf dem Kontinent, darunter Dungal von Bobbio, der neben einem Gedicht über die Sieben Freien Künste auch eine Schrift zur Verteidigung der Bilderverehrung und eine astronomische Abhandlung über eine 810 beobachtete Sonnenfinsternis verfasste, der Gelehrte Dicuil, der astronomische und geographische Schriften hinterließ, der Grammatiker und Exeget Sedulius Scottus, Autor von Gedichten, grammatischen Schriften und Bibelkommentaren, sowie der Mystiker Johannes Scottus Eriugena, der philosophische und theologische Werke aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzte, einen bedeutenden Kommentar zur Enzyklopädie des Martianus Capella verfasste und in seinem auch unter dem Titel De divisione naturae bekannten Hauptwerk Periphyseon eine stark neuplatonisch geprägte eigenständige Theologie entwickelte. Im späten 9. Jahrhundert nahm der irische Einfluss auf dem Kontinent deutlich ab, doch kam es um 1200 noch einmal zu bedeutenden benediktinischen Klostergründungen von Iren vor allem im süddeutsch-österreichischen Raum. Dabei handelt es sich um die sogenannten Schottenklöster, die unter anderem in Regensburg, Würzburg, Nürnberg, Erfurt, Konstanz, Eichstätt und Wien mit besonderen Privilegien ausgestattet waren, über mehrere Generationen hinweg enge Beziehungen zu Irland pflegten und erst im Spätmittelalter von deutschen Benediktinern übernommen wurden. In ihrer (modernen) Bezeichnung als „Schottenklöster“ spiegelt sich noch die ältere Bedeutung von lateinisch Scot(t)us, „Ire“ (daher auch das erst im 19. Jahrhun- <?page no="140"?> 134 Theologie und Religionswissenschaft dert geprägte deutsche Kunstwort Iroschotte, „Ire“), die erst allmählich von der jüngeren Bedeutung „Schotte“ abgelöst wurde. Seit dem 12. Jahrhundert kam es, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Anglonormannen in England, zu einer zunehmenden Angleichung der irischen, schottischen und walisischen Kirchen an kontinentaleuropäische Verhältnisse. Dazu gehörte zunächst die Einrichtung einer flächendeckenden Diözesanstruktur mit Bistümern und Erzbistümern. Schon 1111 wurde Irland in eine nördliche und eine südliche Kirchenprovinz mit je zwölf Diözesen und Erzdiözesen mit Sitz in Cashel und Armagh eingeteilt. Ihren Abschluss fand die territoriale Neuordnung der irischen Kirche 1152 auf der Synode von Kells-Mellifont, auf der vier Erzdiözesen (Armagh, Tuam, Dublin und Cashel) festgelegt und dem Primat von Armagh untergeordnet wurden. Auch die schottische Kirche erhielt im späten 12. Jahrhundert eine eigenständige, von England unabhängige Diözesanstruktur, wobei zunächst Dunkeld und später St. Andrews eine bevorzugte Stellung erhielten. Zunächst beanspruchte zwar der Erzbischof von York die Oberhoheit über sämtliche schottischen Bischöfe, doch bestätigte Papst Coelestin III. 1192 ausdrücklich und trotz des Fehlens eines eigenen schottischen Erzbischofs die Unabhängigkeit der Schottischen Kirche mit den neun Diözesen St. Andrews, Glasgow, Dunkeld, Dunblane, Brechin, Aberdeen, Moray, Ross und Caithness. In Wales wurde die Kirche schon bald nach der Ankunft der Normannen in die vier Diözesen Bangor, St. David’s, Llandaff und St. Asaph eingeteilt, wobei die jeweiligen Bischöfe in der Regel normannischer Abkunft waren und unmittelbar dem Erzbischof von Canterbury unterstanden. Abgesehen von den Änderungen infolge der Stärkung und des Ausbaus der Diözesanstruktur veränderte sich das religiöse Leben auch durch den zunehmenden Einfluss kontinentaler Mönchsorden. Ihre Förderung stand in einem engen Zusammenhang mit den nach Papst Gregor VII. benannten Gregorianischen Reformen des 11. und 12.- Jahrhunderts, die neben einer verbesserten Qualifikation der Priester und einer Neubestimmung des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Macht auch eine Erneuerung des Mönchtums nach dem Vorbild der Benediktsregel anstrebte. In Schottland hatte der spätere König David I. bereits 1113 Mönche der 1109 gegründeten Benediktinerkongregation von Thiron bei Chartres nach Selkirk in Südostschottland eingeladen. Für sie gründete er 1128 in der Nähe seiner Residenz Roxburgh am Zusammenfluss von Tweed und Teviot die Abtei Kelso, die sich infolge ihrer bevorzugten Lage zu einem der reichsten Klöster des Landes entwickelte. Für Mönche aus dem südenglischen Augustinerpriorat von Merton gründete David I. 1128 in Edinburgh die Abtei Holyrood, aus deren Gästehaus im 15./ 16.- Jahrhundert die königliche Residenz Holyrood Palace hervorging, während Augustinermönche aus dem französischen Bouhy 1118 in Jedburgh unweit der heutigen schottisch-englischen Grenze eine neue Wirkungsstätte fanden. In Wales entstanden Priorate des Augustinerordens in Llanthony <?page no="141"?> Religionsgeschichte der keltischen Länder: Mittelalter 135 Prima (1103), Carmarthen (1148) und Haverfordwest (1200), wobei sich im Laufe des 13.-Jahrhunderts auch weitere, bereits bestehende Klöster in Penmon, Bardsey und Beddgelert den Augustinern anschlossen. Die erste Abtei des Zisterzienserordens wurde 1131 in Tintern gegründet, gefolgt von der Abtei Whitland (1140) mit Tochterhäusern in Strata Florida (Ystrad Fflur, 1164), Strata Marcella (Ystrad Marchell, um 1170) und Cwm Hir (1176). Tochterhäuser der Abtei Strata Florida entstanden ferner in Llantarnam (1179), Llanllŷr (um 1180) und Aberconwy (1186). In das 13. und 14. Jahrhundert fällt die zunehmende Ausbreitung der Mendikanten- oder Bettelorden, die das Ideal der Besitzlosigkeit nicht nur für den einzelnen Mönch, sondern für die Gemeinschaft insgesamt verbindlich machten. Anders als die im 11./ 12. Jahrhundert eingeführten Reformorden ließen sich die Mendikanten vor allem in den Städten nieder, wo ihre friar (von französisch frère bzw. lateinisch frater, „Bruder“) genannten Mitglieder sich als Seelsorger, Prediger und Lehrer betätigten. Bekannt waren insbesondere die Dominikaner, die wegen ihres schwarzen Mantels über der weißen Tracht als Black Friars bezeichnet wurden, und die wegen ihrer grauen Kutte Grey Friars genannten Franziskaner. Geprägt von der Überzeugung eines individuellen Weiterlebens nach dem Tod, begünstigte das spätmittelalterliche Christentum auch in den keltischsprachigen Regionen all jene Formen der Frömmigkeit, welche die Menschen in ihrer Hoffnung auf Teilhabe an der Erlösung bestärkten. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Heiligen- und Marienverehrung sowie die damit verbundenen Wallfahrten. Entscheidende Bedeutung besaß es außerdem für das spätmittelalterliche Bildungswesen, das nahezu vollständig in den Händen der Kirche lag. Zur irischen Kirche des Hoch- und Spätmittelalters vgl. Brian Lacey, Medieval and Monastic Derry: sixth century to 1600 (Dublin 2013), Colmán Ó Clabaigh, The Friars in Ireland, 1224-1540 (Dublin 2011), Janet Burton u. Karen Stöber (Hrsg.), The Regular Canons in the Medieval British Isles (Turnhout 2011), Marie Therese Flanagan, The Transformation of the Irish Church in the Twelfth Century (Woodbridge 2010), Charles Doherty, Linda Doran u. Mary Kelly (Hrsg.), Glendalough: city of God (Dublin 2010), Damian Bracken u. Dagmar Ó Riain-Raedel (Hrsg.), Ireland and Europe in the Twelfth Century (Dublin 2006), Rachel Moss, Colmán Ó Clabaigh u. Salvador Ryan (Hrsg.), Art and Devotion in Late Medieval Ireland (Dublin 2006), Tadhg O’Keeffe, Romanesque Ireland: architecture, sculpture and ideology in the twelfth century (Dublin 2003). Zur mittelalterlichen Kirche in Schottland vgl. Iain G. MacDonald, Clerics and Clansmen: the diocese of Argyll between the twelfth and sixteenth centuries (Leiden 2013), Steve Boardman und Eila Williamson (Hrsg.), The Cult of Saints and the Virgin Mary in Medieval Scotland (Woodbridge 2010), Richard Fawcett, Scottish Medieval Churches (Stroud 2002), Donal R. Watt, Die Konzilien in Schottland bis zur Reformation (Paderborn 2001). <?page no="142"?> 136 Theologie und Religionswissenschaft Zum Christentum im mittelalterlichen Wales vgl. Jane Cartwright, Feminine sanctity and spirituality in medieval Wales (Cardiff 2008), Karen Stöber, Late medieval monasteries and their patrons: England and Wales (Woodbridge 2007), David Moore Robinson, The Cistercians in Wales: architecture and archaeology 1130-1540 (London 2006), John Reuben Davies, The Book of Llandaf and the Norman Church in Wales (Woodbridge 2003), Nora G. Costigan, Defining the Divinity: Medieval Perceptions in Welsh Court Poetry (Aberystwyth 2002). 5.5 Religionsgeschichte der keltischen Länder: Neuzeit Von entscheidender Bedeutung für die neuzeitliche Geschichte der keltischen Sprachen und Literaturen waren die in den einzelnen keltischsprachigen Regionen höchst unterschiedlichen Auswirkungen der Protestantischen Reformation. Am wenigsten davon betroffen war die Bretagne, wo sich die Römisch- Katholische Kirche unangefochten behaupten konnte und der Katholizismus bis ins 20. Jahrhundert die vorherrschende Konfession der bretonischen wie auch der französischsprachigen Bevölkerungsteile blieb. Völlig anders lagen die Verhältnisse demgegenüber in Irland, wo die englische Krone seit der zweiten Hälfte des 16.-Jahrhunderts versucht hatte, die Reformation durch Enteignungen katholischer Bevölkerungsteile und Zwangsansiedlungen (plantations) englischer und schottischer Neuansiedler voranzutreiben. Dies führte im 17. und 18. Jahrhundert zu einer sozialen wie auch regionalen konfessionellen Spaltung, indem die Anhänger der Reformation als Angehörige und Vertreter einer privilegierten Oberschicht vor allem der wirtschaftsstarken Regionen im Osten und Norden wahrgenommen wurden, während die katholisch gebliebene Bevölkerungsmehrheit in rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht extrem benachteiligt blieb. Dementsprechend traf die durch den mehrjährigen Ausfall der Kartoffelernte bedingte Hungersnot (Great Famine) um die Mitte des 19.- Jahrhunderts vor allen die katholische Bevölkerungsmehrheit. Mit dem Aufschwung der irischen Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen führte das weit verbreitete Bewusstsein einer konfessionellen Spaltung zu einer zunehmenden Identifikation des irischen Nationalismus mit dem Katholizismus, die indessen seit einigen Jahrzehnten im Gefolge der wachsenden Säkularisierung, Europäisierung und Globalisierung des Landes zunehmend an Bedeutung verloren hat. In Schottland führte der irische Widerstand gegen die Reformation ebenfalls zu einer gewissen regionalen und sozialen Spaltung, indem der Katholizismus in zunehmendem Maße mit den - freilich nur teilweise mehrheitlich katholischen - gälischsprachigen Regionen des Hochlands und der Hebriden gleichgesetzt wurde. Dementsprechend wurde Scots in der Frühen Neuzeit zur Bezeichnung der aus dem Mittelenglischen hervorgegangenen Sprache <?page no="143"?> Religionsgeschichte der keltischen Länder: Neuzeit 137 des Tieflands, während man die früher als scotica lingua bezeichnete gälische Sprache jetzt im Hinblick auf ihre Nähe zur Sprache der mehrheitlich katholischen Iren Erse (Irisch) nannte. Zwar hatten die Anhänger der Reformation in Schottland schon im 16. Jahrhundert dafür gesorgt, dass das Book of Common Prayer ins Gälische übertragen und als erstes schottisches Buch in dieser Sprache gedruckt wurde, doch setzte man in späterer Zeit immer mehr auf die Anglisierung der gälischsprachigen Bevölkerung. Erheblich verschärft wurde der Gegensatz zwischen den Highlands und den Lowlands durch den wirtschaftlichen Aufschwung im Gefolge der Schaffung des Vereinigten Königreichs und dem Beginn der Industriellen Revolution, von dem das Schottische Tiefland nicht zuletzt infolge seiner natürlichen Ressourcen, der besser ausgebauten Verkehrsverbindungen und der großen Hafenstädte weitaus mehr profitierte als das Hochland und die Hebriden. In Wales hatten viele Bewohner ländlicher Gegenden auch nach der Auflösung der Klöster und der Neuordnung des Kirchenwesens noch eine Zeit lang traditionelle Formen katholischer Frömmigkeit praktiziert, wobei sich in einigen Regionen vor allem des Südostens und Nordostens auch ein regelrechtes Rekusantentum im Sinne des aktiven Widerstands gegen die anglikanische Kirche noch bis zum Ende des 16.-Jahrhunderts behaupten konnte. Gleichzeitig ermöglichte indessen die 1588 vollendete vollständige Übersetzung der Bibel der walisischen Sprache auf dem Gebiet des religiösen Lebens eben jene Geltung, die sie auf den Gebieten der Verwaltung und Rechtsprechung infolge der Anglisierung verloren hatte. Zusätzlich gestärkt wurden das Ansehen und die Verbreitung der walisischen Bibel im Zuge des Aufschwungs nonkonformistischer Bewegungen, die seit der zweiten Hälfte des 18.- Jahrhunderts die walisische Literatur und Kultur maßgeblich beeinflussten. So führte insbesondere der Erfolg des calvinistisch geprägten Methodismus in Wales zu einem tiefgreifenden Wandel der Lebens- und Denkgewohnheiten, aber auch des Bildungswesens, indem man in Sonntagsschulen mit Hilfe der walisischen Bibel die Kenntnis der Schrift- und Literatursprache förderte und die sprachliche Ausdrucksfähigkeit der Schüler steigerte. Irland: Tadhg Ó hAnnracháin und Robert Armstrong (Hrsg.), Christianities in the Early Modern Celtic World (Basingstoke 2014), Oliver P. Rafferty (Hrsg.), Irish Catholic Identities (Manchester 2013), Eamon Maher u. Eugene O’Brien (Hrsg.), Breaking the Mold: literary representations of Irish Catholicism (Oxford 2011), Donnchadh O Corráin u. Tomás O’Riordan (Hrsg.), Ireland, 1815-70: emancipaton, famine and religion (Dublin 2011), Dáire Keogh, Cardinal Paul Cullen and his World (Dublin 2011), Thomas O’Connor u. Mary Ann Lyons (Hrsg.), The Ulster Earls and Baroque Europe: refashioning Irish identities, 1600-1800 (Dublin 2010), Henry A. Jefferies, The Irish Church and the Tudor Reformations (Dublin 2010), Edel Bhreathnach, Joseph MacMahon und John McCafferty (Hrsg.), The Irish Franciscans, 1534-1990 (Dublin 2009), Eamon <?page no="144"?> 138 Theologie und Religionswissenschaft Maher, Contemporary Catholicism in Ireland (Blackrock 2008), Oliver P. Rafferty, The Catholic Church and the Protestant State: nineteenth-century Irish realities (Dublin 2008), Thomas O’Connor, Irish Jansenists, 1600-70 (Dublin 2008), Alan Ford u. John McCafferty (Hrsg.), The Origins of Sectarianism in Early Modern Ireland (Cambridge 2005), Irene Whelan, The Bible War in Ireland: the ,Second Reformation‘ and the polarization of Protestant-Catholic relations, 1800-1840 (Madison, Wis. 2005), James H. Murphy (Hrsg.), Evangelicals and Catholics in Nineteenth-Century Ireland (Dublin 2005), Kevin Collins, Catholic Churchmen and the Gaelic Revival in Ireland, 1848-1916 (Dublin 2002). Schottland: Allan W. MacColl, Land, Faith and the Crofting Community: Christianity and social criticism in the Highlands of Scotland, 1843-1893 (Edinburgh 2006), David Paton, The Clergy and the Clearances: the church and the Highland crisis 1790-1850 (Edinburgh 2006), Fiona A. MacDonald, Missions to the Gaels: reformation and counter-reformation in Ulster and the Highlands and Islands of Scotland (Edinburgh 2005), Douglas Ansdell, The People of the Great Faith: the Highland church, 1690-1900 (Stornoway 1998). Wales: John Gwynfor Jones (Hrsg.), The History of Welsh Calvinistic Methodism. Volume 3 Growth and consolidation (c. 1814-1914) (s. l. 2013), David Ceri Jones, Boyd Stanley Schlenther u. Eryn Mant White (Hrsg.), The Elect Methodists: Calvinistic Methodism in England and Wales, 1735-1811 (Cardiff 2012), D. Huw Owen, The Chapels of Wales (Bridgend 2012), John I. Morgans, The Honest Heretique: the life and work of William Erbery (1604-1654) (Talybont 2012), D. Densil Morgan, The Span of the Cross: Christian Religion and Society in Wales 1914-2000 (Cardiff 2011), Glanmor Williams, William Jacob, Nigel Yates u. Frances Knight, The Welsh Church from Reformation to Disestablishment, 1603-1920 (Cardiff 2007), Richard C. Allen, Quaker Communities in Early Modern Wales (Cardiff 2007), Paul Chambers, Religion, secularization and social change in Wales (Cardiff 2005), R. Tudur Jones, Congregationalism in Wales (Cardiff 2004), David Ceri Jones, A Glorious Work in the World: Welsh Methodism and the international evangelical revival, 1735-1750 (Cardiff 2004), R. Tudur Jones, Faith and Crisis of a Nation: Wales 1890-1914 (Cardiff 2004), Robert Pope, Seeking God’s Kingdom: the Nonconformist Social Gospel in Wales 1906-1939 (Cardiff 1999), Robert Pope, Building Jerusalem: nonconformity, Labour and the social question in Wales, 1906-1939 (Cardiff 1998). Bretagne: Yvon Tranvouez (Hrsg.), Religion(s) en Bretagne aujourd’ hui (Brest 2014), Jakeza Le Lay (Hrsg.), Littératue et spiritualité en Bretagne (Paris 2013), Elizabeth C. Tingle, Purgatory and Piety in Brittany: 1480-1720 (Farnham 2012), Yvon Tranvouez (Hrsg.), Requiem pour le catholicisme Breton? (Brest 2011), Julia Weiss, Leben um den Pfarrbezirk: Ausdrucksformen des bretonischen Katholizismus in der Neuzeit (Wien 2010). <?page no="145"?> Neuheidentum und moderne Keltenideologie 139 5.6 Neuheidentum und moderne Keltenideologie Im Zusammenhang mit der zunehmenden Säkularisierung Europas seit der Aufklärung steht der Aufschwung verschiedener neuheidnischer Bewegungen, die sich auf die Religion der Kelten vor der Christianisierung berufen. Die Wurzeln dieses keltischen Neuheidentums liegen in der frühneuzeitlichen Rezeption der antiken Ethnographie, insbesondere der griechischen und lateinischen Nachrichten über die Druiden. Da die antiken Nachrichten über die Druiden insgesamt spärlich und in mehreren Punkten geradezu widersprüchlich sind, dienten (und dienen) die keltischen Priester seit der Frühen Neuzeit als Projektionsfläche jeweils zeittypisch wechselnder Wunsch- und Idealbilder. Bereits im Zeitalter des Humanismus begegnet die Vorstellung des monotheistischen Druiden, der im Sinne christlicher Vorstellungen von der natürlichen Religion blutige Opferkulte ablehnt und heimlich an den einen (christlichen) Gott glaubt. Nur wenig später findet man im Zeitalter der Aufklärung das Wunschbild des rationalistischen Druiden, der die Mythenvielfalt des Altertums ebenso hinter sich lässt wie der Philosoph des 18.-Jahrhunderts die dogmatischen und konfessionellen Streitigkeiten der Theologen seiner Zeit. Charakteristisch für die daraus resultierende Perspektive ist die 1718/ 19 entstandene und erstmals 1726 veröffentlichte Darstellung der keltischen Religion des irischen Philosophen und Freidenkers John Toland (1670-1722), A Critical History of the Celtic Religion and Learning. Als Vorläufer der Anglikanischen Kirche seiner Zeit erscheinen die Druiden dagegen bei Tolands jüngerem Zeitgenossen Willliam Stukeley (1687-1765). Wohlvertraut mit den vorgeschichtlichen Denkmälern Englands, propagierte er in seinen beiden 1740 und 1743 veröffentlichten Werken Stonehenge und Abury (Avebury) mit großem Erfolg die noch heute populäre These, es handle sich bei den - in Wahrheit stein- und bronzezeitlichen, mithin also vorkeltischen - Anlagen um Kultstätten der Druiden. Wie schon andere Autoren vor ihm, glaubte Stukeley, dass seefahrende Phönikier schon in vorchristlicher Zeit die Religion Abrahams in Britannien heimisch gemacht hätten, so dass er den Druiden nicht nur die Kenntnis der Hieroglyphen, sondern auch die Erwartung eines Messias zuschrieb. In Kultstätten wie Stonehenge und Avebury glaubte er die Symbole des Kreises, der Schlange und zweier Schwingen nachweisen zu können, die er als Hinweise auf den Glauben der Druiden an die christliche Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist interpretierte. In der zentralen Rolle der Druiden für die Organisationsformen, die Spiritualität und das Gedankengut der gegenwärtigen Neuen Religionen spiegeln sich die Nachrichten der Griechen und Römer, die Rezeptionsgeschichte dieser Berichte seit der Frühen Neuzeit und die moderne religionswissenschaftliche Forschung in vielfältigen Brechungen wider. Dabei erscheinen die Druiden als Bestandteil eines keltischen Neuheidentums, das zahlreiche Berührungspunkte mit verwandten Phänomenen wie etwa dem Keltischen Hexentum, dem Kel- <?page no="146"?> 140 Theologie und Religionswissenschaft tischen Schamanismus und dem so genannten Keltischen Rekonstruktionismus aufweist, gelegentlich aber auch in nicht-religiöse Formen des historischen Rollenspiels und der Freizeitgestaltung übergeht. Sieht man davon ab, dass alle neuheidnischen Druiden auf die Druiden der griechisch-römischen Ethnographie Bezug nehmen und folglich in den historisch bezeugten Priestern der vorrömischen Kelten ihren Ursprung sehen, haben die heute lebendigen - und das heißt: durch öffentlich praktizierte Rituale, in Publikationen oder über das Internet greif baren - Glaubensgemeinschaften ein unterschiedlich hohes Alter. Einige von ihnen verstehen sich als Fortsetzung einer Vereinigung mit dem irischen Namen An Druidh Uileach Braithreachas (The Druid Circle of the Universal Bond), die nach einer - historisch allerdings zweifelhaften - Überlieferung 1717 in London gegründet worden sein soll. Ansonsten gilt zumeist der 1781 gegründete Ancient Order of Druids als älteste Organisation des modernen Druidentums. Die zahlenmäßig größte Vereinigung moderner Druiden bildet der Order of Bards, Ovates and Druids, der als eine Abspaltung des Ancient Order of Druids 1964 von dem Dichter, Künstler und Schriftsteller Ross Nichols (1902-1975) und einigen Gleichgesinnten gegründet wurde. Auf seiner Internet-Website (www.druidry.org) bezeichnet der Order of Bards, Ovates and Druids das Druidentum als „eine vitale und dynamische, in der Natur gegründete Spiritualität, die auf der ganzen Welt blüht und die unsere Liebe zur Erde mit unserer Liebe zur Kreativität und den Künsten verbindet“. Hervorgehoben wird dabei zum einen der Unterschied zwischen dem Druidentum zu einem Kult, zum anderen die Vereinbarkeit der Mitgliedschaft im Orden mit der Zugehörigkeit zu anderen Glaubensgemeinschaften. Das erklärte Ziel des Druidentums besteht der Website zufolge darin, den Mitgliedern bei „der Erfahrung und dem Ausdruck der Liebe, der Weisheit und der Keativität“ behilflich zu sein. Im Hinblick auf seine Organisation ist der Order geprägt durch die hierarchische Gliederung in Barden, Ovaten und Druiden, die unterschiedliche Stufen der Einweihung bezeichnen. Außerdem bestehen zwei deutlich voneinander verschiedene Organisationsformen: Während die Mitgliedschaft in einer informellen „Saat- Gruppe“ (Seed Group) allen Mitgliedern offen steht, muss der „Hain“ (Grove) als übergeordneter Zusammenschluss von wenigstens zwei Druiden geleitet werden. Um den Grad eines Druiden zu erreichen, nehmen die Mitglieder üblicherweise an einem zweibis dreijährigen Fernkursus teil. Zu den Aktivitäten des Ordens zählen neben den regelmäßigen Treffen der als „Hain“ organisierten Gruppen die gemeinschaftliche Begehung acht jahreszeitlich gebundener Feste, aber auch die Feier von Geburten und Hochzeiten sowie informelle Treffen. Insgesamt bezieht sich der Order of Bards, Ovates and Druids in gleicher Weise auf die Druiden der Antike wie auf die von den Freimaurern und ähnlichen Organisationen inspirierten Neo-Druiden des 18. und 19.-Jahrhunderts. Eine wichtige Rolle spielten ferner der britische Kolonialbeamte, Schriftsteller und Okkultist Gerald Brousseau Gardner (1884-1964), der mit dem Gründer <?page no="147"?> Neuheidentum und moderne Keltenideologie 141 des Order befreundet war und bereits 1954 die synkretistische Wicca-Religion begründet hatte. Erkennbar ist ferner der Einfluss des Okkultisten Aleister Crowley (1875-1947) und der Ägyptologin Margaret Murray (1863-1963), die in ihrem 1921 veröffentlichten, von Fachhistorikern scharf kritisierten Buch The Witch-Cult in Western Europe das frühneuzeitliche Hexenwesen als Überbleibsel des jungsteinzeitlichen Kults eines gehörnten Gottes gedeutet hatte. Wichtige Anregungen verdankt der Order of Bards, Ovates and Druids außerdem dem Psychologen und Psychotherapeuten Philip Carr-Gomm (*1945), der den Orden seit 1988 leitet und in seinen Werken unter anderem Gedanken der Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs (1875-1961) verarbeitet. Aus den späten siebziger Jahren des 20.- Jahrhunderts stammt der British Druid Order, dessen Begründer Philip Shallcrass (*1953) über die Lektüre des Buchs The White Goddess des Dichters und Schriftstellers Robert von Ranke- Graves (1895-1985), die Beschäftigung mit der Schamanismus-Forschung des Religionswissenschaftlers Mircea Eliade (1907-1986) und die Mitgliedschaft in der Wicca-Bewegung zu den Druiden gelangte. Auf seiner Website (www. druidry.co.uk) bezeichnet der British Druid Order das Druidentum als „eine lebendige spirituelle Tradition“, die sich während der europäischen Eisenzeit auf der Grundlage älterer religiöser Praktiken und Glaubensvorstellungen entwickelt habe. „Das neuheidnische Druidentum“, so ist dort zu lesen, „bietet Wege an, um erneut den Anschluss an die Zyklen des Lebens, die Geister der Natur, unsere Ahnen und ihre Götter zu finden. Wie bei allen spirituellen Traditionen besteht das höchste Ziel in der Vereinigung mit dem Unendlichen“. Das Druidentum des British Druid Order ist dem eigenen Selbstverständnis zufolge „animistisch, indem es alle Dinge als von Geistern durchdrungen ansieht, polytheistisch, indem es viele Götter und Göttinnen anerkennt, und schamanisch, indem es um die Wirklichkeit der Geisterwelten und ihrer Bewohner weiß“. Da die antiken Autoren die Druiden vor allem in Gallien und Britannien lokalisierten, war auch das neuzeitliche Druidentum zunächst besonders in Frankreich und auf den Britischen Inseln verbreitet. Bereits 1912 war jedoch als amerikanischer Zweig des britischen Ancient and Archaeological Order of Druids der so genannte Ancient Order of Druids in America entstanden, der nach Auskunft seiner Website (www.aoda.org) das Druidentum als „Pfad der Naturspiritualität und inneren Wandlung“ versteht. Als eigentlicher Ausgangspunkt neuheidnischer druidischer Bewegungen in den Vereinigten Staaten und Kanada gilt indessen die 1963 erfolgte Gründung der Reformed Druids of North America durch einige Studenten des Carleton College in Northfield (Minnesota). Ursprünglich ins Leben gerufen, um studentischen Forderungen nach Freiheit der Religionsausübung Nachdruck zu verleihen, verbanden die Reformed Druids die Rückbesinnung auf die Druiden mit Anleihen aus dem Hinduismus, Daoismus und Zen-Buddhismus. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Verehrung der Natur, deren unterschiedliche <?page no="148"?> 142 Theologie und Religionswissenschaft Aspekte mit den Namen keltischer Gottheiten (Belenos für die Sonne, Sirona für die Flüsse, Llyr für das Meer u. a. m.) bezeichnet werden. Organisiert in „Hainen“ (Groves), unterschieden die Reformed Druids of North America insgesamt zehn verschiedene Weihegrade eines Druiden, wobei jedoch nur die ersten drei praktische Konsequenzen für die Autorität und Legitimität des Würdenträgers hatten. Alle Druiden des dritten Weihegrads bildeten zusammen den Council of Dalon ap Landu, der allein für die gesamte Bewegung verbindliche Beschlüsse fassen konnte und in dem der jeweils amtierende Erzdruide von Carleton den Vorsitz führte. Mit der Abspaltung der New Reformed Druids of North America und der Schismatic Druids of North America in den Siebziger Jahren des 20.-Jahrhunderts schwand indessen auch die Autorität des Council, der seitdem keine verbindlichen Beschlüsse mehr gefasst hat. Als eine Abspaltung der Reformed Druids of Noth America bzw. der New Reformed Druids of North America entstand 1983 die Bewegung Ár nDraíocht Féin („Unser eigenes Druidentum“), die ungeachtet der Wahl eines irischen Namens eine Verbindung keltischer, altnordischer, griechischer, römischer, slavischer und altindischer religiöser Riten und Glaubensvorstellungen anstrebte. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Theorien des französischen Sprachwissenschaftlers Georges Dumézil (1898-1986), demzufolge das Weltbild der Indogermanen und damit auch der indogermanischen Einzelvölker auf einer hierarchischen Dreigliederung mit den grundlegenden Funktionen der Herrschaft (souveraineté), des Kriegswesens (force) und der Fruchtbarkeit (fécondité) beruhte. Einmal mehr zeigt sich auch in diesem Fall der Einfluss der neuzeitlichen religionswissenschaftlichen Theoriebildung auf die Gründung neureligiöser Vereinigungen, wie sie im Falle der Druiden bereits im Zusammenhang mit den Theorien Mircea Eliades und noch davor James George Frazers zu beobachten ist. Organisiert in „Hainen“ (Groves), verbindet Ár nDraíocht Féin das Streben nach wissenschaftlich fundierter Authentizität mit dem Bekenntnis zu einer Adaption der vorgeschichtlichen Religionen an die Moderne, was sich unter anderem in einer grundsätzlichen Ablehnung blutiger Opfer niederschlägt. Im deutschsprachigen Raum bildet das Neodruidentum nur eine von vielen verschiedenen neuheidnischen Glaubensgemeinschaften, zumal man in den Regionen rechts des Rheins von jeher den Germanen eine größere legitimierende Wirkung zuschrieb. Zwar sieht sich der „Orden vom Steinberg keltisch-germanische Religionsgemeinschaft e. V.“ nach Auskunft seiner Website (www.clochsliaph.de) explizit als „keltischer rekonstruierender Neodruidenorden“, doch versteht sich das Internet-Portal www.celtoi.net nach eigenem Bekunden ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Druiden ganz allgemein als „Die Community für neokeltischen Glauben“. Einen noch allgemeiner und unspezifischer formulierten Anspruch vertritt der „Rabenclan - Verein zur Weiterentwicklung heidnischer Traditionen e. V.“, indem er auf ethnische, geographische oder zeitliche Abgrenzungen vollständig verzichtet. Dement- <?page no="149"?> Neuheidentum und moderne Keltenideologie 143 sprechend bezeichnet er sich auf seiner Website (www.rabenclan.de) betont undogmatisch als „eine Interessenvertretung für Menschen, die sich an heidnischen Traditionen orientieren und diese pflegen, aktualisieren und weiterentwickeln möchten“. Über die kaum mehr überschaubare Vielfalt und das rasch wechselnde Spektrum neodruidischer Gemeinschaften informiert seit 2003 das Druid Network (www.druidnetwork.org). Jutta Leskovar, Kämpfen um die Kelten: Archäologische Argumente in der neuheidnischen Literatur und der Keltenbegriff in der Fachliteratur (Wien 2012), Bea Schweighöfer, Keltisches Neuheidentum im deutschsprachigen Raum (Rahden/ Westf. 2011). <?page no="151"?> 6 Europäische Ethnologie Da Keltologie als eine akademische Disziplin im Zeitalter der Romantik entstand, hielt sie von jeher relativ engen Kontakt nicht nur zur Vergleichenden Indogermanischen Sprachwissenschaft sowie zur Mittelalterlichen und Alten Geschichte, sondern auch zu dem Forschungsgebiet, das im angelsächsischen Sprachraum zuerst Popular Antiquities und dann Folklore, im deutschen Sprachraum früher oft „Volkskunde“ und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zumeist „Europäische Ethnologie“ genannt wird. Dieser Kontakt beeinflusste sowohl die Auswahl der vorrangig behandelten Quellen als auch deren Interpretation, was sich in den verschiedenen Teilgebieten der Europäischen Ethnologie jedoch in unterschiedlicher Weise bemerkbar machte. Zur Geschichte der europäischen Ethnologie in Irland vgl. Mícheál Briody, The Irish Folklore Commission 1935-1970: history, ideology, methodology (Helsinki 2007), Stiofán Ó Cadhla, Civilizing Ireland: ordnance survey 1824-1842 (Dublin 2007) und Gillian M. Doherty, The Irish Ordnance Survey (Dublin 2004). Als umfassendes Nachschlagewerk dient Dáithí Ó hÓgáin, The Lore of Ireland: an encyclopedia of myth, legend and romance (Woodbridge 2006). Über die Geschichte der Alltagskultur in Schottland orientieren die vier Bände der Reihe „A History of Everyday Life in Scotland“: (1) Edward J. Cowan und Lizanne Henderson (Hrsg.), Medieval Scotland 1000-1600 (Edinburgh 2011), (2) Elizabeth Foyster und Christopher A. Whatley (Hrsg.), 1600 to 1800 (Edinburgh 2010), (3) Trevor Griffiths und Graeme Morton (Hrsg.), 1800-1900 (Edinburgh 2010) und (4) Lynn Abrams und Callum G. Brown (Hrsg.), Twentieth-Century Scotland (Edinburgh 2010). Zur europäischen Ethnologie der Gegenwart in Wales vgl. Charlotte Aull Davies und Stephanie Jones (Hrsg.), Welsh Communities: new ethnographic perspectives (Cardiff 2003). 6.1 Erzählforschung Die Anfänge des Interesses an mündlich überlieferten Texten in den noch lebenden keltischen Sprachen liegen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert und hängen eng zusammen mit der gesamteuropäischen Begeisterung für die (vermeintlich altkeltische) Ossian-Dichtung. Eine wichtige Rolle spielte dabei ferner die in Deutschland von den Brüdern Grimm und in Schottland von Sir Walter Scott angeregte Rückbesinnung auf das volkstümliche Lieder-, Märchen- und Sagengut, die allenthalben eine rege Sammeltätigkeit hervorrief. <?page no="152"?> 146 Europäische Ethnologie Zu den frühesten irischen Sammlern mündlicher Überlieferungen zählen der aus Wexford stammende Buchhändler Patrick Kennedy (1801-1873) sowie der in Cork geborene Thomas Crofton Croker (1798-1854), der von 1818 bis 1850 für die britische Admiralität in London tätig war. Letzterer veröffentlichte 1825 (zunächst anonym) unter dem Titel Fairy Legends and Traditions of the South of Ireland eine englischsprachige Sammlung südirischer Elfenmärchen, die noch im Erscheinungsjahr von den Brüdern Grimm ins Deutsche übersetzt und mit einer ausführlichen Einleitung über den irischen Elfenglauben neu herausgegeben wurde. Im weiteren Verlauf des 19.-Jahrhunderts befassten sich Märchensammler aus aller Welt mit der reichen irischen Überlieferung. Einer von ihnen war der in Detroit (Michigan) geborene Jeremiah Curtin (1835-1906), der nach seinem Studium an der Harvard-Universität in verschiedenen Stellungen für die amerikanische und russische Regierung tätig war und neben zahlreichen literarischen Übersetzungen auf ausgedehnten Reisen mündliche Erzählungen aus den verschiedensten Kulturen sammelte. Seine Aufzeichnungen aus Irland veröffentlichte er in den drei Bänden Myths and Folk-Lore of Ireland (1890), Hero-Tales of Ireland (1894) und Tales of the Fairies and of the Ghost World (1895). Aus Australien stammte der Folklorist Joseph Jacobs (1854-1916), der 1892 bzw. 1894 die Anthologien Celtic Fairy Tales und More Celtic Fairy Tales herausgab. Dem Bemühen um die Bewahrung bzw. Wiederbelebung der irischen Sprache verpflichtet war die Sammeltätigkeit Douglas Hydes (1860-1949), dem Herausgeber der Sammlungen Leabhar Sgeulaigheachta (1889) und Beside the Fire (1890). Starken Auftrieb gewann die Erforschung der mündlichen Überlieferungen Irlands nach der Gründung der Irish Folklore Commission (Coimisiún Béaloideasa Éireann, 1935-1971) durch Séamus Ó Duilearga (James Hamilton Delargy, 1899-1980). Zu ihren bedeutendsten Mitarbeitern zählte der aus Teelin in Donegal gebürtige Seán Ó hEochaidh (1913-2002), der bei seiner Sammeltätigkeit neben schriftlichen Aufzeichnungen auch bereits die von Thomas Alva Edison entwickelten Wachswalzen einsetzte. Zu den bedeutendsten irischen Geschichtenerzählern (seanchaithe, Singular: seanchaí, anglisiert: shanachie) der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart zählen der in Carna (Connemara) geborene Éamon a Búrc (1866-1942), dem man die mit über 30 000 Worten längste jemals aufgezeichnete irische mündliche Erzählung verdankt, und der aus Kerry stammende Edmund („Eddie“) Lenihan (*1950). Zu den frühesten und zugleich produktivsten Sammlern volkstümlicher schottisch-gälischer Überlieferungen zählt der aus der Hebrideninsel Islay gebürtige John Francis Campbell (1822-1886), der nach seinem Studium an der Universität Edinburgh in verschiedenen Funktionen für die britische Regierung tätig war. Mit Hilfe zahlreicher Unterstützer vor Ort organisierte er unter dem Einfluss des Skandinavisten George Webbe Dasent (1817-1896) die Sammlung mündlicher Erzählungen und Balladen des Schottischen Hochlands und der Hebriden. Einen Teil seines überaus umfangreichen Materials <?page no="153"?> Erzählforschung 147 veröffentlichte er in den zweisprachigen Sammlungen Popular Tales of the West Highlands (vier Bände, 1860-1862) und Leabhar na Féinne (1872). Weitere Texte aus seiner Sammlung wurden 1940 und 1960 unter dem Titel More West Highland Tales I-II im Auftrag der Scottish Anthropological and Folklore Society aus dem handschriftlichen Nachlass herausgegeben. Überaus einflussreich war ferner der aus Lismore stammende Alexander Carmichael (1832-1912), der zwischen 1855 und 1899 eine umfangreiche Sammlung schottisch-gälischer Gebete, Segenswünsche, Beschwörungen und religiöser Lieder zusammenstellte. Sie erschien als zweisprachige Ausgabe mit ausführlichen Anmerkungen und einem Register unter dem Titel Carmina Gadelica in sechs Bänden zwischen 1900 und 1971 und bildet seit einigen Jahren den Gegenstand analytischer Studien, die durch eine Untersuchung des handschriftlichen Nachlasses Carmichaels das genaue Verhältnis zwischen den ursprünglichen Aufzeichnungen des Sammlers und den später gedruckten Texten zu bestimmen suchen. Weitere bedeutende Sammlungen mündlicher Überlieferungen verdankt die Forschung dem aus Kingairloch gebürtigen Geistlichen John Gregorson Campbell (1836-1891), der nach Studien in Glasgow von 1860 bis zu seinem Tod als Pfarrer auf den Hebrideninseln Coll und Tiree tätig war, sowie Lady Evelyn Stewart Murray (1868-1940), die als jüngste Tochter des siebten Herzogs von Atholl um 1891 eine umfangreiche Sammlung schottisch-gälischer Erzählungen aus der Umgegend des Familiensitzes Blair Castle in Perthshire zusammenstellte. Für die 1951 gegründete School of Scottish Studies arbeitete Calum MacLean (1915-1960), ein jüngerer Bruder des Schriftstellers Sorley MacLean, der zuvor in Irland mündliche Texte gesammelt hatte. In der Bretagne beginnt das Interesse an mündlichen Überlieferungen in bretonischer Sprache im Gefolge der erstmals 1839 von Théodore Hersart de la Villemarqué (1815-1895) veröffentlichten Sammlung Barzaz Breiz („Poesie der Bretagne“). Zu den Kritikern ihrer Authentizität gehörte der Gymnasiallehrer, Journalist und Archivar François-Marie Luzel (Fañch an Uhel, 1821-1895), der seinerseits mit Contes et récits populaires des Bretons armoricains (1869) und Contes populaires de Basse-Bretagne (1887) eigene Sammlungen bretonischer Märchen in französischer Übersetzung herausgab. Nach seinem Vorbild veröffentlichte François Cadic (1864-1929) die Bände Contes et légendes de Bretagne (1914-1929) und Nouvelles contes et légendes de Bretagne (1925). Der Einfluss der Reformation und vor allem des Methodismus brachte es mit sich, dass die Pflege wie auch die Aufzeichnung und Erforschung walisischer volkstümlicher Überlieferungen lange Zeit hinter den entsprechenden Aktivitäten der benachbarten keltischsprachigen Regionen zurückblieb. Eine erste Studie entsprechender Texte veröffentlichte Sir John Rhŷs mit seinem zweibändigen Werk Celtic Folklore, Welsh and Manx (1901). Neuere Ausgaben walisischer Märchen veröffentlichten Willliam Jenkyn Thomas (1870-1959) mit den Bänden The Welsh Fairy Book (1907) und More Welsh Fairy and Folk Tales (1958) sowie <?page no="154"?> 148 Europäische Ethnologie Robin Gwyndaf mit der zweisprachigen Sammlung Welsh Folk Tales / Chwedlau Gwerin Cymru (1989). Wie eingangs festgestellt, standen die Anfänge der Sammeltätigkeit in einem engen Zusammenhang mit der Romantik und romantischen Vorstellungen von einem überzeitlichen, in Sprache, Denken und Dichtung gleichermaßen feststellbaren „Volksgeist“. Entsprechende Theorien führten in Verbindung mit dem Aufschwung nationalistischer Strömungen und einer nostalgischen Verklärung der vorindustriellen Vergangenheit angesichts rapide fortschreitender Technisierung und Urbanisierung zu einer starken Fokussierung auf den Aspekt der Kontinuität, indem man die mündlich überlieferten Texte weniger als Zeugnisse aus der Gegenwart des Sammlers denn vielmehr als Relikte früherer Kulturzustände betrachtete. Dies beeinflusste nicht zuletzt auch die Sicht der mittelalterlichen keltischen Literaturen, die man oftmals ebenfalls weniger als Produkte ihrer Zeit denn als letzte Ausläufer einer bis in die vorchristliche Epoche zurückreichenden Tradition auffasste. Namentlich in Irland führte dies zu einer starken Betonung des „archaischen“ Charakters der mündlich wie schriftlich überlieferten Texte, wie sie etwa in den Arbeiten von Myles Dillon (1900-1972) zur mittelalterlichen irischen Literatur und von Daniel Anthony Binchy (1899-1989) zum mittelalterlichen irischen Recht zum Ausdruck kommt. Dass man dabei den Anteil des Christentums und der klassisch-antiken Bildung oftmals allzu gering veranschlagte, führte nicht zuletzt infolge entsprechender Studien durch den irischen Keltologen James Carney (1914-1989) seit den 1980er Jahren zu einer Gegenreaktion und zu einem anhaltenden Streit zwischen den „nativists“ mit ihrer Fokussierung auf das hohe Alter und die Eigenständigkeit der einheimischen irischen Tradition und ihren Gegnern, die den Einfluss christlich-antiker Elemente herauszuarbeiten suchten. Parallel dazu setzte auch ein Umdenken im Hinblick auf die Interpretation des übernatürlichen Elements in den Handlungen der mündlich und schriftlich überlieferten Texte ein. Hatte man diese oft allzu schnell und leichtfertig als Überbleibsel einer vorchristlichen „keltischen“ Mythologie gedeutet, so zeigte der englische Keltologe Kenneth Hurlstone Jackson (1909-1991) mit seiner Studie The International Popular Tale and Early Welsh Tradition (1961), dass man in vielen Fällen eher mit international verbreiteten Märchenmotiven rechnen sollte. Die moderne Sekundärliteratur zu den verschiedenen keltischen Erzähltraditionen hat in der Regel einen lokalen, regionalen oder allenfalls nationalen Schwerpunkt. Zu Irland vgl. Vito Carrassi, The Irish Fairy Tale (Rom 2012), Seán Ó Súilleabháin (Hrsg.), Miraculous plenty: Irish religious folktales and legends (Dublin 2011), Gearóid Ó Crualaoich, The Book of the Cailleach: stories of the wise-woman healer (Cork 2003) und George Denis Zimmermann, The Irish Storyteller (Dublin 2001). Zum gälischsprachigen Schottland vgl. Sarah Dunnigan u. Suzanne Gilbert (Hrsg.), The Edinburgh Companion to Scottish <?page no="155"?> Musik und Tanz 149 Traditional Literatures (Edinburgh 2013), Sylvia Robertson und Tony Dilworth (Hrsg.), Tales from Highland Perthshire, collected by Lady Evelyn Stewart Murray (Edinburgh 2009) und John Shaw (Hrsg.), The Blue Mountains and other Gaelic Stories from Cape Breton (Montreal 2007). Reiches Material zur Insel Man bietet Skeealyn Vannin = Stories of Mann: the complete collection of Manx language archive recordings made by the irish Folklore Commission in 1948, mit 6 CD-ROMs (Douglas 2003). Zur Bretagne vgl. Daniel Giraudon, Croyances et légendes de la mort en Bretagne et pays celtiques: sur les Chemins de l’Ankou (Fouesnant 2012), Fañch Postic (Hrsg.), François Cadic, 1864-1929: un collecteur vannetais, recteur des Bretons de Paris (Brest 2012), Éva Guillorel (Hrsg.), Barzaz Bro-Leon: une expérience inédite de collecte en Bretagne (Rennes 2012), Fañch Postic (Hrsg.), Paul Sébillot, 1843-1918 (Brest 2011). Zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit vgl. Elisabeth Salter u. Helen Wicker (Hrsg.), Vernacularity in England and Wales: c. 1300-1550 (Turnhout 2011), Diane E. Booton, Manuscripts, Market, and the Transition to Print in Late Medieval Brittany (Farnham 2010), Marc Caball u. Andrew Carpenter (Hrsg.), Oral and Print Cultures in Ireland, 1600-1900 (Dublin 2009), Nessa Cronin, Seán Crosson u. John Eastlake (Hrsg.), Anáil an bhéil bheo: orality and modern Irish culture (Newcastle 2009) sowie Adam Fox u. Daniel Woolf (Hrsg.), The Spoken Word: oral culture in Britain, 1500-1850 (Manchester 2002). 6.2 Musik und Tanz Über die Musik der antiken Kelten ist nur wenig bekannt, da musikalische Aufzeichnungen der Kelten selbst nicht überliefert sind, griechische und römische Autoren diesem Gegenstand kaum Beachtung schenkten und keltische Musikinstrumente nur in Ausnahmefällen erhalten geblieben sind. Mehrfach erwähnen antike Autoren, darunter Polybios (2,29) und Diodor von Sizilien (5,30) eine als Karnyx bezeichnete keltische Kriegstrompete, deren Schalltrichter in einen aus Metall gefertigten Tierkopf mit aufgerissenem Maul auslief. Das relativ gut erhaltene Exemplar eines solchen Instruments, das man auch aus Abbildungen auf römischen Siegesdenkmälern sowie römischen und gallischen Münzen kennt, fand man 1816 bei dem kleinen Ort Deskford im Norden Schottlands. 1991-1993 rekonstruiert, erhielt es seitdem nicht zuletzt durch öffentliche Aufführungen und Tonaufnahmen neue Anerkennung und Aufmerksamkeit. Dem Bericht Diodors zufolge wurden auch die Preis- und Spottlieder der Dichter (Barden) mit einem der Lyra ähnlichen Saiteninstrument begleitet, wie man es gelegentlich in mehr oder weniger stilisierter Form auch auf keltischen Münzen abgebildet findet. Den mutmaßlichen Steg eines solchen Instruments aus der Zeit um 300-v.-Chr. fand man 2012 in einer Höhle auf der Hebrideninsel Skye. Dabei handelt es sich um den bislang ältesten Überrest <?page no="156"?> 150 Europäische Ethnologie eines Saiteninstruments auf den Britischen Inseln. Mehrfach erwähnen antike Autoren wie etwa Livius (10,26; 22,28; 23,24; 38,17), Polybios (3,44) und Diodor (5,29), dass keltische Krieger unter Gesängen, die sie mit dem rhythmischen Schlagen der Waffen begleiteten, in den Kampf zogen. Über die Rolle der Musik und des Gesangs in vorchristlichen Kulten und Riten kann man dagegen wegen des Fehlens entsprechender Hinweise nur Vermutungen anstellen. Dass in diesem Zusammenhang auch Tänze eine Rolle spielten, erschließt man aus der Darstellung von Tänzern auf der Bronzeliege des hallstattzeitlichen Fürstengrabs von Hochdorf sowie aus einigen bronzenen Miniaturfiguren von Tänzern aus gallorömischer Zeit, die 1861 in Neuvy-en-Sullias bei Orléans gefunden wurden. Häufig erwähnt werden Lieder und andere musikalische Darbietungen in den mittelalterlichen inselkeltischen Literaturen. Sie gelten besonders in Irland als charakteristisch für die Welt der síde (Elfen). Unsere Kenntnis der mittelalterlichen musikalischen Praxis bleibt allerdings eher oberflächlich, da literarische Beschreibungen oft phantasievoll überzeichnet erscheinen und überdies die Bedeutung verschiedener darin gebrauchter Fachbegriffe unbekannt ist. Abbildungen von Musikinstrumenten in illuminierten Handschriften oder auf Steinskulpturen kann man nur unter Vorbehalt zur Ergänzung heranziehen, da bildliche Darstellungen oft ausländischen Vorbildern folgen. Nur selten haben außenstehende Beobachter wie z. B. Giraldus Cambrensis ihre Eindrücke vom Klang der Musik in den keltischsprachigen Regionen Europas schriftlich festgehalten. Mittelalterliche Musikinstrumente sind in den keltischen Ländern dagegen fast gar nicht erhalten geblieben; auch die heute so genannte „Harfe des Brian Boru“, die heute im Trinity College, Dublin, zu besichtigen ist, stammt erst aus dem 15./ 16. Jahrhundert. Auch die Sackpfeife (der Dudelsack), der schon im Mittelalter aus dem östlichen Mittelmeerraum oder den Balkanländern nach Mitteleuropa gelangte, ist in Irland und Schottland erst seit dem 16. Jahrhundert bezeugt. Erst im 17. Jahrhundert begann man damit, die zeitgenössische Musik der keltischen Länder in der allgemein üblichen Notenschrift aufzuzeichnen. Dabei lässt sich jedoch oftmals nicht mehr entscheiden, ob diese Aufzeichnungen die jeweilige musikalische Praxis getreu wiedergeben oder einem bestimmten Zeitbzw. Publikumsgeschmack angepasst wurden. Einer der frühesten Sammler war Edward Bunting (1773-1843), der nicht nur Melodien und Liedtexte aufzeichnete, sondern auch eine ausführliche Darstellung des irischen Harfenspiels hinterließ. Ein jüngerer Zeitgenosse Buntings war George Petrie (1790-1866), der sich neben seiner Tätigkeit als Maler und Zeichner auch mit der Erforschung irischer Bodendenkmäler und Ortsnamen beschäftigte. Sechs Bände mit traditioneller irischer Musik veröffentlichte zwischen 1903 und 1922 der aus Südirland stammende und später als Polizeioffizier in Chicago tätige Francis O’Neill (1848-1936). Bis heute ungedruckt und nur handschriftlich erhalten sind hingegen die über 2000 Melodien, die der <?page no="157"?> Musik und Tanz 151 Geistliche James Goodman (1828-1896) sammelte. Eine Sammlung nordirischer Volkslieder (Songs of Uladh, 1904) veranstaltete der aus Belfast gebürtige Musikkritiker und Komponist Herbert Hughes (1882-1937), während Séamus Ennis (1919-1982) im Auftrag der Irish Folklore Commission nicht nur in ganz Irland, sondern auch auf den Hebriden Melodien aufzeichnete. Weitreichenden Einfluss auf das Studium der traditionellen irischen Musik im 20. Jahrhundert gewann der als Sohn deutscher Einwanderer in Cork aufgewachsene Musikologe, Komponist und Dirigent Aloys Fleischmann (1910-1992), dessen auf jahrzehntelangen Forschungen beruhendes zweibändiges Hauptwerk Sources of Irish Traditional Music c. 1600-1855 erst nach seinem Tod 1998 veröffentlicht wurde. Ein Student und späterer Mitarbeiter Fleischmanns war Seán Ó Riada (John Reidy, 1931-1971), der mit der von ihm geführten Gruppe Ceoltóirí Chualann (und der daraus hervorgegangenen Gruppe The Chieftains) in den 1960er Jahren eine Renaissance der irischen Volksmusik einleitete. Eine frühe Sammlung von Melodien auch aus den gälischsprachigen Regionen Schottlands enthält das Scots Musical Museum, eine sechsbändige Anthologie von 600 schottischen Liedern, die der Musikverleger James Johnson (um 1753-1811) von 1787 bis 1803 veröffentlichte. Gesamteuropäische Beachtung fand ferner die fünf bändige Sammlung A Select Collection of Original Scottish Airs (1799-1818), für deren Arrangements der Verleger George Thomson (1757-1851) die Mitwirkung prominenter Komponisten wie etwa Haydn, Beethoven und Hummel gewinnen konnte. Mit dem Aufschwung des Celtic Revival im letzten Drittel des 19.- Jahrhunderts stieg auch das Interesse am gälischen Liedgut der Hebriden. Die erste größere Sammlung legte in den 1870er Jahren die auf der Insel Skye geborene Frances Tolmie (1840-1926) an. Umfangreiche Aufzeichnungen mit Hilfe der zu jener Zeit üblichen Wachswalzen unternahm ab 1905 die Sängerin und Komponistin Marjory Kennedy-Fraser (1857-1930). Weithin populär waren ihre Arrangements dieser Lieder in der zusammen mit dem Geistlichen Kenneth MacLeod (1871-1955) erstellten dreibändigen Sammlung Songs of the Hebrides (1905-1921). Eine musikethnologisch besonders wertvolle Ausgabe bildet die von John Lorne Campbell (1906-1996) und Francis Collinson (1898-1984) herausgegebene dreibändige Sammlung Hebridean Folksongs (1969-1981). Einführungen in die traditionelle irische Musik bieten Sean Williams, Focus: Irish Traditional Music (New York 2010) und Fintan Vallely (Hrsg.), The Companion to Irish Traditional Music (Cork 1999). Vgl. ferner Susan H. Motherway, The Globaization of Irish Traditional Song Performance (Farnham 2013), Barra Boydell (Hrsg.), Music, Ireland and the seventeenth century (Dublin 2009), David Cooper, The Musical Traditions of Northern Ireland and its Diaspora: community and conflict (Farnham 2009), John O’Flynn, The Irishness of Irish Music (Farnham 2009), Fintan Vallely, Tuned Out: traditional music and identity in Northern Ireland (Cork 2008), Michael Murphy (Hrsg.), <?page no="158"?> 152 Europäische Ethnologie Music- in- Nineteenth-century Ireland (Dublin 2007), Virginia S. Blankenhorn, Irish Song-Craft and Metrical Practice since 1600 (Lewiston, N. Y. 2003). Zur Funktion der Musik in irischen und schottischen Erzählungen von der Geisterwelt vgl. Karen Rolls-MacLeod, Music and the Celtic Otherworld (Edinburgh 2000). Zur traditionellen schottischen Musik und ihrer Rezeption seit der Romantik vgl. Karen McAulay, Our Ancient National Airs: Scottish song collecting from the enlightenment to the romantic era (Farnham 2013), Anne Lorne Gillies, Songs of Gaelic Scotland (Edinburgh 2010), Joshua Dickson (Hrsg.), The Highland Bagpipe (Farnham 2009), James Porter (Hrsg.), Defining Strains: the Musical Life of Scots in the Seventeenth Century (Oxford 2007), John Purser, Scotland’s Music (Edinburgh 2007), John Lorne Campbell (Hrsg.), Songs Remembered in Exile, second edition (Edinburgh 1999) und Thomas McKean, Hebridean Songmaker: Iain Macneacail of the Isle of Skye (Edinburgh 1997). Zur traditionellen Musikkultur in Wales vgl. Bruce Cardwell, The Harp in Wales (Bridgend 2013), Phyllis Kinney, Welsh Traditional Music (Cardiff 2011) und Sally Harper, Music in Welsh Culture before 1650: a study of the principal sources (Aldershot 2007). Zur traditionellen bretonischen Musikkultur vgl. Martial Le Corre, Les sonneurs bretons (Saint-Avertin 2013), Natalie Anne Franz, Breton Song Traditions and the Case of the ,Gwerzioù‘ (Rennes 2011), Laurence u. Didier Berthou- Bécam (Hrsg.), L’enquête Fortoul (1852-1876): chansons populaires de Haute et Basse-Bretagne (Paris 2010), Marie-Barbara Le Gonidec (Hrsg.), Les archives de la Mission de folklore musical en Basse-Bretagne de 1939 du Musée national des arts et traditions populaires (Paris 2009), Michel Colleu (Hrsg.), Musique bretonne: histoire des sonneurs de tradition (Grenoble 2008), Gilles Goyat (Hrsg.), Chansons traditionelles du pays bigouden (Brest 2008), Nelly Blanchard (Hrsg.), Jean-Marie de Penguern, collecteur et collectionneur Breton (1807-1856) (Brest 2008), Daniel Leloup und Marie-Noëlle Masson (Hrsg.), Musique en Bretagne: images et pratiques (Rennes 2003) und Françoise Constant (Red.), Catalogue des fonds musicaux anciens conserves en Bretagne (Rennes 1999). 6.3 Volksglaube und Brauchtum Einen besonderen Schwerpunkt der Erforschung mündlicher volkssprachlicher Überlieferungen im Geist der Romantik bildete die Suche nach volkstümlichen, nicht aus dem Christentum ableitbaren Vorstellungen, aus denen man Rückschlüsse auf die Mythologie und das Weltbild der vorchristlichen Vergangenheit ziehen zu können hoffte. Eine Hauptquelle dafür bildeten mündlich überlieferten Erzählungen, die man vielfach als Fortsetzungen vorchristlicher Mythen betrachtete, sowie das Brauchtum der vorindustriellen ländli- <?page no="159"?> Volksglaube und Brauchtum 153 chen Gesellschaften, dessen Symbolik man mit Hilfe der aus dem Erzählgut erschlossenen Vorstellungen interpretierte. Eine der ältesten Abhandlungen über volkstümliche Vorstellungen aus einer keltischsprachigen Region verdankt die Forschung dem aus Aberfoyle in Perthshire gebürtigen Geistlichen Robert Kirk (1644-1692), dessen Aufzeichnungen allerdings erst 1815 von Sir Walter Scott und dann erneut 1893 von dem schottischen Folkloristen Andrew Lang unter dem heute gängigen Titel The Secret Commonwealth of Elves, Fauns and Fairies veröffentlicht wurden. Eine weitere Sammlung von Bräuchen aus dem gälischsprachigen Hochland veranstaltete Kirks jüngerer Zeitgenosse und Freund James Kirkwood (um 1650 - um 1708), dessen Aufzeichnungen Edward Lhuyd bei den Vorarbeiten zu seiner Archaeologia Britannica (1707) benutzte. Als einer der Begründer moderner volkskundlicher Forschung gilt der aus Newtown in Kildare gebürtige Thomas Keightley (1789-1872), dessen zweibändige Studie The Fairy Mythology (1828) noch im Erscheinungsjahr als Mythologie der Feen und Elfen vom Ursprunge dieses Glaubens bis auf die neuesten Zeiten in einer deutschen Übersetzung erschien. Weit verbreitet in keltischen Literaturwerken ist die Vorstellung einer „Anderswelt“ (otherworld) der Geister, Elfen oder Feen, wobei die im Deutschen bzw. Englischen übliche Bezeichnung allerdings auf der christlichen Vorstellung eines Gegensatzes zwischen „dieser“ sichtbaren und einer jenseitigen „anderen“ Welt beruhen dürfte. In den keltischen Sprachen spiegeln Begriffspaare wie irisch cenntar = Diesseits / alltar = Jenseits oder í-siu = hienieden / í-thall = drüben diesen Gegensatz. Bezeichnenderweise erscheinen diese Begriffspaare jedoch nur in einem christlichen Kontext, wohingegen die Welt der Geister in vorchristlichen Zusammenhängen im Irischen als síd und im Walisischen als Annwfn bezeichnet wird. Annwfn bezeichnet in den ältesten Texten teils eine Insel jenseits der von Menschen bewohnten Gegenden, teils ein Land unter der Erde, weshalb der Name in jüngeren Texten auch als Bezeichnung der christlichen Hölle gebraucht werden kann. Als síd bezeichnen irische Texte die unterirdischen Wohnsitze der Wesen, die in mythischer Vorzeit Irland bewohnt haben sollen. Man vermutete sie teils in natürlichen Bergen und Hügeln, teils in den künstlich aufgeschütteten Grabhügeln der vorkeltischen Bevölkerung Irlands. Deren Bewohner heißen daher Fir / Mná / Áes síde, „Männer / Frauen / Leute des síd“, oder auch einfach nur Síde. Davon abgeleitet ist die Vorstellung der banshee, einer geheimnisvollen Frau mit langen weißen Haaren, die durch laute Klagerufe in der Nähe eines Hauses den bevorstehenden Tod eines Familienmitglieds ankündigt. Die deutsche Übersetzung des Begriffs síde mit „Elf “ (männlich) oder „Fee“ (weiblich) ist rein konventionell, da der erste Begriff sich eigentlich auf germanische und der zweite auf lateinisch-romanische Vorstellungen bezieht. In Wales nennt man die Elfen Y Tylwyth Teg, „das Freundliche Volk“, was als Name jedoch erst seit dem späten 15. Jahrhundert bezeugt ist. Eine wichtige Rolle spielt im irischen mündlichen Erzählgut auch der leprechaun, der als flinker Zwerg oder Kobold <?page no="160"?> 154 Europäische Ethnologie ähnlich wie das deutsche Heinzelmännchen als freundlich helfender Hausgeist, aber auch als Hüter eines verborgenen Schatzes erscheint. Ebenso vielfältig und wandelbar in der Zeit wie die volkstümlichen Vorstellungen von hilfreichen und Schaden stiftenden Geistern ist auch das Brauchtum der einzelnen keltischsprachigen Länder. Gut erforscht und dokumentiert ist zum einen das jahreszeitliche Brauchtum, das sich an den hohen christlichen Festen, an unveränderlichen astronomischen Gegebenheiten wie etwa den Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen oder aber an den vom jeweiligen Klima abhängigen Gegebenheiten des agrarischen Jahres mit seinem Wechsel von Aussaat und Ernte orientiert. Darüber hinaus kennt man auch zahlreiche Bräuche, die das individuelle menschliche Leben von der Geburt über die Hochzeit bis zum Tod als Übergangsriten zur Bewältigung kritischer Stadien begleiten. Gut bezeugt und weit verbreitet ist schon in vorgeschichtlicher Zeit der Gebrauch Gefahren abwehrender Amulette und Glück bringender Talismane, ohne dass man eine Kontinuität bis in die historische Zeit im Einzelnen nachweisen könnte. Neuere Studien zu einzelnen Vorstellungskomplexen bieten Jacqueline Borsje, The Celtic Evil Eye and Related Mythological Motifs in Medieval Ireland (Leuven 2012), Mark Williams, Fiery Shapes: celestial portents and astrology in Ireland and Wales, 700-1700 (Oxford 2010), Bernard Mees, Celtic Curses (Woodbridge 2009), Richard Suggett, A History of Magic and Witchcraft in Wales (Stroud 2008), Dòmhnall Uilleam Stiùbhart (Hrsg.), The Life and Legacy of Alexander Carmichael (Port of Ness 2008), Ronald Black (Hrsg.), The Gaelic Otherworld (Edinburgh 2008), Anne O’Connor, The Blessed and the Damned: sinful women and unbaptised children in Irish folklore (Oxford 2005), Barbara Freitag, Sheelana-gigs (London 2004), Lizanne Henderson u. Edward J. Cowan, Scottish Fairy Belief: a history (East Linton 2001) und Patricia Lysaght, The Banshee, new, updated ed. (Dublin 1996). 6.4 Sprichwörter Einen aufschlussreichen Kontrapunkt zur Erforschung mündlich überlieferter Erzählungen sowie volkstümlicher Vorstellungen und Bräuche bildet die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprichwörtern, deren Aufschwung nicht mit dem der Romantik zusammenfällt, sondern bis zum Humanismus und darüber hinaus bis zur Antike zurückreicht. Zu den ältesten Hinweisen auf das Vorhandensein keltischer Sprichwörter zählt eine Bemerkung des irischen Geistlichen Muirchú, der im Vorwort seiner im späten 7. Jahrhundert verfassten Lebensbeschreibung des heiligen Patrick seine eigene Unzulänglichkeit angesichts der selbstgestellten Aufgabe „gemäß unserem Sprichwort“ (iuxta hoc nostrorum proverbium) mit dem Auftreten von Knaben bei einer Volksversammlung vergleicht. Ungefähr gleich alt ist eine Stelle in dem altirischen <?page no="161"?> Sprichwörter 155 „Gesetz Adomnáns“ (Cáin Adomnáin), in dem der Ausdruck Caín cech culén fo shaidh („Artig ist jedes Tierjunge unter seiner Mutter“) ausdrücklich als ein „Sprichwort“ (senfhocul) bezeichnet wird. In Irland begegnen solche lehrhafte Sentenzen, die nach Inhalt und Form unseren Sprichwörtern ähneln, in mehreren anonymen Sammlungen, die in unterschiedlichen Fassungen im Umlauf waren. Die nach Sprache, Form und Inhalt älteste dieser Sammlungen ist Audacht Morainn („Moranns Vermächtnis“), eine wohl im 8. Jahrhundert entstandene Zusammenstellung von Ratschlägen oder Anweisungen, die dem fiktiven literarischen Rahmen zufolge im frühen 1. Jahrhundert als Testament des weisen Rechtsgelehrten Morann für den König Feradach Find Fechtnach bestimmt waren. Nur wenig jünger ist die Sammlung Tecosca Cormaic („Cormacs Unterweisungen“), deren Sprüche dem weisen König Cormac mac Airt aus 3. Jahrhundert in den Mund gelegt werden. Der weise Fíthal, ein Rechtsgelehrter König Cormacs, gilt als Urheber der dritten großen Sammlung, Senbríathra Fíthail („Fíthals Sprüche“), die in verschiedenen Zusammenstellungen auch dem weisen Herrscher Flann Fína mac Ossu zugeschrieben wurden und daher auch als Bríathra Flainn Fhína bekannt sind. Anonym überliefert sind dagegen die wohl im 9. Jahrhundert aufgezeichneten „Irischen Triaden“ (Trecheng Breth Féne), die als Merksprüche je drei (oder sehr viel seltener auch zwei, vier oder sieben) Namen oder Begriffe unter einem gemeinsamen Oberbegriff zusammenfassen. Im Unterschied zu den „Irischen Triaden“ sind die in Handschriften des 13. und 14.-Jahrhunderts überlieferten walisischen „Triaden der Insel Britannien“ (Trioedd Ynys Prydein) fast ausschließlich dem einheimischen Sagengut gewidmet und enthalten dementsprechend keine sprichwortähnlichen Sentenzen. Ebenso fehlt in Wales das in Irland durch Audacht Morainn, Tecosca Cormaic und Senbríathra Fíthail vertretene Genre des „Fürstenspiegels“ (speculum principum). Stattdessen findet man dort lange Reihen von dreizeiligen, durch Endreim miteinander verbundenen Strophen (englynion, Singular: englyn), die allgemeine Aussagen über die belebte und unbelebte Natur mit sprichwortähnlichen, aus Erfahrung und Reflexion gewonnenen Sentenzen verbinden, einige wenige handschriftlich überlieferte Sammlungen von Sprichwörtern sowie sprichwortähnliche Sentenzen, die von den Dichtern in ihre Verse eingeflochten oder handelnden Personen einer Erzählung in den Mund gelegt wurden. Wie oft es sich dabei tatsächlich um Sprichwörter im Sinne volkstümlicher, formelhaft geprägter und allgemein bekannter Redensarten handelt, ist indessen schwer zu beurteilen. Schon in der vorchristlichen Antike hatten griechische Gelehrte umfangreiche Sprichwortsammlungen angelegt, die später immer wieder exzerpiert und kommentiert wurden. Ihnen folgten in der römischen Kaiserzeit mehrere Anthologien lateinischer Spruchweisheiten, moralischer Ratschläge und Lebensweisheiten, darunter die vermutlich im 3. Jahrhundert entstandenen Disticha Catonis, die im Mittelalter vielerorts als Schullektüre Verwendung fanden und in verschiedene Volkssprachen übersetzt wurden. Am Anfang <?page no="162"?> 156 Europäische Ethnologie der neuzeitlichen Sprichwortsammlungen stehen die Adagia des humanistischen Theologen, Philosophen und Philologen Erasmus von Rotterdam (um 1465-1536), eine erstmals 1500 veröffentlichte und danach immer wieder erweiterte Sammlung antiker Sprichwörter und sprichwörtlicher Redensarten mit ausführlichem Kommentar, die rasch zu einem der meistgelesenen Bildungsbücher des 16. und 17.- Jahrhunderts wurde. Angeregt durch den Erfolg dieser Sammlung, begannen im keltischsprachigen Raum zunächst die Waliser mit dem Druck von Sprichwortsammlungen. Bereits 1547 veröffentlichte William Salesbury das Büchlein Oll Synnwyr Pen Kembero Ygyd (wörtlich „Alle Sinne im Kopf eines Walisers“), eine alphabetisch geordnete Liste walisischer Sprichwörter. Eine sehr viel umfangreichere Sammlung des Philologen und Lexikographen Thomas Wiliems (um 1546-1622) blieb zwar ungedruckt, doch veröffentlichte John Davies in einem Anhang seines 1632 veröffentlichten Walisisch-Lateinischen Wörterbuchs erneut 13 Seiten mit walisischen Sprichwörtern in alphabetischer Anordnung. Ihm folgte 1659 der Dichter und Schriftsteller James Howell (1593-1666), dessen Lexicon Tetraglotton in einem Anhang 40 Seiten walisischer Sprichwörter mit englischen Übersetzungen enthielt. Eine damit vergleichbare zweisprachige Ausgabe walisischer Sprichwörter unternahm schließlich 1753 der walisische Geistliche Thomas Richards (1710-1790) in seinem Antiquae Linguae Britannicae Thesaurus. Nach Wales erhielt 1785 das gälischsprachige Schottland eine eigene Sprichwortsammlung. Ihr Urheber war Donald Macintosh (1743-1808) aus Orchilmore in Perthshire, der später als Geistlicher der Schottischen Episkopalkirche wirkte und für die Highland Society of Scotland das Amt eines Kurators und Übersetzers versah. In der 1881 von dem Advokaten und Journalisten Alexander Nicolson (1827-1893) neu bearbeiteten und stark erweiterten dritten Auflage ist A Collection of Gaelic Proverbs and Familiar Phrases bis heute die bekannteste und am weitesten verbreitete Zusammenstellung schottisch-gälischer Sprichwörter mit englischer Übersezung. Sie wird ergänzt durch einige weitere Sammlungen, so etwa die der Geistlichen Alexander Cameron (1827- 1888), Duncan M. Campbell (1854-1938) und Allan McDonald (1859-1905), die erst postum als Bücher veröffentlicht wurden. In Cornwall hatte bereits um die Mitte des 18.-Jahrhunderts der Natur- und Altertumsforscher William Borlase (1696-1772) mit der Aufzeichnung kornischer Sprichwörter begonnen, doch wurde seine Sammlung erst hundert Jahre später von seinem Urenkel William Copeland Borlase (1848-1899) veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war die keltische Sprache Cornwalls bereits ausgestorben, so dass keine nennenswerten Ergänzungen mehr zu erwarten waren. Etwas besser stand es um das Manx, die gälische Sprache der Insel Man. Dort hatte der Sprachforscher Archibald Cregeen (1774-1841) zahlreiche Sprichwörter (ohne Übersetzung) in sein 1835 veröffentlichtes Wörterbuch Manx- Englisch aufgenommen, das späteren volkskundlichen Studien als Grundlage diente. <?page no="163"?> Sprichwörter 157 Reicher, wenn auch später, war die Ausbeute der Sprichwortsammler in Irland, wo bereits 1831 der Bibliothekar und Schriftsteller James Hardiman (1782-1855) im zweiten Band seiner Irish Minstrelsy betitelten Sammlung irischer Lieder und Gedichte eine Liste von über 200 irischen Sprichwörtern abdruckte. Ihm folgten der katholische Geistliche Ulick Joseph Bourke (1829- 1887), der 1856 eine Reihe irischer Sprichwörter mit englischen Übersetzungen im Anhang seiner Grammatik des Irischen anführte, sowie der Sprach- und Altertumsforscher Robert Shipboy McAdam (1808-1895), der von 1856 bis 1862 knapp 600 Sprichwörter aus Ulster in dem von ihm gegründeten und herausgegebenen Ulster Journal of Archaeology veröffentlichte. Im 20. Jahrhundert erschienen, teilweise auf der Grundlage bereits gedruckter älterer Sammlungen, drei umfangreiche Monographien aus der Feder des Volkskundlers Énrí Ó Muirgheasa (1874-1945), des Keltologen Thomas Francis O’Rahilly (1883- 1953) und des Philologen und Lexikographen Tomás S. Ó Máille (1904-1990). Eine erste Sammlung bretonischer Sprichwörter in Buchform erschien 1878 auf der Grundlage von Beiträgen, die zuvor in der 1870 gegründeten Fachzeitschrift Revue celtique veröffentlicht worden waren. Wie in anderen Kulturen beziehen sich auch die in keltischen Sprachen überlieferten Sprichwörter auf fast alle Aspekte des menschlichen Lebens, die Reflexion und lehrhafter Kommentierung zugänglich sind. Manche Äußerungen begegnen daher genau so oder ganz ähnlich auch in anderen Sprachen und Kulturen Europas. Ein Teil dieser Übereinstimmungen beruht zweifellos darauf, dass allgemein menschliche Erfahrungen immer wieder zu ähnlichen Einsichten führten, die in der agrarisch geprägten vorindustriellen Gesellschaft immer wieder mit gleichen oder ähnlichen bildhaften Wendungen ausgedrückt wurden. Bei vielen auffällig ähnlichen Parallelen ist jedoch darüber hinaus damit zu rechnen, dass Sprichwörter auf mündlichem oder schriftlichem Wege wanderten und dabei von der einen Sprache in die andere übersetzt wurden. Eine wichtige Rolle spielten in diesem Zusammenhang die christlichen Religion und die antike Philosophie, deren jeweiliges Spruchgut sich schon im Frühen Mittelalter mit der Übernahme des lateinischen Alphabets und dann noch einmal im Zeitalter des Humanismus mit der Einführung des Buchdrucks bemerkbar machte. Im Übrigen zeigen die keltischen Sprichwörter - im Einklang mit ihrer höchst unterschiedlichen Herkunft - natürlich auch vielfältige Unterschiede des Standpunkts, der Wahrnehmung und des Urteils. In formaler Hinsicht unterscheiden sich Sprichwörter von Aussagen der Alltagssprache in der Regel durch prägnante Kürze und eine pointierte Ausdrucksweise, die gerne Bildhaftigkeit und Besonderheiten des Klangs miteinander verbindet. In den keltischen Sprachen ermöglichen das Fehlen eines unbestimmten Artikels, das weitgehende Fehlen des bestimmten Artikels vor abstrakten Begriffen sowie die Möglichkeit des Fortfalls der Kopula („ist“, „sind“) als Bindeglied zwischen Subjekt und Prädikat eine Kürze, die <?page no="164"?> 158 Europäische Ethnologie man im Deutschen nur selten nachahmen kann. Wo die Gleichsetzung oder Gegenüberstellung zweier Begriffe nicht angezeigt erscheint, stellt oftmals ein einziges weiteres Wort die Beziehung zwischen ihnen her. Besonders häufig sind dabei Sprichwörter, die zwei Begriffe oder Aussagen als „(nicht) besser“ oder „(nicht) schlechter“ aufeinander beziehen oder einen Sachverhalt als Folge eines anderen („X schafft / erzeugt Y“) darstellt. Daneben begegnen etwas umfangreichere Wendungen, die zwei Sachverhalte einander dadurch gegenüberstellen, dass sie in parallel gebauten Aussagen gegensätzliche Begriffe verwenden oder aber nach Einführung einer Negation Subjekt und Prädikat vertauschen. Seine charakteristische Abgrenzung von den Aussagen der Alltagssprache erreicht das Sprichwort außer durch seine Kürze nicht selten durch eine ungewöhnliche Wortstellung, die dem darin ausgesprochenen Gedanken durch die Hervorhebung eines einzelnen Satzglieds besonderen Nachdruck verleiht. In einer Übersetzung nur unvollkommen wiederzugeben ist schließlich auch der charakteristische Klang eines Sprichworts, der sich aus der Abfolge betonter und unbetonter Silben und der Verwendung von Wörtern mit gleichem Anfang oder gleicher Endung ergibt. Eine untergeordnete Rolle spielt dabei der Endreim; sehr viel häufiger ist die Alliteration oder der Stabreim, zumal die meisten irischen und zweisilbigen walisischen Wörter auf der ersten Silbe betont werden. Ein allgemeines Kennzeichen keltischer Sprichwörter ist indessen ihre reich entwickelte und anschauliche Bilderwelt, was ihre kulturspezifische Eigenart und ihren besonderen Reiz ausmacht. Die Beobachtung des Meeres, der Seefahrt und der Gezeiten, der Tier- und Pflanzenwelt in einer kargen Landschaft sowie die Erfahrungen des Ackerbaus und der Viehzucht spiegeln sich in diesen Sprichwörtern, die in vielen Einzelheiten - wie etwa der Erwähnung von Last- und Zugtieren oder von Furten statt Brücken - noch ihren Ursprung in einer vorindustriellen Gesellschaft erkennen lassen. Bernhard Maier, Die Weisheit der Kelten: Sprichwörter aus Irland, Schottland, Wales und der Bretagne (München 2011), Wolfgang Mieder (Hrsg.), International Bibliography of Paremiology and Phraseology, zwei Bände (Berlin 2009), Art J. Hughes, Robert Shipboy MacAdam (1808-95): his life and Gaelic proverb collection (Belfast 1998). 6.5 Materielle Kultur Die traditionelle Verwurzelung der Keltologie in den akademischen Disziplinen der Historisch-Vergleichenden Sprachwissenschaft und der Philologie brachte es mit sich, dass die Beschäftigung mit der materiellen Kultur der keltischsprachigen Regionen weitgehend außerhalb ihres Gegenstandsbereichs lag. Dies rührte nicht zuletzt auch daher, dass die materielle Kultur der keltischsprachigen Regionen in der Neuzeit einen ausgeprägt regionalen Charakter trug, dessen besondere Merkmale weder mit den jeweiligen keltisch- <?page no="165"?> Materielle Kultur 159 außerkeltischen Sprachgrenzen zusammenfielen noch - wie bei den einzelnen keltischen Sprachen - auf eine vorgeschichtliche gemeinsame Grundlage zurückgeführt werden konnten. Die Erforschung solcher Bereiche wie etwa des Boot- oder Hausbaus, der Kleidung, der Landwirtschaft oder der Fischerei erfolgte daher zumeist in einer lokalen, regionalen oder allenfalls nationalen Perspektive. Einen Bezug zur Keltologie hatte in diesem Rahmen oft nur die Dokumentation des darin üblichen traditionellen Wortschatzes, dessen Erforschung jedoch gegenüber soziologischen und historischen Fragestellungen eine eher untergeordnete Rolle spielte. Wenn daher Erzeugnisse eines oftmals vor Ort als „keltisch“ bezeichneten Kunsthandwerks, wie sie namentlich in den heute oder vormals keltischsprachigen Regionen auf den Britischen Inseln anzutreffen sind, das Vorhandensein einer gemeinsamen „keltischen“ Grundlage suggerieren, so ist dieser Anschein durchaus irreführend, denn zum einen sind diese Gegenstände überwiegend oder fast ausschließlich für den Export bzw. die touristischen Besucher der betreffenden Regionen bestimmt, und zum anderen kann man ihre Geschichte - ähnlich der des Weihnachtsmanns im roten Mantel oder der Schwarzwälder Kirschtorte - oft nur über wenige Generationen in die Vergangenheit zurückverfolgen. In vieler Hinsicht liegen ihre Ursprünge weniger in den regionalen Traditionen der betreffenden vorindustriellen ländlichen Gesellschaften, als vielmehr in der gleichsam artifiziellen Neubelebung künstlerischer Traditionen des Mittelalters von seiten einer städtisch geprägten bürgerlichen Oberschicht. Hinzu kommt, dass der auf den Britischen Inseln gängige „keltische“ Kunststil, wie er schon im Frühmittelalter etwa in den Malereien des Book of Kells oder in der Ornamentik der sogenannten Tara-Fibel erscheint, nur teilweise keltischen Ursprungs ist und in der heute geläufigen Form - etwa im Vorherrschen der Flechtbandornamentik - in gleichem Maße auch die germanische, namentlich angelsächsische Kunst der Völkerwanderungszeit widerspiegelt. Zum Weiterleben des „keltischen“ Kunststils im insularen Mittelalter vgl. Bernard Meehan, Book of Kells: das Meisterwerk keltischer Buchmalerei (Freiburg 2012) und Colum Hourihane (Hrsg.), Insular and Anglo-Saxon: art and thought in the early medieval period (Princeton, NJ 2011). Zur materiellen Kultur keltischsprachiger Regionen in der Neuzeit vgl. beispielhaft Eurwyn Williams, The Welsh Cottage: building traditions of the rural poor, 1750-1900 (Aberystwyth 2010), Críostóir Mac Cárthaigh (Hrsg.), Traditional Boats of Ireland (Cork 2008), Peter Lord, The Visual Culture of Wales: industrial society (Cardiff 1998) und John Harvey, The Art of Piety: the visual culture of Welsh nonconformity (Cardiff 1995). <?page no="166"?> 160 Europäische Ethnologie 6.6 Folklorismus und Imagologie In einem größeren Rahmen betrachtet, steht die soeben erwähnte Kommerzialisierung eines nur vermeintlich „keltischen“ Kunsthandwerks im Zusammenhang mit dem seit den 1960er Jahren diskutierten Phänomen des Folklorismus im Sinne einer namentlich für die Zwecke der Werbung und des Tourismus gepflegten „Volkskultur aus zweiter Hand“. Dabei führte die Beobachtung tatsächlicher oder vermeintlicher Diskrepanzen zwischen vorgeblich „ursprünglichen“ oder „authentischen“ volkstümlichen Traditionen und deren spielerischer oder kommerzieller Abwandlung von seiten einer anderen Gesellschaftsschicht immer wieder zum Vorwurf der absichtlichen Täuschung oder Fälschung, wie er etwa in der Verwendung des Kunstwortes Fakelore anstelle des im 19.-Jahrhunderts geprägten Kunstwortes Folklore zum Ausdruck kommt. Von besonderem Interesse ist die Debatte über diese Fragen nicht zuletzt für die Imagologie oder interkulturelle Hermeneutik, also der Erforschung unserer stereotypen Bilder einer fremden - im konkreten Fall: der keltischen - Kultur, deren Analyse nicht nur das Verständnis der betreffenden fremden, sondern auch der eigenen Kultur fördern kann. In historischer Perspektive fußt unser heutiges Bild der keltischen Kultur zunächst auf der antiken Sicht der Kelten, wie sie in den Werken der griechisch-römischen Ethnographie und Geschichtsschreibung zum Ausdruck kommt. Zu den bereits hier erkennbaren Facetten des modernen Keltenbilds gehört einerseits die in moralisierender Absicht durchgeführte Idealisierung, andererseits die aus Gründen der politischen oder militärischen Propaganda vorgenommene negative Karikierung. In ganz ähnlicher Weise erscheint später auch das mittelalterliche Irland - das freilich erst seit der frühen Neuzeit als „keltisches“ Land wahrgenommen wurde - in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung entweder als moralisch vorbildliche „Insel der Heiligen“ oder umgekehrt als kolonisierungs- und zivilisierungsbedürftiges Rückzugsgebiet. Gemeinsamer Nenner der antiken wie auch der mittelalterlichen Sichtweise ist ein als Konsens vorausgesetzter und unreflektierter Ethnozentrismus, der die keltische Kultur als die der „anderen“ nicht an deren, sondern an den eigenen Maßstäben misst und beurteilt. Dabei gelten die Kulturen der keltischsprachigen Regionen seit dem Erstarken der zentralistisch regierten schottischen, englischen und französischen Königreiche im Späten Mittelalter in zunehmendem Maße als Randkulturen, die man unter Rückgriff auf ein Klischee der antiken Ethnographie als eine Art Museum von Erscheinungen aus vergangenen Kulturstufen betrachtet. Schon im Zeitalter des Humanismus begegnet in Frankreich die Vorstellung von den Galliern als Vorfahren der Franzosen, bei deren Entstehung und Ausgestaltung auch die spezifisch christliche Sicht der Geschichte als einer zielgerichteten, sinnvollen Entwicklung nach dem Schema von Verheißung und Erfüllung eine Rolle spielte. Ausgehend von den insgesamt spärlichen und teilweise widersprüchlichen Aussagen der <?page no="167"?> Folklorismus und Imagologie 161 als normativ erachteten antiken Autoren wurden dabei relativ beliebige politische, philosophische, gesellschaftliche und religiöse Wunschvorstellungen in die vorrömische oder vorchristliche Vergangenheit zurückgespiegelt. Weitreichenden Einfluss erlangte im 17. und 18. Jahrhundert die irrtümliche Zuweisung stein- und bronzezeitlicher Grabanlagen und Kultstätten an die Druiden, wie man sie namentlich im Werk der Altertumsforscher John Aubrey (1626-1697), Henry Rowlands (1655-1723) und William Stukeley (1687-1765) findet. Die daraus abgeleiteten Vorstellungen eines besonders urtümlichen Charakters der antiken keltischen Kultur fanden eine zusätzliche Stütze in der Begeisterung des ausgehenden 18. und frühen 19.- Jahrhunderts für die vermeintlich ebenfalls urtümliche Ossian-Dichtung, obschon die betreffenden Texte mit den zu jener Zeit noch kaum bekannten keltischen Literaturen wenig zu tun hatten. Eine genauere Kenntnis der verschiedenen keltischen Kulturen und eine angemessene chronologische Differenzierung zwischen unterschiedlichen Zeitstufen ermöglichte erst der Aufschwung der sprachwissenschaftlich-philologischen Keltologie und der Archäologie in der zweiten Hälfte des 19.- Jahrhunderts. Eine wichtige Rolle spielte dabei jedoch auch der nach den Napoleonischen Kriegen allenthalben in Europa zunehmende Nationalismus. So etwa forderte der englische Literaturkritiker Matthew Arnold (1822-1888) das universitäre Studium der historischen keltischen Literaturen, weil er das keltische Wesen neben dem angelsächsischen und dem normannischen als eine der drei wichtigen Komponenten des englischen Nationalcharakters betrachtete. Umgekehrt berief man sich in Irland, Wales und Schottland auf die jeweiligen keltischen Literaturen, um sich von der wirtschaftlich und politisch dominanten englischsprachigen Kultur abzugrenzen. Eine wichtige Rolle spielte der Rückgriff auf das keltische Erbe oder was man dafür hielt auch in Frankreich, wo man sich namentlich seit dem verlorenen Deutsch-Französischen Krieg 1870/ 71 verstärkt auf die Gallier berief, um sich von den Deutschen als den vermeintlichen Nachfahren der Germanen abzuheben. Eine glänzende Parodie auf die dabei üblichen Konventionen liefert seit 1959 die Comic-Serie Asterix von René Goscinny (1926-1977) und Albert Uderzo (*1927). Von den geistesgeschichtlichen Entwicklungen des 18. und 19.- Jahrhunderts unmittelbar abhängig ist einerseits die bereits an anderer Stelle besprochene Rezeption einer vermeintlich typisch keltischen Religiosität oder Spiritualität von seiten der modernen Esoterik, andererseits die politische Vereinnahmung der Kelten für die Idee der europäischen Einheit, wie sie insbesondere seit den frühen 1990er Jahren immer wieder zu beobachten ist. Zur Rezeption der antiken Kelten in der französischen Kunst des 19.-Jahrhunderts vgl. den Ausstellungskatalog Tumulte gaulois: representations et réalités (Lyon 2014). Zu Irland vgl. Dawn Duncan, Irish Myth, Lore and Legend on Film (Oxford 2012), Pádraic Frehan, Education and Celtic Myth: national self-image and schoolbooks in 20 th century Ireland (Amsterdam 2012), Clare O’Halloran, <?page no="168"?> 162 Golden Ages and Barbarian Nations: antiquarian debate and cultural politics in Ireland, c. 1750-1800 (Cork 2004) und Damien Murray, Romanticism, Nationalism and Irish Antiquarian Societies, 1840-80 (Maynooth 2000). Zum gälischsprachigen Schottland vgl. Kenneth McNeil, Scotland, Britain, Empire: writing the Highlands, 1760-1860 (Columbus, Ohio 2007), Krisztina Fenyő, Contempt, Sympathy and Romance: Lowland perception of the Highlands and the clearances during the Famine years, 1845-1855 (East Linton 2000) und Robert Clyde, From Rebel to Hero: the image of the Highlander 1745-1830 (East Linton 1995). Zu Wales vgl. Gwyneth Tyson Roberts, The Language of the Blue Books: Wales and colonial prejudice (Cardiff 2011) und Audrey L. Becker u. Kristin Noone (Hrsg.), Welsh Mythology and Folklore in Popular Culture (London 2011). <?page no="169"?> Anhang 1. Verzeichnis neuerer keltologischer Festschriften Der Inhalt der folgenden Festschriften vermittelt - in Verbindung mit den aktuellen Beiträgen in keltologischen Fachzeitschriften (s. u. 2.) - einen Eindruck vom heutigen Stand und den derzeitigen Schwerpunkten der keltologischen Forschung. John Carey, Kevin Murray u. Caitríona Ó Dochartaigh (Hrsg.), Sacred Histories: A Festschrift for Máire Herbert (Aberystwyth 2014). Georgia Henley u. Paul Russell (Hrsg.), Rhetoric and Reality in Medieval Celtic Literature: studies in honor of Daniel F. Melia (Hamilton, New York 2014). Aidan Doyle u. Kevin Murray (Hrsg.), In Dialogue with the Agallamh: essays in honour of Seán Ó Coileáin (Dublin 2014). Anders Ahlqvist u. Pamela O’Neill (Hrsg.), Celts and their Cultures at home and abroad: a Festschrift for Malcolm Broun (Sydney 2013). Sarah Sheehan, Joanne Findon u. Westley Follett (Hrsg.), Gablánach in Scélaigecht: Celtic studies in honour of Ann Dooley (Dublin 2013). Dónall Ó Baoill (Hrsg.), Saltair saíochta, sanasaíochta agus seanchais: a festschrift for Gearóid Mac Eoin (Dublin 2013). Cathinka Hambro u. Lars Ivar Widerøe (Hrsg.), Lochlann: festskrift til Jan Erik Rekdal på 60-Årsdagen (Oslo 2013). Seán Duffy (Hrsg.), Princes, Prelates and Poets in Medieval Ireland: essays in honour of Katharine Simms (Dublin 2013). Fiona Edmonds u. Paul Russell (Hrsg.), Tome: studies in medieval Celtic history and law in honour of Thomas Charles-Edwards (Woodbridge 2011). Franziska Bock, Dagmar Bronner u. Dagmar Schlüter (Hrsg.), Allerlei Keltisches: Studien zu Ehren von Erich Poppe (Berlin 2011). Wilson McLeod u. a. (Hrsg.), Bile ós Chrannaibh: a festschrift for William Gillies (Ceann Drochaid, Perthshire 2010). Gaël Hily (Hrsg.), Deuogdonion: mélanges offerts en l’ honneur du professeur Claude Sterckx (Rennes 2010). Gisbert Hemprich (Hrsg.), Festgabe für Hildegard L. C. Tristram (Berlin 2009). Sharon Arbuthnot u. Kaarina Hollo (Hrsg.), Fil súil nglas - A Grey Eye Looks Back: a festschrift in honour of Colm Ó Baoill (Ceann Drochaid, Perthshire 2007). Bernadette Smelik (Hrsg.), A Companion in Linguistics: a festschrift for Anders Ahlqvist on the occasion of his sixtieth birthday (Münster 2005). John Carey u. a. (Hrsg.), Cín Chille Cúile - Texts, Saints and Places: essays in honour of Pádraig Ó Riain (Aberystwyth 2004). Séamas Ó Catháin (Hrsg.), Northern Lights: following folklore in north-western Europe; aistí in adhnó do Bho Almqvist (Dublin 2001). Jean-Michel Picard u. Michael Richter (Hrsg.), Ogma: essays in Celtic studies in honour of Próinséas Ní Chatháin (Dublin 2001). <?page no="170"?> 164 Anhang John Carey u. a. (Hrsg.), Ildánach ildíreach: a festschrift for Proinsias Mac Cana (Andover 1999). 2. Verzeichnis keltologischer Fachzeitschriften Aiste: Rannsachadh air Litreachas Gàidhlig (2007 ff.). Archaeologia Cambrensis (1846 ff.). Béaloideas: the journal of the Folklore of Ireland Society (1927 ff.). Bulletin of the Board of Celtic Studies (1921-1992). Cambrian Medieval Celtic Studies (1993 ff., 1981-1992 Cambridge Medieval Celtic Studies). Celtica: Journal of the School of Celtic Studies (1946 ff.). Cornish Studies (1973 ff.). Éigse: A Journal of Irish Studies (1939 ff.). Emania: Bulletin of the Navan Research Group (1986 ff.). Ériu (1904 ff.). Études celtiques (1936 ff., 1870-1936 Revue celtique). Journal of Celtic Linguistics (1992 ff.). Journal of Celtic Studies (1949 ff.). Journal of the Royal Society of Antiquaries of Ireland (1846 ff.). Keltische Forschungen (2006 ff.). Léachtaí Cholm Cille (1970 ff.). Lochlann: A Review of Celtic Studies (1958-1974). Ogam: Bulletin des Amis de la Tradition Celtique (1948-1984). Peritia: Journal of the Medieval Academy of Ireland (1982 ff.). Proceedings of the Harvard Celtic Colloquium (1981 ff.). Proceedings of the Royal Irish Academy (1936 ff.). Revue celtique s. Études celtiques. Scottish Gaelic Studies (1926 ff.). Studia Celtica (1966 ff.). Studia Hibernica (1961 ff.). Welsh History Review (1960 ff.). Zeitschrift für celtische Philologie (1897 ff.). 3. Liste der im Internet verfügbaren Hilfsmittel für das Studium (Auswahl) 3.1 Hilfsmittel für das gesamte Gebiet der Keltologie http: / / www.vanhamel.nl/ wiki/ About: *selgā Katalog zu Texten, Handschriften und wissenschaftlicher Sekundärliteratur. <?page no="171"?> Anhang 165 https: / / archive.org Digitale Bibliothek mit zahlreichen deutsch- und englischsprachigen Werken aus dem Bereich der Keltologie, vor allem älteren Datums. 3.2 Bibliographien http: / / celtic.cmrs.ucla.edu/ csana/ csanabib.html Umfangreiche keltologische Bibliographie der „Celtic Studies Association of North America“. http: / / bill.celt.dias.ie „Bibliography of Irish Linguistics and Literature“: Umfangreiche internationale Bibliographie zur irischen Sprach- und Literaturgeschichte. http: / / iho.ie „Irish History Online“: Bibliographie zur Geschichte Irlands. 3.3 Hilfsmittel für das Studium des Alt-, Mittel- und Neuirischen http: / / ww.irishdictionary.ie Wörterbuch Neuirisch - Englisch und Englisch - Neuirisch. http: / / www.potafocal.com Wörterbuch Neuirisch - Englisch. http: / / edil.qub.ac.uk Historisches Wörterbuch des Alt- und Mittelirischen. http: / / www.univie.ac.at/ indogermanistik/ milan_glosses.htm Neuausgabe der altirischen Mailänder Glossen mit englischer Übersetzung. http: / / www.asnc.cam.ac.uk/ irishglossaries/ Datenbank mit Informationen zu den wichtigsten mittelalterlichen irischen Glossaren. http: / / www.isos.dias.ie „Irish Script on Screen“: Umfangreiche Sammlung von Digitalisaten mittelalterlicher irischer Handschriften. http: / / www.uni-due.de/ FnG/ „Fuaimeanna na Gaeilge - The Sounds of Irish“: Website zur Aussprache und den Dialekten des Irischen mit zahlreichen Hörbeispielen. http: / / www.ucc.ie/ celt/ „Corpus of Electronic Texts“: Quellentexte zur irischen Geschichte und Kultur in irischer, lateinischer, anglonormannischer und englischer Sprache, im Original und / oder in englischer Übersetzung. <?page no="172"?> 166 Anhang 3.4 Hilfsmittel für das Studium des Schottisch-Gälischen http: / / www.gaidhlig.org.uk/ bord/ en/ our-work/ education/ resources.php Verzeichnis hilfreicher Websites für das Studium des Schottisch-Gälischen. http: / / www.smo.uhi.ac.uk/ gaidhlig/ ionnsachadh/ Verzeichnis der online verfügbaren Materialien zum Erlernen des Schottisch- Gälischen. http: / / www.faclair.info Wörterbuch Schottisch-Gälisch - Englisch und Englisch - Schottisch-Gälisch. http: / / digital.nls.uk/ early-gaelic-book-collections/ Umfangreiche Sammlung von Primärquellen und Sekundärliteratur vor allem auf dem Gebiet der schottisch-gälischen Sprache, Literatur und Ethnologie. http: / / www.tobarandualchais.co.uk „Tobar an Dualchais - Kist o Riches“: Website mit umfangreichem Material zur schottischen Ethnologie, darunter zahlreiche Tondokumente in schottischgälischer Sprache. 3.5 Hilfsmittel für das Studium des Walisischen http: / / www.saysomethingin.com/ welsh/ „Say Something in Welsh“: Online-Sprachkurs für Anfänger. http: / / www.geiriaduracademi.org „Geiriadur yr Academi“: Wörterbuch Englisch - Walisisch. http: / / www.geiriadur.ac.uk „Geiriadur Prifysgol Cymru“: Historisches Wörterbuch Walisisch - Englisch. http: www.gweiadur.com „Y Gweiadur“: Wörterbuch Walisisch - Englisch und Englisch - Walisisch mit Hinweisen zum Sprachgebrauch. http: / / www.rhyddiaithganoloesol.caerdydd.ac.uk Transkripte von ca. 140 mittelkymrischen Prosatexten aus dem Zeitraum 1300- 1425. http: / / www.dafyddapgwilym.net Website zu Leben und Werk des walisischen Nationaldichters Dafydd ap Gwilym (um 1320 - um 1370) mit einer kommentierten zweisprachigen Ausgabe seiner Gedichte und Hintergrundinformationen zu Leben und Werk. http: / / www.gutorglyn.net Website zum Werk des Dichters Guto’r Glyn (um 1435 - um 1493) mit einer kommentierten zweisprachigen Ausgabe seiner Gedichte und umfangreichem Material zum kulturgeschichtlichen Hintergrund. <?page no="173"?> Register Aus Platzgründen und der besseren Übersichtlichkeit halber beschränken sich die folgenden Register auf eine Auswahl der wichtigsten Stichwörter und verzichten auf die vollständige Anführung all jener Stellen, an denen ein Stichwort nur beiläufig erwähnt wird. Der bestimmte Artikel (altirisch in[d/ t], walisisch y[r], französisch le usw.) wurde bei der alphabetischen Einordnung außer Acht gelassen. Personenregister Abeozen s. Eliès, François Adamnán 130 Agricola, Gnaeus Iulius 40 Ahlwardt, Wilhelm 113 Alain I. 57 Alain II. 57 Alasdair Mac Mhaighstir Alasdair 96 Alexander der Große 32, 108 Aneirin 99 f. Aoife 42 d’Arbois de Jubainville, Henri 5 Arnold, Matthew 161 Arthur 102, 108, 110 f., 114, 115 Artus s. Arthur Asterix 161 Aubrey, John 161 Bateman, Meg 97 Beda Venerabilis 110 Beuno, heiliger 130 Binchy, Daniel Anthony 148 Blackie, John Stuart 74 Blair, Hugh 112, 147 Bláthmac mac Con Brettan 88 Bopp, Franz 4 Borlase, William 156 Borlase, William Copeland 156 Boudicca 40 Bourke, Ulick Joseph 157 Brendanus 109, 114 Brian Boru 42, 150 Brigit 128 Brizeux, Auguste 106 Buchanan, Dugald 96 Buchanan, George 4 Bunting, Edward 150 Butt, Isaac 44 Cadic, François 147 Cadog, heiliger 130 Cadwallon ap Cadfan 52 Caesar, Gaius Iulius 3, 13, 24, 33, 36 ff., 40, 63, 83, 123 ff. Calder, George 74 Calloc’h, Jean-Pierre 106 Cambry, Jacques 8, 79 Cameron, Alexander 156 Campbell, Angus Peter 97 Campbell, Duncan M. 156 Campbell, John Francis 146 Campbell, John Gregorson 147 Campbell, John Lorne 151, 152 Carmichael, Alexander 147 Carney, James 148 Carr-Gomm, Philip 141 Carswell, John 109 Ceiriog s. Hughes, John Chrétien de Troyes 111 Clarke, Austin 114 Clársair Dall s. Morison, Roderick Cogitosus 128 Collinson, Francis 151 Columba 88, 128 f. Columbanus 132 Colum Cille s. Columba Conchobor mac Nessa 88 <?page no="174"?> 168 Register Conn Cétchathach 89 Cormac mac Airt 89, 155 Cregeen, Archibald 156 Croker, Thomas Crofton 146 Cromwell, Oliver 43 Cú Chulainn 88 Cunedda 52 Curtin, Jeremiah 146 Cynddelw Brydydd Mawr 100 Dafydd ab Edmwnd 101 Dafydd ap Gwilym 100 f., 166 Dallán Forgaill 88, 130 David, heiliger 130 Davies, John 55, 77, 103, 156 Davies, Pennar 105 Davies, Richard 103 Déchelette, Joseph 7 Deiniol, heiliger 130 Delargy s. Ó Duilearga, Séamus de Paor, Louis 92 Dermot Mac Murrough s. Diarmait Mac Murchada Diarmait Mac Murchada 42 Dicuil 133 Dillon, Myles 148 Diodor von Sizilien 3, 83, 123, 149 Dionysios I. von Syrakus 31 Drexel, Friedrich 120 Drézen, Youann 107 Dubricius, heiliger 130 Dumézil, Georges 142 Duncan, John 113 Dungal von Bobbio 133 Duval, Anjela 107 Eames, Marion 105 Ebrard, August 113 Edwards, Charles 103 Edwards, Lewis 104 Edwards, Owen Morgan 77 Eilhart von Oberge 112 Eliès, François 107 Ellis, Islwyn Ffowc 105 Emrys ap Iwan s. Jones, Robert Ambrose Ennis, Séamus 151 Ephoros von Kyme 31 Erispoë 56 Eriugena s. Johannes Scottus Eriugena Evans, Gwynfor 55 Evans, Theophilus 103 Falc’hun, François 78 Faragher, Edward s. Neddy Beg Hom Ruy Ferguson, Samuel 114 Fi(o)nn mac Cum(h)aill 89 f., 95 Fleischmann, Aloys 151 Gallus, heiliger 133 Gardner, Gerald Brousseau 140 Gearóid Iarla 109 Geoffrey von Monmouth 110 Germanus von Auxerre 130 Gerven, Yann 107 Gildas 110 Gonidec, Jean-François Le 79 Goodman, James 151 Gottfried von Straßburg 112 Gregory, Lady Augusta 114 Griffiths, Ann 104 Gruffudd ap Maredudd ap Dafydd 100 Gruffydd ap Llywelyn 52 Gruffydd, William John 104 Guest, Lady Charlotte 77, 101 Guto’r Glyn 101, 166 Gwyndaf, Robin 148 Gwyn, Robert 103 Hadrian IV. 42 Hardiman, James 157 Hartmann von Aue 111 Hay, George Campbell 97 Heinrich II. von England 42, 57, 111 Heinrich VII. von England 48, 53 Heinrich VIII. von England 42, 54 Hekataios von Milet 3 Heledd 100 Hélias, Pêr-Jakez 107 Hemon, Roparz 79, 107 Henderson, George 74 Herodot von Halikarnassos 3, 28 <?page no="175"?> Personenregister 169 Hersart de la Villemarqué, Théodore 106 f., 147 Hiddesley, Mark 109 Hildebrand, Hans 6 Hopwood, Mererid 105 Howell, James 156 Hugh de Lacy 42 Hughes, John 104 Hugh O’Neill 43 Hugh Roe O’Donnell 43 Hyde, Douglas 71, 91 Hywel ab Owain Gwynedd 109 Hywel ap Cadell (Hywel Dda) 52 Iain Lom 95 Iarlles y Ffynnawn 102 Illtud, heiliger 130 Inisan, Alain-Marie 106 Iolo Goch 101 Iolo Morganwg s. Williams, Edward Islwyn s. Thomas, William Ivonet Omnes 106 Jackson, Kenneth Hurlstone 148 Jacobs, Joseph 146 Jakob II. von England 43, 48 f., 90 Jenner, Henry 80 Johannes Scottus Eriugena 133 Johnson, James 151 Jones, John s. Morris-Jones, John Jones, Owen 77 Jones, Robert Ambrose 104 Jones, Thomas Gwynn 104 Jones, William 4 Karl der Große 56 Keating, Geoffrey 90 Keightley, Thomas 153 Kennedy-Fraser, Marjory 114, 151 Kennedy, Patrick 146 Kentigern 129 Kilian, heiliger 133 Kirk, Robert 153 Kirkwood, James 153 Knox, John 48 Kossack, Georg 6 Kuhn, Adalbert 5 Lagadeuc, Jehan 79 Lainé, Célestin 59 Layamon 111 Lewis, Saunders 55, 105 Lewys Glyn Cothi 101 Lhuyd, Edward 4, 153 Llwyd, Morgan 103 Llywarch Hen 100 Llywelyn ap Gruffudd 53 Llywelyn ap Iorwerth 53 Luzel, François-Marie 147 Mac an t-Saoir, Donnchadh Bàn 96 MacCodrum, Iain 96 MacDonald, Alexander s. Alasdair Mac Mhaighstir Alasdair Mac Gabhann, Micí 91 MacGill-Eain, Tormod 97 Mac Grianna, Seosamh 91 MacHale, John 91 Macintosh, Donald 156 Macintyre, Duncan Bàn s. Mac an t-Saoir, Donnchadh Bàn MacKinnon, Donald 5, 74 MacLean, Calum 147 MacLean, Magnus 74 MacLean, Sorley 97 f. Macleod, Fiona s. Sharp, William MacLeod, Kenneth 151 MacLeod, Norman 97 MacNeill, Eoin 71 Macpherson, James 79, 112 f. Mac Piarais s. Pearse, Patrick Henry Mac Síomóin, Tomás 92 Maddrell, Edward 74 Madeg, Mikael 107 Maelgwn Gwynedd 52 Malmanche, Tanguy 106 Marcellus Empiricus 65 Marie de France 111, 115 Marstrander, Carl 75 Matheson, Angus 74 Maunoir, Julien 79 McAdam, Robert Shipboy 157 <?page no="176"?> 170 Register McDonald, Allan 156 Meyer, Kuno 5, 74 Mhac an tSaoi, Máire 92 Moore, Arthur William 75 Mordiern, Meven s. Roux, René le Morgan, William 103 Morison, Roderick 95 Morris-Jones, John 104 Mortillet, Gabriel de 7 Muirchú 127, 154 Mungo, heiliger 129 Murray, Lady Evelyn Stewart 147 Myles na gCopaleen s. O’Nolan, Brian Nance, Robert Morton 80 f. Napoleon Bonaparte 58, 79 Neddy Beg Hom Ruy 98 Némo, Louis-Paul s. Hemon, Roparz Nichols, Ross 140 Nicolson, Alexander 156 Ní Dhomhnaill, Nuala 92 Ní Ghríofa, Doirean 92 Ninian, heiliger 129 Nominoë 56 O’Brien, Flann s. O’Nolan, Brian Ó Cadhain, Máirtín 92 Ó Conaire, Pádraic 91 O’Connell, Daniel 44 Ó Criomhthain, Tomás 91 O’Curry, Eugene 71 Ó Díreáin, Máirtín 92 O’Donovan, John 71 Ó Duilearga, Séamus 146 Oengus mac Oengobann 88 O’Grady, Standish James 114 Ó Grianna, Séamus 91 O’Growney, Eugene 71 Ó hEochaidh, Seán 146 Oisín 89 Ó Laoghaire, Peadar 91 Ó Máille, Tomás S. 157 Ó Muirgheasa, Énrí 157 O’Neill, Francis 150 O’Nolan, Brian 91 O’Rahilly, Thomas Francis 157 Ó Riada, Seán 151 Ó Ríordáin, Seán 92 Oscar 89 Ó Searcaigh, Cathal 92 Ossian 79, 112 f., 115, 145, 161 Ó Súilleabháin, Muiris 91 Ó Tuairisc, Eoghan 92 Owain Glyndŵr 53 Owen, Daniel 104 Palladius 127 Pantycelyn s. Williams, William Parnell, Charles Stewart 44 Parry, Richard 103 Parry, Robert Williams 104 Parry-Williams, Thomas Herbert 104 Patrick, heiliger 89, 127, 128, 154 Pearse, Patrick Henry 91 Pedersen, Holger 5 Pelletier, Louis le 79 Pentreath, Dolly 80 Peter von Dreux 57 Petrie, George 150 Pezron, Paul Yves 4 Phillips, John 109 Pictet, Adolphe 4 Polybios von Megalopolis 3, 11, 149 f. Poseidonios von Apameia 3, 24 f., 123 f. Prichard, James Cowles 4 Prosper von Aquitanien 127 Pughe, William Owen 77 Pwyll Pendefig Dyfed 101 Pythagoras 123 f. Reinecke, Paul 6 Rhodri der Große 52 Rhŷs, John 5, 147 Rhys, Siôn Dafydd 77 Richard Fitz Gilbert 42 Richards, Thomas 156 Riou, Jakez 107 Rob Donn 96 Robert, Gruffydd 77, 102 f. Roberts, Kate 104 Roux, René le 79 Rowlands, Henry 161 <?page no="177"?> Sachregister 171 Salesbury, William 77, 103, 156 Samson, heiliger 130 Sayers, Peig 91 Sedulius Scottus 133 Shallcrass, Philip 141 Sharp, William 114 Siôn Cent 101 Skene, William Forbes 113 Smith, Iain Crichton 97 Stephens, James 114 Strabo von Amaseia 3 Strongbow s. Richard Fitz Gilbert Stukeley, William 8, 139, 161 Taliesin 99 f. Teilo, heiliger 130 Thomas, William 104 Thomas, William Jenkyn 147 Thomsen, Christian Jürgensen 6 Thomson, Derick 97 Thomson, George 151 Thurneysen, Rudolf 5 Tírechán 127 Tischler, Otto 6 Toirdelbach Ua Conchobair 42 Toland, John 139 Tolkien, John Ronald Reuel 115 Tolmie, Frances 151 Tudur Aled 101 Turlough O’Connor s. Toirdelbach Ua Conchobair Valentine, Lewis 55 Valera, Eamon de 45 Vallée, François 79 Vaughan, Robert 77 Vercingetorix 36 Villemarqué s. Hersart Virgil, heiliger 133 Wace 111 Waroc 56 Watson, William John 74 Wiliems, Thomas 103, 156 Williams, David John 55 Williams, Edward 77 Williams, Nicholas 81, 108 Williams, Rhydwen 105 Williams, William 104 Wilson, Thomas 109 Wolfram von Eschenbach 112 Wynne, Ellis 103 Yeats, William Butler 114 Zeuss, Johann Kaspar 5 Zimmer, Heinrich 5 Sachregister Acallam na Senórach 89 Acy-Romance 119 aisling 90 Alalia, Seeschlacht von 10 Alba 47, 74 Alesia 37 Altertumskunde, keltische 5, 77 Amourousted eun den coz 106 Amra Choluim Chille 88, 130 Ancient Order of Druids 140 f. Annalen, irische 89 Annwfn 153 Armagh, Bistum 20, 128, 134 Armes Prydein 100 Ár nDraíocht Féin 142 Arras-Kultur 15 Audacht Morainn 155 awdl 100 banshee 153 Barden 85, 96, 140, 149 Bardische Dichter 90, 100 Barzaz Breiz 106, 147 Beirdd yr Uchelwyr 100 Beirdd y Tywysogion 100 Bethu Phátraic 128 Beunans Ke 107 Beunans Meriasek 107 <?page no="178"?> 172 Register Bezen Perrot 59 Bibracte 13 f., 83, 120, 124 Black Book of Carmarthen 99 Board of Celtic Studies 5, 164 Book of Aneirin 99 Book of Ballymote 88 Book of Deer 73 Book of Kells 159 Book of Lecan 88 Book of Leinster 88 Book of Taliesin 99 Book of the Anchorite 101 Book of the Dean of Lismore 94 Bòrd na Gàidhlig 74 Bosworth Field, Schlacht von 53 Botorrita, Inschriften von 66 Boyne, Schlacht an der 43 Branwen ferch Lŷr 101 brehon 89 Breuddwyd Macsen Wledig 102 Breuddwyd Rhonabwy 102 British Druid Order 141 Brycheiniog 51 Bußbücher, irische 128 Caledones 46 Carmarthen s. Black Book of Carmarthen carvals 98 Cath Catharda, In 108 Cath Maige Tuired 89 Céli Dé 129 Chamalières, Inschrift von 64 Châteaubleau, Inschrift von 64 Chester, Schlacht von 51 Chouannerie, Chouans 58 Chwedleu Odo 108 Chwedleu Seith Doethon Rufein 108 Clearances 49, 97 Clonmacnoise 88, 128 Clontarf, Schlacht von 42 Coligny, Kalender von 63 Comunn na Gàidhlig 74 Conradh na Gaeilge s. Gaelic League Contrebia Belaisca 66 Corent 119 Cornouaille 56 f., 80 Crofters’ Holdings Scotland Act 49 Cruithin 47 Culdees s. Céli Dé Culhwch ac Olwen 102 Culloden, Schlacht von 49 Cyfranc Lludd a Llefelys 102 Cynfeirdd 99 cywydd 100 Dál Cais 42 Dál Riada 47, 129 Danebury 17 dánta grádha 109 De excidio Britanniae 110 Deheubarth 52 f., 100 Deorham, Schlacht von 51 Derry 128 Deskford, Karnyx von 149 Domnoné 56 Druiden 123 f., 126, 139 ff., 161 Drych Cristionogawl, Y 103 Duanaire Finn 90 Dumnonia 51 Dún Aengus 20 Dún Ailinne 20 f. Dürrnberg 12 Durrow 128 Dyfed 51 f., 101 Echtrae Chonnlai 88 Edmyg Dinbych Penfro 100 Eisen(produktion) 9, 54 Eisteddfod 74, 104 f. Emain Macha 21 Endlichers Glossar 65 Erse 137 Ethnographie, antike 3, 24 ff., 139, 160 Études celtiques 5, 164 Euhemerismus 125 Fellbach-Schmiden 120 fénechas 89 Fenian Brotherhood 44 Fianna 45, 88, 90, 95 Finn-Zyklus 114 Fís Adamnán 88 <?page no="179"?> Sachregister 173 Flight of the Earls 43 Foirm na n-Urrnuidheadh 109 Fomoire 89 Fortriu 47 Fürstensitze 12 Gaelic League 71, 91 Gaeltacht 71 Galater 3, 25, 32, 62, 127 Galatisch 62 Gallisch 62 Geraint fab Erbin 102 Glauberg 12, 14, 24 Glendalough 135 Glossen, altirische 133 Gododdin 51 f., 99 Gogynfeirdd 100 Goidelisch 68 Götter und Göttinnen 124, 141 Gournay-sur-Aronde 118 Gral 112 Great Famine 44, 136 Gregorianische Reformen 134 An Gúm 71, 91 Gwynedd 51 f., 100 Hallstatt, Hallstattkultur 6 f., 12, 15 Hebriden 16, 47, 49 f., 73 f., 94 f., 97, 114, 136, 146, 151 Hergest s. Red Book of Hergest Historia Brittonum 99, 110 Historia ecclesiastica gentis Anglorum 110 Historischer Zyklus s. Königszyklus Hochdorf 150 Hochkönige von Irland 21, 41 Holzhausen 120 Honourable Society of Cymmrodorion 77 Iarlles y Ffynnawn 102 immram 110 Immram Brain 88, 110 Immram Curaig Maíle Dúin 110 Immram Snédgusa ocus Maic Riagla 110 Imtheachta Aeniasa 108 interpretatio Romana 125 f. Iona 128 f., 133 Ipf bei Bopfingen 12 Irish Folklore Commission 75, 146, 151 Irish Republican Brotherhood 44 italo-keltische Parallelen 62 Jakobitenaufstände 49 Juvencus-Englynion 99 Karnyx 149 Katholische Emanzipationsakte 44 Kells-Mellifont, Synode von 134 Kells s. Book of Kells Kelten (Name) 3 Keltiberer 34 Keltiberisch 62 Kildare 128, 153 Kilkenny, Statuten von 42 Kinsale, Schlacht von 43 Klöster 41, 128, 129, 133 f., 137 Königszyklus 90 Kunst, keltische 10 f., 26 lai 111 Larzac, Inschrift von 64 Latènekultur 7, 10 f., 28 Laudabiliter 42 Lebor Gabála Érenn 89 Lebor na hUidre 88 Lehnwörter, keltische 85 Léon 56, 79, 80 Lepontisch 62 Lludd a Llefelys s. Cyfranc Lludd a Llefelys Llyn Fawr 15 Lordschaft Irland 42 Lusitanisch 65 f. Mabinogi, Mabinogion 101 Mag Tuired s. Cath Maige Tuired Maiden Castle 17 Manawydan fab Llŷr 101 Manching 13 f., 120 Massalia 10, 35, 124 Math fab Mathonwy 101 Matière de Bretagne 111 Menschenopfer 119 Merthyr Tydfil 54 <?page no="180"?> 174 Register Methodismus 104, 137, 147 Mil, Söhne des 90 Mod 74 Monasterboice 128 Mont Lassois 12 Mysterienspiele, bretonische 106 f. Mythologischer Zyklus 88 Nantes, Edikt von 57 Navan Fort 20 f. Navigatio Sancti Brendani 109 Neuvy-en-Sullias 150 Numantia 35 Offa’s Dyke 52 Ogam-Schrift 69 Oppidum, Pl. Oppida 13 f., 37, 119 Order of Bards, Ovates and Druids 140 Ordinalia 107 Ortsnamen 47, 56, 65, 67, 71, 78, 83, 130, 150 Ossianic Society 71 Ossianischer Zyklus s. Finn-Zyklus Pale 42 Pascon agan Arluth 107 Pa wr yw’r Porthawr? 110 Pedair Cainc y Mabinogi 102 Peredur fab Efrawg 102 Pergamonaltar 33 Pikten 47, 129 P-Keltisch 62 Plaid (Genedlaethol) Cymru 54, 77 plantations 43, 136 Powys 51 ff., 100 Präaspiration 73, 82 Preiddeu Annwfn 110 Protestant ascendancy 43 Provinzen, irische 42 Q-Keltisch 62 Rawlinson B 502 88 Rechtstexte, irische 89, 93 Red Book of Hergest 99, 101 Reformed Druids of North America 141 f. Revue celtique 5, 157, 164 Rheged 51, 99 Rhydderch s. White Book of Rhydderch Ribemont-sur-Ancre 118 Roseldorf 119 Saint-Aubin-du-Cormier, Schlacht von 57 Saltair na Rann 108 Scéla Alaxandair 108 School of Celtic Studies 5, 164 School of Irish Learning 5 School of Scottish Studies 147 Schottenklöster 133 Scots Musical Museum 151 Seelenwanderungslehre 123 Senbríathra Fíthail 155 síd, síde 89, 153 Sinn Féin 45 Söldner, keltische 32 Stonehenge 6, 139 Strathclyde 47, 51, 129 Táin Bó Cuailnge 88 Tair Rhamant, Y 102, 108 Tara 21, 41 Tara-Fibel 159 Tartessisch 66, 68 Tecosca Cormaic 155 Todi, Bilingue von 65 Togail Troí 108 Traditionary Ballad 98 Triaden 155 Trioedd Ynys Prydein 155 Tristan und Isolde 112 Tristan und Isolde 112 Túatha Dé Danann 89 túath, Pl. túatha 41 Tylwyth Teg, Y 153 Ulster-Zyklus 88 Union von England und Schottland 48 Vannetais 56 Viereckschanzen 120, 122 Vita Tripartita 128 Vocabularium Cornicum 80 <?page no="181"?> Sachregister 175 Völkertafel 6 Welsh Marches 52 Whitby, Synode von 131 White Book of Rhydderch 99, 101 Whithorn 129 Wikinger 41, 47, 57, 133 Yellow Book of Lecan 88 Ymborth yr Enaid 101 York, Vertrag von 47 Young Ireland 44 Ystorya Bown de Hamtwn 108 Ystorya de Carolo Magno 108 Ystoryaeu Seint Greal 108 Zeitschrift für celtische Philologie 5, 164 Zinn(handel) 9 <?page no="182"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! Lukas Rösli Topographien der eddischen Mythen Eine Untersuchung zu den Raumnarrativen und den narrativen Räumen in der Lieder-Edda und der Prosa-Edda Beiträge zur Nordischen Philologie 57 2015, ca. 272 Seiten, ca. €[D] 49,90 ISBN 978-3-7720-8550-9 Die beiden bekanntesten Texte der altnordischen Mythologie, die Lieder-Edda und die Prosa-Edda, welche im 13. Jahrhundert in Island verschriftlicht wurden, bieten eine Vielzahl von Erzählungen über die Entstehung der Welt bis hin zu ihrem Untergang. Die Untersuchung geht anhand von Theorien und Methoden, die der gegenwärtigen Raumwissenschaft in den Kultur- und Literaturwissenschaften entliehen sind, der Frage nach, über welche narratologischen Darstellungsverfahren in den Texten der altnordischen Mythologie der Kosmos der eddischen Mythen aufgebaut, gegliedert und wieder zerstört wird. Dabei wird gezeigt, dass die Topographien der eddischen Mythen bei weitem nicht so statisch sind, wie bisher von der Forschung angenommen wurde, sondern äußerst dynamisch funktionieren und sich immer ihrem Verwendungszweck in der Erzählung anpassen. <?page no="183"?> JETZT BESTELLEN! Linda-Marie Günther Griechische Antike UTB M 3121 2., aktualisierte Auflage 2011 X, 454 Seiten €[D] 26,90/ SFr 38,50 ISBN 978-3-8252-3598-7 Die zweite, aktualisierte Auflage des Standardwerks bietet eine fundierte und gut verständliche Darstellung aller Teilepochen der griechischen Geschichte. Die Orientierung an den historischen Ereigniszusammenhängen erleichtert den Überblick, innerhalb dieses Rahmens findet die Diskussion wichtiger methodischer Fragen ihren Platz. Ein Charakteristikum des umfassenden Studienbuches - und zugleich eine Schlüsselqualifikation historischen Arbeitens - ist die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Quellenmaterial. Der Band kann ebenso begleitend zu Lehrveranstaltungen eingesetzt werden wie für das Selbststudium und die Prüfungsvorbereitung. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de <?page no="185"?> ,! 7ID8C5-cedfei! ISBN 978-3-8252-4354-8 Unter den zahlreichen, teilweise üppig bebilderten, neueren Büchern über die Kelten fehlt bislang ein Studienbuch, das den gegenwärtigen Stand der internationalen keltologischen Forschung prägnant, gut verständlich und mit ausführlichen Hinweisen auf weiterführende Literatur zusammenfassend darstellt. Der vorliegende Band leistet eben dies. Er richtet sich nicht nur an Keltologen, sondern auch an Vertreter benachbarter Fächer wie etwa der Archäologie, Geschichts-, Sprach- und Literaturwissenschaft, Theologie, Religionswissenschaft und Europäischen Ethnologie. Darüber hinaus bietet er allen an der keltischen Kultur Interessierten eine Fülle zum Teil schwer zugänglicher Informationen und vielfältige Anregungen. Geschichte Dies ist ein utb-Band aus dem A. Francke Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel
