Medienlinguistik
0617
2015
978-3-8385-4362-8
978-3-8252-4362-3
UTB
Dieses Lehrbuch führt in zentrale Fragen, Methoden und Befunde der Sprachwissenschaft ein und bezieht sie systematisch auf den Sprachgebrauch in den Medien. Der Schwerpunkt gilt dabei der journalistischen Textproduktion. Daniel Perrin erklärt, wie Medientexte entstehen, wie solche Prozesse erforscht werden und wie ein medienlinguistischer Ansatz dazu beiträgt, medienvermittelte öffentliche Kommunikation zu verstehen und zu gestalten. Fallbeispiele, Übungen und Lösungen aus Theorie und Medienpraxis ergänzen die Einführung. Die dritte Auflage wurde vollständig durchgesehen und aktualisiert. Auf der Website zum Buch wird das Angebot laufend ausgebaut: www.medienlinguistik.net.
<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York utb 2503 <?page no="2"?> Daniel Perrin Medienlinguistik 3., aktualisierte Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK / Lucius · München <?page no="3"?> Professor Dr. Daniel Perrin lehrt Medienlinguistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Zusätzliche Materialien zum Buch befinden sich unter www.medienlinguistik.net Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 1. Auflage 2006 2. Auflage 2011 3. Auflage 2015 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm UVK Verlagsgesellschaft mbH · Deutschland Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 2503 ISBN 978-3-8252-4362-3 <?page no="4"?> 5 Inhalt Die schnelle Tour - Zum Schmökern vor dem Lesen Fall R ÄTSELTITEL : Auf den ersten Blick 18 Aufsatz E KSTRÖM : Interviewantworten rekontextualisieren 113 Originale! 242 Die fünf Teile des Buchs A Einleitung: Entdecken, arbeiten und lernen mit diesem Buch 11 B Medienlinguistik als linguistische Teildisziplin 23 C Systematik medienlinguistischen Wissens 89 D Medienlinguistische Projektpraxis in Forschung und Transfer 195 E Intermezzo: Daten zum Buch und Daten im Netz 241 A Einleitung: Entdecken, arbeiten und lernen mit diesem Buch 11 1 Zum Beispiel der Fall R ISIKEN 13 2 Zum Beispiel der Begriff Rekontextualisieren 14 Fall R ISIKEN : Hinter die Oberfläche 15 Fall W AHLKAMPF : Bruchstück einkopiert 16 Fall F LUGHAFEN : Vorweg werten 17 Fall R ÄTSELTITEL : Auf den ersten Blick 18 3 Noch mehr Aufgaben - Das didaktische Konzept 19 4 Und die Lösungen? - Das Lehrmittel im Medienverbund 20 5 Die Ausrichtung im Diskurs 21 <?page no="5"?> 6 Inhalt B Medienlinguistik als linguistische Teildisziplin 23 Streiflicht W ISSENSCHAFTSTHEORIE : Wie man Wissen schafft 24 1 Medienlinguistik im Wissenschaftsbetrieb 25 1.1 Disziplinen ausprägen 26 Nicht-Linguistik 27, Linguistik 28, Angewandte Linguistik 29, Medienlinguistik 30 1.2 Disziplingrenzen überwinden 31 Multidisziplinäre 32, interdisziplinäre 33 und transdisziplinäre Aspekte 34 2 Das Erkenntnisinteresse der Medienlinguistik 35 Aufsatz C HOI : Zwei Perspektiven 36 2.1 Der Gegenstand 37 Aufsatz S TÖCKL : Ein A ist ein A ist ein A 38 Sprache 39, Sprachgebrauch 40 Kommunikation und Medium 41, Publizistisches Medium 42 Streiflicht M EDIENKONVERGENZ 43, Fall R ISIKEN : Nachbessern 44 2.2 Die Fragestellungen 45 Synchron und diachron 46, Rezeption und Produktion 47 3 Forschungsmethoden in der Medienlinguistik 48 Streiflicht M ETHODOLOGIE : Wo stehen Sie? 49 3.1 Sprachprodukte untersuchen mit der Versionenanalyse 50 Die Leistung der Versionenanalyse: Fokus auf intertextuelle Ketten 56 3.2 Kognitive Praktiken untersuchen mit der Progressionsanalyse 57 Die Leistung der Progressionsanalyse: Fokus auf Schreibprozesse 62 3.3 Soziale Praktiken untersuchen mit der Variationsanalyse 63 Streiflicht S ELBSTANSPRUCH : Was Redaktionen wollen 64 Die Leistung der Variationsanalyse: Fokus auf Audience Design 70 3.4 Kognitiv-soziale Praktiken untersuchen mit der Metadiskursanalyse 71 Fall R ÄTSELTITEL : Ätsch 73 Die Leistung der Metadiskursanalyse: Fokus auf Language Awareness 78 3.5 Die Methoden ergänzen sich 79 Streiflicht K ORPORA 80, Streiflicht T RANSKRIPTION 81 4 Fazit zur Medienlinguistik als linguistischer Teildisziplin 82 Transdisziplinär nützlich 83, Interdisziplinär anschlussfähig 84, Disziplinär eigenständig 85 Aufsatz P ERRIN : Zwei Perspektiven 86, Streiflicht P RODUKTIONSMODELL : Neun Messpunkte 87 <?page no="6"?> 7 Inhalt C Systematik medienlinguistischen Wissens 89 1 Die Umweltperspektive der Medienlinguistik 90 1.1 Begegnungen: Interviewte herausfordern vs. Publika informieren 91 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 92, fünf Aufgaben dazu 94 1.2 Herstellung: Produkt vollenden vs. Prozess optimieren 99 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 100, fünf Aufgaben dazu 102 1.3 Diskurszusammenhang: Diskurs vermitteln vs. Storys zuspitzen 107 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 108, fünf Aufgaben dazu 110 1.4 Zeichenvielfalt: Texten vs. vertonen, bebildern und verlinken 115 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 116, sechs Aufgaben dazu 118 2 Die Funktionsperspektive der Medienlinguistik 124 2.1 Benennen: Bekanntes weiterziehen vs. Neues erklären 125 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 126, fünf Aufgaben dazu 128 2.2 Denken: Gemeintes sagen vs. Ergänzbares auslassen 133 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 134, fünf Aufgaben dazu 136 2.3 Handeln: Öffentlichkeit informieren vs. Medien verkaufen 141 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 142, fünf Aufgaben dazu 144 2.4 Verbinden: Zielpublika ansprechen vs. der Sache gerecht werden 149 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 150, sechs Aufgaben dazu 152 3 Die Strukturperspektive der Medienlinguistik 158 3.1 Lautebene: Spontan wirken vs. Nutzer führen 159 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 160, fünf Aufgaben dazu 162 3.2 Wortebene: Wortschatz beschränken vs. Schlagwörter setzen 167 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 168, fünf Aufgaben dazu 170 3.3 Satzebene: Äußerungen portionieren vs. Information verdichten 175 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 176, fünf Aufgaben dazu 178 3.4 Textebene: Routinen nutzen vs. Muster aufbrechen 183 Theorie- und praxisgeleitete Fragestellung 184, sechs Aufgaben dazu 186 4 Fazit zur Systematik medienlinguistischen Wissens 192 Weiter üben im WWW 193 <?page no="7"?> 8 Inhalt D Medienlinguistische Projektpraxis in Forschung und Transfer 195 1 Forschungsprojekt: I DÉE SUISSE 196 1.1 Forschungsziel 197 Problem 198, Fragestellung 199 Erwartbare Ergebnisse 200, Wissenschaftliche Bedeutung 201 Wissenstransformation 202 1.2 Forschungsstand 203 Theoriebildung und Methodik 204 Politischer Bezugsrahmen 205, Ökonomischer Bezugsrahmen 206 Organisationsperspektive 207, Gesellschaftsperspektive 208 1.3 Forschungsplan 209 Modul A: Externe Anforderungen 210 Modul B: Interne Leitvorstellung 211 Modul C: Redaktionelle Textproduktion 212 Modul D: Redaktioneller Metadiskurs 213 1.4 Fazit zum Forschungsprojekt I DÉE SUISSE 214 2 Transferprojekt: T EXTBERATUNG TA 215 2.1 Textberatung als kunterbunter Markt 216 Domänenspezifische Unterschiede 217 2.2 Professionelle Textberatung 218 Von der Zuständigkeit der Angewandten Linguistik 219 2.3 Textberatung am Beispiel Redaktionscoaching 220 Den Konfliktraum abstecken 221 Im Leitbild Qualität festlegen 222, Zum Beispiel Inland und Kultur 223 Im Schreibcoaching die Repertoires erweitern 224 Die Textprogression aufzeichnen 225 Repertoires erschließen 226 Mit Interventionen arbeiten 227 Mit der Sprachkritik die Produkte und den Maßstab überprüfen 228 2.4 Fazit zum Transferprojekt T EXTBERATUNG TA 229 3 Forschungsrahmen für medienlinguistische Projekte 230 Streiflichter CDA 231 und E THNOGRAFIE 232 Streiflichter G ROUNDED T HEORY 233, TD 234, RST 235 und DST 236, Fall L EBANON 237 3.1 Fazit zu den Forschungsrahmen 239 <?page no="8"?> 9 Inhalt E Intermezzo: Daten zum Buch und Daten im Netz 241 Originale! 242 1 Datenkorpora 243 Korpus 1: Quellen und Versionen einer Online-Nachricht 244 Korpus 2: Textproduktionsprozesse zu Radiobeiträgen 245 Korpus 3: Sprachproben aus Fernsehnachrichten 246 Korpus 4: Leitbild und Sprachkritik einer Zeitungsredaktion 247 Korpus 5: Sprachpolitik, -norm und -praxis im öffentlichen Rundfunk 248 2 Transkriptionssystem GAT 249 Die Partiturdarstellung: Spuren und Zeilen 250 Zeichen für Rollen und Quellen 251 Zeichen für die Sequenzierung 252 Zeichen für prosodische Merkmale 253 Zeichen für Merkmale jenseits gesprochener Sprache 254 3 Verzeichnis der Aufgaben 255 4 Verzeichnis der Fachbegriffe 256 5 Verzeichnis der Namen und Quellen 257 <?page no="9"?> 10 Dank Die Idee mit dem Schmökerverzeichnis vor dem Inhaltsverzeichnis stammt von Aleksandra Gnach, die kräftig mitgeholfen hat, dieses Buch zu Papier zu bringen. Inhaltliche Anregungen verdanke ich auch Kirsten Adamzik, Jannis Androutsopoulos, Harald Burger, Marcel Burger, Christa Dürscheid, Jürg Häusermann, Werner Holly, Petra Jörg, Michael Klemm, Martin Luginbühl, Patrick Tschirky, Iwar Werlen und Toni Zwyssig. Beim Gestalten, Überprüfen und Vernetzen des Lehrmittels mitgearbeitet haben Christine Albrecht Perrin (Coaching), Heike Burkard (Korrektorat), Barbara Buri (Transkription), Maureen Ehrensberger-Dow (Proofreading), Willy Federer (htm), Mathias Fürer (Abstracts), Thomas Gantenbein und Karin Grob (Verzeichnisse), Daniel Hanimann (Kontakt zu E UROPE B Y S ATELLITE ), Christian Irgl (Webauthoring), Sarah King (Lösungsdatenbank), Liliane Krauthammer (Typografie), Luzius Meyer Kurmann (Projektfinanzierung S WISS V IRTUAL C AMPUS ), Sibylla Laemmel (Lektorat Spanisch), Hannah Müller (Verlagslektorat), Alexandra Novkovic (Abstracts Korpus 3), Heimo Paffhausen (Quicktime), Anna-Katharina Pantli (Terminologie), Maria-Noemi Rossetto-Giallella (Korrektorat Website), Michael Ruppen (Datenbanken), Michael Schanne (Projekt I DÉE SUISSE ), Marcel Sennhauser (Prozessdaten Korpus 1), Rüdiger Steiner (Geduld), Harry Straehl (Videostreams), Simon Vögtli (Scans Korpus 4), Marlies Whitehouse (Korrektorat), Vinzenz Wyss (Schnittstelle zur Kommunikationswissenschaft), Peter Zschunke (Quellenrecherche Korpus 1). Das Lehrmittelprojekt wurde im Rahmen des Bundesprogramms S WISS V IRTUAL C AMPUS maßgeblich gefördert. Das Arbeiten mit empirischen Daten ermöglichten und ermöglichen die Praxispartner A GENCE F RANCE P RESSE , A SSOCIATED P RESS , D EUTSCHE P RESSE -A GENTUR , R EUTERS , S CHWEIZERISCHE D EPESCHEN - AGENTUR , T AMEDIA und SRG SSR IDÉE SUISSE . Zum Feinschliff dieser dritten Auflage beigetragen haben die vielen Nutzerinnen und Nutzer des Buchs, die mir von ihren Erfahrungen berichtet haben. Ihnen allen großen Dank! <?page no="10"?> 11 A Einleitung: Entdecken, arbeiten und lernen mit diesem Buch Wofür sich Medienlinguistik interessiert, wie sie vorgeht, zu welchen Ergebnissen sie gelangt und was dies der Wissenschaft und der Praxis bringt - damit befasst sich dieses Buch. Das Lehrmittel verortet die Medienlinguistik als eine Teildisziplin der Linguistik, erfasst systematisch das Besondere des Sprachgebrauchs im Umfeld publizistischer Medien und schlägt die Brücke zum medienlinguistischen Wissenschaftsbetrieb. In seinen fünf Teilen führt das Buch ein in das Vorgehen, den Gegenstand und den Fachdiskurs der Medienlinguistik: • Der Teil A umreißt das Thema und erklärt die Logik des Buchs. Wer diesen kurzen Teil ganz durcharbeitet, kann später zum Beispiel die Querbezüge zwischen Theorie und Praxisfällen besser nutzen. • Der Teil B beschreibt Medienlinguistik als wissenschaftliche Teildisziplin mit eigenem Gegenstand, eigenen Erkenntnisinteressen und typischer Methodik. • Der Teil C erklärt den Sprachgebrauch in medienvermittelter öffentlicher Kommunikation systematisch aus drei Blickwinkeln: Sprachumwelt, Sprachfunktion, Sprachstruktur. • Der Teil D schlägt die Brücke vom gedruckten Einführungsbuch zu exemplarischen Projekten und zum laufenden Fachdiskurs, greifbar im Internet >> www.medienlinguistik.net und darüber hinaus. • Der Serviceteil E zeigt, wie die Sprachdaten dieses Buchs transkribiert wurden, beschreibt die Datenkorpora und verzeichnet die Fachbegriffe und Quellen. Der Bogen spannt sich also vom Profil über den Gegenstand bis zum Nutzen der Medienlinguistik, zur Anwendung medienlinguistischen Wissens in den forschenden Disziplinen und der beforschten Berufspraxis. Während das Buch so das Hauptthema Medienlinguistik möglichst weit fasst, stellt es beim Teilthema Mediensprache scharf auf journalistische Textproduktion. Diese Produktionsperspektive wird in den anderen Einführungen kaum bezogen. Bislang wenig diskutiert wurden auch das wissenschaftliche Profil der Medienlinguistik und ihre Bedeutung für die Kommunikationspraxis und den Forschungsbetrieb. <?page no="11"?> 12 Die M EDIENLINGUISTIK richtet sich an Studierende der Linguistik und der Kommunikations- und Medienwissenschaft, die sich interessieren für Theorie und Praxis des Sprachgebrauchs in medialer öffentlicher Kommunikation - weil sie zum Beispiel eine reflektierte Tätigkeit in Kommunikationsberufen anstreben. Das Buch eignet sich zur Vor- und Nachbereitung von Lehre an der Hochschule, aber auch zum Selbststudium. Die Lehr-/ Lernziele umfassen • Wissen, • Methoden und • Haltungen - also auch die Fähigkeiten, medienlinguistisches Wissen anzuwenden und einzuschätzen: • Wissen: Sie verstehen den Sprachgebrauch im Zusammenhang mit publizistischen Medien als Schnittstelle kognitiver und sozialer Praktiken. • Methoden: Sie können Werkzeuge der Medienlinguistik anwenden, um Kommunikation zu analysieren, zu reflektieren und zu optimieren. • Haltungen: Sie entwickeln eigene, begründete Einstellungen zum wissenschaftlichen und praktischen Nutzen medienlinguistischer Reflexion. Was das bedeutet? - Dazu als Kostprobe ein erster praktischer Fall (Kapitel A|1) und ein theoretisches Werkzeug (A|2) samt Aufgaben (A|2|? a-? d) , dann der Blick auf das didaktische Konzept (A|3) , auf das ganze Lehrmittel (A|4) und darüber hinaus (A|5) . Zur Kennzeichnung der Kapitel in den Überschriften und Querverweisen: Die fünf Teile des Buchs sind mit Großbuchstaben gekennzeichnet, die Kapitel und Unterkapitel mit Ziffern, die Aufgaben mit Fragezeichen und Kleinbuchstaben. A|2|? c ist also die Aufgabe c in Kapitel 2 des Teils A. <?page no="12"?> 13 A|1 Zum Beispiel der Fall R ISIKEN „The situation is serious and we do have to take some risks.“ - Diese Worte gehen als Zitat des EU-Ratsvorsitzenden Josep Piqué um die Welt. Piqué hat so etwas Ähnliches gesagt, während einer Medienkonferenz, in einer langen Antwort auf eine lange Frage eines Journalisten. Übersetzer, Nachrichtenagenturen und Medienredaktionen haben dann aber die Äußerung in immer neue Zusammenhänge eingebettet. Dabei hat sich der Sinn der Äußerung verändert: In einer Meldung der Nachrichtenagentur A SSOCIATED P RESS zum Beispiel scheint sich Piqué mit den „Risiken“ auf schnelles Handeln zu beziehen (_1) , bei der D EUTSCHEN P RESSE -A GENTUR darauf, hilflos zu wirken (_2) , und bei R EUTERS darauf, einen bestimmten Machthaber vielleicht nicht treffen zu können (_3) : Derweil betonten die EU-Außenminister ihre Entschlossenheit zu schnellem Handeln: „Die Situation ist ernst, wir müssen Risiken eingehen, und dazu sind wir bereit“, sagte der spanische Außenminister […] Joseph Piqué. _1 Piqués Äußerung, wiedergegeben von A SSOCIATED P RESS . Quelle: ap_020404_0703 So will die EU zunächst vor allem zur Beruhigung beitragen - mit allen reden, die dabei helfen können, wie Solana sagt. Ohne Vorbedingungen, auch wenn das hilflos wirkt. „Wir müssen Risiken eingehen“, meint der Ratsvorsitzende Piqué. _2 Piqués Äußerung in einer Meldung der D EUTSCHEN P RESSE -A GENTUR . Quelle: dpa_020404_1157 Piqué räumte ein, noch sei unklar, ob Israel es der Delegation ermöglichen werde, mit Arafat zu sprechen. „Wir müssen Risiken eingehen.“ Davon hänge ab, wie hochrangig die EU-Delegation sein werde. _3 Nochmals Piqués Äußerung, in einer Meldung von R EUTERS . Quelle: rtr_020404_0126 Zur Herkunft der Sprachdaten in den Fallstudien: Die Textkette zur EU-Meldung (_1 bis _3) wurde untersucht für S WISS V IRTUAL C AMPUS (Perrin, Dörig, & Vervoort, 2005). Auch alle anderen Analysebeispiele in diesem Buch greifen zurück auf Sprachdaten aus Forschungs- und Transferprojekten: Die Radio-Beispiele stammen aus dem Forschungsprojekt S TRATEGIEN DER N ACHRICHTENPRODUKTION für das Schweizer Bundesamt für Kommunikation BAKOM (Perrin, 2001b). Die Fernseh-Beispiele gehen zurück auf ein Beratungsprojekt, ausgewertet in der Vorstudie des N ATIONALFONDS -Projekts I DÉE SUISSE (Teil D|1 in diesem Band). Die Print-Beispiele entstammen einem ethnografischen Projekt zum redaktionellen Qualitätsmanagement (D|2). Alle Sprachdaten wurden von den Beforschten zur Publikation in diesem Lehrmittel freigegeben. Die Datenkorpora sind beschrieben im Anhang (E|1) und abrufbar im Internetangebot zum Buch: >> www.medienlinguistik.net <?page no="13"?> 14 A|2 Zum Beispiel der Begriff Rekontextualisieren Die Redaktionen haben die ursprüngliche Äußerung des Außenministers Josep Piqué so verarbeitet, dass der Wortlaut bleibt, der Sinn aber sich ändert. Sie haben die Äußerung rekontextualisiert (_1) . Das bedeutet: Sie haben einen Text (_3) in einen neuen Kontext (_2) gestellt. Rekontextualisieren: sprachliche Tätigkeit, bei der ein Textteil aus einem früheren Textumfeld und Kommunikationszusammenhang herausgelöst und neu eingebettet wird, was den Kontext beim Verstehen ändert. _1 R. wird in der Medienlinguistik ausführlich diskutiert. Ekström, 2001 beispielsweise stellt fest, dass viele Äußerungen von Politikern in Fernsehnachrichten so rekontextualisiert sind, dass die Kommunikationsabsicht der Quelle kaum mehr auszumachen ist. Dieses Buch arbeitet durchgehend mit solchen Arbeitsdefinitionen: (schwarz hinterlegt) und Diskursverweisen (klein gedruckt darunter). Die Definitionen erfassen medienlinguistisch zentrale Fachbegriffe möglichst einheitlich, dicht und anschlussfähig. Die Fachbegriffe sind zusammengestellt im Glossar am Ende des Buchs (E|4). Die Diskursverweise sind knapp gehalten, weitere sind im Internet-Glossar aktuell abrufbar. Kontext: dynamische Umwelt, auf die sich Äußerungen beziehen, wenn sie verarbeitet werden. _2 Der K. ist dynamisch: Er entsteht und verändert sich beim Herstellen und Verstehen sprachlicher Äußerungen. Je mehr man von einem Text oder Gespräch bereits verarbeitet hat, desto mehr Wissen daraus kann mit einfließen in die Wahrnehmung der weiteren sprachlichen Äußerungen und der Kommunikationssituation. Diese Dynamik des K. betonen etwa Drew & Heritage, 1992, Fritz & Hundsnurscher, 1994, Roberts, 2003, Feilke, 2003, 219, González Rodríguez, 2006 oder Kecskes, 2008. Catford, 1965 oder D. Franck, 1996 unterscheiden den K. und den (statischen) Kotext - den Text vor und nach einer bestimmten Textstelle. Tracy, 2012 beschreibt die „newsphere“ als K. journalistischer Nachrichten. Text: fixierter sprachlicher Zeichenkomplex, der gemeint und verstehbar ist als sinntragende Einheit. _3 Ein T. ist gemeint und verstehbar als Einheit mit kommunikativem Sinn und eigenem Thema. Er hängt in sich stark zusammen und ist nach außen abgegrenzt. Je nach Theorie besteht er aus Zeichen aller Art, aus fixierten Zeichen, sprachlichen Zeichen, fixierten sprachlichen Zeichen oder schriftsprachlichen Zeichen. Hier gilt: Ein T. besteht aus fixierten und primär sprachlichen Zeichen. Piqués gesprochene Äußerung, eine Antwort auf die Frage eines Journalisten in einer Medienkonferenz, ist also nach dieser Definition kein T.; eine Aufzeichnung oder Niederschrift der ganzen Antwort dagegen ist ein T., und die Agenturmeldungen dazu sind ebenfalls Texte. Mehr dazu im Kapitel zur Textebene (C|3.4). Die nächsten Seiten bringen vier Aufgaben zur Rekontextualisierung: zuerst eine Aufgabe zum Fall R ISIKEN mit der Äußerung von Piqué, dann drei Aufgaben zu Fällen, die das Buch später vertieft. <?page no="14"?> 15 A|2|? a Fall R ISIKEN : Hinter die Oberfläche Die Äußerung von Josep Piqué in der Agenturnachricht ist nicht die Äußerung von Piqué in der Medienkonferenz. Jede Wiedergabe rekontextualisiert die ursprüngliche Äußerung. Hier sehen Sie zwei Rekontextualisierungen der Äußerung von Piqué: eine Niederschrift der Interviewantwort und eine Wiedergabe in einer Agenturnachricht (_1) . Worin unterscheiden sie sich? Finden Sie die Unterschiede, zuerst hier und dann mit der deutschen Übersetzung. >> www.medienlinguistik.net Was der spanische Außenminister nach der EU-Sonderkonferenz vom 2. April 2002 sagte: Was der spanische Außenminister nach der EU-Sonderkonferenz vom 2. April 2002 sagte: Vamos a ver. Yo creo que todo el mundo puede entender que la visita del presidente Aznar tiene que ... pues tener unas … unas condiciones determinadas. Pero creo que todo el mundo puede estar de acuerdo también en que hay muchos interlocutores, mucha gente con la cual hablar, mucha gente con … a la cual transmitirle los mensajes de la Unión Europea, y creo que no debemos desperdiciar esta oportunidad. En este sentido tiene razón y es que la posibilidad de ver al presidente Arafat pues va ser una posibilidad en el tiempo lejana. Debemos por tanto evitar cualquier tipo de contacto con los diferentes interlocutores de la zona. Esto es el planteamiento que nos estamos haciendo, planteamiento si se quiere pragmático, práctico, pero que nos parece que puede ser útil, conscientes de los riesgos que todos corremos; pero es cierto también, que la situación es suficientemente grave como para que asumamos determinados riesgos. Wir müssen Risiken eingehen. _1 Äußerung (links) und Wiedergabe (rechts). Quelle: ebs_020403_2300 und dpa_020404_1157 Zu allen Fällen sind elektronisch gespeicherte Daten abrufbar: Transkripte, Produktionsdaten, Scans, Audiound/ oder Videodateien. >> www.medienlinguistik.net <?page no="15"?> 16 A|2|? b Fall W AHLKAMPF : Bruchstück einkopiert Eine zweite Aufgabe zur Rekontextualisierung, ein weiterer Denkanstoß zum Einstieg in die Medienlinguistik: Ein Rundfunkjournalist löst zwei Ausschnitte aus der Wahlkampf-Rede eines Österreicher Lokalpolitikers und baut sie in den Anfang eines eigenen Beitrags ein (_1) . Der erste dieser Ausschnitte (Akteur A1, Zeile 13) lautet „sehr geehrter Herr Landeshauptmann-Stellvertreter“, daraufhin ordnet der redaktionelle Sprecher die Äußerung ein (Redaktioneller Sprecher R, Zeilen 14-18) . Wie empfinden Sie die Äußerung des Politikers im Licht dieser redaktionellen Einordnung? Auf welche sprachlichen Mittel führen Sie Ihren Eindruck zurück? 13 A1: sehr geEHRter ↓ herr ↑ LANdeshauptmann stell ↑ vertreter 14 R: der ↑ SP- BÜrgermeister der geMEINde 15 be ↓ grüsst die honora ↑ tiONen . 16 es gehe_ ↑ um MENschen . ! NICHT ! um ↑ AKtien . 17 ↓ meint_er ↑ weltgewandt - 18 ↓ und ↑ DAher solle ↑ man SP wählen . (.) _1 Fall W AHLKAMPF , Quote und Einordnung. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1. Den Fall W AHLKAMPF greift das Buch wieder auf im Kapitel zur Progressionsanalyse (B|3.2). Notiert sind die meisten Transkriptionen nach den Regeln des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems GAT (Selting, et al., 1998; Selting, et al., 2009). Die verwendeten Zeichen sind im Anhang zusammengestellt (E|2). <?page no="16"?> 17 A|2|? c Fall F LUGHAFEN : Vorweg werten Nächste Aufgabe, zum Durchspielen oder Überspringen: Ein Flughafen, der wegen Fluglärms, hoher Kosten und fraglicher Marktperspektive öffentlich kritisiert wird, eröffnet ein neues Terminal. Zur Eröffnungsfeier sind die Medien geladen. Der Einladung folgt unter anderem das Team des Schweizer TV-Nachrichtenmagazins 10 VOR 10. Dieses Magazin will sich durch Infotainment, unterhaltsames Informieren, abheben von der T AGESSCHAU , dem klassischen Nachrichtengefäß des gleichen Senders. Das Kamerateam gibt dem sichtlich stolzen Bauprojektleiter Gelegenheit, sein Werk im Detail vor laufender Kamera zu erklären. Diese Szene ist im fertigen Nachrichtenbeitrag fast 50 Sekunden lang zu sehen. Man erfährt zum Beispiel, dass die Sitzgruppen in den Warteräumen geschützt sind gegen Schläge von Putzmaschinen und eigens neu entwickelt worden sind. Welchen Eindruck können solche Darstellungen hinterlassen, je nachdem, ob dem Auftritt des Bauleiters die Einleitung (_1) oder die Einleitung (_2) vorausgeht? - Nennen Sie den Unterschied und begründen Sie ihn mit der Wahl der sprachlichen Mittel in den beiden Einleitungen. 02 ↑ JÜRG ROSenberg . (--) °h der ↑ LEIter des BAUprojektes ? 03 zeigt uns die EIgenschaften des gebäudes . _1 Fall F LUGHAFEN , Variante 1 (Bearbeitung: DP). Quelle: sf_zvz_030121_2150_flughafen_rahmen 02 ↑ JÜRG ROSenberg . (--) °h der ↑ LEIter des BAUprojektes ? 03 zeigt uns die ↓ SCHÖnen a ↑ ber ↑ TEUren EIgenschaften des gebäudes . _2 Fall F LUGHAFEN , Variante 2 (Originalbeitrag). Quelle: sf_zvz_030121_2150_flughafen_rahmen. Den Fall F LUGHAFEN greift das Buch wieder auf im Kapitel zur Variationsanalyse (B|3.3). <?page no="17"?> 18 A|2|? d Fall R ÄTSELTITEL : Auf den ersten Blick Die vierte Aufgabe, nochmals zum Thema Rekontextualisieren: Die Tagespresse berichtet über Rinderwahnsinn. Ein Journalist des Schweizer T AGES -A NZEIGERS interviewt den Schweizer Landwirtschaftsminister. Die Zeitung druckt das Interview ab. Über dem Beitrag steht als Titel eine Äußerung in Anführungszeichen: „Kein Rindfleisch vor der Kamera“. Ein Bild zeigt groß Gesicht und Hand des gestikulierenden Ministers (_1) . Welche Geschichte erwarten Sie im Text? Was denken Sie über den abgebildeten Minister? Auf welche schrift- und bildsprachlichen Mittel führen Sie Ihre Erwartung und Ihre Einschätzung zurück? _1 Fall R ÄTSELTITEL , Quote und Geste. Quelle: ta_print_010215_07_rindfleisch. Diesen Fall greift das Buch wieder auf im Kapitel zur Metadiskursanalyse (B|3.4). <?page no="18"?> 19 A|3 Noch mehr Aufgaben - Das didaktische Konzept Worum ging es bei diesen vier Aufgaben? - Viermal hatten Sie Problemlösungen aus der journalistischen Praxis einzuschätzen: Sie haben beschrieben, wie ein Text in einer bestimmten Situation auf Sie wirkt, haben diese Einschätzung auf sprachliche Mittel zurückgeführt und sich dabei auf Ihr bisheriges Wissen gestützt, zum Beispiel auf Ihr Alltagswissen als Mediennutzerin oder auf Linguistik-Grundwissen. Dahinter liegt ein Grundmuster handlungsorientierter Didaktik: Zu einem bestimmten Problem gibt es unterschiedliche Lösungen. Deshalb sind Kriterien zu entwickeln, um die Lösungsvarianten einzuschätzen. Erst danach ist die passendste Lösung zu bestimmen und umzusetzen (_1) : Schritt Denkprozess Beispiel aus Aufgabe A|2|? c 1 Problem Zu einem bestimmten Problem Mit Nachrichten unterhalten 2 Lösungen gibt es unterschiedliche Lösungen. Textakteur (nicht) wertend einleiten 3 Kriterien Sie sind nach bestimmten Kriterien Fairness? Unterhaltungswert? … 4 Bewertung einzuschätzen. Dies führt zur Lösung x ist fair, Lösung y unfair, … 5 Entscheidung Wahl der passendsten Lösung. Lösung x passt Einzubringen sind Wissen, Methoden, Haltungen Alltagswissen über TV-Magazine, … _1 Das Grundmuster der Aufgaben im Buch: Problemlösen, nach Dörig, 2003, 503 ff. Nach diesem Grundmuster funktionieren alle Aufgaben im Buch. Im Lauf des Buchs werden sie aber anspruchsvoller und vielfältiger: • Zum Wissen aus Alltagserfahrung kommt spezifisch medienlinguistisches Wissen. So werden Sie etwa praktische Probleme und Lösungen auch aus dem Blickwinkel bestimmter theoretischer Ansätze erörtern - oder theoretische Überlegungen im Licht anderer Ansätze diskutieren. • Erörtern und diskutieren bedeutet zum Beispiel: Probleme erkennen und beschreiben; zu bestimmten Problemen eigene Lösungen finden und beschreiben; die Lösungen aufgrund bestimmter Kriterien bewerten; selbst Kriterien für die Wahl einer passenden Lösung formulieren. • Zu solchen Aufgaben sind, je nach Kriterien, oft mehrere passende Lösungen denkbar. Lösungsvarianten, eingereicht auch von Nutzerinnen und Nutzern dieses Lehrmittels, und weitere Aufgaben sind in der Datenbank im Internet abrufbar (nächste Seite, A|4) . <?page no="19"?> 20 A|4 Und die Lösungen? - Das Lehrmittel im Medienverbund Das Lehrmittel M EDIENLINGUISTIK besteht aus • diesem Buch und • dem Internetangebot. Die Inhalte und Funktionen sind so verteilt, dass sich die zwei Angebote in ihren medialen Stärken ergänzen (_1) : • Das Buch erleichtert fortlaufendes Arbeiten überall und jederzeit. Es bietet einen linearen Lernweg mit dosiert eingebauten Erklärstücken, empirischen Daten, Ausschnitten aus dem Fachdiskurs und Aufgaben. • Das Internetangebot >> www.medienlinguistik.net lässt zugreifen auf die multimodalen Sprachdaten der fünf Übungskorpora. Zudem funktioniert es als offenes System, als ausbaubare Datenbank für Lösungen - und weitere Aufgaben, zum Beispiel zum aktuellen Fachdiskurs. Mittel Medienverbund offline online Buch Internetangebot Ebene Prozess des Lehrens/ Lernens Moderation Linearer Weg + geführte Touren Verzeichnisse + Menus - individuelle Lernprotokolle - Kontaktlink Themen Erklärstücke Erklärstücke (Auswahl) • Arbeitsdefinitionen + Arbeitsdefinitionen Übungen • Aufgaben + Aufgaben + Lösungen, Varianten Objekt Fachdiskurs • Projekte + Projekte • Publikationen + Publikationen • Aufsätze + Aufsätze Empirische Daten • Korpusdaten, Auszüge + ganze Datenkorpora _1 Buch und Internetangebot im Verbund. Hervorgehoben sind die Schwerpunkte der Angebote, markiert sind die didaktisch aufbereiteten Auszüge ( • ) aus der offenen Datenbank ( + ). <?page no="20"?> 21 A|5 Die Ausrichtung im Diskurs Mit ihren Fragestellungen, Fallstudien und Arbeitsaufgaben zur journalistischen Textproduktion zeigt die vorliegende Einführung in die Medienlinguistik eine eigenständige Ausrichtung im medienlinguistischen Diskurs. Theoretisch abgestützt ist die Einführung dagegen breit. Sie knüpft zum Beispiel an folgende Diskursbeiträge an: Aktuelle Einführungen: H. Burger & Luginbühl, 2014 bieten eine germanistisch und textlinguistisch verankerte „Einführung in Sprache und Kommunikationsformen der Massenmedien“. Durant & Lambrou, 2009 führen ein ins systematische Studium von Mediensprache. Cotter, 2010 verbindet linguistisches und berufspraktisch-journalistisches Wissen in ihrer Einführung in „news talk“, den Sprachgebrauch im Journalismus. O’Keeffe, 2006 hebt in ihrer Einführung die Bedeutung der Analysemethoden hervor. Schmitz, 2004 und Schmitz, 2015 führen ein in die „Sprache in modernen Medien“ bzw. in eine sehr breit verstandene Medienlinguistik. Mit Prozessen journalistischer Textproduktion und der wissenschaftspraktischen Bedeutung von Medienlinguistik befassen sich die sechs Einführungen nur am Rand. Monografien zu Teilbereichen (Auswahl): Hauser & Martin, 2015 analysieren Medien kontrastiv. Machin & Van Leeuwen, 2007 führen ein in die kritische Analyse von „global media discourse“; Montgomery, 2007 in die linguistische Analyse der Sprache von Rundfunkmedien; Conboy, 2010 in die Analyse der Sprache der Zeitung. Hickethier, 2003 gibt eine medienlinguistisch aufgeschlossene „Einführung in die Medienwissenschaft“. Straßner, 2000 beschreibt „journalistische Texte“. Fairclough, 1995 diskutiert die Leistungen journalistischer Massenmedien aus dem Blickwinkel kritischer Diskursanalyse. Fowler, 1991 fokussiert auf Sprache journalistischer Nachrichten. Bell, 1991 untersucht journalistische Textproduktion als gesellschaftlich eingebetteten Prozess. Van Dijk, 1988b erfasst „news as discourse“. Sammelbände (Auswahl): Bird, 2010b bündelt neue ethnografische Analysen journalistischer Textproduktion. M. Burger, 2008 stellt scharf auf die Schnittstelle von Sprach- und Medienwissenschaft bei der Untersuchung von Mediensprache. Aitchison & Lewis, 2003 stellen Beiträge zu „new media language“ zusammen; Breuer & Korhonen, 2001 zur medienlinguistischen Forschung u.a. in Skandinavien; Möhn, Roß, & Tjarks-Sobhani, 2001 zu einzelnen Ansätzen unterschiedlicher Disziplinen, Sprache in Medien zu untersuchen; Biere & Henne, 1993 zur „Sprache in den Medien nach 1945“; Bucher & Straßner, 1991 zu „Mediensprache, Medienkommunikation, Medienkritik“; Van Dijk, 1985b zu Ansätzen, die über linguistische Diskursanalyse hinausgreifen. Zeitschriften- und Buchbeiträge (Auswahl): Perrin, 2014, O’Keeffe, 2011, White & Thomson, 2008, Thornborrow, 2006, Cotter, 2001, Bucher, 1999a, und Bucher, 1999b, erklären linguistische Analysen von Medienbeiträgen. Catenaccio, et al., 2011 fordern programmatisch eine „linguistics of news production“. Richardson, 2008 lotet die „research agenda“ im Schnittfeld von Journalismus und Sprache aus. Bell, 2006 fasst Schlüsselwerke medienlinguistischer Forschung knapp zusammen. Muckenhaupt, 1999 umreißt die „Grundlagen der kommunikationsanalytischen Medienwissenschaft“; Von Polenz, 1999 die Geschichte der „Sprache in Massenmedien“; Schrøder, 1994 „media language and communication“; Straßner, 1980 „Sprache in Massenmedien“. <?page no="21"?> 22 „Das Verhältnis der massendemokratischen ‚Öffentlichkeit‘ zu Sprachfragen ist fatalerweise kein Gegenstand der Linguistik. Das liegt daran, dass die Linguistik keine Kommunikationswissenschaft ist und schon gar keine Massenkommunikationswissenschaft. Eigentlich müsste sie das sein - nicht in erster Linie, sondern gleichsam ‚nebenberuflich’.“ Knobloch, 2003, 103 <?page no="22"?> 23 B Medienlinguistik als linguistische Teildisziplin Wissenschaft fragt nach dem, was hinter dem Offensichtlichen liegt - zum Beispiel nach der Entstehungsgeschichte hinter einem fertigen Text. So scheint hinter der straffen Forderung „Wir müssen Risiken eingehen“ eine tastende ursprüngliche Formulierung auf (A|1|_1) . Was wurde mit der Äußerung von Josep Piqué getan? Wer hat sie bearbeitet? Mit welchem Ziel und welcher möglichen Wirkung? Was davon geschieht immer wieder? Und wie lässt sich dies alles zuverlässig und gültig feststellen und überprüfen? - Wissenschaft fragt kritisch und systematisch (_1) . Wissenschaft: gesellschaftliche Institution, die nach theoretisch begründeten Regeln theoretisches Wissen erzeugt, bereitstellt, überliefert und teils nach außen vermittelt. _1 Seiffert, 2003 zeigt in seiner Einführung in die Wissenschaftstheorie, wie präzise Sprache und präzises Denken beim Aufbau von Wissen zusammenhängen. Wissenschaft stellt also Wissen her. Sie gewinnt es, indem sie bestehendes Wissen neu verknüpft oder ihren Gegenstand empirisch, in der Praxis erforscht. Ein solcher Gegenstand ist zum Beispiel der Umgang publizistischer Medien mit Quellenäußerungen. Wissen kann sich auf einen einzigen Fall beziehen oder auf mehrere oder alle denkbaren Fälle. Ziel der wissenschaftlichen Wissensproduktion ist es, Theorien zu entwickeln und zu überprüfen: weitreichend gültige, widerspruchsfreie Beschreibungen, Erklärungen und Begründungen eines klar abgegrenzten Gegenstandes (_2) . Theorie: explizites und intersubjektiv nachvollziehbares, widerspruchsfreies und systematisches Geflecht von Aussagen zu Regelhaftigkeiten eines rekonstruierten Weltausschnitts. _2 So gibt es etwa T. zur Wechselwirkung von Sprache und Gesellschaft. Neuere solche T. (z.B. Larsen-Freeman & Cameron, 2008 oder Sealey & Carter, 2004) besagen, dass Menschen beim Sprachhandeln von sozialen Strukturen bestimmt werden, dass sie aber durch ihr Sprachhandeln selbst wieder gesellschaftliche Strukturen verstärken oder verändern und damit die Handlungsbedingungen weiter ausprägen - etwa die journalistischen Normen zum Umgang mit Quellenäußerungen. Dazu organisiert sich Wissenschaft in Disziplinen (B|1) , mit je eigenen Erkenntnisinteressen (B|2) und passenden Methoden (B|3) . Der Platz einer Medienlinguistik in diesem Gefüge ist zu bestimmen (B|4) . Zuerst aber eine Aufgabe zum Nachdenken über Wissenschaftstheorie … <?page no="23"?> 24 B|? a Streiflicht W ISSENSCHAFTSTHEORIE : Wie man Wissen schafft Wissenschaft wirkt auf einer Objektebene und einer Metaebene. Auf der Objektebene bestimmt sie ihren Gegenstand, schärft Begriffe mit ausdrücklichen Definitionen, verknüpft diese zu Hypothesen, zu empirisch überprüfbaren Aussagen über den Gegenstand, und ordnet vorläufig gesichertes Wissen zu Theorien, die ihren Gegenstand erklären und Prognosen ermöglichen. Bleibt ein Bündel von Theorien lange Zeit stabil und wichtig, bildet es wissenschaftsgeschichtlich ein Paradigma. Auf der Metaebene hinterfragt sich Wissenschaft selbst theoretisch, verankert sich politisch, managt ihren Betrieb und verfeinert die Methoden, mit denen sie Wissen erzeugt und weitergibt (_1) . Beschreiben Sie diese Zusammenhänge in eigenen Worten und vergleichen Sie Ihre Version mit Versionen in der Lösungsdatenbank. >> www.medienlinguistik.net Metaebene → Objektebene ↓ Forschungsmethodik Wissenschafts- - theorie - politik - management - … Transfermethodik Praxis - Abstraktion + Theorie Paradigma + dauerhaft Theorie + widerspruchsfrei verflochten Hypothese + verknüpfend Definition + abgegrenzt Begriff + repräsentiert Gegenstand + beachtet Weltausschnitt _1 Wissenschaft mit Objekt- und Metawissen und der Beziehung von Praxis und Theorie allgemein gültige Aussage Methoden zur Wissenserzeugung einmaliger Fall Methoden zur Wissenstransformation Wissensproduktion Theorie empirisch abstützen, überprüfen Praxis beschreiben, erklären, optimieren <?page no="24"?> 25 B|1 Medienlinguistik im Wissenschaftsbetrieb Wissenschaft organisiert sich in Disziplinen. Eine Disziplin ist bestimmt über ihren Gegenstand, ihre Fragestellungen und ihre Methoden (_1) . Die Linguistik forscht zum Beispiel gesprächsanalytisch (Methode) nach Regelhaftigkeiten (Fragestellung) des Sprachgebrauchs (Gegenstand); dazu zählen etwa Rekontextualisierungen im öffentlichen Diskurs. Wissenschaftliche Disziplin: gesellschaftliche Institution, die Wissenschaft betreibt zu einem eigenen Gegenstand, mit eigenen Fragestellungen und eigenen Methoden. _1 Roe, 2003 zeigt disziplinäre Reibungsflächen und Bezüge am Beispiel Kommunikations- und Medienwissenschaft. Rampton, 2008 beschreibt Angewandte Linguistik als „disciplinary mixing“. Die Bedeutung der Disziplin als Organisationsform der Wissenschaft wird deutlich im • Studienangebot, im • Forschungsbetrieb sowie in • Tagungen und • Publikationen als den Brennpunkten fachlicher Diskurse: • Studienangebot: Ein Fach wie Linguistik bieten Hochschulen weltweit als Studienfach an, was dazu beiträgt, die Fachgemeinschaft zu erneuern und zu erweitern und so die Disziplin zu erhalten und auszubauen. • Forschungsbetrieb : Institutionen wie der S CHWEIZERISCHE N ATIONALFONDS unterstützen Institutionen wie Hochschulen oder Projektgruppen systematisch in einzelnen Forschungsvorhaben oder ganzen Programmen. • Tagungen: Anlässe wie die Jahrestagung der deutschen G ESELLSCHAFT FÜR A NGEWANDTE L INGUISTIK führen regelmäßig Fachleute zusammen und fördern Diskurse im Fach selbst, mit Nachbarfächern und mit der Praxis. • Publikationen: In Zeitschriften wie dem J OURNAL OF P RAGMATICS diskutieren Forschende unterschiedlicher fachlicher Herkunft neue Ansätze zum Sprachgebrauch in Anwendungsfeldern wie öffentlicher Kommunikation. Dabei deuten Begriffe wie Angewandte Linguistik und Pragmatics auf Probleme und Grenzen der Disziplin als der klassischen Organisationsform der Wissenschaft: Weil sich Erkenntnisinteressen und Wissen mit der Zeit verändern, sind etablierte Disziplinen für den Wissenschaftsbetrieb oft zu weit (B|1.1) oder zu eng (B|1.2) gefasst. <?page no="25"?> 26 B|1.1 Disziplinen ausprägen Mehrere Disziplinen können sich mit dem gleichen Gegenstand befassen. Dazu kurz zurück zum Fall R ISIKEN (A|1) : Die Äußerung von Piqué durchlief fünf Stationen einer Produktionskette, bis sie in einer Online-Nachricht des Zürcher T AGES -A NZEIGERS erschien: Piqué sprach Spanisch, ein EU- Dolmetscher simultan dazu Englisch, ein Korrespondent der Nachrichtenagentur A SSOCIATED P RESS (AP) griff die Äußerung mit den „Risiken“ auf, AP aktualisierte damit die weltweite Berichterstattung, AP Frankfurt die deutschsprachige, und AP Schweiz übermittelte die Meldung an Schweizer Kunden, etwa den T AGES -A NZEIGER ONLINE (_1) . _1 Die intertextuelle Kette von der Äußerung eines Politikers bis zur Wiedergabe in TA ONLINE Unter ökonomischem Blickwinkel wird in einer solchen Produktionskette Wert geschöpft, unter linguistischem werden sprachliche Äußerungen rekontextualisiert. So befassen sich beide Disziplinen damit, und zwar in der Medienökonomie und der Medienlinguistik - also in Teildisziplinen: Wissenschaftliche Teildisziplin: Bereich einer wissenschaftlichen Disziplin, der sich in Gegenstand, Fragestellung oder Methoden prägnant und stabil von der Disziplin abhebt. Aus linguistischer Sicht stellen nichtlinguistische (Teil-)Disziplinen wie die Medienökonomie scharf auf die Umwelt von Sprachgebrauch (B|1.1.1) , die Linguistik dagegen auf den Sprachgebrauch selbst (B|1.1.2) . Dabei klärt und beantwortet die Angewandte Linguistik auch Fragestellungen und Wissen der beforschten Praxis (B|1.1.3) , und die Medienlinguistik konzentriert sich auf den Sprachgebrauch in medialer Umwelt (B|1.1.4) . Piqué EU-Dienst AP Korre AP world AP D, CH TA online andere Abnehmer andere Zulieferer andere Abnehmer andere Abnehmer andere Abnehmer andere Abnehmer andere Zulieferer andere Zulieferer andere Zulieferer andere Zulieferer s p a nis c h e e n g lis c h d e u ts c h 17: 33 04 | 07: 17 23: 14 020402 | 03 <?page no="26"?> 27 B|1.1.1 Nicht-Linguistik Kommunikation (B|2.1.3|_1) und Medien (B|2.1.3|_2) als ein Thema unter vielen behandeln etwa Soziologie, Politologie, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft, Psychologie oder Pädagogik. Viele davon tun dies in eigenen Teildisziplinen, als Mediensoziologie, -ökonomie, -recht, -psychologie oder -pädagogik. Aus linguistischer Sicht thematisieren solche Disziplinen, mit je eigenen Fragestellungen und Methoden, Ausschnitte der vielschichtigen Umwelten des Sprachgebrauchs. So untersucht eben zum Beispiel die Medienökonomie die publizistischen Medien aus wirtschaftlichem Blickwinkel. Einige Disziplinen konzentrieren sich ganz auf öffentliche oder massenmediale oder journalistische Kommunikation: Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft, Publizistik, Journalistik. Wie sich diese Disziplinen gegeneinander abgrenzen, darüber wird immer wieder gestritten. Aus linguistischer Sicht jedenfalls beschreiben auch sie gesellschaftliche, organisationale, wirtschaftliche, technologische und andere Aspekte der Umwelten, in denen Medienschaffende ihre Kommunikationsangebote herstellen, ihre Texte produzieren. Vom Sprachgebrauch her nähern sich all jene Disziplinen den (publizistischen) Medien, die sich mit Sprache und Sprachen, mit Zeichen und Texten überhaupt beschäftigen: Die Semiotik etwa untersucht Wechselwirkungen von Zeichensystemen. Sprach- und Kulturraum-gerichtete Disziplinen wie die Germanistik oder die Romanistik untersuchen die jeweilige Sprache in den Medien. Die Literaturwissenschaft stellt Medientexte als Gebrauchstexte neben die Belletristik. Die Sprachdidaktik erkennt Mediensprache als Sozialisationsfaktor. Sprachkritik, Stilistik oder Rhetorik diskutieren Gestalt und Wirkung von Mediensprache, oft ausdrücklich wertend. Sprache und Sprachgebrauch als Hauptgegenstand umfassend beobachten, beschreiben und erklären aber - das leistet allein die Linguistik. <?page no="27"?> 28 B|1.1.2 Linguistik Zentral mit der Sprache befasst sich die (allgemeine) Linguistik: Sie untersucht im Gegensatz zur Semiotik nur Sprache, und zwar gesprochene, geschriebene oder gebärdete natürliche Sprache. Anders als etwa Germanistik oder Romanistik tut sie dies über die Grenzen der Einzelsprachen hinweg. Sie arbeitet beschreibend, nicht wertend wie die Sprachkritik, und interessiert sich, anders als die Literaturwissenschaft, für Sprache in allen Gebrauchszusammenhängen (_1) . Linguistik: wissenschaftliche Disziplin, die sich befasst mit der Sprache als einer menschlichen Fähigkeit, mit den natürlichen Einzelsprachen und mit dem Sprachgebrauch. _1 Die Bezeichnung Linguistik für Sprachwissenschaft kam auf mit den Arbeiten von De Saussure, 1916. Das Verhältnis von Linguistik und Semiotik diskutiert etwa Peters, 1999. In drei Forschungsparadigmen hat die Linguistik seit dem frühen 20. Jahrhundert die Sprache erschlossen: zuerst strukturalistisch, als System aus Lauten, Wörtern und Sätzen; dann generativ, als Produkt kognitivindividueller Tätigkeit; dann pragmatisch, als Auslöserin, Begleiterin und Spur menschlicher Tätigkeit in konkreten Umwelten. So haben sich linguistische Teildisziplinen herausgebildet. Sie erfassen heute alle den gleichen Gegenstand, nämlich die Sprache und den Sprachgebrauch. Aber sie nehmen dazu einen je eigenen Blickwinkel ein: • Teildisziplinen wie Phonologie, Phonetik, Morphologie, Syntax oder Textlinguistik gehen aus von Struktureinheiten der Sprache, etwa von Lauten, Wörtern, Sätzen oder Texten. • Teildisziplinen wie Semantik, Pragmatik, Psycho- oder Soziolinguistik gehen aus von Funktionen der Sprache, etwa Benennen, Denken, Handeln oder Identitäts- und Gemeinschaftsbildung. • Teildisziplinen wie Gesprächs-, Schreib-, Diskurs- und Hypermediaforschung gehen aus von Umwelten des Sprachgebrauchs wie Gesprächssituationen oder Hypermedia-Umgebungen. In allen Teildisziplinen geht es darum, die Regelhaftigkeiten theoretisch zu beschreiben, die für eine bestimmte Sprachgemeinschaft gelten oder sogar universal, für alle Sprachbenutzer. <?page no="28"?> 29 B|1.1.3 Angewandte Linguistik Wie andere wissenschaftliche Fächer auch hat die Linguistik eine angewandte Fachrichtung ausgeprägt: die Angewandte Linguistik. Während die klassischen wissenschaftlichen Fächer ihre Fragen aus theoretischen Überlegungen ableiten, greifen die angewandten Fächer auch Probleme der Praxis auf und tragen zu deren Klärung und Lösung bei. Angewandte Linguistik befasst sich zum Beispiel mit der Optimierung des Sprachgebrauchs für bestimmte kommunikative Aufgaben. Sie fragt dann etwa nach den Repertoires an Strategien, mit denen individuelle Sprachbenutzer oder Sprachgemeinschaften Gespräche führen oder Äußerungen anderer rekontextualisieren - und nach Verfahren, um diese Repertoires in Lehr- und Lernprozessen zu erweitern (_1) . Angewandte Linguistik: disziplinäre Variante der Linguistik, die sprachbezogene Theorien, Methoden und Erkenntnisse erzeugt und anwendet, um Probleme des Sprachgebrauchs in Anwendungsfeldern zu bearbeiten. _1 Widdowson, 2000 setzt „applied linguistics“ gegen „linguistics applied“. Die Erste forscht grundsätzlich von den Problemen der Praxis her, die Zweite wendet theoretische Fragestellungen auf die Praxis an. Sealey & Carter, 2004, 18 sehen A.L. systemtheoretisch, also interessiert an Umwelt, Funktion und Struktur von Sprache im Gebrauch. Perry, 2005 führt in die Forschungspraxis von A.L. ein. Knapp, et al., 2011 zeigen die Arbeitsfelder der A.L., auch als mögliche künftige Berufsfelder für Studierende. So entwickelt die Angewandte Linguistik Teildisziplinen zu Tätigkeitsfeldern, deren Sprachgebrauch gesellschaftlich bedeutsam ist und sich vom Sprachgebrauch in anderen Tätigkeitsfeldern wesentlich unterscheidet. Beispiele solcher Teildisziplinen: • Die Rechtslinguistik befasst sich mit Sprachgebrauch in der Rechtspraxis, wo Sprache rechtliche Verbindlichkeit herstellt. • Die Forensische Linguistik befasst sich mit Sprachgebrauch in der Ermittlungs- und Gerichtspraxis, wo Sprache Alibi und Indiz abgeben kann. • Die Klinische Linguistik befasst sich mit Sprachgebrauch in der Therapie sprachlicher, kommunikativer und damit verwandter Störungen. • Die Wirtschaftslinguistik befasst sich mit Sprachgebrauch im Betriebsalltag, wo Sprache organisationale Abläufe zur Wertschöpfung steuert. <?page no="29"?> 30 B|1.1.4 Medienlinguistik Auch die medienvermittelte öffentliche Kommunikation stellt ein Tätigkeitsfeld dar, das gesellschaftlich bedeutsam ist und dessen Sprachgebrauch sich vom Sprachgebrauch in anderen Feldern unterscheiden kann (B|1.1.3) . Mit diesem Sprachgebrauch im Umfeld von Medien - oder im engeren Sinn von publizistischen Medien (B|2.1.4) - befasst sich die Medienlinguistik (_1) . Medienlinguistik: Teildisziplin der Linguistik, die sich befasst mit dem Zusammenhang von Sprache und Medien. _1 Möhn, et al., 2001 publizieren das erste Buch, das den Begriff Medienlinguistik im Titel trägt. Androutsopoulos, 2003 und Perrin, 2004 beschreiben M. programmatisch. Perrin, 2006a legt den ersten Lexikoneintrag zum Stichwort M. vor. Held & Stöckl, 2010 rufen zur ersten mehrtägigen deutschsprachigen Fachtagung mit Titel Medienlinguistik. Als Wissenschaft arbeitet Medienlinguistik immer theoriebasiert, als angewandte Wissenschaft geht sie theorie- und praxisgeleitet vor: Theoriegeleitet sucht sie in Daten zum Sprachgebrauch im Umfeld von Medien Antworten auf linguistische oder linguistisch-interdisziplinäre Fragestellungen, praxisgeleitet klärt sie mit linguistischen Werkzeugen Probleme der Medienpraxis - und überprüft damit zugleich die Reichweite der Theorie. Die Wissenschaftsdisziplin und das berufspraktische Fach sind also aufeinander bezogen (_2) : _2 Medienlinguistik als Teildisziplin der Linguistik So kann Medienlinguistik am Fall von Josep Piqué theoriegeleitet untersuchen, wie Sprachbenutzer mit Äußerungen anderer umgehen, oder sie kann praxisgeleitet forschen nach handhabbaren und kommunikativ zufrieden stellenden Techniken der Redewiedergabe. Wissenschaftsdisziplin Berufspraktisches Fach Medienpraxis Angewandte Linguistik (theoretische) Linguistik Medienlinguistik theoriegeleitete Fragestellung praxisgeleitete Fragestellung <?page no="30"?> 31 B|1.2 Disziplingrenzen überwinden Für konkrete Forschung können wissenschaftliche Disziplinen aber nicht nur zu weit sein (B|1.1) , sondern auch zu eng. Fragen nach einer angemessenen Methodik oder nach dem Sprachgebrauch im Umfeld publizistischer Medien zum Beispiel greifen über die Medienlinguistik hinaus. Sie rufen nach Disziplinen-übergreifenden Ansätzen, nach multi-, inter- und transdisziplinärer Forschung (_1) . Multidisziplinär: Forschung, bei der wissenschaftliche Disziplinen zusammenarbeiten, indem sie ihre je eigenen Theorien und Methoden ergänzend einbringen, um gemeinsame Fragestellungen zu verfolgen. Interdisziplinär: Forschung, bei der wissenschaftliche Disziplinen zusammenarbeiten, indem sie gemeinsame Fragestellungen verfolgen und zusätzlich gemeinsam Methoden oder Theorien entwickeln. Transdisziplinär: Forschung, bei der wissenschaftliche Disziplinen mit außerwissenschaftlichen Fächern gemeinsam Wissen erzeugen, um gesellschaftlich relevante Probleme zu lösen. _1 Hoffmann-Riem, et al., 2008 behandeln im „Handbook of transdisciplinary research“ Fragen zur Kooperation wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Fächer theoretisch und bezogen auf viele Anwendungsfelder. Sie beschreiben t. Forschung als Zusammenarbeit von Fachleuten aus wissenschaftlichen und berufspraktischen Disziplinen, bei der disziplinäre Denkmuster überwunden und praktische Probleme auf eine gesellschaftlich fruchtbare Art gelöst werden. So erscheint t. Forschung als Forschung über die Praxis, mit der Praxis und für die Praxis. Menz & Gruber, 2001 diskutieren „Interdisziplinarität in der Angewandten Sprachwissenschaft“. Charaudeau, 2008 erklärt die Stärken interdisziplinärer, linguistischkommunikationswissenschaftlicher Medienanalysen. Hinterfragt Medienlinguistik zum Beispiel ihren Wissenschaftsbetrieb kritisch, nützt ihr multidisziplinäre Zusammenarbeit, etwa mit der Wissenschaftssoziologie oder der Didaktik (B|1.2.1) . In interdisziplinärer Zusammenarbeit mit der Kommunikations- und Medienwissenschaft kann sie beispielsweise Mehrmethodenansätze entwickeln, um den gemeinsamen Gegenstand plastischer zu erfassen (B|1.2.2) . In transdisziplinärer Zusammenarbeit mit der Medienpraxis erschließen sich ihr etwa deren Berufswissen und Fragen, was zu gemeinsamer, lösungsorientierter Theoriebildung führen kann (B|1.2.3) . <?page no="31"?> 32 B|1.2.1 Der multidisziplinäre Aspekt Wie jede wissenschaftliche Fachdisziplin steht die Medienlinguistik in der Pflicht, nicht nur auf der Objektebene zu wirken und ihren Gegenstand zu erforschen, sondern, auf der disziplinären Metaebene, auch über sich selbst nachzudenken - nachzudenken über ihre • Forschungsmethoden, ihre • Wissenschaftsdidaktik, ihr • Wissenschaftsmanagement und ihre • Wissenschaftspolitik. Dies legt multidisziplinäre Zusammenarbeit nahe: • Forschungsmethoden: Eine Medienlinguistik, die ihren Gegenstand empirisch erfassen will, braucht geeignete Forschungsmethoden. Wie zum Beispiel kommt sie zu aussagekräftigen Daten zur Textproduktion, ohne die Arbeitsabläufe in der Praxis zu stören und damit die Befunde zu verzerren? - An solchen Fragen arbeiten Disziplinen, die menschliche Tätigkeiten in natürlichen Umwelten erforschen, etwa Anthropologie oder Arbeitssoziologie und -psychologie. • Wissenschaftsdidaktik: Eine Medienlinguistik, die dazu beitragen will, Probleme der Sprachpraxis zu lösen, braucht auch geeignete Methoden der Wissenstransformation. Wie kann es zum Beispiel gelingen, im komplexen Umfeld einer Redaktion Haltungen, Wissen und Arbeitsmethoden aufzubauen, um die Textproduktionskompetenz zu optimieren? - An solchen Fragen arbeiten Didaktik, Pädagogik, Angewandte Psychologie. • Wissenschaftsmanagement: Eine Medienlinguistik, die sich auch am praktischen Markt behaupten will, muss diesen Markt verstehen. Wie aber funktioniert zum Beispiel ein Medienmarkt, der auf öffentliche und zugleich auf medienwirtschaftliche Interessen ausgerichtet ist und dessen Berufsfeld sich spät professionalisiert? - An solchen Fragen arbeiten etwa Arbeitssoziologie, Berufsfeldforschung, Medienökonomie. • Wissenschaftspolitik: Eine Medienlinguistik schließlich, die sich wissenschaftlich behaupten und entfalten will, braucht einen solid verankerten und zugkräftigen Wissenschaftsbetrieb. Wie bilden Disziplinen Profile aus und überwinden disziplinäre Grenzen? Wie sichern sie die Qualität ihrer Grundlagenforschung, angewandten Forschung und Auftragsforschung? - An solchen Fragen arbeiten Wissenschaftstheorie und -soziologie. <?page no="32"?> 33 B|1.2.2 Der interdisziplinäre Aspekt Die Medienlinguistik und die Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW) befassen sich beide mit medialer öffentlicher Kommunikation - mit der Produktion und der Rezeption von Kommunikationsangeboten, mit den Produkten selbst und mit der Umwelt, die diese Kommunikation beeinflusst und durch sie beeinflusst wird. Interdisziplinäre Zusammenarbeit drängt sich hier auf (_1) : _1 Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von KMW und Medienlinguistik Die beiden Disziplinen ergänzen sich in Erkenntnisinteresse und Methode: Die KMW strebt vorwiegend Befunde an, die mit statistischer Wahrscheinlichkeit allgemein gelten. Das bedingt breite Erhebungen mit wenig Aufwand für den einzelnen Fall. Die Medienlinguistik dagegen will Regelhaftigkeiten sprachbasierter Sinnkonstruktion auch an einzelnen Fällen tiefgreifend, präzise und schlüssig nachweisen; dann argumentiert sie für die Relevanz ihrer Befunde statt für statistische Repräsentativität. Interdisziplinär können KMW und Medienlinguistik zum Beispiel einerseits breit untersuchen, welche politischen Akteure mit welchen Themen in welchen Medienangeboten auftreten - und andererseits an wenigen Texten oder Verstehenssituationen schlüssig nachweisen, dass ein und dieselbe Quellenäußerung je nach Rekontextualisierung gegensätzliche Bedeutungsvorstellungen nahelegt und damit ganz unterschiedliche Wirkungen auslösen kann. Kommunikationsumwelt ergänzt Produktion Kommunikationsangebot Rezeption KMW Medienlinguistik analysiert und optimiert analysiert (und optimiert) <?page no="33"?> 34 B|1.2.3 Der transdisziplinäre Aspekt Wer Sprache benutzt, greift dazu auf geronnene Erfahrung, auf praktisch erworbenes Wissen über Sprache und Sprachgebrauch. Ist dieses Wissen situativ bewusst einsetzbar und gekoppelt an eine Haltung der Aufmerksamkeit für sprachliche Probleme, spricht man von Language Awareness (_1) . Transdisziplinäre Medienlinguistik kann die Language Awareness von Medienschaffenden mit wissenschaftlichem Wissen verbinden, um Probleme der Praxis zu erkennen, Lösungen zu entwickeln und die Lösungen in der Praxis zu verankern - Lösungen wie etwa professionell und gesellschaftlich angemessene Praktiken der Rekontextualisierung. Language Awareness: Bewusstheit und Aufmerksamkeit beim Lösen sprachlicher Probleme in Kommunikationssituationen. _1 Garrett, 2010 fasst den Forschungsstand zu L. konzis für verschiedene Anwendungsfelder zusammen. Ehrensberger-Dow & Perrin, 2009 erforschen die L.A. von Übersetzen; Svalberg, 2007 untersucht die Funktion von L.A. im Sprachenlernen. Perrin, 2001b erforscht L.A. im Journalismus und weist bewusste sprachliche Vorstellungen Medienschaffender nach: Vorstellungen zum Beispiel von sprachlichen Einheiten wie Wörtern, Sätzen und Texten; von berufsspezifischen Text- und Gesprächssorten; von Normen der Rechtschreibung und Aussprache; von der Angemessenheit bestimmter sprachlich-kommunikativer Mittel in bestimmten Situationen; von den Varietäten eigener und benachbarter Tätigkeitsfelder wie der PR oder der Politischen Kommunikation; vom Wandel der Sprache; von Techniken der Textproduktion und Gesprächsführung; von der Sprachkompetenz der Adressaten. Lehr, 2001 schließt von „sprachreflexive[n] Äußerungen“ in Pressetexten auf „alltagsweltliche Vorstellungen von Sprache“ (322). Stenschke, 2005 erfasst in drei Zeitungen die Schlüsselwörter im öffentlichen Diskurs zur deutschen Rechtschreibreform. Spitzmüller, 2005 untersucht in Diskursbeiträgen aus Sprachwissenschaft und Medien Unterschiede zwischen wissenschaftlicher und öffentlicher Einschätzung von Anglizismen. Solches Wissen kann fruchtbar einfließen in die Entwicklung von Fragestellungen, in die Problemfindung und Problemlösung, in die Theoriebildung - vorausgesetzt, Wissenschaft und Praxis verständigen sich. Dazu ist aber eine Kluft zu überwinden: Eine Wissenschaftlerin, die mit der Medienpraxis transdisziplinär zusammenarbeiten will, muss zwischen den Berufsverständnissen und Sprachen beider Seiten vermitteln, muss Codes switchen. Was das bedeutet, können Linguisten vor einem soziolinguistischen Hintergrund leichter einschätzen als Vertreter anderer Disziplinen, die sich ebenfalls für publizistische Medien interessieren. Die Medienlinguistik ist also auch auf der Ebene der Vermittlungssprache zum transdisziplinären Brückenschlag berufen. <?page no="34"?> 35 B|2 Das Erkenntnisinteresse der Medienlinguistik Es gibt kein Wissen an sich. Erkennen ist gebunden an Standpunkte, Blickwinkel, Begriffe - und damit an Interessen. Erkenntnisinteresse leitet die Forschung, die Theoriebildung, den Wissenschaftsbetrieb (_1) . Erkenntnisinteresse: Ausrichtung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit beim Untersuchen eines Gegenstandes. _1 Ortner & Sitta, 2003, 5 sehen hinter aller Forschung „sowohl ein Erkenntnisals auch Verwendungsinteresse“. Hirsch Hadorn, et al., 2008, 21 beschreiben wissenschaftliche Tätigkeit als grundsätzlich verbunden mit wirtschaftlichen und politischen Interessen. Fairclough, 2008 verteidigt das E. der Kritischen Diskursanalyse, im Sprachgebrauch Spuren unterdrückender Ideologien zu entdecken und dagegen anzutreten. Wissenschaft kann also nicht objektiv sein, wohl aber intersubjektiv nachvollziehbar: in ihren Erkenntnisinteressen und ihrem Vorgehen klar und begründet. - Für das Beispiel Rekontextualisierung bedeutet dies: • Ein Erkenntnisinteresse kann darauf abzielen, Rekontextualisierungen in publizistischen und wissenschaftlichen Kommunikationsangeboten zu vergleichen. Dann wird man feststellen, dass zum Beispiel die „Risiken“- Stelle bei A SSOCIATED P RESS (A|1) wissenschaftliche Zitiernormen verletzen würde: Es fehlen Hinweise auf die Originalsprache, die Veränderung im Wortlaut sowie das originale sprachliche und kommunikative Umfeld. • Ein Erkenntnisinteresse kann aber auch auf den Sprachgebrauch im Praxisfeld selbst zielen. Dabei könnte sich herausstellen, dass Medienschaffende einen erzählerischen Umgang mit Quellen pflegen. Der wissenschaftlich geprägte Zitatbegriff wäre dieser Wirklichkeit weniger angemessen. Zur Abgrenzung empfiehlt sich dann der berufspraktisch verwendete Begriff des Quotes: Ein Quote erscheint als Redewiedergabe, kann aber auch zugespitzt oder gar erfunden sein (_2) . Quote: Einheit in einem Medienbeitrag, die dargestellt wird als originalnahe Wiedergabe einer Äußerung einer Quelle. _2 Hauser, 2008 vergleicht Q. in Zeitungen aus Australien, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz. Marinos, 2001 arbeitet über Authentizität journalistischer Redewiedergabe in der Zeitung; H. Burger, 2001a über das „Zitat in Fernsehnachrichten“. Zu klären sind also die Grundannahmen zum Gegenstand (B|2.1) und die Fragestellungen (B|2.2) medienlinguistischer Arbeit. <?page no="35"?> 36 B|2|? a Aufsatz C HOI : Zwei Perspektiven Lesen Sie den folgenden Abstract von Dongdoo Choi (_1) . Was erfahren Sie ausdrücklich zum Erkenntnisinteresse des Autors? A Critical Discourse Analysis on Different Representations of the Same Event in the Media […] The main purpose of this study was to investigate how language in the media is manipulated for ideological purposes to present different representations of the same event. The data used were newspaper articles printed in the Washington Post and China Daily about the air crash incident between the United States and China over the South China Sea on April 1st, 2001. The main focus of this study was analysis of the first articles printed immediately after the episode took place. In addition, articles from the onset to the settlement phase of the incident were also analyzed in order to see how language use in each newspaper changed, reflecting a change in their attitudes towards the episode as the situation was developing. And the probable effects the ways of language use found in the data would have on readers were discussed. The linguistic analysis in this study concerned the choice of lexical items, syntactic and semantic structures, focal points of each newspaper, and effects of quotations in the articles. The findings were that there were significant differences in their ways of reporting the incident that would have been able to lead their readers to perceive the incident in favor of the ideology that each newspaper supports. Differences were found in lexical choices used to refer to the planes involved and their characteristics. Syntactic resources were strategically exploited in assigning each plane a thematic role that would produce a negative impact on one side and mitigate the impact on the other side. In terms of focal points, the damage inflicted on one side was zoomed in and that on the other side was zoomed out. Also, a tendency was found to exploit reported speech to downplay damage inflicted to the opposing side. […] This study tries to build a logical connection between extra-linguistic factors such as the politico-diplomatic delicacies between the two countries and the differences of linguistic representations used. _1 Aufsatz C HOI , Textanfang. Quelle: Choi, 2002, 1 f. <?page no="36"?> 37 B|2.1 Der Gegenstand Die Wissenschaft will Wissen über Weltausschnitte herstellen. Dazu macht sie sich, aus bestimmten Blickwinkeln und mit bestimmten Erkenntnisinteressen, abstrakte und explizite Vorstellungen von konkreten Ausschnitten der Wirklichkeit - sie schafft sich Begriffe. Diesen Begriffen gelten dann ihre Aussagen, ihre Hypothesen und Theorien. So konstruiert sich jede wissenschaftliche (Teil-)Disziplin, ausgehend vom konkreten Materialobjekt, ihr abstraktes Formalobjekt (_1) . Materialobjekt: Weltausschnitt, der unabhängig von wissenschaftlichem Erkennen existiert und den Wissenschaft untersuchen will. Formalobjekt: Begriff, den sich eine wissenschaftliche (Teil-)Disziplin aus ihrem Blickwinkel von ihrem Gegenstand macht. _1 Die Scholastik unterscheidet objectum materiale und objectum formale; Leont’ev, 1971 Objekt und Gegenstand einer Wissenschaft; De Saussure, 1916 „la matière de la linguistique“ und „l’objet de la linguistique“. Das Materialobjekt der Linguistik zum Beispiel ist unstrittig die Sprache. Davon kann sie sich aber verschiedene Formalobjekte konstruieren: zum Beispiel Sprache allein als Produkt oder Sprache als Spur und Auslöser von Prozessen. - Ein Beispiel für diesen Bezug von Produkt und Prozess: EU to send mission to Mideast to urge Israel, Palestinians to cease fire now; Eds: UPDATES with Piqué quote _2 Inhaltsangabe und Aktualisierungshinweis über einer AP-Meldung. Quelle: ap_020403_17: 33 Die Nachrichtenagentur A SSOCIATED P RESS schreibt über einer Neufassung einer bereits veröffentlichten Agenturmeldung, es handle sich um „UPDATES with Piqué quote“. Sie wirbt also mit sprachlichen Mitteln für den sprachlichen Mehrwert („with Piqué quote“) der Neufassung und verweist dabei auf den Wertschöpfungsprozess („UPDATES“). Nur bei prozesshaftem Formalobjekt interessiert sich Medienlinguistik für solche Prozesse. Die Formalobjekte Sprache (B|2.1.1 und 2.1.2) , aber auch Kommunikation und Medien (B|2.1.3 bis 2.1.4) sind also zu diskutieren. <?page no="37"?> 38 B|2.1|? a Aufsatz S TÖCKL : Ein A ist ein A ist ein A Umreißen Sie das Materialobjekt und das Formalobjekt der Linguistik intuitiv - jetzt gleich, ohne weiterzulesen. Tun Sie dies noch einmal, nachdem Sie den folgenden Anfang eines Aufsatzes von Hartmut Stöckl gelesen haben (_1) : 1. Typographie - (k)ein Thema für die Linguistik? Die Beschäftigung mit Typographie - d.h. der Form, Auswahl und Verwendung von Schrift im Text sowie der gesamten graphischen Gestaltung eines Schriftstücks oder Dokuments - in einem linguistischen Rahmen mag zunächst verwundern. Zu sehr scheint typographische Gestaltung die Domäne eines eigenen Berufsstandes (Typograph, Setzer, Drucker) zu sein, zu eng erscheint uns die Bindung typographischer Aspekte an künstlerische Gestaltung […] und zu weit entrückt von der eigentlichen Struktur und Bedeutung der sie darstellenden Sprache mutet die materielle Gestalt der Schrift an. In der Tat ist die Linguistik bis auf wenige Ausnahmen […] der Thematisierung von Schrift und ihrer Materialität, d.h. den Gestaltungsspielräumen graphischer Zeichen, eher abgeneigt. Die den Blick auf die Materialität von geschriebener Sprache verstellende Position des ein A ist ein A ist ein A gegenüber Typographie zeigt sich durchgängig in Sprachphilosophie, Sprachwissenschaft und Semiotik. _1 Aufsatz S TÖCKL , Textanfang. Quelle: Stöckl, 2004b, 5 f. <?page no="38"?> 39 B|2.1.1 Sprache Im semiotischen Begriffsverständnis kommunizieren auch Tiere oder Computer mit Sprachen. Der Text „Wir müssen Risiken eingehen“ etwa wird im Internet gespeichert und übermittelt in HTML, in Hypertext Markup Language. Die Linguistik aber konzentriert sich auf menschliche Sprache und begreift sie • als vermutlich artspezifische menschliche Fähigkeit, • als natürliche Einzelsprache und • als konkrete Spur von Sprachgebrauch. Was bedeutet das? - Definition und Beispiele (_1) : Sprache: • Fähigkeit des Menschen, mittels sprachlicher Zeichen kognitive und kommunikative Prozesse zu steuern; • System der Zeichen einer natürlichen Einzelsprache, die Grundlage einer Sprachgemeinschaft; • konkrete Äußerung von Einheiten einer Sprache. _1 Sapir, 1921 zum Beispiel versteht S. als ein System von Zeichen zur Kommunikation; Bloomfield, 1926 als die Gesamtheit aller möglichen Äußerungen in einer Sprachgemeinschaft; Chomsky, 1957 als die Menge der Sätze eines formalen Systems; Halliday, McIntosh, & Strevens, 1964 beschreiben S. als Tätigkeit, als „activity basically of four kinds: speaking, listening, writing and reading“ (9). • Als menschliche Begabung ist Sprache eine genetisch gegebene, auf neurophysiologischen Prozessen beruhende Fähigkeit zur Kommunikation und zum sprachlichen Denken. Alle Menschen sind fähig, mittels Sprache Nachrichten über Dinge auszutauschen, die, wie im Fall der Äußerung über die „Risiken“ von Josep Piqué, weit außerhalb der Kommunikationssituation liegen können. • Als natürliche Einzelsprache ist Sprache das Zeichensystem einer Sprachgemeinschaft. Die Äußerung von Piqué ist gesprochen in Spanisch und simultan übersetzt in Englisch, schriftliche Redewiedergaben liegen zum Beispiel in Englisch und Deutsch vor. • Als geäußerte, materiale Sprache ist Sprache die konkrete Spur von Sprachgebrauch. „Wir müssen Risiken eingehen“ stellt ein Stück Sprache dar, einen Satz aus vier Wörtern zwischen Wortlücken. Samt Leerschlägen sind es 27 Zeichen, publiziert am 4. April 2002. - Was Sprachgebrauch bedeutet, ist allerdings noch zu klären (B|2.1.2) . <?page no="39"?> 40 B|2.1.2 Sprachgebrauch Sprachgebrauch zu erforschen, bedeutet zuerst, nach der • fertigen Sprache zu fragen. Sie ist das Ergebnis von Sprachgebrauch und legt den Grund für neuen Sprachgebrauch, etwa für Verstehensprozesse. Zu fragen ist aber auch nach dem Gebrauch: dem Sprachgebrauch als • kognitive, • soziale und • kognitiv-soziale Tätigkeit (_1) : Hintergrund sozial - + kognitiv - fertige Sprache und soziale Tätigkeit + und kognitive Tätigkeit und kognitiv-soziale Tätigkeit _1 Sprache als Schnittstelle kognitiver und sozialer Tätigkeiten Für die Untersuchung von Rekontextualisierungen in der journalistischen Textproduktion zum Beispiel stellen sich Fragen zur Sprache als … • fertiges Produkt, also zu den Veränderungen, die eine Äußerung erfährt durch einen einmaligen oder wiederholten Rekontextualisierungsprozess. Zum Beispiel: Wie ändert sich die Bedeutung eines Quotes mit der sprachlichen und kommunikativen Umgebung? • kognitive Tätigkeit, also zu Handlungen, Strategien und Routinen, mit denen die einzelnen Sprachbenutzer Äußerungen rekontextualisieren. Zum Beispiel: Was tut ein Journalist genau und warum tut er es, wenn er eine Äußerung aus einem Quellentext löst und in seinen Text einbaut? • soziale Tätigkeit, also zu Rekontextualisierungsmustern, die sich in einer Gemeinschaft bilden oder verfestigt haben. Zum Beispiel: Wie verhält sich das, was eine Redaktion mit einem Quote tut, zu den Normen, die in dieser Redaktion für die Beitragsproduktion gelten? • sozial-kognitive Tätigkeit, also zum Zusammenspiel individueller Handlungen des Rekontextualisierens und kollektiver Handlungsmuster. Zum Beispiel: Wie handeln Redakteure eine gemeinsame Vorstellung akzeptabler Quotes aus und setzen sie um? <?page no="40"?> 41 B|2.1.3 Kommunikation und Medium Zum Medium, deutsch Mittler, kann in der Kommunikation vieles taugen, etwa auch ein Statussymbol wie ein Kleid, ein Schallwellenträger wie die Luft oder ein Zeichensystem wie die deutsche Sprache. In diesem weiten Sinn ist jede Form von Kommunikation (_1) medial vermittelt. Hier gemeint ist aber ein engerer, technischer Medienbegriff (_2) . Kommunikation: absichtsvolle, auf andere Menschen ausgerichtete sprachliche oder sprachnahe Tätigkeit. _1 Hymes, 1972, Gumperz, 1982, Keller, 2003, Deppermann, 2004 oder Becker-Mrotzek & Brünner, 2004 beschreiben kommunikative Kompetenz als die Fähigkeit einer Sprachbenutzerin, sich in konkreten Situationen angemessen mitzuteilen. Nach Luhmann, 1984, 241 bestehen soziale Systeme „über ihre kommunikativen Handlungen“. D. Jones & Stubbe, 2004 beschreiben K. als Kernprozess allen Organisierens und sehen Organisationen als hergestellt und entwickelbar vor allem durch Kommunikation. Häusermann, 2001 versteht den journalistischen Text als „Ort der öffentlichen Kommunikation“. Medium: technische Einrichtung zur Herstellung, Speicherung, Vervielfältigung und Übertragung von Zeichen. _2 Schneider, 2006 geht der Frage nach, ob es „nichtmediale Kommunikation“ überhaupt gibt. Holly, 1997 unterscheidet zwischen M., Zeichensystem und Kommunikationsform. Schrift etwa sei „selbst nicht als Medium anzusehen, sondern als Speichermöglichkeit für Sprachzeichen, als andere (durchaus eigenständige) Repräsentation eines Zeichensystems“ (67). Holly, 1997 versteht Medien als „konkrete materielle Hilfsmittel, mit denen Zeichen verstärkt, hergestellt, gespeichert und/ oder übertragen werden können“ (69 f.). Habscheid, 2000, 138 formuliert: „In terminologischer Abgrenzung zu ‚Zeichen’ und ‚Kommunikationsform’ lassen sich Medien bestimmen als materiale, vom Menschen hergestellte Apparate zur Herstellung, Modifikation, Speicherung, Übertragung oder Verteilung von sprachlichen (und nichtsprachlichen) Zeichen (im Sinne musterhafter Äußerungen), die bestimmte, im Vergleich zur sog. ‚direkten’ Kommunikation […] erweiterte und/ oder beschränkte Kommunikationsformen ermöglichen und die die mit ihnen kommunizierten Symbole sowie - mittelbar, im Rahmen institutioneller Ordnungen und soziokultureller Aneignungsprozesse - Strukturen der Wahrnehmung, Kognition, Erfahrung, Erinnerung und Gesellschaft prägen.“ Hutchby, 1991 zeigt im Überblick, wie die Medien vom Telefon bis zum Internet die kommunikativen Praktiken beeinflussen. Nach diesen Definitionen können mit Medien alle technischen Kommunikationsmedien gemeint sein, etwa die Postkarte, das Intranet, die Saalbeschallungsanlage. Jede Kommunikation nutzt solche technischen Einrichtungen, abgesehen vom Gespräch. Ein eigenständiges Anwendungsfeld von Sprache wird erst greifbar in einer Präzisierung wie publizistische Medien (B|2.1.4) . <?page no="41"?> 42 B|2.1.4 Publizistisches Medium Ein enger gefasster Begriff von Medien meint vor allem die publizistischen Medien (_1) . So verstanden, bezieht sich Medienlinguistik auf ein eigenständiges und gesellschaftlich relevantes Anwendungsfeld von Sprache, ähnlich wie die Rechts- oder die Wirtschaftslinguistik. Publizistisches Medium: technische Einrichtung, mit der öffentlich bedeutsame Kommunikationsangebote unter ökonomischen Bedingungen hergestellt und veröffentlicht werden. _1 Luhmann, 1996 bestimmt das p.M. als technisches Mittel, das Äußerungen vervielfältigt, in einer Richtung vermittelt und für alle Mitglieder einer Kultur öffentlich macht. S. Weber, 2005 erfasst p.M. als „Massenmedien“, die aus alten Wirklichkeitsbeschreibungen neue schaffen. Reich & Lahav, 2012 hinterfragen in ihrem Experiment die Rolle der Journalisten in publizistischen Medien, indem sie Literaturschaffende eine Tageszeitung machen lassen. Der Begriff des publizistischen Mediums ist also • gesellschaftspolitisch, • wirtschaftlich und • kommunikativ schärfer gefasst als der Begriff des Mediums allgemein. - Beispiele: • gesellschaftspolitisch: Öffentlich bedeutsame Kommunikationsangebote tragen bei zur Herstellung von Öffentlichkeit in Gesellschaften, deren Beziehungen hinausreichen über einen direkten Kontakt im Dorf. Wie Josep Piqué als Vorsitzender einer EU-Sonderkommission zum Frieden im Nahen Osten beitragen will, ist öffentlich bedeutsam. • wirtschaftlich: Ökonomische Bedingungen bedeuten den Zwang zur Wertschöpfung in arbeitsteiligen und technisierten Prozessen. Das Zitat von Piqué durchläuft eine Kette von Stationen, wo es Medienschaffende unterschiedlicher Berufsrollen auswählen, sprachlich bearbeiten, technisch aufbereiten, bewerben - „UPDATES with Piqué quote“ (B|2.1|_2) - und neuen Adressaten verkaufen. • kommunikativ: Veröffentlichen meint verbreiten aus dem Herstellungszusammenhang hinaus, an individuell unbekannte Adressaten. Die Redaktion des T AGES -A NZEIGERS richtet sich an ein Publikum, das nur statistisch überschaubar ist, über Stichproben und Hochrechnungen. Mit der Digitalisierung und Vernetzung verschwimmen allerdings die Grenzen zwischen öffentlicher und individueller Kommunikation. <?page no="42"?> 43 B|2.1.4|? a Streiflicht M EDIENKONVERGENZ : 1 Maschine Die Medien entwickeln sich aufeinander zu - hin zum Computer als der universalen Kommunikationsmaschine (_1) . Der vernetzte Computer verarbeitet alles Digitalisierbare, zum Beispiel alle sicht- und hörbaren Zeichen. So erschließt er Bibliotheken und Rundfunkprogramme, ist Schreibmaschine, Spielkonsole und Telefon. Medienkonvergenz: Entwicklung aller Medien in Richtung digitale, vernetzte, mobile und multimodale Technologien, mit entsprechenden Kommunikationspraktiken, Medienformaten und Institutionen. _1 Nach Schmitz, 1997, 132 f. kann „zum ersten Mal in der Weltgeschichte […] dasselbe Gerät alle technisch vermittelten Kommunikationsformen tragen“. Fraas & Barczok, 2006 untersuchen das Internet als Medium öffentlicher Kommunikation. Quinn, 2005, 7 umreißt M. als „doing journalism and telling stories using the most appropriate media”. Erdal, 2009, Revers, 2014, Rodgers, 2015 und Marchionni, 2015 fragen nach dem Wandel der journalistischen Arbeit durch M. Im Internet wirken Computer als Empfänger und Sender, mit • Bring-Angeboten an Adressierte und • Hol-Angeboten für Interessierte. • Bring-Angebote: Gleiche oder ähnliche, personalisierte Kommunikationsangebote können in Massenversänden an beliebig viele einzeln adressierte Empfänger verschickt werden, zum Beispiel eine Börsennachricht als E-Mail oder SMS oder ein Nachrichtenmagazin als pdf-Datei. • Hol-Angebote: Ein Kommunikationsangebot kann so bereitgestellt werden, dass berechtigte oder beliebige Interessierte es nach persönlichen Vorlieben erkunden können, zum Beispiel eine Nachrichtendatenbank hinter einem individuell gestaltbaren Internetportal. Die alte Trennung von Individual- und publizistischen Medien fällt also weg, womit sich auch individuelle und öffentliche Kommunikation enger verzahnen. Zum Beispiel kann eine Leserin von T AGES -A NZEIGER ONLINE einen Fehler in einer Nachricht bemerken und dies der Redaktion mitteilen, ohne das Medium wechseln zu müssen; die Redaktion korrigiert die Meldung sofort und bedankt sich bei der Leserin - wieder über das gleiche Medium. Wird es dadurch einerlei, ob man Öffentlichkeit herstellen oder sich mit einem bestimmten Gegenüber austauschen will? Nennen Sie Argumente für und gegen eine solche Sichtweise. <?page no="43"?> 44 B|2.1.4|? b Fall R ISIKEN : Nachbessern Josep Piqués „Risiken“ (A|1) finden am 4. April 2002 zu den Nutzerinnen und Nutzern von T AGES -A NZEIGER ONLINE . Um 10: 46 Uhr sieht der Anfang der Nachricht so aus (_1) : _1 Fall R ISIKEN , Anfang der Online-Nachricht. Quelle: ta_online_020404_1046_update Um 07: 36 Uhr aber, beim Aufschalten der Nachricht, hat die Bildlegende anders gelautet, nämlich: „Wer an der Delegation angehören soll ist noch nicht klar“. Ein Nutzer hat sich dann per E-Mail über den veröffentlichten Unsinn beschwert. Worin hat dieser Unsinn bestanden? Wie erklären Sie sich den Fehler? Wie spielen publizistische und Individualkommunikation in der Onlineredaktion zusammen und wie sähe das Zusammenspiel bei ähnlicher Ausgangslage in einer Zeitung aus? <?page no="44"?> 45 B|2.2 Die Fragestellungen Was interessiert nun die Medienlinguistik? - Die folgende Tabelle gibt eine erste Antwort (_1) . Sie zeigt das ganze Feld des Sprachgebrauchs in der publizistischen Kommunikation. Dieses Feld ist aufgerastert in Fragestellungen nach • Sprachbenutzern, • Sprachtätigkeit und • linguistischer Sprachbeschreibung. Fragestellungen Sprachbenutzer Quelle Medien Publikum Allgemein Sprachtätigkeit Produktion … Beispiel 2 Beispiel 1 Rezeption … … Beispiel 3 … Sprachbeschreibung synchron … Beispiel 4 … diachron Beispiel 5 … … _1 Medienlinguistische Fragestellungen im Überblick, grob aufgerastert • Sprachbenutzer: Die Teilhaber publizistischer Kommunikation sind die Quellen, die Medienschaffenden, die Publika und die Allgemeinheit. Quellen, Medienschaffende und Publika sind direkt an publizistischer Kommunikation beteiligt, die umfassende Allgemeinheit ist es indirekt: Mit ihr tauschen sich die direkt beteiligten Sprachbenutzer aus, etwa in Gesprächen nach der Rezeption von Medienbeiträgen (Beispiel 1) . • Sprachtätigkeit: Publizistische Kommunikation legt die Sprachbenutzer oft auf Produktion oder Rezeption als rollenbestimmende Tätigkeit fest: Medienschaffende etwa produzieren Medienbeiträge (Beispiel 2) , Publika rezipieren sie (Beispiel 3) . In kommunikativen Gattungen und Formen wie Recherchegesprächen oder Blogs sind dagegen rasche Wechsel üblich. • Sprachbeschreibung: Linguistik erfasst den Sprachzustand synchron, zu einem Zeitpunkt, oder diachron, im Zeitverlauf. Synchrone Beschreibung kann zeigen, wie die journalistische Fachsprache Rekontextualisierungen benennt (Beispiel 4) . Diachrone Beschreibung kann zeigen, ob und wie eine Sprache eine andere beeinflusst - zum Beispiel die Sprache von Quellen diejenige von publizistischen Medien (Beispiel 5) . Nach diesem Raster auszuloten sind nun die medienlinguistischen Fragestellungen überhaupt - und diejenigen dieses Buchs. <?page no="45"?> 46 B|2.2.1 Fragestellungen in synchroner und diachroner Sprachbeschreibung Diese Seite zeigt die Typen der Fragestellungen aus den letzten zwei Zeilen des Rasters (B|2.2) : Es sind Fragestellungen zur Sprache von Quellen, Medienschaffenden, Publika und der Allgemeinheit, und zwar in synchroner (_2) und diachroner (_3) Beschreibung. - Im Überblick (_1) : Fragestellungen Sprachbenutzer Quelle Medien Publikum Allgemein Beschreibung synchron: Sprache X benennt Weltausschnitt Y S Q, W Q,M,P,A S M, W Q,M,P,A S P, W Q,M,P,A S A, W Q,M,P diachron: Sprache X beeinflusst Sprache Y S Q , S M S M , S P S M , S A _1 Medienlinguistische Fragestellungen in synchroner und diachroner Sprachbeschreibung Synchron bezieht sich die Sprache bestimmter Teilhaber publizistischer Kommunikation (S X ) auf Ausschnitte aus der Welt der gleichen oder anderer Sprachbenutzer (W Y ): Die Sprache der Quellen (S Q ), der Medienschaffenden (S M ), der Publika (S P ) oder der Allgemeinheit (S A ) kann sich beziehen auf Weltausschnitte im Umfeld der Quellen (W Q ), der Medienschaffenden (W M ), der Publika (W P ) oder auf beliebige Weltausschnitte (W A ). - Typische Fragestellungen bei synchroner Beschreibung sind also: Welche Sprache benennt welche Weltausschnitte? Mit welchen Mitteln? _2 Jakubowicz, 2006 fasst zusammen, wie Medien Minderheiten benennen - und damit zur Schaffung dieser Minderheiten beitragen. Cramer & Eisenhart, 2014 zeigen, wie subjektiv Publika die Objektivität von Medienangeboten wahrnehmen und einschätzen. Diachron kann die Sprache (S X ) bestimmter Teilhaber publizistischer Kommunikation die Sprache (S Y ) bestimmter anderer Teilhaber beeinflussen: Zum Beispiel kann die Sprache von Quellen (S Q ) die Sprache von Medienschaffenden (S M ) mitprägen, dann die Sprache der Publika (S P ) und schließlich die Alltagssprache überhaupt (S A ). - Typische Fragestellungen bei diachroner Beschreibung sind also: Welche Sprache beeinflusst bei welchem Kontakt welche andere Sprache? Womit? _3 Leitner, 1985 untersucht, wie sich die Sprachnormen der BBC zwischen 1922 und 1954 entwickelt haben. Am Beispiel Australiens zeigt er den weltweiten sprachbildenden Einfluss der BBC auf englischsprachige Radioprogrammanbieter. Michel, 2001 erforscht, ob der Wandel der Syntax in überregionalen deutschen Tageszeitungen des 19. Jahrhunderts (S M ) den Wandel der Syntax des Deutschen überhaupt (S A ) beeinflusst hat. Bell, 2003 beschreibt den Wandel der Nachrichtensprache im 20. Jahrhundert. Studer, 2008 zeigt, wie der Wandel von Sprache in den Medien untersucht werden kann. Sayers, 2014 modelliert den Einfluss des Medienwandels auf den Sprachwandel. <?page no="46"?> 47 B|2.2.2 Fragestellungen zum Sprachgebrauch als Rezeption und Produktion Diese Seite zeigt die Typen medienlinguistischer Fragestellungen aus den mittleren zwei Zeilen des Rasters (B|2.2) : Fragestellungen zum Sprachgebrauch als Produktion (_2) und Rezeption (_3) . - Im Überblick (_1) : Fragestellungen Sprachbenutzer Quelle Medien Publikum Allgemein Tätigkeit Produktion: X produziert für Y Q, M M, P P, A (S M -stimuliert) Rezeption: X rezipiert S Y Q, S Q M, S Q P, S M A, S P _1 Medienlinguistische Fragestellungen zur Produktion und Rezeption Bestimmte Teilhaber publizistischer Kommunikation (X) produzieren Sprache für bestimmte andere Teilhaber (Y): die Quellen (Q) für die Medienschaffenden (M), diese für die Publika (P), die Publika schließlich, angeregt durch publizistische Kommunikation, für die Allgemeinheit (A), im alltäglichen Austausch über Aktualität. - Typische Fragestellungen zur Produktionstätigkeit sind also: Was genau tun die Produzierenden, wie tun sie es, warum tun sie es so, und was bewirken sie damit? _2 Sleurs, Jacobs, & Van Waes, 2003 untersuchen, wie PR-Redakteure mit der Sprache ihrer eigenen Quellen (S Q ) umgehen, etwa mit Äußerungen von Analysten - und wie sie die Sprache ihrer Medienmitteilungen auf die Medienschaffenden (M) ausrichten. Bestimmte Teilhaber publizistischer Kommunikation (X) rezipieren Sprache anderer Teilhaber (S Y ): die Quellen (Q) die Sprache ihrer eigenen Quellen (S Q ), die Medienschaffenden (M) die Sprache ihrer Quellen (S Q ), die Publika (P) die Sprache der Medienschaffenden (S M ), die Allgemeinheit (A) schließlich die Sprache der Publika (S P ). - Typische Fragestellungen sind also: Was genau tun die Rezipierenden, wie tun sie es, warum tun sie es so, und was bewirken sie damit? _3 Klemm, 2000 zeigt, wie sich Fernsehen und Gespräche zu Hause gegenseitig beeinflussen; ähnlich Tovares, 2007 und Hefner, 2012; Klemm & Graner, 2000 für Fernsehen und Chatten; Hassoun, 2014 für Fernsehen gleichzeitige Nutzung anderer Medien überhaupt. Tenenboim & Cohen, 2015 erforschen, wann Nutzer von Internet-Nachrichten klicken. Hartung, 2008 untersucht, wie sich Kinder Humor aus dem Hörfunk aneignen. Bestimmte Fragestellungen angehen und damit das Erkenntnisinteresse von Medienlinguistik als linguistischer Teildisziplin exemplarisch aufzeigen kann dieses Buch aber erst, wenn geklärt ist, welche Methoden welchen Fragestellungen angemessen sind. <?page no="47"?> 48 B|3 Forschungsmethoden in der Medienlinguistik Forschungsmethoden sind Verfahren, um Forschungsfragen mit theoretisch begründeter • Zuverlässigkeit und • Gültigkeit zu beantworten (_1) . Forschungsmethode: theoretisch begründetes Verfahren zum Bearbeiten von Forschungsfragen. _1 Bucher, 1999b gibt einen Überblick über „sprachwissenschaftliche Methoden der Medienforschung“. Lombardo, Haarman, Morley, & Taylor, 1999 zeigen einige medienlinguistisch ergiebige Methoden, v.a. in Kap. 3. Androutsopoulos, 2003 beschreibt und illustriert in der Medienlinguistik verbreitete Methoden; ähnlich Thornborrow, 2006 und O’Keeffe, 2006, 32-61. • Zuverlässig (= reliabel) sind Antworten, die gleich ausfallen, wenn jemand anderes eine Untersuchung nach dem gleichen Verfahren wiederholt. Zuverlässigkeit setzt präzises Arbeiten nach durchdachten (= systematischen) und offengelegten, nachvollziehbaren Regeln voraus. • Gültig (= valide) sind Antworten, die ähnlich ausfallen, wenn man die gleiche Forschungsfrage mit einem anderen Verfahren untersucht. Leisten können dies Verfahren, die ein Problem in den wesentlichen Zügen seiner Komplexität erfassen, statt es in eine methodisch bequeme Richtung zu verschieben. Wenn zum Beispiel gefragt ist, in welcher Form eine Äußerung in späteren Texten aufgegriffen wird, reicht es, die ursprüngliche Äußerung mit späteren Wiedergaben zu vergleichen. Wenn aber nachgezeichnet werden soll, mit welchen Überlegungen ein Autor Äußerungen rekontextualisiert, sind diese kognitiven Zusammenhänge mit zu erfassen. Wenn schließlich der Autor als gesellschaftlich eingebettet verstanden wird, dann sind auch diese sozialen Zusammenhänge mit zu erfassen. Forschungsmethoden müssen also durchdacht sein, in ihren Schritten offengelegt, nachvollziehbar - und angemessen. So müssen sie den Gegenstand in einer Tiefe nachzeichnen, die der Forschungsfrage entspricht. Je nach (medien)linguistischer Fragestellung hat eine Methode zu erfassen: die fertige Sprache allein (B|3.1) , den Sprachgebrauch als kognitive Tätigkeit (B|3.2) , den Sprachgebrauch als soziale Tätigkeit (B|3.3) oder den Sprachgebrauch als kognitiv-soziale Tätigkeit (B|3.4) . <?page no="48"?> 49 B|3|? a Streiflicht M ETHODOLOGIE : Wo stehen Sie? Mit der Frage, welche Forschungsmethode zu welcher Forschungsfrage passt, befasst sich innerhalb der Disziplinen und quer durch die Disziplinen die Methodologie (_1) . Methodologie: wissenschaftliche Querschnittsdisziplin, die sich befasst mit dem Zusammenhang von Gegenstand, Fragestellung, Methoden und zu erwartender Erkenntnis in der wissenschaftlichen Forschung. _1 Stolz & Kolbe, 2003 führen ein in die „Methodologie in der Linguistik“; Bohnsack, 2008 allgemeiner in „Methodologie und Praxis qualitativer Forschung“. Feilzer, 2010, Teddlie, Tashakkori, & Johnson, 2008, Flick, 2004, Aguado & Riemer, 2001, Denzin, 1989 und Brewer & Hunter, 1989 beschreiben theoretische und praktische Probleme und Lösungen für Mehrmethoden-Ansätze, wo Forschungsmethoden aufeinander abgestimmt und miteinander verbunden werden, um einen Gegenstand von mehreren Seiten her zu erschließen. Im Folgenden sehen Sie Haltungen zu vier klassischen methodologischen Problemen. Wo stehen Sie? - Beziehen Sie Stellung und begründen Sie Ihre Position, bevor Sie die nächsten vier Abschnitte (B|3.1 bis 3.4) lesen, und tun Sie es nochmals danach. Was hat sich geändert? • Fall vs. statistische Repräsentation: Wer annimmt, alle Menschen würden in ähnlichen Situationen bezüglich der Forschungsfrage ähnlich handeln, kann sich auf Fallstudien beschränken; wer dies anzweifelt, erwartet von statistisch repräsentativen Erhebungen zuverlässigere Ergebnisse. • Feld vs. Labor: Wer annimmt, ein Mensch funktioniere bezüglich der Forschungsfrage situationsunabhängig immer gleich, kann Experimente im Labor durchführen und damit Umwelteinflüsse genau kontrollieren; wer dies anzweifelt, erwartet von Feldforschung gültigere Ergebnisse. • Befragung vs. Beobachtung: Wer annimmt, ein Mensch könne bezüglich der Forschungsfrage über sein Handeln wirklichkeitsnah Auskunft geben, erfragt die Daten zum Handeln; wer dies anzweifelt, beobachtet und misst Handeln als Zustandsveränderung direkt. • Einmethodenansatz vs. Methodentriangulation: Wer annimmt, die Daten zur Forschungsfrage mit einem einzigen Verfahren gültig und zuverlässig erheben und auswerten zu können, beschränkt sich auf dieses eine Verfahren; wer dies anzweifelt, erfasst den Gegenstand mit mehreren Methoden, aus mehreren Blickwinkeln. <?page no="49"?> 50 B|3.1 Sprachprodukte untersuchen mit der Versionenanalyse Linguistik untersucht zuerst die sprachlichen Äußerungen an sich. Eine produktionsgerichtete Medienlinguistik, die nach dem sprachlich Besonderen und praktisch Relevanten in ihrem Anwendungsfeld fragt (B|1.1.4) , stellt aus diesem Blickwinkel scharf auf die intertextuellen Ketten journalistischer Textproduktion: Aus früheren Texten entstehen rasch und laufend neue. Was dabei mit den Äußerungen geschieht, erfasst die Versionenanalyse. Die Versionenanalyse verfolgt sprachliche Äußerungen in einer intertextuellen Kette (B|1.1|_1) . Dazu arbeitet sie die sprachlichen Merkmale, die Funktionen und Strukturen von Sprache in Medienbeiträgen heraus (_1) . Grundlage für Versionenvergleiche sind linguistische Text- und Gesprächsanalysen einzelner Medienbeiträge. Versionenanalyse: linguistisches Verfahren zur Datengewinnung und -analyse, das sprachliche Merkmale in intertextuellen Ketten verfolgt. _1 Van Dijk, 1988a, Bell, 1991, 56 ff., Blomqvist, 2002, Luginbühl, Baumberger, Schwab, & Burger, 2002 oder Robinson, 2009 verfolgen Textversionen im Nachrichtenfluss. Reich, 2008 beschreibt, wie Zeitungen in Israel Lecks in vertraulichen Diskursen nutzen. I. Fang, 1991 vergleicht Nachrichten der drei Medien Zeitung, Radio und Fernsehen und leitet daraus medienspezifische Unterschiede für die Textproduktion ab. Ekström, 2001 zeigt eine Variante, die implizite V.: Empirisch kennt er nur ausgestrahlte Fernsehnachrichten-Beiträge mit Quotes. Wenn er diese Quotes als „fragments“ (568) versteht, vergleicht er sie implizit mit den Interviews, von denen er plausiblerweise annehmen kann, dass sie stattgefunden haben. Wie man die Versionenanalyse anwenden kann, zeigt der Fall R ISIKEN , den das Buch schon eingeführt hat (ab A|1) : Ein Ausschnitt aus der komplexen Antwort eines spanischen Politikers wandelt sich über mehrere Zwischenstufen bis zum knappen deutschen Quote in einer Online-Nachricht. Der Ausschnitt selbst wird umformuliert; zudem ändert sich die Einbettung von Stufe zu Stufe radikal. Damit verschiebt sich auch der Sinn, den eine Leserin dem Quote abgewinnen kann. Die nächsten Seiten skizzieren die Versionenanalyse an diesem Beispiel. Eine Äußerung von Josep Piqué wird aus der Herstellungssituation gelöst (B|3.1.1) , aus der komplexen Äußerung ausgekoppelt (B|3.1.2) , in einer neuen Kommunikationssituation hervorgehoben (B|3.1.3) und in Folgetexte eingebettet (B|3.1.4) - was in mehreren Ketten geschieht (B|3.1.5) . Dabei ändert sich die Bedeutung der Äußerung (B|3.1.6) . <?page no="50"?> 51 B|3.1.1 Kommunikationssituation: Am Anfang war die Frage Die intertextuelle Kette - präziser: der hier untersuchte Ausschnitt einer solchen Kette - beginnt bei einer Medienkonferenz in Luxemburg, in der Nacht vom 2. auf den 3. April 2002 (B|1.1|_1) . Eine EU-Sonderkommission, geleitet vom spanischen Außenminister Josep Piqué, hat beschlossen, eine Delegation der EU in den Nahen Osten zu entsenden. Ein Journalist der Zeitung E L P AÍS stellt eine komplexe Frage, Piqué antwortet und erteilt dann jemand anderem das Wort für die nächste Frage (_1) . _1 Fall R ISIKEN , die Situation am Anfang der intertextuellen Kette. Quelle: EU-Archiv Der Journalist und Piqué sprechen Spanisch. Im Raum hörbar ist zusätzlich eine englische Simultanübersetzung. Die Frage des Journalisten, auf Deutsch übersetzt (_2) : Minister, Sie sagten, Sie hätten noch keine offizielle Bestätigung des Beschlusses des israelischen Kabinetts erhalten bezüglich der Abfuhr, die Herr Sharon dem Besuch von Herrn Aznar erteilt hat, da möchten wir wissen, ob, falls es so ist, falls die israelische Regierung dem Besuch von Aznar eine Abfuhr erteilt hat, es also irgendeinen Sinn macht, dass eine andere europäische Delegation, ob sie nun von Ihnen oder von Herrn Solana bestellt ist, da hingeht und vor allem; Welche Garantie haben Sie denn, dass Sie […] Herrn Arafat treffen können? _2 Die komplexe Frage des Journalisten von E L P AÍS , original Spanisch. Quelle: EU-Archiv Der Journalist fragt Piqué, ob er es für sinnvoll halte, eine Delegation der EU zum palästinensischen Präsidenten Arafat zu schicken, wo doch der israelische Ministerpräsident Sharon schon verhindert habe, dass der EU-Ratsvorsitzende und spanische Regierungspräsident Aznar sich mit Arafat treffen könne. <?page no="51"?> 52 B|3.1.2 Kotext: Piqué antwortet tastend Piqué sagt in seiner Antwort zuerst ausdrücklich, ein Treffen zwischen Arafat und Aznar sei eben heikel; implizit sagt er damit auch, das neue geplante Treffen, ohne Aznar, sei weniger heikel. - Piqués ganze Antwort in deutscher Übersetzung (_1) : Nun also: Ich glaube, dass jedermann versteht, dass der Besuch des Präsidenten Aznar nur unter einigen, sehr bestimmten Bedingungen stattfinden kann. Doch glaube ich auch, dass es Einigkeit darüber gibt, dass viele Gesprächspartner vorhanden sind, viele Menschen, mit denen man sprechen müsste, Menschen, denen man die Botschaft der Europäischen Union überbringen müsste, und ich meine, wir sollten diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Insofern haben Sie Recht und es ist sicher so, dass die Möglichkeit, den Präsidenten Arafat zu treffen, eine ist, die zeitlich recht weit weg liegt. Deshalb müssen wir jegliches Vorprellen bei den verschiedenen Gesprächspartnern in der Region vermeiden. Das sind die Überlegungen, die wir uns jetzt machen, Überlegungen, die, wenn man so will, pragmatisch sind, praktisch, die unserer Ansicht nach aber Nutzen bringen können, da wir uns der Risiken, denen wir alle ausgesetzt sind, bewusst sind. Doch ist es sicher auch so, dass die Lage ernst genug ist, um uns zu veranlassen, bestimmte Risiken einzugehen. _1 Die komplexe Antwort von Josep Piqué, übersetzt aus dem Spanischen. Quelle: EU-Archiv Die Lage sei also „ernst genug“, um die Kommission zu veranlassen, „bestimmte Risiken einzugehen“, sagt Piqué. Mit den „Risiken“ könnte er die Möglichkeit meinen, Arafat nicht zu treffen. Dieser Schluss liegt deshalb nahe, weil Piqué mit seiner Äußerung auf eine Frage eines Journalisten eingeht, die lautet: „Welche Garantien haben Sie denn, dass Sie […] Arafat treffen können? “ Ausdrücklich gibt Piqué in seiner Antwort aber zu bedenken, es seien „viele Gesprächspartner vorhanden“, also nicht nur Arafat. Es gelte, bei diesen Gesprächspartnern „jegliches Vorprellen“ zu vermeiden. <?page no="52"?> 53 B|3.1.3 Einspuren: „Updates with Piqué quote“ Der Antwortcharakter der Äußerung und die Abtönung von „ernst“ mit „genug“ fallen weg, wenn das Quote aus dem Zusammenhang gelöst und gestrafft wird (_1) : LUXEMBOURG (AP) _ The European Union plans to send a high-level mission to the Middle East Thursday to urge Israel and the Palestinians to immediately implement a meaningful cease-fire as outlined in a March 30 United Nations resolution. | However, emerging from a special session, the 15 EU foreign ministers could not say who will go since Israel did not immediately guarantee safe access to Palestinian leader Yasser Arafat who is besieged by Israeli troops in his West Bank headquarters. | “The situation is serious, we have to take some risks, we are ready to do that,” said Spanish Foreign Minister Josep Piqué, who chaired the meeting. _1 Fall R ISIKEN , Agenturmeldung. Quelle: ap_020403_1733 So die erste Meldung mit dem Quote, die von der Nachrichtenagentur AP veröffentlicht wird. Sie ist im Titelblock überschrieben mit „UPDATES with Piqué quote“; der Meldung mit dem Quote gehen andere englischsprachige Meldungen ohne dieses Quote voraus. Das Quote enthält zwei sprachliche Einheiten, deren Bedeutung nur im satzübergreifenden Zusammenhang erschließbar ist: „the situation“ und „risks“. Im sprachlichen Umfeld passt zu beiden nur der nicht zugesicherte „safe access“, der sichere, gefahrlose Zugang. Dies aber hat Piqué nicht gesagt. Auch die Versicherung „we are ready to do that“ ist in dieser entschiedenen Kürze im Original nicht zu finden. Sie taucht hingegen in vielen anschließenden Meldungen wieder auf. <?page no="53"?> 54 B|3.1.4 Weiterziehen: AP rekontextualisiert das Quote Knapp sechs Stunden nach der englischen Meldung erscheint das Quote samt Versicherung zum ersten Mal im deutschsprachigen Dienst der AP. Auch hier steht es in einem Textzusammenhang, der andere Deutungen nahelegt als der ursprüngliche (_1) : […] Romano Prodi erklärte unterdessen die amerikanischen Vermittlungsversuche in Nahost für gescheitert. | „Die Situation ist ernst, wir müssen Risiken eingehen und dazu sind wir bereit“, sagte der spanische Außenminister Joseph Piqué, der Vorsitzende der Sondersitzung. Von größter Wichtigkeit sei die Umsetzung der UN-Resolution 1402, die am 30. März verabschiedet wurde und Israelis und Palästinenser zu einer Waffenruhe auffordert. _1 Fall R ISIKEN , Agenturmeldung. Quelle: ap_020403_2314 Welche „Situation“ ist ernst? Der Begriff ist nur zu füllen, indem man ihn auf das vorangehende „gescheitert“ bezieht - wieder ein Verständnis, das Piqués originale Äußerung nicht eindeutig nahelegt. Piqué kann sich mit „dass die Lage ernst genug ist“ (_1) ebenso gut auf den Nahost- Konflikt überhaupt bezogen haben. Was er mit „Risiken“ gemeint haben soll, wird in der rekontextualisierten Variante nicht klar. - Die nächste Fassung der AP dagegen bindet die „Risiken“ eindeutig (_2) : Derweil betonten die EU-Außenminister ihre Entschlossenheit zu schnellem Handeln: „Die Situation ist ernst, wir müssen Risiken eingehen, und dazu sind wir bereit“, sagte der spanische Außenminister und Ratsvorsitzende Joseph Piqué. Von größter Wichtigkeit sei die Umsetzung der UN-Resolution 1402, die am 30. März verabschiedet wurde und Israelis und Palästinenser zu einer Waffenruhe auffordert. _2 Fall R ISIKEN , Agenturmeldung. Quelle: ap_020404_0703 Mit „Risiken“ scheint Piqué hier die „Entschlossenheit [der EU-Minister] zu schnellem Handeln“ zu meinen. Der Doppelpunkt zwischen dem Satz vor dem Quote und dem Quote selbst stützt diese Leseweise. Piqué indessen hat ausdrücklich gefordert, jedes Vorprellen zu vermeiden. <?page no="54"?> 55 B|3.1.5 Nebenstränge: Das Quote in Nachrichten anderer Agenturen Die Meldung einer anderen Nachrichtenagentur, aus einer anderen intertextuellen Kette, hält sich in diesem Punkt eher an Piqués Antwort (_1) . Piqué räumte ein, noch sei unklar, ob Israel es der Delegation ermöglichen werde, mit Arafat zu sprechen. „Wir müssen Risiken eingehen.“ Davon hänge ab, wie hochrangig die EU-Delegation sein werde. _1 Fall R ISIKEN , Agenturmeldung. Quelle: rtr_020404_0126 Die „Risiken“ beziehen sich hier klar auf die Ungewissheit eines Treffens mit Arafat. Nicht erschließbar ist Piqués Gedanke weiterer möglicher Gesprächspartner, nicht wiedergegeben ist der Hinweis auf die ernste Situation. Ein erfundener Zusatz bleibt aus. Unklar ist der Bezug von „davon hänge ab“ nach dem Quote. - Eine weitere Nachrichtenagentur beschränkt sich auch auf die kurze Form des Quotes, bettet es aber in einen anderen Textzusammenhang ein, was Piqués Äußerung einmal mehr in ein anderes Licht rückt (_2) : So will die EU zunächst vor allem zur Beruhigung beitragen - mit allen reden, die dabei helfen können, wie Solana sagt. Ohne Vorbedingungen, auch wenn das hilflos wirkt. „Wir müssen Risiken eingehen“, meint der Ratsvorsitzende Piqué. Mit begrenzten Mitteln das Mögliche tun, sagt Fischer. _2 Fall R ISIKEN , Agenturmeldung. Quelle: dpa_020404_1157 Piqué fasst in seiner Antwort an der Medienkonferenz die Argumente für die Entscheidung der Kommission zusammen als „pragmatisch“ und „praktisch“ (B|3.1.2|_1) ; von „hilflos“ ist nicht die Rede. Der Text der Agentur dagegen legt eine solche Leseweise nahe: Bis zur Wendung „wie Solana sagt“ gehört die Rede dem Generalsekretär Javier Solana. Bei der darauf folgenden Einschätzung „auch wenn das hilflos wirkt“ ist der Urheber unklar, möglicherweise ist es auch Solana. Jedenfalls scheint sich Piqué mit seinen „Risiken“ direkt darauf zu beziehen. <?page no="55"?> 56 B|3.1.6 Die Leistung der Versionenanalyse: Fokus auf intertextuelle Ketten Die Versionenanalyse des Falls R ISIKEN ergibt: Nach einer Rekontextualisierung erscheinen Äußerungen in neuen kommunikativen und besonders in neuen sprachlichen Umgebungen. Solch neue Umgebungen legen aber neue Verstehensweisen nahe - zum Beispiel andere, vagere, aber auch eindeutigere Bezüge. Das Problem verschärft sich, wenn ein Quote sprachliche Einheiten wie „Risiken“ oder „die Situation“ enthält, deren Bedeutung stark unterbestimmt ist, also von der sprachlichen Umgebung und dem kommunikativen Umfeld abhängt. In der untersuchten Quellentextkette haben Rekontextualisierungen verwischt, wer die Quelle einer Äußerung ist (B|3.1.5|_2) ; auf welche Frage sich die Äußerung als Ganzes bezog (B|3.1.1|_2) ; worauf sich die Kernbegriffe ursprünglich beziehen ließen (B|3.1.2|_1) ; was sonst noch gesagt wurde (B|3.1.5|_1) ; was nicht gesagt wurde (B|3.1.3|_1) und was ausdrücklich nicht mitgemeint war (B|3.1.4|_2) . Weiter ist auffällig, dass sich die stark verzerrende Verdichtung „we are ready to do that“ (B|3.1.3|_1) in der intertextuellen Kette der AP-Texte fortgepflanzt hat, in Ausschnitten anderer Ketten aber nicht vorkommt (B|3.1.5) . Für solche Nachweise reicht der Vergleich von Textversionen, von fertigen Texten. Keinen Aufschluss gibt die Versionenanalyse hingegen darüber, ob die Journalisten beim Rekontextualisieren oder anderen Praktiken der Textproduktion bewusst gehandelt haben oder nicht; ob die Praktiken typisch sind für bestimmte Medien mit bestimmten Zielpublika oder nicht; ob in den Redaktionen die Praxis und die damit verbundenen Probleme diskutiert und ausgehandelt werden oder nicht. Dafür sind weitere methodische Zugriffe nötig. <?page no="56"?> 57 B|3.2 Kognitive Praktiken untersuchen mit der Progressionsanalyse Versteht Linguistik die Sprache als Schnittstelle kognitiver und sozialer Tätigkeit (B|2.1.2) , untersucht sie den Zusammenhang von Sprachgebrauch und kognitiver Tätigkeit mit. Eine produktionsgerichtete Medienlinguistik, die nach dem sprachlich Besonderen und praktisch Relevanten in ihrem Anwendungsfeld fragt (B|1.1.4) , stellt aus diesem Blickwinkel scharf auf die sprachbezogenen Entscheidungen im Arbeitsfluss: Was tun die einzelnen Journalisten genau, wenn sie im Takt der Medienproduktion Beiträge auf Maß herstellen, und warum tun sie es so? - Das erfasst die Progressionsanalyse. Die Progressionsanalyse ist ein Mehrmethodenansatz, mit dem Daten auf drei Stufen gewonnen und aufeinander bezogen werden: Vor dem Schreiben wird mit Interviews und teilnehmender Beobachtung die Arbeitssituation nachgezeichnet, während des Schreibens mit computergestützter Beobachtung die Schreibbewegung vermessen, nach dem Schreiben mit datengestützten retrospektiven Verbalprotokollen das Repertoire der Schreibstrategien erschlossen (_1) . Progressionsanalyse: linguistisches Verfahren zur Datengewinnung und -analyse, das Textproduktionsprozesse direkt als kognitiv verankerte Tätigkeit und indirekt als sozial verankerte Tätigkeit erfasst. _1 Hodge, 1979 und Pitts, 1982 arbeiten mit Kernelementen der späteren P.: Sie lassen Journalisten ihr eigenes Schreibhandeln protokollieren und suchen in den Protokollen nach Grundmustern. Perrin, 2003a oder Sleurs, et al., 2003 diskutieren ähnliche Umsetzungen der P. detailliert. Van Hout & Jacobs, 2008 nutzen die P. zur Analyse von Wirtschaftsjournalismus; Ehrensberger-Dow & Perrin, 2008 und Ehrensberger-Dow & Perrin, 2013 analysieren mittels P. Übersetzungsprozesse; Rodriguez & Severinson-Eklundh, 2006 die Zusammenarbeit beim Herstellen von Textdokumenten; Weder, 2010 Probleme der Rechtschreibung im Schreibprozess. Wie man die Progressionsanalyse anwenden kann, zeigt der Fall W AHL - KAMPF : Ein Rundfunkjournalist löst Ausschnitte aus einer Wahlkampf-Rede und baut sie in einen neuen Beitrag ein. Dabei unterwirft er sie seinen Produktionsbedingungen und seiner Kommunikationsabsicht: Er will das „Floskelhafte, Provinzielle“ des Wahlkampfs zeigen. An diesem Beispiel führen die nächsten Seiten die drei Stufen der Progressionsanalyse vor: Arbeitssituation (B|3.2.1) , Schreibbewegung (B|3.2.2) , Schreibstrategien (B|3.2.3 und 3.2.4) . Die Daten dieser drei Ebenen ergänzen sich zum Gesamtbild (B|3.2.5). <?page no="57"?> 58 B|3.2.1 Die Arbeitssituation erfassen Vor dem Schreiben hält die Progressionsanalyse mit Interview und Beobachtung fest, in welcher Situation jemand schreibt und auf welche Erfahrung sie oder er dabei baut. Wichtig sind etwa die Schreibaufgabe, die Berufssozialisation oder ökonomische und technologische Einflüsse am Arbeitsplatz. All diese Faktoren sind einerseits Teil einer realen Welt, andererseits Teil der Vorstellung, die sich der Autor von der Welt macht und die sein Handeln motiviert. - Für die Fallstudie W AHLKAMPF lautet ein Ausschnitt aus der Situationsanalyse (_1) : E CHO DER Z EIT ist die abendliche Hintergrundsendung zu den Nachrichten des Schweizer Radios DRS. Die Redaktion versteht sich laut Redakteur JS als „Bollwerk“ gegen die Tendenz zum Unterhaltungsjournalismus: Man wolle die Stärken des Mediums Radio nutzen, schnell über Neues informieren, Zusammenhänge verständlich aufzeigen, Meinungen kompetenter Persönlichkeiten vermitteln - und dabei die Vielfalt der Präsentationsformen auskosten und mit der Sprache bewusst umgehen. JS, *1955, arbeitet als Auslandredakteur und Produzent bei E CHO DER Z EIT . In der Fallstudie schreibt JS ein Feature zum Thema Wahlkampf in Österreich. Acht Minuten soll der Beitrag umfassen, davon gehen drei Minuten an Originalton-Sequenzen („O-Töne“), die JS an Schauplätzen in Österreich aufgezeichnet und bereits geschnitten hat. Diese „O-Töne“ mit Aussagen der Quellen stecken den Textaufbau schon ab. Am Vortag der Ausstrahlung „macht“ JS zwischen 14: 00 und 16: 30 Uhr den Beitrag. Er tippt zuerst die Stichwörter zu acht „O-Tönen“ ins Textfenster; seinen eigenen Text schiebt er als Moderation dazwischen. Dabei stützt er sich auf seine Eindrücke und auf Informationen aus mitgebrachten Zeitungen. Zwischendurch plaudert er mit Kollegen. Ausgestrahlt wird der Beitrag im E CHO DER Z EIT vom 19. März 1998 in der Rubrik E CHO D OSSIER . Er dauert mit der Anmoderation 9 Minuten 11 Sekunden. _1 Fall W AHLKAMPF , Situationsanalyse. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_rahmen <?page no="58"?> 59 B|3.2.2 Die Schreibbewegung vermessen Während des Schreibens zeichnet die Progressionsanalyse jeden Arbeitsschritt auf, den jemand am Computer vollzieht. Dazu läuft hinter dem Textprogramm ein Aufzeichnungsprogramm. Das wissen die Schreibenden; anzunehmen ist, dass dieses Wissen sie am Anfang stärker irritiert, mit der Zeit weniger. Technisch bleibt der Aufzeichnungsprozess unsichtbar bis zur Auswertung. Diese Auswertung geschieht zum Beispiel in S-Notation: Überall dort, wo jemand seinen Schreibfluss unterbricht, um etwas zu löschen oder einzufügen, setzt die S-Notation das Break-Zeichen in den Text. Gelöschte Stellen, Deletionen, stehen in [eckigen Klammern]; nachträgliche Einfügungen, Insertionen, stehen in {geschweiften Klammern}. Insertionen und Deletionen bilden zusammen die Revisionen (_1) . Die Zahlen unten an den Break-Zeichen und oben an den Klammern zeigen die Reihenfolge der Schritte, der Revisionen an (_2) : Revision: Schritt im Schreibprozess, bei dem eine sprachliche Einheit eingefügt oder gelöscht wird. _1 Severinson-Eklundh & Kollberg, 1996 entwickeln die „S-Notation“ zum Festhalten von Revisionen. Lindgren & Sullivan, 2006 fassen die Schreibforschung zur R. zusammen. J. Jones, 2008 untersucht R. in der Entstehungsgeschichte von Wikipedia-Beiträgen. Bürgermeister-Rede-Ton während 8'' aufziehen 3 {, dann drunterhalten} 3 | 4 Es gehe 1 {um die Zukunft 2 [ hat| 2 ] 2 , 5 [hat der Bürgermeister ge] 5 | 6 8 [meint] 8 | 9 } 1 | 3 6 { 9 [e] 9 | 10 10 {sagte} 10 | 11 der 7 [brüger| 7 ] 7 Bürgermeister} 6 | 8 4 {,und 11 { meinte den Semmeringtunnel, die Sozialpolitik 22 [ und] 22 | 23 23 {,} 23 | 24 die EU-Osterweiterung 24 { und andere Wahlkampf-Themen} 24 | 25 . Bd A) o-ton 2: Höger 08'' Bd A) o-ton 3: Höger 13'' Bd A) o-ton 4: Pröll 27'' _2 Fall W AHLKAMPF , Revisionen in S-Notation. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1_snot Erkennbar wird hier, dass JS zuerst eine Liste von Originaltönen notiert hat und nun den ersten („Bürgermeister-Rede-Ton“) und den zweiten („BD A o-ton 2“) mit einer Überleitung verbindet, wobei er die Regieanweisung zum ersten Originalton mit „dann drunterhalten“ ergänzt (Revision 3). Ähnlich wird er anschließend die weiteren Originaltöne mit Übergängen verbinden. <?page no="59"?> 60 B|3.2.3 Ein Verbalprotokoll erstellen Nach dem Schreiben erschließt die Progressionsanalyse die Repertoires individueller Schreibstrategien: Ist der Schreibprozess abgeschlossen, können sich die Autorinnen und Autoren in Echtzeit oder im Zeitraffer anschauen, wie der Text am Bildschirm entstanden ist. Dabei sagen sie laufend, was sie beim Schreiben getan haben und warum sie es getan haben. Ein Tonaufnahmegerät zeichnet diese datengestützten retrospektiven Verbalprotokolle auf. - So kommentiert JS den Originalton des Redners (_1) : Und da geht es auch noch darum, dass das noch so ein schöner Ton ist, du weißt, so unterhaltsam, wenn der da so etwas radebrechend die Leute dazu aufruft, SP zu wählen, weil es geht um die Zukunft. Das ist all das Floskelhafte, Provinzielle. Das finde ich noch so schön, wenn man das so zeigen kann. Also es ist wirklich halt etwas Länder-Reisen-Völker. Also so nach draußen schauen, ohne dass es jetzt gerade, ja, so knallharte Information sein muss, sondern auch etwas unterhalten. _1 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 53. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 JS’ retrospektives Verbalprotokoll ist natürlich nicht zu lesen als eine originalgetreue Wiedergabe der Überlegungen, die der Autor während des Schreibprozesses tatsächlich so angestellt hat. Vielmehr bringt JS, angeregt durch die Beobachtung seines eigenen Schreibens, einzelne der Überlegungen zur Sprache, die er in vergleichbaren Situationen anstellen könnte: Überlegungen, die in seinem Wissen zur Sprache, zum Sprachgebrauch und besonders zur Textproduktion gründen. Sie heißen hier Schreibstrategien. Dabei sind Verzerrungen möglich. JS könnte zum Beispiel nur Dinge sagen, die er für erwünscht hält - also von Strategien sprechen, mit denen er die Forschenden beeindrucken will. Bei der Datenaufzeichnung und -auswertung sind solche Verzerrungen stets mit zu bedenken und wenn möglich zu verhindern. Auch wichtig ist aber, dass kein heute greifbares Verfahren ein direktes Fenster in den Kopf öffnet; Strategien, Überlegungen, Denkmuster können stets nur indirekt erschlossen werden. <?page no="60"?> 61 B|3.2.4 Die Schreibstrategien erschließen Unter Schreibstrategie (C|1.2.2|_3) verstehe ich die verfestigte, bewusste und damit benennbare Vorstellung davon, wie Entscheidungen beim Schreiben zu fällen sind, damit eine Schreibaufgabe optimal gelöst werden kann - damit also der Schreibprozess und das Textprodukt mit höherer Wahrscheinlichkeit eine zielgemäße Gestalt annehmen und eine zielgemäße Funktion erfüllen. - Mit Blick auf die noch unverbundene Liste der Originaltöne (B|3.2.2|_2) etwa sagt JS (_1) : Ja gut, das hat natürlich etwas damit zu tun, dass man diese O-Töne ja so geschnitten hat, dass es einen Sinnoder, hoffentlich einen Sinn gibt. So kann man es dann aneinanderreihen. […] Also, das Konzept entsteht eigentlich beim Schneiden der O-Töne. Respektive, eigentlich schon beim Aufnehmen, also beim Fragen hast du ja schon das Konzept, weil du hast das Thema, das du ausführen möchtest. Dann fragst du auch etwas in diese Richtung. _1 Fall W AHLKAMPF , Protokoll vor Revision 1. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 In diesen beiden Äußerungsfolgen (B|3.2.3|_1 und B|3.2.4|_1) zeigen sich Strategien: mit dem Informationsbeitrag auch unterhalten; dazu die Rede eines „radebrechend[en]“ Politikers als Originalton einbauen, also rekontextualisieren, weil „das so ein schöner Ton ist“ und weil sie „das Floskelhafte, Provinzielle“ zeigt (B|3.2.3|_1) ; vor dem Schreiben die Originaltöne „aneinanderreihen“ und das Konzept des Beitrags „beim Schneiden der O-Töne“ entwickeln, wenn es nicht schon vor den Interviews feststeht (B|3.2.4|_1) . <?page no="61"?> 62 B|3.2.5 Die Leistung der Progressionsanalyse: Fokus auf Schreibprozesse Die Progressionsanalyse des Falls W AHLKAMPF ergibt also: Die Rekontextualisierungen erfüllen primär produktionstechnische und dramaturgische Funktionen; der Journalist steckt mit Originaltönen sowohl den Produktionsprozess als auch das Textprodukt ab. Zuerst bestimmt er die Abfolge der „O-Töne“ (B|3.2.4|_1) , dann schreibt er seine Teile als Brücken von „O- Ton“ zu „O-Ton“ (B|3.2.2|_2) . Dabei rekontextualisiert er die Originaltöne vorwiegend nach seiner eigenen Gestaltungsabsicht - die von der vermutbaren Handlungsabsicht des Sprechers im Originalkontext stark abweichen kann, wie das Beispiel der Wahlkampf-Rede zeigt (B|3.2.3|_1) . Was leistet die Progressionsanalyse, was nicht? - Sie erfasst einzelne Fälle genau und vielschichtig, und sie kann Widersprüche und Parallelen feststellen zwischen dem, was ein Autor vor dem Schreiben über sein Schreiben sagt, was er beim Schreiben tut und was er danach zu Protokoll gibt. Als Mehrmethodenansatz verbindet die Progressionsanalyse also drei unterschiedliche, sich ergänzende Blickwinkel und ermöglicht so eine plastische Vorstellung vom Gegenstand. Sie bleibt aber im Kern auf die einzelnen Schreibenden ausgerichtet, auf das Schreiben als kognitiven und materialen Prozess. Die Erkenntnis über Wechselwirkungen zwischen der Organisation oder einer anderen Gemeinschaft und den kommunizierenden einzelnen Akteuren bleibt an die Schilderungen der untersuchten Akteure und an die teilnehmende und computergestützte Beobachtung an deren Arbeitsplatz gebunden. Das Verfahren ist aufwendig, schon im Einzelfall. Soll erforscht werden, wie ganze Gemeinschaften wie etwa Redaktionen ihre Texte in Zusammenarbeit produzieren, muss die Progressionsanalyse mit weiteren Methoden verbunden werden. <?page no="62"?> 63 B|3.3 Soziale Praktiken untersuchen mit der Variationsanalyse Versteht Linguistik die Sprache als Schnittstelle kognitiver und sozialer Tätigkeit (B|2.1.2) , untersucht sie auch die soziale Tätigkeit mit. Eine produktionsgerichtete Medienlinguistik, die nach dem sprachlich Besonderen und praktisch Relevanten in ihrem Anwendungsfeld fragt (B|1.1.4) , stellt aus diesem Blickwinkel zum Beispiel scharf auf den Zielgruppenzuschnitt: Welche sprachlichen Mittel, zum Beispiel welchen Grad der Formalität, wählt eine Redaktion bei welchen Adressaten? - Das erfasst die Variationsanalyse. Die Variationsanalyse fragt nach Art und Häufigkeit der typischen Merkmale von Äußerungen bestimmter Gruppen von Sprachbenutzern in bestimmten Kommunikationssituationen. Erkennbar wird das Besondere, das diese Sprache unterscheidet von den Sprachen der gleichen Gruppe in anderen Situationen oder von den Sprachen anderer Gruppen (_1) . Variationsanalyse: linguistisches Verfahren zur Datengewinnung und -analyse, welches die besonderen Merkmale der Sprache einer bestimmten Gemeinschaft zeigt. _1 Werlen, 2000a und Werlen, 2000b untersuchen sprachliche Unterschiede der Textsorten Nachricht und Wetterbericht in zwei Programmen eines öffentlichen Radios. Wawra, 2005 vergleicht die Sprache der Print- und Onlineversion von USA T ODAY in der Berichterstattung zum Irakkrieg. Als einen Spezialfall der V. lässt sich die Kritische Diskursanalyse (CDA) verstehen. Sie sucht in Mediensprache nach Spuren machtwirksamer Ideologien - etwa nach verdeckten Wertungen oder Stereotypen (D|3|? a). Fairclough, 1995, Richardson, 2007 und Machin & Van Leeuwen, 2007 führen in die CDA von Medienbeiträgen ein. Choi, 2002, Koller, 2005 oder Dirks, 2010 legen beispielhafte CDA vor. Wie man die Variationsanalyse anwenden kann, zeigt der Fall F LUGHAFEN : Quotes zur Eröffnung eines neuen Flughafenterminals werden eingebaut in einen Beitrag für 10 VOR 10. Dieses Nachrichtenmagazin will, als Kontrapunkt zur T AGESSCHAU des gleichen Senders, „Zusatzrecherchen“ und „überraschende Einfälle“ bieten (B|3.3|? a) . Dazu nutzt der Beitrag, neben anderen Praktiken, auch die Rekontextualisierung. Die nächsten Seiten skizzieren den Anfang einer Variationsanalyse; untersucht wird nur die Rekontextualisierung, und nur an fünf Stellen des Flughafen-Beitrags: der Anmoderation (B|3.3.1) , dem Einstieg (B|3.3.2) , einem journalistisch erzählten Teil (B|3.3.3) , dem Auftritt eines Textakteurs (B|3.3.4 und 3.3.5) . Dabei zeigt sich: In all diesen Ausschnitten sind Äußerungen von Quellen im gleichen Sinn umgedeutet worden (B|3.3.6) . <?page no="63"?> 64 B|3.3|? a Streiflicht S ELBSTANSPRUCH : Was Redaktionen wollen Die Redaktionen des Schweizer Fernsehens (SF) beschreiben ihre Ansprüche an die eigenen Sendungen in „Sendungsporträts“. Hier die Porträts der T AGESSCHAU (_1) und der Sendung 10 VOR 10 (_2) , der beiden wichtigsten Nachrichtengefäße im Programm des SF. Die T AGESSCHAU wird seit 1953 ausgestrahlt, täglich in mehreren Ausgaben; 10 VOR 10 seit 1990, von Montag bis Freitag, jeweils um 21: 50 Uhr. Vergleichen Sie die folgenden Auszüge der Sendungsporträts und beschreiben Sie, was zur Sprache kommt, wo sich die Porträts unterscheiden und welche Unterschiede im Programm Sie aufgrund der benannten Selbstansprüche der Redaktionen erwarten. Sehen Sie sich dann alle Ausschnitte aus der T AGESSCHAU und aus 10 VOR 10 an. >> www.medienlinguistik.net Halten Sie fest, welche Ausschnitte mit welchen Merkmalen Ihre Erwartung bestätigen oder ihr widersprechen. Genre Informationssendung (Nachrichten) […] Ziele, Anspruch, konkreter Zuschauernutzen Aktuelle Information für möglichst viele Zuschauerinnen und Zuschauer Inhalte der Sendung Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport aus dem In- und Ausland […] _1 Aus dem Sendungsporträt der T AGESSCHAU . Quelle: Schweizer Fernsehen, 2005 Genre Informationsmagazin […] Ziele, Anspruch, Philosophie, konkreter Zuschauernutzen 10 vor 10 berichtet über die wichtigsten Themen des Tages und deren Hintergründe, profiliert sich mit Hintergrundreportagen, leistet Zusatzrecherchen und präsentiert überraschende Einfälle - 10 vor 10 ist in der öffentlichen Debatte ein Referenzpunkt. Inhalte der Sendung Berichte, Recherchen, Reportagen, Porträts und Live-Gespräche zur latenten Aktualität in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Sport und Gesellschaft im In- und Ausland _2 Aus dem Sendungsporträt von 10 VOR 10. Quelle: Schweizer Fernsehen, 2005 <?page no="64"?> 65 B|3.3.1 Die Anmoderation „Überraschende Einfälle“ - sie bestimmen bereits die „Philosophie“ des Magazins (B|3.3|? a|_2) . Die Anmoderation des Beitrags stellt scharf auf wirtschaftliche Probleme (_1|Zeilen 05-08) , verknüpft eine Erhöhung der Passagiergebühren mit dem neuen Dock (09-12) , stellt diese Deutung als Tatsache hin, distanziert sich vom Namen (04) und schiebt vor alles die metaphorische Jungfräulichkeit (01-02) . Das lässt in der Sache nichts Gutes erwarten: 01 M: °h ↑ JUNG : : FRÄUlich steht_es_ 02 [+E: Dock E] am zürcher ↑ FLUGhafen - 03 das ↓ dock ↑ MIDfield - (-) 04 ↑ das <<len> NEU den namen dock ↑ E TRAgen SOLL .> °h 05 der VORzeigebau stand bisher LEER ? 06 weil das geSCHÄFT mit dem FLIEgen ? °h 07 nach dem elften septemBER ? (.) eingebrochen war . (--) °h 08 jetzt kommt_in die KASsen des zürcher FLUGhafens ↓ mehr GELD ? °h 09 ab dem ersten sepTEMber 10 werden höhere passa ! GIER ! gebühren verlangt ? °h 11 die passaGIERe erhalten als gegenleistung 12 <<len>↑ DAS ↓ neue dock E .> (-) _1 Fall F LUGHAFEN , Anmoderation. Quelle: sf_zvz_030121_2150_flughafen_anfang <?page no="65"?> 66 B|3.3.2 Der Einstieg Und tatsächlich: Der Beitrag selbst beginnt mit dem allumfassenden „man“ (_1|Zeile 15) , der sich in den „schlimmsten Vorurteilen bestätigt“ (15-16) sieht. Der kleine Flughafen Zürich „will bei den ganz Großen mitspielen“ (20-22) , wo er doch kein Geld hat und jetzt die Passagiergebühren erhöhen muss - „aber halt“ (23) , ein Irrtum, das Reportageteam von 10 VOR 10 hat etwas falsch verstanden: 15 O: man sah die ↑ SCHLIMmsten 16 {World Airports Weltflughäfen} vorurteile ↑ beSTÄtigt . (-) 17 ! WEL : T ! flughafen . °h WORLDairports hängen in GROßformat 18 in der ↑ noch LEEren einreisehalle - °h 19 also ↓ doch . {Bangkok Bangkok} °h 20 ↑ KLOten sieht sich auf der SELben stufe 21 wie etwa ↑! BANG ! kok - (--) 22 KLOten will bei den ganz ↑! GRO ! ßen mitspielen . °h (-) 23 ↑ aber halt - °h 24 es_ist LEdiglich eine ↑ GASTausstellung 25 des deutschen architek ↑ TURmuseums . _1 Fall F LUGHAFEN , Einstieg. Quelle: sf_zvz_030121_2150_flughafen_anfang <?page no="66"?> 67 B|3.3.3 Der journalistisch inszenierte Irrweg Das Reportageteam führt nun das Publikum erst diesen Irrweg entlang, „Kloten sieht sich auf derselben Stufe wie etwa Bangkok“ (B|3.3.2|_1|Zeilen 20-21) , und dreht eine weitere solche Schlaufe, bevor es „endlich“ (34) ins neue Terminal vorstößt - wo dann „die Schöngeister jubeln, die Buchhalter aber verzweifeln“ (38-39) : 33 O: <<len> mit der ↑ SCHWEbebahn : : -> der sogenannten SKYmetro - 34 <<acc> geht es ! DANN ! ENDlich > hin ↑ AUS 35 zum DREIhundertNEUNundzwanzig millionen teuren dock - (-) 36 ↑ MID ↓ field . (-) das ab heu ↑ te (.) ↑ dock E heißt . 37 X: | 38 O: die <<len>! SCHÖN ! geister jubeln .> (.) 39 <<acc> die buchhalter a ↑ ber > << all> verzweifeln .> _1 Fall F LUGHAFEN , Überleitung zum Textakteur. Quelle: sf_zvz_030121_2150_flughafen_anfang <?page no="67"?> 68 B|3.3.4 Der Auftritt eines Textakteurs Nach dieser Einstimmung lässt sich das Reportageteam den Bau vom sichtlich stolzen Bauleiter erklären. Ungebremst ergeht er sich vor laufender Kamera in Einzelheiten. Die Sessel für die Wartenden seien eigens für dieses Terminal entwickelt worden, erfährt das Publikum (_1|Zeilen 07- 08) , und der Tresen vor der „Pufferzone“ bestehe aus „karbonisierter“ Buche. Im Medienbeitrag wird dieser Auftritt so eingeleitet, dass jede Einzelheit in der Schilderung den Eindruck fraglichen Luxus bestätigt: 02 O: ↑ JÜRG ROSenberg . (--) °h der ↑ LEIter des BAUprojektes ? 03 zeigt uns die ↓ SCHÖnen a ↑ ber ↑ TEUren EIgenschaften des gebäudes . 04 A: ↑ DENN möcht ich ihne . (-) 05 d üsi . (.) SITZgruppe ? (-) CHURZ äh präsenTIEre - °h 06 eh be ↑ DINGig - 07 für e [+E: 10 vor 10 Jörg Rosenberg Leiter Bauprojekte Midfield] 08 ↑! FLUG ! hafe züri - (-) entwicklet ? [-E] °h 09 be ↑ DINGig . (.) me MUESS bequem sitze ? (--) _1 Fall F LUGHAFEN , Auftritt des Textakteurs. Quelle: sf_zvz_030121_2150_flughafen_rahmen Übersetzt in Hochdeutsch sagt der Bauleiter: „Dann möchte ich Ihnen unsere Sitzgruppe kurz präsentieren. Die Bedingungfür den Flughafen Zürich entwickelt- Bedingung: Man muss bequem sitzen.“ - Das klingt in der Tat nach „schönen, aber teuren Eigenschaften“ (03) . Leicht geht unter, dass er danach auch erklärt, das Produkt sei besonders pflegeleicht und langlebig gestaltet. Und weggeschnitten sind die Gesprächsbeiträge des Reportageteams, das den Bauleiter bei seinen Schilderungen begleitet. <?page no="68"?> 69 B|3.3.5 Die Überleitung Der Auftritt des Bauleiters vor dem Medienpublikum endet mitten im Gedankenbogen, auf „Pufferzone“, gesprochen mit ansteigender Stimme, als würde etwa ein Relativnebensatz folgen (_1|Zeile 22) . Das Publikum hört diesen Nebenatz nicht mehr, dafür vernimmt es den Offtext, der die „Pufferzone“ der Lächerlichkeit preisgibt: Die Offstimme greift das Wort „Pufferzone“ auf und biegt es um in eine Metapher für die Kernthese des Beitrags: Der Flughafen sei mit dem neuen Terminal „ganz einfach“ zu groß (24-26) : 19 {E 58} und de passaGIER ? (---) 20 tuet jitz DA d ↑ BORDcharte - (--) ABgeh - (-) 21 chunnt i d maSCHInen ie ? (--) wo SCHPÖter no ↑ dri chömed - °h 22 mer lauft use ? °h und chunnt i ↑ DIE ! PUF ! ferzone . 23 X: | 24 O: °h ↑ pufferzone ↓ hin oder ↑ HER . °h 25 ↓ der FLUGhafen ist mit dem NEUen ↓ dock E 26 ganz einfach ↑ zu GROSS . (--) _1 Fall F LUGHAFEN , Abgang des Textakteurs. Quelle: sf_zvz_030121_2150_flughafen_rahmen <?page no="69"?> 70 B|3.3.6 Die Leistung der Variationsanalyse: Fokus auf Audience Design Die Variationsanalyse des Falls F LUGHAFEN ergibt also: Der Beitrag instrumentalisiert alle Quellentexte. Die Schrift- und Bildausschnitte aus der Gastausstellung (B|3.3.2|_1) , die Bilder aus dem Dock selbst (B|3.3.3|_1) , die Schilderungen des Bauleiters (B|3.3.4|_1) … sämtliche Textausschnitte vom Schauplatz sind rekontextualisiert als Realsatire. Zu überprüfen wäre nun, ob ein solcher Umgang mit Quellen für 10 VOR 10 üblich ist - üblicher als für die T AGESSCHAU , die sich ihre Aufgabe und ihr Publikum anders vorstellt. Enthalten die Beiträge von 10 VOR 10 mehr entsprechende Formulierungen als die Sprachvariante der T AGESSCHAU ? Gibt es noch andere grundsätzliche Unterschiede in der Sprache der beiden Redaktionen, gibt es also eine systematische Variation? Allerdings: Ein Mini-Korpus von einem einzigen komplexen Beitrag auf ein einziges Problem hin zu untersuchen, nämlich die Rekontextualisierung, mag zwar reichen, einige Grundsätze der Variationsanalyse aufzuzeigen - aussagekräftige Ergebnisse sind dabei aber noch nicht zu erwarten. Variationsanalysen untersuchen mit Vorteil solide Datenkorpora, etwa eine beispielhafte oder gar repräsentative Auswahl von Beiträgen des Nachrichtenmagazins 10 VOR 10 und der T AGESSCHAU , wenn festgestellt werden soll, ob und wie sich die Sprache der beiden Nachrichtensendungen im Zielgruppenzuschnitt unterscheidet. Eine solche breit angelegte Variationsanalyse vermag das Besondere der Sprachen bestimmter Gemeinschaften zu zeigen. Was die Methode gegenüber etwa der Progressionsanalyse an Breite gewinnt, verliert sie aber an Tiefe: Warum eine Gemeinschaft ihre Texte bevorzugt in eine bestimmte und nicht eine andere sprachliche Gestalt bringt, kann die Variationsanalyse nicht erfassen. Etwas an Tiefe wäre zurückzugewinnen mit einem Verfahren, das nicht nur die Textprodukte erfasst, sondern auch die institutionalisierten Metadiskurse dazu - die Stellungnahmen der Gemeinschaft zu ihrer gemeinschaftlichen Leistung. <?page no="70"?> 71 B|3.4 Kognitiv-soziale Praktiken untersuchen mit der Metadiskursanalyse Versteht Linguistik die Sprache als Schnittstelle kognitiver und sozialer Tätigkeit (B|1.1.2) , untersucht sie auch den Zusammenhang von kognitiver und sozialer Tätigkeit beim Sprachgebrauch. Eine produktionsgerichtete Medienlinguistik, die nach dem sprachlich Besonderen und praktisch Relevanten in ihrem Anwendungsfeld fragt, stellt aus diesem Blickwinkel scharf auf den Metadiskurs: Wie denken die Kommunizierenden über ihre Kommunikation? - Das erfasst die Metadiskursanalyse. Die Metadiskursanalyse untersucht Kommunikation über Sprache. Dazu zählen etwa die ausdrückliche Planung oder Kritik von Kommunikationsmaßnahmen oder die Klärung von Missverständnissen. Sichtbar wird, wie Sprachgebrauchsregeln in einer Gemeinschaft bewusst ausgehandelt und angewandt werden. Grundlage der Metadiskursanalyse sind die linguistischen Verfahren zur Analyse von sprachlicher Kommunikation (_1) . Metadiskursanalyse: linguistisches Verfahren zur Datengewinnung und -analyse, das sozial und individuell verankerte (Sprach-)Bewusstheit in Gemeinschaften erfasst. _1 Häusermann, 2007 schließt auf redaktionelle Regeln, indem er analysiert, wie Radioschaffende während einer Sendung mit Pannen umgehen. Richardson & Barkho, 2009 untersuchen redaktionelle Metadiskurse, um daraus auf die redaktionellen Strategien zu schließen, und zeigen den Einfluss der Diskurse und Strategien auf die Medienprodukte. Roth, 2002 leitet gesprächsanalytisch aus Interviewfragen ab, wie Interviewer ihr Gegenüber einschätzen und ihm Rollen zuschreiben. Klemm, 2000 untersucht in Äußerungen von Zuschauern während des Fernsehens, wie Medienbeiträge verstanden werden. Klemm & Graner, 2000 erfassen Medienkompetenz im Gespräch zweier Chatter vor dem Bildschirm. Kallmeyer, 2005 umreißt, wie in Fernsehgesprächen und Anschlussdiskursen kommunikative Regeln und Erwartungen zum Thema werden. Wie man die Metadiskursanalyse anwenden kann, zeigt der Fall R ÄTSEL - TITEL . Eine Zeitungsredaktion hat ein Leitbild entwickelt (D|2.3) ; der Textchef stützt seine wöchentliche Sprachkritik auf dieses Leitbild und stellt damit auch die bereits formulierten Normen wieder zur Diskussion. Die nächsten Seiten zeigen Ausschnitte aus dieser institutionalisierten Metakommunikation: die Sprachkritik (B|3.4.1 und 3.4.2) , Beispiele dazu aus der Zeitung (B|3.4.2 und 3.4.3) , die Reaktion auf die Kritik (B|3.4.4) , das Leitbild (B|3.4.5) . Die Analyse lässt vermuten, dass Feinheiten journalistischer Rekontextualisierung die Redaktion nicht quälen (B|3.4.6) . <?page no="71"?> 72 B|3.4.1 Die Sprachkritik Ä TSCH Die Sprachkritik vom 15. Februar 2001 behandelt Quotes in Titeln. Wie jede Ausgabe der Sprachkritik wird sie in der Redaktionssitzung präsentiert, dann erscheint sie im Intranet. Und wie jede Ausgabe nutzt sie fünf Typen von Sprachhandlungen: • gewählte Varianten analysieren • gewählte Varianten bewerten • verletzte oder eingehaltene Normen benennen • Alternativen vorschlagen • gewählte Varianten oder mögliche Wirkungen karikieren Die Karikatur birgt den höchsten Unterhaltungswert - und die größte Verletzungsgefahr (_1) : Ätsch Das Rätsel im Titel weckt Erwartung, die schiefe Auflösung im Text enttäuscht. Zwei Beispiele und ein Gegenbeispiel, aus Schwerpunktbeiträgen dieser Woche: „Zuerst brannte der Joint, dann die Scheune“ (14. Februar, S. 15). - Der Titel klingt nach einmaligem, folgenreichem Pech. Joints in der Scheune, vielleicht im Heu, gemütlich wegdösen, erst Rausch, dann Rauch … Nichts da, die Geschichte im Text ist eine ganz andere, wie schon der Lead verrät: „Zwei Jugendliche legten innert eines halben Jahres über 40 Brände.“ Vorsätzlich, sorgfältig geplant, aus Langeweile. Das wäre Stoff genug für einen führenden statt irreführenden Titel. […] _1 Fall R ÄTSELTITEL , Anfang der Sprachkritik. Quelle: ta_coach_010215_raetseltitel <?page no="72"?> 73 B|3.4.1|? a Fall R ÄTSELTITEL : Ätsch Die Sprachkritik Ä TSCH über die Quotes in Titeln nutzt fünf Typen von Sprachhandlungen: Textteile analysieren, Textteile bewerten, Normen benennen, Alternativen vorschlagen und Textteile karikieren (B|3.4.1) . Hier der Schluss der Kritik (_1) . Ordnen Sie die unterstrichenen Segmente den einzelnen Sprachhandlungen zu. - Stimmt das Raster für Sie? Wenn nicht: Begründen Sie Ihren Gegenvorschlag. Subtiler die Täuschung im Titel „Der Mann, ein «Friedhof»“ (13. Februar, S. 2). Schon deshalb reizt die Behauptung zum Lesen, weil der „Friedhof“ in Anführungsstrichen steht, also wohl zitiert ist. Welche Expertin, welcher Experte braucht dieses erfrischend provokante Bild? Enttäuschung, ätsch: Zwar kommt im Text ein Wissenschaftler zu Wort, der von „Friedhof“ spricht. Er braucht die Metapher aber fürs Y-Chromosom, das, wie ebenfalls im Text aufscheint, nicht mit dem Mann zu verwechseln ist. Dass auch gelassenes Provozieren im Titel zum Lesen motiviert, zeigt dagegen „Kein Rindfleisch vor der Kamera“ (15. Februar, S. 7). Der Titel steht über einem Bild des gestikulierenden Bundesrats Pascal Couchepin. Man ahnt: Couchepin muss so etwas Komisches gesagt haben. Hat er, wie der erste Absatz belegt. Da, wo sich das Rätsel auflöst, wird zugleich die Hauptbotschaft klar, unverzerrt, unverschoben. Couchepin sagt: „Selbstverständlich esse ich Rindfleisch, heute Mittag zum Beispiel. Aber nicht vor der Kamera.“ Da fühlen sich Leser und Leserin vielleicht auch genarrt - aber diesmal nicht vom T AGES - A NZEIGER . _1 Fall R ÄTSELTITEL , Fortsetzung der Sprachkritik. Quelle: ta_coach_010215_raetseltitel <?page no="73"?> 74 B|3.4.2 Die Rekontextualisierung entstellt die Quellenäußerung Die Sprachkritik Ä TSCH behandelt drei Titel; der zweite und der dritte rekontextualisieren Quellenäußerungen. Der zweite entstelle das Quote- Bruchstück „Friedhof“, indem er es mit „Mann“ verknüpfe, während sich die Quelle im Text damit auf „Chromosom“ beziehe. Das täusche die Leser, moniert die Sprachkritik und karikiert die Täuschung mit „Ätsch“. In der Tat bezieht sich die Expertin, die im Text von „Friedhof“ spricht, damit auf DNA-Abschnitte, nicht auf den „Mann“ an sich (_1) : _1 Fall R ÄTSELTITEL , der zweite der kritisierten Beiträge. Quelle: ta_print_010213_02_friedhof <?page no="74"?> 75 B|3.4.3 Die Rekontextualisierung respektiert die Quellenäußerung? Den dritten Titel dagegen wertet die Sprachkritik als sinnbewahrende Rekontextualisierung. Das Quote im Titel ermögliche ein Verständnis im Sinn der ersten Antwort des Interviewten. Diesen Sinn versteht der Kritiker, wie der karikierende Schlusssatz der Kritik (B|3.4.1|? a) verrät, so: Trotz Rinderwahnsinn Rindfleisch essen, ja; sich dabei vom Zeitungsfotografen erwischen lassen, nein. Die Gestik im Bild, die abwehrende Geste gegen die Kamera, scheint diese Leseweise zu stützen: Der Minister isst gerade Rindfleisch, der Fotograf soll dies nicht festhalten. Der letzte Satz der Interviewantwort zielt aber in eine andere Richtung: Rindfleisch essen, ja, aber nicht als „politische[s] Spektakel“: Für den Fotografen ein Rindfleischessen inszenieren will der Minister nicht (_1) . So ist anzunehmen, dass auch dieser Titel nicht wirklich passt; er legt ein Verständnis nahe, das der Autor des Zitats nicht gemeint hat. Der Kritiker hat sich also in seinem Lob getäuscht. _1 Fall R ÄTSELTITEL , der dritte der kritisierten Beiträge. Quelle: ta_print_010215_07_rindfleisch <?page no="75"?> 76 B|3.4.4 Kritik am Kritiker bleibt aus Die Sprachkritik könnte in der Redaktionskonferenz und im Mailverkehr danach Widerspruch hervorrufen. Viele Ausgaben der Sprachkritik fordern gerade mit der Karikatur oder erst recht mit nachweislichen Irrtümern des Kritikers die Autorinnen und Autoren der kritisierten Texte heraus. Solche Reaktionen, meist Gesprächsbeiträge in einer Redaktionskonferenz oder E-Mails an den Chefredakteur oder den Textchef direkt, führen in der Regel zu einem vertiefenden Gespräch über Sprachnormen und Sprachgebrauch und kurbeln den Leitbild-Diskurs weiter an. Im hier untersuchten Fall bleibt die Kritik unwidersprochen, trotz Karikatur und Irrtum im Detail. Das Schweigen könnte allerdings vieles heißen: Die Redaktion könnte schweigen, weil sie den Kritiker als rechthaberisch, nachtragend oder uninteressant erlebt. Sie könnte schweigen, weil sich in der Hektik der Arbeit für die Zeitung von morgen niemand mit der Sprache der Zeitung von heute beschäftigen mag. Schweigen könnte sie schließlich auch, weil sie die Kritik schlicht nicht wahrnimmt. Gegen diese Deutungen spricht, dass die T AGES -A NZEIGER -Sprachkritiken regelmäßig Debatten nach sich ziehen. Dies bedingt ein Vertrauensverhältnis, in dem sowohl die Kritik wie auch eine Kritik an der Kritik erwünscht sind und zu allseitig willkommenen Folgen führen. Weitere Voraussetzungen sind ein Interesse der Redaktion an Sprachfragen und ein Arbeitstakt, der Zeit zum Nachdenken übers eigene Wirken lässt. In einem solchen Diskursklima also ist das Schweigen der Redaktion mit gutem Grund so deutbar: Die Redaktion ist mit der Kritik einverstanden. Sie findet, die kritisierte Praxis verletze wesentliche Normen. <?page no="76"?> 77 B|3.4.5 Die Normen hinter der Kritik Solche Normen spricht das Leitbild an zwei Stellen an: unter dem Titel „Leseführung“ findet sich eine Norm zur Titelgestaltung (_1) , unter „Grundsätze der Chefredaktion“ eine Norm zum Umgang mit Quellenäußerungen (_2) . An diesen Stellen wird das Leitbild über Hyperlinks mit den konkreten Sprachkritiken verknüpft, zum Beispiel eben mit der Sprachkritik Ä TSCH (B|3.4.1) . Leseführung Der TAGES-ANZEIGER vermittelt die relevanten Themen so, dass das Publikum sie verstehen will und verstehen kann. Dazu führt er die Aufmerksamkeit der Lesenden sorgfältig und zügig zum Kern der Sache. […] Titel Der Titel eines Berichts oder einer Analyse sagt auch ohne Untertitel klar und konkret, wovon der Text handelt. In Kommentartiteln können Wortspiele und Gags funktionieren, etwa weitergedrehte Werbesprüche oder Filmtitel. Bedingung ist, dass sie zum Thema passen und als Variante neu sind - einen also erstaunen. _1 Fall R ÄTSELTITEL , Leitbild zur Titelgestaltung. Quelle: ta_leitbild_fokus_lesefuehrung Die Grundsätze der Chefredaktion […] Quellen Der TAGES-ANZEIGER versteht sich als Forumszeitung. Themen werden nicht nur beschrieben, sondern auch analysiert und diskutiert. Im Diskurs kommen alle Betroffenen zu Wort: Mächtige und Ohnmächtige, Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ihre Äusserungen werden unverfälscht wiedergegeben. _2 Fall R ÄTSELTITEL , Leitbild zum Umgang mit Quellen. Quelle: ta_leitbild_rahmen_chefredaktion <?page no="77"?> 78 B|3.4.6 Die Leistung der Metadiskursanalyse: Fokus auf Language Awareness Die Norm „Äußerungen werden unverfälscht wiedergegeben“ erscheint im gemeinsam ausgehandelten Leitbild prominent, auf der Seite der allgemeingültigen Grundsätze. Sie steht vor und damit über dem Teil mit den Normen zu einzelnen Ressorts wie dem Wirtschaftsteil, zu Redaktionen wie der Bildredaktion, zu Textsorten wie dem Kommentar oder zu Gestaltungsebenen wie der Leseführung. Dort, im Teil zur Leseführung, nennt das Leitbild die Norm der Klarheit von Titeln. Auf diese Norm stützt sich die Sprachkritik Ä TSCH (B|3.4.1|? a) ebenfalls. Nirgendwo im Metadiskurs aber ist die Rede von Rekontextualisierung. Dass die hier untersuchte Praxis das Wort nicht benutzt, überrascht nicht. Aber kennt sie den Begriff, das Konzept? - Die auf den Umgang mit Quellen bezogene lapidare Formulierung „unverfälscht wiedergegeben“ im Leitbild (B|3.4.5|_2) lässt sich zwar als pragmatische Rekontextualisierungsnorm lesen, aber auch als Ausdruck von organisationaler Sprachbewusstheit, von Language Awareness (B|1.2.3) , die das Problem von Rekontextualisierungen nicht wirklich durchdringt. Was heißt denn „unverfälscht“? - Punktuell schwach ausgeprägte Sprachbewusstheit könnte erklären, warum, anders als sonst, die Redaktion den Denkfehler der Sprachkritik nicht bemerkt und die fragliche karikierende Kritik des Rindfleisch-Quotes unwidersprochen stehen lässt. Die Metadiskursanalyse des Falls R ÄTSELTITEL ergibt also: Die Redaktion des T AGES -A NZEIGERS hat Normen zum Umgang mit Quellenäußerungen ausgehandelt (B|3.4.5|_1) und an übergeordneter Stelle im Leitbild festgeschrieben (B|3.4.5|_2) . Im institutionalisierten Metadiskurs kritisiert der Textchef Verstöße gegen diese Norm (B|3.4.1|_1) ; die Redaktion - auch die Autoren - akzeptieren die Kritik. All dies spricht für organisational verankerte subjektive Theorien. Grundsätzlich diskutiert und scharf durchdacht wird die Problematik von Kontextwechseln im untersuchten Metadiskurs aber nicht. <?page no="78"?> 79 B|3.5 Die Methoden ergänzen sich Vier methodische Ansätze kamen zum Zug, um am Beispiel der Rekontextualisierung intertextuelle Ketten, Schreibprozesse, sprachliche Variation und Metadiskurs zu untersuchen. Die vier Ansätze erfassen aus je eigenem Blickwinkel überlappend viele Facetten ihres Gegenstandes, zum Beispiel: das Quellenmaterial; den Arbeitskontext; die Denkmuster; die Revisionen im Schreibprozess; das Endprodukt, also den Medienbeitrag; das Makroprodukt, also das Programm aus Sendungsausgaben und Beiträgen; das redaktionelle Leitbild; die interne Einschätzung der eigenen Leistung und die Weiterentwicklung der Normen aufgrund der Sprachkritik. Dabei setzt jeder Ansatz eigene Schwerpunkte (_1) : Sprachfokus → Produkt Tätigkeit kognitiv sozial soziokognitiv Methode → Versionenanalyse Progressionsanalyse Variationsanalyse Metadiskursanalyse Gegenstand ↓ Quellenmaterial Quellentextkette Arbeitskontext Denkmuster Schreibstrategie Revisionen Endprodukte Makroprodukte Leitbild Sendungsprofil Einschätzung Normendiskurs _1 Vier methodische Ansätze mit je eigenem Blickwinkel und Schwerpunkt Deutlich geworden ist erstens, dass sich der Gegenstand aus diesen vier Blickwinkeln mit linguistischen und linguistisch basierten interdisziplinären Methoden systematisch erfassen lässt. Deutlich geworden ist zweitens, dass jeder Blickwinkel passende Methoden verlangt. Die Frage nach kognitiven Praktiken etwa kann nur über den Einblick in kognitive Zusammenhänge beantwortet werden; Ähnliches gilt für die sozialen und die kognitiv-sozialen Praktiken und das Zusammenspiel. Kurz: Fertige Sprache allein zu untersuchen, reicht nicht, wenn Medienlinguistik das Besondere der journalistischen Textproduktion erfassen soll. <?page no="79"?> 80 B|3.5|? a Streiflicht K ORPORA : Arbeiten mit Sprachdaten Linguistische empirische Forschung untersucht Sprachdaten: systematisch aufgezeichnete sprachliche Äußerungen und Kontextinformationen, etwa Angaben zu Akteuren, Aufgaben und Arbeitssituationen, mit denen die Äußerungen verbunden sind. Die ganze Datenmenge, die zur Untersuchung zusammengestellt worden ist, bildet ein Korpus (_1) . Korpus: endliche Menge sprachlicher Daten, zusammengestellt zur empirischen Untersuchung bestimmten Sprachgebrauchs. _1 Hunston, 2002 oder Stubbs, 2004 geben Überblicke zur Arbeit mit Korpora in der Angewandten Linguistik. Studer, 2008 zeigt und diskutiert detailliert den Nutzen von Korpusanalysen am Beispiel seiner Längsschnittstudie zum Stilwandel von Zeitungssprache. Ein Datenkorpus kann • vollständig, • systematisch-repräsentativ oder aber • exemplarisch-strategisch zusammengestellt sein: • Ein vollständiges Korpus umfasst alle Daten, für die das Ergebnis einer Untersuchung gelten soll - zum Beispiel die Editorials aller Zeitungsausgaben zwischen 1986 und 2006, wenn zu untersuchen ist, ob sich die Argumentationsstruktur im Editorial dieser Zeitung in diesem Untersuchungszeitraum geändert hat. • Ein systematisch-repräsentatives Korpus umfasst nur einen Teil der Daten. Dieser Teil steht mit statistisch nachweisbarer Wahrscheinlichkeit für das Ganze. Er umfasst zum Beispiel jedes n-te Editorial im Untersuchungszeitraum, ausgewählt nach statistisch begründetem Schlüssel. • Auch ein exemplarisch-strategisch zusammengestelltes Korpus umfasst nur einen Teil der Daten. Dieser Teil soll aber nicht das Ganze möglichst gleichmäßig abbilden, sondern Wesentliches hervorheben, etwa besonders typische oder besonders atypische Fälle. Welche dies sind, muss theoretisch begründet bestimmt werden - wie dies etwa in der Grounded Theory geschieht (D|3|? c) . Dieses Buch arbeitet mit fünf Korpora von Beispieldaten, an denen es Ausschnitte von Versionen-, Progressions-, Variations- und Metadiskursanalysen vorführt. Beschreiben Sie, wie die Korpora zusammengestellt sind. Nutzen Sie dazu die Übersichten im Anhang (E|1) . <?page no="80"?> 81 B|3.5|? b Streiflicht T RANSKRIPTION : Gesprochene Sprache verschriften Gesprochene Sprache ist flüchtig; wer sie untersuchen will, muss sie festhalten: erstens technisch aufzeichnen, damit die Sprache wiederholbar und die Untersuchung für andere überprüfbar wird, und zweitens aufschreiben, damit größere Ausschnitte am Stück begreifbar sind. Das Aufschreiben bedeutet einen Wechsel des Mediums: Im Transkript erscheinen sprachbasierte Äußerungen, also Gesprochenes samt wesentlichen Ausschnitten der Körpersprache, fixiert als Text (_1) . Transkription: schriftliche Wiedergabe nichtschriftlicher sprachbasierter Äußerungen nach einem festgelegten System von Zeichen und Regeln. _1 Heilmann, 2002 führt in den Sinn der T. ein. Knoblauch, Schnettler, Raab, & Soeffner, 2009 beschreiben die T. nonverbaler Kommunikation; Selting, et al., 1998 und Selting, et al., 2009 das Gesprächsanalytische Transkriptionssystem GAT; Januschek, 2004, 171 ff. den Nutzen der T. in Gesprächstrainings. Was genau man mit einem Transkript festhalten will, ob Nuancen der Artikulation oder großräumige Intonation samt Körpersprache, hängt vom Untersuchungsziel ab. Was man dann tatsächlich festhält, hängt aber auch davon ab, welche Äußerungen man in einer konkreten Situation des Transkribierens wahrnimmt oder eben nicht - und welchen Transkriptionszeichen man das Wahrgenommene zuordnet. Transkription bedeutet also immer Reduktion und Interpretation. Wenn man aber beim Transkribieren abwägen muss, ob man Gehörtes nun dieser oder jener Kategorie zuordnet - dann fördert Transkribieren nicht nur die Erkenntnis, sondern schult auch die Bewusstheit für Wahrnehmung und Deutung. Umgekehrt können Sprechzeichen in einem schriftlichen Nachrichtentext das Vorlesen erleichtern. Mit Transkription befassen sich deshalb auch etwa die Kommunikationsberatung oder die Medienpraxis. Die Forschung stellt aber strengere Anforderungen an ein Transkriptionssystem: Ein wissenschaftliches Transkriptionssystem muss präzis, unkompliziert, anschaulich und verbreitet sein: Den Untersuchungsgegenstand soll es mit trennscharfen Kategorien erfassen; Standardsoftware soll zum Transkribieren ausreichen; verständliche Zeichen sollen das Lesen erleichtern; in der Fachgemeinschaft soll das System anerkannt sein. Zeigen Sie, wie das hier verwendete Transkriptionssystem GAT diesen Anforderungen entspricht. Nutzen Sie dazu die Übersicht im Anhang (E|2) . <?page no="81"?> 82 B|4 Fazit zur Medienlinguistik als linguistischer Teildisziplin Der Teil B dieses Buches hat die Medienlinguistik verortet als • Teildisziplin der Linguistik, hat ihr • Erkenntnisinteresse benannt und ihre • methodischen Zugänge abgesteckt. • Disziplin: Die Medienlinguistik, so hat sich gezeigt, bearbeitet, wie etwa die Rechts- oder die Betriebslinguistik, ein bestimmtes Anwendungsfeld von Sprache, mit eigenen Sprachfunktionen und Sprachstrukturen (B|1.1) . Als auch Angewandte Linguistik arbeitet sie transdisziplinär mit der Medienpraxis zusammen. Gemeinsame Fragestellungen an den gleichen Gegenstand verbinden sie interdisziplinär mit der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Diese Schnittstellen bedingen besondere Aufmerksamkeit in Wissenschaftstheorie, -politik, -management, -didaktik und Forschungsmethodik (B|1.2) . • Erkenntnisinteresse: Bestimmt sich Medienlinguistik über ein eigenes Anwendungsfeld für Sprache, gilt ihr Interesse vorwiegend den publizistischen Medien, genauer: dem medial vermittelten Sprachgebrauch in öffentlicher Kommunikation. Medien in einem weiteren Sinn dagegen sind mit fast aller Kommunikation verbunden (B|2.1) . In der zerdehnten Situation publizistischer Kommunikation wirken Quellen, Medienschaffende und Publika vorwiegend in entkoppelten Rezeptions- und Produktionsprozessen. Daraus hat das Buch ein Raster für medienlinguistische Fragestellungen abgeleitet und darin die medienlinguistische Textproduktionsforschung verortet (B|2.2) . • Methoden: Um den Gegenstand unter diesen Fragestellungen angehen zu können, braucht die Medienlinguistik passende Forschungsmethoden. Das Buch arbeitet exemplarisch mit vier Methoden, ausgerichtet auf journalistische Textproduktion - ein Kernbereich der Medienlinguistik, der in bisherigen Einführungen zu kurz kommt. Die Methoden sind: Versionenanalyse (B|3.1) , Progressionsanalyse (B|3.2) , Variationsanalyse (B|3.3) und Metadiskursanalyse (B|3.4) . Am Beispiel der Rekontextualisierung sind Teile solcher Analysen durchgespielt worden. Die Ergebnisse veranschaulichen auf den nächsten Seiten nochmals den transdisziplinären (B|4.1) , interdisziplinären (B|4.2) und intradisziplinären (B|4.3) Sinn der Medienlinguistik - bevor der Teil C des Buchs journalistische Textproduktion systematisch untersucht. <?page no="82"?> 83 B|4.1 Transdisziplinär nützlich Was nützt eine Zusammenarbeit von Medienlinguistik und Medienpraxis? Journalisten nennen ihre Produkte oft Geschichten, Storys. Das berufspraktische Wissen hebt also den narrativen Charakter journalistischer Arbeit hervor; eine Position, die in der wissenschaftlichen Analyse publizistischer Kommunikation noch wenig ausdifferenziert ist. Medienlinguistisch kann sie leicht gestützt und vertieft werden, zum Beispiel entlang medienspezifischer Gestaltungsspielräume zwischen den Polen • umformulieren und • umrahmen oder • instrumentalisieren und • inszenieren in der Textproduktion: • umformulieren: Schriftsprachliche Wiedergaben von Quotes sind beliebig formbar, lassen sich also auch ausbauen und erfinden. Dies wird im Fall R ISIKEN genutzt, immer in kleinen Dosen zwar, aber mit entstellenden Folgen in den langen intertextuellen Ketten (B|3.1) . • umrahmen: Rundfunk kann hörbares Geschehen von Schauplätzen vermitteln; der Rundfunkjournalist im Fall W AHLKAMPF baut seinen Beitrag entlang von „O-Tönen“. Er kann sie beliebig schneiden und einbetten, im Wortlaut erweitern kann er sie aber nicht (B|3.2) . • instrumentalisieren: Medienschaffende können Quellenäußerungen umdeuten und ihren eigenen Kommunikationsabsichten unterwerfen, und zwar allein durch Rahmung und bewusst wider die Absicht der Quelle. Das geschieht auch in Nachrichten des öffentlichen Fernsehens (B|3.3) . • inszenieren: Zwischen dem Versuch, den Sinn von Quellenäußerungen möglichst originalgetreu wiederzugeben, und der Instrumentalisierung liegt das weite Feld der dramaturgischen Inszenierung, des „O-Tons“ als Farbe, der Verdichtung und Zuspitzung (B|3.4) . In all diesen Fällen haben Journalisten die Quotes nach den Möglichkeiten des Mediums den Geschichten angepasst, auch auf Kosten der Information über die Handlungsabsicht der Quelle. Die Grenze zwischen Überprüfbarem und Erfundenem verschwimmt. Wie und warum dies geschieht, dürfte Forschung und Praxis interessieren. <?page no="83"?> 84 B|4.2 Interdisziplinär anschlussfähig Was trägt die Medienlinguistik zur Erforschung publizistischer Medien bei? - Redaktionelle Arbeit besteht darin, Medienprodukte herzustellen. Sprache ist dabei zugleich ein Mittel zum Steuern der Prozesse und der Rohstoff der Produkte selbst: Redaktionen fertigen in diskursiven Prozessen Texte aus Texten. Die Analyse solcher Prozesse kann empirisch hart zeigen, welche kognitiven und sozialen Praktiken in Massenmedien spielen und wo und wie sie ineinandergreifen - zum Beispiel, wie • Recherche und • Beitragskritik von impliziten und expliziten Normen bestimmt werden und wie sie umgekehrt diese Strukturen verändern. • Ein Journalist legt die Stoßrichtung seines Radiobeitrags fest, bevor er zum Schauplatz fährt und die Originaltöne aufzeichnet. Das müssen die meisten Journalisten so tun, weil Ressourcen wie Zeit und Geld im Mediensystem knapp sind. Wie genau der einzelne Journalist aber etwa mit dramaturgisch unpassenden Stimmen umgeht, wie sorgfältig er arbeitet und was er zur Leistung des Gesamtsystems beiträgt, entscheidet er selbst laufend mit. Das zeigt die Progressionsanalyse (B|3.2) . • Die handlungsleitenden Normen eines Redaktionshandbuchs geben überindividuelle Entscheidungsspielräume für die Textproduktion vor. Umgekehrt können diese expliziten Normen im redaktionellen Begleitdiskurs einem markanten Einzelfall angepasst werden. Das lässt sich mittels Metadiskursanalyse nachweisen (B|3.4) . So wird greifbar, wie individuelle Entscheidungen verzahnt sind mit Normen und Mitteln, mit Einschränkungen und Erleichterungen in Arbeitsgruppen, Medienorganisationen, der berufsständischen Institution Journalismus und weiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen. An konkreten Fällen, in der Analyse journalistischer Praktiken kann die Medienlinguistik zeigen, dass publizistische Medien in ihrer Funktion und ihrem Funktionieren weder allein durch freischwebend handelnde Individuen noch allein durch abstrakte Systeme bestimmt werden. Das sind empirische Argumente gegen eine einseitig akteur- oder systemtheoretische Modellierung journalistischer Medienkommunikation - ein Desiderat der Kommunikations- und Medienwissenschaft. <?page no="84"?> 85 B|4.3 Disziplinär eigenständig Was unterscheidet Medienlinguistik von anderen Linguistiken? - Stellt eine linguistische Teildisziplin scharf auf ein Anwendungsfeld, will sie Besonderheiten im Sprachgebrauch zurückführen auf außersprachliche, zum Beispiel gesellschaftliche Besonderheiten dieses Anwendungsfelds. Bei Medienlinguistik im hier verstandenen Sinn (B|2.2) geht es um das Besondere der Kommunikation mit publizistischen Medien, vor allem der journalistischen Textproduktion. Die Analyse journalistischer Rekontextualisierungen lässt vermuten, dass es in diesem Anwendungsfeld solche • gesellschaftlichen, • organisationalen und • sprachlichen Besonderheiten gibt. • Journalistische Medien als gesellschaftliche Institution wirken in besonderen Umweltbedingungen, etwa dem Spannungsfeld öffentlicher und medienwirtschaftlicher Interessen. Mit ihren Kommunikationsangeboten erfüllen sie besondere Funktionen, sie informieren etwa laufend und aktuell über alle öffentlich bedeutsamen Themen (B|2.1.4) . • Medienorganisationen, also die einzelnen Anbieter journalistischer Produkte, schneiden den Sprachgebrauch auf ihre Ziele und Zielgruppen zu (B|3.3) . Sie pflegen zum Beispiel einen eigenen Umgang mit Wirklichkeiten, etwa mit den Äußerungen ihrer Quellen, und sie erzielen eigene sprachliche Wirkungen, etwa mit der Verbreitung kernig formulierter Zitate an breite Publika (B|3.1) . • Entsprechend haben Institution und Organisationen der journalistischen Medien eigene Formen von Textprodukten entwickelt, zum Beispiel Agenturmeldungen (B|3.1) , Quotestorys (B|3.2) , Nachrichtenmagazine (B|3.3) oder Interviews (B|3.4) . Diese Produkte entstehen in eigenen Praktiken der Textproduktion, zum Beispiel: eine Meldung aktualisieren (B|3.1) , einen Originalton einbauen (B|3.2) , einen Beitrag anmoderieren (B|3.3) , Sprachkritik üben (B|3.4) . Dem eigenen Gegenstandsbereich entsprechend verfolgt die Teildisziplin Medienlinguistik innerhalb der Linguistik besondere Fragestellungen und untersucht sie mit klassisch linguistischen und interdisziplinären Methoden - was zu vertiefen ist (C) . Vorher aber zwei Aufgaben zum Sichern des Erreichten im Zwischenhalt. <?page no="85"?> 86 B|4.3|? a Aufsatz P ERRIN : Zwei Perspektiven So viel also zum Ort der Medienlinguistik im Gefüge des Wissenschaftsbetriebs. Im „Lexikon Öffentliche Kommunikation“ steht das Gleiche, aber hoch verdichtet. Ihnen bedeutet dieser Eintrag nun mehr und anderes, als Sie ihm vor der Lektüre dieses Kapitels hätten abgewinnen können. Lesen Sie den Lexikoneintrag (_1) . Schreiben Sie dann einen ähnlichen Text, aber für ein Hochschulmagazin, das einer akademisch interessierten Öffentlichkeit einen neuen Studienschwerpunkt Medienlinguistik vorstellt. Nutzen Sie dazu eines oder mehrere Beispiele aus der medienlinguistischen Wissenschaftspraxis und der Medienpraxis, die Sie im Buch bis hierher kennengelernt haben. Teilbereich der (Angewandten) Linguistik, der sich mit der Sprache und dem Sprachgebrauch in medial vermittelter menschlicher Kommunikation befasst. Medial bezeichnet dabei ein technisches (Massen-)Kommunikationsmedium (Film, TV, Internet, SMS, Blogs etc.); menschliche Kommunikation ist zu verstehen als privat oder öffentlich, mündlich oder schriftlich usw. - mit allen Zwischenstufen. Typische Erkenntnisinteressen der M. gelten den Zusammenhängen von Sprachwandel und Mediennutzung oder von Sprachgebrauch und Medienwirkung. Damit ergänzt die M. medien- und kommunikationswissenschaftliche Ansätze, die den Sprachgebrauch als Schnittstelle zwischen kognitiven und sozialen (kultur-, domänen-, institutions- oder organisationsspezifischen) Praktiken der Kommunikation methodisch oft nicht erreichen. Die M. greift im Sinn Angewandter Linguistik aber auch Probleme der Medienpraxis auf und kann zum Beispiel beitragen zur Untersuchung und Optimierung der Textproduktionskompetenz einer Medienredaktion. Auf einer Metaebene schließlich hinterfragt die M. etwa die Praxis der Linguistik, zur Untersuchung von Alltagssprache auf die öffentlich zugänglichen Sprachdaten aus (massen-)medialen Kontexten zuzugreifen. _1 Aufsatz P ERRIN , Lexikoneintrag. Quelle: Perrin, 2013 <?page no="86"?> 87 B|4.3|? b Streiflicht P RODUKTIONSMODELL : Neun Messpunkte Mit journalistischer Textproduktion ist in diesem Buch eine gesellschaftlich, institutionell, organisational und individuell-kognitiv geleitete Tätigkeit gemeint: Medienschaffende in arbeitsteiligen Teams verarbeiten wahrgenommene Texte und andere Weltausschnitte unter kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technologischen, biografischen und weiteren Bedingungen zu Medienbeiträgen. Die Beiträge können in intertextuellen Ketten wieder zu Quellentexten werden. Die Medienschaffenden kommunizieren mit Quellen und Publika auch direkt, und die Quellen können zum Publikum eines Beitrags zählen. Diese Bezüge zeigt das Schema journalistischer Textproduktion (_1) . _1 Journalistische Textproduktion als sozial und kognitiv geleitete Tätigkeit Zeigen Sie in diesem Schema, an welchen Messpunkten Sie welche Daten erheben, wenn Sie herausfinden wollen … a wie sich die Sprache zweier Medienbeiträge unterscheidet b wie sich zwei Rekontextualisierungen eines Quellentextes unterscheiden c wie sich die Sprache zweier Redaktionen unterscheidet d wie sich die Rekontextualisierungsmuster zweier Redaktionen unterscheiden e wie sich Quellen auf die Öffentlichkeit ausrichten f über welche Language Awareness ein Journalist verfügt g wie eine Redaktion ihr Publikum wahrnimmt h was eine Journalistin mit einem Medienbeitrag erreichen will i was eine Journalistin mit einem Medienbeitrag erreicht <?page no="87"?> 88 „Eine Systematik des medienspezifischen Sprachgebrauchs ist auf der Ebene des sprachlichen Ausdrucks nicht zu gewinnen. Systematisieren lassen sich aber Bedingungen des medialen Sprachgebrauchs sowie Grundstrukturen der Medienkommunikation.“ Bucher, 1999b, 213 <?page no="88"?> 89 C Systematik medienlinguistischen Wissens Der Teil C stellt scharf auf journalistische Textproduktion. Dieser Gegenstandsbereich ist zentral für eine Medienlinguistik im hier vertretenen Sinn (B) , Querbezüge zu anders gerichteten Ansätzen weiten dazwischen den Blick für umfassende Zusammenhänge. Gegliedert ist der Teil C nach theoretischen Zugängen: in • Umwelt (C|1) , • Funktion (C|2) und • Struktur (C|3) von Sprache in publizistischer Kommunikation. • Die ersten vier Kapitel (C|1.1 bis C|1.4) gelten der Umweltperspektive der Medienlinguistik. Sie erschließen vier medienlinguistische Zugänge, die sich nach dem Bezugsrahmen der Sprachtätigkeit unterscheiden. Eines dieser Kapitel (C|1.1) gilt zum Beispiel dem direkten Gespräch und damit der interpersonalen Umwelt des Sprachgebrauchs: Menschen sprechen mit anderen Menschen. Im Mediengespräch tun sie dies mit Blick auf ein medial zugeschaltetes Publikum. • Die zweiten vier Kapitel (C|2.1 bis C|2.4) gelten der Funktionsperspektive der Medienlinguistik. Sie erschließen vier medienlinguistische Zugänge, die sich nach der Funktion der Sprachtätigkeit unterscheiden. Eines dieser Kapitel (C|2.1) gilt dem Benennen als einer referenziellen Funktion von Sprachgebrauch: Menschen benennen Weltausschnitte, um ihren Adressaten zu ermöglichen, ähnliche Bedeutungsvorstellungen aufzubauen. Im Journalismus geht es dabei oft um News, um Neues. • Die dritten vier Kapitel (C|3.1 bis C|3.4) gelten der Strukturperspektive der Medienlinguistik. Sie erschließen vier medienlinguistische Zugänge, die sich nach den Einheiten sprachlicher Struktur unterscheiden. Eines dieser Kapitel (C|3.4) gilt zum Beispiel den Texten als den sinntragenden fixierten Einheiten der Sprache: Menschen halten Sprache in Texten fest, um damit andere zu erreichen. Dabei schleifen sich Muster ein, zum Beispiel journalistische Textsorten - die sich laufend weiterentwickeln. Zwölf Kapitel beleuchten also journalistische Textproduktion aus je eigenem theoretischem Blickwinkel und arbeiten je eigene Merkmale des Gegenstandes heraus. Jedes Kapitel greift zudem eine praktische Fragestellung auf, die sich aus seinem Blickwinkel besonders sinnvoll bearbeiten lässt - zum Beispiel die Frage nach angemessenen Strategien des Fragens und Antwortens im journalistischen Interview (C|1.1.1) . <?page no="89"?> 90 C|1 Die Umweltperspektive der Medienlinguistik Die nächsten vier Kapitel gelten der Umweltperspektive der Medienlinguistik. Sie erschließen vier medienlinguistische Zugänge, die sich unterscheiden nach den Umwelten der Sprachtätigkeit: • interpersonal (C|1.1) , • intersituativ (C|1.2) , • intertextuell (C|1.3) und • intersemiotisch (C|1.4) . Aus der Umweltperspektive betrachtet, wird journalistische Textproduktion mit jedem dieser Bezugsrahmen komplexer. • Kommunikativer Sprachgebrauch ist interpersonal angelegt, ausgerichtet auf andere Menschen. Gespräche von Mensch zu Mensch im Hier und Jetzt stehen am Anfang auch der publizistischen Kommunikation. Allerdings zielen die Gesprächsteilnehmer dabei über ihre Kommunikationssituation hinaus: Medieninterviews sind immer mehrfachadressiert - was sich bereits in den Fragestrategien zeigt (C|1.1) . • Auch was in publizistischen Medien flüchtig und spontan erscheint, ist intersituativ angelegt. Medienschaffende stellen Sprachprodukte her, die immer an anderen Orten und meist zu anderen Zeiten genutzt werden, losgelöst von der Produktionssituation. Die Fixierungsprozesse müssen mit vorbestimmtem Aufwand zu weitgehend vorbestimmten Produkten führen (C|1.2) . • Journalistische Textproduktion vermittelt gesellschaftliche Diskurse, greift also auf Gespräche und auf bereits fixierte Kommunikationsangebote zurück. Dieser intertextuelle Rückgriff geschieht in der publizistischen Kommunikation über mehrere Stufen und nach domänenspezifischen Regelhaftigkeiten im Umgang mit den Quellen - mit den Quellenangaben, aber auch mit den Äußerungen selbst (C|1.3) . • Bei alledem wird das Zeichensystem Sprache, ob gesprochen oder geschrieben, immer intersemiotisch eingebunden: Sprache kommt nie als Sprache allein vor. Die unterschiedlichen publizistischen Medien ermöglichen und erfordern je eigene Verbindungen von Sprache mit anderen Zeichensystemen. Dabei setzt sich der Hypermedia-Beitrag als Grundform publizistischer Kommunikation durch (C|1.4) . <?page no="90"?> 91 C|1.1 Begegnungen: Interviewte herausfordern vs. Publika informieren Zurück zum Fall R ISIKEN (A|1 und B|3.1) . Am 4. April 2002 um 7: 36 Uhr veröffentlicht T AGES -A NZEIGER ONLINE eine Meldung mit dem Quote von Josep Piqué. Titel und Bildlegende zur Meldung widersprechen sich und die Legende holpert (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen Wer an der Delegation angehören soll ist noch nicht klar. _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Titel und Legende. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Begänne jemand so ein Gespräch, würde er wohl aufgefordert, den Widerspruch zu erklären. Das könnte sich so anhören: „Eben ist eine EU- Delegation in den Nahen Osten aufgebrochen. Wer dazugehört, ist noch nicht klar.“ - „Jetzt habe ich dich wohl nicht ganz verstanden. Ist die Delegation aufgebrochen, oder wird sie erst zusammengestellt? “ Der Text im Fall R ISIKEN ist aber kein Gesprächsausschnitt, sondern gehört zu einer Internetseite, gedacht zum Lesen irgendwann, irgendwo. Anders als im Gespräch kann eine Adressatin hier nicht sofort zurückfragen und auf Missverständliches hinweisen. Aber sie kann die Rolle wechseln, selbst Textproduzentin werden und der Redaktion eine E-Mail senden. Liest der angesprochene Journalist die Mail, ist es an ihm, zu antworten und zum Beispiel seinen ersten Text zu korrigieren. - Mit solchen Zusammenhängen von Sprache und Dialog, Wechselrede, befasst sich die Gesprächsforschung (_2) . Gesprächsforschung: linguistisch geprägter interdisziplinärer Forschungsbereich, der sich befasst mit Umwelt, Funktion und Struktur von Gesprächen. _2 Brinker & Sager, 1989 oder Deppermann, 1999 führen in die G. ein. Heidtmann, 2004 stellt ein didaktisches Werkzeug zur Einführung in die G. vor. Boettcher, 2003 oder Fiehler & Schmitt, 2004 verbinden G. und Gesprächsschulung. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, wie Gesprächsteilnehmer in Interviews ihre Beiträge adressieren (C|1.1.1) ; die Medienpraxis fragt nach erfolgreichen Frage- und Antwortstrategien und passenden sprachlichen Mitteln (C|1.1.2) . <?page no="91"?> 92 C|1.1.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Gesprächslinguistik erforscht unter anderem, wie die Gesprächsteilnehmer (_1) ihre Beiträge mehrfach adressieren (_3) , also an mehrere Adressaten richten. Dies zeigt sich deutlich in Interviews (_2) , wo Interviewer und Interviewte nicht nur miteinander sprechen, sondern auch weitere Adressaten im Sinn haben, etwa das Medienpublikum. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Gespräch: interaktiv hergestellte mündliche Wechselrede zwischen zwei oder mehreren Teilnehmenden, deren Beiträge sich aufeinander beziehen und in Sinn und Form zusammen ein Ganzes bilden. _1 H. Burger, 2001b gibt einen Überblick zum G. in den Massenmedien. Clayman, 2008 beschreibt das G. als Gegenstand der Medienanalyse. Kurzon, 2007 und Ephratt, 2008 untersuchen Funktionen des Schweigens im G. Kotthoff, 2002 vergleicht Ironie in Fernsehdiskussionen und Privatgesprächen. Luginbühl, 2007 untersucht „conversational violence“, also gewaltgeprägtes Gesprächsverhalten, in Politdebatten im Fernsehen. Jacobs, 2011 erforscht G. in Medienkonferenzen, die live und im Internet stattfinden. Schmidt, 2015 lotet aus, wie das G. im Reality-TV inszeniert wird. Interview: 1) asymmetrisches Gespräch mit klarer Rollenverteilung, bei dem Fragende Befragten Themen vorgeben und das Rederecht vergeben. 2) Medienbeitrag, der ein Interviewgespräch wiedergibt als Originalton oder schriftliche direkte Rede. _2 Clayman & Heritage, 2002 oder Schwitalla, 1986 arbeiten zum I. als journalistischer Textsorte. Barth, 1998 untersucht das politische I. als Infotainment, zwischen Information und Unterhaltung. M. Burger & Filliettaz, 2002 beschreiben Rollenkonflikte im I. Ekström, 2001 erforscht, wie Journalisten I.-Ausschnitte in Fernsehnachrichten einbetten. Jucker, 1986 untersucht parasprachliche Merkmale im I. Roth, 2002 erforscht, wie Interviewer den Interviewten mit sprachlichen Mitteln Rollen zuschreiben, zum Beispiel Entscheiderin oder Betroffener - auch ohne die Rolle ausdrücklich zu benennen. O’Connell, Kowal, & Dill, 2004 beschreiben sprachliche Merkmale spontanen Sprechens im Fernseh-I. Norrick, 2010 erforscht Praktiken des Zuhörens im I., die der Gesprächssteuerung dienen. Lauerbach, 2006 untersucht die Funktion des Imitierens von Stimmen in I. Mehrfachadressierung: Ausrichten sprachlicher Äußerungen auf mehrere Adressaten(gruppen) zugleich. _3 Heritage, 1985 oder Hennig, 1996 untersuchen die M. in Interviews; Dieckmann, 1985 in politischer Rede. D. Cameron, 1996 fragt nach dem Zusammenhang von M. und Stil. Hickethier, 2001 erforscht M. in der medialen Inszenierung. Hoffmann, 1984 untersucht die Verständlichkeit unter Bedingungen der M. Kallmeyer, 2005, 228 f. erforscht mimische Muster bei M. in Gesprächssendungen. Lundell, 2010 analysiert Off-the-record-Kommunikation vor und nach Fernsehinterviews, also abseits offener M. <?page no="92"?> 93 C|1.1.2 Praxisgeleitete Fragestellung Interviewer und Interviewte müssen mit ihren Gesprächsbeiträgen mehrere Adressaten ansprechen (C|1.1.1) . Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, wie dies gelingt. Die Medienlinguistik kann mit Werkzeugen der Gesprächslinguistik die Frage- und Antwortstrategien (_1) herausarbeiten, die in der Praxis zum Zug kommen, und sie kann die entsprechenden sprachlichen Mittel aufzeigen. Ein solches Mittel ist die geladene Frage (_2) : Die Journalistin leitet ihre Frage an den Interviewten ein, indem sie Sachverhalte benennt oder Dinge behauptet, von denen sie annimmt, sie würden das Publikum interessieren und den Interviewten herausfordern. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Fragestrategie: verfestigte, bewusste und damit benennbare Vorstellung davon, wie Fragen zu stellen sind, damit ein Gespräch mit höherer Wahrscheinlichkeit einen zielgemäßen Verlauf nimmt und eine zielgemäße Funktion erfüllt. _1 Bucher, 2000 arbeitet F. in Gesprächen für Medienbeiträge heraus. Clayman, 1988, Clayman, 1992 oder Greatbatch, 1998 erfassen Strategien vermeintlich unparteilichen Fragens in Interviews. Holly, 1993 untersucht, wie im politischen Interview Konfrontation inszeniert wird. Emmertsen, 2007 zoomt auf die Strategie von Interviewern, in politischen Interviews mit der Startfrage eine politische Gegenposition zum Interviewten zu beziehen. Roth, 2005 beschreibt und kritisiert die Praxis von Interviewern, vor Wahlen in politische Ämter die Kandidaten mit überraschenden Wissensfragen im Interview als Unwissende bloßzustellen. Holly, Kühn, & Püschel, 1986 weisen nach, wie inszeniert die Fragen und Antworten in politischen Fernsehdiskussionen sind. Le, 2004 untersucht die Funktion von Fragen in Editorials von L E M ONDE . Perrin, 2009 diskutiert den Ausbau der Repertoires von Gesprächsstrategien in der medienlinguistisch basierten Praxisberatung. Geladene Frage: Gesprächsbeitrag aus Frage plus Behauptung oder Feststellung, mit dem eine Sprachbenutzerin einen Adressaten dazu bewegen will, eine Antwort zu geben und damit gleichzeitig die Behauptung oder Feststellung zu akzeptieren. _2 Bucher, 1993; Bucher, 1994; Bucher, 2000; Clayman & Heritage, 2002 zeigen das Zusammenspiel von Frage und Behauptung in der g.F. Clayman, 1993 beschreibt die Strategie von Politikern, auf g.F. zu reagieren, indem sie die Frage in einer für sie annehmbaren Form neu formulieren. Ähnlich Harris, 1991 zu den Antwortstrategien von Politikern, nach einer g.F. das Thema zu wechseln, die Frage zu vergessen oder offen die Antwort zu verweigern. Ekström, 2001 zeigt, dass g.F. oft weggeschnitten werden, wenn Interviews für Fernsehnachrichten aufbereitet werden; im Beitrag zu hören ist dann einzig die Antwort. Greatbatch, 1992 beschreibt Frage- und Antwortstrategien, mit denen die Interviewpartner Eskalationen im Gespräch vermeiden. Roth, 2002 untersucht die Praxis von Interviewern, den Interviewten mit der Formulierung einer g.F. eine soziale Rolle zuzuschreiben. <?page no="93"?> 94 C|1.1|? a Fall B UNDESRAT : Vom Angriff ablenken Die Moderatorin im Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 stellt einer soeben gewählten Bundesrätin französischer Muttersprache im Ferninterview eine heikle Frage (_1|Zeilen 05-06) . Daran knüpft sie eine politisch ebenfalls heikle Behauptung (07-08) , die sie als bekannte Tatsache darstellt: „wollen Sie ja“ (08) . Die Bundesrätin fängt Frage und Behauptung mit Humor auf. Dann klingt es, als wolle sie das Gespräch beenden - womit sie aus ihrer Rolle als Interviewte fiele. Die Interviewerin beharrt nicht auf einer Antwort, aber auf ihrem Recht, das Gespräch zu leiten, und schließt mit einer „letzte[n] Frage“ an (14) . Wie hätte die Bundesrätin auch antworten können? - Nennen und begründen Sie eine Strategie, die zur Rolle einer Interviewten passt. 05 M: wie STELlen sie sich zu den prob ↑ LEmen - 06 die die ↑ SCHWEIZ mit der ! E ↑ U ! hat . (.) 07 das ↓ bank {bern} geheim ↑ nis 08 wollen ! SIE : ! ja ↑ NICHT aufgeben . 09 [+E: 10 vor 10 LIVE] (1.5) 10 A: a : h wissen sie . 11 HEUte ist ↓ fei ↑ ertag . °h 12 also das BANKgeheimnis werden wir ↑ MORgen sprechen . 13 ↑ vielen dank . ((lacht)) [-E] 14 M: eine ↑ LETZte {Bern} frage - _1 Fall B UNDESRAT , Interviewabschluss. Quelle: sf_zvz_021204_2150_bundesrat_duplex <?page no="94"?> 95 C|1.1|? b Aufsatz B URGER : Interviewen und informieren zugleich Im Aufsatz „Identities at stake in social interaction. The case of media interviews“ untersucht Marcel Burger Probleme von Journalisten mit der Mehrfachadressierung in Interviews. Er stellt scharf auf die journalistische Doppelrolle im Interview: Eine Journalistin muss die interviewte Person zum Sprechen bringen und zugleich das Medienpublikum informieren. Scheitern kann sie dabei, so der Befund, in der Gesprächsrolle, in der Informationsrolle oder in beiden Rollen zugleich (_1) . In welcher dieser beiden Rollen ist die Interviewerin im Fall B UNDESRAT (C|1.1|? a) erfolgreicher? - Begründen Sie Ihre Einschätzung. Within the theoretical framework of social interactionism, this paper deals with the role of identities in the joint construction of action and discourse. Identities are partly made of social cognition (psycho-sociological identities) and verbal units (discursive identities), and constitute therefore decisive resources available, involved, and displayed in every social interaction. The focus is on the functioning of identities in a particular type of social interaction: media interview. The media interview is a complex practice since it combines two distinct interactive frames with distinct participants and goals: media information and interview. The former engages a journalist together with a collective and anonymous audience with the aim of informing about relevant events of the public sphere. The latter engages an interviewer and a guest in an interactive communication with the aim of making the guest talk freely. The media interview often leads to interactive misfortunes, depending on whether an unbalanced focus is on the guest or the audience. Three case studies are detailed: a global failure of a media interview, a failure of an interview process, and a failure of an information process. _1 Aufsatz B URGER , Abstract. Quelle: M. Burger, 2002, 1 <?page no="95"?> 96 C|1.1|? c Aufsatz B UCHER : Geladene Frage als Standardmuster Im Aufsatz „Geladene Fragen. Zur Dialogdynamik in politischen Fernsehinterviews“ behandelt Hans-Jürgen Bucher die praktischen Probleme geladener Fragen. An empirischen Fällen untersucht er Fragestrategien der Interviewenden, aber auch entsprechende Antwortstrategien der Interviewten. Die geladene Frage wertet er als „Standardmuster“ journalistischer Interviewführung (_1) . Mit einem Romanhelden von Milan Kundera bringt er das „11. Gebot“ ins Spiel, dem Journalisten ihre Interviewten unterwerfen können: „Antworte und sag die Wahrheit.“ Wie hält sich die Interviewte im Fall B UNDESRAT (C|1.1|? a) an dieses „Gebot“? - Messen Sie die Antworten der Bundesrätin an diesem Anspruch. Suchen Sie dann in Alltagsgesprächen und Medieninterviews nach weiteren Beispielen für geladene Fragen und entsprechende Antworten. Angenommen, ein Journalist will einen Sprachwissenschaftler über geladene Fragen interviewen. Er würde vermutlich mit einer Frage der folgenden Art einsteigen: | Die Linguistik beschäftigt sich ja schon seit einigen Jahren mit Gesprächen im Fernsehen. Herausgekommen ist dabei allerdings, zumindest für die Praktiker, nicht besonders viel. Sind die geladenen Fragen nun etwa der letzte Schrei aus dem linguistischen Elfenbeinturm? | In Alltagsgesprächen würde man sich solche Fragestellungen vermutlich nicht gefallen lassen. In Fernsehgesprächen sind sie jedoch ein Standardmuster der Interviewführung. „Die Macht des Journalisten“, lässt Milan Kundera in seinem Roman „Die Unsterblichkeit“ einen der Protagonisten sagen, „die Macht des Journalisten beruht nicht auf seinem Recht, Fragen zu stellen, sondern auf seinem Recht, eine Antwort zu verlangen.“ Er kann seinen Gesprächspartner deshalb einem, wie Kundera es nennt, „11. Gebot“ unterwerfen: „Antworte und sag die Wahrheit.“ Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass Mediengespräche eine eigene Wirklichkeit haben, dass sie nach eigenen Regeln und Prinzipien verlaufen. Die geladenen Fragen sind ein Indiz für diese These. Sie stellen eine Kommunikationsform dar, in der sich in besonderer Weise die institutionellen Bedingungen und Auflagen der Medienkommunikation niederschlagen. _1 Aufsatz B UCHER , Einleitung. Quelle: Bucher, 2000, mit Hinweis auf Kundera, 1990 <?page no="96"?> 97 C|1.1|? d Fall W AHLKAMPF : „Etwas in diese Richtung“ fragen Zurück zum Radiofeature über den Wahlkampf in Niederösterreich (B|3.2) . Im Verbalprotokoll der Progressionsanalyse benennt der beforschte Journalist JS die Strategie, seine Interviewfragen „etwas in diese Richtung“ zu stellen - so nämlich, dass die Antworten zum geplanten Beitrag passen (_1) . In der gleichen „Richtung“ wählt er nach dem Gespräch die Ausschnitte aus, die er als Originaltöne in den Beitrag einkopiert; Antworten, die nicht in sein Konzept passen, kann er wegschneiden; Antworten, die zu umständlich oder zu lang ausfallen, kann er selbst zusammenfassen (_2) . Der Journalist gibt also an, in der Vorbereitung, der Durchführung und der Nachbearbeitung des Gesprächs strategische Ziele zu verfolgen. Zeigen Sie mögliche Vor- und Nachteile dieses Vorgehens auf, und zwar aus drei Blickwinkeln: der Sicht eines Journalisten, der in knapper Zeit einen runden Beitrag produzieren will, der Sicht einer Quelle, die ihr Anliegen wirksam in den Medien vertreten will, und der Sicht einer Öffentlichkeit, die in knapper Zeit über das Wesentliche richtig informiert sein will. Ja gut, das hat natürlich etwas damit zu tun, dass man diese O-Töne ja so geschnitten hat, dass es einen Sinnoder, hoffentlich einen Sinn gibt. So kann man es dann aneinanderreihen. […] Also, das Konzept entsteht eigentlich beim Schneiden der O-Töne. Respektive, eigentlich schon beim Aufnehmen, also beim Fragen hast du ja schon das Konzept, weil du hast das Thema, das du ausführen möchtest. Dann fragst du auch etwas in diese Richtung. _1 Fall W AHLKAMPF , Verbalprotokoll zu Revision 0. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 Jetzt überlege ich, wie ich zu dem anderen komme. Zu diesem Pröll, oder, der ja ein Kollege von diesem Höger ist, einfach von der anderen Partei, der dann auch deutlicher wird. Respektive: Jetzt erinnere ich mich an das Gespräch, und ich habe auch auf Band, es wird dann einfach zu lang, wo er mir sagt, das sei eine legitime Diskussion, und die müsse dann auch nach den Wahlen geführt werden. _2 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 66. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 <?page no="97"?> 98 C|1.1|? e Fall S OZIALGELD : Was kostet das Leben? Das Nachrichtenmagazin R UNDSCHAU zeigt ein Interview mit dem Beamten B. Er verantwortet die Entscheidung einer regionalen Behörde, Alleinerziehenden weniger Fürsorgegelder zu bezahlen, als die nationalen Richtlinien es vorsehen. Die Journalistin kritisiert diese Entscheidung im Offtext und im Interview. Mit vier Fragen treibt sie B in die Enge. Nach dem Gespräch sieht das Publikum das Klischee behördlicher Ignoranz und Willkür bestätigt (_1) . Wo und wie hätte B das Gespräch in eine für ihn günstigere Richtung lenken können? Zeigen Sie die Stellen und formulieren Sie Varianten. Off Das Sozialamt berechnete Susannes Lebensunterhalt, bestehend aus Fürsorgegeld und Alimenten, auf 2700 Franken. Nach den schweizerischen Richtlinien hätte sie 140 Franken mehr bekommen. Die Gemeinde sagt, es reicht. Auch wenn man dort nicht im Detail weiß, wie teuer das alltägliche Leben ist. I Haben Sie eine Ahnung, wie viel das Leben kostet heute? B Ja, das habe ich sicher, ich habe vier Kinder und weiß, was das kostet. I Wie viel kostet ein Paket Windeln? B Ja das weiß ich nicht mehr so genau, weil meine ((lachen)) Kinder schon ein bisschen größer sind. I Wie viel kostet ein Liter Milch? B Ja das weiß ich jetzt auch nicht genau. I Oder ein Brot? B ((2 Sekunden Pause)) Ich schaue mir die Zah- ich gehe zwar sehr viel einkaufen, aber wie das so ist, ich gehe ins Geschäft und schau mir die Preise nicht im Detail an. Off B war maßgeblich daran beteiligt, dass sich die St. Galler Gemeinden nicht mehr an die schweizerischen Richtlinien halten. _1 Fall S OZIALGELD , übersetztes Interview. Quelle: sf_rs_021218_2050_sozialgeld_interview <?page no="98"?> 99 C|1.2 Herstellung: Produkt vollenden vs. Prozess optimieren Zurück zum Fall R ISIKEN (C|1.1) . Um 07: 36 Uhr schaltet also die Online- Redaktion eine Nachricht auf, deren Bildlegende grammatisch abenteuerlich abgefasst ist und dem Titel widerspricht (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen Wer an der Delegation angehören soll ist noch nicht klar. _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Titel und Legende. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Die Zeilen verfasst hat jemand, der beruflich deutschsprachige journalistische Nachrichten schreibt. Weiß ein Journalist, eine Journalistin in dieser beruflichen Stellung denn nicht, dass man einer Delegation angehört und nicht an einer Delegation? Ist ihm oder ihr denn nicht klar, dass eine Gruppe von Menschen erst ausgewählt sein muss, bevor sie aufgebrochen sein kann? Vielleicht fehlt es nicht an Wissen, sondern an Sorgfalt, an Arbeitstechnik, an problemgemäßen Produktionsroutinen. Vielleicht wurde aus teilnehmen an später angehören, das erste an verblieb im Text, gelöscht nur im Kopf des Autors. Vielleicht wurde ein alter Text mit einem neuen überschrieben, der Autor wurde vor dem Nachlesen abgelenkt und vergaß dann den entscheidenden Schliff am Produkt. - Mit solchen Zusammenhängen von Sprache und Textherstellung befasst sich die Schreibforschung (_2) . Schreibforschung: linguistisch geprägter interdisziplinärer Forschungsbereich, der sich befasst mit Umwelt, Funktion und Struktur des Schreibens. _2 Baurmann & Weingarten, 1995 führen in die S. ein. Antos & Krings, 1989, H. P. Krings & Antos, 1992, Knobloch, 2000, Perrin, Boettcher, Kruse, & Wrobel, 2002 und Jakobs & Perrin, 2014 geben Überblicke zur S. Portmann-Tselikas, 1997 verbindet S. und Textlinguistik. Perrin, 2006e verbindet S. und Kommunikations- und Medienwissenschaft. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, wie mehrere Autorinnen und Autoren zusammen Texte produzieren (C|1.2.1) ; die Medienpraxis fragt nach Erfolg versprechenden Textproduktionsstrategien für den redaktionellen Arbeitsalltag (C|1.2.2) . <?page no="99"?> 100 C|1.2.1 Theoriegeleitete Fragestellung Schreibforschung fragt nach Produkten und Prozessen des Schreibens. Produktgerichtet forscht sie nach dem Besonderen der Schriftlichkeit (_1) von Sprache. Prozessgerichtet (_2) untersucht sie, wie Schreibende ihre Texte herstellen, allein oder mit anderen (_3) . Dies lässt sich gut an journalistischen Arbeitsplätzen erfassen: Schreiben dauert kurz und ist an Computer gebunden, was es erleichtert, die Textentstehung verfolgen (B|3.2) . - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Schriftlichkeit: Eigenschaft eines Zeichenkomplexes, mit einer Schrift fixiert und/ oder vorbereitet formuliert zu sein. _1 Dürscheid, 2002 unterscheidet, aufbauend auf Koch & Oesterreicher, 1994, mediale und konzeptionelle S.: Eine Äußerung kann in einer Schrift festgehalten, aber spontan und situationsgebunden konzipiert und formuliert sein, etwa im Chat. Larsen-Freeman & Cameron, 2008, 188 verstehen S. als situativ zerdehnte Mündlichkeit: Wer schreibt, unterhält sich in Gedanken mit künftigen Lesern. Biere & Hoberg, 1996 arbeiten zu Mündlichkeit und S. im Fernsehen; Schmitz, 1997 zur S. in Multimedia; Luginbühl, et al., 2002 und Betz, 2006 zu Merkmalen mündlicher Sprache in schriftlichen Medientexten; Meredith & Stokoe, 2014 zu Reparaturen in Gesprächen und in Facebook-Konversationen. Schreibprozess: zielgerichteter mentaler und materialer Vorgang zum Herstellen eines geschriebenen Textes. _2 J. R. Hayes & Flower, 1980 modellieren den S. als kognitiven Prozess, etwa als Problemlösen, mit den Teilprozessen Planen, Formulieren, Überarbeiten; Pogner, 1999 und Prior, 2006 dagegen verstehen Schreiben als sozial verankerten Prozess; Antos, 1996a, Grésillon, 1995, Molitor-Lübbert, 1996 und Wrobel, 2000 betonen, dass sich im S. die Teilprozesse und Phasen des Schreibens überlagern, wiederholen und gegenseitig beeinflussen. Boyd- Barret, 1980, 58 arbeitet zum Übersetzungsprozess in Nachrichtenagenturen; Bell, 1984a oder Blomqvist, 2002 zu Revisionen beim Redigieren von Nachrichten; D. Wolf, 2005 zu Phasen im journalistischen S.; F. Herrmann, 2006 zum journalistischen S. unter Druck; Hicks & Perrin, 2014 und Pigg, et al., 2014 über das beiläufige Schreiben in sozialen Medien. Mehrfachautorenschaft: Beteiligung mehrerer Personen an der Produktion eines Textes. _3 M. Fishman, 1980, 92, Goffman, 1981, 144 f., Connell & Mills, 1985, Bell, 1991, Bucher, 1999b, Wintsch, 2006 oder Perrin, 2007 und Perrin, 2011 untersuchen M. in journalistischer Textproduktion: Journalisten arbeiten in Produktionsketten nacheinander und arbeitsteilig miteinander an Texten - auch anonym, in disperser M. Häusermann, 2007 arbeitet zur M. bei O-Tönen; Blomqvist, 2002 zur M. von Agenturnachrichten in Zeitungen; Gardt, 2003 zur Problematik des Autorbegriffs in der arbeitsteiligen Produktion von Medienbeiträgen; Reich, 2010 zum Einfluss der Autorenzeile auf journalistisches Selbstverständnis; Cheesman & Nohl, 2011 über BBC als schreibende Organisation; Eisenlauer, 2014 zu Facebook als „third author“ in sozialen Medien. <?page no="100"?> 101 C|1.2.2 Praxisgeleitete Fragestellung Journalisten fertigen ihre Beiträge unter medienwirtschaftlichen Bedingungen , in Mehrfachautorenschaft und in konzeptioneller Schriftlichkeit (C|1.2.1) . Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, wie dies gelingt. Die Medienlinguistik kann mit Werkzeugen der Schreibforschung zeigen, wie die Praktiken (_1) , Routinen (_2) und Strategien (_3) journalistischer Textproduktion zusammenspielen mit den Arbeitsbedingungen und den hergestellten Textprodukten; wie also Umfeld und Prozess das Produkt beeinflussen und umgekehrt. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Praktik: Tätigkeit, die von den Beteiligten als sinnvoll erlebt wird. _1 Schütz, 1953, Schön, 1983 und Kemmis, 1988 prägen diesen Begriff der P. in ihren frühen Untersuchungen beruflicher Tätigkeit. Craib, 1992, 3 beschreibt die P. als individuelleinmalig und zugleich gesellschaftlich-strukturell: „If we look at social practices in one way, we can see [individual] actors and actions; if we look at them another way, we can see [social] structures”; ähnlich Cicourel, 2003, 371 für P. beruflichen Sprachgebrauchs und Lillis, 2008, 374 für P. der Textproduktion. D. Jones & Stubbe, 2004 untersuchen Kommunikation am Arbeitsplatz linguistisch und entwickeln Verfahren, mit denen Forschende und Beforschte gemeinsam P. verbessern können. Ruhmann & Perrin, 2002 erfassen journalistisches Schreiben als ständiges Ringen um die Balance konfligierender P. wie Publikumsbezug herstellen und Umfang und Fristen einhalten (D|2.3|? a). Routine: Praktik, die ohne bewusste Steuerung ausgeführt wird. _2 Perrin, 2012 beschreibt R. als automatisierte Praktik, die „nach verinnerlichten, nicht mehr bewussten Mustern“ abläuft und die einen kognitiv entlastet. Tuchman, 1973 arbeitet zu journalistischen R. im Umgang mit dem Unerwarteten; Brodde-Lange & Verhein- Jarren, 2001 zur Trägheit der R. in der Umstellung von Printauf Online-Nachrichtenproduktion; Quandt, 2008 zum Wandel der R. in Online-Redaktionen; Häusermann, 2011 zum Aufbrechen und Weiterentwickeln von R. des Recherchierens, Textens, Redigierens, Präsentierens und Kritisierens von Medienbeiträgen; M. C. J. Franck, 2014 zum Schreiben außerhalb der Redaktion, in der Bar, aber innerhalb organisationaler Textproduktions-R. Schreibstrategie: verfestigte Vorstellung davon, wie Entscheidungen zu fällen sind, damit eine Schreibaufgabe optimal gelöst werden kann. _3 Perrin, 2001b definiert S. als verfestigte, bewusste und damit benennbare Vorstellung davon, wie Entscheidungen beim Schreiben zu fällen sind, damit eine Schreibaufgabe optimal gelöst werden kann - damit also der Schreibprozess und das Textprodukt mit höherer Wahrscheinlichkeit eine zielgemäße Gestalt annehmen und eine zielgemäße Funktion erfüllen. Tuchman, 1972 arbeitet zu S. und Objektivität im Nachrichtenjournalismus; Androutsopoulos, 2000a zu S. von Fanzine-Autoren; Dor, 2003 zu S. und Nachrichtentitel; Perrin, 2001b zu S. erfahrener und unerfahrener Journalisten; R. Wolf & Thomason, 1986, Laakaniemi, 1987, Perrin, 2004 und Perrin, 2006f zur Weiterentwicklung journalistischer Repertoires von S. in Redaktionscoachings (D|2). Jakobs & Perrin, 2008 zeigen, wie S. und Lesestrategien in der Textproduktion ineinandergreifen. <?page no="101"?> 102 C|1.2|? a Fall N ACHRICHTENBLOCK : „Ich drucke es immer zuerst aus“ Privatsender R ADIO 32. Der Redakteur MB beginnt den ersten Nachrichtenblock vorzubereiten, den er um 6: 00 Uhr sprechen wird. Im Verbalprotokoll der Progressionsanalyse benennt er eine Strategie zur Kontrolle des Textprodukts: Ausdrucken vor dem Nachlesen (_1) . Was hat das Nachlesen auf Papier gebracht? Vergleichen Sie das Transkript des ersten Nachrichtensatzes (_3) mit der Version dieses Satzes vor dem Ausdrucken (_2). Beschreiben Sie, wie Sie selbst Ihre Texte überprüfen. Formulieren Sie Vermutungen, warum die Strategie Ausdrucken vor dem Nachlesen besser greift als Nachlesen am Bildschirm. Suchen Sie in Ihrem Repertoire oder Freundeskreis nach anderen Strategien zur Kontrolle fertig geschriebener Texte. Auch wenn es nachher noch überarbeitet wird, es ist immer gutalso ich drucke es selber immer zuerst aus, weil ich viele Sachen, schlechte Formulierungen oder Schreibfehler erst sehe, wenn es dann tatsächlich ausgedruckt ist. Ich lese besser ab Papier als ab Bildschirm, immer noch. _1 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Protokoll zu Revision 179. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600 Der Neuenburger FDP-Nationalrat Claude Frey gestern abend im West-schweizer Fernsehen sein Interesse an einer Kandidatur für die Nachfolge von Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz bekundet. _2 Fall N ACHRICHTENBLOCK , nach Revision 179. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600_diverse 05 der ↑ NEUenburger FD ↑ P -natioNALrat claude FREY ? °h 06 hat ↑ gestern ABend im WESTschweizer FERNsehen 07 sein inter ↑ ESse_an_einer kandida ↑ TUR 08 für die NACHfolge von BUNdesrat jean-pascal delamuraz 09 be ↑ KUNdet ? °h _3 Fall N ACHRICHTENBLOCK , erste Meldung. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600_diverse <?page no="102"?> 103 C|1.2|? b Fall K OREA : „Eine Fehlinterpretation“ korrigieren S CHWEIZER R ADIO DRS, Nachrichtenredaktion. Der Redakteur KW schreibt eine Meldung zur Aufhebung der lebenslangen Arbeitsplatzgarantie in Südkorea (_1) . Was tut er genau? - Stellen Sie den Zustand des entstehenden Textausschnitts Schritt für Schritt dar (_2) , und zwar nach den Revisionen 15, 16, 18, 21, 23, 26, 27, 28, 29 und 32. Nutzen Sie dazu die S-Notation und das Video des Schreibprozesses. Beschreiben Sie dann, was in den Revisionen 27 und 28 geschieht und worin die „Fehlinterpretation“ besteht, die KW mit der Revision 29 korrigiert (_3) . Formulieren Sie eine Vermutung für die Ursache des Grammatikproblems, das im beobachteten Textausschnitt erst kurz vor dem Sprechen korrigiert wird. Unternehmen , die sich in einer wirtschaftlichen Zwangslage befinden, 19 {können in 20 [z] 20 | 21 21 {Z} 21 | 22 ukunft | 20 } 19 Mitarbeiter 27 { 28 [lei| 28 ] 28 unter bestimmten Umständen } 27 | 29 22 {entlassen 26 { oder 29 {anders eingesetzt werden. } 29 | 30 30 [in andere Betriebe versetzt werden] 30 | 31 } 26 | 27 31 [, wenn] 31 | 32 33 [ 32 [bestimmte Bedingungen eingehalten werden. ] 32 | 33 ] 33 | 34 } 22 | 23 23 [unter «fairen und vernünftigen» Gesichtspunkten entlassen. ] 23 _1 Fall K OREA , Revision 29 und Umfeld. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea Revision Textausschnitt im Zwischenprodukt bis 15 Danach dürfen künftig Unternehmen […] Mitarbeiter […] entlassen. nach 16 Danach dürfen künftig Unternehmen […] Mitarbeiter […] entlassen. nach 18 Unternehmen […] können in Zukunft Mitarbeiter […] entlassen. _2 Fall K OREA , Textausschnitt Schritt für Schritt, mit neu eingefügten und gelöschten Stellen Und jetzt eben das mit <in andere Betriebe versetzt>, da habe ich gemerkt, dass das eine Fehlinterpretation ist. <Flexibler gehandhabt> dort unten heißt entweder entlassen oder anders eingesetzt werden, unter Umständen, dass man nicht mehr Vorarbeiter ist oder was immer in diesen Betrieben. _3 Fall K OREA , Protokoll zu Revision 29. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea <?page no="103"?> 104 C|1.2|? c Fall T ERROR : Der Prozess zieht seine Spur im Produkt Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 (B|3.3|? a) zeigt einen Beitrag über eine verdächtige Begegnung am Autobahnzoll. Woher kommt der Grammatikfehler (_1|Zeilen 09 f.) ? - Benennen Sie den Normverstoß und formulieren Sie Vermutungen zum Schreibprozess. Beschreiben Sie, warum Sie hier Ihre Vermutung nicht überprüfen können. Skizzieren Sie auch, wie weit Sie eine solche Vermutung mit Daten wie im Fall K OREA (C|1.2|? b) überprüfen könnten. Hören Sie sich dann den Offtext des Videobeitrags an und achten Sie auf die Betonung der untersuchten Textstelle. Beschreiben Sie, was Sie hören. Formulieren Sie Vermutungen dazu, wie sich der Offsprecher vor der Aufnahme hat vorbereiten können, und begründen Sie Ihre Vermutungen. Wer verantwortet jetzt den Fehler? Welche Daten bräuchten Sie, um Ihre Vermutung überprüfen zu können? 01 O: ! FÜNF ! zehnter septEMber zweitausendZWEI 02 ↓ abends zwan ↑ zig_UHR . (-) 03 ↑ AUtobahnzoll (.) weil_am rhein bei BAsel . °h 04 ein ↑ AUto mit ↓ zwei MÄnnern_arabischer ! HER ! kunft ? (-) 05 - - ↓ fährt auf den ZOLL zu . (-) °h 06 ein ↑! GRENZ ! wächter wird STUTZig . °h 07 ↑! IHM ! kommen - die beiden - männer 08 ver ↑ DÄCHTig vor . (-) 09 ↓ er ↑ stoppt den WAgen - (-) 10 und ↑ unterzieht es einer geNAUen konTROLle . _1 Fall T ERROR , Anfang. Quelle: sf_zvz_030115_2150_terror_kern <?page no="104"?> 105 C|1.2|? d Streiflicht S CHRIFTLICHKEIT : Konzeption vs. Realisierung Gesprochene Sprache ist flüchtig, geschriebene fixiert - dies eine Unterscheidung auf den ersten Blick. Man kann aber Sprache auch mündlich fixieren und überliefern, und man kann Gesprochenes aufzeichnen und transkribieren (C|1.2.1|_1) . Je länger man über Mündlichkeit und Schriftlichkeit nachdenkt, desto vertrackter erscheint die Unterscheidung. Versuchen Sie es vorerst mit einer einfachen Denkfigur, der Unterscheidung von Konzeptionsweise und Realisierungsform: Sprache kann gedanklich fixiert (statt spontan produziert) sein oder nicht, und sie kann zugleich materiell fixiert sein (etwa auf Papier geschrieben) oder nicht. Dies führt zu vier Möglichkeiten (_1) . Reicht das? Konzeptionsweise → Realisierungsform ↓ gedanklich fixierte Sprache - + materiell fixierte Sprache - Gespräch, spontane Rede Voicemail, Statement für TV + Chat, Transkript Brief, Zeitungsbericht _1 Schriftlichkeit als Realisierungsform und als Konzeptionsweise Wo stoßen Sie an die Grenzen des Schemas, weil es Unterschiedliches nicht mehr trennen kann? Wie erweitern Sie das Schema? - Arbeiten Sie mit diesen Beispielen: a Eine Expertin beantwortet eine Frage, die sie überrascht, nach kurzer Denkpause spontan. b Ein Experte begegnet einer Frage, die ihm Journalisten immer wieder stellen, sofort mit seiner Routineantwort. c Ein Experte hat sich ein 12-Sekunden-Statement zurechtgelegt und spricht es in die Kamera. d Ein Experte gibt einen Ausschnitt aus einem spontanen Gespräch nach dem Wegschneiden einer einzelnen Äußerung zum Senden frei. e Ein Journalist übernimmt aus einem längeren spontanen Gespräch passende Äußerungen einer Expertin in seinen Beitrag. <?page no="105"?> 106 C|1.2|? e Aufsatz B AUMANN : Nachrichtenschreiben als Übersetzen Im Aufsatz „Transcultural journalism and the politics of translation: Interrogating the BBC World Service Journalism“ unterscheiden Gerd Baumann, Marie Gillespie, und Annabelle Sreberny vier Praktiken, mit denen BBC-Journalisten Texte übersetzen, wenn sie schreiben (_1) . Mit dem Übersetzen, so die Autoren, würden die Texte jeweils an die Kultur der Adressaten, aber auch an die Kultur des Medienhauses BBC angepasst. Wie unterscheiden sich die vier Praktiken, und worin sehen Sie ihre Chancen und Risiken? By (1) transporting, we mean all processes involved in feeding information into the BBC World Service’s centre at Bush House, London, and/ or its regional desks and hubs around the globe, a unique and unequalled infrastructure of global news coordination. Transporting may look like a simple technological infrastructure. Yet just on the days that it matters most, it makes a globally electrifying difference. Faced with a scoop, local stringers or even citizen journalists will know trustworthy locals who can position their mobile-phone camera in the right place and time, dub the local report instantaneously, and generate instant worldwide translations into newsroom languages in order to achieve an exclusive broadcast from Bush House distributed all over the world. By (2) translating, we mean the techniques, crafts, and possibly grafts, of language-tolanguage transformations. Even the seemingly simplest linguistic transformations are evidently transformative in journalistic practice, be it by contents or by the discursive tone implied or smuggled in. Examples abound in all our contributions. By (3), transposing and trans-editing, we refer to implicit, and often silent, discursive reintonations, while trans-editing emphasizes the simultaneity of translating and editing processes. The two, however, belong together, and go hand-in-glove at most instances that we could research in detail. Finally, processes of (4) transmitting were examined for converging or conflicting patterns which often determine which audiences and users get which news and BBC commentaries in which areas and at which, accessible or inappropriate, times. These times can differ by hours or even by days, and the differences can be crucial for regarding the BBC as a help or a hindrance to understanding ‘the world out there’ or indeed, especially in so-called crisis markets or among diasporic audiences, ‘the world around us’. _1 Aufsatz B AUMANN , Schluss. Quelle: Baumann, Gillespie, & Sreberny, 2012, 137 <?page no="106"?> 107 C|1.3 Diskurszusammenhang: Diskurs vermitteln vs. Storys zuspitzen Zurück zum Fall R ISIKEN (C|1.2) . Auf der Einstiegsseite von T AGES -A NZEIGER ONLINE steht am 4. April 2002 um 07: 36 Uhr die Anrisszeile (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen. >> weiter _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Anrisszeile. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Nach einem Klick auf „>> weiter“ erschien die Anrisszeile noch einmal, diesmal aber als Titel gesetzt und gefolgt von einem Fließtext (_2) . EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen Die Europäische Union hat eine ranghohe Delegation in den Nahen Osten entsendet, um die Kriegsparteien zur Waffenruhe zu bewegen. Das beschlossen die EU-Außenminister am Mittwochabend während einer Sondersitzung in Luxemburg. […] _2 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Titel und Textanfang. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Der erste Satz dieses Fließtexts beschreibt einen Sachverhalt, der zum Titel passt. Der zweite Satz aber irritiert: Man kann nicht beschließen, jemanden entsendet zu haben; ein Beschluss ist eine sprachliche Handlung, mit der man sich darauf festlegt, künftig etwas zu tun. Woher der Unsinn? - Der Autor könnte sich in intertextuellen Ketten verheddert haben. Eine Online-Redaktion arbeitet laufend neues Material aus neuen schriftlichen Quellentexten und Gesprächen in bestehende Beiträge ein, sie aktualisiert ihre Beiträge. Dabei können Widersprüche entstehen und übersehen werden. - Solchen Zusammenhang von Texten und Gesprächen in Diskursen untersucht die Textwissenschaft (_3) . Textwissenschaft: linguistisch geprägter interdisziplinärer Forschungsbereich, der sich befasst mit Texten in Diskursen. _3 De Beaugrande, 1997 und Van Dijk, 1980b beschreiben die Beziehung von T. und Linguistik. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, wie Gemeinschaften sprachliche Äußerungen in Diskursen weitergeben (C|1.3.1) ; die Medienpraxis fragt nach Strategien, mit Äußerungen anderer passend umzugehen (C|1.3.2) . <?page no="107"?> 108 C|1.3.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Textwissenschaft erforscht unter anderem, wie gesellschaftliche Diskurse (_1) funktionieren, wie sich also Gemeinschaften über Zeit und Raum hinweg über bestimmte Themen verständigen. In Diskursen werden sprachliche Äußerungen aus früheren Zusammenhängen aufgegriffen und in neue Zusammenhänge gestellt (_3) , was intertextuelle (_2) Bezüge zu den früheren Verwendungen erzeugt. Beiträge in publizistischen Medien spielen in solchen Diskursen eine wichtige Rolle und machen sie zudem methodisch leicht greifbar. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Diskurs: unbegrenzte Menge von Zeichenkomplexen, die sich situationsübergreifend aufeinander beziehen und im Thema zusammengehören. _1 Larsen-Freeman & Cameron, 2008, 164-186 sehen jedes Gespräch und jeden Text als D.- Beitrag in einer komplexen, dynamischen Gesellschaft, die D. prägt und von ihm geprägt und durch ihn organisiert wird. Endres, 2005 untersucht „Neue Diskurse durch neue Medien. Die Rolle der Warblogs in der Berichterstattung zum Irakkrieg“. Fetzer & Lauerbach, 2007 arbeiten über politischen D. in den Medien; Li, 2009 zu „discourse of national conflicts“ in amerikanischen und chinesischen Zeitungen; Dirks, 2010 über den „Irak-Konflikt in den Medien“. Coupland, 2001 analysiert die Presseschau am Fernsehen als innermedialen Anschluss-D.: Medien berichten über Medienberichterstattung. Schütte, 2005 untersucht Anschluss-D. im Internet nach einer TV-Beratungssendung. Nuernbergk, 2013 vergleicht, wie Öffentlichkeit hergestellt wird mit journalistischen und mit sozialen Medien. Intertextualität: Eigenschaft von Texten, sich auf andere Texte zu beziehen. _2 Kristeva, 1967 prägt den Begriff der I. in der Literaturwissenschaft; Helbig, 1996, Linke & Nussbaumer, 1997, Fix, 2000 oder Bazerman, 2003 arbeiten zur I. in der Textlinguistik; Bell, 1991, H. Burger, 2001c oder Luginbühl, et al., 2002 zur I. in den Massenmedien; Holthuis, 1993, 44 f. zur Auto-I., zum Rückgriff auf eigene Texte. Sarcinelli, 1996 oder Bucher, 1999b beschreiben Auto-I. im Journalismus - die Praxis, Themen und Informationen aus der Beobachtung anderer Medien zu gewinnen. Wegen der Auto-I. kritisieren E. S. Herman & Chomsky, 1988 das Mediensystem als Propaganda-Maschinerie. Rekontextualisieren: sprachliche Tätigkeit, bei der ein Textteil aus einem früheren Textumfeld und Kommunikationszusammenhang gelöst und neu eingebettet wird, was den Kontext beim Verstehen ändert. _3 Häusermann, 2011, 106-112 zeigt das R. nach Recherchegesprächen: Äußerungen werden aus dem Gesprächskontext herausgelöst, verschriftlicht, gestrafft, neu eingebettet und oft als Redewiedergabe markiert. Van Hout, Pander Maat, & De Preter, 2011 sezieren das R. einer Medienmitteilung in der Wirtschaftsredaktion einer Regionalzeitung. Schäffner, 2005 und Tsai, 2005 beschreiben Übersetzen als Form des R. im Nachrichtenjournalismus. Rath, 1996 vergleicht Quotes als Ergebnisse des R. in Zeitungen zweier Kulturräume. Ikeo, 2012 analysiert irreführende Redewiedergabe. <?page no="108"?> 109 C|1.3.2 Praxisgeleitete Fragestellung Medienschaffende tragen Diskurse weiter, indem sie Teile aus früheren Texten und Gesprächen aufgreifen und in neue Kontexte einbetten (C| 1.3.1) . Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, wie dieses intertextuelle Arbeiten gelingt. Die Medienlinguistik kann mit Werkzeugen der Textwissenschaft Strategien und sprachliche Mittel herausarbeiten, mit denen Medienschaffende Intertextualität nutzen - zum Beispiel indem sie Beiträge aufclustern (_1) und Quotes (_2) zuspitzen (_3) . Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Textcluster: nichtlineare Zusammenstellung von intertextuell verbundenen Texten innerhalb eines Wahrnehmungsraums. _1 Bucher, 1996 zeigt Clustering als Strategie des Textdesigns in der Tageszeitung: T. werden gebildet aus mehreren Einzelbeiträgen wie Bericht und Kommentar - oder aber aus einem einzigen Beitrag, der in Teilbeiträge, Kästen, Tabellen usw. aufgeclustert wird. Bucher, 1998 vergleicht T. in gedruckten und elektronischen Zeitungen; ähnlich Lugrin, 2001 für T. in Elite- und Boulevardzeitung. Brodde-Lange & Verhein-Jarren, 2001 diskutieren das Clustering von Online-Nachrichten in Bildschirmhäppchen; Werlen, 2000b das Clustering des Radio-Wetterberichts; Mondada, 2009 das Clustering mit Split-Screen-Technik in Talkshows, wo der Bildschirm auf Teilflächen nebeneinander mehrere Bewegtbilder zeigt. Quote: Einheit in einem Medienbeitrag, die dargestellt wird als originalnahe Wiedergabe der Äußerung einer Quelle. _2 Perrin, 2005b definiert das Q. ethnokategorial (also gestützt auf empirische Daten dazu, wie die Medienpraxis selbst den Begriff verwendet) als Textstelle, die dargestellt wird als Zitat, aber keines zu sein braucht. Das Zitat ist im Wesentlichen unverändert aus einem älteren Zeichenkomplex übernommen worden und im neuen Zusammenhang als Übernahme gekennzeichnet; das Q. kann bloß so aussehen, als wäre es ein Zitat. Harry, 2014 unterscheidet symbolische, ikonische und indexikalische Funktionen des Q. H. Burger, 2001a untersucht Q. in Fernsehnachrichten. Marinos, 2001 arbeitet zur Authentizität der Redewiedergabe in Zeitungsnachrichten. Rath, 1996 und Hauser, 2008 vergleichen Quotes in Zeitungen mehrerer Kulturräume. Zuspitzen: sprachliche Tätigkeit, bei der Äußerungen auf eine publikumswirksame Hauptaussage hin rekonstruiert werden. _3 Dor, 2003 untersucht das Z. in Zeitungstiteln; Häusermann, 2007 und Sleurs, et al., 2003 zeigen, wie in PR-Texten Quotes erfunden und zum Z. genutzt werden. Ekström, 2001 beschreibt, wie die gleichen Äußerungen von Politikern in unterschiedlichen Fernsehnachrichten gegensätzlichen journalistischen Handlungsabsichten unterworfen und entsprechend ausgewählt und eingebaut werden; ähnlich Kroon Lundell & Ekström, 2010. Johansson, 2006 untersucht zuspitzendes Rekontextualisieren als Fragestrategie in politischen Interviews. Smirnova, 2009 zeigt, wie Journalisten Argumente und Bewertungen auslagern in Quotes von Textakteuren, die sie auswählen und in den Beitrag einbetten im Sinn ihrer eigenen, nicht selbst geäußerten Meinung. Ähnlich Hartley, 1982, 109-110 und Luginbühl, 2004 zum Z. von Quotes im Sinn der Nachrichtendramaturgie. <?page no="109"?> 110 C|1.3|? a Fall W AHLKAMPF : Quotes stecken die Laufrichtung ab Wiederholungskurs zum Rekontextualisieren (A|2) : Wie arbeitet JS im Radiofeature zum Wahlkampf in Niederösterreich (B|3.2.1) ? Beschreiben Sie den Textproduktionsprozess gestützt auf die folgenden drei Ausschnitte aus dem Verbalprotokoll (_1, _2, _3) . Wagen Sie eine Vermutung dazu, ob JS beim Arbeiten die Politiker Höger und Pröll vorwiegend als Persönlichkeiten vor sich sieht oder vorwiegend dramaturgisch, als Textrollenträger. Belegen Sie Ihre Vermutung mit empirischen Daten aus dem Verbalprotokoll (_3) und der S-Notation dazu. >> www.medienlinguistik.net Ja gut, das hat natürlich etwas damit zu tun, dass man diese O-Töne ja so geschnitten hat, dass es einen Sinnoder, hoffentlich einen Sinn gibt. So kann man es dann aneinander reihen. […] Also, das Konzept entsteht eigentlich beim Schneiden der O-Töne. Respektive, eigentlich schon beim Aufnehmen, also beim Fragen hast du ja schon das Konzept, weil du hast das Thema, das du ausführen möchtest. Dann fragst du auch etwas in diese Richtung. _1 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 0. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 Und da geht es auch noch darum, dass das noch so ein schöner Ton ist, du weißt, so unterhaltsam, wenn der da so etwas radebrechend die Leute dazu aufruft, SP zu wählen, weil es geht um die Zukunft. Das ist all das Floskelhafte, Provinzielle. Das finde ich noch so schön, wenn man das so zeigen kann. Also es ist wirklich halt etwas Länder-Reisen-Völker. Also so nach draußen schauen, ohne dass es jetzt gerade, ja, so knallharte Information sein muss, sondern auch etwas unterhalten. _2 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 53. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 Jetzt überlege ich, wie ich zu dem anderen komme. Zu diesem Pröll, oder, der ja ein Kollege von diesem Höger ist, einfach von der anderen Partei, der dann auch deutlicher wird. Respektive: Jetzt erinnere ich mich an das Gespräch, und ich habe auch auf Band, es wird dann einfach zu lange, wo er mir sagt, das sei eine legitime Diskussion, und die müsse dann auch nach den Wahlen geführt werden. _3 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 66. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 <?page no="110"?> 111 C|1.3|? b Fall P RIVATSENDER : Ein Quote rahmen Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 (B|3.3|? a) zeigt einen Beitrag zum geplanten Radio- und Fernsehgesetz. Dieses Gesetz sieht einen Beirat für den öffentlichen Schweizer Medienanbieter SRG vor, der auch die Sendung 10 VOR 10 gestaltet. Der Vorschlag stoße „auf weit weniger Begeisterung“ (_1|Zeile 05) und sei „umstritten“ (24) , sagt die Moderatorin. Nur sie? - Beschreiben Sie, was Sie vom Quote (09-23) erwarten, und vergleichen Sie es mit dem Quote im Beitrag. >> www.medienlinguistik.net 01 O: {SF DRS} während das geBÜHrensplitting 02 ↑ KAUM umstritten ist ? °h 03 stößt {SF DRS} eine WEItere neuerung_ 04 im radio und fernsehgesetz ? °h 05 auf <<len> WEIT ↑ WEniger > beGEIsterung . °h 06 ein {tpc} UNabhängiger ↑ FÜNFzehn köpfiger beirat ? °h 07 soll ↑ KÜNftig darüber wachen - (-) 08 ↑ ob die ↓ SRG {tpc SF DRS} ihren ↑ proGRAMMauftrag er ↑ füllt . … 24 O: ↑ OB der ↓ umstrittene beirat 25 tat [+E: 10 vor 10 Autorenteam] sächlich geschaffen wird ? °h 26 DArüber müssen noch die eidgenössischen RÄte befinden . °h 27 WIE natürlich_auch über [-E] ↑ DIE ANderen neuerungen im gesetz . _1 Fall P RIVATSENDER , Statement-Rahmung. Quelle: sf_zvz_021218_2150_privatsender_rahmen <?page no="111"?> 112 C|1.3|? c Fall E XPO : Zuspitzen und zurückziehen Sprachkritik in der Redaktion T AGES -A NZEIGER (B|3.4) , zu einem Textcluster über die Leitung der Ausstellung E XPO . - Vergleichen Sie den Titel des Aufmachertextes mit dem Quote des betroffenen Akteurs (_1) . Beschreiben Sie, wie sich die Sprachkritik hier zum Zuspitzen (_2) stellt. _1 Fall E XPO , kritisierter Aufmacher (Titelseiten-Beitrag). Quelle: ta_print_000824_01_expo Haben sie - oder nicht? | „Expo-Direktoren haben Streit“, stellen der Kiosk- Aushang und der Fronttitel des T AGES -A NZEIGERS vom 24. August fest, und der Vorspann skandiert: | „Generaldirektorin und Künstlerischer Leiter [der Landesausstellung Expo] haben Krach.“ | Das verheisst Übles. Tatsächlich: Schon der erste Satz des Frontaufmachers betont das Endgültige, Exit Expo. | „Grosse Projekte wie eine Landesausstellung sind ohne Konflikte nicht zu bewältigen; der jüngste Konflikt geht mitten durch das Projekt.“ | Agil wechselt jetzt der Text zwischen den Fronten, ohne einen Streit zu belegen. Der Schlussabschnitt formuliert als Zwischenbilanz, die Sponsoren werde es beruhigen, | „dass sowohl Martin Heller als auch Nelly Wenger am Mittwoch über ihren Sprecher haben ausrichten lassen, sie würden gemeinsam und auch geeint auf eine qualitativ hochstehende Landesausstellung hinarbeiten“. […] Das Fazit [des Hauptbeitrags] endlich nimmt die Behauptung von Kioskaushang und Titel so weit zurück, dass der Aufmacher des T AGES -A NZEIGERS vom 24. August als Mogelpackung dasteht: | „Ob ihre Auseinandersetzungen zu einem persönlichen Zerwürfnis eskaliert sind, bleibt kontrovers.“ | Einfacher gesagt: Ob die zwei wirklich streiten, ist nicht gesagt. […] _2 Fall E XPO , Sprachkritik. Quelle: ta_coach_000824_rueckzieher <?page no="112"?> 113 C|1.3|? d Aufsatz E KSTRÖM : Interviewantworten rekontextualisieren Im Aufsatz „Politicians interviewed on television news“ hinterfragt Mats Ekström die journalistische Praxis, in Fernsehnachrichten nur Ausschnitte aus Antworten zu zeigen, nicht die ganzen Antworten und nicht die Fragen (_1, aber auch schon A|2 und B|3.1) . Na und? - Beschreiben Sie, wie Sie als Nachrichtenjournalistin oder -journalist eines Radio- oder Fernsehsenders dieser Feststellung des Forschers begegnen würden. Beziehen Sie in Ihre Argumentation Überlegungen mit ein, wie sie der Journalist JS im Fall W AHLKAMPF zeigt (C|1.3|? a) . Benennen Sie dann die Risiken, die Ekström im Abstract seines Aufsatzes mit dieser Praxis verbindet. Belegen Sie diese Risiken mit Sprachdaten aus den Fällen P RIVATSENDER und E XPO (C|1.3|? b und ? c) sowie U RAN . >> www.medienlinguistik.net Zeigen und begründen Sie, wo Sie in diesen Fällen problematischer Rekontextualisierungen Absicht vermuten, wo bloß Unvermögen oder engen Handlungsspielraum. Suchen Sie in TV- Nachrichten nach ähnlichen Beispielen. The power relationships and discursive strategies inherent in the interview as a mode of conversation, production and presentation are fundamental conditions for politics in the mediated public sphere. The journalistic interview sets the terms for politicians’ public communication and appearances. This article is based on analyses of 124 broadcast news items which included interviews with Swedish politicians. The analyses are inspired by conversation analysis of news interviews. Discourse analysis, particularly the concepts of decontextualization and recontextualization, has also contributed to this study. The results show that it is a widespread practice in television news to divorce answers from the preceding question. In news stories, political interviews are presented in a fragmentary form. This article focuses on four discursive strategies in the recontextualization of interview answers, whereby the original question is removed and substituted by something else. The analyses show how the recontextualization influences the meaning of both the answers and the interviewee’s actions and character. _1 Aufsatz E KSTRÖM , Abstract. Quelle: Ekström, 2001, 563 <?page no="113"?> 114 C|1.3|? e Aufsatz H ÄUSERMANN : Wer spricht zum Publikum? Im Aufsatz „Zugespieltes Material. Der O-Ton und seine Interpretation“ beschreibt Jürg Häusermann unter anderem die komplexe Mehrfachautorenschaft (C|1.2.1|_3) bei der journalistischen Arbeit mit O-Tönen (_1) . Der Sprachwissenschaftler Häusermann hat selbst als Radiojournalist gearbeitet. Merkt man das? - Beschreiben Sie, worin sich Häusermanns hier gezeigte Haltung zu Problemen der Rekontextualisierung unterscheidet von den Haltungen, die Sie bei Ekström (C|1.3|? d) vermuten. Stützen Sie sich dabei auf bestimmte sprachliche Merkmale der Texte. In Informationsbeiträgen des Radios unterbrechen oft kürzere Tonsequenzen die Rede des Berichterstatters. Sie werden in den Lehrbüchern etwa als „kleine Tondokumente“ […] umschrieben. Ihre Verwendung wird angehenden Radiojournalistinnen und -journalisten empfohlen: Sie sollen eine Sendung „lebendig“ […] machen; sie gelten als besonders „authentisch“. […] Sie heißen denn auch Originaltöne oder O-Töne.| Was ein O-Ton ist und wie er von anderen akustischen Elementen abgegrenzt werden soll, ist in der Praxis nicht klar, in der Theorie kaum ein Thema; die Frage, wie sich O-Töne in die journalistische Interpretationsarbeit einfügen, wird in Theorie und Praxis kaum diskutiert. Dies verwundert in einer Zeit, in der O-Töne eine wichtige dramaturgische Rolle spielen und in der O-Töne in Sendeformen verwendet werden, in denen sie lange Zeit selten oder undenkbar waren - zum Beispiel in Nachrichtensendungen oder auch in der Moderation von Begleitprogrammen. […] In einer Zeit der hypertrophen Öffentlichkeitsarbeit, in der die Akteure Live-Ereignisse planen und die Journalisten gleich selbst darin „einbetten“, ist es eine der wichtigsten metakommunikativen Aufgaben der Medien, transparent zu machen, wer zum Publikum spricht. Um dieser Aufgabe nachzukommen, müssen Journalistinnen und Journalisten ihre Rolle im Kommunikationsprozess durchschauen - und zwar in jeder Produktionsphase, von der Selektion bis zur Präsentation. Sie müssen erkennen, dass sie die Herstellung ihrer O-Töne oft nur teilweise in der Hand haben, dass sie die O-Töne in vielfältiger Zusammenarbeit mit den Akteuren herstellen. Dann können sie mit einem sorgfältigen Einsatz von O-Tönen gerade das leisten, was in der Live-Situation oft nicht möglich ist: adressatengerechte Bearbeitung, reflektierte Einbettung und Interpretation. _1 Aufsatz H ÄUSERMANN , Anfang und Schluss. Quelle: Häusermann, 2007 <?page no="114"?> 115 C|1.4 Zeichenvielfalt: Texten vs. vertonen, bebildern und verlinken Zurück zum Fall R ISIKEN (C|1.3) . Am Bildschirm präsentierte sich die überarbeitete Fassung des Online-Beitrags so (_1) : _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, aktualisiert. Quelle: ta_online_020404_1046_update Zu sehen sind dunkle Flächen und Linien vor hellem Grund. Wer Medien zu nutzen gelernt hat, wird aber nicht vor allem Flächen und Linien wahrnehmen, sondern Zeichen: Schrift und Bilder, Texte und Textgrenzen, Felder zum Ausfüllen und Hyperlinkmarker zum Anklicken, Nachrichten und Werbung, Männerköpfe und Schulterpolster. Und wer wissen will, was die Männer da tun, sucht und findet eine erste Antwort in den Zeilen unter dem Bild. - Mit Zeichen aller Art und ihrem Zusammenspiel in Medienangeboten befasst sich die Semiotik (_2) . Semiotik: wissenschaftliche Disziplin, die sich befasst mit der Bedeutung, der Verknüpfung und dem Gebrauch von Zeichen. _2 Dressler, 2000 verbindet S. und (Text-)Linguistik; Hess-Lüttich, 2002 S. und Medienpraxis. Withalm, 2006 und M. Wolf, 2003 verbinden S. und Medienforschung. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel nach dem Besonderen sprachlicher Zeichen (C|1.4.1) ; die Medienpraxis fragt nach Strategien, um Sprache, Bild und Klang zusammenzufügen (C|1.4.2) . <?page no="115"?> 116 C|1.4.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Linguistik erforscht an der Schnittstelle zur Semiotik, wie Zeichen (_1) unterschiedlicher Systeme zusammenspielen, besonders, wie sprachliche Zeichen (_2) mit Zeichen anderer Systeme (_3) verbunden werden. Die einzelnen Medien ermöglichen technisch ein je eigenes Zusammenspiel von Zeichensystemen, und dramaturgisch erzwingen sie es: Print etwa verlangt zusätzlich zur Sprache das Schriftbild, Fernsehen das bewegte Bild. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Zeichen: sinnlich wahrnehmbare Einheit, die gemeint und verstehbar ist als Gestalt, die für ein Bezugsobjekt steht. _1 Nach Eco, 1987 ist etwas dann ein Z., wenn jemand es als Z. versteht; nach Bentele & Bystrina, 1978 dagegen muss ein Z. auch vom Produzenten als Z. gemeint sein, sonst ist es ein „Anzeichen“. Keller, 2003, 170 beschreibt die „Fähigkeit, Dinge oder Ereignisse als Zeichen zu nutzen und als solche zu interpretieren“, als „semiotische Kompetenz“. Sprachliches Zeichen: Zeichen innerhalb des Systems einer natürlichen Einzelsprache. _2 De Saussure, 1916 sieht das s.Z. primär als Symbol. Beim Symbol ist die Beziehung zwischen der Zeichengestalt und dem Bezugsobjekt willkürlich, aber konventionell. Das Wort Hund etwa hat nichts Hundhaftes an sich, polnisch heißt das gleiche Tier pies. Aber das Wort funktioniert, weil eine Sprachgemeinschaft übereingekommen ist, dieses Objekt eben Hund zu nennen. Dressler, 2000 sieht dagegen das s.Z. auch als Index und Ikon: Indexikalisch sind s.Z. deshalb, weil sie verweisen auf Elemente in der Kommunikationssituation, etwa die Existenz eines Zeichenproduzenten (wo Sprache ist, da muss auch ein Sprecher sein) oder auf Zeit (jetzt) und Ort (hier). Ikonisch sind s.Z. zum Beispiel, wo Gleichbedeutendes sprachlich gleich aussieht; inhaltlich aufeinander Bezogenes räumlich oder zeitlich nahe beisammen steht; ein Text zuerst von früheren Ereignissen erzählt und dann von späteren; oder wo Wörter onomatopoetisch sind, also ähnlich klingen wie ihr Bezugsobjekt (klirren). Cölfen, 2003 betont das Indexikalische von Sprache in Talkshows: Sie wird genutzt als „Geräusch“ zum Erheischen von Aufmerksamkeit. Zeichensystem: Menge von Zeichen, zwischen denen einheitliche, komplexe, enge Beziehungen bestehen. _3 Morris, 1938 beschreibt die Systematik von Zeichen. Zeichen beziehen sich nicht nur auf Objekte, sondern auch auf andere Zeichen, zum Beispiel über Bedeutungsbeziehungen wie Syno- und Antonymie (heiß/ stürmisch, heiß/ kalt). Stöckl, 2004b versteht Typografie als eigenes Zeichensystem: Wahl und Wechsel von Schriftschnitten in einer Zeitung etwa tragen feste Bedeutung. Troesser, 1985 untersucht das Wechselspiel von sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen in Live-Radiobeiträgen, etwa „wann und wie Moderatoren von live übertragenen Hörfunksendungen den Hörern am Radio Merkmale der Umgebung am Sendeort und nonverbale Elemente der Interaktion vor Ort […] mitteilen“ (352). Knox, 2009 beschreibt „thumbnails“, kleine Bilder auf einer News-Site, als neues Z.: Sie werden zur Gliederung des Kommunikationsangebots genutzt, nicht als Bilder. <?page no="116"?> 117 C|1.4.2 Praxisgeleitete Fragestellung Medienschaffende müssen Sprache und Zeichen anderer Systeme aufeinander abstimmen (C|1.4.1) . Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, wie dies gelingt. Die Medienlinguistik kann mit Werkzeugen der Semiotik zum Beispiel Strategien des Vertonens von Medienbeiträgen (_1) oder des Verlinkens von Hypermediatexten (_2) herausarbeiten und Praxisregeln hinterfragen: etwa das Gebot, Text-Bild-Scheren (_3) zu vermeiden. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Medienbeitrag: Komplex aus sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen, von journalistischen Autoren gestaltet zur Präsentation in einem journalistischen Massenmedium. _1 Bucher, 1999b spricht durchgängig von M. im hier gemeinten Sinn. Der Begriff ist auch in der journalistischen Berufspraxis verbreitet. Luginbühl, et al., 2002 unterscheiden journalistische Texte (im Sinn von M.), Rezipiententexte (z.B. Leserbriefe), fiktionale Texte (z.B. Soaps) und Werbung (z.B. Programmwerbung). Seibold, 1998 arbeitet zum Zusammenspiel von Layout, Typografie und Sprache in M. von Publikumszeitschriften; Häusermann, 2007 zur Funktion von Originalton im M. am Radio. Schack, 2014 und W. Weber & Rall, 2012 erforschen Infografik im M. Fitzgerald & McCay, 2012 untersuchen die Funktion gemütlichen Studiodekors in Nachrichtenbeiträgen. Hypermediatext: Text aus Teilen, die mit Hyperlinks so verknüpft sind, dass man sie über mehrere, wählbare Navigationswege erschließen kann. _2 Sager, 2000 versteht Text grundsätzlich als H. So lässt sich jeder Medienbeitrag verstehen als unvollständig ausgebauter H. Jucker, 2003 beschreibt Medienkonvergenz als Entwicklung, die Print-, Radio- und TV-Beiträge als Sonderfälle des H. erscheinen lässt. Straßner, 2001 beschreibt den Wandel der Zeitungssprache „von der Korrespondenz zum Hypertext“. Storrer, 2004b arbeitet zu Text-Bild-Bezügen und Nutzermetaphern im H.; Wagner, 2005 zu den „Medienfragmenten“ und ihren Bezügen im H. Schirnhofer, 2010 analysiert „Textdesign von nichtlinearen Texten in der massenmedialen Kommunikation“. Perrin, 2015 zeigt die Konstanten von Texten im Medienwandel. Text-Bild-Schere: Auseinanderklaffen der Bedeutung von sprachlichen Äußerungen und gleichzeitig wahrnehmbaren Bildern im Medienbeitrag. _3 Nöth, 2000 oder Stöckl, 2004a spannen Systematiken auf zur Verknüpfung von Sprache und Bild. Ballstaedt, 2002 analysiert „Text-Bild-Design“. Huth, 1985 und Oomen, 1985 untersuchen Bildfunktionen in Fernsehnachrichten. Renner, 2001 hinterfragt die „Scheren- Metapher“ (24). Er unterscheidet starke und schwache Text-Bild-Bestätigung, Text-Bild- Widerspruch und fehlenden Bezug (26) und erkennt sie als unterschiedlich funktional für die vier Videotextsorten Bericht, Reportage, Erklärstück und Essay (43). Ähnlich Wojcieszak, 2009 für das Zusammenspiel von Verbalsprache, Bild und Klang in audiovisuellen Nachrichten. Holly, 2005 ersetzt die Scheren-Metapher durch den „Reißverschluss“: Text und Bild werden laufend ineinander verzahnt. <?page no="117"?> 118 C|1.4|? a Fall R ÜCKBLENDE : Die Bild-Legenden-Schere schließen Die Sprachkritik des T AGES -A NZEIGERS (_2) behandelt zwei Legenden zu historischen Bildern in journalistischen Beiträgen (_1) . Worin besteht hier die Schere? - Beschreiben Sie in Ihren Worten, was die Kritik an der Legende zum zweiten Bild beanstandet. _1 Fall R ÜCKBLENDE , kritisierte Beiträge. Quellen: ta_print_000907_17_unterricht und …_02_fete Die Rückverblende | Altes im Bild, Neues im Text - das funktioniert, wenn die Legende die Brücke schlägt vom Bild zum Text, vom Alten zum Neuen. Genau wie im T AGES -A NZEIGER vom 7. September, Seite 11. „Vor elf Jahren, als das Bild entstand, war im Französisch nur mündlicher Unterricht Trumpf. Das ändert nun.“ | Da sagt die Legende zuerst, wie alt das Bild ist: „Vor elf Jahren, als das Bild entstand“. Dann umreißt sie, was damals war und im Bild zu sehen ist: da „war im Französisch nur mündlicher Unterricht Trumpf“. Zuletzt blendet sie in die Gegenwart, deutet Neues an und lädt damit ein, den Text zu lesen: „Das ändert nun.“ Anders die Legende zum Hauptbild der Hintergrund-Seite 2: „Fête du peuple 1978: Die Unabhängigkeit ist längst etabliert, heute hat der Jura andere Sorgen.“ | Der Anfang nennt Ort und Zeit der Aufnahme, „Fête du peuple 1978“, dann steht ein Doppelpunkt. Also folgen Details zur Szene im Bild? Nein: „Die Unabhängigkeit ist längst etabliert, heute hat der Jura andere Sorgen.“ Wer ist der Mann, auf den so viele Mikrofone und Kameras zielen, und was erzählt er da? - Husch sind „andere Sorgen“ angesagt; wer sich von der Rückblende im Bild angesprochen fühlte, bleibt rückverblendet zurück. _2 Fall R ÜCKBLENDE , Sprachkritik. Quelle: ta_coach_000907_rueckblende <?page no="118"?> 119 C|1.4|? b Fall E RBIN : Das Komische und die Ikonizität Die T AGESSCHAU zeigt einen Beitrag zu Athina Onassis, die gerade 18 Jahre alt geworden ist und nun auf ihr Milliardenerbe zugreifen kann. Zum Offtext der Nachricht werden Archivbilder gezeigt (_1) . Was bringt Sie zum Schmunzeln? - Beschreiben Sie, was geschieht, wenn Sie die „Kunstschätze“ (Zeile 5) in Wort und Bild (_2) wahrnehmen. Arbeiten Sie dazu mit dem Begriff der Ikonizität sprachlicher Zeichen (C|1.4.1|_2) . Finden und beschreiben Sie ähnliche Augenblicke in diesem Beitrag. 01 O: ↑ HEUte ist aTHIna ↓ achtzehn ↑ JAHre alt geWORden ? 02 und verfügt ! NUN ! über ↑ zwei komma SIEben milliarden ↑ dollar . 03 X: | 04 O: da ↑ zu gehören - immoBIlien ? 05 ↓ und AUSerlesene ↑ KUNSTschätze . _1 Fall E RBIN , Stelle im Beitragsinnern. Quelle: sf_ts_030129_1930_erbin_kern _2 Bild zu „auserlesene Kunstschätze“ (_1|, Zeile 05). Quelle: sf_ts_030129_1930_erbin_kern <?page no="119"?> 120 C|1.4|? c Fall A USBILDUNG : Endlich geschlossen Die T AGESSCHAU zeigt einen Beitrag über die Reform der kaufmännischen Berufsausbildung. Eine Auszubildende und ihre Ausbilderin seien angetan vom neuen Ausbildungskonzept. Auch Bildungspolitiker äußern sich positiv. Allerdings wenden sie ein, man finde jetzt weniger Lehrbetriebe, weil die Ausbildung auch für die Lehrbetriebe anspruchsvoller geworden sei. Der Beitrag schließt im Offtext mit einem positiven Fazit (_2) ; in der Bildfolge dazu stellt die Auszubildende ein Schild „Geschlossen“ auf den Tresen; der Schalter ist zu (_1) . Beurteilen Sie das Zusammenspiel dieses Schlussbilds mit der ursprünglichen (_2) und der umgebauten Variante (_3) des Offtexts: _1 Bild zu „alle zufrieden“ (_2, Zeile 08). Quelle: sf_ts_030110_1930_ausbildung_schluss 05 doch die ↑ AUSwertung 06 des FÜNFjährigen pi ↑ LOTprojektes er gab ? °h 07 ↑! TROTZ ! EINzelnen konfusiOnen - (.) 08 sind am schluss ↓ ALle - - (-) ↑ zufrieden . _2 Fall A USBILDUNG , Schluss des Beitrags. Quelle: sf_ts_030110_1930_ausbildung_schluss 07 übers ↑! GAN ! ze schneidet die ↑ NEUe ausbildung - (.) 08 ↑! BES ! ser ab als die - - (-) alte . _3 Fall A USBILDUNG , Variante zu _2. Bildquelle: sf_ts_030110_1930_ausbildung_schluss <?page no="120"?> 121 C|1.4|? d Fall V ERKEHRSPROJEKT : Den Mann in die Mitte rücken Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 zeigt einen Beitrag über Verkehrsberuhigung in London (_1) . Zu sehen sind drei Herren, die nebeneinander spazieren. Der Offtext dazu erklärt, wer von ihnen der Bürgermeister ist, nämlich der Mann „hier in der Mitte“. Aber die Kamera schwenkt zu früh. Auf „hier“ (Zeile 09) sieht man nur noch zwei Personen, auf „in der Mitte“ nur noch eine einzige Person, nämlich den Mann links außen, den falschen. Den Mann „in der Mitte“ kann man nicht mehr ausmachen. Wenn Bild und Offtext in dieser Szene etwas erklären sollen, muss der Offtext die „Mitte“ bringen, solange das Bild noch drei Personen zeigt; also früher. Gelingt das, ohne das Bild umzuschneiden? - Schreiben Sie den Offtext um. Zerlegen Sie ihn dazu in seine einzelnen Aussagen. Übernehmen Sie wenn nötig die Vorlage (_2) . Stellen Sie dann die Reihenfolge dieser Aussagen so um, dass ein neuer Offtext entsteht, der die Aussage „hier in der Mitte“ rechtzeitig bringt und die Text-Bild-Schere vermeidet. 06 X: | 07 O: verANTwortlich für die ↓ REgelung 08 ↑ ist der ROte BÜRgermeister KEN ↑ LIvingston . (.) 09 ↓ hier_in der ↑ MITte . _1 Fall V ERKEHRSPROJEKT , Stelle im Beitrag. Quelle: sf_zvz_030122_2150_verkehrsprojekt_kern a Einer ist verantwortlich für die neue Verkehrsregelung in London b Es ist „der rote Bürgermeister Ken Livingston“ c Er geht im Bild in der Mitte _2 Fall V ERKEHRSPROJEKT , Hauptaussagen des Offtexts, Zeilen 07-09 <?page no="121"?> 122 C|1.4|? e Aufsatz R ENNER : Aufmerksamkeitsschere vs. Bedeutungsschere Im Aufsatz „Die Text-Bild-Schere. Zur Explikation eines anscheinend eindeutigen Begriffs“ hinterfragt Karl Nikolaus Renner den Grundsatz der Medienpraxis, Text-Bild-Scheren zu vermeiden. Er unterscheidet zwischen zwei Ebenen, auf denen gesprochene Sprache und Bilder auseinanderklaffen können: Aufmerksamkeitslenkung und Bedeutung (_1) . Überdenken Sie unter diesem Blickwinkel die Fälle E RBIN , A USBILDUNG und V ERKEHRSPROJEKT (C|1.4|? b bis ? d) . Bestimmen Sie, ob Aufmerksamkeitsscheren vorliegen. Begründen Sie Ihre Einschätzung. Suchen Sie dann in allen T AGESSCHAU -Ausschnitten in Korpus 3 (E|1.3 und www.medien linguistik.net) nach Aufmerksamkeitsscheren. Bestimmen Sie für diese Stellen, welches Geschehen die Aufmerksamkeit wovon abzieht. Die Aufmerksamkeitsschere […] kennzeichnet ein Wahrnehmungsproblem. Bild und Text ziehen so viel Aufmerksamkeit auf sich, daß sich die Zuschauer nur noch auf das eine oder das andere konzentrieren können. Die Wahrnehmung fixiert sich auf einen der beiden Kanäle, die Informationen des anderen Kanals bilden nur noch ein Rauschen. […] In der Praxis entstehen Aufmerksamkeitsscheren, wenn dichte Texte und dichte Bilder zusammentreffen. Kritisch sind Texte, die auf Grund ihrer Syntax, Wortwahl oder ihres Sprechtempos schwer zu verstehen sind. Ein anderes Gefahrenmoment sind Bilder mit starken Bewegungsreizen, auffälligen Farbreizen und hohem Schnittempo. Darüber hinaus können Schnitt- und Kamerafehler oder stark emotionalisierende Bilder […] das Verständnis eines Films blockieren. Bereits Wember demonstriert, daß sich diese Scheren ohne großen Aufwand vermeiden lassen. Man muß lediglich vermeiden, daß dichte Bilder und dichte Texte aufeinander treffen. Es ist festzuhalten, daß Aufmerksamkeitsscheren nicht immer auf den Antagonismus [Gegensatz; DP] von Bild und Ton zurückzuführen sind. So finden sich auch Musik-Text-Scheren und Bild-Bild-Scheren, die auf die gleiche Art wie Text-Bild-Scheren die Aufmerksamkeit der Zuschauer beeinträchtigen. Musik-Text-Scheren entstehen, wenn der Kommentar über Musikstücken mit eindringlichen Melodien liegt, Bild-Bild-Scheren, wenn laufende Schriftbänder oder auffällige Untertitel vom eigentlichen Bild ablenken. _1 Aufsatz R ENNER , Anfang. Quelle: Renner, 2001, 25 f., mit Hinweis auf Wember, 1976 <?page no="122"?> 123 C|1.4|? f Streiflicht H YPERMEDIA : hyper und media als Standard Der Radiobeitrag zum Wahlkampf (B|3.2) arbeitet klar auch mit Klang, nicht nur mit gesprochener Sprache, und er besteht klar aus Anmoderation und Hauptbeitrag, wobei man den Hauptbeitrag auch ohne die Anmoderation nutzen könnte. Ist dieser Radiobeitrag ein Hypermediatext (C|1.4.2|_2) ? - Antworten Sie jetzt, lesen Sie dann die These und die Argumente unten, und antworten Sie dann noch einmal. • Die Hypermedia-These: Mit zunehmender Medienkonvergenz (B|2.1.4|? a) lässt sich jedes Medienangebot als grundsätzlich hypermedial verstehen: Jedes Angebot umfasst Zeichen mehrerer Zeichensysteme und spricht damit mehrere Sinne an (das media-Argument), und jedes Angebot kann in Hypertextstrukturen eingebaut werden (das hyper-Argument). • Das media-Argument: Jedes publizistische Medium arbeitet mit Zeichen mehrerer Systeme. Das Radio zeigt die Titel und Interpreten der gerade laufenden Musikstücke schriftlich. Die Fernsehangebote enthalten zu den bewegten und stehenden Bildern auch bewegte oder stehende Schrift sowie Sprechsprache und Klang. Internetangebote umfassen neben Schrift und Links auch stehende Bilder sowie Audio- und Videobeiträge. Printmedien können sogar riechen und sich edel anfühlen. • Das hyper-Argument: Viele Print-, Radio- und Fernsehbeiträge sind auf Internetseiten der Medienunternehmen auch online abrufbar, aus einem laufend anwachsenden und zunehmend vernetzten Archiv (C|1.4|_1) . Oft sind dort die ursprünglich gesprochenen oder geschriebenen Verweise, etwa auf andere Medienangebote oder Kontaktmöglichkeiten, als Hyperlinks angelegt. Die Medienanbieter erzeugen also hinter der Oberfläche der gerade aktuellen Angebote eine hyperstrukturell angelegte Diskursdatenbank. Ob aber die Beiträge eines Programmangebots untereinander hyperstrukturell vernetzt sind oder auch noch in sich selbst so aufgebaut sind, ist ein gradueller, kein prinzipieller Unterschied: Journalistische Beiträge sind in der Sache ohnehin nie abgeschlossen, sondern berichten in Fortsetzungen über eine sich fortsetzende Aktualität. <?page no="123"?> 124 C|2 Die Funktionsperspektive der Medienlinguistik Die nächsten vier Kapitel gelten der Funktionsperspektive der Medienlinguistik. Sie erschließen vier medienlinguistische Zugänge, die sich unterscheiden nach der Funktion der Sprachtätigkeit: • referenziell (C|2.1) , • kognitiv (C|2.2) , • interaktiv (C|2.3) , • sozial-konstitutiv (C|2.4) . Aus der Funktionsperspektive betrachtet, wird journalistische Textproduktion mit jedem dieser Bezugsrahmen komplexer. • Sprache greift referenziell über sich selbst hinaus: Sie bezieht sich auf Außersprachliches, benennt Weltausschnitte. Diese Grundfunktion von Sprache, etwas zu benennen, prägt sprachliche Kommunikation überhaupt. Journalistische Nachrichten aber - englisch the news, französisch les nouvelles - sind zudem daraufhin angelegt, Neues mitzuteilen. Sie benennen in raschem Takt auch das bisher nicht Benannte (C|2.1) . • Sprachgebrauch bedingt und bewirkt kognitive Prozesse: Beim Sprechen oder Schreiben drückt man Gedanken in Sprache aus, und beim Verstehen löst Sprache wiederum Gedanken aus. In der publizistischen Kommunikation nun ist die Sprachproduktion vom Sprachverstehen entkoppelt: Was die gewählten sprachlichen Mittel bei den Massen von Adressaten auslösen, können die Medienschaffenden nicht direkt verfolgen (C|2.2) . • Kognitive Veränderung begünstigt interaktive Veränderung; wer anderes weiß, kann anders handeln. Kommunikation zielt auf solche Wirkung beim Gegenüber: Man tut etwas mit Sprache, damit die Adressaten etwas tun und sich etwas verändert in der Welt. In publizistischer Kommunikation überlagern sich Ziele der Öffentlichkeit, der Adressaten und der Produzenten der Kommunikationsangebote (C|2.3) . • Letztlich wirkt Kommunikation sozial-konstitutiv und stiftet Identität: Mit Sprache kann man Gemeinschaft herstellen; umgekehrt zeigt Sprache an, zu welchen Gemeinschaften jemand gehört. Publizistische Kommunikation übersetzt zwischen den Sprachen solcher Gemeinschaften, etwa von Experten als Textakteuren und Laien als Adressaten. Damit überwindet sie soziale Unterschiede - und festigt sie zugleich (C|2.4) . <?page no="124"?> 125 C|2.1 Benennen: Bekanntes weiterziehen vs. aktuelles Neues erklären Zurück zum Fall R ISIKEN (C|1.4) , zur denkwürdigen Verbindung von Titel und Bildlegende, aufgeschaltet am 4. April 2002 um 07: 36 Uhr (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen Wer an der Delegation angehören soll ist noch nicht klar. _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Titel und Legende. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Nach dem Lesen des Titels stellen sich vermutlich viele Leserinnen und Leser etwas Ähnliches vor. Dies unter anderem deshalb, weil die meisten Deutsch Sprechenden unter EU und den anderen Wörtern grob das Gleiche verstehen. Liest man aber auch die Bildlegende, wird die Bedeutung des Zeichenkomplexes widersprüchlich: Eine Delegation, die bereits aufgebrochen ist, existiert schon - also ist geklärt, wer ihr angehört. Damit beide Aussagen zugleich wahr sein können, muss eine von ihnen verändert werden - zum Beispiel der Titel zu EU-Delegation soll in den Nahen Osten aufbrechen. Dies würde bedeuten, dass ein Aufbrechen bloß geplant ist oder die Information nicht abgesichert ist. Dazu passt dann, dass noch nicht klar ist, wie sich die Delegation zusammensetzen wird. Die Redaktion hat den Widerspruch indes anders beseitigt (_2) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen. Die Zusammensetzung der Delegation wurde am Mittwoch Abend beschlossen _2 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, aktualisiert. Quelle: ta_online_020404_1046_update Da ist die Delegation unterwegs. Die zweite Aussage fügt eine Information bei, die der ersten nicht widerspricht. - Mit solchem Zusammenspiel von Bedeutungen befasst sich die Semantik (_3) . Semantik: linguistische Teildisziplin, die sich befasst mit der Bedeutung sprachlicher Zeichen. _3 Bréal, 1897 beschreibt S. als „science de significations“. Vater, 2005 zeigt mit seiner „Referenzlinguistik“ die S. als einen unter anderen linguistischen Zugängen zur Bedeutung. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, was sprachliche Äußerungen im Alltag bedeuten (C|2.1.1) ; die Medienpraxis fragt nach Strategien, mit bekannten Wörtern Neues zu vermitteln (C|2.1.2) . <?page no="125"?> 126 C|2.1.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Semantik erforscht unter anderem, wie Weltausschnitte benannt werden. Sie fragt nach der Bedeutung von Wörtern und anderen sprachlichen Einheiten (_1) , nach der logischen Verknüpfung von Bedeutungen (_2) und nach der Bedeutungshierarchie eines Textes (_3) . In publizistischen Medien findet sie Versuche, Bedeutung fortlaufend, rasch und routiniert öffentlich zu machen. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Bedeutung: Eigenschaft von Zeichen, bei ihren Benutzern bestimmte Vorstellungen von Weltausschnitten hervorzurufen. _1 Frege, 1962 hinterfragt die B. von Bedeutung. Wodak, 2000 untersucht den B.-wandel beim Rekontextualisieren. Mottier, 2009 beschreibt die Schwierigkeit, Wörter zu finden zum Beschreiben von Hörerfahrungen mit (Pop-)Musik: „Talking about music is like dancing about architecture.“ Günther, 1993 erforscht Aushandeln von B.-vorstellungen in Radio- Hörergesprächen zu Tabuthemen. Gerretz, 1994 analysiert B.-beziehungen in Zeitungsüberschriften. Dem’jankov, 2005 hinterfragt die B. sprachlicher Mittel wie etwa der Verbzeiten bei der journalistischen Konstruktion von Medienereignissen. Stenvall, 2003 verfolgt den B.-wandel von terrorist und zeigt die Folgen des internen Verbots einer Nachrichtenagentur, dieses Wort zu verwenden. Seifert, 2001 untersucht die B. des Begriffs Rhetorik in Zeitungstexten. Proposition: logische Aussage über einen Weltausschnitt, versprachlicht in einem Satz und wahr oder falsch in einer bestimmten Welt. _2 Eine P. wie Die Delegation ist aufgebrochen trifft für einen bestimmten Weltausschnitt und unter bestimmten Bedingungen zu; in dieser Welt ist sie wahr. Unter anderen Bedingungen, in anderen Welten kann sie aber falsch sein, also nicht zutreffen. Austin, 1961 oder Nuchelmans, 1973 beschreiben die logische Verknüpfung von Bedeutungen zu P. Van Dijk, 1980a beschreibt die lineare Verkettung und hierarchische Verknüpfung von P. zu Makrostrukturen, zu Bedeutungsgefügen ganzer Texte. Beckner, et al., 2009 verstehen mit Clark, 1992 die P. als zweite Ebene in einem Vier-Ebenen-Modell des Sprachgebrauchs: physikalische Äußerung, logische Proposition, kommunikative Absicht, Handlung. Grabowski, 1991 untersucht den Zusammenhang von P.-struktur und Verständlichkeit sprachlicher Äußerungen. Van Dijk, 1985a und Bell, 1998 analysieren die P.-struktur von Nachrichtentexten. Textthema: benannte oder erschließbare Hauptbedeutung eines Textes. _3 Danes, 1976, W. Klein & Von Stutterheim, 1991, Von Stutterheim, 1992, Vater, 1992 und Hoffmann, 2000 beschreiben die Entfaltung des Themas in Texten; Fritz, 1982 zeigt Prozeduren zum Erschließen des T. in der linguistischen Textanalyse. Biber, Connor, & Upton, 2007, v.a. 1-20 stellen Verfahren vor zur automatischen Analyse der T.-strukturen in umfangreichen Textkorpora. Kniffka, 1980 untersucht die Themensetzung in journalistischen Schlagzeilen und Leads; Bucher & Straßner, 1991, 70 ff. zeigen „journalistische Themenoperationen“: ein Thema einführen, weiter entwickeln, zuspitzen, ausweiten, verschieben, personalisieren, regionalisieren. Deacon, Fenton, & Bryman, 1999 verfolgen die Geschichte eines Nachrichtenthemas. J. Dahinden, 2003 untersucht Berichterstattung über unspektakuläre, wiederkehrende Themen, über „news [that] isn’t news“. <?page no="126"?> 127 C|2.1.2 Praxisgeleitete Fragestellung Publizistische Medien berichten fortlaufend über Aktuelles und oft über noch Unbekanntes (C|2.1.1) . Dazu müssen sie Zeichen nutzen, die den Adressaten vertraut sind: alte Zeichen für Neues also. Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, wie dies gelingt. Die Medienlinguistik kann mit Werkzeugen der Semantik die Verfahren herausarbeiten, mit denen man Bekanntes rasch und routiniert zu Neuem verknüpft: zum Beispiel die Metapher (_1) und das Erklärstück (_2) . - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Metapher: Verfahren, bei dem die Bedeutung eines Zeichens übertragen wird von einem vertrauten Weltausschnitt auf einen neuen. _1 George Lakoff (z.B. Lakoff, 2004) arbeitet nachhaltig zur M. im öffentlichen Diskurs. Seine Argumentationslinie: Mit der M. wird Zeichenbedeutung übertragen auf einen neuen Weltausschnitt, der verstanden wird als ähnlich einem vertrauten Weltausschnitt. Damit hebt die M. diese verstandene Ähnlichkeit der beiden Weltausschnitte hervor und rückt andere Aspekte in den Hintergrund - sie rahmt das Verstehen. Umgekehrt lässt die M. Schlüsse darauf zu, wie eine Gesellschaft oder ein Individuum denken müssen, um sie hervorbringen zu können. L. Cameron & Deignan, 2006 untersuchen „the emergence of metaphor in discourse“: wie M. im Sprachgebrauch spontan entstehen. Caviola, 2003 oder Drewer, 2003 arbeiten zum Zusammenhang von Denken und M.; Schmitt, 2003 zur Analyse von M.; Keller, 2003 zu M. im alltäglichen Sprachgebrauch: Häufig gebrauchte M. werden zu Symbolen und wirken für die Sprachbenutzer nicht mehr metaphorisch. Settekorn, 2001 vergleicht M. aus journalistischen Beiträgen in der Werbung, M. aus Werbetexten im Journalismus, M. aus dem Sport in Texten zu Wirtschaftsthemen und M. aus der Wirtschaft in Texten zu Sportthemen; Settekorn, 1997 arbeitet allgemein zu solchen wechselseitigen M.bildungen in zwei Domänen. De Knop, 1987 analysiert M. in zusammengesetzten Wörtern in Zeitungsüberschriften; H. Burger, 2004 M. in intertextuellen Ketten; Osthus, 1998 sprachspielerische M. in französischen und deutschen Tageszeitungen; Zinken, 2003 den Zusammenhang von M. und Ideologie in der polnischen Presse zum Ende des Kommunismus; Kobozeva, 2005 M. in der russischen Presse; Koller, 2004b und Koller, 2004a M. in Medienbeiträgen über Frauen als Führungskräfte; Dirks, 2005b M. in Pressekommentaren zu Friedensdemonstrationen; Stenvall, 2003 den M.-gebrauch internationaler Nachrichtenagenturen in der Berichterstattung über Terrorismus; Wawra, 2005, 260 ff. M. zum Irakkrieg der Print- und Onlineversion von USA T ODAY ; Schlobinski, 2002 M. in der Sportberichterstattung; Burnes, 2011 in Wahlberichten; Peck MacDonald, 2005 M. in journalistischer Darstellung von Hormontherapien; Johnson & Suhr, 2003, Johnson, Culpeper, & Suhr, 2003 und Toolan, 2003 M. in Medienbeiträgen mit Haupt- oder Nebenthema politische Korrektheit. Erklärstück: Medienbeitrags-Teil, mit dem Medienschaffende einen komplexen Sachverhalt für die Adressaten verstehbar darstellen wollen. _2 Völzing, 1979 untersucht die metakommunikativen Sprachhandlungen des Begründens, Erklärens und Argumentierens. Gornik, 1996 erforscht das E. in Fernsehnachrichten für Kinder. Furchner, 1999 leuchtet die Rolle der Moderatorin zwischen Expertin und Nichtexpertin in medizinischer Aufklärung im Fernsehen aus. <?page no="127"?> 128 C|2.1|? a Aufsatz S EIFERT : Rhetorik in der Zeitung Im Aufsatz „Von Bundesligarhetorik, rhetorischen Nebelkerzen und der verdoppelten Rhetorik der Leere“ untersucht Jan Seifert, was der Begriff Rhetorik in Zeitungstexten bedeutet (_1) . Was denn? - Umreißen Sie die Befunde in einem Satz. Nennen und kommentieren Sie die Begründung von Seifert, warum er Pressetexte untersucht. Fassen Sie zusammen, was Sie hier über Bedeutung erfahren - und über Wörterbücher. Im Folgenden soll nach der tatsächlich üblichen Verwendung des Wortes Rhetorik […] in der Gegenwartssprache gefragt werden. Dabei bietet sich die Pressesprache als Untersuchungsgegenstand an - zum einen, weil in ihr die Varietät „Standardsprache“ am ehesten repräsentiert wird, zum anderen, weil sie als Multiplikator des Sprachgebrauchs eine Vorreiterrolle für lexikalischen Wandel einnimmt […]. Die Semantik des Lexems Rhetorik ist durchaus vielschichtig und läßt sich nicht auf die in den Wörterbüchern gebotenen drei oder vier Bedeutungen reduzieren. Dabei sind die Übergänge zwischen den einzelnen Bereichen fließend, ihnen liegt das für lexikalischen Wandel elementare Prinzip der Bedeutungsübertragung zugrunde. Bemerkenswert ist zudem, daß gerade die Verwendungsweise, die im Korpus die höchste Frequenz aufweist, nämlich die Bedeutung „Gerede von etwas; Gemeinplätze“ in den befragten Wörterbüchern gar nicht geführt wird, die doch den Anspruch vertreten, als „umfassende und authentische Dokumentation der deutschen Sprache“ diese „in ihrer ganzen Vielschichtigkeit zu dokumentieren“ […]. Es trifft also zu, daß das Wort Rhetorik in vielen Zusammenhängen pejorativ gebraucht wird. Aus der Sicht der Philologie und Rhetorikforschung muß das bedauerlich sein, denn dieser Sprachgebrauch hat mit dem Selbstverständnis der Rhetorik nichts mehr zu tun. Hier muß eine umfassende, begriffsgeschichtlich orientierte Studie ansetzen, die den Bedeutungswandel des Wortes auch unter sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Aspekten nachzuzeichnen hätte. […] Der Sprachgebrauch hat die ursprüngliche Bedeutung des Wortes geradezu pervertiert, denn Rhetorik sollte in ihrer Sekundärfunktion als Analysemethode […] ja jeden Bürger befähigen, manipulativem Sprachgebrauch von Politikern in der Werbung usw. kritisch zu begegnen: Nach ihrem Selbstverständnis hat Rhetorik eine aufklärerische Funktion […] _1 Aufsatz S EIFERT , Einleitung (oben) und Schluss (unten). Quelle: Seifert, 2001, 42 f. und 51 f. <?page no="128"?> 129 C|2.1|? b Fälle K OREA und N ACHRICHTENBLOCK : Mit Wiederholungen arbeiten Wörter abwechseln oder Wörter wiederholen? - Zwei Journalisten, zwei Meinungen. Beschreiben Sie, was die beiden Journalisten in ihren Schreibprozessen tun, um Wörter (nicht) zu wiederholen (_1 und _3) , und wie sie ihr Handeln begründen (_2 und _4) . Geben Sie dann an, ob - und wenn ja: warum - Sie als Journalistin, als Journalist in Radiobeiträgen anders mit Wiederholungen umgehen würden als in Zeitungsbeiträgen. Nach 49 {den } 49 | 50 zahlreichen Konkursen von Banken und Unternehmen 50 {in 51 [s] 51 | 52 52 {S} 52 | 53 üdkorea | 51 } 50 werden in diesem Jahr 53 [vermutlich ] 53 | 54 54 {möglicherweise } 54 | 55 rund eine Million Koreaner ihre 55 {n} 55 | 56 Arbeitspl 56 {atz } 56 | 57 57 [ätze ] 57 | 58 verlieren. _1 Fall K OREA , Revision 49 und Umfeld. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea <Nach zahlreichen Konkursen in Südkorea>nochmal sagen, wo das ist. Man muss mit Wiederholungen arbeiten im gesprochenen Text vom Radio. _2 Fall K OREA , Protokoll zu Revision 49. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea 57 { Es wird ge} 57 | 58 56 [Grossbritannien beschlagnahmte während des Krieges und auch nachher Gelder von Konten, die Personen aus «Feindstaaten» gehörten. ……… Die Stiftung von Lord Janner, der auch massgeblich für das Zustandekommen der internationalen Raubgold-Konferenz in London verantwortlich war, macht geltend, dass britische Banken über den Inhalt ruhender Konten verfügen konnten, wenn bis Anfang der 50er Jahre keine Ansprüche geltend gemacht worden waren. ] 56 | 57 58 [Die Stiftung ] 58 schätzt, dass die Banken so Gelder im heutigen Wert von umgerechnet bis zu 1,6 Milliarden Franken an sich nahmen. _3 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Revision 58 und Umfeld, gefiltert. Quelle: r32_nachrichten_980116… Jetzt schon wieder das Wort <Stiftung>, das habe ich schon oben drin gehabt, sonst habe ich eine Wiederholung, das klingt doof im Radio. _4 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Protokoll zu Revision 58. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600… <?page no="129"?> 130 C|2.1|? c Fall L OGIK : Bedeutung falsch verknüpft Sprachkritik T AGES -A NZEIGER , zu einer logischen Unschärfe in einem Kommentar (_1) . Oder geht es einfach um eine falsch gesetzte Verbzeit? - Beschreiben Sie das Problem in eigenen Worten und begründen Sie, warum Sie, mit Blick auf das Leitbild (_2) , die Kritik an der Sprache eines Kommentars angemessen finden oder nicht. Prominent unscharf | Kommentare, in scharfer Logik durchdacht - da stechen sprachliche Unschärfen erst recht ins Auge. Zwei Beispiele, aus Kommentaren vom 22. und 23. November: „[…] Als zu Beginn der Intifada zwei israelische Soldaten in Ramallah brutal ermordet wurden, waren sie [die Palästinenser] schockiert: über die Grausamkeit ebenso wie über die Reaktion der Weltöffentlichkeit. Als ihre Kinder von israelischen Scharfschützen erschossen wurden, blieb der internationale Aufschrei nämlich aus.“ (22. November, S. 3) Interpretation a: „Zu Beginn“, zuerst also wurden die Soldaten ermordet und dann die Kinder. Nach dem Soldatenmord waren die Palästinenser schockiert über die Reaktion der Öffentlichkeit. Warum? Weil „nämlich“ dieser Aufschrei später, beim Kindermord durch die Israeli, ausbleiben sollte? Das können die Palästinenser zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wissen. Der Text argumentiert schief. Interpretation b: Zuerst wurden die Kinder ermordet, dann die Soldaten. Trifft dies zu, stimmt die Textlogik. Dann aber gehören der Kindermord und der internationale Aufschrei als Vorgeschichte ins Plusquamperfekt gesetzt. Hier drängt sich der Gedanke auf: Wenn wir schon mit Schweigen am falschen Ort die Wirklichkeit entstellen - wie gut täte es, diese Wirklichkeit mit richtig gesetzten Worten wieder ins Lot stellen zu können. _1 Fall L OGIK , Sprachkritik. Quelle: ta_coach_001123_logik Der Kurzkommentar ist die tägliche Visitenkarte des T AGES -A NZEIGERS . In ihm sehen die Leserinnen und Leser, wie themensensibel und stilsicher, wie sachkompetent und intelligent, wie linientreu - und wie witzig wir sind. […] _2 Fall L OGIK , Leitbild zum Kommentar. Quelle: ta_leitbild_fokus_kommentar <?page no="130"?> 131 C|2.1|? d Aufsatz K OLLER : Kriegsmetaphern für Geschäftsfrauen Im Aufsatz „Businesswomen and war metaphors: Possessive, jealous and pugnacious? “ vergleicht Veronika Koller Metaphern für Geschäftsfrauen mit Metaphern für Geschäftsmänner. Die Metaphern gewinnt sie aus zwei Datenkorpora: einem ersten mit Printmagazinbeiträgen („features“) über herausragende weibliche Figuren im Geschäftsleben, einem zweiten mit ähnlichen Geschichten zu männlichen Figuren. Dabei stellt sie fest, dass viele Metaphern in beiden Korpora vorkommen, einige aber nicht (_1) . Welche? - Beschreiben Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Metaphern-Repertoires, wie Koller sie im Abstract (_1) darstellt. Fassen Sie dann zusammen, wie Koller im Abstract zu diesen Gemeinsamkeiten und Unterschieden Stellung nimmt - und äußern Sie dazu Ihre persönliche Meinung. Überprüfen Sie schließlich, was sich an diesem Eindruck ändert, wenn Sie die ganze Publikation von Koller gelesen haben. This paper investigates the metaphors employed for the description of women managers, hypothesising that using the WAR metaphor in this context reflects the hegemonic masculinity determining business discourse. To test the hypothesis, cognitive metaphor theory in combination with Critical Discourse Analysis is applied to two corpora of business magazine features on executives. Metaphorical expressions used to describe businesswomen are extracted from one corpus, and these expressions are then contrasted with those for businessmen. Moreover, the initial corpus is scanned for alternative metaphors for businesswomen. Findings indicate that metaphorical expressions such as corporate killer are used for firstand third-person reference across genders. Hence, the metaphorical concept BUSINESS- WOMEN ARE WARRIORS and the male prototype it sustains seem pervasive. Moreover, alternatives like BUSINESSWOMEN ARE CHEERLEADERS/ NURTURERS are not necessarily counterdiscursive as they reproduce the binary gender paradigm characterising hegemonic masculinity. _1 Aufsatz K OLLER , Abstract. Quelle: Koller, 2004a, 3 <?page no="131"?> 132 C|2.1|? e Fall K OLCHOSE : Das Weidesystem erklären Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 bringt einen Beitrag über die Modernisierung russischer Landwirtschaftsbetriebe (_1) . Was im Westen üblich sei, wirke in Russland „schon fast revolutionär“ (Zeile 03) , erfährt man; zum Beispiel die „Laufstallhaltung“ (04) oder „das so genannte Weidesystem mit Elektrozaun“ (06) . Beschreiben Sie, wie diese beiden Begriffe erklärt werden und wie dabei die gesprochene Sprache und das Bild zusammenwirken. 01 O: was wie_ein 02 ↑ HERkömmlicher LANDwirtschaftsbetrieb_aus sieht ? °h 03 ist ↑ für ! RUSS ! land schon fast revolutio ↑ nÄR . (-) °h 04 zum ↑ BEIspiel ↑ die LAUFstallhaltung . °h 05 das heißt die ! KÜH ! e können FREI her ↑ UMlaufen . (-) °h 06 ↑ o der das SO genannte ↑ WEIdesystem mit_el ↑ EKtrozaun . (-) °h 07 alles dinge ? (.) ↓ die_in der schweiz ÜBlich ? °h 08 in RUSSland a ↑ ber ! NEU ! sind . (--) 09 ↑ über ! ZEU ! gungsarbeit (.) war hierfür nötig . 10 X: (--) 11 A: sch ja ↑ HÜÜfig eso zum bischpiu äbe _1 Fall K OLCHOSE , Stelle im Beitragsinnern. Quelle: sf_zvz_021218_2150_kolchose_rahmen <?page no="132"?> 133 C|2.2 Denken: Gemeintes sagen vs. Ergänzbares auslassen Zurück zum Fall R ISIKEN (C|2.1) . Titel und Legende stören sich also (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen Wer an der Delegation angehören soll ist noch nicht klar. _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Titel und Legende. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Der Titel weckt die Vorstellung von einem Akteur, der eben begonnen hat, etwas zu tun. Man erwartet nun eine Geschichte, einen Bericht über Einzelheiten, Vor- und Nachgeschichte, Ursachen und Folgen. Mögliche Szenen stellt man sich bereits vor, mehr oder weniger plastisch, je nach eigener Erfahrung etwa mit der EU oder dem Nahen Osten. Beim Lesen des anschließenden Textes werden dann Erwartungen bestätigt oder nicht, Informationslücken füllen sich, Fragen werden beantwortet. Es entstehen aber auch Anschlussfragen, auf die der Text wiederum Antworten bereithält, und so weiter. So wird das mentale Textmodell, die Vorstellung davon, was im Text steht, nach und nach präziser. So weit das Ideal. Im vorliegenden Beispiel allerdings stört schon die Bildlegende diesen Prozess, denn sie weckt Vorstellungen, die mit dem bislang aufgebauten Textmodell unvereinbar sind. Wer wenig Erfahrung mit Online-Nachrichten hat, ist an dieser Stelle verwirrt; erfahrene Online-Leser aber laden jetzt ihr Schema einer bestimmten Textstruktur, nämlich der bruchstückhaft zusammenkopierten Online-Nachricht, deren Geschichte man sich selbst zurechtlegen muss. - Mit solchen Zusammenhängen von Sprache und Denken befasst sich die Psycholinguistik (_2) . Psycholinguistik: linguistische Teildisziplin, die sich befasst mit dem Spracherwerb und der kognitiven Sprachverarbeitung. _2 Osgood & Sebeok, 1954 prägen den Begriff der P. Rickheit, Sichelschmidt, & Strohner, 2002, Miller, 1993 und Evans & Green, 2006 führen in die P. ein. T. Herrmann, 1995 erschließt den Gegenstand von der anderen Seite her, als Sprachpsychologie. Segalowitz, 2001 arbeitet über die „evolving connections between psychology and linguistics“. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, wie Vorwissen die Sprachverarbeitung prägt (C|2.2.1) . Die Medienpraxis fragt nach Strategien, die Erwartung von Adressaten zu lenken (C|2.2.2) . <?page no="133"?> 134 C|2.2.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Psycholinguistik erforscht unter anderem, wie Sprache im Kopf verarbeitet wird (_1) , was das Vorwissen der Sprachbenutzer beiträgt zum Textverstehen (_2) und wie dieses Wissen aktiviert wird (_3) . Die publizistische Kommunikation, ausgerichtet auf Massen wenig bekannter Adressaten, muss auf Grundannahmen zum gemeinsamen Vorwissen aufbauen. Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Mentale Sprachverarbeitung: Gesamtheit der geistigen Prozesse, die ablaufen, wenn Menschen Sprache verstehen, erinnern und produzieren. _1 Cicourel, 1975, Hörmann, 1976 und Kintsch & Van Dijk, 1978 arbeiten früh zur m.S. in der Kommunikation. Rapp & Kendeou, 2009 erforschen die Trägheit der m.S. beim Lesen: Man verpasst Wandel in Geschichten, weil man die Vorstellungen nicht weiterentwickelt, die man zu Beginn aufgebaut hat. Gordon, Gerrig, & Franklin, 2009 stellen fest, dass man sich an Gelesenes und Fantasien auf ähnliche Art erinnert, ebenso an Videos und Selbsterlebtes. Larsen, 1983 untersucht m.S. beim Verstehen von Radionachrichten. Ballstaedt, 1990 erforscht „Grenzen der audiovisuellen Integration“ beim Verarbeiten von Sprache und Bild am Fernsehen. G. M. Schumacher, Scott, Klare, Cronin, & Lambert, 1989 analysieren m.S. beim Herstellen journalistischer Texte unterschiedlicher Textsorten. Wissen: Gesamtheit der mentalen Rekonstruktionen, die ein Mensch oder eine Gemeinschaft abrufen und einbringen kann. _2 Larsen-Freeman & Cameron, 2008 verstehen W. als Prozess: W. entsteht und ändert sich laufend, wenn sich Individuen und Gemeinschaften mit Kontexten auseinandersetzen. Ortner, 2002 erforscht, wie bestehendes W. und Einfälle im Schreibprozess zusammenspielen. J. R. Hayes & Bajzek, 2008 untersuchen den „knowledge effect“: die Tendenz Schreibender, ihr eigenes Vorwissen auch bei den Adressaten vorauszusetzen. Bucher, 1999b, 225 beschreibt gemeinsames W. von Journalist und Publikum als eine Voraussetzung dafür, dass Erklärstücke, Rätseleinstiege, Schlusspointen, Wortspiele oder Ironie in Medienbeiträgen verstanden werden können. Schema: mentale Rekonstruktion eines komplexen Weltausschnitts, die zusammenhängend aktiviert wird und die mentale Verarbeitung prägt. _3 Beim Sprachverstehen bewirken S. zum Beispiel, dass der mentale Sprachprozessor Wörter im Sinn der bereits aktivierten S. versteht - zum Beispiel Schwester als Krankenschwester, wenn der vorausgehende Text ein Krankenhaus-S. aktiviert hat. F. C. Bartlett, 1932 erfasst Sprachverstehen als Konstruktionsprozess, bei dem das Hirn den Sinn eines Textes konstruiert, indem es sprachliche Informationen aus dem Text (bottom-up) und aus S. des mentalen Wissens (top-down) stimmig zusammenfügt. Johnson-Laird, 1983 beschreibt S. als „mental models“ von Ausschnitten der Wirklichkeit. Gruhn, 2008, 48 untersucht die Wirkung von S. als „Rezeptions-Stereotype“ beim Hörverstehen. Dor, 2003 erforscht die Strategien Medienschaffender, mit den Überschriften ihrer Beiträge bei den Adressaten möglichst viele relevante S. zu aktivieren. <?page no="134"?> 135 C|2.2.2 Praxisgeleitete Fragestellung Nachrichtenjournalisten wollen objektiv und verständlich berichten. Solche Vorstellungen hinterfragt die Medienlinguistik mit Werkzeugen der Psycholinguistik - etwa mit Ansätzen zu Framing (_1) , Kohärenzbildung (_2) und Verständlichkeit (_3) . - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Framing: Darstellung oder Deutung eines Wirklichkeitsausschnittes im Sinn kognitiv und sozial verankerter Deutungsmuster. _1 Scheufele, 2003 beschreibt F. von Nachrichten als den Prozess, Ereignisse im Sinn bestimmter Deutungsrahmen darzustellen oder zu verstehen. U. Dahinden, 2006 baut auf das F.-Konzept eine „integrative Theorie der Massenkommunikation“. Klimmt, Pompetzki, & Blake, 2008 untersuchen, wie geschlechterbezogene Sprachformen und Fallbeispiele in Nachrichtentexten beeinflussen, wie die Adressaten Frauen gedanklich einbeziehen. Clayman & Reisner, 1998 untersuchen F. in Redaktionskonferenzen: die Verfahren, mit denen die Redakteure die Geschichten rahmen, die sie in die Zeitung bringen möchten. Pietraß, 2002 erforscht F. beim Infotainment; Y.-J. Fang, 2001 F. politisch heikler Ereignisse in chinesischen Zeitungen. Dirks, 2005a analysiert beschönigendes F. in der Regionalpresse: Ein kulturpolitischer Missstand wird inszeniert als lokalpolitisch angebrachte Lösung. Kohärenz: Eigenschaft eines mental repräsentierten Textes, in sich zusammenzuhängen - auch mittels dazugedachter Ergänzungen. _2 Hörmann, 1983, 16 beschreibt Verstehen als K.-Bildung, als „Herstellen von Zusammenhängen oder Einordnen in Zusammenhänge“; ähnlich Fritz, 1982, Schnotz, 1994 oder Kehler, 2003 zur Bildung von K. beim Textverstehen. Storrer, 2004a untersucht K. im Hypertext. Ifantidou, 2009 erforscht, wie Leser von Zeitungstiteln K. herstellen. Dorenbeck, 1997 seziert die „Strategie der S PIEGEL -Story“, an heiklen Stellen K.-lücken offen zu lassen, die jede Leserin, jeder Leser nach eigenem Belieben füllen kann. Ähnlich Eggs, 1996 zu „mehrsträngig-assoziative[m] Argumentieren“ in Zeitungskommentaren. Perrin, 1999b zu K.-problemen in Agenturnachrichten, die rasch aus vielen Quellentexten zusammenkopiert worden sind. Verständlichkeit: Gesamtheit von Merkmalen eines Zeichenkomplexes, die geeignet sind, bei den Adressaten das Verstehen zu fördern. _3 Muckenhaupt, 1981, Biere, 1991 oder Biere, 2000 arbeiten zur Beziehung von V. und Verstehen von Texten; ähnlich Ballstaedt, 1996 fürs Bild. Schürer-Necker, 1991 untersucht den Einfluss des emotionalen Gehaltes eines Textes auf seine V.; Grabowski, 1991 den Zusammenhang von V., Kohärenz, Interessantheit und Behalten; Hoffmann, 1984 Mehrfachadressierung und V. Biere, 1989, Antos & Augst, 1992 und Antos, Hasler, & Perrin, 2011 die Optimierung von V. Schriver, 2009 überprüft, wie professionell Kommunizierende lernen können, verständliche Texte zu schreiben. Amstadt, 1978 erforscht V. von Zeitungen; Lutz & Wodak, 1987 V. unterschiedlicher Versionen der gleichen Nachricht; Hardt-Mautner, 1992 V. von Radionachrichten; McAdams, 1993 V.formeln für Zeitungstexte; Bucher, 2001 V. und Usability. Bucher, 2005 fasst die Forschung zur V. im Journalismus zusammen. <?page no="135"?> 136 C|2.2|? a Fall I RAK : Anknüpfen ans Vorwissen Zwei Überlegungen eines Journalisten zum Vorwissen seiner Adressaten: Der Redakteur KW ergänzt mit der Revision 41 seines Schreibprozesses „im Weißen Haus“ (_1) und erklärt im Verbalprotokoll, warum er das getan hat (_2) . Etwas vorher, etwa bei Revision 37, gibt er dagegen zu Protokoll, nicht die passenden sprachlichen Mittel gewählt zu haben: „Einem wäre auf jeden Fall besser gewesen.“ Diese Selbstkritik stützt KW auf eine Regel (_3) . Nennen Sie diese Regel. Beschreiben Sie dann, was ein Nachrichtenredakteur über das Treffen aussagt, wenn er an dieser Stelle „des gestrigen Treffens“ statt eines gestrigen Treffens sagt. Beschreiben Sie aber auch, was er damit über sich und/ oder die Adressaten und über die Kommunikationssituation aussagt. 35 {Der Irak-Konflikt stand} 35 | 36 37 { auch im Mittelpunkt des gestrigen Treffens von US-} 37 | 38 Präsident 32 [Bill ] 32 | 33 Clinton 38 {mit dem } 38 | 39 39 [und der ] 39 | 40 britische 40 {n} 40 | 41 Premierminister 33 [Tony ] 33 | 34 Blair 41 { im Weissen Haus. Beide P 42 [pol| 42 ] 42 olitiker} 41 | 43 43 [ 34 { } 34 | 35 hatten am Donnerstag in Washington ] 43 | 44 bekräftigt, _1 Fall I RAK , Revision 41 und Umfeld. Quelle: sr_nachrichten_980206_0900_irak Der Irak-Konflikt stand auchstand auchah, jetzt müssen wir noch sagen, warum die zusammen sind, wir setzen ja zu viel voraus, wenn wir einfach von Clinton und Blair sprechen, das hat ja keinen Sinn. Müssen doch sagen, ja, die sind zusammen im Weißen Haus, oder. <Im Weißen Haus>, da kann man auf jeden Fall davon ausgehen, dass die Leute wissen, dass das in Washington ist. _2 Fall I RAK , Protokoll zu Revision 41. Quelle: sr_nachrichten_980206_0900_irak <Des gestrigen Treffens>, schon mit dem Artikel <des> setze ich ja voraus, dass man etwas weiß, mit diesem bestimmten Artikel. «Einem» wäre auf jeden Fall besser gewesen. _3 Fall I RAK , Protokoll zu Revision 37. Quelle: sr_nachrichten_980206_0900_irak <?page no="136"?> 137 C|2.2|? b Aufsatz D OR : Was Journalisten mit guten Titeln meinen Im Aufsatz „On newspaper headlines as relevance optimizers“ schreibt Daniel Dor, eine Journalistin, ein Journalist strebe mit einem Titel stets das beste Verhältnis von zwei Merkmalen („relevance optimization“) an: Der Titel soll einerseits klar und leicht verständlich sein („processing effort“), andererseits aber so offen, dass er in den Köpfen des Publikums möglichst viele passende Schemata aktiviert („contextual effect“) (_1) . Nennen Sie Argumente für oder gegen die beiden Merkmale. Beschreiben Sie, warum Sie, wie Dor, hier von einer Optimierung des Verhältnisses von „processing effort“ und „contextual effect“ sprechen würden - oder, im Gegenteil, eine Maximierung der beiden Merkmale anstreben. Halten Sie fest, was nach Dors Abstract erfüllt sein muss, damit eine Journalistin einen Titel als „relevance optimizer“ setzen kann. Suchen Sie in Dors Studie, im Korpus 4 dieses Lehrmittels (E|1.4 und www.medien linguistik.net) oder in Ihrem Medienalltag nach guten Beispielen für „relevance optimization“ und begründen Sie Ihre Wahl. This paper suggests an explanatory functional characterization of newspaper headlines. Couched within Sperber and Wilson’s (1986) relevance theory, the paper makes the claim that headlines are designed to optimize the relevance of their stories for their readers: Headlines provide the readers with the optimal ratio between contextual effect and processing effort, and direct readers to construct the optimal context for interpretation. The paper presents the results of an empirical study conducted in the news-desk of one daily newspaper. It shows that the set of intuitive professional imperatives, shared by newseditors and copy-editors, which dictates the choice of headlines for specific stories, can naturally be reduced to the notion of relevance optimization. The analysis explains why the construction of a successful headline requires an understanding of the readers - their stateof-knowledge, their beliefs and expectations and their cognitive styles - no less than it requires an understanding of the story. It also explains the fact that skilled newspaper readers spend most of their reading time scanning the headlines - rather than reading the stories. _1 Aufsatz D OR , Abstract. Quelle: Dor, 2003, 695, mit Hinweis auf Sperber & Wilson, 1995 <?page no="137"?> 138 C|2.2|? c Aufsatz D ORENBECK : Der S PIEGEL schreibt zwischen den Zeilen Im Aufsatz „Zweifelhafte Wegweiser. Pragmatische Charakteristika und kommunikative Strategie der S PIEGEL -Story“ beschreibt und kritisiert Nils Dorenbeck den Sprachgebrauch des Nachrichtenmagazins S PIEGEL (_1) . Würde zum Beispiel die Absichtserklärung eines Politikers mit Wahre Worte. Edle Ziele kommentiert, ließe sich dies lesen als Zustimmung oder Ironie des S PIEGELS . Beschreiben Sie in eigenen Worten die „Methode“, die Dorenbeck hinter solchen Formulierungen ausmacht. Überlegen Sie, wer hier die Kohärenz herstellt: die Autorinnen und Autoren oder die Leserinnen und Leser. Nennen Sie Ihr stärkstes Argument für jede Seite. Beschreiben Sie, ob und warum Sie Dorenbecks Kritik (nicht) gerechtfertigt finden. Analysieren Sie nach dem Muster von Dorenbecks Kritik den Fall T ANKER (C|2.2|? e) . Benennen Sie, was erfüllt sein müsste, damit auch hier eine Kritik wie die von Dorenbeck infrage käme. Konstitutiv für die in S PIEGEL -Storys immer wieder auftretende Möglichkeit alternativer und konträrer Kohärenzkonstruktionen sind insbesondere die erwähnten Metaphernrekurrenzen, durch die „immanente Deutungs- und Charakterisierungsperspektiven“ […] etabliert werden. Das durch solche Metaphernfelder ermöglichte Textverständnis ist jedoch nicht zwingend: Da die metaphorischen Implikate nicht kohärenznotwendig sind, ergibt sich in den betreffenden Fällen die Möglichkeit alternativer, konträrer Lesarten. Für die jeweils realisierte Kohärenzkonstruktion zeichnet hier also in hohem Maße der Leser selbst verantwortlich. Dessen Kohärenzbedürfnisse weiß der S PIEGEL systematisch zur Erzeugung diverser Implikate zu nutzen, und genau darin besteht seine Methode. […] Auffällig oft (wenngleich nicht immer) sind daher S PIEGEL -Äußerungen - um Wittgensteins Gleichnis aufzugreifen - außergewöhnlich zweifelhafte „Wegweiser“ […]: Fragt man in diesen Fällen, was die betreffenden Äußerungen bedeuten sollen, so lassen sich Zweifel am eigenen Textverständnis niemals plausibel ausräumen. Welchen Weg der Leser durch den Story-Text nimmt, hängt dann in außergewöhnlich hohem Maße davon ab, welchen Weg er ohnehin zu gehen geneigt ist. Leider steht zu vermuten, dass gerade hierauf die Lust am „kaum aufklärenden Konsum“ […] beruht: Der S PIEGEL redet nicht nach der Leute Mund, er lässt sie nach ihrem je eigenen lesen. _1 Aufsatz D ORENBECK , Schluss. Quelle: Dorenbeck, 1997, 93 f. <?page no="138"?> 139 C|2.2|? d Fall W AHLKAMPF : Merken lassen statt sagen Der Journalist JS hat geschrieben, dass Jörg Haider „etliche seiner Regierungsmitglieder in den Ländern als Anpasser anprangerte“ - dann schiebt er noch „öffentlich“ ein, sodass Haider die Mitglieder „öffentlich als Anpasser anprangerte“ (_1) . Dazu sagt er im Verbalprotokoll, er vermute hinter Haiders Anprangern einen Propagandazug, könne diese persönliche Vermutung aber im Beitrag so direkt nicht benennen, sondern nur andeuten: „die, die das realisieren, werden sich dann schon fragen, wieso macht der so was öffentlich“ (_2) . Führen Sie die Überlegung von JS zu Ende: Schreiben Sie, was die anderen Nutzerinnen und Nutzer wohl tun - diejenigen, die nichts davon „realisieren“. Vergleichen Sie Ihre Überlegungen mit Dorenbecks Aufsatz zur Kohärenzbildung im S PIEGEL (C|2.2|? c) . Schreiben Sie, ob Sie angesichts solcher sprachlicher Möglichkeiten standesethische Grundsätze wie facts are sacred, comment is free für umsetzbar halten. 117 {Zudem hat} 117 | 118 Jörg Haider 87 { 88 {selbst } 88 | 89 im Januar | 88 } 87,118 [selbst ] 118 | 119 89 [diesen Winter] 89 | 90 92 { 106 [öffentlich ] 106 | 107 } 92,90 {etliche} 90 | 91 119 [seine 91 {r} 91 Regierungsmit 86 [l| 86 ] 86 glieder] 119 | 120 120 {Parteifreunde} 120 | 121 in 130 [den ] 130 | 131 Länder 121 [n] 121 | 122 122 {regierungen} 122 | 123 107 {öffentlich } 107 | 108 als 108 [Anpasser| 87 | 92 ] 108 | 109 109 {zu w 110 [iech| 110 ] 110 eich } 109 | 111 an 123 {ge} 123 | 124 pranger 124 [te] 124 | 125 131 {t} 131 | 132 und 93 [eine| 93 ] 93 auf einen 129 {unnachgiebigen } 129 | 130 Voll- Oppositionskurs 111 { verpflicht 125 [ete] 125 | 126 126 {et} 126 _1 Fall W AHLKAMPF , Revision 107 und Umfeld. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 Jetzt schreibe ich da noch <öffentlich>, weil es ja nicht normal ist, dass so Partei-interne Streitereien öffentlich gemacht werden. Ich vermute, das war ein Propagandazug, aber ich kann nicht immer, einfach nur weil ich mir Schlimmeres überlege als bei den anderen, das kundtun. Und sage jetzt halt einfach <öffentlich>, und die, die das realisieren, werden sich dann schon fragen, wieso macht der so was öffentlich, wieso scheißt er sie öffentlich zusammen. Es ist sicher darum gegangen, dies als Propaganda auszunützen, eben um zu zeigen, wir sind nicht die, die da in diesem Schmuse-Kuschel-Kurs von Konkordanzregierungen mitmachen, sondern wir wollen dieses Land verändern. _2 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 107. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 <?page no="139"?> 140 C|2.2|? e Fall T ANKER : Explosion im Kopf Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 bringt eine Kurzmeldung zu einem Tankerunglück, in einer Zeit, in der sich solche Unglücke zu häufen scheinen (_1) . Man erfährt, der Tanker sei „in Brand geraten“ (Zeile 03) , sei mit viel „Flüssiggas beladen“ (04) - und: „an der Küste befindet sich ein Atomkraftwerk“ (05) ; Ende Beitrag. Beschreiben Sie die Geschichte, die sich jetzt in Ihrem Kopf abspielt. Überprüfen Sie dann die Propositionen (C|2.1.1|_2) im Offtext und schätzen Sie das Risiko für Ihr Horrorszenario ein. Erklären Sie an diesem Beispiel einem Laien die Begriffe Schema, Kohärenzbildung und Framing. 01 O: ↑! FÜN : F ! zig kilometer ↑ ÖS : Tlich der küste hongKONGs ? _ 02 ist_ein ! WEI ! teres schiffsunglück_im gang . (--) 03 der am ↑ SAMStag in ↑ BRAND geratene tanker ? 04 ist mit ZWANzigtausend tonnen ↑ FLÜSsiggas beladen . (---) 05 an der küs ↑ TE be ↓ findet sich_ ↑ ein aTOMkraftwerk . 06 X: | 07 M: °h die reGIErungschefs von SPAnien_und FRANKreich ? 08 haben heute_A ↑ bend 09 bei_einer gemeinsamen PRESsekonferenz angekündigt - _ 10 ab ! MOR ! gen mittwoch die konTROLlen - °h 11 bei ÖLtankern ver ! SCHÄRF ! fen zu wollen . 12 X: | _1 Fall T ANKER , Kurzmeldung und Moderation. Quelle: sf_zvz_021126_2150_tanker_abmod <?page no="140"?> 141 C|2.3 Handeln: Öffentlichkeit informieren vs. Medien verkaufen Zurück zum Fall R ISIKEN (C|2.2) , zur Online-Nachricht, deren Titel und Bildlegende zusammen wie ein böser Kommentar wirken können (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen Wer an der Delegation angehören soll ist noch nicht klar. _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Titel und Legende. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Der Text erscheint im Internet als Online-Nachricht eines angesehenen journalistischen Mediums. Da darf das Publikum annehmen, der Autor habe in der Absicht gehandelt, zu informieren. Man liest also den Text als Versuch des Autors, Informationen über relevante Weltausschnitte unverzerrt und nachvollziehbar mitzuteilen. Bevor aber eine Delegation irgendwohin aufbrechen kann, muss sie ernannt sein - auch dies eine Sprachhandlung. Wer die Bildlegende liest, ist deshalb irritiert: Verfolgt der Autor mit seinem Sprachhandeln etwa eine andere Absicht als die, sein Publikum zu informieren? Will er bloßstellen, karikieren, verwirren? Dass der Text wohl informieren soll, kann erkennen, wer nach dem Titel auf die Schaltfläche „>>weiter“ geklickt hat. Diese Schaltfläche steht für eine metakommunikative Sprachhandlung, nämlich die Aufforderung, den ganzen Text abzurufen und zu lesen. - Mit solchen Zusammenhängen von Sprache und Handeln befasst sich die Pragmatik (_2) . Pragmatik: linguistische Teildisziplin, die sich befasst mit den sprachlichen Tätigkeiten der Sprachbenutzer in konkreten Situationen. _2 Morris, 1938 prägt die Bezeichnung P. Holly, 2001 führt in die „Pragmalinguistik“ ein. Mey, 1998 oder Horn & Ward, 2003 bieten Forschungsüberblicke. Habscheid, 2000 beschreibt „das Medium in der Pragmatik“. Kallmeyer, 2005 zeigt „pragmatische Aspekte des Mediendiskurses“. Schrøder, 2006 umreißt die Beziehung von P. und Mediensprache. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, wie sich Handlungsabsichten in sprachlichen Mitteln ausdrücken (C|2.3.1) . Die Medienpraxis fragt nach Strategien, mit Sprache zugleich die öffentliche Kommunikation und das Geschäft am Medienmarkt zu fördern (C|2.3.2) . <?page no="141"?> 142 C|2.3.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Pragmatik erforscht unter anderem, wie sprachliche und nichtsprachliche Tätigkeit zusammenspielen (_1) , welche Absichten Sprachbenutzer verfolgen (_2) und wie man Sinn aushandelt in der Kommunikation (_3) . In der publizistischen Kommunikation überlagern sich Handlungsabsichten und -konflikte unterschiedlicher Akteure öffentlich wahrnehmbar. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Sprachliche Tätigkeit: Verhalten und Handeln mittels Sprache, eingebettet in nichtsprachliches Verhalten und Handeln. _1 Wittgenstein, 1953 beschreibt das „Sprachspiel“ als regelhaften Zusammenhang von sprachlichen und nichtsprachlichen Tätigkeiten in bestimmten Situationen, z.B. grüßen oder etwas erklären. Leont’ev, 1971 versteht s.T. als bewusste, strukturierte, zielgerichtete und sozial eingebettete menschliche Tätigkeit. Machin & Thornborrow, 2003 untersuchen „Branding“, den weltweiten Aufbau der Marke C OSMOPOLITAN , als s.T. Meyen, 2015 erkennt Aufmerksamkeit als erstes Handlungsziel in Massenmedien. M. Burger, 2006 analysiert Fernsehinterviews als gesellschaftlich vielschichtig eingebettete s.T., bei der alle gleichzeitig in mehreren Rollen handeln und damit teils widersprüchliche Absichten verfolgen, die weit über den Sprachgebrauch hinausreichen - Absichten wie eine kooperative Beziehung zum Gesprächspartner herzustellen, Missstände aufzudecken, das Publikum zu unterhalten und die Kunden zu binden. Illokution: Eigenschaft einer sprachlichen Äußerung, gemeint und verstehbar zu sein als Ausdruck einer bestimmten Absicht der Autorin. _2 Searle, 1969 sieht Sätze als Sprechakte, als sprachliche Handlungen mit bestimmter I. und bestimmter Wirkung (Perlokution). Hermanns, 2003, 126 beschreibt „Zu-verstehen-Geben“ und „Verstehen“ als zentrale I. in der Kommunikation. Hickethier, 2001 versteht Publikumsbindung als textübergreifende I. im Mediengeschäft; ähnlich Schlesinger & Doyle, 2015, zur I. der Medienorganisation im Licht der Nutzungsstatistik. Dorenbeck, 1997 weist nach, dass die sprachlichen Mittel der „S PIEGEL -Story“ systematisch auf ganz unterschiedliche I. der Autoren schließen lassen, und vermutet, dass der S PIEGEL damit politisch diametral verortete Publika anspricht und bindet. Sleurs, et al., 2003 analysieren sprachliche Praktiken von PR-Schaffenden, die I. ihrer Kunden gegenüber Journalisten durchzusetzen. Catenaccio, 2008 beschreibt, wie der I.-konflikt zwischen Informieren und Werben die Textsorte der Medienmitteilung prägt. Hirsch & Blum-Kulka, 2014 analysieren Ironie in Nachrichteninterviews. Sinn: Eigenschaft eines Kommunikationsangebotes, gemeint und verstehbar zu sein als bedeutsam für die Adressaten. _3 Schütz, 1932 erklärt den „sinnhafte[n] Aufbau der sozialen Welt“, Ansatzpunkt dieses S.begriffs. Coseriu, 1994 führt ein in den S.-begriff in der Textlinguistik. Kecskes, 2008 zeigt, wie S. in der Kommunikation dynamisch entsteht, im Wechselspiel des aktuellen kommunikativen Kontexts und der Sprache, in der frühere Sinnherstellung gespeichert ist. Schmitz, 1996 untersucht S.-herstellung beim zappenden Fernsehen. O’Connell, et al., 2004 erforschen, wie Interviewer und Interviewte im Gespräch gemeinsam S. herstellen. Druick, 2009 untersucht, wie in Parodien der S. von Fernsehnachrichten ins Absurde kippt. <?page no="142"?> 143 C|2.3.2 Praxisgeleitete Fragestellung Publizistische Medien verfolgen immer mindestens zwei Absichten: Öffentlichkeit herstellen und das eigene Angebot verkaufen (C|2.3.1) . Die Medienlinguistik kann mit Werkzeugen der Pragmatik die Handlungsmuster dazu herausarbeiten und in der Praxis zur Diskussion stellen. Ein solcher Ansatz beschreibt öffentliche Kommunikation als Public Storytelling (_1-3) . - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Story: Kommunikationsangebot, das auf einen sozialen Zusammenhang verweist, indem es Textrollen, Motive, Handlungen, Schauplätze, Perspektiven und unerwartete Ereignisse vertraut und schlüssig verknüpft. _1 Ryan, 2006, 7-8 schreibt Kommunikationsangeboten dann „storyness“ zu, wenn sie von einer Welt handeln, die: in Zeit und Raum bestimmt ist; sich aufgrund ungewöhnlicher Ereignisse wesentlich verändert; mitgeprägt ist von Bewusstheit, Absichten und Emotionen der Handelnden; wesentlich und wirklich ist für die Beteiligten. Zudem ist die S. bedeutsam und wirkt plausibel und schlüssig für ihre Adressaten. Wahl-Jorgensen, 2013 zeigt das „strategic ritual of emotionality“ in der S., die den Pulitzer-Preis gewinnt. Bell, 1991, 147 stellt fest: „Journalists do not write articles. They write stories. A story has structure, direction, point, viewpoint. An article may lack these.“ Storytelling: Gestaltung eines Kommunikationsangebots als Geschichte, um Sinn zu erzeugen. _2 Fludernik, 2010, 10-17 beschreibt die Story als logisch schwer hinterfragbar, weil sie menschliche Grunderfahrungen anklingen lässt. Damit lenkt S. Aufmerksamkeit, veranschaulicht Komplexes, bewertet, weckt Emotionen wie Empathie, stiftet Sinn und überzeugt spielerisch. Beim verbreiteten „impliziten“ S. klingen Storys bei den Adressaten an, ohne ausgesprochen zu sein. Tuchman, 1976 erfasst Nachrichtenjournalismus als „telling stories“; ähnlich Hickethier, 1997 und S. Köhler, 2009 für Fernsehnachrichten; Hauser, 2006 für Sport-Liveübertragungen; Thornborrow, 2007 für Talkshows. Flath, 2014 zeigt, dass S. vom Wesentlichen einer Nachricht ablenken kann. Public Storytelling: wesentliche Form der Entstehung von gesellschaftlichem Sinn mittels Storytelling in öffentlichen Diskursen. _3 Hymes, 1996, 13 sieht „narrative accounts“ als unverzichtbar und zunehmend bedeutsam für die Herstellung und Weitergabe von gesellschaftlichem Sinn und auch wissenschaftlichem Wissen. Scheuermann, 2010, 27 stellt fest, dass „professionelle Erzähler” wie Popmusiker oder Filmautoren über implizites Wissen verfügen, wie man Geschichten öffentlich wirkungsvoll erzählt. Sarangi, 2008, 271 bemerkt, dass in Polizeiinterviews Grundgeschichten die Wahrnehmung stark steuern: „[…] the narrative event may shape, more than is shaped by, the narrated event.” Lams, 2011 vergleicht Nachrichten zweier englischsprachiger Zeitungen in Taiwan mit den Quellentexten der Agentur AP, um festzustellen, ob und wie die Redaktionen die Storys verändern. Wo dies regelmäßig geschieht, vermutet sie ideologische Beweggründe. Perrin & Wyss, 2015 erklären, warum Journalisten öffentliche Geschichten eher anstoßen als ganz erzählen. <?page no="143"?> 144 C|2.3|? a Aufsatz S LEURS : Quotes auf Maß erfinden Im Aufsatz „Constructing press releases, constructing quotations: A case study“ untersuchen Kim Sleurs, Geert Jacobs und Luuk Van Waes die Strategien eines PR-Texters, der für einen Kunden Medienmitteilungen verfasst. Dieser Texter, Mark, erfindet Quotes und schreibt sie in den Medienmitteilungen mehreren Gruppen von Sprechern zu. Wem und wozu? (_1) - Beschreiben Sie alle Akteure und all ihre Beweggründe, die das Fazit der Studie von Sleurs et al. zur Sprache bringt. First, the design of quotations. From our research it is clear that quotations in press releases are typically pseudo-quotes made up by the writer of the press release. Indeed, the data reported here suggest that the picture is more complicated than is commonly assumed, with not just the views of the organisations’ own leaders but also the would-be words of all sorts of third parties qualifying to be included between quotation marks. Those third parties range from famous business analysts, whose sound bites turn out to be for sale, to representatives of other organisations that are involved in the events reported in the press release (Mark’s client’s clients). As for the function of quotations, it seems to be confirmed that they are there because they might well be reproduced by the journalists who want to use the press release in their own news reporting - or at least because the organisation that issues the press release (Mark’s client) assumes that they will be reproduced. Our writer seemed rather concerned about alienating journalists through pushy, promotional language and he wanted quotes - including those attributed to third parties - to play a role in avoiding such alienation. It is clear that preformulation is on Mark’s mind whenever he is constructing quotes (or talking about them, for that matter). Interestingly, our data seem to suggest that preformulation plays a double role, both anticipating what the journalists would do with Mark’s work and helping meet the requirements of his own client (the organisation issuing the press release). _1 Aufsatz S LEURS , Schluss. Quelle: Sleurs, et al., 2003, 208 f. <?page no="144"?> 145 C|2.3|? b Streiflicht I LLOKUTIONSHIERARCHIE : Projekte über den Text hinaus Eine Textproduktion lässt sich als Projekt verstehen, gegliedert in die vier Phasen Zielsetzung, Planung, Steuerung und Kontrolle. Nach außen ist ein solches Textproduktionsprojekt eingebettet in übergeordnete Projekte, bis hin zur Gestaltung des (Berufs-)Lebens. Zuoberst in der Hierarchie steht als Handlungsabsicht dann zum Beispiel Sinn finden im Beruf als Online-Journalist; innerhalb einer Arbeitsstelle will man sich bewähren; für eine Textproduktionsaufgabe kann dies bedeuten, die Nutzer anzusprechen, wozu auch gehört, in Aktualisierungen laufend über neueste Entwicklungen des Themas zu informieren (_1) . Stecken Sie eine solche Illokutionshierarchie für Ihr nächstes Schreibprojekt ab und überlegen Sie, in welche nichtsprachlichen Tätigkeiten Ihr Sprachhandeln eingebettet ist. Handeln Projekthierarchie Berufslaufbahn Textproduktionsaufgabe ganze Laufbahn aktuelle Stelle ganze Aufgabe Teilaufgabe Projektphase Zielsetzung Erfüllung, Sinn finden, Erfolg im Beruf, … sich als Online-Journalist bewähren und Marktwert steigern, … in Thema X aktuell sein, Nutzer ansprechen, … die Meldung früh aktualisieren, über neueste Entwicklung informieren, … Planung Karriere, nach und nach attraktivere Positionen erreichen, … zuerst einfache, dann komplexere Aufgaben lösen und den Erfolg auch zeigen, … Newsfeeds periodisch prüfen, neue Information sofort einbauen, … alte Meldung laden, ergänzen, aufschalten, … Steuerung Weiterbildung, Marktbeobachtung, Stellenpflege, Stellenwechsel, … möglichst oft eine Aufgabe überzeugend lösen, … Zeitfenster nutzen und schaffen zum Aufdatieren der News, … Copy-Pasting einzelner Teile von Quellentexten, … Kontrolle Marktwert testen, Peer-Vergleich, … im Qualifikationsgespräch mit Vorgesetzten die Wahrnehmung überprüfen, … Selbstkontrolle: Vergleich mit Angebot der Konkurrenz, … im Internet prüfen, ob die neue Meldung aufgeschaltet ist, … _1 INFORMIEREN, eingebettet in eine Illokutionshierarchie zur Gestaltung der Berufslaufbahn <?page no="145"?> 146 C|2.3|? c Aufsatz M ACHIN : Wie C OSMOPOLITAN Frauenfantasien verkauft Im Aufsatz „Branding and discourse: the case of Cosmopolitan“ fragen David Machin und Joanna Thornborrow, was die Frauenzeitschrift C OSMO - POLITAN als Marke auszeichnet - und welche Deutungsmuster die Zeitschrift damit weltweit verbreitet. Das Muster: Frauen sind stärker sozial als intellektuell ausgerichtet, sind auf sich allein gestellt und gewinnen Unabhängigkeit über körperliche Vorzüge. Die Widersprüche zwischen sozial und allein, unabhängig und applausgerichtet bleiben in C OSMO - POLITAN unaufgelöst und spielen auch keine Rolle, denn am Ende ist alles ein Spaß, ein Spiel - der wahre Wert ist Konsum (_1) . Beschreiben Sie, wer alles hier mit Sprache was verkaufen will. We have examined how C OSMOPOLITAN represents women’s sexual and work practices in order to understand a little more about the nature of a global brand, and in order to investigate just what it is that is globally distributed in this case. We have seen that the magazine constructs these two distinct practices […] as very similar […]. In both, women are oriented towards social interaction rather than towards technical, creative or intellectual skills. In both, women are fundamentally alone and must hold their own or advance through pleasing and/ or manipulating others, and above all through the power which their body and sexuality affords them. It is this that defines women’s agency, and hence women’s power and independence, in the world of Cosmo. But these self-contradictory models are not presented as realistic, an aspect which some critics of women’s magazines have missed. They are presented as playful fantasies. This backgrounds the contradictions and allows women to signify the C OSMOPOLITAN discourse, and their alignment with its values, through the lipstick they wear, the cut of their clothes, the programmes they watch on television, the cafés they visit, and so on. Which leads us to that other key Cosmo value, “fun”. It’s only a game to play. But that game is very much part of the global economy. In C OSMOPOLITAN the only real details are the products themselves. In the same way as salvation could be bought from the church in the late 15th century, so a sense of power, independence and fun can today be bought from the church of neo-capitalism. Thus, the heritage of 1960s’ feminism has become intertwined with consumerism, allowing consumerism to become a discourse with which women can and do signify their roles and identities across the globe. _1 Aufsatz M ACHIN , Schluss. Quelle: Machin & Thornborrow, 2003, 468 <?page no="146"?> 147 C|2.3|? d Fälle N ACHRICHTENBLOCK und W AHLKAMPF : Was die Leute wollen sollen In den Verbalprotokollen sprechen der Redakteur von R ADIO 32 (_1) und der Journalist vom E CHO DER Z EIT (_2, _3) von Absichten ihrer Adressaten. Beschreiben Sie, welche Absichten zur Sprache kommen. Prüfen Sie, wo die Medienschaffenden die Absichten ausdrücklich ihren Adressaten zuschreiben und wo Absichten beiläufig unterstellt werden. Zeigen Sie, mit welchen Sprachhandlungen die Medienschaffenden auf die Absichten eingehen, die sie den Adressaten zuschreiben. Die Schneefallgrenze ist auch ganz wichtig im Moment, die Leute wollen Ski fahren gehen am Wochenende, sie sinkt von 1200 auf 600 bis 900 Meter runter, das 1200 habe ich allerdings nicht erwähnt, weil es sonstweil das Ganze sonst zu lang wird. Hätte man auch umkehren können, die 600 bis 900 Meter. _1 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Protokoll zu Revision 140. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600… Und ich habe gewusst, ich will mit Marschmusik beginnen, die dann so Wahlkampfbilder evoziert. Und dann musst du das ja irgendwie beschreiben. Ja, du weißt schon: Wo bist du, wieso beginnst du mit dieser Musik und so. Und dann, das ist jetzt halt, jetzt übt man da halt etwas, bis es einem dann irgendwie gefällt. Es ist ja weniger eine inhaltliche Frage, sondern mehr, dass die Leute aufmerksam bleiben. Und vielleicht denken: Was ist denn das? _2 Fall W AHLKAMPF , Verbalprotokoll zu Revision 1. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 Und da geht es auch noch darum, dass das noch so ein schöner Ton ist, du weißt, so unterhaltsam, wenn der da so etwas radebrechend die Leute dazu aufruft, SP zu wählen, weil es geht um die Zukunft. Das ist all das Floskelhafte, Provinzielle. Das finde ich noch so schön, wenn man das so zeigen kann. Also es ist wirklich halt etwas Länder-Reisen-Völker. Also so nach draußen schauen, ohne dass es jetzt gerade, ja, so knallharte Information sein muss, sondern auch etwas unterhalten. _3 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 53. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 <?page no="147"?> 148 C|2.3|? e Fall V ERSCHULDUNG : Einstellungen importieren Ein T AGESSCHAU -Ausschnitt (_1) mit zwei Varianten (_2, _3) . Entdecken Sie die Unterschiede und beschreiben Sie diese Unterschiede aus der Sicht der Pragmatik. Gehen Sie ähnlich vor und formulieren Sie Varianten zum Satz „Die Kisag muss auf Ende Jahr Stellen abbauen“ im Fall G ÜTER - TOURISMUS . >> www.medienlinguistik.net 01 X: [Tagesschau Verfahren eingeleitet] 02 O: °h EIchel musste für das laufende JAHR 03 eine ↑ NEUverschuldung von FÜNFund dreißig milliarden ↑ euro 04 ankündigen . _1 Fall V ERSCHULDUNG , Schluss der Kurzmeldung. Quelle: sf_ts_021113_1930_verschuldung_kurz 02 O: °h EIchel kündigte für das laufende JAHR 03 eine ↑ NEUverschuldung von FÜNFund dreißig milliarden ↑ euro 04 an . _2 Fall V ERSCHULDUNG , Variante a zu _1. Bildquelle: sf_ts_021113_1930_verschuldung_kurz 02 O: °h EIchel sagte, er müsse für das laufende JAHR 03 eine ↑ NEUverschuldung von FÜNFund dreißig milliarden ↑ euro 04 ankündigen . _3 Fall V ERSCHULDUNG , Variante b zu _1. Bildquelle: sf_ts_021113_1930_verschuldung_kurz <?page no="148"?> 149 C|2.4 Verbinden: Zielpublika ansprechen vs. der Sache gerecht werden Zurück zum Fall R ISIKEN (C|2.3) . Im Internet zu lesen sind also zwei Zeilen, die dem Sprachgefühl vieler Leser zuwiderlaufen dürften (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen Wer an der Delegation angehören soll ist noch nicht klar. _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Titel und Legende. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Die Zeilen gehören zu einem Nachrichtentext, die dargestellte Handlung zur internationalen Politik. In den Sprachverwendungszusammenhängen von Nachrichtenjournalismus und Politik heißen Gruppen von Abgeordneten Delegationen, und was sie tun, wird in eine Sprache der Würde und Sachlichkeit gefasst. Unpassend wäre die Titelvariante EU-Leute abgedüst. Zur Sprache, die man in journalistischen Nachrichten zum politischen Geschehen erwartet, gehört aber auch richtige Grammatik. Also nicht wer an der Delegation angehört, sondern wer der Delegation angehört. Sprachliche Pannen wie diese prägen das Bild mit, das sich ein Publikum von Journalisten macht. Wer an der beruflichen Kompetenz einzelner oder aller Journalisten oder Medien zweifelt, passt vielleicht seine Erwartungen an oder wendet sich anderen Informationsquellen zu. Das kann auf den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert von Medien zurückwirken. - Mit solchen Zusammenhängen von Sprache, Identität und Gesellschaft befasst sich die Soziolinguistik (_2) . Soziolinguistik: linguistische Teildisziplin, die sich befasst mit dem Zusammenhang zwischen Sprache und Gesellschaft. _2 Currie, 1952 führt die Bezeichnung Soziolinguistik ein. Leitner, 1997 beschreibt „the sociolinguistics of communication media“. Gumperz & Cook-Gumperz, 2008 diskutieren die starke Überschneidung der S. mit der linguistischen Anthropologie. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, wie sich Sprachen bestimmter Gemeinschaften voneinander unterscheiden und wie sie sich gegenseitig beeinflussen (C|2.4.1) ; die Medienpraxis fragt nach Strategien, die Adressaten anzusprechen und zugleich einem Gegenstand auch aus der Sicht der Quellen gerecht zu werden (C|2.4.2) . <?page no="149"?> 150 C|2.4.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Soziolinguistik erforscht unter anderem, wie sich Gemeinschaften (_1) in ihren Varietäten (_2) unterscheiden und wie sich Sprachgebrauch wandelt (_3) , auch unter dem Einfluss publizistischer Medien. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Sprachgemeinschaft: Gruppe von Sprachbenutzern, die von sich denkt, die gleiche Sprache zu benutzen. _1 Halliday, et al., 1964, 76 bestimmen S. als „a group of people who regard themselves as using the same language“. Jeder Mensch gehört mehreren S. an. Larsen-Freeman & Cameron, 2008, 164 betonen, dass sich S. über Kommunikation laufend neu herstellen, also keine statischen Gebilde sind. J. A. Fishman, 1964 und Adamzik, Antos, & Jakobs, 1997 benennen die Umwelt einer S. als Domäne, z.B. Familie, Arbeitsplatz, Medien, Wirtschaft. Stephens, 2012 vergleicht Textverarbeitung in den Domänen Schule und Journalismus; ähnlich Gnach, 2013 für deutsch- und französischsprachige Redaktionen. Varietät: Subsystem einer natürlichen Einzelsprache, mit eigenen sprachlichen Merkmalen und eigener gesellschaftlicher Umwelt. _2 Die natürlichen Einzelsprachen wie Deutsch gliedern sich in V., etwa für Regionen, Gesellschaftsschichten und Domänen. J. A. Fishman, 1965 fragt „Who speaks what language to whom and when? “, um die V. von Individuen und Gemeinschaften zu bestimmen. Gal, 1987 untersucht Repertoires als die Gesamtheit der V. und Stile, über die ein Sprachbenutzer verfügt, um in konkreten Situationen angemessen zu kommunizieren. Beckner, et al., 2009, 15-16 beschreiben, wie sich eine V. ständig wandelt in Wechselwirkung mit den Ideolekten, den individuellen Sprachen ihrer Sprecher. Hellmann, 1986 untersucht V. west- und ostdeutscher Zeitungen; Androutsopoulos, 2000b V. in Jugendmedien; Krischke, 1998 und Hribal & Jarren, 2001 V. von Experten und Laien in Medienbeiträgen. Sprachwandel: fortlaufende Veränderung einer Sprache oder Varietät und ihres Gebrauchs durch die Sprachgemeinschaft. _3 Keller, 1994 versteht S. als ausgelöst durch viele unabhängige, aber gleichförmige Impulse, wie von einer „unsichtbaren Hand“. Larsen-Freeman, 2003, 80 und Wei, 2007, 118 beschreiben S. als Folge des Sprachgebrauchs: Im Gebrauch können bewährte Muster von den Sprachbenutzern variiert und aufgebrochen werden. Luginbühl & Perrin, 2011b erfassen S. in den Medien als Musterwandel auf allen Ebenen des Zeichengebrauchs. Hunston, 2002, betont, S. lasse sich mit Zeitungskorpora gut untersuchen, weil er sich in den Medien rasch zeige. Studer, 2008 untersucht S. in englischen Zeitungen des 18. und 19. Jahrhunderts als Stilwandel, geprägt durch den Wandel von Gesellschaft und Technologie. Leitner, 1980 erforscht S. deutscher und englischer Radiosprache seit den Anfängen des Mediums; Cotter, 2003 den S. im Nachrichtenjournalismus; Sawitzki, 2001 und Herring, 2003 den Einfluss von Medien auf S.; Local, 1996 die Wirkung der Sprechweise von Nachrichten auf Alltagssprache; Bell, 1985 die Amerikanisierung der Nachrichtensprache Englands; Muhr, 2003 den Einfluss des deutschen Fernsehens auf das Deutsch in Österreich; Berns, De Bot, & Hasebrink, 2007 den Einfluss des Englischen auf den Sprachgebrauch Jugendlicher in Europa; Christen, 2002 den Sprechstil einer Talkmasterin und die Übernahme dieses Stils durch Talkgäste. <?page no="150"?> 151 C|2.4.2 Praxisgeleitete Fragestellung Publizistische Medien wollen unterschiedliche Adressaten zuverlässig erreichen, öffentlich Transparenz herstellen, im Markt ein eigenes Profil zeigen und ihre Publika, Quellen und Werbekunden dauerhaft binden - auch mit Sprache (C|2.4.1) . Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, wie dies gelingt. Die Medienlinguistik kann mit Werkzeugen der Soziolinguistik entsprechende Mittel herausarbeiten, etwa das Audience Design (_2) als Ergebnis eines multifunktionalen Umgangs mit Sprache, Varietät, Stil (_1) . - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Stil: Ergebnis einer Auswahl aus sprachlichen Varianten mit ähnlicher Bedeutung, aber unterschiedlicher kommunikativer Funktion. _1 Auch innerhalb einer Sprache und Varietät sind Varianten möglich. Die stete, absichtsvolle und auf Werthaltungen begründete Wahl bestimmter Varianten macht den S. einer Person oder Gemeinschaft aus. Gardt, 2003 und Sandig, 1995 umreißen die Stilforschung in der Linguistik. D. Cameron, 1996 beschreibt S. publizistischer Medien mit Polpaaren wie sachlich und emotional. Dittgen, 1989 erfasst überraschende Wendungen als S.-mittel in Zeitungstiteln und Werbung. Held, 1998 untersucht S. als Mittel des Infotainments in Titeln italienischer Nachrichtenmagazine. Johnson, et al., 2003 und Johnson & Suhr, 2003 erforschen S.-mittel der „political correctness“ in englischen Zeitungen bzw. der W ELT ; ähnlich Toolan, 2003 für L E M ONDE . D. Köhler, 2009 untersucht „Sprachstil und Sprechstil in britischen Hörfunknachrichten“. Kotthoff, 2002 vergleicht Ironie in Privatgesprächen und Fernsehdiskussionen. Lasky, 2004 kritisiert journalistischen S. im Licht seiner „theory of journalistic malpractice“. Meinunger, 2008 tritt an gegen polemische Stilkritik. Kurz, Müller, Pötschke, Pöttker, & Gehr, 2009 legen eine „Stilistik für Journalisten“ vor. Audience Design: Eigenschaft eines Medienbeitrags, auf Zielgruppen zugeschnitten zu sein. _2 A.D., Zielgruppenzuschnitt, bedeutet praktisch dreierlei: a) zu den Erwartungen, dem Vorwissen und der Aufnahmebereitschaft der Adressaten zu passen, b) sich im Stil abzuheben von anderen Angeboten am Markt und so c) zur Nutzerbindung beizutragen. Bell, 1984b und Bell, 2001 beschreiben das A.D. publizistischer Medien als Konflikt zwischen Anpassung an die Normen des Markts und Sichabheben von den Mitbewerbern im Markt. Conboy, 2010 schließt an Bell an und untersucht Zeitungssprache aus dem Blickwinkel „that the language of newspapers has always encapsuled what would sell to audiences and how information could best be packaged and presented to achieve this commercial end at any particular time“ (1). Bucher, 1999b, 216 deutet A.D. als Anzeichen dafür, wie Medienschaffende ihr Publikum einschätzen. Werlen, 2000a vergleicht das A.D. der Nachrichten zweier Programme des gleichen Senders, das eine ausgerichtet auf eine möglichst breite Hörerschaft, das andere auf jugendliches Publikum. Selting, 1983 untersucht die Praxis einer Radiomoderatorin, mit bestimmten Gesprächspartnern und für bestimmte Aufgaben der Moderation gezielt Sprachstile einzusetzen, etwa fachsprachliche Mittel im Gespräch mit Experten, Dialektnähe im Gespräch mit Betroffenen. Schwitalla, 1993 beschreibt den Wandel journalistischer Textsorten als Folge des A.D. Roeh, 1982 untersucht die Rückwirkung von A.D. auf Inhalte journalistischer Nachrichten. <?page no="151"?> 152 C|2.4|? a Aufsatz M UHR : Sprachwandel durch Satellitenfernsehen Im Aufsatz „Language change via satellite. The influence of German television broadcasting on Austrian German“ beschreibt Rudolf Muhr den Wandel des Österreichischen durch das Satellitenfernsehen. Seine Befunde sieht er als konkretes Beispiel für einen allgemeinen Zusammenhang: Technikentwicklung prägt den Medienwandel und schließlich den Sprachwandel (_1) . Zeichnen Sie nach, warum und wie gemäß Muhr das Deutsche aufgrund des Satellitenfernsehens ins Österreichische einfließt. Nennen Sie Ihre Vermutungen zum Befund Muhrs, dass sich zuerst die gesprochene Sprache wandelt, dann die geschriebene. In this article, evidence has been presented that […] satellite television broadcasting […] is creating an intensified situation of language contact that is resulting in accelerated language shift on the part of a smaller national variety of German, Austrian German [AG], in the direction of a dominant national variety, German German [GG]. As such, it supports the sociolinguistic principle that contact leads to convergence […], and adds to the literature an illustration of how a mass medium can create new kinds of contact situations. The process involved in the AG case involves several key components. First, a new communication technology (in this case, a broadcast technology that diffuses news but also entertainment) is introduced into a situation of relatively stable contact based on geographical proximity, trade relations, and a shared language (German, broadly defined). This technology becomes popular and ubiquitous, such that it makes its way into nearly every home. Reflecting economic and political realities, the new technology disproportionately and asymmetrically communicates norms and practices of a dominant group - in this case, Germans in Germany - to a smaller, regionally-defined group - Austrians. As a result, the exposure of Austrian German speakers to German German has increased significantly in a relatively short period of time. Austrians have now become well acquainted with German German and do not consider this variety as particularly foreign to them. Austrian speakers gradually adopt more and more GG words and expressions, incorporating them first into their speech (especially in colloquial usage), and then into the written language. _1 Aufsatz M UHR , Schluss. Quelle: Muhr, 2003, 123 <?page no="152"?> 153 C|2.4|? b Fall N ACHRICHTENBLOCK : Sprache für die Zeitung, Sprache fürs Radio Der Redakteur MB des Privatsenders R ADIO 32 stellt seinen ersten Nachrichtenblock des Morgens zusammen (_1, _3) . Den Rohstoff dazu bezieht er vom allgemeinen Dienst einer Nachrichtenagentur. Laut Verbalprotokoll (_2, _4) will er sich beim Redigieren von einer Sprache absetzen, die „für die Zeitung“ geschrieben ist (_2) . Zeigen Sie, welche sprachlichen Merkmale MB ändert. Beschreiben Sie dann, wie MB im Verbalprotokoll die Varianten im Agenturtext mit „Zeitung“ verbindet und die neuen Varianten mit Radio. Zeigen Sie im Verbalprotokoll, welche sprachlichen Normen MB seiner Einschätzung hinterlegt. Nennen und begründen Sie schließlich Ihre Einschätzung, ob die alte oder die neue Variante besser zu Radionachrichten passt. Der Neuenburger FDP- 12 { 13 [ | 13 ] 13 | 14 } 12 Nationalrat Claude Frey 14 {gestern} 14 | 15 15 [hat am Donnerstag] 15 | 16 abend im West 16 {-} 16 | 17 schweizer 17 { 18 [ | 18 ] 18 | 19 } 17 Fernsehen sein Interesse an einer Kandidatur _1 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Revision 15 und Umfeld. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600… Nehme den <Donnerstag abend> raus, weil es ist mehr für die Zeitungen geschrieben, mache aus <Donnerstag> <gestern>, weil das ist für die Zeitung geschrieben. _2 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Protokoll zu Revision 15. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600… Raum 168 {-} 168 | 169 fahrt 169 {-} 169 | 170 kreisen. Glenn wurde berühmt, 170 { 171 [ | 171 ] 171 | 172 } 170 als er 172 [am 20. Februar ] 172 | 173 1962 als erster US-Astronaut 173 [mit der Raumkapsel «Mercury Friendship-7» di] 173 | 174 174 {di} 174 | 175 e Erde umrundete. _3 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Revision 172 und Umfeld. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600… Da sind die <Raumfahrtkreisen>, werden auch aufgeschlüsselt, und ich erkläre noch einmal wegen 1962- 20. Februar, dass es genau dort ist, nimmt mir wieder Platz und gibt sehr viel Informationen, die es sehr anstrengend machen zum Hören, deshalb kommen sie weg, ebenfalls, wie diese Raumkapsel heißt. Ist für die Zeitung sehr gut, aber für uns muss eine Meldung einfach gemacht sein. (R32.172) _4 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Protokoll zu Revision 172. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600… <?page no="153"?> 154 C|2.4|? c Fall V ALS : Jurist und Verkäufer Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 zeigt einen Beitrag über die Bündner Gemeinde Vals, die eine Schritttempo-Regelung eingeführt hat, ohne die vorgesetzte Behörde zu fragen. Im Beitrag treten zwei Textakteure auf. Den ersten (_1, A1) beschreibt ein Videoeinblender als „Giusep Quinter Tiefbauamt Chur“, den zweiten (_1, A2) als „Peter Schmid Marketing Vals“. Beschreiben Sie zuerst Ihre Klischees: Wie spricht ein Jurist und wie ein Verkäufer? Dann vergleichen Sie die Äußerungen der beiden Textakteure (A1, A2) : Zeigen Sie, in welchen Merkmalen sich die Äußerungen unterscheiden, und beschreiben Sie kurz die beiden Sprachen. Nutzen Sie dazu die Begriffe der Varietät und des Stils. Untersuchen Sie nun auch den Offtext vor den Auftritten der beiden Textakteure (_1, O) . Formulieren und begründen Sie schließlich eine Alternative für die Äußerung des Juristen: Wie hätte Herr Quinter die Rolle vorteilhafter nutzen können, die ihm das Fernsehteam zugewiesen hat? O Dieser Mann, zuständig für die Bewilligung von Reklame im Straßenbereich, schrieb den unbotmäßigen Valsern einen Brief, in dem es von Paragraphen nur so wimmelte, denn das Transparent widerspricht allen möglichen Gesetzen. A1 Gemäß äh den Rahmenbedingungen, die wir kennen im Kanton Graubünden äh, die klar sind äh, sind nur Transparente für Anlässe, also das heißt für Sportanlässe, für äh kulturelle Anlässe und für äh gemeinnützige Anlässekann man die über die Straße spannen, und sonstige Transparente nicht. O Weil die Valser sich weigerten, die widerrechtlich angebrachten Reklametransparente abzuhängen, ließ der Kanton sie letzte Woche selber entfernen, auf Kosten der Valser. Das weckte ihren Kampfgeist. A2 Wir werden sicher nicht teure Prozesse führen gegen den Kanton, aber wir haben die Kraft zum Kämpfen, und wir werden sicher nicht aufgeben, und ich bin ganz sicher, dass äh wir auch in Zukunft Schritttempo haben werden in unserem Tal. _1 Fall V ALS , Offtext und übersetzte Statements. Quelle: sf_zvz_030122_2150_vals_rahmen <?page no="154"?> 155 C|2.4|? d Fall V ALS : Ironie im Off Was ist Ironie? Zeigen Sie es am Beispiel des Offtext-Ausschnitts (_1) aus dem Fall V ALS . Umreißen Sie das Thema (C|2.4|? c) und die gezeigte Situation und bestimmen Sie die sprachlichen Merkmale ironischen Stils, die Illokutionsindikatoren für sich lustig machen. Überlegen Sie, warum die Redaktion hier diesen Stil wählt, und begründen Sie Ihre Vermutung. 02 O: AUßerhalb der nor ↑ men ist auch DIEses ↓ TRANSpa ↑ RENT . (.) 03 denn für ↑ FREIwilliges schritttem ↑ po 04 gibt es KEI {Laan dr dr Ziit.} ne offizielle be ↑! SCHIL ! derung . 05 X: | 06 O: das transpa ↑ RENT 07 ge ↑ fiel dem ↑ TIEF ↓ bauamt in CHUR ganz_und GAR nicht . (--) 08 die WÄCHter über die kan ↑ TONsstraßen 09 ↑ legten ↑ das VEto ein . (---) 10 ↑ DIEser MANN . (.) 11 ZUständig für die bewilligung von re ↑ KLAme ↓ im ↑ STRAßenbereich - °h 12 ↑ schrieb ↓ den UNbotmäßigen val sern - °h einen BRIEF ? (.) 13 ↑ in dem es von paraGRAphen nur so ↑ WIMmelte . (-) 14 denn das transpa ↑ RENT widerspricht allen ↑! MÖG ! lichen gesetzen . _1 Fall V ALS , Offtext vor Statement des Juristen. Quelle: sf_zvz_030122_2150_vals_rahmen <?page no="155"?> 156 C|2.4|? e Fälle W AHLKAMPF und K OREA : Eigenen Stil wählen Der Nachrichtenredakteur KW und der Journalist JS bringen im Verbalprotokoll Überlegungen zur Sprache, wie der Stil der eigenen Texte sein soll und wie nicht (_1 bis _6) . Wie? - Zeigen Sie, an welchen sprachlichen Mitteln die Autoren arbeiten, mit welchen Stilmerkmalen sie diese Mittel verbinden und welche Sprachnormen welcher Gemeinschaften dabei anklingen. Bisher erhielten südkoreanische Arbeitnehmer eine lebenslange 34 { 35 [B| 35 ] 35 Arbeitsplatz-} 34 | 36 Garantie 36 [auf Beschäftigung ] 36 | 37 in ihre 37 [n] 37 | 38 38 {r} 38 | 39 Firm 39 [en] 39 | 40 40 {a} _1 Fall K OREA , Revision 34 und Umfeld. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea <Eine lebenslange Arbeitsplatzgarantie> statt <Garantie auf Beschäftigung>, das ist ein bisschen Bundesdeutsch, bei uns sagt man eher <Arbeitsplatzgarantie>. _2 Fall K OREA , Protokoll zu Revision 34. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea Für Arbeitslose wird ein Hilfsfonds 41 {im Umfang von etwa } 41 | 42 42 [von fünf Billionen Won (etwa 5,5] 42 | 43 43 {4 45 { } 45 | 46 Milliarde 44 [n| 44 ] 44,46 [ ] 46 | 47 n Franken | 45 } 43 47 [Milliarden Mark) ] 47 | 48 bereitgestellt. _3 Fall K OREA , Revision 47 und Umfeld. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea <Wird bereitgestellt>, man hätte es auch vornehmer sagen können, geäufnet, aber das muss nicht sein. _4 Fall K OREA , Protokoll zu Revision 47. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea 107 {öffentlich } 107 | 108 als 108 [Anpasser| 87 | 92 ] 108 | 109 109 {zu w 110 [iech| 110 ] 110 eich } 109 | 111 an 123 {ge} 123 | 124 pranger 124 [te] 124 | 125 131 {t} 131 _5 Fall W AHLKAMPF , Revision 86 und Umfeld. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 Da studiere ich jetzt einfach, wie ich das sagen soll, weil eigentlich auf Deutsch sagt man: Er hat sie zusammengeschissen. Aber das ist noch schwierig, das so zu sagen. So mit zusammengestaucht, aber … _6 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 86. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 <?page no="156"?> 157 C|2.4|? f Aufsatz O’C ONNELL : Frauen und Männer im Gespräch Im Aufsatz „Dialogicality in TV news interviews“ untersuchen Daniel C. O’Connell, Sabine Kowal und Edward J. Dill die Gesprächssteuerung in acht Fernsehinterviews. Dabei stellen sie fest, dass Frauen andere sprachliche Mittel einsetzen als Männer. Wie O’Connell et al. schreiben, sind Befunde aus acht Gesprächen nicht repräsentativ. Immerhin aber ließen ihre Befunde vermuten, Frauen und Männer könnten doch unterschiedliche Gesprächsverhalten haben - eine Sicht, die in den Siebzigerjahren stark vertreten war, in den Neunzigern dann eher abgelehnt worden ist (_1) . Nennen Sie die Unterschiede von weiblichem und männlichem Gesprächsverhalten, die O’Connell et al. feststellen. Zeigen Sie dann, wie Sie die Äußerung „even in the public setting“ (_1) verstehen. Umreißen Sie schließlich, wem solche medienlinguistische Forschung nützt. The present research was not planned with a view to comparing women and men. Hence the following noninferential reflections are merely suggestive of possible relationships to be further investigated. There was only one woman interviewer and there were only three men interviewees, and the number of syllables spoken by women was 64% of the total number of syllables (27,494/ 42,641). Nonetheless, a number of orality markers manifested an imbalance between women and men. Among the interviewees only, women used back channeling more often than men (20 > 1); B. Clinton was the only male interviewee who used back channeling (1) at all. Across all speakers, men interrupted more frequently (27 > 5), and most of the time interrupted women […]. And women used interjections more frequently (30 > 5); M. Thatcher was the only woman who used no interjections at all. Finally, women used more tag questions (57 > 2); M. Bashir was the only man who used tag questions (2) […]. Back channeling, interruption, interjections, and tag questions have been important response measures in studies of gender in conversation from the very first efforts to characterize women’s speech […]. Later research, however, has emphasized the inconclusiveness of some of these results […]. Our results suggest that, even in the public setting of TV news interviews there are clear women/ men differences in the use of these orality markers. _1 Aufsatz O’C ONNELL , Schluss. Quelle: O’Connell, et al., 2004, 203 <?page no="157"?> 158 C|3 Die Strukturperspektive der Medienlinguistik Die nächsten vier Kapitel gelten der Strukturperspektive der Medienlinguistik. Sie erschließen vier medienlinguistische Zugänge, die sich unterscheiden nach der Körnung sprachlicher Struktur: • bedeutungsunterscheidend (C|3.1) , • bedeutungstragend (C|3.2) , • aussagetragend (C|3.3) und • sinntragend (C|3.4) . Aus der Strukturperspektive betrachtet, wird journalistische Textproduktion mit jedem Bezugsrahmen komplexer. • Sprache verbindet kleinste bedeutungsunterscheidende Einheiten: Laut-, Schrift- oder Gebärdenzeichen, die der Mensch mit seinen Werkzeugen so erzeugen und mitteilen kann, dass sie sich in seiner Wahrnehmung systematisch unterscheiden. Publizistische Kommunikation ist technisch vermittelt und auf die technisch vermittelbaren Zeichen beschränkt - die für alles, bei allen und auf Anhieb funktionieren sollten (C|3.1) . • Aus bedeutungsunterscheidenden Einheiten setzt Sprache bedeutungstragende Einheiten zusammen: sprachliche Zeichen, die für bestimmte Weltausschnitte stehen. Publizistische Medien bilden und wählen sprachliche Zeichen, die zu ihren Produktions- und Marktbedingungen passen: zum Beispiel kurze Wörter für Titel, griffige für Neues, auffällige für Kampagnen - oder gewohnte Wörter, dem Publikum vertraut (C|3.2) . • In ihrer Bedeutung bilden sprachliche Zeichen Querverbindungen, sie stehen für Netze und Hierarchien von Gedanken. Dargestellt aber, ob gesprochen, geschrieben oder gebärdet, wird Sprache linear, ein Zeichen ums andere, als Abfolge linearer Aussagen über die Welt. Publizistische Kommunikation versprachlicht die Aussagen dicht und portioniert, passend zu Produkterastern und zugeschnitten auf Zielgruppen (C|3.3) . • Schließlich bilden die Aussagen sinntragende Einheiten: Texte, die ein bestimmtes Thema behandeln und bestimmte Handlungsabsichten verkörpern. Für wiederkehrende Themen und Absichten in wiederkehrenden Kommunikationssituationen schleifen sich Muster ein, Textsorten. Die publizistische Kommunikation nutzt solche Muster - und bricht sie in Marktstreben und Medienwandel laufend wieder auf (C|3.4) . <?page no="158"?> 159 C|3.1 Lautebene: Spontan wirken vs. Nutzer führen Zurück zum Fall R ISIKEN (C|2.4) . Für den Computer besteht die Nachricht über die EU-Delegation aus Nullen und Einsen; in diesem Binärcode lädt er sie aus dem Internet, verarbeitet sie und speichert sie ab (_1) : 01000101 01010101 00101101 01000100 01100101 01101100 01100101 01100111 01100001 01110100 01101001 01101111 01101110 00100000 01101001 01101110 00100000 01001110 01100001 01101000 01100101 01101110 00100000 […] _1 „EU-Delegation in Nahen […]“ im Binärcode. Quelle: ta_online_020404_1046_update Für die Darstellung am Bildschirm übertragen Computerprogramme den Binärcode aus Nullen und Einsen in Alphabetschrift (_2) . EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen¶ Die Europäische Union hat eine ranghohe Delegation in den Nahen Osten entsendet, um die Kriegsparteien zur Waffenruhe zu bewegen. […] _2 Titel und Textanfang in Alphabetschrift. Quelle: ta_online_020404_1046_update Wer mit journalistischen Textsorten vertraut ist, erkennt jetzt die abgesetzte erste Zeile ohne Satzzeichen als Titel, den Rest als Anfang des Textkörpers. So gebaut sind oft auch gesprochene Nachrichten. In der gesprochenen Sprache gibt es aber keinen Zeilenumbruch und keine Satzzeichen, nicht einmal klare Grenzen zwischen den Lauten. Dennoch funktioniert gesprochene Sprache, auch für komplexe Äußerungen wie Nachrichtentexte. Wie, untersuchen Phonetik und Phonologie (_3) . Phonetik: linguistische Teildisziplin, die sich befasst mit der Bildung, der akustischen Gestalt und der Wahrnehmung von Sprachlauten als physikalischen Ereignissen. Phonologie: linguistische Teildisziplin, die sich befasst mit der Funktion der Laute in einer bestimmten Sprache. _3 Handke, 2000 führt in Phonetik und Phonologie ein. Pompino-Marschall, 1995 oder Hardcastle & Laver, 1999 geben Überblicke zur Phonetik; Goldsmith, 1996 oder Bernhardt & Stemberger, 1998 zur Phonologie. Aus diesen Blickwinkeln fragt die Linguistik zum Beispiel, wie sich standardsprachliche Varietäten im Klang unterscheiden (C|3.1.1) ; die Medienpraxis fragt nach Strategien, Nachrichten beim Sprechen zu gliedern und ernsthaft und vertrauenswürdig klingen zu lassen (C|3.1.2) . <?page no="159"?> 160 C|3.1.1 Theoriegeleitete Fragestellung Phonetik und Phonologie erforschen unter anderem, wie sich Varietäten einer Sprache im Klang voneinander unterscheiden. Dabei interessieren die einzelnen Laute (_1) und ihre Artikulation (_2) , aber auch der lautübergreifende Sprachklang, die Prosodie (_3) . Untersuchungen von Standardvarietäten basieren oft auf Äußerungen von Nachrichtensprechern. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Phon: materieller Sprachlaut, den eine Sprecherin in einer konkreten Situation artikuliert. Phonem: kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer natürlichen Sprache. _1 Dem Phon der gesprochenen Sprache entspricht das Graph der geschriebenen Sprache, dem Phonem das Graphem. Ändert sich in einem Wort ein Phonem oder ein Graphem, ändert sich die Bedeutung des Worts, etwa von ost zu ort. Phoneme und Grapheme sind Typen, abstrakte Vorstellungen; hör- oder sichtbar werden sie stets als einmalige Exemplare, als Phone und Graphe. Kohrt, 1985 arbeitet zur Geschichte der Begriffe Phonem und Graphem. Esser, 2006 beleuchtet das Verhältnis der gesprochenen und geschriebenen Zeichen sowie „presentation modes“ von Sprache; ähnlich Lenders, 2001, mit dem Brennpunkt digitale Medien. Artikulation: Gesamtheit der Tätigkeiten der Sprechwerkzeuge beim Erzeugen von Lautsprache. _2 Die natürliche Einheit der A. ist die Silbe; man artikuliert eher Silben als Einzellaute. Borucki, 1988 und Browman & Goldstein, 1992 führen ein in A. Levelt, 1989 untersucht den Weg von der Sprechabsicht bis zur A. Hollmach, 1999 erforscht die A. von p, t und k in standardsprachlichen Nachrichten und Gesprächen. Heinemann & Sieber, 2002 beschreiben den Zweck der „Aussprachedatenbank“ der ARD - ein Verzeichnis derjenigen A.-varianten strittiger Wörter, die der Rundfunkanbieter seinen Sprecherinnen und Sprechern empfiehlt oder vorschreibt. Prosodie: Gesamtheit von sprachlichen Klangmerkmalen, die über ein einzelnes Phonem hinausgreifen. _3 Prosodische Merkmale bestehen aus je typischen Ausprägungen der physikalischen Merkmale Tonstärke, Tonhöhe und Tondauer, beziehen sich auf einzelne Laute und ganze Lautfolgen und prägen die Funktion gesprochener Sprache mit. Crystal, 1974 erkennt früh die „paralinguistics“ und damit die P. als wichtigen Gegenstand der Linguistik. Linke, Ortner, & Portmann-Tselikas, 2003 fordern eine umfassende linguistische Sicht auf Sprache, die auch Oberfläche „emotionaler oder physischer Zustände“ sowie „regionaler, schicht- und gruppenspezifischer Identität“ sein kann - was sich stark in der P. zeigt. Neuber, 2002 untersucht die Funktion der P. in gesprochener Sprache; Selting, 1995 die P. im Gespräch; Féry, 2006 „laute und leise“ P.; Gilles, 2005 regionale Unterschiede der P. im Deutschen. Ulbrich, 2003a erforscht im Experiment mit Nachrichtensprechern Unterschiede der P. in der deutschen, österreichischen und schweizerischen Standardvarietät; Apel, 2009 den Einfluss der P. auf „Behalten und Verstehen von Hörfunknachrichten“. <?page no="160"?> 161 C|3.1.2 Praxisgeleitete Fragestellung Schriftmedien strukturieren ihre Beiträge mit grafischen Mitteln, Hörmedien mit Klang - auch dem Klang der gesprochenen Sprache (C|3.1.1) . Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, wie dies gelingt. Wie etwa spricht man Nachrichten gut (_1) , und besonders: Wie phrasiert man erfolgreich (_2) , wie zeigt man Sinngliederung mit Prosodie? - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Sprechen: sprachliche Tätigkeit, bei der eine Vertreterin oder ein Vertreter eines Rundfunkanbieters einen spontan formulierten oder vorbereiteten Text bewusst als Teil eines Medienprogramms artikuliert. _1 Bell, 1982 und Bell, 1991 zeigen Unterschiede im gesprochenen Englisch der Nachrichten von sechs neuseeländischen Radiosendern. Die Sender sprechen Publika unterschiedlicher sozialer Schichten an, indem sie passende sprachliche Mittel wählen. Je tiefer etwa der Status des Zielpublikums ist, desto häufiger sind Verschleifungen in der Artikulation, etwa isn’t statt is not. Schubert & Sendlmeier, 2005 erörtern die Klangmerkmale von Nachrichtensprache, die von Testpublika in Hörproben positiv bewertet wird. Wittlinger & Sendlmeier, 2005 untersuchen Hörproben erfolgreicher Frauen - führender Managerinnen, Nachrichtensprecherinnen und Moderatorinnen von Politikmagazinen. Die Studie zeigt ein Dilemma auf: Sympathisch wirken Frauen, wenn sie mit hoher Stimme sprechen; kompetent aber mit tiefer Stimme. Jackob, Petersen, & Roesing, 2008 untersuchen experimentell, wie Prosodie und Körpersprache die Überzeugungskraft einer politischen Rede beeinflussen, und stellen fest, dass der „Inhalt“ für die wahrgenommene Überzeugungskraft und Wirkung wichtiger ist als Prosodie und Körpersprache. Tietge, 2009 untersucht den Einfluss von „Textvorlage und Stichwortzettel“ auf das S. von Radionachrichten. Phrasieren: sprachliche Tätigkeit, bei der eine Sprecherin, ein Sprecher die Sinnstruktur einer Äußerung mit prosodischen Mitteln hervorhebt. _2 B. Hayes, 1995 und Vogel & Vijver, 2008 untersuchen den Rhythmus gesprochener Sprache; Janker, 1995 den Sprechrhythmus als Mittel zum P. Féry, 2006 erforscht P. als Zusammenhang von Prosodie, Satzbau und Verstehen. Ford & Thompson, 1996 erforschen P. und Sprecherwechsel in Gesprächen; Mayer, 1997 P. und Bedeutung; Hirschberg, 2003 P. und Sinn. Bergner & Lenhart, 2005 analysieren das Klanggeschehen in Hörfunknachrichten eines öffentlichen und eines privaten Senders mit ähnlichem Zielpublikum. Bei beiden Sendern nutzen die Sprecher, unabhängig voneinander, ähnliche prosodische Mittel zur Gestaltung von „Sinnschritt“ und „sprecherischen Gliederungseinheiten“, also zum P. Dies wirft die Frage auf, ob es Regelhaftigkeiten des P. von Rundfunknachrichten gibt. Marx, 2005 diskutiert den Zweck einer „präskriptiven Notation“ für Hörfunknachrichten: Schriftliche Hinweise zur prosodischen Gestaltung sollen es erleichtern, Nachrichtentexte möglichst verständlich zu sprechen - so, dass man die Sinnstruktur und damit den Sinn leichter versteht. <?page no="161"?> 162 C|3.1|? a Aufsatz S CHUBERT : Nachrichten gut sprechen Im Aufsatz „Was kennzeichnet gute Nachrichtensprache im Hörfunk? Eine perzeptive und akustische Analyse von Stimme und Sprechweise“ untersuchen Antje Schubert und Walter Sendlmeier, was Hörerinnen und Hörer unter gut gesprochenen Radionachrichten verstehen. Die Forscher vermaßen Hörproben aus Nachrichtensendungen akustisch, Testpersonen schätzten die gleichen Hörproben subjektiv ein. Daraus ließ sich ableiten, welche Merkmale zu welchen Einschätzungen führen (_1) . Fassen Sie das hier skizzierte Profil der gut gesprochenen Radionachricht zusammen. Formulieren Sie Ihre Anschlussfragen an die Studie. Die Hörer haben klare und nahezu konforme Erwartungen hinsichtlich der stimmlichen und sprecherischen Eigenschaften eines guten Nachrichtensprechers. […] Eine deutliche Aussprache und eine wohlklingende Stimme stellen essentielle Determinanten für das Zustandekommen einer positiven Sprechwirkung dar. Des Weiteren sollte ein Nachrichtensprecher vor allem sympathisch, angenehm, angemessen sachlich und natürlich wirken. […] Die Hörer bevorzugen Nachrichtensprecher mit einer etwas tieferen Stimme. Tendenziell wiesen die untersuchten Sprecher tiefere Sprechstimmlagen auf als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. […] [Betonungen] werden von den Sprechern vorrangig durch Dehnung der Silben in Verbindung mit geringen Tonhöhenanstiegen bzw. -abfällen realisiert. Übermäßige Längungen sowie ausgeprägte melodische Akzente fallen negativ auf. Die Hörer präferieren eine etwas langsamere Sprechgeschwindigkeit. […] Es zeichnet sich […] die Tendenz ab, dass für Nachrichtensprecher ein Sprechtempo von mehr als 350 Silben pro Minute als zu schnell beurteilt wird. […] Die Wahrnehmung der Sprechgeschwindigkeit wird auch von der Pausensetzung der Nachrichtensprecher determiniert. Ein zu hoher Pausenzeitanteil, gemessen an der Gesamtlänge der Meldung, korreliert mit einer langsameren wahrgenommenen Sprechgeschwindigkeit und führt unter Umständen zu einem „schleppenden“ Höreindruck. Ein geringer Pausenzeitanteil steht dagegen in Verbindung mit Eigenschaften wie schnell, drängend, lebhaft, abwechslungsreich und jung. _1 Aufsatz S CHUBERT , Schluss. Quelle: Schubert & Sendlmeier, 2005, 62 ff. <?page no="162"?> 163 C|3.1|? b Fall K OREA : Absätze als Prosodiezeichen Der Radioredakteur KW stellt seine Nachrichten her, indem er Agenturmeldungen kürzt, ergänzt, umformuliert - und umformatiert: Er fügt Zeilenumbrüche ein und zerlegt damit den Text in kleine Absätze (_1) . Diese Absätze sind hier als Revisionen in S-Notation sichtbar (Revisionen 17, 24, 25) , während die anderen Revisionen ausgefiltert sind. Suchen Sie nach Regelhaftigkeiten für die Absätze und Zeilenumbrüche, zuerst im geschriebenen Text, dann aber auch im gesprochenen Beitrag (_2) . In Südkorea haben sich Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften darauf geeinigt, dass Entlassungen leichter möglich werden. 17 { } 17 Unternehmen , die sich in einer wirtschaftlichen Zwangslage befinden, können in Zukunft Mitarbeiter unter bestimmten Umständen entlassen oder anders eingesetzt werden. 24 { } 24 Bisher erhielten südkoreanische Arbeitnehmer eine lebenslange Arbeitsplatz-Garantie in ihrer Firma. 25 { } 25 Für Arbeitslose wird ein Hilfsfonds im Umfang von etwa 4 Milliarden Franken bereitgestellt. Nach den zahlreichen Konkursen von Banken und Unternehmen in Südkorea werden in diesem Jahr möglicherweise rund eine Million Koreaner ihren Arbeitsplatz verlieren. _1 Fall K OREA , Revisionen 17, 24 und 25. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea 03 dass ent ↑ LASsungen leichter ↑ MÖGlich werden . °h 08 oder ↑ anders ↑ EINsetzen . °h 11 in ihrer ↑ FIRma . °h _2 Fall K OREA , Zeilen aus dem Beitragsinnern. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea <?page no="163"?> 164 C|3.1|? c Fall F LUGHAFEN : Phrasierung zeigt Themenkomplexe Eine Sprecherin kann sämtliche prosodischen Merkmale dazu nutzen, eine komplexe sprachliche Einheit hörbar in Sinneinheiten zu gliedern, zu phrasieren (_1) . Beschreiben Sie zuerst den Tonhöhenverlauf, die Intonation des Ausschnitts - ob die Tonhöhe gegen das Ende der komplexen Einheit hin gehalten wird wie bei „MIDfield - ” (Zeile 03) , abfällt wie bei „SOLL . “ (04) oder ansteigt wie bei „LEER ? “ (05) . Fassen Sie dann zusammen, was an den Enden der Wortgruppen und Teilsätze geschieht und was an den Enden komplexer Sätze. Beschreiben Sie sämtliche prosodischen Mittel, mit denen die Sprecherin die folgenden Sinneinheiten anzeigt: eine Aussage zum Dock Midfield (Zeilen 01-03) , Aussagen zum Namen (04) und zur Vorgeschichte (05) , gefolgt von einer Begründung (06-07) , in der eine Zeitangabe als Einschub gesetzt ist (07) . 01 M: °h ↑ JUNG : : FRÄUlich steht_es_ 02 [+E: Dock E] am zürcher ↑ FLUGhafen - 03 das ↓ dock ↑ MIDfield - (-) 04 ↑ das <<len> NEU den namen dock ↑ E TRAgen SOLL .> °h 05 der VORzeigebau stand bisher LEER ? 06 weil das geSCHÄFT mit dem FLIEgen ? °h 07 nach dem elften septemBER ? (.) eingebrochen war . (--) °h _1 Fall F LUGHAFEN , Anmoderation. Quelle: sf_zvz_030121_2150_flughafen_anfang <?page no="164"?> 165 C|3.1|? d Fall K OLCHOSE : Hörbar eingeschoben Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 zeigt einen Beitrag über die Modernisierung russischer Landwirtschaftsbetriebe (_1) . Eine Wissenschaftlerin erklärt einen geschichtlichen Zusammenhang (Zeilen 06 ff.) , ihre Äußerung wird im Voiceover übersetzt (09 ff.). Vorher aber stellt der Offtext die Wissenschaftlerin vor (01-05) - in einem Satz mit längerem Einschub (02-03) . Beschreiben Sie die prosodischen Mittel, die diesen Einschub hörbar als Einschub kennzeichnen. Zeigen Sie Unterschiede zum Einschub im Fall D OSIERUNG (C|3.1|? e) . 01 O: für jevGEnia seroVA ? °h 02 LANDwirtschaftsexpertin 03 am renommierten MOSkauer GAIda instiTUT ? °h 04 ↑ liegen die URsachen der LANDwirtschaftsmisere_ 05 in der verGANGenheit . 06 A: m : : dramati ↑ ceskoe poLOzenie 07 [+E: 10 vor 10 News Jevgenia Serova Landwirtschaftsexpertin] 08 ↑ NIkoim obrazom 09 V: die draMAtische LAge in unseren Ehemaligen kol ↑ CHOsen ? °h (.) 10 ist vor_ ↑ allem eine [-E] FOLge 11 unserer ! RIE : ! sigen überflüssigen LANDwirtschaft 12 aus so ↑ VJETzeiten . °h _1 Fall K OLCHOSE , Stelle im Beitragsinnern. Quelle: sf_zvz_021218_2150_kolchose_voiceover1 <?page no="165"?> 166 C|3.1|? e Fall D OSIERUNG : Kontrollverlust Die T AGESSCHAU zeigt einen Beitrag zum Nachspiel einer Geiselnahme: Zur Befreiung der Geiseln war Gas eingesetzt worden; dieses Gas lähmte zwar die Geiselnehmer, vergiftete aber auch viele Geiseln. Ein Schweizer Experte beurteilt nun im Statement diesen Gaseinsatz (_1) . Zeigen Sie sprachliche und vor allem prosodische Merkmale, die Sie als Anzeichen für die Verfassung und die Emotionen des Sprechers deuten. Denken Sie dann die Erklärung des Experten logisch durch: Wie passen „Dosierung“ (Zeile 01) , „großen Raum“ (03) und „Ventilationssystem“ (06) physikalisch zusammen, und welchen Zusammenhang konstruiert hier der Experte? Ersetzen Sie dazu probehalber „Dosierung“ durch Verteilung - was ändert sich? Präsentieren Sie ein Statement zum hier erklärten Sachverhalt, das Ihren Ansprüchen an Inhalt und Form gerecht wird und das ebenfalls nur 12 Sekunden dauert. Versetzen Sie sich in die Rolle der Aufnahmeleiterin und nennen Sie Gründe dafür, dieses Statement so in den Beitrag einzubauen und auszustrahlen, es wiederholen zu lassen, die Erklärung als grafisch unterstütztes Erklärstück in den Beitrag einzubauen und auf das Statement zu verzichten. 01 A: die (.) äh do ↑! SIE ! rung (---) 02 [+E: Tagesschau Bernhard Brunner AC-Labor Spiez] 03 in : (.) einen SOLchen großen RAUM - 04 <<all> wo tausend leute PLATZ haben - 05 die_ist natürlich > ! ÄU ! ß [-E] erst SCHWIErig . 06 das über das ventilatiONsSystem - °h 07 ä : h (.) ä : h bel zu be' be ↑ WERKstelligen . _1 Fall D OSIERUNG , Statement. Quelle: sf_ts_021027_1930_dosierung_statement <?page no="166"?> 167 C|3.2 Wortebene: Wortschatz beschränken vs. Schlagwörter setzen Zurück zum Fall R ISIKEN (C|3.1) . Im Internet zu lesen ist der Titel (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Titel. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Dieser Titel besteht aus Wörtern, sechs Wörtern. Oder fünf, oder vier? - Im Deutschen kann man Wörter aus Wörtern bauen, leichter als in vielen anderen Sprachen. Mit diesem produktiven Werkzeug, der Komposition, wird zum Beispiel ein Problem im Nahen Osten zum Nahost-Problem oder zum Nahostproblem; von 22 Zeichen bleiben 13. Dabei fallen einmal im und zweimal -en weg, ein ganzes Wort und zwei Wortteile. Der Verlust wiegt unterschiedlich schwer: Mit -en verschwindet hier kaum Information, Nahost und Nahen Osten bedeuten dasselbe. Das Wort im aber benennt die Beziehung zwischen dem Problem und dem Nahen Osten; dem Nahostproblem sieht man nicht mehr an, ob der Nahe Osten ein Problem hat - oder ob er für irgendjemanden eines ist. Einen solchen Verdichtungsprozess hat die „EU-Delegation“ hinter sich. Die Bezeichnung von der Europäischen Union eingesetzte Delegation ist in der Zeichenzahl um 74 Prozent geschrumpft zur EU-Delegation. Dieser gekürzten Bezeichnung ist nicht mehr anzusehen, ob die Delegation aus Mitgliedern der EU besteht oder ob die EU ihr Thema ist: Ohne den Satzzusammenhang könnte eine EU-Delegation auch im Auftrag des Nahen Ostens stehen und sich mit der EU beschäftigen. - Mit solchen Fragen zum Wortbau befasst sich die Morphologie (_2) . Morphologie: linguistische Teildisziplin, die sich befasst mit dem Aufbau, der Veränderung und der Verknüpfung von Wörtern. _2 Bauer, 2003 führt in die M. ein. Reisigl, 2001 zeigt am Beispiel von inter- und transdisziplinären Analysen zur Wortart Interjektion, dass sich in scheinbar nebensächlichen Wörtern kommunikative und gesellschaftliche Probleme und Lösungen spiegeln. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, wie sich Wörter in der Alltagssprache bilden (C|3.2.1) ; die Medienpraxis fragt nach Strategien, mit Wörtern Distanz zur Quelle zu wahren, die Zielgruppen zu erreichen und am Markt der Schlagzeilen unverwechselbar zu wirken (C|3.2.2) . <?page no="167"?> 168 C|3.2.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Morphologie untersucht unter anderem, wie sich aus Morphemen (_1) und Wörtern (_2) im Sprachgebrauch neue Wörter bilden (_3) und wie sich Wörter ausbreiten, wandeln und erübrigen. Publizistische Medien interessieren dabei aus drei Gründen: Erstens verbreiten sie Wörter an Massen von Benutzern, zweitens erzeugen sie für ihre Bedürfnisse auch selbst neue Wörter, drittens sind in Medienprodukten Wörter ihrer Zeit leicht greifbar für die Forschung. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Morphem: kleinste bedeutungstragende Einheit der Sprache. _1 Lexikalische Morpheme wie nah benennen Weltausschnitte und können allein oder verbunden mit anderen Morphemen ein Wort bilden. Grammatische Morpheme wie -en tragen grammatische Bedeutung und bestimmen damit die grammatische Bedeutung eines Wortes wie nah-en. Lieber & Mugdan, 2000 arbeiten zum Aufbau von Wörtern aus M.; Croft, 2000 zur grammatischen und lexikalischen Bedeutung der M. Wort: „minimal free form“ der Sprache, geschrieben zwischen Lücken. _2 Ein Wort kann aus einem oder mehreren Morphemen bestehen. Jedes Wort in sprachlichen Äußerungen ist eine grammatisch angepasste Form eines Lexems, der grammatisch nicht eingepassten, abstrakten Wortschatzeinheit; aufbrechen ist das Lexem, aufgebrochen ein Wort davon. Bloomfield, 1933 definiert das Wort als „minimal free form“. Fritz, 1993 untersucht den Wortschatz der ersten deutschen Zeitungen im 17. Jahrhundert und beschreibt ihn als „aus den journalistischen Aufgaben und den behandelten Themen ableitbar“; ähnlich Gloning, 1996. Wittwen, 1995 versteht den emotionalisierenden Wortschatz in Fernsehbeiträgen als Indikator für Infotainment, den Mix von Information und Unterhaltung. W. P. Klein, 2000 durchdringt die Vielfalt an Bezeichnungen für Filmgenres in deutschen Programmzeitschriften. Schlobinski & Fiene, 2000 analysieren den Wortschatz in deutschen Fußball-Fanzines. Lemnitzer, 2001 untersucht die Verbindungen von Abtönungspartikeln (ja doch, eben doch, …) in der deutschen Gegenwartssprache, wobei er sich auf Datenkorpora der F RANKFURTER A LLGEMEINEN Z EITUNG und der T AGESZEITUNG stützt. Muhr, 2003 zeigt den Einfluss des deutschen Fernsehens auf den Wortschatz der österreichischen Alltagssprache. Wortbildung: Verfahren, um aus bestehenden Wörtern und Morphemen neue Wörter zu bilden. _3 Frege, 1962 stellt das Kompositionalitätsprinzip vor. Es besagt, dass die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks wie EU-Delegation entsteht aus den Bedeutungen seiner Teile, nach bestimmten Regeln der Sprache. Dabei bleibt die Gesamtbedeutung oft unterbestimmt: Bezeichnet EU die Herkunft oder das Ziel der Delegation? Fleischer, 2000 beschreibt und klassiert Prozesse der W. Bickel & Schmidlin, 2004 stützen sich in ihrem „Wörterbuch der nationalen und regionalen Varianten der deutschen Standardsprache“ stark auf Korpora aus Medientexten. De Knop, 1987 untersucht metaphorische W. in Zeitungsüberschriften. Innerwinkler, 2010 untersucht „sprachliche Innovation“ in politischen Diskursen in Österreich. <?page no="168"?> 169 C|3.2.2 Praxisgeleitete Fragestellung Publizistische Medien wählen, schaffen und verbreiten Wörter, die zu ihren Aufgaben passen (C|3.2.1) . Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, welche Wörter zu welchen Aufgaben passen: Vertraute Formeln entlasten Kommunikation vom Zwang zur Kreativität (_1) ; Augenblicksbildungen können Neues knapp und einprägsam fassen (_2) ; Schlagwörter erregen Aufmerksamkeit, erleichtern ein Wiedererkennen im Diskurs und bewerten verdeckt (_3) . - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Phraseologismus: Kette aus immer gleich aufeinanderfolgenden Wörtern, die als Ganzes eine feste Bedeutung hat. _1 Der P., zum Beispiel grünes Licht geben, bedeutet etwas, was sich nicht aus den Bedeutungen der einzelnen Wörter ergibt. Er unterliegt also nicht dem Kompositionalitätsprinzip (C|3.2.1|_3). H. Burger, 1998 untersucht den P. im Deutschen; Stein, 1995 fragt nach kognitiven und pragmatischen Funktionen „formelhafte[r] Sprache“. Haß-Zumkehr, 1998 erforscht „Formulierungstraditionen“ in der Geschichte der Zeitungsnachricht. H. Burger, 1999a analysiert P. in der Presse; H. Burger, 1999b P. in Fernsehnachrichten; Korhonen, 1994 P. in Sportberichten deutscher und finnischer Tageszeitungen; Skog-Södersved, 2001 P. in den Softnews von B UNTE O NLINE ; Toomar, 2001 P. auf Titelseiten deutscher Zeitungen; H. Burger, 2004 P. in intertextuellen Ketten journalistischer Textproduktion. Augenblicksbildung: Wort, das eine Sprachbenutzerin im Kontext der Kommunikation spontan neu gebildet hat. _2 Die A. kann dazu dienen, Neues zu benennen - oder schon Benanntes neu zu benennen, etwa kürzer oder stilistisch auffälliger. Eine A. kann lexikalisiert werden, also in das Lexikon einer Sprache aufgenommen werden. Herberg & Kinne, 1998 führen ein in A. Mottier, 2009 diskutiert die Schwierigkeit, Wörter zu wählen oder zu bilden, die Klangeindrücke nachvollziehbar benennen. Fazit: „Talking about music is like dancing about architecture.” Sawitzki, 2001 erforscht A. in den Magazinen F OCUS , S TERN und D ER S PIEGEL ; Holly, 2002 in den B RIGITTE -Kolumnen von Elke Heidenreich. Schlagwort: Wort oder Wortfolge, die gebraucht werden, um einen komplexen Sachverhalt in öffentlichen Diskursen eingängig zu benennen. _3 Das S. reduziert Komplexität. Das bedeutet aber auch: Es rückt bestimmte Eigenschaften seines Gegenstandes ins (Schlag-)Licht, während andere Eigenschaften im Dunkeln bleiben. Also bewerten S. ihren Gegenstand, indem sie ihn benennen. Perrin, 2006c unterscheidet das S. vom Slogan, der stärker in der Werbung verhaftet bleibt. Jesensek, 1998 untersucht die Funktion von Augenblicksbildungen als S. in politischen Pressekommentaren. Krieg- Holz, 2005 erforscht Wortneubildungen als S. in Printanzeigen. Garretson, 2007 zeigt, dass auch vermeintlich sachliche Wörter wie to cause Medienbeiträge mit Bewertung aufladen können, weil sie zum Beispiel oft in negativen Zusammenhängen wie to cause disease verwendet werden. Diekmannshenke, 2011 führt ein in „Schlagbilder“, Text-Bild-Komplexe mit S.-charakter. <?page no="169"?> 170 C|3.2|? a Aufsatz H OLLY : Elke Heidenreichs Kunstgriff der Univerbierung Im Aufsatz „Klare und normale Sprache als sozialer Stil. Zu Elke Heidenreichs ‚Brigitte’-Kolumnen“ beschreibt Werner Holly, was einen persönlichen, von anderen unterscheidbaren Stil ausmacht. Dazu untersucht er 121 Kolumnen der Journalistin und Autorin Elke Heidenreich aus der Frauenzeitschrift B RIGITTE . Zu den entscheidenden sprachlichen Mitteln zählen laut Holly Wortbildungen, die Komplexes kurz, verständlich und teilweise entlarvend benennen (_1) . Beschreiben Sie, was Sie unter Hollys Beispielen „treffende[r] Wortbildungen“ und „witziger Neologismen“ verstehen - und warum Sie sie verstehen. Die sprachliche Gestaltung der Texte ist durch mindestens dreierlei Elemente auffällig: 1. die häufige szenische Vergegenwärtigung von Alltagssituationen […]; 2. der ungehemmte Einsatz typisch umgangssprachlich markierter Routineformeln und anderer gesprochensprachlicher Phraseologismen, Interjektionen, Satz-, Abtönungs- und Gesprächspartikeln: na, Sie wissen schon; nichts für ungut; nein, sagen Sie! ; aha; na, sehen Sie! ; ach, daher weht der Wind? ; zack; mach dir nichts draus; los, nimm dich zusammen; wer weiß wie; also gut; aber ja doch, machen wir u.v.a. 3. die Fälle witziger Neologismen: rattenkurz, Kunstledergazelle, Gröl-, Schunkel- und Saufhumor, Fress- und Schenkfest, in-Bratkartoffeln, Wendeforscher, Schnullerindustrie, Tortenpfunde, Schießknaben, übermackert, Rekrutenloch, Mümmelmannessenz, Fresspapst usw. […] [Das sind solche] sehr treffenden Wortbildungen, die mit dem Kunstgriff der Univerbierung komplexe Sachverhalte und Bewertungszusammenhänge aufs stärkste verdichten und in alltäglich verständlichere und zugleich alltäglich gewertete Formulierungen übersetzen; damit bedienen sie nicht nur eine Grundanforderung jedes journalistischen und didaktischen Textes, sie treffen auch im Konflikt von Komplexität und Anschaulichkeit die Entscheidung eindeutig zugunsten der letzteren. Stilistisch gesehen ermöglichen sie die Integration von sonst nur fachsprachlich oder wissenschaftssprachlich zugänglichen Sachverhalten in die Alltagssprache. _1 Aufsatz H OLLY , Schluss. Quelle: Holly, 2002, 376 f. <?page no="170"?> 171 C|3.2|? b Fall R ENTENANSTALT : Von „Kritikstrudel“ und „Rentenanstalt-Etagen“ Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 zeigt einen Beitrag über fragwürdige Geschäfte von Direktoren einer Versicherung - das heißt: von „Konzernleitungsmitglieder[n]“ der „oberen Rentenanstalt-Etagen“ (_1) . Suchen Sie alle Augenblicksbildungen und begründen Sie Ihre Einschätzung. 01 M: °h die ↑ TOPmanager 02 der [+E: Rente(n) Zuspitzung] RENtenan stalt 03 und die ↑! SCHATTEN ! firma ↓ long ↑ term ↓ STRAtegy . °h 04 mit ↑ UNdurchsichtigen investiti ↑ ONsgeschäften - °h 05 ↑ sollen milliONengewinne_ 06 in die ↓ taschen von ↓ sechs ↑ kon ↓ ZERNleintungsmitglieder 07 geflossen sein . (.) °h 08 die angelegen ↑ HEIT (.) weitet sich nun ↑ aus . °h 09 ↑ MIT den ↑ CHEFS der rentenanstalt - °h 10 zieht_es nun auch den ↓ CHEF der FD ↑! P ! in den kriTIKstrudel . °h 11 ge ↓ rold ↑ bührer - °h ↑ kommt wegen seines ver ↓ WAL ↑ tungsratsmandates 12 ↑ parTEIintern unter ↑ BEschuss . (-) °h 13 mit der angeSCHLAgenen GLAUBwürdigkeit 14 der oberen RENtenanstaltetagen - °h _1 Fall R ENTENANSTALT , Anmoderation. Quelle: sf_zvz_021105_2150_rentenanstalt_anmod <?page no="171"?> 172 C|3.2|? c Streiflicht W ORTBILDUNGSPROZESS : Rekursive Verfahren Wortbildung bezeichnet ein ganzes Bündel von Verfahren. Diese Verfahren können rekursiv, mehrmals hintereinander, angewandt werden. Die wichtigsten Wortbildungsverfahren sind im Deutschen die Komposition (_1) und die Derivation (_2) . Bestimmte Medien neigen überdies stark zu Verfahren der Kürzung (_3) . Dazu kommt die Flexion, bei der nicht neue Wörter entstehen, sondern neue Wortformen: konjugierte Verben oder deklinierte Nominalformen. Analysieren Sie den Bau der komplexen Wörter im Fall R ENTENANSTALT (C|3.2|? b) Schritt für Schritt, nach dem Muster von Nahostdelegationen (_4) . Komposition: Verfahren der Wortbildung, bei dem neue Wörter entstehen aus mehreren lexikalischen Morphemen oder Wörtern. _1 Olsen, 2000 zur K. im Überblick. Derivation: Verfahren der Wortbildung, bei dem neue Wörter entstehen aus lexikalischen Morphemen und Affixen. _2 Booij, 2000 zu D. und Flexion im Überblick. Kürzung: Bündel von Verfahren der Wortbildung, bei dem aus Bruchstücken von Wörtern neue Wörter gleicher Bedeutung entstehen. _3 Kreidler, 2000 zur K. im Überblick. Beim clipping fallen Teile komplexer Wörter weg, wie bei Nahen Osten; bei der Abkürzung bleiben bloß die Anfangsbuchstaben oder Anfangssilben der Wörter oder Teilwörter stehen, wie bei Europäische Union. Wortbildung Morpheme Basis {nah} lM {ost} lM {de-} gM {lega} lM {-tion} gM {-en} gM Schritt 1 Komposition > nah-ost Derivation > de-lega- 2 Derivation > de-lega-tion 3 Komposition > nah-ost-de-lega-tion 4 Flexion > nah-ost-de-lega-tion-en _4 Wortbildung als rekursiver Prozess mit grammatischen und lexikalischen Morphemen (gM, lM) <?page no="172"?> 173 C|3.2|? d Fall N ACHRICHTENBLOCK : Wörter (ent)koppeln Der Redakteur MB von R ADIO 32 stellt einen Block von Nachrichten zusammen, die er danach selbst sprechen wird. Eines seiner Revisionsmuster besteht darin, komplexe Wörter wie „Raumfahrtskreisen“ mit Bindestrichen aufzubrechen (_1) . Im Verbalprotokoll nennt MB dieses Revisionsmuster „aufschlüsseln“ (_2) . Warum tut er dies? - Formulieren und begründen Sie Ihre Vermutung dazu. Überprüfen Sie mit der Liste der „aufgeschlüsselten“ Wörter (_3) , was davon im fertigen Beitrag hörbar ist. Raum 168 {-} 168 | 169 fahrt 169 {-} 169 | 170 kreisen. Glenn wurde berühmt, 170 { 171 [ | 171 ] 171 | 172 } 170 als er 172 [am 20. Februar ] 172 | 173 1962 als erster US-Astronaut 173 [mit der Raumkapsel «Mercury Friendship-7» di] 173 | 174 174 {di} 174 | 175 e Erde umrundete. _1 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Revision 172 und Umfeld. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600… Da sind die <Raumfahrtkreisen>, werden auch aufgeschlüsselt, und ich erkläre noch einmal wegen 1962- 20. Februar, dass es genau dort ist, nimmt mir wieder Platz und gibt sehr viel Informationen, die es sehr anstrengend machen zum Hören, deshalb kommen sie weg, ebenfalls, wie diese Raumkapsel heißt. Ist für die Zeitung sehr gut, aber für uns muss eine Meldung einfach gemacht sein. _2 Fall N ACHRICHTENBLOCK , Protokoll zu Revision 172. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600… West 16 {-} 16 | 17 schweizer Inkraft 85 {-} 85 | 86 treten Gross 43 {-} 43 | 44 britannien Süd 93 {-} 93 | 94 osten Namens 44 {-} 44 | 45 listen französisch 95 {-} 95 | 96 sprachigen nachrichten 45 {-} 45 | 46 loser Konten Haus 108 {-} 108 | 109 halte Handels 46 {-} 46 | 47 ministerium Kälte 111 {-} 111 | 112 einbruchs Einzel 55 {-} 55 | 56 personen US-Raum 153 {-} 153 | 154 fahrt 154 {- } 154 | behörde Inkraft 71 {-} 71 | 72 treten zwei 120 {-} 120 | 121 maligem Sanktions 72 {-} 72 | 73 bestimmungen _3 Fall N ACHRICHTENBLOCK , aufgebrochene Wörter. Quelle: r32_nachrichten_980116_0600_diverse <?page no="173"?> 174 C|3.2|? e Fall V ERKEHRSPOLITIK : Mit Wörtern überfordern Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 zeigt eine Kurzmeldung über die Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene. Dazu haben zwei politische Instanzen Vorschläge unterbreitet: der Bundesrat und die Verkehrskommission. Das Parlament nimmt nun diese Vorschläge zur Kenntnis und entscheidet. Dies geschieht in zwei Schritten: Zuerst entscheidet der eine Teil des Parlaments, nämlich der Nationalrat, auch Große Kammer genannt, dann der zweite Teil des Parlaments, der Ständerat, auch Kleine Kammer genannt. Die Begriffe sind in der Meldung vertauscht. Der Nationalrat hat nun entschieden, und zwar so, dass die linkspolitische Seite im Parlament etwas „befürchtet“ (Zeile 06) und die Umweltschutzverbände „entsetzt“ sind (08) und hoffen, der zweite Teil des Parlaments, der Ständerat, entscheide anders als der erste (_1) . Zeigen Sie sprachliche Mittel des Wortbaus, die dazu beitragen, dass man als Laie die Kurzmeldung ohne Einstiegshilfe nicht versteht. Formulieren Sie einen Gegenvorschlag, ebenfalls 14 Sekunden kurz. 01 X: [+E: 10 vor 10 News Gegenvorschlag] 02 O: die KLEIne KAM ↑ mer folgt damit 03 den VORschlägen der verkehrskommissiON ? °h 04 und entscheidet auch 05 ge ↑ gen den ↓ vorschlag des ↑ BUNDESrates . °h 06 die rats ↑ LINke be fürchtet nun 07 eine verÄNderung der verLAgerungspolitik . (.) °h 08 die ↑ UM weltverbände sind entSETZT - (-) 09 ↑ und hoffen auf den ↓ stände [-E] rat - _1 Fall V ERKEHRSPOLITIK , Schluss des Beitrags. Quelle: sf_zvz_021211_2150_verkehrspolitik_kurz <?page no="174"?> 175 C|3.3 Satzebene: Äußerungen portionieren vs. Information verdichten Zurück zum Fall R ISIKEN (C|3.2) . Der Titel der Online-Nachricht ist aufs Nötigste verkürzt - ein typischer Nachrichtentitel (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, Titel. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Dieser Titel könnte auch eine SMS sein; dagegen passt er mit seiner knappen Struktur kaum in den Fließtext einer Medienmitteilung oder in ein Gespräch. Wo nicht mühsam Platz gespart werden muss, sind reichere Strukturen üblich, etwa Eine EU-Delegation ist in den Nahen Osten aufgebrochen. Dieses Beispiel empfinden wohl die meisten Menschen mit deutscher Erstsprache als wohlgeformten Satz, ebenso wie sie die knappe Struktur von oben als verkürzt, aber verständlich einschätzen - und als üblich für journalistische Titel. Die folgende, etwa gleich lange Struktur dagegen würden sie ablehnen: EU-Delegation den Nahen Osten aufgebrochen. Hier fehlt klar das in. Auch nicht akzeptabel erscheint der Titel In Nahen Osten EU-Delegation aufgebrochen - obwohl hier die gleichen Teile ausgelassen sind wie im Originaltitel (_1) und die Reihenfolge der Teile ohne Einsparungen akzeptabel ist: In den Nahen Osten ist eine EU-Delegation aufgebrochen. Warum wirkt die eine Struktur akzeptabel, die andere nicht? Was macht eine Wortfolge zum Satz, und was ist der Satz mehr als eine Folge von Wörtern? - Mit solchen Zusammenhängen von Wörtern in Sätzen befasst sich die Syntax (_2) . Syntax: linguistische Teildisziplin, die sich befasst mit dem Aufbau von Sätzen aus Einheiten und Verknüpfungen. _2 Dürscheid, 2005 beschreibt Grundlagen und Theorien der S. Michel, 2001 untersucht „Zeitungssyntax“ als Schauplatz des Sprachwandels im 19. Jahrhundert. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, wie sich bevorzugte Satzstrukturen im Alltag wandeln (C|3.3.1) ; die Medienpraxis fragt nach Strategien, Informationen leicht verständlich zu portionieren und zugleich platzsparend zu verdichten (C|3.3.2) . <?page no="175"?> 176 C|3.3.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Syntax untersucht unter anderem, was Sätze sind (_1) - etwa, wie Sätze in sich und untereinander verknüpft sind (_2) . Für den Satzbau gibt es Muster; sie wandeln sich mit der Zeit. Die Muster und ihr Wandel lassen sich im journalistischen Sprachgebrauch leicht nachzeichnen. - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Satz: Spracheinheit aus Nominal- und Verbalteil, die abgeschlossen ist in Inhalt, grammatischer Struktur und Intonation. _1 Ein solcher S. antwortet auf die Frage Wer tut was? Der S. Eine EU-Delegation ist in den Nahen Osten aufgebrochen besteht aus dem Nominalteil eine EU-Delegation (wer? ) und dem Rest, dem Verbalteil aus Verb und Ergänzungen (tut was? ). Schlobinski, 1997 arbeitet zum S. im gesprochenen Deutsch; Feilke, 2003 untersucht syntaktische Muster als prägende Merkmale von Textsorten, etwa vereinzelt Gewitter als typisches Muster des Wetterberichts. Brants, et al., 2004 beschreiben die TIGER-Satzbaumdatenbank, einen maschinenlesbaren Korpus von 40 000 S. aus der F RANKFURTER R UNDSCHAU , angelegt für Syntax-Analysen von Gegenwartssprache. Jucker, 1992 analysiert den S.-bau in britischen Tageszeitungen: Die S. sind innerhalb eines Ressorts ähnlicher gebaut als über die Grenzen der Ressorts und Zeitungsredaktionen hinweg. Perrin & Perrin, 1995 stellen die S.-baunormen einer Nachrichtenagentur den Praktiken und Textprodukten dieser Agentur gegenüber. Y.-J. Fang, 2001 belegt, wie politisch unterschiedlich verortete Redaktionen den S.-bau nutzen, um Akteure zu benennen oder zu verschleiern. Werlen, 2000b vergleicht S.-baumuster in Wetterberichten zweier öffentlicher Radioprogramme, die ausgerichtet sind auf unterschiedliche Zielpublika. Schröder, 2001 untersucht Funktionen von S.-anfängen in deutschen Zeitungsnachrichten. D. Krings, 2004 untersucht Einstiegs-S. in deutschen Reportagen und Kommentaren und den Einfluss dieser S. auf Entscheidungen beim Lesen; ähnlich Breton, 2005 für französischsprachige Medienbeiträge. Peck MacDonald, 2005 analysiert Wortwahl und S.-bau sensationalisierender wissenschaftsjournalistischer Beiträge. Konnexion: logische Verknüpfung von Propositionen und Illokutionen innerhalb eines Satzes oder zwischen Sätzen. _2 Die K. verknüpft Bedeutungen und Handlungsabsichten, etwa eine Information über einen Auftrag mit einer Information über ein Auftragsziel: „Die Europäische Union hat eine ranghohe Delegation in den Nahen Osten entsendet, um die Kriegsparteien zur Waffenruhe zu bewegen.“ In sprachlichen Äußerungen kann K. bloß gedacht und gemeint sein - oder aber ausdrücklich benannt, mit Konnektoren zwischen Satzteilen oder Sätzen, hier mit um. Solche Konnektoren benennen etwa koordinative Beziehungen (und), temporale (dann), konditionale (wenn), konklusive (deshalb), finale (um), modale (indem). Fabricius-Hansen, 2000 stellt Formen der K. im Überblick dar. Pasch, 1987 arbeitet zur K. von Illokutionen, von Handlungsabsichten. Redder, 1990, Günthner, 2000 oder Wegener, 2000 erforschen Funktionen einzelner Konnektoren wie aber oder weil. Graefen, 2002 versteht Konnektoren als Spuren des Denkens beim Argumentieren. Cotter, 2003 stellt fest, dass sich die Funktion der Konnektoren and und but in der Zeitungssprache des 20. Jahrhunderts wandelt: In älteren Beiträgen stehen die Konnektoren zwischen Sätzen und benennen die K., in neueren stehen sie auch am Satzanfang, lockern auf und gliedern den Text. <?page no="176"?> 177 C|3.3.2 Praxisgeleitete Fragestellung Publizistische Medien bevorzugen Satzstrukturen, die zu ihren Aufgaben passen (C|3.3.1) : Die Adressaten sollen etwa Wesentliches rasch verstehen können. Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, wie dies gelingt. Lösungsansätze sind Verdichten (_1) und Portionieren (_2) . - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Verdichten: sprachliche Tätigkeit, die darauf abzielt, möglichst viel Information mit möglichst wenigen Zeichen zu vermitteln. _1 Meyer-Hermann & Rieser, 1985 stellen grundlegende Beiträge zu Ellipsen zusammen: zum V. durch Einsparen von Satzbestandteilen, die aus dem Zusammenhang erschließbar sind. Frazier & Cliftion, 2005 untersuchen die kognitive Verarbeitung von Ellipsen; Selting, 1997 die Funktion von Ellipsen in Gesprächen. Stainton, 2008 beschreibt „the pragmatics of non-sentences“ in der Kommunikation. Biber, 2003 erforscht verdichtete Nominalphrasen in Zeitungen. Sandig, 1971 untersucht die „Sprachökonomie im Zeitungsdeutsch“ anhand des V. von Schlagzeilen. Mardh, 1980 forscht zum „headlinese“, den Eigenheiten im V. von Überschriften auf Titelseiten englischer Zeitungen. Kniffka, 1980 arbeitet zu Schlagzeilen und Leadformulierungen in amerikanischen Tageszeitungen; Bell, 1991, 67 f. und 133 f. zum Wegfall von Artikeln in Appositionen des Typs the President Bush. Perrin, 2001b, 83 f. beschreibt das Gegenteil des V.: die journalistische Praxis, sprachliche Äußerungen zu verlängern, bis sie den Raum füllen, der im Layout für einen Titel oder einen Absatz vorgesehen ist. Müller-Lancé, 1998 untersucht die absolute Partizipialkonstruktion in französischen Medien, etwa „Je vais vous poser les dernières questions, chaque bonne réponse valant un point“ (257). Solche Konstruktionen verdichten „viel Information auf engem Raum“ (276). Perrin, 2005a erforscht Strategien, Praktiken und Routinen, mit denen Journalisten Äußerungen ihrer Quellen verdichten. P. B. Schumacher & Avrutin, 2011 zeigen, dass Nachrichtentitel schwerer verständlich sind, wenn Artikel weggelassen werden. Portionieren: sprachliche Tätigkeit zum Gliedern von Äußerungen in kognitiv leicht verarbeitbare Einheiten. _2 P. zielt darauf ab, die Informationen zu vermitteln in überschaubaren Portionen, wobei jede Portion die Erwartung an die nächste Portion erzeugt. Kurz, et al., 2009 fragen in ihrer linguistisch basierten „Stilistik für Journalisten“ nach dem Zusammenhang von Satzbau, Erwartungssteuerung und Mitteilungswert (45-49), beschreiben „Vorzug und Gefahren der prädikativen Klammer“ (51) und zeigen Techniken der „Ausklammerung“ (51), etwa „Sie arbeitete gelegentlich als Dolmetscherin“ statt „Sie übte gelegentlich die Tätigkeit einer Dolmetscherin aus“ (53). Häusermann, 2011, 17-23 vertieft die Arbeitstechnik des P.: Die Technik hilft, unlogisch oder unübersichtlich gebaute komplexe Sätze zu redigieren. Nach dem Redigieren vermitteln die Sätze die Informationen Schritt für Schritt und klar verknüpft. Dressler, 2000 beschreibt ein indexikalisches Prinzip des P. oberhalb der Satzebene: In Kommunikationsangeboten wie zum Beispiel Medienbeiträgen steht meist räumlich und zeitlich nahe beieinander, was inhaltlich zusammengehört. <?page no="177"?> 178 C|3.3|? a Fall R ESOLUTION : Satzbau ins Voiceover übertragen Die T AGESSCHAU zeigt einen Beitrag über eine geplante Waffeninspektion im Irak. Der irakische Botschafter erklärt, was der Irak offiziell von diesem Vorhaben hält (_1) ; seine Erklärung wird im Voiceover übersetzt (Zeilen 03-10) . Untersuchen und beschreiben Sie den Satzbau der deutschen Übersetzung und äußern Sie Ihre Vermutung dazu, warum die Sätze so gebaut sind. 01 X: {SECURITY COUNCIL CONSEIL DE (SECUR)ITE} 02 A: the LETter saying tha : : t - (--) ↑ irak 03 V: der BRIEF [+E: Tagesschau Mohammed al Douri UNO Botschafter Irak] sagt ? 04 dass_i ↑ RAK die ↑! U ↓ NO ! resolution akzepTIERT - 05 trotz ihres ↓ schlech [-E] ten INhalts - (-) 06 wir sind beREIT ? 07 die WAFfeninspektoren zu_empFANGen ? (-) 08 gemäß dem ver ↓ einbarten ↑! ZEIT ! plan . °h 09 sie ↑ können so bald wie MÖGlich ihre ↑! PFLICHT ! TUN ? _ 10 in_überEINstimmung - °h mit dem internationa ↑ len RECHT . 11 A: to see them - (-) perFOrm their DUties ? ((schluckt)) 12 <<acc> in acCORdance with interNAtional law -> (.) 13 as ↑ soon as possible . _1 Fall R ESOLUTION , Statement und Voiceover. Quelle: sf_ts_021113_1930_resolution_statement2 <?page no="178"?> 179 C|3.3|? b Fall R ESOLUTION : Komplexes verneinen, komplexes Verneinen Die T AGESSCHAU zeigt einen Beitrag über geplante Waffeninspektionen im Irak. Der irakische Botschafter sagt, der Irak habe nichts zu fürchten: Der Irak habe in der Vergangenheit keine Massenvernichtungswaffen besessen, besitze in der Gegenwart keine und werde in Zukunft keine besitzen (_1) . Im Voiceover ist dieses dreifache Nein viel knapper gefasst (Zeilen 03-10) . Zu knapp? - Analysieren Sie, ob der Satzbau stimmt, begründen Sie Ihre Einschätzung und formulieren Sie wenn nötig einen Gegenvorschlag, so kurz wie das Original. 01 X: {SECURITY COUNCIL CONSEIL DE (SECUR)ITE} 02 A: WE try to explain ↑! OUR ! 03 V: WI : : R <<acc> ver ↑ suchen_ 04 ↓ im > BRIEF ? UNsere positi ↓ ON zu erklären . °h 05 wir ↑ SAgen - 06 dass i ↑ RAK keine ↑ MASSEN ↓ vernichtungswaffen besitzt ? °h 07 ! JE ! mals besaß ? (-) 08 und ↑ NIE ↓ mals beSITZen wird - (-) °h 09 wir sind ↑ DEShalb ↑ NICHT be ↓ unruhigt ? °h 10 wenn die ! WAF ! feninspektoren_in_unser land zu ↑ rückkehren . 11 A: e e e - BACK (.) en (.) ↑ in the country . _1 Fall R ESOLUTION , Statement und Voiceover. Quelle: sf_ts_021113_1930_resolution_statement1 <?page no="179"?> 180 C|3.3|? c Aufsatz F ANG : Täter verschleiern Im Aufsatz „Reporting the same events? A critical analysis of Chinese print news media texts“ untersucht Yew-Jin Fang, wie zwei politisch unterschiedlich ausgerichtete Zeitungen über die gleichen beiden Ereignisse berichten. Fang arbeitet die sprachlichen Mittel heraus, in denen sich die unterschiedlichen politischen Haltungen niederschlagen (_1) . Ein wichtiges dieser Mittel ist der Satzbau: Sätze können, je nach Bauplan, Akteure benennen oder verschleiern. Wie geschieht das? - Fassen Sie Fangs Argumentation in Ihren Worten zusammen. This article examines the discourse strategies of several Chinese language news reports in two ideologically opposed newspapers, namely mainland China’s official mouthpiece P EOPLE ’ S D AILY , and Taiwan’s KMT (Nationalist Party) newspaper C ENTRAL D AILY N EWS , on two separate controversial events. Two case studies comparing how the P EOPLE ‘ S D AILY and C ENTRAL D AILY N EWS reported the civil unrest in South Africa (22-[2]8 March 1985) and in Argentina (3 1 May-1 June 1989) are presented, critically analysing how various textual elements might be employed for justificatory purposes - in this case, the justification and legitimation of certain foreign policies adopted by the regimes in China and Taiwan. The article investigates how discourse features, such as lexical choices, grammatical elements, headlines and thematic structures, may be varied or manipulated in the construction of a version of political reality written for the two different readerships. […] Previous research on news discourse has shown that the transitivity features of a language can be exploited to downplay or draw attention to the roles of various participants in any given situation. | The analysis here indicates that the P EOPLE ’ S D AILY used mainly transitive sentence structures to describe the relationship of the agent acting upon the patient. In a manner congruent with the labels the P EOPLE ' S D AILY had given to the unrest in South Africa, it explicitly drew attention to the negative role of the authorities and police in the suppression of a righteous cause - the anti-apartheid struggle - through consistent use of transitive sentence structures and by placing the police in the role of the agent. For example, […] “South African police … opened fire, killing ten blacks.” […] In contrast, the C ENTRAL D AILY N EWS did not show a preference for either kind of sentence structures. […] “…clashes again erupted, causing another three blacks to lose their lives.” […] These sentences simply mention people died, but do not tell us how exactly they died or who killed them. _1 Aufsatz F ANG , Abstract (oben) und Beispiel (unten). Quelle: Y.-J. Fang, 2001, 585 und 602 f. <?page no="180"?> 181 C|3.3|? d Fall Z UWANDERUNGSGESETZ : Den Zusammenhang bloß behauptet Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 zeigt eine Kurzmeldung über eine Entscheidung des deutschen Verfassungsgerichts (_1) : Das Gesetz tritt, anders als ursprünglich geplant, nicht in Kraft (Zeilen 01-09) . „Kritisiert wurde jedoch nicht der Inhalt des Gesetzes, sondern das Abstimmungsverfahren“ (10-12) . Warum „jedoch“? - Hinterfragen Sie die Verwendung dieses Worts an dieser Stelle. Beschreiben Sie seine scheinbare und seine tatsächliche Funktion. Arbeiten Sie dazu mit den Begriffen der Proposition und der Konnexion. 01 X: [+E: 10 vor 10 News Zuwanderung] 02 O: da : s : ↑ deutsche ver ↑! FAS ! sungsgericht 03 hat das um ↑ STRITtene neue ZUwanderungsgesetz 04 ↑ für UNgültig erklärt . °h 05 ↓ DAmit ist eines der ↑ wichtigsten reFORMprojekte 06 der ↓ rotgrünen reGIErung 07 vorläufig geSCHEItert . (-) °h 08 das ge ↑ SETZ hätte am ersten JAnuar zweitausendund ↑ drei_ 09 in ! KRAFT ! treten sollen . °h (.) 10 kritiSIERT wurde jedoch NICHT 11 der ↑ INhalt {22. März 2002} des gesetzes ? 12 sonder das ↑ ABstimmungsverfahren . °h (.) _1 Fall Z UWANDERUNGSGESETZ , Kurzmeldung. Quelle: sf_zvz_021218_2150_zuwanderungsgesetz_kurz <?page no="181"?> 182 C|3.3|? e Fälle K OREA und I RAK : Keine eingeschobenen Sätze im Lead Der Nachrichtenredakteur KW arbeitet an den Leadsätzen der Meldungen; die Rohtexte dazu hat er aus dem Angebot einer Nachrichtenagentur einkopiert (_1, _3) . Im Verbalprotokoll geht er ausführlich auf diese Arbeit an den Leadsätzen ein (_2, _4) . Beschreiben Sie, was KW genau tut und wie er seine Revisionen begründet. In 8 [süd| 8 ] 8 Südkorea haben sich } 7 | 9 9 [Nach einwöchigen Verhandlungen haben sich Vertreter von ] 9 | 10 Regierung 10 [,] 10 | 11 11 { 12 {, Unternehmen} 12 | 13 und| 12 } 11 Gewerkschaften 13 { 15 [auf eine 14 [lei| 14 ] 14 erl| 15 ] 15 darauf geeinigt, dass Entlassungen leichter möglich werden.} 13 _1 Fall K OREA , Revision 15 und Umfeld. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea Ja, auch hier wieder ein Nebensatz, <darauf geeinigt>, Komma. Einfach nicht allzu überladene Leadsätze, oder. _2 Fall K OREA , Protokoll zu Revision 15. Quelle: sr_nachrichten_980206_0800_korea 1 [Tokio/ Washington/ Bagdad/ Kuwait, 6. Feb. (sda/ afp/ dpa) ] 1 | 2 11 {Irak Lage USA etc } 11 | 12 Der japanische Aussenminister 12 [Keizo ] 12 | 13 Obuchi hat die USA 13 {aufgeforder 14 [rt| 14 ] 14 t, } 13 | 15 15[gebeten, ] 15 | 16 während der Olympischen Winterspiele in Nagano 16 [ vom 7. bis 22. Februar den] 16 | 17 17 { } 17 | 18 Irak nicht anzugreifen. 2 [ Die USA riefen unterdessen ihre Staatsangehörigen im Ausland zu Wachsamkeit auf.] 2 | 3 18 { Die Spiele beginnen morgen.} 18 _3 Fall I RAK , Revision 18 und Umfeld. Quelle: sr_nachrichten_980206_0900_irak Jetzt habe ich da einen sauberen Satz gemacht, <Die Spiele beginnen morgen>, jetzt habe ich nicht mehr eingeschoben. Ich finde es nicht so gut, wenn man im Leadsatz bereits eingeschobene Nebensätze macht, das erschwert das Verständnis unglaublich. _4 Fall I RAK , Protokoll zu Revision 18. Quelle: sr_nachrichten_980206_0900_irak <?page no="182"?> 183 C|3.4 Textebene: Routinen nutzen vs. Muster aufbrechen Zurück zum Fall R ISIKEN (C|3.3) . Um 10: 46 Uhr schaltet die Redaktion T AGES -A NZEIGER ONLINE eine neue Version der Nachricht auf. Diesmal passen Titel und Bildlegende zusammen (_1) : EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen. Die Zusammensetzung der Delegation wurde am Mittwoch Abend beschlossen _1 Fall R ISIKEN , Online-Nachricht, aktualisiert. Quelle: ta_online_020404_1046_update Der Titel und die Legende müssen vom Autor als Teile einer übergeordneten Einheit gemeint sein. Dies lässt sich schon deshalb annehmen, weil die Textteile am Bildschirm nahe beieinander stehen und ähnlich aussehen. Der Eindruck beabsichtigter Verknüpfung entsteht aber auch beim Lesen von „der Delegation“ in der Bildlegende. Wie im Titel kommt wieder eine „Delegation“ vor, diesmal aber mit bestimmtem Artikel „der“. Dieser bestimmte Artikel zeigt an, dass im Kontext schon bestimmt ist, um welche Delegation es sich handelt: nämlich um die „EU- Delegation“, die im Titel eingeführt wird. Die Bildlegende setzt also voraus, dass man den Titel gelesen hat. Viele Nachrichtentexte von T AGES -A NZEIGER ONLINE sind so aufgebaut; bei den wenigsten aber muss man umgekehrt die Legende gelesen haben, um den Titel verstehen zu können. Weiter beginnen die meisten mit aktueller Information. So versteht man als politisch aufmerksame Leserin die Neuigkeit früh, es folgen noch Quotes, Details, Hintergründe, Vorgeschichte. Diese Merkmale finden sich in vielen Texten; dahinter muss ein Muster liegen. - Solche Zusammenhänge ganzer sprachlicher Sinneinheiten untersucht die Textlinguistik (_2) . Textlinguistik: linguistische Teildisziplin, die untersucht, wie Texte aufgebaut sind und wie und wozu sie verarbeitet werden. _2 Adamzik, 2004 führt in die T. ein. Dressler, 2000 verbindet T. und Semiotik. Hennig, 2000 beschreibt den Einfluss der T. auf den Journalismus. Habscheid, 2011 fokussiert T. auf Textsorten als „linguistische Typologien der Kommunikation“. Aus diesem Blickwinkel fragt die Linguistik zum Beispiel, wie sich für wiederkehrende kommunikative Zwecke Textsorten herausbilden (C|3.4.1) ; die Medienpraxis fragt nach Strategien, mit Mustern Verarbeitungsaufwand zu sparen und zugleich laufend Besonderes zu erzeugen (C|3.4.2) . <?page no="183"?> 184 C|3.4.1 Theoriegeleitete Fragestellung Die Textlinguistik untersucht unter anderem, was einen Text zum Text macht (_1) und welche Muster sich dafür im Sprachgebrauch herausbilden (_2) , gerade auch im schnellen, industriellen Takt publizistischer Medien. Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Text: fixierter sprachlicher Zeichenkomplex, der gemeint und verstehbar ist als sinntragende Einheit. _1 Ein T. ist gemeint und verstehbar als Einheit mit eigenständigem Sinn, also mit Thema und kommunikativer Funktion. Er hängt in sich zusammen und ist nach außen abgegrenzt. Je nach theoretischem Standpunkt kann er auch spontan gesprochen sein oder aus nichtsprachlichen Zeichen bestehen. Hier aber gilt: Ein T. besteht aus fixierten und primär sprachlichen Zeichen. Eine spontan gesprochene Äußerung mit eigenständigem Sinn ist also noch kein T., eine aufgezeichnete (technisch fixierte) oder auswendig gesprochene (mental fixierte) dagegen schon, und zusammen mit Bildern und Tönen ist es ein Medienbeitrag. Hartmann, 1971, Brinker, 1973 oder Gülich & Raible, 1977 arbeiten früh zum T. als Gegenstand der Linguistik; ebenso Van Dijk, 1972, der T. als Makrostruktur beschreibt, als Abfolge und Verknüpfung von Propositionen und Illokutionen. Von Stutterheim, 1992 sieht T. als schrittweise Antwort auf eine „Quaestio“, eine Leitfrage. Bell, 1998 untersucht die Struktur journalistischer T.; Van Dijk, 1985a die Struktur von Zeitungs-T. Heritage, Clayman, & Zimmerman, 1988 beschreiben T.-strukturen als „micro-structure of mass-media messages“. Oger, 2000 zeigt, wie sich Unterschiede im Selbstverständnis französischer Militärs und Journalisten niederschlagen in den typischen T.-strukturen dieser Domänen. Textsorte: sozial eingeschliffenes Muster für Texte mit bestimmter Umwelt, Funktion und Struktur. _2 Alle T. haben bestimmte Funktionen, einige zudem bestimmte Themen, Strukturen oder Medien. Ein konkreter Text kann als typischeres oder atypischeres Exemplar einer T. verstanden werden. Das T.-wissen der Sprachbenutzer steuert die Produktion und das Verstehen von Texten; so erwartet man in einer Glosse Ironie, in einer Nachricht nicht. Bakhtin, 1986, 78-94 betont, dass T. organisieren, wie wir die Welt verstehen und kommunizieren. Feilke, 2003 versteht T. prozedural: T. bilden sich heraus als Routinen für wiederkehrende kommunikative Zwecke. Schröder, 2003 beschreibt T. als Handlungsmuster für die Kommunikation. Fix, Habscheid, & Klein, 2007 zeigen die „Kulturspezifik“ aller T. Techtmeier, 2000 beschreibt „Merkmale von Textsorten im Alltagswissen der Sprecher“. Luginbühl & Perrin, 2011a vergleichen „Altro- und Ethnokategorisierung“, also linguistische und journalistische Vorstellungen, von T. im Nachrichtenjournalismus; ähnlich Heijnk, 2014. H. Burger, 2000 analysiert T. „in den Massenmedien“; Adam, 2001 journalistische T.; Ljung, 2000 Repertoires von T. in englischsprachigen Qualitätszeitungen; Lugrin, 2003 T. von Inseraten in Zeitungen und Zeitschriften; Bittner, 2003 T. digitaler Medien; Kleinberger, 2004 T. in zusammengehörenden Fernseh- und Internet-Angeboten. Weise, 2005 untersucht die T. Kurzmeldung; Hackl-Rößler, 2006 die weiche Zeitungsnachricht; Dubied, 2001 und Lits, 2001 die Faits divers; Bleicher, 1997 die Fernsehansage; T. Herman & Jufer, 2001 das Editorial; Le, 2009 das Editorial in L E M ONDE ; Held & Stöckl, 2010 „Pressetextsorten jenseits der News“. <?page no="184"?> 185 C|3.4.2 Praxisgeleitete Fragestellung Publizistische Medien haben eigene Textsorten entwickelt, die zu ihren Funktionen und ihrer Umwelt passen (C|3.4.1) . Die Umwelt ändert sich aber laufend - so müssen sich auch die Textsorten ändern. Überdies streben die Medien am Markt danach, mit ihren Produkten vertraute Muster zwar zu nutzen, sich aber auch unverkennbar davon abzuheben. Aus der Sicht der Praxis stellt sich die Frage, wie dies gelingt. Eine langfristige Strategie besteht im Beobachten und Mitgestalten des Textsortenwandels (_1) , eine kurzfristige in der überlegten Variation der Muster beim Texten (_2) . - Grundbegriffe und beispielhafte Arbeiten: Textsortenwandel: ständige Veränderung einer Textsorte im Gebrauch. _1 Jedes neue Textexemplar ist einmalig und setzt den T. fort: Sobald es einer Textsorte zugeschrieben wird, prägen seine konkreten Merkmale die abstrakten Merkmale der Textsorte mit. Luginbühl & Perrin, 2011b erörtern „Muster und Variation in den Medien“. Schwitalla, 1993 beschreibt den Zusammenhang von T. und Audience Design: Weil sich die Anbieter voneinander abheben wollen, variieren sie auch ihre Textsorten. Grosse, 2001 untersucht T. im Journalismus; Bell, 2003 und Straßner, 2001 T. im Informationsjournalismus; Sommerfeldt, 2005 T. in der Regionalpresse; Püschel, 1999 T. in Zeitungen und Zeitschriften. Östman & Simon-Vandenbergen, 2004 analysieren T. im Textsortenmix der Medien; Ungerer, 2000 den T. der Zeitungsnachricht unter Einfluss neuerer Medien. Muckenhaupt, 1994 zeigt den T. der Fernsehnachrichten hin zur „Infoshow“; Ludes & Schütte, 1993 diesen T. „aus der Sicht der Macher“; Luginbühl, 2011 den T. der Fernsehnachricht „vom kommentierten Realfilm zum multimodalen Komplex“. Catenaccio, et al., 2011 sehen als Konstanten von „news“ im T. die zentralen journalistischen Illokutionen des Informierens und Übersetzens: „News is about novelty, contemporary events, the most recent […]. Second, news is all about retelling, […] the extraction (decontextualization) of meaning from one discourse and consequent insertion (recontextualization) of that meaning into another discourse.“ (1844). Texten: sprachliche Tätigkeit, bei der in teils mustergeleiteten, teils kreativen Prozessen ein Text hergestellt wird. _2 Texten ist ein Praxisbegriff, eine kurze Form für einen Text verfassen. Man textet zum Beispiel eine Zeitungsnachricht oder einen Einblender für einen Fernsehbeitrag. Dabei löst man wiederkehrende Aufgaben, reproduziert Muster - und gestaltet die Lösung doch individuell. Van Dijk, 1988a zeigt die Unterschiede in den Strukturen von 250 Zeitungsnachrichten aus 100 Ländern zum gleichen Ereignis. Lorda, 2001 und Moirand, 2001 diskutieren journalistische Texte, die zu keiner gängigen Sorte passen. Kropf, 1999 belegt Schwächen des „Pyramiden-Modells“ der journalistischen Nachricht und setzt dagegen ein neues „Andock- Modell“ für Radionachrichten, die man schon beim ersten Hören ganz verstehen können soll. In Perrin, 2001b, 126 ff. und Perrin, 2012 wird untersucht, wie Journalisten ihre Praktiken beim T. variieren und dabei spontan neue, emergente Lösungen finden. Meyer, 2008 zeigt Techniken zum kreativen Aufbrechen von Textmustern im journalistischen Produktionsalltag. Häusermann, 2011, 11-15 beschreibt „journalistisches Texten“ als Balance von Produktionsroutinen und ihrer Überwindung auf der Suche nach überzeugenderen Lösungen. <?page no="185"?> 186 C|3.4|? a Streiflicht T EXTSORTEN : Anriss, Kolumne, gestalteter Beitrag Textsorten entstehen und wandeln sich im Arbeitsalltag, aus praktischen Bedürfnissen heraus. Sie unterscheiden sich auf mehreren Ebenen und tragen ganz unterschiedliche zentrale Merkmale. Das schlägt sich auch in den Bezeichnungen für journalistische Textsorten nieder: Eine Meldung zum Beispiel ist nach ihrer Funktion benannt, etwas zu vermelden; eine Wettermeldung zusätzlich nach dem Thema, eine Radiomeldung nach dem Medium (_1) . Textmerkmal Textsortenbezeichnung Textfunktion Meldung, Bericht, Feature, Reportage, Kommentar, Anriss, … + Textthema Wettermeldung, Auslandsnachricht, Gerichtsreportage, … + Textstruktur Kurzmeldung, Quotestory, Frontanriss, … + Textautor Agenturnachricht, Korrespondentenbericht, Gastkolumne, … + Textproduktionssituation Livereportage, Studiogespräch, gestalteter Beitrag, … + Textmedium Online-Meldung, Radiofeature, Fotoreportage, … _1 Textsortenbezeichnungen benennen Textsortenmerkmale unterschiedlicher Ebenen. Ordnen Sie die folgenden Textsortenbezeichnungen in die Tabelle ein. Suchen Sie praktische Beispiele zu den einzelnen Textsorten. Ergänzen Sie aus theoretischem Wissen oder praktischer Erfahrung die Liste um journalistische Textsorten, die hier nicht vorkommen. a Anmoderation b Archivbeitrag c Bildbericht d Große Reportage e Leserbrief f Lokalmeldung g Musikkritik h Sportreportage i TV-Nachricht j … <?page no="186"?> 187 C|3.4|? b Fall G ASEINSATZ : Die alte und die neue Geschichte Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 zeigt einen Beitrag über Bilder des russischen Fernsehens (_1) . Teilen Sie den Beitrag ein in eine neue und eine ältere Geschichte. Überdenken Sie dann die Verbzeiten. 01 X: [+E: ((Russischer Text))] 02 O: das ↑ RUSSische FERN ↓ sehen 03 [+E: 23.10.02 10 vor 10 Videoaufnahmen (russischer Text überblendet)] 04 hat ↑ VIdeo ↓ aufnah ↑ men der GEIselnah ↑ me 05 im moskauer ! MU ! sicaltheater nordost ↑ gezeigt . (--) °h 06 die BIL ↑ der wurden von der über ↑! WACH ! ungskame ↑ RA 07 und von den GEIselnehmern ↑ selbst geSCHOSsen . (-) °h 08 an der ge ↑ WALTsamen be ↑ FREI ↓ ung der gei ↑ seln 09 durch RUSSische ↑ SONdereinheiten ? °h 10 wurden ↑ EINundvierzig der FÜNFzig geiselnehmer ge ↑ TÖtet . (-) °h 11 von den be ↑! FREI ! ten geiseln ? 12 ↓ starben bis heute ↑! EIN ! hundertundzwanzig ? _ 13 an den folgen des EINgesetzten ↑ GAses . °h 14 einhundert ↓ und ↑ NEUNundvierzig geiseln 15 befinden sich noch_im spi ! TAL ! . °h [-E] _1 Fall G ASEINSATZ , Kurzmeldung. Quelle: sf_zvz_021104_2150_gaseinsatz_kern <?page no="187"?> 188 C|3.4|? c Fall G ASEINSATZ : Die neue Geschichte nach vorne Das Nachrichtenmagazin 10 VOR 10 baut die Nachrichten zu den Bildern des russischen Fernsehens (C|3.4|? b) nach dem angloamerikanischen und deutschen Geschichtenmuster auf (_1) . Eine solche Nachricht erzählt die Ereignisse nicht der Reihe nach, sondern beginnt mit dem jüngsten Ereignis (E) und führt dann über Details und Vorgeschichte zu Diskursen und Sachverhalten im Hintergrund des aktuellen Geschehens (H) . Finden Sie im Transkript des Nachrichtenbeitrags die Textstellen zu den einzelnen Schritten; beginnen Sie vorne, mit Ereignis E4 (_2) . Weltausschnitt Nachrichtenbeitrag Ereignisse Ereignisse Diskurse, Sachverhalte Themenaspekt E1: Kamera schießt E4: Fernsehen zeigt Aktualität E2: Einheiten befreien E1: Kamera schießt Details E3: Geiseln getötet E2: Einheiten befreien Vorgeschichte E4: Fernsehen zeigt E3: Geiseln getötet H: Geiseln gestorben Hintergrund H: Geiseln befinden sich _1 Fall G ASEINSATZ , Aufbau der Kurzmeldung. Quelle: sf_zvz_021104_2150_gaseinsatz_kern 02 O: das ↑ RUSSische FERN ↓ sehen 03 [+E: 23.10.02 10 vor 10 Videoaufnahmen (russischer Text überblendet)] 04 hat ↑ VIdeo ↓ aufnah ↑ men der GEIselnah ↑ me 05 im moskauer ! MU ! sicaltheater nordost ↑ gezeigt . (--) °h _2 Fall G ASEINSATZ , Anfang der Kurzmeldung. Quelle: sf_zvz_021104_2150_gaseinsatz_kern <?page no="188"?> 189 C|3.4|? d Aufsatz K ROPF : Vom Pyramidenzum Andock-Modell Im Aufsatz „Von den Schwierigkeiten mit dem klassischen Nachrichten- Aufbau - oder: Ein ‚Andock-Modell’ als Alternative zum ‚Pyramiden- Modell’“ entwickelt Thomas Kropf eine Alternative zum klassischen angloamerikanischen und deutschen Nachrichtenaufbau (_1) . Beschreiben Sie, worin sich die beiden Modelle unterscheiden. Zeigen Sie Merkmale des „Pyramiden-Modells“ in Kropfs Beispiel zu Nigeria (_1 unten) und schreiben Sie die Nachricht im Sinn des „Andock- Modells“ um. Wer fürs Radio Nachrichten schreibt, tut dies normalerweise nach einem ganz bestimmten Schema. Es schreibt vor, dass im ersten Satz, im „Leadsatz“, das Neuste in aller Kürze steht; und es schreibt weiter vor, dass die Informationen in einer ganz bestimmten Reihenfolge angeordnet werden: Lead - Quelle - Einzelheiten - Hintergrund. Dieser Aufbau ist als „Pyramiden-Modell“ bekannt. In der Praxis führt dieses Schema immer wieder dazu, dass das primäre Ziel einer Radio-Nachricht - das Verstehen auf Anhieb - verfehlt wird. Im Ansatz wird die Ansicht vertreten, dass ein solches Scheitern im Schema selbst angelegt ist, weil es das Schreiben von Nachrichten weitgehend als formalen Prozess begreift und nicht als kommunikativen: Es blendet die Hörerschaft aus den Überlegungen aus und orientiert sich nur an Inhalten, nicht aber am Verstehen dieser Inhalte. Der Aufsatz spricht sich für eine konsequente Verschiebung dieser Perspektive aus: Handlungsleitend beim Texten kann nicht mehr nur die Frage sein, was an einem Ereignis neu ist; entscheidender noch ist die Frage, wie das Neue transportiert werden muss, damit es von der Hörerschaft verstanden wird. In diesem Sinn plädiert das vorgestellte „Andock-Modell“ dafür, sämtliche Informationen so im Text anzuordnen und zu verknüpfen, dass sie das Verstehen fördern; der Text soll - und zwar von Beginn weg - ans Vorwissen der Hörerschaft anknüpfen, gleichsam dort „andocken“. „In Edinburgh haben die 54 Staats- und Regierungschefs des Commonwealth die Suspendierung Nigerias für weitere 12 Monate beschlossen. Sie drohen Nigeria mit dem endgültigen Ausschluss, wenn es bis in einem Jahr nicht ein demokratisches System einführe. Zudem werde ein Öl-Embargo als Sanktionsmöglichkeit gegen das westafrikanische Land erwogen. Nigerias Mitgliedschaft im Commonwealth war 1995 nach der Hinrichtung Ken Saro Wiwas und weiterer acht Menschenrechtler ausgesetzt worden. Dem Commonwealth gehören Großbritannien und die früheren britischen Kolonien an.“ _1 Aufsatz K ROPF , Abstract (oben) und Beispiel (unten). Quelle: Kropf, 1999, online und 209 f. <?page no="189"?> 190 C|3.4|? e Fall W AHLKAMPF : Das Gerüst der Quotestory Die Quotestory ist eine Textsorte, die das Thema im Takt der Quotes entwickelt - oder, im Radiobeitrag, im Takt der O-Töne: O-Ton (O) und journalistischer Text (J) wechseln ab (_1) . Ergänzen Sie die thematischen Schritte (ab Zeit 02: 51) mithilfe des Transkripts oder der Audiodatei. Überprüfen Sie, ob Sie aus den Schritten ähnliche Sequenzen bilden würden wie unten angegeben. Nennen Sie Argumente für diese Variante - oder für eine andere, eigene. Zeit Zeile O J Thematischer Schritt Sequenz 00: 00 (Marschmusik, Wahlkampfstimmung) 00: 05 02 FPÖ wird zulegen 00: 26 13 Rede SP Bürgermeister a 00: 28 14 SP-Bürgermeister will Sitze behalten 00: 42 22 Rede SP Bürgermeister b: Es geht um unsere Zukunft 00: 51 26 SP und ÖVP wollen Verfassung ändern 01: 25 44 Statement SP Höger 1: FPÖ mit Überzeugung ausbooten 01: 33 49 FPÖ blockiert Regierung sonst immer mehr 01: 56 61 Statement SP Höger 2: Verfassung ja, FPÖ nein 02: 10 69 Auch für Pröll ist FPÖ ein Gräuel 02: 25 76 Statement ÖVP Pröll 1: Wer mitregiert, opponiert nicht 02: 51 90 03: 17 104 03: 48 122 04: 09 134 04: 53 156 05: 11 165 05: 29 176 05: 53 189 07: 07 223 07: 21 231 07: 37 241 Haider will auch alten Filz abschaffen 08: 02 (Wahlkampfstimmung, Lachen, Applaus) _1 Fall W AHLKAMPF , Struktur der Quotestory. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf <?page no="190"?> 191 C|3.4|? f Fall W AHLKAMPF : Die Quotestory abfüllen Der Journalist JS arbeitet an den Übergängen zwischen den O-Tönen seines Radiofeatures. Worauf er dabei achtet, bringt er im Verbalprotokoll zur Sprache (_1, _2) . Listen Sie auf, was JS hier als seine Pflichten nennt. Nennen und begründen Sie Ihre Einschätzung, warum JS dies alles tun „muss“. Beschreiben Sie dann die Arbeitsweise im Übergang vom Textakteur Höger zum Textakteur Pröll (_3) . Achten Sie dabei auf Unterschiede zwischen dem Höger- und dem Pröll-Teil. Zeigen Sie schließlich am Beispiel dieser Handlungen und Überlegungen von JS, was Sie unter Storytelling (C|2.3.2) verstehen. Also eben: Einerseits muss ich auf die Länge achten; andererseits muss ich darauf achten, dassalso nein: Zuerst muss ich einmal beschreiben, wo wir da sind, dann muss ich auf die Länge achtgeben, und in dieser Zeit muss ich dann auch sehen, dass ich auf diesen Redner komme, der danach kommt. Und muss sehen, dass es keine Verwirrung gibt. Und das Ganze eben in 19 Sekunden. Das ist halt einfach dann ein Kampf. _1 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 45. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 Jetzt überlege ich, wie ich zu dem anderen komme. Zu diesem Pröll, oder, der ja ein Kollege von diesem Höger ist, einfach von der anderen Partei, der dann auch deutlicher wird. Respektive: Jetzt erinnere ich mich an das Gespräch, und ich habe auch auf Band, es wird dann einfach zu lange, wo er mir sagt, das sei eine legitime Diskussion, und die müsse dann auch nach den Wahlen geführt werden. _2 Fall W AHLKAMPF , Protokoll zu Revision 66. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 64 {Doch vor den Wahlen will Höger dazu nichts 65 [k] 65 | 66 66 {K} 66 onkretes sagen| 65 , aber die Diskussion sei schon legitim. Wie bei der SP hat man auch bei der Volkspartei genug davon, mit de 67 [n| 67 ] 67 r Voll- Oppositionspartei FPÖ zwangsweise in einer Regierung zusammenzusitzen. Daran lässt} 64 | 68 70 { Erwin Pr 71 [äll| 71 ] 71 öll, 72 [ÖVP| 72 ] 72 ÖVP- 74 [Chef] 74 | 75 75 {Obmann} 75 in Ni 73 [der| 73 ] 73 ederösterreich und| 74 Regierungschef keine Zw 76 [ief| 76 ] 76 eifel: _3 Fall W AHLKAMPF , Revision 66 und Umfeld. Quelle: sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1 <?page no="191"?> 192 C|4 Fazit zur Systematik medienlinguistischen Wissens Der Teil C hat ein System für medienlinguistische Fragestellungen und Ansätze aufgespannt, mit exemplarischem Fokus auf der journalistischen Textproduktion. Zwölf Kapitel haben Sprachgebrauch in publizistischer Kommunikation aus je eigenem Blickwinkel erfasst: als Sprachgebrauch in bestimmten Umwelten, mit bestimmten Funktionen und schließlich mit bestimmten Strukturmerkmalen. Jedes Kapitel hat theorie- und praxisgeleitete Fragestellungen und Ansätze verbunden (_1) . Die Fachsystematik: von der Theorie her erfasst Die Praxisproblematik: von der Praxis her gefragt Umwelt interpersonal Interviewte herausfordern vs. Publika informieren + intersituativ Textprodukt vollenden vs. Schreibprozess optimieren + intertextuell Diskurs vermitteln vs. Storys zuspitzen + intersemiotisch Beitrag texten vs. vertonen, bebildern und verlinken Funktion referenziell Bekanntes weiterziehen vs. Neues erklären + kognitiv Gemeintes sagen vs. Ergänzbares auslassen + interaktiv Öffentlichkeit informieren vs. Medien verkaufen + sozial-konstitutiv Zielpublika ansprechen vs. der Sache gerecht werden Struktur bedeutungsunterscheidend Nutzer führen vs. spontan wirken + bedeutungstragend Wortschatz beschränken vs. Schlagwörter setzen + aussagetragend Äußerungen portionieren vs. Information verdichten + sinntragend Routinen nutzen vs. Muster aufbrechen _1 Medienlinguistische Systematik, abgebildet auf Probleme der Medienpraxis Gezeigt hat sich, dass und wie die Strukturmerkmale der Sprache abhängen von den Funktionen dieser Sprache in bestimmten Umwelten. Ein Quote zum Beispiel wird verdichtet (C|3.3.2) im Gefüge der Handlungsabsichten publizistischer Akteure (C|2.3.2) , die in ihren Produktionsprozessen auf bestimmte individuelle, organisationale, institutionelle und gesellschaftliche Ressourcen zugreifen (C|1.2.2) - wobei die Ressourcen das Handeln einerseits begünstigen und begrenzen und andererseits durch das Handeln gestaltet und verändert werden (B|1.2.2, B|2.1.2, D|3|? e) . Die nächste Seite bringt eine Aufgabe zum Abrunden des Überblicks. Der Teil D führt dann in die Praxis medienlinguistischer Wissensproduktion: Er leuchtet ein Forschungs- und ein Transferprojekt gründlich aus. <?page no="192"?> 193 C|4|? a Weiter üben im WWW Im Internet finden Sie die Lösungen zu allen Aufgaben - aber auch neue Aufgaben: ergänzende und vertiefende Aufsätze, Streiflichter und Fälle. Runden Sie also Ihren Überblick zum medienlinguistischen Wissen ab, und üben Sie weiter im Internet. >> www.medienlinguistik.net Erkunden Sie zum Beispiel mit weiteren Aufsätzen, … a ob „Pop quizzes“ mehr den Interviewten oder den Interviewern schaden (Roth, 2005) b c wie Praktiken des Zuhörens Interviews lenken (Norrick, 2010) wie die Schrift Adressierung und Autorenschaft entkoppelt (Holly, 1997) d wie sich erfahrene Schreibende von unerfahrenen unterscheiden (Perrin, 2003a) e wie Journalismus Zukünftiges konstruiert (Jaworski, Fitzgerald, & Morris, 2003) f warum Journalisten Geschichten erzählen müssen (Wyss, 2011) g wie terrorist nach dem 11. September die Bedeutung geändert hat (Stenvall, 2003) h wie Zeitungen Sprache zur Sprache bringen (Lehr, 2001) i wer an Images von Führungskräften mitbaut (Spranz-Fogasy, 2003) j wie ein Fernsehsender in den Nachrichten Authentizität inszeniert (Luginbühl, 2004) k welche rhetorischen Mittel zur Skandalisierung beitragen (Schraewer, 2003) l wie das H ANNOVERSCHE T AGEBLATT seine Fehler minimieren kann (Krause, 2003) m wie sich die Prosodie deutscher Standardsprachen unterscheidet (Ulbrich, 2003b) n wie S PIEGEL , F OCUS und S TERN neue Wörter bilden (Sawitzki, 2001) o wie Satzbau Nähe erzeugen kann (Cotter, 2003) p was Nachrichten zu glaubwürdigen Erzählungen macht (Hickethier, 1997) Dazu kommen neue Streiflichter zu zentralen Konzepten und Theorien der Medienlinguistik - sowie empirische Fälle für Versionen-, Progressions-, Variations- und Metadiskursanalysen. <?page no="193"?> 194 „Weil die Sprachthematisierung […] meist beiläufig geschieht, wird sie selten verschriftlicht. Für Forschende, die sich auf schriftliche Quellen beschränken, ist deshalb der Zugang zu dieser Ebene des Nachdenkens über Sprache beschränkt. Das Erfassen und Bearbeiten von mündlich geäußerten Metakommunikativen andererseits ist sehr aufwendig.“ Peyer, 2003, 325 f. <?page no="194"?> 195 D Medienlinguistische Projektpraxis in Forschung und Transfer Bis hierher hat das Lehrmittel M EDIENLINGUISTIK mit kleinen, didaktisch geprägten Analysen gearbeitet. Im Wissenschaftsbetrieb sind Analysen größer angelegt. Der Teil D nun stellt zwei medienlinguistische Projekte (_1) gründlich vor: ein • Forschungsprojekt und ein • Transferprojekt. Projekt: Vorhaben, von einer bestimmten Ausgangslage her in bestimmten Schritten und mittels bestimmter Ressourcen ein Ziel zu erreichen. _1 Wray, Trott, & Boomer, 2012 lehren, wie man linguistische Forschungsprojekte entwirft, durchplant, umsetzt und auswertet. Sie zeigen eine Palette von Fragestellungen, Methoden und Datenkorpora, u.a. zur Konversationsanalyse von Radio- und Fernsehinterviews. Bei beiden Projekten greift das Lehrmittel auf bestehende Beschreibungen aus dem Fachdiskurs zurück, gibt Originaltexte aus diesen Diskursen in Ausschnitten wieder und verknüpft sie über Verweise und Aufgaben mit dem erarbeiteten Wissen aus den Teilen B und C. Der Teil D schlägt also die Brücke vom Lernen mit dem Buch zur Projektarbeit im wissenschaftlichen Berufsalltag. • Das Forschungsprojekt (D|1) gehört zum nationalen Forschungsprogramm S PRACHENVIELFALT UND S PRACHKOMPETENZ des S CHWEIZERISCHEN N ATIONALFONDS . Für solche Projekte reichen Forschergruppen Gesuche mit Projektskizzen ein, die von internationalen Expertengruppen begutachtet werden. Das Projekt wird hier als Gesuch vorgestellt; die Forschungsergebnisse fließen laufend in wissenschaftliche Publikationen ein. • Das Transferprojekt (D|2) dagegen wurde privatwirtschaftlich finanziert und durch Fragestellungen der Praxis bestimmt. Der Originaltext aus dem Fachdiskurs, auf den das Lehrmittel zugreift, wurde im Jahrbuch 2005 des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim veröffentlicht. Das Projekt ist abgeschlossen und wird hier rückblickend dargestellt. So reflektieren die beiden nächsten Kapitel nicht nur zwei unterschiedliche Projekte, sondern auch zwei zentrale Textsorten im Wissenschaftsbetrieb: das Forschungsgesuch (D|1) und die Publikation zum begutachteten Tagungsbeitrag (D|2) . Am Beispiel der beiden Projekte spannt dann ein letztes Kapitel (D|3) sechs Forschungsrahmen auf: Grundannahmen über den Sinn von Forschung, die sich niederschlagen in Fragestellung, Methoden und Befunden eines medienlinguistischen Projekts. <?page no="195"?> 196 D|1 Forschungsprojekt: I DÉE SUISSE Zu den größten Rundfunkanbietern in Europa zählen öffentliche Organisationen, etwa in Deutschland ARD und ZDF, in Österreich ORF, in der Schweiz SRG SSR, kurz SRG. Solche Rundfunkanbieter haben als öffentliche Institutionen einen gesellschafts-, kultur- und sprachbezogenen öffentlichen Auftrag zu erfüllen. Als Rundfunkunternehmen sind sie Markt- und Konkurrenzspannungen ausgesetzt. Das Projekt I DÉE SUISSE untersucht, ob und wie die SRG unter diesen Umständen die sprachpolitischen Anforderungen erfüllen soll, erfüllen kann und tatsächlich erfüllt. Es setzt also Sprachpolitik, Sprachnorm und Sprachpraxis der SRG zueinander in Beziehung. Den Schwerpunkt bildet eine medienlinguistisch verankerte, interdisziplinäre und methodisch komplexe Analyse zum sprachlichen Auftrag der SRG; die Ergebnisse fließen ein in die Sprachausbildung der SRG. Zu erwarten war ein wesentlicher Beitrag zum Verständnis und zur Verbesserung des sprachpolitischen Diskurses in der Schweiz - und darüber hinaus: Die Schweiz stellt im Kleinen dar, was Europa im Großen, nämlich eine politische Gemeinschaft aus Kultur- und Sprachgemeinschaften. So dient sprachpolitischer Diskurs in der Schweiz wie in Europa der Selbstbehauptung und zugleich der Integration der Teilgemeinschaften. Das Projekt gewann die Unterstützung des S CHWEIZERISCHEN N ATIONALFONDS , der mit seinem Programm 56 die Untersuchung der „Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz“ als nationalen Forschungsschwerpunkt fördert. Der Projektstand und die Ergebnisse wurden öffentlich aktuell dokumentiert. >> www.medienlinguistik.net Die nächsten Abschnitte begleiten durch die Kerngedanken des Projekts, wie sie im Forschungsgesuch dargelegt sind. Ausgewählte Ausschnitte aus dem Gesuchstext sind unverändert wiedergegeben, aber neu verknüpft und kommentiert. Ziel dieser Darstellung ist der vertiefte Einblick in die aktuelle medienlinguistische Forschungspraxis. Die Tour führt von der Zielsetzung (D|1.1) über den Forschungsstand (D|1.2) zum Forschungsplan (D|1.3) - und zurück zum Sinn des Projekts für alle Beteiligten (D|1.4) . <?page no="196"?> 197 D|1.1 Forschungsziel Grundlagenforschung pur richtet sich allein nach theoretisch relevanten Fragestellungen. Medienlinguistik als auch Angewandte Linguistik aber ist auf ein Anwendungsfeld von Sprache ausgerichtet. Zudem fragt der S CHWEIZERISCHE N ATIONALFONDS in der Ausschreibung zum Forschungsprogramm S PRACHENVIELFALT UND S PRACHKOMPETENZ nicht nur nach der wissenschaftlichen Bedeutung, sondern auch nach der gesellschaftlichen und der wirtschaftlichen Bedeutung eines Projekts. Die Studie I DÉE SUISSE richtet sich deshalb an drei Adressaten: Medienwirtschaft, Öffentlichkeit, Fachgemeinschaften (_1) . • Mit dem Gegenstand Sprachnorm und Sprachpraxis sind alle Akteure angesprochen, die Sprache in den Medien produzieren und/ oder diese Sprachproduktion mitverantworten - direkt die Programmschaffenden, die Ausbildnerinnen und Ausbildner und sprachpolitisch Verantwortlichen in der SRG, indirekt ihre Peers in publizistischen Medien überhaupt. • Mit dem Gegenstand Sprachpolitik sind alle Akteure angesprochen, die Sprachpolitik betreiben und außerhalb der Medien zu sprachpolitischem Diskurs beitragen - erstens Politikerinnen und Politiker, zweitens die durch sie vertretenen (und von den Medien angesprochenen) Bürgerinnen und Bürger und drittens politisch und medienpädagogisch Ausbildende. • Mit dem wissenschaftlichen Zugang angesprochen sind die Scientific Communities in Linguistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie Soziologie, die sich befassen mit medien- und soziolinguistischen Fragestellungen, mit linguistisch-interdisziplinärer Theoriebildung und mit methodenpluralistischen Ansätzen empirischer Forschung. _1 I DÉE SUISSE , Adressatenprofil. Quelle: Perrin, Schanne, & Wyss, 2005, 12 Diese drei Adressatengruppen sind, aus je eigenem Blickwinkel, interessiert an wissenschaftlich erhärteten Aussagen zur Forschungsfrage, wie ein öffentlicher Rundfunkanbieter den sprachlichen Auftrag umsetzen soll, umsetzen will und tatsächlich umsetzt. Auch interessiert sind sie an Maßnahmen der Wissenstransformation, die dazu beitragen, diesen Auftrag allenfalls zu klären und/ oder passender wahrzunehmen. Die nächsten Seiten vertiefen diese komplexe Zielsetzung: Sie führen vom Problem, bei dem das Projekt ansetzt, (D|1.1|? a) über die Fragestellung (D|1.1|? b) und die erwartbaren Ergebnisse (D|1.1|? c) bis zur wissenschaftlichen Bedeutung (D|1.1|? d) und zur Wissenstransformation (D|1.1|? e) . <?page no="197"?> 198 D|1.1|? a Problem Forschung ist darauf ausgerichtet, Fragen zu klären. Klären bedeutet nicht aus der Welt schaffen: Während sich die Praxis grundsätzlich praktische Antworten auf praktische Fragen wünscht, erwartet der Wissenschaftsbetrieb als Ergebnis von Forschung präzise theoretische Anschlussfragen (B|1.1.3) . In jedem Fall aber geht Forschung aus von einer bestimmten Problemlage. Die Beschreibung des Projekts I DÉE SUISSE umreißt zuerst diese Problemlage (_1) und entwickelt dann daraus die Fragestellung. Von welchem Problem in welchem Weltausschnitt geht I DÉE SUISSE aus? Welche Zusammenhänge im Sprachgebrauch unterschiedlicher Akteure werden dabei unterstellt? - Benennen Sie zwei solche Zusammenhänge, die medienlinguistisch stark untersucht worden sind. Greifen Sie wenn nötig zurück auf die grundlegenden Überlegungen im Buch (B|2.2) und die thematischen Vertiefungen (C) , die Sie über das Glossar ansteuern (E|4) . Die schweizerische Gesellschaft, direktdemokratisch, amtlich mehrsprachig und durch den Willen zum Zusammenhalt konstituiert, bedarf unterschiedlicher Instrumente, um tendenziell auseinanderstrebende Landesteile und Kulturen zusammenzuhalten. Diese Landesteile und Kulturen manifestieren sich, aus der Sicht der Linguistik, wesentlich als Sprachräume und Sprachgemeinschaften, deren Sprachgebrauch und Sprachentwicklung stark mitgeprägt werden durch die Sprache von Massenmedien. Insofern überrascht es nicht, dass in der Bundesverfassung Art. 93 Abs. 2 und im Art. 3 des noch geltenden Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) ein Leistungsauftrag an Radio- und Fernsehveranstaltungen bestimmt ist - im Wesentlichen an die SRG als eine Sprachraum-übergreifend tätige Institution, die primär Sprache, Texte produziert. […] Gemäss Art. 3 Programmauftrag der Konzession SRG müssen in allen Amtssprachen gleichwertige Programme veranstaltet werden, welche das gegenseitige Verständnis, den Zusammenhalt und den Austausch zwischen den Landesteilen, den Sprachgemeinschaften und den Kulturen fördern. […]. Diese Anforderungen konfligieren in der Praxis mit wirtschaftlichen Überlegungen. Denn die Rundfunkveranstaltungen müssen sich auf Ereignismärkten, auf Werbemärkten, auf Publikumsmärkten behaupten gegen in- und ausländische Konkurrenz, und sie müssen bestehen in neuen informations- und kommunikationstechnologischen Medienumwelten. So werden bei der SRG die an sie herangetragenen Anforderungen relativiert, wenn sich der Generaldirektor der SRG […] zu diesem Sachverhalt wie folgt äußert: „Der verstärkten Segmentierung der Schweizer Öffentlichkeit, dem Auseinanderleben der Sprachregionen kann mit Kulturleistungen in den SRG-Programmen nur teilweise begegnet werden.“ (SRG Context 4/ 1997) _1 I DÉE SUISSE , Problembeschreibung. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 6 f. <?page no="198"?> 199 D|1.1|? b Fragestellung An das Problem der Ausgangslage (D|1.1|? a) knüpft die Forschungsfrage an. Mit der Forschungsfrage legt sich ein Forschungsprojekt fest auf das, was herauszufinden ist. Die Forschungsfrage kann als zu überprüfende Vermutung formuliert sein, als Hypothese. Das Projekt I DÉE SUISSE beschreibt als Problem den doppelten Anspruch an öffentliche Rundfunkanbieter. Die Forschungsfrage lautet dann, wie die SRG mit diesem Problem umgeht, konkret: wie sie im Konflikt öffentlicher und privatwirtschaftlicher Ansprüche den Sprachauftrag wahrnimmt. Antworten sucht die Studie in der Analyse von Regeln, Verfahren und Erzeugnissen aus der Sprachproduktion der SRG (_1) . Welche Bezüge erkennen Sie zwischen Regeln, Verfahren und Erzeugnissen? Wo in den organisationalen Strukturen und Prozessen würden Sie dazu Daten erheben? Mit welchen Methoden würden Sie ansetzen? Wie müssen die Daten beschaffen sein, damit die Leithypothese überprüfbar wird? - Skizzieren Sie Ihr Methodendesign, bevor Sie weiterlesen. Welche sprachpolitischen Regeln (Leitbilder, Deutungsmuster, Programmbestimmungen u.a.) können auf welcher Stufe (politischer Bezugsrahmen; Unternehmensleitung, Unternehmenseinheiten, Redaktionsverantwortliche, Medienschaffende) identifiziert werden - und mit welchen Normen werden sie von wem begründet? Mit welchen sprachlichen Verfahren (Techniken, Ablaufstrukturen, Produktionsprozesse, Begleitdiskurse) werden die Regeln umgesetzt, und wie weit sind diese Verfahren in der organisationalen Language Awareness (Unternehmensleitung, Unternehmenseinheiten, Redaktionsverantwortliche, Medienschaffende) und im Bewusstsein außerorganisationaler Teilhaber der sprachpolitischen Diskurse reflektiert? Zu welchen sprachlichen Erzeugnissen führen schließlich die Regeln und Verfahren, und wie weit sind auch sie in der organisationalen und außerorganisationalen Language Awareness reflektiert? Welche Beiträge zur Selbstbehauptung einerseits und zur Integration andererseits von Sprachgemeinschaften leisten publizistische Medien, indem sie a) bestimmte Sprachen, Varietäten und Stile öffentlich reproduzieren und b) den Sprachgebrauch im Allgemeinen und sein Integrationspotenzial im Besondern metasprachlich thematisieren? Als Leithypothese kann angenommen werden, dass sich die SRG im Laufe ihrer Geschichte unter dem Druck der Ökonomisierung und der Publikumsorientierung immer stärker aus der Pflicht entlassen hat, den an sie - ebenfalls immer schwächer - herangetragenen Leistungsauftrag wahrzunehmen: Wertentscheidungen mit dem Ziel einer nationalen Klammerfunktion der SRG (Hochdeutsch, Grundversorgung, Sprachenaustausch) weichen mehr und mehr einer aktuell weitgehend umgesetzten Sprachpolitik: dem Ziel, Nähe zum sprachregionalen Publikum herzustellen. _1 I DÉE SUISSE , Fragestellung. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 7 f. <?page no="199"?> 200 D|1.1|? c Erwartbare Ergebnisse Wer Hypothesen formuliert, hat sich Gedanken zu erwartbaren Ergebnissen gemacht und weist diese Gedanken aus. Kritiker einer solchen Forschungshaltung geben zu bedenken, dass damit die Wahrnehmung schon in eine bestimmte Richtung gelenkt werde; zu forschen sei radikal offen, rein datengeleitet, ohne Vorwegnahme möglicher Resultate. Kritiker dieser Kritiker wiederum setzen dagegen, Wahrnehmung sei zwingend Überprüfung von Vermutungen; Wissenschaftlichkeit bestehe unter anderem darin, sich dieser unhintergehbaren Engführung der Aufmerksamkeit bewusst zu werden und sie für andere Forschende nachvollziehbar zu beschreiben (B|2, C|2.2.1 und D|3|? b) . Das Projekt I DÉE SUISSE geht davon aus, dass in einer sprachproduzierenden Organisation wie der SRG Faktoren wie Normierung und Routinen letztlich die Textprodukte mitbestimmen - und dass umgekehrt die Textproduktion auf ihre Umwelt zurückwirkt und etwa zur Veränderung von Normen beiträgt. Die Forschungsergebnisse beschreiben dann in wesentlichen Ausschnitten (deskriptive Resultate), wie dies geschieht. Daraus lässt sich schließlich ableiten (interpretative Resultate), was allenfalls zu ändern ist, damit Sprachnormen und Sprachleistung besser zueinanderpassen (_1) . Zeigen Sie an Beispielen aus dem Fall W AHLKAMPF , wie „Sprachbewusstsein und Routinen, Textproduktionsprozesse und Textprodukte“ (_1) ineinandergreifen. Auf einer deskriptiven Ebene zu erwarten ist eine diachrone, synchrone und komparative Beschreibung des Zusammenspiels von Sprachpolitik, Sprachnorm und Sprachgebrauch. Am Beispiel ausgewählter Sprachräume, Organisationseinheiten und Erzeugnisse der SRG soll deutlich werden, wie in einer sprachproduzierenden und sprachbildenden Organisation wesentliche Faktoren organisational eingebetteten Sprachgebrauchs ineinandergreifen: zum Beispiel Normierung und Normverständnis, Vorgaben und Umsetzung, Sprachbewusstsein und Routinen, Textproduktionsprozesse und Textprodukte. Auf einer interpretativen Ebene ist daraus erstens Klarheit zu gewinnen über Divergenzen und Konvergenzen der zurückliegenden, gegenwärtig wirksamen medienpolitischen Entscheidungen: Sichtbar wird beispielsweise, wo und wie die Verpflichtung zum Service public und der Zwang zur Konkurrenz am Medienmarkt konfligieren müssen und konfligieren und auf welche Entscheidungen diese Situation zurückzuführen ist. Mit Blick in die Zukunft der SRG liefert die Studie theoretisch und empirisch erhärtete Grundlagen für sprachpolitische Argumentarien und Bildungsmaßnahmen, für eine zukünftige Sprachpolitik und insbesondere deren Umsetzung in der SRG. _1 I DÉE SUISSE , Erwartungshorizont. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 12 f. <?page no="200"?> 201 D|1.1|? d Wissenschaftliche Bedeutung Mit einer Vorwegnahme erwartbarer Ergebnisse (D|1.1|? c) ist noch nichts über den möglichen Nutzen dieser Ergebnisse gesagt. Im Gesuch zu I DÉE SUISSE waren Vorstellungen zur wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung eines Forschungsprojekts auszuweisen (_1) . Worin soll die Bedeutung von I DÉE SUISSE bestehen, und zwar auf der disziplinären Objektebene, der disziplinären Metaebene und über die Wissenschaft hinaus? - Nennen Sie die fünf Punkte, die Ihnen am wichtigsten sind. Beschreiben Sie diese Punkte so, dass auch Linguistik-Laien verstehen, was gemeint ist. Greifen Sie dazu wenn nötig auf die Einführungen der Grundbegriffe Wissenschaft (B|_1) und Theorie (B|_2) zurück. Auf der fachdisziplinären Objektebene klärt das Projekt I DÉE SUISSE eine sprachpolitisch drängende Fragestellung: den Beitrag der SRG an den sprachpolitischen Diskurs der Schweiz. […] Die erwartbaren Ergebnisse des Projekts […] sind geeignet, die eingangs abgesteckten Wissenslücken […] in wesentlichen Ansätzen zu schließen: Die Language Awareness sprachpolitisch bedeutsamer Sprachteilhaber wird […] erschlossen, ihr Audience Design wird vor sprachpolitischem Hintergrund komparativ [für die öffentlichen Fernsehsender der deutschen und der französischen Schweiz] modelliert, der Beitrag eines publizistischen Leitmediums zum zirkulären sprachpolitischen Diskurs wird deutlich, und die Leistung dieses Leitmediums im Prozess sprachpolitischer Integration wird erschließbar. Damit ermöglicht das methodenpluralistische und auf relevante Anwendungsbereiche fokussierende Vorgehen umfassend verortete, differenzierte, empirisch gesättigte und anschlussfähige Befunde zur Sprachpraxis an gesellschaftlich entscheidender Stelle […]. Auf der fachdisziplinären Metaebene von linguistischer Wissenschaftstheorie und -politik, von Forschungsmethodik und Wissenstransfer zu erwarten ist erstens ein Beitrag zur bislang ausstehenden empirischen Sättigung integrativer theoretischer Ansätze […] - ein Beitrag also zur Überwindung der Kluft zwischen der Akteurs- und der Systemperspektive in der Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW), ein Beitrag damit auch zur Reputation der Linguistik in einer KMW, die vom Sprachlichen in der Kommunikation noch weitgehend absieht. Zweitens kann die Studie einen Beitrag leisten zur Diskussion von Methodenpluralismus und -triangulation, also zur Verbindung und Abstimmung mehrerer Methoden beim Erfassen von komplex eingebettetem natürlichem Sprachgebrauch […]. Drittens […] ist die Studie geeignet, das Transferpotenzial der Linguistik für die Sprachgebrauchspraxis zu belegen […]. Der sprachpolitische Auftrag der SRG wird historisch und systematisch geklärt, die Ergebnisse werden für den politischen Diskurs und die institutionelle Umsetzung praktisch umsetzbar vorbereitet. Eine Synthese der Ansprüche und Umsetzungen in einem differenzierten praktischen Argumentarium und in evaluierten Pilotangeboten zur Förderung der organisationalen Language Awareness ermöglicht allen beteiligten Akteuren (Öffentlichkeit, SRG, Medienschaffende) ein plastisches Verständnis, eine angemessene Einschätzung, ein motiviertes Herangehen und letztlich eine empirisch basierte Weiterentwicklung des sprach(en) geprägten und sprach(en)prägenden Handelns der SRG […]. _1 I DÉE SUISSE , Bedeutung. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 16 f. <?page no="201"?> 202 D|1.1|? e Wissenstransformation Gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung erlangen kann ein Forschungsprojekt dann, wenn gewonnenes Wissen auch die Beforschten und die Gesellschaft erreicht, nicht nur die Fachgemeinschaft. I DÉE SUISSE hat es gut: Der sprachpolitische Diskurs trägt als „selbsterfüllender Diskurs“ schon deshalb zum Zusammenhalt einer Gemeinschaft aus Sprachgemeinschaften bei, weil er die Teilgemeinschaften dazu bringt, sich miteinander zu verständigen. Diesen Diskurs kann das Projekt zweifellos beleben, womit es bereits gesellschaftlichen Nutzen abwirft (_1) . Das darf es aber nicht gewesen sein. Was geschieht darüber hinaus, und für wen? - Arbeiten Sie in einfachen Worten heraus, was von I DÉE SUISSE an medienlinguistisch verankerten transdisziplinären Leistungen zu erwarten ist (B|1.2.3 und B|4.1) . Zielsetzung: Der Wissenstransfer des Projekts I DÉE SUISSE bezweckt einerseits, den sprachpolitischen Diskurs außerhalb der SRG mit wissenschaftlich erhärteten Grundlagen zu fördern. Vor der Grundannahme des selbsterfüllenden Diskurses […] wächst mit dem sprachpolitischen Diskurs auch der (sprach)politische Zusammenhalt. Der Wissenstransfer soll andererseits den Sprachdiskurs innerhalb der SRG systematisch fördern, dadurch die organisationale Language Awareness der Organisation stärken und es den Akteuren schließlich ermöglichen, Sprache und Sprachen im Sinn des reflektierten sprachpolitischen Auftrags differenzierter zu nutzen. Dafür sind potenziell interessierte Kreise früh und systematisch einzubeziehen. Methoden: Zwei methodische Arrangements sind für den Wissenstransfer geplant, der Workshop und die professionelle Beratung. Im Workshop kooperieren Fachdisziplinen zwecks gemeinsamer problemorientierter Wissensentwicklung, und zwar interdisziplinär als Forschergruppe oder transdisziplinär zusammen mit außerwissenschaftlichen Akteuren. […] Im Projekt I DÉE SUISSE beraten die Projektnehmer die Organisation [Schweizer Fernsehen] in der Entwicklung, Durchführung und Evaluation von sprachpolitisch reflektierter und reflektierender, systematischer betrieblicher Weiterbildung zum Sprachgebrauch in der Organisation und im Programm. Einzelne Pilotangebote werden konkret umgesetzt und für die projektüberdauernde Implementierung vorbereitet. […] Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit den Ausbildungsverantwortlichen, den Programmverantwortlichen und den Redaktionen. Die Projektpartner erheben systematisch den Handlungsbedarf, entwickeln entsprechende Maßnahmen: ein systematisches Ausbildungsprogramm Sprache (ein Desiderat […]), dazu ein Pilotangebot an Workshops, Trainings, Coachings. Diese Maßnahmen werden in einem ersten Durchlauf von den Projektpartnern mit den Nachrichtenredaktionen [des Schweizer Fernsehens] umgesetzt, dann ausgewertet. Schließlich bereiten sie das Maßnahmenpaket vor zum Transfer an andere Akteure […] in der SRG, im Medien- und Kommunikationssystem Schweiz und darüber hinaus. _1 I DÉE SUISSE , Wissenstransformation. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 14 f. <?page no="202"?> 203 D|1.2 Forschungsstand Forschung knüpft an bestehendes Wissen an - was die Kenntnis des aktuellen Diskursstands voraussetzt. Bei interdisziplinärer Forschung gilt dies für die Diskursstände aus allen beteiligten Disziplinen. Das Projekt I DÉE SUISSE bearbeitet eine medienlinguistische Fragestellung, die mit kommunikations- und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen verbunden ist. So untersucht es etwa journalistischen Sprachgebrauch vor dem Hintergrund integrativer Sozialtheorie (D|3|? e) . Also sind hier medienlinguistische, kommunikationswissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Diskurse einzubinden. Die Projektbeschreibung zu I DÉE SUISSE arbeitet den Diskursstand dieser Disziplinen in drei Schritten auf: Sie umreißt die bisherigen Erkenntnisse im Problemfeld, steckt die Forschungslücken ab und nennt schließlich die ausgewiesenen Leistungen der Projektnehmer im Umfeld der Forschungslücken. Dabei soll sich zeigen, dass die Projektnehmer erstens den Stand des Wissens kennen, zweitens den Forschungsbedarf erkennen und drittens erfahren genug sind, um die Forschungsfrage mit den gegebenen Ressourcen angemessen zu bearbeiten. Beurteilt wurde das Projektgesuch in internationaler single-blind Review, einem Verfahren, bei dem die Gutachter die Namen der Gesuchsteller erfahren, aber umgekehrt die Gesuchsteller nicht wissen, wer ihr Gesuch einschätzen wird. Unbekannt bleibt so auch die disziplinäre Herkunft von Adressaten des Gesuchstexts. Medienlinguistisch-interdisziplinäre Überlegungen waren also so darzustellen, dass auch Experten entfernterer Fächer der Argumentation folgen können. Da helfen klare Linien. Es geht um den Sprachgebrauch der gesellschaftlich relevanten Organisation SRG im Dilemma zwischen Politik und Wirtschaft, der methodisch differenziert erschlossen werden soll. Also interessieren die Diskurse zum politischen und ökonomischen Bezugsrahmen (D|1.2|? b und ? c) sowie zur Organisations- und zur Gesellschaftsperspektive (D|1.2|? d und ? e) der Fragestellung - und vorweg der Diskurs zu Theoriebildung und Methodik (D|1.2|? a) . <?page no="203"?> 204 D|1.2|? a Theoriebildung und Methodik Interdisziplinär kann die Medienlinguistik mit I DÉE SUISSE einen Beitrag leisten zur empirischen Sättigung integrativer Sozialtheorie (_1) . Wie das? - Beschreiben Sie den Zusammenhang von integrativer Sozialtheorie (D|3|? e) und einer medienlinguistischen Methodik, wie sie in diesem Buch vorgestellt wird (B|3) : Wer das Handeln bestimmter institutioneller, organisationaler und auch individueller Akteure als sprachpolitisch relevant untersucht, unterstellt eine Wechselwirkung von systemischen Strukturen (Möglichkeiten und Grenzen des Handelns) einerseits und Akteurshandeln andererseits. Solche Wechselwirkungen vermögen integrative Sozialtheorien zu erfassen, Theorien zum gesellschaftlichen Zusammenhang von Einzelhandeln und System, wie sie in der Soziologie (z.B. Giddens, 1997), in der Linguistik (Bucher, 2004; Hausendorf, 2004) oder in der Kommunikations- und Medienwissenschaft (Raabe, 2004; Wyss, 2004; Wyss, 2002) diskutiert werden. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie organisationale Praxis bzw. Sprachgebrauch als Schnittstelle kognitiver und sozialer Praktiken verstehen und dass sie Akteurshandeln und Systemstruktur als Wechselwirkung (rekursive Konstitution) modellieren: Einerseits vollzieht sich Handeln motiviert und begrenzt durch Systemstrukturen, andererseits aber beeinflusst, prägt, formt dieses Handeln wiederum die Strukturen, zum Beispiel organisationale und gesellschaftliche Sprachgebrauchsnormen. - Allerdings wird in der Diskussion vor allem der nichtlinguistischen integrativen Ansätze moniert, der empirische Nachweis dieser Wechselwirkung sei methodisch schwierig zu operationalisieren (v.a. Raabe, 2004). […] Der Hauptgesuchsteller Daniel Perrin hat gesellschaftlich eingebettete journalistische Textproduktion und besonders die Nachrichtenproduktion aus linguistischer Perspektive breit untersucht, beispielsweise die Rahmenbedingungen im Projekt J OURNALISMUS IN DER S CHWEIZ (SPP [Nationales Schwerpunktprogramm der Forschung] Z UKUNFT S CHWEIZ ) oder die Textproduktionsstrategien von Nachrichtenredakteuren an 40 Arbeitsplätzen in Print, Radio, TV und Online im Projekt S TRATEGIEN DER N ACHRICHTENPRODUKTION […], wo Zusammenhänge von organisationalen und individuellen sprachlichen Leitvorstellungen, prozeduralem Textproduktionshandeln und präsentiertem Textprodukt nachgewiesen werden (Perrin, 2001b). In einem ethnografischen Projekt hat er während zweier Jahre das Wechselspiel von organisationaler, systemischer Normsetzung, gelebtem Sprachdiskurs, Textproduktionsprozessen und Textprodukten der Redaktion T AGES -A NZEIGER nachgezeichnet (Perrin, 2006f, Perrin, 2004, Perrin, 2003b). Auf der fachdisziplinären Metaebene verbindet Perrin diesen Objektfokus mit methodologischer, wissenschaftspolitischer und wissenstransfergerichteter Arbeit. Er hat die Progressionsanalyse entwickelt (Perrin, 2006b; Perrin, 2003a; Perrin, 2002; Perrin, 1999b; Perrin, 1998, einen Mehrmethodenansatz zur Erfassung der prozeduralen Aspekte der Textproduktion, der inzwischen auch zur Erforschung der Textproduktion in anderen Domänen aufgegriffen worden ist. […] _1 I DÉE SUISSE , Forschungsstand zur Theoriebildung. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 2 ff. <?page no="204"?> 205 D|1.2|? b Politischer Bezugsrahmen I DÉE SUISSE geht davon aus, dass publizistische Medien zum Zusammenhalt politischer Gemeinschaften beitragen können. Schärfer besehen, ist von zwei Ebenen des Zusammenhalts die Rede, die sich vermutlich wechselseitig beeinflussen: der Zusammenhalt der Teilgesellschaften in sich und untereinander (_1) . Auf welcher Ebene ist die Beziehung von publizistischen Medien und politischem Zusammenhalt bisher verbindlich untersucht worden? Mit welchem Ergebnis? - Beschreiben Sie die bisherigen Befunde und die Fragen, die diese Befunde aufwerfen, wenn Sie an den Zusammenhalt zwischen den Teilgemeinschaften denken. In einer politischen Gemeinschaft aus Sprach-Teilgemeinschaften (Sprachräumen, Sprachschichten etc.) zielt sprachpolitischer Diskurs systemlogisch auf zwei komplementäre Funktionen: einerseits Selbstbehauptung und andererseits Integration der Teilgemeinschaften. Das gilt für die Schweiz ebenso wie für komplexere Gemeinschaften, etwa Europa, was den sprachpolitischen Diskurs der Schweiz modellhaft interessant macht (Blum, 1999). Publizistische Medien tragen diesen sprachpolitischen Diskurs mit, neben anderen Diskursträgern wie etwa politischen Behörden. Der Diskurs für die Sprachpolitik der Schweiz wird beschrieben als pragmatisch und kleinschrittig, als zirkulär, iterativ (Grin, 1998; Grin, 1996; Reichenau, 1997; Widmer, Coray, Acklin Muji, & Godel, 2004). In den Diskursen werden sprachpolitische Probleme benannt und erörtert, aber nicht beseitigt. Das braucht aber kein Mangel dieses Diskurses zu sein; seine Funktion kann darin bestehen, Probleme laufend zu reformulieren und damit für Anschlussdiskurs zu sorgen. Im Diskurs selbst kann nämlich die identitäts- und gemeinschaftsstiftende Wirkung des „Sprachproblems“ liegen (Widmer, et al., 2004): Solange sich Sprachgemeinschaften nach innen und außen über ihre Verständigungsprobleme verständigen, gehen sie miteinander um und stellen so Zusammenhalt her. - Allerdings ist kaum untersucht, was publizistische Medien zu einem solchen zirkulären Diskurs beitragen sollen (Bonfadelli, Meier, & Schanne, 1998) und tatsächlich beitragen (AGK, 1991; Reichenau, 1997; Steinmann, Zaugg, & Gattlen, 2000). Der Mitgesuchsteller Michael Schanne hat in der Studie „Kommunikation und Kultur: Der Beitrag der Medien an die rätoromanische Sprache und zur Herausbildung rätoromanischer Identität“ (AGK, 1991) das Problem der Einführung einer neuen Sprache - Rumantsch grischun - in direkter Verbindung mit einem neuen Medium - L A Q UOTIDIANA - thematisiert. Die Studie verbindet in einem Mehrmethodenansatz die Inhaltsanalyse und das Leitfadengespräch und beschreibt die Unterschiede in medien- und sprachpolitisch relevanten Leistungen von Print, Hörfunk und Fernsehen. In der Begleitforschung zu den privaten Rundfunkversuchen in der Schweiz (1984-1989) wurden Programm- und Sendungsanalysen mit Publikumsbefragungen und Expertengesprächen kombiniert. Ein signifikanter Befund war, dass der ausgedehnte Gebrauch des Dialekts im Programm von Radios der deutschen Schweiz für den Publikumserfolg der lokalen Radioprogramme verantwortlich war (Schanne, Diggelmann, & Luchsinger, 1989). In der Studie „Es kommen alle gerne im Radio“ (Schanne & Luchsinger, 1988) wurde festgestellt, dass Publika sich lieber in dialektsprachliche als in standardsprachliche partizipative Beiträge (Phone-ins) einbringen. _1 I DÉE SUISSE , Forschungsstand zum politischen Rahmen. Perrin, Schanne, et al., 2005, 2 ff. <?page no="205"?> 206 D|1.2|? c Ökonomischer Bezugsrahmen Zum Zusammenhalt einer Gemeinschaft beitragen kann nur ein Medium, das genutzt wird. Schon unter diesem integrationspolitischen Blickwinkel erscheint es sinnvoll, wenn öffentliche Medien am Markt um Publika kämpfen. Aber auch wirtschaftspolitisch kommen öffentliche Medien nicht umhin, breiten Erfolg am Publikumsmarkt auszuweisen: Wer mit öffentlichen Mitteln finanziert ist, muss öffentlich bedeutend sein. Auf der anderen Seite verhalten sich die einzelnen Mediennutzenden in ihrer Programmwahl nicht zwingend so, wie sie es als politische Gemeinschaft vernünftigerweise tun müssten. Dann öffnet sich das Dilemma zwischen politischem Auftrag und Marktzwängen (_1) . Strategien des Audience Design könnten aber dieses Dilemma aufheben. Welche Strategien? - Suchen Sie Beispiele in bisher vorgestellten Arbeiten zu Audience Design (C|2.4.2|_2) . Werbefinanzierte Medien suchen Publika zu gewinnen und zu pflegen, um damit ihren Wert an Werbemärkten zu erhöhen. Der Zwang zum Erfolg am Publikumsmarkt gilt aber, sobald andere Anbieter auf den gleichen Markt zielen, auch für Medien wie die SRG, die als Service public institutionalisiert sind: Ohne Erfolg am Publikumsmarkt ließe sich die Sonderstellung in der Finanzierung kaum rechtfertigen (W. A. Meier, Bonfadelli, & Schanne, 1993). Als linguistisch zentrales Mittel am Publikumsmarkt gilt Audience Design: Medienorganisationen versuchen mit sprachlichen Mitteln - von der Prosodie bis zur Textdramaturgie - das Dilemma zu bewältigen, einerseits ihre Zielpublika mit Gewohntem, Vertrautem zu erreichen und sich andererseits von ihrer Konkurrenz durch Außergewöhnliches, Neues abzuheben (Bell, 1984b; Bell, 1991; Bell, 2001; M. Burger, 2004; M. Burger & Filliettaz, 2002; M. Burger, 2000; D. Cameron, 1996; Clark & Murphy, 1982; Heritage, 1985; Machin & Thornborrow, 2003; Selting, 1983; Wittwen, 1995) und sich etwa auf sprachregionale und/ oder jugendliche Publika einzustellen (Androutsopoulos & Ziegler, 2003; Werlen, 2000b; Werlen, 2000a). Dazu gehört auch die Entwicklung immer ausgefeilterer Instrumente zur Kontrolle von Programmqualität und Markterfolg (Breunig, 1999). - Untersucht wurde Audience Design unterschiedlichster Anbieter und Angebote, auch unter historischem Blickwinkel (Schwitalla, 1993); kaum aber vor sprachpolitisch-organisationalem Hintergrund […]. In der Studie „Medienlandschaft Schweiz im Umbruch“ (W. A. Meier, et al., 1993) wurden die unterschiedlichen Spannungen zwischen Service public und Medienmarkt analysiert, welche die Veranstaltung von Rundfunkprogrammen bestimmen. Deutlich wurde, wie sich gesellschaftspolitische Ziele und Marktkonkurrenz entgegenstanden, was sich auch in unterschiedlichsten Publikumserwartungen spiegelte. Ebenso wurde einsichtig, dass die Akteure der Medienpolitik nicht immer die ganze Tragweite ihrer Handlungen überblickt hatten; mit bestimmten medienpolitischen Entscheidungen waren auch nichtgewünschte Folgen - Widerspruch und Konflikt mit dem Verfassungsauftrag - programmiert worden. […] Die Situation der SRG konnte so als strukturelles Dilemma beschrieben werden. […] _1 I DÉE SUISSE , Forschungsstand zum ökonomischen Rahmen. Perrin, Schanne, et al., 2005, 3 ff. <?page no="206"?> 207 D|1.2|? d Organisationsperspektive Im Schnittfeld von politischem Auftrag und Marktwirtschaft sind Medienschaffende laufend zum Handeln gezwungen - als Individuen wie als Organisation. Wie aber eine Organisation nach außen handeln will, muss sie nach innen laufend aushandeln. In diesem Aushandlungsprozess entwickeln die Individuen gemeinsame Sinnvorstellungen und gemeinsames Wissen, zum Beispiel eine gemeinsame Language Awareness (B|1.2.3|_1) . Solche Aushandlungsprozesse sind in der Forschung noch schwach nachgezeichnet; was Medienorganisationen tun wollen, weiß man kaum - sieht man von den vielen Studien im Sinn Kritischer Diskursanalyse ab (B|3.3|_1) , die vorwiegend indirekt, von den Medienprodukten her, auf Handlungsabsichten der Medien schließen (_1) . Reicht dieser methodische Zugang nicht? - Begründen Sie Ihre Stellungnahme. Mit Sprachgebrauch dokumentieren Sprachteilhaber ihr eigenes Wissen, ihre Einstellungen und Handlungsmuster, aber auch ihr Sprachbewusstsein im Sinn des bewussten Wissens über Sprache und Sprachgebrauch, im Sinn also von Language Awareness (Peyer, 2003). Dies gilt natürlich auch für professionelle Textproduzierende, für Medienschaffende - Gemeinschaften und Individuen. Eine breite Tradition der Critical Discourse Analysis arbeitet über politische Einstellungen und kulturelle Hintergründe, die sich in sprachlichen Mitteln journalistischer Texte niederschlagen (typische Ansätze zeigen etwa M. Burger, 2009; Chouliaraki, 2000; Dirks, 2005a; Dirks, 2005b; Y.-J. Fang, 2001; Leudar & Nekvapil, 2000; Page, 2003; Stenvall, 2003; Talbot, 1992; Torck, 2001; Zinken, 2003). - Bislang kaum untersucht ist dagegen das eigentliche Bewusstsein von Medienschaffenden im Umgang mit Sprache, die Language Awareness eben (für Teilaspekte vgl. z.B. Johnson, et al., 2003; Johnson & Suhr, 2003; Lehr, 2001; Seifert, 2001; Toolan, 2003). Erst recht gilt dies für organisationale Verankerung von Language Awareness und sprachpolitische Zusammenhänge. Kaum erschlossen sind schließlich methodische Zugänge jenseits der Analyse fertiger Beiträge: Leitbildentwicklung, Produktionsprozesse, redaktionelle Anschlussdiskurse (Ansätze bei Dor, 2003; Sleurs, et al., 2003). Der Mitgesuchsteller Vinzenz Wyss hat redaktionelles Qualitätsmanagement und besonders das Steuerungspotenzial von redaktionellen Infrastrukturen zur Qualitätssicherung empirisch untersucht (Wyss, 2003; Wyss, 2002; Wyss, 2000c; Wyss, 2000b; Wyss, 2000a). […] Die Studie (Wyss, 2002) liefert u.a. Befunde zur Wahrnehmung der Wirksamkeit von publizistischen Leitbildern, Leistungslohnsystemen, Publikumsforschung, Zielvereinbarungsgesprächen, Redaktionsstatuten, Ombudsstellen sowie internen redaktionellen Sicherungsprozessen (z.B. Beitragsabnahme, Sendungskritiken) bei den Medienschaffenden. Schließlich hat Wyss […] untersucht, inwiefern und mit welchem Erfolg in elektronischen Medien Instrumente des Programmcontrollings zur qualitätsintendierten Steuerung von Radioprogrammen angewendet werden (Wyss & Müller, 2004). _1 I DÉE SUISSE , Forschungsstand zur Organisationsperspektive. Perrin, Schanne, et al., 2005, 3 ff. <?page no="207"?> 208 D|1.2|? e Gesellschaftsperspektive Das Projekt I DÉE SUISSE untersucht empirisch, was Medienschaffende sprachpolitisch sollen, wollen und tun. Dagegen untersucht es nicht selbst, was sie damit anrichten - also wie sich der Sprachgebrauch der Institution auswirkt etwa auf Sprachbewusstsein und politisches Handeln der Mediennutzerinnen und -nutzer und der weiteren Öffentlichkeit. Bei den begrenzten Forschungsmitteln ist hier eine Schnittstelle zu einem möglichen Anschlussprojekt geboten. In I DÉE SUISSE gilt vorerst die Annahme, der Kontakt mit der eigenen und mit anderen Sprachen löse bei den Nutzern einen Lernprozess aus: den Ausbau der Repertoires an Mustern der Versprachlichung, der Wahrnehmung und des Denkens. Diese Annahme ist breit abgestützt. Zum Beispiel gilt Sprachenlernen, bei allen Unterschieden lerntheoretischer Ansätze, immer auch als Imitationslernen. Dies spricht für die grundsätzliche Annahme, der Sprachgebrauch in publizistischen Medien präge gesellschaftlichen Sprachgebrauch mit. In Ausschnitten sind solche Einflüsse medienlinguistisch untersucht und nachgewiesen (_1) . Wo und wie? - Verschaffen Sie sich einen Überblick zu empirischen Befunden. Lesen Sie dazu die Zusammenfassungen zu den unten genannten medienlinguistischen Studien in der Publikationsdatenbank - oder die Originale selbst (E) . Publizistische Medien stellen Versprachlichungsmuster zur Verfügung - auf allen textlinguistischen Ebenen: Muster des diskursiven Mitteilens in Fortsetzungen; der Textdramaturgie; des Erzählens, Erklärens und Argumentierens; der Formulierung, der Artikulation. Soziolinguistisch gesehen, liefern Medien Muster sprachsozialer Praktiken, etwa des Gebrauchs und Wechsels (Switching, Shifting) von Varietäten. Psycholinguistisch gesehen, liefern sie Muster sprachkognitiver Praktiken, etwa des Verständlichmachens und Verstehens. Zusammengenommen erweisen sich die Medien als Instanzen, die Sprache öffentlich wahrnehmbar gebrauchen und damit die Sprache ihrer Nutzerinnen und Nutzer mitprägen (Bogrdanova, 2005; Branner, 2002, Cotter, 2003; Holly & Püschel, 1993; Jung, 1994; Klemm, 2000; Kudryavtseva, 2005; Michel, 2001; Muhr, 2003). - Allerdings ist kaum untersucht, was publizistische Medien konkret zur sprachpolitischen Integration beitragen (Blum, 1999). In zwei Studien zu den gesellschaftlichen Nutzen der Programme […](SRG SSR Idée Suisse, 2001; SRG SSR I DÉE S UISSE , 2003) hat Schanne […] am Beispiel von L ÜTHI UND B LANC und den interregionalen Sendungen in den Radio- und Fernsehprogrammen die Beiträge zum Austausch zwischen den Sprachregionen dargestellt und analysiert. _1 I DÉE SUISSE , Forschungsstand zur Gesellschaftsperspektive. Perrin, Schanne, et al., 2005, 3 ff. <?page no="208"?> 209 D|1.3 Forschungsplan Die Analyse gliedert sich in vier Module: das Modul A zu sprachpolitischen Anforderungen an die Medienorganisation SRG, das Modul B zur Deutung dieser Anforderungen durch das Management der SRG, das Modul C zur Umsetzung der Leitvorstellungen im publizistischen Alltag und das Modul D zur Reflexion der eigenen Leistung im redaktionellen Metadiskurs. Die Module unterscheiden sich in ihren Fragestellungen, aber auch in ihrer Methodik. Von A bis D werden sie empirisch schmaler und tiefer, sie untersuchen immer kleinere Ausschnitte immer genauer. Weiter bauen sie aufeinander auf, deshalb sind sie zeitlich gestaffelt (_1) : Zeit → Schritte ↓ 2005 2006 2007 4 1 2 3 4 1 2 3 O N D J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S Modul A Modul B Modul C Modul D Metaplanung Workshop intern Workshop extern _1 I DÉE SUISSE , Projektablauf in vier gestaffelten Modulen. Perrin, Schanne, et al., 2005, 13 Die nächsten Seiten stellen die vier Module vor. Für jedes Modul nennen sie Teilziele, Hypothesen, Methoden und Arbeitsschritte (D|1.3|? a bis ? d) . <?page no="209"?> 210 D|1.3|? a Modul A: Externe Anforderungen Das Modul A zeichnet die sprachpolitischen Anforderungen nach, die von außen an die SRG gerichtet werden (_1) . Begründen Sie, wieso dieses Modul den Modulen C und D vorangehen muss. Ziel Zu untersuchen ist, welche externen Akteure aus welchen Gründen zu welchem Zeitpunkt implizite oder explizite sprachpolitische Anforderungen an die unterschiedlichen Unternehmenseinheiten und Programme der SRG gestellt haben und stellen. So wird beispielsweise abgeklärt, ob sich die Institutionen der Gesetzgebung mit den erwartbaren sprachpolitischen Folgen einer Zulassung privater Rundfunkveranstalter angemessen auseinandergesetzt haben. Hypothesen H A 1 Die schweizerische Sprachpolitik greift in pragmatischer, heterogener, wenig systematischer Weise auf den als Service public institutionalisierten Rundfunk zurück, um sprachpolitische Probleme zu lösen. H A 2 Die schweizerische Sprachpolitik unterstellt ein Wirkungspotenzial des Rundfunks. H A 3 Sie begründet dies damit, dass a) publizistische Medien alle Bürgerinnen und Bürger erreichen (Reichweite) und dass b) publizistische Medien wie Sprachen auch Systeme des Austausches und der Verständigung sind. H A 4 Die schweizerische Sprachpolitik setzt sich nicht weiter mit den erwartbaren Folgen ihrer Entscheidungen auseinander. Methoden Dokumente aus Verfassung, Gesetz und Verordnung, aber auch aus themenbezogenen parlamentarischen Diskursen und weiteren sprachpolitisch relevanten Diskursen werden einer historisch-vergleichenden Argumentationsanalyse unterzogen. Leitfadengespräche mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Sprach-, Kultur-, Bildungs- und Medienpolitik werden inhaltsanalytisch und exemplarisch auch diskursanalytisch ausgewertet. […] Schritte S A 1 die relevanten sprachpolitischen Dokumente bestimmen; S A 2 eine historisch-vergleichende Dokumentenanalyse durchführen; S A 3 die Experten und Expertinnen für Leitfadengespräche bestimmen; S A 4 die Leitfadengespräche durchführen; S A 5 die Daten aus Modul A trianguliert auswerten; S A 6 die Ergebnisse in die Module B, C und D einspeisen; S A 7 […] die Ergebnisse vorbereiten zum Transferschritt „Workshop mit medienexternen Akteuren der schweizerischen Sprachpolitik“. […] _1 I DÉE SUISSE , Forschungsplan, Modul A. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 8 f., gestrafft <?page no="210"?> 211 D|1.3|? b Modul B: Interne Leitvorstellung Das Modul B rekonstruiert die Regeln, mit denen die Geschäftsleitung der SRG den Sprachgebrauch im Programm steuert (_1) . Warum geschieht dies in Dokumentenanalysen und Leitfadengesprächen? - Nennen Sie Gründe, die Regeln der Leitung methodisch anders zu erheben als die Praktiken der Medienschaffenden. Ziel Zu untersuchen ist, welche Leitbilder in der SRG zur Steuerung sprachpolitisch relevanter Prozesse entwickelt und eingesetzt werden, welche Normen hinter entsprechenden Kommunikationsstrategien stehen, welche Sinnbzw. Legitimationsordnungen dabei von den organisationalen Akteuren aktualisiert werden (z.B. Rechtfertigungsgründe für Mundart bzw. Hochdeutsch) und welche Ressourcen dazu wie eingesetzt werden (z.B. Richtlinien, Übersetzungsanweisungen, Verpflichtung zur Teilnahme an Sprachkursen, Instrumente des Programmcontrollings). Hypothesen H B 1 Die SRG entlässt sich unter dem Druck der Ökonomisierung und Publikumsorientierung immer stärker aus der Pflicht des Leistungsauftrags. H B 2 Grundsätzliche sprachpolitische Entscheidungen (Hochsprache, Grundversorgung, Austausch, Verständigung; Integration) weichen mehr und mehr einer pragmatischen Sprachpolitik. H B 3 Die SRG orientiert sich zunehmend an den Erwartungen ihrer sprachregionalen Zielpublika. H B 4 Die Unternehmenseinheiten der SRG in den Sprachregionen entwickeln differenzierte organisationale Sprachpolitiken - abhängig von unterschiedlichen Markt- und Konkurrenzkonstellationen. Methoden Sprachpolitisch relevante Dokumente aus der Geschichte des Schweizer Fernsehens […] seit der definitiven Einführung werden einer historisch-vergleichenden Argumentationsanalyse unterzogen. Leitfadengespräche mit sprachpolitisch Verantwortlichen [des Schweizer Fernsehens] werden inhaltsanalytisch und exemplarisch auch diskursanalytisch ausgewertet. […] Schritte S B 1 das Korpus organisationsinterner sprachpolitischer Dokumente erschließen; S B 2 die historisch-vergleichende Dokumentenanalyse durchführen; S B 3 die Experten und Expertinnen für die Leitfadengespräche bestimmen; S B 4 die Leitfadengespräche durchführen; S B 5 die Daten aus Modul B trianguliert auswerten; S B 6 die Ergebnisse anknüpfen an Modul A und einspeisen in die Module C und D. […] _1 I DÉE SUISSE , Forschungsplan, Modul B. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 9 f., gestrafft <?page no="211"?> 212 D|1.3|? c Modul C: Redaktionelle Textproduktion Das Modul C untersucht mit Prozess- und Produktanalysen die Textproduktion der wichtigsten Informationssendungen im deutsch- und im französischsprachigen öffentlichen Fernsehen der Schweiz (_1) . Wo sehen Sie Knackpunkte in der Durchführung dieses Moduls? - Denken Sie dazu die Schritte der Progressionsanalyse (B|3.2) nochmals durch. Ziel Zu untersuchen ist, inwiefern sich sprachpolitische Anforderungen in der Programmgestaltung und der Beitragsproduktion der SRG niederschlagen als subjektive Theorien, Produktionsstrategien und Produktionshandlungen der Medienschaffenden - und schließlich als sprachliche Merkmale der Beiträge. Dieses Modul fokussiert auf die Textproduktion für die sprachpolitisch bedeutsamen Informationssendungen [der öffentlichen Fernsehanbieter der deutschen und der französischen Schweiz]. Hypothesen H C 1 In der untersuchten Textproduktion zeigen sich prozedurale Grundmuster des Audience Design, und zwar a) individuelle, b) redaktionsspezifische und c) sprachraumspezifische Grundmuster. H C 2 Sprachpolitisch motivierte Strategien und Entscheidungen kommen dabei weniger zum Tragen als medienwirtschaftlich motivierte, und zwar a) generell, b) verstärkt bei jüngeren Medienschaffenden und c) verstärkt in Redaktionen, die sich an jüngere Publika richten. Methoden Medienbeiträge werden text- und variationsanalytisch untersucht. Produktionsprozesse werden mit dem ethnomethodologisch basierten Mehrmethodenansatz der Progressionsanalyse erfasst. Vor dem Schreiben wird mit Interviews und teilnehmender Beobachtung die Arbeitssituation erfasst, während des Schreibens mit computergestützter Beobachtung die Schreibbewegung vermessen, nach dem Schreiben mit datengestützten retrospektiven Verbalprotokollen das Repertoire der Schreibstrategien erschlossen. Schritte S C 1 die Fallstudien festlegen [je ca. 20 deutsche und französische]; S C 2 die Redaktionen einführen und die Beobachtungssoftware installieren; S C 3 Interviews und teilnehmende Beobachtung durchführen; S C 4 datengestützte retrospektive Verbalprotokolle erfassen; S C 5 die Daten aus Modul C trianguliert auswerten; S C 6 die Ergebnisse anknüpfen an die Module A und B und einspeisen ins Modul D; S C 7 […] die Ergebnisse vorbereiten zum Transferschritt „Workshop mit SRG-internen Akteuren der schweizerischen Sprachpolitik“. […] _1 I DÉE SUISSE , Forschungsplan, Modul C. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 10, gestrafft <?page no="212"?> 213 D|1.3|? d Modul D: Redaktioneller Metadiskurs Das Modul D untersucht mit Diskursanalysen den Metadiskurs der redaktionellen Qualitätssicherung in den Redaktionen der führenden deutsch- und französischsprachigen Fernsehnachrichten der SRG. Erkennbar wird darin die programmwirksame Language Awareness der sprachschaffenden und sprachbildenden SRG (_1) . Warum? - Beschreiben Sie den Zusammenhang von Metadiskurs (B|3.4) und Language Awareness (B|1.2.3|_1) in einer Organisation. Ziel Untersucht wird, inwiefern die Medienschaffenden die sprachpolitisch intendierten sprachlichen Merkmale in ihren Anschlussdiskursen zur Qualitätssicherung aufgreifen, etwa in Beitrags- und Sendekritiken, in Redaktionskonferenzen oder in der Bearbeitung von Hörer- und Zuschauerkritik. Dieses Modul fokussiert auf die verschrifteten Anschlussdiskurse der Redaktionen T AGESSCHAU und 10 VOR 10 im Zusammenhang mit den Fallstudien aus Modul C. Hypothesen H D 1 In den untersuchten Anschlussdiskursen wird Sprachgebrauch heterogen, unsystematisch, punktuell thematisiert. H D 2 Sprachpolitisch motivierte Überlegungen kommen dabei weniger zum Tragen als medienwirtschaftlich motivierte, und zwar a) generell, b) verstärkt bei jüngeren Medienschaffenden und c) verstärkt in Redaktionen, die sich an jüngere Publika richten. Methoden Mündliche Anschlusskommunikation wie Beitragsabnahmen, Sendekritiken und Redaktionskonferenzen wird aufgezeichnet, transkribiert und gesprächsanalytisch ausgewertet. Diskursanalytisch untersucht wird schriftliche Anschlusskommunikation, zum Beispiel der Mailwechsel im Zusammenhang mit bestimmten Beiträgen oder Problemen, das Protokoll einer Redaktionssitzung, die institutionalisierte schriftliche Sendekritik, die schriftliche Zuschauerkommunikation. Schritte S D 1 die Fallstudien festlegen […]; S D 2 die Redaktionen einführen und allenfalls externe Zustimmung einholen […]; S D 3 Daten erheben; S D 4 Gesprächsdaten transkribieren; S D 5 die Daten aus Modul D trianguliert auswerten; S D 6 die Ergebnisse in Bezug setzen zu den Ergebnissen aus den Modulen A, B und C […] _1 I DÉE SUISSE , Forschungsplan, Modul D. Quelle: Perrin, Schanne, et al., 2005, 10 f., gestrafft <?page no="213"?> 214 D|1.4 Fazit zum Forschungsprojekt I DÉE SUISSE Das Projekt I DÉE SUISSE führt also in vier Modulen von den externen sprachpolitischen Anforderungen (Modul A) über die internen Leitvorstellungen (Modul B) und die Beitragsproduktion (Modul C) zu den redaktionellen Metadiskursen (Modul D) des öffentlichen Rundfunkanbieters SRG. Es arbeitet mit Dokumentenanalysen und Leitfadengesprächen, mit Inhalts-, Diskurs- und Gesprächsanalysen sowie dem Mehrmethodenansatz der Progressionsanalyse. Die Ergebnisse aus den einzelnen Modulen und Verfahren werden trianguliert, also systematisch aufeinander bezogen (D|1.3) . Diese komplexe Anlage baut auf theoretische Überlegungen zur disziplinären Metaebene: Überlegungen zur Methodentriangulation sowie zur inter- und transdisziplinären, medienlinguistisch basierten Forschung. Auf der Objektebene gründet das Projekt einerseits auf dem Wissensstand zum politischen und zum ökonomischen Bezugsrahmen der Fragestellung; geht es doch um das Dilemma zwischen öffentlichem Auftrag und Marktbedingungen des Rundfunkanbieters SRG. In diesen Bezugsrahmen erfasst das Projekt die Textproduktion der SRG aus der Organisationsperspektive und verortet die Bedeutung dieser Textproduktion aus der Gesellschaftsperspektive (D|1.2) . Bei Gesuchstellung war anzunehmen: Möglicherweise widerspricht der sprachliche Auftrag an die SRG der gelebten Medienpolitik der Auftraggeber; vermutlich legt die SRG-Leitung den öffentlichen Auftrag eher wettbewerbsfreundlich moderat aus; und wahrscheinlich setzen ihn die Redaktionen uneinheitlich um. Solche Hypothesen waren also zu überprüfen. Theoretisch aber war und ist klar, dass der Sprachgebrauch einer SRG gesellschaftlichen Sprachgebrauch mitprägt. Herauszufinden und vielleicht aus bestehenden Handlungsmustern abzuleiten war also, was die SRG tun kann, um zur Integration der gewollten politischen Gemeinschaft Schweiz beizutragen - die, wie Europa, auch selbst wieder aus Gemeinschaften mit je eigenen Sprachen besteht (D|1.1) . Seit dem Abschluss der ersten Analysen fließen Befunde aus dem Projekt zurück an die Beforschten. Die Forschenden führten und führen die Wissenstransformation gemeinsam mit der SRG durch. - Solcher Transformation gilt das nächste hier ausführlich vorgestellte Projekt (D|2) . <?page no="214"?> 215 D|2 Transferprojekt: T EXTBERATUNG TA Textberatung unterscheidet sich in zwei Punkten von anderen Beratungsfeldern. Erstens haben sich Felder wie die Ernährungsberatung professionalisiert und institutionalisiert, Textberatung dagegen nicht. So wirkt der Markt kunterbunt, die Qualität der Leistung hängt allein vom Selbstverständnis eines Anbieters ab. Zweitens fehlt professionelle Textberatung gerade dort, wo primär Texte produziert werden, zum Beispiel im Journalismus. Linguistisches Wissen und Professionalität in der Beratung wären gefragt. Wie die Sprache ist auch die Beratung ein Gegenstand wissenschaftlicher Interessen. Mit Beratung befassen sich primär die Didaktik und die Angewandte Psychologie. Sie beschreiben Beratung als methodisch reflektiert und ausgerichtet auf die Lösung von Problemen eines Kunden. Je nach Beratungstyp steht dabei das schnelle Ergebnis im Vordergrund oder die Fähigkeit des Kunden, seine Probleme selbst zu lösen. So oder so setzt Beratung neben Methodenwissen Sachwissen voraus, hier: Sprachwissen. Zuständig dafür ist die Linguistik. Textberatung bezieht aber nicht nur Sachwissen aus der Linguistik, sie kann umgekehrt auch dazu beitragen, linguistisches Wissen weiter auszubauen. Zu erwarten sind Erkenntnisse auf der Objekt- und der Metaebene der Linguistik, etwa zum domänenspezifischen Sprachgebrauch und zur Vermittlung von Sprachwissen. Als Hintergrund für spezifische Textberatung eignen sich die domänengerichteten Teildisziplinen der Linguistik, zum Beispiel die Medienlinguistik. - Dies zeigt die Fallstudie T EXTBERATUNG TA, ein medienlinguistisch abgestütztes Coaching der Redaktion T AGES -A NZEIGER . Die nächsten Abschnitte führen vom kunterbunten Markt (D|2.1) über die professionelle Textberatung (D|2.2) zur Fallstudie, einem Coaching der Redaktion T AGES -A NZEIGER (D|2.3) . Redaktionscoaching erweist sich als fruchtbares Feld für medienlinguistische Wissenstransformation (D|2.4) . <?page no="215"?> 216 D|2.1 Textberatung als kunterbunter Markt Ernährungsberatung und Berufsberatung sind Berufen mit geklärtem Berufsbild zugeordnet. Für diese Berufe ist der Zugang geregelt: Der Weg zur beruflichen Tätigkeit als Ernährungsberater oder Berufsberaterin führt beispielsweise über bestimmte Hochschulstudiengänge. Textberatung dagegen ist ein freies Feld: Eine Dienstleistung namens Textberatung anbieten kann jede und jeder, ungeachtet fachlicher Hintergründe. Entsprechend kunterbunt wirkt der Markt (_1) : Unter Textberatung werden alle möglichen Dienstleistungen angeboten, die irgendetwas zu tun haben mit Sprache, Sprachgebrauch, Text oder Textverarbeitung und mit Tipps, Ratschlägen, Musterlösungen, individuellen Problemlösungen oder Lösungsbegleitung. Textberatung in diesem weiten Sinn leistet, wer andern zur Sprache verhilft. Einige Beispiele: • Von Beratung reden etwa Redenschreiber und Ghostwriter. Sie lösen Probleme ihrer Kunden, indem sie ihnen fertige Texte liefern, also die Problemanalyse und -lösung ganz übernehmen. Bei einem nächsten ähnlichen Problem sind sie wieder zur Stelle. Steg, 2005 beispielsweise beschreibt seine Berufstätigkeit, das Ghostwriting für Bundeskanzler Schröder, als professionelles Vorbereiten von Texten: „Den Rednern in Spitzenfunktionen in Politik und Wirtschaft fehlt ganz einfach die Zeit, um Reden für ihre vielfältigen öffentlichen Auftritte selbst zu schreiben. Sie lassen schreiben. Sie lassen Texte und Manuskripte professionell vorbereiten, die sie natürlich jederzeit nach ganz eigenen Vorstellungen bearbeiten, überarbeiten und verfeinern.“ • Von Beratung reden aber auch Schreibzentren an Hochschulen und Forschungszentren. Sie tragen bei zur Lösung des Problems hinter dem Problem; sie leiten ihre Kunden dazu an, den Text selbst zu schreiben und künftig ähnliche Probleme selbst zu lösen. Klemm, 2004 gibt einen Überblick der Beratungsformen im Zusammenhang mit Schreibzentren an Hochschulen. • Dazwischen liegen jene Institutionen, die Teile fertiger Texte liefern oder Teilprozesse der Textproduktion ausführen: zum Beispiel das Sprachtelefon, die Terminologiefachstelle, der Übersetzungsdienst, das Korrektorat, das Lektorat. Geier & Schuppener, 2004 beschreiben Sprachberatung an Beispielen aus der Praxis des Chemnitzer Sprachberatungstelefons. Lehr, 1998 gibt einen Überblick über Sprachberatungsstellen in Deutschland und der Schweiz. […] Manekeller, 1984 nennt ein Anleitungsbuch mit Mustertexten und -formulierungen „Textberater“. Bremerich-Vos, 2001 zeigt den Einfluss der Textlinguistik auf solche Ratgeberliteratur. Antos, 1996b untersucht Ratgeberliteratur, aber auch Kommunikationstrainings zu Kommunikationsproblemen im Alltag, Bergmann, Goll, & Wiltschek, 1998 verorten Beratung im Spannungsfeld zwischen Wildwuchs und Professionalisierung. _1 T EXTBERATUNG TA, Alltagsbegriff. Quelle: Perrin, 2006f, 333 <?page no="216"?> 217 D|2.1|? a Domänenspezifische Unterschiede Von diesem kunterbunten Markt der Textberatung heben sich professionelle Dienstleister ab: Organisationen mit ausgewiesener Kompetenz in Beratung und Textproduktion; Dienstleister, die sich in beiden Feldern auf überprüfbare Gütekriterien verpflichten. Sie aber sind auf Märkte ausgerichtet, in denen Textproduktion nicht die wichtigste Tätigkeit und Texte nicht das wichtigste Erzeugnis darstellen. Ein Beispiel ist Financial copywriting, Textberatung fürs Finanzmanagement (_1) . Ähnlich professionell könnten Textproduktionsfachleute andere Textproduktionsfachleute beraten. Wen und worin? - Benennen Sie, bevor Sie weiterlesen, Berufsfelder, in denen hauptsächlich Texte hergestellt werden und beschreiben Sie Probleme, bei denen sich professionelle Beratung für Profis anbietet. Wie vielschichtig und gefragt solche Leistungen [Sprachdienstleistungen] sein können, verdeutlicht ein Blick in Angebot und Kennzahlen des Beratungsunternehmens CLS Communication (CLS steht für Corporate Language Services). „Wir schreiben, texten, erstellen, verfassen, redigieren, formulieren“, wirbt der Sprachdienstleister. Stammprodukt ist die Übersetzung, neue Produkte führen bis zur Unternehmensberatung. 50 000 solche Aufträge hat CLS im Jahr 2004 abgewickelt, mit 250 Mitarbeitenden in Frankfurt, Kopenhagen, London, Madrid, New York, Paris und im Hauptsitz in Zürich. […] Stotz, 2004 beschreibt die Übersetzung bei CLS Communication als komplexen, arbeitsteiligen Prozess. CLS und andere vergleichbare Sprachdienstleister richten sich auf Kundenfelder aus, in denen die Textproduktion eine nachgeordnete Tätigkeit darstellt, nicht die Haupttätigkeit. Die Dienstleistung Financial Copywriting von CLS etwa zielt auf die Domäne Finanzmanagement, in der primär Fragen zum Finanzhaushalt entschieden werden, nicht zur Kommunikation. Allerdings zieht diese Domäne ganz selbstverständlich auch für ihr Hauptgeschäft Berater bei - Finanzberater eben. Anders die Domänen, in denen primär Texte produziert werden. Für journalistische Redaktionen etwa gibt es noch kaum institutionalisierte Textberatung, die sprachlich (Text) und methodisch (Beratung) verankert wäre - auch wenn entsprechender Bedarf klar benannt wird. Stattdessen hat sich eine linguistisch unbelastete Ratgeberliteratur breitgemacht - und dazu ein entsprechendes Kurswesen, mit Ratschlägen wie „Weg mit den Adjektiven! “ und schwarzen Listen verbotener Wörter. […] Coulson & Gaziano, 1989 befragten Journalisten nach ihren Vorstellungen eines guten „Writing Coach“. J. Meier, 2005 beschreibt Schreibkompetenz und Schreibdefizite von Journalisten in der Schweiz gestützt auf eine Befragung und leitet daraus einen Bedarf für bestimmte Beratungsformen ab. _1 T EXTBERATUNG TA, zwei Beispiele von Kundenfeldern. Quelle: Perrin, 2006f, 333 f. <?page no="217"?> 218 D|2.2 Professionelle Textberatung Professionelle Textberatung verbindet ein professionelles Verständnis von Beratung mit einem professionellen Verständnis von Textproduktion. In beiden Feldern stellen wissenschaftliche Disziplinen Fachwissen bereit und reflektieren die Anwendung: Didaktik und Angewandte Psychologie auf der einen Seite, Angewandte Linguistik auf der anderen (_1) . Über Beratung als professionelle Tätigkeit denken die Fachdisziplinen Didaktik und Angewandte Psychologie systematisch nach. Beide verstehen unter Beratung nicht beliebiges Erteilen von Ratschlägen, sondern einen zeitlich befristeten Prozess, in dem ein professioneller, außenstehender, freiwillig gewählter Helfer einem hilfsbedürftigen Kunden methodisch hilft, ein aktuelles oder potenzielles Problem zu lösen. - Zentral dabei: Die Beratung hilft zwar, aber der Kunde selbst löst das Problem. Dörig & Pilz, 2006 diskutieren Konzepte von Beratung unter didaktischem Blickwinkel, Lippmann, 2006 bündelt Konzepte von Beratung aus der Angewandten Psychologie. Die Hilfe besteht in Diagnose und Intervention - also erstens in der Analyse der Problemlage eines Kunden und zweitens in entsprechenden Maßnahmen. Solche Maßnahmen lassen sich nach dem Maß ihrer Direktivität unterscheiden, danach also, wie stark der Berater oder die Beraterin in den Problemlösungsprozess des Kunden eingreift und damit den Prozess von außen steuert. Zwischen der zu unverbindlichen Frage und der zu direktiven Überredung ist zum Beispiel folgende Abstufung denkbar: • Die Beraterin beobachtet Problemlösungsprozesse und gibt dem Kunden Feedback. • Die Beraterin sammelt Daten und regt den Kunden an, die Daten zu interpretieren. • Die Beraterin sucht Alternativen […] und hilft dem Kunden, diese einzuschätzen. • Die Beraterin schlägt dem Kunden Handlungsmöglichkeiten vor und entscheidet mit. • Die Beraterin entscheidet für den Kunden und gibt ihm Anweisungen. Schwach direktive Interventionen zielen idealerweise auf einen ergiebigen Weg, stark direktive auf ein rasches Ergebnis. Im ersten Fall setzt eine Beraterin primär ihre Methodenkompetenz dafür ein, den Kunden anzuregen, selbst das Problem zu erkennen, Lösungen zu entwickeln und später auf andere Situationen zu übertragen. Im zweiten Fall setzt sie stärker ihre Sachkompetenz dafür ein, ein aktuelles Problem des Kunden aus der Welt zu schaffen. Der Kunde ist damit seine unmittelbaren Sorgen rascher los, bleibt aber stärker von Beratung abhängig. Eine schwach direktive, auf Weiterentwicklung und Selbständigkeit des Kunden ausgerichtete Form professioneller Beratung ist das Coaching. Angewandte Psychologie und Didaktik verstehen Coaching als eine individuelle Beratung, bei der eine Beraterin einen Kunden methodisch professionell darin unterstützt, im Spannungsfeld von Person, Rollen und Organisation selbst seine Ausgangslage zu klären, Ziele zu setzen, funktionale Mittel zur Zielerreichung zu entwickeln, die Mittel einzusetzen und die Ziele zu erreichen. Lippmann, 2006 hinterlegt diese Definition von Coaching seinem wissenschaftlich abgestützten, praxisgerichteten Handbuch zum Coaching. _1 T EXTBERATUNG TA, professioneller Beratungsbegriff. Quelle: Perrin, 2006f, 334 f. <?page no="218"?> 219 D|2.2|? a Von der Zuständigkeit der Angewandten Linguistik Die Linguistik befasst sich im Kern - und nicht nebenbei wie viele andere Wissenschaftsdisziplinen (B|1.1.1) - mit Sprache und Sprachgebrauch, mit Gespräch und Text in kommunikativer Tätigkeit. Sie stellt das Fachwissen zur Textproduktion bereit. Die Angewandte Linguistik interessiert sich überdies dafür, was Sprachbenutzer in konkreten Situationen mit Sprache tun, zum Beispiel in bestimmten Anwendungsfeldern (B|1.1.3) . Entsprechende empirische Forschung ermöglicht Einblicke in solchen Sprachgebrauch, in Sprachkompetenz, in Language Awareness (B|1.2.3) . Das gilt zum Beispiel für die Aufsätze von S LEURS (C|2.3|? a) und D OR (C|2.2|? b) oder die Fallbeispiele zur Progressionsanalyse (B|3.2 und C) . Beschreiben Sie in eigenen Worten, was die Beratung darüber hinaus an wissenschaftlich interessanten Einblicken in Sprachgebrauch verspricht (_1) . Wer die Tücken von Sprache als einer Schnittstelle kognitiver und sozialer Praktiken nicht von Grund auf kennt, kann Probleme der Textproduktion schlecht einschätzen. Textberatung bedingt deshalb, grundlegend über Sprache und Sprachgebrauch, Texte und Textproduktion nachgedacht zu haben und nachzudenken. Angesprochen sind Linguistik und Angewandte Linguistik. Die Linguistik befasst sich als einzige wissenschaftliche Disziplin zentral und Sprachraum-übergreifend mit dem Sprachgebrauch, die Angewandte Linguistik schlägt die Brücke zur Praxis. […] Linguistisches Wissen kann den Beratenden und damit indirekt auch den Beratenen helfen, Probleme im Zusammenhang mit Texten zu erkennen und zu lösen. Linguistisch basierte Textberatung nützt aber auch der Linguistik. Im transdisziplinären Kontakt mit nichtwissenschaftlichen Fächern zeigt sich etwa, welche Textstellen die Sprachteilhaber dort als problematisch identifizieren, wie sie mit Sprache umgehen oder wie sie ihre kognitiven und sozialen Praktiken des Sprachgebrauchs reflektieren - Language Awareness wird greifbar. Von Textberatung profitieren kann Angewandte Linguistik indes nicht nur auf der fachdisziplinären Objektebene, sondern auch auf der Metaebene, und zwar doppelt: Erstens interessiert es forschungsmethodisch, wie sich das, was Laien über ihren Sprachgebrauch sagen, zu dem verhält, was sie beobachtbar mit Sprache tun. Zweitens ist es wissenschaftspolitisch von Belang, was sprachwissenschaftliche Laien über Sprache wissen wollen und wo sich demnach Chancen für Wissenstransfer bieten. […] So begünstigt transdisziplinäre Arbeit wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn in Praxis und Wissenschaft zugleich. Voraussetzung für transdisziplinäre Arbeit ist allerdings, dass sich die wissenschaftliche Fachdisziplin in den Besonderheiten der Domäne auskennt, die sie berät. Im Fall der Textberatung sind die domänengerichteten Disziplinen Angewandter Linguistik im Vorteil: die Wirtschaftslinguistik zum Beispiel, die Betriebslinguistik, die Rechtslinguistik oder, im Fall journalistischer Medienredaktionen, die Medienlinguistik. _1 T EXTBERATUNG TA, Linguistik als zuständige Disziplin. Quelle: Perrin, 2006f, 336 f. <?page no="219"?> 220 D|2.3 Textberatung am Beispiel Redaktionscoaching Das Projekt T EXTBERATUNG TA (_1) verknüpft Wissen zur Textproduktion mit Wissen zur Beratung. Coach und Redaktion arbeiteten auf vier Ebenen an der „Qualitätssteigerung im Blatt“, wie sich der Auftraggeber ausdrückte (_2) . Die Beteiligten entwickelten gemeinsam (_3) ein Verständnis der Aufgabe (D|2.3|? a) und ein Qualitätsleitbild (D|2.3|? b und ? c) . Darauf bauten auf: ein Schreibcoaching für Gruppen und Einzelne (D|2.3|? d bis ? g) und die Sprachkritik als Kontrolle am Endprodukt (D|2.3|? h) . Das hier beschriebene Projekt führte ich [DP] 1999-2001 als Coach mit der Redaktion des Schweizer T AGES -A NZEIGERS durch, als Dienstleistung einerseits und ethnografische Fallstudie andererseits. […] Zu coachen waren 180 Mitarbeitende der Print- und 14 der Online- Redaktion. _1 T EXTBERATUNG TA, Projektrahmen. Quelle: Perrin, 2006f, 338 Als Ziele nannte der Auftraggeber „Qualitätssteigerung im Blatt“ und Imagegewinn. Ich schlug eine Zusammenarbeit auf vier Ebenen der Textberatung vor, welche auch so umgesetzt wurde: • ein gemeinsames Grundverständnis der Aufgabe herstellen […]. • ein Leitbild als Maßstab angestrebter Textqualität entwickeln […]. • die Repertoires von Textproduktionsstrategien erweitern […]. • im Endprodukt das ganze Verfahren zyklisch überprüfen […]. _2 T EXTBERATUNG TA, vier Teilprojekte. Quelle: Perrin, 2006f, 338 Zuerst handelten Coach und Auftraggeber ein gemeinsames Grundverständnis des Coachings aus. Nach diesem Grundverständnis musste der Coach die Redaktion darin begleiten, ein Qualitätsmanagement der Textproduktion als zirkulären Prozess organisational zu verankern: die Beteiligten zu orten und einzubeziehen, die Soll-Qualität der Textproduktion zu definieren, daran die Ist-Qualität zu messen, die Textproduktionsprozesse zu optimieren - und den Maßstab der Soll-Qualität mit neuer Erfahrung neu zu überdenken. Ebenfalls ausgehandelt wurde ein gemeinsames Grundverständnis der domänenspezifischen Aufgaben der Coachees. Ergebnis war eine Vorstellung von journalistischer Textproduktion als einer ebenso individuellen wie organisationalen, institutionalen und gesellschaftlichen Aufgabe; einer arbeitsteiligen Tätigkeit im Schnittfeld kognitiver und sozialer Praktiken, bei der laufend, auf mehreren, zum Teil konfligierenden Ebenen, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu fällen sind. […] Das theoriegeleitete Abstecken dieses Raums [des Konfliktraums journalistischer Textproduktion; D|2.3|? a] vor dem Coaching war deshalb wichtig, weil dabei allen Beteiligten klar wurde, dass Qualität kein absoluter Wert sein kann, sondern im Aushandeln teils gegensätzlicher Ansprüche als Soll-Vorstellung festgelegt werden muss. Auch wurde deutlich, dass die Qualität des Produkts etwas mit den Prozessen und mit den dafür eingesetzten Ressourcen zu tun haben könnte - ein Hinweis an Chefredaktion und Medienhaus. _3 T EXTBERATUNG TA, Grundverständnis der Aufgabe. Quelle: Perrin, 2006f, 339 f. <?page no="220"?> 221 D|2.3|? a Den Konfliktraum abstecken Schreiben bedeutet laufendes Entscheiden. Dabei sind Konflikte absehbar. Wo, überlegten sich Coach und Auftraggeber im Voraus (_1) . Verorten Sie in diesem Konfliktraum journalistischer Textproduktion die Strategien des Journalisten MN (D|2.3|? f) . So sollen Journalisten etwa im Sinn des Medienunternehmens bei tiefen Kosten hohe Reichweiten erzielen und zugleich im Sinn der Öffentlichkeit gesellschaftsrelevante Themen nuanciert aufbereiten, oder sie müssen in rigiden Produktionsstrukturen täglich neu auf Unvorhergesehenes eingehen. Solche Konflikte von Ansprüchen führen - systemgegeben und überindividuell - zu Problemen beim Abstimmen der folgenden journalistischen Textproduktionshandlungen (H1-H6): H1 EIN THEMA ABGRENZEN. Welches Thema, welche Themenaspekte wähle ich aus, und wie weit vertiefe ich sie? - Wer die Recherche abbricht, sobald er die Grundzüge des Gegenstands nachzeichnen kann, spart Arbeitszeit und kann sein Wissen in wenig Raum oder Sendezeit darstellen. Wer dagegen Widersprüche aufspürt und ausdifferenziert, wird einem komplexen Thema eher gerecht, braucht aber Zeit und Raum: Konflikt mit H6. H2 DIE QUELLEN ERSCHLIESSEN. Wie gründlich setze ich mich mit der Quellenlage auseinander, und wie gebe ich sie wieder? - Wer schon vor der Recherche eine These bestimmt und bloß recherchiert, um sie zu belegen, verengt den Gegenstand. Wer auch dramaturgisch unbequeme Quellen einbezieht, kann den Gegenstand mehrperspektivisch und damit wirklichkeitsnaher darstellen, stellt aber die griffige These der Geschichte aufs Spiel: Konflikt mit H3. H3 DIE EIGENE POSITION FINDEN UND FORMULIEREN. Welchen Blickwinkel nehme ich ein, was ist meine These zum Thema? - Wer in oder zwischen den Zeilen gegen bürokratischen Leerlauf feixt, kann Publika gewinnen, gibt aber seine Unparteilichkeit preis. Wer dagegen Positionen von Betroffenen und Entscheidungsträgern aus unbeteiligter Distanz nebeneinanderstellt, bricht einer Geschichte die anwaltschaftliche oder humoristische Spitze: Konflikt mit H5. H4 DAS ROLLENSPIEL STEUERN. Wie viel Darstellungsraum gebe ich der recherchierten Sachlage, den befragten Quellen und mir selbst, und wie verknüpfe ich die Teile? - Wer peinliche Äußerungen öffentlicher Entscheidungsträger überhört, kann der Öffentlichkeit Entscheidendes vorenthalten. Wer dagegen einen Interviewten sich selbst bloßstellen lässt, läuft Gefahr, sich den künftigen Zugang zu dieser Quelle zu verbauen: Konflikt mit H2. H5 DEN PUBLIKUMSBEZUG HERSTELLEN. An welches Vorwissen welchen Publikums will ich anknüpfen, welche Erwartungen erfüllen, welche Wirkungen erzielen? - Wer die Erklärung komplexer Sachverhalte unterlässt, riskiert, das Publikum zu überfordern. Wer dagegen Hintergründe für Laien nachvollziehbar aufarbeitet, greift schnell über das Thema einer aktuellen Nachricht hinaus: Konflikt mit H1. H6 UMFANG UND FRISTEN EINHALTEN. Wie behandle ich mein Thema angemessen mit begrenzten Ressourcen, in vorgegebener Zeit, auf vorgegebenem Raum? - Wer direkte Rede in einen Beitrag einbaut, muss die Äußerungen den Quellen vorlegen und riskiert Produktionsverzögerungen. Wer dies vermeiden will und die Äußerungen sprachlich indirekt einbaut, nimmt ihnen Authentizität: Konflikt mit H4. _1 T EXTBERATUNG TA, Konfliktraum der Textproduktion. Quelle: Perrin, 2006f, 339 f. <?page no="221"?> 222 D|2.3|? b Im Leitbild Qualität festlegen Im Coaching begleitet der Coach die Coachees darin, ihre Ziele zu bestimmen und zu benennen, ihre Ausgangslage einzuschätzen, geeignete Mittel bereitzustellen und damit schließlich ihre Ziele aus eigener Kraft zu erreichen (D|2.2) . Wenn im Auftrag zum Redaktionscoaching T AGES - A NZEIGER also von „Qualitätssteigerung im Blatt“ die Rede war (D|2.3|_2) , galt es nun, Qualitätsvorstellungen auszuhandeln (_1) und festzuschreiben (_2) . Festzuschreiben? Gewählt wurde eine plasmaartige Form von Schriftlichkeit. Welche Form und mit welcher Überlegung? - Nennen Sie drei Vor- und drei Nachteile der gewählten Form im Vergleich zu einem gedruckten, gebundenen Redaktionshandbuch. Managen lässt sich Qualität nur über eine Soll-Vorstellung: einen Maßstab, der benannt, verstanden und anerkannt ist. Die Redaktion des T AGES -A NZEIGERS entwickelte deshalb ein Qualitätsleitbild - und zwar handelten es alle Beteiligten, von der Chefredaktion bis zu den Redaktionsteams, während eines halben Jahres gemeinsam aus, diskutierend, konzipierend, formulierend. Dies erhöhte die Chance breiten Verständnisses und breiter Anerkennung der ausgehandelten Normen. Das Vorwort [_2] stellt die Funktion des Leitbilds klar: _1 T EXTBERATUNG TA, Teilprojekt Leitbildentwicklung. Quelle: Perrin, 2006f, 341 Deshalb dieses Handbuch Fünfzig Bilder und zweihundert Texte jeden Tag - die Redaktion des T AGES - A NZEIGERS zeigte bisher auch ohne Handbuch, was sie unter journalistischer Qualität versteht. Wieso jetzt Qualitätsgrundsätze schriftlich festhalten? So paradox es klingt: Über Qualität schreiben wir, damit wir darüber reden; die Grundsätze halten wir fest, um sie weiterzudrehen. Dieses Handbuch soll und wird die Diskussion über journalistische Qualität im Haus fördern. Es verpflichtet uns zu benennen und auszuhandeln, was wir unter einer gut gemachten Zeitung verstehen. Es sichert und begrenzt Freiräume - und lädt zum konstruktiven Widerspruch: Alles, was hier angedacht ist, lässt sich überdenken und weiterdenken. […] Wir sind also täglich zur Qualitätsdiskussion eingeladen. Die Spur des Gesprächs, das Logbuch der Debatte haben Sie eben aufgeschlagen. Schreiben Sie mit! _2 Leitbild T AGES -A NZEIGER , Teil Einleitung. Quelle: ta_leitbild_rahmen_intro <?page no="222"?> 223 D|2.3|? c Zum Beispiel Inland und Kultur Im Redaktionshandbuch halten die einzelnen Produktionsgemeinschaften fest, was sie unter Qualität verstehen. Dies tun sie zusammen mit der Redaktionsleitung. Was festgehalten ist, gilt, bis es überarbeitet wird. In den Seiten des Leitbilds (_1) hinterlässt diese Mehrfachautorenschaft deutliche Spuren. Welche? - Vergleichen Sie die Teile Kultur (_2) und Inland (_3) mit weiteren Teilen im Internet. >> www.medienlinguistik.net > Korpus 4 Nennen Sie sprachliche Mittel, die auf den übergreifenden Einfluss der Redaktionsleitung oder die Einflüsse der einzelnen Teilredaktionen hindeuten. Das Leitbild erschien als „Handbuch“ mit ergänzbaren Blättern und als Hypertext im Internet. Es umfasst einerseits ressortübergreifende Leitvorstellungen, etwa zu einzelnen Textsorten (Kommentar, …) oder zu Schnittstellen der Textproduktion (Bildredaktion, Korrektorat, …), andererseits enthält es Leitvorstellungen für jedes einzelne Ressort (Ausland, Inland, …). Die Kultur-Redaktion betont beispielsweise ihren „Stil“ und die „analytische Kraft“ [_2], die Inland-Redaktion ihre „Distanz zur Quelle“ [_3]. _1 T EXTBERATUNG TA, Leitbildstruktur. Quelle: Perrin, 2006f, 341 Der Teil Kultur Im Kulturteil des T AGES -A NZEIGERS merkt man jedem einzelnen Beitrag die analytische Kraft kompetenter Kunst-, Musik-, Theater- oder Literaturkritik an. Und die Artikel verführen: durch ihren Stil, durch Pointen, Überraschungen, Anekdoten, einen Aufbau, der hineinzieht. […] Sprache: Mit jeder Ausgabe sucht die Redaktion Kultur die abwechslungsreiche Mischung von kurzen und langen Geschichten, von leichten und schweren Themen, von planen und vielschichtigen Formen. In der Sprache von Text und Bild ist ein bisschen vom Ästhetischen spürbar, von dem der Beitrag handelt. Die Redaktion Kultur will den schönsten Teil der Zeitung machen. _2 Leitbild T AGES -A NZEIGER zum Teil Kultur. Quelle: ta_leitbild_teil_kultur Der Teil Inland […] Die Mitglieder der Redaktion Inland, der Bundeshausredaktion und der Regionalbüros werden von Politikern und Fachleuten als sachkompetente Gesprächspartner wahrgenommen und frühzeitig und gründlich informiert. Umgekehrt ermöglicht die Distanz zur Quelle jederzeit unbefangene Recherchen. […] _3 Leitbild T AGES -A NZEIGER zum Teil Inland. Quelle: ta_leitbild_teil_inland <?page no="223"?> 224 D|2.3|? d Im Schreibcoaching die Repertoires erweitern Einzel- und Gruppencoachings bildeten den Kern des Projekts. Sie stützten sich auf empirische Daten zu Textprodukten und Schreibprozessen (_1) . Ein Coaching nahelegen konnten etwa Textprodukte, die stark von der vereinbarten Qualitätsvorstellung abwichen und deren Normverstöße einen Teil des Publikums irritieren mussten. Hätten Sie zu diesem Teil des Publikums gehört? - Benennen Sie die möglichen sprachlichen Probleme der Produktausschnitte (_2, _3, _4) . Einen möglichen Ausgangspunkt der Coachings bildeten Anliegen der einzelnen Redakteure und Redakteurinnen, zum Beispiel der Wunsch, eingefahrene Routinen aufzubrechen und neue Arbeitsformen und Textmuster zu entwickeln. Einen anderen Ausgangspunkt bildeten Probleme in publizierten Beiträgen, etwa die Textstelle, wo der Redakteur MN die Perspektive seiner Quelle unfreiwillig übernimmt und damit den Text im Sinn der Quelle statt der Öffentlichkeit gestaltet [_2]. […] MN stellte nach der Veröffentlichung fest, dass diese Textstelle gegen die Norm verstoße, die Distanz zur Quelle zu wahren. Die Swissair hat in ihrer Medienmitteilung verlauten lassen, sie habe eine Recherche „aufmerksam und gelassen zur Kenntnis genommen“ - ob das stimmt, hat der Journalist nicht überprüft, deshalb müsste der Sachverhalt als Äußerung der Quelle dargestellt sein. Diese Norm wird im Journalismus etwa in berufsständischen Erklärungen hochgehalten, und im Leitbild der Inland-Redaktion ist sie ausdrücklich erwähnt. […] In einem anderen Fall publizierte die Online-Redaktion eine Meldung, deren Titel und Bildlegende sich widersprachen - wenn eine Delegation „aufgebrochen“ ist, kann nicht „noch nicht klar“ sein, wer ihr „angehören soll“ [_3]. In einem weiteren Fall ließ die Kultur-Redaktion, die Wert auf Stil legt und „den schönsten Teil der Zeitung“ machen will [D|2.3|? c], ein „Wissenschaftszentrum“ in einer grammatisch gewagten Konstruktion „promenieren, skaten und breaken“ [_4]. _1 T EXTBERATUNG TA, Ausgangspunkte für Coachings. Quelle: Perrin, 2006f, 342 f. Die Swissair hat die Recherche der amerikanischen Zeitung aufmerksam und gelassen zur Kenntnis genommen. _2 Beispiel aus dem Coaching der Redaktion Inland. Quelle: Perrin, 2001a, 115 EU-Delegation in Nahen Osten aufgebrochen Wer an der Delegation angehören soll ist noch nicht klar. _3 Beispiel aus dem Coaching der Online-Redaktion. Quelle: ta_online_020404_0736_erste Ähnlich dem Wissenschaftszentrum im niedersächsischen Wolfsburg wird man auch unter dem flachen Bauch des Raumgleiters promenieren, skaten und breaken können. _4 Beispiel aus dem Coaching der Redaktion Kultur. Quelle: ta_print_010301_67_museum <?page no="224"?> 225 D|2.3|? e Die Textprogression aufzeichnen Ein Computerprogramm zeichnete alle Arbeitsschritte an allen Arbeitsplätzen der Redaktion auf, natürlich mit dem Einverständnis der Mitarbeitenden. Die Daten wurden anonymisiert ausgewertet oder, auf Wunsch der Coachees, zur Analyse von Arbeitsprozessen beigezogen. So zum Beispiel im Fall des Redakteurs MN (_1) . Rekonstruieren Sie aus der S-Notation (_2) und der Progressionsgrafik (_3) zum Titel „Isolation der MD-11 untersucht“ (D|2.3|? d|_2) die Textprogression, die Herstellung dieses Titels Schritt für Schritt. Schreiben Sie alle zwölf Zwischenprodukte auf. Viele seiner [des Redakteurs MN] Texte zeigten einen starken, dichten Anfang, eine logische Gedankenentwicklung unter dramaturgisch frischen Ideen, aber verwischte Stimmen [D|2.3| ? d|_1] oder nur angedachte Pointen zum Schluss, also einen schwachen Abgang, gemessen an MNs prinzipieller journalistischer Präzisionsarbeit und seinem dramaturgischen Witz. MN bemerkte dies selbst, wusste aber nicht, wieso er „oft in diese Falle tappte“, und entschied sich für systematische Arbeit am Schreibprozess. […] Ein Schreibprozess beginnt mit ersten Ideen und endet dann, wenn die Verfasserin oder der Verfasser den fertigen Text weiterreicht; dazwischen liegt ein Ringen mit Schreibaufgabe und Schreibgerät, mit Quellentexten und überholten Textfassungen, mit eigenen Ansprüchen und den vermuteten oder manifesten Erwartungen anderer. Damit kämpfte MN bereits im Titel, wie der kurze Einblick in die Entstehung eines seiner Berichte belegt. Perrin, 1999a beschreibt diese Fallstudie ausführlich (110 ff.). _1 T EXTBERATUNG TA, Schreibprozessanalyse. Quelle: Perrin, 2006f, 343 1 [MD-11| 1 ] 1, 4 [MD-11 2 [-Absturz] 2 | 3 : ↵ ] 4 | 5 Isol 7 [ation] 7 | 8 8 { 10 [iermatten] 10 | 11 } 8 | 9 11 {ation} 11 | 12 3 [wird ] 3 | 4 5 {der MD-11 } 5 | 6 6 [untersucht| 2 ] 6 9 [im Fokus| 7 ] 9, 12 [gefährlich? | 10 ] 12 untersucht _2 S-Notation zum Titel von MN. Quelle: Perrin, 2001a, 118 _3 Progressionsgrafik zum Titel von MN. Quelle: Perrin, 2001a, 119 <?page no="225"?> 226 D|2.3|? f Repertoires erschließen Die Daten zur Textprogression zeigen genau und zuverlässig, was jemand beim Schreiben am Bildschirm eingefügt und gelöscht hat und wie sich die Eingabemarke durch den entstehenden Text bewegt hat. Die Daten sagen aber nichts darüber aus, was sich die Person dabei gedacht hat. Solche Daten können zurzeit auch nicht erhoben werden, ohne den natürlichen Schreibprozess zu stören und damit den Sinn einer ethnografischen Studie zu untergraben. Als Ausweg wählt die Progressionsanalyse das ereignisgestützte retrospektive Verbalprotokoll (_1, _2, _3, _4). Was erfährt man damit? - Beschreiben Sie, inwieweit die Progressionsanalyse zugreift auf die Schreibstrategien (B|3.2) , um die es im Coaching geht. Im Coaching konnten sich die Coachees ihre Schreibprozesse als Progressionsgrafiken, aber auch als Videos in Echtzeit oder im Zeitraffer anschauen. Sie und der Coach sahen so, wie der Text am Bildschirm entstanden war. Dabei sagten die Coachees laufend, was sie beim Schreiben getan hatten und warum sie es getan hatten. Ein Tonaufnahmegerät zeichnete diese ereignisgestützten retrospektiven Verbalprotokolle auf. So kommentierte MN die Revisionen 2 und 3 und den Übergang zwischen den Revisionen 4 und 5 in seinem Schreibprozess [_2, _3]: _1 T EXTBERATUNG TA, Schreibstrategien. Quelle: Perrin, 2006f, 344 f. Der ist zu lang, also gehe ich irgendwie «Absturz» herausnehmen. Noch einmal ein Wort herausnehmen, weil er immer noch zu lang ist. Auf dieser Seite hat es nicht viel Platz _2 Verbalprotokoll, zu den Revisionen 2 und 3. Quelle: Perrin, 2001a, 120 Jetzt habe ich nur noch den Titel «Isolation untersucht». Aber irgendwas muss rein, damit man sofort weiß, um was es geht _3 Verbalprotokoll, vor der Revision 5. Quelle: Perrin, 2001a, 120 In [_2] spricht MN Strategien an, einen Titel in seiner Länge passgenau zu formulieren (Revisionen 2 f.) und mit dem Titel die Relevanz eines Textes „sofort“ anzuzeigen (vor Revision 5). | Dor, 2003 beschreibt in einer ethnografischen Studie, nach zwei Jahren teilnehmender Beobachtung als „senior news editor“ (696, Fn. 2) in einer Zeitungsredaktion, die Funktion von Titeln journalistischer Beiträge als „relevance optimizers“. Die Befunde zu MN decken sich mit den Befunden von Dor. _4 T EXTBERATUNG TA, Schreibstrategien. Quelle: Perrin, 2006f, 345 <?page no="226"?> 227 D|2.3|? g Mit Interventionen arbeiten Nach der Analyse verglichen die Coachees ihre Prozesse und Produkte mit den Leitvorstellungen. Der Coach leitete die Coachees mit seinen Interventionen dazu an, Lücken zwischen Soll und Ist zu schließen. Die Coachees konnten ihre Produktionsroutinen aufbrechen und ihre Repertoires an Schreibstrategien erweitern. Dazu stellte der Coach Arbeitstechniken bereit (_1) . Worin unterscheiden sich Arbeitstechniken und Schreibstrategien? - Beschreiben Sie die Unterschiede, wobei Sie von der Arbeitsdefinition der Schreibstrategie (C|1.2.2|_3) ausgehen. In der Gegenüberstellung mehrerer Schreibprozesse nun zeigte sich für MN ein typisches individuelles Progressionsmuster: Den Plan für den Text entwickelte MN am Textanfang, im Verschieben der Perspektiven, im Überdenken der Ansprüche, im oszillierenden Überarbeiten von Titel, Vorspann und Textanfang. Wenn er den Zugang zum Thema gefunden hatte und die Baustelle des Anfangs endlich hinter sich lassen konnte, blieb wenig Zeit übrig für Feinarbeit am ganzen Text. Dies musste zu Schwächen im Lauftext führen. Als Maßnahme schlug MN nach der Analyse selbst vor, die Textenden in seine Justierungsarbeit am Anfang des Schreibprozesses einzubeziehen und wegzukommen vom Ziselieren am Textanfang. Im Konflikt zwischen den Gegenspielern Eigene Position finden (H3) und Umfang und Fristen einhalten (H6) wollte er rascher den ganzen Text ins Auge fassen [D|2.3|? a]. So beschloss MN, sein Repertoire zu erweitern um Strategien des zügigen Planens und des Schreibens auf den Punkt, was mit der „Fingertechnik“ gelang. Perrin, 1999a stellt ein Bündel von Arbeitstechniken vor, typisierte Interventionen aus Schreibcoachings. Eine davon ist die „Fingertechnik“ (41) - die Hauptgedanken eines Textes, logisch verbunden, an den Fingern einer Hand abzählen, bevor man mit Schreiben beginnt. In Coachings fördert die „Fingertechnik“ frühzeitiges, aber bewegliches Planen von Texten. Sie ist gedacht für Schreibprozesse mit starkem Zeitdruck. Kaum weitergeholfen hätte ein solches Einzelcoaching im Fall der schon abgesandten, aber noch nicht ernannten Nahost-Delegation [D|2.3|? d|_3]. Die Prozessanalyse zeigte, dass die Bildlegende aus einer alten Textversion beim Aktualisieren des Beitrags stehen geblieben war. Die Online-Redaktion hatte noch keine kooperativen Muster zum Aktualisieren von Nachrichten entwickelt, und den Redakteuren fehlten Erfahrung und Zeit, um aus dem Augenblick heraus selbst Lösungen für dieses Problem zu finden. Im Teamcoaching mussten Muster entworfen und geübt werden. Im Fall des breakenden Wissenschaftszentrums [D|2.3|? d|_4] lag die Sache wieder anders. Selbstverständlich hätte jeder der Kulturredakteure den Unsinn korrigiert - hätte er ihn bloß bemerkt. Die verantwortliche Abschlussredaktion hatte diese Textstelle, zusammen mit zwei anderen Problemstellen, schlicht übersehen. Gespräche mit der Kultur-Redaktion zeigten, dass hier alle Mitglieder möglichst viel Arbeitszeit für eigene kleine Kunstwerke einsetzten, aber ungern an Texten arbeiteten, über denen ein anderer Name steht. Die Kultur des Redigierens war also zu überdenken. _1 T EXTBERATUNG TA, Interventionen. Quelle: Perrin, 2006f, 345 f. <?page no="227"?> 228 D|2.3|? h Mit der Sprachkritik die Produkte und den Maßstab überprüfen Mit systematischer Sprachkritik wurde schließlich das Ergebnis der Textproduktion überprüft. Die Kritik griff täglich ein herausragendes Merkmal der aktuellen Zeitungsausgabe auf und illustrierte an mehreren Beispielen aus dieser Ausgabe, wo das Zeitungsprodukt der vereinbarten Qualität entsprach und wo nicht - etwa dem Anspruch, zu „verführen durch […] Stil“ (D|2.3|? c|_2) . Eine Sprachkritik pro Woche wurde als S PRACHSPRITZE schriftlich festgehalten und über Hyperlinks mit dem Leitbild verknüpft (_1) . Die S PRACHSPRITZE nutzte fünf Typen von Sprachhandlungen (B|3.4.1) . Welche davon kommen hier zum Zug? Wo? - Ordnen Sie die Sprachhandlungen bestimmten Textstellen zu (_2) . Am Tag, an dem im Blatt das Wissenschaftszentrum skatete und breakte, griff die Kritik diese und zwei weitere Problemstellen des Kulturteils auf und stellte deren grammatische und semantische Ist-Qualität einer Soll-Qualität gegenüber, wie sie die Kultur-Redaktion in ihrem Leitbild formuliert hatte: Nämlich sprachlich „den schönsten Teil der Zeitung [zu] machen“, zu „verführen durch […] Stil“ und „jedem einzelnen Beitrag die analytische Kraft kompetenter […]kritik“ angedeihen zu lassen [D|2.3|? c|_2]. _1 T EXTBERATUNG TA, Sprachkritik. Quelle: Perrin, 2006f, 347 Kultur ist Kultur Je kultivierter die Sprache, desto auffälliger die Baustellen. Drei Beispiele von sprachlich Unfertigem, alle aus der Doppelseite 66/ 67 im Kulturteil vom 1. März 2001: „Ein Abend, der trotz allem immer Dodos Abend ist, weil Dodo Gott sei Dank nicht über ihren Schatten springen kann. Und wo wäre der denn anzusiedeln in diesem Kaleidoskop […]“ - Einen Schatten ansiedeln? „Ähnlich dem Wissenschaftszentrum im niedersächsischen Wolfsburg wird man auch unter dem flachen Bauch des Raumgleiters promenieren, skaten oder breaken können.“ - Kann das Wissenschaftszentrum in Wolfsburg wirklich skaten und breaken? „Trotz der komplexen Aussenhülle ist die Innenarchitektur des Museums erstaunlich klar gegliedert.“ - Sind denn Komplexität und Klarheit Gegensätze? _2 Sprachkritik T AGES -A NZEIGER vom 1. März 2001. Quelle: ta_coach_010301_kultur <?page no="228"?> 229 D|2.4 Fazit zum Transferprojekt T EXTBERATUNG TA Die Analysen des Schreibcoachings (D|2.3) mündeten in begründete und teils nachhaltige Interventionen. Die aufwendigen Analysen führten aber nicht allein zur Wissenstransformation von der Linguistik in die journalistische Praxis, sondern auch, umgekehrt, zu medienlinguistischem Wissenszuwachs. Erstens erleichterte das Coaching ethnografische Fallstudien journalistischer Sprachpraktiken, zweitens konnte ein Korpus mit Progressionsdaten von Tausenden journalistischer Schreibprozesse angelegt werden. Gewonnen hat die Linguistik auch auf der fachdisziplinären Metaebene (D|2.2) . Forschungsmethodisch förderte das Coaching die Weiterentwicklung der Progressionsanalyse. Wissenschaftspolitisch führte das Coaching zu praxisgerichteten, linguistisch basierten Publikationen und zu Folgeaufträgen aus der Kommunikations- und Medienwirtschaft; beides förderte den Auf- und Ausbau von Institutionen Angewandter Linguistik an der Hochschule. Wissenstransformation ins Anwendungsfeld und vom Anwendungsfeld zurück in die Wissenschaft bedingt aber methodischen Aufwand. Für den Weg von der Linguistik zur Praxis bedeutet dies: Beratungsaufwand (D|2.2) . Und Beratung ist, wie Sprache, ein Gegenstand wissenschaftlicher Theoriebildung. In Beratungsfeldern wie der Ernährungsberatung hat sich ein professionelles, theoriebasiertes Verständnis des Beratungshandelns institutionell durchgesetzt; in linguistischer Beratung, etwa in Textberatung, noch nicht. Entsprechend kunterbunt wirkt noch der Markt (D|2.1) . Dabei hätte die Linguistik interessante Fragen und ein paar bemerkenswerte Antworten zum Sprachgebrauch einzubringen. Wo die Praxis verstanden werden will, sollte sich Linguistik also verständlich machen und deutlich werden, statt den Markt den sprachwissenschaftlichen Laien und den Nachbardisziplinen zu überlassen. Professionelle, also theoriebasierte und praxisgerichtete medienlinguistische Beratung, aufwendig und ergiebig zugleich, kann dazu beitragen. <?page no="229"?> 230 D|3 Forschungsrahmen für medienlinguistische Projekte Ob etwa Beratung Teil eines Forschungsdesigns sein kann, hängt ab vom Forschungsrahmen. Ein Forschungsrahmen verkörpert die Grundannahmen hinter einem Forschungsprojekt: den Sinn, den die Forschenden dem Wissenschaftsbetrieb und der Forschung zuschreiben; das Erkenntnisinteresse (B|2) , das sie mit einem Projekt verfolgen; die Fragestellungen (B|2.2) und Methoden (B|3) , die einem solchen Verständnis und Interesse entsprechen; die Ergebnisse, die damit erzielt werden können. Jeder Forschungsrahmen rückt einiges ins Zentrum der Aufmerksamkeit und drängt anderes an den Rand oder blendet es aus. Also beginnt ein durchdachtes Forschungsprojekt mit bewusst gewählten Rahmen, und eine sorgfältige Einschätzung von Forschungsergebnissen aus einem abgeschlossenen Projekt bezieht die Rahmen kritisch mit ein: Welche Grundannahmen haben die Forschenden getroffen, ausdrücklich oder stillschweigend? Die Projekte I DÉE SUISSE (D|1) und T EXTBERATUNG (D|2) zum Beispiel gehen davon aus, dass Forschung helfen kann, Praxis zu verbessern; die Projekte finden also statt in Rahmen anwendungsorientierter Forschung (B|1.1.3) . Weiter wird angenommen, dass Sprache wesentlich zum Gelingen öffentlicher Kommunikation beiträgt; deshalb werden in beiden Projekten sprachliche Produkte und Prozesse im Detail untersucht und gedeutet als Spuren und Auslöser kognitiver und sozialer Strukturen (B|2.1.2) . Schließlich gilt in beiden Projekten die Annahme, dass man einen Gegenstand aus mehreren Blickwinkeln plastischer erkennt als aus einem einzigen, dass aber alle Erkenntnis letztlich eine Konstruktion der Erkennenden ist (B|3.5) . Solche Grundverständnisse passen zu Forschungsrahmen wie Ethnografie (D|3|? b) , Grounded Theory (D|3|? c) , Action Research (D|3|? d) , Realist Social Theory (D|3|? e) und Dynamic Systems Theory (D|3|? f-g) . Die Streiflichter auf den folgenden Seiten zeigen, warum sich diese Forschungsrahmen, allein oder miteinander verbunden (D|3.1) , eignen, um journalistische Textproduktion medienlinguistisch zu untersuchen. Das Streiflicht auf der nächsten Seite aber stellt zuerst einen Forschungsrahmen dagegen, der vielen medienlinguistischen Projekten hinterliegt, in denen primär Produkte analysiert werden: die Kritische Diskursanalyse (D|3|? a) . <?page no="230"?> 231 D|3|? a Streiflicht CDA: Vom Kommunikationsangebot zur Ideologie Die Kritische Diskursanalyse (CDA) verbindet Analyse und explizite Kritik. Kommunikationsangebote - oft eben Medienbeiträge - werden abgesucht nach subtilen Hinweisen auf Ideologie und Macht. Dazu zählen etwa Passivkonstruktionen, die im Satz den Täter verschleiern (C|3.3|? c) , oder verdeckt wertende Wörter (C|3.2.2|_3) . Solche Mittel kritisiert die CDA als Verstärker gesellschaftlicher Probleme (_1) . CDA: Forschungsrahmen, in dem untersucht und kritisiert wird, wie Kommunikationsangebote Ideologie und Macht(missbrauch) verkörpern. _1 Van Dijk, 2001, 96 beschreibt CDA als „discourse analysis ’with an attitude‘. It focuses on social problems, and especially on the role of discourse in the production and reproduction of power abuse or domination. Wherever possible, it does so from a perspective that is consistent with the best interests of dominated groups. […] CDA research combines what perhaps somewhat pompously used to be called ’solidarity with the oppressed‘ with an attitude of opposition and dissent against those who abuse text and talk in order to establish, confirm or legitimate their abuse of power. Unlike much other scholarship, CDA does not deny but explicitly defines and defends its own sociopolitical position. That is, CDA is biased - and proud of it.“ Stubbs, 1997, 102 dagegen kritisiert: „A repeated criticism [of CDA] is that the textual interpretations of critical linguists are politically rather than linguistically motivated, and that analysts find what they expect to find, whether absences or presences.“ Widdowson, 2000, 22 schlägt mehr Tiefenschärfe vor: Zu untersuchen wären nicht nur die Kommunikationsangebote, sondern auch, wie die Kommunizierenden damit umgehen. „To do this would be to take empirical ethnographic considerations into account and locate texts in their sociocultural settings. In such an ethnographic approach, how nonanalysts go about their normal pragmatic business would be the central focus of study. Rather than discount their understanding as naive and ideologically uninformed, it would help them to an awareness of the contextual conditions that give rise to different discourse interpretations and of the essential indeterminacy of meaning. If critical discourse analysts were to explore discourses along these lines using their own partial interpretations as a stimulus for such enquiry rather than claiming a privileged status for them, their work would indeed be of considerable significance since it would be relevant to an understanding of, and intervention in, everyday uses and abuses of language.” T. Bartlett, 2013 stellt der kritischen eine „positive“ Diskursanalyse gegenüber, die vor allem Alternativen aufzeigt, statt das Vorherrschende zu kritisieren. Vergleichen Sie die Forschungsrahmen CDA und Ethnografie (D|3|? b) , und beschreiben Sie, was genau Henry Widdowson der CDA aus der Ethnografie zu lernen vorschlägt (_1). Zeigen Sie dann, wo und wie die Projekte I DÉE SUISSE (D|1) und T EXTBERATUNG TA (D|2) im Sinn von Widdowsons Anregung über den Rahmen der CDA hinausgehen. Skizzieren Sie den Mehraufwand, der mit diesem Vorgehen verbunden ist, und erklären Sie, welchen Nutzen Sie davon erwarten. Umreißen Sie aber auch, wo die beiden Projekte hinter den Ansprüchen einer CDA zurückliegen. <?page no="231"?> 232 D|3|? b Streiflicht E THNOGRAFIE : Von der Außenzur Innenperspektive Die Ethnografie gibt sich mit der Analyse von Kommunikationsprodukten nicht zufrieden. Sie beobachtet Prozesse und fragt nach den Sinnzuschreibungen durch die Beteiligten - sie erkundet also die Innenperspektive. Ethnografie will herausfinden, wie die Beforschten selbst ihren Alltag bewältigen und damit Sinn erleben (_1) . Ethnografie: Forschungsrahmen, in dem untersucht wird, wie die Beforschten ihre Welt verstehen und aus ihrer Sicht sinnvoll gestalten. _1 Aus diesem Verständnis für E. heraus entwickelt Hymes, 1962 die E. der Kommunikation; er stellt scharf darauf, wie Gemeinschaften Sinn herstellen mit kommunikativen Routinen, Praktiken und Strategien. Lillis, 2008 zeigt die Verbindung von E. und Schreibforschung. Tuchman, 1973 nutzt E. früh zur Untersuchung von Medienredaktionen; Bird, 2010a gibt einen Überblick über aktuelle solche Studien. Agar, 2010 betont den Wert der E. für die forschungsbasierte Beratung. Copland & Creese, 2014 und Atkinson, 2015 führen ein in (linguistische) E. Ethnografisch zu forschen, das bedeutet für eine produktionsgerichtete Medienlinguistik: zu beschreiben und zu verstehen, wie Kommunikationsangebote entstehen und warum die Medienschaffenden aus ihrer Sicht tun, was sie tun. Den Forschenden stellen sich dabei folgende Aufgaben: a Ans eigene Vorwissen und den Forschungsstand anknüpfen und zugleich offenbleiben für Unerwartetes im Untersuchungsfeld. Zum Beispiel: Was ist Schreiben für mich selbst? Was versteht die Forschung in den relevanten Disziplinen gegenwärtig darunter? Warum ist das so, und wo könnten mir Scheuklappen den Blick einengen? b Innen- und Außenperspektiven auf Textproduktion erfassen und aufeinander beziehen. Zum Beispiel: Was tun die Medienschaffenden von außen erkennbar? Welchen Sinn schreiben sie diesem Tun zu? Wo widersprechen sich Außen- und Innensicht? Welches Verständnis, welches neue Wissen hilft, den Widerspruch aufzuheben? c Ins Forschungsfeld eintauchen und den Gegenstand möglichst gründlich und plastisch erfassen. Zum Beispiel: Welche Normen gelten in der Medienorganisation für wen? Wie läuft der Arbeitsfluss? Wer arbeitet wann und wozu mit wem zusammen? Wer bestimmt dabei was? Wie erleben die Untersuchten ihr Tun in ihren verschiedenen Rollen? d Von den einzelnen, gründlich untersuchten Fällen auf allgemeine Muster schließen. Zum Beispiel: Welche Probleme und Lösungen wiederholen sich auf unterschiedlichen Ebenen der Textproduktion? Woraus schließe ich, dass ein festgestelltes Handlungs- oder Erklärungsmuster typisch ist für die untersuchte Gemeinschaft? e Die Befunde allen Adressaten ethnografischer Forschung nachvollziehbar und sinnvoll vermitteln. Zum Beispiel: Wie zeige ich den Beforschten, der Forschungsgemeinschaft und allen Interessierten überhaupt, wie Journalisten schreiben und welche kritischen Situationen erfahrene Schreibende mit welchen Praktiken überwinden? Zeigen Sie, wie diese fünf Aufgaben in den Projekten I DÉE SUISSE (D|1) und T EXTBERATUNG TA (D|2) angegangen werden. <?page no="232"?> 233 D|3|? c Streiflicht G ROUNDED T HEORY : Von der Fallstudie zur mittleren Theorie Wenn erforscht werden soll, wie Gemeinschaften ihr Leben gestalten, dann bereitet schon eine einzige Fallstudie viel Arbeit. Eine statistisch repräsentative Erhebung kommt also kaum infrage. Grounded Theory (GT) hilft bei solchen Ausgangslagen, aus den Daten gezielt ausgewählter Fälle Theorien mittlerer Reichweite zu entwickeln: Theorien, die zwar nicht generell gelten, aber für alle vergleichbaren Fälle (_1) . GT: Forschungsrahmen, in dem Forschende aus Fallstudien systematisch eine neue Theorie mittlerer Reichweite entwickeln. _1 Glaser & Strauss, 1967 führen die GT ein. Für sie wird mit GT eine Theorie in den Daten entdeckt. Wasserman, Clair, & Wilson, 2009 verbinden GT mit aktuellen soziokonstruktivistischen Ansätzen. Danach wird mit GT die Theorie nicht entdeckt, sondern datennah konstruiert. Im Rahmen von GT zu forschen, bedeutet für eine produktionsgerichtete Medienlinguistik: einen Fall nach dem anderen systematisch auszuwählen und auszuwerten, bis ein weiterer vergleichbarer Fall keinen Wissenszuwachs mehr bringt. Den Forschenden stellen sich folgende Aufgaben: a Ans eigene Vorwissen und den Forschungsstand anknüpfen und zugleich offenbleiben für Unerwartetes im Untersuchungsfeld. Zum Beispiel: Was bedeutet mir Schreiben? Was versteht die Forschung in den relevanten Disziplinen gegenwärtig darunter? Warum ist das so, und wie beeinflusst das meine Wahrnehmung? b Aus den bisherigen Fällen Schlüsse ziehen, daraus eine vorläufige Theorie formulieren und diese Theorie gezielt am nächsten Fall überprüfen. Zum Beispiel: Mit welchem neuen Fall kann ich meine vorläufige Theorie verfeinern oder widerlegen, die besagt, dass Zusammenarbeit in Textproduktionsprozessen Einfälle begünstigt? c Empirische Daten systematisch codieren und Wissen schrittweise verallgemeinern, ohne dessen Kontext aus den Augen zu verlieren. Zum Beispiel: Wie erfasse ich Schreibstrategien der Beforschten und stimme sie ab mit theoretischen Überlegungen? Wie passe ich das Codiersystem laufend neuen Erkenntnissen an? d Den eigenen Prozess der Wissenserzeugung reflektieren und dokumentieren. Zum Beispiel: Wie notiere ich systematisch Beobachtungen in den untersuchten Redaktionen und spontane Einfälle beim Forschen? Wie nutze ich die Notizen laufend, um dazuzulernen und die Untersuchung weiter zu fokussieren? e Eine Theorie mittlerer Reichweite formulieren, die verdeutlicht, was für wen unter welchen Umständen gilt. Zum Beispiel: In welchen Strategien der Textproduktion unterscheiden sich erfahrene und unerfahrene Nachrichtenjournalisten eines öffentlichen Fernsehens? In welchen Situationen wirkt sich das wie aus? Skizzieren Sie, wie Sie vorgehen, wenn Sie im Projekt I DÉE SUISSE die Daten für das Modul D (D|1.3|? c) im Rahmen von Grounded Theory erheben. <?page no="233"?> 234 D|3|? d Streiflicht TD: Praxis und Wissenschaft lernen gemeinsam Ähnlich wie CDA (D|3|? a) will auch Transdisciplinary Action Research (TD) mit neuem Wissen die Welt verändern. Anders als bei CDA aber entsteht dieses Wissen, indem Praxis und Theorie in gemeinsamen Projekten voneinander lernen und nachhaltige Lösungen entwickeln für gesellschaftlich bedeutsame Praxisprobleme (_1) . TD: Forschungsrahmen, in dem Experten aus Praxis und Wissenschaft gemeinsam relevante Praxisprobleme untersuchen und nachhaltig lösen. _1 Lewin, 1946 begründet TD als action research; Hirsch Hadorn, et al., 2008 nennen einen solchen Forschungsrahmen transdisciplinary research; Stokols, 2006 dagegen spricht von transdisciplinary action research, sobald Vertreter nichtwissenschaftlicher Fächer als gleichwertige Projektpartner einbezogen werden; transdisciplinary research bezieht sich dann auf enge Zusammenarbeit allein zwischen wissenschaftlichen Fächern. TD betreiben bedeutet für eine produktionsgerichtete Medienlinguistik: Wissenschaft und Praxis finden eine gemeinsame Sprache, um voneinander zu lernen. Sie erzeugen zusammen neues Wissen, das Probleme öffentlicher Kommunikation erfassen und lösen hilft, und verankern es in der Praxis. Den Forschenden stellen sich folgende Aufgaben: a In berufspraktischen und wissenschaftlichen Fächern Wissen orten, das zur Lösung eines bestimmten Praxisproblems beitragen kann. Zum Beispiel: Was bedeutet es für wen, wenn Medienpolitiker oder eine Redaktionsleitung die Qualität von Medien steigern wollen? Wer aus Redaktionspraxis und Wissenschaft hat welches Wissen dazu? b Sich über die Grenzen der Fächer hinweg verständigen und zusammenarbeiten. Zum Beispiel: Wie besprechen wir die Vorstellungen und Wissensbestände der Beteiligten so, dass alle einander verstehen? Wie können wir das Projekt so lenken, dass alle ihre Expertise einbringen und zugleich im Projekt voneinander lernen können? c Das Praxisproblem gemeinsam in neuem Licht erkennen und gemeinsam neues Wissen erzeugen. Zum Beispiel: Wie lassen sich journalistische Qualität (D|2.3) oder organisationale Language Awareness (D|1.1|? d-e) so fördern, dass alle gewinnen: die Medienorganisationen, die Medienschaffenden, die Publika und die Öffentlichkeit? d Mit den Risiken einer solchen Zusammenarbeit - über die Grenzen von Domänen, Fächern und Organisationen hinweg - angemessen umgehen und die Chancen nutzen. Zum Beispiel: Wie machen wir implizites Wissen erfahrener Journalisten für die ganze Redaktion verfügbar, ohne Neid und Argwohn von Mitarbeitenden zu wecken? e Das gemeinsam erzeugte neue Wissen nutzen, um Lösungen zu entwickeln, umzusetzen und zu reflektieren. Zum Beispiel: Wie verankern wir strukturierte Diskussionen zur Qualität als selbstverständlichen Teil einer Redaktionskultur? Wie bringen wir das neue Wissen sinnvoll ein in Wissenschaft, Medienpolitik und Öffentlichkeit? TD oder nicht? - Umreißen Sie, wie Wissenschaft und Berufspraxis in den Projekten I DÉE SUISSE (D|1) und T EXTBERATUNG TA (D|2) zusammenwirken. <?page no="234"?> 235 D|3|? e Streiflicht RST: Vom Handeln zum Wandel der Gesellschaftsstruktur Medienschaffende agieren in komplexen gesellschaftlichen Strukturen; sie sind etwa eingebunden in Arbeitsgruppen, Redaktionen, Unternehmen, Domänen, Kulturen und Öffentlichkeit. Wie sich diese Strukturen und das Handeln der Einzelnen wechselseitig beeinflussen, untersuchen integrative Sozialtheorien, darunter die Realist Social Theory (RST). Die RST betont Unterschiede im Beharrungsvermögen der Strukturen (_1) . RST: Forschungsrahmen, in dem untersucht wird, wie sich Tätigkeit und abgestuft robuste Gesellschaftsstrukturen beeinflussen. _1 Sealey & Carter, 2004 entwerfen RST als Scharnier zwischen Angewandter Linguistik und Sozialwissenschaft. Dabei greifen sie zurück auf Layder, 1997, der drei Strukturtypen unterscheidet: die Innenwelten, die „psycho-biographies“ der Beteiligten; bewegliche „social settings“ wie Redaktionen; und alte, robuste „contextual resources“ wie Klima, regionaler Wohlstand oder Geschlecht, die durch menschliche Tätigkeit kaum rasch veränderbar sind. Wright, 2011 zeigt den Wert der RST für die Ausbildung im Journalismus. Im Rahmen von RST zu forschen, bedeutet für eine produktionsgerichtete Medienlinguistik: das Wechselspiel erfassen von Textproduktion und unterschiedlich robusten Strukturen. Dabei stellen sich folgende Aufgaben: a Strukturen unterscheiden nach ihrem Beharrungsvermögen und ihrer Art, Tätigkeit zu ermöglichen oder zu behindern. Zum Beispiel: Welche Einflüsse auf Textproduktion sind zu erwarten vom Weltwissen der Schreibenden, den redaktionellen Strukturen und dem Handlungsraum einer Demokratie in einer glokalisierten, mediatisierten Welt? b Die Tätigkeit und ihre Spuren untersuchen und daraus auf die gesellschaftlichen Strukturen schließen, die nicht direkt erfassbar sind. Zum Beispiel: Auf welche Norm bezieht sich ein Journalist in seiner Beitragskritik an der Redaktionskonferenz? Wie reagieren die andern? Kennen und anerkennen sie die Norm also? c Erklären, welche Strukturen mit welchen Tätigkeiten wie interagieren und was daraus neu, emergent, entsteht in einer Welt, in der manches leicht, anderes aber kaum veränderbar ist. Zum Beispiel: Wie überwindet ein Journalist eine kritische Situation mit einem spontanen Einfall, und wie bewährt sich die Lösung in der Redaktion? d Das Wissen mit der Gemeinschaft teilen und so schärfen und objektivieren - Wissen, das im Einzelnen immer perspektivisch und konstruiert ist, sich aber auf eine Welt bezieht, die in vielem auch ohne das Wissen über sie existiert. Zum Beispiel: Wie schließe ich mit neuem Wissen an Diskurse zu journalistischer Textproduktion an? e Eine Theorie mittlerer Reichweite formulieren, die verdeutlicht, was für wen unter welchen Umständen gilt. Zum Beispiel: Welche Rolle spielen Einfälle, spielen emergente Lösungen in Nachrichtenredaktionen, wenn es gilt, kritische Situationen zu überwinden, in denen eingeschliffene Handlungsmuster konfligieren? Beschreiben Sie, mit welchen Tätigkeiten welche redaktionellen Strukturen bewusst verändert werden im Projekts T EXTBERATUNG TA (D|2.3) . <?page no="235"?> 236 D|3|? f Streiflicht DST: Vom nichtlinearen Wandel zu Bedingungen für Emergenz Wandeln sich komplexe Strukturen wie Großwetterlagen, Sprachen oder Gesellschaften, geschieht dies nichtlinear: plötzlich und aufgrund schwer vorhersagbarer spontaner Änderung im Kleinen, die ebenfalls kaum vorhersagbare, weitreichende Folgen zeitigen. Dynamic Systems Theory (DST) fragt nach den Bedingungen, die solch spontane Änderungen begünstigen und die Folgen beeinflussen (_1) . DST: Forschungsrahmen, in dem untersucht wird, welche Bedingungen wie beitragen zum emergenten Wandel komplexer Systeme. _1 Lorenz, 1972 prägt in einem Vortrag über Probleme der Wetterprognose die DST-Metapher des Schmetterlings, dessen Flügelschlag in Brasilien eine Kette von Reaktionen und schließlich einen Wirbelsturm in Texas auslösen kann. Larsen-Freeman & Cameron, 2008 zeigen DST als Forschungsrahmen für Fragen zur Emergenz in der Angewandten Linguistik. Waldherr, 2014 untersucht Nachrichtenresonanz als dynamisches System. Im Rahmen von DST zu forschen, bedeutet für eine produktionsgerichtete Medienlinguistik: den Wandel in komplexen Systemen wie Redaktionen oder Textproduktionsprozessen verfolgen und die Bedingungen erfassen, die etwa in kritischen Situationen emergente Lösungen begünstigen. Den Forschenden stellen sich folgende Aufgaben: a Die Komplexität von Systemen erkennen, die vielschichtigen Einbettungen und Vernetzungen, die lineare Wenn-dann-Vorhersagen unmöglich machen. Zum Beispiel: Welche - zum Teil konfligierenden - Normen gelten in einer Redaktion? Welche Ressourcen wie Schnittplätze stehen wem unter welchen Bedingungen zur Verfügung? b Den normalen Verlauf der Dinge erkennen, die Bandbreite des Üblichen, die Stabilität im Wandel der Systeme. Zum Beispiel: Wie verlaufen üblicherweise eine Redaktionskonferenz, eine Beitragsproduktion, das Qualitätsmanagement oder eine Laufbahn in der Redaktion? Wo gibt es erwartbare Probleme? Und wann bricht Chaos aus? c Erkennen, was ein System zusammenhält, wenn es in einen emergenten, einen grundsätzlich neuen Zustand gerät, der mehr darstellt als die Summe der bisherigen Teile. Zum Beispiel: Was geschieht in der Redaktion, wenn einem Redakteur eine ganz neue Metapher einfällt, die ein komplexes politisches Problem einfach veranschaulicht? d Feststellen, welche Kontrollparameter den Wandel des Systems beeinflussen können und etwa emergente Lösungen begünstigen. Zum Beispiel: Wie wirken sich Ausbildung sowie Arbeitsumgebung, -klima und -abläufe aus auf die Kreativität der Organisation beim Entwickeln und Umsetzen neuer Lösungen in einer sich verändernden Umwelt? e Szenarien und Modelle entwickeln, die simulieren, welche Entwicklungen bei welchen Veränderungen welcher Kontrollparameter wahrscheinlicher werden. Zum Beispiel: Welche Formen der Zusammenarbeit in Redaktionen begünstigen Einfälle und fördern damit emergente Lösungen für Probleme, die im alten Systemzustand unlösbar waren? Umreißen Sie den Konfliktraum redaktioneller Textproduktion (D|2.3|? a) und welche Bedingungen eine emergente Lösung begünstigen (D|3|? g) . <?page no="236"?> 237 D|3|? g Fall L EBANON : Das emergente Leitmotiv gegen das Stereotyp Zum Schluss eine Nahaufnahme aus einer Analyse im Projekt I DÉE SUISSE . Fassen Sie zusammen, wie der Journalist RG zum Leitmotiv der „voie tranquille“ findet, was er damit bezweckt und warum die Fähigkeit wichtiger wird, in journalistischer Textproduktion emergente Lösungen zu entwickeln (_1) . Im Fall LEBANON schreibt der Journalist RG einen Nachrichtenbeitrag für die Mittagsausgabe vom 14. Februar 2007 des J OURNAL , der Hauptnachrichtensendung des französischsprachigen öffentlichen Fernsehens der Schweiz. Der Beitrag berichtet von Demonstrationen im Libanon. […] Innenpolitische Spannungen und Ausdehnungsgelüste von Nachbarländern wie Syrien lassen im Libanon die Angst vor Bürgerkriegen aufkommen. Dennoch verlaufen die Demonstrationen im Wesentlichen friedlich. Dies versucht RG herauszuarbeiten - kraft seiner Erfahrung und Sprachgewandtheit, wie die Analyse zeigt. In einer frühen, linearen Phase im Schreibprozess […] überarbeitet RG einen Satz, den er als Offtext zu einer einleitenden Szene vorgesehen hat. Die Szene zeigt, was RG überrascht hat, nämlich wie Menschen auf Booten zur Demonstration anreisen. In diesem Satz spricht er zuerst von „la voie express de la méditerrannée“, dem schnellen, direkten Weg übers Meer. Beim Verweben von Wort und Bild aber […] fällt ihm ein, dass seine Standardformulierung zwar zur direkten Verbindung passt, aber nicht zur Ruhe, die die Boote im Bild ausstrahlen. So ändert er die Formulierung in „la voie tranquille“ […]. Damit hat er nicht nur eine punktuell passendere Formulierung gefunden, sondern auch sein Leitmotiv für den Beitrag: […] Klar beziehe sich tranquille, ruhig, erst einmal auf die Schiffe, aber das Adjektiv widerhalle im Thema selbst und in den Köpfen des Publikums. […] RG überwindet in seiner Beitragsproduktion eine kritische Situation - leicht hätte er im Zeitdruck zum überlauten Stereotyp greifen können. Mit einem solchen Bericht hätte er den Trott vieler westlicher Medien fortgeführt, aus dem Nahen Osten vor allem Gewalt zu zeigen: schreiende Menschen, Feuer, Tumult. RG aber weiß aus Erfahrung, dass solch marktwirksam bebilderbare Stereotype nur einen Teil des Geschehens vor Ort zeigen und dass das Stereotyp Entwicklungen überschreit, die öffentlich relevant sind. Solche Nuancen attraktiv aufzubereiten und damit zum politischen Diskurs anzuregen, so versteht RG den Leistungsauftrag öffentlicher Medien […]. Also bleibt er nicht beim Klischee stehen, sondern lässt sich auf sein Quellenmaterial ein, hört ins Wort und nimmt die Bilder wahr. Was ihn überrascht und beschäftigt […], regt ihn an zu einem neuen leisen Zugang zum Thema. <?page no="237"?> 238 D|3|? g Fall L EBANON : Das emergente Leitmotiv gegen das Stereotyp Das Wechselspiel von Emergenz und Routine bestimmt Wandel und (vorübergehende) Stabilität im dynamischen System der Textproduktion. Je stärker sich Umweltbedingungen ändern und Ansprüche widersprechen, desto wichtiger werden emergente Lösungen. Für journalistische Medien verändern sich die Umweltbedingungen zurzeit drastisch: politisch, wirtschaftlich, technologisch, etwa im Zug der Medienkonvergenz. Während Technologien konvergieren, divergieren Ansprüche. Routinen auf allen Ebenen journalistischer Produktion veralten, weil sie immer breitere Klüfte zwischen Ansprüchen etwa von Medienpolitik und Medienwirtschaft nicht mehr zu überbrücken vermögen. Die Fähigkeit, emergente Lösungen zu finden, wird zur Schlüsselkompetenz einer Medienorganisation und ihrer Mitarbeitenden. Wie der Fall L EBANON gezeigt hat, findet sich in der untersuchten Medienorganisation das Wissen, Leistungsauftrag und Medienmarkt emergent zu verbinden, statt wie das Management als Zerreißprobe wahrzunehmen. Aber dieses Wissen ist versteckt, als implizites tacit knowledge einzelner erfahrener Journalistinnen und Journalisten. Im Forschungsprojekt I DÉE SUISSE konnten wir es orten, festhalten, aufbereiten, zum Beispiel als Fallbeschreibungen, in denen Medienschaffende kritische Situationen feststellen und mit guten Praktiken überwinden. Für den Fall L EBANON bedeutet dies, wie der vorliegende Beitrag gezeigt hat: Formulierungsroutinen aufbrechen zum kontrapunktischen Leitmotiv, statt aufgrund zugelieferter Bilder das Klischee gewalttätiger Demonstrationen fortzuschreiben. Solches Wissen, bis anhin versteckt bei einzelnen Erfahrenen, ist nun der ganzen Organisation und ihrer Umwelt zur Verfügung zu stellen. In Beratungen, Coachings und Trainings mit Medienpolitikern, Medienmanagement und Redaktionen soll die Sprachbewusstheit, die Language Awareness für den Umgang mit dem Leistungsauftrag gestärkt werden: Promoting Public Understanding [zur Verständigung zwischen den gesellschaftlichen Gruppierungen eines Landes beitragen] in einer sich rasch wandelnden Umwelt braucht neben den Routinen die Emergenz. Weil sich Emergenz zwar nicht erzwingen lässt, aber doch begünstigen, sind im Medienunternehmen top-down die Bedingungen für emergente Lösungen in den Redaktionen systematisch zu verbessern, etwa über die Zuordnung von Ressourcen wie Zeit und Arbeitsplätzen und über Gelegenheiten zur Zusammenarbeit. Bottom-up sind diese Gelegenheiten systematisch zu nutzen - gelassen und wach. Die „voie tranquille“ ruft. _1 Fallporträt L EBANON in Perrin, 2012 <?page no="238"?> 239 D|3.1 Fazit zu den Forschungsrahmen Forschungsprojekte finden statt innerhalb von Grundannahmen, die sich als Forschungsrahmen verfestigt haben. In der Medienlinguistik sind zwei Gruppen solcher Forschungsrahmen verbreitet: • In produktfokussierenden Rahmen wie der CDA (D|3|? a) untersuchen die Forschenden primär fertige Kommunikationsangebote, um öffentliche Kommunikation aus der Außenperspektive zu hinterfragen. • In ethnografischen Projekten (D|3|? b) dagegen wollen die Forschenden auch verstehen, was die Beforschten tun, wie sie es tun und warum sie es so tun. Mit untersucht werden also Prozesse der Textproduktion und Sinnzuschreibungen durch die Beforschten. Viele Projekte produktionsgerichteter Medienlinguistik sind deshalb ethnografisch angelegt. Allerdings klebt die klassische Ethnografie etwas an der Beschreibung der einzelnen Fallstudie. Medienlinguistische Projekte gewinnen deshalb, wenn sie Ethnografie verbinden mit weiteren Forschungsrahmen (_1) : GT, um nachvollziehbar Theorie zu bilden (D|3|? c) ; TD, um systematisch mit der Praxis, über die Praxis und für die Praxis zu lernen (D|3|? d) ; RST, um aus situierter Tätigkeit auf unterschiedlich robuste übergreifende Strukturen zu schließen (D|3|? e) ; und DST, um zu modellieren, welche Bedingungen emergente Lösungen begünstigen und es damit erleichtern, die komplexen, nicht im Detail vorhersagbaren Prozesse der Textproduktion zu steuern und in einer sich rasch wandelnden Umwelt gezielt weiterzuentwickeln (D|3|? f) . Ethnografie GT TD RST DST Ziel Innenperspektive verstehen datengeleitet Theorie bilden mit der Praxis lernen Strukturen erschließen Emergenz begünstigen Fokus Fallstudie + Generalisierung + Praxisproblem + Makroperspektive + Dynamik Aufsatz Lillis, 2008 Tavory & Timmermans, 2009 Agar, 2010 Sealey, 2007 Agar, 2004 _1 Ethnografie wächst mit neuen Forschungsrahmen zusammen - Beispiele von Ansätzen <?page no="239"?> 240 “The language of news media has always attracted the attention of linguists (particularly applied and sociolinguists) and discourse analysts. The practical and principled reasons for this interest include the accessibility of language data from the media, the significance of the media as language-producing institutions, linguistic interest in the ways media use language, and the importance of media institutions and their discourses in shaping culture, politics and social life.” Bell, 2006, 615 <?page no="240"?> 241 E Intermezzo: Daten zum Buch und Daten im Netz Sie haben den Dreh dieses Buchs begriffen (A) und Medienlinguistik als Teildisziplin der Linguistik entdeckt (B) . Dann haben Sie sich das Fachwissen systematisch erschlossen und haben es praktisch genutzt (C). Schließlich haben Sie, in einer geführten Tour, ein Forschungsgesuch und einen Transferbericht durchgearbeitet und in fünf medienlinguistisch relevanten Forschungsrahmen verortet (D) . Sie sind fit für den Medienlinguistik-Diskurs. Lesen Sie nun Aufsätze von Bucher, Choi und Sleurs et al. im Original. Eine Aufgabe zum Umgewöhnen bringt die nächste Seite. Vorher aber der Blick zurück zum Anfang: Sind die Lehr-/ Lernziele (A) eingelöst? Verstehen Sie nun den Sprachgebrauch im Zusammenhang mit publizistischen Medien als Schnittstelle kognitiver und sozialer Praktiken? Können Sie Werkzeuge der Medienlinguistik anwenden, um sprachliche Kommunikation zu analysieren, zu reflektieren und zu optimieren? Und sind Sie dabei, eine eigene, begründete Einstellung zum wissenschaftlichen und praktischen Nutzen medienlinguistischer Reflexion zu entwickeln? Kurz: Hält das Buch für Sie, was die erste Seite verspricht? - Klären Sie das, und teilen Sie mit, was Sie lieber anders gelesen hätten. Nutzerinnen und Nutzer der nächsten Auflage könnten sich darüber freuen. Den Briefkasten finden Sie im Internetangebot zum Buch. >> www.medienlinguistik.net Ebenfalls dorthin schicken Sie Ihre Lösungsvarianten zu den Aufgaben. Erwarten Sie keine individuelle Rückmeldung zu Lösungsvarianten, aber einen Eintrag in der Lösungsdatenbank, wenn sich die Lösung überzeugend von anderen unterscheidet. Aufgaben zu komplexen Problemen erzeugen ganze Bündel möglicher Lösungen. Auch deshalb führt dieses Buch ins Diskursmedium Internet. Damit zur letzten Schnittstelle zwischen dem Off- und dem Onlineteil des Lehrmittels: Die nächsten fünf Abschnitte enthalten kurze Verzeichnisse, ausgezogen aus den aktuellen Datenbanken im Netz: Korpora der empirischen Daten (E|1) , Transkriptionszeichen (E|2) , Aufgabenverzeichnis (E|3) , Glossar (E|4) und Quellenverzeichnis (E|5) . <?page no="241"?> 242 E|? a Originale! Forscherinnen und Forscher lesen. Lesen Sie die Aufsätze im Original, die Sie bisher bloß in Ausschnitten kennengelernt haben. Fassen Sie dann die Originale zusammen, zum Beispiel nach diesem Muster (_1) : Rahmen, Fragestellung, Vorgehen, Ergebnisse, Deutung. Vergleichen Sie Ihre Zusammenfassungen mit den Beispielen im Internet. R Gravengaard, Gitte (2012). The metaphors journalists live by. Journalists’ conceptualisation of newswork. Journalism, 13(8), 1064-1082. F Gravengaard untersucht, wie Journalisten ihre Arbeit verstehen (Seite 1066). Aus Interviews und Arbeitsplatzgesprächen leitet sie fünf Typen von Metaphern ab, die Journalisten verwenden, wenn sie über ihre Arbeit sprechen (1069). V Gravengaard gewinnt die Daten in einem Monat ethnografischer Feldforschung über zwei Journalisten einer dänischen Tageszeitung. Dazu kommen Interviews mit Reportern dreier weiterer dänischer Tageszeitungen und Daten aus kürzeren ethnografischen Feldforschungen (1069). In ihren Notizen und Transkripten sucht Gravengaard nach Metaphern, die Journalisten während ihrer Arbeit äussern (reflection-in-action) und Metaphern, die sie gebrauchen, wenn sie über ihre Arbeit als Journalisten sprechen (reflection-on-action) (1066). E In beiden Fällen stösst Gravengaard auf dieselben fünf Metapherntypen: Auswahl, Konstruktion, Wettrennen, Handel und Machtspiel (1069). Journalisten können eine Geschichte auswählen oder konstruieren. Mit den Geschichten führen sie ein Wettrennen gegen andere Journalisten: Jeder will seine zuerst veröffentlichen. Daneben gibt es einen Handel mit Geschichten, sie werden also gekauft und verkauft, um zuletzt die Macht der Meinungsführerschaft zu haben (1073). Für den Metapherntyp Wettrennen beschreibt Gravengaard beispielsweise das Bild eines Journalisten, der mit einer Geschichte in der Hand auf einer Rennbahn läuft. Dicht hinter ihm folgen Konkurrenten und wollen dem Führenden die Geschichte aus der Hand reissen, um selbst zu gewinnen (1071). D Die Wettrennen-Metapher zeigt für Gravengaard auch ein Karrierebedürfnis der Journalisten (1074): Es ist wichtig, Erster zu werden, damit man seine Fähigkeiten zeigen und Lob und Anerkennung verdienen kann (1071). Diese Sicht stimmt nicht mit dem Bild des Journalisten überein, welcher unabhängig von persönlichen Motiven die Bedürfnisse der Gesellschaft abdeckt und diese zugleich aufklären oder warnen will. Gravengaard sieht darin die Gefahr, dass eine exklusive Geschichte einer wichtigen vorgezogen wird (1074 ff.). Sie stellt fest, dass Journalisten zwar unabhängig sein wollen, teilweise aber Macht an interne oder externe Akteure abgeben, um an eine exklusive Geschichte zu kommen (1075). _1 Zusammenfassung aus der Medienlinguistik-Datenbank, nach Gravengaard, 2012 <?page no="242"?> 243 E|1 Datenkorpora Dieses Buch veranschaulicht medienlinguistische Überlegungen mit Beispielen aus fünf Datenkorpora aus Forschungs- und Transferprojekten: • Das Korpus 1 (E|1.1) enthält eine Quellentextkette zur Nachricht „EU- Delegation in Nahen Osten aufgebrochen“, die T AGES -A NZEIGER ONLINE am 4. April 2002 aufschaltete. Dazu kommen intertextuell nahe Nachrichten weiterer Agenturen und ein Zeitungsbeitrag, den der T AGES -A NZEIGER nach der Online-Nachricht vorlegte. Die Daten wurden erhoben im Lehrmittel- Projekt M EDIENLINGUISTIK für S WISS V IRTUAL C AMPUS , 2004-2006 (Perrin, 2006d) . • Das Korpus 2 (E|1.2) enthält Radiobeiträge: ein Hintergrundfeature und drei Meldungen des öffentlichen Senders S CHWEIZER R ADIO DRS sowie einen Nachrichtenblock des privaten Senders R ADIO 32. Dazu kommen Schreibprozess-Daten, etwa Computerloggings zur Textentstehung und Verbalprotokolle. Die Daten wurden erhoben im Forschungsprojekt S TRATEGIEN DER N ACHRICHTENPRODUKTION im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Kommunikation BAKOM, 1998-2001 (Perrin, 2001b) . • Das Korpus 3 (E|1.3) enthält 50 Ausschnitte aus dem Hauptprogramm des Schweizer Fernsehens, vorwiegend aus den Nachrichtensendungen T AGESSCHAU und 10 VOR 10. Dazu kommen die Sendungsporträts zum Selbstanspruch der Redaktionen (B|3.3|? a) Die Daten wurden erhoben im Rahmen eines Beratungsprojekts zur Balance von Selbstanspruch und Programmleistung, 2002-2003. • Das Korpus 4 (E|1.4) enthält das Redaktionsleitbild der Schweizer Tageszeitung T AGES -A NZEIGER , die darauf aufbauende schriftliche Sprachkritik und die Beiträge, auf die sich die Kritik bezieht. Die Daten wurden erhoben im Rahmen eines ethnografischen Projekts zum redaktionellen Qualitätsmanagement, 1999-2001 (Perrin, 2006f und D|2) . • Das Korpus 5 (E|1.5) enthält Daten zur Produktion und zum Kontext dreier Nachrichtensendungen im öffentlichen Fernsehen. Es umfasst Daten aller oben beschriebenen Typen. Die Daten wurden erhoben im Rahmen des Projekts I DÉE SUISSE , 2005-2007 (Perrin, et al., 2008 und D|1) . Die nächsten Seiten zeigen für jedes der fünf Korpora die enthaltenen Dateien und den Schlüssel zur Benennung dieser Dateien. <?page no="243"?> 244 E|1.1 Korpus 1: Quellen und Versionen einer Online-Nachricht wer? wann/ wo? was? wie? Firma Redaktion Datum Zeit / Seite Thema Version Datentyp Format JJMMTT hhmm .xxx europe by satellite - 020403 2300 - - video .mov transkript .htm associated press - 020403 1733 - - - .htm Zeitraum: 020403-020405 (3. April 2002 bis 5. April 2002) Agenturen: agence france presse associated press deutsche presse-agentur reuters schweizerische depeschenagentur tagesanzeiger online 020404 0736 - erste text .htm 1046 - update text .htm beitrag .pdf print 020405 03 delegation - beitrag .pdf _1 Struktur des Datenkorpus K1. Beispiele von Dateinamen in diesem Korpus: ebs_020403_2300_video.mov steht für die Videoaufzeichnung einer Medienkonferenz durch den Mediendienst der EU ebs_020403_2300_transkript.htm steht für die Transkription von Gespräch und Simultanübersetzung an dieser Konferenz ap_020403_2035.htm steht für den Text einer Nachricht der Nachrichtenagentur A SSOCIATED P RESS ta_online_020404_0736_erste_text.htm steht für die erste Ausgabe der Nachricht der Online-Redaktion von T AGES -A NZEIGER ta_online_020404_1046_update_text.htm steht für die aktualisierte Ausgabe dieser Nachricht, aufgeschaltet um 10: 46 ta_print_020405_03_delegation_beitrag.pdf steht für den Beitrag in der Printausgabe von T AGES -A NZEIGER <?page no="244"?> 245 E|1.2 Korpus 2: Textproduktionsprozesse zu Radiobeiträgen wer? wann/ wo? was? wie? Sender Redaktion Datum Zeit Thema Etappe Datentyp Format JJMMTT hhmm .xxx radio 32 nachrichten 980116 0600 diverse - rahmen .htm s-notation .pdf schritt für schritt .mov progression .pdf verbalprotokoll .pdf text .txt beitrag .mov transkript .htm schweizer radio drs nachrichten 980206 0700 japan - (analog radio 32) 980206 0800 korea - 980206 0900 irak - echo der Zeit 980319 1800 wahlkampf 1 (analog radio 32) 2 3 4 _1 Struktur des Datenkorpus K2. Beispiele von Dateinamen in diesem Korpus: r32_nachrichten_980116_0600_diverse_rahmen.htm steht für die Daten zum Produktionsrahmen des Nachrichtenblocks von R ADIO 32 sr_nachrichten_980206_0700_japan_beitrag.mov steht für den Film zum Schreibprozess einer Nachricht von S CHWEIZER R ADIO DRS sr_echo_980319_1800_wahlkampf_1_snot.pdf steht für die S-Notation zum Schreibprozess des Radiofeatures von S CHWEIZER R ADIO DRS <?page no="245"?> 246 E|1.3 Korpus 3: Sprachproben aus Fernsehnachrichten wer? wann/ wo? was? wie? Sender Redaktion Datum Zeit Thema Teil, Sorte Datentyp Format JJMMTT hhmm .xxx schweizer fernsehen zehn vor zehn (10 vor 10) 021126 2150 tanker abmod beitrag .mov rahmen transkript .htm .pdf Textteile mit … … Moderatorin im On: intro, anmoderation, abmoderation … journalistischer Autorin im On: korrespondent, redakteur … redaktioneller Sprecherin im Off: kurznachricht, anfang, kern, schluss … Textakteur im On: statement, rahmen, voiceover … Dialogpartner im On: interview, quiz, talk, duplex … mehreren Textakteuren: ganzerbeitrag Themen: abstimmung, arbeitslosigkeit, attentat, ausbildung, bakterien, boerse, bundesrat, dosierung, ebner, erbin, expo, feuerwehr, fiat, flughafen, fussball, gaseinsatz, gaseinsatzkritik, guetertourismus, kandidatinnen, kolchose, kriegsplaene, panne, privatsender, quizfrage, rennen, rentenanstalt, resolution, ruestungsbericht, sozialgeld, staatsintervention, tanker, terror, vals, verkehrspolitik, verkehrsprojekt, verschuldung, wetter, zahnarzt, zivildienst, zuwanderungsgesetz Zeitraum: 021027-030129 (27. Okt. 2002 bis 29. Jan. 2003) Redaktionen: bernerhof live, schweiz aktuell, kassensturz, meteo, puls, quiz today, rundschau, tagesschau, zehn vor zehn (10 vor 10) Sender: schweizer fernsehen _1 Struktur des Datenkorpus K3. Beispiele von Dateinamen in diesem Korpus: sf_zvz_021126_2150_tanker_abmod_beitrag.mov steht für die Videodatei, sf_zvz_021126_2150_tanker_abmod_transkript.pdf für das Transkript eines Ausschnitts <?page no="246"?> 247 E|1.4 Korpus 4: Leitbild und Sprachkritik einer Zeitungsredaktion wer? wann/ wo? was? wie? Firma Redaktion Datum Seite Thema Datentyp Format JJMMTT .xxx tagesanzeiger print 010117 01 uran beitrag .pdf Themen: absturz, amerika, autos, baeckeoffe, banker, bodenmann, brocken, daum, dodo, expo, fete, frauenberufe, friedhof, gebuehren, gondo, hayek, hinterruecks, intifada, joghurt, marktoeffnung, museum, ogi, rindfleisch, roessli, roman, sabineb, scheune, schiesserei, schoggi, schweizer, sforza, silvano, sommaruga, steuer, stimme, subkultur, sulzer, tabakindustrie, tellerrand, tornado, unken, unterricht, uran, velokurier, wahl Zeitraum: 000518-010301 (18. Mai 2000 bis 1. März 2001) leitbild - - teil_wirtschaft w3beitrag .htm Themen: beilage_magazin, beilage_zueritipp, fokus_kommentar, fokus_leseführung, rahmen_chefredaktion, rahmen_medienhaus, team_bild, team_gestaltung, team_korrektorat, teil_ausland, teil_frontseite, teil_hintergrund, teil_inland, teil_kehrseite, teil_kultur, teil_medien, teil_sechs, teil_sport, teil_wirtschaft, teil_wissen, teil_zuerich, verzeichnis_a-z, verzeichnis_ressorts, verzeichnis_themen coach 010322 - einstieg w3beitrag .htm Themen: abschwaechung, anfuehrung, bildbruch, dialekt, einstieg, frontanriss, grammatik, kongruenz, kultur, kurznachricht, logik, maedchenundjungs, mehrdeutig, meinung, nachtuebung, nebenthema, nicht, raetseltitel, redewendung, rueckblende, rueckzieher, satzbau, satzverknuepfung, skybox, sprachbild, synonym, verbzeiten, verkuerzt, vorauswertung, vorspann, wort, zerdehnen Zeitraum: 000518-010301 (18. Mai 2000 bis 1. März 2001) _1 Struktur des Datenkorpus K4. Beispiele von Dateinamen in diesem Korpus: ta_print_010117_01_uran_beitrag.pdf steht für einen Zeitungsbeitrag aus der Sprachkritik ta_leitbild_teil_wirtschaft_w3beitrag.htm für eine Seite im Leitbild ta_coach_010322_einstieg_w3beitrag.htm für eine Internetausgabe der Sprachkritik <?page no="247"?> 248 E|1.5 Korpus 5: Sprachpolitik, -norm und -praxis im öffentlichen Rundfunk wer? wann/ wo? was? wie? Sender Redaktion Datum Zeit Autor Thema Datentyp Format JJMMTT hhmm .xxx télévision suisse romande schweizer fernsehen téléjournal (5 Fälle) tagesschau (5 Fälle) zehn vor zehn (5 Fälle) 070209 … … … 1930 … … … revoin … … … marslaser … verbalprotokoll .mov .txt reviewprotokoll .mov .txt s-notation .htm midfile .txt progressions .pdf text .txt item .mov item-context .txt discourse .mov .txt frame .mov .txt 1430 editorial discourse .mov .txt Zeitraum: 061012-070307 (12. Okt. 2006 bis 7. März 2007) Expertenthema Datum Gesprächspartner Datentyp Format mandate (20 interviews) 060814 kaeppeli interview .wav .txt _1 Struktur des Datenkorpus K5. Beispiele von Dateinamen in diesem Korpus: tsr_tj_070209_1930_revoin_marslaser_verbal.mov steht für die Videodatei des Verbalprotokolls zum Schreibprozess einer Nachricht für TSR tsr_tj_070209_1930_revoin_marslaser_item-context.txt steht für die Hintergrundinformation zum Thema des produzierten Nachrichtenbeitrags tsr_tj_070209_1430_editorial_discourse.mov steht für die Videoaufzeichnung der Redaktionskonferenz vor dem Produktionsprozess politics_070116_riehl_interview.txt steht für das Transkript des Interviews mit einem Medienpolitiker, -manager oder -experten <?page no="248"?> 249 E|2 Transkriptionssystem GAT Dieses Lehrmittel nutzt das Gesprächsanalytische Transkriptionssystem (GAT) (_1) . Das GAT eignet sich zur Notation von Gesprächsstruktur, Wortlaut und Prosodie gesprochener Sprache. Alle Zeichen lassen sich mit gewöhnlichen Textverarbeitungsprogrammen schreiben und werden in einer einzigen Spur notiert. Den Wortlaut notiert das GAT in Standard- Orthografie. Nicht erfassbar ist Nonverbales; das System ist aber offen für Erweiterungen über die GAT-Konventionen hinaus. Für dieses Lehrmittel wird GAT deshalb zur Partitur erweitert (_2). GAT: System zur Transkription des Wortlauts, der Prosodie und der Organisation von Gesprächen und gesprochenen Äußerungen. _1 Selting, et al., 1998 führen in das GAT ein. Selting, et al., 2009 stellen GAT 2 vor, verbessert für elektronisch durchsuchbare Datenkorpora (355). Das Buch M EDIENLINGUISTIK nutzt eine aufgabenspezifische Variante von GAT 2. 15 ein ↓ allfälliger ↑ krieg im ↓ mittleren OSten - (.) 16 würde die LAge noch mar ↓ kant verSCHLECHtern . 17 X: | 18 A: wenn_ein SOLcher KRIEG_ <<len> inten ↑ SI : V und LANG : e > 19 [+E: Tagesschau Jean-Luc Nordmann Direktion Arbeit Seco] dauern WÜRde - 20 hätte_er SIcher - °h mas ↑ SIve_einflüsse 21 auf : die : ener ↑ GIEpreise ? [-E] _2 Transkript in GAT, erweitert zur Partitur. Quelle: sf_ts_030108_1930_arbeitslosigkeit_rahmen Die folgenden Seiten beschreiben die Partiturdarstellung (E|2.1) , dann die Zeichen des erweiterten GAT 2 für die Autorschaft von Äußerungen E|2.2) , für die Sequenzierung (E|2.3) , für prosodische Merkmale (E|2.4) und für Geschehen jenseits gesprochener Sprache (E|2.5) . <?page no="249"?> 250 E|2.1 Die Partiturdarstellung: Spuren und Zeilen Prosodie-Zeichen können das Lesen des GAT erschweren. Deshalb werden sie in den Transkripten dieses Buchs nach oben verschoben. So bilden die Zeichen für Wortlaut und für Prosodie eine gemeinsame Spur der Sprechsprache, die aber als Relief ausgestaltet ist. Unter dieser Spur kennzeichnen Unterstreichungen die akustische Umgebung der Sprechsprache: eingespielte Signete, Musik oder Geräusche. Prosodie-Relief und Klangspur erweitern also die GAT-Konventionen, um hörbare Merkmale der Medienbeiträge deutlicher sichtbar zu machen (E|2|_1|Zeilen 15 f.) . Bei Videobeiträgen kommt eine zweite Spur dazu, die Spur der Schriftsprache. Hier steht, was am Bildschirm in elektronisch einkopierten Einblendern oder auf abgebildeten Objekten zu lesen ist (Zeile 19) . Über beide Spuren hinweg wird das Anfangsbild jeder Bildsequenz einkopiert - das erste Bild nach jedem Schnitt (18) . Zum Zeigen auch sichtbarer Merkmale der Medienbeiträge erweitert also das Transkriptionssystem im Buch die GAT-Konventionen nochmals; das Einspursystem wird zur Partitur. Die Darstellung, ob Partitur oder nicht, ist im GAT immer in Zeilen gegliedert. Der Zeilenumbruch zeigt grundsätzlich die Sprecheinheiten: Wo eine Zeile aufhört, endet auch eine Sprecheinheit. Wo aber eine kurze Sprecheinheit aufhört, kann eine weitere auf die gleiche Zeile zu stehen kommen; das spart Platz. So überlagern sich Überlegungen zum dargestellten Gespräch und zum darstellenden Transkriptionstext. Dabei gelten hierarchisch drei Grundsätze: • Pragmatischer Grundsatz: Mit jedem Sprecherwechsel beginnt eine neue Zeile (17-18) . Sprechpausen, die keinem Sprecher eindeutig zugeordnet werden können, stehen auf eigenen Zeilen (17) . • Prosodischer Grundsatz: Mit jeder neuen Intonationseinheit beginnt eine neue Zeile (16) . • Syntaktischer Grundsatz: Jede Zeile umfasst mindestens eine syntaktische Einheit (16) , manchmal auch mehrere kurze (15) . Selten läuft eine lange syntaktische Einheit über mehr als eine Zeile (18-19) . <?page no="250"?> 251 E|2.2 Zeichen für Rollen und Quellen Diese Gruppe umfasst die Zeichen zur Zuverlässigkeit der Wiedergabe, zum Ursprung des Dargestellten und zur Rolle der Sprechenden: (xxx) unverständliche verbale Äußerung (babo) vermuteter Wortlaut hallo Auszug aus einem empirischen, authentischen Beispiel hallo Auszug aus einem konstruierten, erfundenen Beispiel M: Moderator R: Sprecherin des redaktionellen Texts im Beitrag O: Offsprecher des redaktionellen Texts (nur in TV-Beiträgen) K: Korrespondentin I: Interviewerin Q: Quizmaster A: Akteur im Beitrag: Betroffener, Expertin etc. V: Voiceover; gleichzeitig gesprochene Übersetzung der Rede eines Akteurs G: Gast in Quiz- oder Talksendung P: Präsenzpublikum an einem Schauplatz eines Beitrags X: keiner bestimmten Sprechrolle zuschreibbar <?page no="251"?> 252 E|2.3 Zeichen für die Sequenzierung Diese Gruppe umfasst die Zeichen zum Übergang zwischen Gesprächsbeiträgen und zur Stückelung innerhalb von Gesprächsbeiträgen: ba[bo] Überlappendes Sprechen, mehrere Sprechende gleichzeitig [ba]bo überlappendes Sprechen, mehrere Sprechende gleichzeitig babo (.) Mikropause babo (-) kurze Pause, 0.2-0.5 Sekunden, geschätzt babo (--) mittlere Pause, 0.5-0.8 Sekunden, geschätzt babo (---) längere Pause, 0.8-1.0 Sekunden, geschätzt babo (1.0) Pause, 1 Sekunde, gemessen babo | Pause mit hochgezogener (Signet-)Musik oder Ambi babo °h hörbares Einatmen babo = babo schneller Anschluss eines neuen Gesprächsbeitrags oder Segments ob_er Verschleifung der Silbengrenze bei vokalischem Anlaut bab- Abbruch einer angefangenen Konstruktion <?page no="252"?> 253 E|2.4 Zeichen für prosodische Merkmale Diese Gruppe umfasst die Zeichen zum Tempo, zur Tonhöhe und zur Tonstärke des Gesprochenen: <<len> babo > Sprechtempo ist langsam, mit Angabe der Reichweite <<all> babo > Sprechtempo ist schnell, mit Angabe der Reichweite <<rall> babo > Sprechtempo wird langsamer, mit Angabe der Reichweite <<acc> babo > Sprechtempo wird schneller, mit Angabe der Reichweite ba : bo Länge der Silbe ba ist gedehnt ↑ babo Tonhöhe springt nach oben (für die folgende Silbe) ↓ babo Tonhöhe springt nach unten (für die folgende Silbe) babo ? Tonhöhe steigt am Ende der Phrasierungseinheit babo - Tonhöhe bleibt am Ende der Phrasierungseinheit babo . Tonhöhe sinkt am Ende der Phrasierungseinheit baBO Stärkeakzent auf der Silbe bo ba ! BO ! extra starker Akzent auf der Silbe bo <?page no="253"?> 254 E|2.5 Zeichen für Merkmale jenseits gesprochener Sprache Diese Gruppe umfasst die Zeichen zu Merkmalen jenseits gesprochener Sprache, nämlich zu Klang, Schrift und Bild: SRG gesprochene Abkürzung (essergee) ((lachen)) para- und nonverbales Handeln und Verhalten ((Jingle)) Geräusch oder Klang babo akustisches Ambiente (Fachsprache: Ambi) babo akustisches Ambiente mit Sprechsprache babo Signetmusik babo redaktionell eingebaute Musik babo [+E: dada] Einblender mit Text dada erscheint im Bild babo [-E] Einblender verschwindet babo {dada} Text dada erscheint lesbar auf gefilmten Objekten im Bild Neues Bild nach einem harten Schnitt. Nach jedem harten Schnitt zeigt die Transkription das erste Bild der neuen Bildsequenz. Eine Bildsequenz beginnt nach einem harten Schnitt und endet vor dem nächsten. - - Markantes Bild innerhalb einer Sequenz. Die meisten Sujetveränderungen oder optischen Bewegungen wie Zooms, Schwenks oder Fahrten sind in der Transkription allerdings nicht erkennbar. … Letztes Bild einer Überblendung, hier von . Bei solchen Überblendungen zeigt die Transkription nur das neue Bild, das nach dem Abschluss des Überblendens am Bildschirm sichtbar ist. <?page no="254"?> 255 E|3 Verzeichnis der Aufgaben Aufsätze Fälle Streiflichter Baumann, Gerd, 106 Bucher, Hans-Jürgen, 96 Burger, Marcel, 95 Choi, Dongdoo, 36 Cotter, Colleen, 193 Dor, Daniel, 137 Dorenbeck, Nils, 138 Ekström, Mats, 113 Fang, Yew-Jin, 180 Gravengaard, Gitte, 242 Häusermann, Jürg, 114 Hickethier, Knut, 193 Holly, Werner, 170, 193 Jaworski, Adam et al., 193 Koller, Veronica, 131 Krause, Olaf, 193 Kropf, Thomas, 189 Lehr, Andrea, 193 Luginbühl, Martin, 193 Machin, David et al., 146 Muhr, Rudolf, 152 Norrick, Neal R., 193 O’Connell, Daniel C. et al., 157 Perrin, Daniel, 86, 193 Renner, Karl N., 122 Roth, Andrew L., 193 Sawitzki, Iwan, 193 Schraewer, Claudia, 193 Schubert, Antje et al., 162 Seifert, Jan, 128 Sleurs, Kim et al., 144 Spranz-Fogasy, Thomas, 193 Stenvall, Maja, 193 Stöckl, Hartmut, 38 Ulbrich, Christiane, 193 Wyss, Vinzenz, 193 Ausbildung, 120 Bundesrat, 94 Dosierung, 166 Erbin, 119 Expo, 112 Flughafen, 17, 63-70, 164 Gaseinsatz, 187, 188 Irak, 136, 182 Kolchose, 132, 165 Korea, 103, 129, 156, 163, 182 Lebanon, 237 Logik, 130 Nachrichtenblock, 102, 129, 147, 153, 173 Privatsender, 111 Rätseltitel, 18, 71-78 Rentenanstalt, 171 Resolution, 178, 179 Risiken, 13, 15, 26, 44, 50, 56, 91, 99, 107, 115, 125, 133, 141, 149, 159, 167, 175, 183 Rückblende, 118 Sozialgeld, 98 Tanker, 140 Terror, 104 Vals, 154, 155 Verkehrspolitik, 174 Verkehrsprojekt, 121 Verschuldung, 148 Wahlkampf, 16, 57-62, 97, 110, 139, 147, 156, 190, 191 Zuwanderungsgesetz, 181 CDA, 231 DST, 236 Ethnografie, 232 Grounded Theory, 233 Hypermedia, 123 Illokutionshierarchie, 145 Korpora, 80 Medienkonvergenz, 43 Methodologie, 49 Produktionsmodell, 87 RST, 235 Schriftlichkeit, 105 Selbstanspruch, 64 TD, 234 Textsorten, 186 Transkription, 81 Wissenschaftstheorie, 24 Wortbildungsprozess, 172 <?page no="255"?> 256 E|4 Verzeichnis der Fachbegriffe Angewandte Linguistik, 29 Artikulation, 160 Audience Design, 151 Augenblicksbildung, 169 Bedeutung, 126 CDA, 231 Derivation, 172 Diskurs, 108 Disziplin, 25 DST, 236 Erkenntnisinteresse, 35 Erklärstück*, 127 Ethnografie, 232 Formalobjekt, 37 Forschungsmethode, 48 Fragestrategie, 93 Framing, 135 GAT, 249 Geladene Frage, 93 Gespräch, 92 Gesprächsforschung, 91 GT, 233 Hypermediatext, 117 Illokution, 142 interdisziplinär, 31 Intertextualität, 108 Interview, 92 Kohärenz, 135 Kommunikation, 41 Komposition, 172 Konnexion, 176 Kontext, 14 Korpus, 80 Kürzung, 172 Language Awareness, 34 Linguistik, 28 Materialobjekt, 37 Medienbeitrag*, 117 Medienkonvergenz, 43 Medienlinguistik, 30 Medium, 41 Mehrfachadressierung, 92 Mehrfachautorenschaft, 100 Metadiskursanalyse, 71 Metapher, 127 Methodologie, 49 Morphem, 168 Morphologie, 167 multidisziplinär, 31 Phon, 160 Phonem, 160 Phonetik, 159 Phonologie, 159 Phraseologismus, 169 Phrasieren, 161 Portionieren*, 177 Pragmatik, 141 Praktik, 101 Produktionsroutine, 101 Progressionsanalyse, 57 Projekt*, 195 Proposition, 126 Prosodie, 160 Psycholinguistik, 133 Public Storytelling, 143 Publizistisches Medium, 42 Quote*, 35, 109 Rekontextualisieren, 14, 108 Revision, 59 RST, 235 Satz, 176 Schema, 134 Schlagwort, 169 Schreibforschung, 99 Schreibprozess, 100 Schreibstrategie, 101 Schriftlichkeit, 100 Semantik, 125 Semiotik, 115 Sinn, 142 Soziolinguistik, 149 Sprache, 39 Sprachgemeinschaft, 150 Sprachliche Tätigkeit, 142 Sprachliches Zeichen, 116 Sprachverarbeitung, 134 Sprachwandel, 150 Sprechen, 161 Stil, 151 Story, 143 Storytelling, 143 Syntax, 175 TD, 234 Teildisziplin, 26 Text, 14, 184 Text-Bild-Schere, 117 Textcluster, 109 Texten*, 185 Textlinguistik, 183 Textsorte, 184 Textsortenwandel, 185 Textthema, 126 Textwissenschaft, 107 Theorie, 23 transdisziplinär, 31 Transkription, 81 Variationsanalyse, 63 Varietät, 150 Verdichten*, 177 Versionenanalyse, 50 Verständlichkeit, 135 Wissen, 134 Wissenschaft, 23 Wort, 168 Wortbildung, 168 Zeichen, 116 Zeichensystem, 116 Zuspitzen*, 109 * primär praktische Fachbegriffe <?page no="256"?> 257 E|5 Verzeichnis der Namen und Quellen Die Bibliografie zum Ausdrucken finden Sie unter >> www.medienlinguistik.net/ quellen AA Adam, J.-M. 184; Adamzik, K. 150, 183; Agar, M. 232, 239; Aguado, K. 49; Aitchison, J. 21; Amstadt, T. 135; Androutsopoulos, J. 30, 48, 101, 150, 206; Antos, G. 99, 100, 135, 216; Apel, H. 160; Atkinson, P. 232; Austin, J. 126; B Bakhtin, M. 184; Ballstaedt, S.-P. 117, 134, 135; Barkho, L. 71; Barth, C. 92; Bartlett, F. 134; Bartlett, T. 231; Bauer, L. 167; Baumann, G. 106; Baurmann, J. 99; Bazerman, C. 108; Becker-Mrotzek, M. 41; Beckner, C. 126, 150; Bell, A. 21, 46, 50, 100, 108, 126, 143, 150, 151, 161, 177, 184, 185, 206, 240; Bentele, G. 116; Bergmann, J. 216; Bergner, U. 161; Bernhardt, B. 159; Berns, M. 150; Betz, R. 100; Biber, D. 126, 177; Bickel, H. 168; Biere, B. 21, 100, 135; Bird, E. 21, 232; Bittner, J. 184; Bleicher, J. 184; Blomqvist, C. 50, 100; Bloomfield, L. 39, 168; Blum, R. 205, 208; Boettcher, W. 91; Bogrdanova, T. 208; Bohnsack, R. 49; Bonfadelli, H. 205; Booij, G. 172; Borucki, H. 160; Boyd-Barret, O. 100; Branner, R. 208; Brants, S. 176; Bréal, M. 125; Bremerich-Vos, A. 216; Breton, P. 176; Breuer, U. 21; Breunig, C. 206; Brewer, J. 49; Brinker, K. 91, 184; Brodde-Lange, K. 101, 109; Browman, C. 160; Bucher, H.-J. 21, 48, 88, 93, 96, 100, 108, 109, 117, 126, 134, 135, 151, 204, 241; Burger, H. 21, 35, 92, 108, 109, 127, 169, 184; Burger, M. 21, 92, 95, 142, 206, 207; Burnes, S. 127; C Cameron, D. 92, 151, 206; Cameron, L. 127; Catenaccio, P. 21, 142, 185; Catford, J. 14; Caviola, H. 127; Charaudeau, P. 31; Cheesman, T. 100; Choi, D. 36, 63, 241; Chomsky, N. 39; Chouliaraki, L. 207; Christen, H. 150; Cicourel, A. 101, 134; Clark, H. 126, 206; Clayman, S. 92, 93, 135; Cölfen, H. 116; Conboy, M. 21, 151; Connell, I. 100; Copland, F. 232; Coseriu, E. 142; Cotter, C. 21, 150, 176, 193, 208; Coulson, D. 217; Coupland, N. 108; Craib, I. 101; Cramer, P. 46; Croft, W. 168; Crystal, D. 160; Currie, H. 149; D Dahinden, J. 126; Dahinden, U. 135; Danes, F. 126; De Beaugrande, R.-A. 107; De Knop, S. 127, 168; Deacon, D. 126; Dem’jankov, V. 126; Denzin, N. 49; Deppermann, A. 41, 91; Dieckmann, W. 92; Diekmannshenke, H. 169; Dirks, U. 63, 108, 127, 135, 207; Dittgen, A. 151; Dor, D. 101, 109, 134, 137, 207, 219, 226; Dorenbeck, N. 135, 138, 139, 142; Dörig, R. 19, 218; Dressler, W. 115, 116, 177, 183; Drew, P. 14; Drewer, P. 127; Druick, Z. 142; Dubied, A. 184; Durant, A. 21; Dürscheid, C. 100, 175; E Eco, U. 116; Eggs, E. 135; Ehrensberger-Dow, M. 34; Eisenlauer, V. 100; Ekström, M. 14, 50, 92, 93, 109, 113, 114; Emmertsen, S. 93; Endres, O. 108; Ephratt, M. 92; Erdal, I. 43; Esser, J. 160; Evans, V. 133; F Fabricius-Hansen, C. 176; Fairclough, N. 21, 35, 63; Fang, I. 50; Fang, Y.-J. 135, 176, 180, 207; Feilke, H. 14, 176, 184; Feilzer, M. 49; Féry, C. 160, 161; Fetzer, A. 108; Fiehler, R. 91; Fishman, J. 150; Fishman, M. 100; Fitzgerald, R. 117; Fix, U. 108, 184; Fleischer, W. 168; Flick, U. 49; Fludernik, M. 143; Ford, C. 161; Fowler, R. 21; Fraas, C. 43; Franck, D. 14; Franck, M. 101; Frazier, L. 177; Frege, G. 126, 168; Fritz, G. 14, 126, 135, 168; Furchner, I. 127; G Gal, S. 150; Gardt, A. 100, 151; Garretson, G. 169; Garrett, P. 34; Geier, R. 216; Gerretz, M. 126; Giddens, A. 204; Gilles, P. 160; Glaser, B. 233; Gloning, T. 168; Gnach, A. 150; Goffman, E. 100; Goldsmith, J. 159; González Rodríguez, M. 14; Gordon, R. 134; Gornik, H. 127; Grabowski, J. 126, 135; Graefen, G. 176; Gravengaard, G. 242; Greatbatch, D. 93; Grésillon, A. 100; Grin, F. 205; Grosse, E.-U. 185; Gruhn, W. 134; Gülich, E. 184; Gumperz, J. 41, 149; Günther, U. 126; Günthner, S. 176; H Habscheid, S. 41, 141, 183; Hackl-Rößler, S. 184; Halliday, M. 39, 150; Handke, J. 159; Hardcastle, W. 159; Hardt-Mautner, G. 135; Harris, S. 93; Harry, J. 109; Hartley, J. 109; Hartmann, P. 184; Hartung, A. 47; Hassoun, D. 47; Haß-Zumkehr, U. 169; Hausendorf, H. 204; Hauser, S. 21, 35, 109, 143; Häusermann, J. 41, 71, 100, 101, 108, 109, 114, 117, 177, 185; Hayes, B. 161; Hayes, J. 100, 134; Hefner, D. 47; Heidtmann, D. 91; Heijnk, S. 184; Heilmann, C. 81; Heinemann, R. 160; Helbig, J. 108; Held, G. 30, 151, 184; Hellmann, M. 150; Hennig, J. 92, 183; Herberg, D. 169; Heritage, J. 92, 184, 206; Herman, E. 108; Herman, T. 184; Hermanns, F. 142; Herring, S. 150; Herrmann, F. 100; Herrmann, T. 133; Hess-Lüttich, E. 115; Hickethier, K. 21, 92, 142, 143, 193; Hicks, T. 100; Hirsch Hadorn, G. 35, 234; Hirschberg, J. 161; Hodge, B. 57; Hoffmann, L. 92, 126, 135; Hoffmann-Riem, H. 31; Hollmach, U. 160; Holly, W. 41, 93, 117, 141, 169, 170, 193, 208; Holthius, S. 108; Hörmann, H. 134, 135; Fortsetzung <?page no="257"?> 258 Horn, L. 141; Hribal, L. 150; Hunston, S. 80, 150; Hutchby, I. 41; Huth, L. 117; Hymes, D. 41, 143, 232; II Ifantidou, E. 135; Ikeo, R. 108; Innerwinkler, S. 168; J Jackob, N. 161; Jacobs, G. 92; Jakobs, E. 99, 101; Jakubowicz, A. 46; Janker, P. 161; Januschek, F. 81; Jaworski, A. 193; Jesensek, V. 169; Johansson, M. 109; Johnson, S. 127, 151, 207; Johnson- Laird, P. 134; Jones, D. 41, 101; Jones, J. 59; Jucker, A. 92, 117, 176; Jung, M. 208; K Kallmeyer, W. 71, 92, 141; Kecskes, I. 14, 142; Kehler, A. 135; Keller, R. 41, 116, 127, 150; Kemmis, S. 101; Kintsch, W. 134; Klein, W. 126, 168; Kleinberger, U. 184; Klemm, M. 47, 71, 208, 216; Klimmt, C. 135; Knapp, K. 29; Kniffka, H. 126, 177; Knoblauch, H. 81; Knobloch, C. 22, 99; Knox, J. 116; Kobozeva, I. 127; Koch, P. 100; Köhler, D. 151; Köhler, S. 143; Kohrt, M. 160; Koller, V. 63, 127, 131; Korhonen, J. 169; Kotthoff, H. 92, 151; Krause, O. 193; Kreidler, C. 172; Krieg-Holz, U. 169; Krings, D. 176; Krings, H. 99; Krischke, W. 150; Kristeva, J. 108; Kroon Lundell, A. 109; Kropf, T. 185, 189; Kudryavtseva, L. 208; Kundera, M. 96; Kurz, J. 151, 177; Kurzon, D. 92; L Laakaniemi, R. 101; Lakoff, G. 127; Lams, L. 143; Larsen, S. 134; Larsen-Freeman, D. 23, 100, 108, 134, 150, 236; Lasky, M. 151; Lauerbach, G. 92; Layder, D. 235; Le, E. 93, 184; Lehr, A. 34, 193, 207, 216; Leitner, G. 46, 149, 150; Lemnitzer, L. 168; Lenders, W. 160; Leont’ev, A. 37, 142; Leudar, I. 207; Levelt, W. 160; Lewin, K. 234; Li, J. 108; Lieber, R. 168; Lillis, T. 101, 232; Lindgren, E. 59; Linke, A. 108, 160; Lippmann, E. 218; Lits, M. 184; Ljung, M. 184; Local, J. 150; Lombardo, L. 48; Lorda, U. 185; Lorenz, E. 236; Ludes, P. 185; Luginbühl, M. 50, 92, 100, 108, 109, 117, 150, 184, 185, 193; Lugrin, G. 109, 184; Luhmann, N. 41, 42; Lundell, A. 92; Lutz, B. 135; M Machin, D. 142, 146, 206; Manekeller, W. 216; Marchionni, D. 43; Mardh, I. 177; Marinos, A. 35, 109; Marx, U. 161; Mayer, J. 161; McAdams, K. 135; Meier, J. 217; Meier, W. 206; Meinunger, A. 151; Menz, F. 31; Meredith, J. 100; Mey, J. 141; Meyen, M. 142; Meyer, J.-U. 185; Meyer- Hermann, R. 177; Michel, D. 46, 175, 208; Miller, G. 133; Möhn, D. 21, 30; Moirand, S. 185; Molitor-Lübbert, S. 100; Mondada, L. 109; Montgomery, M. 21; Morris, C. 116, 141; Mottier, V. 126, 169; Muckenhaupt, M. 21, 135, 185; Muhr, R. 150, 152, 168, 208; Müller-Lancé, J. 177; N Neuber, B. 160; Norrick, N. 92, 193; Nöth, W. 117; Nuchelmans, G. 126; Nuernbergk, C. 108; O O’Connell, D. 92, 142, 157; O’Keeffe, A. 21, 48; Oger, C. 184; Olsen, S. 172; Oomen, U. 117; Ortner, H. 35, 134; Osgood, C. 133; Osthus, D. 127; Östman, J.-O. 185; P Page, R. 207; Pasch, R. 176; Peck MacDonald, S. 127, 176; Perrin, D. 13, 21, 30, 34, 57, 86, 93, 99, 100, 101, 109, 117, 135, 169, 176, 177, 185, 193, 197-213, 216-28, 238, 243; Perry, F. 29; Peters, J. 28; Peyer, A. 194, 207; Pietraß, M. 135; Pigg, S. 100; Pitts, B. 57; Pogner, K.-H. 100; Pompino-Marschall, B. 159; Portmann-Tselikas, P. 99; Prior, P. 100; Püschel, U. 185; Q Quandt, T. 101; Quinn, S. 43; R Raabe, J. 204; Rampton, B. 25; Rapp, D. 134; Rath, C. 108, 109; Redder, A. 176; Reich, Z. 42, 50, 100; Reichenau, C. 205; Reisigl, M. 167; Renner, K. 117, 122; Revers, M. 43; Richardson, J. 21, 63; Rickheit, G. 133; Roberts, C. 14; Robinson, S. 50; Rodgers, S. 43; Rodriguez, H. 57; Roe, K. 25; Roeh, I. 151; Roth, A. 71, 92, 93, 193; Ruhmann, G. 101; Ryan, M.-L. 143; S Sager, S. 117; Sandig, B. 151, 177; Sapir, E. 39; Sarangi, S. 143; Sarcinelli, U. 108; Saussure, F. 28, 37, 116; Sawitzki, I. 150, 169, 193; Sayers, D. 46; Schack, T. 117; Schäffner, C. 108; Schanne, M. 205; Scheuermann, A. 143; Scheufele, B. 135; Schirnhofer, M. 117; Schlesinger, P. 142; Schlobinski, P. 127, 168, 176; Schmidt, A. 92; Schmitt, R. 127; Schmitz, U. 21, 43, 100, 142; Schneider, J. 41; Schnotz, W. 135; Schön, D. 101; Schraewer, C. 193; Schriver, K. 135; Schrøder, K. 21, 141; Schröder, T. 176, 184; Schubert, A. 161, 162; Schumacher, G. 134; Schumacher, P. 177; Schürer-Necker, E. 135; Schütte, W. 108; Schütz, A. 101, 142; Schwitalla, J. 92, 151, 185, 206; Sealey, A. 23, 29, 235, 239; Searle, J. 142; Segalowitz, N. 133; Seibold, E. 117; Seifert, J. 126, 128, 207; Seiffert, H. 23; Selting, M. 16, 81, 151, 160, 177, 206, 249; Settekorn, W. 127; Severinson- Eklundh, K. 59; Skog-Södersved, M. 169; Sleurs, K. 47, 57, 109, 142, 144, 207, 219, 241; Fortsetzung <?page no="258"?> 259 Smirnova, A. 109; Sommerfeldt, K.-E. 185; Sperber, D. 137; Spitzmüller, J. 34; Spranz- Fogasy, T. 193; Stainton, R. 177; Steg, T. 216; Stein, S. 169; Steinmann, M. 205; Stenschke, O. 34; Stenvall, M. 126, 127, 193, 207; Stephens, Y. 150; Stöckl, H. 38, 116, 117; Stokols, D. 234; Stolz, T. 49; Storrer, A. 117, 135; Stotz, D. 217; Straßner, E. 21, 117, 185; Stubbs, M. 80, 231; Studer, P. 46, 80, 150; Svalberg, A. 34; T T Talbot, M. 207; Tavory, I. 239; Techtmeier, B. 184; Teddlie, C. 49; Tenenboim, O. 47; Thornborrow, J. 21, 48, 143; Tietge, C. 161; Toolan, M. 127, 151, 207; Toomar, J. 169; Torck, D. 207; Tovares, A. 47; Tracy, C. 14; Troesser, M. 116; Tsai, C. 108; Tuchman, G. 101, 143, 232; U Ulbrich, C. 160, 193; Ungerer, F. 185; V Van Dijk, T. 21, 50, 107, 126, 184, 185, 231; Van Hout, T. 57, 108; Van Leeuwen, T. 21, 63; Vater, H. 125, 126; Vogel, R. 161; Völzing, P.-L. 127; Von Polenz, P. 21; Von Stutterheim, C. 126, 184; W Wagner, F. 117; Wahl-Jorgensen, K. 143; Waldherr, A. 236; Wasserman, J. 233; Wawra, D. 63, 127; Weber, S. 42; Weber, W. 117; Weder, M. 57; Wegener, H. 176; Wei, L. 150; Weise, M. 184; Wember, B. 122; Werlen, I. 63, 109, 151, 176, 206; White, P. 21; Widdowson, H. 29, 231; Widmer, J. 205; Wintsch, D. 100; Withalm, G. 115; Wittgenstein, L. 142; Wittlinger, I. 161; Wittwen, A. 168, 206; Wodak, R. 126; Wojcieszak, M. 117; Wolf, D. 100; Wolf, M. 115; Wolf, R. 101; Wray, A. 195; Wright, K. 235; Wrobel, A. 100; Wyss, V. 193, 204, 207; Z Zinken, J. 127, 207.