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Unternehmenskommunikation

Ein Leitfaden

0916
2015
978-3-8385-4376-5
UTB 
Claudia Mast

"Content is King" - das Schlagwort wird Realität. Unternehmen ringen um Aufmerksamkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit und auf den Märkten. Mit welchen Inhalten wollen sie ihre Stakeholder überzeugen und in leistungsfähige Kommunikationsbeziehungen einbinden? Das praxisorientierte Buch gibt einen Überblick über theoretische Ansätze sowie Wege des strategischen Managements verantwortlicher Unternehmenskommunikation. Im Mittelpunkt steht das Contentmanagement (Themen, Storytelling) sowie die Stakeholder Mitarbeiter (Interne PR, Change Communication), Kunden (Kunden-PR, Corporate Publishing), Medien (Media Relations, Social Media Relations), Kapitalgeber (Investor Relations) und Gesellschaft (Public Affairs, Innovationskommunikation, CSR).

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York utb 2308 <?page no="2"?> Claudia Mast Unternehmenskommunikation Ein Leitfaden mit einem Beitrag von Simone Huck-Sandhu 6., überarbeitete und erweiterte Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> Dr. Claudia Mast ist Professorin für Kommunikationswissenschaft und Journalistik an der Universität Hohenheim (Stuttgart). Die gelernte Journalistin arbeitete bei Zeitungen und Rundfunk und war viele Jahre in leitender Funktion bei einem internationalen Konzern tätig. Lob und Kritik Wir freuen uns darüber, dass Sie sich für ein UTB-Lehrbuch entschieden haben. Wir hoffen, dass Sie dieses Buch bei Ihrer Prüfungsvorbereitung sinnvoll unterstützt. Für Lob und Kritik haben wir stets ein offenes Ohr: Schreiben Sie uns einfach eine E-Mail an das Lektorat (wirtschaft@uvk.de). Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2016 Lektorat: Rainer Berger Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © Rawpixel - fotolia.com Druck und Bindung: Pustet, Regensburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstraße 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 2308 ISBN 978-3-8252-4376-0 <?page no="4"?> IIInnnhhhaaal llttt Vorwort.................................................................................................................... XIII Teil I: Theoretische Ansätze und Modelle ..................................... 1 Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung .............................................. 3 1 Begriff der Unternehmenskommunikation .............................................. 6 2 PR: Marketinginstrument oder Kommunikationsmanagement? .......... 11 3 Entwicklungsphasen der Unternehmenskommunikation ...................... 18 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 20 ► Lesetipps ........................................................................................................... 21 Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 23 1 Mikro-, meso- und makrotheoretische Modelle ...................................... 24 2 PR-orientierte Ansätze ................................................................................ 26 3 Marketingorientierte Modelle .................................................................... 35 4 Einheitlichkeit als Ziel: Integrierte Unternehmenskommunikation ..... 38 5 Image, Reputation und Marken ................................................................. 45 6 Storytelling: Narrative Ansätze der Kommunikation ............................. 51 7 Unternehmenswerte im Visier ................................................................... 59 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 64 ► Lesetipps ........................................................................................................... 65 Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement .................. 67 1 Antworten der Praxis auf wachsende Unsicherheiten ............................ 69 2 Neue Perspektive: Vom Kostenfaktor zum strategischen Wert ........... 71 2.1 Paradigmenwechsel im theoretischen Verständnis ................................. 73 2.2 Werte in Leitfunktion ................................................................................. 76 3 Wertschöpfung durch Kommunikation - aber wie? .............................. 82 3.1 Materielle und immaterielle Werte als Orientierungsmarken ................ 83 3.2 Was Kommunikation wert ist .................................................................... 88 <?page no="5"?> VI Inhalt 4 Proaktives Handeln: Issues Management ................................................. 92 4.1 Issues erkennen und verfolgen .................................................................. 93 4.2 Planung des Prozesses ................................................................................ 97 4.3 Themenkarrieren und Lebenszyklen ........................................................ 100 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 104 ► Lesetipps ........................................................................................................... 105 Teil II: Planung und Optimierung ....................................................... 107 Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle .................................. 109 1 Strukturierung des Feldes: Zielgruppen, Stakeholder und Publics ................................................................................................... 109 2 Planung ......................................................................................................... 117 2.1 Problemwahrnehmung und Situationsanalyse ......................................... 117 2.2 Briefing ......................................................................................................... 123 3 Konzeption und Realisierung .................................................................... 125 3.1 Strategische Überlegungen, Ziele und Zielpublikum .............................. 125 3.2 Implementierung ......................................................................................... 130 4 Evaluation: Wie den Erfolg nachweisen? ................................................. 135 4.1 PR hat es schwerer ...................................................................................... 135 4.2 Zuordnungen von „Wirkungen“ ............................................................... 137 4.3 Medienbezogene Evaluationsmethoden .................................................. 142 4.4 Publikumsbezogene Instrumente .............................................................. 150 4.5 Von Kennziffern bis zum Kommunikationscontrolling ........................ 152 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 159 ► Lesetipps ........................................................................................................... 161 Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege ........................................... 163 1 Grundstrukturen und Anforderungen an Mediensysteme .................... 163 2 Leistungen von Kommunikationswegen .................................................. 167 2.1 „Reiche“ und „arme“ Medien .................................................................... 168 2.2 Kriterien für die Kanalwahl ....................................................................... 169 <?page no="6"?> Inhalt VII 2.3 Push, Pull oder Dialog: Hauptwege der Unternehmenskommunikation .................................................................. 175 3 Face-to-Face-Kommunikation: Formen und Formate .......................... 178 4 Chancen und Risiken der Web 2.0-Kommunikation ............................. 182 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 188 ► Lesetipps ........................................................................................................... 189 Kapitel 6: Kommunikationsnetze .................................................................. 191 1 Informelle Netzwerkkommunikation ....................................................... 192 2 Kommunikationsnetze - Formen und Typen ......................................... 196 3 Strukturen und Rollen ................................................................................ 198 4 Merkmale der Kommunikationsnetze ...................................................... 205 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 208 ► Lesetipps ........................................................................................................... 209 Kapitel 7: Kommunikationsform Gerücht ................................................... 211 1 Typen von Gerüchten ................................................................................. 212 2 Entstehung und Verbreitung ..................................................................... 214 3 Leistungen und Wirkungen ........................................................................ 219 4 Zum Umgang mit Gerüchten in Unternehmen ...................................... 221 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 225 ► Lesetipps ........................................................................................................... 226 Kapitel 8: Management von Content ............................................................ 229 1 Content is king - ein Slogan wird Wirklichkeit ....................................... 230 1.1 Grundelemente des Content Managements ............................................ 233 1.2 Anforderungsdimensionen für Inhalte ..................................................... 238 2 Content Management als Prozess ............................................................. 243 3 Narrativer Kommunikationsmodus - ein Königsweg? .......................... 249 4 „Native“ - Schlüsselwort für eine neue Content-Strategie? .................. 252 5 Content matters? ......................................................................................... 255 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 258 ► Lesetipps ........................................................................................................... 259 <?page no="7"?> VIII Inhalt Teil III: Umsetzung in der Praxis ......................................................... 261 Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern ...................................... 263 1 Interne Kommunikation - auf dem Weg zur „leading position“? ....... 264 2 Ziele und Inhalte ......................................................................................... 269 3 Interne Kommunikation als Wegbereiter organisationaler Resilienz ........................................................................................................ 275 4 Von der Verteilkommunikation zu interaktiven Prozessen ................... 277 5 Medien und Wege ....................................................................................... 280 5.1 Abwärtskommunikation ............................................................................. 281 5.2 Aufwärtskommunikation ............................................................................ 282 5.3 Wechselseitiger Austausch und Dialog ..................................................... 285 6 Kernbereich der internen Kommunikation ............................................. 286 6.1 Intranet als Kommunikationsplattform ................................................... 287 6.2 Neupositionierung der gedruckten Medien ............................................. 289 6.3 Bedeutung der persönlichen Kommunikation ........................................ 290 7 Manager als Kommunikatoren .................................................................. 293 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 298 ► Lesetipps ........................................................................................................... 299 Kapitel 10: Kundenkommunikation .............................................................. 301 1 Strategische Ziele ......................................................................................... 302 1.1 Kundenbindung und Beziehungsmanagement ....................................... 303 1.2 Neue Konzepte für neue Herausforderungen ......................................... 307 2 Markenkommunikation .............................................................................. 310 2.1 Was ist Markenkommunikation? ............................................................... 310 2.2 Warum Kommunikation über Marken ..................................................... 311 2.3 Wichtige Entscheidungen der Markenkommunikation ......................... 313 2.4 Markenbotschafter ...................................................................................... 318 2.5 Trends in der Markenkommunikation ..................................................... 319 3 Instrumente der direkten und indirekten Ansprache ............................. 320 4 Kundenkommunikation - das Miteinander entscheidet ........................ 330 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 332 ► Lesetipps ........................................................................................................... 333 <?page no="8"?> Inhalt IX Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern ........................................ 335 1 Finanzkommunikation zwischen Fakten und Gefühlen ........................ 336 2 Ziele und Bezugsgruppen ........................................................................... 338 3 Instrumente der Investor Relations-Arbeit .............................................. 341 4 Rechtliche Aspekte der Investor Relations .............................................. 347 5 Vertrauen als Geschäftsgrundlage ............................................................. 350 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 353 ► Lesetipps ........................................................................................................... 354 Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren ........................................................ 355 1 Zur Ausrichtung von Media Relations heute .......................................... 356 1.1 Bedeutung und Funktionen der Medienarbeit ........................................ 357 1.2 Media Relations - ganzheitlich verstanden .............................................. 361 1.3 Leistungen der Medien im Vergleich ........................................................ 364 2 Vielfältige Medienwelten ............................................................................ 367 2.1 Klassische Medien ....................................................................................... 369 2.2 Online-Medien und Social Media .............................................................. 374 2.3 Unternehmenseigene Medien: Corporate Publishing ............................. 377 2.4 Wie sich die Unternehmensberichterstattung ändert ............................. 378 3 Strategien der Media Relations .................................................................. 383 3.1 Erfolgsfaktoren bei der Ansprache von Redaktionen ............................ 385 3.2 Instrumente der Medienarbeit ................................................................... 390 3.3 Blogger Relations ......................................................................................... 395 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 397 ► Lesetipps ........................................................................................................... 398 Teil IV: Herausforderungen und Perspektiven ........................... 401 Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise .................................................. 403 1 Die vielen Gesichter der Krisen ................................................................ 404 2 Mechanismen der Beschleunigung ............................................................ 408 3 Von der präzur postkommunikativen Phase ......................................... 413 3.1 Prävention und Vorfeldkommunikation .................................................. 413 <?page no="9"?> X Inhalt 3.2 Die heiße Phase - ein erbarmungsloser Professionalitätstest ............... 415 3.3 Lessons learned - die Zeit danach ............................................................ 417 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 420 ► Lesetipps ........................................................................................................... 421 Kapitel 14: Internationale Unternehmenskommunikation / Simone Huck-Sandhu ........................................................................................ 423 1 Im Spannungsfeld von nationaler und internationaler Umwelt ............ 424 2 Strategische Ausrichtung ............................................................................ 429 3 Internationale Unternehmenskommunikation in der Praxis ................. 432 4 Zusammenfassung und Ausblick .............................................................. 436 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 439 ► Lesetipps ........................................................................................................... 440 Kapitel 15: Innovationen als Herausforderung für die Unternehmenskommunikation ......................................................... 441 1 Innovationskommunikation - ein schillernder Begriff .......................... 442 2 Kommunikation zur Unterstützung von Innovationsprozessen .......... 446 3 BtoC- und BtoB-Unternehmen: Unterschiede in der Kommunikation ....................................................... 448 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 451 ► Lesetipps ........................................................................................................... 452 Kapitel 16: Change Communication: Den Wandel kommunizieren .... 453 1 Emotionen als menschliche Software........................................................ 454 1.1 Spezielle Emotionen: Ängste ...................................................................... 457 1.2 Menschen sind bilanzierende Wesen ......................................................... 458 2 Kritische Erfolgsfaktoren für die Kommunikation des Wandels .......... 460 3 Change Communication in der Praxis ....................................................... 463 4 Emotionale und kognitive Unsicherheiten reduzieren ............................ 472 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 477 ► Lesetipps............................................................................................................. 478 <?page no="10"?> Inhalt XI Kapitel 17: Gesellschaftliche Verantwortung - nur ein Thema der Kommunikation? ............................................................ 479 1 Auf dem Weg zu neuen Verantwortlichkeiten ........................................ 479 2 Corporate Social Responsibility und andere Konzepte .......................... 482 3 Nachhaltige Unternehmensführung als Ziel ............................................ 489 4 Funktionen des Stakeholder-Dialogs und Instrumente ......................... 490 5 Koordinaten für eine gesellschaftsorientierte Kommunikation ............ 498 ► Zusammenfassung ........................................................................................... 503 ► Lesetipps ........................................................................................................... 504 Teil V: Anhang ................................................................................................. 505 Verzeichnis der Schaubilder ................................................................................. 507 Literatur .................................................................................................................. 511 Sachregister ............................................................................................................. 543 <?page no="12"?> V V o o r r w w o o r r t t Euro- und Verschuldungskrise, Empörungswellen in den Medien, massive Glaubwürdigkeitsverluste in der Gesellschaft - das Umfeld der Unternehmen verändert sich dramatisch. Die gesellschaftliche Legitimation ganzer Branchen, z. B. der Banken, wird öffentlich diskutiert. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen und Unternehmen sinkt. Machtverschiebungen und Turbulenzen auf den Märkten nehmen zu. Unternehmen haben große Schwierigkeiten, sich dem unaufhörlichen Wandel anzupassen - mehr noch: sogar selbst Veränderungen zu produzieren. Erfolgreich in diesem globalen Rennen um die besten Plätze sind diejenigen, denen es gelingt, den Wettbewerb um Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei ihren Stakeholdern zu gewinnen, d. h. ihre ökonomische und soziale Verantwortung glaubhaft zu machen und in der Wahrnehmung der (Medien-)Öffentlichkeit eine positive Reputation aufzubauen. Erfolgreich in diesem Überangebot von Medieninformationen sind diejenigen, denen es gelingt, die besten Fach- und Führungskräfte zu gewinnen und ihre Belegschaften zu motivieren. Dazu brauchen die Unternehmen ein Kommunikationssystem, das mit Blick auf Tempo, Reaktionsfähigkeit, Beweglichkeit und Lernvermögen Spitze ist. Der Kampf um die Aufmerksamkeit ist hart, denn immer mehr Unternehmen wissen, dass interne und externe Kommunikationsprozesse letztlich über Gewinn- und Verlustchancen auf den Märkten entscheiden. Dabei haben sich die Bedingungen in diesem Kommunikationswettbewerb verschärft. Die Ressourcen Zeit und Geld werden knapper, wohingegen die Komplexität der Einflüsse und Entscheidungen steigt. Unternehmen benötigen daher ein Kommunikationssystem, das ihre Beweglichkeit fördert und ihre gesellschaftliche Akzeptanz stärkt. Außerdem müssen sie in der Öffentlichkeit (z. B. bei Kunden, Politikern oder Kapitalgebern) mit ihren Leistungen als unverwechselbar und unverzichtbar wahrgenommen werden. Image, Reputation und Markenentwicklung beeinflussen mehr und mehr den Geschäftserfolg. Sind die Kommunikationssysteme der Unternehmen für diese Anforderungen gerüstet? Der vorliegende Leitfaden für die Unternehmenskommunikation richtet sich an Studierende, vor allem der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft, die in das Berufsfeld Public Relations bzw. Unternehmenskommunikation streben. Das Buch kann aber auch Praktikern aus PR-Abteilungen der Unternehmen oder Agenturen nützliche Hinweise und Denkanstöße vermitteln. Es hat das Ziel, <?page no="13"?> XIV Vorwort ! Besonderheiten der wertorientierten Unternehmenskommunikation aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive zu analysieren, ! theoretische Modelle und aktuelle Ansätze vorzustellen sowie ! Bedeutung, Prozesse und Formate einer zukunftsorientierten Themenaufbereitung zu analysieren und in das Content Management einzuführen, ! Methoden zur Planung und Optimierung von Kommunikationskonzepten zu erklären und praktische Herausforderungen zu diskutieren, die Unternehmen bewältigen müssen. Im ersten Teil des Buches werden ausgewählte theoretische Modelle vorgestellt, die die Unternehmenskommunikation sowohl aus wirtschaftsals auch sozialwissenschaftlicher Perspektive beleuchten. Neuere Ansätze, z. B. das Storytelling werden diskutiert. Im zweiten Teil der Publikation geht es um die Frage: Wie kann Kommunikation Werte schaffen? Die Planung und Optimierung von wertorientierten Kommunikationsprozessen unter Einbeziehung des Internets mit seinen vielfältigen Möglichkeiten werden ausführlich behandelt. Es werden Modelle zur Strukturierung der Unternehmensumwelt, zur Erarbeitung von strategischen Konzepten und zur Evaluation vorgestellt. Die Analyse von Kommunikationsproblemen, die Formulierung von Aussagen und Botschaften, die Auswahl der formellen und informellen Kommunikationswege sowie die Evaluation werden besonders berücksichtigt. Gerüchte als besondere Kommunikationsform werden in ihrer Funktion für das Kommunikationsmanagement analysiert sowie die neuesten Ergebnisse der Forschung diskutiert. Der dritte Teil des Buches behandelt theoretische Perspektiven des Content Managements und deren praktische Umsetzung am Beispiel von vier zentralen Bereichen: Mitarbeiter, Medien, Kunden und Kapitalgeber. Die interne Unternehmenskommunikation, lange Zeit in der Praxis als Erfolgsfaktor eher unterschätzt, wurde zum Hauptaktionsfeld der Unternehmenskommunikation. Manager werden in ihrer Rolle als Kommunikatoren gefordert. Intranet, Corporate TV und kollaborative Plattformen verändern die Medienlandschaft in den Firmen. Social Media-Plattformen halten Einzug in die internen Kommunikationssysteme und stellen traditionell gewachsene Strukturen in Frage. Die Beziehungen zwischen der Face-to-Face-Kommunikation, den gedruckten Medien (z. B. Mitarbeiterzeitschriften) und elektronischen Kommunikationswegen werden neu arrangiert. Die persönliche Kommunikation wird wichtiger, aber schwieriger. Die Kommunikation mit den Kunden ist angesichts des verschärften Wettbewerbdrucks ebenfalls zum zentralen Erfolgsfaktor für den geschäftlichen Verlauf geworden. Dieser Kommunikationsbereich wird in der Regel in wirtschaftswissenschaftlichen Studien, vor allem aus dem Marketing, behandelt. Die <?page no="14"?> Vorwort XV Wissenschaftsdisziplin Kommunikationswissenschaft konzentrierte sich in der Vergangenheit meist - voreilig - auf das Teilgebiet Public Relations und versuchte Grenzen zur Werbung bzw. zum Marketing zu ziehen, die in der praktischen Umsetzung nicht mehr aufrechtzuerhalten sind. Kundenkommunikation geht heute weit über marketingorientierte Kommunikationsmaßnahmen oder Werbung hinaus. Investor Relations bzw. die Kommunikation der Unternehmen mit den Finanzmärkten und Kapitalgebern haben in Deutschland im Zuge der Euro- und Verschuldungskrise eine tiefe Zäsur erlebt. Gesellschaftspolitische Einflüsse gewinnen an Bedeutung. Fragen der gesellschaftspolitischen Auswirkungen und der Moral werden gestellt, wenn der Banksektor seine Gewinne privatisiert, die Verluste aber sozialisiert. Das Geschäftsmodell der Versicherungsbranche ist in Gefahr. Die Kommunikation über die Finanzmärkte und die Darstellung von Unte rn ehm en für Inv es to re n ist ein Spez ia lge bi et, des se n Be son derhei ten ebenfalls angesprochen werden. Viele Unternehmen konzentrieren sich auf „die Medien“ in der externen Öffentlichkeitsarbeit. Eine „gute Presse“ oder ein positives Medienimage sind wichtige Ziele der strategischen Kommunikationsplanung geworden. Für die Kommunikationswissenschaft ist dieser Untersuchungsbereich besonders interessant, da er Aspekte der Public Relations wie auch der Journalistik integriert. Der vierte Teil des Buches widmet sich aktuellen Herausforderungen der Unternehmenskommunikation - in Krisenzeiten, bei der Kommunikation von Innovationen, der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und bei konkreten Changeprojekten. Simone Huck-Sandhu analysiert die Herausforderungen, die angesichts der Internationalisierung des Wirtschaftsgeschehens auf die Unternehmen zukommen. Den Abschluss der Publikation bilden Überlegungen zu einer zukunftsorientierten Kommunikation für Unternehmen, die sich der gesellschaftlichen Verantwortung verpflichtet fühlen. Verschiedene Disziplinen aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften behandeln die Unternehmenskommunikation. Die Publikationen sind kaum mehr überschaubar. Für den Leser werden einige ausgewählte, zentrale Publikationen jeweils am Schluss des Kapitels vorgestellt und kurz kommentiert. Diese Lesetipps ermöglichen eine vertiefende Beschäftigung mit Einzelaspekten. Die vorgestellten Bücher sollen für Studierende und Praktiker, die sich einen schnellen Überblick über die Forschungslage verschaffen wollen, Ergebnisse, Hinweise und Denkanstöße liefern, einen Einstieg in Sachprobleme bieten, verständlich geschrieben und leicht zugänglich, d. h. möglichst im Buchhandel erhältlich sein. Sofern es sich um Publikationen aus der Praxis handelt, wurde auf Systematik und innovative Ansätze geachtet. <?page no="15"?> XVI Vorwort Ziel der Literaturhinweise zum Schluss des Buches, die sich vor allem auf neuere Publikationen konzentrieren, ist daher weder eine bibliografische Vollständigkeit noch eine wissenschaftliche Dokumentation des Vorhandenen, sondern ein für Studierende und Interessierte aus der Berufspraxis zugänglicher und geeigneter Ausschnitt aus der Vielzahl der Veröffentlichungen. Zeitschriftenartikel wurden nur im Ausnahmefall aufgenommen, da sie insbesondere für Berufstätige nur mit großem Aufwand zu beschaffen sind. Besonderer Dank der Autorin gilt Prof. Dr. Simone Huck-Sandhu für ihre spannende Analyse zur Internationalisierung der Unternehmenskommunikation. Dipl. rer. com. Verena Gliese hat mit großem Engagement und Sorgfalt die Schlussredaktion gestaltet und viele nützliche Hinweise gegeben. Desweiteren haben zu dieser Auflage beigetragen: Dr. Klaus Spachmann, Dr. Helena Stehle, Andreas Biesinger und Alena Kirchenbauer. Ihnen dankt die Autorin in besondere m Maße. Caissa Ke il sowie Daisy Bartsch hab en di e Ver änderun gen des Manuskriptes in der sechsten Auflage übernommen. Ihnen sei ebenfalls herzlich gedankt. Stuttgart-Hohenheim, im Juni 2015 Claudia Mast <?page no="16"?> I I TThhe eoorreettiisscch hee AAnnssä ät tz ze e uunndd MMo oddeelllle e <?page no="18"?> K K a a p p i i t t e e l l 1 1 : : E E i i n n f f ü ü h h r r u u n n g g u u n n d d B B e e g g r r i i f f f f s s e e r r k k l l ä ä r r u u n n g g Wir leben in Organisationen und mit Organisationen aller Art. Sie sind Formen sozialer Netzwerke, die Menschen schaffen, um Probleme zu lösen oder Bedürfnisse aller Art zu befriedigen. Organisationen basieren auf Kommunikation. Organisationsformen - welcher Art sie auch sind - und menschliche Kommunikation sind damit untrennbar miteinander verbunden. Diese Beziehungen zwischen Organisationsformen und Kommunikationsprozessen sind das wissenschaftliche Untersuchungsfeld der Organisationskommunikation. Wenn es sich um die spezielle Organisationsform der Unternehmen handelt, wird der Begriff Unternehmenskommunikation verwendet. Organisationen sind zunächst beobachtbare Netze von Interaktionen, die geplant, regelmäßig und systematisch zwischen Menschen ablaufen. Organisationen verfolgen Ziele, die als Ergebnis der Kommunikation erwartet werden. Organisationen haben Mitglieder, z. B. Mitarbeiter und Manager, die die Kommunikationsnetze kennen. Auch Außenstehende, z. B. Kunden oder Bürger in der Nachbarschaft, nehmen diese Organisationen wahr, nicht nur über deren Namen oder Gebäude, sondern auch über Handlungen (Werbung, Public Relations u. a.) und Repräsentanten (Akteure). Darüber hinaus haben Organisationen Strukturen, die das Grundgerüst bzw. den Rahmen bilden, in dem Kommunikationsprozesse ablaufen. Diese Strukturen können mehr oder weniger hierarchisch, differenziert oder formalisiert ausgeprägt sein. Strukturen sind vorgegebene Handlungsmuster für Situationen. Prozesse sind Handlungsabläufe, die diesen Strukturen folgen und mehr oder weniger klar reglementiert oder formalisiert sind. Organisationen haben eine Identität, verfolgen Werte und bilden eine Kultur aus, d. h. sie legen fest, wie sie sich selbst sehen, welchen Zielen, Normen und Regeln sie folgen und welche Verhaltensmuster erwartet und praktiziert werden. Alle diese Merkmale von Organisationen bilden sich in langen Entscheidungsprozessen heraus. Sie sind das Ergebnis von Kommunikationsprozessen und beeinflussen künftige Kommunikationsmuster. Der kommunikationswissenschaftliche Ansatz versteht Organisationen als soziale Gebilde, deren Kommunikationsbeziehungen zwar auf Dauer angelegt sind, aber dennoch einem kontinuierlichen Wandel unterliegen. Kommunikation bezeichnet einen Prozess, in dem zwei oder mehrere Menschen sich gegenseitig wahrnehmen und Aussagen, Botschaften und Gefühle austauschen, indem sie sich verbaler und nonverbaler Mittel bedienen und ggfs. Medien benützen. Auch wenn sie nicht kommunizieren, sagen sie mit dieser Haltung etwas aus (Watzlawick/ Beavin Bavelas/ Jackson 2011). <?page no="19"?> 4 Theoretische Ansätze und Modelle Der Kommunikationsprozess bildet die Grundlage für eine Organisation, aber auch für Management- und Entscheidungsprozesse. Je besser wir diesen Prozess verstehen, desto besser verstehen wir Organisationen und können mit ihnen umgehen. Folgende Schlüsselkonzepte in der Organisationskommunikation werden in der Unternehmenspraxis intensiv bearbeitet und analysiert: ! Ziele: Hierbei geht es um das, was die Organisation erreichen möchte. Sie können ganz konkret mit Blick auf die Geschäftsverläufe formuliert werden und allgemein als erstrebenswerte Perspektiven für die Organisation in Form von Visionen, Leitbildern u. a. ! Mitglieder und Außenstehende: Die Grenzen zwischen internen und externen Individuen bzw. Gruppen, die sich mit Unternehmen beschäftigen, verschmelzen. Rein formal gesehen gibt es Mitglieder von Organisationen, die mit ihr in arbeitsrechtlichen, vertraglichen Beziehungen stehen, und solche Menschen, die von außen und aus anderen Perspektiven eine Organisation betrachten. Für beide Gruppen hat sich in der Wissenschaft die Bezeichnung „Stakeholder“ durchgesetzt. Damit sind Personen oder Gruppen gemeint, die ein Interesse oder Anliegen gegenüber der Organisation haben oder von deren Handlungen betroffen sind. Des Weiteren wird die Bezeichnung Akteur verwendet, die keine Aussage über die Bezüge zu einer Organisation beinhaltet. ! Identität: Hier geht es um das Selbstverständnis einer Organisation, das nicht losgelöst von den Stakeholdern beschrieben werden kann, sondern deren Wünsche und Erwartungen berücksichtigen sollte. ! Werte: Werte sind implizite oder explizite Auffassungen, die ein Individuum, eine Gruppe bzw. Organisation oder eine Gesellschaft von Wünschenswertem oder Erstrebenswertem vertritt. ! Kultur: Die Kultur einer Organisation oder Gesellschaft gründet wiederum auf ihren Werten. Sie wirkt sich unmittelbar auf das Verhalten der ihr zugehörigen Mitglieder aus. ! Strukturen: Als formalisierte Handlungsmuster von Organisationen wollen Strukturen das Handeln von Menschen beeinflussen. Sie legen Kommunikationsabläufe fest. Sie wirken auf Kommunikation, indem sie Interaktionen ermöglichen („enabling“) oder begrenzen („constraining“). ! Prozesse: Meist wiederkehrende und geregelte Handlungsabfolgen beschreiben, wie sich die Akteure innerhalb von Strukturen verhalten sollen. Pro- <?page no="20"?> Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung 5 zesse umfassen die Handlungsspielräume und Abläufe von (Kommunikations-)Handlungen innerhalb von Strukturen. Warum ist es spannend, die Unternehmenskommunikation zu analysieren? ! Die Bedingungen des Wettbewerbs um Aufmerksamkeit (in der Öffentlichkeit) und Bewertungen (Image, Reputation, Marken) ändern sich. Gestaltungspotenziale zwischen Kommunikatoren und Rezipienten verlagern sich, die Kommunikationsangebote übersteigen die Nachfrage. Das heißt: die Unsicherheiten bei der Gestaltung von Kommunikationsbeziehungen steigen ebenso wie Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten. Der Umgang mit dem Überangebot an Kommunikationsmöglichkeiten macht Individuen und Organisationen gleichermaßen Schwierigkeiten. ! Das Management von Kommunikationsprozessen entscheidet über die geschäftlichen Perspektiven von Unternehmen und deren Handlungsspielraum. Die Leistungsfähigkeit eines Kommunikationssystems trägt damit zum ökonomischen Erfolg bei. Die bewusste Gestaltung von Kommunikationsbeziehungen aus der Perspektive der Stakeholder ist daher zu einem besonderen Forschungsfeld geworden. ! Gesellschaftliche Akzeptanz, die sog. „Licence to operate“, erfordert eine leistungsfähige, aber auch verantwortungsbewusste Kommunikation und den ständigen Austausch von Unternehmen mit ihrem gesellschaftlichen und politischen Umfeld. Die Stakeholderorientierung der Unternehmen wird langsam Wirklichkeit. Dabei gewinnen Gruppen und Individuen im Unternehmen und außerhalb und deren Sichtweisen an Bedeutung. Organisationskommunikation ist im angloamerikanischen Raum, aber vor allem in Deutschland ein verhältnismäßig junges Forschungsgebiet, das sich aus unterschiedlichen Forschungsansätzen entwickelte. In den USA liegen die ersten Anfänge in den 1940er Jahren. Ausgangspunkt waren die interpersonale Kommunikation sowie Publikationen über „business communication“. Bis heute behandeln zahlreiche Bücher, wie Kommunikationsprozesse in bestimmten Situationen verbessert werden können - von der Art und Weise, verständliche E-Mails zu schreiben bis zur überzeugenden Präsentation in Besprechungen. Erst allmählich kamen in den USA weitere Aspekte wie interkulturelle und internationale Kommunikationsbeziehungen hinzu. Das Untersuchungsfeld der Organisationskommunikation wurde theoretisch angereichert (Theis-Berglmair 2013, Schoeneborn 2013, Nothhaft 2011, Röttger 2010). In Deutschland setzte die Erforschung der Organisationskommunikation später ein, beginnend in den 1980er Jahren, und wird seitdem intensiv betrieben. Ausgangspunkt kommunikationswissenschaftlicher Analysen war die Massenkommunikation als medienvermittelte Kommunikation auf der einen Seite und die <?page no="21"?> 6 Theoretische Ansätze und Modelle Praktikerliteratur zur Öffentlichkeitsarbeit auf der anderen Seite. Beide Herangehensweisen standen zunächst unvermittelt nebeneinander. Bis Anfang der 1960er Jahre war auch die Kommunikationswissenschaft im deutschsprachigen Raum vorrangig geisteswissenschaftlich-historisch ausgerichtet. Erst Maletzke (1963) hat mit seinem Standardwerk „Psychologie der Massenkommunikation“ auf die amerikanische Forschung hingewiesen und die sozialwissenschaftliche Perspektive für das Fach Kommunikationswissenschaft betont. Eine empirische Forschungslandschaft etablierte sich. Inzwischen hat sich Public Relations als Teildisziplin im Fach Kommunikationswissenschaft durchgesetzt. Universitäre Studiengänge wurden eingerichtet. In Kapitel 1 werden die zentralen Begriffe Unternehmenskommunikation, Public Relations als Kommunikationsmanagement von Unternehmen sowie ihre Funktion als Instrument des Marketings erläutert. Zum Schluss wird die Entwicklung der Unternehmenskommunikation kurz skizziert. 111 BBBe eegggr rriiiffff ff dddeeer rr UUUn nnttteeerrrn nneeehhhm mme eennnssskkkooom mmmmmuu un nniiikkkaaatt tiiiooon nn Bezeichnungen bzw. Kategorien haben in den Sozialwissenschaften die Funktion, den Menschen Orientierung in der Welt zu bieten, in der sie leben, und Verständigung zu ermöglichen. Begriffe und vor allem Definitionen sollen Klarheit schaffen über den Gegenstand der Überlegungen. Gleichzeitig versuchen Definitionen, die Aufmerksamkeit zu lenken und Grenzen zu ziehen. Auf dem Feld der Organisationskommunikation und speziell auch der Unternehmenskommunikation ist eine Vielzahl an Begriffen und Definitionen entstanden, die eine schnelle Orientierung und auch Verständigung behindert. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen - Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaft, Soziologie, Organisationspsychologie u. a. - leisten Beiträge zum Untersuchungsfeld und haben ihre eigenen Begriffe generiert. Der Inhalt des Kommunikationsbegriffs, der inflationär benutzt wird, kann enorm variieren. Maletzke (1963, 18) definiert Kommunikation als „Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen“ und lässt offen, auf welche Weise und zu welchem Zweck Kommunikationsprozesse ablaufen. Im marketingspezifischen Kontext formuliert Bruhn (2014a, 3): „Kommunikation bedeutet die Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck der Steuerung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen bestimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen.“ <?page no="22"?> Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung 7 Merten (1977) hat in seiner Analyse des Kommunikationsbegriffs mehrere Hundert Definitionen geordnet. Vergleichbare Studien liegen auch für den Begriff Public Relations vor. In den USA z. B. suchte Harlow eine universelle und allgemeingültige Definition. Er stieß bereits Mitte der 1970er Jahre auf knapp 500 verschiedene Begriffe, die nicht nur das breite Funktionsspektrum widerspiegelten, sondern auch, dass PR eine sich noch bildende bzw. konsolidierende Disziplin ist (Harlow 1976). Gordon (1997) kam zu dem Schluss, dass Definitionen letztlich zwei Zwecken dienen: Erstens, uns zu helfen, die Welt um uns herum zu verstehen, und zweitens eine ganz spezielle Weltsicht zu propagieren, wie das eigene Konzept mit anderen Vorstellungen verbunden werden kann. Besonders der zweite Aspekt mag viele Praktiker aus Unternehmen und Agenturen sowie Wissenschaftler bewogen haben, ihrerseits neue Begriffe und Definitionen zu verwenden und als sichtba re Ko mp et enzb eweis e für di e eig en e Se lbst dar st ell ung zu nut ze n. Sp e zi el l Unternehmensberatungen und PR-Agenturen generieren immer neuere Bezeichnungen für ihre Dienstleistungen, die sie den Kunden anbieten. Die Vielzahl der Definitionen belegt, dass es sicher nicht schwierig ist, neue zu entwickeln, wohl aber solche zu finden, die in Wissenschaft und Praxis gleichermaßen anerkannt sind. Die zu untersuchende Sache ist gegeben - die Kommunikationsbeziehungen eines Unternehmens mit seinen Umwelten. Offen ist jedoch die Perspektive, aus der diese Untersuchung angelegt ist. Grundsätzlich sind Wissenschaftler wie auch Praktiker bei der Begriffsuche, also einem Verfahren, das als Nominaldefinition bezeichnet wird, ungebunden. Sie können eine bestehende Definition modifizieren oder neu formulieren. Von dieser Freiheit wird mit Blick auf die nahezu ausufernde Literatur reichlich Gebrauch gemacht. „Als ein beliebiger Vorschlag, der akzeptiert oder abgelehnt werden kann, ist eine Nominaldefinition niemals richtig oder falsch, sie kann nur mehr oder weniger zweckmäßig oder unzweckmäßig sein“ (Maletzke 2002b, 7). <?page no="23"?> 8 Theoretische Ansätze und Modelle Schaubild 1: Bereiche der Unternehmenskommunikation Quelle: eigene Darstellung. Unternehmenskommunikation umfasst also die Aufgabenerfüllung von Organisationen, die mit der Kommunikation mit Stakeholdern zu tun hat. „Corporate communication is a management function that offers a framework for the effective coordination of all internal and external communication with the overall purpose of establishing and maintaining favourable reputations with stakeholder groups upon which the organization is dependent“ (Cornelissen 2014, 5). Organisationskommunikation wiederum bezieht sich auf alle Organisationsformen und -typen sowie deren Kommunikationsprozesse. Theis-Berglmair (2003, 18) versteht unter Organisationskommunikation „Kommunikation in als auch Kommunikation von Organisationen“. Eine grobe Orientierung im Begriffswirrwarr ermöglicht die funktionale Unterscheidung der Unternehmenskommunikation in zwei Bereiche: zum einen die soziale und politische Umwelt des Unternehmens und zum anderen die ökonomische und technische Umwelt des Marktgeschehens (Schaubild 1). Public Relations will sicherstellen, dass problemadäquate Rahmenbedingungen für das betriebswirtschaftliche Handeln zur „Sicherung prinzipieller Handlungsspielräume“ und zur „Legitimation konkreter Strategien“ (Zerfaß 2014, 52) geschaffen Organisationskommunikation Unternehmenskommunikation Corporate Communications Soziales und politisches Umfeld Ökonomisches und technisches Umfeld Public Relations als Funktion des Managements Öffentlichkeitsarbeit Unternehmenskommunikation Public Relations als Instrument des Marketing-Mix Werbung Markenkommunikation <?page no="24"?> Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung 9 werden. Im ökonomisch-technischen Bezug geht es vorrangig um Absatz von Produkten und Dienstleistungen, im sozial-politischen Kontext eher um Akzeptanz, Reputation und Einflussnahme. Am Begriff Public Relations wird deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen und Autoren deren Rolle interpretieren. Aus der Perspektive der Marketingkommunikation ist PR nur eines unter vielen Instrumenten, das im Werkzeugkasten „Kommunikationspolitik“ enthalten ist (Bruhn 2014a). PR-Fachleute hingegen sind der Meinung, dass alle Organisationen - ob sie nun kommerziell tätig sind oder nicht - Kommunikationsarbeit mit zahlreichen Gruppen der Gesellschaft betreiben sollten (Avenarius 2008). Marketingkommunikation verengt sich in ihren Augen auf den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen an Kunden. Vier Elemente des Marketing-Mix sind letztlich entscheidend, die sog. vier „P“: „product“, „price“, „place“ und „promotion“. Die Kommunikationspolitik („promotion“) will die Entscheidungen der Konsumenten durch eine Reihe von Aktivitäten beeinflussen. Sie reichen von Pressearbeit und eigenen Medien des Unternehmens, z. B. Kundenzeitschriften oder Website und Social Media-Kampagnen, bis hin zu Maßnahmen der Verkaufskommunikation. Die Bedeutung von PR unter den Marketinginstrumenten wuchs in den letzten Jahren. Die Gebiete überlappen sich inzwischen und die Übergänge werden fließend. Aus der Perspektive der Marketingkommunikation wird die verkaufsunterstützende Funktion von PR zunehmend höher eingeschätzt. Auch die PR erkämpfte sich einen weiteren Aktionsradius und nannte immer häufiger Handlungsfelder wie Issues Management, Marken-PR, Produkt-PR, Public Affairs, Community Relations u. a. als ihre Prioritäten. Allerdings kommen, bei allen Unterschieden der Perspektiven, im Modell der integrierten Kommunikation (Bruhn 2014a, Zerfaß 2010) und im Bereich des sog. Content Marketing bzw. Content Management (vgl. Kap. 8) beide Bereiche wieder zusammen. Beide Disziplinen haben zwar unterschiedliche Schwerpunkte, gehören aber zusammen. Marketingkommunikation konzentriert sich auf die Austauschprozesse mit der Zielgruppe Kunden, für die u. a. auch, aber nicht vorrangig PR eingesetzt wird. PR hingegen hat vor allem den Aufbau und die Pflege guter Kommunikationsbeziehungen zu den Gruppen im Auge, die für den Geschäftserfolg eines Unternehmens wichtig sind und ihn beeinflussen können. <?page no="25"?> 10 Theoretische Ansätze und Modelle Am Beispiel der PR lässt sich verdeutlichen, dass die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Perspektive sich einander nähern, aber dennoch weiterhin unterschiedliche Schwerpunkte haben (Schaubild 2). Ausgangspunkt der Marketingkommunikation sind Märkte und die (vermeintlichen) Bedürfnisse der Menschen. PR hingegen denkt in Kommunikationsbeziehungen und Beziehungsqualitäten. Teilgebiete wie Produkt-PR, Marken-PR oder das Reputationsmanagement lassen sich ohne große Mühe - z. B. unter dem Dach eines integrierten Marketings - einbinden. Was aber passiert mit dem Issues oder Risk Management, das langfristig orientiert ist und weniger aus dem Leitbild eines Unternehmens auf den Märkten (ökonomischer Akteur) als vielmehr mit Blick auf die Gesellschaft und die Verantwortung ihr gegenüber (gesellschaftlicher Akteur) gespeist wird? Ähnliches gilt für das Kundenbild, das aus sozialbzw. wirtschaftswissenschaftlicher Pe rspekt ive durchaus unt er schiedlic h ist . Auf der einen Seite st eht der Verbraucher und Marktteilnehmer, charakterisiert durch seine Beziehungen zum Unternehmen und zu seinen Produkten. Auf der anderen Seite stehen Menschen in ihrer Rolle als Bürger, die nicht nur individuelle Rechte haben, sondern politische und soziale Ziele gleichermaßen verfolgen können. Sowohl auf der Ebene des Individuums als auch der Organisationen kann der Dualismus zwischen ökonomischer und gesellschaftlicher Orientierung Spannungen hervorrufen. Mit Aktivitäten des „corporate citizenship“ versuchen Unternehmen eventuelle Widersprüche zwischen den Ansichten der „Bürger“ und denen der Organisation zu minimieren. Konzepte wie „Sustainability Communications“ (Schwender/ Schulz/ Kreeb 2008, Michelsen/ Godemann 2007), „Corporate Social Responsibility“ (Schwalbach/ Schwerk 2014, Raupp/ Jarolimek/ Schultz 2011, Mast/ Stehle 2009a u. b) und „Corporate Governance“ (Schwalbach/ Schwerk 2014, Rademacher/ Möhrle 2014, Wright et al. 2014) wollen die Dualität der Perspektiven integrierend abmildern. Public Relations und Marketingkommunikation werden künftig gemeinsam operieren, was die Orientierung an Werten, den Umgang mit Risiken und Unsicherheiten sowie das Entscheidungs- und Kommunikationsmanagement von Unternehmen angeht. Und sie werden gemeinsam vorgehen (müssen), um die Aufmerksamkeit der Stakeholder zu finden. <?page no="26"?> Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung 11 Schaubild 2: Schwerpunkte einer sozial- und wirtschaftswissenschaftlich orientierten PR Quelle: in Anlehnung an Mast/ Huck/ Güller (2005, 39). 2 2 P P R R : : M M a a r r k k e e t t i i n n g g i i n n s s t t r r u u m m e e n n t t o o d d e e r r K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s - m m a a n n a a g g e e m m e e n n t t ? ? In seiner klassischen Analyse von mehreren Hundert Definitionen hält Harlow (1976) folgende Elemente des PR-Prozesses als Ergebnis seiner Suche fest, die heute aktueller sind denn je: ! Public Relations wird vor allem als eine Kommunikationsfunktion betrachtet mit Betonung eines zweiseitigen Prozesses. Public Relations … aus sozialwissenschaftlicher Perspektive - Pflege und Optimierung der Kommunikationsbeziehungen zu den wichtigsten Stakeholdergruppen − Mitarbeiter, Kunden, Medien u. a. … aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive - eines von vielen Instrumenten aus Marketing-Mix (Product, Price, Place, Promotion) Ziele: Image, Reputation, Antizipation von Risiken, Beziehungsqualitäten u. a. Ziele: Beeinflussung des Kaufverhaltens bestimmter Zielgruppen, Absatzförderung Zugang zu den Medien: durch Informationen mit Nachrichtenwert in die redaktionellen Teile, Angebot eigener Medien (z. B. Kundenzeitschrift) Zugang zu den Medien: Kauf von Anzeigenraum, eigene Medien Corporate Communications Corporate Communications Content Management: Attraktive Inhalte für Stakeholder Gegenstand: Unternehmen, Akteure, Produkte und Dienstleistungen Gegenstand: Produkte und Dienstleistungen, Unternehmen Bild des Rezipienten: Bürger, Arbeitnehmer, Verbraucher u. a. Bild des Rezipienten: Konsument, Marktteilnehmer u. a. <?page no="27"?> 12 Theoretische Ansätze und Modelle ! Public Relations sorgt vor allem für den Aufbau und die Aufrechterhaltung von gegenseitigem Verständnis und Goodwill zwischen Unternehmen und speziellen Gruppen. ! Public Relations hat eine Informationsfunktion dahingehend, dass Entwicklungen und Probleme (issues) im Umfeld der Unternehmen und bei den Anspruchsgruppen (stakeholder) analysiert und interpretiert werden. ! Public Relations hilft den Unternehmen sowohl bei der Formulierung als auch beim Erreichen sozial akzeptabler Ziele. Public Relations sorgt so für einen Ausgleich von kommerziellen Zielen mit sozial verantwortlichem Verhalten. James E. Grunig formulierte kurz und bündig: „Public relations, therefore, is the management of communication between an organization and its publics“ (Grunig/ Hunt 1984, 8). Im Folgenden werden - stellvertretend für die vielen Definitionen - einige in Auswahl vorgestellt: „Öffentlichkeitsarbeit ist das bewusste, geplante und dauernde Bemühen, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen in der Öffentlichkeit aufzubauen und zu pflegen“ (Oeckl 1964, 42). Oeckl vertritt die Überzeugung, „dass das Wort Öffentlichkeitsarbeit die geeignetste deutsche Wortverbindung für Public Relations ist. Es drückt ein Dreifaches aus: Arbeit mit der Öffentlichkeit, Arbeit für die Öffentlichkeit, Arbeit in der Öffentlichkeit“ (ebd., 36). „Public relations is the management function that establishes and maintains mutually beneficial relationships between an organization and the publics on whom its success or failure depends“ (Broom/ Sha 2013, 29). „Öffentlichkeitsarbeit vermittelt Standpunkte und ermöglicht Orientierung, um den politischen, den wirtschaftlichen und den sozialen Handlungsraum von Personen oder Organisationen im Prozess öffentlicher Meinungsbildung zu schaffen und zu sichern. Öffentlichkeitsarbeit plant und steuert dazu Kommunikationsprozesse für Personen und Organisationen mit deren Bezugsgruppen in der Öffentlichkeit. Ethisch verantwortliche Öffentlichkeitsarbeit gestaltet Informationstransfer und Dialog entsprechend unserer freiheitlich-demokratischen Werteordnung und im Einklang mit geltenden Ethik-Codices. Öffentlichkeitsarbeit ist Auftragskommunikation“ (DPRG 2005, 8). In dieser Publikation wird Kommunikationsmanagement als das Management durch Kommunikation und das Management der Kommunikation gesehen. <?page no="28"?> Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung 13 Unter Management von Kommunikation werden die Möglichkeiten und Grenzen verstanden, Kommunikationsstrategien zu planen bzw. umzusetzen und hierzu Handlungsstrukturen und -abläufe zu etablieren, die Kommunikationsprozesse prägen oder mitgestalten. Zum Management gehört auch der Umgang mit Ressourcen wie Zeit, Geld, Umwelt u. a. Der Begriff Kommunikationsmanagement betont den strategischen Managementprozess von Unternehmenskommunikation und überwindet die - in der Praxis oft unversöhnlich gegenüberstehenden - Unterscheidungen zwischen Marketing und PR. Es plant, gestaltet und evaluiert Kommunikationsprozesse in konkreten Situationen, in denen sich das Unternehmen befindet. Kommunikationsmanagement ermittelt „die Stakeholder-Werte und -Interessen und integriert diese in Vision, Corporate Governance und Strategie - die leitenden Grundsätze des Unternehmenshandelns“ (Schmid/ Lyczek 2008, 131). Strategisches Management der Kommunikationsprozesse steuert den Wandel der Kommunikationsbeziehungen unter Einsatz von Medien aller Art und will die Prozesse - richtungsweisend - beeinflussen. Hierbei geht das Kommunikationsmanagement immer weniger von individuellen Beliebigkeiten, situativen Zufälligkeiten oder gar einseitigen Ausrichtungen auf einzelne Medien aus, sondern orientiert sich an Unternehmenswerten und -zielen sowie an den Werten und Interessen der Stakeholder. In Deutschland wird synonym zu Public Relations auch die Bezeichnung Öffentlichkeitsarbeit benutzt. Der Begriff Öffentlichkeit wird in Analogie zu der amerikanischen Bezeichnung „publics“ - geprägt von James E. Grunig - verstanden. Mit „publics“ werden sog. Teilöffentlichkeiten bezeichnet, d. h. Ausschnitte aus der Öffentlichkeit, die bestimmte Merkmale vorweisen. Aus der Sicht der Unternehmen sind „publics“ diejenigen Gruppen, mit denen Kommunikation stattfindet oder aufgebaut werden soll. Dieser Begriff schließt z. B. die Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Wettbewerber, Nachbarn oder Kapitalanleger mit ein. Ein und dasselbe Individuum kann Mitglied einer oder mehrerer Teilöffentlichkeiten sein, z. B. Mitarbeiter eines Unternehmens und Aktienbesitzer (Kapitalgeber). <?page no="29"?> 14 Theoretische Ansätze und Modelle Schaubild 3: Wichtige Aufgabenfelder der PR Quelle: eigene Darstellung. Das Management der Kommunikation zwischen dem Unternehmen und den einzelnen Teilöffentlichkeiten ist Aufgabe der PR. Aus den einzelnen „publics“ ergeben sich damit die verschiedenen Aufgabenfelder der Öffentlichkeitsarbeit (Schaubild 3). So haben Investoren ganz andere Informationsbedürfnisse wie Mitarbeiter oder Kunden, die Finanzgeberkommunikation unterscheidet sich maßgeblich von der Standort-PR, usw. Ein besonderes Aufgabenfeld stellen die Media Relations dar. Dies resultiert aus der Doppelrolle der Massenmedien. So fungieren Massenmedien sowohl als direkter Ansprechpartner für die Unternehmen, als auch als intermediäres System zu allen anderen relevanten Teilöffentlichkeiten. Die Unternehmen unterhalten Beziehungen zu den klassischen Medien Presse und Rundfunk sowie ihren Online-Medienangeboten. Darüber hinaus gibt es im Internet immer neue Akteure wie Blogger (Schindler/ Liller 2014, 134) oder Informationsplattformen (Ruisinger 2011, 64 f.). Hinzu kommen die für ein Unternehmen schwer kalkulierbaren Kommunikationsprozesse via Social Media (Pleil/ Zerfaß 2014, 739). Als Gegengewicht zu dem immer schwierigeren Feld der Media Relations bauen Unternehmen eigene Medienlandschaften und Redaktionsstrukturen auf. Sie schaffen Newsrooms, geben Zeitschriften heraus, verbreiten Videos sowie Unternehmen Medien Online Relations Offline Relations Standort Lieferanten u. a. Politik/ NGOs Public Affairs Community Relations Supplier Relations Mitarbeiter Kunden Finanzgeber Human Relations Employee Relations Employer Relations Customer Relations Produkt-PR Produkt- Publicity Investor Relations Financial Relations Corporate Publishing <?page no="30"?> Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung 15 Blogs und werden zu Medienhäusern (Mast 2015). Sie betreiben „Media Relations“ nicht nur mit „fremden“ Medien wie Zeitungen, Zeitschriften oder Fernsehen, sondern investieren in „Corporate Publishing“ (Weichler 2014). Je mehr die englische Sprache auch in die Arbeitswelt der Unternehmen vordringt, desto häufiger wird von Public Relations oder den übergeordneten Begriffen „Unternehmenskommunikation“ („corporate communications“) bzw. „Kommunikationsmanagement“ („communication management“) gesprochen. Die Bezeichnungen Öffentlichkeitsarbeit/ Medienarbeit verschwinden langsam. Der Begriff Marketing wird für ein bestimmtes Konzept der Unternehmensführung verwendet, das einen klaren Richtungswechsel im Denken und Planen von der Produktionszur Marktorientierung fordert. Ausgangspunkt für diese Entwicklung ist der tiefgreifende Wandel von Verkäuferzu Käufermärkten (d. h. das Angebot ist größer als die Nachfrage), wie er sich in beinahe allen Wirtschaftsbereichen vollzieht. Marketing bedeutet die planmäßige und konsequente Ausrichtung der Unternehmensstrategie und aller operativen Maßnahmen an externen Erfordernissen. In diesem Verständnis rangiert PR als Marktkommunikation unter den kommunikationspolitischen Instrumenten (Bruhn 2014a, 675). Andere Maßnahmen der Kommunikationspolitik sind Mediawerbung, Maßnahmen zur Verkaufsförderung, Direkt-Marketing, Sponsoring, persönliche Kommunikation, Messen und Ausstellungen, Social Media-Kommunikation und Mitarbeiterkommunikation. Die Öffentlichkeitsarbeit nimmt jedoch im Medien-Mix der Marktkommunikation eine Sonderstellung ein. Während das gesamte Marketinginstrumentarium letztlich darauf ausgerichtet ist, den Absatz des Leistungsangebots am Markt sicherzustellen, geht es für PR vorrangig darum, nicht nur für einzelne Produkte oder Dienstleistungen, sondern für das Unternehmen als Institution eine Atmosphäre des Vertrauens und Verständnisses entstehen zu lassen. Daraus ergibt sich eine weitere Besonderheit der PR-Arbeit: Nicht nur die Partner am Absatzmarkt eines Unternehmens (z. B. Kunden, Lieferanten, Händler usw.) sind als Zielgruppen anzusehen, wie das für die übrigen Bereiche des Marketing-Mix zutrifft, sondern eine ganze Reihe weiterer Segmente der Öffentlichkeit (z. B. Geldgeber, Mitarbeiter, Behörden usw.), in denen das Unternehmen ein gutes Image zu erreichen sucht. Aus der instrumentellen Perspektive des Marketings können drei Formen von PR unterschieden werden (Bruhn 2014a, 683 f.): ! Die leistungsbezogene Public Relations ist darauf ausgerichtet, bestimmte Leistungsmerkmale von Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens zu kommunizieren. Sie richtet sich meist an eine eng umrissene Zielgruppe und setzt Maßnahmen wie etwa Presseinformationen, Anzeigen, Spots oder <?page no="31"?> 16 Theoretische Ansätze und Modelle Plakate dazu ein, Produktinformationen zu vermitteln. Die Absatzorientierung wird in dieser Orientierung stark betont und die Zielgruppenorientierung ist hoch. ! Im Gegensatz zur leistungsbezogenen PR steht im Rahmen der unternehmensbezogenen Formen von PR das Unternehmen als Ganzes im Vordergrund der Kommunikation. Ziel ist es, der Öffentlichkeit seine gesamten Leistungen, sein Selbstbild und sein Selbstverständnis zu vermitteln sowie durch eine langfristig angelegte Kommunikationsbeziehung Vertrauen in das eigene Unternehmen zu schaffen. ! Im Rahmen gesellschaftsbezogener Public Relations versteht sich das Unternehmen als Teil der Gesellschaft und richtet seine Handlungen und seine Kommunikation auf die gesamte Öffentlichkeit aus. Unternehmensleistungen treten in den Hintergrund. Erklärtes Ziel dieser Form von PR ist es, die Handlungen des Unternehmens im gesellschaftspolitischen Zusammenhang darzustellen, Verantwortungsbewusstsein zu demonstrieren und für Anerkennung des Unternehmens innerhalb der Gesellschaft zu sorgen. „Dies geschieht beispielsweise durch die Stellungnahme zu öffentlichen Streitpunkten, die losgelöst von konkreten Fragestellungen des Unternehmens sind“ (ebd., 684). Diese Perspektive der Unternehmenskommunikation wird auch als Public Affairs (Teilgebiet der PR) bezeichnet. Während Werbung und PR in einem Unternehmen durchaus das gemeinsame Ziel verfolgen, den ökonomischen Erfolg zu fördern, haben sie doch unterschiedliche Funktionen, Schwerpunkte und Vorgehensweisen. ! Unter Werbung versteht man in der Regel die möglichst überzeugend präsentierte Verkaufsbotschaft für Produkte oder Dienstleistungen in Medien zu möglichst niedrigen Werbepreisen. Für die Werbung wird bezahlt. ! Public Relations hat nicht das eigentliche Verkaufsgespräch zum Ziel, will nicht überreden, sondern den Teilöffentlichkeiten Informationen zur Verfügung stellen, damit sie sich ein Urteil bilden können. In der Praxis werden PR und Werbung häufig zusammen eingesetzt. PR- Kampagnen werden durch entsprechende Werbeprogramme ergänzt. Die Werbung bezahlt den Platz in den Medien, in denen ihre Botschaften unverändert präsentiert werden. PR hingegen versucht, über Informationen (z. B. Pressemitteilungen, Pressekonferenzen u. a.) die Medien zu motivieren, bestimmte Themen und Argumente aufzugreifen. Da das Medienpublikum weiß, dass Werbung eine bezahlte Botschaft ist, sind die Wege über den unabhängigen Journalismus als glaubwürdige Vermittlungsinstanz für Unternehmen äußerst interessant. Die Aufmerksamkeit und die Aufgeschlossenheit des Publikums für die redaktionellen Angebote sind höher. <?page no="32"?> Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung 17 PR und Werbung haben die gleiche theoretische Basis: Beeinflussung durch Kommunikation. Beiden gemeinsam sind das Ziel der Einwirkung auf Einstellungen, Meinungen und Verhalten von Zielgruppen sowie der Gebrauch von Instrumenten und Medien. Werbung wirkt aber aufgrund der klar erkennbaren Absicht, beeinflussen und verkaufen zu wollen, weniger glaubwürdig als PR. Zudem sind die in den beiden Gebieten verfolgten, konkreten Ziele verschieden. Während Werbung weitgehend direkt von kommerziellen Kriterien bestimmt ist, wird PR an der Einstellung des Gesamtunternehmens gegenüber der Öffentlichkeit ausgerichtet und hat allenfalls indirekten Einfluss, z. B. auf den Absatz. Die Übergänge zwischen Werbung und PR sind fließend. Advertorials (Schach 2015, 33) bzw. sog. „Sonderveröffentlichungen“ in der Presse sind Hybrid- Produkte aus PR und Werbung. Ganze Seiten in Magazinen oder Zeitungen werden dort von der Werbung gekauft und mit Artikeln gefüllt, die aussehen sollen, als ob die Redaktion sie geschrieben hätte. Allerdings ist die inhaltliche Ausrichtung klar: positive Informationen über ein Produkt oder die Dienstleistungen eines Unternehmens. Es ist eine besondere Art der Werbung, die jedoch nicht nach Werbung ausschaut. Advertorials gibt es in verschiedenen Ausprägungen. Medien bieten ihren Lesern bestimmte Produkte, z. B. als „Treueprämie“, preiswert an; die Unternehmen erscheinen mit ihren Produkten in der redaktionellen Umgebung und der Marketingchef bekommt eine Liste von Mediennutzern, die an seinen Produkten interessiert sind. Häufig werden diese Aktionen bei der Abonnentenwerbung und zur Bindung der Leser, Hörer und Zuschauer eingesetzt. Über Telefon-Hotline- Aktionen werden Informationen von „Experten“ angeboten. Eine andere Form stellen Journalisten dar, die Werbebotschaften moderieren. Im Internet, vor allem auf den Social Media-Plattformen lassen sich PR und Werbung kaum mehr unterscheiden. Die Darstellungsformen (z. B. der Einsatz viraler Videos) verschmelzen. Lediglich die Tonalität der Botschaften und die Sprache weisen gelegentlich auf den Ursprung hin. Offen ist, wie diese Art der Vermischung von Werbung und PR auf die Glaubwürdigkeit eines Mediums wirkt. Eine neue Spielart ist das sog. „native advertising“ (Eck/ Eichmeier 2014, 206, Löffler 2014, 608). Darunter versteht man ein zu Advertorials verwandtes Prinzip, denn auch hier erscheinen werbliche Botschaften in einem redaktionellen Deckmantel. Die Besonderheit liegt in der Platzierung, denn „native advertising“- Maßnahmen fügen sich so in den redaktionellen Kontext von Online-Medien (z. B. Informationsplattformen, soziale Medien, Suchmaschinenergebnisse) ein, <?page no="33"?> 18 Theoretische Ansätze und Modelle dass sie vom Leser auf den ersten Blick nicht als bezahlte Werbung wahrgenommen werden. 3 3 E E n n t t w w i i c c k k l l u u n n g g s s p p h h a a s s e e n n d d e e r r U U n n t t e e r r n n e e h h m m e e n n s s k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Unternehmenskommunikation als dialogorientiertes Kommunikationsmanagement mit den internen und externen Umwelten hat sich im Laufe der Jahrzehnte in mehreren Schritten entwickelt. Die nachfolgende Skizze zeichnet grobe Entwicklungslinien nach. Sporadische Kommunikation: Nahezu alle Märkte waren in den 1950er Jahren Verkäufermärkte, d. h. besondere Anstrengungen der Unternehmenskommunikation waren nicht notwendig. Persönliche und situative Impulse waren häufig die Ursache für Kommunikationsmaßnahmen, die wenig geplant und meist nicht in ein Gesamtkonzept eingebunden waren. Ad-hoc-Maßnahmen standen im Vordergrund. Unternehmenskommunikation propagiert Produkte und Technologien: Die reine Verkaufsorientierung in den meisten Unternehmen dominierte lange. Das Hauptinteresse der Unternehmenskommunikation bestand - etwa in den 1960er Jahren - darin, mittels geeigneter Kommunikationsprogramme den Vertrieb argumentativ zu unterstützen oder Technologien zu erklären. Kunden als Zielgruppen: Von der Verkündigung zur Zielgruppenorientierung - mit dem Einzug des Marketingdenkens rückten die Kunden als Zielgruppe in den Mittelpunkt des Interesses. Unternehmenskommunikation wurde letztlich zum Nutzen für bestehende oder potenzielle Kundensegmente betrieben. Nicht mehr das Produkt, sondern der Kunde war Ausgangspunkt von Überlegungen. Akzeptanz auf den Märkten und in der Gesellschaft: Die Unternehmen versuchen, eine Unique Selling Proposition (USP) zu erreichen, indem sie ihre Produkte und Dienstleistungen als einzigartig gegenüber der Konkurrenz positionieren (z. B. über Slogans, Symbole u. ä.). PR wird zum wesentlichen kommunikationspolitischen Instrument im Medien-Mix. Im sozialen und politischen Umfeld werden seit Mitte der 1970er Jahre aufwendige Programme zur Akzeptanzsicherung (z. B. von Energietechnologien) und Erweiterung des Handlungsspielraumes von Unternehmen umgesetzt. Integriertes Kommunikationsmanagement: Integrierte Unternehmenskommunikation als neue Zauberformel wird seit Beginn der 1990er Jahre propagiert. Durch Integration sollen unterschiedliche Perspektiven und Kommunikationswege zusammengeführt werden. Das Konzept der integrierten Unternehmenskommunika- <?page no="34"?> Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung 19 tion versucht, die Unterteilung in einzelne Wissenschaftsdisziplinen wie auch Organisationseinheiten im Unternehmen aufzulösen und Kommunikationsprozesse so auszurichten, dass die Empfänger sie als Einheit empfinden, unabhängig davon, aus welcher Quelle sie stammen (Bruhn 2014a, 98 f.). Die Integration von Kommunikationsmaßnahmen ist in vielen Unternehmen noch nicht Praxis. Allein die multimediale Koordination der Botschaften über die sog. Offline- und Online-Medien gelingt in der praktischen Umsetzung kaum. Interaktives und internationales Kommunikationsmanagement: Die Unternehmen entdecken Ende der 1990er Jahre das Internet für das Kommunikationsmanagement in allen Teilgebieten - für die Kommunikation mit den Kunden, mit den Medienvertretern und auch mit den eigenen Mitarbeitern (Intranet). Die Gestaltungspotenziale zwischen den Produzenten von Kommunikationsbotschaften und den Rezipienten verlagern sich. Die User können aktiv werden und gezielt in die Ko mmunik ationsprozes se eing reif en. Im Zu ge der In tern atio nali sierun g der Unternehmenskommunikation rücken kulturelle Unterschiede in den Vordergrund. Wertorientiertes Kommunikationsmanagement: Der Streit um die Grenzen zwischen Public Relations und Werbung, zwischen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Herangehensweisen klingt aus, da der Kommunikationsbereich eines Unternehmens als Ganzes in den Blickpunkt tritt. Corporate Communications wird als Managementfunktion betrachtet und der Beitrag von Kommunikation zur Wertschöpfung eines Unternehmens genau analysiert. Werte als Leitgrößen für Kommunikationsmanagement, aber auch als Ergebnis zur Beurteilung der Zielerreichung treten in den Vordergrund. Legitimation durch Kommunikation: Politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbrüche in den letzten Jahren haben zu einer besonderen Herausforderung der Unternehmenskommunikation geführt: Die Vertrauensbeziehungen der Stakeholder zu Organisationen und Institutionen bröckeln. Misstrauen, Unsicherheit und Skepsis erschweren die Vermittlung von Wissen, den Aufbau von Verständnis und Akzeptanz. Unternehmenskommunikation agiert in einem Umfeld, dessen Wahrnehmungsperspektiven sich erweitern - weniger die Binnenabläufe im Unternehmen interessieren, sondern vielmehr die Folgen für Individuen und Gesellschaften, d. h. die gesellschaftspolitischen Auswirkungen unternehmerischer Tätigkeit. Hinzu kommen volkswirtschaftliche und moralische Aspekte, die z. B. bei der Euro- und Verschuldungskrise höchst emotional diskutiert werden. Unternehmerisches Handeln und Kommunikation rücken (noch enger) zusammen. Corporate Responsibility wird zum Handlungsfeld der Unternehmenskommunikation. <?page no="35"?> 20 Theoretische Ansätze und Modelle ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Begriffe sollen Klarheit schaffen über den Gegenstand der Überlegungen. Nominaldefinitionen sind niemals falsch oder richtig, sondern mehr oder weniger zweckmäßig. ! Unternehmenskommunikation umfasst das Management von Kommunikationsprozessen, die zwischen Unternehmen und ihren internen bzw. externen Umwelten ablaufen. ! Kommunikationsmanagement ist Management durch Kommunikation und Management der Kommunikation. ! Kommunikationsmanagement ermittelt die Werte und Interessen der Stakeholder, integriert sie in unternehmerisches Handeln und gestaltet die Kommunikation in konkreten Situationen des Unternehmens. ! Public Relations aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive konzentriert sich auf die Pflege und Optimierung der Kommunikationsbeziehungen zu den wichtigsten Stakeholdergruppen. Aus der wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive ist PR eines von vielen Marketinginstrumenten, nimmt aber eine Sonderstellung ein. ! Werbung und Public Relations unterscheiden sich in den konkreten Zielen bzw. Vorgehensweisen und haben fließende Übergänge. Sie rücken immer näher zusammen. Mischformen nehmen rasant zu. ! Unternehmenskommunikation hat Entwicklungsstufen durchlaufen - von der unsystematischen Ad-hoc-Kommunikation bis zu integrierten und wertsowie gesellschaftsorientierten Konzepten. Die Perspektive der Stakeholder gewinnt an Bedeutung. ! Unternehmenskommunikation und unternehmerisches Handeln rücken zusammen mit dem Ziel, Legitimation durch Kommunikation zu erreichen. <?page no="36"?> Kapitel 1: Einführung und Begriffserklärung 21 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Cornelissen, Joep (2014): Corporate Communication. A Guide to Theory and Practice. 4th ed. London: Sage Publications. Das Handbuch berücksichtigt konzeptionelle Grundlagen und Modellen der Corporate Communications. Außerdem behandelt der Autor sämtliche Aufgabengebiete und aktuelle Trends. Die theoretischen Ausführungen werden mit internationalen Case Studies angereichert. Meckel, Miriam/ Schmid, Beat F. (Hrsg.) (2008): Unternehmenskommunikation. Kommunikationsmanagement aus Sicht der Unternehmensführung. 2., überarb. u. erw. Aufl. Wiesbaden: Gabler. Das Buch kann als Grundlagenliteratur zur Funktion, Organisation und Umsetzung der Unternehmenskommunikation aus Sicht der Unternehmensführung betrachtet werden. Die Autoren erläutern Begrifflichkeiten und Ansätze des Kommunikationsmanagements und bieten eine interdisziplinäre Perspektive auf das Thema Kommunikation im Kontext unternehmerischer Wertschöpfung. Zerfaß, Ansgar/ Piwinger, Manfred (Hrsg.) (2014): Handbuch Unternehmenskommunikation. Strategie − Management − Wertschöpfung. 2., vollst. überarb. Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler. Der umfangreiche Sammelband behandelt die Unternehmensführung mit Blick auf die Mediengesellschaft, die Wertschöpfung der Kommunikation und die Handlungsfelder der Unternehmenskommunikation. Die Beiträge der Fachautoren geben einen guten Überblick über die Forschungslage und theoretischen Ansätze. <?page no="38"?> K K a a p p i i t t e e l l 2 2 : : A A u u s s g g e e w w ä ä h h l l t t e e T T h h e e o o r r i i e e n n dde err UUn ntteer rnneeh hmmeennsskkoommmmuunniikkaattiioonn In der Wissenschaft bezeichnet eine Theorie ein System von Begriffen, Definitionen und Aussagen, das dazu dienen soll, die Erkenntnisse und Erfahrungen über einen Sachverhalt zu ordnen. Eine Theorie soll also logisch zusammenhängende Aussagen machen, die die Wirklichkeit (oder Teile der Wirklichkeit) erklären. Sie ist letztlich eine überprüfbare wissenschaftliche Behauptung. In Deutschland hat die Theorieentwicklung auf dem Feld der Unternehmenskommunikation oder speziell Public Relations noch eine relativ junge Geschichte. Die kommunikationswissenschaftlich orientierte PR-Forschung hat vor allem in den 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen. In den USA hingegen hatte sich schon wesentlich früher eine organisationstheoretisch orientierte PR-Forschung etabliert, die vor allem durch die Arbeiten von James E. Grunig und seinen Forschungskollegen bekannt wurde. Für die Analyse der Unternehmenskommunikation sind vor allem die mesotheoretischen Ansätze der organisationsbezogenen Public Relations sowie des Marketings interessant, wobei auch mikro- und makrotheoretische Sichtweisen wichtige Impulse liefern können. Sie werden an dieser Stelle erwähnt, jedoch nicht ausführlich erklärt. Kapitel 2 stellt ausgewählte theoretische Ansätze der Unternehmenskommunikation vor. Sie kommen vor allem aus der sozialwissenschaftlich orientierten PR-Forschung und aus wirtschaftswissenschaftlichen Analysen des Marketings. Das Konzept der integrierten Unternehmenskommunikation versucht, theoretische Ansätze aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zusammenzuführen und Kommunikationsprozesse so auszurichten, dass sie vom Rezipienten als Einheit empfunden werden. Schließlich geht es um die Beeinflussung des Images, der Reputation oder der Marke - alles Konstrukte, die sich beim Stakeholder bilden. Storytelling - der sog. narrative Ansatz - sucht nach einem Weg, Botschaften in den Informationsfluten nachhaltig zu vermitteln und die Aufmerksamkeit der Rezipienten zu finden. Wertorientierte Ansätze betonen die Rolle der Unternehmenskommunikation für den geschäftlichen Erfolg. <?page no="39"?> 24 Theoretische Ansätze und Modelle Mikrotheorien bewegen sich auf der Ebene der Individuen und Kleingruppen (z. B. Persuasionstheorien nach dem Motto „Überzeugen durch eine gute Rhetorik“). Mesotheorien beziehen sich auf die Ebene von Organisationen und Institutionen (z. B. Public Relations als Management- oder Marketing-Funktion von Unternehmen). Makrotheorien erklären die Bedeutung der Public Relations für die Gesamtgesellschaft bzw. demokratische Systeme. 1 1 M M i i k k r r o o - - , , m m e e s s o o - u u n n d d m m a a k k r r o o t t h h e e o o r r e e t t i i s s c c h h e e M M o o d d e e l l l l e e In der Unternehmenskommunikation können die zentralen Perspektiven der mikro-, meso- und makrotheoretischen Ansätze unterschieden werden. Mikrotheoretische Ansätze behandeln das Kommunikationsverhalten von Individuen oder Gruppen. Pädagogik und Psychologie haben hierzu wichtige Impulse gegeben. In der Kommunikationswissenschaft lieferten Arbeiten von Carl I. Hovland u. a. schon in den 1950er Jahren Ansätze für eine „wissenschaftliche Rhetorik“ der Kommunikatoren. In der PR erschien eine Vielzahl an „How-todo-Theorien“, die meist von höchst individuellen Erfahrungen und Erfolgen in der praktischen Arbeit berichten. Ihre Stärke liegt in der Vermittlung von Ratschlägen, worauf eine gute Kommunikationsarbeit zu achten habe, sowie in der Zusammenstellung von Argumenten, welche Funktionen Public Relations für Unternehmen und Gesellschaft ausüben kann. Meist schreiben Praktiker über ihre Aufgaben und Erfolgsrezepte. Wenn diese sog. „How-to-do-Theorien“ überhaupt einen theoretischen Gehalt haben, sind sie unter die definitorischen Ansätze einzureihen. Sie finden allerdings bis heute viel Beachtung. Oeckl (1964, 43) bezeichnet PR als „das bewusst geplante und dauerhafte Bemühen, gegenseitiges Verständnis in der Öffentlichkeit aufzubauen und zu pflegen“. Ziel von PR aus Sicht der frühen definitorischen Ansätze ist vor allem, Vertrauen zu wecken und eine Interessenidentität zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit herbeizuführen. Das theoretische Problem dieser Modelle liegt darin, dass sie PR durch wiederum erklärungsbedürftige Begriffe wie Vertrauen, Verständnis, Öffentlichkeit und Integration zu definieren versuchen. Eine nicht vorhandene Interessenidentität zwischen Unternehmen und Umwelt wird auf den Konsens über Regeln und Verfahrensweisen reduziert. <?page no="40"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 25 Mesotheoretische Ansätze hingegen fragen nach den Funktionen von Kommunikation für Organisationen und sind daher besonders einschlägig bei der Analyse von Unternehmenskommunikation. Von zentraler Bedeutung sind die umfangreichen theoretischen und empirischen Arbeiten von James E. Grunig und seinem Forschungsteam (Grunig/ Dozier/ Grunig 2002, Dozier/ Grunig/ Grunig 1995, Grunig 1992). In Deutschland ist in den letzten beiden Jahrzehnten eine organisationstheoretische Forschung entstanden (Zerfaß/ Rademacher/ Wehmeier 2013, Herger 2006, 2004, Theis-Berglmair 2003). In den 1990er Jahren wird das Konzept einer verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit entwickelt (Burkart 2008), das zeigt, auf welche Weise grundlegende Interessenkonflikte zwischen Unternehmen und Teilöffentlichkeiten durch Verständigung gelöst werden können. Das Konzept geht vom Dialogcharakter der Unternehmenskommunikation aus und versucht, ein Modell für Konfliktsi tua tio nen zu er ar be it en. Dies er An satz wir d wied er stärk er au s ak tu el le m Anlass beachtet. Allerdings bleibt offen, ob Verständigung wirklich ein geeignetes Mittel für die Lösung aller Konflikte sein kann. Ebenfalls auf der Mesoebene operieren die marketingorientierten Ansätze, die gleichfalls die Leistungen und Funktionen von Kommunikation, speziell von PR, für Unternehmen analysieren. Allerdings sehen sie die Kommunikation nicht als zentralen Baustein für Organisationen an, sondern als eines von vielen kommunikationspolitischen Instrumenten zur Steigerung der Unternehmensbzw. Produktimages. Die makrotheoretische Perspektive, die sich auf die Gesellschaft ausrichtet, war in Deutschland lange Zeit vorherrschend. PR wird im funktionalen Zusammenhang mit pluralistischen Demokratien betrachtet (Bentele 1996). Der Kommunikationswissenschaftler Franz Ronneberger hat bereits 1977 unter dem Titel „Legitimation durch Information“ einen Klassiker der Theoriediskussion im deutschsprachigen Raum veröffentlicht. Da das Grundprinzip demokratischer Verfassungen die Legitimation politischen Handelns durch das Volk ist, erlangen nach Ronneberger „durch öffentliche Darstellung und Diskussion (…) die Interessen demokratische Legitimation“ (Ronneberger 1977, 14). Nach Ronneberger hat die PR die Aufgabe der Integration hochkomplexer Gesellschaften auf der Basis von Minimalkonsens. Es geht also nicht um einen völligen Interessenausgleich, sondern um die Herstellung von Minimalkonsens, d. h. eine Identität der Interessen wird nicht unterstellt. PR verdeutlicht vielmehr unterschiedliche Interessen und Standpunkte und wird als eine Funktion der öffentlichen Interessendarstellung verstanden. 1992 publiziert Franz Ronneberger zusammen mit Manfred Rühl einen systemtheoretischen Entwurf einer gesellschaftsorientierten PR-Theorie und verfolgt einen multidisziplinären Ansatz mit Elementen aus Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Sozialpsychologie <?page no="41"?> 26 Theoretische Ansätze und Modelle sowie Wirtschaftswissenschaft, insbesondere Marketing. Auch politik- und sprachwissenschaftliche Überlegungen werden integriert. Kennzeichen der makrotheoretischen Ansätze ist, dass PR in erster Linie nicht als Funktion einer Organisation oder eines Unternehmens im engeren Sinne verstanden wird, sondern eine Funktion für das gesellschaftliche System leistet. Grundlegend sind die soziologischen Ansätze von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann. Die Kritik an diesen Ansätzen konzentriert sich auf einen entscheidenden Punkt: Das Modell basiert auf dem Vertrauen, dass alle wichtigen Interessen öffentlich gemacht werden (können) und sich in dem durch Medien hergestellten, öffentlichen Raum artikulieren, d. h. sich der Kritik und Kontrolle anderer Interessen stellen. Die Kommunikationschancen sind in einer Gesellschaft jedoch asymmetrisch verteilt. Je leistungsfähiger eine Organisation ist, desto größer ist ihre Chance, ihre Interessen öffentlich zur Geltung zu bringen. Neuere Ansätze arbeiten mit dem Neo-Institutionalismus (Sandhu 2012) oder mit dem Konstruktivismus (Merten 2008) als theoretischen Rahmen. Merten (2008) z. B. definiert PR als „Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten“. In der konstruktivistischen Theorie basiert Wirklichkeit nicht auf Fakten, sondern wird durch Kommunikation, vor allem über mediale Kommunikation, konstruiert (Fiktionalität). PR ist nach diesem theoretischen Ansatz die professionelle Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten, vor allem von Images. Die rasche Zunahme der Medien bewirkt, dass Information nicht mehr an der Realität geprüft werden kann, sondern geglaubt werden muss. Fiktionalität bedeutet, dass auch fiktionale, d. h. nicht nachprüfbare Sachverhalte real sind. PR macht laufend Gebrauch von fiktionalen Realitäten, z. B. bei der Konstruktion (dem Aufbau) von Images, indem sie Botschaften kommuniziert, die in der Öffentlichkeit zu einem positiven Bild des Unternehmens führen bzw. führen sollen. 2 2 P P R R - o o r r i i e e n n t t i i e e r r t t e e A A n n s s ä ä t t z z e e Organisationstheoretische Ansätze begreifen Public Relations als Kommunikationsfunktion. Der bekannteste Ansatz stammt von Grunig und Hunt (1984, 8): „Public relations, therefore, is the management of communication between an organization and its publics.“ Elemente dieser Definition sind „Kommunikation“, „Teilöffentlichkeit/ publics“, sowie „Management/ Organisation“. <?page no="42"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 27 Ausgangspunkt der organisationsbezogenen Ansätze von PR ist die zentrale Forschungsfrage: „Welchen Beitrag leistet Public Relations zur Erreichung von Organisationszielen? “ Modelle sind Abstraktionen der Wirklichkeit. Deswegen können sie nicht die Vielfalt der PR-Praxis vollständig widerspiegeln. Dennoch beschreiben sie Vorgehensweisen, wie sie je nach Situation und Unternehmen praktiziert werden. Dies gilt vor allem für die PR-Modelle von James E. Grunig (Schaubild 4). Schaubild 4: Vier Grundmodelle der PR Quelle: Röttger (2000, 45), in Anlehnung an Grunig/ Hunt (1984, 22). Die Kommunikationsbeziehungen in den Modellen sind auf zwei Variablen ausgerichtet: ! die Richtung („direction“) der Kommunikation, d. h. ob sie einseitig oder wechselseitig abläuft, und Modelle der Public Relations Charakteristika Publicity Informationstätigkeit Asymmetrische Kommunikation Symmetrische Kommunikation Zweck Art der Kommunikation Kommunikationsmodell Art der Forschung Anteil Organisationen, die das Modell heute anwenden Propaganda Einweg: vollständige Wahrheit nicht wesentlich kaum vorhanden; quantitativ (Reichweite) ca. 15 % ca. 50 % ca. 20 % ca. 15 % kaum vorhanden; Verständlichkeitsstudien Programmforschung; Evaluierung von Einstellungen Programmforschung; Evaluierung Verständnis Einweg: Wahrheit wesentlich Zweiweg: unausgewogene Wirkungen Zweiweg: ausgewogene Wirkungen Verbreiten von Informationen Überzeugen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Wechselseitiges Verständnis S E E S E S E S S = Sender E = Empfänger <?page no="43"?> 28 Theoretische Ansätze und Modelle ! das Ziel („purpose“) der Kommunikation. Dieses Merkmal entscheidet nicht nur darüber, ob symmetrische oder asymmetrische Kommunikation stattfindet, sondern auch über die Ausgewogenheit der beabsichtigten Wirkungen auf das Unternehmen und die Umwelt. Von der Beziehungsstruktur Unternehmen/ Umwelt und der jeweiligen Situation hängt es ab, welches Modell geeignet ist. Empirische Analysen haben gezeigt, dass Unternehmen mehrere Modelle gleichzeitig anwenden. Das Publicity-Modell hat zum Ziel, ein Unternehmen (oder seine Produkte) ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Es geht in erster Linie um die Erzeugung von Aufmerksamkeit und Publicity. Oberstes Ziel ist es, in das Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung zu gelangen, hinter dem im Ernstfall der Wahrheitsgehalt der kommunizierten Inhalte zurücktritt. Einseitig-asymmetrische Kommunikation prägt diese Art der Unternehmenskommunikation. Der Zweck der Kommunikation wird von Grunig et al. zu Recht als Propaganda bezeichnet. Das Modell „Informationstätigkeit“ hat die wahrheitsgemäße Verbreitung von Informationen zum Ziel. Dieses Modell entspricht am ehesten der Lasswell- Formel einseitiger Kommunikation: „Who says what in which channel to whom with what effect? “ Ziel dieser Einweg-Kommunikation ist die möglichst schnelle und weitreichende Versorgung von Zielgruppen mit Informationen, die stimmen. Anders als bei der asymmetrischen Kommunikation ist Feedback nicht wichtig. Diese Art von Kommunikation wird am besten von der Rolle des „Regierungssprechers“ illustriert. Aufgabe ist es, korrekt (aber nicht unbedingt umfassend) Informationen an die Bezugsgruppen weiterzuleiten, ohne sich viel um das Feedback zu kümmern. „Asymmetrische Kommunikation“ ist ein Modell, das nicht nur auf Verlautbarung und Information, sondern auf Überzeugung ausgerichtet ist und ein Feedback der Zielgruppen einkalkuliert. Mehr noch: Feedback ist in diesem Modell notwendig, um die Kommunikationsarbeit zu optimieren. Die Interessen und Wahrnehmungen der Zielgruppen (z. B. über Imageanalysen, Bevölkerungsumfragen) zu kennen, ist für eine gezielte Kommunikation notwendig. Es handelt sich aber um unausgewogene, zweiseitige Kommunikation. PR holt zwar das Feedback von den Bezugsgruppen ein, benutzt dieses Wissen aber in erster Linie dazu, die verschiedenen Publika effizienter im Sinne des Standpunktes des Unternehmens beeinflussen zu können. Das (idealtypische) Modell der „symmetrischen Kommunikation“ ist auf Dialog, mit dem Ziel gegenseitiger Beeinflussung und wechselseitigen Verständnisses ausgerichtet. Es eignet sich für Verhandlungs- und Konfliktsituationen, die sowohl in den Unternehmen als auch mit betroffenen, externen Bezugsgruppen auftreten können. Ziel sind symbiotische Veränderungen in den Einstellungen und Ver- <?page no="44"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 29 haltensweisen des Unternehmens wie auch der Gruppen im Umfeld. Das Modell der symmetrischen Kommunikation setzt voraus, dass alle Beteiligten zumindest kommunikativ gleichberechtigt sind. Es zielt auf das Prinzip der Ausgewogenheit der Wirkungen ab, die bei allen Konfliktparteien auftreten. Die Kritik an Grunigs Modellen konzentrierte sich vor allem auf die zweiseitigen, symmetrischen Abläufe der PR. Diese seien illusorisch, denn kein Unternehmen könne und wolle sich auf dieses Wagnis einlassen. Grunig begegnete diesem Vorwurf, indem er dieses PR-Modell als eine normative Theorie der exzellenten PR-Praxis einstufte, d. h. als idealisierte Sicht einer möglichst effektiven Öffentlichkeitsarbeit und nicht als Beschreibung von tatsächlicher Praxis. Die PR-Modelle sind im Laufe der Jahre mehrfach modifiziert und weiterentwickelt worden. Auf die Darstellung der Entwicklungsgeschichte wird an dieser Stelle ebenso verzichtet, wie auf eine detaillierte Aufarbeitung der kritischen Einwände. Sie konzentrieren sich vor allem auf die Frage, ob das Modell der symmetrischen Kommunikation, das den ethischen Grundsätzen der PR am meisten genüge, in der Unternehmenspraxis auch anzutreffen sei. James E. Grunig analysierte mit einem Forschungsvorhaben, das wohl die bislang umfangreichste, empirische Studie zur Unternehmenskommunikation darstellt, die Frage: Was kennzeichnet exzellente PR? Das Untersuchungsdesign basiert auf klaren Argumentationsschritten. PR ist dann exzellent, wenn sie zur Effektivität der Unternehmen beiträgt (Grunig/ Repper 1992, 118). Sie kann aber nur effektiv wirtschaften, wenn sie ihre Ziele erreicht. Dazu müssen diese Ziele der Unternehmensumwelt angepasst sein, d. h., sie müssen die Erwartungen und Ansprüche der wichtigen Bezugsgruppen berücksichtigen. Dadurch bauen sie langfristige Beziehungen auf, die wiederum dem Unternehmen zugutekommen. Eine Weiterentwicklung der vier Grundmodelle stellt das situative oder „mixedmotive“ Modell exzellenter PR dar, das sowohl symmetrische als auch asymmetrische Elemente des Kommunikationsprozesses betont. Es basiert gleichermaßen auf empirischen Ergebnissen und der Überzeugung, dass exzellente PR in der Praxis vor allem dann Zweiweg-Kommunikationsprozesse einleitet, wenn diese in eine „Win-Win-Situation“ münden. Kommunikation mit den Bezugsgruppen hat in diesem Modell das Ziel, deren Position in Richtung auf die Unternehmensinteressen zu verschieben, während die Kommunikation mit den Managern im Unternehmen dazu führen soll, dass die Position des Unternehmens und seine Handlungen den Interessen und Meinungen der Bezugsgruppen entsprechen (Schaubild 5). Das Modell geht also nicht von einer Identität der Interessen, sondern vielmehr von grundsätzlich unterschiedlichen, manchmal sich sogar ausschließenden Interessen der Bezugsgruppen und des Unternehmens aus („mixed-motive-model“). <?page no="45"?> 30 Theoretische Ansätze und Modelle Ziel des Modells sind Win-Win-Lösungen, die in zweiseitiger Kommunikation gefunden werden und von denen beide Seiten profitieren. Wird eine Seite überredet oder argumentativ „über den Tisch gezogen“, sind Unzufriedenheit, neue Konflikte und auf jeden Fall instabile Konstellationen die Folge. Schaubild 5: PR als Win-Win-Modell Quelle: Dozier/ Grunig/ Grunig (1995, 48). Nach Grunig et al. verlangen solche Win-Win-Situationen nicht automatisch eine symmetrische Kommunikationsform, sondern können vereinzelt auch in asymmetrischen Abläufen erreicht werden. „Asymmetrical tactics are sometimes used to gain the best position for organizations within the win-win zone. Because such practices are bounded by a symmetrical worldview that respects the integrity of long-term relationships, the two-way model is essentially symmetrical“ (Dozier/ Grunig/ Grunig 1995, 49). Auch das Win-Win-Modell fand Kritik. Bezweifelt wurde, ob sich denn in der Praxis der Unternehmenskommunikation wirklich Konfliktsituationen in Konstellationen überführen lassen, in denen alle gewinnen bzw. Vorteile haben. Au- Win-Win- Zone Position der internen Führungsschicht Position der Bezugsgruppe Gemischte Interessenlage (symmetrisch) Dominanz des Unternehmensgruppeninteresses (asymmetrisch) Dominanz des Bezugsgruppeninteresses (asymmetrisch) Asymmetrische Zweiwegkommunikation Informationstätigkeit Publicity (Symmetrische) Zweiwegkommunikation Kooperative Zweiwegkommunikation (Symmetrische) Zweiwegkommunikation <?page no="46"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 31 ßerdem agieren die Beteiligten in solchen Situationen mit durchaus unterschiedlichen Ressourcen und Durchsetzungspotenzialen. Was geschieht in komplexen Konfliktsituationen, wenn einzelne Akteure dazulernen und ihre Positionen aufgeben, neue Kontrahenten dazukommen oder sich sowohl die inhaltliche Erkenntnislage wie auch die Konstellationen der betroffenen und interessierten Akteure ändern? Es ist fraglich, ob das von der Spieltheorie inspirierte Modell wirklich die komplexe Praxis der Unternehmenskommunikation erfassen kann. Schließlich müssen dort ebenso Kommunikationsprozesse gemanagt werden, bei denen es (auch) Verlierer gibt (z. B. bei Restrukturierungsmaßnahmen oder Unternehmensfusionen). Die meisten PR-orientierten Modelle der Unternehmenskommunikation orientierten sich an der Systemtheorie, die die Grenze zwischen Public Relations und Organisationskommunikation verschwinden lässt. James E. Grunig hat mit seine r we it gef ass ten D efin iti o n vo n PR oh nehi n ber eits die Or gan isati o nsbz w. Unternehmenskommunikation vor Augen. Auch er arbeitet mit der Systemtheorie. Unter dieser theoretischen Perspektive werden die Funktionen von PR für Unternehmen beleuchtet: Auf welche Weise ermöglicht PR, Beziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt, d. h. speziellen Gruppen und Individuen zu entwickeln oder aufrecht zu erhalten? PR-Fachleuten wird die besondere Funktion des „boundary spanning“ zugewiesen, d. h. die Grenzen zu überwinden. White und Dozier definieren die „boundary spanners“ als „individuals within the organization who frequently interact with the organization’s environment and who gather, select and relay information from the environment to decision makers in the dominant coalition [of the organization]“ (White/ Dozier 1992, 93). Public Relations - systemtheoretisch betrachtet - stellt eine Art Interface zwischen dem Organisationssystem und der Umwelt dar, dessen Leistung in den Verbindungen besteht, die es für die Kommunikation mit internen und externen Subsystemen bereitstellt. Die Betrachtung von PR unter systemtheoretischen Perspektiven ist - wie alle Modelle - eine Abstraktion dessen, was in der Realität oft sehr komplex ist. Das Konzept betont daher die Bedeutung der Verbindungen zwischen den Abteilungen und Funktionen wie auch zwischen Unternehmen und internen bzw. externen Gruppen und Individuen. PR macht es Firmen leichter, sich ihrem Umfeld anzupassen. <?page no="47"?> 32 Theoretische Ansätze und Modelle Nach Aldrich und Herker (1977) hat Public Relations folgende Funktionen: Informationsverarbeitung („information processing“) und Repräsentation im Umfeld („external representation“). PR-Fachleute agieren unter dieser Perspektive dann als „boundary spanners“, wenn sie die Informationsflut abwehren, weil sie sowohl als Filter („filter“) als auch als Vermittler („facilitator“) im Informationsfluss agieren und wichtige Informationen für die Entscheidungsträger aufbereiten. Die externe Repräsentation bedeutet, dass PR letztlich der Legitimität einer Organisation dient. Auch Quirke (2008, 305) hat sich - aufbauend auf der „Techniker vs. Manager“- Rollentypologie von Grunig (1992, 19) - mit den verschiedenen Funktionen, die professionelle Kommunikatoren in einer Organisation erfüllen, auseinandergesetzt. Zwar entwickelt er die unterschiedlichen Rollenbilder für Kommunikationsmanager (Schaubild 6) aus der Perspektive der internen Kommunikation, aber diese Ro llen könn en oh ne Schwierigk e it en auc h auf die ext ern e Ko mmuni kation (und somit auf den gesamten Bereich der Public Relations) übertragen werden. Dabei kann eine Ausdifferenzierung der Rollenbilder sowohl nach dem Ausmaß ihrer Problemlösungsfähigkeit als auch nach dem Umfang ihres Verantwortungsbereiches erfolgen. Quirke (2008) unterscheidet folgende PR-Rollen (ebd., 305 f.): ! „Verteiler“ („distributor“): Diese PR-Rolle verkörpert typische „post office“- Tätigkeiten wie das Verbreiten und Versenden von Nachrichten sowie die Pflege von Datenbanken. ! „Handwerker“ („craftsman“): Der PR-Handwerker erfüllt vor allem Aufgaben wie z. B. das Verfassen von Texten, deren grafische Bearbeitung oder die Vorbereitung von Events. ! „Facharbeiter“ („technical advisor“): Der Facharbeiter kennt die konkreten Stärken und Schwächen sowie die Erfordernisse der verschiedenen Kommunikationskanäle. Er ist - unter Berücksichtigung des Kommunikationsinhalts, der Kommunikationsabsicht und des anvisierten Publikums - in der Lage abzuwägen und zu beurteilen, unter welchen Umständen sich der Einsatz eines bestimmten Kommunikationskanals lohnt. ! „Berater“ („consultant“): Der PR-Berater arbeitet auf einer Ebene mit verschiedenen Führungskräften, um ihre (fachlichen) Probleme und die kommunikative Komponente darin zu identifizieren und anschließend verschiedene kommunikative Lösungsoptionen anzubieten. Er ist vor allem mit dem Planen und Gewichten von Kommunikationsmaßnahmen beschäftigt. Seine Arbeit koordiniert er intensiv mit anderen Kommunikatoren. <?page no="48"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 33 ! „Trainer“ („coach“): Der Coach pflegt eine enge Beziehung zum Top- Management. Aus diesem Grund kennt er stets die zentralen Themen innerhalb und außerhalb der Organisation. Er kann frühzeitig Probleme erkennen und proaktiv gegensteuern. Der PR-Coach besitzt die Fähigkeit, übergeordnete Kommunikationsstrategien zu entwickeln und daraus wiederum konkrete Ziele zur Umsetzung abzuleiten. Er trifft die grundlegenden Entscheidungen über das strategische Vorgehen und das Kommunikationsverhalten der Manager, die er betreut. Schaubild 6: Rollen in der PR Quelle: in Anlehnung an Quirke (2008, 305). Glen M. Broom und Bey-Ling Sha (2013) ordnen PR auf einem Kontinuum zwischen offenen und geschlossenen Systemen ein (Schaubild 7). Geschlossene Systeme versuchen in ihren Augen den Status quo in der Organisation zu halten und wollen die Umwelt verändern. Wenn PR jedoch eine strategische Funktion für sich beansprucht und die dynamische Anpassung des Unternehmens und seiner Akteure an die Umwelt im Auge hat, wird es eher ein offenes System sein, das auch Veränderungen in der Organisation berücksichtigt bzw. fördert. Extent of need Extent of solution Consultancy Travel Agent Post Office Distributor Craftsman Technical Advisor Consultant Coach <?page no="49"?> 34 Theoretische Ansätze und Modelle Schaubild 7: PR als offenes System Quelle: Broom/ Sha (2013, 187). Unternehmenskommunikation befindet sich auf dem Weg zu einem offenen System. Soll PR als offenes System agieren, muss es selektiv aufmerksam sein. Es braucht Werkzeuge, die die Umwelt überprüfen („monitoring“), und muss wichtige Einflussfaktoren lokalisieren. PR - systemtheoretisch betrachtet - impliziert eine strategische Funktion, da sie Informationsverarbeitungskapazität bereitstellt, Feedback aus dem Umfeld sammelt, das Management bei der Entscheidungsfindung und in der Kommunikationspraxis berät sowie der Organisation hilft, ihre Ziele und Vorhaben zu erklären, um dadurch Akzeptanz und Unterstützung zu erhalten. Die Digitalisierung der Kommunikationssysteme hat nicht zuletzt dazu geführt, dass die Unterscheidung zwischen interner und externer Kommunikation immer schwieriger wird. Die Grenzen eines Unternehmens lösen sich im Internet auf. Einzelne Mitarbeiter können (anonym) Informationen im Netz veröffentlichen. Externe Stakeholder (z. B. Medien) finden immer leichter den Zugang zu internen Auskunftspersonen. Feedback (Information about relationships with publics: desired versus observed) Output (External: actions and communication directed to publics) Input Structure, Plans and Programs of Organisation Desired Relationships with Publics (Goals and Objectives) Knowledge, Predisposition and Behavior of Publics (Internal: maintenance or redefinition of desired relationships) (Actions taken by or information about publics) <?page no="50"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 35 3 3 M M a a r r k k e e t t i i n n g g o o r r i i e e n n t t i i e e r r t t e e M M o o d d e e l l l l e e Die Bedeutung des Begriffs Marketing wird seit seiner Entstehung Mitte der 1960er Jahre immer noch sehr unterschiedlich eingesetzt (Bruhn 2014a). Ursprünglich bezeichnete Marketing das Bündel von Maßnahmen, das auf den Absatz von Gütern und Dienstleistungen bezogen ist. Später wurde Marketing als marktorientierte Denkhaltung verstanden. In betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern wird Marketing meist als Managementprozess verstanden, der in Phasen - von der Analyse über die Strategieentwicklung und Umsetzung bis zur Evaluation - eingeteilt wird und verschiedene Dimensionen aufweist: Produktpolitik, Preispolitik, Distributionspolitik und Kommunikationspolitik, die gleichgewichtig nebeneinander stehen. Marketingorientierte Ansätze gehen von der zentralen Fragestellung aus: „Welchen Beitrag kann PR als absatzpolitisches Instrument leisten? “ Charakteristisch für das marketingorientierte Verständnis von PR ist die Tatsache, dass dieser Kommunikationsbereich dem Marketing als eines von vielen Instrumenten untergeordnet wird. Öffentlichkeitsarbeit erfüllt als marktkommunikatives Instrument lediglich eine Ergänzungsfunktion beim Aufbau von Unternehmens-, Marken- und Produktimages. PR ist - trotz aller Abgrenzungsprobleme - unter dieser Perspektive zunächst ein Instrument unter vielen, das Einfluss auf das Verhalten der Marktteilnehmer ausüben soll. Bruhn (2014a, 205 ff.) unterscheidet zehn Bereiche der Kommunikationspolitik: Mediawerbung, Verkaufsförderung, Direkt-Marketing, Public Relations (Öffentlichkeitsarbeit), Sponsoring, Persönliche Kommunikation, Messen und Ausstellungen, Event Marketing, Social Media-Kommunikation und Mitarbeiterkommunikation. Das komplexe Geschehen der Kommunikationsprozesse, die Unternehmen und deren Öffentlichkeiten prägen, wird jedoch in der marketingtheoretischen Perspektive nur sehr grob erfasst. Das verdeutlichen Definitionen, die bei allen Bemühungen um Strukturierung eher „weich“ sind: „Public Relations (Öffentlichkeitsarbeit) als Kommunikationsinstrument bedeutet die Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle aller Aktivitäten eines Unternehmens, um bei ausgewählten Zielgruppen (extern und intern) um Verständnis sowie Vertrauen zu werben und damit gleichzeitig Ziele der Unternehmens- und Marketingkommunikation zu erreichen“ (Bruhn 2014a, 677). Auch wenn die Positionierung und das konkrete Verständnis von Public Relations vom jeweiligen Marketingbegriff abhängig sind, nimmt die Öffentlichkeits- <?page no="51"?> 36 Theoretische Ansätze und Modelle arbeit eine Sonderrolle ein. Werbung und Verkauf sind mehr oder weniger stark auf den Absatz von Produkten und Dienstleistungen ausgerichtet, wohingegen PR auch nicht-marktverbundene Bezugsgruppen einbezieht und nicht primär oder gar ausschließlich produktbezogen argumentiert (Mast/ Huck/ Güller 2005). Marketingorientierte Ansätze finden aber - wegen ihrer vermeintlichen Klarheit - großen Anklang in der Praxis. Allerdings stehen vor allem Beziehungspartner im Vordergrund, die unmittelbaren Einfluss auf den geschäftlichen Erfolg haben, wie z. B. Lieferanten, Kapitalmarkt, Arbeitskräfte, Kunden bzw. potenzielle Kunden, Händler und Vertriebsorganisationen. Ein gesellschaftsorientiertes Marketingverständnis - keineswegs ein Mainstream-Konzept im Marketing - findet im deutschsprachigen Raum zunehmend Anhänger. Es beschränkt sich nicht nur auf wirtschaftliche Ziele, sondern bindet auch gesellschaftlich wichtige Fragen mit ein. Nach Szyszka (2008, 247 f.) umfasst gesellschaftsorientiertes Marketing folgende drei Arten von Managementprozessen: ! Transaktionsmanagement: Austausch der Unternehmensleistung gegen Geld; ! Reputations- und Beziehungsmanagement: Aufbau und Pflege langfristiger Beziehungen, Sicherung von Unterstützungspotenzialen (Akzeptanz, Vertrauen) sowie positiver Einstellungen gegenüber den Zielen, Leistungen und Verhaltensweisen des Unternehmens; ! Kontextmanagement: Beeinflussung der wichtigen Rahmenbedingungen, z. B. Auseinandersetzung mit den politisch-rechtlichen, soziokulturellen oder branchenpolitischen Bedingungen. Auch das Marketing öffnet sich immer mehr gesellschaftlichen Belangen gegenüber, wie die Begrifflichkeiten „Public Marketing“, „Social Marketing“ oder „Relationship Marketing“ zeigen. Grundidee der aus dem gesellschaftsorientierten Marketing entwickelten Kommunikationskonzepte ist die Einsicht, dass die Ziele der wirtschaftlichen Effizienz und des ökonomischen Erfolges nicht nur auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten zu erreichen sind, sondern zunehmend vom gesellschaftspolitischen Umfeld des Unternehmens beeinflusst werden. PR wird - gegenüber den klassischen Marketing-Konzepten - in der gesellschaftsorientierten Perspektive aufgewertet und als zentraler Bestandteil der Unternehmensführung eingeführt. Öffentlichkeitsarbeit wird als Austauschprozess <?page no="52"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 37 des Unternehmens mit seinen Umwelten begriffen. Es bildet sich somit ein strategisches Dach für Marketingaktivitäten aller Art. Ausgangspunkt des gesellschaftsorientierten Marketings ist die Annahme, dass das Überleben eines Unternehmens heute nicht mehr alleine von seiner ökonomischen Leistungskraft abhängt, sondern vor allem von seiner gesellschaftlichen Akzeptanz. Legitimationsbeschaffung durch Kommunikation wird zum strategischen Erfolgsfaktor. Daher „plädiert die gesellschaftsorientierte Marketingforschung dafür, die PR aus dem Instrumentenkasten der klassischen Marktkommunikation zu befreien und sie zur betrieblichen Kernfunktion aufzuwerten“ (Zerfaß 2010, 77). Die Kritik an den gesellschaftsorientierten Modellen bezieht sich vor allem auf fehlende Aussagen zum Zusammenspiel der Bereiche Absatz-, Beschaffungsmarketing und gesellschaftsorientiertes Marketing sowie auf die Einbindung der Unternehmenskommunikation. Auch ist nicht erkennbar, welches Kommunikationsverständnis den Modellen zugrunde liegt. Eine Differenzierung hinsichtlich der Kommunikationsformen (personale oder mediale Kommunikation) und der Beziehungen (symmetrische oder asymmetrische Abläufe) findet nicht statt. Schwachpunkt der marketingorientierten PR-Modelle ist die betriebswirtschaftliche Grundlegung einer Theorie der Unternehmenskommunikation, die weder den Kommunikationsbegriff noch das Kommunikationsverständnis der Autoren klärt. Es fehlt eine „schlüssige Unterscheidung von massenmedialer und personaler, einseitiger und zweiseitiger, in lokalen Erfahrungsräumen und abstrakten Kulturräumen stattfindender Kommunikation“ (Zerfaß 2010, 79). Austauschprozesse werden konstatiert, ohne dass die unterschiedlichen Spielregeln der Unternehmensbeziehungen, Marktprozesse und gesellschaftspolitischen Interaktionen herausgearbeitet werden. Die gesellschaftsorientierten Marketingansätze lassen Fragen offen, solange sie den Stellenwert der Interessen von Unternehmensmitgliedern und gesellschaftlichen Bezugsgruppen nicht vergleichend diskutieren und klären. Auf der pragmatischen Ebene können sie jedoch durchaus überzeugen. Denn sie schließen einige Lücken der kommunikationswissenschaftlichen PR-Forschung, indem sie das vielschichtige Beziehungsgeflecht der Unternehmen schärfer analysieren und den Oberbegriff der Unternehmenskommunikation (Corporate Communications) betonen. Sie bereiten den Weg, den in der Praxis äußerst konflikthaltigen Dualismus zwischen sozialwissenschaftlichem Verständnis von PR und marketingorientierten Zugängen zu diesem Kommunikationsfeld zu entschärfen und unter der Bezeichnung „Corporate Communications“ eine übergreifende Verantwortung für die Kommunikationsbeziehungen eines Unternehmens zu stärken. <?page no="53"?> 38 Theoretische Ansätze und Modelle 4 4 E E i i n n h h e e i i t t l l i i c c h h k k e e i i t t a a l l s s Z Z i i e e l l : : IInnt teeggr riieerrtte e U Unntteer rnne ehhmmeennsskkoom mmmuunniikka attiioonn Veränderungen auf den Märkten, in den Mediensystemen sowie gesellschaftliche Trends führten zu einer völligen Umorientierung in den theoretischen Konzepten des Marketings und im praktischen Kommunikationsmanagement der Unternehmen. Der Verkäufermarkt ist längst zu einem Käufermarkt geworden, die Gestaltungspotenziale verschieben sich von den Anbietern über die Vertriebskanäle (z. B. Händlerorganisationen) zu den Kunden. Unternehmen, die bislang bestimmt haben, wann, mit wem, in welcher Form und über welches Medium welche Botschaften vermittelt wurden, müssen sich nun auf Kommunikationsprozesse einstellen, die der Kunde steuert (Mast/ Huck/ Güller 2005). Er entscheidet, welche Beziehungen er mit einem Unternehmen aufrechterhalten will und aus welchen Quellen er sich informiert. In Märkten, die von den Kunden dominiert werden, kann eine einseitige Kommunikation nicht mehr erfolgreich sein, denn Kunden haben - vor allem auch über neue Medien wie Internet - einen offenen Zugang zu Informationen. Somit wurde das „System der kontrollierten Botschaftsverteilung“ (Kirchner 2003, 34) abgelöst und durch die Verlagerung der Gestaltungsfunktionen so ausgerichtet, wie Kunden und andere Bezugsgruppen Unternehmenskommunikation erleben - „als einen Fluss von Informationen von nicht unterscheidbaren Quellen“ (ebd., 35). Integrierte Unternehmenskommunikation umfasst das Management der Kommunikationsprozesse eines Unternehmens mit seinen internen und externen Umwelten und zielt darauf ab, bei den Zielgruppen ein inhaltlich, formal und zeitlich einheitliches Erscheinungsbild des Unternehmens zu erzeugen. Durch konsistente, integrierte Kommunikation kann sich ein Unternehmen strategisch positionieren und dies letztlich als Wettbewerbsvorteil im Kommunikationswettbewerb nutzen. Alternativ zum Begriff „integrierte“ Kommunikation werden auch die Bezeichnungen „ganzheitliche“, „vernetzte“, „synergetische“ oder „cross-mediale“ Kommunikation verwendet (Bruhn 2014b, 39). Hauptanliegen der integrierten Unternehmenskommunikation ist es, in den Köpfen der Kunden, aber auch anderer Bezugsgruppen eine möglichst positive Vorstellung vom Unternehmen und seinen Produkten zu erzeugen. Um dieses Ziel angesichts der Vielzahl der Kommunikationsinstrumente und der Gestal- <?page no="54"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 39 tungsspielräume der Rezipienten zu erreichen, muss Unternehmenskommunikation ein klares, einheitliches Bild vermitteln, das glaubwürdig, konsistent und verständlich ist. Wenn dies nicht der Fall ist, werden Informationen ignoriert oder gehen in der Flut medialer Angebote unter. Schließlich fallen heute Entscheidungen im Wesentlichen nicht mehr aufgrund von Tatsachen, sondern von Eindrücken und fiktionalen Realitäten. Wichtige Gründe sind die Informationsüberlastung der Menschen und die Vielfalt der Medien und Kommunikationskanäle. Ein Hauptziel der integrierten Kommunikation ist die konsistente Darstellung des Unternehmens und seiner Leistungen. Hinter dieser Absicht stehen in der Regel konkrete Kommunikationsziele wie die Verbesserung des Bekanntheitsgrades und des Images, die Erhöhung der Kaufmotivation oder die Optimierung von Kommunikationsabläufen. Die Notwendigkeit eines einheitlichen Bildes in der Unternehmenskommunikation wird in der nahezu ausufernden Literatur über Corporate Identity, Corporate Communications oder Integrierte Unternehmenskommunikation wortreich beschworen. Die Schlacht der Begriffe ist auch auf diesem Feld voll entbrannt. Die Leitideen werden dabei nicht klar unterschieden. Corporate Identity (Unternehmenspersönlichkeit) umfasst alle Kommunikationsaktivitäten eines Unternehmens, ein einheitliches Erscheinungsbild und Unternehmensimage anzustreben mit dem Ziel, eine in sich schlüssige Selbstdarstellung des Unternehmens nach innen und außen zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. „Die Corporate Identity ist strategischer Ausgangspunkt einer einheitlichen Kommunikationspolitik (…). Insofern geht es bei der Herstellung bzw. dem Aufbau einer Unternehmensidentität um einen mittel- und langfristigen Kommunikationsprozess“ (Rota/ Fuchs 2007, 83 f.). Ziel ist die Schaffung einer unternehmensspezifischen Identität, durch die ein widerspruchsfreies, einheitliches Bild der vielfältigen Rollen eines Unternehmens entsteht, d. h. ein unverwechselbarer Eindruck der Gesamterscheinung. Corporate Identity ist bestimmt durch das Selbstverständnis des Unternehmens und steuert dessen Verhaltensweisen nach innen und nach außen mit dem Ziel, alle Handlungsinstrumente des Unternehmens in einen einheitlichen Rahmen einzugliedern. In der Praxis wird die Corporate Identity meist in den operativen Feldern Unternehmensverhalten, -kommunikation und -erscheinungsbild sichtbar. Ausgangspunkt sind die (formulierten) Unternehmenswerte. <?page no="55"?> 40 Theoretische Ansätze und Modelle Das Konzept der CI geht also über einen einheitlichen Werbestil hinaus. Zielgruppen des Auftretens als Unternehmenspersönlichkeit sind nicht nur Kunden, sondern alle Marktteilnehmer und die Öffentlichkeit (z. B. Lieferanten, Banken, Aktionäre, Meinungsbildner) sowie - nach innen - die eigenen Mitarbeiter. Vielfach werden die Begriffe Corporate Identity und Corporate Image unscharf verwendet. Dabei ist eine präzise Unterscheidung und Bedeutungszuweisung nicht schwierig: Wenn Corporate Identity das Selbstverständnis des Unternehmens ist, das sich durch Unternehmensverhalten, -kommunikation, -erscheinungsbild darstellt, dann ist Corporate Image das Bild und die Vorstellung vom Unternehmen, das durch den Einsatz der Instrumente der Corporate Identity im Bewusstsein der Menschen aufgebaut und geformt wird. Corporate Identity bezeichnet also das Selbstbild des Unternehmens, Corporate Image dagegen sein Fremdbild. Corporate Communications ist die Gesamtheit der nach innen und außen gerichteten Kommunikationsaktivitäten eines Unternehmens mit dem Ziel, die Meinungen, Einstellungen oder Verhaltensweisen der Stakeholder zu beeinflussen oder zu verändern. Ziel der Corporate Communications ist es, ein Image in der öffentlichen Meinung aufzubauen, zu korrigieren oder zu pflegen, d. h. auch Einstellungsveränderungen anzustreben und nicht nur kurzfristige Verkaufserfolge. Corporate Communications setzt die wichtigen Bereiche der Unternehmenskommunikation - PR und Marktkommunikation - so ein, dass Synergieeffekte erzielt sowie Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen im Unternehmensinteresse beeinflusst werden. Glaubwürdigkeitsprobleme entstehen, wenn die Kommunikationsstrategie nicht mit der Unternehmensstrategie übereinstimmt. Corporate Design ist ein Teilbereich der CI. Es geht um den einheitlich gestalterischen Gesamtauftritt eines Unternehmens (vom Firmenlogo über Briefköpfe bis hin zu Werbemaßnahmen, Anzeigen oder Messeauftritten, Kleidung, Architektur, Verpackungen u. a. m.). Die Gestaltung des CD gewinnt im harten Wettbewerb an Bedeutung und kann den ökonomischen Wert eines Unternehmens oder eines Produkts („Markenwert“) erheblich beeinflussen. <?page no="56"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 41 Corporate Behavior ist das Verhalten des Unternehmens. Neben der Angebots- und Preispolitik zählt hierzu insbesondere das Kommunikationsverhalten der Mitarbeiter und Manager in der internen und externen Öffentlichkeit. Unter Corporate Behavior versteht man also zunächst das Unternehmensverhalten („Stil des Hauses“). Mit Leitbildern, Führungsleitsätzen und Verhaltensregelungen wird versucht, den „Stil des Hauses“ zu prägen. Wie geht man intern miteinander um? Welche geschriebenen oder ungeschriebenen Regeln gibt es für die Kontakte mit Kunden? Welche Werte sollen das Verhalten leiten? Corporate Culture sind alle Wertvorstellungen, welche das Verhalten von Führungskräften und Mitarbeitern und damit das Erscheinungsbild des Unternehmens nach innen und außen prägen. Zur Unternehmenskultur zählen z. B. die Art des Umgangs mit den Mitarbeitern (etwa die Art der Anrede), aber auch die Wahl von Produktionsverfahren und -materialien im Hinblick auf die Umwelt. Meist hat sich die Kultur von Unternehmen über viele Jahre hinweg entwickelt. Unter den deutschsprachigen Ansätzen hat wohl Manfred Bruhn das umfassendste Modell integrierter Kommunikation entworfen. Für ihn ist integrierte Kommunikation „ein strategischer und operativer Prozess der Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle, der darauf gerichtet ist, aus den differenzierten Quellen der internen und externen Kommunikation von Unternehmen eine Einheit herzustellen, um ein für die Zielgruppen der Kommunikation konsistentes Erscheinungsbild des Unternehmens bzw. eines Bezugsobjektes der Kommunikation zu vermitteln“ (Bruhn 2014b, 38). Um ein einheitliches Erscheinungsbild vom Unternehmen in den Augen der Rezipienten zu erreichen, müssen inhaltlich, formal und zeitlich alle Kommunikationsmittel aufeinander abgestimmt sein. Eine „Leitidee“ ist für Bruhn (2014a, 138 f.) der Ausgangspunkt für die strategische Positionierung des Unternehmens in Form einer übergeordneten inhaltlichen Aussage, in die sich alle weiteren Botschaften integrieren lassen müssen (Schaubild 8). Er empfiehlt eine Einteilung von Kern- und Einzelaussagen, um eine hierarchische Ordnung in das Aussagensystem eines Unternehmens zu bringen. <?page no="57"?> 42 Theoretische Ansätze und Modelle Auch die inhaltliche Integration der Kommunikationsinstrumente folgt einem vergleichbaren, hierarchischen Konzept. Ausgehend von Leitinstrumenten, welche die Leitidee des Unternehmens am besten transportieren können, werden die Kommunikationsmittel in eine Rangordnung gebracht, die sich an Einfluss und Beeinflussbarkeit der Kommunikationswege orientiert. Gleiches gilt für die formale Gestaltung und die zeitliche Dimension. Bruhn (ebd., 149) ist der Überzeugung, dass alle zentralen Elemente der integrierten Kommunikation dem „Prinzip der Hierarchisierung“ folgen sollen und meint damit die „hierarchische Ordnung von Zielen, Botschaften und Instrumenten“. Schaubild 8: Vertikale und horizontale Ordnung integrierter Unternehmenskommunikation Quelle: Bruhn (2014a, 150). Das Modell von Bruhn trägt die Handschrift der Marketinglehre. Der Planungsprozess der integrierten Kommunikation folgt einem mechanistischen Kommunikationsmodell, das weitgehend auf einseitigen Kommunikationsprozessen zwischen Sender (Unternehmen) und Empfänger (Bezugsgruppen) basiert. Die Initiative geht dabei vom Unternehmen aus; der Rezipient wird in eine eher passive Rolle gedrängt. Zielhierarchie Aussagenhierarchie Instrumentehierarchie Gesamtunternehmen Hauptzielgruppen/ Segmente Kommunikationsanlässe/ Kontakte Strategische Planung Operative Umsetzung Strategische Positionierung Kommunikative Leitidee Leitinstrumente und Gestaltungsprinzipien Kernaussagen Zielgruppenziele Integrations-, Folge- und Kristallisationsinstrumente Maßnahmenziele Einzelaussagen Kommunikationsmittel <?page no="58"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 43 In den letzten Jahren hat jedoch auch im Marketing ein Perspektivenwechsel vom Transaktionszum Beziehungsmarketing stattgefunden. Standen in der Vergangenheit die Transaktionen von Einzelleistungen und die Gewinnung von Neukunden im Zentrum von Überlegungen, wird nun verstärktes Augenmerk auf den Aufbau und die Pflege von Beziehungen gelegt. Die Kosten zur Gewinnung von Neukunden auf weitgehend gesättigten Märkten bei hohem Konkurrenzdruck liegen weit über denen der Bindung vorhandener Kunden. Außerdem fördern intensive Kundenbeziehungen den Geschäftserfolg. Bruhn (2014a, 189) schlägt daher ein Kommunikationsmodell des Relationship Marketings vor (Schaubild 9). Da beide Kommunikationspartner Zugang zu einem umfassenden Pool an Informations- und Interaktionsangeboten haben, ist der Dialog weniger steuerbar, kann dafür aber flexibler auf Kommunikationssituationen und Bedürfnisse der Partner eingehen. Ziel der integrierten Unternehmenskommunikation ist es nunmehr vorrangig, Initiator eines zweiseitigen Kommunikationsprozesses zu sein und sich dabei den Informations- und Interaktionsbedürfnissen der Zielgruppen anzunehmen. „Da die Qualität einer Beziehung wesentlich durch die Art der Interaktion zwischen einem Unternehmen und seinen Zielgruppen beeinflusst wird, kommt der Kommunikationspolitik im Rahmen des Relationship Marketing eine besondere Bedeutung zu“ (Bruhn 2014a, 89). Schaubild 9: Angebot und Nachfrage von Informationen und Interaktionen Quelle: Bruhn (2014a, 89). Kommunikationspartner Anbieter Kommunikationspartner N achfrager Direkte und indirekte Rückkopplungen Nutzergesteuerte Kommunikationsmedien Unternehmensgesteuerte Kommunikationsmedien Informations- und Interaktionsangebote Nutzergenerierte Inhalte Unternehmensgenerierte Inhalte Direkte und indirekte Rückkopplungen <?page no="59"?> 44 Theoretische Ansätze und Modelle Das Beziehungsmarketing verfolgt zwei Hauptanliegen: die Schaffung eines einheitlichen Erscheinungsbildes des Unternehmens und seiner Leistungen und den Aufbau bzw. die Pflege der Beziehungen zu Kunden und Bezugsgruppen. Dies hat vor allem Konsequenzen für die Formulierung der Ziele und die Segmentierung der Zielgruppen, die nun anhand beziehungsorientierter Kriterien eingeteilt werden können. Kriterien können z. B. die Zufriedenheit und/ oder die Bindung der Kunden sein. Die Interaktionen eines Unternehmens werden differenzierter. In der Unternehmenskommunikation werden integrierte Kommunikationskonzepte unerlässlich, denn Unstimmigkeiten oder gar Widersprüche in den Kommunikationsmaßnahmen verunsichern die ohnehin wechselbereiten Kunden. Nach Kirchner (2003, 36) ist integrierte Unternehmenskommunikation „der Prozess des koordinierten Managements aller Kommunikationsquellen über ein Produkt, ein Service oder ein Unternehmen, um gegenseitig vorteilhafte Beziehung en zwi sch en eine m Unt er nehm en und se ine n Be zugs gr uppe n aufzu ba uen und zu pflegen“. Die Passage „gegenseitig vorteilhafte Beziehungen“ wird in dieser Definition hervorgehoben, um zu betonen, dass integrierte Unternehmenskommunikation die zentrale Aufgabe hat, zum Beziehungsmanagement zwischen Unternehmen und den Bezugsgruppen beizutragen. Kirchner formuliert Voraussetzungen für eine integrierte Kundenkommunikation, welche die Unternehmen erfüllen müssen, damit sie gelingt. Sie teilt diese Bedingungen in Stufen ein und orientiert sich konsequent am Kunden. Wichtig ist die „ständige Aufmerksamkeit/ Wachsamkeit gegenüber Veränderungen“ (ebd., 179 ff.): [1] Erste Stufe: Die Integration von Taktik und Image sorgt dafür, dass konsistente Botschaften durch einen konsequenten Einsatz von Inhalten und Designelementen in sämtlichen Medien vermittelt werden. [2] Zweite Stufe: Die funktionale Integration bezieht sich auf die Koordination verschiedener Kommunikationsaktivitäten quer über alle Produkte, Divisionen, Regionen und Länder hinweg und dient der formalen Vorbereitung eines einheitlichen Auftritts. [3] Die nächste Stufe der kundenorientierten Integration setzt einen Wechsel von einer unternehmenszentrierten zu einer kundenzentrierten Sichtweise voraus. Sämtliche Kontaktpunkte zwischen Mitarbeitern und Kunden müssen dabei aktiv gemanagt werden. Hierzu ist es notwendig, Kommunikationsprogramme so aufeinander abzustimmen, wie Konsumenten sie erfahren - als Informationsstrom, dessen Ursprünge nicht differenziert werden können. [4] Die nächste Stufe: Die bezugsgruppenorientierte Integration bezieht sich auf Stakeholder, die ein Unternehmen neben den Kunden hat. Ihre Einbeziehung bzw. Berücksichtigung und die Abstimmung interner und externer <?page no="60"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 45 Kommunikation ermöglichen erst die formelle Entwicklung und Umsetzung einer Gesamtstrategie der Kommunikation. [5] In der letzten Stufe der strategischen Integration, des Beziehungsmanagements und der Messung des finanziellen Erfolges geht es um die Anpassung der Organisation an die Unternehmensstrategie, d. h. um die organisatorische und strukturelle Verankerung der Integration. Nachdem die frühen integrierten Modelle der Marketingkommunikation ganz auf den Kunden ausgerichtet waren, fand in den 1990er Jahren eine Erweiterung der Ansätze auf verschiedene Zielgruppen statt, die heute in Theorie und Praxis sowohl vom Marketing als auch von der PR berücksichtigt werden. Die neueren Ansätze integrierter Kommunikation tragen zur Grenzaufhebung zwischen der sozialwissenschaftlich orientierten PR und der wirtschaftswissenschaftlichen Marketingkommunikation bei. 5 5 I I m m a a g g e e , , R R e e p p u u t t a a t t i i o o n n u u n n d d M M a a r r k k e e n n Die Perspektiven der wissenschaftlichen Analyse von Unternehmenskommunikation ändern sich. Nicht mehr die Frage, welche Rolle das Kommunikationsmanagement für das Unternehmen oder das Marketing leistet, steht im Brennpunkt, sondern die Frage, wie Kunden und andere Bezugsgruppen diese Kommunikationsvorgänge erleben und auf welche Weise Image (Einwiller 2014, Regenthal 2009), Reputation (Seitel/ Doorley 2012, Helm/ Liehr-Gobbers/ Storck 2011, Fombrun/ van Riel 2008) und Marken (Häusler 2014, Esch 2014a, Süss/ Zerfaß/ Dühring 2011) entstehen bzw. verankert werden. Bei diesen Begriffen handelt es sich um Konstrukte, die sich aus Kognitionen wie Wahrnehmungen, Einstellungen, Kenntnissen, Erfahrungen, Auffassungen, Glauben und Gefühlen bezüglich eines Objektes, einer Person bzw. eines Unternehmens zusammensetzen. Kirchner (2003, 116) bezeichnet diese multidimensionalen Konstrukte jedoch als „Worthülsen“, da ! allen dieselben Mechanismen zugrunde liegen: Selektivität, Vereinfachung, Verallgemeinerung und Überverdeutlichung, ! alle die Orientierung erleichtern, indem komplexe Objekte oder Situationen auf eingängige, subjektive Muster reduziert werden und auf diese Weise die Komplexität der Informationsauswahl und Verarbeitung reduzieren, ! allen Konstrukten vielfältige Erwartungen auf der Seite der Bezugsgruppen und unterschiedliche Versprechen der Unternehmen gegenüberstehen und <?page no="61"?> 46 Theoretische Ansätze und Modelle ! alle Konstrukte zu einer Vertrauensbildung führen, die eine Dauerauseinandersetzung mit vielen Einzelinformationen ersetzt. Wie Herger (2006) zu Recht feststellt, ist diese Vertrauensbildung „in westlichen Gesellschaften grundlegend gefährdet, was dazu führt, dass Organisationen in ihrem Entscheidungshandeln an die Grenzen ihrer Verarbeitungskapazität stoßen“ (ebd., 26). Komplexitätsreduzierende Konstrukte wie Identität, Image, Reputation und Marke können dazu beitragen, Vertrauen zu verankern und zu steuern (ebd., 40 ff.). Diese Konstrukte geben dabei Antworten auf unterschiedliche Fragen (Schaubild 10). Der Begriff Image wird häufig verwendet. Herger (ebd., 162) betrachtet das Konstrukt Image systemtheoretisch und hebt daher folgende Aspekte hervor: Ein Image ist in seinen Augen ein komplexes, mehrdimensionales, strukturiertes System. Es bildet eine Ganzheit und enthält objektive, aber auch subjektive, richtige oder falsche Vorstellungen, Einstellungen und Erfahrungen. Schaubild 10: Kernfragen zur Vertrauenskonstruktion Quelle: in Anlehnung an Herger (2006, 226). Es entwickelt sich anfänglich dynamisch, verfestigt sich mit der Zeit, bleibt jedoch prinzipiell korrigierbar. Das Image erleichtert Orientierung und reduziert Unsicherheit. Es ist kommunizierbar und empirisch ermittelbar. Im sozialen Umfeld wirkt es meinungs-, verhaltens- und handlungsbestimmend. Buß (2007) weist darauf hin, was Image bedeutet: „historisch begründete, bewertende, relativ dauerhafte und typisierende Vorstellungen, die in symbolischen, identitätsstiftenden Bildern verdichtet sind und zu einem bestimmten Handeln verpflichten oder mobilisieren“ (ebd., 229). Schließlich ist das Image - T eilkonstruktionen Kernfragen Identität Marke(n) Image(s) Reputation Wie lautet das organisationale Selbstverständnis? Mit welchem Versprechen differenziert sich die Organisation gegenüber ihren Stakeholdern? Wie wird die Organisation von ihren Stakeholdern wahrgenommen ? Wie wird die Organisation in der Öffentlichkeit thematisiert und wie wird sie wahrgenommen? <?page no="62"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 47 wie er sagt - „das Gesicht einer Organisation“ (ebd.). Für Buß ist das Image ein Vorstellungsbild eines Unternehmens, das auch immer „das Ergebnis eines öffentlichen Deutungsprozesses“ (ebd., 228) ist. Image bezeichnet das zumeist stark vereinfachte, typisierte und mit Erwartungen und Wertvorstellungen verbundene Vorstellungsbild über einen Sachverhalt, eine Person oder ein Unternehmen. Das Image ist wie ein Schatten. Man hat es, ob man will oder nicht. Man kann es nicht abstreifen, aber es kann durch eigenes Verhalten gründlich geändert werden. Während der Schatten jedoch jede Bewegung mitmacht, kann sich das Image verselbstständigen und fremden Einflüssen gehorchen. Dieser bildhafte Vergleich zeigt, wie komplex das Image als theoretisches Konstrukt ist (Buß/ Fink-Heuberger 2000). Images sind Bilder in den Augen von Bezugsgruppen, die sich diese über die Realität, z. B. über Unternehmen, gebildet haben. Daher kann ein Unternehmen bei verschiedenen Gruppen durchaus unterschiedliche Images produziert haben. Schaubild 11: Identität, Image und Reputation im Managementprozess Quelle: in Anlehnung an Bauhofer (2004, 16). Corporate Reputation E rfahrungen, Reflexionen, E instellungen Corporate Image Wahrnehmungen Corporate Identity Werte, L eitlinien, Prinzipien, N amen, Regeln und Symbole E rwartungen Vorstellungen <?page no="63"?> 48 Theoretische Ansätze und Modelle Die Identität beschreibt das Selbstverständnis eines Unternehmens. Sie zeigt sich in visuellen Manifestationen der Unternehmensrealität, z. B. Logos, Gebäuden, Produkten, Personen und deren Verhaltensweisen, Kommunikationsprozessen und dem Erscheinungsbild. Beides zusammen, Image und Identität, führt zu einer guten oder schlechten Reputation und damit zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil oder -nachteil (Schaubild 11). Der Begriff Reputation ist ebenso schillernd wie Public Relations oder Unternehmenskommunikation. Definiert wird Reputation als „[…] the assessments that multiple stakeholders make about the company’s ability to fulfill their expectations“ (Fombrun/ van Riel 2008, 4). Image ist - im Vergleich zur Reputation - das spontane, intuitive Bild eines Unternehmens bei einzelnen Stakeholdern, während die Reputation eine meist langfristig orientierte, aggregierte Bewertung von Unternehmenseigenschaften und -handlungen in der Öffentlichkeit darstellt. Image und Reputation unterscheiden sich, wenn man den Wahrnehmungsprozess betrachtet sowie die Intensität der Verarbeitung von Informationen und Eindrücken auf der Seite der Stakeholder. Image ist das intuitive, mentale Unternehmensbild, das man mit Unternehmensnamen oder -logo spontan verbindet, während die Reputation eine bewusste Bewertung der Unternehmenseigenschaften bzw. -werte darstellt. Das Image kann in kurzer Zeit durch entsprechende Kommunikationsmaßnahmen verändert werden, während die Reputation über viele Jahre hinweg durch glaubwürdiges und widerspruchsfreies Handeln des Unternehmens entsteht und Erwartung an das Unternehmen als Ergebnis der Reputation enthält. Für Herger (2006, 184 ff.) besteht der grundlegende Unterschied zwischen Image und Reputation darin, dass sich der Begriff Image auf die Einschätzungen und Interpretationen einzelner Stakeholder bezieht, während unter Reputation die Thematisierung einer Organisation in der Öffentlichkeit zu verstehen ist. Die sozialpsychologischen Funktionen von Image und Reputation sind vergleichbar. Sie bestehen in folgenden Funktionen: ! Orientierungsfunktion: Komplexe Sachverhalte werden in Wahrnehmungsinhalte eingeordnet. ! Entlastungsfunktion: Leitvorstellungen wie Image und Reputation haben die Tendenz zu pauschalisieren und zu stereotypisieren. <?page no="64"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 49 ! Zuordnungsfunktion: Sie dienen als Maßstab für konforme Verhaltensweisen. Abweichendes Verhalten unterliegt dem sozialen Druck bzw. muss explizit begründet werden. Image und Reputation erfüllen für Individuen eine Orientierungsfunktion und beeinflussen das Verhalten und Handeln des Menschen. Bei der Fülle der Entscheidungen und Wahlhandlungen, die täglich getroffen werden müssen, ist es völlig unmöglich, allen Dingen auf den Grund zu gehen. Der Mensch lässt sich dann von seinen Vorstellungsbildern, die für ihn eine Art „Kompass“ darstellen, in ganz bestimmte Richtungen führen. Aufgrund der hohen Komplexität eines Images und aufgrund der Tatsache, dass sie sich nur langsam wandeln (Ausnahmen bilden häufig Krisensituationen), ist die Veränderung einmal geprägter „Bilder“ ausgesprochen schwierig und langwierig. Images neigen dazu, sich zu „verfestigen“, so dass der Aufwand zur Korrektur sehr hoch sein kann. Kommunikationsmaßnahmen setzen daher so früh als möglich an, wenn der Handlungsspielraum noch groß ist. Reputationen sind weit stabiler als Images. Sie basieren auf der Summe aller Erfahrungen im Zeitverlauf. Nahezu inflationär wird das Wort Marke verwendet, um ebenfalls eine bestimmte Einstellung von Personen zu Produkten oder Unternehmen zu umschreiben. „Unter Marken werden Repräsentationen verstanden, die als Vorstellungsbild die wichtigsten einem Produkt, einer Dienstleistung, einer Produktfamilie, einem Unternehmen oder einem sonstigen Träger (Person, Institution, Nation etc.) kog nitiv zuordenbaren und f ür den Markterfolg relevanten Eigenschaften und deren Verknüpfungen umfassen“ (Herrmann 1999, 34). Kirchner (2003, 66) versteht unter Marke „die Gesamtheit der Vorstellungen und Assoziationen, die Kunden über ein Produkt bzw. ein Unternehmen gespeichert haben“. Herger (2006, 48) stellt fest: „Marken (…) dienen einzig der Reduktion von Umweltkomplexität und folglich der Stabilisierung von Erwartungen etwa in ein Leistungsversprechen.“ Bezieht man den Imagebegriff z. B. auf das Vorstellungsbild eines Unternehmens, wird deutlich, dass Image letztendlich deckungsgleich mit dem ist, was in der Sozialwissenschaft als „Einstellung“ bezeichnet wird. Kroeber-Riel schlägt daher vor, den Begriff Image durch Einstellung zu ersetzen (Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2013, 233). Im Kommunikationsmanagement eines Unternehmens ist es wichtig zu wissen, welche Eindrücke einer Bezugsgruppe für ein Image relevant sind. Images ent- <?page no="65"?> 50 Theoretische Ansätze und Modelle stehen durch personale und mediale Kommunikation und können sich in Kommunikationsprozessen ändern. Die Inhalte eines Images sind sowohl rationaler als auch emotionaler und sozialer Natur. ! Einerseits handelt es sich um Kenntnisse, Erfahrungen und Wahrnehmungen, die sich eher auf die objektive Beschaffenheit des Imageobjekts beziehen (kognitive Komponente). ! Andererseits um Wertungen, Vorurteile, Erwartungen, Wünsche, Hoffnungen, Vorbehalte, Befürchtungen, Empfindungen, Stimmungen, Gefühle, Sympathien und Antipathien, also um Inhalte vorwiegend emotionalen Ursprungs (affektive Komponente). ! Darüber hinaus wirken die Gesellschaftsform, die persönliche Umgebung und bestehende Tabus auf das Image ein (soziale Komponente). Je mehr Informationen dem Individuum über einen Meinungsgegenstand zur Verfügung stehen, desto breiter und zuverlässiger kann sich das Image ausformen, desto besser können psychologische und gegenständliche Realität in Einklang gebracht werden. Je ferner der Gegenstand dem Individuum ist, desto größe r ist di e Gef ahr ein er si mplif iziert en , ste re ot yp en un d in stab ilen Im ag ebi ldung. Immer aber stellen Images subjektive Vorstellungsbilder dar, die mehr oder weniger stark von den objektiven Gegebenheiten abweichen können. Beim Imagetransfer (Rota/ Fuchs 2007, 170) handelt es sich um eine Kommunikationsstrategie, durch die ein Anbieter versucht, durch Verwendung desselben Marken- oder Firmennamens, derselben Ausstattung usw. das positive Image eines von ihm angebotenen Produkts, für ein weiteres Produkt zu nutzen. Imagetransfer bedeutet also die Übertragung von Imagebestandteilen von einem Produkt auf ein anderes. In der Literatur wird der Imagetransfer meist nur unter dem Blickwinkel des Verhältnisses von Unternehmen und Produktmarken behandelt. Der Begriff Imagetransfer ist allgemein definiert als „Vorgang bzw. längerfristiger Kommunikationsprozess, der die Nutzung und Verwertung eines bestehenden positiven Images von Unternehmen, Produkten oder Marken und dessen Übertragung auf andere oder neue Produkte, Marken oder Firmen anstrebt“ (Rota/ Fuchs 2007, 170). Allerdings setzen auch zahlreiche Maßnahmen der PR auf diesen Effekt (z. B. Sponsoring). <?page no="66"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 51 6 6 S S t t o o r r y y t t e e l l l l i i n n g g : : N N a a r r r r a a t t i i v v e e A A n n s s ä ä t t z z e e d d e e r r K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Vertrauensverluste bei den Stakeholdern, emotionalisierende Medienberichte und dramatische Informationsfluten - die Unternehmenskommunikatoren suchen nach neuen Wegen der Kommunikation. Die redaktionellen Strategien der medialen Publikumsansprache (Mast 2012a u. b) und das mediale Überangebot machen es notwendig, über eine andere inhaltliche Aufbereitung der Kommunikation nachzudenken. Die Orientierung an den Interessen der Stakeholder ist nach wie vor zwingend erforderlich, aber nicht mehr ausreichend, um in der gegenwärtigen Situation Aufmerksamkeit zu finden. Neuere Ansätze der (Unternehmens-)Kommunikation setzen deshalb direkt bei den Empfindungen und Sinnbildern der Rezipienten an. Ausgangspunkt ist die Grundsatzfrage, wie Menschen ihre Umwelt erleben bzw. in welcher Form sie die Themen wahrnehmen, die für sie bedeutsam sind. Nach der narrativen Psychologie erleben Menschen ihre Umwelt, indem sie Ereignisse, denen sie Bedeutung zusprechen, strukturieren und in Form von Geschichten weiter erzählen (Littek 2011). In einer durch Zahlen und Fakten dominierten Gesellschaft fallen diese Erzählungen besonders auf. Sie setzen auf Emotionen und Gefühle, aber auch auf menschliche Wertvorstellungen. Die meisten Menschen werden in diesen Geschichten von einem tapferen Held verkörpert oder identifizieren sich mit ihm, der sich selbstlos dem Feind widersetzt und am Ende siegt − der klassische Kampf Gut gegen Böse mit dem traditionellen Happy End. Die Wirkung ist einfach: „Zusätzlich zu den unverzichtbaren Sachinformationen wird über Storys ein Kontext mitgeliefert, der es dem Zuhörer ermöglicht, Sinn und Bedeutung zu erkennen und die für sich relevante Story im Kopf weiterzuentwickeln“ (Harringer/ Maier 2009, 15). Zudem wird aus psychologischer Perspektive die identitätsstiftende Macht von Geschichten betont. Es ist also das Wesen des Menschen, das ihn seine Umwelt in Form von Storys aufnehmen und verarbeiten lässt. Alles, was Menschen wichtig erscheint, wird in narrativer Weise erinnert. Es gibt Akteure und Handlungen, die im zeitlichen Nacheinander erzählt werden, durchaus Spannungsbögen durchlaufen und letztlich eine „Lösung“ präsentieren: Es gibt z. B. Sieger und Verlierer, Helden und Schurken, Starke und Schwache oder Reiche und Arme. Die Erzähltheorie geht sogar davon aus, dass sich Menschen über ihre <?page no="67"?> 52 Theoretische Ansätze und Modelle Fähigkeit definieren, Geschichten zu erzählen. Storys erhalten eine soziale Funktion und begründen so das soziale Gedächtnis eines Volkes. Welche Rolle können Geschichten für Menschen spielen? Der narrative Ansatz argumentiert, dass Menschen ihre Existenz als Geschichte wahrnehmen und dass deswegen Sinneswahrnehmung lediglich in Form von Storys möglich ist. Eine emotionsgeleitete Erzählung hat also − so gesehen − eine höhere Wirkung als ein faktenorientierter Bericht. Will ein Unternehmen für seine Stakeholder bedeutend sein, muss es sich als (gute) Geschichte präsentieren. Geschichten eignen sich hervorragend, komplexe Vorgänge einfach zu erklären, banale Fakten spannend zu gestalten oder bestimmte Emotionen zu transportieren. „Storytelling ist der bewusste Einsatz des Geschichtenerzählens in der Organisationskommunikation“ (Ettl-Huber 2014, 18). Der Einsatz von Storys muss dabei in die Kommunikationsstragie der Organisation eingebettet werden. Geschichten werden bereits in der Unternehmenskommunikation eingesetzt. Gerade im Marketing sind unterhaltsame Geschichten - z. B. als Themen für Werbespots - ein guter Weg zum Kunden (Herbst 2014a, 24, Sammer 2014, 52 ff.). Und auch in der PR hat Storytelling mittlerweile Einzug gehalten, vor allem wenn es darum geht, das Image und den Bekanntheitsgrad von Organisationen, Produkten oder Personen zu verbessern. So ist das Bild des grünen Schlauchboots auf stürmischer See auf dem Weg zum havarierten Öltanker ein etabliertes Beispiel von Sinnvermittlung: die Geschichte des David gegen Goliath, erzählt von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Storytelling ist vergleichsweise neu. Zwar wurden Geschichten in der Praxis bereits seit langem eingesetzt. Erst im 21. Jahrhundert entwickelte sich eine (spärliche) wissenschaftliche Debatte um das Thema. Daher prägten zunächst Praxishandbücher das Feld, die der Frage nachgehen, wie gute Geschichten geschrieben und eingesetzt werden können (Sammer 2014, Etzhold/ Ramge 2014, Littek 2011, Fog et al. 2010). Storytelling wird als Technik bzw. Methode definiert oder als Teil des strategischen Kommunikationsmanagements verortet. Von einer theoretischen Fundierung narrativer Kommunikation kann dabei nur bedingt die Rede sein. Inzwischen berücksichtigen erste Arbeiten die theoretischen Hintergründe des Storytellings und bereichern das Forschungsfeld mit empirischen Untersuchungen (Krüger 2015, Früh/ Frey 2014). <?page no="68"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 53 Im deutschsprachigen Raum lassen sich die Anfänge des Storytellings bis ins Wissensmanagement zurückverfolgen, wo es vor allem zur Sicherung von Erfahrungswissen aus Großprojekten in Unternehmen oder internationalen Organisationen angewandt wurde. Pionier auf dem Gebiet war das Wissensmanagement der Weltbank. Die Annahme ist, dass Geschichten die Fähigkeit besitzen, vorliegendes Wissen zu sichern, zu vernetzen und für künftige Projekte bereit zu stellen. Dadurch werden Lerneffekte aus vergangenen Erfahrungen sowie eine Optimierung des zukünftig Geplanten möglich (Denning 2011). Bei unternehmerischen Veränderungsprozessen zielt das Storymanagement darüber hinaus auf die Identität in Organisationen, die sog. „Sinnproduktion“ (Loebbert 2008). Auch in diesem Fall wird argumentiert, dass das Erleben und Handeln von Menschen lediglich in Form von Geschichten möglich ist, oder anders formuliert: Was nicht als Story erlebt wird, erhält keine Bedeutung für das eige ne Leben (Ha rr inger/ M aier 2009, 26). Geschichten stiften den Sinnzusammenhang menschlichen Handelns und des Handelns von Organisationen. Menschen entnehmen den Sinn für ihr Handeln aus Geschichten, die diese wichtigen Kontextinformationen transportieren. Ein narratives Kommunikationsmanagement, das dies leistet, orientiert sich nach Loebbert (2008) an sieben Grundsätzen: [1] Vorrang des narrativen Denkens: Menschen erleben ihre Umwelt subjektiv und nehmen das Erlebte in Form einer Erzählung auf. Möchte man seine Stakeholder erreichen, muss das narrative Denken die Grundlage jeder Konzeption und Strategie sein. [2] Narratives Denken als Abfolge von Handlungen: Erleben erfolgt in Handlungssequenzen, die dem Ablauf von Geschichten ähneln, d. h. dass die Wahrnehmung eines einzelnen Aspekts stets im Kontext eines übergeordneten Ereignisses geschieht. [3] Handlungsgestaltung als narrative Sequenz: Einzelne Bestandteile des Erlebten werden im Gesamtzusammenhang interpretiert. Deshalb müssen einzelne Maßnahmen stets an die übergeordnete Organisationsgeschichte andocken und dürfen nicht lose im Raum stehen. [4] Dramatische Form der narrativen Sequenzen: Der narrative Ansatz geht von der Annahme aus, dass Menschen einen Drang zum Dramatischen haben, wenn es darum geht, ihre Umwelt bewusst zu erleben. Das eigene Handeln ist also in dramatischen Akten organisiert, Handlungen haben einen Anfang und ein Ende sowie z. T. konkurrierende Akteure bzw. gegensätzliche Interessen. Je mehr derartiger Spannung ein Unternehmen bietet, umso attraktiver wird es für sein Publikum. <?page no="69"?> 54 Theoretische Ansätze und Modelle [5] Narrative Einheit: Menschen passen sowohl die Geschichten ihrer Umwelt an, als auch ihre Umwelt den Geschichten, die sie gerade erzählen. Das bedeutet, dass Unternehmen, Produkte oder Dienstleistungen auch danach ausgesucht werden, ob die erzählte Geschichte zu den eigenen Vorstellungen passt. [6] Narrative Suche nach dem „guten“ Leben: Aus einer philosophischen Perspektive argumentiert der narrative Ansatz, dass sich Menschen stets als Hauptakteure ihrer eigenen Lebensgeschichte betrachten und daher auf der Suche nach einem „happy end“ sind. [7] Einbettung des Storytellings in der Organisation: Die Organisation als Kontext des Erlebens und Handelns seiner Mitglieder bietet den Sinn für die erzählten Geschichten. Hauptaufgabe der Organisation ist damit, diesen Kontext für die Storys mit Sinn zu füllen und ihm eine Zieldimension zu geben. So gesehen ist Kommunikationsmanagement zugleich Sinnmanagement, also das (Er-)Finden, Inszenieren und Erzählen von guten und überzeugenden Geschichten für Zielgruppen. Nur das, was Sinn macht, ist auch handlungsweisend (Loebbert 2008). Hierbei arbeitet das Kommunikationsmanagement mit Storywerten: Liebe/ Hass, Freiheit/ Sklaverei, Wahrheit/ Lüge, Mut/ Feigheit, Treue/ Betrug, Weisheit/ Dummheit, Stärke/ Schwäche und Aufregung/ Langeweile (Ettl-Huber 2014, 12). Die Arbeit mit Storywerten gleicht der Logik des Journalismus, bei der Nachrichtenwerte eine Orientierung darstellen. Die Dichotomie der Storywerte betont jedoch eine Besonderheit: Storys zeichnen sich durch Veränderungen und Bewegungen aus, die die Stakeholder fesseln und für Spannung sorgen. Bei der Formulierung einer narrativen Kommunikationsstrategie bzw. der Konzeption einer konkreten Maßnahme kommen inhaltliche und stilistische Grundelemente einer Story zum Tragen. Die fünf ersten Elemente betreffen hierbei die Story selbst bzw. das „Was“ der Story, die drei weiteren Elemente beziehen sich auf den Stil und damit auf das „Wie“ der Story (ebd., 15 ff., Forman 2013, 33 ff.): [1] Thematik: Hier geht es um den thematischen Schwerpunkt der Story, den es vor dem Hintergrund der jeweiligen Zielgruppen zu diskutieren gilt. Das Thema der Story steht in engem Zusammenhang mit dem Ziel, das mit der Story erreicht werden soll. [2] Handlung: Die narrative Logik wird maßgeblich durch aufeinander aufbauende Ereignisse bestimmt, die durch einen für den Rezipienten erkennbaren Anfang und Schluss eingerahmt werden. Die Verknüpfung einzelner Handlungssequenzen kann dabei kausaler und/ oder zeitlicher Art sein. Handlungen können sich z. B. auf eine Veränderung im Laufe der Story oder die Behandlung eines Konflikts beziehen. <?page no="70"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 55 [3] Figuren: Handlungen werden häufig durch Figuren (Personen, Unternehmen, Organisationen u. a.) getragen. Die Beschreibung der wesentlichen Charaktere zu Beginn der Story forciert dabei parasoziale Interaktionen zwischen Rezipienten und Protagonisten. [4] Raum: Der Handlungsort kann ein wesentliches Charakteristikum der Story darstellen. Je nach Story und Bedeutung der jeweiligen Szenerie bietet es sich daher an, den Handlungsort näher zu beschreiben. [5] Zeit: Analog zum Ort kann auch der Zeitraum bzw. -punkt der Story einen entscheidenden Aspekt im Hinblick auf die Einordnung der geschilderten Geschehnisse darstellen. Es kann daher sinnvoll sein, die Handlungen zeitlich einzuordnen und den Zeitraum der Story zu definieren. [6] Erzählinstanz: Die Präsenz eines Erzählers und die Erzählperspektive (auktorial, neutral, authentisch bzw. personal) sind entscheidende Charakteristika, die im Zuge der Konzeption eine Rolle spielen. Die Entscheidung für einen bestimmten Erzähler bzw. eine Erzählperspektive muss individuell vor dem Hintergrund der geplanten Story getroffen werden. [7] Rede: Geschriebene Geschichten werden häufig in einem erzählenden Stil verfasst, während audiovisuelle Aufbereitungen meist ausschließlich mit Dialogen im Stil der direkten Rede arbeiten. Direkte und indirekte Rede können Erzähltexte auflockern. In diesem Zusammenhang spielen auch innere Monologe der Erzählfiguren eine Rolle, die den Rezipienten Einblicke in die Gedankengänge des Protagonisten gewähren. [8] Stil: In Storys kann es sich anbieten, mit sprachlichen Stilmitteln wie Metaphern oder Personifikationen zu arbeiten. Weitere Stilmittel betreffen die gewählte Sprache (fesselnd, berichtend u. a.) und visuelle Elemente bzw. solche, die gedankliche Bilder hervorrufen. Daneben spielt auch das Neue und Unerwartete eine Rolle (Forman 2013, 35 f.). Gute Storys überraschen, begeistern und sorgen für Spannung beim Rezipienten. Dieses Kriterium kann als übergreifendes Element begriffen werden. Denn zum einen kann durch einen kombinierten Einsatz der acht genannten Storyelemente eine neue und unerwartete Geschichte geschaffen werden. Zum anderen können auch einzelne Elemente dazu führen, dass etwas Neues oder Überraschendes, z. B. ein unerwartetes Thema daraus hervorgeht (vgl. Beispiel). Es kann außerdem sinnvoll sein, auf unterschiedliche Bezugsgruppen angepasste Versionen einer Story zu entwicklen, die den divergierenden Interessen gerecht werden (ebd., 39 ff.). <?page no="71"?> 56 Theoretische Ansätze und Modelle Ein Beispiel: Online-Magazin „Was uns bewegt“ der Destinationsmarke Südtirol Im März 2014 startete das Online-Magazin „Was uns bewegt“ der Destinationsmarke Südtirol. Neben der Info-Website Suedtirol.info rückte damit eine zweite Online-Plattform auf den Plan. Im Gegensatz zur klassischen Info-Website lädt das Online-Magazin − auch durch den Verzicht auf eine klassische Navigation − zum Entdecken und Stöbern ein. Die Redakteure der Website bedienen sich journalistischer Mittel, um Geschichten aus Südtirol zu erzählen. „Wir setzen hier nicht auf die Medien und ihre Berichterstattung, sondern nehmen die Themenführung selbst in die Hand“, so Greti Ladurner, Geschäftsführerin und Leiterin Strategisches Marketing bei SMG Südtirol Marketing (Eichmeier 2014). Inhaltliche Schwerpunkte bilden Themenbereiche (u. a. Nachhaltigkeit und Alltagskultur), die von den strategischen Zielen abgeleitet wurden und die Werte der Marke Südtirol aufgreifen. Im Vordergrund stehen damit keine explizit touristischen Themen, die beim Besuch der Website einer Destinationsmarke primär erwartet werden. Trendrecherchen sowie Empfehlungen der eigenen PR-Leute und Social Media Manager helfen dabei, geeignete Themen aufzuspüren. Alle drei Monate rückt ein anderes Schwerpunktthema in den Fokus, angereichert werden die Inhalte der Website durch wöchentliche Updates. Im ersten Jahr verzeichnete die Storytelling-Plattform 500.000 Besucher. Weiterführende Links der Geschichten führten ca. 10.000 User zu Angeboten wie Urlaubspaketen oder Produkten in Onlineshops (SMG 2015). In der operativen Umsetzung von Kommunikationsmanagement können Geschichten auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt werden. Narrative Ansätze eignen sich jedoch für die Formulierung der übergeordneten Strategie ebenso wie für die Konzeption operativer Maßnahmen. Ettl-Huber (2014, 20 ff.) beschreibt den Integrationsgrad von Storytelling in der Unternehmenskommunikation anhand von fünf Stufen. Unbewusstes bzw. kein Storytelling beschreibt die unterste Ebene. Hier werden Geschichten nicht oder noch nicht bewusst im Rahmen der Unternehmenskommunikation eingesetzt. Pragmatisches Storytelling zeugt von einem sporadischen Einsatz des Instruments in der Unternehmenskommunikation, während die dritte Integrationsebene - das Nischen- Storytelling - den geplanten Einsatz von Storytelling bezeichnet. Dieser beschränkt sich jedoch auf vereinzelte Kommunikationsmaßnahmen. Cross- Channel-Storytelling zeichnet sich hingegen gerade durch einen Einsatz von <?page no="72"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 57 Storys in unterschiedlichen Kanälen und Bereichen der Unternehmenskommunikation aus. Auf der letzten Ebene kann von einem umfassenden strategischen Storytelling gesprochen werden. Storytelling löst sich von der Kommunikationsstrategie und entwickelt sich hin zu einer Managementmethode. Das Potenzial von Storys wird dann auch in anderen Unternehmensbereichen, z. B. im Wissens- und Projektmanagement, genutzt. Geschichten können somit in unterschiedlichen Anwendungsfeldern eingesetzt werden. ! In der Führungskräftekommunikation wird Storytelling vor allem dazu verwendet, bestimmte Verhaltensweisen zu stärken oder hervorzurufen. Auch das eigene Handeln als Führungskraft kann in einer Geschichte erzählt werden. Dies dient der Legitimation und übt eine Vorbildfunktion für Mitarbeiter aus. Geschichten stärken die gemeinsame Identität des Unternehmens sowie das Gemeinschaftsgefühl der Mitarbeiter. ! In der Kundenkommunikation geht es darum, Kaufverhalten anzuregen und bestimmte Erinnerungsleistungen für ein Produkt zu stärken. Dabei wirken sich gute Storys positiv auf das Image des Unternehmens aus; eine erfolgreiche kommunikative Positionierung bei Zielgruppen wird ermöglicht. ! Dem sog. Storyselling kommt auch im Brand Management eine große Bedeutung zu: „In einem narrativen Verständnis könnte man sagen, dass eine Marke nichts anderes ist, als eine Geschichte im Kopf des Kunden“ (Harringer/ Maier 2009, 26). ! Auch bei Veränderungsprozessen lohnt sich der Einsatz von Geschichten. So wird das Ende des Veränderungsprozesses in Form einer erzählten Lösung vorweggenommen. So entsteht eine Zukunftsvision, die die Motivation der Mitarbeiter durch eine gemeinsame Zielvorstellung fördert. Man spricht auch von der „Springboard Story“, deren Ziel es ist, temporären Herausforderungen durch eine positive und motivierende Mission zu entgegnen. Storytelling in Veränderungsprozessen trägt somit zur Komplexitätsreduktion bei, stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl der Belegschaft und fördert das Commitment für ein Changeprojekt. ! Schließlich kommt Storytelling auch in der Medienarbeit zum Einsatz. So besitzen Geschichten eine hohe Anschlussfähigkeit an die journalistische Berichterstattung, weil sie der Arbeitslogik von Journalisten entsprechen. Denn auch bei der Berichterstattung geht es darum, dem Publikum eine Geschichte zu erzählen − so ist es z. B. bei einer Reportage unerlässlich, die Leser bzw. Zuschauer mitzunehmen und sie am Geschehen teilhaben zu lassen. Storytelling in der Medienarbeit bereitet die Inhalte daher mediengerecht auf, d. h. in Erzählungen mit einem roten Faden. Allerdings arbeiten <?page no="73"?> 58 Theoretische Ansätze und Modelle PR-Verantwortliche meist nur dann mit narrativer PR, wenn zu den Journalisten eine vertrauensvolle Beziehung besteht (Krüger 2015, 191). Storytelling dient der Sinnstiftung und ist ein Framingmuster bzw. besonderer Kommunikationsmodus. Es handelt sich um eine spezielle Kommunikationsform, die Sprache formatiert, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen und Stakeholder zu erreichen. Geschichten werden aber nicht nur weitererzählt, sondern können auch weiter entwickelt werden (Fog et al. 2010, 157). Abweichungen von der ursprünglichen Story sind durchaus erwünscht, allerdings muss das Unternehmen darauf achten, dass die Kernbotschaft erhalten bleibt. Hierzu werden dem narrativen Ansatz entsprechend sog. Core Storys eingesetzt. Diese „organisatorischen Basiserzählungen“ bilden das Kernstück des Storytellings. Sie sind die einzigartige Kernbotschaft, von der aus sich alle anderen Geschichten für interne wie externe Bezugsgruppen ableiten lassen (Harringer/ Maier 2009, 10). Core Storys beziehen sich meist auf die Entstehung bzw. Gründung von Unternehmen oder auf eine bedeutende Erfindung − z. B. die berühmte Garage in Palo Alto, dem Gründungsort von Hewlett Packard, oder der vermeintliche Tippfehler des Begriffs „googol“, der zur Namensfindung der weltweit größten Suchmaschine führte. Im narrativen Verständnis ist die Core Story nahe bei der Identität des Unternehmens. Sie enthält aber auch Aussagen über ein Zukunftsbild als Zieldimension, das für interne und externe Stakeholder wichtig ist. Die Kommunikation von Geschichten erfüllt mehrere Funktionen. Zum einen fördern Storys ein gemeinsames Verständnis durch den Einsatz von Handlungsschemata, Symbolen und Charakteren, die jeder kennt. Zum anderen ist durch Geschichten ein Wissenstransfer möglich, der an bestehende Erfahrungen der Menschen anknüpft und diese mit der Erfahrungswelt des Unternehmens verbindet. Der Vorteil des Storytellings − und daran setzt die narrative Perspektive an − ist ihre enorme Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit. So können Geschichten ebenso gut für Unternehmen wie für Persönlichkeiten oder Erfindungen verwendet werden. Auch Prozesse und Strukturen lassen sich durch Geschichten darstellen. Über die Komplexitätsreduktion hinaus setzen Storys einen spieleri- <?page no="74"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 59 schen und leicht merkbaren Rahmen und fördern die Erinnerungsleistung. Dies führt in der Regel zu einem höheren Bekanntheitswert und − je nach Story − auch zu einem positiven Image. Zudem kann eine gute Geschichte die Legitimationsgrundlage für die soziale, politische und kulturelle Ordnung eines Unternehmens bieten. Für die Mitarbeiter und Führungskräfte eines Unternehmens schaffen Storys zudem einen gemeinsamen Bezugsrahmen, der die Identifikation und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt. Dies trägt nicht zuletzt zu einer höheren Motivation der Belegschaft sowie zu einer höheren Arbeitsleistung bei (Loebbert 2008). Die Herausforderung von Storytelling liegt im dualen Wesen von Geschichten selbst begründet. Denn Storys sind einerseits in sich abgeschlossene Gebilde, die eine eindeutige Interpretation beinhalten und eine vorher festgelegte Botschaft transportieren können. Andererseits sind Geschichten aber auch hinreichend offen und lassen Raum für alternative Sinnstiftungen. Je nachdem wer sie wie und wem erzählt, können sie unterschiedlich ausgelegt werden. Zudem leben Geschichten davon, dass sie weitererzählt werden − nur dass damit dem ursprünglichen Erzähler die Kontrolle über die Entwicklung seiner Geschichte aus den Händen gerissen wird. Zielgerichtete Kommunikation wird dadurch erschwert. Sie diffundieren wie Gerüchte (vgl. Kapitel 7) und folgen den Verbreitungswegen der Netzwerkkommunikation (vgl. Kapitel 6). 7 7 U U n n t t e e r r n n e e h h m m e e n n s s w w e e r r t t e e i i m m V V i i s s i i e e r r Einheitlichkeit, Integration, Storytelling - das Management der Unternehmenskommunikation stellt Wissenschaft und Praxis gleichermaßen vor große Herausforderungen. Wie kann das Kommunikationsmanagement einerseits einen wichtigen und messbaren Beitrag zum Unternehmenserfolg erbringen, andererseits aber trotz überbordender Informationsangebote die Aufmerksamkeitsschwelle zu den Stakeholdern überwinden und dort auf positive Resonanz stoßen? Sog. „wertorientierte Ansätze“ (Janke 2015, Bentele/ Will 2008, 170 ff., Will 2007) geben erste Antworten. Sie lenken die Aufmerksamkeit über die Integrationsleistung der Unternehmenskommunikation hinaus und fragen, auf welche Art die Kommunikation zur Unternehmenswertschöpfung beitragen kann. Der entscheidende Punkt ist, das gesamte Kommunikationsmanagement auf die materiellen und immateriellen Werte eines Unternehmens auszurichten. Werte bilden die Leitplanken für die praktische Kommunikationsarbeit. Sie beinhalten eine Zieldimension (als erstrebenswerte Zustände) und eine Handlungsdimen- <?page no="75"?> 60 Theoretische Ansätze und Modelle sion (als generalisierte Verhaltensstandards). Daher eignen sie sich besonders für das systematische Management der Unternehmenskommunikation. Werte steuern menschliches Verhalten und dienen daher sowohl für die Kommunikatoren (Seite des Unternehmens) wie auch für die Rezipienten (Mitarbeiter, Kunden und andere Stakeholder) als Orientierungssysteme. Wertorientierte Ansätze suchen nach Modellen, wie das Kommunikationsmanagement eines Unternehmens mit dessen Strategie verbunden werden kann. Zerfaß (2014, 26 ff.) schlägt vier Felder vor, in denen der Beitrag der Kommunikation zur Wertschöpfung bestimmt wird (Schaubild 12): ! die laufende Leistungserstellung unterstützen und somit zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens beitragen, ! immaterielles Kapital bzw. Erfolgspotenziale aufbauen, indem z. B. Marken konsequent in der internen und externen Kommunikation vermittelt werden, sowie die gesellschaftspolitische Reputation eines Unternehmens stärken, ! Wettbewerbsvorteile, Rentabilität und Liquidität schaffen (ökonomische Dimension) und nicht zuletzt ! die sog. „licence to operate“ sichern, d. h. die Legitimität des Unternehmens als Teil der Gesellschaft erhalten. Unternehmenskommunikation hat in diesem Konzept eine Doppelfunktion: Zum einen unterstützt sie als „enabling function“ das laufende Geschäft des Unternehmens und trägt dazu bei, dass die Werte der Produkte und Dienstleistungen (Mast/ Huck/ Güller 2005) zur Geltung kommen. Zum anderen baut sie nachhaltige Erfolgspotenziale wie Reputation, Vertrauen und Glaubwürdigkeit oder eine innovative Unternehmenskultur auf. Das sind immaterielle Werte. Zerfaß (2014, 30) betont: „Damit wird ein Reservoir kommunikativer Werte geschaffen, von dem man langfristig zehren kann. Immaterielle Werte lassen sich in konkrete Vorteile ummünzen, wenn beispielsweise ein Unternehmen mit einer starken Marke und guten Reputation höhere Preise im Absatzmarkt durchsetzen, eine größere Anzahl hoch qualifizierter Nachwuchskräfte an sich binden oder für ein wirtschaftspolitisches Anliegen mehr Unterstützer in Politik und Verwaltung mobilisieren kann.“ <?page no="76"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 61 Schaubild 12: Wertorientierte Unternehmensführung im Spannungsfeld von Ökonomie und Legitimität Quelle: Zerfaß (2014, 27). Auch weitere Ansätze aus der Wirtschaftswissenschaft (Bergmann/ Bungert 2012, Schmid/ Lyczek 2008) betonen die Rolle des Kommunikationsmanagements für die Unternehmensführung. Sie sind geprägt durch entscheidende Weiterentwicklungen im ökonomischen Denken: Die Rolle von Kommunikation für die Wertschöpfung wird ebenso berücksichtigt wie immaterielle Werte in ihrer Funktion bei der Wertgenerierung und -transformation. Zudem gibt es wertorientierte Modelle, die speziell die Reputation erfassen. So wurde ein sog. Reputationsquotient als „Multi-Stakeholder-Measure of Corporate Reputation“ (van Riel/ Fombrun 2007, 248 ff.) entwickelt (Schaubild 13). Dieser Quotient ist als Methode eingeführt worden, um zu garantieren, dass auch non-monetäre Einflüsse wie die gesellschaftliche Verantwortlichkeit, das Ansehen der Produkte und Dienstleistungen u. a. in die finanzielle Bewertung von Unternehmen einfließen. Er setzt sich aus zahlreichen Einzelindikatoren zusammen, die in sechs Hauptkategorien zusammengefasst werden: emotional appeal, products and services, vision and leadership, workplace environment, social responsibility und financial performance. CSR-Kommunikation Glaubwürdigkeit Unternehmensmarken Lobbying Wirtschaftlichkeit Strategisches Management Aufbau von immateriellem Kapital Sicherung von Wettbewerbsvorteilen, Rentabilität und Liquidität Sicherung der „licenc e to operate“ Operatives Management Unterstützung der Leistungserstellung Legitimität Aufbau wirtschaftlicher Erfolgspotenziale Realisierung des wirtschaftlichen Erfolgs Aufbau gesellschaftspolitischer Erfolgspotenziale Umsetzung gesellschaftspolitischer Aktivitäten Unternehmensstrategie Positionierung in Markt und Gesellschaft Reputation Produkt-PR/ Publicity … Vertrauen <?page no="77"?> 62 Theoretische Ansätze und Modelle Die befragten Stakeholder werden gebeten, das jeweilige Unternehmen entlang dieser Indikatoren zu beurteilen. Die Ergebnisse der einzelnen Indikatoren können in Ranglisten zusammengefasst werden, um eine möglichst umfassende Aussage über die Wahrnehmung der Reputation zu treffen. Schaubild 13: Indikatoren und Dimensionen des Reputation Quotient Quelle: van Riel/ Fombrun (2007, 249). Das Ranking zeigt dann die relative Position der Unternehmen für die sechs Hauptindikatoren, zusammengefasst im Reputationsquotienten (RQ). Besonders hilfreich für die Unternehmenskommunikation ist dabei, dass die Reputation bei verschiedenen Stakeholdergruppen verglichen werden kann, was wiederum gezielte Kommunikationsmaßnahmen ermöglicht. Feel good about Admire and respect Trust High quality Innovative Value for money Stands behind products/ services Captilize on market opportunities Excellent leadership Clear vision for the future Rewards employees fairly Good place to work Good employees Outperforms competitors Record of profitability Low risk investment Growth prospects Supports good causes Environmental responsibility Community responsibility Across Stakeholder groups: • Consumer • Executive • Media • Investor • Employment • Others Reputation Quotient SM (RQ) Emotional appeal Products and services Vision and leadership Workplace environment Financial performance Social responsibility <?page no="78"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 63 Interessant bei der Methode, den Reputationsquotienten zu bestimmen, ist, dass hier keine Kennzahlen oder betriebswirtschaftliche Werte abgefragt werden, sondern die Wahrnehmung der Stakeholder, z. B. wie profitabel sie das Unternehmen einschätzen, wie sie dessen Wachstumsaussichten oder Risikoverhalten bewerten - im Vergleich zu anderen Unternehmen. Der Quotient versucht, den „Wert“ Reputation, wie er sich in den Köpfen der Menschen entwickelt hat, zu erfassen, ohne den Weg zur Erreichung dieses Wertes zu beschreiben. Allerdings ist bis heute nicht bewiesen, ob die untersuchten Dimensionen auch wirklich in der Wahrnehmung der Menschen den „Reputationswert“ ausmachen. Es fehlt bis heute ein theoretischer Rahmen für den Zusammenhang zwischen Reputation und finanziellem Wert eines Unternehmens. Molière (1622-1673), alias Jean-Baptiste Poquelin bringt es auf dem Punkt: „Die Dinge haben nur den Wert, den man ihnen verleiht.“ <?page no="79"?> 64 Theoretische Ansätze und Modelle ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Mikrotheoretische Ansätze der Unternehmenskommunikation konzentrieren sich auf das Kommunikationsverhalten von Individuen und Gruppen. Der Organisationsbezug fehlt in der Regel. ! Mesotheoretische Ansätze behandeln die Funktionen von Kommunikationsprozessen für Unternehmen. Welchen Beitrag leistet die Kommunikation für die Erreichung der Unternehmensziele? ! Makrotheoretische Ansätze fragen nach der Rolle von Public Relations bzw. Unternehmenskommunikation für die Gesellschaft, z. B. für die demokratische Ordnung. ! Integrierte Kommunikation ist der Prozess des koordinierten Kommunikationsmanagements eines Unternehmens mit dem Ziel, profitable Beziehungen zwischen Unternehmen und Stakeholder-Gruppen aufzubauen und zu erhalten. ! Corporate Identity (CI) umfasst alle Kommunikationsaktivitäten eines Unternehmens, ein einheitliches Erscheinungsbild und Image aufzubauen und zu erhalten. ! Image, Reputation und Marke sind Leitwerte des Kommunikationsmanagements. Sie erfüllen für den Rezipienten Orientierungs-, Entlastungs- und Zuordnungsfunktionen. ! Narrative Ansätze setzen auf Geschichten, die komplexe Sachverhalte und Emotionen gleichermaßen transportieren. Wertorientierte Ansätze betonen, auf welche Weise Kommunikation zur Wertschöpfung von Unternehmen beiträgt. ! Unternehmenskommunikation übt eine Doppelfunktion aus. Als „enabling function“ unterstützt sie die Geschäftstätigkeit. Als wertschöpfende Funktion baut sie immaterielle Werte wie Reputation, Marken oder Innovationsbereitschaft auf. <?page no="80"?> Kapitel 2: Ausgewählte Theorien der Unternehmenskommunikation 65 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Bentele, Günter/ Fröhlich, Romy/ Szyszka, Peter (Hrsg.) (2008): Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln. Mit Lexikon. 2., korr. u. erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. In diesem Sammelband werden die wichtigsten Perspektiven und Theorien der PR prägnant und kompakt zusammengestellt. Hinzu kommt ein umfangreiches Glossar. Bruhn, Manfred (2014): Integrierte Unternehmens- und Markenkommunikation. Strategische Planung und operative Umsetzung. 6., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Im Mittelpunkt des Buches steht die Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle von integrierter Kommunikation. Anhand aktueller Praxisbeispiele stellt Bruhn strategische Ansatzpunkte und methodische Konzepte für eine gezielte Gestaltung der Unternehmenskommunikation vor. Helm, Sabrina/ Liehr-Gobbers, Kerstin/ Storck, Christopher (Hrsg.) (2011): Reputation Management. Berlin/ Heidelberg: Springer. Der Sammelband bietet eine praktische Auseinandersetzung mit den Chancen und Herausforderungen unternehmerischer Reputation. Das Konzept wird zunächst definiert und aus unterschiedlichen Perspektiven konzeptualisiert. Darauf aufbauend werden state-of-the-art-Methoden zur Sicherung und Optimierung von Corporate Reputation vorgestellt. Beispiele aus der Unternehmenspraxis runden die Darstellung ab. Hitzblech, Sofia (2011): Reputation als Schlüssel zum Unternehmenserfolg. Wie Kommunikation Unternehmenswert schafft. Baden-Baden: Nomos. Die Autorin stellt ein Gesamtmodell zur wert- und wirkungsorientierten Unternehmenskommunikation anhand einer Fallstudie aus der Energiewirtschaft vor. Im Mittelpunkt stehen die Reputation als Spitzenkennzahl für den Cashflow des Unternehmens sowie die Unternehmenskommunikation als Werttreiber des Unternehmenserfolgs. <?page no="81"?> 66 Theoretische Ansätze und Modelle Littek, Frank (2011): Storytelling in der PR. Wie Sie die Macht der Geschichten für Ihre Pressearbeit nutzen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Das praxisorientierte Lehrbuch vermittelt Wissen zum erfolgreichen Einsatz von Geschichten in der Öffentlichkeitsarbeit, allen voran in den Media Relations. Zudem wird ein Ausblick auf die Möglichkeiten des Storytellings in der Krisenkommunikation als Königsdisziplin der PR-Arbeit gegeben. Meckel, Miriam/ Schmid, Beat F. (Hrsg.) (2008): Unternehmenskommunikation. Kommunikationsmanagement aus Sicht der Unternehmensführung. 2., überarb. u. erw. Aufl. Wiesbaden: Gabler. Das Kommunikationsmanagement aus der Sicht der Unternehmensführung steht im Mittelpunkt des Sammelbandes, der die Rolle der Kommunikation für die Wertschöpfung der Unternehmen beleuchtet. Röttger, Ulrike (2009): Theorien der Public Relations. Grundlagen und Perspektiven der PR-Forschung. 2., aktual. u. erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Der Sammelband bietet aktuelle Beiträge zur Diskussion über Konzepte und Theorien der Public Relations und wendet sich in erster Linie an Dozenten und Studenten der Kommunikations- und Medienwissenschaft, PR, Soziologie, Politikwissenschaft sowie der Betriebswirtschaftslehre. Sammer, Petra (2014): Storytelling. Die Zukunft von PR und Marketing. Köln: O’Reilly. Im Mittelpunkt des Buches stehen die fünf Bausteine einer Story, die ausführlich erklärt und anhand von Beispielen verdeutlicht werden. Wissenschaftliche Ansätze und historische Hintergründe bilden eine fundierte Basis der praxisorientierten Auseinandersetzung mit Storytelling. Zerfaß, Ansgar/ Piwinger, Manfred (Hrsg.) (2014): Handbuch Unternehmenskommunikation. Strategie − Management − Wertschöpfung. 2., vollst. überarb. Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler. Das umfangreiche und theoretisch anspruchsvolle Kompendium beleuchtet vielfältige Bezüge der Unternehmenskommunikation. Als Werttreiber und Erfolgsfaktoren werden die Grundlagen, Wertschöpfungsstufen und Handlungsfelder der Unternehmenskommunikation in diesem Sammelband von zahlreichen Autoren behandelt. <?page no="82"?> K K a a p p i i t t e e l l 3 3 : : W W e e r r t t o o r r i i e e n n t t i i e e r r t t e e s s K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s - mma an naaggeemmeenntt Eigentlich paradox - oder nicht? Noch nie gab es so viele Medien wie heute, noch nie wurde so viel Geld für Kommunikationsmaßnahmen ausgegeben, und noch nie waren sie so erfolglos wie heute. Dies ist ein Widerspruch, der Kommunikationsprofis in Unternehmen und Agenturen um den Schlaf bringt. Alles ist machbar, aber nichts funktioniert voll und ganz. Zeit zum Überlegen gibt es kaum. Die Veränderungen, die Kommunikationsprofis in den Unternehmen oder Agenturen bewältigen, sind nicht nur die Akzeleration der Innovationszyklen, sondern auch neue Spielregeln der Kommunikationsabläufe auf der individuellen wie auch auf der organisatorischen und gesellschaftlichen Ebene. Neue Kommunikationskonzepte sind erforderlich. Der Abschied von vertrauten Kommunikationssituationen produziert Unsicherheiten, die sich auch nicht mit immer neuen Techniken und Schlagworten wie Change Communication, Risk Communication oder Crisis Communication aus der Welt schaffen lassen. Diese vermeintlichen Wunderwaffen produzieren zwar meterweise Literatur und füllen Tagungen, können aber auch nicht verhindern, dass viele Vorhaben der Unternehmen misslingen. Auch forsche Aufforderungen der Kommunikationsfachleute - „Wir müssen den Wandel besser kommunizieren“ oder „Unsere Botschaften besser rüber bringen“ - verharren in einer instrumentellen Denkwelt, die Kommunikation als Werkzeug für einen möglichst schnellen Wandel einsetzt und die den Menschen als eine zu verändernde Größe betrachtet. Dieser Ansatz lässt Assoziationen zu den alt bekannten Stimulus-Response-Kommunikationsmodellen wach werden. Dabei wird vergessen, dass es sich in der Kommunikation um einen Prozess handelt, der das gemeinsame Vorgehen vieler Akteure integriert und ein gegenseitiges Austauschen von Botschaften, Meinungen, Erfahrungen und Wissen fördern soll. Spätestens das Internet mit seiner konsequenten Logik der Vernetzung provoziert einen Paradigmenwechsel im Verständnis von Management und Kommunikation. An die Stelle eines Change Managements tritt ein Exchange Management, das konsequent auf Interaktivität setzt. Kommunikationsmanagement konzentriert sich auf die Stärkung und die Förderung von Interaktionsprozessen sowie die Verbesserung von Kommunikationsbeziehungen. Das Management von Kommunikationsbeziehungen macht Betroffene zu aktiv Beteiligten. Rolle und Selbstverständnis von Kommunikatoren und Rezipienten <?page no="83"?> 68 Theoretische Ansätze und Modelle ändern sich. Handlungen werden auf den Erhalt und die Schaffung von Werten ausgerichtet, seien es materielle oder immaterielle Werte wie Image oder Reputation. Kommunikationsmanagement umfasst daher nicht nur die Push-Kommunikation, bei der das Unternehmen seine Botschaften in die wichtigen Zielbereiche „drückt“ und so die Kommunikation steuert. Die Rollenverteilung ist in dieser Kommunikationsform durchgehend festgelegt. Sender ist das Unternehmen und Empfänger sind die jeweiligen Bezugsgruppen, die in der Regel kaum über Feedbackmöglichkeiten verfügen. Die Kommunikationsziele sind genau festgelegt, die Kommunikationsmaßnahmen inhaltlich, zeitlich und formal im Sinne eines einheitlichen Erscheinungsbildes abgestimmt. Wenn Kommunikationsprozesse als Pull-Kommunikation ausgerichtet werden, ändert sich die Rollenverteilung, Aktivitätspotenziale verschieben sich. Im Vordergrund steht nun nicht mehr die möglichst genaue Verteilkommunikation an ein möglichst exakt definiertes Publikum, sondern die Bereitstellung eines Pools von Informationen und Interaktionen, auf den die jeweiligen Bezugsgruppen je nach Bedarf und Interessenlage zurückgreifen können. Konzepte für ein strategisches Kommunikationsmanagement von Unternehmen müssen daher Abschied nehmen von instrumentellen Sichtweisen und Kommunikation vielmehr als Prozess betrachten, der durch Rollenwechsel und wechselnde Beziehungsnetze gekennzeichnet ist. Er benötigt Zielgrößen bzw. Leitideen wie Image, Reputation und Marken, die den Managementprozess prägen. Neben der Schaffung eines einheitlichen Erscheinungsbildes des Unternehmens und seiner Leistungen geht es nun auch um den Aufbau und die Pflege von Beziehungen zu Einzelnen und Gruppen sowie um die Optimierung des Prozesses im Sinne der Unternehmensziele und -werte. Kapitel 3 behandelt die Anforderungen an ein prozessorientiertes, auf Unternehmenswerte ausgerichtetes Kommunikationsmanagement. Auf welche Weise kann Kommunikation den Wert eines Unternehmens steigern? Phasen eines wertorientierten Kommunikationsmanagements werden vorgestellt. Prozessorientiertes und proaktives Handeln bilden wichtige Prämissen. Auftretende Wertkonflikte können im Vorfeld erkannt bzw. vermieden werden. Issues Management als Konzept proaktiven Kommunikationsmanagements will Geschäfts- und Kommunikationsziele vereinen. <?page no="84"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 69 1 1 A A n n t t w w o o r r t t e e n n d d e e r r P P r r a a x x i i s s a a u u f f wwaacchhsseennddee UUnnssiicchhe errhheeiitteenn Worauf kann sich die Unternehmenskommunikation noch verlassen? Nicht viel, denn die Kommunikationsprozesse innerhalb und außerhalb der Unternehmen ändern sich ebenso schnell wie deren mediale Unterstützung. Das Intranet bzw. das Internet bietet Zugriff auf fast unbegrenzte Mengen an Daten, Informationen oder Kommunikationsformen. Angesichts des Überangebotes an Informationen, Medien oder Kommunikationswegen wird die Aufmerksamkeit bei allen Stakeholdern zum Nadelöhr. Immer häufiger kommen Botschaften nicht dort an, wo sie hingehören. Immer öfter kennen die Unternehmenskommunikatoren gar nicht die Interessen oder Befindlichkeiten ihrer Stakeholder. Die Unsicherheiten in der Unternehmenspraxis steigen. Gleichzeitig steigen aber die Notwendigkeiten, den „Erfolg“ von Kommunikation gegenüber den Unternehmensleitungen nachzuweisen und mit begrenzten Budgets immer mehr Aufgaben zu erledigen. Ein Teufelskreis? Gewissermaßen ja, denn so wie die Unsicherheiten bei der Gestaltung von Kommunikationsprozessen wachsen, wird die Bedeutung von Kommunikation immer lauter beschworen. Praktiker wie Wissenschaftler reagieren mit folgenden, typischen Indizien auf die Unsicherheiten im Kommunikationsmanagement: ! Indiz 1: Inflation der Begriffe Schlagworte und neue Begriffe werden nahezu inflationär in Umlauf gebracht, so „Risk Communication“, „Crisis Communication“, „Change Communication“, „Corporate Social Responsibility“, „Brand Communication“, „Content Marketing“, um nur einige zu nennen. Sie suggerieren Sicherheit und Lösungskompetenz und erreichen meist das Gegenteil. Werden die verbalen Ausführungen von ihrer imponierenden Terminologie befreit, bleiben meist banale Aussagen übrig, die sich auf spezielle Ausprägungen von Kommunikationsprozessen konzentrieren: bei der Change Communication die Betonung der Wahl der Medien, des Zeitpunktes und des Kommunikationsstils, bei der Krisenkommunikation die Abstimmung zwischen Sach- und Beziehungsebenen, die Homogenisierung von Kommunikationsprozessen nach innen und nach außen sowie die Bearbeitung von Kommunikationsfolgen. ! Indiz 2: Hochkonjunktur für Patentrezepte, Checklisten und Tipps für erfolgreiche Kommunikation Von „So kommunizieren Sie richtig! “ bis hin zu „Wie sag ich’s meinen Mitarbeitern? “ − die How-to-do-Literatur explodiert. Ohne Checkliste dürfen kein Workshop, kein Seminar und kein Fachvortrag enden, sonst sind sie <?page no="85"?> 70 Theoretische Ansätze und Modelle nicht richtig gut. Je mehr Kommunikationsfachleute wie andere Experten Unsicherheit bei der Lösung von Kommunikationsaufgaben empfinden, desto drängender ihr Wunsch nach vermeintlicher Sicherheit. Diese Sicherheit ist trügerisch, denn Checklisten verhindern zwar, dass eine Aufgabe oder ein Arbeitsschritt vergessen wird; für überzeugende Kommunikationskonzepte bieten sie jedoch keine Gewähr. Daran ändert auch die neue Form der „listicles“ (= Artikel, die Inhalte in Listenform stichpunktartig präsentieren. Ein im Journalismus entstandenes Format, das besonders durch BuzzFeed bekannt wurde) (Maguire 2014, 159 ff.) nichts. ! Indiz 3: Der Komparativ regiert Aufforderungen zu Handlungen nehmen zu, ohne dass die Akteure genau sagen, was konkret zu tun oder zu unterlassen ist: „mehr“, „besser“, „effizienter“, „nachhaltiger“. Der Ruf nach mehr Kommunikation (Quantität), besserer Kommunikation (Qualität) und effizienterer Kommunikation ist allgegenwärtig. Er wird umso lauter, je verschwommener und unklarer die Ziele des Kommunikationsmanagements werden. Die Herausforderung für Unternehmen lautet: Auf welche Weise können Kommunikationsprozesse, vor allem aber Botschaften so gestaltet werden, dass sie von den Stakeholdern unter den Bedingungen der heutigen (digitalen) Mediengesellschaft wahrgenommen und verarbeitet werden? Auf welche Weise müssen Kommunikationsprozesse gemanagt werden, damit sie den Strategien und Zielsetzungen der Unternehmen dienen und ihren Wert steigern - sei er ausgedrückt in monetären Größen (Buch- oder Barwert) oder immateriellen Werten wie Reputation? Mit folgenden Handlungsansätzen versuchen Praktiker im Allgemeinen einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden: ! Erhöhung der Kommunikationsmengen und -frequenzen: Schließlich gilt in der Mediengesellschaft das „Gesetz“: Wer nicht kommuniziert, wird nicht wahrgenommen. Je härter jedoch der Kommunikationswettbewerb wird, desto größer werden die Streuverluste. Da es immer schwieriger wird, zuverlässig mit Botschaften zum Rezipienten vorzudringen, werden die Taktzahl der Aussendungen und die Informationsmengen erhöht. Der Aufwand an Zeit und Geld, um die wichtigen Bezugsgruppen zu erreichen, steigt. Dieser Mechanismus produziert steigende Mengen von Informationen und Kommunikationsangeboten. ! Homogenisierung der Kommunikationsinhalte - „One Voice Policy“: Damit wird angestrebt, dass bei den Stakeholdern gleiche oder zumindest ähnliche Aussagen ankommen, ganz gleich, aus welcher Quelle sich diese informieren. Das ist die Grundvoraussetzung für die Glaubwürdigkeit der Inhalte. Je unerbittli- <?page no="86"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 71 cher um Aufmerksamkeit gerungen wird, desto fragiler ist der Faktor Glaubwürdigkeit im Sinne einer Übereinstimmung von Reden und Tun, d. h. konsistenter Aussagen aller Akteure in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese Konsistenz wird unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“ diskutiert. In der Social Media-Kommunikation heißt die Devise „One Story Policy“ und das Ziel, dass viele Stimmen nicht das Gleiche sagen, aber die gleiche Geschichte erzählen. ! Integriertes Kommunikationsmanagement mit dem Ziel eines einheitlichen Erscheinungsbildes in der Öffentlichkeit: Integrierte Kommunikation wird als Anspruch schon seit Jahrzehnten gefordert. Die Praxis der meisten Unternehmen ist oft meilenweit davon entfernt. Kritiker wenden bei diesem Ansatz ein, dass er in der Praxis nicht erreicht werden kann, im Gegenteil: Es werde immer Abweichungen geben und diese seien „das Salz in der Suppe“, sonst würde die Kommunikation langweilig und wenig „mediengerecht“, weil völlig unspannend. Die Unternehmen richten „Newsrooms“ ein, in denen die Themen für die verschiedenen Medienkanäle aufbereitet werden. Content Manager sorgen für eine geplante Verbreitung von Inhalten. ! Ausrichtung der Kommunikation auf Leitwerte: Um angesichts der Angebotslage (Explosion des Medienangebotes) und Nachfragesituation (Informationsüberlastung und Selektionsdruck) dennoch ein im Sinne des Unternehmens gezieltes und effizientes Kommunikationsmanagement zu betreiben, werden Leitwerte betont, die die Akteure vom Entscheidungsdruck entlasten und Orientierung bieten. Dies sind auf der Seite der Kommunikatoren Unternehmenswerte, Leitbilder, Strategien und Ziele und auf der Seite der Rezipienten Konstrukte wie Image, Reputation und Marken. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie sowohl Zielqualität haben (denn sie beeinflussen die Wahl möglicher Verhaltensweisen, Handlungsoptionen und -alternativen) als auch wichtige Steuerungsfunktionen ausüben, indem sie konformes Verhalten im Prozess des Kommunikationsmanagements bestärken und nicht konformes Verhalten unter starken Legitimationsdruck setzen. 2 2 N N e e u u e e P P e e r r s s p p e e k k t t i i v v e e : : V V o o m m K K o o s s t t e e n n f f a a k k t t o o r r z z u u m m s s t t r r a a t t e e g g i i s s c c h h e e n n W W e e r r t t Kommunikationsmanagement ist die geplante Gestaltung und Optimierung von Kommunikationsprozessen der Organisationen mit ihren Bezugsgruppen in den internen und externen Öffentlichkeiten. Ziel ist die Schaffung und Gestaltung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Handlungsraumes und die Absicherung der gesellschaftlichen Legitimation von Organisationen und Personen. <?page no="87"?> 72 Theoretische Ansätze und Modelle Der Wortbestandteil „Management“ weist darauf hin, dass bewusst und gezielt auf Kommunikation eingewirkt wird. Noch ein neuer Begriff − ist er notwendig? Aus wissenschaftlicher Perspektive ist dies eindeutig der Fall, weil der Begriff auf willkürliche Grenzziehungen (z. B. zwischen PR und Verkaufskommunikation) oder singuläre Perspektiven von Einzeldisziplinen (z. B. PR aus sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht) verzichtet und ein größeres Untersuchungsareal markiert. Kommunikationsmanagement ist ein übergeordneter Begriff, der alle Kommunikationsprozesse und -formen (auch die Face-to-Face-Kommunikation) erfasst. Das Kommunikationsmanagement hat sich in den letzten Jahren in den Unternehmen von einem „Kostentreiber“ zu einem strategischen „Werttreiber“ entwickelt. In früheren Zeiten wurden vorwiegend die Kosten der Kommunikation betrachtet, d. h. Kommunikation war „nice to have“, aber ohne strategische Relevanz. Wenn eine strategische Bedeutung zugesprochen wurde, dann eher der Marketingkommunikation und weniger der PR. Heute ist Kommunikation in vielen Firmen als wichtige Unternehmensfunktion etabliert und wird ausgebaut (Mast 2015). Ausgaben für Kommunikation sind Investitionen in die Zukunftssicherung und Kommunikation wird als strategische Managementfunktion angesehen. „Kommunikationsmanagement“, das seinen Namen auch verdient, nimmt seinen Anfang. Die Unternehmen investieren massiv in ihre Kommunikationsinfrastruktur (VDZ/ McKinsey & Company 2012, 8 f.). Kommunikation soll Werte schaffen und ihren Beitrag zur Wertschöpfung nachweisen. Die Perspektive der Betrachtung von Kommunikationsmanagement hat sich also geändert. Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, die miteinander verbunden sind. Die gute Nachricht lautet: Kommunikation wird konzeptionell in die Unternehmensführung integriert und gewinnt so an Bedeutung (Zerfaß 2014, Rolke 2014a). Die schlechte Nachricht ist der Nachweis für die Wertschöpfung, der insbesondere im Fall der PR besonders schwierig ist (Pfannenberg/ Zerfaß 2010). Der Trend zum Kommunikationsmanagement hat sicherlich bei den großen, global operierenden Unternehmen begonnen, in denen Managementsysteme (z. B. die wertorientierte Unternehmensführung, die sog. Balanced Scorecard bzw. Kennzahlensysteme) ausgeprägt sind. Mittelständische Unternehmen handeln eher zurückhaltend. Oft schrecken sie auch vor der Komplexität der Kennzahlensysteme, Messinstrumente (z. B. Indices) und Kosten der Evaluation zurück. Die Amerikaner Al Ries und Laura Ries haben mit ihrer plakativen Formulierung den Perspektivenwechsel zugespitzt: „The fall of advertising and the rise of PR“ (Ries/ Ries 2005). <?page no="88"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 73 In einzelnen Branchen (z. B. in der Automobilindustrie) wurde deutlich, dass der Erfolg von Produkten und Dienstleistungen nicht ausschließlich auf Marketingkommunikation zurückgeht, sondern in wesentlichen Teilen auch auf ihrer Darstellung durch geschickte PR und Medienarbeit basiert. In anderen Branchen (z. B. bei Energieversorgern) sind es negative Erfahrungen durch Krisenkommunikation, die ein Umdenken einleiten. Technisch riskante oder kritische Branchen (z. B. Biotechnologie) erkennen, dass Kommunikation ihnen nicht nur die Chance zur Profilierung bietet, sondern auch eine enorme Gefahr der Wertvernichtung beinhaltet. Andere Branchen sehen, dass das Corporate Branding, also die Etablierung von Unternehmensmarken, wichtiger wird. Diese Unternehmensmarken können nicht nur über Werbung, sondern müssen auch über PR und Medienarbeit verankert werden. Alle Unternehmen stehen vor der Herausforderung, qualifizierte Mitarbeiter zu finden und zu binden. Arbeitgeberkommunikation (Mast/ Simtion/ Spachmann 2015, Stotz/ Wedel-Klein 2013) ist ein Feld, dessen Gelingen über die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen entscheidet. Mit strategischen Werten im Visier will das Kommunikationsmanagement von Unternehmen unter den geänderten Bedingungen die Kommunikationsbeziehungen steuern und die Prozesse richtungsweisend beeinflussen. Hierbei geht es um zentrale Werte: das Unternehmen als Arbeitgeber, als Innovator, als verantwortlicher Teil der Gesellschaft oder als attraktive finanzielle Investitionsmöglichkeit. Welche Werte im Einzelnen die Unternehmen auch immer prioritär verfolgen - sie müssen von den Stakeholdern wahrgenommen werden. Nur dann sind sie wirksam und tragen zur Wertsteigerung eines Unternehmens bei. 2 2 . . 1 1 P P a a r r a a d d i i g g m m e e n n w w e e c c h h s s e e l l i i m m t t h h e e o o r r e e t t i i s s c c h h e e n n V V e e r r s s t t ä ä n n d d n n i i s s Ein Paradigmenwechsel im theoretischen Verständnis von Kommunikation ergänzt die instrumentelle Sichtweise durch die Gestaltung und Beeinflussung von Kommunikationszyklen. Die meisten Ansätze der Unternehmenskommunikation verharren allerdings noch im instrumentellen Denken (Bruhn 2014a). Kommunikation wird als strategisches Werkzeug betrachtet, das lediglich für das anstehende Problem geeignet sein müsse. Dabei wird angenommen: Je besser eine Botschaft formuliert und je einflussreicher der Kommunikator, desto höher auch die Wirkung bei der anvisierten Zielgruppe. Phillip G. Clampitt (2013, 28 ff.) hat die Metapher des Pfeils benutzt, um diesen Ansatz zu charakterisieren („Arrow Approach“). Für viele Manager kommt der Kommunikationsprozess einem Pfeil gleich, den man ins Ziel schießt; so wird <?page no="89"?> 74 Theoretische Ansätze und Modelle z. B. eine E-Mail schnell und exakt adressiert. Wenn ein Kommunikator also rechtzeitig und zielgenau eine Botschaft verschicke, sei damit das Problem gelöst. Kommunikationsmanagement kommt in dieser Vorstellung einer Art Engineering gleich. Es ist effektiv, wenn der/ die richtige Mann/ Frau in der richtigen Sprache zur rechten Zeit eine richtige Maßnahme ergreift. Der Kommunikationsprozess wird als Einbahnstraße betrachtet und basiert vor allem auf Fertigkeiten und Fähigkeiten des Kommunikators. Wenn Defizite im Kommunikationsprozess auftreten, ist eher der Rezipient dafür verantwortlich: „Wir haben doch schon vor Wochen darüber informiert.“ Dieser instrumentelle Ansatz des Kommunikationsmanagements hat durchaus Stärken (Clampitt 2013, 26 ff.). Er stimuliert zu klarem Denken, zu systematischem Vorgehen und zum Formulieren deutlicher Botschaften. Er legt den Fokus auf die Umsetzung von Aktionen und hat durchaus Erfolg, vorausgesetzt, die Kommunikatoren kennen die Ziele und Ansprüche der Bezugsgruppen genau. Ist dies nicht der Fall, weiß niemand, ob der „Pfeil“ ins Ziel ging. Jedenfalls fehlen jegliche Hinweise zur Optimierung sowie zu Korrekturmaßnahmen. Diese instrumentellen Ansätze der Unternehmenskommunikation (vor allem aus dem Marketing) verwenden modifizierte Stimulus-Response-Kommunikationsmodelle, die aus der Medienwirkungsforschung bekannt sind. Eine Betrachtung der Kommunikationsvorgänge als Kreislauf oder Zyklus geht davon aus, dass Netzwerke aufgebaut und Beziehungen gepflegt werden müssen. Nicht der einzelne Kommunikationsakt steht im Vordergrund, sondern der Ablauf von Kommunikationsvorgängen aller Art und das Netz der Beziehungen, in das der Einzelne eingebunden ist. Clampitt (2013, 34 ff.) verwendet die Metapher des Kreislaufs („circuit approach“). Leitbild ist dabei eine Zwei-Wege- Kommunikation in einem dynamischen Interaktionsfeld zwischen aktiven Sendern und Empfängern. Der Beziehungsaspekt und das Feedback sind wichtige Ansatzpunkte. Wer die Zielgruppe genau kennt und ihr zuhört, weiß, „wo der Schuh drückt“. Schließlich werden Botschaften nur im persönlichen Beziehungskontext interpretiert und verarbeitet. Kommunikationsmanagement umfasst einen Planungs- und Evaluationsprozess sowie einen Prozess der Optimierung von Kommunikationsnetzen. Strategien, Akteure, Ressourcen sowie Prozesssteuerung durch Evaluation und Optimierung sind Basiselemente, die je nach theoretischem oder praktischem Ansatz unterschiedlich gewichtet werden. <?page no="90"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 75 Unternehmenskommunikation ist nun auf die Schaffung von Unternehmenswerten ausgerichtet, wenn sie die Umsetzung von Geschäftsstrategien befördert. Die eingesetzten Medien sowie das Themen-Management (Inhalte) prägen die Kommunikationsprozesse in der Praxis in Abhängigkeit von (inter-)nationalen oder lokalen Kulturen. So gestalten letztlich die Unternehmen Kommunikationssituationen und -prozesse. Im Zentrum stehen die allgemeinen Kommunikationsziele Orientierung und Dialog, d. h. die Beeinflussung von Meinungen und Einstellungen sowie die Stärkung individueller Handlungsmotivationen, die Reduktion von Komplexität und das Management von Beziehungen, Medien und Inhalten (Schaubild 14). Prozessorientiertes Kommunikationsmanagement geht davon aus, dass Kommunikationsvorgänge nicht nur auf Ergebnisse (Pfeil als Metapher) oder gegenseitiges Verständnis (zweiseitige Prozesse und Netzwerke) ausgerichtet sind, sonde rn für vie le Zwe ck e eing ese tzt we rd en : motivier en , erk l äre n, bilden , Wissen und neue Ideen generieren, Konflikte schlichten usw. Sie benötigen daher klare Zielsetzungen. Unternehmen ändern sich. Quantitative und qualitative Ziele als Vorgaben für Kommunikationsprogramme setzen jedoch meist stabile Unternehmensstrukturen voraus, die konstant bleiben. Doch selbst formale Strukturen werden mehr und mehr überlappt von flexiblen und temporären Netzwerken. Die Akteure arbeiten keineswegs mehr lebenslang bei einer Firma, d. h. die Unternehmenskommunikation muss sich auf Fluktuationsraten in der Belegschaft wie auch bei den anderen Stakeholder-Gruppen einstellen. Kontinuität und Wiederholung als Merkmale von Kommunikationsprozessen sind in flach gestaffelten Unternehmen mit wechselnden Akteuren anders zu bewerten als bei auf Lebenszeit Beschäftigten in bürokratischen Hierarchien. <?page no="91"?> 76 Theoretische Ansätze und Modelle Schaubild 14: Kommunikationsmanagement als Prozess Quelle: eigene Darstellung. 2 2 . . 2 2 W W e e r r t t e e i i n n L L e e i i t t f f u u n n k k t t i i o o n n Demotivierte Mitarbeiter, frustrierte Führungskräfte, verunsicherte Kunden und eine brodelnde Gerüchteküche - wenn dann noch kritische Medienberichte ein Unternehmen unverhofft ans Licht der Öffentlichkeit zerren, wird klar: Gute Kommunikation kann Werte schaffen, aber schlechte Kommunikationsarbeit zerstört sie heute innerhalb weniger Tage. Dann gehen Umsätze zurück, qualifizierte Fachkräfte verlassen die Firma und Kunden orientieren sich neu. Wie ein Unternehmen von Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten oder Kapitalgebern gesehen wird, ist nicht nur eine Frage der harten Geschäftszahlen oder der Produkteigenschaften, sondern eine „wahrgenommene Realität“, die durch effiziente Kommunikationsarbeit erst geschaffen wird. Kommunikation entscheidet zwar nicht darüber, welches die Fakten sind, aber wie sie im Geschäftsleben gesehen und bewertet werden. Erst durch Kommunikation werden sie voll wirksam. Kommunikationsstrategie Ressourcen Inhalte Orientierung Dialog Werte Medien Kulturen Evaluation Optimierung Akteure <?page no="92"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 77 Wenn Produkte immer ähnlicher werden und Kunden die Unterschiede zwischen einzelnen Anbietern und Marken kaum mehr erkennen können, baut Kommunikation ein Image des Unternehmens auf, das zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor wird. Große - meist aktiennotierte - Unternehmen haben daher den Wert guter Kommunikationsarbeit längst erkannt. Sie wissen, wie empfindlich die Kapitalmärkte auf eine kritische Medienberichterstattung reagieren. Auch Basel II hat dazu geführt, dass Unternehmen mit einer guten Reputation entsprechende finanzielle Vorteile bei der Kapitalbeschaffung haben. Aller Ökonomisierung des Geschäftslebens zum Trotz: Immaterielle Werte wie Image, Reputation, Motivation der Belegschaft oder Vertrauen der Kunden sind Werte, die wichtiger werden. Sie können durch eine gezielte und strategisch angelegte Kommunikationsarbeit aufgebaut und für den Geschäftserfolg genutzt werden. Gerade mittelständische Unternehmen haben noch einen enormen Nach ho lb ed arf , wenn es um ein e kon tin ui erl ic he Ko mmu ni ka tio n sa rb ei t na ch innen und nach außen geht. Die eigenen Mitarbeiter, Führungskräfte und Kunden zu überzeugten Botschaftern für die Firma zu machen, ist der Grundstein, auf dem heute erfolgreiche Geschäftsprojekte basieren. Schaubild 15: Das magische Dreieck der Werte Quelle: eigene Darstellung. Werte spielen für die Kommunikation eines Unternehmens eine mehrfache Rolle, die in einem magischen Dreieck ineinander greifen (Schaubild 15): ! Werte des Unternehmens, d. h. die klare Formulierung dessen, was eine Firma anstrebt (z. B. Dezentralität) oder als wünschenswerte Verhaltensweisen (z. B. Eigeninitiative) ansieht, dienen als Orientierungsmarken für Mitarbeiter ebenso wie für externe Stakeholder (Kunden, Lieferanten, Kapitalgeber, Medien u. a.). Hierzu bedarf es einer offensiven internen und externen Akteure: gemeinsame Verpflichtung aller Beteiligten Zielgruppen: Wahrnehmung von „Realität“ steuert Verhalten E rgebnis: Werte erzeugen Wettbewerbsvorteile Werte schaffen durch Kommunikation <?page no="93"?> 78 Theoretische Ansätze und Modelle Kommunikation solcher Werte. Diese Werte haben also Zielqualität für erwünschtes Verhalten und stellen eine gemeinsame Verpflichtung aller Beteiligten dar. ! Die Bedeutung von Image, Reputation und Marken hingegen weist auf einen weiteren Aspekt dieser Werte hin. Sie beeinflussen die Wahl möglicher Verhaltensweisen, Handlungsoptionen und -alternativen, d. h. sie haben wichtige Steuerungsfunktionen für das praktische Verhalten bei den Stakeholdern. Wenn Produkte sich in den Augen der Kunden kaum noch unterscheiden, wird die Firma, die man kennt oder deren Image positiv ist, bevorzugt. ! Werte entstehen durch Kommunikation, d. h. sie sind auch ein Ergebnis von Kommunikationsprozessen. Dann sorgen sie dafür, dass Geschäftsstrategien nicht nur beschlossen, sondern auch effizient umgesetzt werden. Viele Changeprojekte scheitern nicht zuletzt deshalb, weil deren Notwendigkeit, Nutzen und Auswirkungen nicht überzeugend und klar kommuniziert werden. Um Projekte erfolgreich umzusetzen und Innovationen zu schaffen, müssen Mitarbeiter verstehen, welche Strategie und Ziele die Firma verfolgt, wie das Umfeld (z. B. Markt, Wettbewerber, Technologien) aussieht und welche Gründe bzw. Zusammenhänge hinter den Entwicklungen stehen. Immaterielle Werte als Ergebnis von Kommunikation können meist auch mit Evaluationsmaßnahmen (Clippings, Medienresonanzanalysen, Umfragen, statistische Auswertung von Bewerbungen, Fluktuationsraten, Krankenstand, Umsatzentwicklungen u. a.) festgehalten werden. Allerdings sind derzeit die Verfahren zur Umrechnung von immateriellen Werten in monetäre Größen noch aufwendig und wissenschaftlich umstritten. Was ist eine gute Reputation wert? Das wird in der Praxis meist erst dann spürbar, wenn das Image sich verschlechtert, der Kurswert einer Aktie sinkt oder ein Kunde abspringt. Schlechte Kommunikation kann eben auch Werte vernichten. In der Unternehmensführung hat sich die Wertorientierung heute weitgehend durchgesetzt. Alle Bereiche eines Unternehmens - auch die Unternehmenskommunikation − sollen auf die Steigerung des Unternehmenswertes ausgerichtet werden. Nur welche Werte hat das Management vorrangig im Visier, wenn geschäftspolitische Entscheidungen fallen und Budgets verteilt werden? Da ließe sich z. B. anführen: ! was in den Büchern/ Bilanzen steht (Buchwert), ! wie zahlungskräftig und liquide das Unternehmen ist (Barwert), <?page no="94"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 79 ! was Investoren bei einem Kauf zahlen würden (Marktwert) sowie ! welche Akzeptanz und welchen Ruf das Unternehmen in der Öffentlichkeit hat (Reputationswert). Eine ganzheitliche Unternehmensführung hat alle diese Werte im Auge und entscheidet, welches Gewicht sie einer kommunikationsorientierten oder eher kapitalorientierten Steuerung gibt (Will/ Löw 2003) (Schaubild 16). Welche Werte sind gemeint, wenn von wertorientierter Unternehmensführung gesprochen wird: Shareholder Value und/ oder Stakeholder Value? Dass monetäre Prozesse immer eine entscheidende Rolle im Wirtschaftsleben spielen, ist eine Selbstverständlichkeit. Die Frage ist nur, wie die Koordinaten in der Praxis gesetzt werden. Wer ausschließlich den Bar- und Buchwert oder vielleicht noch - als Aktiengesellschaft - den Marktwert im Auge hat, wird zweifelsohne auch auf kommunikative Elemente (Auswirkungen von Medienberichterstattung oder Krisen) stoßen, die diese Werte beeinflussen. Schaubild 16: Ganzheitliche Unternehmenssteuerung Quelle: in Anlehnung an Will/ Löw (2003, 47). Eine völlig andere Sichtweise ergibt sich, wenn der Reputationswert eines Unternehmens im Vordergrund steht, denn darin drücken sich im Wesentlichen die nicht bilanzierten immateriellen Werte aus (Fombrun/ van Riel 2008, 38 ff.). Buch- und Marktwerte entwickeln sich unterschiedlich. Offensichtlich gehen in die Börsenbewertung immer stärker auch zukunftsbezogene Ertragsaspekte ein, hinter denen sog. intangible Werte stehen. Dem Management dieser intangiblen Meinungsmarkt Reputationswert Marktwert Kapitalmarkt Rechnungswesen Buchwert Barwert Controlling Unternehmenswert Kommunikationsorientierte Unternehmenssteuerung Kapitalorientierte Unternehmenssteuerung <?page no="95"?> 80 Theoretische Ansätze und Modelle Unternehmenswerte (Geistiges Eigentum, Talente, Marken, Wissenspotenziale, Kundenloyalität, Netzwerke) kommt in der heutigen Zeit eine Schlüsselbedeutung zu, denn nur so lässt sich die Marktkapitalisierung erfolgreich maximieren. Die Differenz zwischen Marktwert und Buchwert wird häufig als Wachstumspotenzial des Unternehmens gewertet. Sie kommt zustande durch sog. intangible Ressourcen, die das Unternehmen zwar besitzt, die sich aber aufgrund ihres immateriellen Charakters nicht in der Bilanz wiederfinden (Schaubild 17). Schaubild 17: Erscheinungsformen von „intangible Capital“ Quelle: Coenenberg/ Salfeld (2007, 122). Werte in der wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive werden eingeteilt in materielle Werte wie Geld und Anlagen und immaterielle Werte wie Marken, Reputation oder Image. Zur monetären Bewertung von immateriellen Werten bestehen - meist höchst komplizierte und kontrovers diskutierte - Rechenverfahren oder Bewertungsmodelle, z. B. für den Marken- und Reputationswert (Lautenbach 2014, Möller/ Allgemeine Intangibles Strategisches Intangible Capital Wissen Allgemeine Erfahrungen und Sachkenntnisse über Forschung, Verfahrensweisen und Märkte Geistiges E igentum Konkretisiert festgehaltenes Wissen, das rechtlich geschützt ist, z. B. Patente, Urheberrechte Reputation Unspezifisches Bewusstsein der Umwelt über Namen des Unternehmens und dessen Produkte Marken Möglichst weitläufig bekannter Name für ein Produkt oder Unternehmen, mit dem die Umwelt sofort das Produkt und dessen Qualität assoziiert Beziehungen Lose Verbindung bzw. Kontakte zu z. B. Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und Konkurrenzunternehmen N etzwerke Aktive, für geschäftszwecke nutzbare Verbindungen mit den Stakeholdern (Lieferantenkooperationen, Kundenbindung, Multiplikatoren) oder Wettbewerbern, z. B. über Allianzen oder physikalische Netzwerke Mitarbeiter Beschäftigte, die jeweils ihre ganz speziellen festgelegten Aufgaben verrichten T alente Flexible und gut ausgebildete Mitarbeiter, die in den unterschiedlichsten Problembereichen eingesetzt werden können <?page no="96"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 81 Schläfke 2012, Bentele et al. 2009). Alle Verfahren leiden daran, dass die Auswahl und Gewichtung der Faktoren, die in die Berechnung eingehen, nur wenig begründet sind bzw. letztlich festgesetzt werden. Dann aber wird umso genauer gerechnet. Solche Modelle können nur über den Konsens aller Beteiligten etabliert werden. Werte sind in der sozialwissenschaftlichen Perspektive implizite oder explizite Auffassungen, die ein Individuum, eine Gruppe bzw. Organisation oder eine Gesellschaft von Wünschenswertem und Erstrebenswertem vertritt. Werte beeinflussen die Wahl möglicher Verhaltensweisen, Handlungsalternativen und -ziele. Sie prägen die Wahrnehmung der Umwelt, der Handlungsalternativen und -folgen und somit das Entscheidungshandeln. Werte können auf der Ebene des Individuums (z. B. Freiheit, Selbstverwirklichung, Sicherheit, Karriere), des Unternehmens (z. B. Gewinn, Überleben, Wachstum) oder der Gesellschaft (z. B. Gerechtigkeit, Ordnung, Wohlstand) betrachtet werden. Außerdem unterscheidet man zwischen expliziten, impliziten und zugeschriebenen Werten. ! Explizite Werte sind z. B. Leitbilder, Verhaltensrichtlinien, Regeln oder Policies für die Social Media-Plattformen. ! Implizite Werte fördern ein Verhalten, indem sie entsprechende Anreize schaffen, z. B. Bonuskriterien, Beförderungspraxis, Kriterien für die Führungskräfteauswahl oder das Ideenmanagement. ! Analytische Werte werden aus Studien, Beobachtungen und Analysen „herausgelesen“ und den jeweiligen Akteuren zugeschrieben. Quellen für diese Werte sind z. B. Befragungen, Social Media-Foren, Medienresonanzanalysen oder die Analyse von Reklamationen. Neuere Ansätze des Kommunikationsmanagements, die vor allem aus der Kommunikationspraxis erarbeitet werden, richten Kommunikationsprozesse konsequent auf zu vermittelnde Werte aus, z. B. die Förderung und Stärkung von Marken. Unternehmenswerte - seien sie nun allgemeine Visionen oder konkretere Leitbilder - beschreiben, welches Verhalten z. B. eine Firma für richtig oder falsch bzw. erwünscht oder unerwünscht ansieht. Wertorientierte Leitbilder werden schriftlich formuliert und definieren, wo ein Unternehmen den Schwerpunkt seiner Aktivitäten und Verhaltensweisen sieht. In einem Beispiel für ein wertorientiertes Leitbild heißt es auszugsweise: „We <?page no="97"?> 82 Theoretische Ansätze und Modelle never stop thinking. We act entrepreneurially for the sake of our customers. We strive for excellence in people & leadership. We win together.“ Unternehmen gehen immer häufiger dazu über, solche Werte schriftlich festzuhalten. Sie helfen ihnen bei der Prioritätensetzung, verdeutlichen die gemeinsame Zielsetzung, optimieren Entscheidungen und Prozesse und unterstützen die Schaffung einer motivierenden Arbeitsumgebung. Werte haben wichtige Steuerungsfunktionen für den Einzelnen ebenso wie für Unternehmen. Der Mensch fühlt sich durch Verhalten bestärkt, welches seine persönlichen oder in der Firma übernommenen Werte stützt. Er fühlt sich aber durch Verhalten verletzt oder unter Druck gesetzt, welches nicht mit seinen Werten im Einklang steht. Die Wertorientierung der Kommunikationsprozesse in Unternehmen beschränkt die Spannweite der Ziele und Überzeugungen, die man glaubt, sich erlauben zu können. Wenn die Werteseite der Kommunikationsbeziehungen eines Unternehmens betroffen ist, ruft eine solche Situation in der Regel starkes Defensivverhalten hervor. Im Großen und Ganzen tendieren Menschen wie Unternehmen dazu, mit ihren Werten bzw. ihrem Gefühl, was richtig und was falsch ist, im Einklang zu handeln. Nichtsdestotrotz können sie ihr Verhalten auch dann geschickt rechtfertigen, wenn es so aussieht, als ob diese Werte klar verletzt werden. Dann lauten auf die Frage: „Warum haben Sie das gemacht? “ die Antworten: „Ich hatte keine andere Wahl“, „Ich bin nicht verantwortlich dafür, sondern habe nur meine Anweisungen ausgeführt“ oder „Der Markt zwingt uns, das zu tun.“ 3 3 W W e e r r t t s s c c h h ö ö p p f f u u n n g g d d u u r r c c h h K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n - - a a b b e e r r w w i i e e ? ? „Communication is vital to creating value. Its importance lies in turning strategy into action“ (Quirke 2008, 10). Wie kann die Unternehmenskommunikation auf Werte ausgerichtet werden? Unter welchen Bedingungen ist sie die eingesetzten Ressourcen wert? Dienen ihre praktischen Kommunikationshandlungen dazu, eher Werte zu schaffen oder zu zerstören? Kommunikation ist zum Faktor geworden, der den Wert eines Unternehmens mitbestimmt (Schmid/ Lyczek 2008, Will 2007). Vielen Unternehmen wird z. B. an der Börse ein „Wert“ zuerkannt, der ihre materiellen Vermögenswerte um ein Vielfaches übersteigt. Dieser immaterielle Wert bezieht sich meist auf den Mar- <?page no="98"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 83 kenwert und die Unternehmensreputation und kann sich schnell ändern. Wertorientiertes Kommunikationsmanagement von Unternehmen will dazu beitragen, den Wert eines Unternehmens zu steigern bzw. abzusichern und die Akzeptanz bei den Stakeholdern zu stärken. Werte - sozialwissenschaftlich betrachtet - sind letztlich der psychologische Zugang zu den Stakeholdern, denn Menschen handeln nach klaren Werten. Wertorientiertes Kommunikationsmanagement hat handelnde Menschen im Visier. 3 3 . . 1 1 M M a a t t e e r r i i e e l l l l e e u u n n d d i i m m m m a a t t e e r r i i e e l l l l e e W W e e r r t t e e a a l l s s O O r r i i e e n n t t i i e e r r u u n n g g s s - m m a a r r k k e e n n Ob materielle oder immaterielle Werte, ob individuelle, organisationale oder gesellschaftliche Wertvorstellungen - sie sind letztlich Orientierungsmarken, die menschliches Verhalten beeinflussen. Dazu gehören das Verhalten der Mitarbeiter, der Kunden, Shareholder und anderer Stakeholder ebenso wie das Verhalten des Managements oder der Kommunikationsbereiche selbst. Wenn es dem Kommunikationsmanagement gelingt, Verbindungen zwischen den Wertvorstellungen des Unternehmens und den Stakeholdern herzustellen sowie Inhalte zu kommunizieren, die in Bezug zu diesen Werten wahrgenommen werden, hat es die Voraussetzung geschaffen, einen aktiven Beitrag für die Wertschöpfung des Unternehmens zu leisten. ! Unternehmenswerte und -strategien dienen dazu, die Geschäfts- und die Kommunikationspolitik zu verbinden. Sie bilden einen langfristigen Orientierungsrahmen für Schwerpunktthemen von Corporate Communications als Bereich und für die aktuellen Informationen gleichermaßen. Stakeholder- und Themenplanung werden also mit den geschäftlichen Strategien und Herausforderungen koordiniert. ! Wahrgenommene Werte dienen den Menschen als Bewertungsgrundlage für Informationen und steuern deren Aufmerksamkeit. Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise kämpfen ganze Branchen um ihre gesellschaftliche Akzeptanz (z. B. Banken und Versicherungen). Akteure aus Politik und Wirtschaft verlieren an Glaubwürdigkeit, weil die Stakeholder an ihren Werten zweifeln (Mast 2013b). Zum Beispiel sind die gesellschaftliche Verantwortung und die Kommunikation von Corporate Social Responsibility (CSR) zum Top- Thema der Unternehmenskommunikation geworden. Ähnliche Befunde <?page no="99"?> 84 Theoretische Ansätze und Modelle liegen zur Change Communication (Lewis 2011, Mast 2011, Mast 2009b) vor. Auch in diesem Aktionsfeld reagieren Menschen misstrauischer und achten auf die Übereinstimmung von Werten, Handeln und Reden. ! Werte entstehen als Ergebnis von Kommunikation. Dieses Ziel erreicht das wertorientierte Kommunikationsmanagement nur, wenn sowohl die Verbindung zur Geschäftsstrategie als auch der psychologische Zugang zu den Stakeholdern nachvollziehbar kommuniziert werden. Erst dann machen die meist aufwendigen Maßnahmen zur Evaluation von Unternehmenskommunikation Sinn. Es kann abgeschätzt werden, ob den finanziellen Investitionen in die Unternehmenskommunikation auch ein „return on investment“ in Form von materiellen oder immateriellen Werten gegenübersteht. Werte - ob materielle oder immaterielle - sind letztlich Orientierungsmarken für menschliches Verhalten. Sie prägen die Wahrnehmung des Unternehmens und schränken Handlungsalternativen ein. Sie entlasten den Einzelnen vom Entscheidungsdruck und bieten Orientierung. Sie sind in mehreren Phasen wirksam (Schaubild 18): Schaubild 18: Phasen wertorientierten Kommunikationsmanagements Quelle: eigene Darstellung. Werte geben die Richtung vor (Ziele) Werte geben die Richtung vor (Ziele) Werte steuern das Verhalten (Orientierungsmarken) Phase 1: Werte sichtbar machen und formulieren Corporate Identity/ Unternehmenswerte Phase 2: Werte in Kommunikation umsetzen Visionen, Leitbilder, Regeln Phase 3: Verlinkung der Kommunikation mit der Organisationspolitik Themenplanung, One Voice bzw. One Story Policy, Kampagnen Phase 4: Werte der Kommunikation feststellen Evaluationsmaßnahmen auf Werte ausrichten Verknüpfung der Kommunikation mit der Geschäftsstrategie ist Basis für E rfolgsnachweis <?page no="100"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 85 Phase 1: Werte vermitteln Identität Grundlage eines wertorientierten Kommunikationsmanagements ist das manifestierte Selbstverständnis eines Unternehmens, seine Corporate Identity. Diese Identität hat einen unveränderlichen Kern und Werte, die sich langfristig durchaus ändern können. Sie werden jedoch im Alltag spürbar, wenn z. B. über die Ziele und Strategien des Unternehmens gesprochen oder über Umstrukturierungen diskutiert wird. Werte vermitteln Identität - vor allem wenn sie die Wünsche und Erwartungen der Stakeholder einbeziehen. Werte müssen aber gelebt und kommuniziert werden. Sie geben Sicherheit und Orientierung, wenn z. B. über folgende Fragen diskutiert wird: ! Wie sehen wir uns? Welche Rolle spielt für uns z. B. der Wert Innovation? Wie verhalten wir uns, wenn zwischen den Werten Innovation und Tradition zu entscheiden ist? ! Wie werden wir von anderen gesehen? Welche Werte nehmen sie wahr? Glauben sie uns z. B., dass wir den Wert gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen? ! Wie wollen wir von anderen gesehen werden? Was erwartet ein Unternehmen von seinen Stakeholdern? Sind diese Erwartungen realistisch? ! Passen unsere Werte und die Wirklichkeit zusammen? Ist es glaubwürdig, wenn wir Nachhaltigkeit als Wert verfolgen? Welche Rolle spielen Ereignisse und Handlungen der Vergangenheit? Wissen wir, welche Erwartungen die Stakeholder an das Unternehmen haben? Der nächste Schritt eines konsequenten, wertorientierten Kommunikationsmanagements besteht in der Formulierung und damit Sichtbarmachung von Unternehmenswerten. Sie stellen die Grundlage des Handelns von Mitarbeitern und vom Management gleichermaßen dar. Worauf legt das Unternehmen wert? Phase 2: Werte sichtbar machen Werte sind zur Reduzierung von Komplexität für die Profis der Kommunikationsabteilungen wie auch für die Mitarbeiter und andere Bezugsgruppen wichtig. In der Regel sind dies Visionen, d. h. Ziele, zu denen wir den Weg noch nicht kennen. Visionen sind - genau genommen - attraktive, qualitative Zielvorstellungen, z. B. „Siemens, Global network of innovation“. Daraus leitet der Konzern sein Unternehmensziel ab: „Weltweit führend in Elektrotechnik und Elektronik bei hoher Profitabilität.“ Unternehmensleitbilder („mission“) sind meist griffig formuliert und legen ebenfalls qualitative Ziele fest, was man will und was man nicht will. Sie fokussieren die Unternehmensziele auf einfache, plakative Vorstellungen von der „richtigen <?page no="101"?> 86 Theoretische Ansätze und Modelle Richtung“. Sie beinhalten häufig einige Werte im Sinne von erwünschten Verhaltensweisen, auf die es dem Unternehmen besonders ankommt. Das Leitbild enthält z. B. bei Siemens folgende Werte: ! „Wir machen unsere Kunden stark - und verschaffen ihnen Vorteile im Wettbewerb.“ ! „Wir treiben Innovationen voran - und gestalten die Zukunft.“ ! „Wir steigern den Unternehmenswert - und sichern uns Handlungsfreiheit.“ ! „Wir fordern unsere Mitarbeiter - und motivieren zu Spitzenleistungen.“ ! „Wir tragen gesellschaftliche Verantwortung - und engagieren uns für eine bessere Welt.“ Manche Unternehmen gehen noch weiter und formulieren Grundsätze und Regeln, die Aussagen machen über den Umgang mit Menschen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Auch diese Leitlinien und Prinzipien müssen kommunikativ in die Welt der Zielgruppen übersetzt werden. Beispiele sind Grundsätze für die Führungskräftekommunikation oder Corporate Communications, z. B. für die Medienberichterstattung („Never pay for coverage“), für die interne Kommunikation („Stelle sicher, dass offene Worte nicht auf Widerstand stoßen“) oder für die Krisenkommunikation („Lasse keine Fragen unbeantwortet“). Ein weiteres Beispiel sind Compliance-Regeln (Schach 2015, 63 ff.), also ein Code of Conduct mit entsprechender Kommunikation. Werte kommen auch zum Ausdruck in der Wahl der Corporate Language (ebd., 83 ff.), z. B. in der Wahl von Bezeichnungen und im sog. „Wording“. Sprache ist ein Symbolsystem und Ausdruck der Unternehmenskultur. Wie sie in der Praxis angewandt wird, ist nicht nur eine Frage des individuellen Geschmacks, sondern eine strategische, wertorientierte Entscheidung. Gleiches gilt für den visuellen Auftritt eines Unternehmens und seine Medien, die es einsetzt. Visuelle und mediale Elemente sind Erkennungszeichen, die auf die „Persönlichkeit“ und die Wertvorstellungen Rückschlüsse erlauben. Oft sagen diese Elemente mehr aus als Worte. Phase 3: Werte konsequent kommunizieren Die weitere Phase besteht in einer offensiven Kommunikation dieser Werte zu den Zielgruppen, um Marken, Reputation oder Image aufzubauen. Schwerpunktthemen für die internen und externen Medien müssen für Quartale, Halbjahre und Jahre geplant sowie mit entsprechenden Abstimmungsinstrumenten (z. B. Redaktionskonferenz, Telefonkonferenzen) im wöchentlichen und monatlichen Rhythmus zwischen allen, die für die interne und externe Kommunikation verantwortlich sind, einvernehmlich festgelegt werden. Ziel ist eine „One <?page no="102"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 87 Voice Policy“ bzw. mit Blick auf die Social Media-Kommunikation eine sog. „One Story Policy“, d. h. eine möglichst große Homogenisierung der Kommunikationsinhalte aller Bereiche des Unternehmens. Damit wird angestrebt, dass Mitarbeiter oder Kunden - aus welcher Quelle sie sich auch immer informieren - gleiche oder zumindest ähnliche Aussagen zu den angestrebten Werten bekommen. Das ist auch die Grundvoraussetzung für die Glaubwürdigkeit von Inhalten. Je schwieriger die geschäftliche Lage wird, desto fragiler ist der Faktor Glaubwürdigkeit im Sinne von Übereinstimmung von Reden und Tun aller Beteiligten mit Blick auf die Werte. Auch geringste Ungereimtheiten erzeugen bei Mitarbeitern und Kunden bereits große Wirkungen. Werte konsequent kommunizieren bedeutet: ! Themen-Management: Aktiv Themen innerhalb und außerhalb des Unternehmens suchen und recherchieren, die die Werte betonen und Schwerpunkte bilden; ! Ereignisorientiertes Informationsmanagement: In der aktuellen Kommunikationsarbeit immer wieder an Beispielen die Werte des Unternehmens ansprechen und erklären, wenn Wertkonflikte auftreten; ! Konzepte und Kampagnen: Werte müssen kontinuierlich oder in Intervallen kommuniziert werden, damit sie im Gedächtnis der Stakeholder bleiben. Häufig starten Unternehmen daher Kampagnen oder etablieren kontinuierliche Programme, z. B. zur Förderung der Innovationsbereitschaft; ! Kommunikationsberatung: Die Beratung von Managern oder Mitarbeitern, die in Kontakt zu Zielgruppen kommen, bezieht sich auf Möglichkeiten, wie Werte z. B. durch Aussagen oder Beispiele in Statements oder Vorträgen verbalisiert werden können. Phase 4: Wert der Kommunikation feststellen Die Unternehmensführungen erwarten, dass das Kommunikationsmanagement nicht nur klar auf Unternehmenswerte ausgerichtet, sondern auch an die anderen Geschäftsgebiete „anschlussfähig“ ist, d. h. eine vergleichbare Sprache, Berichtswesen etc. benutzt. Das wertorientierte Kommunikationsmanagement muss daher konsequent in allen Phasen auf die aktuelle Geschäftsstrategie ausgerichtet sein. Ziele können sein: Bekanntheit, Reputation, Vertrauen, Veränderungsbereitschaft, Wissen u. a. Prüfkriterien für die geschäftsorientierte, strategische Themenplanung sowie für die Auswahl konkreter Projekte, Maßnahmen und Beispiele können z. B. sein: ! Welchen Beitrag erbringt die Kommunikationsmaßnahme für die übergeordnete Geschäftsstrategie? Gibt es geschäftspolitische Vorgaben, die berücksichtigt werden müssen? <?page no="103"?> 88 Theoretische Ansätze und Modelle ! Welche Schwerpunktthemen eignen sich zur Vermittlung der jeweiligen Werte? Welche Beispiele machen die Werte nachvollziehbar und erlebbar? ! Welches sind die strategischen Ziele, die sich die Kommunikationsverantwortlichen vorgenommen haben und welche Erfolgsfaktoren wollen sie vorrangig kommunizieren? ! Welche Werte und Maßstäbe gelten für den Bereich Unternehmenskommunikation selbst? Wie versteht er seine Arbeit? Welches Bild vom Menschen leitet das tägliche Geschäft? Wie genau sind die Interessen, Wünsche und Sorgen der Stakeholder bekannt? Welches Kommunikationsverständnis herrscht vor? ! Welche Position will das Unternehmen gegenüber den Wettbewerbern einnehmen? 3 3 . . 2 2 W W a a s s K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n w w e e r r t t i i s s t t Die Messung des Beitrages von Kommunikation zur Wertschöpfung gerät häufig zu komplexen, kaum mehr nachvollziehbaren Rechenmodellen. Die Verfahren zur Umrechnung von immateriellen Werten in monetäre Größen sind aufwendig und zum Teil wissenschaftlich umstritten. Im Falle des Kommunikationsmanagements ist es höchst fraglich, ob diese Umrechnungen überhaupt machbar sind. Der Wert von Kommunikation liegt in den Beziehungen, in Beziehungsqualitäten, die sich einschätzen, vergleichen und bewerten lassen. Aber gute Beziehungen zu wichtigen Journalisten oder die Verhinderung eines öffentlichen Skandals lassen sich wohl kaum in Euro messen. Die Verhinderung einer Krise wie bei der A-Klasse oder ähnliches ist nicht messbar, weil nicht glaubwürdig belegt werden kann, dass dies tatsächlich hätte eintreten müssen oder verhindert werden können. Umrechnungsversuche von Kommunikationsmanagement in monetäre Werte führen daher meist in eine Sackgasse und bewerten die Kommunikationsleistungen nach Kriterien, die nicht mit ihrem Zielsystem korrespondieren. Allerdings werden sich auch die Kommunikationsverantwortlichen auf gängige Verfahren zur Evaluation einzelner Kampagnen und Maßnahmen, aber auch zur Feststellung der Wertorientierung von Kommunikation einigen müssen. Ein Anfang ist gemacht (Rolke/ Zerfaß 2014, Wippersberg 2012, Besson 2008). Allerdings fehlt bislang noch eine einheitliche Marschrichtung, zumal verschiedene Modelle und Varianten z. B. der Balanced Scorecard diskutiert werden, die darüber hinaus aus unterschiedlichen theoretischen Hintergründen, z. B. einer eher wirtschaftswissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Perspektive, entwickelt wurden. <?page no="104"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 89 Eines ist aber klar: Die Messung der Wertschöpfung durch Kommunikation betrifft immer nur einen Teilbereich dessen, was Kommunikation leistet. Vor dem Hintergrund dieser Einschränkung ist es wenig sinnvoll, bei dem Teil, der messbar ist, überaus komplizierte Verfahren einzusetzen. Ein Wortspiel bringt es auf den Punkt: „Nicht alles, was zählt, ist messbar, und nicht alles, was messbar ist, zählt.“ PR als Kommunikationsdisziplin hat eben weniger kurzfristige Umsatzsteigerungen im Visier, sondern will vielmehr die Gestaltungschancen sowie den Handlungsspielraum von Unternehmen oder Personen mittel- und langfristig absichern. Allen Schwierigkeiten und Einschränkungen zum Trotz erwarten die Unternehmensführungen jedoch, dass der Wert von Kommunikationsmaßnahmen und die „Erfolge“ des investierten Geldes dokumentiert bzw. nachgewiesen werden. Wertorientiertes Kommunikationsmanagement ist daher auf erprobte Messinst ru me nte an ge wie sen , die es er mögli ch en , den Er folg einz el ner Ma ßn ahm en zu beurteilen (siehe hierzu auch Kapitel 4, Abs. 4). Verschiedene hierzu diskutierte Verfahren basieren auf der Entwicklung von Kennzahlen. Kennzahlen führen Informationen zusammen und bilden Zustände im Unternehmen ab. Kennzahlen sind per se verdichtete Information, Spitzenkennzahlen fassen verschiedene Kennzahlen weiter zusammen. Somit sind Kennzahlen eine wichtige Grundlage, um Unternehmensprozesse zu beschreiben und Entscheidungen zu fällen. Kennzahlen können spezifische Aufgaben haben, z. B.: ! Transparenz schaffen, ! Grundlage sein für Argumentationen und Entscheidungen, ! Teil von Berichten sein, die sich intern an die eigenen Mitarbeiter oder extern an Interessengruppen wie Anteilseigner, Banken, Behörden oder Medien und Öffentlichkeit wenden. Für die Optimierung des wertorientierten Kommunikationsmanagements werden z. B. die Balanced Scorecard (BSC) oder ihre Weiterentwicklung, die sog. Communication Scorecard (CSC) eingesetzt. Dieser Ansatz entwirft ein Managementsystem, das die klassischen, betriebswirtschaftlichen Kennzahlen durch nicht-monetäre Werte des Unternehmens ergänzt. Mit diesem Instrument lassen sich materielle und immaterielle Werte eines Unternehmens erfassen. Seine Mehrdimensionalität und die Erfassung monetärer wie auch nichtmonetärer Faktoren ergibt ein in der Praxis ertragreiches Steuerungs- und Controllinginstrument. Es verknüpft finanzielle Zielsetzungen (Shareholder Value) mit Leistungserwartungen und -perspektiven hinsichtlich anderer Stakeholder, nämlich Kunden und Mitarbeiter sowie der Verbesserung des Wissensmanagements. Mit Hilfe der Scorecards wird ein mehrstufiger Prozess initiiert und optimiert: das Übersetzen von Visionen und Leitbildern, die Kommunikation der quantita- <?page no="105"?> 90 Theoretische Ansätze und Modelle tiven und qualitativen Ziele, das Verbinden unterschiedlicher Perspektiven, die Aufstellung und Evaluation von Plänen sowie das Lernen und Anpassen. Die Balanced Scorecard kann auch für Teilbereiche des Kommunikationsmanagements verwendet werden, z. B. interne Unternehmenskommunikation, Investor Relations, Customer Relations oder Media Relations. Vergleichbar zur Formulierung von wertorientierten Unternehmensleitbildern gilt auch für die Scorecards: Der Prozess der Erstellung ist wichtiger als das Resultat. Die Scorecard ist weniger ein „fertiges“ System als vielmehr ein Kommunikationsprozess zur Strategieformulierung und -übersetzung in konkrete Aktivitäten. Balanced Scorecards bzw. Communication Scorecards als Instrumente verbinden monetäre und nicht-monetäre Werte und machen Kommunikationsprozesse greifbar. Ihr Wert liegt vor allem in der Vernetzung von Kommunikationszielen mit Geschäftszielen, Kostentransparenz und Prozessoptimierung. In der Regel konzentrieren sich diese Instrumente zur Optimierung der Unternehmenskommunikation auf folgende Punkte: ! Formulierung einer Vision für die Kommunikationsabteilung, die sich an den Kernbotschaften des Gesamtunternehmens ausrichtet; ! Analyse der Kostenstrukturen in den Kommunikationsabteilungen, um die finanziellen Stellhebel zu identifizieren und Maßnahmen zur Kostenoptimierung abzuleiten; ! Prozessoptimierung, um Standardisierungsmöglichkeiten, Reibungsverluste und Doppelungen bei der Planung und Umsetzung von Kommunikationsprozessen festzustellen; ! Optimierung des Kommunikationsmanagements und die Formulierung von Zielvereinbarungen mit den beteiligten Mitarbeitern und Partnern. Ergebnisse der wertorientierten Scorecard-Prozesse sind z. B.: [1] Die strategische Ausrichtung der Unternehmenskommunikation wird verbessert. [2] Die Kernprozesse der PR werden unterschieden, z. B. ereignisgesteuertes Informationsmanagement wird ergänzt durch strategiegesteuertes Themen- Management der Unternehmenswerte und Förderung von Kommunikationsbeziehungen. Bislang stellt die Berichterstattung über Ereignisse und das Überbringen von Botschaften noch den größten Teil der PR-Prozesse in den Unternehmen dar. Künftig werden die Steuerung von Inhalten sowie <?page no="106"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 91 der Aufbau und die Pflege von Kommunikationsbeziehungen und Medien hinzukommen. [3] Prozesse werden stärker dokumentiert und verfolgt, Schnittstellenprobleme und Doppelarbeit werden in den Firmen beseitigt. [4] Kennzahlen zur operativen und strategischen Steuerung von Kommunikationsprozessen werden identifiziert. [5] Für alle Mitarbeiter und Kooperationspartner werden Verantwortlichkeiten klar definiert und Zielvereinbarungen getroffen. Die Balanced Scorecards wurden nach anfänglichem Zögern auch von Fachleuten der Unternehmenskommunikation aufgegriffen (Pfannenberg/ Zerfaß 2010), nachdem erste Erfahrungen in der Unternehmenspraxis die Praxistauglichkeit des Instruments belegten. Zerfaß (2010, 403 f.) schlägt vor, eine erweiterte Corporate Communications Scorecard als Steuerungsinstrument zu benutzen, die die vier klassischen Dimensionen (Finanzen, Kunden, Prozesse, Potenziale) um eine gesellschaftspolitische Perspektive erweitert (Schaubild 19). Gefragt wird, welche Ziele sich aus den Erwartungen von Bürgern, Anwohnern, Politikern oder anderen Stakeholdern ableiten lassen, die für die Kommunikationsstrategie von Bedeutung sind. Damit wird der Fokus des Kommunikationsmanagements erweitert und umfasst damit alle Bereiche der Unternehmenskommunikation. Die besondere Stärke der Communication Scorecard liegt in der Operationalisierung der übergeordneten Unternehmensziele. Ausgehend von der Unternehmensstrategie werden strategische Erfolgsfaktoren definiert. Besonders deutlich wird dadurch, dass eine solche Scorecard in das gesamte Zielgerüst des Unternehmens integriert ist. Weitere vergleichbare Ansätze sind das sog. Value Based Communication Management (Pfannenberg 2010), das Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Kommunikation und den Werttreibern eines Unternehmens herstellt, oder das Communication Control Cockpit (Rolke 2005). Rolke geht dabei vom Image als zentrale Größe der Kommunikation aus. Der Gesamtimagewert setzt sich aus den Imagewerten für die Kundenbeziehung, die Beziehung zur Öffentlichkeit, die Mitarbeiterbeziehung sowie dem Imagewert der Beziehung zu den Anteilseignern zusammen. Dieser Gesamtwert wird in Relation zu den Aufwendungen für Kommunikation gesetzt. Die Suche nach Methoden der Evaluation zeigt in der Praxis bereits Wirkung. PR als Handlungsfeld gewinnt an Systematik, Orientierung auf die Geschäftsziele und Optimierung durch Vernetzung. Abläufe werden - wo möglich - standardisiert. Schließlich erwarten die Geschäftsführungen, dass sich nicht nur die Marketingkommunikation, sondern auch die PR-Aktivitäten in die Wertschöpfungskette integrieren und ihren Beitrag überzeugend dokumentieren. <?page no="107"?> 92 Theoretische Ansätze und Modelle Schaubild 19: Grundgerüst einer Balanced Scorecard Quelle: in Anlehnung an Zerfaß (2010, 403). Für den Erfolg wertorientierten Kommunikationsmanagements ist es wichtig, auftretende Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu antizipieren. Der in der PR entwickelte Ansatz des Issues Managements versucht ein solches Vorgehen mit Blick auf die Geschäftsstrategien. 4 4 P P r r o o a a k k t t i i v v e e s s H H a a n n d d e e l l n n : : I I s s s s u u e e s s M M a a n n a a g g e e m m e e n n t t Henry Kissinger drückt es so aus: „An issue ignored is a crisis invited.“ Das Umfeld der Unternehmen ist immer schwieriger zu kalkulieren und die Risiken, die im gesellschaftlichen Umfeld liegen, gefährden zunehmend den ökonomischen Erfolg. Die steigende Komplexität der Marktentwicklungen, der Pluralismus von Interessen und Ansprüchen sowie veränderte gesellschaftliche Werte sind Faktoren, die ein rechtzeitiges Erkennen von Streitfragen bzw. Akzeptanzproblemen in der Öffentlichkeit notwendig machen. Die Existenz von Unternehmen kann langfristig abgesichert werden, wenn sie gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Wertvorstellungen in der Unternehmenspolitik und -kommunikation gleichermaßen berücksichtigen. Ausgangspunkt der Überlegungen Mitte der 1970er Jahre in den USA war, dass es nicht ausreicht, mit Kommunikationsarbeit die Ziele und Handlungen von Unternehmen zu begleiten und sie den jeweiligen Bezugsgruppen verständlich Visionen und Strategien Finanzen Wie sollen wir uns gegenüber Kapitalgebern positionieren? L ernen und Wachstum Wie werden wir unsere Fähigkeiten zum Wandel und zur Verbesserung aufrechterhalten? Interne Prozesse Bei welchen Prozessen müssen wir Hervorragendes leisten? Kunden Welche Leistungen sollen wir Kunden gegenüber erbringen? Gesellschaft Wie werden wir unserer Verantwortung gerecht? <?page no="108"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 93 zu machen. Ein offensives und proaktives Management von Unternehmenskommunikation muss weit im Vorfeld der Meinungsbildung beginnen, wenn es Entwicklungen aktiv gestalten will. Wird dieser Zeitpunkt verpasst, können vorgefertigte Meinungen und Positionen nur noch mit großem Aufwand beeinflusst werden. Diese Vorgehensweise hat allerdings nur geringe Erfolgsaussichten. Der amerikanische PR-Berater W. Howard Chase - er prägte den Begriff „Issues Management“ - erkannte den Schaden, den öffentliche Auseinandersetzungen den Unternehmen zufügen können und formulierte ein neues Konzept proaktiver Public Relations. Issues Management wird auch in Europa und Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre verstärkt beachtet, weil Praktiker in den Unternehmen die Notwendigkeit des proaktiven Vorgehens mehr und mehr erkennen (Kuhn/ Ruff/ Splittgerber 2014, Ingenhoff/ Röttger 2008). Dabei geht es vor allem um den Versuch, das Umfe ld ein es Unte rn ehm en s an ti zi pa ti v in de ss en H a nd lu ng ss p ek tr um ei nz ub e ziehen. Schlagworte wie „Corporate Social Responsibility“ (Schwalbach/ Schwerk 2014) oder „Corporate Citizenship“ (Backhaus-Maul 2010, Osburg 2010) weisen in die gleiche Richtung. 4 4 . . 1 1 I I s s s s u u e e s s e e r r k k e e n n n n e e n n u u n n d d v v e e r r f f o o l l g g e e n n Issues Management will als Früherkennungssystem alle Signale eines Unternehmensumfeldes so früh als möglich registrieren und antizipieren. Ziel ist dabei, sowohl diese Entwicklungen und ihre öffentliche Thematisierung aktiv zu steuern als auch Informationen aus der Unternehmensumwelt in die internen Entscheidungsprozesse zu integrieren. Der Ansatz basiert auf der bewussten Partizipation eines Unternehmens am öffentlichen Meinungsbildungsprozess. Issues Management als Ansatz, der das Aufgabenfeld der Unternehmenskommunikation enorm ausweitet, machte Karriere, als immer mehr Unternehmen in Situationen gerieten, die die wirtschaftlichen Folgen gesellschaftlicher Akzeptanzprobleme sichtbar und spürbar machten, z. B. bei: ! Boykottmaßnahmen gegen Produkte (genmanipulierte Pflanzen), ! Ablehnung von Technologien (Biotechnologien), ! Widerstand gegenüber Unternehmensentscheidungen (Versenkung der Ölplattform Brent Spar durch Shell, Massenentlassungen bei Großkonzernen), ! Aufdeckung von Gesundheitsrisiken (EHEC, BSE, Gammelfleisch, Zigaretten, Acrylamid in Lebensmitteln), <?page no="109"?> 94 Theoretische Ansätze und Modelle ! Verzögerungen oder Blockaden von Bauprojekten (Produktionsanlagen chemischer oder biotechnologischer Betriebe) sowie bei ! alarmierenden Medienberichten (Klimawandel, Massentierhaltung, Ebola- Virus). Issues Management ist eine frühzeitige Erkennung von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Issues in der Gesellschaft durch Unternehmen sowie eine gezielte, daraus abgeleitete Kommunikationsund/ oder Geschäftspolitik. Die Abteilungen der Unternehmenskommunikation und der strategischen Unternehmensplanung rücken in dieser Methode näher zusammen. Unternehmenskommunikation und Issues Management finden dadurch stärkeren Eingang in den Prozess der Unternehmensentscheidungen. Das heißt: Der Aktionsradius der Unternehmenskommunikation wird ausgedehnt. Issues sind Themen öffentlichen Interesses mit hohem Konfliktpotenzial, die durchaus gegensätzliche Standpunkte zulassen. Issues entstehen immer dann, wenn eine Gruppe oder Organisation ein Problem erkennt und sich entschließt, etwas zu unternehmen. Grunig spricht von „issues stage“ im Sinne von öffentlicher Thematisierung als dritte Phase der PR-Beziehung eines Unternehmens mit seinen Umwelten, die auf die Phase der „stakeholder“ und „publics“ folgen kann (Grunig/ Repper 1992, 124 ff.). Issues nehmen Gestalt an, wenn die Beziehungen des Unternehmens zu seiner Umwelt ungenügend sind, Werte, Emotionen, Ängste oder andere Stimmungen unterschätzt werden, die Firmen unter (aktivistischen) Druck ihrer Umwelt geraten und deren Erwartungen nicht befriedigen. Sie entstehen dann, wenn eine Gruppe mit den Planungen und Handlungen eines Unternehmens nicht einverstanden ist und sich entschließt, etwas zu tun. Issues sind also mögliche oder reale Kontroversen innerhalb oder außerhalb eines Unternehmens. Sie bergen ein hohes Konfliktpotenzial und können den Unternehmenserfolg nachhaltig beeinflussen. Issues Management ist ein Informationssystem, das Risiken bzw. Konflikte rechtzeitig erkennt, analysiert, bewertet und Handlungsoptionen aufzeigt. Issues werden so zu berechenbaren Faktoren für Unternehmen, die proaktiv und nicht reaktiv gemanagt werden. <?page no="110"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 95 Issues Management und Risk Management sind daher zwei Seiten einer Medaille. Der Begriff Risiko umschreibt im Allgemeinen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines unerwünschten Ereignisses und seiner Wirkung. Risiken existieren nicht per se, sondern in einem Kontext, in einem sachlichen Zusammenhang oder in Bezug zu Ereignissen. „Risk is a measure of the adverse effect of an issue“ (Kitchen 1997, 214). Unternehmen, die sich mit Risikokommunikation auseinandersetzen, haben entsprechende Konzepte entwickelt. Informationslieferanten sind u. a. das Top- Management, das einerseits als Informationsquelle agiert, andererseits auch die gewonnenen Erkenntnisse erhält. Weitere Instrumente zur Informationsrecherche können z. B. Auswertungen von Presseclippings, Medienresonanzanalysen, interne und externe Umfragen, Monitoring von Online-Veröffentlichungen, Beobachtungen oder Forschungsergebnisse sein. Unternehmen, die sich offensiv auf drohende Kontroversen vorbereiten, müssen reale oder potenzielle Risiken interpretieren. Dieser Prozess führt automatisch dazu, dass Themen ausgewählt, systematisiert und priorisiert werden. Issues können zunächst nach internen und externen Themen und je nach Identifizierung der Umweltsphäre in ökologische, ökonomische, technische, soziale und politische Fragen eingeteilt werden. Eine weitere Dimension zur Klassifikation ergibt sich aus der Analyse der Konfliktthemen: Relevanz (Bedeutung für das Unternehmen), Issue-Typ (Public- oder Non-Public-Issues), Reichweite, Intensität und Ausmaß der Betroffenheit, Entwicklungsstand des Issues, Schadensart und -potenzial (Wiedemann/ Ries 2014, 503) sowie die Einflussmöglichkeiten, die dem Unternehmen erfahrungsgemäß offen stehen. Das Modell von Chase, das in der Literatur in Variationen von verschiedenen Autoren übernommen und veröffentlicht wird, umfasst fünf Stufen (Chase 1977). Es folgt im Wesentlichen dem PR-Planungsprozess: ! Identifikation von Issues, mit denen sich das Unternehmen beschäftigen muss, ! Analyse von Issues mit Blick auf die Auswirkungen auf wichtige Stakeholder, ! Abwägen der strategischen Optionen zur Veränderung und Beeinflussung der Issues, ! Implementierung von Maßnahmen und Aktionen, um die Ansichten des Unternehmens zu kommunizieren und die Wahrnehmung des Issues zu beeinflussen sowie ! Evaluation der Ergebnisse mit Blick auf die erreichbaren Ziele. Auch wenn Chase als Vater des Issues Managements bezeichnet wird, sollte bedacht werden: Issues Management entwickelte sich als Managementmodell von PR, das den Prozess der Früherkennung von Themen betont und in dieser <?page no="111"?> 96 Theoretische Ansätze und Modelle Form, wenngleich weit unsystematischer, auch schon vorher in den Unternehmen praktiziert wurde. Neu ist die Akzentuierung auf systematische Forschung, Recherche und Planung in der Unternehmenskommunikation, die endgültig ins Zentrum des Managementprozesses rückt. „Issues management is the management process whose goal is to help preserve markets, reduce risk, create opportunities, and manage image as an organizational asset for the benefit of both the organization and its primary stakeholders“ (Ewing 1997, 173). Vorrangige Bezugsgruppen für Unternehmen sind Kunden und Mitarbeiter, Kapitalgeber und die Massenmedien. Issues Management als proaktiver Ansatz der Unternehmenskommunikation verbindet geschäftliche Entscheidungen mit potenziellen und realen Entwicklungen des Unternehmensumfeldes. Der theoretische Ansatz umfasst folgende Elemente: Antizipation aufkommender Themen: Normalerweise kann Issues Management höchstens einen Zeitraum von ein bis drei Jahren erfassen, denn Emotionen in der öffentlichen Meinung können sich sehr dynamisch entwickeln, wenn z. B. mächtige Interessengruppen oder Medien das Thema fördern. Krisenkommunikation kümmert sich um bereits aufgetretene Probleme. Issues Management legt den Schwerpunkt auf absehbare Probleme und kann daher der Krisenprävention dienen. Identifikation ausgewählter Themen: Ein Unternehmen kann nur wenige Themen gleichzeitig bearbeiten. Deswegen wird eine effiziente Planung auch nur fünf bis zehn Themen erfassen und Prioritäten ausweisen. So kann sich die Unternehmenskommunikation auf wenige Issues konzentrieren. Jedes Unternehmen kann speziell zugeschnittene Kategorien für reale und potenzielle Issues entwickeln. Umgang mit Chancen und Gefahren: Die meisten Themen können das Unternehmen beschädigen, aber auch Chancen beinhalten. Issues Management bezieht sich nicht nur auf die Abwehr von Risiken, Konflikten und Gefahren, sondern auch auf die Entdeckung von Potenzialen (Kuhn/ Ruff/ Splittgerber 2014, Wiedemann/ Ries 2014). Die Betonung des Chancenpotenzials von Issues geht nicht nur von der Erkenntnis aus, dass jede Krise auch eine Chance birgt, sondern bezieht sich auch auf die Entdeckung imagefördernder und markenstabilisierender Themen (Röttger 2003, 17). Planung, die von der Umwelt des Unternehmens ausgeht: Die externe Umwelt, nicht interne Sichtweisen bestimmen die Priorität der Issues. Im Gegensatz zum Marketing hat Issues Management vor allem das externe soziale und politische Umfeld im Blickpunkt. Ertragsorientierter Ansatz: Obwohl Issues Management der Krisenprävention dient und die Veränderungen der Umwelt in die Unternehmensentscheidungen inte- <?page no="112"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 97 grieren soll, darf nicht verkannt werden: Dieser Ansatz dient der Legitimation eines Unternehmens − etwa wenn externe Faktoren den Absatz von Produkten und Dienstleistungen bedrohen − sowie der offensiven Nutzung von Chancen für geschäftliche Aktivitäten. Zeitplanung für die Maßnahmen: Issues haben einen Lebenszyklus. Je früher sie entdeckt und aktiv gestaltet werden, desto größer ist das Einflusspotenzial des Unternehmens. Außerdem können Themen revitalisiert werden. Maßnahmen, die zeitlich exakt auf den Lebenszyklus eines Themas abgestimmt sind, bilden das Hauptinstrument dieses Konzeptes. Zeitliche Flexibilität entsprechend der Themenentwicklung ist notwendig. Unterstützung durch das Top-Management: Während viele PR-Abteilungen in Unternehmen oft machtlos auf nachgeordneten Ebenen agieren und im Nachhinein Themen in der Öffentlichkeit rechtfertigen, benötigt Issues Management die Unterstützung der Geschäftsleitung, vor allem des Top-Managements. Ohne diese Unterstützung und die Vernetzung der Kommunikationsmit der Geschäftsstrategie wird Issues Management zur Farce (Wiedemann/ Ries 2014, 509 f., Heath/ Palenchar 2009, 92 ff.). In der Praxis wird ein Issues Management-System dann als erfolgreich eingeschätzt, wenn es das interne Kommunikationsmanagement zielführend umsetzt. Es gilt, gewonnene Informationen zu strukturieren, diese gezielt und schnell zu vermitteln, die am Issues Management-Prozess Beteiligten und ihre Informationsträger zu vernetzen, eine Plattform für den Austausch zu bieten und vor allem „Awareness“ für priorisierte Themen zu generieren. Als ganz wesentlich wird die Möglichkeit eingeschätzt, Chancen- und Risikothemen sowie die notwendigen Handlungsempfehlungen in die Entscheidungsprozesse der obersten Managementebenen zu bringen (Kuhn/ Kalt/ Kinter 2003, 9 f.). 4 4 . . 2 2 P P l l a a n n u u n n g g d d e e s s P P r r o o z z e e s s s s e e s s Aufgabe des Issues Managements ist vereinfacht die Identifikation von Issues und Stakeholdergruppen, welche die Ziele und Handlungen eines Unternehmens beeinflussen können, deren aktive Verarbeitung im Unternehmen sowie die kontinuierliche Partizipation an der öffentlichen Meinungsbildung. Zwei Sichtweisen stehen hierfür zur Verfügung. Die inside-out-Perspektive betrachtet zuerst das Aufgabenfeld des Unternehmens und visiert Kunden, Konkurrenten, Produkte und Technologie an. Die outside-in-Perspektive möchte hingegen zunächst ein adäquates Verständnis des Unternehmensumfeldes gewinnen, ohne diese Analyse zu schnell „durch die Brille des Unternehmens“, d. h. die unternehmensspezifische Sichtweise einzuengen. <?page no="113"?> 98 Theoretische Ansätze und Modelle Wie kann der Prozess des Issues Managements geplant und umgesetzt werden? Die Prozessphasen des Issues Managements (Schaubild 20) umfassen die Umfeldbeobachtung und Trendbündelung, die Diagnose sowie die Antwortstrategien. In der Phase der Umfeldbeobachtung werden Informationen gewonnen. Das Scanning dient dazu, neue Trends oder Issues aufzuspüren, aber auch Bereiche, die genauer untersucht werden müssten. Im Rahmen des Monitoring werden dann die erfassten Veränderungen oder Auffälligkeiten einer genaueren Untersuchung unterzogen (Ingenhoff 2004, 76 ff. u. 228 ff.). Insbesondere das Scanning ist eine klare Domäne der outside-in-Betrachtungsweise, zumal mit dieser Vorgehensweise ein breiteres Spektrum neuer Themen zu erwarten ist als bei einer inside-out-Orientierung. Nachteile liegen jedoch in dem hohen Aufwand für das Sammeln der Informationen, den vorprogrammierten Streuverlusten und der Unsicherheit, ob sich der Aufwand lohnt. Schaubild 20: Phasen des Issues Managements Quelle: in Anlehnung an Liebl (2000, 71). Nichtsdestotrotz werden mit zunehmender Entwicklung des Issues Managements auch die Methoden zur Issue-Identifikation ausgefeilter (Wiedemann/ Ries 2014). In der Praxis kommen für das Scanning auch Kreativitätstechniken sowie Delphi-Verfahren und Risk Mapping zum Einsatz (ebd., 501 ff.). Auch wird das Methodenspektrum der Zukunftsforschung eingesetzt. Für die Identifikation von Issues empfehlen sich vor allem Szenarioanalysen, Trendforschung sowie die SWOT-Analyse (Kuhn/ Ruff/ Splittgerber 2014, 517 ff.). Idealerweise beinhaltet ein Konzept für Unternehmenskommunikation eine Komponente, die die (potenziellen) Issues eines Unternehmens identifiziert. Ob dieser Ansatz „Issues Management“ genannt wird oder strategische Gesamt- Scanning Monitoring Umfeldbeobachtung Aggregation und Bündelung von Trends/ Issues Formulierung einer entsprechenden Antwortstrategie Diagnose von Relevanz und Brisanz <?page no="114"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 99 konzeption, ist nachrangig. Auch in einer guten Situationsanalyse der internen oder externen PR können solche antizipativen und proaktiven Elemente enthalten sein. In der Praxis fehlt oft die Zeit, aufwendige Untersuchungen durchzuführen, oder die Aufmerksamkeit ist auf spätere Phasen des PR-Managementprozesses gerichtet. Proaktives Kommunikationsmanagement versucht, drohende Kontroversen oder mögliche Chancen zu berechenbaren Faktoren werden zu lassen, denen das Unternehmen mit konkreten Planungen begegnen kann. Folgende Fragen können den Prozess initiieren und beleben: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Issue eine wesentliche Auswirkung auf das Unternehmen hat? Diese Frage muss ständig neu beantwortet werden, denn die Unternehmensumwelten ändern sich heute rasanter denn je. Hat das Unternehmen alleine oder zusammen mit anderen Firmen das Problem? Brent Spar war ein Issue, das die Shell AG zu bewältigen hatte. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima produzierte Issues, die sowohl die Hersteller von Kernkraftwerken, die Betreiber (z. B. die EVUs) als auch die Politiker betrafen. Wenn ein Thema sich zwar hauptsächlich auf eine Firma bezieht, aber nicht alleine, wird die Frage zu beantworten sein: Wer ist zuständig und verantwortlich für das Issues Management? Welche Rolle will und soll die einzelne Firma zum jeweiligen Zeitpunkt spielen? Ein Beispiel für das komplexe Feld von Issues, die Bezüge zu vielen Unternehmen haben, ist die Diskussion über die Entschädigung der NS- Zwangsarbeiter durch die deutsche Industrie. Welche Variablen beeinflussen ein Issue? Wer die Entwicklung von Themen beeinflussen will, muss Meinungen und Einstellungen von Menschen verändern. Voraussetzung hierfür ist, die „gesellschaftlichen Wertungen sowie Reaktionen“ der Stakeholder einzuschätzen (Wiedemann/ Ries 2014, 504). Je länger ein Thema diskutiert wird, desto schwieriger wird dies. Sind die Einstellungen und Haltungen, die es zu beeinflussen gilt, sehr emotional geprägt, sind Veränderungen bei solchen Issues schwer zu erreichen. Dies trifft vor allem auf Fragen der Religion, der Lebensweise und der Selbstachtung zu. Je größer der Einflussbereich eines Issues ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass er sich mit anderen Einstellungen, Ängsten oder Konflikten verbindet. Je mehr Themendimensionen (z. B. soziale, politische, technische, ökonomische, rechtliche Aspekte) ein Issue vorweist, desto schwieriger ist es zu beeinflussen. Unternehmensthemen haben meist eine ökonomische, rechtliche, aber auch soziale und politische Dimension (z. B. bei Fusionen von Unternehmen). Je mehr ein Issue von einem Ereignis verursacht wurde („event-driven-issues“), umso schwerer wird es, Einfluss auszuüben. Issues Management braucht Zeit, um die Planungsprozesse abzuwickeln und will auch den Zeitpunkt selbst be- <?page no="115"?> 100 Theoretische Ansätze und Modelle stimmen. Ereignisse sind meist schwer vorhersehbar und produzieren oft mehrere Issues. Auch wenn die Anfangsereignisse nicht vorhersehbar waren, sind die folgenden Phasen durchaus plan- und gestaltbar. Durch Issues Management kann eintretenden Krisen planvoll, bewusst und souverän begegnet werden. In der Regel gelten für sie dann die Gesetze der Risikobzw. Krisenkommunikation. Je einflussreicher und zahlreicher die Stakeholder sind, die sich der Haltung eines Unternehmens widersetzen, desto weniger lässt sich das Issue beeinflussen. Die Glaubwürdigkeit von Stakeholdern spielt ebenso eine Rolle. Auch Mitleid- oder Neideffekte steigern den Einfluss von Stakeholdergruppen. Je größer die Anzahl der Stakeholder bei einem Issue ist und je mehr Stakeholder die Auseinandersetzung polarisieren, desto schwerer lässt sich ein Thema beeinflussen. Des Weiteren steigert der sog. „Dread-Faktor“ das Mobilisierungspotenzial von Issues (Wiedema n n/ Ri es 2014, 504). Ei n besonders hoh es Einflusspo te nt ial haben Issues, die in starkem Maße angst- und empörungsauslösend sind, einen hohen Medienwert haben, sowie die schnelle Identifikation von „Tätern“ (z. B. ein Unternehmen oder dessen Mitarbeiter) und „Opfern“ ermöglichen, mit denen sich die Öffentlichkeit solidarisch zeigen kann. Issues Management soll also dem Unternehmen helfen, „Überraschungen“ als Folge sozialer und politischer Veränderungen zu minimieren, indem es im Sinne eines Früherkennungssystems potenzielle Gefahren und Chancen der Umwelt identifiziert. Gleichzeitig fungiert es als „Steuerungswerkzeug für bereits manifestierte Issues“ (Kuhn/ Ruff/ Splittgerber 2014, 525). Issues Management analysiert die vergangene Entwicklung von Issues, schätzt deren Bedeutung für das Unternehmen ein und versucht, die Themenentwicklung der Unternehmensposition entsprechend zu beeinflussen. Es versucht, systematische und effektive Antworten auf Issues zu liefern, indem es als koordinierende und integrierende Kraft im Unternehmen wirkt und Lösungsvorschläge für den Umgang mit konkurrierenden internen und externen Stakeholder- Gruppen erarbeitet. 4 4 . . 3 3 T T h h e e m m e e n n k k a a r r r r i i e e r r e e n n u u n n d d L L e e b b e e n n s s z z y y k k l l e e n n Jede Gesellschaft steckt voller Probleme und jede Öffentlichkeit reflektiert eine bestimmte Anzahl davon, allerdings nicht alle. „Öffentliche Aufmerksamkeit ist knapp“, mahnt Niklas Luhmann. Selbst die als durchaus dringlich erachteten Themen bekommen meist nur über eine knappe Zeitspanne ihre ganze Aufmerksamkeit. Wichtigstes Merkmal eines Issues ist seine Themenkarriere in der nicht-öffentlichen und öffentlichen Diskussion. <?page no="116"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 101 Diese auf Anthony Downs und Niklas Luhmann zurückgehende These ist heute empirisch bewiesen. Wie verläuft der typische Lebenszyklus eines Themas (Schaubild 21)? Ein latent vorhandenes Problem wird erkannt und definiert, d. h. „beim Namen genannt“. Dadurch können nun Ideen und Vorschläge zu diesem Thema vorgebracht und öffentlich diskutiert werden. Oder ein Einzelereignis wird zum Anlass von Betroffenheit. Ähnlich Betroffene gesellen sich dazu, es wird ein Trend. Intellektuelle oder Aktivisten formulieren ein Anliegen und machen es öffentlich. Ansprüche werden formuliert, Forderungen aufgestellt. Das Thema stößt auf größere Aufmerksamkeit. Mächtige Interessengruppen greifen ein. Eine Lösung wird überfällig. Dann ist eine Lösung in Sicht: Ein neues Gesetz, eine neue Vorschrift wird initiiert. Danach erlahmt das allgemeine Interesse. Doch der Lebenszyklus eines Issues ist revitalisierbar, wenn das Konfliktpotenzial nicht reduzi ert wu rd e. Schaubild 21: Idealtypischer Issues-Lebenszyklus Quelle: in Anlehnung an Molitor (1977, 10). Einzelereignisse Trends Anliegen öffentliche Anliegen potenzieller Anspruch konkreter Anspruch Anspruchsbefriedigung latenter Anspruch Zeit zunehmende Formalisierung und abnehmende Einflussmöglichkeiten Anzahl Interessierte Direkt Betroffene Intellektuelle, Wissenschaftler, Aktivisten Massenmedien, Politiker Anspruchsgruppen <?page no="117"?> 102 Theoretische Ansätze und Modelle Aus der Sicht von Unternehmen zahlt sich frühestmögliches Handeln auf jeden Fall aus (Schaubild 22). In den frühen Phasen einer Themenkarriere ist der Handlungsspielraum am größten. Außerdem steigt der Zeitdruck, in dem Aktionen realisiert werden können. Die Aufmerksamkeit ist nach einer Anlaufphase am größten, wenn das Issue sein Ziel erreicht hat - eine öffentliche Diskussion im Parlament, eine Gesetzesänderung oder aber das Unternehmen verzichtet auf sein Vorhaben z. B. den Bau einer Teststrecke für Autos. Dann sinkt die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, dafür steigen aber die Kosten auf der Seite des Unternehmens. Issues Management kann also auch unter Kostengesichtspunkten bewertet werden (Ingenhoff 2004, 16 f., Liebl 2000, 22). Issues Management - wird es richtig verstanden - ist eine äußerst offensive und einflussreiche Variante der Unternehmenskommunikation. In der Vergangenheit wurde oft kritisiert, dass die klassische PR nur ein Begleitprogramm für unterne hm eris che Ak tiv itäte n se i: Das Unt er ne hm en pl an e sein e Aktio nen un d di e PR müsse diese so gut es geht verkaufen. Im Gegensatz dazu ist Issues Management so konzipiert, dass die Möglichkeit gegeben ist, unternehmerische Entscheidungen zu beeinflussen. Die Methode Issues Management hat einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Unternehmenskommunikation geleistet: Sie ermöglicht die Einbeziehung des Kommunikationskonzeptes in die strategische Unternehmensplanung (Kuhn/ Ruff/ Splittgerber 2014, 530, Wiedemann/ Ries 2014, 496, Griffin 2014, 8). Schaubild 22: Aufmerksamkeit eines Issues und Konsequenzen für betroffene Unternehmen Quelle: Liebl (2000, 22). Zeit Handlungsspielraum Kosten der Bewältigung Aufmerksamkeit <?page no="118"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 103 Der Aktionsradius und oft das Ansehen der Kommunikationsmanager wurden dadurch aufgewertet. Außerdem hat die Unternehmenskommunikation die Verantwortung für das „Issues Scanning“ (Umfeldbeobachtung) und das „Issues Monitoring“ (Beobachtung der Trends und Meinungen) erhalten. Allerdings fehlen bis heute geeignete Instrumente und Methoden. Medienresonanzanalysen und Umfragen stellen nur einen ersten Schritt in diese Richtung dar, denn diese Instrumente reagieren nur auf starke Signale im Umfeld. Was sind „schwache Signale“ (weak signals) und was sind „starke Signale“ (strong signals) im Unternehmensumfeld? Wie erkennt man die „schwachen“ Hinweise? In der Unternehmenspraxis sind bereits erste individuelle Lösungen erarbeitet, die kontinuierlich weiterentwickelt werden, um Issues zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt zu antizipieren (Röttger/ Ingenhoff 2008, 136 ff., 146 ff.). Das Issues Management basiert auf dem Konzept einer gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen durch frühzeitige Antizipation von Anliegen, Themen oder kritischen Bewertungen. Die Kritiker haben daher neben der Methodenproblematik die „ethische“ Ausrichtung der Methode als ein Mittel der Unternehmenslegitimation scharf kritisiert. Die Kostenfrage sowie das Problem der Praktikabilität der Methoden sind bei Theorien der Unternehmenskommunikation häufig geäußerte Kritikpunkte, die sowohl von Praktikern als auch Wissenschaftlern vorgebracht werden. Sie werden daher auch im Falle des Issues Managements thematisiert. Nicht zu übersehen ist allerdings, dass Issues Management an das Methodenarsenal der Unternehmenskommunikation hohe Ansprüche stellt, deren Einlösung unter wissenschaftlichen Kriterien bis heute noch nicht erbracht wurde. Allerdings weist es dem Bereich Kommunikation den Weg ins Zentrum des Managements - von der Alibi-Position und Feuerwehr-Funktion der Vergangenheit hin zu einer Vernetzung mit Entscheidungen auf allen Ebenen der Unternehmen. <?page no="119"?> 104 Theoretische Ansätze und Modelle ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Die Anforderungen an die Unternehmenskommunikation ändern sich: Wertorientiertes Prozessmanagement ist gefragt. ! Das Kommunikationsmanagement der Unternehmen entwickelt sich vom Kostenfaktor zum strategischen Wert. ! Unternehmenswerte sind Koordinaten und Orientierungsmarken für ein modernes Kommunikationsmanagement. ! Zur Optimierung der Kommunikationsprozesse mit Blick auf die Werte (Visionen) und Leitbilder (Missionen) werden betriebswirtschaftliche Vorgehensweisen wie Balanced Scorecards eingesetzt. ! Kommunikation kann Werte schaffen, aber auch zerstören. ! Werte verbinden die Unternehmenskommunikation mit der Geschäftspolitik und eröffnen psychologische Zugänge zu den Zielgruppen. Außerdem sind sie die Grundlage zur Feststellung, ob Kommunikation zur Wertschöpfung eines Unternehmens beiträgt. ! Kommunikation ist auf die Schaffung von Unternehmenswerten ausgerichtet, wenn sie die Umsetzung von Geschäftstrategien fördert. ! Issues Management will als Früherkennungssystem die Unternehmensumwelt in den internen Entscheidungsprozess einbeziehen und Entwicklungen bzw. ihre öffentliche Thematisierung proaktiv steuern. ! Issues als öffentlich diskutierte Themen durchlaufen Lebenszyklen. Die Themenkarrieren sind revitalisierbar. ! Issues Management kann eine Eskalation von Konfliktthemen nicht gänzlich verhindern, aber deren Bearbeitung deutlich optimieren. <?page no="120"?> Kapitel 3: Wertorientiertes Kommunikationsmanagement 105 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Clampitt, Phillip G. (2013): Communicating for Managerial Effectiveness. Problems − Strategies − Solutions. 5th ed. Thousand Oaks: Sage Publications. Clampitt verbindet Theorie und Forschung mit reellen Case Studies. Im Mittelpunkt stehen Strategien und Werkzeuge im Umgang mit Kommunikationsproblemen, die einen wertschöpfenden Beitrag für die Organisation leisten können. Heath, Robert L./ Palenchar, Michael J. (2009): Strategic Issues Management. Organizations and Public Policy Challenges. 2nd ed. Thousand Oaks: Sage Publications. Heath verortet das Issues Management auf der Ebene der strategischen Unternehmensplanung und betont seine Wichtigkeit für die Corporate Social Responsibility des Unternehmens. Im Sinne der US-amerikanischen Forschungsperspektive argumentiert Heath für einen Dialog zwischen Unternehmen und beteiligten Gruppen. Wiedemann, Peter M./ Ries, Klaus (2014): Issues Monitoring und Issues Management in der Unternehmenskommunikation. In: Zerfaß, Ansgar/ Piwinger, Manfred (Hrsg.): Handbuch Unternehmenskommunikation. Strategie − Management − Wertschöpfung. 2., vollst. überarb. Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler, S. 493-512. Die Publikation beleuchtet den Issues Management-Ansatz und seine Entwicklungen. Issues Management wird als Prozess modelliert: Dieser reicht von der Identifikation, Bewertung und Priorisierung von Issues bis hin zur Entwicklung von Handlungsoptionen, Umsetzung und Erfolgskontrolle. Wippersberg, Julia (2012): Ziele, Evaluation und Qualität in der Auftragskommunikation: Grundlagen für Public Relations, Werbung und Public Affairs. Konstanz: UVK. Das Grundlagenwerk gibt praktische Tipps zur Evaluation von Kommunikationsmaßnahmen aus den Bereichen Public Relations, Werbung und Public Affairs. Für die Autorin ist Evaluation ein Mittel zur Zielerreichung und vor allem Qualitätssicherung im Unternehmen. Neben der theoretische Einordnung werden Instrumente vorgestellt und ihr Einsatz kritisch beleuchtet. <?page no="122"?> I I I I PPllaan nu unngg uun nd d OOppttiimmiie er ruunngg <?page no="124"?> K K a a p p i i t t e e l l 4 4 : : V V o o n n d d e e r r A A n n a a l l y y s s e e b b i i s s z z u u r r E E r r f f o o l l g g s s k k o o n n t t r r o o l l l l e e Die Zeiten, in denen Unternehmenskommunikation auf Gefühl und spontane Eingriffe vertrauend betrieben wurde, sind zu Ende. Vor allem in den USA und auch im deutschsprachigen Raum setzt sich die Professionalisierung dieses Kommunikationsbereichs durch. Unternehmenskommunikation wird als ein Feld betrachtet, in dem angewandte Forschung nützlich und systematische Planung unerlässlich sind. Kapitel 4 stellt zunächst verschiedene Ansätze vor, wie Unternehmen ihr Kommunikationsfeld strukturieren können, und diskutiert Vorgehensweisen der Konzipierung und Optimierung von Unternehmenskommunikation. Kommunikationsplanung umfasst die Problembeschreibung und Situationsanalyse, das Kommunikations- und Umsetzungskonzept sowie die Erfolgskontrolle. 1 1 S S t t r r u u k k t t u u r r i i e e r r u u n n g g d d e e s s F F e e l l d d e e s s : : Z Z i i e e l l g g r r u u p p p p e e n n , , S S t t a a k k e e h h o o l l d d e e r r uun ndd PPu ubblliiccss Ein erster Schritt systematischen Vorgehens ist die exakte Definition derer, an die sich Unternehmenskommunikation richtet. Gemeint sind die Personengruppen der internen und externen Umwelt, mit denen Beziehungen aufgebaut werden und die Informationen liefern oder erhalten sollen (Gregory 2014, 147 ff.). Aus Perspektive der Systemtheorie sind diese „Umwelten“ aus verschiedenen Gründen wichtig. Sie bilden den „Input“ der Außenwelt in das Unternehmen. Aber auch in den Firmen bestehen Subsysteme, die miteinander in Beziehung stehen und ebenfalls als „Input“ interessant sind. Der „Output“ von Unternehmenskommunikation soll gezielt diejenigen Bereiche der Umwelt erreichen, die der jeweiligen Zielsetzung entsprechen. Kommunikationsmanagement muss also als Erstes seine so verstandene Umwelt exakt strukturieren. Ein weit verbreitetes Strukturierungskonzept für Kommunikationsfelder hat die Betriebswirtschaftslehre entwickelt: die Einteilung in Zielgruppen. Bei Zielgruppen werden anhand empirischer Merkmale spezifische Ausschnitte aus dem Kommunikationsfeld definiert. Der Begriff Zielgruppe stammt aus der Marketinglehre, speziell der Werbewirtschaft. Unter einer Zielgruppe (engl. „target audience“) versteht man im Marketing eine bestimmte Menge von Marktteilnehmern, „die ‚homogener‘ auf kommunikationspolitische Maßnahmen reagieren <?page no="125"?> 110 Planung und Optimierung als der Gesamtmarkt“ (Olbrich 2006, 178). „Zielgruppen sind also die Adressaten von PR- und Werbeaktivitäten. Sie werden nach strategischen oder taktischen Gesichtspunkten ausgewählt und angesprochen, sei es mit publicityträchtigen Mitteln oder auf die feine Art des Dialogs“ (Avenarius 2008, 180). Wie kann man die Umwelt eines Unternehmens erfassen? Welches sind die Zielgruppen für die Kommunikationsarbeit? Da die Umwelt eines Unternehmens zunächst unübersichtlich und vielfältig ist, ist die Einteilung in Kontaktfelder (Schaubild 23) ein erster Schritt. Diese Einteilung kann als Raster dienen, damit keine wichtigen Gruppen vergessen werden (Avenarius 2008, 181). Bei der Zielgruppenplanung kann zwischen Primärzielgruppen und Sekundärzielgruppen unterschieden werden (Bruhn 2014a, 700 ff.). Primärzielgruppen sind solche, die als Meinungsführer agieren (z. B. Vertreter von Medien oder von Umweltorganisationen). Sie dienen sozusagen als „Relaisstation“ zwischen dem Unternehmen und den Sekundärzielgruppen und wirken auf deren Meinungsbildung entscheidend ein. Das Unternehmen kann also überlegen, durch welche Primärzielgruppen welche Sekundärzielgruppen beeinflusst werden. Diese Vorgehensweise gründet auf das Konzept des Two-Step-Flow bzw. des Multi-Step-Flow der Kommunikationswissenschaft. Den Meinungsbildnern, die hohen Einfluss auf das Unternehmensimage haben, ist bei der Planung und Optimierung von Konzepten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Der häufig verwendete Begriff Zielgruppe spiegelt jedoch den Kommunikationsprozess nur unzulänglich wider und lässt Assoziationen zu einer rein instrumentellen Sichtweise des Vorgangs aufleben. An Stelle von Zielgruppen wird in dieser Publikation daher von Bezugsgruppen gesprochen. Das sind diejenigen Kommunikationspartner eines Unternehmens, mit denen es Beziehungen pflegt und an die sich die Unternehmenskommunikation richtet. Lediglich bei der Erläuterung marketingorientierter Modelle und Sichtweisen wird der Begriff Zielgruppe seiner Herkunft entsprechend weiter verwendet. <?page no="126"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 111 Schaubild 23: Kontaktfelder eines Unternehmens Quelle: Avenarius (2008, 181). Die Segmentierung des Kommunikationsfeldes (Einteilung in Bezugsgruppen) folgt je nach theoretischem Ansatz und praktischen Erfordernissen völlig unterschiedlichen Kriterien. Diese Merkmale sollen Kommunikationssegmente definieren, die in sich möglichst homogen sind. Mögliche Kriterien sind: ! demografisch oder sozioökonomisch definierte Gruppen (z. B. nach Geschlecht, Alter, Einkommen, Berufen, Bildungsgrad), ! geografisch definierte Gruppen (z. B. Bewohner einer Stadt, eines Landes), ! durch psychografische Kriterien geprägte Gruppen (z. B. durch Einstellungen, Verhaltensweisen, Lebensstile), ! durch Beziehungen zum Unternehmen definierte Gruppen (z. B. Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Kapitalgeber), ! Nutzer bestimmter Medien oder Kommunikationswege (z. B. Zeitungsleser, Online-Nutzer, Besucher von Veranstaltungen) sowie ! durch bestimmte Anlässe geprägte Gruppen (z. B. Bahn-, Flugreisende). Kapitalmärkte Absatzmärkte Beschaffungsmärkte Medienkonsumenten Kulturszene Wettbewerbsfeld Arbeitsmärkte Politischer Raum Wähler Gesellschaftspolitischer Raum Lieferanten Kundschaft Händlerschaft Aktionäre Banken Börsen Politiker Behörden Parlamente Regierungen Belegschaft Mitgliedschaft Gewerkschaft Branchen Verbände Standesorganisation Nachbarn Vereine Kirchen TV und Presse Schriftsteller Hochschulen Organisation <?page no="127"?> 112 Planung und Optimierung Stakeholder (Anspruchsgruppen) sind diejenigen Menschen, die von Entscheidungen eines Unternehmens betroffen sind oder mit ihrem Handeln selbst die Aktionen einer Firma beeinflussen können. „Organizations have stakeholders. That is, there are groups and individuals who can affect, or are affected by, the achievement of an organization’s mission“ (Freeman 1984, 52). Sie können durchaus unterschiedliche Interessen verfolgen und über unterschiedliche Einflusspotenziale verfügen, um diese Interessen durchzusetzen. Stakeholder wurden ursprünglich als Gruppe angesehen, deren Interessen und Erwartungen das Management eines Unternehmens auf jeden Fall berücksichtigen müssen. Sie wurden definiert als „those groups without whose support the organization would cease to exist“ (Freeman 1984, 31). Der Begriff darf jedoch keinesfalls mit „shareholder“ (Aktionär) verwechselt werden. Finanzgeber sind wichtige Stakeholder, aber nicht die einzigen. Wodurch wird eine Gruppe zu einem Stakeholder bzw. wann wird aus einer Bezugsgruppe eine Anspruchsgruppe? In Anlehnung an Liebl (2000, 30) können folgende Kriterien festgehalten werden: ! Formale, z. B. vertragliche Beziehungen: Dies sind alle Gruppen, die durch formale Beziehungen mit dem Unternehmen verbunden sind, z. B. Lieferanten, Mitarbeiter, Kapitalgeber, Geschäftspartner. ! Stellungnahmen zu einem Issue: Stakeholder werden durch ihre Aussagen und ihr Handeln mit Blick auf eine Streitfrage sichtbar. ! Vermutetes Interesse: Hierunter fallen Gruppen, deren Interessen vermutlich betroffen sind oder die ihren Einflussbereich verändert sehen können. ! Opinion Leader: Dazu zählen Personen, die nicht direkt durch Unternehmensentwicklungen betroffen sind, aber Meinungen anderer beeinflussen. Die Zusammensetzung und Rangfolge der Anspruchsgruppen hängt von den Besonderheiten jedes Unternehmens ab. In der Praxis kommt das „environmental scanning“ meist zu kurz. Viel zu schnell werden Einzelmaßnahmen entworfen oder Stakeholder eher nach Gutdünken ausgewählt. Eine klare Gewichtung der Stakeholder ist unerlässlich, um effiziente Kommunikationskonzepte zu entwickeln. Die Strukturierung des Kommunikationsfeldes durch Stakeholder verbindet zwei Dimensionen: die Bezugsgruppen und das Anliegen (Issue), das sie dem Unternehmen gegenüber vorbringen. Der Konfliktgehalt der Themen einer realen oder potenziellen Auseinandersetzung eines Unternehmens mit Stakeholdern kommt nach Liebl auf verschiedene Weise zum Ausdruck: ! „Es herrschen unterschiedliche Vorstellungen über die Lösung eines allgemein anerkannten Problems. <?page no="128"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 113 ! In Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt klaffen die Wertvorstellungen der Kontrahenten auseinander. ! Es gibt zwar Konsens über das, was angestrebt werden sollte, jedoch bricht ein Verteilungskampf aus“ (Liebl 2000, 21). Issues stehen im Brennpunkt unterschiedlicher Interessen. Unmittelbare Interessen eines Unternehmens stehen denen von Andersdenkenden gegenüber. In der internen Unternehmenskommunikation können dies z. B. die Geschäftsleitung und der Betriebsrat sein, in der externen Öffentlichkeit die Vertreter der Arbeitgeber und der Gewerkschaften. Des Weiteren mischen sich meist andere, wichtige Stakeholder ein, z. B. Politiker oder Personenkreise mit persönlichen Interessen, etwa Vertreter einer Berufsgruppe oder Betroffene. Da ein Großteil der öffentlichen Unternehmenskommunikation über Medien transportiert wird, befinden sich Journalisten nahezu immer in der Rolle der Stakeholder. Das Entstehen von Issues und deren Aufmerksamkeitswert hängt vom Zusammenspiel verschiedener Komponenten ab (Schaubild 24). Dazu gehören das Unternehmen mit seinen Kommunikationsprozessen, Produkten und Leistungen, die Stakeholder sowie Trends bzw. Ereignisse, die im Laufe einer Themenkarriere auftreten. Die inhaltliche Grundlage eines Issues bilden der Problemgehalt, die Interpretation eines Themas sowie die Lösungsalternativen. Die Dynamik der Themenentwicklung wird beeinflusst durch die Medienberichterstattung sowie Agendas aller Art - von der Tagesordnung der Entscheidungsträger bis zur Auslastung der Redaktionen mit Stoff und Storys. Schaubild 24: Komponenten eines Issues Quelle: in Anlehnung an Liebl (2000, 57). Problemsymptome Issue Agendas Deutungsrahmen/ Interpretationen Strategie eines Unternehmens (Kommunikation/ Produkte/ Technologien) Trends/ Ereignisse Stakeholder Medien-Berichterstattung Lösungsalternativen Issue/ T hema <?page no="129"?> 114 Planung und Optimierung In der PR-Theorie ist das Modell einer situativen Öffentlichkeit entstanden, entwickelt und begründet von Grunig und Hunt (1984). An diesem Konzept ist interessant, dass situative Öffentlichkeiten, vielfach auch als Teilöffentlichkeiten (Avenarius 2008, 179) bezeichnet, sich aus bestimmten Personen oder Gruppen zusammensetzen, die über einen gemeinsamen Sachverhalt diskutieren oder zu einer bestimmten Position ähnlich denken. Sie können aus Menschen bestehen, ! die einem ähnlichen Problem gegenüberstehen, ! die erkennen, dass dieses Problem besteht und ! die sich organisieren, um mit diesem Problem umzugehen. Aufgrund dieser Phänomene lassen sich nach Grunig und Hunt (1984, 145 f.) folgende Teilöffentlichkeiten unterscheiden: ! Nicht-Teilöffentlichkeiten: sie haben mit dem Problem nichts zu tun und wissen - noch - nichts davon; ! latente Teilöffentlichkeiten: sie sind betroffen, wissen es aber nicht; ! bewusste Teilöffentlichkeiten: sie sind sich des Problems bewusst, unternehmen aber nichts; ! aktive Teilöffentlichkeiten: sie organisieren sich, um etwas zu tun. Wie können die „publics“ (Teilöffentlichkeiten), auf die sich die Kommunikationsarbeit bezieht und die durch Kommunikation erst entstehen, geordnet werden? Grunig und Hunt (1984, 145) unterscheiden latente und aktive Öffentlichkeiten. Drei Faktoren führen latente Öffentlichkeiten in ein aktives Stadium: ! Das Erkennen eines Problems („problem recognition“) bedeutet, dass die Menschen merken, dass etwas fehlt oder schief geht. Deshalb werden sie aufmerksam und wollen weitere Informationen bekommen. ! Das Erkennen von Handlungsmöglichkeiten, aber auch von Schranken und Grenzen („constraint recognition“) beeinflusst die Einschätzung der Menschen, ob es sich lohnt, in einer konkreten Situation etwas zu unternehmen. Wenn Menschen glauben, dass sie eine Problemsituation beeinflussen können, werden sie weitere Informationen zur Vorbereitung von Aktionen suchen. ! Die Betroffenheit bzw. Beteiligung („level of involvement“) gibt den Ausschlag für die Aktivität. Wenn Menschen glauben, dass sie von einem Problem betroffen oder irgendwie beteiligt sind, werden sie eher darüber kommunizieren (Grunig/ Repper 1992, 135 ff.). Die Identifikation von Teilöffentlichkeiten ist für Unternehmen von zentraler Bedeutung, um mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen und zu bearbeiten. Aus der Unterscheidung zwischen Bezugsgruppen und Teilöffentlichkeiten kam Grunig zu dem wichtigen Schluss, dass „publics“, die durch die Ähnlichkeiten <?page no="130"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 115 ihres Kommunikationsverhaltens gekennzeichnet sind, grundsätzlich anders agieren als Gruppierungen, die z. B. durch demografische und/ oder soziale Attribute definiert sind, z. B. Zielgruppen (Bezugsgruppen). „Publics“ werden nicht durch soziodemografische Merkmale, sondern durch spezielle Themen und Situationen definiert, die Zusammensetzung, Größe und die Möglichkeiten zur Interaktion beeinflussen. Andernfalls würde es sich um Zielgruppen handeln. Unterscheidungsmerkmale sind Interaktionen und gemeinsames Interesse. Teilöffentlichkeiten sind soziale Gruppen, deren Handeln auf ein Interesse ausgerichtet ist und die untereinander in Verbindung stehen. Sie nehmen sich als aktive Gruppen wahr. Zielgruppen hingegen sind nach beliebigen Merkmalen differenzierte, disperse Publika, die ihre Entscheidung mehr oder weniger frei vor dem Hintergrund ihrer psycho-sozialen Realität als Individuen treffen. Zur Strukturierung der Umweltbeziehungen von Unternehmen liegen also vielfältige Konzepte vor. Grunig und Hunt ist es zu verdanken, dass mit der Ergänzung der Bezugs- und Anspruchsgruppen durch das Konzept der situativen Teilöffentlichkeiten ein weiteres theoretisches Konzept zur Segmentierung des Kommunikationsfeldes geschaffen wurde. Öffentlichkeiten konstituieren sich durch Kommunikationsvorgänge, nicht jedoch durch formale Merkmale wie Alter, Einkommen oder Beruf. Latente Öffentlichkeiten können aktiv werden, wenn sie Probleme wahrnehmen, Handlungschancen sehen und letztlich irgendwie betroffen sind oder sich betroffen fühlen. Die Umweltbeziehungen eines Unternehmens können also in Phasen eingeteilt werden (Choo 2009, 228 ff.): die Phase der Stakeholder, der Teilöffentlichkeiten und der Issues, in denen das Kommunikationsmanagement eines Unternehmens in der öffentlichen Auseinandersetzung nach und nach an Handlungsspielraum verliert (Schaubild 25). Phase der Stakeholder: Diese erste Phase wird meist in der Unternehmenspraxis übersehen. Sie umfasst die Menschen, die von Entscheidungen des Unternehmens betroffen sind oder diese beeinflussen können. Da die Themen meist noch nicht kontrovers diskutiert werden, sind sie in ihren Meinungen und Einstellungen noch offen und keineswegs festgelegt. Kommunikationsbeziehungen zu den Stakeholdern sind außerordentlich wichtig. Sie ermöglichen es, langfristig stabile Beziehungen aufzubauen, die Unternehmen benötigen, um ihren Handlungsspielraum zu erhalten oder aktuelle Krisen zu bewältigen. <?page no="131"?> 116 Planung und Optimierung Schaubild 25: Dimensionen der Umweltbeziehungen: Differenzierung der Öffentlichkeiten Quelle: in Anlehnung an Grunig/ Hunt (1984) und Choo (2009). Phase der Teilöffentlichkeiten („publics“): Diese Art der Segmentierung des Publikums ist theoretisch noch wenig behandelt. Zwar haben die Marketing-Fachleute eine Vielzahl an Techniken erarbeitet, wie der Markt eingeteilt werden kann, die jedoch alle Zielgruppen, aber nicht Teilöffentlichkeiten erfassen. Beides gilt es auseinanderzuhalten. Unternehmen können ihre Märkte wählen, auf denen sie tätig sind. Sie schaffen und binden dort möglichst viele Kunden. Teilöffentlichkeiten hingegen können von alleine entstehen und sich Unternehmen aussuchen, mit denen sie sich beschäftigen. Sie organisieren sich rund um Probleme. Sie können lange Zeit passiv bleiben und sich unerwartet öffentlich präsentieren. Unternehmen haben dann nicht mehr die Wahl, ob sie sich mit ihnen auseinandersetzen wollen. Phase des Issues Managements („issue stage“): Werden Probleme nicht gelöst oder ist ein Unternehmen seinem Umfeld gegenüber ignorant, kann die dritte Phase der Beziehungen erreicht werden. Ein Interessenkonflikt erreicht das Stadium der öffentlichen Thematisierung, in denen Medien eine gewichtige Rolle spielen. „Publics organize and create ,issues‘ out of the problems they perceive. Public relations should anticipate these issues and manage the organization’s response to them“ (Grunig/ Repper 1992, 124). In der Medienöffentlichkeit wird Unternehmenskommunikation auch für Externe sichtbar. Unternehmen agieren - je nach Selbstverständnis und Situation - reaktiv oder proaktiv, um Medien zu beeinflussen. Im Unterschied zu anderen Formen der Öffentlichkeit verfügt die Medienöffentlichkeit über ein relativ kalkulierbares Publikum und eigene Selektionsregeln, z. B. Nachrichtenwerte (Mast 2012a, 57 ff.). „stakeholder stage“ Anspruchsgruppen „publics“ Teilöffentlichkeiten „issue stage“ Öffentliche Thematisierung <?page no="132"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 117 2 2 P P l l a a n n u u n n g g In der deutschsprachigen Literatur findet man nur vereinzelte Ausführungen zur Planung von Unternehmenskommunikation (Hansen/ Bernoully 2013, Leipziger 2009, Bischoff 2008, Schmidbauer/ Knödler-Bunte 2004). Häufig werden die vier allgemeinen Phasen der Öffentlichkeitsarbeit beschrieben: Ausgangslage, Planung, Durchführung und Kontrolle (Broom/ Sha 2013, 262 ff.). Wie die Ausgangslage zu untersuchen ist, welche Informationen dabei wichtig sind und wie Planung vorzunehmen ist - darüber machen die meisten Autoren keine Angaben. Dieses theoretische Defizit ist in der Literatur nicht mehr zu übersehen. Es fehlt ein umfassender und systematischer Ansatz zur Planung und Optimierung von Unternehmenskommunikation. 2 2 . . 1 1 P P r r o o b b l l e e m m w w a a h h r r n n e e h h m m u u n n g g u u n n d d S S i i t t u u a a t t i i o o n n s s a a n n a a l l y y s s e e Häufig wird unterschieden zwischen langfristiger und kurzfristiger Planung. Die langfristige Planung kann sich über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren erstrecken. Sie stellt dann den Rahmen für die kurzfristige Planung dar, die mit einem Zeithorizont von ca. einem Jahr ungleich konkreter und präziser ist. Man unterscheidet zwei Planungsstufen. Die strategische Planung bezieht sich auf die Entwicklung von grundsätzlichen Konzepten zur Sicherung des Unternehmenserfolgs. Eine Strategie kann als Festlegung bedingter, langfristiger Verhaltenspläne zur Erreichung der Unternehmensziele definiert werden. Die Maßnahmenplanung ist dagegen inhaltlich konkreter und präziser als die vorgelagerte strategische Planung. Planungsprozesse werden - dem jeweiligen Ansatz entsprechend - in Wissenschaft und Praxis in unterschiedlich viele Phasen eingeteilt. Broom und Sha (2013, 262 ff.) teilen den Public Relations-Prozess z. B. in vier Stufen ein, die alle gleichermaßen wichtig sind (Schaubild 26). Auch wenn in der Praxis diese vier Phasen ineinander greifen und oft nicht zu trennen sind, veranschaulicht das „Four-step Public Relations Process“-Modell von Cutlip die anfallenden Aufgaben. <?page no="133"?> 118 Planung und Optimierung Schaubild 26: PR-Prozess in vier Phasen Quelle: in Anlehnung an Broom/ Sha (2013, 264). Die Definition eines Problems (oder einer Gelegenheit) für aktive Kommunikationsarbeit beginnt mit der Untersuchung und dem ständigen Beobachten des Wissens, der Meinungen, Einstellungen und des Verhaltens all derer, die etwas mit dem Unternehmen zu tun haben oder von dessen Handeln betroffen sind. Die Erarbeitung eines Konzeptes sollte die gesammelten Informationen zu Entscheidungen verdichten sowie festlegen, welche Ziele, Taktiken und Strategien mit welchen Maßnahmen und bei welchen Bezugsgruppen in Angriff genommen werden sollten. Danach folgt die Implementierung der Maßnahmen, um die jeweiligen Ziele bei den Teilöffentlichkeiten zu erreichen. Die Evaluation des Konzeptes bzw. des Kommunikationsprogramms stellt den Abschluss des Planungsprozesses dar. Vorbereitung, Umsetzung und Ergebnisse der Maßnahmen werden bewertet. Diese Überprüfungen beginnen bereits während des Implementierungsprozesses. Konzepte werden so angepasst, fortgeführt oder ggfs. gestoppt (Broom/ Sha 2013, 263). Die Analyse der Beziehungen eines Unternehmens zu seinen internen und externen Umwelten bildet nicht nur die erste Phase des Prozesses, sondern ist Taking Action and Communicating Assessment Situation Analysis Implementation Strategy Evaluating the Program Defining Public Relations Problems Planning and Programming 1 4 3 2 <?page no="134"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 119 auch die schwierigste. Am Anfang steht eine exakte Beschreibung des Problems oder der Chance, die weitergehende Aktivitäten hervorruft. Sie sollte folgende Bedingungen erfüllen (ebd., 268 f.): ! Problembeschreibungen sind im Präsens geschrieben und halten die gegenwärtige Situation fest. Sie beschreiben die Situation mit klaren und nachprüfbaren Fakten bzw. Beobachtungen, die Antwort geben auf Fragen wie: „Wo liegt die Quelle des Problems? Wann und wo tritt das Problem auf? Wer ist davon betroffen? Wie stark sind die Personen oder Gruppen betroffen? Warum ist das Problem für das Unternehmen oder seine Teilöffentlichkeiten bedeutsam? “ ! Eine Problembeschreibung sollte zunächst weder eine Lösung implizieren noch etwa Schuldzuweisungen vornehmen. Ein klassisches Beispiel für eine Problemanalyse, die bereits Lösungen vorschreibt, wird heute bis zum Überdruss benutzt: „Hier haben wir ein Kommunikationsproblem! “ Kommunikation ist meist ein Teil der Lösung, nicht das Problem. Eine Problembeschreibung - oft in wenigen Sätzen festgehalten - ist von einer Situationsanalyse zu unterscheiden, die ausführlich das zusammenstellt und wertet, was über die Situation, ihre Geschichte, die Akteure und die Stakeholder bekannt ist. Eine Situationsanalyse beinhaltet alle Hintergrundinformationen und soll die Problembeschreibung verdeutlichen oder auch ggfs. überarbeiten. Normalerweise beginnt der Planungsprozess mit einer ersten, vorsichtigen Problembeschreibung. In der Analyse der Situation hingegen werden zahlreiche weitere interne und externe Faktoren und Hintergründe berücksichtigt. Stakeholder-Analyse Eine systematische Analyse der Stakeholder ist erforderlich, um Kommunikationsmaßnahmen nicht auf Mutmaßungen oder subjektive Einschätzungen zu bauen, sondern genau zu wissen: ! Wer sind die Stakeholder? ! Was wissen sie über das Unternehmen und das aktuelle Problem? ! Wie denken und urteilen sie über die aktuelle Situation? ! In welchem Grad sind sie selbst beteiligt oder gar betroffen? ! Welche Informationen sind in ihren Augen wichtig? ! Woher bekommen sie welche Informationen und wie gehen sie damit um? <?page no="135"?> 120 Planung und Optimierung Von diesen Ergebnissen ausgehend kann eine Prioritätenliste der Stakeholder nach folgenden Kriterien aufgestellt werden: ! Wer kann den weiteren Verlauf am meisten beeinflussen? ! Wer ist für das Unternehmen am wichtigsten? Wer agiert als Multiplikator? ! Welche Gruppen sind in hohem Maße interessiert oder betroffen? Bevor externe Einflüsse eingehend analysiert werden, sollte die Situationsanalyse mit der Untersuchung der internen Aktionen und Prozesse beginnen, die für das Problem bedeutsam sind. Dies schließt ein sog. „Kommunikations-Audit“ ein - also eine Dokumentation und Überprüfung aller Kommunikationsmaßnahmen eines Unternehmens - mit dem Ziel, die Beziehungen zu den Stakeholdern und Teilöffentlichkeiten zu verstehen und ggfs. zu verbessern. Dazu gehört auch eine systematische Befragung wichtiger Akteure im Management. Nachdem auf der Seite des Unternehmens klar ist, wie das Problem gesehen wird, können externe Faktoren einbezogen werden. Den Anfang eines PR-Konzeptes bildet die systematische Ordnung der Stakeholder. Sie können priorisiert werden nach dem Grad der Betroffenheit, den diese Gruppen bei einem bestimmten Problem zeigen. Beim Thema „Streichung von Arbeitsplätzen“ stehen sicher die Mitarbeiter und deren Angehörige auf Platz 1 der wichtigen Stakeholder. Bei Krisen sind es die Personengruppen, die unmittelbar betroffen sind (z. B. Käufer eines Produktes, Nachbarn einer Industrieanlage). Hinzu kommen die Gruppen, die am meisten Einfluss auf den weiteren Verlauf haben (z. B. Politiker, Ämter, Medien) oder deren Unsicherheit bzw. Angst am größten ist. In der Praxis wird die Situationsanalyse, die interne und externe Einflüsse berücksichtigt, zum sog. „SWOT“-Konzept ausgebaut (Schaubild 27). Es umfasst die Stärken („strengths“: Wo sind wir besser als der Durchschnitt? ), Schwächen („weaknesses“: Wo sind wir schlechter als der Durchschnitt? ), Chancen („opportunities“: Was könnte uns stärker machen? ) und Bedrohungen bzw. Herausforderungen („threats“: Welche Risiken könnten uns bedrohen? ) eines Unternehmens und eignet sich zur Strukturierung von Analysematerial. <?page no="136"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 121 Schaubild 27: Ausrichtung von PR-Strategien Quelle: in Anlehnung an Weihrich (1990, 32). Es gibt formale und informelle Methoden der Informationssammlung. Neben der Auswertung von Studien und Publikationen („formale Methoden“) gibt es informelle Methoden der Informationssammlung, die für Kommunikationskonzepte wichtige Hinweise geben können, z. B. (Broom/ Sha 2013, 274 ff.): ! Persönliche Kontakte und Beobachtung: Sie vermitteln ein Gefühl für die Bezugsgruppe. ! Schlüsselinformanten („key informants“): Sie stellen eine Variation der persönlichen Kontakte dar und sind meist Führungspersönlichkeiten, Experten bzw. „Menschen mit Erfahrung“, die eine ähnliche Situation schon einmal bewältigt haben. Andernfalls werden - je nach persönlicher Vorliebe - Taxifahrer, Wirte, „Lieschen Müller“ oder der „Mann auf der Straße“ nach ihren Eindrücken, spontanen Urteilen oder Stimmungen befragt. Diese Schlüsselinformanten werden ausgewählt, um deren Wahrnehmung eines Themas und ihre Fähigkeit einer anderen Sichtweise zu nutzen. ! Gruppendiskussionen: Ob Ad-hoc-Gruppen oder ständige Fokus-Gruppen - mit dieser Methode wird sowohl im Marketing wie auch in der Kommunikationsforschung gearbeitet. Fokus-Gruppen sind üblicherweise nach statis- „Strengths“: Stärken „Wo sind wir besser als der Durchschnitt? “ _____________________ _____________________ _____________________ „Opportunities“: Chancen „Was könnte uns stärker machen? “ _____________________ _____________________ _____________________ „Weaknesses“: Schwächen „Wo sind wir schlechter als der Durchschnitt? “ _____________________ _____________________ _____________________ „Threats“: Risiken „Welche Risiken könnten uns bedrohen? “ _____________________ _____________________ _____________________ <?page no="137"?> 122 Planung und Optimierung tischen Kriterien zusammengesetzt. Die Diskussionsverläufe werden mit aufwendigen Mitteln ausgewertet. Sie eignen sich vor allem für Pretests. ! Community Foren: In öffentlichen Town Hall Meetings können Meinungen und Informationen von Bürgern und anderen Stakeholdern zu Projekten und Vorhaben des Unternehmens eingeholt werden. ! Beratungsgremien oder Beiräte: Ein ständiger Ausschuss, Arbeitsgruppen oder ein Arbeitskreis, der die Abteilung bei der Unternehmenskommunikation berät, können u. U. hilfreicher sein als Gruppendiskussionen. Ihre Kenntnisse der speziellen Bedingungen des Unternehmens sind höher. ! Ombudsmänner und interne Vertrauenspersonen: Ombudsmänner spüren Probleme innerhalb der Organisation auf und machen Vorschläge, wie diese behoben werden können. Interne Vertrauenspersonen nehmen sich insbesondere den Problemen interner Stakeholder an und fungieren als Vermittler zwischen einer Organisation und seinen Angestellten in Streitsituationen. ! Call-in Telefonate: Vor allem gebührenfreie Hotlines können als „Frühwarnsystem“ für Unzufriedenheit und aufkommende Issues genutzt werden. ! Briefe/ E-Mails: Die Analyse von Briefpost/ E-Mails an Unternehmen dient ebenfalls als „Stimmungsbarometer“ oder „Frühwarnsystem“. ! Soziale Medien und andere Online-Quellen: Chatrooms, Foren, Blogs usw. können auf neue Themen und Argumente hin analysiert werden. Das Monitoring von Aktivitäten in diesen Kommunikationsräumen eröffnet einer Organisation, was und wie über sie gesprochen wird. ! Mitglieder des Unternehmens mit „Umwelt“-Kontakten: Berichte von Außendienstmitarbeitern, Kundenberatern, Personalbeschaffern usw. können systematisch auf neue Entwicklungen durchgesehen werden. ! „Formale“ Methoden der Informationssammlung (Broom/ Sha 2013, 280 ff.) sollen - im Gegensatz zu den informellen Instrumenten - repräsentative Ergebnisse hervorbringen. Die Gefahr dabei ist, dass der Aufwand für die Methoden zu sehr in den Vordergrund tritt, so dass schließlich nur noch spärliche Ergebnisse - meist auch noch zu spät - generiert werden. ! Bei Sekundäranalysen (Schnell/ Hill/ Esser 2013, 242 ff.) müssen in vielen Fällen nicht immer neue Datensätze erhoben werden. Zweitanalysen von Untersuchungen ergeben durchaus wertvolle Informationen. Die Datensätze der Sozialforschung, die mit und ohne Entgelt dem Unternehmen zur Verfügung stehen, sind zahlreich. ! Inhaltsanalysen (Brosius/ Haas/ Koschel 2012, 129 ff., Früh 2011, Mayring 2010) werden vor allem eingesetzt, um zu sehen, wie über ein Unternehmen in den Medien berichtet wird. Sie sagen aber nur darüber etwas aus, was in den Medien veröffentlicht und nicht, was gelesen, gehört oder gesehen wurde. <?page no="138"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 123 ! Umfragen (Mayer 2013, Brosius/ Haas/ Koschel 2012, 79 ff., Atteslander 2010, 109 ff.) werden schriftlich und mündlich als Ganzes oder nur als Bündel von Fragen in Auftrag gegeben. Es gibt eine Vielzahl zu berücksichtigender Faktoren, welche die Situation des Unternehmens im Kommunikationsfeld beeinflussen und ggfs. die Ursache für Imageprobleme oder Krisen sein können. Externe Einflussfaktoren sind z. B. die Situation der Branche, Einflüsse der Konkurrenten oder gesellschaftliche Entwicklungen. Interne Einflussfaktoren, die in die Situationsanalyse einfließen, sind die Unternehmensziele, -strategien, und -werte bzw. die gesamte Unternehmensphilosophie und das Selbstbild, welches das Unternehmen von sich hat. Hinzu kommen die Einstellungen und Meinungen von Mitarbeitern. Sie wirken als wichtige Meinungsmultiplikatoren (Schick 2014). Bisherige Kommunikationsaktivitäten und deren Erfolg bzw. ihr Einfluss auf die momentane Situation des Unternehmens sind weitere Einflussfaktoren. 2 2 . . 2 2 B B r r i i e e f f i i n n g g Die Analyse der Ausgangssituation gibt Auskünfte über die Wahrnehmung und Bewertung von Chancen und Problemen. Mit welchen Problemen haben wir es zu tun? Wo liegen die Ursachen und Kernprobleme? Wie bewerten wir sie? Für Fachleute der Unternehmenskommunikation beginnt die erste Phase eines Kommunikationskonzepts mit dem Briefing (Hansen/ Bernoully 2013, 43 ff.). Ob eine Agentur einen Auftrag erhält oder intern in einem Unternehmen ein Konzept erarbeitet werden soll - immer ist das Briefing die erste und wichtigste Informationsquelle, auf der alle weiteren Recherchearbeiten aufbauen. Jemand, der ein Kommunikationsproblem lösen will, beauftragt einen Fachmann aus dem Unternehmen oder eine externe Agentur. Für beide Fälle gilt: Kein Konzept kann besser sein, als es das Briefing hergibt. Wichtig ist es, im Briefing nicht nur die Fakten, sondern die Intention des Auftraggebers zu erfahren. Warum will er Kommunikationsaktivitäten in Gang setzen, welches Ziel hat er im Auge, welcher ungefähre Einsatz von personellen und materiellen Mitteln ist geplant? Umfassende Informationen müssen über Selbstverständnis, Philosophie, Unternehmenswerte und -kultur, das Verhältnis zum Markt und nicht zuletzt über Marketingziele des internen oder externen Auftraggebers abgefragt werden. Ein solches Gespräch wird mit einem gut strukturierten Fragenkatalog vorbereitet, der beiden Seiten einen effizienten Informationsaustausch ermöglicht. Die Funktion eines Gespräches ist aber nicht, nachlesbare Fakten abzufragen, son- <?page no="139"?> 124 Planung und Optimierung dern auch das zu erfahren, was nirgends geschrieben steht: Atmosphäre, Ansichten des Gesprächspartners über das jeweilige Problem, Meinungen und Fakten, die nicht unmittelbar für die Öffentlichkeit bestimmt sind, für die Lösung des Kommunikationsproblems aber wichtig werden können. Kommunikationsanalyse „Was genau ist die Aufgabe? “ „Wo liegen die Chancen und Risiken? “ „Wie wichtig sind sie? “ „Was folgern wir daraus? “ Im ersten großen Arbeitsschritt - der Kommunikationsanalyse - geht es darum, sich klar zu werden, was genau die zu lösende Aufgabe ist, welche Bedingungen für mögliche Lösungen zu erwarten sind und an welchen Punkten - nach eingehender Prüfung der Konstellation - mögliche Strategien ansetzen können. Hierbei werden umfangreiche Recherchen durchgeführt, Sachverhalte bewertet und letztlich auf einige wenige Schlussfolgerungen verdichtet. ! Definition der Probleme, Chancen oder Aufgaben: Erst muss die Aufgabe klar herausgeschält und festgelegt werden. Was muss getan werden? Was ist das Problem? Wie schaut das Risiko aus? Worin liegt die Chance? ! IST-Analyse: Nun schauen wir uns ganz genau die Mikroumwelt unserer Aufgabe an, d. h. die Organisation bzw. Person, für die das Konzept erarbeitet wird, den Gegenstand, worauf sich das Konzept bezieht (z. B. eine technische Erfindung), das Kommunikationsumfeld, wozu in erster Linie die Konkurrenten zählen, und die bisherige Kommunikationspraxis: Welche Kommunikationswege werden eingesetzt? Was wurde in der Vergangenheit versucht? Welche Erfahrungen liegen vor? ! IST-Analyse: Dann prüfen wir auch die Makroumwelt der Organisation oder Person, für die das Kommunikationskonzept erarbeitet wird. Enthält sie Trends, die für die spezielle Aufgabe wichtig sind? ! Haben wir im Briefing Vorgaben erhalten, die es zu beachten gilt? Gibt es ausformulierte Unternehmenswerte, -leitbilder oder -regeln? Gibt es Vorgaben hinsichtlich des Budgets oder des Zeitrahmens (Wie dringlich? )? ! Die Fülle der recherchierten Informationen muss nun systematisiert und strukturiert werden. Dafür wird in der Regel die SWOT-Analyse eingesetzt, in manchen Fällen auch andere Verfahren, z. B. der Fremd-/ Eigenbild-Vergleich. <?page no="140"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 125 ! Die Einflussfaktoren, die für die Kommunikationsaufgabe eine Rolle spielen, werden nun in eine Hierarchie gebracht und gewichtet. Es werden die Kernbereiche festgelegt, in denen unbedingt Ergebnisse erzielt werden müssen. Auf sie müssen Zeit, Energie und alle Fähigkeiten konzentriert werden: „Nur nicht verzetteln! “ Die Key Conclusions sind wichtig. In Ergänzung zum Briefing werden in den Abteilungen für Unternehmenskommunikation bzw. in den externen Agenturen zusätzliche relevante Fakten zusammengetragen. 3 3 K K o o n n z z e e p p t t i i o o n n u u n n d d R R e e a a l l i i s s i i e e r r u u n n g g Ist die Situation klar, muss eine Strategie erarbeitet werden, wie mit dem aktuellen Problem umzugehen ist oder wie eine gute Chance genutzt werden kann. Ein Kommunikationskonzept wird erarbeitet, um auf eine aktuelle Situation zu antworten, ein Problem abzuwenden oder eine Gelegenheit zu nutzen. Dieser nächste Schritt nach der Situationsanalyse, die Planung und Erarbeitung eines Kommunikationskonzeptes, entscheidet über den Erfolg der Maßnahmen. Viele PR-Praktiker nehmen sich jedoch meist nicht die notwendige Zeit und betreiben eigentlich eine Art „pseudoplanning“ (Dozier/ Grunig 1992, 412 f.). Strategisches Vorgehen heißt, dass Ziele oder Soll-Zustände definiert und die Kräfte einbezogen werden, die den Weg dorthin behindern oder fördern und ein Plan formuliert wird, wie man dorthin gelangt. Viele Probleme in der Unternehmenskommunikation entstehen dadurch, dass nicht das „Morgen“ konzeptionell erarbeitet, sondern das „Gestern“ bewältigt wird. Isoliert geplante oder spontan ergriffene Maßnahmen können großen Imageschaden anrichten, so z. B. wenn in der chemischen Industrie gerade ein gravierender Störfall mit katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt geschehen ist und gleichzeitig eine Werbekampagne dieser Branche in den Medien weiterläuft, die belegen soll, wie gut es der Natur geht, weil es diese Unternehmen gibt. 3 3 . . 1 1 S S t t r r a a t t e e g g i i s s c c h h e e Ü Ü b b e e r r l l e e g g u u n n g g e e n n , , Z Z i i e e l l e e u u n n d d Z Z i i e e l l p p u u b b l l i i k k u u m m Nach einer gründlichen Analyse einer Kommunikationsaufgabe gilt es, strategische Überlegungen anzustellen. Denn: Sowohl die anvisierten Ziele und Zielgruppen als auch die Art und Weise des Vorgehens wollen gut überlegt sein. Die <?page no="141"?> 126 Planung und Optimierung Kommunikationsstrategie hat vor allem das „Wie“ der Zielerreichung unter den besonderen Bedingungen der jeweiligen Kommunikationsaufgabe im Blick. Wichtig ist, nach der Festlegung der Ziele und der Vorgehensweise (Strategie) die möglichen Bezugsgruppen zu identifizieren und auszuwählen, die man vorrangig erreichen will. Bei den strategischen Überlegungen, d. h. der Festlegung des Kommunikationsplans geht es nicht nur darum, über Wege zu diesen Soll-Zielen nachzudenken, sondern vor allem darüber, wie diese Ziele bei den Zielgruppen möglichst schnell, effektiv und kräftesparend (z. B. Zeit, Geld, Personal) erreicht werden können. Strategien sind eben nicht nur „mögliche“ Wege zum Ziel, sondern im Idealfall ein „optimales“ Vorgehen. Wichtig ist dabei nicht zu vergessen, dass es andere Akteure (z. B. die Konkurrenz) gibt, die ebenfalls handeln und damit die Situation verändern können. Strategische Überlegungen sollten - ebenfalls wie die Auf gab enbesc hr eib ung - in einem kurz en Tex t sch r iftl ic h fe st ge ha lte n wer den und bei Präsentationen überzeugend vorgetragen werden. Die sieben häufigsten Auswahlstrategien für Bezugsgruppen, die in der Kommunikationspraxis angewandt werden, sind aus der Sicht einer PR-Agentur: [1] Die ‚Strategie des geringsten Widerstandes‘: Es werden diejenigen Bezugsgruppen angesprochen, die in der Analyse die größtmögliche Affinität oder Offenheit für die Kommunikationsinhalte erkennen ließen. [2] Die ‚Strategie der dicksten Bretter‘ würde dagegen argumentieren, dass es nichts bringt zu predigen, wenn die Zuhörer bereits bekehrt sind. Man würde sich also auf solche Bezugsgruppen konzentrieren, deren ,Widerstand‘ gegen die eigenen Positionen als besonders hoch gilt (in der Annahme, dass diese Gruppen meinungsprägend seien). [3] Die ‚Top-down-Strategie‘: Sie wird insbesondere in hierarchisch geprägten Kommunikationsumfeldern angewendet. Man geht hierbei von der Annahme aus, dass die Kommunikationsinhalte durch institutionelle Informationswege innerhalb der jeweiligen sozialen Umfelder (Unternehmen, Mediensystem usw.) von oben nach unten diffundieren - also z. B. ,vom Chefarzt zur Krankenschwester‘ oder mit der Annahme der meinungsbildenden Medien ,vom Spiegel zur Westfalenpost‘. [4] Die ‚Bottom-up-Strategie‘ ist das Gegenteil davon. Sie drückt das Vertrauen in informelle Informationswege aus oder das Misstrauen, die Top-Positionen oder Medien von den eigenen Positionen überzeugen zu können. [5] Die ‚First-things-first-Strategie‘ ist völlig pragmatisch und orientiert sich schlicht und ergreifend an den Kommunikationsoptionen, die sich am schnellsten bieten - den Bezugsgruppen, die mit den Medien oder den Veranstaltungen mit dem geringsten Vorlauf erreicht werden können. <?page no="142"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 127 [6] Die ‚Strategie der Allianz-Bildung‘ bezieht sich darauf, vornehmlich die Bezugsgruppen anzusprechen, von denen man sich im Themenwettbewerb Unterstützung verspricht. Die Gewinnung von Bezugsgruppen, um mit ihnen gemeinsam Kommunikationsplattformen als neutralisierte Absender von PR bilden zu können, gehört hierzu. [7] Die ‚Strategie des Trojanischen Pferdes‘ konzentriert sich auf die Überzeugung von ‚third parties‘, von Experten, Wissenschaftlern, Prominenten oder anderen Meinungsbildnern. Sie sollen abschließend - in nachgelagerten Kommunikationsphasen - für den eigentlichen Absender sprechen, auftreten oder Positionen ausfechten“ (Klewes/ Stark 1999, 44 f.). Kommunikationsstrategie und Konzeption festlegen „Welche Ziele wollen wir wie, wann, mit welchen Inhalten und bei welchen Zielgruppen erreichen? “ Nach der Analyse folgt nun der entscheidende Dreh- und Angelpunkt jeder Konzeption - die Kommunikationsstrategie. Sie ist der Plan zur Erreichung von Soll-Zielen, der die Bedingungen der jeweiligen Konstellation ebenso berücksichtigt wie Kräfte, die den Weg dorthin erleichtern oder erschweren können. Hierbei stehen Nutzenüberlegungen im Zentrum der Betrachtung - sowohl aus Sicht des Auftraggebers als auch der anvisierten Zielgruppen. ! Auswahl und Formulierung der Ziele: Hierbei ist darauf zu achten, dass diese SOLL-Zustände klar und konkret formuliert sowie erreichbar sind. ! Zielgruppen müssen nun ausgesucht werden, bei denen die jeweiligen Ziele erreicht werden sollen. Ziele und Zielgruppen gehören immer zusammen. ! Strategische Überlegungen: Zunächst gilt es darüber nachzudenken, welche Zielgebiete in Frage kommen und realisierbar sind. Hierbei wird man sinnvollerweise von den Zielgruppen aus denken und überlegen, welche Änderungen bei ihnen notwendig sind. Soll/ Ist-Vergleiche werden nun durchgeführt, damit die Kommunikationsziele definiert werden können, z. B. Wissens-, Meinungs-, Einstellungs- oder Verhaltensänderungen. An denen kann später festgestellt werden, ob das Problem gelöst ist und sich die Kommunikationsmaßnahmen gelohnt haben. <?page no="143"?> 128 Planung und Optimierung ! Kommunikationsinhalte müssen nun formuliert werden, z. B. die Positionierung, d. h. die kommunikative Plattform, von der aus argumentiert werden soll, sowie die Botschaften. ! „Kommunikatoren“ sind festzulegen, d. h. „wer“ etwas sagen soll. Nicht immer sind die Kommunikatoren automatisch die Repräsentanten der beauftragenden Organisation oder die Personen, für die der Kommunikationsaufwand betrieben wird. Das Handlungsfeld für das praktische Kommunikationskonzept kann strukturiert werden nach Bezugsgruppen, Stakeholdern und Teilöffentlichkeiten, die wiederum untergliedert und priorisiert werden. Deckt die Situationsanalyse den Ist-Zustand auf, ist es Aufgabe der anschließenden Zielplanung, den Soll-Zustand festzulegen, der durch Einsatz der Kommunikationsmaßnahmen erreicht werden soll. Vorgaben für die Formulierung der Kommunikationsziele sind stets die allgemeinen Unternehmensziele. Es handelt sich in der Regel nicht um ein einzelnes Ziel, sondern um ein komplexes System, das durch Unternehmenskultur, -grundsätze und -philosophie beeinflusst wird (Hansen/ Bernoully 2013, 75 ff., Broom/ Sha 2013, 288 ff., Leipziger 2009, Schmidbauer/ Knödler-Bunte 2004). Ziele müssen realisierbar, konkret, konsistent und messbar sein, da sie als Sollwerte den Erfolgsmaßstab der späteren Erfolgskontrolle darstellen. Sie sollten präzise und eindeutig eine exakte Angabe des gewünschten Ausmaßes an Zielerreichung, einen zeitlichen Bezug im Hinblick auf Zielgruppen enthalten sowie gegenseitige Abhängigkeiten der Ziele berücksichtigen. Als Inhalte dieser Ziele können ökonomische und sog. außerökonomische Zielgrößen unterschieden werden. „Außerökonomische“ Ziele werden differenziert, je nachdem, welche Wirkungen bei den Bezugsgruppen damit angestrebt werden (Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2013, 51 ff.): ! kognitiv-orientierte Kommunikationsziele (= Wissen, z. B. Erhöhung eines Informations- oder Kenntnisstandes), ! affektiv-orientierte Kommunikationsziele (= Gefühl, z. B. Steigerung des Interesses, Einstellungsänderung), ! konativ-orientierte Kommunikationsziele (= Handlungskomponente, z. B. Verhaltensänderung) sowie <?page no="144"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 129 ! sozial-orientierte Kommunikationsziele (= Beziehungen, z. B. gegenseitiges Kennen oder Verständnis). Zur Erreichung der strategischen Ziele in der Unternehmenskommunikation müssen alle Kategorien anvisiert werden. Sie sind jedoch unterschiedlich schwierig zu erreichen. Verhältnismäßig einfach ist es, eine Erhöhung des Kenntnisstandes von bestimmten Bezugsgruppen herbeizuführen, weit komplizierter jedoch Einstellungen oder gar Verhaltensweisen zu ändern. Das Beziehungsmanagement erfordert gegenseitiges Vertrauen. Sind all diese Bedingungen für eine klare Formulierung der Ziele erfüllt, sollen sie schriftlich und für andere nachvollziehbar festgehalten werden (Broom/ Sha 2013, 295): ! Im Zusammenhang mit der strategischen Zielsetzung in der Unternehmenskommunikation muss immer auch die entsprechende Stakeholdergruppe festgehalten werden, auf die sie sich bezieht. ! Das beabsichtigte Ergebnis soll spezifisch formuliert sein. Folgende aufeinander aufbauende Outcomes sind möglich: Ergebnisse, die sich auf Wahrnehmung, Wissen und Verständnis der Stakeholder beziehen („knowledge outcomes“) oder solche, die zu emotionalen Reaktionen („predispositional outcomes“) oder Verhaltensreaktionen („behavioral outcomes“) führen. ! Quantifizierbare Messgrößen sollten verwendet werden, die realistischerweise auch zu erreichen sind. Ohne Benchmark-Informationen wird dieses Urteil sehr subjektiv ausfallen müssen. ! Ein exakter Zeitpunkt für die Zielerreichung sollte vereinbart werden. Normalerweise sollten die Ergebnisse in der Reihenfolge ihrer Planung erreicht werden. Abweichungen benötigen überzeugende Begründungen. Konzepte müssen, wenn sie umgesetzt werden, ständig beobachtet und überprüft werden. Außerdem muss im Unternehmen selbst für das Konzept geworben werden. Nun ist die Überzeugungskraft der Kommunikationsprofis in eigener Sache gefragt. Sie müssen nicht nur für Akzeptanz ihrer Vorhaben sorgen, sondern die Motivation derjenigen stärken, die mithelfen oder wichtige Dienstleistungen erbringen. Nicht zuletzt müssen sie das Management überzeugen, dass das Geld für das Kommunikationskonzept (und eventuell noch folgende Projekte) gut angelegt ist. Eine schriftliche Zusammenfassung des Konzeptes für „Nicht-Fachleute“ tut gute Dienste. <?page no="145"?> 130 Planung und Optimierung 3 3 . . 2 2 I I m m p p l l e e m m e e n n t t i i e e r r u u n n g g Nun wird die inhaltliche Position formuliert, die alle Kommunikationsaktivitäten leitet. Unterschieden wird die derzeitige IST-Positionierung und die noch zu erreichende SOLL-Positionierung: „Das soll erreicht werden! “. So soll künftig die Organisation, für die das Konzept erstellt wird, gesehen und emotional bewertet werden. Positionierungen sind lebendig formulierte, mit emotionalen Werten verbundene Aussagen, die das angestrebte Vorstellungsbild von dem Gegenstand, auf den sich das Kommunikationskonzept bezieht, definieren und für den internen Gebrauch festhalten. Positionierungen sollten möglichst in wenigen Sätzen formuliert werden und vorhandene Stärken perspektivisch ausbauen. Diese Stärken können aus der SWOT-Analyse entnommen werden. Damit das Kommunikationskonzept klar ausgerichtet bleibt, sollten nicht zu viele Stärken gebündelt in eine Positionierung gepackt werden. Das kostet Profil. Maximal zwei bis drei Stärken reichen aus, wenn sie intelligent in Beziehung gebracht werden. Positionierungen werden selbst nicht an die Bezugsgruppen kommuniziert. Sie dienen als kommunikative Plattform, von der alle Maßnahmen inhaltlich gespeist werden, und stecken den Rahmen ab, der nun mit konkreten Botschaften ausgefüllt wird. What’s your message? Die Frage zielt auf den Kerninhalt der Aussage und ihre Intention, also die „Botschaft der Geschichte“. Kommunikative Botschaften sind Informationen (Wissen, Norm- und Wertvorstellungen), die nach Durchführung des Konzeptes (Kampagne) im Bewusstsein aller Mitglieder der jeweiligen Zielgruppe verankert sein sollen (Merten 2000, 260). „Was will ich sagen? “ Diese Botschaften werden gruppenspezifisch kommuniziert. Botschaften fassen den inhaltlichen Kern des Kommunikationskonzeptes zusammen. Mit ihrer Formulierung wird festgelegt, welche Inhalte bei den Zielgruppen ankommen müssen, damit die Ziele der Kampagne erreicht werden. Sie kommen in allen Aussagen bis hin zur Ausgestaltung einzelner Texte und Instrumente vor. Botschaften haben Zielqualität. <?page no="146"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 131 Nur - wie sind diese zu finden? Eine Botschaft liegt im Schnittpunkt zweier Perspektiven: zum einen der Position der Organisation und deren aktueller Problemsituation, zum anderen den Wünschen, Interessen und Bedürfnissen der Bezugsgruppe. Eine „Botschaft“ zu formulieren, ist ausgesprochen schwierig. Sie muss jedes Mal aufs Neue gesucht werden, wobei Situation, Zeit, Ort und Publikum den Rahmen setzen. Darüber, wie man sie findet, gibt es keine allgemeinen Regeln. Steht die Botschaft allerdings fest, fällt die Implementierung des Konzeptes leicht. Für die Entwicklung von Kampagnen werden viele mögliche Botschaften gesichtet und bewertet mit dem Ziel, einige wenige Inhalte herauszufinden: die sog. „Premium-Themen“ (Klewes/ Stark 1999, 50), die die Unique Communication Proposition (UCP) eines Unternehmens ausmachen können (Schaubild 28). Im Marketing wird die primäre Funktion der Unique Communication Proposition wie folgt besc hr ieb en : „Vorr an gi ge s Zi e l de r Unte rne hm en hat dah er die Realisierung einer Unique Communication Proposition (UCP) im Sinne eines strategischen Kommunikationsvorteils zu sein, die als Bestimmungsfaktor für den Markterfolg zunehmend an Bedeutung gewinnt und ein Überleben im Kommunikationswettbewerb sicherstellt“ (Bruhn 2014a, 83). In der ersten Stufe werden mögliche Themen und Inhalte unter der Leitfrage zusammengestellt: Welche Themen, Inhalte, Aussagen, Botschaften oder Stilelemente passen zum Unternehmen? Als nächster Schritt werden die Inhalte ausgewählt, durch die sich das Unternehmen von anderen unterscheidet. Ein weiterer Schritt der Verdichtung von Kommunikationsinhalten sind die Kriterien „neu“, „wertorientiert“ und „originell“, d. h. mit Nachrichtenwert, Sympathie fördernd für das Unternehmen und Nutzen stiftend für die Bezugsgruppen. Entscheidend ist, ob und welche Werte kommuniziert werden. Dann folgt die Festlegung der Themenstrategien, d. h. auf welche Weise die Ziele erreicht werden. Klewes/ Stark (1999, 56) unterscheiden dabei folgende Themenstrategien: ! „Die ‚Huckepack-Strategie‘ versucht, das eigentliche Anliegen hinter konsensfähigen oder harmlosen Themen zu maskieren. ! Die ‚Minen-Strategie‘ schickt zunächst ein kontroverses, aber unwichtiges Thema ins Rennen, an dem die Konturen öffentlicher Diskussion deutlich werden. Anschließend wird - entsprechend vorbereitet - bei schon ermüdendem öffentlichen Widerstand das ‚eigentliche‘ Thema auf die Bühne gehoben. ! Die ‚Ablenkungs-Strategie‘ bindet die Aufmerksamkeit der anzusprechenden Teilöffentlichkeit durch andere Diskussionsthemen, bevor das eigentliche Thema platziert wird. <?page no="147"?> 132 Planung und Optimierung ! Die ‚Testimonial-Strategie‘ überhöht das Thema dadurch, dass es einem besonders glaubwürdigen Absender in den Mund gelegt wird. ! Die ‚Homöopathie-Strategie‘ teilt den (manchmal bitteren) Informationsgehalt des Themas in kaum noch messbare Einheiten auf und diffundiert diese im Sinne eines langsamen, aber stetigen Gewöhnungsprozesses“. Schaubild 28: Strategische Leistung: Reduktion von Komplexität Quelle: in Anlehnung an Klewes/ Stark (1999, 51). Broom und Sha (2013, 332 f.) stellen abschließend die Bedingungen für ein erfolgreiches Kommunikationsprogramm zusammen: ! Glaubwürdigkeit („credibility“): Rezipienten müssen dem Kommunikator vertrauen und Respekt vor seiner Kompetenz zum Thema haben. Diese Glaubwürdigkeit entscheidet, ob Rezipienten sich überhaupt einer Botschaft zuwenden. Allerdings nimmt im Laufe der Zeit der Einfluss des Kommunikators ab („Sleeper-Effekt“). ! Kontext („context“): Erfolgreiche Kommunikationsprogramme müssen sich in den Kontext einfügen. Dieser sollte die Botschaft verstärken und ihr nicht widersprechen. ! Inhalt („content“): Die Botschaft muss für die Rezipienten eine Bedeutung bzw. einen Nutzen beinhalten. Sie muss mit deren Wertesystem kompatibel sein. In der Regel wenden sich die Rezipienten den Informationen zu, die ihnen die meisten Belohnungen vermitteln. ! Klarheit („clarity“): Eine Botschaft muss einfach formuliert sein. Die Worte sollten für die Kommunikatoren die gleiche Bedeutung haben wie für die „Premium-Inhalte“: Welche Themen eignen sich, um sich von anderen Themen zu unterscheiden? Mögliche Inhalte: Welche Themen, Inhalte, Aussagen, Botschaften oder Stilelemente passen zum Unternehmen? Unique Communication Proposition (UCP): Welche Themen haben Nachrichtenwert, sind Sympathie fördernd für das Unternehmen und stiften einen Nutzen für die Zielgruppen? Welche Werte werden kommuniziert? <?page no="148"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 133 Rezipienten. Komplizierte Probleme müssen in einfache Themen, z. B. Slogans (verkürzte Botschaften), übersetzt werden. Je weiter eine Botschaft verbreitet werden soll, desto einfacher muss sie sein. Ein Unternehmen sollte mit einer Stimme sprechen, nicht mit vielen. ! Kontinuität und Konsistenz („continuity“, „consistency“): Kommunikation ist ein unendlicher Prozess. Auch Kommunikationsprogramme und -vorgänge wiederholen sich in Varianten immer wieder. Die Botschaft der Geschichte muss jedoch gleich bleiben. ! Kanäle („channels“): Etablierte Kanäle - solche, die von den Rezipienten beachtet und genutzt werden − sollten bespielt werden. Neue Kanäle aufzubauen ist hingegen schwierig, zeit- und kostenintensiv. Kanäle rufen unterschiedliche Wirkungen hervor und werden von den Zielgruppen mit unterschiedlichen Wertigkeiten in Verbindung gebracht. Neue Medien ermöglichen wechselseitige Kommunikationsprozesse, sodass Missverständnisse einfacher aus dem Weg geräumt werden können. ! Fähigkeiten des Publikums („capability of audience“): Bei der Planung von Kommunikationsmaßnahmen müssen die Fähigkeiten des Publikums berücksichtigt werden. Die Wirkungen sind am größten, wenn sie mit geringen rezipientenseitigen Anstrengungen verbunden sind. Wichtige Faktoren in diesem Zusammenhang sind u. a. die Lesefähigkeiten und das vorherige Wissen des Publikums. Kommunikationsmaßnahmen planen und umsetzen „Was wollen wir über welche Wege kommunizieren? “ „Was wurde am Schluss erreicht und was haben wir gelernt? “ Die Konzeption setzt nun die Strategie in konkretes Handeln um. Hierbei ist es nicht nur wichtig, Maßnahmen genau vorzubereiten, sondern auch eine kreative Dramaturgie zu praktizieren. Welche Inhalte wann in welcher Intensität über welche Kommunikationskanäle verbreitet werden bzw. mit welchen Gruppen wann intensive Dialogbeziehungen aufgebaut und gepflegt werden, sollte genau überlegt und begründet werden. „Warum“ schlagen Sie das vor? Solche Begründungen gehören in schriftliche Konzeptionen ebenso wie in mündliche Präsentationen. ! Handlungsfelder vernetzen, d. h. darauf achten, dass die Hierarchie der Zielgruppen auch in der Umsetzung erhalten bleibt sowie zeitliche und inhaltliche Bezüge schaffen. <?page no="149"?> 134 Planung und Optimierung ! Bewusste Gestaltung des Kommunikations-Mix, d. h. die Gewichtung und das Zusammenspiel der verschiedenen Kommunikationswege gezielt organisieren. ! Erstellen des Maßnahmenkatalogs, Zeit- und Kostenplans: Mit welchen Maßnahmen soll das Ziel erreicht werden (Konzept)? Wie viel Zeit wird für die einzelnen Ziele und Maßnahmen benötigt (Zeitplan)? Welcher Aufwand ist dafür notwendig? Welche Gelder stehen zur Verfügung oder müssen akquiriert werden (Kostenplan)? Wer achtet darauf, ob Ziele und Maßnahmen erfolgreich sind und verantwortet sie in der Organisation (Festlegung der Verantwortlichkeiten)? ! Einplanen von Feedback und Evaluation: Auch Feedback muss rechtzeitig organisiert werden. Die verschiedenen Instrumente der Erfolgskontrolle müssen nicht nur vorbereitet, sondern im Budget kalkuliert werden. Sie beziehen sich auf den Nachweis der Zielerreichung. ! Konzept präsentieren, z. B. vor anderen Bereichen des Unternehmens. Hier gilt es, PR für ein Kommunikationskonzept zu betreiben, da Akzeptanz keineswegs selbstverständlich ist. Jetzt geht es in der Praxis darum, bei allen wichtigen Meinungsbildnern in der Organisation Zustimmung zu erhalten und zu pflegen. Die Umsetzung der Kommunikationsmaßnahmen im „Feld“ ist das eine, die Erhaltung der Akzeptanz und Wertschätzung für das Konzept in der Organisation das andere. Die Überzeugungskraft der Präsentation entscheidet, ob das Konzept auf Zustimmung stößt. Hierbei ist es wichtig, dass Überlegungen so dargestellt werden, dass sie von Entscheidungsträgern nachempfunden werden können, die weder das (Kommunikations-) Fachwissen noch die genaue Kenntnis des konkreten Falles haben. Präsentationen müssen so gestaltet sein, dass sie für sich alleine wirken - d. h. auch ohne Lektüre eines eventuellen Booklets. ! Dokumentation und Nachbereitung, d. h. der Ablauf des Kommunikationskonzeptes wird so festgehalten, dass es Dritte nachvollziehen können. Außerdem wird in der Nachbereitung gefragt: „Was war gut und was war schlecht? Was müssen wir künftig besser machen? “ So wird Erfahrungswissen generiert, das für die nächsten Aufgaben hilfreiche Dienste leisten kann. Auf jeden Fall kann so vermieden werden, die gleichen Fehler nochmals zu begehen bzw. den gleichen selbstverschuldeten Stress nochmals zu durchleiden. <?page no="150"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 135 4 4 E E v v a a l l u u a a t t i i o o n n : : W W i i e e d d e e n n E E r r f f o o l l g g n n a a c c h h w w e e i i s s e e n n ? ? Evaluationen und Wirkungskontrollen bilden eine wichtige Phase des Kommunikationsprozesses, über die seit einigen Jahren intensiv diskutiert wird (Broom/ Sha 2013, 336 ff., Bürker 2013, Besson 2012, Heltsche 2012, Allgäuer/ Larisch 2011, Pfannenberg/ Zerfaß 2010, Besson 2008). Ist es überhaupt möglich, Wirkungsanalysen in der Unternehmenskommunikation vorzunehmen? Veränderungen im Bereich Wissen, Meinungen, Einstellungen oder Werte sind zwar messbar, doch ist der Aufwand hoch. Für die Wirkungskontrolle von Kommunikationsmaßnahmen gilt das, was auch in der Wirkungsforschung allgemein diskutiert wird: Können bestimmte Maßnahmen, verstanden als kommunikative Stimuli, mit unmittelbaren Auswirkungen auf Wissen oder Einstellungen überhaupt empirisch erfasst werden? 4 4 . . 1 1 P P R R h h a a t t e e s s s s c c h h w w e e r r e e r r Im Unterschied zur Werbung (Bruhn 2014a, 205 ff.) ist die Erfolgskontrolle in der Unternehmenskommunikation und speziell der PR noch wenig ausgeprägt. Es gibt sicher viele Gründe, warum die PR im Vergleich zur Marketingkommunikation und vor allem zur Werbung noch Nachholbedarf in Sachen Evaluation hat. Will man mit den Messkriterien der Werbung bei Bekanntheit, Wiedererkennung oder Kaufinteresse unverändert auch die Leistungen der PR messen, scheitert dieser Versuch, weil sich redaktionelle Beiträge z. B. im Gegensatz zur Werbung nicht einfach schalten lassen. Auf die Inhalte und die Bewertung der redaktionellen Themen haben PR-Verantwortliche nur einen geringen, oft gar keinen Einfluss. PR hat es einfach schwerer. Außerdem kann es Aufgabe der PR sein, dafür zu sorgen, dass Themen in den Medien nicht aufgegriffen werden, oder dass eine drohende Krise verhindert wird. Da diese Ereignisse bei erfolgreicher PR-Arbeit gar nicht eintreten, sind die „Kosten“ dieser „Nicht-Ereignisse“ nicht feststellbar und der Wert einer solchen erfolgreichen PR-Arbeit nicht zu beziffern. Eine ungefähre Schätzung der Kosten bzw. des Nutzens kann möglicherweise im Rahmen eines Benchmark-Vergleichs mit Unternehmen in vergleichbarer Situation durchgeführt werden, wenn deren Schaden durch eine tatsächlich erlebte Krise bekannt ist. Unterschiedliche Ziele … Auf den ersten Blick verfolgen z. B. Werbung und PR natürlich unterschiedliche Ziele. Werbung kümmert sich vorrangig um die Absatzbedingungen und den <?page no="151"?> 136 Planung und Optimierung Verkaufserfolg der angebotenen Produkte und Dienstleistungen. PR hingegen will Vertrauen, Image und vor allem gute Kommunikationsbeziehungen aufbauen, die sich erst später „auszahlen“. Der Wert von PR liegt also in den Kommunikationsbeziehungen und der Einbindung von Individuen und Gruppen in leistungsfähige Kommunikationsnetze. Dadurch geraten PR-Verantwortliche in der Praxis in Erklärungsnot, wenn sie mit der Absicherung des Handlungsspielraumes, mit dem Image oder anderen weichen Faktoren argumentieren, wohingegen die Vertreter des Marketings die Bedeutung ihrer Arbeit für den Absatz belegen können. Müssen aber PR-Ziele z. B. beim Image enden und die ökonomischen Folgeeffekte z. B. von Imageveränderungen außer Betracht bleiben? Wo bleibt der Beitrag der PR zur Wertsteigerung eines Unternehmens? Durch eine konsequente Ausrichtung der PR auf die Förderung von immateriellen Unternehmenswerten (z. B. Stärku ng des M ar ke nbe wu ss t se ins de r Mit arb ei t er ) ka n n di e Disk re pa nz bei den Zielsystemen überwunden und damit der Wert von PR in konkreten Beispielen nachgewiesen werden. Wertorientiertes Kommunikationsmanagement, das Werte schafft und fördert, orientiert sich vorrangig an immateriellen Unternehmenswerten und trägt zum Geschäftserfolg bei - auch wenn die EU-weit gültigen IFRS-Richtlinien (International Financial Reporting Standards) die Bilanzierung der immateriellen Werte noch nicht zulassen. Breit angelegte Kommunikationskonzepte … PR wendet sich an viele Stakeholder und auch an „publics“, d. h. Kommunikationssegmente, die vielleicht gar nicht im Sinne einer Zielgruppe bewusst ausgewählt wurden, sondern die sich das Unternehmen für ihre Aktionen aussuchen. Es macht einen gravierenden Unterschied, ob z. B. die Rolle von Marken vor potenziellen Kunden dargestellt wird oder Kommunikationsmanager mit Globalisierungsgegnern diskutieren. … und das Messproblem Der konkrete, messbare Wert von PR in Form von Return on Investment (RoI) ist aus verschiedenen Gründen nur schwer festzustellen. PR ist nur ein Faktor unter vielen, der zur Wertsteigerung eines Unternehmens beiträgt, und lässt sich daher nur schwer von anderen Einflussfaktoren wie Produktqualität, Marktsituation, Marketingmaßnahmen, Personalpolitik und anderen isolieren. Dennoch können Projekte und PR-Maßnahmen, die gut dokumentiert sind und über die im Unternehmen oder gar außerhalb gesprochen wird, die Stellung der PR im Wettbewerb um Budgets verbessern. Wenn Fehlzeiten in einem Unternehmen durch verbesserte Kommunikation deutlich unter den Branchendurchschnitt gesenkt und um über zehn Prozent reduziert wurden, so ist das ein Argument für PR, auch wenn nicht nachweisbar ist, ob es allein die verbesserte Kommunikation und die Entspannung des Betriebsklimas waren, die zur Reduzierung des <?page no="152"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 137 Krankenstandes führten. Wenn sich gefragte Fachkräfte bei Firmen mit gutem Image bewerben und andere meiden, kann man abschätzen, welchen „Wert“ kontinuierliche Imagepflege hat. Der Return on Investment bei Public Relations trifft oft mit großer Zeitverzögerung ein. Investitionen in gute Kommunikationsbeziehungen zu Stakeholdern zahlen sich oft erst nach Jahren aus. So z. B. im Handling einer unvorhergesehenen Krise, deren Imageschaden dadurch begrenzt wird. Budgetentscheidungen in der PR haben daher Langzeiteffekte. Bei aller Hektik der Unternehmensentscheidungen gilt auch für die PR eine Faustregel des Marketings: Kommunikationsbeziehungen zu erhalten kostet weniger Geld als Kommunikationsbeziehungen aufzubauen - wenn es in der konkreten Situation überhaupt noch möglich ist. Einen neuen Kunden zu gewinnen ist um ein Vielfaches teurer als einen alten Kunden zu halten. Genannt wird in der Literatur der Faktor 5 bis 10 bei den Kost en . In der PR alle rdings k önn en Sta keho ld er, mi t denen ni cht meh r kommuniziert wird, beträchtlichen Schaden anrichten, wenn sie sich gegen das Unternehmen wenden und aktiv werden. Imageschädliche Empörungswellen in den Medien können die Folge sein. Dadurch unterscheiden sich Stakeholder von Zielgruppen im Marketing. 4 4 . . 2 2 Z Z u u o o r r d d n n u u n n g g e e n n v v o o n n „ „ W W i i r r k k u u n n g g e e n n “ “ Evaluation von Unternehmenskommunikation bezieht sich auf künftiges Entscheidungsverhalten, dessen Rationalität erhöht werden soll. Sie verfolgt verschiedene Ziele: Zum einen kann durch eine entsprechende Überprüfung erkannt werden, wo Schwächen liegen, welche Fehler gemacht wurden und welche Strategien zwar interessant waren, aber das erwartete Ergebnis nicht erbrachten. Evaluationsergebnisse werden häufig zur Optimierung der Kommunikationsarbeit verwendet. Sie bilden den Input für neue Planungen und dienen der Qualitätssteigerung. Evaluation wird aber auch zur Überprüfung der Effektivität und Effizienz der Kommunikationsarbeit betrieben. In diesem Fall dient die Evaluation als Instrument der Selbstkontrolle von Kommunikationsfachleuten und der Kontrolle aus der Sicht der Unternehmensleitungen. Ferner geht es um die Legitimation von personellen und finanziellen Ressourcen, letztlich um Etats. Auch Dienstleister (z. B. Agenturen) können über entsprechende Evaluationsmaßnahmen vom Auftraggeber gesteuert und kontrolliert werden. Im Hinblick auf Zielsetzung, Zeitpunkt und Art der Ausführung existieren verschiedene Formen der Evaluation in der Unternehmenskommunikation. Sollen nur einzelne Maßnahmen oder die langfristigen Wirkungen des gesamten Pro- <?page no="153"?> 138 Planung und Optimierung gramms überprüft werden? Im ersten Fall handelt es sich um eine maßnahmenorientierte Kontrolle, welche die eher kurzfristigen Ergebnisse der einzelnen Projekte zeigen soll. Im zweiten Fall geht es um die langfristige Messung des Unternehmensimages als Resultat eines langfristig angelegten Gesamtkonzeptes. Die Wirkungen einzelner Maßnahmen durch bestimmte Kontrollmethoden nachzuweisen ist leichter möglich als die Messung der Gesamtwirkung von Unternehmenskommunikation. Mit den Kommunikationszielen sind einzelne Wirkungsintentionen verbunden, die durch Kommunikationsmaßnahmen bei den Bezugsgruppen realisiert werden sollen. Wirkungen der Kommunikation sind zunächst sämtliche Reaktionen, mit denen eine Zielperson auf ein kommunikatives Angebot des Unternehmens antwortet. Da infolge der Kommunikationsmaßnahmen auch andere als die gewünschten Wirkungen eintreten können, ist die Unternehmenskommunikation nur dann e rfolgreic h, wen n be i der Ev alui er un g di e beab sicht ig ten Ve ränd er un gen gemessen werden. Das methodische Problem besteht in der Zuordnung von Kommunikationszielen und „Wirkungen“. In der Praxis müssen exakt definierte Kommunikationsziele (mit welchen Verfahren auch immer) nachweislich in Zusammenhang mit beobachteten Veränderungen gebracht und festgehalten werden. Für die Erhebung des „Erfolges“ von Kommunikationskonzepten stehen Kontrollinstrumente zur Verfügung, die sich vor allem sozialwissenschaftlicher Methoden wie der Inhaltsanalyse oder der Befragung bedienen. Es kann ein Methodenmix angestrebt werden, bei dem verschiedene Untersuchungswege, kombiniert und wiederholt eingesetzt werden. Welche Erfolgskontrolle aber auch immer gezählt wird, sie setzt voraus, dass der gesamte Kommunikationsprozess systematisch angelegt und geplant wird. Sind die Ziele ungenügend operationalisiert, wie z. B. „Schaffen von Vertrauen“, oder ist die Ausgangslage unbekannt, kann eine Evaluation keine sinnvollen Ergebnisse bringen. Wer nicht weiß, wo er steht und wohin er will, kann nicht überprüfen, ob er auf dem richtigen Weg ist. Das methodische Problem bei der Evaluation von Unternehmenskommunikation liegt in der Rückführbarkeit von Wirkungen auf Kommunikationsaktivitäten. Dieses Grundproblem hat der Bereich Marketing ebenso wie die PR (Schaubild 29). Da Einflussfaktoren, die von anderen Unternehmensbereichen ausgehen oder unternehmensexterner Art sind, auf den Wissensstand, die Einstellungen und Verhaltensweisen der Bezugsgruppen wirken, entsteht das Problem der Zurechenbarkeit. <?page no="154"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 139 Veränderungen können monokausal durch gezielte Kommunikationsmaßnahmen nicht erklärt werden. Sie beruhen vielmehr auf einem Konglomerat von Einflussfaktoren, die alle Wirkungsvariablen im Kommunikationsprozess darstellen und vom Unternehmen zum Teil nicht kontrolliert werden können. Bei publikumsbezogenen Kontrollinstrumenten wie Befragungen sind mehrere Messungen eine erste Annäherung an das Problem des Kausalitätsbeweises. Die Zurechenbarkeit von Wirkungen zu Kommunikationsmaßnahmen aber bleibt problematisch. Durch den Einsatz verschiedener Methoden, durch wiederholte Messungen, durch Verwendung von Kontrollgruppen usw. können Störgrößen wenigstens zum Teil ausgeschaltet werden. Kommunikationsevaluationen werden durch das Problem der zeitlichen Zurechenbarkeit erschwert, denn die Wahl des Zeitpunktes einer Erhebung hat weitreichende Konsequenzen. Wann entfaltet eine Kommunikationsmaßnahme ihre op tima le W ir ku ng ? Die An al yse wird viel lei ch t ger a de zu ei ne m Zei t pu nkt durchgeführt, wenn die Maßnahme noch nicht bzw. nicht mehr wirksam ist oder wenn die Wirkung eine kurzfristige Spitze erreicht hat. Ein pragmatischer Ausweg aus dem Dilemma stellen Zeitreihenanalysen (= wie ist die Entwicklung bei uns? ) meist zusammen mit Wettbewerbsvergleichen (= wie geht es unseren Wettbewerbern? ) dar. Schaubild 29: Wie kann man Kommunikationswirkungen messen? Quelle: eigene Darstellung. Stimulus Response Kausalitätsproblem Zuordnung von Beobachtungen und Befunden zu einzelnen Kommunikationsmaßnahmen Faktorenproblem Bestimmung der im Vergleich zu anderen Faktoren wichtigen Einflussgrößen Komplexitätsproblem Wechsel- und Rückwirkungen treten im Zeitverlauf auf Methodenproblem Bestimmung des Messzeitpunktes u. a. <?page no="155"?> 140 Planung und Optimierung Jede Wirkungskontrolle muss sich in der Praxis schließlich auch Kosten-Nutzen-Überlegungen stellen, um den benötigten Aufwand an Zeit, Geld und Personal zu rechtfertigen. Gerade umfassendere Evaluationsmaßnahmen sind mit hohen Kosten verbunden. Bringt die Erfolgskontrolle jedoch Klarheit über die Ergebnisse der einzelnen Maßnahmen in der Unternehmenskommunikation, können Ressourcen eingespart werden. Weniger erfolgreiche Maßnahmen können zu einem frühen Zeitpunkt eingestellt werden, besonders Erfolg versprechende Vorgehensweisen hingegen können dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Zwischen folgenden Stufen der Evaluation wird differenziert (Schaubild 30): ! „Input“, die Initiierung von Kommunikationsprozessen bzw. deren Planung und Umsetzung erfordern personelle und finanzielle Aufwendungen. ! „Interner Output“ bezeichnet Tätigkeiten, die im Zuge der Erstellung von Kommunikationsmaßnahmen anfallen. Es geht insbesondere um die Effizienz des Leistungserstellungsprozesses. ! „Externer Output“, das unmittelbare Produkt der eigenen Arbeit: Hier geht es im Wesentlichen um die Zugänglichkeit von Inhalten für Bezugsgruppen, also Veröffentlichungen in den Medien, Verteilung von Flyern oder Broschüren, Reichweiten von Websites, Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen, Besucher von Messeständen u. a. ! „Direkter Outcome“, das Zustandekommen der Kommunikation: Hier geht es um die Wahrnehmung, Nutzung und das Verstehen von Inhalten bei Bezugsgruppen, d. h. die erreichte Aufmerksamkeit und Erinnerungsleistung. ! „Indirekter Outcome“ ist die Wirkung auf Meinungen, Einstellungen und Verhalten der Bezugsgruppe, also die Beeinflussung von Wissen, Meinungen, Einstellungen, Emotionen und Verhalten. ! „Outflow“ bezeichnet die betriebswirtschaftlich messbare Steigerung der Unternehmenswerte, z. B. Markenwert, Verkaufszahlen. Der Beitrag der Kommunikation zur Wertschöpfung des Unternehmens durch die Unterstützung der Geschäftstätigkeiten und/ oder den Aufbau von immateriellen Werten wie Reputation, Marken, Motivation der Belegschaft u. a. wird hier erfasst. <?page no="156"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 141 Schaubild 30: Stufen der PR-Evaluation Quelle: in Anlehnung an DPRG/ ICV (2011, 13). Jede dieser Ebenen stellt eine Steigerung bzw. feinere Art der Messung von Erfolgen oder Misserfolgen der Unternehmenskommunikation dar. Auf der ersten Ebene werden mithilfe betriebswirtschaftlicher Methoden jene Kosten berechnet, die im Zuge des Leistungserstellungsprozesses anfallen. Die zweite Ebene berücksichtigt mit Budgettreue, Durchlaufzeit und Fehlerquote ebenfalls Maße, die eng mit der Leistungserstellung in Verbindung stehen. Auf der dritten Ebene wird dokumentiert, was man getan hat: War die Pressekonferenz gut besucht, wurden die Presseaussendungen häufig verwendet? Auf der vierten Ebene wird gemessen, ob den Kommunikationsprodukten Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, ob sie verstanden werden, ob die Inhalte aufgenommen und gemerkt werden (direkter Outcome). Die fünfte Ebene umfasst die Änderungen der Einstellungen, Meinungen und des Verhaltens (indirekter Outcome), die nur mit Hilfe von Vorher-Nachher-Umfragen und aufwendigen Methoden überprüft werden können. Input Output Outcome Outflow Ressourcen Personaleinsatz Finanzaufwand Interner Output Prozesseffizienz Qualität Personalkosten Outsourcing- Kosten … E xterner Output Reichweite Inhalt Direkter Outcome Wahrnehmung Nutzung Wissen Indirekter Outcome Meinung Einstellung Emotion Verhaltensdisposition Verhalten Awareness Unique Visitors Verweildauer Leser pro Ausgabe Recall Recognition … Reputations- Index Markenimage Strategisches Bewusstsein der Mitarbeiter Kaufintention Leads Innovationsideen Projektbeteiligung … Outflow Einfluss auf strategische und/ oder finanzielle Zielgrößen (Leistungsprozess) Einfluss auf materielle und/ oder immaterielle Ressourcen (Kapitalbindung) Budgettreue Durchlaufzeit Fehlerquote Readability Zufriedenheit interner Auftraggeber … Clippings Visits Downloads Initiativquotient Share of Voice … Organisation Bezugsgruppen Medien Organisation Wirkungsstufe Messbereich Messgröße (Bsp.) Messobjekt Umsatz Projektabschlüsse Kostenreduktion Reputationswert Markenwert Mitarbeiterkompetenz … <?page no="157"?> 142 Planung und Optimierung Die sechste Ebene erfordert aufwendige betriebs- und sozialwissenschaftliche Instrumente und versucht, den monetären Wert von Unternehmenskommunikation festzuhalten. Je nachdem, auf welcher Ebene Wirkungen gemessen werden, müssen unterschiedliche Kontrollmethoden zum Einsatz kommen. Informationen über einen Sachverhalt sind einfacher, schneller und preiswerter zu erreichen als Verhaltensänderungen. Kurzbis mittelfristige Kommunikationsaktivitäten können deshalb nur darauf ausgerichtet sein, Kenntnisse zu erhöhen oder zu ergänzen sowie unzutreffende Vorstellungen von dem Unternehmen bei den Bezugsgruppen zu korrigieren. Da in diesem Fall die Dauer der Wirkung zeitlich begrenzt ist, muss die Kontrolle während oder unmittelbar nach Realisierung der Kommunikationsaktionen einsetzen. Im Gegensatz dazu kann z. B. das Ziel des Weckens von Verständnis und Vertrauen dem Unternehmen gegenüber nur langfr istig un d im Ra hmen eines Ge sa mt konz ept es er re ic ht we rd en . Erfolgskontrollen sind auch in der Unternehmenskommunikation unausweichlich. Der Druck auf die Kommunikationsabteilungen wächst. Wenn es ihnen nicht gelingt, in absehbarer Zeit Konsens über geeignete und praktikable Instrumente zu finden, wird ihre Stellung bei den üblichen Verteilungsprozessen von Budgets oder Personalkapazitäten ausgesprochen schwierig und ungemütlich. 4 4 . . 3 3 M M e e d d i i e e n n b b e e z z o o g g e e n n e e E E v v a a l l u u a a t t i i o o n n s s m m e e t t h h o o d d e e n n Medienbezogene Evaluation wird verhältnismäßig häufig durchgeführt. Die meisten Unternehmen konzentrieren sich auf die Presse und wenden sich zögernd den elektronischen Medien, dem Rundfunk oder gar dem Internet zu. Ein grundsätzliches Problem bei der Beurteilung von Medienarbeit besteht darin, dass nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zur eigentlichen Bezugsgruppe überprüft wird. Der Einfluss der veröffentlichten Meinung auf die öffentliche Meinung ist zwar unbestreitbar, die Wirkungsweise der Medien auf Meinungen und Einstellungen der Bezugsgruppen kann jedoch durch Instrumente zur Evaluation der Presseresonanz nicht nachgewiesen werden. Die Sammlung und Auszählung von Abdruckbelegen (Clippings) ist eine überwiegend quantitative Methode, bei der Umfang und Häufigkeit von Beiträgen zu einem Thema oder über ein Unternehmen nach Abdruckdatum und Presseorgan erfasst werden. Vor allem wenn der Bekanntheitsgrad des Unternehmens erhöht werden soll, interessieren bestimmte Werte, die sich per Clipping ermitteln lassen. Die Abdruckquote (Veröffentlichungsrate) gibt z. B. an, wie viel von den Redaktionen, die eine Pressemitteilung erhalten haben, auch veröffentlicht wird. Aus den Auflagen der veröffentlichenden Medien lässt sich die Reichweite einer <?page no="158"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 143 Mitteilung (Zahl der Leserkontakte) abschätzen. Außerdem kann die durchschnittliche Zeitspanne festgestellt werden, die zwischen dem Eingang der Information beim Medium und deren Abdruck vergeht. Die gesammelten Abdrucke können in Form eines Pressespiegels aufbereitet werden, der die wichtigsten, journalistischen Berichte über das Unternehmen für interne und externe Adressaten zusammenfasst. Die Ansprüche an die Evaluation von Medienarbeit sind in den Unternehmen bereits sehr hoch. Eine pure Dokumentation der Abdrucke reicht in der Regel nicht mehr aus. Meist kommen folgende Vorgehensweisen zum Einsatz: ! das Sammeln und Zählen von Clippings zusammen mit dem Errechnen von Auflagensummen und Reichweiten (Leser- und Hörerkontakte), ! das Umrechnen von Clippings mit Bezug zu einem Unternehmen, Produkt oder Thema in Anzeigenraum und die Berechnung von Anzeigenäquivalenzwerten als leicht quantifizierbare Elemente von Wirkungskontrollen und ! ein EDV-gestütztes Verfahren der Medienresonanzanalyse, das mit Methoden der Inhaltsanalyse die Clippings quantitativ und qualitativ analysiert. Die Medienresonanzanalyse (Raupp/ Vogelgesang 2009) wurde ursprünglich als Instrument zur Analyse von Presseausschnitten von der Praxis entwickelt. Heute werden mit diesem Instrument die Medienbereiche Print, Radio, Fernsehen und Online erfasst, wobei aufgrund der leichten Verfügbarkeit des Untersuchungsmaterials die Presse am häufigsten ausgewertet wird. Wissenschaftlich basiert sie auf den Methoden der empirischen Sozialforschung, insbesondere der Inhaltsanalyse. Bei der Medienresonanzanalyse handelt es sich um ein empirisches Instrument zur Beobachtung der veröffentlichten Meinung. Meinungstendenzen und ihre Entwicklung werden mit diesem Analyseinstrument kontinuierlich quantitativ und qualitativ verfolgt und bewertet. Eine Medienresonanzanalyse bietet einen Überblick über das Was, Wer, Wie und Wo der unternehmens-, themen- oder produktspezifischen Berichterstattung. Das Kommunikationskonzept („Was sollte erreicht werden? “) sowie die Liste der Unternehmensaktivitäten bilden den Maßstab für die Analyse. <?page no="159"?> 144 Planung und Optimierung Schaubild 31: Trendanalyse: Wettbewerber im Vergleich (fiktives Beispiel) Quelle: eigene Darstellung. Die allgemeine Leitfrage zur Analyse der Medien lautet in der Regel: Wer sagt was, wo, in welcher Form, mit welcher Meinungstendenz über ein bestimmtes Unternehmen, eine Person oder ein Thema (Schaubild 31)? Im ersten Schritt werden die Kriterien festgelegt, nach denen die Medienberichte analysiert werden sollen. Formale Auswertungskriterien sind z. B. Titel des Presseorgans bzw. der Sendung, Medienart, Darstellungsart, Headline, Zeilenzahl/ Sendeminuten, Autor, Erwähnung von Personen, Firmennamen usw. Bei qualitativen Inhaltsanalysen geht es primär um folgende Auswertungskriterien: ! die Kernaussagen der Medienbeiträge, ! die darin enthaltene Meinungstendenz, ! die Resonanz auf Botschaften einer Kampagne, ! die Erwähnung von wichtigen Unternehmensvertretern, ! das Auftauchen neuer Diskussionsbeiträge zu einem Thema sowie ! die „Lebensdauer“ eines Argumentes oder Themas. Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb März April Mai Juni Juli Aug Sep Unternehmen A Unternehmen B Unternehmen C Unternehmen D Trendanalyse (Mittelwerte) negativ euphorisch sehr positiv positiv kritisch eing. positiv <?page no="160"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 145 Schaubild 32: Themenziele des Unternehmens und Medienresonanz (fiktives Beispiel) Quelle: eigene Darstellung. Aus der Medienresonanzanalyse resultiert ein auf breiter Datenbasis erstelltes, differenziertes Meinungsprofil über ein Unternehmen (Schaubild 32). Die weiteren konkreten Analysemöglichkeiten sind außerordentlich vielfältig. Die nachfolgende Liste der Analysethemen zeigt, welche Einzelergebnisse mit einer Medienresonanzanalyse z. B. angestrebt werden können: ! Bestimmung der positiven und negativen Kernaussagen über ein Unternehmen zur Identifikation der Argumentationsbreite und -tiefe der öffentlichen Diskussion, ! Ermittlung der regionalen und zeitlichen Medienpräsenz eines Unternehmens, ! Identifikation krisenträchtiger Tendenzen in der Medienberichterstattung und damit Nutzung des Instruments als Frühwarnsystem, ! Identifikation von unternehmensspezifischen „weißen Flecken“ in der Medienlandschaft, d. h. Identifikation von durch die Pressearbeit vernachlässigten Medien und Journalisten, ! Abgleich der Medienresonanz eines Unternehmens im Vergleich zu seinen Wettbewerbern, 0 5 10 15 20 25 30 1 2 3 4 5 6 7 8 Mitarbeiter/ Personal 5% Produkte 13% Management 5% Forschung und Entwicklung 7% Kunden 9% Wirtschaftspolitik 5% Geschäftspolitik 30% Finanzen 15% Geschäftspolitik 10% Finanzen 15% Produkte 20% Mitarbeiter/ Personal 30% Management 15% Forschung und Entwicklung 0% Kunden 0% Wirtschaftspolitik 10% Medienberichterstattung Themenziele <?page no="161"?> 146 Planung und Optimierung ! Abgleich fremdgesteuerter und selbstinitiierter Themen in einem bestimmten Zeitraum, ! Überprüfung der Themenschwerpunkte eines Unternehmens und deren Optimierung, ! Identifikation wichtiger Meinungsträger zu einem Thema sowie ! Abgleich von Unternehmens-Selbstbild und veröffentlichtem Fremdbild. Die Auswertung der Medieninhalte zielt entweder auf einen allgemeinen situativen Überblick oder auf die Erfolgsabschätzung ausgeführter Maßnahmen ab. Folgende Typen von Resonanzanalysen können unterschieden werden: Die Langzeit-Clip-Tracking-Analyse beobachtet die Berichterstattung zu einem Unternehmen, Thema oder einer Person über einen längeren Zeitraum. Aus der Vielzahl der anfallenden Artikel lassen sich mit dieser Untersuchungsmethode die Trends der Berichterstattung beschreiben. Die Ad-hoc-Auswertung dient dazu, kurzfristig herauszufinden, ob die Ziele von Kampagnen umgesetzt wurden. Diese Überprüfung zielt auf den Durchdringungsgrad von Themen, die regionale Verteilung der Berichterstattung oder auf die erreichten Medien ab. Analysiert wird in kürzeren Abständen, z. B. unmittelbar nach Beginn einer Kampagne oder bei auftretenden Problemen, z. B. negativen Medienimages. Die problemorientierte Analyse überprüft Einzelaspekte, beispielsweise ob ein Unternehmen eine bessere Medienresonanz findet als seine Wettbewerber. Dazu kann die Berichterstattung in einzelnen Medien (z. B. in den Kernmedien) zählen, die für das Unternehmen besonders wichtig sind. Die Umfeldanalyse bewertet die Aktivitäten des Unternehmens in Zusammenhang mit dessen Konkurrenten oder im Branchenvergleich. Die Untersuchung berücksichtigt hier meist Leistungen der wichtigsten Wettbewerber. Die Konkurrenz-Analyse beschreibt das Vorgehen der Wettbewerber. Output-Analysen geben Aufschluss über die Aktivitäten von Kommunikationsabteilungen und die potenzielle Wahrnehmbarkeit von Inhalten und Botschaften bei einer Zielgruppe. Über „Wirkungen“ lassen sich nur Annahmen, aber keine Feststellungen treffen. Websites im Netz werden z. B. sog. Usability-Tests unterzogen (Schweiger 2010, 112 ff.), d. h. wie schnell, effizient und zielorientiert Nutzer auf der Website ihre Ziele erreichen. Auf der Output-Ebene bedeutet Usability die Eigenschaft einer Website (Aufbau, Navigation, Auffindbarkeit durch Suchmaschinen u. a.). Tests mit Versuchspersonen und Befragungen sollen dazu dienen, die Websites zu optimieren und die Zugänglichkeit der Online-Informationen zu verbessern. <?page no="162"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 147 Mit dem Aufkommen des Internets und der Social Media-Kanäle erweitert sich das Analysespektrum um Online-Evaluationsmaßnahmen. Diskutiert werden diese unter den Begriffen des Online-Monitorings und Social Media-Monitorings (Aßmann/ Pleil 2014, Rolke 2014b, Pleil 2012). Dabei orientiert sich die Erfolgsmessung an der Zielsetzung, die zu Beginn des Planungsprozesses mit der Kommunikationsstrategie bzw. der konkreten Kommunikationsmaßnahme definiert wurde. „Online-Monitoring kann als organisationales Zuhören verstanden werden. Es ist Voraussetzung für die Beteiligung an Gesprächen - aufs Internet übertragen und aus Sicht des Kommunikationsmanagements also vor allem Voraussetzung für die Entwicklung und Umsetzung von Social-Media-Strategien. Gleichzeitig unterstützt Online-Monitoring die Krisenprävention. Formal ist es eine wichtige Aufgabe im Rahmen des Issues-Management“ (Pleil 2012, 85). Es wird deutlich, dass de n sozi al en M ed ien ei ne be sond er e Be de ut ung im Zu ge de r On line- Evaluation zugeschrieben wird. Dabei dient auch Social Media-Monitoring der Analyse und Unterstützung unterschiedlicher Bereiche der Unternehmenskommunikation wie Issues Management, Reputationsmanagement, aktives Kommunikationsmanagement, Erfolgsmessung der eigenen Kommunikation und Benchmarking (Aßmann/ Pleil 2014, 587). Online-Monitoring umfasst die Beobachtung sämtlicher Online-Kanäle (Schaubild 33). Rolke (2014b, 161 ff.) unterscheidet drei Räume, welche auch für die Systematisierung der Online-Evaluationsmaßnahmen herangezogen werden können. Den Mittelpunkt des eigenen Bereichs („Owned Place“) bilden die Unternehmenswebsite sowie spezielle Produktwebsites, Microsites etc. Hinsichtlich der Evaluation dieser Plattformen interessieren vor allem deren Präsenz und Auffindbarkeit. Der offene Bereich („Open Place“) wird geprägt durch Nachrichtenportale, Informationsdienste, Suchmaschinen etc. Aus Unternehmensperspektive geht es hier um die thematische Wettbewerbsfähigkeit und die Durchsetzung der eigenen Keywords. Das Unternehmen öffnet sich schließlich („Outing Place“): Dieser Bereich wird von sozialen Medien dominiert und steht im Zeichen von Austausch und Dialog. Mit Blick auf die Evaluation der Social Media-Präsenz geht es um Akzeptanz und Dialogfähigkeit. <?page no="163"?> 148 Planung und Optimierung Schaubild 33: Räume in der Online-Kommunikation: Owned Place, Open Place und Outing Place Quelle: Rolke (2014b, 162). Die Maßnahmen des Online-Monitorings müssen jeweils den Anforderungen der jeweiligen Räume gerecht werden, sodass ein Analyse-Werkzeugkasten erforderlich ist. Empfehlenswert ist eine Kombination quantitativer und qualitativer Analysemethoden. Außerdem bietet es sich an, Benchmarking zu betreiben und jeweils auch das Äquivalent des Wettbewerbers zu analysieren: ! Website: Neben den Besucherzahlen sollen mit Analyse-Tools Themen aufgespürt werden, die auf besonderes Interesse bei den Usern gestoßen sind und solche, die weniger berücksichtigt wurden (Pleil 2012, 90). Die Auffindbarkeit sowie die Verlinkungen, die zur Website führen, stellen ebenfalls Anknüpfungspunkte für Evaluationsmaßnahmen dar (Rolke 2014b, 164). ! Suchmaschinen: Eine enge Verwandtschaft mit der Suchmaschinenoptimierung weist die Analyse der Maßnahmen zur Optimierung der eigenen Rankingposition in den Suchergebnissen auf (Pleil 2012, 90). In Bezug auf das Monitoring interessieren neben der Position der eigenen Website auch die Suchergebnisse im unmittelbaren Umfeld. Social-Media-Präsenz Themendurchdringung (Keyword- Analyse) Geschäftsfelder (Produkt- Präsenz) Spezial- Homepages Produkt- Homepages Unternehmens- Homepage User User User Outing Place Wettbewerber im Meinungsmarkt Wettbewerber im Absatzmarkt Open Place Owned Place <?page no="164"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 149 ! Empfehlungs-, Bewertungs- und Vergleichsportale: Produktbewertungen und Erfahrungsberichte genießen eine sehr hohe Glaubwürdigkeit bei anderen Usern. Auch im Rahmen der Medienarbeit spielen Bewertungs- und Vergleichsportale eine wichtige Rolle (Mast/ Spachmann 2015). In der Online- Evaluation sollten diese User Generated-Contents daher berücksichtigt werden, da sie sich sehr schnell auf den Absatz auswirken, nicht zuletzt aber auch das Image und die Reputation schädigen können. ! Weblogs: Themen werden häufig zunächst in vormedialen Räumen wie Fach- und Themenblogs diskutiert, bevor sie von den reichweitenstarken Online-Medien aufgegriffen werden (Pleil 2012, 91 f.). Daher sollte das Issues Management Weblogs und Diskussionsforen berücksichtigen, um Themen in möglichst frühzeitigen Entwicklungsstadien aufzuspüren, zu begleiten und letztlich deren gesamte Themenkarriere abbilden zu können. Darüber hinaus werden Blogger als aktive und kommunikationsstarke Internetnutzer eingestuft, deren Plattformen häufig auch zur Trendidentifikation dienen können. ! Microblog Twitter: Da Blogger häufig auf Tweets als Teaser für ihre Blogbeiträge zurückgreifen, sollten auch Microblogs im Zuge des Online-Monitorings berücksichtigt werden (ebd., 92). Denn Twitter erfüllt neben der Aufmerksamkeitsstreuung auch eine Orientierungsfunktion. Social Media- Analysetools ermöglichen z. B. die Identifikation häufiger Hashtags und liefern einen Überblick über rege diskutierte Themen. Auch eigene Twitter- Aktivitäten können Gegenstand des Monitorings sein, eine Vielzahl an Tools ermöglichen beispielsweise Analysen zur Reichweitenmessung des eigenen Twitter-Kanals. ! Soziale Netzwerke: In sozialen Netzwerken berücksichtigt das Monitoring Interaktionen der User (Likes, Shares, Kommentare, Posts), die auf unternehmensinitiierte Kommunikationsmaßnahmen zurückzuführen sind ebenso wie Themen, die in sozialen Netzwerken diskutiert werden. Denn soziale Plattformen ermöglichen eine schnelle Selbstorganisation der User, sodass sehr schnell Empörungswellen (sog. „shitstorms“) über ein Unternehmen hereinbrechen können. Werden Gespräche in sozialen Netzwerken, Foren etc. beobachtet, so dient Online-Monitoring auch als Frühwarnsystem, um die Handlungsfähigkeit des Unternehmens in Krisensituationen zu gewährleisten (Köster 2012). ! Onlinemagazine und -Nachrichtenportale: In der Medienbeobachtung ermöglichen Online-Magazine und -Nachrichtenportale einen schnellen Überblick über die aktuelle Nachrichtenlage (Pleil 2012, 93). Im Zuge des Issues Managements spielen diese Online-Angebote in erster Linie mit Blick auf die Themenkarriere eine Rolle. <?page no="165"?> 150 Planung und Optimierung Online-Monitoring geht unterschiedlichen Fragestellungen nach: Neben der Wahrnehmung des Unternehmens sowie seiner Marken und Produkte, erlauben Diskussionen in sozialen Netzwerken und Foren, aber auch mediale Berichterstattungen der Online-Medien und Blogger eine Einschätzung, wie über das Unternehmen gesprochen wird und welche Akteure dabei dominieren. Online-Monitoring hilft dabei, Meinungsführer und Trends zu identifizieren. Nicht zuletzt fungiert es als Frühwarnsystem und kann Risiken abwenden. Für Onlinebzw. Social Media-Evaluationsmaßnahmen stehen neben einer Vielzahl kostenpflichtiger auch Open Source-Tools zur Verfügung, die jeweils unterschiedliche Analyseschwerpunkte setzten. Einen Überblick bieten Rolke (2014b, 164) und Weinberg (2014, 70 ff.). 4 4 . . 4 4 P P u u b b l l i i k k u u m m s s b b e e z z o o g g e e n n e e I I n n s s t t r r u u m m e e n n t t e e Im Gegensatz zu den Evaluationsinstrumenten der Pressearbeit setzt die publikumsorientierte Evaluation direkt bei den Bezugsgruppen der Unternehmenskommunikation an. Dazu werden vor allem die im Bereich der Marktforschung angewandten Methoden der empirischen Sozialforschung (Schnell/ Hill/ Esser 2013, Atteslander 2010, Diekmann 2009) eingesetzt. Die Befragung ist die in den empirischen Sozialwissenschaften am häufigsten angewandte und wichtigste Erhebungsmethode im Rahmen der Primärforschung. Zur Klassifikation von Befragungsmethoden werden verschiedene Kriterien herangezogen, z. B. der Standardisierungsgrad (standardisierte Befragung, teilbzw. nicht standardisierte Befragung), die Kommunikationsform (mündlich, telefonisch oder schriftlich), die Befragungshäufigkeit (z. B. im Panel) oder der Adressatenkreis (z. B. Experten, Haushalte). Ein mündliches Interview eignet sich insbesondere, um die Wirkungen einzelner Maßnahmen während deren Ausführung nachzuweisen (z. B. Besucherbefragung bei einem „Tag der offenen Tür“). Eine schriftliche Befragung dagegen kann nach Realisation einer Aktion z. B. durch Anhängen eines Fragebogens an eine Druckschrift (z. B. in der Kunden- oder Mitarbeiterzeitschrift) erfolgen. Telefonumfragen eignen sich insbesondere bei bestimmten Berufsgruppen wie Unternehmern oder Geschäftspartnern. Online-Umfragen nehmen unternehmensintern und bei ausgewählten Bezugsgruppen zu. Mit der Verbreitung des Internets und <?page no="166"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 151 der E-Mail-Adressen kann dieser Weg schnell und kostengünstig wertvolle Ergebnisse liefern. Mitarbeiterbefragungen (Schick 2014, 162 ff.) zum Beispiel sind ein wichtiges Instrument zur Optimierung von Unternehmensabläufen. Sie sind als Diagnose- und Handlungsgrundlage für betriebliche Probleme und Entscheidungssituationen einsetzbar, z. B. zur Untersuchung der Arbeitszufriedenheit oder des Betriebsklimas, bei der Vorgesetztenbeurteilung, zur Untersuchung der Personalstruktur oder zur Überprüfung der Zufriedenheit der Mitarbeiter mit den ihnen gebotenen Informationen. Die Mitarbeiterbefragung als Evaluationsinstrument dient der Überprüfung und Verbesserung der internen Kommunikationsmaßnahmen. Experimente ermöglichen die Überprüfung von Kausalzusammenhängen. Sie bezeichnen außerdem eine bestimmte Form der Untersuchungsanlage (Brosius/ Haas/ Koschel 2012, 199 ff.). Wenn es zur Einführung von neuen Formaten von Zeitschriften oder Online-Anwendungen kommt, stellen sie häufig die Entscheidungsgrundlage dar. Weite Verbreitung haben auch apparative Verfahren, die Wahrnehmungs- oder Aufmerksamkeitsprozesse zu erfassen versuchen. Verfahren der Blickregistrierung zeigen, wohin eine Versuchsperson zuerst schaut (zeitlicher Ablauf) und wie lange sie dies tut (Dauer). Diese Testverfahren sind mehr oder weniger in der Lage, mit recht hohem Aufwand einzelne Wirkungsaspekte, wie die spontane Wahrnehmung oder Erinnerungswerte, bei den Menschen zu überprüfen. Die Wirkungen der zweiten Ebene, d. h. die Verarbeitung der Informationen sowie die Auswirkungen auf Einstellungen, Meinungen und schließlich Verhaltenweisen, können durch derartige Testverfahren kaum gemessen werden. Die Einsatzmöglichkeiten dieser Verfahren sind begrenzt. Reaktionsbeobachtung und Handlungsauswertungen: Außer den Befragungs- und Testverfahren gibt es noch andere Instrumente, um zu überprüfen, wie eine Aktion bei einer Bezugsgruppe „angekommen“ ist. Diese Kontrollmöglichkeiten setzen bei den Handlungen bzw. Reaktionen der Bezugsgruppen selbst an, die dabei systematisch beobachtet werden. Bestimmte Handlungen oder Äußerungen können als Indikatoren für den Erfolg von Kommunikationsmaßnahmen gedeutet werden: Teilnehmerzahlen von Veranstaltungen, Besucher von Kongressen, Bewerber auf Stellenanzeigen, Abrufe von bereitgestelltem Informationsmaterial, Anrufe oder Rücksendungen von Coupons, Teilnahme an Preisausschreiben usw. Diese Indikatoren lassen zwar quantitativ präzise Aussagen zu, erhalten ihre Aussagekraft jedoch erst im Vergleich mit Erfahrungswerten und unter Einbeziehung weiterer Komponenten. <?page no="167"?> 152 Planung und Optimierung Als Erfolg von Kommunikationsmaßnahmen gilt in den meisten Fällen, wenn bestimmte Personen den Botschaften nicht nur zustimmen, sondern tatsächlich entsprechend handeln. Insofern verspricht die Beobachtung des faktischen Verhaltens der Bezugsgruppe eine präzise Auskunft über die Wirkung oder Nichtwirkung geplanter Kommunikationsprozesse. Wenn ein Unternehmen sich beispielsweise im Rahmen der internen Öffentlichkeitsarbeit zum Ziel gesetzt hat, die Motivation der Mitarbeiter zu heben, dann kann die Entwicklung des Krankenstandes und der Kündigungen als ein Indikator für den Erfolg solcher Maßnahmen angesehen werden. Weitere Hinweise, die für die Kontrolle von interner Öffentlichkeitsarbeit verwendet werden können, sind die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Überstundenleistung, die Teilnahme an Firmenveranstaltungen, das Interesse an einer hausinternen Karriere usw. Das Beobachten von Reaktionen mithilfe solcher Indikatoren gibt zwar ein klares Bild über deren Zustandekommen. Wird es isoliert betrachtet, bleibt jedoch unklar, ob es als Folge einer Maßnahme angesehen werden kann. Kombinierte Verfahren: Häufig werden Methoden zur Messung von „Outcome“- Effekten in Kombination eingesetzt, um ihre Aussagekraft zu erhöhen. Ein Beispiel sind Usability-Messungen von Online-Medien. Hier werden die sog. Page Impressions (= einmaliger Abruf einer Einzelseite durch den Nutzer) erfasst, d. h. die Kontakte zu einer Website. Die sog. Visits hingegen erfassen einen zusammenhängenden Nutzungsvorgang auf einer Website und geben Auskunft über die Nutzung. Wie attraktiv eine Website ist, kann z. B. an der Dauer der Seitenabrufe, der Verweildauer auf einer Website bzw. der Absprungrate und natürlich an der Zahl der Besucher abgelesen werden (Schweiger 2010). Schweiger betont: „Nutzerbefragungen und Usability-Tests ergänzen sich ideal: Während Usability-Tests konkrete Schwachstellen einer Website identifizieren, liefern Nutzerbefragungen die Beurteilungen einer großen Zahl von Website- Besuchern (…). Deshalb eignen sie sich nicht nur zur Evaluation von Re- Designs (…), sondern auch für Benchmarks“ (ebd., 122). 4 4 . . 5 5 V V o o n n K K e e n n n n z z i i f f f f e e r r n n b b i i s s z z u u m m K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s c c o o n n t t r r o o l l l l i i n n g g Eine Reihe von Disziplinen, sei es die Betriebswirtschaft oder Volkswirtschaft, haben dem Bereich Corporate Communication etwas voraus: Sie besitzen konventionell abgestimmte Größen oder Kennziffern, die gemeinhin als die wichtigen Indikatoren für Erfolg und Misserfolg gelten. Kennziffern stellen Größen dar, die handlungs- und entscheidungsrelevant sind. Für den Börsenbeobachter sind Kennziffern Grundlage der Unternehmensbewertung. Der Leitung eines Unternehmens dienen sie als Führungs- und Kon- <?page no="168"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 153 trollinstrument. Sie schaffen Transparenz und Vergleichbarkeit der Medienresonanz zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder verschiedenen Themen (Mathes/ Zerfaß 2010). Voraussetzung ist selbstverständlich, dass diese Kennziffern in einer Branche akzeptiert und standardisiert sind. Dies ist in der Unternehmenskommunikation bislang nur in Ansätzen der Fall. Kennziffern sind Erfahrungswerte, die in einer Branche akzeptiert werden. Sie ersetzen absolute Werte und erlauben z. B. einen schnellen Überblick über die wichtigsten Merkmale der Medienresonanz zu einem speziellen Messzeitpunkt sowie über Veränderungen der Resonanz im Laufe der Zeit. Etablierten Kennziffern kann man vertrauen. Sie haben zwar keinen absoluten Erklärungs- oder Erkenntniswert, sind aber wichtige Signalwerte. Kennziffern sind also lediglich eine Hilfe z. B. für die Auswertung von Medienresonanzanalysen und deren Interpretation. Die Aussagekraft von solchen Ziffern wird durch Erfahrungswerte bestimmt. Deswegen schafft erst der Vergleich der Werte über die Zeit hinweg oder zwischen Branchen, Unternehmen oder Themen eine nachvollziehbare Grundlage zur Erfolgsabschätzung. Basierend auf dem von der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) und dem Internationalen Controller Verein (ICV) entwickelten Bezugsrahmen zur Typologisierung unterschiedlicher Messgrößen bzw. Kennzahlen werden exemplarisch einige Kennziffern vorgestellt (siehe Kapitel 4, Abs. 4.2): Mit dem Input verbundene Aufwendungen können anhand von betriebswirtschaftlichen Methoden ermittelt werden. Personal- und Outsourcing-Kosten wie Agenturhonorare und andere stellen relevante Messgrößen dar. Wichtige Kennziffern in Bezug auf den internen Output sind Fehlerquoten, Durchlaufzeiten und Budgettreue. Readability-Indizes messen weiterhin die Verständlichkeit der Kernbotschaften. ! Readability-Index: Bestimmung der Lesbarkeit eines Textes in Abhängigkeit von der Schulbildung. Eine Formel macht eine ungefähre Angabe über die für das Textverständnis erforderlichen Schuljahre. Medienbeobachtungen und -analysen sowie Online-Monitoring setzen auf der Ebene des externen Outputs an. Hier geht es um die Reichweite und die Inhalte der Kommunikationsangebote. Wichtige Kennziffern sind: <?page no="169"?> 154 Planung und Optimierung ! Clippings: Eine Zusammenstellung der Berichterstattung, die auf Pressemitteilungen bzw. andere Kommunikationsmaßnahmen des Unternehmens wie Pressekonferenzen, Events etc. zurückzuführen ist. ! Visits: Anzahl der Besuche einer Website, werden auch „Page Visits“ genannt. ! Share of Voice: Anteil der Berichterstattung über ein Unternehmen im Verhältnis zu einer zuvor definierten Vergleichsgröße (z. B. Gesamtmarkt, (wichtigster) Wettbewerber). Die Stakeholderperspektive wird im Zusammenhang mit dem direkten Outcome berücksichtigt. Hier geht es um die Wahrnehmung und Nutzung der Kommunikationsangebote sowie die Messung der Wissensvermittlung: ! Leser pro Ausgabe (LpA): Ein Reichweitenmaß der Printmedienforschung, das die Größe der Leserschaft erfasst. ! Unique Visitors: Das Pendant zur Print-Kennziffer LpA für die Online- Kommunikation. Bezeichnung für den Besucher einer Website innerhalb einer bestimmten Zeitspanne. Die Kennziffer ist unabhängig von der Häufigkeit der Aufrufe. Die Anzahl der Visits misst daher nicht dasselbe wie die Kennziffer der Unique Visitors. ! Awareness/ Bekanntheit: Die Messung der Bekanntheit erfolgt mittels Recall- und Recognition-Messungen. Recall bezeichnet die ungestützte Abfrage und Recognition die gestützte Abfrage von Inhalten des Kommunikationsangebots wie Marke, Kernbotschaft u. a. Der indirekte Outcome bezieht sich auf die Bezugsgrößen Einstellungen, Emotionen und Verhalten der Stakeholder, die über folgende Kennziffern gemessen werden: ! Markenimage: Die einfachste Methode, um im Gedächtnis verankerte Vorstellungsbilder einer Marke zu messen, sind Befragungen mit Polaritätsprofilen. ! Lead: Hinterlassen Stakeholder freiwillig ihre Kontaktdaten oder bestellen einen Newsletter, so kann dies als erfolgreiche Leadgenerierung bezeichnet werden. Im Zusammenhang mit dem Outflow spielt die Evaluation werthaltiger Zielgrößen (z. B. Umsatz, Kostenreduktion und Projektabschlüsse) eine wichtige Rolle. Auch hier zeigt sich die Nähe zum betriebswirtschaftlichen Controlling. Wichtige immaterielle Ressourcen, die durch Kommunikationsprozesse beeinflusst werden, sind: <?page no="170"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 155 ! Reputationswert: Der Reputationswert lässt sich nach keinem einheitlichen System berechnen, vielmehr entwickeln Beratungsunternehmen, Institute und Agenturen eigene Verfahren zur Feststellung des Reputationswerts. ! Markenwert: Auch der monetäre Wert einer Marke wird mithilfe einer Vielzahl unterschiedlicher und speziell entwickelter Kennzahlensysteme berechnet. Hohe Bekanntheit in der Praxis haben die Markenwert-Rankings von Interbrand und Millward Brown Optimor. In Bezug auf die externe Kommunikation kann folgende Wirkungskette des kommunikativen Wertbeitrags eines Unternehmens beschrieben werden, das eine Neueröffnung plant und hierzu seine „licence to operate“ sichern möchte (Schaubild 34). Ziel ist es, von den Stakeholdern (Anwohner, Politiker, Gemeinde) nachhaltig akzeptiert zu werden (DPRG/ ICV 2011, 16). Die Wirkungskette lässt sich auch auf andere Kommunikationsfunktionen wie interne Kommunikation, Marktkommunikation und Finanzkommunikation anwenden (ebd., 17 ff.). Schaubild 34: Beispielhafte Wirkungskette für die externe Kommunikation Quelle: DPRG/ ICV (2011, 17). Da die Unternehmenskommunikation vielfältige Kommunikationsaufgaben erfüllt, können für jeden Bereich eigene Kennziffern herangezogen werden. Zur Evaluation der Medienarbeit wird z. B. auf Kennziffern aus der Medienreso- Effizienter Einsatz von finanziellen und personellen Ressourcen Strategiebezogene Maßnahmen (z.B. Tag der offenen Tür, Standortpublikationen, regionale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) Wahrnehmbarkeit der Kommunikationsprodukte (z.B. Anzahl Kontakte, Clippings, Visits, Medienpräsenz strategischer Themen u. Kernbotschaften) Bekanntheit des Unternehmens und seines Betätigungsfeldes Kenntnis der Argumente für eine Neuansiedlung Vertrauen in Unternehmen und Management Akzeptanz von öffentlichen Vorteilen der Neuansiedlung Unterstützung der Ansiedlung Niedrige Transaktionskosten L icence to Operate Outflow Indirekter Outcome Direkter Outcome Externer Output Interner Output Input <?page no="171"?> 156 Planung und Optimierung nanzanalyse zurückgegriffen. Neben dem Inititativquotienten und der Quote des Durchdringungsgrades als zentrale Kennziffern, können im Zuge einer Medienresonanzanalyse weitere Messgrößen berücksichtigt werden. Beim Initiativquotienten z. B. geht es um das Verhältnis von selbst- und fremdbestimmten Beiträgen. Einerseits soll die Berichterstattung nicht gänzlich eigeninitiiert sein, denn das hieße, dass sich keiner außerhalb eines Unternehmens für dieses interessiert. Totale Außensteuerung der Berichterstattung auf der anderen Seite kommt einer völligen Machtlosigkeit im Prozess der Meinungsbildung gleich. Unter Fachleuen wird diskutiert, ob „in the long run“ und unter normalen Aufmerksamkeitsbedingungen ein Verhältnis von 70 : 30 einer „gesunden“ Kommunikationssituation entspricht. Kennziffern aus Medienresonanzanalysen Eine Auswahl aus der Breite des Spektrums sind folgende Beispiele: ! Reichweite: Anzahl möglicher Leser, Hörer, Zuschauer und User. ! Akzeptanzquotient: bezieht sich auf das Verhältnis positiver, neutraler oder negativer Medienbeiträge zu einem Thema. ! Durchdringungsindex: gibt an, wie häufig ein Thema, ein Name, ein Akteur oder ein Produkt in den Medien genannt wird. ! Werbeäquivalenzwert: berechnet die Kosten, die bei Schaltung einer Werbeanzeige entstanden wären. ! Share of Voice: bezieht sich auf den Anteil der Berichte über ein Unternehmen im Vergleich zum Wettbewerber. ! Initiativquotient: gibt das Verhältnis von selbstversus fremdgesteuerter Berichterstattung wieder. ! Resonanzquotient: gibt Aufschluss über die Anzahl und Verteilung der Berichte in verschiedenen Medien. ! Text-Bild-Quotient: gibt das Verhältnis von Texten mit Illustrationen zu Texten ohne Illustrationen an. ! Themenquotient: gibt die Anteile einzelner Themen an der gesamten Medienresonanz an. ! Transferquote: entspricht dem Verhältnis der Nennungen einzelner Stichworte (Produktname, Botschaft, Unternehmen etc.) zur Gesamtzahl der Veröffentlichungen bzw. der Gesamtauflage. ! Verteilungswert: zeigt die regionale Medienpräsenz an. <?page no="172"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 157 Dieses Verhältnis hat eine praktisch-empirische Plausibilität, wenn es um lange Zeiträume geht. Nicht zufällig korreliert es mit dem Erfahrungswert, dass 70 Prozent dessen, über das Medien berichten, auf PR zurückzuführen ist. Für spezifische Bereiche der Medienarbeit gilt diese Relation allerdings nicht. Produkt-PR beispielsweise kann nur bei einem höheren Anteil selbstinitiierter Beiträge als erfolgreich angesehen werden. Anders ist es bei kontroversen Themen. Erfahrungsgemäß wächst dann der Anteil fremdgesteuerter Berichterstattung (z. B. beim Thema Gentechnik). Selbst bei hohem Aufwand wird ein Wert von 70 Prozent selbstgesteuerter Beiträge dann nicht zu erreichen sein. Insofern kann jede Abweichung von der 70 : 30-Relation als ein allgemeines Signal für vorhandenes Konflikt- und Kritikpotenzial verstanden werden. In der aktuellen Diskussion um geeignete Kennziffern kommen immer wieder sog. Key Performance Indicators (KPIs) zur Sprache. KPIs stellen ausgewählte Kennziffern dar, die besonders geeignet für die Steuerung von Kommunikationsprozessen sind. Sie werden auf Basis der zugrundeliegenden Kommunikationsziele identifiziert, sodass KPIs unternehmensindividuell ausgewählt werden. Die Identifikation geeigneter KPIs orientiert sich an folgenden Kriterien: ! Beeinflussbarkeit: Die Kennziffer misst einen Tatbestand oder Zustand, der durch die Kommunikationsleistung beeinflusst wird. ! Anschlussfähigkeit: Es besteht eine inhaltliche Verknüpfung zwischen einem Kommunikationsziel und der Kennziffer. Sie kann daher als Indikator für die Zielerreichung eines Kommunikationsziels gelten. ! Verdichtung: Die Kennziffer erlaubt eine möglichst umfassende Abbildung der gesamten Kommunikationsleistung eines Unternehmens. ! Handlungsorientierung: Die Kennziffer zeigt Handlungsrelevanz für das Kommunikationsmanagement auf. Alle KPIs sollten außerdem den Wertschöpfungsbeitrag der Kommunikation verdeutlichen. Sie dienen nicht nur der Kontrolle, sondern decken vor allem Potenziale für Verbesserungen auf. In Bezug auf die vorgestellten Kennziffern bedeutet dies, dass sich je nach Kommunikationsziel bestimmte Kennziffern eignen, während andere schon aufgrund ihrer Anschlussfähigkeit ausscheiden. Eine möglichst hohe Verdichtung erlauben insbesondere Kennziffern, die der indirekten Outcome- und Outflowebene zugerechnet werden können. Jedoch kann es in Bezug auf spezielle Kommunikationsziele, die z. B. die Bekanntheit betreffen, durchaus zielführend sein, eine weniger komplexe Kennziffer wie Recall oder Recognition als KPI zu definieren. Kennzahlen „leben“ durch den Vergleich. Hier kommen Benchmarking, aber auch Maßzahlen des Vorjahres <?page no="173"?> 158 Planung und Optimierung zum Tragen. Insgesamt sollten zwischen 15 und 20 KPIs definiert werden, um den Kommunikationserfolg möglichst umfassend abzubilden. Wertschöpfung durch Kommunikation? In den letzten Jahren entstanden Ansätze eines strategischen Kommunikations-Controllings, die über die Evaluation und Wirkungsmessung hinausgehen (Rolke/ Zerfaß 2014). Sie wollen die Perspektiven des Kommunikationsmanagements und des Controllings zusammenführen, um auf der betriebswirtschaftlichen Outflow-Ebene anschlussfähig zu sein an allgemeine Controllingverfahren in den Unternehmen. Die Einführung von Balanced Scorecards in den (großen) Unternehmen wirkte sich auch auf die Unternehmenskommunikation aus, die mit diesem Instrument systematisiert und bewertet wird (siehe dazu ausführlich Kapitel 3, Abs. 3.2). Die Herausforderung der Zukunft ist allerdings, „eine gemeinsame Sprache von Kommunikationsmanagern und Controllern, aber auch zwischen Unternehmen und Dienstleistern sowie gegenüber der Unternehmensführung und anderen internen Auftraggebern“ (Pfannenberg/ Zerfaß 2010, 13) zu etablieren. Dies wird sicher in einzelnen Bereichen gelingen. Dass sich allerdings der Wert von Kommunikation für Unternehmen vollständig „ökonomisieren“ und „berechnen“ lässt, ist wenig wahrscheinlich - es sei denn, das Kommunikationsmanagement eines Unternehmens beschränkt sich ausschließlich auf messbare, umrechenbare Kommunikationsmaßnahmen. Möglicherweise werden aber die Wettbewerbsvorteile der Zukunft gerade von denjenigen Unternehmen errungen, die auf immaterielle Werte wie Vertrauen, Bindung, Qualität und Kreativität setzen. Der Überblick über Einflussfaktoren, die Vielzahl möglicher Ziele und Wirkungen und die zur Auswahl stehenden Methoden und Instrumente der Erfolgskontrolle machen deutlich, dass es „die“ Erfolgsmessung nicht geben kann. Vielmehr muss die Erfolgskontrolle unterschiedliche Instrumente einbeziehen, um ein möglichst vollständiges Mosaikbild der Wirkungen zu erreichen. Letztlich hängt die Wahl von Evaluationsverfahren in der Praxis auch von dem verfügbaren Budget ab, das über die Art der Messung und die Messlatte gleichermaßen entscheidet. <?page no="174"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 159 ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Ein systematisch geplantes und optimiertes Kommunikationskonzept bildet zwar keine Garantie für den Erfolg, minimiert aber das Risiko des Fehlschlages. ! Die Unternehmensumwelt kann durch verschiedene Konzepte strukturiert werden: Zielgruppen (Bezugsgruppen), Stakeholder (Anspruchsgruppen) und „publics“ (Teilöffentlichkeiten). ! Zur Planung und Optimierung von Kommunikationskonzepten gehören die Problemwahrnehmung und Situationsanalyse, die Erarbeitung einer Kommunikationsstrategie, ihre Umsetzung und die Erfolgskontrolle. ! Strategisches Vorgehen heißt, dass Ziele oder Soll-Zustände definiert werden und ein Plan formuliert wird, wie man dorthin gelangt. Ziele müssen realisierbar, konkret, konsistent und messbar sein. Zu unterscheiden sind kognitive, affektive, konative und soziale Ziele. ! Positionierungen sind die kommunikative Plattform, von der alle Maßnahmen inhaltlich gespeist werden. Sie sind lebendig formulierte und mit emotionalen Werten verbundene Aussagen für den internen Gebrauch. ! Botschaften fassen den inhaltlichen Kern eines Kommunikationskonzeptes zusammen. Sie stellen Informationen dar, die nach Durchführung eines Kommunikationskonzeptes im Bewusstsein der Bezugsgruppe verankert sein sollen. ! Unter Unique Communication Proposition (UCP) eines Unternehmens versteht man die Inhalte, die einem Unternehmen einen einzigartigen und nachvollziehbaren Kommunikationsvorteil verschaffen. ! Die Evaluation von Unternehmenskommunikation kann auf den Ebenen Input, direkter Output, indirekter Output, direkter Outcome, indirekter Outcome und Outflow vorgenommen werden. ! Kennzahlen sind Erfahrungswerte, die in der Kommunikationsbranche akzeptiert werden. Sie sind Signale, aber keine absoluten Erklärungswerte. Wichtige Online Key Performance Indicators (KPI) sind z. B. die Seitenaufrufe und die wiederkehrenden Besucher oder die Bestellung von Newslettern. ! Die Methoden der Erfolgskontrolle umfassen den gesamten Katalog sozialwissenschaftlicher Untersuchungswege. Im Allgemeinen können <?page no="175"?> 160 Planung und Optimierung medienbezogene und publikumsbezogene Evaluationsinstrumente verwendet werden. ! Online-Monitoring und Social Media-Monitoring erfüllen vielfältige Aufgaben. Sie dienen u. a. dem Issues Management, Reputationsmanagement und der Erfolgsmessung der eigenen Kommunikation. ! Online-Evaluationsmaßnahmen betreffen sämtliche Aktivitäten im Internet und in sozialen Medien. Evaluationsgegenstände sind daher neben der eigenen Website auch Suchmaschinen, Empfehlungs-, Vergleichs- und Bewertungsportale, Blogs, soziale Netzwerke und Online-Magazine bzw. Nachrichtenportale. <?page no="176"?> Kapitel 4: Von der Analyse bis zur Erfolgskontrolle 161 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Broom, Glen M./ Sha, Bey-Ling (2013): Cutlip and Center’s Effective Public Relations. 11th ed. Harlow: Pearson Education Limited. Als „Bibel der Public Relations“ bezeichnet, befasst sich der Klassiker mit den Möglichkeiten effektiver interner und externer Kommunikation. Er bietet einen fundierten Einblick in das Feld der Unternehmens-PR, die als Managementprozess verstanden wird. Ein Schwerpunkt des Buches liegt auf dem strategisch-systematischen Planungsprozess. Hansen, Renée/ Bernoully, Stephanie (2013): Konzeptionspraxis. Eine Einführung für PR- und Kommunikationsfachleute. Mit einleuchtenden Betrachtungen über den Gartenzwerg. 6. Aufl. Frankfurt/ Main: Frankfurter Allgemeine Buch. Das Buch gibt - anhand eines konkreten Beispiels - praktische Hinweise vom Briefing bis zur strategischen Positionierung. Das Buch ist die aktualisierte Nachfolge des bekannten Fachbuches „Wie Profis PR-Konzeptionen entwickeln“ und spiegelt die neuen Entwicklungen auf den Kommunikationsmärkten wider. Leipziger, Jürg W. (2009): Konzepte entwickeln. Handfeste Anleitungen für bessere Kommunikation. 3., aktual. Aufl. Frankfurt/ Main: Frankfurter Allgemeine Buch. Dieses anspruchsvolle Buch gibt viele Anlehnungen und Tipps, wie man Denkfehler vermeiden und strategische Kommunikationsplanungen nüchtern durchführen kann. Pfannenberg, Jörg/ Zerfaß, Ansgar (Hrsg.) (2010): Wertschöpfung durch Kommunikation. Kommunikations-Controlling in der Unternehmenspraxis. Frankfurt/ Main: Frankfurter Allgemeine Buch. Herausgeber und Autoren stellen in diesem Sammelband das Kommunikations- Controlling aus der Sicht der Unternehmensführung vor und präsentieren Standardwerkzeuge wie Medienanalysen oder Usability-Tests. Best-Practice-Beispiele aus Unternehmen werden von Vertretern der Praxis vorgestellt. <?page no="178"?> K K a a p p i i t t e e l l 5 5 : : M M e e d d i i e e n n u u n n d d K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s w w e e g g e e Jedes Unternehmen verfügt über wiederkehrende Muster bzw. Strukturen der Interaktion, die durch ständige Kommunikation entstehen, und über ein Mediensystem, das für die interne und externe Kommunikation eingesetzt wird. In der Kommunikation mit externen Bezugsgruppen setzen Unternehmen allgemein zugängliche Medien ein, z. B. Presse, Rundfunk oder Internet, die auch von anderen Akteuren genutzt werden können. Oder sie schaffen eigene Kommunikationskanäle, deren Inhalt sie selbst gestalten, z. B. Kundenzeitschriften („corporate publishing“), Direktmailings, Events, Internetseiten. In der internen Kommunikation sind alle Mediengattungen vertreten, von (Mitarbeiter-)Zeitschriften über (Corporate-)TV, Videos, gedruckte Informationsdienste oder elektronische Newsletter bis hin zu Workshops, Tagungen u. a. Kapitel 5 stellt die Grundstrukturen und Kriterien für die Auswahl der Medien und Kommunikationswege vor. Sie reichen von den Zielen, die das Unternehmen anstrebt, bis zu den Leistungen der einzelnen Kanäle, ihren Funktionen und situationsspezifischen Einflüssen, die die Wahl eines Kommunikationsmediums bestimmen. Darüber hinaus werden Formate der persönlichen Kommunikation vorgestellt und die Herausforderungen einer Web 2.0-Unternehmenskommunikation analysiert. 1 1 G G r r u u n n d d s s t t r r u u k k t t u u r r e e n n u u n n d d A A n n f f o o r r d d e e r r u u n n g g e e n n aan n MMeed diieennssyys stte emme e Erfolgreiche Unternehmen müssen nicht nur eine Vielfalt von Informationen aus ihrem Umfeld und dem Unternehmen selbst bearbeiten, sondern auch ein Netz effektiv eingesetzter Medien und Kommunikationswege pflegen. Quirke (2008) plädiert für eine systematische Vernetzung sowie gegenseitige Verstärkung der einzelnen Medien und Kommunikationswege. Was in Ansätzen der integrierten Kommunikation postuliert wird, entwickelt Quirke beispielhaft für die interne Unternehmenskommunikation (Schaubild 35). Unternehmen sollen einen „virtuous circle of communication“ (Quirke 2008, 21) maßgeschneidert aufbauen, „verlinken“ und für ihre Bedürfnisse und Ziele optimieren. Die Grundstruktur des Kommunikationsmanagements nach Quirke (2008, 21 ff.) umfasst die Elemente: <?page no="179"?> 164 Planung und Optimierung ! Strategie: Die Stakeholder sollen verstehen, welche Strategien ein Unternehmen verfolgt, den Kontext und die Ziele. ! Führung in Form von „leadership“: Sie achtet vor allem auf die Konsistenz der Botschaften, die Klarheit der Zielsetzung, die Grundsätze bei deren Erreichung sowie die Bildung von Schwerpunkten (Quirke 2008, 23). ! Planung und Setzen von Prioritäten: Die Kommunikationsbereiche der Unternehmen benötigen die Unterstützung der Manager - auch als Kommunikatoren. Ohne systematische Planung wissen sie nicht Bescheid und agieren unkoordiniert. Ohne klare Schwerpunkte verzettelt sich die Managementkommunikation. Darüber hinaus ist eine klare Planung auch die Voraussetzung für Erfolgsnachweise und eine gute Zusammenarbeit mit anderen Akteuren. Schaubild 35: Grundstruktur des Kommunikationsmanagements Quelle: Quirke (2008, 22). ! Auswahl, Gestaltung und Vernetzung der Kommunikationswege und -inhalte: Hier geht es um eine Reduzierung der täglichen Informationsüberflutung durch ausgewählte Inhalte mit Substanz. ! Die Rolle der Kommunikation: Die Menschen, die für Corporate Communication zuständig sind, können höchst unterschiedliche Rollen vom einfachen Strategy Leadership Impact measurement Planning & prioritization Channels & content management Communication roles Face-to-face <?page no="180"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 165 Verteiler von Botschaften bis hin zum strategischen Berater des Top- Managements ausüben. Dies hängt von ihrem Einfluss und ihrer Wertschätzung im Unternehmen ab und vor allem, ob sie bei den wichtigen Entscheidungsprozessen im Unternehmen beteiligt werden. ! Die persönliche Kommunikation ist ein ganz besonders leistungsfähiger Kommunikationsweg. Er kann die über Medien transportierten Inhalte anreichern und in einen Kontext setzen. Auch persönliche Kommunikation in Unternehmen sollte bewusst geplant, organisiert und evaluiert werden. ! Erfolgskontrolle dient letztlich dazu festzustellen, ob die Strukturen des Mediensystems funktional sind und die erwarteten Ziele auch erreicht werden. Diese Ergebnisse dienen der Prozesssteuerung. Kommunikationswege erfüllen unterschiedliche Leistungen. Manche eignen sich für bestimmte Informationen oder Kommunikationsvorgänge besser als andere. Mintzberg (1973, 36) hat in seiner berühmten Untersuchung, wie Manager ihren Arbeitstag verbringen, herausgefunden: Manager bevorzugen die persönliche Face-to-Face-Kommunikation und andere unmittelbare Kanäle weit häufiger als schriftliche Formen. „A most interesting phenomenon was that of ‚instant communication‘ - the very current, ‚hot‘ information that flowed frequently and informally, by telephone or unscheduled meeting.“ Die eingehende Briefpost wurde vom Management als wenig interessant betrachtet und mit Alltagsroutine behandelt. Vielen schriftlichen Berichten von einzelnen Bereichen des Unternehmens wurde ebenfalls wenig Beachtung geschenkt, weil die Manager immer nach den neuesten Informationen suchten, die sie aber in diesen Kanälen nicht vermuteten. Mintzberg hielt fest, dass diese Manager oft ein hohes Maß an Unsicherheit akzeptierten, das an solchen Spekulationen, Gerüchten oder gar Stimmungen hing, solange sie nur neu und unverbraucht waren. Spätere Untersuchungen in Deutschland haben dieses Ergebnis bestätigt (Picot/ Reichwald/ Wigand 2003). Drei Arten von Kommunikationswegen, deren Leistungsspektren durchaus variieren, können unterschieden werden: Face-to-Face-, schriftliche bzw. gedruckte und elektronische Kommunikation. Welcher Weg für die Vermittlung von Inhalten geeignet ist, wird nicht nur von den Präferenzen der Nutzer oder dem Inhalt bestimmt, sondern auch von den Bedingungen des Unternehmens und vor allem den anvisierten Zielen in einer speziellen Situation. Das Mediensystem eines Unternehmens muss in hohem Maße leistungsfähig sein, d. h. schnell, flexibel, präzise und effizient arbeiten. Unter den heutigen Bedingungen der globalisierten Märkte sollte ein Kommunikationssystem folgende Leistungen erbringen: <?page no="181"?> 166 Planung und Optimierung ! Aktualität: (Internationale) Bezugsgruppen müssen schnell und zeitgleich erreicht werden. Eine Unternehmensleitung muss in der Lage sein, in dringenden Fällen ihre Mitarbeiter oder wichtige Stakeholder sofort anzusprechen. Der Einsatz von Intranet und E-Mails ist in diesem Punkt in der internen Kommunikation jedem gedruckten Medium überlegen. In der externen Kommunikation sind es die Medien Internet, Hörfunk und Fernsehen sowie Telefon- oder E-Mail-Aktionen. ! (Re-)Aktionsfähigkeit: Veränderungen der Geschäftstätigkeiten und Marktverhältnisse müssen unverzüglich integriert, d. h. neue Themen publizistisch bearbeitet und neue Bezugsgruppen mit Medienleistungen versorgt werden. Daher ist es notwendig, bestehende Medien wie Mitarbeiterzeitschriften, Kundenzeitschriften, Intranetbzw. Internetseiten turnusgemäß zu überprüfen, ob sie nicht veraltete Informationen transportieren oder ganze Themenschwerpunkte vernachlässigen. Solche Überprüfungen müssen in festgelegten Zeitintervallen vorgenommen werden, nicht aus Zufall oder spontaner Laune heraus. ! Lern- und Nutzwerte: Die wertsteigernde Kommunikation (Janke 2015, Quirke 2008, Will 2007) ist das Ziel. Das geistige Kapital eines Unternehmens wird dann vermehrt, wenn die Kompetenzen der Menschen untereinander verknüpft werden. D. h., das „Können“ wird verbunden mit dem „Wollen“. Workshops oder Medien wie Mitarbeiterzeitschriften sollten deshalb nicht nur informieren, sondern auch Hilfe und Anreiz zum Lernen vermitteln, das Wissen der Mitarbeiter vertiefen, sie motivieren und an das Unternehmen binden. Gleiches gilt für Stakeholder wie Händler, Kunden, Lieferanten oder Kooperationspartner. ! Auswahl, Strukturierung und Bewertung der Informationen: Von Unternehmen werden viel zu viele Informationen verteilt, ohne dass sie genau auf die Bedürfnisse der Empfänger ausgerichtet sind. Es fehlt das Denken aus Sicht der Bezugsgruppen. Vielmehr steht das Interesse der Produzenten im Vordergrund. Um dieser Schwäche der Unternehmenskommunikation zu begegnen, müssen auf der Seite der Informationsanbieter klare Hierarchien der Wichtigkeit gesetzt und exakte Bezugsgruppenanalysen vorgenommen werden. Zur Strukturierung der Informationen gehört auch die Entscheidung, was in welchem Umfang verteilt, lediglich zugänglich gemacht oder gar nicht publiziert werden soll. ! Monitoring: Zuhören, Beobachten und Analysieren werden immer wichtiger. Ob durch Medienresonanzanalysen die Berichterstattung analysiert oder über Online-Monitoring frühzeitig Themen und Kritik im Netz aufgefangen werden − Corporate Communications bekommt die Aufgabe, Stimmungen und Meinungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu er- <?page no="182"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 167 fassen und zu analysieren. Das Kommunikationssystem benötigt daher leistungsfähige Feedback- und Dialogstrukturen von Mitarbeiterbefragungen über Kommentarfunktionen im Netz bis hin zu Monitoring-Analysen. ! Ökonomischer Umgang mit der knappen Ressource Zeit: Die Mitarbeiter wollen ein Maximum an für sie nützlichen Informationen in einem Minimum an Zeit konsumieren. Druck, Stress und Zeitnot am Arbeitsplatz führen dazu, dass Mitarbeiter immer weniger Zeit „am Stück“, z. B. für das Lesen der Mitarbeiterzeitschrift, verwenden. Wenn deren Artikel viele Seiten umfassen, haben sie eine geringere Lesechance. Den Umfang einer Nachricht und ihre Aufmachung (z. B. Kurzfassung) gibt mehr und mehr die Arbeitssituation der Empfänger vor: weniger ist oft mehr. Gleiches gilt für externe Bezugsgruppen, deren Aufmerksamkeit ebenfalls begrenzt ist (Franck 2014, 2007). ! Effizienter Umgang mit der knappen Ressource Geld: Finanzielle Mittel werden dann effizient eingesetzt, wenn Kommunikation zum einen strategisch geplant und mit der Geschäftspolitik verschmolzen wird, zum anderen die Kommunikationswege aufeinander abgestimmt und optimiert werden. Das Geld für Produktion und Verteilung von Informationen ist ebenso wichtig wie die finanziellen Aufwendungen auf Seiten der Rezipienten. Beides zusammen bestimmt die Kosten eines Kommunikationsweges. 2 2 L L e e i i s s t t u u n n g g e e n n v v o o n n K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s w w e e g g e e n n Was leisten die Medien? In der Praxis der Unternehmen werden Kommunikationswege zunächst einer pragmatischen, eher technisch-ökonomischen Bewertung unterzogen. Der erste Schritt für einen sinnvollen Kommunikationsplan, der die Medien und Kommunikationswege, ihre Leistungen, Stärken und Schwächen sowie Entwicklungspotenziale entsprechend berücksichtigt, ist die Klassifikation der vorhandenen Kommunikationskanäle, die einem Unternehmen zur Verfügung stehen (Bestandsaufnahme). Hierbei reicht es vollkommen aus, wenn die Medien in eine grobe Reihung - gemessen nach ihrem Leistungsumfang und der Komplexität der Kommunikationsaufgabe - gebracht werden (Schaubild 36). Einfache Kommunikationsaufgaben sind z. B. die Abstimmung von Zahlen und Fakten. Schwierige Aufgaben entstehen, wenn Ziele vereinbart werden, die Motivation der Mitarbeiter gestärkt werden soll oder Ideen in Brainstorming-Meetings gesucht werden. „Reiche“ Kommunikationswege, die ein großes Leistungsspektrum umfassen, sind z. B. Face-to-Face-Dialoge, Workshops oder Meetings. „Arme“ Kommunikationsformen sind z. B. verteilte Papers, Briefe, Mails oder Druckschriften. <?page no="183"?> 168 Planung und Optimierung Schaubild 36: Kommunikationskanäle gezielt einsetzen Quelle: in Anlehnung an Daft/ Lengel (1986, 554 ff.). 2 2 . . 1 1 „ „ R R e e i i c c h h e e “ “ u u n n d d „ „ a a r r m m e e “ “ M M e e d d i i e e n n Die Media-Richness-Theorie (Daft/ Lengel 1986) geht davon aus, dass einige Medien reichhaltigere Leistungen bzw. komplettere Inhalte transportieren als andere. Diese Kommunikationswege haben einfach eine größere Kapazität und transportieren z. B. neben Text und Sprache auch Bilder, sind interaktiver oder haben sonstige Möglichkeiten, welche die „ärmeren“ Transportwege nicht bereitstellen können. Der Medienreichtum („media richness“) besteht aus vier Komponenten (Daft/ Lengel 1986): ! Zeitpunkt und Umfang des Feedbackpotenzials (ein „reiches“ Medium ermöglicht sofortiges Feedback), ! Vermittlung vielfältiger Kommunikationsdimensionen, z. B. nonverbale und verbale Kommunikation, ! Gebrauch der menschlichen Sprache im Gegensatz zu technischen oder anderen Codes sowie ! soziale Präsenz der Partner. Zu viele Nebeninformationen, zu hoher Aufwand an Zeit und Geld Zu wenig Informationen und Feedback, geringer Einfluss auf Emotionen niedrig hoch Komplexität der Kommunikationsaufgabe <?page no="184"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 169 Auf der Skala des Medienreichtums steht die persönliche Face-to-Face-Kommunikation an erster Stelle. Das Feedback findet gleichzeitig zur Produktion einer Botschaft statt und ist sichtbar. Das gesamte Spektrum der nonverbalen Codes begleitet die Sprache; die Reaktionen der Individuen sind unmittelbar beobachtbar. Ein geschriebener Bericht hingegen weist weniger „Reichtum“ auf. Das Feedback findet zeitversetzt statt. Nur die geschriebenen Zeichen können interpretiert werden, wodurch es wichtig wird, „zwischen den Zeilen zu lesen“. Die Sprache ist auf die Verwendung der Schriftzeichen reduziert und Gefühle des Absenders bleiben im Dunkeln. Das Telefon liegt zwischen diesen beiden Medien, denn es ist näher an der persönlichen als an der schriftlichen Kommunikation. Das akustische Feedback findet gleichzeitig statt, aber alle visuellen Codes fehlen. Auch E-Mails können nonverbale Codes oder unmittelbares Feedback ni ch t ve rm it te ln . „Reichere“ Medien sind besser geeignet, Botschaften in Situationen zu transportieren, die durch große Unsicherheit, Angst oder komplexe Zusammenhänge charakterisiert sind. „Reichere“ Medien eignen sich auch für Inhalte, die nicht eindeutig, sondern eher mehrdeutig sind und unterschiedlich interpretiert werden können. Routine-Informationen können hingegen durchaus auf weniger „reichen“ Kommunikationswegen transportiert werden. Natürlich können einfache Botschaften über „reiche“ Medien verbreitet werden. Allerdings sollten die Konsequenzen vorher bedacht werden: Es kann zu einer Überbetonung einer trivialen Information führen oder die Rezipienten suchen nach der verborgenen Bedeutung für diesen Kommunikationsakt. Aus dem Media-Richness-Ansatz können Medien-Konstellationen abgeleitet werden, die einerseits zu viele Nebeninformationen transportieren, welche nicht benötigt und daher mehrdeutig werden („overcomplication“) sowie andererseits Kommunikationssituationen, die ohne Feedback ablaufen und für die Situation zu unpersönlich sind („oversimplification“) (Daft/ Lengel 1986, 560). 2 2 . . 2 2 K K r r i i t t e e r r i i e e n n f f ü ü r r d d i i e e K K a a n n a a l l w w a a h h l l Wenn diese Effekte bewusst gestaltet sind, ist nichts einzuwenden. In der Praxis treten allerdings häufiger Situationen auf, in denen die Kommunikationswege ohne Planung und Evaluation genutzt werden. In einem Fall („overcomplication“) werden die Ressourcen Zeit und Geld verschwendet, im anderen Fall („oversimplification“) entstehen Risiken durch mangelhafte Kommunikation. Zeit, Entfernungen und finanzielle Zwänge können darüber hinaus die Wahl eines Mediums bedingen. Mobiltelefone und E-Mail werden z. B. benutzt, wenn die Zeit <?page no="185"?> 170 Planung und Optimierung knapp ist und schnelle Antworten benötigt werden. Ein leichter Zugang zu einer anderen Person, weil sie vielleicht im gleichen Büro sitzt oder man sie sehr gut kennt, mag dazu führen, dass eher der persönliche Kontakt genutzt wird. Die Zugänglichkeit eines Mediums, z. B. ob die Bezugsgruppe Internet-Anschlüsse besitzt und ob die technischen Systeme kompatibel sind, haben Einfluss auf die Wahl eines Mediums, wenn etwa eine Pressemitteilung per Brief, Fax und E-Mail an Journalisten verschickt wird. Falls es länger dauert, jemandem am Telefon etwas zu erklären, dieses ständig belegt oder jemand schlecht erreichbar ist, wird vielleicht eine E-Mail als weit weniger „reicher“ Ersatz gewählt. In Krisensituationen (Höbel/ Hofmann 2014, Sartory et al. 2013, Teetz 2012, Nolting/ Thießen 2008, Töpfer 2008) müssen oft außergewöhnliche Wege gegangen werden, etwa Veranstaltung von Events, Schaffung eigener Medien, um Bezugsgruppen überhaupt erreichen zu können, oder bewusste Nutzung armer Medien, wenn reichhaltigere Kommunikationswege verschlossen sind. Die Situation als Einflussfaktor für die Wahl von Medien wird wirksam, wenn auf der Ebene der Kommunikatoren, der Vermittlungsmedien und/ oder der Rezipienten Konstellationen auftreten, die das Ausweichen auf ärmere oder reichere Kommunikationswege erfordern. Der effiziente Einsatz von Kommunikationskanälen ist dann gegeben, wenn der Komplexitätsgrad der Aufgabe in Bezug zum Leistungsspektrum gesetzt wird (Media-Richness- Theorie) (Schaubild 37). Für einfache Kommunikationsaufgaben reichen auch einfache Medien. Bei komplexen Sachverhalten oder in angespannten Situationen sind die leistungsstarken Kommunikationskanäle gefordert. An der Spitze steht die persönliche Kommunikation: aufwendig, effizient und in vielen Situationen unverzichtbar. <?page no="186"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 171 Schaubild 37: Ziele und Medien der Unternehmenskommunikation Quelle: Pfannenberg (2011, 15). Folgende Kriterien helfen darüber hinaus bei der Entscheidung, welcher Kommunikationsweg sich für einen bestimmten Anlass eignet, bzw. ob die vorhandenen Medien bei der Überprüfung effizient eingesetzt werden: ! Stärken und Schwächen: Worin liegen die Leistungsschwerpunkte dieses Kommunikationsweges im Vergleich zu anderen? Was kann man auf diese Weise erreichen? Und welche Ziele sollte man eher mit anderen Kommunikationsformen anstreben? ! Probleme und Gefahren: Was sind die häufigsten Fehler und Formen des Missbrauchs? Was sollte vermieden werden? Welche Risiken bergen einzelne Wege? ! Stakeholder-Affinität: Sind die Stakeholder, die angesprochen werden sollen, bereit und in der Lage, den jeweiligen Kommunikationsweg zu nutzen? Handelt es sich um Kanäle, mit denen sie vertraut sind und an deren Nutzung sie gewohnt sind? Sind es „beliebte“ und „eingeführte“ Kommunikationswege - aus der Sicht der Stakeholder? ! Nutzerakzeptanz: Transportieren die Medien Inhalte, die genutzt werden? Werden Akzeptanz- oder Nutzer-Problem-Analysen durchgeführt? ! Zeitlicher Rahmen: Wie viel Zeit wird für die Vorbereitung und Durchführung benötigt? Dialogintensität Media Richness Listening Talking Print Web 1.0 Event Web 2.0 Monitoring Energizing Supporting Embracing <?page no="187"?> 172 Planung und Optimierung ! Effizienz: Ist der gewählte Kommunikationskanal mit Blick auf die Kommunikationsaufgabe geeignet? Gibt es Medien, die diese Aufgabe besser erfüllen? Warum werden sie nicht eingesetzt? Was kostet die Nutzung dieses Kommunikationsweges im Vergleich zu anderen? ! Vernetzung der Medien: Welche Informationen eignen sich für Online-Medien oder Offline-Medien? Können gedruckte Medien Ballast abwerfen, um Freiraum für eine attraktive Umgestaltung zu gewinnen? Sind die Inhalte so konzipiert, dass sie ergänzend zu den bestehenden Angeboten genutzt werden können? Welche Rolle spielt Crossmedialität in der Gestaltung einzelner Medien? ! Positionierung: Müssen für vorhandene Medien neue Konzepte erarbeitet werden, weil sie andere Funktionen übernehmen? Ist ihre Positionierung im Kommunikationsplan noch richtig? ! Analyse des Kommunikationsfeldes: Müssen die Bezugsgruppen überdacht und eventuell enger gefasst werden? Können mehrere Gruppen gleichzeitig angesprochen werden oder ist ihre Interessenlage zu unterschiedlich? Sind Bezugsgruppen kompatibel? ! Imageverbesserung: Ist die Präsentation der Inhalte noch zeitgemäß? Bedarf es einer neuen Aufmachung? Welches Image wird dem jeweiligen Medium seitens der Bezugsgruppen zuerkannt? ! Feedback-Potenzial: Wie schnell kann ein Rezipient antworten? Kann er denselben Kanal nutzen oder muss er auf andere Wege ausweichen? Findet das Feedback zeitversetzt statt? Wird Feedback überhaupt gewünscht? Warum werden Feedback-Möglichkeiten nicht angeboten? Ist der Nutzer bereit und in der Lage, interaktive Medien zu nutzen? ! Raum-Zeit-Bindung: Unterliegen die Anbieter von Informationen und/ oder die Bezugsgruppen einer räumlichen und/ oder zeitlichen Bindung? Welche räumlichen und zeitlichen Restriktionen müssen die Kommunikatoren und Nutzer beachten? Sind diese Restriktionen zu überwinden? ! Arbeitsorganisation: Inwieweit kann eine integrierte, crossmediale redaktionelle Bearbeitung aller Medieninhalte realisiert werden? Können im Prozess der Medienproduktion im Unternehmen Einsparungen vorgenommen werden, indem Redaktionen zusammengelegt werden oder mehrere Medien betreuen? ! Symbolische Bedeutung: Wird der Kommunikationskanal üblicherweise in vergleichbaren Situationen genutzt? Welche Praxis ist aus anderen Firmen bekannt? Wird sein Image mit einem Unternehmen identifiziert? Ist er ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmenskultur? <?page no="188"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 173 Mit der Festlegung des Medien-Mix (Schulz-Bruhdoel/ Bechtel 2011) wird die Entscheidung getroffen, welche Medien mit welchem Gewicht eingesetzt werden, welche Funktionen sie im Rahmen der vorhandenen Kommunikationsmittel im Unternehmen zugewiesen bekommen und wie das zeitliche und inhaltliche Zusammenspiel der einzelnen Medien verlaufen soll. Um den Medien-Mix optimal zu gestalten, kann einerseits auf Ergebnisse der Kommunikationsforschung zurückgegriffen werden. Andererseits sollte jedoch nicht vergessen werden, dass das Zusammenspiel der Medien letztendlich eine kreative und konzeptionelle Entscheidung bleibt. Die meisten der oben genannten Kriterien für die Überprüfung der Medienleistungen gelten auch für die Online-Kommunikation (Linke 2015, Zerfaß/ Pleil 2015, Ruisinger 2011). Allerdings treffen Unternehmen dort auf ungeordnete Strukturen, Abläufe und Regeln der Kommunikation. Ruisinger (2011, 18) beschr eibt di es en Komm unikat io ns be re ic h „al s ne ue Öff entlichkeit und glob aler Kommunikationsraum mit eigenen Strukturen, als Kommunikationsplattform zwischen massenmedialer und personaler Vorgehensweise und als Informationspool zur Planung und Kontrolle klassischer PR-Maßnahmen“. Die Unternehmenskommunikation muss neue, oft schwer fassbare Bedingungen bewältigen (ebd., 21 ff.): ! Multimedialität: Online-Texte lassen sich mit Bildern, Videos, Tönen, Grafiken u. a. erweitern und so attraktiver gestalten. In Bezug auf die Stakeholder Journalisten z. B. gilt: Je näher die Pressemitteilung an einem echten Bericht, umso wahrscheinlicher, dass sie übernommen wird. ! Hypermedialität: Nutzer hinterlassen im Internet Spuren und gehen individuellen Pfaden nach. Sie klicken sich von Hyperlink zu Hyperlink durch das vernetze Informationsdickicht aus Texten, Bildern, Graphiken, Audio- und Video-Inhalten. ! Aktualität und Flexibilität: Kurzfristige Anpassung, schnelle Veränderung und Echtzeit-Erweiterung von Inhalt und Form werden möglich. Auch die direkte Kommunikation zu Stakeholdern wird erleichtert. ! Schnelligkeit: Kommunikationsprozesse werden beschleunigt, dadurch wird das Timing wichtiger denn je. Verschiedene Formen der sog. „realtime collaboration“ (z. B. Instant Messaging) bieten schnellere und dadurch effizientere Alternativen zur E-Mail-Kommunikation (Tesch 2011, 26). ! Internationalität: Gerade bei international agierenden Unternehmen wird es leichter, über die Landesgrenzen hinweg Stakeholder zu erreichen. Allerdings ist man damit stets von überall auf der Welt erreichbar und beobachtbar. Die Koordination einzelner Maßnahmen wird zum Schlüsselfaktor. <?page no="189"?> 174 Planung und Optimierung ! Individualität: Im anonymen Web wird Kontaktpflege unübersichtlich und zielgerichtete Ansprache erschwert. Individuelle Beziehungspflege gewinnt an Bedeutung, denn Stakeholder möchten das Gefühl bekommen, exklusiv und persönlich angesprochen zu werden. Zudem gilt es, die Besonderheiten einzelner Bezugsgruppen auch im Online-Bereich zu beachten. ! Verfügbarkeit: Im Internet sind Informationen jederzeit für jedermann erreichbar. Aufgabe der Unternehmen als Anbieter ist es, die technischen Rahmenbedingungen zu schaffen und dafür zu sorgen, dass sie funktionieren. Langsam ladende Homepages aufgrund z. B. großer Bilddateien oder Grafiken werden vom User nicht geduldet, er orientiert sich um. ! Selektivität: Dem Online-Rezipienten werden keine Inhalte „vorgesetzt“. Er entscheidet selbst, was er konsumiert. „Damit bewegt sich jeder Einzelne selbst und eigenständig durch die diversifizierte Medienlandschaft, gelenkt von seinen persönlichen Vorlieben“ (Ruisinger 2011, 22). Darauf müssen Unternehmen reagieren. ! Interaktivität: Kommunikationsarbeit im Web 2.0 ist mehr als nur Push- Kommunikation. Feedback-Kanäle sind Pflicht und müssen durch z. B. Blogs oder Foren erweitert werden. Die Echtzeit-Kommunikation mit Stakeholdern wird zum Alltagsgeschäft. ! Authentizität: Unternehmensnachrichten und Medieninformationen konkurrieren mit User Generated-Content in Form von authentischen Meinungen und ungefiltertem Feedback. Häufig befriedigen gerade solche Beiträge in sozialen Medien die Bedürfnisse der Nutzer und liefern ihnen glaubwürdige Antworten. Die Online-Kommunikation bietet zusätzliche Möglichkeiten, Stakeholder effizienter anzusprechen und einen kontinuierlichen Dialog zu pflegen (ebd., 63 ff.). Allerdings müssen die Stakeholder diese Ansprache im Netz erwarten und die Angebote kennen. Über relevante Themen und Inhalte können die Stakeholder auch vernetzt werden. Allerdings: Sie agieren dabei nicht mehr als Rezipienten, sondern als Kommunikationspartner, die gemeinsam mit dem Unternehmen Ziele, Botschaften und sogar Inhalte produzieren. Dies gilt allen voran für Journalisten und andere Meinungsführer. Ob online oder offline − es kommt stets auf den zielgerichteten Einsatz vorhandener Instrumente und Kanäle an. Der Einsatz einzelner Medien sollte nicht losgelöst, sondern stets als Teil einer integrierten crossmedialen Strategie erfolgen. Auf die Wahl des Mediums sollte nicht nur aus Gründen der Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit und des sparsamen Einsatzes von Ressourcen geachtet werden, sondern auch wegen der symbolischen Bedeutung, den ein gewählter Weg für <?page no="190"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 175 die Bezugsgruppen hat. Wenn Mitarbeiter unangenehme Nachrichten auf schriftlichem Weg erfahren, während das Management hierzu schweigt, deuten sie den gewählten Einsatz des Mediums - in diesem Fall eines Briefes - auf ihre Weise. Die Wahl eines Kommunikationsweges signalisiert den Stakeholdern in vielen Fällen, welche Wertschätzung die Unternehmen ihnen zuerkennen. Der kanadische Wissenschaftler Marshall McLuhan hat ein Grundgesetz der Kommunikation betont: „The medium is the message“. Die Wahl des Mediums kann die Botschaft sein, denn es hat auch eine symbolische Bedeutung. Wenn etwas in einem Brief aufgeschrieben wird, wirkt es verbindlicher, als wenn es nur mündlich berichtet wird. Deswegen forcieren manche Unternehmen die schriftliche Kommunikation mehr als andere Formen. Andere wiederum akzentuieren die mündliche, möglichst legere Kommunikation. Erfahrungen deuten darauf hin, dass Briefe auch weit verbindlicher wirken und sorgfältiger abgefasst werden als E-Mails. Die Wahl des Mediums, das benutzt wird, stellt also eine symbolische Botschaft dar. Eine E-Mail zu schicken kann somit auch bedeuten: Die Nachricht ist wichtig oder der Absender legt Wert auf Geschwindigkeit. Die Wahl bestimmter Medien ist auch eine bewusste Zurschaustellung von Unternehmenskultur, um die Aufmerksamkeit für eine Botschaft oder eine Interpretation des Inhalts zu verstärken. 2 2 . . 3 3 P P u u s s h h , , P P u u l l l l o o d d e e r r D D i i a a l l o o g g : : H H a a u u p p t t w w e e g g e e d d e e r r U U n n t t e e r r n n e e h h m m e e n n s s - k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Zunächst heißt es: Push oder Pull? Die Unternehmen müssen sich in den digitalisierten Medienlandschaften entscheiden. Push-Medien (Bruhn 2014a, 90) werden von den Unternehmen gesteuert und halten meist nur wenige Feedback- Möglichkeiten für die Nutzer bereit. Der Begriff wurde im Marketing geprägt und dient dazu, all die Kommunikationswege zu klassifizieren, in denen - meist einseitig - die Inhalte zu den Stakeholdern „gestoßen“, „geschoben“ bzw. „gedrückt“ („to push“) werden. Die klassischen Printmedien, Radio und Fernsehen, gelten als sog. „Push-Medien“. Im Gegensatz dazu werden Pull-Medien (Ruisinger 2011, 23 f.) in erster Linie von denen gesteuert, die sie nutzen. Sie „ziehen“ („to pull“) die Informationen aus dem Medienangebot, die sie wollen, gebrauchen können oder zufällig finden. Im <?page no="191"?> 176 Planung und Optimierung Zentrum der Unternehmenskommunikation stehen heute das Intranet als internes Pull-Medium sowie die Website als externer Kommunikationsweg. Push- und Pull-Medien spielen in der Unternehmenskommunikation unterschiedliche Rollen. Push-Strategien werden in der Regel dann eingesetzt, wenn Stakeholder die Inhalte nicht kennen und auf ein Angebot aufmerksam gemacht werden. Im Überangebot der Medien fungieren sie meist als „Fangarme“, um Menschen auf Informationen und Leistungen von Unternehmen hinzuweisen, die sie vorher nicht kannten und daher auch nicht verlangen konnten. Häufig werden mit Push-Medien aber auch all diejenigen Themen verbreitet, die besonders erklärungsbedürftig sind oder vielleicht sogar kontrovers bewertet werden. Dann sorgen die Push-Medien dafür, dass Botschaften, die aus der Kommunikatorperspektive als Nachrichtenwert eingestuft werden, von den ahnungslosen Stakeholdern auch wahrgenommen werden. So werden z. B. Newsletter angebo ten un d abo nn iert (Push -Me di en), di e di e S ta ke holder auf Websit es lo ck en (Pull-Medien). Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, wie eine Bank gegenüber ihren Kunden gezielt Push- und Pull-Kommunikation einsetzt (Schaubild 38), um Kunden über Push- Angebote - von der Werbung über TV in der Schalterhalle bis hin zu Sendungen im regionalen Fernsehen - auf ihr Leistungsangebot aufmerksam zu machen. Ist das Interesse der Kunden erst einmal geweckt, kommen Pull-Medien - Online-Magazine, Websites und online verteilte „Druckmedien“ - zum Einsatz. Diese Pull-Kommunikation ist bei den Kunden dieses Beispiels weitaus beliebter als die Push-Kommunikation. Im Zentrum aber steht die persönliche Kommunikation - in diesem Fall das Gespräch der Bankberater mit den Kunden. Über dieses Grundschema der Push- und Pull-Kommunikation hinaus gibt es weitere Möglichkeiten für die Stakeholder, selbst aktiv zu werden und in das Kommunikationsgeschehen zwischen ihnen und dem Unternehmen einzugreifen. Liken: Die einfachste Möglichkeit als Stakeholder aktiv zu werden, ist das Liken von Posts oder Kommentaren des Unternehmens bzw. anderer Nutzer. Am bekanntesten ist sicherlich der Facebook-„Gefällt mir“-Button, aber auch auf Google+, Instagram und Twitter kann das Gefallen eines Beitrages durch einen schnellen Mausklick auf den entsprechenden Button ausgedrückt werden. Eine dialogische Interaktion stellt das Liken jedoch nicht dar (Thummes/ Malik 2014, 112). Denn der Nutzer rechnet nicht mit einer Reaktion auf den von ihm als „Gefällt mir“-markierten Post oder favorisierten Tweet. Ein Like ist allenfalls der Ausdruck, dass man dem Autor des Posts oder Kommentars zustimmt, ihn in seiner Aussage unterstützt oder schlichtweg, dass dieser auf Gefallen stößt. <?page no="192"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 177 Kommentieren: Im Gegensatz zum Liken kann ein auf einen (Unternehmens-)Beitrag folgender Kommentar eines Nutzers als dialogische Äußerung eingestuft werden. Der Stakeholder schlüpft in die Rolle des Senders, indem er auf einen vom Unternehmen initiierten Kommunikationsprozess reagiert und ggfs. eine Antwort auf seinen Kommentar erwartet. Einer Studie zufolge, die sich auf das soziale Netzwerk Facebook bezieht, schalten sich Unternehmen jedoch selten ein und reagieren auf Kommentare (ebd., 122). Fast drei Viertel der auf einen Unternehmenspost folgenden Kommentare verharren somit im Monolog - zumindest was die Kommunikation zwischen Unternehmen und Stakeholder anbelangt. Jedoch heißt kommentieren auch, dass ein Dialog unter den Stakeholdern entstehen kann, die auf einen Post reagieren. Je nach Kommentaranzahl kann sich der Dialog sehr unübersichtlich gestalten. Denn Nutzer, die sich etwas später in die Diskussion einklinken, bekommen zum Beispiel zunächst die Kommentare angezeigt, die Facebook für sie persönlich am relevantesten einstuft. Die Nutzer können wahlweise auch einen Blick auf die Top-Kommentare werfen - jene Kommentare, die wiederum die meisten Kommentare nach sich zogen („threaded comments“) - und sich die neuesten Kommentare anzeigen lassen. Sharen: Inhalte wie Bookmarks, Dokumente, Bilder, Videos etc. können geteilt und so anderen Nutzern zugänglich gemacht werden (Ruisinger 2011, 174). Social Sharing-Plattformen wie YouTube, Vimeo, Flickr, Slideshare u. a. ermöglichen den Austausch digitaler Inhalte. Jedoch ist für die Unternehmenskommunikation an dieser Stelle das Sharen bzw. Retweeten von Beiträgen des Unternehmens oder anderer Nutzer gemeint, um sie der eigenen Community zugänglich zu machen. Das Teilen von Beiträgen kann ebenfalls wie das Liken ausdrücken, dass dem geposteten Inhalt zugestimmt wird oder dass er einem gefällt. Virale Effekte leben gerade von diesem Mechanismus des Teilens und Weiterleitens. „Share Buttons“ für soziale Netzwerke wie Facebook und den Microblog Twitter, aber auch den Instant Messaging Service WhatsApp finden sich daher inzwischen auf Websites und bieten damit die Möglichkeit, Inhalte mit dem eigenen Netzwerk zu teilen. Posten: Jeder registrierte Nutzer sozialer Netzwerke hat die Möglichkeit, Beiträge zu verfassen, diese mit Bildern, Videos, Links, Hashtags etc. anzureichern und öffentlich zu posten bzw. zu tweeten. Die eigenen Freunde und Follower sowie deren Netzwerke können dann potenziell Kenntnis von dem Beitrag erlangen. Für die Unternehmenskommunikation ist es wichtig, dass Stakeholderbeiträge direkt auf die Seite - bei Facebook die sog. „Fanpage“ − von Unternehmen gepostet werden können. Diese Nutzerposts werden jedoch häufig durch entsprechende Einstellungen als nicht gleichberechtigt mit Unternehmensposts definiert und sind somit einer Studie zufolge nur bei knapp einem Drittel der Un- <?page no="193"?> 178 Planung und Optimierung ternehmen öffentlich auf der entsprechenden „Fanpage“ sichtbar (Thummes/ Malik 2014, 117). Stakeholder werden Kommunikatoren und versuchen mit den Unternehmen in einen Dialog zu treten. Nie war eine dialogische Ausrichtung der Unternehmenskommunikation einfacher. Auf der anderen Seite war sie auch noch nie weniger plan- und kontrollierbar. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, jeden einzelnen Kommunikationsweg des Unternehmens zu den Stakeholdern zu identifizieren und seine Stärken und Schwächen für die (dialogische) Kommunikation abzuwägen, bevor voreilig ein neuer Kommunikationsweg erschlossen wird. Unternehmen agieren also in einem Geflecht an Kommunikationswegen, die sie weitgehend gestalten können und in deren Zentrum die Face-to-Face- Kommunikation steht. Sie gilt als „reichste“ und damit wirkungsvollste Kommunikationsform und wird - je mehr die Medienfluten zunehmen - wichtiger und gleichermaßen schwieriger. Schaubild 38: Push-Pull-Dialog: Wie wichtig für Kunden einzelne Kommunikationsformen sind Quelle: eigene Darstellung. 3 3 F F a a c c e e - t t o o - - F F a a c c e e - - K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n : : F F o o r r m m e e n n u u n n d d F F o o r r m m a a t t e e Je mehr Medien und Kanäle in der Unternehmenskommunikation zur Verfügung stehen, desto wichtiger wird die persönliche Kommunikation. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage unter Kommunikationsverantwortlichen von Unter- Persönliche Kommunikation Dialog Online- Angebot Druckmedien Kunden-T V Werbung Bank T V Pull Push Social Media <?page no="194"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 179 nehmen (Mast/ Stehle 2015). Die Kommunikationschefs haben auch ganz präzise Vorstellungen, bei welcher Art von Themen sie auf jeden Fall die Face-to- Face-Kommunikation einsetzen. Sie setzen persönliche Kommunikationsformen bei folgenden Anlässen bevorzugt ein: ! „Wenn es wirklich strategische Themen sind, die sehr wichtig sind…“ ! „Bei kritischen Themen, wenn man Gegenwind erwartet…“ ! „Einordnung, Kontext, Erläutern: Das klassische ‚what‘s in for me - what does it mean for me? ‘ geht nur persönlich.“ ! „Immer dann, wenn die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht und die Sachverhalte komplex sind…“ ! „Wenn es um Veränderungsthemen bei Projekten geht…“ ! „Oft sind es auch kritische Themen, die man nicht schriftlich verbreiten möchte…“ ! „Bei Themen, die drastische Auswirkungen auf viele Mitarbeiter haben…“ Die Studie belegt: Nahezu alle Formate der persönlichen Kommunikation werden von den Befragten als sehr wichtig eingeschätzt; je höher der Befragte in der Hierarchie steht, desto wichtiger erscheint ihm das persönliche Gespräch. Die Bedeutung dieses Kommunikationsweges - so die Untersuchung - wird in Zukunft noch massiv wachsen, vor allem im Führungsalltag der Unternehmen, aber auch im Kontakt mit Stakeholdern und anderen Unternehmen als Partner sowie bei PR-Aktionen. Einsatzschwerpunkt der Face-to-Face-Kontakte von Untenehmen ist vor allem die interne Kommunikation mit Führungskräften und Mitarbeitern. Hier dominieren Formate wie die „Business Conference“ (d. h. alle Führungskräfte versammeln sich), „Business Breakfast/ Lunch“ (d. h. wenige Führungskräfte oder Mitarbeiter treffen sich mit der Unternehmensleitung), das sog. „Town Hall Meeting“ (d. h. die Versammlung aller Mitarbeiter und Führungskräfte) sowie informelle Meetings (d. h. Treffen einiger Führungskräfte oder Mitarbeiter vor einem wichtigen Termin). Die Formatevielfalt der persönlichen Kommunikation ist in der Binnenkommunikation der Unternehmen am größten. In der externen Unternehmenskommunikation sind derzeit in der deutschen Industrie vergleichsweise wenige Formate der Face-to-Face-Kommunikation im Einsatz. Sie werden in erster Linie bei Journalisten als Multiplikatoren eingesetzt (z. B. Hintergrundgespräche, informelle Informationstreffen, Interviewgespräche oder Besichtigungen), aber auch bei den Stakeholdern Anwohner/ Nachbarn, Gewerkschaften und vor allem für den Dialog mit den NGOs. Die persönliche Kommunikation im Unternehmen wird wichtiger, aber schwieriger. Das Potenzial unzufriedener Führungskräfte in der internen Kommunika- <?page no="195"?> 180 Planung und Optimierung tion der Unternehmen liegt bei den verschiedenen Formaten zwischen 23 und 35 Prozent (Mast/ Stehle 2015). Das liegt zum einen an Themenerwartungen der Stakeholder, die in der Praxis nur partiell oder gar nicht befriedigt werden. Zum anderen sind speziell die Führungskräfte enttäuscht über die Art und Weise, wie kommuniziert wird. 48 Prozent vermissen die Wertschätzung gegenüber den Gesprächspartnern (ebd.). Wertschätzung ist der zentrale Wert, den Stakeholder mit persönlicher Kommunikation assoziieren, gefolgt von Ehrlichkeit, Interesse der Unternehmensvertreter für die Anliegen ihrer Gesprächspartner, Offenheit, Nähe und Transparenz. Der symbolische Gehalt des persönlichen Kommunikationsweges ist ebenso hoch wie sein Leistungsspektrum. Das bedeutet aber, dass die Werte, die Stakeholder mit Face-to-Face-Formaten verbinden, in der Praxis auch eingelöst werden. Jedenfalls sind nicht gewünscht: „Show-Veranstaltungen“ ohne konkretes Ergebnis oder Verbesserungen, „leere Versprechungen oder Bla-Bla“, „Pflichtprogramme nach Schema F“, „Halbwahrheiten oder eher irrelevante Themen“ oder Veranstaltungen, in denen Aussprachen abgebrochen oder Diskussionen kaum stattfinden. Dies sind zentrale Ergebnisse der Studie über persönliche Kommunikationsformate in der Unternehmenskommunikation (ebd.). Ein Kommunikationschef bringt die Erwartungen der Mitarbeiter bei sog. „Town Hall Meetings“ auf den Punkt: „Beim Town Hall erwartet der Mitarbeiter, dass kein - wie wir es nennen - Bullshit-Bingo gespielt wird, irgendwelches neumodisches Manager-Gelaber kommt. Die Mitarbeiter auf der Führungsebene wie auch an der Maschine erwarten klare Aussagen. Das heißt: Wo steht das Unternehmen? Wo steht das Projekt? Was läuft gut, was schlecht? Was lernen wir daraus? Was sind die Maßnahmen? Womit muss ich rechnen im Guten wie im Schlechten? “ Schaubild 39 zeigt die Mehrdimensionalität der Erwartungen von Stakeholdern. Hier sind es Führungskräfte und ihre Erwartungen an die persönliche Kommunikation mit der Unternehmensführung. ! Auf der Ebene der Beziehungen spielen die Werte eine zentrale Rolle, die mit den jeweiligen Kommunikationsformaten assoziiert werden. Sie steht bei den meisten Stakeholdern an erster Stelle. <?page no="196"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 181 ! Auf der Ebene der Akteure dominieren die Erwartungen der Stakeholder an die jeweiligen Personen, deren Bereitschaft zur Beziehungsorientierung, deren Kompetenz, fachliche Orientierung in den Veranstaltungen geben zu können und deren Fähigkeit, komplexe Themen in einen Interpretationsrahmen spannen zu können („framing“). Hier geht es also vor allem um die Kompetenzen und Einstellungen der Akteure, die für die meisten Stakeholder in zweiter Linie wichtig sind. ! Auf der Ebene der Formate werden die Erwartungen sehr konkret und beziehen sich auf Themen, Inhalte, Ablauf, Timing u. a. Die Formate sind in der Wahrnehmung der Stakeholder eher ein Ausdruck dafür, wie intensiv die Stakeholdereinbindung auch umgesetzt wird. Mehrheitlich votieren die befragten Führungskräfte für intensive Dialog- und Austauschmöglichkeiten, eine feste und kalkulierbare Agenda sowie eher für operative und konkrete Themen, weniger für übergreifende, oft unverbindliche und abstrakte Strategiediskurse. Schaubild 39: Erwartungsebenen der Führungskräfte an die persönliche Kommunikation der Unternehmensführung Quelle: eigene Darstellung. Persönliche Kommunikation und ihre Formate sind bislang ein eher vernachlässigtes Forschungsgebiet (Gierl/ Hüttl 2009). Unternehmen konzentrieren sich vorrangig auf den Ausbau ihrer Kommunikationsinfrastruktur, bauen News- Beziehungen: Persönliche Kommunikation ! Offenheit ! Ehrlichkeit ! Transparenz ! Vertrauen ! Wertschätzung ! Nähe ! Interesse für Andere/ Anliegen Akteure: Personen Erwartungen an Personen und deren Kommunikation ! Beziehungsorientierung ! Fachliche Orientierung/ Framing Formate: Inhalt und Form Erwartungen an Themen, Inhalte, Ablauf, Timing etc. ! Austausch der Teilnehmer ! eher operative/ konkrete Themen ! feste Agenda Ausdruck der Werte Ausdruck der Kompetenzen und Einstellungen Ausdruck der Stakeholdereinbindung Führungskräfte- Meeting Kamingespräch Frühstück mit dem CEO Town Hall Meeting Business Conference <?page no="197"?> 182 Planung und Optimierung rooms auf und investieren in die diversen Medienkanäle. Dabei laufen sie Gefahr, den wichtigsten Kommunikationsweg - den persönlichen Dialog und Austausch - aus den Augen zu verlieren (Mast 2015). Dann unterschätzen sie die Freiheit der Stakeholder in einer ausufernden Medienwelt. 4 4 C C h h a a n n c c e e n n u u n n d d R R i i s s i i k k e e n n d d e e r r W W e e b b 2 2 . . 0 0 - - K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Das Web 2.0 fordert die Kommunikationsarbeit von Unternehmen heraus. Denn diese vielfältigen Vernetzungsmöglichkeiten eröffnen zwar neue Potenziale für den Dialog mit den Stakeholdern, bringen aber auch große Unsicherheiten in die streng geregelten und durchorganisierten Unternehmen. Einerseits bietet das Web 2.0 Möglichkeiten für direktes Feedback und die Weiterverbreitung von Information und Meinung. Andererseits aber lässt sich die Web 2.0- Kommunikation nicht mehr im gewohnten Maße steuern. Die Unternehmen lernen langsam, dass sie die Kontrolle über die Kommunikationsvorgänge verlieren. Besonders deutlich wird dies beim Phänomen der öffentlichen Empörungswelle („shitstorm“), bei dem über soziale Netzwerke und Plattformen massenhaft Kritik zu einer Person, einem Sachverhalt oder einem Unternehmen geübt wird (Schindler/ Liller 2014, 182 ff.). Die öffentliche Debatte bekommt eine Eigendynamik, der „Schuldige“ wird öffentlich an den Pranger gestellt und von allen Seiten angegriffen. Welche Folgen ein solcher Shitstorm haben kann, wurde im Jahr 2010 im Fall Greenpeace vs. Nestlé deutlich. Auch die Affäre um den zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff zeigt, welches Ausmaß Proteste im virtuellen Raum annehmen können. Ein weiteres Beispiel ist der ADAC, der seit 2014 nicht mehr aus den Schlagzeilen kommt. Unternehmen haben es im Web 2.0 nicht mehr mit einem in sich abgeschlossenen Kommunikationsraum zu tun, sondern mit einem, in dem viele Beteiligte aktiv sind und Themen schnell wechseln können. Informationen und Meinungen breiten sich rasant aus. Die Mechanismen sind ganz andere als in den klassischen Medien, bei denen die Journalisten als professionelle Kommunikatoren und Gatekeeper die Kommunikation steuern und bündeln. Hinzu kommt das sog. Serendipitätsprinzip: „Die zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als überraschende und hilfreiche Entdeckung erweist“ (Tesch 2011, 28). Auf Plattformen wie Facebook oder Twitter entwickeln sich solche News schnell zum Renner. Das Netzwerkprinzip und die „Weisheit der vielen“ macht die Kommunikation kaum vorhersehbar. Themen können aus dem Nichts entstehen, eine zufällige Beobachtung kann zur Nachricht werden, die sich lawinenartig verbreitet. <?page no="198"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 183 Über ihre Rolle als Konsumenten von Information hinaus schlüpfen Stakeholder im Netz auch in die Rolle von Produzenten − der moderne „Prosument“ ist geboren. Auf der Seite der Unternehmen wird der Kommunikationsmanager zum Moderator und Enabler, der den Kommunikationsrahmen setzt und die Akteure sprechfähig macht (Pfannenberg 2011, 10). Sie bewegen sich in diskursiven Formationen, die durch „Waffengleichheit der gesellschaftlichen Subjekte und Institutionen, das Entstehen neuer Zentren der Meinungsbildung sowie durch beschleunigte Interaktivität“ (ebd.) charakterisiert sind. Auch für die Mitarbeiterkommunikation ergeben sich neue Herausforderungen. So kann der Einsatz neuer Medien Interpretations- und Orientierungshilfen für die Belegschaft bieten. Gerade in schwierigen Fällen können Social Media das Feedback aktivieren und bündeln (Tesch 2011, 32). Zudem fungiert das Web 2.0 bestenfalls auch als Frühwarnsystem für Führungskräfte, um zu erfahren, wo mögliche Issues liegen bzw. was die eigenen Mitarbeiter beschäftigt. Die Verwendung von Web 2.0-Anwendungen setzt allerdings einen Zugang der Mitarbeiter zu einem Computer voraus. In Unternehmen, die dies nicht für alle Mitarbeiter gleichermaßen gewährleisten, kann es zu einer Teilung der Belegschaft bzw. zu internen Konflikten kommen, wenn z. B. die Produktionsmitarbeiter oder die Mitarbeiter im Home-Office von der Online-Diskussion ausgeschlossen sind. Diese Besonderheiten in der Netz-Öffentlichkeit erfordert eine Umstrukturierung der Kommunikationsarbeit von Unternehmen (Linke 2015, Zerfaß/ Pleil 2015, Ruisinger 2011). Ausgangspunkt ist eine genaue und spezifische, aber vorausschauende Planung sämtlicher Kommunikationsaktivitäten, -themen und -kanäle. Während der Umsetzung der Maßnahmen ist zudem eine ständige Evaluation sowie kontinuierliche Anpassung wichtig. Allen voran ist dabei Flexibilität gefragt, denn im Online-Bereich muss man auf Veränderungen in Echtzeit reagieren. Die klassische ex-post-Evaluation erhält eine andere Bedeutung. Aus „danach“ wird „währenddessen“ (Pfannenberg 2011). Deshalb kommt es nach den Maßnahmen darauf an, das Geschehene im Hinblick auf Lerneffekte zu analysieren, um künftige Kommunikationsangebote zu optimieren. Zur Umstrukturierung der Kommunikationsarbeit gehört in der Praxis die Formulierung von sog. Social Media-Guidelines. Mithilfe dieser Guidelines wollen Unternehmen den Gebrauch von Social Media für ihre Mitarbeiter festlegen. In diesen Regeln (Fink/ Zerfaß/ Linke 2012, BITKOM 2010) wird festgehalten, welche Informationen Mitarbeiter im Namen ihrer Firma posten sollen und dürfen. Häufig enthalten diese Regelwerke auch Hinweise zum Datenschutz und zu den Gefahren der Internetkommunikation. <?page no="199"?> 184 Planung und Optimierung Web 2.0-Anwendungen sind durch eine hohe Dialogintensität charakterisiert. Das heißt aber auch, dass Stakeholder Antworten auf ihre Fragen in Echtzeit erwarten. Ein E-Mail-Austausch ist im Regelfall nicht mehr ausreichend, denn sie nutzen Social Media Tools für ihre Recherchen. Blogs, Foren, Twitter und mittlerweile auch Facebook sind zu unerlässlichen Bestandteilen einer interaktiven PR-Arbeit geworden. Das Stichwort heißt Vernetzung, Informationsmedien werden zu Kommunikationsplattformen. Das heißt aber auch: Unternehmen brauchen sog. Social Media Newsrooms (Jacob/ Kretzer 2011, 108). Als recht junges Instrument der Online-PR bringt der Social Media Newsroom die klassische Pressearbeit mit den Web 2.0-Anwendungen zusammen: „Die Online-Aktivitäten des Unternehmens werden auf einer Kommunikationsplattform zusammengeführt“ (Jacob/ Kretzer 2011, 109). Ziel ist die Vermittlung eines schlüssigen und einheitlichen Gesamtbildes des Unternehmens. Deshalb werden diese Social Media Newsrooms nicht losgelöst von anderen Kommunikationsmaßnahmen angeboten, sondern strategisch in die Unternehmenskommunikation integriert. Ein gemeinsames Corporate Design sowie die Andockung an die Unternehmenshomepage sind unverzichtbar. Damit entwickelt sich eine neue Form von Informationsdienst, die einen umfassenden Dialog zu komplexen Themen sowohl mit klassischen Stakeholdern als auch mit modernen Meinungsführern ermöglicht. Erste Untersuchungen bestätigen, dass Journalisten das Angebot von Social Media Newsrooms als sinnvoll und wünschenswert erachten. Was Social Media Newsrooms neben klassischen Inhalten noch anbieten können: ! „Company Logo: Der (Social) Media Newsroom sollte durch das Logo des Unternehmens gebrandet und im Corporate Design gestaltet sein. (…) ! PR Contact Information: Insbesondere auf der Startseite sind Ansprechpartner in vollständigen Kontaktdaten angegeben. Auch auf den weiteren Seiten des Newsrooms sollte den Besuchern die Möglichkeit gegeben werden, direkt mit den PR-Verantwortlichen beziehungsweise den Verantwortlichen für die Inhalte zu kommunizieren. (…) ! News Releases: Es werden Pressemitteilungen oder auch Social Media Releases des Unternehmens veröffentlicht. Sie sollten auf der Startseite übersichtlich nach Aktualität eingebunden und über einen kurzen Teasertext zum vollständigen Artikel verlinkt sein. <?page no="200"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 185 ! Tag Cloud: Die Schlagwortwolke visualisiert eine Liste aus vielgesuchten Begriffen und Schlagworten, die interessant für den Besucher sind. Sie ermöglicht dem Website-Besucher, diesen Begriffen zugeordnete Inhalte leicht und schnell zu finden. ! Social Media: Die Bündelung und Verlinkung zu Corporate-Präsenzen und Profilen auf externen Social Media-Portalen, die das Unternehmen pflegt, erleichtern den Austausch von Meinungen und Erfahrungen mit Meinungsführern und Interessenten des Unternehmens. (…) ! Social Bookmarking: Dies sind (soziale) Lesezeichen, die von Besuchern öffentlich gespeichert und sortiert werden. Durch diese Informationen kann das Unternehmen Inhalte finden und erkennen, wie Nutzer den zur Verfügung gestellten Inhalt kategorisieren und gewichten. ! Multimedia Gallery: Neben Texten können Bild-, Audio- und Videodateien integriert werden. ! RSS-Feeds: Im RSS-Channel werden Änderungen als kurze Informationsblöcke zur Verfügung gestellt. Der Abonnent wird so in regelmäßigen Abständen über Aktualisierungen des (Social) Media Newsrooms informiert.“ Quelle: Jacob/ Kretzer (2011, 101 f.). Social Media Newsrooms basieren auf Echtheit und Echtzeit der Informationen gleichermaßen. Inhalte werden mehrmals täglich aktualisiert bzw. aktualisieren sich automatisch aus den vom Unternehmen genutzten Social Networks (v. a. Facebook und Twitter). Vorteile ergeben sich mit Blick auf die Schnelligkeit, Reaktionsfähigkeit und Content-Tiefe der Kommunikation (Jodeleit 2012, 187). Das führt zu einer dialogischen und crossmedialen Aufbereitung der Informationen. Es entsteht eine „Service- und multimediale Recherche-Quelle für interessierte Besucher“ (ebd.) und Social Media Newsrooms werden zum Initiator des Online-Dialogs. Ein solches Themen- und Beziehungsmanagement in den Online- und Offline- Öffentlichkeiten kann nur konsekutiv aufgebaut werden. Deshalb wird ein schrittweiser Auf- und Umbau der Unternehmenskommunikation empfohlen (Schaubild 40). <?page no="201"?> 186 Planung und Optimierung Schaubild 40: Aufbau einer Web 2.0-Unternehmenskommunikation Quelle: Pfannenberg (2011, 17). Dabei müssen von Beginn an mediale Systeme geschaffen werden, in denen die Kanäle effektiv miteinander vernetzt sind, „so dass sie füreinander Issuebezogenen Traffic generieren“ (Pfannenberg 2011, 17). Dies geschieht in jedem Kommunikationsfeld in drei aufeinanderfolgenden Schritten: ! Zunächst werden die „must have“-Merkmale, also die minimalen Voraussetzungen für eine funktionierende Vernetzung der Web 2.0-Kommunikation geschaffen. Das Unternehmen muss mit den zentralen Stakeholdern in Kontakt treten (talking) und ihre Ansprüche und Wünsche identifizieren (listening). ! Anschließend geht es darum, weitere Kommunikationsplattformen anzubieten. Diesen Schritt bezeichnet Pfannenberg (2011, 18) als „nice to have“. Ziel ist die Schaffung von Austausch- (supporting) und Mobilisierungsforen (energizing). ! Schließlich werden komplexere Ziele anvisiert, die als „one step ahead“ angesehen werden. Ein gutes Beispiel ist die Generierung von Ideen (embracing) gemeinsam mit den Stakeholdern. Eine solche schrittweise Vorgehensweise erlaubt es dem Unternehmen die gravierenden Veränderungen der Kommunikation vom Selbstverständnis bis hin zu konkreten Abläufen zu beherrschen. Jedes Unternehmen wird seinen Weg suchen. Jedes Unternehmen wird aber auch seine spezifische Landschaft an Kommunikationswegen aufbauen und pflegen. Kommunikation ist Ausdruck „One step ahead“ „N ice to have“ „Must have“ Anspruchsvolle Ziele, z. B. die Generierung von Ideen zusammen mit den Stakeholdern („Embracing“) Informations- und Dialogfelder für die Ziele „Energizing“ und „Supporting“ Zielfelder: „Listening“ und „Talking“ <?page no="202"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 187 von Unternehmenskultur und − neben dem Engagement und Können der Mitarbeiter − ein Wettbewerbsfaktor, den Konkurrenten nicht imitieren können. Kommunikation muss gelebt werden. <?page no="203"?> 188 Planung und Optimierung ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Medien und Kommunikationswege erfüllen unterschiedliche Leistungen. Es kann zwischen leistungsstarken, „reichen“ und eher schwachen, „armen“ Medien unterschieden werden. ! Die Medienarbeit von Unternehmen folgt den Stakeholdern ins Web 2.0. Durch die digitale Vernetzung und die Verbreitung von Social Media-Anwendungen ergeben sich neue Herausforderungen. Die Einführung eines Social Media Newsrooms verbindet die klassische Pressearbeit mit den Möglichkeiten des Netzes. ! Mit der Festlegung des Medien-Mix in der Unternehmenskommunikation wird die Entscheidung getroffen, wie das zeitliche und inhaltliche Zusammenspiel der verschiedenen Kommunikationswege verlaufen soll. ! Die symbolische Bedeutung von Medien wird häufig unterschätzt: „The medium is the message“. ! Face-to-Face-Kommunikation stellt leistungsfähige, „reiche“ Kommunikationswege zur Verfügung. Sie werden - aus der Perspektive der Stakeholder - in der Unternehmenskommunikation wichtiger, aber schwieriger. Persönliche Kommunikationsformate werden mit Werten wie Wertschätzung, Offenheit und Ehrlichkeit assoziiert. ! Schriftliche bzw. gedruckte Medien haben ihre Stärken in der zeitlichen und räumlichen Disponibilität. ! Die elektronischen Medien bilden eine vielfältige Palette an Kommunikationswegen - von der E-Mail über Corporate TV bis hin zu Social Media-Plattformen. Kombiniert mit Intranetbzw. Internet- Medienleistungen nähern sich diese Medien der persönlichen Kommunikation. <?page no="204"?> Kapitel 5: Medien und Kommunikationswege 189 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Hamilton, Cheryl (2008): Communicating for Results. A Guide for Business and the Professions. 8th ed. Belmont: Wadsworth Thomson Learning. Die praxisorientierte Einführung in die Organisationskommunikation behandelt mit Übungsbeispielen Formen der nonverbalen und verbalen Kommunikation in unterschiedlichen Praxiskontexten vom Interview über Gespräche in Gruppen bis hin zu Präsentationen und Gesprächen mit Mitarbeitern. Pfannenberg, Jörg (Hrsg.) (2011): Corporate Communications im Web 2.0. Relevanz und Legitimität für das Unternehmen. Düsseldorf: Verlag PR Career Center. Ausgehend von den verschiedenen Stakeholdern des Unternehmens erläutert das Werk die Herausforderungen und Potentiale des Web 2.0 für die Kommunikationsabteilung. Die Formulierung und Implementierung erfolgsorientierter Strategien stehen dabei im Vordergrund. Ruisinger, Dominik (2011): Online Relations. Leitfaden für moderne PR im Netz. 2., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Der Leitfaden richtet sich an Kommunikationsfachleuten aus Unternehmen und Agenturen und gibt Anleitungen zum Aufbau einer zielgerichteten Online-PR. Durch das Heranziehen zahlreicher Praxisbeispiele stellt der Autor zudem häufige Internet-Fallen sowie dazugehörige Lösungen dar. Wright, Marc (Hrsg.) (2009): Gower Handbook of Internal Communication. 2nd ed. Farnham: Gower. Dieses Handbuch versteht interne Kommunikation als Managementdisziplin und kann deshalb als Leitfaden für das Management von Kommunikation innerhalb von Organisationen dienen. Es vermittelt Führungskräften Strategien und Techniken der internen Kommunikation sowohl im Unternehmensalltag als auch in Veränderungssituationen. <?page no="205"?> 190 Planung und Optimierung Zerfaß, Ansgar/ Pleil, Thomas (Hrsg.) (2015): Handbuch Online-PR: Strategische Kommunikation in Internet und Social Web. 2., überarb. u. erw. Aufl. Konstanz: UVK. Der Sammelband stellt Herausforderungen, Konzepte und Instrumente der Onlinekommunikation aus Sicht des Kommunikationsmanagements dar. Die Beiträge geben einen systematischen Überblick zu Strukturen, Prozessen, Tools sowie Best-Practice- Beispielen von Online-PR. <?page no="206"?> K K a a p p i i t t e e l l 6 6 : : K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s n n e e t t z z e e Unternehmen haben ihre Arbeitsabläufe gut organisiert. Denn die Kommunikation eines Unternehmens ist kein Selbstzweck, sondern auf Effizienz und Effektivität ausgerichtet. „Die Aktenlage entscheidet.“ Sätze wie diese lenken die Aufmerksamkeit auf einen ganz speziellen Ausschnitt der Unternehmenskommunikation, nämlich die formalisierten Kommunikationsprozesse. Sie haben einen hohen Grad an Verbindlichkeit, folgen in der Regel den Unternehmensstrukturen und -verantwortlichkeiten und sind für die Forscher relativ leicht beobachtbar. Informelle Kommunikationsbeziehungen (Bolte/ Porschen 2006) jedoch bestehen unabhängig von Organisationsplänen und geregelten Verantwortlichkeiten. Sie ergänzen oder ersetzen formale Strukturen und Beziehungen, wirken komplementär, substituierend oder auch dysfunktional zu diesen und sind meist nicht verbindlich. Der Kreis der Akteure kann sehr flexibel auf Situationen und An l ässe re ag ier en . Kennz ei ch en de r in fo rm ellen Kom mun ik at io n i st , das s si e weder vorher festgelegten Beziehungsstrukturen folgt noch vorhersehbare Inhalte austauscht. Allerdings können informelle Kommunikationskontakte von Unternehmensmitgliedern untereinander oder zu Bezugsgruppen organisiert werden und die Unternehmensziele fördern, wenn sie Gelegenheit zum Kennenlernen (z. B. bei Meetings), zum Gedankenaustausch (z. B. während Tagungen) oder zur Bindung an Bezugsgruppen (z. B. Events für Kunden) geben. In der Regel laufen informelle Kommunikationsprozesse jedoch ohne jegliche Organisation oder vorgegebene Ablaufstrukturen unverbindlich und zu jeder Zeit ab, z. B. beim Essen, am Arbeitsplatz, nach Feierabend (etwa bei Sportaktivitäten) oder bei zufälligen Begegnungen. Informelle Kommunikationsprozesse entziehen sich daher zentralen Vorgaben oder Steuerungsinstrumenten von Unternehmen. Die Akteure, die an den Kommunikationsbeziehungen beteiligt sind, entscheiden über die Zusammensetzung der Kommunikationspartner, die Inhalte und den Zeitpunkt der Kommunikation. Die Integration von Akteuren - von Menschen - in ein Netzwerk macht ein solches Netzwerk zum sozialen Konstrukt. Der Faktor „Mensch“ - welcher aufgrund intrapersonaler Prozesse schon seit jeher eine Black Box darstellt - im Beziehungsgeflecht mit anderen Individuen macht Netzwerke zu hochkomplexen Gebilden, deren Ergebnisse oft unberechenbar sind. <?page no="207"?> 192 Planung und Optimierung Netzwerke sind Beziehungsstrukturen, in denen Kommunikation über Verbindungen abläuft, die zu einem oder mehreren Punkten führen können. Unternehmen haben formalisierte (z. B. im Projektmanagement, bei Task Force- Gruppen) und informelle, meist personenorientierte Netzwerke. Kommunikation über (virtuelle) Netze ist zunehmend Gegenstand moderner Kommunikationsforschung geworden (Gutounig 2015, Jansen 2006). Kapitel 6 erläutert die Rolle der informellen Kommunikation. Netzwerkkommunikation kennt keine Grenzen, sondern ergänzt oder ersetzt partiell formale Kommunikation. Bedeutung, Strukturen und Charakteristika der Netzwerkkommunikation bilden den Schwerpunkt dieses Kapitels. 1 1 I I n n f f o o r r m m e e l l l l e e N N e e t t z z w w e e r r k k k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Ein Blick auf die Entwicklung der theoretischen Ansätze der Organisationskommunikation (Bea/ Göbel 2010, Jablin/ Putnam 2004) zeigt, dass die informelle im Vergleich zur formalisierten Kommunikation lange ein Schattendasein fristete. Ausgehend von den klassischen Strukturalisten der Organisationstheorie (Henri Fayol, Frederick W. Taylor, Max Weber), welche die formale Kommunikation im Auge hatten, betonen die Human-Relations-Ansätze und vor allem die motivationsorientierten Modelle (Rensis Likert, Douglas McGregor) die Rolle von (informeller) Kommunikation für den Unternehmenserfolg. Entscheidungstheorien wiederum lenken das Augenmerk auf die Informationssteuerung und -verzerrung sowie auf Gatekeeping-Prozesse. Entscheidungen, warum Informationen vermittelt oder zurückgehalten werden, stehen im Mittelpunkt von Untersuchungen. Systemtheoretiker hingegen beschäftigen sich mit Unternehmen als Informationssystemen, die dynamisch auf Veränderungen ihres Umfeldes reagieren und sich entwickeln. Die Abläufe, weniger die Inhalte von Kommunikationsprozessen werden analysiert. Netzwerkanalysen zeichnen ein Bild der Beziehungsgeflechte, in die ein Unternehmen eingebunden ist bzw. in denen einzelne Akteure agieren. Im Gegensatz zur formalen Kommunikation eines Unternehmens, welche die offiziellen Kommunikationskanäle zur Vermittlung von Zielen, Arbeitsanweisungen und zur Informationsweitergabe umschreibt, beinhaltet die informelle Kommunikation also den inoffiziellen, privaten Informations- und Meinungsaustausch zwi- <?page no="208"?> Kapitel 6: Kommunikationsnetze 193 schen den Mitgliedern eines Unternehmens. Formale Kommunikation dient dem Arbeitsablauf, informelle der Etablierung von Gruppennormen und individuellen Verhaltensmustern und damit der Aufrechterhaltung der individuellen Identität. Die Hierarchiestufen in den Unternehmen wurden im Laufe der Jahrzehnte und vor allem in den letzten Jahren deutlich reduziert, die Organisationsstrukturen flacher. Der Einzelne bekommt im Laufe dieser Entwicklung mehr Möglichkeiten, eigene Kommunikationsbeziehungen aufzubauen, um neben den formalen Informationswegen zusätzliche Informationen oder Unterstützung zu erhalten. Diese Chance hat jedoch gleichzeitig auch die Gefahr des „information overload“ erhöht. Der Formalisierungsgrad der Kommunikationsnetze variiert - von völlig offenen Netzen (z. B. persönliche Kommunikationsnetze) bis hin zu eher formalen Netzen (z. B. zwischen den Verkaufschefs der regionalen Bereiche oder in einem Projektteam). Kommunikationsnetze bilden sich um Bedürfnisse von Individuen (z. B. Frauen im Beruf), Gruppen oder Unternehmen. Die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien hat wichtige Instrumente für das „networking“ geschaffen, z. B. Intranet (für den internen Austausch von Informationen), Extranet (zur Einbeziehung geschlossener Nutzergruppen wie Händler, Lieferanten) und Internet (für weltweite Kommunikationsbeziehungen). Kommunikationsnetze sind zunächst nicht zu verwechseln mit sozialen Systemen wie Gruppen oder Unternehmen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie klare Grenzen haben und sich ihre Mitglieder von Nichtmitgliedern unterscheiden lassen (Daniels/ Spiker/ Papa 1997, 125 ff.). Auch bei den sozialen Systemen gibt es immer mehr Grenzfälle, die für Diskussionsstoff sorgen: Selbstständige, die für eine Firma arbeiten (z. B. Freelancer), Mitarbeiter, die in Telearbeit für eine oder mehrere Firmen tätig sind. Netzwerke hingegen überspringen Grenzen und entwickeln sich unkalkulierbar. Sie leben davon, dass ein Partner einen anderen kennt, der ihm helfen kann, wichtige Informationen besitzt oder auch nur bereit ist, zuzuhören, zu kommentieren, zu kritisieren oder Ratschläge zu erteilen. Zur Analyse - sowohl von Kommunikationsnetzen als auch von sozialen Gruppen - ist an einem gewissen Punkt eine (oft künstlich herbeigeführte) Grenzziehung nötig, z. B. über die Häufigkeit des Informationsaustauschs. Nur so können Aussagen über die Beschaffenheit von Netzwerken getroffen werden: Mitgliedschaft vs. Nicht-Mitgliedschaft, Direktheit von Beziehungen, Beziehungsdichte oder Macht. Es gilt: „Man muss (…) das Ganze, das Netzwerk, untersuchen, um das Verhalten der Teile, der Netzwerkelemente (meist, aber nicht immer Individuen) verstehen und erklären zu können“ (Jansen 2006, 13). <?page no="209"?> 194 Planung und Optimierung Soziale Systeme wie Unternehmen oder Gruppen benötigen Grenzen, um Identität aufzubauen und Sinn zu stiften (Wir-Gefühl). Sie sorgen dafür, dass ihre Mitglieder klar erkennbar sind (z. B. Gruppenähnlichkeiten), sich konsonant benehmen (z. B. Gruppendruck) und entsprechenden Normen genügen. Rollen und Strukturen sind nach einer Phase der Generierung festgelegt. In der Gruppenkommunikation (Daniels/ Spiker/ Papa 1997, 137 ff., Stohl 1996, 27 ff.) spricht man daher von den Phasen Forming, Storming, Norming und Performing (Tuckman 1965). Soziale Netzwerke durchlaufen einen ähnlichen Prozess, der sich in die Phasen der Findung, Abstimmung, Strukturbildung und Weiterentwicklung gliedert (Aderhold 2004, 297 f.). Soziale Netzwerke sind jedoch keine Konstrukte mit jederzeit klar definierbaren Grenzen. Vielmehr zeichnen sie sich durch ihre (potenzielle) Offenheit aus (z. B. Internet). Die Netze brauchen diese Möglichkeit der Grenzdurchlässigkeit, um gut funktionieren zu können: Sie leben davon, dass Kommunikationsbeziehungen und Akteure jederzeit integriert, d. h. nicht ausgeschlossen werden können. Unterscheidungsmerkmal von Kommunikationsnetzen ist die Grenzenlosigkeit - vor allem mit Blick auf die bekannten Strukturen wie Gruppen, Projektteams oder Unternehmen. Was ist ein Netzwerk? „Als soziales Netzwerk bezeichnet man (…) eine zuvor genau definierte Menge von Akteuren und eine (oder mehrere) zwischen ihnen bestehende Beziehung“ (Trappmann/ Hummell/ Sodeur 2011, 16). „Networks can be centralized or decentralized, adaptive or inflexible, segmented or integrated systems with single or multiple leaders“ (Stohl 1996, 18). „Ein Netzwerk besteht also aus Einheiten (Akteuren) und Beziehungen zwischen diesen Einheiten (Akteuren)“ (Schweizer 2003, 164). „Network boundaries are always permeable and never stable“ (Stohl 1996, 26). Nach J. Clyde Mitchell (1969, 2), dem Vater der systematischen Netzwerkanalyse, definieren sich Netzwerke als „a specific set of linkages among a defined set of actors, with the additional property that the characteristics of these linkages as a whole may be used to interpret the social behavior of the actors involved“. Hieraus werden zwei gedankliche Grundfeste des Netzwerkansatzes deutlich: Zum einen wird das Netzwerk über Beziehungen und nicht etwa über Attribute konstituiert. Zum anderen determinieren nicht mehr nur Eigeninteresse oder durch Sozialisation verinnerlichte Normen das Verhalten der beteiligten Akteure. Vielmehr sind es Inhalte und Strukturen von Beziehungen. Charakteristika von Netzwerken (Stohl 1996, 151 ff.) sind ! eine gemeinsame Absicht, eine Vision, ein Thema: „Wir wollen uns gegenseitig helfen“, „wir wollen ein Problem lösen“, „unsere Meinung sagen“, „etwas verhindern“, <?page no="210"?> Kapitel 6: Kommunikationsnetze 195 ! die Problemorientierung, d. h. Netzwerke beziehen sich nicht auf Rollen und Funktionen und lassen kaum Delegation oder Stellvertretung zu, ! das Tauschprinzip, indem ein Markt für Informationen und Beziehungen eröffnet wird, sowie die freiwillige Teilnahme, da jeder als ungerechtfertigt erlebte Druck oder jede Sanktion im Netzwerk zum Rückzug des Partners führen würde. Netzwerke sind potenzielle Strukturen, die plötzlich aktiviert werden können, doch dann wieder verschwinden. Netzwerke sind Strukturen, die sich überwiegend im Ruhezustand befinden und deshalb nicht sichtbar sind. Um aufzuwachen bedürfen sie eines Anlasses, etwa einer Krise. Dann macht sich das Netzwerk das Beziehungspotenzial der Netzwerkpartner zunutze: Wer kennt wen und kann diesen Partner für einen bestimmten Anlass aktivieren? Ohne persönliche Beziehungen und das daraus resultierende Vertrauensverhältnis ist niemand zu gewinnen. Es bedarf eines gemeinsamen Zieles. Aktivität im Netz ist also das entscheidende Kriterium für Kommunikationsnetze. Es wird aus verschiedenen Dimensionen gespeist: einem Anlass, dem Beziehungspotenzial sowie einem gemeinsamen Teilziel. Netzwerke sind also keine sozialen Systeme, aber sie brauchen diese, ohne Teil von ihnen zu sein. Netzwerke können andere Organisationsformen meist nicht ersetzen, aber ergänzen. Darin liegt ihr besonderer Wert. Netzwerke verlangen von jedem Mitglied einen subjektiven Nutzen, der sich auf die Kommunikationsprozesse (Rollen im Netzwerk), die Inhalte der Kommunikation (z. B. Unterstützung, Information) oder den (öffentlichen) Status beziehen kann. Netzwerkstrukturen spiegeln die Pfade wider, die Botschaften durchlaufen. Sie klären die Frage: Wer spricht mit wem und über wen werden die Informationen geleitet oder vermittelt? Netzwerke produzieren daher einen permanenten Nutzenzwang. Wer für das Netzwerk (heute oder in Zukunft) keinen Nutzen mehr bieten kann (z. B. Information, Status, Beziehungspartner), wird ausgeschlossen. Außerdem bieten sie kaum Sicherheit, da jedes Individuum auf sich selbst angewiesen ist und nur hoffen kann, dass das Netz „hält“. Eine Garantie hat es nicht. Aber auch formale (Kommunikations-)Konstrukte können nie Leistung garantieren, sondern nur vorhandene, formalisierte (Kommunikations-)Strukturen liefern. Netzwerke leben von einer Art Ehrenkodex (z. B. „Darüber spricht man nicht“), in der Regel aber von der Norm: „Handle so, wie du von anderen behandelt werden willst.“ Netzwerkkommunikation ist ein ständiges Geben und <?page no="211"?> 196 Planung und Optimierung Nehmen, wobei sich der Nutzen einzelner Leistungen nur subjektiv bestimmen lässt (z. B. die Bedeutung gleicher Informationen für verschiedene Personen). Ein Individuum ist in der Regel Mitglied in mehreren Netzwerken (Stohl 1996, 27 ff.): z. B. persönliche, auf ein Individuum zentrierte Netzwerke, Netzwerke auf der Ebene von Gruppen, Netzwerke in Unternehmen und Netzwerke zwischen den Unternehmen. Dabei schlüpft der Einzelne in unterschiedliche Rollen und Positionen: z. B. mit zentraler Position in der Familie (Vater) und peripherer Rolle beim Arbeitgeber (Pförtner). Netzwerke können unterschieden werden nach den Inhalten, die sie transportieren. Eine Systematisierung der Netzwerke nach dem Inhalt des Austauschprozesses schlägt Stohl (1996, 35) vor: Affektive Netzwerke dienen dazu, Zustimmung, Sympathie und gleichgesinnte Partner zu finden. Instrumentelle Netzwerke dienen dazu, dass die Organisationsabläufe effektiv bleiben. Dazu gehört auch die Rekrutierung und Eingliederung neuer Mitarbeiter und die Karriereförderung. Informative Netzwerke dienen dem Austausch von Wissen und Informationen aller Art. Unterstützende Netzwerke fördern den Austausch von Gütern und Dienstleistungen. 2 2 K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s n n e e t t z z e e - - F F o o r r m m e e n n u u n n d d T T y y p p e e n n Heutzutage ist die Analyse von Netzwerken sehr wichtig geworden. Denn: Die Umwelt von Unternehmen befindet sich in einem dramatischen Wandel. Um diesen dynamischen Prozessen gerecht zu werden und diese frühbzw. rechtzeitig zu erkennen, müssen Individuen - die letztendlich in der Summe die Organisation darstellen - in funktionierende, formale und informelle Kommunikationsnetze eingebunden sein. Ihre Informationsbasis hängt davon ab, mit wem Kommunikation betrieben wird und wer die Austauschpartner sind. Solche Informationsnetzwerke existieren nach Guetzkow (1965, 543) „in order to provide a reasonable certainty that relevant information will be available at the proper place at the proper time“. Charakteristikum dieser Informationsnetzwerke ist vor allem die multi-direktionale Flussrichtung der Informationen - top-down, bottom-up, diagonal oder außerhalb jeglicher Hierarchielinien. Über diese Netze hinausgehend können eine Reihe weiterer Netzwerke bestehen, die für Individuen, Gruppen oder Organisationen direkt oder indirekt von Nutzen und Bedeutung sein können. Das Beziehungsnetzwerk eines Individuums z. B. ist Voraussetzung für ein funktionierendes Informationsnetzwerk. Oft ist in diesem Zusammenhang vom sog. Beziehungs- oder Sozialkapital einer Person die Rede. Der erste Schritt beim Aufbau von Sozialkapital ist eine Bestandsaufnahme (Baker 2000). Die meisten Menschen haben ein verzerrtes, unvollständiges <?page no="212"?> Kapitel 6: Kommunikationsnetze 197 Bild von ihrem persönlichen oder organisationalen Netzwerk. Es ist möglich, ein Profil vom Sozialkapital eines Menschen oder eines Unternehmens zu erstellen. Das Profil des Netzwerkes enthält Informationen über drei Dimensionen des Sozialkapitals. Die erste Dimension ist die tatsächliche Größe des Netzwerkes. Die zweite Dimension behandelt die Zusammensetzung des Netzwerkes. Ähnlichkeiten sind immer der Feind eines Netzwerkes, denn ähnliche Menschen (oder Unternehmen) haben meist ähnliche Netzwerke. Potenziale erhält das Netz jedoch erst durch Vielfalt. Ist ein Netzwerk homogen, wird es weniger Innovationen produzieren. Die dritte Dimension umfasst die Ausrichtung des Netzwerkes. Es gibt unterschiedliche Typen von Sozialkapital-Profilen. Das eine Extrem ist ein kleines, homogenes, auf sich selbst konzentriertes Netzwerk. Dieses Profil weist Sozialkapital in Form von Vertrauen und Kooperation innerhalb eines festen Net ze s ähn lic her Me nsche n auf . So lc h ei n Kom m uni kat io ns gefl ech t eig ne t sich für den Aufbau von Gruppenloyalität, Identitäten und gemeinsamen Zielen, jedoch weniger für die Beschaffung von Informationen oder für die Beeinflussung von Menschen außerhalb des Netzes. Es unterliegt einem Gruppendenken und fördert das Wir-Gefühl. Das andere Extrem ist ein großes, vielfältiges und nach außen gerichtetes Netzwerk. Dessen Profil weist Sozialkapital in Form von Geschäftschancen auf. Es ist geeignet, um Zugang zu einer Vielzahl neuer Informationen sowie zu neuen Chancen und Ressourcen zu erhalten. Um einen Konsens herzustellen oder ein Ziel zu formulieren, eignet es sich dagegen kaum. Gelegentlich führt es sogar zu Konflikten und Spannungen. Unternehmen versuchen mit einer Vielzahl von Maßnahmen das Sozialkapital der Mitglieder zu stärken. Zum einen werden bestimmte Verhaltensweisen in der Personalentwicklung besonders honoriert. Dies gilt insbesondere für teamübergreifendes Handeln. Ein weiterer, wichtiger Schritt ist die vielfach praktizierte Job-Rotation. Durch die Befristung von Arbeitsaufgaben vergrößert sich das Netzwerk. Ähnliche Ansätze verfolgen auch Arbeitsgruppen (Stohl 1996, 64 f.) oder das Projektmanagement (Schwarze 2014, Kessler/ Winkelhofer 2004). Diese können informell oder formell agieren und setzen sich aus Mitgliedern des gesamten Unternehmens zusammen. Dadurch wird wiederum Sozialkapital aufgebaut und genutzt (Baker 2000, 3 ff.). Auch das Freundschaftsnetzwerk (Guetzkow 1965, 546) spielt eine wichtige Rolle. Diese Netzwerke sind im Normalfall kleiner und stärker segmentiert als andere Netzwerke. Der Austausch auf dieser Ebene geht meist über die normale Arbeitsebene hinaus. Oft werden Bewertungen, Interpretationen und subjektive Eindrücke weitergegeben. Solche unmittelbaren und „ungeschminkten“ Einordnungen von Themen ermöglichen ein effektiveres Arbeiten - natürlich im- <?page no="213"?> 198 Planung und Optimierung mer unter der Prämisse, dass ein solches Freundschaftsnetzwerk auch aus „echten“ Freunden besteht, denen ohne Vorbehalt vertraut werden kann. Einen weiteren Netzwerktyp stellt das Statusnetzwerk (ebd., 547) dar. Hierbei verleihen sowohl die bloße Zugehörigkeit zum Netzwerk als auch die Güte der dort ausgetauschten Informationen Status. Bescheid zu wissen über das „Wer mit wem“ und zu denjenigen zu gehören, die regelmäßig darüber informiert werden, verleiht der betreffenden Person eine gewisse soziale Stellung bzw. Dritte weisen dieser dann einen gewissen, sozialen Status zu. Eine letzte - und heute besonders wichtige - Variante der Netzwerke sind die Karrierenetzwerke. In jüngerer Zeit werden sogar strategische Karrierenetzwerke gegründet, welche wichtige Akteure in vielfältiger Weise zusammenbringen, um karrierefördernde Beziehungen bewusst zu initiieren. Kommerzielle Anbieter veranstalten z. B. Karrieremessen und Recruitingevents oder bieten Fachforen und Vermittlungsdatenbanken im Internet an. Eine beliebte Zielgruppe sind Studierende. Für manche Unternehmen ist ein erfolgreiches Jobmatching - also das passgenaue Zusammenführen von Arbeitgeber und Arbeitssuchendem - geradezu überlebenswichtig. Als zahlungskräftige Kunden beteiligen sich daher auch die Arbeitgeber an derartigen Karrierenetzwerken. 3 3 S S t t r r u u k k t t u u r r e e n n u u n n d d R R o o l l l l e e n n Netzwerke bestehen aus unterschiedlichen Strukturelementen (Schaubild 41), die sich zu Clustern zusammenfügen. Die wichtigsten Strukturen (Jansen 2006, 129 ff., Theis-Berglmair 2003, 305, Hellweg 1997, 43 ff.) sind: ! „Sterne“, d. h. ein Mitglied kontrolliert zahlreiche Kommunikationsverbindungen, ! der „Doppelstern“, d. h. zwei zentrale Mitglieder, die durch ein weiteres Mitglied - ein „Bindeglied“ − miteinander verbunden sind, ! die Kette, d. h. die Mitglieder eines Netzes sind linear hintereinander aktiv, ! das „Y“, d. h. ein Netzwerkstrang verzweigt sich oder zwei Wege stoßen zusammen, ! der Kreis, d. h. jedes Mitglied hat nur die Möglichkeit der Kommunikation mit dem unmittelbaren Kommunikationsnachbarn sowie ! die Vollstruktur, d. h. jedes Mitglied kommuniziert mit jedem. <?page no="214"?> Kapitel 6: Kommunikationsnetze 199 Schaubild 41: Netzwerkstrukturen Quelle: in Anlehnung an Hellweg (1997, 43 ff.) und Jansen (2006, 130). Bei der Sternstruktur (Jansen 2006, 129, Weidner/ Freitag 1998, 97, Hellweg 1997, 46) ist jeweils nur ein Kommunikationsweg zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter vorhanden. Es liegt ein Minimum an Informationswegen vor, jede Kommunikation kann nur über die zentrale Position (z. B. den Vorgesetzten) erfolgen, die übrigen Personen besitzen keine Möglichkeit zur direkten Kontaktaufnahme mit anderen Mitgliedern. Die Sternstruktur wird daher auch als Vorgesetztenstruktur bezeichnet. Sie eignet sich insbesondere für eine schnelle Erfüllung von Routineaufgaben, da für die Übermittlung von Entscheidungs-, Durchführungs- und Kontrollinformationen nur ein Weg möglich ist. Typische Konstellationen sind z. B. der Chef mit direkt an ihn berichtenden Mitarbeitern, ein „Chef vom Dienst“ in Redaktionen oder anderen Teams und die Kontakte eines Vertriebsmanagers zu seinen Kunden. Eine Gefahr bei dieser Konstellation ist stets die Überlastung der zentralen Position, da alle Kommunikationsströme durch diese hindurchfließen. Dieser Umstand führt gleichzeitig dazu, dass der zentralen Position ein hohes Maß an Macht zukommt - die Verteilung und (Nicht-)Weitergabe von Informationen hängt allein von dieser Position ab. In der Doppelsternstruktur (Jansen 2006, 130) sind drei Akteure von besonderer Bedeutung: Zum einen zwei Mitglieder, die jeweils eine zentrale Position in einem Teilnetzwerk einnehmen und zugleich die meisten direkten Beziehungen innerhalb dieses Teilnetzwerkes unterhalten. Zum anderen wird die gesamte Kommunikation zwischen den beiden Clustern über ein weiteres Mitglied ver- Sternstruktur Kettenstruktur Doppelsternstruktur Y-Struktur Kreisstruktur Vollstruktur <?page no="215"?> 200 Planung und Optimierung mittelt, das daher eine Verbindungsfunktion erfüllt. Ein Beispiel aus dem Unternehmen ist, wenn der Hauptabteilungsleiter als Mediator zwischen zwei Abteilungsleitern und seinen Mitarbeitern fungiert. Aber auch Führungskräfte und Mitarbeiter, die in ihrer Arbeit auf Informationen aus verschiedenen Unternehmensbereichen angewiesen sind, nehmen eine solche Funktion ein. Die Kettenstruktur (Jansen 2006, 130, Weidner/ Freitag 1998, 98, Hellweg 1997, 42 ff.) verfügt über ein Minimum an Kommunikationswegen, die jedoch so angeordnet sind, dass die Kommunikation kettenförmige Wege durchläuft: A - B - C - D. Es besteht keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit einem nicht direkt benachbarten Mitglied dieses Netzes. Diese Struktur tritt häufig als Verbindung unterschiedlicher Netze auf, birgt aber über längere Strecken die Gefahr des Informationsverlustes und der Verzerrung ursprünglicher Inhalte. Das Gesellschaftsspiel der „Stillen Post“ basiert auf einer langen Kette von A über viele Stationen zu B. Eine typische Konstellation in der internen Kommunikation, die einer Kettenstruktur folgt, ist z. B. die Kaskade der top-down- Informationen von der Geschäftsführung über alle Führungsebenen zu den Mitarbeitern. Macht manifestiert sich bei dieser Konstellation auf verschiedenen Wegen: Führungspositionen haben als Anfangs- oder Endglied einer Kette die Möglichkeit, Kommunikationsströme auszulösen (oder auch nicht). Gleichzeitig kann jedes Mitglied Einfluss darauf ausüben, ob und wie Informationen weitergegeben werden. Die Y-Struktur (Hellweg 1997, 42 ff.) repräsentiert ebenfalls eine Kette, die jedoch aufbricht oder zwei Wege vereinigt. Sie kann zu anderen Kommunikationsnetzen führen oder auch nur kurzfristig die Einlinienstruktur verlassen. In Netzwerken ist oft nicht sichtbar, wann die Kette aufbricht. Sie kann sich in zwei Bereiche aufteilen, die zu ein und demselben Netz gehören oder Übergänge zu anderen Beziehungsgeflechten schaffen. Matrix-Organisationen von Unternehmen, die zwischen fachlicher und funktionaler Führung unterscheiden, haben bewusst zwei sich überlappende Kommunikationsnetze geschaffen, die beim einzelnen Mitglied zu einer Y-Funktion führen. Die Position, in der zwei Ströme zusammenfließen bzw. sich eine Linie aufteilt, kann eine Gatekeeper- oder „boundary spanning“-Funktion erfüllen. Gatekeeper können entscheiden, welche Informationen aus zwei einkommenden Linien weitergegeben werden. Ein „boundary spanner“ kann die einfache Kommunikationslinie einer Organisation (zu beliebig vielen Außenkontakten in die Öffentlichkeit/ anderen Unternehmen/ anderen Abteilungen) erweitern. Die Kreisstruktur (Jansen 2006, 129 f., Weidner/ Freitag 1998, 98, Hellweg 1997, 42 ff.) bietet nur die Möglichkeit des Informationsaustausches zwischen den direkten Kommunikationsnachbarn. Der Unterschied ist, dass alle Mitglieder, wenngleich indirekt, miteinander verbunden sind. Die zwangsläufig zwischenge- <?page no="216"?> Kapitel 6: Kommunikationsnetze 201 schalteten Mitglieder dienen als Relaisstationen. Eine intensive Kommunikation, die über die reine Informationsübermittlung hinausgeht, ist nur mit dem unmittelbaren Nachbarn möglich. Eine Kreisstruktur liegt etwa dann vor, wenn Unternehmensvertreter über einige Zwischenstationen erfahren, wer ihre ursprünglichen Botschaften weitertransportiert hat und wie sich die intendierte Wirkung einer Aussage verändert hat (z. B. bei Kunden). Die Kreisstruktur eröffnet die Möglichkeit zur Evaluation der Kommunikationsanstrengungen: Was wurde gesendet und wie kommt es an? Die Vollstruktur (Weidner/ Freitag 1998, 98, Hellweg 1997, 46 ff.) stellt ein offenes Kommunikationssystem dar, in dem jedes Mitglied mit jedem anderen Informationen austauschen kann. Die große Anzahl möglicher Kommunikationspartner erlaubt ein hohes Maß an Informationsaustausch. Die Vollstruktur bietet die besten Voraussetzungen für häufige Kommunikation und für die He ra usb ild un g per son al er un d so zia ler Ko nta kt e. A ll erd in gs is t di es e Ko mm unikationsform sehr zeitintensiv. Bei akutem Entscheidungszwang ist eine solche Struktur nicht effizient, da keine klaren Kommunikationswege existieren. Zur Informationssammlung und -verbreitung hingegen ist die Vollstruktur sehr gut geeignet. Eine typische Anwendung ist die Brainstorming-Technik, die bewusst bei der Suche nach Ideen und Problemlösungen alle Positionen möglichst gleichberechtigt berücksichtigen will. Die einzelnen Kommunikationsstrukturen lassen sich weder in der einen noch in der anderen Form auf das komplexe Gebilde eines ganzen Unternehmens übertragen. Sie stellen nur Teile einer Struktur dar, die mehr oder weniger häufig wiederkehrende Elemente aufweist. Man kann unter Zuhilfenahme dieser Kommunikationsstrukturen auch keine Aussage über die optimale Zahl und Gestaltung der Kommunikationswege eines Unternehmens treffen. Strukturelemente, die sich zu immer neuen Clustern zusammenfinden, liefern jedoch Anhaltspunkte über Teilbzw. Einzelnetze (Weidner/ Freitag 1998, 98 f.). <?page no="217"?> 202 Planung und Optimierung Schaubild 42: Ausgewählte Netzwerkrollen Quelle: in Anlehnung an Hellweg (1997, 45). Darüber hinaus können die Kommunikationsabläufe in Teilnetzen anschaulich analysiert werden, wenn man die Rollen betrachtet, die Einzelne spielen (Schaubild 42). Zu unterscheiden ist zunächst, ob jemand Mitglied in einem Kommunikationsnetz ist oder nicht (Hellweg 1997, 44 ff.). Eine solche Mitgliedschaft kann weder eingeklagt noch auf dem Beschwerdeweg verlangt werden. Die Integration in Netze geschieht auf freiwilliger Basis und durch den Austausch von Leistungen. Entscheidend ist zunächst, ob jemand überhaupt Zugang zum Kommunikationsnetz bekommt, d. h. als Sender oder Empfänger von Botschaften in Frage kommt. Außerdem können Mitglieder zu sog. Cliquen oder Clans („cliques“ und „clans“) gehören: Das sind Gruppierungen, die besonders häufig untereinander kommunizieren und weniger mit anderen Mitgliedern eines meist größeren Netzwerkes (Jansen 2006, 193 ff.). Isolierte Mitglieder („isolates“) bleiben normalerweise außerhalb eines Netzwerkes. Außendienstmitarbeiter z. B. können lange Zeit ohne Kommunikation oder mit nur seltenem Kontakt zu ihrem Unternehmen arbeiten. Individuen, Zweier- Teams oder kleine Gruppen können - oft auch nur temporär - isolierte Positionen einnehmen. Mitglieder mit Verbindungsfunktionen („liaisons“) sind Personen, die mindestens zwei Cliquen untereinander verknüpfen, ohne selbst einer Clique anzugehören (Hellweg 1997, 44 ff.). Sie bilden lediglich die Verbindung zwischen einer Gruppe oder Clique und den anderen. Kommunikationsbotschaften werden von einem Bereich des Netzes über sie zu einem anderen geleitet. Solche Funktionen üben Mitglied in Gatekeeper-Funktion Isoliertes Mitglied Mitglied mit Verbindungsfunktion Mitglied mit Brückenfunktion Chef Sekretärin Mitarbeiter <?page no="218"?> Kapitel 6: Kommunikationsnetze 203 z. B. Kontaktbüros von Unternehmen aus, die entsprechende Kommunikationswünsche ins Unternehmen oder an den von ihnen betreuten Bereich (z. B. Verbände) weitergeben. Typische Verbindungsfunktionen üben auch Führungskräfte oder Mitarbeiter aus, die mehrere Abteilungen informieren oder Informationen aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens zusammentragen. Sie können ihre Verbindungsrolle durchaus informell spielen, wenn sie z. B. über soziale Beziehungen wie Freundschaften die Verbindung zwischen unterschiedlichen Cliquen oder Netzen schaffen. Ohne Mitglieder, die Verbindungsfunktionen ausüben, läge eine Vielzahl von Subsystemen unverbunden nebeneinander. Diese Rolleninhaber unterscheiden sich von den anderen Individuen einer Clique dadurch, dass sie eine Zwischenposition darstellen und mit keiner der jeweiligen Gruppennormen völlig konform gehen. Sie haben meist ein größeres Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen derselben Sache, so dass sie als „Liaison“ und Mittler im Konfliktfall auftreten und bei der Konsensfindung helfen können. Dadurch, dass sie Probleme in die Sprache der Gegenseite übersetzen, entsteht Verständnis. Als typische Beispiele sind zu nennen: Meister, Mitarbeiter der Personalabteilung und koordinierende Positionen, z. B. im Projektmanagement. Mitglieder mit Brückenfunktion („bridges“, „linking pins“) verbinden zwei Gruppen in einem Netzwerk, weil sie Mitglied in beiden sind (Hellweg 1997, 44 ff., Stohl 1996, 38). Im Unterschied zu einer „liaison“ gehören diese Personen Cliquen an, die sie repräsentieren. Diese Gruppenzugehörigkeit bedingt einen größeren Einfluss auf die Gruppen. Rensis Likert nannte sie „linking pins“ (Stohl 1996, 38). Zu ihnen gehören z. B. der Abteilungsleiter, der sowohl Mitglied seiner Abteilung als auch eines Führungsgremiums ist, oder Mitglieder der sog. Qualitätszirkel, die in dieser Gruppe und in ihren ursprünglichen Abteilungen arbeiten. Auch Mitglieder von Ausschüssen, die aus verschiedenen Bereichen kommen, zählen dazu. Auch die „Brücken“ übernehmen Übersetzerfunktionen. Durch ihre Zugehörigkeit zu den Gruppen liegt jedoch auch ein höheres (emotionales) Involvement vor, was zu Interessenkonflikten und zum Verlust von Neutralität führen kann. Mitglieder mit Außenkontakten („cosmopolites“, „boundary spanners“) sind Mitglieder eines Netzwerkes, die vor allem Kontakte zu Menschen außerhalb des Unternehmens haben (Hellweg 1997, 44). Sie pflegen intensive Beziehungen zwischen dem Unternehmen und seinen Umwelten und agieren als Gatekeeper. Sie bestimmen, wie viele und welche Informationen in das Unternehmen hineinfließen bzw. an die Öffentlichkeit gelangen. Typische Beispiele sind Vertriebs-, Marketingsowie Public Relations-Abteilungen. Außenkontakte sind für Unternehmen aufgrund der dynamischen Umweltentwicklung unerlässlich. Der „boundary spanner“ erfüllt dabei eine wichtige Selektionsfunktion: Welche Informationen <?page no="219"?> 204 Planung und Optimierung sind wirklich wichtig für die Mitarbeiter? Welche Inhalte sollen in der Öffentlichkeit kommuniziert werden? Mitglieder in Gatekeeper-Funktion bestimmen, welche Botschaften eine spezielle Position im Netz erreichen oder auch nicht (Hellweg 1997, 43). Sie kontrollieren den Kommunikationsfluss und dämmen die Informationsflut ein, um so das Problem des „information overload“ zu entschärfen oder ihre eigene Position zu stärken. Sie entscheiden darüber, zu welchem Zeitpunkt eine Nachricht an das in der Kette des Kommunikationsflusses nachgelagerte Individuum weitergeleitet wird. Sie filtern Informationen und tragen das Risiko des Informationsverlustes. Typische Gatekeeper-Rollen üben Chefsekretärinnen oder persönliche Assistenten aus. Sie haben außerhalb ihrer festgelegten Zuständigkeiten einen recht weitgehenden Einfluss. Führungskräfte können bei der Kommunikation der Unternehmensziele wichtige Gatekeeper-Rollen spielen oder eher als „Le hms chic ht en“ wirken , also de n Inf ormat io nsf lu ss be hi nde rn. Mitglieder in Opinion Leader-Funktion beeinflussen andere Mitglieder im Netzwerk überproportional (Hellweg 1997, 46). Sie interpretieren z. B. die Botschaft des Top-Managements, indem sie auf weitere Quellen verweisen, die sie kennen. Oft tun diese Opinion Leader nichts anderes, als die ankommende Botschaft für die Gruppe verständlich und handhabbar zu machen. Opinion Leader-Funktionen können Hand in Hand gehen mit formalen Führungspositionen oder sie drücken die informelle Wertschätzung aus, die jemand im Laufe der Zeit errungen hat. Einige Untersuchungen weisen darauf hin, dass solche Personen meist in „Stern“-Positionen in den Netzen verankert sind (Tichy/ Tushman/ Fombrun 1979). Opinion Leader sind durch einen hohen „out-“ bzw. „in-degree“ gekennzeichnet (Jansen 2006, 94 f.), d. h. durch viele eingehende und ausgehende Kommunikationsaktivitäten, da sie oft um Rat gefragt werden und Ratschläge oder Interpretationen geben. Mitglieder mit Opinion Leader-Funktion haben großen Einfluss auf den Entscheidungsprozess, genießen hohes Ansehen und Vertrauen, unterscheiden sich aber z. B. hinsichtlich ihres Status oder der vertretenen Einstellungen kaum von den anderen Mitgliedern. Ihr besonderer Einfluss kommt daher, dass sie im Vergleich zu ihren Netzwerkpartnern einen besseren Zugang zu externen oder internen Informationen haben, besser erreichbar sind und sich mit Gruppennormen oder Unternehmenszielen stärker identifizieren. Typische Beispiele sind Führungskräfte mit „guten Beziehungen“, Mitarbeiter, die das Wohlwollen des Chefs genießen, Mitarbeiter mit Auslandserfahrungen oder Erfolgen (die z. B. bereits ein Projekt geleitet haben). Gatekeeper, Personen in Verbindungs- oder Brückenrollen und Mitglieder mit Außenfunktionen leiden häufig unter Informationsüberlastung. Wie sie damit umgehen, hängt meist von ihrem Status in der Hierarchie ab. Auf den unteren <?page no="220"?> Kapitel 6: Kommunikationsnetze 205 Ebenen sind Strategien zu beobachten, die nur wenig Aufwand machen und das Problem der Informationsüberlastung bei anderen Netzwerkpartnern nur noch verschärfen. Berichte werden immer länger anstatt kürzer, Materialien werden 1 : 1 weitergegeben, da man die Mühe bzw. Verantwortung für die Auswahl scheut. Wie auch immer die individuelle Strategie aussieht, sie verschärft das Problem, ohne es zu lösen. Wichtig ist: Der Status, den ein Organisationsmitglied nach dem Organigramm einnimmt, kann von seinem Status in einem Netzwerk abweichen. Das Beispiel der Sekretärin als Gatekeeper veranschaulicht: Welche Informationen überhaupt den Chef erreichen, hängt von der Beurteilung ihrer Wichtigkeit durch den Gatekeeper „Sekretariat“ ab. 4 4 M M e e r r k k m m a a l l e e d d e e r r K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s n n e e t t z z e e Die Merkmale der Netze spiegeln sich in den Kommunikationsabläufen wider (Stohl 1996, 39 ff.). Kommunikationsnetze können nach Größe, Inhalt bzw. Funktion, Formalisierungsgrad und der Vielfalt der Verknüpfungen unterschieden werden. Hinzu kommen Merkmale wie Zentralisierung, Offenheit, Flexibilität, Länge der Kommunikationswege oder Symmetrie der Beziehungen (Daniels/ Spiker/ Papa 1997, 126). Größe: Netzwerke können das gesamte Unternehmen erfassen. Sie stellen Kommunikationskanäle zur Verfügung, die alle Mitglieder erreichen. Kleinere Netze sind Cliquen, die spezielle Gruppen in der Organisation miteinander verbinden. Noch kleiner sind in der Regel die Netzwerke, die eine Person um sich herum bildet. Die Größe eines Netzwerkes hängt mit der Erreichbarkeit von Mitgliedern unter Einbeziehung des Faktors Zeit zusammen (Stohl 1996, 39 f.). Inhalt/ Funktion: Netzwerke können völlig unterschiedlichen Zwecken dienen - von der emotionalen Unterstützung bis zum Austausch von Produkten und Dienstleistungen oder zur Beibehaltung von Einfluss und Macht (ebd., 35). Formalisierungsgrad: Unternehmen haben sowohl formale als auch informelle Kommunikationsnetze. Je flacher die Hierarchien, desto größer ist die Chance, dass sich vielfältige Netzwerke bilden oder auch von den Unternehmen bewusst gefördert werden. Persönliche Netzwerke sind in der Regel informelle Beziehungen. Zentralisierung: In stark zentralisierten Netzen müssen alle Inhalte, die von einem Punkt zum anderen gelangen sollen, eine Position durchlaufen. Solche Netze unterhalten meist Vorsitzende (von Gremien) oder Gatekeeper. Daneben gibt es Netze, deren Informationsfluss von einem Individuum oder einer Clique domi- <?page no="221"?> 206 Planung und Optimierung niert wird. Der große Einfluss einzelner Personen kann durch verschiedene Faktoren bedingt sein (Trappmann/ Hummell/ Sodeur 2011, 27 f.): ihre Position in der Netzstruktur (z. B. Stars oder Opinion Leader), ihre formale Machtposition (z. B. als Vorgesetzter) oder ihre sozialen Beziehungen und Erfahrungen (z. B. der Mitarbeiter, der am längsten in der Abteilung arbeitet). Zentralisierte Netzwerke üben ein hohes Maß an Kontrolle über die Kommunikationsabläufe aus. Sie eignen sich für das Lösen einfacher Probleme. Die Person bzw. die Clique allerdings, die solche Netzwerke dominiert, ist immer in Gefahr, der Informationsüberlastung zu erliegen. Die Gefahr wird umso größer, je komplexer die Probleme. Außerdem kann das Netzwerk bei Ausfall der zentralen Position (Arbeitgeberwechsel, Krankheit) handlungsunfähig werden, da die übrigen Mitglieder plötzlich keine Verbindungen mehr haben. Vielfalt der Verknüpfungen: Netzwerke überlappen sich. Deshalb werden einige Kanäle od er Li nks f ür ve rs chi ed ene In ha lt e od er Bez ie hu ng en gen utzt . Ein Ge schäftsführer einer Firma kann in vielfältigen Beziehungsnetzen aktiv sein (Stohl 1996, 40 ff.). Gleichzeitig kann auch ein und dieselbe Person verschiedene Rollen in unterschiedlichen, überlappenden Netzen einnehmen: als Opinion Leader im Netzwerk der Nachwuchskräfte aufgrund hoher Expertise und als isoliertes „Mitglied“ im Freundschaftsnetzwerk aufgrund fehlender sozialer Kompetenz. Offenheit („network openness“): Netze, die offen sind, haben meist viele Mitglieder, welche die Grenzen überschreiten und zu anderen Netzwerken außerhalb des Unternehmens Kontakte aufrechterhalten. Diese „cosmopolitans“ oder „boundary spanners“ sind häufig in den Bereichen Marketing, Public Relations und Vertrieb zu finden. Eher geschlossene Netze haben eine starke Binnenorientierung, d. h. die internen Abläufe stehen im Vordergrund. Flexibilität: Flexible Netzwerke halten verschiedene Pfade bereit, auf denen sich die Nachrichten verbreiten. Geringe Flexibilität ist dann gegeben, wenn konstant nur die gleichen Beziehungsmuster aktiviert werden können. Länge der Kommunikationswege („reachability“): Netze unterscheiden sich auch nach der Anzahl der Zwischenstationen, die eine Nachricht passieren muss, um vom Kommunikator zum Rezipienten zu gelangen. Ein hoher Grad an „reachability“ liegt vor, wenn viele Positionen die Nachricht weitergeben müssen, bevor sie ans Ziel gelangt. Die Verzerrung der Inhalte ist größer als bei Netzen mit kürzeren Kommunikationswegen, wenn im Idealfall der Nutzer direkt vom Sender eine Botschaft erhält. Symmetrie der Kommunikationsbeziehungen: Symmetrie ist der Grad an Ausgewogenheit zwischen aktiven Teilnehmern an möglichst zweiseitigen Kommunikationsabläufen. Gerade bei der Analyse des Kommunikationsflusses spielt dieser As- <?page no="222"?> Kapitel 6: Kommunikationsnetze 207 pekt ein wichtige Rolle: Erfolgt Führung ausschließlich durch Anordnungen oder im Dialog? Dichte („density“): Ein anderer Indikator zur Beurteilung von Netzwerken ist die Dichte. Sie sagt aus, wie viele der maximal möglichen Beziehungen auch wirklich vorhanden sind. Zu berücksichtigen ist dabei, dass beide Richtungen - von A zu B sowie von B zu A - jeweils eine mögliche Beziehungsausprägung darstellen (Wasserman/ Faust 1994, 314 f.). Netzwerke sind zu einem bedeutenden Faktor der Unternehmenskommunikation geworden. Viele Neueinstellungen von Mitarbeitern kommen heute über persönliche Kontakte zustande. Das Bewusstsein für die Macht von Netzwerken ist inzwischen in den Unternehmen vorhanden. Jedoch: Es mangelt noch (zu) oft an detailliertem und fundiertem Wissen über die bestehenden Netzwerke - teilweise sind sich viele Unternehmen der Existenz informeller Netzwerke gar nicht bewusst. Wenn ausreichende Informationen über den Charakter von Netzwerken vorliegen (Welche Personen sind zentral? Wie verlaufen die Kommunikationsströme? ), können auch die Chancen und Potenziale dieser Kommunikationsform genutzt sowie die Risiken vermieden werden. <?page no="223"?> 208 Planung und Optimierung ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Die Bedeutung der (informellen) Kommunikation wurde bei der Analyse von Unternehmen lange Zeit unterschätzt. ! Informelle Kommunikation folgt keinen festgelegten hierarchischen Strukturen. Sie ergänzt die formale Kommunikation oder setzt sie partiell außer Kraft. ! Netzwerke sind potenzielle Strukturen, die plötzlich aktiviert werden können, doch dann wieder verschwinden. ! Aktivität im Netz ist das entscheidende Kriterium für das Bestehen der Kommunikationsnetze. ! Netzwerke sind keine sozialen Systeme, aber sie brauchen und ergänzen sie. ! Kommunikationsnetze sind gekennzeichnet durch potenzielle Grenzenlosigkeit, d. h. weder die Teilnehmer noch die Inhalte sind vorhersehbar. ! Charakteristika von Netzwerken sind der gemeinsame Anlass, das gemeinsame Ziel und das Beziehungspotenzial. ! Personen können Mitglieder in mehreren Netzwerken sein. Dort können sie jeweils unterschiedliche Rollen verkörpern. ! Innerhalb von Netzwerken lassen sich Untergruppen identifizieren, die sich z. B. durch eine höhere Kontaktfrequenz oder bestehende Freundschaften vom Rest des Netzwerks unterscheiden. ! Kommunikationsnetze können nach Größe, Inhalt bzw. Funktion, Formalisierungsgrad und Vielfalt der Beziehungen unterschieden werden. <?page no="224"?> Kapitel 6: Kommunikationsnetze 209 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Jansen, Dorothea (2006): Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Forschungsbeispiele. 3., überarb. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Das Buch vermittelt das Rüstzeug zur Analyse von sozialen Netzen und klärt zentrale Begriffe. Wie können Netzwerke untersucht werden und welche Merkmale dienen der Beschreibung? Kadushin, Charles (2012): Understanding Social Networks. Theories, Concepts and Findings. New York: Oxford University Press. Das Werk gibt einen Überblick über Funktionsweise, strategische Konzepte sowie zentrale Themen von sozialen Netzwerken. Empirische Erkenntnisse werden anhand verschiedener Praxisbeispiele diskutiert. Kilduff, Martin/ Tsai, Wenpin (2005): Social Networks and Organizations [reprod.]. London: Sage Publications. Das Handbuch führt in die Theorien sozialer Netzwerke ein und bricht eine Lanze für ihren Einsatz in der Erforschung von Organisationen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Untersuchung interpersonaler Netzwerke in Organisationen. Stohl, Cynthia (1996): Organizational Communication. Connectedness in Action [reprod.]. Thousand Oaks: Sage Publications. In ihrem Grundlagenwerk zum Thema Netzwerkkommunikation integriert Stohl das Element der persönlichen Kommunikationsbeziehungen in der Theorie und im kommunikativen Alltag der Organisation, indem sie zahlreiche Formen und Ausprägungsgrade informeller Netzwerke zeigt und deren Vor- und Nachteile diskutiert. <?page no="226"?> K K a a p p i i t t e e l l 7 7 : : K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s f f o o r r m m G G e e r r ü ü c c h h t t Je unklarer die Wirtschaftslage, desto heftiger kocht die Gerüchteküche. Es rumort in den Unternehmen, denn die Mitarbeiter wollen wissen, wohin die Reise geht. Der Wandel auf den globalisierten Märkten, aber auch in den Unternehmen selbst, stellt besondere Anforderungen an die interne Kommunikation. Wie geht es weiter? Wer weiß etwas? Was ist geplant? Gibt es schon Entscheidungen? Unsicherheiten, vielerorts auch Ängste prägen das Kommunikationsklima in den Betrieben und bilden einen idealen Nährboden für den Flurfunk. Unabhängig ihres Gehalts, stellen Gerüchte eine äußerst effiziente Form der Kommunikation dar: Kaum ein anderes Phänomen dürfte bei vergleichbar geringem Aufwand so nachhaltige Wirkungen auslösen. Bereits seit den 1930er Jahren wird das Phänomen Gerücht von Wissenschaftlern aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Literatur- und Kommunikationswissenschaft bearbeitet. Einen ersten Höhepunkt er re icht e die Ge r ücht ef or sc hun g währen d de s zw eite n Weltk rie ges . Als Standardwerk dieser Epoche gilt der bereits 1947 von Allport und Postman veröffentlichte Titel „The Psychology of Rumor“ (Allport/ Postman 1965). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts trieben zahlreiche Autoren die Erforschung des Themas weiter voran (Kapferer 1997, Rosnow/ Fine 1976, Davis 1969, 1953). Neuere Arbeiten thematisieren verstärkt den Einfluss von Gerüchten auf Unternehmen und die Herausforderungen, vor die sie das Management stellen (Brokoff et al. 2008, Wehling 2007, Schindler 2007, DiFonzo/ Bordia 2007, Scheele 2006, Fine/ Campion-Vincent/ Heath 2005, Schindler 2005, Bruhn/ Wunderlich 2004, Kimmel 2004, Michelson/ Mouly 2004). Gerüchte verbreiten sich durch direkte, persönliche, informelle Kommunikation. Sie können sich aber auch elektronischer oder gedruckter Medien wie Zeitung, Radio, Fernsehen und Internet als Transportmittel bedienen. In einem Punkt besteht Konsens: Gerüchte lassen sich kaum steuern - man hat sie nicht unter Kontrolle (Kapferer 1997, 110 ff.). Insbesondere in Unternehmen entstehen Gerüchte vor allem dann, wenn sich Mitarbeiter schlecht informiert fühlen. In diesem Fall sind Gerüchte ein Produkt aus Misstrauen, Unsicherheit und Angst. Einen wichtigen Hinweis auf die Ursachen gibt Parkinson (1999, 29): „Wo immer in der Kommunikation ein Vakuum entsteht, werden Gift, Müll und Unrat hineingeworfen.“ Gerüchte entstehen also vornehmlich dort, wo Fragen unbeantwortet bleiben. Dies ist aber nicht nur dann der Fall, wenn Informationen objektiv fehlen. Auch ein Überangebot an Information können zu Unsicherheit und Zweifeln an ihrem Wahrheitsgehalt führen: „In contemporary <?page no="227"?> 212 Planung und Optimierung society, rumors circulate like the air we breathe; more and more, they seem to arise not from a lack of information, but within a context of information overload“ (Kimmel 2004, ix). Kapitel 7 analysiert die Ursachen, Merkmale und Verbreitungswege von Gerüchten sowie den Umgang mit dem Phänomen in der Unternehmenskommunikation. Gerüchte sind eine äußerst effiziente, aber schwer kontrollierbare Kommunikationsform in Organisationen. 1 1 T T y y p p e e n n v v o o n n G G e e r r ü ü c c h h t t e e n n Mittlerweile liegen eine Reihe von Definitionen für Gerüchte vor. Allport und Postman (1965, IX) beschreiben das Phänomen Gerücht als „a specific (or topical) proposition for belief, passed along from person to person usually by word of mouth, without secure standards of evidence being present“. DiFonzo und Bordia (2007, 13) definieren Gerüchte als „unverified and instrumentally relevant information statements in circulation that arise in contexts of ambiguity, danger, or potential threat and that function to help people make sense and manage risk“. Diese Definition betont die Inhalte von Gerüchten, die Situationen, in denen Gerüchte entstehen, und die Funktionen, die Gerüchte erfüllen. Gegenstand von Gerüchten sind unbestätigte, aber nützliche Informationen. Gerüchte entstehen in unklaren, mehrdeutigen und als bedrohlich empfundenen Situationen. Sie stiften Sinn, beseitigen die Ungewissheit und helfen so, mit der empfundenen Bedrohung umzugehen. Kapferer definiert den Begriff Gerücht als „das Auftauchen und die Verbreitung von Informationen im gesellschaftlichen Organismus, die entweder von den offiziellen Quellen noch nicht öffentlich bestätigt sind, oder von diesen dementiert werden“ (Kapferer 1997, 25). Stohl schreibt: „Rumors can be conceptualized as sets of messages in general circulation lacking certainty as to their truth. They arise in and explain confusing and anxiety-producing events, thereby flourishing in an atmosphere of secrecy and competition“ (Stohl 1996, 66). Fleck (2015, 191) betont gerade die Unverbürgtheit als zentrales Charakteristikum von Gerüchten und schlägt vor, „das Gerücht als eine Kommunikation anzusehen, deren Information im Hinblick auf die Unterscheidung wahr/ falsch unentschieden ist. Das Gerücht ist weder wahr, noch falsch, sondern eben: unverbürgt“. Wie diese Definitionen zeigen, ist die Ungewissheit über den Wahrheitsgehalt von Gerüchten von zentraler Bedeutung. Gerüchte müssen aber nicht zwangsläufig unwahren Inhalts sein. Goldhaber (1993, 167) weist daraufhin, dass viele Gerüchte zwar überwiegend wahr sind, dass ihr Wahrheitsgehalt aber von Ma- <?page no="228"?> Kapitel 7: Kommunikationsform Gerücht 213 nagern und Mitarbeitern dennoch angezweifelt werde. Zum Wahrheitsgehalt von Gerüchten betont Gerhard Maletzke (2002a, 231) zu Recht: „Der Reiz von Gerüchten liegt nicht in der Frage, ob die Information richtig oder falsch ist; er liegt vielmehr im Empfangen und Weitergeben von außergewöhnlichen Botschaften.“ Ein Gerücht ist keine Meinungsäußerung, sondern beinhaltet im Kern immer eine Tatsachenbehauptung, die geglaubt und verbreitet wird (Scheele 2006, 91). Zu unterscheiden sind Gerüchte von verwandten Begriffen wie Klatsch („gossip“) und modernen Sagen („urban legends“) (DiFonzo/ Bordia 2007, 13 ff.). Im Gegensatz zu Klatsch handeln Gerüchte von Themen, die von den Betroffenen als dringlich und besonders bedeutsam eingestuft werden. Sie erleichtern den Umgang mit unklaren Situationen. Klatsch hat dagegen in erster Linie eine soziale Funktion. Hier geht es zumeist um private Themen und Gruppenzugehörigkeiten. Mod er ne Sag en h ab en da r übe r hin au s ei ne star ke Un terh altun gskomp on ente und transportieren z. B. Gruppennormen und -sitten. Sie haben oft den Charakter skurriler oder schauriger Anekdoten, die mündlich oder via E-Mail verbreitet werden. Klassische Beispiele für moderne Sagen sind immer wiederkehrende Berichte über Kakerlakeneier in Lebensmitteln, die Geschichte einer Frau, die ihren Pudel in der Mikrowelle trocknen wollte - woraufhin Warnhinweise in Gebrauchsanleitungen aufgenommen worden seien -, oder die eines Doppelgängers, der schon vor Jahren an die Stelle Paul McCartneys getreten sei. Vermehrte Verbreitung finden moderne Sagen über das Internet, wo sie sich z. B. als via E-Mail verbreitete Falschmeldung (sog. Hoax) zweifelhafter Beliebtheit erfreuen. Ein Gerücht ist eine unbestätigte Behauptung über ein ungewisses Ereignis, die ohne genaue Kenntnis der Quelle (meist mündlich) verbreitet wird und zur Überwindung von Unsicherheit und Ungewissheit beitragen soll. Je nach Situation, Anlass, Initiator und Intention, lassen sich verschiedene Arten von Gerüchten unterscheiden (Mishra 1990): ! Spontane Gerüchte entstehen in einer schwierigen Situation, in der Angst, Misstrauen, Druck oder Chaos herrschen. Sie verschwinden, sobald sie unwichtig werden. ! Vorsätzlich verbreitete Gerüchte dienen speziellen Interessen (z. B. der Machtdemonstration) und blühen häufig in Situationen, die durch hohen Wettbewerbsdruck gekennzeichnet sind. Diese Gerüchte kann man wiederum in unterschiedliche Kategorien einteilen (Bruhn 2004, 18): <?page no="229"?> 214 Planung und Optimierung ! „Wunschträume“ - der Wunsch ist Vater des Gedankens: Diese Gerüchte sind aus positiven Hoffnungen und Wünschen gespeist und setzen häufig kreative Energien frei. Auch wenn sie positiv sind, repräsentieren sie doch die Interessen der Mitarbeiter oder der Personengruppen, in denen sie sich verbreiten. ! „Ängste“ als Basis für Gerüchte: Die Mitarbeiter oder andere Personengruppen drücken ihre Befürchtungen in Gerüchten aus, die jedoch manchmal für die Organisation existenzgefährdend werden können (z. B. Ängste vor feindlichen Übernahmen oder Entlassungen). ! Aggressive Gerüchte, die Gruppen auseinander bringen oder Loyalitäten zerstören sollen: Das Motiv, aus dem sie gespeist sind, ist Aggression, Hass oder vor allem Neid. Sie sind sehr negativ und können eine Organisation nachhaltig schädigen. ! Antizipatorische Gerüchte: Sie werden verbreitet, wenn Mitarbeiter oder andere Personengruppen schon lange auf die Lösung, ein Ergebnis oder eine Entscheidung gewartet haben. Meist ist es das letzte Steinchen, das zu einem Mosaik noch fehlt. Sie wollen etwas Künftiges vorwegnehmen, das nun über den Flurfunk verbreitet wird. Vorhersagende Gerüchte verkörpern individuelle Hoffnungen und Ängste und werden daher nach den Richtungen Optimismus und Pessimismus unterteilt. ! Erklärende Gerüchte: Diese Gerüchte resultieren aus dem menschlichen Bedürfnis, Erklärungen für verworrene Situationen zu finden. Sie beinhalten häufig Übertreibungen und Erfindungen und wollen die Hintergründe von Unsicherheiten ausleuchten. 2 2 E E n n t t s s t t e e h h u u n n g g u u n n d d V V e e r r b b r r e e i i t t u u n n g g Gerüchte haben die Eigenschaft, dass sie in der zwischenmenschlichen Kommunikation häufig scheinbar aus dem Nichts entstehen, sich schnell verbreiten und ebenso zügig wieder verschwinden. Nach dieser Beobachtung kann Gerüchten ein Prozesscharakter zugewiesen werden. Sie haben einen Lebenszyklus von der Entstehung über die Verbreitung bis zum Verschwinden. Gerüchte weisen dabei einen spezifischen Aufmerksamkeitsverlauf auf (Schaubild 43). <?page no="230"?> Kapitel 7: Kommunikationsform Gerücht 215 Schaubild 43: Verlauf von Gerüchten Quelle: Piwinger (2004, 255). Zum Prozesscharakter von Gerüchten schrieb Gerhard Maletzke (2002a, 228 f.) bereits in der ersten Auflage dieses Buches: „Gerüchte spielen sich in der Zeit ab. Jedes Gerücht hat gleichsam eine eigene Lebensgeschichte: Es entsteht, wächst, erreicht einen Höhepunkt und endet oder vergeht irgendwie und irgendwann. ‚Jedes Mal findet der gleiche Prozess statt. Eine Parole unbekannter Herkunft verbreitet sich und kursiert überall. Der Vorgang entwickelt sich immer weiter und erreicht seinen Höhepunkt, bevor das Interesse zurückgeht und sich in kleine, nur noch mühsam weiterglimmende Schwelbrände aufspaltet, um sich schließlich meistens in aller Stille zu verflüchtigen‘ (Kapferer 1997, 8) (…).“ Wie entstehen Gerüchte? Manche Gerüchte scheinen aus dem Nichts zu kommen. Doch muss es immer einen Anfang gegeben haben, nur ist der oft schwer und manchmal gar nicht auszumachen. Zwar werden bei der Weitergabe oft Ursprünge und Quellen genannt, doch sind diese Angaben meist höchst unzuverlässig. Ein weites Feld tut sich auf mit der Frage, wie, nach welchen Regeln oder Mustern sich Gerüchte verbreiten. Dabei ist zu bedenken, dass in der Regel Gerüchte als informelle Kommunikation stattfinden, so dass die Erkenntnisse über diese Kommunikationsform weithin auch für Gerüchte gelten. Einen wichtigen Schritt voran bedeutet dabei die Lehre von den sozialen Netzwerken. Allerdings ist diese Lehre - soweit uns bekannt ist - bislang nicht umfassend und systematisch auf die Frage nach der Verbreitung von Gerüchten angewandt worden. Beobachter sind immer wieder beeindruckt von der erstaunlichen Geschwindigkeit, mit der sich Gerüchte verbreiten. Erklären lässt sich diese Tatsache wohl Kulminationspunkt Interesse verflacht Zeit Aufmerksamkeit/ Interesse aufsteigende Aufmerksamkeit <?page no="231"?> 216 Planung und Optimierung so: Information - also hier die Botschaft eines Gerüchtes - ist ein leicht verderbliches Gut. Zögert man bei der Weitergabe, so kann die Botschaft ihren Wert verlieren, entweder weil sie veraltet ist und dadurch ihren Reiz verloren hat, oder weil mittlerweile alle potenziellen Abnehmer dieses Gerücht schon kennen. Kurz: Die Beteiligten sind daran interessiert, die Botschaft schnell weiterzugeben. Zu den Fragen, wann, wie, und warum Gerüchte enden, gibt die Fachliteratur kaum Auskunft. Gerüchte sterben meist leise und undramatisch; sie verschwinden oft unbemerkt, entweder weil die potenzielle Empfängerschaft ausgeschöpft ist oder weil die aktuelle Botschaft durch neuere Gerüchte oder andere Informationen überholt ist. Es gibt kurzlebige und langlebige Gerüchte. Man kennt auch Fälle, in denen ein Gerücht schon völlig verschwunden war, dann aber nach einiger Zeit wieder aufersteht, gelegentlich sogar mehrmals und manchmal an gan z an de re n Or te n. Gerüchte verbreiten sich in Abhängigkeit von der Mehrdeutigkeit des Inhalts und der Situation, sowie der Bedeutung, die ihnen beigemessen wird (Allport/ Postman 1965, 33 f.). Je unsicherer die Lage, je mehrdeutiger der Inhalt und je bedeutsamer die Situation für die Betroffenen ist, desto höher ist die Anzahl kursierender Gerüchte. Hinzu kommt noch ein weiterer additiver Faktor: die Defizite der offiziellen Kommunikationskanäle (Mast 2003a, 30). Aber nicht nur aus dieser situativen Perspektive, sondern auch aus einer individuellen Perspektive betrachtet lassen sich verschiedene Einflussfaktoren unterscheiden (Bruhn 2004, 29 ff.). Ereignisse, die einem Individuum unklar, unstrukturiert oder mehrdeutig erscheinen, können für die Verbreitung von Gerüchten ausschlaggebend sein (Rosnow 1991, 484 ff.). Wie Leon Festinger, der die kognitive Dissonanztheorie formuliert hat, zutreffend feststellt, erzeugen Unsicherheiten bei Individuen unangenehme Dissonanzen, die sie auch mit Hilfe von Gerüchten ausgleichen können. Auch Spannungen und Sorgen vor negativen Entwicklungen treten als begünstigende Variablen für die Verbreitung von Gerüchten auf (Anthony 1992, 44 ff.). Dabei ist interessant, dass vornehmlich der individuell wahrgenommene Verlust von Kontrollmöglichkeiten oder die Vertrauensverluste zu Ängsten führen (z. B. zu Angst vor Misserfolgen) und meistens weniger die objektiven Umstände. Obwohl der Faktor Glaubwürdigkeit ebenfalls als ein Merkmal der Gerüchteverbreitung erkannt wird, erhält dieses Moment in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nur wenig Raum. Es gibt einige empirische Indizien, dass die Verbreitung von Gerüchten von der Fremdbewertung des Individuums abhängt, vor allem davon, wie die von ihm verbreiteten Informationen bezüglich ihres Wahrheitsgehalts eingestuft werden. Sofern die Selbstdarstellung von Indi- <?page no="232"?> Kapitel 7: Kommunikationsform Gerücht 217 viduen und ihre Inszenierung als positiv und glaubwürdig angesehen werden, steigt die Glaubwürdigkeit des Gerüchtes. Wie geht die Weitergabe von Gerüchten in Unternehmen nun genau vor sich? Davis (1953) benennt in seiner klassischen Studie vier Arten von Kommunikationsketten (Schaubild 44): ! The single-strand chain: Ähnlich einem Stille-Post-Spiel wird eine Information so lange von Person zu Person weitergegeben, bis ihr ursprünglicher Inhalt kaum wiederzuerkennen ist. ! The gossip chain: Eine Person informiert mehrere andere. ! The probability chain: Informationen verbreiten sich nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit zufällig von Person zu Person. ! The cluster chain: Eine Person informiert eine bewusst ausgewählte Gruppe anderer Personen, die das Gerücht ebenfalls bewusst an andere Personen weitergeben. Diese letztgenannte Verbreitungsweise konnte Davis auch empirisch nachweisen. Schaubild 44: Arten von Kommunikationsketten Quelle: Davis (1953, 45). Wie aus dem vorherrschenden Muster der „cluster chain“ hervorgeht, geben nicht alle Personen Informationen uneingeschränkt weiter. Während sich je nach Art der verbreiteten Information unterschiedliche Personen für die Weitergabe entscheiden („liaison persons“), sind andere dauerhaft isoliert („isolates“) (Davis 1953, 46). Single Strand Gossip Probability Cluster A B C D K A B C D E F G H I J K A B C E F K G D J H I J A A A A A A <?page no="233"?> 218 Planung und Optimierung Gerüchte verändern sich im Zeitverlauf. Ursache hierfür sind vor allem die informellen, persönlichen Verbreitungswege. Gerhard Maletzke (2002a, 229 f.) erklärt dies folgendermaßen: „Wie verändern sich Botschaften (Inhalte, Texte), wenn sie mündlich von Person zu Person weitergegeben werden? Dass sie sich verändern, weiß jeder, der als Kind beim Spiel ‚Stille Post‘ mitgemacht hat. Und dass auch Erwachsene sich nicht selten wie bei der ‚Stillen Post‘ verhalten, finden wir zum Beispiel beschrieben in Robert Musils ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘: ‚Die Eskadron reitet in Zweierreihen, und man lässt ‚Befehl weitersagen‘ üben (im 83. Kapitel), wobei ein leise gesprochener Befehl von Mann zu Mann weitergegeben wird; befiehlt man nun vorne: ‚Der Wachtmeister soll vorreiten‘, so kommt hinten heraus: ‚Acht Reiter sollen sofort erschossen werden‘. ‚Veränderungen von Botschaften bei der Weitergabe sind also nichts Außergewöhnliches. Menschen sind eben keine ‚Relaisstationen‘, deren Aufgabe bekanntlich darin besteht, Informationen zu empfangen, sie zu verstärken und sie dann unverändert weiter zu verbreiten.“ Bei der Weitergabe von Gerüchten lassen sich vier Grundformen von Inhaltsveränderungen identifizieren, nämlich Reduzieren („Leveling“), Hinzufügen („Adding“), Hervorheben („Sharpening“) und Anpassen („Assimilation“) (DiFonzo/ Bordia 2007, 237, Lowery/ DeFleur 1995, 221 ff.): Reduzieren: Oft werden Gerüchte bei der Weitergabe verkürzt. Weggelassen werden dabei jene Teile, die den Beteiligten unwesentlich erscheinen. Man konzentriert sich auf das Wesentliche. Dadurch können Gerüchte besser behalten und leichter weitergegeben werden. Dieses Phänomen tritt vor allem in Situationen mit eher geringer Unsicherheit auf. Hinzufügen: In Situationen von großer Bedeutung aber auch großer Unsicherheit (z. B. Katastrophen), werden Gerüchte dagegen durch Hinzufügungen vergrößert. Inhalte werden nicht nur einfach weitergegeben, sondern auch diskutiert und um neue Details erweitert. Hervorheben: Häufig werden bestimmte Details eines Gerüchtes besonders hervorgehoben oder sogar übertrieben. Diese Einzelheiten bilden bei der Weitergabe den Kern der Botschaft. Dabei sind zwei Formen zu unterscheiden: Hervorheben durch Auswahl („selection“) und Hervorheben durch Überbetonen („intensification“). Übertrieben werden beispielsweise Angaben über Zahlen und Größenordnungen: Aus zehn wird hundert, aus hundert wird tausend. Überbetont wird, was der weitergebenden Person wichtig erscheint und womit diese Person besonderen Eindruck zu machen hofft. <?page no="234"?> Kapitel 7: Kommunikationsform Gerücht 219 Anpassen: Oft passen die Beteiligten die Botschaft an ihre eigenen kognitiven Schemata, Interessen, Wertorientierungen und kulturellen Normen an. Dabei wird verkürzt, hinzugefügt und hervorgehoben. In unserem Kulturkreis werden des Öfteren glaubwürdige Quellen erfunden. Beispielsweise behaupten Personen, die Gerüchte verbreiten, sie hätten ihre Informationen aus der Presse, dem Radio oder dem Fernsehen erfahren. Abschließend darf dieser Hinweis von Gerhard Maletzke (2002a, 230) nicht fehlen: „Keineswegs immer werden mündlich weitergegebene Botschaften verändert. Es gibt auch Fälle, ‚bei denen die Botschaft während der Weitergabe von Mensch zu Mensch sorgfältig beibehalten wird‘ (Kapferer 1997, 13).“ 3 3 L L e e i i s s t t u u n n g g e e n n u u n n d d W W i i r r k k u u n n g g e e n n Unabhängig von ihren Motiven können Gerüchte zu einer Beeinflussung bestehender Überzeugungen und Verhaltensweisen beitragen (DiFonzo/ Bordia 2007, 232). Gerüchte können dabei funktionale oder dysfunktionale Auswirkungen für Individuen, Gruppen oder Unternehmen haben. Gerüchte haben nicht zwangsläufig negative Wirkungen für eine Organisation. Ihren Erfolg und ihre schnelle Verbreitung verdanken sie auch dem Nutzen, den sie aus Sicht der an ihrer Verbreitung beteiligten Personen stiften. Kapferer (1997, 99) stellt hierzu fest: „Das Gerücht nimmt uns für sich ein, denn es bietet eine Gelegenheit, die Welt besser zu verstehen, indem es beträchtlich vereinfacht und ihr eine passende Ordnung gibt. Seine Fähigkeit, eine sehr große Zahl von Tatsachen in einem einzigen erklärenden Szenario zu vereinen, ist ein wesentlicher Faktor für seine Anziehungskraft. Der menschliche Geist sucht offenbar ständig nach ausgewogenen Erklärungsschemata, die es ermöglichen, die Ereignisse in Verbindung zu bringen, die als unzusammenhängend und ungeordnet wahrgenommen werden. Unordnung, Ungewissheit oder Zufälle mögen wir nicht.“ Darüber hinaus sei mit dem Weitergeben von Gerüchten ein besonderer Nutzen für den Inhaber der Information verbunden: Er „ist den Anderen einen Schritt voraus und kennt die meisten Informationen, die den Anderen unbekannt sind und denen also größte Bedeutung zukommt“ (ebd., 69). Er geht „mit erhöhtem Ansehen aus dieser Transaktion hervor. Er erweist sich als Bewahrer eines kostbaren Wissens, als Aufklärer, und das alles verleiht seinem Bild in den Augen der Zuhörer einen schmeichelhaften Glanz“ (ebd., 27). Maletzke (2002a, 233) benennt weitere Nutzwerte von Gerüchten: „Gerüchte können eine (subjektive) Entlastung bewirken, indem sie ‚Sündenböcke‘ anbieten. Die Sündenbock-Technik ist ein ‚genialer Trick‘ des Menschen. Sie entlastet dadurch, dass sie die Miseren des eigenen Lebens und der eigenen Gesellschaft, <?page no="235"?> 220 Planung und Optimierung aber auch die eigenen ‚Sünden‘ anderen Personen oder fremden Gruppen aufbürdet und diesen die Schuld zuschreibt.“ Außerdem liefern Gerüchte auch auf einer psychologischen Ebene einen Nutzwert: „So bieten sie den prickelnden Reiz des Ungewöhnlichen, des Seltenen, Ausgefallenen, Besonderen“ (ebd.). Neben den funktionalen sind gerade in Unternehmen auch dysfunktionale Effekte von Gerüchten möglich. Hierzu zählen Gerüchte über bislang nicht diskutierte Umstrukturierungen, über Unternehmensverlagerungen oder geplantes Outsourcing oder auch Gerüchte über die Ambitionen einzelner Führungspersonen. Für Organisationen aller Art und insbesondere für Unternehmen können sich Gerüchte und ihre unkontrollierte Verbreitung zur ernsthaften Bedrohung entwickeln. Sie können Unternehmens- und Markenimages beschädigen, die Glaubwürdigkeit untergraben, Boykotte auslösen, die Arbeitsmoral der Mitarbeiter schwächen und die Finanzmärkte negativ beeinflussen (DiFonzo/ Bordia 2007 , 232 f., Schindler 2005, Kimme l 2004, 4). Die Gerüchteküche ist also ein natürlicher Bestandteil des Kommunikationssystems eines Unternehmens, dem bestimmte Leistungen zuzuschreiben sind: ! Sie durchzieht die Organisationsstrukturen ohne Barrieren. Sie folgt nicht notwendigerweise den vorgegebenen Wegen, findet Bypässe und Umwege. ! Sie ist schneller und meist auch direkter als alle formellen Kommunikationsprozesse und sie transportiert in der Regel auch nützliche Informationen. ! Sie vermittelt den Menschen das Gefühl zu wissen, was wirklich geschieht (Bedürfnis nach Sicherheit und Information). ! Sie fungiert als Warnsystem und transportiert Unzufriedenheit, Defizite oder neue Entwicklungen. ! Ihre Kommunikationswege sind weit flexibler und persönlich-direkter als die formelle Kommunikation. ! Gerüchte haben auch eine Ventilfunktion für Gefühle, Emotionen und Stress. Menschen können über ihre Arbeit sprechen und demonstrieren, dass sie einen Wert haben - als Informationslieferanten. ! Da Gerüchte meist schneller sind als die offizielle Information, können sie die Mitglieder von Organisationen auch „vorwarnen“ und vorbereiten, z. B. auf unangenehme Themen. ! Gerüchte sind ein gutes Stimmungsbarometer. ! Gerüchte können als schneller Kanal vom Management auch dazu benutzt werden, um Informationen sch nell an die Belegschaft zu verbreiten. <?page no="236"?> Kapitel 7: Kommunikationsform Gerücht 221 4 4 Z Z u u m m U U m m g g a a n n g g m m i i t t G G e e r r ü ü c c h h t t e e n n i i n n U U n n t t e e r r n n e e h h m m e e n n Gerüchte, die innerhalb einer Organisation kursieren, können ihre Leistung stark beeinträchtigen oder zu einer krisenähnlichen Situation führen. Insbesondere bei Gerüchten, die sich mit Veränderungen von Unternehmen beschäftigen, macht sich Unsicherheit unter den Mitarbeitern breit. Nicht bestätigte Informationen über Umstrukturierung oder Verkauf von Geschäftsgebieten lösen Ängste aus, die sich auf die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter auswirken. Befürchtungen können im Affekt bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Mitarbeitern reichen. Fehler in der internen Kommunikation begünstigen das Aufkommen von Gerüchten (Schick 2004, 229): ! Zahlen und Daten zur Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens werden nicht transparent genug gemacht. ! Über Entscheidungen des Top-Managements wird informiert, nicht aber über ihre Hintergründe. ! Informationen über wichtige Prozesse erfolgen in Abhängigkeit des kommunikativen Geschicks von Führungskräften und Vorgesetzten. ! Es werden abweichende Inhalte zu verschiedenen Zeitpunkten innerhalb derselben Organisation von verschiedenen Führungsmitgliedern weitergegeben. ! Mitarbeiter erhalten zu wenige Möglichkeiten, sich mit Vorgesetzten rückzukoppeln, um Verständnisprobleme zu klären. ! Es wird nicht genügend auf mögliche Wahrnehmungsprobleme geachtet, da Instrumente der Evaluation entweder zu selten eingesetzt werden oder aber versagen. Die Entstehung von Gerüchten ist nicht ortsbzw. situationsgebunden. Sie können sich auf Bürofluren genauso entwickeln wie in Kaffeeküchen oder während offizieller Geschäftsmeetings. Analysen von Tagungsgesprächen z. B. weisen darauf hin, dass die informellen Gespräche für die Teilnehmer zuweilen höheren Stellenwert haben, als der Tagungsinhalt selbst. Hierarchiefreie Räume oder die informelle Situation der Privatheit erlauben es, spekulative oder bösartige Aussagen zu treffen (Schick 2004, 230). In der Regel finden sie ihre Verbreitung über persönliche Gespräche. Aber auch Medien der internen Kommunikation wie das Intranet ebnen den Weg für <?page no="237"?> 222 Planung und Optimierung die Verbreitung von Gerüchten. Chatrooms für Mitarbeiter etwa schaffen Freiräume, in denen Behauptungen und Spekulationen ausgetauscht werden können. Unternehmen sind komplexe, soziale Organisationen. „Dort herrscht ein ständiger Interessenkonflikt. Die Gerüchte spiegeln das Geflecht der hierarchischen Verhältnisse, der Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und der individuellen Antagonismen wider. Als Nährboden unterdrückter Frustrationen ist der Arbeitsort auch ein Ort der Angst“ (Kapferer 1997, 222). Gelingt es der Organisation nicht, Gerüchte nachhaltig zu dämpfen, können sie langfristig als üblich gewordene Instrumente zur Erringung von Vorteilen oder der Durchsetzung von Interessen genutzt werden. Gerüchte können aber auch als Medium im Bereich der sog. Vorfeldkommunikation eingesetzt werden (Piwinger/ Ebert 2002). Darunter verstehen Piwinger und Ebert (2002, 1) „all das, was man vorbereitend tun kann, um die Erfolgswahrscheinlichkeit einer kommunikativen Maßnahme zu erhöhen bzw. um die Wirkungen und Folgen von kommunikativen Maßnahmen besser abschätzen zu können“. Informationen können hiernach bewusst gestreut werden, um beispielsweise die Reaktion von Mitarbeitern auf strategische Entscheidungen des Unternehmens auszuloten. Insofern könnten Gerüchte als wirkungsvolles, wenngleich höchst riskantes Mittel der Meinungsforschung bezeichnet werden. Eine weitere Funktion des Gerüchts als Medium einer Unternehmensstrategie ist die bewusste Manipulation der Meinungsbildung auf den Finanzmärkten (Schindler 2007). Gerüchte werden aufgrund der kurzen Reaktionszeiten gehandelt wie harte Fakten und gehören gleichsam zum Inventar der Finanzkommunikation. Gerüchten in der Finanzwelt wird so viel Aufmerksamkeit zuteil, dass z. B. Fachzeitschriften wie der „Effektenspiegel“ aktuelle und unbestätigte Markt- und Finanzinformationen in der Rubrik Börsengerüchte veröffentlichen. Wie können Gerüchte in ihre Schranken verwiesen werden? Das Bekämpfen von Gerüchten in Unternehmen setzt das Aufdecken von Informationslücken voraus. Daher ist es empfehlenswert, in der internen Kommunikation fortwährend Feedbackinstrumente, wie projektbezogene Hotlines, Beobachtung von Intranetforen oder aktuelle FAQ-Datenbanken (FAQ = Frequently Asked Questions) mit den wichtigsten Fragen zum Unternehmen, seiner Strategie und seinen Herausforderungen als Sensoren einzusetzen. Als einfaches und sinnvolles Instrument wird der offene Dialog gehandelt, der Vertrauen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern festigen und so auch möglichen Gerüchten den Nährboden entziehen soll. Auf diese Weise lassen sich sehr schnell Meinungslagen an der Basis feststellen, die Aufschlüsse über die allgemeine Stimmung wiedergeben. Besprechungen im Abteilungskreis bringen Themen auf die Agenda, die Mitarbeiter beschäftigen und Raum für Feedback geben (Schick 2004, 234). <?page no="238"?> Kapitel 7: Kommunikationsform Gerücht 223 Trotz der zunehmenden Professionalisierung in der internen Kommunikation neigen Unternehmen nach wie vor zu hoher Transparenz in guten Zeiten, aber zu verhaltener Kommunikation in schwierigen Phasen des Geschäfts. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten begünstigen Informationslücken unter den Mitarbeitern und Führungskräften aber das Entstehen von Gerüchten. Der kontinuierliche Kommunikationsfluss ist daher eine wichtige Voraussetzung für Präventivmaßnahmen. Dementis auf vorausgegangene Gerüchte werden als die wirkungsloseste Form der Reaktion eines Unternehmens beschrieben (Kapferer 1997, 286). Gerhard Maletzke (2002a, 231 f.) stellt dazu fest: „Das Dementi gilt als wichtiges Mittel, um ein unliebsames Gerücht zu bekämpfen. Die Betroffenen erklären offiziell und meist auch öffentlich: Diese Botschaft ist falsch; sie stimmt nicht. Über das Für und Wider von Dementis ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Wir müssen uns hier mi t einigen ku rze n Hinw ei s e n be gn üge n. Dementis kommen fast immer ‚zu spät‘. In aller Regel sind sie Reaktionen, die erst stattfinden, wenn das Gerücht bereits umläuft, wenn es also schon etlichen Personen bekannt ist. Das Dementi ist dann nicht viel mehr als der Versuch einer Schadensbegrenzung. Dementis sind für die angezielten Empfänger meist wenig attraktiv. ‚Ein Dementi ist eine kalte, beinahe defätistische Information. Es lähmt die Phantasie und stößt uns in die banale Alltagswelt zurück‘ (Kapferer 1997, 286). Kapferer nennt das Dementi ‚eine gefährliche Kunst‘. Er meint damit dies: Ein Dementi erreicht nicht nur diejenigen, die die Botschaft des Gerüchts schon kennen, sondern auch zahlreiche andere, zu denen das Gerücht bis dahin noch nicht gedrungen ist. Da nun aber das Dementi sagen muss, worum es in dem fraglichen Gerücht geht, trägt es dazu bei, das Gerücht noch weiter zu verbreiten. Da klingt es fast schon etwas hilflos, wenn Kapferer rät: ‚Deshalb empfiehlt es sich, bei einem Dementi, das im Fernsehen übertragen werden soll, nicht das Gerücht zu wiederholen‘ (Kapferer 1997, 290). Zu erinnern ist hier auch an die alte Erfahrung, dass Personen, die sich bereits die Botschaft eines Gerüchtes zu eigen gemacht haben, nicht selten das Wort ‚nicht‘ des Dementis schlicht überhören; das Dementi kommt dann als Bestätigung an - ein Vorgang, der uns aus Festingers Lehre vom Vermeiden von kognitiver Dissonanz und vom Suchen nach kognitiver Konsonanz durchaus bekannt ist.“ Statt platter Dementis kann auch das ganze Arsenal der PR-Instrumente eingesetzt werden, um die Glaubwürdigkeit des Unternehmens zu stabilisieren und das Verständnis für das marktorientierte Handeln zu erhöhen (Kimmel 2004, 132). Im Folgenden werden einige Möglichkeiten der Reaktion genannt (Piwinger 2004, 268 ff.): <?page no="239"?> 224 Planung und Optimierung ! Bestreiten des Sachverhalts/ Beteuern der Unschuld: Diese Art der Reaktion ist zwar üblich, aber meist wenig hilfreich, da Dementis bereits erwartet und nicht notwendigerweise auch geglaubt werden. ! Nicht reagieren/ Ruhe bewahren: Wenn die Ehre einer Firma oder einzelner Mitglieder betroffen ist, gilt dieses Verhalten als beschwerlich, aber als hilfreich. Das Aussitzen eines Gerüchtes setzt auf das Vergessen der Mitarbeiter oder der allgemeinen Öffentlichkeit. ! Ablenkungen schaffen oder neue Themen besetzen: Es wird als Möglichkeit erachtet, kursierende Gerüchte als Inhalte oder Themen der Unternehmenskommunikation aufzunehmen, aber ihre Inhalte anders zu interpretieren und sie dann in Umlauf zu setzen. Man hofft, dass durch die bewusste Verzerrung von Inhalten der ursprüngliche Gehalt von Gerüchten verwässert wird. ! Entschuldigung: Entschuldigungen werden als effektive Form gesehen, Gerüchten mit wahrheitsgemäßen Inhalten zu begegnen. ! Bestreiten von Verantwortlichkeiten: Das Abstreiten von Verantwortlichkeiten soll bekräftigen, dass Vorwürfe zwar geteilt werden, aber nicht dem Verantwortungsbereich des Betroffenen zuzuordnen sind. Dennoch besteht die Gefahr, dass der Vorverurteilte für anteilig schuldig oder unzuverlässig gehalten wird. ! Lächerlich machen: Bewusste Übertreibungen oder Zuspitzungen eines aufkommenden Gerüchte-Themas können zu seiner Entkräftung beitragen. ! Stigmatisierung: Die Stigmatisierung wird als Mittel erkannt, durch das Gruppen, unter denen Gerüchte kursieren, öffentlich als unglaubwürdig dargestellt werden sollen. „Da niemand ein Interesse hat, mit ‚solchen Leuten‘ in Verbindung gebracht zu werden, lässt man lieber die Finger davon“ (Piwinger 2004, 270). ! Alles mitteilen: Eine Methode, die Kapferer (1997) empfiehlt, ist das Prinzip, Informationen für die Allgemeinheit verfügbar zu machen. Gerüchte dieses Thema betreffend haben plötzlich keinen Wert mehr und werden deshalb eingedämmt. Alles in allem gilt: Nur durch frühzeitige und offensive Kommunikation können Unternehmen das Heft des Handelns in der Hand behalten. Die Schnelligkeit und Offenheit der Unternehmenskommunikation entscheidet über das Ausmaß und die Glaubwürdigkeit von Gerüchten bei Mitarbeitern und anderen Personengruppen. Die meisten Gerüchte leben von den Defiziten der „offiziellen“ Kommunikationswege. Gerüchte kann man am besten eindämmen durch offensive, rechtzeitige, kontinuierliche und glaubwürdige Kommunikation. <?page no="240"?> Kapitel 7: Kommunikationsform Gerücht 225 ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Gerüchte sind unbestätigte Behauptungen über ungewisse Ereignisse, die zur Überwindung von Unsicherheit und Ungewissheit beitragen sollen. ! Gerüchte werden aus verschiedenen Emotionen genährt - aus Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen, aber auch Ängsten, Furcht, Neid, Hass oder anderen Gefühlen. ! Das Gerücht hat eine eigene Lebensgeschichte. Es folgt einem Zyklus aus Entstehung, Verbreitung und Beendigung. ! Die Inhalte der Gerüchte ändern sich in der mündlichen Weitergabe. Reduzieren, Hinzufügen, Hervorheben und Anpassen sind Grundmechanismen der Veränderung. ! Der Reiz von Gerüchten liegt nicht in der Frage, ob die Information richtig oder falsch ist, sondern im Empfangen und Weitergeben von außergewöhnlichen Botschaften. ! Gerüchte haben einen Nutzwert eigener Art: Wer über Gerüchte verfügt, glänzt in der Rolle des Informierten sowie des Mehr- und Besserwissenden. ! Gerüchte fungieren als Warnsysteme und transportieren Unzufriedenheit ebenso wie Wünsche und Träume. Sie erhalten besondere Schwungkräfte, wenn die vorhandenen Kommunikationswege Schwächen zeigen. ! Gerüchte können funktionale, aber auch dysfunktionale Wirkungen für Individuen, Gruppen oder Unternehmen haben. <?page no="241"?> 226 Planung und Optimierung ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s DiFonzo, Nicholas/ Bordia, Prashant (2007): Rumor Psychology. Social and organizational approaches. Washington: American Psychological Association. Das theoretisch und empirisch fundierte Buch liefert einen kompletten Überblick über den Stand der Gerüchteforschung. Untersucht werden u. a. Inhalte, Entstehungssituationen und Funktionen von Gerüchten sowie ihre Verbreitung. Fine, Gary Alan/ Campion-Vincent, Véronique/ Heath, Chip (Hrsg.) (2005): Rumor Mills. The Social Impact of Rumor and Legend. Somerset: Aldine Transaction. Der Sammelband vereint Beiträge aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Soziologie, Psychologie, Geschichts-, Politik- und Literaturwissenschaft. Behandelt werden die Rolle von Gerüchten bei der Entstehung von Konflikten, die Verbreitung von Gerüchten und die Reaktionen unterschiedlicher Publika auf Gerüchte. Kimmel, Allan J. (2004): Rumors and Rumor Control. A Manager’s Guide to Understanding and Combatting Rumors. Mawah: Lawrence Erlbaum Associates. Das Buch bietet sowohl einen theoretischen als auch einen praktischen Zugang zum Thema Gerüchte. Einerseits werden Ansätze aus Marketing, Kommunikations- und Verhaltenswissenschaft herangezogen, um die Entstehung und Verbreitung von Gerüchten im Informationszeitalter zu erklären. Andererseits werden Managern konkrete Strategien zur Verhinderung und Bekämpfung von Gerüchten vermittelt. Scheele, Michael (2006): Das jüngste Gerücht. Wie Gerüchte entstehen - warum wir sie glauben und verbreiten - welchen Schaden sie anrichten - wie man sich wehren kann. Heidelberg: mvg Verlag. Anhand zahlreicher, gut recherchierter Beispiele zeichnet der Autor nach, wie Gerüchte entstehen und wie man sich erfolgreich gegen Gerüchte wehren kann. <?page no="242"?> Kapitel 7: Kommunikationsform Gerücht 227 Wehling, Pamela (2007): Kommunikation in Organisationen. Das Gerücht im organisationalen Wandlungsprozess. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Das Werk thematisiert die Rolle und Funktion von Gerüchten im Kontext organisationaler Wandlungsprozesse. Das Gerücht wird dabei als Bewältigungsstrategie im Reorganisationsprozess präsentiert. Die theoretischen Überlegungen werden an einem Fallbeispiel überprüft. <?page no="244"?> K K a a p p i i t t e e l l 8 8 : : M M a a n n a a g g e e m m e e n n t t v v o o n n C C o o n n t t e e n n t t Content gilt als neue Währung der Unternehmenskommunikation. Denn: die Menschen sind immer schwieriger zu erreichen. Ihre Ansprüche an die Kommunikationsangebote steigen. Aus früher passiven Adressaten von Kommunikationsmaßnahmen werden Kommunikationspartner, die gehört werden wollen, sich häufig gerne austauschen und „auf Augenhöhe“ informiert werden wollen. Sie treffen auf ein überbordendes Kommunikationsangebot, das ihren Erwartungen und Wünschen oft nicht entspricht. Sowohl die bunt-überzeichnete Konsumwelt, die die Werbebotschaften vorgeben, als auch die Öffentlichkeit, die Journalisten konstruieren, gehen immer häufiger an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei. „Kein Zweifel, Marketing steckt in einer tiefen Krise. Die ‚guten‘ Zeiten, als mit klassischer Werbung noch Dinge bewegt vulgo Käufer gewonnen wurden, sind vorbei. Marketiers, immer stolz wie Bolle, ‚im Gegensatz zur PR‘ messbare Erfolge abliefern zu können, werden schweigsam. Rückläufige Reichweiten traditioneller (Print-)Plattformen für Werbetreibende, fragmentierte Kanäle, andere Rezeptionsverhalten bescheren eine Sinnkrise.“ Mit dieser schonungslosen Bilanz rüttelt Thomas Mickeleit (2014), Director of Communications und Mitglied der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland die Kommunikationsbranche auf. Es ist keineswegs so, dass alle Wirtschaftsthemen, die in den Medien auftauchen, die Menschen auch tatsächlich erreichen bzw. interessieren. Gleichzeitig sind auch und gerade Themen, die eben nicht in den Medien behandelt werden, für die Menschen wichtig - und können für die Unternehmenskommunikation höchst relevant sein. Kapitel 8 stellt Perspektiven und „Zugänge“ zu Inhalten, das sog. Content Management, vor und analysiert Prozesse, Anforderungen und Perspektiven. Themenbezugspunkte, die sog. Touchpoints, als Ansatz für das Themen- Management in der Unternehmenskommunikation, werden ebenso analysiert wie Erzählstile, Formen und Formate der Unternehmenskommunikation. <?page no="245"?> 230 Planung und Optimierung 1 1 C C o o n n t t e e n n t t i i s s k k i i n n g g - - e e i i n n S S l l o o g g a a n n w w i i r r d d W W i i r r k k l l i i c c h h k k e e i i t t Über Massenmedien zu kommunizieren, reicht den Unternehmen längst nicht mehr. Sie suchen neue Wege zu den Stakeholdern. Dabei gilt es, Abschied zu nehmen von Kommunikationskonzepten, die auf Verkündigung setzen, in Monologen denken und letztlich als Einbahnstraße konzipiert sind - für Zielgruppen, deren Themeninteressen, Problemwahrnehmungen und aktuelle Befindlichkeiten kaum bekannt sind, und zu Themen, die nur vom Unternehmen her gedacht sind. Die meisten Unternehmenskommunikatoren haben dies erkannt (Mast/ Spachmann/ Georg 2014, Mast 2013a), wenngleich die Umsetzung oftmals noch schwerfällt. Für Unternehmen und ihre Kommunikationsabteilungen sind viele Stakeholder häufig weitgehend „unbekannte Wesen“, über deren Interessen und Befindlichkeiten sie nur wenig wissen. Dies gilt manchmal selbst für Kunden. Denn jenseits der speziellen Instrumente des Marketings und der Marktforschung wie beispielsweise Imageanalysen fehlen Kommunikationstools, die Einstellungen und Interessen der Stakeholder breit scannen und in die Tiefe analysieren. Im Marketing verbreitet sich das sog. Content Marketing (Steinbach/ Krisch/ Harguth 2015, Löffler 2014) als neuer Trend, das die Rolle der kommunizierten Inhalte in den Mittelpunkt rückt. „Es ist also vor allem das späte Eingeständnis, dass die Beballerung der Opfer mit komplett sinnfreiem Marketing-Sprech nicht funktioniert - selbst, wenn man zwei Drittel der Gesamt-Kommunikationsbudgets darauf verwendet. Milliarden verbrannte Euro klagen an. Das Scheitern ist die Geburtsstunde von ‚Content Marketing‘“, so Mickeleit (2014). Content (Eck/ Eichmeier 2014, 15 ff.) gilt als die neue Zauberformel in der strategischen Kommunikation, mit der Unternehmen die Aufmerksamkeit ihrer Stakeholder gewinnen bzw. halten wollen. Allerdings ist der Begriff Content für sich genommen zunächst noch vollkommen unbestimmt. Denn: In der strategischen Kommunikation sind Inhalte nur dann Erfolg versprechend, wenn sie von den Menschen wahrgenommen und - vor allem - aufgenommen werden. Dies gelingt etwa mit aus Sicht der Stakeholder nützlichen Inhalten, die ihnen helfen, ihren Alltag zu organisieren und sich zu orientieren, meist besser als mit werblichen Selbstdarstellungen und Präsentationen des Unternehmens und seiner Produkte (Mast/ Spachmann/ Georg 2014, Mast 2013a). Content Marketing ist ! eine Antwort auf den Medienwandel (klassische Medien verlieren an Bedeutung) und die veränderte Mediennutzung (Individualisierung), <?page no="246"?> Kapitel 8: Management von Content 231 ! eine Konsequenz aus den Glaubwürdigkeitsproblemen der Werbung, denn es geht um Aufmerksamkeit sowie ! eine Annäherung des Marketings an die PR und deren journalistisch geprägten Zugang zu Themen. „Content marketing is a marketing technique of creating and distributing relevant and valuable content to attract, acquire and engage a clearly defined and understood target audience - with the objective of driving profitable customer action“(Content Marketing Institute o. J.). Auch wenn sich das Marketing mit seiner taktischen neuen Spielart des Content Marketings an die PR annähert, gibt es zentrale Unterschiede zwischen Content Marketing und Content Management (Schaubild 45). Eine grundlegende Unterscheidung liegt in der strategischen Verankerung des Content Managements in der übergreifenden Unternehmenskommunikation und dem Ziel, langfristige Beziehungen, Vertrauen und Reputation aufzubauen und zu pflegen. Im Gegensatz dazu, konzentriert sich das Content Marketing auf unterschiedliche Kundenansprachen, um unmittelbar gewinnbringende Handlungen für das Unternehmen (meist kurzfristig) zu initiieren. Natürlich bringt auch Content Management mit seiner langfristigen Orientierung durch eine verbesserte Beziehungsqualität monetäre Vorteile mit sich. Diese Effekte lassen sich aber häufig nicht kurzfristig feststellen oder gar messen. Das Ziel der Beziehungsqualität ist auch nicht nur bei einzelnen Stakeholdern (z. B. Kunden) festzustellen, sondern bezieht sich auf Menschen in ihren unterschiedlichen Rollen. Content Management basiert auf einem differenzierteren Stakeholderverständnis. Content Marketing beschränkt sich hingegen auf Menschen in ihrer Rolle als Kunde. Auch in Bezug auf das Kommunikationsverständnis unterscheiden sich die beiden Ansätze: Das Content Management wird geprägt von Beziehungen zwischen den Kommunikationspartnern sowie einem wechselseitigen und dialogorientierten Austausch. Eine instrumentelle Perspektive auf Kommunikation hingegen dominiert das Content Marketing. <?page no="247"?> 232 Planung und Optimierung Schaubild 45: Unterschiedliche Perspektiven auf Inhalte Quelle: eigene Darstellung. Das Schlagwort „Content is king“ gilt eben keineswegs generell - es kommt vor allem auf die Art und den Blickwinkel der Inhalte sowie deren Gestaltung an. Entscheidend für den Erfolg von Unternehmenskommunikation ist nicht nur, was die Unternehmen den Menschen sagen, sondern auch, in welcher Situation sie dies tun und mit welcher Perspektive sie die Menschen ansprechen. Wenn die Stakeholder-Orientierung Wirklichkeit werden soll, muss die Aufmerksamkeit der Menschen mit passgenauen Themenausschnitten und -präsentationen erreicht werden. Entscheidend sind die sog. Touchpoints zu den Themen - das heißt die Bezugspunkte, an denen die Menschen mit einem Thema in Berührung kommen und die ihre Problemwahrnehmung prägen. Touchpoints entscheiden, ob die Menschen sich den präsentierten Themen überhaupt zuwenden - und was die Kommunikation dann bewirkt. Der Begriff Touchpoints kommt aus dem Marketing und wird - darüber hinausgehend - nun für den gesamten Bereich der Unternehmenskommunikation verwendet. Content Marketing Content Management … eine Marketing-Technik, die mit informierenden, beratenden und unterhaltenden Inhalten Zielgruppen anspricht, um sie als Kunden zu gewinnen oder zu halten. Ziel ist, von den Menschen als Kunden gewinnbringende Handlungen zu erhalten. … will langfristige Beziehungen, Vertrauen und Reputation aufbauen und pflegen. Diese Beziehungen machen es möglich, Ideen für neue Produkte und unmittelbares Feedback zur Qualität von Leistungen und Produkten zu erhalten. Die Qualität dieser Beziehungen bringt am Ende auch mehr Umsatz und Gewinn für das Unternehmen. Menschenbild Kunde Kommunikationsverständnis „Instrument“ Menschen in verschiedenen Rollen Beziehungen, Austausch, Dialogfähigkeit <?page no="248"?> Kapitel 8: Management von Content 233 1 1 . . 1 1 G G r r u u n n d d e e l l e e m m e e n n t t e e d d e e s s C C o o n n t t e e n n t t M M a a n n a a g g e e m m e e n n t t s s In der strategischen Auseinandersetzung mit dem Content Management werden fünf analytische Dimensionen (Schaubild 46) unterschieden. Diese betreffen zunächst die Auswahl der inhaltlichen Anknüpfungspunkte. In Bezug auf die Themenauswahl spielen insbesondere die Touchpoints eine entscheidende Rolle. Aus der Stakeholderperspektive müssen Themen an die Lebenswirklichkeit anknüpfen, die aktuelle Befindlichkeit der Menschen berücksichtigen und ihnen in konkreten Situationen einen Mehrwert bieten. Medienmonitoring und Befragungen unter Mitarbeitern und Stakeholdern sind geeignete Instrumente, um relevante Touchpoints und die dazu passenden Themen aufzuspüren (Schach 2015, 74). In einem nächsten Schritt gilt es, die Themen zu interpretieren und zu bewerten, um dem Publikum mit einem Deutungsrahmen Orientierung zu liefern und auf diesem Weg sowohl die Wahrnehmung als auch die Themenverarbeitung zu lenken. Dieses „framing“ ist entscheidend und beeinflusst die Wahrnehmungschancen eines Themas enorm. Das Einbetten der Themen in eine Situation und den dazugehörigen Kontext geschieht mithilfe unterschiedlicher Formate und Kommunikationsmodi. Hier geht es in erster Linie darum, dass der Kontext eines Kommunikationsvorganges vorbereitet wird und die Befindlichkeit der Stakeholder in ausgewählten Situationen auch besser abgeschätzt werden kann. Das heißt: das jeweilige Kommunikationsangebot wird stakeholderorientiert positioniert - im Wettbewerb der anderen Offerten. Nur so können die aktuellen Bedürfnisse, Wünsche und Verhaltensweise einer Bezugsgruppe mit passenden Kommunikationsangeboten angesprochen werden. Format Unter einem Format versteht man eine gemeinsame, strategisch festgelegte Grundstruktur, auf die jede einzelne Episode bzw. Ausgabe eines medialen Angebots prinzipiell aufbaut. Formaten gehen strategische Entscheidungen und konzeptionelle Überlegungen zu Platzierung, Umfang und Aufmachung von medialen Inhalten vor. Framing Unter Framing versteht man ein immer wiederkehrendes Deutungsmuster, eine Art Interpretationsrahmen, der die persönliche Wahrnehmung und Themenverarbeitung des Publikums in bestimmte Richtungen lenkt. Der sog. Framing-Ansatz geht davon aus, dass die Medien Themen mit sol- <?page no="249"?> 234 Planung und Optimierung chen Frames versehen, um damit bestimmte Strukturierungs- und Interpretationsleistungen beim Publikum zu erzielen. Klassische Frames sind z. B. Konflikt, Moral, Fortschritt oder Wirtschaft. Nachdem Form und Inhalt bewusst gestaltet werden, werden Dramaturgie und Inszenierung im Zusammenhang mit der Formulierung einer Story wichtig. Die Vermittlung von Content lässt sich oftmals durch die Prinzipien des Storytellings anreichern und orientiert sich so noch einmal mehr an der Lebenswirklichkeit der Menschen. Denn als wichtig erachtete Ereignisse werden der narrativen Psychologie zufolge als Geschichten strukturiert und weitererzählt (Littek 2011, 14). Abschließend kann eine geeignete multisensorische Aufbereitung bzw. Anreicherung der Inhalte durch Worte, Bilder, Musik oder Clips berücksichtigt werden. Ob Sound Bites oder andere Signale, wirkungsvolles Content Management wählt die Impulse und die „tipping points“ bewusst aus, um die Wahrnehmungsschwelle der Stakeholder zu überspringen. Schaubild 46: Analytische Dimensionen des Content Managements Quelle: eigene Darstellung. Das strategische Konzept des Content Managements geht von Touchpoints und Themen als Dimensionen aus, an denen sich Unternehmenskommunikation ausrichten kann. Dies ist ein neuer Ansatz (Mast/ Spachmann/ Georg 2014), der von drei grundlegenden Berührungspunkten der Menschen mit Unternehmensthemen (Touchpoints) ausgeht: ! Zum einen kommen die Menschen in den Medien mit Themen aus Wirtschaft und Unternehmen in Berührung (Medienthemen). Entscheidend ist hier das Interesse der Bezugsgruppen, das sie einzelnen Themen entgegenbringen. Auswahl der inhaltlichen Anknüpfungspunkte Touchpoints Themenperspektiven Festlegung einer vorteilhaften Interpretation/ Bewertung Framing Deutungsrahmen Gestalten des Kontextes und der Situation Formate/ Modi Form und Inhalt Formulierung einer Story Storytelling Dramaturgie/ Inszenierung Verwendung von Impulsen Sound bites Worte, Bilder, kurze Auszüge/ Clips <?page no="250"?> Kapitel 8: Management von Content 235 ! Zum anderen können Menschen in speziellen Problemsituationen von Themen aus den Unternehmen direkt betroffen sein. Dabei kommt es auf das Ausmaß an, mit dem ein Problem den Einzelnen beschäftigt. Hier kann es sich um Situationen im Alltag handeln - dann sind die Menschen etwa als Arbeitnehmer, Konsument oder Sparer mit Herausforderungen konfrontiert, in denen sie selbst handeln (individuelle Probleme). ! Die ökonomischen Problemsituationen können aber auch Gruppen oder das ganze Land betreffen. In diesem Fall sind kollektive, also politische und/ oder gesellschaftliche Problemlösungen gefragt (allgemeine Probleme). Dieser Touchpoint repräsentiert die - auch gefühlte - soziale Relevanz von Themen aus Wirtschaft und Unternehmen und zeigt, welche gesellschaftsorientierten Probleme die Menschen im Zusammenhang mit Unternehmen überhaupt wahrnehmen. Die Touchpoints beziehen sich also einerseits auf die Medienöffentlichkeiten (Berichterstattung in klassischen Medien wie auch im Netz). Die Menschen greifen hier auf eine vorgegebene Themenagenda zu, aus der sie auswählen - und die sie aber auch ignorieren können. Andererseits sind es auch individuelle und gesellschaftliche Probleme, die solche Touchpoints prägen. In diesem Fall fühlen sich die Menschen direkt betroffen und bestimmen ihre eigene Themenagenda auf ihre höchst individuelle Weise. Natürlich können sie sich auch aus den Medienöffentlichkeiten über diese Themen informieren. Voraussetzung ist allerdings, dass Journalisten, Blogger u. a. solche Aspekte (angemessen) aufgreifen. Hinzu kommt: Die Menschen kommunizieren auch mit ihrem persönlichen Umfeld - und sie können sich via soziale Medien zu diesen Problemen mit anderen austauschen und vernetzen. Wie können nun die Themen und Touchpoints systematisiert werden? In einer Langzeitstudie (Mast/ Spachmann/ Georg 2014, Mast 2012a) wurden in repräsentativen Umfragen die Menschen − offen, ohne Antwortvorgaben − zu Themeninteressen und Problemwahrnehmungen gefragt. Ihre Antworten und Kommentare wurden zu sechs übergeordneten Themenbereichen und einem Modell verdichtet (Schaubild 47). Diese Themendimensionen bilden die verschiedenen Schauplätze der Unternehmenskommunikation und ihre Verbindungen zu Politik, Gesellschaft und der Lebenswirklichkeit der Menschen ab. Mit der Unterscheidung von Themen und Touchpoints können − detaillierter als mit bisherigen Mess- und Analysekonzepten − folgende Fragen untersucht werden: Welche Zugänge zur Welt der Wirtschaft und der Unternehmen haben die Menschen? Wie stark sind sie von einzelnen öko- <?page no="251"?> 236 Planung und Optimierung nomischen Themen betroffen? Wie nehmen sie ihr gesellschaftliches Umfeld wahr? Schaubild 47: Touchpoints für Themen: Was die Menschen an Wirtschaft und Unternehmen interessiert Quelle: eigene Darstellung. Übertragen auf die Gestaltung der Unternehmenskommunikation - insbesondere das Themen-Management - bedeutet dies: Es reicht nicht aus, nur die relevanten Themen zu identifizieren. Um erfolgreich zu kommunizieren, gilt es, die Themen-Touchpoints aus der Perspektive der jeweiligen Stakeholder zu berücksichtigen. Denn je nach Blickwinkel kommt einem Thema in den Köpfen der Stakeholder ganz unterschiedliche Bedeutung zu - und diese kann sich je nach Situation und aktuellen Debatten in der Öffentlichkeit ändern. Wie ändert sich die Art und Weise von Veröffentlichungen für Unternehmen? Unabhängig von der jeweiligen Praxis der Veröffentlichungen − künftig wird die aktive Themenplanung und -produktion enorm wichtig (Schaubild 48). Die Aufbereitung von Inhalten orientierte sich bisher vorrangig an den sog. W-Fragen. Pressemitteilungen und Beiträge in eigenen Medien sollten zumindest diese fünf Fragen beantworten. Auch künftig stellt das Berichten und Informieren über Ereignisse und Veränderungen im Unternehmen einen Teil des Content Managements dar. Das sind letztlich Publikationen nach dem Motto: „Das fand bei uns statt. Das hat sich bei uns ereignet. Das hat sich verändert.“ Ergänzt wird diese klassische Perspektive der Medienarbeit nun jedoch durch eine aktive Themenplanung und -produktion. Interesse an aktueller Wirtschaftsberichterstattung Allgemeine Wahrnehmung von Wirtschaftsproblemen in Deutschland Individuelle Wahrnehmung von Wirtschaftsproblemen des Einzelnen Wie die Menschen in die Wirtschaft eingebunden sind Wie die Wirtschaft und ihre Branchen dastehen Vor welchen Herausforderungen die Wirtschaft steht Was die Wirtschaft für die Menschen leistet Wofür die Politik zuständig ist Wie sich die Wirtschaft auf das Zusammenleben auswirkt <?page no="252"?> Kapitel 8: Management von Content 237 Übergeordnete Ziele bilden jetzt die Basis des Content Managements, das sich an den anvisierten Bezugsgruppen orientiert und dabei strategische Aspekte − d. h. die Wahl des Deutungsrahmens (Framing), die Einbettung in einen Kontext, die Wahl eines geeigneten Formats und Kommunikationsmodus − ebenso berücksichtigt wie die narrative Inszenierung des Themas mit seiner dazugehörigen Dramaturgie. Dabei werden die identifizierten Themen für crossmediale Prozesse aufbereitet, um sie aufeinander abgestimmt über unterschiedliche Medien veröffentlichen zu können. Unternehmen bauen so ganze Medienhäuser auf, um in den Medienfluten „gehört“, d. h. wahrgenommen zu werden. Es geht um Aufmerksamkeit für Unternehmensmarken, für Unternehmenswerte oder einzelne Botschaften. Schaubild 48: Wandel des strategischen Content Managements Quelle: eigene Darstellung. Sowohl interne als auch externe Medien eignen sich für das Content Management. Die Streuung der Inhalte in unterschiedlichen Medien sollte im Vorfeld zeitlich aufeinander abgestimmt werden. Strategische Überlegungen betreffen auch die Suche nach geeigneten Kooperationspartnern bzw. nach sog. Content- Kooperationen. Sie ermöglichen eine Veröffentlichung der Unternehmensthemen in einem passenden redaktionellen Umfeld. Content-Curation beschreibt das Einbinden fremder Inhalte (Eck/ Eichmeier 2014, 178 ff.). Diese werden gesammelt und z. B. in Form von Infografiken oder Listicles aufbereitet. Solche inhaltlichen Aufbereitungsformen spielen eine immer größere Rolle bei der Bisher … Künftig… Veröffentlichungen über E reignisse, Veränderungen u. a. ! Warum? ! Wie? ! Was? ! Wo? ! Wer? Aktive T hemenplanung und -produktion ! Ziele, Zielgruppen ! Strategische Überlegungen: Framing, Context, Format, Modus ! Dramaturgie/ Inszenierung Klassische Medien, „eigene“ Medien Crossmedia-Prozesse Content-Kooperationen Content-Curation Zeitplanung Nutzung aller Medien (intern/ extern) <?page no="253"?> 238 Planung und Optimierung Contentvermittlung. Denn sie bieten wertvolle Hinweise für die Stakeholder und verstärken das Image des Unternehmens als kompetenter Partner in den Medienfluten. 1 1 . . 2 2 A A n n f f o o r r d d e e r r u u n n g g s s d d i i m m e e n n s s i i o o n n e e n n f f ü ü r r I I n n h h a a l l t t e e Die Inhalte − als zentrales Element des Content Managements - entsprechen grundlegenden Anforderungen und strategischen Überlegungen. Zunächst müssen die Inhalte sich auf die Unternehmensziele beziehen („alignment“): Trägt die Vermittlung eines Inhalts zur Erreichung konkreter Unternehmensziele bei oder werden Unternehmenswerte sichtbar, z. B. gesellschaftliche Verantwortung oder Innovationskraft? Neben den übergeordneten Unternehmenszielen und -werten betreffen die strategischen Überlegungen in erster Linie die Seite der Stakeholder: Haben die Inhalte für sie einen Nutzen? Was haben die Menschen davon, wenn sie ihre Zeit für die Unternehmensinformationen investieren? Inhalte müssen also einen Mehrwert für die Stakeholder haben. Und sind diese Menschen im Anschluss dann auch motiviert, über die konkreten Publikationen des Unternehmens in ihrem Umfeld zu sprechen oder sie im Netz weiterzuleiten? Auf die Contentvermittlung kann Anschlusskommunikation folgen, die die Wirkung der Unternehmenskommunikation nachhaltig verstärkt, ohne dass das Unternehmen aktiv etwas dazu beiträgt. Das übernehmen für sie z. B. Mitarbeiter, die über eine Story sprechen und so zu Unternehmensbotschaftern werden oder Kunden, die z. B. wichtige Hinweise zu Produkten an Interessierte weiterleiten. Es sollte daher je nach Inhalt abgewogen werden, ob diese Anschlusskommunikation z. B. durch die Wahl von Social Media-Kanälen begünstigt wird oder nicht. Weiterhin müssen die Inhalte in einen passenden (redaktionellen) Kontext eingebettet werden. In diesem Zusammenhang spielen auch wiederum die Touchpoints der Menschen mit bestimmten Themen eine entscheidende Rolle. Grundlegende Anforderungsdimensionen für Inhalte sind: 1. Conversation: Ist Anschlusskommunikation möglich und wird sie gefördert? 2. Alignment: Sind Storys und Publikationen inhaltlich mit den Unternehmenszielen und -werten verbunden? Verdeutlichen sie diese Orientierungsmarken? <?page no="254"?> Kapitel 8: Management von Content 239 3. Nutzen für die Stakeholder: Was haben die Menschen davon, wenn sie die Unternehmenskommunikation „genutzt“ haben? 4. Situationen: Inwiefern passen die Unternehmensveröffentlichungen in den Kontext? Passt das Gesagte zur jeweiligen Situation? Was kann mithilfe von Content Management erreicht werden? Dies sind einerseits übergeordnete Unternehmensziele wie effiziente, kostenminimierende Prozesse und Strukturen, z. B. durch abteilungsübergreifendes Zusammenarbeiten (Eck/ Eichmeier 2014, 100 ff.). Außerdem können Umsatzziele mithilfe solcher Maßnahmen verfolgt werden. Spezielle Ziele des Content Managements sind solche, die sich auf das Image bzw. die Reputation, die Beziehung, das Vertrauen und den Dialog zu den Stakeholdern oder die Themenführerschaft in den Medien beziehen. Eines ist klar: Nutzenstiftende Inhalte aus der Perspektive der Bezugsgruppen können nicht nach Schema F produziert werden. Vielmehr muss je nach identifiziertem Touchpoint analysiert werden, welche Information in dieser jeweiligen Situation einen Mehrwert bieten kann. Im Zusammenhang mit Anschlusskommunikation spielen soziale Medien eine tragende Rolle, denn sie bieten den Stakeholdern eine Plattform, um untereinander zu kommunizieren oder sich direkt mit dem Unternehmen in Verbindung zu setzen. Die Integration von Social Media Share-Buttons für Inhalte auf der unternehmenseigenen Website ermöglichen den Nutzern, diese auch innerhalb sozialer Medien zu teilen. Nicht zuletzt müssen sich die Themen in einen attraktiven kontextuellen Rahmen einfügen. In den eigenen Medien der Unternehmen sind die thematische Abstimmung der Inhalte und eine geeignete Verlinkung zwischen passenden thematischen Aspekten entscheidend. Wenn Unternehmensveröffentlichungen in einem redaktionellen Kontext erscheinen, so müssen sie dort ebenfalls hinpassen und sich möglichst nahtlos einfügen. Je nachdem, welches Thema und welcher Inhalt veröffentlicht werden soll, bieten sich hierfür unterschiedliche redaktionelle Strategien der Publikumsansprache an (Mast 2012b, 217 f., 2003, 128 ff.): ! Die Strategie der Ereignisorientierung entspricht am ehesten der klassischen sachorientierten Berichterstattung im Journalismus und eignet sich für die Vermittlung von Fakten und Veränderungen. Diese Strategie zielt darauf ab, aktuelles Wissen zu vermitteln und wird an ihrem „Neuigkeitswert“ gemessen. <?page no="255"?> 240 Planung und Optimierung ! Die wissenszentrierte Strategie kommt zum Tragen, wenn Regeln und Zusammenhänge das zentrale Element darstellen, die ein erklärendes Vermittlungsmuster erfordern. Zu einem speziellen Thema soll Hintergrundwissen vermittelt werden, das für den Menschen „wissenswert“ erscheint. ! Im Mittelpunkt der handlungszentrierten Strategie stehen Probleme und Entscheidungssituationen. Im Zusammenhang mit solchen Themen sind Menschen vor allem an Ratschlägen und Tipps interessiert. Eine Vermittlung von Handlungswissen im Sinne eines Ratgebers sollte einen „Nutzwert“ bieten. ! Bei der gefühlszentrierten Strategie geht es um Personen und sensationelle Aspekte bzw. Ereignisse. Eine narrative Aufbereitung der Inhalte in Form einer Erzählung bietet sich hier am besten an. Auch Personalisierung von Nachrichten, indem sie nicht als Fakten der Statistiken erzählt werden, sondern Personen aus ihrer Erfahrungsperspektive sprechen, kann die Gefühle der Menschen ansprechen. Im Mittelpunkt dieser Strategie stehen Emotionen und der „Gefühlswert“ einer Unternehmensstory. ! Die skandalorientierte Strategie zielt auf eine eindrucksvolle Inszenierung von Scoops und Zuspitzungen ab. Mit dem Ziel für Aufsehen und Aufregen zu sorgen, wird das Thema nach seinem „Aufmerksamkeitswert“ beurteilt. Normalerweise werden Unternehmen eher Gegenstand von einer solcher Medienberichterstattung (Mast/ Spachmann 2015, Mast 2012a). Nur wenige Unternehmen greifen selbst zu dieser Strategie und versuchen zu provozieren, denn die Gefahr von nachhaltigen Empörungswellen und entsprechenden Schäden in der Reputation ist groß. Auch das Konzept der Kommunikationsmodi eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, wie Themen und Inhalte vermittelt werden können (Lünenborg 2005, 126, 159). Diese Modi berücksichtigen ebenfalls grundsätzliche Zugänge zur Wirklichkeit und betreffen dabei konkret das „Wie“ der Vermittlung von Content. ! Der informative Kommunikationsmodus („So ist es …“) stellt vor allem Ereignisse und Tatsachen sowie die daraus resultierenden Ergebnisse in den Vordergrund. ! Der erklärende bzw. argumentative Kommunikationsmodus („Es ist so, weil …“) zeichnet sich insbesondere durch die Präsentation der Logik, der Hintergründe sowie Rahmenbedingungen und -faktoren des Ereignisses aus. ! Der bewertende Kommunikationsmodus („Es ist gut/ schlecht, dass es so ist …“) stellt vor allem Meinungen, Urteile, Wertungen und darauf aufbauend Einschätzungen bzw. Empfehlungen in den Vordergrund. ! Im narrativen Kommunikationsmodus („Erst ist dies geschehen, dann jenes …“) stehen vor allem der Verlauf des Ereignisses und die handelnden Akteure im <?page no="256"?> Kapitel 8: Management von Content 241 Vordergrund. Wer einer Geschichte zuhört und sie wahrnimmt, wird „an die Hand genommen“ - möglichst bis zur Fortsetzung der nächsten Episode oder Seriendarstellung (Dramaturgie, Inszenierung). ! Im diskursiven Kommunikationsmodus („A streitet sich mit B, ob es wirklich so ist …“) überwiegen Szenarien, in denen Interaktionen stattfinden. Aktivitäten und Äußerungen der Akteure, die innerhalb eines festgelegten Rahmens handeln, stehen im Vordergrund. Die Strategien der Publikumsansprache und die Kommunikationsmodi stellen Vermittlungsmöglichkeiten für die Inhalte der Unternehmenskommunikation dar. Trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtung und Zielsetzung schließen sie sich nicht gegenseitig aus (Mast 2012b, 219), sondern können sich häufig gut ergänzen. Beim „Wie“ der Vermittlung sollten vielmehr immer die Stakeholder und deren Interessen im Mittelpunkt stehen. Ausgangspunkt sind je nach identifiziertem Thema und Touchpoint die jeweiligen Bedürfnisse der Stakeholder, an denen sich die ausgewählte Vermittlungsstrategie messen muss. Die Strategien der Publikumsansprache und das Konzept der Kommunikationsmodi zeigen Parallelen zum Journalismus auf. Auch in Bezug auf die Inhalte - das „Was“ der Vermittlung − lassen sich Anlehnungen an die im Journalismus bekannten Nachrichtenwerte erkennen. Doch: Welche Nachrichtenwerte gelten speziell beim Content Management? Sie gehen - genau betrachtet - über die Nachrichtenwerte aus der Journalistik hinaus und konzentrieren sich allgemein auf die psychologische Ansprache der Menschen im Alltag, ihre Befindlichkeit und ihre Bedürfnisse nach Abwechslung, Neugier oder Stimmungsaufhellung. Inhalte, die für Stakeholder attraktiv sind, lassen sich also nicht nur auf ihren zentralen Nachrichten-, Nutz- oder Gefühlswert verdichten. Welche Inhalte können interessieren? Content that… 1. reminds us that life is short 2. reminds us that dreams can come true 3. gives us faith to believe for bigger things 4. reminds us that we matter 5. reminds us of the overlooked or forgotten “basics” 6. has unexpected twists 7. tells us a story 8. takes us along on a journey 9. inspires us to action <?page no="257"?> 242 Planung und Optimierung 10. makes us laugh or smile 11. makes us cry (tears of joy or sadness) 12. reveals secrets 13. surprises us 14. encourages us to never give up 15. reminds us that we are one-of-a-kind and encourages us to live that way 16. reminds us that there’s more 17. confirms our assumptions 18. challenges our assumptions 19. educates while entertaining us 20. (Content where) David defeats Goliath 21. gives us a fresh point of view even about common things Quelle: Aughtmon (2012). Im Content Management spielen ganz unterschiedliche Content-Typen eine Rolle. In der Literatur werden meist primär online-basierte Content-Typen erwähnt, zumal die Diskussion über Content Management häufig mit dem Aufkommen sozialer Medien in Zusammenhang gebracht wird (Eck/ Eichmeier 2014, Löffler 2014). Da sich Content Management als neuer Ansatz der Unternehmenskommunikation jedoch auf sämtliche Inhalte des Unternehmens bezieht, spielen auch solche Content-Arten eine Rolle, die von ganz anderen Abteilungen wie Marketing oder Vertrieb erstellt und verbreitet werden (Löffler 2014, 51 ff.): ! Zum Marketing-Content zählen Inhalte des Online-Marketings wie Banner- und Adwords-Anzeigentexte. ! Der SEO-Content betrifft die für die Search Engine Optimization (SEO) definierten Keywords und Metatexte. ! Verkaufs-Content bezieht sich auf werbliche und informative Produkttexte sowie die in Onlineshops aufrufbaren Informationen wie z. B. Materialhinweise und Herstellerinformationen. ! Unter die Kategorie des juristischen Contents fallen u. a. Impressum, AGB, Datenschutzerklärungen und Quellenangaben. ! Der Navigations-Content steht in direktem Zusammenhang mit der Website. Hierzu zählen z. B. die Navigation und damit die Benennung der Schaltflächen sowie die Bezeichnung weiterführender Verlinkungen. <?page no="258"?> Kapitel 8: Management von Content 243 ! Auch systemischer und funktionaler Content bezieht sich auf die Website oder zu den auf ihr angebotenen Funktionen. Hierunter fallen Mouse-over- Informationen, Fehlermeldungen und Prozessbeschreibungen (z. B. zu Anmeldeprozessen, Downloadvorgängen, Gewinnspielteilnahmen und Bezahlvorgängen). ! Zum Service- und Hilfe-Content zählen u. a. Erklärvideos, FAQs, Hilfe-Seiten und Kontaktformulare. ! Redaktioneller Content steht in engem Zusammenhang mit der Unternehmenskommunikation. Ratgebertexte, Interviews, Berichte und Reportagen aller Art sind Beispiele für diesen Content-Typ. ! Image-Content wie Unternehmensvideos, Firmenprofile sowie Berichte über soziales Engagement und Auszeichnungen des Unternehmens dienen dem Imageaufbau bzw. der -pflege des Unternehmens. ! Zum Engaging Content zählen Spiele, Rätsel und Umfragen, die eine Aktivierung der Stakeholder beabsichtigen. ! Social Media-Content bezieht sich auf unternehmensinitiierte Inhalte wie Blogtexte, Posts und Tweets und die den Beiträgen beigefügten Bilder und Videos. ! Geht die Initiative hingegen von den Stakeholdern aus, so ist vom User Generated-Content die Rede. Dieser Content-Typ bezieht sich auf Kommentare zu Unternehmensbeiträgen, Social Media-Posts oder Rezensionen auf Vergleichs- und Bewertungsportalen - kann aber auch bis hin zur Produktion von Videos und Fotomontagen führen, die im Zusammenhang mit einem Unternehmen stehen. 2 2 C C o o n n t t e e n n t t M M a a n n a a g g e e m m e e n n t t a a l l s s P P r r o o z z e e s s s s Die Inhalte - also Informationen, Botschaften und „Realitäten“ - sind das Kernelement von Content Management und bilden zugleich den Ausgangspunkt des Content Managementprozesses auf der Seite des Unternehmens (Schaubild 49). Nachdem die inhaltlichen Schwerpunkte definiert wurden, müssen sie in einem nächsten Schritt formal aufbereitet werden. Entscheidungen bezüglich der kontextuellen Einbettung, der Formatwahl und der Vermittlungsform sowie dem zu wählenden Kommunikationsmodus müssen getroffen werden. In Bezug auf die Vermittlung spielen auch die Inszenierung und die Dramaturgie eine entscheidende Rolle. Inhalte „in Szene zu setzen“ bedeutet, sie in Storys zu verpacken und/ oder multimedial aufzubereiten. Auch dramaturgische Überlegungen fließen hier mit ein. Dramaturgie als strukturelles Element des Story- <?page no="259"?> 244 Planung und Optimierung tellings erfüllt in Bezug auf die inhaltliche Vermittlung eine wichtige Funktion. Denn erst eine zeitlich durchdachte Vermittlungsstrategie verspricht maximale Aufmerksamkeit bei den Nutzern (Sammer 2014, 130 ff.). Die konkrete Ausgestaltung der Inhalte basiert auf den Prinzipien des Storytellings: Akteure, ihre Handlungen und aufeinander folgende Ereignisse stehen im Vordergrund. Auf die Contentproduktion und -vermittlung folgt die Nutzung. Menschen wenden sich Inhalten nur zu, wenn diese die Aufmerksamkeitsschwelle bei ihnen auch überwinden und in der jeweiligen Situation bzw. am jeweiligen Touchpoint als relevant eingestuft werden. Erst dann wird für die Unternehmen Realität, was das Motto „Content is king“ verspricht. Eine kontinuierliche Evaluation der Inhalte liefert schließlich wertvolle Erkenntnisse für den künftigen Content Managementprozess - gerade in Bezug auf die Identifikation relevanter Themen und Touchpoints, damit die Stakeholderansprache geli ng t. Schaubild 49: Content Management - der Managementprozess auf Seite des Unternehmens Quelle: eigene Darstellung. Wie kann dieser Prozess der Themenfindung und -gestaltung in der Praxis umgesetzt werden? In immer mehr - vor allem großen - Unternehmen entstehen sog. Newsrooms nach dem Vorbild der Redaktionen von Presse und Rundfunk. Ein Newsroom als Kommunikationszentrum bündelt die gesamten Kommunikationsaktivitäten des Unternehmens. Darunter fallen z. B. Kommunikationsmaßnahmen der Abteilungen PR, Online-Kommunikation, Kundenservice, Marketing und Vertrieb (Holzinger/ Sturmer 2012, 174). Sämtliche Mitarbeiter, die Kommunikationsaufgaben nachgehen, kommen im Newsroom zusammen oder arbeiten in entsprechenden Großraumbüros. Auf diese Weise nutzen Unternehmen Synergiepotenziale. Die räumliche Nähe erlaubt weiterhin schnelle Abstimmungen − gerade auch in kritischen Situationen (ebd., 182). Die Aufberei- Informationen Botschaften „Realitäten“ Context Format Form Modus Inszenierung Dramaturgie Konkretisierung Storytelling mit Akteuren, Handlungen und Abläufen N utzung Aufmerksamkeit <?page no="260"?> Kapitel 8: Management von Content 245 tung der Inhalte orientiert sich an journalistischen Arbeitsweisen und übernimmt die redaktionellen Organisationsabläufe und -routinen, wie sie z. B. in Nachrichtenagenturen oder Redaktionen stattfinden. Eine spezielle Form ist der sog. Social Media Newsroom. Als zentrale Kommunikationsplattform stellt er den Journalisten und anderen Multiplikatoren sämtliche digitale Inhalte des Unternehmens aggregiert zur Verfügung. Diese Form der Inhaltevermittlung ermöglicht die Anreicherung eigener Inhalte („owned media“) um User Generated-Content („earned media“), z. B. Produktbewertungen der Stakeholder (Eck/ Eichmeier 2014, 31 f.). Newsroom Manager übernehmen die Leitung der jeweiligen Newsrooms (Holzinger/ Sturmer 2012, 182). In ihren Verantwortungsbereich fällt das Management des gesamten Planungs- und Herstellungsprozesses von Medienprodukten. Die Aufgaben der Newsroom Manager umfassen in Anlehnung an das Redaktionsmanagement das Qualitätsmanagement, Personalmanagement, Redaktionsmarketing, Kostenmanagement und Technikmanagement (Weichler 2003, 35 ff.). Innerhalb des Newsrooms verantworten Content Strategen die Planung der Themenschwerpunkte für das gesamte Medienportfolio, das neben den Massenmedien auch soziale Medien und die eigenen Medien umfasst. Die Aufgaben des Content Managers beziehen sich auf die Identifikation geeigneter Themen zu den übergeordneten Themenschwerpunkten sowie deren inhaltliche Aufbereitung für die Media Manager, die manchmal auch Channel Manager genannt werden. Diese betreuen jeweils unterschiedliche Medienkanäle und füllen diese mit den von ihnen ausgewählten Inhalten. In ihren Verantwortungsbereich fällt auch die kanalspezifische Aufbereitung von Inhalten. Es können daher Parallelen zum redaktionellen Newsroom-Konzept aufgezeigt werden (Schaubild 50). Wie ist ein Newsroom aufgebaut? Am Newsdesk, der zentralen Steuerungseinheit des redaktionellen Newsrooms, sitzt die Chefredaktion. Die Produktionstische sind nach Inhalten bzw. Ressorts organisiert (Content Pool). Außerdem sitzen in vollintegrierten Newsrooms Redakteure je nach Zuständigkeit für die unterschiedlichen Verbreitungskanäle zusammen (Multimedia Pool). Die für das Layout und die Grafik verantwortlichen Mitarbeiter bilden ebenfalls einen eigenen Zuständigkeitsbereich (Grafik/ Design Pool). <?page no="261"?> 246 Planung und Optimierung Schaubild 50: Das Newsroom-Konzept im Unternehmen Quelle: in Anlehnung an Mast (2012b, 414). Das Newsroom-Konzept besagt, dass das generelle Management dieser Organisationsstruktur und die Wahl der Content Strategien am Newsdesk stattfinden. Das Themen-Management verantworten die Content Manager (Content Pool). Die redaktionelle Newsroom-Struktur erlaubt eine Orientierung an thematischen Ressorts oder Teams. In den klassischen Medien sind dies z. B. Wirtschaft, Politik, Feuilleton, Sport, Lokales, Kultur, Wissen und Bildung. Unternehmen haben hier häufig Teams, die ihre Geschäftsfelder widerspiegeln. Adaptiert an die Inhalte der Unternehmenskommunikation befassen sich die für das Themen-Management verantwortlichen Mitarbeiter also mit denjenigen Inhalten, die das jeweilige Unternehmen, seine Produkte, aktuellen Schwerpunkte des Geschäfts, Krisenfelder u. a. betreffen. Die Media Manager sitzen je nach zu verantwortenden Medien an einem gemeinsamen Tisch (Media Pool). Hierzu zählen sowohl die eigenen als auch fremde Medien. Eine multimediale Aufbereitung der Inhalte erfolgt entweder intern (Grafik/ Design Pool) oder durch externe Dienstleister. Im Jahr 2012 war Siemens eines der ersten deutschen Unternehmen, das in der Unternehmenskommunikation einen redaktionellen Newsroom einführte (Selbach 2012). Mitarbeiter der Pressestellen und die Verantwortlichen für Rundfunk- und Online-Medien sowie das Themen-Management kommen in einem als Newsroom konzipierten Großraumbüro zusammen. Die Themenplanung für sämtliche Konzernmedien erfolgt an einem zent- Themen-Management Newsroom- Management Multimediale Aufbereitung Content Pool Grafik/ Design Pool Media Relations Media Pool Presse Online Corporate Publishing N ewsdesk Social Media <?page no="262"?> Kapitel 8: Management von Content 247 ralen „Desk“. Einig sind sich die für den Aufbau von Newsrooms verantwortlichen Experten, dass Theken oder Sitzmöglichkeiten in Kaffeeküchen die informelle Kommunikation unter den Mitarbeitern fördert und sich positiv auf die Vernetzung, Kreativität und den Informationsaustausch auswirkt (Ullrich 2013, Selbach 2012). Insbesondere bei den unterschiedlichen Publishing-Strategien wird das Zusammenspiel zwischen Content Pool und Media Pool entscheidend. Denn der Content Manager stellt Themen zur Verfügung, die je nach Strategie zunächst in unterschiedlichen Medien Einzug halten (Mast 2012b, 431): ! Bei der „Print first“-Strategie geben die gedruckten Medien den Takt an. Hierzu zählen z. B. Artikel und Beiträge in Mitarbeiterzeitschriften, Kundenzeitschriften und Corporate Books. Die Strategie wird bevorzugt für besonders wichtige, exklusive Themen oder solche mit vielen Hintergrundinformationen eingesetzt. ! Die „Digital first“-Strategie lässt den schnelleren Online-Ausgaben den Vortritt. Sie erhalten als Erstes ein Thema. Beiträge in gedruckten Medien bringen längere Vorlaufzeiten mit sich. Daher bieten sich Online-Medien vor allem für aktuelle Themen an. Da Kunden- und Mitarbeiterzeitschriften meist nur monatlich oder vierteljährlich erscheinen, ermöglichen die eigene Website, Corporate Blogs, Newsletter oder der Unternehmensauftritt in sozialen Netzwerken eine schnellere Veröffentlichung der Themen. ! Bei der „Story first“-Strategie stehen die Geschichte und deren Verlauf im Mittelpunkt. Es werden die Kanäle gewählt, die die Dramaturgie einer Story unterstützen. Je nach Story gilt es, die geeigneten Kanäle auszuwählen und deren Einsatz konsequent aufeinander abzustimmen. Nachdem die Publishing-Strategie und damit eine zwischen den Medien aufeinander abgestimmte Contentvermittlung bestimmt wurde (intermediale Entscheidung), muss in Bezug auf die Contentpräsentation innerhalb eines Mediums über ein hierfür geeignetes Format entschieden werden (intramediale Entscheidung). Auch das Format für die Contentpräsentation muss je nach Thema individuell ausgewählt werden: ! In Serien werden Themen über mehrere Zeitzyklen und in Fortsetzung präsentiert. Dieses Format eignet sich daher vor allem für Themen mit vielen Aspekten, die es sich jeweils einzeln zu beleuchten lohnt. ! Strecken bieten sich für Themen an, die einem gemeinsamen Themendach untergeordnet werden können. In aufeinander folgenden Ausgaben werden <?page no="263"?> 248 Planung und Optimierung die unterschiedlichen Themen jeweils unter dem übergeordneten Themendach präsentiert. ! Ein Mantel besteht aus variablen Content-Bausteinen. Den Kern bildet dabei die Titelgeschichte, die ausführlich aufbereitet wird und von weniger umfangreich ausgearbeiteten Themen umrahmt wird. Im Mantel befinden sich zusätzlich u. a. Meldungen und Kurzkommentare. Je nach Thema können sich eine einmalige, ausführliche Aufbereitung als Titelgeschichte anbieten oder auch nur eine kurze Meldung im Mantelteil. ! Eine Aufbereitung eines Themas als Welle bedeutet eine dramaturgische Aneinanderreihung unterschiedlich langer Content-Bausteine. Dieses Format bietet sich für Themen an, die stetigen Wandlungen bzw. Wendungen unterworfen sind und für die sich jeweils die Präsentation der jüngsten Entwicklungen anbietet. Je nachdem ob ein bestimmtes Thema Konjunktur hat oder nicht, werden also längere oder kürzere Beiträge veröffentlicht. Um es klar zu sagen: Content Management als neuer Denkansatz bedeutet nicht, dass sämtliche Storys bereits im Vorfeld fertig entwickelt sind (Schaubild 51). Denn in Bezug auf die konkrete Gestaltung von Inhalten ist es wichtig, dass im Content Hub ein Pool an Informationen mit Rohmaterial zu verschiedenen Themen und möglichen Storys zur Verfügung steht. Hierfür müssen im Newsroom geeignete Softwarelösungen wie ein technisches Content Management System und ein Knowledge Management System zur Verfügung stehen (Holzinger/ Sturmer 2012, 183). Ersteres dient u. a. der Bereitstellung von Content-Materialien, während im Knowledge Management System das kollektive Wissen des Unternehmens gebündelt und Informationen wie Unternehmensdaten, Kontaktdaten zu Ansprechpartnern, Produkt- und Prozessinformationen etc. zur Verfügung gestellt werden. Der Content Hub bildet die organisatorische Schnittstelle zwischen Content Managern, die das Rohmaterial zu Themen zur Verfügung stellen und Media Managern, die diese abrufen können. Die Media Manager bereiten die Storys in einem nächsten Schritt für das ihnen zugeordnete Medium auf. Je nach Thema und Zielsetzung wählen sie ein geeignetes Format aus. Außerdem erfolgt eine Abstimmung mit den anderen Media Managern, um die Veröffentlichung der Inhalte auf den unterschiedlichen Plattformen zu koordinieren. Diese Abstimmung geschieht vor dem Hintergrund der gewählten Publishing-Strategie und den ausgesuchten Formaten. <?page no="264"?> Kapitel 8: Management von Content 249 Schaubild 51: Wie können Unternehmen Content entwickeln? Quelle: eigene Darstellung. In der Unternehmenspraxis beginnt Content Management mit der Etablierung eines abteilungsübergreifenden Content Pools bzw. Hubs, in dem kanalunabhängig Themen gesammelt und übergeordnete Schwerpunktthemen und Kernbotschaften festgelegt werden. In einem nächsten Schritt werden die Verantwortlichkeit für das Themen- und Issues Management geklärt sowie Content Manager mit ihren speziellen Aufgaben betraut. Sie agieren in einer redaktionellen Struktur, dem sog. Newsroom. Über eine Veröffentlichung in den Medien entscheidet der jeweils für ein konkretes Medium verantwortliche Media Manager. Er bereitet die Inhalte kanaladäquat auf und entscheidet über Format, Zeitpunkt und Kommunikationsmodus. 3 3 N N a a r r r r a a t t i i v v e e r r K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s m m o o d d u u s s - - eei inn K Köönniiggssw weeg g? ? Mit dem Aufkommen des Internets und der sozialen Medien steigt zum einen die Komplexität des Informationsangebots, zum anderen verändern insbesondere neue Medien das Kommunikations- und Informationsverhalten der Stakeholder grundlegend (Sammer 2014, 12). Was hingegen bleibt und woran Storytelling anknüpft, ist das menschliche Bestreben, die eigenen Erlebnisse in Form von Geschichten zu strukturieren und weiterzuerzählen (Littek 2011, 14). Ist daher der narrative Kommunikationsmodus zum Königsweg geworden? Petra Sammer (2014) bezeichnet Storytelling als „Rückgrat von Content-Management“ (ebd., 15). Im narrativen Kommunikationsmodus stehen Ereignisse und die beteiligten Akteure im Mittelpunkt. Für das Content Management bedeutet diese Form der Publikumsansprache, dass Inhalte als Storys aufbereitet Content Hub: Rohmaterial zu Storys Storys aus unterschiedlichen Perspektiven denken, daher: Umsetzung in unterschiedliche Formate, je nach Thema und Zielsetzung Je nach Strategie, Plan und Format werden Inhalte auf unterschiedlichen Plattformen veröffentlicht <?page no="265"?> 250 Planung und Optimierung werden. Was heißt dies? Die Entwicklung von Geschichten in der Unternehmenskommunikation erfordert neben der Entscheidung für eine geeignete Erzählperspektive auch die Berücksichtigung der Grundelemente, die eine Story ausmachen. Eine erste wichtige Entscheidung betrifft die Wahl der Erzählerperspektive. Hierbei kann zwischen einem „allwissenden“, „neutralen“ und „authentischen“ Erzähler unterschieden werden (Krüger 2015, 81 f.): ! Ein „allwissender“ Erzähler (auktorial) hat den Gesamtüberblick und weiß mehr als die in der Geschichte teilnehmenden Akteure. Zugleich kann er einen Interpretationsrahmen aufspannen und damit bestimmte Deutungsmuster vertreten, die sich auf die rezipientenseitige Wahrnehmung der Geschichte auswirken können. Auktoriale Erzähler eignen sich insbesondere für retrospektive Erzählungen bzw. solche Geschichten, zu denen bereits umfassende Informationen vorliegen. ! Ein „neutraler“ Erzähler bietet sich hingegen an, wenn nur wenige Informationen vorliegen oder die Ereignisse nicht erst im Nachhinein erzählt werden. Der Erzähler nimmt ebenfalls eine Außensicht ein, überblickt das Geschehen aber im Gegensatz zum auktorialen Erzähler nur auszugsweise. Er weiß daher weniger als die Akteure der Geschichte. Diese Perspektive nimmt die PR-Abteilung mit Blick auf das Unternehmensgeschehen sehr häufig ein. ! Ein „authentischer“ Erzähler (aktorial) erzählt aus der Perspektive eines an den Geschehnissen teilnehmenden Akteurs. Seine Schilderungen liefern ein authentisches und direktes Bild der Geschichte. Nachdem die Erzählperspektive festgelegt wurde, müssen die Grundelemente einer Story ausgearbeitet werden. Neben der räumlichen und zeitlichen Abgrenzung sowie der zeitlichen Abfolge der Ereignisse spielen die Akteure und Ereignisse der Storys eine herausragende Rolle (ebd., 84). Ihnen werden Eigenschaften wie äußere Merkmale, Motive und Fähigkeiten zugeschrieben. Auf diese Weise können sie von den Menschen wiedererkannt und ihre Handlungsspielräume eingeschätzt werden. Außerdem lassen sie sich über ihre Handlungen charakterisieren. Besondere Bedeutung kommen „Helden“ zu. Aus Perspektive der Menschen sind sie Protagonisten und Identifikationsfiguren zugleich (Sammer 2014, 92). Eine genaue Beschreibung des Akteurs erleichtert die Identifikation und führt dazu, dass seine Handlungen weniger hinterfragt werden. Denn durch den Aufbau einer parasozialen Beziehung zum Helden werden sowohl ein manipulatives als auch ein persuasives Bestreben nicht mit ihm assoziiert. Außerdem üben die Einstellun- <?page no="266"?> Kapitel 8: Management von Content 251 gen und Handlungen eines Helden eine Vorbildfunktion aus und werden teilweise adaptiert. Primär sind Helden an ihren Handlungen zu erkennen, sie liefern Problemlösungen und werden mit Erfolgen assoziiert. „Gegenspieler“ werden hingegen als Problemverursacher gesehen und die Handlungen der „Helfer“ werden als hilfreich eingestuft. Die Handlungen der Akteure werden von den Menschen also beurteilt und stellen daher im Gegensatz zu den explizit zugeschriebenen Eigenschaften eine implizite Charakterisierung dar (Krüger 2015, 84 f.). Eine letzte Möglichkeit der Charakterisierung erfolgt auf Basis der Beziehungen zwischen den Akteuren der Geschichte. Denn ein Vergleich offenbart Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Akteuren. Anhand der Bezüge untereinander lassen sich die Akteure weiterhin z. B. als „Widersacher“, „Nutznießer“ oder „Konkurrent“ charakterisieren. Eine Geschichte setzt sich aus einer Vielzahl von Ereignissen zusammen. Ereignisse sind „zeitlich und räumlich abgrenzbare Realitätsausschnitte“ (Bentele 2008, 586) und damit kleinste Einheiten einer Geschichte. Grundlegend lassen sich zwei Ereignistypen unterscheiden (Krüger 2015, 87): Dynamische Ereignisse stellen sich verändernde Situationen dar, während sich statische Ereignisse durch ihre Abgeschlossenheit auszeichnen. Letztere können z. B. einen allgemeinen Zustand bzw. eine Situation beschreiben. Dynamische Ereignisse können als intendiert oder nicht intendiert beschrieben werden, d. h. die Handlungen eines Akteurs sind absichtlich oder nicht. Für Corporate Storys sind folgende Ereignistypen von Bedeutung (ebd.): ! Dynamisch-intendiert (Handlung): „Die Geschäftsführung beschloss die Aufgabe des Geschäftsbereiches“; ! Dynamisch-nicht intendiert (Geschehnis): „Der Umsatz brach ein“; ! Statisch-akteursbezogen (Eigenschaft): „Das Unternehmen war insolvent“; ! Statisch-nicht akteursbezogen (Zustand): „Die Wirtschaft befand sich in einer Rezession“. Für das Storytelling sind weiterhin nur solche Ereignisse von Bedeutung, die mit anderen Ereignissen kausal verknüpft sind und welchen eine verändernde Wirkung immanent ist (Bal 2009, 190). Diese Verknüpfungen machen die Storys aus. Ereignisse mit „Potenzial“ führen zu einer Veränderung, Entscheidung oder Konfrontation. Im narrativen Kommunikationsmodus sind Parallelen z. B. zu einer Heldenreise erkennbar, die sich durch eine Abfolge von Ereignissen auszeichnet (Littek 2011, 139 ff.). Die Ereignisse beinhalten ebenfalls jeweils Veränderung, Entscheidung oder Konfrontation als zentrales Element. <?page no="267"?> 252 Planung und Optimierung „Heldenreisen“ - Muster für Unternehmensgeschichten? Die gewohnte Welt des Helden stellt den Ausgangspunkt der Geschichte dar. Es folgt der Ruf des Abenteuers (Veränderung), der Held zögert oder weigert sich (Entscheidung). Schließlich begegnet er einem Mentor (Konfrontation). Dieser ermutigt ihn zum Abenteuer, sodass der Held die Schwelle zum Land des Abenteuers überschreitet (Veränderung). Hier muss er sich Bewährungsproben stellen und macht Begegnungen mit Verbündeten und Feinden (Konfrontation). Eine zweite Schwelle überschreitet er, indem er den gefährlichsten Ort erreicht und sich dort der entscheidenden Prüfung stellen muss (Konfrontation). Für seine Anstrengungen wird der Held materiell mit einem Schatz oder immateriell mit Erfahrungen und Wissen belohnt (Veränderung). Anschließend tritt er den Rückweg an. Hier wird er noch einmal mit seinen Widersachern konfrontiert oder vor eine Entscheidung gestellt. Der Held kehrt schließlich mit seinem (Erfahrungs-)Schatz zurück und kann diesen nutzbringend in seiner Alltagswelt einsetzen (Veränderung). Quelle: Littek (2011, 139 ff.). 4 4 „ „ N N a a t t i i v v e e “ “ - - S S c c h h l l ü ü s s s s e e l l w w o o r r t t f f ü ü r r e e i i n n e e n n e e u u e e C C o o n n t t e e n n t t - - S S t t r r a a t t e e g g i i e e ? ? Auch die neue Spielart des sog. „native advertising“ wird im Zuge der Debatte um Content Marketing thematisiert (Eck/ Eichmeier 2014, Löffler 2014). Native advertising kann als eingebettete Werbung im Fluss der redaktionellen Inhalte beschrieben werden. Die Werbebotschaften sind „nativ“, weil sie sich in Aufmachung und Wertigkeit von redaktionellen Beiträgen nicht unterscheiden. Native advertising weist eine Verwandtschaft zur Sonderwerbeform der Advertorials auf. Schach (2015) unterscheidet Advertorials, die sich im redaktionellen Aufbau nicht am journalistischen Beitrag orientieren, sondern einen eigenständigen redaktionellen Aufbau aufweisen (nicht-redaktionelles Advertorial) von solchen, die den Stil und die grafische Gestaltung des Werbeträgers aufgreifen (redaktionelles Advertorial) (ebd., 37). Die Aufmachung des redaktionellen Advertorials entspricht der Idee des native advertising als „Gegenentwurf zur auffälligen Banneranzeige (…) [mit] Werbebotschaften, die sich unauffällig in das redaktionelle Umfeld einfügen“ (BVDW 2014). Native advertising ist also eine besondere Form der Werbung, die nicht <?page no="268"?> Kapitel 8: Management von Content 253 als solche wahrgenommen und daher nicht sofort weggeklickt wird. Außerdem wird sie nicht von Werbeblockern erfasst. Sie weicht die klare Trennung zwischen Journalismus und Werbung auf, muss aber gekennzeichnet sein. Eine deutliche Kennzeichnung der nicht von der Redaktion erstellten Inhalte wünschen sich in erster Linie auch die Nutzer (Gruner & Jahr 2014, 19 f.). Sie sind außerdem auf der Suche nach kurzen und übersichtlich aufbereiteten Informationen (ebd., 30 f.). Sog. „native ads“ stellen daher einen Ersatz für ungeliebte Werbebanner dar. Native advertising („native ads“) unterscheidet sich als neue Form von denjenigen Inhalten, die das Content Marketing bisher verbreitet. Die typischen Formate der Werbeformen, Kosten und Produzenten sowie die eingesetzten Medien zur Verbreitung des Contents sind andere (Schaubild 52). „Native ads“ werden vorrangig auf Publisher-Websites oder in sozialen Netzwerken veröffentlicht. Lang sa m dring t die se s F or ma t je do c h au ch in die kla ssi sch en Me di en vo r. Fo rmat und Design der „native ads“ orientiert sich am jeweiligen Medium bzw. Werbeträger. Im Gegensatz dazu sind Inhalte, die in unternehmenseigenen Medien wie Websites, Blogs oder Newslettern veröffentlicht werden, vor allem dem Content Marketing zuzuschreiben. Der Inhalt wird dabei häufig um passende Bilder, Videos und Grafiken ergänzt. Auch „native ads“ werden multimedial aufbereitet; es gibt gesponserte Anzeigen in Text-, Bild- und Videoformaten. Für den Werbetreibenden fallen Kosten für das Erstellen der Inhalte und das Platzieren der „native ads“ an. Die Anzeigen werden entweder von Agenturen, dem Publisher oder dem werbetreibenden Unternehmen selbst erstellt. Auch für die im Zuge des Content Marketings erstellten Inhalte fallen Kosten an, die deren Produktion, Hosting und Verwaltung betreffen. Die Inhalte werden entweder unternehmensintern oder durch externe Kommunikationsdienstleister produziert. Erfolg versprechend sind „native ads“, wenn die Kooperation zwischen der Marke und dem Medium den Menschen einen Mehrwert bietet (Gruner & Jahr 2014, 21 f.). Die Anzeigen werden demnach gelesen, wenn sich die Menschen einen Nutzen von ihnen versprechen. Wichtig ist aber, dass die Marke nicht im Vordergrund steht (ebd., 27 f.). Inhaltlich passende Anzeigen werden berücksichtigt, wenn sie die redaktionellen Inhalte bereichern. Eine thematische Passung zwischen der Website und dem Werbetreibenden steigert außerdem die Glaubwürdigkeit der Kooperation (ebd., 23 f.). <?page no="269"?> 254 Planung und Optimierung Schaubild 52: Native Advertising als Sonderform des Content Marketings Quelle: Nunatak Group (2014, 2). Native advertising hat als neue Form der Werbung eine heftige emotionale Auseinandersetzung im Journalismus und in der Kommunikationsbranche hervorgerufen. Auf jeden Fall hat das Marketing mit dieser Spielart endgültig die Grenze zur PR überschritten - mit einer Vorgehensweise, die die redaktionelle Glaubwürdigkeit für Unternehmensbotschaften nutzt oder - wie es ihre Kritiker behaupten - endgültig zerstört. Bei dieser Art, Inhalte zu präsentieren, spielen Redaktionen als „Filter“ keine Rolle mehr, denn native advertising „kauft“ sich den redaktionellen Raum. Inwiefern diese Werbeform letztlich die Glaubwürdigkeit der PR und der Medien gleichermaßen beeinflusst, bleibt abzuwarten. Content Marketing Was sind die typischen Formate? Wo wird der Content gehostet? Wie sehen die Werbeformen aus? Wie entstehen Kosten für die Advertiser? Wer produziert die Anzeige? Inhalte, die auf unternehmenseigenen Portalen veröffentlicht werden Auf unternehmenseigenen Webseiten, in Blogs oder Newslettern Meist Text mit Bildern, Videos oder Grafiken Erstellen des Contents, Hosting, Verwaltung Unternehmen und Marken, Agenturen N ative Advertising Anzeigen, die in Format und Design der Webseite entsprechen Auf Publisher- Webseiten wie BuzzFeed oder in sozialen Netzwerken Gesponserte Anzeigen in Text-, Bild- und Videoformaten Typischerweise für das Erstellen der Inhalte und die Platzierung auf Webseiten Dritter Agentur, Publisher und zum Teil die Firmen selbst <?page no="270"?> Kapitel 8: Management von Content 255 5 5 C C o o n n t t e e n n t t m m a a t t t t e e r r s s ? ? Content matters - in Zeiten des Informationsüberangebotes aber nur, wenn Unternehmen als Anbieter von Inhalten die Interessen und Wahrnehmungen der Menschen erkennen und vor allem berücksichtigen. Nur dann fühlen sich die Stakeholder von den kommunizierten Inhalten auch angesprochen und „hören zu“. Die Touchpoints, das Framing, die Kommunikationsmodi und Formate sowie das Storytelling der Inhalte werden damit zu zentralen Erfolgsfaktoren der Unternehmenskommunikation. Sie stellen sicher, dass die kommunizierten Inhalte bei den Stakeholdern auch ankommen und Wirkung entfalten. Auf die Touchpoints kommt es in besonderem Maße an. Gerade bei klassischen Unternehmensthemen, die aus der „Inside-out“-Richtung entstehen und kommuniziert werden, sind sie entscheidend. Die Perspektiven, aus denen heraus verschiedene Stakeholder ein Thema wahrnehmen, definieren dann den Ausgangspunkt für Themenplanung und -management. Das „Wie“ der Themenaufbereitung ist in erster Linie eine Frage der Perspektive, des Blickwinkels auf ein Thema - sei es ganz persönlich auf die Situation der jeweiligen Stakeholder zugeschnitten oder gesellschaftsorientiert im Hinblick auf die Folgen für das Umfeld des Unternehmens. Erst anschließend rücken Fragen zur konkreten Ausgestaltung der Inhalte wie z. B. Verständlichkeit, Präsentationsform, Nützlichkeit oder Unterhaltungsorientierung in den Blick. Die Interessen und Problemwahrnehmungen der Menschen sind nicht in Stein gemeißelt. Themen entwickeln und verändern sich im Zeitverlauf. Das gilt auch und gerade für die Perspektiven auf ein Thema: Was zunächst beispielsweise als gesellschaftliches Problem mit latenter Betroffenheit der Menschen beginnt, kann sich im Laufe einer Themenkarriere zu individuellen Problemwahrnehmungen mit Interessenkonflikten entwickeln. Ein Beispiel: Die Eurokrise beginnt als wirtschafts- und europapolitisches Thema. Später rücken die Auswirkungen auf Konsumenten und Sparer in den Blick. Heute geht es um die Zukunft des Wirtschaftsraumes der EU und einzelner Banken und Versicherungen sowie um die Altersvorsorge von Generationen in den Mitgliedsländern. Die Unternehmenskommunikation braucht deshalb Instrumente zur seismographischen Erfassung von Veränderungen in den Interessens- und Wahrnehmungsprofilen der Menschen sowie der Touchpoints zu den Themen - auch außerhalb der Medienresonanzanalysen. Denn selbst wenn viele Themen der <?page no="271"?> 256 Planung und Optimierung medialen Wirtschaftsberichterstattung bei den Menschen auf großes Interesse stoßen: Es gibt andere Themen, die sie deutlich stärker aus ihrer individuellen Perspektive heraus oder zum Beispiel als Staatsbürger, Steuerzahler, Arbeitnehmer oder Selbstständige beschäftigen. Diese Themen finden sich aber zum Teil kaum oder gar nicht in der Unternehmenskommunikation. Die Menschen nutzen dafür andere Informationsquellen und Kommunikationsarenen - in zunehmendem Maße insbesondere die sozialen Medien im Internet. Die Unternehmenskommunikation sollte sich fragen: Welche persönlichen (Wirtschafts-)Probleme beschäftigen die wichtigen Stakeholder? Und welche sind für das Land und daher für das gesellschaftliche Umfeld der Menschen am dringlichsten? Was beschäftigt die Stakeholder in ihrer Rolle als Staatsbürger, Steuerzahler, Arbeitnehmer oder Selbstständige, Pendler, Eltern und andere Rollensituationen am meisten? Über welche Medien und Kanäle können die Stakeholder beim jeweiligen Thema überhaupt noch erreicht werden? Neben den klassischen Medien und den sozialen Medien im Internet kann dies auch der persönliche Dialog sein. Das Konzept der Themen-Touchpoints kann die Unternehmenskommunikation bereichern: Aber Themeninteressen der Stakeholder sind ebenso volatil wie die Medienagenda. Unternehmen werden sich darauf einstellen müssen, dass sie - wie bei den Medienresonanzanalysen auch - die Interessen und Befindlichkeiten der wichtigsten Stakeholder kontinuierlich beobachten und erheben müssen. Kontinuierliche Umfragen bei den Bezugsgruppen sind für zukunftsorientierte Unternehmen unerlässlich. Ein wichtiger Ansatzpunkt können hierbei die „Problembetroffenheiten“ sein, d. h. eine Analyse, welche Themen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene die Menschen - auch außerhalb der Medienagenda - besonders beschäftigen. So kann jedes Unternehmen die Touchpoints seiner wichtigen Stakeholder erkennen und bei der Kommunikation aus der entsprechenden individuellen oder gesellschaftlichen Perspektive heraus argumentieren. Die Themen, bei denen die Stakeholder in erster Linie als Staatsbürger oder in allgemeinen Rollen denken, lassen sich meist gut über die Medienarbeit ansprechen und vermitteln. Dies gilt umso mehr, da sich seit einiger Zeit der Trend zu einer gesellschaftsorientierten Unternehmensberichterstattung abzeichnet (Mast 2012a). Bei Themen, bei denen hingegen die individuelle Perspektive überwiegt, sollte nicht nur bei der Analyse direkt beim Stakeholder angesetzt werden, sondern auch bei den Kommunikationskanälen. Hier kann eine Ansprache z. B. über Dialogformate Erfolg versprechender sein als der Weg über die Massenmedien. <?page no="272"?> Kapitel 8: Management von Content 257 Für die Umsetzung der Touchpoints als Modell des strategischen Content Managements ist eine konsequente Stakeholder-Orientierung unabdingbar. Sie bedeutet in letzter Konsequenz aber auch, das grundsätzliche Kommunikationsverständnis zu überdenken. Kann eine Stabstelle Kommunikation bei Themen mit hoher individueller Betroffenheit der Menschen diese überhaupt aus einer persönlichen Perspektive ansprechen, ohne deren Berührungspunkte und Befindlichkeit genau zu kennen? Oder geht ein Kommunikationsverständnis, das an starren Abteilungsgrenzen von PR und Marketing festhält, nicht längst an der Wirklichkeit vorbei, weil dadurch große Distanzen zu den jeweiligen Stakeholdern entstehen? Wenn die Stakeholder-Orientierung ernst genommen wird, sind nicht nur neue Instrumente gefragt - auch die Strukturen und Prozesse im Unternehmen müssen sich öffnen und anpassen. <?page no="273"?> 258 Planung und Optimierung ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Auf die Perspektive kommt es an. Content als neue Währung der strategischen Unternehmenskommunikation muss für die Stakeholder relevant und nützlich sein. Die Inhalte müssen den Stakeholdern Orientierung liefern oder die Organisation ihres Alltags erleichtern. ! Inhaltliche Touchpoints sind Themen, mit denen Menschen in ihrer speziellen Befindlichkeit und Situation in Berührung kommen und die sie als wichtig erachten. Aufgabe des Content Managements ist das Aufspüren solcher relevanter Touchpoints und der dazugehörigen Inhalte. ! Content Management umfasst die aktive Themenplanung und -produktion unter Berücksichtigung der Ziele und Stakeholdererwartungen sowie strategischer und dramaturgischer Überlegungen. ! Im Content Management spielen Inhalte eine zentrale Rolle, weil sie die psychologische Ansprache der Menschen im Alltag sowie ihre Befindlichkeiten und Bedürfnisse betreffen. Die Kriterien für die Themenwahl gehen daher über journalistische Nachrichtenwerte hinaus. ! Der Newsroom in Unternehmen als Pendant zum redaktionellen Newsroom bündelt sämtliche Kommunikationsaktivitäten einer Organisation. Content Strategen spielen ebenso wie Content Manager und Media Manager wichtige Rollen innerhalb der Newsroom- Struktur. ! In der Praxis beginnt Content Management mit dem Sammeln von Rohmaterial, das in einem Content Hub zusammengetragen wird. Der Content Hub als Informationspool ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Content Management. ! Storytelling als zentrale Vermittlungsstrategie im Content Management erfordert die Wahl einer geeigneten Erzählperspektive sowie die Berücksichtigung der Storyelemente Akteure, Ereignisse, Zeit und Ort. ! Native advertising bezeichnet die Einbettung einer werblichen Anzeige in den redaktionellen Kontext, ohne auf den ersten Blick von den Menschen als Werbung wahrgenommen zu werden. <?page no="274"?> Kapitel 8: Management von Content 259 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Eck, Klaus/ Eichmeier, Doris (2014): Die Content-Revolution im Unternehmen. Neue Perspektiven durch Content-Marketing und -Strategie. Freiburg: Haufe-Lexware. Das Buch gibt einen Überblick über die zentralen Begriffe der Content-Strategie und des Content Marketings. Dabei gehen die Autoren neben den Entwicklungen hin zur Content-Revolution, auch auf das Management und die Etablierung von Content Strukturen im Unternehmen ein. Viele Beispiele, Checklisten und Praxistipps bereichern die Ausführungen. Krüger, Florian (2015): Corporate Storytelling. Theorie und Empirie narrativer Public Relations in der Unternehmenskommunikation. Wiesbaden: Springer VS. Die Arbeit gibt einen guten Überblick über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Storytelling. Auf Basis empirischer Fallstudien erfolgt die Entwicklung eines Prozessmodells für das Corporate Storytelling. Mast Claudia (2012): Neuorientierung im Wirtschaftsjournalismus. Redaktionelle Strategien und Publikumserwartungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Vor dem Hintergrund der Euro- und Verschuldungskrise werden zum einen die Nutzungsmuster und Erwartungen des Publikums an den Wirtschaftsjournalismus beleuchtet. Zum anderen wird untersucht, über welche Themen Unternehmen und Leitmedien berichten. Es werden Trends im Wirtschaftsjournalismus abgeleitet, die sich jedoch auch auf das Themen-Management im Rahmen des Content Managements anwenden lassen. Sammer, Petra (2014): Storytelling. Die Zukunft von PR und Marketing. Köln: O’Reilly. Der Band für Praktiker erklärt das Phänomen Storytelling historisch und wissenschaftlich. Ausführlich werden die Bausteine einer guten Story und die zentralen Storyelemente beleuchtet. Beispielhafte Storys sowie die dazugehörigen Links zum eigenständigen Nachlesen, Checklisten und Tipps runden das Nachschlagewerk ab. <?page no="276"?> I I I I I I UUmmsseettz zuun ngg iinn ddeer r P Prraaxxiis s <?page no="278"?> K K a a p p i i t t e e l l 9 9 : : K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n m m i i t t d d e e n n M M i i t t a a r r b b e e i i t t e e r r n n Die interne Kommunikation wird vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen als Wettbewerbsfaktor unterschätzt. Während große Konzerne systematisch Kommunikationsoffensiven zur Optimierung der internen Abläufe durchziehen, vertrauen viele andere, kleinere Unternehmen (immer noch) auf ihre natürliche Kommunikationsfähigkeit, d. h. auf überschaubare Strukturen und Mitarbeiterzahlen. Zahlreiche Changeprojekte der vergangenen Jahre haben jedoch dazu geführt, dass der Wert der internen Kommunikation vom Top- Management höher eingeschätzt wird. Das Aktionsfeld Mitarbeiterkommunikation hat inzwischen Karriere gemacht und deutlich an Wertschätzung gewonnen. Gut informierte Mitarbeiter gelten heute als Erfolgsfaktor. Die interne Unternehmenskommunikation umfasst sämtliche kommunikativen Prozesse, die sich in einem Unternehmen zwischen dessen Mitgliedern abspielen. Interne Kommunikation stellt die Verbindung zwischen den Individuen des Unternehmens her, ermöglicht Interaktion und Koordination und steuert so das Netz ineinander greifender Verhaltensaktivitäten der einzelnen Akteure. Interne Kommunikation „muss die Mitarbeiter in die Lage versetzen, die Versprechen und Botschaften des Unternehmens durch ihre Arbeit und ihre Kommunikation einzulösen“ (Schick 2014, 2). In der Literatur werden verschiedene Begriffe verwendet: interne Unternehmenskommunikation, interne Public Relations, Internal Relations oder - verkürzt - Mitarbeiterinformation. Der letztgenannte Begriff ist zwar in der Praxis und der betriebswirtschaftlichen Literatur weit verbreitet, kann aber missverstanden werden. Es geht nicht allein um Information, sondern um Kommunikation. Den innersten Kern, das Pflichtprogramm, bildet die Informationspolitik des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitern, die gesetzlich vorgeschrieben ist. Rechtsgrundlage ist vor allem das Betriebsverfassungsgesetz. Die gesetzlichen Bestimmungen legen Mindestanforderungen fest. Darüber hinaus gestalten die Unternehmen jedoch die interne Kommunikation entsprechend ihren Geschäftszielen sowie der Unternehmenskultur. <?page no="279"?> 264 Umsetzung in der Praxis Kapitel 9 stellt die Bedeutung, Ziele, Inhalte und Medien der internen Kommunikation vor und analysiert Kernprozesse. Es hat ein Paradigmenwechsel von der Verteilkommunikation zu interaktiven Prozessen stattgefunden, der ebenso wie die neue Rolle der Manager als Kommunikatoren besprochen werden. 1 1 I I n n t t e e r r n n e e K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n - - a a u u f f d d e e m m W W e e g g z z u u r r „„l leeaad di in ngg ppo ossiitti io onn““? ? Die Unsicherheiten, Risiken und Herausforderungen in der internen Unternehmenskommunikation werden unübersehbar. Das klassische Mediensystem agiert zunehmend emotional im Kampf um Aufmerksamkeit und produziert Medienrisiken, die die Unternehmen kaum vorhersehen können (Mast/ Spachmann 2015, Mast 2012a). Die Mitarbeiter wiederum loten ihre Möglichkeiten aus, die ihnen die digitalisierte Welt inzwischen bietet. Sie werden zu Kommunikatoren und nutzen die Möglichkeiten der Social Media - auch in der internen Kommunikation. Das Feld, in dem sich die interne Unternehmenskommunikation bewegt, wird immer unkalkulierbarer. In dieser Situation kommt es entscheidend darauf an, welche Leistungen das interne Kommunikationssystem einer Firma erbringt (Schick 2014). Auf jeden Fall haben sich die Bedingungen für den Kampf um Aufmerksamkeit, Akzeptanz und Einfluss bei den internen Stakeholdern entscheidend verändert. Ist die interne Kommunikation auf dem Weg zur „leading position“ im Unternehmen (Mast 2014a)? Kann sie die Chancen nutzen, die sich ihr durch die Umbrüche in der Kommunikationslandschaft eröffnen oder rutscht sie in die undankbare Rolle eines ständigen Krisenmanagers und Erfüllungsgehilfen für wechselnde Unternehmensvorgaben? „PR begins at home.“ Dieser Merksatz wird langsam in vielen Unternehmen Wirklichkeit. Interne Kommunikation hat inzwischen oberste Priorität. Das Fachgebiet Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim (Stuttgart) befragt regelmäßig die Kommunikationsverantwortlichen der Top-500-Unternehmen zu ihren wichtigsten Vorhaben und Projekten. Der Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur und die internen Kommunikationsabläufe sind längst zum Hauptaktionsfeld der Corporate Communications geworden (Schaubild 53). Die Mitarbeiter als Stakeholder stehen mittlerweile ganz oben auf der Agenda der befragten Kommunikationschefs, während die klassische Medienarbeit und ihre Optimierung in der Unternehmenspraxis an Dringlichkeit verloren haben <?page no="280"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 265 (Mast 2011). Immer mehr Unternehmen scheuen offensichtlich die Risiken der entfesselten Medienberichterstattung und wenden sich direkt an ihre Stakeholder, in erster Linie an ihre Mitarbeiter und Führungskräfte. Daher investieren 63 Prozent der befragten Top-500-Unternehmen in den Ausbau der Online- Kommunikation, rüsten z. B. ihre Websites auf, etablieren Social Media-Plattformen für die Belegschaft oder unterstützen die Führungskräfte in ihren zunehmend schwierigen Kommunikationsrollen, u. a. durch geschlossene Nutzerbereiche im Intranet. Für 54 Prozent der befragten Top-500-Unternehmen ist entscheidend, wie sich das Unternehmen positioniert. Vor allem die Arbeitgeberkommunikation ist für sie entscheidend geworden, die mit der Bindung und Überzeugung der eigenen Mitarbeiter beginnt. Alles in allem setzen die Unternehmen - so die befragten Kommunikationschefs, auf eine bessere Durchlässigkeit interner Kommunikation sp r oz esse, ein e effiz ie nt ere In t e grat io n u nd Ab stim mun g der Ko mm un ikationsabläufe, eine stärkere Einbindung der Mitarbeiter in überzeugende Kommunikationsbeziehungen und vor allem eine Optimierung des Intranets, den Einsatz von Social Media-Plattformen, Formen des organisierten Feedbacks und eine aktive Bottom-up-Kommunikation. Auch die Informationskaskaden werden überprüft und ergänzt. Hinzu kommen Kommunikationsmaßnahmen, die das Vertrauen der Mitarbeiter in ihre Führungskräfte stärken sollen, vor allem die Verbesserung der Managementkommunikation sowie die Einbindung aller Führungsebenen in das Kommunikationsgeschehen im Unternehmen. Die Kommunikationsverantwortlichen optimieren also nicht nur den internen Austausch von Informationen, Meinungen und Wissen, sondern sie fungieren zunehmend auch als Berater für die (Top-)Manager und deren Kommunikationsprobleme im Alltag. <?page no="281"?> 266 Umsetzung in der Praxis Schaubild 53: Die drei wichtigsten Vorhaben der Corporate Communications Quelle: Vollerhebung unter den Kommunikationsverantwortlichen der 500 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands (n = 112), Anteile der Befragten in Prozent, Erhebungszeitraum: Juni und August 2014; Mast (2015). Die Gründe für den Bedeutungszuwachs der internen Kommunikation liegen auf der Hand: Zu wichtig sind die internen Kommunikationsabläufe für die Motivation und das Commitment der Mitarbeiter und Führungskräfte und damit für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen geworden. Selbst Vorstände und Geschäftsführer in deutschen Großunternehmen (Zerfaß/ Schwalbach/ Sherzada 2013) attestieren der internen Kommunikation inzwischen den höchsten Wert hinsichtlich Relevanz für die Firma sowie Performance, noch vor der Marketingkommunikation und den Investor Relations. Kein Wunder, dass die interne Kommunikation auch als eines der am stärksten wachsenden Kommunikationsfelder in Europa angesehen wird (Zerfaß et al. 2014). Gründe für den enormen Bedeutungszuwachs der internen Kommunikation gibt es viele. Sie alle münden ein in die veränderte Position der Mitarbeiter im Kommunikationsgefüge sowie deren Handlungsoptionen: ! Mitarbeiter als Wettbewerbsvorteil („performance“): Der Gedanke, dass eine effiziente interne Kommunikation Wettbewerbsvorteile bringt, setzt sich langsam - vor allem bei größeren - Unternehmen durch. Denn die Art und Weise, wie ein Unternehmen sowohl inhaltlich in Form von Botschaften als auch im Hinblick auf die (Reaktions-)Geschwindigkeit agiert, hängt vom Funktionieren, d. h. der praktischen Umsetzung von Kommunikationsprozessen ab. Sie schaffen den Bedeutungsrahmen, vor dessen Hintergrund die Mitarbeiter und Führungskräfte Informationen interpretieren und Kriterien entwickeln, nach denen sie einerseits entscheiden und handeln - oder eben andererseits zögern und nicht handeln. Zahlreiche Studien belegen, dass effiziente interne Kommunikationsabläufe zu einer raschen Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung von Unternehmen, einer beschleunig- Neue Kommunikationsstrategien z. B. Integration der Kommunikationswege; Aktives Setzen von Themen (Agenda-Setting); Umgang mit digitalem Wandel Positionierung des Unternehmens z. B. Positionierung als attraktiver Arbeitgeber; Markenpositionierung; Positionierung CEO / Vorstand Optimierung der Kommunikationsinfrastruktur z. B. Ausbau des Intranets; Neue Abläufe / Formen der Zusammenarbeit; Einführung / Ausbau von Social Media 63 % 54 % 47 % <?page no="282"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 267 ten Umsetzung von Plänen und Projekten, einer erhöhten Produktivität bei Veränderungsprozessen und einer hohen Motivation und Loyalität der Mitarbeiter führen (Stehle/ Mücke 2009). ! Mitarbeiter als knappe Ressource („war for talents“): Die Unternehmen konkurrieren nicht nur um die besten Köpfe, sondern stehen zunehmend vor Problemen, qualifizierte Mitarbeiter und Führungskräfte zu rekrutieren - insbesondere wenn sie eher unbekannt sind oder außerhalb der Metropolen ihre Standorte haben. Mitarbeiter sind zu einer knappen Ressource geworden und die Reputation von Unternehmen als Arbeitgeber wird zu einer Herausforderung der internen und externen Kommunikation gleichermaßen. Denn es geht nicht nur um die Personalrekrutierung, sondern ebenso z. B. um die Bindung der Mitarbeiter an ein Unternehmen, d. h. die Reduzierung der Fluktuation. Employer Relations (Mast/ Simtion/ Spachmann 2015) beginnt bei den eigenen Mitarbeitern und Führungskräften. ! Mitarbeiter als Kommunikatoren („Botschafter“): Mitarbeiter und Führungskräfte in ihrer Rolle als Kommunikatoren werden einflussreicher. Sie bestimmen die unternehmensinternen Abläufe, das Kommunikationsklima und letztlich die Motivation, mit der Arbeitsaufgaben erledigt und Probleme gelöst werden. Sie fungieren aber auch als glaubwürdige Sprecher und Botschafter für die Unternehmen, in denen sie arbeiten, und bestimmen maßgeblich dessen Reputation. Spätestens im Zeitalter des Internet erfahren die Unternehmen, was es bedeutet, wenn sich die Grenzen zwischen interner und externer Kommunikation langsam aufheben und alle Mitarbeiter potenzielle Kommunikatoren werden. Diese auch aktiv in Kommunikationsbeziehungen einzubetten, ihnen Vertrauen zu schenken und zur Kommunikation zu ermutigen, wird Teil der Neupositionierung der internen Unternehmenskommunikation. Schließlich geht es ja darum, nicht nur Kontrollverluste zu bewältigen, sondern auch proaktiv in die Reputation und in Beziehungen zu investieren. ! Mitarbeiter als Risiko („whistle blower“): In der Zukunft werden sich die Gestaltungsfunktionen in der internen Kommunikation - wie auch in anderen Kommunikationsbereichen - von den professionellen Kommunikatoren noch mehr hin zu den Stakeholdern verlagern, die mehr Einfluss und Macht gewinnen sowie Publizitätschancen zunehmend selbstbewusst wahrnehmen. So gesehen können Mitarbeiter und Führungskräfte auch zu einem Risiko für Unternehmen werden, wenn sie - bewusst oder unbewusst - als sog. „whistle blower“ agieren. Sie können Vorgänge oder Entwicklungen publik machen, die vorher in den Unternehmen geheim gehalten wurden, oder sie äußern Kritik am eigenen Unternehmen, die in dieser Form noch nie ans Licht der Öffentlichkeit kam. Soziale Netzwerke oder <?page no="283"?> 268 Umsetzung in der Praxis entsprechende Plattformen im Netz bieten hierfür eine gute Gelegenheit. Inwiefern und wie sie genutzt werden, wird maßgeblich durch das Verhalten der Führungskräfte und das Funktionieren der internen Kommunikation, vor allem durch das Kommunikationsklima in einem Unternehmen beeinflusst. Spätestens jetzt wird klar: Interne Kommunikation hat sich in vielen Unternehmen auf den Weg zur „leading position“ gemacht. Interne Kommunikation ist mehr als das Management von Kommunikation. Ihre Bedeutung steigt, wenngleich sich die Aufgaben rasant ändern. In der Vergangenheit haben sich viele Kommunikationsabteilungen jedoch auf die Gestaltung von Medien konzentriert - von der Mitarbeiterzeitschrift über das Intranet bis hin zu Videos und ähnlichen Formaten. Wird aus der Belegschaft der Ruf laut - „wir werden zu wenig informiert“ - reagieren die meisten Unternehmen mit noch mehr Medienangeboten. So werden z. B. Newsletter um Newsletter verteilt und die internen Netze wachsen, wohingegen die Mitarbeiter mit ihrem „Ruf nach Information“ eigentlich eine andere Art von inhaltlichen Angeboten meinen. Ihre Ansprüche an den Informationsgehalt und die - angesichts der knappen Zeit - kompakte Substanz der Inhalte steigt. Sie suchen nach Orientierung durch „Übersetzung“, nach Geschichten und dem Kontext der Informationen. Und sie suchen nach Wertschätzung und Aufmerksamkeit durch ihre Vorgesetzten. Beides wird in erster Linie durch die Art und Weise der persönlichen Kommunikation ausgedrückt. Daher wird es für die interne Kommunikation entscheidend, ob sie sich aus der Fixierung auf Unternehmensmedien befreien und energisch der Gestaltung von Face-to-Face-Kommunikation im Unternehmen zuwenden kann. Hierbei geht es um die Organisation und Optimierung von Kommunikationsformaten und um die Gewinnung, Beratung und Unterstützung der Führungskräfte in ihrer Alltagsaufgabe „Kommunikation“. Denn: Das gestiegene Interesse an der Face-to-Face-Kommunikation führt den Bereich der internen Kommunikation Schritt für Schritt ins Zentrum der Unternehmensführung. Die interne Kommunikation hat dann gute Chancen, sich von der tradierten Rolle des „Erfüllungsgehilfen“ einerseits bzw. des ständigen Krisenmanagers andererseits zu emanzipieren und zentralen Einfluss im Unternehmen zu gewinnen. Ob ihr das gelingt, hängt in erster Linie von ihrem Selbstverständnis ab. Beschränkt sie sich vorrangig auf die Medienkommunikation oder sieht sie sich als Wächter und Initiator für bessere interne Kommunikationsbeziehungen und -abläufe? Agiert sie als Vermittler zwischen der Unternehmensleitung, den Mitarbeitern und den Betriebsräten, als Berater der Geschäftsführung und der Führungskräfte, als Agenda Setter zur Orientierung von Mitarbeitern und Führungskräften und nicht zuletzt als Unterstützer der Mitarbeiter und Führungs- <?page no="284"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 269 kräfte als Kommunikatoren? Spätestens dann wird deutlich: Interne Kommunikation ist mehr als das Management von Kommunikation. 2 2 Z Z i i e e l l e e u u n n d d I I n n h h a a l l t t e e Der Gedanke, dass eine effiziente interne Kommunikation Wettbewerbsvorteile bringt, setzt sich bei immer mehr - vor allem größeren - Unternehmen durch. Sie erkennen, dass mangelhafte Kommunikation nach innen schmerzhafte, ökonomisch messbare Auswirkungen haben kann: z. B. hohe Fluktuationsraten bei Mitarbeitern, teure Kompromisse mit den Gewerkschaften bei Personalabbau- Programmen oder die Vernichtung von wertvollem Wissen der Mitarbeiter, das nicht in die Produktionsprozesse des Unternehmens einfließt. Ziel interner Unternehmenskommunikation ist es, ! durch die Bereitstellung von Informationen eine optimale Aufgabenerfüllung der Mitarbeiter zu ermöglichen, ! das Know-how der Mitarbeiter zu mobilisieren und deren Engagement zu fördern (Partizipation), ! die Zufriedenheit der Mitarbeiter und ihre Identifikation mit dem Unternehmen zu erhalten und zu steigern, ! die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Mitarbeiter in das Unternehmen und seine Entscheidungsträger langfristig zu sichern und zu erhöhen, ! die Umsetzung der Geschäftsziele auf allen Ebenen des Unternehmens zu verbessern und ! die einzelnen Kommunikationswege (z. B. Mitarbeiterzeitschriften) sowie die „Kommunikationsarchitektur“ zu optimieren. Kommunikation ist Voraussetzung für das Funktionieren und die Zielerreichung von Unternehmen, die sich durch schnelles Agieren Wettbewerbsvorteile auf den Märkten sichern wollen. Sie schafft zum einen den Bedeutungsrahmen, vor dessen Hintergrund die Mitarbeiter die Informationen interpretieren und Kriterien entwickeln, nach denen sie entscheiden und handeln. Zum anderen ist die Kommunikation ein Prozess, durch den sie Entscheidungen in die Praxis umsetzen. Denn durch Kommunikation mit anderen können sie ihre Absicht ausdrücken, die ihr Handeln bestimmt, und sie lernen die Restriktionen kennen, die ihre Entscheidungen einschränken. Die Größe eines Unternehmens beeinflusst die Qualität und Quantität der erhaltenen Informationen und den Formalisierungsgrad des Kommunikationssystems. <?page no="285"?> 270 Umsetzung in der Praxis Der Nutzen effizienter Kommunikationsabläufe im Unternehmen ist durch eine Vielzahl an Fallstudien (Mast 2011, 101 ff., Quirke 2008) belegt. Er besteht vor allem aus: ! rascher Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung im Unternehmen, ! beschleunigter Umsetzung von Plänen und Projekten, ! erhöhter Produktivität bei Veränderungsprozessen und ! hoher Mitarbeitermotivation und -loyalität. Mitarbeiterkommunikation verfolgt unterschiedliche Ziele. Neben unternehmensorientierten Zielsetzungen (Verhaltensänderungen im Sinne der Unternehmensziele) existieren mitarbeiterorientierte Ziele. Diese beziehen sich auf die Person des Mitarbeiters selbst, auf dessen Bedürfnisse und Entwicklungschancen. Wesentliche Ziele der Mitarbeiterkommunikation, wie sie sich aus der Durchsicht der praxisorientierten Literatur und der Forschung ergeben, sind dabei: ! Koordination und Vernetzung: Interne Kommunikation unterstützt ein koordiniertes und kontrolliertes Miteinander im Unternehmen. Sie ermöglicht eine gezielte Steuerung, Vernetzung und Verbesserung von Arbeitsprozessen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen. Die Kommunikation zwischen Management und Mitarbeitern trägt zu einer erhöhten Arbeitsproduktivität bei. Letztlich dienen die Kommunikationsprozesse im Unternehmen dazu, leistungsfähige Verbindungen zwischen Menschen und Organisationseinheiten zu schaffen mit dem Ziel der Wertschöpfung. „The role of internal communication is to illuminate the connections between different pieces of information, to shine a light on the web of interdependencies and to show the links between one area and another. Its job is to provide employees with the information they need to do their work, and to paint the bigger picture and tell the fuller story that puts that information into context“ (Quirke 2008, XV). ! Motivation: Zusätzliche Kommunikation im Unternehmen soll vor allem die Mitarbeitermotivation steigern. Dadurch werden positive Wirkungen auf die Effizienz und Effektivität der individuellen Arbeitsleistung erwartet. „Management by information“ gilt als eines der wichtigsten Motivationsinstrumente. ! Arbeitszufriedenheit: Neben der Motivation und Arbeitsleistung ist eine hohe Arbeitszufriedenheit ein weiteres, zentrales Ziel der Mitarbeiterkommunikation. Zufriedenheit resultiert aus der Befriedigung individueller Wünsche und Präferenzen. Werden Information und Kommunikation als wesentliche Bedürfnisse von Mitarbeitern eines Unternehmens angesehen, dann führen ausreichende Information und Kommunikation zur Befriedigung von Be- <?page no="286"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 271 dürfnissen wie Orientierung, Einbindung, Sinnerleben, Kontakt, Bestätigung usw. ! Vertrauen und Glaubwürdigkeit: Vertrauen ist die Grundlage jeder Arbeitsbeziehung. Kommunikation hingegen ist ein wichtiges Element von Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Das Gefühl, als Gesprächspartner ernst genommen zu werden, offen und ehrlich informiert zu werden und an der internen Kommunikation beteiligt zu sein, trägt wesentlich zur Entwicklung und zum Erhalt von Vertrauen in die Unternehmensführung und zu deren Glaubwürdigkeit bei. ! Integration und Identifikation: Die Identifikation mit der Arbeit und dem eigenen Unternehmen wird durch die Arbeitserfahrungen, z. B. das Ausmaß an sozialer Integration oder an Partizipationsmöglichkeiten, beeinflusst. Diese Erfahrungen hängen ebenso mit der Information als auch mit übergreifenden Konzepten wie „Corporate Identity“ oder „Unternehmenskultur“ zusammen. ! Betriebsklima und Unternehmenskultur: Durch die Mitarbeiterkommunikation wird die von den Mitarbeitern wahrgenommene Unternehmenskultur beeinflusst. Medien, Strukturen und Regeln der internen Kommunikation sind wesentliche Elemente der Unternehmenskultur. In einer offenen Unternehmenskultur sind Mitarbeiter eher zu Mitverantwortung und Eigeninitiative bereit. ! Wissen und Veränderungsbereitschaft: Moderne Unternehmen sind permanenten Veränderungen unterworfen. Das Wissen und die Beweglichkeit der Mitarbeiter werden zu entscheidenden Ressourcen. Interne Kommunikation leistet einen wichtigen Beitrag zum Wissensmanagement und unterstützt die Unternehmensführung bei Changeprozessen. Sie zielt auf die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter, bereitet sie auf den Wandel vor und nimmt ihnen ihre Ängste. Nur der überzeugte, informierte und qualifizierte Mitarbeiter trägt den Wandel mit. ! Außenwirkung: Die primäre Zielrichtung interner Kommunikation ist unternehmensinterner Natur. Dennoch agiert die Gruppe der Mitarbeiter auch in der externen Öffentlichkeit als Informationsquelle. Sie besitzen für Freunde und Familie, aber auch für Journalisten eine hohe Glaubwürdigkeit. Gut informierte und sich mit dem Unternehmen identifizierende Mitarbeiter können eine beachtliche positive Außenwirkung haben. Andere wiederum, die öffentlich über Interna sprechen, können Unternehmenskrisen auslösen. Ein eindrucksvolles Bild benutzt Quirke (2008), der die Ziele interner Kommunikation mit einer „Rolltreppe der Kommunikation“ vergleicht (Schaubild 54). Sie verdeutlicht, wie durch geschickte Kommunikation die Mitarbeiter Stufe für <?page no="287"?> 272 Umsetzung in der Praxis Stufe nach oben gebracht werden können. Auf jeder Stufe sind ganz unterschiedliche Kommunikationsformen wirkungsvoll. Nach Quirke gibt es zwei entscheidende Einflüsse in der internen Kommunikation: Erstens das Ausmaß an Veränderungen, das kommunikativ bewältigt werden muss, und zweitens das Involvement (Ich-Beteiligung, Bindung) der Mitarbeiter, d. h. ihre Bereitschaft, die Unternehmensziele aktiv mitzutragen und ihre volle Arbeitskraft zu investieren. Commitment setzt voraus, dass die Menschen partizipatorisch in Kommunikations- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden und „a sense of ownership“ (ebd., 237) empfinden. Schaubild 54: Communication Escalator Quelle: Quirke (2008, 236). Die Themen der Mitarbeiterinformation hängen von den Interessenlagen und der aktuellen Situation ab, in der sich die Mitarbeiter befinden. Auch Merkmale des Unternehmens wie z. B. Größe, Struktur und Lage am Markt entscheiden mit über die innerbetrieblichen Informationen. Das Themenspektrum der internen Kommunikation ist damit heterogen und kann in fachliche und soziale Fragestellungen aufgeteilt werden. Degree of Involvement Degree of Change Awareness ! Newsletter ! Video ! Electronic Mail Understanding ! Roadshows ! Video conferencing ! Satellite presentations ! Customer forums Support ! Seminars ! Training courses ! Business forums ! Multimedia Involvement ! Team meetings ! Feedback forums ! Speak up programmes ! Interactive conferencing Commitment ! Updates ! Team problem solving ! Talkback <?page no="288"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 273 ! Fachliche Themen umfassen z. B. Informationen zu internen Prozessen, Verfahren, Zielen und Organisationsstrukturen. Sie beziehen sich somit direkt auf die Leistungserstellung und Zielerreichung eines Unternehmens. ! Soziale Themen beschäftigen sich hingegen mit den persönlichen Beziehungen in einem Unternehmen, dem Zusammengehörigkeitsgefühl im Betrieb und der Befriedigung allgemeiner Kommunikationsbedürfnisse. Thematisiert werden hier u. a. die Mitarbeiter selbst, interne Werte und Normen, aber auch die soziale Umwelt des Unternehmens (z. B. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft). Die Vermittlung von Themen der internen Kommunikation muss häufig unterschiedliche, organisatorische Zuständigkeiten bewältigen. So kommt es vor, dass bestimmte Themen − wie der Aufbau einer Arbeitgebermarke − in die Zuständigkeitsbereiche verschiedener Kommunikations- oder Unternehmensbereiche fallen. Das macht neben einer verbesserten Zusammenarbeit über verschiedene Unternehmensbereiche hinweg und dem Zurücklassen klassischen „Silo- Denkens“ neue Ansätze der Mitarbeiterführung notwendig. So plädiert Schick (2014) dafür, Mitarbeitern nicht die Verantwortung für die Erstellung von einzelnen Medien zu geben, sondern sie daran zu messen, wie gut ein bestimmtes Thema kommuniziert wird. Im Vordergrund sollte stehen, in welchem Maße die zu vermittelnden Botschaften und Informationen beim Mitarbeiter angekommen sind. Es sollen also Themenverantwortlichkeiten in Unternehmen vergeben werden, die eine integrierende Funktion übernehmen. Bei der detaillierten Planung können dann die Experten der einzelnen Medien hinzugezogen werden (ebd., 43 ff.). Klare Themenverantwortlichkeiten unterstützen auch die Generierung relevanter Themen. Mitarbeiter, die einen Themenbereich ganzheitlich verantworten, etablieren sich innerhalb des Unternehmens als zentraler Ansprechpartner für dieses Gebiet. Mitarbeiter aus anderen Abteilungen, die über kommunikationsbedürftige Themen verfügen, haben so eine Anlaufstelle, die ihnen alle wichtigen Fragen beantwortet und bei der Entwicklung der Botschaft behilflich ist. Kommt es dann zur konkreten Vermittlung von Botschaften und Themen, gibt es verschiedene Strategien, die sich im Journalismus etabliert haben und auf welche die interne Kommunikation zurückgreifen kann (Mast 2014b, 1134): ! Die erklärende Strategie ordnet Ereignisse in die Vorgeschichte und Hintergründe ein. Somit wird grundlegendes Wissen vermittelt und die Mitarbeiter werden in die Lage versetzt, Dinge und Vorgänge zu verstehen. ! Die nutzwertorientierte Strategie bezieht Fakten auf den Aufgabenzusammenhang der Mitarbeiter. Sie übersetzt ein Thema für bestimmte Gruppen und gibt Handlungsempfehlungen sowie Anleitungen. <?page no="289"?> 274 Umsetzung in der Praxis ! Die werteorientierte Strategie verbindet ein Thema mit sozialen Beziehungen und Werten. Das Unternehmen als Gemeinschaft und sozialer Ort wird in den Vordergrund gestellt. Auf diese Weise werden die Mitarbeiter emotional angesprochen und ihre Orientierungssicherheit sowie Bindung an das Unternehmen gestärkt. … worüber im Unternehmen gesprochen wird Die Mitarbeiter sollten im Wesentlichen - unabhängig von Typ und Größe des Unternehmens - über folgende Informationsdimensionen Bescheid wissen: ! Entstehung/ Tradition: Warum gibt es das Unternehmen bzw. die Unternehmenseinheit? Welchen Stellenwert hat die Entstehungsgeschichte? ! Prozess/ Struktur: Abläufe der Geschäftsprozesse und Organisation. Wie sieht die „Architektur“ der Organisation(seinheit) aus? Wer ist Ansprechpartner bei Problemen? ! Aufgaben/ Ziele: Welche Ziele werden verfolgt? Welcher Beitrag wird von den einzelnen Bereichen erwartet? Wer hat welche Aufgaben übernommen? ! Entscheidungen: Wie laufen Entscheidungen ab und welche Ursachen und Ziele liegen ihnen zugrunde? Wer hat die Verantwortung? ! Sicherheit: Wie kann und will das Unternehmen die Zukunft meistern? Auf wen (bzw. welches Konzept) kann es bauen? Welches sind seine Ziele? ! Ordnung: Welche Normen, geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze gelten? Gibt es Ziele oder Vorgaben? Wie werden Führung und Kooperation geregelt? ! Identität: Wie unterscheidet sich das Unternehmen von anderen? Woraus bezieht es seine Unverwechselbarkeit? ! Probleme/ Schwächen: Wie überwindet das Unternehmen Rückschläge, Fehlverhalten, Bedrohungen, Schwächen? Auf welche Weise werden sie thematisiert? ! Legitimation: Welche Begründungen für Handlungen bzw. für Nicht- Handeln werden gegeben? Wie rechtfertigt das Unternehmen Veränderungen (z. B. Marktpositionen) oder Produkte, die in der Gesellschaft kritisiert werden? <?page no="290"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 275 3 3 I I n n t t e e r r n n e e K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n a a l l s s W W e e g g b b e e r r e e i i t t e e r r oor rgga an niissaattiio onnaalleer r R Reessiilliie en nzz Unternehmen wollen langfristig bestehen und arbeiten intensiv an ihrer Zukunftsfähigkeit. Sie müssen in der Lage sein, sich schnell auf neue Anforderungen einzustellen. Das Konzept der organisationalen Resilienz (Widerstandsfähigkeit) hilft Unternehmen dabei, sich gegen die neuen Herausforderungen zu wappnen und widerstandsfähiger zu werden. Dabei spielt die interne Kommunikation eine zentrale Rolle. Unter Resilienz wird in einem organisationalen Kontext die Fähigkeit eines Unternehmens verstanden, Krisen unbeschadet zu überstehen (Buchholz/ Knorre 2012). Das Konzept der Resilienz hat Wurzeln in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, darunter Psychologie, Sozialwissenschaften und Ökologie. Grundsätzlich wird immer die Widerstandsfähigkeit einzelner Systeme, Organismen oder Organisationen gegenüber äußeren Einflüssen beschrieben und die Frage gestellt, wie diese erhöht bzw. gestärkt werden. Resilienz lässt sich als Ergebnis dreier Faktoren beschreiben (Buchholz/ Knorre 2012, 12 ff., McManus et al. 2008): ! Wachsamkeit: Bezeichnet die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Umwelt auf ganzheitliche Weise wahrzunehmen und zu verstehen. Es gilt, Chancen und Risiken frühzeitig zu erkennen, um so adäquat reagieren zu können. Dazu ist es notwendig, ein Wissen darüber aufzubauen, welche Faktoren für Krisen verantwortlich sein können und welche Effekte diese Krisen auf das Unternehmen haben. ! Handhabung der Störanfälligkeit: Hierbei geht es um den bewussten Umgang mit möglichen Schwachstellen, die in Zeiten von Krisen die Funktionsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigen können. Schwachstellen müssen identifiziert und kontinuierlich überwacht werden. Solche problematischen Bereiche können z. B. die IT (z. B. Hackerangriffe, Datensicherheit) oder Infrastruktur des Unternehmens sein, aber auch wichtige Mitarbeiter, deren Ausfall nicht kompensiert werden kann. Es gilt, Pläne und Strategien zu entwickeln, wie mit diesen Situationen umzugehen ist. ! Agilität: Als für die Steigerung organisationaler Resilienz wichtigster Faktor, versteht man unter Agilität die Fähigkeit eines Unternehmens, sich mög- <?page no="291"?> 276 Umsetzung in der Praxis lichst schnell und ohne großen Energieaufwand an neue Gegebenheiten anzupassen. Grundlage dafür ist eine Unternehmensstruktur, die es zulässt, Strategie und Systeme zeitnah und in kurzen Abständen zu ändern. Agilität, als wichtigster Bestandteil organisationaler Resilienz und die damit verbundene schnelle Reaktionsfähigkeit gegenüber Veränderungen in der Unternehmensumwelt, machen ein organisches Vorgehen bei der Entscheidungsfindung notwendig. Beschlüsse können nicht länger ausschließlich im Top- Management getroffen werden, um dann langwierig an alle Mitarbeiter kommuniziert zu werden. Vielmehr treffen jene Mitarbeiter die Entscheidung, die in der gegebenen Situation die größte Expertise aufweisen. Buchholz und Knorre (2012) weisen der internen Kommunikation bei der Etablierung und Erhaltung von Agilität neue Funktionen zu. So gilt neben dem Aufbau von Resilienzwissen vor allem dem Bewahren der organisationalen Identität ein besonderes Augenmerk. In Zeiten, in denen die Unternehmensstrategie oft Veränderungen unterliegt, ist die Aufgabe der internen Kommunikation „(…)die Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, sich (…) organisationalen Verformungen immer wieder anzupassen, ohne dabei die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens aus den Augen zu verlieren“ (ebd., 18 f.). Weiter trägt die interne Kommunikation eine besondere Verantwortung bei der Entwicklung von Fähigkeiten zur Selbstbeobachtung. Nur eine stetige Reflexion ihres eigenen und des Verhaltens des Unternehmens ermöglicht es Mitarbeitern, sich und ihre Arbeit, den Veränderungen schnell anzupassen. Durch interne Kommunikation können sich Resilienz und deren Einflüsse positiv entwickeln. Um diese Funktionen zu erfüllen, stehen der internen Kommunikation verschiedene Hebel zu Verfügung: So können die Vermittlung von Orientierungssicherheit und Sinn, das Verdeutlichen von Handlungsprinzipen, die Vernetzung der Mitarbeiter, der Bottom-Up-Dialog und die Unterstützung von Führungspersonen zu diesem Zweck genutzt werden (ebd., 18 ff.). Interne Kommunikation kann also durch die Stärkung der Agilität und somit der Resilienz einen wertschöpfenden Beitrag innerhalb eines Unternehmens liefern und zur Stärkung dessen Wettbewerbsposition beitragen. Während andere Unternehmen mit den Folgen von Krisen große Probleme haben und lange versuchen, wieder in die Ausgangssituation zurückzufinden, gehen resiliente Organisationen unbeschadet, im Idealfall sogar gestärkt, aus Krisen hervor. <?page no="292"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 277 4 4 V V o o n n d d e e r r V V e e r r t t e e i i l l k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n zzuu i innt teerraakkttiivve enn P Prroozzeesssse enn „Wir werden schlecht informiert! Diese Informationen haben wir nicht! “ Wirklich? Wenn Mitarbeiter diese Sätze sagen, klagen sie dann aller Informationsüberlastung zum Trotz über eine Unterversorgung mit Informationen? Vorsicht ist bei der stereotypen Forderung der Mitarbeiter nach mehr Information geboten. Häufig sind hier nicht die fehlenden Informationen - also die „hard facts“ - das Problem, sondern die mangelnde Beachtung und Mitwirkung der Menschen, die ungenügende Bewertung und Übersetzung der Fakten auf die besondere Situation sowie das Fehlen einer persönlichen Ansprache. Das Management vieler Unternehmen reagiert darauf häufig - getreu der Vision eines besseren Informationsstandes - mit vielen zusätzlichen Einzelmaßnahmen und verschärft das Problem nur noch. Eine Prozessbzw. Systemoptimierung ist jedoch vonnöten, ebenso eine Änderung des Kommunikationsstils. Anstatt nur anlassbezogen zu reagieren, besteht das Geheimnis darin, Kommunikationsprozesse zu vernetzen und zu steuern, um den Wunsch der Mitarbeiter nach Ansprache, Mitwirkung und Integration gerecht zu werden. Das Ziel ist dabei die planvolle, adressatenorientierte Kommunikation. Statt vom Absender auszugehen, sollten die Mitarbeiter und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt gestellt und anschließend gewohnte Kommunikationsroutinen kritisch überprüft und verändert werden. Ein ebenso wichtiges Ziel ist aber auch, die Mitarbeiter und Führungskräfte in ihrer kognitiven und emotionalen Befindlichkeit ernst zu nehmen und ihnen die Wertschätzung, die sie erwarten, zuteilwerden zu lassen. Das ist nicht nur eine Frage der Kommunikationsinhalte („Was“), sondern auch der Art und Weise, wie kommuniziert wird. Fragen des Stils und der Form („Wie“) werden wichtiger. Mitarbeiter und Führungskräfte sind selbstbewusster und kritischer geworden. Sie achten besonders darauf, wie sie Themen erfahren. Der Wandel von der Verteilkommunikation zu interaktiven Prozessen in der internen Unternehmenskommunikation lässt sich an einem Instrument der Mitarbeiterinformation erläutern: der sog. Informationskaskade oder Regelkommunikation. Informationen der Geschäftsleitung werden über die verschiedenen Führungsebenen weitergegeben, bis sie ganz unten beim letzten Glied der Kette ankommen. Dies ist ein häufig eingeschlagener Weg der Mitarbeiterinformation. Die Kaskade, ein künstlich geschaffener Wasserfall, mag Parkanlagen durchaus attraktiv bereichern, für ein effizientes Management von Unternehmenskommunikation unter den heutigen Bedingungen ist sie als alleiniges Instrument nur selten geeignet (z. B. in außergewöhnlichen Situationen wie bei Änderungen der <?page no="293"?> 278 Umsetzung in der Praxis Strategie oder Fusionen). Im Regelfall erbringt dieser Kommunikationsweg unkalkulierbare Ergebnisse. Die Botschaften verlieren von Stufe zu Stufe an Kontext und gewinnen an zusätzlichen Bedeutungen bzw. Fehlinterpretationen. Je weiter sich die Informationen von der Ursprungsquelle entfernen, desto mehr werden sie mit unterschiedlichen Interessen und Motiven angereichert. Informationskaskaden können aus verschiedenen Gründen Mängel aufweisen: ! Mangelnde Klarheit und Eindeutigkeit der Botschaft am Ausgangspunkt. Häufig fehlt es an der Verbindung zwischen dem, was an Kommunikationsinhalten verbreitet wird, und dem, was die Rezipienten verstehen; ein kleiner Halbsatz, ein Semikolon, das von der Geschäftsleitungssitzung unter großen Mühen im Konsens gesetzt wurde, wird von den Empfängern nicht einmal wahrgenommen oder gar missverstanden. ! Fehlende Übersetzung der Botschaften auf die Belange der einzelnen Führungsebenen und dadurch lediglich Weiterreichung von immer „entfernteren Inhalten“. ! Distanzierung der Akteure nach dem Motto: „Ich gebe das nur so weiter.“ ! Verzerrungen durch Missverständnisse oder gezielte Eigeninteressen und persönliche Motive der Akteure. ! Feedback zur Verbesserung des Prozesses entsteht nicht oder zu spät („Warum funktioniert das immer noch nicht? Wir haben doch schon vor Wochen darüber informiert. Nutzen unsere Mitarbeiter das Intranet nicht? “). Die Leitidee des Prozessmanagements geht davon aus, Kommunikation nicht auf Verteilprozesse zu beschränken, sondern Austauschprozesse zu moderieren, zu gestalten und zu optimieren. Wenn Botschaften über die Kaskade verbreitet werden, sollten die Kommunikationsinhalte idealerweise vom ersten bis zum letzten Glied der Kette jeweils verbessert und mit lokalem Kontext angereichert und auf die Werte (Visionen, Leitbilder) ausgerichtet werden, die es zu betonen gilt. Außerdem soll über die jeweils aktuellen Themen gesprochen werden. Regelmäßiges Feedback aus allen Stufen und die konsequente, inhaltliche Ausrichtung der Botschaften auf die Unternehmenswerte sorgt für die Agenda der nächsten Runde oder anderer Kommunikationsformen. Nicht die pure Weiterreichung von Inhalten ist das Ziel von „Informationskaskaden“ oder der Regelkommunikation, sondern die inhaltliche Veredelung mit Blick auf die Mitarbeiter und das Setzen in den Kontext. Außerdem können Medien wie Corporate TV, Intranet oder persönliche Kommunikationsformen der Unternehmensleitung mit den Mitarbeitern oder Führungskräften den Kommunikationsprozess begleiten und dafür sorgen, dass die Ausgangsbotschaften auch wirklich unverfälscht am Ende der Kaskade ankommen. <?page no="294"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 279 In der Praxis stoßen solche Prozesse der internen Kommunikation noch auf vielfachen Widerstand. Dennoch kann versucht werden, Denkhaltungen in der Unternehmenspraxis zu fördern wie „Jeder ist Unternehmer“ oder „Jeder ist Kunde, auch der Kollege der Nachbarabteilung.“ Dieser Paradigmenwechsel im theoretischen und praktischen Verständnis von interner Kommunikation ergänzt die instrumentelle Sichtweise des Faktors Kommunikation durch die Aufgabe, Kommunikationsbeziehungen zu gestalten, in Kommunikationszyklen (Clampitt 2013, Quirke 2008) zu denken, den Adressaten im Auge zu behalten und letztlich die Koordination des Kommunikationsmanagements neu zu setzen. Diese sind: ! Erstens: die konsequente Ausrichtung der internen Kommunikation auf Orientierungssysteme wie Unternehmenswerte, Marken, Reputation und Image. ! Zweitens: die Vermittlung von Inhalten mit orientierendem Gehalt (z. B. Ziele, Botschaften). ! Drittens: die Einbindung der Mitarbeiter und Führungskräfte in leistungsfähige Kommunikationsnetze, die sowohl reine Informationsprozesse als auch dialogische Formen und vor allem Feedback ermöglichen. Die Herausforderung der internen Kommunikation lautet: Wie können die Kommunikationsprozesse gestaltet werden, dass in der Wahrnehmung der Mitarbeiter aus puren Informationen sinnstiftende Orientierungen werden? Quirke (2008) plädiert für einen intensiven Einsatz der persönlichen Kommunikation, die er in vier Stufen einteilt: Inhalt (Content), Zusammenhänge und Orientierung (Context), Gespräch (Conversation) und Feedback (Schaubild 55). Unter „Content” fasst Quirke sowohl die (mediale) Infrastruktur, die Unternehmen benötigen, um Informationen aller Art zu den internen Zielgruppen zu transportieren, als auch inhaltliche Eigenschaften zusammen. Unternehmen brauchen „clear messages, well articulated in plain language and presented in a familiar and recognizable format, with intended meaning clearly highlighted” (ebd., 178). Unter dem Stichwort „Context” spricht Quirke vor allem die Führungskräfte an, die zu den Informationen die Zusammenhänge, Hintergründe, Begründungen und Interpretationen hinzufügen sollen, damit die Mitarbeiter das Neue auch wirklich verstehen und das ganze Bild sehen, also nicht nur das jeweilige Informationspartikel. <?page no="295"?> 280 Umsetzung in der Praxis Mit „Conversation“ meint er sowohl das persönliche Gespräch über ein Anliegen als auch das, was Niklas Luhmann „Anschlusskommunikation“ nennt: Themen werden im Anschluss an einen Kommunikationsakt in verschiedenen Zirkeln und Formen weitergetragen. „Feedback“ dient auch als ein Test, ob die Botschaften von den Mitarbeitern richtig verstanden werden, nicht nur als ein Kanal für Beschwerden, Kritik u. a. Es fungiert als Steuerungsinstrument für ein prozessuales Management von Kommunikation. Interne Unternehmenskommunikation ist also auf die Schaffung von Werten ausgerichtet, wenn sie die Umsetzung von Geschäftsstrategien befördert. Im Zentrum stehen Orientierung und Dialog, d. h. die Beeinflussung von Meinungen und Einstellungen sowie die Stärkung individueller Handlungsmotivationen, die Reduktion von Komplexität und das Management von Beziehungen, Medien und Inhalten. Schaubild 55: Four step process of conversation Quelle: Quirke (2008, 177). 5 5 M M e e d d i i e e n n u u n n d d W W e e g g e e In den letzten Jahren hat das Intranet als Medium und Plattform der internen Kommunikation stark an Bedeutung gewonnen. Es bietet, neben der Möglichkeit zur Verbreitung von Kommunikationsangeboten, eine solide Ausgangsbasis für andere Medien wie Blogs, Wikis oder auch Corporate TV. Gerade die Rolle von Bewegtbild in der internen Kommunikation nimmt stetig zu. Da Corporate TV in der Produktion sehr teuer ist, verfügen meist nur große Unternehmen Content Context Conversation Feedback <?page no="296"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 281 über diesen Kanal. Eine Vielzahl kleiner und mittelgroßer Unternehmen greift jedoch auf einfache Filme oder Videos zurück, die dann über das Web verbreitet werden. Die Themen können stark variieren: von Informationen über Management-Konferenzen bis zur Darstellung eines authentischen Stimmungsbildes über Arbeitsbedingungen in einem Projekt. Auch die Mitarbeiterzeitschriften haben sich der Digitalisierung und der häufigen Internationalisierung angepasst und ihren Platz in dem neuen Medien-Mix der internen Kommunikation gefunden. Dabei spielt die Qualität der Inhalte eine immer größere Rolle. Dies gilt im Übrigen für alle Bereiche der Mitarbeiterkommunikation. Denn qualitativ hochwertige Kommunikationsangebote können aus der Informationsflut herausstechen. Sie genießen eine hohe Aufmerksamkeit auf Seiten der Mitarbeiter (Mast 2014b, 1135 f.). 5 5 . . 1 1 A A b b w w ä ä r r t t s s k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Unter Abwärtskommunikation (Goldhaber 1993, 155 ff.) versteht man vertikale Kommunikationsabläufe, d. h. den Informationsfluss von oben nach unten. Informationen der Geschäftsleitung werden über die verschiedenen Führungsebenen weitergegeben, bis sie ganz unten beim letzten Glied der Kette ankommen. Eine typische Form ist die Informationskaskade. Kommunikation von oben nach unten verfolgt gewöhnlich folgende Ziele: ! Die Belegschaft erhält Instruktionen und Arbeitsanweisungen. ! Informationen über die Vorhaben eines Unternehmens, Entwicklungen und Pläne werden verkündet. ! Begründungen von Managemententscheidungen werden gegeben. ! In der Aus- und Weiterbildung werden den Mitarbeitern bestimmte Kompetenzen vermittelt. Auch Seminare und Trainingskurse gehören zum Kommunikationsprozess eines Unternehmens. Die Abwärtskommunikation ist ein häufig eingeschlagener Weg der Mitarbeiterinformation. Je zahlreicher in den vergangenen Jahrzehnten die Hierarchieebenen in den Unternehmen wurden, desto dominanter wurde auch die Kommunikation von oben nach unten. Die meisten Unternehmen verfügen aus dieser Zeit über eine reichhaltige Medienlandschaft, die Fakten und Botschaften in die Belegschaft hinein transportiert. Trotz des Anwachsens der Kommunikationskanäle sind die Defizite dieser Kommunikationswege offensichtlich. In manchen Fällen ist die Informationsüberlastung vom Einzelnen nicht mehr zu bewältigen (Problem des „information overload“) (Clampitt 2013, 216, Snizek 2005, 32). Viele Informationen kommen viel zu spät am Arbeitsplatz an <?page no="297"?> 282 Umsetzung in der Praxis (Problem des „timing“). Dennoch kommen einzelne Gruppen im Unternehmen nur mühsam an die benötigten Informationen, da andere sie zurückhalten (Problem des „filtering“). So gesehen tragen schnelle elektronische Medien wie das Intranet bereits jetzt zu einer qualitativ besseren Versorgung der Belegschaft mit aktuellen Informationen bei. Typische Medien der Abwärtskommunikation sind sog. Verteilmedien. Das sind Kommunikationsmittel, die von einem Punkt aus an ein möglichst großes Publikum Inhalte „verteilen“. Feedback-Möglichkeiten sind - wenn sie überhaupt vorgesehen sind − äußerst spärlich und begrenzt. In manchen Mitarbeiterzeitschriften werden z. B. Leserbriefe abgedruckt oder Leserdiskussionen veranstaltet. Dennoch verbreitet dieses Medium überwiegend Informationen des Managements an die Belegschaft. Medien der Abwärtskommunikation sind z. B.: ! Informationskaskaden und Regelkommunikation, die Themen und Botschaften der Unternehmensleitung zu den Mitarbeitern transportieren, ! geschriebene oder gedruckte Kommunikationsformen wie Rundschreiben, Arbeitsanweisungen, Arbeitsplatzbeschreibungen, Jahresberichte, interne Newsletter, Druckschriften, Themenbroschüren und Aushänge am „Schwarzen Brett”, ! audio-visuelle Medien wie Videos im Intranet (Podcasts), Corporate TV, Videopräsentationen oder Filme sowie ! Gruppen-Meetings wie Konferenzen, Tagungen, Workshops, Seminare, Etat- und Abteilungsbesprechungen. Die Landschaft der Kommunikationskanäle von oben nach unten ist vielfältig. Dabei haben die Kommunikationsverantwortlichen erkannt, wie wichtig der direkte, persönliche Kontakt der Mitarbeiter zum Top-Management ist. Auch Nachrichtenbereiche im Intranet, mit deren Hilfe sich Mitarbeiter jederzeit über das von ihnen gewünschte Thema informieren können, gelten als wichtiges Medium mit stark steigender Bedeutung (Spachmann/ Huck-Sandhu 2015). 5 5 . . 2 2 A A u u f f w w ä ä r r t t s s k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Kommunikation „von unten nach oben“ (Goldhaber 1993, 159 ff.) stellt immer noch ein Problem in Unternehmen dar. Unter Aufwärtskommunikation versteht man Kommunikationsabläufe von Mitarbeitern zu ihren Vorgesetzten, von der Belegschaft zum Management. Durch diese Art von Kommunikation sollen folgende Ziele erreicht werden: ! Informationen über die aktuellen Arbeitsabläufe der Mitarbeiter werden den Leitungsebenen vermittelt. <?page no="298"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 283 ! Ungelöste Probleme im betrieblichen Ablauf werden in die Entscheidungsebenen getragen. ! Vorschläge für Verbesserungen und Innovationen aus der Belegschaft werden in die Managementprozesse integriert. ! Wissen und Erfahrungen der Mitarbeiter fließen in Zieldefinitionen und Problemlösungen ein. ! Meinungen, Einstellungen und Gefühle der Mitarbeiter über ihre Aufgaben, den Unternehmensbereich und die Firma als Ganzes werden in den Prozess der Ziel- und Strategiefindung aufgenommen. Die Anzahl der Kommunikationswege, die Informationen über die Hierarchieebenen nach oben transportiert, ist begrenzt. Mitarbeiter haben in der Regel nicht oder kaum die Möglichkeit, Informationen in die Entscheidungsprozesse einzuspeisen. Manche scheuen auch davor zurück, weil sie sich nicht exponieren wollen. Im Vergleich zur Abwärtskommunikation gibt es wenige typische Formen, die die umgekehrte Richtung, also die Aufwärtskommunikation, stimulieren. Beispiele sind: ! geschriebene Kommunikationsvorgänge wie Berichte, Notizen und Aktenvermerke, ! organisierte Kommunikationsabläufe wie das betriebliche Vorschlags- und Beschwerdewesen, Mitarbeiterbefragungen, Brief- und Kummerkästen sowie Evaluationsprogramme von Entscheidungen, z. B. nach Restrukturierungsmaßnahmen und Einführung neuer Medien wie Corporate TV, ! das Medium E-Mail oder spezielle Dialogveranstaltungen, die vom Management mit ausgewählten Gruppen der Belegschaft organisiert werden und die Hierarchien durchlässig machen, ! Social Media-Plattformen, in denen Mitarbeiter und Führungskräfte (häufig auch anonym) Fragen an die Geschäftsführung stellen können oder ihre Ansichten zu zentralen Themen wie Unternehmenskultur, Werte oder aktuelle Strategien äußern können. Solche Plattformen dienen meist dem Austausch der Mitarbeiter und Führungskräfte untereinander, aber auch der hierarchieüberspringenden Information des Top-Managements. Gerade Social Media-Anwendungen im Intranet bergen großes Potenzial zur dialogischen Kommunikation über die Hierarchieebenen hinweg. Diskussionen, in denen sich Mitarbeiter aller Hierarchien zu bestimmte Themen äußern, die für das Top-Management relevant sind, können gezielt angeregt werden. So können verschiedene Blickwinkel eingeholt und sichtbar gemacht werden. Kommentarfunktionen im CEO-Blog ermöglichen z. B. einfaches und direktes Feedback der Belegschaft. Auch der persönliche Kontakt ist, wie schon bei der <?page no="299"?> 284 Umsetzung in der Praxis Abwärtskommunikation, ein wichtiges Medium, das einen direkten Austausch zulässt (Mast 2014b, 1136 ff.). Organisierte Essen Immer mehr Unternehmen führen Face-to-Face-Programme durch, in denen Geschäftsführer und nach bestimmten Kriterien ausgewählte Mitarbeiter zu einem Essen zusammenkommen. Diese organisierten Meetings beim Frühstück oder Mittagessen können ein wichtiges Motivationsinstrument sein. Für die Chefs bieten sie Chancen, informell und ohne Filterung durch den Dienstweg Neues zu erfahren, Stimmungen zu „schnuppern“ und ihre Kommunikationsfähigkeit mit Mitarbeitern zu trainieren, mit denen sie selten in Kontakt kommen. Der Schlüssel für die Aufwärtskommunikation liegt in der Beziehung zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten. Viele Führungskräfte sind äußerst optimistisch, wenn sie auf ihre Liberalität in der Kommunikation angesprochen werden. „Meine Tür steht immer offen“, bekräftigen sie. Die Effektivität einer „Opendoor“-Politik hängt aber vom Vertrauen ab, das in der Beziehung zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten herrscht. Botschaften, die sich in die Unternehmenspolitik und vorhandenen Erwartungen der Manager einfügen, haben in der Aufwärtskommunikation Vorfahrt. Das Prinzip der kognitiven Dissonanz bezeichnet einen unangenehmen Spannungszustand, der sich aufgrund des Widerspruchs zwischen dem Wissen der Belegschaft und (vermeintlichen) Erwartungen bildet. Dieser Spannungszustand wird dadurch entschärft, dass die Mitarbeiter entweder ihr Verhalten anpassen oder die Situationen meiden, in denen diese Dissonanz entsteht oder gefördert wird. Die Folge ist, dass die Aufwärtskommunikation eine eher bestätigende Funktion ausübt. Mitarbeiter sagen das, wovon sie glauben, dass es erwartet oder gerne gehört wird - oder schweigen. Denn Mitarbeiter geben ungern negative Nachrichten nach oben. Schließlich wollen sie Karriere machen. Wer etwas Kritisches sagt, begibt sich in Gefahr, negativ aufzufallen. Die Akzentuierung der Aufwärtskommunikation, die Bestätigendes eher befördert als Dissonantes, führt dazu, dass Manager oft unvollständig und meist sehr verzerrt informiert werden. Dennoch könnte die Aufwärtskommunikation weit mehr bieten als ein pures Feedback oder eine bessere Information des Top-Managements über das, was im Unternehmen geschieht. Mitarbeiterumfragen (Domsch/ Ladwig 2013), die nach sozialwissenschaftlichen Methoden angelegt sind, zeichnen ein realistisches Bild. Da sie mittlerweile in <?page no="300"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 285 vielen Unternehmen bereits über das Intranet durchgeführt werden, wird Zeit und Geld gespart. In nur wenigen Wochen kann ein Fragebogen methodisch umgesetzt, die Befragung durchgeführt und eine Standardauswertung erstellt werden. Aufwärtskommunikation befriedigt nicht nur das Bedürfnis der Belegschaft nach Wertschätzung, sondern auch das Verlangen, mit einflussreichen und „mächtigen“ Menschen im Unternehmen in Kontakt zu kommen. Diese sozialen Kontakte spielen auch für viele Mitarbeiter eine Rolle, die niemals Karriere machen wollen. Zudem sind für diejenigen, die angesichts der schlanken Führungsstrukturen vermutlich selbst nicht zum immer kleiner werdenden Kreis der Manager gehören werden, diese Kommunikationsbeziehungen manchmal eine Art Ersatz für den eigenen Aufstieg. 5 5 . . 3 3 W W e e c c h h s s e e l l s s e e i i t t i i g g e e r r A A u u s s t t a a u u s s c c h h u u n n d d D D i i a a l l o o g g Der Begriff horizontale Kommunikation (Goldhaber 1993, 161 ff.) bezeichnet eine Mischkategorie. Alle Kommunikationsprozesse, die nicht eindeutig nach dem Schema „oben-unten“, d. h. zwischen den Verantwortungsebenen ablaufen, fallen unter diesen Begriff. Horizontale Kommunikation, die zwischen Individuen und Gruppen einer Hierarchieebene verläuft, kann der Koordination, Abstimmung und Problemlösung dienen. Sie kann aber durchaus als Ersatz für Aufwärts- oder Abwärtskommunikation fungieren. Wenn z. B. die Gelegenheit für die vertikale Kommunikation fehlt, tritt „peer communication“ (Kommunikation mit Gleichrangigen) an die Stelle. Normalerweise haben Unternehmen weniger Kanäle für die horizontale und die Aufwärtskommunikation als für die Abwärtskommunikation zur Verfügung. Dadurch öffnet sich eine gefährliche Falle. Entscheidungen werden gefällt, ohne die vorhandenen Ressourcen an Wissen und Erfahrungen voll auszuschöpfen. Projekte werden isoliert umgesetzt, ohne das Know-how dem gesamten Unternehmen zugänglich zu machen. Das obere Management bemerkt die Defizite der Aufwärtskommunikation sowie des gegenseitigen Austausches (= horizontale Kommunikation) meist zu spät. Da die Führungskräfte selbst in ein dichtes Netz von Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen eingebunden sind, erkennen sie meist nicht mehr, wenn sie den Kontakt mit der Belegschaft verloren haben und „abgehoben“ agieren. Sie versäumen es dann, den „grenzüberschreitenden“ Austausch und Dialog zu planen und zu organisieren. Ohne eine systematische Organisation dieser Kommunikationsabläufe wird die Vorherrschaft der Abwärtskommunika- <?page no="301"?> 286 Umsetzung in der Praxis tion verhindern, dass Potenziale der Mitarbeiter freigelegt werden. Manager erhöhen somit ihr eigenes Risiko der Fehlentscheidungen und des Scheiterns. Die geringe horizontale Kommunikation in Unternehmen hat aber noch weitere Gründe: Einzelne Bereiche betrachten sich durchaus als „selbstständig“ und sehen wenig Gemeinsamkeiten mit anderen. Sie pflegen ein Eigenleben. Horizontale Kommunikation ist in ihren Augen unnötig, zumal sie anderen Bereichen oder Abteilungen auch noch ein Mitreden ermöglichen würde. Sie wollen sich aus Eigennutz und zum Eigenschutz abschotten („Silo-Denken“). Typische Formen für den gegenseitigen Austausch von Wissen, Erfahrungen und Informationen in der horizontalen Kommunikation sind: ! neue betriebsinterne Netze (Intranet), die sich in den Unternehmen als einheitliche Kommunikationsplattform etablieren (Meier/ Lütolf/ Schillerwein 2015, Hoffmann 2009, Hoffmann/ Lang 2008). Sie durchdringen die Firmen wie ein feinnerviges Geflecht, das für den Nutzer ein reichhaltiges Angebot an Informationen bereithält, aber auch Kommunikationsverbindungen ermöglicht. Allerdings muss der Nutzer aktiv werden und wissen, was er will. Das Kommunikationsinstrument bietet vielfältige Möglichkeiten. Spezielle Social Media-Plattformen können den internen Austausch von Ideen, Anregungen, aber auch kritischen Ansichten sehr befördern. Sie setzen das Top-Management unter Druck, kontinuierlich Rede und Antwort zu stehen - authentisch, schnell und überzeugend. ! Besprechungen und Gruppenmeetings (Seifert 2015, Laufer 2009, Domke 2006), die die Grenzen von Abteilungen und Bereichen überschreiten, z. B. Projektgruppen, Qualitätszirkel, bereichsübergreifende Teams (Task Force), Seminare, Kurse und Schulungen. ! Informelle Gespräche (Schick 2014, 168 ff.), z. B. beim Mittagessen, im Nachgang zu einer Veranstaltung, in der Freizeit. Dazu gehören auch die Gerüchte, die auf den Fluren schnellstens Organisationspläne außer Kraft setzen. 6 6 K K e e r r n n b b e e r r e e i i c c h h e e d d e e r r i i n n t t e e r r n n e e n n K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Das Intranet als Plattform für vielfältige Anwendungen - künftig verstärkt auch für Corporate TV, Wikis und Blogs - ist innerhalb weniger Jahre zum zentralen internen Kommunikationsweg geworden. Zusammen mit den traditionellen Mitarbeiterzeitschriften, die sich den Trends der Elektronisierung und Internationalisierung anpassen, und der persönlichen, unvermittelten Kommunikation bildet es heute ein Triumvirat interner Unternehmenskommunikation. <?page no="302"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 287 Untersuchungen weisen auf drei zentrale Kommunikationswege hin, die - jeder auf seine Art - zum Kernbereich der internen Kommunikation gehören (Mast 2011, Huck/ Spachmann 2008). Auf sie müssen sich die Aktivitäten der Unternehmen konzentrieren. Denn sie leben von schneller und effizienter Verarbeitung von Marktinformationen, von der Nutzbarmachung und Mehrung der Wissenspotenziale sowie von der Motivation der Mitarbeiter. 6 6 . . 1 1 I I n n t t r r a a n n e e t t a a l l s s K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n s s p p l l a a t t t t f f o o r r m m Den ersten Kernbereich der Unternehmenskommunikation bildet die elektronisch gestützte Kommunikation des Intranet als Kommunikationsplattform (Kinter/ Ott/ Manolagas 2009, 214 ff., Hoffmann/ Lang 2008). Intranets als Kommunikationsplattformen haben ihren Weg schnell in Unternehmen gefunden und sich dort nachhaltig etabliert. Vor allem die Einbindung und die Etablierung von Social Media-Anwendungen und die Schaffung von Räumen zum kollaborativen Arbeiten sind aktuelle Trends (Spachmann/ Huck-Sandhu 2015). Ein gut funktionierendes Intranet stellt für alle Anspruchsgruppen eine klare Verbesserung der Arbeits- und Kommunikationsprozesse dar und wirkt unterstütz en d be i ei ner Vi elzah l de r zu er füllen den Aufgab en. Di e Unte rneh men pa ssen das Intranet an ihre speziellen Belange an und nutzen es zu mehreren Zwecken: Das Intranet optimiert als Arbeitsmittel die Produktionsabläufe und bündelt als Informations- und Kommunikationsplattform das Wissen, das Mitarbeiter ohne Filterung durch das Management abrufen können. Vor allem dezentral organisierte und international tätige Firmen profitieren vom schnellen und kostengünstigen Kommunikationsnetz. Die Stärken des Intranet liegen in seiner Flexibilität und Aktualität. Als Medium zur Selbstbedienung offeriert es Informationen ohne hierarchische Barrieren, hebt Grenzen von Zeit und Raum auf und wartet geduldig auf den aktiven Nutzer. Neben dem Betreiben des Intranet ist das Weiterentwickeln eine große Herausforderung. Oft haben etablierte Netze das Problem, dass die stark angewachsene Informationsfülle ein Auffinden der gesuchten Daten erschwert oder gar unmöglich macht. Außerdem lehnen Mitarbeiter die Nutzung des Intranet ab, wenn sie keinen konkreten Nutzen darin erkennen. So werden keine neuen, attraktiven Inhalte eingestellt und das Intranet droht, auch für andere Mitarbeiter, uninteressant zu werden. Zudem sehen sich Mitarbeiter oft mit einer Fragmentierung von Informationen durch mehrere parallele Netze konfrontiert. Nicht zuletzt durch die unterschiedlichen Logins entstehen so neue Barrieren, die einer aktiven Nutzung des Intranet entgegenstehen (Schick 2014, 183). Für die interne Kommunikation gilt es dann, zusammen mit anderen Abteilungen und <?page no="303"?> 288 Umsetzung in der Praxis Linienfunktionen, das firmeninterne Kommunikationsnetz weiterzuentwickeln und die aufkommenden Probleme gezielt zu lösen (Morrell 2015, Schick 2014, 183 ff.). Corporate Weblogs oder verkürzt „Corporate Blogs“ (Pleil/ Zerfaß 2014, Wright 2009a, Böttcher 2008, Eck 2007) sind Online-Journale, die chronologische Texteinträge ähnlich eines Tagebuchs enthalten. Die Leser können auf die Inhalte unmittelbar antworten, ein direkter Austausch wird möglich. Diese Interaktivität und Vernetzung zwischen Menschen ist das zentrale Kennzeichen des neuen, „sozialen“ Web 2.0 (Eck 2007, 19). Neben Mitarbeitern, die sich z. B. über technische oder administrative Dinge austauschen oder grenzüberschreitend an einem Projekt arbeiten, finden sich im Intranet auch immer mehr Blogs aus der Managementebene (Kinter/ Ott/ Manolagas 2009, 221 ff.). Der Dialog mit den Mitarbeitern und ihre Integration bzw. Partizipation sind dabei die zentralen Ziel e de s CEO -B logs . Doch nicht jedes Tagebuch findet die gewünschte Aufmerksamkeit. Mitarbeiter entscheiden sehr genau, welche Medien und Inhalte ihre Zeit wert sind. Entscheidend für den langfristigen Erfolg eines Blogs ist dabei nicht der hierarchische Status des Bloggers, sondern die Beliebtheit der Inhalte (Eck 2007, 30). Werden alte Marketing- und PR-Inhalte aufgewärmt, wenden sich die Leser schnell ab. Der Weblog verliert an Glaubwürdigkeit und inhaltlichem Wert. Einblicke in das persönliche Leben und Denken einer Führungskraft, Entscheidungen, die begründet und erklärt werden, und der offene Umgang mit Kritik steigern hingegen den Wert eines Blogs für seine Nutzer und damit auch für die Kommunikatoren. Offene Kommunikationsplattformen im Internet bieten Chancen, beinhalten aber auch Risiken für Unternehmen. Sie können ein überzeugendes Transparenzsignal aussenden oder zum Krisenherd bzw. Zentrum für Empörung und Erregung werden. Ihr Einsatz muss daher sorgfältig analysiert, systematisch geplant und mit der vorhandenen Medienstruktur abgestimmt werden. Werden Corporate Blogs immer häufiger auch in kleineren und mittleren Unternehmen eingesetzt, findet sich das Unternehmensfernsehen bislang nur in wenigen großen Firmen. Hohe Produktionskosten und die erforderliche Technik hemmen eine schnelle Ausbreitung des Corporate TV. Kurze Videos hingegen - verbreitet über das Intranet - werden zunehmend für verschiedene Zwecke (Bürgi 2009, Behr 2008, Mickeleit/ Ziesche 2006) eingesetzt. Die Akzeptanz und somit auch die aktive Nutzung von Social Media- Anwendungen im Intranet werden durch die Unternehmenskultur begründet. Zum einen muss gewährleistet sein, dass das Arbeiten im Intranet nicht als sinnloses Surfen abgetan, sondern von Führungskräften akzeptiert, gefördert und <?page no="304"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 289 vorgelebt wird. Weiter muss in der Unternehmenskultur das Teilen von Informationen fest verankert sein. Damit einher geht eine grundlegende Veränderung der Kommunikationskultur, die aktiv von der internen Kommunikation mitgestaltet werden muss (Lombardi 2015, 161 ff., Schick 2014, 194 ff.). 6 6 . . 2 2 N N e e u u p p o o s s i i t t i i o o n n i i e e r r u u n n g g d d e e r r g g e e d d r r u u c c k k t t e e n n M M e e d d i i e e n n Den zweiten Kernbereich der internen Unternehmenskommunikation stellen die Zeitschriften und gedruckten Dienste, allen voran die Mitarbeitermagazine dar (Cauers 2009, Mänken 2009, Marinkovic 2009). Nach der Verbreitung elektronischer Medien wie E-Mail, Intranet, Corporate TV und Corporate Blogs verlagern sich die Leistungen der Druckmedien von der aktuellen Information hin zur Vermittlung von Hintergründen und Zusammenhängen, zur Bewertung und Analyse von Problemthemen und zur emotionalen Bindung der Mitarbeiter an ihr Unternehmen. Durch ihre Beiträge und visuelle Erscheinung können Mitarbeiterzeitschriften das Unternehmen und dessen Identität greifbar machen und tragen so zur Orientierung von Mitarbeitern bei. Wollen sie ihre neue Rolle aktiv ausfüllen, müssen ihre Inhalte nun anders bearbeitet werden. Viele Mitarbeiterzeitschriften brauchen jedoch Fitness-Kuren, damit sie den Wettbewerb der Kommunikationskanäle bestehen. Sie müssen ihre Stärken als gedrucktes Medium optimieren. Denn in der Aktualität sind ihnen die elektronischen Systeme weit überlegen. Die gedruckten Zeitschriften können hingegen die Rolle des Wegweisers oder Navigators in der internen Unternehmenskommunikation übernehmen. Die (tages-)aktuelle Information der Belegschaft und deren Versorgung mit Nachrichten zu Entwicklungen des Unternehmens können das Intranet oder das Corporate TV übernehmen. Das entlastet die Redaktionskonzepte der Mitarbeiterzeitschriften, die sich nun auf die Erklärung von Zusammenhängen und Erläuterung von Hintergrundinformationen sowie bewertende Analysen konzentrieren können. In dieser Funktion sind die betriebsinternen Zeitschriften unersetzbar. Sie stärken - als haptische Medien - die Bindung der Mitarbeiter an ihre Firma und strahlen auch in deren soziales Umfeld (Familie, Freunde, Bekannte) aus. Sie sind nicht wie z. B. das Intranet an technische Geräte und Orte gebunden und bieten deshalb besondere Flexibilität beim Lesen. Auch vor dem Hintergrund, dass vor allem in produzierenden Betrieben einige Mitarbeiter keinen oder nur begrenzten Zugang zu elektronischen Medien haben, verlieren gedruckte Medien nicht an Relevanz (Schick 2014, 151 ff.). Mitarbeiterzeitschriften können sich, wenn sie den Freiraum durch eine Neupositionierung aktiv nutzen, verjüngen und an Attraktivität gewinnen. Mitarbeiter <?page no="305"?> 290 Umsetzung in der Praxis erwarten von diesen gedruckten Medien jedenfalls nicht nur, dass sie professionell produziert sind, sondern Transparenz fördern, damit Zusammenhänge in den stark arbeitsteiligen Unternehmen deutlich werden. Für Mitarbeiter übernimmt die gedruckte Zeitschrift die Aufgabe einer „sachlichen Kontextualisierung“ von Informationen, Entscheidungen und Ereignissen (Huck/ Spachmann 2008). Das ist auch die Voraussetzung für den Aufbau eines Wir-Gefühls, in dem sich der einzelne Mitarbeiter als Teil des Ganzen wiederfindet. Außerdem kann die Zeitschrift die notwendige Orientierung und Motivation der Belegschaft stärken, wenn sie die Unternehmenspolitik oder einzelne Vorstandsentscheidungen anschaulich erläutert. 6 6 . . 3 3 B B e e d d e e u u t t u u n n g g d d e e r r p p e e r r s s ö ö n n l l i i c c h h e e n n K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Der dritte Kernbereich der internen Unternehmenskommunikation ist die persönliche Kommunikation der Vorgesetzten mit ihren Mitarbeitern, der Fachleute untereinander und im Kollegenkreis. Die Bedeutung der Face-to-Face- Kommunikation steigt, ihre Inhalte und Abläufe müssen sich den veränderten Bedürfnissen der Führungskräfte und Mitarbeiter anpassen (Kinter/ Ott/ Manolagas 2009, 44 ff.). Das persönliche Gespräch (Clampitt 2013, 113, Knapp/ Daly 2011, Hitt 2009) ist - wenn es richtig eingesetzt und praktiziert wird - die wirksamste und effizienteste Form der Kommunikation, da sie mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllt: In for ma ti on, Intera kt io n, In terp re ta tio n un d Beei nf lu ss un g. Per s önli c he Gespräche und Meetings geben den Kommunikationspartnern laufend Rückkopplungsmöglichkeiten, indem sie abwechselnd sprechen, rückfragen und Unklarheiten beseitigen können. Aufgrund der persönlichen Übermittlung von Botschaften und der Interaktivität dieser Kommunikationsform eignen sie sich besonders für die Motivation und Integration von Mitarbeitern, aber auch zur Beratung und Betreuung. Face-to- Face-Kontakte in Unternehmen sind vor allem dann wichtig, wenn ! Ziele und Botschaften erläutert und mit Leben gefüllt werden sollen (z. B. bei Dialogen mit Vorstandsvorsitzenden und Vorständen), ! es in der Kommunikation auf Nuancen ankommt, weil Emotionen im Spiel sind (z. B. bei Umstrukturierungen), ! komplizierte Verhandlungen geführt werden müssen (z. B. mit Mitarbeitern oder Arbeitnehmervertretern, die immer selbstbewusster Konditionen aushandeln), <?page no="306"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 291 ! detaillierte Problemanalysen durchgeführt werden sollen (z. B. beim Verfehlen der Planvorgaben einzelner Abteilungen oder ganzer Geschäftsbereiche), ! Mitarbeiter(innen) für unangenehme oder schwierige Aufgaben gewonnen werden sollen (z. B. zur Mitarbeit bei Restrukturierungsmaßnahmen) oder generell ! wenn Vertrauen in die Kompetenz und Souveränität des Managements vermittelt werden soll. Allerdings müssen sich die Abteilungen für Unternehmenskommunikation und vor allem die Manager darauf einstellen, dass Inhalt und Ablauf persönlicher Gespräche dem veränderten Medienszenario in den Unternehmen entsprechen. Was die Mitarbeiter bereits aus den internen Medien erfahren haben, wollen sie von ihren Chefs nicht nochmals hören. Die Vorgesetzten müssen selbst bestens informiert sein, denn ihre Mitarbeiter verlangen nach einem Kompass in der Informationsflut. Der internen Kommunikation stehen verschiedene Formate zur Verfügung, mit deren Hilfe sie persönliche Kommunikation gezielt anstoßen kann: ! Eve nt s, als be wuss t insz enier te Veran st al tun ge n, di e Bot sch af ten übe r emotionale und physische Reize vermitteln, sind ein sehr wirkungsvolles Format der persönlichen Kommunikation. Herbst (2014b, 181 ff.) führt deren Wirkung unter anderem auf folgende Eigenschaften zurück: Events lösen vor allem starke Gefühle bei den Mitarbeitern aus, die Informationen stärker im Gedächtnis verankern. Die entstandenen Emotionen können später wieder aufgegriffen und entwickelt werden. Daneben zeichnen sich Events vor allem dadurch aus, dass sie interaktiv sind. So kann zum einen eine Interaktivität zwischen den Mitarbeitern und der Organisation, aber auch unter den Mitarbeitern selbst geschaffen werden. Auf diese Art kann der Austausch wichtiger Informationen auf einer informellen Ebene gefördert werden. Weiterhin sprechen Events alle Sinne der Teilnehmer an. Neben den sonst üblichen visuellen und auditiven Reizen können haptische, olfaktorische und gustatorische Reize zum Einsatz kommen. So kann sich die interne Kommunikation das sog. „multisensory enhancement“ - die verstärkte Wahrnehmung durch das Zusammenspiel verschiedener Sinne - gezielt zu Nutze machen, um wichtige Informationen fest bei den Mitarbeitern zu verankern. Des Weiteren verfügen Events über hohe Glaubwürdigkeit. Die authentische und ganzheitliche Wahrnehmung des Unternehmens macht es für die Mitarbeiter transparent und hat so positiven Einfluss auf die Glaubwürdigkeit. Zuletzt besitzen Events ein großes Aktivierungspotenzial. <?page no="307"?> 292 Umsetzung in der Praxis Bei allen positiven Eigenschaften des Kommunikationsweges „Event“ ist dennoch Vorsicht geboten: Jene beschriebenen Effekte, die Events so effektiv machen, können sich bei einer mangelnden Ausführung oder einem nicht intendierten Verlauf stark negativ auswirken. Der Erfolg von Events steht und fällt demnach mit dessen professioneller Planung und Umsetzung. ! Das mindestens jährlich stattfindende Mitarbeitergespräch gilt als wertvoller Austausch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter. Neben der Beurteilung der Leistung, die sehr wichtig für die Orientierung und Motivation der Mitarbeiter ist, bietet das Gespräch zudem die Möglichkeit, Verbesserungsvorschläge und Ansprüche der Mitarbeiter einzuholen. Vor allem der persönliche Charakter des Gesprächs kann als Grundlage für beide Parteien dienen, ihre jeweiligen Blickwinkel darzustellen und abzugleichen (ebd., 177 f.). ! Regelmäßig, meist jährlich, treffen sich die Führungskräfte eines Unternehmens in sog. Business Conferences. Auf diesen Führungskräftetagungen werden Strategien und aktuelle Vorhaben besprochen. Ziel ist es, mit den Führungskräften als Multiplikatoren den zukünftigen Weg des Unternehmens und auch die notwendigen Veränderungsprozesse zu diskutieren. Je nach Kommunikations- und Führungskultur eines Unternehmens enthalten diese Kommunikationsformen mehr oder weniger dialogische Strukturen. ! Unter „Town Hall Meetings“ versteht man Versammlungen aller Mitarbeiter mit dem Ziel, Informationen der Geschäftsführung zu neuen Geschäftsmodellen, Projekten oder Herausforderungen zu geben. Als typische Form der Verteilkommunikation werden solche Versammlungen aller Mitarbeiter eines ganzen Unternehmens oder von einzelnen Bereichen durchgeführt, um Neues (Was? ) vorzustellen und auch über die Beweggründe (Warum? ) zu sprechen. Allerdings haben Town Hall Meetings in der Praxis meist Verkündigungscharakter. ! Der Dialog zwischen dem Top-Management und Gruppen aus dem Unternehmen steht im Vordergrund von Maßnahmen, die unter verschiedenen Bezeichnungen und Formaten in den Unternehmen durchgeführt werden: „Geschäftsführung im Dialog“, „Offen gesagt“, „Im Gespräch mit dem CEO“ u. a. In diesen Veranstaltungen werden meist in dialogischer Form Themen und Anliegen besprochen. Wichtig ist, dass die Teilnehmer - ob Mitarbeiter oder Führungskräfte - Themen von beiderseitigem Interesse in persönlicher Aussprache behandeln können. ! Eine spezielle Form der internen Kommunikation ist die Betriebsversammlung (BetrVG vom 15.01.1972), die gemäß Betriebsverfassungsgesetz einmal pro Jahr vom Betriebsrat einberufen wird. Die Geschäftsführung spricht auf dieser Versammlung auf Einladung des Betriebsrates und stellt in der Regel <?page no="308"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 293 wichtige geschäftspolitische Entscheidungen vor. Die übrige Tagesordnung der Versammlung besteht meist aus Themen des Betriebs. 7 7 M M a a n n a a g g e e r r a a l l s s K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t o o r r e e n n Führungskräfte sind zentrale Multiplikatoren der Mitarbeiterkommunikation. Sie haben den direkten und täglichen Einfluss auf ihre Mitarbeiter (Schick 2014, 135 ff., Buchholz/ Knorre 2013, 104 ff., Mast 2011, 118 ff.). Sie sind als Mittler zwischen den Hierarchieebenen wichtige Informationsquellen für ihre Teams. Vorgesetzte geben Informationen der Unternehmensführung weiter und übersetzen sie in den individuellen Kontext des jeweiligen Mitarbeiters. Führungskräfte sind darüber hinaus Coaches und Förderer, Moderatoren und Motivatoren ihrer Mitarbeiter. Sie motivieren, koordinieren und integrieren ihre Teams in das Unternehmen (Dörfel/ Hinsen 2009, Kinter/ Ott/ Manolagas 2009, Quirke 2009). Die Kommunikation der direkten Führungskraft hat damit das breiteste Leistungsspektrum in der internen Kommunikation - vorausgesetzt, der Vorgesetzte kommuniziert adressaten-gerecht. Manager erfüllen zwei Kommunikationsfunktionen: eine informative und eine sozial-emotionale. Sie wählen zum einen Informationen entsprechend der Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter aus, vermitteln, bewerten und interpretieren sie. Insbesondere Informationen zur unmittelbaren Aufgabenstellung, zu strategischen Entscheidungen der Unternehmensführung und zu Entwicklungen im Umfeld kommen häufig vom direkten Vorgesetzten. Dieser hat zum anderen jedoch auch emotionale Beziehungen zu seinen Mitarbeitern, die deren Motivation, Leistung und Zufriedenheit - positiv oder negativ - beeinflussen. Die Pflege von Beziehungen bildet daher den zweiten Aufgabenbereich der Führungskommunikation. Vorhandene Emotionen, Bedürfnisse und Ziele des einzelnen Mitarbeiters müssen hierbei vom Vorgesetzten identifiziert und in das eigene Kommunikationsverhalten eingebunden werden. Die Kommunikation von Managern ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Führungsaufgabe. Studien bestätigen diese Bedeutung der Führungskräftekommunikation. Sie zeigen, dass Vorgesetzte zwischen 70 und 90 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Kommunikation verbringen. Am häufigsten kommunizieren Manager dabei mit den eigenen Mitarbeitern (von Rosenstiel 2014). In Abhängigkeit von situativen, persönlichen und organisationalen Faktoren verwenden sie hierzu verschiedene Instrumente und Wege. Nach wie vor bevorzugen viele Führungskräfte formelle Kaskaden als Kommunikationswege entlang der Hierarchien. E-Mails und Telefonate verkürzen scheinbar den Zeitaufwand für Kommunikation und werden als Ersatz des persönlichen Gesprächs verstanden. Die <?page no="309"?> 294 Umsetzung in der Praxis Bedürfnisse der Mitarbeiter werden damit jedoch ausgeblendet. Zu informationslastig und sachorientiert erscheint ihnen häufig die Führungskommunikation. Sie wünschen sich persönliche Zuwendung bzw. Interesse und beklagen zu wenig Meinungsaustausch bzw. Diskussion (Schick 2014, 135 ff.). Mitarbeiter fordern jedoch nicht nur einen direkteren, persönlicheren Kontakt von ihren Vorgesetzten. Sie erwarten darüber hinaus frühzeitige, aktuelle und umfassende Informationen und eine offene, ehrliche Kommunikation ihrer Manager. Vom eigenen Vorgesetzten wünschen sich Mitarbeiter klare, verständliche und authentische Aussagen. Die in Befragungen häufig genannten Forderungen nach mehr Fairness und Integrität, nach Transparenz und Ehrlichkeit von Führungskräften hängen dabei eng mit der Glaubwürdigkeit der Manager zusammen. Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind zentrale Ressourcen für Vorgesetzte. Ohne sie kommen Botschaften nicht bei den Mitarbeitern an, werden Entscheidungen nicht akzeptiert und Anweisungen mehr oder weniger offen boykottiert. Die Glaubwürdigkeit des Vorgesetzten beeinflusst die Leistungsbereitschaft, das Engagement und die Motivation der Mitarbeiter. „Wem man nicht glaubt, dem folgt man nicht“ (Arndt/ Reinert 2006). Glaubwürdigkeit (Hubig 2014) bildet damit die Basis jeder Kommunikation, sowohl jener zwischen zwei Menschen, als auch zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern. Glaubwürdigkeit und Vertrauen entstehen in der Wahrnehmung jedes Einzelnen. Der einzelne Mensch glaubt seinem Vorgesetzten, einem Unternehmen oder einer Institution, d. h. er attribuiert ihnen Glaubwürdigkeit, und schenkt ihnen Vertrauen. Er bewertet die Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit seines Gegenübers dabei vor allem anhand von dessen Verhalten und seiner Kommunikation. Wer auf seinem Gebiet kompetent erscheint und authentisch auftritt, wer offen und ehrlich kommuniziert, wird als glaubwürdig wahrgenommen (Nawratil 2006, Huck 2005a). Dazu gehört, dass sich Botschaften und Aussagen eines Kommunikators auch langfristig nicht grundsätzlich widersprechen. Vertritt jemand zunächst die eine, dann die andere Position, wird er schnell als „Fähnchen im Winde“ und damit als wenig glaub- und vertrauenswürdig wahrgenommen. Kommunikation allein genügt jedoch nicht. Wer das eine sagt und etwas anderes tut, verspielt ebenfalls schnell jeden Kredit bei seinen Adressaten. <?page no="310"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 295 Glaubwürdigkeit und Vertrauen gelten als Basis des Umgangs miteinander. Beides sind Zielwerte der Kommunikation von Unternehmen mit ihren Stakeholdern. Während Glaubwürdigkeit vorrangig unter kommunikativen Aspekten betrachtet wird (Kommunikationsdimension), gilt Vertrauen als Grundfeste von Beziehungen (Beziehungsdimension). Glaubwürdigkeit und Vertrauen entstehen und entwickeln sich nur langsam bei Mitarbeitern und Führungskräften. Sie zu beschädigen oder gar zu verlieren, kann hingegen schnell gehen. Neben den Widersprüchen unter den kommunizierten Botschaften oder zwischen Reden und Handeln ist insbesondere die Lüge der unmittelbarste Anlass für Vertrauensverluste (Huck 2005a). „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht“ - diese Redewendung des Volksmundes erweist sich auch in diesem Fall als zutreffend. Ob gegenüber den eigenen Mitarbeitern oder bei firmeninternen Veranstaltungen - die Führungskräfte der Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass von ihnen Kom pe te nzen gefragt werd en, die übe r das An aly si er en von Da ten und das Treffen von Entscheidungen hinausgehend von ihnen verlangen, ihre Ziele und Handlungen überzeugend zu interpretieren und zu kommunizieren. Wirksame Geschäftsstrategien lassen sich nicht mehr in abgeschotteten Planungsstäben entwickeln und noch weniger umsetzen. Kommunikation wird zum zentralen Element des alltäglichen Managerhandelns (Clampitt 2013, Mast 2011, 118 ff., Kinter/ Ott/ Manolagas 2009). Auch Realitäten (Ziele, Vorgaben, Projekte) müssen Manager begründen und interpretieren. Das „Warum“ und „Wozu“ ist in den Augen vieler Menschen wichtiger geworden als das „Was“. Manager müssen mithelfen, in den Köpfen der Stakeholder Weltbilder (übergreifende Interpretationsmuster) zu schaffen, die von den Menschen auch akzeptiert werden. In der Sozialforschung nennt man diesen Prozess „framing“. Gleiches gilt für Changeprojekte ihrer Unternehmen. Denn erst wenn diese Interpretationsmuster oder „frames“ auch hinreichend von den Stakeholder-Gruppen akzeptiert werden, reduzieren sie Unsicherheit und schaffen Orientierung. Konkret bedeutet dies z. B. auszusprechen: Unter welcher Überschrift reden wir über ein Thema? Was ist das Motto für das gemeinsame Projekt? Welche Geschichte erzählen wir? Viele Abteilungen der Unternehmenskommunikation sind derzeit dabei, meist in Zusammenarbeit mit dem Personalbereich das schwierige Feld der Führungs- <?page no="311"?> 296 Umsetzung in der Praxis kräftekommunikation zu erschließen. In erster Linie geht es um das Selbstverständnis der Manager, ihr Bild vom Mitarbeiter als Kommunikationspartner und ihre Einsicht in den Wert von Kommunikation. In zweiter Linie sind dann Kommunikationskompetenzen gefragt und die Fähigkeit zum Zuhören und zum Dialog. Diese Kompetenzen werden intern, z. B. bei Changeprojekten benötigt, aber auch extern, z. B. im Dialog mit Stakeholdern. Studien zur Change Communication (Abrell-Vogel/ Rowold 2014, Mast 2011, 168 ff., Claßen/ von Kyaw 2008, Houben/ Frigge 2007) haben immer wieder auf das durchaus ambivalente Agieren der Führungskräfte als „change agents“, aber auch als Widersacher von Veränderungen hingewiesen. Eine systematische Aufarbeitung der Führungskräftekommunikation ist bisher weder von der Kommunikationsnoch von der Wirtschaftswissenschaft geleistet worden. Die Managementkommunikation und die Rolle der Führungskräfte als Kommunikatoren hingegen werden nun - im Zeichen der tiefgreifenden Veränderungen in den Unternehmen - als Chance und als Risiko entdeckt. Lange Zeit wurde dieser Kommunikationsbereich an der Schnittstelle zwischen den Funktionsbereichen Personal und Unternehmenskommunikation unterschätzt. Der Personalbereich konzentrierte sich auf die fachlichen Anforderungen der Führungskräfteauswahl und -entwicklung, die Unternehmenskommunikation vorrangig auf die Medienkommunikation (z. B. Intranet, Corporate TV, Mitarbeiterzeitschrift). Wer fühlt sich nun für das Aktionsfeld Managementkommunikation verantwortlich? Wer übernimmt die Federführung? Die Face-to-Face-Kommunikation - vor allem über allgemeine Unternehmensthemen - wurde im Rahmen von ausgewählten Formaten (z. B. Informationskaskaden, Business Conferences, Town Hall Meetings) entweder von der Unternehmenskommunikation oder von dem Bereich Personal betreut, manchmal auch in Kooperation. Doch wer nimmt Einfluss auf die Kommunikationspraxis und deren Evaluation? Welche Rolle spielen Kommunikationsfähigkeiten in der Führungskräfteentwicklung? Manager als Kommunikatoren (Schick 2014, 135 ff.) rücken ins Zentrum einer Neuausrichtung interner Unternehmenskommunikation. Gemeint ist nicht nur der CEO oder Geschäftsführer als Schlüsselkommunikator für das Unternehmen (Deekeling/ Arndt 2014, Buchholz/ Knorre 2013, 110 ff.). Gemeint sind vor allem die Performance der alltäglichen Führungskräftekommunikation und die Kompetenz der Manager, allgemeine Unternehmensthemen mit Mitarbeitern zu besprechen. Entscheidend für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen ist nicht nur, wie gut ein CEO seine Rolle als Kommunikator ausfüllt, sondern seine Vernetzung und Einbettung in ein effektives Netzwerk von Managementkommunikation, das künftig an Bedeutung gewinnt. <?page no="312"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 297 Die Aufgabe der Führungskräfte als Kommunikatoren ist die Interpretation und Einordnung, die Erklärung und Aufklärung sowie die Kommunikation über Werte, Ziele und Strategien. Diese Aufgabe lässt sich nicht an den Bereich Corporate Communications delegieren; er kann aber die Manager in dieser Rolle wirkungsvoll unterstützen. Der Aufbau von geschlossenen Nutzerkreisen im Intranet ist eine dieser Maßnahmen ebenso wie Schulungen. Schließlich wollen die Menschen von Führungskräften nicht leere Worte oder Floskeln hören, sondern Aussagen mit Substanz und Perspektive. Es sind die Führungskräfte, die die Unternehmen aus der schwierigen Situation führen können. Das schaffen sie nur gemeinsam mit den Menschen, die sie „führen“ und die sie „akzeptieren“. Ihre Kommunikationsaufgabe heißt: Überzeugen über die eingeschlagene Route, Markieren der Leitplanken des Weges, offenes Ansprechen von Stolpersteinen, Schlaglöchern und Gefahren sowie überzeugendes Argum enti er en, wa ru m es si ch lo hnt, die se Mühe n au f si ch zu nehm en. Dreh- und Wendepunkt Erfolg versprechender Kommunikationsstrategien ist das Selbstverständnis und die Kompetenz der Kommunikationsprofis und der Manager gleichermaßen. Für welche Aufgaben fühlen sie sich verantwortlich? Welches Bild vom Menschen haben sie in den Köpfen, wenn sie diese ansprechen? Glauben sie, dass diese ihnen zuhören, nur weil sie ein bestimmtes Unternehmen vertreten? Welche Wertschätzung lassen sie diese Menschen durch ihre Kommunikationsauftritte spüren? Sind diese Menschen für sie lediglich „Adressaten“ von Unternehmensbotschaften oder eher Kommunikationspartner? Ist die Kommunikation eher als Einbahnstraße angelegt oder dialogorientiert? Die interne Kommunikation muss in erster Linie die (Top-)Manager als Kommunikatoren gewinnen und vom Nutzen dialogorientierter Kommunikationsbeziehungen überzeugen (Mast 2011, 135 ff.). Je stärker die Kommunikation über Netzwerke abläuft und je weniger steuerbar sie wird, desto wichtiger wird Führung durch Kommunikation. <?page no="313"?> 298 Umsetzung in der Praxis ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Durch interne Kommunikation werden Unternehmenswerte geschaffen. ! Die Ziele der internen Kommunikation umfassen insbesondere die Umsetzung der Unternehmenswerte und Geschäftsstrategien, die Förderung von Engagement, Zufriedenheit und Wissen der Mitarbeiter sowie die Optimierung von Kommunikationswegen im Unternehmen. ! Interne Unternehmenskommunikation hat eine instrumentelle und eine soziale Funktion. Die Leistungen der internen Kommunikation stärken die Resilienz (Widerstandsfähigkeit) eines Unternehmens. ! In der internen Kommunikation kann zwischen Medien der Aufwärts- und Abwärtskommunikation sowie Kanälen zum wechselseitigen Austausch und Dialog unterschieden werden. Social Media- Plattformen erhöhen die kommunikative Durchlässigkeit der Unternehmen. ! Das Intranet ist in vielen Unternehmen aufgrund seiner Aktualität und Flexibilität zum Leitmedium in der internen Kommunikation geworden. Es ist die Plattform für zahlreiche neue Kommunikationsformen (z. B. Corporate Blogs, Corporate TV, Social Media-Angebote). ! Mitarbeiterzeitschriften und gedruckte Medien übernehmen angesichts der zunehmenden Verbreitung elektronischer Kommunikationswege andere Aufgaben und Funktionen. Sie liefern Informationen zu Hintergründen bzw. Zusammenhängen und erklären bzw. analysieren Themen. ! Die Bedeutung der Face-to-Face-Kommunikation und die Anforderungen an die Akteure bei dieser Kommunikationsform steigen. Vor allem Führungskräfte sind wichtige Kommunikatoren. An sie sind hohe Anforderungen und Erwartungen seitens der Mitarbeiter und des Unternehmens gerichtet. ! Aufgabe der Führungskräfte als Kommunikatoren ist die Interpretation und Einordnung, die Erklärung und Aufklärung sowie die Kommunikation über Werte, Ziele und Strategien. <?page no="314"?> Kapitel 9: Kommunikation mit den Mitarbeitern 299 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Clampitt, Phillip G. (2013): Communicating for Managerial Effectiveness. Problems - Strategies - Solutions. 5th ed. Thousand Oaks: Sage Publications. Im Grundlagenwerk zum Thema effektives Kommunikationsmanagement bearbeitet Clampitt Fragestellungen aus den Themenfeldern der Unternehmenskulturen, dem Einsatz von Kommunikationskanälen sowie Probleme in der Change Communication. Herbst, Dieter G. (2014): Rede mit mir. Warum interne Kommunikation für Mitarbeitende so wichtig ist und wie sie funktionieren könnte. 2., überarb. u. erw. Aufl. Berlin: scm. In diesem Buch wird sowohl die Perspektive der Mitarbeiter als auch jene der Kommunikatoren berücksichtigt. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse insbesondere die Mitarbeiter haben und wie Kommunikatoren diese in der internen Kommunikation (noch besser) berücksichtigen können. Kinter, Achim/ Ott, Ulrich/ Manolagas, Eliza (2009): Führungskräftekommunikation. Grundlagen, Instrumente, Erfolgsfaktoren. Das Umsetzungsbuch. Frankfurt/ Main: Frankfurter Allgemeine Buch. Das Buch beschreibt grundlegend das Feld der Führungskräftekommunikation, wobei der Schwerpunkt auf der Praxis der wichtigsten Instrumente, etwa der Führungskräftekonferenz, Leadership-Portalen oder Guidance-Newslettern, liegt. Diese werden mit allen Vorteilen, Nachteilen und Fallen bei der Implementierung Schritt für Schritt vorgestellt. Quirke, Bill (2008): Making the Connections. Using Internal Communication to Turn Strategy into Action. 2nd ed. Aldershot: Gower. Innerbetriebliche Kommunikation wird aus der Sicht des erfahrenen Kommunikationsberaters systematisiert und in ihrer Wertorientierung für das Unternehmen analysiert. Das Buch eines Praktikers beeindruckt durch seinen innovativen Ansatz und Ideenreichtum. <?page no="315"?> 300 Umsetzung in der Praxis Schick, Siegfried (2014): Interne Unternehmenskommunikation. Strategien entwickeln, Strukturen schaffen, Prozesse steuern. 5., aktual. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Bei diesem Werk handelt es sich um eine Anleitung zur systematischen internen Unternehmenskommunikation, die der Autor als strategisches Führungsinstrument versteht. Unter dieser Prämisse beschreibt er Möglichkeiten der Strategieentwicklung mit dem Ziel einer besseren Effizienz und Effektivität der internen Unternehmenskommunikation. Das Buch beschreibt aktuelle Aufgaben und neue Ansätze der internen Kommunikation aus einer sehr systematischen Perspektive und mit Blick auf die praktischen Bedingungen in den Unternehmen. Wright, Marc (Hrsg.) (2009): Gower Handbook of Internal Communication. 2nd ed. Farnham: Gower. Dieses Handbuch versteht interne Kommunikation als Managementdisziplin und kann deshalb als Leitfaden für das Management von Kommunikation innerhalb von Organisationen dienen. Es vermittelt Führungskräften Strategien und Techniken der internen Kommunikation sowohl im Unternehmensalltag als auch in Veränderungssituationen. <?page no="316"?> K K a a p p i i t t e e l l 1 1 0 0 : : K K u u n n d d e e n n k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Wenn die Märkte enger werden und sich schnell ändern, gewinnt die Kommunikation eines Unternehmens mit den Kunden an Bedeutung - schließlich stellen sie durch ihre Entscheidungen die Existenzgrundlage jedes Unternehmens dar. Einmal gewonnene Kunden sollen an das Unternehmen gebunden werden. Neue Kunden zu gewinnen ist angesichts gesättigter Märkte und geringer Wachstumsraten äußerst schwierig, da sie meist von anderen Wettbewerbern nur mit hohem Kostenaufwand abgeworben werden können. Die Kommunikation eines Unternehmens mit den Kunden will daher diese mit dem Ziel binden, dass sie möglichst häufig, möglichst lange und möglichst viele Angebote des Unternehmens kaufen. Sie hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Die Kommunikation mit dem Kunden war lange Zeit eine klassische Domäne des Marketings, speziell des Customer Relationship Managements (Bruhn/ Homb ur g 2013, Geor gi / Ha dw ich 2010, Ho fb auer/ Sc h öpfel 2010) . W ähr en d i m Marketing viele Jahre der transaktionsorientierte Ansatz mit seiner obersten Prämisse der Neukundengewinnung dominierte, betont das Customer Relationship Management (CRM) nun vielmehr den langfristigen Beziehungsaspekt mit den Kunden. Dieser Paradigmenwechsel ging mit der Einsicht einher, dass der Aufbau und die Pflege einer nachhaltig ausgelegten Kundenbeziehung unter dem Strich wesentlich profitabler ist als eine Konzentration auf die reine Kundenakquise, da hier die Kosten durch Kundenabwanderung, z. B. aufgrund von Unzufriedenheit, deutlich höher ausfallen. Hinzu kommt: Die Machtverteilung zwischen Anbieter und Abnehmer hat sich dramatisch zugunsten der Kunden verschoben: Statt treuer Kunden dominieren heute zunehmend wechselbereite Kunden. Sie sind durch zahlreiche neue Informationskanäle, z. B. das Internet, besser informiert als früher, haben höhere Erwartungen an Beratungsleistungen, Mehrwerte oder Rabatte und teilen ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit nicht mehr nur Freunden und Bekannten in ihrem unmittelbaren Umfeld mit, sondern können viele Menschen via Online- Kommunikation informieren. Das Marketing, das über Jahrzehnte hinweg die Kommunikationshoheit über den Kunden hatte, kann diese Aufgabe allein nicht erfüllen. Gefragt ist vielmehr eine ganzheitliche Ansprache des Kunden unter Berücksichtigung aller Kommunikationskanäle, -instrumente und -maßnahmen. Kommunikation mit dem Kunden sollte integriert, multimedial und beziehungsorientiert erfolgen. Sicherlich spricht nicht jedes Unternehmen jeden Kundentyp an. Während die einen <?page no="317"?> 302 Umsetzung in der Praxis Unternehmen „smart customers“ jeden Tag aufs Neue über Niedrigpreise und Rabattschlachten am Point of Sale gewinnen müssen, setzen andere auf Marken, emotionale Ansprache und elaborierte Konzepte der Kundenbindung. Im ersten Fall nutzt die Unternehmenskommunikation vorrangig Werbung in den Massenmedien, Außenwerbung und Verkaufsaktionen im Internet. Im zweiten Fall sind die Anforderungen an die Kommunikationsarbeit weit höher: Die Kommunikation mit dem Kunden muss sich hier nahtlos in den Reigen der Kommunikation mit anderen Bezugsgruppen des Unternehmens einfügen und ein weit breiteres Themenspektrum abdecken. Kurz gesagt: Die Kommunikation mit dem Kunden ist zu einer Managementaufgabe geworden, zu verstehen als eigenständiges Feld einer integrativen Unternehmenskommunikation. Im Rahmen der Unternehmenskommunikation ist es die Aufgabe der Kunden-PR, der Bezugsgruppe Themen- und Tätigkeitsfelde r eine s Unte rn ehm en s gl a ub würdi g zu ve rm it t e ln . Ihr Zie l is t es, eine la ng fr istige Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden herzustellen, die aufseiten des Kunden Vertrauen in das Unternehmen entstehen lässt und den erforderlichen Spielraum für seine Entscheidungen und Handlungen schafft. Kapitel 10 stellt ausgehend von den Zielen und spezifischen Rahmenbedingungen für die Kommunikation mit dem Kunden die Grundzüge dieses Aktionsfeldes dar. Dabei stehen vor allem strategische Grundüberlegungen der Markenkommunikation und operative Instrumente der Kundenkommunikation im Vordergrund. Neue Konzepte in diesem Kommunikationsfeld werden vorgestellt, denn es ändert sich in hohem Maße. 1 1 S S t t r r a a t t e e g g i i s s c c h h e e Z Z i i e e l l e e Neue Medien wie das Internet verbunden mit der Möglichkeit, Kundendaten in Datenbanken zu speichern und schnell zu transferieren, haben auch neue Möglichkeiten der Kommunikation geschaffen. Die Kommunikationsaktivitäten werden nicht nur auf Zielgruppen als Ganzes, sondern auf einzelne Kunden ausgerichtet. Das Relationship Marketing hat ein verändertes Rollenverständnis der Unternehmen und der Kunden als Akteure im Kommunikationsprozess eingeläutet. Kommunikationsmanagement bedeutet nicht mehr einseitige Verteilung von Informationen an die Kunden, sondern die zweiseitige Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden. <?page no="318"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 303 1 1 . . 1 1 K K u u n n d d e e n n b b i i n n d d u u n n g g u u n n d d B B e e z z i i e e h h u u n n g g s s m m a a n n a a g g e e m m e e n n t t Kurzfristige Verkaufsabsichten werden ergänzt durch langfristige Perspektiven aus der Kundenkommunikation wie Vertrauen zu einem Unternehmen. Beziehungsmanagement und Kundenbindung, so lauten die beiden wichtigsten Schlagworte der Kundenkommunikation im 21. Jahrhundert. Erforderlich ist dafür eine dialogisch angelegte Unternehmenskommunikation. Lischka (2000, 50) sieht bereits zur Jahrtausendwende einen Wandel der Unternehmenskommunikation von der Massenzur Dialogkommunikation eingeläutet: „Unter Dialogkommunikation werden sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens verstanden, die einen dauerhaften, interaktiven Informationsaustausch zw isc hen Unte rnehm en un d p ot enz ie ll en so wie a kt ue lle n Ku nd en er m ögl ic he n mit dem Ziel, profitable Kundenbeziehungen auszubauen und zu pflegen.“ Merkmale dieser Art von Kundenkommunikation sind nach Lischka (ebd.): ! Interaktivität: Die Kundenkommunikation ist auf Interaktivität, d. h. dauerhafte Interaktionen, angelegt. Die Rollen des Kommunikators und Rezipienten wechseln zwischen Unternehmen und Kunden. ! Individualität: Als Rezipienten werden nicht nur Bezugsgruppen angesprochen, sondern auch einzelne Personen. Die individuellen Kommunikationsbedürfnisse des Kunden beeinflussen die Kommunikationsabläufe. ! Informativität: Nicht die Vermittlung von Werbebotschaften steht im Vordergrund, sondern Informationen, die darüber hinaus einen Nutzwert für den Kunden haben. ! Langfristigkeit: Das Relationship Marketing verfolgt langfristige Ziele und beschränkt sich daher nicht auf temporär limitierte Einzelmaßnahmen. ! Kundendatenbank: Voraussetzung für die langfristig angelegte Kundenkommunikation sind Datenbanken, die sämtliche Informationen speichern. In der Literatur über Beziehungsmarketing sind weniger Analysen der Kommunikationsprozesse mit den Kunden, dafür aber Untersuchungen zu finden, welches die Voraussetzungen für den Aufbau einer Beziehung des Kunden zu Marken sind. Zu unterscheiden sind psychologische Beziehungsfaktoren (z. B. Vertrauen) und Faktoren aufgrund des Kaufverhaltens der Kunden, aber auch Einflüsse aus dem Marketinginstrumentarium (z. B. Preis- oder Produktpolitik) und kommunikative Beziehungsfaktoren (z. B. konsistente Botschaften/ Inhalte, Interaktivität der Kommunikationsprozesse und Ruf des Unternehmens) (Kirchner 2003, 66). Die Vielfalt der Einflussfaktoren illustriert den komplexen Prozess der Kundenkommunikation. <?page no="319"?> 304 Umsetzung in der Praxis Die Analyse der Kundenkommunikation aus der Perspektive der Kommunikationswissenschaft steht vor dem Problem, dass sich die kommunikativen, psychologischen und monetären Beziehungsdimensionen überlappen bzw. verschmelzen. Die Unterscheidung der Beziehungen zwischen Bezugsgruppen und Marken, wie sie Duncan und Moriarty (1997, 46 f.) vornehmen, illustriert das vielschichtige Gebilde der Kundenbeziehungen. Diese können sein: ! soziale Beziehungen: meist persönliche Kontakte und Gespräche; ! psychologische Beziehungen: Marken wecken beim Kunden oft Assoziationen zu einem erwünschten Lebensstil oder machen es ihm möglich, sich selbst demonstrativ anderen mitzuteilen; ! finanzielle Beziehungen: monetäre Begünstigungen, z. B. Treuepunkte bei Fluglinien und Bahnfahrten, sollen dem Kunden einen Abbruch der Beziehung und Wechsel zu einem anderen Unternehmen erschweren; ! strukturelle Beziehungen: meist physische Verbindungen, z. B. zum Datenaustausch mit Banken. Die Interaktionen des Unternehmens mit den Kunden sind in hohem Maße geplant, denn von ihrem Gelingen hängt der Geschäftserfolg unmittelbar ab. Auch wenn noch so viel Planungsaufwand eingesetzt wird: Ungeplante Kommunikationsprozesse können das sorgfältig aufgebaute und gepflegte Kommunikationsgeflecht enorm stören. Dies können Nachrichten in den Medien, Gerüchte, Chatforen und Kampagnen im Internet oder Kommentare von Experten sein. Sicher - geplante Botschaften haben den Vorteil, dass sie vom Unternehmen leichter kontrolliert werden können. Allerdings kann Kommunikation vom Unternehmen natürlich nicht verhindern, dass z. B. Kritik, negative Bewertungen oder Gerüchte weit größere Wirkungen entfalten. Die Kunden werden freier und mächtiger, weil sie eigene Kommunikationsnetze aufbauen und pflegen. Es ist für Unternehmen enorm gefährlich, die Freiheit der Stakeholder zu unterschätzen (Mast, 2015). Der Kunde steht im Mittelpunkt der Unternehmenstätigkeit. Kunden sind die zentrale Bezugsgruppe schlechthin: Sie bilden das Fundament für die Existenz von Unternehmen (Bruhn, 2014a, Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2014). Kunden müssen von einem Produkt oder einer Dienstleistung überzeugt werden, damit sie sie kaufen. In manchen Fällen reicht es dafür aus, ein Produkt lediglich anzubieten. In den meisten Fällen jedoch muss es aber durch gezielte Kommunikation vermarktet werden (Allgäuer/ Larisch 2011, 207 ff.). <?page no="320"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 305 Schaubild 56: Wandel im Umfeld der Unternehmen Quelle: eigene Darstellung. So ist die Kommunikation mit dem Kunden im Spannungsfeld von zentralen Faktoren eingebunden: den Erwartungen und Vorstellungen der Kunden, dem Kontext der Interaktion zwischen Unternehmen bzw. Produkt und Kunden, dem Marktumfeld sowie generellen gesellschaftlichen Trends (Schaubild 56). Persönliche Einstellungen und Erwartungen der Kunden nehmen großen Einfluss auf die individuelle Kaufentscheidung. Vorerfahrungen mit dem Produkt und dem Unternehmen wirken ebenso auf das Kaufverhalten wie soziale Einflüsse aus dem persönlichen Umfeld. So konstituieren sich im Austausch mit Familienmitgliedern und Freunden bestimmte Wünsche und Bedürfnisse, die sich dann im Kaufverhalten niederschlagen. Auch kann durch den Umgang mit Primär- und Sekundärgruppen sozialer Druck entstehen, der in der Folge zum Kauf von Marken- oder exklusiven Produkten führt. Darüber hinaus wirken sich natürlich das Produkt selbst sowie sein Preis auf die Kaufentscheidung aus. Routinekäufe sind dabei von der Anschaffung teurer Investitionsgüter abzugrenzen, zu deren Kauf eine größere Anzahl Informationen herangezogen werden muss und deren Kaufentscheidung folgenreicher ist. Während bei Grundnahrungsmitteln wie Mehl, Zucker oder Wasser oft der Preis kaufentscheidend wirkt, rücken in dere- Marktfaktoren (Verteilung der Marktmacht: Anbietervs. Käufermarkt, allgemeine Wirtschaftslage) Unternehmen Kundenkommunikation Kunde Faktoren des Konsumentenverhaltens (persönliche Einstellungen/ Erwartungen, soziale Einflüsse, Produkteigenschaften, Preis) Beziehung Markt Gesellschaft MIKROEBENE MESOEBENE MAKROEBENE Faktoren der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden (neue Kommunikationswege durch neue Medien, Kaufwunsch durch Themenzentrierung , „Instant-Mentalität“ der Kunden) Gesellschaftliche Trends (Wertewandel, Überalterung) <?page no="321"?> 306 Umsetzung in der Praxis gulierten Märkten und angesichts der zunehmenden Ähnlichkeit der Produkte, einzelne Leistungsmerkmale und Aspekte wie Image und Marke in den Vordergrund (Allgäuer/ Larisch 2011, 207 f.). Neue Technologien führen nicht nur zur Veränderung von Geschäftsmodellen oder Vertriebskanälen, sondern beeinflussen auch die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden in kommunikativer Hinsicht. Sie schaffen neue Kommunikationswege, bieten neue Möglichkeiten des Dialogs und sorgen für gewandelte Kommunikationsansprüche aufseiten der Kunden (Allgäuer/ Larisch 2011, 209 ff.). Auch themenzentrierte Einflüsse haben an Bedeutung gewonnen. Themen wie Gesundheit, Umweltschutz oder Wellness sind nicht nur zu einem eigenen Markt geworden, sondern positionieren ebenso Werte, und lösen auf diesem Wege manch einen Kaufwunsch aus. Insofern wirken sie als wichtige Katalysatoren der Kundenkommunikation. Unter dem Schlagwort Content Marketing wird dieser An satz h eut e massi v ve rfo lg t (Steinba ch / Kr is ch / H argu th 201 5, L öffl er 2014). Die Grundidee lautet: Menschen interessieren sich in erster Linie für Themen und dann erst für Produkte oder Unternehmen (siehe Kap. 8, Abs. 1.1). Das Marktumfeld (Mast/ Huck/ Güller 2005, 4 ff.) ist von der Machtverteilung zwischen Anbieter und Abnehmer geprägt. Während im Monopol und zum Großteil auch im Oligopol der Anbieter die Marktmacht innehat, liegt sie in Massenmärkten in erster Linie beim Kunden. Die zunehmende Angleichung der Produkte durch eine Vielzahl an Anbietern erfordert hier eine spezialisierte, umfassende Kundenansprache. Als ein weiterer Marktfaktor ist die aktuelle Wirtschaftslage zu nennen. In konjunkturschwachen Zeiten, die eine hohe Arbeitslosigkeit nach sich ziehen, sinkt die Konsumbereitschaft drastisch. Auch dies stellt erhöhte Anforderungen an die Kommunikation mit dem Kunden. Gesellschaftliche Trends sind ebenso ein weiterer, bedeutender Rahmenfaktor. Der steigende Trend zu Singlehaushalten oder die Alterung der Gesellschaft eröffnen Unternehmen die Möglichkeit einer noch genaueren, zielgruppengerechteren Ansprache der Kunden. So werden beispielsweise auch etablierte Produkte wie Treppenlifte oder Reinigungstabs für Zahnersatz heute mit anderen Werten und Konnotationen versehen als noch vor zehn Jahren. In den vergangenen Jahren kam es durch diese und eine Vielzahl anderer komplexer Faktoren zu einer zunehmenden Fragmentierung der Märkte. In der Folge verkürzten sich Entwicklungszeiten und Produktlebenszyklen. Dies hat zu der Herausbildung einer „Instant-Mentalität“ der Kunden geführt. Diese drückt sich durch zunehmende Ungeduld der Kunden aus. Produkte und Dienstleistungen sollen möglichst sofort beim Kauf bereitgestellt und unmittelbar in Anspruch genommen werden können. So gewinnt heute oft derjenige den Kampf um den Kunden, der den kurzfristigsten Beratungstermin oder die kürzesten Warte- und Lieferzeiten anbieten kann. <?page no="322"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 307 Die Kundenkommunikation der Unternehmen findet im Spannungsfeld zwischen verschiedenen Rahmenfaktoren statt: Die individuellen Einstellungen und Erwartungen der Kunden (Mikroebene), der Kontext der Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden (Mesoebene), das Marktumfeld sowie gesamtgesellschaftliche Trends (Makroebene) beeinflussen die kommunikativen Rahmenbedingungen der Kundenansprache und -bindung. 1 1 . . 2 2 N N e e u u e e K K o o n n z z e e p p t t e e f f ü ü r r n n e e u u e e H H e e r r a a u u s s f f o o r r d d e e r r u u n n g g e e n n Der Wandel, durch den das Feld der Kundenkommunikation in den vergangenen Jahren geprägt war, lässt sich in einigen zentralen Schlussfolgerungen und Ansatzpunkten für die Kundenkommunikation zusammenfassen: ! Punkt 1 - Dialog mit dem Kunden statt Überredung: Einseitig angelegte Verkaufs- und Verlautbarungskommunikation wurde zunehmend von einem dialogorientierten Austausch zwischen Unternehmen und ausgewählten Kundengruppen abgelöst. Bestimmte Kundengruppen innerhalb der breiten Masse der meist anonymen Kunden sind aktiver und fordernder geworden. Sie sind durch neue Medien wie das Internet besser und umfassender informiert als früher und achten auch stärker auf den Preis (Rolke 2003). Zudem sind sie immer weniger bereit, auf Produkte oder Dienstleistungen zu warten. Sie möchten möglichst individuelle Lösungen zu einem möglichst günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis angeboten bekommen. Die klassische, auf Einwegkommunikation gerichtete Ansprache des Kunden hat heute deutlich an Gewicht verloren. Kunden werden immer häufiger als Partner verstanden, die es in den Unternehmensprozess einzubeziehen gilt. Bereits in den Prozessphasen der Marktanalyse und Produktplanung wird die Markt- und Meinungsforschung aktiviert (Berekoven/ Eckert/ Ellenrieder 2009, Hüttner/ Schwarting 2002), um bei (potenziellen) Kunden bestehende Erwartungen, Vorstellungen und Bewertungen zu erheben. Der Kontakt zum Kunden zieht sich in der Folge durch den gesamten Entwicklungs- und Produktionsprozess hindurch bis zur letzten Stufe, dem Verkauf. Die Kommunikation mit dem Kunden begleitet all diese Prozessstufen in der Regel mit einem auf Dialog ausgerichteten Beziehungsmanagement. ! Punkt 2 - Langfristige Kundenbindung und Beziehungsmanagement: Die Kundenbindung (Bruhn/ Homburg 2013, Hippner/ Wilde/ Hubrich 2011) wird in den meisten Branchen, vor allem bei Dienstleistungen, als wichtigster Erfolgsfaktor eingeschätzt - weit vor der Produktqualität, den Kosten <?page no="323"?> 308 Umsetzung in der Praxis oder der Markenbekanntheit. Viel stärker als in der Vergangenheit ist heute die Kommunikation mit dem Kunden neben der Aufforderung, Produkte zu kaufen, von emotionalen, auf Kundenbindung hin orientierten Aspekten geprägt. Kundenbindung ist nicht nur kostengünstiger als die Gewinnung neuer Kunden, sie ist vielmehr als Grundhaltung eines Unternehmens und Kernaufgabe der Kundenkommunikation zu verstehen. Dies zeigt eine am Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim durchgeführte Umfrage unter den 500 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands. Drei Viertel der befragten Kommunikationsverantwortlichen nannten die Kundenbindung als mit Abstand wichtigstes Ziel ihrer Kundenkommunikation (Mast/ Huck/ Güller 2005, 99). Die Kundenbindung ist dabei nicht nur das wichtigste, sondern auch das anspruchsvollste Ziel der Kommunikation, gerade vor dem Hintergrund der oben genannten Entwicklungen im Umfeld. Mit dem Anspruch, die Kundenbindung zu stärken, kommt es zu einer zunehmenden Verlagerung der Budgets von der klassischen Anzeigenwerbung hin zu neuen Kommunikationswegen wie Sponsoring und Eventkommunikation, aber vor allem hin zur Public Relations. ! Punkt 3 - Individuelle und emotionale Ansprache: Mit Blick auf das Beziehungsmanagement und die Kundenbindung ist die emotionale Bindung des Kunden an das Produkt oder den Hersteller wichtig. Eine emotionale Bindung kann über eine starke Marke erreicht werden. Für Konsumenten übernimmt die Marke die Funktion eines Vertrauens-, Orientierungs- oder Identifikationsankers (Bentele et al. 2009, 10 f.). Zugleich spielt aber auch die regelmäßige Ansprache des Kunden eine Rolle. Die persönliche Kommunikation im Verkaufsgespräch kann ebenso wie Events, Sponsoring und zahlreiche weitere Instrumente zu einer individuellen und emotionsbezogenen Ansprache eingesetzt werden. Beim professionellen Einsatz aller Instrumente der Kundenkommunikation sollte insgesamt konsequent die „inhaltliche und optische Ausrichtung nach den Wünschen und Bedürfnissen der Rezipienten“ (Kleinert 2008, 29) eine besondere Rolle spielen. ! Punkt 4 - Ausweitung der Instrumentenpalette: Während einige klassische Instrumente wie Gewinnspiele und Kundenzeitschriften (Weichler/ Endrös 2010) eine Renaissance erleben, gewinnen zunehmend auch neue Kommunikationsmaßnahmen wie emotionale Erlebniswelten, Kunden-TV oder Online-Communities an Bedeutung. <?page no="324"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 309 Kundenkommunikation erfordert also systematisches Management von Kundenbeziehungen. Nur durch eine strategische Konzeption (Dialog, langfristiges Beziehungsmanagement und individualisierte, emotionale Ansprache) und systematische, operative Umsetzung (mit immer neuen Kommunikationswegen) können Ziele wie individuelle Ansprache, Dialogorientierung und langfristige Kundenbindung erreicht werden. Wird die Kundenkommunikation aus der Sicht der Kommunikationswissenschaft betrachtet, steht die Art der Beziehung, deren Kontinuität und Leistungsfähigkeit im Mittelpunkt der Analyse. Die Kommunikationsbeziehungen und weniger die konkreten Handlungen der Kunden an sich interessieren, denn sie stehen für die Erwartung künftigen Umsatzes und damit für monetäre Werte. Den Wert des kommunikativen Aspektes (Pfannenberg/ Zerfaß 2010) betonen also sowohl die kommunikationswissenschaftliche Perspektive der Kundenkommunikation als auch neuere wirtschaftswissenschaftliche Ansätze des Beziehungsmarketings (Bruhn 2015, Hippner/ Wilde/ Hubrich 2011). In der Kundenkommunikation der Unternehmen findet eine Umorientierung statt. Neben der Werbung mit dem unmittelbaren Ziel der Verkaufsförderung gewinnen andere Maßnahmen der Unternehmenskommunikation, z. B. Kundenmedien, Kundenclubs, Events und allgemeine PR-Instrumente an Bedeutung. Der Aufbau und die Pflege von Kommunikationsbeziehungen, nicht nur der einmalige Verkauf eines Angebotes, sind vorrangige Kommunikationsziele. Auch Marketingansätze betonen natürlich die Entwicklung von transaktionsorientierten zu eher beziehungsorientierten Modellen (Bruhn 2000). Diese neueren Modelle aber unterstellen, dass letztlich Zahl und Intensität der Kommunikationsbeziehungen mit Kunden Einfluss auf den künftigen Geschäftserfolg von Unternehmen hätten. Sie stellen einen Kundenwert („customer equity“) dar, vergleichbar mit dem Markenwert („brand equity“). Das Kommunikationsmanagement der Kundenbeziehungen geht - wie in anderen Bereichen der Unternehmenskommunikation auch - von Strategien und Konzepten aus, die die Kernprozesse wie personale Kommunikation, schriftliche und gedruckte sowie elektronische Medien aufeinander abstimmen und vernetzen, um nach außen ein glaubwürdiges, widerspruchsfreies und einheitliches Bild zu vermitteln (Bruhn 2008, Kirchner 2003). Denn angesichts der Vielzahl der Medien und der Komplexität der Inhalte kann in der Kundenkommunikation nur ein integrierender Ansatz greifen. Immer mehr kommt es darauf an, Maßnahmen und Instrumente aufeinander abzustimmen - denn die Menge der Maßnahmen, die der Kundenkommunikation zur Verfügung stehen, macht dies zwingend erforderlich. <?page no="325"?> 310 Umsetzung in der Praxis Das Feedback von den Kunden (Stauss/ Seidel 2014) ist von besonderer Bedeutung und wird meist systematisch ausgewertet (z. B. Beschwerden). Diese Meinungsäußerungen der Kunden können wiederum in die Planung geschäftlicher Aktivitäten einbezogen werden. Die Gestaltung und Analyse interaktiver Kommunikationsbeziehungen kann den Unternehmen als Frühwarnsystem dienen, das auf neue Entwicklungen hinweist, aber auch als System der Prozessoptimierung, das auf Kommunikationsbedürfnisse und -defizite gleichermaßen aufmerksam macht. Für Unternehmen ist also der Kunde der wichtigste externe Ansprechpartner, den es zu überzeugen gilt. Die Machtverhältnisse haben sich geändert. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Kunde hängt in den meisten Fällen nicht vom Unternehmen ab, vielmehr hängt das Unternehmen von ihm ab. Auf die offen gestellte Frage an die Top-500-Unternehmen (Mast/ Huck/ Güller 2003, 40), wie sie den Beg riff Kun de beschrei ben würden , an tworteten einige kurz un d bünd ig: „Unser Lebenselixier! “; „Partner erster Priorität. Ohne ihn geht nichts.“; „Unsere Kunden müssen wir jeden Tag neu begeistern. Sie bezahlen unser Gehalt.“ 2 2 M M a a r r k k e e n n k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n 2 2 . . 1 1 W W a a s s i i s s t t M M a a r r k k e e n n k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n ? ? Als Teil der externen Unternehmenskommunikation beschäftigt sich die Markenkommunikation mit dem Aufbau der Markenbekanntheit und der Stärkung des Markenimages. Mindestanforderung an die Markenbekanntheit ist eine Wiedererkennung der Marke auf Seiten der angestrebten Kundengruppe (Marken-Recognition). Das nennt man auch „passive Markenbekanntheit“. Als Steigerung davon gilt die „aktive Markenbekanntheit“ (Marken-Recall), bei der die Marke vom Kunden in Verbindung mit einem bestimmten Produkt- oder Dienstleistungssegment erinnert wird. Je nach Branche, Produkt oder Dienstleistung ist es sinnvoll, eine aktive oder passive Markenbekanntheit anzustreben. Beim Markenimage geht es darum, ein klares und einzigartiges Bild der Marke in den Köpfen der Kunden zu etablieren (Esch 2014b, 193 ff.). <?page no="326"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 311 2 2 . . 2 2 W W a a r r u u m m K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n ü ü b b e e r r M M a a r r k k e e n n Laut Meffert, Burmann und Kirchgeorg (2015, 225 ff.) lassen sich grundsätzlich zwei Perspektiven bei der Bewertung der Relevanz von Marken unterscheiden. So kann durch Marken eine nutzenstiftende Wirkung sowohl für Nachfrager als auch für Anbieter realisiert werden. Beide Perspektiven sind dabei eng miteinander verknüpft und stehen in einem reziproken Verhältnis. Nachfragerperspektive Für Nachfrager ist vor allem die Orientierungs- und Informationsfunktion von Marken von zentraler Bedeutung. In einem übersättigten Markt, in dem die Qualität von Produkten nahezu homogen ist, wird es immer schwieriger, passende Entscheidungen schnell und fundiert zu treffen. Marken schaffen in solchen Situationen Transparenz, helfen den Kunden sich zu orientieren und beschleunigen somit die Auswahl der gewünschten Leistung (Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2015, 325 f.). Dies geschieht nicht zuletzt aufgrund des einheitlichen und gleichbleibenden Erscheinungsbildes von Marken - der sog. „Markierung“. Auch wenn die steigende Zahl an Marken der Orientierungsfunktion entgegenwirkt, sodass diese laut Burmann, Halaszovich und Hemmann (2012, 2) in vielen Branchen heute nicht mehr erfüllt werde, bleibt deren Einfluss nicht zu unterschätzen. Weiter sorgt die Bekanntheit von Marken dafür, dass sie von Nachfragern als vertraut bzw. vertrauenswürdig eingestuft werden. Diese Vertrauensfunktion ist umso wichtiger, je größer das Kaufrisiko subjektiv empfunden wird. Erklären lässt sich die Notwendigkeit und Wichtigkeit von Vertrauen beim Nachfrager aus informationsökonomischer Sicht vor allem durch die vorhandene Informationsasymmetrie zwischen Nachfrager und Hersteller. Der Kunde kann vor dem Kauf meist nicht einschätzen, wie sich ein Produkt während der Gebrauchsbzw. Verbrauchsphase verhält. Dies gilt auch für Dienstleistungen, da Anbieter im Vorfeld für die zu erbringenden Leistungen ausgewählt und beauftragt werden müssen. Kunden bringen somit dem gekauften Produkt oder dem ausgewählten Dienstleister einen Vertrauensvorschuss entgegen, was ein Risiko darstellt. Eine bekannte Marke, die das Vertrauen des Kunden genießt, strahlt ein Gefühl der Sicherheit aus und reduziert somit das empfundene Risiko (Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2015, 326). Zusätzlich können Marken für Kunden eine Prestigefunktion erfüllen. Dabei kommt zum Tragen, dass Menschen Produkte oder Dienstleistungen zum Ausdruck ihrer Persönlichkeit nutzen. Marken helfen ihnen also dabei, ihre Persönlichkeit gegenüber anderen auszudrücken, um so eine Identität zu vermitteln. Menschen zeigen sich auf diese Weise einer sozialen Gruppe zugehörig oder grenzen sich bewusst durch die Nutzung von Marken ab. <?page no="327"?> 312 Umsetzung in der Praxis Umgekehrt können Marken nicht nur zur Identitätsvermittlung genutzt werden, sondern sie können auch eine identitätsstiftende Wirkung besitzen. Dabei übertragen Menschen einen Teil der einer Marke zugeschriebenen Attribute auf sich selbst, um so ihre Persönlichkeit zu konstruieren. Heute gilt diese symbolische Funktion der Marke als die wichtigste Funktion (Burmann/ Halaszovich/ Hemmann 2012, 3). Anbieterperspektive Die Funktionen, die Marken für Nachfrager bereitstellen, bilden die Basis für den wertschöpfenden Beitrag von Marken in Unternehmen, da Kunden den Mehrwert, den Marken für sie darstellen, honorieren. Für Unternehmen entstehen daraus eine ganze Reihe von Vorteilen und Chancen. Grundsätzlich dienen Marken vor allem der Differenzierung. Die Abhebung der eigenen Angebote von denen der Konkurrenz stärkt die Wettbewerbsposition eines Unternehmens und kann dessen Fortbestand sichern (Differenzierungsfunktion). Nachfrager kaufen die Produkte ihrer präferierten Marken immer wieder und empfehlen diese im besten Falle sogar weiter. Die mit einem festen Kundenstamm verbundene Planungssicherheit dient Unternehmen in vielerlei Hinsicht. Zum einen führt ein vermindertes Risiko zu sinkenden Zinsen für das Unternehmen, was direkte Auswirkungen auf dessen Wert hat (Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2015, 327). Zum anderen können vor allem bei der Beschaffung und der Produktion Überkapazitäten vermieden und Prozesse effizienter gestaltet werden. Auch der preispolitische Spielraum, den starke Marken für Unternehmen erschließen, trägt zur direkten Wertsteigerung bei. So können Produkte oder Dienstleistungen aufgrund starker Marken zu einem deutlich höheren Preis angeboten werden (Burmann/ Halaszovich/ Hemmann 2012, 3). Außerdem helfen etablierte Marken Unternehmen bei der Erschließung neuer Märkte. Dabei senken sie Risiken für Fehlschläge und erhöhen somit die Erfolgswahrscheinlichkeit. Eine solche Markendehnung ist in vielerlei Hinsicht sinnvoll, vor allem aber weil das Vertrauen und die Loyalität von Kunden auf neue Produkte übertragen werden kann (ebd., 14 f.). Eine Kommunikation über Marken macht es für Unternehmen zudem möglich, mehrere Marktsegmente differenziert zu bearbeiten. So können zu den segmentabhängigen Kundenbedürfnissen passgenaue Marken aufgebaut und nebeneinander geführt werden (Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2015, 327). Da die Kundengruppen bei einer solchen Vorgehensweise idealerweise in sich homogen sind, ist eine differenzierte Ansprache möglich. Durch dieses Vorgehen können die angesprochenen Kundengruppen in Abhängigkeit von Marke und Strategie möglichst homogen sein. <?page no="328"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 313 Marken verbessern weiter die Verhandlungsposition der Hersteller gegenüber dem in den letzten Jahren immer stärker gewordenen Handel. Bestenfalls sind Marken so stark, dass der Handel nicht darauf verzichten kann, diese im Sortiment zu listen. Höhere Margen, Planungssicherheit und geringere Risiken sind ebenfalls Argumente, welche Unternehmen gegenüber dem Handel anführen können (Esch 2014b, 609 ff.). Auch bei der Rekrutierung von Arbeitskräften können Marken von großem Nutzen sein. Beim Employer Branding wird versucht, die bestehende Marke auf das Personalmanagement zu übertragen, um sich so beim Kampf um potentielle Arbeitnehmer einen Vorteil gegenüber konkurrierenden Unternehmen zu erarbeiten (Burmann/ Halaszovich/ Hemmann 2012, 138 f.). Betrachtet man alle Vorteile, die starke Marken mit sich bringen, wird klar: Marken haben einen enormen Wert. Meffert, Burmann und Kirchgeorg (2015, 327) stellen fest, „dass Marken als mit Abstand wichtigste immaterielle Vermögenswerte immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses von Wissenschaft und Praxis gerückt sind“. Dabei muss jedoch klar sein, dass die beschriebenen Funktionen von Marken für Kunden durch Kommunikation etabliert bzw. geschaffen werden. Gerade die symbolische Funktion und die Vertrauensfunktion sind in hohem Maße von der Kommunikation des Unternehmens mit seinen Nachfragern abhängig. Ohne die gezielte kommunikative Zuordnung von Attributen ist die Marke nicht im Stande, eine identitätsstiftende bzw. identitätsvermittelnde Wirkung zu entfalten. Auch Vertrauen kann beim Kunden nur durch eine konsistente Kommunikation im Namen der Marke aufgebaut werden. Gerade bei Neuprodukten oder Dienstleistungen, die der Kunde nicht kennt und zu denen er keine Erfahrungen hat, wird Vertrauen fast ausschließlich durch Kommunikation vermittelt. Der Markenkommunikation kommt dabei die entscheidende Rolle zu. 2 2 . . 3 3 W W i i c c h h t t i i g g e e E E n n t t s s c c h h e e i i d d u u n n g g e e n n d d e e r r M M a a r r k k e e n n k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Neben den betriebswirtschaftlichen Funktionen, die eine Marke erfüllen muss um zur Wertschöpfung in einem Unternehmen beizutragen, stellt die Unternehmenskommunikation ganz andere Anforderungen an die Leistungen einer Marke. Vorrangig soll hier die Marke beim Aufbau einer positiven Reputation helfen. In diesem Zusammenhang kommt der Corporate Brand, also der Unternehmensmarke, eine wichtige Rolle zu (Einwiller 2014). Genau wie bei Produktmarken bildet die intendierte Identität der Marke den Ausgangspunkt der Kommunikationsstrategie. Diese Identität wird im Zuge einer Positionierung konkretisiert und bildet so die Grundlage kommunikativer Maßnahmen, welche beim Kunden ein Image der <?page no="329"?> 314 Umsetzung in der Praxis (Unternehmens-)Marke entstehen lassen. Die kumulierten Images der einzelnen Kunden werden zur Reputation zusammengefasst. Marken haben also einen direkten Einfluss auf die Reputation eines Unternehmens. Um alle Ansprüche zufriedenzustellen, müssen wichtige Entscheidungen in der Markenkommunikation bzw. der übergeordneten Markenführung getroffen werden. Markenarchitektur Das Führen mehrerer Marken - die Corporate Brand miteingeschlossen - ist für Unternehmen heute zum Normalfall geworden. Aus den nebeneinander stehenden Marken, die zum Teil sehr unterschiedliche Identitäten aufweisen, ergibt sich meist ein Interessenkonflikt: Einerseits ist eine getrennte Behandlung der Marken von Vorteil, da so eine größere Passgenauigkeit („fit“) zur Zielgruppe geschaffen werden kann. Je mehr Menschen eine Marke ansprechen soll, desto schwieriger wird es jedoch, Gemeinsamkeiten zu finden, die zur Abhebung von anderen Unternehmen oder Angeboten geeignet sind. Werden mehrere Marken unter einer starken Corporate Brand zusammengefasst, besteht die Gefahr, die einzelnen Marken zu verwässern. Das heißt: Ihnen wird in diesem Fall die klare Positionierung und auch ihre Glaubwürdigkeit genommen. Genauso können sich Probleme und Krisen bei einzelnen Marken negativ auf die Corporate Brand auswirken (Esch 2014b, 546 ff.). Andererseits wird es für Kunden immer wichtiger, das Unternehmen hinter all den Produktmarken zu sehen. Der Absender des Angebots rückt nicht zuletzt unter Gesichtspunkten der immer wichtiger werdenden Corporate Social Responsibility (CSR) in den Fokus der Nachfrager. Dabei steht die Corporate Brand über allen Produktmarken und sorgt so für einen positiven Imagetransfer (Brunner 2014, 356 f.). Des Weiteren gewinnt die Corporate Brand für das Personalmanagement als Mittel der Mitarbeiterrekrutierung zunehmend an Bedeutung. Nur wenn die Corporate Brand sichtbar bzw. bekannt ist und ein deutliches Image beim potentiellen Mitarbeiter besitzt, kann diese für die Zwecke des Employer Brandings genutzt werden (Esch 2014b, 546 ff.). Es gilt also die Vor- und Nachteile beider Strategien unter Berücksichtigung der Unternehmensbzw. Kommunikationsziele zu evaluieren, um eine passende Entscheidung zu treffen. Aaker und Joachimsthaler (2009) ordnen und fassen die verschiedenen Ausprägungen der Beziehungen von Unternehmens- und Produktmarken in ihrem „Brand Relationship Spectrum“ zusammen. Sie unterscheiden dabei zwischen den beiden Extremen „Branded House“, bei dem die Unternehmensmarke dominiert, und dem „House of Brands“, bei dem nur die Einzelmarken sichtbar sind. Zwischen diesen beiden Polen liegen die Abstufungen „Subbrands“ und „Endorsed Brands“ (Schaubild 57). <?page no="330"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 315 Schaubild 57: Spektrum der Markenarchitektur nach Aaker/ Joachimsthaler Quelle: Esch (2014, 558). Kommunikationsstrategie Wie in anderen Kommunikationsfeldern auch, ist der Kommunikationsprozess der Markenkommunikation Gegenstand genauer und umfänglicher Planung und Evaluation. In der Markenkommunikation kommt dabei der Positionierung der Marke und der Integration der einzelnen Maßnahmen besondere Bedeutung zu. Das oberste Ziel der Markenkommunikation ist es, ein klares und unverwechselbares Image beim Kunden zu schaffen. Ausgehend von einer festgelegten Markenidentität werden Kommunikationsmaßnahmen erstellt, die die Marke mit Emotionen aufladen und ihr bestimmte Attribute zuordnen. Zwischen der Mar- Spektrum der Markenarchitekturen „ Branded H ouse“ Unternehmensmarke dominiert, Submarken spielen keine Rolle „ Subbrands“ Modifikation der Unternehmensmarke durch Submarken „ E ndorsed Brands“ Stützung der Einzelmarken durch die Stammmarken „H ouse of Brands“ Führung von Einzelmarken, ohne verbindendes Markendach „ same identity“ eine Identität BMW „different identity“ Identitätsvariation Volvo Cars, Trucks, usw. „master brand as driver“ Unternehmensmarke dominiert HP Jet-Serie „ codrivers“ Beide Marken haben die gleiche Bedeutung Gilette Sensor „ strong endorsement“ deutliche Stützung Courtyard by Marriott „token endorsement“ Stützung nur angedeutet Henkel, 3M „ shadow endorser“ Stützung verdeckt aber bekannt Procter & Gamble „not connected“ Stützung verdeckt und nicht bekannt Pedigree (Mars) „ linked name“ Name inpliziert Stützung Nescafé <?page no="331"?> 316 Umsetzung in der Praxis kenidentität und der kommunikativen Umsetzung steht die Positionierung der Marke. Als Positionierung wird der Prozess des Schaffens einer vom Wettbewerb differenzierten Position in der Wahrnehmung der angestrebten Zielgruppe verstanden. Dieser Wahrnehmungsraum muss dabei mit der Markenidentität, den Vorstellungen und Wünschen der Kunden und den Kompetenzen des eigenen Unternehmens in Einklang stehen (Burmann/ Halaszovich/ Hemmann 2012, 98 ff.). Ein Werkzeug, das zu Positionierung genutzt werden kann, ist unter anderem das Markensteuerrad (Schaubild 58). Das ursprünglich von der Markenagentur Icon Added Value entwickelte und von Esch erweiterte Konzept verdankt seinen Namen dem von einem Kreuz durchzogenen Kreis, der stark an das Steuerrad eines Schiffes erinnert. Dabei teilt die vertikale Achse des Kreuzes das Steuerrad in einen rationalen Teil auf der linken und einen emotionalen Teil auf der rechten Seite. Im Zentrum des Steuerrads steht die Markenkompetenz, das heißt die Frage nach dem „Wer bin ich? “. Die Markenkompetenz, die den Kern der Positionierung bildet, kann als stark verdichtete Markenidentität verstanden werden und hat somit Einfluss auf alle Bereiche des Steuerrads. Im Feld „Markennutzen“ wird die Frage gestellt, was die Marke anbietet. Dieses Angebot sollte möglichst relevant für die angesprochene Zielgruppe sein und sowohl einen funktionalen als auch einen psychosozialen Nutzen für die Kunden aufweisen. Die Markenattribute sollen beschreiben, über welche den Markennutzen stützende Eigenschaften die Marke verfügt. Hat ein erlesener Wein beispielsweise hohen Genuss als Markennutzen, können Markenattribute wie eine spezielle Rebsorte, lange Lagerung oder die Verwendung exotischer Hölzer bei den Fässern diesen stützen und glaubwürdig erscheinen lassen. <?page no="332"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 317 Schaubild 58: Markensteuerrad Quelle: Esch (2014, 104). Im Bereich Tonalität wird festgelegt, wie die Marke auftritt. Dafür lassen sich verschiedene Zugänge nutzen: ! Einerseits kann die Marke als Persönlichkeit angesehen werden, deren Eigenschaften beschrieben und festgelegt werden. Hier kann die Marke zum Beispiel als freundlich, jung oder vertrauenswürdig dargestellt werden. ! Des Weiteren kann die Beziehung zur Marke als Grundlage der Tonalität dienen. Dieser Beziehung können Attribute wie entspannt, seriös oder auch freundschaftlich zugeordnet werden. ! Zuletzt kann die Tonalität auch über die Beschreibung der mit der Marke verbundenen Erlebnisse konkretisiert werden. Erlebnisse mit Marken können beispielsweise aufregend, entspannend und ebenso einmalig sein. Sinnvoll ist es dabei, die verschiedenen Zugänge ergänzend einzusetzen. " Funktionaler Nutzen " Psychosozialer Nutzen " Persönlichkeitsmerkmale " Beziehungsmerkmale " Erlebnisse " Eigenschaften der Angebote " Eigenschaften des Unternehmens " CD-Merkmale " Design " Kommunikation " Sonstige modalitätsspez. Eindrücke stützt Markenkompetenz Wer bin ich? sichtbar durch erlebbar durch <?page no="333"?> 318 Umsetzung in der Praxis Unter Markenbild wird das Auftreten der Marke verstanden. Hier sollen nicht nur visuelle Eindrücke, sondern auch akustische, haptische, olfaktorische und gustatorische festgelegt werden, die die Marke auszeichnen. Bisher liegt der Schwerpunkt klar auf der Bildsprache als das zentrale Element zur Formung des Markenbildes. Gelegentlich finden sich wie bei BMW oder der Deutschen Telekom auch einprägsame Sound-Logos, die das Bild der Marke mit auditiven Reizen prägen. Auch Musik kann mit einer Marke verbunden werden (Esch 2014b, 102). Auf einer operativen Ebene ist die Integration der Kommunikationsangebote in der Markenkommunikation essenziell. Nur so kann beim Empfänger ein für die Imagebildung wichtiges konsistentes Bild der Marke ankommen. Als Grundlage der Integration kann und sollte die Positionierung dienen. Die Integration von Kommunikationsmitteln muss auf drei Ebenen stattfinden. Die formale Integration richtet sich an die Erscheinung der Kommunikationsangebote. So sollen diese konsistent in Form, Farbwelt, Tonalität oder Ähnlichem sein. Bei der inhaltlichen Integration liegt der Schwerpunkt darauf, die kommunizierten Botschaften aufeinander abzustimmen, sodass diese eine einheitliche und klare übergeordnete Aussage haben. Zeitlich integrierte Kommunikationsangebote sind so aufeinander abgestimmt, dass sie in einer logischen Abfolge beim Kunden ankommen. Auch der Faktor der Kontinuität ist in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigen, da nur so Lerneffekte beim Kunden erzielt werden können (Bruhn 2014b, 123 ff.). 2 2 . . 4 4 M M a a r r k k e e n n b b o o t t s s c c h h a a f f t t e e r r Neben der Kommunikation, die einer der wichtigsten Faktoren darstellt, werden beim Aufbau von starken Marken auch die Kundenerlebnisse gezielt gestaltet. Kunden interagieren jeden Tag auf sehr unterschiedliche Art und Weise mit der Marke. Nicht nur Produkte, die Werbung oder das Logo stellen solche Touchpoints dar. Einer der wichtigsten Kontaktpunkte von Kunden zur Marke sind die Mitarbeiter. Eine ansonsten konsistente Markenführung stößt schnell an ihre Grenzen, wenn Mitarbeiter nicht die Versprechen der Marke verkörpern und diese erlebbar machen. Von Interesse sind jedoch nicht nur die negativen Auswirkungen, die ein fehlendes Engagement der Mitarbeiter im Sinne der Marke haben kann, sondern vielmehr die verschiedenen Potenziale, die das Einbinden der Mitarbeiter als Markenbotschafter mit sich bringt (Esch/ Knörle/ Strödter 2014, 7 f.). Je nach Branche ist die Rolle von Mitarbeitern im Kundenkontakt natürlich unterschiedlich stark ausgeprägt. Für dienstleistungsintensive Branchen können sie mitunter einer der Hauptfaktoren zur Differenzierung vom Wettbewerb sein <?page no="334"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 319 und haben einen starken Einfluss auf die Loyalität der Kunden. Außerdem ist der persönliche Kontakt mit einem Mitarbeiter als wirkungsvoller einzustufen als klassische Kommunikationsinstrumente (Esch/ Knörle/ Strödter 2014, 10 f.). Das Internal Branding - die an die Mitarbeiter gerichtete Markenführung - spielt bei der Gewinnung von Mitarbeitern als Markenbotschafter eine wichtige Rolle. Wie die externe Markenführung greift auch das Internal Branding auf die Positionierung der Marke zurück. Ausgehend von der Markenidentität und deren Ausprägungen werden Markenwerte abgeleitet, die als Grundgerüst der Orientierung für Mitarbeiter dienen. Die Markenwerte sind so angelegt, dass sie zeitungebunden aktuell bleiben und klar aussagen, wofür eine Marke steht. Sie definieren den Umgang der Marke und somit auch der Mitarbeiter mit Kunden, Geschäftspartnern und anderen Anspruchsgruppen, sind dabei aber nicht mit Handlungspraktiken oder kulturellen Normen zu verwechseln (Esch/ Knörle/ St r ödt e r 20 1 4, 22 f.) . Da sich Internal Branding an der Schnittstelle zwischen Marketing und interner Kommunikation abspielt, ist eine enge Zusammenarbeit der beiden Bereiche Voraussetzung, um eine wertschöpfende Wirkung für das Unternehmen zu entfalten. In einer Studie von Hubbard gaben bereits 2004 rund 70 Prozent der befragten Unternehmen an, Informationen zu Markenidentität, Markenkern oder Markenwerten aktiv an die Mitarbeiter weiterzugeben. Auch wurde die Markenstrategie von knapp 63 Prozent der Unternehmen an ihre Mitarbeiter kommuniziert (Hubbard 2004, 235). 2 2 . . 5 5 T T r r e e n n d d s s i i n n d d e e r r M M a a r r k k e e n n k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Da die klassischen Instrumente der Markenkommunikation immer weniger effizient sind, gibt es eine Reihe von Trends, die nach neuen Wegen suchen. Marken als multisensuale Erlebnisse: Immer mehr geht es darum, Markenimages nicht nur über klassische Kommunikation beim Kunden zu etablieren, sondern Marken und deren Identität erlebbar zu machen. Dies kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden. Beispielsweise können Markenevents dazu beitragen, bestimmte Gefühle hervorzurufen oder Erfahrungen zu schaffen und diese mit einer Marke zu verknüpfen. Auch Erlebniswelten (sog. „Brandlands“) helfen, die Marke für Kunden greifbarer zu machen. Beispiele dafür sind unter anderem die Autostadt von VW, das Nivea-Haus oder die Swarovski-Kristallwelt. Hier können Besucher die Marke und deren Produkte interaktiv erleben. Dabei spielt eine große Rolle, dass Kunden in Brandlands oder auf Events die Marke mit mehreren Sinnen gleichzeitig erfahren können. So werden die in der klassischen Kommunikation vorherrschenden auditiven und visuellen durch haptische, ol- <?page no="335"?> 320 Umsetzung in der Praxis faktorische und gustatorische Reize ergänzt. Je mehr Sinne dabei angesprochen werden, desto wirkungsvoller ist die Kommunikationsmaßnahme. Wichtig ist wiederum, die Erlebnisse und Sinneserfahrungen auf die Positionierung der Marke anzupassen (Burmann/ Halaszovich/ Hemmann 2012, 111 ff.). Social Media: Soziale Medien haben Unternehmen dazu gebracht, ihre Kommunikation entscheidend zu überdenken. Die dialogisch ausgerichtete Grundstruktur stellt völlig neue Anforderungen an die Markenkommunikation. Vor allem die von Usern erstellten Inhalte zu Marken sind für Unternehmen eine Chance und Herausforderung zugleich, da sie das Image einer Marke signifikant beeinflussen können. Nicht mehr nur Unternehmen erstellen und verbreiten Informationen über Marken, auch Nachfrager haben die Möglichkeit, dies zu tun. So sind Unternehmen nicht mehr die alleinigen „Herrscher“ über die sich im Umlauf befindenden Informationen über einer Marke. Das proaktive Management de r von User n ers tel lt en In ha lt e, wir d da he r zu ein er Ke rna uf gab e de r Ko mm unikationsabteilung eines Unternehmens. Die Relevanz der Information für die Nutzer steht klar im Fokus. Richten sich Marken nach den Wünschen und Erwartungen der Kunden, kann ein interaktives Markenerlebnis entstehen, das sich schnell durch die Mechanismen sozialer Medien verbreiten kann (Burmann/ Halaszovich/ Hemmann 2012, 188 ff.). 3 3 I I n n s s t t r r u u m m e e n n t t e e d d e e r r d d i i r r e e k k t t e e n n u u n n d d i i n n d d i i r r e e k k t t e e n n A A n n s s p p r r a a c c h h e e Um mit dem Kunden als wichtigstem Kommunikationspartner in Kontakt zu treten, steht der Unternehmenskommunikation eine breite Palette an Maßnahmen und Instrumenten zur Verfügung. ! Public Relations in Form von Produkt-PR bzw. Kunden-PR will ein überzeugendes Bild des Unternehmens und seiner Leistungen (Mast/ Huck/ Güller 2005, 53 ff.) erzeugen und setzt auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen. ! Ein klassischer Kommunikationsweg ist die Werbung (Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2013, Schweiger/ Schrattenecker 2012, Siegert/ Brecheis 2010). ! Sowohl zur Verkaufsförderung (Bruhn 2015, 383 ff.) als auch im Direktmarketing (ebd. 402 ff., Mast/ Huck/ Güller 2005, 163) werden vielfältige Kommunikationswege eingeschlagen. ! Sponsoring (Bruhn 2015, 413 ff., Dubach/ Frey 2011, Bruhn 2010) setzt auf den Mechanismus des Imagetransfers. ! Messen (Bruhn 2015, 453 ff., Mast/ Huck/ Güller 2005, 122 ff.), und andere Events (Mast/ Huck/ Güller 2005, 119 ff.) können unter dem Begriff „Live Communication“ (Kirchgeorg/ Ermer, 2014, 691 ff.) zusammengefasst wer- <?page no="336"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 321 den und inszenieren die Kompetenz und Leistungsfähigkeit des Unternehmens in fachlicher und emotionaler Hinsicht. ! Die persönliche Kommunikation (Bruhn 2015, 444 ff., Copley 2014, 361 ff., Mast/ Huck/ Güller 2005, 133) als einflussreichster Weg der Kundenbeeinflussung kann die mediale Ansprache verstärken. ! Social Media besitzen große Potenziale, dialogisch mit dem Kunden zu kommunizieren und eine langfristige Beziehung aufzubauen (Kirchhoff 2015, Pleil/ Zerfaß 2014). ! Beim Viralmarketing besteht die Grundintention darin, Inhalte zu schaffen, die sich wegen ihres hohen Unterhaltungswertes schnell über soziale Medien weiter verbreiten (Stenger 2012). Die Maßnahmen der Kundenkommunikation können darüber hinaus unterschieden werden, ob sie vorrangig zur Ansprache von Kunden (proaktive Instrumente) oder eher zur Rezeption von Kundenwünschen (reaktive Instrumente) dienen (Lischka 2000). Proaktive Instrumente der Kundenkommunikation sind z. B. Direkt-Mails, Telefonanrufe, E-Mails und vor allem die Online-Kommunikation, die aber auch als reaktiver Kommunikationsweg genutzt werden kann. Reaktive Kommunikationsinstrumente sind alle Wege, auf denen der Kunde mit dem Unternehmen in Kontakt treten kann, z. B. Servicetelefone, Hotlines, Call-Center, Briefe, Coupons. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die Dialogkommunikation mit den Kunden in der Praxis auch mehr oder weniger standardisiert werden kann. Lischka (2000, 55 f.) differenziert zwischen standardisierter, kundentypenbezogener und kundenindividueller Dialogkommunikation. Die Abstufung der Individualisierungsgrade wird bezogen auf die Exklusivität der Inhalte, den Zeitpunkt der Verfügbarkeit, auf die Breite und Tiefe der angebotenen Informationen sowie auf die spezielle Beziehung des Kunden zum Unternehmen mit Blick auf das Kaufverhalten in der Vergangenheit. Die Unternehmen sind heute in der Mediengesellschaft einer Flut von werblichen Informationsreizen ausgesetzt. Allein in Deutschland laufen jährlich fast vier Millionen TV-Spots. Durchschnittlich ein Viertel des Seitenumfangs einer Zeitung entfällt auf Werbeanzeigen. Bei den Publikumszeitschriften sieht das Bild ähnlich aus: Auch sie bestehen durchschnittlich zu 21 Prozent aus Anzeigen. Unterwegs begegnet uns darüber hinaus auf rund 340.000 Plakatwänden, Litfaßsäulen und City-Lights zusätzlich eine schillernde Vielfalt an Marketingbotschaften (ZAW 2012, 314, 286, 378). Und die werblichen Kommunikationsaktivitäten von Unternehmen intensivieren sich noch weiter: Aufgrund von immer komplexeren Marktleistungen, einem ständig wachsenden Überangebot an individualisierten Produkten und Dienstleistungen sowie einem harten Konkur- <?page no="337"?> 322 Umsetzung in der Praxis renz- und Positionierungskampf in übersättigten Märkten steigt der Erklärungsbedarf der Unternehmungen gegenüber ihren Kunden. Durch diese Medienvielfalt wird ein enormer Kommunikationsdruck („Information Overload“) auf die Menschen aufgebaut. Diese verweigern in der Folge nicht selten die Aufnahme der Werbebotschaften. Die Folge dieser Reizüberflutung sind hohe Streuverluste der Werbung aufseiten der Unternehmen sowie Überlastung, Überdruss und Reaktanz gegenüber den Kommunikationsaktivitäten bei den Empfängern (Weichler 2014, 767, Uffmann 2008, 9, Mast/ Huck/ Güller 2003, 11). „Mit der Überforderung der Kunden steigt auch die Unsicherheit der Unternehmen: Wie kann man Kunden überhaupt noch erreichen? Über welche Medien kann eine wirkungsvolle Kommunikation mit den Kunden erfolgen? “ (Mast/ Huck/ Güller 2005, 179). Und wie kann kommunikativ eine nachhaltige Vertrauensbasis geschaffen werden, um den Kunden langfristig an das Unternehmen zu binden und so einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen? Mit diesen Fragen müssen sich Unternehmen in zunehmendem Maße auseinandersetzen. Schließlich steigt die Zahl an Kommunikations- und Kontaktwegen vor allem aufgrund des - technisch gesehen - immer leichteren Informationstransports. Parallel hierzu sinkt aber häufig das Vertrauen der Menschen in die traditionelle Werbung bei zugleich verstärkter Fragmentierung des Publikums. Diese generellen Rahmenbedingungen für organisationale Kommunikation verdeutlichen, dass Unternehmen vermehrt nach „effektiveren und effizienteren Formen der Kundenkommunikation“ (Giovanelli 2004, 8) suchen müssen, um ein Stück vom „Aufmerksamkeits-Kuchen“ der Rezipienten zu gewinnen. Der indirekte Weg: Kunden-PR als Medienarbeit: Der Bedarf der Massenmedien vor allem an redaktionellen Inhalten ist groß (Mast 2012a u. 2012b, Spachmann 2005). Für die Kundenkommunikation bietet dieser Bedarf zahlreiche Ansatzpunkte, Bezugsgruppen noch stärker als bislang über Medienarbeit anzusprechen. Massenmedien eignen sich zur Ansprache von Fachpublika ebenso wie zur Information der allgemeinen Öffentlichkeit und zur Imagebildung. Im Vergleich zu unternehmenseigenen Publikationen, z. B. einer Kundenzeitschrift, die Unternehmen über vorliegende Adressbestände ganz gezielt an bestehende Kunden oder potenziell Interessierte schicken, hat der „Umweg“ über unabhängige Medien den Vorteil, dass sich Presse und Rundfunk in ihren redaktionellen Beiträgen eben nicht ausschließlich an die Kunden eines Unternehmens richten. Medien bieten mit ihrer Multiplikatorfunktion die Möglichkeit, breitere Personenkreise als nur die unmittelbaren Dialogpartner eines Unternehmens anzusprechen. Durch den Journalisten als Vermittler, Experten oder Berater erhält <?page no="338"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 323 eine Information für den Rezipienten eine höhere Glaubwürdigkeit und den Anschein einer „externen Expertise“ (Willis 2006, 418). Eine indirekte Ansprache von Kunden kann aus Sicht des Unternehmens über den „Umweg“ der Massenmedien (Presse, Rundfunk, Online- Medien) in Form von professioneller Medienarbeit („media relations“) erfolgen. Aufgrund des journalistischen Umfeldes betrachten die Rezipienten die kommunikativen Inhalte häufig als glaubwürdiger als direkte Kundenkommunikation, beispielsweise mit unternehmenseigenen Corporate Publishing-Medien. Kunden-PR ist also vorrangig als Medienarbeit (Mast/ Huck/ Güller 2005, 217) zu verstehen. Im Sinne einer integrierten Kundenkommunikation kommt es darauf an, bestehende sowie mögliche künftige Kunden als Teil der breiten Öffentlichkeit und nicht in erster Linie als Konsumenten mit Informationen über das Unternehmen, dessen Stellung im Markt oder seine Produkte bzw. Dienstleistungen über den Journalisten als Multiplikator zu versorgen. Marke, Image und Reputation entfalten sich nur dann in vollem Umfang, wenn der Kunde in verschiedenen Rollen, Informationsbereichen und Kommunikationskontexten ein rundes, in sich schlüssiges Bild vom Unternehmen oder vom Produkt erkennen kann. Die Presse- und Medienarbeit („media relations“) umfasst alle Formen der Public Relations, die auf die Ansprache von Journalisten der Massenmedien ausgerichtet sind, mit dem Ziel, über diese Medien an der öffentlichen Diskussion teilzuhaben und die letztlich anzusprechenden Bezugsgruppen der Unternehmenskommunikation zu erreichen. Ihr stehen dabei grundsätzlich drei verschiedene, klassische Medienarten zur Verfügung: ! Breiten- und General-Interest-Medien haben die Öffentlichkeit als Ganzes oder ausgewählte Teile dieser Öffentlichkeit im Blick. So breit das Spektrum und die Ausrichtung dieser Vielzahl an Titeln ist, so vielfältig sind auch ihre Zielgruppen und damit deren Nutzungsmuster, -kontexte und -umgebungen. Gemeinsam ist ihnen jedoch in der Regel, dass sie ihre Inhalte für ihre jeweilige Zielgruppe so verständlich und nutzwertorientiert wie möglich aufbereiten. ! Special-Interest-Medien sind zwischen Fach- und allgemeinen Medien angesiedelt. Sie richten sich an interessierte Laien mit entsprechender Vorbildung. Anders als Fachmedien vermitteln sie Fachinhalte meist leichter verständ- <?page no="339"?> 324 Umsetzung in der Praxis lich und sprechen ihre Rezipienten eher im privaten Umfeld an, im Rahmen eines Hobbys oder eines berufsunabhängigen Interesses. ! Fachmedien sprechen Fachleute in der Regel im beruflichen Kontext an; sie sind meist auf einen Berufsstand (z. B. Maschinenbauer, Architekten, IT- Fachleute) oder eine Qualifikationsebene (z. B. Entscheider in mittelständischen Betrieben) ausgerichtet und eignen sich in erster Linie für den Business-to-Business-Bereich. Die Instrumente, die der Medienarbeit für die Vermittlung ihrer Inhalte an Journalisten zur Verfügung stehen, sind zahlreich. Außer Pressemitteilungen und Pressekonferenzen, die zu den bekanntesten Instrumenten gehören, gibt es Presseeinladungen, -berichte, Hintergrundgespräche, Pressereisen und viele andere mehr. Direkte Kundenansprache − Corporate Publishing: Für eine umfassende und zielgerichtete Ansprache der Kunden reicht jedoch eine durch Massenmedien vermittelte Kommunikation in Form von Medienarbeit (und Werbung) allein nicht aus. Aus diesem Grund produzieren Unternehmen eigene Medien für ihre Kundenkommunikation. Unter dem Überbegriff des Corporate Publishing (CP) wird die „professionelle, bezugsgruppenorientierte Gestaltung sämtlicher Unternehmensmedien nach journalistischen Grundsätzen“ (Mast/ Huck/ Güller 2005, 204) verstanden, wobei sich CP nicht ausschließlich auf Printerzeugnisse beschränkt. So gehören zu den unternehmenseigenen, kontrollierten Medieninstrumenten u. a. Kundenzeitschriften, Geschäftsberichte, Corporate Books sowie diverse audio-visuelle Instrumente und Online-Angebote wie Websites, Corporate Blogs, Podcasts und Corporate TV (Schaubild 59). Schaubild 59: Klassifikation von gängigen Corporate Publishing-Instrumenten Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Uffmann (2008, 38). " Kundenzeitschrift " Geschäftsbericht " Corporate Book " Print- Newsletter " Magalog " … N on-Print-Medien " Corporate TV/ Corporate Movie " Corporate Podcast/ Vodcast " … " E-Mail-Newsletter, E-Journal, " Website, Corporate Blog, Forum, " Kundenzeitschrift als PDF " Handy-Radio und Mobizine " SMS-Newsletter, Wap-Portal " … Print-Medien audio-visuelle Medien Online- und Mobile-Medien <?page no="340"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 325 Unter Corporate Publishing wird die Herstellung, Organisation und Evaluation von Unternehmenspublikationen verstanden. Solche unternehmenseigenen, selbst aufgebauten Kommunikationskanäle können z. B. Kundenzeitschriften, Corporate Books, Geschäftsberichte, Corporate TV, Newsletter, Websites und Corporate Blogs sein. Die Nutzung dieser unternehmensspezifischen Publikationen hat sich in den letzten Jahren stark ausgeweitet. So wurde als Antwort auf die Reizüberflutung durch Werbung bereits Mitte der 1990er Jahre das inzwischen 100 Jahre alte Medium der Kundenzeitschrift wiederentdeckt; der Boom ist seither ungebrochen. Die Zahl der Kundenzeitschriften vervielfachte sich in den letzten 20 Jahren. Die Magazine erhielten neue Funktionen, die bestehenden Medien wurden überarbeitet und neue Zeitschriften haben sich etabliert. Kundenzeitschriften werden von Unternehmen vieler Branchen herausgegeben (Weichler/ Endrös 2010, Engelmann 2009, Steinmetz 2004) und zeichnen sich insgesamt durch eine im Vergleich zur Werbung hohe Glaubwürdigkeit aus. Das Spektrum der angebotenen Kundenzeitschriften ist breit. Man kann sie z. B. nach dem Herausgeber (Branche vs. Unternehmen) unterscheiden (Weichler 2014, 768): Bei der Branchenpresse ist zumeist ein Verlag für Inhalt und Aufmachung des Mediums zuständig. Von ihm erwerben die Einzelhändler der jeweiligen Branche die Hefte und geben diese dann unentgeltlich an den Kunden weiter. Wegen der geringeren Betriebsbezogenheit rückt vor allem der unterhaltende Charakter solcher Zeitschriften in den Vordergrund - typische Beispiele sind u. a. die Branchenmedien des Bäcker- („Bäckerblume“) und des Fleischerhandwerks („Lukullus“) sowie die Kundenblätter in Apotheken („Apothekenumschau“). Zwar dominieren die branchenbezogenen Kundenzeitschriften hinsichtlich der Auflagenstärke; das Gros der Kundenzeitschriften (mehr als 90 Prozent) weist jedoch einen eindeutigen Unternehmensbezug auf. Hinsichtlich der Adressaten von Kundenzeitschriften wird gemeinhin zwischen B2C-(Business-to-Consumer-) und B2B-(Business-to-Business-)Magazinen unterschieden, wobei beide Gruppen in etwa gleich häufig als Empfänger auftreten. Die Auflage ist bei den Endverbraucher-Titeln allerdings um ein Vielfaches höher als bei Kundenzeitschriften für Geschäftskunden. Als dritte mögliche Zielgruppe schlägt Kleinert (2008, 19) die B2I-(Business-to-Investor-) Zeitschriften vor, die vor allem Investoren und Shareholder ansprechen sollen. Ebenso möglich erscheint eine Differenzierung von Kundenzeitschriften nach ihren Inhalten. Mast, Huck und Güller (2005, 183 ff.) unterscheiden zwischen <?page no="341"?> 326 Umsetzung in der Praxis den beiden Kategorien der quantitativen und der qualitativen Kundenzeitschrift. Erstere sind vor allem kostengünstig produzierte Massenblätter, die mit hoher Auflage erscheinen, um möglichst viele Kunden zu erreichen. Dieser vorwiegend prospektartig aufgemachte und produktorientierte Typus der quantitativen Kundenzeitschrift dient im Wesentlichen der Verkaufsförderung durch Information und Unterhaltung des Kunden. Beispiele hierfür sind hauptsächlich die Kundenmagazine von Drogerie- und Supermärkten sowie Apotheken. Qualitative Kundenzeitschriften hingegen werden in der Regel mit viel Aufwand zielgruppengenau und in kleineren Auflagen produziert. Um einen Mehrwert für den Kunden zu schaffen, der schlussendlich auch zur Kundenbindung beiträgt, werden gezielt produkt-, unternehmens- und branchenfremde Informationen in das Magazin integriert. Eine fundierte und auf die Leserbedürfnisse abgestimmte Aufarbeitung dieser überwiegend allgemein gehaltenen Themen sowie eine umfass en de Hint er gr und be ri ch te r stat tung so llen dem Empf äng er neb en Info rmationen auch Unterhaltung, Nutzwert und Serviceleistungen bieten - dies erhöht wiederum die Glaubwürdigkeit dieses vermeintlich journalistischen Produkts. Ein weiteres wichtiges Teilziel auf dem Weg zur Kundenbindung stellt die Initiierung eines Dialogs mit dem Kunden dar: Über Rückkopplungskanäle wie Coupons, Preisausschreiben oder Spiele erhalten die Herausgeber von den Lesern Feedback, welches anschließend einen Beitrag zur Optimierung der Kommunikationsaktivitäten leisten kann. Kundenzeitschriften können nach dem Herausgeber, den Adressaten oder nach ihren Inhalten unterschieden werden. Die Kundenzeitschrift als direkter Kommunikationsweg zum Kunden kann das i-Tüpfelchen eines Vertrauens- und Imagemanagements sein. Durch entsprechende Themenwahl und -gestaltung der Kundenzeitschrift wird dem Leser ein bestimmtes Bild des Unternehmens vermittelt. Beispielsweise gelang es BMW durch das Motto „Freude am Fahren“ einen emotionalen Werbespruch zu formulieren, mit dem sich BMW-Fahrer identifizieren. Es steht mit Werten wie Dynamik, Ästhetik und Innovation in Verbindung. Das „BMW Magazin“ versucht, Themen wie Lifestyle, Reisen und Ernährung mit Technik und damit so weit wie möglich mit der Marke BMW zu verbinden (Lücke 2005, 27 ff.). Im „Lancia Magazin“ erwarten den Leser statt einer Übermacht technischer Kennzahlen Themen rund um die Bereiche Italien, Charme, Handwerk, Dolce Vita, Tradition und Innovation. Hier spielt das Auto nur eine Nebenrolle. Ziel ist es, durch einen Imagetransfer bestimmte Eigenschaften mit der Marke Lancia in Verbindung zu bringen (Thomas 2004, 51). <?page no="342"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 327 Weitere Printmedien wie Corporate Books, Geschäftsberichte oder Magaloge (Kombination aus journalistischem Magazin und klassischem Verkaufskatalog) sollen insbesondere zusätzlich zur Kundenzeitschrift das Image und die Glaubwürdigkeit des Herausgebers fördern sowie gegenüber dem Kunden die unternehmenseigenen Markenwerte transportieren. Neben der Kundenzeitschrift hat vor allem das Internet in der Kundenkommunikation an Bedeutung gewonnen. Über Unternehmenswebsites kann sich ein Kunde informieren und zugleich mit dem Unternehmen interagieren. Das Internet eröffnet enorme Möglichkeiten in der dialogorientierten Kommunikation mit dem Kunden, die die Unternehmen nun nach und nach ausschöpfen. Vom Angebotsspektrum der jeweiligen Firma und dem Konzept der Unternehmenskommunikation hängt es jedoch ab, wie die Websites gestaltet werden und welchen Stellenwert die Kunden als Nutzer erhalten. Die Web-Auftritte verfolgen unterschiedliche Konzepte, was die Zusammensetzung des Inhaltes, die Möglichkeiten der Interaktion und das visuelle Konzept betrifft. Zu unterscheiden sind die Internet-Angebote von Unternehmen, die nur geringe Möglichkeiten zum Kontakt und Feedback ermöglichen und solche, die dazu besonders einladen. Einige Unternehmen bieten Chat-Plattformen an oder sogar personalisierte Portale für Kunden (z. B. www.axa.de). Das Kund enfernsehen stellt einen weiteren Kanal der Unternehmenskommunikation dar, über den die Zielgruppe der Kunden angesprochen werden kann (Uffmann 2008, 30). Die Unternehmen in Deutschland haben bislang äußerst unterschiedliche Projekte im Firmenfernsehen realisiert (Mickeleit/ Ziesche 2006). Sie reichen vom Aufbau eines unternehmenseigenen Fernsehnetzes für die interne Kommunikation bis hin zum Firmenfernsehen, das Nachrichten an Kunden oder gar an die Öffentlichkeit vermittelt. Beim Kundenfernsehen entwickeln sich zwei Richtungen. Unter Point of Information TV versteht man die Übertragung von Unternehmensfernsehen in den öffentlich zugänglichen Bereichen von beispielsweise Kaufhaus- oder Bankfilialen. Die Sparda Bank bietet zum Beispiel an einigen Standorten moderierte Magazinbeiträge zu allgemeinen Finanzthemen, aber auch zu Produkten und Angeboten der Bank sowie zu kulturellen Veranstaltungen an. Home TV umfasst eine ganze Reihe von verschiedenen Konzepten, die eines gemeinsam haben: Den (potenziellen) Kunden mit einem speziellen Unternehmensfernsehen zu Hause zu erreichen. Die Bandbreite reicht vom öffentlichen Spartenkanal, den sich mehrere Unternehmen einer Branche teilen, über einen Firmenkanal mit Übertragungen von Events sowie Service- und Produktinformationen bis hin zu Pay TV-Angeboten eines Unternehmens, das besonders wichtigen Kunden einen exklusiven Informationsservice anbietet. Das entscheidende Kriterium für einen <?page no="343"?> 328 Umsetzung in der Praxis öffentlichen Firmenkanal ist die Zielgruppe, die mit einem solchen Kanal erreicht werden kann. Aber auch die technischen Übertragungswege sind zu unterscheiden. Sie haben ebenfalls Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der Angebote (Geiger 2006, 89 ff.): Beim IPTV wird das Programm über das Internetprotokoll (IP) auf einen Fernsehbildschirm übertragen. Hierfür benötigt der Zuschauer allerdings eine zusätzliche Set-Top-Box. Derzeit bauen Telekommunikationsunternehmen ihre Netze massiv aus, um künftig Telefonie, Internet und TV-Anschlüsse mit wachsender Sendervielfalt aus einer Hand anbieten zu können. Dieser technische Ausbau ermöglicht die Entwicklung neuer zielgruppenspezifischer Spartenkanäle. Web-TV wird im Intra- oder Internet übertragen und kann auf jedem beliebigen Personal Computer empfangen werden. Es eignet sich für gezielte Programmangebote von Unternehmen und hat den Vorteil, dass keine zusätzlichen Empfa ngsgeräte ben ötigt werden. Mobile TV wir d au f Hand ys un d an de re mobile Endgeräte übertragen. Über diesen Kanal ist also die Verbreitung von Videobotschaften an mobile Kunden möglich. Eine ganz andere, eigenständige Form von Corporate TV stellen Firmenmagazine dar, die im öffentlichen Publikumsfernsehen ausgestrahlt werden und sich somit an die Zuschauer richten, zu denen auch potenzielle und aktuelle Kunden zählen. Ein Beispiel hierfür sind Infomercials, bei denen es sich um von Unternehmen gestaltete Sendungen im Magazinstil handelt, die rechtlich als Werbung behandelt werden und nach der Sendelänge, etwa 15 bis 30 Minuten, dem übertragenden Sender entsprechend den Werbepreisen bezahlt werden müssen. Mittlerweile setzen viele Unternehmen zunehmend Corporate Podbzw. Vodcasts zur Kundenkommunikation ein, weil sie hierdurch als besonders „innovativ, kreativ und sympathisch“ (Tretow 2008, 7) gelten. Da sich dieses CP-Instrument besonders gut in andere (digitale) Medien wie Blogs oder E-Magazines integrieren lässt, kann es im Rahmen der Kundenkommunikation Kundenmagazine oder Produktinformationen flankieren sowie aktuelle PR- und Marketingkampagnen begleiten. Beispiel für Corporate Podcasts und Vodcasts Beispiele für Corporate Podbzw. Vodcasts sind der PONScast, die Podcast- Reihen der BASF AG sowie das Podcast Center der Bayer AG, welche im Folgenden kurz vorgestellt werden. <?page no="344"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 329 Beispiele für Corporate Podcasts und Vodcasts Der Wörterbuchverlag PONS betreibt seit einigen Jahren den sog. PONScast $ www.ponscast.de. Schüler und Sprachenbegeisterte können mit diesem Service ihre Englischkenntnisse verbessern, indem sie MP3- Audiodateien, besprochen von englischen und amerikanischen Muttersprachlern, kostenlos anhören können. Mit zwei unterschiedlichen Podcast-Angeboten und einem Vodcast- Angebot spricht die BASF AG Journalisten und interessierte Nutzer an $ https: / / www.basf.com/ de/ company/ news-and-media/ multimedia.html. In Podcasts der Rubrik „Der Chemie Reporter“ werden Fragen wie „Was bedeutet Wasserhärte? “ oder „Warum verblassen Farben? “ beantwortet. Das Podcast-Angebot wird durch die Vodcasts bzw. Videocasts „Creating Chemistry“ ergänzt. In einem der Videobeiträge wird z. B. allgemein verständlich erklärt, wie Chemie den Autolack vor Kratzern schützt. Die Bayer AG unterhält ein Podcast Center im Internet $ http: / / www. video-center.bayer.de/ . Auf dieser Plattform können unter anderem Videos (Vodcasts) zu den Themen „Wissenschaft“ und „Nachrichten“ angeschaut werden. In der Rubrik „Wissenschaft“ stehen z. B. Videobeiträge mit den Themen „Gemeinsam mit OncoMed gegen Krebs“, „Globale Trends der Ernährung“ und „Ohne Boden kein Leben“ bereit. Unter „Nachrichten“ sind Vodcasts eingestellt, die das Unternehmen und seine Geschäftstätigkeit in den Mittelpunkt stellen. Darunter lassen sich Beiträge wie „Bayer wird zur Life-Science Company“ finden. Weitere Online- und Mobile-Medien, die häufig als Corporate Publishing-Tools im Rahmen der Kundenkommunikation zum Einsatz kommen, sind die klassischen E-Mail-Newsletter, das E-Journal - ein auf Flash-Technik basierendes Online- Magazin - sowie beispielsweise Corporate Blogs, Foren, Handy-Radio oder SMS- Newsletter. Das Spektrum an verfügbaren Instrumenten zur Kundenkommunikation war wohl noch nie so groß wie in der heutigen Zeit. Insgesamt haben die Unternehmen sehr viele Möglichkeiten, um die relevanten Kundengruppen über alle erdenklichen Kanäle und Medien anzusprechen und passende Kommunikationskonzepte im digitalen Zeitalter zu bieten. Dennoch haben - trotz der Vielfalt an Tools - die Corporate Publishing-Instrumente erst im koordinierten und konzeptionell durchorganisierten Zusammenspiel ihre wahre Stärke entwickelt. <?page no="345"?> 330 Umsetzung in der Praxis 4 4 K K u u n n d d e e n n k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n - - d d a a s s M M i i t t e e i i n n a a n n d d e e r r eennttsscchheeiiddeett Der Wettlauf zwischen Werbung und PR hat ein vorläufiges Ende gefunden: PR hat sich von Marketing und Werbung weitgehend emanzipiert. Es war die PR, die als „kleiner Bruder“ lange Jahre neben der Werbung herhinkte, jedoch in Sachen Budget nie zu ihr aufschließen konnte. Als Teilbereich des Marketings verkannt, etablierte sie sich erst in den 1990er Jahren zu einem eigenständigen Teilbereich der Unternehmenskommunikation. In den letzten Jahren ist der Wettlauf zwischen den beiden Disziplinen in der Kommunikationspraxis kaum noch ein Thema. Es geht immer stärker um ein Miteinander statt um das Gegeneinander (Huck/ Güller 2004). Die Öffentlichkeitsarbeit erhält gerade im Feld der Kundenkommunikation ein immer stärkeres Gewicht und spätestens bei der neuesten Spielart des Marketing - dem Content Marketing - greifen PR und Marketing Hand in Hand. Aus der PR-Perspektive wird diese neue Herangehensweise Content Management (vgl. Kap. 8) genannt. Die Marktkommunikation spricht vom sog. „Content Marketing“ (Steinbach/ Krisch/ Harguth 2015, Löffler 2014). Eine Umfrage unter den Top-500-Unternehmen Deutschlands hat dies bereits vor einem guten Jahrzehnt belegt (Mast/ Huck/ Güller 2005, 95 ff.). PR leistet sowohl als Produkt-PR oder Produkt-Pressearbeit als auch als Kommunikationsmanagement ihren Beitrag zur Kundenkommunikation. Dieser verbreiterte Wirkungskreis ist für die PR vergleichsweise neu. Zwar bestehen alte Ressentiments zwischen Marketing, Werbung und PR in vielen Unternehmen fort. Insgesamt hat jedoch ein eher integratives Verständnis Einzug in die Kommunikationsabteilungen gehalten: Im Sinne der bestmöglichen Positionierung und Vermittlung von Unternehmen, Produkt und Marke ist im 21. Jahrhundert nur das Miteinander aller Kommunikationsdisziplinen und -kanäle Erfolg versprechend. Miteinander im Zuge eines integrierten Kommunikationsmanagements stimmt die Kundenkommunikation aller Kommunikationsdisziplinen, -instrumente und -maßnahmen, derer sich Unternehmen bedienen, aufeinander ab, um Kunden anzusprechen und zu binden. Ob genuine Marketing- oder PR-Instrumente, der Kunde soll letzlich überzeugt werden. Dazu geht die Kundenkommunikation sowohl integriert als auch multimedial vor: ! Integriert erfolgt Kundenkommunikation dann, wenn sie alle Kommunikationsfunktionen des Unternehmens auf die Ziele der Kundenbindung und Neukundengewinnung einschwört und sie bei der Erreichung dieser Ziele koordiniert, vernetzt und aufeinander abstimmt. Die Idee der integrierten Kommunikation postuliert die formale und inhaltliche Abstimmung und <?page no="346"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 331 Vernetzung aller Kommunikationsdisziplinen und -instrumente der Organisation. Auch wenn die meisten Unternehmen bislang am hehren Anspruch einer Koordination und Integration der Unternehmenskommunikation scheitern, so bleibt das Konzept als Zielvorgabe heute unverzichtbar. Deshalb ist es erforderlich, alle relevanten Kommunikationswege und -kanäle im Rahmen der Kundenansprache aufeinander abzustimmen, damit Kunden ein konsistentes Bild vom Unternehmen, vom Produkt und/ oder von der Marke vermittelt wird. ! Multimediales Vorgehen ist weit mehr als die integrierte Kommunikation im neuen Gewand: „Multimedial“ bezieht sich auf die Inhalte der Kundenkommunikation, verläuft somit quer zur organisatorischen und funktionalen Abstimmung und Koordination. Multimedial ist Kommunikation immer dann, wenn sie Inhalte konsistent über mehrere Kanäle hinweg vermittelt, jedoch je nach Kanal und Publikum medien- und publikumsspezifisch aufbereitet. Zugleich geht der Anspruch der integrierten und multimedialen Kommunikation weit über die bloße Ansprache der Kunden hinaus. Menschen kommen schließlich mit einem Unternehmen nicht nur als Käufer oder Konsumenten in Kontakt, sondern auch in zahlreichen weiteren Rollen. Schon früh am Morgen, wenn am Frühstückstisch die Tageszeitung aufgeschlagen wird, liest der Einzelne z. B. etwas über das Sportunternehmen, bei dem er vor wenigen Wochen einen Laufschuh gekauft hat. Es dreht sich im Zeitungsbeitrag jedoch nicht um die Produkte des Unternehmens, sondern um dessen positive wirtschaftliche Entwicklung im letzten Quartal, um das soziale Engagement für die lokale Jugendarbeit oder das aktuelle Bauvorhaben für eine neue Produktionshalle. Der Leser wird sich weniger als Kunde angesprochen fühlen, sondern eher als potenzieller Aktionär, als Bürger oder als Anwohner. Der Anspruch, Ziele, Inhalte und Instrumente aufeinander abzustimmen und zu vernetzen, darf demnach nicht nur auf die Kundenkommunikation allein beschränkt bleiben, sondern muss sich auf die gesamte Unternehmenskommunikation beziehen. Der alte Dualismus zwischen der wirtschaftswissenschaftlichen Herangehensweise des Marketings und der eher sozialwissenschaftlichen Perspektive der PR kann in einer überzeugenden Unternehmenskommunikation zu den Akten gelegt werden. Kundenkommunikation ist als eine Querschnittsfunktion zu verstehen: Sie umfasst alle kommunikativen Ebenen, Kanäle und Medien, alle Kommunikationsdisziplinen, -funktionen, -instrumente und -maßnahmen. Sie spricht Kunden in erster Linie als Käufer von Produkten oder Dienstleistungen, in zweiter Linie jedoch auch in den anderen Rollen als Staatsbürger, Anwohner, Investoren oder Mitarbeiter an. <?page no="347"?> 332 Umsetzung in der Praxis ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Die Kommunikation mit dem Kunden, einst eine klassische Domäne des Marketings, hat in den letzten Jahren auch in der Unternehmenskommunikation an Bedeutung gewonnen. Der Dualismus Marketing vs. PR löst sich langsam auf. ! Die Kundenbindung und Beziehungspflege ist - noch vor der Neukundengewinnung - das oberste Ziel. ! Kommunikation mit dem Kunden sollte integriert, multimedial und beziehungsorientiert erfolgen. Unternehmen müssen ihre verschiedenen Kommunikationsmaßnahmen und den Einsatz der Kommunikationsinstrumente genau aufeinander abstimmen und miteinander vernetzen, um nach außen ein glaubwürdiges, widerspruchsfreies und einheitliches Bild zu vermitteln. ! Kommunikationsmanagement bedeutet nicht mehr einseitige Verteilung von Informationen an die Kunden, sondern zweiseitige Interaktionen zwischen Unternehmen und Kunden. Auch neuere betriebswirtschaftliche Ansätze betonen die Beziehungsorientierung und den großen Einfluss von Kommunikationsbeziehungen mit dem Kunden auf den Geschäftserfolg. ! Neue Technologien schaffen neue Kommunikationswege und neue Möglichkeiten für den Dialog mit dem Kunden. Das Feedback der Kunden wird systematisch ausgewertet und in die Planung künftiger Aktivitäten einbezogen. ! Marken haben heute wichtige Orientierungsfunktionen in der Kundenkommunikation. Die Entwicklung geht hin zur Betonung von Unternehmensmarken. ! Konsequente Dialogorientierung und eine individuelle, bezugsgruppenadäquate Kundenansprache stehen im Zentrum professioneller Kundenkommunikation. ! Die Kundenkommunikation eines Unternehmens verwendet den direkten (Corporate Publishing) und den indirekten Weg (Medienarbeit) zum Kunden. <?page no="348"?> Kapitel 10: Kundenkommunikation 333 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Bruhn, Manfred (2011): Kundenorientierung. Bausteine für ein exzellentes Customer Relationship Management. 4. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. Das Buch gibt einen Überblick über die wesentlichen Bestandteile der Kundenorientierung in modernen Unternehmen: Qualitäts-, Service-, Beschwerden-, Kundenbindungs- und Innovationsmanagement werden als Erfolgsfaktoren der Kundenbeziehung dargestellt. Bruhn, Manfred/ Homburg, Christian (Hrsg.) (2013): Handbuch Kundenbindungsmanagement. Strategien und Instrumente für ein erfolgreiches CRM. 8., überarb. u. erw. Aufl. Wiesbaden: Gabler. Dieses Handbuch stellt die elementaren Grundlagen zum Kundenbindungsmanagement wie gängige Kundenbindungsinstrumente, deren Implementierung sowie Maßnahmen zu ihrer Kontrolle vor. Zugleich werden zahlreiche Praxiserfahrungen aus ausgewählten Branchen präsentiert. Mast, Claudia/ Huck, Simone/ Güller, Karoline (2005): Kundenkommunikation. Ein Leitfaden. Stuttgart: Lucius & Lucius. Das Handbuch gibt einen Überblick über die Kommunikation mit dem Kunden. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die Besonderheiten der Zielgruppe Kunden, Kundenzeitschriften, Medien als Multiplikatoren, Kampagnen zur Kundengewinnung und -bindung sowie innovative Wege der Kundenansprache. Kommunikationsverantwortliche aus Unternehmen und Agenturen sowie Journalisten geben zahlreiche Hinweise, Tipps und Beispiele aus der Praxis der Kundenkommunikation und einen umfassenden Einblick in die Unternehmerpraxis. <?page no="350"?> K K a a p p i i t t e e l l 1 1 1 1 : : K K o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n m m i i t t K K a a p p i i t t a a l l g g e e b b e e r r n n „Vertrauen ist der Anfang von allem.“ So lautete ein Werbeslogan der Deutschen Bank aus den 1990er Jahren. Während der Euro- und Verschuldungskrise verspricht die Bank in ganzseitigen Anzeigen: „Wir nehmen unsere Verantwortung ernst, als leistungsstarkes Unternehmen einen wertvollen Beitrag zu Fortschritt und Wohlstand zu leisten. Für unsere Kunden, Aktionäre, Mitarbeiter und die Gesellschaft als Ganzes.“ Mitte der 2010er Jahre ist die Bank in zahlreichen Gerichtsverfahren verwickelt. Keine Branche hat durch die Finanzkrisen und die daraus resultierende Niedrigzinspolitik mehr Vertrauen verloren als die Banken. Die Kommunikation mit den Kapitalgebern findet vor dem Hintergrund sinkender Vertrauenswerte der Finanzinstitute und vieler (großer) Konzerne sowie schwindender Legitimation der Unternehmen in vielen Gesellschaften statt. Hinzu kommt, dass sich die Medien selbst in einem harten Umbruchprozess be f ind en und die En twicklun gen au f de n K ap it al m ärk ten höchst sensibel beleuchten (Mast 2012a). Wirtschaftspolitische und gesellschaftskritische Überlegungen werden in der Berichterstattung wichtig, wenn es um Anlagestrategien oder Aktienkurse geht. Die Euro- und Verschuldungskrise und damit einhergehend der massive Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsschwund bei nahezu allen Stakeholdern hat die Finanzkommunikation der Unternehmen verändert. Sie müssen erkennen, dass Unternehmen nicht als isolierte Gebilde in einem Umfeld agieren, das sich Gesellschaft nennt. Denn diese Gesellschaft trägt gerade die Kosten eines Übermaßes an Deregulierung und investiert Milliarden von Steuermitteln, um einen Zusammenbruch des Banken- und Wirtschaftssystems der Länder zu vermeiden. Die Unternehmen stellen sich - auch in ihrer Finanzkommunikation - langsam auf ein kritisches politisches und gesellschaftliches Umfeld ein. Kapitel 11 behandelt einen speziellen Ausschnitt der Unternehmenskommunikation: die Kommunikation mit den Kapitalanlegern. Auf diesem Feld mischen sich harte Zahlen und Fakten mit kaum fassbaren Stimmungen und Gefühlen. Aufgrund der rechtlichen Regelungen gelten in diesem Bereich besondere Rahmenbedingungen. Die Finanzkommunikation enthält ein breites Spektrum von Inhalten - von Detailproblemen der Finanzierung über neue Geschäftsstrategien bis hin zur Vorstellung neuer Top-Manager vor Investoren, Analysten oder Journalisten. <?page no="351"?> 336 Umsetzung in der Praxis 1 1 F F i i n n a a n n z z k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n zzwwi is sc chhe enn FFa akktte en n uunnd d GGeeffü ühhlleenn Investor Relations gibt es im Grunde schon lange - seitdem Unternehmen mit Kapitalgebern zusammenarbeiten. Der Begriff lässt sich vereinfacht mit Anlegerbzw. Kapitalgeberpflege übersetzen. Investor Relations ist ein Teilbereich der Unternehmenskommunikation, der sich an die Kreise mit Kapitalinteressen wie Miteigentümer, Gläubiger oder Finanzanalysten richtet. Er bezieht sich schwerpunktmäßig auf die wirtschaftliche Situation des Unternehmens und richtet sich gezielt an gegenwärtige und potenzielle Kapitalgeber. Allgäuer und Larisch (2011, 243) verstehen unter Investor Relations „die zielgerichtete, systematische und kontinuierliche Kommunikation eines börsennotierten Unternehmens mit seinen tatsächlichen und potenziellen Aktionären“. Ein weiter gefasstes Verständnis von Investor Relations ist bei Kirchhoff und Piwinger (2014, 1080) zu finden. Demnach sind Investor Relations „die Gesamtheit aller pflichtgemäßen und freiwilligen Kommunikationsmaßnahmen von Unternehmen, die darauf abzielen, finanzwirtschaftliche Ziele zu realisieren und damit verbundene Marktwiderstände zu überwinden“. Allerdings haben sich die gesellschaftlichen und medialen Bedingungen geändert, unter denen die Kommunikation umgesetzt wird. Die Meinungen darüber, was Investor Relations wirklich ist, gehen in Wissenschaft und Praxis zum Teil weit auseinander (z. B. Kirchhoff/ Piwinger 2014, Allgäuer/ Larisch 2011). Investor Relations wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur oft betrachtet als die Gesamtheit aller Maßnahmen von Unternehmen, die darauf abzielen, die Bereitstellung finanzieller Mittel durch unternehmensexterne Kapitalquellen langfristig sicherzustellen und die bei finanziellen Transaktionen auftretenden Probleme zu überwinden (Kirchhoff 2009, 36 ff.). Als unternehmensexterne Kapitalquellen sind sowohl gegenwärtige als auch potenzielle Fremd- und Eigenkapitalgeber möglich. Investor Relations verknüpft also Kommunikations-Know-how mit Finanzwissen, um der Finanzwelt ein Bild der Leistungskraft und Zukunftsperspektiven eines Unternehmens zu vermitteln. Kirchhoff und Piwinger (2014, 1081) sehen eine wichtige Aufgabe der Investor Relations darin, „die Erwartungen des Kapitalmarktes mit den tatsächlichen und wahrscheinlichen Entwicklungen des Unternehmens in Einklang zu bringen“. Eine wichtige Größe spielt dabei der Börsenkurs, dessen Bewegungen fortwährend gedeutet und interpretiert werden. Meinungen von Analysten stehen Forderungen von Politikern oder NGOs gegenüber. Auf der einen Seite erfordern Investitionsentscheidungen solide Informationen über wirtschaftliche Zusam- <?page no="352"?> Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern 337 menhänge, auf der anderen Seite werden Stimmungen als Informationen betrachtet. Auf dem Finanzmarkt, dem zunächst ein hohes Maß an Rationalität und Berechenbarkeit unterstellt wird, sind Emotionen und nicht-rationale Einflüsse von großer Bedeutung. Dem nicht-rationalen Anlegerverhalten widmet sich die Forschungsrichtung Behavioral Finance, die durch die Wirtschaftskrise enorme Aufmerksamkeit findet (Szyszka 2013, Piwinger 2009, 24). Wirtschaftsjournalisten kommentieren die u. a. daraus resultierenden Kursverläufe: „Die Stimmung auf dem Parkett ist auf dem Tiefpunkt“, „Die Börse reagiert nervös auf die Beschlüsse der Regierungschefs zur Euro- und Verschuldungskrise“, „Die Börse agiert lustlos“. Dies sind wichtige Faktoren für die Finanzakteure. Die Finanzkommunikation ist darüber hinaus eingebettet in eine durchaus emotional gefärbte gesellschaftspolitische Auseinandersetzung über den weiteren Weg des Euro und der EU (Mast 2012b). Die Perspektive der Bewertungen von finan ziellen En twicklungen we itet sich aus (Mast 2012c) . Volkswirtsch aftliche und gesellschaftspolitische Themenfelder ergänzen die rein betriebs- und finanzwirtschaftlichen Überlegungen. Schließlich geht es um die wirtschaftliche und finanzielle Zukunft des Euroraumes und seine soziale und gesellschaftspolitsche Stabilität. In diesem Feld zwischen Rationalität und Emotionen agiert Investor Relations. Eine positive Unternehmensmeldung muss nicht zu einem Kursanstieg führen. Die Kursentwicklung ist eben nicht automatisch an Fakten gekoppelt. Daher bewegt sich die Finanzkommunikation zwischen „hard facts“ (Zahlen, Fakten, Bilanzen) und „soft facts“ (Stimmungen, Gefühle, Eindrücke). Voraussetzung für eine effektive Finanzkommunikation ist die Bekanntheit eines Unternehmens. Viele Firmen leiden unter der Nichtbeachtung durch private Anleger, Analysten und Fondsmanager. Auch in der Finanzkommunikation geht es um Marken (z. B. in Form von Aktien), die aber bekannt sein müssen, sonst sind sie wenig wert. Es gibt Schätzungen, dass bis zu 40 Prozent des Kurswertes einer Aktie von der Kommunikation abhängen (Kirchhoff/ Piwinger 2014, 1097). Investor Relations wird als wertschöpfende Kommunikation erkannt und in der Hierarchie der Unternehmen oft höher eingestuft als die Abteilung für Public Relations. Der Investor Relations-Bereich ist organisatorisch häufig dem Finanzvorstand unterstellt. Er agiert meist unabhängig von Marketing bzw. Public Relations. Börsen- und Finanzkommunikation erfordert die aktive Beteiligung des Managements an der Selbstdarstellung der Unternehmen. Der Grad der Personalisierung der Unternehmenskommunikation ist bei Investor Relations besonders hoch. Der Vorstandsvorsitzende und der Finanzchef sind als Gesprächs- und Interviewpartner gefragt. Ihre Resonanz in den Wirtschaftsmedien und in der <?page no="353"?> 338 Umsetzung in der Praxis allgemeinen Medienberichterstattung wirken sich auf den Marktwert eines Unternehmens aus. Faktenbezogene Informationen für Investoren stehen heute - fast im Überfluss - zur Verfügung. Volkswirtschaftliche Daten wie Zins-, Währungs- und Konjunkturentwicklung sind im Internet online abrufbar. Gleiches gilt für Unternehmensdaten wie Umsatz- und Gewinnschätzungen. Nach nur wenigen Klicks kann sich jeder Interessent die Bilanzen einer Aktiengesellschaft mehrerer Jahre in Kurzform ansehen und Veränderungen der Eigenkapitalquote oder des Verschuldungsgrades selbst analysieren. Wenn alle den gleichen Informationsstand haben, heißt das aber nicht, dass auch alle dasselbe tun. Investor Relations muss also herausfinden, welche Einflüsse darüber hinaus eine Rolle spielen, z. B. die Einbeziehung der „soft facts“. In der Finanzkommunikation geht es insbesondere um Stimmungen, Bekanntheit, Sympathie, Vorurteile, Klatsch, Gerüchte, Einstellungen und Meinungen, um „Börsengeflüster“, wenn neue Nachrichten nicht zur Verfügung stehen. 2 2 Z Z i i e e l l e e u u n n d d B B e e z z u u g g s s g g r r u u p p p p e e n n Welche Ziele verfolgt Investor Relations? Entsprechend der Rolle und Bedeutung dieses Bereiches der Unternehmenskommunikation werden sowohl betriebswirtschaftliche als auch kommunikative Ziele angestrebt. Kirchhoff (2009, 38 f.) nennt u. a. folgende finanzpolitischen Ziele: ! Senkung der Eigenkapitalkosten: Wirkungsvolle Finanzkommunikation erleichtert die langfristige Eigenkapitalbeschaffung auch in schwierigen Zeiten. ! Zugang zu global verfügbarem Kapital: International angelegte Investor Relations sind ein entscheidender Wettbewerbsfaktor der Kapitalallokation. ! Geringe Volatilität des Aktienkurses: Der Kurs soll auf einem angemessenen Niveau stabil gehalten werden, um die Kapitalplanung sowie die Bestimmung des Emissionspreises bei Kapitalerhöhungen zu erleichtern. Eine stabile Kursentwicklung führt zur Sicherheit der Aktionäre hinsichtlich des wahren Aktienwertes. ! Übernahmeschutz: Ein hohes Kursniveau mindert die Gefahr einer feindlichen Übernahme, die nur dann als wahrscheinlich gilt, wenn der Kurs nicht den tatsächlichen Wert der Aktie widerspiegelt. ! Beeinflussung der Aktionärsstruktur: Unternehmen können durch eine breite Streuung der Aktien ihre Aktionärsbasis erweitern, was von Vorteil ist, da Privatanleger in Baisse-Zeiten dazu neigen, trotz geringerer Renditeerwartungen das Papier zu halten. <?page no="354"?> Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern 339 Diesem Zielkomplex stellt Kirchhoff (2009, 40 f.) die kommunikationspolitischen Ziele in der Finanzkommunikation gegenüber: ! Den wahren Unternehmenswert zeigen: Erzielte Wertsteigerungen müssen dem Kapitalmarkt kommuniziert werden, um sich in den Aktienkursen niederschlagen zu können. Wertsteigerungen können z. B. durch Konzentration auf Kernkompetenzen, Kauf und Verkauf von Unternehmenseinheiten und Kostenreduktionsprogramme erzielt werden. ! Schaffung von Vertrauen bei der Financial Community: Durch eine offene Informationspolitik fördert das Unternehmen die Loyalität der Aktionäre. Dies gilt für gute Zeiten ebenso wie für schwierige. Nur wenn die Shareholder Vertrauen zum Management gewinnen, werden sie auch in Krisenzeiten zum Unternehmen stehen und auf negative Nachrichten nicht zwangsläufig mit Verkauf reagieren. Seit Ausbruch der Wirtschafts- und der Eurokrise ist der Vertrauensaufbau und -erhalt für Firmen überlebenswichtig geworden. ! Steigerung des Bekanntheitsgrades: Ein erhöhter Bekanntheitsgrad führt neue, sowohl nationale als auch internationale Investorengruppen an das Unternehmen heran. Ziel ist es, positive Aufmerksamkeit dieser bedeutenden Zielgruppe auf das Unternehmen zu lenken. ! Unternehmen in einer Branche positionieren: Unternehmen, deren Aktienkurs positiv verläuft, können unabhängig bleiben und Übernahmen sind unwahrscheinlicher. ! Verbesserung des Informationsstandards: Fehlinformationen über das Unternehmen müssen korrigiert und bestehende Informationsdefizite ausgeglichen werden. ! Image positiv beeinflussen: Beispiele sind die jährlichen Wettbewerbe der Wirtschaftsmagazine „Manager Magazin“ und „Capital“ sowie verschiedene Rankings. ! Attraktivität für (neue) Mitarbeiter steigern: Bekannte Unternehmen haben es leichter, qualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren. Investor Relations richtet sich gezielt an die Financial Community, die sich aus Banken, Investoren, Analysten, Fondsmanagern, Beratern und der Wirtschaftspresse zusammensetzt. Die Bezugsgruppen der Investor Relations lassen sich in drei große Bereiche einteilen: private Anleger, institutionelle Anleger und die Multiplikatoren (Kirchhoff/ Piwinger 2014, 1086 f., Allgäuer/ Larisch 2011). Sie interessieren sich sowohl für weiche Themen wie die Unternehmensstrategie, die aufgrund des Zu- <?page no="355"?> 340 Umsetzung in der Praxis kunftsbezugs Entscheidungsrelevanz besitzen, als auch für harte Fakten wie diverse Kennzahlen. Privatanleger sind eine heterogene und zahlenmäßig große Zielgruppe, die schwer zu erreichen ist. Diese Zielgruppe hat pro Person nur ein geringes Aktienkapital, wenn man sie mit den institutionellen Anlegern vergleicht. Privatanleger sind - trotz der zeitaufwendigen Ansprache - für Unternehmen sehr interessant, da sie erfahrungsgemäß langfristiger denken und auch in Krisensituationen loyaler sind. Dies wirkt sich stabilisierend auf den Aktienkurs aus (Kirchhoff 2009, 48 f.). Die Bedeutung der institutionellen Investoren ist sehr hoch, weil es sich in der Regel um professionelle Großanleger wie z. B. Versicherungen und Investmentfonds handelt, die sehr detaillierte Informationen über das Umfeld, die Besonderheiten des Unternehmens und seine Zukunftsaussichten erwarten. Institutionelle Investoren bilden daher den Mittelpunkt der Investor Relations-Arbeit, da Großanleger aufgrund ihres hohen Kapitaleinsatzes eine bevorzugte Information voraussetzen. Die Zielgruppe steht in starkem Gegensatz zu den Privatinvestoren. Sie bildet zahlenmäßig die kleinste Gruppe, in der jedoch pro Entscheider das größte Anlagekapital verfügbar ist. Die Anlageentscheidung institutioneller Investoren kann Signalwirkung für private Investoren haben und somit Kursschwankungen verursachen. Unternehmen unterhalten meistens enge Beziehungen zu den institutionellen Anlegern in Form von regelmäßigen Einzelgesprächen und Unternehmenspräsentationen, in die oft auch Fondsmanager und Finanzanalysten einbezogen werden. Die Gruppe der Multiplikatoren setzt sich aus Wirtschaftsjournalisten, Banken, Finanzanalysten, Fondsmanagern und Rating-Agenturen zusammen. Sie haben eine große Bedeutung für das börsennotierte Unternehmen, besonders im Hinblick auf die Privatanleger, deren Anlageentscheidung durch das Urteil der Multiplikatoren beeinflusst wird. Multiplikatoren verfügen in den meisten Fällen über besondere Sachkenntnis und liefern den weniger informierten Privatanlegern Informationen über Anlageformen und -perspektiven. In der Euro- und Verschuldungskrise wird der Einfluss der Ratingagenturen breit diskutiert. Sie teilen die Bonität eines Schuldners in sog. Ratingstufen von „Triple A“ (= höchste Bonitätsstufe) bis zum möglichen Zahlungsausfall ein. Ihre Urteile über die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen finden große Aufmerksamkeit - von Finanzakteuren als auch Politikern und Journalisten, wie die Eurokrise eindrücklich offenbart. Ratingagenturen als Akteure in der Finanzkommunikation sind selbst private, gewinnorientierte Unternehmen und unterliegen in der Regel einer staatlichen Aufsicht. Sie sind entstanden, weil Akteure auf dem Finanzmarkt ein Interesse daran haben, die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen von unabhän- <?page no="356"?> Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern 341 gigen und fachkompetenten Institutionen analysieren zu lassen. Sie spielen also die Rolle der Multiplikatoren unter den Multiplikatoren. Fondsmanager treffen als Funktionsträger in Institutionen Anlageentscheidungen oder üben als externe, selbstständige Manager eine Mittlerfunktion aus. Fondsmanager bewerten die Managementleistung der Unternehmen, bringen ihre Beurteilung jedoch selten direkt über Ausübung von Stimmrechten zum Ausdruck, sondern indirekt über den Kauf oder Verkauf von Papieren. Ziel der Fondsmanager ist es, die Chancen und Risiken einer möglichen Investition abzuschätzen und so ein gutes Ergebnis für ihr Unternehmen oder ihre Kunden zu erzielen. Die Kommunikation mit den Finanzanalysten hat einen wesentlichen Einfluss auf die Bewertung des Unternehmens durch die Mitglieder der Financial Community. Ihre Unternehmensanalysen sind in vielen Fällen die Entscheidungsbasis für Großanleger und Fondsmanager. Man unterscheidet zwei Arten von Finanzanalysten: Sell-side- und Buy-side-Analysten. Sell-side-Analysten sind unabhängige Mitarbeiter etwa von Brokerhäusern, die ihre Analysen an individuelle und institutionelle Anleger verkaufen. Sie gelten als Experten für die von ihnen beobachteten Unternehmen. Buy-side-Analysten hingegen sind Angestellte institutioneller Anleger. Sie nutzen die Analysen der Sell-side, um auf dieser Basis Empfehlungen für die Auswahl von Branchen und Titeln zu erarbeiten. Die Wirtschafts- und Finanzpresse ist aufgrund ihrer meinungsbildenden Funktion ein wichtiger Multiplikator (Mast/ Spachmann 2015, Mast 2012a, Mast 2012b, Spachmann 2005). Wirtschaftsjournalisten beeinflussen durch ihre Publikationen die Finanzmarktkommunikation erheblich. Die Unternehmen müssen daher versuchen, gute Beziehungen zu den Wirtschaftsmedien aufzubauen. Diese werden in der Medienarbeit besonders sorgfältig bedient. 333 IIInnnssstttrrruuum mmeeennnttteee dddeeer rr IIInnnvvve eesssttto oor rr RRReeel lla aattti iiooon nnsss---AAArrrbbbeeeiiittt Die Maßnahmen der Investor Relations-Arbeit sind zahlreich und werden von Unternehmen hinsichtlich ihrer Wichtigkeit unterschiedlich eingeschätzt (Allgäuer/ Larisch 2011, 247 ff., Labas 2009): Die Instrumente der Investor Relations können nach unterschiedlichen Gesichtspunkten gegliedert werden (Schaubild 60). Einerseits unterscheidet man, ob Instrumente gesetzlich verpflichtend sind oder ob ihr Einsatz freiwillig erfolgt. Andererseits können Instrumente danach eingeteilt werden, ob sich die Kommunikation auf persönlichem oder unpersönlichem/ medialem Wege abspielt (Theis 2014, 71, Kirchhoff/ Piwinger 2014, 1094 f.). <?page no="357"?> 342 Umsetzung in der Praxis Schaubild 60: Instrumente der Investor Relations Quelle: eigene Darstellung. Zu den medialen, verpflichtenden Kommunikationsmaßnahmen zählen Geschäfts-, Zwischen- und Quartalsberichte, Ad-hoc-Mitteilungen sowie sonstige Pflichtanzeigen. Das wichtigste Instrument in dieser Gruppe ist der Geschäftsbericht (Griepentrog 2015). Geschäftsberichte sind in den vergangenen Jahren aussagekräftiger und attraktiver geworden. Alljährlich stattfindende Wettbewerbe, z. B. „Bester Geschäftsbericht“ des „Manager Magazins“, bewerten die Berichte nahezu aller börsennotierten deutschen Gesellschaften und der bedeutendsten europäischen Unternehmen nach den Kriterien Inhalt, Optik und Sprache. Mittlerweile werden Geschäftsberichte jedoch nicht mehr ausschließlich dazu genutzt, um Informationspflichten zu erfüllen. Vielmehr erkennen Unternehmen zunehmend, dass der Geschäftsbericht die Chance bietet, ihre Zukunftsfähigkeit auch mit Hilfe freiwillig veröffentlichter Daten darzustellen. Sie lässt sich durch eine klare Botschaft, die eine Verbindung zwischen den freiwilligen und den verpflichtenden Informationen eines Geschäftsberichts herstellt, vermitteln. " Geschäfts-, Zwischen-, Quartalsberichte " Ad-hoc-Mitteilungen " Sonstige Pflichtanzeigen " Pressemitteilung " Factbooks " Corporate Social Responsibility-, Nachhaltigkeits- und Umweltberichte " Aktionärsbriefe, -zeitschriften und Newsletter " Anzeigen, TV-Spots " Finanzkalender " Online-Angebote (z. B. IR-Website, Social Media) " u. a. " Hauptversammlung " Pressekonferenzen " Roadshows " Einzel- und Gruppengespräche " Analystenkonferenzen " Betriebsbesichtigungen " u. a. Mediale Instrumente Persönliche Instrumente Verpflichtende Instrumente Freiwillige Instrumente <?page no="358"?> Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern 343 Durch Ad-hoc-Mitteilungen soll die Gefahr des Insiderhandels reduziert werden, indem börsennotierte Aktiengesellschaften dazu angehalten sind, u. a. unternehmensinterne Informationen, die bei Bekanntwerden die Entwicklung des Aktienkurses in bedeutsamen Ausmaße beeinflussen können, sofort zu veröffentlichen (z. B. bei geplanten Fusionen) (Allgäuer/ Larisch 2011, 250 ff.). Das Führen von Insiderverzeichnissen soll einen möglichen Insiderhandel ebenfalls verhindern. Darin werden alle Personen genannt, die z. B. aufgrund ihrer Funktion über sensible unternehmensinterne Informationen Bescheid wissen und diese beim Handel mit Aktien zu ihrem Vorteil nutzen könnten. Zudem sind Personen der höheren Führungsebene einer börsennotierten Aktiengesellschaft sowie deren Bezugspersonen dazu verpflichtet in sog. Director’s Dealings zu melden, wenn sie Aktien des eigenen Arbeitgebers erwerben oder verkaufen. Darüber hinaus müssen börsennotierte Aktiengesellschaften jährlich eine sog. Entsprechenserklärung zum Corporate Governance-Kodex abgeben, in der sie u. a. mitteilen, ob sie dem Kodex folgt oder diese ablehnt. Im Corporate Governance-Kodex werden national und international anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung festgehalten (ebd., 250 ff.). Zu den medialen, freiwilligen Kommunikationsmaßnahmen kann eine große Bandbreite an Instrumenten gezählt werden. Dazu zählen z. B. Pressemitteilungen und Factbooks. Durch die gezielte Verbreitung von Pressemitteilungen zu finanzpolitischen Themen und Ereignissen erreichen die Unternehmen die größte Publizität. Nicht jedes Ereignis jedoch kann Anlass für eine Presseaussendung sein. Auch in der Investor Relations-Arbeit gilt: Pressemitteilungen müssen eine wirkliche Nachricht enthalten und den inhaltlichen Anforderungen der Redaktionen genügen. Factbooks sind eine Zusammenstellung von Charts und komprimierten Informationen über das Unternehmen. Sie vermitteln dem Leser einen allgemeinen Einblick in das Geschäft, die Produkte und Zahlen des Unternehmens. Da sie leicht aktualisiert werden können, sind Factbooks ein geeignetes Hilfsmittel für kontinuierliche Investor Relations. Durch innovative Berichtsformen wie Corporate Social Responsibility-, Nachhaltigkeits- oder Umweltberichte können Unternehmen Auskünfte über Aktivitäten in diesen Bereichen geben und dafür langfristig auch am Markt belohnt werden (Arnold 2011, Fieseler 2008). Aktionärsbriefe sind besonders in Ausnahmesituationen, z. B. bei wichtigen Akquisitionen, Änderung der Geschäftstätigkeit, Nichterreichen der gesetzten Ziele oder auch einer drohenden Übernahme geeignete Instrumente der Investor Re- <?page no="359"?> 344 Umsetzung in der Praxis lations-Arbeit. Während Aktionärsbriefe dazu dienen, den Investoren außerordentliche Vorkommnisse mitzuteilen, erscheinen Aktionärszeitschriften und Newsletter in regelmäßigen Zeitabständen und sorgen so für einen kontinuierlichen Informationsfluss zwischen Unternehmen und Kapitalgebern. Zu den Anzeigen zählen z. B. Einladungen zu Hauptversammlungen, Bilanzanzeigen, Hauptversammlungsberichte, Kapitalmarktinformationen, Dividendenbekanntmachungen und Geschäftsberichtsinserate. Sie haben eine imagebildende Funktion. Spezielle Imageanzeigen sind ein wirksames Mittel, um die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf ein Unternehmen zu lenken. Oft werden bekannte und erfolgreiche Produkte des Unternehmens genutzt, um einen Imagetransfer auf die Aktie zu erreichen. Finanz- und Imageanzeigen werden gezielt vor Kapitalerhöhungen und Börseneinführungen geschaltet, aber auch zu anderen Anlässen, z. B. bei wichtigen Akquisitionen und der Vorlage der Bila nz . TV -Spot s und Vi deos we rde n zu ne hme nd als Inv e s to r Re lat ions - Instrumente eingesetzt, wenn Unternehmen die Vermarktung der Aktie als Markenartikel betreiben (Sharebranding). In der Finanzkommunikation wachsen damit die Parallelen zum Produktmarketing. Fernsehinterviews mit Firmenvertretern erreichen ein großes Publikum, erhöhen die Wahrnehmung in der Financial Community und können sich imagefördernd auswirken. Über Hotlines können ständig Informationen abgerufen werden. Sie sind ein sehr wichtiges Instrument, von dem vor allem institutionelle Investoren und Analysten häufig Gebrauch machen. Das Unternehmen wird dadurch „erreichbar“. In Finanzkalendern werden bedeutsame Termine einer Aktiengesellschaft wie z. B. das Datum der Hauptversammlung oder der Bilanzpressebzw. Analystenkonferenz auf dem unternehmenseigenen Internetauftritt veröffentlicht und an die Frankfurter Wertpapierbörse übermittelt. Online-Dienste stellen ein kostengünstiges Medium für Investor Relations dar. Neben der Möglichkeit zum Download von kapitalmarktorientierten Informationen lassen sich auf Internetseiten auch interaktive Factsheets einsetzen. Auf diese Weise können Finanzinformationen aus Unternehmenspublikationen individuell zusammengestellt werden. Auch RSS-Feeds, interaktive Kursmonitore, Vodcasts oder Live-Streams von Hauptversammlungen, Reden im Video- und Audioformat, eine Online-Betreuung via Live-Chat sowie eine Synchronisation von elektronischen Kalendern der Aktionäre mit den IR-Finanzkalendern lassen sich onlinebasiert in einen Internetauftritt des Unternehmens integrieren (Weber 2009, 395 ff.). Wichtig ist, dass die Website nicht als statische, sondern als dynamische Kommunikationsplattform angesehen wird. Dies bedeutet, dass die Inhalte stets ak- <?page no="360"?> Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern 345 tuell gehalten und an die Bedürfnisse der Nutzer angepasst werden sollten. Durch die zunehmende Verbreitung von sog. „mobile devices“ wie Smartphones und Tablets, ist die Anzahl mobiler Zugriffe auf Websites gestiegen. Aus diesem Grund haben die ersten börsennotieren Unternehmen bereits reagiert. Airberlin bietet seit dem Jahr 2014 eine mobile Investor Relations-Website an, um den Bedürfnissen der User gerecht zu werden (Deutscher Investor Relations Verband 2015, 17). In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass Social Media-Angebote aus dem Bereich der Investor Relations von den Stakeholdern kaum angenommen werden. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass die Informationen, die Social Media bieten, von der Financial Community im Hinblick auf deren Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit kritisch eingeschätzt werden. Darüber hinaus ist es oft nicht gestattet oder zumindest nicht gerne gesehen, wenn Social Me di a am Arb ei tspla tz ge nu tzt wer de n (eb d. , 19). Die Aufmerksamkeit bewegt sich neben der zunehmenden Einrichtung mobil nutzbarer Websites daher tendenziell eher auf das Bereitstellen spezieller Investor Relations-Apps. Ein Beispiel hierfür ist das Unternehmen Adidas (ebd., 20 ff.). Auf der Startseite der App werden besonders bedeutsame Informationen wie der Aktienkurs oder aktuelle Pressemitteilungen angezeigt. Neben aktuellen Informationen sind in der App u. a. auch die Aktienkursentwicklungen der vergangenen fünf Jahre abrufbar. Dies ist insbesondere für Analysten interessant, die gerne auf umfangreiche und aussagekräftige Informationen zurückgreifen. Darüber hinaus kann über die App auf Geschäfts- und Quartalsberichte ebenso wie Präsentationen Zugriff erlangt werden. Diese Dokumente lassen sich in der App abspeichern, sodass diese auch ohne bestehende Internetverbindung bequem digital mobil genutzt werden können. Es zeigt sich, dass sich die Investor Relations-Kommunikation über Online- Kanäle vor allem auf das Bereitstellen von Informationen fokussiert. Die Möglichkeiten einer dialogorientierten Kommunikation, wie sie z. B. in der Kundenkommunikation eingesetzt werden, rücken in den Investor Relations zugunsten einer vorwiegend sachlich-nüchternen Informationsbereitstellung über digitale Verbreitungswege in den Hintergrund. „Content is King“ erhält in den Investor Relations eine eigene Bedeutung. Nichtsdestotrotz sind Social Media in den Investor Relations präsent, wenn auch nicht so weit verbreitet und genutzt wie z. B. in der Kundenkommunikation. Kirchhoff und Piwinger (2014, 1097) meinen, dass Investoren und Analysten die neuen Medien wie z. B. Social Media kaum für ihre Investitionsentscheidungen nutzen. Allerdings könne sich dies zukünftig schnell ändern. <?page no="361"?> 346 Umsetzung in der Praxis Einer der wichtigsten Social Media-Kanäle der Investor Relations ist momentan Twitter. Dabei werden Kurznachrichten auf Twitter, sog. Tweets, die für den Finanzmarkt besonders bedeutsam sind, mit einem Dollarzeichen vor dem Aktiensymbol gekennzeichnet (Deutscher Investor Relations Verband 2015, 34). Ähnlich wie Twitter ist auch StockTwits eine beliebter Kurznachrichtendienst innerhalb der Investor Relations. Bei StockTwits lassen sich Kurznachrichten mit Informationen rund um den Kapitalmarkt finden. Neben Twitter und StockTwits bietet auch SlideShare gute Einsatzmöglichkeiten innerhalb der Investor Relations. Über SlideShare können vor allem Quartals-, Jahresabschlusssowie Fachpräsentationen online veröffentlicht werden. Weitere Social Media-Kanäle wie Facebook oder Google+ spielen bislang in der Finanzmarktkommunikation kaum eine Rolle (ebd., 38 ff.). Mit persönlichen Maßnahmen der Investor Relations-Arbeit wird der direkte Kontakt zu den Bezugsgruppen gesucht: ob zu Aktionären, Analysten oder Journalisten - diese Instrumente bilden den Kern der Finanzkommunikation. Die Hauptversammlung stellt eine enorme Kommunikationschance dar. Sie zählt zu den persönlichen, verpflichtenden Instrumenten. Das Unternehmen erhält hier eine Gelegenheit, mit einer großen Anzahl von Privatanlegern, institutionellen Investoren und Multiplikatoren ungefiltert durch Medien oder Multiplikatoren Kontakt aufzunehmen. Gefordert ist dabei in erster Linie der Vorstand, der sowohl die Anleger als auch die Multiplikatoren überzeugen muss (Theis 2014, 61 ff., Achleitner/ Bassen/ Fieseler 2008, 280). Im Bereich der persönlichen, freiwilligen Investor Relations werden eine Vielzahl an Instrumenten eingesetzt. Auf Pressekonferenzen haben die Aktiengesellschaften die Chance, einen engen Kontakt zu Finanzjournalisten aufzubauen und zu pflegen. Bei diesen persönlichen Treffen hat vor allem das Management eines Unternehmens die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Von besonderer Bedeutung ist die Pressearbeit im Zusammenhang mit der jährlich stattfindenden Bilanzpresse- und der Analystenkonferenz. Auf der Bilanzpressekonferenz werden die Jahresergebnisse eines Unternehmens vorgestellt (Allgäuer/ Larisch 2011, 253). Die häufig zeitnah nach diesem Ereignis stattfindende Analystenkonferenz hat das Ziel, den Analysten das bereits vorgestellte Zahlenwerk detailliert zu erklären (ebd., 249 f.). Viele Unternehmen stellen sich an wichtigen Finanzplätzen in sog. Roadshows vor. Die Auswahl der Plätze erfolgt je nach Investitionsvolumen und dem Interesse für die Aktie. Road Shows werden in der Regel einbis zweimal pro Jahr veranstaltet und dienen der Informationsübermittlung, dem Aufbau von Beziehungen und der Steigerung des Bekanntheitsgrades. Zu den Zielgruppen von Road Shows zählen vor allem institutionelle Anleger und Finanzanalysten. <?page no="362"?> Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern 347 In Einzel- und Gruppengesprächen geben Aktiengesellschaften institutionellen Anlegern und Analysten, aber auch ausgewählten Journalisten Hintergrund- und Zusatzinformationen über das Unternehmen, um eventuellen Fehleinschätzungen entgegenzuwirken und wichtige strategische Ziele zu erläutern. Berufsverband der Kapitalmarktexperten ist die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse & Asset Management (DVFA). Etwa 1.400 DVFA-Mitglieder sind bei professionellen nationalen und internationalen Dienstleistern wie Banken, Investmenthäusern, Versicherungen, Kapitalanlagegesellschaften oder Kapitalmarktberatern tätig. Da die DVFA-Mitglieder zu den zentralen Multiplikatoren in den Finanzmärkten zählen, ist die Veranstaltung von DVFA-Analystenkonferenzen für die Investor Relations-Arbeit unerlässlich. Ihre Empfehlungen ziehen in der Regel Kursbewegungen nach sich. Betriebsbesichtigungen werden besonders von Analysten und institutionellen Anlegern geschätzt. Sie machen allerdings nur Sinn, wenn sich die Art der Tätigkeit oder die Produkte für eine interessante Präsentation anbieten. 4 4 R R e e c c h h t t l l i i c c h h e e A A s s p p e e k k t t e e d d e e r r I I n n v v e e s s t t o o r r R R e e l l a a t t i i o o n n s s Investor Relations agiert in einem dichten Netz rechtlicher Vorschriften. Das beginnt mit bilanzrechtlichen Aspekten: Ein Börsengang kann in Deutschland nur in den Rechtsformen der Aktiengesellschaft (AG) oder der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) erfolgen. Dann gelten jeweils andere gesetzliche Grundlagen zum Jahresabschluss und zum Lagebericht. Kapitalmarktorientierte Unternehmen in der Europäischen Union sind verpflichtet, ihre Konzernabschlüsse nach den Regeln der International Financial Reporting Standards (IFRS) aufzustellen. Die IFRS verfolgen ähnliche Ziele wie die in den USA üblichen General Accepted Accounting Principles (US-GAAP). Zielsetzung dieser Rechnungslegungsstandards ist eine noch stärkere Offenlegung entscheidungsrelevanter Informationen für Anleger. Eine Fülle von Gesetzen und Vorschriften regelt die beim Börsengang und in der Folgezeit wichtigsten Offenlegungs- und Mitteilungspflichten der Unternehmen. Der Anlegerschutz gebietet ein hohes Maß an Transparenz. Wer einem breiten Publikum Aktien an einem Unternehmen zum Kauf anbieten will, muss grundsätzlich sämtliche für den Wert der Aktien und deren Kursentwicklung erheblichen Umstände offen legen. Dies verlangen zum einen gesetzliche Vorschriften. Zum anderen muss jedes Unternehmen daran interessiert sein, sich im Wettbewerb auf dem Kapitalmarkt durch Kommunikation mit den Investoren möglichst optimal zu positionieren. <?page no="363"?> 348 Umsetzung in der Praxis Die Veröffentlichung Kurs beeinflussender Tatsachen nach § 15 Absatz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) trägt zur Markttransparenz bei: „Ein Inlandsemittent von Finanzinstrumenten muss Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich veröffentlichen.“ Eine Ausnahme hiervon wird einem Emittenten nach § 15 Absatz 3 WpHG nur solange gestattet, „wie es der Schutz seiner berechtigten Interessen erfordert, keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten ist und der Emittent die Vertraulichkeit seiner Insiderinformation gewährleisten kann“. Damit verpflichtet das WpHG die Emittenten zur „Ad-hoc-Publizität“, also zur sofortigen Veröffentlichung wichtiger Nachrichten im Bereich des Unternehmens. Bei diesen wichtigen Nachrichten handelt es sich gemäß § 13 Absatz 1 WpHG um eine „konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf die Insiderpapiere se lbst be zieh en und gee ignet si nd, im Fal le ih res öffe ntlic he n Be kanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. Eine solche Eignung ist gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde“. Solche Nachrichten können sowohl allgemeiner als auch finanzieller Natur sein: Allgemeine Ereignisse sind z. B. die Entwicklung von Auftragseingängen und Kapazitätsauslastungen, die Einführung neuer Produkte, die Erschließung neuer Märkte, Fusionen, Gerichtsverfahren oder Personalveränderungen im Vorstand. Zu den finanziellen Tatsachen, die bekannt gegeben werden müssen, gehören Verluste, Liquiditätsprobleme, außerordentliche Erträge oder Aufwendungen sowie Umsatz- und Ergebnisabweichungen (Zitzmann/ Fischer/ Decker 2009, 111 ff.). Die Bestimmungen zur Ad-hoc-Publizität sollen ausschließen, dass kursrelevante Nachrichten nur „Insidern“ bekannt sind, die diesen Wissensvorsprung zu ihrem Vorteil ausnutzen. Zur Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung muss das Unternehmen die entsprechende Tatsache der Geschäftsführung der Börse, an der das Wertpapier gehandelt wird, und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mitteilen. Im zweiten Schritt erfolgt die Bekanntgabe an die Öffentlichkeit in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt (ebd., 118 f.) oder über den Informationsservice der Deutschen Börse. Erst danach darf eine Ad-hoc-Mitteilung an Journalisten, Analysten und Anleger weitergegeben werden. Die Zahl der Ad-hoc-Mitteilungen hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Die Redaktionen sind einer Flut an Ad-hoc-Mitteilungen ausgesetzt, weil einzelne Unternehmen dieses Instrument missbrauchen und zu viele, zu lange und zu nichtssagende Mitteilungen verteilen. Dieses Vorgehen ärgert Anleger und Journalisten gleichermaßen. Dabei ist die Ad-hoc-Publizität nicht als <?page no="364"?> Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern 349 Instrument zur laufenden Veröffentlichung (Regelpublizität) gedacht. Schließlich untersagt § 15 Absatz 2 WpHG die Veröffentlichung von Mitteilungen, auf die nicht die Merkmale der Insiderinformationen zutreffen, im Rahmen der Adhoc-Publizität. Weiterhin besteht sonst u. a. die Gefahr, dass die Informationen als Versuch einer Kursmanipulation verstanden werden. Ad-hoc-Mitteilungen sollten kurz gehalten und prägnant formuliert sein. Die Kerninformation muss betont (z. B. „X AG verdoppelt Umsatz im zweiten Quartal“) und durch eine entsprechende Erläuterung der Hintergründe erklärt werden. Klassische PR- Inhalte wie Statements des Vorstands oder beigefügte Firmenprofile eignen sich für eine Pressemitteilung, nicht aber für die Ad-hoc-Publizität (Dreyling 2001, 376 f.). Im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Eurokrise treten neben den Finanzinstituten und Industrieunternehmen zusätzliche Akteure in der öffentlichen Diskus sion und me di alen Be rich te rst att un g au f: ! Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) übt als bundesweite Kontrollinstanz die Marktaufsicht über Banken, Finanzdienstleistungsinstitute, Versicherungsunternehmen und den Wertpapierhandel aus und finanziert sich aus Gebühren und Umlagen der beaufsichtigten Institute und Unternehmen. Sie unterliegt als selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. Die BaFin hat zum Ziel, Verhaltensstandards durchzusetzen, die das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte wahren, transparente Marktverhältnisse zu gewährleisten sowie die Funktionsfähigkeit, Stabilität und Integrität des deutschen Finanzmarktes zu sichern. In der EU übernehmen folgende Behörden die Aufgaben der Finanzaufsicht: die Europäische Bankaufsichtsbehörde, Europäische Zentralbank, Wertpapieraufsichtsbehörde sowie Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung. ! Die Europäische Zentralbank (EZB) ist die gemeinsame Währungsbehörde der Mitgliedsstaaten der Europäischen Währungsunion. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, für eine Preisniveaustabilität (geringe Inflationsrate) sowie eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung zu sorgen. Hierfür nimmt sie aktiv Einfluss auf die Wirtschaft, indem sie den Preis für verliehenes Geld erhöht oder senkt. Neben diesem Instrument der Leitzinsveränderung gibt sie umfangreiche Analysen heraus. In der EU-Verschuldungskrise hat die Europäische Zentralbank jedoch Maßnahmen ergriffen (z. B. den Aufkauf von Staatsanleihen), die über ihren ursprünglichen Auftrag weit hinausgingen und daher heftig umstritten sind. ! Die Deutsche Bundesbank ist die Zentralbank der Bundesrepublik Deutschland. In dieser Funktion soll sie vor allem die Stabilität des allgemeinen <?page no="365"?> 350 Umsetzung in der Praxis Preisniveaus und des Finanzsystems sichern. In regelmäßigen Abständen gibt sie auf Grundlage von Beobachtungen der Finanzmärkte diverse Analysen und Statistiken heraus. In Zusammenarbeit mit der BaFin ist die Deutsche Bundesbank außerdem für die Bankenaufsicht zuständig. Diese drei Akteure sind vor allem auch in den Medien sehr präsent, da sie den Geldkreislauf steuern, die Banken mit Geld versorgen und eine gewisse Kontrolle über den Finanzmarkt ausüben. Durch die Euro- und Verschuldungskrise bedingt sind auch politische Akteure zunehmend in der Diskussion präsent, z. B. Finanzminister, Regierungschefs oder Parlamentarier. Sie kommentieren, interpretieren oder erklären Entwicklungen. Auch die Börsenberichterstattung von Presse und Rundfunk umrahmt die Investor Relations-Arbeit der einzelnen Unternehmen und Branchen. Durch die aktuelle Entwicklung in Europa und auf den Finanzmärkten verschmelzen die Kommunikationsfelder der puren Finanzkommunikation mit der allgemeinen gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit. 5 5 V V e e r r t t r r a a u u e e n n a a l l s s G G e e s s c c h h ä ä f f t t s s g g r r u u n n d d l l a a g g e e „Das Ziel ist, Vertrauen zurück zu gewinnen, Vertrauen zu stärken; denn Vertrauen, das ist die Währung, in der gezahlt wird.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in ihrer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 7. Oktober 2008, unmittelbar nach Ausbruch der Wirtschaftskrise, dass die Entwicklungen in der Finanzbranche letztlich zu einer grundlegenden Vertrauenskrise geführt haben. Dieses Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen und die Akteure aus den Finanzmärkten schmilzt im Zuge der Euro- und Verschuldungskrise wie Schnee in der Sonne. Die Vertrauensverluste betreffen gleichermaßen auch die Akteure aus der Politik. Das Geschäftsmodell von Banken und Versicherungen basiert auf Vertrauen, das aber in den meisten Industriestaaten bei den Menschen nachhaltig erschüttert und zum Teil völlig zerstört wurde. Die Folgen des Vertrauensverlustes sind gravierend: Die Geschäftstätigkeit stockt, weil Vertrauen auch die Geschäftsgrundlage des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens ist. 76 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland glauben den Banken und Versicherungen nicht mehr, was sie sagen. Für 64 Prozent sind die Bundesregierung und für 69 Prozent auch die Oppositionsparteien unglaubwürdig geworden. Auch die Unternehmen allgemein werden mehrheitlich (63 Prozent) nicht mehr als glaubwürdige Informationsquelle akzeptiert. Dies sind Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage unter 1.423 Bürgern im Mai/ Juni 2015, die im Rahmen der Gemeinschaftsstudie des Fachgebiets Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim und der ING-DiBa AG durchgeführt wurde. <?page no="366"?> Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern 351 Massive Vertrauensverluste bei Meinungsbildnern und Bevölkerung - die Auswüchse des Finanzsystems und die dadurch verursachte Vernichtung von vielen Hundert Milliarden Euro an Vermögenswerten vor Augen - führen dazu, dass Analysten und Journalisten immer häufiger nach Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Verantwortung, Gerechtigkeit und moralischen Verpflichtungen fragen. Die Themen der Investor Relations-Arbeit erhalten neue Interpretationsmuster (frames). Die finanzwissenschaftliche Betrachtung der Unternehmen ist nur eine von vielen Sichtweisen in der Investor-Relations-Kommunikation. Diese sog. „hard facts“ werden mehr und mehr von weiteren Faktoren wie gesellschaftliche Akzeptanz, Stabilität von Unternehmen und Staaten sowie „Krisen- und Konfliktfreiheit“ ergänzt. Kapitalgeber scheuen öffentliche Auseinandersetzungen, in die sie gezogen werden könnten. Anderseits gewinnen gesellschaftspolitische Bewe rtungen der Nachh a ltigk ei t von wirtschaftl ich en od er fin an zielle n Tätig ke ite n an Gewicht, weil die Menschen als Kunden agieren. Eine geplante finanzielle Beteiligung des Discounters Lidl bei der Bio-Supermarktkette „Basic“ wurde z. B. aufgrund der massiven Kundenreaktionen aufgegeben. Öffentlich wirksame Aktionen von NGOs gegen unfaire Handelsmethoden, Kinderarbeit in der Wertschöpfungskette von Produkten oder Ausbeutung von lokalen Produzenten können Aktienkurse und Marktwerte von Unternehmen beeinflussen. Die Perspektive der Finanzakteure bei Finanzthemen wird - auch in der Medienberichterstattung (Mast 2012a, 330 ff.) - zunehmend ergänzt durch die Sichtweise und Bewertung des Bürgers, Steuerzahlers, Arbeitnehmers und Verbrauchers. Diese Stimmen werden lauter und einflussreicher. Dies hat Konsequenzen für die Investor-Relations-Arbeit. Der neue Blick geht tendenziell weg von der Nabelschau der Finanzmärkte und ihren intransparenten Entwicklungen hin zu volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erwägungen und Bewertungen. Auch für die Finanzakteure wird das Medienklima rauer und die sog. „soft facts“ stellenweise zu handfesten „hard facts“ des wirtschaftlichen Kalküls. Ursache sind die massiven Vertrauensverluste in den Gesellschaften, die auch die Basis der Finanzmärkte langfristig gefährden. Niklas Luhmann hat Vertrauen als eine „riskante Vorleistung“ bezeichnet, die derjenige erbringt, der vertraut. In der Finanzkommunikation wird die Tragweite dieses Ansatzes besonders spürbar: nicht mehr durchschaubare Finanzprodukte, intransparente Geschäftsbeziehungen, komplexe Einflüsse und ein hohes Maß personengebundener Einflussnahme. <?page no="367"?> 352 Umsetzung in der Praxis Wer Vertrauen genießt, befindet sich in einer angenehmen Position. Er muss nicht jedes Mal aufs Neue erklären, ! warum er so und nicht anders handelt, ! ob er überhaupt berechtigt ist, etwas zu tun oder ! ob er seine Versprechungen auch einhalten wird. Menschen vertrauen einfach in das, was kommen wird. Das ist ihre riskante Vorleistung. Vertrauen ist - so gesehen - die Basis für stabile Beziehungen, großen Handlungsspielraum und gute Geschäftsergebnisse von Industrieunternehmen ebenso wie von Finanzinstituten. Dieses Vertrauen wieder herzustellen, ist die größte Herausforderung für die Investor Relations-Arbeit. <?page no="368"?> Kapitel 11: Kommunikation mit Kapitalgebern 353 ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Investor Relations ist ein spezieller Bereich der Unternehmenskommunikation, der sich an die gegenwärtigen und potenziellen Kapitalgeber wendet. ! Die Finanzkommunikation wird geprägt von Zahlen, Fakten und Statistiken als „hard facts“ wie von Stimmungen, Gefühlen und Eindrücken als „soft facts“. ! Die Personalisierung der Unternehmenskommunikation ist in der Börsen- und Finanzkommunikation besonders hoch. ! In der Investor Relations-Arbeit verschmelzen Ziele der Geschäftspolitik und der Unternehmenskommunikation. Sie reichen von der Beeinflussung des Aktienkurses, der Gewinnung neuer Aktionäre bis zur Steigerung des Bekanntheitsgrades und zur Verbesserung des Images. ! Investor Relations wendet sich vorrangig an spezielle Bezugsgruppen: private und institutionelle Anleger sowie Fondsmanager, Finanzanalysten und Wirtschaftsjournalisten als Multiplikatoren. Politische Akteure werden im Zuge der Euro- und Verschuldungskrise wichtiger. ! Die Instrumente der Investor Relations-Arbeit werden in persönliche und mediale Wege der Kommunikation eingeteilt. ! Das Agieren auf dem Feld der Investor Relations unterliegt einem dichten Netz an Gesetzen und Vorschriften. ! Vertrauen ist die Geschäftsgrundlage für Gesellschaft und Wirtschaft. Die Euro- und Verschuldungskrise hat das Vertrauen bei vielen Bezugsgruppen nachhaltig erschüttert oder zerstört. Die Glaubwürdigkeit vieler Institutionen und vor allem der Finanzbranche hat massiv abgenommen. ! Vertrauensaufbau und -erhalt ist zur größten Herausforderung der Investor Relations-Tätigkeit von Unternehmen geworden. <?page no="369"?> 354 Umsetzung in der Praxis ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Allgäuer, Jörg. E./ Larisch, Matthias (2011): Public Relations von Finanzorganisationen. Ein Praxishandbuch für die externe und interne Kommunikation. Wiesbaden: Gabler. Das Werk behandelt die kommunikativen Herausforderungen der PR-Arbeit von Finanzorganisationen. Es werden sowohl strategische als auch operative Besonderheiten analysiert und durch aktuelle Brancheninterviews sowie praktische Handlungsanleitungen vervollständigt. Kirchhoff, Klaus R./ Piwinger, Manfred (Hrsg.) (2009): Praxishandbuch Investor Relations. Das Standardwerk der Finanzkommunikation. 2., überarb. u. erw. Aufl. Wiesbaden: Gabler. Die Investor Relations werden aus kommunikationswissenschaftlicher, betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Sicht betrachtet und als Inszenierungs- und Kommunikationsstrategie verstanden. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf dem Einsatz der Investor Relations zum Börsengang. Reichert, Boris-Daniel (2012): Neue Wege der Investor Relations. Dialog und Transparenz in der Finanzkommunikation. Berlin/ Münster: Lit Verlag. Aus organisationswissenschaftlicher Perspektive steht das Beziehungsmanagement zwischen Aktiengesellschaft und Finanzwelt im Mittelpunkt der Finanzkommunikation. Über 100 Manager geben tiefgreifende Einblicke in die tägliche Praxis unternehmerischer Finanzkommunikation. <?page no="370"?> K K a a p p i i t t e e l l 1 1 2 2 : : M M e e d d i i e e n n a a l l s s M M u u l l t t i i p p l l i i k k a a t t o o r r e e n n Der Teil der Unternehmenskommunikation, der sich an die Medien als potenzielle Multiplikatoren richtet, wird als Media Relations bezeichnet (Lutz/ Nitzsche 2010, Walter/ Walter 2010, Hepper 2009, Cutlip/ Center/ Broom 2008, 253, Konken 2007, Seegers 2007, Howard/ Mathews 2006). Ziel dieses Kommunikationsfeldes ist es, dass Unternehmen über die verschiedenen Medien und Kommunikationswege ihre Inhalte zu den Stakeholdern bringen. Im Zuge der Entwicklung der Medienlandschaften hat sich dieses Teilgebiet der Unternehmenskommunikation ungeheuer ausgedehnt. In der ersten Phase geht es darum, „eine gute Presse zu haben“. Im Fokus steht das Medienimage eines Unternehmens, das möglichst positiv sein soll. Redaktionen sollen möglichst häufig über ein Unternehmen berichten. Über bezahlte Werbung versuchen die Firmen ihre Botschaften ungefiltert - d. h. ohne Bearbeitung durch Redaktionen - an die Adressaten zu vermitteln. Anders als Werbung erzielen aber redaktionelle Medie nberichte ge nerell eine große Au fme rksamkeit und besitzen eine hohe Glaubwürdigkeit. In einer weiteren Phase entdecken die Unternehmen die wachsende Bedeutung der Mitarbeiterkommunikation und bauen auch die internen Medienlandschaften aus, vom Intranet über kollaborative Plattformen bis hin zu Newsletter oder Online-Magazine. Media Relations erfasst - genau genommen - jetzt auch die eigene interne Medienarbeit. Denn auch Mitarbeiter sind Kommunikatoren. Gleichzeitig investieren die Unternehmen massiv in den Ausbau der eigenen externen Medien wie Kundenzeitschriften, Websites, YouTube-Kanäle, Corporate TV u. a. Neben den klassischen Medien Presse und Rundfunk sowie ihren Online- Ausgaben erstreckt sich die Medienarbeit der Unternehmen auch auf das weite Feld unternehmenseigener Medien - das „Corporate Publishing“. Hinzu kommen Social Media und Online-Kommunikationsformen, die den Netzwerkstrukturen folgen und völlig andere Formen der Kommunikationsarbeit erfordern. Media Relations wird in diesem Buch daher ganzheitlich betrachtet. Das Kommunikationsfeld umfasst „fremde“ Media (z. B. Presse und Rundfunk), „eigene“ Media im internen und externe Corporate Publishing (von Intranet bis zu den Kundenzeitschriften) und die Social Media (z. B. Facebook, XING, WhatsApp). Kapitel 12 analysiert die unterschiedlichen Medienwelten. Die Unternehmen werden zu Medienhäusern. Die Pflege der Medienbeziehungen (d. h. klassi- <?page no="371"?> 356 Umsetzung in der Praxis sche Medienarbeit) wird ergänzt durch den Aufbau eigener redaktioneller Strukturen und eine crossmediale Themenplanung. Media Relations ist weit mehr als Pressearbeit. 1 1 Z Z u u r r A A u u s s r r i i c c h h t t u u n n g g v v o o n n M M e e d d i i a a R R e e l l a a t t i i o o n n s s h h e e u u t t e e Media Relations als Handlungsfeld innerhalb der PR zeichnet sich durch spezielle Ziele und die Ansprache spezieller Zielgruppen aus. Ziel der Media Relations ist es demnach, an der öffentlichen Kommunikation teilzuhaben und die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen (Röttger/ Preusse/ Schmitt 2011, 193). Im Visier stehen traditionell die Journalisten als entscheidende Multiplikatoren und Gatekeeper zur Öffentlichkeit (Meckel/ Will 2008, 294, Szyszka/ Schmitz 2006, 174). Lange Zeit waren es die Journalisten in den professionell arbeitenden Redaktionen, die hauptsächlich oder sogar exklusiv Öffentlichkeit herstellten und entschieden, welche Themen und Akteure an die Öffentlichkeit gelangten. Für Unternehmen ebenso wie für andere Akteure war der Zugang zur massenmedialen Öffentlichkeit in dieser Zeit beschränkt. Selbst in Fach- und Teilöffentlichkeiten dominierten Medienangebote, die nach journalistischen Kriterien Themen auswählen un d be arb eiten. Medienarbeit in dieser Zeit war also „Journalismus-Arbeit“. Deren Bedingungen und Funktionsweisen waren weitgehend bekannt. Über alle Mediengattungen und Formate hinweg arbeiten Journalisten nach eindeutigen Relevanz- und Selektionskriterien in arbeitsteilig organisierten Redaktionen, die in den meisten Fällen mit ihren Produkten Gewinne erwirtschaften müssen. Damit unterliegt die Arbeit der Journalisten bestimmten Bedingungen, die für die Media Relations Chancen und Risiken beinhalten. Die traditionelle Media Relations, verstanden als „Journalismus-Arbeit“, richtet ihre Instrumente und Aktivitäten eng an den Selektionsregeln und Bedingungen der klassischen Medien aus. Im digitalen Zeitalter verändern sich jedoch die Öffentlichkeit und die Rolle, die Journalismus darin spielt. Zu den klassischen Medien treten die neuen, digitalen und vernetzten Medienwelten hinzu. Sie schaffen neue Formen der öffentlichen Kommunikation und funktionieren nach eigenen Regeln. Bürger, Unternehmen sowie andere wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure können selbst aktiv kommunizieren und sich an öffentlichen Diskussionen - am Journalismus vorbei - beteiligen. In Websites, sozialen Netzwerken, Blogs und anderen Online- Angeboten wächst eine ernst zunehmende Konkurrenz des Journalismus heran. Die Auswirkungen sind vielfältig. Journalisten verlieren ihre exklusive und her- <?page no="372"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 357 ausgehobene Position. In der digitalen Öffentlichkeit sind sie nicht mehr die mächtigen Gatekeeper, sondern vielmehr Beobachter, Selektoren und Kuratoren der Veröffentlichungs- und Nachrichtenströme im Netz. Journalisten werden zu so genannten Gatewatchern (Neuberger 2008a, 24). Damit gelten für das Handlungsfeld Media Relations heute ganz andere Bedingungen als in der alten, „analogen“ Medienwelt. Zum einen verändert sich der Journalismus selbst als der zentrale Bezugspunkt klassischer Media Relations. Redaktionen passen sich den neuen Bedingungen an, indem sie etwa die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation in ihre Arbeit integrieren oder sich auf Berichte und Postings in den Netzmedien beziehen. Wenn sich die Medienberichterstattung sowie die journalistische Arbeit in Redaktionen ändern, muss die Medienarbeit ihre Strategien und Instrumente entsprechend anpassen. Zum anderen - und grundsätzlicher - erweitern sich aber auch Bezugspunkte und Zielgrupp en de r Me dia Re lations über den Jo urn a lismu s hinaus. Das Zi el, öffe ntliche Meinungsbildung zu beeinflussen und in der Öffentlichkeit mit eigenen Themen und Positionen des Unternehmens präsent zu sein, ist keineswegs mehr nur über die Ansprache klassischer Medien zu erreichen. Ins Visier rücken die digitalen Netzmedien ebenso wie die unternehmenseigenen Medien. Dementsprechend verliert die Ansprache von Journalisten und klassischen Medien für die PR - relativ gesehen - an Bedeutung. Kommunikationsaktivitäten und Themen medienübergreifend zu planen, wird zu einer wichtigen Anforderung an die Unternehmenskommunikation. Media Relations als Handlungsfeld der Unternehmenskommunikation ist ganzheitlich zu verstehen und berücksichtigt über die journalistischen Medien hinaus auch die Netzmedien und die unternehmenseigenen Medien. Sie eröffnen Unternehmen alternative Wege in die Öffentlichkeit und zu den Zielgruppen und erweitern damit die Möglichkeiten der klassischen Medienarbeit auf entscheidende Weise. 1 1 . . 1 1 B B e e d d e e u u t t u u n n g g u u n n d d F F u u n n k k t t i i o o n n e e n n d d e e r r M M e e d d i i e e n n a a r r b b e e i i t t Warum ist Media Relations für die PR wichtig und was sind ihre Vorteile? Grundsätzlich liegt die Bedeutung der Media Relations in der großen Bedeutung von Journalismus und öffentlicher Kommunikation in der Mediengesellschaft begründet. Berichterstattung in klassischen und Internet-Medien ist eine der wichtigsten Informationsquellen für die Bürger ebenso wie für die Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und anderen Bereichen. Unternehmen sind in <?page no="373"?> 358 Umsetzung in der Praxis allen Medien - auch über die Fach- und Wirtschaftsberichterstattung hinaus - ein wichtiger und attraktiver Gegenstand von Berichterstattung und öffentlicher Kommunikation. Journalisten und andere Kommunikatoren greifen Unternehmen dabei in ganz verschiedenen thematischen Bezügen auf - etwa, wenn über den Aktienkurs, eine neue Produktlinie, den Wechsel an der Führungsspitze oder die Arbeitsbedingungen in einer Produktionsstätte im Ausland berichtet wird. Ob, in welchem Umfang und auf welche Weise ein Unternehmen in der Medienberichterstattung auftaucht, hat Auswirkungen auf das Verhalten der Stakeholder. So beeinflusst z. B. die Berichterstattung über ein Produkt, aber auch über vermeintliche oder tatsächliche Missstände in einem Unternehmen möglicherweise das Kaufverhalten von Kunden. Schaubild 61: Funktionen der Media Relations Quelle: eigene Darstellung. Selbst für Unternehmen, die keine aktive Medienarbeit betreiben und nicht oder möglichst wenig in den Medien präsent sein wollen (wie z. B. Aldi), ist die Medienberichterstattung höchst relevant. Daraus ergibt sich die Medienbeobachtung als erste, wichtige Funktion der Media Relations. Da die Berichterstattung über ein Unternehmen dessen Aktivitäten und dessen Erfolg maßgeblich beeinflussen können, muss sie bekannt sein, um darauf reagieren zu können. Dies gilt ebenso für das, was in der Branche, in der Wirtschaft oder in der gesamten Ge- Media Relations 3. Themensetzung in der Öffentlichkeit 1. Medienbeobachtung 2. Bereitstellung offizieller Informationen → Themen identifizieren, die für das Unternehmen relevant sind → Chancen und Risiken von Themen managen → verbindliche Positionen und Informationen organisieren und formulieren → Anfragen beantworten → Botschaften des Unternehmens aktiv in die Öffentlichkeit tragen → Beziehungen mit Journalisten und Multiplikatoren aktiv managen passiv/ reagierend aktiv/ agierend <?page no="374"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 359 sellschaft passiert. Über die Beobachtung der Medien erfährt ein Unternehmen, auf welche Themen, die die Unternehmenstätigkeit - direkt oder indirekt, aktuell oder potenziell - betreffen, es sich einstellen sollte. Die Medienbeobachtung ist ein grundlegendes Steuerungs- und Planungsinstrument, das andere Formen der Umwelt- und Marktbeobachtung ergänzt (Hoffjann 2014, 673). Die hierzu passenden Instrumente und strategischen Ansätze sind Issues Management und Medienresonanzanalysen. An diese Diagnose- und Beobachtungsfunktion der Media Relations schließt sich schnell das Ziel an, die Medienberichterstattung auch zu beeinflussen. Dann rücken die Beziehungen zu den Medien als der zentrale Bezugspunkt von Media Relations in den Blick. Die „Beziehungsarbeit“ - der Austausch mit Journalisten und Medienvertretern - hat dabei sowohl eine aktive als auch eine passive, reagierende Komponente. Dies kommt etwa in der klassischen Definition von Me di e narb ei t zu m Ausd ruck , in de r von „co nt act ing “ (ak tiv) un d „res pondi ng“ (passiv) die Rede ist: „Contacting news Media, magazines, Sunday supplements, freelance writers, and trade publications with the intent of getting them to publish or broadcast news and features about or originated by the organization. Responding to media requests for information, verification of stories, and access to authoritative sources“ (Cutlip/ Broom/ Center 1994, 33). Daraus leiten sich weitere Funktionen von Media Relations ab. Eine ist die Bereitstellung von autorisierten, „offiziellen“ Stellungnahmen und Informationsangeboten des Unternehmens (Szyszka/ Schmitz 2006, 174). Media Relations organisiert und formuliert verbindliche Positionen und Informationen. Sie stehen für das Unternehmen insgesamt und positionieren es im „öffentlichen Meinungsmarkt“ (Szyszka 2009, 142). Es geht darum, auf Nachfragen offiziell gültige Stellungnahmen abgeben zu können und/ oder den Zugang zu den zuständigen Repräsentanten („authoritative sources”) des Unternehmens zu ermöglichen sowie die Stellungnahmen mit ihnen abzustimmen. Veröffentlicht werden die Positionen - mit engem Bezug auf die Zielgruppe Journalisten - traditionell in Pressemitteilungen. Heute wird diese Funktion der Media Relations jedoch breiter verstanden - gleichsam als Informationsdienst des Unternehmens, der offizielle Informationen nicht mehr nur Journalisten anbietet, sondern auch anderen Multiplikatoren und Stakeholdern zur Verfügung stellt. Bei der beschriebenen Informationsfunktion der Media Relations steht im Vordergrund, auf die öffentliche Thematisierung des Unternehmens sowie die Nachfrage der Medien angemessen zu reagieren und einen entsprechenden Service bereitzustellen. Dabei geht es häufig auch um für das Unternehmen kritische Themen. Umsatzeinbrüche, Fusionen, Pannen in der Produktion, Indiskretionen, Qualitätsmängel der Produkte oder Missmanagement sind typische Bei- <?page no="375"?> 360 Umsetzung in der Praxis spiele, bei denen ein Unternehmen ungewollt in die Medien gerät. Es versucht, die Aufmerksamkeit zu steuern und eigene Positionen einzubringen. Die dritte Funktion der Media Relations hängt mit der Informationsfunktion zusammen, geht aber noch einen Schritt weiter. Bei der Agenda-Setting oder Themensetzungs-Funktion werden Botschaften und Themen des Unternehmens aktiv in die Öffentlichkeit getragen. Damit nutzt Media Relations die Medienberichterstattung für die Kommunikationsziele des Unternehmens. Aktive Medienarbeit hilft, zentrale Herausforderungen der Unternehmenskommunikation zu lösen: möglichst viele Stakeholder mit relevanten und glaubwürdigen Botschaften möglichst kostengünstig zu erreichen. Im Einzelnen hat sie folgende Vorteile (Hoffjann 2014, 674 f.): ! große Reichweite und geringe Kosten: Bestehende Medienangebote erreichen häufig eine große Zahl an Menschen. Media Relations kann also relevante Zielgruppen innerhalb kurzer Zeit erreichen. Für die redaktionelle Berichterstattung selbst wird nicht bezahlt, Kosten fallen für Begleit- und Kommunikationsmaßnahmen an. Ähnlich wie in der Mediawerbung kann die Media Relations ihre Zielgruppen sehr genau auswählen, z. B. Entscheidungsträger eines bestimmten Bereichs, Fachleute einer Branche oder Verbraucher als potenzielle Kunden; ! hohe Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit: Journalistische Medien haben im Vergleich zu vielen anderen Quellen nach wie vor eine hohe Reputation. Sie gelten als unabhängige Instanzen, die Inhalte aus einem übergreifenden Informations- und eben nicht aus Eigeninteresse auswählen und bearbeiten. Damit hat die journalistische Berichterstattung eine andere Qualität als Quellen, die - wie Unternehmen - unter „Motiv- und Manipulationsverdacht“ stehen. Über journalistische Berichterstattung „veredelte“ Unternehmensinformationen haben deshalb ein großes Wirkungspotenzial. Die Menschen nutzen sie zur Orientierung; andere Medien und Quellen greifen sie in der öffentlichen Kommunikation auf; ! hinzu kommt die große (öffentliche) Relevanz: Journalisten sind „Relevanzattributoren“. Indem sie ihre professionellen Regeln (z. B. Nachrichtenfaktoren) und Strategien der Publikumsansprache anwenden, verleihen sie den Unternehmensthemen Relevanz und damit Aufmerksamkeit bei den Zielgruppen außerhalb des Unternehmens. Natürlich kann Media Relations selbst ebenfalls die journalistischen Kriterien berücksichtigen - was sie ja auch sehr umfangreich tut. Es bleibt jedoch eine journalistische Leistung, aus unternehmensintern relevanten Themen solche mit öffentlicher Relevanz zu machen. <?page no="376"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 361 Diese Vorteile der Media Relations gehen mit Nachteilen einher. Grundsätzlich liegt bei der traditionellen „Journalismus-Arbeit“ die Entscheidung, welche Themen auf welche Art und Weise veröffentlicht werden, nicht in den Händen der Unternehmenskommunikation. Media Relations kann den Redaktionen Themen vorschlagen sowie Positionen und Bewertungen nahebringen. Letzten Endes entscheiden aber die Journalisten alleine. In der Regel bringen sie unabhängige und kritische Perspektiven in die Berichterstattung mit ein. Die klassische Media Relations ist nicht einfach nur ein Kommunikationskanal, der nach Belieben bespielt werden kann. Medienarbeit bedeutet vielmehr immer auch eine Auseinandersetzung mit unternehmensfremden Positionen und Interessen. Die Unternehmen begeben sich auf den öffentlichen Meinungsmarkt. Das bedeutet auch: Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist für Unternehmen nicht vorab zu planen, der Erfolg von Media Relations ist ungewiss. 1 1 . . 2 2 M M e e d d i i a a R R e e l l a a t t i i o o n n s s - - g g a a n n z z h h e e i i t t l l i i c c h h v v e e r r s s t t a a n n d d e e n n Der aktuelle Medienwandel legt nahe, Media Relations umfassender zu begreifen. Zu den klassischen Medien, die vom Journalismus geprägt werden, treten neue, digitale und vernetzte Medienwelten hinzu. Für die Unternehmenskommunikation haben sich damit die Bedingungen und Möglichkeiten, am öffentlichen Meinungsmarkt teilzunehmen und Medienimage bzw. öffentliche Reputation des Unternehmens zu beeinflussen, stark verändert. Notwendig ist eine ganzheitliche und vernetzte Sicht auf Medienarbeit. Medien sind dabei zunächst als verschiedene Kommunikationskanäle zu verstehen, die Unternehmen zur Verfügung stehen. Aus Sicht der Werbung werden z. B. - neben den „paid media“ (vom Unternehmen gekaufter Werberaum) - „owned media“ und „earned media“ unterschieden (etwa forrester.com). Diese Einteilung lässt sich auch auf PR und Media Relations übertragen. „Earned media“ sind unternehmensfremde Medien. Hier verbreiten unabhängige Kommunikatoren Unternehmensthemen (oder lassen es eben bleiben), nehmen dazu (aus Unternehmenssicht zustimmend oder kritisch) Stellung und geben (positive oder negative) Empfehlungen ab. Zu den „earned media“ zählen neben den klassischen, journalistischen Medien auch Social Media sowie andere nicht-journalistische Informations- und Kommunikationsangebote im Internet wie Blogs und Empfehlungsportale. Gemeinsam ist diesem Medientypus, dass Unternehmensthemen in vorgegebenen Sinn- und Kommunikationskontexten <?page no="377"?> 362 Umsetzung in der Praxis auftauchen, die von Dritten - einer Redaktion, einem einzelnen Kommunikator oder den Nutzern selbst - gesteuert und geprägt werden. In beiden Fällen ist es Aufgabe der Media Relations, an der Meinungsbildung teilzunehmen und den Umgang mit dem Unternehmen in diesen Angeboten im Sinne der eigenen Unternehmens- und Kommunikationsziele zu beeinflussen. „Owned media“ sind die unternehmenseigenen Medien. Dazu zählen Internet- Angebote wie die Website eines Unternehmens, ein Online-Magazin oder ein Unternehmensblog ebenso wie gedruckte und elektronische Medien, etwa Kundenzeitschriften oder Corporate-TV. Über die reine Produktkommunikation hinaus können Unternehmen in den eigenen Medien ihre Zielgruppen direkt - d. h. ohne die Filter der Redaktionen - mit Themen von öffentlicher Relevanz ansprechen. Das sog. „Corporate Publishing“ orientiert sich hierbei an journalistischen Kriterien und Konzepten, um vom Glaubwürdigkeitsbonus und der Wirkk raft jou rn ali st isch er Ko mm un i ka ti on zu profi tie re n. Eine solche Vorgehensweise besitzt zwar Grenzen, weil Unternehmensmedien immer ein Instrument interessengeleiteter Kommunikation bleiben. Allerdings können Unternehmen bei den „eigenen“ Medien über die Inhalte voll und ganz selbst bestimmen. Sie sind deshalb eine wirkungsvolle Stimme des Unternehmens auch und gerade im Kampf um Aufmerksamkeit und Deutungshoheit in der öffentlichen Meinung. Natürlich kann die Unternehmenskommunikation mit den eigenen ebenso wie mit den fremden (Netz-)Medien ganz unterschiedliche Ziele verfolgen. Gerade in den sozialen Netzwerken des Internets sind Unternehmen mit vielfältigen Aktivitäten und Akteuren vertreten. Es kann beispielsweise um Produktabsatz und Vertrieb, um Kundenbetreuung und Service oder um Personalmarketing und Employer Branding gehen. Genauso kann ein Kundenmagazin stark an Produkten ausgerichtet sein und hauptsächlich Absatzzielen dienen. Entscheidend ist jedoch, dass unter den Bedingungen der heutigen Medienwelt diese Wege auch dazu genutzt werden können, um am klassischen Journalismus vorbei im öffentlichen Meinungsmarkt zu bestehen und den direkten Weg zu den Stakeholdern zu nehmen. Eine ganzheitlich verstandene Media Relations steht somit auf drei Säulen (Schaubild 62): ! „Fremde“, journalistische Medien besitzen eine eigenständige Redaktion und greifen Wirtschafts- und Unternehmensthemen nach speziellen Konzepten auf. Dabei handelt es sich insbesondere um die klassischen Fach- und Wirtschaftsmedien, die nach journalistischen Standards arbeiten und mit Nachrichtenportalen auch im Internet vertreten sind. Aber auch Universalmedi- <?page no="378"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 363 en, die Unternehmensthemen in vielfältigen Bezügen aufgreifen, spielen eine wichtige Rolle. ! „Eigene“ Medien gestaltet ein Unternehmen selbst und bestückt sie mit Botschaften und Themen. Das Corporate Publishing entwickelt für interne und externe Zielgruppen eigene Medienkonzepte. Sie können in den direkten Dialog mit einzelnen Zielgruppen eintreten und/ oder auf eine breite mediale Öffentlichkeit setzen. Glaubwürdigkeit ist der Schlüssel. Sie geht verloren, wenn die „Inszenierung“ offensichtlich wird oder die Menschen durch erkennbare „Werbung“ abgeschreckt werden. ! Social Media und andere Online-Medien funktionieren nach eigenen Regeln und lassen unter Beteiligung zahlreicher Nutzer neue Kommunikationsarenen entstehen. Sie werden wichtiger für die Bildung öffentlicher Meinung, können ähnliche Funktionen erfüllen wie die klassischen Medien und weichen das journalistische Monopol immer mehr auf. Schaubild 62: Media Relations - ganzheitlich betrachtet Quelle: eigene Darstellung. Noch ist es ungewohnt, den Begriff Media Relations nicht nur auf die journalistischen Medien, sondern auch einerseits auf Online-Medien und Social Media sowie andererseits auf unternehmenseigene Medien zu beziehen. Ähnliches gilt für den Begriff Öffentlichkeit, der meist nur als unternehmensexterne, gesellschaftliche Öffentlichkeit verstanden wird. Aber auch in den Unternehmen entstehen Öffentlichkeiten, die sich durch Medien wie Intranet oder Kommunika- Internet # Internet # Internet # Internet # Internet # Internet Crossmediales Themen-Management VERNETZUNG PULL PUSH „Fremde“ Medien Pressearbeit z. B. Zeitungen, TV-Sender, Radios, Anzeigenblätter… SOCIAL MEDIA extern Corporate Publishing z. B. Kundenzeitschriften, Online- Magazine intern Corporate Publishing z. B. Intranet- News, Mitarbeiterzeitschrift, Videos „E igene“ Medien <?page no="379"?> 364 Umsetzung in der Praxis tionsformen des persönlichen Gesprächs bilden. Vor allem Konzepte wie „integrierte Kommunikation“, „One Voice Policy“ und „Rund-um-die-Uhr-Kommunikation“ legen nahe, dass Unternehmen Media Relations organisieren und gestalten. Eine solche ganzheitliche Sicht trägt den Veränderungen in der öffentlichen Kommunikation Rechnung und schöpft die Wirkungspotenziale der Unternehmenskommunikation aus. Medienarbeit ist dann eingebettet in ein crossmediales Themen-Management. Sie wird über die verschiedenen Verbreitungskanäle und Medien geplant und umgesetzt. Um nicht missverstanden zu werden: Die klassische Medienarbeit, verstanden als „Journalismus-Arbeit“, spielt nach wie vor eine herausragende Rolle. Reichweite und Agenda-Setting-Potenzial journalistischer Medien sind immer noch sehr groß. Allerdingst steigt die Bedeutung von Online-Medien und Social Media. Auch für Journalisten werden sie als Verbreitungskanal und Recherchequelle wichtiger - „alte“ und „neue“ Medien vernetzen sich zunehmend. So können in sozialen Netzwerken in kürzester Zeit Empörungswellen (sog. „shitstorms“) entstehen, die sich bis weit in die traditionellen Medien und den Journalismus hinein ausbreiten. Kein Zweifel: Social Media-Arbeit zu betreiben, wird heutzutage für die Unternehmenskommunikation wichtiger, ist aber schwierig umzusetzen. Hinzu kommen die unternehmenseigenen Medien. Sie können Lücken ausfüllen, die redaktionelle Angebote bei der Informationsversorgung des Publikums immer häufiger lassen. Medienkonzepte und Vermittlungsstrategien müssen sich dabei an journalistischen Vorgehensweisen und den Trends in der öffentlichen Kommunikation orientieren, um Stakeholder attraktiv und wirkungsvoll anzusprechen. 1 1 . . 3 3 L L e e i i s s t t u u n n g g e e n n d d e e r r M M e e d d i i e e n n i i m m V V e e r r g g l l e e i i c c h h Die Handlungsfelder und Kommunikationskanäle innerhalb von PR und Media Relations sind in Bewegung. Dies zeigen die Ergebnisse des European Communication Monitors, der regelmäßig Trends im Berufsfeld untersucht. Die klassische Medien- und vor allem Pressearbeit - vor einigen Jahren noch der mit deutlichem Abstand als am wichtigsten eingeschätzte Kanal - verliert an Boden. Nur noch ca. 76 Prozent der Befragten schätzen die Ansprache von Pressemedien als wichtigen Kommunikationskanal ein. In den letzten Jahren massiv an Bedeutung gewonnen haben dagegen Social Media-Kommunikation mit einem Anteil von 63 Prozent sowie Online-Kanäle, die 86 Prozent der PR-Profis als wichtig einschätzen. Das ist Platz eins aller Medien und Kanäle. Unternehmens- <?page no="380"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 365 eigene Medien kommen immerhin auf einen Anteil von knapp über 40 Prozent. Gefragt nach der zukünftigen Bedeutung der verschiedenen Kommunikationswege, ist die Pressearbeit ebenfalls der große Verlierer. Für die nahe Zukunft ist sie nur noch für knapp 42 der Befragten ein wichtiger Kanal (Zerfaß et al. 2014). Für die drei Säulen der ganzheitlich verstandenen Medienarbeit („fremde“ und „eigene“ Medien sowie die Social Media und andere Online-Medien) liefert eine 2014 durchgeführte Studie des Fachgebiets für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband deutscher Pressesprecher (BdP) detaillierte Einblicke. Was leistet die klassische Medienarbeit als Ansprache von Journalisten für die Unternehmenskommunikation? Inwieweit können Online-Kommunikation und die Adressierung von Online-Medien bereits ähnliche Leistungen erbringen? Und welche Rolle spielt das „Bypassing“, bei dem die Journalisten als Gatekeeper umgangen und die St ake ho lder dir ek t mit unt er ne hm en sei gen en Me d ie n an gesp ro ch en werden? Um diese und andere Fragen zu beantworten, wurden über 1.000 Pressesprecherinnen und Pressesprecher in Deutschland befragt. Sie sollten einschätzen, inwieweit die drei Kommunikationswege in der Lage sind, wesentliche Ziele und Aufgaben der Unternehmenskommunikation zu erfüllen. Die Ergebnisse zeigen: Was das Leistungspotenzial betrifft, liegen die unternehmenseigenen Medien bereits nahe an der klassischen Medienarbeit (Schaubild 63). Was die Erreichbarkeit der relevanten Zielgruppen, die Glaubwürdigkeit bei den Stakeholdern und die Wirkungskraft der Kommunikationskanäle anbelangt, punkten die klassischen Medien. 93 Prozent der Befragten stimmen zu, dass sie über journalistische Angebote ihre relevanten Stakeholder erreichen. Die Corporate Media schneiden in dieser Hinsicht ähnlich gut ab. Bei der Frage, ob die Zielgruppen den jeweiligen Kanal als glaubwürdig ansehen, haben die klassischen Medien einen Vorsprung von sieben Prozentpunkten. Hier zeigt sich: Unternehmen sind im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit nach wie vor auf die hohe Glaubwürdigkeit des unabhängigen Journalismus angewiesen. Auch bei der Wirksamkeit der verschiedenen Kommunikationswege liegen die klassischen Medien vorne. Während diese 92 Prozent der befragten Pressesprecher als wirkungsvolle Kommunikationskanäle einschätzen, trifft dies, mit einer Differenz von immerhin zehn Prozentpunkten, nur zu 82 Prozent auf die eigenen Medien zu. Die Pressesprecher können mit Corporate Media also zwar ihre Zielgruppen erreichen - sind sich aber durchaus bewusst, dass die Stakeholder unternehmenseigene Medien mit Eigeninteressen verbinden. <?page no="381"?> 366 Umsetzung in der Praxis Schaubild 63: Wie Pressesprecher klassische Medien, Online-Angebote und eigene Unternehmensmedien einschätzen Quelle: Studie des Fachgebiets für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband deutscher Pressesprecher (BdP), n (klassische Medien) = 1.020-1.026, n (Online-Kommunikation) = 1.017-1.024, n (eigene Medien) = 1.020-1.026, Mast/ Spachmann (2015). Die Relevanz der Inhalte für die Zielgruppen wird bei den eigenen Medien des Unternehmens (96 Prozent) hingegen etwas besser bewertet als bei den journalistischen Medien (94 Prozent). Schließlich ist es hier allein Sache der Pressesprecher, die Themen ganz auf die Bedürfnisse und Interessen ihrer Stakeholder zuzuschneiden. Ferner überrascht es nicht, dass die eigenen Medien der Organisationen (95 Prozent) insbesondere bei der Frage nach der Planbarkeit und Kontrollierbarkeit deutlich besser abschneiden als die klassischen Medien (60 Prozent). Die Online-Angebote können in diesem Punkt sogar nur ein Viertel (25 Prozent) der Befragten überzeugen - führen z. B. in den sozialen Netzwerken und vielen Blogs doch in erster Linie die Nutzer Regie, die sich nicht selten kritisch über die Unternehmen äußern. 95 % 25 % 60 % 82 % 55 % 92 % 91 % 52 % 91 % 96 % 56 % 94 % 91 % 51 % 98 % 55 % 93 % Internetkommunikation Klassische Medien Eigene Medien Erreichen die für uns relevanten Zielgruppen Werden von den relevanten Zielgruppen als glaubwürdig angesehen 92 % Beinhalten für unsere Zielgruppen relevante Themen Sind sehr wichtig, um Botschaften zu unseren Zielgruppen zu transportieren Sind wirkungsvolle Kommunikationskanäle Sind planbare und gut kontrollierbare Kommunikationskanäle <?page no="382"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 367 Diese Einschätzungen der Leistungspotenziale sagen noch nicht unbedingt etwas darüber aus, wie die Kommunikationskanäle in der Unternehmenskommunikation tatsächlich eingesetzt werden. Die Ergebnisse zeigen jedoch: Das Portfolio der Medienarbeit erweitert sich in Richtung eines „Organizational Publishing“, das für die Unternehmenskommunikation ebenfalls ansehnliche Leistungen erbringt und zudem gut zu steuern ist. Zudem führt an den Netzmedien kein Weg vorbei. Gerade im Vergleich zu den journalistischen Medien und den Corporate Media ist es allerdings schwieriger, sie in die PR bzw. Media Relations angemessen einzubinden. 2 2 V V i i e e l l f f ä ä l l t t i i g g e e M M e e d d i i e e n n w w e e l l t t e e n n Mit den klassischen, journalistischen Medien auf der einen Seite und den jungen Online-Medien bzw. Social Media auf der anderen Seite existieren unterschiedliche Medienwelten, die für die Unternehmenskommunikation höchst relevant sind. Sie greifen aus jeweils eigenen Perspektiven Unternehmensthemen auf, die sie auch auf spezielle Weise bearbeiten und diskutieren. Durch die Möglichkeiten des Internets sind die Themen, über die gesprochen wird, und die Quellen, aus denen etwas über ein Unternehmen bekannt wird, vielfältiger geworden. Z. B. können Erfahrungen von Kunden oder Meinungen von Mitarbeitern eines Unternehmens heute schnell den Weg in die Öffentlichkeit finden. An die Stelle (betriebs-)wirtschaftlicher Sichtweisen treten zunehmend gesellschaftspolitische und moralische Aspekte (Verbraucher- und Bürgersicht). Klassische Medien und Online-Medien funktionieren dabei jeweils nach eigenen Regeln. Die bearbeiteten Themen, Formen der Darstellung und kommunikativen Leistungen der Angebote unterscheiden sich. Und auch die Motive der Nutzer sind ganz unterschiedlich. Journalistische Medien nutzen die Menschen insbesondere, um sich zu informieren und um grundlegende Orientierung zu bekommen. Bei sozialen Medien spielen demgegenüber Dialog und Austausch innerhalb eines Netzwerks eine große Rolle. Zwar gibt es zwischen beiden Medienwelten immer mehr Überschneidungen und Austausch, etwa wenn Journalisten bloggen, klassische Angebote auch in sozialen Medien aktiv sind oder Themen aus der einen Medienwelt in der jeweils anderen aufgegriffen werden. In beiden Bereichen funktioniert die Kommunikation aber grundsätzlich nach spezifischen Aufmerksamkeits- und Arbeitsregeln. <?page no="383"?> 368 Umsetzung in der Praxis Die klassischen Medien gehorchen den professionellen Normen und Prinzipien des Journalismus. Redaktionen wählen Themen nach Aktualität und öffentlicher Relevanz aus. Nachrichtenfaktoren wie Prominenz, Bedeutung, Nutzwert und Negativismus bestimmen die Berichterstattung. Im Informations- und Nachrichtenjournalismus gilt Objektivität nach wie vor als Leitprinzip. Hinzu kommen Emotionalisierung oder sogar Skandalisierung als Muster der Berichterstattung. Online-Medien und Social Media gehorchen anderen Gesetzen. Hier gelten eher die Regeln der digitalen, persönlichen Kommunikation als diejenigen der Massenmedien. In Blogs kommunizieren die Menschen meist subjektiv und meinungsbetont zu bestimmten Themen. In sozialen Medien organisieren die Nutzer ihre persönlichen Netzwerke und Beziehungen. Darüber hinaus werden Social Media auch als Informations- und Nachrichtenquelle genutzt. Im Unterschied zu den klassischen journalistischen Nachrichtenmedien erfolgt dies aber eng verbunden mit der persönlichen Nahwelt der Nutzer. Die klassischen Konzepte der medialen Zielgruppenansprache - sowohl aus dem Journalismus als auch aus der PR und der Unternehmenskommunikation - funktionieren deshalb in den Online- Medien nicht. Dialog und Authentizität spielen eine wichtige Rolle. Wie bedeutsam einzelne Angebote aus den beiden Medienwelten für die Unternehmenskommunikation sind, welche Priorität sie in der Media Relations besitzen und wie stark sie sich als Kommunikationsweg für unternehmenseigene Themen und Botschaften eignen, hängt zum einen vom publizistischen Konzept (Themenspektrum und Format) und zum anderen von deren Position in der Medienlandschaft ab. Je stärker die Berichterstattung und die darin behandelten Themen die Aktivitäten des Unternehmens betreffen (etwa weil sie die Kaufentscheidungen von Kunden oder die Akzeptanz einer Produktionstechnologie beeinflusst) und je größer Reichweite und Reputation eines Angebots sind, desto bedeutsamer ist ein Angebot für die Media Relations (Hoffjann 2014, 675). Auf Seite des Unternehmens ist außerdem wichtig, welche Kommunikationsziele - neben dem generellen Ziel, die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen und für ein gutes Medienimage zu sorgen - im Vordergrund stehen. Für das spezielle Handlungsfeld Investor Relations existiert z. B. eine große Palette an Wirtschafts- und Finanzmedien, um verschiedene Stakeholder zu erreichen (Hoffjann 2014, 676, Reichert 2012). <?page no="384"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 369 Die unternehmenseigenen Medien bilden schließlich eine eigene Medienwelt. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Unternehmenskommunikation Konzepte und Vorgehensweisen selbst gestalten kann. Die Hoheit über die Kommunikation - und damit die Entscheidung, welche Themen mit welchen Botschaften an verschiedene Stakeholder kommuniziert werden sollen -, liegt ausschließlich in den Händen des Unternehmens. Diese nutzen Corporate Media immer intensiver, um öffentlich relevante Themen aufzugreifen und die Meinungsbildung der Stakekolder zu beeinflussen. Notwendig sind dann journalistische Medienkonzepte, die konsequent an den Bedürfnissen und Interessen des Publikums ausgerichtet sind - und nicht nur pure Unternehmens- oder gar Produktbotschaften an Kunden transportieren wollen. Im Folgenden werden die verschiedenen Medienwelten vorgestellt und im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Media Relations eingeordnet. Abschließend wird analysiert, wie sich speziell die Unternehmensberichterstattung der Medien in jüngerer Zeit verändert hat. 2 2 . . 1 1 K K l l a a s s s s i i s s c c h h e e M M e e d d i i e e n n Die Medienlandschaft in Deutschland ist breit gefächert. Presse, Rundfunk, Online-, und elektronische Medien sprechen unterschiedliche Publikumsgruppen an. Neben den universellen Nachrichtenmedien, die ein großes Themenspektrum aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft behandeln, existiert eine Vielzahl spezieller Angebote. Fach- und Special-Interest-Magazine bearbeiten sehr enge Themengebiete, die auf zum Teil sehr spezielle Publikumsgruppen zugeschnitten sind. Das Spektrum der Offline- und Online-Medien wird immer breiter und macht für Unternehmen Medienarbeit einfacher und schwieriger zugleich. Schwieriger deshalb, da mit den Angeboten die Bandbreite der redaktionellen Konzepte und Berichterstattungsformen zunimmt. Für ein einzelnes Unternehmen ist die Medienberichterstattung deshalb wenig berechenbar und in ihrer Gesamtheit kaum mehr zu steuern. Der Zugang zu den Medien insgesamt ist schwieriger zu planen. Auf der anderen Seite kann sich die Medienarbeit sehr gut auf einzelne, inhaltlich eng positionierte Angebote ausrichten. Dies gilt insbesondere für Fachmedien. Sie interessieren sich umso mehr für ein Unternehmen, je enger ihre redaktionellen Konzepte inhaltlich mit dessen Märkten und Produkten zusammenhängen (Mast 2012a). <?page no="385"?> 370 Umsetzung in der Praxis Redaktionskonzept und Zielgruppe eines journalistischen Angebots entscheiden nicht nur darüber, ob und in welchem Umfang Unternehmen Eingang in die Berichterstattung finden, sondern auch unter welchen Perspektiven dies geschieht und welche Themen dabei interessieren. Erfolgreiche Medienarbeit setzt die genaue Kenntnis der Medienlandschaft voraus: Wie sind die journalistischen Angebote positioniert, welche Zielgruppen sprechen sie an und welche Ziele verfolgen die Redaktionen? Für die strategische Planung der Medienarbeit von Unternehmen ist eine Vierteilung in Fachmedien, Wirtschaftsmedien, Nachrichtenmedien und Boulevardmedien bedeutsam (Schaubild 64). Sie fasst wichtige Merkmale der Medienformate zusammen. Die Auswahl der Themen und die Form, in der sie behandelt werden, unterscheiden sich je nach Angebotstyp und angesprochener Zielgruppe stark. Dies hängt wiederum mit dem Spezialisierungsgrad der Redaktionen und der Reichweite der Angebote zusammen. Über eine systematische Ansprache einzelner Gattungen kann die Medienarbeit der Unternehmen deshalb jeweils ein breites Spektrum an Themen anbieten und auch unterschiedliche Zielgruppen erreichen. Schaubild 64: Systematisierung journalistischer Medien Quelle: eigene Darstellung. Wirtschaft in Boulevardmedien N achrichtenmedien (Tageszeitungen, Nachrichtensendungen) Special- Interest Wirtschaftspresse Fachmedien Reichweite der Medien Spezialisierungsgrad der Redaktionen General- Interest <?page no="386"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 371 Fachmedien (Mast 2012a, Bentele/ DFJV 2006, Spachmann 2005) - ob sie online oder gedruckt veröffentlicht werden - organisieren den fachlichen Austausch innerhalb einer Branche oder Berufsgruppe. Die Palette der Titel und Themen ist hier fast so breit wie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben selbst. In den Redaktionen dieser Medien ist die wirtschaftliche Fachkompetenz der Redakteure häufig wichtiger als deren journalistische Fähigkeiten. Fachleute schreiben also für Fachleute mit dem Ziel, Innovationen zu verbreiten und Informationen für berufliche Entscheidungen zur Verfügung zu stellen. Zielgruppen sind dementsprechend Fach- und Führungskräfte in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung. Die Reichweite einzelner Angebote ist meist gering und reicht häufig nicht über die engen Segmente derer, die im betreffenden Fach selbst Spezialisten sind und ein entsprechendes Vorwissen mitbringen, hinaus. Für die Unternehmenskommunikat ion sin d di es e hoch in volvie rten Gruppen denno ch unve rzich tb ar. Di e Fachmedien werden daher vorrangig mit fachspezifischen Inhalten und detailliert aufbereiteten, fachlichen Themen versorgt. Dementsprechend werden die jeweiligen Fachabteilungen eines Unternehmens eng in den Medienkontakt eingebunden. Die Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit agieren häufig als Vermittler und Berater. Pressekontakte werden meist gemeinsam mit Unternehmensleitung und Fachreferaten geplant und durchgeführt. Wirtschaftsmagazine (Mast 2012a, 104, Spachmann 2005, 177 ff.) richten sich an ein Publikum mit Spezialinteressen. In Kategorien des Marketings wird die Zielgruppe als „Entscheider“ in Unternehmen und öffentlicher Verwaltung oder schlicht als „Informationselite“ definiert. General-Interest-Titel wie „Wirtschaftswoche“ oder „Manager Magazin“ berichten über Themen aus Unternehmen, Märkten und anderen Schauplätzen der Wirtschaft. Das übrige Geschehen, insbesondere politische Ereignisse, fließt mehr (z. B. „Wirtschaftswoche“) oder weniger ausführlich (z. B. „Manager Magazin“) in die Berichterstattung ein, wobei immer eine ökonomische Perspektive zugrunde liegt. Ist bei den General-Interest-Wirtschaftsmagazinen (Mast 2012a, b, Spachmann 2005) ein größerer Teil der Leser ähnlich wie bei den Fachmedien im professionellen Umfeld von Unternehmen zu suchen, trifft dies auf die Special-Interest-Titel kaum zu. Verbraucher- und Anlegermagazine sprechen ihre Leser als „Laien“ an, für die sie Informationen und vor allem konkreten Nutzwert bieten wollen. „Wenn das Finanzamt zuschlägt: Welche Lebensversicherung sich noch lohnt“ oder „Die 50 besten Tipps für ihr Geld“ - die Liste potenzieller Titel-Themen ließe sich beliebig fortsetzen. Letztlich sind es Wiederholungen oder bestenfalls Variationen der immer gleichen Themen. Special-Interest-Magazine haben im Vergleich zu den allgemeinen Wirtschaftstiteln eine größere potenzielle Reichweite, da sie das Publikum in allgemeinen Hand- <?page no="387"?> 372 Umsetzung in der Praxis lungsrollen ansprechen, z. B. als Arbeitnehmer, Steuerzahler, Konsument oder Anleger, und für ihr Publikum einen konkreten Nutzwert bieten. Dazu sichten Redaktionen Informationen aus einer speziellen Perspektive, etwa mit den Augen eines Steuerzahlers oder Arbeitnehmers, der sich um die Altersvorsorge Gedanken macht, oder eines Freiberuflers, der sich für neue steuerrechtliche Bestimmungen interessiert. Ein Spezialfall mit großer Bedeutung im Wirtschaftsjournalismus ist die Zeitschrift „test“ der Stiftung Warentest. Sie veröffentlicht vergleichende und unabhängige Produkttests und findet allgemein im gesamten Mediensystem eine hohe Resonanz. Im Fernsehen gibt es Wirtschafts- und Verbrauchermagazine, die unter den Bedingungen dieses audio-visuellen Mediums ganz ähnliche Konzepte wie die Pressetitel verfolgen. Hierzu zählen beispielsweise das ARD-Magazin „Plusminus“ oder „wiso“ (ZDF). Auch bei ihnen dominiert die Perspektive des Verbrauchers und Ste uerzah lers. Vor allem in den Wir tschafts magazinen des öffe ntlichrechtlichen Fernsehens ist zudem ein aufklärerischer Anspruch erkennbar. Die Berichte erklären Sachverhalte und schließen deshalb auch stärker politische und gesellschaftliche Aspekte ein. Tageszeitungen haben eine sehr heterogene Zielgruppe. Gerade das Interesse an Unternehmens- und Wirtschaftsinformationen geht bei den verschiedenen Lesergruppen weit auseinander. Viele Leser haben keine spezifischen Informationsinteressen und wenden sich hauptsächlich lokalen und regionalen Berichten sowie Nutzwert-Informationen zu. Überregionale Qualitätszeitungen wie „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Süddeutsche Zeitung“ sprechen auch die an Wirtschaftsthemen fachlich interessierten Leser mit einem professionellen Kontext an - etwa in Unternehmen und Banken. Letzteres gilt insbesondere für die Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“ sowie für die fachlich noch enger ausgerichtete „Börsen-Zeitung“. Wirtschaftsthemen in Tageszeitungen sind sehr facettenreich. Die Wirtschaftsberichterstattung im engen Sinne umfasst die klassischen Felder Unternehmen und Branchen, Börsen und Finanzmärkte, Service und Verbraucher sowie Wirtschaftspolitik. Die anspruchsvollen Medienangebote in Presse und Fernsehen dringen zwar nicht unbedingt zu breiten Bevölkerungsschichten durch. Dennoch erreichen sie eine große Zahl politisch und ökonomisch Interessierter - allen voran Multiplikatoren und die sog. Informationselite. Ihre Bedeutung ergibt sich außerdem aus ihrer Funktion als Leitmedien. Magazin- und Talksendungen, Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazine ebenso wie Qualitätszeitungen setzen Themen und bestimmen so maßgeblich die Agenda der Öffentlichkeit. Andere Angebote greifen diese Themen auf und tragen sie in weite Bevölkerungskreise hinein. Für die Medienarbeit von Unternehmen sind diese Medien deshalb sehr wichtig. Sie werden daher häufig auch „Kernmedien“ oder „Leitmedien“ genannt. <?page no="388"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 373 Unternehmensnachrichten haben auch in Boulevardmedien einen Platz, obwohl es manchmal nicht einmal feste Sparten bzw. Sendeplätze dafür gibt. Straßenverkaufszeitungen, bestimmte Magazine in Hörfunk und Fernsehen, Illustrierte und einzelne Frauenzeitschriften greifen Wirtschaftsthemen konsequent aus der Perspektive ihres jeweiligen Publikums auf. Wenn Unternehmensthemen in Boulevardmedien auftauchen, geht es deshalb entweder um Unterhaltung und Befriedigung der Neugier oder um Nutzwert und Service. Personalisierung, Emotionalisierung und Sensationalismus zeichnen meist ein einseitiges Bild der Wirtschaft bzw. dessen, was an ökonomischen Themen die Veröffentlichungsschwelle überwinden kann. Man kann den Boulevardjournalismus mit seinen vereinfachenden, auf Sensation bedachten Arbeitsmustern kritisieren oder sogar verteufeln: Er ist ein wichtiger Faktor in der Medienlandschaft. Viele Menschen werden in Straßenverka uf szeit ung en un d Publiku msm edi en er st auf Th em en au fme rksa m, f ür di e sie sich andernfalls nicht interessiert hätten. Aufmerksamkeit für Unternehmensnachrichten bei weniger Interessierten zu erzeugen, ist somit auch eine Frage der Verpackung. Es ist notwendig, Lesergruppen so anzusprechen, wie es ihren Bedürfnissen und Lebensumständen entspricht. Der Trend zur Boulevardisierung ist bei nahezu allen Mediengattungen zu beobachten. Dieser Entwicklung muss auch die Medienarbeit der Unternehmen durch entsprechend popularisierte und allgemeinverständliche Informationsangebote Rechnung tragen. Grundsätzlich hat die Medienarbeit der Unternehmen durchaus gute Chancen, Resonanz zu finden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Themen passgenau auf die Redaktionsformate ausgewählt und entsprechend aufbereitet sind. Produktneuheiten und börsenkursrelevante Informationen aus Unternehmen stoßen bei vielen Verbraucher- und Anlegermagazinen auf offene Ohren. Eine Medienarbeit, die speziell auf solche Angebote zielt, ist deshalb gerade für Produkt-PR und Investor Relations ein wichtiges Instrument. Generell gilt: Fachmedien, Wirtschaftsmedien, überregionale Leitmedien und Boulevardmedien haben unterschiedliche redaktionelle Arbeitsmuster. Die Medienarbeit von Unternehmen muss dies im Umgang mit Redaktionen und Journalisten beachten. <?page no="389"?> 374 Umsetzung in der Praxis 2 2 . . 2 2 O O n n l l i i n n e e - - M M e e d d i i e e n n u u n n d d S S o o c c i i a a l l M M e e d d i i a a Im Internet sind neben den journalistischen Akteuren auch zahlreiche andere Kommunikatoren aktiv. Die Internet-Öffentlichkeit zeichnet sich dadurch gerade aus, dass die klassischen Medien an Bedeutung verlieren und in bestimmter Hinsicht als Vermittler überflüssig werden. Die bei den traditionellen Massenmedien klare Rollenverteilung zwischen Anbietern und Nutzern löst sich auf (Neuberger 2008b, 257). Jede Person und jede Institution, die etwas mitzuteilen hat, ebenso wie jeder Nutzer kann eigene Angebote betreiben und sich an öffentlicher Kommunikation beteiligen. Mit der Verbreitung von Social Media hat das „Web 2.0“ - häufig auch einfach nur „Mi tm ac h- Web“ gen an nt - vor er st se in en Höhepu nkt erre ic ht. In di git ale n Räumen wie sozialen Netzwerken (z. B. Facebook, Google+, XING), Microblogging-Diensten (z. B. Twitter), Videoportalen (z. B. YouTube, MyVideo), Foto-Sharing-Diensten (z. B. Instagram, Pinterest) oder kollaborativ er-stellten Enzyklopädien (z. B. Wikipedia) werden aus passiven Rezipienten nun aktive Nutzer, Kommunikatoren und potenzielle Publizisten. Auch die Redaktionen der klassischen Medien sind in den Social Media aktiv. Sie nutzen z. B. Facebook und Twitter, um Clicks und zusätzliche Reichweite für ihre Websites und Beiträge zu bekommen. Neben den Social Media und den kollaborativen Angeboten besitzen Blogs eine große Bedeutung im Web 2.0. Blogs sind Websites, die eine dynamische Struktur besitzen sowie Vernetzung und Nutzerbeteiligung ermöglichen - insbesondere durch die Kommentierung der verschiedenen Beiträge. Als spezielles Angebotsformat werden sie auch von Journalisten genutzt oder sind Teil journalistischer Online-Angebote. Darüber hinaus betreiben aber zahlreiche Organisationen und Fachleute sowie noch mehr Privatpersonen Blogs zu ganz unterschiedlichen Themen. Sie tun dies aus verschiedenen Motiven - teilweise mit privatem, professionellem oder geschäftlichem Hintergrund. Insbesondere in den Bereichen (IT-)Technologie, Unterhaltungselektronik, Automobil, Reisen und Mode sind besonders viele Blogger aktiv, die auch für Unternehmen relevant sein können. Auch wenn der Journalismus durch die Blogs und sozialen Medien nicht seine Daseinsberechtigung verliert, lohnt es sich für die Unternehmenskommunikation dennoch, ihre Media Relations auf diese Bereiche auszuweiten. Hier treffen Kommunikatoren weniger auf Vertreter des klassischen Journalismus, sondern vielmehr unmittelbar auf ihre Stakeholder- Gruppen. <?page no="390"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 375 Im Web 2.0 tummeln sich Privatpersonen, die in ihrer Freizeit über (Alltags-)Erlebnisse berichten, Produkte bewerten, Fotos, Videos oder Berichte auf Websites teilen. Sie üben - im Gegensatz zu Journalisten - keine professionelle Kommunikatorrolle aus. Meist geht es ihnen darum, mit dem eigenen Netzwerk zu kommunizieren - und nicht mit der Öffentlichkeit. Dies bedeutet für Unternehmen, dass sie ihre „Kommunikationspartner“ kennenlernen müssen, um überhaupt erst Beziehungen aufbauen zu können. Das gilt auch für die sog. „Blogger Relations“, d. h. die Zusammenarbeit mit Bloggern. Zu Beginn der „Social Media-Ära“ haben sich nur wenige Unternehmen getraut, eine eigene Facebook-Seite zu erstellen. Die Gründe hierfür waren häufig: Angst vor den Dynamiken des Web 2.0, Angst vor dem Unbekannten - kurzum Angst vor einer „Unkalkulierbarkeit“ und damit einem Kontrollverlust. Diese Ängste gegenüber dem Web 2.0 sind verbunden mit dem Bewusstsein, dass die Kommuni ka tio n im Ne tz „an de rs“ is t un d sich da mit di e U n te rn ehm en sko mm un ika tion deutlich von der klassischen Media Relations-Arbeit unterscheiden muss. Unternehmen können allerdings über eine geschickte, individualisierte Ansprache der Online-Medien durchaus eine (geplant) hohe Resonanz erreichen. Aber: im Netz gelten andere Regeln nach dem Motto: „If the news is that important, it will find me.“ Ein vernetztes, strategisches Denken ist nun ebenso wichtig wie das Akzeptieren des Kontrollverlustes. Wenn sich die User die für sie wichtigen Informationen selbst mit Hilfe von Suchmaschinen oder Nachrichtenaggregatoren beschaffen, müssen Unternehmen ihre Informationen, Bilder, Videos u. a. so anbieten, dass mögliche Multiplikatoren sie wahrnehmen und weiter verbreiten. Das Konzept der „opinion leader“ gewinnt an Bedeutung. Die Macht der User wird von vielen Unternehmen jedoch häufig als Bedrohung der Reputation empfunden. Spektakuläre Fälle haben gezeigt, dass die Empörungswellen im Netz durchaus ernst zu nehmen sind. Im Jahr 2007 versuchte die Deutsche Bahn AG mit verdeckter PR die Öffentlichkeit zu manipulieren: Mit Zahlungen von insgesamt 1,3 Milliarden Euro hatte der Konzern Beiträge in Internet-Foren und Radioprogrammen lanciert, wobei nicht zu erkennen war, dass das Unternehmen selbst Auftraggeber der Artikel und Meinungsäußerungen war. Die Folge: ein erheblicher Image-Schaden für die Deutsche Bahn (Sucher 2009). Trotz solcher Risiken - die User können auch offen und transparent für die Unternehmensziele tätig werden, wie Beispiele des sog. Crowdsourcing (= Schwarmauslagerung, d. h. die Einbeziehung der Ideen und des Wissens anderer Menschen im Netz) zeigen. Starbucks z. B. bietet den Usern die Chance, Ideen und Lösungsvorschläge zu schicken, über die dann abgestimmt wird. Die besten Lösungen bekommen Preise oder werden teilweise umgesetzt. Ähnlich agiert Tchibo. Das Unternehmen erhält ebenfalls Anregungen oder kann Ideen und Konzepte auf diese Weise im Vorfeld testen. <?page no="391"?> 376 Umsetzung in der Praxis All diese Entwicklungen im Internet und in der Medienlandschaft führen zu einem Überdenken herkömmlicher Konzepte der Unternehmenskommunikation, zumal kaum mehr zwischen interner und externer Kommunikation oder zwischen eigenen und fremden Medien eine klare Trennlinie gezogen werden kann. Das führt aber keineswegs zu einem Abschied von einer „One Voice Policy“. Im Gegenteil: Die Verbreitung wichtiger Themen und Nachrichten muss noch genauer geplant werden. Das fängt bei der kreativen Themengenerierung und -setzung - also: Agenda Setting wörtlich verstanden - an und geht weiter mit einer zeitlich geschickten Taktung der Inhalte für die wichtigen Zielgruppen immer im Bewusstsein: Jeder Empfänger der Unternehmensnachrichten ist potenziell auch ein weltweit hörbarer Kommunikator. Heute ist nahezu jedes Unternehmen auf Facebook vertreten. Jedes von ihnen ist einst ins kalte Wasser gesprungen - und damit haben sie gelernt, dass im We b 2. 0 vo r all em ein es zählt: „Lea rning by doing “. So se hr Untern ehme n alles voraus kalkulieren möchten - im Netz kommt es vor allem darauf an, Teil des großen Ganzen zu sein, die Dynamiken und „Regeln“ selbst kennen zu lernen und weniger seitenweise Bücher mit Tipps und Tricks zu lesen. Die Welt der Social Media ist vergleichbar mit einem riesigen Hotel mit unterschiedlichen Erlebnis- und Themenwelten, in denen sich sehr unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Motiven heraus ungezwungen treffen. „Regeln“ und Konventionen bilden sich in einem gemeinsamen Prozess heraus. Unternehmen stehen nun vor der Herausforderung, sich in diesem Hotel umzuschauen und auszuloten, in welchen Erlebnis- und Themenwelten man sich gerne bewegt, wo man sich dazu gehörig fühlt, wie man diese Räume am besten nutzen kann und vor allem: Wie stark man sich auf die Erlebniswelten einlassen möchte und kann. Natürlich kann man sich vorab über dieses Hotel informieren, dennoch ersetzt dies nicht die persönliche Erfahrung „vor Ort“. Da die Erfahrungen, die dieser Entdeckungs- und Entwicklungsprozess mit sich bringen, für jedes Unternehmen individuell sind, können vermeintlich allgemeingültige Tipps aus der sog. „How-to-do-Literatur“ lediglich grobe Orientierungspunkte sein. So ist es auch verständlich, dass es manchen Unternehmen schwer fällt, über den Bereich der klassischen Media Relations mit seinen vertrauten Regeln, Strukturen und Prozesse hinauszugehen und neue Territorien zu erobern. Für den Beziehungsaufbau mit Nutzern der Social Media ist wichtig, dass man präsent, offen und vor allem experimentierfreudig sein sollte. Nichts langweilt Nutzer in den Social Media mehr, als dass Unternehmen bereits etablierte Ideen der Wettbewerber kopieren - mit der Hoffnung, dass diese Strategie Erfolg versprechend sei. Das Web 2.0 ist ein digitaler Raum, in dem Unternehmen in den kommenden Jahren noch viel ausprobieren und aktiv mitgestalten können. <?page no="392"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 377 2 2 . . 3 3 U U n n t t e e r r n n e e h h m m e e n n s s e e i i g g e e n n e e M M e e d d i i e e n n : : C C o o r r p p o o r r a a t t e e P P u u b b l l i i s s h h i i n n g g Corporate Publishing umfasst alle medialen Formen, mit denen Unternehmen in einem regelmäßigen Publikationsrhythmus Kontakt mit ihren Kunden und Multiplikatoren aufnehmen (Weichler 2014, 738). Mit Corporate Media können Unternehmen den Stakeholdern eigene Themen und Botschaften auf direktem Wege näher bringen, ohne auf unternehmensexterne Redaktionen oder Kommunikatoren als „Filter“ angewiesen zu sein. In der externen Kommunikation werden hauptsächlich Geschäftskunden (BtoB-Medien) und Endkunden (BtoC- Medien) angesprochen. Neben Absatzzielen und dem Ziel der Kundenbindung werden auch übergreifende Reputations- und Imageziele verfolgt. Konze pt , Ersche inungs bil d, Sprach e un d Th em enau fb er eit un g von Co rp or ate Media orientieren sich weitgehend am Journalismus. Außerdem können sie partizipative Elemente der Online-Medien nutzen und auf den Dialog mit den Stakeholdern setzen. Beides - Orientierung am Journalismus und Nutzung dialogischer Kommunikation - soll größtmögliche Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit bei den Zielgruppen sicherstellen. Publikationen, die den Stakeholdern - ähnlich wie die journalistischen Medien - aktuelle und relevante Informationen anbieten, sind für die ganzheitlich verstandene Media Relations besonders relevant. Sie richten sich an der unternehmensinternen und -externen Nachrichtenlage aus, können auf die öffentlichen Themenagenda reagieren und eignen sich deshalb besonders für publizistische Gegenoffensiven des Unternehmens. Zentrale Aufgabe der Unternehmenskommunikation ist es, das publizistische Konzept der Unternehmenmedien so festzulegen, dass es einerseits für das angesprochene Publikum attraktiv, glaubwürdig und relevant ist und andererseits den Unternehmens- und Kommunikationszielen dient. Es kommt darauf an, unter diesen Rahmenbedingungen zielgruppengenaue eigene Medienformate zu entwickeln, die den Spagat zwischen interessengeleiteter Kommunikation und Orientierung an den Bedürfnissen der Stakeholder schaffen. Außerdem muss das gesamte Medienportfolio zur Media Relations-Strategie und zur übergreifenden Kommunikationsstrategie passen. Einzelne Kanäle und Medien sowie deren Inhalte sind dementsprechend aufeinander abzustimmen. Das Spektrum der Konzepte, Formate und Themen ist bei den externen Unternehmensmedien sehr breit. Es reicht vom interaktiven, netzgestützten Technologiemagazin für IT-Entscheider, das eine Softwarefirma herausgibt, bis hin zum Lifestyle-Printmagazin, das eine Handelskette an ihre Kunden verteilt. Wenn Corporate Media ein breiteres Publikum ansprechen, setzen die Konzepte auch <?page no="393"?> 378 Umsetzung in der Praxis stark auf Nutzwert und Service sowie Unterhaltung und Emotionalisierung (Spachmann 2010, 252). Vielfältige Medienlandschaft der Unternehmen Corporate Media sind mehr als gedruckte Kundenmagazine. Unternehmen nutzen heute die zahlreichen Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation und vor allem der Online-Kommunikation. Dazu gehören Internet-Magazine und Nachrichtenbereiche auf der Unternehmenswebsite, Unternehmensblogs ebenso wie Bewegtbild-Kanäle und Videos, Apps und mobile Angebote sowie Aktivitäten in sozialen Medien wie Facebook und Twitter. Unternehmensmedien werden crossmedial geplant und eingesetzt. Ähnlich wie im Journalismus wird ein Medienkonzept mit verschiedenen Kanälen umgesetzt. Dabei sind Inhalte, Veröffentlichungstakt und Funktionalitäten aufeinander abgestimmt. Eine Kundenzeitschrift gibt es dann beispielsweise sowohl gedruckt als auch im Internet in digitaler Form und mit aktualisierten Informationen bzw. Nachrichten. Eine mobile App liefert den Kunden zusätzliche Funktionen wie Videos oder individualisierbare Services. Auf diese Weise werden Unternehmen zu Medienhäusern. Die Publishing- Aktivitäten können dann ein Eigenleben entwickeln. Ein Beispiel ist der Energy Drink-Hersteller Red Bull. Das Unternehmen betreibt zahlreiche Medienangebote - u. a. Lifestyle-Zeitschriften und den Fernsehsender Servus TV. Das Publikum kann die Nähe dieser Angebote zum Unternehmen kaum erkennen. 2 2 . . 4 4 W W i i e e s s i i c c h h d d i i e e U U n n t t e e r r n n e e h h m m e e n n s s b b e e r r i i c c h h t t e e r r s s t t a a t t t t u u n n g g ä ä n n d d e e r r t t Wohin entwickelt sich die Berichterstattung über Unternehmen, wenn die traditionellen Medien immer erbitterter um ihr Publikum kämpfen und im Netz ganz andere Regeln gelten? Eine Gemeinschaftsstudie des Fachgebiets für Kommunikationswissenschaft und Journalistik, Universität Hohenheim (Stuttgart) und der ING-DiBa AG (Frankfurt) untersucht den Wandel des Wirtschaftsjournalismus speziell aus Sicht des Publikums (Mast 2012a). Repräsentative Umfragen in der Bevölkerung und bei Entscheidern (Führungskräfte der Finanzbranche und der Realwirtschaft), qualitative und quantitative Umfragen unter Journalisten sowie umfassende Inhaltsanalysen ausgewählter Leitmedien zeichnen Ent- <?page no="394"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 379 wicklungen auf beiden Seiten nach: die sich verändernden Erwartungen des Publikums und die schrittweise Neuorientierung des Wirtschaftsjournalismus. Die Erwartungen der Bevölkerung an die publizistischen Leistungen der Medien sind − so die Ergebnisse der Studie − enorm groß. Bei komplizierten Wirtschaftsthemen denkt man zunächst an die Wirtschaftsmedien mit ihren fachlich spezialisierten Redaktionen, die diese bearbeiten. Aber: Die Entscheidung über die Glaubwürdigkeit des Wirtschaftsjournalismus und der Unternehmensberichterstattung gleichermaßen fällt − in den Augen der Bürger − in den General- Interest-Medien. Sind die Unternehmen darauf vorbereitet, komplizierte Entwicklungen und volkswirtschaftliche Einflüsse den Journalisten sowie den Bürgerinnen und Bürger in Deutschland allgemein verständlich und überzeugend zu erklären? Die Bürger haben jedenfalls klare Vorstellungen, welche Inhalte stärker in der Wirtschaftsberichterstattung aufgegriffen werden sollen (Schaubild 65). Mehrheitlich wollen sie in erster Linie über die gesellschaftspolitischen Auswirkungen und Bezüge der Unternehmen mehr wissen. Gut zwei Drittel möchten mehr erfahren über die Konsequenzen von Unternehmenshandeln für die Umwelt, etwa 60 Prozent über die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Politik und die Hälfte der Bevölkerung über die Entwicklung der Arbeitswelt und Trends in der Wirtschaft. Weniger interessieren sich die Bürger für die früher durchaus ausufernde Berichterstattung über Quartalszahlen, Unternehmensstrategien und geschäftspolitische Konzepte. Die Bürger favorisieren also einen Wirtschaftsjournalismus, der sich von seiner Binnenorientierung an der Wirtschaft und ihren Unternehmen sowie von der Perspektive der Betriebswirtschaftslehre löst und sich stärker volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Themen zuwendet. Dort liegen die Sorgen der Bürger und deswegen will ein großer Teil weniger oder überhaupt nichts mehr über Unternehmensentwicklungen und -politik (20,8 Prozent) sowie die Entwicklung der Börsen- und Finanzmärkte (24,3 Prozent) wissen. Gleiches gilt für Personen, die in den Unternehmen agieren (38,7 Prozent). Die exorbitanten Managergehälter sind zwar Aufregerthemen, aber viele Bürger sind inzwischen offensichtlich abgestumpft. Sie erkennen, ob eine eitle Zelebrierung von Persönlichkeiten oder handfeste, verlässliche und für sie nützliche Aussagen von Unternehmensvertretern präsentiert werden. <?page no="395"?> 380 Umsetzung in der Praxis Schaubild 65: Perspektivenwechsel in der Unternehmensberichterstattung Quelle: Repräsentative Bevölkerungsumfrage (n = 960), Erhebungszeitraum: Dezember 2010; Gemeinschaftsstudie der Universität Hohenheim und ING-DiBa AG, Mast (2012c, 68). Die Erwartungen und Meinungen der befragten Bürger und Entscheider geben Anstöße, in welche Richtung sich die Wirtschaftsberichterstattung entwickeln sollte. Die Menschen erwarten von den Medien einen klaren Perspektivenwechsel, der eine allzu enge Definition von Nutzwert und eine übertriebene Personalisierungsstrategie bei Unternehmensnachrichten überdenkt und vor allem die gesellschaftspolitischen Bezüge von Unternehmen zu ihrem Umfeld thematisiert. Die Unternehmenskommunikation muss sich auf einen Perspektivenwechsel vorbereiten. Das Medienpublikum - die befragten Bürger und Entscheider - favorisiert einen thematischen breiteren Wirtschaftsjournalismus, der sich aus der Fixierung auf Unternehmen und deren Geschäftsverläufe löst und die Bezüge zwischen Gesellschaft und Unternehmen herstellt. Gefragt ist eine gesellschaftsorientierte Unternehmensberichterstattung, die die Fragen und Anliegen der Menschen ernst nimmt. Wie weit kommen die Redaktionen den Wünschen der Bürger bereits entgegen? Die Berichterstattung über Wirtschaft und Unternehmen in den General- 68,2 % 60,4 % 58,3 % 51,5 % 50,7 % 38,7 % 24,3 % 20,8 % Mehr wissen wollen die Menschen über… Weniger oder überhaupt nichts wissen wollen die Menschen über … Personen/ Manager von Unternehmen Entwicklungen der Börse auf den Finanzmärkten Unternehmensentwicklungen und -politik Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Umwelt Auswirkungen politischer Entscheidungen auf die Wirtschaft Einfluss von Unternehmen auf Politik und Gesellschaft Soziale Projekte von Unternehmen Entwicklung der deutschen Wirtschaft und der Arbeitswelt <?page no="396"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 381 Interest-Medien, aber auch in der Wirtschaftspresse wechselt - Schritt für Schritt - die Perspektive: die sog. Input-Orientierung, d. h. die Orientierung daran, was Unternehmensvertreter und Politiker verkünden, wird zur sog. Output- Orientierung, d. h. der Ausrichtung daran, was die Bürger bewegt (Mast/ Spachmann 2014, 261). Schaubild 66: Aspekte in der Unternehmensberichterstattung Quelle: Quantitative Inhaltsanalyse der Berichterstattung über Unternehmen von ausgewählten Leitmedien (n = 730 Artikel); Gemeinschaftsstudie der Universität Hohenheim und ING- DiBa AG, eigene Darstellung. Viele Redaktionen haben - zum Teil bereits vor der Euro- und Verschuldungskrise - ihre Schwerpunkte in der Wirtschaftsberichterstattung verändert. Über die reine Unternehmensberichterstattung hinaus wurden zunehmend Themen mit einer breiteren wirtschaftlichen Relevanz behandelt, z. B. die Energiewende oder der Fachkräftebedarf. Eine Inhaltsanalyse von fünf ausgewählten wirtschaftlichen Leitmedien - „Handelsblatt“, „Wirtschaftswoche“, „Manager Magazin“, „FAZ“ und „Der Spiegel“ - zeigt, dass diese Medien schon in Ansätzen den Bürgerwünschen nachkommen. Die im Jahr 2010 durchgeführte quantitative Inhaltsanalyse zeichnet folgendes Bild (Schaubild 66): ! Gut 40 Prozent der Artikel beschreiben Unternehmen und die Wirtschaft in einer „eng“ fokussierten Weise. Es werden Binnenentwicklungen von Unternehmen vorgestellt, die auch der dominierende Berichterstattungsgegenstand sind. Diese klassische, fachorientierte Unternehmensberichterstattung legt den Schwerpunkt auf Unternehmensthemen wie die Unternehmensstrategie und Geschäftspolitik, Geschäftszahlen, Manager, Organisationsentwicklung und Personalfragen sowie Produkte und Dienstleistungen. Die enge Unternehmensberichterstattung macht (noch) das Gros der 40,4% 18,9% 32,6% 8,1% „Eng“ fokussierte Unternehmensberichte Unternehmen unter Branchen- / Marktaspekten betrachtet Unternehmen unter gesellschaftlichen / politischen Aspekten dargestellt Unternehmen in Artikeln zu anderen Themen genannt <?page no="397"?> 382 Umsetzung in der Praxis analysierten Artikel aus - trotz der damaligen Finanz- und Bankenkrise im Hintergrund. ! Etwa halb so viele Beiträge betrachten Unternehmen mit Blick auf Branchenentwicklungen oder Marktaspekte. Der Blickwinkel geht also über das Einzelunternehmen hinaus. Die Perspektive des Unternehmens als Teil einer Branche oder Marktteilnehmer ist breiter als in der engen Unternehmensberichterstattung. Sie bleibt aber im wirtschaftlichen Bereich. Nach wie vor handelt es sich um eine rein wirtschaftliche, inputorientierte Betrachtungsweise. ! Demgegenüber verlässt knapp ein Drittel der analysierten Artikel diese enge Ausrichtung und stellt Unternehmen unter gesellschaftlichen und/ oder politischen Aspekten dar. ! In nur wenigen Artikeln werden Unternehmen in einem völlig anderen redaktionellen, nicht-wirtschaftlichen Umfeld thematisiert. Beispiele sind Buchrezensionen oder herausragende Leistungen von Mitarbeitern, z. B. im Sport. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse weisen auf unterschiedliche Typen der Unternehmensberichterstattung hin: die klassische Unternehmensberichterstattung, die einer gesellschaftsorientierten Ausrichtung gegenübersteht. Erstere enthält häufig eine Fülle von Zahlen, Statistiken, Anglizismen oder Formulierungen aus dem Arsenal der Marketingfachleute oder Geschäftsstrategen. Sie ist fixiert auf unternehmensspezifische Nachrichten und Geschäftsdaten und verfolgt eine Input-Orientierung. Die befragten Bürger und Entscheider fordern eine thematisch breitere Unternehmensberichterstattung, die die Bezüge zwischen Unternehmen und Gesellschaft herstellt und die Perspektive des Medienpublikums zum Zuge kommen lässt (Output-Orientierung). Diese Wünsche, eine andere Themenperspektive einzunehmen, fordert die Unternehmen heraus, die gerne „inside-out“ denken. Selbstverständlich spielen auch in der gesellschaftsorientierten Unternehmensberichterstattung Strategien, geschäftspolitische Entscheidungen oder personelle bzw. organisatorische Konstellationen in den Unternehmen eine Rolle. Aber die Bezugspunkte liegen dann nicht mehr ausschließlich innerhalb der Wirtschaft. Vielmehr liefern ordnungs- und wirtschaftspolitische Erwägungen, politische Instrumente wie Subventionen, Kooperationen zwischen Wirtschaft und Politik <?page no="398"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 383 sowie die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf Politik, Gesellschaft und Umwelt wichtige thematische Bezüge. Auf die Perspektive kommt es an. Stakeholder interessieren sich immer weniger für die an der der BWL orientierten Betrachtung eines Unternehmens, sondern eher für an der Volkswirtschaftslehre orientierten Analysen von wirtschaftlichen Entscheidungen, Leistungen, Strukturen und Prozessen. Die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft (speziell dem Finanzsystem) und der Gesellschaft werden als Kontext für die Bewertung von Unternehmen und der Berichterstattung über sie herangezogen. Die Zeit einer Unternehmensberichterstattung, in der nahezu ausschließlich Unternehmensvertreter zitiert werden und sich mit ihrer „Binnensicht“ der Dinge äußern, geht in den General-Interest-Medien zu Ende. Die große Mehrheit der befragten Bevölkerung und Entscheider fordert, dass der Wirtschaftsjournalismus sich aus der betriebswirtschaftlichen Fixierung auf Unternehmen löst und verstärkt volkswirtschaftliche Fragen beantwortet. Die BWL-Perspektive der Unternehmen ist nur eine Sichtweise in der Wirtschaftsberichterstattung. Die des Bürgers, Steuerzahlers und Arbeitnehmers ist oftmals eine andere - nämlich eine gesellschaftspolitische. Diese Perspektive wird aus Sicht des breiten Publikums wichtiger - und sie wird immer häufiger und lauter eingefordert. Das hat Konsequenzen für Unternehmen, die Medienresonanz haben wollen. Die „outside-in“-Perspektive bei der Themenaufbereitung wird unverzichtbar. 3 3 S S t t r r a a t t e e g g i i e e n n d d e e r r M M e e d d i i a a R R e e l l a a t t i i o o n n s s Media Relations ist für Unternehmen als zentrale Teilfunktion der PR nach wie vor sehr wichtig. Die Steuerungsgrößen sind große Bekanntheit, hohe Reputation und gutes Image in den Medien. Unter den heutigen Bedingungen der Märkte und der Medienlandschaft streben die meisten Unternehmen diese Ziele auf aktive Weise an. Aber auch wenn ein defensiver Ansatz verfolgt wird, kommt der Media Relations eine wichtige Aufgabe zu: im Krisenmanagement und in der Krisenprävention. Sie beobachtet die Medienberichterstattung und reagiert auf negative Berichterstattung, indem Fakten richtig gestellt und gegebenenfalls Positionen dazu bezogen werden. Wie offensiv ein Kommunikationskonzept darüber hinaus angelegt ist und welche Schwerpunkte es setzt, hängt von der Unternehmenspolitik, der Kommuni- <?page no="399"?> 384 Umsetzung in der Praxis kationsstrategie und der aktuellen Situation ab. Basisaufgabe der Media Relations ist es, über Ereignisse, Planungen, Ergebnisse und Veränderungen des Unternehmens zu informieren: Hierunter fallen Inhalte, die mit allen Instrumenten der Medienarbeit den Redaktionen auf Nachfrage oder offensiv im Zuge eines aktiven Agenda-Settings angeboten werden. Das Kommunikationskonzept entscheidet über Themenschwerpunkte und Mediensegmente. Hinzu kommt die immer wichtiger werdende Aufgabe, innerhalb des Unternehmens als Enabler und Motivator zu fungieren. Traditionell vermittelt und „coacht“ Media Relations Führungs- und Fachkräfte, die den Journalisten für Interviews zur Verfügung stehen. Bei einer ganzheitlich verstandenen Media Relations wird die Aufgabe immer wichtiger, Mitarbeiter zu betreuen und zu unterstützen, die als Kommunikatoren und Botschafter des Unternehmens z. B. in Social Media aktiv sind. Ei ne op era ti ve Aufga be de r Me di enar be it is t die Bezi ehungs pfleg e mit J ou rn al is ten und anderen Multiplikatoren. Beziehungen zu relevanten Medien und Personen sollten langfristig aufgebaut und ständig an veränderte Situationen im Unternehmen und in den Redaktionen angepasst werden. Hierzu gehört auch eine Kontaktdatenbank, die kontinuierlich ausgebaut wird. Sie ist die Basis für einen funktionierenden Medienverteiler. Schaubild 67: Ansätze der Medienarbeit Quelle: in Anlehnung an Gonring (1997, 63 f.). Grundsätzlich lassen sich reaktive, proaktive und interaktive Ansätze der Media Relations unterscheiden (Schulz-Bruhdoel 2007, 410 f., Gonring 1997, 63) (Schaubild 67). Reaktiv vorgehende Abteilungen für Unternehmenskommunikation versuchen, Anfragen zu beantworten und schlimmstenfalls abzublocken. Proaktive Media Relations gehen darüber hinaus und publizieren offensiv Informationen über ihr Unternehmen. Unter interaktiver Medienarbeit wird verstanden, dass diese Kommunikationsfachleute auch über diese Stufe hinausgehen und intensive Beziehungen mit den Redaktionen und Journalisten aufbauen und pflegen. Ziel ist, Interaktives Vorgehen z. B. enge, persönliche Beziehungen Proaktives Vorgehen z. B. Themen lancieren Reaktives Vorgehen z. B. auf Anfragen <?page no="400"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 385 ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, von dem beide Seiten profitieren. Das Unternehmen kann in kritischen Situationen vom Vertrauensvorschuss bei den Journalisten profitieren. In „normalen“ Zeiten steigt die Wahrscheinlichkeit, die Journalisten für eigene Themen und Positionen interessieren zu können. Einen interaktiven Ansatz in der Medienarbeit auch wirklich zu praktizieren, ist jedoch leichter gesagt als getan. Die Vertreter des Unternehmens müssen dann auch kompetente und interessante Gesprächspartner für die Journalisten sein, d. h. sie müssen über das Geschehen im Betrieb bestens unterrichtet sein. Beziehungen müssen langfristig aufgebaut und gepflegt werden. In Krisenzeiten können sie nicht ad hoc hergestellt werden. Deswegen werden zahlreiche Meetings der Unternehmensvertreter mit den Journalisten organisiert, die gar keine besondere Tagesordnung haben (z. B. Sommerfeste). Hierbei können durchaus Informationen über das Unternehmen gegeben werden, aber ohne zu erwarten, dass dar übe r be ri cht et wird. 3 3 . . 1 1 E E r r f f o o l l g g s s f f a a k k t t o o r r e e n n b b e e i i d d e e r r A A n n s s p p r r a a c c h h e e v v o o n n R R e e d d a a k k t t i i o o n n e e n n Medienarbeit mit den Redaktionen hat zwei Bezugspunkte: Sie will zum einen die Journalisten erreichen, die Veröffentlichungsentscheidungen fällen. Die Journalismusforschung spricht daher von Journalisten als Gatekeepern. Sie entscheiden, welche Informationen und Nachrichten an das Publikum vermittelt werden. Die Redaktionen werden geflutet mit Pressemitteilungen. Dabei landen die meisten Meldungen im Papierkorb, d. h. sie werden als nicht-veröffentlichungswürdig eingestuft. Zum anderen steht die eigentliche Zielgruppe der Kommunikationsarbeit im Blick der Medienarbeit: Kunden, Anwohner, Investoren oder allgemein Interessierte sollen über die Medien angesprochen werden. Medien sind also Multiplikatoren. Beide Bezugsgruppen - die Redaktionen und das jeweilige Medienpublikum - hängen eng zusammen: Die Journalisten orientieren sich an den Erwartungen und Wünschen des Publikums oder genauer: an dem, was sie für die Erwartungen und Wünsche ihres Publikums halten. Keine Redaktion kann es sich leisten, ihr Publikum zu langweilen oder gar zu missachten. Es reicht nicht, dass Unternehmen bei der Medienarbeit ausschließlich nur an das jeweilige Publikum der Presse-, Rundfunk- oder Internet-Angebote denken. In einem ersten Schritt müssen natürlich die zuständigen Redakteure überzeugt <?page no="401"?> 386 Umsetzung in der Praxis werden, dass ein vom Unternehmen angebotenes Thema auch eine Geschichte Wert ist. Pressestellen pflegen mit Journalisten deshalb langfristigen Kontakt und versorgen Redakteure über den eigentlichen Pressetext hinaus mit Zusatzinformationen. Dies können Hintergründe des Themas bzw. weitere inhaltliche Aspekte oder Gesprächspartner innerhalb und außerhalb des Unternehmens sein. Medienarbeit muss sich auf diesen Zweistufenfluss einstellen, der zwar auf das Publikum zuläuft, bei dem die Journalisten und die redaktionellen Arbeitsprozesse aber eine eigenständige Größe bilden. Schaubild 68: Redaktionelle Aufbereitung der Inhalte Quelle: eigene Darstellung. Die Nachrichtenfaktoren beschreiben die Auswahlkriterien der Journalisten und spiegeln wider, was sie für den Publikumsgeschmack halten. Sie sind deshalb auch für die Medienarbeit wichtige Orientierungsgrößen. Zunehmender inter- und intramediärer Wettbewerb der Redaktionen um die begrenzte Aufmerksamkeit des Publikums führt zu ausgefeilten Redaktionskonzepten, die unverwechselbare und konkurrenzfähige Angebote anpeilen. Die Medien positionieren sich daher mit Blick auf ihre Wettbewerber und das zu erreichende Publikum im Spannungsfeld zwischen Nachrichtenwerten, d. h. aktuellen Berichten und Beiträgen über das, was stattfand oder sich verändert hat, Nutzwerten, d. h. Auswahl und Aufbereitung von Inhalten, die für das Publikum einen Nutzen bzw. eine Lern- oder Handlungsorientierung haben, sowie Gefühlswerten, also Inhalten, die die Emotionen ansprechen und unterhalten (Schaubild 68). In jüngerer Zeit werden auch Wissens- und Skandalwerte als eigen- Ereigniswerte berichten, was stattfand … Gefühlswerte … unterhalten und emotional ansprechen Nutzwerte … Tipps und Handlungsanleitungen geben <?page no="402"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 387 ständige Strategien wichtiger (Mast/ Spachmann 2014, 262). Diese Nachrichtenwerte bilden die Koordinaten für die Media Relations der Unternehmen. Erfolgsfaktoren bei der Ansprache von Redaktionen In Anlehnung an die Nachrichtenwertforschung können Bedingungen für Unternehmensnachrichten formuliert werden, die den Zugang zu den Redaktionen erleichtern. Je mehr der Faktoren auf ein bestimmtes Thema zutreffen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es publiziert wird. Einfachheit, Verständlichkeit: Dieser Nachrichtenfaktor wird dann zu einer harten Nuss, wenn Unternehmen sich nicht an Fachmedien, sondern an ein Laienpublikum wenden, das weder ökonomische noch technische Kenntnisse besitzt. Eindeutigkeit: Veränderungen können unterschiedlich interpretiert werden. Fakten und unbestrittene Interpretationen müssen von Streitfragen getrennt werden. Redaktionen, die sich die fachliche Beurteilung einer technischen Entwicklung nicht zutrauen und wissen, dass es divergierende Sichtweisen gibt, werden das Thema zunächst nicht aufgreifen. „Negativismus“ bzw. Abweichung vom „Normalen“: Während die Medienarbeit insbesondere versucht, positive Meldungen in die Medien zu lancieren, recherchieren Journalisten auch nach den verborgenen Nachrichten. Unangenehme Unternehmensnachrichten kommen durch vielerlei Quellen ans Licht der Medienöffentlichkeit: z. B. Indiskretionen von Mitarbeitern oder Managern, Hinweise von Kunden und Wettbewerbern oder unglückliche Formulierungen von Unternehmensvertretern, die Anlass für weitere Recherchen geben. Überraschung, Sensationen, Kuriositäten: Alles, was neu, außergewöhnlich oder unerwartet ist, kann interessanter Stoff für Journalisten werden. Das können etwa unerwartete Funde sein (z. B. Ausgrabungen bei einem Bauprojekt), lustige Zitate und Versprecher, hervorragende Leistungen oder Auszeichnungen. Abgeschlossene (Etappe einer) Geschichte: Redaktionen bevorzugen mit dem Blick auf ihre Periodizität Unternehmensthemen, die abgeschlossen sind oder sich während des letzten Erscheinungsintervalls ereignet haben. Aktualität in der externen Unternehmenskommunikation bedeutet, dass die primäre Aktualität hoch ist, am besten live bei Hauptversammlungen, Bilanzpressekonferenzen, Einweihungen neuer Fabrikanlagen oder anderen Anlässen. Auf die sekundäre Aktualität zielen Themen bzw. Geschich- <?page no="403"?> 388 Umsetzung in der Praxis ten, die abgeschlossen sind oder ein greifbares Zwischenergebnis vorweisen können. Personalisierung: Personen sind auch Nachrichten - vor allem bei Unternehmen. Immer mehr Wirtschaftsredaktionen setzen bewusst auf eine Personalisierung in der Berichterstattung, um die Akteure mit ihren Verantwortlichkeiten sichtbar werden zu lassen. Der CEO und die Topmanager sollen dem Unternehmen in der Öffentlichkeit ein Gesicht verleihen. Personen agieren und stoßen auf Widerstand. Für die Journalisten ist die Personalisierung von Themen ein Vehikel, um Geschichten spannend zu erzählen und verständlich zu machen. Magazinjournalisten arbeiten seit jeher mit dem Element der Personalisierung, wenngleich sich dieses Berichterstattungsmuster nun auch über das ganze Mediensystem verbreitet. Nutzwert: Darunter fallen lern- und handlungsorientierte Inhalte, Ratschläge, Hinweise, die sog. „Lessons to learn“. Auch Geschichten über Unternehmen können eine How-to-do-Botschaft enthalten - als Vorbild, wie etwas geht oder als Warnung, wie man es nicht machen sollte. Gefühlswert, Unterhaltung: Geschichten, die man gerne liest, ohne dass sie Neuigkeiten im engen Sinne (etwa neue Geschäftszahlen) enthalten, bilden Lesestoff, den auch Wirtschaftsmedien gerne abdrucken. Unterhaltendes und Spannendes aus der Business-Welt wird gerne aufgegriffen, z. B. Machtkämpfe oder Affären von Spitzenmanagern. Konsonanz: Eingeführte Themen haben es leichter, die Aufmerksamkeit der Journalisten zu finden. Daher kann die Medienarbeit eines Unternehmens auch zusätzliche Aspekte eines bekannten Problems oder Sachverhaltes verbreiten. Glaubwürdigkeit: Redaktionen erwarten klar auf Fakten und Realitäten bezogene Inhalte, nicht die schön gefärbten Aussagen der Werbung. Sowohl die Wahl der Themen als auch die Aufbereitung der Inhalte muss den Anforderungen der Journalisten entsprechen - im Idealfall zugleich wahrheitsgemäß, vollständig, sachlich und prägnant. Erfolgreiche Medienarbeit beginnt mit dem Verständnis für die Anforderungen der Redaktionen und das zugrunde liegende redaktionelle Konzept. Eine Tageszeitung braucht andere Informationen als ein Wochenblatt, ein Monatsmagazin oder gar die topaktuellen Online-Medien. Der Planungsaufwand für die Public Relations-Arbeit steigt, je mehr die „Atomisierung“ der Medienangebote fortschreitet. Die Zeiten, in denen eine Pressemitteilung für alle Journalisten geschrieben wird, sind zu Ende. <?page no="404"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 389 Inzwischen ist sogar ein Trend zur Individualisierung und Personalisierung der Medienarbeit festzustellen (Talanow 2015). Eine Umfrage unter den Top-500- Unternehmen belegt: Um den wachsenden Glaubwürdigkeitsproblemen zu begegnen, setzen 84 Prozent der Unternehmen auf den CEO als Schlüsselkommunikator. Sie wissen: Ein überzeugender Vorstandsvorsitzender ist die wichtigste Kommunikationsstrategie, um Menschen über alle Medien hinweg glaubwürdig anzusprechen. Personen sind eben wichtige Nachrichten für Journalisten genauso wie für Finanzfachleute. 61 Prozent der befragten Unternehmen sprechen sich darüber hinaus für eine Intensivierung der Medienarbeit im Sinne einer Individualisierung aus. Der pure Versand von Pressemitteilungen und die Veranstaltung von Pressekonferenzen bringen immer weniger Medienresonanz. Angesichts der aktuellen Entwicklungen im Mediensystem geht der Trend von der Standardisierung, d. h. möglichst alle Medien werden gleich behandelt, über die Di ff erenzi eru ng, d. h. je nach Medi e ngat tung und Au fg es chlossenh eit f ür PR- Materialien werden Aktionen geplant, eher hin zu einer Individualisierung der Medienarbeit (Talanow 2015). In genauer Kenntnis der jeweiligen Redaktionskonzepte bieten die Unternehmen den einzelnen Medien Geschichten und Themen an bzw. gehen bei Sonderthemen sog. Medienkooperationen ein. Studien werden in Auftrag gegeben, über deren Ergebnisse später in den Medien diskutiert wird. Storytelling - eine völlig andere Aufbereitung von Unternehmensinformationen - befördert Botschaften besser als pure Aufstellungen von Fakten und Statistiken. In den Abteilungen für Unternehmenskommunikation steigt bei individualisierter Medienarbeit der Planungsaufwand für die Generierung, Selektion und Aufbereitung von Themen. Redaktionen müssen mit attraktiven Interviewpartnern versorgt werden. Der Personenkreis der Unternehmensvertreter für Gespräche mit den Redaktionen wird größer. Ebenso nehmen die journalistischen Veredelungsleistungen der angebotenen Themen auf der Seite der Unternehmen zu. Viele Unternehmen setzen aber immer noch auf das standardisierte Instrument der Pressemitteilung, auch wenn die Abdruckquote dramatisch schwindet. Allerdings erkennt knapp die Hälfte der befragten Redaktionschefs, dass die Unternehmen heute mehr von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung sprechen und andere Inhalte publizieren als früher (Mast 2011). Die Kommunikation von Verantwortung wird in der Pressearbeit also registriert. Aber - die Vertreter der Unternehmen seien auch viel vorsichtiger beim Formulieren geworden. Dies trifft vor allem auf die DAX-Unternehmen zu, die mit Blick auf juristische Fallstricke oder volatile Ausschläge der Aktienkurven die Farbe und Prägnanz ihrer Aussagen drastisch reduziert haben. Die Unternehmen haben in der Vergangenheit schmerzlich lernen müssen, dass die Berichterstattung der Medien auch enorme Risiken für sie bergen kann. 45 Prozent der Chefredakteure bei Tages- <?page no="405"?> 390 Umsetzung in der Praxis zeitungen monieren einen Ton der Rechtfertigung und des Wegwischens von Schuld, also eine eher reaktive Haltung der Unternehmen auf moralische Diskussionen. Hinzu kommt, dass die Pressearbeit von Unternehmen auf den für Journalisten unverdaulichen Werbejargon verzichtet. 70 Prozent der befragten Chefredakteure beklagen, dass die Unternehmen allgemein immer noch nicht die Themen und Tonalität der Redaktionen treffen (Mast 2011, 154). Aktionsfelder für eine höhere Kommunikationsqualität und vor allem für eine individuell auf die unterschiedlichen Redaktionsformate angepasste Medienarbeit sind noch vorhanden. 3 3 . . 2 2 I I n n s s t t r r u u m m e e n n t t e e d d e e r r M M e e d d i i e e n n a a r r b b e e i i t t Neben außergewöhnlichen Maßnahmen, z. B. Kongressen, Messen, Special Events u. a., existiert eine lange Liste von Instrumenten der Media Relations. Grundsätzlich kann zwischen schriftlichen Mitteln (etwa Pressemitteilungen) und persönlichen Mitteln (etwa Pressekonferenzen oder Pressegesprächen) unterschieden werden. Außerdem lassen sich kurzfristige, auf konkrete Anlässe bezogene Instrumente den eher langfristigen Maßnahmen gegenüberstellen, die darauf ausgerichtet sind, Beziehungen zu Redaktionen aufzubauen und Kontakte mit Journalisten zu pflegen. Welche Instrumente der Medienarbeit in Frage kommen, hängt von den Erfordernissen der Redaktionen ab und von der Art und Weise der Mitteilung, die ausgetauscht werden soll. Ist sie wirklich neu, ist eine Pressekonferenz angebracht; handelt es sich aber nur um eine Variante eines bekannten Themas, kann eine Pressemitteilung oder ein Fachbeitrag in einer Zeitschrift darauf aufmerksam machen. Des Weiteren entscheidet die Aktualität der Mitteilung über den Weg, über den sie verbreitet wird. Die Medienarbeit verfügt über verschiedene Instrumente, die je nach Wichtigkeit der Mitteilungen und dem speziellen Kommunikationskonzept eines Unternehmens entsprechend eingesetzt werden (Hepper 2009, 11 ff., Schulz-Bruhdoel/ Bechtel 2009, 124 ff., Schulz-Bruhdoel 2007, 410 ff.). Anfragen sollten immer bereitwillig und termingetreu erledigt werden. Journalisten fragen nach genauen Zahlen, Einschätzungen aktueller Entwicklungen oder Meinungen zu tagesaktuellen Nachrichten. <?page no="406"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 391 Pressemitteilungen sind das wichtigste und am meisten verbreitete Instrument. Allerdings ist das Sündenregister bei Pressemitteilungen in der Praxis reichhaltig. Sie kosten verhältnismäßig wenig und werden daher oft inflationär eingesetzt (Konken 2007, 39 ff., Zehrt 2007, Howard/ Mathews 2006, 49 ff.). Pressemitteilungen müssen aktuell sein. Ein Bericht über eine Jahresversammlung, die zwei Wochen zuvor stattgefunden hat, ist nicht mehr interessant und hat keinen Neuigkeitswert. Pressemitteilungen müssen klar und verständlich verfasst sein. Eine, die in literarischen Formulierungen schwelgt und nicht ausdrückt, worum es geht, ist ungenau und nur schwer zu entschlüsseln. Außerdem muss der Inhalt wahrheitsgetreu und nicht verfälschend dargestellt werden. Wenn in einem Geschäftsbericht ständig vom Unternehmenserfolg geredet wird, aber Umsatz und Gewinn um ein Drittel zurückgegangen sind, ist die Medienarbeit unglaubwürdig. Schließlich muss eine Pressemitteilung neutral und sachlich im Umgang mit Zahlenmaterial abgefasst werden. Wenn man sich auf eine Statistik beruft, muss die Quelle, also die Herkunft des Zahlenmaterials, belegt und müssen Abkürzungen erklärt werden. Eine gute Pressemitteilung lebt von diesen inhaltlichen Elementen (Falkenberg 2015, Hepper 2009, 11 ff.). Eine anziehende, aussagekräftige Überschrift gibt den Ausschlag über Aufnahme in die Berichterstattung oder Abwurf in den Papierkorb. Unterzeilen von Überschriften, sog. Sublines, sollten mehr Informationen enthalten und den Übergang zum Text herstellen. Überschriften mit fünf, maximal jedoch zehn Worten geben einen direkten Bezug zum Text der Pressemitteilung. Der erste Absatz der Mitteilung selbst fasst grundsätzlich den Inhalt der gesamten Pressemitteilung zusammen und gibt damit den Journalisten genügend „Fleisch“, um zu entscheiden, ob das Thema zu ihrer Berichterstattung passt, ohne dass sie erst die ganze Pressemitteilung lesen müssen. Die W-Fragen (Wer, Was, Wo, Wann, Wie) sollten beantwortet sein und die interessanteste Information am Anfang stehen. Der zweite Absatz gibt ausführlichere Informationen zu den Tatsachen des ersten Absatzes. Der dritte Absatz sollte ein Statement in Form eines Zitates einer für den Inhalt der Pressemitteilung wichtigen Persönlichkeit enthalten. Ein Zitat kann dem Unternehmen oder dem Produkt Glaubwürdigkeit verleihen. Die meisten Pressemitteilungen bringen zum Schluss einen Absatz mit allgemeinen Informationen über das Unternehmen. Dieses Kurzportrait gibt dem Leser einen kurzen Überblick über das Unternehmen, die Dienstleistungen, Produkte, Standorte usw. Ansprechpartner müssen auf jeden Fall genannt werden, ferner wie sie zu erreichen sind (Telefon, E-Mail, evtl. Verweise auf Social Media). Die Presseeinladung ist eine Ankündigung eines Ereignisses innerhalb des Unternehmens oder unter Beteiligung des Unternehmens, an dem Medienvertreter teilnehmen. Sie sollte Informationen zu Veranstalter, Anlass bzw. Grund der <?page no="407"?> 392 Umsetzung in der Praxis Veranstaltung, Art der Veranstaltung, Ort, Zeit und Referenten enthalten. Neben der sachlichen Information sollten Presseeinladungen auch einen Hinweis enthalten, weshalb es für Journalisten vorteilhaft ist, die Veranstaltung zu besuchen. Dies kann z. B. eine exklusive Präsentation oder ein besonderer Referent sein. Pressemappen sind eine Gesamtinformation über das Unternehmen, die den Journalisten weitergehende Informationen bieten. Sie sind keine eigenständige Textgattung, sondern eine Sammlung verschiedener Pressetexte, -fotos und von Begleitmaterial. Eine Pressemappe enthält neben aktuellen Informationen (z. B. eine Pressemitteilung über ein neues Produkt) Basisinformationen zum Unternehmen (sog. „fact sheets“, z. B. zu Umsatz, Mitarbeiterzahl und Produktpalette) und ausführliche Hintergrundinformationen zum angesprochenen Sachverhalt (sog. „backgrounder“; Bogner 2005, Cornelsen 2002). Pressekonferenzen (Konken 2007, 134 ff., Schulz-Bruhdoel 2007, 415, Howard/ Mathews 2006, 47 ff.) gehören zu den wichtigsten Instrumenten der Pressearbeit. Eine Pressekonferenz bietet, vor allem wenn umfangreiche Informationen vermittelt werden müssen, der Unternehmensleitung und den Journalisten gleichermaßen die Möglichkeit zum direkten Informationsaustausch. Damit Pressekonferenzen den gewünschten Erfolg haben, müssen sie sorgfältig vorbereitet werden. Sie sollten nur dann stattfinden, wenn man die Informationen nicht schriftlich vermitteln kann und wenn der Anlass sowohl den organisatorischen Aufwand aufseiten des Unternehmens als auch die Anreise der Journalisten rechtfertigt. Pressekonferenzen folgen einem festen Ablaufplan: Nach einer Begrüßung durch den Pressesprecher oder Moderator geben Geschäftsleitung, Vertreter der Fachabteilungen oder der Unternehmenssprecher Statements zum Thema ab. Die Auswahl der beteiligten Unternehmensvertreter muss sehr sorgfältig erfolgen und dem Thema angemessen sein. Im Anschluss folgt eine Diskussion oder Fragerunde mit den Journalisten. Nach dem Ende der Pressekonferenz ist es meist möglich, Einzelinterviews mit den anwesenden Unternehmensrepräsentanten zu führen (Konken 2007, 157). Während Pressekonferenz, Pressemitteilung und -einladung einen konkreten Anlass benötigen, dient das Pressegespräch der Kontaktpflege. Vertrauliche Hintergrundinformationen oder Informationen über laufende oder künftige Entwicklungen sollen den Journalisten das Gefühl geben, exklusiv und aus erster Hand über eher vertrauliche Sachverhalte informiert zu sein. Pressekolloquien sind Fachtagungen oder Workshops mit Experten, die den Journalisten umfassende Informationen zu einem Themenkomplex geben. Diese Form der Medienarbeit wird häufig mit Besichtigungen verbunden. <?page no="408"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 393 Redaktionen benötigen Material zur Illustration bzw. Anreicherung ihrer Beiträge. Pressefotos gehören von Anfang an zum Service, den Unternehmenskommunikation bietet. Videos oder O-Töne, z. B. aus Bilanzpressekonferenzen oder einem Interview des Vorstandsvorsitzenden, wenden sich vor allem an die elektronischen Medien bzw. Online-Redaktionen, die dieses Material ggfs. von den Internetseiten der Unternehmen herunterladen können. Große Aktiengesellschaften übertragen ihre Pressekonferenzen oder Hauptversammlungen meist live im Internet. Auch kleinere und mittlere Unternehmen können durch Zitate und Statements Journalisten, die nicht zum Termin kommen konnten, einen Zusatzservice bieten. Interviews und Fachgespräche mit Gesprächspartnern aus dem Unternehmen können den Redaktionen offensiv angeboten oder auf Anfrage vermittelt werden. Anlässe für und Ablauf von Interviews können sehr verschieden sein. Die elektron isch en Me di en benötigen oft nur (H al b-)S ätz e, Mag az in j ou rna li sten von Zeitschriften kombinieren gerne Interviews mit Recherchegesprächen und sammeln Beispiele, Erklärungen, Statistiken, aber auch zitierfähige Äußerungen (Konken 2007, 114 ff., Howard/ Mathews 2006, 110 ff.). Online Pressrooms sind Presseportale im Internet, in denen die Unternehmen den Journalisten vielfältige Materialien zur Recherche anbieten. Wichtig sind folgende Merkmale: Ein Link auf der Startseite führt direkt in den virtuellen Pressroom, so dass die Journalisten die angebotenen Informationen schnell finden können. Passwörter sollten vermieden werden, denn Journalisten wollen sie sich nicht merken. Zusammengehörige Informationen können - übersichtlich geordnet - als Informationspakete zusammengestellt werden. Gut sichtbare Kontaktinformationen (Kontaktpersonen mit Zuständigkeiten und Kontaktdaten) gehören in einen nutzerfreundlichen Online-Pressroom. Social Media Newsrooms: Immer mehr - vor allem große - Unternehmen betreiben Blogs oder haben einen Twitter-Account, um mit ihren Stakeholdern direkt in Kontakt zu treten und auch das wachsende Kommunikationsbedürfnis von Journalisten, aber auch Bloggern und Markenfans zu befriedigen. Wenn z. B. Twitter und Blog als Kommunikationsmittel, ein YouTube- oder Flickr-Kanal als Speichermedium und eine Plattform für soziale Netzwerkkommunikation wie Facebook, oder Xing vernetzt werden, entsteht ein Social Media Newsroom. Nicht der einzelne Kommunikationsweg an sich ist also für das Unternehmen oder die Journalisten, die im Netz nach Quellen und Informationen suchen, interessant, sondern das Zusammenspiel der Kanäle. Ein Social Media Newsroom verbindet - als Instrument - die klassischen Medien mit der unmittelbaren Ansprache der Stakeholder. Redaktionsgespräche (Schulz-Bruhdoel 2007, 416) dienen dem Kontakt eines führenden Unternehmensvertreters mit der ganzen Redaktion und führen meist <?page no="409"?> 394 Umsetzung in der Praxis auch zu entsprechender Berichterstattung. Der CEO z. B. besucht die Redaktion und stellt sich den Fragen der Journalisten. Dieses Instrument gewinnt im Zuge der Individualisierung der Medienarbeit an Bedeutung. One-to-One-Interviews werden zunehmend ergänzend zu oder anstelle von Pressekonferenzen angeboten. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die konkurrierenden Medienvertreter jeweils exklusive Informationen erhalten wollen und keine Aussagen, die auf einer Pressekonferenz alle anwesenden Journalisten hören. Die Journalisten melden ihre individuellen Interviewwünsche an und bekommen dann ein Zeitfenster zugewiesen, in dem sie allein mit einem CEO oder einem Top-Manager sprechen. Bei Telefon-Hotline-Aktionen bieten die Unternehmen der Redaktion einen Fachmann an, der Lesern, Hörern oder Zuschauern ihre individuellen Fragen beantwortet. Dieses Instrument liegt in der Grauzone zwischen PR und Marketing, ist aber bei vielen Redaktionen sehr beliebt. Sie können auf diese Weise ihren Kunden einen Mehrwert anbieten. Medienkooperationen sind Formen der Zusammenarbeit eines Unternehmens mit einer wichtigen Redaktion zu einem speziellen Thema oder Ereignis. Die Partnerredaktion sichert sich auf diese Weise ein exklusives Thema und übernimmt - meist in hervorgehobener Weise - die Berichterstattung. Das Unternehmen wiederum erhält so die Resonanz in einem wichtigen Medium. Interview mit einem Unternehmensvertreter: Was tun? Eine Redaktion möchte ein Interview mit einem Firmenvertreter führen. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie kurzfristige Aktivitäten (die Reaktion auf eine Anfrage) und langfristige Beziehungsarbeit (mit aktiver Themensetzung) ineinandergreifen. Die Abteilung für Unternehmenskommunikation muss sicherstellen, dass Interviewwünsche einer Redaktion an eine kompetente Person weitergeleitet werden. Das muss nicht immer der oberste Chef sein. Von den Kommunikationsfachleuten wird erwartet, dass sie entscheiden, ob ein Interview mit dem Geschäftsführer bzw. Vorstandsvorsitzenden geführt wird oder mit einem anderen kompetenten Fachmann. Außerdem möchte die Kommunikationsabteilung vom Journalisten wissen, in welches Thema mit welchem „Dreh“ das Interview eingebaut werden soll, welche Länge geplant ist und wer die anderen Interviewpartner in der Sendung sein werden. Jedenfalls sollten bei der Anfrage der Redaktion so viele Informationen wie möglich über das Vorhaben des Journalisten recherchiert werden. Termine, die von den Redaktionen genannt werden, haben in der Regel <?page no="410"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 395 Verbindlichkeitscharakter. Nur bei ganz wichtigen Interviewpartnern kann meist noch etwas geschoben werden. Bevor der Reporter kommt, muss der Interviewpartner im Unternehmen von der Abteilung für Pressearbeit auf das Interview vorbereitet werden (Mast 2012b, 298 ff.). Auch wenn ein Telefoninterview geführt wird, sollte der Kommunikationsverantwortliche während des Interviews dabei sein. Zunächst erhält der Interviewpartner eine kurze Analyse über die Arbeit des Journalisten, des Mediums, der Sendung, damit er das Umfeld für seine Äußerungen kennt. Außerdem müssen Interviewte mit den jeweiligen Fragestilen und -techniken im Interview umgehen können. Zum Beispiel sollte der Interviewte darauf vorbereitet werden, was ihn erwartet. Der Interviewpartner sollte eine Liste möglicher Fragen erhalten, die der Reporter stellen könnte - mit Beispielen für griffige Antworten. Sie kann zusammengestellt werden aus dem, was der Journalist bei der Anfrage mitteilte, aus der Analyse seiner früheren Arbeit und den kritischen Aspekten eines Themas. Wenn möglich und gewünscht, wird die Abteilung für Pressearbeit einen „Probelauf“ mit dem zu Interviewenden anbieten. Außerdem sollte festgelegt werden, was der Interviewpartner als Botschaft sagt. Welche Botschaft oder Nachricht will das Unternehmen aus Anlass des Interviews verbreiten? Formulierungen, farbige Sprache oder ungewöhnliche Vergleiche werden von Journalisten gerne aufgegriffen - auch wenn sie nicht unmittelbar zum ursprünglichen Interviewthema gehören. Dann sollte der Interviewte sicherheitshalber nochmals erinnert werden, dass sein Zielpublikum nicht der Reporter ist, sondern die Leser, Hörer oder Zuschauer des Mediums. 3 3 . . 3 3 B B l l o o g g g g e e r r R R e e l l a a t t i i o o n n s s Neben den klassischen Journalisten werden innerhalb der Media Relations zunehmend auch Blogger für die Unternehmen interessant. Sie können ebenfalls der schreibenden „Zunft“ zugeordnet werden und erzielen je nach Anhängerschaft ihres Blogs eine beachtliche Reichweite. Freilich handelt es sich bei Bloggern oftmals nicht um „Berufs-Journalisten“, sondern um Fachleute und „Menschen wie Du und ich“, die jedoch im Netz ihre Leserschaft finden und als Meinungsführer und Multiplikator wirken. Immer mehr Unternehmen beginnen daher, sog. Blogger Relations aufzubauen und zu pflegen. Darunter befinden sich namhafte Konzerne wie Daimler, Adidas oder die Allianz. Bei Daimler werden Blogger im Zusammenhang mit der <?page no="411"?> 396 Umsetzung in der Praxis Marke Mercedes-Benz zu Social Media-Events, Messen, Workshops, Technikpräsentationen und Testfahrten eingeladen. Damit erhalten sie nahezu dieselben „Privilegien“ wie Journalisten. Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, Blogger im Vergleich mit Journalisten als gleichwertige Multiplikatoren anzusehen (Selbach 2014, 21). Blogger Relations sind vor allem in der Automobil-, Mode- und Reisebranche ein Thema. Auch Hersteller von Unterhaltungselektronik und Computerspielen unterhalten bereits Beziehungen zu Bloggern (Selbach 2014, 21). Auch wenn die Blogger Relations noch in den Kinderschuhen stecken, ist eines gewiss: Blogger in ihrer Rolle als Privatpersonen mit öffentlicher Strahlkraft und Multiplikatorwirkung benötigen eine andere Ansprache als (Berufs-)Journalisten. Das Aussenden von klassischen Pressemitteilungen nach dem Gießkannenprinzip ist Bloggern ein Graus. Blogger sind meist sehr selbstbewusste Menschen, die sich ihres (Ma rk t-) Werte s bewus st sind un d de me nt spr ec he nd we rts chätz en d und möglichst individuell behandelt werden möchten. Aus diesem Grund ist es von besonderer Bedeutung, die für ein Unternehmen relevanten Blogger, ihre Themen und Eigenheiten zu kennen. Denn nur so lässt sich eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, die dieser Bezeichnung würdig ist. Insbesondere im Rahmen des Content Managements sind Beziehungen zu Bloggern interessant. Blogger schaffen Content, der von ihrer Leserschaft gerne aufgenommen wird. Welches Unternehmen es schafft, eine eigene Geschichte in diesem Umfeld zu platzieren - also z. B. einen Gastbeitrag für diesen Blog zu schreiben - das hat bereits einen großen Meilenstein innerhalb seiner Blogger Relations erreicht. Denn es ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass sich Blogger um von einem Unternehmen angebotenen Content reißen. Idealerweise sollte es einen beidseitigen Nutzen geben - womit das Erzielen einer klassischen Win-Win-Situation gemeint ist. Blogger von einem Unternehmen zu begeistern, um gemeinsam Wege zu einer kommunikativen Zusammenarbeit zu erarbeiten, ist eine der aktuellen Herausforderungen der Blogger Relations. Unternehmen sind kommunikative Gebilde, die die Gestaltung der Medienkommunikation in den internen und externen Öffentlichkeiten ganzheitlich verstehen. In den digitalen Medienlandschaften lösen sich die Grenzen ohnehin auf. Die klassischen Medien sind nur noch ein wichtiger Bereich unter mehreren. Media Relations - im Sinne des Wortes - wird Wirklichkeit und Unternehmen werden zunehmend Medienhäuser. Ihre internen Strukturen und Abläufe (z. B. durch Etablierung von Newsrooms) werden den redaktionellen Routinen immer ähnlicher. Darüber hinaus entwickeln sie mit neuen Partnern (z. B. Bloggern) neue Wege einer Zusammenarbeit, die immer individueller abläuft. Der Trend der Individualisierung hat auch die Media Relations im Griff. <?page no="412"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 397 ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Media Relations wird ganzheitlich betrachtet und umfasst die Beziehungen zu „fremden“ Medien ebenso wie die Verantwortung für die „eigenen“ Medien in der internen und externen Kommunikation sowie den Umgang mit Social Media. ! Wichtige Funktionen der Media Relations sind die Medienbeobachtung, das Bereitstellen offizieller Informationen über das Unternehmen und die Themensetzung in der Öffentlichkeit. ! Medienarbeit hat die Erhöhung des Bekanntheitsgrades und die Verbesserung des Medienimages eines Unternehmens zum Ziel. ! Bei der Ausgestaltung der Medienarbeit sind die Unterschiede zwischen Nachrichten-, Boulevard-, Wirtschafts- und Fachmedien zu beachten. ! Die Nachrichtenwerte im Journalismus stecken den Rahmen für berichtenswerte Inhalte der Unternehmenskommunikation ab. ! Crossmediale Themenplanung sorgt für ein profiliertes Medienimage. Sie richtet sich an den Werten, Zielen und Marken des Unternehmens aus. ! Nach der Standardisierung und Differenzierung geht nun der Trend zu einer Individualisierung der Medienarbeit. ! Personen sind Nachrichten. Die Personalisierung von Themen ist ein Vehikel, um Geschichten spannend und verständlich zu erzählen. ! Die Ansätze der Medienarbeit reichen von reaktivem Vorgehen bis zu proaktiven Handlungen und interaktiver Beziehungspflege. ! Die Strategien der Medien ändern sich und mit ihnen die Unternehmensberichterstattung. Ihr Schwerpunkt verlagert sich von der Binnensicht auf die Unternehmen hin zu einer gesellschaftsorientierten Betrachtung. <?page no="413"?> 398 Umsetzung in der Praxis ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Konken, Michael (2007): Pressearbeit. Journalistisch professionell in Theorie und Praxis. Meßkirch: Gmeiner-Verlag. Das Handbuch ist aus journalistischer Perspektive geschrieben. Ausgangspunkt sind die Ansprüche von Journalisten an eine professionelle Pressearbeit. Das Berufsbild des Pressesprechers wird ebenso behandelt wie journalistische Arbeits- und Darstellungsformen, unterschiedliche Instrumente der Media Relations sowie rechtliche und ethische Rahmenbedingungen. Mast, Claudia (Hrsg.) (2012): Neuorientierung im Wirtschaftsjournalismus. Redaktionelle Strategien und Publikumserwartungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Das Buch analysiert die Verantwortung und Grundlagen des Wirtschaftsjournalismus und legt Nutzungsmuster sowie Erwartungen des Publikums offen. Es entsteht eine systematische und berufspraktische Bestandsaufnahme der Strategien, Konzepte und Verantwortlichkeiten des Wirtschaftsjournalismus. Mast, Claudia (Hrsg.) (2012): ABC des Journalismus. Ein Handbuch. 12., vollst. überarb. Aufl. Konstanz: UVK. Das Standardwerk für Journalisten gibt auch für die Pressearbeit wertvolle Hinweise. Die Medienlandschaft in Deutschland wird vorgestellt, redaktionelle Abläufe und Arbeit der Journalisten ausführlich und in vielfältigen Facetten beleuchtet. Außerdem wird die Praxis der Medienarbeit erläutert. Zahlreiche Beiträge von Praktikern geben dem Buch besonderen Nutzwert. Ruisinger, Dominik (2011): Online Relations. Leitfaden für moderne PR im Netz. 2., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Das Buch liefert einen fundierten und breiten Einblick in die Online-Medien aus Sicht der PR. Die Corporate Website, Online-Pressearbeit und Social Media Relations, aber auch einzelne Instrumente wie der E-Mail-Newsletter werden anschaulich mit Checklisten und anhand von Praxisbeispielen beschrieben. <?page no="414"?> Kapitel 12: Medien als Multiplikatoren 399 Schulz-Bruhdoel, Norbert/ Bechtel, Michael (2009): Medienarbeit 2.0. Cross-Media-Lösungen. Das Praxisbuch für PR und Journalismus von morgen. Frankfurt/ Main: F.A.Z.-Institut. Das als Praxisanleitung für die Kommunikationsbranche verfasste Buch macht die Möglichkeiten des Web 2.0 transparent und vermittelt strategische Ansätze für Berater und Unternehmen, die mit „Medienarbeit in Echtzeit“ konfrontiert sind. Dabei wird betont, dass Erfolgskontrolle zum strategischen Gestaltungsfaktor der Medienarbeit 2.0 wird. <?page no="416"?> I I V V H Heerraauussf fo orrddeerru un ng geenn u unndd PPeerrssppeekkttiivveenn <?page no="418"?> KKaap pi itteell 1133: : VVo or r d deerr KKrri issee -- nnaacchh ddeerr KKrriis see „Die Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“ (Max Frisch). Leichter gesagt als getan! Denn: Krisen sind äußerst schwierige, aber entscheidende Situationen für Unternehmen, die durch ein hohes Potenzial unterschiedlicher Emotionen, v. a. die weit verbreiteten Ängste, gekennzeichnet sind. Das Wechselspiel von Kognition und Emotion muss im Kommunikationsmanagement so verzahnt werden, dass Dissonanzen weitgehend vermieden werden. Das Ineinandergreifen von Kommunikation über Zahlen und Fakten sowie die Auswahl von Zeitpunkt, Akteuren, Kommunikationswegen, Kommunikationsinhalten und Präsentationsformen (z. B. Sprache) ist in solchen Situationen besonders schwierig. Schließlich gilt es, die emotionalen und kognitiven Aspekte des Kommunikationsmanagements so zu gestalten, dass Schaden vom Unternehmen abgewendet und im günstigsten Fall Kommunikationschancen offensiv genutzt werden (Thießen 2014, Höbel/ Hofmann 2014, Coombs 2014, Allgäuer/ Larisch 2011, Thießen 2009). Krisen - ob die Ursache im Unternehmen oder in deren Umfeld liegt - haben in jedem Fall Auswirkungen auf die Zukunft einer Organisation und können zu existenzbedrohenden Situationen führen. Sie sind daher die größten Herausforderungen, denen sich Unternehmen ausgesetzt sehen - und schlechte Krisenkommunikation verschlimmert die Situation zusätzlich. Eigentlich ist es schon erstaunlich: Über kaum ein Thema ist in Theorie und PR-Praxis so viel geschrieben und geredet worden wie über das Kommunikationsmanagement in außergewöhnlichen Situationen. Anhand konkreter Fälle wurde dokumentiert, welche Handlungen in Krisensituationen erfolgreich oder weniger empfehlenswert sind (Tennert 2012, Tießen 2011, Gantner 2010). Aber dennoch sind heute (immer noch) viele Unternehmen nicht professionell auf mögliche Krisen vorbereitet. Auch in der PR-Theorie fehlen bislang überzeugende Ansätze, die die empirische Forschung stimulieren und der Praxis Denkanstöße liefern können. <?page no="419"?> 404 Herausforderungen und Perspektiven Die Praxisliteratur ist meist deskriptiv und von individuellen Erfahrungen der jeweiligen Autoren geprägt. Dennoch sind auch in ihr vielfältige Hinweise auf Vorgehensweisen mit guten und schlechten Konsequenzen von Kommunikationsmaßnahmen zu finden (Ullrich/ Brandstädter 2015, Hering/ Schuppener/ Schuppener 2009, Johanssen 2009, Garth 2008). Theoretische Überlegungen konzentrieren sich vor allem auf Versuche der Früherkennung von Risiken durch Issues Management und die Analyse von Krisenverläufen, z. B. Themenkarrieren in der Berichterstattung, Krisenmanagement oder rechtliche Erwägungen. Einige wenige Autoren versuchen situative, krisentheoretische Ansätze zu entwickeln (Höbel/ Hofmann 2014, Nolting/ Thießen 2008, Coombs 2006). Kapitel 13 behandelt die Besonderheiten der Krisenkommunikation und analysiert die Phasen vor, während und nach krisenhaften Situationen. Mechanismen der Beschleunigung und unterschiedliche Typen von Krisen fordern das Kommunikationsmanagement von Unternehmen heraus. Immer neue Empörungswellen in den Medien lassen für Unternehmen die Medienrisiken ansteigen. 1 1 D D i i e e v v i i e e l l e e n n G G e e s s i i c c h h t t e e r r d d e e r r K K r r i i s s e e n n Welche Situation wird als Krise empfunden? Definitionsprobleme, was denn eine Krise ist, bilden die Ouvertüre zu den theoretischen Problemen. Denn ob ein Ereignis oder eine Entwicklung als Krise definiert wird, hängt sowohl von den objektiven Gegebenheiten als auch von den subjektiven Interpretationen der Betroffenen - der Kommunikationsabteilung eines Unternehmens wie auch des Top-Managements - ab. Krisen sind auf jeden Fall unvorhergesehene und unklare Situationen, die die Reputation oder gar den Fortbestand eines Unternehmens in seiner bisherigen Form in Frage stellen können. Sie sind also sehr bedeutsame und schwierige Konstellationen, die die zukünftige Entwicklung eines Unternehmens beeinflussen und häufig sogar Wendepunkte darstellen können. Jede Krise ist anders. Ob Schmiergeldaffären, Produktfehler, Terroranschläge, Unglücksfälle oder die Auswirkungen der Eurokrise - Krisen haben viele Gesichter und sind variabler geworden. Auch wenn eine hundertprozentige Vorbereitung für alle denkbaren Krisensituationen seitens des Unternehmens nicht möglich ist, heißt das nicht, dass nicht potenzielle Situationen (vom Best Case bis zum Worst Case) durchdacht und vorbereitet werden können. Krisenhandbücher und -abläufe sollten vorhanden und aktualisiert sein. Im Zeitalter des schnellen, grenzüberschreitenden Mediums Internet ist die Vorbereitung von <?page no="420"?> Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise 405 Dark Sites und Medienbausteinen nützlich. Ein kontinuierliches Monitoring der Berichterstattung sowie wichtiger Blogs, Foren und Social Media-Plattformen im Netz dient der Früherkennung möglicher Krisen. Dies sind nur einige beispielhafte Maßnahmen zur Krisenvorbereitung, die auch die mentale Einstellung aller Akteure in einem Unternehmen beeinflussen können. Wer sich im Vorfeld mit Krisenprävention beschäftigt, steht aktuellen Situationen weit aufgeschlossener gegenüber als derjenige, der Krisen als Seltenheit empfindet und hofft, dass sie ihn nicht betreffen. Es ist nicht die Frage, ob eine Krise eintritt, sondern nur wann und welche. Nach der Krise ist vor der Krise. Gründe, warum Krisensituationen für Unternehmen immer mehr zur Normalität werden, sind: ! schwindende Akzeptanz und Vertrauenswerte gegenüber Branchen, Unternehmen und Geschäftsmodellen bei den Stakeholdern. ! ein „entfesseltes“ Mediensystem, das im Wettbewerb um Aufmerksamkeit neue Wege geht (z. B. Investigativ-Teams, Recherchebüros, Rechercheplattformen, anonyme Postfächer von Redaktionen, Skandalisierung als Strategie) und daher „Medienrisiken“ produziert sowie ! Stakeholder, die ihre Möglichkeiten ausschöpfen (z. B. verärgerte Kunden, ehemalige Mitarbeiter, „whistleblower“). Unterscheiden kann man eine Vielfalt von Krisen (in Anlehnung an Newsom/ Van Slyke Turk/ Kruckeberg 2010), die entweder unmittelbare Folgen für Menschen und Unternehmen oder auch sehr langfristige Auswirkungen haben können. Naturereignisse treten meist sehr überraschend auf und betreffen inzwischen auch Unternehmen, die wenig vorbereitet sind (z. B. Hotels, Seilbahnen) oder ganze Regionen (z. B. durch Erdbeben, Erdrutsche, Unwetter). Intentionale Handlungen einzelner Akteure fächern ein breites Spektrum von Situationen auf und können im Einzelfall eine völlige Informationssperre legitimieren (z. B. bei Erpressungen, Enthüllungen). Diese Krisen haben Menschen bewusst verursacht. Nichtintentionale Ereignisse/ Unfälle können jederzeit passieren und gehören zum Pflicht-Bestandteil der Krisenvorbereitung durch Best Case- und Worst Case-Szenarien. Medienkrisen entstehen aus Recherchen von Journalisten, Veröffentlichungen von Kritik, Testberichten, Studien u. a. und beschränken sich keinesfalls nur auf Presse und Rundfunk, sondern werden immer häufiger über das Internet (Weblogs, Twitter, Foren u. a.) verbreitet. Natürlich führen Fehler, Mängel oder nicht akzeptiertes Handeln eines Unternehmens zu öffentlichen Wellen der Empörung. Eine wirklich ernste Krise für die Reputation eines Unternehmens produzieren jedoch Regelbzw. Gesetzesverstöße. <?page no="421"?> 406 Herausforderungen und Perspektiven Krisen sind komplexer und dynamischer Natur, d. h. sie sind vielschichtig und verändern sich meist im Laufe der Zeit. Dennoch: Alle Krisen sind auf ihre Weise einzigartig, haben aber einige Charakteristika, die sie kennzeichnen: ! das Element der Überraschung, d. h. eine Krise bricht meist unvermutet aus und verursacht unterschiedliche Emotionen bei allen Beteiligten; ! die ungenügenden Informationen, d. h. Handlungen müssen ergriffen werden, obwohl die Unsicherheit über deren Folgen noch hoch ist; ! der schnelle Lauf der Entwicklungen, d. h. Situationen neigen zu eskalieren und sich schnell zu ändern; ! die intensive, öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber dem, was gesagt und getan wird, und die hohe Sensibilität für Unstimmigkeiten. Krisen bergen zudem die Gefahr, dass Unternehmen die Kontrolle über die Ereignisse verlieren, vielleicht kurzfristig agieren oder gar in Panik geraten, wenn die Eskalation nicht aufzuhalten ist. Bei vielen Firmen kommt mangelnde Vorbereitung auf solche Situationen hinzu. Beispiele für Krisensituationen Typische Krisenfälle bei Unternehmen, die ein hohes Potenzial an Emotionen freisetzen, können sein: ! Personalabbau-Programme, Kurzarbeit, Insolvenzen von Firmen, ! Handlungen einzelner Menschen, die ethisch-moralisch diskutiert werden, z. B. Steuerhinterziehung von Top-Managern, Bestechungsgelder u. a., ! Umweltverschmutzung durch Industrieanlagen, ! Störfälle oder Unglücksfälle, bei denen Schadstoffe in die Umwelt gelangen und/ oder Menschen gefährdet sind, ! angebliche oder tatsächliche Produktfehler (z. B. A-Klasse von Mercedes-Benz, Gaspedal bei Toyota), ! Unternehmen als Zielobjekt einer (feindseligen) Interessensgruppe (z. B. Greenpeace gegen Shell), ! feindlicher Übernahmeversuch durch ein anderes Unternehmen (z. B. Vodafone und Mannesmann), ! Erpressung eines Unternehmens (z. B. Nestlé mit vergifteten Lebensmitteln) oder die Entführung von Mitarbeitern, ! Terroranschläge (z. B. der 11. September in New York oder der Anschlag auf die Synagoge auf Djerba, Tunesien), <?page no="422"?> Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise 407 ! Computerzusammenbruch oder der Verlust gespeicherter Daten, ! Produktskandale (z. B. Giftstoffe in Kinderspielzeug u. a.), ! Skandale in der Produktion (z. B. Maden und Ungeziefer in Brotfabriken, resistente Bakterien in Geflügelfarmen, Gammelfleisch). Krisen können - je nach Ursache und Verlauf - unterschiedlich schwierig für das Kommunikationsmanagement eines Unternehmens werden. Dies ist z. B. bei ethischen Verstößen der Fall, wenn das Management bewusst gesundheitsgefährdende Stoffe verarbeiten lässt und damit Gesundheit und Leben von Menschen gefährdet (etwa wenn Blutkonserven nur ungenügend auf HIV-Infizierung untersucht werden). Die ethische Verantwortung eines Unternehmens steht auch dann zur Diskussion, wenn eine Firma ein Produkt auf den Markt bringt, dessen Folgen sie nicht genau kennt oder wenn sie von einem Problem weiß, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Öffentliche Empörung flammt auf, wenn ein Unternehmen z. B. massive Stellenkürzungen und gleichzeitig Gehaltserhöhungen für seine Top-Manager beschließt. Unvereinbare Wert- und Zielkonflikte führen zu einer äußerst schwierigen Krisenkommunikation, wenn die Ziele eines Unternehmens und die der Öffentlichkeit sichtbar unterschiedlich sind, so bei den Investmentbanken und ihren Geschäftsmodellen, die letztlich seit den krisenhaften Entwicklungen auf den Finanzmärkten von den Steuerzahlern in den Industriestaaten „bezahlt“ werden. Ein anderes Beispiel ist die Tabakindustrie und die gesundheitlichen Folgen des Rauchens, gesetzliche Rauchverbote u. a. Das Leugnen eines vorhandenen Problems verschärft eine Krise, auch wenn eine Firma dieses Problem nur für kurze Zeit hatte. Es zerstört die Glaubwürdigkeit und baut „Hypotheken“ auf, die noch jahrelang wirken. Das gilt auch für die Wiederholung eines Fehlers oder eines Problems, wenn die gleiche missliche Situation nochmals geschieht. Zwar kann man eine Wiederholung nie völlig ausschließen, aber niemand hat Verständnis dafür, wenn nur unzureichende Vorsorgemaßnahmen ergriffen wurden. Wie auch immer der jeweilige Krisenfall im Einzelnen abläuft, folgende Einflussfaktoren bestimmen die Gefahr für die Reputation des Unternehmens: ! zugeschriebene Verantwortlichkeit des Unternehmens in einer Krisensituation, ! wahrgenommene Kommunikationsstrategie der Unternehmen (z. B. Aufklären oder Abwiegeln), ! die Vorgeschichte der Krise (z. B. frühere Krisenfälle, Reputation des Unternehmens, Zustand der Kommunikationsbeziehungen), <?page no="423"?> 408 Herausforderungen und Perspektiven ! die Emotionalität der Krisensituation (z. B. Nachrichtenfaktoren für die Medien, Aufmerksamkeitswerte für die Stakeholder) und ! die Reputation des Unternehmens und der Branche. Was auch immer Ursache einer Krise ist und wie sie verläuft - sie kann auch einen unternehmerischen Impuls darstellen. Sie regt zum Überdenken von Routinen an und macht auf organisatorische Schwachstellen aufmerksam. Die Krisenprävention, das Abschätzen potenziell möglicher Krisenfälle und die Vorsorgemaßnahmen können Veränderungen im Unternehmen bewirken. Die Gefahren bei Krisen liegen in der Eskalation der Emotionen, dem Entstehen unlösbarer Konflikte und in einer Verhärtung unterschiedlicher Interessenpositionen. Der Vorteil einer Krise liegt im Durchbrechen der Unternehmensroutine. 2 2 M M e e c c h h a a n n i i s s m m e e n n d d e e r r B B e e s s c c h h l l e e u u n n i i g g u u n n g g Kann sich eine vermeintlich harmlose Meldung in der Wirtschaftspresse zu einer Krise entwickeln? Hat ein kritischer Artikel oder Kommentar eines Journalisten die Kraft, auch andere Redaktionen zu überzeugen, das Thema aufzugreifen? Subjektive Einschätzungen der Unternehmensvertreter spielen bei der Beurteilung eine wichtige Rolle, ob ein Ereignis oder eine Entwicklung „Stoff“ für eine Krise enthält bzw. ab wann eine Krise nicht mehr ignoriert werden kann. Zielkonflikte zwischen den Meinungen einzelner Personen, zwischen Verantwortungsbereichen (z. B. Public Relations versus Marketing, Kommunikationsbereich versus Juristen) und Hierarchieebenen (Kommunikationsabteilung und Top-Management) sind daher wahrscheinlich. Wie diese Entscheidungsprozesse ablaufen und welches Ergebnis sie produzieren, stellt einen wichtigen Einflussfaktor auf den Verlauf und die Auswirkungen einer Krise dar sowie auf die Möglichkeiten, verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen. Die Medienberichterstattung wirkt in der Krisenkommunikation häufig als Initiator oder Beschleuniger. Folgende Trends führen zu einer Eskalation in der Medienberichterstattung und zu häufigen „Medienkrisen“: ! Neue redaktionelle Strategien und Abläufe: Newsroom-Strukturen und die Aufhebung der Ressortstrukturen führen dazu, dass sich Unternehmen vermehrt wechselnden und oft wenig sachkundigen Ansprechpartnern gegenüber sehen, ! Einflüsse der schnellen Online-Welt, die eigentlich nie Redaktionsschluss hat. Häufig werden auch anonyme Veröffentlichungen im Netz von Offline-Medien aufgegriffen und wie Fakten behandelt, <?page no="424"?> Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise 409 ! Zuspitzungen im Journalismus, wenn Redaktionen einen rigiden Thesenjournalismus (Mast/ Spachmann 2015) verfolgen. Gut jeder dritte Pressesprecher (37 Prozent) kämpft ständig mit kritischen Recherchesituationen. Letztlich stehen für Unternehmen zwei Grundhaltungen zur Debatte: Die offensive Kommunikationspolitik, die sofort umgesetzt wird, oder eine eher defensive Taktik. Häufig wählen Unternehmen erst nach einer Zeitperiode des Zögerns oder der Inaktivität die Offensive. Zwar sind die Grundgesetze einer effizienten Krisenkommunikation in Theorie und Praxis gleichermaßen bekannt: schnell sein, konsistent und möglichst offen ohne Widersprüche mit einer Stimme sprechen. Dennoch sieht die Kommunikationspraxis in vielen Fällen noch anders aus. Durch Zögern oder Schweigen baut sich ein Informationsvakuum auf, das andere Akteure füllen, und Widersprüche in der Öffentlichkeit kosten Glaubwürdigkeit. Wenn sich Kommunikationsverantwortliche nicht gegenüber ihrem Top-Management durchsetzen, das für Schweigen oder Abwiegeln plädiert, übernehmen eben diese Geschäftsführungen ungewollt die Rolle des Eskalationstreibers in Krisensituationen. Offensives Handling einer Krise geht von der Grundentscheidung aus, dass auch eine höchst unangenehme Situation emotional akzeptiert wird und die beteiligten Akteure Verantwortung für diesen Prozess übernehmen. Stocker (1997, 199) hat diese Haltung in ein einprägsames Wortspiel gefasst: „regret“ (z. B. Bedauern über den Vorfall artikulieren), „resolution“ (z. B. entschlossen Maßnahmen zur Lösung des Problems ergreifen), „reform“ (z. B. Vorkehrungen treffen, um Wiederholungen zu vermeiden) und „restitution“ (z. B. Wiederherstellung der guten Reputation oder Wiedergutmachungsaktionen). Eine offensive Einstellung zum Umgang mit Krisen bedeutet, dass die Organisation möglichst rückhaltlos über die Krise, ihre Ursachen und Folgen informiert, d. h. es sollte deutlich werden, dass alle Verantwortlichen aktiv einen Beitrag zur Aufklärung der Krise leisten. Zudem sollte das Unternehmen deutlich machen, dass alles Mögliche unternommen wird, um den Schaden von den Betroffenen abzuwenden und die negativen Auswirkungen einzudämmen. Dass ein Unternehmen und seine Leitung auch Verantwortung für die nun kritische Situation übernimmt und Verantwortlichkeiten nicht verschiebt, sollte auch in angemessener Weise für die Öffentlichkeit sichtbar werden. Das ist z. B. nicht der Fall, wenn die Geschäftsleitung erst Tage oder gar Wochen nach einem Unfall am Unglücksort eintrifft. Außerdem muss das Unternehmen deutlich machen, dass es die Krise nicht als „Peanuts“ oder ärgerlichen Zwischenfall einstuft, sondern als Chance für Verhaltensänderungen begreift. <?page no="425"?> 410 Herausforderungen und Perspektiven Wann ist bereits im Vorfeld einer Krise eine völlige Offenheit gegenüber der (Medien-)Öffentlichkeit unabdingbar? Dies sind vor allem Situationen, ! wenn Menschen in Gefahr sind und durch die Informationen rechtzeitig reagieren können (z. B. bei schwerwiegenden Produktfehlern), ! wenn die Gerüchte, die im Umlauf sind, mehr Schaden anrichten als die offene Information, auch wenn sie Unangenehmes und Kritisches über ein Unternehmen offenbart, ! wenn eine Firma Fehler, die sie gemacht hat, oder defizitäre Leistungen, die sie erkannt hat, verbessern kann oder gar aus rechtlichen Erwägungen verbessern muss, ! wenn das Zurückhalten von Informationen (z. B. bei Investor Relations) gesetzlich en Regelun ge n od er eingef ührt e n Gewo h nh eiten wi der spr ic ht . Auch eine defensive Kommunikationsstrategie birgt Chancen und Risiken, die je nach Einzelfall sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. In den meisten Fällen werden jedoch die Nachteile überwiegen, da die Unternehmen anderen Akteuren das Feld der Medienberichterstattung überlassen. Gerüchte, Kritiker oder selbstberufene Experten sorgen für spektakuläre „Enthüllungen“, Interpretationen und Storys, die den Schaden einer Krise vergrößern. Diese Kommunikationshaltung ist daher höchst riskant, da Imageverluste drohen und die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht. Eine zurückhaltende Informationspolitik kann dann empfehlenswert sein, wenn Leben von Menschen zu schützen sind, die öffentlich erhobenen Vorwürfe nicht erklärt oder beseitigt werden können oder man sicher davon ausgehen kann, dass das Thema in den Medien keine Karriere machen wird. Dies passiert z. B. aufgrund von mehreren, gleichzeitig stattfindenden Berichterstattungswellen, die die Aufmerksamkeit der Redaktionen und des Publikums binden. Allerdings gibt es nur selten gute Gründe für eine defensive Kommunikationsstrategie in der Mediengesellschaft. Diese Strategie ist aber bei vielen Akteuren in den Unternehmen sehr beliebt und wird daher häufig - mit fatalen Ergebnissen - ergriffen. Das Scheitern und der Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff ist ein prominentes Beispiel für gescheiterte Krisenkommunikation. Krisen können plötzlich auftreten oder sich schleichend entwickeln. Bei einer sog. Überraschungskrise ist der Druck der Stakeholder und vor allem der Medien auf die Öffentlichkeitsarbeit innerhalb kürzester Zeit so extrem hoch (z. B. nach dem Reaktorunglück in Japan, nach der ersten Veröffentlichung über gefälschte Zahlen beim ADAC), dass präventives Handeln meist nicht mehr möglich ist. Dadurch schlagen derartige Krisen meist mit voller Wucht auf das Image durch - vor allem, wenn sie auf unvorbereitete Kommunikationsabteilungen oder defensiv eingestellte Top-Manager treffen. Bei sich langsam entwickelnden <?page no="426"?> Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise 411 Krisen nimmt die Intensität der öffentlichen Aufmerksamkeit im Laufe der Zeit hingegen bis zu einem Kulminationspunkt zu und ebbt erst dann - meist jedoch langsamer - ab. Deshalb gibt es einen - wenn auch kurzen - Handlungsspielraum vor und während der Krisenentwicklung. In diesem Zeitraum besteht noch die Chance, durch engagierte Kommunikation den Imageschaden abzufedern. Allerdings verführen langsam anwachsende Krisen die Beteiligten dazu, erst einmal abzuwarten. Je später sie dann in die öffentliche Diskussion einsteigen, desto höher wird die Barriere, die es zu überwinden gilt. Das Thema ist bereits vorstrukturiert, erste Akteure haben sich positioniert und Kritik wird meist schon laut. Angesichts dieser Konstellation entfaltet dann auch noch die defensive Kommunikationspolitik ihre volle Anziehungskraft auf die Akteure im Unternehmen. Verursacht durch den Schock, dass sich eine Situation nun doch krisenhaft zuspitz t, wird aus Arro ganz oder Unsi cherheit zu lange ge sc hwi eg en un d schlimmstenfalls sogar geleugnet, dass die Entwicklung kritikwürdig ist. Danach folgt die Rechtfertigung oder Erklärung aus der Defensive heraus. Meinungspositionen müssen aufgegeben werden und Sympathiewerte zerrinnen wie Schnee in der Sonne. Zum Schluss bleiben nur noch die Entschuldigung und die Reparatur des Schadens übrig. Die Dynamik der Krise wird unterschätzt. Dabei kann - so die Lehrbeispiele - eine Krise auch als Chance für einen Neubeginn begriffen werden. Dies erfordert aber eine offensive Kommunikationspolitik, die Schritt für Schritt vorgeht: ! Was ist das Problem? Schnelle Informationen über den Stand der bisherigen Erkenntnisse sind wichtiger als vollständige Aussagen. ! Worten müssen Taten folgen. Maßnahmen zur Aufklärung des Problems, zur Problemlösung und Hilfen für die Betroffenen stehen im Mittelpunkt. ! Was wird sich ändern? Nun geht es darum, der Öffentlichkeit und den Stakeholdern zu vermitteln, was getan wird, um derartige Krisen künftig zu vermeiden. ! Welche Themen müssen besonders offensiv kommuniziert und „besetzt“ werden? Konflikt- und Krisenpunkte werden aufgegriffen und neue Themen in die öffentliche Diskussion eingeführt. Schließlich müssen Images verbessert, Glaubwürdigkeit wiederhergestellt und Vertrauen zurück gewonnen werden. Es überrascht, dass viele, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sowie Organisationen in der Praxis (immer noch) nicht einmal in den Grundzügen professionell (aktuelle Krisenhandbücher, Task Force, Dark Sites, Medienbausteine u. a.) auf Krisen vorbereitet sind und auch aus vorangegangenen Situationen wenig lernen. Schließlich finden Krisen oder Skandale - so meinen <?page no="427"?> 412 Herausforderungen und Perspektiven sie - ja nur bei „Anderen“ statt. Dieses Verhalten wirkt im Ernstfall selbst als Eskalationstreiber und forciert die Krisendiskussion. Alle Krisensituationen sind zwar auf ihre Weise einzigartig, haben aber einige Charakteristika, die besonders offensichtlich werden, wenn ein Unternehmen nach einer Krise Bilanz zieht. ! Das erste Merkmal der Überraschung bzw. Unerwartetheit wirft die Frage auf: Hat das Unternehmen Frühwarnsysteme installiert, die im Vorfeld Hinweise auf potenzielle Risiken und Chancen geben? Wie sensibel und aufgeschlossen sind die Akteure, um sich auf mögliche Krisensituationen vorzubereiten? ! Das zweite Charakteristikum ist die Unsicherheit bzw. ungenügende Information, d. h. die jeweiligen Personen oder Unternehmen müssen handeln, obwohl sie noch wenig über den konkreten Fall wissen bzw. manchmal auch im frühen Stadium einer öffentlichen Diskussion noch wenig tun können. ! Das dritte Merkmal ist die intensive, öffentliche Überprüfung dessen, was in Krisensituationen gesagt und getan wird. Medien wirken hier wie Vergrößerungsgläser. Unsicherheiten von unvorbereiteten Geschäftsleitungen, Unsauberkeiten in der Wortwahl oder Ungereimtheiten werden von Journalisten besonders gewertet. Wenn z. B. ein Vorstandsvorsitzender eine 30-prozentige Gehaltserhöhung für die Konzernvorstände verkündet und gleichzeitig Tausende von Arbeitsplätzen durch Insolvenz bedroht sind, wird diese Entscheidung Empörung und Kritik auslösen. ! Das vierte Merkmal ist der schnelle Lauf der Ereignisse bzw. die Beschleunigung der Krisenkommunikation, d. h. die Situationen ändern sich schnell und neigen zur Eskalation. Vor allem die Medien fungieren hier als Eskalationstreiber. Aggressive, unter Wettbewerbsdruck stehende Redaktionen (Mast 2012a u. b), anspruchsvolle Stakeholder und schnelle, neue Medien wie Internet, Mobiltelefone oder E-Mails produzieren jederzeit situative Konstellationen, mit denen sich die Kommunikationsverantwortlichen und ihre Chefs auseinander setzen müssen, ob sie wollen oder nicht. Je schneller sie sich die Einstellung zu eigen machen, dass Krisen normale, wenngleich schwierige und unangenehme Kommunikationssituationen sind, desto erfolgreicher wird ihre Kommunikationsarbeit. Krisen sind - kurz gesagt - nicht ein Notfall (von dem man glaubt, er würde hoffentlich nie Realität oder nur bei „Anderen“ eintreten), sondern ein Regelfall für potenziell jedes Unternehmen in der Mediengesellschaft. <?page no="428"?> Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise 413 Medien sind meist die Auslöser und nicht die Verursacher von Krisen. Sie sorgen aber für eine Dramatisierung der Berichterstattung und eine Beschleunigung des Krisenverlaufs. Der Wettbewerbsdruck unter den Redaktionen produziert schnelllebige Themenkarrieren. Die in Hektik verfasste Geschichte tritt häufig an die Stelle von tiefer und aufwendiger recherchierten Themen. Medien wirken sowohl als Katalysatoren wie auch als Durchlauferhitzer für diese Themenkarrieren. Zusätzlich zum Konkurrenzdruck erhöhen neue Redaktionsstrukturen („Newsroom“-Prinzip, Aufhebung von Ressortstrukturen u. a.) die Sensibilität der Redaktionen für die Wahrnehmung „kritischer“ Themen und fördern somit die Framingprozesse im Journalismus. Sie haben ein arbeitsteiliges System geschaffen, das als Maschinerie zur Generierung von farbigen, exklusiven Geschichten fungiert, die die konkurrierende Redaktion - zumindest in dieser Form - nicht hat. Dies führt auch zur Kurzatmigkeit von Berich terstattungsth em en, di e häufig o hne tie fg rei fe nd e Re ch er chetäti gkeiten publiziert werden. Durch das grenzüberschreitende Medium Internet, vor allem Weblogs und Foren, können kritische Themen rasch eine nationale und internationale Aufmerksamkeit erregen. Die Unternehmen arbeiten daher an einer Schaffung globaler Strukturen und Abläufe, sowie an der Umsetzung globaler Kommunikationspläne im Sinne einer globalen „One Voice Policy“. 3 3 V V o o n n d d e e r r p p r r ä ä - z z u u r r p p o o s s t t k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i v v e e n n P P h h a a s s e e Was haben die Kommunikationsabteilungen und Geschäftsleitungen nach einem Krisenfall gelernt? Die Zeitperiode nach der hitzigen, öffentlichen Diskussion und emotionalisierenden Medienberichterstattung bildet ideale Voraussetzungen, ohne Handlungsdruck oder Rechtfertigungszwang Überlegungen anzustellen und Maßnahmen zu ergreifen, um auf die nächste krisenhafte Situation besser vorbereitet zu sein. Es ist Zeit für Reparaturen (z. B. an der Reputation), Verbesserungen (z. B. Kommunikationsinfrastruktur der Krisenkommunikationskonzepte) oder Positionsveränderungen (z. B. Änderung der Positionierung eines Unternehmens im Meinungsmarkt). Zur Systematik einer Krisennachbereitung empfiehlt es sich, drei Phasen zu unterscheiden: das Vorfeld der Krise (präkommunikative Phase), die öffentliche Diskussion und Meinungsbildung (kommunikative Phase) und die Zeit danach (postkommunikative Phase). <?page no="429"?> 414 Herausforderungen und Perspektiven 3 3 . . 1 1 P P r r ä ä v v e e n n t t i i o o n n u u n n d d V V o o r r f f e e l l d d k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n Der Ausgang der meisten Krisen wird im Vorfeld entschieden. In der präkommunikativen Phase baut sich die Krise auf, ist aber noch nicht in den öffentlichen Raum vorgedrungen. Die Medien konzentrieren sich noch auf andere Themen und wichtige Stakeholder haben das Thema (noch) nicht auf ihre Agenda gesetzt. Es ist ruhig - aus der Perspektive des Unternehmens - und daher sind noch keine Handlungsnotwendigkeiten spürbar. Diese Phase verführt die Verantwortlichen in den Unternehmen dazu, nichts zu tun. Der Arbeitsaufwand und die Aufmerksamkeit für die Phasen vor, während und nach der Krise sind bei den meisten Unternehmen im Unlot. Ungeheure Energie n we rd en in ve st ie rt , um die heiß e Phas e de r K ris e zu be wält ige n u nd ggf s. di e negativen Auswirkungen zu beheben. Wenig bis keine Arbeit wird jedoch in die Vermeidung von Krisen, die Prävention und das Ausloten des Vorfeldes gesteckt. Schließlich sind Krisen aber meist Risiken, die eintreffen. Krisen werden vorangetrieben von Stakeholdern, die in der Regel bekannt sind. Sie gewinnen an Schwungkraft durch Medien, die sich mit Energie im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Publikums behaupten wollen und selbst immer wirtschaftlicher agieren müssen. Und Krisen werden häufiger erst richtig zu einem Thema der Medien, wenn Kommunikationsbereiche und das Top-Management Fehler machen. Die Reparatur der eingetretenen Image- und Reputationsschäden kostet ein Vielfaches der Investitionen, die in der präkommunikativen Phase besser angelegt wären. Deswegen haben Investitionen der Unternehmen in der präkommunikativen Phase die größte „Rendite“. Dazu gehören vor allem: ! Analyse der wichtigsten Stakeholder und Überprüfung des Beziehungsnetzwerkes: Wenn es immer schwieriger wird, Themen vorauszusagen, wird es umso wichtiger, die Akteure zu kennen und ggfs. Beziehungen zu pflegen. ! „Weak signals“ und Issues/ Themen aufspüren: Das ist die Domäne des Issues Management, das aber in der Praxis noch wenig praktiziert wird. Auch das relativ aufwendige Instrument der Medienresonanzanalyse hat - bei all seinen verdienstvollen Leistungen - Probleme im Aufspüren von neuen Themen bzw. Erfassen von Halbsätzen und Zwischentönen, die den Beginn einer Themenkarriere signalisieren können. Gleiches gilt für das Internet, das Softwareprogramme nur grob durchsuchen können. Die eigenhändige Lektüre von Artikeln als höchst individuelles Instrument einer qualitativen Medienanalyse wird durch diese Instrumente nicht ersetzt. Hinzu kommt, dass das Fernsehen durch den Transport von Bildern häufig Krisen erst <?page no="430"?> Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise 415 richtig boulevardisiert (z. B. bei Streiks, Demonstrationen oder Unruhen) und über das Internet Aussagen von völlig neuen, oft unbekannten Stakeholdern in die Berichterstattung einfließen. Diese Mechanismen treffen meist in der Praxis auf „Pressestellen“ mit hoher Printlastigkeit der Mitarbeiter (z. B. berufliche Herkunft, Einstellung). ! Sensibilisierung für Risiken und Probleme: Von Krisen zu sprechen, hat den Beigeschmack des Unangenehmen, des Außergewöhnlichen, letztlich der Katastrophe. Daher liegt die emotionale Hürde bei der „Krisen“-Prävention besonders hoch. Im Vorfeld existieren jedoch nicht nur Risiken und Probleme, sondern auch Chancen, die bei der Themensuche berücksichtigt werden können. Bei Changeprozessen beginnt in dieser Phase bereits meist schon die öffentliche Kommunikation mit dem Ziel, Bewusstsein für Probleme (z. B. wirtschaftliche Schwierigkeiten) zu schaffen, deren Lösungen (z. B. Restrukturierungen) eventuell erst später kommuniziert werden. Über Schwierigkeiten wird also zu einem Zeitpunkt informiert, wenn die Lösungswege noch offen sind. 3 3 . . 2 2 D D i i e e h h e e i i ß ß e e P P h h a a s s e e - - e e i i n n e e r r b b a a r r m m u u n n g g s s l l o o s s e e r r P P r r o o f f e e s s s s i i o o n n a a l l i i t t ä ä t t s s t t e e s s t t In der kommunikativen Phase hingegen ist die Krisensituation öffentlich geworden, der Marktplatz der Medien verwandelt sich häufig in eine Arena, in der Personen und Unternehmen zum Spielball redaktioneller Aktivitäten werden. Journalisten recherchieren und kommentieren, Interviewpartner werden gesucht, Statements von Experten eingeholt, Geschichten zugespitzt und skandalisiert (Kepplinger 2012). Die Professionalität aller Akteure wird einem unerbittlichen Qualitätstest unterworfen. Handeln steht unter enormem Legitimations- und Zeitdruck. Die Berichterstattungsmaschinerie läuft auf Hochtouren. Themen machen Karriere. Je länger sie in der Öffentlichkeit diskutiert werden, desto geringer ist das Einflusspotenzial der einzelnen Akteure und umso höher der Aufwand, um im Themenfeld auch gehört zu werden. Die Handlungsfelder in der „heißen Phase“ sind klar: ! Inhalte, Themen, Aussagen und Botschaften müssen festgelegt werden: Was kann/ muss wann und wie gesagt werden? Die Grundgesetze der Krisenkommunikation liegen auf der Hand: Nämlich konsistent und offen zu informieren und darauf zu achten, dass Botschaften Sympathie schaffen oder zumindest die emotionale Fürsorge den Betroffenen oder gar Opfern gegenüber öffentlich erkennbar wird. <?page no="431"?> 416 Herausforderungen und Perspektiven ! Akteure und Stakeholder: Wer spricht mit wem? Von Einsatzplänen und Sprachregelungen für Kommunikatoren - vom CEO, den Pressesprechern bis zu den Experten für Talkrunden oder das Frühstücksfernsehen - bis hin zu Medienbzw. Kommunikationstrainings für die Sprecher reicht dieses Aktionsfeld. ! Unternehmen und Abläufe: Wer übernimmt welche Aufgaben? Handbücher werden erstellt und aktualisiert, Task Forces zusammengesetzt, Expertengremien und Ombudsmänner etabliert u. a. Schaubild 69 Krisenstrategien in Abhängigkeit von der Verantwortungsübernahme Quelle: Coombs (2006, 182). All diese Entscheidungen hängen jedoch davon ab, ob sich das Unternehmen für einen offensiven oder defensiven Weg des Krisenmanagements entscheidet und welche Strategie eingeschlagen wird (Schaubild 69). Diese kann - je nach Einzelfall - von einer klaren Entschuldigung und Übernahme der Verantwortung für die Krise über aktive Korrekturmaßnahmen, Besänftigungsstrategien gegenüber Stakeholdern, Rechtfertigungsversuchen und Ausreden bis hin zur Umgehung der Krise oder gar Angriffe auf Kritiker und Gegner reichen. Einige Strategien (Coombs 2006, 182) sind jedoch wenig aussichtsreich. Allerdings sind Strategieänderungen in der Praxis nur sehr langfristig zu erreichen, Very High Acceptance Full Apology: the organization takes full responsibility for the crisis and requests forgiveness from stakeholders. It can also include some form of compensation. High Acceptance Corrective Action: the organization takes steps to repair the crisis damage and/ or prevent a recurrence of the crisis. Mild Acceptance Ingratiation: the organization reminds stakeholders of past good works by the organization or praises the stakeholders in some fashion. Mild Acceptance Justification: the organization tries to minimize the perceived damage related to the crisis. Includes claiming that the damage was minimal or that the victim deserved it. N o Acceptance Denial: the organization maintains that no crisis occurred. The response may include efforts to explain why there was no crisis. N o Acceptance Attack the Accuser: the organization confronts the people or group who say that a crisis exists. The response may include a threat such as lawsuit. <?page no="432"?> Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise 417 d. h., dass meist nur Überlegungen in der Krisennachbereitung einen Wandel einleiten können. Ob die kommunikative Phase gelingt, hängt von der Kommunikationsstrategie und der Professionalität der Akteure ab. Wie gehen die Verantwortlichen mit der Krise um? Welche Einstellung haben sie zu dem jeweiligen Ereignis oder zu der Entwicklung? Jetzt gilt es zu überprüfen, ob die Entscheidungen in dieser Phase - in der Retrospektive - richtig waren, ob Abläufe schneller und effizienter sein können und welche Themen ankommen. 3 3 . . 3 3 L L e e s s s s o o n n s s l l e e a a r r n n e e d d - - d d i i e e Z Z e e i i t t d d a a n n a a c c h h Ist die öffentliche Resonanz erst einmal vorbei und das Krisenthema von der Agenda der Stakeholder und Medien verschwunden, ist Zeit für die dritte postkommunikative Phase der Krisenkommunikation: die Nachbereitung und Vorbereitung für künftige Aufgaben sowie die Behebung von „Schäden“, die die Krise hinterlassen hat. Reparaturarbeiten sind nicht nur teuer und aufwendig, sondern häufig auch wenig erfolgreich. Wäre nur ein Teil der Energien der postkommunikativen Phase im Vorfeld der Krise investiert worden, wären sie besser angelegt. In der postkommunikativen Phase ist Zeit vorhanden für Grundsatzüberlegungen (z. B. über die Strategie), aber auch, um die Nachwirkungen einer Krise festzustellen. Diese können meist nur - wenn überhaupt - mit großem Aufwand an Personal und Kosten behoben werden. Die wichtigsten Handlungsfelder sind: ! Image/ Reputation: Welche Auswirkungen hatte diese Krise? Effekte der Krisenkommunikation für das Image von Personen, Unternehmen oder Produkten werden festgestellt. Das Themen- und Stakeholdermanagement wird entsprechend verändert, um den „Schaden“ von Krisen zu beheben und ggfs. die Positionierung des Unternehmens anzupassen. ! Evaluation der Kommunikationsbeziehungen zu Stakeholdern und Kommunikatoren: Ein typisches Defizit von Krisenkommunikation ist z. B., dass Expertennetzwerke zu spät aufgebaut werden. In Krisenzeiten haben Medien einen unstillbaren Hunger nach Gesprächspartnern (u. a. für das Frühstücksfernsehen), die dann nicht zur Verfügung stehen. Fungierte das Internet z. B. als Katalysator für Krisen, ist ein kontinuierliches Monitoring ausgewählter Weblogs, Plattformen oder Foren angebracht. Frühzeitige Investitionen in Kommunikationsnetze bzw. -beziehungen und die Kenntnis von Stakeholdern zahlen sich aus. In Krisenzeiten können sie - zumal unter Zeit- <?page no="433"?> 418 Herausforderungen und Perspektiven druck - meist nicht mehr nachgeholt werden. Nach der Krise ist vor der Krise. ! Nachdenken über die Position und Kompetenz des Bereichs Kommunikation: Gab es Akzelerationseffekte durch das Handeln des Unternehmens selbst? Gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Top-Management und den Kommunikationsverantwortlichen? Krisenkommunikation ist immer auch ein Lackmustest für die Kompetenz der Akteure und ihr Selbstverständnis im Umgang mit Stakeholdern und Themen. Die Beschleunigungsprozesse der Krisenverläufe begleitet von kurzatmiger Medienberichterstattung und schnellen Themenkarrieren werden also nicht nur von Medien angetrieben, die die Kommunikation komplexer Themen verkürzen, vereinfachen, boulevardisieren und skandalisieren. Auch die Unternehmen tragen häufig selbst zu einer Beschleunigung und emotionalen Aufheizung der Skandale bei, die sie selbst beklagen - durch mangelnde Vorbereitung und Professionalität. Krisenkommunikation kann zwar nicht geplant, aber vorbereitet werden. Eine Krise kann als wertvoller Impuls wirken, wenn dem betroffenen Unternehmen die Situation nicht völlig entgleitet. Falls es bereits einen Krisen-Aktionsplan erarbeitet hat, kann es sich im Ernstfall auf die Ursachen der neuen Lage konzentrieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kommunikation außer Kontrolle gerät, wird durch eine sorgfältige Vorbereitung verringert. Dazu trägt allein das durch die Vorbereitung gewonnene subjektive Sicherheitsgefühl bei: Das Management fixiert die Krisensymptome nicht mehr tatenlos, sondern hat Spielraum zur kreativen Bewältigung der Situation. In vielen Fällen trägt dann die Krise sogar zu einer positiven Neuorientierung des Unternehmens bei. Auch wenn Krisensituationen in der Praxis häufig Probleme bereiten, wissen Kommunikationsprofis doch, wie sie ablaufen sollten. Die Kernbotschaften sind jedem Krisenmanager bekannt: ! Erstens: Wir haben ein Problem. ! Zweitens: Wir haben es erkannt und arbeiten daran. ! Drittens: Wir sind kompetent in der Problemlösung. ! Viertens: Wir informieren umfassend und kontinuierlich. ! Fünftens: Und dann - wenn die Zeiten wieder ruhiger werden und die heiße Medienberichterstattung abgeflaut ist - gilt es, offensiv Themen zu besetzen, um eventuelle Reputationsschäden wieder auszugleichen. Unternehmen agieren - spätestens seit der Euro- und Verschuldungskrise - in einem Umfeld aus Misstrauen, Unsicherheit bis hin zu Angst. Nahezu alle Institutionen und Unternehmen verlieren das Vertrauen der Menschen. Mehrheitlich <?page no="434"?> Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise 419 glauben die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr, was Banken und Versicherungen, aber auch die übrigen Unternehmen sagen. Politische Institutionen wie Bundesregierung, Bundestag oder Oppositionsparteien haben ebenfalls bei den meisten Befragten kaum Glaubwürdigkeit mehr, weil sie sich von ihnen in ihren Interessen, aber auch Sorgen und Ängsten nicht mehr repräsentiert fühlen. Steht eine Neuausrichtung des Kommunikationsmanagements der Unternehmen bevor? Wie könnte sie aussehen? Schließlich agieren die Unternehmen in einer äußerst volatilen Situation, die selbst über kurze Zeitzyklen kaum kalkulierbar und berechenbar erscheint - einem Tanz auf Eisschollen vergleichbar, die aber schmelzen. Immer mehr Unternehmen geraten unter Legitimationsdruck, denn die Menschen stellen zunehmend kritische Fragen - nicht nur an Banken und Versicherungen, sondern auch an die Unternehmen der Realwirtschaft - nach ihrer Verantwortung in den Finanz- und Eurokrisen, im Klimawandel, bei der sozialen Gerechtigkeit und beim Umgang mit Menschen, mit Arbeitnehmern, Kunden, Lieferanten u. a. Die Medienkrisen nehmen zu. Nicht nur das Internet, auch die „alten“ Medien produzieren Risiken für die Reputation von Unternehmen am laufenden Band. Die Krisen werden zur Normalität, die Krisenkommunikation auch. <?page no="435"?> 420 Herausforderungen und Perspektiven ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Ob ein Ereignis oder eine Entwicklung als Krise angesehen wird, hängt von objektiven Gegebenheiten und subjektiven Interpretationen der Betroffenen ab. ! Krisen sind unvorhergesehene und unklare Situationen, die die Reputation eines Unternehmens gefährden können. ! Einstellungen zum Umgang mit Krisen oszillieren in der Praxis zwischen defensiven und offensiven Strategien. ! Medien sind meist nicht Verursacher von Krisen, aber Auslöser. ! Medien wirken sowohl als Katalysatoren wie auch als Durchlauferhitzer für Themenkarrieren. ! Krisen sind Risiken, die eintreffen. ! Krisenkommunikation kann nicht geplant, aber vorbereitet werden. ! Verantwortungskommunikation wird von der Kür zur Pflicht für Unternehmen. ! Die Unternehmen agieren in einem Feld des Misstrauens. Krisen werden zur Normalität. ! Eine zukunftsorientierte Unternehmenskommunikation betont eine präventive Kommunikationspolitik, eine neue PR-orientierte Tonalität, einen sensiblen Umgang mit den Medien und eine gesellschaftsorientierte Perspektive der Inhalte. <?page no="436"?> Kapitel 13: Vor der Krise - nach der Krise 421 ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Möhrle, Hartwin (Hrsg.) (2015): Krisen-PR. Risiken und Krisen souverän managen. Das Kommunikationshandbuch der Profis. 3., aktual. Aufl. Frankfurt/ Main: Frankfurter Allgemeine Buch. Die Autoren des Sammelbandes stellen Krisenpräventions- und Interventionskonzepte sowie Best-Practice-Beispiele vor. Informationen zu Krisenthemen und Krisentrainings runden das Handbuch ab. Höbel, Peter/ Hofmann, Thorsten (2014): Krisenkommunikation. 2., vollst. überarb. Aufl. Konstanz: UVK. Das Buch stellt einerseits das für das Verständnis von Krisen relevante Wissen aus Psychologie, Betriebswirtschaft und Kommunikationswissenschaft zur Verfügung. Andererseits ist es durch einen konsequenten Praxisbezug gekennzeichnet. Coombs, W. Timothy (2014): Ongoing crisis communication. Planning, managing, and responding. 4th ed. Los Angeles: Sage Publications. Dieser US-amerikanische Klassiker gibt praktische Tipps zur Krisenkommunikation. Vorgestellt werden sowohl Möglichkeiten zur Früherkennung von Konflikten und zur Vorbereitung von Krisensituationen als auch Aktionen im Krisenfall selbst und Instrumente zur Evaluation und Nacharbeit. Tennert, Falk (2012): Ursachendiskurse in der Wirtschaftskommunikation. Krisenkommunikation und Reputationskrisen: Modelle - Studien - Empfehlungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. In Mittelpunkt der Betrachtung stehen Ursachenzuschreibungen in der Wirtschaftskommunikation. Der Autor argumentiert, dass Medien vor allem in Krisensituationen die Deutung von Ereignissen bestimmen und dadurch über langfristige Entwicklungen in der öffentlichen Wahrnehmung von Akteuren, Themen und Organisationen entscheiden. Thießen, Ansgar (2011): Organisationskommunikation in Krisen. Reputationsmanagement durch situative, integrierte und strategische Krisenkommunikation. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Der Band zeigt systematisch auf, welchen Beitrag situative, integrative und strategische Krisenkommunikation für Profit- und Non-Profit-Organisationen leistet und entwickelt dadurch Organisationskommunikation als zentrales Steuerungsinstrument für den Erhalt von Reputationen in Krisen. <?page no="438"?> K K a a p p i i t t e e l l 1 1 4 4 : : I I n n t t e e r r n n a a t t i i o o n n a a l l e e U U n n t t e e r r n n e e h h m m e e n n s s - kkoom mmmuunniik ka at tiioonn Die Internationalisierung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hat dazu geführt, dass viele Unternehmen heute grenzüberschreitend kommunizieren. Ob Mitarbeiter in verschiedenen Produktionsstandorten im Ausland, Journalisten von internationalen Fachmedien oder Kunden in aller Welt - die Zielgruppen von Unternehmenskommunikation sind heute breit gefächert und geografisch weit gestreut. Bereits im nationalen Umfeld muss Unternehmenskommunikation viele verschiedene Herausforderungen berücksichtigen. Im Rahmen der Internationalisierung potenzieren sich Heterogenität und Komplexität dieser Faktoren um ein Vielfaches. Internationale Unternehmenskommunikation spricht Stakeholder in unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Kontexten an. Es handelt sich also, vereinfacht gesagt, um interne und externe Unternehmenskommunikation über Grenzen hinweg (Huck 2002, 344). Ihr Kernziel ist, ein weltweit konsistentes Erschein un gsb ild des U n te rn eh me ns zu g ewährl ei sten . Mit arbei te r in Europa und in Asien sollten ihr Unternehmen als weltweit tätiges, aber national verankertes Unternehmen wahrnehmen und sich über Länder- und Kulturgrenzen hinweg zugehörig fühlen. Einem Kunden in Deutschland muss das Unternehmensimage mit denselben Werten vermittelt werden wie Kunden in den USA, in Japan oder in Südafrika. Damit dies möglich wird, sollten Bezugsgruppen möglichst individualisiert angesprochen werden. „All communication is local“, so lautet einer der zentralen Grundsätze internationaler Kommunikation. Ziele, Inhalte und Botschaften können global einheitlich festgelegt und entwickelt werden, ihre Vermittlung jedoch sollte sich an den Grundsätzen der jeweiligen Kultur orientieren. Wenn Unternehmenskommunikation über nationale und kulturelle Grenzen hinweg betrieben wird, tauchen zwangsläufig Fragen auf, die sich auf die Abwägung zwischen globaler Einheitlichkeit und der Anpassung an lokale Besonderheiten beziehen: Kann eine PR-Strategie, die für spanische Medien entwickelt worden ist, ohne Änderungen auf schwedische Journalisten angewandt werden? Ist eine Mitarbeiterzeitung, die z. B. für Mitarbeiter des chinesischen Unternehmenszweiges geschrieben wurde, allein durch die Übersetzung in andere Sprachen auch ein gelungenes PR-Instrument für Mitarbeiter in den USA, in Südamerika oder in Afrika? Lässt sich eine Kampagne, die in Deutschland erfolgreich war, auf ganz Europa übertragen? Im Kern der internationalen Unternehmenskommunikation steht die Frage inwieweit Strategien, Konzepte und von Simone Huck-Sandhu <?page no="439"?> 424 Herausforderungen und Perspektiven Kommunikationspraktiken von einem nationalen Umfeld in ein anderes nationales oder internationales Umfeld übertragen werden können. Kapitel 14 stellt die idealtypischen Basisstrategien grenzüberschreitender Kommunikationsarbeit dar. Ausgangspunkt sind die zentralen Rahmenbedingungen für eine Internationalisierung der Unternehmenskommunikation. Im Anschluss wird die Praxis grenzüberschreitender Unternehmenskommunikation beleuchtet. Dabei stehen Fragen der Planung und des Managements internationaler Kommunikation sowie ausgewählte Instrumente im Vordergrund. Den Abschluss des Kapitels bildet ein Ausblick in die aktuellen Entwicklungen und Trends im Feld der internationalen Unternehmenskommunikation. 1 1 I I m m S S p p a a n n n n u u n n g g s s f f e e l l d d v v o o n n n n a a t t i i o o n n a a l l e e r r u u n n d d i i n n t t e e r r n n a a t t i i o o n n a a l l e e r r U U m m w w e e l l t t In grenzüberschreitend tätigen Unternehmen gilt internationale Kommunikation als etabliertes Aufgabenfeld - nicht nur in der Marketingkommunikation, sondern längst auch in der Unternehmenskommunikation. Die kommunikationswissenschaftliche Theoriebildung zur grenzüberschreitenden Unternehmenskommunikation eilt der Entwicklung des Praxisfeldes noch immer hinterher: Zwar etablierte sich bereits ab Ende der 1960er Jahre das Forschungsfeld des internationalen Marketings (Wind/ Douglas/ Perlmutter 1973, Perlmutter 1969) und ab Ende der 1980er Jahre der Forschungsbereich internationale Public Relations (Nally 1991, Wouters 1991, Anderson 1989, Ovaitt 1988, Booth 1986). Aber erst seit Mitte der 1990er Jahre kann von einer intensiveren kommunikationswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit internationaler PR i.e.S. die Rede sein (Meadows/ Meadows 2014, 872, Ingenhoff 2013, Wakefield 1996, 18). Dabei stehen u. a. die Untersuchung der Praxis internationaler Unternehmenskommunikation (Huck 2007, Huck 2005b, 892), der Bedeutung der Kultur für die internationale PR (Klare 2010, Sriramesh/ Vercic 2009, Huck 2004) oder auch der Einfluss der Globalisierung auf die grenzüberschreitende Kommunikation von Unternehmen und andere Organisationen im Mittelpunkt (Andres 2004). In den letzten Jahren hat internationale Kommunikation als Thema für die Forschung weiter an Bedeutung gewonnen. „Public Relations has gone global“, konstatierten Bardhan und Weaver im Jahr 2011 für das Forschungsfeld. Allerdings dominieren nach wie vor komparative Zugänge, die PR in spezifischen Ländern oder ländervergleichend analysieren und meist im Kontext von James <?page no="440"?> Kapitel 14: Internationale Unternehmenskommunikation 425 E. Grunigs Exzellenzstudie stehen (Jain/ De Moya/ Molleda 2014, Ingenhoff/ Rühl 2013). Vor dem Hintergrund der sich wandelnden Medienlandschaft und der verstärkten Herausbildung von Bezugsgruppen, die sich unabhängig von nationalen oder kulturellen Grenzen formieren, werden aber zunehmend auch Aspekte der globalen Dimension von Unternehmenskommunikation thematisiert (z. B. Freitag/ Quesinberry Stokes 2009, Curtin/ Gaither 2007). Die bislang vorliegenden theoretischen und empirischen Arbeiten machen deutlich, dass internationale Unternehmenskommunikation in erster Linie das Produkt ihrer Rahmenbedingungen ist. Damit wird der Kontext zu einem ersten wichtigen Faktor, der eine nähere Untersuchung wert ist. Internationale Unternehmenskommunikation existiert wie jede Unternehmenskommunikation in einem Gefüge aus internen und externen Rahmenbedingungen, sowohl national als auch auf globaler Ebene (Curtin/ Gaither 2007, 51; Schaubild 70). Schaubild 70 Einflussfaktoren internationaler Unternehmenstätigkeit Quelle: eigene Darstellung. Wenn von internen Rahmenbedingungen die Rede ist, so handelt es sich vor allem um die Strukturen, Prozesse und Zielsetzungen des Unternehmens. Neben Unternehmenskultur, Unternehmensphilosophie und Corporate Identity Ressourcen Unternehmen Kultur Philosophie Corporate Identity Ziele Strategie Organisationsstruktur Spezifische Faktoren für die Unternehmenskommunikation Allgemeine Faktoren für die Unternehmenstätigkeit nationale und internationale Umwelt politischrechtliche Faktoren ökonomische Faktoren technologische Faktoren nationaler Entwicklungsstand soziokulturelle Faktoren Bezugsgruppen Bezugsgruppen Meinungsführer Meinungsführer Medien Medien <?page no="441"?> 426 Herausforderungen und Perspektiven sind dies in erster Linie Zielsetzung und strategische Ausrichtung des Unternehmens sowie die organisatorischen Grundlagen (Kunczik 1992, 341). Die internen Einflussfaktoren sind im Rahmen einer erfolgreich integrierten Unternehmenskommunikation in der Regel über alle Länder und Unternehmensteile hinweg identisch und müssen nicht für jedes Land neu entschieden oder festgelegt werden. Die zahlreichen nationalen und internationalen Einflüsse der externen Unternehmensumwelt, die neben diese internen Bestimmungsfaktoren treten, können hingegen von Land zu Land stark variieren (Daub 2003, 20). Ein grenzüberschreitend tätiges Unternehmen kann nur dann erfolgreich bestehen, wenn es diese Umweltfaktoren mit ins Kalkül der Unternehmensplanung, der Strategiefindung und der Unternehmenstätigkeit einbezieht und sich an den Wandel im Umfeld kontinuierlich anpasst. Die Rahmenbedingungen spielen in zweifacher Hi ns ic ht ein e Rol le, für di e komm uni ka tive Be arb ei tun g ei nes Lan de s eb enso wie im globalen Rahmen, wenn es um eine konzertierte Ansprache von Zielgruppen weltweit geht. Die externen Einflussfaktoren sind zahlreich und variieren in Art und Ausprägung von Land zu Land. Als zentrale Umweltfaktoren werden im Allgemeinen politische, rechtliche, ökonomische, technologische und sozio-kulturelle Elemente genannt (Huck 2004, 75 ff., Andres 2004, 154 ff., Zentes 1997, 1041 ff., Streich 1996, 14 ff., Kunczik 1992, 341). Hinzu treten spezifische Rahmenfaktoren für die Unternehmenskommunikation. ! Politische Rahmenbedingungen beziehen sich in erster Linie auf die politische Stabilität eines Landes (Wakefield 2000, 187). Sie wirken sich auf die Art und Weise aus, in der Unternehmenskommunikation im jeweiligen Land betrieben werden kann. In China oder Russland beispielsweise, wo die Massenmedien staatlich überwacht und teilweise zensiert werden, vollzieht sich die Pressearbeit in ganz anderen Kontexten als etwa in Deutschland: Unternehmensthemen dürfen keine regimekritischen Bezüge aufweisen, die Berichterstattung ist stärker unterhaltungsals nachrichtenorientiert und redaktionelle Beiträge können häufig sogar gekauft werden (Brauer 2005, 8, Chen/ Culbertson 2003, 24 ff.). ! Rechtliche Rahmenbedingungen spielen für die gesamte Unternehmenstätigkeit im jeweiligen Land eine Rolle. Für die Kommunikation gewinnt das Rechtssystem an Bedeutung, wenn es sich um Ge- oder Verbote für die Kommunikation handelt (Streich 1996, 14 ff.). Sie kann aber auch eine Rolle für die Mitarbeiterkommunikation oder für die mit der Investor Relations verbundenen Berichterstattungspflichten spielen. ! Von besonderer Bedeutung sind auch die ökonomischen Rahmenbedingungen, innerhalb deren Grenzen sich Unternehmenstätigkeit und -kommunikation entfalten. Vor allem das Wirtschaftssystem und das Ausmaß an Wettbewerb <?page no="442"?> Kapitel 14: Internationale Unternehmenskommunikation 427 in einem Land prägen die Kommunikationsarbeit. Auch auf die Medienlandschaft wirken sie ein, so dass die Verfügbarkeit von Medien zum Beispiel Auswirkungen auf Media Relations oder die Mediaplanung in der Werbung haben kann. ! Die technologischen Faktoren beziehen sich mit Blick auf die Unternehmenskommunikation in erster Linie auf die Verbreitung von Internet oder TV- Medien, aber auch auf die Verfügbarkeit von Technologien zur Ansprache von Mitarbeitern, Kunden, Journalisten, Investoren und anderen Gruppen. ! Sozio-kulturelle Spezifika wirken sich auf Werthaltungen, normative Prinzipien, Mentalitäten und die kulturelle Prägung der Menschen eines Landes aus (Huck 2004, 87 ff., Kleebinder 1995, 139 ff.). Sie prägen nicht nur generelle Einstellungen und Verhaltensweisen, sondern z. B. auch ganz konkrete Elemente wie Farbwahrnehmung oder kommunikatives Verhalten, die für die Gestaltung von Werbemitteln oder PR-Anzeigen eine Bedeutung haben (Streich 1996, 18 ff.). Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch sprachliche Unterschiede, die teilweise erhebliche Barrieren für eine international integrierte Unternehmenskommunikation darstellen (Wakefield 2000, 189). Neben diese allgemeinen Einflussfaktoren internationaler Unternehmenstätigkeit treten zusätzliche Faktoren, die ausschließlich bzw. in erster Linie für die Unternehmenskommunikation von Bedeutung sind (Huck 2002): ! Bei den sog. adressatenbezogenen Faktoren handelt es sich um all jene Faktoren, die durch die unterschiedlichen nationalen oder internationalen Bezugs- und Zielgruppen sowie Meinungsführer vorgegeben werden. Sie stehen in engem Zusammenhang mit den allgemeinen kulturellen Faktoren, die oben bereits dargestellt wurden. In Bezug auf die unterschiedlichen nationalen Bezugsgruppen bestehen von Land zu Land Unterschiede in Sprachen, Mentalitäten und Wahrnehmungsgewohnheiten. Zentrale Bedeutung im Zusammenhang mit der kulturellen Prägung eines Landes hat auch der Kommunikationsstil von Dokumenten, Botschaften usw. (Bird 2001, 211). Er beeinflusst die Aufbereitung von Inhalten für Mitarbeiter- und Kundenzeitschriften, die Art des Umgangs mit Journalisten oder die Präsentation von Geschäftsergebnissen auf der Jahreshauptversammlung. Um den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung zu beeinflussen, muss die Unternehmenskommunikation auch Meinungsführer (Opinion Leader) erreichen. Diese Funktion kann in den unterschiedlichen Ländern durchaus von verschiedenen Personengruppen wahrgenommen werden (Kleebinder 1995, 133 f.). So variieren z. B. von Land zu Land die Macht der Politik oder die Struktur und der Einfluss der Medien. Das Fernsehen ist in Südeuropa ein wesentlich einflussreicheres Medium als in Nordeuropa, da Südeuropäer <?page no="443"?> 428 Herausforderungen und Perspektiven stärker TV-orientiert, Nordeuropäer hingegen eher Presse-orientiert sind (Herres 1993, 20, zitiert nach Kleebinder 1995, 155). ! Bei den medienbezogenen Faktoren eines Landes spielen die nationalen Unterschiede in Verfügbarkeit und Nutzung, aber auch in Struktur, Professionalisierungsgrad, Rolle und Ethik der Medien eine Rolle (Wakefield 2000, 190 f., Streich 1996, 21 f.). Die Werbung sollte z. B. - ganz praktisch gesehen - für die Buchung von Anzeigenraum nationale Ferienzeiten einkalkulieren (MacDonald 1991, 46). Neben die nationalen Medien treten zahlreiche internationale Medien wie CNN, „Business Week“, „Financial Times“ oder „Wall Street Journal“, aber auch Online-Medien, die die Umweltkomplexität internationaler Unternehmenskommunikation (z. B. für die Mediaplanung) noch weiter steigern. Eine internationale, d. h. grenzüberschreitende Unternehmenskommunikation ist in erster Linie darauf ausgerichtet, Gemeinsamkeiten der einzelnen Länder, in denen sie aktiv ist, zu identifizieren und diese zur Basis für die weltweite Kommunikationsarbeit zu machen. Je mehr Angleichungsprozesse sich im Bereich der allgemeinen und spezifischen Rahmenbedingungen vollziehen, desto einfacher und integrativer wird eine globale Kommunikationspolitik. Während sich die politisch-rechtlichen, ökonomischen und auch technologischen Rahmenfaktoren in Wirtschaftsräumen wie der Europäischen Union oder weltweit in den Informations- und Kommunikationsgesellschaften immer weiter angleichen (Johanssen/ Steger 2001, 10, Epley 1992), kann eine solche Entwicklung im Bereich der Kultur jedoch nicht festgestellt werden. Kulturelle Eigenheiten verschärfen sich eher, als dass sie sich einander angleichen (Stevenson 2001, 88 ff.). In dem Maß, in dem der Wunsch der Menschen nach Lokalem und Vertrautem im Sinn einer neuen globalen Multikulturalität weiter zunimmt (Gerdemann 2001, 113), kann von einer Verschmelzung der Kulturen oder gar einer Weltkultur immer weniger die Rede sein. Für die Kultur kann also von einer Divergenz, für die Mehrzahl der anderen Faktoren von einer Angleichung der Länder untereinander gesprochen werden. Eine international integrierte Unternehmenskommunikation gewinnt in diesem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung (Schipanski 2012, Kleebinder 1995, 135). Sie sieht sich nicht nur einer Vielzahl grundsätzlicher und situativer Rahmenfaktoren gegenüber, sondern auch zahlreichen neuen Herausforderungen. Diese ergeben sich aus den oben genannten Bedingungen und Spezifika eines jeden Landes, aber auch aus der internationalen Umwelt. So treten neben die jeweiligen nationalen Elemente auch internationale Einflussfaktoren - von internationalen Gesetzen über grenzüberschreitende Konventionen bis hin zu weltweit verfügbaren Medien. Wenige Unternehmen haben heute noch eine rein nationale Perspektive, selbst wenn sie lediglich innerhalb der Grenzen ihres Stammlan- <?page no="444"?> Kapitel 14: Internationale Unternehmenskommunikation 429 des tätig sind. Soziale Verantwortung etwa kann nur global wahrgenommen werden, da auch die kritische Meinung der Öffentlichkeit nicht vor Staatsgrenzen Halt macht (Johanssen 2001, 46 ff., Steger 2001, 29). Spätestens der Fall Brent Spar hat gezeigt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Unternehmenstätigkeit nur vor Bürgern des Stammlandes eines Unternehmens gerechtfertigt werden musste (Bode 2001). Issues Management, Krisenkommunikation und Investor Relations finden ohnehin längst auf globaler Ebene statt. Tipp Das Institute for Public Relations $ www.instituteforpr.org berichtet auf seiner Website über erfolgreiche Kommunikationskampagnen. In der Rubrik „Organizational Communication Research Center“ sind über die Suchfunktion Case Studies zu internationaler PR zugänglich, sowohl für einzelne Länder als auch länderübergreifend. Ein Kernpunkt dabei sind die jeweiligen politischen, ökonomischen, rechtlichen, technologischen und kulturellen Rahmenbedingungen und deren Berücksichtigung in den Konzeptionen. Best Practice-Beispiele sind auch die Kampagnen, die jeweils für den „Silver Award“ der PRSSA eingereicht werden. Kurzbeschreibungen sind unter $ www.prsa.org/ Awards/ SilverAnvil/ Search unter dem Stichwort „Global Communication“ einsehbar. 2 2 S S t t r r a a t t e e g g i i s s c c h h e e A A u u s s r r i i c c h h t t u u n n g g Nicht alle Felder bzw. Instrumente der Unternehmenskommunikation und erst recht nicht alle Schritte des Planungsprozesses sind ohne Weiteres global einheitlich umzusetzen. Je nach Art, Richtung und Ausprägung der Umweltfaktoren eines jeden Landes muss eine Internationalisierungsstrategie für die Kommunikation gewählt werden, die entweder Unterschiede oder aber Gemeinsamkeiten in den Vordergrund rückt und dementsprechend unterschiedliche Wirkungen erzielt. Bei der internationalen Unternehmenskommunikation lassen sich zwei idealtypische Ansätze unterscheiden: die Standardisierungs- und die Differenzierungsstrategie (Huck 2001, Streich 1996, 54 ff., Wimmer 1994, 38 f.). Während die Standardisierungsstrategie versucht, internationale Unternehmenskommunikation möglichst global einheitlich zu betreiben, orientiert sich die Differenzierungsstrategie stark an einer lokalspezifischen Umsetzung (Schaubild 71). <?page no="445"?> 430 Herausforderungen und Perspektiven Schaubild 71: Standardisierung und Differenzierung als idealtypische Strategien Quelle: eigene Darstellung. Die Standardisierungsstrategie ist darauf ausgerichtet, Unternehmenskommunikation über Ländergrenzen hinweg so einheitlich wie möglich zu betreiben (Wimmer 1994, 45). Grundlage ist die Überzeugung, dass sich die zu bearbeitenden Länder in den relevanten Kriterien eher ähneln als unterscheiden. Sie können somit als ein gesamtheitliches Feld für Kommunikation angesehen werden. Vorteile dieser Strategie sind die damit verbundenen Synergieeffekte, der Transfer von Know-how sowie die hohe Effizienzorientierung (Dmoch 1997, 22 f., Streich 1996, 55). So kann eine Werbeanzeige für alle Absatzländer des Unternehmens übernommen werden, wenn lediglich der Text übersetzt werden muss und dadurch die Kosten stark sinken. Hinzu kommt die Möglichkeit, ein international einheitliches Image und Erscheinungsbild des Unternehmens zu generieren. Grenzen der Standardisierbarkeit finden sich z. B. in unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen der einzelnen Länder oder im unterschiedlichen Mediennutzungsverhalten der Bevölkerung (Dmoch 1997, 13, Streich 1996, 15 ff.). Nachteil ist, dass regionale oder lokale kulturelle Rahmenbedingungen kaum berücksichtigt werden (Streich 1996, 55 f.). Bezogen auf das Beispiel der Werbeanzeige stellt sich deshalb die Frage, ob deutsche Kunden tatsächlich genauso angesprochen werden können wie etwa japanische oder spanische. Eine global einheitliche Praxis der Unternehmenskommunikation im Sinne einer standardisierten Kommunikationsstrategie ist in ihrer Absolutheit unmöglich. „Communication is extremely local and very personal“ (Haywood 1991, 22). Es sind primär die kulturellen Eigenarten eines Landes, die einer Globalisierung von Unternehmenskommunikation entgegenstehen. Was für die persuasive Werbung noch denkbar ist, erscheint für die PR mit ihrer Ausrichtung auf Dialog, Verständnis und Vertrauen unmöglich. Die Differenzierungsstrategie versucht, diesen Bedenken Rechnung zu tragen: Die Unternehmenskommunikation wird auf die jeweiligen nationalen Besonderheiten eines Landes ausgerichtet. Dadurch können die relevanten Medien und Zielgruppen vor Ort wesentlich genauer anglokal „think global, act lokal“ Standardisierung Differenzierung <?page no="446"?> Kapitel 14: Internationale Unternehmenskommunikation 431 gesprochen werden, als dies im Rahmen der Standardisierung möglich ist. Eine Werbeanzeige sieht im Rahmen dieser Strategie in jedem Land anders aus; sowohl Botschaft als auch Umsetzung unterscheiden sich je nach Werten, Einstellungen, Farbempfinden usw. Der Kommunikationskontext wird zur zentralen Größe der lokalen Differenzierung. Nachteile dieser Strategie sind im Allgemeinen die bereits genannten Vorteile der Standardisierung. Bei vollständiger Differenzierung jedoch vergibt ein Unternehmen Möglichkeiten zur Generierung eines global einheitlichen Images, zur Realisation von Synergieeffekten und eines Know-how-Transfers. Standardisierung und Differenzierung sind damit für die Praxis zu einseitige Strategien, die der Vielfalt der Anforderungen nicht entsprechen können. Die Praxis der internationalen Unternehmenskommunikation liegt im breiten Spektrum zwischen diesen beiden Extremen: Die meisten international tätigen Unternehmen orientieren sich an dem Leitspruch „So global wie möglich, so lokal wie nötig - think global, act local“ (Morley 2002, 29, Bolten 2000, Heylin 1991, 19). Dieser Leitspruch bringt die Strategie der standardisierten Differenzierung treffend auf den Punkt. Sie stellt eine Verbindung der beiden Extrempositionen von Standardisierung und Differenzierung in Form einer Mischstrategie dar (Raffée/ Wiedmann 1989, 518 ff.). Dadurch können relevante Medien und Zielgruppen vor Ort wesentlich genauer angesprochen werden, als im Rahmen der Standardisierung. Zugleich wird ein „international konsistentes Kommunikationsdach“ entwickelt (Bird 2001). Dabei müssen sowohl lokale bzw. nationale Besonderheiten als auch grenzüberschreitende Gemeinsamkeiten berücksichtigt werden. Die Strategie der standardisierten Differenzierung kann als grenzüberschreitende integrierte Kommunikation auf internationaler Ebene verstanden werden. Sie wird „von der Einsicht in die Kontextabhängigkeit, aber auch das Wissen um Notwendigkeit und Möglichkeiten grenzüberschreitender Effizienz geleitet“ (Wimmer 1994, 37). Zentrale Erfolgsfaktoren internationaler Unternehmenskommunikation bestehen also vor allem in einer guten Koordination und Kontrolle von Zentrale und nationalen Ablegern, einem internationalen Know-how-Transfer, einem guten Informationsfluss und einem gleichen Professionalisierungsstand der Kommunikationspartner (Bird 2001, 214 f., Traverse-Healy 1991, 38 f.). An Bedeutung gewinnt auch das Kriterium, für zentrale Strategien und Programme vor Ort eine vollständige Akzeptanz zu erzeugen und sich als ein Unternehmen der lokalen Gemeinschaft zu positionieren, anstatt vor Ort als „alien invader“ (MacDonald 1991, 45) wahrgenommen zu werden. <?page no="447"?> 432 Herausforderungen und Perspektiven 3 3 I I n n t t e e r r n n a a t t i i o o n n a a l l e e U U n n t t e e r r n n e e h h m m e e n n s s k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n iinn dde err PPrraax xiiss Die Internationalisierung von Unternehmenskommunikation stellt eine der größten Herausforderungen in der Kommunikationsarbeit vieler Unternehmen dar. Ziel der grenzüberschreitenden Kommunikationsarbeit ist es meist, eine globale Reputation und ein weltweit konsistentes Image aufzubauen, ohne jedoch darüber die möglichst individuelle Ansprache von Zielgruppen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen zu vernachlässigen. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse einer Studie, in deren Rahmen Experteninterviews mit Kommunikationsverantwortlichen aus 20 Groß- und mittelständischen Unternehmen zu Herausforderungen, Erfolgsfaktoren und Grundsätzen grenzüberschreitender Unternehmenskommunikation geführt wurden (Huck 2005b). Die Befragung zeigt, dass sich das internationale Kommunikationsmanagement derzeit vor allem zwei wesentlichen Herausforderungen gegenüber sieht: dem Spagat zwischen Standardisierung und Differenzierung sowie der Abstimmung und der damit verbundenen Koordination von internationaler Zentrale und lokalen Einheiten. Damit lässt sich die Kernfrage einer grenzüberschreitenden Unternehmenskommunikation auf die Festlegung und Ausgestaltung einer globalen Kommunikationsstrategie und deren lokaler Implementierung herunter brechen. ! Notwendigkeit eines strategischen Kommunikationsmanagements Die befragten Kommunikationsexperten sind sich einig, dass das „Prinzip Gießkanne“ keine Lösung für den Wunsch nach einem global einheitlichen Image oder einer grenzüberschreitend konsistenten „One Voice Policy“ sein kann. Lokalen Besonderheiten soll und muss Rechnung getragen werden. Wie stark lokale Besonderheiten wie Kultur, Sprache oder Wahrnehmung von Kommunikation jedoch berücksichtigt werden müssen, ist für viele Befragte offen. Die Schwierigkeit bestehe darin, so einer der befragten Kommunikationsfachleute, die „richtige Balance zwischen einer globalen Steuerung - und damit Einheitlichkeit im Auftreten - und einer lokalen Flexibilität bei der konkreten Umsetzung“ zu finden. Auf der einen Seite verfolgen die Befragten das Ziel, weltweit und zeitgleich mit einer Stimme zu sprechen. Im Rahmen dieser „One Voice Policy“ soll das Unternehmen in allen Ländern bei allen Zielgruppen im Kern identisch wahrgenommen werden. Auf der anderen Seite streben sie im Zuge ihres internationalen Kommunikationsmanagements in weiten Teilen eine größtmögliche Lokalität an. Internationale Unternehmenskommunikation befindet sich damit im Spannungsfeld zwischen zentralen Vorgaben und der <?page no="448"?> Kapitel 14: Internationale Unternehmenskommunikation 433 Autonomie des jeweiligen Landes. „Kommunikation ist für uns global, wird aber letztlich lokal umgesetzt“, fasst es einer der Befragten zusammen. Die Strategien, mit denen dieser Herausforderung begegnet wird, bewegen sich in einem sehr breiten Spektrum. Während die einen versuchen, die Zügel der internationalen Kommunikation in der Zentrale straff zu halten, setzen die anderen zu Gunsten einer stark individualisierten Kommunikation auf die weitgehende Unabhängigkeit der lokalen Einheiten. Immer jedoch handelt es sich dabei um eine standardisierte Differenzierung, bei der lediglich der Grad der Differenzierung leicht variiert. Dabei handelt es sich vor allem um die Ausgestaltung der internen Abstimmung und Koordination. Zentrale Herausforderung ist dabei die Planung: Eine mehrere Länder umfassende Planung benötigt besonders lange Vorlaufzeiten, erfordert eine kontinuierliche Abstimmung mit den wichtigsten nationalen Einheiten und muss schließlich den Kommunikationsmitarbeitern in den einzelnen Ländern begreiflich gemacht werden. Einer der befragten Kommunikationsverantwortlichen bringt das wie folgt zum Ausdruck: „Eine der größten Herausforderungen liegt darin, dass man bei der Planung sehr lange Vorläufe braucht, um - wenn die Planung abgeschlossen ist - den Mitarbeitern in allen Ländern klar machen zu können, was Ziele, Strategien, Schritte und Inhalte der Kommunikation sind.“ ! Beispiel Pressearbeit: Der persönliche Kontakt entscheidet Vor allem die Pressearbeit lebt nach Meinung der Befragten vom persönlichen Kontakt zwischen Pressesprecher/ -in und Journalist. Presse- und Medienarbeit kann nur dann ihr gesamtes Spektrum ausschöpfen, wenn sie soweit wie möglich auf lokale Besonderheiten eingeht. Handelt es sich um Themen, die in erster Linie oder ausschließlich eine nationale oder gar nur regionale Bedeutung aufweisen, so haben die PR-Abteilungen vor Ort laut der befragten Kommunikationschefs in der Regel großen Spielraum. Persönliche Kontakte zu den Journalisten der jeweiligen Region oder des jeweiligen Landes sind das Erfolgsgeheimnis erfolgreicher - nationaler ebenso wie internationaler - Pressearbeit. In der Pressearbeit hebt sich die Trennung zwischen nationaler und internationaler Medienarbeit bis zu einem gewissen Grad sogar ganz auf: Medienarbeit ist Kontaktpflege und diese Kontaktpflege kann in der Regel nur dann erfolgreich sein, wenn Journalist und Pressesprecher „auf einer Wellenlänge sind“. Für die Entstehung einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung ist neben persönlicher Sympathie und emotionaler Nähe auch eine kulturelle Ähnlichkeit notwendig. Ein deutscher Pressefachmann wird es ungleich schwerer haben, mit einem französischen, bulgarischen oder chinesischen Journalisten eine erfolgreiche Arbeitsbeziehung zu etablieren als mit einem deutschen Journalisten. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: Die Finanzpressearbeit und die <?page no="449"?> 434 Herausforderungen und Perspektiven Fachpressearbeit in bestimmten Branchen sind durchaus global angelegt, jedoch spielt auch hier der persönliche Kontakt eine zentrale Rolle. Bei der Pressearbeit ist wie in so vielen anderen Bereichen der Unternehmenskommunikation Fingerspitzengefühl gefragt. Gerade wenn es um die möglichst persönliche Ansprache geht. So betont einer der Befragten: Auch wenn Deutschland und die Schweiz aufgrund ihrer gemeinsamen Sprache als ein Kommunikationsraum gelten könnten, so habe jeder Sprachraum doch seine eigenen sprachlichen Feinheiten, die es zu kennen und zu berücksichtigen gelte. In der Schweiz etwa hieße der Redakteur nun einmal nicht Redakteur, sondern „Redaktor“. Wird nun eine Pressemitteilung an den „Redakteur Otto Mustermann“ adressiert, so erkenne der Schweizer sofort, dass es sich um eine standardisierte Aussendung aus Deutschland handele. Die Bereitschaft, eine Presseinformation ins Blatt zu übernehmen, könne dann deutlich geringer sein. ! Mitarbeiter in aller Welt ansprechen: Mitarbeiterzeitschrift und Intranet Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld internationaler Unternehmenskommunikation ist nach Aussage der Befragten die Mitarbeiterkommunikation. Sie wird als eine besonders große Herausforderung gesehen, da Mitarbeiter aller Länder, Kulturen und Sprachen in ihrer Rolle als Angestellte möglichst konsistent angesprochen werden sollen. Mit jedem neuen Markt, in dem ein Unternehmen tätig wird, wachsen die geografischen, zeitlichen, kulturellen und sprachlichen Distanzen seiner Mitarbeiter. Drei Viertel der befragten Unternehmen haben eine internationale Mitarbeiterzeitschrift, fast alle davon mit lokalen Varianten. Das Spektrum ist breit: Während die eine Mitarbeiterzeitschrift dezentral als lokale Zeitschrift erstellt und lediglich mit Inhalten aus der globalen Zentrale angereichert wird, werden andere Mitarbeitermagazine in der Zentrale erstellt, in die gängigsten Landessprachen übersetzt und schließlich von den Kommunikationsfachleuten vor Ort mit einigen Seiten Lokalberichterstattung aufgefüllt. Unabhängig davon, welcher Typ von Mitarbeiterzeitschrift in den Unternehmen gewählt wird - Mehrsprachigkeit ist heutzutage Pflicht. Die befragten Kommunikationsfachleute sind der Meinung, dass zwar die Inhalte international sein können und in vielen Fällen müssen, die Ansprache der Mitarbeiter jedoch (sofern möglich) in deren Muttersprache erfolgen sollte. Großes Potenzial für eine grenzüberschreitende Mitarbeiterkommunikation bietet nach Ansicht der Befragten auch das Intranet. Rund zwei Drittel der Befragten sind der Überzeugung, dass elektronische Medien für eine grenzüberschreitende Kommunikation besonders gut geeignet seien. Die Vorteile dieses Mediums werden vor allem in der Schnelligkeit und Ortsunabhängigkeit der Informationsvermittlung gesehen, aber auch in der Flexibilität <?page no="450"?> Kapitel 14: Internationale Unternehmenskommunikation 435 der Datenpflege und Informationsbereitstellung. In nahezu allen untersuchten Unternehmen werden für das Intranet Portallösungen eingesetzt. Die Portallösungen haben dabei den großen Vorteil, dass globale und lokale Informationen für den Nutzer eng beieinander stehen, die Daten jedoch von unterschiedlichen Personen und Orten der Welt eingepflegt werden können. Zugleich ist das Erscheinungsbild am Corporate Design orientiert und sorgt für Wiedererkennbarkeit. ! Erfolgsfaktoren eines globalen Kommunikationsmanagements Welche Faktoren sind es, die ein erfolgreiches internationales Kommunikationsmanagement fördern oder hindern können? Explizit genannt werden sie zwar nicht, die Geheimnisse eines effizienten internationalen Kommunikationsmanagements, aber in den Gesprächen treten sie implizit zu Tage: die iterative Planung der Kommunikationsarbeit gemeinsam mit den Ländern, die Prioritätensetzung vor dem Hintergrund begrenzter Budgets und Personalressourcen und die Delegation vieler Bereiche operativer Kommunikation an die Kommunikationsfachleute in den Ländern. Die Leitfadengespräche verdeutlichen, dass gerade dem Aspekt des strategischen Managements eine zentrale Bedeutung für die internationale Unternehmenskommunikation beigemessen wird. Ein Befragter betont dies, indem er sagt: „Wichtig ist, dass man [bei der internationalen Unternehmenskommunikation] einen strategischen Prozess aufsetzt, um die Unternehmensstrategie eng zu vernetzen mit der Kommunikationsstrategie.“ Eine Abstimmung und Koordination der nationalen und internationalen Aktivitäten, wie sie oben bereits als große Herausforderung angesprochen wurde, wird erst durch einen systematischen Planungsprozess möglich. Alle befragten Kommunikationsverantwortlichen beschreiben ihre grenzüberschreitende Unternehmenskommunikation als Kombination aus standardisierten und differenzierten Elementen. Die Interviews deuten darauf hin, dass der Grad der Differenzierung in erster Linie mit der Frage nach Zentralisierung vs. Dezentralisierung der Organisation von Unternehmenskommunikation in Zusammenhang steht. Der Grad der Zentralisierung der Organisation ergibt sich entlang dreier wesentlicher Kriterien: Rolle der lokalen Einheiten im Gesamtverbund, Ausmaß der Mitwirkung lokaler Einheiten bei der Planung und Grad an Eigenständigkeit und Verantwortung lokaler Einheiten. <?page no="451"?> 436 Herausforderungen und Perspektiven 4 4 Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g u u n n d d A A u u s s b b l l i i c c k k Internationale Unternehmenskommunikation ist heute selbstverständlicher Bestandteil der Kommunikationsarbeit von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen. Je nach Teilbereichen und Instrumenten kann sie stärker global oder stärker international ausgerichtet sein. Als Faustregel gilt: Unternehmenskommunikation orientiert sich in ihrem Internationalisierungsgrad an der jeweiligen Bezugsgruppen und deren Interessen. Das Beispiel der Pressearbeit hat dies deutlich gemacht. Pressearbeit ist in allen Ländern der Welt dann besonders erfolgreich, wenn der Pressesprecher des Unternehmens einen unmittelbar persönlichen Kontakt zu Journalisten hat. Dies setzt voraus, dass man die Informationsbedürfnisse und Rahmenbedingungen des jeweiligen Journalisten möglichst genau kennt. Unabhängig davon, für welches Medium ein Journalist berichtet, ist dieser persönliche Kontakt wichtig. Eine englischsprachige Pressemitteilung von der Unternehmenszentrale aus an tausende von Journalisten in aller Welt zu versenden, ist in der Regel hoffnungslos. Andere Aufgabenfelder der Unternehmenskommunikation sind hingegen stärker grenzüberschreitend ausgerichtet. So ist etwa Investor Relations ein Paradebeispiel für ein weitgehend globalisiertes Feld der Unternehmenskommunikation. Hier spiegelt sich einerseits der zu Beginn des Kapitels erwähnte Rahmenfaktor der Gesetzgebung wider, der eine grenzüberschreitende Finanzkommunikation erfordert. Andererseits sind jedoch gerade Kapitalmärkte und mit ihnen Finanzjournalisten, Analysten und Investoren global orientiert. Für eine erfolgreiche internationale Investor Relations-Arbeit müssen Fachleute deshalb nicht nur über nationale Finanzmärkte, -institutionen, -prozesse und die Finanzmedien eines Landes informiert sein, sondern ebenfalls über die entsprechenden Spezifika aller anderen Länder, in denen Finanz-PR betrieben werden soll (MacDonald 1991, 43). Eine erfolgreiche externe Kommunikation kann jedoch immer nur dann dauerhaft und glaubwürdig gelingen, wenn sie auf einer gut gemachten und durchdachten internen Kommunikation basiert. „PR begins at home“, so lautet der Grundsatz einer jeden guten Unternehmenskommunikation. So macht die Internationalisierung auch und gerade vor dem Bereich der internen Unternehmenskommunikation nicht Halt. In immer mehr Ländern und mit immer stärker dezentralisierten Strukturen und Kompetenzen sind Unternehmen aktiv. Das führt im Hinblick auf die globale Verteilung von Teams und Arbeitsgruppen zu Problemen der Zusammenarbeit: unterschiedliche Zeitzonen, Arbeitstage und Arbeitsstunden (Gerdemann 2001, 114). „Organizations must play a significant role in convincing their members to take on a global perspective“, fordert Byers (1997, 197). Konkret bedeutet das, die Mitarbeiter darauf vorzubereiten, mit <?page no="452"?> Kapitel 14: Internationale Unternehmenskommunikation 437 Kollegen aus oder in verschiedenen Ländern zusammenzuarbeiten und sie in interkultureller Kommunikation zu schulen (ebd.). In den USA ist dieser Bereich unter dem Begriff der „Cultural Diversity“ bzw. des „Diversity Management“ seit langem Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Zugleich haben sich im Zuge der Internationalisierung auch die Aufgaben, Funktionen und Inhalte der Mitarbeiterkommunikation (interne PR) gewandelt. Ihre Aufgabe ist es, Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern und Kulturen „unter einem Markendach“ (Neidhart 2000, 253) zusammenzubringen. Die dazu eingesetzten internen Medien sind hauptsächlich das Intranet (Morley 2002, 66) und die Mitarbeiterzeitschrift (Huck 2005c, Neidhart 2000) bzw. digitale Mitarbeitermagazine. Unabhängig vom Globalisierungsgrad und den Zielsetzungen der jeweiligen Zielgruppenansprache ist das Management internationaler Unternehmenskommunikation eine grenzüberschreitende Aufgabenstellung. Dies ist derjenige Aspekt inter na ti onal er Untern e hmens kommunik at ion, de r f ür Komm unikat ionsv er an twortliche in Unternehmen derzeit die größte Herausforderung darstellt. Wie lassen sich Inhalte über verschiedene Kulturen hinweg kommunizieren? Wie kann eine gemeinsame Planung der Kommunikation zwischen Zentrale und nationalen Einheiten aussehen? Wo muss standardisiert, wo differenziert werden? Wie kann eine Koordination und Abstimmung über Ländergrenzen hinweg funktionieren? Ein besonders kritischer Aspekt ist dabei die Analyse- und Planungsphase, wie die im dritten Abschnitt vorgestellte Expertenbefragung gezeigt hat. Insbesondere das Issues Management als Instrument zur Früherkennung und Lenkung konflikthaltiger Themen (Röttger 2003, Liebl 2000, Schaufler/ Signitzer 1990) ist nicht mehr länger allein auf den Bereich innerhalb von Ländergrenzen beschränkt. Ein zunehmender globaler Aktivismus und durch das Internet vernetzte Bezugsgruppen lassen die Grenzen für Issues Management fallen (Mast/ Huck/ Güller 2005, 10 ff., Ingenhoff 2004, Köcher/ Birchmeier 1995, 87.) Issues im globalen Rahmen zu erkennen und zu beobachten, aber primär lokal zu lösen, wird eine große Aufgabe der Kommunikationsmanager des 21. Jahrhunderts. Andererseits sind auch nationalspezifische Issues von Bedeutung (Steger 2001, 33), schließlich gibt es - unabhängig von der globalen Ebene oder in Verbindung mit ihr - in jedem Land spezifische Themen, die für die Unternehmenstätigkeit vor Ort konflikthaltig sein können. Aus wahren Informationen, Gerüchten, Spekulationen oder auch Verleumdungen können sich innerhalb weniger Tage oder Wochen kritische Issues entwickeln. Manchmal können sie sich aber auch schleichend über Jahre hinweg im weltweiten Datennetz verbreiten. Gelingt es dem Unternehmen nicht, Issues zu lösen, bevor sie von den Medien aufgegriffen werden, stehen die Chancen zur Vermeidung einer Krise schlecht. Dann beginnt ein Lebenszyklus, der nur noch schwer aufzuhalten ist. Entsprechend werden auch an die Krisenkommunikation im internationalen Rah- <?page no="453"?> 438 Herausforderungen und Perspektiven men höhere Anforderungen gestellt. Insbesondere durch das Internet können Krisen schnell entstehen. Andererseits jedoch eröffnet es für deren Früherkennung die Möglichkeit, das Web systematisch nach solchen Issues zu durchkämmen und zur Markt- und Meinungsforschung zu nutzen. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Im Rahmen einer globalen Ausrichtung der Unternehmenskommunikation müssen Themen lokal vor Ort erkannt, aufgegriffen und - wo es sich anbietet - in einen globalen Rahmen übernommen werden. Ein Schwarz-Weiß-Denken in Kategorien wie „hier“ oder „dort“ ist zum Scheitern verurteilt. Die erfolgreiche Internationalisierung der Mitarbeitermedien geht ebenso wie der globale Einsatz von Pressemitteilungen, Kundenzeitschriften oder Websites über die reine Übersetzung von Texten hinaus: Wesentlich ist die Anpassung von Themen, Inhalten, Erscheinungsform usw. an lokale Gegebenheiten. „Die“ internationale Unternehmenskommunikation gibt es we de r im Ra hmen de r in te rn en noch der extern en Kom mun ikatio n un d wir d es nie geben. Nicht nur von den Rahmenbedingungen des nationalen und des globalen Kontexts hängt es ab, welcher Strategie und welcher Umsetzung internationale Unternehmenskommunikation folgt, sondern auch von den internen Gegebenheiten und Erwartungen des Unternehmens. In erster Linie aber sind die eingesetzten Instrumente und die gewählten Aufgabenfelder für die konkrete Ausrichtung und Praxis der internationalen Unternehmenskommunikation entscheidend. Zentraler Erfolgsfaktor ist ein systematisches Management internationaler Kommunikation. Der Gegensatz zwischen Standardisierung und Differenzierung ist ebenso überholt wie der zwischen Globalisierung und Internationalisierung. Internationale Unternehmenskommunikation muss globalisiert und lokalisiert zugleich erfolgen im Sinne einer „Glokalisierung“. Nicht die Ländergrenzen sind für eine erfolgreiche internationale Unternehmenskommunikation entscheidend, sondern in erster Linie sozio-demografische und kulturelle Faktoren und die Erwartungshaltungen und Bedürfnisse der einzelnen Zielgruppen. <?page no="454"?> Kapitel 14: Internationale Unternehmenskommunikation 439 ! ! Z Z u u s s a a m m m m e e n n f f a a s s s s u u n n g g ! Die Internationalisierung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hat dazu geführt, dass viele Unternehmen grenzüberschreitend kommunizieren. ! Ziel der grenzüberschreitenden Kommunikationsarbeit ist es, eine globale Reputation und ein weltweit konsistentes Image aufzubauen, ohne die möglichst individuelle Ansprache von Zielgruppen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen zu vernachlässigen. Internationale Unternehmenskommunikation muss globalisiert und lokalisiert zugleich erfolgen im Sinne einer „Glokalisierung“. ! Politische, rechtliche, ökonomische, technologische und sozio-kulturelle Rahmenbedingungen sowie adressaten- und medienbezogene Einflussfaktoren variieren von Land zu Land. Die internationale Unternehmenskommunikation muss sie in Verbindung mit unternehmensinternen sowie grenzüberschreitenden, globalen Umfeldfaktoren berücksichtigen. ! Zentraler Erfolgsfaktor ist ein systematisches Management internationaler Kommunikation. Dabei findet die Strategie der standardisierten Differenzierung Anwendung, die die beiden Extrempositionen Standardisierung und Differenzierung je nach Art, Richtung und Ausprägung der Einflussfaktoren verbindet. ! Weitere Herausforderung internationalen Kommunikationsmanagements ist die Koordination von internationaler Zentrale und lokalen Einheiten und somit die Festlegung und Ausgestaltung einer globalen Kommunikationsstrategie sowie deren lokaler Implementierung. ! Die iterative Planung der Kommunikationsarbeit gemeinsam mit den Ländern, die Prioritätensetzung vor dem Hintergrund begrenzter Budgets und Personalressourcen und die Delegation vieler Bereiche operativer Kommunikation (z. B. Pressearbeit) an die Kommunikationsfachleute in den Ländern stellen weitere Erfolgsfaktoren eines globalen Kommunikationsmanagements dar. ! Ein besonders kritischer Aspekt ist dabei die Analyse- und Planungsphase: Eine Abstimmung und Koordination der nationalen und internationalen Aktivitäten wird erst durch einen systematischen Planungsprozess möglich. <?page no="455"?> 440 Herausforderungen und Perspektiven ! ! L L e e s s e e t t i i p p p p s s Huck, Simone (2004): Public Relations ohne Grenzen? Eine explorative Analyse der Beziehung zwischen Kultur und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Die Dissertation zeigt, welche Rolle die Kultur eines Landes für die Public Relations- Praxis vor Ort spielt. Die Autorin verknüpft dazu Wissensbestände der PR- Forschung mit Erkenntnissen der Kulturforschung zu einem interdisziplinären Modell. Eine Befragung von PR-Verantwortlichen in fünf Ländern verdeutlicht die Besonderheiten der jeweiligen PR-Arbeit und deren Zusammenhänge mit der Nationalkultur. Konkrete Hinweise für die Praxis internationaler PR runden die Arbeit ab. Ingenhoff, Diana (Hrsg.) (2013): Internationale PR-Forschung. Konstanz: UVK. Der Sammelband gibt einen breiten Überblick über die verschiedenen Themen der internationalen PR-Forschung. Seine teils theorieorientierten, teils empirischen Beiträge beleuchten ausgewählte Themenfelder der grenzüberschreitenden PR-Arbeit von Organisationen und Staaten, wie z. B. internationale Krisenkommunikation, CSR- Kommunikation und Online-PR, aber auch der komparativen PR-Forschung sowie Meta-Forschung. Er gibt einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand in Deutschland und liefert vielfältige Ansatzpunkte für weiterführende Studien. <?page no="456"?> K K a a p p i i t t e e l l 1 1 5 5 : : I I n n n n o o v v a a t t i i o o n n e e n n a a l l s s H H e e r r a a u u s s f f o o r r d d e e r r u u n n g g ffüür r ddiie e UUnntteer rnneehhmmeen nsskko om mm mu unniikkaattiioonn Selten sind sich Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler so einig. Aber auf der Suche nach Wegen aus der globalen Wirtschaftskrise werden Innovationen als Allheilmittel betrachtet, um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft gegenüber ihren Wettbewerbern - vor allem aus Asien - zu stärken und den Lebensstandard zu erhalten. Kapital und Arbeit sind längst nicht mehr die einzigen Wachstumsfaktoren. Für Industriestaaten wie Deutschland kommt als dritte Säule die Innovationsfähigkeit hinzu, zumal aufgrund der demografischen Entwicklung der Wohlstand und die Vitalität der deutschen Volkswirtschaft von einer immer kleiner und älter werdenden Arbeitnehmerschaft erarbeitet werden muss. Wo stecken die „Zündkerzen der Wirtschaft“ (Zydra 2009, 26)? Gesucht werden die sog. Schlüsselinnovationen, wie sie der Russe Nikolai Kondratieff in seiner Wachstumstheorie identifizierte, also die Frage: Was kommt nach Dam p fm as ch in e , Ei se nb ahn, Ele kt ro te ch nik, Auto un d Co mpute r al s neue, bahnbrechende Innovation, damit die Wirtschaft wieder wachsen kann? Gesucht werden aber auch die vielen kleinen Schritte in den Unternehmen, mit denen Produkte und Prozesse verbessert werden oder Neues entsteht. Gesucht werden vor allem leistungsfähige Systeme und Strukturen in den Unternehmen wie auch in der Gesellschaft, die Erfindungen generieren und sichtbar werden lassen. Die beste Erfindung nützt nichts, wenn sie in Aktenschränken oder elektronischen Speichern unauffindbar bleibt oder neue Produkte zwar entwickelt werden, ihr Neuigkeitswert aber auf den Märkten, in der Öffentlichkeit und letztlich beim Kunden unentdeckt bleibt. Innovationen, die von einzelnen Zielgruppen oder der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden, verlieren ihre Wirkung als Wettbewerbsvorteil - für Unternehmen ebenso wie für Volkswirtschaften. Die Kommunikation über Innovationen übernimmt eine wichtige Funktion als Katalysator und Verstärker von Prozessen, die Innovationen hervorbringen oder verhindern können. Kapitel 15 führt in das Feld der Innovationskommunikation ein. Theoretische Modelle und neue Aufgaben für die Unternehmenskommunikation werden vorgestellt. Die Besonderheiten von BtoB- und BtoC-Unternehmen auf diesem Kommunikationsfeld werden diskutiert. <?page no="457"?> 442 Herausforderungen und Perspektiven 1 1 I I n n n n o o v v a a t t i i o o n n s s k k o o m m m m u u n n i i k k a a t t i i o o n n - - eei inn s scch hiil ll leerrn nddeer r BBeeggrriiffff Über die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Innovationen herrscht in Wissenschaft und Praxis Konsens. Noch weitgehend einig sind sich die Fachleute im Grundverständnis, dass Innovationen eine Art von „Erneuerung“, „Neuigkeit“ oder „Neuheit“ darstellen sollen. Worin allerdings das Innovative besteht, bleibt meist offen. Was ist eine Innovation? Innovationen sind zunächst „qualitativ neuartige Produkte oder Verfahren, die sich gegenüber einem Vergleichszustand ‚merklich‘ - wie auch immer das zu bestimmen ist - unterscheiden. (…) Diese Neuartigkeit muss wahrgenommen werden, muss bewusst werden. Die Neuartigkeit besteht darin, dass Zwecke und Mittel in einer bisher nicht bekannten Form verknüpft werden. Diese Verknüpfung hat sich auf dem Markt oder im innerbetrieblichen Einsatz zu bewähren. Das reine Hervorbringen der Idee genügt nicht, Verkauf und Nutzung unterscheidet Innovation und Invention - jedenfalls in der Rückschau“ (Hauschildt/ Salomo 2011, 7). Dabei können Innovationen nach Kriterien unterschieden werden (ebd., 8 ff.): ! Die inhaltliche Dimension fragt nach dem Objekt der Innovation: Was ist neu und worauf bezieht sich die Neuerung - auf welche Produkte oder Prozesse? ! Die Intensitätsdimension fragt nach dem Ausmaß der Neuartigkeit („Wie neu? “) und z. B., ob eine revolutionäre oder evolutionäre, eine diskontinuierliche oder kontinuierliche Entwicklung vorliegt. ! In der subjektiven Dimension wird die Innovation aus der Sicht des Betrachters und seiner subjektiven Wahrnehmung („Neu für wen? “) analysiert. Bei Innovationen geht es auch um soziale Bedeutungsvermittlung, zumal Menschen in Abhängigkeit von ihren Positionen in den sozialen und kulturellen Kontexten Neuerungen höchst unterschiedlich wahrnehmen. Eine Innovation ist auch das, was für innovativ gehalten wird. ! Die prozessuale Dimension des Begriffs betont, dass Innovationen mehr als bloße Erfindungen sind und einen Prozess von der Ideengenerierung über die Entwicklung bis hin zur Vermarktung durchlaufen. ! Die normative Dimension schließlich fragt z. B., ob Neuerungen nur dann als Innovationen gelten, wenn sie eine vorhandene Realität verbessern. „Innovation“ als Begriff wird inflationär benutzt, ebenso das Wort „Kommunikation“. Die Forschungskooperation der Universität Hohenheim mit der MFG Baden-Württemberg zur Analyse der Innovationskommunikation (Mast/ Huck/ <?page no="458"?> Kapitel 15: Innovation als Herausforderung 443 Zerfaß 2006, Mast/ Zerfaß 2005) definiert pragmatisch Kommunikation als „Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen“ (Maletzke 1963, 18) und ließ dabei offen, auf welchem Weg Kommunikationsprozesse ablaufen. Ziel und Zweck der Kommunikation ist die Generierung und Vermittlung von Innovationen, welche das Forschungsprogramm auf wirtschaftliche und technische Neuerungen, also Produkt- und Prozessinnovationen, einschränkte. Selbstverständlich sind soziale und kulturelle Neuerungen auch wichtig, werden aber zur Fokussierung der Analyse hier nicht vorrangig behandelt. Welche Art von Innovationskommunikation ist gemeint? Grundsätzlich kann Innovationskommunikation auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet und gestaltet werden: (Medien-)Kommunikation der Gesellschaft: Auf der Makroebene betrachtet schafft Innovationskommunikation Transparenz, vernetzt bislang getrennte Bereiche der Gesellschaft und kann als Katalysator und Motivator für das Zusammenspiel der Akteure wirken. Innovationen entstehen in Organisationen und Netzwerken aller Art. Die Medien - sowohl die Fachals auch die Breitenmedien - erhalten als professionelle Beobachter die Aufgabe, Innovationen sichtbar und dadurch wahrnehmbar zu machen. Auf diese Weise werden Erfindungen, Akteure, Erfahrungen und Trends einer öffentlichen Resonanz und Bewertung zugeführt. Die Kommunikationsarbeit der Unternehmen wiederum hat zum Ziel, dass öffentlich über neue Produkte und Prozesse - aus der jeweiligen Interessenposition heraus - gesprochen wird und der Handlungsspielraum bzw. die gesellschaftspolitische Akzeptanz der Unternehmen ausgebaut werden. Kommunikation der Akteure/ Unternehmen: Auf der Mesoebene betrachtet bezieht sich Innovationskommunikation auf den gesamten internen und externen Kommunikationsprozess von Organisationen, der die Generierung und Verbreitung von Innovationen fördern oder blockieren kann. Unternehmen leben davon, Neuerungen in immer kürzeren Zeiträumen aufzuspüren und umzusetzen. Schnell sein ist alles. Außerdem benötigen sie ein Image bei wichtigen Stakeholdern wie Mitarbeitern, Kun