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Bildungspolitik im internationalen Vergleich

0520
2015
978-3-8385-4409-0
978-3-8252-4409-5
UTB 

Eine umfassende Einführung in die Analyse von Bildungspolitik aus der Perspektive des internationalen Vergleichs. Zentrale Fragen dabei sind unter anderem: Wie und warum unterscheiden sich Bildungssysteme in westlichen Demokratien? Wie hängen Bildungs- und Sozialpolitik zusammen? Welche Auswirkungen haben Bildungsinstitutionen auf soziale Ungleichheit? Inwiefern hat der Trend zur Europäisierung der Bildungspolitik nationale Reformdynamiken ausgelöst und beschleunigt? Marius Busemeyer führt zunächst in grundlegende Theorien und Begriffe der vergleichenden Policy-Forschung ein. Es folgt eine Darstellung und theoriengeleitete Erklärung der wesentlichen Unterschiede von Bildungssystemen in westlichen OECD-Demokratien. Diese eher quantitative Analyseperspektive wird ergänzt durch qualitative, historische Fallstudien der Länder Deutschland, England und Schweden. In einem weiteren Kapitel stehen die Querverbindungen und Wechselwirkungen zwischen Bildungs- und Sozialpolitik im Mittelpunkt der Analyse, inklusive einer Diskussion der Rolle von Bildung in verschiedenen Spielarten des Kapitalismus. Abschließend diskutiert das Lehrbuch, wie sich neuere Trends und Entwicklungen, wie zum Beispiel die Europäisierung oder die Dezentralisierung der Steuerungsformen in der Bildungspolitik auf nationale Systeme ausgewirkt haben. Das Buch richtet sich an Studierende der Politikwissenschaft, der Soziologie und der Erziehungswissenschaften sowie die interessierte Fachöffentlichkeit in Politik, Medien und Gesellschaft.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York utb 4409 <?page no="2"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 2 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 3 Prof. Dr. Marius R. Busemeyer ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft, insbesondere Policy-Analyse und Politische Theorie, an-der-Universität Konstanz. <?page no="3"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 2 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 3 Marius R. Busemeyer Bildungspolitik im-internationalen Vergleich UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="4"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 4 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 5 Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über-<http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Lektorat: Marit Borcherding, München Druck: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Band Nr. 4409 ISBN 978-3-8252-4409-5 <?page no="5"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 4 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 5 5 Inhalt Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 7 Vorwort 9 1 Einleitung: Warum ist die vergleichende Analyse von Bildungspolitik relevant? 11 2 Methodologische und theoretische Grundlagen des Vergleichs 17 3 Das deutsche Bildungssystem im internationalen Vergleich 25 3.1 Quantitative Indikatoren 25 3.1.1 Dimensionen des Vergleichs von Bildungssystemen 25 3.1.2 Welche Faktoren erklären die Varianz? 40 3.2 Fallbeispiele 55 3.2.1 Deutschland 58 3.2.2 England 68 3.2.3 Schweden 81 4 Bildung und wohlfahrtsstaatliche Politik 93 4.1 Bildungswelten und Wohlfahrtsregime 93 4.2 Bildung und soziale Ungleichheit: Effekte von Bildungspolitik auf Outcomes 100 4.3 Spielarten des Kapitalismus, Arbeitsmärkte und Bildungspolitik 109 5 Neuere Trends und Entwicklungen 123 5.1 Internationalisierung und Europäisierung von Bildungspolitik 123 5.2 Dezentralisierung und neue Steuerungsformen der Bildung 140 5.3 Der Sozialinvestitionsstaat als Ausweg? 148 <?page no="6"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 6 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 7 6 6 Fazit und Ausblick 155 Literaturverzeichnis 157 <?page no="7"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 6 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 7 7 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 1.1 Öffentliche Unterstützung für mehr öffentliche Ausgaben für Bildung 13 1.2 Die Höhe von öffentlichen Bildungsausgaben in den OECD-Staaten als-Anteil vom Bruttoinlandsprodukt 13 3.1 Öffentliche und private Bildungsausgaben als Prozentanteil des Bruttoinlandsprodukts, 2010 (Panel A: Bildungsausgaben für alle Bildungssektoren; Panel B: Bildungsausgaben für den Hochschulsektor) 29 3.2 Veränderungen von öffentlichen und privaten Bildungsausgaben für-ausgewählte OECD-Länder, 1997-2010 (Panel A: Öffentliche Bildungsausgaben; Panel B: Private Bildungsausgaben) 30 3.3 Bildungsausgaben pro Studierende in kaufkraftbereinigten US-Dollar, 2010 31 3.4 Öffentliche Bildungssubventionen an private Haushalte als Anteil des BIP, 2010 32 3.5 Studierendenquote, 2011 und 1994 35 3.6 Anteil der Schülerinnen und Schüler in beruflichen Bildungsgängen auf dem Niveau der oberen Sekundarstufe, 2010 35 3.7 PISA-Ergebnisse ausgewählter OECD-Länder, 2012 37 3.8 PISA-Ergebnisse ausgewählter Länder im Längsschnittvergleich, 2000-2012 39 3.9 Zusammenhang zwischen BIP pro Kopf und Bildungsausgaben pro Studierendem, 2010 41 3.10 Zusammenhang zwischen Frauenerwerbsbeteiligung und Bildungsausgaben, 2010 43 3.11 Zusammenhang zwischen dem historischen Kabinettsitzanteil sozialdemokratischer Parteien und öffentlichen Bildungsausgaben 51 3.12 Zusammenhang zwischen dem historischen Kabinettsitzanteil sozialdemokratischer Parteien und dem öffentlichen Anteil an Bildungsausgaben im tertiären Sektor 52 4.1 Bildungswelten im internationalen Vergleich 95 4.2 Bildungs- und sozioökonomische Ungleichheit 102 4.3 Private Bildungsausgaben und soziale Ungleichheit 104 4.4 Berufliche Bildung und soziale Ungleichheit 106 4.5 Institutionelle Teilbereiche von politischen Ökonomien 112 4.6 Institutionelles Regime einer typischen koordinierten Marktwirtschaft 114 4.7 Institutionelles Regime einer typischen liberalen Marktwirtschaft 115 5.1 Dezentralisierungstrend der Bildungssteuerung in OECD-Staaten 143 <?page no="8"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 8 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 9 8 5.2 Öffentliche und private Ausgaben für frühkindliche Erziehung als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt, 2011 150 5.3 Höhe der Gebühren für frühkindliche Erziehung als Anteil vom-Durchschnittslohn 151 Tabellen: 5.1 Dezentralisierung von Bildung in OECD-Ländern 141 <?page no="9"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 8 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 9 9 Vorwort Dieses Lehrbuch gibt eine breite Einführung in die politikwissenschaftliche und international vergleichende Bildungsforschung. Lange Zeit hatte die vergleichende Policy-Analyse dieses Politikfeld vernachlässigt. Doch in den letzten Jahren ist eine Vielzahl von Forschungsarbeiten entstanden, die sich mit so unterschiedlichen Themen wie der Analyse von Bildungsausgaben, der historischen Entwicklung von Bildungssystemen, dem Einfluss der Europäisierung und Internationalisierung von Bildungspolitik und dem Wandel der Steuerungsformen befassen. In diesem Lehrbuch möchte ich die einzelnen Ansätze vorstellen und für Studierende der Politikwissensschaft sowie der Nachbardisiziplinen (Soziologie, Bildungswissenschaft und Ökonomie) in leicht verständlicher Form zugänglich machen. Nicht zuletzt richtet sich dieses Buch an die interessierte Öffentlichkeit, denn Bildungspolitik spielt auch in öffentlichen Debatten weiterhin eine zentrale Rolle. Beim Schreiben dieses Buches konnte ich auf umfängliche eigene Vorarbeiten zurückgreifen (genauere Angabe finden sich in den jeweiligen Kapiteln). Außerdem möchte ich an dieser Stelle meiner Arbeitsgruppe (Aurélien Abrassart, Julian Garrizmann, Ulrich Glassmann, Susanne Münn, Erik Neimanns, Roula Nezi und Janis Vossiek) an der Universität Konstanz für die kritische Begleitung und Unterstützung während des Schreibprozesses danken. Besonderer Dank gebührt meiner wissenschaftlichen Hilfskraft Léonie Trick für die exzellente Unterstützung beim Schreiben des Manuskripts. Marius R. Busemeyer Konstanz, im Februar 2015 <?page no="10"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 10 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 11 <?page no="11"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 10 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 11 11 1 Einleitung: Warum ist die vergleichende Analyse von Bildungspolitik relevant? Bildung besitzt in den postindustriellen Gesellschaften der westlichen OECD-Welt einen zentralen Stellenwert. Zwar hat Bildungspolitik auch in früheren Zeiten eine wichtige Rolle gespielt, jedoch verpasste der strukturelle Wandel der Staaten der OECD-Welt von der Industriezur Dienstleistungs- und Wissensökonomie den bildungspolitischen Fragen und Problemstellungen eine neue Dringlichkeit: Individuelle Investitionen in Bildung und Ausbildung werden auf den zunehmend flexibilisierten postindustriellen Arbeitsmärkten zu einer immer wichtigeren Absicherung gegen sozialen Abstieg und Prekarisierung (Goldin/ Katz 2008). Diese Tendenzen verschärfen sich durch die Logik der Arbeitsteilung in zunehmend globalisierten Arbeitsmärkten. Sie bringt in den entwickelten OECD-Demokratien tendenziell Vorteile für die gut Ausgebildeten, weil Tätigkeiten und Arbeitsplätze für weniger Qualifizierte ins Ausland verlagert oder wegrationalisiert werden (Crouch et al. 1999). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung von der Politik mehr Investitionen in Bildung verlangt. Abbildung 1.1 zeigt die Anteile der Bevölkerung in unterschiedlichen OECD-Staaten, die in einer repräsentativen und international vergleichenden Meinungsumfrage aus dem Jahr 2006 erklärten, »mehr« oder sogar »viel mehr« öffentliche Ausgaben für Bildung zu unterstützen, selbst wenn dafür höhere Steuern zu entrichten wären. Über alle Länder hinweg betrachtet findet sich eine starke öffentliche Unterstützung für eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen in Bildung, d. h. Politiker als demokratisch gewählte Repräsentanten der Bevölkerung haben eigentlich starke Anreize, diesem kollektiven Wunsch zu folgen, denn sie möchten bei der nächsten Wahl wiedergewählt werden (Stimson et al. 1995). Die Abbildung vermittelt aber auch deutliche Unterschiede im Ländervergleich. Die öffentliche Unterstützung für mehr Bildungsausgaben ist besonders hoch in Spanien, Irland und Portugal, ebenso wie in Deutschland und den USA. In diesen Ländern befürworten mehr als 80 Prozent der Befragten »mehr« oder »viel mehr« öffentliche Ausgaben für Bildung. Auf der anderen Seite ist die Unterstützung für eine Steigerung der öffentlichen Ausgaben in Finnland und Japan besonders gering, obwohl (oder weil? ) diese Länder bei den PISA-Studien der OECD, die die Bildungsleistungen von Schülerinnen und Schülern in regelmäßigen <?page no="12"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 12 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 13 12 Abständen messen und damit international vergleichbar machen, üblicherweise Spitzenplätze belegen. Aber auch in anderen skandinavischen Staaten wie Schweden oder Dänemark, die häufig als Vorbilder in der internationalen Diskussion über die Reform von Sozialstaaten und Bildungssystemen gehandelt werden, ist die öffentliche Unterstützung für mehr Bildungsinvestitionen kaum ausgeprägt. Inwiefern spiegeln tatsächliche Bildungsausgaben die öffentliche Meinung wider? Abbildung 1.2 präsentiert Daten zur Höhe der öffentlichen Bildungsausgaben in OECD-Ländern aus dem Jahr 2011. Auch hier finden wir große Unterschiede im Ländervergleich. Auf dieser Skala liegt Dänemark mit öffentlichen Bildungsausgaben in Höhe von 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vor allen anderen OECD-Staaten, während Japan mit 3,6 Prozent die im internationalen Vergleich geringsten öffentlichen Bildungsausgaben aufweist. Deutschland rangiert mit Bildungsausgaben in Höhe von 4,4 Prozent des BIP im unteren Mittelfeld-- eine Position, die es schon seit längerem einnimmt (Schmidt 2002, 2007a, b). Die skandinavischen Staaten inklusive Dänemark, aber auch Belgien, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und sogar die USA befinden sich deutlich darüber. Diese kurzen Beispiele verweisen gleich auf mehrere Fragen, die in diesem Buch behandelt werden. Zunächst einmal wird deutlich, dass Bildungspolitik nicht ausschließlich und wahrscheinlich auch nicht primär durch die öffentliche Meinung bestimmt wird. Die Umfragedaten zeigen, dass große Mehrheiten der Bevölkerung in den OECD-Staaten sich mehr Ausgaben für Bildung wünschen, und Politiker werden in Wahlkampfreden nicht müde, die Wichtigkeit von Bildung zu betonen. Die Daten zur Höhe der tatsächlichen Bildungsausgaben verweisen jedoch darauf, dass es große Unterschiede zwischen den betrachteten Ländern hinsichtlich der Frage gibt, inwiefern diese Wahlkampfreden in tatsächliche politische Entscheidungen umgesetzt werden. Der Fall Deutschland ist ein Beispiel dafür, wie Bildungsausgaben auf einem unterdurchschnittlichen Niveau verharren, obwohl eine sehr große Mehrheit der Bevölkerung mehr Ausgaben verlangt. Dies hat nicht zuletzt mit dem in Deutschland besonders heftigen »PISA-Schock« zu tun (Knodel et al. 2010), der im Nachgang zur ersten PISA-Studie im Jahr 2000 eine kritische Auseinandersetzung mit den Defiziten des deutschen Bildungssystems auslöste und Anstoß für eine Reihe von signifikanten Reformen war (siehe auch die Fallstudie zu Deutschland in Kapitel 3.2.1 sowie Kapitel 5.1). Dennoch gibt es offensichtlich politische und institutionelle Faktoren, die eine signifikante Erhöhung der Bildungsinvestitionen erschweren. Gleiches könnte für die USA gelten: Zwar liegen die öffentlichen Bildungsausgaben in diesem Fall etwas höher als in Deutschland. Wenn man allerdings neben den öffentlichen auch die privaten Bildungsausgaben bewww.claudia-wild.de: <?page no="13"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 12 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 13 13 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1 Finnland Japan Schweden Frankreich Norwegen Dänemark Tschechien Kanada Neuseeland Ungarn Schweiz Großbritannien Niederlande Polen Australien Deutschland USA Portugal Irland Spanien Anmerkung: Anteil der Bevölkerung im jeweiligen Land, der sich für »mehr« oder »viel mehr« ö•entliche Ausgaben für Bildung ausspricht. Quelle: ISSP Role of Government IV Datensatz, http: / / www.gesis.org/ issp/ issp-modulesproœles/ role-of-government/ 2006/ (Abruf am 21. November 2014). Abbildung 1.1: Öffentliche Unterstützung für mehr öffentliche Ausgaben für-Bildung. Quelle: OECD 2014: Education at a Glance, S. 232. 0,0 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0 6,0 7,0 8,0 Japan Slowakei Italien Australien Tschechien Deutschland Ungarn Spanien USA Polen Korea Portugal Kanada Estland Schweiz Slovenien Niederlande Österreich UK Frankreich Israel Irland Schweden Neuseeland Finnland Belgien Island Norwegen Dänemark Abbildung 1.2: Die Höhe von öffentlichen Bildungsausgaben in den OECD-Staaten als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt. <?page no="14"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 14 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 15 14 rücksichtigt-- das sind vor allem Studiengebühren, aber auch Spenden und andere private Zuwendungen, die an Bildungsinstitutionen fließen--, dann belegen die USA im internationalen Vergleich der Gesamtbildungsausgaben einen Spitzenplatz (vgl. ausführlich Kapitel 3.1). Die hohe Nachfrage nach mehr öffentlichen Ausgaben könnte so verstanden werden, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung vor allem mehr öffentliche Unterstützung für Bildung und weniger private Ausgaben-- sprich: Studiengebühren-- wünscht. Auch hier scheint es allerdings politische und institutionelle Faktoren zu geben, die eine grundlegende Strukturreform des Systems erschweren. Abschließend sei noch Schweden erwähnt. In diesem Land mit starker sozialdemokratischer Tradition spielte Bildung als wesentlicher Teil des Modells des universalen Wohlfahrtsstaates eine starke Rolle, dementsprechend sind die Bildungsausgaben im internationalen Vergleich sehr hoch. Die eher geringe Unterstützung für weitere Bildungsausgaben (vgl. Abbildung 1.1) könnte ein Indikator dafür sein, dass die Unterstützung der schwedischen Bürgerinnen und Bürger für den umfassenden und universalistischen Wohlfahrtsstaat zumindest teilweise zurückgeht, gewissermaßen als negative Gegenreaktion gegen eine zu weitgehende Sozialstaatlichkeit (Soroka/ Wlezien 2010). Vor diesem Hintergrund diskutiert die Fallstudie zu Schweden in Kapitel 3.2.3 die Bedeutung der seit den 1990er-Jahren deutlich erkennbaren Tendenzen der Privatisierung und Dezentralisierung im schwedischen Bildungssystem. Diese ersten Beispiele und Ausblicke zeigen, dass sich Bildungssysteme im internationalen Vergleich stark unterscheiden. Ich habe hier zunächst nur das Beispiel der Bildungsausgaben verwendet, aber in Kapitel 3.1 werden eine Reihe weiterer Vergleichsdimensionen genannt, die Unterschiede in der institutionellen Ausgestaltung von Bildungssystemen erfassen, z. B. die Verteilung von Ausgaben über Bildungssektoren hinweg sowie zwischen öffentlichen und privaten Quellen, die relative Bedeutung von beruflicher und universitärer Bildung, die Performanz von Bildungssystemen und das Ausmaß von Bildungsungleichheit. Der zentrale Anspruch der vergleichenden Policy-Forschung ist jedoch nicht nur die Erfassung von Unterschieden über Fälle hinweg, sondern auch deren Erklärung. Dieser Erklärungsversuch basiert auf einem Katalog von etablierten Methoden und Theorieansätzen, die sich im Forschungsfeld der vergleichenden Staatstätigkeitforschung bereits vielfach bewährt haben. Diese werden in Kapitel 2 ausführlicher dargestellt. Kurz zusammengefasst gibt es drei Faktorenbündel, die bildungspolitische Entscheidungen maßgeblich beeinflussen und die damit erklären können, warum sich die öffentliche Meinung nicht immer oder oftmals eher indirekt in der Bildungspolitik widerspiegelt: Erstens sind das sozioökonomische Faktoren und demografiwww.claudia-wild.de: <?page no="15"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 14 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 15 15 sche Veränderungen; zweitens handelt es sich um institutionelle Faktoren wie die Ausgestaltung politischer Institutionen oder das Politikerbe im Sinne der etablierten Institutionen des Sozialstaates und des Bildungssystems; drittens schließlich geht es um die Verteilung von politischer Macht und Einfluss innerhalb des Parlaments und der Regierung (d. h. zwischen unterschiedlichen politischen Parteien) einerseits und die Verteilung von Machtressourcen zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen wie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden jenseits der parlamentarischen Arena andererseits. Die Erklärungskraft dieser Ansätze wird in Kapitel 3 kritisch beleuchtet und diskutiert. Kapitel 3.1 gibt zunächst einen breit angelegten Überblick über die Variation von Bildungssystemen im internationalen Vergleich und erörtert die zentralen Befunde von quantitativen Analysen zu den Bestimmungsfaktoren bildungspolitischer Entscheidungen. Die quantitative Perspektive wird durch drei Fallstudien der Länder Deutschland, Großbritannien bzw. England und Schweden ergänzt. Diese Länderbeispiele decken die unterschiedlichen Bildungsregime ab, die in der einschlägigen Forschung zur Klassifizierung und Typologisierung von Bildungssystemen identifiziert werden (Busemeyer 2015; Busemeyer/ Nikolai 2010; Iversen/ Stephens 2008). Kapitel 4 befasst sich eingehender mit dem Zusammenhang zwischen Bildungspolitik und dem Sozialstaat. Die klassische Forschung zu wohlfahrtsstaatlichen Regimen (Esping-Andersen 1990) und den Spielarten des Kapitalismus (Hall/ Soskice 2001) betont immer wieder die engen institutionellen Verflechtungen und Komplementaritäten zwischen den unterschiedlichen Teilsystemen von politischen Ökonomien. Kapitel 4.1 diskutiert die offensichtlichen Parallelen in der institutionellen Ausgestaltung von Bildungssystemen und Wohlfahrtsstaaten. Kapitel 4.2 hingegen erweitert die klassische Perspektive der vergleichenden Policy-Forschung, indem es die Auswirkungen von Bildungspolitik auf sozioökonomische Outcomes wie Bildungsungleichheit in den Blick nimmt. Kapitel 4.3 schließlich präsentiert Forschungsbeiträge, die die Verbindung zwischen Bildung und unterschiedlichen Spielarten des Kapitalismus analysieren. In Kapitel 5 verlagert sich die Analyseperspektive von der nationalstaatlichen auf die internationale Ebene. Natürlich ist die Perspektive eines Ländervergleichs, in dem die einzelnen Länderfälle als hermetisch abgeschlossene Einheiten verstanden werden, in zunehmendem Maße unzureichend. Wechselseitige Beeinflussungen zwischen den Ländern tragen zum Transfer und zur Diffusion von Politikansätzen bei; die Europäische Union und andere internationale Organisationen wie die OECD oder die UNESCO sind zu wichtigen eigenständigen Akteuren und Gestaltern von Bildungspolitik geworden. Kapitel 5.1 skizziert daher den Prozess der Internationalisierung und Europäisierung der Bildungspolitik. Kapitel 5.2 hingegen ist der Beschreibung und <?page no="16"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 16 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 17 16 Erklärung des allgemeinen Trends der Dezentralisierung in der Bildungssteuerung gewidmet. Abschließend diskutiere ich in Abschnitt 5.3 den Aufstieg des neuen Paradigmas vom Sozialinvestitionsstaat, in dem die Förderung des freien Zugangs zu Bildung in verschiedenen Phasen des Lebenszyklus ein zentrales Anliegen ist. Der Schwerpunkt dieses Buchs liegt auf dem Vergleich von Bildungspolitik in (westlichen) OECD-Staaten. Nichtsdestotrotz spielt der Zugang zu Bildung auch in der Nicht-OECD-Welt eine zentrale Rolle, zum Beispiel zur Unterstützung von Demokratisierungsprozessen in Schwellen- und Entwicklungsländern. Auch aus Platzgründen kann auf dieses komplexe Themenfeld an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden, vgl. aber Baum und Lake (2003), Brown und Hunter (2004), Kosack (2014) und Stasavage (2005) als Beispiele für grundlegende Forschung in diesem Feld. <?page no="17"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 16 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 17 17 2 Methodologische und theoretische Grundlagen des Vergleichs Der Vergleich von Forschungsobjekten (»Fällen«) wie etwa Bildungssystemen muss auf der Grundlage einer systematischen Methodik aufbauen, wenn generalisierbare Aussagen über kausale Zusammenhänge getroffen werden sollen. Wenn dies nicht geschieht, ähnelt der Vergleich zu sehr einer unreflektierten Gegenüberstellung von Andersartigkeit, die häufig mit unüberbrückbaren kulturellen oder sonstigen Unterschieden »erklärt« wird (»Bildungspolitik in Land A ist anders als in Land B, weil Land A anders als Land B ist«). Der systematische Vergleich hingegen zielt darauf ab, generalisierbare »Wenn, Dann«-Aussagen aufzustellen, wobei sich deren Generalisierbarkeit prinzipiell durch die Anwendbarkeit auf andere Fälle außer den tatsächlich betrachteten ergibt. Infokasten Grundbegriffe der vergleichenden Methode Abhängige und unabhängige Variable: Das Ziel der vergleichenden Policy-Forschung ist es, eine beobachtete Variation auf der Ebene der abhängigen Variablen (z. B. Bildungsausgaben) mit Hilfe einer Reihe von unabhängigen Variablen (z. B. Institutionen, Parteipolitik) zu erklären. Die abhängige Variable ist somit die Größe, die erklärt werden soll, während die unabhängige(n) Variable(n) diejenigen sind, die diese Erklärung liefern sollen. Kausalität und Korrelation: »Unter Korrelation ist lediglich ein rein zahlenmäßiger Zusammenhang zwischen den Variablen zu verstehen, während Kausalität auf eine eindeutige Ursache-Wirkungsbeziehung hinweist. […] Das Vorliegen einer hohen Korrelation ist keine notwendige Bedingung für einen möglicherweise bestehenden kausalen Zusammenhang.« (Wagschal 1999: 203) Regressionsanalyse: Die Regressionsanalyse ist ein statistisches Verfahren zum Nachweis einer überzufälligen Beziehung zwischen zwei oder mehr Variablen. Die Regressionsanalyse unterscheidet zwischen einer abhängigen und einer oder mehreren unabhängigen Variablen. Dennoch kann sie in der Regel keine Kausalität im strengen Sinne belegen, sondern lediglich korrelative Zusammenhänge. i <?page no="18"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 18 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 19 18 Die vergleichende Politikwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten ausgefeilte Methoden des Vergleichs entwickelt (vgl. grundlegend Lijphart 1971). Hierbei kann grob zwischen qualitativen und quantitativen Ansätzen unterschieden werden. Quantitative Methoden basieren auf der statistischen Analyse einer möglichst großen Zahl von Fällen (»large N«). Je größer die Zahl der Fälle, desto geringer- - statistisch gesprochen- - die Irrtumswahrscheinlichkeit, d. h. desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass ein zwischen zwei Variablen nachgewiesener statistischer Zusammenhang tatsächlich nicht zufällig ist. Die zugrunde liegenden Datensätze können Individualdaten (z. B. Meinungsumfragen oder Befragungen zum Wahlverhalten) oder aggregierte Daten (z. B. ökonomische Größen wie Bruttoinlandsprodukt oder Staatsausgaben) sein. Quantitative Methoden eignen sich besonders gut dazu, kausale Effekte nachzuweisen, d. h. den durchschnittlichen Effekt einer unabhängigen auf eine abhängige Variable über die Vielzahl der Fälle hinweg zu betrachten. Bei der Verwendung von qualitativen Methoden hingegen geht es vor allem um die Herausarbeitung kausaler Mechanismen, d. h. der Rekonstruktion der unterschiedlichen Elemente einer Kausalkette (»intervenierende Variablen«), die eine unabhängige Variable mit der abhängigen Variablen verbindet. Dazu ein konkretes Beispiel: Die abhängige Variable sei die Höhe der öffentlichen Bildungsausgaben im Ländervergleich (siehe oben, Kapitel 1), und wir wollen untersuchen, ob die parteipolitische Zusammensetzung der Regierung einen Effekt auf die Höhe der öffentlichen Ausgaben hat (siehe unten, Kapitel 3.1). Der quantitative Ansatz wäre, mit Hilfe statistischer Methoden einen nicht zufälligen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen nachzuweisen, der als kausaler Effekt interpretiert werden kann. 1 Qualitative Ansätze in der vergleichenden Policy- Forschung hingegen zeichnen im Sinne des process tracing (Hall 2006) den Prozess der Politikgestaltung (policy-making) nach und identifizieren auf diese Art und Weise die Mechanismen, die dazu führen, dass eine bestimmte parteipolitische Färbung der Regierung mit mehr oder weniger Ausgaben einhergeht. Jeder dieser Ansätze hat Stärken und Schwächen, so dass zuneh- 1 Streng genommen wird bei den üblicherweise hier verwendeten Regressionsanalysen keine Kausalität, sondern lediglich eine Korrelatiaon zwischen zwei (oder mehr) Variablen nachgewiesen. Der Nachweis von Kausalität im strengen Sinne erfordert andere Forschungsdesigns, zum Beispiel experimentelle Methoden. Ein Nachteil dieser Methoden ist, dass sie nicht auf alle Fragestellungen angewendet werden können, die für die vergleichende Policy-Forschung interessant sind (so kann man (leider) nicht die parteipolitische Zusammensetzung von Regierungen manipulieren). <?page no="19"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 18 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 19 19 mend Multi-Methoden-Ansätze angewendet werden, die beide Ansätze (statistische Analysen und Fallstudien) miteinander kombinieren (vgl. für den Fall Bildungspolitik: Ansell 2010; Busemeyer 2015). Infokasten Grundprinzipien der vergleichenden Policy-Forschung »Die zentrale Fragestellung der Policy-Forschung lautet: Wann, wie, warum, über welche Materien und mit welchem Effekt treffen politische Instanzen verbindliche Entscheidungen über die Verteilung begehrter Güter und Werte-- beispielsweise mittels Gesetzgebung, Verordnungen, Ausgaben, Steuersätzen und dergleichen mehr. Das Interesse der vergleichenden Policy-Forschung richtet sich auf die Beschreibung und Erklärung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Inhalte politischer Entscheidungsprozesse.« (Schmidt 1997: 207f ) Die vergleichende Policy-Forschung, hierzulande auch als vergleichende Staatstätigkeitsforschung bezeichnet, befasst sich als Unterdisziplin der vergleichenden Politikwissenschaft mit der Frage »how, why, and to what effect different governments pursue particular courses of action or inaction« (Heidenheimer et al., 1990: 3; vgl. grundlegend auch Blum/ Schubert 2007; Schneider/ Janning 2006; Schmidt/ Ostheim 2007). Auf ähnliche Weise hat Fritz Scharpf das Kerngeschäft der politikwissenschaftlichen vergleichenden Policy-Forschung als »interaktionsorientierte Policy-Forschung« beschrieben (Scharpf 2000: 33-34). Das heißt, in der vergleichenden Policy-Forschung will man zunächst vordringlich verstehen, welche sozioökonomischen, politischen und/ oder institutionellen Faktoren Unterschiede in den Politikinhalten (Policy-Output) erklären können. Die Untersuchung der Auswirkungen von Policies auf gesellschaftliche Problemlagen (von Scharpf »materielle Policy-Analyse« genannt) findet hingegen eher in Nachbardisziplinen wie der Soziologie oder der Ökonomie statt, wird in jüngerer Zeit jedoch auch stärker in der Politikwissenschaft betrieben (Castles 2013; Schlicht 2010; vgl. auch Busemeyer et al. 2013). Der Begriff des Policy-Output basiert auf systemtheoretischen Ansätzen der 1960er-Jahre (Easton 1965). Damit sind die konkreten Produkte gemeint, die das politisch-administrative System als kollektiv verbindlicher Entscheidungen erzeugt, wie zum Beispiel Gesetze, Verordnungen, Entscheidungen etc. Davon unterscheiden sich die Outcomes: sozioökonomische Strukturen, Prozesse und Indikatoren, die von der Politik nur indirekt beeinflussbar sind, zum Beispiel die Verteilung von Einkommen und Vermögen, i <?page no="20"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 20 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 21 20 Frauenerwerbsbeteiligung, Arbeitslosigkeit oder Wirtschaftswachstum. Es bestehen zwar begründete Hoffnungen, dass Regierungspolitik diese Größen beeinflussen kann und politische Akteure postulieren diesen Zusammenhang, wenn die Ergebnisse in die gewünschte Richtung zeigen. Wie groß die Steuerungskapazitäten der Politik aber tatsächlich sind, d. h. die Stärke des Effekts von Regierungspolitik auf Outcomes, ist jedoch eine hoch umstrittene Frage (Castles 2013). Außerdem ist eine Abgrenzung zwischen Output und Outcome nicht immer einfach (Knill et al. 2010). So lassen sich Staatsausgaben als haushaltspolitische Entscheidungen von Regierungen und damit Policy Output betrachten; andererseits unterliegen bestimmte Ausgabenarten wie etwa Ausgaben für Arbeitslosenhilfe nicht nur der diskretionären Entscheidungsmacht der Politik, sondern sind selbst maßgeblich durch sozioökonomische Prozesse (in diesem Beispiel: einen Anstieg der Arbeitslosigkeit) beeinflusst. Die vergleichende Staatstätigkeitsforschung kann inzwischen auf einen umfangreichen Theorienkatalog zurückgreifen, der sich zur Erklärung von Unterschieden im Policy-Output als erklärungskräftig erwiesen hat (vgl. für einen Überblick Schmidt/ Ostheim 2007; Schmidt 1993, 2001). Die entscheidenden Theorieansätze möchte ich im Folgenden anhand von drei Faktorenbündeln kurz vorstellen: sozioökonomische, institutionelle und (partei-)politische Determinanten. Sozioökonomische Faktoren können als Indikatoren für Problemdruck verstanden werden, mit dem sich politische Akteure konfrontiert sehen. Strukturelle Veränderungen in der sozioökonomischen Umwelt setzen Rahmenbedingungen für politisches Handeln, aber sie determinieren es nicht. Typische Variablen zur Erfassung des sozioökonomischen Problemdrucks sind zum Beispiel der wirtschaftliche Wohlstand (BIP pro Kopf ), Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit oder Inflation. Auch demografische Größen, wie der Bevölkerungsanteil junger oder älterer Menschen oder die Erwerbsbeteiligung von Frauen relativ zu Männern, wären hier zu nennen. Der Einfluss von Globalisierungsprozessen auf Staatstätigkeit wird oft als eigenständiger Theoriestrang betrachtet (Schmidt/ Ostheim 2007). Die Offenheit einer Volkswirtschaft ist allerdings ebenfalls eine sozioökonomische Größe, sodass ich sie an dieser Stelle aufführen möchte. Prinzipiell erweisen sich sozioökonomische Größen im Verhältnis zu politischen Faktoren vor allem dann als erklärungsstark, wenn Länder auf sehr unterschiedlichem Entwicklungsniveau miteinander verglichen werden (vgl. Verner 1979 für ein frühes Beispiel aus der Bildungsausgabenforschung). Umgekehrt zeigt sich aber, dass die Erklärungskraft sozioökonomischer Faktoren in der Gruppe der entwickelten OECD-Staaten zurückgeht und politische und institutionelle Faktoren stärker in den Vordergrund treten. Wenn man die USA mit Angola vergleicht ist offensichtlich, <?page no="21"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 20 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 21 21 dass der hohe wirtschaftliche Wohlstand der USA erklären kann, warum dieses Land mehr in Bildung investiert als ein armes afrikanisches Land. Wenn man allerdings die USA mit Schweden vergleicht- - zwei Länder auf einem ähnlichen Wohlstandsniveau- -, dann können die Unterschiede nicht mehr durch ökonomische Größen (allein) erklärt werden, sondern es bedarf einer Berücksichtigung von politischen und institutionellen Faktoren. Theorien, die den Einfluss von Institutionen auf Akteurshandeln im Allgemeinen und Staatstätigkeit im Besonderen betonen, haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten unter dem Banner des »Neo-Institutionalismus« einen bedeutsamen Aufschwung erlebt (vgl. grundlegend Hall/ Taylor 1996; Pierson 2004; Thelen 1999). Die Kernthese des neo-institutionalistischen Paradigmas ist, dass Akteurshandeln durch bestehende Institutionen beeinflusst wird. Akteure können institutionelle Gegebenheiten hierbei als Beschränkungen individuellen Handelns erleben; Institutionen können aber auch zu Handlungsressourcen werden, nämlich, wenn sie das Handeln anderer Akteure beschränken. Entscheidend ist die Vorstellung, dass die strategischen Interaktionen zwischen Akteuren (z. B. beim Aushandeln eines neuen Bildungsgesetzes) nicht auf Grundlage einer Tabula rasa erfolgen, sondern durch das bestehende Gerüst an Institutionen-- dem Politikerbe-- maßgeblich geprägt werden. Infokasten Mehrheits- und Konsensdemokratien Die Unterscheidung zwischen Mehrheits- und Konsensdemokratien geht auf Arend Lijphart (1999) zurück. Lijphart klassifiziert Demokratien auf der Grundlage von zehn Unterscheidungsmerkmalen in diese beiden Grundtypen. Mehrheitsdemokratien zeichnen sich durch eine starke Konzentration von Entscheidungsmacht in den Händen der zentralstaatlichen Regierung aus. In Konsensdemokratien gibt es im Gegensatz dazu eine größere Zahl von Vetospielern, so dass Entscheidungen häufig einen breiten Konsens zwischen verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Akteuren erfordern. Grob kann man hier zwischen zwei Spielarten unterscheiden: Die erste Variante institutionalistischer Theorien nimmt den Einfluss politischer Institutionen auf den Prozess der Politikgestaltung in den Fokus. George Tsebelis (2002) argumentiert, dass eine hohe Zahl von »Vetospielern«, deren individuelle Zustimmung notwendig ist, um eine Abkehr vom Status quo zu erreichen, die Wahrscheinlichkeit von Politikwandel verringert. Die Vetoi <?page no="22"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 22 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 23 22 spieler-Theorie kann dabei helfen zu verstehen, warum die Sozialstaaten in föderalistischen Ländern weniger weit ausgebaut sind (Obinger et al. 2005): Eine föderale Staatsstruktur vergrößert die Zahl der Vetospieler, sodass der Ausbau des Sozialstaates in diesen Ländern langsamer voranschritt als in zentralisierten Ländern (vgl. auch schon Cameron 1978). Iversen und Soskice (2006) verweisen auf die Ausgestaltung des Wahlsystems als weiteren Faktor, der die Größe des Sozialstaats beeinflusst. Die zweite Variante institutionalistischer Theorien betrachtet vor allem die Auswirkungen bestehender Institutionen auf Politikinhalte. Hier ist insbesondere der Ansatz des »historischen Institutionalismus« zu nennen (Thelen 1999; Pierson 2004), der die Pfadabhängigkeit politischer Entscheidungen betont. Dieser Ansatz versucht zu erklären, warum Reformprozesse in entwickelten politischen Ökonomien selten große Umbrüche nach sich ziehen, sondern Kontinuität dominiert und sich Wandel bestenfalls in inkrementellen Schritten vollzieht. Eine wesentliche Ursache für die hohe Pfadabhängigkeit von Reformprozessen ist, dass Institutionen Ressourcen an bestimmte (Wähler-)Gruppen verteilen, die dann selbst wiederum ein Interesse am Fortbestand dieser Institutionen haben (Hall/ Thelen 2009; Pierson 1993, 2004). Auf die Bildungspolitik bezogen, kann davon ausgegangen werden, dass das institutionelle Erbe von wohlfahrtsstaatlichen und bildungspolitischen Institutionen einen maßgeblichen Einfluss darauf hat, welche Reformoptionen politischen Akteuren in der Gegenwart offenstehen. Sie prägen damit-- ähnlich wie sozioökonomische Kontextfaktoren-- den allgemeinen Handlungsrahmen von Akteuren, determinieren deren Handlungen aber nicht vollkommen. Infokasten Pluralismus und Korporatismus »Das Konzept des Pluralismus […] betrachtet die Interessendurchsetzung als einen dynamischen politischen Wettbewerb […]. Dabei gilt der Staat als der Adressat für widerstreitende Interessen, die von kollektiven Akteuren geäußert werden. […] Im Grunde genommen überträgt der Pluralismus das Konzept eines funktionierenden Marktes auf die Politik. Politik wird zum Prozess des Gruppenwettbewerbs bei der Durchsetzung von Interessen. Die politische Willensbildung ist dann ein fortwährender Prozess wechselseitig ausgeübten Drucks und Gegendrucks von Interessengruppen. Der Staat ist Empfänger der Impulse und fungiert letztlich als Schiedsrichter. Im Korporatismus wird die Interessenvermittlung anhand von Statusgruppen gebündelt und Interessenkonflikte werden unter diei <?page no="23"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 22 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 23 23 sen ausgehandelt. […] Der Neokorporatismus geht davon aus, dass der Interessenwettbewerb nicht offen, sondern durch Interessenübereinkommen kollektiver Akteure bestimmt ist. Der Neokorporatismus geht von einem koordinierten Zusammenspiel von staatlichen und nicht-staatlichen aus.« (Jahn 2006a: 112 f.) Die akteursorientierte Perspektive wird von Theorien eingenommen, die die Bedeutung von politischen Faktoren und hierbei insbesondere die Machtbalance zwischen unterschiedlichen parteipolitischen und zivilgesellschaftlichen Kräften betonen. Auch hier sind maßgeblich zwei Varianten zu unterscheiden. Die erste ist die Machtressourcentheorie (Esping-Andersen 1985; Korpi 1983; Stephens 1979). Sie betont die unterschiedliche Verteilung von Machtressourcen auf die organisierten Interessen von Kapital und Arbeit. Demzufolge ist eine Kernaussage dieses Theoriestranges, dass die Machtposition von Gewerkschaften eine entscheidende Variable zur Erklärung der relativen Größe des Sozialstaats sowie des Ausmaßes der sozialen Ungleichheit ist: Je größer der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft (Organisationsdichte), desto großzügiger-- so die These-- ist der umverteilende Wohlfahrtsstaat institutionell ausgestaltet. Neben Gewerkschaften und Arbeitgeberinteressen können jedoch auch andere Arten von organisierten Interessen im Rahmen der Machtressourcentheorie betrachtet werden, zum Beispiel Umwelt-, Menschenrechts- oder Agrarverbände. Die Theorie kollektiven Handelns nach Olson (1965) lehrt jedoch, dass diffuse Interessen (z. B. am Umweltschutz) schwieriger zu organisieren sind als Partikularinteressen (z. B. die Interessen bestimmter Berufsgruppen). Die Machtressourcentheorie thematisiert auch den Einfluss von Regierungsparteien auf Politikinhalte. Aus der Perspektive dieser Theorie sind Parteien jedoch vor allem der »verlängerte Arm« der organisierten Arbeitsmarktinteressen in der parlamentarischen Arena, d. h. linksgerichtete (sozialdemokratische oder sozialistische) Parteien vertreten vor allem die Interessen der Arbeiterbewegung, während rechtsgerichtete Parteien sich für die Arbeitgeber stark machen. Es ist offensichtlich, dass dieses Verständnis von Parteipolitik wenig komplex ist. Das Handeln von Regierungsparteien wird nicht (nur) von organisierten Interessen geprägt, sondern ganz wesentlich auch von Wählerinteressen. Die Parteiendifferenztheorie (Castles 1982; Hibbs 1977; Schmidt 1996)- - eine enge Verwandte der Machtressourcentheorie- - argumentiert daher, dass die parteipolitische Zusammensetzung von Regierungen deshalb einen Einfluss auf Politikinhalte hat, weil die Parteien unterschiedliche Wählergruppen vertreten: Linke Parteien sind die Fürsprecher der untewww.claudia-wild.de: <?page no="24"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 24 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 25 24 ren Einkommensschichten, während rechte Parteien die Interessen des wohlhabenderen Teils der Bevölkerung repräsentieren. Zusammenfassend gesprochen führte dieses Kapitel in grundlegende Begriffe und Theorieansätze der vergleichenden Policy-Forschung ein, insbesondere in die Grundlagen der Methode des Vergleichs, den Anspruch und Zweck der vergleichenden Policy-Forschung, die dabei wichtige Unterscheidung zwischen Policy-Output und -Outcome sowie die wichtigsten Theorien der vergleichenden Policy-Forschung. Kapitel 5 stellt weitere jüngere Theoriebeiträge vor, insbesondere Theorien zur Erklärung von Diffusion und Konvergenz sowie die Multiple-Streams-Theorie von Kingdon (2011). Weiterführende Lektüre Blum, S., &-Schubert, K. (2007). Politikfeldanalyse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Castles, F. G. (1998). Comparative Public Policy: Patterns of Post-War Transformation. Cheltenham: Edward Elgar. Jahn, D. (2006). Einführung in die vergleichende Politikwissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Lauth, H. J. (Ed.) (2010). Vergleichende Regierungslehre: Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Schmidt, M. G. (1993). Theorien in der international vergleichenden Staatstätigkeitsforschung. In A. Héritier (Ed.), Policy-Analyse: Kritik und Neuorientierung, PVS-Sonderheft 24/ 1993 (pp. 371-393). Opladen: Westdeutscher Verlag. Schmidt, M. G., Ostheim, T., Zohlnhöfer, R., &- Siegel, N. A. (Ed.). (2007). Der Wohlfahrtsstaat: Eine Einführung in den historischen und internationalen Vergleich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Schneider, V., &- Janning, F. (2006). Politikfeldanalyse: Akteure, Diskurse und Netzwerke in der öffentlichen Politik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. <?page no="25"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 24 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 25 25 3 Das deutsche Bildungssystem im-internationalen Vergleich Dieses Kapitel widmet sich dem deutschen Bildungssystem im internationalen Vergleich der entwickelten OECD-Staaten. Abschnitt 3.1 diskutiert zunächst verschiedene Dimensionen des Vergleichs, die zur Einordnung von Bildungssystemen verwendet werden können. Es folgt eine Darstellung der wichtigsten Erklärungsfaktoren (Determinanten) von bildungspolitischen Inhalten in Anlehnung an die im vorangegangen Kapitel vorgestellten Theorien. In Abschnitt 3.2 betrachte ich ausgewählte Fälle (Deutschland, England und Schweden) aus einer historisch-vergleichenden Perspektive. Auch hier kommen die etablierten Theorien der vergleichenden Policy-Forschung zum Einsatz, allerdings mit einem stärkeren Fokus auf historisch-institutionalistische Ansätze. 3.1 Quantitative Indikatoren 3.1.1 Dimensionen des Vergleichs von Bildungssystemen Wenn man Bildungssysteme miteinander vergleichen will, muss man sich zunächst die zugrunde liegenden Dimensionen des Vergleichs vergegenwärtigen. Bildungssysteme sind komplexe institutionelle Arrangements, und diese Komplexität kann nicht auf einen einzigen Indikator verdichtet werden. Die OECD hat-- nicht nur wegen der in Deutschland besonders intensiv diskutierten PISA-Studien- - durch die Sammlung und Bereitstellung einer Vielzahl von statistischen Daten und Kennzahlen zu Bildungssystemen als einflussreicher Akteur auch in nationalen Bildungsdebatten deutlich an Einfluss gewonnen (Martens/ Wolf 2006). Seit Mitte der 1990er-Jahre publiziert die OECD regelmäßig international vergleichende Bildungsberichte (»Education at a Glance«), die die Variation nationaler Bildungssysteme anhand von inzwischen 25 Indikatoren erfasst (OECD 2014). Der seit 2006 alle zwei Jahre erscheinende nationale Bildungsbericht Deutschlands verwendet ein ähnlich komplexes Indikatorensystem. 2 Welche zentralen Dimensionen des Vergleichs lassen sich identifizieren? Die wichtigsten Indikatoren, die im Folgenden kurz vorgestellt werden, sind: 2 Vgl. http: / / www.bildungsbericht.de/ zeigen.html? seite=10203 (abgerufen am 12. Juni 2014). <?page no="26"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 26 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 27 26 die Höhe öffentlicher und privater Bildungsausgaben (sowohl für das Gesamtsystem als auch für einzelne Bildungssektoren), das Ausmaß öffentlicher Subventionen zur Unterstützung von Bildungsbeteiligung (analog zum BAföG), die Intensität der Bildungsbeteiligung (z. B. die Zahl der Studierenden als Anteil einer typischen Alterskohorte) sowie damit zusammenhängend die relative Bedeutung einzelner Bildungsbereiche (berufliche vs. akademische Bildung), die Performanz des Bildungssystems im Sinne von Bildungsleistungen (PISA-Ergebnisse) sowie das Ausmaß von Bildungsungleichheit. Darüber hinaus ist noch eine Vielzahl anderer Kennzahlen und Statistiken verfügbar, wie zum Beispiel die Höhe von Lehrergehältern, das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Lehrpersonal und Bildungsteilnehmern, die Höhe von Bildungsrenditen, der Anteil ausländischer Studierender an heimischen Universitäten, Studienabbrecherquoten, geschlechterbezogene Beteiligungsraten, bildungsbezogene Arbeitslosenquoten etc. Angesichts dieser Vielzahl von verfügbaren Statistiken ist eine Reduzierung der Komplexität dringend geboten, um vor lauter Bäumen den sprichwörtlichen Wald nicht aus den Augen zu verlieren. Daher möchte ich die Verortung Deutschlands im internationalen Vergleich mit einer einfachen Grafik zur Variation von Bildungsausgaben im internationalen Vergleich beginnen (Abbildung 3.1; vgl. grundlegend Wolf 2008a). Bildungsausgaben wie andere Arten von Staatsausgaben werden üblicherweise in Bezug zur Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, gesetzt, um eine Vergleichbarkeit der relativen Höhe von Ausgaben zwischen großen und kleinen Volkswirtschaften herzustellen. Abbildung 3.1 präsentiert Daten zu öffentlichen und privaten Bildungsausgaben, d. h. Ausgaben, die tatsächlich Bildungsinstitutionen wie Schulen oder Universitäten zugute kommen. Davon zu unterschieden sind Ausgaben, die zwar einen Bezug zum Bildungserwerb haben, aber nicht direkt an Bildungsinstitutionen fließen, wie zum Beispiel Subventionen für die Lebenshaltungskosten von Studierenden (siehe unten). Öffentliche Bildungsausgaben betreffen aus öffentlichen Quellen kommende Mittel, während mit privaten Ausgaben Geldströme von privaten Entitäten wie Haushalten, aber auch Stiftungen und Unternehmen an Bildungsinstitutionen erfasst werden. Der überwiegend große Teil von privaten Bildungsausgaben sind Studien- oder Schulgebühren (OECD 2013: 205). Unter dieser Kategorie werden allerdings auch anderen private Beiträge wie Spenden von Privatpersonen, Stiftungen oder Unternehmen einbezogen sowie in Ländern wie Deutschland auch die Ausgaben von Unternehmen für berufliche Bildung (Heidenheimer 1996). Wichtig zu betonen ist, dass private Bildungsausgaben auch an öffentliche Institutionen fließen können, etwa in Form von Studiengebühren an öffentlichen Hochschulen, die in einigen Ländern wie Japan oder den USA teilwww.claudia-wild.de: <?page no="27"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 26 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 27 27 weise eine beträchtliche Höhe aufweisen. Umgekehrt rechnet man öffentliche Mittel, die formal privaten Institutionen zugute kommen, zu den öffentlichen Bildungsausgaben: In einigen Ländern mit stark katholischer Tradition werden religiöse Schulen, die formal privat sind, mit staatlichen Mitteln unterstützt (West/ Woessmann 2010). Insofern gibt es einen bedeutsamen Unterschied zwischen der Frage der Aufteilung zwischen privaten und öffentlichen Quellen in der Bildungsfinanzierung einerseits und der Verteilung von Schülerinnen, Schülern und Studierenden auf formal private und öffentliche Bildungsinstitutionen andererseits. Panel A in Abbildung 3.1 zeigt Daten zur Variation der öffentlichen und privaten Bildungsausgaben für das gesamte Bildungssystem, während in Panel B lediglich die Ausgaben für den Hochschulsektor berücksichtigt werden. Wie bereits im einleitenden Kapitel erwähnt, belegt Deutschland im internationalen Vergleich der Bildungsausgaben einen Platz im unteren Mittelfeld. Im Vergleich der Ausgaben für den Hochschulbereich verbessert sich die relative Position Deutschlands etwas, allerdings nur, wenn man sich auf öffentliche Bildungsausgaben konzentriert. Hier liegt Deutschland mit 1,1 Prozent des BIP jedenfalls nicht mehr unter, sondern genau auf dem OECD-Durchschnitt. Auffallend ist allerdings, dass andere kontinentaleuropäische Staaten mit einem ähnlichen institutionellen Erbe wie Deutschland beim Vergleich der Bildungsausgaben deutlich besser abschneiden. Dies gilt insbesondere für Österreich (5,6 Prozent des BIP bei öffentlichen Gesamtausgaben und 1,5 Prozent des BIP für Hochschulausgaben) und Belgien (6,5 Prozent des BIP bei öffentlichen Gesamtausgaben und 1,4 Prozent bei öffentlichen Ausgaben für Hochschulen). In einigen Ländern- - neben den nordamerikanischen Ländern Kanada (1,2 Prozent des BIP) und den USA (1,8 Prozent des BIP) sind dies vor allem ostasiatische Länder (Korea mit 1,9 Prozent und Japan mit 1,0 Prozent des BIP) sowie Chile (1,7 Prozent des BIP)-- fallen die privaten Bildungsausgaben im Hochschulsektor so hoch aus, dass sie die unterdurchschnittlichen öffentlichen Ausgaben dieser Länder mehr als kompensieren. Auch Australien (0,9 Prozent des BIP) und das Vereinigte Königreich (0,6 Prozent des BIP) weisen überdurchschnittlich hohe private Bildungsausgaben im Hochschulsektor auf, wenngleich sie das Niveau der Spitzenreitergruppe noch nicht erreicht haben. Die skandinavischen Länder zeichnen sich durch hohe öffentliche bei geringen privaten Bildungsausgaben aus. Im Vergleich der Ausgaben für alle Bildungssektoren belegt Dänemark eindeutig den Spitzenplatz (7,6 Prozent des BIP für öffentliche Ausgaben plus 0,4 Prozent des BIP für private), gefolgt von Finnland, Belgien und Schweden. Aber auch Neuseeland und Irland sind hier noch in der Spitzengruppe zu finden. Im Vergleich der Auswww.claudia-wild.de: <?page no="28"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 28 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 29 28 gaben für den Hochschulsektor ist die Spitzenposition der skandinavischen Länder allerdings nicht unangefochten. Zwar liegen sie auch hier bei einem Vergleich der öffentlichen Ausgaben vorne (Finnland ist mit 1,9 Prozent des BIP der Spitzenreiter). Betrachtet man allerdings die Summe aus privaten und öffentlichen Ausgaben, liegen die USA (mit Gesamtausgaben in Höhe von 2,8 Prozent des BIP) und Kanada (2,7 Prozent des BIP), aber auch Korea (2,6 Prozent des BIP) und Chile (2,4 Prozent des BIP) noch darüber. Obwohl sich südeuropäische Länder in der Regel durch unterdurchschnittliche Bildungsleistungen und hohe Jugendarbeitslosigkeit auszeichnen (Allmendinger/ Leibfried 2003; West/ Nikolai 2013), zeigt sich eine beträchtliche Bandbreite hinsichtlich der Variation von Bildungsausgaben. Griechenland bewegt sich mit 4,0 Prozent des BIP für öffentliche Gesamt- Bildungsausgaben am unteren Rand der Vergleichsgruppe, Portugal liegt mit 5,4 Prozent des BIP genau auf dem OECD-Durchschnitt. Das gleiche gilt für Spanien im internationalen Vergleich der öffentlichen Ausgaben für Hochschulen (1,1 Prozent des BIP). In Abbildung 3.1 werden Daten zum Ländervergleich zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasst (Querschnittsvergleich). Welche Veränderungen lassen sich über die Zeit beobachten (Längsschnittvergleich)? Abbildung 3.2 präsentiert Daten zur Veränderung von öffentlichen und privaten Bildungsausgaben in ausgewählten OECD-Ländern über den Zeitraum von 1997 bis 2010. Hier sind interessante Muster zu sehen. Zum einen zeigen die Grafiken sehr eindrücklich, dass es sich bei den im Jahr 2010 beobachteten Länderunterschieden nicht um kurzfristige Fluktuationen handelt, sondern dass auch in der längerfristigen Betrachtung die Unterschiede zwischen Ländern stabil ausfallen. Panel A in Abbildung 3.2 macht zum Beispiel deutlich, dass die öffentlichen Ausgaben in Schweden im gesamten Beobachtungszeitraum konstant über den Werten der anderen Länder lagen und die privaten Bildungsausgaben konstant darunter. Bildungsausgaben in Deutschland stagnieren im Wesentlichen auf dem Niveau von 1997, obwohl die Ausgaben bereits damals im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich ausfielen und die öffentliche Unterstützung für mehr Bildungsausgaben sehr hoch war (vgl. Kapitel 1). Selbst wenn also Policy-Transfer und -Diffusion eine zunehmende Rolle spielen (vgl. Kapitel 5.1 und 5.2), so lässt sich dennoch kein allumfassender Konvergenzprozess der Bildungsausgaben konstatieren. Es bleiben weiterhin beträchtliche Länderunterschiede bestehen, die erklärungsbedürftig sind. Zum Zweiten zeigt Abbildung 3.2 allerdings auch, dass es in einzelnen Ländern durchaus signifikante Veränderungen über die Zeit hinweg geben kann. Im Vereinigten Königreich beispielsweise sind die öffentlichen Bildungsausgaben von etwa 4,6 Prozent des BIP im Jahre 1997 auf 5,9 Prozent <?page no="29"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 28 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 29 29 im Jahr 2010 angestiegen-- eine prozentuale Zunahme von fast 30 Prozent. In den USA, aber auch im Vereinigten Königreich, erfolgte außerdem ein deutlicher Anstieg der privaten Bildungsausgaben im Beobachtungszeitraum-- ein Effekt, der auf bedeutsame Policy-Reformen wie die Anhebung der Höchstsätze für Studiengebühren an britischen Universitäten unter Blair und Cameron zurückgehen könnte. In Deutschland sind die privaten Bildungsausgaben im gleichen Zeitraum von 1,2 Prozent des BIP im Jahr 1997 auf 0,8 Prozent im Jahr 2010 gefallen, was einer prozentualen Abnahme von mehr als 30 Prozent entspricht. Anmerkung: Daten für Deutschland aus dem Jahr 2009, für Griechenland aus dem Jahr 2005. Quelle: OECD Education at a Glance, Education Statistics, stats.oecd.org. Panel A: Bildungsausgaben für alle Bildungssektoren Panel B: Bildungsausgaben für den Hochschulsektor 0123456789 ֈentliche Bildungsausgaben % BIP Private Bildungsausgaben % BIP 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 ֈentliche Hochschulausgaben % BIP Private Hochschulausgaben % BIP Japan Chile Griechenland Slovakei Tschechien Italien Deutschland Australien Spanien Korea Kanada USA Mexico Slowenien Portugal Niederlande Österreich Estland Frankreich UK Irland Neuseeland Schweden Belgien Finnland Dänemark Japan Chile Korea Slovakei UK Australien Italien Mexico Neuseeland Portugal Tschechien USA Deutschland Slowenien Spanien Estland Frankreich Irland Niederlande Belgien Kanada Österreich Norwegen Schweden Dänemark Finnland Abbildung 3.1: Öffentliche und private Bildungsausgaben als Prozentanteil des Bruttoinlandsprodukts, 2010. <?page no="30"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 30 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 31 30 Panel A: Ö entliche Bildungsausgaben Panel B: Private Bildungsausgaben Quelle: OECD Education at a Glance, Education Statistics, stats.oecd.org. Deutschland Schweden Spanien UK USA 3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 6,5 7 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Ö entliche Bildungsausgaben % BIP, 1997-2010 Deutschland Schweden Spanien UK USA 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Private Bildungsausgaben % BIP, 1997-2010 Abbildung 3.2: Veränderungen von öffentlichen und privaten Bildungsausgaben für ausgewählte OECD-Länder, 1997-2010. <?page no="31"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 30 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 31 31 Eine Alternative zur Standardisierung von Bildungsausgaben als Prozentanteil des Bruttoinlandsprodukts ist es, Ausgaben in Relation zur Zahl der Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu setzen (Abbildung 3.3). Prinzipiell könnte man Ausgaben auch durch die Einwohnerzahl des betreffenden Landes teilen (Pro-Kopf-Ausgaben). Dies hat jedoch den Nachteil, dass Unterschiede in der Bildungsbeteiligung nicht berücksichtigt werden. 3 Aus diesem Grund erscheint es sinnvoller, Ausgaben pro Schüler/ in bzw. Studierenden statt Pro-Kopf-Ausgaben zu betrachten. Da hier im Unterschied zum vorherigen Bildungsausgabenindikator Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Länder nicht berücksichtigt werden, hat der wirtschaftliche Wohlstand eines Landes einen starken Einfluss auf die Höhe der Ausgaben (Busemeyer 2006a, b; OECD 2013: 169). Das heißt, in wirtschaftlich wohlhabenderen Länder wie den USA (22.744 US-Dollar im Hochschulsektor) oder Norwegen (10.933 US-Dollar) investieren Bildungsinstitutionen deutlich mehr in Studierende als in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern (z. B. die Türkei mit 4.648 US-Dollar oder Portugal mit 5.843 US-Dollar). Auch bei diesem Indikator belegt Deutschland mit 9.594 US-Dollar im Hochschulsektor und 9.779 US-Dollar bezogen auf alle Bildungssektoren einen Platz im Mittelfeld. 3 Ein fiktives Beispiel: Land A und Land B haben die gleiche Zahl von Einwohnern und gleich hohe Ausgaben pro Kopf. In Land A ist jedoch die Studierendenquote doppelt so hoch wie in Land B, also sind die Ausgaben bezogen auf die einzelne Studierende nur halb so hoch. Dieser bedeutsame Unterschied wird bei einer Betrachtung der Pro-Kopf-Ausgaben nicht wahrgenommen. Quelle: OECD 2013: Education at a Glance, Tab. B1.1a, Deutschland Zahlen für 2009, Türkei Zahlen für 2006. 0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 USA Irland Norwegen Niederlande Großbritannien Österreich Frankreich Finnland Belgien Schweiz Deutschland* Spanien Australien Schweden Neuseeland Korea Slowenien Polen Chile Ungarn Mexiko Italien Tschechien Portugal Slowakei Türkei* Estland Hochschulsektor Alle Bildungssektoren Abbildung 3.3: Bildungsausgaben pro Studierende in kaufkraftbereinigten US-Dollar, 2010. <?page no="32"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 32 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 33 32 Ein weiterer Indikator zur Messung der finanziellen Unterstützung von Bildungserwerb ist das Ausmaß an öffentlichen Subventionen (Abbildung 3.4), die nicht direkt an Bildungsinstitutionen fließen, sondern an die Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer selbst. Hierbei handelt es sich vor allen Dingen um Stipendienprogramme oder subventionierte Bildungskredite, aber auch andere Transfers an Schülerinnen, Schüler und Studierende, wie zum Beispiel die kostenlose Mitversicherung in der Krankenversicherung der Eltern, fallen hierunter. Der entscheidende Unterschied zu den vorherigen Ausgabenindikatoren ist, dass diese Ausgaben zwar einen Bezug zum Bildungserwerb haben, aber nicht direkt für Bildungsdienstleistungen ausgegeben werden, sondern beispielsweise die Lebenshaltungskosten von Studierenden decken. Aus diesem Grund ist die Länderreihenfolge hier nur zum Teil mit derjenigen bei direkten Bildungsausgaben vergleichbar. Wohlhabende skandinavische Länder wie Norwegen (0,98 Prozent des BIP) und Dänemark (0,67 Prozent des BIP) liegen zwar bei den öffentlichen Subventionen weit vorne. Mit Großbritannien (0,69 Prozent des BIP) und Neuseeland (0,91 Prozent des BIP) sind aber auch zwei angelsächsische Staaten in der Spitzengruppe zu finden, die im Vergleich der direkten Bildungsausgaben eher unterdurchschnittliche öffentliche, aber recht hohe private Bildungsausgaben aufweisen (vgl. Abbildung 3.1, Panel B). Umgekehrt kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass die öffentlichen Bildungssubventionen in den Ländern mit hohen Privatausgaben-- also hohen Studiengebühren- - automatisch höher sind, denn die Länder mit den Quelle: OECD 2013: Education at a Glance, Tab. B5.4, Türkei Zahlen für 2006, Deutschland Zahlen für 2009. 0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 Norwegen Neuseeland Großbritannien Dänemark Island Schweden Niederlande Australien USA Chile Kanada Finnland Slowenien Österreich Deutschland* Japan Belgien Italien Slowakei Irland Portugal Estland Türkei* Polen Ungarn Spanien Israel Frankreich Schweiz Mexiko Korea Tschechien Abbildung 3.4: Öffentliche Bildungssubventionen an private Haushalte als Anteil des BIP, 2010. <?page no="33"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 32 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 33 33 höchsten Privatausgaben liegen bei den Bildungssubventionen eher im Mittelfeld (die USA mit 0,39 Prozent des BIP, Chile mit 0,36 Prozent und Kanada mit 0,35 Prozent) oder gar ganz am Ende der Skala (Korea mit 0,07 Prozent des BIP). Schließlich gibt es auch Länderfälle mit geringen Privatausgaben in Form von Studiengebühren und gleichfalls niedrigen Bildungssubventionen: Deutschland wäre hier mit 0,28 Prozent des BIP zu nennen, aber auch Frankreich mit 0,10 Prozent. Es existieren also sehr unterschiedliche Kombinationen aus hohen/ niedrigen Privatausgaben bzw. Studiengebühren mit hohen/ niedrigen Bildungssubventionen, die sich auf unterschiedliche politisch-institutionelle Rahmenbedingungen zurückführen lassen (Garritzmann 2014). Jenseits von Höhe und Verteilung der Bildungsausgaben unterscheiden sich Bildungssysteme auch im Hinblick auf den Grad der Bildungsbeteiligung. In der öffentlichen Diskussion wird hier insbesondere auf die Studierendenquote geschaut (Abbildung 3.5). Die Messung der Studierendenquote im internationalen Vergleich ist komplexer als es auf den ersten Blick erscheint: Eine Möglichkeit wäre, sich auf die Studienanfängerzahlen zu konzentrieren. Dies ist jedoch dann irreführend, wenn die Zahl der Studienabbrecher hoch ist und im Ländervergleich stark variiert. Stattdessen könnte man die Zahl der erfolgreichen Studienabsolventen nehmen, aber dies wiederum vernachlässigt die tatsächliche Offenheit des Hochschulsystems am Übergang zwischen Schulen und Hochschulen. Weitere Probleme für die Vergleichbarkeit entstehen durch die im Ländervergleich schwankenden Anteile von Ausländern an der Studierendenschaft sowie Unterschiede hinsichtlich der Alterszusammensetzung. Besonders letzteres ist bedeutsam, denn die Größe, zu der die Zahl der Studierenden in Bezug gesetzt werden muss (eine »typische« Alterskohorte), ist nicht eindeutig zu bestimmen, wenn das Durchschnittsalter der Studierenden bei Studienbeginn im Ländervergleich stark variiert. Angesichts dieser Vielzahl von Schwierigkeiten kann der in Abbildung 3.5 dargestellte Indikator nur einen groben Eindruck liefern. Es handelt sich hierbei um Brutto-Studierendenquoten (gross enrolment), die in recht grober Weise die Zahl der Studierenden in einem Land durch die Zahl der jungen Menschen in einer »typischen« Alterskohorte teilt. In diesem Fall ist eine typische Alterskohorte als die Zahl derjenigen in der Altersgruppe ab Sekundarschulabschluss bis fünf Jahre danach definiert. Der Indikator vernachlässigt somit die Tatsache, dass es auch Studierende geben könnte, die deutlich älter sind, dass es eine hohe Zahl von Ausländern geben könnte, die bei der Zahl der Studierenden mitgezählt werden, und dass es unterschiedlich hohe Quoten von Studienabbrechern geben könnte. Aus diesen Gründen kann der Wert des Indikators auch über 100 liegen, denn er überschätzt tendenziell die Studierendenquoten. Der Vorteil dieses Indikators ist, dass vergleichswww.claudia-wild.de: <?page no="34"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 34 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 35 34 weise verlässliche Zahlen über einen längeren Zeitraum und für eine Vielzahl von Ländern verfügbar sind. Er kann aufgrund der genannten Schwächen jedoch nur als grobe Annäherung an die tatsächliche Offenheit des Zugangs zu Hochschulen betrachtet werden. Abbildung 3.5 erfasst neben dem aktuellen Wert von 2011 auch ältere Zahlen aus dem Jahr 1994 (bei einzelnen Abweichungen für Länder, wenn Daten für das entsprechende Jahr nicht verfügbar sind), um einen Eindruck über die Entwicklungsdynamik im Zugang zu Universitäten und Hochschulen zu vermitteln. Gemäß den Erwartungen aus den vorangehenden Diskussionen sind die Studierendenquoten in den Ländern mit überdurchschnittlich hohen privaten oder öffentlichen Ausgaben im Hochschulbereich besonders hoch (Korea, Finnland und die USA). Die USA, aber auch Kanada, waren Mitte der 1990er-Jahre diejenigen Länder mit der höchsten Studierendenquote, sind inzwischen aber von anderen Ländern eingeholt worden. Insbesondere in Korea, aber auch in Finnland, ist in der vergleichsweise kurzen Zeitspanne ein sehr deutlicher Anstieg der Studierendenquote zu verzeichnen, was darauf hindeutet, dass hier besondere Anstrengungen unternommen worden sind, diesen Bildungssektor auszubauen. Etwas überraschender mag die hohe Studierendenquote in Griechenland oder Spanien erscheinen. Diese Beispiele zeigen, dass hohe Studierendenquoten zumindest im Fall Griechenland auch mit geringen Bildungsausgaben einhergehen können. Beide Beispiele machen zudem deutlich, dass eine hohe Zahl von Studierenden auch mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit parallel laufen kann. Die Höhe der Studierendenquote alleine sagt außerdem wenig darüber aus, wie die Steuerung des Hochschulsystems (»Governance«) organisiert ist (vgl. Kapitel 5.2). Weiterhin fällt auf, dass Länder mit einem fest etablierten und gut funktionierenden Berufsbildungssystem wie Deutschland, Österreich oder die Schweiz beim internationalen Vergleich der Studierendenquoten am unteren Ende zu finden sind. Attraktive Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in der beruflichen Bildung tragen somit dazu bei, dass der politische und gesellschaftliche Druck zur Öffnung des Zugangs zu Universitäten und Hochschulen geringer ausgeprägt ist (Ansell 2010: 147; Busemeyer 2015; Powell/ Solga 2011). Dies wird allerdings zunehmend kritisch gesehen, denn eine zu stark auf die Bedürfnisse von verarbeitender Industrie und Handwerk ausgerichtete Berufsbildung kann die Transformation von Ökonomien zu dienstleistungsorientierten Wissensökonomien verlangsamen (Anderson/ Hassel 2013; Wren 2013). In Ergänzung zu Abbildung 3.5 stellt daher Abbildung 3.6 die relative Bedeutung von beruflichen Bildungsgängen auf der oberen Sekundarstufe dar. Präziser gesprochen beinhaltet Abbildung 3.6 Daten zum Anteil der <?page no="35"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 34 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 35 35 Quelle: Word Development Indicators, http: / / data.worldbank.org/ data-catalog/ worlddevelopment-indicators, Weltbank, 2014. Kanada* Wert für 2000; Dänemark* Wert für 2010; Estland* Wert für 2010; Griechenland* Wert für 2007; Israel* Werte für 1995 und 2010; Luxemburg* Wert für 2010; Portugal* Wert für 2010. 0 20 40 60 80 100 120 Korea Finnland USA Griechenland* Slowenien Australien Spanien Island Neuseeland Niederlande Dänemark* Polen Schweden Irland Norwegen Estland* Chile Belgien Portugal* Tschechien Italien Israel* Großbritannien Türkei Japan Ungarn* Kanada* Deutschland* Frankreich Slowakei Schweiz Österreich Mexiko Luxemburg* 2011 1994 Abbildung 3.5: Studierendenquote, 2011 und 1994. Quelle: OECD 2012, 2013: Education at a Glance, Tab. C.1.3. 100 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Österreich Tschechien Belgien Slowakei Finnland Niederlande Slowenien Schweiz Luxemburg Italien Schweden Norwegen Australien Deutschland Polen Dänemark Spanien Frankreich Türkei Portugal Israel Großbritannien Estland Island Irland Chile Griechenland Neuseeland Ungarn Japan Korea Mexiko Kanada Beru iche Bildungsgänge gesamt Duale Ausbildungsgänge Abbildung 3.6: Anteil der Schülerinnen und Schüler in beruflichen Bildungsgängen auf dem Niveau der oberen Sekundarstufe, 2010. <?page no="36"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 36 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 37 36 Schülerinnen und Schüler in beruflichen Bildungsgängen auf dem Niveau der oberen Sekundarstufe, wobei nicht zwischen betrieblicher und vollzeitschulischer Ausbildung unterschieden wird. Auffällig ist, dass in den Ländern, in denen die Übergänge zwischen beruflicher Bildung und Hochschulbildung flexibel und offen gestaltet sind, sowohl die relative Bedeutung der beruflichen Bildung als auch die Studierendenquote hoch sein können. Beispiele hierfür wären Finnland und die Niederlande, aber auch Slowenien. Des Weiteren ist zu beachten, dass die qualitativen und institutionellen Unterschiede zwischen den einzelnen Systemen im Bereich der beruflichen Bildung mindestens ebenso stark ausgeprägt sind wie im Bereich der Hochschulbildung. Berufliche Bildungsgänge binden in einigen osteuropäischen Staaten wie der Slowakei oder Tschechien zwar einen großen Teil der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe, die Qualität dieser Ausbildungsgänge ist jedoch nicht unbedingt mit derjenigen von dualen Ausbildungsgängen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz vergleichbar. Große Unterschiede im internationalen Vergleich zeigen sich daher hinsichtlich des öffentlichen Engagements für die berufliche Bildung wie auch in der Einbindung von Arbeitgebern (vgl. Busemeyer 2009e; Busemeyer/ Trampusch 2012 sowie Kapitel 4.3). Leider ist die Datenverfügbarkeit bei Ausbildungsgängen, die als duale Kombination aus vollzeitschulischer und betrieblicher Ausbildung organisiert sind, begrenzt. Dennoch lässt sich einiges beobachten: So ist die berufliche Bildung in Systemen mit einem ausgeprägt etatistischen, d. h. staatszentrierten Charakter vollzeitschulisch organisiert, das heißt, der Anteil der praktischen Ausbildung im Betrieb ist eher gering. Beispiele sind Belgien, Finnland, aber auch Schweden. Im Gegensatz dazu spielt die betrieblich-duale Ausbildung in Ländern wie Deutschland, Dänemark, der Schweiz und mit Einschränkungen auch in Österreich, Tschechien, der Slowakei und den Niederlanden eine größere Rolle. Die Frage, welche Form der beruflichen Bildung dominiert, hat erhebliche Auswirkungen auf die Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt, denn die Jugendarbeitslosigkeit ist in dualen Systemen deutlich niedriger als in vollzeitschulischen (Breen 2005; Gangl 2003, vgl. auch Busemeyer/ Iversen 2012; Busemeyer 2015). Jenseits von Bildungsausgaben und Beteiligungsquoten werden in der Öffentlichkeit vor allem Bildungsleistungen diskutiert. Dieses Interesse an der relativen Performanz von Bildungssystemen wurde maßgeblich von der im Jahr 2000 erstmals durchgeführten PISA-Studie der OECD beflügelt, die seitdem in Drei-Jahres-Abständen international vergleichbare Daten zur Bildungsleistung von 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften zur Verfügung stellt. Vor PISA gab es bereits eine Reihe anderer international vergleichender Leistungstest wie TIMSS, IGLU oder der IALS, die jedoch weniger in der <?page no="37"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 36 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 37 37 öffentlichen Diskussion standen. 4 Auch wenn politische Akteure gern eine kausale Verbindung zwischen Bildungspolitik und -performanz herstellen (es sei denn, die Performanz ist unterdurchschnittlich), fällt letztere eher in den Bereich der Outcomes. Die Bildungsleistung von Individuen und deren auf Länderebene aggregierten Durchschnitte werden von einer Vielzahl von Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen des Systems beeinflusst; die institutionellen Rahmenbedingungen, die die Bildungspolitik beeinflussen kann, sind dabei nur ein Faktor unter vielen, sodass der Zusammenhang zwischen bildungspolitischen Entscheidungen und -performanz weniger eng ist, als man auf den ersten Blick vermuten könnte (Castles 2013; Schlicht 2010; Schlicht et al. 2010). Abbildung 3.7 zeigt durchschnittliche PISA-Werte aus der jüngsten Erhebung aus dem Jahr 2012 für ausgewählte OECD-Länder. Ähnlich wie bei den bisher diskutierten Indikatoren gibt es auch hier wieder ein beträchtliches Maß an Variation im Ländervergleich. Die PISA-Ergebnisse sind so standardisiert, dass ein Wert von 500 dem OECD-Durchschnitt entspricht. 5 Wie schon in den Jahren zuvor, liegen Finnland und Japan (sowie weitere ostasia- 4 PISA steht für »Programme for International Student Assessment«, TIMSS für »Trends in International Mathematics and Science Study«, IGLU für »Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung« und IALS für »International Adult Literacy Survey«. 5 http: / / www.oecd.org/ pisa/ aboutpisa/ pisafaq.htm (Abruf am 21. November 2014). Quelle: OECD, 2012: PISA Results 2012: What Students Know and Can Do, Abbildung B4.I.1. 440,0 460,0 480,0 500,0 520,0 540,0 560,0 Japan Finnland Deutschland Tschechien Frankreich Großbritannien Spanien USA Schweden Mathematik Lesen Naturwissenschaften Abbildung 3.7: PISA-Ergebnisse ausgewählter OECD-Länder, 2012. <?page no="38"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 38 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 39 38 tische Länder) im internationalen Vergleich klar vorne. Dieser Befund ist vor allen Dingen deswegen interessant, weil der Vergleich der öffentlichen Bildungsausgaben (Abbildung 3.1) gezeigt hat, dass Finnland relativ zum BIP fast doppelt so viel ausgibt wie Japan, das sogar am unteren Ende der Vergleichsskala von Bildungsausgaben zu finden ist. Im Gegensatz dazu schneidet Schweden in der jüngsten PISA-Welle erstaunlich schlecht ab, obwohl es-- was die Höhe der öffentlichen Ausgaben angeht-- fast auf dem Niveau von Finnland liegt. Diese Beispiele zeigen eindrücklich, dass bildungspolitische Faktoren wie die Höhe von Investitionen alleine nicht ausschlaggebend sind, sondern dass es ganz wesentlich auf die institutionelle Ausgestaltung von Bildungssystemen sowie andere Rahmenbedingung kultureller oder gesellschaftlicher Art ankommt. Angelsächsische Länder wie die USA oder Großbritannien schneiden bei PISA verhältnismäßig schlecht ab. Dies mag angesichts der Tatsache, dass in diesen Ländern die weltweit besten Universitäten angesiedelt sind, verwundern. Wilensky (2002: 687) hat für den Fall USA einmal bemerkt, das Land sei »unique in the diversity, openness, and excellence of its higher education institutions and its extraordinary neglect of K-12 [Primar- und Sekundarschulbildung, MRB]«. Die PISA-Daten bestätigen diese Einschätzung nachdrücklich. Weniger überraschend ist der Befund, dass südeuropäische Länder wie Spanien sich im internationalen Vergleich mit einem schlechten Platz begnügen müssen. Abbildung 3.8 betrachtet die Entwicklung der Bildungsperformanz ausgewählter Länder im Längsschnittvergleich anhand des Beispiels der Bildungsleistungen im Bereich Mathematik. Die Grafik zeigt, dass es durchaus beträchtliche Veränderungen der relativen und absoluten Performanz einzelner Bildungssysteme über die Zeit hinweg gibt. 6 Die Längsschnittbetrachtung bestätigt, dass sich Deutschland von seiner unterdurchschnittlichen Position im Jahr 2000, die seinerzeit den PISA-Schock auslöste, bis ins Jahr 2012 kontinuierlich und deutlich verbessert hat, und das obwohl-- wie wir oben gesehen haben- - die Bildungsausgaben auf dem Niveau von 1997 stagnierten. Inwiefern die Verbesserung der Performanz somit tatsächlich mit bildungspolitischen Reformen zu tun hat, ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Spiegelbildlich zu Deutschland ist Schweden im internationalen Vergleich 6 Beim relativen Vergleich der Bildungsleistungen ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Zahl der Länder, die an der PISA-Studie teilnehmen, von 43 Ländern (OECD-Staaten und Partnerländer) auf 34 OECD-Staaten plus 31 Partnerländer im Jahr 2012 angewachsen ist (http: / / www.oecd.org/ pisa/ aboutpisa/ pisafaq.htm, Abruf am 21. November 2014). <?page no="39"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 38 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 39 39 der Bildungsleistungen kontinuierlich abgerutscht, was von Kritikern in Zusammenhang mit den in den 1990er- Jahren betriebenen Dezentralisierungs- und Privatisierungsreformen gesetzt wird (siehe Fallstudie zu Schweden im Kapitel 3.2.3). Auch in Großbritannien und Frankreich ist die Performanz deutlich zurückgegangen, und trotzdem lässt sich in diesen Ländern kein PISA-Schock wie seinerzeit in Deutschland beobachten (Dobbins/ Martens 2012; Knodel et al. 2010). Ob mangelhafte Bildungsperformanz somit als politisch zu bearbeitendes Problem wahrgenommen wird, hängt maßgeblich davon ab, wie nationale Institutionen und Diskursstrukturen die Kommunikation von Sachverhalten prägen und beeinflussen (vgl. Kapitel 5.1). Die Bildungsleistungen in den USA und Spanien stagnieren seit 2000 auf einem niedrigen Niveau, während Tschechien, Japan und Finnland eine stärkere Fluktuation an den Tag legen. Dennoch konnten Finnland und Japan über den gesamten Zeitraum hinweg betrachtet ihre Spitzenposition halten. Quelle: OECD, 2012: PISA Results 2012: What Students Know and Can Do, Abbildung B4.I.1. Japan Finnland Deutschland Tschechien Frankreich Großbritanninen Spanien USA Schweden 470,0 480,0 490,0 500,0 510,0 520,0 530,0 540,0 550,0 560,0 2000 2003 2006 2009 2012 Mathematik Japan Finnland Deutschland Tschechien Frankreich Großbritanninen Spanien USA Schweden Abbildung 3.8: PISA-Ergebnisse ausgewählter Länder im Längsschnittvergleich, 2000-2012. <?page no="40"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 40 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 41 40 Die wesentlichen Erkenntnisse dieses Unterkapitels lauten wie folgt: Erstens haben wir gesehen, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Dimensionen herangezogen werden kann, um Bildungssysteme miteinander vergleichbar zu machen. Die jüngsten Fortschritte im Bereich der nationalen und internationalen Bildungsberichterstattung führen sogar eher dazu, dass die Komplexität und Vielfalt der entwickelten Indikatorensysteme so groß wird, dass eine Konzentration auf das Wesentliche schwerer fällt. Aus diesem Grund habe ich mich auf die Diskussion zentraler Indikatoren zu Bildungsausgaben, -beteiligung und -performanz beschränkt. Zweitens hat der internationale Vergleich dieser Indikatoren ein beträchtliches Maß an Variation über Zeit und über Länder hinweg offengelegt. Ich habe angedeutet, dass eine Erklärung dieser Varianz, die im folgenden Unterkapitel erfolgt, eine Kombination aus unterschiedlichen Theorieansätzen (sozioökonomische, institutionalistische und akteurszentrierte Theorien, vgl. Kapitel 2) erfordern wird. 3.1.2 Welche Faktoren erklären die Varianz? In diesem Unterkapitel möchte ich die wichtigsten Befunde zur Erklärung der Varianz von Bildungspolitik im internationalen Vergleich vorstellen und kritisch diskutieren. Hierbei konzentriere ich mich auf den Policy-Output und weniger die Performanz im Sinne von Bildungsleistungen, denn dies ist die klassische Analyseperspektive der vergleichenden Policy-Forschung. Ich präsentiere zentrale Befunde zum besseren Verständnis in Form von bivariaten scatterplots. Diese Zusammenhänge sind aber allesamt in aufwändigeren multivariaten Regressionsanalysen, in denen statistisch gesprochen für potenzielle Alternativerklärung kontrolliert werden kann, getestet und für robust befunden worden (Busemeyer 2006a, b, 2007, 2008a, 2009d, 2015). Sozioökonomische Faktoren Kapitel 2 diskutierte bereits einige Variablen, die üblicherweise zur Operationalisiernug der zentralen Thesen der »sozioökonomischen Schule« (Schmidt/ Ostheim 2007) verwendet werden, wie z. B. wirtschaftlicher Wohlstand, Arbeitslosigkeit, demografische Variablen, aber auch der Grad der Offenheit einer Volkswirtschaft. Welche dieser Variablen haben nun einen Einfluss auf den bildungspolitischen Output? Beginnen wir mit der Frage des Einflusses von wirtschaftlichem Wohlstand. Bereits oben habe ich auf den vermeintlich engen Zusammenhang zwischen dem BIP pro Kopf und den Pro-Studierenden-Bildungsausgaben verwiesen. Dieser Zusammenhang wird in Abbildung 3.9 nochmals grafisch dargestellt. In der Tat können es sich reiche Gesellschaften leisten, absolut <?page no="41"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 40 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 41 41 mehr für die Bildung ihrer Schülerinnen, Schüler und Studierenden auszugeben, selbst wenn die Bildungsausgaben als Prozentanteil des BIP nicht überdurchschnittlich hoch ausfallen. Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive interessanter ist die Frage, welche Faktoren erklären könnten, warum einzelne Länder von diesem zu erwartenden Zusammenhang abweichen, d. h. relativ zu ihrem wirtschaftlichen Entwicklungsstand mehr oder weniger für Bildung ausgeben als eigentlich zu erwarten wäre (z. B. Norwegen). Neben dem Stand der wirtschaftlichen Entwicklung haben auch demografische Faktoren eine Auswirkung auf den bildungspolitischen Output. Ein wichtiger, wenngleich wenig überraschender Befund aus der vergleichenden Analyse von Bildungsausgaben ist, dass diese (als Anteil vom BIP) in den Ländern mit einem höheren Bevölkerungsanteil junger Menschen ebenfalls höher sind (Busemeyer 2006a, b; Nikolai 2007; Schmidt 2007a, b). Umgekehrt könnte erwartet werden, dass die Bildungsausgaben in Ländern mit einem höheren Anteil älterer Menschen niedriger ausfallen, da es hier zu Finanzierungskonkurrenzen zwischen den Nutznießern unterschiedlicher sozialstaatlicher Leistungen kommen könnte. Hier sind die Befunde allerdings Quelle: Nationaleinkommen pro Kopf (2010): OECD Factbook 2014; Bildungsausgaben pro Studierendem/ Schüler (2010), alle Bildungssektoren, OECD 2013: 174. Australien Österreich Belgien Chile Tschechien Dänemark Estland Finnland Frankreich Ungarn Island Irland Israel Italien Japan Korea Mexiko Niederlande Neuseeland Norwegen Polen Portugal Slowakei Slovenien Spanien Schweden UK USA 0 5 10 15 20 Bildungsausgaben pro Studierendem/ Schüler (2010) 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 Nationaleinkommen pro Kopf (2010) Schweiz Abbildung 3.9: Zusammenhang zwischen BIP pro Kopf und Bildungsausgaben pro Studierendem, 2010. <?page no="42"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 42 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 43 42 nicht eindeutig, aber es gibt einige Hinweise für einen solchen Zusammenhang aus dem inter- und intranationalen Vergleich (Cattaneo/ Wolter 2009; Poterba 1998). Ein eindeutig positiver Zusammenhang lässt sich allerdings zwischen der Höhe der öffentlichen Bildungsausgaben und dem Grad der Frauenerwerbsbeteiligung nachweisen (vgl. Abbildung 3.10). Auch der strukturelle Wandel von der Industriezur Dienstleistungsökonomie übt- - wie bei Wohlfahrtsstaaten allgemein (Iversen/ Cusack 2000)- - einen expansiven Druck auf die Größe des öffentlichen Bildungssektors aus (vgl. Jensen 2011). Der Grad der Offenheit einer Volkswirtschaft, d. h. das Ausmaß ökonomischer Globalisierung und Internationalisierung, wird in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung als weitere Variable genannt, die die Größe von Sozialstaaten beeinflusst. Aus der Perspektive der Kompensationsthese (Cameron 1978; Katzenstein 1985) kommt die Argumentation, dass der Sozialstaat in kleinen und offenen Volkswirtschaften deswegen besonders ausgebaut ist, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die globalisierungsbedingten Unsicherheiten durch eine großzügig ausgebaute Sozialpolitik kompensiert werden müssen. Die Effizienzthese hingegen (Busemeyer 2009c; Jahn 2006b) geht davon aus, dass die Zwänge der ökonomische Globalisierung die Möglichkeiten nationalstaatlicher Regierungen, Sozialausgaben zu erhöhen, zunehmend beschränken. Auf die Bildungspolitik bezogen ließe sich einwenden werden, dass Globalisierung tendenziell eine Umschichtung von Ausgabenarten innerhalb öffentlicher Haushalte von passiven und ökonomisch wenig produktiven Sozialtransferleistungen zu aktivierenden und investiven Ausgabenarten, insbesondere Investitionen in Bildungspolitik, nach sich ziehen könnte (vgl. grundlegend Boix 1997, 1998 sowie Kapitel 5.3). Ein damit zu erwartender klar positiver Zusammenhang zwischen Bildungsausgaben und der Offenheit von Volkswirtschaften lässt sich für die Gruppe der OECD-Staaten allerdings nicht nachweisen (Busemeyer 2009c; Busemeyer/ Garritzmann 2014), sondern nur bei einer Erweiterung des Samples um Schwellenländer und Nicht-Demokratien (Ansell 2010). Ein häufig auftretendes Problem der vergleichenden Policy-Forschung, das sich im Fall einiger der bisher diskutierten sozioökonomischen Variablen allerdings in besonderer Weise stellt, ist die Frage der Kausalität: Kann man tatsächlich davon sprechen, dass ein höheres wirtschaftliches Entwicklungsniveau höhere Bildungsinvestitionen verursacht oder müsste man nicht umgekehrt davon ausgehen, dass höhere Bildungsausgaben die wirtschaftliche Entwicklung fördern? Dieses »Henne-Ei«-Problem lässt sich mit verschiedenen statistischen Verfahren zwar teilweise in den Griff bekommen, dennoch bleiben konzeptionell-theoretische Probleme bei der Bestimmung der dominierenden Kausalitätsrichtung bestehen, nicht zuletzt auch deshalb, weil zwiwww.claudia-wild.de: <?page no="43"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 42 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 43 43 schen vielen sozialen Phänomenen eben keine eindeutige und einseitige Kausalitätsbeziehung existiert, sondern wechselseitige Abhängigkeiten und Feedback-Effekte auftreten. Das Beispiel des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Bildungsausgaben ist ein gutes Beispiel hierfür, denn wirtschaftlicher Wohlstand ermöglicht höhere Bildungsausgaben und höhere Bildungsausgaben wirken sich wiederum positiv auf das Wirtschaftswachstum aus. 7 Ein weiteres Beispiel ist der positive Zusammenhang zwischen Frauenerwerbsbeteiligung und Bildungsausgaben. Sind die Bildungsausgaben in Ländern mit hoher Frauenerwerbsbeteiligung höher, weil ein gut ausgebauter öffentlicher Bildungssektor, vor allem im Bereich der frühkindlichen Bildung, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht und damit die Erwerbsbeteiligung ansteigen lässt? Oder wurden zuerst neue 7 Dieses Beispiel zeigt auch die Grenzen der Erklärungskraft der sozioökonomischen Schule, denn wenn Bildungsausgaben positive Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben und dies im Interesse der Wählerinnen und Wähler liegt, warum beobachten wir dann dennoch ein großes Maß an Variation im Ländervergleich? Quelle: Frauenerwerbsbeteiligung: OECD Factbook 2014; ö entliche Bildungsausgaben als Prozent vom BIP, alle Sektoren, OECD 2013: 193. Australien Österreich Belgien Kanada Chile Tschechien Dänemark Estland Finnland Frankreich Deutschland Ungarn Island Irland Israel Italien Japan Korea Mexiko Niederlande Neuseeland Norwegen Polen Portugal Slowakei Slovenien Spanien Schweiz UK USA 4 5 6 7 8 Ö entliche Bildungsausgaben, % vom BIP (2010) 40 50 60 70 80 Frauenerwerbsbeteiligung (2010) Schweden Abbildung 3.10: Zusammenhang zwischen Frauenerwerbsbeteiligung und Bildungsausgaben, 2010. <?page no="44"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 44 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 45 44 Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen, etwa im Bildungssektor, geschaffen und diese haben dann die Bildungsausgaben ansteigen lassen? Diese und ähnliche Fragen zur dominierenden Richtung der Kausalität zwischen zwei Variablen lassen sich am besten durch eine geschickte Kombination von unterschiedlichen Analyseperspektiven und Methoden beantworten. Man könnte eine Querschnittsanalyse der Unterschiede zwischen Ländern mit einer Längsschnittund/ oder qualitativen Prozessanalysen kombinieren, die eine Rekonstruktion der zeitlichen Abfolge von Entwicklungsstufen ermöglichen (vgl. die Fallstudien in Kapitel 3.2). Es lassen sich in manchen Fällen auch gute theoretische Argumente dafür finden, warum die Wahrscheinlichkeit, dass ein Faktor den anderen kausal bedingt, höher ist als umgekehrt. Bei dem Beispiel des Zusammenhangs zwischen Bildungsausgaben und wirtschaftlichem Entwicklungsstand könnte man noch argumentieren, dass die Kausalität in beide Richtungen verläuft. Beim Zusammenhang zwischen dem Bevölkerungsanteil junger Menschen und Bildungsausgaben scheint hingegen eher die Annahme plausibel, dass demografische Faktoren dem bildungspolitischen Output kausal vorgelagert sind. Eine hohe Zahl von jungen bildungshungrigen Menschen stellt eine unmittelbare und direkte Nachfrage nach Bildungsleistungen dar, auf die die Politik reagieren muss. Umgekehrt wird ein Ausbau von Bildungsinvestitionen nicht direkt die demografische Zusammensetzung der Bevölkerung verändern können, selbst wenn die Politik diesen Steuerungsanspruch gern erhebt. Institutionen Wie oben in Kapitel 2 erwähnt, können bei institutionellen Theorien zwei Unterkategorien unterschieden werden. Die erste betrifft die Frage, wie politische Institutionen den bildungspolitischen Prozess und damit auch Inhalte prägen; die zweite untersucht, wie das institutionelle und politische Erbe der bestehenden Institutionen selbst Handlungsspielräume beeinflussen und auf diese Weise Politikinhalte vorstrukturieren. Bei der ersten Frage- - dem Einfluss von politischen Institutionen auf Inhalte-- geht es darum, wie politische Macht im Sinne formaler Kompetenzen und informeller Einflussnahme auf unterschiedliche Akteure verteilt ist. Im Unterschied zu anderen sozialpolitischen Politikfeldern spielen lokale und regionale Regierungsstrukturen in fast allen Ländern eine zentrale Rolle in der Finanzierung und Bereitstellung von Bildung. Hier kann man zunächst grob unterscheiden zwischen föderalistisch organisierten Ländern einerseits, in denen die Verantwortung für Bildungspolitik in der Regel in den Händen der föderalen Gliedstaaten liegt, wie z. B. in den Bundesländern in Deutschland, den schweizerischen Kantonen oder den Provinzen Kanadas. In unitarischen Staaten andererseits gibt es Beispiele für hochzentralisierte Bildungswww.claudia-wild.de: <?page no="45"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 44 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 45 45 systeme wie etwa Frankreich, in denen der Großteil der bildungspolitischen Kompetenzen in den Händen der zentralstaatlichen Nationalregierung liegt, oder zunehmend dezentralisierte Systeme wie Schweden oder Dänemark, in denen die kommunale Ebene eine zentrale Rolle in der Finanzierung und Bereitstellung von Bildung spielt (vgl. ausführlicher Kapitel 5.2). Diese Beispiele zeigen, dass die grobe Unterscheidung zwischen föderalen und unitarischen Staaten wichtige Unterschiede innerhalb dieser beiden Gruppen unterschätzt. Stattdessen kommt es auf die tatsächliche Verteilung von politischen und fiskalpolitischen Verantwortlichkeiten an. In diesem Punkt unterscheidet sich Bildungspolitik von anderen Sozialpolitiken wie der Arbeitsmarkt-, Gesundheits- oder Rentenpolitik. Bei letzteren spielen-- zumindest in den kontinentaleuropäischen Staaten- - Sozialversicherungen eine entscheidende Rolle, die auf dem Prinzip des Risikoausgleichs innerhalb einer möglichst umfassenden Gruppe von Versicherten beruhen. In der Bildungspolitik geht es allerdings weniger um die Absicherung eines Arbeitsmarkt- oder Lebensrisikos, sondern um die Erbringung einer sozialen Dienstleistung. Hierzu reicht eine relativ kleine Gruppe von Personen aus, die sich auf die gemeinsame Finanzierung einer solchen Dienstleistung einigen. Aus diesem Grund sind Bildungssysteme historisch häufig »von unten nach oben« gewachsen: Am Anfang stand die dezentrale und häufig auch quasi-private Bereitstellung von Bildungsleistungen auf der lokalen Ebene. Erst im Laufe der Zeit fand eine gewisse Zentralisierung statt, wenn Koordinationsprobleme auf der lokalen Ebene auftauchten. Dieses historische Erbe hat heute noch Auswirkungen auf die Finanzierung von Bildung. In Staaten, in denen die lokale oder regionale Ebene eine hohe fiskalpolitische Autonomie besitzt, d. h. selbst über Steuersätze und Ausgaben entscheiden kann, sind die öffentlichen Bildungsausgaben höher als in fiskalisch zentralisierten Staaten (Busemeyer 2008b). Dieses Muster kann man dadurch erklären, dass in fiskalisch dezentralisierten Staaten lokale Gebietskörperschaften miteinander konkurrieren. Die Bereitstellung attraktiver Bildungsmöglichkeiten spielt hierbei eine große Rolle. Wie beeinflussen nun politische Institutionen bildungspolitische Inhalte und Prozesse? Der übliche Befund ist, dass eine hohe Zahl von Vetospielern (Tsebelis 2002) und eine hohe ideologische Distanz zwischen diesen die Wahrscheinlichkeit sinken lässt, dass es zu signifikantem Politikwandel kommt. Oder anders ausgedrückt: Es ist zu erwarten, dass in Mehrheitsdemokratien, in denen die politische Verantwortung in den Händen der nationalen Regierungen liegt, Politikreformen radikaler und weitreichender ausfallen als in Konsensdemokratien, in denen viele Akteure bei politischen Entscheidungen mitwirken und diese daher häufig den Charakter von Lösungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner haben (vgl. zur Unterscheidung von Mehrwww.claudia-wild.de: <?page no="46"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 46 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 47 46 heits- und Konsensdemokratien grundlegend Lijphart 1999). Diese Muster des Politikwandels lassen sich in einzelnen Länderfällen durchaus erkennen (vgl. die Fallstudien in Kapitel 3.2): In Deutschland-- einer typischen Konsensdemokratie-- beispielsweise werden bildungspolitische Reformen häufig durch die Kultusministerkonferenz (KMK) vorentschieden, die ihre faktisch bindenden »Empfehlungen« bis vor Kurzem auf der Grundlage des Konsensprinzips aussprach. Im mehrheitsdemokratischen Großbritannien hingegen hat die nationale Regierung grundlegende Reformen häufig durch einfachen Parlamentsbeschluss verabschiedet, obwohl dieses Land ebenfalls eine starke Tradition der dezentralen Bildungsverwaltung hat. Aus einer langfristigen Perspektive betrachtet ist es jedoch nicht unbedingt so, dass mehrheitsdemokratische Institutionen mit einer höheren Reformfähigkeit einhergehen, zumindest nicht im Bereich der Bildungspolitik. Zwar kann die These von Tsebelis (2002) bestätigt werden, dass eine geringere Zahl von Vetospielern die Wahrscheinlichkeit von Politikwandel (policy change) erhöht. Dieser führt jedoch noch nicht zwangsläufig zu institutionellem Wandel im Bildungssystem an sich. Bildungssysteme sind komplexe soziale Arrangements. Die Nachfrage nach bestimmten (Aus-)Bildungsgängen hängt maßgeblich vom Bildungsverhalten und den Entscheidungen der Eltern und Jugendlichen, aber auch der Unternehmen im Bereich der beruflichen Bildung, ab. Änderungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen (policy change) können diese Entscheidungen beeinflussen, aber nur in begrenztem Maße. So hat die britische Regierung in den letzten Jahrzehnten mehrmals durch vergleichsweise radikale Reformen versucht, die betriebliche Ausbildung in diesem Land wiederzubeleben, ist dabei aber immer wieder gescheitert (Finegold/ Soskice 1988; Fuller/ Unwin 2011). Im Gegensatz dazu können Reformen in konsensdemokratischen Staaten, die auf den ersten Blick lediglich inkrementelle Änderungen am System vornehmen, langfristig nachhaltige Veränderungen mit sich bringen (Busemeyer 2009e; Thelen/ Busemeyer 2012 für das Beispiel des deutschen Berufsbildungsbildungssystems). Neben dem Einfluss von politischen Institutionen auf Entscheidungsprozesse untersuchen institutionelle Ansätze auch, wie das politische und institutionelle Erbe eines Landes die gegenwärtigen Reformoptionen beeinflusst. Eine wichtige Rolle hierbei übernehmen das wohlfahrtsstaatliche Erbe und verschiedene »Spielarten des Kapitalismus«. Kapitel 4 behandelt diese Themen ausführlich, sie sollen daher an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Ich möchte mich hier auf institutionelles Erbe beschränken, das aus dem Bildungssystem im engeren Sinne stammt. Ein bekannter Befund der Forschung zur öffentlichen Haushalts- und Ausgabenpolitik ist, dass öffentliche Haushalte eine enorm hohe Trägheit aufweisen (Breunig 2011). Der Spielraum für haushaltspolitische Veränderungen von einem Jahr auf das nächste ist extrem <?page no="47"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 46 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 47 47 beschränkt, da ein starker Ausbau einer bestimmten Ausgabenkategorie (zum Beispiel Bildungsausgaben) zwangsläufig mit Einschnitten in anderen Ausgabenkategorien, Steuererhöhungen oder ansteigender Staatsverschuldung einhergehen müssen. Im Zeitalter der wohlfahrtsstaatlichen Expansion, d. h. etwa von den 1960erbis zu Beginn der 1980er-Jahre, waren Steuererhöhungen und Staatsverschuldung tatsächlich eher zu verkraften als in der Phase der fiskalpolitischen Austerität, die zu Beginn der 1980er einsetzte und sich im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahre weiter verschärft hat (Pierson 2001, 2011). Insofern sind signifikante Ausgabensteigerungen bzw. Veränderungen in der relativen Verteilung von öffentlichen Ausgaben über verschiedene Bereiche des Wohlfahrtsstaates kaum zu erwarten-- höchstens unter besonderen Bedingungen, wenn Krisen wie der PISA-Schock die öffentliche Bedeutsamkeit eines Themas massiv ansteigen lassen (Breunig 2011). Hinzu kommt, dass diskretionäre Ausgabenarten wie Bildungsausgaben in wirtschaftlichen und/ oder fiskalpolitischen Krisen eher zurückgeschnitten werden, als Ausgaben, die mit sozialpolitischen entitlements verbun den sind (Breunig/ Busemeyer 2012; Streeck/ Mertens 2011). Wenn sozialpolitische entitlements wie zum Beispiel Renten oder Arbeitslosengeld gekürzt werden sollen, müssen die zugrunde liegenden Sozialgesetze geändert werden, was mit entsprechend hohen politischen Kosten verbunden ist. Diskretionäre Ausgaben wie Investitionen in neue Schulen oder andere Aspekte der öffentlichen Infrastruktur können hingegen leichter gekürzt werden, da sie auf separaten, eben diskretionären Entscheidungen beruhen. Abgesehen von öffentlichen Ausgaben hat das Politikerbe jedoch auch Auswirkungen auf die Organisation von Interessen. Dies zeigt, dass es durchaus wichtige Verbindungen zwischen institutionellen und machttheoretischen Ansätzen (siehe nächster Abschnitt) gibt. Für den Wohlfahrtsstaat allgemein gesprochen hat Pierson (1994, 1996, 2001) herausgearbeitet, dass wohlfahrtsstaatliche Institutionen deswegen starke Pfadabhängigkeitseffekte erzeugen, weil die Nutznießer bestimmter sozialpolitischer Programme ein starkes Eigeninteresse am Fortbestand dieser Institutionen entwickeln. Da Wohlfahrtsstaaten die Kreise der Berechtigten auf unterschiedliche Weise definieren, führt dies zu unterschiedlichen Mustern in der öffentlichen Unterstützung für den Sozialstaat (Alber 1984; Svallfors 1997). Die universalistischen Sozialstaaten der skandinavischen Länder beispielsweise basieren historisch auf dem Prinzip der umfassenden Bürger- oder Volksversicherung, d. h. sozialstaatliche Leistungen werden wenig bis gar nicht nach unterschiedlichen Bezugsgruppen differenziert. Im Gegensatz dazu weisen kontinentaleuropäische- - oder im Sinne von Esping-Andersen (1990) konservative- - Sozialstaaten historisch ein hohes Maß an Stratifizierung und Differenzierung auf: Der Versichertenkreis von Sozialversicherungen umfasst <?page no="48"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 48 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 49 48 nicht die gesamte Bevölkerung, sondern Sozialversicherungen werden nach unterschiedlichen Gruppen funktional und in Abhängigkeit vom Erwerbsstatus auf dem Arbeitsmarkt ausdifferenziert (z. B. getrennte Rentenversicherungen für Arbeiter, Beamte, Landwirte, Bergarbeiter-…). In diesem Sinne hat auch die institutionelle Ausgestaltung von Bildungssystemen eine Auswirkung auf die Machtstellung unterschiedlicher Interessengruppen, deren Einfluss wiederum dazu beiträgt, dass die bestehende institutionelle Ordnung nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Ein Beispiel dafür, wie sich dies konkret äußert, ist die Organisation von Lehrerinnen und Lehrern in unterschiedlichen Verbänden und/ oder Gewerkschaften. In Schweden, das die integrierte Gesamtschule auf Primar- und Sekundarschulniveau in den 1960er- und 1970er-Jahren einführte, sind Lehrkräfte in einer umfassenden Gewerkschaft organisiert, dem »Lärarförbundet«, die die Interessen der gesamten Lehrerschaft vertritt. Im Unterschied dazu gibt es in Deutschland unterschiedliche Berufsverbände für Lehrerinnen und Lehrer, die die Vielfalt der Bildungswege im gegliederten Schulsystem widerspiegeln. So ist im »Deutschen Philologenverband« die Gymnasiallehrerschaft organisiert, während der »Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen« die Interessen der Berufsschullehrkräfte vertritt. Der Philologenverband setzt sich demnach stark für den Erhalt des Gymnasiums als eigenständige Schulform, also für den Fortbestand des gegliederten Sekundarschulsystems, ein. Dieses Beispiel zeigt, dass institutionelles Erbe über den Einfluss organisierter Interessen die Wahrscheinlichkeit von grundlegendem Wandel mindert. Parteipolitik und Machtressourcen Neben sozioökonomischen und institutionellen Faktoren spielen Parteipolitik und der Einfluss organisierter Interessen eine wichtige Rolle bei der Erklärung von bildungspolitischem Output (Ansell 2008a, 2008b, 2010; Busemeyer 2006a, b, 2007, 2008a, 2009d; Boix 1997, 1998; Castles 1989, 1998; Gingrich 2011; Jensen 2011; Nikolai 2007; Rauh et al. 2011; Schmidt 2002, 2007a, b; Wolf 2006). Wie in Kapitel 2 bereits kurz erläutert, ist die zentrale These der sogenannten Parteiendifferenztheorie, dass die parteipolitische Zusammensetzung von Regierungen einen systematischen Einfluss auf den Policy-Output hat (Schmidt 1996). Linke Parteien, so die Erwartung, vertreten dabei tendenziell die Interessen der unteren Einkommensschichten und neigen demzufolge zu einem Ausbau des Sozialstaates und des öffentlichen Sektors im Allgemeinen, während sich rechte bzw. bürgerliche Parteien für die Interessen der oberen Einkommensschichten stark machen und daher zu marktorientierter Politik tendieren. Die ursprüngliche Parteiendifferenzthese ist im Laufe der Jahre in verschiedener Form erweitert und modifiziert <?page no="49"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 48 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 49 49 worden; zum Beispiel haben Van Kersbergen (1995) und vor ihm schon Wilensky (1981) darauf hingewiesen, dass die Sozialpolitik von christdemokratischen Parteien sich grundlegend sowohl von den Ansätzen sozialdemokratischer als auch denen konservativ-liberaler Parteien unterscheidet. Außerdem hat die Forschung zum Einfluss von parteipolitischen Faktoren konstatiert, dass die Erklärungskraft dieser Variablen im Zeitverlauf abnimmt (Kittel/ Obinger 2003; Kwon/ Pontusson 2010), was mit den zunehmenden Zwängen der fortschreitenden Globalisierung oder Effekten des Politikerbes erklärt werden könnte. Die Anwendung der Parteiendifferenzthese auf den Fall Bildungspolitik ist komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Auf der einen Seite steht das Argument, dass im Fall der Bildungspolitik ähnlich wie bei der Sozialpolitik im Allgemeinen eine stärkere Beteiligung von linken Parteien an der Regierung mit einem Anstieg der (öffentlichen) Bildungsausgaben einhergehen müsste (vgl. Busemeyer 2007, 2009d; Castles 1989, 1998; Schmidt 2007a, b). Neben den Beiträgen von Castles (1989, 1998) spielen hier vor allem die Arbeiten von Boix (1997, 1998) eine zentrale Rolle. Boix argumentiert, dass sozialdemokratische Parteien in Zeiten der Globalisierung nicht mehr die klassischen Instrumente der keynesianischen Wirtschafts- und Sozialpolitik bemühen können und daher, statt Sozialtransfersysteme auszubauen, vermehrt auf Bildungsinvestitionen setzen. Allgemeiner gesprochen ließe sich argumentieren, dass sozialdemokratische Parteien deswegen ein Interesse an der Ausweitung von Bildungsinvestitionen haben, weil diese dazu beitragen, den Zugang zu den höheren Niveaus des Bildungssystems für die Angehörigen der unteren Einkommensgruppen auszuweiten, zum Beispiel durch die Finanzierung von Stipendienprogrammen oder die Schaffung zusätzlicher Studienplätze. Auf der anderen Seite könnte der Zusammenhang zwischen parteipolitischen Faktoren und Policy-Output im Fall der Bildungsausgaben weniger stark ausgeprägt sein als im Fall anderer Sozialpolitiken. Ansell (2008b, 2010; vgl. auch Jensen 2011 sowie Wilensky 1975: 3) argumentiert, dass Bildungsinvestitionen unter bestimmten Umständen eine weniger starke Umverteilungswirkung haben als andere Sozialpolitiken, nämlich dann, wenn sie den Bildungsinteressen der oberen Einkommensschichten zugute kommen. In elitären Bildungssystemen, in denen der Zugang zu höheren Bildungsstufen stark vom sozioökonomischen Hintergrund der Eltern abhängt, könnten somit die oberen Einkommensschichten ein Interesse an steigenden öffentlichen Bildungsinvestitionen aufbringen, wenn diese vor allem in die höheren Bildungssektoren fließen, sodass bürgerliche Parteien in elitistischen Systemen die Ausgaben für Hochschulen anheben. Wenn sich der Zugang zu höheren Bildungsstufen für Angehörige vormals ausgeschlossener Schichten <?page no="50"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 50 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 51 50 öffnet, ändert sich hingegen die politische Dynamik des Systems, denn nun haben auch und gerade die Angehörigen der unteren, vormals ausgeschlossenen Schichten ein Interesse an der Ausweitung von Bildungsausgaben. Somit trägt in dieser Konstellation die Regierungsbeteiligung von Sozialdemokraten zu höheren Ausgaben bei. Aus einer empirischen Perspektive kann ein relativ starker Zusammenhang zwischen der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung und der Höhe der öffentlichen Bildungsausgaben vor allem dann nachgewiesen werden, wenn man sich langfristige und eher historische Zusammenhänge statt kurzfristige Auswirkungen von parteipolitischer Regierungspolitik anschaut. Abbildung 3.11 belegt den positiven Zusammenhang zwischen dem historischen Kabinettsitzanteil sozialdemokratischer Parteien in der zweiten Hälfte des 20.- Jahrhunderts (Durchschnittswerte für die Jahre 1945 bis 2000) und der aktuellen Höhe öffentlicher Bildungsausgaben. Diese Abbildung zeigt eindrücklich die Erklärungskraft sowohl der Parteiendifferenzthese als auch die institutionalistischer Ansätze. Die langfristige Dominanz einer bestimmten Parteifamilie- - hier die der Sozialdemokraten- - in der Nachkriegsperiode hat Auswirkungen auf die eingeschlagenen historischen Entwicklungspfade. Länder, die lange Zeit von Sozialdemokraten regiert wurden- - also vor allem die skandinavischen Länder- -, weisen auch heute noch überdurchschnittlich hohe Bildungsausgaben auf, selbst wenn sie in der Zwischenzeit von Regierungen mit anderer parteipolitischer Färbung regiert wurden (vgl. ausführlicher Busemeyer 2015). Im Gegensatz dazu sind parteipolitische Effekte auf die Bildungsausgaben in der jüngeren Phase weniger stark ausgeprägt und bestätigen somit die Befunde der einschlägigen Forschung (Kittel/ Obinger 2003; Kwon/ Pontusson 2010). Lediglich im Bereich der Ausgaben für Hochschulen finden sich im internationalen Vergleich signifikante Zusammenhänge: Busemeyer (2009d) zeigt, dass eine stärkere sozialdemokratische Regierungsbeteiligung mit höheren öffentlichen Ausgaben für Hochschulen sowie einer höheren Studierendenquote einhergeht. Die theoretische Begründung für diesen Zusammenhang könnte sein, dass sozialdemokratische Parteien angesichts der Erosion ihrer traditionellen Wählerschichten in der Arbeiterklasse durch öffentliche Investitionen in Hochschulen neue Wählergruppen in der Mittelschicht ansprechen wollen. Wie in Kapitel 3.1 herausgearbeitet wurde, unterscheiden sich Länder jedoch nicht nur hinsichtlich der Höhe von öffentlichen oder privaten Ausgaben, sondern auch hinsichtlich der relativen Verteilung auf öffentliche und private Quellen (Wolf 2009; Wolf/ Zohlnhöfer 2009). Parteipolitische Faktoren könnten hier sogar eine besonders starke Erklärungskraft haben, denn die Unterscheidung zwischen der privaten und öffentlichen Finanzierung betrifft unmittelbar den zentralen Markt-Staat-Konflikt. In der Tat zeigen sich hier <?page no="51"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 50 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 51 51 die zu erwartenden Zusammenhänge: Eine Regierungsbeteiligung linker Parteien ist mit einem Fokus auf öffentliche Finanzierungsquellen assoziiert, während eine Beteiligung konservativer oder liberaler Parteien mit höheren privaten Bildungsausgaben einhergeht (vgl. Abbildung 3.12). Eine zusätzliche Herausforderung für die klassische Parteiendifferenzthese ergibt sich durch die Ausweitung der Analyseperspektive von der nationalen auf die subnationale Ebene. In fast allen OECD-Ländern spielen Kommunen oder regionale Gebietskörperschaften eine wichtige Rolle in der Bildungspolitik. Daher erscheint es dringend notwendig, die Analyseperspektive von der Ebene der Nationalstaaten auf die Ebene subnationaler Einheiten auszuweiten und die unterschiedlichen Befunde miteinander abzugleichen (vgl. Nikolai 2007; Wolf 2006). Hier zeigen sich wieder gemischte Befunde. Wolf (2006) findet Belege dafür, dass im Vergleich der deutschen Bundesländer christdemokratisch regierte Länder mehr für Bildung ausgeben als sozialdemokratisch regierte Länder, natürlich unter Kontrolle anderer möglicher Erklärungsfaktoren wie wirtschaftlichen Wohlstand. In eine ähn- Quellen: ö entliche Bildungsausgaben als Prozent vom BIP, alle Sektoren, 2010, OECD 2013: 193; Kabinettsitzanteil sozialdemokratischer Parteien, Durchschnitt 1945-2002: Schmidt, Manfred G. (2003): Die parteipolitische Zusammensetzung von Regierungen in OECD-Demokratien, Datensatz, Universität Heidelberg: Institut für Politische Wissenschaft. Australien Österreich Belgien Kanada Dänemark Finnland Frankreich Deutschland Irland Italien Japan Niederlande Neuseeland Norwegen Portugal Spanien Schweden Schweiz UK USA 4 5 6 7 8 Ö entliche Bildungsausgaben, % des BIP (2010) 0 20 40 60 80 Kabinettsitzanteil sozialdemokratischer Parteien (1945−2002) Abbildung 3.11: Zusammenhang zwischen dem historischen Kabinettsitzanteil sozialdemokratischer Parteien und öffentlichen Bildungsausgaben. <?page no="52"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 52 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 53 52 Quellen: ö entlicher Anteil der Bildungsausgaben, tertiärer Sektor, 2010, OECD 2013: 207; Kabinettsitzanteil sozialdemokratischer Parteien, Durchschnitt 1945-2002: Schmidt, Manfred G. (2003): Die parteipolitische Zusammensetzung von Regierungen in OECD-Demokratien, Datensatz, Universität Heidelberg: Institut für Politische Wissenschaft. Australien Österreich Belgien Kanada Dänemark Finnland Frankreich Irland Italien Japan Niederlande Neuseeland Norwegen Portugal Spanien Schweden UK USA 20 40 60 80 100 Anteil ö entliche Bildungsausgaben, tertiärer Sektor (2010) 0 20 40 60 80 100 Kabinettsitzanteil konservativer Parteien (1945−2002) Australien Österreich Belgien Kanada Dänemark Finnland Frankreich Irland Italien Japan Niederlande Neuseeland Norwegen Portugal Spanien Schweden UK USA 20 40 60 80 100 Anteil ö entliche Bildungsausgaben, tertiärer Sektor (2010) 0 20 40 60 80 Kabinettsitzanteil sozialdemokratischer Parteien (1945−2002) Abbildung 3.12: Zusammenhang zwischen dem historischen Kabinettsitzanteil sozialdemokratischer Parteien und dem öffentlichen Anteil an Bildungsausgaben im tertiären Sektor. <?page no="53"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 52 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 53 53 liche Richtung wie Ansell (2008) weisen die Befunde von Rauh et al. (2011), die belegen, dass christdemokratisch regierte Bundesländer relativ betrachtet mehr für Hochschulen ausgeben als sozialdemokratisch regierte. Andererseits gibt es nach Kauder und Protrafke (2013) einen empirisch eindeutigen Zusammenhang zwischen der parteipolitischen Zusammensetzung von Länderregierungen und der Wahrscheinlichkeit, dass Studiengebühren erhoben werden: In Bundesländern mit von Christdemokraten dominierten Regierungen wurden in der Zeitperiode der 2000er-Jahre allgemeine Studiengebühren eingeführt, während sozialdemokratisch geführte Länderregierungen diese entweder nicht eingeführt oder nach Einführung durch die Vorgängerregierung bald wieder abgeschafft haben. Goerres und Tepe (2013) untersuchen die parteipolitischen Determinanten von kommunalen Gebühren für Kindertagesstätten und ähnliche Einrichtungen der frühkindlichen Erziehung. Sie können zeigen, dass Gebühren in Gemeinden, die von linken Parteien regiert werden, stärker einkommensabhängig sind, d. h. wohlhabende Eltern werden in links regierten Gemeinden stärker zur Kasse gebeten. Insgesamt kann man diese gemischten Befunde als Beleg dafür betrachten, dass die umverteilungspolitische Dimension von Bildungsinvestitionen in der Tat komplexer ist als bei anderen Sozialpolitiken. Im Vergleich zur Parteipolitik ist der Einfluss organisierter Interessen auf den bildungspolitischen Output weniger gut erforscht. Dies mag daran liegen, dass Lehrergewerkschaften und -verbände als potenziell einflussreiche Akteure in diesem Feld international wenig erforscht sind. So finden sich lediglich einzelne Hinweise auf den Einfluss von organisierten Interessen in der Bildungspolitik. Wolf (2009) zeigt beispielsweise, dass eine hohe Gewerkschaftsdichte (ein hoher Anteil von Gewerkschaftsmitgliedern unter der Arbeitnehmerschaft) mit einem höheren öffentlichen Anteil an Bil dungsausgaben einhergeht. Wie in anderen Bereichen des Sozialstaates auch scheinen somit starke Gewerkschaften die Effekte von Linksparteien zu verstärken. Im Vergleich zu anderen Gewerkschaften könnten die der Lehrer sogar besonders einflussreich sein, denn sie organisieren vornehmlich Beschäftigte des öffentlichen Sektors, und in diesem Bereich ist die gewerkschaftliche Organisationsdichte tendenziell höher als in der Privatwirtschaft. Die Forschung von Dobbins (2014) zeigt jedenfalls, dass die Lehrergewerkschaft in Frankreich-- einem Land mit einer allgemein niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsdichte- - mächtig genug war, um eine Dezentralisierung des Bildungssystems und den damit einhergehenden Machtverlust für die Lehrergewerkschaft zu verhindern. In der Forschung zur Berufsbildungspolitik wird der Einfluss organisierter Interessen naturgemäß stärker wahrgenommen und diskutiert. Dieser Bereich des Bildungssystems ist besonders nah am Arbeitsmarkt, und in Länwww.claudia-wild.de: <?page no="54"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 54 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 55 54 dern mit betrieblicher oder betriebsnaher Ausbildung sind die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände an der Gestaltung von Ausbildungsinhalten beteiligt. Da diese Thematik ausführlicher in Kapitel 4.3 behandelt wird, wenn es um den Zusammenhang zwischen Bildung und Spielarten des Kapitalismus geht, möchte ich hier lediglich auf einige grundlegende Punkte hinweisen. Der zentrale Konflikt zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in der (Berufs-)Bildungspolitik dreht sich um den Zusammenhang zwischen Ausbildungsinhalten und Arbeitsmarktmobilität, was Implikationen für die relative Rolle des Staates hat. Gewerkschaften haben ein Interesse daran, durch eine breit angelegte Berufsbildung eine möglichst hohe Arbeitsmarktmobilität für ihre Mitglieder zu sichern (Streeck 1994), denn dann müssen sich diese nicht an einen einzelnen Arbeitgeber binden. Arbeitgeber hingegen möchten über die Berufsbildung möglichst (firmen-)spezifische Fertigkeiten vermitteln, da diese unmittelbar für den Produktionsprozess relevant sind. Aus diesem Grund hat die relative Machtverteilung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen einen Einfluss auf die institutionelle Ausgestaltung der Berufsbildung. In Ländern, in denen Gewerkschaften stark sind, wie zum Beispiel in Schweden, werden in der beruflichen Bildung stärker allgemeine und theoretische Inhalte vermittelt, so dass Absolventen beruflicher Bildungsgänge prinzipiell auch ihre Ausbildung an einer Hochschule oder Universität fortsetzen können. Dies mindert die Attraktivität der Berufsbildung für die Arbeitgeber, die sich daher weitgehend aus der Berufsbildung zurückziehen (Lundahl 1997; Lundahl et al. 2010). Das gegenteilige Beispiel ist das englische Berufsbildungssystem. In den entsprechenden Gremien dominieren hier die Interessen der Arbeitgeber mit der Folge, dass ein hochkomplexes System von National Vocational Qualifications entstanden ist, die für sich genommen sehr spezielle Fertigkeiten zertifizieren. Aus diesem Grund wird die Berufsbildung für die Jugendlichen unattraktiv, denn sie können keine Qualifikationen mit einer breiten Arbeitsmarktrelevanz erwerben. In Ländern wie Deutschland, in denen die Machtbalance zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgeglichener ist, kam es historisch zu einem korporatistisch ausgehandelten Kompromiss, so dass die betriebliche Ausbildung hier eine Mischung aus breiten und spezifischen Fertigkeiten vermittelt, die auf dem Arbeitsmarkt gut nachgefragt werden. <?page no="55"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 54 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 55 55 Weiterführende Lektüre Busemeyer, M. R. (2006). Der Kampf um knappe Mittel: Die Bestimmungsfaktoren der öffentlichen, privaten und sektoralen Bildungsausgaben im OECD-Länder- Vergleich. Politische Vierteljahresschrift, 47(3), 393-418. Busemeyer, M. R., &-Nikolai, R. (2010). Education. In H. Obinger, C. Pierson, F. G. Castles, S. Leibfried &- J. Lewis (Eds.), The Oxford Handbook of the Welfare State (pp. 494-508). Oxford, New York: Oxford University Press. Castles, F. G. (1989). Explaining public education expenditure in OECD nations. European Journal of Political Research, 17, 431-448. Wolf, F. (2006). Die Bildungsausgaben der Bundesländer im Vergleich: Welche Faktoren erklären ihre beträchtliche Variation? Münster: LIT Verlag. Wolf, F. (2008). Bildungsfinanzierung in Deutschland. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wolf, F., &- Zohlnhöfer, R. (2009). Investing in Human Capital? The Determinants of Private Education Expenditure in 26 OECD Countries. Journal of European Social Policy, 19(3), 230-244. Schmidt, M. G. (2002). Warum Mittelmaß? Deutschlands Bildungsausgaben im internationalen Vergleich. Politische Vierteljahresschrift, 43, 3-19. Schmidt, M. G. (2007). Warum nicht einmal Mittelmaß? Die Finanzierung der deutschen Hochschulen im internationalen Vergleich. Gesellschaft-- Wirtschaft-- Politik, 56, 465-480. 3.2 Fallbeispiele 8 In Ergänzung zu der eher quantitativen Ausrichtung des vorherigen Kapitels möchte ich im Folgenden anhand von drei Fallbeispielen zeigen, wie in der historischen Entwicklung von Bildungssystemen die oben erwähnten Wirkungsfaktoren ineinander greifen und miteinander interagieren. Wie eingangs erwähnt, liegt der wesentliche Unterschied zwischen qualitativen und quantitativen Forschungsansätzen darin, dass quantitative Ansätze auf die Identifizierung von kausalen Effekten über eine Vielzahl von Länderfällen hinweg 8 Die Darstellung der drei betrachteten Fälle basiert in wesentlichen Teilen auf Busemeyer (2015). <?page no="56"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 56 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 57 56 abzielen, während qualitative Forschungsdesigns kausale Mechanismen herausarbeiten wollen. Ein konkretes Beispiel: Abbildung 3.11 belegt einen statistischen Zusammenhang zwischen der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung und der Höhe von öffentlichen Bildungsausgaben. Daraus kann man den kausalen Effekt ableiten, d. h. die durchschnittliche Veränderung der Bildungsausgaben in Abhängigkeit der Veränderung der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung. In qualitativen Fallstudien hingegen werden die kausalen Mechanismen nachgezeichnet, wie genau eine Veränderung der Zusammensetzung einer Regierung in einem konkreten Fall eine Veränderung in der Bildungspolitik bzw. der Höhe der Bildungsinvestitionen auslöst. Es könnte zum Beispiel sein, dass eine sozialdemokratisch gefärbte Regierung eine Bildungsreform beschließt, die den Zugang für Kinder bildungsferner Schichten zu Universitäten und Hochschulen verbessern möchte, indem mehr Studienplätze geschaffen oder neue Stipendienprogramme aufgelegt werden, die wiederum am Ende der kausalen Kette möglicherweise höhere Bildungsausgaben auslösen. Qualitative Ansätze arbeiten in Form von Prozessanalysen die verschiedenen Elemente dieser kausalen Kette heraus und rekonstruieren damit auch die zeitliche Reihenfolge von Ereignissen. Eine solche Prozessanalyse bzw. historische Rekonstruktion der politischen Debatten um Bildungsreformen soll nun am Beispiel der Fälle Deutschland, England und Schweden erfolgen. Diese Länder wurden ausgewählt, da sie-- im Großen und Ganzen gesprochen-- die Vielfalt der existierenden Bildungswelten repräsentieren. Ich orientiere mich hierbei grob an der von Esping-Andersen (1990) entwickelten Typologie der »Welten des Wohlfahrtskapitalismus«, die auch auf den Bereich der Bildungspolitik übertragen werden kann (Busemeyer 2015; Iversen/ Stephens 2008; siehe ausführlich Kapitel 4.1). Auch aus Platzgründen kann ich hier nicht ausführlich auf die Besonderheiten der Bildungssysteme Ostasiens, Ost- und Südeuropas eingehen. In allen diesen Fällen gibt es gute Gründe dafür, sie als eigene »Bildungswelten« zu betrachten (vgl. Allmendinger/ Leibfried 2003; Beblavy et al. 2013). Darüber hinaus ist einschränkend zu erwähnen, dass die folgenden Fallstudien die komplexen Entwicklungsprozesse der Bildungssysteme in den betrachteten Ländern nur skizzenartig rekonstruieren können (vgl. ausführlicher Busemeyer 2006a, b, 2009b, e, 2015). Ich richte dabei ein besonderes Augenmerk auf den (potenziellen) Erklärungsbeitrag der oben erwähnten Faktoren, vor allem Parteipolitik, Institutionen und organisierte Interessen. Auch aus diesem Grund ist es ratsam, sich auf einen Vergleich der erwähnten Länder zu konzentrieren. Sie bilden eine gute Vergleichsgruppe für theoretisch motivierte und vergleichende Fallstudien, weil sie in der Zeitperiode nach dem Zweiten Weltkrieg (ca. 1950er-Jahre) über relativ gleiche Ausgangsbedingungen verfügten (Heidenheimer 1981: 296, 298). <?page no="57"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 56 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 57 57 Dies gilt insbesondere für die europäischen Länder wie unsere drei Fälle Deutschland, England und Schweden. In allen drei Fällen war das Sekundarschulsystem institutionell stratifiziert, d. h. es gab unterschiedliche Bildungswege von der Volksschule bis zum Gymnasium. Der Zugang zu diesen unterschiedlichen Zweigen war formal abhängig von der Bildungsleistung, de facto allerdings stark durch die individuelle Klassenzugehörigkeit bestimmt. Hochschulsysteme waren zu dieser Zeit elitär und nur für einen geringen Teil einer Alterskohorte zugänglich. Die berufliche Bildung fand vor allem in Form von betriebsbasierter Lehrlingsausbildung statt. Die heute so genannte duale Ausbildung hat in Deutschland, aber auch in Großbritannien eine lange historische Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Aber selbst in Schweden gab es in den 1950er-Jahren noch eine beträchtlich hohe Anzahl von Lehrlingen in Betrieben (Lundahl 1997; Nilsson 2011). Im Vergleich zu den europäischen Staaten war das Bildungssystem der USA zu diesem Zeitpunkt bereits progressiver ausgestaltet, nicht zuletzt auch, weil der freie Zugang zu Bildung im amerikanischen Mythos des »American Dream« eine wesentliche Rolle spielt (Heideheimer 1981). Wie in den Fallstudien ausführlicher dargestellt werden wird, lassen sich die heute zu beobachtenden wesentlichen Unterschiede zwischen den Bildungssystemen der ausgewählten Länder auf kritische Weichenstellungen in den 1960er- und 1970er-Jahren-- im Fall Englands sind es eher die 1980er- Jahre-- zurückführen. Das Konzept der kritischen Weichenstellungen (critical junctures) nimmt im Ansatz des historischen Institutionalismus (siehe oben, Kapitel 2) einen zentralen Platz ein (vgl. grundlegend Hall/ Taylor 1996; Pierson 2000, 2004; Streeck/ Thelen 2005; Thelen 1999). Nach diesem Konzept gibt es im Verlauf der historischen Entwicklung von komplexen Institutionensystemen, wie zum Beispiel Bildungssysteme oder Wohlfahrtsstaaten, immer wieder kritische Phasen, in denen grundlegende Pfadentscheidungen getroffen werden, die die zukünftige Entwicklung dieser Systeme maßgeblich und langfristig prägen. Ob eine Periode oder ein bestimmtes Ereignis als kritische Weichenstellung betrachtet werden muss, lässt sich oft erst im Rückblick abschließend beurteilen, denn auch vermeintlich inkrementelle Änderungen können langfristig transformative Wirkungen auslösen (Streeck/ Thelen 2005). Darüber hinaus spielt der zeitliche Kontext eine wichtige Rolle: In der frühen Phase der Pfadentwicklung fallen die Handlungsspielräume der Akteure in der Regel größer aus, denn Institutionen sind noch nicht fest etabliert. Je länger jedoch ein Institutionensystem existiert, desto unwahrscheinlicher werden grundlegende Pfadwechsel und radikaler Wandel (Beyer 2005). Die bestehenden Institutionen begründen starke Pfadabhängigkeiten, da viele Akteure ihre Strategien und Präferenzen am bestehenden institutionellen Status quo ausrichten und daher ein grundlegender <?page no="58"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 58 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 59 58 Wechsel eines institutionellen Entwicklungspfads über die Zeit hinweg immer schwieriger zu gestalten ist. In den folgenden Fallstudien wird aus diesem Grund den pfadentscheidenden Entwicklungen und Ereignissen der Nachkriegsperiode besondere Aufmerksamkeit gewidmet. 3.1.1 Deutschland Deutschland ist ein föderal organisierter Staat, in dem die Bundesländer über eigene Gesetzgebungskompetenzen in vielen Bereichen staatlichen Handelns verfügen. Die Bildungspolitik kann zum »Kernbestand« (Wolf 2008b) gesetzgeberischen Handelns der Bundesländer betrachtet werden, und Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Ländern kommen in der politischen Geschichte der deutschen Bildungspolitik in regelmäßigen Abständen vor. Besonders im Bereich der allgemeinen Schulpolitik verteidigen die Länder hartnäckig ihren eigenständigen Gestaltungsspielraum. In anderen Sektoren des Bildungssystems verbleiben dem Bund einige Kompetenzen, die allerdings im Zuge der Föderalismusreform im Jahr 2006 stark beschnitten wurden. Dies gilt insbesondere für die Hochschulpolitik, denn hier hatte der Bund nach der großen Finanzreform der späten 1960er-Jahre wesentliche Kompetenzen im Bereich Hochschulausbau und Studienförderung (BaFöG) übernommen. In der Berufsbildungspolitik fällt die Kompetenzverteilung wiederum anders aus: Hier ist der Bund für die Regulierung des betrieblichen Teils der dualen Ausbildung zuständig, während die Länder den schulischen Teil in Berufsschulen regeln. Im Folgenden möchte ich kurz nachzeichnen, wie sich dieses komplexe Bildungssystem seit den ersten Nachkriegsjahrzehnten bis heute entwickelt und welche Reformprozesse es durchlaufen hat. Die erste Phase nach dem Zweiten Weltkrieg stand zunächst im Zeichen des Wiederaufbaus. Dies galt nicht nur im Hinblick auf die Institutionen des Bildungssystems, sondern angesichts der verheerenden Zerstörung vieler Städte auch ganz konkret in Bezug auf die physische Infrastruktur. Interessanterweise hat diese Phase der enormen Unsicherheit aber nicht unbedingt und unmittelbar zu grundlegenden institutionellen Reformen geführt. Vielmehr haben sich die entscheidenden Akteure auf das institutionelle Erbe der Vorkriegsära besonnen, so dass in vielen Bereichen des Bildungssystems bestenfalls inkrementeller Wandel zu beobachten war (Greinert 1998; Thelen 2003, 2004). Das institutionelle Erbe der Vorkriegsära war maßgeblich durch das Erbe Preußens geprägt. Preußen war einer der ersten Staaten weltweit, der eine allgemeine Schulpflicht einführte (im Fall Preußens im Jahr 1763) (Herrlitz et al. 1998: 52). Auch das gegliederte Sekundarschulwesen und vor allem die <?page no="59"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 58 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 59 59 herausgehobene Stellung des Gymnasiums fanden hier ihren Ursprung. Das Abitur war eine wichtige Zugangshürde zu den höheren Ebenen des preußischen Staatsdienstes. Aus diesem Grund wurde dann auch die Frage des Zugangs zu Bildung stärker an den Großkonflikt des Klassenkampfs angebunden. Kanzler Bismarck versuchte beispielsweise, den Zugang für Angehörige der unteren Einkommensschichten zu Gymnasien durch die Anhebung von Schulgebühren zu erschweren und die Schülerströme vom Gymnasium durch die Etablierung des »Realgymnasiums«-- dem Vorläufer der heutigen Realschulen-- umzulenken (Herrlitz et al. 1998: 76). Die Politik der beruflichen Bildung war ebenfalls durch den Klassenkonflikt beeinflusst. Das Handwerkerschutzgesetz aus dem Jahre 1897 wird weithin als wichtiger Baustein im historischen Fundament des heutigen dualen Ausbildungssystems betrachtet (Greinert 2006: 500; Thelen 2004: 43), denn dieses Gesetz stattete die Handwerkskammern mit erheblichen Privilegien bei der Regulierung, Aufsicht und Verwaltung der betrieblichen Ausbildung aus. Laut Thelen (2004: 44-53) war dies auch eine politische Strategie, um das Handwerk enger an den preußischen Staat zu binden und den Gewerkschaften die Kontrolle über den Zugang zu berufsfachlichen Arbeitsmärkten vorzuenthalten. In anderen Ländern wie Großbritannien dominieren dagegen craft-based unions, d. h. Gewerkschaften, die selbst stark die Zertifizierung von Ausbildungsinhalten beeinflussen können und damit auch die Lohnpolitik. Das preußische Erbe wurde in den Jahren der Weimarer Republik fortgeführt. Mit dem Reichgrundschulgesetz aus dem Jahr 1920 wagte man erste, vorsichtige Schritte in Richtung eines stärker integrierenden Systems (Mitter 1991: 156). Es führte eine allgemeine vierjährige Grundschule für alle Kinder ein, wohingegen zuvor Gymnasien und andere höhere Schulen ihre eigenen Grundschulen betrieben hatten. Im Gegenzug wurde die gegliederte Struktur auf Sekundarschulebene- - bestehend aus Volksschule, Realschule und Gymnasium- - weiter zementiert. Im Bereich der beruflichen Bildung entwickelte sich ein kollektives System, das im Wesentlichen auf der freiwilligen Kooperation von Arbeitgebern und ihren Verbänden beruhte (vgl. Greinert 1998: 62-86; Thelen 2004: 53-89). Das erwähnte Handwerkerschutzgesetz von 1897 hatte dem Handwerk quasi ein Monopol in der Ausbildung von Fachkräften zugesprochen. Die dort vermittelten Qualifikationen passten aber immer weniger zu den Bedürfnissen der Arbeitgeber im industriellen Sektor. Mit dem Fortschreiten der Industriellen Revolution entstand eine starke Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften, die das Handwerk nicht mehr befriedigen konnte. Da die Stellung des Handwerks in der beruflichen Bildung aber nicht grundlegend in Frage gestellt werden konnte, wurde das Modell der Lehrlingsausbildung vom Handwerksauf den industriellen Sektor ausgeweitet. Dennoch war die Ausbildung bis zur <?page no="60"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 60 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 61 60 Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes im Jahre 1969 ein vergleichsweise wenig staatlich regulierter Bereich. Wie zuvor erwähnt, spielte das institutionelle und politische Erbe der Vorkriegsära eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung der Bildungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Dies belegt in beeindruckender Weise die enorme Bedeutung von Politikerbe: Es wäre zu erwarten gewesen, dass in der Nachkriegsphase eine grundlegende Neuausrichtung des Bildungssystems stattfinden würde. Die US-Besatzungsmacht war ein mächtiger Akteur, der genau eine solche Neuausrichtung nachdrücklich umsetzen wollte. Auf Seiten der Amerikaner herrschte die Vorstellung, dass das konservative und autoritäre Bildungssystem der Vorkriegsära einen gewissen Beitrag zum Aufstieg der Nationalsozialisten geleistet hatte (Herrlitz et al. 1998: 160, 163). Neben der US-Besatzungsmacht gab es weitere Akteure, die sich in einer breiten Koalition aus Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Volksschullehrern für eine grundlegende Reform einsetzen. Die Reformkoalition stand einer konservativen Koalition aus Christdemokraten, Universitäten, Gymnasiallehrern und den Kirchen gegenüber, die das alte System verteidigten und die sich letztlich durchsetzte (Thränhardt 1990: 188; Herrlitz et al. 1998: 164). Die SPD versuchte, in den von ihr regierten Bundesländern, insbesondere Berlin, Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein, eine Reihe von Bildungsreformen durchzusetzen, die das dreigliedrige Sekundarschulsystem in Richtung eines Gesamtschulmodells verändert hätten. Bis Mitte der 1950er- Jahre wurde ein Großteil dieser Reformen jedoch wieder zurückgenommen, nicht zuletzt auch, weil sie mitverantwortlich für bedeutende Wahlverluste der SPD in diesen Ländern gemacht wurden (Schmidt 1980: 93; Wiborg 2010: 552-553). Ein Grund für die Unbeliebtheit des Modells der Gesamtschule mag gewesen sein, dass erziehungswissenschaftliche Diskurse noch stark von eher konservativen Kräften dominiert wurden, die das gegliederte Schulsystem befürworteten (Baldi 2012: 1000). Im Jahr 1948 wurde außerdem die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (oder kurz: Kultusministerkonferenz, KMK) gegründet. Dies ist insofern erstaunlich, weil diese zentrale Institution der Bildungspolitik noch vor der offiziellen Gründung der Bundesrepublik Deutschland ihre Arbeit aufnahm. Darüber hinaus ist die Etablierung der KMK auch deshalb bemerkenswert, weil sie als Institution der horizontalen Koordinierung zwischen Bundesländern auf dem Prinzip der freiwilligen Kooperation der Bildungsminister beruht. Daher mussten Entscheidungen auch bis vor Kurzem einstimmig gefällt werden und haben offiziell den Charakter von Vereinbarungen oder Empfehlungen, die allerdings in der Regel von den Länderparlamenten umgesetzt werden. Die Institution der KMK birgt demnach gewisse Widersprüche in sich: Einerseits <?page no="61"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 60 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 61 61 sollen die Bundesländer möglichst frei und autonom über die Gestaltung ihrer Bildungspolitik entscheiden, andererseits findet eine starke horizontale Koordinierung-- aber ohne direkte Einmischung des Bundes-- statt, um ein gewisses Maß an Vereinheitlichung im deutschen Bildungssystem zu erreichen. Die KMK hat im Laufe der Jahrzehnte mehrere Hundert Empfehlungen und Beschlüsse verabschiedet, die ganz wesentlich zur Schaffung eines einheitlichen Rahmens für eine gesamtdeutsche Bildungspolitik beigetragen haben. Sie wurde allerdings auch oft dafür kritisiert, dass Entscheidungsverfahren zu lange dauern oder in einer Politik des »kleinsten gemeinsamen Nenners« resultieren (Thränhardt 1990: 182-183). Im Düsseldorfer (1955) und Hamburger Abkommen (1964) der KMK wurden die Grundprinzipien des dreigliedrigen Bildungssystems nochmals bestätigt und damit weiter gehenden Reformplänen zunächst eine klare Absage erteilt. Auch wenn somit in den 1950er- und 1960er-Jahren keine großen Bildungsreformen stattfanden, kristallisierten sich zunehmend politische Fronten heraus, die dann vor allem in den 1970er-Jahren zu großen Konflikten in der Bildungspolitik führten. Die CDU entwickelte sich zur Verteidigerin des dreigliedrigen Schulsystems, während die SPD immer entschiedener ihre Unterstützung für das Gesamtschulmodell zum Ausdruck brachte (Faulstich 1977: 98-102; Schmidt 1980: 92). Im Bereich der beruflichen Bildung wurde ebenfalls unmittelbar an die in der Weimarer Zeit etablierten Institutionen und Strukturen angeknüpft (Thelen 2004: 240-258). Die betriebliche Ausbildung galt weiterhin im Wesentlichen als Aufgabe der Wirtschaft, die diese im Rahmen von Selbstverwaltungsstrukturen eigenständig verwalten und steuern konnte. Hierbei spielten (und spielen) die Handwerkskammern sowie die Industrie- und Handelskammern die zentrale Rolle bei der Durchführung von Abschlussprüfungen, der Überwachung von Qualitätsstandards und der Steuerung der beruflichen Bildung auf der lokalen Ebene. Die Handwerksordnung aus dem Jahr 1953 und das Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (1956) stärkten und konsolidierten die Stellung der Kammern im Berufsbildungssystem. Kammern sind Institutionen, die per Pflichtmitgliedschaften die Arbeitgeber und Unternehmer in einer bestimmten Region zusammenbringen. Aus diesem Grund wurde zunehmend Kritik von gewerkschaftlicher Seite laut, die in den Kammern nicht vertreten waren, aber gerade im Bereich der Berufsbildung mehr Mitspracherechte einforderten (Lemke 1969). Im Jahr 1959 legten die Gewerkschaften einen Entwurf für ein Berufsbildungsgesetz vor (Greinert 1998: 87) und setzen damit sowohl die SPD als auch die Bundesregierung unter Druck. Das Ziel einer gesetzlichen Regelung war es, die Mitsprachrechte der Gewerkschaften in der Gestaltung und Durchführung der Ausbildung zu verbessern und die berufwww.claudia-wild.de: <?page no="62"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 62 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 63 62 liche Bildung stärker als bildungspolitische Aufgabe zu begreifen, statt sie der selbstverwaltenden Steuerung durch Unternehmensverbände und Kammern zu überlassen. In den 1960er-Jahren kam zunehmend Bewegung in die bildungspolitische Landschaft. Wie in vielen anderen Ländern der westlichen Welt war auch in Deutschland eine massive Bildungsexpansion zu beobachten. Während von 1950 bis 1955 nur 3,4 Prozent einer typischen Alterskohorte studierten, stieg die Studierendenquote über 5,4 Prozent (1960 bis 1965) auf 11,7 Prozent in den Jahren 1970 bis 1975 an (vgl. Heidenheimer 1997: 236). Die Bundesländer waren alleine mit einem solch starken Anstieg der Studierendenzahlen in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum überfordert. Daher wurde im Zuge der Grundgesetzänderungen, die die Große Koalition 1969 verabschiedete, eine Reihe von »Gemeinschaftsaufgaben« in der Bildungspolitik definiert, die Bund und Länder gemeinsam bewältigen sollten. Hierzu zählten vor allem der Hochschulbau, Bildungsplanung, Forschungsförderung sowie Studiensubventionen. Diese Grundgesetzänderung eröffnete der neuen Bundesregierung aus SPD und FDP, die 1969 gewählt worden war, neue Handlungsspielräume. Insbesondere zielte die Regierung auf die Verbesserung des Zugangs zu Bildung für Kinder aus sozial schwachen Familien ab. Ein konkretes Instrument war das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaFöG) aus dem Jahre 1971, das sozial Bedürftigen Zuschüsse zum Lebensunterhalt in der Ausbildungsphase, vor allem während des Studiums, zukommen ließ. Bereits 1973 erhielten etwa 46 Prozent der Studierenden BaFöG-Unterstützung (Hepp 2011: 164). Dem Zeitgeist der 1960er- und 1970er-Jahre entsprechend, bemühte sich die Bundesregierung um eine Verbesserung der Bildungsplanung, insbesondere der Abstimmung zwischen Bund und Ländern, um eine stärkere Vereinheitlichung des Systems zu erreichen. Zu diesem Zweck wurde 1970 die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) eingesetzt. Im Unterschied zur KMK war in der BLK der Bund direkt beteiligt und besaß ebenso viele Stimmen wie alle Länder zusammen genommen. Da Entscheidungen nach dem Prinzip der qualifizierten Mehrheit gefällt wurden, bedeutete dies praktisch, dass dem Bund eine Vetoposition zukam, umgekehrt der Bund aber zusammen mit einer gewissen Zahl von Länderstimmen Entscheidungen gegen eine Minderheit der Länder durchsetzen konnte. Das ermöglichte es der sozialliberalen Koalition, ein Bündnis mit ebenfalls sozialdemokratisch regierten Ländern gegen die CDU-regierten Länder zu schließen. Bis 1976 waren sozialliberale Länder in der Mehrheit, sodass die BLK genutzt werden konnte, um die ambitiöse Reformpolitik der Bundesregierung voranzutreiben. Es kam allerdings zu erbitterten Konflikten (Hepp 2011: 138), insbesondere um die Einführung <?page no="63"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 62 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 63 63 des Gesamtschulmodells und-- damit zusammenhängend-- die Integration der betrieblichen Ausbildung in das allgemeine Sekundarschulwesen. Im Jahr 1973 wurde der Bildungsgesamtplan verabschiedet, der quasi die Blaupause für eine umfassende Reform des gesamten Bildungssystems darstellte. Infolgedessen und mit Unterstützung der KMK erging der Beschluss, eine Reihe von Gesamtschulen in Form von Pilotprojekten einzuführen. Das Ziel war, die dreigliedrige Struktur des Sekundarschulwesens durch eine eingliedrige Struktur mit Binnendifferenzierung abzulösen, da dieses Modell als sozial gerechter wahrgenommen wurde. Die parteipolitische Färbung der Landesregierung hatte einen gewissen Einfluss darauf, wie schnell und enthusiastisch diese Projekte umgesetzt wurden. SPD-regierte Länder waren in der Umsetzung des Gesamtschulmodells wesentlich engagierter als CDU/ CSU-regierte Länder, aber selbst in den Ländern mit hohem Gesamtschulanteil hat man die alte dreigliedrige Struktur nicht abgeschafft, so dass sich hier de facto viergliedrige Systeme etablierten (Heidenheimer 1997: 98-100; Hepp 2011: 214; Mitter 1991: 157). Anfang der 1980er-Jahre wurde das Projekt Bildungsgesamtplan nach dem Regierungswechsel von der sozialliberalen zur CDU/ CSU-FDP-Regierung allerdings wieder aufgegeben. Inzwischen war auch der Enthusiasmus für das Modell Gesamtschule verflogen: Die CDU-Länder gingen wieder zum alten dreigliedrigen Modell zurück (Heidenheimer 1997: 98-99). Die 1970er-Jahre waren auch für die berufliche Bildungspolitik eine kritische Phase der Pfadentscheidung. Kurz vor Amtsübernahme der sozialliberalen Regierung hatte die Große Koalition im Jahr 1969 das Berufsbildungsgesetz (BBiG) verabschiedet. Dieses Gesetz gab zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik der betrieblichen Ausbildung einen gesetzlichen Rahmen. Es weitete damit auch die Mitspracherechte von Gewerkschaften in den Berufsbildungsausschüssen der Kammern aus und wandelte damit das vormals der Selbstregulierung durch Wirtschaftsakteure überlassene System der betrieblichen Ausbildung in ein stärker reguliertes System um. Trotz dieser Fortschritte zeigten sich Reformanhänger aus SPD und Gewerkschaften vom Gesetz enttäuscht (Faulstich 1977; Lemke 1969; Kuda/ Mignon 1982; Offe 1975). Aus der Sicht der Kritiker war das Problem, dass die Entscheidungsautonomie der Unternehmen in der Einstellung von Auszubildenden weiterhin unangetastet blieb. Dies würde die Umsetzung eines Rechts auf Ausbildung-- wie von den Gewerkschaften gefordert-- schwierig machen, da die Zahl der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze eben nicht von der Nachfrage vonseiten der jugendlichen Ausbildungssuchenden abhängt, sondern auch von wirtschaftlichen Kontextbedingungen, die wiederum die Ausbildungsentscheidungen der Arbeitgeber beeinflussen. Darüber hinaus war der Wirkungsbereich des BBiG begrenzt, denn es regelt (auch weiterhin) nicht die <?page no="64"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 64 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 65 64 Ausbildung im Handwerksbereich (hier gilt die Handwerksordnung-- HwO) und nicht den Bereich der beruflichen Bildung in vollzeitschulischen Ausbildungsgängen, die dem schulischen Berufsbildungssystem zugeordnet sind und damit der Regelungshoheit der Länder unterstehen. Aus diesen Gründen setzte die sozialliberale Regierung in den 1970er- Jahren das Thema Berufsbildungsreform wieder auf die Tagesordnung (Bundesregierung 1974). Insbesondere ging es um die Ausweitung der staatlichen Aufsicht im Bereich der betrieblichen Ausbildung sowie den Ausbau der theoretischen beruflichen Grundbildung mit dem Ziel, die Qualität der beruflichen Bildung zu verbessern. Die Regierungsvorschläge beinhalteten außerdem die Einführung einer Ausbildungsumlage, d. h. einer Abgabe, die von nicht ausbildenden Firmen bezahlt werden sollte, um die Ausbildung in anderen Betrieben zu subventionieren und Anreize zur Ausbildungsbeteiligung zu schaffen (vgl. Busemeyer 2009e: 80-88). Die Arbeitgeberverbände protestierten vehement gegen die geplante Ausweitung staatlicher Handlungsmacht im Bereich der betrieblichen Ausbildung und drohten mit Ausbildungsboykott (Baethge 1983: 148). Als dann noch im Zuge der Ölpreiskrise die Jugendarbeitslosigkeit anzusteigen drohte und die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sich nach 1976 zu Gunsten der CDU wendeten, schwenkte die Bundesregierung um und verabschiedete eine wesentlich abgeschwächte Form der Berufs bildungsreform im Jahr 1976. Dieses Ausbildungsplatzförderungsgesetz (APlFG) beinhaltete zwar noch eine Ausbildungsumlage; sie wurde allerdings nie erhoben. 1980 erklärte das Bundesverfassungsgericht das APlFG für verfassungswidrig, mit einer Begründung, die nicht den inhaltlichen Kern des Gesetzes betraf, sondern Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern hinsichtlich administrativer Verfahren bei der Umsetzung des Gesetzes. Im Jahr 1981 wurde dann schließlich das Berufsbildungsförderungsgesetz (BerBiFG) verabschiedet, das die Reformansprüche noch weiter zurückschraubte, denn dieses Gesetz beinhaltet im Wesentlichen Regelungen zur Errichtung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und zur Erhebung von Statistiken in der Berufsbildung. Insofern lässt sich mit Baethge (1983) festhalten, dass die hohen Reformansprüche der sozialliberalen Regierung im Bereich der beruflichen Bildung nicht umgesetzt werden konnten. Nach den turbulenten 1970er-Jahren folgte in den 1980er-Jahren wieder eine ruhige Phase der Konsolidierung und bestenfalls inkrementellen Adaption des bestehenden Systems. Die damalige Bundesbildungsministerin Dorothee Wilms (CDU) kritisierte den in den 1970er-Jahren betriebenen Ausbau der Hochschulen, der ihrer Meinung nach zu weit gegangen sei (Wilms 1986). Unternehmen hätten eher Bedarf nach beruflich ausgebildeten Fachkräften als nach Universitätsabsolventen (Wilms 1983: 59), und das duale Ausbildungssystem zusammen mit dem dreigliedrigen Schulsystem <?page no="65"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 64 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 65 65 hätten sich in dieser Hinsicht bewährt und sollten so erhalten bleiben (ebd.: 86). Das duale Ausbildungssystem war durchaus in der Lage, einen Anstieg der Zahl der Ausbildungssuchenden kurzfristig zu absorbieren. Als Anfang der 1980er-Jahre die Zahl der jugendlichen Schulabgängerinnen und -abgänger demografisch bedingt zunahm, appellierte Kanzler Kohl an die Arbeitgeber, sich stärker in der Ausbildung zu engagieren. Tatsächlich stieg die Zahl der Ausbildungsanfänger in dieser Zeit, d. h. Arbeitgeber waren bis zu einem gewissen Grad bereit, mehr Jugendliche einzustellen (Busemeyer 2009e: 106-107). Im Gegenzug verzichtete die schwarz-gelbe Regierung auf weitergehende Reformpläne und behielt die grundlegenden Institutionen im Wesentlichen bei. Dies war eine Absage an die Gewerkschaften, die weiterhin für die Einführung einer Ausbildungsumlage eintraten, spielte aber in die Hände der Arbeitgeber. Auch im Bereich der Schul- und Hochschulpolitik waren die 1980er- Jahren eine Phase der Stabilität. Einzelne Länder verfolgten weiter ihre individuellen Pläne bei der (Nicht-) Umsetzung des Gesamtschulmodells. Die erste Novellierung des Hochschulrahmengesetzes im Jahr 1985 wagte erste Schritte in Richtung einer Dezentralisierung und Deregulierung des Hochschulsystems, aber wirklich signifikante Reformen in diesem Bereich fanden erst Ende der 1990er-Jahre statt (Hepp 2011: 155). Die Bildungspolitik der 1990er-Jahre stand ganz im Zeichen der Reform der Bildungssysteme der neuen Bundesländer und deren Integration in das westdeutsche System. Wie in anderen Bereichen fand auch hier im Wesentlichen ein Transfer der Institutionen von West nach Ost statt; die Wiedervereinigung eröffnete somit kein window of opportunity für strukturelle Reformen der Bildungssysteme der westlichen Länder. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war die Gesamtschule in Form der polytechnischen Oberschule (POS) die dominante Schulform auf Sekundarschulniveau. Aus diesem Grund war das Gesamtschulmodell als normatives Leitmodell nachhaltig delegitimiert. Alle neuen Bundesländer führten daher im Laufe der 1990er-Jahre wieder stärker differenzierte Schulstrukturen ein. Allerdings lassen sich hier bedeutsame Unterschiede beobachten, die auch mit den jeweiligen politischen Konstellationen zu tun haben (Hepp 2011: 214; Overesch 2007; Stern 2000; Von Below 2002). In Brandenburg beispielsweise, das in dieser Zeit von der SPD regiert wurde, kam es zum Ausbau von Gesamtschulen, wenngleich auch die beliebten Gymnasien erhalten blieben. Mecklenburg-Vorpommern, das in den 1990er-Jahren vor allem von der CDU regiert wurde, führte die klassische dreigliedrige Struktur nach westdeutschem Vorbild ein. Sachsen entschied sich für ein zweizügiges System. Es besteht aus dem Gymnasium einerseits und der Mittelschule andererseits, die wiederum aus der Fusion von Haupt- und Realschule hervorging (Edelstein/ Nikolai <?page no="66"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 66 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 67 66 2013). Damit war Sachsen Vorreiter einer Entwicklung, die in den 2000er- Jahren auch in anderen Bundesländern zu beobachten war. Im Bereich der beruflichen Bildung gestaltete sich der institutionelle Transfer nicht so einfach wie in der allgemeinen Schulpolitik. Der Grund dafür ist, dass Arbeitgeber als zentrale Träger der dual-betrieblichen Ausbildung in den westlichen Ländern in ein komplexes Netzwerk aus Verbänden und Institutionen wie den Kammern eingebunden sind. Diese institutionelle Einbettung ist wichtig, um das Engagement der Arbeitgeber für die berufliche Bildung zu erhalten und zu fördern. Viele dieser Elemente lassen sich aber nicht einfach auf neue Kontexte übertragen, sondern müssen von unten wachsen (Culpepper 2003; Johnson 1995). Auch wenn das westdeutsche System der Kammern im formal-rechtlichen Sinne relativ schnell auf die neuen Bundesländer übertragen werden konnte, war das Angebot an Ausbildungsplätzen längst nicht ausreichend, um die hohe Nachfrage zu befriedigen. In der DDR fand ein Großteil der Ausbildung in Großbetrieben statt. Da diese zahlreich Bankrott gingen, wurden beträchtliche Ausbildungskapazitäten zerstört. Hinzu kam, dass im Osten handwerkliche Strukturen kaum ausgebildet waren, das Handwerk in den westdeutschen Ländern aber einen wesentlichen Teil zur Ausbildung beiträgt und häufig in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine »Schwammfunktion« übernimmt, indem es mehr Auszubildende aufnimmt als wirtschaftlich nötig. Die Politik reagierte auf die fehlenden Ausbildungsplätze zunächst zögerlich mit einer Reihe von kurzfristigen Sofortprogrammen, die die schlimmste Knappheit auf dem Ausbildungsmarkt bewältigen sollte. Inzwischen sind diese Programme zur Förderung von außer- und überbetrieblicher Ausbildung aber zu einem festen Bestandteil des Berufsbildungssystems in den neuen Bundesländern geworden (Busemeyer 2009e: 132-133). In den 2000er-Jahren ist eine erhöhte Reformaktivität in der Bildungspolitik festzustellen. Dies hat verschiedene Gründe. Zum einen verfolgte die Regierungskoalition aus SPD und Grünen im Vergleich zur Vorgängerregierung wieder einen stärker aktivistischen Ansatz in der Bildungspolitik. Zum anderen erzeugten aber auch internationale Einflüsse wie der Bologna-Prozess oder die PISA-Debatte einen zunehmenden Handlungsdruck (vgl. ausführlicher Kapitel 5.1). Der so genannte PISA-Schock-- also das vergleichsweise schlechte Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler in der ersten PISA-Studie im Jahr 2000-- löste eine neue Debatte um die Reform der Schulstrukturen aus, denn PISA-Gewinner wie Finnland unterrichten nach dem Gesamtschulmodell (Overesch 2007). Darüber hinaus wurde das gegliederte Schulsystem zunehmend als wichtiger Faktor identifiziert, der das vergleichsweise hohe Niveau der Bildungsungleichheit in Deutschland verursachen könnte (Pfeffer 2008; Solga 2005). Unabhängig von der ideologiwww.claudia-wild.de: <?page no="67"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 66 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 67 67 schen Debatte um die Gesamtschule haben zunehmend auch pragmatische Überlegungen dazu geführt, dass viele Bundesländer über Strukturreformen nachdachten. Angesichts sinkender Schülerzahlen, besonders in ländlichen Regionen, ist die Aufrechterhaltung einer dreigliedrigen Struktur mit hohen Kosten verbunden. Aus diesem Grund betrieben immer mehr Bundesländer eine Zusammenlegung der unteren Schulzweige, der Hauptschule und der Realschule, während die Eigenständigkeit des Gymnasiums erhalten blieb. Die neu entstandenen Schulformen werden in den Bundesländern unterschiedlich genannt. Die sächsische Mittelschule wurde bereits erwähnt. In Rheinland-Pfalz spricht man von der »Realschule Plus«, in Baden-Württemberg von der »Gemeinschaftsschule« (nicht: Gesamtschule) und in Nordrhein-Westfalen von der »Sekundarschule«. Da die meisten dieser neuen Schulformen zusätzlich zu den bestehenden Schulformen etabliert werden, hat die Komplexität des deutschen Bildungssystems durch diese Reformen tendenziell eher zugenommen. Auch in der Hochschulpolitik haben internationale Einflüsse in Gestalt des Bologna-Prozesses nachhaltige Reformen in Gang gesetzt (Voegtle et al. 2011). Eine offenkundige Konsequenz des Bologna-Prozesses ist die Umstellung der Studienstruktur auf das zweistufige Bachelor/ Master-Format nach internationalem Vorbild. Darüber hinaus besteht ein genereller Trend zur weiteren Deregulierung und Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen (vgl. ausführlicher Kapitel 5.2), der sich konkret in der Verbreitung des Marktmodells als normatives Leitbild hochschulpolitischer Steuerung in den Bundesländern manifestiert (Kamm/ Köller 2010). Elemente dieses Modells sind zum Beispiel die Stärkung der Autonomie von Universitäten in der Mittelbewirtschaftung, die Durchsetzung des Kosten-Nutzen- Prinzips im Umgang mit diesen Mitteln oder die Gründung von Universitätsräten als Gremienform, in denen neben Vertretern anderer Universitäten auch Repräsentanten der Wirtschaft und anderer gesellschaftlicher Gruppe die Geschicke der Universitäten beeinflussen. Die rot-grüne Bundesregierung (1998-2005) versuchte im Zuge mehrerer Novellierungen des Hochschulrahmengesetzes, ein Verbot von Studiengebühren durchzusetzen sowie die Karrierewege von Nachwuchswissenschaftlern zu reformieren. Sie scheiterte 2004 mit diesen Reformen aber am Bundesverfassungsgericht, das eine Kompetenzüberschreitung des Bundes konstatierte (Hepp 2011: 157). Für eine kurze Zeit führten daher eine Reihe von CDU-regierten Bundesländern Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester ein (Kauder/ Protrafke 2013). Die Studiengebühren wurden jedoch nach Regierungswechseln in den jeweiligen Bundesländern bald wieder abgeschafft, so dass heute kein Bundesland mehr Studiengebühren zusätzlich zu den regulären Semestergebühren erhebt. <?page no="68"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 68 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 69 68 Im Vergleich zur Hochschul- und zur allgemeinen Schulpolitik war das Reformtempo in der Berufsbildungspolitik geringer. Dennoch sind hier einige Veränderungen zu beobachten, die langfristig die Logik des Systems nachhaltig verändern könnten (Busemeyer 2009e; Thelen/ Busemeyer 2012; Deissinger/ Hellwig 2005). Insbesondere wurde das System durch inkrementelle Anpassungen im Rahmen der Reform von Ausbildungsordnungen sowie durch die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2004 insgesamt flexibler und differenzierter. Ausbildungsfirmen haben mehr Spielräume, Ausbildungsinhalte individuell an den Firmenkontext anzupassen. Das System wurde auch internationalisiert, sodass Auszubildende wie Hochschulstudierende Phasen der Ausbildung im Ausland absolvieren können. Die erste Hälfte der 2000er-Jahre war zudem durch massive Probleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt gekennzeichnet. Eine Konsequenz dessen ist der Ausbau des sogenannten Übergangsbereichs (Baethge et al. 2007). Darin werden Jugendliche, denen nach Abschluss der Schule kein direkter Übergang in die reguläre betriebliche Ausbildung gelingt, weil sie keinen Ausbildungsplatz fin den, weiterqualifiziert, häufig aber auch ohne konkrete Anschlussmöglichkeiten »zwischengeparkt« (vgl. ausführlicher zu den Reformperspektiven der dualen Ausbildung: Busemeyer 2012). In der Gesamtrückschau kann für den Fall Deutschland ein hohes Maß an institutioneller Kontinuität festgestellt werden, allerdings unterbrochen durch Phasen erhöhter Reformaktivität. Erstaunlicherweise war gerade die Phase direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs keine solche, denn hier ging es zunächst um Wiederaufbau und Rekonstruktion. Erst in den späten 1960er- und den 1970er-Jahren kam es zu weitreichenden Reformanstrengungen, die allerdings häufig deutlich hinter den ursprünglichen Ansprüchen zurückblieben. Erst nach dem PISA-Schock Anfang der 2000er-Jahre ist wieder Bewegung in die Bildungspolitik gekommen. Auch wenn es hier nicht leicht fällt, eine eindeutige Reformrichtung auszumachen, geht der Trend Richtung Internationalisierung und Europäisierung, aber auch ein inkrementeller Umbau des gegliederten Schulsystems in ein weniger differenziertes Modell ist zu beobachten. 3.1.2 England Im Unterschied zu Deutschland ist Großbritannien kein föderaler, sondern ein unitarischer Staat, auch wenn im Rahmen der Devolution-Reformen in den letzten Jahren und Jahrzehnten einige Regionen, vor allem Schottland, aber auch Wales, eigene Entscheidungskompetenzen im Bildungsbereich bekommen haben. Ich möchte mich im Folgenden allerdings auf die Bildungspolitik in England bzw. auf der gesamtbritischen Ebene konzentrieren. <?page no="69"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 68 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 69 69 Selbst wenn inzwischen gewisse Unterschiede in der Ausgestaltung des Bildungssystems in Schottland im Vergleich zum Rest Großbritanniens bestehen, so erscheinen dieses Unterschiede aus der Perspektive des internationalen Vergleichs als relativ vernachlässigbar. Großbritannien gilt darüber hinaus im Vergleich unterschiedlicher Demokratietypen als paradigmatischer Fall einer »Mehrheitsdemokratie« (Lijphart 1999). Hier kann die Regierung mit Hilfe der Unterstützung der entsprechenden Mehrheit im Parlament vergleichsweise einfach Entscheidungen umsetzen, da im Unterschied zu Konsensdemokratien wie etwa Deutschland die Zahl der Vetospieler (Tsebelis 2002) deutlich geringer ist. Das führt dazu, dass in der historischen Entwicklung der britischen Bildungspolitik deutlich öfter weitreichende Reformen beschlossen und umgesetzt wurden. Diese trugen allerdings häufig einen »Stop-and-go«-Charakter und haben die grundlegende institutionelle Struktur des Bildungssystems nicht zwangsläufig nachhaltig verändert. Dies wird besonders am Fall der Berufsbildungspolitik deutlich werden. Historisch betrachtet zeichnet sich das britische Bildungssystem im Vergleich zu Deutschland durch eine grundlegend andere Form der Steuerung aus. Allerdings, wie im nächsten Unterkapitel zu sehen sein wird, gibt es gewisse Parallelen zu den skandinavischen Bildungssystemen. In Deutschland nehmen die Bundesländer eine zentrale Stellung in der Bildungspolitik ein. Sie sind verantwortlich für die Gestaltung der Lehrpläne und die Einstellung von Lehrpersonal. Im Gegensatz dazu zeigt sich das britische Bildungssystem viel stärker dezentralisiert. Zentrale Akteure hierbei sind die Local Education Authorities (LEAs), die traditionellerweise zuständig waren für die Organisation, Aufsicht und auch die Finanzierung von Bildung auf der lokalen Ebene, bis die Reformen der späten 1980er-Jahre ihre Stellung nachhaltig verändert haben. Die institutionelle Gestaltung des britischen Bildungssystems, inklusive der zentralen Funktion der LEAs, wurde im Butler Education Act aus dem Jahr 1944 für die Nachkriegsperiode kodifiziert. Dieses Gesetz baute auf einem breiten Konsens zwischen den wesentlichen parteipolitischen Kräften sowie gesellschaftlichen Akteuren auf (Chitty 2004: 18). Die Labour-Partei und die Konservativen waren sich darin einig, den Zugang zu Sekundarschulen für Kinder aller Gesellschaftsschichten zu verbessern, z. B. durch die Abschaffung von Schulgebühren (Gordon et al. 1991: 62-64). Der lagerübergreifende Kompromiss wurde aber auch dadurch ermöglicht, dass das Gesetz hinsichtlich der Umsetzung des Prinzips der secondary education for all recht vage blieb (Chitty 2004: 19). Hinzu kam, dass die Labour-Regierung, die kurz nach Ende des Kriegs an die Macht kam, zwar in vielen anderen Bereichen des Sozialstaates weitreichende Reformen vorantrieb, zum <?page no="70"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 70 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 71 70 Beispiel beim Aufbau des National Health Service, den Bildungsbereich aber hiervon ausnahm. Die konkrete Umsetzung des Gesetzes lag somit in den Händen der LEAs, sodass aufgrund des stark dezentralen Charakters des Systems lokal unterschiedliche Lösungen gefunden wurden. De facto führte diese zu einem gegliederten Sekundarschulwesen mit großen Ähnlichkeiten zum deutschen Bildungssystem. An der Spitze standen Gymnasien (grammar schools) und Privatschulen (im britischen Kontext verwirrenderweise public schools genannt), darunter die neu errichteten allgemeinen Sekundarschulen (modern secondary schools) und schließlich stärker beruflich ausgerichtete Schulen (technical and trade schools). Der Zugang zu den oberen Niveaus des Sekundarschulsystems hing von den individuellen Leistungen der Kinder bei einer allgemeinen Prüfung im Alter von 11 Jahren ab (Cheung/ Egerton 2007: 201). Dies wurde anfangs von der Labour Party auch nicht unbedingt kritisch gesehen, denn im Vergleich zum traditionellen System könnte das als Fortschritt betrachtet werden: Während zuvor der Zugang zu den höheren Bildungsstufen von dem möglicherweise arbiträren Urteil der Lehrer und Eltern abhing, fußte diese Entscheidung nun immerhin auf den tatsächlichen Bildungsleistungen (Baldi 2012: 1006). Im Zuge der 1950er-Jahre jedoch wurden die Kritiker des dreizügigen Systems innerhalb der Labour Party immer stärker, zumal der Crowther Report (1959) und weitere soziologische Forschungen einen starken Zusammenhang zwischen familiärem Hintergrund und Zugang zum Gymnasium belegten, und zwar selbst dann, wenn akademische Leistungen berücksichtigt wurden (Baldi 2012: 1006-1007; Gordon et al. 1991: 72; Lawton 2005: 57). Wie in anderen Ländern setzte auch in Großbritannien in den 1950er- Jahren eine intensive Phase der Bildungsexpansion ein. Zu Anfang dieser Periode waren lediglich etwa fünf Prozent einer Alterskohorte an den Hochschulen zum Studium eingeschrieben (Ansell 2010: 197). Daher kam besonders in der oberen Mittelschicht- - dem traditionellen Wählerklientel der Konservativen-- die Forderung nach einer weiteren Öffnung der Hochschulen auf. Der Bericht der Robbins-Kommission aus dem Jahr 1963 empfahl dementsprechend eine starke Ausweitung des Zugangs für alle, was im Folgenden auch von der konservativen Regierung umgesetzt wurde (Cheung/ Engerton 2007: 196). Diese scheinbar progressive Politik wäre eher von einer linken Partei zu erwarten gewesen. Sie lässt sich aber dadurch erklären, dass selbst nach Öffnung des Zugangs lediglich etwa 15 Prozent einer Alterskohorte ein Studium aufnahmen (Ansell 2010: 198; Gordon et al. 1991: 79), so dass diese Politik weiterhin primär die Wählerklientel der Konservativen begünstigte, die außerdem von den öffentlichen Finanzierung der Universitäten profitierte. <?page no="71"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 70 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 71 71 Im Berufsbildungssektor bestanden gewisse Parallelen zum deutschen System, da auch in Großbritannien die berufliche Bildung vor allem in den Händen der Wirtschaft lag. Zwar gab es, wie oben erwähnt, im allgemeinen Sekundarschulwesen mit den technical und trade schools ebenfalls einen beruflichen Zweig, der allerdings lediglich von etwa vier Prozent einer Alterskohorte besucht wurde (im Jahr 1958) und damit keine große Rolle spielte (Chitty 2004: 25). Wie in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern reichen die Wurzeln der Lehrlingsausbildung bis ins Mittelalter zurück (Perry 1976). Die Gewerkschaften waren (und sind) in Großbritannien allerdings anders organisiert als in Deutschland, was erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung der Ausbildung hat (Thelen 2004: 98-100). Während sich in Deutschland Gewerkschaften auf Basis einer Industriebranche oder einer Region konstituieren, dominieren in Großbritannien Berufsgewerkschaften, d. h. Gewerkschaften, die Mitglieder auf Grundlage eines bestimmten Berufes organisieren. Gewerkschaften in Großbritannien nutzten historisch ihren Einfluss in der Gestaltung der Ausbildung dazu, den Zugang zu Berufen zu regulieren und damit zu verhindern, dass zu viel Lohnwettbewerb entsteht (Thelen 2004). Langfristig hat dies jedoch dazu geführt, dass die traditionelle Lehrlingsausbildung in Großbritannien dem Untergang geweiht war, denn die starke Kontrolle der Gewerkschaften über die Ausbildung und den Zugang zu berufsfachlichen Arbeitsmärkten führte zu einer Gegenreaktion auf Seiten der Arbeitgeber: Die demografischen und ökonomischen Entwicklungen der Nachkriegsjahrzehnte bewirkten eine enorme Zunahme der Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften. Die lohnpolitisch motivierte Begrenzung des Angebots durch Berufsgewerkschaften wurde damit in Frage gestellt. Außerdem kritisierte man, dass die traditionelle Ausbildung unter Qualitätsproblemen leide und Fachkräfte nicht breit genug ausgebildet seien (Gospel 1994: 508-509). Arbeitgeber suchten nach neuen Produktionsmethoden, die die Rolle der Gewerkschaften schwächen würde (Thelen 2004: 107). Dies steht im starken Kontrast zur Organisation der Berufsbildung in Deutschland, wo Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam an der Ausgestaltung der Ausbildung beteiligt waren und sind. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es allerdings auch in Großbritannien korporatistische Ansätze. Britische Arbeitgeber waren zunehmend besorgt, dass sie gegenüber anderen Volkswirtschaften, insbesondere Deutschland und Frankreich, an Wettbewerbsfähigkeit verlieren würden. Eine zentrale Koordinierung und Planung der Personal- und Ausbildungspolitik (manpower policy) sollte hier Abhilfe schaffen (Corina 1975: 194). Daher wurde im Jahr 1964 noch unter einer konservativen Regierung der Industrial and Training Act verabschiedet, wieder getragen von einem breiten Konsens der Arbeitgeber, Gewerkschaften und auch der oppowww.claudia-wild.de: <?page no="72"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 72 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 73 72 sitionellen Labour Party (Perrry 1976: 108, 125). Dieses Gesetz war ein groß angelegter Versuch, den strukturellen Wandel der britischen Wirtschaft durch eine zentral gesteuerte, aber korporatistisch ausgestalte Wirtschafts- und Ausbildungspolitik voranzutreiben (Corina 1975: 195). Konkret entstand eine Reihe von korporatistischen Ausbildungsausschüssen auf Industriesektor-Ebene (Industrial Training Boards, ITBs), die für die Verwaltung, Finanzierung und inhaltliche Ausgestaltung der Ausbildung in den jeweiligen Sektoren zuständig sein sollten. ITBs konnten auch eine Ausbildungsumlage erheben, d. h. eine Abgabe, deren Einnahmen zur Subventionierung von Ausbildungsmaßnahmen bestimmt waren, z. B. zur Schaffung von gemeinsamen Ausbildungsstätten oder die Entwicklung von Ausbildungsinhalten. Dies ist ein interessanter Kontrast zum deutschen Fall, denn in Deutschland scheiterte die Einführung eines Umlagesystems zur Finanzierung der Ausbildung am Widerstand der Arbeitgeber. Dennoch behielt das ITB-System einen gewissen voluntaristischen Charakter, denn die ITBs konnten Firmen nicht dazu zwingen, sich an der Ausbildung zu beteiligen, sondern sie lediglich durch Subventionen und ähnliche Instrumente dazu motivieren. Ein wichtiger Unterschied zu Deutschland ist auch, dass in Großbritannien kein landesweites System von allgemein anerkannten und zertifizierten Ausbildungsberufen geschaffen wurde. Dies geschah erst Ende der 1980er-Jahre in Form der National Vocational Qualifications. Mitte der 1960er-Jahre zeichneten sich erste Risse im bildungspolitischen Nachkriegskonsens ab, die im Zuge der Wirtschaftskrisen der 1970er-Jahre immer tiefer wurden. Die Labour-Partei übernahm 1964 die Regierung und betrieb nun unter dem Bildungsminister Anthony Crosland sehr viel engagierter als zuvor die Einführung von Gesamtschulen auf Sekundarschulebene, da die innerparteiliche Meinungsbildung innerhalb der Partei inzwischen dieses gegenüber dem dreigliedrigen Modell favorisierte-- nicht zuletzt auch deswegen, weil Gesamtschullehrer innerhalb der Partei mehr Einfluss erlangten (Fenwick 1976: 114-115). Ein wichtiger Meilenstein in der Transformation des britischen Schulsystems in Richtung Gesamtschulmodell war das »Circular 10/ 65«, eine Verordnung aus dem Jahr 1965, mit der Crosland mehr Druck auf die LEAs ausübte, neue Gesamtschulen zu gründen. Aufgrund des dezentralen Charakters des Bildungssystems verblieben den LEAs aber weiterhin große Spielräume in der Umsetzung dieser Verordnung, und die von der Labour-Partei kontrollierten LEAs waren wesentlich schneller im Ausbau von Gesamtschulen als konservativ kontrollierte. Inzwischen wurde die Gesamtschulbewegung aber auch von einer »coalition of parents, local politicians, and grassroots opinion« (Gordon et al. 1991: 189) vorangetrieben, d. h. sie bekam eine eigene Dynamik. Die Macht dieser öffentlichen Bewegung war so stark, dass auch die konservative Margaret Thatcher, eine <?page no="73"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 72 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 73 73 ausgesprochene Gegnerin des Gesamtschulmodells, in die Defensive geriet. Als sie 1970 im Zuge des Regierungswechsels zu den Konservativen Bildungsministerin wurde, nahm sie zeitnah das »Circular 10/ 65« zurück, aber dies konnte den zunehmenden Ausbau von Gesamtschulen nicht aufhalten (Fenwick 1976: 147; Gordon et al. 1991: 193). Wachsende Kritik am Gesamtschulmodell wurde öffentlichkeitswirksam auch von einer Gruppe von konservativen Bildungspolitikern geäußert, die in einer Reihe von Positionspapieren, den sogenannten »Black Papers«, auf die Missstände dieses Modells aufmerksam machten (Ansell 2010: 199; Lawton 2005: 85). Auch aus diesem Grund war die Labour-Partei bei der Umsetzung weiter gehender Reformen etwas vorsichtiger, als sie 1974 wieder die Regierungsgeschäfte übernahm. Im Jahr 1976 hielt Premierminister Callaghan im Ruskin College der Oxford University eine Rede, die einigen als »Wendepunkt« (Lawton 2005: 91) der britischen Bildungspolitik gilt. Diese Rede stellte gewissermaßen den Endpunkt der Phase der ungebremsten Bildungsexpansion dar (Chitty 2004: 44). Insbesondere forderte Callaghan Schulen und Universitäten auf, bei der Ausbildung des Nachwuchses stärker auf Inhalte zu setzen, die unmittelbar für Wirtschaft und Industrie relevant sind. Dieser Aufruf zur Stärkung der beruflichen gegenüber der Allgemeinbildung traf mit einer Phase des Umbruchs im Berufsbildungssektor zusammen. Die vorherige Labour-Regierung hatte bis Ende der 1960er-Jahre insgesamt 27 ITBs installiert (Perry 1976: 175), deren regulativer Charakter aber zunehmend von Unternehmensseite, vor allem von kleinen Firmen, kritisiert wurde (ebd.: 273). Die konservative Regierung, die 1970 übernahm, diskutierte daher zunächst Pläne, die Ausbildungsumlage und die ITBs wieder vollkommen abzuschaffen. Letztlich war es aber die Arbeitgeberorganisation (Confederation of British Industry, CBI), die sich für eine Beibehaltung des Systems aussprach. Sie fürchtete, dass sich die Gewerkschaften sonst mit noch weiter gehenden Plänen der Zentralisierung durchsetzen könnten (ebd.: 292). 1973 wurde mit dem Employment and Training Act ein weiteres Gesetz verabschiedet, dass die Möglichkeiten für Arbeitgeber, aus dem ITB-System auszusteigen, vereinfachte. Dies ging so weit, dass Arbeitgeber faktisch selbst entscheiden konnten, ob sie an dem Umlagensystem teilnehmen wollten oder nicht, was auf eine faktische Abschaffung des Systems hinauslief (Lee 1989: 158). Der Employment and Training Act errichtete außerdem eine weitere koporatistische Institution, die Manpower Service Commission (MSC), die auf der Ebene über den ITBs angesiedelt und damit für die Planung der Personalbewirtschaftung auf zentralstaatlicher Ebene zuständig war. Mit der MSC wurde damit eine lang gehegte Forderung der Gewerkschaften nach einer stärkeren Zentralisierung des Berufsbildungssystems erfüllt (Evans 1992: 18). <?page no="74"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 74 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 75 74 In den 1970er-Jahren häuften sich allerdings immer deutlichere Anzeichen dafür, dass die Macht der Gewerkschaften zurückgehen würde. Der strukturelle Wandel von der Industriehin zur Dienstleistungswirtschaft führte dazu, dass die Zahl der betrieblich ausgebildeten Lehrlinge von etwa 218.000 im Jahr 1970 auf 73.000 im Jahr 1985 sank (Lee 1989: 159). Wie oben erwähnt, gab es außer den strukturellen Veränderungen aber auch politische Faktoren, die diesen Niedergang beschleunigten: Arbeitgeber und ihre Verbündeten in der konservativen Regierung zielten auf die Schwächung des Einflusses der Gewerkschaften in der Lohnpolitik und damit auch in der Berufsbildungspolitik. Gewerkschaften hatten sich für höhere Lehrlingsgehälter eingesetzt, sodass das Lohnniveau der Auszubildenden nahe an das noch etwas höhere Lohnniveau von ungelernten Arbeitern heranreichte. Dieses führte dann allerdings dazu, dass Arbeitgeber weniger bereit waren, in die Ausbildung von Lehrlingen zu investieren, sondern eher direkt ungelernte oder halb-gelernte Arbeiter einstellten (Marsden/ Ryan 1990, 1991). An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, dass neben Parteipolitik auch sozioökonomische Institutionen einen wichtigen Einfluss auf die Gestaltung von Bildungspolitik haben. Der liberale, voluntaristische Charakter der britischen Ökonomie hat dazu beigetragen, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber sich nicht auf eine nachhaltige gemeinsame Strategie zur Förderung der Ausbildung einigen konnten. Stattdessen stand die Schädigung des »politischen Gegners« im Vordergrund. Langfristig führt dies dazu, dass die betriebliche Ausbildung als Alternative zur Allgemeinbildung in Schulen und an Universitäten an Bedeutung verlor (Gospel 1994; Thelen 2004). Mit dem Antritt von Margaret Thatcher als Premierministerin verschärfte sich der Trend zur Liberalisierung des Wirtschaftssystems ganz erheblich. Dies hatte durchschlagende Auswirkungen auf die Berufsbildungspolitik. Ähnlich wie in Deutschland stieg auch in Großbritannien Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre die Jugendarbeitslosigkeit auf ein neues Rekordhoch. Doch statt das alte ITB-System wiederzubeleben, verfolgte die Thatcher- Regierung einen neuen, stärker arbeitsmarktpolitisch motivierten Ansatz. Das Ziel war die Auflösung der ITBs und die Minimierung der Rolle der Gewerkschaften durch die Schwächung des traditionellen Lehrlingssystems (Dingeldey 1996; Evans 1992: 152, 209; King 1993: 215). Die Rolle der MSC wurde neu definiert: Sie sollte nicht mehr länger als korporatistische Institution an der Spitze des kollektiven ITB-Systems stehen, sondern eher wie eine Arbeitsagentur Trainingsprogramme für arbeitslose Jugendliche auflegen. Das Ziel dieser Programme war vordringlich die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, weniger die Verbesserung der Ausbildungsqualität als solche. Aufbauend auf Vorgänger-Programmen aus den 1970er-Jahren wurde 1983 das Youth Training Scheme (YTS) ins Leben gerufen. Die Struktur diewww.claudia-wild.de: <?page no="75"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 74 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 75 75 ses Programms unterschied sich wesentlich von der der traditionellen Lehrlingsausbildung. Daher hatte das YTS eine pfadprägende Auswirkung auf die weitere Entwicklung des britischen Bildungssystems. Im Rahmen des YTS wurden Subventionen an Arbeitgeber ausgezahlt, die damit die Ausbildung von Jugendlichen unter 18 Jahren für einen Zeitraum von einem Jahr finanzieren konnten (dies wurde 1986 auf zwei Jahre verlängert). Sogenannte Area Manpower Boards (AMBs), die unter der Ägide der MSC standen, waren für die Verwaltung, Finanzierung und Qualitätskontrolle der Trainingsprogramme verantwortlich. Ein wesentlicher Unterschied zur regulären betrieblichen Ausbildung bestand aber darin, dass die Ausbildung in der Regel nicht von den Unternehmen selbst durchgeführt wurde, sondern durch externe Bildungsanbieter. Zwar konnten auch einzelne Arbeitgeber als Anbieter auf dem externen Ausbildungsmarkt auftreten, in der Regel waren (und sind) hier jedoch eher Ausbildungsverbünde, Berufskollegs (further colleges of education) oder kommerzielle Bildungsanbieter zu finden. Die Mittel, die in das YTS- und ähnliche Programme investiert wurden, waren beträchtlich: Höhepunkt war das Jahr 1986, in dem die MSC ein Budget von mehr als 2 Mrd. Pfund vorweisen konnte, von dem ca. ein Drittel für das YTS-Programm verwendet wurde (Evans 1992: 83). Obwohl das Programm gewisse Erfolge in der kurzfristigen Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit brachte (Lee 1989: 161), gab es erhebliche Bedenken hinsichtlich der Qualität der Ausbildung. 1985 protestierten ca. 200.000 Jugendliche in mehr als 60 Städten gegen das YTS und den Vorschlag, dieses verpflichtend zu machen (Finn 1987: 182). Ein Grundproblem bestand darin, dass die AMBs nicht über ausreichende Kapazitäten in der Qualitätssicherung verfügten (ebd.: 185). Außerdem gab es keine verbindlichen Standards hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Ausbildung (Lee 1989: 166). Vor diesem Hintergrund leitete die frisch im Amt bestätigte Thatcher- Regierung gegen Ende der 1980er-Jahre weitere Reformen des Berufsbildungssystems ein. Die anhaltende Kritik der Gewerkschaften am YTS-Programm führte schließlich dazu, dass die Regierung die tripartistische Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden in der MSC endgültig beendete (King 1993: 226-227). Die MSC wurde faktisch aufgelöst und in eine Abteilung innerhalb des Arbeitsministeriums umgewandelt. Stattdessen wurden 1988 die Training and Enterprise Councils (TECs) als Nachfolger der von Arbeitgebern wenig geliebten ITBs aus der Taufe gehoben. Im Unterschied zu den ITBs handelte es sich bei den TECs um private Unternehmungen, die- - durch Regierungssubventionen unterstützt- - die lokale wirtschaftliche Entwicklung und die Berufsbildungspolitik unterstützen sollten (King 1997: 398). Die Leitungsgremien der TECs waren im Wesentlichen durch Industrievertreter besetzt; Gewerkschaften und andere <?page no="76"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 76 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 77 76 stakeholder hatten kein gesetzlich garantiertes Mitspracherecht. Da die TECs für die Verteilung und Weiterleitung der öffentlichen Fördermittel in der Ausbildungspolitik zuständig waren, sollten sie theoretisch auch die Einhaltung von Qualitätsstandards kontrollieren. Faktisch hatten sie dazu noch weniger Durchgriffsmöglichkeiten als ihre Vorgängerorganisationen, sodass Arbeitgeber in voluntaristischer Manier im Wesentlichen ihre bisherige Praxis der (Nicht-)Ausbildung fortsetzen konnten (Coffield 1992; Evans 1992: 127, 138; King 1997). Allerdings versuchte die Regierung in Form der sogenannten National Vocational Qualifications (NVQs) ein landesweites System von allgemein anerkannten Ausbildungsstandards einzuführen. Diese sollten durch Industrial Training Organizations (ITOs) entwickelt werden, deren Beziehung zu den geschaffenen TECs allerdings unklar blieb (Evans 1992: 181). NVQs werden von einer zentralen Behörde verliehen (zuerst war dies der National Council for Vocational Qualifications (NCVQ), heute ist diese die Qualifications and Curriculum Authority (QCA)). Das NVQ-System stellt im Vergleich zum deutschen System ein stärker modularisiertes und damit auch stärker voluntaristisches System dar. Im deutschen System dominiert das »Berufsprinzip« (Pilz 2009: 59-60), d. h. Auszubildende erhalten auf Grundlage von weithin anerkannten Berufsbildern ein Bündel an Kompetenzen, die sie dazu befähigen, sich auch über spezifische Bedürfnisse hinaus in einem breiter geschnittenen Berufsfeld auf dem Arbeitsmarkt zu bewegen. Das britische NVQ-System gleicht im Gegensetz dazu eher einem »cafeteria approach« (Ryan/ Unwin 2001: 110). NVQs stellen relativ schmal geschnittene Module von beruflichen Kompetenzen dar. Auszubildende und Firmen können sich dann individuell diejenigen Module zusammenstellen, die sie zur Erfüllung ihrer spezifischen Bedürfnisse benötigen. Im Endeffekt führt dies zu einer Unterinvestitionen von Firmen und Jugendlichen in Ausbildung, denn langfristige Qualifizierungsbedürfnisse werden vernachlässigt (Finegold/ Soskice 1988). Dieses Defizit der britischen Wirtschaft in der Ausbildung von Fachkräften auf dem mittleren Niveau (Marsden/ Ryan 1990, 1991) wurde auch von der Politik wahrgenommen. Daher stand schon Mitte der 1990er-Jahre die nächste große Reform in der Berufsbildungspolitik an. Die konservative Regierung unter John Major führte 1994 die Modern Apprenticeships (MA) ein. Hier stand in Abkehr vom stark arbeitsmarktpolitischen Fokus des YTS-Programmes und seiner Nachfolger wieder stärker der Qualitätsaspekt im Vordergrund. Ziel war es, das Engagement der Arbeitgeber in der Ausbildung zu steigern und Auszubildende auf dem dritten Niveau des NVQ- Systems auszubilden, was in etwa dem Niveau der dualen Ausbildung in Deutschland entsprechen sollte (Gospel/ Fuller 1998). Diese Reformen <?page no="77"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 76 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 77 77 waren allerdings nur teilweise erfolgreich. Ryan und Unwin (2001: 101) schätzen, dass im Jahr 1998 etwa 13,6 Prozent einer typischen Alterskohorte im Vergleich zu 62,9 Prozent in Deutschland zum selben Zeitpunkt eine Ausbildung aufnahmen. Die Thatcher-Regierung setzte auch in der allgemeinen Schulpolitik weitreichende Reformen um. Im Jahr 1988 erließ sie den Education Reform Act (ERA), der von Lawton (1992: 59-60, eigene Übersetzung des Autors) als »Bruch mit der Konsenspolitik im Bildungsbereich, die von 1944 bis 1979 geherrscht hatte« bezeichnet wird. Der ERA änderte nachhaltig das Machtverhältnis zwischen der Zentralregierung und den LEAs (Ainley 2001; Lawton 1992: 47). Im alten System hatten die lokalen Behörden, aber auch die Lehrerschaft und Schuldirektoren, weitreichende Kompetenzen in der inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung des lokalen Bildungssystems. Im Geiste neoliberaler Reformpolitik zielte der ERA nun darauf, die Kontrolle über lokale Bildungssysteme stärker zu zentralisieren, dabei aber auch die Wahlmöglichkeiten für Eltern zu verbessern (Gingrich 2011). Auf diese Weise wurde auch die Governance-Struktur des Bildungssystems wesentlich komplexer (Ainley 2001). Der ERA erschuf zudem den neuen Typus der grantmaintained schools. Diese Schulen wurden direkt von der Zentralregierung bezuschusst und konnten sich der lokalen Kontrolle durch die LEAs entziehen. Besonders die gymnasialen grammar schools versuchten, diesen neuen Schulstatus zu nutzen (ebd.: 138-139). Die Hochschulpolitik kennzeichnete sich zunächst durch massive Einschnitte in der Bildungsfinanzierung (Williams 2004: 244). Der Anteil der grundfinanzierten Mittel an den Gesamtmitteln für Universitäten fiel von 70 Prozent in den 1960er-Jahren auf etwa 30 Prozent Mitte der 1990er-Jahre (Cheung/ Egerton 2007: 200), sodass die Universitäten gezwungen waren, neue Finanzierungsquellen zu erschließen, zum Beispiel aus der Forschungsförderung, der Erwachsenenbildung, der Konferenzorganisation und zunehmend auch aus Studiengebühren. Durch die Veränderung der Finanzierungsbedingungen nahm der Wettbewerb zwischen Universitäten um Studierende und Forschungsmittel zu. Wegen der wachsenden Bedeutung von Studiengebühren als Finanzierungsquelle (die bis zur Reform unter New Labour Ende der 1990er-Jahre noch von den lokalen Behörden direkt an die Universitäten gezahlt wurden) konnten die Universitäten die Höhe der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel dadurch vergrößern, dass sie mehr Studierende zum Studium zuließen (Williams 2004: 247). Daher kam es Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre zu einem starken Anstieg der Studierendenzahlen, der allerdings 1994/ 95 durch die Einführung einer quantitativen Obergrenze eingeschränkt wurde (Mayhew et al. 2004: 66, 69). Der Further and Higher <?page no="78"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 78 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 79 78 Education Act aus dem Jahr 1992 beendete die zweigeteilte Struktur des Hochschulsektors aus Universitäten einerseits und Fachhochschulen (polytechnics) andererseits, indem man beide unter das gleiche Finanzierungsregime stellte (Cheung/ Egerton 2007: 198). Die Macht der LEAs wurde dadurch weiter geschwächt, denn sie waren bislang für die Finanzierung der polytechnics zuständig gewesen. Obwohl das Hochschulwesen nun formal betrachtet weniger stratifiziert war als zuvor, nahm die faktische Schichtung dennoch zu, denn der starke Wettbewerb zwischen Hochschulen verstärkte die Differenzierung zwischen forschungsstarken und weniger forschungsstarken Institutionen. In der Rückschau haben die Reformen der konservativen Regierungen der 1980er- und frühen 1990er-Jahre das britische Bildungssystem nachhaltig verändert. Bis in die späten 1970er-Jahre konnte man im Fall Großbritanniens noch von einem hybriden Mischsystem sprechen, das Elemente des nordischen Modells (vor allem die Gesamtschule auf Sekundarschulniveau) und des kontinentaleuropäischen Regimes (die betriebliche Lehrlingsausbildung und korporatistische Strukturen in der Berufsbildungspolitik) kombinierte. Die Thatcher-Regierung hat diese »fremden« Systemelemente entfernt und dem britischen Fall damit endgültig den Charakter eines liberal-voluntaristischen Systems gegeben. In allen drei Bildungssektoren-- der allgemeinen, der beruflichen und der Hochschulbildung-- ist das Wettbewerbsprinzip als zentrales Steuerungsprinzip eingeführt worden. Die starke Prägekraft dieser Reformen wird auch dadurch deutlich, dass die »New Labour«-Regierung unter Tony Blair, die im Jahr 1997 die lange Dominanz der Konservativen beendete, wesentliche Elemente dieses neuen, wettbewerbsorientierten Regimes nicht in Frage stellte. In anderen Bereich sind allerdings auch deutliche Unterschiede zwischen New Labour und ihren Vorgängern zu beobachten. Zunächst ist hier zu bemerken, dass dem Ausbau von Bildungsmöglichkeiten unter Blair eine wesentlich höhere Priorität zukam als zuvor. Die Verbesserung des Zugangs zu Bildung, vor allem für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, war ein wesentliches Element des »Third-Way«-Ansatzes (Giddens 1998), der das Reformprogramm der New Labour-Regierung maßgeblich geprägt hatte. Damit ging ein deutlicher Anstieg der öffentlichen Bildungsausgaben einher, wie oben in Abbildung 3.2 zu sehen war. Obwohl somit unter der neuen Regierung eine Prioritätenverschiebung zu Gunsten der Bildungspolitik zu beobachten war, lässt sich auch zeigen, dass New Labour wesentliche Kernelemente der konservativen Bildungsreformen fortführte. In der Berufsbildungspolitik beispielsweise hatte sich die Labour- Partei Mitte der 1990er-Jahre-- also noch vor Regierungsantritt-- nach langer interner Debatte von den kollektivistischen Ansätzen der 1970er-Jahre verabschiedet (King/ Wickham-Jones 1998). Statt des kollektiven Umlagesystems <?page no="79"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 78 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 79 79 favorisierte Labour nun die Einrichtung von Individual Learning Accounts (ILAs). Diese individualisierten Bildungsguthaben sollten- - ähnlich wie das YTS-Programm-- Individuen dabei unterstützen, die notwendigen Fertigkeiten zu erlangen, um schneller arbeitsmarkt- und beschäftigungsfähig zu werden. Auch die institutionelle Infrastruktur des Berufsbildungssystems wurde im Wesentlichen beibehalten, obwohl die Gewerkschaften in den TECs schwach vertreten waren (Keep 1999: 324). Die TECs wurden in Learning and Skills Councils (LSCs) umbenannt; Arbeitgebervertreter waren in diesen Gremien allerdings weiter wesentlich besser vertreten als andere gesellschaftliche Gruppen (Gleeson/ Keep 2004: 44). Die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit blieb ein zentrales Ziel der Berufsbildungspolitik. Eine der ersten Initiativen der Blair-Regierung war der »New Deal for Young People«-- ein arbeitsmarktpolitisches Programm zur Eingliederung Jugendlicher in den Arbeitsmarkt, das stark an das YTS- Programm der 1980er-Jahre erinnerte (Ryan/ Unwin 2001: 111). Die Regierung beschloss außerdem die Einführung von sogenannten Foundation Apprenticeships, die im Rahmen des unter Major eingeführten Modern Apprenticeship-Systems unter dem Niveau der Modern Apprenticeships angesiedelt werden sollten, um damit Bildungsschwachen den Zugang zu Ausbildung zu erleichtern. Die grundlegende Struktur des britischen training market (ebd.: 107) blieb damit im Wesentlichen erhalten: Öffentliche Subventionen wurden eingesetzt, um auf individueller Ebene wenig anspruchsvolle und kaum regulierte Ausbildungsmaßnahmen bei externen Ausbildungsanbietern zu unterstützen, die eher auf die kurzfristige Versorgung von arbeitslosen Jugendlichen gerichtet waren als auf die langfristige Lösung des hartnäckigen Qualitätsproblems (Fuller/ Unwin 2011: 191). Im Jahr 2009 verabschiedete die Labour-Regierung unter Premierminister Brown jedoch den Apprenticeships, Skills, Children and Learning Act, der den National Apprenticeship Service einsetzte. Diese Institution zielt auf die Ausweitung des Engagements der Arbeitgeber für die berufliche Bildung und gibt Schulabgängern ein Recht auf Ausbildung (Steedman 2011: 3). Es bleibt abzuwarten, ob dieses Gesetz den voluntaristischen Charakter des britischen Ausbildungssystems nachhaltig verändern kann. Die Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten, die 2010 die Macht übernahm, hatte das Thema Berufsbildung kurzfristig mit einer hohen Priorität versehen. Insbesondere Bildungsminister Michael Gove wollte einmal mehr die Wiederbelebung der dualen Lehrlingsausbildung erreichen (Payne/ Keep 2011: 10), da inzwischen nur noch geschätzte fünf Prozent einer Alterskohorte eine betriebsnahe Ausbildung durchliefen (Fuller/ Unwin 2011: 200). Wie die Politik der konservativen Regierung der 1980er-Jahre verfolgte auch die konservativ-liberale Regierung einen Ansatz, <?page no="80"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 80 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 81 80 der die Beteiligung der Arbeitgeber an der Gestaltung der Ausbildung maximieren, den Einfluss der Gewerkschaften hingegen möglichst gering halten sollte (ebd.: 202; vgl. auch das Richard Review of Apprenticeships, Richard 2012). Moralische Appelle an die Arbeitgeber, sich mehr in der Ausbildung zu engagieren, wurden kombiniert mit öffentlichen Subventionsprogrammen für Ausbildung, die im Vergleich zu den Programmen der 1980er-Jahre allerdings einen deutlich geringeren Umfang aufwiesen (Payne/ Keep 2011: 10). Auch in der Berufsbildungspolitik lässt sich somit eine stark pfadabhängige Entwicklung beobachten. In der Schulpolitik setzte New Labour die Politik der Vorgängerregierung-- allerdings mit neuer Akzentsetzung-- fort, insbesondere im Hinblick auf die Förderung von Wettbewerb und Wahlmöglichkeiten im Schulsystem (Lawton 2005: 134). Die Motivation der New-Labour-Regierung mag eine andere gewesen sein als im Fall der Konservativen: In der Thatcher-Ära war die Einführung von Marktmechanismen in allen Teilbereichen der Gesellschaft auch ideologisch motiviert. Im Gegensatz dazu stand bei New Labour eher das pragmatische Bemühen, sich durch die Verbesserung der Wahlmöglichkeiten in der Bildung die Loyalität der wohlhabenderer Mittelklasse zu erhalten (Gingrich 2011: 38, 136). Auch aus diesem Grund behielt New Labour die Politik der Förderung von grant-maintained schools bei, die allerdings in foundation schools umbenannt wurden. Die Macht der lokalen Bildungsbehörden (LEAs) wurde weiter beschnitten, indem einerseits die Zentralregierung mehr Kompetenzen in der Curriculums-Entwicklung und in der Schulinspektion erhielt, andererseits neben den foundations schools mit den academies ein weiterer neuer Schultypus entstand, der nicht der Aufsicht durch die LEAs unterlag. Academies waren im Kern weiter öffentliche Institutionen, denn die Finanzierung erfolgte primär über öffentliche Mittel. Ihnen wurde allerdings die Möglichkeit eingeräumt, selbst private Sponsoren aufzutun. Ursprünglich wurden die Akademien in armen Stadtvierteln angesiedelt, um so besonders die Bildungsmöglichkeiten für sozial benachteiligte Kinder zu verbessern (Gingrich 2011: 142). Die konservativ-liberale Koalitionsregierung verabschiedete allerdings bereits 2010 einen neuen Academies Act, der die Zahl der Akademien deutlich vergrößerte, wodurch sich der ursprüngliche soziale Anspruch abschwächte. Stattdessen förderte die konservativliberale Koalition die Akademien, um den allgemeinen Prozess der Dezentralisierung und Privatisierung weiter voranzubringen (Taylor-Gooby/ Stoker 2011: 9, 11). Auch in der Hochschulpolitik hat New Labour eigene Akzente gesetzt. Innerparteilich kontrovers war die Einführung von Studiengebühren in Höhe von 1.000 Pfund pro Jahr im Jahr 1998 und besonders die spätere <?page no="81"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 80 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 81 81 Erhöhung auf 3.000 Pfund im Jahr 2004. Die Einführung von Studiengebühren wurde abgefedert durch eine signifikante Ausweitung der Studienunterstützungsprogramme (Stipendien und Bildungskredite) für Studierende aus sozial schwachen Haushalten (Harrison 2011: 452). Die Blair-Regierung setzte sich außerdem das Ziel, 50 Prozent einer Alterskohorte an die Universität zu bringen (Ansell 2010: 200-201). Diese Zielsetzung zeigt, dass berufliche Bildung als ernst zu nehmende Alternative zur Hochschulbildung nicht mehr in Frage zu kommen schien. Statt auf Berufsbildung setzte die Blair- Regierung auf die größtmögliche Öffnung des Zugangs zu Hochschulen als Instrument, um die Bildungsteilhabe sozial schwacher Schichten zu verbessern. Die konservativ-liberale Regierung führte den Kurs von New Labour konsequent fort und erhöhte die Studiengebühren auf 9.000 Pfund pro Jahr. Damit ist der Anteil der privaten Bildungsausgaben an den Gesamtausgaben in Großbritannien inzwischen auf dem Niveau der Vereinigten Staaten angekommen (OECD 2012: 257). Im Rückblick über die letzten Jahrzehnte können somit die 1980er-Jahre als eine Phase kritischer Weichenstellungen in der Bildungspolitik Großbritanniens identifiziert werden. Der Education Reform Act aus dem Jahr 1988 signalisierte hingegen eine Trendumkehr: Statt gemeinsamer Beschulung ging es nunmehr um die Ausweitung von Wahl- und Differenzierungsmöglichkeiten im Schulwesen. In diese Periode fällt auch die Transformation des vormals wenigstens in Teilen kollektivistischen Ausbildungssystems in ein voluntaristisch-liberales System. In diesem System setzt man öffentliche Subventionen ein, um individuelle Bildungsmaßnahmen zu finanzieren, die in der Regel von externen Bildungsanbietern bereitgestellt werden. In der Hochschulpolitik wurde der Zugang zu öffentlichen Finanzen stärker nach Wettbewerbsprinzipien geregelt. Die Bedeutung privater Bildungsausgaben nahm deutlich zu. Alle diese Entwicklungen haben sich unter New Labour und später der konservative-liberalen Koalitionsregierung verfestigt- - ein starkes Indiz für die Wirkmächtigkeit von Politikerbe. 3.2.3 Schweden In vielerlei Hinsicht stellt Schweden im Vergleich zu Großbritannien einen starken Kontrastfall dar. Aus der Perspektive der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung zeichnet sich das skandinavische bzw. sozialdemokratische (Esping-Andersen 1990) Wohlfahrtsregime durch besonders großzügig gestaltete Sozialleistungen und einen weit ausgebauten Sektor sozialer Dienstleistungen aus, während im liberalen angelsächsischen Modell der Sozialstaat weniger großzügig ausgestaltet ist und daher marktgesteuerte Prozesse eine stärkere Rolle spielen. Andererseits gibt es gerade im Bildungsbewww.claudia-wild.de: <?page no="82"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 82 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 83 82 reich interessante Parallelen zwischen den beiden Fällen Schweden und Großbritannien, die diese wiederum vom konservativen Wohlfahrtsregimetypus unterscheiden. Insbesondere ist hier die relativ frühe Umsetzung des Gesamtschulmodells im Sekundarschulbereich zu nennen. Die langjährige Dominanz der Sozialdemokratie in der Regierungspolitik hat im Fall Schwedens bei der Reform des vormals ebenfalls elitären Bildungssystems in Richtung eines egalitären und universalistischen Nordic Model in Education (Antikainen 2006) eine wesentliche Rolle gespielt (vgl. auch Rothstein 1996). Bemerkenswert ist zunächst, dass das schwedische Bildungssystem in der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg von der Struktur her ähnlich elitär und segregiert war wie die Systeme in anderen europäischen Ländern zu dieser Zeit (Hickox/ Lyon 1998: 32; Hudson/ Lidström 2002: 34). Lediglich fünf Prozent einer Alterskohorte erwarb eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung (Studentexamen) (Härnqvist 1989: 18), und das Sekundarschulwesen war ähnlich wie in Deutschland in unterschiedliche Schultypen aufgeteilt. In den 1950er-Jahren begann ein Transformationsprozess, der dieses elitäre und segmentierte Schulsystem in ein stärker egalitäres System verändern sollte. Trotz der Dominanz der Sozialdemokraten in der Regierungspolitik (Aasen 2003; Wiborg 2010), und trotz der starken Konzentration von politischer Steuerungsgewalt in den Händen der Zentralregierung (im Unterschied zu Deutschland beispielsweise), dauerte dieser Prozess mehrere Jahrzehnte und fand erst gegen Ende der 1970er-Jahre ein vorläufiges Ende. Darüber hinaus ist zu betonen, dass die Konstruktion des Nordic Model in Education (Antikainen 2006: 240) in der Nachkriegsperiode nicht allein von den Sozialdemokraten betrieben wurde, sondern ähnlich wie in Großbritannien zu dieser Zeit auf einem breiten Konsens zwischen den maßgeblichen parteipolitischen Akteuren aufbaute. Wichtige Grundlagen für diese breite klassenübergreifende Koalition wurden bereits in den 1930er-Jahren gelegt. In dieser Phase gingen die Sozialdemokraten eine Koalition mit der zentristischen Bauernpartei ein, die zeitweise formal als Koalitionspartner an der Regierung beteiligt und zeitweise ein eher informeller Koalitionspartner im Parlament war. Diese »rot-grüne« Koalition wird in der Sozialstaatsforschung als wesentliche Triebkraft hinter der Entstehung des universalistischen Modells identifiziert (Manow/ Van Kersbergen 2009: 27; Wiborg 2010). Verkürzt gesprochen könnte man sagen, dass die Sozialdemokraten zunächst vor allem die Interessen der aufstrebenden Facharbeiterschaft im Blick hatte, während sich die Bauernpartei (heute: Zentrumspartei) um die Belange der weniger wohlhabenden ländlichen Bevölkerung kümmerte. Das universalistische und egalitäre Sozialstaatsmodell bot hier für beide Seiten Vorteile an, geriet aber nach Ende der 1970er-Jahre und nach Auflösung der (in-)formellen Koalition zwischen Sozialdemokraten und Zentrumspartei zunehmend unter Druck. <?page no="83"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 82 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 83 83 Auch jenseits der parlamentarischen Arena entstanden neue Formen der klassenübergreifenden Zusammenarbeit. Nach erbitterten Auseinandersetzungen zu Beginn des 20.-Jahrhunderts schlossen Arbeitgeber und Gewerkschaften im Jahr 1938 das historische Abkommen von Saltsjöbaden. Dieses stellt im Bereich der Arbeitsbeziehungen eine wichtige und historische Wegmarke dar (Ball/ Larsson 1989: 3-4), denn Interessenkonflikte zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern wurden von nun an mit friedlicheren Mitteln gelöst. Statt Klassenkonflikt stand die Institutionalisierung des Klassenkompromisses mit Hilfe korporatistischer Verfahren und Gremien im Vordergrund. Der konsensorientierte Charakter der schwedischen Nachkriegspolitik wurde durch einen Politikstil ergänzt und unterstützt, der auf eine rationale Bearbeitung von Problemen zielte und rein politisch oder ideologisch motivierte Auseinandersetzungen vermeiden wollte. In diesem Prozess spielten vom Parlament eingesetzten Kommissionen einen wichtige Rolle. Diese sammelten zu einem bestimmten Problem Expertenmeinungen ein und führten selbst Untersuchungen durch. Außerdem konsultierte man die entsprechenden Betroffenen und Interessengruppen (Ball/ Larsson 1989: 10). In der Bildungspolitik wurden mehrere Expertenkommissionen eingerichtet, die die Reform des schwedischen Bildungssystems maßgeblich geprägt und vorangetrieben haben. Eine erste Expertenkommission empfahl im Jahr 1940 noch die Beibehaltung des gegliederten Schulsystems (Paulston 1968: 95). Die daraufhin einsetzende Debatte über die Vorzüge des Gesamtschulmodells führten zu einer stärken Ausdifferenzierung parteipolitischer Positionen: Die sozialdemokratische SAP wurde zum Anhänger des Gesamtschulmodells, die Konservativen waren offen dagegen, und die Liberalen nahmen eine mittlere Position ein (ebd.: 65). Die zentristische Bauernpartei handelte in dieser Frage zu Anfang der 1930er-Jahre noch als Bündnispartner der skeptischen Konservativen, wechselte nun aber ihre Position und unterstütze die SAP (ebd.: 96). 1946 nahm eine weitere Kommission die Arbeit auf, die im Gegensatz zur ersten Schulkommission nicht nur aus Experten bestand, sondern auch unmittelbar Vertreter der größten Parteien beteiligte. Die Kommission legte 1948 ihren Bericht vor und empfahl darin die Verlängerung der Schulpflichtzeit auf neun Jahre und die Einführung des Gesamtschulmodells auf Sekundarschulniveau (ebd.: 113). In den 1950er-Jahren wurden Gesamtschulen zunächst probeweise in einigen lokalen Pilotprojekten eingeführt, um zu überprüfen, ob sie den Erwartungen entsprechen würden. Erst 1962 führte man die neunjährige Gesamtschule (Grundskolan) per Gesetzesbeschluss verbindlich ein. Zu diesem Zeitpunkt besuchten bereits etwa ein Drittel der Schülerinnen und Schüler eine Gesamtschule (Härnqvist 1989: <?page no="84"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 84 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 85 84 20). Das Gesamtschulmodell fand außerdem in der allgemeinen Bevölkerung großen Zuspruch, wie Meinungsumfragen belegten (Husén 1965: 187), und wurde daher fast schon als zwangsläufige Konsequenz der Transformation der schwedischen Gesellschaft in eine moderne Wohlstandsnation betrachtet (Hudson/ Lidström 2002: 35). Vereinzelt gab es jedoch Widerstand, vor allem seitens der konservativen Partei und der Gymnasiallehrer. Dieser Widerstand blieb jedoch angesichts der starken politischen Unterstützung für das Gesamtschulmodell ineffektiv (Husén 1965: 182, 186-187; Lundahl 1990: 163; Paulston 1968: 128; Rothstein 1996: 160). Die Einführung des Gesamtschulmodells bis zum neunten Schuljahr war erst der erste Schritt in Richtung des vollständigen Umbaus des Systems. Die nächste Stufe bestand in der Überwindung der traditionellen Segmentierung zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung auf der Sekundarschulstufe. Wie in anderen europäischen Ländern gab es auch in Schweden die Schulform des allgemeinbildenden Gymnasiums, dessen Besuch auf ein Universitätsstudium vorbereiten sollte, sowie eine Reihe von technischen und Handelsschulen, die stärker beruflich ausgerichtet waren (Härnqvist 1989: 25). Im Jahr 1969 kam es zu einer grundlegenden Reform dieses Systems (die Reform trat 1972 in Kraft). Die Reform zielte darauf ab, die institutionelle Segmentierung zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung zu überwinden. Zu diesem Zweck wurden die unterschiedlichen Schulformen in einer Gesamtschule auf dem oberen Sekundarschulniveau zusammengefasst- - die Gymnasieskola. Das institutionelle Erbe des alten Systems bestand aber in gewisser Weise auch in dem neuen System fort (Opper 1989: 140), denn in der Gymnasieskola wurde die alte gymnasiale Ausbildung in Form von vierjährigen Programmen neben einer Reihe von zweijährigen, eher beruflich ausgerichteten Programmen fortgeführt. Es gab nun etwa 80 bis 100 unterschiedliche Abschlüsse in verschiedenen Berufsfeldern. Im Vergleich dazu existieren im deutschen dualen System etwa 350 anerkannte Berufsabschlüsse. Ein wichtiger Unterschied zwischen dem deutschen und dem schwedischen System liegt allerdings darin, dass mit der Reform Anfang der 1970er-Jahre alle Abgänger der beruflichen Bildungswege eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung erhielten (ebd.: 141), während dies in Deutschland für Absolventen der dualen Ausbildung nicht automatisch der Fall ist. Die Einführung der integrierten Obersekundarschule in Schweden war eine kritische Weichenstellung für die Weiterentwicklung des Berufsbildungswesens. Zwar hatte die schwedische Regierung bereits in den 1930er-Jahren damit begonnen, eine Reihe beruflicher Fortbildungsschulen zu gründen und zu finanzieren, auch um der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu begegnen (Nilsson 1983). Neben diesen schulischen Berufsbildungsgängen spielte aber auch die betriebliche Lehrlingsausbildung weiterhin eine wichtige Rolle. Lundahl <?page no="85"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 84 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 85 85 (1997: 93) schätzt, dass 1945 die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den staatsfinanzierten Berufsschulen mit 10.000 in etwa genauso hoch war wie die Zahl der Lehrlinge in Betrieben. Wie in Deutschland machten sich auch in Schweden Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände für eine eigenständige betriebliche Ausbildung stark. Vor diesem Hintergrund wurde 1944 ein nationaler Ausbildungsausschuss eingesetzt, der die Ausbildungspolitik koordinieren sollte und bis 1970 existierte. In der Grundstruktur gab es hier also gewisse Ähnlichkeiten zum deutschen System, wenngleich die betriebliche Ausbildung insgesamt einen geringeren Teil der Jugendlichen abdeckte (Crouch 1992: 38; Nilsson 2011; Rothstein 1996: 103). Dementsprechend nahm die Zahl der Lehrlinge signifikant auf etwa 2.000 Mitte der 1960er- Jahre ab, während im gleichen Zeitraum die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den beruflichen Schulen auf 75.000 anstieg (Lundahl 1997: 93). Die starke Expansion der schulbasierten Berufsbildung ging zurück auf Befürchtungen von Sozialdemokraten und Gewerkschaften, die Arbeitgeber könnten Auszubildende als billige Arbeitskräfte missbrauchen (Crouch 1992: 38; Nilsson 1983: 36). Die vollständige Eingliederung der beruflichen Bildung in die integrierte obere Sekundarstufe vervollständigte und konsolidierte diesen Prozess und führte zur Dominanz von schulbasierten Formen der dualen Ausbildung über betriebliche Alternativen. Wie schon in den 1950er-Jahren, wurde auch die Reform der späten 1960er-Jahre von einem breiten Konsens getragen, wenngleich einige Akteure mehr, andere weniger zufrieden waren. Die Integration der beruflichen Bildung in das allgemeine Schulwesen stieß vor allem bei den Gewerkschaften auf große Unterstützung, denn sie erhofften sich davon nicht nur eine Qualitätssteigerung in der beruflichen Bildung, sondern auch bessere Anschluss- und Aufstiegsmöglichkeiten von der beruflichen in die Hochschulbildung (Lundahl 1997: 95; Nilsson 2011: 28). Die Arbeitgeber waren in ihrer Unterstützung etwas zurückhaltender; sie hätten sich mehr berufliche Spezifizität gewünscht und befürchteten, dass die berufliche Bildung in Schulen zu breit und unspezifisch sein würde (Lundahl 1997: 95). Dennoch unterstützten sie die Reform prinzipiell, denn sie hatten ein Interesse daran, dass die berufliche Bildung als alternativer Bildungsweg zur allgemeinen gymnasialen und universitären Bildung erhalten blieb. Die 1969er-Reform wurde allgemein als Erfolg gewertet, denn die Zahl der Schülerinnen und Schüler in der oberen Sekundarstufe stieg zwischen 1971 und 1981 von 75.000 auf 106.000 an. Dabei waren die beruflichen Bildungsgänge besonders beliebt: Hier wuchs die Zahl der Eingeschriebenen von 24.000 auf 49.000 im Vergleich zu einem Anstieg von 30.000 auf 41.000 in den allgemeinbildenden akademischen Bildungsgängen (Zahlen aus Nilsson 1983: 40). Einschränkend muss man allerdings ergänzen, dass <?page no="86"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 86 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 87 86 die Implementation des Gesamtschulmodells auf den unteren Verwaltungsebenen-- zum Beispiel bei der Einführung von gemeinsamen Ausbildungsstandards für Lehrer-- keineswegs immer reibungslos verlief und noch über lange Zeiträume hinweg von Konflikten gekennzeichnet war (Rothstein 1996: 97, 157). Nachdem das Gesamtschulmodell auf dem oberen Sekundarschulniveau umgesetzt worden war, ging es an den Hochschulsektor. Auch hier sollte die Trennung zwischen eher beruflichen und eher akademisch ausgerichteten Institutionen der tertiären Bildung überwunden werden. Diese Reform wurde noch unter dem sozialdemokratischen Premierminister Olof Palme angestoßen, aber erst 1977 in der Regierungszeit der ersten bürgerlichen Koalitionsregierung in der Nachkriegszeit umgesetzt. Sie beendete die binäre Struktur des Hochschulwesens und sorgte für eine integrierte Högskola (Elzinga 1993: 217). Außerdem zielte die Reform auf die Stärkung der anwendungsorientierten Forschung und die Verbesserung des professionellen Status von Beschäftigten in den sozialen Dienstleistungen, indem deren Ausbildung auf das universitäre Niveau gehoben wurde (ebd.: 207-208). Trotz dieser Reformen kam es in den 1980er-Jahren jedochzu keinem starken Anstieg der Studierendenzahlen (Jonsson/ Erikson 2007: 116). Im Bereich der allgemeinen Schulpolitik führte die Regierungsübernahme der bürgerlichen Koalition im Jahr 1976 zwar nicht unbedingt zu einer neoliberalen Revolution (Lundahl 2002: 690), aber die neue Regierung unternahm erste Schritte in Richtung einer stärkeren Dezentralisierung des Bildungssystems- - eine Entwicklung, die in den 1980er-Jahren fortgesetzt wurde. Beispiele für diese Dezentralisierungsbewegung (siehe ausführlicher Kapitel 5.2) war eine partielle Übertragung von Steuerungsverantwortung in der Finanzierung, eine Neuausrichtung der Governance-Modi von einem eher hierarchischen Modell zu stärker ziel- und output-orientierten Formen der Steuerung sowie eine Ausweitung der Wahlmöglichkeiten für Eltern (Lindblad/ Wallin 1993: 79). Diese erste Welle von Dezentralisierungsreformen kann auch als Reaktion auf öffentliche Kritik am vermeintlich zu stark bürokratisierten und zentralisierten Schulsystem verstanden werden. Diese kritischen Stimmen, die von der konservativen Partei aufgenommen und verstärkt wurden, bemängelten außerdem fehlende Disziplin und sinkende akademische Standards an den Gesamtschulen (Lundahl 1990: 156). Hier zeigen sich interessante Parallelen zur Diskussion um die Black Papers in Großbritannien zur gleichen Zeit. Im Gegensatz zu den Reformen der Thatcher-Regierung in den 1980er- Jahren waren die Dezentralisierungsreformen in Schweden allerdings von anderen Motiven bestimmt. Als die Sozialdemokraten 1982 wieder die Macht übernahmen, setzten sie die vorsichtige Dezentralisierungspolitik <?page no="87"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 86 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 87 87 der Vorgänger-Regierung fort. Hier ging es weniger um die Einführung von Wettbewerb und marktorientierten Steuerungsmechanismen als Selbstzweck, sondern auch um die Ausweitung von Einfluss- und Beteiligungsmöglichkeiten von Eltern in den örtlichen Schulen (Björklund et al. 2005: 2; Bunar 2010a: 6; Klitgaard 2008: 490). Gerade die politische Linke setzte sich für eine stärkere Dezentralisierung des Bildungssystems und mehr Wahlfreiheit ein, um neue pädagogische Konzepte umsetzen zu können (Aasen 2003: 114). Aus diesem Grund wurde zunächst die Verantwortung für die Grundschulen auf die kommunale Ebene übertragen, außerdem kam es zu einem Ausbau der Beteiligungsmöglichkeiten für lokale Akteure an der Gestaltung von Lehrinhalten. Eine umfassende Reform der Finanzverfassung im Jahr 1989 steigerte die Autonomie der Kommunen in der Finanzierung und Bereitstellung von lokalen sozialen Dienstleistungen weiter, was auch die Bildungspolitik beinhaltete. Die Kommunen erhielten von nun an pauschale Zuweisungen von der Zentralregierung, über deren Verwendung sie weitgehend autonom entscheiden konnten (Björklund et al. 2005: 2; Hudson/ Lidström 2002: 45; Klitgaard 2008: 490; Lundahl 2002: 691). Der Trend zur Dezentralisierung ging allerdings nicht so weit wie in Großbritannien. Innerhalb der sozialdemokratischen Partei gab es Konflikte zwischen Reformern, die die Dezentralisierung unterstützen, und denjenigen, die das alte zentralisierte Modell beibehalten wollten (Klitgaard 2008: 489). Das Ergebnis war ein »kooperatives« Modell (Mons 2004) der Dezentralisierung. In diesem Modell wurden zwar wesentliche Kompetenzen in der Steuerung der Finanzierung an die kommunale Ebene delegiert. Andere Kompetenzen, vor allem die Gestaltung von nationalen Curriculum-Standards und Kompetenzen der Schulinspektion, verblieben allerdings in den Händen der Zentralregierung (Bunar 2010a: 7; Hudson/ Lidström 2002: 46). In den 1980er-Jahren kam auch Bewegung in die Diskussion um die Reform der beruflichen Bildung. Kurz vor Ausscheiden aus der Regierungsverantwortung hatten die Sozialdemokraten 1976 noch eine parlamentarische Kommission eingesetzt, die sich angesichts der zunehmenden Jugendarbeitslosigkeit mit ebendieser Reform befassen sollte. Das Ziel der Bemühungen war eine weitere Reduzierung der Unterschiede zwischen beruflichen und akademischen Ausbildungsgängen auf der oberen Sekundarstufe. Auch wenn dieses Ziel unter der neuen bürgerlichen Regierung abgeschwächt wurde, empfahl die Kommission in ihrem Abschlussbericht 1981 eine gemeinsame, noch stärker integrierte Struktur der verschiedenen Bildungsgänge (Lundahl 1997: 97). Die Arbeitgeber waren vehement gegen diese Reform, vor allem gegen die weitere Stärkung der allgemeinen, theoretischen beruflichen Grundbildung und forderten mehr spezifisch berufliche Ausbildungsinhalte (Crouch 1992: 39-40). Die Gewerkschaften waren auch <?page no="88"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 88 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 89 88 dagegen, aber aus dem gegenteiligen Grund: Das Vorhaben ging ihnen nicht weit genug (Lundahl 1997: 97). Der klassenübergreifende Kompromiss zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern wurde anfangs der 1980er-Jahre also zunehmend brüchig-- eine Entwicklung, die nicht nur den Bereich der beruflichen Bildung, sondern auch die Lohn- und Sozialpolitik betraf. Angesichts des massiven Widerstands von Gewerkschaften und Arbeitgebern nahm die Regierung die Reformpläne zurück, sodass das Anfang der 1970er-Jahre entstandene System bestehen blieb, wenngleich die Reformdebatte weitergeführt wurde. Gewerkschaften und Arbeitgeber waren sich trotz der Konflikte darin einig, dass die schulbasierte Berufsbildung zu wenig auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts ausgerichtet war. Sie befürchteten zudem, dass die berufliche Bildung im Vergleich zur akademischen Bildung unattraktiv werden könnte, da eine zunehmende Zahl von Jugendlichen in diesen Sektor strömte (Lundahl 1998: 43). Der nächste Reformanstoß ging daher von Arbeitgebern und Gewerkschaften aus. Sie setzten 1984 eine eigene Kommission ein, die 1986 die Verlängerung der beruflichen Programme von zwei auf drei Jahren sowie einen Ausbau der betrieblich-praktischen Anteile an der Ausbildung empfahl (Lundahl 1997: 98). Diese Vorschläge wurden teilweise von der (nun wieder) sozialdemokratischen Regierung aufgenommen und umgesetzt (Lundahl 1998: 43), ohne allerdings die Dominanz der schulischen Berufsbildung über die betriebliche Variante zu beenden. So schuf man innerhalb der integrierten Obersekundarstufe die Möglichkeit, eine stärker betrieblich ausgerichtete Ausbildung zu durchlaufen. Dies wurde allerdings nur von einer kleinen Minderheit derjenigen im beruflichen Sektor genutzt (Opper 1989: 147). Im Jahr 1991 kam es dann doch noch zu einer größeren Reform der oberen Sekundarstufe, 1994 ergänzt durch eine Reform des Nationalen Curriculums. Diese Reform veränderte die seit 1972 bestehenden Strukturen in signifikanter Weise. Die vormals mehr als 80 Programme wurden in 17 breiter geschnittene Programme zusammengefasst, von denen 13 einen explizit beruflichen Charakter hatten. Alle Programme führen prinzipiell zur allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung. Die Maßnahme zielte im Wesentlichen darauf ab, die Differenzierung zwischen beruflichen und akademischen Programmen weiter abzubauen. Auch aus diesem Grund wurde die Dauer der beruflichen Programme auf drei Jahre verlängert (Arreman/ Holm 2011: 228; Lundahl 1997: 98-99; Lundahl et al. 2010: 49-50). Zusammen mit dem Ausbau der beruflichen Grundbildung wollte man den Anteil der Ausbildungsinhalte, die in einem betrieblich-praktischen Kontext vermittelt werden, auf 15 Prozent erhöhen, was von Gewerkschaften und Arbeitgebern stark befürwortet wurde (Lundahl 1997: 98-100). Die Parteien der Konservation und Liberalen hingegen waren skeptisch wegen <?page no="89"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 88 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 89 89 der Verwischung der Unterscheidung zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung. Als sie ab 2006 eine Koalitionsregierung bildeten, betrieben sie daher eine Reformpolitik, die diese Unterscheidung wieder stärker betonte (Lundahl et al. 2010: 56). Eine bürgerliche Koalitionsregierung hatte bereits Anfang der 1990er- Jahre weitreichende Reformen im Bereich der allgemeinen Schulpolitik angestoßen. Die bürgerliche Regierung führte die in den 1980er-Jahren begonnen Dezentralisierungsreformen mit größerem Eifer fort (Aasen 2003: 129). Insbesondere versuchte die bürgerliche Regierung, die Bedeutung von privaten Schulen, die traditionell in Schweden eine marginale Rolle spielten (in den frühen 1980er-Jahren waren lediglich 0,2 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Privatschulen eingeschrieben, vgl. Klitgaard 2008: 489-490), zu stärken. Zu diesem Zweck ermöglichte die Regierung privaten Schulen, öffentliche Zuschüsse in Höhe von 85 Prozent der durchschnittlichen Pro- Kopf-Kosten an öffentlichen Schulen zu erhalten und die fehlenden 15 Prozent durch Schulgebühren zu decken (ebd.: 492). Faktisch lief dieses neue System der Bildungsfinanzierung auf ein Gutscheinsystem (voucher system) hinaus, denn Eltern konnten von nun an auch innerhalb einer Kommune frei zwischen öffentlichen oder privaten (»unabhängigen«) Schulen wählen (Björklund et al. 2005: 5). Als die Sozialdemokraten 1994 wieder an die Macht kamen, wurde diese Neuregelung grundsätzlich beibehalten, bei gleichzeitiger Anpassung einiger Detailregelungen (Gingrich 2011: 154). Zuerst wurde die Höhe der Zuschüsse an private Schulen von 85 auf 75 Prozent der Pro-Kopf-Durchschnittskosten abgesenkt, dann aber wieder auf 100 Prozent erhöht. Dafür erging an private Schulen das Verbot, zusätzliche Schulgebühren zu erheben. Die Tatsache, dass auch eine sozialdemokratische Regierung prinzipiell die Wahlmöglichkeiten der Eltern stärken und den privaten, unabhängigen Schulsektor fördern wollte, kann so erklärt werden, dass in diesem Fall die Regierung den wachsenden Ansprüchen der wahlstarken Mittelschichten nach einer stärker differenzierten Bildung nachgab (Klitgaard 2008: 492). Seit den Reformen der 1990er-Jahre ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die Privatschulen besuchen, stark angestiegen, besonders im postsekundären und beruflichen Bildungssektor. 2008 besuchten etwa 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler über 16 Jahre eine unabhängige Schule, und der Anteil der Privatschulen an der Gesamtheit aller Schulen ist im oberen Sekundarbereich auf 40 Prozent gestiegen (Arreman/ Holms 2011: 235). Wenngleich ein großer Teil dieser neuen Privatschulen von kommerziellen Bildungsanbietern betrieben wird, ist hierbei zu bedenken, dass ihre Finanzierung weiterhin zu 100 Prozent aus öffentlichen Mitteln erfolgt (Arreman/ Holms 2011: 226; Bunar 2010b: 49). Außerdem sind auch »unabhängige« <?page no="90"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 90 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 91 90 Schulen an das nationale Curriculum gebunden und der öffentlichen Schulaufsicht unterstellt (Bunar 2010b: 53). Des Weiteren ist ihnen explizit verboten, Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage von akademischen Leistungen auszuwählen-- ein starker Kontrast zu Privatschulen in Großbritannien oder den USA. Insofern könnte davon gesprochen werden, dass das schwedische Bildungssystem durch die Stärkung des unabhängigen Sektors zwar differenzierter, stärker dezentralisiert und kompetitiver geworden ist. Das institutionelle und politische Erbe des egalitären nordischen Modells ist aber weiterhin zu spüren (Aasen 2003: 145; Bunar 2010b: 49, 56). In der Gesamtbetrachtung unterscheidet sich das schwedische Bildungssystem von den Fällen Deutschland und Großbritannien durch die starke Betonung der sozialpolitischen Bedeutung von Bildung. Der freie und offene Zugang zu Bildung sowie die Durchsetzung des Prinzips des gemeinsamen Lernens in allen Sektoren des Bildungssystems tragen dazu bei, dass das Ausmaß der Bildungsungleichheit in Schweden im Vergleich zu anderen Ländern deutlich geringer ausgeprägt ist (Peter et al. 2010). Die starke Stellung des Staates in der Finanzierung und Bereitstellung von Bildung hat jedoch zu einer Marginalisierung der Rolle der Arbeitgeber in der beruflichen Bildung beigetragen. Dies wiederum könnte negative Auswirkungen für die Übergänge zwischen Schule und Arbeitsmarkt haben, wie die überdurchschnittlich hohe Jugendarbeitslosigkeit in Schweden belegt. In den letzten Jahren ist das schwedische System differenzierter und wettbewerbsorientierter geworden. Inwiefern dies mit den jüngst zu beobachtenden Misserfolgen in der PISA-Studie zu tun haben mag (siehe Kapitel 3.1), muss an dieser Stelle zunächst offen bleiben. Weiterführende Lektüre Ansell, B. W. (2010). From the Ballot to the Blackboard: The Redistributive Political Economy of Education. Cambridge: Cambridge University Press. Busemeyer, M. R. (2015). Skills and Inequality: The Political Economy of Education and Training Reforms in Western Welfare States. Cambridge, New York: Cambridge University Press. Chitty, C. (2004). Education Policy in Britain. Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York: Palgrave Macmillan. Gingrich, J. R. (2011). Making Markets in the Welfare State: The Politics of Varying Market Reforms. Cambridge, New York: Cambridge University Press. <?page no="91"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 90 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 91 91 Hepp, G. F. (2011). Bildungspolitik in Deutschland: Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Herrlitz, H.-G., Hopf, W., &-Titze, H. (1998). Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart: Eine Einführung, mit einem Kapitel über die DDR von Ernst Cloer. Weinheim, München: Juventa Verlag. Lundahl, L. (1990). New variations on old themes: the Swedish Conservative Party and the battle over comprehensive education 1900-1985. Journal of Education Policy, 5(2), 157-166. Lundahl, L. (1997). A common denominator? Swedish employers, trade unions and vocational education. International Journal of Training and Development, 1(2), 91-103. Rothstein, B. (1996). The Social Democratic State: The Swedish Model and the Bureaucratic Problem of Social Reforms. Pittsburgh, London: University of Pittsburgh Press. Thelen, K. (2004). How Institutions Evolve: The Political Economy of Skills in Germany, Britain, the United States and Japan. Cambridge, New York, Melbourne: Cambridge University Press. <?page no="92"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 92 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 93 <?page no="93"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 92 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 93 93 4 Bildung und wohlfahrtsstaatliche Politik 4.1 Bildungswelten und Wohlfahrtsregime In diesem Kapitel möchte ich ausführlicher auf den Zusammenhang zwischen Bildungspolitik und anderen Teilbereichen des Wohlfahrtsstaates eingehen. Diese Frage basiert auf einem Argument von Harold Wilensky aus dem Jahr 1975 (Wilensky 1975: 3). Wilensky stellt hier die These auf, dass Bildung sich fundamental von anderen Sozialpolitiken unterscheide, da sie im Gegensatz zu diesen nicht auf die Verminderung von absoluter Ungleichheit ziele (equality of outcomes), sondern auf die Herstellung von Chancengerechtigkeit (equality of opportunities). Neuere Forschung zeigt jedoch, dass es eine Vielzahl von politischen und institutionellen Verbindungen zwischen Bildungspolitik und anderen Teilbereichen des Sozialstaates gibt. Diese Verbindungen sind komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, und sie unterscheiden sich je nach Länderkontext. Zunächst einmal fällt auf, dass sich Bildungssysteme zu Ländergruppen (cluster) zusammenfassen lassen, die eine hohe Ähnlichkeit zu Esping-Andersens (1990) Drei-Welten-Typologie wohlfahrtsstaatlicher Regime aufweisen (Allmendinger/ Nikolai 2010; Busemeyer 2015; Busemeyer/ Nikolai 2010; Hega/ Hokenmaier 2002; Iversen/ Stephens 2008; West/ Nikolai 2013; Willemse/ de Beer 2012). Abbildung 4.1 versucht, diesen Zusammenhang grafisch darzustellen. Die beiden Achsen erfassen dabei- - in Anlehnung an Esping-Andersen (1990)-- die beiden Dimensionen der Stratifizierung und (De-) Kommodifizierung. Infokasten Drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus Esping-Andersen (1990) definiert drei Wohlfahrtsregime, die sich entlang der beiden Dimensionen Dekommodifizierung und Stratifizierung unterscheiden. Das Konzept der Dekommodifizierung erfasst die relative Unabhängigkeit des Individuums vom Arbeitsmarkt. Ein geringer Grad an Dekommodifizierung (d. h. das Individuum ist nicht so stark gezwungen, seine Arbeitskraft als Ware auf dem Markt anbieten zu müssen) geht dabei mit einem großzügig ausgestalteten Sozialstaat einher. Stratifizierung betrifft die Frage, inwiefern der Sozialstaat nicht nur Ungleichheiten i <?page no="94"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 94 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 95 94 abbaut, sondern sie selbst erzeugt, z. B. durch die Privilegierung einzelner Berufsgruppen. Die Regime im Einzelnen: 1. Das sozialdemokratische Regime zeichnet sich durch einen hohen Grad der Dekommodifizierung und einen geringen Grad der Stratifizierung aus. Die weit ausgebauten Sozialstaaten der skandinavischen Länder entsprechen diesem Modell am ehesten. Dieses Modell wird auch als universalistischer Sozialstaat bezeichnet. 2. Das liberale Modell (vor allem in angelsächsischen Ländern zu finden) kombiniert einen geringen Grad der Dekommodifizierung mit einem relativen geringen Grad an institutioneller Stratifizierung. In letzterem Punkt ähneln sie den sozialdemokratischen Regimen. Sie unterscheiden sich aber grundlegend von diesen durch die Tatsache, dass der Sozialstaat als Ganzes weniger weit ausgebaut ist und stärker auf Marktprozessen statt auf staatlicher Versorgung aufbaut. 3. Das konservative oder korporatistische Modell-- hier dienen kontinentaleuropäische Staaten wie Deutschland als Beispiel- - ist durch einen mittleren Grad der Dekommodifizierung, aber einen relativ hohen Grad der Stratifizierung gekennzeichnet. Der Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen-- insbesondere in den Sozialversicherungen-- hängt maßgeblich von der Position des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt ab. Daher sind konservative Wohlfahrtsstaaten insgesamt weniger effektiv in der Reduzierung von sozialer Ungleichheit als sozialdemokratische. Dekommodifizierung bedeutet im Zusammenhang von Sozialpolitik die Lockerung der Abhängigkeit des Individuums vom Arbeitsmarkt. In großzügigen und stark ausgebauten Sozialstaaten ist die Abhängigkeit des Einzelnen vom Arbeitsmarkt weniger ausgeprägt, denn es existiert ein umfassendes Netz der sozialen Absicherung. Damit herrscht ein hoher Grad an Dekommodifizierung, weil Individuen nicht bzw. weniger stark gezwungen sind, ihre Arbeitskraft am Markt als Ware (commodity) anzubieten. Umgekehrt ist der Grad der Dekommodifizierung gering, wenn das individuelle Wohlergehen stark von Marktprozessen abhängt. Das Konzept der Dekommodifizierung kann- - mit Einschränkungen- - auch auf den Bildungsbereich angewendet werden. Ein offensichtlicher Unterschied zu anderen Sozialpolitiken besteht darin, dass der Erwerb von Bildung üblicherweise vor dem Eintritt in den Arbeitsmarkt geschieht. In diesem Sinne kann Dekommodifizierung nicht die (Un-)Abhängigkeit des Einzelnen vom Arbeitsmarkt erfassen, denn bisher hat das Individuum seine Arbeitskraft noch nicht am Markt anbieten müssen. Es gibt allerdings, wie <?page no="95"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 94 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 95 95 wir bereits oben in Kapitel 3.1 gesehen haben, große Unterschiede zwischen Ländern hinsichtlich des Ausmaßes privater Beteiligung an der Bildungsfinanzierung. Somit kann argumentiert werden, dass in den Ländern, in denen der private Anteil der Bildungsfinanzierung hoch ist, der Erwerb von Bildung stark von Marktprozessen abhängt. Gemäß der Humankapitaltheorie nach Gary Becker (1993) gelten Investitionen in die eigene Ausbildung aus dieser Perspektive als Ergebnis eines rationalen Abwägens zwischen den zu erwartenden Kosten und dem zusätzlichen Nutzen des Bildungserwerbs. Die gegensätzliche Perspektive dazu bietet beispielhaft T. H. Marshalls (1964) Konzept der sozialen Grundrechte. Für Marshall ist die individuelle Teilhabe an Bildung ein soziales Bürgerrecht, d. h. es ist kein Investitionsgut, das auf Märkten gehandelt wird, sondern Baustein eines umfassenden Katalogs von sozialen Grundrechten (social citizenship). Diese Perspektive dominiert- - so die Überlegung-- vor allen Dingen in den Ländern, in denen Bildung aus öffentlichen Quellen finanziert wird. Demgemäß kann der Grad der Dekommodifizierung von Bildungssystemen vereinfachend durch den Anteil privater Bildungsausgaben operationalisiert werden (die y-Achse in Abbildung 4.1). Die Dimension der Stratifizierung betrifft nach Esping-Andersen die Frage, wie stark sozialstaatliche Institutionen und Politiken zwischen unter- Quelle: Privater Anteil an Bildungsausgaben, alle Sektoren, Durchschnitt 1997-2008, eigene Berechnungen auf der Grundlage von OECD Education Statistics Database, stats.oecd.org; Strati‚zierung im Bildungssystem: Indikator aus OECD 2007: 87. 0 20 10 30 3 2.5 2 1.5 3.5 Privater Anteil Bildungsausgaben, alle Sektoren Strati‚zierung im Bildungssystem USA Japan Australien Kanada Neuseeland UK Spanien Deutschland Griechenland Schweiz Österreich Belgien Niederlande Frankreich Italien Irland Dänemark Finnland Schweden Portugal Norwegen Abbildung 4.1: Bildungswelten im internationalen Vergleich. <?page no="96"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 96 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 97 96 schiedlichen Berechtigtengruppen differenzieren und auf diese Weise selbst neue Ungleichheiten zwischen »Versorgungsklassen« (Alber 1984) produzieren statt diese abzubauen. Das Konzept der Stratifizierung ist in der Bildungsforschung weithin bekannt und betrifft das Ausmaß, in dem Bildungsinstitutionen bestehende klassenbedingte Ungleichheiten im Zugang zu Bildung ausgleichen oder verstärken (vgl. beispielhaft Breen et al. 2009; Pfeffer 2008). Das Ausmaß von Stratifizierung kann auf unterschiedliche Weise gemessen und operationalisiert werden, beispielsweise durch die Stärke des Zusammenhangs zwischen familiärem Hintergrund und Bildungsleistungen. Hierbei muss man allerdings zwischen dem Grad der institutionellen Stratifizierung einerseits und den tatsächlichen Effekten auf der Ebene der Outcomes (Bildungsleistungen und bildungsrelevante Entscheidungen) unterscheiden, wenngleich natürlich ein gewisser Zusammenhang zwischen den beiden besteht: Ein vergleichsweise sicherer Befund dieser Forschung ist, dass gegliederte Schulsysteme, in denen eine frühe Aufteilung von Schülerinnen und Schülern auf unterschiedliche Bildungswege erfolgt, mit einer höheren Maß an Bildungsungleichheit auf der Outcome-Ebene einhergeht (Hanushek/ Wößmann 2006; Pfeffer 2008). Wenn verschiedene Bildungswege für unterschiedliche Gruppen von Schülerinnen und Schülern existieren, ist dies ein klarer Indikator für institutionelle Stratifizierung, die sich häufig ebenfalls in einer klaren Spaltung zwischen beruflicher und akademischer Bildung niederschlägt (Powell/ Solga 2011). Der Indikator für Stratifizierung, der in Abbildung 4.1 auf der x-Achse abgetragen ist, erfasst diesen Aspekt, indem er den Unterschied zwischen einem Jugendlichen mit einem starken und einem Jugendlichen mit einem schwachen sozioökonomischen Familienhintergrund hinsichtlich ihrer Erwartungen, erfolgreich ein Hochschulstudium abzuschließen, angibt (OECD 2007: 87). Hohe Werte dieses Indikators zeigen demnach an, dass Jugendliche mit einem starken sozialen Hintergrund sehr viel eher erwarten, erfolgreich ein Hochschulstudium meistern zu können als Jugendliche aus bildungsfernen Schichten. Abbildung 4.1 zeigt im Wesentlichen die Existenz von drei Länderclus tern, die sich auch in aufwändigeren Cluster-Analysen bestätigen lassen (Busemeyer/ Nikolai 2010; Busemeyer 2015; mit leichten Abweichungen: West/ Nikolai 2013). Die angelsächsischen Länder plus Japan bilden eine relativ homogene Gruppe, die ein hohes Maß an privater Bildungsfinanzierung mit einem geringen Maß an institutioneller Stratifizierung kombiniert. Diese Gruppe korrespondiert gut mit derjenigen der liberalen Wohlfahrtsstaaten in Esping-Andersens Drei-Welten-Typologie. In diesen Ländern spielen private Bildungsausgaben, hauptsächlich in Form von Studiengebühren, eine starke Rolle. Dementsprechend ist auch die Steuerung und Governance von Hochschulen stark am Marktmodell ausgerichtet (siehe unten, Kapitel 5.2), d. h. <?page no="97"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 96 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 97 97 Universitäten stehen miteinander in einem starken Wettbewerb um gute Studierende und Forschungspersonal. Das Ausmaß institutioneller Stratifizierung ist allerdings gering ausgeprägt: In angelsächsischen Ländern sowie in Japan dominiert im Sekundarschulbereich das Modell der integrierten Gesamtschule (z. B. die high schools in den USA oder die comprehensive secondary schools in Großbritannien), wenngleich in allen Ländern in mehr oder weniger starkem Ausmaß ein unabhängiger Privatschulsektor neben dem öffentlichen existiert. Analog zur Existenz der Gesamtschulen auf Sekundarschulniveau ist der Zugang zum Hochschulsektor vergleichsweise offen, das heißt der familiäre Hintergrund spielt eine geringere Rolle hinsichtlich der Aussichten, ein Studium abzuschließen, als in kontinentaleuropäischen Ländern. Es gibt allerdings große Qualitätsunterschiede zwischen Bildungsinstitutionen innerhalb des Hochschulsektors (Allmendinger 1989), und beim Zugang zu den selektiven Universitäten liegt die Vermutung nahe, dass der soziale Hintergrund wieder wichtiger wird. Kontinentaleuropäische Staaten wie Deutschland, Österreich, die Schweiz und Belgien bilden eine zweite Gruppe. Griechenland steht in Abbildung 4.1 dieser Gruppe ebenfalls sehr nahe, unterscheidet sich bei näherer Betrachtung doch klar von den anderen. Die genannten kontinentaleuropäischen Staaten entsprechen Esping-Andersens (1990) konservativer Welt der Wohlfahrtsstaatlichkeit. Sie zeichnen sich durch ein mittleres bis geringes Maß an Dekommodifizierung, aber ein hohes Maß an Stratifizierung aus. Beides hängt mit der hohe Bedeutung der beruflichen Bildung als Alternative zum Hochschulstudium zusammen. In Deutschland und in der Schweiz dominiert die betriebliche Ausbildung, während schulische Formen der Ausbildung in Belgien stark ausgebaut sind. In Österreich ist die betriebliche Ausbildung ebenfalls sehr bedeutsam, aber schulische Berufsausbildung ist beliebter als in Deutschland oder der Schweiz (Ebner/ Nikolai 2010). Entscheidend ist, dass berufliche Bildungswege im Unterschied zu skandinavischen Ländern in der Regel nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen die Option des Wechsels zum Hochschulstudium vorsehen. Diese starke Abschottung zwischen beruflicher und universitärer Bildung erklärt das hohe Maß an Stratifizierung (Baethge 2006; Powell/ Solga 2011). Eine letzte, recht heterogene Gruppe wird von den skandinavischen und einigen südeuropäischen Ländern gebildet. Die Bildungssysteme südeuropäischer Länder weisen einige Besonderheiten auf und könnten bei genauerer Betrachtung ein eigenständiges Cluster bilden (Allmendinger/ Leibfried 2003; West/ Nikolai 2013). Daher möchte ich mich im Folgenden zunächst auf Skandinavien konzentrieren. Die institutionelle Ausgestaltung der Bildungssysteme in diesen Ländern zeigt deutliche Parallelen zum Modell des sozialdemokratischen bzw. universalistischen Wohlfahrtsstaats (Espingwww.claudia-wild.de: <?page no="98"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 98 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 99 98 Andersen 1990). Die starke Dominanz des Staates geht mit einem geringen privaten Anteil in der Bildungsfinanzierung einher. Die skandinavischen Länder zeichnen sich außerdem durch ein besonders niedriges Maß an Stratifizierung aus. Obwohl berufliche Bildungsgänge auf dem Sekundarschulniveau eine wichtige Rolle spielen (siehe oben, Kapitel 3.1), scheinen sich die Bildungserwartungen zwischen Jugendlichen mit einem starken und einem schwachen sozialen Hintergrund weniger stark zu unterscheiden als in anderen Ländern. Dies liegt daran, dass berufliche Bildungsgänge auch prinzipiell zum Hochschulstudium berechtigen und auf diese Weise Bildungsmobilität fördern. Allerdings, so muss einschränkend ergänzt werden, könnte der familiäre Hintergrund eine nicht unerhebliche Rolle bei der Wahl des Studienfachs spielen. Frankreich, die Niederlande und Dänemark lassen sich-- wie auch in der Sozialpolitikforschung- - als hybride Fälle einstufen, die Elemente unterschiedlicher Regimetypen kombinieren. Das französische Bildungssystem ist stark zentralistisch, der Staat spielt die entscheidende Rolle in der Finanzierung und Bereitstellung von Bildung. Eine Ähnlichkeit zu liberalen Systemen besteht in dem hohen Ausmaß an Stratifizierung innerhalb des Universitätssystems, d. h. der Unterscheidung zwischen den grand écoles und regulären Universitäten. Sozialdemokratische Systemelemente zeigen sich in dem starken Ausbau der frühkindlichen Erziehung. Die Niederlande und Dänemark können als Hybride zwischen dem skandinavischen und dem kontinentaleuropäischen Modell betrachtet werden, im Fall der Niederlande mit Anklängen an das liberale Modell. In beiden Ländern, vor allem aber in Dänemark, ist die betriebliche Berufsbildung stark ausgebaut, ohne dass dies jedoch mit einem hohen Maß an Stratifizierung einhergehen würde. Dies liegt daran, dass berufliche Bildungsgänge in diesen Ländern besser in das allgemeine Sekundarschulwesen integriert sind als in den anderen kontinentaleuropäischen Ländern. Wie eingangs erwähnt, gibt es nicht nur offensichtliche Parallelen in der institutionellen Ausgestaltung von Bildungssystemen und Sozialstaaten, sondern auch regime-spezifische Besonderheiten hinsichtlich der Frage, wie das Verhältnis zwischen Bildungs- und Sozialpolitik politisch-normativ verstanden wird (vgl. Allmendinger/ Leibfried 2003; Allmendinger/ Nikolai 2010). In liberalen Bildungssystemen kann man Bildungsinvestitionen als funktionales Äquivalent zu sozialstaatlicher Absicherung betrachten (»Bildung statt Sozialpolitik«). Die Förderung von Aufstieg durch Bildung entspricht den Grundprinzipien liberaler Ideologie, die individuelle Eigeninitiative im Sinne des meritokratischen Prinzips belohnen möchte. Staatlich induzierte Umverteilungspolitik widerspricht diesem Prinzip, denn individuelle Eigeninitiative wird dem kollektiven Bedürfnis nach Umverteilung untergeordnet. <?page no="99"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 98 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 99 99 Es gibt viele Beispiele dafür, wie in angelsächsischen Ländern die Förderung von Bildungschancen explizit unter sozialpolitischen Gesichtspunkten stattfand: Die groß angelegten Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Großbritannien der 1980er-Jahre hatten eine klare sozialpolitische Motivation. Ein anderes Beispiel wäre der Ausbau von Stipendienprogrammen und Bildungskrediten durch die US-amerikanische Regierung (Garritzmann 2014). Entscheidend hierbei ist, dass die Förderung von Bildungschancen als präventive Investitionen zur Vermeidung von Arbeitsmarktrisiken Vorfahrt vor dem Ausbau des umverteilenden Sozialstaates erhält. In sozialdemokratischen Bildungsregimen hingegen wird eine enge Verbindung zwischen Bildung und den anderen Bereichen des Sozialstaates gesehen (»Bildung und Sozialpolitik«). Gemäß dem Modell des social citizenship nach Marshall (1964) wird Bildung als integraler Bestandsteil eines umfassenden nordischen Wohlfahrtsmodells betrachtet (Arnesen &-Lundahl 2006), in dem der Staat als zentraler Akteur eine aktive Rolle sowohl bei der Herstellung von Chancengerechtigkeit als auch beim Ausgleich von sozialen Ungleichheiten spielt. Der kontinentaleuropäische Regimetyp hingegen ist durch eine starke politische und institutionelle Trennung zwischen Bildungspolitik und anderen Bereichen des Sozialstaates gekennzeichnet. Diese institutionelle Trennung zwischen Bildung und Sozialpolitik zeigt sich besonders im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und der beruflichen Bildung. In Deutschland sind die Länder für bildungspolitische Fragen zuständig, während die Bundesagentur für Arbeit als Bundesbehörde für Arbeitsmarktpolitik verantwortlich ist (vgl. Busemeyer 2009e). Die institutionelle Trennung zwischen Bildung und anderen Formen der Sozialpolitik hat auch dazu beigetragen, dass Bildungsausgaben bei Verteilungskonflikten eher gekürzt werden (Schmidt 2007b). Es ist jedenfalls auffallend, dass kontinentaleuropäische Sozialversicherungsstaaten zwar relativ viel für Sozialtransferleistungen ausgeben, aber wenig in Bildung investieren. Weiterführende Lektüre Allmendinger, J., &-Leibfried, S. (2003). Education and the welfare state: Germany’s poverty and plenty and the many worlds of ›competence distribution‹ in the EC and the OECD. Journal of European Social Policy, 13(1), 63-81. Allmendinger, J., &-Nikolai, R. (2010). Bildungs- und Sozialpolitik: Die zwei Seiten des Sozialstaats im internationalen Vergleich. Soziale Welt, 61(2), 105-119. <?page no="100"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 100 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 101 100 Busemeyer, M. R., &-Nikolai, R. (2010). Education. In H. Obinger, C. Pierson, F. G. Castles, S. Leibfried &- J. Lewis (Eds.), The Oxford Handbook of the Welfare State (pp. 494-508). Oxford, New York: Oxford University Press. Hega, G. M., &-Hokenmaier, K. G. (2002). The Welfare State and Education: A Comparison of Social and Educational Policy in Advanced Industrial Societies. German Policy Studies, 2(1), 143-173. Heidenheimer, A. J. (1981). Education and Social Security Entitlements in Europe and America. In P. Flora &-A. J. Heidenheimer (Eds.), The Development of Welfare States in Europe and America (pp. 269-304). New Brunswick, London: Transaction Books. West, A., &-Nikolai, R. (2013). Welfare regimes and education regimes: Equality of opportunity and expenditure in the EU (and US). Journal of Social Policy, 42(3), 469-493. 4.2 Bildung und soziale Ungleichheit: Effekte-von-Bildungspolitik auf Outcomes Welche Zusammenhänge lassen sich zwischen Bildungsinstitutionen und sozialer Ungleichheit beobachten? Hier möchte ich zunächst den Begriff der sozialen Ungleichheit etwas genauer fassen. Wenn in bildungssoziologischen Studien von Ungleichheit die Rede ist, bezieht sich dies vor allen Dingen auf Ungleichheiten im Zugang zu verschiedenen Bildungsstufen (vgl. z. B. Allmendinger 1989; Blossfeld/ Shavit 1993; Breen et al. 2009; Müller/ Shavit 1998; Pfeffer 2008). Ein weithin bekannter Befund dieser Studien ist, dass Kinder aus Elternhäusern mit einem hohen Bildungsstand und/ oder einem hohen Einkommen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein Studium aufnehmen als Kinder aus bildungsfernen und sozial schwachen Familien. Mit Boudon (1974) kann man weiter zwischen primären und sekundären Herkunftseffekten unterscheiden. Primäre Herkunftseffekte entstehen dadurch, dass Kinder aus bildungsnahen und wohlhabenden Familien im Rahmen ihrer Erziehung ihre intellektuellen Fähigkeiten besser entwickeln und entfalten können und aus diesem Grund im Durchschnitt höhere Bildungsleistungen erbringen als Kinder aus sozial schwachen Familien. Sekundäre Herkunftseffekte sind im Gegensatz dazu jene Effekte des familiären Hintergrunds, die unter Berücksichtigung unterschiedlicher Bildungsleistungen weiter nachweisbar sind. Um es mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Die drei Kinder Anton, Bettina und Christian besuchen die gleiche Klasse. Anton <?page no="101"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 100 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 101 101 stammt aus einer wohlhabenden Familie und erzielt durchweg gute Noten. Bettina hat ebenfalls gute Noten, kommt aber aus einer sozial schwachen Familie. Christian ist ebenfalls in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen und schreibt schlechte Noten. Primäre Herkunftseffekte bezeichnen die Unterschiede in den Bildungsleistungen zwischen Anton und Christian. Sekundäre Herkunftseffekte erfassen die Unterschiede zwischen Anton und Bettina, wenn Bettina sich gegen den Besuch eines Gymnasiums und für die Realschule entscheidet und Anton auf das Gymnasium geht, obwohl ihr Notendurchschnitt genau gleich ist. Im internationalen Vergleich gibt es natürlich beträchtliche Unterschiede hinsichtlich des Ausmaßes der Bildungsungleichheit. Ein relativ gesicherter Befund der Forschung in diesem Bereich ist, dass die institutionelle Ausgestaltung von Bildungssystemen einen wesentlichen Einfluss auf Bildungsungleichheit hat (Allmendinger 1989; Pfeffer 2008). Gegliederte Schulsysteme wie das deutsche gehen dabei tendenziell mit einem höheren Maß an Bildungsungleichheit einher als Gesamtschulmodelle, denn in diesen Systemen gibt es mehr kritische Entscheidungspunkte im Verlauf von Bildungskarrieren, an denen sekundäre Herkunftseffekt wirksam werden können. Die Forschung hat außerdem nachgewiesen, dass Bildungsungleichheiten sehr persistent und damit bestenfalls langfristig zu beseitigen sind (Blossfeld/ Shavit 1993; Breen et al. 2009). Ungleichheit ist jedoch ein komplexes Phänomen mit verschiedenen Dimensionen. Neben Ungleichheiten im Zugang zu unterschiedlichen Bildungsstufen kann noch eine zweite Dimension identifiziert werden, die vor allem aus der Perspektive der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung eine zentrale Rolle spielt: sozioökonomische Ungleichheiten, d. h. Ungleichheiten in Verteilung von Arbeitsmarkteinkommen und Vermögen. In Abbildung 4.2 ist auf der x-Achse der gleiche Indikator für Bildungsungleichheit abgetragen, der schon oben verwendet wurde. Die y-Achse ist ein einfaches Maß, das die Ungleichheit von Einkommen auf dem Arbeitsmarkt vor Steuern und Sozialtransfers misst: das Verhältnis zwischen dem Einkommen eines Individuums auf der 9. Dezile in der Einkommensverteilung zum Einkommen eines Individuums auf der 1. Dezile. Bei beiden Indikatoren zeigen höhere Werte ein höheres Maß an Bildungsbzw. Einkommensungleichheit an. Der zunächst überraschende Befund ist, dass der Zusammenhang zwischen Bildungsungleichheit und sozioökonomischer Ungleichheit sehr schwach ausfällt (vgl. auch Busemeyer 2015: Kapitel 4; Solga 2012, 2014). Es ist also keineswegs so, dass ein hohes Maß an Bildungsungleichheit quasi automatisch mit einem höheren Maß an sozioökonomischer Ungleichheit einhergeht. Vielmehr lassen sich wieder typische Ländercluster identifizieren. <?page no="102"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 102 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 103 102 Abgesehen von dem Sonderfall Griechenland gibt es mit Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien eine Ländergruppe, in denen Bildungsungleichheit besonders stark ausgeprägt, das Ausmaß der Einkommensungleichheit aber vergleichsweise gering ist. Dieser scheinbare paradoxe Befund lässt sich dadurch erklären, dass junge Menschen aus eher bildungsferneren Schichten über ein ausgebautes berufliches Bildungssystem Zugang zu gut bezahlter Ausbildung und Beschäftigung bekommen, was im Gesamteffekt die Einkommensunterschiede zwischen akademisch und beruflich Gebildeten zu einem gewissen Grad nivelliert (Estévez-Abe et al. 2001). Die skandinavischen Länder finden sich in der unteren linken Ecke der Grafik: Sie kombinieren eine niedrige Einkommensungleichheit mit einem geringen Maß an Bildungsungleichheit. Auch in diesen Fällen scheint der soziale Aufstieg über Bildung noch vergleichsweise gut möglich zu sein. Am Beispiel der Fallstudie Schweden (Kapitel 3.2.3) war zu sehen, wie durch berufliche Bildungsgänge mit Anschlussmöglichkeiten an die Hochschulbildung auch Jugendlichen aus sozial schwächeren Familien Aufstiegsmöglichkeiten über Bildung eröffnet werden. In diesem Ländercluster finden sich neben den nordischen Ländern aber auch Frankreich, die Niederlande, Neu- Quelle: Lohnungleichheit: Verhältnis der Löhne (vor Steuern und Transfers) von der 9. zur 1. Dezentile, Durchschnitt 1997-2008, OECD Earnings Inequality Database, stats.oced.org; Stratiˆzierung im Bildungssystem: Indikator aus OECD 2007: 87. Australien Österreich Belgien Kanada Dänemark Finnland Frankreich Deutschland Griechenland Irland Italien Japan Niederlande Neuseeland Norwegen Portugal Spanien Schweden Schweiz UK USA 2 3 4 5 Lohnungleichheit 1.5 2 2.5 3 3.5 Stratiˆzierung im Bildungssystem Abbildung 4.2: Bildungs- und sozioökonomische Ungleichheit. <?page no="103"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 102 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 103 103 seeland, Australien, Japan und- - überraschenderweise- - Italien. Abgesehen von Italien und Frankreich verfügen alle diese Länder über ein integriertes Sekundarschulsystem, in dem die Trennung zwischen beruflichen und akademischen Bildungswegen nicht mehr stark ausgeprägt ist. Auch aus diesem Grund sind die familiär bedingten Unterschiede in den Erwartungen, ein Hochschulstudium zu beenden (unser Indikator für Bildungsungleichheit), eher gering. Eine dritte Ländergruppe zeichnet sich durch eine Kombination aus überdurchschnittlich hoher Einkommensungleichheit, aber vergleichsweise geringer Bildungsungleichheit aus (obere Hälfte von Abbildung 4.2). Der paradigmatische Fall für diese Gruppe ist die USA. Die USA waren aus einer historischen Perspektive lange Zeit den europäischen Ländern in der Öffnung des Zugangs zum tertiären Bildungssektor weit voraus (Heidenheimer 1981). Im Sekundarschulbereich haben die USA schon sehr früh das Gesamtschulmodell eingeführt, d. h. Kinder aus unterschiedlichen Schichten und mit unterschiedlichen Fähigkeiten wurden gemeinsam beschult. Und dennoch weisen die USA im internationalen Vergleich ein besonders hohes Maß an Einkommensungleichheit auf. Diese Beispiele zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Bildungs- und Einkommensungleichheit komplexer ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Hierbei kommt es ganz wesentlich auf verschiedene Faktoren an. Zum ersten ist die Bildungsfinanzierung zu nennen. Länder mit einem höheren privaten Anteil der Bildungsausgaben haben in der Regel auch ein höheres Maß an Ungleichheit (vgl. Abbildung 4.3). Wie bereits in Kapitel 3.1 erwähnt wurde, verstecken sich hinter den privaten Bildungsausgaben vor allem Studien- oder Schulgebühren, aber auch Subventionen und Spenden von privaten Individuen oder Unternehmen an Bildungsinstitutionen. Eine erste mögliche Erklärung für den Zusammenhang zwischen privaten Bildungsausgaben und hoher sozialer Ungleichheit könnte darin bestehen, dass hohe Studiengebühren junge Leute aus weniger wohlhabenderen Schichten von der Teilhabe an höherer Bildung abschrecken und ausgrenzen. Wenn nur Studierende aus wohlhabenderen Schichten die Universität besuchen, werden soziale Ungleichheiten von einer Generation in die nächste vererbt. Daraus folgt, dass das Niveau sozialer Ungleichheit in Ländern mit einem starken privaten Bildungsausgabenanteil höher sein sollte als in anderen Ländern. Es gibt allerdings auch Argumente, die dieser These wiedersprechen. Zunächst ist die Auswirkung von Studiengebühren auf die Studienneigung nicht ganz unumstritten (vgl. Baier/ Helbig 2011). Insbesondere in den Fällen, in denen die Gebühren nicht übermäßig hoch ausfallen und durch großzügige Stipendien oder Bildungskredite abgefedert werden, könnte der Abwww.claudia-wild.de: <?page no="104"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 104 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 105 104 schreckungseffekt eher gering sein. Jedenfalls lassen sich einige Länderbeispiele finden, in denen die Studierendenquote (der Anteil der Studierenden an einer typischen Alterskohorte) im internationalen Vergleich hoch ist, obwohl hohe Studiengebühren anfallen (z. B. die USA, Japan oder Kanada). Auf der anderen Seite gibt es auch Länder wie Deutschland, in denen keine bzw. kaum Studiengebühren erhoben werden, der Zugang zu Universitäten und Hochschulen jedoch weiterhin relativ beschränkt und ungleich ist. Eine zweite mögliche Erklärung verweist auf den Einfluss von privater Bildungsfinanzierung auf die individuelle Unterstützung von Umverteilung. Busemeyer (2013) zeigt, dass in Ländern mit einem hohen privaten Anteil in der Bildungsfinanzierung die öffentliche Unterstützung für staatliche Umverteilungspolitik geringer ausgeprägt ist. Darüber hinaus wird in diesen Ländern soziale Ungleichheit auch weniger als Problem gesehen. Wenn die öffentliche Nachfrage nach staatlicher Umverteilungspolitik jedoch gering ist, dann bestehen für politische Akteure auch weniger Anreize, den Sozialstaat entsprechend auszubauen. Aber welche plausiblen Gründe könnte es dafür geben, dass hohe private Bildungsausgaben zu weniger Unterstützung für Umverteilungspolitik füh- Quellen: Privater Anteil an Bildungsausgaben, alle Sektoren, Durchschnitt 1997-2008, eigene Berechnungen auf der Grundlage von OECD Education Statistics Database, stats.oecd.org; Lohnungleichheit: Verhältnis der Löhne (vor Steuern und Transfers) von der 9. zur 1. Dezentile, Durchschnitt 1997-2008, OECD Earnings Inequality Database, stats.oced.org. Australien Österreich Belgien Kanada Dänemark Finnland Frankreich Deutschland Griechenland Irland Italien Japan Niederlande Neuseeland Norwegen Portugal Spanien Schweden Schweiz UK USA 2 3 4 5 Lohnungleichheit 0 10 20 30 Privater Anteil Bildungsausgaben, alle Sektoren Abbildung 4.3: Private Bildungsausgaben und soziale Ungleichheit. <?page no="105"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 104 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 105 105 ren? Hier sind wiederum zwei Erklärungen möglich: die erste betont rational-individualistische Mechanismen, die zweite kulturelle. Aus einer rational-individualistischen Perspektive lässt sich argumentieren, dass Individuen, die für ihre Ausbildung signifikante private Kosten auf sich genommen haben, in ihrem späteren Erwerbsleben ein starkes Interesse daran haben, diese privaten Bildungsinvestitionen durch höhere Bildungsrenditen wieder auszugleichen. Wenn jemand mehrere 10.000 Dollar Schulden wegen hoher Studiengebühren hat, dann möchte diese Person entsprechend gut verdienen, um diese Schulden zurückbezahlen zu können. Diese Person hat dann auch wenig Interesse daran, dass der Staat durch Steuern ihre Einkommensgewinne zunichte macht. Eine kulturelle Interpretation des Zusammenhangs zwischen privaten Bildungsausgaben und Unterstützung für Umverteilung würde stärker die Bedeutung von normativen Erwartungen des Einzelnen an den Staat betonen. Demnach könnte es in den Ländern mit hohen privaten Bildungsausgaben eine stärkere kulturelle Unterstützung für individualistische Ansätze in der Wirtschafts- und Sozialpolitik geben, die die Rolle des Staates sowohl in Bildung als auch in der Wirtschaft allgemein kritisch bewerten. Umgekehrt könnte die Akzeptanz eines stärker eingreifenden und umverteilenden Sozialstaats in den Ländern höher sein, die kulturell kollektiven Lösungsansätzen eher zugeneigt sind. Das Bildungssystem selbst könnte eine wichtige Rolle bei der Ausprägung dieser kulturellen Normen und Erwartungen spielen, denn Menschen kommen naturgemäß zu einem frühen Zeitpunkt ihrer individuellen Bildungs- und Erwerbskarrieren mit dem Bildungswesen in Kontakt. Neben der Art der Bildungsfinanzierung spielt auch die relative Bedeutung der beruflichen im Verhältnis zur akademischen Bildung eine wichtige Rolle. Abbildung 4.4 belegt einen eindeutig negativen Zusammenhang zwischen dem Anteil der Schülerinnen und Schüler in beruflichen Bildungsgängen und dem Ausmaß an sozialer Ungleichheit (vgl. auch Busemeyer 2015: 191 sowie Estévez-Abe et al. 2001: 156), d. h. das Niveau sozialer Ungleichheit ist in den Ländern mit ausgebautem Berufsbildungssystem niedriger als in den anderen Fällen. Dieser Befund mag zunächst verwundern, denn ein weit ausgebautes Berufsbildungssystem kann auch dazu führen, dass Jugendliche aus eher bildungsfernen Schichten den vermeintlich einfacheren Weg über die Berufsbildung wählen, statt an die Universität zu gehen (Hillmert/ Jacob 2002; Stocké 2007). In diesem Sinne verstärkt ein starkes Berufsbildungssystem potenziell die Bildungsungleichheit, denn es werden unterschiedliche Bildungswege für unterschiedliche Klassen vordefiniert, was tendenziell zu einer Verstärkung von Klasseneffekten auf Bildungs- und Berufsentscheidungen beiträgt (Powell/ Solga 2011). <?page no="106"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 106 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 107 106 Der in Abbildung 4.4 dokumentierte Zusammenhang legt allerdings nahe, dass dieser Effekt aus einer erweiterten Perspektive betrachtet, die neben dem Bildungssystem auch den Arbeitsmarkt in den Blick nimmt, weniger ins Gewicht fallen könnte. Der Grund ist, dass ein gut ausgebautes System der beruflichen Bildung für Jugendliche mit schwächeren schulischen Leistungen durchaus Zugangswege zu gut bezahlter und relativ hoch qualifizierter Beschäftigung eröffnen kann. Dies gilt insbesondere in den Ländern, in denen eine ausgebaute Berufsbildung mit einer koordinierten Lohnpolitik einhergeht, sodass Arbeitnehmer mit beruflichen Fertigkeiten höhere Löhne erzielen können (vgl. Kapitel 4.3 sowie Busemeyer/ Iversen 2012). In Ländern ohne funktionierendes Berufsbildungssystem hingegen können Bildungsinstitutionen die Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt verstärken (Estévez-Abe et al. 2001): In den USA beispielweise gibt es einerseits Studierende, die ein College oder eine Universität besuchen, und andererseits diejenigen, die nach dem allgemeinen High-School-Abschluss ohne weitere Ausbildung auf den Arbeitsmarkt einmünden. Natürlich existieren auch in den USA einige Colleges mit einer stärker beruflichen Ausrichtung (z. B. die community colleges), Quelle: Anteil der Schülerinnen und Schüler in beru ichen Bildungsgängen, Durchschnitt 1997-2008, eigene Berechnungen auf der Grundlage von OECD Education Statistics Database, stats.oecd.org; Lohnungleichheit: Verhältnis der Löhne (vor Steuern und Transfers) von der 9. zur 1. Dezentile, Durchschnitt 1997-2008, OECD Earnings Inequality Database, stats.oced.org. Australien Österreich Belgien Kanada Dänemark Finnland Frankreich Deutschland Griechenland Irland Italien Japan Niederlande Norwegen Portugal Spanien Schweden Schweiz UK 2 3 4 5 Lohnungleichheit 0 20 40 60 80 Anteil Schüler/ −innen in beru icher Bildung Abbildung 4.4: Berufliche Bildung und soziale Ungleichheit. <?page no="107"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 106 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 107 107 aber dennoch sind in liberalen Ausbildungsregimen qualifizierte Fachkräfte auf dem mittleren Bildungsniveau weniger zahlreich vorhanden als in Ländern mit starker Berufsbildung (Marsden/ Ryan 1990, 1991), was langfristig zu einer höheren Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt beitragen kann. Wie weiter oben bereits an den Beispielen Schweden und Deutschland diskutiert wurde, unterscheiden sich Länder mit ausgebauter Berufsbildung in der institutionellen Ausgestaltung dieses Sektors ebenfalls. Dies hat Konsequenzen für die Frage der sozialen Ungleichheit. Das schwedische Modell mit einer stark schulisch ausgerichteten beruflichen Bildung, die zudem fest in das allgemeine Sekundarschulwesen integriert ist und daher klare Übergänge von der beruflichen in die hochschulische Bildung vorsieht, geht mit einem geringeren Maß an sozialer Ungleichheit einher, wie auch die Position Schwedens in der rechten unteren Ecke von Abbildung 4.4 verdeutlicht. Dies mag daran liegen, dass in diesem integrierten und inklusiven Ausbildungsregime (Busemeyer 2009a) berufliche Bildungsgänge effektiv Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs für Jugendliche mit weniger guten Startvoraussetzungen bieten. Im Gegensatz dazu erscheint das Potenzial der dual-betrieblichen Ausbildung zur Reduzierung von sozialer Ungleichheit geringer ausgeprägt. Deutschland befindet sich auf der y-Achse von Abbildung 4.4, die das Ausmaß sozialer Ungleichheit misst, auf einer weitaus höheren Position als Schweden, d. h. bei einem vergleichbar hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern in beruflichen Bildungsgängen ist das Ausmaß sozialer Ungleichheit in Deutschland wesentlich größer. Es gibt mehrere Gründe dafür, warum die betrieblich-duale Ausbildung weniger geeignet sein mag, zu einer effektiven Reduzierung von sozialer Ungleichheit beizutragen als schulisch ausgerichtete Berufsbildung: Zum einen spiegeln sich Einkommensunterschiede zwischen Berufsgruppen in der Hierarchie der Ausbildungsberufe wieder. Einige Ausbildungsberufe (z. B. Ausbildungsberufe in der Versicherungs- und Finanzindustrie, im Maschinenbau oder in der Automobilindustrie) sind heiß begehrt und bereits in der Ausbildungsphase solide bezahlt, da sie die Voraussetzung für gut entlohnte Jobs im späteren Berufsleben sind. Andere Ausbildungsberufe, zum Beispiel im Hotel- und Gaststättengewerbe oder in einfachen Dienstleistungen, führen hingegen häufig zu prekärer Beschäftigung. Ein zweiter Grund ist, dass die Übergänge zwischen betrieblich-dualer Ausbildung und Hochschulbildung wesentlich schwieriger sind als im Fall der schulischen Berufsbildungssysteme (Powell/ Solga 2011), selbst wenn in Ländern wie Deutschland mit dem Meister-Abschluss Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich der beruflichen Bildung existieren. Schulisch ausgerichtete Berufsbildungssysteme haben allerdings auch Nachteile. Ein wesentlicher Nachteil besteht darin, dass die Übergänge zwischen Schule und Beruf nicht so flüssig verlaufen wie in dualen Ausbildungswww.claudia-wild.de: <?page no="108"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 108 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 109 108 systemen (Breen 2005; Gangl 2003; Van der Welden/ Wolbers 2003; Wolbers 2007). In dualen Ausbildungssystemen sind Auszubildende in der Regel bereits in der Ausbildungsfirma angestellt. Ihre Ausbildung beinhaltet neben allgemeinen beruflichen Fertigkeiten auch stark firmenspezifische Elemente, sodass sie von den Arbeitgebern im Anschluss an die Ausbildung direkt produktiv eingesetzt werden können. Im Gegensatz dazu ist die Sucharbeitslosigkeit in schulisch ausgerichteten Berufsbildungssystemen höher, denn die Anbindung an Arbeitgeber fällt lockerer aus und ist bestenfalls durch Praktika gewährleistet. Hinzu kommt, dass die beruflichen Abschlüsse in schulischen Systemen in der Regel weniger spezifisch sind, sodass Arbeitgeber die Auszubildenden zunächst firmenintern weiterbilden müssen, bevor sie voll eingesetzt werden können. Diese kurzen Vergleiche legen einen ernüchternden Schluss nahe: Wenn Berufsbildungssysteme stärker schulisch ausgerichtet sind, gestalten sich die Übergänge von der beruflichen in die universitäre Bildung einfacher, was langfristig zu einer höheren sozialen Mobilität und geringer sozialer Ungleichheit beitragen kann. Diese Systeme haben allerdings mit einer persistent hohen Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen. Umgekehrt zeichnen sich dual-betriebliche Ausbildungssysteme durch besonders niedrige Jugendarbeitslosigkeitsquoten aus. Dafür ist wiederum das Maß an Bildungsungleichheit und -stratifizierung höher als in schulischen Systemen. Hybride Fälle wie Dänemark und Österreich, die-- auf unterschiedliche Weise-- eine starke duale Ausbildung mit vollzeitschulischen Elementen kombinieren, scheinen eher in der Lage zu sein, dieses Dilemma zu lösen als stärker idealtypische Fälle wie Deutschland und Schweden. Weiterführende Lektüre Breen, R. (2005). Explaining Cross-national Variation in Youth Unemployment. European Sociological Review, 21(2), 125-134. Busemeyer, M. R. (2015). Skills and Inequality: The Political Economy of Education and Training Reforms in Western Welfare States. Cambridge, New York: Cambridge University Press. Busemeyer, M. R., &- Iversen, T. (2012). Collective Skill Systems, Wage Bargaining, and Labor Market Stratification. In M. R. Busemeyer &-C. Trampusch (Eds.), The Political Economy of Collective Skill Formation (pp. 205-233). Oxford, New York: Oxford University Press. Powell, J. J. W., &-Solga, H. (2011). Why are higher education participation rates in Germany so low? Institutional barriers to higher education expansion. Journal of Education and Work, 24(1-2), 49-68. <?page no="109"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 108 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 109 109 Solga, H. (2012). Bildung und materielle Ungleichheiten: Der investive Sozialstaat auf dem Prüfstand. In R. Becker &-H. Solga (Eds.), Soziologische Bildungsforschung, Sonderheft 52 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (pp. 459-487). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 4.3 Spielarten des Kapitalismus, Arbeitsmärkte und Bildung Die Debatte um verschiedene »Spielarten des Kapitalismus« (Varieties of Capitalism, oder kurz: VoC) hat wesentlich dazu beigetragen, das Thema der politikwissenschaftlichen und international vergleichenden Bildungsforschung von der Peripherie ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken (Busemeyer/ Trampusch 2011). Im Folgenden möchte ich kurz die grundlegenden Charakteristika dieses Paradigmas darstellen (vgl. für eine umfassende Einführung: Schröder 2014) und dabei insbesondere die zentrale Rolle von Bildung herausarbeiten. Es folgt eine kritische Würdigung und Auseinandersetzung mit diesem Forschungsansatz. Das VoC-Paradigma wurde maßgeblich durch die Arbeiten von Peter Hall und David Soskice geprägt (Hall/ Soskice 2001). Hall und Soskice konnten dabei aber auf umfangreiche Vorarbeiten aus den 1980er- und 1990er-Jahren aufbauen, in denen bereits wesentliche Argumente der VoC- Schule entwickelt wurden (vgl. z. B. Crouch/ Streeck 1997; Finegold/ Soskice 1988; Streeck 1989, 1992; Soskice 1999). Über den grundlegenden Beitrag von Hall und Soskice hinaus sind ergänzende Beiträge auch in weiteren Publikationen zu finden, insbesondere in den gemeinsamen Arbeiten von Soskice und Iversen (Cusack et al. 2006; Estévez-Abe et al. 2001; Iversen/ Soskice 2001; Iversen 2005; Iversen/ Soskice 2009). Die zuletzt genannten Beiträge sind insbesondere wichtig, um die Verbindung zwischen nationalen Produktionsregimen einerseits und Bildungs- und Wohlfahrtsregimen andererseits zu verstehen. Was sind nun die Grundzüge des Paradigmas? Wie bereits im Titel des Ansatzes angedeutet, lautet die grundlegende These, dass kapitalistische bzw. marktwirtschaftliche Systeme in entwickelten OECD-Staaten institutionell sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können. Dies wäre an sich noch nicht bemerkenswert, denn es ist ja durchaus plausibel, dass unterschiedliche Länder mit verschiedenen politischen, institutionellen und kulturellen Kontexten ihre Wirtschaftssysteme unterschiedlich gestalten. Der innovative Beitrag <?page no="110"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 110 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 111 110 der VoC-Schule liegt darin, an dieser Stelle einen Schritt weiterzugehen und die These aufzustellen, dass den verschiedenen Varianten des Kapitalismus zwei idealtypische Modelle zugrunde liegen, die beide langfristig den Herausforderungen der ökonomischen Globalisierung gewachsen und beide ähnlich wirtschaftlich leistungsfähig sind: die liberalen Marktwirtschaften (liberal market economies, kurz: LMEs) einerseits und die koordinierten Marktwirtschaften (coordinated market economies, CMEs) andererseits. Diese These muss vor dem Hintergrund der Dominanz des Neoliberalismus als wirtschaftspolitisches Paradigma seit Anfang der 1980er-Jahre gesehen werden. Die VoC-Schule kann in diesem Sinne als Gegenthese zum Neoliberalismus gelten. Letzterer geht davon aus, dass wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Performanz dann am besten gewährleistet sind, wenn Staaten das liberale Paradigma möglichst weitgehend umsetzen. Demnach könne es somit nur eine Spielart des Kapitalismus geben, die langfristig den Herausforderungen der Globalisierung gewachsen ist. Im Gegensatz dazu behauptet der VoC- Ansatz, dass Marktwirtschaften, die dem idealtypischen Modell der koordinierten Marktwirtschaft sehr nahe kommen, genauso leistungsfähig sein können wie liberale Marktwirtschaften. Neben dem liberalen Wirtschaftsmodell gebe es also auch ein zweites, nämlich das koordinierte Modell, das langfristig überlebensfähig ist, und zudem noch andere positive Nebeneffekte produziert, wie etwa ein geringeres Maß an sozialer Ungleichheit (Pontusson 2005). Hall und Gingrich (2009) haben diese These im Rahmen einer umfangreichen statistischen Analyse untersucht und im Wesentlichen bestätigt: Je näher Staaten den idealtypischen Modellen einer LME bzw. einer CME kommen, desto besser ist die wirtschaftliche Performanz, d. h. desto höher ist das langfristige Wirtschaftswachstum. Im Gegensatz dazu weisen sich Mischmodelle, die verschiedene Elemente aus LMEs und CMEs kombinieren, durch eine schlechtere Performanz aus. Andere Arbeiten (Campbell/ Pedersen 2007; Kenworthy 2006) stellen diese Befunde allerdings in Frage, sodass insgesamt im Bezug auf die Auswirkungen der Spielarten des Kapitalismus auf wirtschaftliche Performanz keine gesicherte Evidenz vorliegt. Worin liegen die zentralen Unterschiede zwischen den beiden Idealtypen? Ausgangspunkt der Unterscheidung ist die Betrachtung von Firmen als zentralen Akteuren (Hall/ Soskice 2001: 4). Dies ist ein wichtiger Perspektivenwechsel in Abgrenzung zur Analyseperspektive der vergleichenden Policy- Forschung. In der Policy-Forschung stehen Akteure wie politische Parteien, Interessengruppen, Bürokraten oder Gesetzgeber im Mittelpunkt; im VoC- Ansatz sind es Unternehmen. Der zentrale Unterschied zwischen LMEs und CMEs liegt darin, welche unterschiedlichen Formen der Handlungskoordination den Unternehmen zur Verfügung stehen (ebd.: 15). In liberalen Markwirtschaften sind Unternehmen quasi gezwungen, auf Markt-Mechanismen <?page no="111"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 110 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 111 111 zurückzugreifen. Das heißt, Unternehmen reagieren auf die Handlungen ihrer Wettbewerber; eine gezielte Abstimmung und Koordinierung von Unternehmensstrategien auf der überbetrieblichen Ebene findet nicht statt. Im Gegensatz dazu können Unternehmen in koordinierten Marktwirtschaften auf nichtmarktliche Formen der Koordinierung zurückgreifen. Dies kann auch als »strategische« Koordinierung bezeichnet werden (Hall/ Gingrich 2009), da diese Art der Koordinierung die Verfolgung gemeinsamer Strategien und Ziele auf der überbetrieblichen Ebene ermöglicht. Eine entscheidende Rolle dabei spielen kollektive Akteure, d. h. Unternehmensverbände oder -kammern. Natürlich gibt es auch in liberalen Marktwirtschaften entsprechende Interessengruppen. Diese agieren jedoch eher im Sinne von pluralistischen Interessengruppen und können in der Regel gegenüber ihren Mitgliedern (den einzelnen Unternehmen) keine verbindlichen Entscheidungen durchsetzen. Dies sieht in koordinierten Marktwirtschaften anders aus, denn hier sind die Interessengruppenstrukturen stärker am korporatistischen statt am pluralistischen Modell ausgerichtet. Unternehmensverbände haben gegenüber ihren Mitgliedern eine gewisse Verpflichtungsfähigkeit, d. h. sie können kollektive Entscheidungen treffen, die für ihre Mitglieder bindend sind. Ein konkretes Beispiel wäre die Aushandlung eines Tarifvertrags durch einen Arbeitgeberverband, der dann von den einzelnen Unternehmen umgesetzt und angewendet wird. Diese Unterscheidung zwischen marktförmiger und strategischer Koordinierung zeigt sich in verschiedenen Teilsegmenten der politischen Ökonomie. Hall und Soskice (2001: 21-33) unterscheiden verschiedene institutionelle »Sphären« oder Teilsegmente von Ökonomien (vgl. stilisierend Abbildung 4.5): 1. Corporate Governance und Finanzsystem: Diese Dimension betrifft die institutionelle Ausgestaltung von Steuerungsprozessen innerhalb von Unternehmen und dabei insbesondere die Frage, wie Unternehmen ihre Finanzierung organisieren. Grundlegend ist hierbei die Unterscheidung zwischen shareholder capitalism und stakeholder capitalism. 2. Beziehungen zu Arbeitnehmern: Dazu gehört die Frage, welche Art der Beziehungen Unternehmen zur Arbeitnehmerschaft unterhalten. Hierbei kann weiter unterschieden werden zwischen Arbeitgeber-Arbeitnehmer- Beziehungen auf der Firmen-Ebene (z. B. zwischen Betriebsräten und Unternehmensleitungen) und solchen auf der kollektiven, überbetrieblichen Ebene (zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften). Diese Beziehungen können entweder konfliktiv-pluralistisch oder kooperativ-korporatistisch ausgestaltet sein. 3. Beziehungen zu anderen Firmen: In dieser Dimension spielen die unterschiedlichen Koordinierungsmechanismen (marktlich vs. strategisch <?page no="112"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 112 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 113 112 nicht-marktlich) eine zentrale Rolle, z. B. bei der Setzung gemeinsamer Standards. Auf der einen Seite können Unternehmen eher distanzierte Beziehungen unterhalten, d. h. Standards setzen sich durch Wettbewerb auf dem Markt durch. Auf der anderen Seite können Unternehmen auch explizit in der Entwicklung von Standards und beim Technologietransfer zusammenarbeiten. 4. Bildungssystem: Von zentraler Bedeutung für die unterschiedlichen Spielarten des Kapitalismus ist die institutionelle Ausgestaltung des Bildungssystems. Hier stehen vor allem diejenigen Bildungssektoren im Vordergrund, die unmittelbar an den Übergang auf den Arbeitsmarkt angrenzen, d. h. berufliche und hochschulische Bildung. Abgesehen von der Bedeutung des Bildungssystems als eine der wesentlichen institutionellen Stützpfeiler von politischen Ökonomien spielt Bildung darüber hinaus im VoC-Ansatz eine weitere wichtige Rolle: Der Kerngedanke von Hall und Soskice (2001) ist, dass die unterschiedliche institutionelle Ausgestaltung von politischen Ökonomien dazu führt, dass verschiedene Typen von Fertigkeiten (skills) in unterschiedlichen Maße vorhanden sind. Dies wiederum begünstige unterschiedliche Personal- und Innovationsstrategien, die dazu führen, dass Unternehmen in verschiedenen Varianten des Kapitalismus auf unterschiedlichen Produktmärkten wettbewerbsfähig sind. So kann erklärt werden, warum beide Spielarten ähnlich wirtschaftlich erfolgreich sind. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hall/ Soskice (2001) und Estévez-Abe et al. (2001). Corporate Governance Bildungssystem Humankapital Beziehungen zu Arbeitnehmern Beziehungen zu anderen Firmen Arbeitmarktspolitik Sozialpolitik Institutionelle »Sphären« Abbildung 4.5: Institutionelle Teilbereiche von politischen Ökonomien. <?page no="113"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 112 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 113 113 In der Unterscheidung von verschiedenen skills greifen Hall und Soskice (2001) auf die Unterscheidung zwischen general und specific skills zurück, die Gary Becker in seiner Theorie des Humankapitals entwickelt hat (Becker 1993). Allgemeine Fertigkeiten sind solche, die in unterschiedlichen Firmenkontexten in gleicher Weise zu einer Produktivitätssteigerung beitragen, während spezifischen Fertigkeiten im Extremfall nur in einer spezifischen Firma angewendet werden können. Laut Hall und Soskice (2001) führt das institutionelle Regime der koordinierten Marktwirtschaft dazu, dass Unternehmen und Individuen vor allem in spezifische Fertigkeiten investieren. Die hohe Verfügbarkeit von Individuen mit spezifischen Fertigkeiten wiederum trägt dazu bei, dass Unternehmen stärker inkrementelle Innovationsstrategien verfolgen. Das heißt, Unternehmen in CMEs zielen eher darauf ab, bestehende Produkte schrittweise, eben: inkrementell, zu verbessern, statt in hoher Geschwindigkeit gänzlich neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Deswegen sind sie besonders bei der Herstellung von Hochqualitätsgütern in Sektoren wie dem Maschinenbau, der Autoindustrie oder im Chemiebereich wettbewerbsfähig (Hall/ Soskice 2001: 42-43; vgl. grundlegend dazu auch schon Streeck 1992). In liberalen Marktwirtschaften hingegen investieren Unternehmen und Individuen in allgemeine Fertigkeiten, die schnell von einem Firmenkontext auf den anderen übertragen werden können. Aus diesem Grund zeichnen sich Unternehmen in LMEs durch radikale Innovationsstrategien und eine hohe Wettbewerbsfähigkeit in Produkt- und Dienstleistungsmärkten aus, die eine schnelle Reaktion auf sich verändernde Rahmenbedingungen erfordern, z. B. in der Informations- und Technologiebranche, der Biotechnologie oder der Pharmazie. In ihrer Betrachtung der Auswirkungen von institutionellen Regimen auf Unternehmensentscheidungen und -strategien weisen Hall und Soskice (2001: 17) auf die Bedeutung von institutionellen Komplementaritäten hin. Institutionelle Komplementaritäten liegen vor, wenn »das Vorhandensein (oder die Effizienz) einer Institution den Ertrag (oder die Effizienz) einer anderen Institution steigert« (ebd.: 17, Übersetzung des Autors). Dies bedeutet, dass die verschiedenen institutionellen Sphären von Ökonomien, die oben vorgestellt wurden, nicht willkürlich nebeneinander existieren, sondern funktional voneinander abhängen. Sie ergänzen sich quasi komplementär in ihrer Funktionsweise. Die Implikation dieser These-- die auch kritisch gesehen wird (siehe unten)- - ist, dass sich Ökonomien langfristig in Richtung entweder des einen oder des anderen idealtypischen Pols entwickeln werden. Wie oben erwähnt, sind Mischtypen aus Sicht des VoC-Paradigmas wirtschaftlich weniger produktiv, da die institutionellen Komplementaritäten zwischen den Sphären nicht optimal ausgenutzt werden können. Aus diesem <?page no="114"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 114 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 115 114 Grund, so die These, müssten sich Institutionen entweder in die eine oder andere Richtung anpassen, da alle Akteure-- Politiker und Unternehmen-- ein Interesse an der Steigerung der wirtschaftlichen Performanz haben. Wenn ein Land dann einmal entweder dem einen oder anderen Kapitalismustyp entsprechend nahe gekommen ist, müsste, so das Argument, dieses Arrangement ein langfristiges Gleichgewicht darstellen, da keine ökonomischen Anreize bestünden, sich aus diesem Regime wieder wegzubewegen. Diese Implikation des VoC-Ansatz ist natürlich vielfach kritisiert worden, denn in einigen paradigmatischen Fällen wie Deutschland lassen sich in den letzten Jahren deutliche Veränderungen beobachten, die in der Summe eine Liberalisierungstendenz belegen (Streeck 2009; Thelen 2014). Ich möchte im Folgenden diese recht abstrakten Zusammenhänge anhand von zwei Beispielen deutlich machen, die auch in Hall und Soskice (2001) als typische Vertreter der beiden Spielarten gesehen werden: Deutschland und die USA. Deutschland gilt als typischer Vertreter einer koordinierten Marktwirtschaft (vgl. Abbildung 4.6). Im Bereich der Finanzbeziehungen war Deutschland lange gekennzeichnet durch ein enges Netz an wechselseitigen Verflechtungen und Beteiligungen zwischen (Groß-)Unternehmen (der »Deutschland AG«), dass sich allerdings im letzten Jahrzehnt deutlich entflechtet hat (Höpner/ Krempel 2004). Darüber hinaus ist ein wesentliches Merkmal des stakeholder capitalism, dass Unternehmen in der Beschaffung von Kapital stärker auf Fremdkapitalfinanzierung durch Banken statt auf Aktienmärkte setzen. Aus Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hall/ Soskice (2001). Corporate Governance: Stakeholder Capitalism und »geduldiges Kapital« Beru iche Bildung Spezi sche Skills Industrielle Beziehungen mit starken Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden Kooperation mit anderen Unternehmen Koordinierte Marktwirtschaften Abbildung 4.6: Institutionelles Regime einer typischen koordinierten Marktwirtschaft. <?page no="115"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 114 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 115 115 diesen Gründen, so die These, sind Kapitalgeber eher bereit, kurzfristige Gewinneinbußen hinzunehmen, wenn dadurch langfristig Erträge erzielt werden können. Diese Langfristorientierung zeigt sich auch im Bereich der Personalpolitik bzw. konkret dem Engagement der Unternehmen in der beruflichen Bildung. Hier sind deutsche Unternehmen durchaus bereit, kurzfristige Kosten durch Investitionen in die Ausbildung Jugendlicher zu tragen (vgl. Pfeifer et al. 2010), die sich langfristig durch die Erträge einer gut ausgebildeten Arbeitnehmerschaft amortisieren. Diese Investitionen in berufliche Bildung werden durch kooperative Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gestützt und abgesichert. Gewerkschaften sind bereit, niedrigere Löhne für Auszubildende zu akzeptieren, um dadurch langfristig den Ausbildungsstand der Arbeitnehmerschaft zu verbessern. Arbeitgeber erklären sich im Gegenzug bereit, in die Ausbildung Jugendlicher zu investieren. Dabei kooperieren sie auch mit anderen Unternehmen, zum Beispiel indem sie gemeinsame Ausbildungsstandards entwickeln oder Unternehmen gemeinsam das berufliche Prüfungswesen in den Handwerks- und Industrie- und Handelskammern organisieren. Diese Beispiele zeigen, wie die unterschiedlichen Sphären ineinander greifen können und sich so gegenseitig stabilisieren. In den USA als typischer Fall einer liberalen Marktwirtschaft (Abbildung 4.7) liegen die Dinge anders. Im angelsächsischen Modell des Shareholder-Kapitalismus verlassen sich Unternehmen vor allem auf den Aktienmarkt, wenn sie frisches Kapital benötigen. Dadurch werden radikale Innovationsstrategien begünstigt, die kurzfristig hohe Erträge versprechen. Berufliche Bildung oder gar betriebliche Ausbildung spielen im US-amerika- Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hall/ Soskice (2001). Corporate Governance: Shareholder Capitalism Hochschul-Bildung Allgemeine Skills Kon iktgeladene Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit Wettbewerb mit anderen Unternehmen Liberale Marktwirtschaften Abbildung 4.7: Institutionelles Regime einer typischen liberalen Marktwirtschaft. <?page no="116"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 116 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 117 116 nischen Bildungssystem relativ zur akademischen Ausbildung an Colleges und Universitäten eine sehr untergeordnete Rolle, sodass die Arbeitnehmerschaft vor allem über allgemeine Fertigkeiten verfügt. Aus diesem Grund können Arbeitnehmer auch relativ leicht den Arbeitgeber wechseln, da ihre Fertigkeiten in verschiedenen Kontexten gleichermaßen eingesetzt werden können. Zwischen den Unternehmen herrscht ein starker Wettbewerb um gut ausgebildete Fachkräfte. Kollektive Ansätze zur Entwicklung gemeinsamer Standards oder zum Ausbau von Ausbildungsverbünden werden dadurch erschwert. Schließlich sind auch die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch ein hohes Maß an Konflikten gekennzeichnet. Da Arbeitgeberverbände vergleichsweise schwach aufgestellt und Gewerkschaften häufig nur auf betrieblicher Ebene stark sind, können auch hier kaum gemeinsame, klassenübergreifende Ansätze zur Entwicklung von beruflicher Bildung umgesetzt werden. Der ursprüngliche Ansatz von Hall und Soskice (2001) wurde durch die zeitnah erschienen Beiträge von Iversen und Soskice (2001) und Estévez- Abe, Iversen und Soskice (2001) in wesentlichen Punkten erweitert. Insbesondere weisen diese Beiträge auf die Rolle von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik als weitere Faktoren hin, die nationale Produktionsregime langfristig ergänzen und stabilisieren. Im Unterschied zu Hall/ Soskice (2001), in deren Perspektive Unternehmen die zentralen Akteure sind, geht es bei Iversen/ Soskice (2001) und Estévez-Abe et al. (2001) stärker um Individuen (Haushalte), die vor der Entscheidung stehen, in welche Form der (Aus-)Bildung sie investieren sollen. Der theoretische Rahmen baut dabei im Wesentlichen auf den Ansatz der rationalen Entscheidung (rational choice) auf (auch wieder in Anlehnung an Beckers (1993) Humankapitaltheorie). Aus dieser Perspektive entscheiden sich Individuen für diejenigen (Aus-)Bildungsinvestitionen, die die höchste langfristige Rendite im Sinne von bildungsbedingten Einkommenszuwächsen verspricht. Das grundlegende Problem dabei ist, dass Investitionen in spezifische Fertigkeiten mit einem gewissen Risiko einhergehen, denn sie sind definitionsgemäß nur in einer bzw. einer kleinen Zahl von Firmen voll einsetzbar. Das Risiko bei Investitionen in allgemeine Fertigkeiten ist geringer, denn diese können bei verschiedenen Arbeitgebern gleichermaßen eingesetzt werden. Insofern stellt sich für Unternehmen in koordinierten Marktwirtschaften, deren Produktions- und Innovationsstrategien auf eine hohe Zahl von Arbeitnehmern mit spezifischen Fertigkeiten ausgerichtet ist, die Frage, wie Arbeitnehmer davon »überzeugt« werden können, trotz des höheren Risikos in spezifische Fertigkeiten zu investieren. An dieser Stelle kommen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ins Spiel, denn sie sorgen in koordinierten Marktwirtschaften, so die These, für die notwenwww.claudia-wild.de: <?page no="117"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 116 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 117 117 dige Absicherung, so dass Individuen bereit sind, das höhere Risiko, welches mit Investitionen in spezifische Fertigkeiten einhergeht, zu akzeptieren. So führt ein ausgebauter Kündigungsschutz dazu, dass Individuen eher willens sind, in firmenspezifische Fertigkeiten zu investieren (Estévez-Abe et al. 2001: 154), denn sie können ihren Job ja nicht verlieren. Ein stark ausgebauter Kündigungsschutz trägt auch dazu bei, dass Unternehmen selbst eher in die Ausbildung ihrer Beschäftigten investieren (oder auch dazu gezwungen werden), denn die Wahrscheinlichkeit, dass diese den Arbeitgeber wechseln, ist geringer (Acemoglu/ Pischke 1998; Streeck 1989). Des Weiteren fördert-- so das Argument von Estévez-Abe et al. (2001: 154)-- eine großzügig ausgebaute Arbeitslosenversicherung Investitionen in industriespezifische Fertigkeiten. Diese sind im Vergleich zu firmenspezifischen Fertigkeiten eher übertragbar, wenngleich lediglich mit begrenzter Reichweite, z. B. in einem bestimmten Industriesektor. Eine großzügige Arbeitslosenversicherung ermöglicht es Arbeitnehmern mit spezifischen Fertigkeiten auf ihrer Jobsuche, auf ein Angebot zu warten, in dem sie einen möglichst großen Teil ihrer spezifischen Fertigkeiten verwenden können. Zusammengenommen zeigen diese Beispiele, dass ein ausgebauter Kündigungsschutz und eine großzügige Arbeitslosenversicherung in koordinierten Marktwirtschaften die wichtige Funktion haben, Arbeitnehmer davon zu überzeugen, in spezifische Fertigkeiten zu investieren. In liberalen Marktwirtschaften hingegen ist der Kündigungsschutz auf deregulierten und flexiblen Arbeitsmärkten auf einem niedrigen Niveau, und auch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung sind weniger großzügig ausgestaltet (vgl. schon Esping-Andersen 1990). Aus diesen Gründen bleibt den Arbeitnehmern nichts anderes übrig, als in allgemeine Fertigkeiten zu investieren, um so ihre Beschäftigungsmöglichkeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zu maximieren. Iversen und Soskice (2001) ergänzen die Perspektive von Estévez-Abe et al. (2001) durch die Untersuchung der Frage, ob Individuen mit spezifischen Fertigkeiten denn tatsächlich eine höhere sozial- und arbeitsmarktpolitische Absicherung verlangen. Zu diesem Zweck entwickeln sie einen Indikator, der das Ausmaß an Investitionen in spezifische Fertigkeiten misst, die ein Individuum getätigt hat. Auf der Grundlage einer Untersuchung von Umfragedaten aus zehn OECD-Ländern können sie bestätigen, dass Individuen, die über mehr spezifische Fertigkeiten verfügen, tatsächlich mehr Sozialausgaben fordern, selbst wenn man statistisch für mögliche andere Erklärungsfaktoren wie Einkommen, Geschlecht, Alter, Bildungsstand etc. kontrolliert (Iversen/ Soskice 2001: 884; vgl. auch Cusack et al. 2006). Die breitere Relevanz dieser Befunde erschließt sich erst, wenn man ihre Implikationen für die politischen und institutionellen Grundlagen von Wohlfahrtsstaaten bedenkt. Wie in Kapitel 2 erwähnt, haben die Machtreswww.claudia-wild.de: <?page no="118"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 118 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 119 118 sourcen- und die Parteiendifferenztheorie starke Gewerkschaften und starke Linksparteien als wesentliche Triebkräfte wohlfahrtsstaatlicher Expansion identifiziert (vgl. Korpi 1983; Stephens 1979). Der VoC-Ansatz stellt nun die kontraintuitive These auf, dass auch Arbeitgeber-- zumindest in koordinierten Marktwirtschaften-- den Ausbau des Sozialstaats unterstützen könnten, um Arbeitnehmer dazu zu ermuntern, in spezifische Fertigkeiten zu investieren. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die VoC-These vehemente Kritik aus dem Lager der Machtressourcentheoretiker erfahren hat (Korpi 2006), die bezweifelt, dass Arbeitgeber ein genuines Interesse am Ausbau von Sozialpolitik haben könnten. Darüber hinaus ist der VoC-Ansatz auch in anderen Punkten auf Kritik gestoßen. Eine umfassende Darstellung dieser Debatte würde an dieser Stelle zu weit führen (vgl. für einen Überblick: Deeg/ Jackson 2006; Hancké 2009; Schröder 2014). Ich möchte mich daher auf diejenigen Punkte konzentrieren, die einen starken Bezug zur Bildungsthematik haben (vgl. ausführlicher Busemeyer 2009a; Streeck 2012). Der Dreh- und Angelpunkt dieser Kritik ist die Unterscheidung zwischen general und specific skills, die Hall und Soskice (2001) in Anlehnung an Becker (1993) verwenden. Aus der VoC-Perspektive wird daher das deutsche Berufsbildungssystem als typisches Beispiel eines Specific-skill-Systems betrachtet. Für Kenner des Systems ist diese Einstufung verwunderlich, denn eine komparative Stärke des dualen Ausbildungsmodells ist nicht das hohe Maß an Spezifizität, das in der Ausbildung vermittelt wird, sondern die berufliche Breite. Die Stärke des dualen Modells liegt in der Kombination dieser breiten Ausbildung in bestimmten Berufsfeldern mit genuin firmenspezifischen Ausbildungselementen. Die berufliche Breite hat für Arbeitnehmer eine Absicherungsfunktion, denn sie gewährleistet, dass Ausbildungsabsolventen auch in anderen Firmen als der Ausbildungsfirma eingesetzt werden können. Dies macht es wiederum für Arbeitgeber leichter, sich an der Ausbildung zu beteiligen, selbst wenn sie nicht planen, alle Auszubildenden zu übernehmen. Auch Gewerkschaften haben ein Interesse daran, Berufsbilder möglichst breit zu schneiden, damit die berufliche Mobilität nicht zu stark eingeschränkt wird (Streeck 1994). Langfristig profitieren auch Unternehmen von der »Überinvestition« in berufliche Ausbildung. Wenn in der Ausbildung breite Grundlagen gelegt werden, können Arbeitnehmer später flexibler und ohne allzu großen Weiterbildungsaufwand eingesetzt werden. Unter dem Strich ist somit festzuhalten, dass es in koordinierten Marktwirtschaften wie der deutschen nicht primär um die Vermittlung von hochspezifischen Fertigkeiten im Sinne Beckers (1993) geht, sondern vielmehr um Investitionen in breiter angelegte berufliche Fertigkeiten. Im Gegensatz dazu zeigt sich in liberalen Marktwirtschaften eher eine starke Differenzierung in <?page no="119"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 118 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 119 119 unspezifische, allgemeine Fertigkeiten, die im Schulsystem oder an Colleges und Universitäten vermittelt werden, einerseits, und hochspezifischen Fertigkeiten andererseits, die in Form von kurzfristigen Anlern-, Weiterbildungs- und Trainingsprogrammen vermitteln werden (training on the job). Diese Perspektivenverschiebung hat bedeutsame Konsequenzen für das Theoriegebäude des VoC-Ansatzes. Wenn die in dualen Ausbildungssystemen vermittelten Fertigkeiten nicht vollkommen spezifisch im Sinne Beckers (1993) sind, sondern so breit angelegt, dass sie sich prinzipiell auch transferieren lassen (zumindest in einem bestimmten Berufsfeld), dann ist der Bedarf nach sozialpolitischer Absicherung für Arbeitnehmer ebenfalls geringer. Warum sollten sie eine sozialpolitische Absicherung verlangen, wenn ihnen über ihre Ausbildung auch andere Beschäftigungsmöglichkeiten offenstehen? Im Gegenzug stellt sich nun eher die Frage, warum Unternehmen bereit sind, in die Ausbildung ihrer Beschäftigten zu investieren, wenn diese im Anschluss den Arbeitgeber wechseln könnten, sobald ein Konkurrent höhere Löhne bietet. Im Fall Deutschlands jedenfalls erfreut sich die duale Ausbildung bei Jugendlichen weiterhin hoher Beliebtheit, und es sind eher die Unternehmen, die sich graduell aus der Ausbildung zurückziehen und somit eine Verknappung des Angebots an Ausbildungsplätzen bewirkten (vgl. ausführlicher Busemeyer 2009e). Darüber hinaus verkennt das Argument von Iversen und Soskice (2001) sowie Estévez-Abe et al. (2001) die realen Bedingungen, unter denen Bildungsentscheidungen in gegliederten Schulsystem stattfinden. Jugendliche mit schwächeren Schulleistungen haben nicht die freie Wahl zwischen Universität oder Berufsausbildung. Wenn sie keinen Ausbildungsplatz finden, verbleiben sie als Niedrigqualifizierte auf dem Arbeitsmarkt mit geringen Beschäftigungsaussichten. Insofern müssen sie nicht erst vom Wert der Investition in berufliche Fertigkeiten überzeugt werden. Die grundlegende Frage ist damit nicht mehr, welche Institutionen oder Politiken die Bereitschaft der Individuen erhöhen, in »spezifische«, d. h. berufliche Ausbildung zu investieren, sondern welche Institutionen dazu führen, dass Arbeitgeber sich stärker in der Ausbildung engagieren. Der Ansatz der institutional political economy (Streeck/ Thelen 2005; Streeck 2009) betont daher stärker die unterschiedliche Einbettung von Unternehmen in soziale Netzwerke als Begründung dafür, warum Unternehmen in koordinierten Marktwirtschaften bereit sind, sich an der Bereitstellung von Kollektivgütern zu beteiligen. Im Vergleich zum eher rationalistisch argumentierenden VoC-Ansatz wird hier demnach eine stärker soziologisch ausgerichtete Perspektive entwickelt, denn Unternehmen handeln nicht nur auf Grundlage von rationalen Entscheidungen, sondern reagieren auch auf soziale Anreize. Hier spielen Unternehmensverbände, aber auch Kammern und <?page no="120"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 120 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 121 120 andere intermediäre Assoziationen (Streeck/ Schmitter 1985), eine zentrale Rolle (vgl. auch Martin/ Swank 2008, 2012). Bei aller Kritik lässt sich dennoch zusammenfassend festhalten, dass der VoC-Ansatz wesentlich dazu beigetragen hat, die Bildungsforschung aus der Perspektive der vergleichenden politischen Ökonomie und der vergleichenden Policy-Forschung voranzutreiben. Insbesondere ist zu betonen, dass der VoC-Ansatz eine neue Perspektive auf das Verhältnis zwischen Bildung und Sozialpolitik entwickelt hat. Der Machtressourcenansatz erklärt Ähnlichkeiten in der institutionellen Ausgestaltung von Bildungs- und Sozialpolitik mit der Dominanz bestimmter politischer Interessen in Zeiten kritischer Weichenstellungen (vgl. Kapitel 4.1). Der VoC-Ansatz hingegen betont die funktionalen Komplementaritäten zwischen den beiden Bereichen: Ein gut ausgebauter Sozialstaat geht mit einem stärkeren Berufsbildungssystem einher, da Sozialpolitik dabei hilft, Investitionen in spezifische Fertigkeiten zu schützen. Iversen und Stephens (2008) haben als zwei prominente Vertreter der beiden Lager versucht, die unterschiedlichen Perspektiven zusammenzuführen. Ein wichtiger Befund dieser Unternehmung ist die Feststellung, dass der Machtressourcenansatz besonders dann erklärungsstark ist, wenn es um die Erforschung der historischen und politischen Ursprünge von Bildungssystemen geht. Der VoC-Ansatz hingegen kann dazu beitragen zu verstehen, warum diese institutionellen Regime auch heute in Zeiten wirtschaftlicher Globalisierung in weiten Teilen stabil sind. Weiterführende Lektüre Busemeyer, M. R. (2009). Asset specificity, Institutional Complementarities and the Variety of Skill Regimes in Coordinated Market Economies. Socio-Economic Review, 7(3), 375-406. Estevez-Abe, M., Iversen, T., &-Soskice, D. (2001). Social Protection and the Formation of Skills: A Reinterpretation of the Welfare State. In P. A. Hall &-D. Soskice (Eds.), Varieties of Capitalism: The Institutional Foundations of Comparative Advantage (pp. 145-183). Oxford, New York: Oxford University Press. Hall, P. A., &-Soskice, D. (Eds.). (2001). Varieties of Capitalism: The Institutional Foundations of Comparative Advantage. Oxford, New York: Oxford University Press. Iversen, T., &-Soskice, D. (2001). An Asset Theory of Social Policy Preferences. American Political Science Review, 95(4), 875-893. <?page no="121"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 120 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 121 121 Iversen, T., &-Stephens, J. D. (2008). Partisan Politics, the Welfare State, and Three Worlds of Human Capital Formation. Comparative Political Studies, 41(4-5), 600-637. Streeck, W. (2012). Skills and Politics: General and Specific. In M. R. Busemeyer &-C. Trampusch (Eds.), The Political Economy of Collective Skill Formation (pp. 317-352). Oxford, New York: Oxford University Press. <?page no="122"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 122 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 123 <?page no="123"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 122 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 123 123 5 Neuere Trends und Entwicklungen Im folgenden Kapitel möchte ich verschiedene neuere Trends und Entwicklungen in der Bildungspolitik diskutieren, die im Vergleich zu den in den vorangegangenen Kapiteln erörterten Themen eher den Charakter von Querschnittsthemen haben und dabei über den Kontext einzelner Länder hinaus eine Wirkung entfalten. 5.1 Internationalisierung und Europäisierung von-Bildungspolitik An erster Stelle ist die Internationalisierung und Europäisierung von Bildungspolitik zu nennen. In diesem Zusammenhang möchte ich zweierlei diskutieren: Zunächst geht es um das Aufkommen von internationalen Vergleichsstudien zur Messung von Bildungsleistungen wie PISA, TIMSS oder IGLU und deren Rückwirkungen auf die nationale Bildungspolitik. Im Anschluss verfolge ich die zunehmende Europäisierung von Bildungspolitik, und schließe mit einigen Ansätzen, die diese Entwicklungen zu erklären versuchen. Infokasten Übersicht über international vergleichende Bildungsstudien PISA-Studie PISA-Studien werden seit dem Jahr 2000 alle drei Jahre durchgeführt. In diesem Rahmen untersucht man die Leistungen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern sowie deren Lernmotivation, ihre Selbsteinschätzung und ihre Lernstrategien. Gegenstand der Tests ist nicht das Beherrschen von Lehrplaninhalten. Vielmehr- geht um die Fähigkeit oder Kompetenz, Wissen in der Praxis anzuwenden. Außerdem wird der Einfluss von sozialer Herkunft, Geschlecht oder Migrationshintergrund auf das Leistungsniveau erfasst. PISA bietet damit- Orientierungspunkte zur Verwirklichung von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem (http: / / www.oecd.org/ berlin/ themen/ pisa-hintergrund. htm, Abruf am 20. November 2014). i <?page no="124"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 124 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 125 124 TIMSS TIMSS (Trends in International Mathematics and Science Study) erfasst das mathematische und naturwissenschaftliche Grundverständnis von Schülerinnen und Schülern am Ende der 4.- Jahrgangsstufe in einem vierjährigen Rhythmus (http: / / www.kmk.org/ bildung-schule/ qualitaets sicherung-in-schulen/ bildungsmonitoring/ internationale-schulleistungs vergleiche/ timss.html, Anruf am 20. November 2014). PIRLS/ IGLU PIRLS/ IGLU steht für Progress in International Reading Literacy Study mit dem Übersetzungsäquivalent Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung. Mit diesem Projekt wird in einem fünfjährigem Rhythmus das Leseverständnis der Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschulzeit (4.-Jahrgangsstufe) unter den Aspekten Verstehensprozess und Leseintention erfasst (http: / / www.kmk.org/ bildung-schule/ qualitaetssicherungin-schulen/ bildungsmonitoring/ internationale-schulleistungsvergleiche/ pirlsiglu.html, Abruf am 20. November 2014). Der Einfluss von PISA &-Co. auf die deutsche Bildungspolitik Internationale Vergleichsstudien zur Messung von Bildungsleistungen gibt es bereits seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Schwerpunkten, wenngleich sich die politische Debatte um diese Vergleiche seit der prominenten PISA-Studie wesentlich intensiver gestaltet (vgl. für einen Überblick: Knodel et al. 2010). Wie bereits in Kapitel 3 erwähnt, wurde die PISA-Studie erstmals im Jahr 2000 und seitdem im Abstand von drei Jahren durch die OECD durchgeführt. Das Ziel der Studie ist der Vergleich der Bildungsleistungen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Die PISA-Studien werden ergänzt durch die IGLU-Studie, die Leseleistungen von Grundschülern am Ende der Grundschulzeit erfasst, die TIMSS-Studie, die Mathematik-Kompetenzen von Grundschülern abfragt, sowie durch die im Jahr 2012 durchgeführte PIAAC-Studie, die erstmals seit dem International Adult Literacy Survey (Mitte der 1990er-Jahre) die Bildungskompetenzen von Erwachsenen erfasst. Auch auf nationaler Ebene kommen zunehmend vergleichende Bildungstests zum Einsatz, was mit einer Veränderung der Governance-Mechanismen von der inputzur output-orientierten Steuerung einhergeht (vgl. Kapitel 5.2). Die Bildungssoziologie (vgl. als Überblick: Allmendinger et al. 2009) untersucht, welche individuellen Faktoren unterschiedliche Bildungsleistungen erklären können. Darüber hinaus lassen sich mit Hilfe von internationawww.claudia-wild.de: <?page no="125"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 124 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 125 125 len Vergleichsstudien auch Länderunterschiede im Hinblick auf die Stärke des Zusammenhangs zwischen sozialem Hintergrund und Bildungsleistung herausarbeiten (vgl. Kapitel 4.2). Nicht zuletzt wird zunehmend untersucht, wie die institutionelle Ausgestaltung des Bildungssystems Bildungsungleichheiten beeinflussen kann (Freitag/ Schlicht 2009; Pfeffer 2008; Schlicht 2010; Schlicht et al. 2010). Wesentliche Befunde dieser Forschung habe ich bereits in Kapitel 4.2 diskutiert. Aus der Perspektive der vergleichenden Policy-Forschung betrachtet, ist darüber hinaus die Frage von Bedeutung, warum die PISA-Studie (und ähnliche Studien) in einigen Ländern eine intensive öffentliche und politische Debatte um Bildungsreformen ausgelöst hat, während dies in anderen Ländern mit vergleichbaren Leistungen nicht geschah. Ein erstes konkretes Beispiel ist der Fall England (Knodel 2010). Obwohl- - wie in Kapitel 3 skizziert- - Großbritannien bereits in der ersten Welle der PISA-Studie nicht besonders gut abschnitt und in den folgenden Jahren sogar noch weiter zurückfiel, hat die PISA-Studie in diesem Land das Interesse der Öffentlichkeit nur in geringem Maße geweckt. Nach Knodel (2010: 171) verfolgten Politiker eine Pick-and-choose-Strategie: »Gute Ergebnisse wurden als Beweis für effiziente Bildungspolitik gefeiert, schlechte ignoriert […].« Auch in anderen angelsächsischen Ländern wie den USA war das öffentliche Echo auf die PISA-Studie gering, obwohl auch hier die Ergebnisse unterdurchschnittlich ausfielen und die USA noch in den 1980er-Jahren die Entwicklung international vergleichbarer Indikatoren zur Messung von Bildungsleistungen innerhalb der OECD vorangetrieben hatten (Martens 2010). Im Gegensatz zu England befand sich Deutschland »[i]m Zentrum des PISA-Sturms« (Niemann 2010: 59). Besonders die erste PISA-Studie aus dem Jahr 2000 führte zu heftigen Debatten in der Öffentlichkeit. Dieser bereits erwähnte PISA-Schock wird häufig durch die besonders große Kluft zwischen den Erwartungen und den tatsächlichen Ergebnissen erklärt (ebd.: 69). Die Selbstwahrnehmung Deutschlands als Bildungsnation passte nicht zu den unterdurchschnittlichen PISA-Ergebnissen. Darüber hinaus bescheinigte die PISA-Studie Deutschland ein im internationalen Vergleich hohes Maß an Bildungsungleichheit (Allmendinger/ Leibfried 2003: 71). Diese Kombination aus unterdurchschnittlichen Leistungen mit hoher Bildungsungleichheit war sicherlich eine denkbar ungünstige. In Folge des PISA-Schocks setzte man eine Reihe von Bildungsreformen um, die einzeln betrachtet vielleicht eher einen inkrementellen Charakter haben, in der Gesamtbetrachtung aber durchaus zu einer deutlichen Veränderung des deutschen Bildungssystems beigetragen haben und noch beitragen werden (vgl. ausführlicher die Fallstudie in Kapitel 3.2.1). Zu nennen wären hier beispielsweise die schrittweise Fusion von Haupt- und Realschule zu einer neuen Schulform in vielen Bunwww.claudia-wild.de: <?page no="126"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 126 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 127 126 desländern, die Einführung neuer Steuerungsmechanismen (vgl. Kapitel 5.2) oder die Verkürzung der Gymnasialschulzeit von neun auf acht Jahre in einigen Bundesländern. Wie kann man erklären, dass ein vergleichbar schlechtes Abschneiden in manchen Fällen zu hitzigen Debatten und signifikanten Bildungsreformen führt, in anderen Fällen wiederum kaum eine Reaktion von Politikern erfolgt? Zum besseren Verständnis dieser Frage mag der von Kingdon (2011) entwickelte Multiple-Streams-Ansatz beitragen. Kingdon unterscheidet zwischen drei unterschiedlichen streams, die alle zusammenwirken müssen, damit sich ein Reformfenster öffnet: Als erstes nennt Kingdon den problem stream. Dieser betrifft das Vorhandensein einer bestimmen Problemlage, die sich häufig auch in krisenhafter, zugespitzter Form manifestieren kann. Der PISA-Schock ist ein gutes Beispiel für eine solche Problemlage, andere wären Großkrisen wie Nuklearkatastrophen oder wirtschaftliche Rezessionen. Das Vorhandensein eines konkreten Problems ist jedoch kein hinreichender Grund, um eine Policy-Reaktion auszulösen, sondern bestenfalls ein notwendiger. Das heißt, es müssen andere Nebenbedingungen erfüllt sein, damit ein konkretes Problem auch tatsächlich von dem politischen System als solches erkannt und politisch bearbeitet wird. In diesem Sinne verweist Kingdon’s Ansatz auf die zentrale Rolle von Ideen, die im zweiten, dem policy stream eine zentrale Rolle spielen. Kingdon stellt hier die Analogie zu einer »Ursuppe« (Kingdon 2011: 116) her, in der verschiedenste Ideen umherschwirren, von denen einige glaubhafte Lösungen zu dem vorhandenen Problem darstellen können. Ideen beeinflussen auch die Frage, welche sozialen Phänomene überhaupt als politisch zu bearbeitendes Problem betrachtet werden. Die Problemwahrnehmung kann je nach Kontext sehr unterschiedlich ausfallen. Im Jahr 1972 beispielsweise proklamierte Helmut Schmidt: »Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit! « 9 Heutzutage würde eine Arbeitslosenrate von fünf Prozent als großer wirtschaftspolitischer Erfolg gefeiert, während kaum vorstellbar ist, dass die Europäische Zentralbank eine Inflationsrate von fünf Prozent tolerieren würde. Neben dem problem und dem policy stream gibt es allerdings noch einen dritten, den political stream, und dieser ist letztlich entscheidend. Nach Kingdon öffnet sich ein Reformfenster nur dann, wenn bei Vorhandensein einer konkreten Problemlage Lösungsvorschläge existieren, deren Umsetzung zudem den politischen Interessen mächtiger Akteure dienen. Das heißt umgekehrt, dass nicht jedes Problem automatisch bearbeitet wird, selbst wenn konkrete Lösungsansätze vorliegen. Dahinter steht implizit das Argument, 9 http: / / www.sueddeutsche.de/ wirtschaft/ inflation-gegen-die-krise-mehr-geld- 1.1722576 (Abruf am 14. November 2014). <?page no="127"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 126 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 127 127 dass es in diesem Sinn keine politisch neutralen Lösungsansätze geben kann, sondern diese immer politische Implikationen haben und sich auf das bestehende Machtgefüge auswirken können. Darüber hinaus argumentiert Kingdon, dass die drei streams nicht automatisch zusammenfließen, sondern häufig durch einen policy entrepreneur (ebd.: 179) aktiv gekoppelt werden müssen. Kingdon definiert diese als »Akteure, die bereit sind, Ressourcen in Form von Zeit, Energie, Reputation und Geld zu investieren, um eine politische Position voranzutreiben, die ihnen langfristig einen Nutzengewinn« verspricht (ebd.: 179, Übersetzung des Autors). Das heißt, policy entrepreneurs engagieren sich zum Beispiel durch die Einbringung von konkreten Vorschlägen oder das Organisieren von politischen Mehrheiten in der Hoffnung darauf, langfristig dadurch ihre Ziele besser zu verwirklichen. Wie kann dieser Ansatz auf den Fall des PISA-Schocks in Deutschland angewendet werden? Das Vorhandensein einer akuten Problemlage ist offensichtlich: das schlechte Abschneiden bei der PISA-Studie und die damit einhergehende öffentliche Debatte. Darüber hinaus können sich verschiedene Policy-Ideen identifizieren lassen, die sich plausibel als Lösungen der anstehenden Probleme eignen. So wurde in der Debatte gerne auf den PISA- Gewinner Finnland als Reformmodell verwiesen (Overesch 2007), da es Finnland gelungen war, sowohl im Hinblick auf die durchschnittlichen Leistungen als auch bei der Gleichheit der Verteilung von Bildungschancen überdurchschnittlich gut abzuschneiden (Allmendinger/ Leibfried 2003). Da Finnland wie die anderen skandinavischen Länder und im Gegensatz zu Deutschland ein integriertes Gesamtschulsystem auf der Sekundarschulebene hat, gab dies den Befürwortern des Gesamtschulmodells politischen Auftrieb. In den Bundesländern, in denen diese Akteure (in der Regel Koalitionsregierungen aus SPD und Grünen) eine politische Mehrheit hatten, konnte auch unter Verweis auf PISA die erwähnten Schulstrukturreformen, die das gegliederte Schulsystem teilweise reformierten, umgesetzt werden. Ein zweites Beispiel ist die Einführung von neuen Steuerungsmechanismen und nationaler Bildungstests (vgl. Kapitel 5.2). Die PISA-Studie hatte die Durchführung von nationalen und internationalen Vergleichsstudien mit dem Ziel der output-orientierten Qualitätskontrolle politisch legitimiert. Dies führte ähnlich wie im internationalen Kontext zu einer Zentralisierung der Kompetenzen für vergleichende Bildungsstudien auf der nächsthöheren Ebene. Die Rolle der Bundesregierung im föderalen deutschen Bildungssystem war, wie oben erwähnt, schon immer beschränkt und wurde im Zuge der Föderalismusreform weiter beschnitten. Die Akteure auf der Bundesebene hatten somit ein starkes Interesse daran, dass-- wieder unter Verweis auf PISA-- auf nationaler Ebene Institutionen etabliert wurden, die die Rolle des Bundes in der Überwachung nationaler Bildungsstandards und bei der <?page no="128"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 128 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 129 128 Durchführung entsprechender Vergleichsstudien bewahrte. Bezeichnenderweise wurde mit der Föderalismusreform 2006, die im Allgemeinen weitere bildungspolitische Kompetenzen vom Bund auf die Länder übertrug, Artikel 91b, Absatz 2 neu in das Grundgesetz aufgenommen, der Vereinbarungen von Bund und Ländern »zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich« erlaubte. Auch dies könnte somit als Beispiel dafür gedeutet werden, wie politisch einflussreiche Akteure (hier der Bund) Policy-Ideen und konkrete Problemlagen dafür nutzen, ihre politischen Interessen zu schützen. Ein drittes Beispiel ist die Umstellung der Steuerungsformen des Bildungssystems, insbesondere die Ablösung der traditionell starken Orientierung auf Inputs (z. B. Lehrerstellen, Bildungsausgaben etc.) zu Gunsten einer stärkeren Ausrichtung auf bildungspolitische Outputs (Bildungsleistungen) (vgl. auch das folgende Unterkapitel 5.2). Bezeichnend ist, dass in der »Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring« (KMK/ IQB 2006) explizit auf PISA und ähnliche Studien verwiesen wird, die diesen Perspektivenwechsel ausgelöst hätten: »Wurde in der deutschen Schuldebatte traditionell vor allem auf die Frage passender Strukturen und die Festlegung von inhaltlichen Vorgaben besonderer Wert gelegt, so werden in jüngster Zeit, angeregt durch die PISA-Ergebnisse und internationale Ent wicklungen, Prozesse und Ergebnisse des Lernens verstärkt in den Blick genommen.« (ebd.: 6) Aus der Perspektive der Multiple-Streams-Theorie kann dieser Prozess so interpretiert werden: In Reaktion auf eine bestehende bzw. wahrgenommene Problemlage (PISA-Schock) wird von politischen Akteuren ein Policy-Instrument präsentiert (neue Steuerungsformen), das auf glaubwürdige Weise mit dem Problem in Verbindung gebracht werden kann (Kingdon (2011) spricht hier vom Prozess der Koppelung der verschiedenen streams). Es ist jedoch keineswegs gegeben, dass dieses Policy-Instrument tatsächlich eine effektive oder die einzig mögliche Problemlösung darstellt. Ob ein bestehendes Policy-Instrument als Lösung für ein wahrgenommenes Problem zum Einsatz kommt, hängt auch maßgeblich von den politischen Verhältnissen ab (dem politics stream). Der Verweis auf konkrete Problemlagen kann dann auch zu einem Legitimierungsinstrument werden: Unter Verweis auf PISA lassen sich Reformen voranbringen, die ohne diese Krisenlage am Widerstand mächtiger Interessen gescheitert wären-- im vorliegenden Beispiel etwa der Lehrerschaft, die sich gegen eine zu weit gehende Orientierung auf Outputs wehren könnte. <?page no="129"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 128 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 129 129 Europäisierung von Bildungspolitik 10 Wie in anderen Politikfeldern auch, hat sich die Europäische Union im Bereich der Bildungspolitik im Lauf der Jahrzehnte Kompetenzen erkämpft, die ihr anfangs nicht zustanden und nach dem Willen der Mitgliedstaaten häufig auch nicht zustehen sollten. Eine extensive, d. h. dezidiert proeuropäische Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und eine aktivistische Kommission (Ertl 2003; Shaw 1999) 11 haben den bildungspolitischen Handlungsspielraum der EU-Ebene stückweise erweitert. Die Mitgliedstaaten haben darauf zum Teil mit einer expliziten Beschränkung der formalen Kompetenzen der EU-Institutionen reagiert (z. B. durch die Festschreibung eines Harmonisierungsverbots der Bildungssysteme im Maastricht-Vertrag), ohne jedoch dadurch den langfristigen Trend der Europäisierung aufhalten zu können- - nicht zuletzt auch, weil sie besonders in der letzten Phase der Europäisierung selbst aktiver daran mitgewirkt haben. In der Anfangsphase des europäischen Integrationsprojekts spielte Bildungspolitik lediglich eine marginale Rolle (Fahle 2008). Von Bedeutung war hier allenfalls die wechselseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen zur Sicherung der Freizügigkeit der Arbeitskräfte. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, als das Projekt der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes und der Integrationsprozess als solches durch die Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) neuen Auftrieb erhielt, wurde die Kommission auch in der Bildungspolitik aktiver. In diesen Zeitraum fällt die Gründung des ERASMUS-Programms zur Förderung des Studierenden- und Lehrendenaustauschs zwischen den Hochschulen der Mitgliedstaaten. Nach Shaw (1999: 564) war dies auch eine Reaktion auf ein zuvor ergangenes Urteil des EuGH, der Beschränkungen des Zugangs von EG-Ausländern für nicht mit Europäischem Recht vereinbar erklärt hatte. Die Kommission forcierte die Expansion ihrer Kompetenzen im Bildungsbereich durch die Auflage einer Reihe von Gemeinschaftsprogrammen, in denen Bildung nicht mehr ausschließlich durch das Ziel der Sicherung der Arbeitnehmerfreizügigkeit legitimiert wurde, sondern auch unter dem Schlagwort training and youth sowie im Rahmen der Strukturförderungsprogramme. Dieser Aktionismus ging den Mitgliedstaaten zu weit (Shaw 1999: 572), sodass sie in den neuen Artikel 126 und 127 des Maastricht-Vertrages aus dem Jahr 1992 die Souveränität der Mitgliedstaaten in der Bildungspolitik 10 Dieser Abschnitt basiert in Teilen auf Busemeyer (2009b) und auf Busemeyer (2012). 11 Einen ähnlichen Mechanismus der Kompetenzaneignung und -übertragung durch extensive Rechtsauslegung des EUGH hat Höpner (2008) im Bereich der Tarifpolitik herausgearbeitet. <?page no="130"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 130 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 131 130 bekräftigten und das oben erwähnte Harmonisierungsverbot verankerten. Diese Konstruktion bedeutete allerdings ebenfalls, dass nun zum ersten Mal der Europäischen Union formale Kompetenzen im Bereich der Bildungspolitik zuerkannt wurden, auch wenn diese im Vergleich zu den zuvor faktisch angeeigneten zunächst eingeschränkt waren. Beispielsweise wurden folgende Ziele für die Tätigkeiten der Gemeinschaft genannt: »Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen«, »Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden«, »Verbesserung der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung« etc. (Art. G Abs. 33, darin: Art. 126 Abs. 2 und Art. 127 Abs. 2, Vertrag über die Europäische Union). In diese Phase fällt auch der Beginn des Bologna-Prozesses. Am 25. Mai 1998 unterzeichneten die Bildungsminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Großbritanniens in Paris die Sorbonne-Erklärung, die sich die Schaffung eines europäischen Hochschulraums zum Ziel gesetzt hatte. Man schlug vor, Studiengänge in zwei Zyklen (z. B. Bachelor und Master) zu strukturieren und ein Kreditpunktesystem zur Erleichterung der Übertragbarkeit von Bildungsleistungen einzuführen. In der Erklärung riefen die vier Bildungsminister andere Staaten zur Mitwirkung am Prozess auf. Am 16. Juni 1999 wurde daraufhin von 29 Staaten (Mitgliedstaaten der EU, aber auch Beitrittskandidaten und Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)) die Bologna-Erklärung unterzeichnet. Der Kreis der teilnehmenden Länder wuchs auf Folgekonferenzen stetig und umfasst heute 47 Staaten. 12 Die bei diesen Konferenzen beschlossenen »Erklärungen« oder »Communiqués« haben weder den rechtlichen Charakter von völkerrechtlichen Verträgen, noch sind sie »Gegenstand des Willensbildungsprozesses der Europäischen Union« (Keller 2004: 19), zumal ja auch eine bedeutsame Zahl von Nicht-EU-Mitgliedern involviert ist. Diese Tatsache ist angesichts der Bedeutung des Bologna-Prozesses für die Entwicklung der Hochschulpolitik in einigen Ländern (wieder ist Deutschland ein gutes Beispiel) erstaunlich. Ähnlich wie bei der PISA-Studie kann auch hier die These aufgestellt werden, dass internationale Einflüsse sich vor allem dann stark auf nationale Reformprozesse auswirken, wenn nationale und europäische Interessen zusammentreffen. So war die probeweise Einführung von BA/ MA-Studiengängen bereits vor der Unterzeichnung der Sorbonne-Erklärung durch Änderungen des Hochschulrahmengesetzes unter der CDU/ CSU-FDP-Regierung beschlossen worden (Keller 2004: 28; Witte 2006b; Wuggenig 2008). Mit Rückenwind aus Europa bzw. Bologna definierte die Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahr 2003 den Bachelor-Abschluss als »Regelabschluss« und 12 http: / / www.ehea.info/ members.aspx (Abruf 24. November 2014). <?page no="131"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 130 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 131 131 machte den Zugang zu MA-Studiengängen von »weiteren Zugangsvoraussetzungen« abhängig (Keller 2004: 28-29). In der HRG-Novelle (2002) wurde der Zusatz »zur Erprobung« beim Hinweis auf gestufte Studiengänge gestrichen, sodass auch dadurch diese zum Regelfall umdefiniert wurden. Bei diesen weitreichenden Änderungen nutzte man die Europäisierungsdebatte gezielt als Legitimationsinstrument, wie Witte (2006b) festhält: »Bei den neuen Bachelor-Studiengängen wurde der Anspruch [der Berufsqualifizierung] ernster genommen als jemals zuvor. Weiterhin wurde die Betonung der Berufsqualifizierung mit der Bologna-Erklärung legitimiert, obwohl dort nur das vage Ziel zu finden ist, der nach dem ersten Zyklus erworbene Abschluss möge ›relevant für den europäischen Arbeitsmarkt‹ sein.« (Witte 2006b: 23) Obwohl somit die Teilnahme am Bologna-Prozess freiwillig ist, die im Rahmen dieses Prozesses verabschiedeten Empfehlungen nicht rechtlich bindend sind und zudem noch in sehr unterschiedlicher Weise umgesetzt werden können, hat, zumindest in Deutschland, der Bologna-Prozess zu einer tiefgreifenden Veränderung der Hochschullandschaft geführt (vgl. auch Knill et al. 2013). In Deutschland ist der Stand der Einführung von BA/ MA-Studiengängen besonders in den letzten Jahren stark vorangeschritten, obwohl noch nicht klar ist, wie bzw. ob die BA-Absolventen auf dem Arbeitsmarkt aufgenommen werden (Teichler/ Kehm 2007). In Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien, hat der Prozess weniger tiefgreifende Veränderungen zur Folge (Witte 2006b: 24; Witte 2006a). Auch der internationale Vergleich deutet somit darauf hin, dass nationale Interessen eine wichtige Filterwirkung bei der Umsetzung von internationalem Handlungsdruck in nationale Politiken haben (Witte 2006a: 528). Neben dem Bologna-Prozess, der eigentlich in den Bereich des intergouvernementalen, d. h. zwischenstaatlichen Handelns fällt, entwickelten sich auf EU-Ebene in den 2000er-Jahren weitere bildungspolitische Aktivitäten. Insbesondere die Tagung des Europäischen Rates in Lissabon im März 2000 und die dort beschlossene »Lissabon-Strategie« bedeuteten eine Zäsur in der europäischen Bildungspolitik. Dies gilt vor allem für die berufliche Bildung, denn diese stand in engem Zusammenhang mit dem strategischen Ziel, Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Der Bologna-Prozess hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht seine volle Wirkungskraft entfaltet. Die Förderung von Mobilität und der Ausbau einer europäischen Dimension der beruflichen Bildung sollten daher das Projekt der Schaffung eines europäischen Arbeitsmarktes voranbringen. Auf dem Europäischen Rat von Barcelona im Jahr 2002 wurden die bildungspolitischen Prioritäten der Lissabon-Strategie bestätigt und ein <?page no="132"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 132 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 133 132 »Arbeitsprogramm zur Umsetzung der Ziele der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in Europa« (Europäische Kommission 2002) verabschiedet. Hieran wird die Tiefe der Zäsur in der europäischen Bildungspolitik deutlich. Während in den 1980- und 1990er-Jahren noch Kompetenzstreitigkeiten zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten im Vordergrund standen, war nun eine Zuständigkeit der EU für allgemeine, bildungspolitische Fragen explizit anerkannt. Dies wurde auch an den übergeordneten Prioritäten des Arbeitsprogramms deutlich: Die »Öffnung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung gegenüber der Welt« könnte noch als genuines Ziel europäischer bzw. internationaler Politik gelten. Die Ziele der »Erhöhung der Qualität und Wirksamkeit der Systeme« sowie »leichterer Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung für alle« sind jedoch eindeutig in den Bereich einzuordnen, der vormals allein nationalstaatlicher Bildungspolitik vorbehalten war. Den drei übergeordneten, strategischen Zielen wurden 13 »Teilziele« zugeordnet. Für diese Teilziele wurden Zielwerte definiert, die bis 2010 erreicht werden sollten. Der Fortschritt von Bildungsreformen in den Mitgliedstaaten sollte anhand konkreter Indikatoren, wie z. B. Bildungsausgaben, Studierenden- und Schulabbrecherquoten, gemessen und mit den wichtigsten Wettbewerbern (USA und Japan) verglichen werden. Die Lissabon-Strategie und das bildungspolitische Arbeitsprogramm haben die Bedeutung europäischer Bildungspolitik nicht nur enorm ausgeweitet, sondern sie auch unter ein spezifisches, strategisches Oberziel gestellt-- die Sicherung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Bildung im Allgemeinen und berufliche Bildung im Speziellen wird dadurch vor allem unter dem Aspekt der Beschäftigungssicherung (employability) gesehen (Tessaring/ Wannan 2004: 13, 15; Walkenhorst 2008); die »Vermittlung unternehmerischer Fähigkeiten« gilt als wichtige Schlüsselkompetenz (Tessaring/ Wannan 2004: 53). In Ergänzung der Beschlüsse des Europäischen Rates beschloss der Rat der Bildungsminister 2002 in Kopenhagen, die Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Bildung zu verstärken. 13 Kernthemen waren die Stärkung der europäischen Dimension der beruflichen Bildung, die Verbesserung der Transparenz in der Vergleichbarkeit von Qualifikationen, die Erarbeitung gemeinsamer Instrumente zur Qualitätssicherung, die Aufstellung von Grundsätzen zur Validierung von informell erworbenen Qualifikationen sowie die verstärkte internationale Zusammenarbeit (Fabian 2005: 9). Für die kon- 13 Die Kopenhagen-Erklärung steht in engem Zusammenhang zur Lissabon- Strategie. Daher wird auch vom dem Lissabon-Kopenhagen-Maastricht-Prozess gesprochen (Trampusch 2008: 590). <?page no="133"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 132 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 133 133 krete Ausgestaltung der europäischen Dimension in der Berufsbildungspolitik war die Kopenhagen-Erklärung sicherlich von größerer Bedeutung als die zuvor vage formulierten, strategischen Ziele des Europäischen Rates. Denn im Anschluss an den Kopenhagen-Gipfel wurde in Form des so genannten Maastricht Communiqués die Entwicklung eines Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR, englisch: European Qualifications Framework- - EQF) sowie eines Europäischen Leistungspunktesystems für die beruflichen Bildung (European Credit System for Vocational Education and Training- - ECVET) beschlossen (Fabian 2005: 10). EQR, ECVET und der 2004 verabschiedete Europass sind die wichtigsten neuen Instrumente europäischer Berufsbildungspolitik. Insbesondere die Projekte EQR und ECVET stehen im Mittelpunkt der Kontroversen um europäische Bildungspolitik. Der Europäische Qualifikationsrahmen soll als Übersetzungsinstrument dienen, damit in verschiedenen europäischen Ländern erworbene Qualifikationen mit- und zueinander in Beziehung gesetzt werden können und so die Mobilität der lernenden und arbeitenden Bevölkerung unterstützt wird. Weil die Bildungssysteme europäischer Länder so unterschiedlich sind und formal weiterhin das Subsidiaritätsprinzip in der europäischen Bildungspolitik gilt, soll der EQR keineswegs zu einer Harmonisierung der (Berufs-)Bildungssysteme führen, sondern, im Gegensatz dazu, die Unterschiedlichkeit der nationalen Bildungssysteme anerkennen. Dies geschieht dadurch, dass die Vergleichbarkeit von Qualifikationen nicht über Abschlüsse, sondern mittels der tatsächlich erzielten Lernergebnisse (learning outcomes) erreicht werden soll. In einem weiteren Schritt soll über den EQR auch die Anerkennung »informellen Lernens« erleichtert werden. Die Lernergebnisse werden in Form von »Kenntnissen«, »Fertigkeiten« und »Kompetenzen« dokumentiert und insgesamt acht Referenzniveaus zugeordnet. Nationale Qualifikationsrahmen können von diesem Schema aber abweichen und z. B. weniger oder mehr als acht Niveaus aufweisen, solange die Verknüpfung zu den EQR-Niveaus geleistet wird. Aufgrund der Orientierung an learning outcomes kann und soll der EQR auch zur Förderung der »bildungssysteminhärenten« Mobilität beitragen, d. h. die Durchlässigkeit und Gleichstellung zwischen Hochschulbildung und beruflicher Bildung fördern. Eine konsequente Einordnung von Ausbildungsgängen nach Lernergebnissen könnte dazu führen, dass auch berufliche Bildungsgänge auf den höheren EQR-Niveaus eingeordnet werden. Das European Credit System for Vocational Education and Training (ECVET) ist der zweite Pfeiler europäischer Berufsbildungspolitik. In gewissem Sinne geht ECVET weiter als das Projekt EQR. Hier geht es nicht mehr um die Verbesserung der Transparenz von Qualifikationen und die »Übersetzung« von einem Bildungskontext in einen anderen, sondern um den tatwww.claudia-wild.de: <?page no="134"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 134 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 135 134 sächlichen Transfer dieser Bildungsleistungen. In Analogie zu dem für den Hochschulbereich entwickelten European Credit Transfer System (ECTS) können dann Teile einer Ausbildung im (europäischen) Ausland absolviert werden, und es wird dabei sichergestellt, dass der Lernende diese im Ausland erworbenen Qualifikationen angerechnet bekommt. Ähnlich wie beim EQR soll aber nicht nur die Mobilität über europäische Grenzen hinweg gefördert werden, sondern auch die Mobilität und Durchlässigkeit innerhalb der Bildungssysteme. Auch hier ist zu betonen, dass die Beschlüsse zu EQR und ECVET »Empfehlungen« des EP und des Rates sind. Im Unterschied zu anderen europäischen Rechtsinstrumenten wie Verordnungen oder Richtlinien hat deren Umsetzung somit einen weit geringeren Verpflichtungsgrad und kann nicht vor dem EuGH eingeklagt werden. Trotzdem »empfiehlt« die Kommission in deutlichen Worten den Mitgliedstaaten die Schaffung und Anbindung von nationalen Qualifikationsrahmen an den EQR bis 2010 (Europäische Kommission 2008: 3) sowie die Einführung des ECVET bis 2012. Auch die überarbeite Fassung des Arbeitsprogramms »Allgemeine und berufliche Bildung 2010« betonte die Notwendigkeit eines EQR (Europäische Kommission 2008: 6). Die EQR- und ECVET-Initiativen haben in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, zu großen Debatten geführt (Busemeyer 2009b). Nach der Grundsatzentscheidung von KMK und BMBF, einen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) nach dem Modell des EQR einzuführen, wurde 2007 eine Bund-Länder-Koordinierungsgruppe zur Entwicklung eines solchen Qualifikationsrahmens eingesetzt, an der auch die Sozialpartner (Gewerkschaften und Arbeitgeber) sowie andere Experten beteiligt waren. 2011 kam es dann zu dem Beschluss zur Einführung des DQR. An diesem Beispiel zeigen sich aber auch klar die Grenzen des voluntaristischen Ansatzes der EU-Bildungspolitik, denn obwohl die Steigerung der »Durchlässigkeit« auch innerhalb nationaler Bildungssysteme ein wichtiges Ziel im EQR ist, wird im Beschluss zur Einführung des DQR explizit festgehalten: »Das Erreichen eines bestimmten Niveaus des DQR berechtigt nicht automatisch zum Zugang zur nächsten Stufe.« (AK DQR 2011: 5) Das heißt, der DQR verändert nicht das bestehende System von Zugangsberechtigungen im deutschen Bildungssystem. Die Einführung des ECVET-Systems wurde in Form eines Pilotprojektes des BMBF erprobt, das bereits 2012 endete. 14 Besonders bei ECVET gab es vonseiten der Gewerkschaften, aber auch der Arbeitgeber Befürchtungen, eine zu starke Zerlegung der Ausbildungsbilder in einzelne Module könnte das Prinzip der Beruflichkeit gefährden, das auf breite 14 http: / / www.ecvet-info.de/ de/ 237.php (Abruf am 25. November 2014) <?page no="135"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 134 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 135 135 Berufsbilder aufbaut. Die schleppende Umsetzung von ECVET zeigt, dass auch in diesem Fall der voluntaristische Ansatz der EU-Politik an Grenzen stößt, wenn nationale Interessen dagegen stehen. Im Jahr 2010 wurde die »Europa 2020«-Strategie verabschiedet- - das Nachfolgeprogramm der Lissabon-Strategie. Auch bei »Europa 2020« geht es um die Förderung von »intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum« 15 im Rahmen einer auf zehn Jahre angelegten Wachstumsstrategie. Neben der Beschäftigungsförderung, dem Ausbau von Forschung und Entwicklung und der Bekämpfung von Armut will man im Rahmen von »Europa 2020« auch zwei konkrete bildungspolitische Ziele verfolgen: Erstens soll die Quote vorzeitiger Schulabgänger in allen EU-Mitgliedstaaten auf unter 10 Prozent gesenkt werden, zweitens soll der Anteil der 30bis 34-Jährigen mit abgeschlossener Hochschulbildung bei mindestens 40 Prozent liegen. Ergänzt wird die »Europa 2020«-Strategie durch den strategischen Rahmen Education and Training 2020, der im Jahr 2009 verabschiedet wurde und der in gewissem Sinne als Fortsetzung des Kopenhagen-Prozesses und des Vorgänger-Programms Education and Training 2010 betrachtet werden kann. Auch hier werden sehr konkrete Ziele definiert (z. B. sollen bis 2020 mindestens 95 Prozent der vierbis sechsjährigen Kinder an frühkindlichen Bildungsmaßnahmen teilnehmen), die man im Rahmen der Methode der Offenen Koordinierung bearbeiten möchte. 16 Infokasten Offene Methode der Koordinierung »Die ›offene Methode der Koordinierung‹ bezeichnet eine Arbeitsmethode der europäischen Zusammenarbeit. Dabei setzen sich die Mitgliedstaaten gemeinsame Ziele und werden bei deren Erreichung von der Europäischen Kommission unterstützt. Der Kern dieser Methode besteht in der Identifikation gemeinsamer Ziele, aber auch gemeinsamer Überprüfungen hinsichtlich der Erreichung dieser Ziele (Indikatoren und Durchschnittsbezugswerte (Benchmarks)) auf europäischer Ebene. Die Methode wird in den Bereichen angewandt, in denen die EU gemäß der Verträge eigentlich keine Regelungskompetenz hat. Die EU wirkt in diesen Fällen unterstützend und koordinierend, überlässt aber den Mitgliedstaaten die Formulierung und Umsetzung ihrer eigenen Politik. Auch 15 http: / / ec.europa.eu/ europe2020/ europe-2020-in-a-nutshell/ priorities/ index_ de.htm (Abruf am 19. November 2014) 16 http: / / ec.europa.eu/ education/ policy/ strategic-framework/ index_de.htm (Abruf am 19. November 2014) i <?page no="136"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 136 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 137 136 die gemeinsam formulierten Ziele sind auf nationaler Ebene nicht verpflichtend. Wichtige Elemente der offenen Methode der Koordinierung sind gegenseitiger Austausch und gegenseitiges Lernen.« (http: / / www.eubildungspolitik.de/ offene_methode_der_koordinierung_66.html, Abruf am 25. November 2014) In der »Europa 2020«-Strategie setzt sich also der Ansatz der Lissabon-Strategie fort, Bildung vor allem in Zusammenhang mit arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Zielen zu setzen. Die europäische Bildungspolitik hat sich somit seit den Gipfeln von Lissabon und Kopenhagen aus dem Windschatten der Binnenmarktpolitik hinausbewegt, ohne allerdings die ökonomistische Perspektive auf Bildung aufzugeben. Walkenhorst spricht gar von einem functional-economic turn (Walkenhorst 2008: 576): Während vor der Lissabon-Strategie die EU-Bildungspolitik einen »supportive, non-harmonizing and non-regulative character« (ebd.: 568) hatte, konstatiert Walkenhorst nun eine klare Neuausrichtung der Bildungspolitik als »a supplementary market and workforce creation tool« (ebd.: 569). Mit der Aufwertung der Bedeutung der EU als bildungspolitischer Akteur ging eine Aufwertung der beruflichen Bildung im Rahmen der EU- Wirtschaft-, Bildungs- und Sozialpolitik einher, die in Lissabon anfing und in Kopenhagen (2002) und Maastricht ihre Fortsetzung fand (Dunkel/ Jones 2006). Wie das Beispiel des Bologna-Prozesses gezeigt hat und wie im Folgenden am Fall der Berufsbildungspolitik zu sehen sein wird, hat die EU- Politik trotz ihrer Betonung des Subsidiaritätsprinzips gewichtige Veränderungen in den Mitgliedstaaten angestoßen und katalysiert. In den Worten von Fahle: »Europäische Bildungszusammenarbeit greift daher in Zukunft faktisch über die Kernkompetenz der EU hinaus, allerdings ohne die Grundlage des EU-Vertrags anzupassen.« (Fahle 2008: 8) EU-Bildungspolitik entfaltet zunehmend eine Eigendynamik, kann aber auch ein »nützlicher Erfüllungsgehilfe« (»useful external trigger«, Walkenhorst 2005: 480) für diejenigen sein, die nationale Bildungssysteme gegen den Widerstand etablierter Interessen reformieren wollen. Erklärungsansätze Der letztgenannte Punkt könnte eine Erklärung dafür sein, warum die EU- Bildungspolitik greifbare Auswirkungen auf nationale Politik hat, obwohl sie grundsätzlich auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basiert. Dieser Erklärungsansatz lehnt sich an Theorien der europäischen Integration an, die den Prozess der europäischen Integration vor allen Dingen als Ergebnis von intewww.claudia-wild.de: <?page no="137"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 136 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 137 137 ressegeleitetem Handeln der nationalen Regierungen begreifen (vgl. als Überblick Bieling/ Lerch 2012). Das Wechselspiel zwischen der nationalen und der europäischen Ebene wird dann als »Mehrebenenspiel« charakterisiert (Martens/ Wolf 2006; Trampusch 2008). Nationale Akteure, wie die CDU/ CSU-FDP-Bundesregierung im Fall der Sorbonne-Erklärung aus dem Jahr 1998, »aktivieren« internationale Handlungs- und Entscheidungsarenen, um zusätzliche Unterstützung für eigentlich im Kern nationale Reformprogramme zu generieren oder in anderen Worten: Sachzwang zu schaffen. Mit Rückenwind aus Bologna erschienen die von der Bundesregierung initiierten Reformen als angemessene Antwort auf die »Herausforderung« der Europäisierung und Internationalisierung der Hochschulen-- unter Missachtung der Tatsache, dass sie eine spezifische, nicht zwangsläufig sachlich notwendige Lösung darstellten. Allerdings sollte die Rationalität und Steuerungsfähigkeit regierungspolitischen Handelns im Allgemeinen, aber in den beschriebenen »Mehrebenenspielen« im Besonderen nicht überschätzt werden. Zwar können, wie hier argumentiert, nationalstaatliche Regierungen in strategischer Art und Weise zwischen nationalen und internationalen Arenen wechseln und diese gegeneinander ausspielen (Putnam 1988). Allerdings entwickeln internationale Prozesse gelegentlich eine Eigendynamik, die von den nationalstaatlichen Regierungen nicht mehr gesteuert werden kann (Martens/ Wolf 2006; Wuggenig 2008: 124). Im Bologna-Prozess zum Beispiel hat die Kommission im Zeitverlauf ihre Stellung ausgebaut und gilt heute als treibende Kraft (Martens/ Wolf 2006: 155; Wuggenig 2008: 124-125), obwohl der Prozess zu Anfang rein intergouvernementaler Natur war. Dadurch hat der Bologna- Prozess auch zu einer Stärkung der bildungspolitischen Kompetenzen der EU beigetragen und damit anspruchsvolle Projekte wie den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) vielleicht erst ermöglicht, obwohl dies nicht unbedingt das ursprüngliche Ziel der Unterzeichner der Sorbonne-Erklärung war. Insofern kann eine Internationalisierungsstrategie, selbst wenn sie durch konkrete nationalstaatliche Interessen angestoßen wurde, langfristig eine Eigendynamik entwickeln und aus der Perspektive der ursprünglichen Initiatoren nicht intendierte Nebeneffekte generieren. D as Modell der strategisch motivierten Mehrebenenspiele kann aber auch dabei helfen, Unterschiede im Grad der Europäisierung zwischen Politikfeldern in einem Land sowie zwischen verschiedenen Ländern im selben Politikfeld zu verstehen. Martens und Wolf (2006) nennen die Überwindung innen politischer Reformblockaden als wichtigen Antriebsfaktor der Internationalisierung der Hochschulpolitik. Die Bundesregierung könnte also ihren privilegierten Zugang zu internationalen Gremien nutzen, um ihre Stellung gegenüber den Ländern, Hochschulen und Berufsverbänden zu stärken und <?page no="138"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 138 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 139 138 gegenüber diesen Akteuren in der Lage zu sein, auf internationale »Sachzwänge« zu verweisen (Walkenhorst 2005). Das würde auch erklären, warum ähnlich »weiche« Formen der europaweiten Koordinierung in anderen Politikfeldern wie der Sozial- und der Beschäftigungspolitik weit weniger Wirkung gezeigt haben (Schäfer 2005) als in der Bildungspolitik: Bei ersteren handelt es sich um Politikfelder, in der die Bundesregierung die Kompetenzhoheit hat, während dies in der Bildungspolitik nicht der Fall ist. In anderen Ländern wie Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien, die zentralistisch und nicht föderalistisch organisiert sind, besteht eine geringere Notwendigkeit, internationale Arenen zur Ausweitung innerstaatlicher Handlungsmöglichkeiten zu nutzen, denn dort sind die zentralstaatlichen Kompetenzen in der Bildungspolitik stärker ausgebaut. Daher sind auch die Auswirkungen des Bologna-Prozesses in diesen Ländern geringer (Witte 2006a). Neben diesem intergouvernementalen Ansatz, der das Handeln von nationalen Regierungen in den Mittelpunkt stellt, existieren allerdings auch gänzlich andere Ansätze, die die Dynamik der Europäisierung zu erklären versuchen. Diese zielen weniger darauf ab, Unterschiede zwischen Politikfeldern und/ oder Ländern herauszuarbeiten und zu erläutern, sondern gehen von der Beobachtung einer weitreichenden Konvergenz von Governance- Regimen (d. h. Steuerungsmodellen) aus, die auf Prozesse des Policy-Transfers und der Diffusion zurückgeführt wird (vgl. grundlegende Holzinger et al. 2007). Dieser Ansatz hat besonders zur Erforschung der Auswirkungen des Bologna-Prozesses auf Governance-Reformen im Bereich der Hochschulen wichtige Erkenntnisse erbracht (Dobbins/ Knill 2009; Voegtle et al. 2011; Knill et al. 2013). Holzinger, Jörgens und Knill (2007: 25) nennen verschiedene kausale Mechanismen, die eine Konvergenz bzw. Diffusion von Politikinhalten erklären könnte, d. h. warum in unterschiedlichen Ländern ähnliche Politiken umgesetzt werden: Erstens könnten Länder unabhängig voneinander zu ähnlichen Problemlösungen kommen. Zweitens könnten manche Länder von anderen zur Umsetzung bestimmter Politiken gezwungen werden, etwa weil dies zu den Bedingungen von Sanierungsprogrammen gehört. Drittens könnte es explizit Bemühungen zur internationalen Harmonisierung geben oder, viertens, ähnliche Politiken (beispielsweise niedrigere Steuersätze in der Unternehmensbesteuerung) gehen auf starken internationalen Wettbewerb zurück. Holzinger et al. (2007) stellen aber noch einen fünften Mechanismus vor, auf den ich mich im Folgenden konzentrieren möchte: Politikkonvergenz könnte auf Prozesse der transnationalen Kommunikation und des gegenseitigen Lernens zurückgehen. Dieser Mechanismus ist besonders im Fall der EU-Bildungspolitik relevant, denn explizite Harmonisierung von Bildungswww.claudia-wild.de: <?page no="139"?> [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 138 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 139 139 politik ist durch die EU-Verträge ausgeschlossen, einen besonders starken internationalen Wettbewerb gibt es in diesem Feld auch nicht, und da die EU-Bildungspolitik auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basiert, kann auch kein Zwang von der EU-Ebene ausgehen. Aus dieser Perspektive hat der Bologna-Prozess nicht deswegen eine solche Dynamik entfaltet, weil er implizit nationalen Interessen dient, sondern weil nationale Regierungen durch den von EU-Institutionen geförderten Prozess des Dialogs voneinander gelernt und durch gemeinsames Problemlösen denjenigen Politikansatz identifiziert haben, der am erfolgversprechendsten erscheint (Dobbins et al. 2011; Knill et al. 2013). Die Einbindung von nationalen Akteuren- - wie etwa Politikern oder Bürokraten-- in Strukturen und Kommunikationsprozesse auf EU-Ebene führe zur Ausbildung eines »Wir-Gefühls« (Warleigh- Lack/ Drachenberg 2011: 1006), das zur Entstehung einer gemeinsamen Sicht auf Problemstellungen und damit auch auf Lösungsansätze beitrage. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Europäische Union im Bereich der Bildungspolitik als wichtiger Akteur etabliert hat, obwohl in diesem Bereich die formal-rechtlichen Kompetenzen der EU sehr beschränkt sind und hauptsächlich in den Händen der Mitgliedstaaten liegen. Wir haben zwei mögliche Erklärungen für diesen Befund diskutiert: Erstens könnte eine Stärkung der Rolle der EU in der Bildungspolitik darauf zurückgehen, dass nationalstaatliche Regierungen die EU-Ebene nutzen, um ihre eigenen Interessen besser umsetzen zu können. Zweitens ließe sich argumentieren, dass die Diffusion von ähnlichen Politikansätzen in verschiedenen europäischen Ländern auf transnationale Kommunikationsprozesse und gegenseitiges Lernen zurückgeht. Der Ansatz von Martens und Wolf (2006) führt diese beiden Perspektiven teilweise zusammen: Selbst wenn zu Beginn von Internationalisierungs- und Europäisierungsprozessen strategische Interessen der Regierungen eine wichtige Rolle spielen, ist es durchaus möglich, dass langfristig nicht intendierte Effekte auftreten. Internationalisierungsprozesse bekommen dann eine Eigendynamik, die auch durch die Einbettung nationaler Akteure in europäische Kommunikationsprozesse entsteht. Weiterführende Lektüre Dobbins, M., Knill, C., &-Vögtle, E. M. (2011). An analytical framework for the cross-country comparison of higher education governance. Higher Education, 62, 665-683. Holzinger, K., Jörgens, H., &-Knill, C. (2007). Transfer, Diffusion und Konvergenz: Konzepte und Kausalmechanismen. Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 38, 11-38. <?page no="140"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 140 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 141 140 Knill, C., Vögtle, E. M., &- Dobbins, M. (2013). Hochschulpolitische Reformen im Zuge des Bologna-Prozesses. Wiesbaden: Springer. Knodel, P., Martens, K., de Olano, D., &-Popp, M. (Eds.). (2010). Das PISA-Echo: Internationale Reaktionen auf die Bildungsstudie. Frankfurt a. M., New York: Campus. 5.2 Dezentralisierung und neue Steuerungsformen der Bildung Neben der zunehmenden Internationalisierung und Europäisierung nationaler Bildungssysteme konnte in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein zweiter »Megatrend« beobachtet werden: die Transformation etablierter Steuerungsformen von einem eher zentralistischen und input-orientierten Steuerungsmodell zu einer dezentralen output-orientierten Variante. Natürlich gibt es auch in Abhängigkeit von den jeweiligen politischen und institutionellen Gegebenheiten bedeutende Länderunterschiede hinsichtlich der Frage, wie weit dieser Transformationsprozess ging und welche konkrete Ausgestaltung Dezentralisierungsreformen annahmen (Mons 2004). Aus der umgekehrten Perspektive betrachtet ist es jedoch erstaunlich, dass dieser Trend über viele Länder hinweg beobachtet werden konnte, und zwar trotz unterschiedlicher Ausgangslagen und politischer Kontextbedingungen (Gingrich 2011). Tabelle 5.1 gibt einen Überblick über die Veränderungen der Steuerungsstrukturen im Bereich der allgemeinen Schulpolitik in ausgewählten OECD- Ländern. Der Indikator Schulautonomie wurde von Schlicht-Schmälzle, Teltemann und Windzio (2011) auf der Grundlage der PISA-Daten entwickelt, denn die PISA-Studien beinhalten neben den Leistungstests der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler auch Befragungen von Schulleitungen zur relativen Autonomie ihrer Schulen in verschiedenen Bereichen der Bildungssteuerung. So wird etwa gefragt, ob Schulen selbst ihre Lehrangebote auswählen und deren Inhalt bestimmen können, ob sie frei in der Schulbuchwahl sind, Zulassungs- und Disziplinarverfahren selbst regeln dürfen, ihren Haushalt eigenständig verwalten und autonom über die Einstellung von Lehrpersonal entscheiden dürfen. Der Nachteil dieses Indikators ist natürlich, dass er letztlich auf den Selbsteinschätzungen der befragten Schulleitungen basiert, womit potenziell Verzerrungen einhergehen können. Nichtsdestotrotz stellt er ein geeignetes Maß dar, um Länderunterschiede und Veränderungen über die Zeit im Hinblick auf das Ausmaß an Dezentralisierung in der Bildungssteuerung erfassen zu können. <?page no="141"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 140 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 141 141 Die Daten aus Tabelle 5.1 zeigen beträchtliche Länderunterschiede im Hinblick auf das Ausmaß an Schulautonomie. Im Jahr 2000 lag diese in Portugal, aber auch in Deutschland und Italien, auf einem sehr geringen Niveau. Hierbei ist zu bedenken, dass der Indikator aus der Perspektive der Schulleitungen konstruiert ist. Das heißt, in den genannten drei Ländern werden Entscheidungen über Bildungsinhalte, Personalauswahl- und Zulassungsverfahren nicht auf der Ebene der individuellen Schulen getroffen, sondern auf darüberliegenden Ebenen. Der Indikator kann allerdings keine Angaben dazu liefern, auf welcher der darüberliegenden Ebenen diese Entscheidungen gefällt werden. Im deutschen Fall nehmen (wie in Kapitel 3.2.1 beschrieben) die Bundesländer eine zentrale Stellung in der Bildungspolitik ein. In formal unitarischen Staaten wie Italien und Portugal spielt die zentralstaatliche Nationalregierung die entscheidende Rolle. Auch Japan kann mit Einschränkungen in diese Kategorie eingeteilt werden. Im Gegensatz dazu ist die Schulautonomie in Schweden und den USA im Jahr 2000 besonders stark ausgeprägt. Schweden (vgl. Kapitel 3.2.3) baute in der Nachkriegsperiode ein stark zentralistisches System auf, in dem sowohl die Gestaltung von Lehrinhalten als auch die Beschäftigungsbedingungen von Lehrpersonal auf nationaler Ebene geregelt wurden. Gegen Ende der 1970er- und in den 1980er-Jahren wuchs der öffentliche Widerstand gegen Tabelle 5.1: Dezentralisierung von Bildung in OECD-Ländern. Schulautonomie (2000) Schulautonomie (2006) Veränderung der Schulautonomie (2000-2006) Veränderung der Bildungsperformanz (PISA-Werte für-Mathe, 2003-2009) Deutschland 10,3 64,4 +54,1 +10 Italien 10,9 58,4 +47,5 +17 Japan 33,3 71,6 +38,3 -5 Portugal 8,3 55 +46,7 +21 Schweden 87,2 89,1 +1,9 -15 USA 98,8 94,5 -4,3 +5 Quelle: Spalten 2 und 3 aus Schlicht-Schmälzle et al. 2011, Appendix 3 und 5; Spalte 4 aus OECD PISA 2009 Database, Table V.3.1. <?page no="142"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 142 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 143 142 dieses zentralistisch-bürokratische Modell. Insbesondere die Eltern aus den wohlhabenden Mittelschichten verlangten mehr Mitspracherechte und mehr Freiheiten bei der Auswahl der Schulen. Aus diesem Grund wurden in den 1990er-Jahren weitreichende Dezentralisierungs- und Privatisierungsreformen umgesetzt (Gingrich 2011; Klitgaard 2007, 2008), die die Wahlmöglichkeiten der Eltern vergrößerten und das Aufkommen neuer unabhängiger Privatschulen begünstigten. Im Jahr 2000 verfügten Schulen somit schon über eine weitreichende Autonomie, wenngleich die Lehrinhalte in Form eines nationalen Curriculums weiterhin recht zentralistisch gesteuert werden. Das Bildungssystem der USA hingegen war von Beginn an stark dezentralisiert (vgl. ausführlicher Busemeyer 2006b, 2007). Ähnlich wie in Großbritannien waren und sind erhebliche Steuerungskompetenzen in den Händen der lokalen Schuldistrikte konzentriert. Bildung spielte in der frühen Geschichte der USA als Instrument des sozialen Aufstiegs eine große Rolle. Daher sollte auch die Gestaltung von Bildungsinhalten möglichst demokratisch und dezentral erfolgen. Die Mitglieder der lokalen Schulausschüsse werden direkt gewählt und verfügen über eine weitreichende Autonomie in der Gestaltung von Bildungsinhalten sowie in haushalts- und personalrechtlichen Fragen. Häufig kam es aber auch-- ebenfalls eine interessante Parallele zu Großbritannien-- zu einer Konzentration von Macht auf der Ebene der Schuldistrikte auf Kosten der Autonomie der individuellen Schulen. Von daher gibt es auch in den USA seit den 1990er-Jahren politische Forderungen, die Wahlmöglichkeiten der Eltern zu vergrößern (Klitgaard 2007, 2008). Ähnlich wie das britische Modell der academies können sich sogenannte charter schools, deren Ausbau auch unter der Obama-Administration weiter gefördert wurde, von der Regulierung durch die lokalen Schuldistrikte befreien und eigenständige Finanzierungsquellen auftun. Insgesamt stellen somit die USA, wie auch die Daten in Tabelle 5.1 belegen, ein im internationalen Vergleich sehr stark dezentralisiertes Modell der Bildungssteuerung dar. Neben den beträchtlichen Länderunterschieden zeigen die Beispiele aus Tabelle 5.1 aber auch, dass zwischen den Jahren 2000 und 2006 signifikante Veränderungen stattgefunden haben. Abbildung 5.1 stellt diesen Zusammenhang grafisch dar und erweitert das betrachtete Ländersample auf 20 OECD-Staaten. Auf der x-Achse ist das Niveau der Schulautonomie im Jahr 2000 abgetragen, während die y-Achse die Veränderung der Schulautonomie zwischen den Jahren 2000 und 2006 präsentiert. Es zeigt sich ein stark negativer Zusammenhang. Dies bedeutet, dass in den Ländern, in denen im Jahr 2000 die Schulautonomie auf einem niedrigen Niveau lag (z. B. Italien, Portugal und Deutschland) eine besonders starke Zunahme der Autonomie in den Folgejahren zu beobachten ist. Umgekehrt sind in den Ländern, die im <?page no="143"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 142 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 143 143 Jahr 2000 bereits über ein hohes Maß an Schulautonomie verfügten (neben Schweden, Großbritannien und den USA waren dies zum Beispiel Neuseeland, die Schweiz oder Belgien), keine bedeutsamen Veränderungen zu beobachten. In der Gesamtbetrachtung kann man damit einen starken Konvergenztrend oder auch Catch-up-Effekt beobachten: Dezentralisierte Ländern bleiben dezentral, während vormals zentralistisch gesteuerte Länder einen ausgeprägten Prozess der Dezentralisierung durchlaufen. Abbildung 5.1 belegt eindrucksvoll die Sonderstellung Frankreichs; mit Abstrichen kann auch Griechenland als »outlier« betrachtet werden. Obwohl das französische Bildungssystem stark zentralistisch ist, lässt sich hier in den letzten Jahren keine umfassende Dezentralisierung beobachten. Zur Erklärung dieses vor dem Hintergrund des allgemeinen Konvergenztrends überraschenden Befundes vergleicht Dobbins (2014) die Fälle Schweden und Frankreich. Schließlich war Schweden ebenfalls ein stark zentralisiertes System, und dennoch hat eine weitreichende Dezentralisierung stattgefunden. Dobbins’ Erklärung hierfür ist die unterschiedliche Stellung der Lehrergewerkschaften. In Schweden sind die Lehrergewerkschaften auch auf regionaler Ebene einflussreich und mächtig, sodass eine Dezentralisierung der Steuerungskompetenzen nicht zwangsläufig mit einem Machtverlust einhergehen musste. Dies ist in Frankreich anders, denn hier ist der Einfluss der Lehrergewerkschaften über korporatistische Gremien in der Zentralregierung (dem Quelle: Schlicht-Schmälzle et al. 2011, Appendix 3 und 5. Australien Belgien Dänemark Deutschland Finnland Frankreich Griechenland Irland Island Italien Japan Kanada Luxemburg Niederlande Österreich Portugal Schweden Schweiz Spanien Großbritannien USA -60 -40 -20 0 20 40 60 0 20 40 60 80 100 Veränderung der Schulautonomie (2000-2006) Schulautonomie 2000 Abbildung 5.1: Dezentralisierungstrend der Bildungssteuerung in OECD-Staaten. <?page no="144"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 144 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 145 144 nationalen Bildungsministerium) besonders groß, ihre regionale Verwurzelung aber schwach ausgeprägt. Eine Verlagerung von Steuerungskompetenzen von der nationalen auf die regionale Ebene würde daher mit einem beträchtlichen Machtverlust einhergehen, und zwar sowohl für die Gewerkschaften als auch für das nationale Bildungsministerium. Aus diesem Grund sind weitergehende Dezentralisierungsbemühungen in Frankreich bislang gescheitert. Als Begleiterscheinung des Dezentralisierungstrends kann zudem eine Transformation der Steuerungsformen von einem input-orientierten zu einem stärker output-orientierten Modell gelten (vgl. dazu auch Kapitel 5.1). In dieser Hinsicht war der Internationalisierungsschub durch die PISA-Studie ein wichtiger Katalysator. Wenn übergeordnete Regierungsebenen (Bundesländer oder die Zentralregierung) Regelungskompetenzen aus der Hand geben und an lokale Autoritäten oder gar individuelle Schulen abgeben, erfordert dies eine stärkere Ex-post-Kontrolle der relativen Performanz einzelner Schulen oder lokaler Bildungssysteme. Dahinter steht die Vorstellung, dass im Rahmen eines freien Wettbewerbs zwischen Schulen sich am Ende diejenigen durchsetzen, die bei gegebener Mittelausstattung eine höhere Bildungsperformanz erzielen (vgl. zum Thema Vermarktlichung der Bildungspolitik: Gingrich 2011). Langfristig müsste sich dies auch positiv auf die Gesamtperformanz des Systems auswirken, denn die weniger produktiven Schulen werden durch den Wettbewerb verdrängt bzw. zu Reformen gezwungen. Der britische Education Reform Act aus dem Jahr 1988 (vgl. Kapitel 3.2.2) kann als frühes Beispiel der konsequenten Umsetzung eines solchen Marktmodells dienen. Mit diesem Gesetz erfolgte eine nachhaltige Schwächung der Local Education Authorities, der lokalen Schulbehörden, da Kompetenzen an individuelle Schulen übertragen wurden (Ainley 2001). Gleichzeitig entstanden neue Steuerungsmechanismen, mit denen einzelne Schulen stärker zur Verantwortung hinsichtlich der Erfüllung bestimmter Bildungsziele (accountability) gezogen wurden. Die halbstaatliche Qualifications and Curriculum Authority (QCA) ist in England und Nordirland dafür verantwortlich, das nationale Curriculum zu entwickeln und dessen Umsetzung in den einzelnen Schulen zu überwachen. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich-- mit zeitlicher Verzögerung-- auch in Deutschland beobachten, wie oben in Kapitel 5.1 bereits kurz erwähnt. Die KMK hatte sich mit dem Konstanzer Beschluss aus dem Jahr 1997 grundsätzlich dafür entschieden, das deutsche Bildungssystem im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen international vergleichen zu lassen. Seit 2003 wurden sukzessive in verschiedenen Fächern nationale Bildungsstandards entwickelt. 2003 kam es zur Gründung des Instituts für Qualitätssicherung im Bildungswesen (IQB)-- das Pendant zur britischen QCA--, das seitdem für die Weiterentwicklung dieser Standards und die Durchführung <?page no="145"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 144 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 145 145 von Schulleistungstest verantwortlich ist. Diese Neuorientierung in der Bildungssteuerung von Inputs (wie Lehrer- und Schülerzahlen, Bildungsausgaben und ähnlichem) zu Outputs (Bildungsleistungen) nahm man weithin als Paradigmenwechsel in der deutschen Bildungspolitik wahr (Altrichter/ Maag Merki 2010; Baumert/ Füssel 2012; Brüsemeister 2011, 2012). In diesem Kontext wurde-- nach dem Vorbild der OECD-Bildungsberichte-- ein nationales System der Bildungsberichterstattung aufgebaut (KMK/ IQB 2006). 2006 erschien der erste nationale Bildungsbericht, der seitdem in regelmäßigen Abständen alle zwei Jahre veröffentlicht wird, zunehmend ergänzt durch Bildungsberichte auf Länder- und kommunaler Ebene (Döbert/ Weishaupt 2012; Niedlich/ Brüsemeister 2012). Das neue marktorientierte Steuerungsmodell in der Bildungspolitik, bestehend aus einer weitgehenden Dezentralisierung der Steuerungskompetenzen auf untere Regierungsebenen und einer stärkeren Output-Orientierung in der Überprüfung der Performanz von Bildungsinstitutionen, hat Vor- und Nachteile. Befürworter könnten anführen, dass die Dezentralisierung die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten von Schülern, Eltern und Schulleitungen auf die Gestaltung der lokalen Bildungslandschaften wesentlich erweitert hat. Dadurch ist es Schulen viel besser möglich, sich an lokale Gegebenheiten anzupassen. Außerdem bewirkt die stärkere Output-Orientierung, dass Bildungsleistungen unterschiedlicher Schulen besser miteinander vergleichbar sind und auf diese Weise Defizite schneller erkannt werden können. Langfristig- - so die Erwartung der Befürworter- - sollte sich das positiv auf die Qualität der Bildung auswirken. Kritiker des Modells könnten hingegen anführen, dass die Durchsetzung des Wettbewerbsmodells in der Schulpolitik möglicherweise dazu beitragen würde, dass schwache Schulen sich gegenüber starken Schulen weniger gut behaupten können, was gegebenfalls eine Verschärfung der Bildungsungleichheit im System nach sich zöge. Empirische Untersuchung von Schlicht- Schmälzle, Teltemann und Windzio (2011) auf der Grundlage von PISA- Daten mehrerer Jahre bestätigen diese Vermutung, wenngleich diese Studie auch Anhaltspunkte dafür findet, dass die Gesamtperformanz in den Systemen mit mehr Schulautonomie höher ist. Eine weitere Kritik am outputorientierten Modell lautet, dass Schülerinnen und Schüler zu stark auf gutes Abschneiden bei standardisierten Leistungstests hin trainiert werden und so der ganzheitliche Anspruch in der Vermittlung von umfassender Bildung verloren zu gehen droht (Ravitch 2010). Auch im Bereich der Hochschulpolitik ist in den letzten Jahren eine deutliche Veränderung der Steuerungsstrukturen zu beobachten, die noch stärker als die allgemeine Schulpolitik mit dem Prozess der Europäisierung in Verbindung gebracht werden kann (Dobbins/ Knill 2009; Voegtle et al. 2011; <?page no="146"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 146 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 147 146 Knill et al. 2013). Aufbauend auf der Typologie von Clark (1983) unterscheiden Dobbins, Knill und Vögtle (2011) drei idealtypische Modelle der Hochschul-Governance in verschiedenen Ländern: Im staatszentrierten Modell (z. B. Frankreich) sind Universitäten sehr stark in staatlich-bürokratische Strukturen eingebettet und werden direkt durch diese kontrolliert. Staatliche Institutionen, vor allem Bildungsministerien, kontrollieren die Personalauswahl und evaluieren die Forschungsergebnisse im Hinblick auf die Erfüllung staatlich gesetzter sozioökonomischer Ziele. Universitäre Budgets sind in allgemeine Staatshaushalte integriert, die Universitäten selbst verfügen hier über wenig Gestaltungsspielraum. Im Marktmodell-- das paradigmatische Beispiel sind die USA-- verfügen Universitäten über ein hohes Maß an Autonomie. Das gilt nicht nur für die privaten, sondern auch für die öffentlichen Institutionen. Die interne Organisationsstruktur von Universitäten gleicht eher der von privatwirtschaftlichen Unternehmen als der von staatlichen Institutionen. Universitäten sind darauf angewiesen, sich am Bildungsmarkt im »Wettbewerb um gute Köpfe« gegen Konkurrenten durchzusetzen. Aufsicht und Qualitätskontrolle erfolgen durch halbstaatliche Akkreditierungsagenturen, weniger durch staatliche Bürokratien. In der Finanzierung müssen Universitäten jenseits von staatlichen Zuschüssen selbst Einnahmequellen erschließen, beispielsweise in Form von Studiengebühren oder Gewinnen aus dem Verkauf von Dienstleistungen und Rechten an geistigem Eigentum. Schließlich lässt sich ein drittes Modell identifizieren: das Modell der akademischen Selbstregulierung. Hier kann Deutschland als Beispiel genannt werden. In diesem Modell spielen die akademischen Mitglieder der Universitäten selbst (also vornehmlich Professoren, aber auch weitere Personenkreise) eine tragende Rolle in der Verwaltung von Universitäten. Clark (1983) sprach daher auch aus einer kritischen Perspektive von dem Modell der »akademischen Oligarchie«. In diesem Modell verstehen sich Universitäten vor allem als »Gemeinschaft von Wissenschaftlern/ Professoren« (Dobbins et al. 2011: 674) und nicht als staatliche Bürokratien oder Unternehmen wie in den anderen beiden Modellen. Die Selbstverwaltungsstrukturen der Universitäten bauen auf korporatistischen Prinzipien auf, d. h. wesentliche Entscheidungen werden durch Gremien getroffen, in denen die unterschiedlichen Personenkreise (Professorenschaft, Mittelbau, Studierende, nicht-wissenschaftliche Mitarbeiter) vertreten sind. Dieses Modell ist zudem stark input-orientiert, denn eine externe Kontrolle des Forschungs-Outputs findet nur sehr begrenzt statt. Zwar sind auch hier die Universitäten im Wesentlichen staatsfinanziert, aber die einzelnen Universitäten genießen eine höhere Eigenständigkeit gegenüber staatlichen Institutionen als im staatszentrierten Modell. <?page no="147"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 146 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 147 147 Welche Entwicklungen lassen sich nun im Bereich der Hochschulgovernance beobachten? Zunächst gibt es Hinweise auf einen allgemeinen Trend zu marktorientierten Steuerungsformen, wenngleich dieser durch länderspezifische Kontextbedingungen geprägt ist (Knill et al. 2013). So zeigen Dobbins und Knill (2009) am Beispiel ausgewählter zentral- und osteuropäischer Länder (Bulgarien, Rumänien, Polen und die Tschechische Republik), dass sich selbst hier, wo nach dem Ende der Sowjetunion der Spielraum für institutionelle Reformen besonders groß gewesen sein müsste, das Marktmodell trotz Rückenwind aus Europa nicht überall durchgesetzt hat. Polen beispielsweise knüpfte an hochschulpolitische Traditionen aus der vorsozialistischen Periode an, die stark am deutschen Modell der akademischen Selbstregulierung orientiert waren. Im Gegensatz dazu ist Rumänien sehr viel entschiedener auf das Marktmodell umgeschwenkt. Diese Unterschiede erklären Dobbins und Knill (2009) mit dem Verweis auf unterschiedliche institutionelle und politische Kontexte in diesen Ländern. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich im Vergleich der deutschen Bundesländer beobachten. Auch hier haben im Zuge des Bologna-Prozesses weitreichende Reformen der Hochschul-Governance stattgefunden, die auf eine Stärkung der Eigenständigkeit der Universitäten und ihre Internationalisierung zielten. Da das staatszentrierte Modell der Hochschul-Governance im deutschen Kontext keine wichtige Rolle spielt, untersuchen Kamm und Köller (2010) im Rahmen einer Analyse der hochschulpolitischen Steuerungsinstrumente im Bundesländervergleich die Frage, inwiefern sich einzelne Bundesländer vom »bürokratisch-oligarchischen Modell« in Richtung eines eher marktorientierten »Management-Modells« bewegt haben. Letzteres ist im Gegensatz zum bürokratisch-oligarchischen Modell durch ein geringeres Maß an staatlicher Regulierung, eine stärker zielbezogene Außensteuerung (Output-Orientierung), mehr Wettbewerb zwischen den Universitäten sowie weniger akademischen Selbstregulierung und stattdessen stärker hierarchisch organisierte interne Steuerungsstrukturen gekennzeichnet (ebd.: 657). In der Gesamtschau zeigt die Analyse, dass im Verlauf der 2000er-Jahre das Management auf Kosten des bürokratisch-oligarchischen Modells zunehmend Verbreitung gefunden hat (ebd.: 670). Weiterhin bestehen starke Länderunterschiede: Vorreiter in der Umstellung waren zum Beispiel Nordrhein-Westfalen und Hessen, aber auch Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Das bürokratisch-oligarchische Modell dominiert nach Kamm und Köller (2010: 669) jedoch noch in Berlin, Brandenburg und Bayern. Insgesamt lassen sich also durchaus signifikante Veränderungsprozesse in der Bildungssteuerung beobachten, und zwar sowohl für den Bereich der allgemeinen Schulpolitik als auch in der Hochschulpolitik. Gemeinsamkeiten dieser Entwicklungen sind eine Abkehr von input-orientierten Formen <?page no="148"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 148 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 149 148 der Steuerung hin zu einer stärkeren Orientierung auf Outputs in Form von Bildungs- oder Forschungsleistungen. Damit einher geht eine Dezentralisierung der Steuerungsstrukturen, d. h. eine Verlagerung von Regelungskompetenzen von höheren Regierungsebenen auf die Ebene von Ländern, Regionen oder einzelnen Bildungsinstitutionen (Schulen oder Universitäten). Die zunehmende Dezentralisierung trägt zum Entstehen eines neuen Bedarfs nach Re-Regulierung auf der zentralen Ebene bei, d. h. der Schaffung neuer Institutionen wie Akkreditierungs- oder Curriculumsagenturen, welche die Einhaltung von gemeinsamen Bildungsstandards und die Qualität der Bildung im Allgemeinen überwachen sollen. Natürlich trifft dieser allgemeine Trend in unterschiedlichen Ländern auf unterschiedliche politische und institutionelle Kontextbedingungen. Diese Bedingungen haben einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie stark und in welcher Form sich der allgemeine Trend in einem spezifischen Fall manifestiert. Weiterführende Lektüre Dobbins, M. (2014). Explaining change and inertia in Swedish and French education: A tale of two corporatisms? Policy Studies 35(3), 282-302. Gingrich, J. R. (2011). Making Markets in the Welfare State: The Politics of Varying Market Reforms. Cambridge, New York: Cambridge University Press. Kamm, R., &-Köller, M. (2010). Hochschulsteuerung im deutschen Bildungsförderalismus. Swiss Political Science Review, 16(4), 649-686. Klitgaard, M. B. (2008). School Vouchers and the New Politics of the Welfare State. Governance, 21(4), 479-498. Lundahl, L. (2002). From Centralisation to Decentralisation: Governance of Education in Sweden. European Educational Research Journal, 1(4), 625-636. 5.3 Der Sozialinvestitionsstaat als Ausweg? Abschließend möchte ich einen dritten Themenkomplex untersuchen, der in direkter Verbindung zu den Kapiteln 4.1 und 4.2 steht. In der europäischen vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung wird seit einiger Zeit intensiv über das Modell des Sozialinvestitionsstaates diskutiert (Giddens 1998; Esping-Andersen 2002; vgl. grundlegend Bonoli 2013; Hemerijck 2013; <?page no="149"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 148 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 149 149 Morel et al. 2012). Grundlegend geht es um die Transformation und »Rekalibrierung« (Hemerijck 2013: 104-105) bestehender Wohlfahrtsstaaten. Diese Neuausrichtung der Sozialpolitik zielt auf den Ausbau von sozialen Investitionen, vor allem Investitionen in den Bereichen Bildung, Familienpolitik und Pflege. Die Überlegung dahinter ist, dass ein frühzeitiges Eingreifen des Sozialstaates wesentlich effektiver und gezielter dabei helfen kann, klassenbedingte Ungleichheiten abzubauen, als klassische Sozialtransferleistungen. Die Forschung des Bildungsökonomen Heckmann (Heckman 2006) und anderer hat gezeigt, dass die Bildungsrendite (»Rate of return to human capital investment«, ebd.: 1901) für benachteiligte Kinder mit zunehmendem Alter stark abnimmt. Das heißt, Investitionen in die Erziehung und Ausbildung von Kindern aus benachteiligten Familien sollten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in individuellen Lebens- und Bildungskarrieren erfolgen, denn dann ist die Chance größer, dass nachhaltige Verbesserungen erzielt werden können. Das Ziel ist es also, bereits zu einem frühen Zeitpunkt quasi präventiv die Entstehung von klassenbedingten Ungleichheiten zu vermeiden, um damit langfristig zu einer Linderung von sozialen Problem wie etwa Arbeitslosigkeit beizutragen, die auch durch fehlende Bildungschancen verursacht werden. Aus einer langfristigen, gesamtwirtschaftlichen Perspektive betrachtet, so das Argument, sei es damit wesentlich effizienter und gerechter, durch soziale Investitionen der Entstehung von sozialen Risiken präventiv entgegenzuwirken, statt diese aufwändig im Rahmen von Transferprogrammen, wie zum Beispiel der Arbeitslosenversicherung, nachträglich zu bekämpfen (Esping-Andersen 2002). Aus diesem Grund sind die Förderung und der Ausbau von frühkindlicher Erziehung mittels Kindertagesstätten, Kinderhorten und Kindergärten zentrale Komponenten des Sozialinvestitionsmodells (Bonoli 2013). Van Lancker (2013) hat allerdings gezeigt, dass die tatsächliche Nutzung solcher frühkindlichen Erziehungseinrichtungen selbst klassenbedingte Effekte aufweist, und zwar vor allen Dingen in den Ländern, in denen diese Institutionen noch nicht besonders weit ausgebaut sind. Konkret gesprochen werden diese Einrichtungen in einem Land mit einer schwach ausgebauten frühkindlichen Erziehungsstruktur vor allen Dingen von den wohlhabenden Schichten in Anspruch genommen. In einer solchen Situation könnte frühkindliche Erziehung sogar langfristig zu einer Verstärkung der sozialen Ungleichheiten beitragen, denn diese ermöglicht dann beiden Eltern die Teilnahme am Erwerbsleben, während die institutionellen Anreize für Eltern aus weniger wohlhabenden Schichten in Ländern mit schwach ausgebauter Infrastruktur gegen eine Erwerbsbeteiligung beider Elternteile wirken. <?page no="150"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 150 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 151 150 Ganz wesentlich dabei ist natürlich auch die Art und Weise, wie frühkindliche Erziehung finanziert wird. Abbildung 5.2 zeigt Daten zu den öffentlichen und privaten Ausgaben für frühkindliche Erziehung in OECD- Staaten als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt. Wie auch bei den Gesamtbildungsausgaben liegen die skandinavischen Staaten Dänemark, Island und Schweden weit vorne. Aber Spanien und Frankreich investieren ebenfalls vergleichsweise großzügig in diesen Sektor. Am unteren Ende der Skala finden sich Japan und einige angelsächsische Staaten wie Australien und Großbritannien. Interessanterweise sind hier aber auch Länder wie Norwegen, die Niederlande oder Finnland zu verorten, von denen man eine höhere Ausgabenquote hätte vermuten können. Entscheidend für die Frage des Zugangs zu frühkindlicher Erziehung ist die Höhe der anfallenden Gebühren. Abbildung 5.3 präsentiert Daten zur Höhe von Gebühren, die in verschiedenen Ländern für die Unterbringung eines zweijährigen Kindes in einer öffentlichen oder privaten Institution der frühkindlichen Erziehung aufzubringen sind. Die Gebühren sind als Anteile am Durchschnittslohn dargestellt. Da es sich um Durchschnittswerte handelt, wird hierbei die Tatsache vernachlässigt, dass sie auch teilweise einkommensabhängig erhoben werden. Wieder fallen die skandinavischen Länder wie Schweden, Island und Norwegen wegen ihrer besonders geringen Gebühren auf. Aber auch in Österreich und Griechenland muss wenig gezahlt werden, wenngleich hier die tatsächlichen Beteiligungsraten unter dem Quelle: OECD 2014: Tabelle C2.2, S. 328. 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 Australien Schweiz Japan Korea Portugal UK Estland Niederlande Finnland USA Slowakei Italien Tschechien Norwegen Deutschland Österreich Neuseeland Ungarn Belgien Frankreich Polen Schweden Luxemburg Slovenien Spanien Island Dänemark Abbildung 5.2: Öffentliche und private Ausgaben für frühkindliche Erziehung als-Anteil vom Bruttoinlandsprodukt, 2011. <?page no="151"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 150 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 151 151 Niveau der skandinavischen Länder liegen. Besonders hoch sind die Gebühren in der Schweiz, Luxemburg, den Niederlanden und Neuseeland. Generell gesprochen sind in Ländern, in denen frühkindliche Erziehung vor allen Dingen durch den Staat bereitgestellt und finanziert wird, die Zugangshürden für Angehörige der weniger wohlhabenden Schichten niedriger, als in Ländern, in denen substanzielle Gebühren anfallen, selbst wenn diese zum Teil einkommensabhängig sind. Die Forschung von Van Lancker (2013) zeigt deutlich, dass die Klassenunterschiede in den Beteiligungsraten von Kindern aus unterschiedlichen Familien in den Ländern geringer sind, in denen frühkindliche Erziehung weit ausgebaut ist und keine substanziellen privaten Kosten entstehen. Das Modell des Sozialinvestitionsstaates sollte allerdings nicht auf die Frage des Ausbaus von frühkindlicher Erziehung verkürzt werden. Auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik hat die Idee des aktivierenden Sozialstaates schon früh Fuß gefasst (Bonoli 2012, 2013). In Ländern wie Dänemark und Großbritannien wurde bereits Mitte der 1990er-Jahre eine Neuorientierung der Arbeitsmarktpolitik betrieben. Neben der passiven Arbeitsmarktpolitik-- d. h. der Unterstützung von Arbeitslosen durch soziale Transferleistungen- - sollten Arbeitssuchende gezielter durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik dazu motiviert und angetrieben werden, eine neue Beschäftigungsmöglichkeit zu suchen und anzunehmen. Der Katalog an Maßnahmen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist breit (Bonoli 2012) und Quelle: OECD Tax-Bene t Model 2014, http: / / www.oecd.org/ els/ bene tsandwagesstatistics.htm (Abruf am 25. November 2014). 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 Österreich Ungarn Schweden Griechenland Estland Slowakei Island Lettland Norwegen Polen Finnland Dänemark Korea Bulgarien Israel Litauen Tschechien Frankreich Deutschland Spanien Malta Portugal Belgien Kanada USA Australien Japan UK Irland Slovenien Neuseeland Niederlande Luxemburg Schweiz % des Durchschnittslohns Abbildung 5.3: Höhe der Gebühren für frühkindliche Erziehung als Anteil vom-Durchschnittslohn. <?page no="152"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 152 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 153 152 reicht von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen über Lohnsubventionen und Beschäftigungsprogramme bis hin zu Politikansätzen, die Transferbezieher dazu anhalten, selbst unliebsame Beschäftigungsmöglichkeiten anzunehmen, da sonst eine Kürzung der Bezüge droht. Neben der frühkindlichen Erziehung und der aktiven Arbeitsmarktpolitik sollten natürlich auch die anderen Bildungssektoren- - also berufliche, allgemeine und universitäre Bildung-- nicht aus den Augen geraten. Wie in Kapitel 4.2 gezeigt, steht die institutionelle Ausgestaltung dieser Bereiche in einem starken Zusammenhang zum Ausmaß sozialer Ungleichheit in einem bestimmten Land. Länder mit einem ausgebauten System der beruflichen Bildung und Länder mit niedrigen privaten Bildungsausgaben zeichnen sich durch insgesamt niedrigere soziale Ungleichheit aus. Der Ansatz des Sozialinvestitionsstaates erfreut sich sowohl bei Akademikern als auch in politischen Kreisen zunehmender Beliebtheit (Hemerijck 2012). Viele Grundideen des Paradigmas-- insbesondere das Bemühen um den Ausgleich zwischen wirtschaftlichem Wachstum und sozialpolitischen Belangen-- lassen sich in der Lissabon-Strategie und der Nachfolgestrategie »Europa 2020« wiederfinden. Vonseiten der Befürworter wird die Hoffnung geäußert, dass das Modell des Sozialinvestitionsstaates die Nachfolge des neoliberalen Wirtschaftsmodells als dominantes Paradigma antreten könnte (ebd.: 33), nachdem letzteres im Zuge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise selbst in die Krise geraten ist. Ein wesentlicher Unterschied zum neoliberalen Ansatz liegt darin, dass im Modell des Sozialinvestitionsstaats Sozialpolitik nicht primär als Kostenfaktor betrachtet wird, sondern durch einen entsprechende Neuorientierung des Wohlfahrtsstaates von passiven Sozialtransfers hin zu sozialen Investitionen diese sowohl die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als auch die soziale Inklusionskraft eines Landes verbessern können. Diese Idee der Verschmelzung von wirtschafts- und sozialpolitischen Zielsetzungen ist auch in der »Europa 2020«-Strategie zentral, die auf die Förderung von »intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum« setzt. 17 Damit greift das Sozialinvestitionsmodell einen Kerngedanken des keynesianischen Wirtschaftsparadigmas auf, das in den 1960er- und 1970er-Jahren sehr einflussreich war. Auch hier wurde der Ausbau der Sozialpolitik zum Teil mit einer wirtschaftspolitischen Motivation gerechtfertigt: Großzügig bemessene Sozialleistungen stimulieren die wirtschaftliche Nachfrage und können so, vor allem zu Krisenzeiten, zu einer Stabilisierung der Wirtschaft beitragen. Die wirtschaftlichen Krisen der 1970er- und 1980er-Jahre haben die politi- 17 http: / / ec.europa.eu/ europe2020/ europe-2020-in-a-nutshell/ priorities/ index_ de.htm (Abruf 20. November 2014). <?page no="153"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 152 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 153 153 sche Wirkmächtigkeit des keynesianischen Paradigmas nachhaltig erschüttert und damit zum Aufstieg des neoliberalen Modells beigetragen (Hall 1992). Eine wichtige Lehre aus dem Scheitern des keynesianischen Ansatzes war, dass eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik in Zeiten der ökonomischen Globalisierung an ihre Grenzen stößt, da fiskalpolitische Impulse wegen der offenen Grenzen wenig effektiv sind. Daher zielt das Sozialinvestitionsmodell eben nicht auf die Stärkung der ökonomischen Nachfrageseite, sondern auf eine Verbesserung der Verhältnisse auf der Angebotsseite, vor allem im Hinblick auf die Humankapital-Ausstattung einer Volkswirtschaft (Boix 1997, 1998). Die Erwartung ist, dass Volkswirtschaften, die konsequent auf den Ausbau von Bildung setzten, langfristig höhere Wachstumsraten produzieren (Romer 1986). Es gibt aber auch Kritik am Sozialinvestitionsmodell. Zum einen wird befürchtet, dass der Ausbau der sozialinvestiven und aktivierenden Elemente des Sozialstaates auf Kosten der klassischen Sozialversicherung gehen und damit sozialstaatliche Rückbaupolitik legitimieren könnte. Eine daran anschließende Kritik ist, dass die Neuausrichtung europäischer Sozialpolitik auf dieses Modell bislang wenig dazu beigetragen habe, das bestehende Niveau an sozialer Ungleichheit und Armut in den Ländern der EU nachhaltig zu reduzieren (Cantillon 2011; Vandenbroucke/ Vleminckx 2011). Aus dieser eher kritischen Perspektive heraus betrachtet, könnte das Sozialinvestitionsmodell demnach auch als Projekt verstanden werden, den Fokus sozialstaatlicher Politik von Sozialtransfers, die eher ärmeren Bevölkerungsgruppen zukommen, auf Politiken wie den Ausbau frühkindlicher Erziehung zu verlagern, von denen stärker wohlhabende Mittelschichten profitieren. Ein dritter Kritikpunkt könnte sein, dass das Sozialinvestitionsmodell den Erwerb von Bildung vor allem unter wirtschafts- und sozialpolitischen Gesichtspunkten fördern will, d. h. zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit (employability). Es geht also weniger um die Förderung von Bildungsteilhabe als Selbstzweck, sondern um die Verbesserung der sozialen und ökonomischen Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum. Damit einhergehend könnte auch der Ansatz, Kinder-- und hierbei insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien-- zu einem möglichst frühen Zeitpunkt ihrer Bildungskarrieren von familiären Strukturen in institutionalisierte Formen der Kindererziehung zu überführen, als paternalistischer und/ oder technokratischer Ansatz der Erziehung von »Humankapital« verstanden werden (vgl. Streeck 2008). Ob sich das Sozialinvestitionsmodell langfristig politisch durchsetzen wird, bleibt somit zurzeit noch offen. Auch ist unklar, ob die globale Wirtschafts- und Finanzkrise die Durchsetzungschancen des Modells erhöht oder verringert hat (Hemerijck 2013). Einerseits eröffnet die Krise ein Reformfenster, das für tiefgreifende Strukturveränderungen genutzt werden könnte. <?page no="154"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 154 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 155 154 Andererseits hat die Krise, zumindest in einigen Ländern, die bestehenden Sozialsysteme stark belastet, sodass keine finanziellen Spielräume bestehen, neue Sozialprogramme aufzulegen. Eine kursorische Analyse der Ausgaben für »alte« (Ausgaben für Renten, Gesundheit und Arbeitslosigkeit) und »neue« Sozialpolitiken (Ausgaben für Familienpolitik, aktive Arbeitsmarktpolitik sowie Primar- und Sekundarschulbildung) zeigt jedenfalls, dass auch während der Krisenjahre wenig Veränderungen der relativen Anteile zu beobachten sind, d. h. institutionelle Stabilität und Pfadabhängigkeiten dominieren (Busemeyer 2014). Einige Länder, wie etwa die Niederlande, Großbritannien, aber auch Deutschland im Bereich der Familienpolitik, haben aber durchaus signifikante Reformen umgesetzt und den Anteil der sozialinvestiven Sozialpolitik im Verlauf der 2000er Jahre-deutlich erhöht (Fleckenstein et al. 2011; Morgan 2012). Weiterführende Lektüre Bonoli, G. (2013). The Origins of Active Social Policy: Labour Market and Childcare Policies in a Comparative Perspective. Oxford, New York: Oxford University Press. Cantillon, B. (2011). The paradox of the social investment state: Growth, employment and poverty in the Lisbon era. Journal of European Social Policy, 21(5), 432-449. Esping-Andersen, G. (2002). Why We Need a New Welfare State. Oxford, New York: Oxford University Press. Hemerijck, A. (2013). Changing welfare states. Oxford, New York: Oxford University Press. Morel, N., Palier, B., &-Palme, J. (2012). Beyond the welfare state as we knew it? In N. Morel, B. Palier &- J. Palme (Eds.), Towards a Social Investment Welfare State? Ideas, Policies and Challenges (pp. 1-30). Bristol, UK; Chicago, IL: Policy Press. Vandenbroucke, F., &- Vleminckx, K. (2011). Disappointing poverty trends: Is the social investment state to blame? Journal of European Social Policy, 21(5), 450-471. <?page no="155"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 154 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 155 155 6 Fazit und Ausblick Dieses Lehrbuch zielt darauf ab, eine möglichst breite Einführung in die wichtigsten Themen der Bildungsforschung aus der Perspektive vergleichenden Politikwissenschaft bzw. der vergleichenden Policy-Forschung zu geben. Notwendigerweise muss eine solche Einführung in vielerlei Hinsicht an der Oberfläche bleiben. Die Vielfalt der Themen reichte von den historischen Ursprüngen heutiger Bildungssysteme mit einem Fokus auf der zweiten Hälfte des 20.-Jahrhunderts über die Rolle von Parteipolitik und Institutionen bis hin zu Spielarten des Kapitalismus, Europäisierung und dem Sozialinvestitionsstaat. Abschließend möchte ich wieder einen Bogen zum Beginn dieses Buches schlagen und daran anschließend eine Einschätzung zur Zukunft der Bildung in entwickelten Demokratien geben. Dort hatte ich darauf hingewiesen, dass sich in fast allen OECD-Ländern große Mehrheiten in der Bevölkerung für mehr öffentliche Bildungsausgaben aussprechen. Dennoch stagnieren in vielen Ländern, unter anderem in Deutschland, die Bildungsausgaben auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Im Modell des Sozialinvestitionsstaates- - aber auch in vielen anderen Kontexten- - werden Investionen in Bildung gern als »Wunderwaffe« zur Lösung vielfältiger sozialer Probleme gesehen. Warum scheint es dennoch so schwer zu sein, Bildungsinvestitionen massiv auszuweiten? Ein wichtiger Grund liegt darin, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in den entwickelten Demokratien des Westens an die großzügigen Leistungen des Sozialstaates gewöhnt haben und diese ungern aufgeben (Pierson 2001). Nicht erst seit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern bereits seit Beginn der 1980er-Jahre haben die fiskalpolitischen Spielräume der Regierungen aber massiv abgenommen. Damit werden »Rekalibrierungen« (Hemerijck 2013) des Wohlfahrtsstaates in Richtung des Sozialinvestitionsmodells zum verteilungspolitischen Nullsummenspiel. Dies gilt vor allem aus der kurzfristigen Perspektive, denn langfristig könnten sozialinvestive Sozialstaaten zu höheren Wachstumsraten beitragen. Wenn Politiker oder Wählerinnen und Wähler mit der Wahl zwischen kurzfristigem Verzicht auf lieb gewonnene Sozialleistungen im Austausch gegen den langfristigen Nutzen von Bildungsinvestitionen konfrontiert werden, scheinen sie tendenziell ersteres zu wählen: Breunig und Busemeyer (2012) untersuchen die Auswirkung von fiskalpolitischen Krisen auf die Verteilung von Staatsausgaben auf verschiedene Ausgabenkategorien. Ihr Kernbefund ist, dass fiskalpolitische Krisen, zum Beispiel eine signifikante Zunahme des Haushaltsdefizits, zu <?page no="156"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 156 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 157 156 einer Reduzierung des Anteils von öffentlichen Investitionen, aber zu einem Anstieg des Anteils der Ausgaben für Rente führen (vgl. auch Streeck/ Mertens 2011). Auf der einen Seite bestehen somit politische Herausforderungen bei der Umsetzung einer auf Bildung ausgerichteten Reformstrategie. Auf der anderen Seite haben viele Beispiele in diesem Buch gezeigt, dass signifikante Bildungsreformen möglich sind, wenngleich sie häufig nicht in Form einer großen radikalen Veränderung geschehen, sondern als mittelgroße Reformprojekte, die über einen längeren Zeitraum umgesetzt werden. Die zunehmende Internationalisierung der Bildungspolitik kann dabei Rückenwind geben und Reformfenster öffnen helfen, die nationale Akteure nutzen können. Durch die Internationalisierung können aber auch Politikansätze transferiert werden, obwohl eine Mehrheit der nationalen Akteure sie kritisch sieht. Am Ende bleibt festzuhalten, dass Bildungspolitik ein enorm vielschichtiger und komplexer Forschungsgegenstand ist, dessen Untersuchung noch lange nicht abgeschlossen ist. <?page no="157"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 156 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Busemeyer__Bildungspolitik__[Druck-PDF]/ 03.03.2015/ Seite 157 157 Literaturverzeichnis Aasen, P. (2003). What happened to Social-Democratic Progressivism in Scandinavia? Restructuring Education in Sweden and Norway in the 1990s. In M. W. Apple (Ed.), The State and the Politics of Knowledge (pp. 109-147). London, New York: Routledge. Acemoglu, D., &-Pischke, J.-S. (1998). Why Do Firms Train? Theory and Evidence. Quarterly Journal of Economics, 113(1), 79-119. Ainley, P. (2001). From a National System Locally Administered to a National System Nationally Administered: The New Leviathan in Education and Training in England. Journal of Social Policy, 30(3), 457-476. AK DQR. (2011). 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