eBooks

Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache

0911
2017
978-3-8385-4527-1
978-3-8252-4527-6
UTB 
Katja Kessel
Sandra Reimann

Gegenstand dieses Einführungsbuchs sind die wichtigsten Teilbereiche und Methoden der deutschen Sprachwissenschaft. Besonders ausführlich werden die Kapitel Syntax und Wortbildung behandelt, die zum Kanon der meisten sprachwissenschaftlichen Prüfungen gehören. In der Neuauflage wird erstmals die Pragmatik als weitere klassische sprachwissenschaftliche Disziplin in das Einführungsbuch aufgenommen. In diesem Kapitel werden Grundbegriffe geklärt und die "Sprechakttheorie", die "Konversationsmaximen" sowie die Gesprächsanalyse als Anwendungsfeld der Pragmatik vorgestellt. Jedes Kapitel enthält Übungen mit Lösungen und weiterführende Literatur, sodass die Studierenden sich den Stoff selbstständig erarbeiten und ihre Kenntnisse überprüfen können. Der Transfer in die Analysepraxis steht stets im Vordergrund.

,! 7ID8C5-cefchg! ISBN 978-3-8252-4527-6 Katja Kessel | Sandra Reimann Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache 5. Auflage Sprachwissenschaft Deutsche Gegenwartssprache Dies ist ein utb-Band aus dem A. Francke Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York utb 0000 UTB (M) Impressum_17.indd 1 08.11.16 14: 37 u t b 2 7 0 4 Dr. Katja Kessel studierte Germanistik, Pädagogik, Deutsch als Fremdsprache und Internationale Handlungskompetenz an den Universitäten Regensburg und Boulder, CO , USA . Von 2002 bis 2006 war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Regensburg tätig. Derzeit leitet sie die Allgemeine Studienberatung an der Hochschule Coburg. PD-Dr. Sandra Reimann studierte Germanistik, Politik, Soziologie und Journalistik in Regensburg und Eichstätt. Seit 2001 ist sie am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Regensburg tätig, und zwar momentan als Akademische Oberrätin a.Z.; zwischendurch vertrat sie Professuren in Paderborn, Bonn und Regensburg und war als Gastprofessorin an der Karl-Franzens-Universität Graz. Seit 1992 ist sie Hörfunkjournalistin. Sandra Reimann ist Sprecherin des Regensburger Verbunds für Werbeforschung (RVW) und hat die wissenschaftliche Betreuung des Regensburger Archivs für Werbeforschung (RAW) inne. Sie hat zahlreiche Kontakte zu Universitäten im Ausland. Als Gastdozentin ist sie seit Jahren u.a. in Finnland und Italien tätig, ferner unterrichtete sie in Griechenland, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Tschechien und Ungarn. Katja Kessel / Sandra Reimann Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache 5., überarbeitete und erweiterte Auflage A. Francke Verlag Tübingen Umschlagabbildung: © Stefanie Brors Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage 2017 4., durchgesehene Auflage 2012 3., überarbeitete Auflage 2010 2., überarbeitete Auflage 2008 1. Auflage 2005 © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany utb-Nr.: 2704 ISBN 978-3-8252-4527-6 V Inhalt Vorwort zur 5. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Vorwort zur 3. und 4. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV I. Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Was ist ein Satz? Zur Satzdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Das Verb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3. Satzklassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3.1 Satzart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3.2 Satztyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3.3 Satzform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 4. Das Prädikat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4.1 Prädikatsteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4.2 Die Valenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 5. Die Satzglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 5.1 Traditionelle Satzgliedklassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 5.2 Satzgliedtests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 5.3 Tests zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben . . . . . 23 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben . . . . . . . . . . . . . . . 28 6. Attribute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 6.1 Definition und Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 6.2 Attributtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 6.3 Grafische Darstellung von attribuierten Satzgliedern . . . . . . . . . . 42 7. Besonderheiten der Verbvalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 7.1 0-wertige Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 7.2 Unterwertiger Gebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 7.3 Besonderheiten der Valenz im Passiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 7.4 Valenzerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 VI Inhalt 8. Satzteile ohne Satzglied(teil)status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 8.1 Konjunktionen und Subjunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 8.2 Korrelate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 8.3 Partikeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 9. Stolpersteine der Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 9.1 Reflexive Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 9.2 Die verschiedenen Funktionen von es . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 9.3 Der so genannte „Freie Dativ“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 10. Das Stemma als grafische Darstellungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 11. Zusammenfassung: Satzanalyse - Schritt für Schritt . . . . . . . . . . . . . . . . 60 12. Musteranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 13. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 14. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 II. Wortarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Was ist ein Wort? Zur Wortdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Kriterien zur Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Flektierbare Wortarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.1 Verb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2 Adjektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.3 Substantiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.4 Pronomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.5 Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4. Nicht flektierbare Wortarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.1 Adverb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.2 Präposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4.3 Konjunktion / Subjunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4.4 Partikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4.5 Satzäquivalent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5. Problem Homonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 7. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 VII Inhalt III. Flexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Deklination und Konjugation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Pluralbildung des Substantivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Adjektivdeklination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4. Bildung des Partizips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5. Tempus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5.1 Bildung der Tempusformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5.2 Gebrauch der Tempora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6. Modus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 6.1 Bildung der Modusformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 6.2 Gebrauch der Modi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 8. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 IV. Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Grundbegriffe: Morph - Morphem - Allomorph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Morphemklassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Morphem - Wort - Silbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4. Besonderheiten: Unikale Morpheme, Pseudomorpheme, Portemanteaumorpheme, Konfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5. Motiviertheit von Wortverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 6. Produktivität von Wortbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7. Die Wortbildungsparaphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 8. Binäre Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 9. Wortbildungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 9.1 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 9.2 Explizite Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 9.3 Implizite Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 9.4 Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 9.5 Sonderfall: Unfeste Verbbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 9.6 Zusammenrückung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 9.7 Wortkreuzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 9.8 Reduplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 VIII Inhalt 9.9 Kurzwortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 9.10 Rückbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 10. Zusammenfassung: Wortbildung - Schritt für Schritt . . . . . . . . . . . . . . . 139 11. Musteranalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 12. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 13. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 V. Sprache und Sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Eigenschaften sprachlicher Zeichen: Arbitrarität und Konventionalität . 149 2. Zeichentypen: Index, Ikon und Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Zeichenmodelle sprachlicher Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 4. Grundbegriffe: Langage - Langue - Parole - Norm . . . . . . . . . . . . . . . . 156 5. Ein Kommunikationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 6. Varietäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6.1 Idiolekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6.2 Standardsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 6.3 Dialekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 6.4 Umgangssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 6.5 Fachsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6.6 Soziolekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6.7 Sondersprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 6.8 Genderlekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 6.9 Nationale Varietäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 7. Gesprochene Sprache - geschriebene Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 9. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 VI. Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Onomasiologische vs. semasiologische Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . 176 2. Syntagmatische Bedeutungsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Das Wortfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4. Die Semanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 IX Inhalt 5. Prototypensemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6. Dimensionen der Bedeutung eines Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 7. Bedeutungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 7.1 Polysemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 7.2 Homonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 7.3 Synonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 7.4 Antonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 7.5 Hyperonymie / Hyponymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 8. Bedeutungswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 9. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 10. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 VII. Phonologie und Phonetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1.1 Grundbegriffe: Phon-- Phonem-- Allophon . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1.2 Distribution von Phonemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Phonetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2.1 Die Lautschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2.2 Aussprachevarietäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2.3 Sprechwerkzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2.4 Bildung der Konsonanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2.5 Bildung der Vokale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2.6 Suprasegmentalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 VIII. Graphemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Grundbegriffe: Graph - Graphem - Allograph - Buchstabe . . . . . . . . . . 219 2. Das Verhältnis von Lautung und Schreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 X Inhalt 2.2 Kennzeichnung der Langvokale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2.3 Das Phonem / s/ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2.4 Das Graph <s> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2.5 Das Graph <e> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Rechtschreibprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 4. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 5. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 IX. Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Sprechakttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1.1 Grundbegriffe nach Searle und Austin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1.2 Illokutionsindikatoren und -strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1.3 Sprechaktklassifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1.4 Sprechaktregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Konversationsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Proposition, Präsupposition und Implikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4. Ein Anwendungsfeld der Pragmatik: Gesprächsanalyse . . . . . . . . . . . . . 243 5. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 6. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 X. Textgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Was ist ein Text? Zur Textdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Textsorten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3.1 Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3.2 Referenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3.3 Transphrastisches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3.4 Rekurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3.5 Konnexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 4. Beschreibungskriterien des Topiks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 4.1 Lexikalische Verweisausdrücke mit Referenzidentität . . . . . . . . . 267 XI Inhalt 4.2 Lexikalische Verweisausdrücke ohne Referenzidentität . . . . . . . . 269 4.3 Grammatische Verweisausdrücke (Proformen) . . . . . . . . . . . . . . 271 4.4 Referenzrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 4.5 Syntaktische Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 4.6 Verflechtungsrichtung und -abstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 5. Zusammenfassung: Textgrammatik - Schritt für Schritt . . . . . . . . . . . . . 276 6. Musteranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 7. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 8. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 XI. Stilistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1. Makro- und Mikrostilistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2. Satzstilistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3. Wortstilistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 4. Laut- und Klangstilistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 5. Graphostilistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 6. Stilfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 6.1 Figuren des Ersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 6.2 Figuren der Auslassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 6.3 Figuren der Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 6.4 Figuren der Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 7. Zusammenfassung: Stilanalyse - Schritt für Schritt . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 8. Musteranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 9. Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 10. Quellen und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Lösungsvorschläge zu den Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 XIII Vorwort zur 5. Auflage Vorwort zur 5.Auflage Wer hätte vor mehr als 10 Jahren-- als die erste Auflage unseres Basiswissens erschienen ist-- damit gerechnet, dass sich unsere Einführung so gut etabliert? Nun können wir schon die 5. Auflage „feiern“. Dies tun wir mit einer umfangreichen Kapitelerweiterung: Immer wieder war an uns der Wunsch herangetragen worden, doch auch die Pragmatik als eine der klassischen sprachwissenschaftlichen Disziplinen in die Einführung aufzunehmen. Diesem Wunsch kommen wir nun endlich nach und stellen im Kapitel IX . Pragmatik insbesondere die beiden großen Theorien „Sprechakttheorie“ und „Konversationsmaximen“ vor. Zudem gehen wir in den Grundzügen auf ein typisches Anwendungsfeld ein-- die Gesprächsanalyse. In bewährter Weise finden sich dazu auch Übungen mit Lösungen. Die 5. Auflage unseres Basiswissens hat außerdem ein neues Layout erhalten; dies wurde nötig, weil das Einführungsbuch künftig etwa auch als E-Book im Format epub angeboten wird. Im Zuge dieser Layoutanpassungen wurden neue Zeichen verwendet, die an dieser Stelle kurz erläutert werden sollen: Hier finden Sie Tipps und Informationen für die Analyse. Dieses Zeichen bedeutet „Achtung! “. Es werden Probleme oder „Fallen“ besprochen. Der Stift erläutert die sprachwissenschaftlichen Schreibkonventionen. Dieses Zeichen kennzeichnet Definitionen. Hier verweisen wir auf Quellen und Literatur für das vertiefte Studium. Schritt-für-Schritt-Vorgehen sind grau hinterlegt, Exkurse sind durch senkrechte Linien markiert. Folgende Wörterbücher sind für das Studium der Sprachwissenschaft allgemein sehr nützlich; sie werden deshalb nicht in den einzelnen Kapiteln erwähnt: Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. 4., durchges. u. bibl. erg. Aufl. unter Mitarbeit von Hartmut Lauffer. Stuttgart 2008. XIV Vorwort zur 3. und 4. Auflage Glück, Helmut/ Rödel, Michael: Metzler Lexikon Sprache. 5., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart/ Weimar 2016. Kürschner, Wilfried: Grammatisches Kompendium. Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe. 7., überarb. u. erw. Aufl. Tübingen 2017. Manchmal wurde an unserem Basiswissen kritisiert, dass wir nicht streng methodisch vom Großen (Text) zum Kleinen (Laut) oder umgekehrt vorgehen, sondern mit der Satzanalyse starten. Dies hat mehrere Gründe. Außer dass die Satzanalyse zusammen mit der Wortbildung die umfangreichsten Kapitel darstellen, die so gut wie in jeder sprachwissenschaftlichen Abschlussprüfung vorkommen, wollen wir unsere Leser- - in der Regel Studierende der ersten Semester-- dort abholen, wo sie nach ihrer Schullaufbahn stehen. Und in der Schule werden nun einmal insbesondere auf der Satzebene Satzglieder ermittelt und auf der Wortebene Wortarten bestimmt. Ein Zugang über die Satz- und Wortebene bietet sich da bestens an. Ganz herzlich bedanken möchten wir uns erneut bei Prof. Dr. Albrecht Greule (Regensburg), der wieder mit wachem Blick unsere Kapitelerweiterung durchgesehen und wertvolle Rückmeldungen gegeben hat. Unser Dank gilt ebenfalls Prof. Dr. Paul Rössler (Regensburg) für wertvolle Anregungen insbesondere zum Kapitel VIII . Graphemik. Für eine abschließende Gesamtdurchsicht der 5.-Auflage danken wir Rebecca Rapp herzlichst. Vorwort zur 3. und 4.Auflage Über den regen Zuspruch, den unser Buch bisher im In- und Ausland gefunden hat, sind wir sehr erfreut. Wir danken für Anregungen und Verbesserungsvorschläge, die wir in die 3. und 4. Auflage auch aufgenommen haben. Vorwort zur 2.Auflage Schon nach kurzer Zeit durften wir für unser Basiswissen eine zweite Auflage vorbereiten. Über die große Nachfrage, die positiven Rückmeldungen der Studierenden und Lehrenden-- auch aus dem Ausland bzw. dem Deutsch-als- Fremdsprache-Unterricht-- freuen wir uns sehr. Für die Überarbeitung haben wir zahlreiche Anregungen erhalten, für die wir uns an dieser Stelle recht herzlich bedanken möchten. Wir haben in der zweiten Auflage des Basiswissens XV Vorwort die neuesten Entwicklungen der Rechtschreibung berücksichtigt, so dass auch die Klassifikationsmöglichkeiten, z. B. bei den Prädikaten, an den Stand vom 01. 08. 2006 angepasst wurden. Nochmals ein kurzer Hinweis zum Schluss: Wie bereits beim Vorwort zur ersten Auflage angemerkt, ist unser Einführungsbuch lediglich als Einstieg in die Analyse der deutschen Sprache gedacht. Der Leser soll ermutigt werden, sich in einem zweiten Schritt weitere Theorien und Analysemöglichkeiten anzueignen, auf diese Weise sein Wissen ständig zu erweitern und sich auch eine eigene Forschungsmeinung zu bilden. Vorwort Unser Ziel war es, ein übersichtliches, verständliches und analyseorientiertes Arbeitsbuch zu schreiben. Deshalb halten wir Übungsaufgaben (mit Lösungsvorschlägen), Analyseraster und Tipps für die Bearbeitung schwieriger Fälle und „Fallen“ für besonders wichtig; in den meisten Einführungsbüchern kommt der Transfer vom theoretischen Wissen zur Anwendung auf eine konkrete Analyse leider zu kurz oder wird überhaupt nicht angestrebt. Unser Buch ist damit in gleichem Maße als Unterrichtsgrundlage wie auch zum Selbststudium für unsere Hauptzielgruppe, die Germanistikstudenten im Grundstudium, geeignet. Alle für uns besonders relevanten Bereiche der deutschen Gegenwartssprache sind abgedeckt-- einschließlich der im (bayerischen) Staatsexamen geprüften Inhalte. Die Gliederung richtet sich nach dem Kriterium „vom Großen zum Kleinen“- - von der Satzzur Lautebene. Zwei Hauptgebiete der deutschen Gegenwartssprache, „Syntax“ und „Wortbildung“, sind für die verschiedenen Abschlussprüfungen besonders relevant und werden deshalb von uns ausführlicher als in vielen anderen Einführungen behandelt. Dass die beiden Kapitel „Textgrammatik“ und „Stilistik“ erst am Ende des Buches erscheinen, liegt an dem für diese sprachwissenschaftlichen Teilbereiche notwendigen Vorwissen, welches man sich in den vorhergehenden Kapiteln erarbeiten muss. Unsere Absicht war nicht, die gesamte Breite der sprachwissenschaftlichen Forschung aufzugreifen und verschiedene Theorien zu den einzelnen Themen einander gegenüberzustellen. Solche Diskussionen gingen dem Buch voraus und wir haben uns bemüht, den Hauptkonsens stets zu berücksichtigen. An einigen Stellen (z. B. der Klassifikation der Prädikate) haben wir uns für einen eigenen, uns schlüssig erscheinenden Weg entschieden. Die Inhalte stellen ein XVI Vorwort Basiswissen dar, welches im Laufe des Studiums vertieft und durch andere, eventuell sich widersprechende Theorien ergänzt werden sollte. Das Buch kann also auch den Einstieg in die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Literatur erleichtern. Dazu ist es unerlässlich, sich mit primärer Forschungsliteratur (Grammatiken, Aufsätze) auseinanderzusetzen. Nach jedem Kapitel werden weiterführende Literaturhinweise gegeben, die einen ersten Anstoß zur vertieften Beschäftigung mit den Themen geben sollen. (…) Das Buch ist aus unseren Proseminaren an der Universität Regensburg entstanden. Wir danken allen Studierenden, Tutorinnen und Tutoren, die als Testpersonen bereitwillig zur Verfügung standen und uns durch kritisches Nachfragen und Mitdenken in der Konzeption dieses Buches vorangebracht haben. Unser besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Albrecht Greule (Regensburg), Frau Prof. Dr. Nina Janich (Darmstadt) und Frau PD Dr. Christiane Thim- Mabrey (Regensburg). Außerdem danken wir herzlich Frau Prof. Dr. Marianne Hepp (Pisa, Italien), Herrn Jörg Kessel M. A. (Regensburg), Frau PD Dr. Susanne Näßl (Leipzig) und Frau Prof. Dr. Dagmar Neuendorff (Turku / Åbo, Finnland). Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern, dass sie durch dieses Buch „Einsicht in den Bau der (deutschen) Sprache“ erhalten und damit erfolgreicher sind als die drei Suchenden auf dem Buchumschlag. Uns würde es freuen, wenn Sie Lust darauf bekämen, die deutsche Sprache zu entdecken und sie bewusster wahrzunehmen. 1 I. Syntax Syntax (griech. ‚Zusammenordnung‘) ist die Lehre vom Bau der Sätze. 1. Was ist ein Satz? Zur Satzdefinition Auf den ersten Blick scheint völlig klar zu sein, was ein Satz ist. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht tauchen jedoch einige Probleme auf, die dazu führten, dass mitunter über 200 Satzdefinitionen gezählt wurden. Eine allgemein anerkannte Satzdefinition gibt es nicht. Wir gehen davon aus, dass ein Satz ein Verb, genauer ein Prädikat (vgl. Kap. I.2. a Prädikat) braucht, z. B. Professor Weber hält seine Vorlesung heute um 10 Uhr. Die untersuchte Sprache (z. B. alle Beispiele) nennt man Objektsprache. Sie wird im Gegensatz zur Metasprache, d. h. der wissenschaftlichen Sprache, mit der man über Sprache redet, kursiv gesetzt. Ein Sonderfall sind Ellipsen. Das sind Sätze, in denen Teile weggelassen werden, die jedoch aus dem Text oder einer vorhergehenden Äußerung ergänzt werden können. Hierher gehört das Beispiel Heute (kommt mein Besuch). auf die Frage Wann kommt dein Besuch? Verbalsatz: Ein Satz ist eine sprachliche Konstruktion aus verschiedenen Satzgliedern, in deren Zentrum ein Prädikat steht. Ein Satz hat formale, grammatische und inhaltliche Eigenschaften: 2 2. Das Verb formal grammatisch inhaltlich geschriebene Sprache: ▶ Großschreibung am Satzanfang ▶ Satzschlusszeichen am Satzende gesprochene Sprache: ▶ Abgrenzung durch Intonation, Pausen ▶ Binnenstruktur eines Satzes ist nicht beliebig (v. a. vom Prädikat abhängig) ▶ Prädikat als entscheidendes Kriterium (Def. des Verbalsatzes) ▶ Sonderfälle: Ellipsen, Setzungen, Satzäquivalente ▶ Sätze sind inhaltlich und kommunikativ relativ abgeschlossen und stehen meist innerhalb größerer sprachlicher Äußerungen (Texte), die Auswirkungen auf die Binnenstruktur des Satzes haben (vgl. Kap. X. Textgrammatik). Nicht satzhaft dagegen sind z. B. die Ausdrücke Nein! , Hilfe! , Aua! , Überfall auf Supermarkt! . Sie können eingeteilt werden in: ▶ Setzungen: Sie benötigen kein Prädikat und es kann bzw. soll auch keines ergänzt werden, z. B. bei der Zeitungsüberschrift Überfall auf Supermarkt! oder bei Hilfe! . ▶ Satzäquivalente (als eigene Wortart): Dazu gehören Empfindungswörter (Ausrufe oder Interjektionen genannt), z. B. Aua! oder Hurra! und ja, nein, doch als Antworten auf Entscheidungsfragen sowie bitte und danke. 2. Das Verb a) Prädikat Das Prädikat ist ein (verbales) Satzglied (bzw. strukturelles Zentrum des Satzes), das ein finites Verb enthalten muss. Ein Prädikat kann aus mehreren Teilen bestehen, die auch eine Satzklammer bilden können, d. h., die Teile des Prädikats werden durch andere Satzglieder voneinander getrennt (diskontinuierliches Prädikat). Bsp.: Peter hätte gerne als Pilot gearbeitet. (vgl. Kap. I. 4.1 Prädikatsteile). b) Finitum Das Finitum ist ein konjugiertes Verb. Die Kategorien der Verbkonjugation (vgl. Kap. III . Flexion) sind Person, Numerus, Tempus und Modus. Ein finites Verb kann allein das Prädikat bilden (=-Vollverb). Bsp.: Der Nachbar mäht den Rasen. 3 3.1 Satzart Das Passiv wird im Deutschen mit einem Hilfsverb gebildet, z. B. Der Rasen wurde gemäht. Das Genus verbi (Aktiv und Passiv) wird oftmals allerdings als Konjugationskategorie angeführt. c) Infinitum Das Infinitum ist ein Verb, das den oben genannten Kategorien der Konjugation nicht unterliegt. Hierzu gehören im Deutschen Infinitiv (z. B. lachen, lächeln) sowie Partizip I / Partizip Präsens (z. B. lachend, lächelnd) und Partizip II / Partizip Perfekt (z. B. gelacht, gelaufen). Ein infinites Verb allein kann nicht das Prädikat bilden. 3. Satzklassifikation 3.1 Satzart Bei der Klassifikation nach der Satzart steht die kommunikative Funktion des Satzes im Vordergrund. Sie wird bestimmt durch Modus, Stellung des finiten Verbs im Satz, Intonation und Zeichensetzung (Interpunktion). Wir können mit einem Satz eine Aussage machen, eine Frage stellen oder eine Aufforderung aussprechen. Aussagesatz Fragesatz Aufforderungssatz Modus Indikativ oder Konjunktiv Indikativ oder Konjunktiv Imperativ Stellung des finiten Verbs 2. Position 2. Position in Ergänzungsfragen 1. Position in Entscheidungsfragen 1. Position Intonation fallend fallend oder steigend fallend Interpunktion Punkt oder Semikolon Fragezeichen Ausrufezeichen Kommunikative Funktion „Ich sage / behaupte das“ „Ich will wissen“ „Ich will / empfehle dir, dass du das tust“ 4 3. Satzklassifikation a) Aussagesatz Im Aussagesatz steht nie Imperativ, das finite Verb steht gewöhnlich an zweiter Stelle (vgl. Kap. I. 3.2 Satztyp) und die Intonation ist fallend. Die Grundeinstellung des Sprechers ist: „Ich sage / behaupte das“. Ich freue mich auf die Semesterferien. Obwohl ich arbeiten muss, bleibt mir bestimmt viel Zeit, mich zu erholen. b) Fragesatz Fragesätze können Ergänzungsfragen und Entscheidungs- oder Satzfragen sein. Ergänzungsfragen können eingeteilt werden in Wortfragen (W-Fragen: wer, was, wo, wann,-…) und in verbale Ergänzungsfragen (Was macht X? ), mit denen nach dem Prädikat und den Ergänzungen (vgl. Kap. I. 4.2 Die Valenz) gefragt wird (X lernt für das Staatsexamen.). Die Ergänzungsfragen zeichnen sich durch ein Fragewort und die Zweitstellung des finiten Verbs aus. Im Gegensatz zu den Ergänzungsfragen kann man auf eine Entscheidungsfrage gewöhnlich nur mit ja oder nein antworten. Das finite Verb steht hier meist an erster Stelle, z. B. Hast du dich schon für das Hauptseminar „Sprache der Politik“ angemeldet? -- Nein. Fragen haben als Satzschlusszeichen ein Fragezeichen und eine fallende oder steigende Intonation. Auch gewöhnliche Hauptsätze (Kernsätze, vgl. Kap. I. 3.2 Satztyp) können Fragesätze (Satzfragen) sein, wenn sie mit der entsprechenden Intonation bzw. Interpunktion ausgestattet sind: Peter geht morgen auch mit auf das Konzert? Hier geht es nicht um formale Kriterien, wie die Stellung des finiten Verbs, sondern darum, was der Sprecher / Schreiber mit seiner Äußerung bewirken will (z. B. eine Frage, ein Versprechen, eine Warnung, eine Drohung aussprechen). Unser Beispiel zeigt also, dass man auch mit einem Aussagesatz eine Frage stellen kann. Die linguistische Teilwissenschaft, die sich mit den sprachlichen Einheiten als Äußerungen mit einer bestimmten kommunikativen Funktion beschäftigt, heißt Pragmatik (vgl. Kap. IX . Pragmatik). c) Aufforderungssatz Der Aufforderungssatz wird auch Imperativsatz genannt, weil der Modus Imperativ kennzeichnend ist. Bei allen Imperativsätzen steht das finite Verb an erster Stelle und der Sprecher bringt damit zum Ausdruck: „Ich will / empfehle dir, 5 3.2 Satztyp dass du das tust“, z. B. Geh in dein Zimmer! Lesen Sie bis zur nächsten Sitzung die Seiten 15-33! Lasst euch besser gegen Hepatitis impfen! Nicht alle Aufforderungen müssen durch den Imperativ ausgedrückt werden. Wenn wir Satzarten nach der Intention des Sprechers einteilen, dann können z. B. auch Fragesätze eine Aufforderung beinhalten. Auf die Frage Gibst du mir mal das Buch? wird nicht die Antwort ja oder nein erwartet, sondern eine Handlung (siehe oben: Pragmatik). d) Wunschsatz und Ausrufesatz Einige Grammatiken, so etwa die Duden-Grammatik, erwähnen zusätzlich einen Wunsch- und Ausrufesatz. Diese Unterscheidung ist allerdings umstritten, da es Überschneidungen mit den anderen Satzarten gibt. Der Wunschsatz („Ich wünsche mir, dass- …“) ist vor allem durch seinen Modus Konjunktiv gekennzeichnet, z. B. Wärst du doch gekommen! , Wäre doch endlich dieses langweilige Referat vorbei! . Diese Sätze sind nach der Stellung des finiten Verbs und der Interpunktion Aufforderungssätze. Der Ausrufesatz drückt dagegen ein „Ich wundere mich, dass-…“ oder „Ich bewundere“ aus, enthält oft typische Partikeln, wie ja, doch, aber, und ist durch eine markante Wortbetonung gekennzeichnet. Am Satzende steht ein Ausrufezeichen und die Intonation ist fallend, z. B. Bist du aber gewachsen! Das ist aber ein hübsches kleines Häuschen, das ihr euch da gekauft habt! . 3.2 Satztyp Die Einteilung nach dem Satztyp basiert auf der Verbstellung des finiten Verbs. Hier werden alle Haupt- und Nebensätze untersucht. a) Stirnsatz Wenn das finite Verb an erster Stelle steht, liegt ein Stirnsatz vor. Das ist vor allem bei Entscheidungsfragen der Fall, z. B. Gehst du heute Abend mit ins Kino? oder bei Aufforderungssätzen, z. B. Antworten Sie bitte! . 6 3. Satzklassifikation b) Kernsatz Für das Deutsche ist es typisch, dass in allen Hauptsätzen, die Aussagesätze sind, das finite Verb an zweiter Stelle steht, d. h. nach dem ersten Satzglied, das durchaus aus mehreren Wörtern, ja einem ganzen Nebensatz bestehen kann. Dieser Satztyp heißt Kernsatz. 1. Position 2. Position Heute Seit drei Tagen lerne ich auf meine Prüfung. Weil ich noch nichts weiß, Ebenfalls Kernsätze sind Ergänzungsfragen (Wann gibst du mir das Buch zurück? ) und einige uneingeleitete Nebensätze (wenn sie Ergänzungssätze sind, vgl. Kap. I. 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben): Ich glaube, das Essen wird mir heute Abend gut gelingen. c) Spannsatz Als letzte Möglichkeit ist noch die Endstellung des finiten Verbs zu besprechen. Diese Sätze heißen Spannsätze und sind typisch für den deutschen Nebensatz. Nachdem Günther sein Examen mit einer sehr guten Note bestanden hatte, bekam er schnell eine Anstellung in einer großen internationalen Firma, die Computerzubehör herstellte. Allerdings sind nur eingeleitete Nebensätze, d. h., Nebensätze, die mit Subjunktion (siehe Kap. I. 8.1 Konjunktionen und Subjunktionen) oder Relativwort beginnen, Spannsätze. Uneingeleitete Nebensätze (wenn sie Angabesätze sind, vgl. Kap. I. 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben) sind Stirnsätze. Vergleichen Sie dazu die beiden Möglichkeiten, eine Bedingung mit oder ohne Subjunktion auszudrücken: Wenn (=-Subjunktion) ich im Lotto  gewinne (=-Spannsatz), reise ich einmal um die ganze Welt. Gewinne ich im Lotto (=-Stirnsatz), Bei der Bestimmung des Satztyps ist außerdem zu beachten, dass bei Ellipsen die fehlenden Satzteile ergänzt werden müssen, um eine korrekte Satzklassi- 7 3.3 Satzform fikation zu erhalten. Ich gehe heute zuerst an die Uni, (ich) muss dann beim Copy-Shop vorbeischauen und (ich) lasse meine Arbeit binden. Alle Hauptsätze im Beispiel sind Kernsätze, da das Subjekt ich jeweils zu ergänzen ist. Bei Ich gehe erst an die Uni und dann ins Kino. fehlt im zweiten Hauptsatz sowohl das finite Verb gehe als auch das Subjekt ich. Als Satztyp liegt aber immer noch ein Kernsatz vor. 3.3 Satzform Zuletzt können Sätze noch nach formalen Kriterien eingeteilt werden. Wenn wir unseren Satz bzw. unsere Teilsätze auf den Satztyp hin untersucht haben, dann wissen wir im Prinzip auch schon, wie viele Haupt- und Nebensätze vorliegen: Alle Hauptsätze (Aussagesätze) haben Verbzweitstellung, (fast) alle eingeleiteten Nebensätze Verbendstellung. Haben wir lediglich ein finites Verb (in Zweitstellung), dann liegt ein einfacher Satz vor. Wenn mehr als ein finites Verb (und damit mehr als ein Prädikat) vorkommt, dann ist das zunächst ein komplexer (=-zusammengesetzter) Satz. Er kann eine Satzreihe (Parataxe) mit einer Reihung von Hauptsätzen (wobei von diesen Hauptsätzen auch Nebensätze abhängen können) oder ein Satzgefüge (Hypotaxe) mit einer hierarchischen Struktur von Hauptsatz und mindestens einem untergeordneten Nebensatz sein. Auch innerhalb der Nebensätze kann es noch Über- und Unterordnungen geben, wenn etwa von einem Nebensatz ein weiterer Nebensatz abhängt. Satz 1 finites Verb = einfacher Satz 1+n finite Verben = zusammengesetzter/ komplexer Satz Satzreihe/ Parataxe Gleichordnung von Hauptsätzen Satzgefüge/ Hypotaxe Über-/ Unterordnung Hauptsatz Nebensatz Als Sonderfall ist die Parenthese zu erwähnen, die ein eigenständiger, zwischengeschalteter Satz mit Zusatzinformationen oder Kommentar ist, der 8 3. Satzklassifikation stimmlich abgehoben und in der Schrift durch Gedankenstriche, Klammern oder Kommata gekennzeichnet ist, z. B. Die Parenthese ist --und das sollte man stets berücksichtigen-- ein von der Satzstruktur unabhängiger Schaltsatz. Die hierarchischen Verhältnisse komplexer Sätze können auch in einem Baumdiagramm verdeutlicht werden: Es regnet nun schon seit vielen Monaten und die Bauern müssen um ihre Ernte bangen. HS 1 -- [und]-- HS 2 : Zwei Hauptsätze sind parataktisch durch und verbunden. Das Bundesministerium hat bereits seine Unterstützung zugesagt, aber die Finanzierung der Ernteausfälle ist noch unklar. HS 1 -- [aber]-- HS 2 : Zwei Hauptsätze sind parataktisch durch aber verbunden. Sätze können auch asyndetisch, d. h. ohne eine verbindende Konjunktion (parataktisch) aneinander gereiht werden. Es gibt dafür die Möglichkeit ein Komma (Petra geht nicht ins Kino, ihr Freund ist krank), ein Semikolon (Ich wartete; er kam nicht.) oder einen Doppelpunkt (Das ist meine Freundin: Sie ist schön, intelligent und hat Humor) zu setzen. Obwohl die Preise für Brot und Gemüse erst im vergangenen Monat gestiegen sind (=-Nebensatz 1) und gleichzeitig die Lebensmittelimporte verstärkt wurden (=-Nebensatz 2), müssen die Verbraucher mit weiteren Preisanstiegen rechnen (=-Hauptsatz). Ein Hauptsatz ist hypotaktisch mit zwei durch obwohl eingeleitete Nebensätze verknüpft, die ihrerseits durch und parataktisch miteinander verbunden sind. Wenn es dazu kommen sollte (=-Nebensatz 1), wird es wieder den Einzelhandel hart treffen (=-Hauptsatz), da sehr viele Kunden wahrscheinlich verstärkt bei Lebensmitteldiscountern einkaufen werden (=-Nebensatz 2), die in den - [und] -- 9 3.3 Satzform letzten Jahren einen hohen Kundenzuwachs verzeichnen konnten (=-Nebensatz 3). Ein Hauptsatz ist hypotaktisch mit zwei eingeleiteten Nebensätzen (durch wenn und da) verbunden. Vom da-Nebensatz hängt ein weiterer Nebensatz ab, der durch das Relativpronomen die eingeleitet wird. Einen komplexen Satz mit Satzreihen und Satzgefügen kann man auch als Satzperiode bezeichnen. Vorgehen bei der Satzklassifikation 1. Bestimmen Sie die Satzart (kommunikative Funktion) des Gesamtsatzes. Richten Sie sich dabei nach den formalen Kriterien. Sollte es hier Abweichungen geben - ist eine formale Frage z. B. eher ein Befehl -, kommentieren Sie diese. 2. Klassifizieren Sie alle finiten Verben, die im Gesamtsatz vorkommen. 3. Bestimmen Sie die Stellung der finiten Verben. Achten Sie besonders bei den Hauptsätzen darauf, dass die erste Position auch von einem Nebensatz eingenommen werden kann. 4. Beachten Sie, dass bei Ellipsen Satzteile weggelassen werden. Sie müssen bei einer korrekten Bestimmung des Satztyps ergänzt werden! 5. In der Regel gilt: Hauptsätze sind Kernsätze und Nebensätze sind Spannsätze. Nutzen Sie die Unterteilung nach dem Satztyp, um die Satzform zu bestimmen. Suchen Sie zuerst den Hauptsatz / die Hauptsätze und ordnen Sie die Nebensätze hierarchisch nach ihrer Abhängigkeit von Hauptsätzen oder von Nebensätzen. Stellen Sie diese Abhängigkeiten grafisch dar. 10 4. Das Prädikat Anmerkung: Nebensätze können weiter nach ihrer syntaktischen Funktion in Gliedsätze (Ergänzungs- oder Angabesätze) oder in Attributsätze eingeteilt werden. Dazu jedoch mehr unter Kap. I. 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben. Ein Sonderfall ist der so genannte weiterführende Nebensatz (vgl. Kap I. 6.2 Attributtypen). 4. Das Prädikat 4.1 Prädikatsteile Prädikate können aus nur einem Wort (=-Vollverb) bestehen, setzen sich aber häufig aus mehreren Bestandteilen zusammen: Es können ein weiteres Verb, aber auch nichtverbale Elemente hinzukommen. Prädikat einfach (ein Wort im Infinitiv) komplex (mehrere Wörter) a) einteilig b) zweiteilig (mit Verbzusatz) c) homogen (nur Verbformen) d) heterogen (enthält auch nichtverbale Bestandteile, z. B. Substantive) Die meisten komplexen sowie einfachen zweiteiligen Prädikate sind diskontinuierlich (im Gegensatz zu kontinuierlich), d. h., die Teile des Prädikats werden durch andere Satzglieder voneinander getrennt, z. B. Peter hat gestern Gemüse eingekauft (=- diskontinuierliches Prädikat), weil er heute für seine Freunde kochen will (=-kontinuierliches Prädikat). 11 4.1 Prädikatsteile Exkurs Die Verbklammer Das Deutsche weist neben der Zweitstellung des finiten Verbs auch noch die Eigenheit auf, die weiteren Prädikatsteile (z. B. infinite Verben oder trennbare Verbzusätze) an die letzte Position im Satz zu stellen. Man spricht hier von der verbalen Klammer des Deutschen. Diese hat den Nachteil, dass der Leser / Hörer einer Nachricht unter Umständen sehr lange auf die eigentliche Satzaussage warten muss, nämlich dann, wenn die Prädikatsteile sehr weit voneinander entfernt stehen. Gestern wurde der gefährliche Serienmörder, der in weiten Teilen der USA für großen Schrecken unter der Bevölkerung gesorgt und dessen Anwalt bisher kaum Erfolge zu verzeichnen hatte, überraschenderweise freigesprochen. Um das Satzverständnis zu erleichtern, werden besonders in der gesprochenen Sprache, aber auch in der Presse, z. B. zwischen Prädikatsteilen stehende Nebensätze oder längere Satzglieder gerne „ausgeklammert“, damit der Leser / Hörer die Hauptinformation schneller erhält. Gestern wurde der gefährliche Serienmörder überraschenderweise freigesprochen, der in weiten Teilen der USA … Zur Beschreibung der Wortstellung in einem Satz verwendet man folgende Termini: ▶ Vorvorfeld: Ø-Position („Null“), die z. B. von Konjunktionen eingenommen wird (vgl. Kap. I. 8.1 Konjunktionen und Subjunktionen) ▶ Vorfeld: Position vor der linken Satzklammer ▶ linke Satzklammer (hier: finites Verb) ▶ Mittelfeld: Position zwischen den Satzklammern ▶ rechte Satzklammer (hier: infinites Verb) ▶ Nachfeld: Position nach der rechten Satzklammer (= Ausklammerung) Den sprachwissenschaftlichen Bereich, der die Stellungsfelder behandelt, nennt man Topologie. a) Einfache Prädikate - einteilig Er liest ein Buch. 12 4. Das Prädikat b) Einfache Prädikate - zweiteilig finite Verbform + Verbzusatz Ein Verbzusatz ist ein Teil des Infinitivs, der vom Verb getrennt werden kann. Es kommen (ehemalige) Präpositionen, Adjektive, Substantive und-- nach der neuen Rechtschreibung nur in Ausnahmefällen-- Verben in Frage. Der Besuch kommt heute um 3 Uhr am Bahnhof an. Der Händler bietet seine Ware feil. Probe: Ist Trennung im Kernsatz möglich? Die oben genannten Beispiele stellen bereits Kernsätze dar. Der Infinitiv heißt ankommen bzw. feilbieten. Wird mit dem Verb z. B. ein Spannsatz gebildet, ist zunächst nicht ersichtlich, dass das Prädikat zweiteilig ist: Ich weiß, dass der Besuch heute um 3 Uhr am Bahnhof ankommt. Im Gegensatz zu den Verbzusätzen lässt sich ein Präfix in keinem Fall abtrennen, was etwa die Kernsatzprobe zu erblühen zeigt: Die Blume erblühte heute Morgen. (vgl. Kap. IV . 9.2 Explizite Ableitung und IV . 9.5 Sonderfall: Unfeste Verbbildung). c) Komplexe Prädikate - homogen ▶ Hilfsverb (haben, sein, werden) + infinite Verbform Ich habe das Buch gelesen. ▶ Modalverb + Infinitiv Modalverben: können, müssen, sollen, dürfen, wollen, mögen Die Organisatoren müssen vor Beginn der Tagung noch einiges erledigen. ▶ Modalitätsverb + zu + Infinitiv Modalitätsverben: z. B. beginnen, versuchen, scheinen, drohen, pflegen, belieben, verstehen Der schiefe Turm droht einzustürzen. Modal- und Modalitätsverben verändern (modifizieren) die Bedeutung des im Infinitiv stehenden Vollverbs, z. B. in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit. Zu beachten ist, dass im Deutschen einige Verben sowohl als Modalitätsverben als auch als Vollverben verwendet werden können. Der Lehrling verspricht ein guter Bäcker zu werden. (Modalitätsverb) 13 4.1 Prädikatsteile Gemeint ist: Der Lehrling veranlasst zu der Hoffnung, dass er einmal ein guter Bäcker wird./ Es sieht so aus, dass der Lehrling ein guter Bäcker wird. Dagegen: Der Lehrling verspricht(,) ein guter Bäcker zu werden. (Vollverb) Gemeint ist: Der Lehrling sagt: „Ich werde ein guter Bäcker“./ Er gibt ein Versprechen und es ist seine Absicht, ein guter Bäcker zu werden. ▶ finite Verbform + Infinitiv Das Kind lernte schnell laufen. ▶ Empfindungs- und Bewegungsverb + Infinitiv Empfindungsverben sind hören, sehen, fühlen, spüren, Bewegungswörter u. a. fahren, kommen, gehen. Das Kind sieht die Mutter kommen. Der Nachbar hört ihn husten. Er geht heute Abend laufen. (vgl. Kap. I. 7.4 Valenzerhöhung). ▶ Kausativverb („Veranlassungsverb“, z. B. lassen, machen, heißen) + Infinitiv Caesar lässt die Soldaten eine Brücke bauen. Der Richter hieß den Angeklagten aufstehen. Der nahende Termin machte uns rennen. (vgl. Kap. I. 7.4 Valenzerhöhung). ▶ finite Verbform + Partizip eingesperrt gehören, geschenkt bekommen, sich gefeiert fühlen (Passivvarianten), gelaufen kommen (aktivische Bedeutung), rasend werden. Dieser Verbrecher gehört eingesperrt. Das Kind kommt zur Mutter gelaufen. d) Komplexe Prädikate - heterogen ▶ formal reflexives Verb Als „formal reflexiv“ bezeichnen wir Verben, bei denen das Reflexivpronomen semantisch leer ist, also keine Bedeutung hat. Das Reflexivpronomen gehört zum Verb, z. B. Er schämt sich. (vgl. Kap. I. 9.1 Reflexive Verben). ▶ Scheinsubjekt oder Scheinobjekt: es in festen Verbindungen 14 4. Das Prädikat Es regnet. Er hat es eilig. Die Eltern meinen es nur gut mit ihm. (vgl. Kap. I. 9.2 Die verschiedenen Funktionen von es). ▶ finite Verbform + Substantiv Der Bauer fährt Traktor. Der Diabetiker hält beim Essen Maß. Zu dieser Kategorie zählt auch die Streckform, z. B. Der Student hat Interesse an seiner Kommilitonin. Die Urlauber machen an einer Raststation Halt. Hier ist das komplexe (heterogene) Prädikat ohne Bedeutungsverlust durch ein Vollverb desselben Wortstamms (hier: sich interessieren, halten) ersetzbar. Zur Unterscheidung, ob ein Substantiv zum Prädikat gehört oder ein eigenes Satzglied ist, vgl. Kap. I. 5.2 Satzgliedtests. ▶ finite Verbform + Adjektiv Die Kundin schlug den Bankräuber bewusstlos. ▶ finite Verbform + Adverb Kommst du mit? Ja, ich bin auch dabei. ▶ finite Verbform + Präposition + Substantiv (=- Funktionsverbgefüge, FVG ) Der Pfarrer bringt die Glocke in Schwung. Das Stück kommt heute erstmals zur Aufführung. Das FVG hat einen semantischen Mehrwert- - in den Beispielen ist es der Beginn einer Handlung (inchoativ) bzw. eine Passiversatzform- - im Vergleich zum einfachen Verb schwingen, aufführen. Das Verb im FVG , in unseren Beispielen bringen, kommen, hat nicht mehr die ursprüngliche Bedeutung (wie in dem Bsp. Ich bringe dir einen Kaffee.), sondern vor allem die Funktion, die Stelle des notwendigen Finitums auszufüllen. ▶ Phraseologische (idiomatische) Wendung Sie gibt ihm einen Korb. Die Schüler tanzen dem Lehrer auf der Nase herum. Phraseologismen bzw. idiomatische Wendungen zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Gesamtbedeutung der Konstruktion (z. B. einen Korb geben) nicht aus der Bedeutung der einzelnen Wörter zusammensetzt. 15 4.1 Prädikatsteile Das Beispiel Sie gibt ihm einen Korb. bedeutet nicht, dass jemand einem anderen einen Korb überreicht, sondern dass z. B. eine Einladung abgelehnt wird. Außerdem sind bei den komplexen Prädikaten weitere Kombinationen möglich, z. B. Das Stück wird heute erstmals zur Aufführung kommen. (Hilfsverb + FVG ) oder Er muss sich für sein Benehmen schämen. (Modalverb + formal reflexives Verb). Die neue Rechtschreibung brachte es mit sich, dass viele bisher einfache zweiteilige Prädikate im Infinitiv nun getrennt geschrieben werden oder zumindest eine Getrenntschreibung erlaubt ist; damit kann es zu Änderungen in der Klassifikation kommen. Du hackst bitte die Kräuter klein. (alt: kleinhacken; neu: klein hacken oder kleinhacken) Die alte Dame lernte ich schätzen. (alt: schätzenlernen; neu: schätzen lernen) Mein Kind fährt schon Rad! (alt: radfahren; neu: Rad fahren) In diesen Fällen liegen nun komplexe heterogene bzw. homogene Prädikate vor: hackst klein (Verb + Adjektiv), lernte schätzen (Verb + Verb), fährt Rad (Verb + Substantiv). Die Rechtschreibreform wirkte sich jedoch nicht auf alle einfachen zweiteiligen Prädikate dieser Art aus. Es bleibt bei der alten Schreibung z. B. bei folgenden Verben: Wir stimmen im Prinzip in dieser Frage überein. (übereinstimmen) Ich sitze im Sommer immer im Biergarten herum. (herumsitzen) Die Diskussion im Unterricht läuft konstruktiv ab. (ablaufen) Die Gäste steuern etwas zur Feier bei. (beisteuern) 16 4. Das Prädikat Schritt-für-Schritt-Vorgehen ▶ Stellen Sie in Zweifelsfällen durch die „Kernsatz-Probe“ fest, ob ein einfaches zweiteiliges (heterogenes) Prädikat (oder ein Prädikat mit nicht trennbarem Präfix) vorliegt. ▶ Überlegen Sie bei komplexen Prädikaten, ob sie ausschließlich aus Verbformen (homogen) oder aus verschiedenen Wortarten (heterogen) bestehen. ▶ Die Beherrschung von Teilen der geltenden Orthografieregeln ist Voraussetzung zur korrekten Klassifikation des Prädikats. Die neuesten Entwicklungen tendieren zu einigen Kann-Schreibungen bei der Getrennt- und Zusammenschreibung von Verben. Kommentieren Sie diese gegebenenfalls. 4.2 Die Valenz Die Valenztheorie beschäftigt sich mit der Eigenschaft von Wörtern (vor allem von Verben, aber auch von Substantiven und Adjektiven), andere Wörter an sich zu binden. Lucien Tesnière (1893-1954) gilt als Begründer der Valenzgrammatik. Am Beispiel des Theaters erläutert er seine Theorie: Für ein Theaterstück benötigt man zunächst eine Handlung. Sie entspricht im Satz im einfachsten Fall dem Vollverb. Für das Bühnenstück werden außerdem Mitspieler benötigt, da ohne sie die Handlung nicht (oder nur eingeschränkt) stattfinden könnte. In der Valenzgrammatik werden sie „Ergänzungen“ genannt. So fordert jedes Verb eine ganz bestimmte Anzahl von Ergänzungen (quantitative Valenz) in einer festgelegten grammatischen und semantischen Form (qualitative Valenz). Das ist die Wertigkeit (Valenz) eines Verbs. Zu einem Theaterstück gehört schließlich noch das Bühnenbild, die Bestandteile der Kulisse. Valenzgrammatisch werden diese Teile als „Angaben“ bezeichnet, die beliebig hinzufügbar oder weglassbar sind und das zeitliche, räumliche, kausale usw. Umfeld für die Handlung darstellen. Ergänzungen und Angaben bilden die Satzglieder eines Satzes. Der Valenzträger wird auch „Regens“ genannt, die abhängigen Elemente heißen „Dependentien“. Die Valenz lässt sich dabei gut mit der Wertigkeit eines Atoms vergleichen, welches nur eine festgelegte Anzahl an Bindungspartnern haben kann. 17 4.2 Die Valenz Beispiele: ▶ husten: wer / was? hustet? (1-wertiges Verb) Das Verb husten benötigt nur jemanden, der diese Handlung ausführt. Das Kind hustet. ▶ wohnen: wer / was? wohnt wo? (2-wertiges Verb) wohnen benötigt zunächst jemanden, der wohnt. Außerdem wird ein Ort des Wohnens erwartet. Mein Vater wohnt in München. ▶ schenken: wer / was? schenkt wem? wen / was? (3-wertiges Verb) schenken verlangt einen, der schenkt, etwas, das geschenkt wird, also ein Geschenk, und jemanden, der beschenkt wird. Letzterer muss aber nicht unbedingt für einen grammatisch korrekten Satz erwähnt werden (zur Weglassbarkeit von Ergänzungen vgl. Kap. I. 5.2 Satzgliedtests). Die Eltern schenken dem Kind ein Fahrrad. Interessant wäre hier eventuell der Anlass des Schenkens. Wird er genannt, handelt es sich um eine Angabe. Dass diese Information nicht vom Verb schenken gefordert wird, lässt sich durch Tests überprüfen (vgl. Kap. I. 5.2 Satzgliedtests). ▶ schreiben in der Bedeutung ‚etwas Sinnvolles aufzeichnen und mitteilen‘: wer / was? schreibt wem bzw. an wen? wen / was? worüber? (4-wertiges Verb) Diese Handlung fordert eine Person, die schreibt, einen Gegenstand, über den geschrieben wird, ein Medium, mit dem die Nachricht übermittelt wird, und einen Empfänger. Grammatisch notwendig ist allerdings lediglich die schreibende Person. Luisa schreibt ihrer Freundin eine Mail über ihren Urlaub. ▶ kaufen: wer / was? kauft wen / was? (2-wertiges Verb) kaufen braucht einen Käufer (wer? ) und ein Produkt, das gekauft wird (was? ). Es werden also zwei Ergänzungen gefordert. Dagegen sind z. B. Ort oder Zeit des Kaufens für das Verb nicht relevant (Angaben). Laura kauft Schokolade und Eis. 18 4. Das Prädikat Vergleichen Sie aber: Peter putzt die Gesundheit. Dieser Satz ist grammatisch korrekt, jedoch ist er semantisch eigentlich nicht möglich. Ein Abstraktum (z. B. Gesundheit, Wahrheit, Ehrlichkeit, Liebe) als Produkt, das geputzt wird (wen? , was? ), ist bei diesem Verb nicht vorgesehen. Die semantische Verträglichkeit von Wörtern im Kontext wird Kompatibilität genannt. Man spricht auch von semantischer Valenz im Sinne von logischer Valenz. Bei Sätzen wie Katzen würden Whiskas kaufen. wird mit der semantischen Valenz des Verbs gespielt. Nur aufgrund der Abweichung-- Tiere können nicht mit Geld bezahlen-- ist der Satz in der Werbung auffällig. An diesen Beispielen konnten Sie sehen, dass man (in einem ersten Schritt) versuchen kann, die Valenz des Verbs durch Sachverhaltswissen zu ermitteln. Diese Vorgehensweise allein-- sich nur auf sein muttersprachliches Gefühl zu verlassen- - reicht aber nicht aus und das gilt nicht nur für Zweifelsfälle. Wie bereits angesprochen, brauchen wir Satzgliedtests, um Anzahl und Art der Ergänzungen sicher bestimmen zu können (siehe Kap. I. 5.2 Satzgliedtests). Der Valenzträger ist nicht immer ein Verb (allein). Auch komplexe heterogene Prädikate sind insgesamt der Valenzträger (Bsp.: Der Pfarrer bringt die Glocke in Schwung. Prädikat: bringt in Schwung, Valenzträger: in Schwung bringen: 2-wertig: wer / was? wen / was? ). Die komplexen homogenen Prädikate sind hiervon ausgenommen, da Modal-, Modalitäts- und Hilfsverben keine Valenzträger sein können; sie sind problemlos weglassbar, so dass der Satz auch mit dem Vollverb (als Finitum) allein grammatisch korrekt bleibt (Bsp.: Peter muss zu Hause bleiben. Prädikat: muss bleiben, Valenzträger: bleiben: wer / was? wo? Vgl. Peter bleibt zu Hause). Vergleicht man die Wertigkeiten aller Verben, so ergibt sich eine (begrenzte) Anzahl an Satzbauplänen (schenken etwa hat den gleichen Satzbauplan wie empfehlen). In der folgenden Tabelle (vgl. Abb. 1) wird allerdings noch die traditionelle Terminologie verwendet. 19 4.2 Die Valenz Abb. 1 Satzbaupläne 20 5. Die Satzglieder 5. Die Satzglieder Ein sprachwissenschaftliches Analyseprinzip ist Segmentieren und Klassifizieren, d. h., wir zerlegen größere Einheiten (hier Sätze) in kleinere und benennen diese. Das erfolgt allerdings nicht willkürlich, sondern nach bestimmten Regeln bzw. mit Hilfe von Tests, die das Segmentieren erleichtern und objektive Entscheidungskriterien sein sollen. Wenn ein Satz in seine nächstkleinere Einheit zerlegt wird, dann sind wir auf der Ebene der Satzglieder. Das ist die Grobstruktur des Satzes. Wenn wir die Satzglieder dann weiter zerlegen, analysieren wir die Feinstruktur. 5.1 Traditionelle Satzgliedklassifikation Satzglieder kennt auch die traditionelle Grammatik und unterscheidet zwischen Prädikat, Subjekt, Akkusativ-, Dativ-, Genitiv- oder Präpositionalobjekt und Adverbiale. Die Valenzgrammatik benutzt eine andere Terminologie und sieht das Prädikat als das strukturelle Zentrum eines Satzes an, das eine andere-- herausgehobene-- Stellung beansprucht als die übrigen (nicht-verbalen) Satzglieder (vgl. Tabelle in Kap. I. 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben). 5.2 Satzgliedtests Für die valenzgrammatisch korrekte Segmentierung eines Satzes in Satzglieder gibt es folgende Tests: die Frageprobe, die Ersatzprobe und die Verschiebeprobe. Die Sprachwissenschaftlerin, die bereits während ihres Studiums bedeutende Arbeiten geschrieben hat, nimmt heute an der Konferenz in Rom teil. a) Frageprobe Bei der Frageprobe erfragen wir die Satzglieder des Hauptsatzes vom Prädikat aus. Das Prädikat des Hauptsatzes ist nimmt teil. Wir können nach den verschiedenen Satzgliedern fragen, z. B. Wer nimmt teil? -- Die Sprachwissenschaftlerin oder: Die Sprachwissenschaftlerin, die bereits während ihres Studiums bedeutende Arbeiten geschrieben hat. Wann nimmt sie teil? -- heute. Woran nimmt sie teil? -- an der Konferenz in Rom. Evtl. können wir auch fragen: Wo nimmt sie teil? -- in Rom. 21 5.2 Satzgliedtests b) Ersatzprobe Da die Bestimmung der Satzglieder durch den Fragetest allein nicht eindeutig ist-- wir wissen zunächst etwa nicht, ob das erste Satzglied nur die Sprachwissenschaftlerin ist oder ob der Nebensatz dazugehört--, brauchen wir weitere Hilfen, z. B. die Ersatzprobe (auch: Substitutionsprobe). Hier werden Satzglieder bzw. vermeintliche Satzglieder daraufhin getestet, ob sie ausgetauscht werden können (besonders durch so genannte Proformen-= Pronominalisierung, vgl. Kap. X.4.3 Grammatische Verweisausdrücke). Statt Die Sprachwissenschaftlerin kann man etwa sie verwenden, aber nur, wenn der Relativsatz gleichzeitig ersetzt wird: Sie nimmt heute an der Konferenz in Rom teil. Entscheidend bei diesem Test ist, dass der Satz grammatisch korrekt bleibt; ob Informationen verloren gehen, ist hier nicht relevant. So könnten wir etwa Die Sprachwissenschaftlerin, die-… auch durch der Koch / meine gelehrte Tante etc. ersetzen. Auf unsere Frage, ob an der Konferenz in Rom aus einem Satzglied oder zwei Satzgliedern besteht, erhalten wir durch diesen Test auch keine eindeutige Antwort. So ist Die Sprachwissenschaftlerin, die-…, nimmt heute daran in Rom teil. ebenso plausibel wie Die Sprachwissenschaftlerin, die-…, nimmt heute daran teil. Mit der Frage- und Ersatzprobe können Sie auch sicherer das Prädikat bestimmen. Wenn Sie unschlüssig sind, ob etwa im Satz Der Diabetiker hält beim Essen Maß. Maß zum Prädikat gehört oder nicht, zeigt Ihnen die Frageprobe: Sie können nicht wer / was? hält wen / was? -- Maß fragen. Maß kann außerdem auch nicht ersetzt werden, z. B. durch einen Vortrag, ohne dass sich der Sinn ändert. Sollten diese Tests keine befriedigenden Antworten ergeben, diskutieren Sie das Problem und erläutern Sie Ihre Entscheidung. c) Verschiebeprobe Der eindeutigste Test ist die Verschiebeprobe (auch: Permutationsprobe). Hier werden Satzglieder insgesamt an andere Positionen im Satz gestellt. Die aussagekräftigste Position ist die erste. Wenn dieser Spitzenstellungstest positiv ist, d. h. zu einem grammatisch korrekten Satz führt, dann sind die Wörter vor dem finiten Verb (=- zweite Position) zusammen ein Satzglied. Mit diesem letzten Test ist eigentlich schon bewiesen, dass Die Sprachwissenschaftlerin, die-… hat zusammen ein Satzglied ist, denn erst nach dem Relativsatz folgt das finite Verb des Hauptsatzes. Eine Position kann man sich also eher als eine semantische Einheit vorstellen, wobei es egal ist, ob diese aus einem Wort, mehreren Wörtern 22 5. Die Satzglieder oder einem Satz besteht. Wenn wir testen wollen, ob nun an der Konferenz in Rom aus einem oder zwei Satzgliedern besteht, so müssen wir für alle Fälle testen, ob eine Spitzenstellung möglich ist und ob sich der Sinn des Satzes ändert. Vergleichen Sie die verschiedenen Möglichkeiten: a. An der Konferenz nimmt die Sprachwissenschaftlerin, die-… hat, heute in Rom teil. b. In Rom nimmt die Sprachwissenschaftlerin, die-… hat, heute an der Konferenz teil. c. An der Konferenz in Rom nimmt die Sprachwissenschaftlerin, die- … hat, heute teil. Es ist wichtig, bei der Verschiebeprobe immer auch die Gegenprobe zu machen und dann zu diskutieren, welche Möglichkeit am wahrscheinlichsten ist. In unserem Fall entspricht die Probe c) dem Originalsatz sinngemäß. Demnach handelt es sich um nur ein Satzglied. Bei den Proben darf sich der Sinn des Satzes nicht ändern! Für unseren Beispielsatz erhalten wir also drei Satzglieder: ▶ Die Sprachwissenschaftlerin, die bereits während ihres Studiums bedeutende Arbeiten geschrieben hat ▶ heute ▶ an der Konferenz in Rom Beachten Sie auch, dass die Verschiebeprobe nur in Hauptsätzen (Kernsätzen) durchgeführt werden kann. Wenn Sie etwa einen Nebensatz- - wir befinden uns jetzt auf der Ebene der Feinstruktur-- auf seine Satzglieder testen wollen (Satzglieder gibt es im Prinzip immer, sobald ein finites Verb vorkommt), dann müssen Sie erst diesen Nebensatz in einen Hauptsatz umwandeln. In unserem Beispiel etwa ist der Relativsatz Teil des Satzgliedes Die Sprachwissenschaftlerin, die-… hat. In einem zweiten Schritt können wir auch den Relativsatz auf seine Satzglieder testen. Dafür brauchen wir aber einen Hauptsatz, z. B. Sie hat bereits während ihres Studiums bedeutende Arbeiten geschrieben. Dies ist jedoch nur eine Hilfskonstruktion zur Bestimmung der Satzglieder. Sie müssen letztlich 23 5.3 Tests zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben bei der Analyse die Wörter des vorliegenden Satzes (hier: die, nicht: Sie) verwenden! Manchmal können Satzgliedteile auch getrennt voneinander stehen. Ihre Zusammengehörigkeit kann aber durch den Spitzenstellungstest ermittelt werden. Ich bringe dir das Buch mit, das du dringend für dein Referat brauchst. Was ist das denn für ein Idiot? Ein Satzglied ist im Satz (vom Prädikat aus) erfragbar, insgesamt ersetzbar und verschiebbar. Wenn wir im Folgenden von Satzgliedern sprechen, meinen wir immer die nicht-verbalen Satzglieder! 5.3 Tests zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben Aus dem Kapitel zur Valenz (I. 4.2) wissen wir, dass es zwei Arten von Satzgliedern gibt: die valenzabhängigen Ergänzungen und die valenzunabhängigen Angaben. Bei den Ergänzungen gibt es obligatorische (nicht weglassbare) und fakultative (weglassbare) Ergänzungen. Alle Angaben sind immer fakultativ (frei), da sie vom Verb nicht gefordert werden und weggelassen werden können, ohne dass ein ungrammatischer Satz entsteht. 24 5. Die Satzglieder Ist das Satzglied weglassbar? (= Weglassprobe) ja nein valenzunabhängig? (= Geschehenstest) ja nein Angabe fakultative obligatorische  Ergänzung a) Weglassprobe Die Weglassprobe kann uns zeigen, welche Satzglieder obligatorisch und welche fakultativ sind (fakultative Ergänzungen und alle Angaben). So ist das Satzglied Die Sprachwissenschaftlerin, die-… hat auf jeden Fall eine obligatorische Ergänzung, da der Satz *Nimmt heute an der Konferenz in Rom teil. unvollständig ist. Weglassbar sind dagegen die Satzglieder heute und an der Konferenz in Rom (siehe auch Frage-Antwort-Test S. 27). Grammatisch falsche Sätze oder Ausdrücke werden mit * gekennzeichnet. Zur Valenz des Verbs zählen alle Ergänzungen, also auch die weglassbaren (fakultativen)! 25 5.3 Tests zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben b) Geschehenstest Zur Unterscheidung von fakultativen Ergänzungen und Angaben gibt es einen weiteren Test, der aber nicht so zuverlässig ist wie die oben genannten. Der Geschehenstest soll aufzeigen, ob das Satzglied eine allgemeine Aussage über den Gesamtsatz trifft und damit eine Angabe ist. Für unseren Satz etwa wollen wir testen, ob heute-- wir können es weglassen-- eine fakultative Ergänzung oder eine Angabe ist. Dazu wird das zu testende Satzglied mit und das geschieht bzw. und das geschah-… an den Satz angehängt. Die Sprachwissenschaftlerin, die-… hat, nimmt an der Konferenz in Rom teil und das geschieht heute. Dieser Satz ist korrekt, der Geschehenstest positiv und damit ist das Satzglied heute eine Angabe. Für unseren Beispielsatz ist der Geschehenstest auch für das Satzglied an der Konferenz in Rom positiv: Die Sprachwissenschaftlerin, die-… hat, nimmt heute teil und das geschieht an der Konferenz in Rom. Präpositionale Satzglieder (hier mit der Präposition an) sollten zusätzlich immer mit dem Dialogtest überprüft werden, weil in diesen Fällen der Geschehenstest eine falsche Klassifikation nahelegen kann. Auch bei fakultativen Dativ-Ergänzungen kann der Geschehenstest irrtümlicherweise ein positives Ergebnis liefern (vgl. auch Kap. I. 9.3 Der so genannte „Freie Dativ“). c) Dialogtest Fakultative präpositionale Satzglieder können in einem fiktiven Dialog zwischen A und B getestet werden. Das zu testende Satzglied wird dabei von A weggelassen und B fragt dann danach. Wenn A glaubhaft antworten kann Das weiß ich nicht, dann handelt es sich um eine Angabe, wenn nicht, um eine Ergänzung. Dieser Test beruht auf der logischen Valenz des Verbs und es wird geprüft, ob eine Information im Verb „mitgedacht“ wird, der Sprecher A sie also wissen muss, oder ob es eine „freie“, verbunabhängige Information ist. A: Die Sprachwissenschaftlerin nimmt teil. B: Woran nimmt sie teil? A: Das weiß ich nicht! Für unser Beispiel kann A nicht glaubhaft sagen, dass er nicht weiß, woran die Sprachwissenschaftlerin teilnimmt; A muss es wissen, denn mit seiner Aussa- 26 5. Die Satzglieder ge „Das weiß ich nicht! “ würde A lügen. Das Satzglied ist also eine fakultative Ergänzung (und keine Angabe). Natürlich müssen nicht weglassbare Satzglieder nie mit dem Geschehensbzw. Dialogtest überprüft werden, da sie immer Ergänzungen sind. Die Tests zur Unterscheidung von Ergänzungen (obligatorisch und fakultativ) und Angaben liefern nicht immer eindeutige Ergebnisse. Wenn Sie das Gefühl haben, dass dies der Fall ist, diskutieren Sie das bitte unter Heranziehung weiterer Beispielsätze. Achten Sie besonders auf Bedeutungsveränderungen. Vergleichen Sie zur Veranschaulichung noch einen weiteren Satz: Gestern Abend hat Peter im Supermarkt ein Kilo Bananen eingekauft. Angenommen, wir haben bereits durch die ersten drei Tests herausgefunden, dass gestern Abend, Peter, im Supermarkt und ein Kilo Bananen die Satzglieder dieses Satzes sind, dann testen wir weiter, welche davon weggelassen werden können, ohne dass der Satz ungrammatisch wird. Peter hat eingekauft. ist ein korrekter Satz. Wir haben also nur Peter als obligatorische Ergänzung. Die restlichen Satzglieder testen wir mit dem Geschehenstest (den Dialogtest können wir nur für weglassbare präpositionale Satzglieder anwenden): Peter hat im Supermarkt ein Kilo Bananen eingekauft und das geschah gestern. → Test positiv, d. h., das Satzglied ist eine Angabe. *Gestern hat Peter im Supermarkt eingekauft und das geschah ein Kilo Bananen. → Test negativ, d. h., das Satzglied ist eine fakultative Ergänzung. Gestern hat Peter ein Kilo Bananen eingekauft und das geschah im Supermarkt. → Test positiv, d. h., das Satzglied ist eine Angabe. A: Peter hat gestern Bananen eingekauft. B: Wo hat er Bananen eingekauft? A: Das weiß ich nicht. A muss nicht wissen, wo der Ort des Einkaufens war → Test positiv, d. h., das Satzglied ist eine Angabe. 27 5.3 Tests zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben Bei Unsicherheiten im Hinblick auf die Unterscheidung von obligatorischen und fakultativen Ergänzungen kann ein Frage-Antwort-Test hilfreich sein, auch wenn er nicht ausschließlich herangezogen werden sollte: a) Hast du Sarah das Manuskript gegeben? - Ja, ich habe es ihr gegeben. b) Traust du Peter? - Ja, ich traue ihm. c) Wirst du morgen zur Vorlesung kommen? - Ja, ich werde kommen. d) Wird die Sprachwissenschaftlerin an der Tagung teilnehmen? - Ja, sie wird teilnehmen. e) Verzichtest du auf den Start? - Ja, ich verzichte. Die Beispiele a) und b) greifen in der Antwort die Ergänzungen auf. Sie sind somit obligatorisch. Bei den Beispielen c), d) und e) geschieht das nicht, so dass die Präpositional-Ergänzungen zur Vorlesung, an der Tagung und auf den Start fakultativ sind. Vorgehen bei der Satzgliedsegmentierung 1. Bestimmen Sie das Prädikat des Hauptsatzes. 2. Bestimmen Sie die Valenz des Valenzträgers. 3. Segmentieren Sie den Satz mit Hilfe von Frage-, Ersatz- und Verschiebeprobe in Satzglieder. 4. Führen Sie die Weglassprobe durch, um die obligatorischen Ergänzungen zu finden. 5. Führen Sie den Geschehenstest (und evtl. den Dialogtest) durch, um die Angaben von den fakultativen Ergänzungen zu unterscheiden. 6. Vergleichen Sie die Anzahl der Ergänzungen mit Ihrer Valenzbestimmung. Passt die Valenz in Anzahl und Art zu den Ergänzungen im Satz? Wenn im konkreten Satz nicht alle (fakultativen) Ergänzungen realisiert wurden, liegt so genannter unterwertiger Gebrauch vor (vgl. Kap. I. 7.2 Unterwertiger Gebrauch). 28 5. Die Satzglieder 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben a) Arten von Ergänzungen Aus der traditionellen Grammatik kennen wir bereits einige Satzglieder, die in der Valenzgrammatik eine neue Bezeichnung erhalten. Ergänzungen werden dabei meistens nach ihrem Kasus bestimmt: Traditionelle Grammatik Valenzgrammatik Subjekt Nominativ-Ergänzung (Nom-E): keine Sonderstellung mehr Prädikat (Prädikatsnomen als Teil des Prädikats) Prädikat als strukturelles Zentrum Objekte ▶ Genitivobjekt ▶ Dativobjekt ▶ Akkusativobjekt ▶ Präpositionalobjekt ▶ Genitiv-Ergänzung (Gen-E) ▶ Dativ-Ergänzung (Dat-E) ▶ Akkusativ-Ergänzung (Akk-E) ▶ Präpositional-Ergänzung mit fester Präp. (Präp-E) ▶ Prädikatsnomen-Ergänzung (Präd-E) als eigenständiges Satzglied Adverbiale (Ort, Zeit, Gründe …) Präpositional-Ergänzung mit unfester Präposition oder Angabe Die Valenzgrammatik bezeichnet das Subjekt als Nominativ-Ergänzung, die Objekte-- den Kasus entsprechend-- als Akkusativ-, Dativ-, oder Genitiv-Ergänzung (selten, z. B. Ich gedenke der Toten. Erinnerst du dich ihrer? ). So wird das Subjekt mit den anderen Ergänzungen auf eine Ebene gestellt und nicht mehr als ein besonderes Satzglied behandelt, obwohl es im Vergleich zu den anderen Satzgliedern eigentlich eine Sonderrolle einnimmt: Zwischen Nominativ-Ergänzung und dem finiten Verb gibt es eine Übereinstimmung (Kongruenz) in Person und Numerus (Ich lese.-- Die Kinder lesen.). Neu ist auch, dass das Prädikatsnomen ein eigenes Satzglied ist (Prädikatsnomen-Ergänzung) und nicht mehr zum Prädikat gezählt wird. Prädikatsnomen kommen vor allem bei so genannten Kopula-Verben (lat. copulare ‚verbinden, verknüpfen‘) vor, dazu zählen z. B. sein, werden, bleiben, gelten, heißen und nennen. Bei dem Satz Die Schule ist doof. ergeben die Satzgliedtests (Frageprobe: Wie ist die Schule? Ersatzprobe: Die Schule ist so. Verschiebeprobe: Doof ist die Schule.), dass doof ein eigenes, obligatorisches Satzglied ist, und zwar eine Prä- 29 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben dikatsnomenergänzung. Ist das Prädikatsnomen ein Substantiv, steht es meist im Nominativ, bei Verben wie nennen und heißen im Akkusativ, bei erklären (zu), wählen (zu), befördern (zu), machen (zu) folgt eine präpositionale Fügung. Außerdem sind Satzglieder mit den Konjunktionen als und wie möglich. Weitere Beispiele: Mein Sohn möchte später einmal Krankenpfleger werden. Mein Banknachbar hat mich gestern einen Idioten genannt, nur weil ich ihn nicht habe abschreiben lassen. Ich heiße Elke. Peter gilt bei uns in der Klasse als Streber. Mein Meerschweinchen ist wie ein Freund. Ich erkläre euch hiermit zu Mann und Frau. Die Präpositional-Objekte der traditionellen Grammatik entsprechen hier den Präpositional-Ergänzungen mit fester Präposition. Taucht beim Fragetest im Fragewort eine Präposition auf, dann handelt es sich um eine feste Präposition. Sie bleibt auch bei der Ersatzprobe erhalten. Ina beneidet Petra um ihre gute Figur. Worum beneidet Ina Petra? Ina beneidet Petra darum. Bei Verben, die eine feste Präposition fordern, z. B. warten auf, denken an, sorgen für, sind die so eingeleiteten Satzglieder immer Präpositional-Ergänzungen mit fester Präposition. Unfeste Präpositionen sind nicht im Fragewort enthalten und können ausgetauscht werden: z. B. Wo wohnst du? -- Ich wohne in Regensburg/ auf Hawaii/ hinter dem Kino/ in einem großen Mietshaus / hier. Satzglieder mit unfesten Präpositionen können entweder Präpositional-Ergänzungen mit unfester Präposition (obligatorisch / fakultativ)-- in Anlehnung an die traditionelle Grammatik auch als Adverbial-Ergänzung zu bezeichnen- - oder Angaben sein. Darüber müssen die Weglassprobe und der Geschehenstest / Dialogtest bzw. die logische Valenz entscheiden. Im letzten Beispiel ist die Weglassprobe negativ, der Ort des Wohnens also eine obligatorische Präpositional-Ergänzung mit unfester Präposition. Was in der traditionellen Grammatik als Umstandsbestimmung oder Adverbiale bezeichnet wird, betrachtet man in 30 5. Die Satzglieder der Valenzgrammatik folglich differenzierter. Es kann je nach Valenz des Verbs Präpositional-Ergänzung mit unfester Präposition oder Angabe sein. Ergänzungen können auch semantisch klassifiziert werden. Ulrich Engel führt z. B. die Expansivergänzung (zeitliche oder räumliche Veränderung, wie Der Termin dauerte zwei Stunden., Sie vergrößerten das Spielfeld um einige Meter.) und die Direktivergänzung (=-Richtungsergänzung, z. B. Der Bus fährt nach München.) an. b) Arten von Angaben Angaben werden nach ihrer Bedeutung (=-semantisches Kriterium) eingeteilt. Dementsprechend lang ist die Liste möglicher Angabetypen (die folgende Auswahl ist hauptsächlich nach dem Kriterium der Frequenz geordnet): ▶ Lokalangabe / Ortsangabe Ich esse mein Brot in der Schule. Frageprobe: Wo, wohin, woher, wie weit? , Ersatzprobe: dort, hier, da etc. ▶ Temporalangabe / Zeitangabe Ich esse mein Brot nach dem Unterricht. Als ich ein Kind war, kletterte ich liebend gerne auf Bäume. Frageprobe: Wann, wie lange, seit wann, wie oft? , Ersatzprobe: damals, danach, dann, jetzt, gestern etc. ▶ Kausalangabe / Begründungsangabe Ich esse mein Brot, weil ich Hunger habe. Frageprobe: Warum, weshalb, aus welchem Grund? , Ersatzprobe: deshalb, deswegen, darum ▶ Konditionalangabe / Bedingungsangabe Wenn es regnet, kommt Lukas nicht. Frageprobe: Unter welcher Bedingung, in welchem Fall? , Ersatzprobe: dann 31 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben ▶ Konzessivangabe / Einräumungsangabe Trotz des Regens geht Lena spazieren. Obgleich er ein erfahrener Künstler war, hatte er immer wieder Lampenfieber. Frageprobe: Trotz welchen Umstandes? Ersatzprobe: trotzdem, dennoch ▶ Finalangabe / Zweckangabe Ich esse Brot, damit ich satt werde / um satt zu werden. Die Familie fährt zur Erholung an die See. Frageprobe: Wozu, in welcher Absicht, mit welchem Ziel? , Ersatzprobe: dazu oder dafür ▶ Konsekutivangabe / Folgeangabe Anna ist so froh, dass sie weint. Die Kinder schrien, so dass sie heiser wurden. Frageprobe: Mit welcher Folge, mit welchem Ergebnis? , Ersatzprobe: mit dieser Folge ▶ Instrumentalangabe / Werkzeugangabe Ich esse mein Brot mit den Fingern. Wir fahren mit dem Wohnmobil nach Griechenland. Frageprobe: Womit, wodurch? , Ersatzprobe: damit, dadurch ▶ Komitativangabe / Begleitungsangabe Ich fahre mit ein paar Freunden in die Berge. Das Kind schlief zum ersten Mal ohne seinen Schnuller. Frageprobe: Mit wem, ohne wen? , Ersatzprobe (hier): mit ihnen, ohne ihn ▶ Restriktivangabe / Einschränkungsangabe Finanziell / In finanzieller Hinsicht geht es mir gut. Frageprobe: Inwieweit, in welcher Hinsicht? , Ersatzprobe: Insofern, insoweit 32 5. Die Satzglieder ▶ Adversativangabe / Gegensatzangabe Während ich für das Examen lerne, vergnügen sich meine Freunde im Freibad. Frageprobe: Wann? , Ersatzprobe: dagegen ▶ Kommentarangabe Laut Polizeibericht wurde der Dieb gefasst. Meiner Meinung nach ist das keine gute Idee. Frageprobe: z. B. Wessen Angabe nach-…? , Ersatzprobe: demnach ▶ Modalangabe / Artangabe Dieser Angabetyp ist eine Sammelklasse für sonstige Angaben, die teilweise schwer in ihrer Bedeutung zu fassen sind. Die „klassische“ Modalangabe sagt etwas über die Art und Weise aus, wie eine Handlung geschieht. Ich esse mein Brot mit großem Appetit. Er hat sie gestern flüchtig gesehen. Indem er ihr zu Füßen lag, gab sie ihm das Ja-Wort. Auch die Angabe von Grad und Maß zählt zu dieser Klasse: Er arbeitet genug. Besonders ärgert sie sein dauernder Widerspruch. Frageprobe: Wie? , Ersatzprobe: so Es gibt einige Modaladverbien, die nicht erfragbar sind, aber durch den positiven Spitzenstellungstest eindeutig als eigene Satzglieder zu verstehen sind. Dazu gehören z. B. die Modalwörter (vgl. Kap. II . 4.1 Adverb). Sie drücken eine Stellungnahme des Sprechers aus (Modalität), z. B. Wahrscheinlich/ glücklicherweise/ möglicherweise/ vielleicht komme ich heute Abend auf deine Feier. Diese Beispiele kann man auch als Modalitätsangaben bezeichnen. ▶ Prädikativangabe Ein Sonderfall ist die Prädikativangabe. Sie bezieht sich nicht, wie die Modalangabe, auf den Prädikatsverband, sondern auf eine Ergänzung. Vergleichen Sie die verschiedenen Bedeutungen der Beispielsätze: Die Mutter trug den Punsch heiß herein. → Bezug auf Akkusativ-Ergänzung (=-Prädikativangabe) 33 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben Die Mutter trug den Punsch fröhlich herein. → Bezug auf Nominativ-Ergänzung (=-Prädikativangabe) Dagegen: Die Mutter trug den Punsch schnell herein. → Bezug auf das Prädikat (=-Modalangabe) Eine Prädikativangabe kann auch konjunktional sein: z. B. Er kam als Erster durchs Ziel. ▶ Negationsangabe Die Negationsangabe kann aus einem Wort oder aus einer Wortgruppe bestehen und bezieht sich auf den ganzen Satz, ist also Satznegation, z. B. Der Lift fährt nicht / nie. Ebenso: keineswegs, in keiner Weise Vorsicht bei nicht! Es kann Satznegation (Negationsangabe) oder Wortnegation (vgl. Kap. I. 6. Attribute) sein! Testen Sie, z. B. durch die Satzgliedtests, worauf sich das nicht bezieht! ▶ Freier Dativ (vgl. Kap. I. 9.3 Der so genannte „Freie Dativ“) c) Formale Kriterien für Ergänzungen und Angaben Satzglieder können hinsichtlich ihrer grammatischen Form aus einem Wort oder einer Wortgruppe, aus einem Nebensatz oder einer Infinitiv- oder Partizipialkonstruktion bestehen. ▶ Wörter oder Wortgruppen Eine Gruppe von syntaktisch zusammengehörenden Wörtern, die in der Regel unmittelbar aufeinander folgen, nennt man Syntagma (griech. ‚Zusammengestelltes‘). Wenn einzelne Wörter oder Wortgruppen vorliegen, dann wird die Klassifikation nach der Wortart des Satzgliedkerns vorgenommen, d. h. nach dem Wort, welches auf keinen Fall weggelassen werden kann, da das Satzglied mindestens aus diesem bestehen muss (vgl. auch Kap. I. 6. Attribute). Eine Ausnahme 34 5. Die Satzglieder sind Satzglieder, die von einer Präposition bzw. einer Konjunktion eingeleitet werden; sie sind immer präpositional bzw. konjunktional. Als Satzgliedklassifikationen nach formalen Kriterien kommen also in Frage (der Kern ist durch Unterstreichen hervorgehoben): ▶ substantivisch: der neue Wagen, die bei Siemens arbeitende Studentin ▶ adverbial: erst heute, überraschenderweise ▶ adjektivisch: (Er spricht) laut und deutlich. (Sie tanzt) sehr schön. ▶ pronominal: (Der Professor verspricht) ihr (eine faire Prüfung). Sie (ist sehr aufgeregt). ▶ präpositional: im Jahr 2000, auf dem Balkon, für den Frieden ▶ konjunktional (als, wie): (Ich betrachte ihn) als meinen Freund. Zur Unterscheidung der Wortarten, besonders von Adverb und Adjektiv, lesen Sie bitte das Kapitel II . Wortarten. ▶ Satzförmige Satzglieder (=-Gliedsätze) Auch bei satzförmigen Satzgliedern funktionieren die in Kap. I. 5.2 und 5.3 genannten Tests, z. B. kann ein Angabesatz mit dem Geschehenstest überprüft werden: Ich konnte heute nicht in den Unterricht kommen und das geschah, weil ich hohes Fieber hatte. Er kann auch durch ein Wort ersetzt werden: Ich konnte heute deshalb nicht in den Unterricht kommen. Je nach Funktion sind Gliedsätze also Ergänzungs- oder Angabesätze. Wer zu spät kommt (=-Nominativ-Ergänzung), verpasst das Beste. Der Bundeskanzler sagt, dass die Arbeitslosigkeit bald wieder abnehmen wird (=-Akkusativ-Ergänzung). Als ich ein Kind war (=-Temporalangabe), hatte ich Angst vor Hunden. Es ist besonders wichtig, dass Nebensätze immer getestet werden, da nicht alle Nebensätze Satzglieder sein müssen; sie können auch Teile von Satzgliedern sein wie in unserem Beispiel Die Sprachwissenschaftlerin, die bereits während ihres Studiums bedeutende Arbeiten geschrieben hat. (vgl. Kapitel I. 6. Attribute). ▶ Infinitiv- oder Partizipialkonstruktionen Satzglieder können auch aus Infinitiv- oder Partizipialkonstruktionen bestehen. Sie sind keine Sätze, da sie keine finiten Verben besitzen. Infinitivkonstruk- 35 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben tionen sind durch die Konjunktionen zu, um-- zu oder (an)statt-- zu gekennzeichnet. Ich sehe jeden Tag die Nachrichten, um gut informiert zu sein (=-Finalangabe). Bei dir zu sein, ist schön (=-Nominativ-Ergänzung). Eine Zigarette rauchend (=-Modalangabe oder Temporalangabe) kam Frank ins Zimmer. In Regensburg angekommen (=-Temporalangabe) machte sich der Student sofort auf die Suche nach einem Zimmer. Infinitivkonstruktionen können auch Präpositional-Ergänzungen mit festen Präpositionen ersetzen: Ich hoffe auf ein Treffen/ [darauf] dich zu treffen. (2-wertiges Verb: wer / was? hofft worauf? ). Wenn wir die Satzglieder unseres Beispielsatzes (Die Sprachwissenschaftlerin,-…) klassifizieren, so kommen wir zu folgenden Lösungen: ▶ Die Sprachwissenschaftlerin, die bereits während ihres Studiums bedeutende Arbeiten geschrieben hat: obligatorische Nominativ-Ergänzung, substantivisch (nicht satzförmig, da der Kern die Sprachwissenschaftlerin ist) ▶ an der Konferenz in Rom: fakultative Präpositional-Ergänzung mit fester Präposition, präpositional ▶ heute: Temporalangabe, adverbial Die Satzglieder des Relativsatzes (überprüfen Sie diese einmal anhand der Tests) sind: ▶ die: obligatorische Nominativ-Ergänzung, pronominal ▶ bereits während ihres Studiums: Temporalangabe, präpositional (Präposition ist während + Genitiv) ▶ bedeutende Arbeiten: fakultative Akkusativ-Ergänzung, substantivisch 36 6. Attribute 6. Attribute 6.1 Definition und Allgemeines Wenn wir die Attribute analysieren, bewegen wir uns von der Grobstruktur des Satzes weg auf eine Ebene, die unterhalb der Satzglieder liegt. Komplexe Satzglieder haben einen Kern und ein Attribut oder mehrere Attribute, die diesen Kern erweitern und die wiederum attribuiert sein können. Attribute sind syntaktisch nicht notwendige Anreicherungen eines Satzgliedes. Es handelt sich hierbei also um Beifügungen bzw. Gliedteile. Sie ermöglichen es, das im Gliedkern Genannte zu charakterisieren und genauer zu bestimmen. Anna will sich für eine Feier ein elegantes Kleid kaufen. Test: Der Satzgliedkern kann nicht weggelassen werden! Anna will sich für eine Feier ein Kleid kaufen. *Anna will sich für eine Feier ein elegantes kaufen. → Nur das Attribut ist weglassbar. In unserem Beispiel ist es elegantes. Das gesamte Satzglied heißt ein elegantes Kleid. Der Satzgliedkern ist (ein) Kleid. Es gibt auch Attribute, die nicht weglassbar sind, weil sich der Sinn des Satzes ändern oder er ganz unsinnig werden würde. Dies ist aber ein semantisches und kein syntaktisches Problem: Bellende Hunde beißen nicht. Syntaktisch möglich ist zwar Hunde beißen nicht. Dies gibt jedoch keinen Sinn. Auch restriktive (einschränkende) Relativsätze sind (semantisch) nicht weglassbar: Menschen, die Alkohol getrunken haben, sollten nicht mehr Auto fahren. Attribute können wiederum erweitert werden (Mehrfachattribuierung) ▶ durch Koordination (Nebenordnung): der hungrige und piepsende Vogel ▶ durch Subordination (Unterordnung): der sehr hungrige Vogel 37 6.1 Definition und Allgemeines Dabei gibt es (syntaktisch) notwendige und nicht notwendige Erweiterungen von Attributen. Notwendige Erweiterungsglieder kommen insbesondere bei von Verben abgeleiteten Partizipien vor und sind valenzgebunden. Die auf den Tisch gelegte Zeitung. Vergleichen Sie: *Die gelegte Zeitung. Das Verb legen verlangt obligatorisch eine Nominativ-Ergänzung (wer / was? ), eine Akkusativ-Ergänzung (wen? ) und eine Präpositional-Ergänzung mit unfester Präposition (wohin? ), welche beim Partizip gelegt notwendig als Attribut auftritt. Exkurs Substantiv- und Adjektivvalenz Bereits bei den einführenden Bemerkungen zur Valenz wurde darauf hingewiesen, dass auch andere Wortarten eine Valenz haben können, nämlich (relative) Adjektive oder (relative) Substantive. In den folgenden Sätzen sind sekundäre Satzglieder / Ergänzungen 2. Grades enthalten, die sich nicht aus der Verbvalenz erklären lassen, sondern vom Adjektiv abhängig sind und auch nicht weggelassen werden können: Peter ist seinem Bruder ähnlich. Auch er war der langweiligen Referate überdrüssig. Die Frageprobe setzt hier nicht beim Verb (sein: wer / was? wie? ), sondern beim Adjektiv an: wem ähnlich? überdrüssig wessen? Bei der Verschiebeprobe kann man diese sekundären Satzglieder entweder gemeinsam mit dem Adjektiv an die erste Position rücken oder einzeln: Ähnlich ist Peter seinem Bruder./ Seinem Bruder ähnlich ist Peter. Überdrüssig war auch er der langweiligen Referate. Überdrüssig der langweiligen Referate war auch er. Es gibt 1- (siehe oben) oder 2-wertige (dankbar: Der Sohn ist seiner Mutter für die schöne Kindheit dankbar.) Adjektive. Bei bestimmten Substantiven (z. B. Bezeichnungen von Teilstücken, Mengen oder Eigenschaften) sind Attribute valenzgefordert und können oft gar nicht weggelassen werden: Die Hälfte meines Lebens wohnte ich in London. Seine Angst vor Spinnen war schon krankhaft. Sätze können mehrdeutig sein, je nachdem, ob ein Syntagma als ein Attribut oder Satzglied gemeint ist. Sehen Sie sich diese Zeitungsüberschrift an: Frau von Kripo-Chef ermordet! Ist von Kripo-Chef ein Satzglied, so bedeutet die Überschrift, dass ein Kripo- Chef eine Frau ermordet hat. Wenn von Kripo-Chef Attribut zum Kern Frau 38 6. Attribute ist, bedeutet das, dass die Frau des Kripo-Chefs ermordet wurde. Beabsichtigt war übrigens die zweite Möglichkeit, was aus dem dazugehörigen Kontext hervorging. 6.2 Attributtypen Attribute sind nach Wortart und Stellung bestimmbar, außerdem gibt es einfache und mehrteilige Attribute sowie Attributsätze. Die wichtigsten Attributtypen sind: a) Vorangestellte Attribute ▶ flektiertes / unflektiertes Adjektiv: schwere Taschen; frisch gestrichene Wände ▶ Partizip I: lachende Kinder ▶ Partizip II : gesprochene Worte; erschreckte Mieterin ▶ Substantive im Genitiv: Elkes Modestübchen; Vaters Rat; des Kindes Lachen ▶ Adverb: dort auf der Straße; nur heute; nicht ohne meine Tochter ▶ Apposition: Professor Meier (s. Exkurs zur Apposition) ▶ Dativfügung (umgangssprachlich): Dem Hugo sein Auto ▶ Präpositionale Fügung: Im Topf das Wasser; am Mittwoch in der Sitzung Unbestimmter / bestimmter Artikel und Artikelwörter, z. B. Interrogativpronomen (welche Frage) oder Possessivpronomen (mein Freund), zählen für uns nicht zu den Attributen! Präpositionen und Konjunktionen sind ebenfalls keine Attribute; sie leiten den Kern ein: mit billigem Wein - Kern: (mit) Wein - Attribut: billigem. Der Grund dafür ist, dass das Artikelwort stehen muss, ein Attribut nicht. Eine echte Attribuierung kann häufig in einen Satz (mit Prädikat) umgewandelt werden, z. B. meine junge Frau → Meine Frau ist jung. Das ist bei den Artikelwörtern nicht möglich: *Frau ist meine. b) Nachgestellte Attribute ▶ unflektiertes Adjektiv: Hänschen klein; Forelle blau 39 6.2 Attributtypen ▶ koordinierte unflektierte Adjektive: ein Haus, groß und geräumig, ▶ Partizipialgruppe mit Partizip I: die Mutter, ihr Kind im Stich lassend, ▶ Partizipialgruppe mit Partizip II : der Student, bestens vorbereitet, ▶ Genitivfügung: das Haus meines Vaters ▶ Akkusativfügung: die Sitzung letzten Freitag ▶ Präpositionale Fügung: ein Platz an der Sonne; oben auf dem Berg ▶ Adverb: die Prüfung gestern ▶ Adverb mit Satzteilkonjunktion: ein Film wie gestern; ein schöneres Tor als vorhin ▶ Apposition: Herr Müller, der Vorsitzende, (s. Exkurs zur Apposition) ▶ Apposition mit als/ wie (Konjunktionalattribut): Freiheit als Lebensziel; Geld wie Heu (s. Exkurs zur Apposition) ▶ Infinitiv mit zu: die Art zu leben; sein Plan abzureisen ▶ Attributsätze: a. Relativsätze eingeleitet mit ▶ Relativpronomen: Die Katze, die uns gestern zugelaufen ist, ▶ Relativadverb: In Weimar, wo Goethe lebte, b. durch Subjunktion eingeleiteter Nebensatz: damals, als die Welt noch in Ordnung war, Attributsätze können weiter analysiert werden. Dies geschieht wie bei der Grobstruktur - nur auf einer unteren Ebene. Für die Durchführung der Verschiebeprobe müssen Sie die Nebensätze in Hauptsätze umwandeln (vgl. Kap. I. 5.2 Satzgliedtests). Ob es sich bei einem Nebensatz um einen Attributsatz oder einen Gliedsatz handelt, kann durch die Ersatzprobe (Substitution) und die Ermittlung der Valenz des Verbs festgestellt werden. Ich helfe, wem ich will. → Ich helfe dir. helfen ist ein 2-wertiges Verb, das eine Nominativ- und eine Dativ-Ergänzung benötigt. → wem ich will ist ein Ergänzungssatz (vgl. Kap. I. 5.4 Klassifikation von Ergänzungen und Angaben). 40 6. Attribute Weiterführende Nebensätze sind keine Attribute (und auch keine Ergänzungen oder Angaben), obwohl auch sie durch Relativpronomen oder Pronominaladverbien (vgl. Kap. II . 4.1 Adverb) eingeleitet werden. Sie beziehen sich auf den gesamten Satz, sind aber syntaktisch nicht eingebunden. Bsp.: Ich fuhr mit dem Auto nach München, wobei ich wegen des hohen Verkehrsaufkommens unerwartet lange unterwegs war. Der weiterführende Nebensatz ist (semantisch und syntaktisch) aufzulösen in: Dabei war ich wegen … unterwegs. Dazu gehört auch das Beispiel: Ralph hat mich gestern bekocht, was sehr angenehm war. Der Nebensatz kann aufgelöst werden in Das war sehr angenehm. Exkurs Die Apposition als Sonderfall des Attributs Merkmale: ▶ Der Kern ist grundsätzlich ein Substantiv. ▶ Die Apposition ist referenzidentisch mit ihrem Bezugswort, d. h., Apposition und Satzgliedkern beziehen sich auf denselben Sachverhalt. ▶ Die Referenzidentität wird auch dadurch ersichtlich, dass Apposition und Bezugswort in einen Kopulasatz (z. B. ist-Satz) umgewandelt werden können. Studentin Lena. → Lena ist Studentin. Die Apposition heißt hier Studentin. ▶ Die Apposition ist weglassbar. Außerdem kann sie (meist) an Stelle ihres Bezugswortes im Satz stehen (z. T. mit Ergänzung oder Wegfall des Artikels). Professor Meier hat seine Veranstaltung verschoben. Meier hat seine Veranstaltung verschoben. (Apposition ist Professor) Der Professor hat seine Veranstaltung verschoben. (Ersatz des Bezugswortes durch die Apposition) a) Lockere Apposition Die lockere Apposition stimmt (meist) mit ihrem Bezugswort im Kasus überein. Sie ist ein nachgestelltes Attribut, das vom Satzgliedkern stimmlich durch eine kleine Pause bzw. durch zwei Kommata abgetrennt ist. Bsp.: Herr Behringer, unser neuer Hauptabteilungsleiter, lädt heute zum Umtrunk. 41 6.2 Attributtypen Der Bäcker Liebl macht die besten Brezen. (Nominativ) Die Brezen des Bäckers Liebl-… (Genitiv) → Die Apposition heißt Liebl. Direktor Brinkmann hält die besten Reden. (Nominativ) Die Reden Direktor Brinkmanns-… (Genitiv) → Die Apposition heißt Direktor. b) Enge Apposition Sie steht vor oder nach dem Bezugswort und wird nicht durch ein Komma abgetrennt. Um das Bezugswort eindeutig festzustellen, muss der Nominativ in den Genitiv gesetzt werden. Da die enge Apposition nicht flektiert wird, kann sie leicht ermittelt werden (Test funktioniert nur bei Maskulinum Singular und Neutrum Singular). Deutlich wird, dass ein Artikel(wort) - hierzu gehört z. B. auch mein und dieser - die Rollen von Bezugswort und Apposition vertauscht: Im ersten Beispiel (mit Artikel) ist der Name (Liebl) die Apposition - da nicht flektiert -, im zweiten Beispiel (ohne Artikelwort) ist der Name (Brinkmann) jedoch der Satzgliedkern. ▶ Apposition nach Mengen- und Maßangaben (Teil-Ganzes-Beziehung) Inhaltlich sind diese Appositionen als partitive Attribute (= ‚Teil von etwas‘) zu verstehen. Apposition und Kern stimmen im Kasus überein. Ich verwöhne euch mit einer großen Kanne starkem Kaffee. Starkem Kaffee ist die Apposition zu Kanne, Kern und Apposition stehen im gleichen Kasus. Eine andere Möglichkeit zur Darstellung einer Teil-Ganzes-Beziehung ist die Wahl eines (partitiven) Genitivattributs. Ich verwöhne euch mit einer großen Kanne starken Kaffees. Starken Kaffees ist der partitive Genitiv, also Genitivattribut. ▶ Namen, Titel, Verwandtschafts- und Berufsbezeichnungen als Apposition Die Apposition ist in den folgenden Beispielen unterstrichen. Die Universität Regensburg, Die Wochenzeitung „Die ZEIT“, Frau Klinger, das Bundesland Sachsen, Malermeister Schmidt 42 6. Attribute 6.3 Grafische Darstellung von attribuierten Satzgliedern die Informationsabende zur Frage der Schulfähigkeit Stemma: (die) Informationsabende Kern 1: substantivisch | zur Frage der Schulfähigkeit Attribut: präpositionale Fügung, nachgestellt (zur) Frage Kern 2: substantivisch | der Schulfähigkeit Attribut: Genitivfügung, nachgestellt Nicht immer ist ein solches Stemma eindeutig. Vergleichen Sie: die schönsten bayerischen Seen Stemma 1: (die) Seen | bayerischen | schönsten Problem: schönsten ist kein Attribut zu bayerischen, sondern attribuiert die bayerischen Seen insgesamt. ▶ Variante der engen Apposition: Anschlüsse mit wie und als (s. nachgestellte Attribute): Wir suchen eine Expertin wie Lisa Holl für unser neues Projekt. Fischer als ausgewiesener Spezialist auf diesem Gebiet konnte für die Tagung gewonnen werden. Diese Apposition mit als kann auch als Prädikativangabe klassifiziert werden, da sie spitzenstellungsfähig ist und somit Satzgliedstatus haben kann (vgl. Kap. I. 5.3 Tests zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben). 43 6.3 Grafische Darstellung von attribuierten Satzgliedern Besser ist also Stemma 2: Hilfreich und oft eindeutiger ist eine Ausformulierung, z. B.: „Das Satzglied besteht zunächst aus dem Syntagma die bayerischen Seen und dem vorangestellten Adjektivattribut schönsten. Das Syntagma wiederum setzt sich aus dem substantivischen Kern die Seen und dem vorangestellten Adjektivattribut bayerischen zusammen.“ Sie können auch anders beginnen: „Das Satzglied besteht zunächst aus dem substantivischen Kern die Seen und dem vorangestellten Adjektivattribut bayerischen. Die Wortgruppe wird von dem vorangestellten Adjektiv schönsten attribuiert.“ Für unseren Beispielsatz Die Sprachwissenschaftlerin, die bereits während ihres Studiums bedeutende Arbeiten geschrieben hat, nimmt heute an der Konferenz in Rom teil. können wir folgende Attribute bestimmen: ▶ die-… hat zum substantivischen Kern die Sprachwissenschaftlerin: nachgestellter Attributsatz (Relativsatz mit Relativpronomen) ▶ in Rom: nachgestellte präpositionale Fügung zum substantivischen Kern (an der) Konferenz Innerhalb des Relativsatzes gibt es weitere Attribute: ▶ bereits: vorangestelltes adverbiales Attribut zum substantivischen Kern (während ihres) Studiums ▶ bedeutende: vorangestelltes adjektivisches Attribut zum substantivischen Kern Arbeiten. 44 7. Besonderheiten der Verbvalenz 7. Besonderheiten der Verbvalenz Bei der Bestimmung der Verbvalenz in einem Satz gibt es teilweise Abweichungen von dem, was wir bisher als Valenz eines Verbs kennen gelernt haben. 7.1 0-wertige Verben Eine Besonderheit ist die Klasse der 0-wertigen Verben. Dazu gehören vor allem die so genannten Witterungsverben wie schneien, regnen, donnern, hageln, tauen, dämmern. Wenn wir die Valenz etwa von regnen bestimmen, so können wir feststellen, dass wir auf die Frage wer regnet? -- es nur eine unzureichende Antwort bekommen, die uns nicht den Urheber einer Handlung wie etwa bei wer singt? - - mein Bruder nennt. Deshalb rechnet man in solchen Fällen das es zum Prädikat; demnach hat unser Verb regnen keine Ergänzung, ist also 0-wertig. Einige dieser Verben können auch im übertragenen Sinn verwendet werden z. B. „Du bist ein ungezogenes Mädchen! “ donnerte der Vater. Hier liegt aber eine andere Valenz (wer / was? donnert wen / was? ) und damit ein anderes Verb vor; 0-wertig sind die Verben nur, wenn sie wirklich als Witterungsverben verwendet werden (vgl. „Scheinsubjekt“ in Kap. I. 4.1 Prädikatsteile und I. 9.2 Die verschiedenen Funktionen von es). 7.2 Unterwertiger Gebrauch a) Weglassen fakultativer Ergänzungen Zur Valenz des Verbs zählen alle Ergänzungen, obligatorische ebenso wie fakultative. Fakultative Ergänzungen müssen aber nicht unbedingt in einem konkreten Satz vorkommen. So ist das Verb mitbringen etwa 3-wertig: wer / was? bringt wem? wen / was? mit. Vergleichen Sie die beiden folgenden Sätze: Der Student bringt seiner Kommilitonin die Vorlesungsmitschrift von letzter Woche mit. Der Student bringt die Vorlesungsmitschrift von letzter Woche mit. Beide Sätze sind grammatisch korrekt, der Valenzträger mitbringen ist immer 3-wertig, nur liegt im zweiten Satz unterwertiger Gebrauch vor, da die fakultative Dativ-Ergänzung fehlt. 44 7. Besonderheiten der Verbvalenz 45 7.2 Unterwertiger Gebrauch Wenn in einem Satz nicht alle (fakultativen) Ergänzungen realisiert sind, spricht man von unterwertigem Gebrauch. Es ist wichtig, dass die Valenz des Verbs nicht zu eng am Text bestimmt wird, da hier unter Umständen fakultative Ergänzungen fehlen und eventuell übersehen werden können. Die Valenz sollte deshalb zusätzlich auch außerhalb des Textes anhand von eigenen Satzbeispielen erprobt werden. Beachten Sie dabei, dass es viele Verben gibt, die gleich lauten, aber verschiedene Bedeutungen (vgl. Kap. VI . 7. Bedeutungsrelationen) und demnach unterschiedliche Valenzen haben können. So hat das Verb verbauen zwei Bedeutungen (bzw. es liegen zwei unterschiedliche Verben vor): a. Der Handwerker verbaute viel Holz. Verbauen im Sinne von ‚beim Bauen verbrauchen‘: 2-wertig: wer / was? verbaut wen / was? b. Der schlechte Studienabschluss verbaute dem Absolventen die Zukunft. Verbauen hier im Sinne von ‚versperren‘: 3-wertig: wer / was verbaut wem? wen / was? Bestimmen Sie die Valenz des Verbs auch außerhalb des Textes, aber in der im Text verwendeten Bedeutung! Achten Sie darauf, dass Sie alle obligatorischen und fakultativen Ergänzungen berücksichtigen. b) Weglassen obligatorischer Ergänzungen Eigentlich können nur fakultative Ergänzungen in einem Satz weggelassen werden, unter bestimmen Bedingungen allerdings können auch obligatorische Ergänzungen fehlen. a. Der Winter war sehr kalt. Deshalb haben unsere Hennen kaum gelegt. b. Ich habe vorhin abgehoben. Jetzt muss Peter geben! c. Das ist Karls Zimmer? Der wohnt doch nicht, der haust! d. Er kann (gut) beobachten. In den Fällen a) und b) können die obligatorischen Akkusativbzw. Dativ-Ergänzungen nur in diesen spezifischen Kontexten weggelassen werden. Sie sind implizit durch die Situation gegeben und können ergänzt werden (Die Hennen legen-- was sonst? -- Eier. Peter gibt den Mitspielern Karten). Im Fall c) kann die 46 7. Besonderheiten der Verbvalenz Präpositional-Ergänzung zum Verb wohnen nur im Kontrast zum Verb hausen weggelassen werden. Solche „semantischen Spezialisierungen“ kommen vor allem in der Fachsprache oder in der Umgangssprache vor. Im Fall d) liegt Modalisierung vor; das Verb bezieht sich nicht auf einen aktuellen Vorgang (wie z. B. beim Satz Er beobachtet die Schiffe.), sondern auf eine Fähigkeit. c) Unterwertiger Gebrauch bei Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen Wir haben in Kap. I. 5.2 gesehen, dass Nebensätze auf einer unteren Analyseebene valenzgrammatisch wie Hauptsätze analysiert werden können. Ähnlich ist es bei Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen (vgl. Kap. I. 5.4 c Formale Kriterien für Ergänzungen und Angaben). Für beide Konstruktionen ist es typisch, dass die Nominativ-Ergänzung nie realisiert ist (unterwertiger Gebrauch), da infinite Verben keine Nominativ- Ergänzung bei sich haben können; das (nicht vorhandene) Subjekt ist mit dem des Hauptsatzes identisch. Alle anderen Ergänzungen (und Angaben) aber sind vorhanden. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheit können wir also auch Infinitivbzw. Partizipialkonstruktionen valenzgrammatisch analysieren. (Der Student muss sich beeilen), um noch rechtzeitig zur Prüfung zu kommen. Der Valenzträger ist kommen: 2-wertig: wer / was kommt wohin? Die Nominativ-Ergänzung fehlt, zur Prüfung ist die Präpositional-Ergänzung mit unfester Präposition und noch rechtzeitig ist eine Modalangabe / Temporalangabe. 7.3 Besonderheiten der Valenz im Passiv In einem Passivsatz verhält es sich mit der Valenz des Verbs anders als in einem Aktivsatz. Man spricht hier auch von einer Passivtransformation. Die Tochter schenkt der Mutter einen großen Blumenstrauß. Ein großer Blumenstrauß wird der Mutter (von der Tochter) geschenkt. 47 7.3 Besonderheiten der Valenz im Passiv Aktiv Die Tochter Nom-E schenkt der Mutter Dat-E einen großen Blumenstrauß. Akk-E Passiv (von der Tochter) fakultative Präp-E mit fester Präposition wird … geschenkt der Mutter Dat-E ein großer Blumenstrauß. Nom-E Im Passivsatz wird aus der Akkusativ-Ergänzung des Aktivsatzes eine Nominativ-Ergänzung, aus der Nominativ-Ergänzung eine fakultative Präpositional- Ergänzung mit fester Präposition (es kommen nur die Präpositionen von oder durch in Frage), Dativ- (auch Genitiv- und Präpositional-) Ergänzungen bleiben unverändert. So kann es auch zu Passivsätzen ohne Nominativ-Ergänzung kommen, nämlich dann, wenn der Aktivsatz keine Akkusativ-Ergänzung enthält: Hier tanzt man. → Hier wird getanzt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es in einem Passivsatz zum unterwertigen Gebrauch kommt, da ja gerade der Handelnde/ „Täter“ (Agens) nicht genannt werden soll oder kann. In einer konkreten Analyse muss die Valenz des Verbs immer im Aktiv bestimmt werden! Die Ergänzungen werden dann aber nach ihrem Vorkommen im Text (also im Passiv) klassifiziert. Vermerken Sie in Ihrer Analyse alle Änderungen, die durch Passivtransformation hervorgerufen werden, z. B. unterwertiger Gebrauch. Exkurs Vorgangs-, Zustandspassiv und Passiversatz Beim Passiv kann man zwischen dem werden-Passiv (Vorgangspassiv) und dem sein-Passiv (Zustandspassiv) unterscheiden. Vergleichen Sie folgende zwei Sätze: ▶ Die Tür wird geschlossen (Vorgang). ▶ Die Tür ist geschlossen (Zustand). Beide Sätze können auf einen Aktivsatz Jemand schließt die Tür. zurückgeführt werden. Verwechseln Sie das Zustandspassiv nicht mit folgendem Phänomen: Die Frau ist verliebt. Hier liegt kein Passiv vor, obwohl die Form sein + Partizip II mit der Passivform formal identisch ist. Da es aber kein Vorgangspassiv (*Die Frau ist verliebt 48 7. Besonderheiten der Verbvalenz Testen Sie immer, ob es zu Ihrem vermeintlichen Passiv-Satz auch einen entsprechenden Aktivsatz bzw. ein Vorgangspassiv gibt. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Analyse von Strukturen, die eine passivische Bedeutung haben und damit als Passiversatz gewertet werden. Der Schlüssel wird sich schon wieder finden. entspricht dem Passivsatz Der Schlüssel wird gefunden werden. Das Prädikat dieses Satzes ist wird sich finden. In einem gesonderten Kommentar sollte vermerkt werden, dass es das Verb sich finden nicht gibt (der Schlüssel findet sich ja auch nicht selbst) und es sich vielmehr um das Verb finden und die Valenz wer / was? findet wen / was? (evtl. auch wo? ) handelt. Ebenfalls Passiversatz liegt bei sein + zu + Infinitiv vor: Das Buch ist bis nächste Woche zu lesen = Das Buch muss bis nächste Woche gelesen werden. Das Prädikat lautet ist zu lesen, der Valenzträger aber lesen (wer / was? liest wen / was? ). In einem Kommentar muss erwähnt werden, dass der unterwertige Gebrauch auf den Passiversatz zurückzuführen ist. Als Passiversatz zu werten sind auch Formulierungen wie Er bekommt (von seinem Vater) zu seinem Geburtstag ein Auto geschenkt. = Ihm wird (von seinem Vater) zu seinem Geburtstag ein Auto geschenkt. (ebenso bei: erhalten / kriegen + Partizip II ). Das Verb bekommen bewirkt hier, dass der eigentliche Dativ (wem? wird etwas geschenkt? ) zu einem Nominativ wird. 7.4 Valenzerhöhung In der Kombination mit bestimmten Verben (z. B. kausativen Verben oder Empfindungsverben) kommt es zu einer Erhöhung der Valenz bzw. zu einer Kombination der Valenz zweier Verben. worden.) und auch keinen Aktivsatz (*Ich verliebe die Frau.) gibt, handelt es sich um ein so genanntes Zustandsreflexiv, da der Satz auf das reflexive Verb (vgl. Kapitel I. 9.1 Reflexive Verben) sich verlieben - Die Frau verliebt sich. zurückzuführen ist (ebenso: sich verheiraten - verheiratet sein). Das Zustandspassiv darf auch nicht verwechselt werden mit einem Adjektiv bzw. mit einem Partizip, das prädikativ verwendet wird: Ich bin begabt. Hier können wir weder einen reflexiven Aktivsatz (*Der Mann begabt sich.) noch ein Vorgangspassiv (nur altertümlich: Der Mann ist begabt worden.) bilden. Dieses Phänomen und das Zustandsreflexiv analysieren wir als Prädikatsnomenergänzung. 49 8.1 Konjunktionen und Subjunktionen a. Der Professor lässt die Studenten eine Prüfung schreiben. b. In der Vorlesung höre ich meinen Nachbarn ein Liedchen summen. Valenzgrammatisch können wir die Sätze folgendermaßen auflösen: Im Beispielsatz a) liegen mit dem Prädikat lässt schreiben drei Ergänzungen vor: eine Nominativ-Ergänzung (der Professor) und zwei Akkusativ-Ergänzungen (die Studenten und eine Prüfung). Die Erklärung: schreiben ist hier eigentlich 2-wertig: wer / was? schreibt wen / was? z. B. Die Studenten schreiben eine Prüfung. Das Verb lassen trägt nun dazu bei, dass sich die Valenz erhöht; durch das Einbringen einer neuen Nominativ-Ergänzung (der Professor) wird die ursprüngliche Nominativ-Ergänzung (die Studenten) zu einer Akkusativ-Ergänzung. Ein ähnliches Phänomen liegt im zweiten Beispielsatz mit dem Prädikat höre summen vor. Hier bewirkt die Kombination der Valenzen der Verben hören (2-wertig: wer / was? hört wen / was? ) und summen (2-wertig: wer / was? summt wen / was? ) eine Valenzerhöhung. 8. Satzteile ohne Satzglied(teil)status In einem Satz müssen nicht nur Satzglieder vorkommen; es gibt auch Wörter, für die die Satzgliedtests negativ sind und die auch keine Satzgliedteile, also z. B. Attribute, sind. 8.1 Konjunktionen und Subjunktionen Konjunktionen / Subjunktionen sind unflektierbare (nicht veränderbare) „Fügteile“/ Verbindungswörter, die weder Satzglieder noch Attribute und - im Gegensatz zu den Präpositionen - ohne Kasusforderung sind. a) Konjunktionen (nebenordnend / koordinativ / parataktisch) Konjunktionen verbinden Hauptsätze, Nebensätze gleichen Grades oder Satzglieder miteinander. Dazu gehören u. a. und, oder, denn, aber. Es gibt auch zweiteilige Konjunktionen, wie entweder-… oder, nicht nur-… sondern auch. Wir gehen ins Kino, denn dort läuft ein schöner Film. 50 8. Satzteile ohne Satzglied(teil)status Sie sehen: denn ist kein Satzglied (auch kein Satzgliedteil), da es nicht verschoben werden kann und im Hauptsatz die Spitzenstellung vor dem finiten Verb durch dort besetzt ist. Die Konjunktion hat also die Ø-Position inne (vgl. Exkurs in Kap. I.4.1 Prädikatsteile). In diesem Beispielsatz liegen zwei Hauptsätze vor, die durch denn parataktisch miteinander verbunden sind. Konjunktionen können nach der Art des semantischen Verhältnisses zwischen den Teilsätzen klassifiziert werden. kopulativ (anreihend) disjunktiv (ausschließend) restriktiv (einschränkend), adversativ (entgegensetzend) kausal (begründend) und (so) wie sowohl … als auch oder entweder … oder aber nur sondern (je)doch denn b) Subjunktionen (unterordnend / subordinierend / hypotaktisch) Subjunktionen verbinden Haupt- und Nebensätze oder Nebensätze verschiedenen Grades miteinander. Dazu gehören dass, bevor, weil, nachdem usw. Bei den zweiteiligen Subjunktionen je-… desto, wenn auch-… so doch leitet der erste Teil den Nebensatz, der zweite Teil den Hauptsatz ein (Bsp.: Je mehr du jetzt noch vorbereitest, desto weniger Arbeit haben wir am Abend.). Er merkte, dass das Mädchen sich freute, weil er angerufen hatte. Hier liegen zwei Subjunktionen vor, nämlich dass und weil. Der erste Nebensatz ist vom Hauptsatz abhängig, der zweite Nebensatz vom ersten Nebensatz. Die Subjunktionen können ebenfalls nach semantischen Kriterien unterteilt werden: temporal als, während, seitdem, nachdem, bis modal indem kausal weil, da konditional wenn, falls, sofern, soweit konzessiv obgleich, obwohl, wiewohl, ungeachtet dessen, dass restriktiv und adversativ insofern, insoweit, soviel, während, wohingegen 51 8.2 Korrelate konsekutiv so dass, als dass, dass final damit, dass nur mit syntaktischer Funktion dass, ob, wie Wie Sie an der semantischen Einteilung sehen, gibt die Subjunktion bereits einen Hinweis auf die Satzgliedklassifikation. Beispielsweise handelt es sich bei einem mit als eingeleiteten Nebensatz um eine Temporalangabe (vgl. Kap. I. 5.4 b Arten von Angaben). Konjunktionen sind von Konjunktionaladverbien zu unterscheiden! Konjunktionaladverbien haben Verbindungsfunktion, sind aber keine Konjunktionen, sondern Satzglieder. Dazu gehören deshalb, daher, folglich, insofern, trotzdem, deswegen, außerdem, demnach. Konjunktionaladverbien sind valenzgrammatisch Angaben. Ich gehe heute noch aus, deshalb beeile ich mich mit der Arbeit. Deshalb ist ein Satzglied, weil es z. B. die Spitzenstellung vor dem finiten Verb einnimmt. Allerdings gibt es Wörter, die sowohl Konjunktionaladverbien als auch Konjunktionen sein können (vgl. Kap. II . 5. Problem Homonymie). ▶ Er putzt gerne die Wohnung, doch er bügelt ungern seine Hemden. (Konjunktion, da in Ø-Position; er besetzt die Spitzenstellung) ▶ Er putzt gerne die Wohnung, doch bügelt er ungern seine Hemden. (Konjunktionaladverb, da doch die Spitzenstellung vor dem finiten Verb besetzt) 8.2 Korrelate Korrelate sind Ausdrücke, die „Stellvertreter“ für etwas sind bzw. sich auf einen nachfolgenden oder vorangehenden Nebensatz oder eine Infinitivkonstruktion beziehen. 52 8. Satzteile ohne Satzglied(teil)status Ich danke dir dafür, dass du auf mich gewartet hast. / Dass du auf mich gewartet hast, dafür danke ich dir. Ich freue mich darauf, dich am Wochenende zu besuchen. Betrachtet man die Art der Ergänzungen der Verben, bei denen ein Korrelat auftreten kann, so handelt es sich meist um Verben, die eine Präpositional- Ergänzung verlangen, z. B. Ich danke dir für die Blumen. Stattdessen kann auch ein Präpositionaladverb- - meist Pronominaladverb (vgl. Kap. II . 4.1 Adverb) genannt- - stehen. Dies wäre in unserem Beispiel dafür: Ich danke dir dafür. Dieses dafür wird als Korrelat bezeichnet, wenn ein Nebensatz folgt, auf den es sich bezieht. Möglich ist in manchen Fällen auch der Verzicht auf das Korrelat, so dass nur der Nebensatz folgt, z. B. Er dankte seinen Eltern (dafür), dass sie ihm diesen Urlaub ermöglicht haben. Korrelat + Nebensatz sind ein einziges Satzglied. Das beweist z. B. der Spitzenstellungstest (Dafür, dass du auf mich gewartet hast, danke ich dir. oder: Dass du auf mich gewartet hast, dafür danke ich dir.). Valenzgrammatisch gesehen gibt es zwei Möglichkeiten der Analyse: ▶ Das Korrelat (hier: dafür) ist lediglich Stellvertreter im Hauptsatz für den nachfolgenden Nebensatz. Im ersten Beispiel ist danken ein dreiwertiges Tätigkeitsverb, wobei Ich die Nominativ-Ergänzung, dir die Dativ-Ergänzung und dafür, dass du auf mich gewartet hast zusammen die Präpositional-Ergänzung ist. Bei der weiteren Analyse fällt das Korrelat dafür weg. ▶ Der Nebensatz kann als Attributsatz zum Kern dafür analysiert werden. Zu es als Korrelat vgl. Kap. I. 9.2 Die verschiedenen Funktionen von es. 8.3 Partikeln Partikeln sind schwierig einzuordnen und es gibt in der Forschung sehr unterschiedliche Meinungen darüber, wie weit die Wortart der Partikeln zu fassen ist. Teilweise werden viele Unterkategorien erstellt, um unter dem schwammigen Oberbegriff „Partikeln“ die Unsicherheiten hinsichtlich der syntaktischen Einordnung (z. B. Satzglied oder nicht, Attribut oder nicht) und der Wortartenmerkmale zu kaschieren. Vielfach werden Wörter zu den Partikeln gerechnet, die auch zu den Adverbien gezählt werden können, z. B. nicht (Negationsadverb, häufig als Negationspartikel bezeichnet) und nur (Modaladverb, oft als Fokuspartikel bezeichnet). Allerdings sind die eben erwähnten Beispiele (z. B. nicht, 53 8.3 Partikeln nur) u. a. nicht erfragbar und nur bedingt verschiebbar und unterscheiden sich somit von den „klassischen“ Adverbien (z. B. heute, immer, dort). Wir wollen die Gruppe der Partikeln sehr klein halten, um die Wortart so eindeutig wie möglich bestimmen zu können. Partikeln sind nicht flektierbar (veränderbar), sind weder spitzenstellungsfähig noch erfragbar, können also - nach den Tests - weder Satzglied noch Attribut sein und sie haben keine verbindende Funktion (im Gegensatz zu Präpositionen und Konjunktionen / Subjunktionen). Partikeln drücken entweder eine Sprechereinstellung bzw. die innere Befindlichkeit des Sprechers aus (Abtönungspartikeln) oder dienen der Steuerung des Gesprächs (Gesprächspartikeln). Hinter unserer Zuordnung stecken demnach pragmatische Überlegungen, also die nach der kommunikativen Funktion (vgl. Kap. IX . Pragmatik). Partikeln werden vor allem in der gesprochenen Sprache verwendet. Gesprächspartikeln sind z. B. also, nun, so, oder; zu den Abtönungspartikeln gehören z. B. aber, auch, denn, schon, bloß, eben, ja, also, bair. fei. Also, wo waren wir stehen geblieben? Ist denn das möglich? Du bist ja total durchgeknallt! War das aber ein Durcheinander! Frag nicht, das ist eben so! Einige dieser Wörter können in einem anderen Kontext auch eine andere Wortart sein. Peter geht nach Hause, denn er muss noch arbeiten. (Konjunktion) Ja, ich werde pünktlich sein. (Satzäquivalent) Ich habe lange gewartet, aber du bist nicht gekommen. (Konjunktion) Eben war das Eichhörnchen noch auf dem Baum. (Adverb) 54 9. Stolpersteine der Syntax 9. Stolpersteine der Syntax In diesem Kapitel gilt es, den Blick auf besondere Schwierigkeiten zu richten, die in der Satzanalyse vorkommen können. Vorsicht ist z. B. geboten, wenn in einem Satz ein Dativ, ein Reflexivpronomen (mich / mir, dich / dir, sich, uns, euch) oder das Wort es auftaucht. Dieses kurze Kapitel soll helfen, solche Stolpersteine zu erkennen, mit Vorsicht auszuwerten und einen Einblick in die Raffinessen der deutschen Syntax zu gewinnen. 9.1 Reflexive Verben Wir haben weiter oben bereits gesehen, dass ein Reflexivpronomen auch zum Prädikat gehören kann (vgl. Kapitel I. 4.1 Prädikatsteile). Das ist aber nicht zwingend der Fall, denn es kann auch ein eigenes Satzglied, nämlich eine Ergänzung sein. Die Terminologie ist hier nicht einheitlich und einige Grammatiken sprechen etwa von echt vs. unecht reflexiven Verben (z. B. Duden-Grammatik) oder von reflexiven Verben im engeren und weiteren Sinne bzw. von reflexiven Konstruktionen (z. B. Helbig / Buscha). Da diese Unterscheidung eher verwirrend ist, wollen wir lieber von semantisch reflexiven und formal reflexiven Verben sprechen. a) Semantisch reflexive Verben Bei diesen Verben liegt ein semantischer Rückbezug zwischen der Nominativ-Ergänzung und dem Reflexivpronomen vor. So ist in dem Beispiel Die Studentin kämmt sich. eine Übereinstimmung zwischen derjenigen, die kämmt, und derjenigen, die gekämmt wird, gegeben. Dieses Reflexivpronomen ist ein eigenes Satzglied (hier: Akkusativ-Ergänzung) und kann: ▶ erfragt (Wen kämmt die Studentin? -- Sich.), ▶ ersetzt (Die Studentin kämmt ihre Katze.) und ▶ verschoben werden (Sich kämmt die Studentin und nicht die Katze.). Außerdem kann dieses sich ▶ durch das Wort selbst verstärkt (Die Studentin kämmt sich selbst.) oder ▶ mit anderen Personalpronomen bzw. Substantiven kombiniert (koordiniert) werden (Die Studentin kämmt sich und ihre Katze.). 54 9. Stolpersteine der Syntax 55 9.1 Reflexive Verben b) Formal reflexive Verben Diese Verben sind nur ihrer Form nach reflexiv; das Reflexivpronomen hat aber keine eigene Bedeutung, zählt zum Verb und muss etwa beim Vokabellernen mitgelernt werden. Die oben genannten Tests funktionieren hier nicht: Der Student freut sich über das bestandene Examen. *Wen freut der Student? -- Sich. *Der Student freut einen Kommilitonen über das bestandene Examen. *Sich freut der Student über das bestandene Examen und nicht einen Kommilitonen. *Der Student freut sich selbst über das bestandene Examen. *Der Student freut sich und einen Kommilitonen über das bestandene Examen. Wenn Sie in einem Analysesatz auf ein Reflexivpronomen stoßen, testen Sie, ob Sie es erfragen, ersetzen, verschieben, verstärken oder koordinieren können! Wenn diese Tests funktionieren, dann ist das Pronomen semantisch reflexiv und ein eigenes Satzglied, bei negativen Tests gehört es zum Verb (formal reflexiv)! c) Teilreflexive Verben In manchen Grammatiken (z. B. Duden-Grammatik) wird unter der Kategorie „Reflexive Verben“ auch von teilreflexiven Verben gesprochen. Damit sind Verben gemeint, die sowohl reflexiv als auch nicht reflexiv verwendet werden können, z. B. sich aufhalten ‚weilen, wohnen‘ und jmdn./ etw. aufhalten ‚hindern‘. Diese Einteilung ist nicht notwendig, wenn man davon ausgeht, dass hier zwei eigenständige, homonyme Verben (vgl. Kap. VI. 7.2 Homonymie) vorliegen: ein reflexives und ein nicht-reflexives. d) Reziproke Verben Ein Sonderfall der reflexiven Verben sind so genannte reziproke Verben, die ein Wechselverhältnis ausdrücken. Da diese Unterteilung eine rein semantische ist, können wir die reziproken Verben den semantisch reflexiven bzw. den formal reflexiven Verben zuordnen, je nachdem, ob die oben genannten Tests positiv ausfallen oder nicht. 56 9. Stolpersteine der Syntax In Fällen wie Maria und Peter lieben sich. können wir sich erfragen: Wen lieben sie? -- Sich, d. h., Maria und Peter lieben Maria und Peter. Es kann entweder durch beliebige Wörter (Maria und Peter lieben Spaghetti.) oder durch einander (Maria und Peter lieben einander.) ersetzt werden, kann verschoben (Sich lieben Peter und Maria.) und durch gegenseitig (Maria und Peter lieben sich gegenseitig.) verstärkt werden. Auch eine Koordination ist möglich: Maria und Peter lieben sich und andere. Damit ist sich eindeutig als Satzglied bestimmbar und das Verb demzufolge ein semantisch reflexives mit reziproker Bedeutung. Ein Gegenbeispiel ist Die Clanchefs verfeinden sich. Obwohl es auch hier um ein wechselseitiges Verhältnis geht, funktionieren nicht alle Tests: *Die Clanchefs verfeinden die anderen. *Die Clanchefs verfeinden sich und andere. Im Gegensatz zu lieben gibt es kein Verb verfeinden. Sich gehört hier zum Verb, d. h., es ist ein formal reflexives Verb mit reziproker Bedeutung. Testen Sie immer, ob es das Verb auch ohne das Reflexivpronomen sich gibt! Das Reflexivpronomen sich kann außerdem eine völlig andere Funktion haben, nämlich Teil des Passiversatzes sein (vgl. Exkurs in Kap. I. 7.3 Besonderheiten der Valenz im Passiv). 9.2 Die verschiedenen Funktionen von es Das Wort es kann vier verschiedene syntaktische Funktionen erfüllen: ▶ Prowort: Es steht als Personalpronomen für ein neutrales Substantiv im Nominativ oder Akkusativ und ist damit eine Ergänzung, für die alle Satzgliedtests positiv sind. Das Kind liegt in seinem Bett. Es (=- Nom-E) schläft. Die Mutter sieht es (=-Akk-E) lächelnd an. ▶ „Scheinsubjekt/ -objekt“: Es kommt bei 0-wertigen Verben (vgl. Kap. I. 7.1 0-wertige Verben) als Scheinsubjekt vor (Es regnet heute.), bei anderen Verben auch als Akkusativ (Hast du es eilig? ) oder in unpersönlichen Konstruktionen (Es handelte sich um ein Missverständnis.). Das Scheinsubjekt kann zwar verschoben, nicht aber ersetzt werden und zählt deshalb zum Prädikat. 57 9.3 Der so genannte „Freie Dativ“ ▶ Korrelat (vgl. Kap. I. 8.2 Korrelate): Es bezieht sich auf einen nachfolgenden Nebensatz / eine nachfolgende Infinitivkonstruktion und fällt bei Voranstellung des Nebensatzes / der Infinitivkonstruktion weg, kann aber durch das im Hauptsatz aufgenommen werden. Es interessiert mich, etwas über Linguistik zu erfahren. Etwas über Linguistik zu erfahren, (das) interessiert mich. Ich finde es toll, dass du mir hilfst. Dass du mir hilfst, (das) finde ich toll. ▶ Platzhalter: Es bewahrt die korrekte Verbstellung, indem es die erste Position im Satz besetzt. Es ist nicht verschiebbar und fällt bei Umstellung weg, ist nicht wie das Korrelat auf ein Satzglied bezogen und weder Satzglied noch Attribut. Schreiben Sie deshalb einen kurzen Kommentar dazu. Es ist gestern etwas Schreckliches passiert. Etwas Schreckliches ist gestern passiert. Prüfen Sie es in dem zu analysierenden Satz mit den Satzgliedtests und kontrollieren Sie vor allem, ob es bei einer Umstellung wegfällt! 9.3 Der so genannte „Freie Dativ“ Unter dem so genannten „Freien Dativ“ werden ganz unterschiedliche syntaktische Phänomene zusammengefasst. Ihnen ist gemeinsam, dass es sich um Dative handelt, die nicht durch die Verbvalenz erklärt werden können, also in gewissem Sinne „frei“ sind. Irreführend ist der Terminus „Freier Dativ“ dennoch, da nicht alle diese Dative weggelassen oder mit beliebigen Verben kombiniert werden können. Obwohl auch die Satzgliedtests sowie Geschehenstest und Weglassprobe nur bedingt durchführbar sind, zählen wir alle freien Dative zu den Angaben. ▶ Dativus ethicus (griech. ethikós ‚innere Beteiligung anzeigend‘) Dieser freie Dativ kommt bei Ausdrücken der Verwunderung bzw. Aufforderung oder bei Fragen vor und zeigt eine emotionale Beteiligung des Sprechers an. Spitzenstellungs- und Geschehenstest sind nicht möglich-- streng genommen ist dieser freie Dativ also kein Satzglied / keine Angabe! Bsp.: Dass du mir ja nicht wieder den ganzen Schmutz ins Haus trägst! 58 9. Stolpersteine der Syntax ▶ Dativus commodi (lat. commodum ‚Vorteil‘), auch „Nutznießer-Dativ“ Im Dativ steht eine Person, zu deren Vorteil etwas passiert. Er kann durch eine für-Phrase ersetzt werden und ist spitzenstellungsfähig. Der Geschehenstest ist möglich. Ich koche dir (=- für dich) heute Abend etwas Besonderes. Vergleichen Sie die Wertigkeit des Verbs kochen: wer / was? kocht wen / was? ▶ Dativus incommodi (lat. incommodum ‚Nachteil‘), auch „Pechvogel-Dativ“ Im Dativ steht eine Person, zu deren Nachteil etwas passiert. Es ist kein für-Ersatz möglich. Spitzenstellungs- und Geschehenstest funktionieren. Die CD ist mir auf den Boden gefallen. Jetzt ist sie leider kaputt. Vergleichen Sie die Wertigkeit des Verbs fallen: wer / was? fällt wohin? ▶ Dativus iudicantis (lat. iudicare ‚urteilen‘) Im Dativ steht eine Person, die ein Geschehen beurteilt. Ein für-Ersatz sowie der Spitzenstellungstest sind möglich. Die Müllers musizierten den Nachbarn zu laut. Dass sie eine Anzeige bekommen, das war mir klar. Vergleichen Sie die Wertigkeit von musizieren: wer / was? musiziert? oder sein: wer / was ist wie? ▶ Pertinenzdativ (lat. pertinere ‚betreffen, gehören, sich beziehen‘), auch „Zugehörigkeitsdativ“ Der Dativ bezeichnet eine Person / Sache, auf deren (Körper-)Teil im Satz Bezug genommen wird (=- Teil-Ganzes-Beziehung). Er kann durch ein Possessivpronomen oder einen possessiven Genitiv ersetzt werden, ist aber eigentlich (in dieser Bedeutung) nicht weglassbar. Der Arzt schaute mir ins Ohr-= Der Arzt schaute in mein Ohr. Meiner Freundin schmerzte der Rücken sehr.- = Der Rücken meiner Freundin schmerzte sehr. Vergleichen Sie die Wertigkeit der Verben schauen: wer / was? schaut wohin? und schmerzen: wer / was schmerzt? Wenn in dem zu analysierenden Satz ein Dativ vorkommt, dann überprüfen Sie immer, ob die Valenz ihn fordert! 59 10. Das Stemma als grafische Darstellungsmöglichkeit 10. Das Stemma als grafische Darstellungsmöglichkeit Wir haben bereits gesehen, dass Attributstrukturen auch grafisch dargestellt werden können (vgl. Kap. I. 6.3 Grafische Darstellung von attribuierten Satzgliedern). Neben der Möglichkeit, Satzanalysen in fortlaufendem Text zu beschreiben, gibt es auch hier eine grafische Alternative. Dieses Baumdiagramm, Stemma genannt, sieht für die Grobstruktur unseres Beispielsatzes (Die Sprachwissenschaftlerin, die-…) folgendermaßen aus: S nimmt teil einfaches, zweiteiliges Prädikat Valenzträger: teilnehmen: 2-wertig (wer/ was? nimmt woran? teil) Die Sprachwissenschaftlerin, die bereits während ... hat, obligatorische Nom-E, substantivisch an der Konferenz in Rom fakultative Präp-E mit fester Präposition, präpositional heute Temporalangabe, adverbial Wir beginnen mit einem Satzknoten (S). Als strukturelles Zentrum ist dem Satz das Prädikat untergeordnet. Vom Valenzträger hängen valenzbedingt die Ergänzungen ab und wir zeigen dies, indem wir sie mittels einer Kante- - so nennt man den Strich- - verbinden. Angaben sind nicht verbspezifisch und werden deshalb direkt mit dem Satzknoten verbunden. Alle Satzglieder sind hierarchisch gleichwertig, weshalb sie auf eine Ebene gesetzt werden. Von den Satzteilen, die keinen Satzglied(teil)status haben, können im Stemma lediglich die Konjunktionen und Subjunktionen dargestellt werden. Sie werden mit eckigen Klammern gekennzeichnet, z. B. Verbindung zweier Hauptsätze durch und: HS 1-- [und]-- HS 2 oder Einleitung eines Nebensatzes durch als: NS [als] 60 11. Zusammenfassung: Satzanalyse - Schritt für Schritt Weitere Satzteile ohne Satzglied(teil)status (z. B. Partikeln) werden in einem Kommentar erwähnt; ebenso weitere problematische Aspekte (z. B. Diskussion um die Valenz). 11. Zusammenfassung: Satzanalyse - Schritt für Schritt Grobstruktur 1. Bestimmen Sie Satzart, -typ, und -form. Gibt es hier irgendwelche Auffälligkeiten? 2. Bestimmen und klassifizieren Sie das Prädikat des Hauptsatzes, ermitteln Sie die Valenz (Zweifelsfälle diskutieren). 3. Ermitteln Sie die Satzglieder (in Zweifelsfällen Tests vorführen! ). 4. Klassifizieren Sie die Satzglieder. 5. Benennen Sie - falls vorhanden - Satzteile ohne Satzglied(teil)status. 6. Fertigen Sie ein Stemma an. Wichtig: Es dürfen auf der Ebene der Grobstruktur keine Satzteile übrig bleiben; Nebensätze sind entweder Satzglieder oder Teile von Satzgliedern (= Attributsätze)! Feinstruktur (Satzgliedinnenbau) 1. Gliedsätze und Infinitiv-/ Partizipialkonstruktionen (Vorsicht: unterwertiger Gebrauch! ) werden nach dem Vorgehen bei der Grobstruktur (ab Punkt 2) analysiert. 2. Attribute 2.1. Nicht satzförmige Attribute werden nach ihrer Stellung und Form analysiert. 2.2. Attributsätze werden nach dem Vorgehen bei der Grobstruktur analysiert. 12. Musteranalyse Ich habe gestern zufällig einen alten Schulkameraden im Park an der Donau getroffen und er hat sich sehr gefreut, mich zu sehen, obwohl er es eilig hatte. Satzart: Aussagesatz 61 12. Musteranalyse Satztyp: Kernsatz in den beiden Hauptsätzen (Ich habe-… getroffen / er hat sich-… zu sehen), Spannsatz im Nebensatz (obwohl-… hatte). Satzform: HS 1- [und]-- HS 2 | NS [obwohl] komplexer Satz (Parataxe): Zwei Hauptsätze sind parataktisch durch und verbunden, wobei dem zweiten Hauptsatz ein Nebensatz untergeordnet ist, der durch die Subjunktion obwohl eingeleitet wird. a) Grobstruktur: HS1 Prädikat: habe getroffen, komplex, homogen, diskontinuierlich Valenzträger: treffen: 2-wertig (wer/ was? trifft wen/ was? ) gestern Temporal-A adverbial zufällig Modal-A adjektiv. ich oblig. Nom-E pronominal einen alten Schulkameraden oblig. Akk-E substantivisch im Park ... Donau Lokal-A präpositional (1) (1) Zusammen ein Satzglied: Im Park an der Donau habe ich gestern zufällig einen alten Schulkameraden getroffen. → Spitzenstellungstest positiv 62 12. Musteranalyse HS2 Prädikat: hat sich gefreut (1) komplex, heterogen, diskontinuierlich Valenzträger: sich freuen: 2-wertig (wer/ was? freut sich worüber? ) sehr Modal-A adverbial er oblig. Nom-E pronominal mich zu sehen fak. Infinitivkonstr. anstelle einer Präp-E mit fester Präp. obwohl er … hatte Konzessiv-A satzförmig (1) Das Reflexivpronomen gehört zum Prädikat (formal reflexives Verb), da die Tests negativ sind: z. B. *Er freut mich. *Wen freut er? -- Sich. *Er freut sich und andere. 63 12. Musteranalyse b) Feinstruktur: IK (= Infinitivkonstruktion) zu sehen Valenzträger: sehen: 2-wertig (wer/ was? sieht wen/ was? ) unterwertiger Gebrauch wegen Infinitivkonstruktion mich oblig. Akk-E, pronominal NS [obwohl] Prädikat: es eilig hatte (1) komplex, heterogen, kontinuierlich Valenzträger: es eilig haben: 1-wertig (wer/ was hat es eilig? ) er oblig. Nom-E pronominal (1) Da es beim Umstellen weder wegfällt noch bei Voranstellung durch das ersetzt werden kann, es zudem keinen Satzgliedstatus hat (nicht erfragbar), ist es ein Scheinobjekt und gehört zum Prädikat. Attribute HS1: einen alten Schulkameraden: vorangestelltes flektiertes Adjektivattribut alten zum substantivischen Kern (einen) Schulkameraden; im Park an der Donau: nachgestellte präpositionale Fügung an der Donau zum substantivischen Kern (im) Park. 64 13. Übungen 13. Übungen 1. Bestimmen Sie Satzart, -typ und -form der beiden folgenden Sätze. Stellen Sie die Abhängigkeiten der Haupt- und Nebensätze in einem Baumdiagramm dar. a. Geh bitte noch zum Supermarkt und besorge mir das Olivenöl, das ich so gerne verwende. b. Glaubst du, dass wir wirklich noch in das Seminar aufgenommen werden, wenn wir erst zur ersten Sitzung erscheinen? Übungstext: Sprachlos in der Kalahari (…) Vermutlich brachte eine schicksalhafte Genmutation die Menschen vor rund 150 000 Jahren zum Reden. Und nach zähem Ringen um die ersten Worte entwickelten sich über 6000 Sprachen weltweit. Heute schockiert der Düsseldorfer Sprachforscher Dieter Wunderlich mit einer düsteren Prognose: In 100 Jahren werden 90 Prozent davon verschwunden sein-- dann sprechen zwölf Milliarden Menschen nur noch 600 verschiedene Sprachen.-(…) Um den Sprachschatz zumindest für die Forschung zu retten, entsteht am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen nun ein multimediales Archiv, in dem Bilder und Töne, Wörterbücher und Grammatiken gesammelt werden. Die Volkswagenstiftung engagierte Sprachforscher für Feldstudien, die nun mit Rekorder, Videokamera und Notizblock ausschwärmen, um den in einigen Fällen nur noch rund 100 Eingeweihten jedes Wort von den Lippen abzulesen.-(…) Wann das Schicksal der Sprache besiegelt sein wird, weiß niemand. Und ob je ein Nachfahre der kleinen Gemeinden in Ecuador das Archiv in Nijmegen befragen wird, um die dort konservierte Sprache wiederzubeleben, bleibt fraglich.-(…) (von Kirsten Brodde, Greenpeace Magazin 11 / 2003, S. 5) 2. Bestimmen Sie alle finiten und infiniten Verben in den Zeilen 2-11 (Vermutlich-… werden.) des Übungstextes. 3. Bestimmen und klassifizieren Sie alle Prädikate in den Zeilen 2-11 (Vermutlich-… werden.) des Übungstextes. 4. Bestimmen Sie den Valenzträger und die Wertigkeit in den Prädikaten der Zeilen 2-11 (Vermutlich-… werden.) des Übungstextes. 123456789 10 11 12 13 14 15 16 17 65 13. Übungen 5. Bestimmen Sie die Satzglieder in den folgenden Sätzen mit den Satzgliedtests: Frageprobe, Ersatzprobe, Verschiebeprobe (Spitzenstellungstest). a. Nach dem Unterricht sagte Peter zu seinem Professor, dass er nichts verstanden habe. b. Trotz ihres schlechten Gesundheitszustands besuchte Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann, ihre Eltern in Deutschland. c. Wer heute seine Tochter oder seinen Sohn an der Grundschule anmelden will, muss reichlich Zeit mitbringen. 6. Wenden Sie für das unterstrichene Satzglied die Weglassprobe und den Geschehenstest an! Handelt es sich also um eine (fakultative oder obligatorische) Ergänzung oder um eine Angabe? a. Maria brachte ihrer Mutter eine Schachtel Pralinen mit. b. Hans geht nur nachmittags ins Fitness-Studio. c. Mein Vater lebt schon seit Jahrzehnten in München. 7. Klassifizieren Sie die unterstrichenen Ergänzungen! a. Sonntags geht Peter in die Kirche. b. Kannst du mir ein spannendes Buch für den Urlaub empfehlen? c. Wer nichts weiß, soll lieber schweigen. d. Hans denkt gerne an seine Großmutter. e. Ich verspreche dir, auf deine Party zu kommen. 8. Klassifizieren Sie die unterstrichenen Angaben! a. Nach dem Essen besuchen wir unsere Freunde. b. Die Kinder spielen im Garten. c. Hans lernt nie seine Vokabeln. d. Wenn es schneit, fahre ich mit dem Zug. e. Nachdem Petra ihren Freund kennen gelernt hatte, war sie immer fröhlich. f. Die Kinder warten lachend auf den Bus. g. Die Freunde fahren ans Meer, um sich zu erholen. h. Ich fahre nach Pisa, weil Pisa eine interessante Stadt ist. 9. Analysieren Sie die Attributstrukturen der unterstrichenen Syntagmen im Übungstext. Erstellen Sie dazu ein Stemma. 10. Testen Sie, ob das Reflexivpronomen Teil des Prädikats oder eine Ergänzung ist! a. Peter entschließt sich Mathematik zu studieren. b. Der neue Mitarbeiter stellt sich bei seinen Kollegen vor. c. Ute schämt sich für ihr schlechtes Deutsch. 66 14. Quellen und weiterführende Literatur 11. Testen Sie den Status von es anhand der verschiedenen Tests! a. Die Kinder müssen ins Bett. Es ist schon spät. b. Dr. Hassenberg gab gestern eine Party. Es kamen viele Leute. c. Das Buch gefällt mir. Es ist so spannend. d. Lass uns schnell nach Hause gehen. Es donnert schon. e. Es ist kein Problem, dass der Zug erst um 23 Uhr ankommt. Wir holen dich trotzdem ab. 12. Klassifizieren Sie alle Dative! Begründen Sie Ihre Entscheidung! Ich versuche, meiner Mutter keine Sorgen zu machen. Sie sagt immer: „Sei mir ein braves Mädchen und bleibe abends nicht zu lange weg! “ Gestern Nacht ist mir dann aber etwas Schlimmes passiert. Eine Person ist mir in der Disko auf den Fuß getreten und hat mir dabei meine Handtasche gestohlen. Alle Schlüssel waren weg und ich musste mir überlegen, wie ich das meiner Mutter beibringen konnte. Sie sagte: „Sei nicht traurig, ich mache dir erst einmal eine Tasse Tee-…“ 13. Führen Sie eine vollständige Satzanalyse der letzten beiden Sätze des Übungstextes (Wann-… niemand. und Und-… fraglich.) durch! 14. Quellen und weiterführende Literatur Altmann, Hans / Hahnemann, Suzan: Prüfungswissen Syntax. Arbeitstechniken - Klausurfragen - Lösungen. Ein Studien- und Arbeitsbuch. 4., durchges. Aufl. Göttingen 2010. Für Studierende in höheren Semestern, die bereits über ein syntaktisches Basiswissen verfügen. Der Stoff wird meist stichpunktartig dargeboten, es gibt Übungen und längere klausurartige Aufgaben mit Lösungen. Bergmann, Rolf / Pauly, Peter: Neuhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Bearbeitet von Rolf Bergmann und Claudine Moulin-Fankhänel. 4., erw. Aufl. Göttingen 1992. Kap. III . Die Struktur des einfachen Satzes, S. 56-67, Kap. V. 6. Verbstellung und kommunikative Satzfunktion, S. 133-143, Kap. VI. Erweiterung des einfachen Satzes, S. 144-162. Viele detaillierte Beispielanalysen für komplexe Sätze mit bis zu 10 (! ) finiten Verben. Bünting, Karl-Dieter / Eichler, Wolfgang: Grammatiklexikon. Kompaktwissen für Schule, Ausbildung und Beruf. 7. Aufl. Berlin 2006. 67 14. Quellen und weiterführende Literatur Falls Sie in der grammatischen Terminologie (grammatische Grundbegriffe; Schulwissen) sehr unsicher sind, hilft Ihnen dieses Lexikon mit einfachen Erklärungen und vielen Beispielen weiter. Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2009. Kap. Der Satz, S. 763-1056. Der „Klassiker“ unter den Grammatiken und deshalb zur Anschaffung empfohlen. Verwendet vor allem traditionelle Terminologie. Dürscheid, Christa: Syntax. Grundlagen und Theorien. 6., aktual. Aufl. Göttingen 2012. Vermittelt werden syntaktische Grundlagen sowie syntaktische Theoriebildung (mit den Forschungsansätzen Stellungsfeldermodell, Valenztheorie, Generative Grammatik, Optimalitätstheorie und Funktionale Grammatik). Eisenberg, Peter: Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 4., aktual. und überarb. Aufl., unter Mitarbeit von Rolf Thieroff. Stuttgart/ Weimar 2013. Es finden sich neben der Darstellung der Kernbereiche der deutschen Grammatik auch Aufgaben mit Lösungen. Engel, Ulrich: Deutsche Grammatik. 2., durchges. Aufl. Neubearb. München 2009. Für die Beschäftigung mit Syntax ist die ausführliche Behandlung von Ergänzungen - sie erfolgt teilweise semantisch - und Angaben interessant. Engel, Ulrich: Syntax der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin 2009. Vertreter der Dependenzgrammatik; Engel verwendet jedoch eine andere Terminologie, z. B. bei der Klassifikation der Ergänzungen. Erben, Johannes: Deutsche Grammatik. Ein Abriß. 12. Aufl. München 1980. Kap. II . Der Satz, S. 241-328. Lesenswertes Kapitel zur Syntax, valenzgrammatischer Ansatz. Eroms, Hans-Werner: Syntax der deutschen Sprache. Berlin / New York 2000. Ein sehr umfangreiches Studienbuch zur deutschen Syntax, dessen dependenzgrammatisches Modell sich von dem hier präsentierten z. B. in der Terminologie teilweise unterscheidet. Übungen sind nicht vorhanden. Fleischer, Wolfgang / Helbig, Gerhard / Lerchner, Gotthard (Hrsg.): Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache. Frankfurt a. M. 2001. Kap. 5.3 Der Satz, S. 277-306. Knappe Darstellung vor allem zu Satzklassifikation, Satzgliedern und Attributen. 68 14. Quellen und weiterführende Literatur Greule, Albrecht: Die Parenthese - nur eine Stilfrage? In: Barz, Irmhild u.a. (Hrsg.): Sprachstil - Zugänge und Anwendungen. Heidelberg 2003, S.77-86. Der Aufsatz grenzt die syntaktische Parenthese von der orthographischen ab und benennt die Funktionen der syntaktischen Parenthese. Helbig, Gerhard / Schenkel, Wolfgang: Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben. 8., durchges. Aufl. Tübingen 1991. Gutes Nachschlagewerk, wenn man bei der Bestimmung der Verbvalenzen unsicher ist. Helbig, Gerhard: Probleme der Valenz- und Kasustheorie. Tübingen 1992. S. 78-87. Hier finden Sie weitere Tests zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben. Helbig, Gerhard / Buscha, Joachim: Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München 2013. Kap. Der Satz, S. 444-625. Obwohl das Buch eigentlich für Ausländer konzipiert wurde, ist es für den Muttersprachler sehr brauchbar, da die Darstellungen verständlich und mit vielen Beispielen versehen sind. Es ist sehr zu empfehlen, sollte aber dennoch kritisch gelesen werden! Lühr, Rosemarie: Neuhochdeutsch. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft. 6. Aufl. München 2000. Kap. I Syntax, S. 19-126. Ausführliches, teilweise etwas unübersichtliches Kapitel zur Valenzgrammatik mit Übungen und Lösungen. Pittner, Karin / Berman, Judith: Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch. 6., durchgesehene Aufl. Tübingen 2015. Verständliches Arbeitsbuch mit vielen Übungen. Die Attributebene ist leider kaum berücksichtigt. Schumacher, Helmut u. a.: VALBU . Valenzwörterbuch deutscher Verben. Tübingen 2004. Umfangreicher als das Valenzwörterbuch von Helbig / Schenkel. Sommerfeldt, Karl-Ernst / Schreiber, Herbert: Wörterbuch zur Valenz und Distribution der Substantive. 3. unveränd. Aufl. Leipzig 1983. Wer sich für die Valenz beim Substantiv interessiert, dem bietet dieses Wörterbuch nicht nur die Möglichkeit, einzelne Valenzen nachzuschlagen, sondern auch eine knappe Einführung in die Thematik zu erhalten. Sommerfeldt, Karl-Ernst / Schreiber, Herbert: Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Adjektive. 3. unveränd. Aufl. Leipzig 1983. 69 14. Quellen und weiterführende Literatur Zum Nachschlagen der Valenzen ausgewählter Adjektive. Enthält auch eine knappe Einführung. Tesnière, Lucien: Grundzüge der strukturalen Syntax. Herausgegeben und übersetzt von Ulrich Engel. Stuttgart 1980. Originalausgabe 1959. Das Buch ist für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Dependenzgrammatik geeignet; es zeigt die Sicht- und Vorgehensweise des Begründers Tesnière auf. Interessant ist die Verwendung von Beispielen vieler Sprachen, die zeigt, dass die Dependenzgrammatik nicht auf einzelne Sprachen begrenzt ist. Weinrich, Harald: Textgrammatik der deutschen Sprache. 4., rev. Aufl., unter Mitarbeit von Maria Thurmair, Eva Breindl, Eva-Maria Willkop. Hildesheim u. a. 2007. Diese Grammatik unterscheidet sich von den anderen dadurch, dass sie in der Beschreibung der deutschen Sprache nicht auf die Wort- oder Satzebene beschränkt ist, sondern stets größere Sinneinheiten (Texte) berücksichtigt. Welke, Klaus: Einführung in die Satzanalyse. Die Bestimmung der Satzglieder im Deutschen. Berlin 2007. Zur Erweiterung des Wissens über Satzglieder (und Attribute) geeignet. Welke, Klaus: Valenzgrammatik des Deutschen. Eine Einführung. Berlin / New Yoark 2011. Die Publikation legt den Fokus auf unterschiedliche Bereiche der Valenzgrammatik und setzt sie mit der „jungen“ Konstruktionsgrammatik in Verbindung. 71 9.3 Der so genannte „Freie Dativ“ II. Wortarten 1. Was ist ein Wort? Zur Wortdefinition Die Frage, was ein Wort ist, erscheint zunächst banal. Fragen Sie Lieschen Müller, so wird sie Ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach sagen: Der Satz Geflogen ist Herr Meier schon oft, aber morgen wird Herr Meier erstmals nach Rom fliegen. besteht aus 15 Wörtern. Was hat Frau Müller gemacht? Sie hat die grafischen Wörter gezählt; sie setzen sich durch Leerzeichen voneinander ab. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist dieses Wortverständnis allerdings nicht ausreichend. Wenn wir im Wörterbuch nachschlagen, so erweist sich die Antwort von Lieschen Müller nicht mehr als richtig, denn fliegt und geflogen sind dort nicht als jeweils ein Wort eingetragen. Wir finden nur die Infinitivform fliegen. Deshalb ist fliegen ein Lexem, ein Wortschatzelement, also das, was im Lexikon / Wörterbuch eingetragen ist und eine selbständige (lexikalische) Bedeutung hat. Es handelt sich hier um unterschiedliche Flexionsformen (fliegt: 3. Pers. Sg. Präs. Ind.-- geflogen: Part. II ) des Verbs fliegen, aber immer nur um eine einzige Bedeutungseinheit. Ein Wort ist also ein sprachliches Zeichen und hat eine Inhalts- und eine Ausdrucksseite (vgl. Kap. V. Sprache und Sprechen). Schließlich können noch die syntaktischen Wörter bestimmt werden. Hier sind auch unterschiedliche Flexionsformen mitzurechnen, d. h., fliegen und geflogen sind als zwei unterschiedliche Formen zu zählen. Unser Beispielsatz enthält demnach 13 syntaktische Wörter, da Herr und Meier je zwei Mal vorkommen. Zusammenfassend noch ein Beispiel: Hans haust in einem uralten Haus, während Heide in einem der schicken Häuser am Stadtrand wohnt. ▶ Haus und Häuser sind zwei grafische sowie zwei syntaktische Wörter (Dat. Sg. bzw. Gen. Pl.), jedoch nur ein Lexem (Haus als lexikalische Einheit). ▶ haust ist ein Lexem, ein syntaktisches Wort und ein grafisches Wort. ▶ einem ist ein unbestimmter Artikel und damit kein Lexem, da einem keine selbständige lexikalische Bedeutung (lediglich eine grammatische) besitzt. 72 2. Kriterien zur Klassifikation Da einem zwei Mal vorkommt, liegen zwei grafische Wörter, aber nur ein syntaktisches Wort vor. 2. Kriterien zur Klassifikation Wenn man sich mit Wortarten beschäftigt, muss man sich im Klaren sein, welche Klassifikationskriterien zugrunde gelegt werden sollen. Wortarten können nach morphologischen, syntaktischen und semantischen Gesichtspunkten bestimmt werden. Deshalb gibt es auch unterschiedliche Klassifikationen eines Wortes, was zu Verwirrung führt, wenn man nicht weiß, welches Einteilungsschema jeweils maßgeblich ist. Die Duden-Grammatik unterscheidet neun Wortarten, Lühr („Neuhochdeutsch“) zehn und Helbig / Buscha („Deutsche Grammatik“) zwölf. Ein semantisches Kriterium liegt bei der Wortart „Numerale“ (Zahlwort, z. B. eins, einmal, erstens) vor. Eine syntaktische Klassifizierung nehmen wir vor, wenn wir testen, ob ein Wort ein Satzglied sein kann (z. B. Pronomen vs. Artikel): Das Wort mein ist unter syntaktischen Kriterien ein Artikelwort, d. h., es vertritt den notwendigen Artikel bei einem Substantiv, unter morphologischen und semantischen (‚Besitz‘) Gesichtspunkten ein Possessivpronomen. Morphologisch bedeutet u. a., dass man die Formenlehre heranzieht, z. B. zwischen flektierbaren und nicht flektierbaren Wortarten unterscheidet. In dem Beispiel ein kleines Haus ist klein Adjektiv (morphologisches Kritierum), hinsichtlich der Funktion ist es in diesem Fall ein Attribut (syntaktisches Kriterium). Wir werden bei den flektierbaren Wortarten vor allem nach dem morphologischen Kriterium vorgehen, d. h., wir argumentieren nicht kontextbezogen, sondern so, als ob man entscheiden müsste, wo und als was man ein Wort im Wörterbuch einträgt. Bei den nicht flektierbaren Wortarten dagegen sind syntaktische Kriterien maßgebend. Ein Kriterium alleine ist zur Differenzierung aller Wortarten nicht ausreichend. Nach der Grafik unterscheiden wir zunächst flektierbare (vgl. Kap. III . Flexion) und nicht flektierbare Wortarten. 73 2. Kriterien zur Klassifikation Wort flektierbar nicht flektierbar konjugierbar deklinierbar syntaktisch integriert syntaktisch isoliert komparierbar nicht komparierbar kann SG od. kann nicht SG od. Attribut sein Attribut sein artikelfähig nicht artikelfähig Fügteil nicht Fügteil kann SG sein kann nicht mit Kasusohne Kasus- SG sein forderung forderung Verb Adjektiv Substantiv Pronomen Artikel Adverb Präposition Konjunktion/ Subjunktion Partikel Satzäquivalent 74 3. Flektierbare Wortarten 3. Flektierbare Wortarten Zu den flektierbaren Wortarten gehören Verben, Adjektive, Substantive, Pronomen und Artikel. Sie lassen sich unterteilen in konjugierbare und deklinierbare Wortarten (vgl. Kap. III . 1. Deklination und Konjugation). In den folgenden Ausführungen wird auch auf semantische Kriterien eingegangen. 3.1 Verb Die einzige konjugierbare Wortart ist das Verb. Starke und schwache Verben unterscheiden sich in der Konjugation (vgl. Kap. III . 5.1 Bildung der Tempusformen). Auch die Partizipien I und II (vgl. Kap. III . 4. Bildung des Partizips) sind natürlich Verbformen, selbst wenn sie attributiv verwendet werden. Weil sie in dieser Funktion auch deklinierbar sind, werden sie gerne (aber vorschnell und fälschlicherweise) als Adjektive bezeichnet. Bsp.: das vermisste Kaninchen (Partizip II ), das grunzende Schwein (Partizip I). Semantisch erfolgt eine Unterteilung in Tätigkeitsverben (singen, lachen, tippen), Vorgangsverben, welche einen Prozess ausdrücken (einschlafen, wachsen, verblühen), und Zustandsverben (stehen, liegen, wohnen). 3.2 Adjektiv Adjektive sind stark oder schwach deklinierbar (vgl. Kap. III . 3. Adjektivdeklination) und komparierbar. Bsp.: schön: ein schöner Abend, eine schöne Reise, das schönere Geschenk, der schönste Augenblick. Die Komparation (=- Steigerung, Graduierung) ist eine wichtige Kategorie, da sie-- mit wenigen Ausnahmen (s. Adverbien)-- nur bei Adjektiven auftritt. Man unterscheidet die Stufen Positiv (schön), Komparativ (schöner) und Superlativ (am schönsten). Zu den Ausnahmen, die nicht komparierbar sind, gehören z. B. tot, schwanger, heilbar, Herkunftsadjektive (englisch), Zahladjektive (zwei, zweiter) oder Stoffadjektive (silbern). Weder deklinierbar noch komparierbar sind u. a. bestimmte Farbadjektive (lila, rosa, beige) sowie barfuß und schuld. Auch bei den Adjektiven ist zu betonen, dass bei der Wortarteneinteilung nicht auf den Kontext geachtet werden darf. Die syntaktische Funktion spielt also für uns keine Rolle. Im Hinblick auf die Syntax können Adjektive folgendermaßen verwendet werden: 75 3.3 Substantiv ▶ Attribut: das schnelle Auto ▶ Ergänzung: das Auto ist schnell ▶ Angabe: das Auto fährt schnell In allen Fällen handelt es sich aber um die Wortart Adjektiv. Adverbial gebrauchte Adjektive werden gelegentlich als Adjektiv-Adverbien bezeichnet, z. B. Das Auto fährt schnell. Diese Zuordnung ist aber eine syntaktische, möglicherweise noch eine semantische (Wie fährt es? ); in einem anderen Kontext hätten wir dann eine andere Wortart. Z. B. würden Sie vermutlich in dem Satz Sie ist mit einem schnellen Wagen unterwegs. schnellen nicht bei den Adverbien einordnen, da das Wort flektierbar ist. Da wir v. a. nach morphologischen Kriterien vorgehen, ist schnell unabhängig vom Kontext immer ein Adjektiv. 3.3 Substantiv Substantive sind deklinierbar, nicht komparierbar und artikelfähig. Bsp.: der Student, des Studenten, dem Studenten-… die Studenten-… Morphologisch unterscheidet man Substantive in erster Linie nach der Genuszugehörigkeit (Maskulinum, Femininum, Neutrum), dem Typus der Deklination (stark, schwach, ohne Deklinationsendung: alle Feminina) und der Pluralbildung (auf -e, -(e)n, Ø, -er, -s, z. T. mit Umlaut, vgl. Kap. III . 2. Pluralbildung des Substantivs). Semantisch lassen sich Substantive in Gattungsnamen / Appellativa (z. B. Hund, Tisch, Freundlichkeit) und Eigennamen / nomina propria (Paul, Schmidt, Donau, Regensburg) einteilen. Die Gattungsnamen differenziert man noch einmal in ▶ Konkreta, z. B. Hund, Tisch, Kran und ▶ Abstrakta, z. B. Eigenschaften (Freundlichkeit), Vorgänge (Auszahlung) oder Zustände (Krieg). Semantische Aspekte werden auch häufig bei Substantiven als (deverbales) Wortbildungsprodukt (vgl. Kap. IV. Wortbildung) angesprochen, z. B. ▶ Nomina acti ‚Ergebnis‘ (das Verbot, das Erlebte), ▶ Nomina actionis ‚Handlung, Vorgang‘ (die Beerdigung, das Vortragen), ▶ Nomina agentis ‚Handelnder‘ (der Verkäufer, der Benutzer) oder ▶ Nomina instrumenti ‚Mittel‘ (der Stecker, der Bohrer). 76 3. Flektierbare Wortarten 3.4 Pronomen Pronomen sind deklinierbar, nicht komparierbar, (meist) nicht artikelfähig und können Satzglied sein. Gemeinsam ist den Pronomen, dass sie nur eine recht schwache lexikalische Eigenbedeutung haben und als Synsemantika (Funktionswörter) lediglich auf etwas verweisen, z. B. auf eine Person (ich, du), auf eine Frage (wer, welcher), auf eine Besitzrelation (mein, unser) oder auf eine Zahl (mehrere, wenige). Bezüglich der syntaktischen Funktion differenziert man zwischen 1. Pronomen, die an Stelle von Substantiven stehen und eigene Satzglieder sind (Personal-, Interrogativ-, Possessiv-, Demonstrativ-, Indefinit-, Reflexiv-, Relativpronomen), z. B. Das Buch ist meines. Wer kommt mit? und 2. Pronomen, die die Funktion von Artikeln einnehmen und vor dem jeweiligen Substantiv stehen (Demonstrativ-, Interrogativ-, Possessiv-, Indefinitpronomen), z. B. dieser Student, mein Buch. Diese Pronomen sehen zwar aus wie vorangestellte Attribute, werden von uns aber nicht als solche eingeordnet, da Attribute in der Regel weglassbar sind, die Pronomen in der Funktion eines Artikels-- als Artikelwort-- aber stehen müssen. Z. B. Mein Buch sieht schon sehr benutzt aus. *Buch sieht schon sehr benutzt aus. (vgl. Kap. I. 6. Attribute). Pronomen werden semantisch wie folgt unterteilt: ▶ Personalpronomen (ich, du, wir-…) ▶ Demonstrativpronomen (der, dieser, jener, derselbe, solcher-…) ▶ Possessivpronomen (mein, dein, Ihr, euer-…) ▶ Interrogativpronomen (wer, welcher, was-…) ▶ Reflexivpronomen (sich; für fehlendes Reflexivpronomen der 1. und 2. Person stehen Personalpronomen: meiner / mir / mich, unser / uns / uns-…) ▶ Relativpronomen (welcher, der-…) ▶ Indefinitpronomen (man, (irgend)etwas, (irgend)jemand, jeder, alle, keiner, mancher-…). 3.5 Artikel Der Artikel ist deklinierbar, nicht komparierbar, (natürlich) nicht artikelfähig und kann nicht Satzglied sein. Er steht stets vor dem Substantiv bzw. vor dem dazugehörigen Attribut: die (müde) Studentin. Der Artikel stimmt mit dem Substantiv in Genus, Numerus und Kasus überein. Man unterscheidet den 77 4.1 Adverb bestimmten / definiten (der, die, das) vom unbestimmten / indefiniten Artikel (ein, eine). 4. Nicht flektierbare Wortarten Die nicht flektierbaren Wortarten teilen wir in syntaktisch integrierte und syntaktisch isolierte ein. Syntaktisch isoliert bedeutet im Gegensatz zu integriert, dass das Wort außerhalb einer Satzstruktur (mit Prädikat) steht. 4.1 Adverb Adverbien sind nicht flektierbar und können Satzglied oder Attribut sein. Nach syntaktischen Kriterien (Funktion) kann man Adverbien folgendermaßen einteilen: ▶ Angabe: Das Fest findet heute statt. ▶ Ergänzung: Thomas wohnt hier. ▶ Attribut: Die junge Frau dort ist aber hübsch! Zu den Ausnahmen zählen Adverbien, die kompariert werden können: oft- - öfter; sehr-- mehr-- am meisten; gern-- lieber-- am liebsten. Hervorzuheben sind zwei Untergruppen der Adverbien: Pronominaladverbien und Konjunktionaladverbien. Pronominaladverbien sind Verbindungen aus den Adverbien da, hier, wo mit einer Präposition, z. B. darauf, woran, hierbei, dorthin. Sie stehen für eine Präpositionalgruppe (z. B. Ich freue mich auf die Party.-- Ich freue mich darauf.) und können auch als Präpositionaladverbien bezeichnet werden. Konjunktionaladverbien haben (am Satzanfang) eine ähnliche Funktion wie die Konjunktionen-- und heißen deshalb auch so--, können aber, im Gegensatz zu den Konjunktionen, die erste Satzgliedposition einnehmen und sind deshalb auch Satzglieder (vgl. Kap. I. 8.1 Konjunktionen und Subjunktionen). Ich musste als Kind immer Spinat essen. Deshalb kann ich das Gemüse heute nicht mehr ausstehen. Weitere Beispiele: deswegen, trotzdem, folglich, insofern, außerdem Semantisch unterscheidet man zwischen 78 4. Nicht flektierbare Wortarten ▶ Temporaladverbien: gestern, morgen, jetzt, wann, inzwischen ▶ Lokaladverbien: dort, hier, woher, bergab, rechts, mittig ▶ Modaladverbien: gern, fälschlicherweise, sehr, größtenteils ▶ Kausaladverbien: deshalb, weshalb ▶ Negationsadverbien: nicht, nie, keinesfalls ▶ Zahladverbien: erstens, dreimal Im Hinblick auf die Verwendung kann man Interrogativ- (wo, weshalb, wann, woran) und Relativadverbien (wo, wie, weswegen) unterscheiden. Wohin fährt Peter? (Interrogativadverb) Peter ist nach Berlin gefahren, wohin Sophia auch kommen will. (Relativadverb) Zu den Adverbien zählen wir auch Wörter wie z. B. hoffentlich und vielleicht. In einigen Grammatiken werden sie als eine eigene Wortart unter dem Terminus Modalwort geführt. Sie weisen nämlich im Vergleich zu den anderen Adverbien Besonderheiten auf. Zum einen können diese Wörter als Antwort auf eine Entscheidungsfrage stehen, z. B. Wirst du rechtzeitig mit der Seminararbeit fertig? -- Hoffentlich. Sie können aber auch manchmal durch einen (Teil-)Satz paraphrasiert werden: Ich hoffe, dass ich rechtzeitig mit der Seminararbeit fertig werde. Modalwörter drücken eine Sprechereinstellung aus (vgl. Kap. I. 8.3 Partikeln). Sie können zwar die erste Satzgliedposition einnehmen, sind aber nicht erfragbar. Morphologisch unterscheiden sie sich jedoch nicht von den anderen Adverbien, so dass wir diese Wörter ohne Probleme zu den (Modal-)Adverbien stellen können. Schließlich zählen wir auch Wörter zu den Adverbien, die in der Forschung teilweise zu den Partikeln gerechnet werden (nur heute, so schön, nicht immer). Sie haben in unserer (weiten) Adverbdefinition Attributstatus. 4.2 Präposition Präpositionen sind nicht flektierbar, können weder Satzglied noch Attribut sein, stehen stets innerhalb von Satzgliedern und sind Fügteile mit Kasusforderung. Fügteile, auch Fügewörter genannt, verbinden Wörter, Satzteile, Satzglieder oder Sätze miteinander. Im Falle der Präposition geschieht dies, im Gegensatz zu den Konjunktionen / Subjunktionen (vgl. Kap. II . 4.3), stets mit einem bestimmten Kasus, z. B. dem Akkusativ (gegen, für, ohne, durch, bis), dem Dativ 79 4.2 Präposition (bei, neben, hinter, mit, gegenüber, seit, zu, von) oder dem Genitiv (wegen, trotz, außerhalb, infolge, hinsichtlich, angesichts, innerhalb). Präpositionen mit Dativ oder Akkusativ sind ▶ in: Dativ: wo? Tobi ist gerade im Haus. Akkusativ: wohin? Die Katze läuft ins Haus. ▶ über: Dativ: wo? Die Tasche hängt über dem Stuhl. Akkusativ: wohin? Ich hänge die Tasche über den Stuhl. ebenso: unter, hinter, neben, auf, vor, zwischen, an. In diesen Fällen bezeichnet der Dativ einen Ort, der Akkusativ eine Richtung/ ein Ziel. Auch semantisch kann man Präpositionen gliedern, z. B. ▶ temporal: in, seit, nach, vor, während, bis ▶ lokal: an, durch, gegenüber, hinter, über ▶ modal: ohne (Stress), mit, gemäß, bei (Verstand), aus (Eisen) ▶ kausal: wegen, aus, anlässlich Die meisten Präpositionen stehen vor dem Wort, auf das sie sich beziehen. Einige stehen dahinter, z. B. zuliebe (Dem Freund zuliebe) und halber (der Ordnung halber) und werden deshalb Postpositionen genannt. Andere können sowohl vor als auch nach dem Bezugswort stehen, wie ▶ gemäß: Seinem Wunsch gemäß habe ich eine große Feier organisiert. Gemäß seinem Wunsch habe ich eine große Feier organisiert. ▶ gegenüber: Ich wohne dem Rathaus gegenüber. Gegenüber dem Rathaus wohne ich. ▶ nach: Nach meiner Einschätzung wird er zu spät kommen. Meiner Einschätzung nach wird er zu spät kommen. oder ▶ wegen: Wegen der Straßenglätte kamen wir zu spät. Der Straßenglätte wegen kamen wir zu spät. Außerdem gibt es zweiteilige Präpositionen (Zirkumpositionen), z. B. um-… willen (Um des lieben Friedens willen wird Max pünktlich nach Hause gehen.). 80 5. Problem Homonymie 4.3 Konjunktion / Subjunktion Konjunktionen und Subjunktionen sind nicht flektierbar, können weder Satzglied noch Attribut sein und sind Fügteile ohne Kasusforderung. Vergleichen Sie dazu die ausführliche Darstellung unter Kap. I. 8.1 Konjunktionen und Subjunktionen. Zu den Konjunktionen zählen wir außerdem die Infinitivkonjunktion zu (Ich freue mich dich zu sehen.) und die Satzteilkonjunktion wie (Peter arbeitet wie ein Verrückter.), da auch diese die oben genannten Kriterien erfüllen. 4.4 Partikel Partikeln sind nicht flektierbar, können weder Satzglied noch Attribut sein und sind keine Fügteile. Vergleichen Sie dazu die ausführliche Darstellung unter Kap. I. 8.3 Partikeln. 4.5 Satzäquivalent Satzäquivalente sind nicht flektierbar und syntaktisch isoliert (siehe oben). Dazu zählen wir ▶ Empfindungswörter (auch als Ausrufe oder Interjektionen bezeichnet), z. B. Juchu! , Igitt! , Aua! , Oje! , Aha! ▶ ja, nein, doch als Antworten auf Entscheidungsfragen ▶ bitte und danke 5. Problem Homonymie Homonymie bei der Wortartenklassifikation bedeutet, dass zwei der äußeren Erscheinung nach identische Wörter unterschiedlichen Wortarten angehören. Betrachten Sie das Beispiel aus der Werbung: Lieber zu Hugendubel als zu teuer! Im Kontext wird klar, dass das erste zu eine Präposition ist, das zweite ein Adverb. Unabhängig vom Beispiel gibt es auch noch die Infinitivkonjunktion zu. Bei dem Wort doch kann man ebenfalls drei unterschiedliche Wortarten feststellen: 81 6. Übungen ▶ Konjunktion in der Bedeutung von ‚aber‘: Ich klopfte, doch niemand öffnete. ▶ Adverb in der Bedeutung von ‚dennoch‘: Eigentlich war Eva krank, doch ging sie zur Arbeit. ▶ Partikel: Das hast du doch gewusst! 6. Übungen Übungstext: Angeborener Schutz Natürliche Fitness erhält gesund Wer beim Sport schnell zu keuchen beginnt, erkrankt auch eher an einem Herz-Kreislauf-Leiden oder an Diabetes. Über die möglichen Gründe berichten nun Forscher aus Norwegen und den USA im Fachmagazin Science (Bd. 418, S. 307, 2005). An Ratten haben sie gezeigt, dass unsportliche Tiere schlechter Sauerstoff aufnehmen und in Energie umwandeln können. Sie verfügen in ihren Mitochondrien über weniger oxidierende Enzyme und Eiweiße. Mitochondrien verwandeln in den Zellen Nährstoffe in Energie. Die schlechte Kondition hatten die Forscher den Ratten über elf Generationen angezüchtet. Gleichzeitig selektierten sie auch besonders fitte Tiere, die im Schnitt gut dreimal so lange durch ein Laufrad rennen konnten wie ihre schlappen Artgenossen. Nicht ohne Folgen für die Gesundheit: Der Blutdruck der schlechten Läufer war im Schnitt um mehr als zehn Prozent erhöht, sie zeigten frühe Vorstufen eines Diabetes. Die unsportlichen Ratten aber konnten ihren Zustand durch Training verbessern, obwohl die Effekte bei den geborenen Läufern größer waren. (aus: Süddeutsche Zeitung, Nr. 16, 21. 01. 2005, S. 11) 1. Nennen Sie die Wortart der folgenden Wörter und geben Sie die wichtigsten Kriterien für ihre Zuordnung zu einer Wortart an. Bestimmen Sie, wo es möglich ist, auch die syntaktische Funktion. wer (Z. 3), schnell (Z. 3), zu (Z. 3), auch (Z. 3), nun (Z. 5), aus (Z. 5), gezeigt (Z. 6), schlechter (Z. 7), ihren (Z. 8), weniger (Z. 8), elf (Z. 10), gleichzeitig (Z. 11), besonders (Z. 11), dreimal (Z. 12), so (Z. 12), wie (Z. 12), obwohl (Z. 16) 2. Nennen Sie drei nicht flektierbare Wortarten und belegen Sie diese mit Beispielen aus dem Text. 12345678910 11 12 13 14 15 16 17 82 7. Quellen und weiterführende Literatur 3. Wie können die Wortarten folgender Wörter voneinander abgegrenzt werden? unsportliche Tiere (Z. 6)-- bei den geborenen Läufern (Z. 17) 4. Erklären Sie an den Beispielen gut (Z. 12) und aber (Z. 15) das Phänomen der Homonymie. 7. Quellen und weiterführende Literatur Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2009. Kap. Was ist ein Wort? , S. 129-138. Neben einer Erörterung des Begriffs „Wort“ finden sich in der Duden-Grammatik auch differenzierte Ausführungen zu Wortarten. Fleischer, Wolfgang / Helbig, Gerhard / Lerchner, Gotthard (Hrsg.): Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache. Frankfurt a. M. 2001. Kap. 5.2 Das Wort, S. 220-277. Nachschlagewerk, das auch Kriterien der Wortartenklassifizierung und unterschiedliche Klassifizierungsversuche aufgreift. Empfehlenswert. Helbig, Gerhard / Buscha, Joachim: Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München 2013. Der Titel täuscht. Das Buch ist allen, die sich mit der deutschen Sprache wissenschaftlich beschäftigen, zu empfehlen. Helbig, Gerhard: Deutsche Grammatik. Grundfragen und Abriß, 4. unveränd. Aufl. München 1999. Kap. 2. Das Wort, S. 14-105. Das schmale Bändchen kann man das ganze Studium hindurch gut gebrauchen. Die Wortarteneinteilung stimmt in den meisten Fällen mit der hier verwendeten überein. Hinzu kommt das Modalwort, das wir zu den Adverbien stellen. Hoffmann, Ludger (Hrsg.): Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin / New York 2009. Die als Handbuch angelegte Publikation setzt sich nach einer Einführung zur sprachenübergreifenden Problematik der Wortarteneinordnung im ersten größeren Kapitel mit dem Wortbegriff, auch in historischer Hinsicht, ausführlich auseinander, bevor im Hauptteil die Beiträge zu je einer Wortart folgen. Die vorhandene Forschung wird stets eingehend reflektiert; das Buch ist deshalb für eine tiefer gehende Beschäftigung geeignet. 83 7. Quellen und weiterführende Literatur zur Klassifikation Römer, Christine: Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen / Basel 2006. Kap. 4 Grammatisch relevante Wortarten im Deutschen, S. 81-180. Zur Erweiterung des Wissens über Wortarten geeignet. Übungen mit Lösungen sind vorhanden. Wahrig, Gerhard: Deutsches Wörterbuch. Hrsg. von Renate Wahrig-Burfeind. Mit einem „Lexikon der deutschen Sprachlehre“. 9., vollst. neu bearb. u. aktual. Aufl. Gütersloh u. a. 2012. Hiermit sei beispielhaft ein Wörterbuch genannt; die Wortart ist meist nach dem Lexem angegeben. Weitere Darstellungen in den Grammatiken von Engel, Erben oder Weinrich (siehe Quellen und weiterführende Literatur im Kapitel I. Syntax). 85 4.5 Satzäquivalent III. Flexion Hinsichtlich der Flexion unterscheidet man zwischen der Flexion von Substantiv, Adjektiv, Artikel und Pronomen (=-Deklination) und der Flexion von Verben (=-Konjugation). 1. Deklination und Konjugation Bei der Deklination unterscheidet man im Deutschen ▶ vier Kasus: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ ▶ zwei Numeri: Singular, Plural ▶ drei Genera: Maskulinum, Neutrum, Femininum Meine Schwester (Nom. Sg. Fem.) streitet gerne mit dem Professor (Dat. Sg. Mask.) des Fachs (Gen. Sg. Neutr.) Germanistik über die Noten (Akk. Pl. Fem.). Die Frage, ob die Komparation des Adjektivs (und einiger Adverbien) auch zur Flexion zählt, wird in der Forschung unterschiedlich beantwortet. Wir verstehen die Komparation jedoch als eigenständiges Phänomen. Zu unterscheiden ist der Positiv (schön), der Komparativ (schöner) und der Superlativ (am schönsten). Die Konjugation bezieht sich auf alle finiten Verben; man unterscheidet im Deutschen ▶ drei Personen: 1. Person (Sprecher), 2. Person (Angesprochener), 3. Person (Besprochenes) ▶ zwei Numeri: Singular, Plural ▶ drei Modi: Indikativ, Konjunktiv, Imperativ ▶ zwei Tempora: Präsens, Präteritum Futur I und II sowie das Perfekt und das Plusquamperfekt sind analytische („zusammengesetzte“) Zeitformen und zählen ebenso wie das Passiv nicht zu den Kategorien der Konjugation, da sie mit Hilfsverben gebildet werden und nicht durch Veränderungen am Wort selbst, wie es etwa im Lateinischen der Fall ist (siehe Kap. III . 5. Tempus). 86 2. Pluralbildung des Substantivs Zur Flexion des Verbs zählt außerdem die Bildung der infiniten Verbformen: Infinitiv, Partizip I und II . Nachdem Hans zwei Monate auf die Prüfung gelernt (Part. II ) hatte (3. Pers. Sg., Ind., Prät.), überkam (3. Pers. Sg., Ind., Prät.) ihn große Prüfungsangst. Seine Freunde drückten (3. Pers. Pl., Ind., Prät.) ihm die Daumen und sagten (3. Pers. Pl., Ind., Prät.), dass er es schon schaffen (Inf.) werde (3. Pers. Sg., Konj., Präs.). Heute meint (3. Pers. Sg., Ind., Präs.) Hans dazu: „Es ist (3. Pers. Sg., Ind., Präs.) eigentlich ganz einfach: Beiß (2. Pers. Sg., Imper., Präsens-- Imperativ ist immer Präsens) die Zähne zusammen und durch! “ Im Folgenden werden ausgewählte Phänomene der Flexion behandelt, an denen gezeigt werden soll, wie komplex das Deutsche ist und welche Regeln Deutsch-als-Fremdsprache-Lerner können müssen, um ein grammatisch korrektes Deutsch zu produzieren. Uns als Muttersprachlern sind diese Regeln kaum bewusst, da wir sie meist automatisch anwenden. 2. Pluralbildung des Substantivs Das System zur Pluralbildung ist relativ komplex. Es gibt im Deutschen fünf Deklinationstypen: Typ 1: e-Plural (das Beet-- die Beete, der Baum-- die Bäume) Typ 2: (e)n-Plural (der Mensch-- die Menschen, die Glocke-- die Glocken) Typ 3: Ø-Plural (der Lehrer-- die Lehrer, das Kloster-- die Klöster) Typ 4: er-Plural (das Kind-- die Kinder, das Buch-- die Bücher) Typ 5: s-Plural (das Auto-- die Autos, der LKW -- die LKW s) Als zentrale Regeln lassen sich festhalten: a. Umlautfähige Stammvokale (a, o, u) werden in den Pluraltypen 1, 3 und 4 in der Regel umgelautet: der Baum-- die Bäume, das Kloster-- die Klöster, das Buch-- die Bücher. b. Der e-Plural (=-Typ 1) ist bei allen Genera zu finden und hat eine relativ regellose Verteilung. c. Die meisten Feminina und Maskulina auf -e bilden den Plural auf--n: der Bote-- die Boten, die Glocke-- die Glocken (=-Typ 2). d. Endungslose Plurale (=- Typ 3) finden sich hauptsächlich bei Maskulina und Neutra auf -el, -en und--er: der Tunnel-- die Tunnel, der Streifen-- die 87 3. Adjektivdeklination Streifen, der Lehrer-- die Lehrer, außerdem bei den Neutra auf--chen/ -lein: das Birnlein-- die Birnlein, das Stimmchen-- die Stimmchen. e. Plurale auf -er (=-Typ 4) finden sich vor allem bei einsilbigen Neutra: das Kind-- die Kinder, das Buch-- die Bücher. f. Die Endung -er (=-Typ 4) ist nicht möglich bei Substantiven auf--e oder -e + Konsonant. g. Wörter, die auf Vokal- - außer e- - enden und Kurzwörter (vgl. Kap. IV . 9.9 Kurzwortbildung) bilden den Plural mit--s: das Auto-- die Autos, der Opa-- die Opas, die Lok-- die Loks (=-Typ 5). Bei dem Kurzworttyp „Initialwort“ allerdings kann die Pluralkennzeichnung auch weggelassen werden (=-Typ 3): der LKW -- die LKW (s). h. Fremdwörter können besondere Plurale aufweisen, z. B. der Atlas- - die Atlanten, der Kaktus-- die Kakteen, das Genus-- die Genera, der Modus-- die Modi. In einigen Fällen sind auch eingedeutschte Plurale möglich, z. B. Atlas-- Atlasse. 3. Adjektivdeklination Haben Sie sich schon einmal überlegt, warum es im Deutschen Dieser kalte Kaffee schmeckt nicht! aber Kalter Kaffee schmeckt nicht! heißt? Wie kommt es dazu, dass das Adjektiv einmal die Endung -e und einmal die Endung -er hat, obwohl doch beides Nom. Sg. Mask. ist? Die Adjektivdeklination ist eine „Spezialität“ des Deutschen und hat in ihrer Komplexität schon viele Lerner geärgert. Aber es gibt auch hier Regeln. Die grammatische Form der Nominalgruppe (also Adjektiv + Substantiv + evtl. Artikel) bestimmt das Prinzip der Monoflexion. Es besagt, dass die vollen grammatischen Endungen nur einmal auftreten dürfen, entweder am Artikel(wort) oder am Adjektiv. Demnach wären Formen wie *Dieser kalter Kaffee schmeckt nicht gut! „doppelt-gemoppelt“, da bereits am Artikelwort dieser abgelesen werden kann, dass die Nominalgruppe Nom. Sg. Mask. ist. Es wird zwischen einer starken und einer schwachen Adjektivdeklination unterschieden. Stark ist sie, wenn das Adjektiv die Merkmale der Deklination trägt (z. B. kalter Kaffee). Die Endungen sind dann identisch mit den Endungen des definiten Artikels. 88 3. Adjektivdeklination Definiter Artikel: Der Kaffee schmeckt nicht gut! Ich trinke den Kaffee! Starke Adj.dekl.: Kalter Kaffee schmeckt nicht gut! Ich trinke kalten Kaffee! Eine Ausnahme stellt Sg. Gen. Mask./ Neutr. dar; hier wird nicht die Artikelendung -es, sondern wie bei der schwachen Deklination--en verwendet: das Aroma des kalten Kaffees-- das Aroma kalten Kaffees (nicht: *kaltes Kaffees). Die starke Adjektivdeklination kommt also wegen des Prinzips der Monoflexion vor allem bei einem fehlenden oder endungslosen (z. B. Welch kalter Kaffee! ) Artikel(wort) vor. Trägt aber bereits der Artikel bzw. das Artikelwort die vollen Deklinationskennzeichen, so wird das nachfolgende Adjektiv schwach dekliniert. Als schwache Endungen kommen nur -e bzw. -en in Frage. Ihre Verteilung ist folgendermaßen geregelt: Maskulinum Femininum Neutrum Plural Nominativ -e Akkusativ Dativ -en Genitiv Das Geheimnis meines großen Erfolgs (=-Gen. Sg. Mask.) verrate ich euch nicht! Ich liebe es, die italienischen Rezepte (=-Akk. Pl. Neutr.) nachzukochen. Ich kann es kaum erwarten, meine beste Freundin (=-Akk. Sg. Fem.) wiederzusehen. Man kann auch den Terminus gemischte Adjektivdeklination finden. Damit ist gemeint, dass das Adjektiv z. B. nach Possessivpronomen, indefinitem Artikel und keinin einigen Fällen stark (nämlich wenn diese Wörter endungslos sind) und in anderen Fällen schwach (nämlich wenn diese Wörter eine Endung haben) dekliniert wird. Vergleichen Sie: ▶ Mein großes Haus liegt am Waldrand: mein (keine Endung) → großes (starke Adjektivdeklination) Haus 89 5.1 Bildung der Tempusformen ▶ Meine großen Häuser liegen am Waldrand: meine (Endung) → großen (schwache Adjektivdeklination) Häuser 4. Bildung des Partizips Das Partizip I wird gebildet aus dem Verbstamm + -end bzw. -nd (für Verben auf- -ern und -eln): lachen → lachend, rudern → rudernd, lächeln → lächelnd. Die Bildung des Partizips II ist komplexer. Vergleichen Sie die Partizipien II folgender Verben: a. lachen-- gelacht e. gehen-- gegangen b. betrachten-- betrachtet f. betrinken-- betrunken c. abspülen-- abgespült g. absteigen-- abgestiegen d. marschieren-- marschiert Es gibt folgende Regeln: ▶ schwache (regelmäßige) Verben bilden das Partizip II auf (ge-) + -t (Beispiele a-d), starke (unregelmäßige) Verben auf (ge-) + -en (Beispiele e-g) ▶ bei Verben mit (nicht trennbaren) Präfixen entfällt das ge- (Beispiele b und f) ▶ bei trennbaren Verbzusätzen steht das geim Wortinneren nach dem Verbzusatz (Beispiele c und g) ▶ Verben auf -ieren bilden das Partizip ohne ge- (Beispiel d) 5. Tempus 5.1 Bildung der Tempusformen a) Synthetische Tempora Im Deutschen kennen wir heute nur noch zwei „echte“ synthetische, d. h. durch Veränderungen am Verb gewonnene Tempora: das Präsens und das Präteritum (Imperfekt). 90 5. Tempus ▶ Präsens Folgende Endungen werden für Indikativ Präsens an den Verbstamm angefügt: 1. Person Singular: -e 1. Person Plural: -en 2. Person Singular: -st 2. Person Plural: -t 3. Person Singular: -t 3. Person Plural: -en lachen: ich lache, du lachst, er / sie / es lacht, wir lachen, ihr lacht, sie lachen. Die Höflichkeitsform Sie wird wie die 3. Pers. Pl. gebildet: Sie lachen. Es gibt allerdings ein paar Besonderheiten: ▷ Endet der Verbstamm auf -d oder -t wird in der 2., 3. Pers. Sg. und in der 2. Pers. Pl. ein e eingeschoben, z. B. reden: du redest, er / sie / es redet, ihr redet oder arbeiten: du arbeitest, er / sie / es arbeitet, ihr arbeitet. Auch bei manchen Verben auf -m oder -n (wenn ein Konsonant außer l / r vorausgeht) wird ein e eingeschoben, z. B. atmen: du atmest, er / sie / es atmet, ihr atmet. Nicht jedoch: filmen: *du filmest, lernen: *du lernest. ▷ Endet der Verbstamm auf -s (-ß), -x oder -z entfällt in der 2. Pers. Sg. das s: z. B. heißen: du heißt; mixen: du mixt; reizen: du reizt. ▷ Es gibt eine größere Anzahl an unregelmäßigen („starken“) Verben, die bereits im Präsens in der 2. und 3. Pers. Sg. eine Veränderung des Stammvokals aufweisen. Dieser Wechsel kann lauten: a > ä, z. B. schlafen: ich schlafe, du schläfst, er / sie / es schläft; e > i, z. B. essen: ich esse, du isst, er / sie / es isst; o > ö, z. B. stoßen: ich stoße, du stößt, er / sie / es stößt oder au > äu, z. B. laufen: ich laufe, du läufst, er / sie / es läuft. Die Endungen allerdings unterscheiden sich nicht von den regelmäßigen („schwachen“) Verben. ▶ Präteritum Das Präteritum der schwachen Verben unterscheidet sich vom Präsens nur durch ein -tzwischen Stamm und Endung; in der 2. Pers. Sg. und Pl. wird ein e eingeschoben. Ein Sonderfall ist die 3. Pers. Sg.: Sie endet im Präteritum auf--e und ist damit identisch mit der 1. Pers. Sg. 1. Person Singular: -te 1. Person Plural: -ten 2. Person Singular: -test 2. Person Plural: -tet 3. Person Singular: -te 3. Person Plural: -ten 91 5.1 Bildung der Tempusformen lachen: ich lachte, du lachtest, er / sie / es lachte, wir lachten, ihr lachtet, sie / Sie lachten. Die im Präsens beschriebenen Besonderheiten bei Verbstämmen auf -d, -t, -m oder -n treten auch im Präteritum auf (nun in allen Personen), z. B. arbeiten: ich arbeitete, du arbeitetest etc. Starke Verben ändern im Präteritum ihren Stammvokal (z. B. schwimmen- - schwamm), in selteneren Fällen sogar den ganzen Stamm (gehen-- ging; sein-- war). Ihre Endungen entsprechen im Wesentlichen denen des Präsens, lediglich die 1. und 3. Pers. Sg. sind endungslos: 1. Person Singular: -ø 1. Person Plural: -en 2. Person Singular: -st 2. Person Plural: -t 3. Person Singular: -ø 3. Person Plural: -en singen: ich sang, du sangst, er / sie / es sang, wir sangen, ihr sangt, sie / Sie sangen. Auch die unregelmäßigen Verben auf -d, -t, -m oder -n fügen (in der 2. Pers. Sg. und Pl.) ein e zwischen Stamm und Endung ein: z. B. bieten: ich bot, du botest, er / sie / es bot, wir boten, ihr botet, sie / Sie boten. Einen Sonderfall bilden die wenigen Mischverben im Deutschen, die aufgrund sprachgeschichtlicher Entwicklungen einen Stammvokalwechsel im Präteritum haben, aber dennoch regelmäßig flektiert werden, vgl. brennen- - brannte, nennen-- nannte auch: denken-- dachte. Manche Verben weisen sowohl eine unregelmäßige als auch eine regelmäßige Form auf, wobei vor allem in der gesprochenen Sprache eher die regelmäßigen Formen verwendet werden: gären-- gärte-- gegärt vs. gären-- gor-- gegoren backen-- backte-- gebackt vs. backen-- buk-- gebacken saugen-- saugte-- gesaugt vs. saugen-- sog-- gesogen In manchen Fällen herrscht allerdings zwischen dem starken und dem schwachen Verb ein Bedeutungsunterschied, d. h., die beiden Verben sind homonym (vgl. Kap. VI . 7.2 Homonymie): ▷ schaffen: Der Künstler schuf ein neues Kunstwerk (=-‚kreativ, schöpferisch gestalten‘). 92 5. Tempus Wir schafften unsere Aufgaben nicht (=-‚erledigen‘). ▷ wiegen: Der Verkäufer wog die Äpfel (=-‚Gewicht feststellen‘). Die Mutter wiegte ihr Baby (=-‚hin- und herbewegen‘). b) Analytische Tempora Alle weiteren Tempora sind im Deutschen zusammengesetzt, d. h., sie werden mittels Hilfsverben + Partizip II bzw. Infinitiv gebildet. ▶ Perfekt Das Perfekt wird durch das Präsens der Hilfsverben haben oder sein + Partizip II gebildet. Als Faustregel gilt, dass das Perfekt von Verben, die eine Bewegung von oder zu einem Ort oder eine (Bewusstseins-)Veränderung bezeichnen, mit sein gebildet wird: ich bin gerannt, ich bin aufgewacht, etc. Dazu kommen außerdem die Verben werden, bleiben und passieren: ich bin (Lehrer) gewesen, ich bin (zu Hause) geblieben, (ein Unfall) ist passiert. Für alle anderen Verben wird das Hilfsverb haben verwendet: ich habe gelacht, ich habe gesungen, ich habe getanzt, etc. ▶ Plusquamperfekt Das Plusquamperfekt wird durch das Präteritum der Hilfsverben haben oder sein + Partizip II gebildet. Zur Verwendung von haben oder sein vgl. die Regeln beim Perfekt. Bsp.: ich war gerannt, ich war aufgewacht, ich war (Lehrer) gewesen,-(…) ich hatte gelacht, ich hatte gesungen, ich hatte getanzt, etc. ▶ Futur I Das Futur I wird durch das Präsens des Hilfsverbs werden + Infinitiv gebildet, z. B. ich werde singen, ich werde (ins Kino) gehen, es wird (etwas Schreckliches) passieren, etc. ▶ Futur II Das Futur II wird durch das Präsens des Hilfsverbs werden + Infinitiv Perfekt (=- haben oder sein + Partizip II ) gebildet, z. B. ich werde gesungen haben, ich werde (ins Kino) gegangen sein, es wird (etwas Schreckliches) geschehen sein, etc. 93 5.2 Gebrauch der Tempora 5.2 Gebrauch der Tempora Die Bezeichnungen der (synthetischen und analytischen) Tempora beruhen auf der lateinischen Terminologie. Sie geben allerdings nicht immer korrekt Auskunft über die Bedeutung der Tempora, die sich nämlich im Deutschen vom Lateinischen unterscheidet. Wir müssen also zwischen der grammatischen Form (Präsens, Präteritum, Perfekt etc.) und der Bedeutung (Zukunft, Vorvergangenheit etc.) unterscheiden: Die verschiedenen Tempora können bestimmte Zeitstufen in Bezug zum Sprechzeitpunkt ausdrücken, die sich nicht aus dem Terminus ableiten lassen; so wird das Präsens z. B. nicht nur zur Bezeichnung des Gegenwärtigen verwendet (s. u.). Der Gebrauch der Tempora ist sehr facettenreich. Es sollen im Folgenden nur die Hauptverwendungen dargestellt werden. a) Präsens Das Präsens kann das Gegenwärtige oder Zukünftige (dann unter Verwendung von Zeitangaben) bezeichnen: Ich gehe ins Kino (Gegenwart). Ich gehe morgen ins Kino (Zukunft). Allgemein gültige Aussagen oder Sprichwörter stehen ebenfalls im Präsens: Wasser gefriert bei 0 °C. Morgenstund’ hat Gold im Mund. Es gibt auch die Möglichkeit, Vergangenes durch das (historische) Präsens zu bezeichnen, z. B. 146 v. Chr.: Rom erobert Griechenland. In der Literatur finden sich außerdem zwei spezifische Präsensverwendungen. Beim epischen Präsens wird für die Erzählhandlung durchgehend das Präsens gebraucht: Es ist fünf Minuten nach vier. Pinneberg hat das eben festgestellt. Er steht, ein nett aussehender, blonder junger Mann, vor dem Haus Rothenbaumstraße 24 und wartet (Anfang des Romans „Kleiner Mann-- was nun? “ von Hans Fallada). Das szenische Präsens dagegen wird lediglich an bestimmten Stellen verwendet, um die Spannung zu steigern: Zu St. Omer im nördlichen Frankreich ereignete sich im Jahre 1803 ein merkwürdiger Vorfall. Daselbst fiel ein großer toller Hund, der schon mehrere Menschen beschädigt hatte, über zwei, unter einer Haustür spielende, Kinder her. Eben zerreißt er das jüngste, das sich, unter seinen Klauen, im Blute wälzt; da erscheint, aus einer Nebenstraße, mit einem Eimer Wasser, den sie auf dem Kopf trägt, die Mutter (aus: „Mutterliebe“ von Heinrich von Kleist). 94 5. Tempus b) Präteritum Das Präteritum wird vor allem im schriftlichen Deutsch als Erzählbzw. Berichtmodus für ein abgeschlossenes Geschehen in der Vergangenheit verwendet. Die Handlung ist zum Sprechzeitpunkt bereits vergangen: Gestern besuchte Hans einen Schulkameraden. Sie unterhielten sich lange über die guten alten Zeiten. c) Perfekt Im mündlichen Sprachgebrauch (besonders in Süddeutschland, aber auch in Österreich und in der Schweiz) steht als Erzählbzw. Berichtmodus für ein abgeschlossenes Geschehen gewöhnlich das Perfekt: Gestern habe ich einen Schulkameraden besucht. Wir haben uns lange über die guten alten Zeiten unterhalten. Das Perfekt steht auch, um Vorzeitigkeit in Bezug auf eine Äußerung im Präsens auszudrücken: Weil Peter gestern viel gefeiert hat, ist er heute sehr müde. Wenn das Ergebnis oder die Folge eines Geschehens zum Sprechzeitpunkt noch relevant ist, wird ebenfalls Perfekt verwendet: Es hat geregnet (, denn die Straßen sind noch nass). Peter hat sich das Bein gebrochen (und trägt jetzt einen Gips). Auch mit Bezug auf Zukünftiges kann das Perfekt eingesetzt werden: Morgen hat Peter endlich sein Staatsexamen hinter sich gebracht. d) Plusquamperfekt Das Plusquamperfekt wird für Vorzeitigkeit (Vorvergangenheit) verwendet, d. h., wenn man etwas ausdrücken will, was vor der Handlung im Perfekt oder Präteritum geschehen ist: Peter, der schon vor einigen Jahren seinen Studiengang gewechselt hatte, strengte sich in den Klausuren immer sehr an, aber so viel wie auf das Staatsexamen in Sprachwissenschaft hatte er noch nie gelernt. e) Futur I Wird das Futur I für Zukünftiges verwendet, hat es den Charakter einer Ankündigung oder Voraussage: Sein Sohn wird später einmal die Firma übernehmen. 95 5.2 Gebrauch der Tempora Wie das Präsens kann sich das Futur I aber auf die Gegenwart, genauer, auf ein Geschehen beziehen, das zum Sprechzeitpunkt noch oder schon aktuell ist. Dann wird aber meistens eine Vermutung (modale Komponente) ausgedrückt: Der Leser wird sich fragen, warum wir über die Bedeutung von Tempusformen sprechen. (=-Ich vermute, dass sich der Leser (gerade jetzt) fragt,-…). f) Futur II Als Zukunftstempus bezieht sich das Futur II auf einen Zeitpunkt in der Zukunft, in dem eine Handlung zum Abschluss kommt: In drei Monaten werde ich meine Zulassungsarbeit abgeschlossen haben. Das Futur II dient aber häufiger als Vergangenheitstempus und hat in dieser Verwendung ebenfalls eine modale Komponente der Vermutung: Über das Geschenk wird sich deine Oma bestimmt gefreut haben (=-Ich vermute, dass sich deine Oma über das Geschenk gefreut hat). Um die Bedeutung der einzelnen Tempora in ihren zeitlichen Relationen zu beschreiben, wird gerne auf ein dreigliedriges Modell zurückgegriffen: Die Aktzeit (Ereigniszeit) ist die vom sprechenden Menschen unabhängige objektiv-reale Zeit. Sie bezeichnet den Zeitpunkt eines Geschehens (800 n. Chr. wurde Karl der Große zum Kaiser gekrönt- - die Aktzeit ist 800 n. Chr.). Die Sprechzeit ist die Zeit, in der eine Äußerung tatsächlich getätigt wird. Die Aktzeit kann vor (=- Vergangenheit / Vorzeitigkeit), während (=- Gegenwart / Gleichzeitigkeit), nach (=-Zukunft / Nachzeitigkeit) der Sprechzeit liegen oder auch unabhängig von ihr sein (=-Allgemeingültiges). Als dritte Kategorie ist noch die Betrachtzeit zu nennen, die die Perspektive des verbalen Aktes durch den Sprecher berücksichtigt und den Zeitpunkt meint, von dem aus ein Ereignis betrachtet wird. Die Betrachtzeit fällt in den meisten Fällen entweder mit der Akt- oder Sprechzeit zusammen (siehe Bsp. unten), ist aber z. B. nötig, um Sätze wie In drei Monaten habe ich meine Zulassungsarbeit abgeschlossen. erklären zu können. Die Sprechzeit ist hier „jetzt / heute“ (z. B. 1. Januar), die Betrachtzeit jedoch in drei Monaten (also z. B. der 1. April). Die Aktzeit, also der Zeitraum, in dem die Arbeit zum Abschluss kommt, liegt zwischen dem 1. Januar und dem 1. April (=- Sprechzeit vor Aktzeit / Aktzeit vor Betrachtzeit). Im Regelfall ist es nicht nötig, auf die Betrachtzeit einzugehen, da sie meist entweder mit der Akt- oder mit der Sprechzeit zusammenfällt. 96 6. Modus Weitere Beispiele: ▶ Aktzeit-= Sprechzeit: Die Studenten sitzen (gerade) in der Vorlesung. ▶ Aktzeit nach Sprechzeit: In einem Monat fliege ich nach Paris. ▶ Aktzeit vor Sprechzeit: Der Zweite Weltkrieg war (1939) ausgebrochen. 6. Modus Das Deutsche verfügt über drei unterschiedliche Modi: Indikativ, Konjunktiv (I + II ) und Imperativ. Der Indikativ ist der unmarkierte, „neutrale“ Modus, der normalerweise verwendet und deshalb auch als „Normalmodus“ bezeichnet wird. Die Informationen im Indikativ werden hierbei in sachlicher Darstellung als gegeben dargestellt und ohne Bedenken anerkannt. Der Indikativ kann allerdings durch verschiedene Mittel modal gefärbt werden und damit eine Sprechereinstellung ausdrücken (Modalität): ▶ modale Adverbien: sicherlich, vielleicht ▶ modale Wortgruppen: meiner Meinung nach ▶ bestimmte Verben im übergeordneten Satz: ich vermute, dass-… ▶ Modalverben: müssen, können ▶ modal gefärbte Tempusformen (s. o.): Das wird schon richtig sein. ▶ besondere Betonung: Du bleibst hier! Du wirst mit uns kommen! Die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Tempusformen wurden alle im Indikativ beschrieben, weshalb an dieser Stelle nur auf die markierten Modi Konjunktiv und Imperativ eingegangen werden soll. 6.1 Bildung der Modusformen a) Konjunktiv I Der Konjunktiv I-- auch Konjunktiv Präsens genannt-- zeichnet sich dadurch aus, dass in allen Endungen ein e auftritt. Dadurch ergeben sich allerdings nur für die 2., 3. Pers. Sg. und für die 2. Pers. Pl. neue Endungen. Vergleichen Sie die Endungen im Indikativ und im Konjunktiv I: Indikativ: Konjunktiv I: ich lach-e ich lach-e du lach-st du lach-est er / sie / es lach-t er / sie / es lach-e 97 6.1 Bildung der Modusformen wir lach-en wir lach-en ihr lach-t ihr lach-et sie / Sie lach-en sie / Sie lach-en Bei Verbstämmen auf -d oder -t sind bis auf die 3. Pers. Sg. alle Formen des Konjunktivs mit denen des Indikativs identisch (vgl. auch Kap. III . 5.1 Bildung der Tempusformen), z. B. ich arbeite, du arbeitest, er / sie / es arbeite, wir arbeiten, ihr arbeitet, sie arbeiten. Unregelmäßige Verben, die im Präsens in der 2./ 3. Pers. Sg. einen Vokalwechsel aufweisen (vgl. Kap. III . 5.1 Bildung der Tempusformen), zeigen diese Besonderheit im Konjunktiv I nicht. Es heißt also du schläfst, er / sie / es schläft im Indikativ, aber du schlafest, er / sie / es schlafe im Konjunktiv I. In allen Fällen, in denen der Konjunktiv I mit dem Indikativ identisch ist, wird als Ersatzform der Konjunktiv II bzw. würde + Infinitiv verwendet. b) Konjunktiv II Bei den regelmäßigen Verben stimmen die Formen des Konjunktivs II (Konjunktiv Präteritum) mit denen des Präteritums überein (vgl. Kap. III . 5.1 Bildung der Tempusformen): ich lachte, du lachtest, er / sie / es lachte usw. Die Endungen des Konjunktivs II der unregelmäßigen Verben stimmen mit denen des Konjunktivs I überein, werden nun aber an den Präteritumstamm angehängt. Auch bei den Konjunktiv- II -Formen sind einige mit denen des Indikativs (Präteritum) identisch: Indikativ: Konjunktiv II : ich ging-ø ich ging-e du ging-st du ging-est er / sie / es ging-ø er / sie / es ging-e wir ging-en wir ging-en ihr ging-t ihr ging-et sie / Sie ging-en sie / Sie ging-en Unregelmäßige Verben mit umlautfähigem Stammvokal (a, o und u) im Präteritum zeigen im Konjunktiv II den Umlaut, z. B. ich bot (Ind.) - - ich böte (Konjunktiv II ) oder ich schwamm (Ind.)-- ich schwämme (Konjunktiv II ). In 98 6. Modus wenigen Sonderfällen wird ein anderer (historisch begründeter) Vokal umgelautet: Ich half (Ind.)-- ich hülfe (Konjunktiv II ) oder ich stand (Ind.)-- ich stünde (Konjunktiv II ). Als Ersatzform für den Konjunktiv II ist prinzipiell die Umschreibung mit würde + Infinitiv möglich. c) Imperativ Aufgrund seiner Funktion (vgl. Kap. III . 6.2 Gebrauch der Modi) verfügt der Imperativ nur über Formen für die 2. Pers. Sg. und Pl. im Präsens. Es gibt drei Imperativformen: Du-Imperativ (2. Pers. Sg.), Sie-Imperativ (2. Pers. Sg. oder Pl.) und Ihr-Imperativ (2. Pers. Pl.). Das Besondere am Imperativ ist, dass er nicht in unterschiedliche Tempora gesetzt werden kann, sondern stets Präsens ist. ▶ Du-Imperativ Der Du-Imperativ zeichnet sich durch spezifische Konjugationsformen aus. Die Formen werden von der 2. Pers. Sg. Präs. abgeleitet, wobei die Endung -st wegfällt: du fragst-- frag! , du kommst-- komm! , usw. Bei unregelmäßigen Verben, die im Präsens einen Stammvokalwechsel haben (vgl. Kap. III . 5.1 Bildung der Tempusformen) fallen nur diejenigen mit Umlaut aus der Reihe: Der Umlaut wird im Imperativ getilgt. Es heißt folglich laufen-- du läufst-- lauf ! Dagegen: nehmen-- du nimmst-- nimm! Die Hilfsverben haben, sein und werden haben Sonderformen (=- Verbstämme des Infinitivs): du hast-- hab, du bist-- sei, du wirst-- werde. Bei vielen Verben sind Imperativformen mit und ohne- -e möglich (z. B. Erhol(e) dich gut! ). Obligatorisch steht ein--e bei den Verbstämmen auf--t, -d und--ig, z. B. du arbeitest-- arbeite! , du leidest-- leide! , du entschuldigst-- entschuldige! Außerdem kommt es aus Gründen der Ausspracheerleichterung bei weiteren Verben vor, z. B. du öffnest-- öffne! , du rechnest-- rechne! ▶ Sie-Imperativ Die Imperativformen sind mit denen der 3. Pers. Pl. Präs. Konj. identisch. Der Imperativ wird allein durch die Stellung des finiten Verbs in der ersten Position im Satz ausgedrückt: Seien Sie still! -- Lesen Sie ein Buch! 99 6.2 Gebrauch der Modi ▶ Ihr-Imperativ Die Imperativform ist mit der Indikativform identisch. Der Imperativ zeichnet sich durch das Fehlen des Personalpronomens aus: Ihr lest ein Buch. (Ind.)-- Lest ein Buch! (Imp.). Wir wissen bereits, dass bei Verben mit trennbarem Verbzusatz dieser in Kernsatzstellung (Präsens und Präteritum) getrennt vom Verbstamm steht (vgl. Kap. I. 4.1 Prädikatsteile). Dies gilt auch für alle Imperativformen: Du kaufst heute ein.-- Kauf heute ein! Sie kommen um 10 Uhr an.-- Kommen Sie um 10 Uhr an! Ihr schaut heute nicht fern.-- Schaut heute nicht fern! 6.2 Gebrauch der Modi a) Der Gebrauch des Konjunktivs I Der Konjunktiv I wird auch „Konjunktiv der indirekten Rede“ oder „Konjunktiv der fremden Meinung“ genannt. Damit ist die Hauptfunktion des Konjunktivs I auch schon benannt: Er wird fast ausschließlich für die indirekte Rede verwendet. Direkte Rede Indirekte Rede a) Peter sagt: „Ich werde nach der Uni ins Kino gehen. Wollt ihr mitkommen? “ Peter sagte, dass er nach der Uni ins Kino gehen werde. Er fragte, ob wir / sie mitkommen wollten. b) Der Professor: „Die Valenzgrammatik wird von manchen Wissenschaftlern abgelehnt.“ Der Professor sagte, dass die Valenzgrammatik von manchen Wissenschaftlern abgelehnt werde. c) Ein Politiker (am Montag): „Morgen werden wir das Gesetz verabschieden.“ Ein Politiker sagte am Montag, dass sie heute (Dienstag) das Gesetz verabschiedeten / verabschieden würden. d) Angelika: „Ich werde alle meine Prüfungen schaffen! “ Angelika sagte, dass sie alle ihre Prüfungen schaffen werde. e) Der Lehrer: „Das war ein schlimmer Fehler! “ Der Lehrer sagte, dass das ein schlimmer Fehler gewesen sei. f) Martin: „Ich bat sie erst um Verzeihung, nachdem ich meine ganze Wut heruntergeschluckt hatte.“ Martin sagte, dass er sie erst um Verzeihung gebeten habe, nachdem er seine ganze Wut heruntergeschluckt habe. g) Eva: „Ich hätte gerne eine Tasse Tee.“ Eva sagte, dass sie gerne eine Tasse Tee hätte. 100 6. Modus Einige Regeln zum Transfer in die indirekte Rede ▶ Die Pronomen (v. a. Personal- und Possessivpronomen) müssen sinnvoll geändert werden. Achten Sie darauf, wer zu wem spricht und wer die Rede gegebenenfalls wiedergibt, vgl. Beispiel a) c) d). ▶ Orts- und Zeitangaben müssen sinngemäß geändert werden, vgl. Beispiel c). ▶ In den Fällen, in denen der Konjunktiv I mit dem Indikativ Präsens identisch ist, wird auf den Konjunktiv II bzw. würde + Infinitiv ausgewichen, vgl. Beispiel c). ▶ Fragen werden in eine indirekte Frage umgewandelt, vgl. Beispiel a). ▶ Zum Ausdruck der Vergangenheit stehen nur die Formen des Konjunktivs Perfekt (haben oder sein im Konjunktiv I + Partizip II ) zur Verfügung, vgl. Beispiel e) f). ▶ Zum Ausdruck der Zukunft dient Konjunktiv Futur I (werden im Konjunktiv I + Infinitiv), vgl. Beispiel a) d). ▶ Konjunktiv II bleibt auch in der indirekten Rede erhalten, vgl. Beispiel g). Der Konjunktiv I ist aber (heute) in der indirekten Rede nicht (mehr) zwingend: Es gibt eine gewisse Freiheit bezüglich der Moduswahl und es wird etwa gerne auf den Konjunktiv verzichtet, wenn bereits durch andere Mittel eine indirekte Redewiedergabe gekennzeichnet ist, z. B. durch die Nebensatzform: Petra hat mir erzählt, dass sie ein interessantes Buch gelesen hat (habe / hätte). Man findet den Konjunktiv I auch noch in fachsprachlichen Kontexten, z. B. bei Anleitungen: Man verrühre 100 g Zucker mit einem Ei. oder Man nehme täglich morgens eine Tablette auf nüchternen Magen. b) Der Gebrauch des Konjunktivs II Der Gebrauch des Konjunktivs II ist vielfältiger als der des Konjunktivs I. Im Folgenden werden die wichtigsten Verwendungen genannt. ▶ Höfliche Bitte / Aufforderung: Könnten Sie mir bitte die Butter reichen? Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich das Fenster öffne? ▶ Nichteintritt von etwas Erwartetem (mit beinahe / fast): Beinahe hätte er den Bus verpasst. 101 6.2 Gebrauch der Modi ▶ Irreale Wunschsätze (mit / ohne wenn): Wenn doch dieses langweilige Referat endlich vorbei wäre! / Wäre dieses langweilige Referat doch endlich vorbei! ▶ Irreale Konditionalsätze: Wenn ich genug Geld hätte, reiste ich um die Welt (oder: würde-… reisen). ▶ Irreale Vergleichssätze (mit als, als ob, als wenn oder wie wenn): Der Student schaute den Dozenten an, als ob er nur „Bahnhof “ verstünde (oder: verstanden hätte). ▶ Irreale Konsekutivsätze: Peter hat Inge viel zu gern, als dass er sie verletzen könnte. Aus den Beispielen kann man erkennen, dass der Konjunktiv II besonders häufig in Bezug auf irreale (nicht eingetretene / eintretende) Situationen / Sachverhalte verwendet wird. Er wird deshalb auch „Konjunktiv irrealis“ oder „Konjunktiv der Nichtwirklichkeit“ genannt. Gerüchte in Bezug auf den Konjunktivgebrauch Da der Konjunktivgebrauch auch bei Muttersprachlern nicht so gut durch das Sprachgefühl geregelt ist, hört man in Bezug auf den Gebrauch des Konjunktivs I und II manchmal „falsche Regeln“, die im Folgenden berichtigt werden sollen: ▶ Es ist unwichtig, ob der übergeordnete Satz (Er sagt / e, dass-…) im Präsens oder im Präteritum / Perfekt usw. steht. Es wird nicht automatisch der Konjunktiv II verwendet, wenn das Verb des Sagens in der Vergangenheit steht! „Ich habe Durst! “ → Er sagt, er habe Durst. Ebenso: Er sagte, er habe Durst. (nicht: hätte) ▶ Es ist nicht wichtig, ob eine Handlung für den Sprecher der Originalrede bereits Vergangenheit ist: Er sagt (am Montag): „Gestern habe ich ein spannendes Buch gelesen“ → Er sagte am Montag, er habe (nicht: hätte) am Sonntag ein spannendes Buch gelesen. c) Der Gebrauch des Imperativs Der Imperativ wird gebraucht, um einen Befehl (Schweig! ), eine Bitte (Komm bitte nach Hause! ) oder einen Vorschlag (Lies doch mal etwas von Robert Schneider! ) auszudrücken. 102 7. Übungen 7. Übungen 1. Bestimmen Sie im folgenden Text die unterstrichenen Formen hinsichtlich ihrer Flexion! Gäbe es ein Guinnessbuch der Literatur, Pelham Grenville Wodehouse wäre ein Kandidat für jede Menge Einträge. Sowohl seine Bescheidenheit als auch seine Naivität sind rekordverdächtig, und so produktiv wie er waren auch nicht viele Kollegen. Wodehouse-Werke, befand sein amerikanischer Lektor, seien so zahlreich wie die blühenden Gärten Englands, eines Paradieses übrigens, von dem manche glaubten, P. G. Wodehouse allein habe es erfunden und in schöner Ausschließlichkeit mit tumben Junggesellen, arroganten Butlern, giftigen Tanten und hingebungsvollen Golfspielern bevölkert.- (…) 1902 erschien sein erster Roman, 1975 verstarb er über seinem siebzigsten-- im 94. Jahr. Genaue Zahlen lassen sich mittlerweile einer achtbändigen Wodehouse-Konkordanz entnehmen, die etwa 2000 Charaktere verzeichnet; nicht weniger als 36 von ihnen gehen angeblich dem schönen Beruf des Butlers nach.- (…) (Wieland Freund: Sündenfall? Welcher Sündenfall? Endlich auch auf deutsch komisch: P. G. Wodehouse. Die Welt, 04. 01. 2005) 2. Welcher Pluraltyp liegt in den folgenden Wörtern jeweils vor? Erklären Sie die Plurale, wenn möglich, durch Regeln! der PKW , das Päuschen, der Kuchen, die Sonne, der Kunde, das Kino, das Korn, der Anfang, der Spieler 3. Bestimmen Sie bei allen Adjektivendungen des folgenden Textes, ob es sich um eine starke oder schwache Endung handelt, und begründen Sie Ihre Entscheidung! Geben Sie außerdem Kasus, Numerus und Genus an! In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes-(…) Rondell warf. (Theodor Fontane: „Effi Briest“, Romanbeginn) 4. Suchen Sie aus dem folgenden Text alle Partizip- II -Formen heraus und erläutern Sie die jeweiligen Bildungen anhand der Regeln! In St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili, stand gerade in dem Augenblicke der großen Erderschütterung vom Jahre 1647, bei welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger, auf ein Verbrechen angeklagter Spanier, namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler des Gefäng- 102 7. Übungen 103 8. Quellen und weiterführende Literatur nisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und wollte sich erhenken. Don Henrico Asteron, einer der reichsten Edelleute der Stadt, hatte ihn ungefähr ein Jahr zuvor aus seinem Hause, wo er als Lehrer angestellt war, entfernt, weil er sich mit Donna Josephe, seiner einzigen Tochter, in einem zärtlichen Einverständnis befunden hatte. Eine geheime Bestellung, die dem alten Don, nachdem er die Tochter nachdrücklich gewarnt hatte, durch die hämische Aufmerksamkeit seines stolzen Sohnes verraten worden war, entrüstete ihn dergestalt, daß er sie in dem Karmeliterkloster unsrer lieben Frauen vom Berge daselbst unterbrachte. (Heinrich von Kleist: „Das Erdbeben in Chili“, Beginn der Erzählung) 5. Stellen Sie in den folgenden Sätzen das Verhältnis zwischen Akt- und Sprechzeit (gegebenenfalls Betrachtzeit) dar! a. In zwei Tagen werden die Studenten ihr Examen schreiben. b. Vor zwei Tagen haben die Studenten ihr Examen geschrieben. c. Jetzt schreiben die Studenten ihr Examen. d. Seit zwei Monaten lernen die Studenten auf ihr Examen. 6. Setzen Sie die direkte Rede in eine indirekte! Der Bundesverkehrsminister sagt: „Wir können stolz sein auf unseren Erfolg. Das neue LKW -Mautsystem funktioniert in einem Probelauf reibungslos. Ich bin froh, dass sich alle negativen Prognosen zu seinem Start nun doch nicht bewahrheitet haben. Auch wenn es anfangs Probleme gab, würde ich jederzeit wieder für ein solches elektronisches System stimmen. Die Bürger werden sehen, dass diese Neuerung viel Geld einbringen wird, das in eine Verbesserung der Infrastruktur investiert werden kann.“ 8. Quellen und weiterführende Literatur Bergmann, Rolf / Pauly, Peter: Neuhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 4., erw. Aufl. bearb. von Rolf Bergmann und Claudine Moulin-Fankhänel. Göttingen 1992, Kap. IV. Die Nominalsyntagmen und V. 1. Die Tempusformen und ihre Bedeutung, V. 2. Modale Einordnung durch die Modusformen des Verbs, S. 68-111. Als weitere Lektüre zur Flexion empfohlen. Enthält auch sprachhistorische Betrachtungen. Auch die Kapitel zu Tempus und Modalität sind lesenswert und gut verständlich. 104 8. Quellen und weiterführende Literatur Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2009. Kap. Das Wort, 1.4.3 Die Bildung der Pluralformen, S. 180-193, 3.5 Die flektierten Formen des Adjektivs, S. 363-366, 4.5.1 Bedeutung und Gebrauch der Tempus-Modus-Formen, S. 496-543. Zum Nachschlagen empfohlen. Eisenberg, Peter: Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. 4. aktual. u. überarb. Aufl., unter Mitarbeit von Nanna Fuhrhop. Stuttgart / Weimar 2013, Kap. 5. Flexion, S. 150-208. Es gibt Aufgaben mit Lösungen. Heinold, Simone Beatrice: Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen. Ein Studienbuch. Tübingen 2015. Sehr gut verständliche und übersichtlich gestaltete Einführung in drei grammatische Kategorien. Mit Aufgaben (und Lösungen) sowie weiterführender Literatur. Helbig, Gerhard / Buscha, Joachim: Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München 2013. Kap. Die einzelnen Wortklassen, S. 23-443. Zur kritischen Durchsicht empfohlen. Weitere Darstellungen in den Grammatiken von Engel, Erben oder Weinrich (siehe Quellen und weiterführende Literatur im Kapitel I. Syntax). 105 6.2 Gebrauch der Modi IV. Wortbildung Morphologie (griech. morphē ‚Form, Gestalt‘) bedeutet Formenlehre. In der Sprachwissenschaft ist damit die Lehre von der Form und dem Aufbau von Wörtern gemeint. Die Morphologie untersucht die Struktur von Wörtern, indem sie deren Bestandteile ermittelt und beschreibt. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Analyse von komplexen Wörtern, also von Wörtern, die aus mehreren bedeutungstragenden Einheiten bestehen. Die Morphologie umfasst zwei Hauptgebiete, nämlich die Flexion und die Wortbildung. Bei der Flexion (vgl. Kap. III ) geht es um die unterschiedlichen Formen eines Wortes, die u. a. durch den syntaktischen Kontext vorgegeben sein können, z. B. muss in dem Satz Die Krawatte des Professors sitzt schief. Professor im Genitiv stehen. Dagegen beschäftigt sich die Wortbildung mit der Bildung neuer Wörter und deren Struktur, untersucht die Regeln, nach denen Wörter gebildet werden, und ordnet sie verschiedenen Wortbildungstypen zu. Besonders in komplexen Wörtern konkreter Texte findet man sowohl Aspekte der Wortbildung als auch der Flexion. Sie müssen streng voneinander getrennt behandelt werden, da durch die Flexion lediglich grammatische Varianten desselben Wortes ohne lexikalische Bedeutungsänderung entstehen, während die Wortbildung eine Bedeutungsveränderung (oft mit Wortartwechsel) hervorbringt. 1. Grundbegriffe: Morph - Morphem - Allomorph a) Morph Morphe sind Elemente, die man durch die Segmentierung von Wörtern gewonnen hat, die aber noch nicht klassifiziert sind. Es handelt sich dabei um konkrete Realisierungen / Vorkommen eines Morphems. Morphe können also unzählige Male auftreten. Die Kinder gehen in die Schule. In der Schule lernen sie das Einmaleins. In diesen Sätzen kommt zwei Mal Schule vor; es handelt sich um zwei Morphe, denn Schule lässt sich semantisch nicht weiter segmentieren. Beide Morphe gehören zum (abstrakten) Morphem {Schule}. 106 1. Grundbegriffe: Morph - Morphem - Allomorph b) Morphem Morpheme sind die kleinsten sprachlichen Zeichen (vgl. Kap. V. 1. Eigenschaften sprachlicher Zeichen: Arbitrarität und Konventionalität), also die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache. Sie lassen sich semantisch nicht weiter zerlegen, z. B. auf, geh-, Tür, un-. Diese unterschiedlichen Beispiele werden wir später noch genauer klassifizieren. Es handelt sich bei den Morphemen um abstrakte Einheiten. So gibt es jedes Morphem nur ein einziges Mal-- im Gegensatz zu den Morphen, durch die die Morpheme in konkreten Äußerungen / Sätzen repräsentiert werden. Morpheme werden in geschweifte Klammern { } geschrieben. c) Allomorph Ein Morphem kann in einer äußerlich abgewandelten Form auftreten. Dann handelt es sich um ein Allomorph (griech. ‚andere Gestalt‘). Allomorphe sind Varianten eines Morphems, d. h., sie unterscheiden sich in der äußeren Gestalt, nicht aber in ihrer Bedeutung, z. B. Schul (in Schultasche) ist Allomorph zum Morphem {Schule}, Wäld (in Wäldchen oder Wälder) ist Allomorph zum Morphem {Wald}. Auch Fälle wie kam als Präteritum zum Verbstamm {komm-} sind für uns Allomorphe. Außerdem zählen wir hierzu z. B. die unterschiedlichen, sich in der Distribution (=- Verteilung / Vorkommen) ausschließenden Allomorphe zur Repräsentation des Pluralmorphems: Die Bedeutung ‚Plural Femininum‘ wird z. B. durch verschiedene Morphe zum Ausdruck gebracht: -en (Haustür-en), Umlaut +- -e (Händ-e), -n (Gabe-n),--s (Mutti-s), Umlaut + Ø (Mütter). Die Morphe erscheinen nur in einer bestimmten Umgebung und können nicht gegenseitig ausgetauscht werden, z. B. kann nicht das -n von Gaben an Mutti zum Ausdruck des Plurals angehängt werden. Da die Bedeutung in allen Fällen gleich bleibt, handelt es sich um Allomorphe zum gleichen Morphem (Pluralmorphem des Nom. Fem.). Wenn Flexionsformen ohne äußere Kennzeichen vorliegen, sprechen wir von Ø-Allomorphen. Beim Plural von Lehrer ist dies beispielsweise der Fall: der Lehrer-- die Lehrer + Ø. 107 2. Morphemklassifikation Betrachten Sie dagegen--en in Haustür-en und in lieb-en. Beide Male liegt ein Morph--en vor, jedoch mit unterschiedlichen Bedeutungen: Im ersten Fall ist es ein Plural Femininum, im zweiten eine Infinitivendung. Man spricht hier von homonymen Morphen, also von Morphen, die lautlich identisch sind, aber nicht die gleiche Bedeutung und damit Distribution haben. Es handelt sich folglich um Realisierungen unterschiedlicher Morpheme (vgl. IV . 8. Binäre Struktur). 2. Morphemklassifikation Die Morpheme werden nach folgenden Kriterien in verschiedene Typen unterteilt: Morpheme frei gebunden lexikalisch grammatisch lexikalisch grammatisch Basismorphem (BM) Basismorphem (BM) Wortbildungsmorphem (WBM): Flexionsmorphem (FM) a) Suffix b) Präfix c) Zirkumfix d) Affixoid  Affixe  a) frei - gebunden Zunächst unterscheidet man freie und gebundene Morpheme. Ein freies Morphem kann als ein Wort (vgl. Kap. II . 1. Was ist ein Wort? Zur Wortdefinition) auch frei vorkommen, z. B. Schule, schön, er. Ein gebundenes Morphem kann nicht alleine stehen, z. B. komm- (in kommen), Brom- (in Brombeere), -lich,--keit, 108 2. Morphemklassifikation ver-, un-. Dagegen bezeichnen wir Allomorphe, wie Schül- (in Schüler) oder Händ- (in Hände) nicht als gebunden, da eine Klassifizierung erst einen Schritt später auf Morphemebene erfolgt. Erst auf dieser Ebene treffen wir die Entscheidung für ein freies oder ein gebundenes Morphem. b) lexikalisch - grammatisch Außerdem unterscheidet man lexikalische und grammatische Morpheme. Lexikalische Morpheme tragen im Gegensatz zu den grammatischen Morphemen eine lexikalische Bedeutung, d. h., sie beziehen sich auf Gegenstände, Handlungen usw. (Autosemantika). Es gibt freie und gebundene lexikalische Morpheme. {Schule} ist ein freies lexikalisches Morphem, {les-} (Verbstamm zu lesen) ist ein gebundenes lexikalisches Morphem. Die lexikalischen Morpheme werden zudem als Grundbzw. Basismorpheme ( BM ) bezeichnet. Auch grammatische Morpheme können frei oder gebunden sein. Zu den freien grammatischen Morphemen zählen die Funktionswörter (Synsemantika); sie stellen Beziehungen zwischen sprachlichen Einheiten her und haben keine selbständige Bedeutung. Dazu gehören Konjunktionen / Subjunktionen, Präpositionen, Artikel, z. B. und, dass, auf, ein. Gebundene grammatische Morpheme sind die Flexionsmorpheme ( FM ), welche Flexionsmerkmale wie Person, Numerus usw. angeben, z. B. die Pluralendung- -er in Bilder oder die Infinitivendung--en in gehen. Wir zählen auch die Wortbildungsmorpheme ( WBM ) zu den grammatischen Morphemen. Sie tragen eine wortbildende Bedeutung. Allerdings leisten sie durch den Prozess der Bildung eines neuen Wortes auch einen Beitrag zu dessen lexikalischer Bedeutung. Wortbildungsmorpheme sind Suffixe (z. B.- -ung in Kleidung), Präfixe (unin unmöglich), Zirkumfixe (be-…-t in behaart) und Affixoide (vgl. Kap. IV . 9.2e Affixoidbildung und 9.5 Sonderfall: Unfeste Verbbildung). Die Bezeichnungen Präfix, Suffix und Zirkumfix beziehen sich zunächst allgemein nur auf die Stellung eines Morphems. Demnach können auch Flexionsmorpheme als (Flexions-)Suffixe (z. B. ich lach-e) oder (Flexions-)Zirkumfixe (ge-lach-t) bezeichnet werden. Damit die Unterscheidung zwischen Flexion und Wortbildung besser gelingt, möchten wir im Folgenden die Termini Präfix, Suffix und Zirkumfix nur für Wortbildungsmorpheme verwenden. 109 4. Besonderheiten Es gibt auch einige Wortbildungsmorpheme, die wie Flexionsmorpheme aussehen. Bsp. ge-…-t ▶ ge-sag-t Flexionsmorphem (Partizip II zum Verb sagen) ▶ ge-laun-t Wortbildungsmorphem (Zirkumfix), kein Partizip II , da es kein Verb *launen gibt. 3. Morphem - Wort - Silbe Wörter können aus einem Morphem oder mehreren Morphemen bestehen. Das hängt davon ab, ob ein Wort unter semantischen Gesichtspunkten-- also hinsichtlich der Bedeutung- - noch weiter zerlegt werden kann. Tisch, lang, er, Essig, Sessel sind sowohl Wörter als auch Morpheme. Dagegen besteht z. B. das Wort Tische aus zwei Morphemen, dem Basismorphem {Tisch} und dem Flexionsmorphem (Pl. Mask.) {-e}. Verin verblühen ist ein Wortbildungsmorphem (Präfix), das semantisch den Prozess der Beendigung eines Zustands anzeigt. Es ist jedoch kein Wort, sondern eine Silbe. Morpheme müssen aber auch nicht mit Silben identisch sein. Betrachten wir das Verb sagen: Es besteht aus den Morphemen {sag-} und {-en} und den Silben sa- und -gen. Morphem- und Silbengrenze müssen also nicht übereinstimmen. Während Morpheme nach semantischen Kriterien bestimmt werden, befindet man sich bei der Bestimmung von Silben auf der phonetisch-phonologischen Ebene, auf der Aspekte der Artikulation und nicht der Bedeutung im Vordergrund stehen. 4. Besonderheiten: Unikale Morpheme, Pseudomorpheme, Portemanteaumorpheme, Konfixe a) Unikale Morpheme Morpheme, die nur in einer einzigen Verbindung, und zwar in Zusammensetzungen mit einem freien Morphem erscheinen, sind unikale Morpheme. Sie kommen nur gebunden vor und tragen heute keine Bedeutung mehr, z. B. {Brom-} in Brombeere, {Him-} in Himbeere, {Boll-} in Bollwerk, {Lind-} in Lindwurm oder {-gall} in Nachtigall. 110 5. Motiviertheit von Wortverbindungen b) Pseudomorpheme Pseudomorpheme treten nur gebunden in expliziten Ableitungen auf (vgl. Kap. IV . 9.2 Explizite Ableitung), wobei deren Bedeutung nicht mehr zu erkennen ist. Bsp.: {-ginn-} in beginnen, {plötz-} in plötzlich, {-lier-} in verlieren, {nied-} in niedlich. Bei einer Wortbildungsanalyse sollten Sie angeben, dass das Pseudomorphem zwar formal abtrennbar ist, jedoch nicht semantisch, da dessen Bedeutung (heute) nicht mehr erkennbar ist. Einige Sprachwissenschaftler nehmen keine Unterscheidung zwischen unikalen Morphemen und Pseudomorphemen vor. c) Portemanteaumorpheme Bei einem Portemanteaumorphem verschmelzen zwei freie Morpheme miteinander, z.B. Präposition + Artikel: {übers} aus über + das, {im} aus in + dem. d) Konfixe Konfixe sind lexikalische Basismorpheme, die in der Regel fremdsprachlicher Herkunft sind und nur gebunden auftreten, z. B. {therm-} in Thermostat, Thermik und thermisch oder {-thek} in Videothek und Bibliothek. 5. Motiviertheit von Wortverbindungen Warum wir zu einem Stuhl Stuhl sagen und nicht etwas anderes, können wir nicht erklären; wenn wir aber z. B. die Wortverbindung Küchenstuhl verwenden und wissen, was Küche und Stuhl bedeutet, dann können wir daraus folgern, was ein Küchenstuhl sein muss, nämlich ‚ein Stuhl in der / für die Küche‘. Diese Durchschaubarkeit von Wortverbindungen aus unserer heutigen (synchronen) Sicht heißt Motiviertheit / Motivation. 111 5. Motiviertheit von Wortverbindungen Eine „synchrone“ Analyse bezieht sich auf den Ist-Zustand einer Sprache; untersucht werden z. B., welche Regeln eine Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt (z. B. Gegenwartssprache, Mittelhochdeutsch) hat. „Diachrone“ Untersuchungen beschäftigen sich mit Fragen des Sprachwandels, also mit den Veränderungen einer Sprache im Laufe der Zeit und den Gründen dafür. a) Vollmotivierte Wortverbindungen Wenn wir-- wie beim obigen Beispiel Küchenstuhl-- alle Elemente eines Wortes verstehen und aus den Einzelbedeutungen die Gesamtbedeutung herleiten können, so sprechen wir von vollmotivierten Wörtern. Weitere Beispiele: Wanderschuhe ‚Schuhe, die zum Wandern geeignet sind‘, Orangensaft ‚Saft aus Orangen‘, grasgrün ‚grün wie Gras‘ etc. Bedeutungsangaben werden in einfache Anführungszeichen gesetzt, z. B. Obstkuchen ‚Kuchen mit Obst‘. b) Teilmotivierte Wortverbindungen Bei den teilmotivierten Wörtern können wir zwei Arten unterscheiden: ▶ teilmotivierte Wortverbindungen mit unikalem Morphem Aus einem Teil eines Wortes, meistens dem Grundwort (=-Zweitglied), können wir die Hauptbedeutung der Wortverbindung herauslesen. Der andere Teil jedoch trägt alleine (heute) keine Bedeutung mehr und kommt nur in dieser einen Wortbildung vor, ist also ein unikales Morphem. So ist etwa eine Brombeere auf jeden Fall eine Beere, die sich von anderen Beeren wie der Erdbeere oder der Blaubeere klar durch den Zusatz Brom unterscheidet. Was jedoch dieses Brom genau bedeutet, wissen wir heute nicht mehr. Beispiele mit unikalem Erstglied: Himbeere, Auerhahn, Fledermaus, Pausbacken, Miesmuschel, Pottwal etc. Seltener sind teilmotivierte Wortbildungen mit unikalem Zweitglied: Nachtigall, Bräutigam, Buchecker, Kleinod. Je nach Sichtweise kann man bei allen diesen Wortbildungen von teilmotiviert (die Bedeutung eines Wortteils ist noch bekannt) oder teildemotiviert (die Bedeutung eines Wortteils ist nicht mehr bekannt) sprechen. In 112 5. Motiviertheit von Wortverbindungen etymologischen Wörterbüchern können wir nachlesen, welche historische Bedeutung diese unikalen Morpheme tragen. So kann man die Brombeere etwa als ‚Beere eines Dornstrauchs‘ übersetzen, denn im Althochdeutschen bedeutete brāmo / brāma ‚Dornstrauch‘. ▶ teilmotivierte Wortverbindungen mit metaphorischem Erst- oder Zweitglied Bei diesen Wortverbindungen sind beide Wortglieder gebräuchliche Basismorpheme. Jedoch stehen sie in einem metaphorischen Verhältnis zueinander, d. h., es handelt sich nicht um den wörtlichen Sinn, wie es etwa bei Küchenstuhl der Fall ist, sondern um einen übertragenen. So ist ein Handschuh z. B. kein Schuh, also keine ‚Bekleidung für die Füße‘, sondern hat eine ähnliche Funktion wie ein Schuh, nur dass er für die Hand ist. Ebenso hat ein Kopfsalat nicht wirklich einen Kopf (‚Vorderende des Menschen oder Tieres‘), sondern er hat nur die Form eines Kopfes. Weitere Beispiele: Klobrille, Tischbein, Ohrensessel, Augapfel Man muss bei Wörtern, die als Ganze metaphorisch gebraucht werden, differenziert vorgehen. So sind z. B. Gänsefüßchen zunächst als vollmotivierte Wortverbindung einzustufen, nämlich als ‚kleine Füße von Gänsen‘. Wenn mit diesem Wort jedoch ‚Anführungszeichen‘ gemeint sind, dann liegt für das Wort insgesamt und nicht nur für einzelne Wortteile (siehe Beispiele oben) eine Metapher (Bildübertragung) vor (vgl. dazu Kap. VI . 7. Bedeutungsrelationen). Ebenso: Morgenstern ‚Stern am Morgenhimmel‘ vs. ‚mittelalterliche Waffe‘ oder Fuchsschwanz ‚Schwanz des Fuchses‘ vs. ‚Handsäge‘. c) Idiomatisierte Wortverbindungen Wörter, deren Gesamtbedeutung nicht aus der Summe der Einzelbedeutungen herleitbar ist und die auch nicht metaphorisch begründbar sind, nennt man idiomatisierte Wörter. So ist ein Junggeselle weder ein Geselle, im Sinne eines ‚Gehilfen nach Abschluss der Ausbildung‘, noch muss er zwingend jung sein. Junggeselle bedeutet demnach nicht ‚junger Geselle‘, sondern ‚unverheirateter Mann‘, also etwas ganz anderes, als die Wortteile nahelegen würden. Weitere Beispiele: Augenblick, Hochzeit, Grünschnabel, Lampenfieber 113 5. Motiviertheit von Wortverbindungen d) Demotivierte Wortverbindungen Demotivierte Wörter können wir aus heutiger Sicht nur noch aufgrund ihrer Form, Lautung oder Silbenzahl als Wortverbindungen einschätzen, wie etwa bei Gugelhupf, Herberge, Schmetterling oder Schabernack. Hierzu zählen aus synchroner Sicht auch viele Verben; die der Wortbildung zugrunde liegenden (alten) Verben können wir heute nur noch als Pseudomorpheme bezeichnen. So gibt es zu vergessen oder vergeuden heute kein Verb *gessen oder *geuden mehr. In älteren Sprachstufen des Deutschen waren althochdeutsch gezzan ‚erlangen‘ oder mittelhochdeutsch giuden ‚prahlen, groß tun, fröhlich sein‘ noch geläufige Verben. e) Lautlich motivierte Wortverbindungen Einen Sonderfall der Motivation stellen lautlich motivierte Wörter dar. Hierzu gehören z. B. viele kindersprachliche Bildungen, die auf einer Verdoppelung von Silben beruhen, z. B. der Wauwau ‚Hund‘, das Tatütata ‚Krankenwagen, Polizei‘ oder das Töfftöff für ‚Motorrad‘. Lautlich motiviert sind auch einige Verben wie etwa murmeln, lispeln, lallen oder platzen. f) Remotivierung / Volksetymologie Da die Menschen Interesse daran haben, zu verstehen, was die Wörter ihrer Sprache bedeuten, versuchen sie sich demotivierte Wörter (neu) zu erklären, ein Wort also zu remotivieren. Dieses Phänomen wird auch Volksetymologie genannt. So hat etwa Friedhof nichts mit Frieden zu tun, ein Maultier nichts mit dem ‚Mund eines Tieres‘ und ein Murmeltier gibt auch keine murmelnden Laute von sich. Vielmehr gehört Friedzum althochdeutschen Verb frīten ‚hegen, schonen‘, Maulist eine Entlehnung aus lat. mūlus ‚Esel‘ und Murmelgeht auf Akk. mlat. murem montis ‚Bergmaus‘ zurück. Sprachhistorisch kann so ein Remotivierungsbestreben sogar zu einer lautlichen / schriftlichen Anpassung des Wortes führen. Ein klassisches Beispiel ist die Hängematte: Der Ursprung des Wortes liegt in dem indianischen Wort hamaco / hamaq (engl. hammock). Es wurde im Laufe seiner Überlieferung lautlich so weit „uminterpretiert“, bis man darin ein deutsches Wort erkannte. 114 6. Produktivität von Wortbildungen Wortverbindungen kann man außerdem noch dahingehend unterscheiden, ob es usuelle, also häufig verwendete Wortverbindungen sind, die nicht erst im Text gebildet werden, wie etwa Küchenboden oder Autotür, oder ob es spontane Wortbildungen sind, die ihre Bedeutung nur aus dem Textzusammenhang erhalten. Solche okkasionellen Wortbildungen oder Ad-hoc-Bildungen sind in der Regel kurzlebig und kommen häufig in der Zeitung (z. B. Stoiberland als Bezeichnung für Bayern), in literarischen Texten (Als er sie welkgerochen hatte-… Patrick Süskind: „Das Parfum“), in der Werbung (simpelligent, Nissan) oder aber in der Alltagssprache (geruchsblind für ‚nicht riechen können‘) vor. Es besteht jedoch prinzipiell die Möglichkeit, dass ein Okkasionalismus durch regelmäßige Verwendung zu einem usuellen Wort werden kann. Wörter, die im „Lexikon“ einer Sprechergemeinschaft gespeichert sind, bezeichnet man als lexikalisiert. Dazu zählen alle usuellen, teilmotivierten, demotivierten und idiomatisierten Wortverbindungen sowie alle Simplizia (=-einfache Wörter). 6. Produktivität von Wortbildungen In Bezug auf die Bildung neuer Wörter können wir auch noch eine Aussage darüber treffen, ob die Wortbildungsmorpheme heute noch in neuen Wortbildungen (etwa bei Ad-hoc-Bildungen) Verwendung finden oder nicht. Wir überlegen uns also, ob sie noch „produktiv“ sind. So sind etwa alle unikalen Morpheme heute nicht mehr produktiv, auch das Suffix--t in Wörtern wie Fahrt, Flucht oder Naht gibt es in neuen Wortbildungen kaum; dagegen sind Wortbildungen auf--er oder--ung sehr häufig und diese Suffixe können heute noch neue Wörter bilden. 7. Die Wortbildungsparaphrase Die Wortbildungsparaphrase (=-semantische Wortbildungsanalyse) ist für die Segmentierung von Wörtern sehr wichtig, da sie helfen kann darzustellen, aus welchen Teilen ein Wort zunächst zusammengesetzt ist. Dabei soll die Paraphrase alle Teile des Wortbildungsprodukts enthalten und außerdem Aufschluss über die semantischen Relationen und die Wortart der unmittelbaren Konstituenten (=- Wortteile) geben. So lautet die Wortbildungsparaphrase zu Blechkuchen etwa ‚Kuchen, der auf einem Blech gebacken wird‘ (lokal) und 115 7. Die Wortbildungsparaphrase nicht etwa ‚Kuchen aus Blech‘ (Material, vgl. Blechspielzeug). Wir sehen, dass die Paraphrasen / Syntagmen oft ausführlicher und semantisch genauer sind als die entsprechenden Wortbildungen. Bei der Paraphrase des Wortes Redeweise ‚Weise zu reden‘ kann man außerdem erkennen, welche Wortart (hier: Verb reden und nicht Substantiv die Rede) der Bildung zugrunde liegt. Turmuhr ‚Uhr an einem Turm‘ Seidenhemd ‚Hemd aus Seide‘ Esszimmer ‚Zimmer, in dem man isst‘ bildungsfeindlich ‚feindlich der Bildung gegenüber‘ hundemüde ‚müde wie ein Hund‘ Auch Wortbildungen mit Affixen können paraphrasiert werden. Die Umschreibung der Bedeutung des Affixes ist allerdings oft schwierig. kindlich ‚wie ein Kind‘ Bohrer ‚Gerät, mit dem man bohren kann‘ naschhaft ‚nascht gerne‘ unmöglich ‚nicht möglich‘ lesbar ‚kann gelesen werden‘ Bildung ‚Vorgang ,etwas zu bilden‘ oder ,Ergebnis des Bildens‘ Einreise ‚Handlung einzureisen‘ (Verb + Suffix -e) Dummheit ‚Zustand, dumm zu sein‘ verändern ‚die Handlung ändern bis zum Ende ausführen‘ (sich) verheiraten ‚einander durch Heiraten verbinden‘ zerbeißen ‚etwas durch Beißen beschädigen‘ Die Bedeutung der Wortbildungsparaphrase muss nicht der lexikalischen Bedeutung entsprechen. So lautet die Wortbildungsparaphrase zu Taschentuch ‚Tuch für die Tasche‘, die eigentliche Bedeutung ist aber ‚kleines Tuch aus Stoff oder Papier zum Naseschnäuzen‘. In der Wortbildung geht es zunächst darum, den Aufbau einer Wortverbindung zu erkennen, wozu die Wortbildungsparaphrase sehr nützlich ist. Auch für einige idiomatisierte Wörter können wir eine Paraphrase angeben, so etwa für Junggeselle ‚junger Geselle‘, denn wir können dadurch erkennen, dass ein Adjektiv das Erstglied ist. Natürlich darf der Zusatz „idiomatisiert“ bei solchen Wortbildungsparaphrasen nicht fehlen. Zusätzlich sollte die neue Bedeutung (hier: ‚unverheirateter Mann‘) angegeben werden. 116 8. Binäre Struktur 8. Binäre Struktur Das Hauptprinzip der Wortbildungsanalyse ist das binäre Segmentieren; das bedeutet, dass Wörter immer in Zweierschritten bis zur Morphemebene analysiert werden. Wichtig ist dabei, dass Wortbildungsparaphrase und Zweiteilung der Wortbildung zusammenpassen. So lautet die korrekte Paraphrase für Wortbildung ‚Bildung eines Wortes‘. Demnach darf nicht in Wortbild und -ung zerlegt werden, da es zu dieser Zerlegung keine sinnvolle Paraphrase gibt. Es muss außerdem darauf geachtet werden, dass auf jeder Analyseebene die (noch) komplexen Wörter auch so im Deutschen existieren (*Wortbild ist in unserem Kontext auch kein sinnvolles deutsches Wort). Nur auf der Ebene der Morpheme können Wortteile auch gebunden vorkommen. Nicht immer kann eindeutig binär segmentiert werden. In Fällen wie Wohnungsbauförderungsgesetz gibt es die Möglichkeit, dass es sich um ein ‚Förderungsgesetz für den Wohnungsbau‘ handelt oder aber um ein ‚Gesetz für die Wohnungsbauförderung‘. Wenn ein Wort durch verschiedene Paraphrasen erklärt werden kann, dann spricht man von Doppelmotivation. Die Struktur einer Wortbildung kann ebenfalls in einem Stemma / Baumdiagramm veranschaulicht werden. Wortbildungen Wortbildung {-en} {Wort} bildung {bild-} {-ung} 117 9.1 Komposition ▶ Bei einigen Wortbildungstypen ist binäres Segmentieren und / oder die Darstellung in einem Stemma nicht möglich. Vergleichen Sie dazu die Anmerkungen im Kapitel 9. Wortbildungstypen. ▶ Wenn man insbesondere Flexionsmorpheme aufgrund ihrer Bedeutung isolieren möchte, dann ist auch hier das binäre Segmentieren nicht immer ganz korrekt. So kann man die Bedeutung ‚Plural‘ in Mütter oder die Bedeutung ‚Präteritum‘ bei fand durch binäres Segmentieren nicht darstellen, da man den bedeutungstragenden Umlaut bzw. den Ablaut aus der Mitte „herausschneiden“ müsste, in der Darstellung also etwa „Umlaut + -Ø“ bei Mütter. Wir sprechen der Einfachheit halber in diesen Fällen von Allomorphen. Manche Forscher setzen auch ein separates Morphem an, um die beispielsweise durch den Tempuswechsel herbeigeführte neue Bedeutung herauszustellen, {fand} wäre dann ein Morphem. 9. Wortbildungstypen 9.1 Komposition Komposition nennt man den Wortbildungsprozess, das Kompositum (=- Zusammensetzung) ist das daraus entstandene Produkt. Das Kompositum ist eine Morphemverbindung, deren durch binäres Segmentieren gewonnene Bestandteile lexikalische (z. B. Kochtopf = Koch- + Topf) bzw. freie grammatische (z. B. Umland- = Um + Land) Morpheme oder Morphemverbindungen (Schnellkochtopf-= Schnell + Kochtopf) sind. Die Bestandteile des Kompositums- - mit Ausnahme des Fugenelements (siehe unten)- - bezeichnet man als unmittelbare Konstituenten ( UK ). Im Hinblick auf deren Wortarten gibt es grundsätzlich keine Einschränkungen. ▶ Milchtüte, Kellertreppe (zwei Substantive) ▶ hellgelb (zwei Adjektive) ▶ immerfort (zwei Adverbien) ▶ Kochtopf (Verbstamm + Substantiv) ▶ Gegenlicht (Präposition + Substantiv) ▶ Ich-Sucht (Pronomen + Substantiv) 118 9. Wortbildungstypen a) Die Fuge Die Stelle, an der die beiden Konstituenten einer Wortbildung zusammentreffen, nennt man Fuge. Die Gestaltung der Fuge wird vom Erstglied gesteuert; die in der Fuge auftretenden sprachlichen Mittel heißen Fugenelemente. Es gibt zwei Typen von Fugenelementen: ▶ Fugenelemente, die auch heute noch als Flexionsmorpheme (z. B. Genitiv Singular oder Plural) zu erkennen sind. Sie werden deshalb von einigen Sprachwissenschaftlern auch Fugenmorpheme genannt, z. B. Herzenswärme, Länderspiel. Die Paraphrasen lauten: ‚Wärme des Herzens‘, ‚Spiel der Länder‘. ▶ Fugenelemente, denen durch die Paraphrase keine Bedeutung zugewiesen werden kann, die also semantisch leer (bedeutungslos) und damit keine Morpheme sind, z. B. Sicherheitsschloss. In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Flexionsform: Weder Genitiv Singular noch eine Pluralform von Sicherheit lauten *Sicherheits. Wir wollen jedoch nicht sprachgeschichtlich argumentieren; deshalb unterscheiden wir nicht zwischen (möglicherweise) bedeutungstragenden und bedeutungslosen Fugenelementen. Fugenelemente sind keine Morpheme, auch wenn sie wie Flexionsmorpheme aussehen! Beim binären Segmentieren werden die Fugenelemente ( FE ) deshalb zwischen die unmittelbaren Konstituenten geschrieben. Sicherheitsschloss -s- FE Sicherheit schloss Landsmann, Landesfarben, Eierschale, Schmerzensgeld, Hundekot, Blumenbeet 119 9.1 Komposition Es gibt neben fremdsprachlichen (Thermometer, Handikap) auch regional unterschiedliche Fugenelemente (Schweinebraten vs. Schweinsbraten). Bei Verben als erste unmittelbare Konstituente besteht die Zusammensetzung aus Verbstamm + 2. UK , d. h.,- -eist immer Fugenelement: Sterbegeld, Lebewesen. Gehen Sie, wenn Sie binär segmentieren, bei substantivischen Erstgliedern immer vom Nominativ Singular aus! Nur so können Sie in Zweifelsfällen exakt das Fugenelement bestimmen. Bsp.: Anschriftenänderung, Scheunentor. Im ersten Fall ist das Fugenelement -en-, im zweiten Fall -n-. Manchmal lässt sich nicht auf den ersten Blick entscheiden, welche Wortart der Wortbildung zugrunde liegt, also z. B., ob es sich um ein verbales oder substantivisches Erstglied der gleichen Wurzel handelt. Hilfreich ist es, wenn die beiden Wörter eine unterschiedliche Fugengestaltung aufweisen. Blasmusik ‚Musik, die geblasen wird‘-- Blasenbildung ‚Bildung von Blasen‘ Außerdem können die Fugenelemente verschiedene Bedeutungen eines Wortes unterscheiden: Geisterstunde-- Geistesblitz Geschichtsbuch-- Geschichtenbuch Nach Adjektiven stehen in substantivischen Komposita nie Fugenelemente, z. B. Kleingeld, Grünfink, Billigflug (Ausnahmen sind einige Ortsnamen wie Neuenkirchen). Bei substantivierten Adjektiven, z. B. Kranke-n-haus, muss ebenfalls vom Nominativ Singular ausgegangen werden, um das Fugenelement richtig zu bestimmen. Der Singular heißt der Kranke, d. h., hier ist nur--ndas Fugenelement, nicht--en-. Fugenelemente kommen (seltener) auch in expliziten Ableitungen (vgl. Kap. IV . 9.2 Explizite Ableitung) vor, z. B. erbarmungslos, lächerlich, heidnisch. Manche Wissenschaftler reservieren den Terminus Fugenelement nur für Komposita und verwenden für explizite Ableitungen den Oberbegriff Interfix. Da die so bezeichneten Elemente aber keinen Morphemstatus haben, ist das Wort eigentlich unpassend (vgl. dagegen die Wortbildungsmorpheme Suffix, Präfix, Zirkumfix). 120 9. Wortbildungstypen b) Determinativkompositum Beim Determinativkompositum wird die zweite Konstituente durch die erste näher bestimmt. Es herrscht also ein hypotaktisches (untergeordnetes) Verhältnis zwischen den beiden Bestandteilen. Das Erstglied heißt Bestimmungswort, das Zweitglied Grundwort, wobei die Bedeutung des Kompositums im Grundwort bereits enthalten ist. Man spricht von einem endozentrischen Bedeutungsverhältnis der beiden Konstituenten. Bsp.: Wolljacke ist eine ‚Jacke aus Wolle‘; Gartentor ist ein ‚Tor zum Garten‘. Sie sehen, dass das Bestimmungswort die Bedeutung des Grundworts spezifiziert. Dabei kann die semantische Beziehung zwischen den beiden Konstituenten ganz unterschiedlich sein, in unseren Beispielen ‚Material‘ (Wolljacke) bzw. ‚Richtung / Ziel‘ (Gartentor). Außerdem bestimmt das Grundwort die Wortart der gesamten Konstruktion. Hochhaus: Adjektiv + Substantiv; das Kompositum ist ein Substantiv grasgrün: Substantiv + Adjektiv; das Kompositum ist ein Adjektiv c) Possessivkompositum Zwischen Bestimmungs- und Grundwort herrscht ebenfalls ein hypotaktisches Verhältnis. Der Unterschied zum Determinativkompositum ist, dass beim Possessivkompositum das, was die Zusammensetzung bezeichnet, in der Zusammensetzung nicht explizit genannt wird. Dieses Bedeutungsverhältnis nennt man exozentrisch. ‚Possessiv‘ bedeutet, dass ein Besitzverhältnis angezeigt wird. Oft bezeichnen Possessivkomposita Personen, die das im Wort Genannte „besitzen“. So ist ein Schlaukopf ‚ein Mensch mit einem schlauen Kopf ‘ (das Wort Mensch kommt in der Zusammensetzung nicht vor); weitere Beispiele: Großmaul, Glatzkopf, Rotkäppchen, Blauhelm. Possessivkomposita sind außerdem: ▶ Rotkehlchen ‚Vogel, der ein rotes Kehlchen hat‘ ▶ Achtzylinder ‚Motor mit acht Zylindern‘ ▶ Zweirad ‚Fahrzeug mit zwei Rädern‘ 121 9.1 Komposition d) Präpositionales Rektionskompositum Wie beim Possessivkompositum liegt auch beim präpositionalen Rektionskompositum ein exozentrisches Bedeutungsverhältnis vor. Das mit dem Kompositum Bezeichnete liegt also außerhalb der Zusammensetzung. Der Unterschied ist, dass das Erstglied formal eine Präposition ist. In der Paraphrase legt diese Präposition den Kasus des nachfolgenden Substantivs fest, „regiert“ also das Substantiv. Im Kompositum selbst gibt es dagegen keine Rektion des Erstglieds. Beispiele: Vormittag: ‚die Zeit vor dem Mittag‘, Untertasse ‚etwas, das unter der Tasse liegt‘. Ein Vormittag ist eben kein *‚vorheriger Mittag‘, eine Untertasse keine *‚untere Tasse‘, so dass es sich nicht um (endozentrische) Determinativkomposita handeln kann. Ebenso verhält es sich mit Übersee, das ‚ein Land über / jenseits der See‘ bezeichnet. Nicht alle Komposita mit Präposition sind präpositionale Rektionskomposita (Vorjahr und Umland z. B. sind Determinativkomposita)! Achten Sie auf das exozentrische Bedeutungsverhältnis! e) Kopulativkompositum Beim Kopulativkompositum herrscht ein parataktisches (nebengeordnetes) Verhältnis zwischen den beiden Bestandteilen. Ihre Reihenfolge ist theoretisch austauschbar und beide Teile bezeichnen gleichermaßen das Gemeinte. Es gibt exozentrische (Weder-noch-Relation) und- - häufiger- - endozentrische Kopulativkomposita (Sowohl-als-auch-Relation). ▶ Strichpunkt ‚Strich und Punkt‘ (endozentrisch) ▶ Strumpfhose ‚Strumpf und Hose‘ (exozentrisch) ▶ süßsauer ‚süß und sauer‘ (endozentrisch) ▶ Chlorwasserstoff ‚Chlor und Wasserstoff ‘ (endozentrisch) Um endozentrische Kopulativkomposita handelt es sich auch bei zusammengesetzten Namen, z. B. Anne-Sophie, Schmidt-Langer, Baden-Württemberg. 122 9. Wortbildungstypen f) Verdeutlichendes Kompositum Verdeutlichende Komposita sind „doppelt-gemoppelte“ Wortbildungen, da beide unmittelbaren Konstituenten eigentlich dasselbe meinen. Einige deutsche Wörter, die im Laufe der Sprachgeschichte ihre Bedeutungen verloren haben (vgl. unikale Morpheme), werden durch eine Zusammensetzung mit einem bedeutungsgleichen Zweitglied „erklärt“, z. B. Turteltaube (ahd. turtura ‚Turteltaube‘). In Beispielen wie Kieselstein oder Farnkraut tragen die Zusammensetzungen dieselbe Bedeutung wie die jeweiligen Erstglieder, die im Gegensatz zum Typ „Turteltaube“ auch alleine vorkommen können. Ein weiterer Fall von verdeutlichenden Komposita sind fremdsprachliche Wörter, die durch ein deutsches Erst- oder Zweitglied sozusagen „übersetzt“ werden, z. B. Einzelindividuum, Grundprinzip oder Container-Behälter. 9.2 Explizite Ableitung Bei der expliziten Ableitung (auch explizite Derivation genannt) wird durch Anfügen von Wortbildungsmorphemen an eine Basis ein neues Wort gebildet. Explizit (lat. ‚deutlich‘) heißt dieser Wortbildungstyp deshalb, weil man im Gegensatz zur impliziten Ableitung und Konversion (vgl. Kap. IV . 9.3 und 9.4) beim binären Segmentieren Wortbildungsmorpheme erhält, die sichtbar für die neue Wortbildung verantwortlich sind. Basis für Ableitungen können fast alle Wortarten sein: ▶ Substantive: Un-sinn, Bäch-lein, herbst-lich ▶ Verben: Lehr-er, ab-räumen, find-ig) ▶ Adjektive: Frech-heit, Schwanger-schaft, krank-haft ▶ Adverbien: zur Genüg-e, sofort-ig ▶ Pronomen: ander-s Außerdem können Wörter, die selbst Wortbildungsprodukte sind, Basen für Ableitungen sein, z. B. Wissenschaftlich-keit, Verzauber-ung oder un-berechenbar. Je nach beteiligtem Wortbildungsmorphem spricht man von Präfix-, Suffix- oder Zirkumfixbildung. 123 9.2 Explizite Ableitung Kennzeichnend für die Affixe ist, dass ▶ sie reihenbildend sind, d. h., dass sie wiederholt in einer Wortbildung nach demselben Muster vorkommen, z. B. bildet -ung Substantive aus Verben: Versuchung, Tilgung, Buchung, Rechnung etc., ▶ sie keine Basis für Wortbildungen sein können und ▶ meistens einsilbig sind. a) Präfixbildung Die Präfixbildung-- das Wortbildungsmorphem wird vorne (links) an eine Basis angeschlossen-- weist die Besonderheit auf, dass sie keinen Wortartenwechsel bewirkt, jedoch eine Bedeutungsnuance; dieses Phänomen heißt Modifikation. Im Folgenden werden einige Beispiele aufgeführt. ▶ Verbpräfixe ▷ be-: bestimmen, betrinken, bezwingen ▷ ent-: entkommen, entlassen, entladen ▷ er-: errechnen, ertasten, erhören ▷ ver-: verändern, versammeln, versprechen ▷ zer-: zerstören, zerbrechen, zersingen ▷ miss-: missverstehen, missbilligen, missinterpretieren Die Bedeutungen der Verbpräfixe sind oft schlecht fassbar; nicht selten weisen sie sogar eine große Bedeutungsvielfalt auf. So bezeichnet veretwa die vollständige Durchführung einer Handlung (perfektiv), z.B. verheilen (‚vollständig heilen‘), markiert eine Handlung als abwegig/ falsch, z. B. sich verrechnen (‚falsch rechnen‘), oder meint ein Verbinden, z.B. vermischen (‚durch Mischen verbinden‘). Klarer bestimmbar sind Präfixe wie miss-, die nur eine Bedeutung tragen (‚Negation‘). Versuchen Sie auch bei schwierigen Wortbildungen mit Affixen immer eine Paraphrase und suchen Sie andere Wortbildungen nach demselben Muster (Reihenbildung überprüfen)! ▶ Präfixe bei Substantiven (eher selten) ▷ Ge-: Geäst, Gebälk, Gestein ▷ Erz-: Erzfeind, Erzbischof ▷ Ur-: Urgroßvater, Urenkel, Urwald 124 9. Wortbildungstypen Manche Präfixe können sowohl an substantivische als auch an adjektivische und / oder verbale bzw. adverbiale Basen treten, z. B. un-: Unschuld (Substantiv), unklug (Adjektiv), ungern (Adverb) oder miss-: missverstehen (Verb), Misserfolg (Substantiv). b) Suffixbildung Suffixe sind Wortbildungsmorpheme, die sich hinten (rechts) an eine Basis anschließen; dabei kann sich die Wortart ändern. Diese Wortartänderung nennt man Transposition. Da es eine lange Liste an Suffixen gibt, soll hier nur eine Auswahl der häufigsten und produktivsten gegeben werden: ▶ Suffixe zur Bildung von Substantiven -e: Tanke, Sprache, Süße -er: Sänger, Trinker, Stecker -ung: Überraschung, Versuchung, Verzeihung -heit / -keit: Sicherheit, Schönheit, Heiterkeit ▶ Movierung Movierung oder Motion bezeichnet die Ableitung einer Personen- oder Tierbezeichnung, die das geschlechtliche Gegenstück nennt. Meistens werden weibliche Bezeichnungen von männlichen abgeleitet, z. B. Arzt → Ärztin, Professor → Professorin, Hund → Hündin; seltener ist die Ableitung männlicher Bezeichnungen, z. B. Witwe → Witwer, Hexe → Hexer oder Ente → Enterich. ▶ Diminutivbildung des Substantivs Für die Diminutivbildung (Verkleinerung) gibt es zwei verschiedene Suffixe: -chen und--lein. Die Mundarten kennen daneben z. B. noch -le, -la, -el oder -ke. Alle diese Suffixe bringen Neutra hervor, wobei ihre Distribution zu einem gewissen Grad an die lautliche Umgebung der Basis gebunden ist. So tritt an die Substantive auf -ch, -g und -ng in der Regel ein -lein: Däch-lein, Zwerg-lein oder Ring-lein. Substantive auf -l(e) dagegen werden mit -chen „verkleinert“: Spiel-chen, Fell-chen, etc. Bei anderen Substantivendungen sind oft beide Diminutive, wenn auch nicht immer in gleicher Bedeutung, möglich: Zimmer-lein vs. Zimmer-chen (bedeutungsgleich), Männ-chen vs. Männ-lein, Frau-chen vs. Fräu-lein (bedeutungsverschieden). 125 9.2 Explizite Ableitung ▶ Suffixe zur Bildung von Adjektiven -bar: essbar, lieferbar, haftbar -ig: stachelig, runzlig, giftig -lich: glücklich, fröhlich, zärtlich -sam: bedeutsam, wundersam, sparsam -(er)isch: herrisch, mürrisch, angeberisch ▶ Suffixe zur Bildung von Verben -ig-: steinigen, reinigen -el-: stückeln, herbsteln, sächseln -ier-: interessieren, fotografieren, marschieren Die Infinitivendung -(e)n ist kein Suffix, sondern eine Flexionsendung. Es gibt auch einige verbreitete Fremdsuffixe aus dem Lateinischen (z. B. -ion: Absolution, Resolution, -ar / -är: atomar, revolutionär), Griechischen (z. B. -ast: Gymnasiast, Phantast, -ismus: Barbarismus, Organismus) oder Französischen (z. B. -age für Verben auf -ieren: massieren-- Massage, spionieren-- Spionage, -ie: Aristokratie, Ökonomie, -abel / -ibel: diskutabel, sensibel). c) Zirkumfixbildung Zirkumfixe sind zweiteilige Wortbildungsmorpheme, die gleichzeitig (rechts und links) an eine Basis treten. Beispiele: ▶ Ge-…-e: z. B. als Sammelbezeichnung / Kollektivum (z. B. Gelände, Gebirge) oder als Wort mit negativer (=-pejorativer) Bedeutung (z. B. Gerede, Getue); in einigen Fällen kann das--e auch geschwunden sein (z. B. Gehör). ▶ be-…-t und ge-…-t: mit der Bedeutung ‚etwas ist versehen mit‘, z.B. behaart, bebrillt, beleibt bzw. geblümt, gestreift, gehörnt. ▶ be-/ ver-…-ig(en): Diese Zirkumfixbildung gibt es nur bei Verben: berücksichtig(en), beabsichtig(en), beglaubig(en), verköstig(en). 126 9. Wortbildungstypen Verwechseln Sie Wortbildungen wie bebrillt oder gestreift nicht mit ähnlich aussehenden Partizipien II wie bestickt (zum Verb besticken) oder gesägt (zum Verb sägen). Dagegen geht besorgt (Sie machte ein besorgtes Gesicht.) nicht auf das Verb besorgen ‚beschaffen‘ zurück, sondern ist ein eigenständiges Adjektiv ‚versehen mit Sorge‘. Testen Sie also immer, ob es ein zugehöriges Verb gibt! Testen Sie immer, ob die Wortbildungsmorpheme gleichzeitig oder nacheinander an die Basis treten. Vergleichen Sie: ▶ Zirkumfixbildung, d. h., beide Morphemteile treten gleichzeitig an die Basis, z. B. Gelaufe: Es kann nicht zunächst das (vermeintliche) Präfix geabgetrennt werden, da es kein *Laufe gibt. Auch eine alleinige Abtrennung des (vermeintlichen) Suffixes--e ist nicht möglich, da *Gelauf nicht existiert. ▶ Zuerst Präfix-, dann Suffixbildung, z. B. unfreundlich: Zunächst kann das Präfix unabgetrennt werden. Das so entstandene Wort freundlich kann weiter in das Substantiv Freund und das Suffix -lich zerlegt werden. ▶ Zuerst Suffix-, dann Präfixbildung, z. B. Entlehnung: Zunächst ist das Suffix -ung abzutrennen, als Rest bleibt das Wort entlehn(en), welches wiederum eine Präfixbildung des Verbs lehn(en) ist. d) Zusammenbildung Eine Zusammenbildung ist die Ableitung einer Wortgruppe. Ergibt das binäre Segmentieren von expliziten Ableitungen keine usuellen Wörter des Deutschen, deutet das auf eine Wortgruppe hin. So wird Liebhaber etwa direkt aus der Wortgruppe jmd. lieb haben abgeleitet, da es kein usuelles Wort *Haber gibt. Ebenso gibt es für viertürig keine binäre Segmentierung in vier und *türig oder in *viertür als Adjektiv oder Substantiv und--ig. Bei der Wortbildungsanalyse zerlegen wir die Wortgruppenbestandteile (hier: lieb haben bzw. vier Türen) dann nicht weiter. Manchmal kann man bei einer Wortbildung sowohl für eine Komposition als auch für eine Zusammenbildung argumentieren. Ob etwa Autofahrer direkt aus 127 9.2 Explizite Ableitung der Wortgruppe Auto fahren abgeleitet wurde (passende Paraphrase: ‚jemand, der ein Auto fährt‘) oder ob es sich um eine Komposition aus den beiden Substantiven Auto und Fahrer (Paraphrase: ‚Fahrer eines Autos‘) handelt, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Hier sind beide Wortbildungserklärungen denkbar (=-Doppelmotivation). Weitere Beispiele für Zusammenbildungen: gleichzeitig, Warmduscher, Staubsauger, zielstrebig, Tausendfüßler e) Affixoidbildung Die Affixoidbildung ist im Grenzbereich zwischen Komposition und expliziter Ableitung angesiedelt. Es geht dabei um Morpheme, die zunächst auch als freie Basismorpheme (Autosemantika) vorkommen können, z. B. {affe}, {arm}, {riese}, {spitze}, {super}, {werk} oder {zeug}. In bestimmten Wortverbindungen haben diese freien Morpheme aber eher die Funktion eines Affixes (also eines Präfixes oder eines Suffixes). Das lässt sich an zwei Aspekten erkennen: a. an der Reihenbildung, d. h., wie bei anderen Wortbildungsmorphemen können viele Wortbildungen gefunden werden, denen dasselbe Schema zugrunde liegt, b. an der Bedeutungsveränderung des Morphems; es liegt im Vergleich zu dem freien Morphem eine allgemeine oder entkonkretisierte Bedeutung vor. Beispiel für ein Präfixoid: ▶ affe(n)-: Affengeschwindigkeit, Affenhitze, affengeil, etc. Affe wird hier nicht mehr zur Bezeichnung eines Tieres verwendet, sondern bedeutet eine Steigerung ‚sehr, extrem‘. Sowohl Reihenbildung als auch Bedeutungsänderung liegen vor. Beispiel für ein Suffixoid: ▶ -werk: Bauwerk, Mauerwerk, Triebwerk, Stellwerk etc. Wenn Sie diese Wörter mit Wortbildungen wie Opelwerk oder Wasserwerk vergleichen, dann sehen Sie, dass die Bedeutung ‚Produktionsstätte von x‘ in den ersten Beispielen nicht vorhanden ist. Hier bedeutet das Suffixoid eher ‚eine Ansammlung von‘, bezeichnet also ein Kollektivum. 128 9. Wortbildungstypen Weitere Beispiele für Affixoide: ▶ spitze(n)- ‚sehr‘: Spitzengeschwindigkeit, Spitzenleistung, Spitzenwitz ▶ riese(n)- ‚sehr‘: Riesenüberraschung, riesengroß, Riesenhunger ▶ -zeug ‚eine Ansammlung von‘: Spielzeug, Putzzeug, Schreibzeug oder ‚Bezeichnung für ein Gerät‘: Flugzeug, Fahrzeug ▶ -arm ‚wenig besitzend‘: gefühlsarm, abgasarm, zuckerarm Die Unterscheidung zwischen Affixen, Affixoiden und freien Morphemen ist in der Forschung umstritten. So reihen etwa Fleischer / Barz die meisten Affixoide in die Komposition ein, zählen aber -werk zu den Suffixen. In einer konkreten Analyse sollte man immer auf die unterschiedlichen Ansätze hinweisen (und sich persönlich für eine Lösung entscheiden). Suchen Sie parallele Wortbildungen, wenn Sie sich nicht sicher sind, ob ein Affixoid vorliegt. Vergleichen Sie dann die Bedeutungen. Die Wortbildung bei den Verben ist besonders komplex und wird in der Forschung uneinheitlich behandelt. In Fällen wie überfahren (Er überfährt den Igel.) ist der erste Bestandteil formal kein Präfix im engeren Sinne, da er (aus synchroner Sicht und mit teils veränderter Bedeutung) auch als freies Morphem vorkommen kann (vgl. Die Lampe hängt über dem Tisch.). Häufig werden solche Morpheme aufgrund der Reihenbildung und Festigkeit dennoch zu den Präfixen gerechnet. Wir möchten der Besonderheit in der Form Rechnung tragen und diese Morpheme- - in einer weiter gefassten Affixoid-Definition- - lieber als Präfixoide bezeichnen. 9.3 Implizite Ableitung Im Gegensatz zur expliziten Ableitung erfolgt die implizite Ableitung ohne Affixe. Von der Konversion (vgl. Kap. IV . 9.4.) unterscheidet sie sich durch eine Änderung im Stammvokal, den so genannten Ablaut. ▶ genieß(en) → (der) Genuss ▶ trink(en) → (der) Trank ▶ beiß(en) → (der) Biss 129 9.4 Konversion Eine Darstellung der Wortbildungsanalyse im Stemma ist nicht möglich, da wir nicht binär segmentieren können. Stattdessen verwenden wir Pfeile. Die Stammvokaländerung der impliziten Ableitung ist sprachgeschichtlich durch die Verbflexion erklärbar, auch wenn das heute nicht mehr in allen Fällen erkennbar ist (z. B. brech(en) → der Bruch: das u ist heute kein Stammvokal der Verbflexion von brechen mehr). Implizite Ableitungen sind deshalb deverbal, es liegt also ein Verb als Basis zugrunde, an dem der Wortbildungsprozess durchgeführt wird. Hierzu zählen auch Verben mit (trennbarem) Verbzusatz, z. B. ▶ umzieh(en) → (der) Umzug ▶ freisprech(en) → (der) Freispruch ▶ abwerf(en) → (der) Abwurf sowie Präfixbildungen als Basis, z. B. ersetz(en) → der Ersatz. Ebenfalls zur impliziten Ableitung rechnet man den heute nicht mehr produktiven Wortbildungsprozess vom starken zum schwachen Verb (Kausativbildung, vgl. die Kausativverben in Kap. I. 4.1b). ▶ sitzen → setzen (‚sitzen machen‘) ▶ liegen → legen (‚liegen machen‘) ▶ rinnen → rennen (‚rinnen machen‘) ▶ fallen → fällen (zum Umlaut siehe Anmerkung in Kap. IV . 9.4 Konversion) ▶ Nicht alles, was einen Stammvokalwechsel aufweist, ist eine implizite Ableitung! Verwechseln Sie nicht Allomorph und implizite Ableitung! (er) fand ist Allomorph zu find- (Verbstamm von finden), aber (der) Fund ist implizite Ableitung zu find(en). ▶ Vorsicht ist vor allem geboten bei Stammvokalwechsel in expliziten Ableitungen, z. B. Sprache oder Gabe. In diesen Fällen liegt ein -e-Suffix vor. {sprach-} bzw. {gab-} sind Allomorphe zu den Verbstämmen {sprech-} bzw. {geb-}. 9.4 Konversion Kennzeichen der Konversion ist es, ein neues Wort zu bilden, indem ein Wortartwechsel ohne äußere (morphologische) Kennzeichen herbeigeführt wird, z. B. 130 9. Wortbildungstypen leben → das Leben. Hier erfolgte ein Übergang vom Verb zum Substantiv, d. h., es ist eine deverbale Konversion. Auch bei dem Beispiel besuch(en) → Besuch handelt es sich um eine Konversion. Flexionsmorpheme, z. B. die Infinitivendung, zählen nicht zum Bereich der Wortbildung und wirken sich nicht auf die Zuordnung zu einem Wortbildungstyp aus. Einige Sprachwissenschaftler ordnen Fälle mit Einsparung des Flexionsmorphems jedoch der impliziten Ableitung zu. Jede Wortart ist konversionsfähig. Beim Verb gibt es Verbstammkonversion und Infinitivkonversion. Wie bei der impliziten Ableitung gilt: Eine Darstellung der Wortbildungsanalyse im Stemma ist nicht möglich, da wir nicht binär segmentieren können. Stattdessen verwenden wir Pfeile. ▶ Verbstammkonversion ruf(en) → der Ruf schlaf(en) → der Schlaf Die Flexionsendung- -en (Infinitiv) fällt beim Übergang zum Substantiv weg (s. o.). ▶ Infinitivkonversion entfernen → das Entfernen essen → das Essen Bei dieser Art der deverbalen Konversion wird eine Verbindung aus Verbalstamm + Infinitivendung substantiviert. Ergebnis ist also ein substantivierter Infinitiv. ▶ Substantiv → Verb Film → film(en) Pflaster → pflaster(n) Bei der Konversion vom Verb zum Substantiv und umgekehrt ist zu entscheiden, welches Wort (sprachhistorisch) älter ist. Sicherheit bietet nur ein etymologisches Wörterbuch; meistens war das Verb zuerst da: Man kann z. B. davon ausgehen, dass es ohne die Tätigkeit rufen auch das abstrakte Substantiv Ruf nicht geben würde. Umgekehrt gäbe es das Verb pflastern nicht, wenn nicht schon das Pflaster existieren würde. Überlegen Sie sich, welches Wort der Konversion zugrunde liegen könnte und welches das Wortbildungsprodukt ist. 131 9.4 Konversion Weitere Möglichkeiten der Konversion: ▶ Adjektiv → Substantiv deutsch → das Deutsch die alte (Frau) → die Alte Das -e von Alte ist Flexionsmorphem, kein Suffix und hat somit keinen Einfluss auf den Wortbildungstyp. Explizite Ableitung oder Konversion? Nicht immer ist auf den ersten Blick offensichtlich, ob eine explizite Ableitung oder eine Konversion vorliegt. Betrachten wir das Beispiel die Süße: Je nach Paraphrase haben wir es mit unterschiedlichen Wortbildungstypen zu tun. Handelt es sich z. B. um die Süße des Zuckers, so liegt eine explizite Ableitung mit dem Suffix -e vor. Heißt es aber beispielsweise die Süße (wohnt nebenan) im Sinne von die süße Frau, dann handelt es sich um eine Konversion. Süße ist hier ein substantiviertes Adjektiv und ersetzt zudem das Substantiv Frau; das -e ist lediglich Flexionsendung. Achten Sie also immer auch auf den Kontext, bevor Sie sich auf einen Wortbildungstyp festlegen. ▶ Partizip I oder II → Substantiv der lesende (Schüler) → der Lesende die gefangene (Frau) → die Gefangene ▶ Pronomen → Substantiv du → das Du (Ich biete ihm das Du an.) ▶ Wortgruppe → Substantiv (sich den) Kopf zerbrechen → das Kopfzerbrechen Problemfälle: ▶ Präfixkonversion erblinden, erblassen, befrieden, befremden, verarzten Zunächst könnte man bei diesen Beispielen an den Wortbildungstyp explizite Ableitung (Präfixbildung) denken. Wir haben aber festgestellt, dass Präfixe in der expliziten Ableitung nicht die Wortart verändern. Da außerdem das Präfix nicht weggelassen werden kann-- es gibt kein *blinden, *blassen, *frieden usw.--, sprechen wir auch hier von einer Konversion. Das Präfix ist also notwendig, 132 9. Wortbildungstypen um den Übergang in eine andere Wortart zu gewährleisten und ein neues Verb zu bilden. Die Basis bei Präfixkonversionen kann unterschiedlich sein: ein Substantiv bei befrieden und verarzten, ein Adjektiv bei erblinden, erblassen, befremden. Neben der Präfixkonversion gibt es die Präfixoidkonversion (vgl. Kap. 9.2e Affixoidbildung und Kap. 9.5 Sonderfall: Unfeste Verbbildung), z. B. überlisten: Der Igel überlistet den Hasen oder anhimmeln: Er himmelt seine Freundin an. ▶ Umlaut Wortbildungen mit Umlaut können-- je nach Argumentation-- entweder zur impliziten Ableitung oder zur Konversion gerechnet werden. Beispiele: a. Substantiv-- Verb: (der) Kamm → kämm(en) b. Adjektiv-- Verb: klar → klär(en) c. Verb-- Substantiv: drück(en) → (der) Druck Eigentlich scheint die Sachlage einfach zu sein: Wenn sich Konversionen dadurch auszeichnen, dass sie keinerlei morphologische Veränderungen aufweisen, dann müssten die unter a)-c) genannten Wortbildungen-- nach dem Ausschlussprinzip-- implizite Ableitungen sein. Dagegen spricht aber, dass sich implizite Ableitungen durch Ablaut auszeichnen und zudem immer deverbal sind. Von dieser Definition ausgehend könnten also alle Beispiele genauso gut als Sonderfälle zur Konversion gestellt werden. Wenn man allerdings alle Stammvokaländerungen zur impliziten Ableitung rechnet, das heißt sowohl Ablaut als auch Umlaut, würde zumindest das Beispiel c) als implizite Ableitung gelten, da hier ein Verb als Basis vorliegt. So ist es in der Forschung etwa auch unumstritten, Beispiele wie fallen → fällen (starkes Verb → schwaches Verb) als implizite Ableitungen zu bezeichnen, auch wenn sie einen Umlaut aufweisen. Schließlich könnte man die implizite Ableitung noch weiter fassen und alle unter a)-- c) genannten Fälle zu diesem Wortbildungstyp zählen. In der Forschung gibt es bei den Wortbildungstypen implizite Ableitung und Konversion unterschiedliche Definitionen und Abgrenzungen. Achten Sie deshalb darauf, dass bei Ihren Analysen klar wird, was Sie unter den jeweiligen Wortbildungstypen verstehen. Kommentieren Sie insbesondere Wortbildungen mit Umlaut. 133 9.5 Sonderfall: Unfeste Verbbildung 9.5 Sonderfall: Unfeste Verbbildung Wie wir schon aus der Bestimmung der Prädikate wissen, gibt es einfache zweiteilige Prädikate (vgl. Kap. I. 4.1 Prädikatsteile). Sie sind in Hauptsätzen mit Kernsatzstellung durch Trennung von Verbstamm und unfestem Verbzusatz erkennbar. In der Wortbildung müssen wir deshalb unterscheiden, ob wir trennbare Konstituenten haben oder nicht. Es gibt fünf trennbare Verbzusätze, die wir nach der Wortart unterscheiden: 1. Adverbien: z. B. zusammenkommen, vorauseilen, herunterspringen, hinübersegeln 2. Adjektive (ursprüngliche Bedeutung meist verblasst): z. B. fernsehen, wahrsagen, hochrechnen 3. Substantive (ursprüngliche Bedeutung meist verblasst): z. B. preisgeben, teilnehmen, heimkehren 4. Verben (nach der neuen Rechtschreibung Kann-Schreibungen): z. B. kennenlernen, sitzenbleiben, stehenlassen Adverbien, Adjektive und Substantive werden als freie Basismorpheme klassifiziert; bei den Verben wird zunächst die Infinitivendung (Flexionsmorphem) abgetrennt und dann der Verbstamm als gebundenes Basismorphem klassifiziert. 5. Präpositionen / Adverbien, ein- (ehemals Präposition in) und los- (aus dem Adjektiv los ‚frei‘): z. B. einkaufen, ankommen, auswandern, aufbrechen, abfahren, losbrüllen. Diese Gruppe an Verbzusätzen ist historisch meist aus Präpositionen, Adverbien oder Adjektiven entstanden. Da diese Zusätze in der Wortbildung getrennt vom Verb stehen und aus synchroner Sicht (mit einer Bedeutungsveränderung) auch frei vorkommen können, könnte man sie als freie, grammatische Morpheme klassifizieren. Allerdings besitzen sie Merkmale von Präfixen (reihenbildend, nicht basisfähig, meist einsilbig). Das ist ein Grund für uns, sie ebenfalls als Präfixoide zu bezeichnen (vgl. die Anmerkungen am Ende von Kap. 9.2e Affixoidbildung). Es gibt Präfixoide, die entweder, wenn nicht trennbar, in Präfixoidbildungen (= explizite Ableitung) oder, wenn trennbar, in unfesten Verbbildungen vorkommen, z. B. über: Ich überfuhr gestern eine Katze. - Gestern kochte mir die Milch über. Testen Sie sicherheitshalber alle Verben immer in der Kernsatzprobe, um herauszufinden, ob sie einen trennbaren Verbzusatz enthalten! 134 9. Wortbildungstypen Durch die neue Rechtschreibung hat sich besonders im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung vieles geändert. Das betrifft vor allem Verben (alt: kennenlernen, neu auch: kennen lernen) und Adjektive (alt: kochendheiß, neu: kochend heiß). Diese ehemaligen Wörter und heutigen Wortgruppen fallen nun aus der Wortbildung heraus, da sich die deutsche Wortbildung an grafischen Wortgrenzen, d. h. an Leerzeichen vor und nach einem Wort, orientiert. 9.6 Zusammenrückung Die Zusammenrückung ist in der Forschung ein nicht klar definierter Begriff und es sind darunter vor allem drei verschiedene Phänomene zu verstehen, die teilweise bisher genannten Wortbildungstypen zugerechnet werden können. a) Determinativkomposita mit Wortgruppen als Erstglied Die Besonderheit dieses Wortbildungstyps ist, dass binäres Segmentieren keine selbständigen Einheiten ergibt. Vielmehr muss man von einer Wortgruppe als Erstglied ausgehen. Im Gegensatz zur Zusammenbildung (vgl. Kap. IV . 9.2 Explizite Ableitung) ist aber kein Wortbildungsmorphem beteiligt. Beispielsweise sind Altfrauengeschichten keine ‚Geschichten von *Altfrauen‘, da es *Altfrauen als eigenständiges Wort nicht gibt. Als Paraphrase muss vielmehr ‚Geschichten, die alte Frauen erzählen‘ angesetzt werden. Es handelt sich also um ein Determinativkompositum, denn schließlich wird in dieser Wortbildung ebenso wie in vergleichbaren „klassischen“ Komposita (z. B. Kindergeschichten) das Wort Geschichte genauer bestimmt. Die Reihenfolge der Wortgruppe (hier: alte Frauen) wird in solchen Wortbildungen beibehalten, die Flexion kann (z. B. bei ein Dummerjungenstreich ‚ein Streich dummer Jungen‘), muss aber nicht übernommen werden. Ist sie vorhanden, wird sie innerhalb des Wortes „mitflektiert“ (z. B. Lass doch diesen Dummenjungenstreich! ). Testen Sie anhand einer Paraphrase, ob Sie ein Grundwort und eine Wortgruppe als Bestimmungswort haben. Machen Sie dazu auch die Gegenprobe: Können Sie auch binär in sinnvolle (übliche) selbständige Einheiten zerlegen? ▶ Langzeitstudent ‚Student, der eine lange Zeit studiert‘ ▶ Fünfuhrtee ‚Tee, der um fünf Uhr getrunken wird‘ 135 9.6 Zusammenrückung ▶ Einmannband ‚Band, die nur aus einem Mann besteht‘ ▶ Unterwasserboot ‚Boot, das unter Wasser fährt‘ b) Wortgruppenkonversion Bei der Konversion aus einer Wortgruppe / syntaktischen Struktur wird unter Beibehaltung der Wortfolge ein neues Wort gebildet. ▶ (zu) seiner Zeit (Pronomen + Substantiv) → seinerzeit (Adverb) ▶ (die) Nase rümpfen (Substantiv + Verb) → das Naserümpfen (Substantiv) Von so genannten „Bindestrichinfinitiven“ spricht man, wenn komplexe verbale Wortgruppen konvertiert werden, z. B. von der Hand in den Mund leben → das Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben. Dass jetzt ein Substantiv vorliegt, sieht man am Artikel das / ein, an der Großschreibung am Wortanfang, an der Verbindung der Wortteile zu einem Wort, an der zusätzlichen Großschreibung des ehemaligen Verbs und an der Substantivdeklination. Nicht alle Schreibungen mit Bindestrichen sind Wortgruppenkonversionen. Oft verstecken sich auch Determinativkomposita dahinter, z. B. bei Gute-Nacht-Geschichte (‚Geschichte für eine gute Nacht‘). Überprüfen Sie, ob der letzte Wortteil ein substantiviertes Verb ist! c) Satzwörter Dieser Wortbildungstyp, den man ebenfalls zur Konversion aus Wortgruppen zählen kann, ist im Gegensatz etwa zu den Bindestrichinfinitiven heute kaum mehr produktiv. Es fallen darunter alte Imperative (Vergissmeinnicht, Rührmichnichtan, Stelldichein) oder elliptische Sätze (Tunichtgut, Störenfried, Nimmersatt, Möchtegern). Hier können nicht anhand der letzten Konstituente Wortart und Genus bestimmt werden. 136 9. Wortbildungstypen 9.7 Wortkreuzung Die Wortkreuzung ist ein Sonderfall der Komposition. Es werden unter Einsparung von (gleichen) Lauten oder Silben zwei Wörter miteinander verschmolzen. Wortkreuzungen sind meistens Gelegenheitsbildungen / Ad-hoc-Bildungen und treten vor allem bei Substantiven und Adjektiven auf. ▶ Ostalgie aus Osten und Nostalgie ▶ jein aus ja und nein ▶ Grusical aus Musical und gruselig 9.8 Reduplikation Eine andere Art der Wortbildung stellt die Bildung neuer Wörter durch Verdoppelung eines Wortes bzw. von bestimmten Aspekten eines Wortes dar. Man kann unterscheiden zwischen einer einfachen Verdoppelung, evtl. bei gleichzeitiger Suffigierung (z. B. der Wauwau ‚Hund‘, das mega-mega-tolle Kino, jaja, wortwörtlich, Wehwehchen), der Reimdoppelung (z. B. Schicki-Micki, Hokuspokus, Rambazamba) oder der Ablautdoppelung (Singsang, tipp-topp, biff-baff, Wirrwarr). 9.9 Kurzwortbildung Streng genommen gehört die Kurzwortbildung nicht zur Wortbildung, da lediglich der Ausdruck, d. h. die Schreibung eines Wortes, verändert wird, es dabei aber weder zu einem Wortartenwechsel noch zu einer inhaltlichen Modifikation kommt. Ausnahmen sind Kurzwörter, die sich von ihrer Langform „emanzipiert“ haben und eine zusätzliche Bedeutung tragen, vgl. BMW (‚Auto‘: Ich fahre einen BMW .) vs. Bayerische Motorenwerke (‚Arbeitsplatz, Arbeitgeber‘: Ich arbeite bei BMW .). In der Forschung ist es aber üblich, alle Kurzwortbildungen in die Wortbildung einzureihen. Man kann auf zweierlei Arten Kurzwörter bilden: a) Kurzwortbildung durch Einsparung ganzer Wortteile ▶ Anfangssegment Wenn nur der erste Teil eines Wortes verwendet wird, spricht man von einem Anfangssegment. Foto(apparat / grafie), Kilo(gramm), Prof(essor), Uni(versität) 137 9.9 Kurzwortbildung ▶ Mittelsegment Wenn nur der mittlere Teil eines Wortes übrig bleibt, handelt es sich um ein Mittelsegment. Es kommt nur sehr selten-- vor allem bei Namen-- vor. (E)Lisa(beth), (An)Geli(ka), (Se)Basti(an) ▶ Endsegment Wenn dagegen nur der letzte Bestandteil eines Wortes erhalten bleibt, liegt ein Endsegment vor; es findet sich vor allem bei Komposita. (Regen-)Schirm, (Fahr-)Rad, (Eisen-)Bahn, (Blumen-)Strauß ▶ Klammersegment Bei dreigliedrigen Komposita kann das Zweitglied der ersten unmittelbaren Konstituente entfallen; das Resultat ist ein Klammersegment. Dieser Abkürzungstyp ist allerdings seltener und manchmal scheint die Ergänzung des Mittelgliedes eher künstlich. Bier(glas)deckel, Ozon(schicht)loch, Tank(stellen)wart, Apfel(saft)schorle b) Kurzwortbildung aus Buchstaben (= Abkürzungswort) Bei dieser Art der Kurzwortbildung, die neben der Abkürzung von mehrgliedrigen Wortbildungen (Kita aus Kindertagesstätte) auch zur Abkürzung von Wortgruppen verwendet wird (vgl. die Produktbezeichnungen OB aus ohne Binde oder Persil aus Perborat + Silikat), kann man zwei Bildungsarten unterscheiden. ▶ Initialwörter Diese Kurzwörter setzen sich aus den Anfangsbuchstaben der Wortteile zusammen und können entweder mit Endbetonung buchstabiert (z. B. EDV ́ aus elektronische Datenverarbeitung oder USÁ aus United States of Amerika) oder silbisch mit der im Deutschen üblichen Anfangsbetonung ausgesprochen werden (z. B. Úfo aus Unbekanntes Flugobjekt oder T Ǘ V aus Technischer Überwachungsverein). Einige Kurzwörter gibt es nur in der Schreibung, sie werden aber als Vollwörter ausgesprochen (z. B., usw., s. o.). In seltenen Fällen kann Uneinigkeit darüber bestehen, wie ein neues Kurzwort auszusprechen ist. Als die Lungenkrankheit SARS (aus Severe Acute Respiratory Syndrome) aufkam, wurde die Abkürzung zunächst buch- 138 9. Wortbildungstypen stabiert, später (wahrscheinlich aus Gründen der Ökonomie) silbisch ausgesprochen. Ein Sonderfall der Initialwörter sind Wortbildungen mit Initialsilbe, bei denen lediglich der erste Teil des Wortes abgekürzt wird, z. B. S-Bahn aus Schnell-Bahn, U-Boot aus Unterseeboot, O-Saft aus Orangensaft. ▶ Silbenwörter Im Gegensatz zu den Initialwörtern werden bei den Silbenwörtern (normalerweise) die ersten Silben der unmittelbaren Konstituenten (oder Teile von ihnen) verwendet, die dann auch silbisch ausgesprochenen werden, z. B. Kripo aus Kriminalpolizei oder Hanuta aus Haselnusstafel. Auch eine Mischung aus Initial- und Silbenwort ist möglich, z. B. Azubi aus Auszubildender. Normalerweise stehen das Kurzwort und seine Vollform gleichberechtigt nebeneinander und werden je nach Situation verwendet. Manchmal kann das Abkürzungswort aber das „Vollwort“ auch verdrängen und die Herleitung des Wortes ist für viele Sprecher nicht mehr durchsichtig, z. B. bei TÜV , AIDS oder DNS . Kurzwörter können selbst wieder Bestandteile von Wortbildungen sein, z. B. Limodose oder LKW -Maut. 9.10 Rückbildung Bei der Rückbildung entsteht durch Tilgung eines Wortbildungsmorphems ein neues Wort. So gab es z. B. das Wort sanftmütig zuerst; durch Tilgung des Suffixes--ig und des Umlauts entstand dann das Substantiv Sanftmut. Aus synchroner Sicht kann man nicht mehr (logisch) entscheiden, welches das eigentliche Ausgangswort der Bildung darstellt. Deshalb ist dieser Wortbildungstyp nur der Vollständigkeit halber aufgeführt; ohne etymologisches Wörterbuch können wir ihn nicht erkennen und richtig analysieren. Rückbildungen sind zudem selten, aber noch produktiv. Weitere Beispiele: Demut gekürzt aus demütig, Häme aus hämisch, bergsteigen aus Bergsteiger, Vielfalt aus vielfältig 139 11. Musteranalysen 10. Zusammenfassung: Wortbildung - Schritt für Schritt 1. Evtl. vorhandene Flexionsendung(en) abtrennen (beachten Sie auch Ø-Allomorphe). 2. Paraphrase (= semantische Wortbildungsanalyse) benennen, evtl. die Motiviertheit der Wortverbindung kommentieren, besonders, wenn die Wortverbindung idiomatisiert/ (teil)demotiviert und keine Paraphrase möglich ist. 3. Entsprechend der Paraphrase binär segmentieren und ein Stemma erstellen. Diese Darstellungsweise ist bei Konversion, impliziter Ableitung und bei Wortgruppen als Basis nicht möglich. Verwenden Sie dafür Pfeile. 4. Fugenelemente berücksichtigen (keine Morpheme! ). 5. Wortart des Wortbildungsprodukts, Wortbildungstyp und Wortart der Basis benennen: z. B. Schönheit: Formulieren Sie entweder „Substantiv, deadjektivische Suffixbildung (explizite Ableitung)“ oder „Suffixbildung (explizite Ableitung) eines Substantivs auf adjektivischer Basis“. 6. Alle Morpheme klassifizieren: Basis-, Wortbildungs-, Flexionsmorphem, ggf. Allomorph zu …, frei - gebunden. 7. Die Schritte 1-6 werden so lange wiederholt, bis alle Morpheme des Ausgangswortes analysiert sind. Unklarheiten immer diskutieren und ähnliche Wortbildungen zum Vergleich heranziehen, Reihenbildung überprüfen! 11. Musteranalysen Die a) Anmeldung zur b) Zwischenprüfung mittels eines c) zweiseitigen Formulars war ein reiner d) Verwaltungsakt. Nach dem Lernen in der e) Bib gehen f) zahlreiche Studenten noch auf einen g) Sprung in die Mensa und freuen sich über die h) Essensauswahl. 140 11. Musteranalysen a. Anmeldung Anmeldung Anmeldung 1 Ø-Allomorph Nom. Sg. Fem. anmeld- 2 {-ung} WBM: Suffix {an-} WBM: Präfixoid (trennbarer Verbzusatz) {meld-} BM, gebunden 1) Paraphrase: ‚Handlung, jemanden anzumelden‘ Substantiv; deverbale Suffixbildung (explizite Ableitung) 2) Paraphrase: ‚jemanden an einem Ort melden‘ Verb; unfeste Verbbildung mit Präfixoid (trennbarer Verbzusatz) 141 11. Musteranalysen b. Zwischenprüfung Zwischenprüfung Zwischenprüfung 1 Ø-Allomorph Dat. Sg. Fem. {zwischen} prüfung 2 freies, grammatisches Morphem {prüf-} BM, geb. {-ung} WBM: Suffix 1) Paraphrase: ‚Prüfung, die zwischen Studiumsbeginn und -ende stattfindet‘ Substantiv; Determinativkompositum aus einer Präposition und einem Substantiv 2) Paraphrase: ‚Vorgang des Prüfens‘ Substantiv; deverbale Suffixbildung (explizite Ableitung) c. zweiseitigen zweiseitigen zweiseitig 1 {-en} FM: Gen. Sg. Neutr. zwei Seiten Wortgruppe {-ig} WBM (Suffix) 1) Paraphrase: ‚zwei Seiten habend‘ Adjektiv; Zusammenbildung (explizite Ableitung einer Wortgruppe) 142 11. Musteranalysen d. Verwaltungsakt Verwaltungsakt Verwaltungsakt 1 Ø-Allomorph -s- Nom. Sg. Mask. FE Verwaltung 2 {akt} BM, frei verwalt- 3 {-ung} WBM: Suffix {ver-} WBM: Präfix {walt-} BM, geb. 1) Paraphrase: ‚Akt der / in einer Verwaltung‘ Substantiv; Determinativkompositum aus 2 Substantiven 2) Paraphrase: ‚Vorgang des Verwaltens‘, auch: ‚Ort, an dem etwas verwaltet wird‘ Substantiv; deverbale Suffixbildung (explizite Ableitung) 3) Paraphrase: schwierig; das Verb walten wird heute eher selten verwendet, z. B. noch in schalten und walten. Das Präfix verbewirkt in diesem Zusammenhang am ehesten eine Intensivierung. Verb; deverbale Präfixbildung (explizite Ableitung) e. Bib-- Kurzwortbildung: Anfangssegment zu Bibliothek 143 11. Musteranalysen f. zahlreiche zahlreiche zahlreich 1 {-e} FM: Nom. Pl. Mask. {zahl} BM, frei {-reich} WBM: Suffixoid 1) Paraphrase: ‚reich an (der) Zahl‘ reich ist ein Suffixoid, da die ursprüngliche Bedeutung ‚viel Geld besitzen‘ in eine allgemeinere ‚viel‘ übergegangen ist. Es handelt sich also um eine explizite Ableitung einer substantivischen Basis mit Suffixoid (vgl. Reihenbildung, z. B. hilfreich, waldreich, siegreich). g. Sprung Sprung Sprung 1 Ø-Allomorph → Akk. Sg. Mask. {spring-} BM, geb. 1) Paraphrase: ‚Vorgang des Springens‘ Substantiv; deverbale implizite Ableitung 144 12. Übungen h. Essensauswahl Essensauswahl Essensauswahl 1 Ø-Allomorph -s- Akk. Sg. Fem. Essen 2 FE auswahl 3 → → essen auswähl(en) 4 {ess-} BM, geb. {-en} FM {aus-} WBM: Präfixoid (trennbarer Verbzusatz) {wähl-} BM, geb. 1) Paraphrase: ‚Auswahl an Essen‘ Substantiv; Determinativkompositum aus 2 Substantiven 2) Paraphrase: ‚etwas, das man essen kann‘ Substantiv; Infinitivkonversion 3) Paraphrase: ‚Ergebnis des Auswählens‘ Substantiv; deverbale Stammkonversion bzw. implizite Ableitung mit Umlautwegfall (Sonderfall! ) 4) Paraphrase: ‚etwas aus unterschiedlichen Möglichkeiten wählen‘ Verb; unfeste Verbbildung mit Präfixoid (trennbarer Verbzusatz) 12. Übungen 1. Bestimmen und klassifizieren Sie alle Morpheme im folgenden Satz: Das Zauberwort ab Einführung des Büchergeldes heißt Mitbestimmung. 2. Geben Sie den Grad der Motiviertheit folgender Wortverbindungen an: Fußnagel, Schreibtisch, Damhirsch, Ohrfeige. Übungstext: Ermittler auf vier Schuhen London (dpa)- - Britische Polizeihunde können jetzt Schuhe tragen. Die rutschfesten Stiefel sollen Verletzungen an den Pfoten der vierbeinigen Ermittler vermeiden helfen. Als erster gestiefelter Hund wurde „Buzz“ von der 1234 145 13. Quellen und weiterführende Literatur Polizei im nordenglischen Northumbria vorgestellt. „Es gab schon Fälle, in denen Hunde nicht eingesetzt werden konnten, weil sie sich hätten verletzen können“, erklärte Polizeisprecher Alex McLeod. So liege etwa nach Einbrüchen häufig Glas am Tatort. (aus: Süddeutsche Zeitung, Nr. 16, 21. 01. 2005, S. 12) 3. Handelt es sich bei den Segmenten -er aus dem Übungstext um Morpheme? Wenn ja, welche Morpheme liegen hier vor? Begründen Sie Ihre Entscheidung: Ermittler (Z. 1), vier (Z. 1), Verletzungen (Z. 3), gestiefelter (Z. 4), erklärte (Z. 7), Polizeisprecher (Z. 7). 4. Geben Sie die Paraphrase (semantische Wortbildungsanalyse) zu folgenden Wörtern des Übungstextes an: ▷ Polizeihunde (Z. 2) ▷ vermeiden (Z. 4) ▷ eingesetzt (Z. 6) ▷ Polizeisprecher (Z. 7) ▷ häufig (Z. 8) ▷ Tatort (Z. 8) 5. Führen Sie eine vollständige Wortbildungsanalyse zu folgenden Wörtern des Übungstextes durch: rutschfesten (Z. 2-3), Verletzungen (Z. 3), Ermittler (Z. 3), Einbrüchen (Z. 7). 6. Erklären Sie die wortbildungsanalytischen Besonderheiten der Wörter gestiefelter (Z. 4) und vorgestellt (Z. 5)! 13. Quellen und weiterführende Literatur Altmann, Hans / Kemmerling, Silke: Wortbildung fürs Examen. Studien- und Arbeitsbuch. 2., überarb. Aufl. Göttingen 2005. Für Studierende in höheren Semestern, die bereits über ein morphologisches Basiswissen verfügen. Der Stoff wird meist stichpunktartig in Listen und Tabellen dargeboten, es gibt Übungen und längere klausurartige Aufgaben mit Lösungen. Balnat, Vincent: Kurzwortbildung im Gegenwartsdeutschen. Hildesheim u.a. 2011. Sehr gute Übersicht über die Kurzwortbildung unter Berücksichtigung relevanter Literatur und Forschung sowie vieler Beispiele. Im Mittelpunkt des 5678 146 13. Quellen und weiterführende Literatur Analyseteils der Arbeit steht die aktuelle Entwicklung der Kürzung in der Chatkommunikation. Barz, Irmhild / Schröder, Marianne / Hämmer, Karin / Poethe, Hannelore: Wortbildung - praktisch und integrativ. Ein Arbeitsbuch. 4., überarb. Aufl. Frankfurt a. M. 2007. Hier finden sich nach jeweils einer knappen Einführung sehr viele Aufgaben zu verschiedenen Teilaspekten (z. B. Benennungsmotive, Wortschatzerweiterung durch Wortbildungen, diachrone Aspekte der Wortbildung) mit Lösungen. Donalies, Elke: Basiswissen Deutsche Wortbildung. 2., überarb. Aufl. Tübingen / Basel 2011. Das schmale Buch ist gut verständlich, übersichtlich geschrieben und liefert viele weitere Beispiele zu einzelnen Wortbildungstypen. Bitte auf von unserer Darstellung abweichende Definitionen der Wortbildungstypen achten. Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2009. Kap. Die Wortbildung, S. 634-762. Zur Anschaffung und kritischen Durchsicht empfohlen. Bitte auf von unserer Darstellung abweichende Definitionen der Wortbildungstypen achten. Eisenberg, Peter: Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl., unter Mitarbeit von Nanna Fuhrhop. Stuttgart / Weimar 2013. Kap. 6. Wortbildung I und Kap. 7. Wortbildung II , S. 201-284. Es finden sich neben der Darstellung der Kernbereiche der deutschen Grammatik auch Aufgaben mit Lösungen. Elsen, Hilke: Neologismen. Formen und Funktionen neuer Wörter in verschiedenen Varietäten des Deutschen. 2., überarb. Aufl., Tübingen 2011. Im Mittelpunkt stehen Bildung und Funktion „neuer“ Wörter u. a. aus den Bereichen Fach-, Werbe- und Zeitungssprache und ausgewählte Beispiele aus der Kinderliteratur. Fleischer, Wolfgang / Barz, Irmhild: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 2012. Das Standardwerk zur Wortbildung ist vor allem ein gutes Nachschlagewerk. Greule, Albrecht: Kurzwörter in historischer Sicht. In: Bär, Jochen A./ Roelcke, Thorsten/ Steinhauer, Anja (Hrsg.): Sprachliche Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte. Berlin/ New York 2007, S. 118-130. Zur Erweiterung des Wissens über das Thema geeignet. Die Analyse der Kurzwörter (siehe auch Steinhauer) erfolgt nach den Kriterien Qualität, Quantität, Position und (Dis-/ )Kontinuität der aus der Vollform in die Kurzform 147 13. Quellen und weiterführende Literatur übernommenen Segmente. Zwei angeführte Beispiele: „Kripo“ ist ein bisegmentales, initial-medial-diskontinuierliches Silben- KW ; „Krimi“ ist ein bisegmentales, initial-kontinuierliches Silben- KW . Hentschel, Elke / Vogel, Petra M.: Deutsche Morphologie. Berlin / New York 2009. 99 im Stil von Handbuchartikeln und in alphabetischer Reihenfolge verfasste Beiträge erlauben einen leserfreundlichen Zugriff auf wichtige Stichwörter der Morphologie (von „Ablativ“ und „Ablaut“ bis hin zu „Wortbildung“ und „Zustandspassiv“). Die ausführlicheren Artikel enthalten u. a. auch weiterführende Literaturangaben. Kobler-Trill, Dorothea: Das Kurzwort im Deutschen. Eine Untersuchung zu Definition, Typologie und Entwicklung. Tübingen 1994. Zur vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema empfohlen. Lohde, Michael: Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen 2006. Das Buch ist didaktisch gut aufbereitet und bietet viele Übungen mit Lösungen an. Bitte auf von unserer Darstellung abweichende Definitionen der Wortbildungstypen achten. Lühr, Rosemarie: Neuhochdeutsch. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft. 6., durchges. Aufl., München 2000. Kap. II. 7.6 Der Kompositionstyp präpositionales Rektionskompositum, S. 163-164. Das Einführungsbuch haben wir speziell für den Wortbildungstyp präpositionales Rektionskompositum herangezogen. Pfeifer, Wolfgang: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Ungekürzte, 8. Aufl., München 2005. Bestens geeignet, um unikale Morpheme, Pseudomorpheme oder Volksetymologien nachzuschlagen. Quasthoff, Uwe (Hrsg.): Deutsches Neologismenwörterbuch. Neue Wörter und Wortbedeutungen in der Gegenwartssprache. Berlin / New York 2007. Das Korpus, das Wörter aus den Jahren 1995 bis 2006 im Hinblick auf die Häufigkeit in der Verwendung umfasst, wurde dem Projekt „Deutscher Wortschatz“ am Institut für Informatik der Universität Leipzig, Abteilung Automatische Sprachverarbeitung entnommen. Die zum Einsatz kommende Neologismus-Definition wird dargestellt. Die Einträge sind beispielsweise mit einer Sachgebietsangabe, einer kurzen Definition, einem Häufigkeitsdiagramm, einer inhaltlichen Beschreibung und Beispielsätzen versehen. Beispiele sind „Abbiegelicht“ (Bereich Auto und Verkehr), „Zwischensprint“ (Bereich Sport) und „Handy- TV “ (Bereich Telekommunikation). 148 13. Quellen und weiterführende Literatur Reischer, Jürgen: Die Wortkreuzung und verwandte Verfahren der Wortbildung. Eine korpusbasierte Analyse des Phänomens „Blending“ am Beispiel des Deutschen und Englischen. Hamburg 2008. Sehr lesenswert, wenn man sich ausgiebig mit diesem Wortbildungsverfahren beschäftigen will. Über ein deutsches und englisches Korpus wird die Wortkreuzung formal und inhaltlich typologisch aufgearbeitet und von anderen Wortbildungsverfahren abgegrenzt. Römer, Christine: Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen / Basel 2006. Kap. 1-2, 6-7. Zur Erweiterung des Wissens über Morphologie (Wortbildung, Flexion) geeignet. Bitte auf von unserer Darstellung abweichende Definitionen der Wortbildungstypen achten. Übungen mit Lösungen sind vorhanden. Schunk, Gunther: Studienbuch zur Einführung in die deutsche Sprachwissenschaft. Vom Laut zum Wort. 2., überarb. und erw. Aufl. Würzburg 2002. Kap. V. Morphologie und Wortbildung, S. 110-167. Ausführliche, gut didaktisierte Kapitel mit Musteranalysen und einigen Übungen (mit Lösungen). Für Studienanfänger sehr empfehlenswert. Steinhauer, Anja: Sprachökonomie durch Kurzwörter. Bildung und Verwendung in der Fachkommunikation. Tübingen 2000. Zur Erweiterung des Wissens über die Thematik geeignet. Weinrich, Harald: Textgrammatik der deutschen Sprache. 4., rev. Aufl., unter Mitarbeit von Maria Thurmair, Eva Breindl, Eva-Maria Willkop. Hildesheim u. a. 2007. Kap. 7. Wortbildung, S. 913-1079. Behandelt ausführlich die unfeste Verbbildung (hier Konstitution genannt), die in anderen Darstellungen vernachlässigt wird. 149 V. Sprache und Sprechen Dieses Kapitel widmet sich den Grundlagen unserer sprachlichen Kommunikation. Durch logische Verfahren der Art Die Eiche ist ein Baum.- Ein Baum ist eine Pflanze.-- Also ist die Eiche eine Pflanze, aber nicht jede Pflanze ist ein Baum. kann man erkennen, dass Sätze wahr oder falsch sein können. Von Wörtern kann man dies aber nicht behaupten. Wörter verweisen vielmehr auf unsere außersprachliche Wirklichkeit, die auch ohne Sprache existiert und die in jeder Sprache anders abgebildet wird: Sie sind damit Zeichen. 1. Eigenschaften sprachlicher Zeichen: Arbitrarität und Konventionalität In der Geschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ können wir einige wichtige Aspekte über die Eigenschaften von sprachlichen Zeichen lernen, welche die Bausteine unserer verbalen Kommunikation sind. Ein Tisch ist ein Tisch Ich will von einem alten Mann erzählen, von einem Mann, der kein Wort mehr sagt, ein Gesicht hat, zu müd zum Lächeln und zu müd, um böse zu sein. Er wohnt in einer kleinen Stadt, am Ende der Straße oder nahe der Kreuzung.-(…) Im obersten Stock des Hauses hat er sein Zimmer, vielleicht war er verheiratet und hatte Kinder, vielleicht wohnte er früher in einer anderen Stadt.-(…) In seinem Zimmer sind zwei Stühle, ein Tisch, ein Teppich, ein Bett und ein Schrank. Auf einem kleinen Tisch steht ein Wecker, daneben liegen alte Zeitungen und das Fotoalbum, an der Wand hängen ein Spiegel und ein Bild. Der alte Mann machte morgens einen Spaziergang und nachmittags einen Spaziergang, sprach ein paar Worte mit seinem Nachbarn, und abends saß er an seinem Tisch. Das änderte sich nie, auch sonntags war das so. Und wenn der Mann am Tisch saß, hörte er den Wecker ticken, immer den Wecker ticken. Dann gab es einmal einen besonderen Tag, einen Tag mit Sonne, nicht zu heiß, nicht zu kalt, mit Vogelgezwitscher, mit freundlichen Leuten, mit Kindern, die spielten-- und das Besondere war, dass das alles dem Mann plötzlich gefiel. Er lächelte. „Jetzt wird sich alles ändern“, dachte er. Er öffnete den obersten Hemdknopf, nahm den Hut in die Hand, beschleunigte seinen Gang, wippte sogar beim Gehen in den 150 1. Eigenschaften sprachlicher Zeichen: Arbitrarität und Konventionalität Knien und freute sich. Er kam in seine Straße, nickte den Kindern zu, ging vor sein Haus, stieg die Treppe hoch, nahm die Schlüssel aus der Tasche und schloss sein Zimmer auf. Aber im Zimmer war alles gleich, ein Tisch, zwei Stühle, ein Bett. Und wie er sich hinsetzte, hörte er wieder das Ticken, und alle Freude war vorbei, denn nichts hatte sich geändert. Und den Mann überkam eine große Wut.-(…) „Es muss sich ändern, es muss sich ändern! “-(…) „Immer derselbe Tisch“, sagte der Mann, „dieselben Stühle, das Bett, das Bild. Und dem Tisch sage ich Tisch, dem Bild sage ich Bild, das Bett heißt Bett, und den Stuhl nennt man Stuhl. Warum denn eigentlich? “ Die Franzosen sagen dem Bett „li“, dem Tisch „tabl“, nennen das Bild „tablo“ und den Stuhl „schäs“, und sie verstehen sich. Und die Chinesen verstehen sich auch. „Weshalb heißt das Bett nicht Bild“, dachte der Mann und lächelte, dann lachte er, lachte, bis die Nachbarn an die Wand klopften und „Ruhe“ riefen. „Jetzt ändert es sich“, rief er und sagte von nun an dem Bett „Bild“. „Ich bin müde, ich will ins Bild“, sagte er, und morgens blieb er oft lange im Bild liegen und überlegte, wie er nun dem Stuhl sagen wollte, und er nannte den Stuhl „Wecker“.-(…) Der Mann fand das lustig, und er übte den ganzen Tag und prägte sich die neuen Wörter ein. Jetzt wurde alles umbenannt: Er war jetzt kein Mann mehr, sondern ein Fuß, und der Fuß war ein Morgen und der Morgen ein Mann. Jetzt könnt ihr die Geschichte selbst weiterschreiben. Und dann könnt ihr, so wie es der Mann machte auch die anderen Wörter austauschen: läuten heißt stellen, frieren heißt schauen, liegen heißt läuten, stehen heißt frieren, stellen heißt blättern. So dass es dann heißt: Am Morgen blieb der alte Fuß lange im Bild läuten, um neun stellte das Fotoalbum, der Fuß fror auf und blätterte sich auf den Schrank, damit er nicht den Morgen schaute. (…) Dann lernte er für alle Dinge die neuen Bezeichnungen und vergaß dabei mehr und mehr die richtigen. Er hatte jetzt eine neue Sprache, die ihm ganz alleine gehörte. (…) Und es kam soweit, dass der Mann lachen musste, wenn er die Leute reden hörte. Er musste lachen, wenn er hörte wie jemand sagte: „Gehen Sie morgen auch zum Fußballspiel? “ Oder wenn jemand sagte: „Jetzt regnet es schon zwei Monate lang.“ Oder wenn jemand sagte: „Ich habe einen Onkel in Amerika.“ Er musste lachen, weil er das alles nicht verstand. Aber eine lustige Geschichte ist das nicht. Sie hat traurig angefangen und hört traurig auf. Der alte Mann im grauen Mantel konnte die Leute nicht mehr verstehen, das war nicht so schlimm. Viel schlimmer war, sie konnten ihn nicht mehr verstehen. 151 1. Eigenschaften sprachlicher Zeichen: Arbitrarität und Konventionalität Und deshalb sagte er nichts mehr. Er schwieg, sprach nur noch mit sich selbst, grüßte nicht einmal mehr. (aus: Peter Bichsel: Kindergeschichten, © Suhrkamp Verlag Frankfurt 1997. S. 21-30) Warum scheitern die Kommunikationsversuche des alten Mannes und welche Schlussfolgerungen können wir aus dieser Geschichte für unsere Sprache ziehen? Wenn wir überlegen, warum wir zu einem Gegenstand, auf dem man sitzen kann, Stuhl sagen und nicht etwa Lampe, dann werden wir vielleicht folgende Gründe nennen: „Es steht so im Wörterbuch.“, „Man hat das schon immer so genannt.“, „Ich habe keine Ahnung.“ etc. Auch der alte Mann kann sich nicht erklären, warum er zu den Gegenständen in seinem Zimmer so und nicht anders sagt, und deshalb ändert er die Zuordnung der Wörter zu den Gegenständen. Anhand der Geschichte können wir zwei wichtige Eigenschaften sprachlicher Zeichen erkennen: Sie sind arbiträr und konventionalisiert. Was wir also zu einem Gegenstand, auf dem man sitzen kann, sagen, ist zunächst unwichtig und beliebig (arbiträr): Wir sagen Stuhl, die Engländer sagen chair und die Ungarn sze’k. Eine Kommunikation funktioniert aber nur, wenn für die Kommunikationsteilhaber klar ist, was eine bestimmte Lautfolge bedeutet und dass diese Lautfolge stets dasselbe bedeutet. Damit beruht ein sprachliches Zeichen auf gesellschaftlichen Konventionen (konventionalisiert) einer Sprechergemeinschaft, die sich langfristig aber durchaus ändern können (vgl. Kap. VI . 8. Bedeutungswandel). Dadurch, dass der alte Mann diese gesellschaftlichen Konventionen missachtet und eigene Konventionen aufstellt, ist er von der Sprachgemeinschaft ausgeschlossen: Er versteht keinen mehr und keiner versteht ihn, was unvermeidlich zum Verlust von Sprache und Kommunikationsfähigkeit führen muss. Nicht alle Wörter sind arbiträr und bei einigen haben wir eher eine Erklärung, warum sie so und nicht ganz anders heißen: Der Kuckuck z. B. heißt so, weil er ein Geräusch macht, das sich wie kuckuck anhört. Wir müssen jedoch zugeben, dass solche Erklärungen in unserer Sprache eher selten und den Onomatopoetika (lautmalenden Wörtern) vorbehalten sind. Von einer Motiviertheit sprachlicher Zeichen können wir in der Regel erst auf der Ebene von Wortbildungsprodukten sprechen (vgl. Kapitel IV . 5. Motiviertheit von Wortverbindungen). Das Morphem als kleinste bedeutungstragende Einheit ist auch das kleinste sprachliche Zeichen. 152 2. Zeichentypen: Index, Ikon und Symbol 2. Zeichentypen: Index, Ikon und Symbol Nicht nur sprachliche Zeichen haben eine verweisende Funktion; wir sind auch umgeben von verschiedenen nichtsprachlichen Zeichen, die wir oft eher unbewusst interpretieren. a) Index Ein Index (lat. ‚Anzeiger‘) oder Symptom ist eine Folge von etwas und gibt Rückschlüsse auf einen Verursacher (im weitesten Sinne). So ist etwa Rauch ein Zeichen für Feuer, ein Fußabdruck ein Zeichen für einen bestimmten Menschen, eine dialektale Färbung der Sprache Zeichen für eine bestimmte Region, aus der der Sprecher stammt usw. und damit sind kriminalistische Indizien ebenso indexikalisch wie Krankheitssymptome in der Medizin. b) Ikon Von einem Ikon (griech. ‚Bild‘) sprechen wir, wenn es zwischen dem Zeichen und seiner Bedeutung eine erkennbare Beziehung / Ähnlichkeit z. B. in Bezug auf Farbe, Klang, Form, Struktur oder Reihenfolge gibt. So steht etwa das Zeichen ☺ für ‚ich freue mich‘,  für speichern. Auch Onomatopoetika sind ikonisch, da eine Ähnlichkeit hinsichtlich des Klangs vorliegt. Ikone spielen für die Entwicklung der Schrift eine große Rolle, denn die ersten Schriftsysteme, etwa die Hieroglyphen, hatten Abbildungscharakter und waren damit ikonisch. c) Symbol Zeichen, deren Beziehung zum Gegenstand weder auf einem Folgenoch auf einem Ähnlichkeitsverhältnis beruht, nennt man Symbole (griech. ‚Kennzeichen‘). Sie sind arbiträr und konventionalisiert. Manche Verkehrszeichen sind solche Symbole. Warum ‚Vorfahrtsstraße‘ bedeutet, ist nicht motiviert. Allerdings ist die feste Bedeutung dieser Verkehrszeichen von großer Bedeutung für die Verkehrssicherheit. Schließlich darf ein Schild nicht an einem Tag ‚Vorfahrt achten‘ und am nächsten Tag ‚Vorfahrtsstraße‘ bedeuten. Auch sprachliche Zeichen zählen zu den Symbolen, da auch sie- - wie oben erläutert- - arbiträr und konventionalisiert sind. 152 2. Zeichentypen: Index, Ikon und Symbol 153 3. Zeichenmodelle sprachlicher Zeichen Verkürzt können wir festhalten: Die Relation eines Symptoms zu dem von ihm Bezeichneten ist die der Kausalität, eines Ikons die der Ähnlichkeit und eines Symbols die der Arbitrarität. 3. Zeichenmodelle sprachlicher Zeichen Die Disziplin, die sich mit der Lehre der Zeichen beschäftigt, heißt Semiotik. Da sie sich auch mit nichtsprachlichen Zeichen beschäftigt, ist sie keine genuin sprachwissenschaftliche Forschungsdisziplin. a) Das bilaterale Zeichenmodell Das erste wichtige sprachliche Zeichenmodell stammt von Ferdinand de Saussure (1916). Es zeigt die beiden Seiten (bilateral-= zweiseitig) eines sprachlichen Zeichens auf: das Bezeichnete (signifié) und das Bezeichnende (signifiant) oder anders ausgedrückt: den Inhalt und den Ausdruck (weitere Bezeichnungsmöglichkeiten siehe Abbildung unten). So umfasst etwa das Wort Auto auf der einen Seite eine konkrete Lautkette [ a͜ʊto ], auf der anderen Seite die Vorstellung eines Gegenstandes (nicht einen konkreten Gegenstand), den man mit Auto bezeichnet (siehe Exkurs Begriff). signifié, Bezeichnetes / Vorstellung / Idee / Inhalt / Gedanke / Konzept / Bedeutung signifiant, Bezeichnendes / Ausdruck / Lautbild / Form Dieses Zeichenmodell greift besonders gut bei Wörtern, die einen semantischen Eigenwert besitzen. Zu diesen Autosemantika („Vollwörter“) zählen etwa alle Substantive, Verben, Adjektive und Adverbien. Wörter, die lediglich eine grammatische Bedeutung haben, nennt man Synsemantika („Funktionswörter“), z. B. Pronomen (dieser, mein, ich etc.) oder Subjunktionen (weil, als, wenn etc.). Ihre Bedeutung ist eher abstrakt (z. B. weil = ‚Begründung‘) (vgl. Kap. II. Wortarten). 154 3. Zeichenmodelle sprachlicher Zeichen Exkurs Begriff Der Terminus „Begriff“ bezieht sich im bilateralen Zeichenmodell auf die Vorstellung. Es handelt sich um ein durch Abstraktion gewonnenes gedankliches Konzept. Ein Begriff bezieht sich nicht auf einen konkreten Gegenstand, sondern auf eine ganze Klasse / Kategorie von gleichartigen Erscheinungen, z. B. Tisch als Gattungsbezeichnung. Ein Begriff wird durch die Aufzählung der darunter fallenden Objekte und durch die Nennung ihrer spezifischen Merkmale definiert: ▶ Begriffsumfang (Extension): z. B. Menge aller Gegenstände, die als Tische bezeichnet werden ▶ Begriffsinhalt (Intension): Merkmale, die der Begriff hat (bei Tisch: Möbelstück zum Essen, Schreiben, usw.) (vgl. Kap. VI . 4. Die Semanalyse) Umgangssprachlich wird „Begriff“ meist im Sinn von ‚Wort‘ gebraucht. b) Das semiotische Dreieck Charles K. Ogden und Ivor A. Richards (1923) haben das Zeichenmodell von de Saussure um eine Komponente erweitert. Sie beziehen in ihr semiotisches Dreieck auch die außersprachliche Wirklichkeit ein und nennen diesen Aspekt des sprachlichen Zeichens den Referent oder das Bezugsobjekt (Anmerkung: Der Referent bezeichnet nicht den Sprecher! ). Vorstellung Ausdruck Referent Wenn ich also frage Papa, kann ich heute Abend dein Auto haben? , so verwende ich die Lautfolge [ a͜ʊto ] für einen Gegenstand, von dem ich eine bestimmte Idee habe: Ein Auto ist ein Fahrzeug, in das man einsteigen kann und das normalerweise mit Benzin oder Diesel fährt etc. Außerdem aber verweise ich in meiner Frage auf ein ganz konkretes Auto, das in der außersprachlichen 155 3. Zeichenmodelle sprachlicher Zeichen Wirklichkeit existiert (=- Referent, nämlich das Auto in unserer Garage, z. B. ein blauer VW -Passat-…). Die Linien in diesem Dreieck definieren die Beziehung zwischen den Elementen genauer. Zwischen einem konkreten Objekt und der Vorstellung, die ich davon habe, gibt es eine direkte Verbindung, ebenso zwischen einem Ausdruck und der durch Konvention zugeordneten Bedeutung (=- Vorstellung), eben durch diese konventionelle Bindung. Eine (logische) Verbindung zwischen einem konkreten Gegenstand und einer Bezeichnung gibt es allerdings nicht, sie ist arbiträr (vgl. oben). c) Das Organon-Modell Bisher haben wir „sprachliches Zeichen“ synonym zu „Wort“ verwendet. Die Zeichentheorie kann man aber auch auf Äußerungen anwenden, die aus mehr als einem Wort bestehen. Das kommt z. B. im komplexeren Organon-Modell (griech. organon ‚Werkzeug‘) von Karl Bühler (1918, 1933) zum Tragen, welches auch Sender und Empfänger einschließt und das Zeichenmodell zu einem Kommunikationsmodell erweitert (s. Abb. 2). Das sprachliche Zeichen hat nach Bühler drei Funktionen: ▶ Darstellungsfunktion: Das Zeichen repräsentiert einen außersprachlichen Gegenstand oder Sachverhalt. ▶ Ausdrucksfunktion: Das Zeichen ist immer an einen Sender gebunden, der etwas Bestimmtes ausdrücken will. ▶ Appellfunktion: Das Zeichen soll eine Verhaltensänderung beim Empfänger bewirken. Am folgenden Beispiel werden diese drei Funktionen noch einmal deutlich: Wenn zwei Personen in einem Raum sind und der eine sagt Hier ist es aber stickig! , dann kann man diesem Satz den Rang eines Zeichens zugestehen, das einen bestimmten außersprachlichen Sachverhalt beschreibt (Darstellungsfunktion). Mit dieser Äußerung drückt der Sender seine Unzufriedenheit über diesen Zustand aus (Ausdrucksfunktion) und schließt (eventuell) eine Aufforderung an den Empfänger ein (Appellfunktion), nämlich das Fenster zu öffnen (vgl. Kap. IX . Pragmatik). 156 4. Grundbegriffe: Langage - Langue - Parole - Norm Abb. 2 Das Organon-Modell Ein weiteres Kommunikationsmodell, das Bühlers Terminologie teilweise aufgreift, wird in Kap. V. 5. vorgestellt. Zusammenfassend können wir uns noch einmal die Beziehungen vergegenwärtigen, in denen sprachliche Zeichen stehen können. Wenn wir untersuchen, in welchem Verhältnis Zeichen zueinander stehen (Zeichen-Zeichen-Beziehung), dann sind wir auf der Ebene der Syntax (vgl. Kap. I. Syntax). Die Beschäftigung mit der Relation von Inhalt und Ausdruck fällt in das Aufgabengebiet der Semantik (vgl. Kap. VI . Semantik), während das bereits im Organon-Modell angesprochene Verhältnis zwischen Zeichen und Zeichenbenutzer (Sender) eine pragmatische, also handlungsorientierte Beziehung ist (vgl. Kap. IX . Pragmatik). 4. Grundbegriffe: Langage - Langue - Parole - Norm Um zu verstehen, welche verschiedenen Phänomene wir mit Sprache bzw. sprechen bezeichnen, vergleichen Sie folgende Aussagen: a. Das Kind spricht ja schon und das in dem Alter! b. Sprechen Sie Deutsch? Ich kann nämlich kein Englisch. c. Sprich mit mir! Ich hasse dieses Anschweigen! 157 4. Grundbegriffe: Langage - Langue - Parole - Norm d. Kennst du die neue Nachbarin? Die spricht immer so hochg’stochen; meint wohl, sie ist was Besseres! e. Der Professor Meier spricht immer so undeutlich, ich habe wirklich Probleme, ihn zu verstehen! Sprechen kann Sprachfähigkeit (Beispiel a) bedeuten. Dieses Phänomen nannte de Saussure, der auch die nachfolgenden französischen Grundbegriffe in die Sprachwissenschaft eingeführt hat, Langage. Die Langage wird häufig als ein entscheidendes Kriterium herangezogen, welches den Menschen vom Tier unterscheidet. Die Sprache als abstraktes Sprachsystem und konventionalisiertes Kommunikations- oder Zeichensystem (Beispiel b: Nationalsprachen / Einzelsprachen) wird mit dem Terminus Langue bezeichnet. Das Sprachsystem ist eine abstrakte Einheit und stellt den Sprachbesitz einer Sprachgemeinschaft dar. Die konkrete Sprachverwendung (Beispiel c) dagegen bezeichnet de Saussure als Parole. Damit ist eine individuelle, konkrete sprachliche Äußerung gemeint, und alles, was wir lesen oder hören, gehört zur Parole. In der Wortbildung haben wir zwischen den beiden Termini Morphem als klassifizierte, kleinste bedeutungstragende Einheit und Morph als konkrete im Text vorkommende, aber noch nicht klassifizierte bedeutungstragende Einheit unterschieden. Diese Unterscheidung entspricht der Zweiteilung Langue und Parole, d. h., das Morphem ist eine Einheit der Langue und das Morph eine Einheit der Parole. Zur Verdeutlichung des Unterschieds zwischen Langue und Parole soll kurz auf den berühmten Vergleich hingewiesen werden, den de Saussure selbst gewählt hat: das Schachspiel. Die Spielregeln (welcher Stein darf welchen Zug machen, in welcher Reihenfolge darf gezogen werden etc.) entsprechen der Langue (Sprachsystem), das konkrete Spiel aber, das in unzähligen Varianten und auch mit Spielsteinen aus unterschiedlichem Material usw. gespielt wird, entspricht der Parole (Sprachverwendung). Eugenio Coseriu hat der Terminologie de Saussures einen weiteren Begriff hinzugefügt: die Norm, genauer die Sprachgebrauchsnorm. Damit ist die Art und Weise gemeint, wie die Parole normalerweise verwirklicht wird. Sie enthält die sozialen Erwartungen vom angemessenen sprachlichen Handeln und auch Wertungen (Beispiel d). So kann es etwa in der täglich gesprochenen Sprache mit Freunden oder in der Familie üblich sein, das Auto von meinem Bruder statt das Auto meines Bruders zu sagen. Auch die Verwendung von weil als Konjunktion (Weil das passt zu mir.) wird oft als „schlechtes Deutsch“ bewertet, ist 158 5. Ein Kommunikationsmodell aber in einigen Sprechergruppen die Norm und integriert den Sprecher unter Umständen in diese Gruppe. Als letzter Bedeutungsaspekt muss noch Sprechen im Sinne von Sprechweise (Beispiel e) genannt werden; hierunter fallen etwa die Stimmlage (hoch, tief), Artikulationsweise (deutlich, undeutlich), Lautstärke oder das Sprechtempo. Die Sprache ist aber kein statisches Phänomen; vielmehr kann sich durch das Zusammenwirken von Parole, Norm und Langue eine Sprache auch wandeln. Ein Sprachwandel vollzieht sich normalerweise zunächst auf der Ebene der Parole, d. h., ein Sprecher verwendet ein Wort in einem anderen Sinn (vgl. Kap. VI . 8. Bedeutungswandel) oder spricht etwas anders aus. Wenn ein großer Anteil der Sprecher diese Neuerungen als Norm auffasst, gehen sie auch in das Sprachsystem ein. Selten wird der umgekehrte Weg beschritten (also über das System in die Sprachverwendung). Dieses Phänomen nennt man Sprachlenkung; sie findet sich z. B. unter totalitären Regimes, die ihrer Bevölkerung die Verwendung bestimmter Wörter verbieten und sprachliche Strukturen durch Propaganda verbreiten. Aber auch die Sprachnormierung durch staatliche Akademien wie etwa der Académie française in Frankreich, die sich z. B. um die Integration von Fremdwörtern kümmert, zählt hierzu. 5. Ein Kommunikationsmodell Das folgende Kommunikationsmodell (s. Abb. 3) vereinigt die verschiedenen Aspekte, die bisher angesprochen wurden: In den Köpfen der beiden Sprecher bzw. Hörer ist das Sprachsystem zu finden, welches die Gesamtheit aller sprachlichen Möglichkeiten im Deutschen umfasst. Innerhalb dieses Systems stellt die Norm das dar, was innerhalb einer Sprechergemeinschaft üblich ist. Wir könnten z. B. in einer Bäckerei sagen „Gib mir ein Brot! “. Obwohl das grammatisch korrekt wäre, ist die Norm eher „Ich hätte gern ein Brot.“. Beide Sprecher / Hörer haben persönliche Anteile an dieser Norm. In der Regel decken sie sich, aber manchmal führen unterschiedliche Normverständnisse zu Missverständnissen oder Unhöflichkeit. Das, was zwischen den beiden Personen steht, ist eine konkrete Aussage, die Parole, die sich auf einen außersprachlichen Sachverhalt bezieht. Um diese Aussage formulieren zu können (Sprechakt) ist das Wissen um Regeln der Sprache auf verschiedenen Ebenen notwendig: Wie heißt das Wort für ‚Bruder meiner Mutter‘ (Lexik)? Wie spreche ich dieses Wort korrekt aus (Phonetik)? Wie bilde ich aus zwei Wörtern ein Wort (Wortbildung)? Wie 159 5. Ein Kommunikationsmodell Abb. 3 Modell der sprachlichen Kommunikation 160 6. Varietäten verknüpfe ich die einzelnen Wörter zu einem Satz (Syntax)? Was will ich mit meiner Aussage bewirken (Pragmatik)? Für die Dechiffrierung dieser Aussage (Verstehensakt) ist dasselbe sprachliche Rüstzeug notwendig, wobei besonders die Beantwortung der Frage „Was will mir der Sprecher damit sagen? “ zu Missverständnissen führen kann (vgl. auch Kap. IX. Pragmatik). 6. Varietäten Der Terminus „Varietät“ beschreibt folgendes Phänomen: Innerhalb einer Sprache gibt es verschiedene Sprach(gebrauchs)formen, die sich durch bestimmte außersprachliche Faktoren bedingen und die durch die Summe ihrer spezifischen sprachlichen Charakteristika (aus den Bereichen Phonetik / Phonologie, Wortschatz, Satzbau usw.) beschrieben werden können. Umstritten ist, ob es sich bei den Varietäten um eigene Sprachsysteme, z. B. mit eigener Grammatik und Lexik,-- so genannte Subsysteme-- handelt und ab wann man von einer eigenen Varietät sprechen kann (Wie viele spezifische sprachliche Merkmale sind hierzu etwa nötig? ). Die Abgrenzung der einzelnen Varietäten voneinander ist nur bedingt möglich, da sie sich teilweise überschneiden. Außerdem verfügt jedes Individuum über ein gewisses Varietätenrepertoire, aus dem es bewusst oder unbewusst je nach Gesprächssituation oder -partner wählen kann. Die sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich mit den Varietäten beschäftigt, ist die Soziolinguistik. 6.1 Idiolekt Der Idiolekt (griech. idion ‚eigentümlich‘, griech. lekton ‚das Gesagte‘) ist die Sprache einer einzelnen Person und umfasst den Sprachbesitz (aktiv und passiv) sowie die typischen sprachlichen Verhaltensweisen zu einem bestimmten Zeitpunkt. So hat jedes Individuum eine ganz persönliche Art zu sprechen, zum einen hinsichtlich Stimmqualität, Stimmhöhe und Sprechtempo (=-Sprechweise), zum anderen aber auch hinsichtlich der Verwendung von Lieblingswörtern oder -phrasen, eine Vorliebe für bestimmte Satzkonstruktionen usw. Der Idiolekt gilt für die geschriebene Sprache ebenso wie für die gesprochene und ist abhängig von Sozialisierung, Bildung und Zugehörigkeit zu verschiedenen Sprechergruppen. In der „schönen Literatur“ wird der Idiolekt in einzelnen 161 6.2 Standardsprache Schreibstilen deutlich, die allerdings auch als Folge eines Künstlerkonzepts bewusst gepflegt werden können. Er ließ einen Knecht bei ihnen zurück, versah ihn mit Geld, ermahnte ihn, die Pferde, bis zu seiner Zurückkunft, wohl in acht zu nehmen, und setzte die Reise, mit dem Rest der Koppel, halb und halb ungewiß, ob nicht doch wohl, wegen aufkeimender Pferdezucht, ein solches Gebot, im Sächsischen erschienen sein könnte, nach Leipzig, wo er auf die Messe wollte, fort. (aus: Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas) Selbst wer nur ein bisschen Kleist gelesen hat, wird ihm mit Leichtigkeit diesen Textausschnitt zuordnen können, denn er hat einen besonders typischen, mit Informationen verdichteten Stil: Satzgefüge, komplexe Satzreihen, starke Beanspruchung der Verbklammer usw. Das alles zeichnet seinen Idiolekt aus. Für die Sprachwissenschaft ist der Idiolekt von besonderer Bedeutung, da Sprachanalysen zunächst immer von einem Individuum ausgehen (z. B. in der Dialektforschung) und erst die Summe verschiedener Einzelanalysen Rückschlüsse auf das Sprachsystem geben kann. 6.2 Standardsprache Standardsprache oder Hochsprache („Hochdeutsch“) ist die überregionale, schriftnahe Sprache, die in der Regel nicht die primäre Sprache im Spracherwerb darstellt. Sie ist besonders stark normiert / kodifiziert und wird in der Schule dann als die „richtige“ Sprache (im Gegensatz zur Umgangssprache oder zum Dialekt, s. u.) erlernt. Die Standardsprache wird vor allem in der Schriftsprache verwendet, in den Medien auch in der gesprochenen Sprache (z. B. Nachrichtensprecher). Sie ist die Sprachnorm des öffentlichen Sprachgebrauchs. Sprachhistorisch entstand die Standardsprache aus den hochdeutschen Dialekten (Mittel- und Süddeutschland), wie z. B. dem Bairischen, dem Fränkischen und dem Thüringischen (s. Abb. 4). Dass wir heute mit dem Hochdeutschen vor allem die Norddeutschen in Verbindung bringen, die auch in der gesprochenen Sprache kaum Dialektfärbungen zeigen, liegt an der Verbreitung der Bibelübersetzung durch Martin Luther. Wer sie lesen wollte, musste die hochdeutsche Sprache, die im Norden nicht verbreitet war, beherrschen. Man lernte sie dort wie eine Art Fremdsprache direkt aus der Schrift. Einen Unterschied in der Schreibung und in der Aussprache, wie es ihn in den 162 6. Varietäten hochdeutschen Mundarten gab, entfiel damit. Der Terminus „hochdeutsch“ war ursprünglich also nur auf eine Region bezogen. 6.3 Dialekt Als Gegenpol zur Standardsprache wird oft der Dialekt (griech. dialektos ‚Sprache der Unterhaltung‘) angeführt; synonym dazu wird auch der Terminus „Mundart“ verwendet. Der Dialekt ist hauptsächlich durch seine Regionalität gekennzeichnet und oft ist er auch an bestimmte soziale Schichten gebunden, die nur über dieses Sprachregister verfügen. Ausschließliche Dialektsprecher sind heute allerdings sehr selten. Vor allem durch die Schule, die Medien oder auch durch Reisen kommen wir in Kontakt mit anderen Varietäten, die dann unsere Sprache beeinflussen. Einen groben Überblick über die Dialektlandschaft deutschsprachiger Gebiete soll die Abbildung 4 geben. Abb. 4 Dialekte deutschsprachiger Gebiete 163 6.3 Dialekt Wie Sie der Karte entnehmen können, gibt es beispielsweise in Bayern nicht nur den bairischen Dialekt-- es wird auch Schwäbisch, Fränkisch oder Hessisch gesprochen-- und der bairische Dialekt ist nicht nur auf Bayern beschränkt: Es gibt ihn etwa auch in Österreich und Südtirol. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass Staatsgrenzen nicht immer auch Sprachgrenzen sind. So gibt es Länder, in denen es mehrere Amtssprachen gibt (z. B. Schweiz), und Sprachen, die es in mehreren Ländern gibt (=- plurizentrische Sprachen, z. B. Deutsch oder Englisch, vgl. auch Kap. V. 6.9 Nationale Varietäten). In der Schule sollte darauf geachtet werden, dass die Kinder die Dialekte, welche in Deutschland ja besonders ausgeprägt sind, als Kulturgut verstehen lernen; aus ihnen ist schließlich erst unser Standarddeutsch entstanden. Ein Ziel des Schulunterrichts sollte dann sein, situationsadäquates Sprechen zu vermitteln, wobei der Dialekt durchaus seinen Platz in bestimmten Kommunikationssituationen hat und dort viel besser passt als das Standarddeutsch. Dialektsprecher verfügen letztlich über mehr sprachliche Register als Sprecher, die sich nur des Standarddeutschen bedienen können. Da die typische Erscheinungsform der Dialekte die gesprochene Sprache ist, ist eine Verschriftlichung eigentlich nicht vorgesehen und deshalb mit den Mitteln des standardsprachlichen Alphabetes nur bedingt möglich; einige Lautnuancen können damit nicht erfasst werden (z. B. das für das Bairische typische dunkle a). In der Dialektologie hat man deshalb eine Vielzahl an Sonderzeichen entwickelt, die eine detaillierte Umsetzung des gesprochenen Dialekts in die Schrift garantieren soll (z. B. å für ein o-ähnliches a). Ein Dialekt ist nicht nur durch eine bestimmte Aussprache gekennzeichnet, sondern kann auch einen von der Standardsprache abweichenden Wortschatz und eine eigene Grammatik haben. 164 6. Varietäten Hochdeutsche Originalfassung Schlesisch (Oberlausitz) Sechster Streich In der schönen Osterzeit, Wenn die frommen Bäckersleut, Viele süße Zuckersachen Backen und zurechtemachen, Wünschten Max und Moritz auch Sich so etwas zum Gebrauch.-- Doch der Bäcker, mit Bedacht, Hat das Backhaus zugemacht. Also, will hier einer stehlen, Muß er durch den Schlot sich quälen.-- Da sechste Streech Ei da schienen Usterzeit backen olle Bäckersleut lauter sisse Zuckersachen, die se siehr schien lecker machen. Max und Moritz, ei derr Luft, spiern schunn dan feinen Duft. Weil da Bäcker, unverrdrussn, hutt doas Backhaus obgeschlussn, krichn beede, frech und kess, durch die enge Feueress. Rheinfränkisch (Nähe Heidelberg) Mittelbairisch (München) S sechsde Lausbuwestickel In de scheenen Ouschderzeit sieht ma, wie die Bäckersleit d Kuche backe nochenanner, ååner scheener wie de anner, sechd de Max zum Moritz glei: „Nix wie schnell in d Backstubb nei! “ Doch de Bäcker isch net dumm, dreht am Haus de Schlissel rum-… Wer jetz stehle will, muß krawwle, durch de enge Schornschde zawwle; Sechste Lumpardei In da scheena Ostazeit, füa de Bäcka is’ soweit. Iatzad kennas zoang wos kenna, iatzad hoaßts bloß, renna, renna. SB rezn-Backa geht do o, da Max und Moritz wissens scho. Doch dä Bäcka is net dumm, draht an Schlüssl zwoamoi um. Und wenn oana wui da stain, muaßse durchn Rauchfang quäln. (aus: Niebaum, Hermann / Macha, Jürgen: Einführung in die Dialektologie des Deutschen. de Gruyter 2014, S. 254 f.) 6.4 Umgangssprache Der Terminus Umgangssprache ist sehr unscharf und deshalb nicht unumstritten. Man bezieht ihn vor allem auf die gesprochene Sprache im Alltag (z. B. in der Familie). Die Umgangssprache beinhaltet in unterschiedlicher Gewichtung Elemente der Standardsprache und des Dialekts. So sind etwa syntaktische 165 6.6 Soziolekt und grammatische Strukturen „aufgeweicht“, z. B. durch Satzabbrüche und Freiheiten im Satzbau (z. B. weil als Konjunktion). Außerdem werden gerne „Füllsel“ (ääh, hmm, na), Partikeln (gell, nämlich, doch, wohl) oder Interjektionen (Herrjee! ) verwendet sowie „Allerweltswörter“ (machen, tun, Ding). Oft kommt es zu lautlichen Kontraktionen (hamma des? statt haben wir das? ). Hätt’st Lust, heut’ mit ins Kino zu gehen? Dort soll so’n neuer Streifen mit Antonio Banderas laufen.-- Hmm, ach nee, is’ zwar lieb gemeint, aber ich hab schon was vor. Ich treff ’ Nicole, weißte, und wir wollten heut’ mal richtig einen drauf machen zusammen mit Frank und-… na, jetzt fällt mir der ihr Name net ein-… du weißt scho, die Dings,-… ah ja-- Michaela. Magst vielleicht auch mit? -… 6.5 Fachsprache Die Fachsprache ist an den Beruf gebunden und zeichnet sich z. B. durch einen speziellen Wortschatz (Fremdwörter aus dem Englischen, Lateinischen oder Griechischen) und bestimmte syntaktische Strukturen (Passivkonstruktionen, präpositionale Fügungen, Substantivierungen, Funktionsverbgefüge und wenige Satzmuster) aus. Eine Fachsprache strebt nach Ökonomie und Genauigkeit; sie ist vor allem funktional. Als Beispiele können die Fachsprache der Technik, der Verwaltung, der Medizin oder des Rechts (siehe Textbeispiel) genannt werden. (3) Vor die Gerichte für Arbeitssachen können auch nicht unter die Absätze 1 und 2 fallende Rechtsstreitigkeiten gebracht werden, wenn der Anspruch mit einer bei einem Arbeitsgericht anhängigen oder gleichzeitig anhängig werdenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Art in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang steht und für seine Geltendmachung nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist. (aus: Arbeitsgerichtsgesetz § 2 Zuständigkeit im Urteilsverfahren) 6.6 Soziolekt Der Terminus „Soziolekt“ wird in der Forschung uneinheitlich verwendet: als Synonym für Varietät, als Synonym für Gruppensprache, als Oberbegriff für Jargon oder als schichtspezifische Sprache. Wir wollen uns hier der letzten, engen Definition von Soziolekt anschließen. 166 6. Varietäten Der auf eine Sozialschicht verweisende Begriff stammt aus der britischen Soziologie und wurde Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem durch Basil Bernstein bekannt, der zunächst zwischen „formalem Code“ und „öffentlichem Code“ unterschied, später zwischen „elaboriertem Code“ (Sprache der oberen Mittelschicht) und „restringiertem Code“ (Sprache der Unterschicht). restringiert elaboriert Kind: (quengelt im Bus) Kind: (quengelt im Bus) Mutter: Sei ruhig! Mutter: Kind, was ist denn? Kind: (quengelt weiter) Kind: (quengelt weiter) Mutter: Ich hab gesagt, du sollst ruhig sein. Mutter: Sei doch bitte still, du störst die Fahrgäste. Kind: (quengelt weiter) Kind: (quengelt weiter) Mutter: Also halt jetzt den Mutter: Also, was hast du denn? Mund, oder es setzt was! Weißt du, ich bin sehr müde. Es wäre lieb von dir, wenn du jetzt brav und ganz ruhig wärst. Wir sind ja bald zu Hause. (aus: Gross, Harro: Einführung in die germanistische Linguistik. 3., überarb. u. erw. Aufl. Neu bearb. von Klaus Fischer. München 1998, S. 177) Diese Unterscheidung zwischen „elaboriertem“ und „restringiertem Code“ wurde in der Bildungsdiskussion der 1960er Jahre (vor)schnell auf die sprachlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik umgemünzt. Da es hier ein Schichtenbewusstsein wie in Großbritannien in ähnlicher Ausprägung nicht gab, wurde die Code-Theorie insbesondere auf das Verhältnis zwischen Standardsprache und Dialekt übertragen. Dies hatte eine Stigmatisierung regionalen Sprechens zur Folge und wirkte sich in Form eines kompensatorischen Sprachunterrichts auch auf die Schulen aus. Soziolinguisten wie William Labov haben Bernsteins Code-Theorie heftig kritisiert und methodische Schwächen nachgewiesen. Sie setzten der Hypothese von der sprachlich „defizitären“ Varietät der Unterschichten die Auffassung gegenüber, dass aus linguistischer Sicht alle Varietäten gleichwertig sind. 167 6.8 Genderlekt 6.7 Sondersprache Eine Sondersprache ist an eine bestimmte Gruppe gebunden, die sich z. B. durch das gemeinsame Alter (z. B. Jugendsprache) oder durch gemeinsame Tätigkeiten (z. B. die Gaunersprache Rotwelsch) definiert. Diese Sprachen verleihen ihren Benutzern ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe, von der alle anderen ausgeschlossen sind. In dieser Hinsicht ist eine Sondersprache auch eine Art Geheimsprache. Sie ist emotional geprägt, enthält viele bildliche Ausdrücke, Wortspiele, Vulgarismen und Spitznamen. In Bezug auf bestimmte berufliche Gruppen spricht man auch abwertend von Berufsjargon (Jargon frz. ‚unverständliche Sprache‘) und meint damit z. B. die Sprache von Jägern, Seefahrern, Künstlern oder Soldaten, denen man unterstellt, dass sie diese für Außenstehende unverständliche Sprache absichtlich benutzen, um sich von anderen abzusetzen. Hier gibt es Berührungspunkte mit der oben genannten Fachsprache, die aber eine rein funktionale Komponente (im Gegensatz zur emotionalen beim Jargon) hat. Jugendsprache Der Film war übel abgespaced (‚verrückt, abgefahren‘). Mein Internet funzt schon die ganze Woche nicht (‚funktionieren‘). Komm geh und kauf dir endlich Freunde (‚Lass mich in Ruhe‘). Auf der Terrasse sammeln sich die Stummellutscher (‚Raucher‘). (aus: PONS Wörterbuch der Jugendsprache. Von Schülerinnen und Schülern aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. Stuttgart 2008.) 6.8 Genderlekt Seit den 1970er / 80er Jahren gibt es ein großes Interesse daran, herauszufinden, wie sich die Sprache von Männern und Frauen unterscheidet. Nach anfänglich sehr emotional geführten Debatten, in denen den Forschern zu wenig Wissenschaftlichkeit vorgeworfen wurde, ist heute dieses Forschungsgebiet innerhalb der Gender Studies etabliert und als eigene Disziplin anerkannt. Im Gegensatz zu den selteneren geschlechtsexklusiven, d. h. ausschließlich von einem Geschlecht gesprochenen Sprachen (z. B. in Japan), spricht man für das Deutsche von einer geschlechtspräferentiellen Sprache, in der ein Geschlecht bestimmte stilistische Variationen bevorzugt; die Geschlechtsspezifik ist hier also nicht in der Langue, sondern in der Parole zu finden. Demnach 168 6. Varietäten haben Frauen einen kooperativen, Männer dagegen einen dominanten Gesprächsstil, d. h., Männer unterbrechen Frauen in Gesprächen häufiger, reden länger und kontrollieren das Gesprächsthema, Frauen dagegen signalisieren durch verstärkte Minimalbestätigungen (mhm, aha, hmm) aktives Zuhören, nehmen eher Bezug auf den Vorredner / die Vorrednerin, stellen mehr Fragen und formulieren eher vorsichtig (vielleicht, finde ich, irgendwie etc.). Diese Ergebnisse werden allerdings dadurch relativiert, dass sie von bestimmten Kommunikationssituationen abhängen (öffentlich vs. privat, Anteil von Männern und Frauen etc.). In den letzten Jahren hat sich ein neuer theoretischer Ansatz etabliert, der unter dem Stichwort „doing gender“ bekannt wurde. Demnach ist nicht das biologische, sondern das durch die Gesellschaft konstruierte soziale Geschlecht für den Gesprächsstil prägend. Männliche und weibliche Gesprächsverhalten werden erst durch die Sozialisation erlernt und können (selbst vom jeweils anderen Geschlecht) auch bewusst eingesetzt werden. 6.9 Nationale Varietäten Deutsch wird nicht nur in Deutschland gesprochen, sondern auch noch in Österreich, in der Schweiz und in Liechtenstein, als Minderheitensprache in Ländern wie Belgien, Italien, Luxemburg usw. Die drei großen nationalen Varietäten Bundesdeutsch, Schweizerdeutsch und österreichisches Deutsch unterscheiden sich zwar in einzelnen Punkten in ihrer Standardsprache, jedoch sind diese Unterschiede nicht so stark, dass sie jeweils eigene Sprachen bilden würden. Das Österreichische unterscheidet sich vom bundesdeutschen Standard vor allem in der Lautung (z. B. langes e in Chef) und in der Lexik (so genannte Austriazismen, z. B. Jänner ‚Januar‘, Paradeiser ‚Tomate‘). Grundlage dieser Varietät sind die mittelbairischen Dialekte des Wiener Raums. Da Bairisch auch in Bayern gesprochen wird, gibt es hier auch sprachliche Übereinstimmungen mit dem Österreichischen, z. B. Bub, Krapfen, Semmel. Schwyzerdütsch ist eine Sammelbezeichnung für die zum Alemannischen gehörenden Dialekte auf dem Gebiet der Schweiz. Alemannisch wird auch in Deutschland (Baden-Württemberg, bayerisches Schwaben), im Elsass, in Liechtenstein und im Westen Österreichs gesprochen. Der Status des Dialekts ist in der Schweiz ein anderer als in der Bundesrepublik und in Österreich: Er wird in nahezu allen Sprechsituationen (auch in den Medien) verwendet und 169 7. Gesprochene Sprache - geschriebene Sprache als Zeichen der nationalen Abgrenzung gewertet. Das schweizerische Standarddeutsch zeichnet sich ebenfalls vor allem durch eine besondere Lautung (z. B. Wegfall des Schwas bei Garage) und Lexik (so genannte Helvetismen, z. B. Gipfel ‚Hörnchen‘, Kehrrichtkübel ‚Mülleimer‘) aus. Auch innerhalb des bundesdeutschen Standards gibt es Ausdrücke, die in keiner der anderen nationalen Varietäten verwendet werden. Man nennt sie Teutonismen, z. B. Pfannkuchen- = schweiz./ österr. Palatschinke, Quark = schweiz./ österr. Topfen. Es soll deutlich geworden sein, dass es Überschneidungen zwischen den nationalen Varietäten und den deutschen Dialekten gibt. Aufgrund der kultur- und wirtschaftspolitischen Stellung der Bundesrepublik übt der bundesdeutsche Standard einen stärkeren Einfluss auf das Österreichische und Schweizer Deutsch aus als umgekehrt. Die neue Rechtschreibung wird von allen drei nationalen Varietäten gemeinsam getragen, allerdings geht das Schweizerdeutsche durch das Fehlen des Schreibzeichens <ß> einen Sonderweg. 7. Gesprochene Sprache - geschriebene Sprache Die Gegenüberstellung gesprochene vs. geschriebene Sprache ist nicht auf derselben Ebene wie die oben beschriebenen Varietäten anzusetzen, da diese Zweiteilung prinzipiell für alle Varietäten gilt. Für die gesprochene Sprache ist z. B. kennzeichnend: ▶ freies Ad-hoc-Formulieren ohne Vorbereitung ▶ keine Zeit-Ort-Distanz ▶ Ellipsen ▶ Satzabbrüche (z. B. wenn das Gegenüber bereits begriffen hat, was man will oder wenn man den „Faden verloren“ hat.) ▶ Wiederholungen ▶ Nachträge / Ausklammerung: Ich hab ihn gesehen, draußen auf dem Parkplatz. ▶ deiktische (zeigende) Elemente: da, dort, dieser ▶ umgangssprachliche Elemente Für die geschriebene Sprache ist z. B. kennzeichnend: 170 8. Übungen ▶ Orientierung an der Standardsprache ▶ Kontext muss erst durch den Text selbst geschaffen werden (z. B. Angaben zu Zeit und Ort) ▶ Zeichensetzung, Rechtschreibung ▶ satzgliedernde Mittel (Überschriften, Absätze) ▶ relativ komplexe Satzstrukturen; syntaktisch vollständige Sätze Doch wie sieht es z. B. mit der Sprache der E-Mail aus oder mit der in Fernsehnachrichten? Wenn wir sie nur danach klassifizieren würden, ob sie medial mündlich oder schriftlich ist, dürfte sich die gesprochene Sprache des Nachrichtensprechers nicht von der eines Partygastes unterscheiden. Man muss deshalb zwischen der Konzeption und der medialen Ausführung (Code) unterscheiden. Nachrichten werden schriftlich konzipiert und weisen, obwohl sie mündlich vorgetragen werden, mehr Ähnlichkeiten mit der geschriebenen als mit der gesprochenen Sprache auf. Eine E-Mail wird zwar geschrieben (=-medial schriftlich), ist aber oft konzeptionell mündlich. Konzeptionelle Mündlichkeit (E-Mail): Hi Peter! Hab grad an dich gedacht. Wie geht’s dir denn so? Was macht deine Examensvorbereitung? Falsches Thema, oder? Bin auch nicht gerade der Fleißigste, seufz. Wie wär’s mit einem Bier morgen Abend zum Ausspannen und gegenseitigen Motivieren? Meld dich doch. Gruß, Hans. 8. Übungen 1. Index, Ikon oder Symbol? Klassifizieren Sie die folgenden nichtsprachlichen Zeichen! a. 🚭 = rauchen verboten c. ✀ = hier bitte abschneiden b. 🕊 = Frieden d. Schweiß auf der Stirn 2. Ordnen Sie die folgenden Textproben den Varietäten des Deutschen zu! a. Moskau ( AFP )- - Gegen eine starke Konkurrenz von mehreren hundert Artgenossen haben es rund 50 Schnecken ins wissenschaftliche Gepäck für den nächsten Flug zur Internationalen Raumstation ISS geschafft. Die Schnecken aus Georgien erwiesen sich nach Tests als besonders tauglich für die Versuche zur Schwerelosigkeit, wie der Biologe Giwi Gorgiladse der Nachrichtenagentur Ria Nowosti sagte. Während der Voruntersuchungen 171 8. Übungen mussten die Tiere unter anderem einen Aufenthalt in einer Zentrifuge über sich ergehen lassen-… (yahoo.de am 07. 02. 2005) b. Mit sechs Johrn han i Schui åfangt, da bin i drei Johr bin i bei dereim Freilein gånge un vier Johr bei’m Lehrer. U’ ter-… und der Lehrer der håt uns fast- - fascht jeed Tåg ham mer geschlågn worn, faast je’n Tåg, wei mer-… wei mer ed hàà-… werd sch Not då håbn rad i-- då håd er immer gesågt da han dan siere parad gwen, dië Gaassnbuebm-… bei uns e Dorf, uns håd er gsegn und die auße Dorf die håd er eifåch ni gsegn. Jetz had er wieder wieder drååkhemme. Lò mit den hammer dò tua, soweit hammer gwen das mer da’mer diesewei mikhemma da mer da sidn Schüo da aus der Schui khemma had, so weil, weil mer àà..wegn a Ruggngweh had. Lumpn mit èif. ( DSA -Archiv; Transkr. W. Näser 10 / 84 und neu 2 / 2000) c. „Du, ich hab’n tierisch geilen Job ergeiert. Da gibt’s echt tausend Eier bar auf die Kralle.“- (…) „Meine Alten hocken jeden Abend vor der Glotze. Dallas und so, da fahrn die voll drauf ab. Ätzend! “ (aus: Harro Gross: Einführung in die germanistische Linguistik. 3., überarb. u. erw. Aufl. Neu bearb. v. Klaus Fischer. München 1998, S. 175) d. Gray Component Replacement ( GCR ) beschreibt ein Verfahren, durch welches Unbuntanteile in den Farben teilweise oder ganz durch die Druckfarbe Schwarz ersetzt werden. Weiterhin werden durch Gray Component Replacement auch Farbführungsschwankungen beim Druck vermindert. Die GCR -Kurve beschreibt, welcher Anteil an Farbe aus den Auszügen Cyan, Magenta und Gelb entfernt und durch Schwarz im Schwarzauszug ersetzt wird. Dabei entsteht die horizontale Achse für die Ursprungswerte (dem Grauanteil in der Farbe der Flächenbedeckung) und die vertikale für den gewünschten Anteil, der durch Schwarz ersetzt werden soll. (ohne Quelle) e. A: „Was dossest? “ B: „Ich hab mein Mus vernobiset. Und der schättrigen Siann kann man nicht genug stecken.“ A: „Dabei sieht man den Ähne in der Häppe.“ B: „Aber der Kigelesschineber ist gewandt.“ A: „Spann! der Beistieber stubt an. Er hat uns schon gespannt.“ B: „Der Blembelspink hat keinen Watzen.“ (aus: Hermann Bausinger: Deutsch für Deutsche. Dialekte, Sprachbarrieren, Sondersprachen. Frankfurt a. M. 1986, S. 121) f. Im gesamten Bundesgebiet gits halt endsbrontal viele Dönerläden und in der ganzen Welt halt noch viel mehr. Aba Problem is, nisch jeder Dönermann hat seinen Döner fett im Griff. Deshalb schlagen wir in geheimer Mission bei die krassesten Dönerläden auf. Selba getestete oda von befreundeten Gängstas empfohlene Döner-Hangouts presenten wir hier! 172 9. Quellen und weiterführende Literatur Fett korrekt versteht sich-… (Erkan und Stefan, http: / / headnut.prosieben. de/ w3c.phpam, 07. 02. 2005) 3. Welche Elemente dieses geschriebenen literarischen Textes sind eher der gesprochenen Sprache zuzuordnen? Wie jeden Morgen hat einer von den jungen Rotzern am Vorabend Ö3 eingestellt, und natürlich, der Lift Lois hat dazu nur „Negerkanal“ gesagt. Er dreht jetzt wie jeden Morgen das Sendersuchrad ganz langsam nach links, weil, das ist noch ein altes Radio gewesen. Einen Menschen, der noch langsamer als der Lois den Senderknopf dreht, findest du nicht leicht. Daß du glaubst: Bombenentschärfung. Dann kommt noch dazu, daß der kleine Finger vom Lift Lois wie ein dürrer Ast weggestanden ist. Weil den hat er sich als Kind mit der Kreissäge angeschnitten-… (aus: Wolf Haas: Auferstehung der Toten. 4. Aufl. Hamburg 2001, S. 6) 9. Quellen und weiterführende Literatur Ammon, Ulrich: Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin / New York 1995. In dieser Monografie werden die Unterschiede zwischen den verschiedenen nationalen Varietäten sehr ausführlich beschrieben. Barbour, Stephen / Stevenson, Patrick: Variation im Deutschen. Soziolinguistische Perspektiven. Übersetzt aus dem Englischen von Konstanze Gebel. Berlin/ New York 1998. Eine verständlich geschriebene Einführung, die das Problem der Varietäten im Deutschen (z. B. Dialekt, Stadtsprachen, Umgangssprache) behandelt und ihre Entwicklung auch sprachgeschichtlich begründet. Ein Glossar erklärt die wichtigsten Fachtermini. Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. 3., unveränd. Aufl. Stuttgart 1999. Erstauflage 1934. Karl Bühlers Hauptwerk, in dem er sein Organon-Modell diskutiert, ist auch heute noch lesenswert, wenn es auch nicht so leicht verständlich ist, da zu Bühlers Zeit eine Beschreibungssprache für semantische und semiotische Aspekte erst allmählich entwickelt wurde. Burkart, Roland: Kommunikation als soziale Interaktion. In: Bolten, Jürgen / Ehrhardt, Claus (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Sternfels 2003. S. 17-38. Gut verständlicher Aufsatz über Kommunikationsmodelle, Sprache und Zeichen. 173 9. Quellen und weiterführende Literatur Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2009. Kap. Gesprochene Sprache, S. 1165-1244. Zur Erweiterung des Wissens über gesprochene Sprache geeignet. Hartig, Matthias: Soziolinguistik des Deutschen. 2., überarb. Aufl. Berlin 1998. Eine Einführung in Entwicklung und Forschungsfelder der Soziolinguistik. Es werden viele Themen behandelt, die wir nicht angesprochen haben, z. B. Sprachkultur, Sprachplanung und Sprachpolitik. Keller, Rudi: Zeichentheorie. Zu einer Theorie semiotischen Wissens. Tübingen 1995. Ein sehr interessantes, teilweise philosophisches Buch, das zeigen will, wie Zeichen entstehen, funktionieren und sich im Zuge der menschlichen Kommunikation auch verändern. Löffler, Heinrich: Germanistische Soziolinguistik. 5., neu bearb. Aufl. Berlin 2016. Das Buch beschreibt Voraussetzungen und Methoden, wichtige Forschungsprojekte und -ergebnisse sowie neue Sichtweisen der Sprachwirklichkeit und des Sprachgebrauchs des Deutschen. Aus dem Inhalt: Dialekt als Sprachbarriere, Gastarbeitersprache, Deutsch als Weltsprache, Sprachgeschichte als historische Soziolinguistik u. v. m. Die verständlich geschriebenen Artikel können auch einzeln gelesen werden. Neuland, Eva: Jugendsprache. Eine Einführung. Tübingen, Basel 2008. Das Buch beschäftigt sich auf gut verständliche Weise mit der bisherigen Forschung, mit aktuellen Entwicklungen in der Jugendsprachforschung, aber auch mit theoretischen Konzepten und historischen Beispielen. Es gibt ein großes Kapitel zu „Jugendsprachen in Schule und Unterricht“. Niebaum, Hermann / Macha, Jürgen: Einführung in die Dialektologie des Deutschen. 3., überarb. u. erw. Aufl. Tübingen 2014. Ausführlich werden Aufgaben, Methoden und Geschichte der deutschen Dialektologie behandelt. Es gibt wenige (Kontroll-)Fragen / Aufgaben ohne Lösungen, jedoch viele anschauliche Abbildungen, z. B. aus Sprachatlanten. Ogden, Charles K./ Richards, Ivor A.: Die Bedeutung der Bedeutung. Eine Untersuchung über den Einfluss der Sprache auf das Denken und über die Wissenschaft des Symbolismus. Übersetzt von Gert H. Müller. Frankfurt a. M. 1974. Originalausgabe 1923. Gut lesbare (sprachphilosophische) Ausführungen zu Themen wie „Die Macht der Wörter“, „Zeichen-Situationen“ oder „Was bedeutet Bedeutung? “. Praktisch ist die Zusammenfassung am Ende der komplexen Kapitel. Ogden / Ri- 174 9. Quellen und weiterführende Literatur chards sind in der Sprachwissenschaft vor allem durch ihr Zeichenmodell „Semiotisches Dreieck“ bekannt geworden. Roelcke, Thorsten: Fachsprachen. 3., neu bearb. Aufl. Berlin 2010. Das Buch geht auf fachsprachliche Eigenschaften auf Wort-, Satz- und Textebene ein. Außerdem werden pragmatische und historische Gesichtspunkte der deutschen Fachsprachen verständlich dargestellt. Römer, Christine / Matzke, Brigitte: Der deutsche Wortschatz. Struktur, Regeln und Merkmale. Tübingen 2010. Lesenswert sind die beiden Kapitel „Wörter als sprachliche Zeichen“ und „Lexikalische Subsysteme“. Nach jedem Kapitel gibt es Übungen (Lösungen im Internet). Samel, Ingrid: Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. 2., überarb. u. erw. Aufl. Berlin 2000. Guter Überblick über die (Geschichte der) Forschung zu Frauen- und Männersprachen: Der erste Teil beschäftigt sich mit der feministischen Kritik an Sprache und Sprachgebrauch, der zweite mit dem geschlechtsspezifischen Kommunikationsverhalten. Saussure, Ferdinand de: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Hrsg. von Charles Bally und Albert Sechehaye unter Mitwirkung von Albert Riedlinger. Übersetzt von Herman Lommel. 3. Aufl. mit einem Nachwort von Peter Ernst. Berlin / New York 2001. Originalausgabe 1916. Wichtige Bereiche des Buchs sind die Auseinandersetzung de Saussures mit der synchronischen und diachronischen Sprachwissenschaft. Für unsere Ausführungen bezogen wir uns vor allem auf die Kapitel zum sprachlichen Zeichen. Schwitalla, Johannes: Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung. 4., neu bearb. u. erw. Aufl. Berlin 2012. Ein Standardwerk zur gesprochenen Sprache, welches ausführlich auf Besonderheiten z. B. hinsichtlich Lautung, Prosodie, Syntax und Lexik und kurz auch auf die nonverbale Kommunikation eingeht. Veith, Werner H.: Soziolinguistik. Ein Arbeitsbuch. 2., überarb. Aufl. Tübingen 2005. In dieser Einführung werden vierzehn fachliche Schwerpunkte (z. B. Kindheit und Sprache, Sondersprachen Erwachsener, Geschlecht und Sprache, Multilinguale Gesellschaften) anschaulich (viele Abbildungen) und knapp skizziert und mittels zahlreicher Definitionen inhaltlich verdichtet. Ein Schlusskapitel enthält die Antworten zu den am Ende eines jeden Teilkapitels gestellten Kontrollfragen. 175 6.9 Nationale Varietäten VI. Semantik Wie wir seit dem Kapitel V. Sprache und Sprechen wissen, besteht ein Wort immer aus einer Inhalts- und einer Ausdrucksseite. Die Semantik beschäftigt sich nun mit der Beschreibung der Inhaltsseite, also den Bedeutungen, und mit der Klärung von Bedeutungsbeziehungen. Ein Problem, das sich bei dieser Sprachbetrachtung ergibt, ist, dass Objekt- und Metasprache identisch sind, d. h., dass man zur Erläuterung der Bedeutung eines Wortes / sprachlichen Zeichens auf Ausdrücke desselben Sprachsystems zurückgreifen muss, wobei die Wörter in den Erklärungen wiederum erst erklärt werden müssen. Dieses Problem wird jedem besonders deutlich sein, der für eine Übersetzung aus einer Fremdsprache mit einsprachigen Wörterbüchern gearbeitet hat: In der Erklärung zum gesuchten Wort finden sich bestimmt mehrere unbekannte Wörter, die es wiederum nachzuschlagen gilt-(…). Dieses Problem, mit seiner natürlichen Sprache über seine natürliche Sprache zu sprechen, hat auch schon einige Schriftsteller beschäftigt und so schreibt Günther Eich über das Unvermögen der Sprache, die außersprachliche Wirklichkeit vollständig zu transportieren: ach, Himbeerranken aussprechen, dir Beeren ins Ohr flüstern, die roten, die ins Moos fielen-(…) Hand in Hand zwischen undenkbaren Gedanken-(…). Gertrude Stein dagegen drückt es so aus: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist-(…). Ein weiteres Problem, mit dem sich besonders die Semantik auseinandersetzen muss, ist die Tatsache, dass sich Wörter und damit auch ihre Bedeutungen relativ schnell ändern können, zumindest schneller als Veränderungen der Satzstrukturen. Das kann man etwa an dem Wort geil deutlich sehen: Bis ins 19. Jahrhundert wird geil in seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet und bedeutet ‚übermütig, froh‘. Bereits seit dem 15. Jahrhundert gibt es aber die Tendenz, geil als Gegensatz zu keusch zu verstehen mit der Bedeutung ‚überheblich‘, ‚hochmütig‘, aber auch ‚sexuell begierig‘. Diese letzte Bedeutung hat sich vor allem bis in die 1970er Jahre / Anfang 80er Jahre gehalten (vgl. geiler Bock für einen ‚Mann, der sexuelle Abenteuer sucht‘). Interessant ist, dass sich die ursprüngliche, neutrale Bedeutung in der Jugendsprache seit den 1980er Jahren wieder hat durchsetzen können, in der geil nichts anderes als ‚toll, super, interessant‘ bedeutet (Leider geil-- Songtitel der Band Deichkind, 2012 Jugendwort des Jahres in Österreich und dafür nominiert in Deutschland). 176 1. Onomasiologische vs. semasiologische Betrachtungsweise Bedeutungsangaben werden in einfache Anführungszeichen gesetzt, z. B. Sonntagskind ‚Mensch, der als vom Glück besonders begünstigt gilt, Glückskind‘. 1. Onomasiologische vs. semasiologische Betrachtungsweise Wenn man sich das semiotische Dreieck von Ogden / Richards noch einmal ins Gedächtnis ruft (vgl. Kap. V. 3. Zeichenmodelle sprachlicher Zeichen), dann kann man den Zugang zur Bedeutung eines Wortes über zwei Wege erhalten: Man kann ausgehend vom Ausdruck fragen: „Was bedeutet z. B. Baum? “. Oder man kann vom außersprachlichen Gegenstand ausgehen und fragen: „Was sagst du zu diesem (man zeigt darauf) Gegenstand? “. Zur Veranschaulichung dieser Betrachtungsweisen lesen Sie „Pippi findet einen Spunk“: Eines Morgens kamen Thomas und Annika wie gewöhnlich in Pippis Küche hineingesprungen und riefen: „Guten Morgen! “ Aber sie bekamen keine Antwort. Pippi saß mitten auf dem Küchentisch mit Herrn Nilsson, dem kleinen Affen, im Arm und einem glücklichen Lächeln auf den Lippen. „Guten Morgen“, sagten Thomas und Annika noch einmal. „Denkt bloß“, sagte Pippi träumerisch, „denkt bloß, daß ich das gefunden habe! - (…) Ein neues Wort“, sagte Pippi, und sie schaute Thomas und Annika glücklich an. „Ein funkelnagelneues Wort.“ „Was für ein Wort? “, fragte Thomas.-(…) „So sag es doch“, sagte Annika. „Spunk! “ sagte Pippi triumphierend. „Spunk? “ fragte Thomas. „Was bedeutet das? “ „Wenn ich das bloß wüßte“, sagte Pippi. „Das einzige, was ich weiß, ist, daß es nicht Staubsauger bedeutet.“ Thomas und Annika überlegten eine Weile. Schließlich sagte Annika: „Aber wenn du nicht weißt, was es bedeutet, dann nützt es ja nichts ! “ „Nein, das ist das, was mich ärgert“, sagte Pippi. „Wer hat eigentlich zuerst herausgefunden, was die Wörter alle bedeuten sollen? “ fragte Thomas. „Vermutlich ein Haufen alter Professoren“, sagte Pippi.-(…) [Sie überlegen sich, was „Spunk“ sein könnte und versuchen z. B. in verschiedenen Geschäften einen solchen zu kaufen. Doch selbst beim Arzt-- ist „Spunk“ vielleicht eine Krankheit? -- ist Pippis Suche vergebens.] „Traurig“, sagte sie zu Thomas und Annika. „Es gibt keinen Spunk in dieser Stadt. Wir reiten wieder nach Hause.“ 177 1. Onomasiologische vs. semasiologische Betrachtungsweise Und das taten sie. Als sie vor der Veranda vom Pferd heruntersprangen, fehlte nicht viel, daß Thomas auf einen kleinen Käfer getreten hätte, der auf dem Sandweg entlang kroch. „Oh, Vorsicht, ein Käfer! “ rief Pippi. Sie hockten alle drei nieder, um ihn zu betrachten. Er war so klein. Die Flügel waren grün und glänzten wie Metall. „So ein hübscher kleiner Käfer“, sagte Annika. „Ich möchte wissen, was es für einer ist.“ „Ein Maikäfer ist es nicht“, sagte Thomas. „Und auch kein Mistkäfer“, sagte Annika. „Und auch kein Hirschkäfer. Was das wohl für eine Sorte ist? “ Über Pippis Gesicht verbreitete sich ein seliges Lächeln. „Ich weiß es“, sagte sie. „Es ist ein Spunk.“ „Bist du ganz sicher? “ fragte Thomas. „Glaubst du nicht, daß ich einen Spunk wiedererkenne, wenn ich ihn sehe? “ sagte Pippi. „Hast du jemals in deinem Leben etwas so Spunkartiges gesehen? “ Sie brachte den Käfer vorsichtig an eine sichere Stelle, wo niemand auf ihn treten konnte. „Mein kleiner, lieber Spunk“, sagte sie zärtlich. „Ich wußte ja, daß ich schließlich doch einen finden würde. Aber komisch ist es doch. Wir sind in der ganze Stadt umhergejagt, um einen Spunk zu finden, und dann haben wir ihn direkt vor der Villa Kunterbunt entdeckt.“ (aus: Astrid Lindgren: Pippi in Taka-Tuka-Land. Deutsch von Cäcilie Heinig. Hamburg 1951. S. 41-55.) Pippi hat ein Wort (Spunk), weiß aber die Bedeutung für dieses Wort nicht. Ihre Fragestellung-- ausgehend vom Ausdruck / Namen-- ist eine semasiologische (griech. sēmasia ‚das Bezeichnen, Zeichen‘). Als Annika den Käfer findet und sagt Ich möchte wissen, was es für einer ist., verfolgt sie eine onomasiologische Betrachtungsweise, will also den Namen (griech. onoma ‚Name‘) für einen außersprachlichen Gegenstand wissen. Diese beiden Vorgehensweisen finden sich auch in verschiedenen Konzepten zu Wörterbüchern wieder. So sind die üblichen, alphabetisch geordneten Wörterbücher nach dem semasiologischen Prinzip gegliedert. Wenn wir von einem Wort nicht wissen, was es bedeutet, schlagen wir z. B. im Fremdwörterbuch nach oder in einem großen einsprachigen Wörterbuch wie etwa dem Wahrig; dort findet sich dann eine Bedeutungsangabe. Für das Wort Bauernhof sieht ein Eintrag etwa so aus (aus: Wahrig: Deutsches Wörterbuch, 2002): 'Bau ·ern · gut ‹n. 12u› Gut, Landbesitz (mit Vieh) eines Bauern; Sy Bauernhof 178 1. Onomasiologische vs. semasiologische Betrachtungsweise 'Bau ·ern · haus ‹n. 12u› Wohnung u. Betriebsgebäude des Bauern 'Bau ·ern · hoch · zeit ‹f. 12u› Hochzeit mit großem Aufwand u. vielen Personen auf einem Bauerngut 'Bau ·ern · hof ‹m. 1 u› = Bauerngut Bildwörterbücher basieren auf einem onomasiologischen Ansatz. Sie beantworten Fragen wie: „Ich wollte schon immer mal wissen, wie das da eigentlich heißt! “ Für Bauernhof sieht der Eintrag z. B. so aus: Abb. 5 Eintrag Bauernhof in einem Bildwörterbuch 179 2. Syntagmatische Bedeutungsbeziehungen Eine onomasiologische Herangehensweise findet sich auch in Wörterbüchern, die den Wortschatz nach Sachgruppen und Bedeutungsverwandtschaft gliedern (z. B. Franz Dornseiff: Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen). Außerdem ist die onomasiologische Analyse für die Dialektforschung wichtig, bei der den Befragten Bilder von Gegenständen vorgelegt werden, die sie dann benennen müssen: „Wie sagen Sie zu dem (gezeigten) Gegenstand? “ (mögliche Antworten: Kartoffel, Erdapfel, Erdbirne, Tuffel-…). In unseren weiteren Ausführungen werden wir hauptsächlich semasiologisch vorgehen. 2. Syntagmatische Bedeutungsbeziehungen Wörter stehen in einem Satz nebeneinander, d. h., es handelt sich um syntagmatische Beziehungen. Ihre Bedeutungen ergeben sich aus dem Bezug zueinander. So kann die Bedeutung von Gericht erst im konkreten Satz ermittelt werden, z. B. Dieses Gericht kostet 12 Euro. Erst hier wird deutlich, dass die Bedeutung ‚Essen‘ und nicht etwa die Institution gemeint ist. In einem Satz sind jedoch nicht alle syntagmatischen Verbindungen semantisch möglich. Die semantische Verträglichkeit von Wörtern im Kontext, also in konkreten Sätzen, wird Kompatibilität genannt. Dazu gehört auch die semantische Valenz, auf die wir im Kapitel Syntax bei der Bestimmung der Valenz bereits hingewiesen hatten (vgl. Kap. I. 4.2 Die Valenz). Die Beschränkungen, die es bei der Kombination bestimmter Wörter gibt, können unterschiedlich stark ausfallen. Man unterscheidet: ▶ Implikation („Mitgedachtes“): Die Bedeutung einiger Wörter ist an bestimmte andere, im Satz evtl. nicht explizit erwähnte Wörter gebunden, die mitgedacht werden, z. B. Er ist blond. = Er hat blonde Haare. Es wiehert.-= Das Pferd wiehert. ▶ Selektion: Das Wort ist begrenzt kombinierbar, z. B. benötigt man für das Verb hören ein belebtes Subjekt, z. B. Das Kind hört Musik. und nicht *Der Tisch hört Musik. ▶ Affinität: Auch hier gibt es eine gewisse Einschränkung in der Kombinierbarkeit zwischen Wörtern, allerdings ist die Auswahl größer; es geht eher um Wörter, die relativ häufig zusammen auftreten und „gute Partner“ darstellen, z. B. stehen: für alle Lebewesen mit Beinen (Der Hund steht im Gemüsebeet.) und- - als Gegensatz zu liegen- - für Gegenstände, die eine eher vertikale Ausrichtung haben (Die Tasse steht auf dem Tisch.). 180 3. Das Wortfeld 3. Das Wortfeld Der Terminus „Wortfeld“ wurde von Jost Trier in seinem Buch „Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes“ 1931 eingeführt. Er bezeichnet eine Menge von sinnverwandten Wörtern, die (möglichst lückenlos) einen bestimmten sachlichen oder begrifflichen Bereich abdecken sollen und sich gegenseitig begrenzen. Nach einer engen Definition dürfen nur Wörter derselben Wortart (also z. B. nur Substantive, nur Verben, nur Adjektive) einem bestimmten Wortfeld zugeordnet werden. Der Gedanke dahinter ist, dass der Inhalt eines Wortes nur vollständig erfasst werden kann, wenn das ganze Feld bekannt ist. Außerhalb des Feldes hat ein einzelnes Wort demnach nur eine unklare Bedeutung. Die Bedeutung eines Wortes ist nicht isoliert, sondern wird immer vor dem Hintergrund der anderen Wörter des Feldes bestimmt. Zweck des Wortfeldes ist eine sinnvolle Gliederung des Wortschatzes. Will man ein Wortfeld erstellen, so muss man die onomasiologische Herangehensweise (siehe oben) anwenden: Man geht von einem Begriff bzw. außersprachlichen Sachverhalt oder Gegenstandsbereich aus und fragt nach allen Sprachzeichen, die den Begriff abdecken. So entsteht ein onomasiologisches Paradigma: ein Wortfeld. Beispiel: Schuh: Halbschuh, Pantoffel, Sandalen, Kinderschuh, Schnürschuh, Spitzenschuh (im Ballett), Badelatschen, Stoffschuh usw. Die verschiedenen Schuhtypen können wiederum in Gruppen eingeteilt werden, die Unterscheidung erfolgt z. B. durch das Material (Lederschuh, Stoffschuh-…), die Zielgruppe (Kinderschuh, Damenschuh, Herrenschuh), die Verwendungssituation (Badelatschen, Wanderschuh), die Art des Tragens / des Gebrauchs (Spitzenschuh: man geht auf den Zehenspitzen). Es liegen demzufolge ein Hyperonym (Oberbegriff) Schuh und viele Hyponyme (Unterbegriffe) bzw.- - in manchen Fällen auch- - Synonyme (zur Definition vgl. Kap. VI . 7.3 Synonymie) vor. Betrachten wir das unten abgebildete Wortfeld „weiblicher Mensch / Frau“ (s. Abb. 6): Die dort aufgelisteten Wörter werden innerhalb des Wortfeldes noch einmal gruppiert und es werden die wichtigsten inhaltsunterscheidenden Merkmale genannt, z. B. mit sexueller Erfahrung (Ehefrau, Mutter, Witwe), ohne sexuelle Erfahrung (Mädchen, Jungfrau, Jungfer), hohe Stillage bzw. Schicht (Dame, Gemahlin, Call-Girl, Vamp) etc. Anders angelegt sind so genannte (mehr oder weniger geschlossene) Wortreihen, z. B. Farben, Jahreszeiten, Zensurenskalen, Temperaturwörter, Monats- oder Wochentage. Die beteiligten Wörter decken zusammen einen Sachver- 180 3. Das Wortfeld 181 3. Das Wortfeld halts- oder Bedeutungsbereich mehr oder weniger vollständig ab und ihre Bedeutungen sind durch die Position innerhalb der Reihe bestimmt. Die Wörter mancher Wortreihen schließen sich gegenseitig aus (z. B. Jahreszeiten, Wochentage), bei anderen ist das nicht unbedingt der Fall (z. B. Farben). Abb. 6 Das Wortfeld „Frau“ im Deutschen 182 4. Die Semanalyse Die Einordnung von Wörtern in Felder hat auch Schwächen und es wurde in verschiedenen Punkten Kritik daran geübt: Das Bild vom Wortfeld lässt den Eindruck entstehen, dass die Bedeutungen sich klar voneinander abgrenzen und sich nicht überlappen. Es ist jedoch schwierig, genaue Grenzen innerhalb eines Wortfeldes auszumachen. Ebenso ist die vollständige und lückenlose Erfassung aller Wörter eines Wortfeldes kaum möglich. Nach der Wortfeldtheorie erhalten die Wörter eines Wortfeldes ihre Bedeutung erst durch die Stellung zueinander und zum ganzen Wortfeld sowie durch die Abgrenzung voneinander. Dies ist problematisch, da sich somit die Bedeutung eines Einzelwortes automatisch verändern würde, wenn sich im Wortfeld insgesamt etwas ändert- - beispielsweise wenn neue Wörter hinzukommen oder alte wegfallen. Auch kann man nicht davon ausgehen, dass jeder Sprachteilnehmer alle Einzelwörter eines Wortfeldes kennt, so dass es deshalb für jeden unterschiedlich aussieht und keine feste Form hat. Dennoch kann man die Einzelbedeutung wissen. Anzumerken ist schließlich noch, dass sowohl die Wörter des Wortfeldes als auch die Anzahl und Art der Seme (vgl. nächstes Kapitel) im Allgemeinen subjektiv ausgewählt werden und selten mit Vollständigkeit gerechnet werden darf. 4. Die Semanalyse Wortfelder sind geeignet, um eine Semanalyse durchzuführen. Bei der Semanalyse werden die Bedeutungen der Wörter in Merkmale zerlegt. Ziel ist es, zu beschreiben, in welchen Merkmalen sich die einzelnen Begriffe voneinander abgrenzen. Diese kleinsten inhaltsunterscheidenden (=-semantisch distinktiven) Merkmale werden Seme genannt. Seme, die in allen verglichenen Wörtern vorkommen, bilden das Archisem. Es ist gleichzeitig der Oberbegriff eines Wortfeldes, z. B. in unserem oben genannten Beispiel ‚weiblicher Mensch‘. Mittels der Seme wird die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks beschrieben, wobei die Summe aller Seme die Gesamtbedeutung eines Wortes ergibt: das Semem. In der Praxis sieht das so aus: Sollen Sie zu einem Wortfeld eine Semanalyse durchführen, verwenden Sie dazu alle Wörter, die Sie für das Wortfeld ermittelt haben. Legen Sie dann Seme fest und überprüfen Sie deren Vorkommen oder Fehlen bei den Wörtern des Wortfeldes. So bekommen wir jeweils eine individuelle +/ - -Liste, die für jedes Wort anders lauten muss. In dem Wortfeld ‚weiblicher Mensch‘ haben wir einige Seme genannt, z. B. ‚jung‘, ‚ledig‘, ‚böse‘, 183 4. Die Semanalyse ‚verführerisch‘. Eine Semanalyse ist hier noch nicht möglich, da es zu wenige Seme sind, um die Gesamtbedeutung der einzelnen Begriffe (Sememe) zu ermitteln. Grundsätzlich ist anzuzweifeln, ob durch die relativ grobe Aufzählung von Semen die Gesamtbedeutung der einzelnen Wörter deutlich wird. Problematisch ist eine Semanalyse z. B. auch bei Abstrakta, wie Wörtern, die dem Gefühlsbereich zuzurechnen sind (Liebe, Sehnsucht, Traurigkeit, Freude,-…) oder bei komplementären Wörtern einer Wortreihe, wie Zensuren oder Jahreszeiten. Zur Veranschaulichung einer Semanalyse verwenden wir ein anderes Beispiel. Das Wortfeld „Fahrzeug“ liefert uns beispielsweise folgende dazugehörige Ausdrücke: Fahrrad, Motorrad, PKW , Zug, Flugzeug, Schlitten, Kutsche, Schiff. Zu jedem Wort könnten wir wiederum Synonyme bzw. Hyponyme (für Auto etwa: KFZ , Sportwagen, Cabriolet etc.) finden. Eine mögliche Semanalyse ist in der nachfolgenden Tabelle dargestellt: ‚mit Rädern zur Straßenbenutzung‘ ‚zur Fortbewegung‘ ‚mit Dach‘ ‚motorisiert‘ ‚zur Lastenbeförderung‘ ‚zu Land‘ ‚mit Lenkrad‘ Fahrrad + + - - - + + Motorrad + + - + - + + PKW + + + + + + + Zug - + + + + + - Flugzeug - + + + + - + Schlitten - + - - + + - Kutsche + + +/ - - + + - Schiff - + +/ - +/ - + - + + (= trifft zu), - (= trifft nicht zu), +/ - (= kann zutreffen). Das Archisem heißt ‚zur Fortbewegung‘. Sehen Sie sich zur weiteren Veranschaulichung das nachfolgende Beispiel aus dem Alltag an. Es handelt sich um eine Anfrage an die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS): ✉ „Während unseres heutigen Teetrinkens entwickelte sich eine Diskussion darüber, ob wir unseren Tee aus Tassen oder Bechern trinken. Verschiedene Diskussionsver- 184 5. Prototypensemantik suche führten zu keinem Ergebnis, denn z. B. haben zwar die meisten Tassen einen Henkel, dies ist jedoch kein Kriterium, da Mokkatassen nicht unbedingt einen haben müssen. Der Versuch, Becher darüber zu definieren, dass sie keine Untertasse haben, fruchtete auch nicht, da nicht zwingend jede Teetasse eine Untertasse hat.“ (Hervorhebungen im Original) (aus: Der Sprachdienst 3 / 03, S. 105) Die GfdS konnte auch keine eindeutigen Unterscheidungskriterien zwischen Becher und Tasse nennen. Sie sehen daran, dass demzufolge auch eine Semanalyse z. B. zu Trinkgefäß hier nicht weiterhelfen könnte. Ein Kritikpunkt an der Semanalyse allgemein fällt auch hier auf: Die einzelnen Merkmale, die Seme, die man für eine solche Analyse verwendet, müssen bereits vorher bekannt sein. 5. Prototypensemantik An der Bedeutungsbeschreibung durch Wortfeld und Semanalyse gibt es-- wie oben bereits erwähnt-- nicht unerhebliche Kritik und zudem auch praktische Probleme, z. B. scheint sich die Semanalyse in der Beschreibung der Bedeutungskomponenten nur auf ein gerade hinreichendes Minimum an notwendigen Einzelmerkmalen zu beschränken und damit einige Vertreter von Kategorien nicht zu berücksichtigen (Wann ist eine Tasse keine Tasse mehr, sondern ein Becher? Ist ein Stuhl kein Stuhl mehr, wenn er nur drei Beine hat? ). Außerdem suggeriert die Semanalyse, dass es klare Grenzen zwischen den einzelnen Kategorien gibt. Einen neuen Ansatz zur Bedeutungsbeschreibung lieferte Eleanor Rosch durch psychologische Untersuchungen in den 1960er / 70er Jahren. Sie fand heraus, dass es für bestimmte Kategorien besonders typische, „beste“ Exemplare gibt, die diese Kategorie stellvertretend durch ihre Seme repräsentieren. Tests verlaufen nach dem Muster: „Stellen Sie sich ein/ e x (Werkzeug, Obst, Fahrzeug, Farbe etc.) vor und beschreiben Sie diese/ n/ s“ oder „Nennen Sie eine / n x (Werkzeug, Obst, Fahrzeug, Farbe etc.)“. Bei diesen Tests stellte sich heraus, dass Menschen desselben Kulturraums gleiche oder sehr ähnliche Antworten gaben. So ist für einen Mitteleuropäer ein Apfel ein typisches Obst, während Personen aus Hawaii vielleicht eher an eine Ananas denken. Dieser typische Vertreter einer Kategorie wird „Prototyp“ genannt. 185 5. Prototypensemantik Abb. 7 Der prototypische Vogel Am Beispiel „Vogel“ (s. Abb. 7) kann man erkennen, dass es in dem Konzept für „Vogel“ einen Kern der Bedeutung gibt, in dem für uns Mitteleuropäer etwa das Rotkehlchen angesiedelt ist. Ein Konzept ist die Vorstellung, die mentale Beschreibung (in unserem Kopf) mit allen möglichen Eigenschaften eines in der Realität vorhandenen Referenzobjekts, beispielsweise des „Vogels“. Weil dieses Konzept sich auf eine ganze Menge von Vogelarten bezieht, spricht man zugleich von einer Kategorie (=- strukturiertes Konzept). Je weiter wir diesen Kern-- bei Vogel, wie gesagt, beispielsweise das Rotkehlchen-- verlassen, desto untypischer werden die Exemplare für unsere Kategorie und desto länger müssen wir etwa überlegen, ob ein Pinguin überhaupt ein Vogel ist. Dieser Rand- 186 6. Dimensionen der Bedeutung eines Wortes bereich wird auch Peripherie genannt; er ist „unscharf “ und kann sich evtl. mit anderen Kategorien überlagern. Ein Stuhl mit drei Beinen (und Lehne) würde in die Peripherie unseres Konzepts von „Stuhl“ gehören und sich z. B. mit dem von „Hocker“ überschneiden, da der prototypische Hocker keine Lehne hat, aber drei Beine aufweisen kann. Insgesamt erweist sich das Modell der Prototypensemantik als weniger starr und berücksichtigt auch kulturelle Unterschiede. Die oben genannten Theorien zur Bedeutungsspeicherung (bes. die Wortfeldtheorie) finden z. B. in der Logopädie eine praktische Anwendung. So setzt eine Therapie von Wortfindungsstörungen (z. B. nach einem Schlaganfall) nicht nur Kenntnisse darüber voraus, wie auf ein Wort zugegriffen wird, sondern auch, nach welchem System Wörter mental organisiert sind (definitiv nicht alphabetisch! ). Wenn nun ein Patient bei Vorlage eines Bildes den abgebildeten Gegenstand Tisch als Schrank bezeichnet, so kann eine Therapie damit ansetzen das Wortfeld „Möbel“ wieder zu rekonstruieren. Der Patient befindet sich nämlich bereits im richtigen Wortfeld (er hat den Gegenstand z. B. nicht als Banane bezeichnet), jedoch stimmen die Unterbegriffe noch nicht. 6. Dimensionen der Bedeutung eines Wortes Bisher haben wir recht allgemein von der Bedeutung von Wörtern gesprochen. Diese gliedert sich aber genauer in Denotation und Konnotation und ist durch Assoziationen mit anderen Wörtern verbunden. Außerdem können Wörter Haupt- und Nebenbedeutungen besitzen und kommen gewöhnlich in Kontexten vor, in denen sie eine bestimmte, „aktuelle“ Bedeutung besitzen. a) Denotation Die sachlich neutrale Information über ein Wort, wie sie z. B. im Wörterbuch zu finden ist, nennt man die Denotation (lat. denotatio ‚Bezeichnung‘) eines Wortes oder das Denotat. Dieser „begriffliche Kern“ ist z. B. für Hund im Deutschen Universalwörterbuch des Duden-Verlags (7. Aufl. 2014) folgendermaßen angegeben: ‚(in vielen Rassen gezüchtetes) kleines bis mittelgroßes Säugetier, das bes. wegen seiner Wachsamkeit u. Anhänglichkeit als Haustier gehalten wird, einen gut ausgebildeten Gehör- und Geruchssinn besitzt u. beißen u. bellen kann‘. 187 6. Dimensionen der Bedeutung eines Wortes b) Konnotation Wörter können aber neben dieser sachlichen Bedeutungskomponente auch Begleitgefühle wecken. Diese Mitbedeutungen nennt man Konnotationen (lat. connotatum ‚Mitbezeichnung‘); sie können entweder positiver oder negativer Art oder nicht vorhanden sein (neutral). Man spricht dementsprechend von positiv, negativ bzw. nicht konnotierten Wörtern. Konnotationen können überindividuell sein und sind dann auch im Wörterbuch vermerkt. Das Wort Köter etwa hat dieselbe Denotation wie Hund, ist aber negativ konnotiert. Ebenso verhält es sich mit Bulle für Polizist und Pack für Kinder. Jeder Mensch hat aufgrund seiner Lebenserfahrung individuelle Konnotationen; so kann bei jemandem das eher neutrale Wort Hund sehr negativ besetzt sein und z. B. Angst auslösen, weil er schon einmal von einem Hund attackiert wurde. Das Wort Hund ist dann für dieses Individuum negativ konnotiert. Von stilistisch konnotierten Wörtern spricht man, wenn die Wörter bestimmten Stilebenen zuzuordnen sind. So gehört Zahlungsmittel etwa einer höheren Stilebene an als Geld, Knete dagegen einer niederen. Konnotationen können sich auch ändern. So war Weib lange Zeit ein neutrales Wort mit dem Denotat ‚erwachsene weibliche Person, Ehefrau‘; erst im Laufe der Sprachgeschichte entstand die negative Konnotation, die das Wort heute hat (vgl. Kap. VI . 8. Bedeutungswandel). c) Assoziation Die Assoziation (lat. associare ‚verbinden‘) gehört nicht mehr zur eigentlichen Bedeutung eines Wortes, sondern führt davon weg. Allerdings besteht eine (nicht vollkommen beliebige) Verknüpfung des Wortes mit anderen Konzepten (vgl. Kap. VI . 5. Prototypensemantik), die kulturell oder individuell begründet sein kann. Für unser Beispiel Hund könnten individuelle Assoziationen vielleicht folgende sein: „Bei Hund denke ich an-… lange Spaziergänge-… dreckige Fußböden-… Flöhe-… Erdbebenopfer-…“. Die Assoziationen sind also als Begründung für bestimmte (pos./ neg.) Konnotationen zu sehen. Kulturell bedingt assoziieren z. B. die Inuit (Eskimos) mit Hunden etwas anderes als wir. 188 7. Bedeutungsrelationen d) Haupt-, Neben-, Gesamtbedeutung An die Hauptbedeutung eines Wortes denken wir gewöhnlich als Erstes, zum Beispiel ist das bei Maus ‚kleines Nagetier‘. Es ist die wichtigste Einzelbedeutung. Außerdem gibt es Nebenbedeutungen wie beispielsweise ‚Computerzubehör‘ oder kosend ‚Liebste(r)‘. Alle Bedeutungen zusammen machen die Gesamtbedeutung (lexikalische Bedeutung) des Wortes Maus aus (vgl. Kap. VI . 7.1 Polysemie). e) Aktuelle Bedeutung In konkreten Texten muss zunächst die aktuelle Bedeutung eines Wortes geklärt werden. Ist beispielsweise mit Maus der Kosename gemeint, so handelt es sich zugleich um eine Nebenbedeutung des Wortes. Des Weiteren kann man sich fragen, warum ein Autor dieses Wort und kein anderes verwendet. Die Klärung dieses Benennungsmotivs beruht oft auf der Interpretation des Textes und der Absicht des Autors. 7. Bedeutungsrelationen Bisher haben wir uns mit der Beschreibung von Bedeutungen beschäftigt, beim sprachlichen Zeichen die signifié-signifiant-Relation. Im Folgenden werden wir Bedeutungsbeziehungen, also das Verhältnis von zwei oder mehreren Bedeutungen, beschreiben (signifié-signifié-Relation). 7.1 Polysemie Polysemie (griech. polys ‚viel‘) liegt vor, wenn ein Wort mehrere (zusammengehörige) Bedeutungen hat, d. h., die Sememe stehen in Beziehung zueinander und mindestens ein semantisches Merkmal ist identisch. Hierunter fallen auch Haupt- und Nebenbedeutungen (vgl. Kap. VI . 6. Dimensionen der Bedeutung eines Wortes). Maler: 1. Künstler 2. Handwerker gemeinsames semantisches Merkmal: ‚jemand, der mit Pinsel und Farbe etwas schafft‘ (der eine ein Kunstwerk, der andere streicht als Handwerker etwas an) 189 7.1 Polysemie Decke: 1. Decke zum Zudecken (Bettdecke, Tischdecke usw.) 2. Zimmerdecke gemeinsames semantisches Merkmal: ‚etwas abdecken‘ Glocke: 1. Kirchenglocke 2. Klingel gemeinsames semantisches Merkmal: Geräusch Veilchen: 1. stark duftende, blaue Frühlingsblume 2. blaues Auge gemeinsames semantisches Merkmal: Farbe Birne: 1. Frucht 2. elektrische Lichtquelle gemeinsames semantisches Merkmal: Gestalt klar: 1. hell, leuchtend 2. deutlich gemeinsames semantisches Merkmal: ‚ungetrübt‘ Polysemie entsteht häufig durch metaphorische (bildliche) oder metonymische Übertragung. Bei Metaphern spricht man auch von einem gekürzten Vergleich- - er wird nicht explizit genannt- -, z. B. Veilchen: Ein blaues Auge hat die Farbe der gleichnamigen Blume. Die Ähnlichkeitsbeziehung kann, wie die Beispiele zeigen, auf ganz unterschiedlichen Merkmalen (auch Geräusch oder Gestalt) beruhen. Die Metonymie ist enger anzusetzen als die Metapher: Es ist die Übertragung einer Bezeichnung auf einen Begriff, der mit dem ursprünglichen in kausaler, zeitlicher oder räumlicher Beziehung steht, z. B. Grass lesen, ein Glas trinken, Cognac genießen (nach der gleichnamigen Region) (vgl. Kap. XI . 6. Stilfiguren). Betrachten Sie zur Verdeutlichung auch diese Beispiele aus Werbeanzeigen: 190 7. Bedeutungsrelationen Abb. 8 Werbeanzeige für Sportschuhe Die Renner-- federleicht, farbenfroh und modisch. Sportschuhe sind der Hit für den Sommer. Abgebildet sind verschiedene Arten von Sportschuhen. Renner hat hier nicht nur die ursprüngliche Bedeutung (Substantiv von rennen, besonders beim Pferd: ‚gutes, schnelles Rennpferd‘), sondern auch die übertragene: Diese Sportschuhe sind in diesem Jahr besonders beliebt, verkaufen sich sehr erfolgreich, gehen besonders schnell über die Ladentheke. Als gemeinsames semantisches Merkmal könnte man ‚schnell‘ ansetzen. Mein Fitnesstrainer ist ’ne Flasche! Auf dem Werbeplakat ist eine Mineralwasserflasche zu sehen. Der Leser soll durch die unpassende Wortzusammenstellung aufmerksam gemacht werden. Ohne das Bild würden wir davon ausgehen, dass der Fitnesstrainer ein Versager, umgangssprachlich eine Flasche, ist. Der Zusammenhang zum Behältnis mit halsförmiger Öffnung erklärt sich-- nach dem Etymologischen Wörterbuch des Deutschen von Wolfgang Pfeifer-- „aus der Vorstellung 191 7.2 Homonymie einer Flasche ohne Inhalt, ohne Substanz, nach der Flasche (wie auch andere Bezeichnungen für Hohlkörper) eine abschätzige Bedeutung annimmt.“ 7.2 Homonymie Homonymie (griech. homōnymia ‚Gleichnamigkeit‘) liegt vor, wenn (mindestens) zwei Wörter bei gleicher Schreibung und Lautung unterschiedliche Bedeutungen haben. Das heißt, die Sememe stehen in keiner Beziehung zueinander und es liegt kein gemeinsames semantisches Merkmal vor. Im Wörterbuch haben wir deshalb auch mehrere (eigenständige) Einträge. Reif 1 : ‚Ring‘ Reif 2 : ‚gefrorener Tau‘ Ton 1 : ‚Lehm‘ Ton 2 : ‚Laut, Klang‘ ausschlagen: 1. eine Schublade mit Papier versehen / auslegen 2. Bäume schlagen aus (‚austreiben‘) 3. Pferde schlagen aus (‚treten‘) 4. Zeiger schlagen aus (‚anzeigen‘) 5. ein Angebot ausschlagen (‚nicht annehmen‘) 6. sich / jemandem die Zähne ausschlagen (‚heraushauen‘) Die 1. Bedeutung ist zu den übrigen homonym. Die Bedeutungen 2-6 sind polysem: Gemeinsames semantisches Merkmal ist ‚in eine Richtung bewegen‘. 5. ist metaphorisch gebraucht. Bauer 1 : ‚Landwirt‘ Bauer 2 : ‚Vogelkäfig‘ Bei diesem Beispiel ist zwar für den Durchschnittssprecher eine Übereinstimmung nicht mehr ersichtlich. Wenn man jedoch in einem etymologischen Wörterbuch nachschlägt, wird deutlich, dass die beiden Wörter auf einen gemeinsamen Ursprung im 8. Jahrhundert zurückgehen. Ahd. būr bedeutet ‚Wohnung, Vorratshaus, Keller‘. Bauer kommt von ahd. giburo ‚Mitbewohner, Stammesgenosse, Nachbar‘, d. h., es bedeutet eigentlich ‚wer die Wohnung mit einem anderen gemeinsam hat‘. 192 7. Bedeutungsrelationen Man kann synchron oder diachron entscheiden. Im zweiten Fall sind aber sprachgeschichtliche Kenntnisse notwendig, die wir nicht voraussetzen wollen. Wir lassen also das historische Kriterium außen vor und sprechen aus synchroner Perspektive dann von Homonymie, wenn wir (heute) keinen inhaltlichen Zusammenhang der Bedeutungen erkennen können. Demnach liegt bei Bauer Homonymie vor. Sonderfall: Homophonie / Homographie Homophone (griech. homo ‚gleich‘, griech. phon ‚Ton, Lautstärke‘) sind Wörter, die gleich lauten, aber unterschiedlich geschrieben werden, so z. B. Mohr- - Moor, Lerche- - Lärche, Lid- - Lied oder malen- - mahlen. Das Prinzip der Rechtschreibung, das hier dahintersteht, ist die Homonymenscheidung durch unterschiedliche Schreibweisen (vgl. Kap. VIII . 3. Rechtschreibprinzipien), um wenigstens in der Schreibung eine Verwechslungsgefahr auszuschließen. Homographe (griech. homo ‚gleich‘, griech. graphein ‚schreiben‘) dagegen sind Wörter, die gleich geschrieben, aber unterschiedlich ausgesprochen werden, vgl. módern ‚verrotten‘-- modérn ‚aktuell‘ oder der Slogan einer Suchtpräventionsstelle Sucht sucht Sinn (kurzes vs. langes u). In beiden Fällen liegt auch Homonymie vor, d. h., die beiden Wörter haben keine gemeinsamen Seme. Während bei der oben beschriebenen „reinen“ Homonymie weder in Schreibung noch in Lautung ein Unterschied festzustellen ist (die Wörter sind also sowohl homophon als auch homograph), geben Homophone durch die Schreibung und Homographe durch die Lautung Hinweise auf gänzlich unterschiedliche Wortbedeutungen. Probleme zur Unterscheidung von Polysemie und Homonymie bleiben also für die (häufigen) Fälle, in denen Schrift und Aussprache identisch sind. 7.3 Synonymie Zwei Wörter sind synonym (griech. synōnymia ‚Namensgleichheit‘), wenn sie bei unterschiedlicher Lautgestalt dieselbe Bedeutung haben, d. h., sie weisen Semidentität auf und sind gegeneinander ersetzbar. Echte Synonymie (Synonymie im engeren Sinne) zwischen zwei Wörtern liegt nur in seltenen Fällen vor, da es in den Bedeutungen vor allem im Bereich der Konnotationen und 193 7.3 Synonymie der Stilebene normalerweise Unterschiede gibt. „Echte“ Synonyme sind z. B. beginnen-- anfangen, Lift-- Aufzug, Orange-- Apfelsine. Synonymie (im weiteren Sinne) bezieht sich immer nur auf ein identisches Denotat. Unter dieser Definition sind etwa Auto-- Schlitten-- KFZ -- Wagen synonym. Dafür, dass echte Synonymie selten ist, gibt es sprachliche Gründe: Sprache soll ökonomisch sein, d. h., für einen bereits existierenden Ausdruck ist ein weiteres Wort nicht nötig bzw. auch nicht erwünscht. Ein dazu gegenläufiges Prinzip ist das der größtmöglichen Differenziertheit: Ist doch ein gleicher Ausdruck vorhanden, so wird er zur Bedeutungsdifferenzierung/ -nuancierung herangezogen. Ein Beispiel dafür, wie diese beiden Prinzipien wirken, ist die Entwicklung der Wörter Frau und Weib. Im Althochdeutschen bedeutete Frau ‚verheiratete, adelige Frau, Herrin‘, Weib dagegen bezog sich nicht auf einen Stand und bedeutete lediglich ‚verheiratete Frau‘. Im Laufe der Sprachgeschichte verliert Frau den Zusatz ‚adelig‘ und steht damit als echtes Synonym neben Weib. Da die Sprache aus ökonomischen Gründen kaum echte Synonyme benötigt, wird Weib konnotativ abgewertet und leistet damit einen Beitrag zur Sprachnuancierung, d. h. zu einem möglichst breiten Wortfeld ‚weiblicher Mensch‘ (vgl. Kap. VI . 3. Das Wortfeld). Auf der Ebene der Sätze / Syntagmen sind synonyme Formulierungen viel häufiger und stellen nichts Außergewöhnliches dar. Vergleichen Sie folgende Satzbeispiele: Man hat den neuen Kanzler gewählt.-- Der neue Kanzler wurde gewählt. Der Rock muss gekürzt werden.-- Der Rock ist zu kürzen. Es ist schön, dass du kommst.-- Dass du kommst, ist schön. 194 7. Bedeutungsrelationen Sonderfall: Territoriale Dubletten Abb. 9 Die Bezeichnungen für 6 15 Uhr in den deutschen Umgangssprachen Ein Sonderfall der Synonymie sind die so genannten territorialen Dubletten. Dabei handelt es sich um regionale Varianten eines Begriffs (sowohl hinsichtlich der Denotation als auch der Konnotation). Diese Synonyme sind nicht auf der Ebene der Mundart angesiedelt, sondern wurden in größeren Gebieten in die dortige Umgangssprache übernommen. Beispiele dafür sind Tischler vs. Schreiner, Rahm vs. Sahne oder Samstag vs. Sonnabend. Die geographische Verteilung solcher regionalen umgangssprachlichen Varianten wird am besten anhand einer Karte dargestellt. Abbildung 9 zeigt die Möglichkeiten, im deutschsprachigen Raum die Uhrzeit zu benennen. 195 7.4 Antonymie 7.4 Antonymie Antonymie (griech. anti ‚gegenüber‘, onoma ‚Name‘) drückt die Gegensätzlichkeit von Bedeutungen aus und kann unterschiedlich weit gefasst werden. Es gibt absolute Gegensätze, die einen Bedeutungsbereich in genau zwei Hälften teilen und sich gegenseitig ausschließen. So kann jemand z. B. nicht gleichzeitig tot und lebendig sein, außerdem muss, wenn das eine nicht zutrifft, das andere zutreffen. Dieses sich ausschließende Vorkommen nennt man auch Komplementarität. Weitere Beispiele: innen-- außen, endlich-- unendlich, hungrig-- satt Relative Gegensätze haben wir dann, wenn nicht nur eine Zweiteilung des Bedeutungsbereichs vorliegt, sondern es eine Skala gibt. So ist zwar heiß das Antonym zu kalt, aber zwischen diesen beiden Polen gibt es noch warm oder lauwarm. Aus der Behauptung Meine Cola ist nicht kalt! kann also nicht gefolgert werden, dass die Cola heiß ist. Weitere Beispiele: groß-- klein, stark-- schwach, langsam-- schnell Die Verwendung von Antonymen für denselben Sachverhalt bzw. Gegenstand führt zu einer semantischen Unverträglichkeit der Wörter. Mit diesem Phänomen wird besonders im folgenden anonymen Spottgedicht aus dem 19. Jahrhundert gespielt, von dem es unzählige Varianten gibt. Hier ein kürzeres Beispiel: Dunkel war’s, der Mond schien helle, Schnee lag auf der grünen Flur. Als ein Wagen blitzeschnelle Langsam um die Ecke fuhr. Drinnen saßen stehend Leute, Schweigend ins Gespräch vertieft, Als ein totgeschoss’ner Hase Auf der Sandbank Schlittschuh’ lief. Drinnen saß ein holder Jüngling, Schwarzgelockt mit blondem Haar, Neben ihm ’ne alte Schachtel, Zählte kaum ein halbes Jahr, In der Hand ’ne Butterwecke, Die mit Schmalz bestrichen war. (aus: Deutsche Unsinnspoesie, hrsg. von Klaus Peter Dencker, Stuttgart 1978, S. 197) 196 8. Bedeutungswandel 7.5 Hyperonymie / Hyponymie Bei Hyperonymie und Hyponymie handelt es sich um das Verhältnis von Über- und Unterordnung (griech. hyper ‚über‘, griech. hypo ‚unter(halb)‘), beispielsweise Möbel (Hyperonym)-- Tisch (Hyponym) oder Tier-- Katze. Wir wollen die Bedeutungsrelationen, die zwischen einzelnen sprachlichen Zeichen / Wörtern herrschen können, noch einmal zusammenfassen: ▶ Mehrdeutigkeit von Wörtern (Polysemie) ▶ Bedeutungsübertragung (Metapher / Metonymie) ▶ kein Bedeutungszusammenhang bei gleicher Lautgestalt (Homonymie) ▶ Bedeutungsgleichheit (Synonymie) ▶ Bedeutungsgegensatz (Antonymie). ▶ Bedeutungsüber- und -unterordnung (Hyperonymie / Hyponymie) 8. Bedeutungswandel Im Laufe der Sprachgeschichte können sich Bedeutungen verändern. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Dies beispielsweise kann an der gesellschaftlich-sozialen Struktur oder an kulturellen Veränderungen liegen, z. B. können tabuisierte Wörter durch Metaphern ersetzt werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Arten des Bedeutungswandels anhand von Beispielen aufgeführt. a) Bedeutungserweiterung: Frau Mittelhochdeutsch (=- mhd.) frouwe ‚Edelfrau‘ hat sich zu neuhochdeutsch (=-nhd.) Frau ‚erwachsener weiblicher Mensch‘ gewandelt. Das Sem ‚edel‘ ist weggefallen. b) Bedeutungsverengung: Hochzeit Mhd. hōchzīt, hōchgezīt ‚hohes, großes (kirchliches) Fest, Feiertag‘; diese Bedeutung lässt sich bis ins 17. Jahrhundert nachweisen. Danach erscheint Hochzeit nur noch im heutigen verengten Sinne ‚Feier einer Eheschließung‘, während das 197 8. Bedeutungswandel aus dem Lateinischen entlehnte Fest die alte, allgemeine Funktion übernimmt. Das Sem ‚Eheschließung‘ ist also dazugekommen. c) Bedeutungsverschlechterung: Dirne Althochdeutsch (=-ahd.) thiorna bedeutet ‚Mädchen, Jungfrau, Dienerin‘. Die Bedeutung ‚Prostituierte‘ ist seit der Mitte des 15. Jahrhunderts nachzuweisen. Im Bayerischen gibt es noch die ursprüngliche Bedeutung, also Dirndl nach bairisch dyerndl (15. Jh.) ‚junges Mädchen‘. d) Bedeutungsverbesserung: Racker Mittelniederdeutsch racker, racher bedeutet ‚Totengräber, Abdecker‘ und wurde damals als Schimpfwort verwendet. Heute hat Racker die Bedeutung ‚Kind, das gerne Schabernack treibt / lustige Streiche macht‘. Die Bedeutung hat sich also deutlich verbessert. e) Bedeutungsübertragung (Metapher): Strom Ahd. stroum (8. Jahrhundert) bedeutet allgemein ‚schnell fließendes Wasser‘, im 18. Jahrhundert ‚großer breiter Fluss‘. Seit dieser Zeit findet sich auch der übertragene Gebrauch für eine ‚sich in eine Richtung bewegende Menschen- und Volksmenge‘ und in der Physik für elektrische Ladungen. Allgemeinsprachlich bedeutet Strom heute ‚Elektrizität‘. Das tertium comparationis zwischen der ursprünglichen und der heutigen Bedeutung ist die fließende Bewegung, von der man meinte, dass sie die Elektrizität und ein Fluss gemeinsam haben. f) Bedeutungsverhüllung (Euphemismus): Stuhl Stuhl in der Bedeutung ‚Sitzgelegenheit‘ wird ab dem 15./ 16. Jahrhundert auch als Bezeichnung für ‚menschlichen Kot‘ verwendet. Eigentlich ist damit der ‚Gang zum Nachtstuhl‘ gemeint. 198 9. Übungen g) Volksetymologie: Maulwurf Um Volksetymologie handelt es sich, wenn ein unbekanntes (Fremd-)Wort nach dem Vorbild eines ähnlich klingenden vertrauten Wortes umgedeutet wird. Der Maulwurf beispielsweise gilt als ein Tier, das mit dem Maul Erde aufwirft. Doch hat der Wortbestandteil Maulzwei volksetymologische Umdeutungen erfahren. Das erste Element von ahd. mûwerf gehört zu altenglisch mûha, mûwa (engl. mow) ‚Haufen‘. Die ursprüngliche Bedeutung von Maulwurf war also ‚Haufenwerfer‘. Das bereits in spätahd. Zeit nicht mehr verstandene mûwurde nun mit ahd. molta, mhd. molte ‚Erde, Staub‘ in Verbindung gebracht. Spätahd. moltwerf wiederum wurde dann in seinem ersten Bestandteil an mûl ‚Maul‘ angeglichen (vgl. Kap. IV . 5. Motiviertheit von Wortverbindungen). 9. Übungen 1. Stellen Sie ein Wortfeld zu „Gewässer“ zusammen. Führen Sie, ausgehend vom Wortfeld, eine Semanalyse durch und nennen Sie das Archisem. 2. In welcher (Bedeutungs-)Beziehung stehen die unterstrichenen Wörter? Liefern Sie dazu jeweils eine Begründung. a. Das Mehr an Arbeit ist nicht schlimm.-- Ich liebe das Meer. b. Mein Bruder ist ein Esel.-- Wir haben auf unserem Bauernhof einen Esel und vier Hühner. c. Meine Heirat wird ein tolles Erlebnis sein. Ich freue mich auf die Eheschließung. d. Das Tor ist offen.-- Was bist du für ein Tor! e. Feuer und Wasser sind lebenswichtig. f. Ich habe eine Katze. Sie ist ein schönes Tier. g. Die Blume ist weiß.-- Ich weiß nicht, wann ich dich abholen soll. h. Ich werde das nicht tun! -- Das kann ein anderer machen. i. Der Tenor in der Oper hat mir sehr gut gefallen.-- Tenor des Aufsatzes ist folgender-… j. Mein Pferd ist ziemlich wild.-- Das Pferd ist die flexibelste Schachfigur. k. Die Mutter meiner Freundin ist Lehrerin.-- In meinem Werkzeugkasten finde ich keine einzige Mutter mehr. 3. Geben Sie zwei Bedeutungen von abschneiden an. Handelt es sich um Polysemie oder Homonymie? Erläutern Sie Ihre Entscheidung. 199 10. Quellen und weiterführende Literatur 4. Erklären Sie mit folgenden Beispielen, was man unter Denotation, Konnotation und Assoziation versteht: Gesundheitsapostel, Ernährungsexperte, Völlerei (Die Wörter stammen aus: „Der King unter den Burgern. Die Stiftung Warentest hat Hamburger getestet: Sie sind besser als ihr Ruf-- wenn ein paar Regeln beachtet werden.“ In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 16, 21. 01. 2005, S. 11) 5. Welcher Bedeutungswandel liegt vor? a. mhd. varn ‚sich von einem Ort zum anderen bewegen‘-- nhd. fahren ‚ein Fahrzeug benutzen‘ b. mhd. marschalc ‚Pferdeknecht‘-- nhd. Marschall ‚höchster Offiziersrang‘ c. mhd. herberge ‚Unterkunft für das Heer‘-- nhd. Herberge ‚Unterkunft für Fremde‘ d. ahd. magad ‚Mädchen, Jungfrau‘-- nhd. Magd ‚Landarbeiterin, Dienerin‘ 10. Quellen und weiterführende Literatur Adamzik, Kirsten: Sprache: Wege zum Verstehen. 3., überarb. Aufl. Tübingen / Basel 2010. Kap. 10-16, S. 56-95. Die Kapitel zur Semantik sind gut verständlich und anschaulich geschrieben; zur Nacharbeitung des Gelernten empfohlen. Augst, Gerhard: Wortfamilienwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen 2009. Die Ordnung des Wortschatzes nach Wortfamilien ist nicht gängig, aber sinnvoll, um (etymologische) Beziehungen zwischen Wörtern aufzuzeigen. Wer sich noch eingehender mit Wortfamilien beschäftigen will, kann im 18-bändigen „Deutschen Wortfamilienwörterbuch“ von Jochen Splett (2009) nachsehen. Dornseiff, Franz: Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen. 8., völlig neu bearb. u. mit einem vollständigen alphabetischen Zugriffsregister versehene Aufl. von Uwe Quasthoff. Berlin 2004. Nachschlagewerk für 970 Sachgruppen, ergänzt um neue Themen, beispielsweise aus den Bereichen Börse, Computer, Medien, Medizin, Naturwissenschaften und Sport. 200 10. Quellen und weiterführende Literatur Duden. Das Bildwörterbuch. Hrsg. von der Dudenredaktion. 6., neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim 2005. Im Kap. Semantik zur Veranschaulichung des onomasiologischen Prinzips verwendet. Duden. Das Bedeutungswörterbuch. Hrsg. von der Dudenredaktion. 4., aktual. u. erw. Aufl. Mannheim 2010. Empfiehlt sich - wie Wahrig - zum Nachschlagen von Bedeutungsangaben. Duden. Das große Wörterbuch in zehn Bänden. Hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. 3., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim 1999. Nachschlagewerk. Duden. Das Synonymwörterbuch. Hrsg. von der Dudenredaktion. 6., vollständig überarb. Aufl. Mannheim 2014. Duden. Deutsches Universalwörterbuch. Hrsg. von der Dudenredaktion. 7., überarb. u. erw. Aufl. Berlin 2011 (Nachdruck 2014). Heusinger, Siegfried: Die Lexik der deutschen Gegenwartssprache. Eine Einführung. Paderborn 2004. In dieser Einführung werden Themen wie Bedeutungswandel, Mehrdeutigkeit und lexikalische Teilsysteme der Sprache (z. B. auf der Ebene der Subsysteme: Regionalismen, Lexik der Umgangssprache usw.) behandelt. Es gibt nur wenig didaktische Hilfen, die Zusammenfassungen sind jedoch sehr brauchbar. Keller, Rudi / Kirschbaum, Ilja: Bedeutungswandel. Eine Einführung. Berlin / New York 2003. An der sich besonders dafür eignenden Wortart der Adjektive zeigen die Autoren in verständlicher Weise die Möglichkeiten des Bedeutungswandels auf und liefern dafür interessante und aus dem Alltag bekannte Beispiele (z. B. die Bedeutungsveränderung von geil). Ein kurzweiliges und gut lesbares Buch! Kleiber, Georges: Prototypensemantik. Eine Einführung. 2. Aufl. Tübingen 1998. Wer sich besonders für das Thema interessiert, wird in diesem Buch umfassend über die Theorie informiert. Außerdem werden Leistungen und Grenzen der Prototypensemantik diskutiert. Linke, Angelika / Nussbaumer, Markus / Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik. 5., erw. Aufl. Tübingen 2004. Kap. Semantik, S. 149-192. Das Buch erweitert und vertieft in idealer Weise einige von uns thematisierte Bereiche der Semantik auf rund 30 Seiten und wird als knappe Ergänzung empfohlen. Löbner, Sebastian: Semantik. Eine Einführung. 2., überarb., aktual. u. erw. Aufl. Berlin 2015. 201 10. Quellen und weiterführende Literatur Es werden viele Bereiche behandelt, die für eine Einführung in die Gegenwartssprache noch nicht so geeignet sind. Zum gezielten Nachschlagen unseres Stoffes und zur Erweiterung des Gelernten bietet es sich jedoch in Teilen an. Lühr, Rosemarie: Neuhochdeutsch. 6. Aufl. München 2000. Kap. VI . Semantik, S. 247-264. Das knappe Semantik-Kapitel ist leicht zu lesen und entspricht inhaltlich in etwa unseren Ausführungen. Nübling, Damaris (in Zusammenarbeit mit Dammel, Antje / Duke, Janet / Szczepaniak, Renata): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 4., komplett überarb. und erw. Aufl. Tübingen 2013. Kap. Semantischer Wandel, S. 115-146 Zur Beschäftigung mit dem angegebenen Thema geeignet. Pfeifer, Wolfgang: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Ungekürzte, durchges. Ausg., 8. Aufl., München 2005. Bestens geeignet, um Bedeutungswandel nachzuschlagen. Pörings, Ralf / Schmitz, Ulrich (Hrsg.): Sprache und Sprachwissenschaft. Eine kognitiv orientierte Einführung. 2. Aufl. Tübingen 2003. Kap. 2 Wofür stehen Wörter? Lexikologie, S. 27-52. Das Kapitel Lexikologie ist als Ergänzung zu empfehlen. Behandelt werden auch in unserem Buch nicht thematisierte Bereiche der Semantik, z. B. „Sternförmige Netzwerke“ (Bedeutungsbeziehungen). Es gibt Zusammenfassungen, Leseempfehlungen und Aufgaben (leider ohne Lösungen). Polenz, Peter von: Deutsche Satzsemantik. 3. Aufl. Berlin / New York 2008. Das Buch führt thematisch über die von uns besprochenen Inhalte hinaus. Römer, Christine / Matzke, Brigitte: Der deutsche Wortschatz. Struktur, Regeln und Merkmale. Tübingen 2010. Lesenswert sind die beiden Kapitel „Beziehungen zwischen den Wörtern“ und „Wortbedeutungen: Merkmale und Beschreibungen“. Nach jedem Kapitel gibt es Übungen (Lösungen im Internet). Rosch, Eleanor: On the Internal Structure of Perceptual and Semantic Categories. In: Moore, Timothy E. (Hrsg): Cognitive Development and the Acquisition of Language. New York 1973, S. 111-144. In einem gut verständlichen Englisch stellt Rosch Experimente und Forschungsergebnisse vor und leitet daraus ihre Theorie der Prototypensemantik ab. Sie verwendet u. a. die Beispiele Farbe und Form („natürliche Prototypen“) außerdem Vögel, Fahrzeug, Straftat. 202 10. Quellen und weiterführende Literatur Schwarz, Monika / Chur, Jeanette: Semantik. Ein Arbeitsbuch. 6., grundlegend überarb. u. erw. Aufl. Tübingen 2014. Das Arbeitsbuch ist in Teilen zur Vertiefung und Erweiterung (z. B. Satz- und Textsemantik) geeignet, beinhaltet jedoch auch völlig neue Bereiche, wie die formale Semantik. Schön ist die Aufnahme von Aufgaben mit Lösungen am Ende des Buchs. Trier, Jost: Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Die Geschichte eines sprachlichen Feldes. Band I: Von den Anfängen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts. 2. Aufl. Heidelberg 1973. Erstauflage 1931. (digitalisiert 2007) Es handelt sich um eine wichtige Primärliteratur zum Wortfeld. Untersuchungsgegenstand sind alt- und mittelhochdeutsche Texte. Wahrig, Gerhard: Deutsches Wörterbuch. Hrsg. von Renate Wahrig-Burfeind. Mit einem „Lexikon der deutschen Sprachlehre“. 9., vollst. neu bearb. u. aktual. Aufl. Gütersloh u. a. 2012. Zum Nachschlagen von Bedeutungsangaben geeignet. Wanzeck, Christiane: Lexikologie. Göttingen 2010. Übersichtlich, gut lesbar und mit vielen Grafiken versehen. Die wichtigsten Begriffe zur Semantik werden entsprechend leserfreundlich erläutert. 203 1.1 Grundbegriffe: Phon - Phonem - Allophon VII. Phonologie und Phonetik Wenn wir sprachliche Zeichen weiter zerlegen, dann gelangen wir schließlich auf die Ebene der Laute. Sie sind das Grundgerüst der Sprache. Hier bewegen wir uns auf der Ausdrucksseite und nicht mehr auf der Inhaltsseite. Nur manche Laute haben auch eine Bedeutung, wie die Interjektionen Oh! oder Ah! . Normalerweise ergibt sich eine Wortbedeutung aber erst durch eine Verknüpfung von Lauten zu einer Lautkette. Laute sind auch charakteristisch für eine Sprache. Wenn wir eine fremde Sprache hören und nicht verstehen können, was gesagt wird, so können wir dennoch in vielen Fällen erkennen, ob jemand Französisch, Italienisch, Russisch oder eine asiatische Sprache spricht. Auch imitieren wir manchmal zum Spaß andere Sprachen, ohne sinnvolle Wörter zu produzieren. Welche Laute sind für das Deutsche typisch? Ganz charakteristisch deutsch sind der ich-Laut [ç] und die Affrikate [ p͜f ]. Deutsch klingende Wörter sind also beispielsweise Pfeffer und Pflicht. Die sprachwissenschaftlichen Teilgebiete, die sich mit der lautlichen Seite der Sprache beschäftigen, heißen Phonologie und Phonetik. 1. Phonologie Die Phonologie, auch Phonemik genannt, ist die Lehre von der funktionellen Analyse der Laute; sie interessiert sich dafür, welche Rolle Laute bei der Unterscheidung von Bedeutungen spielen. 1.1 Grundbegriffe: Phon - Phonem - Allophon a) Phon und Phonem Ähnlich wie bei der Unterscheidung zwischen Morph und Morphem unterscheiden wir zwischen Phon (auf der Ebene der Parole) und Phonem (auf der Ebene der Langue). So werden Lautketten (Wörter) zunächst in Phone (Laute) zerlegt; ein Phon ist demnach eine noch unklassifizierte kleinste Lauteinheit; nach einer Klassifikation liegen Phoneme vor. Sie sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Lauteinheiten (vgl. dagegen: Morpheme sind 204 1. Phonologie bedeutungstragend). Ein Phonem kann laut dieser Definition immer nur durch den Vergleich zweier Wörter gewonnen werden, denn nur dann kann man erkennen, ob sich die Bedeutung ändert. Das Wort Kern etwa besteht aus vier Lauten. Wenn wir nun testen wollen, ob e ein Phonem des Deutschen ist, so müssen wir ein Wort finden, das unter Austausch nur dieses Lautes an genau dieser Stelle des Wortes zu einem Wort mit einer anderen Bedeutung führt. Wenn wir e gegen o austauschen, erhalten wir Korn, ein Wort mit einer anderen Bedeutung. Wir haben damit nachgewiesen, dass e und auch o - der Test funktioniert ja auch andersherum- - Phoneme des Deutschen sind, d. h. eine bedeutungsunterscheidende Funktion haben. Ein derartiges Wortpaar (z. B. Kern-- Korn) nennt man ein Minimalpaar. Zum Auffinden von Minimalpaaren dürfen Sie nur einen einzigen Laut austauschen. Achten Sie dabei nur auf die Lautung der Wörter (die Schreibung kann manchmal irreführend sein), damit Sie sicher gehen können, dass die lautliche Umgebung gleich bleibt. Wortartengrenzen spielen übrigens keine Rolle; allerdings dürfen Sie für Minimalpaare nur deutsche Wörter verwenden! Wird ein Minimalpaar gefunden, handelt es sich also bei dem entsprechenden Phon immer um ein Phonem. Um nachzuweisen, dass ein Phon ein Phonem des Deutschen ist, ist es ausreichend, wenn ein einziges Minimalpaar gefunden werden kann. Bei unserem Beispielwort Kern findet man z. B. für k relativ einfach ein Minimalpaar: Kern-- gern; für die restlichen Phone ist das nicht so einfach. Ihr Phonemstatus kann aber in Minimalpaaren wie nennen und rennen oder Nasen und Rasen nachgewiesen werden. Folgende Beispiele sind Minimalpaare: Kiel-- Kohl zum Nachweis des Phonemstatus von langem i und langem o Fülle-- fühle zum Nachweis des Phonemstatus von kurzem und langem ü viel-- voll zum Nachweis des Phonemstatus von langem i und kurzem o reisen-- reißen zum Nachweis des Phonemstatus von stimmhaftem und stimmlosem s (zur Verteilung von stimmhaftem und stimmlosem s im Deutschen siehe unten) Pferd-- Herd zum Nachweis des Phonemstatus von / p͜f / und / h/ . Dass die Laute der Affrikate (vgl. Kap. VII . 2.4 Bildung der Konsonanten) zusammen nur ein Phonem sind, beruht auf Konvention. 205 1.1 Grundbegriffe: Phon - Phonem - Allophon Phoneme werden folgendermaßen gekennzeichnet: / g/ , / k/ , / n/ , / r/ , / ei/ , / p ͜ f/ , / ʃ/ etc. Man kann für die Phoneme die Zeichen der Lautschrift (vgl. Kap. VII . 2.1 Die Lautschrift) oder die Buchstaben verwenden, mit denen das Phonem meist verschriftlicht wird. Eine einheitliche Regelung hat sich in der Forschung noch nicht durchgesetzt. Folgende Beispiele sind keine Minimalpaare: Schal-- Stahl: Es findet ein Austausch von einem Laut [ ʃ ] gegen zwei Laute [ ʃ ] und [t] statt. Straße-- Trasse: Es ändern sich zwei Laute: Das anlautende s fällt weg und das lange a wird durch ein kurzes ersetzt. Stadt-- statt: kein lautlicher Unterschied Schorf-- schroff: Die Positionen zweier Laute werden vertauscht. Unterscheiden zwei Laute in derselben Position Wortbedeutungen, so sagt man auch, dass sie dort in Opposition zueinander stehen. b) Freie und komplementär verteilte Allophone Wir wissen bereits, dass wir neben Morph und Morphem das Allomorph als Variante eines Morphems unterscheiden. Parallel dazu gibt es das Allophon, welches eine Variante ein und desselben Phonems ist. Es gibt freie oder komplementär verteilte Allophone. Allophone werden in eckige Klammern gesetzt, z. B. [ r ] und [r]. Ob jemand z. B. das Wort rot mit einem Zungenspitzen-[r] oder mit einem Zäpfchen-[r] ausspricht, ist für die Bedeutung dieses Wortes nicht wichtig. Obwohl die beiden Laute sehr unterschiedlich sind-- sie werden gänzlich anders gebildet-- haben sie keine bedeutungsunterscheidende Funktion; es handelt sich also nicht um zwei Phoneme des Deutschen, sondern um Varianten ein und desselben Phonems / r/ , die der Sprecher beliebig wählen kann und die damit freie Allophone sind. Ebenso verhält es sich z. B. mit einem bairischen [a: ], welches sehr dunkel, fast wie ein [o: ] ausgesprochen wird. 206 1. Phonologie Komplementär verteilte Allophone sind nie frei, sondern treten in einer bestimmten lautlichen Umgebung auf. Das ist der Fall beim so genannten ich- und ach-Laut. Nach hellen Vokalen (e, i, ä, ö, ü) und hellen Diphthongen (ei, ai, eu, äu) z. B. wird der ich-Laut gesprochen-- in der Lautschrift als [ç] dargestellt: z. B. in Recht, ich, Fächer, gleich; nach dunklen Vokalen (a, o, u) und dem Diphthong au wird der weiter hinten am Gaumen gebildete ach-Laut gesprochen-- in der Lautschrift als [x] dargestellt: z. B. in ach, Loch, Buch, Bauch. Diese stellungsbedingten Allophone sprechen wir automatisch aus. Sie heißen komplementär verteilte Allophone, weil sie sich keine gemeinsamen Positionen in einem Wort teilen und sie auch nicht gegeneinander austauschbar sind; wo [ç] vorkommt, kommt nie [x] vor und umgekehrt. 1.2 Distribution von Phonemen Das Phänomen, dass Laute an eine bestimmte Umgebung gebunden sind, kennt man nicht nur bei den Allophonen. Auch Phoneme unterliegen einer bestimmten Distribution (Verteilung). Hier ein paar Beispiele: a) Auslautverhärtung Die Phoneme / d/ , / b/ und / g/ können nie im Silben- oder Wortauslaut vorkommen, da hier das Gesetz der Auslautverhärtung greift und die Laute an diesen Positionen stets „hart“ ausgesprochen werden, also zu den Phonemen / p/ , / t/ und / k/ gehören. Vergleichen Sie den Phonemstatus von d und t in den Wortpaaren Dorf-- Torf und Rat-- Rad. Nur das erste Wortpaar ist ein Minimalpaar, d und t sind hier also Phoneme. In den Wortpaaren Rat-- Rad liegt aufgrund der Auslautverhärtung kein lautlicher Unterschied vor; wir haben kein Minimalpaar und damit auch keinen Phonemnachweis für / d/ und / t/ an dieser Position. Vielmehr handelt es sich beide Male um das Phonem / t/ . b) Verteilung von stimmhaftem und stimmlosem s Wir haben bereits oben nachgewiesen, dass es sich bei den beiden s-Lauten um eigenständige Phoneme des Deutschen handelt (vgl. reisen-- reißen). Ihre Distribution ist jedoch nicht beliebig. Stimmhaftes s finden wir im Wort- oder Silbenanlaut vor Vokal (Sonne, sagenhaft, verseuchen, besuchen); stimmloses s an allen anderen Positionen (also im In- oder Auslaut: Hass, Haus, vergessen, 207 1.2 Distribution von Phonemen außerdem im Anlaut vor Konsonant: Skelett); eine Ausnahme bildet die Position nach Diphthong oder Langvokal: Sie kann sowohl durch stimmhaftes als auch stimmloses s besetzt werden. In der süddeutschen Standardlautung gibt es die Unterscheidung stimmhaft-- stimmlos nicht, denn das stimmhafte s wird normalerweise nicht verwendet. Streng genommen, gibt es also in Süddeutschland nur ein S-Phonem: das stimmlose. Darüber hinaus wird in weiten Teilen des deutschen Sprachgebietes das stimmhafte s am Wortanfang nur noch stimmlos ausgesprochen. c) Verteilung von / ŋ/ und / n/ Mit dem Minimalpaar Spanne-- Spange ist nachgewiesen, dass / n/ und / ŋ/ zwei Phoneme des Deutschen sind. Ihre Distribution ist allerdings begrenzt. So kommt / ŋ/ nie im Anlaut vor, / n/ dagegen nie vor / k/ (vgl. Enkel oder schenken). Im Gegensatz zur komplementären (sich gegenseitig immer ausschließenden) Distribution spricht man in den hier genannten Fällen auch von teilkomplementärer Distribution, da sich der gegenseitige Ausschluss nur auf bestimmte Positionen im Wort beschränkt. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Verteilung von / sch/ (und nie / s/ ) vor t und p im Anlaut, z. B. in Stuhl, spinnen, / s/ dagegen im Inlaut z. B. bei Wurst und Kunst. 2. Phonetik Gegenstand der Phonetik sind die konkreten artikulatorischen und akustischen Merkmale einer Sprache, also die physikalischen Schallsignale, so wie sie ein Sprecher erzeugt bzw. ein Hörer versteht. Die Phonetik wird in drei Bereiche unterteilt: a) artikulatorische Phonetik Hier wird die Erzeugung von Sprachlauten mit Hilfe von Artikulation, Atmung und Phonation (Stimmtonerzeugung) beschrieben. Im Vordergrund steht dabei die Artikulation, die sich auf die Lautbildung im Nasen-, Mund- und Rachen- 208 2. Phonetik raum bezieht. Die Beschreibung erfolgt nach Ort und Art der Lautbildung sowie nach dem Artikulationsorgan. b) akustische Phonetik Mit Hilfe von Messinstrumenten ermittelt man Intensität, Quantität (Dauer) und Frequenz (Tonhöhe) der Laute. Man untersucht, wie der Laut klingt. c) auditive Phonetik Überprüft werden Aufnahme und Identifizierung von Lauten, d. h., man widmet sich den Vorgängen bei der Verarbeitung von Lauten durch Ohr, Gehörnerven und Gehirnzentrum. Wir beschäftigen uns nur mit der artikulatorischen Phonetik. 2.1 Die Lautschrift IPA -Zeichen Beispielwörter laut deutscher Standardaussprache IPA -Zeichen Beispielwörter laut deutscher Standardaussprache a Kampf, fallen n nett, können, Bann a : Zahn, baden, Atem ŋ lang, Wange, Enkel ɐ Vater o Moral, Monarchie ɐ̯ Uhr, vergessen, erzählen o: Mohn, Moos, Ohr a͜ɪ Freiheit, Kaiser, Kirchweih, Meyer ɔ Post, kommen, Ochse a͜ʊ Haus, Auto ø Ökologie, Zölibat b Besen, Gabel, Krabbe ø: Öl, König, föhnen ç ich, frech, spitzig œ öffnen, können x Bach, Buch, lochen ɔ͜ɪ/ ɔ͜ʏ heute, Eule, Bräute d danke, edel, knuddeln p Pleite, scheppern, grub e Detail, erotisch p͜f Pfeffer, stopfen e: Besen, Beet, Mehl r rot, berechnen, zerren ɛ hätte, Ärger, essen, entsprechen, Rest s heiß, Reis, vergessen 209 2.1 Die Lautschrift IPA -Zeichen Beispielwörter laut deutscher Standardaussprache IPA -Zeichen Beispielwörter laut deutscher Standardaussprache ɛ: Ähre, schälen, Väter z Sonne, besuchen ə Hiebe, besuchen ʃ schwierig, Stuhl, sparen f fressen, Vogel, Strafe, Frevel, Philosophie t Tau, retten, Start, Wald g gehen, vergessen, Egge t͜s zwei, reizen, Katze, Platz h Haus, Uhu, verheiratet t͜ʃ Matsch, latschen, Tschüs i ideal, Kritik u Urin, Instrument ɪ irren, Mittwoch u: Mut, Stuhl, Uhr i: Igel, besiegen, Bibel ʊ Butter, umher, Wurm j ja, Yacht, Subjekt y Physik, Büro k Kuchen, zwicken, Fuchs, Tag, Qualle y: büßen, rühren, Psyche, üben l lachen, Stall, also ʏ Hütte, Ypsilon, füllen m Maus, kommen, kam ʋ Wasser, Gewinn, Quark, Vase Die Phonetik untersucht gesprochene Sprache. Da nicht immer aus der Schreibung eines Wortes auf die Lautung geschlossen werden kann (siehe Kap. VIII . Graphemik), wurden verschiedene Lautschriften entwickelt, die die genaue Beschreibung lautlicher Äußerungen ermöglichen und dem Kundigen nach einer Transkription (Übertragung) in diese Schrift eine korrekte Aussprache garantieren sollen. Mehrdeutigkeiten in der Zuordnung von Zeichen und Laut-- eines der großen Probleme der natürlichen Schreibsysteme- - werden hier ausgeschlossen. Die bekannteste Lautschrift ist die der International Phonetic Association ( IPA ). Sie wird vor allem für europäische Sprachen verwendet. In der Tabelle auf den Seiten 208-209 sehen Sie die für das Deutsche relevanten Zeichen. Lange Vokale werden durch [: ] gekennzeichnet (Boot - [bo: t] ). Bei Doppellauten (Diphthongen und Affrikaten s. u.) wird durch ein verbindendes Häkchen unter den Lauten angezeigt, dass es sich um einen Laut handelt, der durch Zusammenschluss von zwei kurz hintereinander geäußerten Lauten entstanden ist (Haut - [ ha͜ʊt ], Pfiff - [ p͜ fɪf ]). Die Betonung eines Wortes wird durch ' vor der betonten Silbe gekennzeichnet (besuchen - [ bә'zu: xәn ]). 210 2. Phonetik Eine Erweiterung dieser Liste ist dann notwendig, wenn es um Fremdwörter geht. Einige Fremdwörter sind mittlerweile entweder „lautlich eingedeutscht“ (Parfum-- Parfüm) oder werden so häufig verwendet, dass sie von den Sprechern gar nicht mehr als Fremdwörter erkannt werden (z. B. Garage, Studie). Eine vollständige Liste aller IPA -Zeichen findet sich z. B. im Duden-Aussprachewörterbuch. 2.2 Aussprachevarietäten Man kann zwischen verschiedenen Aussprachevarietäten unterscheiden. a) Explizitlautung Die Explizitlautung ist wortphonologisch bestimmt: Jeder Laut wird so (mit all seinen funktionalen artikulatorischen Merkmalen) ausgesprochen, als hätte er keinen Nachbarn davor oder dahinter. Jeder Silbenkern ist ein Vokal, so handelt es sich bei [ re: dәn ] z. B. um Explizitlautung, die Standardlautung dagegen ist [ re: dn̩ ]. Außerdem werden alle Laute normal (gleich) betont. b) Überlautung Bei der Überlautung handelt es sich um eine übertriebene Aussprache, z. B. aufgrund von Lärm oder beim Diktieren. Ein Beispiel dafür ist die Dehnung unbetonter Vokale, z. B. Historiker-- [ hi: s'to: ri: kɐ ] statt [ hıs'to: rikɐ ]. c) Standardlautung Die Standardlautung gilt als Norm, wobei es jedoch-- im Gegensatz zur Schreibnorm-- bisher nicht gelungen ist, eine allgemein verbindliche Aussprachenorm zu schaffen. Stattdessen gibt es landschaftlich bedingte Unterschiede in der Aussprache (z. B. fehlendes stimmhaftes s in Süddeutschland). Die bekannteste Standardisierung ist die „Bühnenaussprache“ von Theodor Siebs (1898). Sie sollte vor allem für eine einheitliche Aussprache auf der Bühne sorgen, wurde dann aber weit darüber hinaus bekannt. Die Aussprache der deutschen Schriftsprache hat sich immer wieder verändert-- auch vor dem Hintergrund der gestiegenen Popularität von Fernsehen und Hörfunk im Vergleich zum Theater. Im Duden-Aussprachewörterbuch hat man Veränderungen festgehalten. 211 2.3 Sprechwerkzeuge Dazu gehören folgende Punkte: Die Standardlautung soll die Sprechwirklichkeit repräsentieren, ohne jedoch alle Nuancen der gesprochenen Sprache aufnehmen zu können. Sie ist einheitlich, schriftnah und überregional. Beispiele: Der Silbenkern im Auslaut wird nicht gesprochen [ge: n̩ ], [ma: l n̩ ], <ig> wird im Wortauslaut als [ iç ] (z. B. in König) ausgesprochen. d) Umgangslautung Hierher gehören Merkmale der im Alltag gesprochenen Sprache, z. B. Nachlässigkeiten wie Kontraktionen (ham für haben) bzw. regionale Merkmale (z. B. Entrundung von [ y ] zu [ ı ] in Fremdwörtern: hysterisch, System). 2.3 Sprechwerkzeuge Zu den Sprechwerkzeugen (s. Abb. 10) gehören der Nasenraum, die Lippen (Labia), die Zähne (Dentes), der Zahndamm (Alveolen), der harte Gaumen (Vordergaumen / Palatum), der weiche Gaumen (Hintergaumen / Gaumensegel / Velum), das Zäpfchen (Uvula), der Mundraum, die Zungenspitze, der Zungenrücken, der Rachen und die Stimmlippen im Kehlkopf. Dazu kommt die Glottis, das ist der von den Stimmritzen zwischen den beiden Stimmbändern gebildete Stimmapparat im Kehlkopf. Wenn wir ein Wort aussprechen, kommt der Luftstrom aus der Lunge und wird durch den Mund und / oder die Nase herausgedrückt. Wird der Luftstrom nicht behindert, so ergeben sich Vokale, wird er durch Verengung oder Verschluss teilweise oder vollständig behindert, entstehen Konsonanten. 212 2. Phonetik Abb. 10 Artikulationsorgane 2.4 Bildung der Konsonanten Konsonanten werden nach der Artikulationsart und dem Artikulationsort unterschieden. Die Lage der Hindernisse im Mundraum-- wir haben dies bei den Sprechwerkzeugen angesprochen- - legt den Artikulationsort fest (labial, dental, velar, uvular, glottal). Nach der Artikulationsart erhalten wir Explosiva, Frikativa, Affrikata, Nasale und Liquida. Die Explosiva zeichnen sich durch plötzliches Öffnen des Verschlusses aus, die Frikativa (Reibelaute) entstehen durch Reiben des Luftstroms an einer Verengung. Affrikata ergeben sich durch das Zusammentreten von stimmlosem Explosiv mit stimmlosem Frikativ, Nasale erhält man durch Ausströmen der Luft durch die Nase bei geschlossenem Mund, Liquida (Fließlaute) sind in Lateral und Vibrant zu differenzieren, wobei der Lateral durch seitliches Ausströmen der Luft bei Verschluss der Zungenspitze entsteht (=-der Laut l), der Vibrant ist ein durch Schwingung unterbrochener Luftstrom (=-Zungenspitzen- und Zäpfchen-r). Zusätzlich trennt man-- nach der Stimmbeteiligung-- in stimmlose und stimmhafte Konsonanten. 213 2.5 Bildung der Vokale Artikulationsort → labial dental velar uvular glottal Artikulationsart ↓ bilabial labiodental dental / alveolar palatal velar Explosiva stl. / p/ / t/ / k/ sth. / b/ / d/ / g/ Frikativa stl. / f/ / s/ / ʃ / / [ç] [x]/ / h/ sth. / v/ / z/ / j/ Affrikata / p͜f/ / t͜s / / t ̮ ʃ / Nasale / m/ / n/ / ŋ/ Liquida / l/ / [r] [ ʀ ]/ 2.5 Bildung der Vokale Vokale unterscheidet man nach der Zungenstellung (der Artikulationsstelle im Rachenraum: vorne, hinten), der Lippenstellung (ungerundet, gerundet), der Zungenhöhe (hoch, mittel- - hier kann sich außerdem der Kieferwinkel ändern- -, tief) und der Quantität (kurz, lang). Eine Sonderstellung hat der Schwa-Laut / ә / , weil er der einzige unbetonte Vokal ist, weder ein vorderer noch ein hinterer Vokal, weder gerundet noch ungerundet und die Zunge nicht abgeflacht ist wie bei / a/ . Diphthonge bestehen aus zwei Vokalen mit deren spezifischen Eigenschaften. In der folgenden Tabelle werden der besseren Lesbarkeit wegen die Phoneme nicht in Lautschrift angegeben. Zungenstellung: vorne hinten Lippenstellung → ungerundet gerundet Zungenhöhe ↓ hoch / i/ / i: / / ü/ / ü: / / u/ / u: / mittel (Kieferwinkel) (geschl.) / e/ / e: / (offen) / ä/ / ä: / / ö/ / ö: / / o/ / o: / tief / a/ / a: / Diphthonge / ei/ / eu/ / au/ 214 2. Phonetik Sprechen Sie zur persönlichen Erprobung der unterschiedlichen Artikulationsweisen folgende Wörter aus. Der Unterschied besonders in der Zungenstellung und -höhe ist oft nicht sehr groß, aber wenn man etwas „überlautet“, kann man die Veränderungen bemerken. ▶ Zur Zungenstellung vorne-- hinten: Frist-- Frust ▶ Zur Zungenhöhe hoch-- mittel-- tief: Bus-- Boss-- Bass ▶ Zur Lippenstellung ungerundet-- gerundet: Kissen-- küssen ▶ Zum Kieferwinkel offen-- geschlossen: Bären-- Beeren ▶ Zur Quantität lang-- kurz: Väter-- Vetter 2.6 Suprasegmentalia Manche lautlichen Erscheinungen sind an größere Äußerungseinheiten (Silben, Wörter, Sätze) gebunden und können nicht durch Segmentieren gewonnen werden. Allerdings können sie zur Bedeutungsunterscheidung beitragen. Dazu gehören z. B. ▶ der Wortakzent (mo'dern vs. 'modern, 'übersetzen vs. über'setzen), ▶ die Intonation (z. B. zur Unterscheidung von Aussage- und Fragesätzen), ▶ die Tonhöhe (v. a. in so genannten Tonsprachen wie etwa dem Chinesischen und Schwedischen phonologisch relevant) und ▶ die Junktur (markiert die Grenze zwischen Morphemen oder Wörtern; vor Vokalen wird sie durch einen Knacklaut repräsentiert, z. B. be-obachten (Süddeutschland), be-ob-achten (Norddeutschland), be-arbeiten). Diese Phänomene werden unter dem Terminus Suprasegmentalität oder Prosodie zusammengefasst. Auf eine praktische Anwendung von Phonetik und Phonologie in der Logopädie wollen wir abschließend noch hinweisen: Phonetische Störungen sind z. B. als Lispeln (ѲuѲi ѳagte ѳüѲe Ѳahne) bekannt. Bei diesem Phänomen wird ein Laut falsch gebildet, d. h., es entsteht ein Laut, der in der Sprache gar nicht vorkommt. Bei phonologischen Störungen dagegen werden Laute ausgelassen, verdreht oder ersetzt. Der Patient kann zwar jeden Laut bilden, setzt ihn aber an die falsche Stelle. 215 4. Quellen und weiterführende Literatur 3. Übungen 1. Handelt es sich bei den folgenden Wortpaaren um Minimalpaare? Begründen Sie Ihre Entscheidung! a. Schau-- Stau b. schrill-- still c. Feld-- Welt d. fällt-- Feld e. Rauch-- Rausch f. klein-- fein g. bieten-- bitten h. Rumäne-- Muräne 2. Weisen Sie nach, dass das Wort Fass aus drei Phonemen besteht! 3. Welches sind die gemeinsamen, welches die unterscheidenden artikulatorischen Merkmale der Phoneme / d/ und / t/ ? 4. Welcher Laut passt nicht in die jeweilige Reihe? Geben Sie eine kurze Begründung! a. [m-- l - p-- b] b. [ p͜f -- t͜s -- ç -- t͜ʃ ] c. [h-- m - n-- N] d. [d-- g - t͜s -- s] 5. Nennen Sie Artikulationsart und -ort aller Konsonanten im Wort Genesung. 6. Transkribieren Sie die folgenden Wörter nach IPA : Häufchen, Stickerei, versprechen, Wirsing, ziemlich, Nordpol. 4. Quellen und weiterführende Literatur Altmann, Hans / Ziegenhain, Ute: Prüfungswissen Phonetik, Phonologie und Graphemik. 3., durchges. Aufl. Göttingen 2010. Dieses Buch eignet sich gut zur Prüfungsvorbereitung: Es enthält in kompakter Form die wichtigsten Inhalte zu Phonetik, Phonologie und Graphemik. Jedes Kapitel enthält Übungen mit Lösungen sowie Literaturhinweise. Becker, Thomas: Das Vokalsystem der deutschen Standardsprache. Frankfurt am Main 1998. 216 4. Quellen und weiterführende Literatur Zur Vertiefung der Kenntnisse über einzelne Vokale, den Schwa-Laut und die Diphthonge geeignet. Bergmann, Rolf / Pauly, Peter: Neuhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 4., erw. Aufl. bearb. von Rolf Bergmann und Claudine Moulin-Fankhänel. Göttingen 1992, Kap. I. Phonologie und Orthographie, S. 15-35. Kurzes, übersichtliches Kapitel, das auch knapp sprachgeschichtliche Hintergründe zur Entwicklung der Orthografie gibt. Duden. Das Aussprachewörterbuch. Hrsg. von der Dudenredaktion. 7., komplett überarb. u. aktual. Aufl. Mannheim 2015. Empfehlenswertes Nachschlagewerk. Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2009. Kap. Der Laut und die Lautstruktur des Wortes, S. 19-60. Zur Anschaffung und kritischen Durchsicht empfohlen. Eisenberg, Peter: Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl., unter Mitarbeit von Nanna Fuhrhop. Stuttgart / Weimar 2013. Kap. 2. Die phonetische Basis und Kap. 3. Segmentale Phonologie: Phoneme, S. 40-99. Zur ersten Beschäftigung mit den ausgewählten Themen geeignet. Verständliche Darstellung. Lühr, Rosemarie: Neuhochdeutsch. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft. 6. Aufl. München 2000. Kap. IV Phonetik, Phonemik, Graphemik, S. 202-231. Ein übersichtliches Kapitel mit vielen Beispielen für Minimalpaare und einer Auflistung aller Phoneme des Deutschen. Maas, Utz: Phonologie. Einführung in die funktionale Phonetik des Deutschen. 2., überarb. Aufl. Göttingen 2006. Das Buch ist bestens zur Vertiefung der Thematik geeignet. Lobenswert sind die Übungsteile und dazugehörige Lösungsvorschläge am Ende des Buchs. Außerdem werden Probleme am Ende jedes Kapitels erläutert. Pompino-Marschall, Bernd: Einführung in die Phonetik. 3., durchges. Aufl. Berlin / New York 2009. Das Buch beschäftigt sich eingehend auch mit den physikalischen (körperlich-biologischen) Vorgängen der Kommunikation. Es werden also natur- und sprachwissenschaftliche Methoden gleichermaßen berücksichtigt. 217 4. Quellen und weiterführende Literatur Rues, Beate / Redecker, Beate / Koch, Evelyn / Wallraff, Uta / Simpson, Adrian: Phonetische Transkription des Deutschen. Ein Arbeitsbuch. 3., durchges. Aufl. Tübingen 2014. Zur vertiefenden Beschäftigung mit der phonetischen Transkription verwendbar. Auch das Verhältnis Lautung - Schreibung wird angesprochen. Übungen mit Lösungen sind vorhanden. Schunk, Gunther: Studienbuch zur Einführung in die deutsche Sprachwissenschaft. Vom Laut zum Wort. 2., überarb. und erw. Aufl. Würzburg 2002. Kap. III . Phonetik, IV . Phonologie und Graphemik, S. 48-95. Das Buch enthält zwei ausführliche Kapitel zu den Themen „Phonetik“ (48-71) einerseits und „Phonologie und Graphematik“ (72-109) andererseits. Übersichtlich, verständlich und anschaulich vermittelt das Buch die Grundlagen der sprachwissenschaftlichen Teilbereiche. Es ist gerade für Einsteiger sehr zu empfehlen. Siebs, Theodor: Deutsche Hochsprache. Bühnenaussprache. Hrsg. von Helmut de Boor, Hugo Moser und Christian Winkler. 19., umgearb. Aufl. Wiesbaden 2000 (Nachdruck von 1969). Erstauflage 1898. Das Wörterbuch ist 1898 erstmals erschienen und hält die Bühnenaussprache dieser Zeit als eine Anleitung für die Schauspieler fest. Theodor Siebs zielte damit jedoch auf jede öffentliche Rede, sei es die eines Rundfunksprechers oder eines Predigers. Ihm war an der Einheitlichkeit einer mustergültigen Aussprache als Richtschnur gelegen. Die Bühnenaussprache / deutsche Hochsprache, die sich an der Schriftform bzw. einer literarischen Sprachform orientiert, wurde jedoch von einer Gebrauchsnorm (Standardaussprache/ -lautung) abgelöst. 219 2.6 Suprasegmentalia VIII. Graphemik Die Wissenschaft von den Graphemen, das sind die graphischen Vertreter der Phoneme, nennt man Graphemik. Werden Phoneme in der gesprochenen Sprache durch Laute / Phone realisiert, so werden Grapheme in (geschriebenen) Texten durch Graphe, d. h. Buchstaben oder Buchstabenverbindungen verkörpert. Im Deutschen gibt es aus sprachhistorischen Gründen keine Eins-zu-Eins- Entsprechung von Lauten und Buchstaben / Schreibung (vgl. Kap. VIII . 2. Das Verhältnis von Lautung und Schreibung). 1. Grundbegriffe: Graph - Graphem - Allograph - Buchstabe a) Graph Das Graph ist eine noch nicht klassifizierte Schreibeinheit, dessen Zugehörigkeit zu einem bestimmten Graphem noch nicht entschieden ist. b) Graphem Ein Graphem ist ein Buchstabe oder eine Buchstabenverbindung, die sich auf ein und dasselbe Phonem bezieht. Es handelt sich um eine distinktive Einheit des Schriftsystems. Vergleichen Sie die Differenzierung von Phon und Phonem, Morph und Morphem. c) Allograph Allographe sind Schreibvarianten, verschiedene Schreibungen für ein und dasselbe Phonem. Ein Beispiel ist „Corpus“ neben „Korpus“ oder „Korpus“. Das heißt, dass sowohl eine andere Schriftart (z. B. kursiv) als auch ein anderer Buchstabe / eine andere Buchstabenverbindung (bei übereinstimmender Aussprache) als Allographie zählen. Betrachten Sie beispielsweise die Wörter Schere und Spalt: In beiden Fällen beginnen sie mit dem Phonem / ʃ / , das einmal durch die Buchstabenverbindung <sch>, einmal durch <s> wieder- 220 1. Grundbegriffe: Graph - Graphem - Allograph - Buchstabe gegeben wird; es sind also auch Varianten ein und desselben Graphems. Man kann hier zusätzlich von stellungsbedingten Allographen sprechen, da es sich um unterschiedliche Bedingungen (nachfolgender Vokal bzw. t / p) im Anlaut handelt. Ein weiteres Beispiel dafür, dass das Auftreten eines Allographs durch die Stellung im Wort bedingt sein kann, ist <ß>, das nur nach Langvokal und Diphthong (nach der neuen Rechtschreibung) auftritt. Historisch bedingt ist die unterschiedliche Schreibung <f> und <v> für / f/ in Vogel und fliegen. Graphe, Allographe, Grapheme und Buchstaben (s. u.) stellen wir in spitze Klammern < >. d) Buchstabe Ein Buchstabe (Schriftzeichen) ist nicht immer mit einem Graphem identisch, da ein Graphem auch eine Buchstabenverbindung sein kann. Bsp.: sch in Schal ist zunächst Graph, besteht aber aus drei Buchstaben. Da sich <sch> auf das Phonem / ʃ / bezieht, handelt es sich um ein Graphem. Der Buchstabe ist also die kleinere Einheit. Zur Verdeutlichung noch zwei Beispiele: Betrachten Sie das Minimalpaar Mal-- Tal: / m/ und / t/ sind Phoneme in der gesprochenen Sprache. Schreiben wir die Wörter auf, so haben wir zunächst die Graphe m und t. Da wir wissen, dass sich ein Graphem immer auf ein Phonem bezieht, können wir die Graphe den Graphemen <m> und <t> zuordnen. Wie wir gesehen haben, ist Stadt und statt kein Minimalpaar, da kein lautlicher Unterschied vorhanden ist. Deshalb handelt es sich bei den Zeichenverbindungen <dt> und <tt> auch nicht um verschiedene Grapheme, sondern um Allographe für ein und dasselbe Phonem / t/ . Dieses Graphem kann man in der Form <dt, tt> wiedergeben. Die Allographe <dt> und <tt> wiederum bestehen jeweils aus zwei Buchstaben. 221 2.1 Allgemeines 2. Das Verhältnis von Lautung und Schreibung 2.1 Allgemeines Aufgrund der historischen Entwicklung der deutschen Schriftsprache gibt es-- wie erwähnt-- keine Eins-zu-Eins-Entsprechungen von Lauten und Buchstaben. Zwar ist die Ableitung der Aussprache aus der Schrift nicht ganz so kompliziert wie etwa im Englischen, aber auch nicht so konsequent wie im Lateinischen. Das hat zum einen damit zu tun, dass für das Deutsche zunächst das lateinische Alphabet benutzt wurde und man dann erst feststellte, dass es einige Laute des Deutschen gar nicht fassen konnte. So „erfand“ man neue Zeichen, z. B. aus v+v unser <w>, aus a e , o e , u e unsere Umlaute <ä>, <ö>, <ü>, und aus einem Zusammenschluss von langem und kurzem s der Frakturschrift entstand-- übrigens erst relativ spät-- unser <ß>. Zum anderen schrieb lange Zeit jeder so, wie er es für richtig hielt, denn die erste verbindliche Rechtschreibung gab es trotz einiger Voranstrengungen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts und zu diesem Zeitpunkt hatten sich schon einige Schreibtraditionen entwickelt, die in die Rechtschreibnorm eingingen. Die Zuordnung von Lauten zu Buchstaben (Sicht des Schreibers)- - auch noch unabhängig von der Klassifikation als Phoneme und Grapheme-- nennt man Phonem-Graphem-Korrespondenz ( PGK ) und umgekehrt (Sicht des Lesers). Meist werden allerdings beide Perspektiven unter dem Terminus Graphem-Phonem-Korrespondenz ( GPK ) zusammengefasst. Eine ideale Schrift wäre eine phonologische, eine, in der jeder einzelne Buchstabe genau einem Phonem entspricht. Dass das im Deutschen nicht der Fall ist, sollen die nächsten Beispiele verdeutlichen: ▶ Verschiedene Buchstaben können ein und dasselbe Phonem verschriftlichen (<v> und <f> für das Phonem / f/ z. B. in Vogel und Feder) = Allographie, ▶ manche Phoneme werden durch Buchstabengruppen realisiert (<sch> für / ʃ / oder die Doppelschreibungen <nn>, <ll> etc. für / n/ bzw. / l/ ), ▶ einfache Zeichen können dagegen auch für Lautverbindungen stehen (<x> in Hexe für / k/ und / s/ [ hɛksә ]), ▶ derselbe Buchstabe kann unterschiedliche Phoneme verschriftlichen (vgl. dazu <e>- oder <s>-Graphe unten). 222 2. Das Verhältnis von Lautung und Schreibung Ein weiteres orthografisches Problem stellt die Auslautverhärtung dar: Die Schreibung berücksichtigt nicht das Phänomen, dass am Wort- oder Silbenende Explosiva immer stimmlos sind. Im Mittelhochdeutschen war das dagegen noch der Fall; dort schrieb man der tac, aber des tages. Die Schreibung richtet sich heute also nicht nach der Aussprache, sondern folgt dem morphologischen Prinzip (vgl. Kap. VIII . 3. Rechtschreibprinzipien). Im Folgenden sind einige komplexere Beispiele in der Zuordnung von Lautung und Schreibung noch einmal gesondert dargestellt. 2.2 Kennzeichnung der Langvokale Ein Problem, das sich aus der Zuordnung von Zeichen zu Lauten ergibt, ist die unterschiedliche Kennzeichnung von Langvokalen im Deutschen: ▶ keine Kennzeichnung in der Schrift Das ist vor allem in so genannten offenen Tonsilben der Fall; das sind Silben, die auf einen Vokal enden. sagen, Igel ▶ Kennzeichnung durch Dehnungs-e (-ie) Lied, fies, viel ▶ Kennzeichnung durch Dehnungs-h ihm, Kehle, kahl, Huhn ▶ Kennzeichnung durch Kombination von -ie und -h sieht, stiehlt ▶ Kennzeichnung durch Vokal-Verdoppelung Saat, See, Moor 2.3 Das Phonem / s/ Das Phonem / s/ kann durch verschiedene Allographe verschriftlicht werden: <ss> Wasser, nur nach Kurzvokal möglich / s/ <ß> Straße, nur nach Langvokal / Diphthong möglich <s> Last, z. B. in Kombination mit t / p im Inlaut 223 2.5 Das Graph <e> 2.4 Das Graph <s> Das Graph <s> ist verschiedenen Graphemen zuzuordnen, je nachdem, auf welches Phonem es sich bezieht. <s> 1 : / ʃ / Spiel, Straße, nur vor t, p im Anlaut <s> 2 : / z/ Sonne, Vase, nur im Wort- oder Silbenanlaut vor Vokal <s> 3 : / s/ fast, Sklave, nach t / p im Inlaut, im Anlaut vor Konsonant 2.5 Das Graph <e> Auch das Graph <e> kann sich auf verschiedene Phoneme beziehen: <e> 1 : / e/ Methan <e> 2 : / e: / Eber <e> 3 : / ә / lachen <e> 4 : / ɛ / Enkel Exkurs Fremdwortschreibung und -lautung Unsere bisherigen Ausführungen haben sich immer auf Wörter bezogen, die durch das deutsche Sprachsystem in Lautung und Schreibung geregelt sind. Dass das nicht immer „urdeutsche“ Wörter sind, zeigt uns die Sprachgeschichte. Sprachhistorisch gesehen gibt es zunächst einen Erbwortschatz, einen im Umfang eher geringen Basiswortschatz, der auf die Vorläufer unserer Sprache zurückgeht und den alle germanischen Sprachen gemeinsam besitzen. Im Laufe der Zeit hat sich unsere Sprache nicht nur lautlich stark verändert, sondern sie hat viele Wörter aus anderen Sprachen aufgenommen, die, je nach Zeitpunkt der Entlehnung, ebenfalls lautliche Veränderungen mitmachten. Dieser Lehnwortschatz ist heute so gut an das Deutsche angepasst, dass wir ihn nicht mehr als fremdsprachlich erkennen und zum so genannten Kernwortschatz zählen: z. B. die Mauer (aus lat. murus), schreiben (aus lat. scribere) oder Bluse (aus frz. blouse). Im Gegensatz zum Lehnwort ist ein Fremdwort in seiner Lautung und / oder Schreibung und / oder Flexion (z. B. Pluralbildung) nicht oder nur teilweise in das deutsche Sprachsystem integriert. Es ist jedoch nicht einfach, eine klare Grenze zwischen Fremd- und Lehnwort zu ziehen; man muss sich die Möglichkeiten der Integration fremdsprachlichen Wortgutes vielmehr als eine Skala vorstellen mit dem Fremdwort auf der einen, dem Lehnwort auf der anderen Seite und einem breiten Übergangsbereich dazwischen. Im Laufe 224 2. Das Verhältnis von Lautung und Schreibung der Sprachentwicklung kann ein fremdsprachliches Wort immer weiter an das deutsche Sprachsystem angepasst werden, so dass es von einem Fremdwort zu einem Lehnwort und damit Teil des Kernwortschatzes werden kann. Wir können zunächst zwei Hauptgruppen von Fremdwörtern unterscheiden: ▶ Wörter, die als Ganzes aus einer anderen Sprache entlehnt wurden (Shampoo, Bluff, Garage, Creme). ▶ Fremdwörter, deren einzelne Elemente aus anderen Sprachen entlehnt sind. Diese Fremdelemente werden dann innerhalb des Deutschen, nach den Regeln der deutschen Wortbildung, zu Wörtern kombiniert. Solche Bildungen bestehen überwiegend aus Elementen aus dem Griechischen oder Lateinischen und sind typisch für Fachwortschatz (Polykondensat, bilateral, Hypotonie), aber auch in der Gemeinsprache nicht selten (multikulturell, Television, Teleskop). Hierzu zählen auch Pseudoanglizismen. Das sind Wörter, die im Englischen nicht existieren, aber aus englischem Wortmaterial bestehen, z. B. Showmaster. Innerhalb der Regeln der deutschen Wortbildung können auch Mischwörter gebildet werden, die aus deutschem und fremdsprachlichem Wortmaterial bestehen (Haarspray, Wellness-Urlaub, neongelb). Für Fremdwörter gelten andere Regeln der Phonem-Graphem-Korrespondenzen als für die deutschen Wörter des Kernwortschatzes. Fremdes Wortmaterial kann unterschiedlich stark in das deutsche Sprachsystem integriert sein. Es gibt folgende Möglichkeiten: a) Keinerlei Veränderungen in Lautung und Schreibung Die einfachste Art, Fremdwörter in eine andere Sprache aufzunehmen, ist, sie in Lautung und Schreibung aus ihrer Herkunftssprache zu übernehmen (Computer, Make-up). Das ist besonders dann unproblematisch, wenn die Fremdwörter keine fremden Laute besitzen (Chef, Christ, Shampoo). Mit dieser Art der Entlehnung kann das Deutsche aber auch Laute übernehmen, die es selbst nicht hat. Diese Laute werden in der Regel so geschrieben wie in der Herkunftssprache (z. B. Garage, Loge). b) Ersetzung fremder Lautung durch Lautung, die der Schreibung entspricht Bei der Aussprache eines Wortes kann auch eine Angleichung an die Lautstruktur des Deutschen stattfinden und zwar dann, wenn die fremd- 225 3. Rechtschreibprinzipien 3. Rechtschreibprinzipien Die Rechtschreibung ist kein vollkommen beliebiges System der Umsetzung von Lauten in eine Schrift. Die Grundzüge der heute noch geltenden Rechtschreibnorm gehen zurück auf die Beschlüsse der 2. Orthographischen Konferenz von 1901, gleichwohl der erste „Duden“ bereits 1880 erschienen ist. 1996 schließlich wurde auf der Wiener Konferenz die- - bis heute nicht ganz sprachlichen Grapheme deutschen Phonemen zugeordnet werden können. Man spricht in diesen Fällen von einer so genannten Leseaussprache, z. B. kein nasaler Laut bei Balkon oder Akzentverschiebung bei frz. praliné - dt. Pralíne. c) Ersetzung fremder Schreibung nach den Regeln des Kernwortschatzes Vor allem in den Fällen, in denen die Fremdwörter Laute besitzen, die es auch im Kernwortschatz gibt, findet oft eine Angleichung an die im deutschen übliche Schreibung für diese Laute statt: Schikane (frz. chicane), Karosse (frz. carrosse), Maus (engl. mouse ‚Computerzubehör‘). In Entlehnungen aus dem Griechischen werden die Phoneme nicht durch die nächstliegenden Entsprechungen des lateinischen Alphabets, sondern durch besondere Buchstaben und Buchstabenverbindungen dargestellt, z. B. <y> nicht <ü> in System; <th> nicht <t> in Theater, <ph> nicht <f> in Philosophie, <ch> nicht <k> in synchron. Die neue Rechtschreibung lässt hier in vielen Fällen eine „eingedeutschte“ Kann-Schreibung zu, z. B. Tunfisch / Thunfisch, Delfin / Delphin. d) Ersetzung fremder Lautung und Schreibung Noch eine Stufe weiter geht die Anpassung des Fremdwortes an das deutsche Sprachsystem, wenn sowohl die Lautung als auch die Schreibung angepasst werden, z. B. Parfum > Parfüm, Sauce > Soße. Fremdwörter haben außerdem häufig andere Silbenstrukturen als Wörter im Kernwortschatz und werden nach anderen Regeln betont. Typisch für das Deutsche ist ein fester Wortakzent, der auf der Stammsilbe liegt (normalerweise ist das die erste Silbe, bei Präfixen die zweite): Blú-men-kás-ten, aber: be-sú-chen. Fremdsprachliche Wörter können auch auf anderen Silben betont werden: vgl. Se-més-ter oder Zere-mo-ni-éll. 226 3. Rechtschreibprinzipien unumstrittene-- Reform der Rechtschreibung beschlossen, die 2006 nochmals überarbeitet wurde. Die deutsche Orthographie ist als ein leserfreundliches System einzustufen, da sie z. B. wichtige silbische, morphologische, lexikalische, syntaktische und sogar pragmatische Zusatzinformationen liefert, die über die bloße Lautwiedergabe hinausgehen. In der folgenden Tabelle haben wir einige Rechtschreibprinzipien in alphabetischer Reihenfolge mit kurzer Erklärung und einigen Beispielen aufgeführt. Dabei sind manche Prinzipien wichtiger als andere (z. B. silbisches Prinzip wichtiger als pragmatisches Prinzip). Als überholt gilt mittlerweile das ästhetische Prinzip: Dort eingeordnete Beispiele lassen sich auch anderen Prinzipien zuordnen. Beispielsweise kann Härchen (Vermeidung von Umlautverdoppelungen) auch als Verstoß gegen das morphologische Prinzip klassifiziert werden. Eventuell können sich Prinzipien auch widersprechen (z. B. phonetisches und phonologisches Prinzip); manche Phänomene der Rechtschreibung können mehreren Prinzipien zugeordnet werden, z. B. kann man die Verwendung des Graphs <h> in gehen als silbisches (Platzierung an der Silbengrenze) und als morphologisches Prinzip (Ende des Wortstamms) erklären. Die in der Tabelle verwendete Terminologie wird in der Forschung uneinheitlich verwendet; so werden z. B. die Termini historisches, morphologisches, etymologisches, Herkunfts- und Stammprinzip vermischt bzw. unterschiedlich gebraucht. Teils lassen sie sich auch als übergeordnete Prinzipien verstehen, hinter denen andere Prinzipien, z.B. das Phonologische Prinzip, stehen. Auch die Regeln zur Interpunktion könnten den Prinzipien zugeordnet werden, z. B. lassen sich Anführungszeichen als Kennzeichen für Ironie zum pragmatischen Prinzip stellen. Die Beispiele in der folgenden Tabelle sind in der Tat nur exemplarisch gedacht und greifen nicht alle möglichen Phänomene zu den einzelnen Prinzipien auf. Rechtschreibprinzip Kurze Erklärung Beispiel 1. Phonetisches Prinzip Jedem Laut wird genau ein Buchstabe zugeordnet („Schreibe, wie du sprichst! “). a) insbesondere gültig für die Schreibung der Konsonanten, z. B. [m] (machen) oder [l] (lachen) b) Im Mittelhochdeutschen ist dieses Prinzip stärker vertreten, z. B. tac und tages. 2. Phonologisches Prinzip Jedes Phonem entspricht genau einem Schriftzeichen (und umgekehrt). Allophone [r] und [R] werden beide durch <r> realisiert. Anders z. B. beim Phonem / f/ : Es kann durch die Schriftzeichen <v> oder <f> repräsentiert werden (vgl. Kap. VIII . 1. c Allograph). 227 3. Rechtschreibprinzipien Rechtschreibprinzip Kurze Erklärung Beispiel 3. Silbisches Prinzip Die Schreibsilbe ist stärker regularisiert als die Sprechsilbe. Das Geschriebene strebt danach, die Silben gleich lang zu machen. Konsonantenverdoppelungen sind allerdings historisch anders erklärbar. a) Verwendung fester Buchstaben- und Graphemverbindungen, z. B. <s> für [ ʃ ] vor [t] im Silbenanfangsrand b) <h> als Kennzeichnung der Silbengrenze, z. B. gehen [’ ge: ǝn ] c) Silbengelenke als Di- oder Trigraph (zwei oder drei Buchstaben) bzw. Doppelkonsonantengraphe, z. B. Zucker, Tasche, Mitte (Gelenkschreibungen bleiben aus morphologischen Gründen erhalten, z. B. Stimme (Gelenkschreibung), stimmt (morphologische Schreibung) 4. Morphologisches Prinzip Die Zusammengehörigkeit bestimmter Wörter soll auch in der Schrift erkennbar sein (auch: etymologisches Prinzip; Schema- Konstanz). a) Auslautverhärtung wird nicht geschrieben, z. B. Tag - Tages - täglich. b) Umlautung im Plural (Stammprinzip), z. B. Dach - Dächer. c) Beispiel Eltern als Verstoß gegen das morphologische Prinzip 5. Lexikalisch-semantisches Prinzip Die Klassenzugehörigkeit eines Wortes wird markiert. a) Großschreibung von Substantiven b) Zusammenschreibung von Komposita, z. B. Lorbeerkranz c) Homonymenscheidung, z. B. Lid - Lied, Lärche - Lerche (wird teils auch zum morphologischen Prinzip gezählt) 6. Grammatisch-syntaktisches Prinzip Übergeordnete grammatische Einheiten beeinflussen die Schreibung. Großschreibung am Satzanfang 7. Pragmatisches Prinzip Hier werden z. B. Informationen zur Beziehung zwischen Schreiber und Leser gegeben. Höflichkeitsgroßschreibung, Sie, Ihr, Ihnen 8. Historisches Prinzip Historisch erklärbare Schreibweisen werden als Schreibgewohnheiten beibehalten. a) <ie> für [i: ] wie in lieben b) <h> als (nicht mehr gesprochenes) Längenzeichen wie in sehen oder ziehen c) Einzelfälle, z. B. Laie, Mai, Thron, Eltern 9. Herkunftsprinzip (Fremdwortschreibung) Fremdwörter behalten ihre Herkunftsschreibung, bei Substantiven erfolgt aber Großschreibung (auch etymologisches Prinzip). Chauffeur, Pizza, Chor, Happy End, leger, cool (vgl. Exkurs Fremdwortschreibung und -lautung in diesem Kap.) 228 4. Übungen 4. Übungen 1. Erläutern Sie die Besonderheiten im Verhältnis von Lautung und Schreibung der Wörter eine wissenschaftliche Empfehlung; stellen Sie dazu die Phonem- und Graphemstruktur dar! 2. Kommentieren Sie den Grad der Integration folgender Fremdwörter in das deutsche Sprachsystem: Chor, Fotografie, Sabotage, Intrige (aus frz.-- intrigue)! 3. In welchen Fällen im folgenden Satz haben e und h nur einen grafischen, in welchen einen phonematischen Charakter? Geben Sie eine kurze Begründung! Die Hochwasserlage hat sich heute glücklicherweise wieder sehr schnell entspannt. 4. Zeigen Sie anhand des folgenden chinesischen Sprichwortes, welche Laute durch das Graph <e> wiedergegeben werden! Der Mensch lebt nur eine Generation, die Blume nur einen Frühling. 5. Zeigen Sie anhand des folgenden deutschen Sprichwortes, durch welche Allographe das Phonem / s/ wiedergegeben wird! Nennen Sie auch die entsprechenden Regeln! Wer den Boden im Wasser nicht sieht, der lasse den Fuß heraus. 6. Auf welche Rechtschreibprinzipien lassen sich folgende Schreibungen zurückführen? a. saufen-- Säufer b. Saite-- Seite c. hoffen-- hoffst d. Garage 5. Quellen und weiterführende Literatur Altmann, Hans / Ziegenhain, Ute: Prüfungswissen Phonetik, Phonologie und Graphemik. 3., durchges. Aufl. Göttingen 2010. Dieses Buch eignet sich gut zur Prüfungsvorbereitung: Es enthält in kompakter Form die wichtigsten Inhalte zu Phonetik, Phonologie und Graphemik. Jedes Kapitel enthält Übungen mit Lösungen sowie Literaturhinweise. Bergmann, Rolf / Pauly, Peter: Neuhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 4., erw. Aufl. bearb. von Rolf Bergmann 4. Übungen 228 229 5. Quellen und weiterführende Literatur und Claudine Moulin-Fankhänel. Göttingen 1992, Kap. I. Phonologie und Orthographie, S. 15-35. Kurzes, übersichtliches Kapitel, das auch knapp sprachgeschichtliche Hintergründe zur Entwicklung der Orthografie gibt. Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2009. Kap. Der Buchstabe und die Schriftstruktur des Wortes, S. 61-94. Zur Anschaffung und kritischen Durchsicht empfohlen. Duden. Die deutsche Rechtschreibung. Hrsg. von der Dudenredaktion. 26., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim 2013. Ein Muss für das eigene Bücherregal. Lühr, Rosemarie: Neuhochdeutsch. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft. 6. Aufl. München 2000. Kap. IV Phonetik, Phonemik, Graphemik, S. 202-231. Ein knappes Kapitel mit mehreren Übungen zum Verhältnis von Lautung und Schreibung. Nübling, Damaris / Dammel, Antje / Duke, Janet / Szczepaniak, Renata: Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 4., komplett überarb. u. erw. Aufl. Tübingen 2013. Kap. 9. Graphematischer Wandel, S. 208-239. Empfehlenswert u. a. für einen aktuellen Blick der Forschung auf die Orthographieprinzipien. Dabei steht die historische Entwicklung unserer Rechtschreibung im Fokus. Schunk, Gunther: Studienbuch zur Einführung in die deutsche Sprachwissenschaft. Vom Laut zum Wort. 2., überarb. und erw. Aufl. Würzburg 2002. Kap. IV . Phonologie und Graphemik, S. 96-109. Das Buch enthält zwei ausführliche Kapitel zu den Themen „Phonetik“ (S. 48-71) einerseits und „Phonologie und Graphematik“ (S. 72-109) andererseits. Übersichtlich, verständlich und anschaulich vermittelt das Buch die Grundlagen der sprachwissenschaftlichen Teilbereiche. Es ist gerade für Einsteiger sehr zu empfehlen. 231 2.5 Das Graph <e> IX. Pragmatik Lange Zeit hatte sich die Sprachwissenschaft vor allem mit dem Sprachsystem (vgl. Kap. V. 4. Grundbegriffe: Language- - Langue- - Parole- - Norm), nicht aber mit dem konkreten Sprechereignis, also der Verwendung von Sprache in bestimmten Kommunikationssituationen, besonders in der Face-to-Face-Kommunikation, befasst. Schließlich stießen Linguisten zunehmend auf Phänomene, die mit der Semantik allein nicht beschreibbar waren; bestimmte sprachliche Phänomene konnten nur dann erklärt werden, wenn man auch die Situation mit ihren nichtsprachlichen Elementen berücksichtigte. Kannst du mir bitte die Butter reichen? etwa ist ein korrekter Fragesatz (Entscheidungsfrage); dennoch handelt es sich im Kontext ‚Frühstück‘ nicht um eine Frage-Handlung, sondern um eine Bitte bzw. um eine höfliche Aufforderung. Der Sprecher erwartet eine Handlung und nicht eine Ja-/ Nein-Antwort. Hier decken sich also die (grammatische) Form und die (kommunikative) Funktion / Absicht eines Satzes nicht (anders bei: Gib mir bitte die Butter! ). Obwohl es erste funktionsorientierte Ansätze schon früher gab, etablierte sich die Pragmatik bzw. Pragmalinguistik (griech. prágma ‚Handlung‘) als eigenständige sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich mit Sprache als Handeln befasst, erst mit der so genannten „Pragmatischen Wende“ Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. An verschiedenen Stellen-- insbesondere im Kapitel Sprache und Sprechen (vgl. Kap. V. Sprache und Sprechen)-- haben wir bereits auf diese jüngere Teildisziplin der Sprachwissenschaft hingewiesen. In diesem Kapitel möchten wir uns nun etwas ausführlicher mit ihr beschäftigen und einige bisher nicht thematisierte Grundbegriffe, Theorien und typische Anwendungsfelder vorstellen. Da es viele Schnittstellen pragmatischer Ansätze mit den unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen Bereichen wie Syntax, Wortbildung und insbesondere Textgrammatik gibt, werden einige Grundbegriffe und Theorien (z. B. Deixis und Referenz), die sich gewöhnlich ebenfalls in Einführungen zur Pragmatik finden, bei uns an anderer (passenderer) Stelle behandelt. 232 1. Sprechakttheorie 1. Sprechakttheorie Eine der wichtigsten Theorien der Pragmatik, die wesentlich zur Begründung dieser Disziplin beigetragen hat, ist die so genannte Sprechakttheorie. Sie wurde 1955 von John L. Austin in einer sprachphilosophischen Vorlesung begründet. Aber erst durch die Weiterentwicklung der Sprechakttheorie durch seinen Schüler John R. Searle wurde sie 1969 schnell über die Grenzen der englischsprachigen Forschungsgemeinschaft hinaus bekannt. 1.1 Grundbegriffe nach Searle und Austin Ausgangspunkt der Sprechakttheorie von Austin war die Beobachtung, dass Äußerungen nicht immer wahr oder falsch sind (z. B. Heute scheint die Sonne! ), sondern dass es z. B. auch Äußerungen gibt, mit denen man Handlungen vollzieht (z. B. Hiermit taufe ich dich auf den Namen „Anton“.). Diese erste Gruppe nennt Austin Konstative, die zweite Performative. Verben, mit denen der Vollzug einer Handlung zum Ausdruck gebracht wird, werden folglich performative Verben genannt. Weitere Beispiele sind: auffordern, beantragen, bestätigen, eröffnen, danken, protestieren, versprechen. Um herauszufinden, ob es sich um ein performatives Verb handelt, bilden Sie einen Satz mit der ersten Person Singular und dem Adverb hiermit: Ich eröffne hiermit die Ausstellung. Ich protestiere hiermit gegen dieses Unrecht. Aber: *Ich schlafe hiermit in meinem Bett. *Ich lache hiermit über deinen Witz. Austin selbst hat die Unterscheidung in Konstative und Performative später wieder zurückgenommen, denn auch Äußerungen wie Heute scheint die Sonne! sind in konkreten Sprachsituationen als Handlungen zu sehen, z. B. als Bericht über das Wetter oder als Aufforderung ins Schwimmbad zu gehen. Außerdem können sprachliche Äußerungen nicht selbst Handlungen ausführen oder per se wahr oder falsch sein. Denn schließlich werden sie von einem Sprachbenutzer in einer konkreten Situation verwendet. Damit ist jeglicher natürliche Sprachgebrauch automatisch auch soziales Handeln und demnach jegliches Sprechen performativ. Austin hat deshalb auch später die Unterscheidung zwischen explizit, d. h. mit performativem Verb, und implizit performativen Äußerungen, also sol- IX. Pragmatik 232 233 1.1 Grundbegriffe nach Searle und Austin chen, die ohne entsprechende Verben auskommen, bevorzugt, z. B. Ich fordere dich auf, mir die Butter zu geben. vs. Gib mir die Butter! Was passiert aber, wenn man eine Äußerung macht? Ein solcher Sprechakt, wie Austin ihn nennt, besteht in seiner Theorie aus drei gleichzeitig ablaufenden Teilakten: a. Der lokutive Akt / Lokution: Der Sprecher äußert sich-- schriftlich oder mündlich- - mit Wörtern, die zu einem Sprachsystem mit bestimmten Lauten, Vokabular und Grammatik gehören. Hierbei bezieht er sich auf Dinge in der Welt und sagt etwas über sie aus (=-Proposition). b. Der illokutive Akt / Illokution: Der Sprecher spricht zu jemandem mit einer bestimmten Absicht (z. B. er will informieren, auffordern, unterhalten). Diese Absicht kann explizit oder implizit erfolgen (s. u. indirekte Sprechakte). c. Der perlokutive Akt / Perlokution: Der Adressat der Sprechhandlung reagiert in einer bestimmten Art auf die Äußerung (mit einer sprachlichen oder nicht-sprachlichen Handlung). So kann er z. B. der Bitte des Adressaten nachkommen. Sprechakte werden durch Infinitive oder Substantive gekennzeichnet und in Großbuchstaben (Majuskeln / Kapitälchen) gesetzt: Bei Kannst du mir bitte die Butter reichen? handelt es sich um den Sprechakt A uffordern / A ufforderung . Searle differenziert später den lokutiven Akt genauer, er besteht nun aus zwei Teilen: ▶ Äußerungsakt: Es handelt sich um den reinen Vorgang der Äußerung von Wörtern, die einem bestimmten Sprachsystem zuzuordnen sind. ▶ Propositionaler Akt / Proposition: Hiermit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in jeder Äußerung von Wörtern auf die außersprachliche Wirklichkeit Bezug genommen wird, z. B. konkrete Personen, Gegenstände, Situationen (=-Referenzakt), und über diese etwas ausgesagt wird (x ist rot-= Prädikationsakt). Den illokutionären und den perlokutiven Akt übernimmt Searle von Austin. Dabei steht der illokutionäre Akt im Zentrum der Sprechakttheorie. 234 1. Sprechakttheorie Teilakt Äußerungsakt Propositionaler Akt Illokutiver Akt Perlokutiver Akt Erläuterung Laute, Wörter, Sätze Aussage über die Welt Handlungswert Zweck / intendierte Reaktion des Hörers Beurteilungskriterien Grammatisch korrekt / inkorrekt wahr / falsch glücken / nicht glücken erfolgreich sein / nicht erfolgreich sein Beispiel / kanst du: mi: ɐ̯ bɪtǝ di: 'bʊtɐ ra͜içǝn? / <Kannst du mir bitte die Butter reichen> Es gibt eine Butter. B itte oder A ufford erung Hörer reicht die Butter. Die Sprechakttheorie orientierte sich ursprünglich vor allem am mündlichen Sprachgebrauch (s. auch Kap. IX .4. Ein Anwendungsfeld der Pragmatik: Gesprächsanalyse). In Bezug auf schriftliche Texte hat sich eher die Terminologie von Klaus Brinker durchgesetzt. Der von ihm verwendete Terminus Textfunktion entspricht der Illokution in der Sprechakttheorie (vgl. Textexterne Kriterien in Kap. X. 2. Textsorten). 1.2 Illokutionsindikatoren und -strukturen Sprechakte enthalten auch so genannte Indikatoren, die dem Hörer helfen, die richtige Illokution / Absicht des Sprechers zu identifizieren. Es handelt sich dabei um formal-grammatische Elemente, wie ▶ Performative Verben, z. B. Ich fordere Sie auf, mein Haus zu verlassen! ▶ Modus, z. B. Wenn Sie endlich mein Haus verließen! ▶ Modalverben und Modalitätsverben, z. B. Ich möchte, dass Sie mein Haus verlassen! ▶ Partikeln oder Adverbien, z. B. Wenn Sie doch nur endlich mein Haus verließen! ▶ Satzarten, z. B. Verlassen Sie mein Haus! ▶ Intonation, z. B. Sie verlassen jetzt mein Haus! (steigender Tonverlauf). Indirekte Sprechakte liegen dann vor, wenn formal-grammatische Elemente auf eine andere Illokution als die tatsächlich gemeinte hinweisen oder wenn eine zusätzliche Illokution vorliegt. Können Sie bitte mein Haus verlassen? ist eben gerade keine Frage, sondern eine Aufforderung. 235 1.3 Sprechaktklassifikationen Anhand von einfachen Beispielen kann verdeutlicht werden, dass im Sprachalltag nicht nur isolierte Sprechakte geäußert werden, sondern i. d. R. komplexe Illokutionsstrukturen vorkommen, da mehrere Sprechakte (gehäuft) auftreten können. Diese Strukturen können mit Blick auf das Verhältnis zueinander analysiert werden (z. B. hierarchisch oder koordiniert; welcher Sprechakt dominiert? ). Außerdem können sie in Teil- oder Zusatzhandlungen zerlegt werden, die z. B. spezifizierend, ergänzend oder begründend sein können. Beispiel 1: Dort schläft meine Tochter. Kannst du sie sehen? Weck Sie bitte auf ! Es folgen die Sprechhandlungen Feststellen- - Fragen- - Auffordern aufeinander. Feststellen und Fragen sind dem Auffordern untergeordnet (vgl. Handlungsabsicht des Sprechers). Beispiel 2: Du siehst müde aus. Geh doch bitte nach Hause ins Bett! Der Weg ist doch nicht weit. Hier ist die Sprechhandlungsfolge Feststellen- - Bitten- - feststellen, wobei der dominante Sprechhandlungstyp Bitten ist; er wird durch die erste Feststellung begründet und durch die zweite spezifiziert. Illokutionsstrukturen ermitteln - Schritt für Schritt: 1. Illokutive (Teil-)Handlungen durch Segmentierung herausarbeiten. 2. Illokutionshierarchie feststellen: Welches ist die dominierende Sprechhandlung, welche Sprechhandlungen sind subsidiär / untergeordnet? 3. Relationen zwischen den Sprechhandlungen (begründend, spezifizierend, ergänzend usw.) herausarbeiten. 1.3 Sprechaktklassifikationen Die schiere Menge allein an performativen Verben legt es nahe, dass es sinnvoll ist, die verschiedenen Sprechakte in Gruppen zusammenzufassen. Searle ging davon aus, dass es lediglich fünf grundlegende Handlungsarten mit entsprechenden Äußerungstypen gibt: 236 1. Sprechakttheorie a. Repräsentativa Es werden Ansprüche auf die Wahrheit des Sprechaktes gelegt, vgl. die Gruppe der ehemals als Konstative bezeichneten Äußerungen. Beispiele: aussagen, behaupten, beschreiben, erzählen b. Direktiva Hier werden Forderungen an den Hörer gerichtet. Beispiele: auffordern, befehlen, bitten, fragen c. Kommissiva Der Sprecher verpflichtet sich zu einer zukünftigen Handlung. Beispiele: anbieten, ankündigen, drohen, versprechen d. Expressiva Durch den Sprechakt werden soziale Kontakte etabliert oder aufrechterhalten. Beispiele: danken, gratulieren, grüssen, sich entschuldigen e. Deklarativa Diese Sprechakte können nur in bestimmten offiziellen oder rituellen Kontexten durchgeführt werden. Allein durch den Äußerungsakt führen diese zu einer sofortigen Veränderung am derzeitigen Zustand. Beispiele: den Krieg erklären, exkommunizieren, kündigen, taufen. Diese Klassifikation von Searle wurde zwar aufgrund der uneinheitlichen Kriterien, die ihr zugrunde liegen, oft kritisiert und vielfach weiterentwickelt, dennoch ist sie bis heute die gängigste. 1.4 Sprechaktregeln Schon Austin hat sich mit Glückensbzw. Missglückensbedingungen der Sprechakte befasst. Sprechakte können z. B. misslingen, wenn der perlokutive Akt nicht zum illokutiven passt, wenn also etwa auf die Aufforderung Kennen Sie den Weg zum Bahnhof ? lediglich die Antwort Ja. erfolgt. Auch hier hat Searle Austins Ansätze weiterentwickelt und schließlich Sprechaktregeln formuliert. So müssen bestimmte Bedingungen für das Glücken von Sprechakten erfüllt sein, Regeln sozusagen, an die sich alle Sprecher bzw. Hörer halten müssen, damit ein intendierter Sprechakt auch als solcher erkannt wird. Diese Regeln erklären also, warum z. B. in einer Situation ein Fragesatz (Wie heißt du? ) als Frage verstanden werden muss und in einer anderen Situation ein Fragesatz (Wo ist die Butter? ) dagegen als Aufforderung. Sprechakte müssen also kon- 237 2. Konversationsmaximen ventionalisiert sein, d. h. auf einem gemeinsamen Wissen der Sprechergemeinschaft beruhen (vgl. Kap. V.1. Eigenschaften sprachlicher Zeichen: Arbitrarität und Konventionalität). Um das Ganze an einem Beispiel zu erläutern: Zum Sprechakt VERSPRE- CHEN gehört z.B. die Regel, dass man über etwas Zukünftiges spricht, da man nichts versprechen kann, was bereits ist (*Ich verspreche dir, dass ich gestern das Zimmer aufgeräumt habe.). Außerdem muss der Sprecher selbst in der Lage sein, das Versprochene zu realisieren (Ich verspreche dir, dass ich morgen mein Zimmer aufräume. vs. *Ich verspreche dir, dass morgen Mittwoch ist.) und der Hörer muss sich darauf verlassen können, dass der Sprecher sein Versprechen ernst meint. 2. Konversationsmaximen Neben Austin und Searle gilt der Sprachphilosoph H. Paul Grice als ein Begründer der modernen Pragmatik. Er hat sich u. a. damit beschäftigt, wie der eine Kommunikationspartner die kommunikative Bedeutung dessen versteht, was sein Kommunikationspartner äußert. Dies ist ja keine Selbstverständlichkeit, da je nach Kontext dieselbe Äußerung etwas anderes bedeuten kann, vgl. Bleiben Sie doch noch! a) tatsächliche Aufforderung noch nicht zu gehen, b) Höflichkeitsfloskel, die keine echte Aufforderung zum Bleiben intendiert. Grice geht davon aus, dass Kommunikation prinzipiell kooperatives Handeln ist. Kommunikationspartner müssen ein gemeinsames Interesse verfolgen, sonst kann keine Kommunikation zustande kommen. Diese Grundvoraussetzung nennt Grice Kooperationsprinzip („Sei kooperativ! “). Das eher abstrakte Kooperationsprinzip verdeutlicht Grice anhand von vier Konversationsmaximen: 238 3. Proposition, Präsupposition und Implikatur Kooperationsprinzip Sei kooperativ! Maxime der Quantität Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie (für den gegebenen Zweck des Gesprächs) nötig. Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig. Maxime der Qualität Versuche deinen Gesprächsbeitrag so zu machen, dass er wahr ist. Sage nichts, was du für falsch hältst. Sage nichts, wofür dir die angemessenen Gründe fehlen. Maxime der Relation Sei relevant. Maxime der Modalität Sei klar. Vermeide Dunkelheit deines Ausdrucks. Vermeide Mehrdeutigkeit. Sei kurz und vermeide unnötige Weitschweifigkeit. Der Reihe nach! Diese Konversationsmaximen wurden in der Forschung vielfältig diskutiert und auch kritisiert (die Maxime der Relation ist z. B. wenig aussagekräftig; die Maxime der Modalität scheint etwas beliebig / unvollständig). Wichtig ist, dass die Maximen nicht als eine Anweisung zu gutem oder ethisch richtigem Handeln zu verstehen sind. Vielmehr ging es Grice um Regeln des rationalen Verhaltens: Es wäre z. B. sehr irrational bei jeglicher Kommunikation davon auszugehen, dass der Gesprächspartner gerade lügt. Die Maximen sind außerdem sprecherorientiert (auf Hörerseite müsste es sinnvollerweise ebenfalls Maximen geben, z. B. „Höre aufmerksam zu! “). Zudem beziehen sie sich auf Kommunikationssituationen, bei denen der maximal effektive Austausch von Informationen im Vordergrund steht. Sie sind z. B. nicht durchgängig gültig für Sprechakte der Höflichkeit, vgl. Gefällt dir mein neuer Pullover? - - Das Muster ist sehr interessant. Da hier nicht auf die Frage geantwortet wird, wird z. B. die Maxime der Relation nicht eingehalten. Grice selbst hatte schon erkannt, dass z. B. auch ästhetische, soziale oder moralische Maximen eine Rolle spielen. Er selbst hat das jedoch nicht weiter ausgeführt. 3. Proposition, Präsupposition und Implikatur Die Bedeutung eines Satzes, den man mit ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ bewerten kann, nennt man Proposition (‚Aussage‘, vgl. Kap. IX .1. Sprechakttheorie, Kap. VI .2. Syntagmatische Bedeutungsbeziehungen). Es ist eine Aussage über die Welt, die auch bei Veränderungen der Satzart (bzw. der Illokution) erhalten bleibt: Peter 239 3. Proposition, Präsupposition und Implikatur kann seit gestern auf den Fingern pfeifen. Kann Peter wirklich seit gestern auf den Fingern pfeifen? Die Proposition bleibt dieselbe. Es wird etwas ausgesagt über Peter und auf den Fingern pfeifen bzw. darüber, dass Peter auf den Fingern pfeifen kann; außerdem gibt es eine temporale Information (seit gestern). Diese Tatsache kann schließlich daraufhin überprüft werden, ob sie wahr oder falsch ist. Propositionen kann man in dass-Sätzen wiedergeben; sie bleiben auch erhalten, wenn die Satzart geändert wird. Wenn wir uns den Satz Die Bundeskanzlerin diskutiert über den Austritt Griechenlands aus dem Euro. ansehen, dann müssen sowohl Sprecher als auch Hörer als Voraussetzung für diese Äußerung von der Existenz von a) einer Bundeskanzlerin b) eines Landes Griechenland c) einer gemeinsamen Währung Euro ausgehen, sonst würde der Satz unverständlich bleiben. Dieses Vorwissen bzw. diese Sinnvoraussetzungen nennt man Präsuppositionen. Ohne ein gemeinsames Vorwissen könnte z. B. die Kommunikation zwischen Experten eines Faches nicht funktionieren. Für Präsuppositionen verwendet man das Zeichen >>. Sie können es z. B. so ausformulieren: Der Satz Die Bundeskanzlerin diskutiert über den Austritt Griechenlands aus dem Euro. präsupponiert u. a., dass eine Bundeskanzlerin existiert. Mitunter finden sich Auslöser für Präsuppositionen, z. B. bestimmte Verben oder Satzstrukturen. Beispiele für unterschiedliche Präsuppositionstypen finden sich in folgender Tabelle. Präsuppositionstyp Erläuterung Beispiel Präsupposition existentiell Verweis auf eine (außersprachlich existierende) Person, Sache usw. der / die / das X >> X existiert. faktiv Verwendung eines Verbs, das die Wahrheit des Nebensatzes als gegeben voraussetzt. Er weiß, dass Peter dich verraten hat. >> Peter hat dich verraten. 240 3. Proposition, Präsupposition und Implikatur Präsuppositionstyp Erläuterung Beispiel Präsupposition nicht-faktiv Verwendung eines Verbs, das den Wahrheitsgehalt des Nebensatzes in Frage stellt. Sie behauptete, Lehrerin zu sein. >> Sie war keine Lehrerin. strukturell Verwendung bestimmter Satzstrukturen, z. B. W-Fragen Wer kommt? >> Jemand kommt. kontrafaktisch Verwendung eines irrealen Konditionalsatzes Wenn ich nicht erkältet wäre,… >> Ich bin erkältet. Nun gibt es aber auch Äußerungen, die eine zusätzliche oder gar andere Bedeutung enthalten. Beispiel: Und wie geht es Charlie in seinem neuen Job? -- Ach, bisher ganz gut; im Gefängnis ist er noch nicht gelandet. Hier wäre etwa die zusätzliche Information zur Proposition ‚Charlie ist nicht im Gefängnis‘, dass Charlie z. B. eine unehrliche Person ist. Wenn aus einer Aussage Schlussfolgerungen gezogen werden, die nicht wörtlich ausgedrückt werden, spricht Grice von konversationellen Implikaturen (engl. to imply ‚andeuten‘). Sie basieren auf dem Kooperationsprinzip und der Berücksichtigung des Kontextes. Oft ergibt das Gesagte auch nur dann einen Sinn, wenn wir eine Implikatur hinzufügen. Um anzuzeigen, dass eine Äußerung eine Implikatur enthält, verwendet man das Zeichen +>. Lass uns heute auf die Mensa-Party gehen! -- Ich habe morgen eine Prüfung. +> ‚Ich werde nicht mitkommen‘. Ohne diese Implikatur würde die Person 2 gegen das Kooperationsprinzip verstoßen, da ihr Redebeitrag (von der wörtlichen Bedeutung her gesehen) nicht zur Aufforderung von Person 1 passt. Implikaturen wie die hier genannte können auch als indirekte Sprechakte gewertet werden (vgl. Kap. IX .1.2 Illokutionsindikatoren und -strukturen). Zu den Implikaturen zählen auch bestimmte rhetorische Figuren, also Äußerungen, die in der wörtlichen Bedeutung nicht wahr oder sogar unsinnig wären, beispielsweise Metaphern (Du hast das Herz am rechten Fleck. +> etwa 241 3. Proposition, Präsupposition und Implikatur ‚Ich finde dich nett, hilfsbereit.‘) oder Tautologien (Kinder bleiben halt Kinder. +> ‚Kinder dürfen auch einmal Unfug machen.‘). Auch Ironie (Du bist aber ein schöner Freund. +> ‚Du hast dich gerade nicht wie ein Freund verhalten.‘) kann so erklärt werden. Für alle konversationellen Implikaturen gelten bestimmte Eigenschaften. Sie sind z. B.: 1. annullierbar: Sie können vom Sprecher zurückgenommen werden, ohne dass dies merkwürdig wirkt, beispielsweise: Ich habe morgen eine Prüfung, aber ich gehe trotzdem mit. 2. nicht abtrennbar: Sie sind nicht abtrennbar, das heißt, man kann einen anderen Ausdruck, der nahezu dasselbe sagt, verwenden, und die Implikatur entsteht trotzdem, da sich Implikaturen nicht aus dem Wortlaut ergeben. Zum Beispiel: Ich muss morgen ran. 3. bekräftigbar: Die Implikatur kann explizit gemacht werden, ohne dass dies redundant wirkt, weil ihr Inhalt nicht Teil des bisher Gesagten ist. Beispielsweise: Ich habe morgen eine Prüfung; ich kann nicht mit zur Party kommen. Grice verwendet darüber hinaus auch noch den- - in der Forschung umstrittenen-- Ausdruck konventionelle Implikatur. Bei diesem Implikaturtyp gibt es ein eindeutig identifizierbares lexikalisches Merkmal, welches das Gemeinte andeutet. Es gibt also ein im Wörterbuch verankertes Lexem (=-konventionalisiert), das eine Implikatur auslöst. Auf den propositionalen Gehalt (also den Wahrheitsgehalt) eines Satzes hat das Lexem keinen Einfluss. Beispiel: a. Peter ist arm und schlau. (keine Implikatur) b. Peter ist arm, aber schlau. +> Es besteht ein Gegensatz zwischen dem Arm- und Schlau-Sein. Die Proposition der beiden Sätze a) und b) ist identisch und besagt, dass Peter arm ist und dass er schlau ist. In b) entsteht jedoch- - anders als in a)- - die zusätzliche konventionelle Implikatur, dass zwischen diesen beiden Eigenschaften ein Gegensatz besteht. Diese Implikatur wird durch die Konjunktion aber ausgelöst; sie ist Bestandteil der konventionellen Bedeutung dieses Ausdrucks. 242 3. Proposition, Präsupposition und Implikatur Konventionelle Implikaturen können weiterhin ausgelöst werden, z. B. durch bestimmte Verben, wie Resultativa (z. B. Die Blume ist verblüht. +> ‚Die Blume hat vorher geblüht‘.), oder durch (Fokus-)Partikeln / Adverbien (z. B. Nur Peter fliegt nach München. +> ‚Ansonsten fliegt keiner nach München‘). Konventionelle Implikaturen sind-- anders als konversationelle-- nicht annullierbar (es würde sich durch die Annullierung ein Widerspruch ergeben, z. B. *Die Blume ist verblüht, aber sie hat vorher auch nicht geblüht.) und sie sind abtrennbar (weil sie von den Ausdrücken und ihrer konventionellen Bedeutung abhängig sind). Im Gegensatz zu den konversationellen Implikaturen erscheint ein Explizitmachen der Implikatur zudem als redundante Information *Die Blume ist verblüht. Übrigens hat sie vorher auch geblüht. In der Forschung werden mittlerweile die Präsuppositionen, die durch einen lexikalischen Marker ausgelöst werden, auch als konventionelle Implikaturen klassifiziert. Allerdings lässt sich z. B. im Falle von bestimmten Verben durch den Negationstest ein Unterschied ermitteln: a) Er weiß, dass Peter dich verraten hat. >> Peter hat dich verraten. (faktiver Präsuppositionstyp) Die Präsupposition bleibt auch bei Negation des Hauptsatzes erhalten: Er weiß nicht, dass Peter dich verraten hat. >> Peter hat dich verraten. Liegt eine konventionelle Implikatur vor, so bleibt diese bei Negation nicht erhalten: a) Lisa hat es geschafft, pünktlich in der Arbeit zu erscheinen. +> Lisa ist pünktlich in der Arbeit erschienen. b) Lisa hat es nicht geschafft, pünktlich in der Arbeit zu erscheinen. +> Lisa ist nicht pünktlich in der Arbeit erschienen. Wenn Sie herausfinden möchten, ob es sich um konversationelle oder konventionelle Implikaturen handelt, dann testen Sie, ob die Implikatur annullierbar, abtrennbar und bekräftigbar ist. Gibt es zudem ein eindeutig identifizierbares Lexem, welches die Implikatur auslöst? Wenn dies der Fall ist, dann führen Sie zusätzlich den Negationstest durch, um zu überprüfen, ob es auch eine Präsupposition sein könnte. 243 4. Ein Anwendungsfeld der Pragmatik: Gesprächsanalyse 4. Ein Anwendungsfeld der Pragmatik: Gesprächsanalyse Beschäftigen wir uns mit Gesprächsanalyse, so können wir an einige Ausführungen aus Kap. V.- Sprache und Sprechen anknüpfen. Dazu gehören u. a. die Merkmale der „gesprochenen Sprache“, wie Ellipsen, Satzabbrüche, Wiederholungen, Nachträge / Ausklammerung, deiktische und umgangssprachliche Elemente, z. B. „Füllsel“ wie hmm, ääh. Ferner sind Interjektionen, Gesprächspartikeln, Satzäquivalente und Vagheits-/ „Heckenausdrücke“ (z. B. na ja, oder so, irgendwie, vielleicht, mehr oder weniger) typisch für mediale Mündlichkeit. Bei der Analyse von Gesprächen ist offensichtlich, dass die Einbettung in den Kontext vorausgehen muss. So ist beispielsweise das Wissen um die soziale Beziehung der Gesprächsteilnehmer und den jeweiligen gesellschaftlichen Bereich, in dem das Gespräch stattfindet, u. a. im Hinblick auf gemeinsames Vorwissen wichtig, um (Nicht-)Gesagtes angemessen zu interpretieren (vgl. Kap. IX .3. Proposition, Präsupposition und Implikatur). Eine bekannte Definition des Gesprächs stammt von Brinker / Sager (2012, S. 12): „Ein Gespräch ist eine begrenzte Folge von sprachlichen Äußerungen, die dialogisch ausgerichtet ist und eine thematische Orientierung aufweist.“ Auf die 1960er Jahre ist der Beginn der sprachwissenschaftlichen Gesprächsanalyse zu datieren; Wegbereiter ist auch hier H. Paul Grice (vgl. Kap IX .2. Konversationsmaximen) im Anschluss an die Sprechakttheorie. Ziel der Gesprächsanalyse ist die systematische Erforschung der Regeln und Bedingungen, die die Gesprächskommunikation- - als sprachliches Handeln im Dialog- - in verschiedenen Kontexten bestimmen. Die Vorgehensweise bei der Gesprächsanalyse umfasst drei Schritte: 1. Aufnahme des Gesprächs, 2. Transkription, 3. Analyse. Die Verschriftung (Transkription) ist- - je nach zugrunde liegendem Transkriptionssystem- - eine aufwendige Aufgabe, die aber nicht vernachlässigbar ist: Auf ihr basiert die anschließende Analyse. Berücksichtigt werden dabei-- je nach Transkriptionsverfahren-- auch paraverbale Komponenten wie Stimme, Intonation, Sprechverhalten (Lautstärke, Sprechtempo) und nonverbale Merkmale wie Mimik, Gestik sowie weitere kontextuelle Informationen (Situation 244 4. Ein Anwendungsfeld der Pragmatik: Gesprächsanalyse und „Rollen“der Gesprächspartner). Beliebt ist das Gesprächsanalytische Transkriptionssystem ( GAT ), das flexibel als Minimal-, Basis- oder (detaillierteres) Feintranskript angelegt werden kann. An einem Beispiel führen wir nun eine Basistranskription vor; über ihr ist noch ein Transkriptionskopf anzubringen, mit dem die wichtigsten kontextuellen Informationen festgehalten werden sollen. Transkriptionskopf (verkürzt): Name der Aufnehmenden: Sabine Meier Name der Transkribierenden: Eva Huber Kurzcharakterisierung der Situation: Telefongespräch (Handy / Smartphone; Namen werden am Display angezeigt) Kurzcharakterisierung der Rollen der Teilnehmer: informelles Gespräch zwischen zwei Studienfreundinnen, die in Regensburg studieren. Als Schrifttyp für die Transkription nach GAT wird Courier 10 pt vorgeschlagen; Konvertierungsprobleme sollen damit vermieden werden. Bei GAT handelt es sich um eine so genannte „literarische Umschrift“: Es werden nur Besonderheiten von Merkmalen, die nicht dem Standard entsprechen, berücksichtigt, z. B. Assimilationen wie ists. Ferner werden u. a. Pausen (nach Längen gestaffelt: (.), (-) bis (--- -) oder mit Angabe der Dauer, z. B. (3.0)), Überlappungen (in eckige Klammern [ ] und untereinander geschrieben) und schnelle Anschlüsse (=) sowie para- und nonverbale Auffälligkeiten-- z. B. ((seufzt, 5 Sek.)) unter Hinzufügung der Dauer, interpretierende Kommentare (z. B. <<empört> [inclusive Angabe der Reichweite] >) und die Tonhöhenbewegung am Ende der jeweiligen Einheit (vor dem Sprecherwechsel)-- festgehalten. Generell erfolgt Kleinschreibung (Großschreibung nur zur Betonung), Transkriptzeilen werden nummeriert. Nach der Zeilennummer wird die Sprecherkennung notiert. Eine aufwendige phonetische Umschrift (z. B. IPA ; vgl. Kap. VII .2.1 Die Lautschrift) ist dagegen nur notwendig, wenn entsprechende (phonetische) Analysekriterien berücksichtigt werden sollen (z. B. bei der Untersuchung von Dialekten). 245 4. Ein Anwendungsfeld der Pragmatik: Gesprächsanalyse 01: A: hallo lisa (.) <<empört> hast du dir schon ANgschaut (.) was die MAyer alles für die PRÜfung haben will? > 02: B: bis jetzt noch NICHT (- -) aber ich denk mir (.) dass es voll VIEL is (.) [so wie ich sie KENN; 03: A: [ja (.) <<empört> es is echt IRre viel (.) alle texte mit auTOren und JAHreszahlen, das MERK ich mir ja NIE(.)> 04: B: uff (.) das is ECHT viel (-) überhaupt mit den ganzen DOP pelnamen (.) die verwechsel ich STÄN dig (- - -) WANN fängst du denn mit dem Lernen an? 05: A: WEI ß nicht so recht (- - -) denk (.) drei Tage brauchen wir SI cher; 06: B: ja (.) machen wir es wieder zu SAM men (.) oder was meinst DU ? 07: A: ja klar (.) zu SAM men ists immer LEICH ter (- - -) ICH bring das FRÜH stück (.) DU den KAF fee (.) dann sind wir für die lernsession ge WAPP net; 08: B: Per FEKT (- - -) dann bin ich so gegen 8 Uhr bei dir (- - -) muss dir dann auch noch was vom WO chenende erzählen; 09: A: Ja ok (- -) bin schon neugierig (- - -) bis DANN ; Möglich ist auch die weitere Gliederung eines Sprecherbeitrags in kleinere Einheiten über prosodische, semantische oder syntaktische Zäsuren, was durchaus Interpretation verlangt; dann wird jeweils eine neue Transkriptzeile begonnen. Der nächste Analyseschritt ist die Strukturierung des Gesprächs: Zunächst kann man in die Gesprächsphasen gliedern. In der Regel bestehen Gespräche aus Eröffnungsphase, Kernphase und Beendigungsphase. Eröffnung und Beendigung sind stark ritualisiert, z. B. hier hallo lisa bzw. knapp bis DANN . Man könnte aber beispielsweise untersuchen, wie komplex die beiden Phasen sind (mit / ohne Sprecherwechsel) und ob varietätenspezifische Besonderheiten vorliegen (z. B. umgangssprachlich, dialektal oder jugendsprachlich; vgl. Kap. V.6 Varietäten). Individueller wird dann die Kernphase gestaltet, die man beispielsweise nach Themen (hierarchisch geordnet) oder bzw. in Verbindung mit so genannten Handlungsplänen, denen Teilziele zugeordnet werden können, analysieren kann. In unserem Beispiel lassen sich Themen z. B. über Isotopien und Referenzketten (vgl. Kap. X. Textgrammatik) ermitteln, Hauptthema ist ‚gemeinsames Erlernen des umfangreichen Prüfungsstoffes 246 4. Ein Anwendungsfeld der Pragmatik: Gesprächsanalyse durch A und B‘. Der Handlungsplan kann so formuliert werden: ‚Ermittlung einer Lösung im Umgang mit dem Prüfungsstoff ‘; zugehörige Teilziele sind Problembenennung, Lösungsvorschlag und Akzeptanz sowie Vereinbarung der praktischen Umsetzung. Dann strukturiert man weiter in Gesprächsschritte und Gesprächssequenzen. Bei Gesprächsschritten kann man zunächst zwischen initiierenden und respondierenden (Reaktion / Antwort) unterscheiden. Weiter können sie nach der Art ihres Zustandekommens (z. B. durch Aufforderung oder Selbstwahl: z. B. jemandem ins Wort fallen: [ja (.) <<empört> es is echt IRR e) und ihrer Struktur (einfach- - höchstens ein vollständiger Satz- - oder komplex) klassifiziert werden. Sie haben eine bestimmte kommunikative Funktion und repräsentieren einen Sprechhandlungstyp: Bitte, Frage, Aufforderung, Ratschlag, Vorwurf usw. Eine Gesprächssequenz ist als kommunikativ-funktionale Einheit zu verstehen und umfasst mindestens zwei Gesprächsschritte, z. B. Frage-- Antwort, Gruß-- Gegengruß, Vorwurf-- Rechtfertigung / Entschuldigung. Die Gestaltung des Sprecherwechsels (Turn / turn taking) ist ein bedeutender Gegenstand der Gesprächsanalyse. Dabei sind auch „Pannen“ und der Umgang damit interessant, z. B. ungewollte Pausen, die von einem Sprecher „repariert“ werden, indem sie z. B. mit Gesprächspartikeln (also, eben, nicht wahr? ) gefüllt werden (vgl. Kap. I.8.3 Partikeln). Man unterscheidet Selbst- und Fremdreparaturen. Bei der Selbstreparatur „verbessert“ sich der Sprecher selbst, z. B. wenn er nach einem passenden Wort sucht (Heute haben wir im Seminar verschiedene Formen des Reähm der Reparaturen im Gespräch kennengelernt.). Selbstreparaturen greifen beispielsweise auch, wenn der Sprecher etwas verschweigen will und ihm das aber nur mühsam gelingt. Eine Fremdreparatur geht mit einem Sprecherwechsel einher (Sprecher A (in einer Gruppe): Übermorgen findet der Vortrag von Herrn Müller statt. Sprecher B: Nein, die Veranstaltung wurde kurzfristig verschoben.). Damit ein Gespräch gelingt, ist die Mitarbeit aller Gesprächspartner wichtig. Dazu gehören beispielsweise auch Hörersignale, die dem Sprecher zeigen, dass der Gesprächspartner aktiv zuhört. Sie können durch Partikeln oder andere kurze Äußerungen zum Ausdruck kommen, z. B. mhm, ja klar, genau, sehe ich auch so, na ja. Ein grundlegendes Prinzip der Interaktion ist das „Aushandeln“, das in die Kernphase des Gesprächs fällt. Das Grundmodell sieht so aus (folgend eine vereinfachte Beispieltranskription): 247 4. Ein Anwendungsfeld der Pragmatik: Gesprächsanalyse A: Ich werde dich dann morgen um 19 Uhr fürs Kino abholen. [Initiative] B: Puh, das wird knapp, ich komme erst um 18.30 Uhr von der Arbeit heim. [Reaktion] A: Okay. Dann komme ich um halb acht, der Film fängt ja erst um 20 Uhr an und mit dem Auto sind wir ja schnell dort. [Ratifizierung / Übereinstimmung] Das Gespräch kann sich aber auch anders entwickeln: A ist mit der Antwort von B nicht einverstanden. A kann dann entweder eine neue Initiative starten oder sie abwandeln im Hinblick auf die Antwort von B, um das Ziel der Ratifizierung / Übereinstimmung zu erreichen. Es folgt eine Fortsetzung, bis Übereinstimmung erfolgt oder deutlich ist, dass diese nicht möglich ist. Instrumente der Gesprächsanalyse sind nicht nur für die Face-to-Face-Kommunikation geeignet, sondern z. B. auch für medial vermittelte Dialoge, die konzeptionell mündlich sind, also z. B. Chats, SMS -Kommunikation oder die Kommunikation in Sozialen Netzwerken. Dass die Gesprächsanalyse hier nicht detaillierter beschrieben wird, hat damit zu tun, dass in Prüfungen (wie etwa dem Bayerischen Staatsexamen) in der Regel schriftliche Texte-- und nur selten Gespräche-- zur Analyse vorgelegt werden. 248 5. Übungen Zusammenfassung: Gesprächsanalyse - Schritt für Schritt 1. Nehmen Sie das Gespräch auf. 2. Fertigen Sie eine Transkription an. Überlegen Sie vorab, welches Ziel Sie mit Ihrer Analyse verfolgen und welche Informationen somit Ihr Transkript enthalten muss. Begründen Sie Ihre Entscheidung für ein (bestimmtes) Transkriptionsverfahren (z. B. IPA für die Analyse von Dialekten). Falls Sie nach GAT vorgehen, wägen Sie ab, ob Sie ein Minimal-, Basis- oder Feintranskript benötigen. 3. Strukturieren Sie das Gespräch (Eröffnungsphase, Kernphase, Beendigungsphase). 4. Für die Analyse der Kernphase: a. Ermitteln Sie die Themen (z. B. über Isotopien und Referenzketten) und äußern Sie sich zur Hierarchie (Hauptthema und weitere Themen), beispielsweise über die Frequenz der Erwähnung b. Geben Sie den Handlungsplan an und nennen Sie die zugehörigen Teilziele. c. Strukturieren Sie die Kernphase in Gesprächsschritte. d. Ermitteln Sie (daraus) die Gesprächssequenzen. e. Weisen Sie das Prinzip des Aushandelns nach. 5. Für die Analyse der Sprecherwechsel (Turns): a. Arbeiten Sie Hörersignale heraus. b. Gehen Sie auf Reparatur-Mechanismen ein. Unterscheiden Sie dabei Selbst- und Fremdreparaturen. 6. Für die Analyse der Eröffnungs- und Beendigungsphase: Klassifizieren Sie die beiden Phasen nach Komplexität (mit oder ohne Sprecherwechsel) und nach möglicherweise auftretenden Varietäten. 5. Übungen 1. Welche dieser Verben sind performative Verben? Bitte testen Sie! bekräftigen, erlauben, feststellen, trauern, zustimmen, rauchen, umstimmen 2. Klassifizieren Sie nach der Sprechakttheorie die Äußerung Der Hund beißt! Welche Probleme können bei der Bestimmung auftauchen? 3. Analysieren Sie folgende Illokutionsstrukturen! 249 5. Übungen a. Der Lärm ist ja nicht auszuhalten! Kannst du nicht die Tür leise zumachen? Da gibt es eine Klinke, die nimmt man in die Hand! b. Kannst du dir das vorstellen? Mitten in Rom haben sie mir meine Brieftasche geklaut! Und das auf offener Straße! 4. Ordnen Sie die folgenden Sprechakte der Klassifikation nach Searle zu! erlauben, berichten, ernennen, beglückwünschen, vereinbaren, mitteilen, klagen, entlassen, raten, garantieren 5. Bei den folgenden Beispielen handelt es sich um indirekte Sprechakte des Aufforderns. Nennen Sie die jeweilige Satzart und geben Sie Auffälligkeiten an. Finden Sie Gründe für die Wahl indirekter Sprechakte bei Aufforderungen. a. Können Sie denn nicht den Hund an die Leine nehmen? b. Es wundert mich, warum Sie den Hund nicht an die Leine nehmen. c. Sie können doch den Hund an die Leine nehmen. d. Der Hund sollte an die Leine genommen werden. e. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Hund an die Leine nehmen würden. f. Ich rate Ihnen, den Hund an die Leine zu nehmen. 6. Welche Konversationsmaximen werden in den folgenden Gesprächen verletzt? Wie kann das erklärt werden? a. „Ich habe gehört, du hattest gestern einen Unfall? “-- „Ja, das war eine schöne Bescherung! “ b. „Entschuldigen Sie, wo finde ich denn hier ein gutes Restaurant? “-- „Sind Sie das erste Mal in Regensburg? “ 7. Um welchen Präsuppositionstyp handelt es sich? Ergänzen Sie auch die Präsupposition! a. Peter gibt vor, ein exzellenter Chirurg zu sein. b. Ich bereue, dass ich dich gestern einen Idioten genannt habe. c. Die Königin von England heißt Elisabeth. d. Ich träume davon, König von Deutschland zu sein. 8. Konversationelle Implikatur oder konventionelle Implikatur- - was trifft zu? Testen Sie! a. Lediglich Anna wird zu spät zur Feier kommen; sie hat vorher eine wichtige Prüfung. b. A: Die Buchhandlung in der Stadt hat schon geschlossen. B: Geh doch zum Bahnhof. 250 5. Übungen c. Er war stets bemüht, die Aufgaben zu lösen (Ausschnitt aus einem Zeugnis). d. Das Baby ist aufgewacht. e. Andrea ging in das Einkaufszentrum und kaufte einen Mantel. f. Peter halbiert den Apfel. g. Caroline und Jonas gingen ins Theater. 9. Konventionelle Implikatur oder Präsupposition? Führen Sie den Negationstest durch! a. Ich verstehe, dass du unter diesen Umständen nicht mit zur Party kommen wirst. b. Theo hat sich die Zeit genommen, alle Ballettaufführungen seiner Tochter zu besuchen. c. Es ist merkwürdig, dass Lena zu spät kommt. d. Pia hat es versäumt, das Angebot wahrzunehmen. e. Ben bildet sich ein, dass er der beste Läufer der Mannschaft ist. f. Theo freut sich, dass morgen die Ferien beginnen. 10. Gesprächsanalyse a. Fertigen Sie ein Basistranskript ( GAT ) des folgend vereinfacht verschrifteten Gesprächs an. Begründen Sie Ihre Entscheidung an Stellen, für die das Original-Gespräch vorliegen müsste. Zwei Kommilitoninnen der Universität Regensburg, die sich eine Zeitlang nicht gesehen haben, treffen sich zufällig-… A: Hallo Kathi B: Hey Steffi. Wie geht’s dir? A: Guat. Und dir? B: Mir auch. (kurze Pause) A: Was machst denn am Donnerstag? (kurze Pause) B: Weiß i no ned. A: Da wär nämlich PäPsy-Party. B (interessiert): Echt? Wer geht denn mit? A: Also Maria und Lisa sicher und der Peter vielleicht auch. (längere Pause) B (unschlüssig): Hmm, is grad so stressig die Woch. A: Wieso, was is denn ois los? B: Hab in letzter Zeit so viel arbeiten müssen und bin irgendwie zu nix kemma-… A: Aber du warst scho so lang nimma mit uns unterwegs. (kurze Pause) 251 6. Quellen und weiterführende Literatur B (zögerlich): I überlegs mir no. A: Ja komm mit! Wird sicher lustig! B: Ok, dann meld i mi am Donnerstag bei dir. A (erfreut): Super, bis Donnerstag. B: Mach’s guat. Tschau. A: Tschau. b. Gliedern Sie das Gespräch in Eröffnungs-, Kern- und Beendigungsphase. c. Ermitteln Sie Hauptthema und Handlungsplan der Kernphase. d. Erklären Sie das Prinzip des Aushandelns an diesem Beispiel. e. Zeigen Sie an einem Beispiel, was man unter einer Gesprächssequenz versteht. f. Nennen Sie drei Merkmale der gesprochenen Sprache und geben Sie dazu jeweils Beispiele an. 6. Quellen und weiterführende Literatur Austin, John L.: Zur Theorie der Sprechakte. Dt. Bearbeitung von Eike von Savigny. 2., bibliogr. erg. Aufl. Stuttgart 2002. Austin ist der Begründer der sprachphilosophischen Theorie der Sprechakte, die ein Pfeiler der Pragmatik ist. Das Buch beinhaltet Vorlesungen, die er 1955 an der Harvard Universität gehalten hat und ist eine deutsche Bearbeitung des Originals. Die Beispiele wurden nicht übersetzt, sondern es wurden deutsche Beispiele verwendet, die Austins Ausführungen sinngemäß am besten illustrieren sollten. Lesenswert ist das einleitende Kapitel des Bearbeiters. Brinker, Klaus / Sager, Sven F.: Linguistische Gesprächsanalyse. Eine Einführung. Berlin 2010. Grundlagenliteratur, gut lesbar! Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2009. Kap. Gesprochene Sprache (6 Das Gespräch, 7 Der Gesprächsbeitrag, 8 Die Gesprächsformen), S. 1217-1240. Guter Einstieg in das Thema. Egbert, Maria: Der Reparatur-Mechanismus in deutschen Gesprächen. Mannheim 2009. 252 6. Quellen und weiterführende Literatur Eine gut lesbare Abhandlung über die verschiedenen Möglichkeiten der Selbst- und Fremdreparaturen in Gesprächen. Dabei wird die Theorie intensiv aufgearbeitet. Ehrhardt, Claus / Heringer, Hans Jürgen: Pragmatik. Paderborn 2011. Eine gut verständliche Einführung, die die üblichen Grundlagen und Theorien (z. B. Sprechakttheorie, Implikatur, Präsupposition) behandelt, daneben aber auch Themen wie kontrastive und interkulturelle Pragmatik. Finkbeiner, Rita: Einführung in die Pragmatik. Darmstadt 2015. Eine der neueren Einführungen. Sie behandelt ebenfalls die typischen Themen: Theorien der Pragmatik (v. a. Sprechakttheorie), Schnittstellen zu anderen Bereichen der Linguistik sowie Anwendungsbereiche (neben der Gesprächsanalyse z. B. noch die interkulturelle Germanistik). Mit zahlreichen Aufgaben und Lösungsvorschlägen. Grice, H. Paul: Logic and Conversation. In: Meggle, Georg (Hrsg.): Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Frankfurt a. Main 1979, S. 243-265. Jeder, der sich genauer mit Konversationsmaximen befasst, sollte auch einmal das Original von Grice lesen. Henne, Helmut / Rehbock, Helmut: Einführung in die Gesprächsanalyse. 4., durchges. und bibliograph. erw. Aufl. Berlin / New York 2001. Ein „Klassiker“ unter den Einführungen zur Gesprächsanalyse: wissenschaftlich fundiert, dabei noch gut lesbar. Ein umfangreiches Verkaufsgespräch dient als Grundlage der unterschiedlichen Analyseaspekte. Hindelang, Götz: Auffordern. Die Untertypen des Aufforderns und ihre sprachlichen Realisierungsformen. Göppingen 1978. Beispiel für eine sehr ausführliche Klassifikation eines Sprechakttyps. Hindelang, Götz: Einführung in die Sprechakttheorie: Sprechakte, Äußerungsformen, Sprechaktsequenzen. 5. Aufl. Berlin 2010. Empfehlenswert! Levinson, Steven C.: Pragmatik. Ins Deutsche übersetzt von Ursula Fries. Tübingen 1990. Dieses viel beachtete Werk - zuerst erschienen 1983 - hat die Pragmatik als sprachwissenschaftliche Teildisziplin nachhaltig auch im deutschsprachigen Raum etabliert. Liedtke, Frank: Expressive Pragmatik. Grundbegriffe und Methoden. Tübingen 2016. Gut lesbare Publikation auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand und mit hilfreichen Literaturhinweisen. Es finden sich beispielsweise auch Informatio- 253 6. Quellen und weiterführende Literatur nen dazu, wie man pragmatische Kompetenz erwirbt; außerdem gibt es ein Kapitel zur pragmatischen Analyse des öffentlichen Sprachgebrauchs. Linke, Angelika / Nussbaumer, Markus / Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik. 5., erw. Aufl. Tübingen 2004. Kap. Pragmatik, S. 193-234. Das Layout des Studienbuchs ist recht textlastig, die Einführung beinhaltet aber eine wirklich gute Grundlage für den Einstieg in die Thematik. Meibauer, Jörg: Pragmatik. Eine Einführung. 2., verb. Aufl., unveränd. Nachdr. der 2. Aufl. Tübingen 2008. Sehr verständlich geschrieben, mit Übungen (ohne Lösungen) und Glossar. Motsch, Wolfgang / Viehweger, Dieter: Illokutionsstruktur als Komponente einer modularen Textanalyse. In: Brinker, Klaus (Hrsg.): Aspekte der Textlinguistik. Hildesheim u. a. 1991, S. 107-132. Über Illokutionen als Strukturierungsmöglichkeit von Texten bzw. Dialogen. Rolf, Eckhard: Inferentielle Pragmatik. Zur Theorie der Sprecher-Bedeutung. Berlin 2013. Bei diesem Buch steht die Sprecher-Bedeutung im Vordergrund, d. h. all das, was über das wörtlich Gesagte hinausgeht. Dementsprechend ausführlich werden Implikaturen und indirekte Sprechakte behandelt. Am Ende jedes Kapitels gibt es eine kurze Zusammenfassung. Schank, Gerd: Untersuchungen zum Ablauf natürlicher Dialoge. München 1981. Hier erfahren Sie u. a. Näheres zu Handlungsplänen in Gesprächen. Schwitalla, Johannes: Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung. 4., neu bearb. u. erw. Aufl. Berlin 2012. Ein Standardwerk! Searle, John R.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Übersetzt von R. und R. Wiggershaus. 7. Aufl. Frankfurt a. M. 1997. Originalausgabe 1969. Searle war ein Schüler Austins und hat dessen Sprechakttheorie weiterentwickelt. Das Buch besteht aus zwei Teilen: I. Die Theorie der Sprechakte, II . Anwendung der Theorie. Es geht weit über das hinaus, was wir in diesem Kapitel anreißen konnten. Selting, Margret u. a.: Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem ( GAT ): In: Linguistische Berichte 173 (1998), S. 91-122. Anleitung zum Transkribieren nach dem anerkannten GAT . Selting, Margret u. a.: Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 ( GAT 2). In: Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 10 (2009), S. 353-402 (www.gespraechsforschung-ozs.de). Eine Fortführung zu GAT 1. 255 1.4 Sprechaktregeln X. Textgrammatik Die Säulen der Textlinguistik sind die Textpragmatik, die Textsemantik, die Textstilistik und die Textgrammatik. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Textgrammatik, die wir in Fortführung der übrigen Kapitel (insbesondere der Syntax) als Basis der Textanalyse in einem Einführungsbuch für besonders wichtig halten. Auf die anderen Bereiche gehen wir insofern ein, als sie für eine aussagekräftige Analyse notwendig sind. 1. Was ist ein Text? Zur Textdefinition Textlinguistische Untersuchungen gehen vom Text, nicht vom Satz, als oberster sprachlicher Einheit aus. Vor der Beschäftigung mit textlinguistischen Fragen muss geklärt werden, was man unter einem Text versteht. Ist die Länge wichtig oder kann z. B. auch eine SMS als Text aufgefasst werden? Geht es eher um einen inhaltlichen oder syntaktischen Zusammenhang zwischen den Sätzen, der einen Text ausmacht? Kann nur geschriebene Sprache Text sein? Mittlerweile gibt es eine große Anzahl an Definitionen von „Text“, die jedoch mehrheitlich darin übereinstimmen, dass der Text eine irgendwie zusammenhängende (kohärente) Folge von Sätzen ist. Wir lehnen uns an eine weitgehend akzeptierte Textdefinition an, nämlich die von Klaus Brinker (2005, S. 17). Sein „integrativer Textbegriff “ lautet: „Der Terminus ‚Text‘ bezeichnet eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert.“ Eine „Folge von sprachlichen Zeichen“ sind Sätze, in die Texte zerlegt werden können. Als Oberbegriff für die Konstruktionen, aus denen Texte bestehen, bietet sich in der Textgrammatik der Terminus Minimale Textgrammatische Einheit ( MTE ) an. Der Prototyp einer MTE ist ein Satz. Ein sprachliches Zeichen ist bilateral, d. h., es hat eine Inhalts- und eine Ausdrucksseite (vgl. Kap. V. 3. Zeichenmodelle sprachlicher Zeichen). Brinker trennt diese beiden Seiten nicht. Er spricht von verbaler Kohärenz, welche die semantische Kohärenz 256 1. Was ist ein Text? Zur Textdefinition (Textbedeutung, Inhalt, Thema, Sinnzusammenhang) und die grammatische Kohärenz (auch Kohäsion genannt) umfasst. Die grammatische Kohärenz bezieht sich auf die grammatischen (Verknüpfungs-)Mittel zur Herstellung von Textkohärenz. Brinkers Textdefinition schließt also den grammatischen, den semantisch-thematischen und den pragmatischen Aspekt (kommunikative Funktion) der Kohärenz mit ein. Die vielfältigen Möglichkeiten zur Herstellung von Kohärenz werden in den folgenden Kapiteln erläutert. Innerhalb der Textlinguistik standen von Beginn an textgrammatische Fragen im Mittelpunkt des Interesses. Schließlich folgte die semantische Textauffassung (vgl. Untersuchung der Isotopie, Kap. X . 3.4 Rekurrenz) aus dem Wissen darum, dass nicht alle Zusammenhänge grammatisch erklärt werden können. Durch die Pragmalinguistik (vgl. Kap. IX . Pragmatik) Anfang der 70er Jahre beeinflusst, wurde der Zuständigkeitsbereich der Textlinguistik wiederum ausgeweitet: Berücksichtigt werden nicht mehr nur die interne Struktur, sondern auch die Textfunktion, der Kommunikationsprozess, die -intention und die -situation, d. h., die kommunikative Einordnung von Texten. Text wird als (sprachliches) Handeln aufgefasst. Dieses neue Konzept geht maßgeblich auf die Sprechakttheorie von John R. Searle und John L. Austin zurück. Ein Text ist demnach eine Verknüpfung von Sprechakten und hat eine kommunikative (Gesamt-)Funktion: Was will der Sprecher oder Schreiber (der Emittent) mit dem Text dem Hörer oder Leser (dem Adressaten) mitteilen? Um einen Text zu erfassen, wird die verbale Kohärenz vor dem Hintergrund der kommunikativen Gesamtfunktion untersucht. Textgrammatik ist zwar ursprünglich auf den geschriebenen Text bezogen-- die textlinguistische Forschung konzentriert sich nach derzeitigem Stand auch noch darauf--, jedoch soll erwähnt sein, dass sich der Terminus „Text“ sowohl auf mündliche als auch auf schriftliche Sprache beziehen kann. Dieser Hinweis erscheint notwendig, da Texte häufig, vor allem im alltagssprachlichen Verständnis, nur als geschriebene Sprache verstanden werden. Allerdings wird dialogische mündliche Sprache, also das Gespräch, eher im Rahmen der linguistischen Teildisziplin Gesprächs- oder Dialoganalyse untersucht, da mit dem Sprecherwechsel und durch die Merkmale gesprochener Sprache grundsätzliche Unterschiede zum monologischen Text einhergehen. 257 2. Textsorten 2. Textsorten Ein wichtiger Untersuchungsbereich der Textlinguistik ist die Klassifizierung von Texten nach verschiedenen Textsorten. Wir produzieren und rezipieren konkrete Texte immer als Beispiele einer bestimmten Textsorte. So handelt es sich beispielsweise bei einer Packungsbeilage zu einem Medikament, einem Backrezept, einem Wetterbericht, einer E-Mail, einem Gesetz, einer Todessowie einer Werbeanzeige um ganz unterschiedliche Textsorten. Sie haben sich aus den verschiedenen kommunikativen Bedürfnissen heraus entwickelt. Aufgabe der Textlinguistik ist es auch, sich mit Fragen und Problemen der Abgrenzung von Textsorten auseinanderzusetzen. Jeder Text ist einer Textsorte zuzuordnen, die bestimmte Charakteristika-- ein Textmuster-- aufweist; sie ist mit einer bestimmten Funktion verknüpft und soll eine bestimmte Wirkung erzielen. Zu beachten ist, dass sich das alltagssprachliche intuitive Textsortenwissen-- hierbei wird kaum auf sprachliche Charakteristika geachtet, sondern vor allem auf funktionale, situative und inhaltliche-- vom linguistischen Textsortenbegriff unterscheidet. In der Forschung gibt es jedoch bis heute keine einheitliche Definition von „Textsorte“. Ebenso besteht Uneinigkeit, welche Merkmale zur Einordnung in eine bestimmte Textsorte herangezogen werden müssen. Bei der Untersuchung von Textsorten sind textinterne sowie textexterne Merkmale einzubeziehen. 1. Textinterne Kriterien sind z. B. ▶ paraverbale oder grafische Merkmale: monotone Sprechweise bei einer Nachricht, Handschrift beim Brief, Hervorhebung einer Überschrift durch variierte Schriftgröße und -stärke, ▶ Stil (vgl. Kap. XI . Stilistik): Auffälligkeiten hinsichtlich a. Lexik (z. B. jugendsprachlicher Wortschatz / Varietäten, vgl. Kap. V. 6.), b. Grammatik (Satzbaumuster, z. B. Nominalstil bei Gesetzestexten: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet 1. über die Verwirkung von Grundrechten-… oder Häufung von Infinitiven beim Backrezept zur Aufforderung: Dotter vom Eiweiß trennen und hinzufügen) oder c. Textstruktur (z. B. Verse und Strophen beim Gedicht, Datum-- Anrede-- Briefschluss-- Unterschrift beim Brief, Headline-- Fließtext-- Slogan als klassische Anzeigenstruktur; Form des Textanfangs oder 258 2. Textsorten -endes: Es war einmal-… im Märchen, Liebe Lisa im Brief, Amen beim Gebet), ▶ Texte verschiedener Wissenschaftsbereiche: fachsprachliche Varietäten / Fachwortschatz der Politik, der Verwaltung, der Religion, ▶ Textinhalte: a. Textthema (als Kerngedanke des Textinhalts, z. B. als Überschrift einer Zeitungsmeldung hervorgehoben), b. Arten der Themenentfaltung (Verknüpfung der Teilinhalte eines Textes): deskriptiv, narrativ, explikativ, argumentativ. Exkurs Themenentfaltung Bei der deskriptiven (‚beschreibenden‘) Themenentfaltung geht es vor allem um Spezifizierung und situative Einordnung. Dies trifft zum Beispiel auf die Textsorte „Nachricht“ zu. Die narrative (‚erzählende‘) Themenentfaltung finden wir unter anderem in Alltagserzählungen, in Schilderungen von Ereignissen. Eine explikative (‚erklärende‘) Themenentfaltung zeigt sich zum Beispiel in Gebrauchsanleitungen. Bei der argumentativen (‚begründenden‘) Themenentfaltung wird folgendermaßen vorgegangen: Eine These / Behauptung wird mit Hilfe von Argumenten begründet. Die Richtigkeit der Schlussregel (wenn die Argumente zutreffen, dann stimmt auch die These) wird durch eine stützende Aussage (z. B. Verweis auf Verhaltensregeln, Naturgesetze usw.) gefestigt. Argumentative Themenentfaltung ist für appellierende Texte von Bedeutung, die überzeugen wollen, z. B. Zeitungskommentar. In Zusammenhang mit der Art der Themenentfaltung steht die Textfunktion (siehe unten). 2. Textexterne Kriterien sind z. B.: ▶ Textfunktion: Brinker unterscheidet- - in Anlehnung an die Sprechaktklassifikation von Searle (vgl. Kap. IX . 1.3.)-- fünf Funktionen: Informationsfunktion (z. B. Nachricht), Appellfunktion (‚zu etwas auffordern‘, z. B. Werbeanzeige), Obligationsfunktion (‚eine Verpflichtung eingehen‘, z. B. Vertrag), Kontaktfunktion (z. B. Geburtstagskarte), Deklarationsfunktion (‚etwas bewirken‘, z. B. Ernennungsurkunde) ▶ Kommunikationssituation: öffentlich- - offiziell- - privat, schriftlich- - mündlich, Face-to-face-Situation- - mediale Individualkommunikation, nicht einseitig (Telefonat, Chat)- - mediale Massenkommunikation, einseitig (Radio-, Fernsehsendung). 259 2. Textsorten Das Textmuster, das einer Textsorte zugrunde liegt, kann auch als komplexer Sprechakt mit unterschiedlichen Teilakten verstanden werden (vgl. Kap. IX . 1. Sprechakttheorie). Dazu gehören die Textproposition (Textreferenz und Textprädikation, d. h. das Verweisen auf etwas / einen Gegenstand, über das / den dann eine Aussage gemacht wird), die Textillokution (die dominierende Sprechhandlung des Textes) und die Textperlokution (Wirkung). Eine Werbeanzeige ist demnach ein Gegenstand, der zum Werben eingesetzt wird (Proposition) mit der dominierenden Illokution APPEL- LIEREN , INFORMIEREN und der Perlokution, zum Kauf zu überreden. Beispiel: Mit der Anzeige wird für die Küchen der Marke SieMatic geworben (Proposition). Die Illokution APPELLIEREN wird beispielsweise durch den Imperativsatz / die Aufforderung in der Headline Räumen Sie ab. oder das Versprechen im Slogan Am liebsten das Beste. ausgedrückt. Die Illokution INFORMIEREN findet sich unter anderem im Fließtext: Die beste Zeit für eine neue Küche: der SieMatic Musterküchenverkauf. Wo, erfahren Sie unter www.siematic.com. Die Anzeige soll bewirken, dass der Leser eine solche Küche kauft (Perlokution). Abb. 11 Werbeanzeige von SieMatic 260 3. Grundbegriffe 3. Grundbegriffe 3.1 Kohärenz Die Beschreibung der verbalen Kohärenz (lat. cohaerēre ‚zusammenhängen‘) von Texten ist, neben der Bestimmung der Textsorte, eine wichtige Aufgabe der Textlinguistik. Die Aufdeckung der verbalen Kohärenz bedeutet, die Beziehungen zwischen den Sprachzeichen eines Textes zu erfassen. Die Analyse der verbalen Kohärenz, d. h. die Erfassung und Kategorisierung der dafür eingesetzten Mittel, ist wichtig, weil sie Träger der thematischen Textstruktur, der Tiefenstruktur des Textes, ist. Aufschluss darüber geben Referenzketten und Isotopieebenen, mit deren Hilfe schließlich das Thema des Textes zusammengefasst und auf den Punkt gebracht werden kann. Das Textthema wird beispielsweise durch die Überschrift in einem Zeitungsartikel komprimiert zum Ausdruck gebracht. Exkurs Frames Einen Beitrag zur Ermittlung des Textthemas können auch sog. Frames (‚Rahmen‘) liefern. Bei diesem textsemantischen Konzept geht man davon aus, dass Wissensbestände mental abgespeichert werden. Diese Repräsentation von Wissen erfolgt in der Regel nicht isoliert, sondern im Kontext, gewissermaßen als „Bündel“. Frames sind hierarchisch aufgebaut und eröffnen Leerstellen (slots), die mit Füllern (fillers) gefüllt werden. Außerdem können Bezüge zu anderen Frames hergestellt bzw. ermittelt werden. Ein bekanntes Beispiel ist der Frame ‚Kindergeburtstag‘. Denkt man an diese Situation, so wird stereotypes - auch kulturell spezifisches - Wissen im Gedächtnis aufgerufen; dazu gehören Füller wie ‚Kuchen‘, ‚Luftballons‘, ‚Kerzen‘, ‚Geschenke‘, ‚Spiele‘ usw. Die Bedeutung eines Wortes - Kindergeburtstag - lässt sich demnach nur erfassen, wenn man über entsprechendes Weltwissen verfügt. Frames können sich diachron wandeln, kulturell und individuell/ subjektiv geprägt sein. Auch Verben kann man als Frame verstehen; genauer ist hier der Terminus Skript (engl. script), der für Handlungen, Ereignisse/ Abläufe, Prozesse verwendet wird. So kann man beispielsweise das Verb ‚schenken‘ nur verstehen, wenn man weiß, dass es als Frame ‚Übergabe‘ funktioniert und dazu die Füller ‚Schenkender‘, ‚Beschenkter‘ und ‚Geschenk‘ gehören. Dieselbe Struktur haben beispielsweise die Verben geben und überreichen (vgl. I . 4.2 Die Valenz sowie Abb. 1: Satzbaupläne). 260 3. Grundbegriffe 261 3.4 Rekurrenz 3.2 Referenz Referenz bedeutet, dass ein Sprecher oder Schreiber mittels eines oder mehrerer sprachlicher Ausdrücke auf einen bestimmten Gegenstand oder eine Handlung Bezug nimmt. Im semiotischen Dreieck von Ogden und Richards (vgl. Kap. V. 3. Zeichenmodelle sprachlicher Zeichen) handelt es sich um die Beziehung zwischen einem (aus Inhalt und Ausdruck bestehenden) Sprachzeichen (=-Referenzmittel) und einem außersprachlichen Bezugsobjekt (=-Referenzobjekt). Von Referenzidentität (Koreferenz) spricht man, wenn sich zwei Referenzmittel auf dasselbe Referenzobjekt beziehen (vgl. unten Referenz-Rekurrenz). 3.3 Transphrastisches Prinzip Ein noch heute gültiger Grundsatz der frühesten textgrammatischen Forschung ist die Satzverflechtung durch transphrastische Referenz (=- satzübergreifend). Sie besagt, dass verbale Kohärenz oberhalb der Satzebene zu untersuchen ist. Das bedeutet: Wird innerhalb eines Satzes zweimal auf ein und dasselbe Bezugsobjekt referiert, handelt es sich noch nicht um ein textgrammatisches, sondern um ein syntaktisches Phänomen, Bsp.: Theresa geht mit ihrem Hund spazieren. Dagegen: Theresa hat einen Hund. Sie geht mit ihm spazieren. Daraus folgt, dass vor der Analyse eine Einteilung in textgrammatische Einheiten erfolgen muss ( MTE ). Vollständige Hauptsätze, die mit Konjunktionen, z. B. und, aber, oder, Komma, Doppelpunkt oder Semikolon verbunden sind (= Parataxen), zählen als zwei eigenständige Sätze und fallen somit unter das transphrastische Prinzip. 3.4 Rekurrenz Unter der Rekurrenz (lat. recurrere ‚zurücklaufen‘) ist das wiederholte Vorkommen eines Elements oder einer Relation im Text zu verstehen. Darunter fällt auch die Wiederholung ein und derselben Referenz bzw. die Wiederholung syntaktischer Kategorien. Wir wollen drei Arten unterscheiden: a. Referenz-Rekurrenz b. Rekurrenz auf wortsemantischer Ebene (Isotopie, besser: Isosemie) c. Strukturrekurrenz 262 3. Grundbegriffe a. Referenz-Rekurrenz bedeutet, dass wiederholt auf ein und dasselbe Bezugsobjekt referiert wird. Zu den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln wird im Kapitel zu den Beschreibungskriterien des Topiks ( XI . 4.) mehr gesagt. Meine Katze hat ein eitriges Auge. Ich war schon mit ihr beim Tierarzt. Er hat dem tierischen Patienten Medikamente verschrieben und mir gesagt, ich solle mit dem Vierbeiner in einigen Tagen noch einmal vorbeikommen. Ich bin froh, dass die Katze bald wieder gesund sein wird. Beziehen sich zwei Ausdrücke auf dasselbe Referenzobjekt, nennt man dieses Phänomen Koreferenz. Dabei ist (bei der häufigen anaphorischen Verflechtung, vgl. Kap. X. 4.6 Verflechtungsrichtung und -abstand) der erste autosemantische Ausdruck-- ein Pronomen beispielsweise scheidet hier aus-- der Bezugsausdruck ( BA ), den man oft am unbestimmten Artikel erkennen kann. Einen später folgenden dazu koreferenten Ausdruck bezeichnet man als Verweisausdruck ( VA ). Letzterer kann auch synsemantisch sein, häufig handelt es sich um Pronomina (ich, er, sie). Bezugs- und Verweisausdruck nennt man zusammen ein Topik. Er ist die Grundform der Satzverflechtung (Kohärenz). Liegen mehrere Verweisausdrücke vor, wie im obigen Beispiel, so handelt es sich um eine (Ko-)Referenzkette. BA und VA müssen aber nicht koreferent sein (vgl. Kap. X.4.2). In dem Fall würde eine erweiterte (Ko-)Referenzkette vorliegen. Wichtig ist dabei immer, dass die Verweisausdrücke in unterschiedlichen Sätzen, also transphrastisch, vorkommen. Der Bezugsausdruck in unserem Beispiel ist Meine Katze, die Verweisausdrücke ihr, dem tierischen Patienten, dem Vierbeiner, die Katze (zur Klassifikation vgl. Kap. X. 4. Beschreibungskriterien des Topiks). Referenzketten können als roter Faden im Text Orientierungspunkte für den Leser / Hörer sein. Sie zeigen, wie ausführlich ein Teilthema erläutert wird. b. Rekurrenz auf wortsemantischer Ebene (Isotopie / Isosemie) kommt dadurch zustande, dass ein semantisches Merkmal in verschiedenen Lexemen (Wörtern) im Text wiederkehrt. Diese Herangehensweise ist mitunter problematisch, da die Entscheidung für ein semantisches Merkmal subjektiv ist. Innerhalb eines Textes können verschiedene Isotopieebenen / Isosemieebenen vorhanden sein. Je mehr es sind, desto inhaltsreicher und komplexer ist der Text. Die Untersuchung der Isotopie (griech. isos ‚gleich‘, topos ‚Ort‘) stützt sich auf die Semanalyse (vgl. Kap. VI . 4. Die Semanalyse), 263 3.4 Rekurrenz bei der die Bedeutung eines Wortes in einzelne semantische Merkmale zerlegt wird. Die Wiederholung (Rekurrenz) bezieht sich hier also nicht auf Gesamtbedeutungen von Wörtern, sondern auf einzelne dominante semantische Merkmale. Das wiederholt auftretende gemeinsame semantische Merkmal wird gemeinhin Klassem genannt. Starke Raucher haben ein erhöhtes Risiko an Lungenkrebs zu erkranken. Der leichtsinnige Umgang mit der Gesundheit kostet langfristig vielen Menschen das Leben. Der Verzicht auf den Glimmstengel kommt für Abhängige oft nicht in Frage, da hilft auch die warnende Aufschrift auf jeder Zigarettenpackung nichts. Rauchen ist für sie ein wichtiger Bestandteil des Lebens geworden. Eine Isotopieebene ist hier ‚gesundheitsschädigend‘. Dazu gehören starke Raucher, Lungenkrebs, leichtsinnige, Glimmstengel, Abhängige, rauchen. Es handelt sich also um unterschiedliche Wortarten, die zu einer Isotopieebene gerechnet werden können. Alle Sprachzeichen, die zu einer Isotopieebene gehören, müssen das semantische Merkmal tragen. Daher dürfen Sie komplexe Ausdrücke / Syntagmen nicht angeben, um Details aus dem Kontext unterzubringen. Häufig sind weitere Isotopieebenen und Referenzketten nötig, um die semantischen und grammatischen Zusammenhänge des Textes zu erfassen. Bsp.: Viele Menschen sind dem Erdbeben zum Opfer gefallen. Zum Klassem ‚umkommen‘ gehört nur zum Opfer gefallen, nicht viele Menschen. c. Bei der Strukturrekurrenz bezieht sich die Wiederholung auf syntaktische Kategorien. Beispielsweise besteht ein Text nur oder wiederholt aus einfachen Sätzen oder es liegt die Stilfigur Parallelismus in aufeinander folgenden Sätzen vor (vgl. Kap. XI . 6. Stilfiguren). Weitere Bereiche der Strukturrekurrenz sind die Untersuchung von Tempus, Modus und Modalität. Ein Tempuswechsel etwa ermöglicht, einen Text in mehrere Textteile zu untergliedern. Ein verwendetes Tempus kann charakteristisch für eine Textsorte sein, zum Beispiel Präteritum für Erzählungen (vgl. Kap. III . 5. Tempus). Modusgleiche Sätze haben ebenfalls verknüpfende Wirkung. Ein Textteil im Konjunktiv (indirekte Rede) beispielsweise kann als Subtext eingeordnet werden, da er syntaktisch abhängig ist. Ein Text wird auch deshalb als Einheit empfunden, weil er die Sprechereinstellung des Verfassers (mehr oder weniger deutlich) 264 3. Grundbegriffe zeigt. Dies nennt man die Modalität eines Textes. Sie kann durch den Modus (z. B. Konjunktiv), Modalverben (Er kann mitgehen: Sprechhandlung der Erlaubnis), Modaladverbien (hoffentlich, vermutlich) oder Partikeln (Das ist halt / eben so.) ausgedrückt werden (vgl. Kap. III . 6. Modus). 3.5 Konnexion Mit dem textgrammatisch wichtigen Prinzip der Konnexion (lat. connexio ‚Verbindung‘) wird das Augenmerk auf den Bezug von Sätzen durch Konnektoren gerichtet. Der Analyse voraus geht methodisch die Zerlegung des Textes in Sätze. Die beiden aufeinander zu beziehenden Sätze kann man Konnekt I und Konnekt II nennen. Mit Hilfe des Konnektors wird deutlich, was Konnekt II im Hinblick auf Konnekt I bedeutet. Bsp.: Morgen habe ich mündliche Prüfung in Sprachwissenschaft (=-Konnekt I). Deshalb (=-Konnektor) kann ich heute nicht mit euch ins Kino gehen (=-Konnekt II ). In Konnekt I wird der Grund genannt, warum der Kinobesuch nicht stattfinden kann. Im Vergleich dazu befinden wir uns mit dem inhaltlich gleichbedeutenden Satz Weil ich morgen mündliche Prüfung in Sprachwissenschaft habe, kann ich heute nicht mit euch ins Kino gehen. auf der syntaktischen Ebene. Es handelt sich nicht um eine textgrammatische (transphrastische), sondern um eine intraphrastische Relation. Die Teilsätze sind durch die Subjunktion weil aufeinander bezogen. Bezüglich der Stellung der Konnektoren unterscheidet man zwei Arten von Konnektoren: syntaktisch integrierte und syntaktisch isolierte mit / ohne Staupause. Syntaktisch integrierte Konnektoren stehen innerhalb des zweiten Konnekts- - häufig am Beginn des Satzes, wie unser Beispiel zeigt. Hier kann Inversion eintreten, d. h., die Wortstellung im Satz ändert sich aufgrund des Konnektors (Nominativ-Ergänzung jetzt nach Prädikat): Deshalb kann ich heute nicht mit euch ins Kino gehen. Steht der Konnektor innerhalb des Satzes, bleibt die gewöhnliche Wortstellung erhalten (die Nominativ-Ergänzung steht an erster Stelle vor dem Finitum): Ich kann deshalb heute nicht mit euch ins Kino gehen. Hinsichtlich der Wortart handelt es sich bei dem Beispiel deshalb um ein Konjunktionaladverb: Es hat eine ähnliche Funktion wie eine Konjunktion, hat aber Satzgliedstatus (vgl. Kap. I. 8.1 Konjunktionen und Subjunktionen). Im Bereich der Textgrammatik bezeichnet man derartige satzverbindende Elemente, gleich welcher Wortart, als Konnektoren. 265 3.5 Konnexion Syntaktisch isolierte Konnektoren ohne Staupause stehen zwischen den Konnekten (=- Ø-Position) und die Satzgliedstellung des zweiten Konnekts wird nicht verändert. Das trifft zum Beispiel für Konjunktionen zu: Lisa möchte ins Schwimmbad gehen. Aber ihre Mutter hat keine Zeit. Bei den syntaktisch isolierten Konnektoren mit Staupause (auch: syntaktisch hervorgehoben genannt) folgt eine kurze Sprechpause oder grafisch ein Komma, Bindestrich oder Doppelpunkt: Heute können wir endlich mal wieder zusammen ausgehen, es sei denn, der Babysitter lässt uns im Stich. Die Satzstellung ändert sich im zweiten (vollständigen) Teilsatz nicht. Wir könnten uns hier ebenso einen Punkt denken, um zwei völlig separate Sätze zu erhalten (vgl. Kap. X. 3.3 Transphrastisches Prinzip). Semantisch können wir Konnektoren beispielsweise folgendermaßen einteilen: a. Konnektoren, die eine Paraphrase, Einschränkung, Erweiterung, Exemplifizierung oder Konkretisierung ankündigen nochmals, noch einmal, wie gesagt, kurzum, oder anders ausgedrückt, zusammengefasst, mit anderen Worten, besser, genauer, richtiger gesagt, allgemein, mehr noch, etwa, konkret gesagt b. Konnektoren, die eine Aneinanderreihung, Aufzählung oder Hervorhebung ausdrücken erstens / zweitens, und, dann, schließlich, vor allem, außerdem, übrigens, ferner c. Konnektoren, die eine Disjunktion (‚Ausschluss‘) ankündigen oder d. Adversative (‚gegensätzlich‘) und konzessive (‚einräumend‘) Konnektoren aber, dennoch, trotzdem, jedoch, es sei denn e. Kausale Konnektoren denn, nämlich, weil (+ Hauptsatz in der gesprochenen Sprache: Konnektor mit Staupause) Als Fazit lässt sich festhalten: Konnektoren sind eine Funktionsklasse und können daher durch verschiedene Wortarten, komplexe Ausdrücke oder sogar grafische Mittel (Spiegelstrich, Doppelpunkt etc.) realisiert werden. 266 4. Beschreibungskriterien des Topiks 4. Beschreibungskriterien des Topiks 4.1 Lexikalische Verweisausdrücke mit Referenzidentität Lexikalische Verweisausdrücke mit Referenzidentität a) Lexemidentität = Lexemrepetition b) Lexemsimilarität ■ Kurzwort ■ Kompositum c) Lexemsubstitution ■ Synonymie ■ Hyper-/ Hyponymie ■ Metapher ■ Metonymie a) Lexemidentität (= Lexemrepetition) Hierbei werden Inhalts- und Ausdrucksseite wiederholt. Man nennt dies deshalb auch Lexemrepetition (es wird immer dasselbe Wort benutzt). Die Katze frisst seit einigen Tagen kaum mehr. Ich werde mit der Katze zum Tierarzt gehen. b) Lexemsimilarität Von Lexemsimilarität sprechen wir bei Kurzwörtern oder Komposita, es liegt in Teilen Lexemidentität vor. ▶ Die Neuere deutsche Literaturwissenschaft ist ein beliebtes Teilfach der Germanistik. Deshalb schreiben viele Studierende ihre Zulassungsarbeit in der NdL. (Kurzwort) ▶ Die Vorbereitung auf die Klausur wird mich einige Tage kosten. Wichtig ist, dass man die Klausurvorbereitung motiviert und konzentriert angeht. (Kompositum) 266 4. Beschreibungskriterien des Topiks 267 4.1 Lexikalische Verweisausdrücke mit Referenzidentität c) Lexemsubstitution Dazu gehören alle Verweisformen mit Referenzidentität, die (jedoch) keine identischen Lexeme haben. Die Verwendung nicht-identischer Sprachzeichen kann aus stilistischen Gründen erfolgen. Nicht-identische Sprachzeichen sind häufig bedeutungsgleich (Synonymie), stehen in einem über- oder untergeordneten Verhältnis zueinander (Hyper-/ Hyponymie) oder es handelt sich um eine Bedeutungsübertragung (Metapher oder Metonymie) (vgl. auch Kap. VI . 7. Bedeutungsrelationen). ▶ Peter hasst Spinat. Er könnte auf das Gemüse gut verzichten. (Hyponym-- Hyperonym) ▶ Ich bin froh über mein Auto. Durch den PKW bin ich total flexibel geworden. (Synonymie) Zur Synonymie zählen auch Fälle, die nicht im Wörterbuch verzeichnet sind und aus dem Textzusammenhang erklärbares (=-kotextuelles) oder Weltwissen voraussetzen. Dazu gehören auch Eigennamen, Berufs-, Funktions- und Rangbezeichnungen (z. B. Schreiner, Verwalter, König). ▶ Karl der Große trieb im 9. Jahrhundert die Christianisierung voran. Der Herrscher brauchte dazu die Volkssprache. (Eigenname) ▶ In diesem Jahr möchte ich unbedingt nach New York. Die Weltstadt ist absolut sehenswert. (Eigenname) ▶ Die Frau wird in wenigen Wochen entbinden. Überlassen Sie der Schwangeren doch bitte Ihren Sitzplatz! (kotextuell begründet) ▶ Mein Mann ist viel unterwegs. Als Schauspieler kommt er manchmal wochenlang nicht nach Hause. (kotextuell begründet, Berufsbezeichnung) ▶ Welches Buch ich zurzeit mag? Ich lese zur Entspannung gerne Wolf Haas. (Metonymie) ▶ Du hast ja ein blaues Auge! Woher kommt denn das Veilchen? (Metapher) ▶ Ich habe einen Enzian entdeckt. Die kostbare Pflanze darf man aber nicht pflücken. (Beziehung wird durch Weltwissen hergestellt) 268 4. Beschreibungskriterien des Topiks 4.2 Lexikalische Verweisausdrücke ohne Referenzidentität Lexikalische Verweisausdrücke ohne Referenzidentität a) Kontiguität ■ logisch ■ ontologisch ■ kulturell begründet b) Partialität Liegt keine Referenzidentität vor, spricht man auch von impliziter Wiederaufnahme. a) Kontiguität Bei der Kontiguität liegt keine Identität zwischen Bezugs- und Verweisausdruck vor, jedoch eine semantische Nähe. Man kann logisch, ontologisch und kulturell begründete Kontiguität unterscheiden. Logisch begründete Kontiguität sind u. a. folgende Relationen: ▶ Antonymie: Die Freude über die Geburt ist groß. Das Leid beginnt aber schon in der ersten Nacht.- - Diese Frage ist interessant. Leider habe ich darauf keine Antwort. ▶ Actio (‚Handlung‘)-- Agens (‚Handelnder‘): Das Werk beeindruckte selbst Reich-Ranicki. Der Autor freut sich über das Lob. ▶ Actio-- Instrumentum: Der Vater sägt Bretter für die Gartenhütte. Die Säge funktioniert leider nicht mehr so gut. Ontologisch begründete Kontiguität bedeutet, dass ein natürlich begründetes Verknüpfungsverhältnis vorliegt, z. B.: ▶ Bei Ebbe kann man eine Wattwanderung machen. Man muss sich jedoch vor der Flut hüten. ▶ Ein Brand ist im Schulhaus ausgebrochen. Feuer und Rauch steigen aus den Fenstern. ▶ Der Vater war bei der Geburt dabei. Er hält das Kind stolz im Arm. 269 4.2 Lexikalische Verweisausdrücke ohne Referenzidentität Unter die kulturell begründete Kontiguität fällt der Gesamtbereich menschlicher Produkte bzw. Hervorbringungen, soweit sie überindividuell von Bedeutung sind, z. B.: ▶ Das Flugzeug kann noch nicht starten. Die Passagiere sind noch nicht alle an Bord. ▶ Im Sommer gehe ich gerne ins Schwimmbad. Leider ist an heißen Tagen das Becken überfüllt. ▶ Das Tennismatch hat vor zehn Minuten begonnen. Gerade hängt der Ball im Netz. b) Partialität Bei der Partialität handelt es sich um eine Teil-Ganzes-Referenz. Der Verweisausdruck bezieht sich auf einen Teil des Bezugsausdrucks (pars pro toto) und umgekehrt (totum pro parte), z. B.: ▶ Die Mutter freut sich über ihren Garten. In den Beeten wächst viel verschiedenes Gemüse. ▶ Der Hund muss mal wieder gebürstet werden. Das Fell ist ja ganz struppig! ▶ Die Tür klemmt. Ich komme nicht ins Haus. Exkurs Kombinierte Verweisausdrücke Verweisausdrücke, die sowohl ein referenzidentisches als auch ein nicht referenzidentisches Element enthalten, bezeichnet man als kombinierte Verweisausdrücke. Gestern brachte ich mein Auto in die Werkstatt. Ich lasse seine Reifen wechseln. Referenzidentität besteht zwischen Auto und seine (vgl. Kap. X. 4.3 Grammatische Verweisausdrücke (Proformen)). Nichtreferenzidentität herrscht zwischen Auto und Reifen (Partialität). 270 4. Beschreibungskriterien des Topiks 4.3 Grammatische Verweisausdrücke (Proformen) Eine Proform hat die Eigenschaft, dass sie sich auf etwas, was im Text vorher (=-Prätext) schon genannt wurde, bezieht und gegebenenfalls Genus und Numerus des Bezugsausdrucks trägt. Den Ersatz durch eine Proform nennt man Pronominalisierung. Pro-Text Pro-Formen Pro-Satz Pro-Substantiv Pro-Adverb Pro-Verb Pro-Adjektiv Die Einteilung der Proformen erfolgt nach dem jeweiligen Bezugsausdruck. Ein Pro-Substantiv bezieht sich also auf ein vorausgehendes Substantiv: Der Bäcker muss früh aufstehen. Er backt unsere Frühstücksbrötchen. Das Pro-Substantiv ist hinsichtlich der Wortart ein Personalpronomen. Ein Pro-Adverb deutet auf ein Adverb im vorhergehenden Satz: Hier könnte ich es länger aushalten. Es ist wunderbar. Der Bezugsausdruck ist das Lokaladverb hier, das Pro-Adverb ist das Personalpronomen es. Ein Pro-Verb liegt in folgendem Beispiel vor: Paul geht täglich joggen. Leo ist dazu zu faul. Das Pro-Verb ist ein Pronominaladverb und bezieht sich auf einen verbalen Bezugsausdruck (Prädikat). Um ein Pro-Adjektiv handelt es sich in diesem Beispiel: In Norddeutschland ist es zurzeit nur regnerisch. So ist es momentan auch bei uns. Der Verweisausdruck, das Pro-Adjektiv, ist bezüglich der Wortart ein Adverb. Auch der Bezug auf einen ganzen Satz oder Text ist möglich: Es hört nicht mehr auf zu schneien. Das beunruhigt mich aber nicht. (Pro-Satz) Eine Proform muss nicht immer ein eigenes Satzglied sein, sondern kann zum Beispiel auch als Attribut oder Artikelersatz auftreten: Unser Kater ist ein echtes Prachtexemplar. Sein Fell ist ganz buschig. Das Possessivpronomen (Artikelwort) ist der Verweisausdruck zu Kater. Es gibt auch kataphorische Proformen, d. h., der Verweisausdruck geht voraus. Woraus schließt du, dass Tom heute nicht zur Vorlesung erscheinen wird? Aus der arbeitsreichen Nacht, die er hinter sich hat. 271 4.4 Referenzrelationen Exkurs Deixis als Sonderfall der Referenz Das Referenzobjekt der Deixis (griech. ‚das Zeigen‘) ist eine Grundgröße jeder Kommunikationssituation. Mit deiktischen Ausdrücken kann auf Personen, Raum und Zeit referiert werden. Man spricht von „ego-hic-nunc-origo“. Zu unterscheiden sind Personaldeixis (der Sprecher referiert auf sich selbst oder den Empfänger: ich, du, wir, ihr, Sie), Lokaldeixis (der Sprecher referiert auf einen Ort und verstärkt dies häufig durch eine Zeigegeste: dort, hier) und Temporaldeixis (der Sprecher referiert auf einen Zeitpunkt: jetzt, gestern, heute). Deiktika können auch mit Lexemen verbunden werden, zum Beispiel: Der Hund da drüben sieht gefährlich aus. Bezüglich der Wortart handelt es sich vor allem um Pronomen (z. B. Personal-, Possessiv-, Demonstrativpronomen) und Adverbien. Im Hinblick auf die Textkohärenz sind Deiktika nur relevant, wenn sie satzübergreifend vorkommen. Dies zeigt der folgende Textausschnitt: Hier sitzen wir gerade beim Frühstücken. Das ist nicht unser Campingtisch, den haben wir ausgeliehen. Da vorne liegt der schlafende Bello, daneben hat sich kurz ein Eichhörnchen gezeigt. In Analogie zur Koreferenz bzw. den Koreferenzketten spricht man in solchen Fällen auch von Kodeixis oder Multideixis. 4.4 Referenzrelationen An dieser Stelle betrachten wir Menge-Element-Verhältnisse; die Verweisausdrücke können lexikalisch oder grammatisch sein. a) Referenzvereinigung Bei der Referenzvereinigung liegt eine Koreferenz zwischen Menge- und Elementbezeichnung vor, Referenzidentität ist gewährleistet. ▶ Klaus und Klaudia sind Zwillinge. Sie sehen sich aber nicht sehr ähnlich. ▶ PKW s und LKW s sind von der Mautpflicht betroffen. Die Kraftfahrzeuge müssen eine Plakette an der Windschutzscheibe vorweisen. ▶ Lisa und Marie tanzen gerne. Die beiden Ballettratten verbringen viele Stunden im Tanzsaal. 272 4. Beschreibungskriterien des Topiks ▶ Du und ich verstehen uns. Wir haben einfach dieselbe Wellenlänge. b) Referenzauflösung Der Verweisausdruck weist gegenüber dem Bezugsausdruck Referenzauflösung auf. Eine Mengenangabe wird in ihre einzelnen Elemente aufgelöst, doch Referenzidentität bleibt gewährleistet. ▶ Sie kennen sich schon seit Jahren. Heute heiraten Janine und Andreas. ▶ Die Kinder fahren ins Zeltlager. Mädchen und Jungen übernachten in getrennten Zelten. ▶ Meine Eltern vertragen sich nicht mehr. Vater und Mutter werden sich scheiden lassen. ▶ Wir müssen noch einen Berg an Aufgaben erledigen. Du und ich stehen das gemeinsam durch. c) Referenzerweiterung Mindestens zwei Elemente einer Menge werden durch die Bezeichnung für die gesamte Menge wieder aufgenommen. Die erste Erwähnung, der Bezugsausdruck, enthält demnach nur Teile der Gesamtmenge, welche stellvertretend für alle Elemente stehen. Im Gegensatz zur Referenzvereinigung besteht also keine Referenzidentität. Dieser Referenztyp wird angewendet, wenn man-- mit dem Verweisausdruck-- die Gesamtmenge, zu der der Bezugsausdruck gehört, bezeichnen möchte. ▶ Laura und Lena gehen auf einen Kindergeburtstag. Alle Mädchen dort lieben die Schokoladentorte. ▶ Gabel und Löffel bewahre ich in der obersten Schublade auf. Dort findest du übrigens das ganze Besteck. ▶ Rosen, Tulpen und Nelken wachsen in Mamas Garten. Sie liebt aber alle Blumen. 273 4.5 Syntaktische Typen d) Referenzverkürzung Bei der Referenzverkürzung werden Elemente aus einer Menge herausgenommen. Es ist keine Referenzidentität gegeben, da nicht alle Bestandteile der Menge wieder aufgegriffen werden (vgl. dagegen Referenzauflösung). ▶ Viele Vasen sind mir schon kaputt gegangen. Eine Vase hatte ich besonders gerne. ▶ Ich bin verrückt nach Taschen. In diesem Jahr habe ich allein schon zehn Handtaschen gekauft. ▶ Die Jungs spielen Fußball. Jakob steht im Tor. 4.5 Syntaktische Typen Bei den homosyntaktischen Topiks haben Bezugsausdruck ( BA ) und Verweisausdruck ( VA ) in ihren Sätzen die gleiche syntaktische Funktion. ▶ Eine Frau geht über die Straße. Diese Frau wohnt nebenan. Es handelt sich in beiden Fällen um den Nominativ Singular. ▶ Ich habe nicht geweint. Gelacht habe ich. Es liegt jeweils ein Prädikatsteil (Partizip II ) vor (logisch begründete Kontiguität, Antonymie). ▶ Der Arzt untersucht den Fuß des Mannes. Die Schmerzen des Mannes waren groß. In beiden Fällen liegt ein Genitivattribut vor. Bei den heterosyntaktischen Topiks haben BA und VA unterschiedliche syntaktische Funktionen. ▶ Die Erinnerung an diesen Menschen wird nicht verblassen. Dieser Mensch hat nämlich einen Nobelpreis bekommen. BA ist ein Attribut, VA ist Nom-E. ▶ Meine Frau hat mich verlassen. Diese Frau habe ich mal geliebt. BA ist Nom-E, VA ist Akk-E. ▶ Eine Stadt gefällt mir besonders gut. In dieser Stadt war ich zum ersten Mal verliebt. BA ist Nom-E, VA ist Lokalangabe. ▶ Peter kommt heute nicht mit ins Kino. Der Grund dafür ist, dass er noch eine Arbeit schreiben muss. Der Bezugsausdruck ist ein ganzer Satz, der Verweisausdruck ein Attribut. Es gibt auch heterosyntaktische Topiks mit Referenzverschiedenheit, z. B. aufgrund kultureller oder ontologischer Kontiguität: 274 4. Beschreibungskriterien des Topiks Paul durfte nun springen. Der Anlauf gelang ihm ganz gut. Der Bezugsausdruck ist ein Prädikatsteil, der Verweisausdruck eine Nom-E. Innerhalb eines Topiks kann syntaktische Transposition auftreten. Der Bezugsausdruck ist ein Verb, der Verweisausdruck ein Substantiv: Susi lachte. Dieses Lachen konnte man im ganzen Hörsaal hören. Möglichkeiten, um die syntaktische Transposition (vgl. Kap. IV . 9. Wortbildungstypen) zum Ausdruck zu bringen, sind ▶ Verbstammkonversion: schlafen-- der Schlaf ▶ Infinitivkonversion: lachen-- das Lachen ▶ Explizite Ableitung: verwirren-- die Verwirrung ▶ Implizite Ableitung: fliegen-- der Flug 4.6 Verflechtungsrichtung und -abstand Man kann zwischen anaphorischer (rückverweisender / links verweisender) und kataphorischer (vorverweisender / rechts verweisender) Verflechtungsrichtung unterscheiden. Häufiger kommt die anaphorische Verflechtung vor: Der autosemantische Bezugsausdruck geht dem Verweisausdruck, der eine so genannte Proform sein kann, voraus; der Verweisausdruck ist damit synsemantisch / grammatisch und enthält wenige Informationen. Proformen sind deshalb möglich, weil durch den Bezugsausdruck das Referenzobjekt bereits bekannt ist. Es war einmal eine Prinzessin. Sie-… Der autosemantische Bezugsausdruck (Erstreferenz) ist eine Prinzessin. Der synsemantische Verweisausdruck (Zweitreferenz) lautet Sie. Dabei handelt es sich um eine Proform, und zwar um ein Personalpronomen. Die kataphorische Verflechtung ist eher die Ausnahme. Auf ihn haben alle gewartet: Der Präsident der Vereinigten Staaten kommt nach Deutschland. Der Verweisausdruck (Erstreferenz) ist die synsemantische Proform ihn. Der Bezugsausdruck (Zweitreferenz) ist autosemantisch und lautet Der Präsident der Vereinigten Staaten. 275 4.6 Verflechtungsrichtung und -abstand Beim Verflechtungsabstand unterscheidet man Kontakt- und Distanzverflechtung. Eine Kontaktverflechtung liegt vor, wenn die Ausdrücke in unmittelbar aufeinander folgenden Sätzen stehen. Von Distanzverflechtung spricht man, wenn zwischen den Sätzen mit Bezugs- und Verweisausdruck mindestens ein Satz steht. 5. Zusammenfassung: Textgrammatik - Schritt für Schritt 1. Wagen Sie eine erste Einschätzung hinsichtlich der Textsorte, der Textfunktion und der kommunikativen Absicht des Textproduzenten. 2. Gehen Sie auf die Themenentfaltung ein. Das Textthema bzw. die Textthemen geben Sie am besten nach der Ermittlung der Referenzketten und Isotopieebenen an, die darüber Aufschluss geben können. 3. Ermitteln Sie, wie Kohärenz zustande kommt: ▶ Für die Beschreibung eines Topiks: a. Ermitteln Sie Bezugsausdrücke ( BA ) und Verweisausdrücke ( VA ). b. Geben Sie eine syntaktische Beschreibung der Bezugsausdrücke und der Verweisausdrücke. Berücksichtigen Sie, dass Verweisausdrücke lexikalisch oder grammatisch sein können. c. Ermitteln Sie, ob zwischen BA und VA Referenzidentität oder -verschiedenheit vorliegt, beschreiben Sie die Wahl der Referenzmittel (z. B. bei Referenzidentität Lexemsubstitution: Synonymie) und geben Sie gegebenenfalls die Referenzrelation (z. B. Referenzvereinigung) an. d. Bestimmen Sie das syntaktische Verhältnis von Bezugs- und Verweisausdruck. e. Ermitteln Sie den Verflechtungsabstand und die Verflechtungsrichtung. ▶ Für die Ermittlung von Referenzketten: a. Bestimmen Sie alle Wörter des Textes, die sich auf ein und dasselbe Referenzobjekt beziehen. b. Klassifizieren Sie Bezugsausdruck und alle Verweisausdrücke nach der Vorgehensweise für die Beschreibung eines Topiks. 276 6. Musteranalyse 6. Musteranalyse Text: Polizei schnappt Gartenhauseinbrecher Einen lange gesuchten Gartenhauseinbrecher hat die Polizei vorgestern auf frischer Tat in Taufkirchen ertappt. Der 35-jährige Münchner ist bereits wegen mehrerer Gartenhauseinbrüche vorbestraft. In seiner Wohnung fand die Polizei mehrere Gegenstände, die aus einer Einbruchserie stammen könnten. Im Laufe eines Jahres waren mehr als 400 Gartenhäuser in Unterschleißheim, Haar, Bogenhausen und Taufkirchen aufgebrochen und daraus Fernseher, 1234567 c. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Ermittlung von Referenzketten hinsichtlich des Textthemas ziehen? ▶ Für die Bestimmung einer Isotopieebene: a. Ermitteln Sie ein semantisches Merkmal, das sich transphrastisch mehrfach wiederholt. b. Geben Sie alle Wörter der Isotopieebene an. c. Welchen Wortarten gehören sie an? d. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Ermittlung einer oder mehrerer Isotopieebenen hinsichtlich des Textthemas und für die Textsorte ziehen? e. Wiederholen Sie das Vorgehen für etwaige weitere Isotopieebenen. ▶ Für die Ermittlung von Struktur-Rekurrenz: Ermitteln Sie, ob die Sätze eines Textes strukturelle Gemeinsamkeiten - zum Beispiel die Stilfigur Parallelismus - aufweisen. ▶ Für die Verflechtung durch Konnexion: a. Suchen Sie alle Konnektoren aus dem Text. b. Nennen Sie die Stellung der Konnektoren. c. Wie sind die Sätze durch Konnektoren semantisch aufeinander bezogen? 4. Ziehen Sie aus den gewonnenen Erkenntnissen - Art und Anzahl der Referenzformen - Schlussfolgerungen hinsichtlich der Textsorte, der Textfunktion und der kommunikativen Absicht des Textproduzenten. 5. Formulieren Sie das Textthema bzw. die Textthemen. 277 6. Musteranalyse Radios und Gartenutensilien gestohlen worden. Der Münchner bestritt die Einbrüche zunächst jedoch und wurde gestern dem Haftrichter vorgeführt. (aus: Süddeutsche Zeitung, 14./ 15./ 16. Mai 2005, S. 38) Wir haben es hier mit einer (Lokal-)Nachricht aus München zu tun, die Funktion des Textes und damit des Absenders ist es, den Leser zu informieren. Die Themenentfaltung ist deskriptiv, die Überschrift enthält das Textthema. Die Überschrift kann eine Hilfestellung zu wichtigen Themen geben: Wir stellen zunächst eine Referenzkette zu Gartenhauseinbrecher (Z. 1) auf. Es muss sich also in allen Fällen um Referenzidentität handeln. Gartenhauseinbrecher (in der Überschrift) ist der Bezugsausdruck (artikellos, syntaktisch: Akk-E). Es folgen vier Verweisausdrücke: ▶ einen lange gesuchten Gartenhauseinbrecher (Z. 2): lexikalischer VA , teilweise Lexemrepetition (Kern), Erweiterung durch vorangestelltes partizipiales Attribut (mit weiterem adjektivischem Attribut); syntaktisch: Akk-E; homosyntaktisch zum BA ▶ der 35-jährige Münchner (Z. 3): lexikalischer VA , Lexemsubstitution: kontextuell begründete Synonymie; syntaktisch: Nom-E; der Kern der Münchner wird durch das Adjektiv 35-jährige attribuiert; heterosyntaktisch zum BA ▶ in seiner Wohnung (Z. 4.): teilweise Referenzidentität: grammatischer VA ist nur Teil eines Satzglieds: Proform (Possessivpronomen, Artikelwort); heterosyntaktisch zum BA ▶ der Münchner (Z. 8): lexikalischer VA : Lexemsubstitution: kontextuell begründete Synonymie; syntaktisch: Nom-E; heterosyntaktisch zum BA Es handelt sich stets um eine anaphorische Verflechtungsrichtung und mit einer Ausnahme immer um Kontaktverflechtung. Nur der vierte Satz des Fließtextes (Im Laufe-…) enthält kein Sprachzeichen, das zur Referenzkette gehört. Wir arbeiten nun eine Isotopieebene zu ‚Straftat‘ (=-Klassem) heraus. ▶ Gartenhauseinbrecher (Z. 1 und Z. 2, jedoch hier intraphrastisch zu Tat) ▶ Tat (Z. 3) ▶ Gartenhauseinbrüche (Z. 4) ▶ vorbestraft (Z. 4, intraphrastisch) ▶ Einbruchserie (Z. 5) ▶ aufgebrochen und gestohlen worden (intraphrastisch) (Z. 7 f.) ▶ Einbrüche (Z. 9) 89 278 7. Übungen Die Isotopieebene besteht aus Substantiven und Verben, die alle das Klassem ‚Straftat‘ enthalten. Wie wichtig diese Isotopieebene ist, zeigt sich auch daran, dass jeder Satz einen dazu gehörigen Ausdruck enthält, es also keine Lücke gibt. Eine weitere thematisch wichtige Isotopieebene liegt zum Klassem ‚erfolgreiche Ermittlung‘ vor. Dazu gehören folgende Sprachzeichen: ▶ schnappt (Z. 1.) ▶ ertappt (Z. 3) ▶ fand (Z. 4) ▶ vorgeführt (Z. 9) Nur der zweite Satz hat keinen Anteil an der Isotopieebene, die nur aus Verben besteht. Beispiele zur Satzverflechtung durch Konnexion finden sich überhaupt nicht. In einem Fall liegt zwar als Konnektor und vor, jedoch ist die Nom-E hier elliptisch und somit lässt sich nicht von zwei eigenständigen Sätzen sprechen. Die Folge ist, dass die Sätze abgehackt aneinander gereiht wirken, was typisch ist für knappe Nachrichtenmeldungen. 7. Übungen 1. Beschreiben Sie in den folgenden Sätzen die unterstrichenen Topiks (Referenzverhältnis, syntaktische Typen). a. Sarahs Sohn hat gestern zum ersten Mal „Mama“ gesagt.-- Sie liebt ihren Jungen sehr. b. Fabian und alle seine Freunde feierten Geburtstag.-- Die Kinder verbrachten einen schönen Nachmittag zusammen. c. „Ist der Liegestuhl noch frei? “-- „Nein, dieser Stuhl ist leider besetzt.“ d. Ich mag gern ferne Länder.-- Besonders hat es mir Ägypten angetan. e. Erdbeeren, Äpfel, Pflaumen und Aprikosen gibt es heute im Angebot.-- Ich kann mich nicht entscheiden, ich liebe alle diese Obstsorten. Übungstext 1: Rote Liste Gefährdete Tierarten in Bayern Forscher haben 16 000 heimische Tierarten untersucht, das ist etwa die Hälfte der bayerischen Fauna. Das Ergebnis ist dramatisch: 40 Prozent sind bereits 1234 279 7. Übungen 7. Übungen ausgestorben, verschollen oder gelten als bedroht. Und nicht einmal der Hälfte der Tiere können Wissenschaftler derzeit ein Überleben garantieren. Die SZ -Serie „Rote Liste“ beschreibt den Arten- und Individuenschwund. Sie stellt jedoch auch Tiere vor, die zurück oder neu im Freistaat sind. Und nicht zuletzt geht es um Projekte, mit denen der Mensch die von ihm verschuldeten Probleme zu lösen oder zumindest zu lindern versucht. (aus: Süddeutsche Zeitung, Nr. 111, 17. 05. 2005, S. 44) 2. Äußern Sie sich zu Textsorte, Textfunktion / Absicht des Autors und zur Themenentfaltung. 3. Stellen Sie eine Isotopieebene zu gefährdet (Z. 2) auf. 4. Geben Sie eine Referenzkette zu gefährdete Tierarten (Z. 2) an. 5. Geben Sie Beispiele für Satzverflechtung durch Konnektoren an. Übungstext 2: Wieder mal verwechselt Erforscht und erfunden: „Spät gebären, länger leben“, Zeit Nr. 7 Die Meldung ist ein Beispiel für die häufige Verwechslung von Korrelation, als gemeinsames Auftreten von Tendenzen und Änderungen in zwei Messgrößen, und Kausalzusammenhang. Die Studie zeigt eben nicht, dass der Abstand zwischen den Geburten die Lebenserwartung „beeinflusste“, sondern nur, dass die spät oder in größeren Abständen gebärenden Frauen durchschnittlich länger lebten. Was da was beeinflusst, ist eine ganz andere Frage. Meist sind in solchen Fällen die beiden beobachteten Größen nicht Ursache und Folge, sondern beide eine Folge einer dritten Ursache: hier vielleicht einfach des verschiedenen Lebensstandards der Frauen.-(…) (aus: DIE ZEIT, Nr. 9, 24. 02. 2005, S. 22, Leserbriefe) 6. Ermitteln Sie Textsorte, Textfunktion und Absicht des Absenders. 7. Geben Sie eine Isotopieebene zu ‚falsche Darstellung‘ an. 12345678910 11 5678910 280 8. Quellen und weiterführende Literatur 8. Quellen und weiterführende Literatur Adamzik, Kirsten: Textlinguistik. Eine einführende Darstellung. Tübingen 2004. Im Mittelpunkt des Arbeitsbuchs stehen die Bereiche ‚situativer Kontext‘, ‚Thema‘ und ‚sprachliche Gestalt‘. Weniger ausführlich werden ‚Textfunktion‘ und ‚Kohäsion‘ behandelt. Das heißt, es ist eine andere Schwerpunktbildung als in unseren textgrammatischen Ausführungen. Angeregt wird auch zur Reflexion mit der eigenen Textproduktion. Die Gestaltung erinnert an ein Lesebuch, die einzelnen Kapitel sind wenig gegliedert. Aufgaben (ohne Lösungen) sind vorhanden. Beaugrande, de Robert-Alain / Dressler, Wolfgang U.: Einführung in die Textlinguistik. Tübingen 1981. Ein Klassiker. Bracˇ icˇ , Stojan / Fix, Ulla / Greule, Albrecht: Textgrammatik - Textsemantik - Textstilistik. Ein textlinguistisches Repetitorium. Ljubljana 2007. Der übersichtliche Band ist zur Lektüre und Übung empfohlen. Im Rahmen der Textsemantik wird ein Schwerpunkt auf die Thema-Rhema-Gliederung gelegt. Verständlich und didaktisch gut aufbereitet. Mit Übungen und Lösungen. Braunmüller, Kurt: Referenz und Pronominalisierung. Zu den Deiktika und Proformen des Deutschen. Tübingen 1977. Für uns besonders interessant sind seine Ausführungen zu den Referenzrelationen. Brinker, Klaus: Textlinguistik. Heidelberg 1993 (unveränderte Neuauflage 2006). Das Buch liefert wichtige Grundlagen zum Thema, ist aber weniger didaktisch als Brinkers „Linguistische Textanalyse“. Brinker, Klaus / Cölfen, Hermann / Pappert, Steffen: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in die Grundbegriffe und Methoden. 8., neu bearb. u. erw. Aufl. Berlin 2014. Das Buch liefert alle wichtigen Aspekte in relativ knapper Form, jedoch äußerst anschaulich, übersichtlich und anwendungsorientiert. Die Beispiele verdeutlichen die theoretischen Aspekte. Es ist für Einsteiger in die Textgrammatik sehr gut geeignet. Busse, Dietrich: Frame-Semantik. Ein Kompendium. Berlin / Boston 2012. Gute, umfassende und inhaltsreiche sprachwissenschaftliche Einführung in die Theorie der Framesemantik unter Berücksichtigung ihrer Entwicklung und der Thematisierung der wichtigsten Forscher auf diesem Gebiet. 281 8. Quellen und weiterführende Literatur Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2009. Kap. Der Text, S. 1057-1164. Zur Anschaffung und kritischen Durchsicht empfohlen. Fix, Ulla / Poethe, Hannelore / Yos, Gabriele: Textlinguistik und Stilistik für Einsteiger. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. 3., durchges. Aufl. Frankfurt a. M. u. a. 2003. Das Buch geht auf die Verbindung von Textlinguistik und Stilistik ein, so dass textgrammatische Analysekriterien keine große Rolle spielen. Zur Erweiterung und Vertiefung des textlinguistischen Wissens ist das Buch geeignet. Gansel, Christina / Jürgens, Frank: Textlinguistik und Textgrammatik. Eine Einführung. 3., unv. Aufl. Göttingen 2009. Das Buch ist zur Einführung wirklich empfehlenswert und gibt einen guten Überblick über wichtige textlinguistische Kriterien. Greule, Albrecht: Möglichkeiten und Grenzen der textgrammatischen Analyse. In: InfoDaF 18, 1991, Heft 4, S. 384-392. Der Aufsatz beschreibt kompakt, verständlich und anwendungsorientiert die wichtigsten textgrammatischen Termini und das Vorgehen bei einer Analyse. Greule, Albrecht/ Reimann, Sandra: Basiswissen Textgrammatik. Tübingen 2015. Das im „Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache“ komprimierte Kapitel wird in dem separaten Band ausführlicher und mit vielen Aufgaben zu unterschiedlichen Textsorten behandelt. Auch die MTE wird detaillierter besprochen. Zusätzlich finden sich Ausführungen zu komplexen Texten, zu Text(grammatik) und Bild und zur Textgrammatik bei historischen Texten. Janich, Nina (Hrsg.): Textlinguistik. 15 Einführungen. Tübingen 2008. Das Buch bietet, didaktisch sehr gut aufbereitet, einen Einblick in die Facetten der Textlinguistik. Es gibt auch Kapitel zur Textproduktion und -bewertung sowie zu Hypertext- und Computerlinguistik. Langer, Gudrun: Textkohärenz und Textspezifität. Textgrammatische Untersuchung zu den Gebrauchstextsorten Klappentext, Patienteninformation, Garantieerklärung und Kochrezept. Frankfurt am Main u. a. 1995. Das Buch liefert umfassende Einzeluntersuchungen zu einem aufgestellten Analysemodell. Es ist gut lesbar und vertieft unsere Ausführungen. 283 4.6 Verflechtungsrichtung und -abstand XI. Stilistik Dass wir die Stilistik als sprachwissenschaftliche Teildisziplin erst im letzten Kapitel behandeln, hat einen einfachen Grund: Fast alles, was wir bisher analysiert haben, können wir auch unter stilistischem Gesichtspunkt analysieren. Da die Stilistik auf unterschiedliche Traditionen zurückgeht (z. B. auf die antike Rhetorik) und vor allem in den Literaturwissenschaften verankert ist, gibt es keine einheitliche und allgemein akzeptierte sprachwissenschaftliche Stilistik als Wissenschaft vom Stil. Je nach theoretischem Ansatz, Methode und Erkenntnisziel unterscheiden sich auch die Definitionen von Stil. Wir wollen für unsere Analysen folgende Definition zu Grunde legen: „Stil“ (lat. stilus ‚Schreibstift‘) ist ein charakteristischer, spezifischer Sprachgebrauch, d. h., er ist ein Phänomen der Parole (vgl. Kap. V. Sprache und Sprechen). Stil definiert sich also durch die Wahl bestimmter Stilelemente (=- Stilmittel), zu denen nicht nur die so genannten rhetorischen Figuren (vgl. Kap. XI . 6. Stilfiguren) zählen. Vielmehr kann jedes sprachliche Mittel ein Stilelement sein, das in einem Text zur Ganzheitlichkeit des Stils beiträgt. Diese Mittel werden in Hinblick auf den Mitteilungszweck gewählt: Stil ist damit auch textsortenspezifisch. So sind in einem Telegramm elliptische Sätze (z. B. Komme gegen 2 Uhr an-- Warte am Bahnhof) stiltypisch, in einem Gesetzestext etwa Substantivierungen (z. B. Die Zustimmung des Erziehungsberechtigten ist einzuholen.). Das Phänomen Stil ist aber nicht begrenzt auf die Schriftsprache, auch wenn wir im Folgenden nur diese analysieren. Es gibt auch Sprechstile: Ein Beratungsgespräch in einer Bank unterscheidet sich z. B. stark von einem Familiengespräch beim Abendessen. Stil ist immer textbezogen. Zwar haben auch einzelne Wörter oder Phrasen eine bestimmte Stilhöhe (vgl. Zahlungsmittel- - Geld- - Knete, Kap. VI . 6. Dimensionen der Bedeutung eines Wortes) und die Verwendung vieler solcher Wörter kann den Text gehoben bzw. salopp oder veraltet wirken lassen, aber ein bestimmter Stil mit bestimmten Eigenarten kann nur innerhalb einer größeren Textmenge erkannt werden. Textanalysen auf der Grundlage der pragmatischen Stilistik (vgl. Kap. IX. Pragmatik) verfolgen außerdem das Ziel, Stilabsichten 284 1. Makro- und Mikrostilistik auf der Senderseite und Stilwirkungen auf der Empfängerseite zu rekonstruieren und zu beschreiben. 1. Makro- und Mikrostilistik Die Makrostilistik bezieht sich auf eine Analyse des Textes als Ganzes und ist damit oberhalb der Satzebene angesiedelt, während sich die Mikrostilistik einzelne Phänomene auf Satz-, Wort- oder Lautebene vornimmt. Im Bereich der Makrostilistik interessiert z. B., ob es sich um einen mündlichen oder schriftlichen Text handelt, welcher Textsorte (vgl. Kap. X. 2. Textsorten) er zuzuordnen ist und ob er einem bestimmten Funktional-, Gruppen-, Individual- oder Zeitstil entspricht. a) Funktionalstil Ein Funktionalstil (auch: Bereichsstil) bezieht sich in charakterischer Weise auf einen bestimmten gesellschaftlichen Bereich. Man unterscheidet zwischen Alltags-, Presse-, Verwaltungs- und Wissenschaftsstil sowie dem Stil der „schönen Literatur“. Demnach ist jeder dieser Stile durch die Verwendung typischer Stilmittel gekennzeichnet (z. B. indirekte Rede in Zeitungsberichten). Dass diese Einteilung ein relativ grobes Raster ist, wird deutlich, wenn man sich nur einmal vor Augen hält, wie viele unterschiedliche Textsorten es in einer Zeitung gibt: Ein Bericht etwa unterscheidet sich deutlich von einer Glosse. Entscheidend für die Einordnung von Texten zu einem bestimmten Funktionalstil ist also eher die gleichartige kommunikative Funktion (z. B. informieren oder unterhalten) (vgl. Kap. X. 2. Textsorten). b) Gruppenstil Die Sprache bestimmter Gruppen (z. B. Berufsgruppen oder Altersgruppen) zeichnet sich durch bestimmte Stilerscheinungen aus. So verwenden Jugendliche bewusst andere sprachliche Mittel (z. B. im Bereich der Lexik) als Erwachsene. Auf die unterschiedlichen Gruppen wurde bereits im Kap. V. 6. Varietäten hingewiesen. 285 1. Makro- und Mikrostilistik c) Individualstil Bei individuellen Texten, die von einem Einzelnen hergestellt wurden (z. B. Briefe, Tagebucheintragungen, Reden) kann man davon ausgehen, dass viele sprachliche Erscheinungen aus individuellen Gründen gewählt wurden (vgl. Lieblingswörter oder Lieblingsphrasen). Besonders in der Literaturwissenschaft hat man immer versucht, das Individuelle eines Schriftstellers aus seinen Texten herauszukristallisieren, dasjenige, was nicht durch Traditionen, Moden oder Gattungsvorgaben erklärt werden kann (vgl. Kap. V. 6.1 Idiolekt). d) Zeitstil Wenn wir heute einen historischen Text lesen, dann können wir ihn gewöhnlich auch dann einigermaßen zeitlich einordnen, wenn wir nicht wissen, wann er entstanden ist. Das liegt daran, dass jede Zeit einen typischen Stil hat. Ein Barocker Text fällt nicht nur durch die Verwendung von komplexen Satzstrukturen, sondern auch durch bestimmte lexikalische Mittel auf. Diese Elemente findet man nicht nur bei einzelnen Autoren. Sie sind also keine Elemente des Individualstils, sondern sind für diese Zeit übliche Ausdrucksformen. Heute wirken sie veraltet oder zumindest unüblich und können bewusst eingesetzt werden, um einen Text zu ironisieren oder zu persiflieren. Auch der Textaufbau, seine Grobgliederung, wird in der Makrostilistik untersucht: Gibt es eine Einleitung und einen Schluss? Ist der Hauptteil in verschiedene Argumente / Szenen / Bilder etc. eingeteilt? Besonders für literarische Texte ist außerdem die Erzählsituation (auktoriale, personale oder Ich-Erzählsituation), die Erzählweise (berichtende oder szenische Darstellung) und die Erzählhaltung (engagiert, objektivierend, ablehnend) interessant. Mit unseren Kenntnissen aus den vorherigen Kapiteln können wir eine Mikroanalyse von Texten durchführen, auf die wir im Folgenden eingehen möchten. An einigen wenigen Stellen werden neue Aspekte eingeführt, wobei sich die Auswahl der Stilelemente vor allem auf die Analyse von Prosa bezieht. 286 2. Satzstilistik 2. Satzstilistik In der stilistischen Analyse der Syntax achten Sie besonders darauf, ob bestimmte Satzarten (z. B. Fragesätze oder Ausrufesätze) vermehrt vorkommen oder ob es Auffälligkeiten hinsichtlich der Satzlänge und der Satzkomplexität gibt: Sind die Sätze eher kurz („Stakkato-Stil“) oder sind die Konstruktionen verschachtelt? In der gesprochenen Sprache sind Satzabbrüche und Ellipsen nichts Besonderes, in einem schriftlichen Text fallen sie jedoch auf. Ungewöhnliche Wortstellungen und Unterbrechungen der Satzkonstruktion, z. B. durch Parenthesen (vgl. Kap. I. 3.3 Satzform) sollten Sie ebenso kommentieren wie einen auffälligen Tempus- und Modusgebrauch (vgl. Kap. III . 5. Tempus und 6. Modus). Dabei sind besonders Tempuswechsel interessant oder der besondere Gebrauch eines Modus wie etwa in dem Text „Wenn die Menschen Haifische wären“ von Bertolt Brecht, der durchgehend im Konjunktiv II verfasst ist. Auch die Ebene der Attribute sollten Sie berücksichtigen, denn die Komplexität eines Satzes wird nicht nur durch besonders viele Haupt- und Nebensätze (Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen) erreicht, sondern auch durch eine hohe Anzahl an (komplexen) Attributen, die den Text zusätzlich „verdichten“. In praktischen Stillehren wird gerne geraten, dass man in Geschäftsbriefen etwa einen Nominalstil vermeiden und sich lieber eines verständlicheren Verbalstils bedienen soll. Vor allem bestimmten Fachsprachen wie der der Technik, Wissenschaft, Recht und Verwaltung wird ein unverständlicher Nominalstil vorgehalten. Charakteristisch für den Nominalstil ist nicht eine rein quantitative Überzahl an Substantiven, sondern eine Häufung von ▶ Substantivierungen (=- Bildungen eines Substantivs aus einer anderen Wortart, z. B. besuchen → der Besuch, blau → das Blau, zerstören → die Zerstörung), ▶ Streckformen (z. B. einen Besuch machen) und Funktionsverbgefügen (z. B. zur Durchführung bringen), vgl. Kap. I. 4.1 Prädikatsteile, ▶ Substantivkomposita (z. B. Wohnungsbauprämienzahlung) und ▶ komplexen Attributen (z. B. das vor vielen Jahren verabschiedete Gesetz zum privaten Wohnungsbau). Im Verbalstil dagegen werden vor allem Vollverben in den Prädikaten verwendet (vgl. Kap. I. 4.1 Prädikatsteile). 287 5. Graphostilistik ▶ Nominalstil: Um eine fristgerechte Zahlung wird gebeten. Die Bearbeitung ihres Antrags wird dann umgehend in die Wege geleitet. ▶ Verbalstil: Bitte zahlen Sie fristgerecht. Wir bearbeiten Ihren Auftrag dann umgehend. 3. Wortstilistik Hier interessieren Auffälligkeiten hinsichtlich der Häufung bestimmter Wortarten (z. B. viele Adjektive), Wortbildungstypen (z. B. lange Komposita), Fremdwörter, Anachronismen (veraltete Wörter) oder Ad-hoc-Bildungen (Wortneuschöpfungen). Außerdem sollten Sie darauf achten, ob die lexikalischen Mittel bevorzugt aus einem bestimmten Wortfeld (vgl. Kap. VI . 3. Das Wortfeld) oder einer Wortfamilie-- das sind Wörter derselben Wurzel-- stammen. Vielleicht sind sie auch einer bestimmten Varietät des Deutschen zuzuordnen (z. B. Fachsprache, Dialekt, Umgangssprache usw., vgl. Kap. V. 6. Varietäten). 4. Laut- und Klangstilistik Die Laut- und Klangstilistik spielt vor allem in Gedichten eine wichtige Rolle. Zu untersuchen sind Aspekte wie Onomatopoetika (Lautmalerei) oder die auffällige Verwendung von hohen hellen oder tiefen dunklen Vokalen, überhaupt die Häufung bestimmter Laute. Ein bekanntes Beispiel ist das Gedicht „Ottos Mops“ von Ernst Jandl, in dem als einziger Vokal o vorkommt. Auch Reim, Metrum und Rhythmus gehören zur Klangstilistik. Da solche Phänomene in der Prosa eher selten sind-- wenn ja, dann ist das schon sehr auffällig--, soll nicht im Detail darauf eingegangen werden. 5. Graphostilistik Auch mit grafischen Mitteln kann man in einem geschriebenen Text eine stilistische Wirkung erzielen; Auffälligkeiten können hinsichtlich der Zeichensetzung (z. B. Vorliebe für Semikolon, Häufung von Ausrufezeichen etc.), der Groß- und Kleinschreibung (z. B. Text nur in Kleinbuchstaben verfasst, einzelne Buchstaben innerhalb eines Wortes groß geschrieben) und der Verdoppelung von Buchstaben (z. B. Ich habe mich ja soooo gefreut über deinen Besuch.) vor- 288 6. Stilfiguren kommen. In den letzten beiden Punkten handelt es sich immer um Abweichungen von der orthografischen Norm. Auch andere typografische Elemente wie Schriftgröße, Schriftart(wechsel), Kursiv- und Fettdruck sowie farbige Schrift sind als bewusst gewählte Stilelemente zu berücksichtigen. Besonders die Werbung verwendet gerne graphostilistische Elemente, z. B. Schre IBM aschine (Slogan für IBM -Computer). 6. Stilfiguren Die Stilfiguren (rhetorische Figuren) sind hier in einem eigenen Kapitel zusammengefasst, weil dazu Phänomene gehören, die sich sowohl auf der Ebene der Wörter und Wortgruppen als auch auf der Ebene der Sätze oder noch größerer Texteinheiten manifestieren. Im Folgenden sollen nur die häufigsten Stilfiguren aufgelistet werden, besonders diejenigen, die für Prosa relevant sind. 6.1 Figuren des Ersatzes Diese Figuren nennt man auch lexikalische Figuren, weil hier der eigentliche Ausdruck durch einen anderen ersetzt wird. Man unterscheidet je nach Art des Ersatzes: a) Metapher Die Metapher wird seit Aristoteles gerne als „verkürzter Vergleich“ beschrieben, bei dem das Wort wie fehlt. Das ist insofern richtig, da es zwischen den beiden Begriffen oder Wortgruppen eine Vergleichsbasis gibt, die man tertium comparationis nennt. Dieses „dritte Element“ haben beide gemeinsam: Es ist ein gemeinsames Sem (vgl. Kap. VI . 4. Die Semanalyse). Es gibt z. B. substantivische (Im Garten blüht ein Fingerhut.), adjektivische (Der Schüler pfeift ein freches Lied.) oder verbale (Dein neues Kleid haut mich um.) Metaphern. b) Allegorie Der Begriff der Allegorie meint in diesem Zusammenhang eine erweiterte, fortgesetzte Metapher, d. h. eine Vorstellung, die in einem komplexen Bild verdeutlicht wird, z. B. der Staat als menschlicher Körper, der aus vielen Gliedern besteht und erst funktioniert, wenn diese koordiniert werden können. 289 6.1 Figuren des Ersatzes c) Metonymie Bei dieser Übertragungsart ist kein vergleichendes Element wie bei der Metapher von Bedeutung. Stattdessen wird der eigentlich gemeinte Begriff durch einen anderen ersetzt, der in einer räumlichen, zeitlichen oder kausalen Beziehung zu ihm steht. ▶ Nürnberg lädt zum Christkindlmarkt (räumliches Verhältnis-- eigentlich: der Bürgermeister Nürnbergs). ▶ Der Sommer 2003 ließ uns schwitzen (zeitliches Verhältnis-- eigentlich: die Temperaturen im Sommer 2003). ▶ Grass lesen hilft bei Langeweile (kausales Verhältnis-- eigentlich: ein Buch von Grass). d) Synekdoche Bei der Synekdoche wird der eigentliche Begriff durch einen zu seinem Bedeutungsfeld gehörenden engeren oder weiteren Begriff ersetzt. Der Übergang zur Metonymie ist oft fließend. ▶ Von dem bisschen Gehalt müssen fünf Mäuler satt werden. (Teil steht für Ganzes / pars pro toto-- eigentlich: fünf Menschen). ▶ Er hat das ganze Haus nach seinem Schlüssel durchsucht. (Ganzes steht für Teil / totum pro parte-- eigentlich: die Zimmer). ▶ Nehmen Sie Ihr Tier an die Leine! (Art steht für Gattung-- eigentlich: Hund). ▶ Der Rebensaft vertreibt die trüben Gedanken. (Rohstoff steht für fertiges Produkt-- eigentlich: der Wein). ▶ Der Deutsche fährt gerne nach Italien in den Urlaub. (Singular steht für Plural-- eigentlich: die Deutschen / das deutsche Volk). e) Hyperbel Eine Übertreibung in Richtung „größer“ oder „kleiner“ als der eigentlich gemeinte Sachverhalt oder Gegenstand nennt man Hyperbel. Ihre sprachlichen Mittel sind vor allem übertreibende Maß- oder Mengenangaben. ▶ Das habe ich dir schon tausend Mal gesagt. ▶ Ich habe einen Bärenhunger. ▶ Nach dem Essen war kein Krümel mehr übrig. 290 6. Stilfiguren f) Ironie (im engeren Sinne) Ironie im engeren Sinne wird verwendet, wenn man das Gemeinte durch das Gegenteil beschreibt. ▶ Das hast du aber toll gemacht! Eine echte Spitzenleistung! (eigentlich: Ich habe etwas Besseres erwartet). g) Personifizierung Wenn unbelebte Gegenstände verlebendigt werden, spricht man von Personifizierung. ▶ Der Kuchen hat mich angelacht-- ich musste ihn unbedingt probieren. 6.2 Figuren der Auslassung Die Figuren der Auslassung, ebenso wie die der Wiederholung und der Anordnung sind an den Satz als kleinste Texteinheit gebunden. Man nennt sie deshalb auch syntaktische Figuren. Zu den Figuren der Auslassung gehören die bereits unter Kap. XI . 2. Satzstilistik erwähnte Ellipse und der Satzabbruch, außerdem das Zeugma, welches ein Spezialfall des zusammengezogenen Satzes ist: Hier wird ein (polysemes) Verb mit nicht zueinander passenden Ergänzungen verbunden, wodurch ein semantischer Kontrast entsteht: ▶ Mona hungerte nach Liebe und Apfelkuchen. 6.3 Figuren der Wiederholung a) Alliteration Bei der Alliteration werden Anfangslaute bzw. -silben wiederholt. ▶ Milch macht müde Männer munter. ▶ Geiz ist geil. (Slogan von Saturn) 291 6.4 Figuren der Anordnung b) Anapher Beginnen zwei aufeinander folgende Sätze oder Syntagmen mit demselben Wort, spricht man von einer Anapher. ▶ Mein Haus, mein Auto, meine Frau. (Werbung der Sparkasse) c) Epipher Das Gegenstück zur Anapher ist die Epipher, bei der zwei Sätze oder Syntagmen auf dasselbe Wort enden. ▶ Mein Hund bellt auf Kommando, setzt sich auf Kommando, macht Männchen auf Kommando und holt Schuhe auf Kommando. d) Gemination Eine Gemination ist die wörtliche Wiederholung von Wörtern oder Wortgruppen an einer beliebigen Stelle innerhalb eines Satzes. ▶ Ich freue mich auf ein langes, langes Wochenende. Außerdem gehört zu den Figuren der Wiederholung auch der Endreim, bei dem sich die Endsilben zweier Wörter reimen. ▶ Tolle Knolle. (Werbung für Kartoffeln) 6.4 Figuren der Anordnung a) Antithese Antonymische (gegensätzliche) Ausdrücke werden in einem Text häufig unter Verwendung adversativer Konjunktionen (vgl. Kap. I. 8.1 Konjunktionen und Subjunktionen) oder Adverbien gegenübergestellt. ▶ Das Leben wird immer schneller, doch der Mensch altert immer langsamer. ▶ Sie müssen nicht klein sein, um im Lupo groß rauszukommen. ( VW -Werbeslogan) 292 6. Stilfiguren b) Asyndeton und Polysyndeton Aufzählungen können entweder ohne Konjunktionen (=-Asyndeton) oder mit wiederkehrenden Konjunktionen (=-Polysyndeton) verbunden sein. ▶ Es regnet, regnet, regnet vs. Es regnet und regnet und regnet. c) Chiasmus Es liegt ein kreuzender Satzbau vor, d. h., syntaktisch gleichwertige Wörter, Wortgruppen oder Sätze kehren in Texten an entgegengesetzter Stelle wieder. ▶ Erst bauen wir Räume, dann bauen die Räume uns. (Winston Churchill) d) Klimax Bei der Klimax werden mindestens drei bedeutungsähnliche Ausdrücke in steigender oder fallender Intensität oder Steigerungsformen desselben Wortes aneinander gereiht. Man unterscheidet zwischen ▶ steigender Klimax: Gut, besser, Paulaner. (Slogan für Paulaner Bier) und ▶ fallender Klimax (Antiklimax): Eure Exzellenzen! Höchste, hohe und geehrte Herren! (Heinrich Mann: Der Untertan) e) Parallelismus Eine Wiederholung im Satzbau zweier aufeinander folgender Sätze, häufig kombiniert mit wörtlicher Wiederholung, nennt man Parallelismus. ▶ Zwei Frauen sitzen in der Küche. Zwei Kinder spielen im Wohnzimmer. Stilistische Mittel sollen aber nicht nur aufgelistet, sondern auch hinsichtlich ihres funktionalen Wirkens untersucht werden. Mehrere Stilelemente mit derselben Funktion werden zu Stilzügen zusammengefasst. Stilzüge sind z. B. altmodisch, amtlich, angemessen, belletristisch, despektierlich, distanziert, emotional, ironisch, kindlich, salopp, subjektiv etc. Ein Text kann durchaus mehrere Stilzüge besitzen, die entweder textsorten-, bereichs-, gruppen-, autoren- oder zeitspezifisch sein können. 293 7. Zusammenfassung: Stilanalyse - Schritt für Schritt 7. Zusammenfassung: Stilanalyse - Schritt für Schritt Weil das Phänomen „Stil“ komplex und unübersichtlich ist, gibt es keine strenge Anleitung für eine Stilanalyse. Die folgenden Analyseschritte sind deshalb eher als Orientierungshilfe gedacht und beziehen sich auf eine Analyse eines kurzen Textes, den man in etwa einer halben bis dreiviertel Stunde bearbeiten kann. 1. In einem ersten Schritt betrachten Sie den gesamten Text und machen Angaben zu dessen Makrostilistik. Bestimmen Sie die Kommunikationssituation, in der der Text entstanden ist, den Produzenten und Rezipienten sowie das Thema und die Textsortenzugehörigkeit. Wenn der Text länger ist, zerlegen Sie ihn in seine Teiltexte und Teilthemen. Hier interessiert besonders die Gliederung (Komposition) des Gesamttextes. 2. Für die Analyse der Mikrostilistik lesen Sie den zu analysierenden Text nochmals genau durch und markieren Sie alle Auffälligkeiten in Bezug auf Satz-, Wort-, Lautebene oder grafische Ebene, z. B. eine besonders häufige Wahl von bestimmten sprachlichen Erscheinungen (Ellipsen, Passivkonstruktionen etc.), dann auch alle Abweichungen von der (erwarteten) sprachlichen Form der Textsorte. 3. Was nicht charakteristisch oder unerwartet ist, brauchen Sie nicht zu behandeln. Sie können notfalls einen kurzen Vermerk machen, in der Art „auf Lautebene gibt es keine besonderen Auffälligkeiten“. Analysieren Sie dann zuerst, was besonders häufig vorkommt und deshalb den Text prägt. Beziehen Sie in Ihre Analyse der Stilmittel auch deren Funktion und die übergeordneten Stilzüge ein. Warum könnte ein Autor dieses Stilmittel gewählt haben? Über welche Alternativen hätte er verfügen können? Waren die ausgewählten Stilmittel angemessen? 4. Eine zusammenfassende Einschätzung, ob z. B. ein typischer Funktionalstil vorliegt, schließt eine gelungene Analyse ab. Auch den Rezipienten sollten Sie nicht vergessen: Hat der Autor bei ihm aller Wahrscheinlichkeit nach sein kommunikatives Ziel erreicht? Für eine vollständige Stilanalyse sollten Sie zu jeder der folgenden Fragen Antworten gegeben haben: Wer - sagt was - mit welcher Art von Text - zu wem - zu welchem Zweck - mit welcher Wirkung - wie? 8. Musteranalyse Im Frühjahr 2004 wurde im Bayerischen Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien (vertieft studiert) im ersten Nebengebiet folgende Aufgabe gestellt: Charakterisieren Sie die in dem Text verwendeten Stilmittel und deren Funktion! Text: …-und dazu der passende Wein ausgewählt von Paula Bosch Zugegeben: Ich gehörte lange Zeit zu jenen Weintrinkern, die dem Trollinger als Rotwein, trotz meiner schwäbischen Herkunft, Jahr für Jahr mit Skepsis begegnen. Die ehrgeizigen Schwaben in meinem Freundeskreis, deren Nationalgetränk ich immer wieder zurückwies, ließen nicht locker, bis auch ich davon überzeugt war, dass es doch ganz gute Trollis gibt. Der trockene Stettener Mönchberg >S< 1999 von Hans Haidle hat mir und meinen Kollegen sogar so gut geschmeckt, dass ich Herrn Haidle seine letzten Flaschen abschwatzte. Jetzt gibt es den 2000er als Nachfolger. Sicher noch sehr jung und nicht ganz vollmundig. Etwas kühler temperiert, 12 bis 14 Grad, lässt er sich sehr angenehm trinken, besonders im Freien bei sommerlichen Temperaturen. Ich bin versöhnt mit dem schwäbischen Nationalgetränk. Kein Rotwein, den man mit den großen Roten vergleichen kann, aber er ist auch kein Wein, der nur zur Vesper schmeckt. Kirsch und Mandelnoten im Vordergrund, leichte Struktur, reif, saftig, umkompliziert. (aus: Süddeutsche Zeitung: Magazin No. 19, 11. 05. 2001, S. 42) Lösungsvorschlag Die laut Aufgabenstellung zu untersuchenden Stilmittel betreffen zwar nur die Mikroebene, einleitend sollen aber trotzdem einige Bemerkungen zur Makrostilistik gemacht werden: Es handelt sich bei dem Text um einen Sachtext, genauer um einen Zeitungstext mit dem Thema „Beurteilung der Trollinger Rotweine von Hans Haidle“. Der Text ist in einer Ich-Perspektive (Stilzug ‚subjektiv‘) verfasst und gibt die persönliche Meinung der Autorin, einer Weinexpertin, wieder. Der kurze Text ist inhaltlich folgendermaßen gegliedert: 1. Bisherige Einstellung zum Trollinger 123456789 10 11 12 13 14 294 8. Musteranalyse 295 8. Musteranalyse als Rotwein (Z. 1-3) 2. Weintest (Z. 3-8) 3. Beurteilung des Weins (Z. 8-14). Man kann einen bestimmten Funktionalstil, nämlich den der Presse erwarten. Da der Artikel in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, liegt es nahe, dass der Leser akademisch gebildet und selbst Weintrinker ist oder zumindest Interesse an Weinen hat. Mikrostilistisch gibt es einige Auffälligkeiten: Der unvermittelte Einstieg durch die Gesprächspartikel Zugegeben (Z. 1) soll den Leser unmittelbar ansprechen und sein Interesse wecken. Im Bereich der Syntax sind vor allem die komplexen Sätze (bes. Satz 1 und Satz 2) und ab Z. 8 die elliptischen Sätze auffällig-- alle Sätze außer Ich bin-… Nationalgetränk (Z. 10 f.) sind elliptisch, z. B. [Er ist] Sicher noch sehr jung und nicht ganz vollmundig (Z. 8 f.) oder Kirsch und Mandelnoten [stehen] im Vordergrund, [er hat eine] leichte Struktur, [er ist] reif, saftig, umkompliziert (Z. 13 f.). Diese Ellipsen rücken den Text in die Nähe der gesprochenen Sprache. Im letzten Satz fallen die asyndetischen Verknüpfungen auf, die beim Leser das Bild eines Sommeliers wecken, der beim Probieren verschiedene Charakteristika des Weins herausschmeckt und nachdenklich stichpunktartig formuliert. Hier sind auch Anklänge an einen Weinführer als eigene Textsorte zu spüren. Auf Wortebene kommt der Gegensatz zwischen seriös-gehobenem (z. B. jemandem mit Skepsis begegnen, Z. 2 f., etwas zurückweisen, Z. 4, etwas temperieren, Z. 9, versöhnt sein, Z. 11.) und umgangssprachlich-saloppem (z. B. nicht locker lassen, Z. 4, jemandem etwas abschwatzen, Z. 7 f.) Stil zum Tragen. Ein süddeutsch-österreichischer Regionalismus ist Vesper (Z. 13), der dem Text etwas Lokalkolorit verleiht (die Autorin ist schwäbischer Herkunft, der Artikel erschien in der Süddeutschen Zeitung). Die Autorin verwendet den typischen (Fach-)Wortschatz eines Sommeliers. So werden etwa neun Charakteristika des Weins beschrieben: trocken(e) (Z.-5), sehr jung (Z. 8), nicht ganz vollmundig (Z. 9), lässt-… sich sehr angenehm trinken (Z. 9 f.), Kirsch und Mandelnoten im Vordergrund (Z. 13), leichte Struktur (Z.-13 f.), reif (Z. 14), saftig (Z. 14) und unkompliziert (Z. 14). Unklar ist, ob Trollis (Z. 5) als Kurzform von Trollinger Rotweine als eine Ad-hoc-Bildung (Kosename mit despektierlichem Anklang? ) zu bewerten ist oder zum Fachwortschatz gehört. Graphostilistisch fällt lediglich die Bezeichnung des Weines mit dem Buchstaben >S< (Z. 6) auf-- eine Information für Weinkundige (S-= Cuvée-= Verschnitt junger Weine). 296 9. Übungen Im Bereich der Stilfiguren gibt es wenige Besonderheiten: Eine Gemination (genauer: eine phraseologische Paarformel, Jahr für Jahr, Z. 2), ein Parallelismus (kein + Substantiv + Relativsatz) im vorletzten und ein Asyndeton (Kirsch und Mandelnoten im Vordergrund, leichte Struktur, reif, saftig, umkompliziert) im letzten Satz. Der Name des Weingutbesitzers hat durch seine Alliteration (Hans Haidle, Z. 6), die auch bei Ersatz des Vornamens durch Herr erhalten bleibt, einen eigenen Stilwert, der aber zufällig ist. Die Stilanalyse zeigt, dass es der Autorin durch die Wahl der sprachlichen Mittel gelingt, eine Brücke zu schlagen zwischen einerseits fachsprachlichem und umgangssprachlichem und andererseits geschriebenem und gesprochenem Text. Ihr Ziel, den Leser auf Trollinger Weine neugierig zu machen, hat sie aller Wahrscheinlichkeit nach erreicht. 9. Übungen 1. Welche rhetorischen Figuren finden Sie in den folgenden Zeitungsüberschriften (alle aus: Süddeutsche Zeitung, 03.-06. 01. 05)? a. Ein paar Kekse für tausend Hände In der indonesischen Bürgerkriegsprovinz Aceh läuft die Unterstützung der Flutopfer besonders mühsam an b. Alles wächst: Blumen, Gebühren und Steuern 2005 werden Fernwärme, Müll, MVV teurer-- Stadt hofft auf Imagegewinn durch die Bundesgartenschau c. Aufholjagd mit Atemnot Das geplante Kulturzentrum in Hongkong stößt auf Widerstände d. Die Schiffe zerschmettert, die Häfen verschlungen Die Fischer in Sri Lanka sind besonders hart von der Katastrophe getroffen, doch auch Hotelangestellte fürchten um ihre Arbeitsplätze e. Land für Land, Dorf für Dorf f. Finnisches Luftschiff Janne Ahonen lässt sich selbst vom Wind nicht irritieren und gewinnt auch das dritte Springen der Tournee g. Konfisziert, besetzt, zerstört Israel vernichtet Palästinas Kultur, sagt Sa’d Nimr, Koordinator von Museum ohne Grenzen h. Uni Würzburg testet Diabetes-Medikament 297 10. Quellen und weiterführende Literatur 2. Geben Sie eine knappe stilistische Analyse des Textes (=-Aufgabe aus dem Bayerischen Staatsexamen Herbst 1998, deutsch vertieft studiert, Hauptgebiet)! Übungstext: Doch um es gleich zu sagen: Nicht das übliche schöne Neapel unter blauem Himmel hat sich mir als bedeutendstes Bild eingeprägt. Von diesem Theatervorhang weiß ich nie, wieweit ich ihn in meiner Vorstellung wirklich aus Eigenem und wieweit nur in Abhängigkeit von tausend geleckten Bildern reproduziere. Nein, was ich immer noch sehe und höre, fühle und schmecke, ist der Sturm, der im Februar pausenlos einundzwanzig Tage tobte. Es war ein solches Brausen und Heulen, daß wir manchmal in die Innenstadt flüchteten, um den betäubten Ohren Ruhe zu gönnen und den Salzgeschmack von den Lippen loszuwerden, es war ein solcher Luftdruck, dass unsere Korridortür eines Morgens aus der Mauer gestoßen wurde. Die Wogen schlugen über die hohe Uferbrüstung weg in die Straße und das Largo hinein. Abends, wenn die Laternen brannten, schossen die Wellen weißauffunkelnd nach den Glühstrümpfen. Hier und da klirrte eine Lampe aufs Pflaster, aber noch unheimlicher war es, wenn die Strümpfe ohne Beschädigung der Glaswand von unten her erreicht wurden und lautlos erloschen. Übrigens war es nicht leicht, das Brechen des Glases, das Rollen des Donners, das Schlagen der Türen und andere Einzelgeräusche aus dem ständigen Lärm des Wassers und der Luft herauszulösen. Jeden Tag wurden die Laternen neu instand gesetzt, jeden Abend von neuem zerschlagen oder erstickt. (aus: Victor Klemperer: Curriculum Vitae. Erinnerungen 1881-1918. Bd. 2, Berlin: Aufbau-Taschenbuch Verlag, S. 103) 10. Quellen und weiterführende Literatur Eroms, Hans-Werner: Stil und Stilistik. Eine Einführung. 2., neu bearb. und erw. Aufl. Berlin 2014. In sehr übersichtlicher Form werden Grundlagen zum Thema dargestellt. Über das einleitende Kapitel zur Frage „Was ist Stil? “ hinaus gibt es Ausführungen zur Funktional-, zur normativen und zur Makrostilistik. Die Einbettung in die Textgrammatik wird ebenso angesprochen wie der Stil im Wort / Wortschatz 12345678910 11 12 13 14 15 16 17 18 19 298 10. Quellen und weiterführende Literatur und es gibt ein Kapitel zu Stilfiguren. Die Beispiele stammen unter anderem aus der Medien- und Werbesprache, der sakralen Sprache, Zeitungstexten und der öffentlichen Kommunikation. Wichtige Termini werden graphisch hervorgehoben; am Schluss jedes Kapitels gibt es eine Zusammenfassung und knapp kommentierte Literaturhinweise. Fix, Ulla / Poethe, Hannelore / Yos, Gabriele: Textlinguistik und Stilistik für Einsteiger. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. 3., durchges. Aufl. Frankfurt a. M. u. a. 2003. Nach einer Zusammenfassung der wichtigsten Terminologie und Analysemittel werden vor allem Musteranalysen unterschiedlichster Texte (politische Rede, Werbetext, literarischer Text, Pressetext) gegeben. Es gibt ein eigenes Kapitel zu sprachlichen Normen. Göttert, Karl-Heinz: Einführung in die Stilistik. München 2004. Ausführliche Kapitel zur Geschichte der Stilistik. Der Schwerpunkt der Beispielanalysen liegt auf literarischen Texten. Krieg-Holz, Ulrike/ Bülow, Lars: Linguistische Stil- und Textanalyse. Eine Einführung. Tübingen 2016. Sehr gut verständlicher Überblick über alle möglichen sprachlichen Phänomene, die stilanalytisch untersucht werden können. Viele aktuelle Beispiele. Michel, Georg: Stilistische Textanalyse. Eine Einführung. Frankfurt a. M. u. a. 2001. Eine Darstellung unterschiedlicher methodischer Zugänge zur Stilanalyse sowie verschiedener Stilelemente; im Anhang gibt es ein Glossar mit Stilfiguren. Sanders, Willy: Das neue Stilwörterbuch. Stilistische Grundbegriffe für die Praxis. Darmstadt 2007. Alphabethisch geordnete, gut verständliche Artikel zu Grundbegriffen, theoretischen Ansätzen und Stilmitteln. Sandig, Barbara: Textstilistik des Deutschen. 2., völlig neu bearb. und erw. Aufl. Berlin u. a. 2006. Die Autorin ist eine Vertreterin der pragmalinguistischen Stilanalyse. Sowinski, Bernhard: Stilistik. Stiltheorien und Stilanalysen. 2., überarb. und aktual. Aufl. Stuttgart / Weimar 1999. Es werden z. B. folgende Themen behandelt: Geschichte der Stilistik und des Stilbegriffs, Stilistik und ihre Nachbardisziplinen, verschiedene Stilemente, unterschiedliche Ansätze zur Stilanalyse. Zur Vertiefung der Thematik empfohlen. 299 I. Syntax Lösungsvorschläge zu den Übungen I. Syntax 1. Satzart, -typ, -form a. Satzart: Aufforderungssatz; Satztyp: Stirnsätze in den Hauptsätzen, Spannsatz im Nebensatz; Satzform: Komplexer Satz (Parataxe): Zwei Hauptsätze sind parataktisch durch und verbunden; dem zweiten Hauptsatz ist ein Nebensatz untergeordnet. HS 1 -- [und]-- HS 2 | NS b. Satzart: Fragesatz (Entscheidungsfrage); Satztyp: Stirnsatz im Hauptsatz; Spannsätze in den beiden Nebensätzen; Satzform: Komplexer Satz (Hypotaxe): Von einem Hauptsatz hängt ein durch dass eingeleiteter Nebensatz ab, von dem wiederum ein durch wenn eingeleiteter Nebensatz abhängt. HS | NS 1 | NS 2 2. Finite und infinite Verben brachte: Finitum entwickelten: Finitum schockiert: Finitum werden: Finitum 300 Lösungsvorschläge verschwunden: Infinitum, Partizip II sein: Infinitum, Infinitiv sprechen: Finitum retten: Infinitum, Infinitiv entsteht: Finitum gesammelt: Infinitum, Partizip II werden: Finitum 3. Prädikate brachte: einfach, einteilig entwickelten sich ‚entstehen‘: komplex, heterogen, kontinuierlich schockiert: einfach, einteilig werden verschwunden sein: komplex, homogen, diskontinuierlich sprechen: einfach, einteilig entsteht: einfach, einteilig gesammelt werden: komplex, homogen, kontinuierlich Anmerkung: Infinitive (in Infinitivkonstruktionen, z. B. um den Sprachschatz-… zu retten) sind keine Prädikate! 4. Valenzträger und Wertigkeiten bringen ‚in eine Lage versetzen‘: wer / was? bringt wen / was? wozu? : 3-wertig °sich entwickeln ‚entstehen‘: wer / was? : 1-wertig schockieren: wer / was? schockiert wen / was? womit? : 3-wertig, im vorliegenden Satz ist wen / was? (zu ergänzen etwa: die Menschen / die Leser) nicht realisiert; verschwinden ‚untergehen‘: wer / was? verschwindet: 1-wertig °sprechen ‚sich sprachlich in etw. ausdrücken‘: wer / was? spricht wen / was? : 2-wertig °entstehen ‚anfangen zu sein‘: wer / was? entsteht: 1-wertig, evtl. 2-wertig: wer / was? entsteht wo? °sammeln ‚zusammentragen‘: wer / was? sammelt wen / was? : 2-wertig °vgl. Schumacher, Helmut u. a.: VALBU . Valenzwörterbuch deutscher Verben. Tübingen 2004. 301 I. Syntax 5. Satzgliedtests a. Nach dem Unterricht sagte Peter zu seinem Professor, dass er nichts verstanden habe. ▶ Frageprobe: Wann sagte Peter zu seinem Professor, dass er nichts verstanden habe? - - Nach dem Unterricht. Wer sagte nach dem Unterricht zu seinem Professor, dass er nichts verstanden habe? -- Peter. Zu wem sagte Peter nach dem Unterricht, dass er nichts verstanden habe? - - Zu seinem Professor. Was sagte Peter nach dem Unterricht zu seinem Professor? -- Dass er nichts verstanden habe. ▶ Ersatzprobe: Danach sagte er das zu ihm. (Es müssten nicht alle Satzglieder gleichzeitig ersetzt werden.) ▶ Verschiebeprobe (Spitzenstellungstest): Peter sagte nach dem Unterricht zu seinem Professor, dass er nichts verstanden habe. Zu seinem Professor sagte Peter nach dem Unterricht, dass er nichts verstanden habe. Dass er nichts verstanden habe, sagte Peter nach dem Unterricht zu seinem Professor. Spitzenstellungstest liegt für das Satzglied Nach dem Unterricht bereits im Ausgangssatz vor. Der Satz besteht aus vier Satzgliedern (=-Grobstruktur): Nach dem Unterricht-- Peter-- zu seinem Professor und dass er nichts verstanden habe. b. Trotz ihres schlechten Gesundheitszustands besuchte Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann, ihre Eltern in Deutschland. ▶ Frageprobe: Trotz welchen Umstandes besuchte Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann, ihre Eltern in Deutschland? -- Trotz ihres schlechten Gesundheitszustands. Wer besuchte trotz seines (muss in diesem Fall angepasst werden) schlechten Gesundheitszustands seine Eltern in Deutschland? -- Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann. Wen besuchte Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann, trotz ihres schlechten Gesundheitszustands in Deutschland? -- Ihre Eltern. Wo besuchte Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann, trotz ihres schlechten Gesundheitszustands ihre Eltern? -- In Deutschland. Durch die Frageprobe allein kann noch nicht geklärt werden, ob ihre Eltern in Deutschland überhaupt zwei Satzglieder sind. ▶ Ersatzprobe: Trotzdem besuchte sie sie dort. ▶ Verschiebeprobe (Spitzenstellungstest): Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann, besuchte trotz ihres schlechten Gesundheitszustands ihre Eltern in Deutschland. Ihre Eltern besuchte Steffi Graf, deren Karriere 302 Lösungsvorschläge vor vielen Jahren begann, trotz ihres schlechten Gesundheitszustands in Deutschland. In Deutschland besuchte Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann, trotz ihres schlechten Gesundheitszustands ihre Eltern. Evtl. ist auch möglich: Ihre Eltern in Deutschland besuchte Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann, trotz ihres schlechten Gesundheitszustands. In diesem Fall ist in Deutschland nicht als eigenes Satzglied, sondern als Attribut zu ihre Eltern zu werten. Auch diese Lösung ist denkbar. Der Satz besteht, je nach Auswertung der Tests, aus drei (Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann- - trotz ihres schlechten Gesundheitszustands-- ihre Eltern in Deutschland) oder vier (Steffi Graf, deren Karriere vor vielen Jahren begann-- trotz ihres schlechten Gesundheitszustands-- ihre Eltern-- in Deutschland) Satzgliedern (=-Grobstruktur). c. Wer heute seine Tochter oder seinen Sohn an der Grundschule anmelden will, muss reichlich Zeit mitbringen. ▶ Frageprobe: Wer muss reichlich Zeit mitbringen? -- Wer (=-derjenige, der) heute seine Tochter oder seinen Sohn an der Grundschule anmelden will. Was muss (derjenige) mitbringen, der seine Tochter oder seinen Sohn an der Grundschule anmelden will? -- Reichlich Zeit. ▶ Ersatzprobe: Er muss das mitbringen. ▶ Verschiebeprobe (Spitzenstellungstest): Reichlich Zeit muss mitbringen, wer heute seine Tochter oder seinen Sohn an der Grundschule anmelden will. oder: Reichlich Zeit muss derjenige, der heute seine Tochter oder seinen Sohn an der Grundschule anmelden will, mitbringen. Spitzenstellungstest liegt für das Satzglied wer-… will bereits im Ausgangssatz vor. Der Satz besteht aus zwei Satzgliedern (=-Grobstruktur): wer heute seine Tochter oder seinen Sohn an der Grundschule anmelden will und reichlich Zeit. 6. Weglassprobe und Geschehenstest a. Weglassprobe: Maria brachte eine Schachtel Pralinen mit.-- Test positiv. Geschehenstest: *Maria brachte eine Schachtel Pralinen mit und das geschah ihrer Mutter.- - Test negativ, d. h., ihrer Mutter ist eine fakultative Ergänzung. b. Weglassprobe: Hans geht ins Fitness-Studio.-- Test positiv. 303 I. Syntax Geschehenstest: Hans geht ins Fitness-Studio und das geschieht nur nachmittags.-- Test positiv, d. h., nur nachmittags ist eine Angabe. c. Weglassprobe: *Mein Vater lebt schon seit Jahrzehnten. Test negativ für die gemeinte Bedeutung im Satz (leben im Sinne von ‚wohnen‘, ‚sich befinden‘ und nicht im Sinne von ‚am Leben sein‘), d. h., in München ist eine obligatorische Ergänzung. Der Geschehenstest braucht nicht mehr durchgeführt zu werden. 7. Ergänzungen in die Kirche: fakultative Präpositional-Ergänzung mit unfester Präposition (vgl. Peter geht zur Schule / auf die Post / hinter das Haus), präpositional mir: fakultative Dativ-Ergänzung, pronominal Wer nichts weiß: obligatorische Nominativ-Ergänzung, satzförmig an seine Großmutter: obligatorische Präpositional-Ergänzung mit fester Präposition (vgl. wer / was? denkt woran? ), präpositional auf deine Party zu kommen: obligatorische Infinitivkonstruktion anstelle einer Akkusativ-Ergänzung (wer / was? verspricht wem? wen / was? vgl. Ich verspreche dir ein angenehmes Leben / das.). 8. Angaben Nach dem Essen: Temporalangabe, präpositional im Garten: Lokalangabe, präpositional nie: Negationsangabe (evtl. auch Temporalangabe), adverbial Wenn es schneit: Konditionalangabe, satzförmig Nachdem Petra ihren Freund kennen gelernt hatte: Temporalangabe, satzförmig lachend: Modalangabe / Prädikativangabe, partizipial um sich zu erholen: Finalangabe, Infinitivkonstruktion weil Pisa eine interessante Stadt ist: Kausalangabe, satzförmig 304 Lösungsvorschläge 9. Attribute nach zähem Ringen um die ersten Worte (nach) Ringen Kern 1: substantivisch zähem Attribut: vorangestelltes, flektiertes Adjektiv um die ersten Worte Attribut: nachgestellte präpositionale Fügung (um die) Worte Kern 2: substantivisch ersten Attribut: vorangestelltes, flektiertes (Zahl-)Adjektiv der Düsseldorfer Sprachforscher Dieter Wunderlich (der) Sprachforscher Kern 1: substantivisch Düsseldorfer Attribut: vorangestelltes Adjektiv (Ortsname) Dieter Wunderlich Attribut: nachgestellte enge Apposition Wunderlich Kern 2: substantivisch (Personenname) Dieter Attribut: vorangestellte enge Apposition (Personenname) 305 I. Syntax Ein multimediales Archiv, in dem Bilder und Töne, Wörterbücher und Grammatiken gesammelt werden (ein) Archiv Kern: substantivisch multimediales Attribut: vorangestelltes, flektiertes Adjektiv in dem … werden Attribut: nachgestellter Attributsatz (Relativsatz) ein Nachfahre der kleinen Gemeinden in Ecuador (ein) Nachfahre Kern 1: substantivisch der kleinen Gemeinden in Ecuador Attribut: nachgestellte Genitivfügung (der) Gemeinden Kern 2: substantivisch kleinen Attribut: vorangestelltes, flektiertes Adjektiv in Ecuador Attribut: nachgestellte präpositionale Fügung die dort konservierte Sprache (die) Sprache Kern 1: substantivisch dort konservierte Attribut: vorangestelltes Partizip II (Verb) konservierte Kern 2: Verb dort Attribut: vorangestelltes Adverb 306 Lösungsvorschläge 10. Reflexivpronomen a. Frageprobe: *Wen / was entschließt Peter Mathematik zu studieren? - - Sich.-- Test negativ Ersatzprobe: *Peter entschließt seinen Freund Mathematik zu studieren.-- Test negativ Spitzenstellungstest: *Sich (und nicht seinen Freund) entschließt Peter Mathematik zu studieren.-- Test negativ Intensivierungsprobe: *Peter entschließt sich selbst Mathematik zu studieren.-- Test negativ Koordinierungsprobe: *Peter entschließt sich und seinen Freund Mathematik zu studieren.-- Test negativ Alle Tests sind negativ, d. h., das Reflexivpronomen ist Teil des Prädikats. b. Frageprobe: Wen / was stellt der neue Mitarbeiter bei seinen Kollegen vor? -- Sich.-- Test positiv Ersatzprobe: Der neue Mitarbeiter stellt Petra bei seinen Kollegen vor.-- Test positiv Spitzenstellungstest: Sich (und nicht Petra) stellt der neue Mitarbeiter bei seinen Kollegen vor.-- Test positiv Intensivierungsprobe: Der neue Mitarbeiter stellt sich selbst bei seinen Kollegen vor.-- Test positiv Koordinierungsprobe: Der neue Mitarbeiter stellt sich und Petra bei seinen Kollegen vor.-- Test positiv Alle Tests sind positiv, d. h., das Reflexivpronomen ist ein eigenes Satzglied (hier: Akkusativ-Ergänzung). c. Frageprobe: *Wen / was schämt Ute für ihr schlechtes Deutsch? -- Sich.-- Test negativ Ersatzprobe: *Ute schämt ihre Schwester für ihr schlechtes Deutsch.-- Test negativ Spitzenstellungstest: *Sich (und nicht ihre Schwester) schämt Ute für ihr schlechtes Deutsch.-- Test negativ Intensivierungsprobe: *Ute schämt sich selbst für ihr schlechtes Deutsch.-- Test negativ Koordinierungsprobe: *Ute schämt sich und ihre Schwester für ihr schlechtes Deutsch.-- Test negativ Alle Tests sind negativ, d. h., das Reflexivpronomen ist Teil des Prädikats. 307 I. Syntax 11. es a. Es ist verschiebbar, fällt nicht weg (Spät ist es schon.) und ist nicht erfragbar (*Wer / was ist schon spät? -- Es.). Ein Problem ergibt sich bei der Ersetzbarkeit: vgl. Es ist spät vs. Peter ist spät. Hier liegt jedoch eine andere Bedeutung von spät vor (‚fortgeschrittene Zeit‘ vs. ‚nicht einhalten einer vereinbarten Zeit‘). Es ist also Scheinsubjekt. b. Es fällt beim Verschieben weg (Viele Leute kamen.), ist nicht erfragbar und nur durch andere Satzglieder auf der ersten Position ersetzbar (z. B. Gestern kamen viele Leute.). Es ist also ein Platzhalter. c. Es ist verschiebbar (So spannend ist es.), erfragbar (Wer ist so spannend? -- Es.) und durch das Neutrum im vorangehenden Satz ersetzbar (Das Buch ist so spannend.). Es ist also ein Prowort (Pronomen) und hat damit Satzgliedstatus (hier: Nominativ-Ergänzung). d. Es ist verschiebbar und fällt nicht weg (Schon donnert es.), nicht erfragbar (*Wer / was donnert schon? -- Es.) und eigentlich auch nicht ersetzbar (zu diskutieren bleibt, ob etwa Der Himmel donnert. ein korrekter Ersatz wäre). Es ist ein Scheinsubjekt. e. Es ist verschiebbar (Kein Problem ist es, dass…), fällt aber bei Voranstellung des Nebensatzes weg und kann durch das im Hauptsatz aufgegriffen werden (Dass der Zug erst um 23 Uhr ankommt, (das) ist kein Problem.). Es ist nicht erfragbar. Auf die Frage wer / was ist kein Problem? antwortet der Nebensatz, auf den sich es allerdings bezieht: dass-… ankommt. Es ist also ein Korrelat. 12. Dative …- meiner Mutter-…: obligatorische Dativ-Ergänzung vgl. Valenz Sorgen machen: wer / was? macht wem? Sorgen Sei mir- …: Dativus ethicus (innere Beteiligung), nicht valenzgefordert vgl. Valenz sein: wer / was? ist wer / was bzw. wie? (und nicht wem? ) …- ist mir- … passiert: zwei Lösungen denkbar: fakultative Dativ-Ergänzung vgl. Valenz: wer / was passiert wem? oder Dativus incommodi (Der Person im Dativ geschieht etwas zum Nachteil); die problemlose Bestimmung des Dativs als valenzgebundenes Satzglied (vgl. Frageprobe) spricht jedoch für die erste Lösung. 308 Lösungsvorschläge …- ist mir- … getreten: Pertinenzdativ, nicht valenzgebunden (vgl. treten: wer / was? tritt wohin? ) kann durch Eine Person ist auf meinen Fuß getreten. ersetzt werden. …-hat mir-… gestohlen-…: zwei Lösungen denkbar: fakultative Dativ-Ergänzung vgl. Valenz: wer / was? stiehlt wem? wen / was? ; oder Dativus incommodi (Der Person im Dativ geschieht etwas zum Nachteil); wir müssen in diesem Fall allerdings beachten, dass eine rein semantische Argumentation über den entstandenen Nachteil nicht ohne Weiteres überzeugt: Durch Stehlen entsteht immer für den Bestohlenen ein Nachteil; diese Bedeutungskomponente ist also bereits im Verb angelegt. Deshalb ist die erste Lösung zu favorisieren. …-musste mir überlegen-…: Reflexivpronomen im Dativ als Teil des Prädikats (vgl. Infinitiv sich etwas überlegen). …-meiner Mutter beibringen konnte: obligatorische Dativ-Ergänzung vgl. Valenz beibringen: wer / was? bringt wem? wen / was? bei …-ich mache dir-…: Dativus commodi (Vorteil), Ersatz durch für-Phrase (Ich mache für dich eine Tasse Tee.), nicht valenzgebunden vgl. Valenz machen ‚zubereiten‘: wer / was? macht wen / was? 13. Satzanalysen Wann das Schicksal der Sprache besiegelt sein wird, weiß niemand. Satzart: Aussagesatz (mit indirektem Fragesatz) Satztyp: Spannsatz im Nebensatz (Wann-… wird) und Kernsatz im Hauptsatz (weiß niemand); die erste Position nimmt der Nebensatz ein. Satzform: HS komplexer Satz (Hypotaxe) | NS 309 I. Syntax HS Prädikat: weiß einfach, einteilig Valenzträger: wissen: 2-wertig (wer/ was? weiß wen/ was? ) niemand obligatorische Nom-E pronominal wann … wird obligatorische Akk-E satzförmig NS Prädikat: besiegelt sein wird komplex, homogen, kontinuierlich Valenzträger: besiegeln: 2-wertig (wer/ was? besiegelt wen/ was? ) unterwertiger Gebrauch wegen Passiv das Schicksal der Sprache obligatorische Nom-E substantivisch Wann Temporal-A adverbial (1) (1) Wann ist ein eigenes Satzglied. Das wird deutlich, wenn man den indirekten Fragesatz in einen Aussagesatz verwandelt (und wann entsprechend ersetzt): Wann das Schicksal der Sprache besiegelt sein wird → Wann wird das Schicksal der Sprache besiegelt sein? → In wenigen Jahren wird das Schicksal der Sprache besiegelt sein. Attribute im NS : das Schicksal der Sprache: (das) Schicksal Kern: substantivisch | (der) Sprache Attribut: nachgestellte Genitivfügung Und ob je ein Nachfahre der kleinen Gemeinden in Ecuador das Archiv in Nijmegen befragen wird, um die dort konservierte Sprache wiederzubeleben, bleibt fraglich. 310 Lösungsvorschläge Satzart: Aussagesatz (mit indirektem Fragesatz) Satztyp: Spannsatz im Nebensatz (ob- … wird) und Kernsatz im Hauptsatz (bleibt fraglich); die erste Position nimmt der Nebensatz (mit untergeordneter Infinitivkonstruktion) ein, der durch die Subjunktion ob eingeleitet wird. Die Konjunktion und ist dem Hauptsatz zuzuordnen, da sie auch beim Verschieben des Nebensatzes auf Position Ø erhalten bleibt: Und fraglich bleibt, ob je-… Satzform: HS komplexer Satz (Hypotaxe) | NS [und] HS Prädikat: bleibt (1) einfach, einteilig Valenzträger: bleiben: 2-wertig (wer/ was? bleibt wie? ) ob je … wiederzubeleben obligatorische Nom-E satzförmig fraglich obligatorische Präd-E adjektivisch (1) Das Prädikat ist bleibt und nicht bleibt fraglich, da die Satzgliedtests für fraglich positiv sind, vgl. auch den Satz: Ich bleibe dein Freund. Bleiben hat dieselbe Valenz wie sein. 311 I. Syntax NS [ob] Prädikat: befragen wird komplex, homogen, kontinuierlich Valenzträger: befragen: 2-wertig (wer/ was? befragt wen/ was? ) je(mals) Temporal-A adverbial ein Nachfahre … Ecuador obligatorische Nom-E substantivisch das Archiv in N. obligatorische Akk-E substantivisch um … beleben Final-A Infinitivk. IK um wiederzubeleben Valenzträger: wiederbeleben: 2-wertig (wer/ was? belebt wen/ was? wieder) unterwertiger Gebrauch wegen Infinitivkonstruktion die dort konservierte Sprache obligatorische Akk-E substantivisch Attribute im NS : ein Nachfahre der kleinen Gemeinden in Ecuador: siehe Übung 9. das Archiv in Nijmegen: (das) Archiv Kern: substantivisch | in Nijmegen Attribut: nachgestellte präpositionale Fügung Attribute in der Infinitivkonstruktion: die dort konservierte Sprache: siehe Übung 9. 312 Lösungsvorschläge II. Wortarten 1. Wortartenbestimmung wer: Relativpronomen (deklinierbar, kann Satzglied sein), syntaktische Funktion: Satzglied schnell: Adjektiv (deklinierbar, komparierbar), syntaktische Funktion: Angabe zu: Infinitivkonjunktion (nicht flektierbar, kann nicht Satzglied oder Attribut sein, Fügteil ohne Kasusforderung) auch: Adverb (nicht flektierbar, kann Satzglied oder Attribut sein), syntaktische Funktion: Satzglied nun: Adverb (nicht flektierbar, kann Satzglied oder Attribut sein), syntaktische Funktion: Satzglied aus: Präposition (kann nicht Satzglied oder Attribut sein, Fügteil mit Kasusforderung: Dativ) gezeigt: Verb (konjugierbar), Partizip II , syntaktische Funktion: Prädikatsteil schlechter: Adjektiv (deklinierbar, komparierbar), syntaktische Funktion: Angabe ihren: Possessivpronomen (deklinierbar, kann Satzglied sein), syntaktische Funktion: Artikelwort weniger: Adjektiv (deklinierbar, komparierbar), syntaktische Funktion: Attribut elf: Adjektiv (obwohl nicht deklinierbar, z. B. der elfte September; Ausnahme: nicht komparierbar), syntaktische Funktion: Attribut gleichzeitig: Adjektiv (deklinierbar, z. B. gleichzeitige Termine; Ausnahme: nicht komparierbar), syntaktische Funktion: Angabe besonders: Adverb (nicht flektierbar, kann Satzglied oder Attribut sein), syntaktische Funktion: Attribut dreimal: Adverb (nicht flektierbar, kann Satzglied oder Attribut sein), syntaktische Funktion: Attribut so: erster Teil einer zweiteiligen Satzteilkonjunktion (siehe wie) wie: zweiter Teil einer Satzteilkonjunktion (nicht flektierbar, kann nicht Satzglied oder Attribut sein, Fügteil ohne Kasusforderung) obwohl: Subjunktion (nicht flektierbar, kann nicht Satzglied oder Attribut sein, Fügteil ohne Kasusforderung), syntaktische Funktion: leitet Nebensatz ein 313 II. Wortarten 2. Nicht flektierbare Wortarten Adverb: Beispiele siehe oben; Subjunktion: dass (Z. 6); weitere Beispiele siehe oben; Präposition: in (Z. 7), über (Z. 10), ohne (Z. 13), bei (Z. 16) 3. unsportliche Tiere-- bei den geborenen Läufern In beiden Fällen handelt es sich um Attribute (syntaktische Funktion). Bezüglich der Wortart ist unsportliche ein Adjektiv (deklinierbar, komparierbar), geborenen ein Verb, nämlich die Verbform Partizip II (wird in attributiver Funktion dekliniert). 4. Homonymie gut 1 : Im Beispieltext liegt ein Adverb (nicht flektierbar, syntaktische Funktion: Attribut) vor mit der Bedeutung‚ ‚etwas mehr als, rund, reichlich, beträchtlich‘, also eine Mengen-/ Maßangabe. gut 2 : Die geläufigere Verwendung ist das deklinierbare Adjektiv gut im Sinne von u. a. ‚geeignet, hochwertig, erfreulich, schön‘, z. B. Im Restaurant nebenan gibt es gutes Essen. aber 1 : Im Beispieltext handelt es sich um eine adversative (entgegensetzende) Konjunktion (nicht flektierbar, kein Satzglied oder Attribut, Fügteil ohne Kasusforderung), wobei diese nicht am Satzanfang steht, sondern nach der Nominativ-Ergänzung. aber 2 : Abtönungspartikel (nicht flektierbar, kann nicht Satzglied oder Attribut sein, keine verbindende Funktion im Gegensatz z. B. zu den Konjunktionen), z. B. Das war aber ein schöner Abend! In beiden Fällen liegen homonyme Wörter vor, da wir sie unterschiedlichen Wortarten zuordnen können; außerdem haben sie unterschiedliche Bedeutungen. 314 Lösungsvorschläge III. Flexion 1. Flexion bestimmen Gäbe: 3. Pers. Sg. Konj. II , Prät. Literatur: Gen. Sg. Fem. jede: Akk. Sg. Fem. Bescheidenheit: Nom. Sg. Fem. waren: 3. Pers. Pl. Ind. Prät. amerikanischer: Nom. Sg. Mask. seien: 3. Pers. Pl. Konj. I, Präs. eines: Gen. Sg. Neutr. manche: Nom. Pl. Mask. oder Fem. (je nachdem, ob Plural zu manche oder mancher glaubt) glaubten: 3. Pers. Pl. Ind. Prät. erfunden: Partizip II (Infinitum) schöner: Dat. Sg. Fem. Junggesellen: Dat. Pl. Mask. seinem: Dat. Sg. Mask. (zu ergänzen: Roman) Jahr: Dat. Sg. Neutr. Zahlen: Nom. Pl. Fem. entnehmen: Infinitiv (Infinitum) verzeichnet: 3. Pers. Sg. Ind. Präs. ihnen: Dat. Pl. Mask. (da Bezug auf (der) Charakter) 2. Pluralbildung die PKW (s): Pluraltyp 5 oder 3, Regel g): Kurzwörter bilden ihren Plural auf -s; bei den Initialwörtern kann die Pluralkennzeichnung auch entfallen. die Päuschen: Pluraltyp 3, Regel d): Neutra auf -chen und -lein haben endungslose Plurale. die Kuchen: Pluraltyp 3, Regel d): Maskulina auf -en bilden endungslose Plurale. Es handelt sich bei Kuchen nicht um ein diminutives Neutrum auf -chen. die Sonnen: Pluraltyp 2, Regel c): die meisten Feminina (und Maskulina) auf -e bilden den Plural auf -n. 315 III. Flexion die Kunden: Pluraltyp 2, Regel c): die meisten (Feminina und) Maskulina auf -e bilden den Plural auf -n. die Kinos: Pluraltyp 5, Regel g): Wörter, die auf Vokal-- außer -e-- enden, bilden ihren Plural mit -s. die Körner: Pluraltyp 4, Regel a): Umlautfähige Stammvokale (hier: o) werden in den Pluraltypen 1, 3 und 4 umgelautet. Regel e): Plurale auf -er finden sich vor allem bei einsilbigen Neutra (vgl. das Korn). die Anfänge: Pluraltyp 1, Regel a): Umlautfähige Stammvokale (hier: a) werden in den Pluraltypen 1, 3 und 4 umgelautet. Ansonsten kann der e-Plural nicht erklärt werden (vgl. Regel b). die Spieler: Pluraltyp 3, Regel d): Maskulina auf -er bilden endungslose Plurale. 3. Adjektivendungen In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten (schwache Flexion, da definiter Artikel des vorangeht; Gen. Sg. Neutr.) Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller (starke Flexion, da Nullartikel; Nom. Sg. Mask.) Sonnenschein auf die mittagsstille (schwache Flexion, da definiter Artikel die steht; Akk. Sg. Fem.) Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter (starke Flexion, da indefiniter Artikel ein endungslos ist; Nom. Sg. Mask.) Seitenflügel einen breiten (schwache Flexion, da hier der indefinite Artikel einen bereits die entsprechende Kasusendung trägt; Akk. Sg. Mask.) Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten (schwache Flexion, da hier der indefinite Artikel einen bereits die entsprechende Kasusendung trägt; Akk. Sg. Mask.) Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes (starke Flexion, da indefiniter Artikel ein endungslos ist; Akk. Sg. Neutr.)-(…) Rondell warf. 4. Partizip- II -Bildung angeklagt(er) Partizip II zu anklagen: schwaches Verb: Endung- -t, trennbarer Verbzusatz: -gesteht im Wortinneren eingesperrt Partizip II zu einsperren: siehe anklagen angestellt Partizip II zu anstellen: siehe anklagen entfernt Partizip II zu entfernen: schwaches Verb: Endung--t, (nicht trennbares) Präfix: Verbzusatz geentfällt 316 Lösungsvorschläge befunden Partizip II zu befinden: starkes Verb: Endung--en, (nicht trennbares) Präfix: Verbzusatz geentfällt gewarnt Partizip II zu warnen: schwaches Verb: Endung--t, kein Verbzusatz oder Präfix: gesteht am Wortanfang verraten Partizip II zu verraten: starkes Verb: Endung- -en, (nicht trennbares) Präfix: Verbzusatz geentfällt worden Partizp II zu werden: starkes Verb: Endung -en, geentfällt, wenn werden Hilfsverb ist (Ausnahme) 5. Akt- und Sprechzeit a. In zwei Tagen werden die Studenten ihr Examen schreiben. Aktzeit nach Sprechzeit b. Vor zwei Tagen haben die Studenten ihr Examen geschrieben. Aktzeit vor Sprechzeit c. Jetzt schreiben die Studenten ihr Examen. Aktzeit-= Sprechzeit d. Seit zwei Monaten lernen die Studenten auf ihr Examen. Aktzeit vor, während (und wahrscheinlich auch nach) Sprechzeit. 6. Indirekte Rede Der Bundesverkehrsminister sagt, dass sie stolz sein könnten auf ihren Erfolg. Das neue LKW -Mautsystem funktioniere in einem Probelauf reibungslos. Er sei froh, dass sich alle negativen Prognosen zu seinem Start nun doch nicht bewahrheitet hätten. Auch wenn es anfangs Probleme gegeben habe, würde er jederzeit wieder für ein solches elektronisches System stimmen. Die Bürger würden sehen, dass diese Neuerung viel Geld einbringen werde, das in eine Verbesserung der Infrastruktur investiert werden könne. IV. Wortbildung 1. Morphemklassifikation {das} freies grammatisches Morphem; {zauber} freies (lexikalisches) Basismorphem; {wort} freies (lexikalisches) Basismorphem; 317 IV. Wortbildung {ab} freies grammatisches Morphem; {ein-} gebundenes grammatisches Morphem, Wortbildungsmorphem (Präfixoid); {führ-} gebundenes (lexikalisches) Basismorphem; {-ung} gebundenes grammatisches Morphem, Wortbildungsmorphem (Suffix); {des} freies grammatisches Morphem; büch- Allomorph zu {buch} freies (lexikalisches) Basismorphem; {-er} Fugenelement, entspricht dem gebundenen grammatischen Morphem, Flexionsmorphem (Pl. Neutr.); {geld} freies (lexikalisches) Basismorphem; {-es} gebundenes grammatisches Morphem, Flexionsmorphem (Gen. Sg. Neutr.); {heiß-} gebundenes (lexikalisches) Basismorphem; {-t} gebundenes grammatisches Morphem, Flexionsmorphem (3. Pers. Sg. Ind. Präs.); {mit-} gebundenes grammatisches Morphem, Wortbildungsmorphem (Präfixoid); {be-} gebundenes grammatisches Morphem, Wortbildungsmorphem (Präfix); {stimm-} gebundenes (lexikalisches) Basismorphem (zum Verb stimmen, da beverbales Präfix); {-ung} gebundenes grammatisches Morphem, Wortbildungsmorphem (Suffix). 2. Motivation Fußnagel: teilmotiviert, metaphorisches Zweitglied Schreibtisch: vollmotiviert Damhirsch: teilmotiviert mit unikalem Erstglied Ohrfeige: idiomatisiert 3. Segment -er Beide -er in Ermittler sind Wortbildungsmorpheme (Präfix bzw. Suffix). -er in vier ist auch kein Morphem; e ist ein grafisches Zeichen, das die Länge des vorangehenden Vokals anzeigt, r ist ein separater Laut. -er in Verletzungen ist kein Morphem, sondern gehört zum Präfix ver-. -er in gestiefelter ist ein Flexionsmorphem (Nom. Sg. Mask.). -er in erklärte ist ein Präfix und somit ein Wortbildungsmorphem. -er in Polizeisprecher ist ein Suffix und somit ein Wortbildungsmorphem. 318 Lösungsvorschläge 4. Paraphrasen Für die Paraphrase ist der Nominativ Singular bzw. der Infinitiv zu bilden, d. h., das Flexionsmorphem (z. B. Plural) muss zunächst abgetrennt werden. ▶ Polizeihunde: Paraphrase zu Polizeihund: ‚Hund für die Polizei‘ ▶ vermeiden: intensiviertes, verstärktes Meiden ▶ eingesetzt: Paraphrase zu einsetzen: wörtlich ‚in etwas (hinein)setzen‘ (räumliche Differenzierung, Richtung) ▶ Polizeisprecher: ‚Sprecher der Polizei‘ ▶ häufig: ‚Eigenschaft in Haufen vorhanden zu sein‘ (tendenziell demotiviert) ▶ Tatort: ‚Ort der Tat‘ 5. Vollständige Wortbildungsanalyse rutschfesten rutschfest 1 {-en} FM: Nom. Pl. Mask. {rutsch-} BM, geb. {fest} BM, frei 1) Paraphrase: ‚fest gegenüber dem Rutschen‘, ‚fest, um nicht zu rutschen‘, Adjektiv; Determinativkompositum aus einem Verbstamm und einem Adjektiv Verletzungen Verletzung 1 {-en} FM: Akk. Pl. Fem. verletz- 2 {-ung} WBM: Suffix {ver-} WBM: Präfix {letz-} Pseudomorphem, geb. 1) Paraphrase: ‚Ergebnis des Verletzens‘ (Nomen acti), Substantiv; deverbale Suffixbildung (explizite Ableitung) 319 IV. Wortbildung 2) Paraphrase: Hier ist nur noch eine formale Trennung möglich, da wir (oder die meisten von uns) das Wort letz(en) nicht mehr kennen (Pseudomorphem). Es bedeutet ‚(sich) erquicken, laben‘ und wird neuhochdeutsch nur noch literarisch verwendet.Verb; deverbale Präfixbildung (explizite Ableitung) Ermittler Ermittler 1 Ø-Allomorph Gen. Pl. Mask. ermittl- 2 {-er} WBM: Suffix {er-} WBM: Präfix {mittl-} Pseudomorphem, geb. 1) Paraphrase: ‚jemand, der ermittelt‘ (Nomen agentis), Substantiv; deverbale Suffixbildung (explizite Ableitung) 2) Paraphrase: Hier ist nur noch eine formale Trennung möglich, da das Verb ermitteln semantisch nicht mehr mit dem Wort mittel(n) ‚in zwei Hälften teilen‘ in Verbindung gebracht werden kann (Pseudomorphem). Verb; deverbale Präfixbildung (explizite Ableitung) Einbrüchen Einbrüch- 1 {-en} → FM: Dat. Pl. Mask. einbrech- 2 {ein-} WBM: Präfixoid (trennbarer Verbzusatz) {brech-} BM, geb. 1) Paraphrase: ‚Ergebnis des Einbrechens‘ Substantiv; deverbale implizite Ableitung 2) Paraphrase: ‚nach innen brechen‘-- ein gibt eine Richtung an (lokal), Verb; Unfeste Verbbildung mit Präfixoid (trennbarer Verbzusatz) 320 Lösungsvorschläge 6. Wortbildungsanalytische Besonderheiten von gestiefelt(er) und vorgestellt gestiefelt(er): Zu beachten ist, dass es sich bei {ge-…-t} sowohl um ein Wortbildungsmorphem (Zirkumfix) als auch um ein Flexionsmorphem zur Bildung des Partizips II handeln kann. Für die zuletzt genannte Möglichkeit spricht, dass es das Verb stiefeln gibt. Bildet man jedoch eine Paraphrase, liegt die Lösung eines substantivischen Basismorphems näher: ‚versehen mit Stiefeln‘ (vgl. parallele Bildungen wie gestreift ‚versehen mit Streifen‘ oder gerippt ‚versehen mit Rippen‘). In unserem Fall ist {ge-…-t} also ein Wortbildungsmorphem. vorgestellt: vorgestellt ist zunächst das Partizip II zum Verb vorstellen. {ge…t} ist also ein Flexionsmorphem. Die Bedeutung des Verbs vorstellen ist ‚nach vorn stellen, bekannt machen‘ (Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen). Die zuerst genannte, wörtliche Bedeutung entspricht der Wortbildungsparaphrase, stimmt aber nicht exakt mit dem Gemeinten überein (‚bekannt machen‘). Das heißt, die Paraphrase liefert semantisch nicht die hier vorliegende Bedeutung. V. Sprache und Sprechen 1. Index, Ikon, Symbol a. ‚Rauchen verboten‘ (roter Kreis mit durchgestrichener Zigarette), vorwiegend ikonisch (Zigarette; rote Farbe hat die Bedeutung ‚Vorsicht, Achtung‘ vgl. Blut / Feuer), symbolisch ist der Kreis in der Bedeutung ‚Gebot / Verbot‘. b. Symbol c. Ikon d. Index 2. Textproben a. geschriebene Standardsprache (Zeitungsbericht); die standardsprachlichen Normen für Grammatik und Rechtschreibung sind eingehalten. 321 V. Sprache und Sprechen b. Dialekt: Mittelbairisch aus Ulbering, Krs. Pfarrkirchen; Besonderheiten hinsichtlich Phonetik / Phonologie (z. B. l-Vokalisierung: Schui ‚Schule‘; hoib ‚halb‘, èif ‚elf ‘), Lexik (z. B. Ruggngweh ‚Rückenschmerzen‘), Morphologie (z. B. ham mer geschlågn worn statt sind wir geschlagen worden für das Passiv) und Syntax (z. B. andere Präposition: bei dereim Freilein gånge statt zu diesem Fräulein gegangen). c. Jugendsprache der 1980er Jahre. Heute findet man einige der Wörter / Formulierungen in der Umgangssprache, z. B. vor der Glotze hocken. d. Fachsprache der Technik; Besonderheiten hinsichtlich Lexik (Fremdwörter und Fachwortschatz, z. B. Gray Component Replacement, Unbuntanteile, Cyan, Magenta, Schwarzauszug) und Syntax (wenige Satzmuster, z. B. viele Passivsätze mit demselben Verb ersetzen, Sätze mit Relativsätzen). e. Sondersprache: Rotwelsch „Auflösung“: A: „Was überlegst du? “- - B: „Ich habe mein Geld verputzt und der verdorbenen Frau kann man nicht genug zahlen“-- A: „Dabei ist die Suppe ganz wässrig.“-- B: „Aber das Kirschwasser ist gut.“-- A: „Pass auf! Der Knecht kommt herein. Er hat uns schon bemerkt.“-- B: „Der Wirt hat keine Ahnung.“ f. Ursprünglich Idiolekte der Komiker Erkan und Stefan; diese wurden von Jugendlichen imitiert und damit zu einer jugendsprachlichen Varietät. 3. Elemente gesprochener Sprache gleichzeitig Elemente der Umgangssprache: ▶ Lexik: Rotzern, „Negerkanal“ (als wörtliche, gesprochene Äußerung gekennzeichnet) ▶ Satzbau: unvollständige Sätze (Daß du glaubst: Bombenentschärfung), weil als Konjunktion (mit Verbzweitstellung) anstelle einer Subjunktion (mit Verbendstellung) verwendet (weil, das ist ein altes Radio gewesen, Weil den hat er sich-…), standardsprachlich stünde ein vorangestellter Genitiv anstelle des präpositionalen Attributs: der kleine Finger vom Lift Lois-- Lift Lois’ kleiner Finger ▶ Flexion: Verwendung des Perfekts (und nicht des Präteritums) als Erzähltempus (…-hat-… eingestellt, hat-… gesagt usw.); oberdeutsch: ist gestanden statt: hat gestanden: -… daß der kleine Finger vom Lift Lois wie ein dürrer Ast weggestanden ist. 322 Lösungsvorschläge ▶ außerdem: persönliche Ansprache des Lesers: …-findest du nicht leicht-… ▶ Kommentare des Schreibers: und natürlich (Gesprächspartikel) VI. Semantik 1. Wortfeld und Semanalyse zu „Gewässer“ Wortfeld: Bach, Teich, Fluss, See, Kanal, Meer, Pfütze Das Wortfeld ist nicht vollständig, Sie können weitere Wörter dazu finden. Semanalyse: Seme → Gewässer ↓ ‚enthält Wasser‘ ‚fließend‘ ‚schiffbar‘ ‚natürlich‘ ‚groß‘ ‚mit Süßwasser‘ Bach + + - + - + Teich + - - - - + Fluss + + + + + + See + - + + + + Kanal + + + - - - / + Meer + - + + + - Pfütze + - - + - + Archisem: ‚enthält Wasser‘ 2. Bedeutungsrelationen a. Mehr- - Meer: Homonymie: Homophonie (‚Zuwachs‘- - ‚Gewässer‘); die Wörter klingen gleich, werden aber unterschiedlich geschrieben und ihre Bedeutungen hängen nicht zusammen. b. Esel-- Esel: Polysemie (‚Idiot‘-- ‚Tier‘) durch metaphorische Übertragung (wie ein Esel). Es handelt sich um ein Wort mit mehreren Bedeutungen. c. Heirat- - Eheschließung: Synonymie: Die beiden Wörter haben dieselbe Bedeutung. 323 VI. Semantik d. Tor-- Tor: Homonymie (‚große Tür / Einfahrt‘-- ‚einfältiger Mensch‘), die Wörter lauten gleich und werden gleich geschrieben, ihre Bedeutungen hängen jedoch nicht zusammen. e. Feuer-- Wasser: Antonymie; die beiden Wörter zeigen einen Bedeutungsgegensatz. f. Katze- - Tier: Hyponym- - Hyperonym: Es handelt sich um Unter- und Oberbegriff. g. weiß-- weiß: Homonymie (‚Farbe‘-- ‚informiert sein / im Gedächtnis haben‘) (siehe d). h. tun-- machen: Synonymie (siehe c). i. Tenor- - Tenor: Homonymie; Homographie (‚Sänger‘- - ‚Grundgedanke‘). Die beiden Wörter werden gleich geschrieben, lauten aber unterschiedlich (Betonung) und haben unterschiedliche Bedeutungen. j. Pferd- - Pferd: Polysemie (‚Tier‘- - ‚Schachfigur‘). Es handelt sich um ein Wort mit mehreren Bedeutungen. k. Mutter-- Mutter: Homonymie (‚weiblicher Elternteil‘-- ‚Gegenstück einer Schraube‘) (siehe d). 3. Bedeutungen von abschneiden abschneiden 1 : ‚ein gutes Ergebnis erzielen‘, z. B. Ich habe in der Prüfung gut abgeschnitten. abschneiden 2 : ‚etwas von etwas trennen‘, z. B. Die Hose ist zu lang, du musst sie abschneiden lassen! Zumindest auf synchroner Ebene lässt sich kein gemeinsames semantisches Merkmal feststellen, d. h., es liegt Homonymie vor: Zwei Wörter haben bei gleicher Schreibung und Lautung unterschiedliche Bedeutungen. 4. Denotation, Konnotation, Assoziation Gesundheitsapostel: Denotation: ‚Verfechter gesunder Lebensweise‘, Konnotation: negativ; Assoziation: lebt asketisch, freudlos, gönnt sich nichts. Ernährungsexperte: Denotation: ‚Wissenschaftler, der sich mit dem Thema Ernährung / Essen beschäftigt‘ bzw. ‚jemand, der beruflich andere über Ernährung aufklärt, berät‘, 324 Lösungsvorschläge Konnotation: positiv; Assoziation: Fachmann mit Wissen über Ernährung, kennt sich aus, man kann sich auf seine Meinung verlassen. Völlerei: Denotation: ‚übermäßiges, ungezügeltes Essen‘; Konnotation: negativ; Assoziation: Vorgang, bei dem man unvernünftig viel zu viel isst und weder auf das Sättigungsgefühl noch auf gesundes Essen achtet. 5. Bedeutungswandel a. Bedeutungsverengung b. Bedeutungsverbesserung c. Bedeutungserweiterung d. Bedeutungsverschlechterung VII. Phonologie und Phonetik 1. Minimalpaare? a. Nein, es kommt ein Laut [t] hinzu. b. Ja, [r] wird durch [t] ersetzt. c. Ja, durch die Auslautverhärtung von <d> zu [t] wird nur der Laut [f] gegen [v] ausgetauscht. d. Nein, kein lautlicher Unterschied, beide Male [ fɛlt ] (vgl. Auslautverhärtung). e. Ja, [x] wird durch [ ʃ ] ersetzt. f. Nein, zwei Laute [k], [l] werden durch einen Laut [f] ersetzt. g. Ja, langes [i: ] wird durch kurzes [i] ersetzt. h. Nein, die Positionen der beiden Laute [r] und [m] werden getauscht. 2. Phonemnachweis Nachweis am Wort selbst durch Minimalpaare: ▶ für / f/ : Fass-- dass, Fass-- Bass, Fass-- Hass usw.; 325 VII. Phonologie und Phonetik ▶ für / a/ : Fass-- Fis, Fass-- FOS (Fachoberschule), auch: Fass-- Fuß: bei gleicher lautlicher Umgebung wird eine Opposition zwischen kurzem / a/ und langem / u: / aufgezeigt; ▶ für / s/ : Fass-- Fall, Fass-- fang usw. Der Phonemcharakter der drei Laute kann natürlich auch an anderen Minimalpaaren nachgewiesen werden, z. B. Bass- - Bus für den Phonemstatus von / a/ , fällen-- bellen für / f/ oder reißen-- reisen für / s/ . 3. Artikulatorische Merkmale / d/ und / t/ sind beide dental / alveolare Explosiva. Sie unterscheiden sich in der Stimmbeteiligung: / d/ ist stimmhaft, / t/ stimmlos. 4. Lautreihen a. [l] passt nicht-- alle anderen Laute werden an demselben Artikulationsort (bilabial) gebildet. b. [ç] passt nicht-- alle anderen Laute werden auf dieselbe Artikulationsart (Affrikata) gebildet. c. [h] passt nicht-- alle anderen Laute werden auf dieselbe Artikulationsart (Nasale) gebildet. d. [g] passt nicht-- alle anderen Laute werden an demselben Artikulationsort (dental / alveolar) gebildet. 5. Artikulationsart und -ort Genesung: / g/ : velarer, stimmhafter Explosiv, / n/ : dental / alveolarer Nasal, / z/ : dental / alveolarer, stimmhafter Frikativ, / ŋ / : velarer Nasal 6. Lautschrift Häufchen [ 'hɔ̮ yfçən ], Stickerei [ ʃtɪkə'ra̮ i ], versprechen [ fɛ ̯ ɐ'ʃprɛçən ], Wirsing [ 'vɪrzɪŋ ], ziemlich [ 't ̯ si: mlɪç ], Nordpol [ 'nɔrtpo: l ] (nach Duden: Aussprachewörterbuch, 7. Aufl. 2015) 326 Lösungsvorschläge VIII. Graphemik 1. Verhältnis Lautung-Schreibung Phonem Graphem Besonderheiten der Phonem-Graphem-Korrespondenz eine / a͜i / <ei> Ein Phonem wird durch eine Buchstabenverbindung wiedergegeben; weitere Allographe sind <ai>, <eih>, <ay>. Außerdem sind als Allographe stets auch die entsprechenden Großschreibungen möglich, die im Folgenden jedoch nicht jeweils aufgeführt werden. / n/ <n> Das Phonem / n/ kann neben der Einfachschreibung im Silbenauslaut auch durch Doppelschreibung <nn> wiedergegeben werden, welche dann eine vorausgehende Vokalkürze bezeichnet. <n> kann auch / ŋ/ bezeichnen, z. B. in Enkel. / ə / <e> Das Graph <e> kann sich auch auf andere Phoneme beziehen, z. B. / ɛ / oder / e: / wissenschaftliche / ʋ / <w> Das Phonem / ʋ / kann auch durch das Allograph <v> (vgl. Vase) wiedergegeben werden. / i/ <i> <i> kann auch den Langvokal / i: / bezeichnen, z. B. Bibel. / s/ <ss> Das Phonem / s/ (stimmloses s) kann auch durch die Allographe <s> oder <ß> wiedergegeben werden. Wegen des vorausgehenden Kurzvokals wird hier <ss> geschrieben. / ə / <e> s. o. / n/ <n> s. o. / ʃ / <sch> Ein Phonem wird durch eine Buchstabenverbindung wiedergegeben. Im Wort- oder Silbenanlaut vor p und t existiert <s> als (stellungsbedingtes) Allograph. / a/ <a> <a> kann auch den Langvokal / a: / bezeichnen, z. B. Gabe. / f/ <f> Das Phonem / f/ kann auch durch das Allograph <v> (vgl. Vater) wiedergegeben werden. / t/ <t> Das Phonem / t/ kann neben der Einfachschreibung im Silbenauslaut auch durch Doppelschreibung <tt> wiedergegeben werden, welche dann eine vorausgehende Vokalkürze bezeichnet. / l/ <l> vgl. Ausführungen analog zu / t/ 327 VIII. Graphemik Phonem Graphem Besonderheiten der Phonem-Graphem-Korrespondenz / i/ <i> s. o. [ ç ] <ch> Ein Graphem steht für zwei komplementär verteilte Allophone: ich- und ach-Laut. Hier: ich-Laut. / ə / <e> s. o. Empfehlung / ɛ / <E> Im Deutschen werden Substantive stets groß geschrieben (grammatisches Prinzip). Das Graph <e> kann sich auch auf andere Phoneme beziehen, z. B. / e: / oder / ə / . / m/ <m> vgl. Ausführungen analog zu / t/ / p͜f / <pf> Ein Phonem (Affrikate) wird durch eine Buchstabenverbindung wiedergegeben. / e: / <eh> Die Vokallänge ist durch ein Dehnungs-h gekennzeichnet. Das Graph <e> kann sich auch auf andere Phoneme beziehen, z. B. / ɛ / oder / ə / . / l/ <l> vgl. Ausführungen analog zu / t/ / u/ <u> <u> kann auch den Langvokal / u: / bezeichnen, z. B. suchen. / ŋ / <ng> Ein Phonem wird durch eine Buchstabenverbindung wiedergegeben. <ng> ist ein stellungsbedingtes Allograph, da <n> (vor k) ebenfalls das Phonem / ŋ / wiedergeben kann (vgl. Enkel). 2. Fremdwörter Da das Fremdwort Chor keine fremden Laute besitzt, ist es nur auffällig hinsichtlich seiner Schreibung <Ch> für [k]. Fotografie ist hinsichtlich Lautung und Schreibung vollständig integriert. Die ältere Schreibung Photographie weist hingegen das besondere Graphem <ph> für das Phonem / f/ auf. Bei Sabotage liegt eine Mischung zwischen Leseaussprache (das e wird im Gegensatz zum Französischen zumindest als Schwa-Laut gesprochen) und fremdsprachlicher Aussprache (der stimmhafte palatale Frikativ [ Ʒ ] existiert im deutschen Kernwortschatz nicht) vor. In der Schreibung gibt es (außer der Großschreibung aller Substantive im Deutschen) keine Veränderung. 328 Lösungsvorschläge Das Wort Intrige wurde sowohl hinsichtlich seiner Lautung (e wird als Schwa- Laut realisiert) als auch seiner Schreibung (Wegfall des u) an das deutsche Sprachsystem angepasst. 3. e und h In folgenden Fällen sind e und h nur Buchstaben (grafischer Charakter) und keine eigenständigen Phoneme: ▶ e und h sind Dehnungszeichen und damit Teile eines Graphems; sie zeigen in der Schrift an, dass ein Langvokal vorliegt: Die, wieder, sehr ▶ e und h sind Teile eines Graphems ohne eigene Funktion: Hochwasserlage, sich, heute, glücklicherweise, schnell Schwierig: Hochwasserlage, glücklicherweise, wieder: Da <er> für den Laut [ ɐ ] steht (laut Duden-Ausprachewörterbuch), kann <e> allein kein Graphem sein. In folgenden Fällen sind e und h Grapheme (denn sie sind die grafische Realisierung eines Phonems): ▶ durch <h> wird das Phonem / h/ wiedergegeben: Hochwasserlage, hat, heute (vgl. Minimalpaar: hat-- matt) ▶ <e> steht für das Phonem / ə / : Hochwasserlage, heute, glücklicherweise (vgl. Minimalpaar: suche-- sucht) ▶ <e> steht für das Phonem / ɛ / : schnell, entspannt (vgl. Minimalpaar schellen-- schälen) ▶ <e> steht für das Phonem / e: / : sehr (vgl. Minimalpaar Eber-- aber) 4. Graph-<e> <e> 1 : / e/ Generation <e> 2 : / e: / der, lebt <e> 3 : / ɛ / Mensch <e> 4 : / ə / eine, Generation, Blume, einen In den Wörtern eine, die und einen ist das e nur Teil eines Graphems. 329 IX. Pragmatik 5. Phonem / s/ <ss> Wasser, lasse; es geht ein Kurzvokal [a] voraus / s/ <ß> Fuß; es geht ein Langvokal [u: ] voraus. <s> heraus; nach Diphthong könnte auch <ß> stehen <s> in sieht ist ein stimmhaftes s und gehört demnach zum Phonem / z/ und nicht / s/ ! 6. Rechtschreibprinzipien a. Stammprinzip b. Lexikalisch-semantisches Prinzip: Homonymenscheidung c. Silbisches Prinzip auf synchroner Ebene (hof-fen)- - morphologisches Prinzip (hoffst) d. Herkunftsprinzip IX. Pragmatik 1. Performative Verben? Ja: Ich bekräftige hiermit, dass ich die Wahrheit gesagt habe. Ich erlaube dir hiermit, dein Zimmer zu verlassen. Ich stelle hiermit fest, dass du wieder dein Zimmer nicht aufgeräumt hast. Ich stimme hiermit zu, dass mein Haus verkauft werden darf. Nein: *Ich trauere hiermit um meinen besten Freund. *Ich rauche hiermit eine Zigarette. *Ich stimme dich hiermit um. 330 Lösungsvorschläge 2. Klassifikation des Sprechakts Der Hund beißt! Es kann sich um eine mitteilung (reine Informationsvermittlung, z. B. bei einem Gespräch zwischen zwei Hundehaltern), eine feststellung (z. B. wenn ein Hundehalter einen neuen Hund hat und dieser erstmals jemanden gebissen hat.), eine warnung (z. B. wenn der Hundehalter nicht möchte, dass jemand gebissen wird) oder eine drohung (z. B. wenn der Hundehalter nicht möchte, dass jemand näher kommt) handeln. An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig der jeweilige Kontext für die Bestimmung ist. Zudem sind bei Äußerungen, die auf so vielfältige Weise interpretiert werden können, auch Missverständnisse möglich bzw. die Kommunikation kann misslingen (wenn die Illokution nicht zur Perlokution passt). 3. Illokutionsstrukturen a. feststellen- - auffordern (indirekter Sprechakt)- - auffordern (indirekter Sprechakt). Die dominierende Sprechhandlung ist es, den Hörer aufzufordern (in Zukunft etwas zu tun). Diese wird- - um der Sprechhandlung besonderen Nachdruck zu verleihen- - in zwei Varianten indirekt formuliert (koordiniert). Der zweite Sprechakt ist dabei nur grammatikalisch eine Entscheidungsfrage. Es wird nämlich keine Antwort erwartet, sondern ein entsprechendes Handeln. Der erste Sprechakt begründet die Aufforderung. b. fragen- - informieren- - informieren. Die dominierende Sprechhandlung ist informieren. Die Frage ist hier wahrscheinlich als rhetorische Frage angelegt, auf die keine Antwort erwartet wird. Sie ist dem zweiten Sprechakt, dem informieren, untergeordnet, ebenso wie der dritte Sprechakt, der den zweiten spezifiziert. 4. Sprechaktklassifikation Repräsentativa: berichten, mitteilen Direktiva: erlauben, raten Kommissiva: vereinbaren, garantieren Expressiva: beglückwünschen, klagen Deklarativa: ernennen, entlassen 331 IX. Pragmatik 5. Indirekte Sprechakte des Aufforderns a. Fragesatz, genauer: Entscheidungsfrage. Das Negationsadverb nicht wird verwendet, um eine positive Antwort (genauer: eine entsprechende Handlung) zu erhalten; denn ist eine Abtönungspartikel, die eine Anteilnahme des Sprechers ausdrücken soll. b. Aussagesatz. Das Verb sich wundern bedeutet hier so viel wie ‚sich zweifelnd fragen‘. Damit hat dieser Aussagesatz eine ähnliche Bedeutung wie ein Fragesatz. c. Aussagesatz. Mit dem Modalverb können will der Sprecher dem Adressaten vermitteln, dass er die Gelegenheit hat, etwas zu bewirken. Die Abtönungspartikel doch verstärkt das Gesagte. d. Aussagesatz. Durch das Modalverb sollte erhält die Aufforderung eher den Charakter eines Rats oder einer Empfehlung. e. Aussagesatz. Hier macht der Sprecher deutlich, welches Gefühl er dem Hörer entgegenbrächte, wenn dieser der Aufforderung nachkommen würde (wäre…dankbar). f. Aussagesatz. Das performative Verb raten wird verwendet. Allerdings ist es fraglich, ob es sich wirklich um einen Rat handelt oder nicht vielmehr um eine Drohung. Sicherlich sind indirekt formulierte Handlungsaufforderungen schwerer zu „entschlüsseln“ als direkte, jedoch kann bei direkten Sprechakten das Risiko größer sein, dass der Aufforderung nicht nachgekommen wird. Die Aufforderung wird eventuell nicht akzeptiert, da kein Handlungsspielraum offen gelassen wird. Zudem wird bei indirekten Sprechakten auf Formen der Höflichkeit / der Hierarchie der Sprecher (wer ist wem weisungsbefugt? ) Rücksicht genommen. 6. Konversationsmaximen a. Die Maxime der Qualität (Versuche deinen Gesprächsbeitrag so zu machen, dass er wahr ist.) ist (scheinbar) verletzt. Dies kann jedoch durch die Ironie in der Antwort geklärt werden. Hier ist das Gegenteil der wörtlichen Bedeutung (vgl. schöne Bescherung im Kontext von Weihnachten) gemeint. b. Die Maxime der Relation (Sei relevant.) ist verletzt. Die Gegenfrage kann aber in diesem Kontext durchaus als höflicher Smalltalk ver- 332 Lösungsvorschläge standen sein. Nach einem (kurzen) Austausch muss dann aber in jedem Fall die konkrete Auskunft erfolgen. 7. Präsuppositionstyp a. Peter gibt vor, ein exzellenter Chirurg zu sein. >> Peter ist kein exzellenter Chirurg. (nicht-faktiv) b. Ich bereue, dass ich dich gestern einen Idioten genannt habe. >> Ich habe dich gestern einen Idioten genannt. (faktiv) c. Die Königin von England heißt Elisabeth. >> Die Königin von England existiert. (existentiell) d. Ich träume davon, König von Deutschland zu sein. >> Ich bin nicht König von Deutschland. (nicht-faktiv) 8. Konversationelle Implikatur oder konventionelle Implikatur? a. Konventionelle Implikatur (lexikalisches Merkmal: Fokuspartikel / Adverb lediglich); impliziert konventionell: +> Alle anderen kommen pünktlich. b. Konversationelle Implikatur. Z. B. Test 3: Implikaturen sind bekräftigbar: Geh doch zum Bahnhof, dort findest du eine Buchhandlung. c. Konversationelle Implikatur. Z. B. Test 1: Implikaturen sind annullierbar: Er war stets bemüht, die Aufgaben zu lösen, und in den meisten Fällen gelang ihm das auch. d. Konventionelle Implikatur (lexikalisches Merkmal: resultatives Verb (aufwachen)); impliziert konventionell: +> Das Baby hat vorher geschlafen. e. Konversationelle Implikatur. Z. B. Test 3: Implikaturen sind bekräftigbar: Andrea ging in das Einkaufzentrum und kaufte dort in einem kleinen Laden im 1. Stock einen Mantel. f. Konventionelle Implikatur; lexikalisches Merkmal: Bewirkungsverb halbieren; impliziert konventionell: +> Der Apfel war vorher ganz. g. Konversationelle Implikatur. Z. B. Test 3: Implikaturen sind bekräftigbar: Caroline und Jonas gingen zusammen ins Theater. 333 IX. Pragmatik 9. Konventionelle Implikatur oder Präsupposition? a. Ich verstehe, dass du unter diesen Umständen nicht mit zur Party kommen wirst. Negationstest: Ich verstehe nicht, dass du unter diesen Umständen nicht mit zur Party kommen wirst. >> Du wirst unter diesen Umständen nicht mit zur Party kommen. (faktiver Präsuppositionstyp) b. Theo hat sich die Zeit genommen, alle Ballettaufführungen seiner Tochter zu besuchen. Negationstest: Theo hat sich nicht die Zeit genommen, alle Ballettaufführungen seiner Tochter zu besuchen. +> Theo hat nicht alle Ballettaufführungen seiner Tochter besucht. (konventionelle Implikatur) c. Es ist merkwürdig, dass Lena zu spät kommt. Negationstest: Es ist nicht merkwürdig, dass Lena zu spät kommt. >> Lena kommt zu spät. (faktiver Präsuppositionstyp) d. Pia hat es versäumt, das Angebot wahrzunehmen. Negationstest: Pia hat es nicht versäumt, das Angebot wahrzunehmen. +> Pia hat das Angebot wahrgenommen. (konventionelle Implikatur) e. Ben bildet sich ein, dass er der beste Läufer der Mannschaft ist. Negationstest: Ben bildet sich nicht ein, dass er der beste Läufer der Mannschaft ist. >> Ben ist nicht der beste Läufer der Mannschaft. (nicht-faktiver Präsuppositionstyp) f. Theo freut sich, dass morgen die Ferien beginnen. Negationstest: Theo freut sich nicht, dass morgen die Ferien beginnen. >> Die Ferien beginnen morgen. (faktiver Präsuppositionstyp) 10. Gesprächsanalyse a. Die Transkription ist in Teilen individuell lösbar, da die Original-Aufnahme nicht zur Verfügung steht. Überlegen Sie, wo Betonungen (Großschreibung) und (zusätzliche) Pausen inhaltlich sinnvoll sein könnten, z. B. Hmm (---) is grad so STRES sig die Woch. Denken Sie an den Transkriptionskopf. b. Eröffnungsphase: „A: Hallo Kathi“ bis „B: Mir auch.“; Kernphase: „A: Was machst denn am Donnerstag? “ bis „B: Ok, dann meld i mi am Donnerstag bei dir.“; Beendigungsphase: „A: Super, bis Donnerstag.“ bis „A: Tschau.“ 334 Lösungsvorschläge c. Hauptthema: ‚gemeinsamer Besuch einer Party durch A und B‘‚ Handlungsplan: ‚Ermittlung eines Ergebnisses (Zu-/ Absage) bezüglich des gemeinsamen Besuchs einer Party‘. d. Prinzip des Aushandelns: A: „Was machst denn am Donnerstag? “ [Initiative], B: „Weiß i no ned“ [Reaktion], A: „Da wär nämlich PäPsy-Party“ [Spezifizierung der Initiative], B: „Echt? Wer geht denn mit? “ [Reaktion], A: „Also Maria und Lisa sicher und der Peter vielleicht auch.“ [Reaktion / Beantwortung der Frage], B: Hmm, is grad so stressig die Woch.“ [Reaktion auf Initiative; Zögern (evtl. indirekte Absage) und darauf bezogene Begründung], A: „Wieso, was is denn ois los? “ [Reaktion; Frage], B: „Hab in letzter Zeit so viel arbeiten müssen und bin irgendwie zu nix kemma- …“ [Reaktion; Antwort], A: „Aber du warst scho so lang nimma mit uns unterwegs.“ [Reaktion; Einwand; Argumentation], B: „I überlegs mir no.“ [Reaktion; Meinungsänderung: Aufgeben der (ausschließlich) ablehnenden Haltung], A: „Ja komm mit! Wird sicher lustig! “ [Reaktion; Unterstützung der Meinungsänderung], B: „Ok, dann meld i mi am Donnerstag bei dir.“ [Ratifizierung / Übereinstimmung bestätigt] e. Beispiel für Gesprächssequenz: A: „Was machst denn am Donnerstag? “, B: „Weiß i no ned.“ (Frage-- Antwort / Reaktion) f. Drei Merkmale der gesprochenen Sprache: „Füllsel“ (hmm), Satzäquivalente (Ok), Abtönungspartikeln (was is denn ois los? ), Interjektionen / Ausrufe (im weiteren Sinne): Echt? , Super), lautliche Kontraktionen (nimma statt nicht mehr), Apokope (hab, meld); generell: dialektal / umgangssprachlicher Substandard X. Textgrammatik 1. Topiks (Referenzverhältnis, syntaktische Typen) a. Sarahs-- Sie: Referenzidentität, Pro-Substantiv (Pronomen), heterosyntaktisch: BA ist ein QSubstantiv im Genitiv (vorangestelltes Attribut), VA ist Nom-E. Sohn-- Jungen: lexikalischer Verweisausdruck mit Referenzidentität: Lexemsubstitution (Synonymie), heterosyntaktisch: BA ist Nom-E, VA ist Akk-E. 335 X. Textgrammatik b. Fabian und alle seine Freunde-- Die Kinder: lexikalischer Verweisausdruck mit Referenzidentität, Reverenzvereinigung, homosyntaktisch: Nom-E. c. Liegestuhl-- Stuhl: lexikalischer Verweisausdruck mit Referenzidentität, Lexemsubstitution (Hyper-/ Hyponymie, mit partieller Lexemidentität), homosyntaktisch: Nom-E. d. Länder-- Ägypten: lexikalischer Verweisausdruck ohne Referenzidentität, Referenzverkürzung, heterosyntaktisch: BA ist Akk-E, VA ist Nom-E. e. Erdbeeren, Äpfel, Pflaumen und Aprikosen-- Obstsorten: lexikalischer Verweisausdruck mit Referenzidentität, Reverenzvereinigung, homosyntaktisch: Akk-E. 2. Textsorte, Textfunktion / Absicht des Autors, Themenentfaltung Es handelt sich um eine Nachricht, einen Bericht mit der Funktion zu informieren. Die Themenentfaltung ist dementsprechend deskriptiv. 3. Isotopiebenenen Die Isotopieebene zum Klassem ‚gefährdet‘ beinhaltet folgende Sprachzeichen: „Rote Liste“ (Z. 1 und Z. 7), gefährdete (Z. 2), dramatisch (Z. 4), ausgestorben (Z.-5), verschollen (Z. 5), bedroht (Z. 5), Überleben (Z. 6), Arten- und Individuenschwund (Z. 7). Anteil an der Isotopieebene haben also Substantive, Verben und Adjektive. 4. Referenzketten Zur Referenzkette gefährdete Tierarten gehören folgende Ausdrücke: ▶ gefährdete Tierarten (Z. 2): BA in der Überschrift, syntaktisch: Nom-E ▶ 16 000 heimische Tierarten (Z. 3): Partialität zwischen BA und VA , d. h. keine Referenzidentität, VA : totum pro parte; syntaktisch: VA : Akk-E ▶ die Hälfte der bayerischen Fauna (Z. 3 f.): Partialität zwischen BA und VA , d. h. keine Referenzidentität, VA : totum pro parte; syntaktisch: VA : Präd- Nom ▶ 40 Prozent (Z. 4): VA : kotextuelle Synonymie zu BA 336 Lösungsvorschläge ▶ der Hälfte der Tiere (Z. 5 f.): Partialität zwischen BA und VA , d. h. keine Referenzidentität, VA : pars pro toto; syntaktisch: Dativ-E ▶ die-… verschuldeten Probleme (Z. 9 f.): VA : kotextuelle Synonymie; syntaktisch: Akk-E 5. Konnektoren Konnektoren sind und (Z. 5), jedoch (Z. 7), und nicht zuletzt (Z. 8) sowie grafisch ein Doppelpunkt (Z. 4). ▶ Und nicht einmal der Hälfte der Tiere…-(Z. 5 f.): Syntaktisch isolierter Konnektor ohne Staupause am Satzbeginn; steht auf Position Ø; es handelt sich um eine Konjunktion. ▶ Sie stellt jedoch auch Tiere vor, die-… (Z. 8): Syntaktisch integrierter Konnektor innerhalb des Satzes, die Satzgliedstellung ändert sich nicht. Es handelt sich um ein adversatives Konjunktionaladverb. ▶ Und nicht zuletzt geht es um Projekte, mit denen-… (Z. 8 ff.): Syntaktisch integrierter Konnektor am Satzbeginn mit Inversion, d. h., die Satzgliedstellung ändert sich. Es handelt sich um eine Konjunktion und ein durch ein Adverb (nicht) attribuiertes Adverb (zuletzt). Interessant ist, dass die Einordnung des Konnektors am Adverb liegt, denn wäre nur das und vorhanden (Und es geht), gäbe es keine Inversion und es läge ein syntaktisch isolierter Konnektor ohne Staupause am Satzbeginn vor. 6. Textsorte, Textfunktion / Absicht des Autors Es handelt sich um einen Leserbrief, die Textfunktion ist auch hier zu informieren. Anders als z. B. bei der Nachricht kommt noch eine subjektiv-bewertende Einstellung dazu (z. B. ‚etwas richtig oder falsch / schlecht finden‘). Der Absender spricht in diesem Fall Leser an und die Journalisten der Zeitung, welche für den vorausgegangenen Artikel, auf den sich der Schreiber bezieht, verantwortlich sind (Mehrfachadressierung). 7. Isotopieebene ‚falsche Darstellung‘ Die Isotopieebene ‚falsche Darstellung‘ besteht aus den Ausdrücken verwechselt (Z. 1), erfunden (Z. 2), Verwechslung (Z. 3), zeigt-… nicht (Z. 5), ganz andere Frage (Z. 8). Es handelt sich um Verben und Substantive. Für die Erfassung des 337 XI. Stilistik Textes ist auch die Richtigstellung der Sachverhalte durch den Autor wichtig, die jedoch für sich das Klassem ‚falsche Darstellung‘ nicht enthalten. XI. Stilistik 1. Rhetorische Figuren a. Synekdoche-- ein Teil (Hände) steht für das Ganze (Menschen) (pars pro toto)-- und Antithese (paar-- tausend) b. Zeugma mit polysemem Verb wachsen (Blumen wachsen ‚gedeihen‘ vs. Gebühren und Steuern wachsen ‚steigen an‘), evtl. auch Klimax (Blumen, Gebühren, Steuern) c. Alliteration und substantivische Metaphern (es findet eine Jagd nur im übertragenen Sinne statt, ebenso hat hier keine Person Atemnot) d. Parallelismus und Ellipse (Die Schiffe wurden zerschmettert-…) e. Wortwiederholungen (Land- - Land, Dorf- - Dorf, für- - für) bei gleichzeitigem Parallelismus (phraseologische Paarformeln: Land für Land und Dorf für Dorf) f. Substantivische Metapher: Skispringer wird als Luftschiff bezeichnet g. Klimax h. Metonymie: räumliches Verhältnis: Uni Würzburg steht für Forscher der Uni Würzburg. 2. Lösungsvorschlag zur Stilanalyse in Stichwörtern Makrostilistik: Textausschnitt aus einem autobiografischen Prosatext von Viktor Klemperer. Thema: Beschreibung von Neapel Gliederung dieses Textausschnitts: 1. Einleitung (=- Hinführung zum Thema; eine Art Selbstgespräch bzw. fingierter Dialog mit dem Leser, vgl. Doch um es gleich zu sagen, Z. 1, und das Satzäqivalent Nein, Z. 5), 2. Beschreibung des Sturms (ab: Es war ein solches Brausen und Heulen-…, Z. 6 ff.) Erzählsituation: Ich-Erzählsituation (für autobiografische Texte textsortentypisch) Erzählweise: szenische Darstellung (sehr anschaulich und bildhaft, s. u.) Erzählhaltung: engagiert (emotional) 338 Lösungsvorschläge Da der Text bereits älter ist, könnte man evtl. einen Zeitstil erwarten, außerdem den Funktionalstil der „schönen Literatur“ (dazu mehr unter Mikrostilistik). Mikrostilistik ▶ Satzstilistik: Bis auf den Satz Die Wogen-… hinein (Z. 10 f.) liegen nur komplexe Sätze vor, in zwei Fällen sind Hauptsätze asyndetisch aneinander gereiht (gleichzeitig: Parallelismus, s. u.: Es war ein solches Brausen-…, es war ein solcher Luftdruck, Z. 6 ff., und mit elliptischem finiten Verb und elliptischer Nom-E im zweiten Hauptsatz: Jeden Tag wurden- …, jeden Abend von neuem zerschlagen oder erstickt, Z. 18 f.). Tempus: im ersten Satz Perfekt (Funktion: das in der Vergangenheit Geschehene ist zum Sprechzeitpunkt noch relevant), dann Wechsel zu Präsens (Funktion: Relevanz zum Sprechzeitpunkt wird beschrieben), Beschreibung des Sturms im Präteritum (Funktion: typisches Erzähltempus der geschriebenen Sprache). ▶ Wortstilistik: Wahrnehmungsverben: sehe und höre, fühle und schmecke (Z. 5) Weiterer Wortschatz aus dem Bereich der Wahrnehmung: visuell: brannten (Z. 12), weißauffunkelnd (Z. 12), erloschen (Z. 15), erstickt (Z.-19) im Sinne von ‚auslöschen‘ akustisch: Brausen und Heulen (Z. 7), betäubten Ohren (Z. 8), Ruhe (Z. 8), klirrte (Z. 13), lautlos (Z. 15), das Brechen des Glases (Z. 16), das Rollen des Donners (Z. 16), das Schlagen der Türen (Z. 16), andere Einzelgeräusche (Z. 17), aus dem ständigen Lärm (Z. 17) haptisch: Luftdruck (Z. 9) gustatorisch: Salzgeschmack von den Lippen (Z. 8 f.) → Der Schwerpunkt der Sinneswahrnehmung liegt auf dem Hören. Sachbezirk „See / Meer“: Wogen (Z. 10), Ufer(brüstung) (Z. 11), das Largo (Z. 11), Wellen (Z. 12), Wassers (Z. 7) Sachbezirk „Sturm“: Sturm (Z. 6), Donners (Z. 16) Sachbezirk „Straße“: Straße (Z. 11), Laternen (Z. 12, Z. 18), Pflaster (Z. 13) 339 XI. Stilistik Insgesamt: gehobene Stilebene; Klemperer verwendet etwa sich etwas einprägen (Z. 2) statt merken, reproduzieren (Z. 4 f.) statt wiederherstellen, erlöschen (Z. 15) statt ausgehen oder neu instand setzen (Z. 18) statt erneuern. ▶ Lautstilistik: viele Onomatopoetika (Lautmalerei): Brausen (Z. 7), Heulen (Z. 7), schossen (Z.-12), klirrte (Z. 13), Brechen (Z. 16), Rollen (Z. 16) ▶ Stilfiguren (Auswahl): Metaphern: verbale Metaphern und gleichzeitig Personifikationen: der Sturm-… tobte (Z. 6), schossen die Wellen-… nach den Glühstrümpfen (Z. 12 f.) substantivische Metaphern: Theatervorhang (Z. 2 f.), (Glüh)Strümpfen (Z. 13, lexikalisiert) adjektivische Metapher: geleckten Bildern (Z. 4) Parallelismus mit Wortwiederholungen: Es war ein solches Brausen-…, es war ein solcher Luftdruck-… (Z. 6 ff.), Jeden Tag wurden die Laternen neu instand gesetzt, jeden Abend von neuem zerschlagen oder erstickt (Z. 18 f., hier außerdem: Antithese Tag-- Nacht) Parallele Attributstrukturen (einfache Genitivattribute): das Brechen des Glases, das Rollen des Donners, das Schlagen der Türen (Z. 16) Synekdoche: Wenn die Laternen brannten (Z. 11)-- eigentlich: die Glühstrümpfe (Ganzes-für-Teil-Relation / totum pro parte) Einbeziehung des Lesers: Übrigens (Z. 15), vgl. auch Anmerkung bei Makrostilistik (fingierter Dialog) Personifikation (siehe oben). ▶ Stilzüge: anschaulich und bildhaft (vgl. Onomatopoetika und Wortschatz aus dem Bereich der Sinneswahrnehmung), emotional (z. B. Satzäquivalent Nein, Z. 4), subjektiv (Ich-Erzähler), gehoben (vgl. Wortstilistik) ▶ Funktionalstil: Stil der „schönen Literatur“ (vgl. gehobene Stilebene); einen bestimmten Zeitstil kann man allerdings nicht feststellen. Lediglich die Sachverhalte-- Glühstrümpfe werden heute nicht mehr für die Straßenbeleuchtung verwendet- - lassen erkennen, dass der Text älter sein muss. 340 Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden-- Die Grammatik. 4., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag: Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich 1984. Seite 635. Abb. 2 Karl Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. 2., unveränderte Auflage. Stuttgart 1965. Seite 28. Abb. 3 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden-- Die Grammatik. 4., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag: Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich 1984. Seite 513. Abb. 4 nach: Die deutschen Mundarten (um 1965). Kleine Enzyklopädie. Die deutsche Sprache. Leipzig 1969. Aus: Astrid Stedje: Deutsche Sprache gestern und heute. Einführung in die Sprachgeschichte und Sprachkunde. 4., unveränderte Auflage. Wilhelm Fink Verlag: München 1999. Seite 190. Abb. 5 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden-- das Bildwörterbuch. 5., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag: Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich 2000. Seite 62. Abb. 6 Werner König: dtv-Atlas Deutsche Sprache. Mit Illustrationen von Hans- Joachim Paul. © 1978 Deutscher Taschenbuch Verlag, München. Seite 22. Abb. 7 Jean Aitchison: Wörter im Kopf (=-Konzepte 56). Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1997. S. 68. Abb. 8 Süddeutsche Zeitung Nr. 94, 24. April 2003. Seite R 3. Abb. 9 Werner König: dtv-Atlas Deutsche Sprache. Mit Illustrationen von Hans- Joachim Paul. © 1978 Deutscher Taschenbuch Verlag, München. Seite 232. Abb. 10 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden-- Die Grammatik. 4., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag: Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich 1984. Seite 26. Abb. 11 Süddeutsche Zeitung Magazin, 27. Mai 2005, Seite 3. 341 Sach- und Personenregister Sach- und Personenregister Abkürzungswort 137, 138 Ablaut 117, 128, 132, 147 Abstraktum 18 Abtönungspartikel 53 Ad-hoc-Bildungen, Siehe -Okkasionalismus, Ad-hoc-Bildung, Wortneuschöpfung Adjektiv 74, 75 Adjektivdeklination 87, 88 Adverb 77, 78 Adverbiale, Umstandsbestimmung 28, 29 Affinität 179 Affix 107, 115, 123 Affixoid 107, 127, 128 Affixoidbildung 127 Affrikate 203, 204, 209, 212, 213 Aktzeit, Ereigniszeit 95, 96 Allegorie 288 Alliteration 290, 296 Allograph, Allographie 219, 220, 221, 222, 226 Allomorph 105, 106, 129, 205 Allophon 205, 206, 226 Alveolen, alveolar 211, 213 analytisch 85, 92, 93 Anapher 291 anaphorisch 262, 274, 277 Anfangssegment 136, 142 Angabe 16, 17, 23, 24, 25, 28, 30, 31, 32, 33, 59 Angabesatz 6, 10, 34 Antithese 291 Antonymie, Gegensatz 195, 196, 268, 273, 291 Appellativum 75 Appellfunktion, appellieren 155, 258 Apposition 38, 39, 40, 41, 42 Arbitrarität, arbiträr 149, 151, 152, 153, 155 Archisem 182, 183 Artikel 38, 41, 76, 77, 85, 87, 88, 108, 110, 262 Artikelwort 38, 41, 72, 76, 87, 88, 270, 277 Artikulation 109, 158, 207, 213 Artikulationsart 212, 213 Artikulationsorgan 212 Artikulationsort 212, 213 Assoziation 186, 187 ästhetisches Prinzip 226 Asyndeton, asyndetisch 8, 292, 295, 296 Attribut 36, 37, 38, 39, 40, 42 Attributsatz 39, 43, 52 Aufforderung 3, 5, 57, 100, 155, 257, 259 Aufforderungssatz 3, 4 Ausdruck, Ausdrucksseite 71, 136, 153, 175, 176, 182, 193, 203, 255, 260, 262, 266, 288 Ausdrucksfunktion 155 Aushandeln 246 Ausklammerung 11, 169 Auslautverhärtung 206, 222 Ausrufesatz 5 Aussagesatz 3, 4 Äußerungsakt 233, 234, 236 Aussprachevarietät 210 Austin, John L. 232, 233, 236, 237, 251, 253, 256 Austriazismen 168 Autosemantika, autosemantisch 108, 127, 153, 274 B 342 Sach- und Personenregister Basis 122, 123, 124, 125, 126, 127, 129, 132, 133 Basismorphem 107, 109, 110, 127, 133 Baumdiagramm, Siehe -Stemma, Baumdiagramm Bedeutung, aktuelle 188 Bedeutungsbeziehungen 175, 179 Bedeutungsrelationen 188, 189, 190 Bedeutungsverhältnis, endozentrisches 120 Bedeutungsverhältnis, exozentrisches 120, 121 Bedeutungswandel 196, 197, 198 Bedeutung, Wortbedeutung 71, 152, 153, 155, 175, 176, 177, 192, 203, 204, 205, 263 Beendigungsphase 245, 248, 251, 333 Begleitgefühl, Siehe -Konnotation, Begleitgefühl Begriff 154, 157, 180, 182 Benennungsmotiv 188 Bereichsstil, Siehe -Funktionalstil, Bereichsstil Bernstein, Basil 166 Berufsjargon 167 Betrachtzeit 95 Bezeichnendes, signifiant 153 Bezeichnetes, signifié 153 Bezugsausdruck 262, 274 bilaterales Zeichenmodell 153, 154, 255 Bildwörterbuch 178 binäres Segmentieren 116, 117, 118, 122, 126, 129, 134 Bindestrichinfinitiv 135 Brinker, Klaus 255, 256, 258 Buchstabe, Schriftzeichen 137, 219, 220, 221, 225, 226, 287 Bühler, Karl 155, 156 Bundesdeutsch 168 CChiasmus 292 Code 166, 170 Coseriu, Eugenio 157 DDarstellungsfunktion 155 Deixis, deiktische Elemente 169, 271 Deklarationsfunktion 258 Deklarativ 236 Deklination 75, 85, 86, 87, 88 Demotivation, demotivierte Wortverbindung 113, 114 Denotation, Denotat 186, 187, 193, 194 Dentes, dental 211, 212 Dependentien, Siehe -Valenz (des Verbs), Dependentien, Wertigkeit Determinativkompositum 120, 134 diachron 111, 192 Dialekt, Mundart 124, 152, 162, 163, 164, 168, 179, 194, 287 Dialogtest 25, 26, 27, 29 Diminutivbildung 124 Diphthong 206, 207, 209, 220, 222 direkte Rede 99 Direktiv 236 Distanzverflechtung 275 Distribution 106, 107, 124, 206, 207 doing gender 168 Doppelmotivation 127 Eelaborierter Code 166 Ellipse, elliptisch 1, 2, 6, 169, 278, 283, 286, 290, 295 Empfindungswörter, Siehe -Interjektion, Empfindungswort Endreim 291 Endsegment 137 Entscheidungsfrage 2, 3, 4, 5, 78, 80 Epipher 291 Erbwortschatz 223 Ereigniszeit, Siehe -Aktzeit, Ereigniszeit 343 Sach- und Personenregister Ergänzung 16, 17, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 33, 44, 45 Ergänzungsfrage 3, 4 Ergänzungssatz 6, 10, 34, 39 Eröffnungsphase 245, 248, 333 Ersatzprobe, Substitutionsprobe 20, 21, 28, 29, 39 Erstglied 111, 115, 118, 119, 120, 134 Erzählhaltung 285 Erzählsituation 285 Erzählweise 285 etymologisches Prinzip 227 explizite Ableitung 119, 122, 126, 127, 129 Explosiv 212, 325 Expressiv 236 FFachsprache, fachsprachlich 165, 167, 258, 287 Fachwortschatz 224, 258, 295 fakultativ 23, 24, 25, 26, 27, 29, 44, 45 finites Verb, Siehe -Finitum, finites Verb Finitum, finites Verb 2, 3, 4, 18 Flexion 71, 85, 86, 105, 129, 223 Flexionsmorphem 106, 107, 109, 130 Frage-Antwort-Test 27 Frageprobe 20, 21, 28, 30, 31, 32, 37 Fragesatz 3, 4 Frame 260 freier Dativ 33, 57 Fremdwort 87, 158, 165, 177, 210, 223, 224, 227, 287 Frikativ, Reibelaut 212, 213 Fuge, Fugenelement, Fugenmorphem 118, 119 Funktionalstil, Bereichsstil 284, 293 Funktionsverbgefüge 14, 165, 286 Funktionswörter, Siehe -Synsemantikum, synsemantisch, Funktionswort Futur 85, 92, 94, 95 G Gegensatz, Siehe -Antonymie, Gegensatz Geheimsprache 167 Gemination 291, 296 Genderlekt 167 Gesamtbedeutung 14, 111, 112, 182, 183, 188, 263 Geschehenstest 25, 26, 27, 29, 34, 57, 58 geschriebene Sprache, geschriebener Text 160, 161, 169, 255, 256, 287, 296 Gespräch 53, 168, 195, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 330 Gesprächsanalyse 234, 243, 246, 247, 248, 250, 251, 252 Gesprächspartikel 53, 295 Gesprächsphasen 245 Gesprächsschritt 246, 248 Gesprächssequenz 246, 251 Gesprächs- und Dialoganalyse 256 gesprochene Sprache, gesprochener Text 11, 53, 91, 160, 161, 163, 164, 169, 209, 211, 256, 286, 296 Gliedsatz 10, 34, 39 Glottis, glottal 211, 212, 213 Glückensbedingungen 236 grammatisch-syntaktisches Prinzip 227 Graph 219, 220 Graph <e> 221, 223, 228, 326, 327, 328 Graphem 219, 220, 221 Graphemik 219 Graphostilistik, graphostilistisch 288, 295 Graph <s> 221, 223 Grice, H. Paul 237, 238, 240, 241, 243, 252 Gruppensprache 165 Gruppenstil 284 HHandlungspläne 245, 246, 248 Hauptbedeutung 111, 188 Helvetismen 169 Herkunftsprinzip 227 344 Sach- und Personenregister historisches Prinzip 227 Hochsprache, Siehe -Standardsprache, standardsprachlich, Hochsprache Homographie, homograph 192, 323 Homonymenscheidung 192, 227 Homonymie, homonym 80, 91, 191, 192, 227 Homophonie, homophon 192 Hörersignale 246, 248 Hyperbel 289 Hyperonym/ Hyperonymie, Hyponym/ Hyponymie 180, 196, 266, 267 Hypotaxe, hypotaktisch, Satzgefüge 7, 8, 9, 120, 161 IIdiolekt 160, 161 idiomatisierte Wörter 115 idiomatisierte Wortverbindung 112, 114 Ikon 152 Illokution, illokutiver Akt 233, 234, 238, 259 Illokutionsstruktur 235, 253 illokutiver Sprechakt 236 Imperativ 3, 4, 85, 98, 99, 101, 135 Imperativsatz 4, 259 Implikatur 238, 240, 241, 242, 243, 249, 250 implizite Ableitung 122, 128, 129, 132 Index, Symptom 152 Indikatoren 234 indirekte Rede 99, 100, 263, 284 indirekte Sprechakte 234 Infinitiv 3, 12, 13, 15, 39, 48, 86, 92, 97, 98, 100, 130 Infinitivkonstruktion 34, 35, 51, 57 Infinitivkonversion 130, 274 Infinitum, infinitives Verb 3, 11, 12, 46, 86 Informationsfunktion 258 Inhaltsseite 175, 203 Initiative 247 Interfix 119 Interjektion, Empfindungswort 2, 80, 165, 203 Interpunktion 3, 4, 5 Intonation 2, 3, 4, 5, 214, 234 intraphrastisch 264, 277 IPA 208, 209, 210 Ironie 290 Irrealis 101 Isotopie, Isotopieebene 260, 261, 262, 263, 277, 278 JJunktur 214 KKasus 28, 40, 41, 76, 78, 85 kataphorisch 270, 274 Kategorie 154, 184, 185 Kausativbildung 129 Kausativverb 13 Kern (des Satzglieds) 33, 34, 36, 37, 38, 40, 41, 277 Kernphase 245, 246, 248, 251 Kernsatz 6, 7, 16, 22, 61, 99, 133 Kernwortschatz 223, 224, 225 Klammersegment 137 Klangstilistik, Siehe -Lautstilistik, Klangstilistik Klassem 263, 277, 278 Klimax 292 Kodeixis, Multideixis 271 Kohärenz 255, 256, 260, 261, 262, 275 Kohäsion 256 Kollektivum 125, 127 Kommissiv 236 Kommunikation 149, 151 Kommunikationsmodell 155, 156, 158 Kommunikationsprozess 256 Kommunikationssituation 163, 168, 258, 271 345 Sach- und Personenregister kommunikative Funktion 3, 4, 255, 256, 284 Komparation 74, 75, 85 Kompatibilität 18, 179 Komplementarität, komplementär 183, 195, 205, 206 Kompositum, Zusammensetzung, Komposition 109, 117, 127, 134, 136, 266, 287 Konfix 109, 110 Kongruenz 28 Konjugation 3, 74, 85 Konjunktionaladverb 51, 77, 264 Konjunktion, konjunktional 8, 11, 29, 33, 34, 35, 38, 49, 50, 51, 53, 59, 73, 77, 80, 81, 108, 261, 264, 291, 292 Konjunktiv 3, 5, 85, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 263, 264, 286 Konkretum 75 Konnekt, Konnektor, Konnexion 264, 265 Konnotation, Begleitgefühl 186, 187, 194, 199 Konsonantenbildung 212 Kontaktfunktion 258 Kontaktverflechtung 275, 277 Kontiguität 268, 269, 273 Konvention, konventionalisiert 151, 152, 155, 157 Konversationsmaximen 237, 238, 243, 249, 252, 331 Konversion 122, 128, 129, 130, 131, 132, 135, 139 Konzept 153, 154 Kooperationsprinzip 237, 238, 240 Koordination, koordinativ, koordiniert 36, 39, 49, 54, 55 kopulativ 50 Kopulativkompositum 121 Kopula-Verb, Kopula-Satz 28, 40 Koreferenz 261, 262, 271 Korrelat 52, 57 Kurzwort 87, 137, 138, 147, 266 LLabia, (bi)labial 211, 212, 213 Labov, William 166 Langage, Sprachfähigkeit 157 Langue, Sprachsystem 156, 157, 158, 161, 167, 203, 223, 224, 225 Lateral 212 Laut 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 221, 222 Lautschrift 205, 206, 208, 209, 213 Lautstilistik, Klangstilistik 287 Lehnwortschatz 223 Leseaussprache 225 Lexem 71, 262, 271 Lexemidentität, Lexemrepetition 266 Lexemsimilarität 266 Lexemsubstitution 267, 275, 277 lexikalisch-semantisches Prinzip 227 lexikalisiert 114 Liquid 212, 213 Lokution, lokutiver Akt 233 Luther, Martin 161 MMakrostilistik 284, 285 Mehrdeutigkeit, Siehe -Polysemie, polysem, Mehrdeutigkeit Menge-Element-Verhältnis 271 Metapher 112, 189, 196, 197, 266, 267, 288 Metasprache 1, 175 Metonymie 189, 196, 267, 289 Metrum 287 Mikrostilistik 284 Minimale Textgrammatische Einheit (MTE) 255 Minimalpaar 204, 206, 207, 220 Mischverb 91 346 Sach- und Personenregister Mischwort 224 Mittelfeld 11 Mittelsegment 137 Modalität 264 Modalitätsverb 12, 18 Modalverb 12, 15, 18, 96, 264 Modalwort 32, 78 Modifikation 123, 136 Modus 96, 97, 98, 99, 263, 264 Monoflexion 87, 88 Morph 105, 106, 107, 157, 203, 205, 219 Morphem 105, 106, 107, 108, 109, 151, 157, 203, 205, 219 Morphologie, morphologisch 72, 75, 78, 83, 105, 222, 226 morphologisches Prinzip 227 Motion, Siehe -Movierung, Motion Motivation, Motiviertheit, motiviert 110, 111, 112, 116, 151, 152 Movierung, Motion 124 Multideixis, Siehe -Kodeixis, Multideixis Mundart, Siehe -Dialekt, Mundart NNachfeld 11 Nasal, nasal 212, 213, 225 nationale Varietäten 168 Nebenbedeutung 188 Nebensatz, eingeleiteter 6, 9, 39, 51 Nebensatz, uneingeleiteter 6 Nebensatz, weiterführender 10, 40 Nominalstil 257, 286, 287 Norm, normiert 156, 157, 158, 161, 210, 221, 288 Numerale 72 Numerus 2, 28, 76, 85, 102, 108, 270 OObjekt 20, 28, 29 Objektsprache 1 Obligationsfunktion 258 obligatorisch 24, 26, 27, 29, 37, 44, 45 Ogden, Charles K. 154, 173, 176, 261 Okkasionalismus, Ad-hoc-Bildung, Wortneuschöpfung 114, 287 onomasiologische Betrachtungsweise, onomasiologisch 176, 177, 178, 179 Onomatopoetikum 152, 287 Opposition 205 Organon-Modell 155, 156 Österreichisch 168, 295 PParallelismus 263, 292, 296 Paraphrase, semantische Wortbildungsanalyse 114, 115, 116, 127, 134 Parataxe, parataktisch, Satzreihe 7, 8, 9, 49, 121, 161 paraverbale Merkmale 257 Parenthese 7, 8, 286 Parole, Sprachverwendung 156, 157, 158, 167, 203, 283 Partialität, Teil-Ganzes-Referenz 268, 269 Partikel 5, 52, 53, 60, 78, 80, 81, 165, 234, 242, 246, 264 Partizip 3, 13, 37, 38, 39, 47, 48, 74, 86, 89, 92, 100, 102, 109, 131, 273, 286 Partizipialkonstruktion 33, 34, 46 Passiv 46, 47, 48, 85 Passiversatz 14, 47, 48, 56 Passivkonstruktion 165 Passivtransformation 46, 47 Perfekt 85, 92, 93, 94, 100, 101 performativ, performative Verben, performative Äußerung 232, 234, 235 Perlokution, perlokutiver Akt 233, 259 Permutationsprobe, Siehe -Verschiebeprobe, Permutationsprobe Person 2, 28, 76, 108 Personifizierung 290 Phon 203, 204, 219 Phonation 207 347 Sach- und Personenregister Phonem 203, 204, 205, 206, 207, 219, 220, 221, 222, 223, 224 Phonem-Graphem-Korrespondenz 221, 224 Phonemik, Siehe -Phonologie, phonologisch, Phonemik Phonem / s/ 222, 228, 326, 329 Phonetik, phonetisch 109, 158, 160, 203, 207, 208, 209, 214, 215, 216, 217 phonetisches Prinzip 226 Phonologie, phonologisch, Phonemik 160, 203, 214, 226 phonologisches Prinzip 226 phraseologische Wendung, phraseologisch 14, 296 Platzhalter (es) 57 Plural, Pluralbildung des Substantivs 75, 85, 86, 87, 106, 107, 108, 118, 223 Plusquamperfekt 85, 92, 94 Polysemie, polysem, Mehrdeutigkeit 188, 189, 192, 196, 290 Polysyndeton 292 Portemanteaumorphem 110 Possessivkompositum 120, 121 Postposition 79 Prädikat 1, 2, 3, 4, 7, 10, 12, 14, 16, 18, 20, 21, 23, 27, 28, 33, 38, 44, 48, 49, 54, 56, 59, 60, 62, 63 prädikativ 32, 42, 48 Prädikatsnomen 28, 29, 48 Präfix 12, 16, 89, 107, 108, 109, 119, 122, 126, 128, 131, 142, 225 Präfixbildung 123, 126, 131 Präfixkonversion 131, 132 Präfixoid 127, 140, 144 Pragmatik, Pragmalinguistik, pragmatisch 4, 5, 53, 156, 160, 255, 256, 283 pragmatisches Prinzip 227 Präpositionaladverb, Siehe -Pronominaladverb, Präpositionaladverb präpositionales Rektionskompositum 121 Präposition, präpositional 14, 25, 28, 29, 30, 34, 35, 37, 46, 47, 73, 77, 78, 79, 80, 110, 117, 121, 133, 141, 165, 303, 312, 313, 321 Präsens 85, 86, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101 Präsupposition 238, 239, 242, 243, 249, 250, 252 Präteritum 85, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 97, 99, 101, 106, 117, 263 Prätext 270 Produktivität von Wortbildungen, produktiv 114, 124, 129, 135, 138 Proform 270, 274, 277 Pronomen 9, 13, 38, 39, 40, 54, 55, 56, 72, 73, 74, 76, 85, 99, 100, 117, 122, 131, 153, 262, 271 Pronominaladverb, Präpositionaladverb 40, 52, 77, 270 Pronominalisierung 21, 270 Proposition, propositionaler Akt 233, 238, 239, 240, 241, 243, 259 Prosodie, Siehe -Suprasegmentalia, Prosodie Prototypensemantik 184, 186, 187 Prowort (es) 56 Pseudoanglizismus 224 Pseudomorphem 110, 113 RRatifizierung 247 Reaktion 234, 246, 247 Rechtschreibprinzip 225, 226 Rechtschreibreform, Rechtschreibung 15, 133, 134, 169, 170, 220, 221, 225, 226 Reduplikation 136 Referenz 261, 271, 274 Referenzidentität 40, 261, 266, 267, 268, 269, 271, 272, 273, 274, 275 Referenzkette 262, 277, 279 348 Sach- und Personenregister Referenz-Rekurrenz 262 Referenzrelation 271 reflexives Verb 13, 48, 54, 55 Regens, Siehe -strukturelles Zentrum, Regens Reibelaut, Siehe -Frikativ, Reibelaut Rekurrenz 261, 262, 263 Remotivierung, Volksetymologie 113, 198 Repräsentativ 236 restringierter Code 166 reziprokes Verb 55 rhetorische Figuren, Siehe -Stilfiguren, rhetorische Figuren Rhythmus 287 Richards, Ivor A. 154, 176, 261 Rosch, Eleanor 184 Rückbildung 138 SSatzabbruch 165, 169, 243, 290 Satzäquivalent 2, 53, 73, 80 Satzart 3, 286 Satzbaupläne 19 Satzdefinition 1 Satz, einfacher 7 Satzform 7, 9 Satzfrage 4 Satzgefüge, Siehe -Hypotaxe, hypotaktisch, Satzgefüge Satzglied 2, 6, 10, 14, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 35, 36, 37, 43, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 60, 72, 76, 77, 78, 270 Satzglied, sekundäres 37 Satzglied(teil)status 49, 50, 59, 264 Satzgliedtest 20, 21, 28, 33, 49, 57 Satzgliedtests 56 Satzklammer 2, 11 Satzklassifikation 3, 6, 9 Satz, komplexer 7, 8, 9, 61, 295 Satzperiode 9 Satzreihe, Siehe -Parataxe, parataktisch, Satzreihe Satzstilistik 290 Satztyp 4, 5, 6, 7 Satzwort 135 Saussure, Ferdinand de 153, 154, 157 Scheinsubjekt/ -objekt 13, 56 Schreibstil 161 Schriftzeichen, Siehe -Buchstabe, Schriftzeichen Schwa 213 schwaches Verb 74, 90, 91, 129, 132 Schweizerdeutsch 168 Searle, John R. 232, 233, 234, 235, 236, 237, 249, 253, 256 segmentieren und klassifizieren 20 Selektion 179 Sem 182, 183, 184, 192, 262 Semanalyse 182, 183, 184, 262 Semantik, semantisch 13, 18, 30, 36, 46, 50, 51, 54, 55, 56, 72, 74, 75, 76, 105, 106, 109, 110, 115, 118, 120, 153, 156, 175, 179, 227, 231, 255, 256, 262, 263, 265, 290 Semem 182 Semidentität 192 Semikolon 3, 8, 261, 287 Semiotik 153 semiotisches Dreieck 154, 155, 176, 261 Setzung 2 Siebs, Theodor 210 signifiant, Siehe -Bezeichnendes, signifiant signifié, Siehe -Bezeichnetes, signifié signifié-signifiant-Relation 188 signifié-signifié-Relation 188 Silbe 109, 113, 136, 138, 206, 209, 210, 214, 222, 223, 225, 290 Silbenwort 138 silbisches Prinzip 226, 227 Skript 260 349 Sach- und Personenregister Sondersprache 167 Soziolekt 165 Soziolinguistik 160 Spannsatz 6, 12 Spitzenstellung, Spitzenstellungstest, spitzenstellungsfähig 21, 32, 42, 50, 51, 57, 58, 61 Sprache und Sprechen 149, 151 Sprachfähigkeit, Siehe -Langage, Sprachfähigkeit Sprach(gebrauchs)norm, Sprachnormierung 157, 158 Sprachlenkung 158 Sprachregister 162 Sprachsystem, Siehe -Langue, Sprachsystem Sprachverwendung, Siehe -Parole, Sprachverwendung Sprechakt 158, 233, 234, 235, 236 Sprechaktregeln 236 Sprechakttheorie 232, 233, 234, 238, 243, 248, 252, 253, 256 Sprechhandlung 233, 235, 259, 264 Sprechweise 158, 160, 257 Sprechzeit(punkt) 93, 94, 95 Standardsprache, standardsprachlich, Hochsprache 161, 162, 163, 164, 168 starkes Verb 74, 90, 91, 129, 132 Staupause 264, 265 Stemma, Baumdiagramm 8, 42, 43, 59, 60, 116, 117, 129, 130 Stilabsicht 283 Stilelement, Stilmittel 283, 284, 293, 294 Stilfiguren, rhetorische Figuren 288, 290, 291, 296 Stilhöhe 283 Stillage, Stilebene 180, 187, 193 Stilmittel, Siehe -Stilelement, Stilmittel Stil, Stilistik, stilistisch 167, 187, 255, 257, 263, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 293 Stilwirkung 284 Stilzug 292, 293, 294 Stirnsatz 5, 6 Streckform 14, 286 strukturelles Zentrum, Regens 2, 16, 20, 28, 59 Strukturrekurrenz 261, 263 Subjekt 7, 20, 28, 46 Subjunktion 6, 39, 49, 50, 51, 59, 61, 73, 80, 108, 153, 264 Subordination, subordinierend 36, 50 Substantiv, substantivisch 14, 15, 29, 34, 35, 40, 42, 43, 56, 68, 72, 73, 74, 75, 76, 85, 86, 87, 117, 119, 120, 130, 131, 132, 153, 165, 227, 270, 274, 283, 286 Substantiv, Valenz des Substantivs 16 Substitutionsprobe, Siehe -Ersatzprobe, Substitutionsprobe Subsystem, Siehe -Varietät, Subsystem Suffix 107, 108, 115, 119, 122, 124, 125, 126, 129, 131, 138 Suffixbildung 124, 125, 126 Suffixoid 127 Superlativ 74, 85 Suprasegmentalia, Prosodie 214 Symbol 152 Symptom, Siehe -Index, Symptom synchron 110, 111, 113, 138, 192 Synekdoche 289 Synonym, synonym, Synonomie 180, 183, 192, 193, 194, 196, 266, 267 Synsemantikum, synsemantisch, Funktionswort 76, 108, 153, 262, 274 Syntagma, syntagmatisch 33, 37, 43, 179 syntaktische Transposition 274 syntaktische Wörter 71, 72 syntaktisch integriert 73, 77, 264 syntaktisch isoliert 77, 80, 264 Syntax, syntaktisch 1, 72, 74, 75, 76, 77, 105, 156, 160, 164, 165, 170, 226, 255, 350 Sach- und Personenregister 261, 263, 265, 273, 277, 286, 290, 292, 295 synthetisch 89, 93 TTeil-Ganzes-Beziehung 41, 58 Teil-Ganzes-Referenz, Siehe -Partialität, Teil-Ganzes-Referenz teilmotivierte Wortverbindung 111, 112 Tempus 2, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 263, 286 territoriale Dubletten 194 Tesnière, Lucien 16 Teutonismen 169 Textaufbau 285 Textdefinition 255, 256 textexterne Kriterien 258 Textfunktion 256, 258, 280 Textgrammatik 255, 256 textinterne Kriterien 257 Textlinguistik 260 Textsemantik 255 Textsorte, textsortenspezifisch 257, 258, 259, 260, 263, 283, 284, 293, 295 Textstruktur 257, 260 (Text)Thema, Teilthema 256, 258, 260, 262, 277 Themenentfaltung 258, 275, 277, 279 Topik 262, 266 Topologie 11 traditionelle Grammatik 20, 28, 29 Transkription 209, 217, 243, 244, 248 transphrastisch 261, 262, 264 Transposition 124 Trier, Jost 180 Turn 246 UÜberordnung, Siehe -Hyperonym/ Hyperonymie, Hyponym/ Hyponymie Überschrift 2, 37, 170, 257, 258, 260, 277 Umgangssprache, umgangssprachlich 46, 161, 164, 190, 194, 287 Umlaut, umlautfähig 75, 86, 97, 98, 106, 117, 129, 132, 221, 227 Umstandsbestimmung, Siehe -Adverbiale, Umstandsbestimmung unfeste Verbbildung 132, 133 unikales Morphem 109, 110, 111 unmittelbare Konstituente 114, 117, 118, 137 Unterordnung, Siehe -Hyperonym/ Hyperonymie, Hyponym/ Hyponymie unterwertiger Gebrauch 44, 45, 46, 47 usuelles Wort 114, 126 Uvula, uvular 211, 212, 213 VValenz des Adjektivs 16, 37 Valenz des Substantivs 37 Valenz (des Verbs), Dependentien, Wertigkeit 16, 17, 18, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 37, 39, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 56, 57, 58, 179 Valenzerhöhung 48, 49 Valenzgrammatik, valenzgrammatisch 16, 20, 28, 29, 30, 46, 49, 51, 52 Varietät, Subsystem 160, 162, 165, 166, 168, 169, 257, 287 Velum, velar 211, 212, 213 Verb 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 73 Verb, 0-wertiges 44 Verbalstil 286, 287 Verbstammkonversion 130, 274 Verdeutlichendes Kompositum 122 Verflechtungsabstand 274, 275 Verflechtungsrichtung 262, 274, 275, 277 Verschiebeprobe, Permutationsprobe 20, 21, 22, 27, 28, 37, 39 Verstehensakt 160 Verweisausdruck 262, 266, 268, 269, 270 Vibrant 212 351 Sach- und Personenregister Vokale, Bildung der 213 Volksetymologie, Siehe -Remotivierung, Volksetymologie vollmotivierte Wortverbindung 111 Vollverb 2, 10, 13, 14, 16, 18, 286 Vor(vor)feld 11 Vorzeitigkeit 94, 95 WWertigkeit, Siehe -Valenz (des Verbs), Dependentien, Wertigkeit Wiederaufnahme, implizite 268 Wortakzent 214, 225 Wortart 71, 72, 74, 75 Wortbildung 105 Wortbildungsanalyse, morphologisch 110, 116, 126 Wortbildungsanalyse, semantisch, Siehe -Paraphrase, semantische Wortbildungsanalyse Wortbildungsmorphem 107, 108, 109, 114, 122, 123, 124, 134, 138 Wortbildungstyp 105, 117, 122, 287 Wortdefinition 71 Wortfamilie 287 Wortfeld 180, 181, 182, 183, 184, 186, 193, 287 Wortfindungsstörung 186 Wortfrage 4 Wortgruppe 33, 43, 96, 126, 127, 131, 134, 135, 288 Wortgruppenkonversion 135 Wortkreuzung 136 Wortneuschöpfung, Siehe -Okkasionalismus, Ad-hoc-Bildung, Wortneuschöpfung Wortreihe 180, 183 Wunschsatz 5 ZZeichenmodelle 153 Zeichen, nichtsprachliches 152, 153 Zeichen, sprachliches; Sprachzeichen 71, 106, 149, 151, 155, 175, 188, 203, 255, 260, 261, 263, 267, 277, 278 Zeitstil 284 Zeugma 290 Zirkumfix 107, 108, 109, 125 Zirkumfixbildung 122, 125, 126 Zirkumposition 79 Zusammenbildung 126, 127, 134 Zusammenrückung 134 Zusammensetzung, Siehe -Kompositum, Zusammensetzung, Komposition Zustandsreflexiv 48 Zweitglied 111, 112, 120, 137 ,! 7ID8C5-cefchg! ISBN 978-3-8252-4527-6 Katja Kessel | Sandra Reimann Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache 5. Auflage Gegenstand dieses Einführungsbuchs sind die wichtigsten Teilbereiche und Methoden der deutschen Sprachwissenschaft. Besonders ausführlich werden die Kapitel Syntax und Wortbildung behandelt, die zum Kanon der meisten sprachwissenschaftlichen Prüfungen gehören. In der Neuauflage wird erstmals die Pragmatik als weitere klassische sprachwissenschaftliche Disziplin in das Einführungsbuch aufgenommen. In diesem Kapitel werden Grundbegriffe geklärt und die „Sprechakttheorie“, die „Konversationsmaximen“ sowie die Gesprächsanalyse als Anwendungsfeld der Pragmatik vorgestellt. Jedes Kapitel enthält Übungen mit Lösungen und weiterführende Literatur, sodass die Studierenden sich den Stoff selbstständig erarbeiten und ihre Kenntnisse überprüfen können. Der Transfer in die Analysepraxis steht stets im Vordergrund. Sprachwissenschaft Deutsche Gegenwartssprache Kessel | Reimann Dies ist ein utb-Band aus dem A. Francke Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel